Offenlegungspflichten der Organmitgieder in Kapitalgesellschaften [1 ed.] 9783161593741, 9783161593758, 316159374X

Persönliche Offenlegungspflichten der Organmitglieder in Kapitalgesellschaften sind oft gesetzlich nicht geregelt, sonde

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Titel
Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Teil I: Grundlegung
Kapitel 1: Einführung
§ 1. Gegenstand der Untersuchung
§ 2. Ziel der Untersuchung
§ 3. Methoden und Gang der Untersuchung
I. Abduktion, Deduktion und Induktion
II. Ablauf der Untersuchung
Kapitel 2: Offenlegungspflichten in größerem Kontext
§ 1. Offenlegungspflicht und Treuepflicht
I. Inhalt der Treuepflicht
1. Herkömmliches Verständnis
2. Treuepflicht „stricto sensu“
3. Treuepflicht und Art des Interessenkonflikts
4. „Offene“ Treuepflicht
II. Treuepflicht als Rechtsprinzip
III. Fazit
§ 2. Offenlegungspflicht und Persönlichkeitsrecht
I. Privatsphäre, Freiheit und soziale Rollen
II. Allgemeines Persönlichkeitsrecht
III. Art der Grundrechtsprüfung
1. Drittwirkungslehre: Verhältnismäßigkeit oder Angemessenheit?
a) Allgemeines
b) „Weite“ Drittwirkungslehre
c) „Enge“ Drittwirkungslehre
2. Neue Abwehrrechtslehre
3. Stellungnahme: „Unwägbarkeit der Abwägung“
§ 3. Offenlegungspflicht und Interessenkonflikte
I. Begriff des Interessenkonflikts
II. Offenlegung von Dauerkonflikten
III. Offenlegung punktueller Interessenkonflikte
IV. Fazit
§ 4. Verhältnis der Kategorien zueinander
I. Treuepflicht – Interessenkonflikt – Offenlegungspflicht
II. Offenlegungspflicht – allgemeines Persönlichkeitsrecht
III. Treuepflicht – Offenlegungspflicht – allgemeines Persönlichkeitsrecht
Teil II: Einzelne Offenlegungspflichten
Kapitel 3: Offenlegungspflichten bei Krankheit
§ 1. Einleitung
I. Krankheit und Unternehmensführung
II. Zusatzproblem: Verheimlichung der Erkrankung
III. Gang der weiteren Untersuchung
§ 2. Krankheit und Krankheitsverdacht
I. Die Suche nach einem Krankheitsbegriff
1. Krankheit im Sozialversicherungsrecht
2. Krankheit im Arbeitsrecht
3. Krankheit in der Medizin
4. Ergebnis
II. Umgang mit Krankheitsverdacht
1. Subjektiver und objektiver Krankheitsverdacht
2. Offenlegungspflicht bei Krankheitsverdacht
3. Pflicht zur Abklärung des Verdachts
4. Ergebnis
§ 3. Exkurs: Ad-hoc-Publizitätspflicht in börsennotierten Unternehmen
I. Ad-hoc-Publizität und die Offenlegungspflicht der Organmitglieder
II. Rechtslage in Deutschland und den USA
1. Deutschland
a) Unterschied zwischen Organ- und „Schlüsselstellung“
b) Ad-hoc-Publizität bei schwerer Erkrankung von Schlüsselpersonen
2. USA
a) Unklarer Status Quo
b) Offenlegung und „Privacy“
c) Vorschläge de lege ferenda
d) Unternehmenspraxis
3. Ergebnis
III. Kursrelevante Gesundheitsdaten
1. Einzelpersonen und Unternehmenserfolg
2. Kurserheblichkeit der Gesundheitsdaten
a) Ausscheiden aus dem Amt
b) Krankheitsbedingte Auszeit
c) Verbleiben im Amt ohne Auszeit
3. Zusammenfassung
IV. Publizitätspflicht im Lichte der Grundrechte
1. Publizitätspflicht als Eingriff in die Grundrechte aus Art. 7 und 8 der EU-Grundrechtecharta
2. Rechtfertigung
a) Grundrechtsschranken
b) Dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung
c) Achtung des Wesensgehalts der Grundrechte
d) Verhältnismäßigkeit
aa) Geeignetheit
bb) Erforderlichkeit
3. Grundrechtskonforme Auslegung der MAR
4. Ergebnis
§ 4. Interne Offenlegungspflichten
I. Offenlegungspflicht der Vorstandsmitglieder einer AG
1. Entstehung, Inhalt und Grenzen
a) Das Modell der „gestuften Mitteilungspflicht“
b) Alternatives Modell
aa) Vorübergehende Dienstunfähigkeit
bb) Dauerhafte Dienstunfähigkeit
cc) Amtsweiterführung trotz Krankheit
c) Zusammenfassung
2. (Rechts-)Pflicht, Obliegenheit oder Standard guter Unternehmensführung?
II. Offenlegungspflichten der Aufsichtsratsmitglieder
III. Besonderheiten in der GmbH
1. GmbH ohne Aufsichtsrat
a) Personalistische Mehrpersonen-GmbH
b) Einpersonen-GmbH
2. GmbH mit Aufsichtsrat
a) Montan-mitbestimmte GmbH
b) GmbH mit dem Aufsichtsrat nach dem MitbestG
c) GmbH mit dem Aufsichtsrat nach dem DrittelbG, KAGB und MgVG sowie mit fakultativem Aufsichtsrat
§ 5. Zusammenfassung der Ergebnisse
§ 6. Fazit
Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out
§ 1. Einleitung: Management-Buy-out
I. Problemaufriss
II. Unterschiede zwischen MBO, MBI und IBO
III. Share Deal und Asset Deal
IV. Finanzierung des MBO (Abgrenzung zu LBO)
V. Praktisches Erscheinungsbild
VI. Gang der weiteren Untersuchung
§ 2. Geltungsgrund der Offenlegungspflicht
I. Fremdnützige Stellung der Manager
1. Geschäftschancenlehre
2. Manager als Treuhänder
3. Manager als Geschäftsbesorger
II. Insiderwissen der Manager
1. Kapitalmarktrechtliches Insiderhandelsverbot
2. Zivilrechtliche Aufklärungspflicht
a) Wesentlichkeit der Information
b) Erkennbares Informationsgefälle
c) Zumutbarkeit der Informationsweitergabe
aa) Insider- und Expertenwissen: Struktureller Unterschied?
bb) Insider- und Expertenwissen: Ethische und wirtschaftliche Unterschiede
cc) Grundstücksgeschäfte von Gemeinden
dd) Insiderhandel der Manager beim Management-Buy-out
III. Befunde der ökonomischen Analyse
1. Informationsasymmetrie nach Vertragsschluss (Principal-Agent-Kontroverse)
2. Informationsasymmetrie vor Vertragsschluss
a) Unerwünschter Informationsvorsprung
b) „Market for gems“?
§ 3. Dogmatische Einordnung der Offenlegungspflicht
I. Culpa in contrahendo
1. Vorvertragliches Schuldverhältnis
a) Aufnahme von Vertragsverhandlungen (§ 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB)
b) Vorvertragliche Dritthaftung (§ 311 Abs. 3 BGB)
aa) Eigenes wirtschaftliches Interesse des Managements am Buy-out
bb) Inanspruchnahme besonderen Vertrauens
(1) Persönliches Vertrauen
(2) Typisiertes Vertrauen
2. Rechtsfolgen der Pflichtverletzung
3. Zusammenfassung und Erwiderung auf die Kritik
a) Zusammenfassung der Ergebnisse
b) Bedenken gegen die culpa in contrahendo beim MBO
II. Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten der Gesellschafter
III. Organschaftliche Treuepflicht gegenüber Anteilseignern
1. Das Dogma der fehlenden Sonderverbindung
2. Eng gesteckte Sonderverbindung als Alternative
3. Übertragung auf Management-Buy-out
4. Gesellschafterbezogene Treuepflicht im Rechtsvergleich
IV. Vormitgliedschaftliche Treuepflicht
V. Ergebnis
§ 4. Verhältnis zu anderen informationsbezogenen Pflichten
I. Verschwiegenheitspflicht
II. Verbot unrechtmäßiger Offenlegung von Insiderinformationen
III. Offenlegungspflichten nach § 11 WpÜG
§ 5. Gegenstand der Offenlegung
I. Kriterien für die Bestimmung der offenzulegenden Information
1. Vertrauens- und Berufshaftung
2. Treuhänderische Funktion der Manager
3. Geschäftschancenlehre
4. Allgemeine zivilrechtliche Kriterien
II. Einzelne Gegenstände der Offenlegung
1. Vermögensgegenstände und stille Reserven
2. Geschäftschancen
3. Kaufangebote Dritter
4. Pläne des Managements
a) Meinungsstand
b) Lösung anhand zivilrechtlicher Kriterien
aa) Wesentlichkeit der Pläne für den Entschluss des Veräußerers
bb) Informationsgefälle und Zumutbarkeit der Offenlegung
5. Grenzpreis und andere subjektive Wertungen
6. Aktualisierungspflicht
§ 6. Zusammenfassung der Ergebnisse
§ 7. Fazit
Kapitel 5: Offenbarung eigenen Fehlverhaltens
§ 1. Einführung
I. Offenbarungspflicht und Strafprozess
II. Persönlichkeitsrecht als immanente Grenze der Offenbarungspflicht
III. Gang der weiteren Untersuchung
§ 2. Rechtsvergleichende Bestandsaufnahme
I. Deutschland
1. Offenbarungspflicht der Rechtsanwälte, Architekten und Steuerberater
a) Entwicklung der „Sekundärhaftung“
b) Sekundärhaftung nach neuem Recht?
c) Fazit
2. Offenbarungspflicht der Organmitglieder
a) Offenbarungspflicht im Allgemeinen
b) Offenbarungspflicht bei Abfindungsverhandlungen
II. Vereinigtes Königreich
1. „Bell v Lever“
2. „Item Software“
III. Einfluss von „Item Software“ in Deutschland
1. Offenbarungspflicht kraft Treuepflicht (Schmolke)
2. Selbstbezichtigung und Ad-hoc-Publizität
IV. Ergebnis
§ 3. Daseinsberechtigung der Offenbarungspflicht
I. Geltungsgrund und dogmatische Ableitung
II. Grundrechtsrelevanz
III. Verhältnismäßigkeit der Offenbarungspflicht
1. Legitime Zwecke der Offenbarungspflicht
a) Primäre Zwecke der Offenbarungspflicht
aa) Bessere Personalentscheidungen
bb) Bessere Compliance und Haftungsdurchsetzung
cc) Schadensprävention
dd) Bessere Geschäftsentscheidungen
ee) Kostengünstige Trennung vom Organmitglied
b) Sekundäre Zwecke der Offenbarungspflicht
aa) Eigenständige Haftung auf Schadensersatz
bb) „Vervollständigung“ des originären Haftungsanspruchs
cc) Verjährungsverlängerung
dd) Anfechtbarkeit von Verträgen und Rückforderung des Geleisteten
c) Zusammenfassung
2. Offenbarungspflicht und ihre primären Zwecke
a) Geeignetheit
b) Erforderlichkeit
3. Offenbarungspflicht und ihre sekundären Zwecke
a) Geeignetheit
b) Two wrongs do not make a right? Legitimität einer unerfüllbaren Pflicht
§ 4. Offenbarung eigenen Fehlverhaltens als Nebenfolge einer anderen Pflicht
§ 5. Zusammenfassung der Ergebnisse
§ 6. Fazit
Teil III: Theorie der organschaftlichen Offenlegungspflicht
Kapitel 6: Organschaftliche Offenlegungspflichten
§ 1. Allgemeine Hypothese
§ 2. Erprobung der Hypothese an weiteren Offenlegungsfällen
I. Eigengeschäfte (Directors’ Dealings)
1. Offenlegungspflichten bei Directors’ Dealings
2. Offenlegungspflicht als Grundrechtseingriff
a) Pflicht zur Meldung der Eigengeschäfte
b) Pflicht zur Nennung der eng verbundenen Personen
3. Rechtfertigung
a) Gesetzliche Grundlage
b) Achtung des Wesensgehalts der Grundrechte
c) Verhältnismäßigkeit
aa) Legitimes Ziel
bb) Geeignetheit
cc) Erforderlichkeit
dd) Angemessenheit
4. Exkurs: Eng verbundene Personen
II. Eigene Annahmeabsicht bei Übernahmeangeboten
1. Allgemeines
2. Grundrechtseingriff
3. Rechtfertigung
a) Geeignetheit
b) Erforderlichkeit und Angemessenheit
c) Erstreckung auf nahestehende Personen
III. Außerdienstliches Fehlverhalten
1. Offenbarungspflicht bei Anstellungsverhandlungen
a) Allgemeines
b) Vorstrafen
c) Ermittlungsverfahren
d) Sonstige Pflichtverletzungen
2. Prospektpublizität
a) Überblick
b) Grundrechtseingriff
c) Rechtfertigung
aa) Legitimes Ziel und Geeignetheit
bb) Erforderlichkeit
cc) Angemessenheit, insbesondere das Resozialisierungsproblem
dd) Formelle Bedenken
3. Ad-hoc-Publizität
4. Interne Offenlegung
5. Fazit: „Bewegliche Grenze“ der Treuepflicht
IV. Weitere private Informationen
1. Gezielte Offenlegung privater Tatsachen
2. Bekanntwerden privater Tatsachen als Nebenfolge einer Offenlegungspflicht
§ 3. Ergebnisse
Schlusswort
Zusammenfassung in Thesen
Literaturverzeichnis
Sachregister
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Offenlegungspflichten der Organmitgieder in Kapitalgesellschaften [1 ed.]
 9783161593741, 9783161593758, 316159374X

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JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 243

Elena Dubovitskaya

Offenlegungspflichten der Organmitglieder in ­Kapitalgesellschaften

Mohr Siebeck

Elena Dubovitskaya, geboren 1976; Studium der Rechtwissenschaften in Moskau (Staat­ liche Lomonossov-Universität) und in Bonn; Promotion; 2009–15 Akademische Rätin a. Z. an der Universität zu Köln; seit 2015 wissenschaftliche Referentin am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg; 2019 Habilitation.

ISBN 978-3-16-159374-1 / eISBN 978-3-16-159375-8 DOI 10.1628/978-3-16-159375-8 ISSN 0940-9610 / eISSN 2568-8472 (Jus Privatum) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Natio­ nalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Über­ setzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von epline in Böblingen aus der Stempel Garamond gesetzt, von GuldeDruck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buch­ binderei Spinner in Ort Ottersweier gebunden. Printed in Germany.

für Volker

Vorwort In seinem Roman „Einladung zur Enthauptung“ beschreibt Vladimir Nabo­ kov eine Phantasiewelt, deren Bewohner füreinander durchsichtig sind. Nur die Hauptfigur Cincinnatus C. ist anders, seine Gedanken und sein Seelen­ leben für die Mitmenschen undurchschaubar, und deshalb wird er zum Tode verurteilt. Mit großer Angst wartet Cincinnatus im Gefängnis auf seine Ent­ hauptung und sehnt sich nach Freiheit. Am Tag der Hinrichtung ist es end­ lich soweit: Cincinnatus versteht, dass die Welt um ihn herum nichts als eine Farce ist und verlässt befreit das Schafott, während die düstere irreale Welt immer durchsichtiger wird und in Stücke zerfällt. Der Roman ist ein litera­ rischer Beweis dafür, dass der Mensch als Persönlichkeit nur dort existieren kann, wo keine vollständige Transparenz herrscht. Diese Erkenntnis prägt auch das deutsche und europäische Verfassungsrecht. Vor diesem Hintergrund plädiert die vorliegende Abhandlung für einen behutsamen Umgang mit Of­ fenlegungspflichten der Organmitglieder: Die Transparenz, die für ein funk­ tionierendes Wirtschaftsleben notwendig ist, muss gewährleistet werden, aber korporative Entscheidungsträger dürfen dabei nicht zu gläsernen, durchsichti­ gen Figuren der Nabokov’schen Dystopie mutieren. Die Arbeit wurde im Herbst 2019 von der Bucerius Law School als Habili­ tationsschrift angenommen. Die Quellen befinden sich auf dem Stand von Fe­ bruar 2020. Entstanden ist die Arbeit im Wesentlichen während meiner Tätig­ keit als wissenschaftliche Referentin am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg, dem ich für die exzellenten Ar­ beits- und Forschungsbedingungen danke. Besonders dankbar bin ich meinem verehrten akademischen Lehrer, Professor Dr. Dr. h. c. Holger Fleischer, für den mir gewährten Vertrauensvorschuss, die hervorragende persönliche und fachliche Förderung während der Habilitationszeit sowie für den Freiraum, der nötig war, um wissenschaftliche Arbeit und familiäre Verpflichtungen in Einklang zu bringen. Mein herzlicher Dank gilt auch Professor Dr. Barbara Grunewald für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens und Professor Dr. Birgit Weitemeyer für die Erstellung des Drittgutachtens und die wohlwollen­ de Begleitung des Habilitationsverfahrens. Sehr verbunden bin ich Professor Dr. Dr. h. c. Barbara Dauner-Lieb, die mein Verständnis für zivilrechtliche Fragestellungen geschärft hat, die auch in der vorliegenden Abhandlung eine große Rolle spielen. Mit Dankbarkeit denke

VIII

Vorwort

ich ferner an die großen Persönlichkeiten aus der „Bonner Zeit“, die meinen Entschluss, in Deutschland eine wissenschaftliche Laufbahn einzuschlagen, maßgeblich mitgeprägt haben: Professor Dr. Wilfried Bergmann (DAAD), Professor Dr. Dr. h. c. mult. Marcus Lutter und Professor Dr. Wolfgang Löwer. Dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht und der Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung danke ich für die Unter­ stützung der Veröffentlichung mit einem großzügigen Druckkostenzuschuss, der Esche Schümann Commichau Stiftung für die Förderung der Habilitation mit dem Stiftungspreis. Mein ganz persönlicher Dank gilt meinem Ehemann, der für das Gelingen des Habilitationsprojekts zahlreiche Opfer erbracht und mich liebevoll unter­ stützt hat, wo er nur konnte. Trotz eigener Belastung durch Beruf und Familie fand er immer Zeit zuzuhören und gab mir Ansporn, das Projekt voranzubrin­ gen. Das Buch ist ihm gewidmet. Hamburg, im Juli 2020

Elena Dubovitskaya

Inhaltsübersicht Vorwort  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Inhaltsverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI Abkürzungsverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIX

Teil I: Grundlegung Kapitel 1: Einführung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 § 1. Gegenstand der Untersuchung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 § 2. Ziel der Untersuchung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 § 3. Methoden und Gang der Untersuchung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Kapitel 2: Offenlegungspflichten in größerem Kontext  . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 § 1. Offenlegungspflicht und Treuepflicht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 § 2. Offenlegungspflicht und Persönlichkeitsrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 § 3. Offenlegungspflicht und Interessenkonflikte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 § 4. Verhältnis der Kategorien zueinander  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68

Teil II: Einzelne Offenlegungspflichten Kapitel 3: Offenlegungspflichten bei Krankheit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 § 1. Einleitung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 § 2. Krankheit und Krankheitsverdacht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 § 3. Exkurs: Ad-hoc-Publizitätspflicht in börsennotierten Unternehmen  . 104 § 4. Interne Offenlegungspflichten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 § 5. Zusammenfassung der Ergebnisse  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 § 6. Fazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227

X

Inhaltsübersicht

Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out  . . . . . . . . . . . 231 § 1. Einleitung: Management-Buy-out  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 § 2. Geltungsgrund der Offenlegungspflicht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 § 3. Dogmatische Einordnung der Offenlegungspflicht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 § 4. Verhältnis zu anderen informationsbezogenen Pflichten  . . . . . . . . . . . . 318 § 5. Gegenstand der Offenlegung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 § 6. Zusammenfassung der Ergebnisse  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 § 7. Fazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 Kapitel 5: Offenbarung eigenen Fehlverhaltens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 § 1. Einführung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 § 2. Rechtsvergleichende Bestandsaufnahme  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 § 3. Daseinsberechtigung der Offenbarungspflicht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 § 4. Offenbarung eigenen Fehlverhaltens als Nebenfolge einer anderen Pflicht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 § 5. Zusammenfassung der Ergebnisse  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 § 6. Fazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436

Teil III: Theorie der organschaftlichen Offenlegungspflicht Kapitel 6: Organschaftliche Offenlegungspflichten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 § 1. Allgemeine Hypothese  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 § 2. Erprobung der Hypothese an weiteren Offenlegungsfällen  . . . . . . . . . . 445 § 3. Ergebnisse  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515 Schlusswort  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 Zusammenfassung in Thesen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523 Literaturverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533 Sachregister  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 571

Inhaltsverzeichnis Vorwort  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Inhaltsübersicht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Abkürzungsverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIX

Teil I: Grundlegung Kapitel 1: Einführung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 § 1. Gegenstand der Untersuchung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 § 2. Ziel der Untersuchung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 § 3. Methoden und Gang der Untersuchung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 I. Abduktion, Deduktion und Induktion  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 II. Ablauf der Untersuchung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

Kapitel 2: Offenlegungspflichten in größerem Kontext  . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 § 1. Offenlegungspflicht und Treuepflicht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 I. Inhalt der Treuepflicht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 1. Herkömmliches Verständnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2. Treuepflicht „stricto sensu“  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 3. Treuepflicht und Art des Interessenkonflikts  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 4. „Offene“ Treuepflicht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 II. Treuepflicht als Rechtsprinzip  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 III. Fazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

§ 2. Offenlegungspflicht und Persönlichkeitsrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 I. Privatsphäre, Freiheit und soziale Rollen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 II. Allgemeines Persönlichkeitsrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 III. Art der Grundrechtsprüfung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 1. Drittwirkungslehre: Verhältnismäßigkeit oder Angemessenheit?  . 39 a) Allgemeines  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 b) „Weite“ Drittwirkungslehre  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 c) „Enge“ Drittwirkungslehre  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2. Neue Abwehrrechtslehre  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 3. Stellungnahme: „Unwägbarkeit der Abwägung“  . . . . . . . . . . . . . . . 49

XII

Inhaltsverzeichnis

§ 3. Offenlegungspflicht und Interessenkonflikte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 I. Begriff des Interessenkonflikts  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 II. Offenlegung von Dauerkonflikten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 III. Offenlegung punktueller Interessenkonflikte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 IV. Fazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

§ 4. Verhältnis der Kategorien zueinander  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 I. Treuepflicht – Interessenkonflikt – Offenlegungspflicht  . . . . . . . . . . . 68 II. Offenlegungspflicht – allgemeines Persönlichkeitsrecht  . . . . . . . . . . . . 68 III. Treuepflicht – Offenlegungspflicht – allgemeines Persönlichkeitsrecht   69

Teil II: Einzelne Offenlegungspflichten Kapitel 3: Offenlegungspflichten bei Krankheit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 § 1. Einleitung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 I. Krankheit und Unternehmensführung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 II. Zusatzproblem: Verheimlichung der Erkrankung  . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 III. Gang der weiteren Untersuchung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

§ 2. Krankheit und Krankheitsverdacht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 I. Die Suche nach einem Krankheitsbegriff  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 1. Krankheit im Sozialversicherungsrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 2. Krankheit im Arbeitsrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 3. Krankheit in der Medizin  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 4. Ergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 II. Umgang mit Krankheitsverdacht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 1. Subjektiver und objektiver Krankheitsverdacht  . . . . . . . . . . . . . . . . 95 2. Offenlegungspflicht bei Krankheitsverdacht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 3. Pflicht zur Abklärung des Verdachts  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 4. Ergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

§ 3. Exkurs: Ad-hoc-Publizitätspflicht in börsennotierten Unternehmen  . 104 I. Ad-hoc-Publizität und die Offenlegungspflicht der Organmitglieder 104 II. Rechtslage in Deutschland und den USA  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 1. Deutschland  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 a) Unterschied zwischen Organ- und „Schlüsselstellung“  . . . . . . . 108 b) Ad-hoc-Publizität bei schwerer Erkrankung von Schlüsselpersonen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 2. USA  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 a) Unklarer Status Quo  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 b) Offenlegung und „Privacy“  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 c) Vorschläge de lege ferenda  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 d) Unternehmenspraxis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 3. Ergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 III. Kursrelevante Gesundheitsdaten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133

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XIII

1. Einzelpersonen und Unternehmenserfolg  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 2. Kurserheblichkeit der Gesundheitsdaten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 a) Ausscheiden aus dem Amt  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 b) Krankheitsbedingte Auszeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 c) Verbleiben im Amt ohne Auszeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 3. Zusammenfassung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 IV. Publizitätspflicht im Lichte der Grundrechte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 1. Publizitätspflicht als Eingriff in die Grundrechte aus Art. 7 und 8 der EU‑Grundrechtecharta  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 2. Rechtfertigung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 a) Grundrechtsschranken  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 b) Dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 c) Achtung des Wesensgehalts der Grundrechte  . . . . . . . . . . . . . . . . 158 d) Verhältnismäßigkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 aa) Geeignetheit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 bb) Erforderlichkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 3. Grundrechtskonforme Auslegung der MAR  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 4. Ergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175

§ 4. Interne Offenlegungspflichten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 I. Offenlegungspflicht der Vorstandsmitglieder einer AG  . . . . . . . . . . . . 177 1. Entstehung, Inhalt und Grenzen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 a) Das Modell der „gestuften Mitteilungspflicht“  . . . . . . . . . . . . . . 177 b) Alternatives Modell  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 aa) Vorübergehende Dienstunfähigkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 bb) Dauerhafte Dienstunfähigkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 cc) Amtsweiterführung trotz Krankheit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 c) Zusammenfassung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 2. (Rechts-)Pflicht, Obliegenheit oder Standard guter Unternehmensführung?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 II. Offenlegungspflichten der Aufsichtsratsmitglieder  . . . . . . . . . . . . . . . . 214 III. Besonderheiten in der GmbH  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 1. GmbH ohne Aufsichtsrat  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 a) Personalistische Mehrpersonen-GmbH  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 b) Einpersonen-GmbH  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 2. GmbH mit Aufsichtsrat  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 a) Montan-mitbestimmte GmbH  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 b) GmbH mit dem Aufsichtsrat nach dem MitbestG  . . . . . . . . . . . . 222 c) GmbH mit dem Aufsichtsrat nach dem DrittelbG, KAGB und MgVG sowie mit fakultativem Aufsichtsrat  . . . . . . . . . . . . . 223

§ 5. Zusammenfassung der Ergebnisse  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 § 6. Fazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227

XIV

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out  . . . . . . . . . . . 231 § 1. Einleitung: Management-Buy-out  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 I. Problemaufriss  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 II. Unterschiede zwischen MBO, MBI und IBO  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 III. Share Deal und Asset Deal  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 IV. Finanzierung des MBO (Abgrenzung zu LBO)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 V. Praktisches Erscheinungsbild  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 VI. Gang der weiteren Untersuchung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244

§ 2. Geltungsgrund der Offenlegungspflicht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 I. Fremdnützige Stellung der Manager  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 1. Geschäftschancenlehre  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 2. Manager als Treuhänder  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 3. Manager als Geschäftsbesorger  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 II. Insiderwissen der Manager  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 1. Kapitalmarktrechtliches Insiderhandelsverbot  . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 2. Zivilrechtliche Aufklärungspflicht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 a) Wesentlichkeit der Information  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 b) Erkennbares Informationsgefälle  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 c) Zumutbarkeit der Informationsweitergabe  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 aa) Insider- und Expertenwissen: Struktureller Unterschied?  . 259 bb) Insider- und Expertenwissen: Ethische und wirtschaftliche Unterschiede  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 cc) Grundstücksgeschäfte von Gemeinden  . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 dd) Insiderhandel der Manager beim Management-Buy-out  . . . 266 III. Befunde der ökonomischen Analyse  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 1. Informationsasymmetrie nach Vertragsschluss (Principal-Agent-Kontroverse)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 2. Informationsasymmetrie vor Vertragsschluss  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 a) Unerwünschter Informationsvorsprung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 b) „Market for gems“?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271

§ 3. Dogmatische Einordnung der Offenlegungspflicht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 I. Culpa in contrahendo  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 1. Vorvertragliches Schuldverhältnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 a) Aufnahme von Vertragsverhandlungen (§ 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 b) Vorvertragliche Dritthaftung (§ 311 Abs. 3 BGB)  . . . . . . . . . . . . . 275 aa) Eigenes wirtschaftliches Interesse des Managements am Buy-out  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 bb) Inanspruchnahme besonderen Vertrauens  . . . . . . . . . . . . . . . 278 (1) Persönliches Vertrauen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 (2) Typisiertes Vertrauen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 2. Rechtsfolgen der Pflichtverletzung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 3. Zusammenfassung und Erwiderung auf die Kritik  . . . . . . . . . . . . . 289 a) Zusammenfassung der Ergebnisse  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289

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XV

b) Bedenken gegen die culpa in contrahendo beim MBO  . . . . . . . . 290 II. Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten der Gesellschafter  . . . . . . . . . . 292 III. Organschaftliche Treuepflicht gegenüber Anteilseignern  . . . . . . . . . . . 294 1. Das Dogma der fehlenden Sonderverbindung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 2. Eng gesteckte Sonderverbindung als Alternative  . . . . . . . . . . . . . . . 300 3. Übertragung auf Management-Buy-out  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 4. Gesellschafterbezogene Treuepflicht im Rechtsvergleich  . . . . . . . . 305 IV. Vormitgliedschaftliche Treuepflicht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 V. Ergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318

§ 4. Verhältnis zu anderen informationsbezogenen Pflichten  . . . . . . . . . . . . 318 I. Verschwiegenheitspflicht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 II. Verbot unrechtmäßiger Offenlegung von Insiderinformationen  . . . . . 322 III. Offenlegungspflichten nach § 11 WpÜG  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326

§ 5. Gegenstand der Offenlegung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 I. Kriterien für die Bestimmung der offenzulegenden Information  . . . . 328 1. Vertrauens- und Berufshaftung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 2. Treuhänderische Funktion der Manager  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 3. Geschäftschancenlehre  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 4. Allgemeine zivilrechtliche Kriterien  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 II. Einzelne Gegenstände der Offenlegung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 1. Vermögensgegenstände und stille Reserven  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 2. Geschäftschancen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 3. Kaufangebote Dritter  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 4. Pläne des Managements  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 a) Meinungsstand  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 b) Lösung anhand zivilrechtlicher Kriterien  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 aa) Wesentlichkeit der Pläne für den Entschluss des Veräußerers  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 bb) Informationsgefälle und Zumutbarkeit der Offenlegung  . . 346 5. Grenzpreis und andere subjektive Wertungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 6. Aktualisierungspflicht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352

§ 6. Zusammenfassung der Ergebnisse  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 § 7. Fazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 Kapitel 5: Offenbarung eigenen Fehlverhaltens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 § 1. Einführung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 I. Offenbarungspflicht und Strafprozess  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 II. Persönlichkeitsrecht als immanente Grenze der Offenbarungspflicht  361 III. Gang der weiteren Untersuchung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363

§ 2. Rechtsvergleichende Bestandsaufnahme  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 I. Deutschland  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364

XVI

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1. Offenbarungspflicht der Rechtsanwälte, Architekten und Steuerberater  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 a) Entwicklung der „Sekundärhaftung“  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 b) Sekundärhaftung nach neuem Recht?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 c) Fazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 2. Offenbarungspflicht der Organmitglieder  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 a) Offenbarungspflicht im Allgemeinen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 b) Offenbarungspflicht bei Abfindungsverhandlungen  . . . . . . . . . . 380 II. Vereinigtes Königreich  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 1. „Bell v Lever“  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 2. „Item Software“  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 III. Einfluss von „Item Software“ in Deutschland  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 1. Offenbarungspflicht kraft Treuepflicht (Schmolke)  . . . . . . . . . . . . . 396 2. Selbstbezichtigung und Ad-hoc-Publizität  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 IV. Ergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402

§ 3. Daseinsberechtigung der Offenbarungspflicht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 I. Geltungsgrund und dogmatische Ableitung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 II. Grundrechtsrelevanz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 III. Verhältnismäßigkeit der Offenbarungspflicht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 1. Legitime Zwecke der Offenbarungspflicht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 a) Primäre Zwecke der Offenbarungspflicht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 aa) Bessere Personalentscheidungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 bb) Bessere Compliance und Haftungsdurchsetzung  . . . . . . . . . 409 cc) Schadensprävention  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 dd) Bessere Geschäftsentscheidungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 ee) Kostengünstige Trennung vom Organmitglied  . . . . . . . . . . 410 b) Sekundäre Zwecke der Offenbarungspflicht  . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 aa) Eigenständige Haftung auf Schadensersatz  . . . . . . . . . . . . . . 410 bb) „Vervollständigung“ des originären Haftungsanspruchs  . . 413 cc) Verjährungsverlängerung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 dd) Anfechtbarkeit von Verträgen und Rückforderung des Geleisteten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 c) Zusammenfassung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 2. Offenbarungspflicht und ihre primären Zwecke  . . . . . . . . . . . . . . . . 415 a) Geeignetheit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 b) Erforderlichkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 3. Offenbarungspflicht und ihre sekundären Zwecke  . . . . . . . . . . . . . . 421 a) Geeignetheit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 b) Two wrongs do not make a right? Legitimität einer unerfüllbaren Pflicht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422

§ 4. Offenbarung eigenen Fehlverhaltens als Nebenfolge einer anderen Pflicht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 § 5. Zusammenfassung der Ergebnisse  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 § 6. Fazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436

Inhaltsverzeichnis

XVII

Teil III: Theorie der organschaftlichen Offenlegungspflicht Kapitel 6: Organschaftliche Offenlegungspflichten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 § 1. Allgemeine Hypothese  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 § 2. Erprobung der Hypothese an weiteren Offenlegungsfällen  . . . . . . . . . . 445 I. Eigengeschäfte (Directors’ Dealings)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 1. Offenlegungspflichten bei Directors’ Dealings  . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 2. Offenlegungspflicht als Grundrechtseingriff  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 a) Pflicht zur Meldung der Eigengeschäfte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 b) Pflicht zur Nennung der eng verbundenen Personen  . . . . . . . . . 450 3. Rechtfertigung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452 a) Gesetzliche Grundlage  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452 b) Achtung des Wesensgehalts der Grundrechte  . . . . . . . . . . . . . . . . 453 c) Verhältnismäßigkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453 aa) Legitimes Ziel  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453 bb) Geeignetheit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 cc) Erforderlichkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 dd) Angemessenheit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 4. Exkurs: Eng verbundene Personen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 II. Eigene Annahmeabsicht bei Übernahmeangeboten  . . . . . . . . . . . . . . . 468 1. Allgemeines  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 2. Grundrechtseingriff  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .470 3. Rechtfertigung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471 a) Geeignetheit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 b) Erforderlichkeit und Angemessenheit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 c) Erstreckung auf nahestehende Personen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 III. Außerdienstliches Fehlverhalten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476 1. Offenbarungspflicht bei Anstellungsverhandlungen  . . . . . . . . . . . . 477 a) Allgemeines  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 b) Vorstrafen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478 c) Ermittlungsverfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 d) Sonstige Pflichtverletzungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482 2. Prospektpublizität  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 a) Überblick  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 b) Grundrechtseingriff  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484 c) Rechtfertigung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 aa) Legitimes Ziel und Geeignetheit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 bb) Erforderlichkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 cc) Angemessenheit, insbesondere das Resozialisierungsproblem  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 dd) Formelle Bedenken  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 3. Ad-hoc-Publizität  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 4. Interne Offenlegung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 500 5. Fazit: „Bewegliche Grenze“ der Treuepflicht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 IV. Weitere private Informationen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508

XVIII

Inhaltsverzeichnis

1. Gezielte Offenlegung privater Tatsachen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508 2. Bekanntwerden privater Tatsachen als Nebenfolge einer Offenlegungspflicht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511

§ 3. Ergebnisse  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515 Schlusswort  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 Zusammenfassung in Thesen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523 Literaturverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533 Sachregister  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 571

Abkürzungsverzeichnis United States Court of Appeals for the First (Second, …) Cir­ cuit A.(2d, …) Atlantic Reporter (Second, …) Series A. A./a. A. anderer Ansicht a. a. O. am angegebenen Ort ABl. Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften/​Amtsblatt der Europäischen Union Abs. Absatz/​Absätze A. C. Law Reports, Appeal Cases AcP Archiv für die civilistische Praxis a. E. am Ende a. F. alte Fassung AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union AG Aktiengesellschaft/​Die Aktiengesellschaft AktG Aktiengesetz AktR Aktienrecht ALI American Law Institute All E. R. All England Law Reports Am. Bus. L. J. American Business Law Journal AnwBl. Anwaltsblatt AöR Archiv des öffentlichen Rechts AP Arbeitsrechtliche Praxis ArbR Arbeitsrecht ARHdb. Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder Art. Artikel Aufl. Auflage Az. Aktenzeichen BaFin Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht BAG Bundesarbeitsgericht BAGE Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts BankR‑HdB Bankrechts-Handbuch BauR Baurecht BayObLG Bayerische Oberste Landesgericht BB Betriebs-Berater B. C. C. British Company Law Cases B. C. L. Rev. Boston College Law Review Bd. Band BDSG Bundesdatenschutzgesetz

1st (2d, …) Cir.

XX

Abkürzungsverzeichnis

BeckOGK beck-online.GROSSKOMMENTAR BeckOK Beck’scher Online-Kommentar BeckRS beck-online Rechtsprechung Begr. Begründer/​Begründung Beschl. Beschluss BFH Bundesfinanzhof BFH NV Bundesfinanzhof (Nicht Veröffentlicht) BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl. Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen BKR Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht BörsG Börsengesetz BR‑Drs. Drucksachen des Deutschen Bundesrats BSG Bundessozialgericht BSGE Entscheidungen des Bundessozialgerichts BT‑Drs. Drucksachen des Deutschen Bundestags Bull. civ. Bulletin des arrêts de la Cour de Cassation, chambres civiles Bull. Joly Bulletin Joly Bus. L. R. Business Law Review BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bzw. beziehungsweise Cass. Civ. Cour de Cassation, Chambre Civile Cass. Com. Cour de Cassation, Chambre Commerciale Can Bar Rev Canadian Bar Review Cardozo L. Rev. Cardozo Law Review Case W. Res. L. Rev. Case Western Reserve Law Review CEO Chief Executive Officer C. F. R. Code of Federal Regulations Ch. Law Reports, Chancery Division c. i. c. culpa in contrahendo Cir. Circuit C. L. J. Cambridge Law Journal Co. L. N. Company Law Newsletter DB Der Betrieb Del. Delaware Supreme Court Del Ch. Delaware Court of Chancery DJT Deutscher Juristentag Dr. sociétés Droit des sociétés DrittelbG Gesetz über die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Auf­ sichtsrat (Drittelbeteiligungsgesetz) DStR Deutsches Steuerrecht DZPhil Deutsche Zeitschrift für Philosophie DZWiR Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht ECFR European Company and Financial Law Review Ed. Edition EFZG Entgeltfortzahlungsgesetz

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XXI

EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Einl. Einleitung EL. Ergänzungslieferung EMRK Europäische Menschenrechtskonvention ErfK Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht ESMA Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde/​Euro­ pean Securities and Markets Authority EuGH Europäischer Gerichtshof EuGRZ Europäische Grundrechte-Zeitschrift EuR Europarecht EUV Vertrag über die Europäische Union EWiR Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht f./‌ff. folgende F. 2d Federal Reporter, Second Series FamRZ Zeitschrift für das gesamte Familienrecht F. A. Z. Frankfurter Allgemeine Zeitung Fla. St. U. L. Rev. Florida State University Law Review Fn. Fußnote FS Festschrift gem. gemäß Geo. Mason L. Rev. George Mason Law Review GG Grundgesetz ggf. gegebenenfalls GKG Gerichtskostengesetz GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung GmbHG Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haf­ tung GmbHR GmbH‑Rundschau GRCh Charta der Grundrechte der Europäischen Union Großkomm Großkommentar GRUR Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht GS Gedächtnisschrift Harv. L. Rev. Harvard Law Review Hdb. Handbuch H. M./h. M. herrschende Meinung Hous. L. Rev. Houston Law Review hrsg. herausgegeben Hrsg. Herausgeber Hs. Halbsatz HStR Handbuch des Staatsrechts IBO Institutioneller Buy-out i. E. im Ergebnis i. e. S. im engeren Sinne I. L. J. Industrial Law Journal Int. Internationale (-r, -s) IPO Initial Public Offering i. S. d. im Sinne des i. V. m. in Verbindung mit

XXII

Abkürzungsverzeichnis

J. Corp. L. Journal of Corporation Law JuS Juristische Schulung JZ Juristenzeitung KAGB Kapitalanlagegesetzbuch Kap. Kapitel KassKomm Kasseler Kommentar KG Kammergericht/​Kommanditgesellschaft KMG Kapitalmarktgesetze KMRK Kapitalmarktrechts-Kommentar KölnKomm Kölner Kommentar KSchG Kündigungsschutzgesetz LBO Leveraged Buy-out LG Landgericht lit. litera LMK Lindenmaier-Möhring – Fachdienst Zivilrecht L. Q. R. Law Quarterly Review Ls. Leitsatz M&A Mergers & Acquisitions MBO Management-Buy-out MDR Monatsschrift für Deutsches Recht MedR Medizinrecht Minn. L. Rev. Minnesota Law Review Mio. Million(en) Miss. L. J. Mississippi Law Journal MünchHdb. AG Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts – Band 4: Akti­ engesellschaft MüKo Münchener Kommentar m. w. N. mit weiteren Nachweisen Mrd. Milliarde(n) N. E. 2d. North Eastern Reporter, Second Series n. F. neue Fassung N. Ill. U. L. Rev. Northern Illinois University Law Review NJW Neue Juristische Wochenschrift NJW‑RR Neue Juristische Wochenschrift – Rechtsprechungs-Report NK NomosKommentar NJOZ Neue Juristische Online-Zeitschrift Notre Dame L. Rev. Notre Dame Law Review Nr. Nummer N. Y. U. J.L. & Bus. New York University Journal of Law and Business NZA Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht NZA‑RR Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht – Rechtspre­ chungs-Report NZG Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht NZS Neue Zeitschrift für Sozialrecht Ohio St. L. J. Ohio State Law Journal OLG Oberlandesgericht Pers Soc Psychol Bull Personality and Social Psychology Bulletin PrOVGE Entscheidungen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts

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XXIII

QB Law Reports, Quenn’s Bench Division Q. J. Econ. Quarterly Journal of Economics Q. J. Stud. Alcohol Quarterly Journal of Studies on Alcohol RG Reichsgericht RGZ Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen RIW Recht der Internationalen Wirtschaft Rn. Randnummer Rs. Rechtssache S./s. Section S. Satz/​Sätze/​Seite(n) SEC United States Securities and Exchange Commission Sec. Section(s) SGB Sozialgesetzbuch Slg. Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Ge­ richts Erster Instanz str. strittig St. Rspr. Ständige Rechtsprechung StPO Strafprozessordnung S. Ct. Supreme Court Sup. Ct. Rev. Supreme Court Review Tex. Wesleyan L. Rev. Texas Wesleyan Law Review TSG Transsexuellengesetz u. a. und andere/unter anderem Unterabs. Unterabsatz UC Davis L. Rev. UC Davis Law Review (University of California Davis School of Law – Law Review) U. Cin. L. Rev. University of Cincinnati Law Review U. Fla. J. L. & University of Florida Journal of Law and Public Policy   Pub. Pol’y UK United Kingdom U. Pa. J. Bus. L. University of Pennsylvania Journal of Business Law Urt. Urteil US United States U. S. United States Reports USA United States of America U. S. C. United States Code USD US‑Dollar v. versus; vom Vand. L. Rev. Vanderbilt Law Review Verf. Verfasserin VermAnlG Vermögensanlagengesetz VersR Versicherungsrecht vgl. vergleiche VO Verordnung Wake Forest L. Rev. Wake Forest Law Review Wash. & Lee L. Rev. Washington and Lee Law Review WL Westlaw WM Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht

XXIV

Abkürzungsverzeichnis

WpHG Wertpapierhandelsgesetz WpPG Wertpapierprospektgesetz WpÜG Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz WuB Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht Yale L. J. Yale Law Journal ZBB Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft/​Journal of Banking Law and Banking ZfIR Zeitschrift für Immobilienrecht ZGR Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht ZHR Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschafts­ recht Ziff. Ziffer ZIP Zeitschrift für Wirtschaftsrecht zit. zitiert ZPO Zivilprozessordnung ZSR Zeitschrift für Sozialreform

Teil I

Grundlegung

Kapitel 1

Einführung Muss ein Geschäftsleiter, der seine „eigene“ Gesellschaft im Wege des Ma­ nagement-Buy-outs übernimmt, die Gesellschafter über den Wert des Gesell­ schaftsvermögens, korporative Geschäftschancen oder seine weiteren Pläne mit der Gesellschaft aufklären? Müssen die Mitglieder von Gesellschaftsorga­ nen unaufgefordert über ihr eigenes Fehlverhalten oder sämtliche Interessen­ konflikte berichten? Sind sie verpflichtet, illegale oder moralisch zweifelhafte Aktivitäten im außerdienstlichen Bereich oder sonstige private Informationen wie Gesundheits- oder familiäre Probleme offenzulegen? Alle diese Fragen sind einmal gestellt worden, ob in Deutschland oder im Ausland, in der Recht­ sprechung oder der Wissenschaft. Keine von ihnen ist endgültig geklärt. Auch die Liste der Fragen ist keineswegs abschließend und lässt sich beliebig erwei­ tern, da es eine Vielzahl von Informationen über korporative Amtsträger gibt, die für die Gesellschaft und Dritte interessant sein können. Ein Versuch, alle diese Fragen in einer wissenschaftlichen Abhandlung zu beantworten, wäre sicherlich utopisch, zumal sich das moderne Gesellschafts­ recht schnell entwickelt und ständig neue Fragen hinzukommen. Eine Lösung könnte darin bestehen, einen Algorithmus zu entwickeln, der die Beantwor­ tung existierender und neu aufkommender Fragen erlaubt. Die vorliegende Untersuchung widmet sich dieser Aufgabe und versucht, sich an die Grund­ struktur der Offenlegungspflichten von Organmitgliedern heranzutasten. Diese Aufgabe führt sie an die Grenze zwischen Organmitglied und Privat­ person, die durch die Offenlegungspflicht abgesteckt wird. Dabei stellt sich auch die Frage, was eine rechtliche Offenlegungspflicht der Organmitglieder leisten kann und wie viel Offenlegung wünschenswert ist, ob also das moderne Gesellschaftsrecht den Weg zum „gläsernen Organmitglied“, diesem Pendant zum „gläsernen Patienten“ und „gläsernen Kunden“, ansteuern soll.1

§ 1.  Gegenstand der Untersuchung Um den Untersuchungsgegenstand etwas einzuschränken, fokussiert sich diese Arbeit auf Kapitalgesellschaften und lässt Personengesellschaften außen vor. 1 Vgl. Schuster, ZHR 167 (2003), 193, 208: „Der ‚gläserne Vorstand‘ ist Teil des Leitbildes eines transparenten Kapitalmarktes.“

4

Kapitel 1: Einführung

Dies ist deshalb gerechtfertigt, weil Kapitalgesellschaften häufiger das Inte­ resse des breiten Publikums auf sich ziehen, etwa aufgrund ihrer großen wirt­ schaftlichen Bedeutung oder ihrer Börsennotierung. Das Publikumsinteresse richtet sich dabei regelmäßig nicht nur auf das Unternehmen, sondern auch auf dessen Entscheidungsträger, die regelmäßig in den Gesellschaftsorganen tätig sind. Daher widmet sich die Untersuchung den Offenlegungspflichten der Or­ ganmitglieder in Kapitalgesellschaften. Der Begriff „Offenlegungspflichten“ muss allerdings noch präzisiert wer­ den. Denn im Recht der Kapitalgesellschaften gibt es unterschiedliche Arten solcher Pflichten. Es gibt Offenlegungspflichten der Gesellschaft, die von ihrem Geschäftsführungsorgan lediglich erfüllt werden. Dazu zählen z. B. die Auskunftspflichten gegenüber Gesellschaftern nach § 131 AktG oder § 51a GmbHG.2 Ferner gibt es Offenlegungspflichten der Gesellschaftsorgane, etwa die Berichtspflicht des Vorstands gegenüber dem Aufsichtsrat gemäß § 90 AktG. Sie richtet sich an das Gesamtorgan, also an den Vorstand und nicht an seine einzelnen Mitglieder.3 Davon zu unterscheiden sind Offenlegungspflich­ ten, deren Adressat das Organmitglied persönlich ist. Diesem Unterschied liegt ein anderer zugrunde, nämlich der Unterschied zwischen dem Organ und dem Individuum (Organmitglied, Organperson, Organwalter), welches die dem Organ zugewiesenen Kompetenzen wahrnimmt und dessen Verhalten dem Organ zugerechnet wird.4 Die Offenlegungspflichten des Organmitglieds gehören zu dessen individuellen Verhaltenspflichten wie seine organschaftli­ che Sorgfalts- und Treuepflicht (§§ 93, 116 AktG, § 43 GmbHG). Nur diese in­ dividuellen Offenlegungspflichten sind Gegenstand der vorliegenden Arbeit; sie werden nachstehend auch als „organschaftliche Offenlegungspflichten“ be­ zeichnet. Geschriebene Regelungen zu organschaftlichen Offenlegungspflichten existieren kaum. Zu den Ausnahmen gehört Art. 19 Marktmissbrauchsver­ ordnung (MAR)5, der Führungskräfte verpflichtet, ihre Eigengeschäfte mit Finanzinstrumenten des Emittenten (sog. Directors’ Dealings) zu melden. Eine weitere Ausnahme stellen die Regelungen des Deutschen Corporate Go­ vernance Kodex dar, die Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern empfeh­ len, Interessenkonflikte offenzulegen (E. 1–E. 2 DCGK 2020).6 Im Schrifttum 2  Siehe für die AG Koch, in: Hüffer/​Koch, AktG, § 131 Rn. 6; für die GmbH Bayer, in: Lutter/​Hommelhoff, GmbHG, § 51a Rn. 7. 3  Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, Rn. 212 ff. 4  Zu dieser Unterscheidung im öffentlichen Recht siehe bereits Wolff, Verwaltungsrecht II, § 74 IV, S. 42 f.; grundlegend Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 223 ff. 5 Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.4.2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission, ABl. L 173 v. 12.6.2014, S. 1. 6  Vgl. bereits Ziff. 4.3.3. und 5.5.2 DCGK 2017.



§ 1.  Gegenstand der Untersuchung

5

werden Offenlegungspflichten der Organmitglieder meist im Kontext der or­ ganschaftlichen Treuepflicht erörtert. Bei den organschaftlichen Offenlegungspflichten handelt es sich häufig um spontan zu erfüllende Aufklärungspflichten. Ihr Hauptmerkmal ist die fehlen­ de Einklagbarkeit: „Was eingeklagt werden muss, ist nicht spontan erbracht.“7 Denn anders als der Gläubiger eines Auskunftsanspruchs weiß der Aufklä­ rungsgläubiger nicht einmal, dass ihm irgendwelche Informationen fehlen. Er kann daher keine Klage auf Erteilung der entsprechenden Auskunft erheben. Erst wenn er aufgeklärt wird, erkennt er sein Informationsbedürfnis. Dieses Bedürfnis hat aber der Schuldner durch die Aufklärung bereits befriedigt, so dass eine Klage nicht mehr notwendig ist. Umgekehrt ist in dem Moment, in dem der Schuldner eine akut gewordene Information verschweigt, die Aufklä­ rungspflicht bereits verletzt, so dass der Gläubiger auf den Schadensersatz ver­ wiesen ist.8 Zu solchen ad-hoc zu erfüllenden Aufklärungspflichten zählt z. B. eine etwaige Pflicht der Organmitglieder, eine schwere Erkrankung oder ein eigenes Fehlverhalten offenzulegen. Manche Offenlegungspflichten sind aber ihrer Natur nach einklagbare Auskunftspflichten, wie z. B. die Pflicht des Or­ ganmitglieds, Auskunft über die Personen zu erteilen, die mit ihm eng verbun­ den sind, damit deren Geschäfte mit den Aktien der Gesellschaft im Rahmen von Directors’ Dealings erfasst werden können (vgl. Art. 19 Abs. 5 MAR). Mit „Offenlegungspflichten“ wird hier ein neutraler Begriff gewählt, der Aufklä­ rungs- wie Auskunftspflichten umfasst. Auch im Hinblick auf den Offenlegungsgegenstand ergibt sich ein buntes Bild. Hier kann man die Offenlegungspflichten der Organmitglieder grob in personenbezogene (schwere Erkrankung) und unternehmensbezogene (Wert des Gesellschaftsvermögens beim Management-Buy-out) Pflichten untertei­ len. Die bisherige wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema be­ schränkt sich im Wesentlichen auf Kommentaranmerkungen und Zeitschrif­ tenbeiträge zu den einzelnen Offenlegungspflichten der Organmitglieder. Am besten erforscht sind noch die Offenlegungspflichten beim ManagementBuy-out, wo immerhin einige monografische Abhandlungen existieren. Zu­ sammenhängende Analysen von Offenlegungspflichten der Organmitglie­ der gibt es, soweit ersichtlich, noch nicht. Jede Offenlegungspflicht steht also bisher allein da und scheint mit den anderen nur den Namen gemeinsam zu haben.

7  Taupitz, Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, S.  100; siehe ferner Bachmann, in: MüKo BGB, § 241 Rn. 67; Winkler von Mohrenfels, Abgeleitete Informationsleistungspflich­ ten, S. 22; Stürner, JZ 1976, 384, 386. 8  Bachmann, in: MüKo BGB, §  241 Rn. 67, 125; Olzen, in: Staudinger, BGB, § 241 Rn. 437 ff.; Pohlmann, Die Haftung wegen Verletzung von Aufklärungspflichten, S. 29 f.; Taupitz, Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, S. 7.

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Kapitel 1: Einführung

§ 2.  Ziel der Untersuchung Vor diesem Hintergrund ist es wissenschaftlich reizvoll zu klären, ob und wie die Offenlegungspflichten der Organmitglieder zusammengeführt wer­ den können. Das Ziel der vorliegenden Untersuchung lässt sich durch eine an­ thropologische Metapher verdeutlichen: Es gilt herauszufinden, ob es sich bei Offenlegungspflichten der Organmitglieder um die „Kinder aus derselben Fa­ milie“ handelt. Gibt es zwischen ihnen trotz aller Unterschiede eine „Famili­ enähnlichkeit“? Die Metapher ist in Anlehnung an Ludwig Wittgenstein ge­ wählt, der den Begriff der Familienähnlichkeit nutzte, um zu erklären, warum wir für bestimmte Erscheinungen wie Sprachen oder Spiele das gleiche Wort verwenden, obwohl sie nicht alle miteinander durch ein gemeinsames Merkmal verbunden sind.9 „Schau z. B. die Brettspiele an“, schrieb Wittgenstein, „mit ihren mannigfachen Verwandtschaften. Nun geh zu den Kartenspielen über: hier findest du viele Entsprechungen mit jener ersten Klasse, aber viele gemein­ samen Züge verschwinden, andere treten auf. Wenn wir nun zu den Ballspie­ len übergehen, so bleibt manches Gemeinsame erhalten, aber vieles geht ver­ loren. […] In den Ballspielen gibt es Gewinnen und Verlieren; aber wenn ein Kind den Ball an die Wand wirft und wieder auffängt, so ist dieser Zug ver­ schwunden. […] Und so können wir durch die vielen, vielen anderen Gruppen von Spielen gehen, Ähnlichkeiten auftauchen und verschwinden sehen. […] Ich kann diese Ähnlichkeiten nicht besser charakterisieren als durch das Wort ‚Fa­ milienähnlichkeit‘; denn so übergreifen und kreuzen sich die verschiedenen Ähnlichkeiten, die zwischen den Gliedern einer Familie bestehen: Wuchs, Ge­ sichtszüge, Augenfarbe, Gang. Temperament, etc. etc. – Und ich werde sagen: die ‚Spiele‘ bilden eine Familie.“10 Es spricht einiges dafür, dass es sich mit den Offenlegungspflichten der Or­ ganmitglieder genauso oder zumindest ähnlich verhält. Es gibt unter ihnen solche, die im Spannungsverhältnis zum Persönlichkeitsrecht stehen, etwa die Pflicht, eine schwere Erkrankung oder ein früheres Fehlverhalten offenzule­ gen. Dieses Spannungsverhältnis ist das Merkmal, das beide Pflichten mit­ einander verbindet. Es gibt aber auch Offenlegungspflichten, die keine der­ artigen Spannungen erzeugen, z. B. die Pflicht der Manager, die Gesellschafter beim Management-Buy-out über den Wert des Gesellschaftsvermögens auf­ zuklären. Hier geht die Verbindung zu den beiden zuerst genannten Pflichten scheinbar verloren. Dennoch sagt die Intuition, dass alle drei Pflichten mit­ einander verwandt sind, und zwar nicht allein dadurch, dass sie auf Offenle­ gung gerichtet sind und Organmitglieder treffen. Es müsste „ein komplizier­

9 Vgl. 10 

Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, § 65 ff. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, § 66 f.



§ 2.  Ziel der Untersuchung

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tes Netz von Ähnlichkeiten, die einander übergreifen und kreuzen“11 geben, und dieses gilt es aufzuspüren. Auf dieser Basis wäre es vielleicht möglich, eine Theorie der organschaftlichen Offenlegungspflichten zu entwickeln. Nun sagt kein Geringerer als Claus-Wilhelm Canaris, dass „Familienähn­ lichkeit“ eine besonders schwache Form der Ähnlichkeit sei, weil sie nicht ein­ mal eine einzige gemeinsame Eigenschaft der Familienmitglieder voraussetze. Man solle daher die Erfassung der Struktur juristischer Theorien (und wo­ möglich auch die Bildung von Theorien  – Verf.) nicht ausgerechnet an diese besonders vage Art von Ähnlichkeit binden.12 Ob die Wittgenstein’sche Fa­ milienähnlichkeit tatsächlich so vage ist, hängt indes davon ab, wie man sie interpretiert. So bringt Renford Bambrough ein Beispiel für eine starke Fami­ lienähnlichkeit, bei der jede Einzelerscheinung jeweils vier Eigenschaften aus einem gemeinsamen Pool von fünf aufweist.13 Der Streit um die Natur von Familienähnlichkeit ist allerdings an dieser Stelle weit weniger wichtig als die Einsicht, dass es zwei unterschiedliche Möglichkeiten gibt, Sachen einer be­ stimmten Kategorie zuzuordnen. So kann der Betrachter, wie von Canaris angedeutet, fordern, dass alle Mitglieder einer Kategorie mindestens ein ge­ meinsames Merkmal besitzen, anhand dessen sie von allen anderen Erschei­ nungen abgegrenzt werden. Eine solche Grenzziehung ist jedoch oft gar nicht möglich oder wenig nützlich, weil sie keine neuen Erkenntnisse bringt.14 Des­ halb konzentriert sich Wittgenstein nicht auf Grenzen und Definitionen, son­ dern auf das Auffinden von Gemeinsamkeiten („das Gemeinsame sehen“15). Und genau diese synthetische Art der Betrachtung verspricht bei der Unter­ suchung von Offenlegungspflichten mehr Ertrag als der Versuch einer exak­ ten Definition. Denn aussagekräftige Eigenschaften, die allen diesen Pflichten gemeinsam sind, wird es kaum geben, so dass eine etwaige Definition sehr un­ genau ausfallen würde. Ungleich mehr Erkenntnispotential hat die Suche nach Ähnlichkeiten, weil sie die „Familie“ der Offenlegungspflichten, die bislang auf verschiedene Rechtsbereiche und -institute verstreut ist, zusammenführen könnte.

11  Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, § 66 a. E. 12  Canaris, JZ 1993, 377, 381, ohne indes eine Alternative aufzuzeigen. 13 Siehe

Bambrough, 61 Proceedings of the Aristotelian Society 207, 210 (1960–1961); anders aber Wennerberg, in: Savigny, Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchun­ gen, S. 41, 47. 14 Vgl. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, § 68: „Wie ist denn der Begriff des Spiels abgeschlossen? Was ist noch ein Spiel und was ist keines mehr? Kannst du die Gren­ zen angeben? Nein. Du kannst welche ziehen: denn es sind noch keine gezogen. (Aber das hat dich noch nie gestört, wenn du das Wort ‚Spiel‘ angewendet hast.)“. (Hervorhebung im Original). 15  Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, § 72.

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Kapitel 1: Einführung

§ 3.  Methoden und Gang der Untersuchung I.  Abduktion, Deduktion und Induktion Im Rahmen dieser Untersuchung kommen alle drei Arten des logischen Schließens zum Einsatz, nämlich Abduktion, Deduktion und Induktion. Bevor deren Einsatz genauer erläutert wird, sei eine kurze Einführung erlaubt, zumal die Abduktion in juristischen Fachkreisen eher wenig bekannt ist. Viel bekannter ist die Deduktion, bei der eine bereits existierende Regel auf den Einzelfall angewandt wird, um diesen juristisch zu lösen. Deduktiv geht ein Jurist vor, wenn er einen Lebenssachverhalt unter eine Rechtsnorm subsumiert oder eine juristische Theorie auf einen Praxisfall anwendet. Deduktionen sind zwar wahrheitsübertragend (ist die angewendete Regel gültig, ist auch das Er­ gebnis der Regelanwendung gültig), jedoch tautologisch, weil sie nichts Neues besagen.16 Auch bei der Rechtsanwendung stößt die Deduktion an ihre Gren­ zen, denn es ist weder möglich, eine ganze Rechtsordnung aus einer „Grund­ norm“ zu deduzieren, noch einen wirklichen, konkreten Fall durch reine Sub­ sumtion zu lösen.17 Die Induktion generalisiert ein oder mehrere Einzelfälle zu einer Regel. Sie dient dem Wissenschaftler häufig dazu, eine Lösung zu verallgemeinern, die er zunächst für ein bestimmtes Problem entwickelt hat. Dabei überträgt er diese Lösung (Ursprungshypothese, Theorie) auf andere Probleme und er­ weitert damit ihren Anwendungsbereich.18 Induktionen sind zwar manchmal erkenntniserweiternd, ihre Ergebnisse sind aber nicht „wahr“, sondern nur wahrscheinlich.19 Deshalb wird dringend empfohlen, induktive Ergebnisse durch Falsifizierungsversuche zu überprüfen, bevor die Eingangshypothese zu einer Theorie erhoben wird.20 Soweit eine solche Überprüfung stattfinde, könne die ursprüngliche, provisorische Hypothese auch auf schmaler Grund­ lage formuliert werden, „im Extremfall auf Grund bloß persönlicher Erfah­ rung und Einfühlung“21. Einmal aufgestellt, müssen induktive Hypothesen indes wieder zurückgenommen werden, wenn sie durch neue Erkenntnisse fal­ sifiziert werden. Sie bleiben insofern immer vorläufig. Diese Vorläufigkeit ist aber für die Wissenschaft, die sich stets sowohl bestätigender wie widerlegen­ 16  Reichertz, Abduktion, Deduktion und Induktion in der qualitativen Forschung, in: Flick/​Kardorff/​Steinke, Qualitative Forschung, S. 276, 279. 17  A. Kaufmann, Rechtstheorie 17 (1986), 257, 260. 18 Vgl. Canaris, JZ 1993, 377, 383. 19  Reichertz, Abduktion, Deduktion und Induktion in der qualitativen Forschung, in: Flick/​Kardorff/​Steinke, Qualitative Forschung, S. 276, 280; vgl. ferner Canaris, JZ 1993, 377, 383: Induktive Schlüsse seien zwar „logisch fehlerhaft“; dies heiße aber nicht, dass sie auch empirisch oder hermeneutisch gesehen unbedingt fehlerhaft seien. 20  Canaris, JZ 1993, 377, 383. 21  F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 64.



§ 3.  Methoden und Gang der Untersuchung

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der Erfahrungen bedient, nichts Außergewöhnliches. Vor diesem Hintergrund ist die Rechtswissenschaft als pragmatische Disziplin prinzipiell bereit, induk­ tive Schlüsse zuzulassen 22 , anders als der kritische Rationalismus Karl Poppers, der sich als rein „deduktive Methodik der Nachprüfung“ versteht.23 Die Abduktion schließlich setzt nicht bei einer Regel oder einem Einzelfall an, sondern bei einem überraschenden Ergebnis, also einem Ergebnis, für das noch keine Erklärung oder Regel existiert. Im Wege der Abduktion wird dann ein „Schluss vom Ergebnis her“24 vollzogen, eine neue Regel entwickelt, die das überraschende Ergebnis erklärt; zugleich wird klar, was der Fall ist.25 Die Abduktion ist somit das einzige logische Verfahren, das neue Ideen einführt.26 Insofern ist die Abduktion genau das, was Canaris vor Augen hat, wenn er von der Entwicklung juristischer Theorien spricht: „Die Entwicklung der Regel [des ‚Kerns‘ einer Theorie – Verf.] erfolgt in einem ersten Schritt intuitiv mit Hilfe juristischer Phantasie, d. h. Einfallskraft.“27 Wichtig ist allerdings zu ver­ stehen, dass die Abduktion nicht bloß ein anderer Name für Phantasie, Intui­ tion oder Wahrnehmung ist, sondern ein logischer Prozess, der, obwohl er „sehr wenig von logischen Regeln behindert wird, dennoch logisches Folgern ist, das seine Konklusion tatsächlich nur problematisch oder konjektural be­ hauptet, aber dennoch eine vollkommen bestimmte logische Form besitzt“28 . Die Abduktion führt also zu Ergebnissen, die weder „wahr“ noch „wahr­ scheinlich“ sind, sondern lediglich „möglich“. Es ist ein „unsicherer, gewagter, riskanter Schluß […], der nur problematische Urteile erbringt, so daß sich je­ derzeit seine Unrichtigkeit herausstellen kann“29. Der Begriff „Abduktion“ wurde erstmals 1597 von Julius Pacius benutzt30 und von Charles Sanders Peirce (1839–1914) in die wissenschaftliche Debat­ te eingeführt. Peirce entwickelte eine dreistufige Erkenntnislogik aus Abduk­ 22 Vgl.

F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 64; A. Kaufmann, Rechtstheorie 17 (1986), 257, 260: „Daß die Induktion von den strengen Logikern wissen­ schaftlich verdächtigt wird, muß man als Rechtstheoretiker hinnehmen. Denn ganz ohne ein ‚induktives Moment‘ geht es bei der juristischen Methode schlechterdings nicht.“; Wieacker, FS Gadamer, S. 311, 324 ff.; 332 ff.; ähnlich Canaris, JZ 1993, 377, 383, der zur Recht­ fertigung der Induktion u. a. den hermeneutischen Zirkel heranzieht. 23 So Popper, Logik der Forschung, S. 6; siehe auch S. 5, 249 ff. mit einer ausführlicheren Kritik der Induktionslogik, die nach Poppers Ansicht entweder zu einem unendlichen Re­ gress oder zum Apriorismus führt. 24  A. Kaufmann, Das Verfahren der Rechtsgewinnung, S. 57. 25  Reichertz, Abduktion, Deduktion und Induktion in der qualitativen Forschung, in: Flick/​Kardorff/​Steinke, Qualitative Forschung, S. 276, 281. 26  „Abduction is the process of forming an explanatory hypothesis. It is the only logical operation which introduces any new idea.“, Pierce, Collected Papers 5, S. 171, zitiert nach A. Kaufmann, Das Verfahren der Rechtsgewinnung, S. 57. 27  Canaris, JZ 1993, 377, 383 (Hervorhebung im Original). 28  Peirce, Lectures on pragmatism, S. 253. 29  A. Kaufmann, Das Verfahren der Rechtsgewinnung, S. 57. 30  Pacius übersetzte mit „Abduktion“ den aristotelischen Begriff „Apagogè“.

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Kapitel 1: Einführung

tion, Deduktion und Induktion: Zunächst wird mit Hilfe der Abduktion eine neue Hypothese gefunden (erste Stufe), aus der sodann deduktive Schlussfolge­ rungen abgeleitet werden (zweite Stufe), die durch Fakten induktiv überprüft werden (dritte Stufe).31 Damit werden alle drei logischen Argumentationswei­ sen in einen relationalen Zusammenhang gebracht und präsentieren sich als relationales Ganzes.32 Arthur Kaufmann sieht den Verdienst von Peirce gerade darin, dass er eine Logik und Ontologie der Relationen entwickelt hat.33 Ein Gegenpol dazu ist die Philosophie Poppers, der die Logik der Entdeckung von der Logik der Rechtfertigung streng trennte und sich nur mit der Letzteren beschäftigte, weil er der Ansicht war, dass Vorgänge bei der Auslösung eines wissenschaftlichen Einfalls nur empirisch-psychologisch untersucht werden könnten und mit Logik wenig zu tun hätten.34 Einige moderne Wissenschaften folgen eher Peirce als Popper und gehen davon aus, dass die Abduktion logisch und methodisch herstellbar ist. Vor allem Forscher im Bereich Künstlicher Intelligenz sind daran interessiert, einen „Al­ gorithmus der Abduktion“ zu entwickeln, weil die Abduktion grundlegend für menschliches Denken sei. Keine Simulation menschlicher Intelligenz sei daher vollständig, wenn sie nicht über die Fähigkeit der Abduktion verfüge.35 Ein anderes Beispiel sind Sozialwissenschaften, die mit der „Grounded Theory“ ein Verfahren entwickelt haben, an empirische Daten so heranzugehen, dass abduktive Schlüsse begünstigt werden.36 Weitere Einsatzfelder der Abduktion sind Psychologie, Kriminologie, Theologie, Literatur, Semiotik und Kultur­ wissenschaften.37 Die Erkenntnislogik von Peirce wird dabei unter anderem dazu genutzt, den Vorgang der Entdeckung neuer Hypothesen ein Stück weit von der „Zufälligkeit des guten Einfalls“38 zu befreien. In der rechtswissenschaftlichen Methodik konnte die Abduktion dagegen nicht wirklich Fuß fassen.39 Dabei gibt es in der Rechtswissenschaft durchaus die Möglichkeit, Ausgangsdaten so aufzubereiten, dass die „juristische Phan­ 31  Reichertz, Abduktion, Deduktion und Induktion in der qualitativen Forschung, in: Flick/​Kardorff/​Steinke, Qualitative Forschung, S. 276, 285. In der juristischen Methodik sind vor allem die zweite und dritte Stufe bekannt, vgl. Canaris, JZ 1993, 377, 383. 32 So Walther, in: Pierce, Lectures on Pragmatism, Einleitung, S. LXXIX. 33  A. Kaufmann, Das Verfahren der Rechtsgewinnung, S. 58; ders., Rechtstheorie 17 (1986), 257, 259 ff. 34  Popper, Logik der Forschung, S. 7 f. 35 Material aus Wikipedia, Artikel „Abduktion“, , zuletzt abgerufen am 30.4.2020. 36  Zur Grounded Theory Böhm, Theoretisches Codieren: Textanalyse in der Grounded Theory, in: Flick/​Kardorff/​Steinke, Qualitative Forschung, S. 475 ff.; Muckel, Historical Social Research, Supplement 19 (2007), 211 ff. 37  Reichertz, Abduktion, Deduktion und Induktion in der qualitativen Forschung, in: Flick/​Kardorff/​Steinke, Qualitative Forschung, S. 276. 38 So Habermas, Erkenntnis und Interesse, S. 147 Fn. 72. 39  Dies beklagt A. Kaufmann, Das Verfahren der Rechtsgewinnung, S. 6 f.



§ 3.  Methoden und Gang der Untersuchung

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tasie“ beflügelt wird. Zudem sind auch die Rahmenbedingungen für abduktive Schlussfolgerungen günstig. Jurisprudenz ist eine pragmatische Wissenschaft40 , die Philosophie von Peirce ist ebenfalls pragmatisch.41 Ihr Pragmatismus wird insbesondere von denjenigen betont, die in der Abduktion eine Strategie sehen, die Wahrscheinlichkeit und die Plausibilität wissenschaftlicher Hypothesen zu optimieren und damit das Risiko des Scheiterns zu minimieren.42 Solche Stra­ tegien sind auch in der Rechtswissenschaft willkommen. Schließlich spielt in der rechtswissenschaftlichen Methode die Hermeneutik eine besondere Rol­ le.43 Dabei geht es vor allem darum, bei der Interpretation von Rechtsregeln das Vorverständnis des Interpreten nicht außer Acht zu lassen, weil sich die­ ses im Interpretationsergebnis niederschlägt. Diese Selbstreflexion gehört zum Kern der hermeneutischen Lehre.44 Bei der Abduktion spielt das Vorverständ­ nis des Denkenden ebenfalls eine wichtige Rolle, indem es die Entwicklung von Hypothesen beeinflusst. Kaufmann stellt daher zutreffend einen Zusam­ menhang zwischen dem hermeneutischen Vorverständnis und der Abduktion her.45 Indem Peirce die Abduktion in seine Erkenntnislogik einbezogen hat, hat er also nichts anderes gemacht als die Hermeneutiker, die den Interpreten in den Interpretationsprozess einbeziehen. Schon deshalb hätte die Abduktion in der Rechtswissenschaft einen fruchtbaren Boden finden müssen und es ist verwunderlich, dass dies bisher nicht geschehen ist.

II.  Ablauf der Untersuchung Nachstehend wird ein Versuch unternommen, die dreistufige Erkenntnislogik (Abduktion, Deduktion und Induktion) für den Zugang zu den Offenlegungs­ pflichten der Organmitglieder nutzbar zu machen. Das erste Ziel ist also die Formulierung einer abduktiven Hypothese, die sich auf diese Offenlegungs­ pflichten bezieht. Dafür wird der Rechtsstoff in den Kapiteln 2 bis 5 entspre­ chend aufbereitet. Das Kapitel 2 widmet sich dem Kontext, in dem die Of­ fenlegungspflichten der Organmitglieder üblicherweise zur Sprache kommen: organschaftliche Treuepflicht, Persönlichkeitsrecht, Interessenkonflikt. Dabei 40 

Dazu etwa Wieacker, FS Gadamer, S. 311, 321 ff. Peirce gilt bis heute als Begründer des amerikanischen Pragmatismus, dazu im juris­ tischen Schrifttum Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. II, S. 279; A. Kaufmann, Rechts­ theorie 17 (1986), 257, 260 f. Peirce hat sich allerdings von der späteren Entwicklung des Pragmatismus distanziert und seine Philosophie in „Pragmatizismus“ umbenannt. 42  Vgl. dazu Wirth, in: Wirth, Die Welt als Zeichen und Hypothese, S. 133, 139. 43  Siehe nur Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 207 ff.; Larenz/​Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 66 f. 44 Vgl. Habermas, FS Gadamer, S. 71, 78 f.; Wieland, ebenda, S. 31, 43 ff.; zur hermeneu­ tischen Selbstreflexion der Jurisprudenz Larenz/​Canaris, Methodenlehre der Rechtswis­ senschaft, S. 63 ff. 45  A. Kaufmann, Das Verfahren der Rechtsgewinnung, S. 57. 41 

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Kapitel 1: Einführung

geht es darum, netzartige Verknüpfungen der Offenlegungspflichten mit an­ deren Rechtsproblemen aufzuspüren und vorzuklären. Denn eine wie auch immer geartete Theorie der organschaftlichen Offenlegungspflicht soll nicht isoliert stehen, sondern Teil eines „Theoriennetzes“46 sein, damit sie nicht in Widerspruch zu den benachbarten Problemkreisen gerät. „Recht ist ein Ge­ flecht von Beziehungen, die alle voneinander abhängen und sich gegenseitig bedingen.“47 Es gibt auch einen weiteren Grund herauszufinden, mit welchen Rechtsfragen die Offenlegungspflicht verknüpft ist und wie sich diese Ver­ knüpfung gestaltet: Dieses Wissen erlaubt, im weiteren Verlauf der Unter­ suchung auf solche Verknüpfungen zu achten, um etwa die Bezüge der Of­ fenlegungspflichten zur Treuepflicht oder zum Persönlichkeitsrecht nicht aus den Augen zu verlieren. Durch die Einordnung der Offenlegungspflichten in einen größeren Zusammenhang wird also zugleich das weitere Forschungs­ programm präzisiert. Der zweite Teil der Arbeit (Kapitel 3 bis 5) beschäftigt sich mit der Analyse bestimmter Fallgruppen der Offenlegungspflicht. Es wurden bewusst sehr un­ terschiedliche Fallgruppen ausgesucht, nämlich die Offenlegungspflichten bei Krankheiten, bei eigenem Fehlverhalten und bei einem Management-Buy-out. Solche Kontrastbeispiele bieten die größte Chance, interessante und theoretisch wertvolle Erkenntnisse über die untersuchte Materie zu gewinnen.48 Die Me­ thode stammt aus der qualitativen Sozialforschung (Grounded Theory) und ist dort als „Theoretical Sampling“ (übersetzt: „theoriegeleiteter Erhebungsaus­ wahl“) bekannt. Die Auswahl kontrastierender Fälle ermöglicht es, die „Re­ präsentativität in Variation“49 herzustellen. Bei der Analyse der Fallgruppen werden die üblichen juristischen Methoden angewandt; das Ziel der Analyse ist die Erklärung etwaiger „überraschender Ergebnisse“ im Peirce’schen Sinne und die Sammlung von Erkenntnissen, die zur Entwicklung einer allgemeinen Hypothese notwendig sind. Im dritten Teil der Arbeit wird diese Hypothese formuliert und es werden daraus deduktive Schlüsse abgeleitet. Anschließend erfolgt der Übergang in die induktive Phase: Nach dem Prinzip „Die Abduktion sucht eine Theorie, die Induktion sucht Fakten“50 wird die neue Theorie an weiteren Fallgrup­ pen von Offenlegungspflichten (Directors’ Dealings, etc.) erprobt und gege­ benenfalls korrigiert. Durch diese induktive Vorgehensweise wird zugleich der Bereich der „intendierten Anwendungen“ der neuen Theorie erweitert. Intendierte Anwendungen sind die Fälle, zu deren Lösung eine Theorie ent­ wickelt worden ist. Canaris betont, dass keine Theorie richtig verstanden wer­ 46 

Zu diesem Begriff Canaris, JZ 1993, 377, 382. A. Kaufmann, Rechtstheorie 17 (1986), 257, 266. 48 Vgl. Muckel, Historical Social Research, Supplement 19 (2007), 211, 216. 49  Muckel, Historical Social Research, Supplement 19 (2007), 211, 216. 50  A. Kaufmann, Rechtstheorie 17 (1986), 257, 263. 47 



§ 3.  Methoden und Gang der Untersuchung

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den könne, wenn nur ihre Aussagen, nicht aber ihre intendierten Anwendun­ gen berücksichtigt würden.51 Er regt daher an, die intendierten Anwendungen einer Theorie als deren Bestandteil anzusehen und neue Anwendungen durch den Vergleich mit „paradigmatischen Beispielen“ zu ermitteln.52 Genau dies geschieht im Kapitel 6: Neue Fallgruppen der Offenlegungspflicht werden mit den bereits untersuchten verglichen, um festzustellen, ob sie alle etwas Ge­ meinsames haben. Denn die Forschungsfrage lautet gerade, ob zwischen allen Offenlegungspflichten der Organmitglieder eine Familienähnlichkeit besteht. Wie bereits erwähnt, betrachtet Canaris das Wittgenstein’sche Kriteri­ um der Familienähnlichkeit eher kritisch und meint, dieses sei höchstens bei der Bildung von Fallgruppen oder der Entwicklung „beweglicher“ Systeme i. S. Walter Wilburgs hilfreich. Intendierte Anwendungen einer juristischen Theorie seien aber weder Einzelfallentscheidungen noch die Bildung von Fall­ gruppen, sondern „Problemlösungen“.53 Dies provoziert die Frage, welche Pro­ bleme eine juristische Theorie lösen soll, wenn nicht die Probleme bestimmter Fallgruppen oder -kategorien? Ohne diesen Fallbezug sind die Begriffe „Prob­ lem“ und „Problemlösung“ sehr abstrakt und daher wenig geglückt. Daher scheint mir auch die Skepsis von Canaris gegenüber der Familienähnlichkeit unberechtigt zu sein.

51  Canaris, JZ 1993, 377, 379 f., 382 f.; ders., FS Kitagawa, S. 59, 66 ff.; ferner Larenz/​Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 279, wobei Canaris den Begriff „intendier­ te Anwendungen“ den strukturalistischen Theorienkonzepten von Joseph Sneed und Wolfgang Stegmüller entnimmt. 52  Canaris, JZ 1993, 377, 379; ders., FS Kitagawa, S. 59, 67; Larenz/​Canaris, Methoden­ lehre der Rechtswissenschaft, S. 279. 53  Canaris, JZ 1993, 377, 380 f.

Kapitel 2

Offenlegungspflichten in größerem Kontext In welchem Zusammenhang kommen die Offenlegungspflichten der Organ­ mitglieder zur Sprache? Meist sind es die Treuepflicht und die Interessenkon­ flikte; eine dritte Rechtserscheinung, die dabei häufig angesprochen wird, sind die Persönlichkeitsrechte der Organmitglieder. Die Zusammenhänge zwischen diesen vier Kategorien (Offenlegungspflicht, Treuepflicht, Interessenkonflikt und Persönlichkeitsrecht) werden nun näher geklärt. Dies macht die abduktive Entwicklung neuer Hypothesen effizienter, weil Unwichtiges frühzeitig aus­ sortiert werden kann, um Platz für Wichtiges zu machen. Außerdem verrin­ gert sich die Gefahr, Hypothesen zu entwickeln, die dem geltenden Recht oder, anders ausgedrückt, den juristischen „Basissätzen“1 widersprechen. Im Ergeb­ nis sinkt der Aufwand, der mit der Überprüfung von Hypothesen verbunden ist. Diese abduktive „Economy of Research“ setzt voraus, dass die Abduktion in einen größeren Zusammenhang eingebunden wird.2

§ 1.  Offenlegungspflicht und Treuepflicht Die Offenlegungspflichten der Organmitglieder hängen mit deren Treuepflicht sehr eng zusammen. So wird die Pflicht, eine schwere Krankheit offenzule­ gen, einhellig aus der Treuepflicht der Organperson abgeleitet.3 Im Kontext der Treuepflicht wird ferner die Pflicht zur Offenlegung eigenen Fehlverhaltens angesprochen, auch wenn sie im Ergebnis meist verneint wird.4 Diejenigen, die sie bejahen, stützen sie auf die organschaftliche Treuepflicht.5 Schließlich 1 So

Canaris, JZ 1993, 377, 387.

2 Siehe Wirth, in: Wirth, Die Welt als Zeichen und 3  Fleischer, in: Spindler/​Stilz, AktG, § 84 Rn. 76a;

Hypothese, S. 133, 139. ders., NZG 2010, 561, 564; Koch, in: Hüffer/​Koch, AktG, § 84 Rn. 10; Spindler, in MüKo AktG, § 84 Rn. 111; Bayer, FS Hommel­ hoff, S. 87, 90; Schnorbus/​Klormann, WM 2018, 1069, 1073. 4  Fleischer, in: Spindler/​Stilz, AktG, § 84 Rn. 82a, § 93 Rn. 130a; Koch, in: Hüffer/​Koch, AktG, § 93 Rn. 7; Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 90 Rn. 28, § 93 Rn. 166 und 201; Spindler, in: MüKo AktG, § 93 Rn. 327; Kleindiek, in: Lutter/​Hommelhoff, GmbHG, § 43 Rn. 58, 67; Beurskens, in: Baumbach/​Hueck, GmbHG, § 43 Rn. 109; Grunewald, NZG 2013, 841, 843 ff. 5  Schmolke, RIW 2008, 365 ff.; Hopt, ZGR 2004, 1, 27 f.; Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 275 und 588.

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Kapitel 2: Offenlegungspflichten in größerem Kontext

spielt die Treuepflicht in der Diskussion über die Offenlegungspflichten der Manager beim Management-Buy-out eine wichtige Rolle: Eine starke Minder­ meinung ordnet diese Offenlegungspflichten der Treuepflicht zu6 , während die herrschende Ansicht diese Zuordnung zwar erwägt, aber letztendlich der culpa in contrahendo den Vorzug gibt.7 Um zu klären, wie sich die Offenlegungspflicht der Organmitglieder zu deren Treuepflicht verhält, muss zunächst mehr Klarheit über den Inhalt der Treuepflicht geschaffen werden. Das Gesetz regelt bisher nur einzelne Aus­ prägungen der Treuepflicht wie das Wettbewerbsverbot (§ 88 Abs. 1 AktG) und die Verschwiegenheitspflicht (§ 93 Abs. 1 S. 3 und § 116 S. 2 AktG).8 Recht­ sprechung und Literatur verstehen die Treuepflicht deutlich weiter, nämlich als Generalklausel, die von Organmitgliedern verlangt, in allen Angelegenhei­ ten, die das Interesse der Gesellschaft berühren, ihr loyal zu dienen und ihr Wohl über andere, insbesondere über eigene Interessen zu stellen.9 Ähnliche Formulierungen enthält der DCGK, wonach Vorstands- und Aufsichtsrats­ mitglieder dem Unternehmensinteresse verpflichtet sind; sie dürfen bei ihren Entscheidungen weder persönliche Interessen verfolgen noch Geschäftschan­ cen für sich nutzen, die dem Unternehmen zustehen (Grundsatz 19).10 Trotz dieser Einigkeit gibt es unterschiedliche Konzepte der Treuepflicht, die zum Teil erheblich voneinander abweichen. Manche dieser Konzepte lassen es von vornherein nicht zu, die organschaftliche Offenlegungspflicht als Unterfall der Treuepflicht einzustufen.

6  Ziemons, in: Michalski, GmbHG, §  43 Rn. 574; M. Doralt, Management-Buyout, S. 39 f.; Enzinger, Interessenkonflikt und Organpflichten, S. 31 f., 37; Heidemann, Manage­ ment Buyout, S. 236 ff.; Rhein, Der Interessenkonflikt der Manager beim Management Buyout, S. 173 ff., 214 f.; Schwenkedel, Management buyout, S. 37. 7  Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 158, 336; ders., in: Spindler/​Stilz, AktG, § 93 Rn. 119; ders., AG 2000, 309, 320; Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 246 (zugleich für eine organschaftliche Pflicht gegenüber der Gesellschaft, soweit diese an der Transakti­ on beteiligt ist); Kort, in: Großkomm AktG, § 76 Rn. 168; Enzinger, Interessenkonflikt und Organpflichten, S. 37 ff.; Kuntz, Informationsweitergabe, S. 126 ff. 8  De lege ferenda wird zum Teil eine vollwertige gesetzliche Regelung gefordert, siehe Fleischer, DB 2014, 1971 f. 9  BGH, Urt. v. 23.9.1985 – II ZR 246/84, NJW 1986, 585, 586 und Leitsatz – Druckmittelzylinder; siehe ferner Urt. v. 12.6.1989 – II ZR 334/87, WM 1989, 1335, 1339; Dauner-Lieb, in: Henssler/​Strohn, AktG, § 93 Rn. 9; Fleischer, in: Spindler/​Stilz, AktG, § 93 Rn. 114; ders., WM 2003, 1045, 1050; Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 227; Krieger/​Sailer-Coceani, in: K. Schmidt/​Lutter, AktG, § 93 Rn. 21; Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 93 Rn. 95. Teilweise wird die Treuepflicht um das Gebot ergänzt, Schädigungen zu unterlassen, vgl. U. Schmidt, in: NK‑AktR, § 93 AktG Rn. 32; A. Hueck, Der Treuegedanke, S. 15; Leuschner, FS Ahrens, S. 637 f. 10  Vgl. Ziff. 4.3.3 und 5.5.1 DCGK 2017.



§ 1.  Offenlegungspflicht und Treuepflicht

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I.  Inhalt der Treuepflicht 1.  Herkömmliches Verständnis Herkömmlich versuchte man, die Treuepflicht aus dem Vertrauensverhält­ nis zwischen der Gesellschaft und dem Organmitglied abzuleiten.11 Später ging das Gesellschaftsrecht dazu über, die Treuepflicht als Korrelat der Ein­ wirkungsmacht zu begreifen: Zur besonderen Treue sei derjenige verpflichtet, wer kraft der Rechtsordnung einen Einfluss auf die Angelegenheiten der Ge­ samtheit ausübe. Je größer der Einfluss, desto stärker die Treubindung, wobei der Einfluss dort besonders groß sei, wo der Einzelne dauernd auf fremde In­ teressen einwirken könne und dabei über ein weites Ermessen verfüge, etwa weil sich seine Leistung nicht von vornherein festschreiben lasse.12 Der Ab­ schied von der Vertrauenslehre entsprach der allgemeinen Tendenz des Zivil­ rechts, subjektive Kriterien wie Vertrauen, die häufig auf Fiktionen hinaus­ liefen, durch objektive zu ersetzen.13 Das Gesellschaftsrecht hatte außerdem einen eigenen Grund, sich von der Vertrauenslehre abzuwenden: Sie zeigte große Schwächen im Umgang mit der gegenseitigen Treuepflicht der Aktio­ näre. Zwischen Aktionären, die sich nicht einmal persönlich kennen, kann es keine Vertrauensbeziehung geben.14 Die Vertrauenslehre konnte daher zwar die Treuepflicht der Organmitglieder15 und der Gesellschafter einer Personen­ gesellschaft16 erklären, stieß aber bei Mitgliedern größerer Aktiengesellschaf­ ten auf ihre Grenzen, obwohl auch hier ein praktisches Bedürfnis nach gegen­ seitigen Treubindungen bestand. Das Konzept der Einwirkungsmacht konnte diese Lücke mühelos schließen.17 Heute gehört dieses Konzept zu den klassischen Denkfiguren des Gesell­ schaftsrechts.18 Eines hat es allerdings mit seinem Vorgänger gemeinsam: So­ 11  Vgl. RG, Urt. v. 4.10.1929 – 92/29 II, JW 1930, 1929; BGH, Urt. v. 28.4.1954 – II ZR 211/53, BGHZ 13, 188, 192 f.; Eichler, Die Rechtslehre vom Vertrauen, S. 65 f.; A. Hueck, Der Treuegedanke, S. 12 ff.; Stimpel, in: Pehle/​Stimpel, Richterliche Rechtsfortbildung, S. 15, 18. 12 Grundlegend Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 341 f.; siehe aber auch die Vorarbeiten von Fechner, Die Treubindungen des Aktionärs, S. 75 ff. und Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre, S. 214 f. 13 Dazu Grundmann, Der Treuhandvertrag, S. 137 ff.; aus dem neueren Schrifttum Thomale, Leistung als Freiheit, S. 59 ff. 14  BGH, Urt. v. 27.10.1955 – II ZR 310/53Z, BGHZ 18, 350, 365 = NJW 1955, 1919, 1921; v. 16.2.1976 – II ZR 61/74, JZ 1976, 561, 562 – Audi/​NSU; A. Hueck, Der Treuegedanke, S. 14 f.; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 341 f. 15  A. Hueck, Der Treuegedanke, S. 12 ff. 16 Dazu A. Hueck, Das Recht der Offenen Handelsgesellschaft, S. 110, 192 ff.; ders., FS Rudolf Hübner, S. 72, 80. 17 Vgl. Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 341 f. 18 Vgl. BGH, Urt. v. 5.6.1975 – II ZR 23/74, BGHZ 65, 15, 19 – ITT; v. 1.2.1988 – II ZR 75/87, BGHZ 103, 184, 194 – Linotype; Fleischer, in: Spindler/​Stilz, AktG, § 93 Rn. 116; ders., WM 2003, 1045, 1046; Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 224; Hopt, ZGR 2004,

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wohl „Vertrauen“ als auch „Einwirkungsmacht“ sind sehr allgemeine Katego­ rien, die bewirken können, dass sich die meisten Pflichten der Organmitglieder in Treuepflichten verwandeln. Die Treuepflicht droht dabei konturenlos zu werden, was manche Stimmen beklagen.19 Die herrschende Lehre gibt es in­ direkt zu, indem sie sagt: „Die mit dem Begriff der Treuepflicht gemeinten Verpflichtungen sind abstrakt kaum anzugeben, sondern leben von der Kon­ kretisierung“20. Zur Konkretisierung der Treuepflicht haben Rechtsprechung und Lehre diverse Fallgruppen entwickelt: die Pflicht des Organmitglieds zum loyalen Einsatz für die Gesellschaft; das Verbot, Geschäftschancen der Gesell­ schaft an sich zu ziehen oder sich die Gesellschaftsressourcen anzueignen; das Verbot, die Organstellung zu eigenen Gunsten auszunutzen; das Gebot, die Gesellschaft durch Eigengeschäfte mit ihr nicht zu schädigen; das Verbot, Zu­ wendungen Dritter im Zusammenhang mit der Amtstätigkeit anzunehmen.21 Auch die Pflicht, bestimmte Umstände offenzulegen, wird neuerdings als eine besondere Fallgruppe der Treuepflicht genannt.22 Das Verhältnis zwischen der Generalklausel der Treuepflicht und deren einzelnen Ausprägungen ähnelt demjenigen zwischen dem musikalischen Thema und dessen Variationen: Das Thema ist das Erfordernis, im besten Interesse der Gesellschaft zu handeln, und die Variationen sind spezifische Situationen, in denen gegen dieses Erfor­ dernis verstoßen worden ist.23 Die Fallgruppen der Treuepflicht unterscheiden sich vor allem im Hinblick auf den Umgang mit eigenen Interessen der Organmitglieder. In bestimmten Situationen können diese Interessen das strenge Loyalitätsgebot nicht einmal abschwächen, geschweige denn außer Kraft setzen. So kann ein GmbH‑Ge­ schäftsführer dem Wettbewerbsverbot nicht entgegenhalten, er habe an der konkurrierenden Tätigkeit ein gewichtiges Eigeninteresse. Das Gleiche gilt für das Verbot, korporative Geschäftschancen an sich zu ziehen. Aber schon bei bestimmten Eigengeschäften mit der Gesellschaft, etwa beim Aushandeln der Konditionen des Anstellungsvertrags, ist die Verfolgung eigener Interes­ 1, 18 ff.; Möllers, in: Hommelhoff/​Hopt/v. Werder, Hdb. Corporate Governance, S. 423, 427; Wiesner, in: MünchHdb. AG, § 21 Rn. 12, § 25 Rn. 11; Bedkowski, Die Geschäftsleiter­ pflichten, S. 309; Weisser, Corporate Opportunities, S. 133; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 432; ders., JZ 1989, 447 f.; Winter, Mitgliedschaftliche Treubindungen im GmbH‑Recht, S. 69 f.; Lutter, ZHR 153 (1989), 446, 455. Für einen Doppelzweck der Treuepflicht (Vertrau­ ensschutz und Einwirkungskontrolle) Hüffer, FS Steindorff, S. 59, 73 f. 19 So etwa Bedkowski, Die Geschäftsleiterpflichten, S. 308; vor der Ausuferung der Treuepflicht warnte bereits A. Hueck, Der Treuegedanke, S. 5 f., 9 f. 20  Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 227. 21  Vgl. etwa Fleischer, in: Spindler/​Stilz, AktG, § 93 Rn. 126 ff.; Henze/​Born/​D rescher, Aktienrecht – Höchstrichterliche Rechtsprechung, Rn. 716. 22  Fleischer, in: Spindler/​Stilz, AktG, § 93 Rn. 130a; vgl. auch Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 275. 23  So griffig Diamond, Corporations: A Contemporary Approach, 2ed. 2008, S. 87, zi­ tiert nach O’Shea, 78 U. Cin. L. Rev. 1129, 1139 (2010).



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sen grundsätzlich zulässig.24 Auch in der Fallgruppe „loyaler Einsatz für die Gesellschaft“ werden die Eigeninteressen der Organperson berücksichtigt und gegen die Belange der Gesellschaft abgewogen. Dies zeigt sich am Beispiel der Arbeitskraft: Das Organmitglied muss seine Arbeitskraft zwar der Gesell­ schaft vorbehaltlos zur Verfügung stellen, ist jedoch nicht verpflichtet, sie zu erhalten und zu diesem Zweck gefährliche Sportarten zu meiden oder sich ge­ sund zu ernähren.25 Der Grund liegt darin, dass das Recht des Organmitglieds auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und auf eine gewisse Privatsphäre in die­ sen Situationen Vorrang hat.26 Eine solche Interessenabwägung findet auch bei der Formulierung mancher Offenlegungspflichten statt.27 In ihrem klassischen Verständnis schließt also die Treuepflicht eine Interessenabwägung nicht aus. 2.  Treuepflicht „stricto sensu“ Einige Rechtswissenschaftler, etwa Stefan Grundmann, lehnen indes jegliche Interessenabwägung bei der Treuepflicht ab. Grundmann schlägt vor, zwi­ schen Treuepflicht im engeren und im weiteren Sinne zu unterscheiden. Die Treuepflicht i. w. S. sei eine bloße Nebenpflicht aus § 242 BGB, die auf die In­ teressen des Schuldners Rücksicht nehme. Die Treuepflicht i. e. S. (Treuepflicht stricto sensu) sei dagegen die Hauptpflicht aller treuhänderischen Rechtsver­ hältnisse; sie stelle die Interessen des Treugebers stets über den Interessen des Pflichtigen. Denn sie beziehe sich auf geldwerte Positionen, die dem Treue­ pflichtigen gegenleistungsfrei übertragen werden.28 Die Verwaltungstätigkeit, die der Treuhänder dem Treugeber schulde, gelte dabei nicht als Gegenleis­ tung für die Übertragung des Treuguts, sondern als Gegenleistung für die Ver­ gütung, die der Treuhänder vom Treugeber erhalte.29 Der absolute Vorrang der Interessen des Treugebers folge also nicht schon daraus, dass der Treuhän­ der auf geldwerte Positionen des Treugebers einwirken könne, sondern viel­ mehr daraus, dass er diese Einwirkungsmacht gegenleistungsfrei erlangt habe: „Nicht die Einwirkungsmacht an sich, sondern erst die Einwirkungsmacht, die der Pflichtige erhalten hat, ohne selbst eine Gegenleistung zu erbringen, trägt die einseitig gestaltete Regel.“30 24  Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, §  93 Rn. 243; Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 93 Rn. 108; Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 159; etwas strenger Ziemons, in: Michalski, GmbHG, § 43 Rn. 223 f. 25 Vgl. Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 238 f.; Schnorbus, in: Rowedder/​ Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 43 Rn. 53; Fleischer, NZG 2010, 561, 562; Schnorbus/​Klormann, WM 2018, 1069, 1072. 26 Vgl. Ziemons, in: Michalski, GmbHG, § 43 Rn. 209. 27  Siehe etwa Fleischer, in: Spindler/​Stilz, AktG, § 93 Rn. 130a; ders., NZG 2010, 561, 564. 28  Grundmann, Der Treuhandvertrag, S. 166 ff. 29  Grundmann, Der Treuhandvertrag, S. 193, 197, 269, 546. 30  Grundmann, Der Treuhandvertrag, S. 193.

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Nach diesem Konzept wären die Offenlegungspflichten der Organmitglie­ der eigentlich keine Treuepflichten i. e. S., da bei ihrer Formulierung die Inte­ ressen der Organmitglieder nicht völlig ausgeblendet werden können. Grundmann scheint allerdings alle Organpflichten als treuhänderisch anzusehen, jedenfalls soweit es um den Geschäftsleiter einer Gesellschaft geht. Dessen treuhänderische Stellung sei „unschwer zu begründen“31, weil er für die Ge­ sellschaft eine Leistung erbringe, welche durch seine Vergütung vollständig abgegolten werde. Zusätzliche Werte wie Rechtsinhaberschaften, Einflussund Entscheidungsmacht sowie Informationspositionen erhalte der Geschäfts­ leiter dagegen unentgeltlich. Somit würden alle geldwerten Positionen außer der Vergütung, die einem Geschäftsleiter eingeräumt werden, treuhänderisch gehalten.32 Grundmanns Theorie kann gut erklären, warum Organmitglieder bei be­ stimmten Interessenkonflikten das Gesellschaftsinteresse vor ihr eigenes stel­ len müssen. Als Beispiel lässt sich die Geschichte von Richard Brewer, CEO und Direktor eines kleinen US‑Pharmaunternehmens Scios, anführen. Brewer litt am multiplen Myelom, einem unheilbaren Knochenmarkkrebs, als er er­ fuhr, dass ein Mittel gegen chronische Polyarthritis, an dessen Entwicklung Scios arbeitete (SCIO-469), möglicherweise auch gegen das multiple Myelom wirke. Scios stand allerdings in den Übernahmeverhandlungen mit dem Indus­ triegiganten Johnson & Johnson, der dazu tendierte, die Arbeiten an SCIO469 nach der Übernahme einzustellen. Die Übernahme war also nicht im In­ teresse von Brewer, wohl aber im Interesse der Gesellschaft, weil Johnson & Johnson nach Ansicht der Direktoren von Scios einen fairen Preis bot. Grundmanns Theorie kann präzise darlegen, warum sich Brewer der Übernahme nicht in den Weg stellen durfte: Sein Recht, über die Annahme des Übernah­ meangebots mitzuentscheiden, war ein Treugut, das ihm unentgeltlich über­ tragen wurde. Bei der Entscheidung hatten daher die Interessen von Scios ab­ soluten Vorrang.33 Grundmann selbst erläutert sein Konzept am Beispiel der Geschäftschan­ cenlehre, wobei er unter anderem erklärt, wann eine Geschäftschance der Ge­ sellschaft zugeordnet werden muss. Dies sei dann der Fall, wenn Positionen aus dem Treugut eingesetzt werden. Treugut sei dabei jeder Geldwert, den der Pflichtige halte, ohne dafür eine Gegenleistung erbracht zu haben; dazu ge­ hören seine Arbeitskraft und seine Kontakte, soweit die Gesellschaft sie ver­ 31  Grundmann, Der Treuhandvertrag, S. 269. 32 Vgl. Grundmann, Der Treuhandvertrag, S. 269,

421. Im wahren Leben versuchte Brewer, beiden Interessen gerecht zu werden: Als Direk­ tor von Scios stimmte er für die Übernahme, beschleunigte aber im eigenen Interesse die Arbeiten an SCIO -469 derart, dass er innerhalb kürzester Zeit positive Forschungsergebnis­ se vorlegen und die Entscheidungsträger bei Johnson & Johnson von den Perspektiven des neuen Medikaments überzeugen konnte, dazu etwa Gellene, Drug CEO’s Business Becomes Personal, Los Angeles Times Online, 1.6.2005. 33 



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gütet habe.34 Die Geschäftschancen, die Früchte dieses Treuguts seien, gehör­ ten ebenfalls zum Treugut, so dass das Organmitglied sie für sich nur dann nutzen dürfe, wenn die Gesellschaft sie freigebe.35 Somit muss alles, was von der Gesellschaft vergütet wird, nur in ihrem Interesse eingesetzt werden. Diese Argumentation ist eine gute theoretische Erfassung der Geschäftschancen­ lehre, auch wenn sie m. E. einige Schwachstellen aufweist. Zum einen geht sie mit der Arbeitskraft des Organmitglieds etwas eigenartig um, indem sie diese wie einen Spielball hin- und herwirft: Zunächst gehört diese Arbeitskraft dem Treuepflichtigen selbst, anschließend wird sie ihm von der Gesellschaft „ab­ gekauft“ und dann wieder „gegenleistungsfrei“ überlassen, wodurch sie zum Treugut wird. Dies wirkt doch etwas gekünstelt, denn wie kann eine Person ihre eigene Arbeitskraft von jemand anderem erhalten, dazu noch „ohne Ge­ genleistung“? Zum anderen kann man in der Praxis trefflich darüber streiten, ob und inwieweit die Kontakte des Geschäftsleiters von der Gesellschaft tat­ sächlich vergütet worden sind. Abgesehen von dieser punktuellen Kritik stellt sich die Frage, ob Grundmanns Theorie auch außerhalb der Geschäftschancenlehre brauchbare Er­ gebnisse liefert. Problematisch ist insoweit die pauschale These dieser Theo­ rie, der Geschäftsleiter fungiere in allen Angelegenheiten außer der eigenen Vergütung als Treuhänder der Gesellschaft. Daraus folgt zwingend, dass er in jeder Situation seine persönlichen Interessen dem Gesellschaftswohl un­ terordnen muss. Damit wird die Berücksichtigung von Persönlichkeitsrech­ ten des Geschäftsleiters, die die herrschende Ansicht in manchen Fallkon­ stellationen vornimmt, unmöglich, obwohl dafür ein praktischer Bedarf besteht. Aus dieser Sackgasse bietet Grundmanns Konzept keinen Ausweg: Selbst die Zuflucht zu einer „Treuepflicht i. w. S.“ ist versperrt, weil der Ge­ schäftsleiter nach Grundmann alle seine Einflussmöglichkeiten auf die In­ teressen der Gesellschaft treuhänderisch hält und daher stets der strengen Treuepflicht („Treuepflicht i. e. S.“) unterliegt. Da sogar seine Arbeitskraft zum Treugut gehört, müsste er entgegen der herrschenden Auffassung sogar verpflichtet sein, seine Gesundheit im Interesse der Gesellschaft zu erhalten. Dies würde in der Praxis zu merkwürdigen Ergebnissen führen, was am Fall von Hermann Niehues verdeutlicht werden kann: Niehues war der Chef des Entsorgungs- und Logistikkonzerns Rethmann und zugleich ein passionier­ ter Reiter, der 2008 bei einem Reitunfall im Alter von nur 61 Jahren starb. Sein unerwarteter Tod beeinträchtigte ohne Zweifel die Interessen des Reth­ mann-Konzerns, der plötzlich vor der Aufgabe stand, gleich mehrere wichtige Posten neu zu besetzen.36 Hätte also Niehues mit Rücksicht auf seine Ämter 34 

Grundmann, Der Treuhandvertrag, S. 431 f. Grundmann, Der Treuhandvertrag, S. 453 f. Niehues saß nicht nur dem Vorstand der Konzernmutter vor, sondern war zugleich Chef der Logistiktochter Rhenus sowie Aufsichtsratsvorsitzender in den Töchtern Saria 35  36 

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keinen Reitsport treiben dürfen? War sein Tod gleichzeitig ein Treuepflicht­ verstoß? 3.  Treuepflicht und Art des Interessenkonflikts Das Konzept von Grundmann ist also zu eng: Konsequent durchgeführt, würde es dem Organmitglied jegliche Privatsphäre absprechen. Differenzier­ ter und flexibler ist insofern der Vorschlag von Holger Fleischer, zwischen In­ teressenkonflikten finanzieller und nicht finanzieller Art zu unterscheiden. Erstere entstünden etwa dann, wenn das Organmitglied Eigengeschäfte mit der Gesellschaft tätige oder ihre Geschäftschancen für sich nutzen wolle. Hier habe das Gesellschaftsinteresse absoluten Vorrang, eine Interessenabwägung finde nicht statt. Bei Konflikten nicht finanzieller Natur sei die Abwägung dagegen geboten.37 Die Unterscheidung zwischen finanziellen und nicht fi­ nanziellen Interessenkonflikten könne außerdem helfen, die Treuepflicht, vor allem die Fallgruppe „loyaler Einsatz für die Gesellschaft“, zu verschlanken. Einige nicht finanzielle Konflikte, die innerhalb dieser Fallgruppe mit Hilfe der Treuepflicht gelöst würden, ließen sich auch mit den Mitteln des Schuld­ rechts lösen und seien deshalb diesem und nicht dem Gesellschaftsrecht zu­ zuordnen. Dies gelte etwa für die Pflicht des Geschäftsleiters, seine ganze Ar­ beitskraft für die Gesellschaft einzusetzen: Bei genauer Betrachtung handele es sich dabei um die Hauptleistungspflicht des Geschäftsleiters aus dem An­ stellungsvertrag. Ein weiteres Beispiel sei die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Belange der Gesellschaft bei öffentlichen Äußerungen, die sich als eine Nebenpflicht aus § 242 BGB qualifizieren ließe.38 Von diesem Standpunkt aus wäre es möglich, die Offenlegungspflicht der Organmitglieder bei nicht fi­ nanziellen Interessenkonflikten als eine Nebenpflicht aus dem Anstellungs­ verhältnis einzustufen. Fleischer selbst sieht sie allerdings als Treuepflicht an.39 Seine Ansicht hat den Vorteil, dass sie der Ausuferung der Treuepflicht ent­ gegenwirkt und zugleich eine flexible Behandlung unterschiedlicher Organ­ pflichten ermöglicht. Man kann höchstens fragen, ob Interessenkonflikte fi­ nanzieller Art wirklich jegliche Interessenabwägung ausschließen. So wird im Hinblick auf Geschäftschancen darüber gestritten, ob die Gesellschaft auch dann vorrangigen Zugriff auf die Geschäftschance hat, wenn ihr Organmit­ glied von der Chance von einem Freund oder Familienmitglied erfahren hat. und Remondis, dazu Granzow, Rethmann sucht neuen Chef intern, Handelsblatt Online, 11.9.2008. 37  Fleischer, WM 2003, 1045, 1051. 38  Fleischer, WM 2003, 1045, 1051. 39 So im Hinblick auf die Offenlegungspflicht bei schwerer Krankheit Fleischer, in: Spindler/​Stilz, AktG, § 84 Rn. 76a; ders., NZG 2010, 561, 564; ders., Der Aufsichtsrat 2010, 86, 87.



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Die Rechtsprechung meint zwar auch in diesem Fall, die Geschäftschance stehe der Gesellschaft zu.40 Gewichtige Literaturstimmen, zu denen auch Fleischer gehört, stufen dagegen die Geschäftschance als eine persönliche Chance des Organmitglieds ein, die es unter Umständen ohne Zustimmung der Ge­ sellschaft nutzen dürfe.41 In der Einstufung der Geschäftschance als „privat“ liegt aber zugleich eine Interessenabwägung: Den Interessen der Organperson wird Vorrang eingeräumt, weil die Geschäftschance nicht seiner beruflichen, sondern seiner privaten Sphäre entspringt. Denn es werde dem Organmitglied jede Privatsphäre genommen, wenn es selbst Informationen, die ihm nur auf der Grundlage einer persönlichen Beziehung offenbart würden, an die Gesell­ schaft weitergeben müsste.42 Nicht unproblematisch ist ferner die Verlagerung mancher Loyalitätspflich­ ten ins Schuldrecht. Sie wird im Schrifttum dafür kritisiert, dass sie die Treu­ bindung der Organmitglieder abschwäche.43 In der Tat ist die gesellschafts­ rechtliche Treuepflicht nach ganz herrschender Meinung umfangreicher und intensiver als das schuldrechtliche Gebot von Treu und Glauben.44 Ob dies zu­ trifft, ist allerdings fraglich, denn nicht alle Gesellschaftsrechtler ziehen eine scharfe Grenze zwischen der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht einerseits und dem Gebot von Treu und Glauben andererseits.45 Dies gilt auch für Zi­ vilrechtler, die bei der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht den Rückgriff auf § 242 für möglich halten, so dass das Gebot von Treu und Glauben zu den ge­ sellschaftsrechtlichen Regelungen hinzutritt.46 Denn es ist keineswegs so, dass § 242 BGB nur Austauschverhältnisse im Blick hat.47 Vielmehr ist die Vorschrift 40  BGH NJW 1986, 585, 586  – Druckmittelzylinder mit dem Hinweis auf die Unteil­ barkeit der Sorgfalts- und Treuepflicht; OLG Frankfurt, Urt. v. 13.5.1997  – 11 U (Kart) 68/96, GmbHR 1998, 376, 378; zustimmend Beurskens, in: Baumbach/​Hueck, GmbHG, § 37 Rn. 86; Ziemons, in: Michalski, GmbHG, § 43 Rn. 264. 41  Fleischer, in: Spindler/​Stilz, AktG, § 93 Rn. 148; ders., NZG 2003, 985, 989; ders., NJW 2006, 3239, 3240; Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 258; Schnorbus, in: Rowedder/​ Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 43 Rn. 63; Spindler, in: MüKo AktG, § 88 Rn. 66; U. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 43 Rn. 205. 42  Spindler, in: MüKo AktG, § 88 Rn. 66. 43  In diesem Sinne Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 239 Fn. 952. 44  BGH, Urt. v. 1.4.1953  – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157, 163; OLG Frankfurt, Urt. v. 18.11.2010 – 5 U 110/08, AG 2011, 462, 463; Fleischer, in: Spindler/​Stilz, AktG, § 93 Rn. 115; Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 227; Koch, in: Hüffer/​Koch, AktG, § 93 Rn. 28; Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 93 Rn. 95; Ziemons, in: Michalski, GmbHG, § 43 Rn. 205; Hüffer, FS Steindorff, S. 59, 71. 45  Siehe etwa K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 20 IV 1, S. 587 f.; M. Weber, Vormitglied­ schaftliche Treubindungen, S. 112 f.; vgl. auch Winter, Mitgliedschaftliche Treubindungen im GmbH‑Recht, S. 14; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 335 ff. 46 Vgl. Schubert, in: MüKo BGB, § 242 Rn. 237. 47 So aber Möllers, in: Hommelhoff/​ Hopt/v. Werder, Hdb. Corporate Governance, S. 428.

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Kapitel 2: Offenlegungspflichten in größerem Kontext

auf beliebige Rechtsverhältnisse anwendbar, unter anderem auf Treuhandver­ hältnisse48 , mit denen Organstellung regelmäßig verglichen wird. Es wäre also möglich, bestimmte Organpflichten rein schuldrechtlich einzuordnen, ohne dass Umfang und Intensität der Pflichtbindung dadurch geringer würden. Eine solche Einordnung könnte allerdings zu Lücken bei der Haftung der Mitglieder von Geschäftsführungsorganen führen. Diese sind mit der Gesell­ schaft auf zweifache Weise verbunden: erstens durch die Organstellung (kör­ perschaftlich), zweitens durch das Anstellungsverhältnis (schuldrechtlich), wobei beide Rechtsverhältnisse im Prinzip unabhängig voneinander beste­ hen.49 Aus dem Anstellungsverhältnis ergeben sich Treubindungen, die der or­ ganschaftlichen Treuepflicht zumindest ähnlich sind.50 Bedeutsam wird diese sog. doppelte Pflichtenbindung dann, wenn das Bestellungsverhältnis fehlt oder nichtig ist und umgekehrt.51 Werden allerdings bestimmte Loyalitäts­ pflichten nur im Anstellungsverhältnis angesiedelt, so fallen sie ersatzlos weg, wenn die Anstellung nichtig ist; der Rückgriff auf die organschaftliche Treue­ pflicht hilft dann nicht mehr. Aus diesem Grund ist die Ausgliederung dieser Loyalitätspflichten aus dem Bestellungsverhältnis nicht empfehlenswert, je­ denfalls wenn es kein dringendes praktisches Bedürfnis dafür gibt. Bei Mit­ gliedern von Aufsichtsorganen wäre die schuldrechtliche Lösung zudem kaum möglich, da dort nach herrschender Meinung nur ein einheitliches Organver­ hältnis vorliegt.52 Die Loyalitätspflichten der Aufsichtsratsmitglieder könnten also ohnehin nur mit Hilfe der organschaftlichen Treuepflicht begründet wer­ den. 4.  „Offene“ Treuepflicht Eine gewisse Rückkehr zum herkömmlichen Verständnis der Treuepflicht er­ folgt im Konzept von Maximilian Mann. Mann nutzt, jedenfalls bei der For­ mulierung des Zwecks der Treuepflicht, die hergebrachten Kriterien des Ver­ trauens und der Einwirkungsmacht. Die Treuepflicht diene demnach dazu, die objektiv anvertraute Einwirkungsmöglichkeit des Pflichtigen zu kompensie­ ren. Dabei zeichne sich die Treuepflicht durch ihre Offenheit aus: Sie bestimme nur das Handlungsziel, nämlich das Handeln im Interesse des Treueberech­ tigten, überlasse es aber dem Pflichtigen, wie er dieses Ziel erreiche. Letzterer habe damit einen Entscheidungs- und Handlungsspielraum, ähnlich dem Er­ 48  49 

Schubert, in: MüKo BGB, § 242 Rn. 240 f. Fleischer, in: Spindler/​Stilz, AktG, § 84 Rn. 7 (Vorstandsmitglieder); U. Schneider/​ Hohenstatt, in: Scholz, GmbHG, § 35 Rn. 251 (Geschäftsführer); zu den Gründen Baums, Der Geschäftsleitervertrag, S. 33 f. 50  Fleischer, in: Spindler/​Stilz, AktG, § 93 Rn. 117; ders., WM 2003, 1045, 1046; Beurskens, in: Baumbach/​Hueck, GmbHG, § 37 Rn. 113. 51  Weisser, Corporate Opportunities, S. 137. 52 Siehe Koch, in: Hüffer/​Koch, AktG, § 101 Rn. 2 m. w. N.



§ 1.  Offenlegungspflicht und Treuepflicht

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messensspielraum im öffentlichen Recht.53 Gewisse Probleme hat diese Sicht­ weise allerdings mit jenen Ausprägungen der Treuepflicht, die streng formuliert sind und dem Pflichtigen keinen Spielraum lassen, wie z. B. das Wettbewerbs­ verbot oder das Verbot der eigennützigen Verwendung von Geschäftschancen. Mann meint allerdings, dass solche Verbote die grundsätzliche Offenheit der Treuepflicht nicht in Frage stellten. Sie gälten nur bei „offenbaren“ Interessen­ konflikten, bei denen es nur eine zulässige Handlungsoption gebe, nämlich die Einhaltung des Verbots. Alles andere würde bedeuten, dass der Handelnde in seinem Entscheidungsprozess nicht mehr das Interesse des Treueberechtigten als Ziel ansetze. Daher sei das grundsätzlich vorhandene Ermessen des Pflich­ tigen auf null reduziert.54 Grundmanns Modell kritisiert Mann unter anderem für seine Verschlos­ senheit gegenüber den Interessen des Treuepflichtigen.55 Mann selbst unter­ scheidet danach, ob der Pflichtige im „fremden“ oder im „auch-fremden“ In­ teressenkreis handelt. Beim Handeln im fremden Interessenkreis, etwa bei der täglichen Geschäftsführung, werde vorrangig über die Rechtsposition ent­ schieden, die dem Treueberechtigten zugewiesen sei. Deswegen sei dessen In­ teresse allgemein und vorrangig maßgeblich. Bei der Tätigkeit im auch-frem­ den Interessenkreis werde neben der anvertrauten fremden Rechtsposition auch das eigene Vermögen des Treueverpflichteten betroffen, so dass dieser le­ diglich gehalten sei, das Interesse des Treueberechtigten besonders zu berück­ sichtigen. Dies gelte etwa für die Eigengeschäfte des Geschäftsleiters mit der Gesellschaft oder die Nachverhandlungen über seinen Anstellungsvertrag.56 Diese Abgrenzung hat allerdings mit demselben Problem zu kämpfen wie die anderen abstrakten Abgrenzungen auch: Konsequent durchgeführt, liefert sie manchmal praxisuntaugliche Ergebnisse. Mann sieht das Problem und ver­ sucht, sein Modell flexibler zu machen, indem er von fließenden Übergängen zwischen der Wahrnehmung fremder und eigener Interessen spricht. So sei bei der täglichen Geschäftsführung zwar grundsätzlich vorrangig das Interesse der Gesellschaft maßgeblich, der Geschäftsleiter dürfe aber bis zu einem ge­ wissen Punkt sein eigenes Interesse ansetzen, etwa die Entfaltung seiner Per­ sönlichkeit und die Wahrung seiner Gesundheit.57 Dabei entsteht ein Wider­ spruch, denn die tägliche Geschäftsführung gehört nach Mann zum „fremden“ Interessenkreis, in dem der Geschäftsleiter eigene Interessen eigentlich nicht berücksichtigen darf. Des Weiteren stellt sich die Frage, ob die „Fremdheit“ des Interessenkrei­ ses überhaupt ein taugliches Abgrenzungskriterium ist. Denn normalerweise 53 

Mann, Treuepflicht, S. 37 f., 39; ihm folgend Seibt, in: Scholz, GmbHG, § 14 Rn. 67. Mann, Treuepflicht, S. 40 ff. 55 Vgl. Mann, Treuepflicht, S. 32 f. 56  Mann, Treuepflicht, S. 43 f.; ähnlich Seibt, in: Scholz, GmbHG, § 14 Rn. 68. 57  Mann, Treuepflicht, S. 45. 54 

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entscheidet nicht die Bezeichnung „fremder“ oder „auch-fremder Interessen­ kreis“ darüber, ob die Verfolgung eigener Interessen zulässig ist. Es ist eher umgekehrt: Je nachdem, ob in einem bestimmten Bereich nur fremde, nur ei­ gene oder sowohl fremde als auch eigene Interessen gelten, spricht man vom fremden, eigenen oder auch-fremden Interessenkreis. Anschauliches Beispiel ist die Geschäftsführung ohne Auftrag: Dort liegt ein „fremdes Geschäft“ vor, wenn der Geschäftsführer ausschließlich im Interesse eines Dritten tätig wird; verfolgt er dagegen auch eigene Interessen, handelt es sich um ein sog. „auchfremdes Geschäft“. Die Unterscheidung zwischen „fremdem“ und „auchfremdem“ Interessenkreis kann also die vorgelagerte Frage, ob der Handelnde eigene Interessen verfolgt oder verfolgen darf, nicht entscheiden. Auch Mann scheint die Antwort nicht in dieser Unterscheidung, sondern darin zu suchen, wessen Vermögen betroffen ist: ausschließlich das Gesell­ schaftsvermögen („fremder Interessenkreis“) oder aber auch das eigene Ver­ mögen des Treuepflichtigen („auch-fremder Interessenkreis“ oder „hybride Situation“).58 Dieses Kriterium dürfte indes als Abgrenzung ebenso wenig ge­ eignet sein, denn es handelt sich bei kollidierenden Interessen des Treuepflich­ tigen nicht immer um Vermögensinteressen. Auch nicht vermögensrechtliche Interessen des Geschäftsleiters können, wie das Beispiel der täglichen Ge­ schäftsführung zeigt, das Interesse der Gesellschaft überwiegen, obwohl aus­ schließlich ihr Vermögen betroffen ist.59 Umgekehrt gibt es Situationen, in denen zwar auch das Vermögen des Geschäftsleiters betroffen ist, er aber den­ noch eigene Interessen komplett zurückstellen muss (etwa wegen eines Wett­ bewerbsverbots). Obwohl hier eine „hybride Situation“ vorliegt, beschränken sich die Pflichten des Geschäftsleiters nicht bloß darauf, das Interesse der Ge­ sellschaft mitzuberücksichtigen.

II.  Treuepflicht als Rechtsprinzip Letztendlich geben abstrakte, allgemein gültige Kriterien keine Antwort auf die Frage, wann und inwieweit die Treuepflicht dem Organmitglied die Ver­ folgung eigener Interessen erlaubt. Solche Kriterien erlauben zwar mancher­ orts eine Orientierung, können jedoch eine fallgruppenbezogene Abwägung der gegenläufigen Interessen nicht ersetzen. Vorzugswürdig ist daher das her­ kömmliche Konzept, das Einzelpflichten unterschiedlicher Struktur (mit und ohne Interessenabwägung) unter dem Dach der Treuepflicht zusammenführt. Der richtige Weg ist also nicht die Suche nach einer reinen, von allen „un­ passenden“ Einzelpflichten befreiten Treuepflicht, sondern die Anerkennung ihrer Vielschichtigkeit. Es bleibt allerdings die Frage, wie diese Vielschichtig­ 58 Siehe 59 Vgl.

Mann, Treuepflicht, S. 43 f. Mann, Treuepflicht, S. 43.



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keit dogmatisch erklärt werden kann. Hier macht Mann bereits einen Schritt in die richtige Richtung, indem er die Treuepflicht als offene Handlungsvor­ gabe versteht, die je nach der Situation entweder den Vorrang oder eine bloße Berücksichtigung fremder Interessen fordert, und zudem zwischen dieser ge­ nerellen Handlungsvorgabe und den konkreten, nicht mehr so „offenen“ Aus­ prägungen der Treuepflicht unterscheidet.60 Von da aus ist es nur ein weiterer Schritt, die Generalklausel der Treuepflicht nicht als Rechtssatz, sondern als Rechtsprinzip zu verstehen. Die Offenheit ist für Prinzipien geradezu charakteristisch. Und wenn Karsten Schmidt sagt, die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht sei keine Rechtsquelle oder Rechtnorm, sondern konkretisierungsbedürftige Generalklausel61, erinnert dies an Josef Essers Beschreibung von Rechtsprinzipien, wonach „ein Rechtsprinzip kein Rechtssatz, keine Rechtsnorm im technischen Sinne ist, solange es keine ver­ bindliche Weisung unmittelbarer Art für einen bestimmten Fragenbereich ent­ hält, sondern die judizielle oder legislative Ausprägung solcher Weisungen ver­ langt oder voraussetzt.“62 Esser trennt indes streng zwischen Prinzipien und Generalklauseln: Letztere seien trotz ihrer allgemeinen Formulierung keine Prinzipien, sondern Rechtssätze, weil sie Tatbestände hätten, an die sie eine bestimmte Weisung anknüpften. Ein Prinzip habe dagegen keinen bestimmten Anwendungsbereich und sei selbst keine Weisung, sondern nur Grund, Krite­ rium und Rechtfertigung der Weisung.63 Ist demnach die Treuepflicht eine echte Generalklausel (und somit ein Rechtssatz) oder doch nur ein Rechtsprinzip? Auf den ersten Blick scheint sie ein Rechtssatz zu sein. Sie hat einen, wenngleich weit gefassten Tatbestand („in allen Angelegenheiten, die das Interesse der Gesellschaft berühren  …“) und gibt auch eine Weisung („… dürfen Organmitglieder allein deren Wohl und nicht ihren eigenen Nutzen im Auge haben“). Bei näherem Hinsehen beginnt diese Rechtssatz-Fassade jedoch zu bröckeln: „In allen Angelegenheiten, die das Interesse der Gesellschaft berühren“ bedeutet auch im Privatbereich, denn auch privates Handeln des Organmitglieds kann das Gesellschaftsinteresse be­ einträchtigen. Platziert das Organmitglied etwa sein Privatvermögen in Steuer­ oasen, kann dies für das Image der Gesellschaft schädlich sein; pflegt es einen verschwenderischen Lebensstil, kann auch dies auf die Gesellschaft zurückfal­ len. Das Gleiche gilt für gefährliche Sportarten, Rauchen, übermäßiges Alko­ hol- oder Medikamentenkonsum sowie für bestimmte politische oder gesell­ schaftliche Aktivitäten. Das Gesellschaftsinteresse könnte von alldem tangiert sein, so dass der Tatbestand der Generalklausel erfüllt wäre. An sich müsste nun die Weisung lauten: Vorrang des Gesellschaftsinteresses! Dies wird aber 60 Siehe Mann, Treuepflicht, S. 46. 61 Vgl. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht,

§ 20 IV 1, S. 588. Esser, Grundsatz und Norm, S. 50. 63  Esser, Grundsatz und Norm, S. 51 f., 95 f. 62 

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nirgendwo vertreten; vielmehr wird die strenge Weisung in diesen Fällen abge­ schwächt. Dies ist nach Esser zwar auch bei Rechtsnormen möglich, aber nur dann, wenn die Norm auf der Rechtsfolgenseite ein Ermessen vorsieht, das von einem „Beamtenstab in nachprüfbarer Weise“ ausgeübt werden kann. Könne dagegen nur ein Richter die Rechtsfolge abändern, so handele es sich um ein Prinzip.64 Letzteres trifft auch auf die Treuepflicht zu: Sie enthält keinen Er­ messensspielraum, der von einem Beamten genutzt werden könnte. Die Fälle, in denen das Gesellschaftsinteresse keinen Vorrang vor den Interessen der Or­ ganperson hat, werden durch Literatur und Rechtsprechung, also letztendlich durch den Richter, festgelegt. Daher wäre die Treuepflicht nach Esser wohl ein Prinzip und kein Rechtssatz. Nach einer anderen Ansicht besteht bei Rechtssätzen gar keine Möglichkeit, ihre Weisung abzuändern. Vielmehr gelte bei Rechtssätzen und allgemein bei Regeln das Alles-oder-Nichts-Prinzip: Seien die Voraussetzungen einer Regel erfüllt, dann sei sie entweder gültig (ihre Weisung gilt) oder sie sei nicht gültig und träge zur Entscheidung nichts bei.65 Ronald Dworkin, der diese Ansicht vertritt, illustriert dies am Baseballspiel, in dem es eine Regel gibt, dass jemand, dem drei Schlagversuche misslungen sind, keinen weiteren Versuch mehr hat. Ein Schiedsrichter könne nicht einerseits anerkennen, dass dies eine vollstän­ dige Angabe einer Baseballregel sei, und zugleich entscheiden, dass ein Spieler, dem drei Versuche misslungen seien, doch noch einen weiteren Versuch unter­ nehmen dürfe.66 Sollte also die Treuepflicht eine Rechtsregel sein, so müsste ihre Rechtsfolge (Vorrang des Gesellschaftsinteresses) in allen Fällen gelten, in denen das Gesellschaftsinteresse berührt ist. Eine Abschwächung beim Ein­ griff in die Privatsphäre wäre gar nicht möglich. Dies ist genau der Weg, den Grundmann mit seiner Treuepflicht stricto sensu geht und der in eine Sackgas­ se führt. Die Treuepflicht muss also ein Rechtsprinzip sein! Die Einstufung als Rechtsprinzip kann erklären, warum die Treuepflicht Interessenabwägungen zulässt. Anders als Rechtsregeln legen Prinzipien keine rechtlichen Konsequenzen fest, die automatisch eintreten, wenn die fest­ gesetzten Bedingungen erfüllt sind. Dafür haben sie eine besondere Dimen­ sion, nämlich die „Dimension des Gewichts oder der Bedeutung“67. Kommt es zur Kollision unterschiedlicher Prinzipien, entscheidet ihr Gewicht, wel­ ches von ihnen die Oberhand gewinnt. Regeln haben dagegen kein Gewicht, so dass der Rechtsanwender bei einer Regelkollision keine Abwägung vorneh­ men kann, sondern entscheiden muss, welche Regel gültig ist und welche nicht. Dabei muss er auf Erwägungen zurückgreifen, die über die Regel selbst hi­ 64 Vgl. Esser, Grundsatz und Norm, S. 51. 65  Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen,

Kap. 2.3, S. 58; vgl. auch Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 76. 66  Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen, Kap. 2.3, S. 58 f. 67  Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen, Kap. 2.3, S. 62.



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nausgehen.68 Betrachtet man die Treuepflicht als Prinzip, öffnet sich die Mög­ lichkeit, dieses gegen gegenläufige Prinzipien (etwa Schutz der Privatsphäre) abzuwägen. Denn als Prinzip kann der Vorrang des Gesellschaftsinteresses keinen Anspruch auf vollständige Verwirklichung erheben. Es handelt sich vielmehr um ein Optimierungsgebot, dessen gebotene Erfüllung nicht nur von tatsächlichen, sondern auch von rechtlichen Möglichkeiten abhängt, die durch die gegenläufigen Regeln und Prinzipien bestimmt werden.69 Robert Alexy hat für das Verfassungsrecht festgestellt, dass eine solche Prin­ zipienabwägung zur Bildung von Rechtsregeln führt. Er geht davon aus, dass Grundrechtsnormen sowohl Regeln als auch Prinzipien beinhalten, so dass bei Grundrechtskonflikten unterschiedliche Prinzipien miteinander kollidie­ ren können. Bei ihrer Abwägung formuliere der Richter  – unter Bezug auf den Fall – Bedingungen, unter denen das eine Prinzip dem anderen vorgehe.70 „Als Ergebnis jeder richtigen grundrechtlichen Abwägung lässt sich eine zu­ geordnete Grundrechtsnorm mit Regelcharakter formulieren, unter die der Fall subsumiert werden kann.“71 Ein Beispiel sei die Regel, die bei der Lö­ sung des Konflikts zwischen der Pressefreiheit und der Privatsphäre des Tä­ ters im Lebach-Urteil des BVerfG72 gebildet wurde: Eine wiederholte, nicht mehr durch das aktuelle Informationsinteresse gedeckte Fernsehberichterstat­ tung über eine schwere Straftat, die die Resozialisierung des Täters gefährde, sei grundrechtlich verboten.73 Bei der Formulierung der einzelnen Ausprägungen der Treuepflicht ge­ schieht im Grunde genommen nichts anderes: Literatur und Rechtsprechung wägen zwischen den Belangen der Gesellschaft und den geschützten Interes­ sen der Organperson ab und formulieren anschließend eine Regel. Gewinnt das Persönlichkeitsrecht des Organmitglieds die Oberhand, so kann die Regel lauten: „Das Vorstandsmitglied ist nicht verpflichtet, zum Wohle der AG auf das Rauchen zu verzichten“74. Wiegen die kollidierenden Prinzipien (z. B. Ge­ sellschaftsinteresse, Persönlichkeitsrecht und Meinungsfreiheit) etwa gleich schwer, sind Kompromissregeln wie „das Vorstandsmitglied hat bei seinen pri­ vaten Äußerungen auf die Interessen der AG Rücksicht zu nehmen“75 möglich. Auch die Ausprägungen der Treuepflicht, bei denen scheinbar keine Abwä­ gung stattfindet, stellen Rechtsregeln dar, etwa das Verbot, die Geschäftschan­ 68 Vgl. Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen, Kap. 2.3, S. 61 f.; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 77 ff. 69 Vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 75 f. 70  Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 79 ff., 125. 71  Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 87. 72  BVerfGE 35, 202 – Lebach. 73  Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 86. 74  Zu dieser kaum umstrittenen Postulat etwa Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 239. 75 Vgl. Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 239.

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cen an sich zu ziehen, die dem Geschäftsleiter im Rahmen der Geschäftsfüh­ rung zur Kenntnis gekommen sind (unstreitig korporative Geschäftschancen). Rechtsregeln sind ferner weitere Verbote, die aus der Treuepflicht abgeleitet werden: das Wettbewerbsverbot, das Verbot, die Organstellung für sich aus­ zunutzen, sich die Gesellschaftsressourcen anzueignen oder Zuwendungen Dritter im Zusammenhang mit der Amtstätigkeit anzunehmen. De facto nimmt das Gesellschaftsrecht auch hier eine Interessenabwägung vor, nur wiegt das gegenläufige Prinzip (Rücksicht auf Vermögensinteressen des Organmitglieds) nicht besonders schwer, so dass das Ergebnis der Abwägung schnell feststeht und diese gar nicht mehr als solche wahrgenommen wird. Zusammenfassend lässt sich die Treuepflicht wie folgt beschreiben: Ihre Generalklausel (Vorrang des Gesellschaftsinteresses, soweit dieses betroffen wird) ist ein Rechtsprinzip, das mit anderen Prinzipien (Schutz der Privat­ sphäre, der Meinungsfreiheit, Rücksicht auf Vermögensinteressen der Organ­ mitglieder usw.) kollidieren kann. In diesem Fall entscheidet die Abwägung, welches Prinzip vorrangig ist. Das Ergebnis der Abwägung sind Rechtsregeln, unter anderem konkrete treuepflichtgestützte Verhaltensanforderungen an das Organmitglied (Einzelausprägungen der Treuepflicht), soweit sich die Treue­ pflicht in der Abwägung ganz oder teilweise durchsetzt. Abschließend ist noch auf die Frage einzugehen, ob es möglich wäre, die Generalklausel der Treuepflicht durch eine neue Formulierung zu einer Regel zu machen. Dworkin nimmt an, dass eine Regel beliebig durch Ausnahmen er­ gänzt werden könne, ohne dass sie ihren Regelcharakter verliere. Diese Aus­ nahmen müssen dann bei der Angabe der Regel ebenfalls angegeben werden; je mehr von den tatsächlich vorhandenen Ausnahmen aufgeführt würden, desto genauer oder vollständiger sei die Angabe der Regel. Eine vollständige Anga­ be eines Prinzips sei dagegen unmöglich, denn man könne nie alle zahllosen imaginären Fälle aufzählen, in denen das Prinzip nicht gelten würde.76 Auch vor diesem Hintergrund gleicht die Treuepflicht eher einem Prinzip als einer Regel, weil es kaum möglich ist, abschließend aufzuzählen, wann die Treue­ pflicht ausnahmsweise nicht greift. Denkbar wäre höchstens ein offener Aus­ nahmenkatalog, der einem Geständnis gleich käme, dass eine vollständige An­ gabe der „Regel“ unmöglich sei. So könnte man die Generalklausel wie folgt formulieren: „In allen Angelegenheiten, die das Interesse der Gesellschaft be­ rühren, dürfen Organmitglieder allein deren Wohl und nicht ihren eigenen Nutzen im Auge haben, außer wenn ihre geschützten Interessen im Einzel­ fall überwiegen.“ Damit verbindet man zwei gegenläufige Prinzipien in einem „Rechtssatz“, der dadurch seinen Rechtssatzcharakter faktisch verliert. Genau­ so wenig nutzt es, beim Tatbestand anzusetzen: „In allen Angelegenheiten, die das Interesse der Gesellschaft berühren, dürfen Organmitglieder allein deren 76 

Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen, Kap. 2.3, S. 59 f.



§ 2.  Offenlegungspflicht und Persönlichkeitsrecht

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Wohl und nicht ihren eigenen Nutzen im Auge haben, außer wenn ihre Privat­ sphäre betroffen ist.“ In beiden Fällen wird bloß die Interessenabwägung, die bei der Bildung von Fallgruppen der Treuepflicht erfolgt, in die Generalklausel verlagert; gewonnen ist dadurch nichts außer der Tatsache, dass die General­ klausel dann wie eine Rechtsregel aussieht.77

III. Fazit Als Rechtsprinzip, das der Abwägung zugänglich ist, kann die Treuepflicht auch die Offenlegungspflichten der Organmitglieder umfassen. Sonst wäre dies problematisch, weil zumindest einige organschaftliche Offenlegungs­ pflichten eine Interessenabwägung erfordern; würde die Treuepflicht keine Abwägung zulassen, müsste für diese Pflichten eine andere dogmatische Ab­ leitungsbasis gesucht werden. Dieses Problem stellt sich nicht, wenn man die Treuepflicht als Rechtsprinzip versteht. Dass die organschaftlichen Offenle­ gungspflichten der Treuepflicht zugeordnet werden können, bedeutet indes nicht, dass sie ihr zwingend zuzuordnen sind. Je nach Art der konkreten Of­ fenlegungspflicht sind auch andere Möglichkeiten denkbar. So wird die Of­ fenlegungspflicht der Geschäftsleiter bei einem Management-Buy-out, wie bereits erwähnt, größtenteils aus der culpa in contrahendo abgeleitet. Dieses schuldrechtliche Institut kann übrigens bei allen Arten von Vertragsverhand­ lungen zwischen Gesellschaft und Organmitglied zur Anwendung kommen, also auch bei Anstellungs-, Vergleichs- oder Abfindungsverhandlungen. Et­ waige Offenlegungspflichten des Organmitglieds stellen dann Aufklärungs­ pflichten i. S. d. § 241 Abs. 2 BGB dar und sind Teil der zivilrechtlichen Rück­ sichtnahmepflicht. Manche organschaftliche Offenlegungspflichten haben weder einen zivil- noch einen gesellschaftsrechtlichen Hintergrund, son­ dern folgen aus dem Kapitalmarktrecht wie die Meldepflicht bei Directors’ ­Dealings.

§ 2.  Offenlegungspflicht und Persönlichkeitsrecht Die organschaftliche Treuepflicht strahlt zwar in den Privatbereich aus, kolli­ diert dort aber mit dem Recht der Organmitglieder auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit und auf eine gewisse Privatsphäre.78 Ähnliches gilt für die or­ 77 Vgl. Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen, Kap. 2.3, S. 64 f., wonach unbestimmte Tatbestandsmerkmale wie „unbegründet“ dazu führen, dass zwar „logisch“ eine Regel, „in Wirklichkeit“ aber ein Prinzip vorliegt. Dworkin schwächt allerdings diese These selbst da­ durch ab, dass er direkt im Anschluss von einer Regel spricht, die durch ihre Unbestimmt­ heit einem Prinzip ähnlich sei, aber sich doch nicht ganz in ein solches verwandele. 78 Vgl. Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 235.

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ganschaftlichen Offenlegungspflichten, jedenfalls wenn sie persönliche In­ formationen umfassen. Die Offenlegung solcher Informationen steht zum Persönlichkeitsrecht in einem ähnlichen Spannungsverhältnis wie die Treue­ pflicht, was wiederum die Nähe zwischen den beiden Pflichten zeigt. Der Un­ terschied liegt lediglich darin, dass die Treuepflicht Berufliches in die Privat­ sphäre transportiert, während die Offenlegungspflicht umgekehrt Privates in die Berufssphäre trägt; in beiden Fällen verschwindet jedoch die Grenze zwi­ schen den beiden Sphären.

I.  Privatsphäre, Freiheit und soziale Rollen Warum ist die Trennung zwischen beruflicher und privater Sphäre so wich­ tig, und zwar auch bei Organpersonen? Sollen nicht wenigstens Geschäftsleiter angesichts der Wichtigkeit ihrer Aufgaben „immer im Dienst“79 sein? Bei der Suche nach einer Antwort hilft zunächst die Rollentheorie, die von den USamerikanischen Soziologen Ralph Linton und Talcott Parsons entwickelt wur­ de.80 Danach spielt jeder Mensch im Alltag unterschiedliche soziale Rollen, die jeweils mit bestimmten Erwartungen, Werten und Handlungsmustern ver­ bunden sind. Eine Organperson kann im privaten Bereich als Ehepartner, Mut­ ter oder Vater, Vereinsmitglied usw. gefordert sein, während sie beruflich die Rolle eines „ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters“ (§ 93 AktG), eines „ordentlichen Aufsichtsratsmitglieds“ (§§ 116, 93 AktG) oder eines „or­ dentlichen Geschäftsmannes“ (§ 43 GmbHG) auszufüllen hat.81 Moderne Sozialsysteme sind komplex: Anders als in primitiven archaischen Gesellschaften muss der Einzelne gleichzeitig mehrere soziale Rollen spielen, die das Sozialsystem an ihn heranträgt. Diese Aufgabe kann er nur bewältigen, wenn er die einzelnen Rollen trennt, also in keiner von ihnen als Persönlichkeit vollständig aufgeht.82 Er darf also als Rollenträger nicht allzu persönlich auf­ treten; vielmehr muss er gewisse Teile seiner Persönlichkeit aus dem Rollenbild ausschließen.83 Muss er etwa in der Öffentlichkeit die Rolle einer Führungs­ 79  Dass

der Geschäftsleiter „immer im Dienst“ sei, wird manchmal im Zusammenhang mit den Geschäftschancen betont, die ihm privat zur Kenntnis gekommen sind, siehe etwa U. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 43 Rn. 205; Schnorbus, in: Rowedder/​Schmidt-Leit­ hoff, GmbHG, § 43 Rn. 63. 80 Siehe Linton, The Study of man, 1936; Parsons, The social system, 1951. Im deutschen Diskurs wird dieser Theorie teilweise geringe Bedeutung beigemessen, vgl. Abels, Nach­ wort, in: Ralf Dahrendorf, Homo Soziologicus, S. 158, der allerdings die Rezeption der Rol­ lentheorie bei Niklas Luhmann nicht erwähnt. 81  Ähnlich bereits Lutter, FS Coing, S. 565, 576 in seinem Beitrag „Rolle und Recht“. 82  Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 50 f.; zur Wichtigkeit der Rollentrennung ders., Funktionen und Folgen formaler Organisation, S. 67, 289; zur Rollenkonflikten im Gesellschaftsrecht Lutter, FS Coing, S. 565, 567 ff. 83  Luhmann, Grundrechte als Institution, S.  50 f.; Tiedemann, Menschenwürde als Rechtsbegriff, S. 391.



§ 2.  Offenlegungspflicht und Persönlichkeitsrecht

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persönlichkeit spielen, so ist er gehalten, die Gefühle der Angst, der Verzagt­ heit oder der Unsicherheit von den anderen zu verbergen.84 Eine solche selek­ tive Selbstdarstellung und die „Entpersönlichung“ des öffentlichen Auftretens sind vom Sozialsystem auch gewollt, denn „[e]ine Sozialordnung, welche die individuelle Persönlichkeit strukturell strapaziert, muß sie zugleich entlasten, indem sie ihre Anforderungen begrenzt.“85 Die eigenbestimmte Selbstdarstellung ist nur insoweit möglich, als der Ein­ zelne selbst entscheiden kann, welche Persönlichkeitsanteile er in seine jewei­ lige Rolle integriert und welche nicht.86 Dies setzt wiederum voraus, dass ihm eine gewisse Freiheit zugestanden wird. Allerdings ist „Freiheit“ ein schillern­ der Begriff, der teilweise sehr unterschiedlich verstanden wird. Niklas Luhmann z. B. betont den Zurechnungsaspekt der Freiheit, also das Gebot, dass der Person nur ihr freies Handeln als eigenes zuzurechnen sei. Standardisier­ tes, rollenmäßiges Verhalten sei dagegen unfrei und daher aus sozialpsycho­ logischer Sicht nicht zurechenbar.87 Selbstdarstellung setzte „Freiheit von of­ fensichtlichem Zwang und Freiheit von genau durchgezeichneten sozialen Erwartungen voraus“88 . Nur in Freiheit und mit Würde könne der Mensch eine generalisierte Einstellung zu sich selbst entwickeln, die er dann seiner Selbstdarstellung zugrunde lege; dies sei nur dort möglich, wo der Staat den Frieden garantiere.89 Weiter ist das Verständnis der Freiheit bei denen, die an die Soziologie auch moralische Ansprüche stellen. Dazu gehört etwa der Autor des bekannten Es­ says „Homo Sociologicus“90 Ralf Dahrendorf, der Freiheit nicht bloß als „Frei­ heit von offensichtlichem Zwang“, sondern als Unabhängigkeit des Einzelnen von der öffentlichen Kontrolle begreift. Dahrendorf erblickt diese Kontrolle in sozialen Positionen, die er kritisch als „ein Danaergeschenk der Gesellschaft an den Einzelnen“91 bezeichnet. Seiner Meinung nach ist die Sozialisierung eine Gefahr für die persönliche Freiheit: „Für Gesellschaft und Soziologie ist der Prozeß der Sozialisierung stets ein Prozess der Entpersönlichung, in dem die absolute Individualität und Freiheit des Einzelnen in der Kontrolle und All­ gemeinheit sozialer Rollen aufgehoben wird.“92 Dabei betont Dahrendorf, dass 84 

Tiedemann, Menschenwürde als Rechtsbegriff, S. 391. Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 51; vgl. auch ders., Funktionen und Folgen formaler Organisation, S. 289. 86 Vgl. Tiedemann, Menschenwürde als Rechtsbegriff, S. 391. 87  Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 63 f., 65 f. 88  Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 66. 89  Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 70 f., wobei er auch „Würde“ kommunika­ tionsbezogen versteht: Diese sei das Ergebnis der Selbstdarstellungsleistungen und sozialer Kooperation (und daher keinesfalls „unantastbar“), a. a. O., S. 68 f. 90  Erstauflage 1959. 91  Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 56. 92  Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 58. 85 

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das Individuum mehr als die Summe seiner sozialen Rollen sei und es einen rollenfreien Lebensbereich gebe, in dem der Mensch als freies, ganzheitliches Wesen auftrete.93 Er stützt sich insoweit auf die Philosophie Immanuel Kants, insbesondere auf dessen „Kritik der reinen Vernunft“.94 Tatsächlich meint Kant dort, dass jedes Subjekt der Sinneswelt zwei Cha­ raktere hat: einen empirischen und einen intelligiblen. Der empirische Cha­ rakter bestehe aus Handlungen, die nach außen in Erscheinung träten (Ding in der Erscheinung), der intelligible Charakter sei dagegen die Ursache die­ ser Handlungen und selbst der Erfahrung nicht zugänglich (Ding an sich selbst). Die Folge dieser Unterscheidung ist, dass der empirische Charakter als Erscheinung mit anderen Erscheinungen der Sinneswelt im Zusammen­ hang stehe und daher den Naturgesetzen unterworfen sei, während der in­ telligible Charakter von jedem Einfluss der Sinnlichkeit und Bestimmung durch Erscheinungen frei sei.95 Dies gilt nach Kant auch für den Menschen, der einerseits einen empirischen (Willkür), andererseits aber auch einen intel­ ligiblen Charakter (Vernunft) habe, der nicht beobachtet werden könne und keinen empirischen Gesetzen, insbesondere keinen Zeitgesetzen unterliege.96 Aus empirischer Sicht sei jede menschliche Handlung durch empirische Ur­ sachen (und sei es eine schlechte Erziehung97) vorgegeben. Betrachtet man dagegen den intelligiblen Charakter, so „gilt kein V o r h e r, oder N a c h h e r, und jede Handlung […] ist die unmittelbare Wirkung des intelligibelen Cha­ rakters der reinen Vernunft, welche mithin frei handelt, ohne in der Kette der Naturursachen, durch äußere oder innere, aber der Zeit nach vorher­ gehende Gründe, dynamisch bestimmt zu sein […]“98 . Den Konflikt zwi­ schen Willkür und Vernunft löst Kant bekanntlich zugunsten der Letzteren auf, indem er alle Handlungen des Menschen seinem intelligiblen Charak­ ter zurechnet und ihn somit für ein freies und verantwortliches Wesen hält, denn „ungeachtet aller empirischen Bedingungen der Tat“ sei die Vernunft stets „völlig frei“99. Dahrendorf zieht daraus Parallelen für die Soziologie, indem er vom „dop­ pelten Menschen“ spricht: dem Menschen als Inbegriff seiner sozialen Rollen („homo sociologicus“) und dem ungeteilten, freien Individuum, der soziologi­ scher Forschung nicht zugänglich sei.100 Anders als Kant versteht aber Dahrendorf die Freiheit nicht als Unabhängigkeit von den Naturgesetzen, sondern 93  Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 85. 94 Siehe Dahrendorf, Homo Sociologicus,

S. 81 ff. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 625 ff. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 631 ff., 634 ff. 97  Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 638. 98  Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 637 (Hervorhebung im Original). 99  Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 639. 100  Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 84 f. 95  96 



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als Unabhängigkeit vom Rollenzwang: „Das Problem der Freiheit des Men­ schen als gesellschaftlichem Wesen ist ein Problem des Gleichgewichts zwi­ schen rollenbestimmtem Verhalten und Autonomie […]“101. Eine vermittelnde Position zwischen den Ansichten von Dahrendorf und Luhmann nimmt Paul Tiedemann ein. Er argumentiert, dass niemand gleich­ zeitig eine Rolle spielen und seine verborgenen Persönlichkeitsanteile leben könne. Diese seien jedoch für Authentizität und Identität einer Person unver­ zichtbar. Wenn ein Mensch dauerhaft unter öffentlicher Beobachtung stehe und deshalb ständig öffentliche Rollen spielen müsse, werde er von seinen ver­ borgenen Persönlichkeitsanteilen abgeschnitten und sich selbst entfremdet. Er verliere das Gefühl für seine eigene Identität und könne sich nur noch so selbst wahrnehmen, wie er durch die anderen wahrgenommen werde. Dies sei ein menschenunwürdiger Zustand, der nur durch die Achtung der Privatsphäre vermieden werden könne. Deshalb müsse es jeder Person möglich sein, sich ins Private zurückzuziehen, wo sie ihre verborgenen Persönlichkeitsanteile leben und zu sich selbst finden könne.102 Diese Dichotomie zwischen dem Menschen als sozialem und privatem Wesen ist auch für das deutsche Verfassungsrecht grundlegend. Dort wird be­ tont, dass die Differenz zwischen Privatheit und Öffentlichkeit für die mo­ derne Freiheitsidee konstitutiv sei.103 Möglichkeit und reales Vorhandensein einer abgeschirmten Persönlichkeitssphäre werden als unabdingbare Voraus­ setzung für die freie Entfaltung des Menschen in der Gesellschaft unabhängig vom Staat und von Dritten angesehen.104 Denn „[m]an kann seine Individua­ lität nur entfalten in einem Bereich der Ruhe und Abgeschlossenheit, in dem man vor der Neugier der Mitmenschen abgeschirmt ist und sein Leben nach ei­ genen Wünschen zu gestalten vermag.“105 Damit ist die Brücke von der Sozio­ logie zum Verfassungsrecht geschlagen.

II.  Allgemeines Persönlichkeitsrecht Privatsphäre ist vor Informationseingriffen, unter anderem vor Eingriffen in Form von Offenlegungspflichten, grundrechtlich geschützt. Im Grundgesetz kommt vor allem dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht die Aufgabe zu, die Distanz zwischen der organisierten Gesellschaft und dem eigenwilligen Ein­ zelnen zu wahren.106 Dabei hat das allgemeine Persönlichkeitsrecht mit der 101 

Dahrendorf, Homo Sociologicus, S. 43. Rechtsbegriff, S. 392. GG, Art. 2 Rn. 127. 104 So Di Fabio, in: Maunz/​Dürig, GG, Art. 2 Rn. 129. 105  Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 320; vgl. auch Rosenschon, Der Schutz der Privatsphäre im Arbeitsverhältnis, S. 13. 106 Vgl. Di Fabio, in: Maunz/​Dürig, GG, Art. 2 Rn. 127. 102  Tiedemann, Menschenwürde als 103 Vgl. Di Fabio, in: Maunz/​Dürig,

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organschaftlichen Treuepflicht mehr gemeinsam, als es auf den ersten Blick scheint. Genauso wie die Treuepflicht ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht gesetzlich nicht kodifiziert: Art. 2 GG spricht lediglich vom Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit, was nicht dasselbe ist. Nichtsdestotrotz hat das BVerfG im Anschluss an die Rechtsprechung des BGH zum zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrecht107 ein entsprechendes Recht vom Verfas­ sungsrang anerkannt.108 Dogmatisch wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht auf Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gestützt. Dadurch werden seine Bezüge zur allgemei­ nen Handlungsfreiheit und zur Menschenwürde deutlich: „Es hat seine Wur­ zeln in Art. 2 Abs. 1, weil es wie die allgemeine Handlungsfreiheit nicht auf bestimmte Lebensbereiche begrenzt ist, sondern in allen Lebensbereichen re­ levant wird. Es hat eine Verbindung zu Art. 1 Abs. 1, weil es den Einzelnen we­ niger in seinem Verhalten als in seiner Qualität als autonomes Subjekt betrifft. Die Freiheit, die das Grundgesetz schützt, ist nicht bloße Willkürfreiheit, son­ dern Autonomie im Sinn der Fähigkeit, vor dem Hintergrund eines Selbst­ entwurfs begründete Entscheidungen treffen zu können.“109 Das dogmatische Gewicht liegt dabei auf Art. 2 Abs. 1 GG, der die Grundlage für das subjekti­ ve Recht bildet, während sich Art. 1 Abs. 1 GG mit der Rolle einer Interpreta­ tionsrichtlinie begnügen muss.110 Der Bezug zur Menschenwürde führt aller­ dings dazu, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht einen stärkeren Schutz genießt als die allgemeine Handlungsfreiheit; die Eingriffe sind besonders rechtfertigungsbedürftig.111 Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen der Treuepflicht und dem allgemei­ nen Persönlichkeitsrecht besteht darin, dass auch das Letztere generalklausel­ artig formuliert ist und daher durch Fallgruppenbildung konkretisiert wird.112 Im hiesigen Zusammenhang sind nur einige dieser Fallgruppen von Bedeu­ 107  BGH, Urt. v. 25.5.1954 – I ZR 211/53, BGHZ 13, 334, 337 f. – Leserbrief; v. 2.4.1957 – VI ZR 9/56, BGHZ 24, 72, 81 – Krankenpapiere; v. 20.5.1958 – VI ZR 104/57, BGHZ 27, 284, 287 – Heimliche Tonbandaufnahme. Vom BVerfG wurde das zivilrechtliche allgemeine Per­ sönlichkeitsrecht ausdrücklich gebilligt, siehe BVerfGE 34, 238 – Heimliche Tonbandaufnahme; 34, 269 – Soraya. 108  BVerfGE 27, 1, 6 – Mikrozensus; 35, 202, 220 – Lebach; 54, 148, 153 – Eppler; Murswiek/​Rixen, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 60; zum Unterschied zwischen zivilrechtlichem und verfassungsrechtlichem allgemeinem Persönlichkeitsrecht siehe Baston-Vogt, Das zivil­ rechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht, S. 122 ff. 109  Kingreen/​Poscher, Grundrechte, Rn. 441. 110 Vgl. Di Fabio, in: Maunz/​Dürig, GG, Art. 2 Rn. 128; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 2 I Rn. 69; Lang, in: BeckOK GG, Art. 2 Rn. 33; Starck, in: v. Mangoldt/​K lein/​Starck, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 89. 111  Di Fabio, in: Maunz/​Dürig, GG, Art. 2 Rn. 131. 112  Di Fabio, in: Maunz/​ Dürig, GG, Art. 2 Rn. 148; Lang, in: BeckOK GG, Art. 2 Rn. 31; Murswiek/​Rixen, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 65 ff.; Rosenschon, Der Schutz der Pri­ vatsphäre im Arbeitsverhältnis, S. 52 ff.



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tung, nämlich der Schutz der Privatsphäre, die Selbstdarstellung des Einzelnen in der Öffentlichkeit und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Die Privatsphäre umfasst den engeren persönlichen Lebensbereich und schützt „einen Raum, in dem der Einzelne unbeobachtet sich selbst überlassen ist oder mit Personen seines besonderen Vertrauens ohne Rücksicht auf gesellschaftli­ che Verhaltenserwartungen und ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen ver­ kehren kann“.113 Erfasst sind Angelegenheiten, die typischerweise als „pri­ vat“ gelten, insbesondere weil ihre öffentliche Erörterung für den Betroffenen peinlich oder nachteilig wäre.114 Dazu gehören z. B. Informationen über die Sexualität115, insbesondere über das eigene Sexualleben116 , über die Eheschei­ dung117, über die Drogensucht118 , über Krankheiten oder Gesundheitszustand im Allgemeinen.119 Das Gleiche gilt für die Ergebnisse medizinischer, psycho­ logischer oder genetischer Untersuchungen.120 Werden Organmitglieder ver­ pflichtet, solche Informationen im Interesse der Gesellschaft offenzulegen, ist ihre Privatsphäre betroffen. Zugleich greift der Selbstdarstellungsschutz, der besagt, dass Informatio­ nen, die sich auf die Privatsphäre beziehen, grundsätzlich nicht der Öffent­ lichkeit preisgegeben werden dürfen.121 Wie wichtig die Selbstdarstellung für die individuelle Freiheit und das soziale Leben ist, wurde oben im Zusammen­ hang mit sozialen Rollen bereits erörtert. Daher garantiert die Verfassung dem Einzelnen das Recht, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen er persönliche Sachverhalte offenbaren will.122 Mitbetroffen ist auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das das BVerfG in seinem Volkszählungsurteil123 aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ab­ geleitet hat. Dieses Recht wird zwar vor allem im Zusammenhang mit der au­ tomatischen Datenverarbeitung relevant, beschränkt sich jedoch nicht darauf, sondern beinhaltet generell „die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und gegenüber wem er zu welchem Zweck Lebenssach­ 113 BVerfGE 90, 255, 260  – Briefüberwachung in einer JVA; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 2 I Rn. 71; Lang, in: BeckOK GG, Art. 2 Rn. 41. 114  BVerfGE 101, 361, 385 f. – Caroline von Monaco II; Murswiek/​R ixen, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 69. 115  BVerfGE 47, 46, 73 f. – Sexualkundeunterricht. 116  BVerfGE 96, 56, 64 ff. – Vaterschaftsauskunft. 117 BVerfGE 27, 344, 351 f. – Scheidungsakte; 34, 205, 208 f. 118  BVerfGE 44, 353, 372 ff. – Beratungsstelle für Suchtkranke. 119  BVerfGE 32, 373, 379 f.  – Ärztekartei; 89, 69, 83 f.  – Cannabis; 119, 1, 34 f.  – Esra; BGHZ 24, 72, 81 – Krankenpapiere. 120 Vgl. Di Fabio, in: Maunz/​Dürig, GG, Art. 2 Rn. 158. 121  Murswiek/​R ixen, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 71. 122  Vgl. BVerfGE 65, 1, 42 – Volkszählung; 80, 367, 373 – Verwertung tagebuchartiger Aufzeichnungen; 85, 219, 224; 96, 171, 181 – Stasi-Fragen; Di Fabio, in: Maunz/​Dürig, GG, Art. 2 Rn. 166 f. 123  BVerfGE 65, 1, 43 ff. – Volkszählung.

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verhalte im allgemeinen und personenbezogene Daten im besonderen offen­ bart“.124 Manchmal wird es als die „interpretatorische Fortschreibung“125 des Selbstdarstellungsschutzes bezeichnet. Zum Recht auf informationelle Selbst­ bestimmung gehört nach Ansicht des BVerfG auch der Schutz vor Selbstbelas­ tung (Nemo-tenetur-Grundsatz)126 , der insbesondere im Zusammenhang mit der Offenlegung eigenen Fehlverhaltens der Organmitglieder relevant werden kann. Die Pflicht der Organmitglieder zur Offenlegung persönlicher Informa­ tionen berührt also das allgemeine Persönlichkeitsrecht an der Schnittstelle zwischen dem Schutz der Privatsphäre, der Selbstdarstellung und der infor­ mationellen Selbstbestimmung. Alternativ ist es möglich, nur das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als betroffen anzusehen, wenn man dieses im Sinne eines umfassenden Schutzes gegen Informationseingriffe in den per­ sönlichen Bereich versteht.127 In diesem Fall steht das Recht auf informationel­ le Selbstbestimmung stellvertretend für den Schutz der Privatsphäre und der Selbstdarstellung, sofern es um Informationseingriffe geht.

III.  Art der Grundrechtsprüfung Eine Pflicht zur Offenlegung persönlicher Informationen tangiert also das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Organmitglieder. Dies gilt unabhängig davon, ob eine solche Pflicht im Gesetz ausdrücklich verankert ist (vgl. Art. 19 Abs. 1 MAR) oder aus diesem im Wege der Auslegung oder der Rechtsfort­ bildung abgeleitet wird. Die Grundrechtsbeeinträchtigung ist dabei stets ent­ weder dem Gesetzgeber oder dem Richter zuzuordnen, und zwar dem Zi­ vilgesetzgeber oder -richter.128 Die Beeinträchtigung hat zur Folge, dass die Auferlegung solcher Offenlegungspflichten mit einer Grundrechtsprüfung einhergehen muss. Die Frage ist, wie sich diese Prüfung gestaltet.

124 

lung.

125 

Dreier, in: Dreier, GG, Art. 2 I Rn. 79; grundlegend BVerfGE 65, 1, 43 – Volkszäh-

Di Fabio, in: Maunz/​Dürig, GG, Art. 2 Rn. 173. BVerfGE 96, 171, 181 – Stasi-Fragen; Di Fabio, in: Maunz/​Dürig, GG, Art. 2 Rn. 187. So etwa Murswiek/​Rixen, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 73. 128  Die Offenlegungspflicht nach Art. 19 MAR stellt insofern ein besonderes Problem dar: Erstens ist sie dem EU‑Gesetzgeber zuzurechnen mit der Folge, dass die EU‑Grund­ rechte und die europäische Grundrechtsdogmatik maßgeblich sind, zweitens ist es schwie­ rig zu beurteilen, ob Art. 19 MAR dem privaten oder dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist (allgemein zu diesem Problem Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, § 1 IV Rn. 46 ff.). Ich be­ schränke mich hier auf die Ausführungen zum nationalen Verfassungsrecht und kehre zur europarechtlichen Problematik im Kapitel 3 (Offenlegungspflicht bei Krankheiten) zu­ rück. 126  127 



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1.  Drittwirkungslehre: Verhältnismäßigkeit oder Angemessenheit? a) Allgemeines Die erste Anlaufstelle ist die (noch) herrschende Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht. Sie wurde seinerzeit von Günter Dürig129 als Reaktion auf Carl Nipperdeys Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung130 entwickelt. Dürig meinte, aus dem Umstand, dass die Zivil­ rechtsprechung als hoheitliche Tätigkeit die Grundrechte zu beachten habe, folge nicht, dass auch das materielle Zivilrecht grundrechtsgebunden sei. Ihre genuine Abwehrwirkung entfalteten die Grundrechte nur gegen staatliche Eingriffe; erfolge der Eingriff dagegen von privater Seite, so sei diese Wirkung abgeschwächt. Die normativen Mittel zur Abwehr solcher Eingriffe stelle der Staat in Erfüllung seines Schutzauftrags bereit: Dies seien die wertausfüllungs­ fähigen und -bedürftigen Generalklauseln des Privatrechts.131 Mithilfe dieser These wollte Dürig die Zivilrechtsanwendung nach eigenen Worten zwischen Scylla (der Ansicht von der völligen Grundrechtsfreiheit des Privatrechts) und Charybdis (der Lehre Nipperdeys) hindurchführen.132 Neuerdings ist jedoch eine gewisse Rückkehr zur Lehre von der unmittel­ baren Drittwirkung zu beobachten, weil das BVerfG in einigen Entscheidun­ gen eine staatsgleiche Bindung Privater bejaht. Als Begründung dient aller­ dings nach wie vor die Lehre von der mittelbaren Drittwirkung. So wird im Fraport-Urteil obiter dictum ausgeführt, dass die mittelbare Grundrechts­ bindung Privater „je nach Gewährleistungsinhalt und Fallgestaltung“ einer Grundrechtsbindung des Staates nahe- oder sogar gleichkommen könne.133 Eine derart starke mittelbare Grundrechtsbindung komme vor allem dann in Betracht, wenn sie dem Schutz öffentlicher Kommunikation diene und priva­ te Unternehmen schon die Rahmenbedingungen dieser Kommunikation be­ reitstellten.134 Im Bierdosen-Flashmob-Beschluss hat das BVerfG sodann die Frage aufgeworfen, ob diese staatsgleiche Grundrechtsbindung alle Priva­ ten trifft, die „einen öffentlichen Verkehr eröffnen und damit Orte der all­ gemeinen Kommunikation schaffen“135. Im Ergebnis hat das Gericht diese Frage jedoch offen gelassen. Im Beschluss zum Stadionverbot entschied das 129 Grundlegend

Dürig, FS Nawiasky, S. 157 ff. Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht, S. 13 ff., 20 ff. und ders., FS Molitor, S. 17, 24; ihm folgend BAG in zahlreichen Entscheidungen, etwa BAG, Urt. v. 3.12.1954 – 1 AZR 150/54, BAGE 1, 185, 193; v. 29.6.1962 – 1 AZR 343/61, BAGE 13, 168, 174 ff.; v. 28.9.1972 – 2 AZR 469/71, BAGE 24, 438, 441. 131  Dürig, FS Nawiasky, S. 157 und 176 ff. 132  Dürig, DÖV 1958, 194, 195. 133  BVerfGE 128, 226, 249 = NJW 2011, 1201, 1204 – Fraport; so auch BVerfG NJW 2015, 2485 f. – Bierdosen-Flashmob. 134  BVerfGE 128, 226, 249 – Fraport. 135 BVerfG NJW 2015, 2485, 2486 – Bierdosen-Flashmob. 130 

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BVerfG nun, dass ein Fußball-Bundesliga-Verein an das Gleichheitsrecht aus  Art. 3  Abs. 1  GG gebunden sei, wenn er für einen randalierenden Fuß­ ballfan ein bundesweites Stadionverbot ausspreche: Auch dieses Grundrecht entfalte „mittelbare Drittwirkung“, wenn ein Privater mittels seines Haus­ rechts eine Person von Veranstaltungen ausschließe, die einem großen Publi­ kum ohne Ansehen der Person geöffnet seien, sofern der Ausschluss für den Betroffenen in erheblichem Umfang über die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben entscheide.136 Der Ausschluss bedürfe dann eines sachlichen Grundes, wobei auch gewisse Verfahrensregeln, insbesondere die Anhörung des Betrof­ fenen, einzuhalten seien.137 Im Schrifttum wird diese Entscheidungsreihe als eine stillschweigende par­ tielle Abkehr von der Drittwirkungslehre bewertet: Das BVerfG spreche zwar nach wie vor von mittelbarer Drittwirkung, gehe aber in bestimmten Situa­ tionen von einer unmittelbaren, staatsgleichen Grundrechtsbindung Privater aus.138 Die Voraussetzungen einer solchen Bindung (Privater, der anderen Pri­ vaten den Zugang zu der öffentlichen Kommunikation oder einer öffentlichen Veranstaltung gewährt, die eine besondere Bedeutung für das gesellschaftliche Leben hat) sind noch sehr unscharf.139 Die Entwicklung einer Lehre von der „situativ staatsgleichen Grundrechtsbindung Privater“140 befindet sich noch im Fluss, was auch die Diskussion über die unmittelbare Geltung der Grund­ rechte für Unternehmen wie Facebook141 oder SCHUFA142 zeigt. Im Verhältnis zwischen der Gesellschaft und ihrem Organmitglied dürf­ ten jedoch unmittelbare Grundrechtsbindungen auch nach der neuen BVerfG‑Rechtsprechung ausscheiden, denn es geht hier nicht um den Zugang zu der öffentlichen Kommunikation oder einer öffentlichen Veranstaltung, die eine besondere Bedeutung für das gesellschaftliche Leben hat. Vielmehr han­ delt es sich um internes Verhältnis zwischen dem Dienstverpflichteten (dem Organmitglied) und dem Dienstherrn (der Gesellschaft). Daher bleibt man im Rahmen der traditionellen Drittwirkungslehre mit ihrem Postulat, dass die Grundrechte im Privatrecht nicht unmittelbar als Eingriffsverbote, sondern nur mittelbar als objektive Wertentscheidungen gelten. Ihre Wirkung entfal­ ten sie durch das Medium privatrechtlicher Vorschriften, deren Auslegung und 136 BVerfG,

NJW 2018, 1667, Ls. 2 und Rn. 41 – Stadionverbot. Vgl. BVerfG, NJW 2018, 1667, Rn. 41 ff. – Stadionverbot. Hellgardt, JZ 2018, 901, 909; Michl, JZ 2018, 910, 911 ff.; Einordnung als mittelbare Drittwirkung dagegen bei Jarass, in: Jarass/​Pieroth, GG, Art. 1 Rn. 57. 139  So zu Recht Hellgardt, JZ 2018, 901, 909. 140  So der Titel des Aufsatzes von Michl, JZ 2018, 910. 141  Dazu monografisch Knebel, Die Drittwirkung der Grundrechte, S. 67, 109, 180 ff. 142  Mit Urteil v. 28.1.2014 – VI ZR 156/13, BGHZ 200, 38 hat der BGH die Pflicht der Wirtschaftsauskunftei SCHUFA abgelehnt, Auskunft über ihre Scoreformel zu geben. Die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil ist beim 1. Senat des BVerfG unter dem Az. 1 BvR 756/14 anhängig. 137  138 



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Anwendung sie beeinflussen und auf diese Weise auf das Privatrecht ausstrah­ len.143 Nach der Rechtsprechung des BVerfG gilt die Drittwirkungslehre nicht nur für private Akteure, sondern auch für den Zivilrichter. Dieser sei gemäß Art. 1 Abs. 3 GG in dem Sinne an die Grundrechte gebunden, dass er das Privatrecht grundrechtskonform auszulegen und fortzubilden habe, indem er die Grund­ rechte als „objektive Werte“ oder als „Richtlinien“ beachte. Versäumt er dies, so „verstößt er nicht nur gegen objektives Verfassungsrecht, indem er den Ge­ halt der Grundrechtsnorm (als objektiver Norm) verkennt, er verletzt vielmehr als Träger öffentlicher Gewalt durch sein Urteil das Grundrecht, auf dessen Beachtung auch durch die rechtsprechende Gewalt der Bürger einen verfas­ sungsrechtlichen Anspruch hat“144. Der Zivilrichter greift also in die Grund­ rechte nur dann ein, wenn er im grundrechtlichen Bereich agiert, ohne die Grundrechte zu beachten.145 Folglich überprüft das BVerfG nur, ob der Zivil­ richter den Grundrechten Geltung verschafft und ihre Ausstrahlungswirkung auf das bürgerliche Recht richtig beurteilt hat.146 Später hat es seine Kontroll­ kompetenz noch weiter eingeschränkt: Sie betreffe nur „Auslegungsfehler, die eine grundsätzlich unrichtige Auffassung von der Bedeutung eines Grund­ rechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, erkennen lassen und auch in ihrer materiellen Tragweite von einigem Gewicht sind“147. Auf diese Weise nutzt das BVerfG die Drittwirkungslehre als Begründung dafür, dass es zivilgerichtliche Entscheidungen nur eingeschränkt überprüfen kann. Der Zivilrichter muss also nach der Drittwirkungslehre bei der Auslegung des Privatrechts oder dessen Fortbildung den Grundrechten „Geltung ver­ schaffen“ oder diese „berücksichtigen“. Dies gilt unter anderem in der Kon­ stellation, die hier vorliegt, also wenn der Richter auf der Grundlage einer Generalklausel oder richterlicher Rechtsfortbildung eine zivilrechtliche Of­ fenlegungspflicht statuiert, die sich auf Angaben aus der Persönlichkeitssphä­ 143  BVerfGE 7, 198, 205 ff. – Lüth; 73, 261, 269 – Sozialplan; BVerfG NJW 2003, 2815 – Kopftuch am Arbeitsplatz; BGH, Urt. v. 28.4.1986 – II ZR 254/85, NJW 1986, 2944 – Praxisverkauf; Kahl, in: Kahl/​Waldhoff/​Walter, BK GG, Art. 1 Abs. 3 GG, Rn. 307; speziell zur Drittwirkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Di Fabio, in: Maunz/​Dürig, GG, Art. 2 Rn. 138 ff., 191. 144 BVerfGE 7, 198, 206 f.  – Lüth; sinngemäß für die richterliche Rechtsfortbildung BVerfGE 96, 375, 398 – Kind als Schaden. 145  Obwohl die Zivilrechtsprechung stets eine hoheitliche Tätigkeit ist, ist sie also in den Augen des BVerfG nur dann ein staatlicher Eingriff, wenn sie gegen die Grundrechte ver­ stößt; zugleich ist aber jeder Grundrechtseingriff der Ziviljustiz per definitionem rechts­ widrig. Dogmatisch steht diese Auffassung in einem Spannungsverhältnis zur allgemeinen Staatslehre, die zwischen rechtswidrigen und rechtmäßigen (gerechtfertigten) Eingriffen unterscheidet. 146  So BVerfGE 7, 198, 207 – Lüth. 147  St. Rspr.; vgl. BVerfGE 96, 375, 399 – Kind als Schaden; vor kurzem BVerfG, NJW 2018, 1667, Rn. 44 – Stadionverbot.

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re des Betroffenen bezieht.148 Auf welche Weise der Richter die Grundrech­ te berücksichtigt, hängt indes im Wesentlichen davon ab, welcher Lesart der Lehre von der mittelbaren Drittwirkung er folgt. Bei einer engen Lesart ge­ langt er zur klassischen Verhältnismäßigkeitsprüfung und kontrolliert, ob die zivilrechtliche Offenlegungspflicht einen legitimen Zweck verfolgt, zu dessen Erreichung geeignet und erforderlich sowie im Übrigen angemessen ist.149 Ver­ steht er die Drittwirkungslehre dagegen weit, beschränkt er sich auf eine reine Angemessenheitsprüfung, d. h. auf die Abwägung kollidierender Grundrech­ te. Je nachdem, welchen Weg er einschlägt, kann er zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen kommen, so dass die Wahl nicht bloß dogmatische oder metho­ dische, sondern auch praktische Bedeutung hat.150 b)  „Weite“ Drittwirkungslehre Gesellschaftsrechtler neigen in der Regel dazu, bei der Lösung des Konflikts zwischen der Offenlegungspflicht und den Grundrechten direkt zur Interes­ senabwägung zu schreiten. Dabei wird zwischen dem Informationsinteresse der Gesellschaft und dem Geheimhaltungsinteresse des Organmitglieds abge­ wogen.151 Dies entspricht der Vorgehensweise der „weiten“ Drittwirkungsleh­ re, welche die unmittelbare Wirkung der Grundrechte nicht nur für Private, sondern auch für den Gesetzgeber und den Richter verneint, soweit diese im Privatrecht tätig sind. Auch für sie gälten die Grundrechte in diesem Fall nicht als Eingriffsverbote, sondern als verfassungsrechtliche Wertentscheidungen, die sie zu ermitteln und zu berücksichtigen hätten. Denn anders als öffent­ lich-rechtliche Gesetze ermächtigten Privatrechtsnormen nicht den Staat, son­ dern Private zu Grundrechtseingriffen.152 Dabei erzeugten die Grundrechte „nicht die Wirkungen einer unmittelbaren Anwendung des Grundrechts als Eingriffsverbot gegen Private, sondern in der Regel nur schwächere Wirkun­ gen“153. Diese Auffassung wird auch heute noch vertreten: So bezeichnet etwa Alexander Hellgardt den Staat, der einen Interessenkonflikt zwischen Privaten 148 

Vgl. BVerfGE 96, 56, 64 ff. – Vaterschaftsauskunft; Di Fabio, in: Maunz/​Dürig, GG, Art. 2 Rn. 140. 149  Vgl. dazu Camilo de Oliveira, Zur Kritik der Abwägung, S. 59 f., 116 ff. 150  Baston-Vogt, Das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht, S. 47 f., illustriert dies eindrucksvoll durch die Gegenüberstellung der Entscheidungsgründe und der abwei­ chenden Meinung im zweiten Schwangerschaftsabbruchsurteil des BVerfG (BVerfGE 88, 203). 151  Vgl. etwa Bayer, FS Hommelhoff, S. 87, 89 f.; Fleischer, NZG 2010, 561, 564; ders., Der Aufsichtsrat 2010, 86, 87; Schnorbus/​Klormann, WM 2018, 1069, 1070 ff. jeweils zur Offen­ legungspflicht bei schwerer Erkrankung von Vorstandsmitgliedern. 152 So Kopp, FS Wilburg, S. 141, 149; ähnlich Rupp, AöR 101 (1976), 161, 170 f.; Starck, JuS 1981, 237, 245. 153  Zöllner, RDV 1985, 3, 8; so auch Starck, in: v. Mangoldt/​K lein/​Starck, GG, Art. 1 Rn. 224; Diederichsen, AcP 198 (1998), 171, 225 ff., 231 f.; Schmidt-Salzer, NJW 1970, 8, 14 f.



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regelt, als „Schiedsrichter“, der für einen angemessenen Interessenausgleich zu sorgen habe. Dies gelte gleichermaßen für die Legislative und die Judika­ tive. Den Wandel des Staates von einem Hoheitsträger zum Schiedsrichter er­ klärt Hellgardt damit, dass im Privatrecht „nicht die Regulierungs-, sondern die Interessenausgleichsfunktion betroffen“ sei154. Die Staatsgewalt trete also den Bürgern bei der Ordnung ihrer privatrechtlichen Beziehungen nicht als eingreifende, sondern als neutrale Instanz gegenüber, welche die betroffenen Grundrechtspositionen in einen von der Verfassung gebotenen Ausgleich brin­ ge. Das Ziel sei dabei nicht eine verhältnismäßige, sondern lediglich eine „an­ gemessene“ Lösung, wobei sich die Staatsaufgabe im Wesentlichen auf eine Güterabwägung beschränke.155 Das ältere Schrifttum wandte gegen die klassische Verhältnismäßigkeits­ prüfung im Privatrecht zusätzlich ein, diese Prüfung finde nur bei staatlichen Grundrechtseingriffen Anwendung. Im Bürger-Bürger-Verhältnis mangele es an solchen Eingriffen, weil die Grundrechte hier nicht als Eingriffsverbote, sondern als objektive Grundsatznormen fungierten. Daher sei die Verhältnis­ mäßigkeitsprüfung im Privatrecht fehl am Platz: Mangels Eingriffs gebe es kei­ nen Zweck, an dem die Geeignetheit und Erforderlichkeit der staatlichen Maß­ nahme zu messen wäre. Und wäre ein solcher Zweck vorhanden, so würde er dem Grundrechtsgehalt, bei dem er angesiedelt wäre, sofort den Vorrang ver­ schaffen und jegliche Abwägung unmöglich machen. Daher werde die Verhält­ nismäßigkeitsprüfung im Privatrecht durch die Abwägung ersetzt, bei der die gegenläufigen Positionen nicht wie im öffentlichen Recht aneinander gemes­ sen, sondern einander zugeordnet bzw. austariert würden. Es handele sich also um eine Angemessenheits-Verhältnismäßigkeit, die mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit allenfalls sprachliche Gemeinsamkeiten habe.156 Das BVerfG folgte dieser Auffassung in seinem Mephisto-Beschluss157, in dem es um einen zivilrechtlichen Anspruch auf Unterlassung der Veröffent­ lichung des gleichnamigen Romans ging. Im Mephisto-Beschluss betont das BVerfG zwar, dass das Verhältnismäßigkeitsgebot einen verfassungsrecht­ lichen Rang habe und deshalb bei allen Eingriffen der öffentlichen Gewalt in die Freiheitsrechte des Bürgers zu beachten sei. Hätten aber die Gerichte „lediglich“ über einen zivilrechtlichen Anspruch zu entscheiden, so könnten die Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgebots nicht, auch nicht entspre­ chend herangezogen werden. An dessen Stelle trete eine „sachgerechte“158 Ab­ 154  Hellgardt, JZ 2018, 901, 907. 155 Vgl. Hellgardt, JZ 2018, 901,

907. Böckenförde, Der Staat 29 (1990), 1, 20; Ossenbühl, FS Lerche, S. 151, 160; Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, S. 106; abgeschwächt Starck, JuS 1981, 237, 246, der lediglich gegen die „strenge Handhabung“ des Verhältnismäßigkeits­ grundsatzes plädiert. 157  BVerfGE 30, 173 – Mephisto. 158  BVerfGE 30, 173, 199 – Mephisto. 156 Vgl.

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wägung zwischen den Grundrechtspositionen der Parteien eines Zivilrechts­ verhältnisses: „Die Aufgabe des Zivilrichters besteht in derartigen Fällen darin, aufgrund einer wertenden Abwägung der Umstände des Einzelfalles … die Schranken des Grundrechtsbereichs der einen Partei gegenüber demjenigen der anderen Partei zu konkretisieren.“159 Das BVerfG könne nur überprüfen, ob diese Abwägung das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) verletze.160 An die Stelle der Verhältnismäßigkeitsprüfung tritt also eine „Abwägung“, deren ein­ ziger Kontrollmaßstab das Willkürverbot ist. c)  „Enge“ Drittwirkungslehre Die „enge“ Strömung der Drittwirkungslehre verneint die unmittelbare Gel­ tung der Grundrechte nur für Privatpersonen, nicht aber für den Gesetzgeber und den Richter. Bereits Jürgen Schwabe betonte bei der Auseinandersetzung mit der Lehre von der mittelbaren Drittwirkung, dass alle Staatsmacht an die Grundrechte gebunden sei.161 Dem schloss sich Canaris mit dem polemischen Einwurf an, die Grundrechte gälten für den Privatrechtsgesetzgeber und Zi­ vilrichter unmittelbar als Abwehrrechte und Eingriffsverbote und nicht auf eine „ziemlich mysteriöse“162 mittelbare Weise. Dafür spreche der Wortlaut des Art. 1 Abs. 3 GG, wonach Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Recht­ sprechung unmittelbar an die Grundrechte gebunden seien. Wer das Gegenteil, etwa die Herausnahme des Privatrechtsgesetzgebers aus dem Gesetzgeber­ begriff des Art. 1 Abs. 3 GG behaupte, trage dafür die Argumentationslast. Die Frage nach der Grundrechtsbindung der Legislative und der Exekutive sei streng zu trennen von anderen Problemen, etwa von der Grundrechtsbindung Privater und der Kontrollkompetenz des BVerfG bei der Überprüfung fachge­ richtlicher Entscheidungen.163 Der Privatrechtsgesetzgeber sei bei der Schaf­ fung des (auch dispositiven) Rechts an das verfassungsrechtliche Übermaßver­ bot, also an das Erforderlichkeits- und Verhältnismäßigkeitsprinzip gebunden. Gleiches gelte für den Richter: Die Grundrechtseinschränkung im Wege der 159  160 

BVerfGE 30, 173, 197 – Mephisto. BVerfGE 30, 173, 197, 199 – Mephisto; kritisch dazu Canaris, AcP 184 (1984), 201, 201, 211. Pointiert Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, S. 32, der den Beschluss als „Entglei­ sung“ bezeichnet und fragt: „Ist Abwägung doch nur ein sogar für das BVerfG selbst unver­ bindliches Jonglieren mit Gesichtspunkten, die je nach Gunst der Entscheidungsstunde ob­ jektiv sachhaltig oder subjektiv wertend, spekulativ oder empirisch überprüfbar ausfallen?“. 161  Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, S. 26 ff. Schwabe stellte die Drittwirkung der Grundrechte grundsätzlich in Frage und meinte, dass auch im Privatrecht alle Eingriffe vom Staat ausgingen, weil auch vertragliche Ansprüche mit staatlichen Mitteln durchgesetzt würden, und daher stets an den Grundrechten zu messen seien. Kritisch dazu etwa Bleckmann, Staatsrecht II, § 10 Rn. 77 ff. 162  Canaris, AcP 184 (1984), 201, 212. 163  Canaris, AcP 184 (1984), 201, 203 ff., 212 f., 221 f.; ders., JuS 1989, 161 ff; ders., Grund­ rechte und Privatrecht, S. 11 ff.; so auch Höfling, in: Sachs, GG, Art. 1 Rn. 113; Hager, JZ 1994, 373, 374 f.



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ergänzenden Vertragsauslegung dürfe nicht weiter gehen, als es zum Schutze des anderen Teils erforderlich sei, und dürfe den Betroffenen nicht übermäßig belasten.164 Viele Staatsrechtler teilen diese Position. Der Gesetzgeber verfüge nach ihrer Ansicht zwar bei der Gestaltung des Privatrechts über ein gewisses Ermessen, sei aber an die Grundrechte gebunden, und zwar auch dann, wenn er dispositives Recht schaffe.165 Auch der staatliche Richter sei grundrechts­ gebunden, unabhängig davon, ob er Privatrecht, öffentliches Recht oder Straf­ recht anwende.166 Das gesamte Recht stehe unter dem Vorrang der Verfassung und sei daher verfassungskonform auszulegen, möge dies auch in den einzel­ nen Rechtsgebieten unterschiedlich häufig notwendig werden.167 Vor diesem Hintergrund sind privatrechtliche Vorgaben auf ihre Verhält­ nismäßigkeit hin zu überprüfen, wenn sie mit den Grundrechten kollidie­ ren. Dogmatisch lässt sich dieses Ergebnis am einfachsten erreichen, wenn man staatliches Handeln (auch) im Privatrecht als Grundrechtseingriff quali­ fiziert, denn Grundrechtseingriffe müssen verhältnismäßig sein. Dies ist die Vorgehensweise der neuen Abwehrrechtslehre (dazu sogleich). Eine ande­ re Möglichkeit bietet das Gebot der praktischen Konkordanz, welches auch dann gilt, wenn man staatliches Handeln im Privatrecht nicht als Eingriff, son­ dern als Ermittlung und Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Wertent­ scheidungen, als Ausgleich kollidierender Privatinteressen ansieht. Dann müs­ sen die kollidierenden Güter im Rahmen der Interessen- und Güterabwägung nach dem Gebot der praktischen Konkordanz beide zu optimaler Wirksam­ keit gelangen. Die jeweiligen Grenzziehungen müssen verhältnismäßig sein und dürfen nicht weiter gehen, als es zur Herstellung der Konkordanz beider Güter notwendig ist.168 Das Verhältnismäßigkeitsgebot fließt also in die Ab­ wägung ein und dient dort als „kollisionsschlichtender Regulator“169, als Ent­ scheidungsregel, weil es dem Prinzip praktischer Konkordanz letztendlich um die Herstellung optimaler Verhältnismäßigkeit geht.170 Ein fairer, angemesse­ 164  Canaris, AcP 184 (1984), 201, 214 ff. und ders., JuS 1989, 161, 164; a. A. Medicus, AcP 192 (1992), 35, 47, 52, der die Geltung des Verhältnismäßigkeitsgebots nur bei zwingenden Privatrechtsnormen anerkennt. 165  Dreier, in: Dreier, GG, Art. 2 I Rn. 54; Herdegen, in: Maunz/​ Dürig, GG, Art. 1 Abs. 3 GG, Rn. 59 ff. 166  Höfling, in: Sachs, GG, Art. 1 Rn. 112 f.; Bleckmann, Staatsrecht II § 10 Rn. 126; Rüfner, in: Isensee/​K irchhof, HStR IX, § 197 Rn. 89 ff.; Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, S. 1556 ff., 1563 ff.; Camilo de Oliveira, Zur Kritik der Abwägung, S. 68, 317 ff.; T. Koch, Der Grund­ rechtsschutz des Drittbetroffenen, S.  456  f.; Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, S. 203 ff., 205; Hager, JZ 1994, 373, 374 ff. Für die Grundrechtsbindung des Privatrechts­ gesetzgebers, allerdings mit Einschränkungen, Jarass, in: Jarass/​Pieroth, GG, Art. 1 Rn. 49 f. 167  Höfling, in: Sachs, GG, Art. 1 Rn. 113. 168  Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 72. 169  Stern, Staatsrecht, Bd. III/2, S. 657. 170  Stern, Staatsrecht, Bd. III/2, S. 835 m. w. N.; auch die Anhänger des Prinzips der praktischen Konkordanz, die sich nicht so deutlich für das Verhältnismäßigkeitsgebot aus­

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ner171, schonendster172 oder verhältnismäßiger173 Ausgleich privater Interes­ sen ist dabei der Zweck der staatlichen Maßnahme.174 Der Staat ist auf diese Weise an das Verhältnismäßigkeitsgebot gebunden, weil ein Ausgleich, der un­ geeignete oder unnötig belastende Mittel nutzt, nicht fair und schonend ist und daher von der Verfassung nicht gewünscht sein kann.175 Diese Vorgehensweise ist in der Rechtsprechung des BVerfG sehr üblich. Der Mephisto-Beschluss mit seiner Absage an den Verhältnismäßigkeitsgrund­ satz ist eine Einzelerscheinung geblieben, die von der späteren Judikatur des BVerfG nicht rezipiert wurde.176 Bereits wenige Monate später kehrte dersel­ be I. Senat des BVerfG im Beschluss zur Sorgerechtsregelung zum Verhält­ nismäßigkeitsgebot zurück. Er führte zwar aus, dass es bei der Regelung des persönlichen Verkehrs der Eltern mit ihrem Kind lediglich um den Ausgleich zwischen den Rechtspositionen der Eltern und nicht um einen Eingriff in das elterliche Erziehungsrecht gehe, der an strengere Voraussetzungen gebunden sei. Gleichzeitig betonte der Senat, dass sich die Grenzen der staatlichen Maß­ nahmen aus ihrem Zweck ergäben und die dem Inhaber der elterlichen Gewalt auferlegten Handlungs- und Duldungspflichten nicht darüber hinausgehen dürften, was zur Wahrung und Konkretisierung des Verkehrsrechts erforder­ lich sei.177 Zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bekannte sich das BVerfG auch im ersten Schwangerschaftsabbruchsurteil178 und – noch deutlicher – in der Lebach-Entscheidung. Dort heißt es wörtlich: „Dementsprechend ist durch Gü­ terabwägung im konkreten Fall zu ermitteln, ob das verfolgte öffentliche Inte­ resse generell und nach der Gestaltung des Einzelfalls den Vorrang verdient, ob der beabsichtigte Eingriff in die Privatsphäre nach Art und Reichweite durch dieses Interesse gefordert wird und im angemessenen Verhältnis zur Bedeu­ tung der Sache steht … Diese in der Rechtsprechung zu Maßnahmen öffent­ sprechen, verneinen jedenfalls nie ausdrücklich seine Geltung, vgl. Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 67; Isensee, NJW 1977, 545, 549; Jarass, AöR 110 (1985), 363, 384; Rupp, AöR 101 (1976), 161, 171. 171  BVerfGE 83, 130, 143 – Josefine Mutzenbacher. 172  BVerfGE 39, 1, 43 – Schwangerschaftsabbruch I. 173  BVerfGE 88, 203, 251 ff. – Schwangerschaftsabbruch II; BGH, Urt. v. 21.6.1990 – 1 StR 477/89, NJW 1990, 3026, 3027 – Pornographie als Kunstwerk – Opus Pistorum. 174  Dazu sehr informativ Stern, Staatsrecht, Bd. III/2, S. 627 ff. 175 Ähnlich Stark, JuS 1995, 689, 691, der zumindest für eine analoge Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei Dreieckskonstellationen plädiert; für die Geltung die­ ses Grundsatzes auch Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 204. 176 So Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, S. 245 ff., 262 f., der nach eigener Aussage über 200 Entscheidungen des BVerfG analysiert hat. 177  BVerfGE 31, 194, 208 – Sorgerechtsregelung; so auch BVerfGE 56, 363, 382 f. – Sorgerecht bei nichtehelichem Kind. 178  BVerfGE 39, 1, 47 und 77 f. – Schwangerschaftsabbruch I.



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licher Gewalt entwickelten Grundsätze müssen entsprechend beachtet werden, wenn es sich um die gerichtliche Entscheidung über kollidierende Interessen nach Vorschriften des Privatrechts handelt.“179 Nach dem Muster „zwar kein Eingriff, aber das Verhältnismäßigkeitsgebot gilt dennoch“ argumentiert das BVerfG ferner in der Entscheidung zum Ver­ sorgungsausgleich nach § 1587b BGB, in der es heißt, das vom Gesetzgeber ein­ gesetzte Mittel müsse geeignet und erforderlich sein, um den erstrebten Zweck zu erreichen. Es handele sich beim Versorgungsausgleich zwar nicht um einen Eingriff in den Freiheitsbereich des Einzelnen zum Schutz öffentlicher Inte­ ressen, indessen müsse der Staat auch bei Regelung des Privatrechtsverhältnis­ ses der Ehegatten unverhältnismäßige Belastungen vermeiden.180 Die klassi­ sche Verhältnismäßigkeitsprüfung mit ihren vier Elementen findet sich ferner im Beschluss zur Gegendarstellung im Rundfunk181, im Handelsvertreter-Be­ schluss182 und im Urteil zur Kenntnis der eigenen Abstammung.183 2.  Neue Abwehrrechtslehre Die Abwehrrechtslehre findet herkömmlich im zweipoligen Verhältnis zwi­ schen dem Staat und dem Bürger Anwendung; sie betrachtet dabei die Grund­ rechte als Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe. Neuerdings wird sie recht erfolgreich im mehrpoligen Verhältnis „Staat – Bürger – Bürger“ angewandt, welches für privatrechtliche Konstellationen typisch ist. Der Ausgangspunkt ist die Annahme, dass der Staat bei der Regelung des Privatrechts in die Grund­ rechte eingreift. Der Bürger, dessen Grundrechte im Zuge der staatlichen Re­ gelung beschränkt wurden, kann diese als Abwehrrechte geltend machen. Dann ist zu prüfen, ob der staatliche Eingriff zur Erreichung eines legitimen Zwecks geeignet und erforderlich sowie im Übrigen angemessen ist. Das Ver­ hältnismäßigkeitsgebot spielt somit seine originäre Rolle als Schranke, welche die Einschränkbarkeit der Grundrechte begrenzt (Schranken-Schranke). Diese „neue Abwehrrechtslehre“ sei an zwei Beiträgen veranschaulicht. In der Dissertation von Marion Baston-Vogt wird diese Lehre bei der Un­ tersuchung des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts fruchtbar gemacht.184 Die Autorin plädiert dafür, die abwehrrechtliche Funktion der Grundrechte trotz Anerkennung der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers nicht zu vernachlässigen. So habe das BVerfG in seinem Mitbestimmungsurteil185 hervorgehoben, dass die objektiv-rechtliche Funktion der Grund­ 179 

BVerfGE 35, 202, 221 – Lebach.

182 

BVerfGE 81, 242, 261 – Handelsvertreter.

185 

BVerfGE 50, 290, 337 f. – Mitbestimmung.

180  BVerfGE 63, 88, 115 – Versorgungsausgleich. 181  BVerfGE 63, 131, 144 – Gegendarstellung. 183  BVerfGE 79, 256, 269 f. – Kenntnis der eigenen Abstammung. 184 Siehe Baston-Vogt, Das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht.

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rechte nicht an die Stelle der abwehrrechtlichen getreten sei, sondern diese ergänze und verstärke. Über die abwehrrechtliche Funktion der Grundrech­ te kommt Baston-Vogt zum Gebot der Verhältnismäßigkeit, dessen Vorteile darin lägen, dass die Zwecktauglichkeit unterschiedlicher Mittel anders als ihre Angemessenheit auch losgelöst vom konkreten Einzelfall beurteilt wer­ den könne. Es lasse sich also abstrakt feststellen, ob eine bestimmte Regelung zur Zweckerreichung überhaupt geeignet sei und ob es nicht andere gleich ge­ eignete, aber mildere Mittel gebe. Die abstrakte Prüfung der Angemessenheit sei ungleich schwieriger und könne nur unzureichend bewältigt werden.186 Aus diesem Grund solle der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auch bei der Aus­ legung und Anwendung privatrechtlicher Schutznormen strikte Geltung be­ anspruchen. Zwar zähle er zum klassischen Eingriffsabwehrinstrumentarium des Verfassungsrechts187, es gebe aber keinen triftigen Grund, bei schützen­ der und gestaltender Staatstätigkeit darauf zu verzichten. Der Schutz des Be­ troffenen mache es erforderlich, dem Staat den Nachweis der tatsächlichen Berechtigung und Notwendigkeit der konkreten Freiheitsbeeinträchtigung aufzuerlegen. Das Besondere und Erhaltenswerte des Privatrechts gehe dabei nicht verloren, im Gegenteil: Dessen Möglichkeiten würden bei der Geltung des Verhältnismäßigkeitsgebots am besten ausgeschöpft, weil aus einer Viel­ zahl privatrechtlicher Schutznormen diejenige ausgewählt werde, die einer­ seits möglichst geeignet sei, den erforderlichen zivilrechtlichen Schutz zu ge­ währleisten, und andererseits die Freiheit der Rechtsadressaten möglichst wenig beschränke.188 Ralf Poscher widmet der neuen Abwehrrechtslehre seine Habilitations­ schrift. Er tritt für eine strikte Grundrechtsbindung der Staatsgewalten ein, die auch im Privatrecht uneingeschränkt gelte: „Soweit das Zivilrecht Verhaltens­ pflichten für Grundrechtsträger statuiert, schränkt es grundrechtliche Freihei­ ten – zumindest die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG – nor­ mativ ein.“189 Dies gelte für den Zivilrechtsgesetzgeber190 und den Zivilrichter, der in die Grundrechtspositionen nur eingreifen dürfe, wenn er hierzu durch ein grundrechtskonformes Gesetz ermächtigt worden sei. Die konkrete rich­ terliche Entscheidung müsse ihrerseits mit den Grundrechten übereinstim­ men.191 Eine Grundrechtsbindung Privater lehnt Poscher dagegen ab, weil er die Grundrechte in erster Linie als Abwehrrechte gegen den Staat versteht. Als solche würden die Grundrechte nicht die Konflikte Privater untereinander entscheiden, sondern bestimmen, wie der Staat diese Konflikte zu entschei­ 186  187 

Baston-Vogt, Das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht, S. 43. Baston-Vogt, Das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht, S. 48. 188  Baston-Vogt, Das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht, S. 60 ff. 189  Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, S. 204. 190  Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, S. 203 ff. und 346 ff. 191  Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, S. 215 ff. und weiter auf S. 349 ff.



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den habe. Sie steuerten also das Handeln des Staates, welcher wiederum durch seine Konfliktregelung das Verhalten Privater steuere. Im Ergebnis wirkten sich die Grundrechte reflexiv auf die Verhältnisse zwischen Privaten aus (Re­ flexivität der Grundrechte). Sie behielten somit auch in Drittwirkungsfällen ihre ursprüngliche Funktion als Abwehrrechte und Eingriffsverbote, so dass jegliche Konfliktregelung als Eingriff rechtfertigungsbedürftig bleibe und ins­ besondere dem Verhältnismäßigkeitsgebot entsprechen müsse.192 Im Übrigen meint Poscher, dass auch das BVerfG trotz des Bekenntnisses zur mittelbaren Drittwirkung nach wie vor mit abwehrrechtlichen Kategorien (Schutzbereich, Eingriff, Schranken, Verhältnismäßigkeit) arbeite. Daraus folgert er, dass die mittelbare Drittwirkung und das grundrechtliche Abwehrrecht nicht im Ge­ gensatz zueinander stünden.193 3.  Stellungnahme: „Unwägbarkeit der Abwägung“ Letztendlich sprechen gute Gründe dafür, die Grundrechte auch im Privat­ recht als Abwehrrechte zu verstehen, soweit sie durch die Tätigkeit der Le­ gislative oder der Judikative tangiert werden. Der Streit zwischen der neuen Abwehrrechtslehre und der traditionellen Drittwirkungslehre muss hier aller­ dings nicht endgültig entschieden werden, da es für die weitere Untersuchung nur wichtig ist, ob der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gilt. Diese Frage wird von beiden Ansichten bejaht; eine Ausnahme stellt lediglich die „weite“ Dritt­ wirkungslehre dar, die für eine reine „Angemessenheits-Verhältnismäßigkeit“ eintritt. Problematisch daran ist, dass der Verzicht auf eine Verhältnismäßigkeitsprü­ fung zugunsten der reinen Güterabwägung deutliche Nachteile hat. Sie resul­ tieren aus dem Wesen der Abwägung, die in hohem Maße ein wertender Prozess ist. Daraus folgt zum einen, dass Wertungen und Vorurteile des Abwägenden diesen Prozess in der Regel erheblich beeinflussen, zum anderen, dass die Ab­ wägungsentscheidung stark vom Einzelfall abhängt.194 Letzteres kommt in der einschlägigen Judikatur deutlich zum Ausdruck.195 Die sog. Abwägungsskep­ 192  Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, S. 100 f., 206, 417; ihm folgend Camilo de Oliveira, Zur Kritik der Abwägung, S. 69, 331 ff. 193  Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, S. 257 ff. 194  Baston-Vogt, Das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht, S. 43 f.; Habermas, Faktizität und Geltung, S. 315 f.; Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 79; Müller/​Christensen, Juristische Methodik, S. 112 f.; Camilo de Oliveira, Zur Kritik der Ab­ wägung, S. 209; Schlink, EuGRZ 1984, 457, 462; vgl. ferner Poscher, Grundrechte als Ab­ wehrrechte, S. 93 f.; skeptisch zur Rationalität der Abwägung (bezogen auf den Handelsvertreter-Beschluss des BVerfG) auch Medicus, AcP 192 (1992), 35, 52. 195  Siehe nur BVerfG NJW 2003, 2815, 2816 – Kopftuch am Arbeitsplatz: „Abwägung der wechselseitig geschützten Grundrechtspositionen der Vertragspartner im Einzelfall“; BGH, Beschl. v. 26.2.2014 – XII ZB 373/11, NJW 2014, 1381, 1382: „einzelfallbezogene Abwägung kollidierender Grundrechte des Gewaltopfers und des Täters“; BGH, Urt. v. 28.1.2015 – XII

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tiker betonen deshalb mit Recht, dass die Abwägung weniger verlässlich sei als die klassische Verhältnismäßigkeitsprüfung. Während eine staatliche Maßnah­ me auf ihre Geeignetheit und Notwendigkeit hin methodisch korrekt, rational kontrollierbar und dogmatisch generalisierbar überprüft werden könne, seien die Wertungsoperationen der Abwägung rechtsmethodisch befriedigend nicht zu bewältigen und nur dezisionistisch zu leisten. Dies mache die Abwägungs­ entscheidungen oft unvorhersehbar und unberechenbar.196 Eine extreme Reaktion auf dieses Problem ist die Auffassung von Bernhard Schlink, der auf die Prüfung der Verhältnismäßigkeit i. e. S. ganz verzichten und die entsprechenden Wertungen der Politik überlassen will. Die Gerichte sollten nach der Feststellung der Geeignetheit und Erforderlichkeit einer Maß­ nahme lediglich prüfen, ob diese in die Mindestposition des Bürgers eingrei­ fe. Sei dies nicht der Fall, so dürfe der Richter die fragliche Maßnahme nicht beanstanden, weil die Interessenkonflikte der Grundrechtsträger grundsätz­ lich vom Gesetzgeber und nicht vom Richter entschieden werden sollten. Letz­ terer dürfe in diese Entscheidung nur dann korrigierend eingreifen, wenn in concreto keine Waffengleichheit bestehe, wie etwa im Blinkfüer-Fall, in dem der Axel-Springer-Verlag seine Marktmacht gegenüber Hamburger Zeitungs­ händlern verfassungswidrig ausgenutzt habe.197 Man muss diese radikale Ansicht nicht teilen; eine gesunde Skepsis gegen­ über der Abwägung ist aber durchaus angebracht. Es ist bis heute nicht gelun­ gen, allgemein gültige Abwägungskriterien zu finden. Die Abwägung bleibt somit nicht rationalisierbar. Mathematische Abwägungsmethoden198 stoßen im Verfassungsrecht schnell an ihre Grenzen, weil Verfassungswerte nicht messbar sind.199 Dies hat Schlink in seiner 1976 erschienenen Dissertation sehr instruktiv dargelegt, als er untersucht hat, inwieweit die verfassungsrechtliche Abwägung von Methoden der Wohlfahrtsökonomik und der Spieltheorie pro­ fitieren kann. Es ging ihm insbesondere um den Versuch der Wohlfahrtsöko­ nomik, den Nutzen von Gütern und Leistungen für ein Individuum zu mes­ sen, indem sie entweder ordinal (nach dem Merkmal „mehr“ oder „weniger“ nützlich) oder kardinal (den einzelnen Gütern werden Zahlen zugeordnet, die ihren Rang oder ihr Gewicht ausdrücken) in ein Verhältnis zueinander gesetzt werden. Schlink warf die Frage auf, ob man durch die Bildung von ordinalen und kardinalen Skalen eine Rangordnung von Verfassungswerten konstruie­ ZR 201/13, BGHZ 204, 54 Rn. 40: „eine auf den konkreten Einzelfall bezogene, umfassende Abwägung“. 196  Baston-Vogt, Das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht, S. 43 f.; Camilo de Oliveira, Zur Kritik der Abwägung, S. 206, 209; Schlink, EuGRZ 1984, 457, 462. 197  Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, S. 192 ff.; ders., EuGRZ 1984, 457, 462. 198 Dazu Hubmann, Wertung und Abwägung im Recht, S. 158 ff.; aus neuerer Zeit Alexy, GS Sonnenschein, S. 771, 777 ff.; Hofmann, Abwägung im Recht, S. 9 ff. 199  Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 66 ff.; Schlink, Abwägung im Verfassungs­ recht, S. 158 ff.; Larenz, FS Klingmüller, S. 235, 247 f.



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ren kann, und musste dies – wenig überraschend – verneinen.200 Als unmöglich hat sich vor allem die Bildung von Kardinalskalen erwiesen, d. h. von „harten“ Zahlenordnungen, die den Wert einzelner Güter in Zahlen ausdrücken.201 Der Einsatzbereich solcher Rangordnungen beschränkt sich daher auf das Verwaltungsrecht, wo sie zum Zwecke hoheitlicher Planung benutzt werden (sog. numerische Verfahren). Geht es dabei um Güter, die keinen Marktwert haben, stoßen numerische Verfahren auch im Verwaltungsrecht schnell an ihre Grenzen. Teilweise wird ihnen dann eine gewisse Orientierungswirkung bei­ gemessen: So sei der Wert des ruhigen Wohnens zwar nicht bezifferbar, die Messungen des Umgebungslärms und die Ermittlung der Kosten für den Ein­ bau von Lärmschutzfenstern und Belüftungsanlagen könnten aber „durchaus Anhaltspunkte für eine monetär darstellbare Größenordnung der Belastun­ gen bzw. Entlastungen“ liefern.202 Dem ist entgegenzuhalten, dass das Woh­ nen an einer Hauptverkehrsstraße mit dem Wohnen am Rande eines Parks auch dann nicht vergleichbar ist, wenn Lärmschutzfenster eingebaut sind. Ein anderes Beispiel für die fehlende Aussagekraft von Zahlen ist der „Wert eines statistischen Menschenlebens“, der bei staatlichen Planungen im Bereich der Gesundheits-, Umwelt-, Arbeits- oder Sicherheitspolitik benutzt wird203 und z. B. von der EU‑Kommission bei der Novellierung des europäischen Che­ mikalienrechts mit einer Million Euro veranschlagt wurde.204 Auch dieser Wert ist eine Fiktion, deren Nutzen darin liegen mag, in den genannten Be­ reichen überhaupt eine Planung zu ermöglichen. In einer verfassungsrecht­ lichen Güterabwägung würde diese Fiktion aber sofort in Konflikt mit der Menschenwürde geraten.205 Durch die zahlenmäßige Bewertung seines Le­ bens würde der konkrete Mensch zum „Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt“206 . Hier muss Art. 1 Abs. 1 GG als deon­ tologische Schranke gegen das „entgrenzte utilitaristische Folgenkalkül“207 in Stellung gebracht werden. 200 Siehe Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, S.  158  ff.; daneben untersuchte Schlink die Übertragbarkeit des Kriteriums der Pareto-Optimalität in das Verfassungsrecht und stellte fest, dass hier Parallelen zum Kriterium der Erforderlichkeit vorhanden seien. 201 Vgl. Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, S. 167; genauso für Kardinalskalen Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 141 f.; ders., GS Sonnenschein, S. 771, 772. 202  Hofmann, Abwägung im Recht, S. 298. 203 Siehe Mussler, Hat ein Menschenleben einen Geldwert?, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 5.6.2005, 22, S. 34. 204 EU‑Kommission, SEC (2003) 1171/3, S. 30; dazu Hofmann, Abwägung im Recht, S. 293. 205  Vgl. Deutscher Ethikrat, Nutzen und Kosten im Gesundheitswesen – Zur normati­ ven Funktion ihrer Bewertung, S. 74 f. 206 So die sog. „Objektformel“ nach Dürig, dazu Herdegen, in: Maunz/​ Dürig, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 36; Tiedemann, Menschenwürde als Rechtsbegriff, S. 93, 97 (dort auch ein­ gehend zu anderen Konzepten der Menschenwürde, S. 68 ff.). 207  Rixen, JZ 2016, 585, 591.

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Kapitel 2: Offenlegungspflichten in größerem Kontext

Auch „weiche“ Rangordnungen, die das Verhältnis zwischen Rechtsgütern ohne Zahlen beschreiben (Ordinalskalen), können das Problem der Abwägung nicht lösen. Sie greifen häufig auf mathematische Formeln zurück: a > b soll beispielsweise ausdrücken, dass das Gut „a“ ein größeres Gewicht hat als das Gut „b“. So übersetzt Hubmann § 935 Abs. 1 BGB (kein gutgläubiger Erwerb von abhanden gekommenen Sachen) als „a + b > d + e“. Dabei stehen „a“ und „d“ für das wirtschaftliche Interesse des Eigentümers bzw. Besitzers an der Sache und sind gleich (a = d); „b“ steht für den Bestandschutz des Eigentums und „e“ für den guten Glauben des Besitzers.208 Zurück in die Rechtssprache übersetzt bedeutet die Formel, dass der Gesetzgeber dem Bestandschutz des Eigentums mehr Gewicht zumisst als dem guten Glauben des Besitzers, soweit es sich um eine abhanden gekommene Sache handelt. In eine ähnliche Richtung geht die „triadische Skala“ von Alexy, mit der er die Rationalität der Abwägung demonstrieren will. Die Skala besteht aus drei Stufen („leicht“, „mittel“ und „schwer“). Bei der Abwägung konkurrierender Prinzipien untersucht Alexy zunächst, ob die Beeinträchtigung des einen Prin­ zips „leicht“, „mittel“ oder „schwer“ sei; sodann prüft er, ob die Wichtigkeit der Erfüllung des anderen Prinzips ebenfalls „leicht“, „mittel“ oder „schwer“ wiege. Abschließend kommt Alexys „Abwägungsgesetz“ zur Anwendung, wonach die Wichtigkeit der Erfüllung des zweiten Prinzips umso größer sein muss, je höher der Grad der Nichterfüllung oder Beeinträchtigung des ersten Prinzips ist. Es entstehen dabei mehr oder weniger komplexe mathematische Formeln.209 Diese Rangordnungen werden jedoch dafür kritisiert, dass sie nur die be­ reits vorhandenen, nicht aber die künftigen Abwägungsentscheidungen be­ schreiben könnten. Sie könnten nicht rational und intersubjektiv nachvollzieh­ bar darlegen, warum das Rechtsgut „a“ schwerer wiege als das Rechtsgut „b“ oder warum der Beeinträchtigung des Prinzips „Pi“ ein größeres Gewicht bei­ zumessen sei als der Wichtigkeit der Erfüllung des gegenläufigen Prinzips „Pj“. Aus diesem Grund seien derartige Formeln der üblichen juristischen Rheto­ rik kaum überlegen. Sie hätten ihr gegenüber sogar Nachteile, weil juristische Begründungen unverständlicher würden, wenn man sie in die mathematische Sprache übersetze. Das Ergebnis mathematischer Formeln müsse anschließend wieder in die Normalsprache übersetzt werden, was das Ganze kompliziert und fehleranfällig mache.210 Dass diese Kritik berechtigt ist, gibt Alexy selbst indirekt zu, als er gesteht, dass oft schon die Einstufung als leicht, mittel oder 208 Siehe

Hubmann, Wertung und Abwägung im Recht, S. 162 f. Alexy, GS Sonnenschein, S. 771, 773 ff.; zum „Abwägungsgesetz“ bereits ders., Theorie der Grundrechte, S. 146; kritisch zur triadischen Skala Riehm, Abwägungsent­ scheidungen, S. 66 f. 210 So Rüthers, Rechtstheorie, 1. Aufl. 1999, § 5 Rn. 188 ff. 209 Siehe



§ 2.  Offenlegungspflicht und Persönlichkeitsrecht

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schwer Probleme bereite.211 Genau diese Probleme machen die Abwägung sehr einzelfall- und wertungsabhängig. Nicht überzeugend ist schließlich die Ansicht Riehms, die Abwägung werde zu einem rationalen Entscheidungsverfahren, wenn man sie nur gut genug strukturiere.212 Zu diesem Zweck unterteilt Riehm den Abwägungsvorgang in drei Stufen: Auf der ersten Stufe findet die Auswahl der abwägungsrelevanten Gesichtspunkte statt, auf der zweiten deren Gewichtung, wobei zunächst das abstrakte Gewicht, dann der konkrete Erfüllungsgrad und anschließend der konkrete Wert der Gesichtspunkte ermittelt werden. Der konkrete Wert sei desto höher, je höher das abstrakte Gewicht oder der konkrete Erfüllungs­ grad eines Aspektes sei.213 Auf der dritten Stufe erfolgt die Abwägung im en­ geren Sinne, also der Vergleich der betreffenden Gesichtspunkte. Dafür kann Riehm allerdings keine Vorgaben formulieren.214 Die Quintessenz der Abwä­ gung bleibt also unstrukturierbar, rational nicht erfassbar. Seine These von der Rationalität der Abwägung kann Riehm nur retten, indem er den Begriff der Rationalität stark verengt. Die Rationalität erschöpfe sich demnach darin, dass der Entscheider von der Richtigkeit seiner Entscheidung überzeugt sei und sie nach außen als richtig darstelle. Dabei reiche es aus, wenn er für seine Entschei­ dung irgendeine, und sei es eine nachträgliche, Begründung liefere, die von Au­ ßenstehenden nachvollzogen und auf eventuelle Unstimmigkeiten überprüft werden könne.215 Von der Rationalität bleibt auf diese Weise wenig übrig, sie wird de facto mit dem Vorhandensein einer formellen Begründung gleichge­ setzt. Man muss sich wohl damit abfinden, dass die Abwägung einer rationalen Analyse nur bedingt zugänglich ist. Es ist zwar erstrebenswert, „nach rational faßbaren Kriterien zu suchen, die diesen Vorgang soweit als möglich durch­ sichtig machen“216 . Die Abwägung bleibt aber kraft ihrer Natur undurchsich­ tiger als die „normalen“ juristischen Subsumtionsvorgänge. Diese haben den Vorteil, dass sie über einen absolut formulierten Subsumtionsobersatz ver­ fügen, der bei der Erforderlichkeitsprüfung etwa lautet: „Das konkrete Mit­ tel ist immer dann erforderlich, wenn es kein milderes, aber genauso gut ge­ eignetes Mittel gibt“. Abwägungsformeln haben dagegen nur einen relativen Obersatz („Je höher …, desto größer …“). Da die Gewichte der abzuwägenden 211  Alexy, GS Sonnenschein, S. 771, 783. 212 Siehe Riehm, Abwägungsentscheidungen,

S. 68 ff. lehnt sich Riehm erkennbar an Alexys Abwägungsgesetz an, wenngleich er im Unterschied zu Alexy nicht von Beeinträchtigung von Prinzipien, sondern von Erfüllung von Gesichtspunkten spricht. 214  Abgesehen von dem Hinweis, dass sich einzelne Argumente „überlappen“ könnten oder ein Gesichtspunkt durch den anderen widerlegt werden könne und folglich bei der Ab­ wägung nicht berücksichtigt werden dürfe, vgl. Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 74 f. 215  Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 100 f. 216  Larenz, FS Klingmüller, S. 235, 248. 213  Hier

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Kapitel 2: Offenlegungspflichten in größerem Kontext

Güter weder abstrakt noch im Einzelfall feststehen, muss bei der Abwägung erheblich mehr Restunsicherheit in Kauf genommen werden als bei sonstigen Subsumtionsvorgängen. Zudem – insofern hat Schlink Recht – spielen bei der Abwägung politische Erwägungen eine große Rolle, die den Rechtsanwender zwingen, sich auf das unsichere Terrain der Politik vorzuwagen. Die getroffene (politische) Entscheidung muss er aber juristisch begründen, was zu Begrün­ dungsdefiziten und mangelnder Intersubjektivität führen kann. Wegen dieser „Unwägbarkeit der Abwägung“ ist die „weite“ Drittwir­ kungslehre, die im Privatrecht für eine reine Güterabwägung plädiert, ab­ zulehnen. Vielmehr gilt das Verhältnismäßigkeitsgebot, wonach Grundrechts­ einschränkungen einen legitimen Zweck haben, zur Zweckerreichung geeignet und erforderlich sowie im Übrigen angemessen sein müssen. Dies gilt auch für die Offenlegungspflichten der Organmitglieder. Die Verhältnismäßigkeits­ prüfung (legitimer Zweck, Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessen­ heit) erhält in den nachfolgenden Kapiteln einen eigenständigen Platz, was dem Aufbau der Eingriffsprüfung entspricht. Beim Rückgriff auf den Grundsatz der praktischen Konkordanz wäre die Verhältnismäßigkeit dagegen inzident im Rahmen der Interessenabwägung zu prüfen. Sachliche Unterschiede sind damit aber nicht verbunden.

§ 3.  Offenlegungspflicht und Interessenkonflikte Bevor die Analyse einzelner Offenlegungspflichten beginnen kann, ist noch eine Frage zu klären, nämlich das Verhältnis zwischen der Offenlegungs­ pflicht und dem Interessenkonflikt. Die ganz herrschende Meinung gibt auf diese Frage eine genauso kurze wie klare Antwort: Sämtliche Interessenkon­ flikte sind von Organmitgliedern offenzulegen.217 Dabei wird wiederum auf die organschaftliche Treuepflicht verwiesen.218 Marcus Lutter begründet dies wie folgt: Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder seien auf das alleinige Wohl ihrer Gesellschaft verpflichtet. Da ihnen ein solches Handeln bei einem Inte­ ressenkonflikt nicht mehr möglich sei, dürften sie in dieser Situation für die Gesellschaft nicht handeln, seien also von der Geschäftsführung oder der Mit­ 217  Altmeppen, in: Roth/​ A ltmeppen, GmbHG, § 43 Rn. 28; Drygala, in: K. Schmidt/​ Lutter, AktG, § 116 Rn. 16; Fleischer, in: Spindler/​Stilz, AktG, § 93 Rn. 124, 130a; ders., WM 2003, 1045, 1050; Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 275; Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 93 Rn. 110; U. Schmidt, in: NK‑AktR, AktG § 93 Rn. 44; Spindler, in: MüKo AktG, § 93 Rn. 71 (für unternehmerische Entscheidungen); Kumpan, Interessenkon­ flikt, S. 245, 290; Diekmann/​Fleischmann, AG 2013, 141, 145, 148; Hopt, ZGR 2004, 1, 25 ff.; J. Koch, ZGR 2014, 697, 709; Lutter, FS Priester, S. 417, 420. 218  Siehe nur Fleischer, in: Spindler/​Stilz, AktG, § 93 Rn. 130a; Spindler, in: MüKo AktG, § 93 Rn. 125; für Aufsichtsratsmitglieder Habersack, in: MüKo AktG, § 100 Rn. 100; für die Ableitung aus der Treuepflicht bereits Wiedemann, Organverantwortung, S. 28.



§ 3.  Offenlegungspflicht und Interessenkonflikte

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wirkung am fraglichen Geschäft ausgeschlossen. Dies müssten wiederum ihre Vorstands- bzw. Aufsichtsratskollegen wissen. Das betroffene Organmitglied sei deshalb kraft seiner Treuepflicht gehalten, seine Kollegen über den Interes­ senkonflikt zu informieren.219 Eine korrespondierende zivilrechtliche Pflicht, Interessenkonflikte offenzulegen, wird aus § 666 BGB abgeleitet, der kraft Ver­ weisung in § 675 Abs. 1 BGB für alle Geschäftsbesorger, darunter auch für Or­ ganmitglieder gilt; im vorvertraglichen Stadium soll sich diese Offenlegungs­ pflicht aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB ergeben.220 Der DCGK empfiehlt zudem Vorstandsmitgliedern, Interessenkonflik­ te unverzüglich dem Aufsichtsratsvorsitzenden und dem Vorsitzenden bzw. Sprecher des Vorstands offenzulegen und die anderen Vorstandsmitglieder hier­über zu informieren (E. 2). Auch Aufsichtsratsmitglieder sollen Interessen­ konflikte unverzüglich dem Aufsichtsratsvorsitzenden offenlegen (E. 1).221 In der Literatur werden diese Empfehlungen als „geltendes Recht“ bezeichnet.222 Der Kodex falle sogar hinter das Gesetz zurück, da er nur eine Empfehlung ausspreche, während die Treuepflicht die Offenlegung zwingend gebiete.223 Nur vereinzelt wird diese Auffassung abgelehnt und die Offenlegungspflicht bei Interessenkonflikten auf Ausnahmefälle begrenzt224 bzw. als Obliegenheit eingestuft.225 Bei näherem Hinsehen fügt sich die pauschale Offenlegungs­ pflicht bei Interessenkonflikten allerdings schwer in die gesellschaftsrechtliche Dogmatik ein. Die Probleme beginnen bereits beim Versuch, „Interessenkon­ flikt“ zu definieren.

I.  Begriff des Interessenkonflikts Die Sicherheit, mit der die Offenlegung sämtlicher Interessenkonflikte gefor­ dert wird, ist schon deshalb verwunderlich, weil es bisher keine Einigkeit über den Begriff des Interessenkonflikts gibt. Zwar sind alle überzeugt, dass Inte­ ressenkonflikte offenzulegen sind, niemand kann aber genau sagen, was ge­ meint ist. Jens Koch spricht von „kaum einzugrenzenden Tatbestandsmerkmal 219  Lutter, FS Priester, S. 417, 419 f. 220  Kumpan, Interessenkonflikt, S. 291. 221  Vgl. Ziff. 4.3.3 S. 1 bzw. Ziff. 5.5.2 222  Hopt, ZGR 2004, 1, 25; Lutter, FS

DCGK 2017.

Priester, S. 417, 420; vgl. ferner J. Koch, FS Säcker, S. 401, 404 und ders., ZGR 2014, 697, 709, 723 („Wiedergabe geltenden Rechts“); Spindler, in: MüKo AktG, § 93 Rn. 71; Diekmann/​Fleischmann, AG 2013, 141, 145; a. A. Goslar, in: Wil­ sing, DCGK, 4.3.4 Rn. 7: echte Empfehlung. 223  Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 275 mit Fn. 1095; a. A. Goslar, in: Wil­ sing, DCGK, 4.3.4 Rn. 7: Die Treuepflicht gebiete keine Offenlegung des Interessenkon­ flikts, wenn das betroffene Vorstandsmitglied diesen von sich aus angemessen behandele und die Unterrichtung der übrigen Vorstandsmitglieder entbehrlich erscheine. 224  Baumanns, Interessenkollision bei AG‑Vorstandsmitgliedern, S. 37 ff., 50, 62. 225  Paefgen, in: Ulmer/​Habersack/​Löbbe, GmbHG, § 43 Rn. 109.

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Kapitel 2: Offenlegungspflichten in größerem Kontext

,Interessenkonflikt‘“226 und Christoph Kumpan, der sich in seiner Habilita­ tionsschrift allgemein mit Interessenkonflikten im deutschen Privatrecht be­ schäftigt, stellt fest, dass sich bisher noch kein einheitliches Verständnis des In­ teressenkonflikts entwickelt hat.227 In dieser Situation weiß man weder, wann die Offenlegungspflicht entsteht (sie entsteht ja bei einem „Interessenkon­ flikt“), noch was genau offenzulegen ist („Interessenkonflikt“). Das heißt aber nicht, dass an der Begriffsbildung nicht gearbeitet wird. Für Verträge zur Wahrung fremder Interessen vertritt Kumpan die Auffassung, ein Interessenkonflikt liege dann vor, wenn in ein und derselben Person divergie­ rende Interessen aufeinander träfen, die ihren Ursprung in unterschiedlichen Positionen (Statusverhältnissen) dieser Person hätten. Zum einen habe diese Person fremde Interessen zu wahren, zum anderen sei sie zugleich Privatper­ son mit eigenen Interessen oder sei sogar für eine weitere Person tätig, deren Interessen sie ebenfalls wahrzunehmen habe.228 Interessenkonflikte der ersten Art (eigene Interessen) werden in der Literatur mitunter „einfache Interessen­ konflikte“, die der zweiten Art (Pflichten gegenüber einem Dritten) „Pflich­ tenkollisionen“ genannt229, ohne dass diese Unterscheidung eine rechtliche Bedeutung hätte.230 In der Soziologie unterscheidet man stattdessen zwischen Intrarollenkonflikten (die Person muss innerhalb einer Rolle widersprüchliche Erwartungen erfüllen) und Interrollenkonflikten (die Person spielt verschiede­ ne Rollen, die miteinander in Konflikt kommen). Im Zusammenhang mit den organschaftlichen Offenlegungspflichten sind ausschließlich Interrollenkon­ flikte interessant231, wobei es sich sowohl um einfache Interessenkonflikte als auch um Pflichtenkollisionen handeln kann. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass die Gesellschaft von ihrem Organmitglied ein bestimmtes Verhalten er­ wartet, das in Konflikt zu seiner Rolle als Privatperson, als Gewerkschafts­ vertreter oder als Entscheidungsträger in einer anderen Organisation geraten kann. Dabei stellt sich die Frage nach der Rollentrennung, worauf noch zu­ rückzukehren sein wird. Im Gesellschaftsrecht sind ähnliche weite Definitionen gebräuchlich wie diejenige, die Kumpan für Verträge zur Wahrung fremder Interessen benutzt. 226  J. Koch, ZGR 2014, 697, 698, der außerdem meint, dass es keinen einheitlichen Begriff des Interessenkonflikts gebe und z. B. für Vorstand und Aufsichtsrat unterschiedliche Kon­ fliktbegriffe gälten, a. a. O., S. 706 ff. 227  Kumpan, Interessenkonflikt, S. 12. 228  Kumpan, Interessenkonflikt, S. 27 f. 229  Siehe etwa Bunz, Schutz unternehmerischer Entscheidungen, S. 241 f.; Lutter/​Krieger/​Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 896; Priester, ZIP 2011, 2081, 2082; U. Schneider, FS Goette, S. 475, 476. 230  Habersack, in: MüKo AktG, § 100 Rn. 92; Diekmann/​Fleischmann, AG 2013, 141, 142. 231  Ein gesellschaftsrechtliches Beispiel für ein Intrarollenkonflikt ist die Verpflichtung des Geschäftsleiters auf das Unternehmensinteresse, das sich aus den Interessen verschiede­ ner Stakeholder zusammensetzt; zu diesem Konfliktfall Kort, ZIP 2008, 717.



§ 3.  Offenlegungspflicht und Interessenkonflikte

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So wird als Interessenkonflikt ein Konflikt zwischen den Interessen der Ge­ sellschaft und den eigenen Interessen des Organmitglieds oder den Interessen ihm nahestehender Personen bezeichnet.232 Nach der Definition von Lutter, auf die „im Schrifttum […] nahezu durchgängig“233 verwiesen wird, ist ein In­ teressenkonflikt „diejenige Situation weiterer und einander objektiv entgegen­ stehender Interessen in der Person eines Organmitglieds einschließlich der ihm nahestehenden Personen und Unternehmen, von der man bei objektiver Be­ trachtung nicht sicher sein kann, dass das betreffende Organmitglied dennoch und unbedingt allein die Interessen seiner Gesellschaft verfolgen wird.“234 „Bei objektiver Betrachtung“ bedeutet, dass die Kenntnis der Tatsachen, die zum Interessenkonflikt führen, genügt; das betroffene Organmitglied muss sich nicht zusätzlich subjektiv befangen fühlen.235 Einschränkend wird teil­ weise eine gewisse Erheblichkeit des Interessenkonflikts verlangt, um bloße Bagatellkonflikte aus dem Begriff auszuschließen (Relevanzschwelle).236 Bei Aufsichtsratsmitgliedern soll diese Schwelle zudem höher liegen als bei Mit­ gliedern des geschäftsführenden Organs. Dies wird damit begründet, dass der Gesetzgeber das Aufsichtsratsamt als Nebentätigkeit ausgestaltet und damit das Risiko von Interessenkonflikten in Kauf genommen habe. Dies zeige eine gewisse Konflikttoleranz; ein Aufsichtsrat, dessen Mitglieder sich ständig für befangen erklärten, könne nicht das Ziel des Gesetzgebers sein.237 Außerdem sollen Interessenkonflikte der Aufsichtsratsmitglieder dann milder behan­ delt werden, wenn das Gesetz eine bestimmte Rollenerwartung toleriere oder sogar vorschreibe: So dürften die Vertreter der Arbeitnehmer bzw. der An­ teilseigner im Aufsichtsrat grundsätzlich die Interessen der jeweiligen Gruppe durchsetzen.238 Trotz dieser Einschränkungen bleibt der Begriff des Interessenkonflikts recht weit. Er umfasst nicht nur punktuelle Interessenkonflikte, die sich auf einen Einzelfall beschränken (typisches Beispiel: Eigengeschäft des Organmit­ glieds mit der Gesellschaft). Vielmehr erstreckt sich der Begriff auf dauerhaf­ te, fortwirkende Interessenkonflikte (Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, 232 

Siehe etwa J. Koch, ZGR 2014, 697, 699.

233 So J. Koch, ZGR 2014, 697, 703. 234  Lutter, FS Priester, S. 417, 423.

235  Bachmann, in: Kremer u. a., DCGK , 4.3 Rn. 1100; J. Koch, ZGR 2014, 697, 704; Lutter, FS Priester, S. 417, 422 f. 236  Bachmann, in: Kremer u. a., DCGK , 4.3 Rn. 1100 f.; Goslar, in: Wilsing, DCGK , 4.3.4 Rn. 3; Wilsing, in: Wilsing, DCGK, 5.5.2 Rn. 3, Diekmann/​Fleischmann, AG 2013, 141, 143; J. Koch, ZGR 2014, 697, 706. 237  J. Koch, ZGR 2014, 697, 707 f.; vgl. auch Gündel, Interessenwahrung bei der Beset­ zung des Aufsichtsrates, S. 34; strenger K. Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsman­ daten, S. 62; Wardenbach, Interessenkonflikte, S. 14 f.: keine Toleranz gegenüber Interessen­ konflikten oder deren Inkaufnahme durch den Gesetzgeber. 238  Bunz, Schutz unternehmerischer Entscheidungen, S. 242; J. Koch, ZGR 2014, 697, 707 f.

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Kapitel 2: Offenlegungspflichten in größerem Kontext

Doppelmandate im Konzern). Ein weiteres Beispiel für einen dauerhaften Inte­ ressenkonflikt ist die Situation bei einer schweren Erkrankung des Geschäfts­ leiters, der weiterhin im Amt bleiben will, obwohl die Gefahr besteht, dass die Krankheit seine Amtsführung beeinträchtigt. Dauerkonflikte bilden also die Grundlage für künftige punktuelle Interessenkonflikte und können sich somit in einer unbestimmten Zahl von Einzelfällen (Geschäften, Beschlüssen, Ge­ schäftsführungshandlungen) auswirken. Die Unterscheidung zwischen punktuellen und dauerhaften Interessenkon­ flikten wird nicht immer vorgenommen; auch die Terminologie ist insoweit uneinheitlich.239 Möglicherweise ist dies der Grund für viele Missverständnis­ se: So werden dauerhafte Interessenkonflikte manchmal als abstrakte oder rein theoretische Konflikte (im Gegensatz zum „konkreten“ punktuellen Konflikt) verstanden und schon deshalb aus dem Begriff „Interessenkonflikt“ heraus­ genommen.240 Ferner werden sie mit potentiellen Interessenkonflikten ver­ wechselt, die ebenfalls unbeachtlich sein sollen.241 Exemplarisch dafür war das gängige Verständnis der Ziff. 5.5.2 DCGK 2017, die jedem Aufsichtsratsmit­ glied empfahl, Interessenkonflikte offenzulegen, die aufgrund „einer Beratung oder Organfunktion bei Kunden, Lieferanten, Kreditgebern oder sonstigen Dritten entstehen können“. Aus der Formulierung „entstehen können“ wurde häufig der Schluss gezogen, die Empfehlung betreffe potentielle Interessen­ konflikte. Dies wurde dann auch kritisiert.242 Die Gegenstimmen verteidigten die Kodexempfehlung mit der Begründung, gemeint seien nur „aufgetretene“, also punktuelle Interessenkonflikte (wie in Ziff. 5.5.3 DCGK 2017).243 Richtiger Ansicht nach will der Kodex erreichen, dass der Aufsichtsrat auch über dauerhafte Interessenkonflikte informiert wird.244 Dagegen muss der Betroffene sicherlich nicht alle möglichen Einzelkonflikte auflisten, zu 239 Ähnlich

wie hier Habersack, in: MüKo AktG, § 100 Rn. 92; Marsch-Barner, in: Semler/von Schenck, ARHdb. § 13 Rn. 107 f., 133; Wilsing, in: Wilsing, DCGK, 5.5.2 Rn. 4; K. Krebs, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten, S. 65, 267 („punktuelle“ und „per­ manente“ Interessenkonflikte); Priester, ZIP 2011, 2081, 2082; U. Schneider, FS Goette, S. 475, 477 f.; vgl. aber Ziff. 5.4.2 DCGK, die zwischen „vorübergehenden“ und „wesentli­ chen“ Interessenkonflikten differenziert. 240  Bachmann, in: Kremer u. a., DCGK , 4.3 Rn. 1100. 241  Zur Irrelevanz potentieller Interessenkonflikte siehe etwa Diekmann/​Fleischmann, AG 2013, 141, 142, 144 f., die indes bei Vorstandsmitgliedern einen strengeren Maßstab an­ legen und die Offenlegung von potentiellen Interessenkonflikten fordern, wenn „aufgrund der Nähe oder Bedeutung der Interessenbeziehung ein Interessenkonflikt besonders wahr­ scheinlich wäre“, a. a. O., S. 148. 242 So Bachmann, in: Kremer u. a., DCGK , 4.3 Rn. 1101; J. Koch, ZGR 2014, 697, 724 f.; vgl. auch Hambloch-Gesinn/​Gesinn, in: Hölters, AktG, § 116 Rn. 74; ablehnend Wilsing, in: Wilsing, DCGK, 5.5.2 Rn. 5. 243 So OLG München, Urt. v. 24.9.2008 – 7 U 4230/07, AG 2009, 121, 123; Diekmann/​ Fleischmann, AG 2013, 141, 145. 244 Vgl. Kremer, in: Kremer u. a., DCGK , 5.5.2 Rn. 1462; Bunz, Schutz unternehmeri­ scher Entscheidungen, S. 243; Kort, ZIP 2008, 717, 724; Priester, ZIP 2011, 2081, 2082.



§ 3.  Offenlegungspflicht und Interessenkonflikte

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denen seine Tätigkeit bei Kunden oder sonstigen Dritten führen könnte. Es geht also nicht um die Offenlegung von potentiellen punktuellen Interessen­ konflikten, sondern um die Offenlegung des vorhandenen Dauerkonflikts als eine Art Warnsignal an den Aufsichtsrat. Dieses Verständnis schimmert auch bei Koch durch, wenn er sagt, es gehe „augenscheinlich nicht nur darum, offen zu legen, dass eine Einzelentscheidung verzerrt werden könnte; dafür würde die Offenlegung des entstandenen Konflikts genügen. Vielmehr sollen schon latente Konfliktlagen offengelegt werden […]“245. Die Bezeichnung des Dauerkonflikts als „latenter Konflikt“246 ist aber m. E. nicht ganz präzise, da Dauerkonflikte durchaus offenkundig sein können (Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat). Genauso wenig handelt es bei einem Dauerkonflikt um einen potentiellen Interessenkonflikt247, denn er ist als Wurzel künftiger Einzelkon­ flikte bereits gegenwärtig vorhanden. Diese Missverständnisse führen mitunter dazu, dass einige Autoren zwar von der weiten Lutter’schen Definition ausgehen, den Interessenkonflikt in Wahrheit aber viel enger verstehen, nämlich im Sinne eines punktuellen („kon­ kreten“) Interessenkonflikts.248 Andere sprechen sich von vornherein für den engeren Begriff, der nur „konkrete“ Interessenkonflikte erfasst, also Interes­ senkonflikte hinsichtlich bestimmter Geschäfte oder Maßnahmen.249 Der en­ gere Begriff des Interessenkonflikts ist also in Deutschland durchaus verbrei­ tet. Ähnlich ist die Lage im Ausland. Der UK Companies Act 2006 folgt zwar einem weiten Begriff, solange es um das Konfliktvermeidungsgebot geht: „A director of a company must avoid a situation in which he has, or can have, a direct or indirect interest that conflicts, or possibly may conflict, with the in­ terests of the company“ (s. 175 (1)). Geht es jedoch um die Offenlegung von In­ teressenkonflikten (s. 177), wird der Begriff enger: „177 Duty to declare interest in proposed transaction or arrangement (1) If a director of a company is in any way, directly or indirectly, interested in a pro­ posed transaction or arrangement with the company, he must declare the nature and extent of that interest to the other directors. […]“ 245  J. Koch, ZGR 2014, 697, 724. 246  So auch Bachmann, in: Kremer

247  So

724 f.

u. a., DCGK, 4.3 Rn. 1100. aber wohl Diekmann/​Fleischmann, AG 2013, 141, 142; J. Koch, ZGR 2014, 697,

248  Besonders

deutlich bei J. Koch, ZGR 2014, 697, 699, 703 f., 724 f., 728; vgl. aber auch Bachmann, in: Kremer u. a., DCGK, 4.3 Rn. 1100 ff.; Diekmann/​Fleischmann, AG 2013, 141, 142 f. 249 Siehe Bicker/​Preute, in: Fuhrmann/​Linnerz/​Pohlmann, DCGK , Ziff. 5 Rn. 299; Goslar, in: Wilsing, DCGK, 4.3.4 Rn. 3; Heldt, in: NK‑AktR, DCGK, Rn. 39; Scholderer, NZG 2012, 168, 171; tendenziell auch Fuhrmann, in: Fuhrmann/​Linnerz/​Pohlmann, DCGK , Ziff. 4 Rn. 275 f., der indes auch bei „abstrakten“ Interessenkonflikten zur Offenle­ gung rät, um „jeglichen bösen Schein“ zu vermeiden. Vgl. ferner Göres, Interessenkonflikte von Wertpapierdienstleistern, S. 33 (enges Verständnis).

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Kapitel 2: Offenlegungspflichten in größerem Kontext

Der Direktor muss also ein Interesse an einem vorgeschlagenen Geschäft („transaction“) oder einer vorgeschlagenen Maßnahme („arrangement“) haben, damit die Pflicht entsteht, die anderen Direktoren über die Art und Reichweite dieses Interesses zu informieren. Ganz ähnlich bestimmt das italienische Recht in Art. 2391 Abs. 1 Codice Civile: „Jedes Interesse, das ein Geschäftsleiter selbst oder bezüglich eines Dritten an einem bestimmten Geschäft der Gesellschaft hat, muss er den an­ deren Geschäftsleitern und dem Kontrollrat unter Angaben der Art, des Um­ fangs, der Herkunft und der Tragweite anzeigen […]“250. In USA sprechen ALI Principles of Corporate Governance von Interessenkonflikten ebenfalls im Zusammenhang mit konkreten Geschäften. Nach § 5.02 (a) dieser Prinzi­ pien müssen Interessenkonflikte dann offengelegt werden, wenn es um Eigen­ geschäfte der Führungskräfte mit der Gesellschaft geht (es sei denn, das Ge­ schäft betrifft die Vergütung): „(a) General Rule. A director [§ 1.13] or senior executive [§ 1.33] who enters into a trans­ action with the corporation (other than a transaction involving the payment of com­ pensation) fulfills the duty of fair dealing with respect to the transaction if:   (1) Disclosure concerning the conflict of interest [§ 1.14(a)] and the transaction [§ 1.14(b)] is made to the corporate decisionmaker [§ 1.11] who authorizes in advance or ratifies the transaction […]“.

§ 1.14 (a) definiert sodann, was unter der Offenlegung des Interessenkonflikts zu verstehen ist. Erforderlich ist grundsätzlich die Offenlegung von „wesentli­ chen Fakten“ („material facts“) betreffend den Interessenkonflikt, es sei denn, diese sind dem gesellschaftsinternen Entscheidungsträger, der die Zustimmung für das fragliche Geschäft erteilt, bereits bekannt: „A director […] makes ‚disclosure concerning a conflict of interest‘ if the director […] discloses to the corporate decisionmaker [§ 1.11] who authorizes in advance or ratifies the transaction in question the material facts [§ 1.25] known to the director […] con­ cerning the conflict of interest, or if the corporate decisionmaker knows of those facts at the time the transaction is authorized or ratified.“

Einzelstaatliches Recht, etwa das Recht von Delaware, entspricht diesem Mus­ ter und enthält in § 144 (a) seines General Corporation Law (Titel 8 des Dela­ ware Code) im Wesentlichen inhaltsgleiche Regelungen. Auch in § 144 geht es um eine konkrete „transaction“, an der bestimmte Direktoren eigenes Interesse haben.251

250 

Zitiert nach Fleischer, DB 2014, 1971, 1973. Balotti/​Finkelstein, The Delaware Law of Corporations, § 4.16 [A], S. 4–121 f.

251 Dazu



§ 3.  Offenlegungspflicht und Interessenkonflikte

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II.  Offenlegung von Dauerkonflikten Was folgt daraus für das deutsche Recht? Die pauschale Forderung, alle In­ teressenkonflikte offenzulegen, ist vor allem dann problematisch, wenn man den Begriff „Interessenkonflikt“ weit versteht. Denn in diesem Fall müssen auch Dauerkonflikte ohne konkreten Anlass offenbart werden, außer wenn sie offensichtlich sind. Spontan offenzulegen wären z. B. nicht nur Organfunk­ tionen bei Geschäftspartnern, sondern auch gefährliche Hobbies, schwere Er­ krankungen oder vergangenes Fehlverhalten. Dieser Standpunkt wird in der Literatur recht konsequent von Klaus Hopt und Markus Roth vertreten, die insbesondere für die uneingeschränkte Offenlegung vorausgegangener eigener Pflichtverletzungen plädieren.252 Wäre dem so, könnte man die vorliegende Untersuchung an dieser Stelle beenden, weil jede Offenlegungspflicht der Or­ ganmitglieder einen Interessenkonflikt voraussetzt, der mit Hilfe eben dieser Pflicht bewältigt werden soll. Gegen die Offenlegung sämtlicher Interessen­ konflikte ohne vorherige Prüfung sprechen aber sowohl der Inhalt der Treue­ pflicht als auch die Grundrechte. Im deutschen Gesellschaftsrecht ist die Treuepflicht das Instrument zur Lö­ sung von Interessenkonflikten; gerade deshalb wird die Offenlegungspflicht bei Interessenkonflikten auf die Treuepflicht gestützt. Die Treuepflicht besagt jedoch nicht, dass im Falle eines Interessenkonflikts (i. w. S.) das Gesellschafts­ interesse stets Vorrang vor dem Interesse des Organmitglieds hat. Der Vor­ rang des Gesellschaftsinteresses stellt nach herrschender Meinung „nur“ einen Grundsatz dar, der eine Interessenabwägung nicht per se ausschließt.253 Je nach­ dem, wie diese ausfällt, ist die Verfolgung eigener Interessen zulässig; dabei müssen Organmitglieder allerdings auf das Gesellschaftsinteresse Rücksicht nehmen.254 Aus diesem Grund wurde die Treuepflicht hier aus normtheoreti­ scher Sicht nicht als Rechtsregel, sondern als Rechtsprinzip eingestuft.255 Auf­ fällig ist, dass die herrschende Doktrin, die die Treuepflicht sonst sehr flexibel interpretiert, bei Interessenkonflikten auf dem Standpunkt steht, die Treue­ pflicht fordere immer die Konfliktoffenlegung. Dahinter steht möglicherweise der Gedanke, dass die Offenlegung das Mindeste ist, was das betroffene Or­ ganmitglied tun kann, wenn es schon nicht in der Lage ist, den Konflikt ganz zu vermeiden.256 Der andere tragende Gedanke dürfte der Kontrollgedanke 252 Siehe

Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 275; Hopt, ZGR 2004, 1, 25 ff. Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, §  93 Rn. 229, 275; Ziemons, in: Michalski, GmbHG, § 43 Rn. 207, 209; vgl. ferner Fleischer, in: Spindler/​Stilz, AktG, § 93 Rn. 122: „Leitlinie“; ders., WM 2003, 1045, 1050: „Grundregel“. 254  Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 93 Rn. 107; U. Schmidt, in: NK‑AktR, AktG § 93 Rn. 39; vgl. auch Altmeppen, in: Roth/​A ltmeppen, GmbHG, § 43 Rn. 28. 255  Siehe § 1, II dieses Kapitels. 256 Vgl. Spindler, in: MüKo AktG, § 93 Rn. 125: „Eine der wesentlichen Ausprägungen der Treuepflicht ist die Vermeidung und zumindest Offenlegung von Interessenkonflik­ 253 

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Kapitel 2: Offenlegungspflichten in größerem Kontext

sein: Hopt und Roth argumentieren etwa, Transparenz gegenüber demjenigen, dessen Interessen wahrgenommen werden, sei für den Interessenwahrer eine zentrale Pflicht und hänge daher nicht vom Ergebnis der Interessenabwägung ab.257 Andere bezeichnen die Offenlegung als „prozeduralen Flankenschutz“ für die Treuepflicht258 , als ein Instrument, mit dem die Gesellschaft kontrollie­ ren könne, ob die Organmitglieder ihrer Treuepflicht genügten.259 Dem ist insofern zuzustimmen, als die Gesellschaft sicherlich ein legitimes Interesse an der Kontrolle ihrer Organmitglieder hat. Dies gilt umso mehr bei Interessenkonflikten, da in solchen Situationen die Gefahr eines illoya­ len Verhaltens besonders groß ist. Die Offenlegung des Interessenkonflikts ist dabei nicht von vornherein ungeeignet, das Verhalten der Organmitglieder zu kontrollieren und die Interessen der Gesellschaft zu schützen.260 Aus die­ sem Grund wäre es zu eng, die Offenlegungspflicht nur in Ausnahmefällen anzunehmen, also wenn ein Interessenkonflikt so schwer wiegt, dass die Or­ ganperson nicht mehr in der Lage ist, ihrer Treuepflicht nachzukommen, oder wenn ohne Offenlegung ein Schaden droht.261 Auf der anderen Seite sollte man den mit der Offenlegung verbundenen Eingriff in die Rechte der Organmit­ glieder nicht unterschätzen, auch wenn es „nur“ um die Loyalitätskontrolle geht. Gerade heute weiß man nur allzu gut, dass ein Informationseingriff ein scharfes Schwert ist, das soziale und berufliche Existenzen vernichten kann. Nur um ein extremes, aber zugleich praktisches Beispiel zu nennen: Wäre ein Geschäftsleiter, der an einer manisch-depressiven Erkrankung leidet, ver­ pflichtet, seine Diagnose offenzulegen, könnte dies für ihn ein berufliches Aus bedeuten, und zwar nicht nur bei seinem aktuellen Dienstherrn, sondern wo­ möglich auch für die Zukunft. Diese Problematik ist gerade bei Dauerkonflikten besonders akut; sie gerät aus dem Blickwinkel, wenn die Offenlegung sämtlicher Interessenkonflikte ge­ fordert wird. Insbesondere wenn eine Offenlegungspflicht das Persönlichkeits­ recht des Organmitglieds tangiert262 , kann kein pauschales Offenlegungsgebot gelten. Vielmehr ist zu prüfen, ob die Offenlegungspflicht in einer bestimmten Situation verhältnismäßig, also geeignet, erforderlich und angemessen ist. Das Verhältnismäßigkeitsgebot gilt in solchen Fällen übrigens sowohl für das „Ob“ ten“; ferner U. Schneider, FS Goette, S. 475, 477: „Vorgesehen ist teilweise nur eine Offenle­ gung …“ (Hervorhebung durch die Verf.). 257  Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 275; ähnlich Hopt, ZGR 2004, 1, 25. 258  Fleischer, in: Spindler/​Stilz, AktG, § 93 Rn. 124; ders., WM 2003, 1045, 1050. 259  Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 93 Rn. 110; Bicker/​Preute, in: Fuhrmann/​ Linnerz/​Pohlmann, DCGK, Ziff. 5 Rn. 298; Diekmann/​Fleischmann, AG 2013, 141, 142; wohl auch Kort, ZIP 2008, 717, 719. 260  Vgl. auch Kumpan, Interessenkonflikt, S. 290: Jemand, der über einen Interessenkon­ flikt seines Vertragspartners aufgeklärt worden sei, könne sich selbst ausreichend schützen. 261 So aber Baumanns, Interessenkollision bei AG‑Vorstandsmitgliedern, S. 42 f., die den Kontrollgedanken ausdrücklich ablehnt. 262  Dazu oben in § 2 dieses Kapitels.



§ 3.  Offenlegungspflicht und Interessenkonflikte

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als auch für das „Wie“ der Offenlegung, d. h. für ihren Inhalt. Die simple For­ derung, offenzulegen sei der „Interessenkonflikt“, ist zu ungenau. So besteht z. B. beim Management-Buy-out der Interessenkonflikt darin, dass die Mana­ ger „ihre“ Gesellschaft möglichst preiswert übernehmen wollen, während die Gesellschaft für ihr Vermögen bzw. die Gesellschafter für ihre Anteile einen möglichst hohen Preis zu erzielen versuchen. Diesen Interessenkonflikt offen­ zulegen wäre jedoch sinnlos, weil er offenkundig ist. Interessant sind vielmehr die Umstände, die für den Wert der Anteile bzw. des Vermögens relevant sind. In der Rechtsprechung wird die Forderung nach der Offenlegung des Inte­ ressenkonflikts teilweise dahingehend konkretisiert, dass angegeben werden müsse, um welche Themen es gehe und weshalb das Organmitglied persönlich betroffen sei.263 Manche Literaturstimmen fordern, dass die genaue Natur und Herkunft des Interessenkonflikts offengelegt werden.264 Bei solchen generel­ len Aussagen ist allerdings Vorsicht geboten. Vielmehr ist es im Einzelfall zu prüfen, ob die konkrete Mitteilung zum Schutz der Gesellschaft geeignet ist. Ferner muss sie erforderlich sein, sich also auf die Umstände beschränken, die die Gesellschaft zur Wahrnehmung ihrer Interessen wissen muss.265 Schließ­ lich muss die Mitteilung für den Betroffenen zumutbar, d. h. angemessen sein. Die Offenlegungspflicht besteht also nur in den Grenzen, die vom Verhältnis­ mäßigkeitsgrundsatz vorgegeben sind. Scheidet die Offenlegung demnach aus, muss der Interessenkonflikt auf eine andere Weise gelöst werden. Eine solche alternative Lösung wird in der Regel möglich sein, weil die Of­ fenlegung nicht das einzige Mittel zur Behandlung von Interessenkonflikten darstellt. Der Rückgriff auf andere, im Einzelfall besser geeignete oder mildere Mittel wird durch die Treuepflicht nicht gesperrt, weil diese, wie gesagt, kei­ nen Offenlegungszwang begründet. Schon das Gesetz sieht unterschiedliche Strategien zur Lösung von Interessenkonflikten vor, die vom Ausschluss des Betroffenen von der Willensbildung bis hin zu Handlungsverboten reichen.266 Nicht alle diese Strategien erfordern eine vorherige Offenlegung des Interes­ senkonflikts. Geboten ist die Offenlegung etwa dann, wenn das Organmit­ glied aufgrund des Interessenkonflikts an bestimmten Entscheidungen nicht 263 So OLG Frankfurt, Urt. v. 5.7.2011 – 5 U 104/10, ZIP 2011, 1613 – Deutsche Bank (zur Offenlegung gegenüber der Hauptversammlung nach Ziff. 5.5.3 S. 1 DCGK); kritisch dazu wegen der Vertraulichkeit der Arbeit im Aufsichtsrat Priester, ZIP 2011, 2081, 2083 ff. Einschränkend insoweit BGH, Urt. v. 10.7.2012 − II ZR 48/11, NZG 2012, 1064 Rn. 32 – Fresenius sowie BGH, Beschl. v. 14.5.2013 – II ZR 196/12, NZG 2013, 783, 784: Darlegung von Einzelheiten ist nicht erforderlich. 264  Goslar, in: Wilsing, DCGK , Ziff. 4.3.4 Rn. 9. 265 Vgl. Kumpan, Interessenkonflikt, S. 272 ff., 291; ferner Bicker/​Preute, in: Fuhrmann/​ Linnerz/​Pohlmann, DCGK, Ziff. 5 Rn. 301; Fuhrmann, in: Fuhrmann/​Linnerz/​Pohlmann, DCGK , Ziff. 4 Rn. 277; Kremer, in: Kremer u. a., DCGK , Ziff. 5.5.2 Rn. 1466; Wilsing, in: Wilsing, DCGK, 5.5.2 Rn. 20; Kort, ZIP 2008, 717, 724. 266 Dazu Fleischer, in: Spindler/​ Stilz, AktG, § 93 Rn. 123; U. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 43 Rn. 152.

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Kapitel 2: Offenlegungspflichten in größerem Kontext

mitwirken soll: Hier muss die Gesellschaft vom Interessenkonflikt wissen, um notwendige Verfahrensvorkehrungen zu treffen.267 Ein Gegenbeispiel ist das Wettbewerbsverbot (§ 88 AktG), das von Vorstandsmitgliedern schon dann eingehalten wird, wenn sie nicht in Wettbewerb zur AG treten. Sie müssen aber nicht zusätzlich berichten, dass sie zwar gerne eine Konkurrenztätigkeit auf­ nehmen würden, davon aber im Interesse der Gesellschaft und im Hinblick auf ihre gesetzlichen Pflichten absehen. Bei diesem Interessenkonflikt erfolgt die Offenlegung häufig freiwillig, wenn das Vorstandsmitglied erreichen will, dass der Aufsichtsrat in die konkurrierende Tätigkeit einwilligt, § 88 Abs. 1 AktG. Die organschaftliche Treuepflicht ist nicht weniger geschmeidig als das Ge­ setz. Insofern sei an die These Manns erinnert, die Treuepflicht verlange vom Verpflichteten lediglich, das Interesse des Treueberechtigten als Handlungsziel anzusetzen, gebe aber weder eine konkrete Handlung noch einen konkreten Erfolg vor.268 Welches Verhalten die Treuepflicht beim Interessenkonflikt ge­ bietet, hängt in erster Linie von der Art des Konflikts ab.269 Dessen Offenle­ gung kann, muss aber nicht das beste und mildeste Mittel zur Durchsetzung des Gesellschaftsinteresses sein.270 Ob dies der Fall ist, entscheidet wiederum eine Verhältnismäßigkeitsprüfung. Vor allem bei Dauerkonflikten kann die Amtsniederlegung ein Mittel sein, das zur Konfliktbewältigung besser geeig­ net ist271 und zudem in die Grundrechte des Betroffenen weniger eingreift als die Offenlegung (man denke an die Möglichkeit, bei einer schweren Krank­ heit das Amt aus persönlichen Gründen niederzulegen, ohne die Erkrankung offenbaren zu müssen). Aus gutem Grund bestimmt auch der DCGK, dass wesentliche und nicht nur vorübergehende Interessenkonflikte in der Person eines Aufsichtsratsmitglieds zur Beendigung des Mandats führen sollen (Emp­ fehlung E. 1). Auch in Rechtsprechung und Literatur ist eine Pflicht zur Man­ datsniederlegung anerkannt, jedenfalls bei schwerwiegenden Dauerkonflikten, die eine ordnungsgemäße Amtsausübung gefährden.272 267  268 

So zu Recht Baumanns, Interessenkollision bei AG‑Vorstandsmitgliedern, S. 40. Mann, Treuepflicht, S. 39; Seibt, in: Scholz, GmbHG, § 14 Rn. 67. 269  Vgl. auch Marsch-Barner, in: Semler/von Schenck, ARHdb. § 13 Rn. 105. 270  Vgl. KG, Urt. v. 11.3.2005 – 14 U 137/03, KGR Berlin 2005, 609, 610: Das Vorstands­ mitglied einer Bank ist nicht nur gehalten, seine Beteiligung an einem kriselnden Fonds of­ fenzulegen, sondern muss auch Maßnahmen ergreifen, um von der Bank Schäden abzuwen­ den, die durch die finanzielle Schieflage des Fonds entstehen können. 271  Vgl. auch Wardenbach, Interessenkonflikte, S. 162 f., 326 ff., der bei Interessenkon­ flikten im Aufsichtsrat verstärkt auf Inkompatibilität bzw. auf Abberufung setzt. 272  OLG Schleswig, Beschl. v. 26.4.2004 – 2 W 46/04, NZG 2004, 669, 670; LG Hanno­ ver, Beschl. v. 12.3.2009 – 21 T 2/09, ZIP 2009, 761, 762 – Continental/​Schaeffler; Bicker/​ Preute, in: Fuhrmann/​Linnerz/​Pohlmann, DCGK, Ziff. 5 Rn. 298, 304 f.; Habersack, in: MüKo AktG, § 100 Rn. 103 f.; Koch, in: Hüffer/​Koch, AktG, § 116 Rn. 8; Spindler, in: Spind­ ler/​Stilz, AktG, § 116 Rn. 85; Hoffmann-Becking, MünchHdb. AG, § 33 Rn. 83; Lutter/​ Krieger/​Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 900; Marsch-Barner, in: Sem­



§ 3.  Offenlegungspflicht und Interessenkonflikte

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Ein zusätzliches Argument gegen die pauschale Offenlegung von Inte­ ressenkonflikten drängt sich auf, wenn man diese Konflikte als Rollenkon­ flikte versteht.273 Verschiedene soziale Rollen kann eine Person nur ausüben, wenn sie die einzelnen Rollen trennt.274 Die Rollentrennung wird indes er­ schwert, wenn Rollenkonflikte und damit die Tatsache, dass der Betroffene unterschiedliche Rollen spielt, offengelegt werden müssen. Auch aus diesem Grund muss zwischen Nutzen und Kosten der Offenlegung sorgfältig abge­ wogen werden. Eine vollständige Transparenz würde zu einem gläsernen Or­ ganmitglied führen, das alle seine Rollen der Gesellschaft präsentieren muss, sobald sie mit dem Gesellschaftsinteresse in Konflikt geraten können (und die­ ses Konfliktpotential ist praktisch bei jeder sozialen Rolle vorhanden). Dies wäre kaum wünschenswert.

III.  Offenlegung punktueller Interessenkonflikte Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist auch dann zu beachten, wenn es um die Offenlegung punktueller Interessenkonflikte geht. Allerdings ist deren Offenlegung meist verhältnismäßig, jedenfalls solange der Konflikt rein wirt­ schaftlicher Art ist. Hat also das Organmitglied ein wirtschaftliches Eigen­ interesse an einem bestimmten Geschäft oder einer bestimmten Maßnahme, ist die Offenlegung dieses Interesses geeignet, erforderlich und angemessen, um den Belangen der Gesellschaft Rechnung zu tragen. Geeignet ist die Of­ fenlegung, weil sie der Gesellschaft die Möglichkeit eröffnet, sich gegen das il­ loyale Verhalten des Organmitglieds zu schützen. Erforderlich ist sie, weil sie ein mildes Mittel zum Schutz der Gesellschaft ist, insbesondere im Vergleich zum Verbot, an der betreffenden Maßnahme mitzuwirken. Insoweit trifft die Beobachtung von Hopt zu, die Offenlegung sei als das „flexiblere Instrument der Rechtsordnung an die Stelle ursprünglicher strikter Verbote getreten“275. So galt in den Common-Law-Ländern früher eine starre „no-conflict rule“, welche die Geschäfte der Gesellschaft mit ihren Direktoren stets anfechtbar machte, sobald persönliche Interessen involviert waren, und zwar unabhängig davon, ob die Konditionen des Geschäfts fair waren oder nicht.276 In England pflegt man dazu Aberdeen Railway Co. v Blaikie zu zitieren: ler/von Schenck, ARHdb. § 13 Rn. 149; Diekmann/​Fleischmann, AG 2013, 141, 147, 149; U. Schneider, FS Goette, S. 475, 480. 273  Dieses Verständnis etwa bei Lutter/​Krieger/​Verse, Rechte und Pflichten des Auf­ sichtsrats, Rn. 894, 897; Kumpan, Interessenkonflikt, S. 27 f.; Lutter, FS Coing, S. 565 ff.; U. Schneider, FS Goette, S. 475, 476. 274 Dazu oben § 2 I; siehe auch Lutter/​Krieger/​Verse, Rechte und Pflichten des Auf­ sichtsrats, Rn. 897: „Zuvörderst gilt der Grundsatz der Rollentrennung: Das einzelne Mit­ glied hat zwischen seinen verschiedenen Rollen zu unterscheiden, das jeweilige Unterneh­ mensinteresse zu beachten und seine Mitarbeit im Aufsichtsrat daran auszurichten.“ 275  Hopt, ZGR 2004, 1, 25. 276  Siehe für UK Davies/ ​Worthington, Gower’s Principles of Modern Company Law,

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Kapitel 2: Offenlegungspflichten in größerem Kontext

„… it is a rule of universal application that no one, having such duties [fiduciary du­ ties – Verf.] to discharge, shall be allowed to enter into engagements in which he has, or can have, a personal interest conflicting, or which possibly may conflict, with the interests of those whom he is bound to protect […] So strictly is this principle adhered to that no question is allowed to be raised as to the fairness or unfairness of a contract so entered into.“277

Die „no-conflict rule“ ist nunmehr in s. 175(1) UK Companies Act 2006 ko­ difiziert: „A director of a company must avoid a situation in which he has, or can have, a direct or indirect interest that conflicts, or possibly may con­ flict, with the interests of the company.“ Dementsprechend spricht man von der Pflicht zur Vermeidung von Interessenkonflikten (duty to avoid conflicts of interest). Diese strenge Pflicht wird durch verschiedene Regelungen des Com­ panies Act abgeschwächt, unter anderem durch s. 175(3), wonach die Konflikt­ vermeidungspflicht nicht gilt, soweit es um einen Interessenkonflikt im Zu­ sammenhang mit einem Geschäft oder einer Abmachung mit der Gesellschaft geht: „This duty does not apply to a conflict of interest arising in relation to a transaction or arrangement with the company“. Solche punktuelle Interessen­ konflikte bedürfen allerdings der Offenlegung nach s. 177 und 182 Companies Act.278 Nach s. 177(1) Companies Act muss der Direktor, der an einem bestimm­ ten Geschäft oder einer bestimmten Abmachung mit der Gesellschaft unmit­ telbar oder mittelbar interessiert ist, den anderen Direktoren die Art und die Reichweite dieses Interesses offenlegen. Die Offenlegungspflicht dient dazu, die anderen Direktoren vom Interessenkonflikt in Kenntnis zu setzen, damit sie notwendige Maßnahmen zum Schutz der Gesellschaftsinteressen ergreifen können. Welche Maßnahmen dies sind, lässt das Gesetz offen.279 Die vom Inte­ ressenkonflikt nicht betroffenen Direktoren können jedenfalls dem fraglichen Geschäft zustimmen mit der Folge, dass der Direktor es vornehmen kann.280 Nicht immer sind die Verhaltensanforderungen allerdings als Pflicht aus­ gestaltet: Nach § 5.02 (a) ALI‑Principles ist die Offenlegung von Eigeninteres­ sen keine Pflicht, sondern eine Art „safe harbor rule“, deren Nichtbeachtung zu Beweisproblemen führen kann. Ähnlich bestimmt § 144 (a) General Corpo­ ration Law of Delaware, dass ein Rechtsgeschäft der Gesellschaft nicht wegen eines Interessenkonflikts nichtig oder vernichtbar ist, wenn die wesentlichen Rn. 16–54; Hannigan, Company law, Rn. 12–1; für USA (Delaware) Balotti/​Finkelstein, The Delaware Law of Corporations, § 4.16 [A], S. 4–121. 277  Aberdeen Railway Co. v Blaikie Bros (1854) 1 Macq H. L. 461, 471 f.; dazu Davies/​ Worthington, Gower’s Principles of Modern Company Law, Rn. 16–54; Hannigan, Compa­ ny law, Rn. 12–8. 278 Dazu Hannigan, Company law, Rn. 12–3; Reisberg/​Donovan, Pettet, Lowry & Reisberg’s Company law, S. 182. 279  Davies/ ​Worthington, Gower’s Principles of Modern Company Law, Rn. 16–58. 280  Hannigan, Company law, Rn. 12–38 ff.



§ 3.  Offenlegungspflicht und Interessenkonflikte

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Fakten betreffend das Geschäft und den Interessenkonflikt vorher gegenüber den unbeteiligten Boardmitgliedern oder Gesellschaftern offengelegt worden sind und diese dem Geschäft zustimmen. Die Offenlegung wirtschaftlicher Eigeninteressen ist nicht nur geeignet und erforderlich, sondern stellt auch ein angemessenes Mittel dar, um den Gesell­ schaftsinteressen Geltung zu verschaffen. Die Offenlegung solcher Interessen ist dem Organmitglied deshalb zumutbar, weil das konkrete Geschäft nicht isoliert da steht, sondern in die Dauerbeziehung eingebettet ist, die das Or­ ganmitglied verpflichtet, fremdnützig für die Gesellschaft tätig zu sein. Etwas schwieriger wird die Frage der Zumutbarkeit, wenn der punktuelle Interessen­ konflikt nicht finanzielle Interessen der Organperson betrifft, vor allem ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht. Ein ausgefallenes, aber wahres Beispiel ist der im Zusammenhang mit der Treuepflicht stricto sensu erwähnte Richard Brewer 281, dessen tödliche Krankheit zu einem besonderen Interessenkonflikt bei der Übernahme seiner Gesellschaft durch Johnson & Johnson geführt hat. Wirtschaftlich gesehen war die Übernahme für die Zielgesellschaft attraktiv, für den CEO Brewer persönlich barg sie aber das Risiko, dass die Forschun­ gen am Medikament, welches ihn heilen könnte, auf Wunsch von Johnson & Johnson eingestellt werden. In einem solchen Fall stellt sich die Frage, ob sich das Organmitglied schlicht von der Mitwirkung an der betreffenden Maßnah­ me zurückziehen kann, ohne den Grund dafür (hier: die eigene Krankheit) zu nennen. Dies scheint aus praktischer Sicht schwierig zu sein, da ein etwaiger Rückzug von der Beratung, Abstimmung oder sonstigen Mitwirkung, die zum Aufgabenkreis des Betroffenen gehört, einer Rechtfertigung bedarf; wie soll eine solche lauten, wenn der Rückzugsgrund nicht genannt wird? Grundsätz­ lich bleibt also das Organmitglied zur Offenlegung des Interessenkonflikts verpflichtet, jedenfalls solange es im Amt bleiben will. Anders ist es dann, wenn der Betroffene sich für eine radikale Lösung entscheidet, nämlich dafür, sein Mandat niederzulegen, weil ihm die Geheimhaltung mehr bedeutet als sein Amt. In diesem Fall kann er der Offenlegungspflicht aus dem Wege gehen. Es handelt sich dabei nicht um eine Pflicht zur Amtsniederlegung – eine solche wäre angesichts des punktuellen Charakters des Interessenkonflikts kaum ver­ hältnismäßig282 –, sondern um eine freiwillige Beendigung des Organverhält­ nisses zum Schutz der Privatsphäre.

IV. Fazit Das herrschende Postulat, dass alle Interessenkonflikte offenzulegen sind, ist nur dann richtig, wenn man den Begriff „Interessenkonflikt“ eng im Sinne 281 

282 

Siehe § 1, I. 2. dieses Kapitels. Vgl. etwa J. Koch, ZGR 2014, 697, 712.

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Kapitel 2: Offenlegungspflichten in größerem Kontext

eines punktuellen Interessenkonflikts versteht. Die Offenlegungspflicht be­ steht nur dann, wenn sie verhältnismäßig ist. Bei punktuellen Interessenkon­ flikten ist dies der Fall, und zwar auch dann, wenn die Offenlegungspflicht die Privatsphäre des Organmitglieds tangiert. Dem Betroffenen bleibt es unbe­ nommen, aus dem Amt auszuscheiden, um seine Privatsphäre zu schützen. Bei dauerhaften Interessenkonflikten ist die Offenlegungspflicht dagegen nicht immer verhältnismäßig. Oft ist sie schon nicht geeignet, den Konflikt angemes­ sen zu lösen, oder stellt nicht das mildeste Mittel zur Lösung des Konflikts dar.

§ 4.  Verhältnis der Kategorien zueinander I.  Treuepflicht – Interessenkonflikt – Offenlegungspflicht Steht ein Organmitglied vor einem (dauerhaften oder punktuellen) Interessen­ konflikt, besagt die Treuepflicht, dass es dem Gesellschaftsinteresse Vorrang zu verschaffen hat. Die Treuepflicht enthält somit eine grundsätzliche Verhal­ tensregel bei Interessenkonflikten. Die Treuepflicht schreibt indes keine kon­ kreten Maßnahmen vor. Dies wäre auch nicht sinnvoll, da es häufig nicht nur ein, sondern mehrere Mittel zur Lösung des Interessenkonflikts gibt. Inso­ fern ist der Umgang des Rechts mit Interessenkonflikten mit Handwerk ver­ gleichbar: Es geht jeweils um die Wahl des richtigen Werkzeugs oder den Ein­ satz unterschiedlicher Werkzeuge in einer bestimmten Reihenfolge, um das gewünschte Ergebnis zu erreichen. Die Pflicht zur Offenlegung des Interes­ senkonflikts ist nur eins dieser Werkzeuge. Dabei handelt es sich um ein Fein­ werkzeug, das bei punktuellen Interessenkonflikten das Mittel der ersten Wahl ist. Bei Dauerkonflikten versagt es dagegen oft und kann unter Umständen sogar Schaden anrichten.

II.  Offenlegungspflicht – allgemeines Persönlichkeitsrecht Letzteres ist dann der Fall, wenn die Offenlegung das allgemeine Persönlich­ keitsrecht der Organmitglieder verletzt. Denn das allgemeine Persönlich­ keitsrecht hilft dem Einzelnen, seine Rollen als Privat- und Organperson zu trennen. Ist eine solche Rollentrennung übermäßig erschwert oder gar nicht möglich, kann das Rollennebeneinander nicht funktionieren. Aus diesem Grund darf die Rechtsordnung zur Offenlegungspflicht nur dann greifen, wenn dies einem legitimen Zweck dient und die Offenlegungspflicht zur Errei­ chung dieses Zwecks geeignet und erforderlich sowie im Übrigen angemessen ist. Dabei sind die Interessen der Organperson zwingend zu berücksichtigen. In der abwehrrechtlichen Terminologie ist die organschaftliche Offenlegungs­ pflicht die Schranke des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Organmitglie­



§ 4.  Verhältnis der Kategorien zueinander

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der, das Verhältnismäßigkeitsgebot ist die sog. Schranken-Schranke, weil sie der Offenlegungspflicht Grenzen setzt. In den Kategorien der Drittwirkungslehre stellt die Offenlegungspflicht der Organmitglieder zwar keine Schranke des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar, dieses ist jedoch als objektive Wertentscheidung der Verfassung gegenüber dem kollidierenden Gesellschaftsinteresse in Abwägung zu bringen. Dabei ist beiden Gütern die größtmögliche Wirksamkeit zu verschaffen (Gebot der praktischen Konkordanz). Dies ist nur möglich, wenn der Verhältnismäßig­ keitsgrundsatz beachtet wird. Das Verhältnismäßigkeitsgebot ist somit das Mittel zur Herstellung der praktischen Konkordanz. Im Ergebnis müssen also die organschaftlichen Offenlegungspflichten immer verhältnismäßig sein, d. h. sowohl das Gesellschaftsinteresse als auch die Rechte und Interessen der Or­ ganpersonen angemessen berücksichtigen.

III.  Treuepflicht – Offenlegungspflicht – allgemeines Persönlichkeitsrecht Die Treuepflicht kommt als dogmatische Grundlage der organschaftlichen Of­ fenlegungspflicht in Betracht, soweit man sie nicht streng versteht, sondern an­ nimmt, dass die Treuepflicht die Berücksichtigung von Interessen der Organ­ person zulässt. Dies ist vor allem bei der Qualifizierung der Treuepflicht als Rechtsprinzip möglich. Als Rechtsprinzip kollidiert die Treuepflicht mit dem gegenläufigen Prinzip, nämlich dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Struk­ turell haben die Treuepflicht und das allgemeine Persönlichkeitsrecht einige Gemeinsamkeiten: Sie sind beide Produkte der Rechtsfortbildung, sind beide generalklauselartig formuliert und werden in der Praxis durch die Bildung von Fallgruppen konkretisiert. Die Regeln, die sich in den Fallgruppen finden, sind keine Rechtsprinzipien mehr, sondern streng formulierte Rechtsregeln. Dies gilt auch für die Offenlegungspflicht der Organmitglieder, soweit sie aus der Treuepflicht abgeleitet wird. Zusammenfassend lässt sich das Verhältnis der Kategorien untereinander wie folgt beschreiben: Die Treuepflicht ist die Grundregel, die bei jedem In­ teressenkonflikt gilt, die Offenlegungspflicht eins von mehreren Instrumenten zur Lösung von Interessenkonflikten. Bei der Lösung von Interessenkonflik­ ten mit Hilfe von Offenlegungspflichten kollidieren zwei Prinzipien, nämlich die Treuepflicht und das allgemeine Persönlichkeitsrecht: Die Treuepflicht will den Konflikt im Sinne der Gesellschaft lösen, das allgemeine Persönlichkeits­ recht im Sinne des Organmitglieds. Beide müssen bei der Lösung von Interes­ senkonflikten mit Hilfe des Verhältnismäßigkeitsgebots in ein ausgewogenes Verhältnis gebracht werden. Die Formulierung von Offenlegungspflichten hat also mit Bedacht zu erfolgen: Zu viel Offenlegung verletzt die Grundrechte, zu wenig ist für das Interesse der Gesellschaft schädlich.

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Kapitel 2: Offenlegungspflichten in größerem Kontext

Allgemeines Persönlichkeitsrecht

Interessen des Organmitglieds

Treuepflicht/Offenlegungspflicht

Interessen der Gesellschaft

Teil II

Einzelne Offenlegungspflichten Mit den neuen Erkenntnissen über das Verhältnis zwischen Interessenkon­ flikten, Treuepflicht, Offenlegungspflicht und allgemeinem Persönlichkeits­ recht geht es nun zu den einzelnen Offenlegungspflichten. Ihnen widmet sich der nachfolgende „besondere Teil“, der sich auf die Offenlegungspflichten bei Krankheiten, Management-Buy-outs und eigenem Fehlverhalten der Organ­ mitglieder konzentriert. Es handelt sich um kontrastierende Beispiele, die hel­ fen sollen, die untersuchte „Pflichtenfamilie“ von unterschiedlichsten Seiten kennenzulernen. Bei dieser Methode (sog. „Theoretical Sampling“) gewinnt man besonders aussagekräftige Erkenntnisse: So sind die festgestellten Ge­ meinsamkeiten wirklich belastbar, weil kein Vorwurf im Raum steht, das Ge­ meinsame erkläre sich lediglich dadurch, dass von vornherein gleichartige Bei­ spiele ausgesucht worden seien.

Kapitel 3

Offenlegungspflichten bei Krankheit § 1.  Einleitung I.  Krankheit und Unternehmensführung 1993 erschien in den USA das Buch „When Illness Strikes the Leader: The Di­ lemma of the Captive King“, das sich mit dem Verhalten erkrankter Staatsmän­ ner auseinandersetzt. Ihre Autoren beschreiben folgendes Phänomen: Um an der Macht zu bleiben, versucht das kranke Staatsoberhaupt, die Erkrankung mit Hilfe seiner engsten Vertrauten, des sog. „inneren Zirkels“ zu verheimli­ chen. Diese Geheimhaltungstaktik wird ihm zum Verhängnis, wenn der inne­ re Zirkel die Situation ausnutzt und anfängt, unter dem Namen des geschwäch­ ten Staatschefs selbst zu regieren. Der kranke Politiker wird dann zur Geisel, zum „captive king“ des inneren Zirkels.1 Die andere Beobachtung der Autoren lautet, dass ein schwer krankes Staatsoberhaupt nicht in der Lage sei, effek­ tiv zu regieren und vor allem politische Krisen zu meistern, was zum Unter­ gang ganzer Staatsregime führen könne. Dies wird mit prominenten Beispielen belegt, vom iranischen Schah Mohammad Reza, der durch seine Leukämie­ erkrankung geschwächt und in der Folge durch die Islamische Revolution von 1979 entmachtet worden sei, bis hin zum sowjetischen Machtinhaber Leonid Brezhnev, der aufgrund von Arteriosklerose sowie mehreren Schlaganfällen und Herzinfarkten seit 1974 zur Staatsleitung faktisch unfähig gewesen sei, was zur politischen und wirtschaftlichen Stagnation der Sowjetunion geführt habe. Diese Thesen erscheinen recht plausibel; zudem dürften ihre Urheber, Jerrold Post und Robert Robins, als ausgewiesene Experten auf dem Gebiet der politischen Psychologie gelten.2 Können schwere Erkrankungen in der Wirt­ schaftswelt ähnliche Folgen auslösen wie in der Welt der Politik? Das wird von 1  Post/​Robins, When Illness Strikes the Leader, S. 27 ff. mit der vierten Amtszeit des US‑Präsidenten Roosevelt als Beispiel. 2  Robert Robins ist Professor der Politikwissenschaften, Jerrold Post Professor der Psy­ chiatrie, politischen Psychologie und internationalen Angelegenheiten; er war Gründungs­ direktor des Zentrums für die Analyse der Persönlichkeit und des politischen Verhaltens der CIA. Beide haben zahlreiche weitere Bücher zur politischen Psychologie veröffentlicht. Robins hat sich darüber hinaus mit Erkrankungen von Firmenlenkern beschäftigt, siehe Robins, Board dealings with a disabled CEO, Directors & Boards, 22.3.2006.

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Kapitel 3: Offenlegungspflichten bei Krankheit

einigen bejaht.3 So soll jedes AG‑Vorstandsmitglied seinen eigenen „inneren Zirkel“ haben, bestehend aus besonders vertrauten Mitarbeitern, persönlichen Dienstleistern oder auch Vorstandskollegen. Wenn das Vorstandsmitglied krank wird, diene dieser Zirkel zunächst als Schutzschild, der den Kranken von Kollegen und Untergebenen abschotte und ihm so die Möglichkeit gebe, sich mit seiner neuen Lebens- und Arbeitssituation auseinander zu setzen. Spä­ ter könne sich aber der innere Zirkel zu einer Bedrohung für das Unterneh­ men entwickeln, wenn das erkrankte Vorstandsmitglied seine Aufgaben auf die Vertrauten verteile, anstatt für einen geeigneten Vertreter zu sorgen.4 Auf diese Weise werden sinnvolle Vertretungs- und Nachfolgeregelungen verhin­ dert, während der Erkrankte zum Gefangenen seines inneren Zirkels degra­ diere.5 Ein schillerndes Beispiel ist Howard Hughes, ein US-amerikanischer Großinvestor, Flugzeugbauer und Filmproduzent, der im Laufe seines Lebens zunehmend an Zwangsstörungen litt. Aus Angst vor Bakterien zog er sich zu­ nehmend aus der Öffentlichkeit zurück, was z. B. zu einem Entscheidungs­ stillstand in der von ihm kontrollierten Fluggesellschaft Trans World Airlines führte. Hughes schaffte sich einen eigenen „inneren Zirkel“ aus Mormonen, die er für die rechtschaffenste Bevölkerungsgruppe im ganzen Land hielt und denen er die faktische Kontrolle über seine Geschäfte überließ. Er starb an den Folgen der Verwahrlosung und Fehlernährung.6 Auch für das zweite Problem, den folgenschweren Verlust der beruflichen Leistungsfähigkeit, gibt es in der Wirtschaft prominente Beispiele. Dazu gehört der US-amerikanische Immobilien-Tycoon Harry Helmsley, dessen Immobi­ lienfirma einst solche Objekte in ihrem Portfolio hatte wie das Empire State Building oder das Helmsley Palace Hotel (jetzt: The New York Palace). Als Helmsley in den 80er Jahren nach einer Reihe kleinerer Schlaganfälle demenz­ krank und handlungsunfähig wurde, verhinderte seine Frau Leona Helmsley eine geregelte Unternehmensnachfolge. Es folgten mindestens acht Jahre Füh­ rungslosigkeit, die das Immobilienunternehmen beinahe ruiniert hatten. Von vielen ihrer Kronjuwelen, die nicht ordnungsgemäß verwaltet wurden und zu­ nehmend verwahrlosten, musste sich die Firma 1997 nach Helmsleys Tod tren­ nen.7 Ein anderes Beispiel ist der Washingtoner Lobbyist Mark Helmke, der 3  Robins, Board dealings with a disabled CEO, Directors & Boards, 22.3.2006; Fleischer, NZG 2010, 561, 564; Juergens, in: Bayer/​Juergens/​Rudat, Gesundheitsprobleme eines Vor­

standsmitgliedes, S. 42 f. 4  Juergens, in: Bayer/​Juergens/​Rudat, Gesundheitsprobleme eines Vorstandsmitgliedes, S. 42 f. 5  Fleischer, NZG 2010, 561, 564; ders., Der Aufsichtsrat 2010, 86, 87. 6  Ausführlich dazu etwa „Das Land, aus dem die Träume sind: 200 Jahre USA (XIV) – Amerikas ‚Mystery Man‘ Howard Hughes“, Der Spiegel, Nr. 6/1976, 102–121 ff.; Seith, „Aviator“ Hughes, Spiegel Online, 24.12.2005. 7  Ausführlicher dazu Robins, Board dealings with a disabled CEO, Directors & Boards, 22.3.2006; Deutsch, When Death Hits a Corner Office, The New York Times, 21.10.1997,



§ 1.  Einleitung

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an bipolarer affektiver Störung litt (auch bekannt als manisch-depressive Er­ krankung). Diese Krankheit kann dazu führen, dass der Betroffene in einer de­ pressiven Phase wichtige Entscheidungen oder Handlungen unterlässt und in einer manischen Phase, die mit gesteigertem Antrieb, Rastlosigkeit und eupho­ rischer Stimmung einhergeht, das Unternehmen durch hohe Ausgaben in die Insolvenz stürzt.8 Helmke berichtet selbst, dass Ängste und Panikattacken ihn zwangen, Besprechungen und Empfänge zu meiden. Von Kollegen und Kun­ den auf sein Desinteresse angesprochen, flüchtete er in Aktionismus: stellte die Büromöbel um, organisierte den Umzug der Firma in einen anderen Stadtteil oder reiste auf die Philippinen, um sich dort mit einem Kunden zu treffen, den er ohnehin in einer Woche sehen sollte.9 Im Zuge der notwendigen Behandlung musste er sich vollständig aus dem Berufsleben zurückziehen; seine Lobbyfir­ ma wurde aufgelöst und alle 300 Mitarbeiter verloren ihre Jobs.10 Für größere Unternehmen, die von ihren Lenkern weniger abhängen, sind derart dramatische Folgen eher untypisch. Aber auch sie können die Auswir­ kungen einer schweren Krankheit in der Chefetage zu spüren bekommen. Arzt- und Behandlungstermine kosten Zeit, Krankheitssymptome können die Leistungsfähigkeit mindern.11 Sie können das Urteilsvermögen trüben, die Konzentration stören, von den bereits gesetzten Prioritäten ablenken, die Fä­ higkeit, mit den Untergebenen zu kommunizieren, beschränken, reiseunfähig machen und geführte Verhandlungen unterbrechen. Es kann die Neigung ent­ stehen, kurzfristige Projekte den langfristigen vorzuziehen.12 Neben Krank­ heiten können auch medizinische Eingriffe und medikamentöse Behandlun­ gen das Denkvermögen oder das psychische Wohlbefinden beeinflussen. So soll Diabetes mellitus Depressionen verursachen13; nach operativen Eingrif­ fen, die unter Einsatz einer Herz-Lungen-Maschine erfolgen (z. B. BypassOperationen), sollen häufiger Depressionen, Konzentrationsstörungen und kognitive Defizite auftreten.14 Ein prominenter Bypass-Patient, ex-CEO von Disney Michael Eisner, berichtet, von den typischen Depressionen zwar ver­ schont gewesen zu sein, sich aber danach eine längere Zeit sehr schwach gefühlt zu haben.15 Zudem habe die Erkenntnis der eigenen Sterblichkeit sein Wesen D1; Peterson, Harry Helmsley: Unfit for Trial, but Fit for Business?, The New York Times, 12.8.1991, B1. 8  Brink, CEO sufferings trickle down, U. S. News & World Report, 21.9.2003. 9  Helmke, The Attack of the Monkey Demon, The Washington Post, 9.1.2001, T 10. 10  Brink, CEO sufferings trickle down, U. S. News & World Report, 21.9.2003. 11  Schwartz, 40 Fla. St. U. L. Rev. 487, 494 (2013); Barnard, 21 J. Corp. L. 307, 325 (1996); Heminway, 42 Wake Forest L. Rev. 749, 762 (2007). 12  Barnard, 21 J. Corp. L. 307, 325 (1996); Fleischer, NZG 2010, 561, 564; aus psychologi­ scher Sicht Gray, Pers Soc Psychol Bull 25 (1999), 65 ff. 13  Kulzer, in: diabetesDE, Deutscher Gesundheitsbericht Diabetes 2011, S. 40, 45. 14  Stingl, Persönlichkeitsveränderungen nach Bypass-Op zu wenig beachtet, Ärzte Zei­ tung Online, 22.4.2009. 15  Eisner, Von der Micky Maus zum Weltkonzern, S. 410.

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Kapitel 3: Offenlegungspflichten bei Krankheit

verändert: „Ich arbeite wie immer, weiß aber, dass die Arbeit nicht mehr so wichtig ist wie früher. […]“16 . Die Liste der Nebenwirkungen lässt sich fortset­ zen: Beta-Blocker, die das „Mittel der ersten Wahl“ bei arterieller Hypertonie, koronarer Herzkrankheit und Myokardinfarkt sind, verursachen Müdigkeit und depressive Verstimmungen17 und Steroide, unter anderem GlucocorticoidPräparate, die bei rheumatoider Arthritis (die häufigste entzündliche Gelenk­ erkrankung) oder bei allergischen Erkrankungen einschließlich des Asthmas eingesetzt werden, können zur sog. Steroid-Psychose führen.18 Auch Stress, unter anderem Stress infolge der Diagnose, geht allgemein mit der Erhöhung des Glucocorticoidspiegels einher, was die Arbeit der Hirnregion Hippocam­ pus und dadurch die mentale Leistung negativ beeinflussen kann.19 Erhebliche Auswirkungen auf die kognitiven Fähigkeiten soll auch die Krebsbehandlung, insbesondere die Chemotherapie, haben.20 Abschließend sei angemerkt, dass nicht nur die Erkrankung und ihre Be­ handlung, sondern auch psychische Erlebnisse im Zusammenhang mit der Ge­ nesung oder einer Remission Auswirkungen auf das Handeln des Betroffenen haben können. Die dauerhafte oder vorübergehende Verbesserung des Ge­ sundheitszustands kann als ein „Zeichen von oben“, als Bestätigung dafür in­ terpretiert werden, dass das Leben des Betroffenen eine besondere Bedeutung und einen besonderen Sinn hat21, so wie Winston Churchill einmal sagte: „This cannot be accident, it must be design. I was kept for this job.“22 Das Erleben der Krankheit oder der Genesung als Auftrag, der von einer höheren Instanz vergeben wird, gibt dem Betroffenen psychischen Halt und kann ihn zu außer­ ordentlichen Leistungen motivieren, aber zugleich seine kritische Einstellung zum eigenen Handeln verringern. Dies erhöht das Risiko, dass Fehler gemacht und nicht rechtzeitig korrigiert werden.

II.  Zusatzproblem: Verheimlichung der Erkrankung „Gefahr erkannt, Gefahr gebannt“, lautet das bekannte Sprichwort. Das gilt auch für Erkrankungen der Organmitglieder. Offenkundige Erkrankungen sind für das Umfeld viel leichter zu managen; sie sind daher für das Unterneh­ 16 

Eisner, Von der Micky Maus zum Weltkonzern, S. 467.

17  Herdegen, Kurzlehrbuch Pharmakologie und Toxikologie, S. 81 ff. 18  Überblick über die Ergebnisse der Fallstudien von 1950 bis 2002 bei

Sirois, General Hospital Psychiatry 25 (2003), 27 ff. 19  Scherling/​Smith, Sensors 2013, 3169, 3189 ff. 20 Dazu Scherling/​Smith, Sensors 2013, 3169, 3186; Holmes, Lancet neurology 2013, 533 f. 21 Vgl. Post/​Robins, When Illness Strikes the Leader, S. 44; Juergens, in: Bayer/​Juergens/​ Rudat, Gesundheitsprobleme eines Vorstandsmitgliedes, S. 48; ferner Gellene, Drug CEO’s Business Becomes Personal, Los Angeles Times Online, 1.6.2005. 22  McMoran Wilson, Winston Churchill, S. 776.



§ 1.  Einleitung

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men nicht so bedrohlich wie unerkannte Krankheiten, die sich im Verborgenen auf die Amtsführung auswirken. Eine verheimlichte Erkrankung kann außer­ dem die Regelung der Nachfolge verhindern und das Unternehmen deshalb funktionsunfähig machen. Dabei neigen Führungskräfte dazu, ihre Krankhei­ ten zu verheimlichen. Dafür gibt es einige „typische“ Faktoren. Der erste ist ein enormer Konkurrenzdruck, der auch die Welt der Politik beherrscht.23 Er lässt Führungskräfte befürchten, eine ernsthafte Krankheit werde als Zeichen der Schwäche interpretiert und gegen sie ausgenutzt. In der Wirtschaft gelten Krankheit und Führungsposition als miteinander unvereinbar: „Ein Manager wird nicht krank, und wenn doch, macht er im Sinne des Unternehmens seine Position frei“24. Diese Erwartungen geben dem Manager einen starken An­ reiz, seine Krankheit zu verheimlichen. Disneys früherer Chef Michael Eisner bekam einmal auf einer Geschäftsreise Schmerzen in der Brustgegend und ließ sich im Krankenhaus untersuchen. Da er die Untersuchungskosten mit einer Versichertenkarte von Disney bezahlt hatte, wies er am nächsten Morgen seine Sekretärin an, sich mit dem Krankenhaus in Verbindung zu setzen und sicherzustellen, dass die Rechnung direkt in sein Büro und nicht in die Per­ sonalabteilung geschickt werde, damit keine Gerüchte über seinen Gesund­ heitszustand aufkämen.25 Als eine weitere stationäre Untersuchung notwendig wurde, bestand er darauf, unter falschem Namen ins Krankenhaus eingewie­ sen zu werden, und rief seine Sekretärin vorbei, um die Angelegenheit so ab­ zustimmen, dass die Presse nichts erfährt.26 Direkt im Anschluss an die Unter­ suchung bekam Eisner einen Koronarbypass, und obwohl er sich kurz danach bemühte, seinen Gesundheitszustand in einer Pressemitteilung positiv dar­ zustellen, verbreiteten sich im Hollywood Gerüchte. Teilweise wurde sogar behauptet, er sei gestorben. Um diese Gerüchte aus der Welt zu schaffen, muss­ te Eisner vom Krankenbett aus die wichtigsten Leute anrufen.27 Der zweite Faktor hängt mit den Persönlichkeitsmerkmalen zusammen, die für Führungskräfte typisch sind. Diesen Personen fällt es regelmäßig schwer, die eigene Erkrankung anzuerkennen. Soziologen beschreiben dies mit der Formel: Je wichtiger die Person, desto weniger leicht wird das Kranksein ak­ zeptiert.28 Von den vier typischen Reaktionsmustern auf eine schwere Krank­ 23 Dazu Krauel, Der kranke Politiker, Die Welt am Sonntag, 31.1.2010, S. 4; siehe ferner: „Die Politik als Haifischbecken: Wenig Toleranz für kranke Politiker“, n-tv.de, 22.11.2009, , zuletzt abgerufen am 28.2.2020. 24  Bayer/​Juergens/​Rudat, in: Bayer/​Juergens/​Rudat, Gesundheitsprobleme eines Vor­ standsmitgliedes, S. 3, einen nicht namentlich genannten Aufsichtsratsvorsitzenden zitie­ rend. 25  Eisner, Von der Micky Maus zum Weltkonzern, S. 29. 26  Eisner, Von der Micky Maus zum Weltkonzern, S. 33 f. 27  Stewart, Disney war, S. 176. 28  Schaefer/​Blohmke, Sozialmedizin, S. 329.

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Kapitel 3: Offenlegungspflichten bei Krankheit

heit („Als-ob-Verhalten“; Betonung; Beschwichtigung; Rückzug)29 dominie­ ren bei Führungskräften das „Als-ob-Verhalten“ (sie bemühen sich darum, von der Umgebung nicht als krank wahrgenommen zu werden) und die Be­ schwichtigung (beim Auftreten von Krankheitssymptomen wird versucht, deren Gewicht in der sozialen Interaktion abzuschwächen).30 Oft wird selbst in der eigenen Familie über Erstsymptome nur eingeschränkt berichtet.31 Eine Betonung des eigenen Leidens ist von kranken Firmenlenkern eher nicht zu er­ warten. Für eine solche ablehnende Haltung gegenüber Krankheit mangelt es nicht an Beispielen. Das bekannteste ist wohl Steve Jobs; weniger bekannt, aber sehr beeindruckend ist die Geschichte von James Batten, CEO und Chairman des ehemaligen Medien-Unternehmens Knight Ridder. Batten litt an einem bösartigen Hirntumor. Trotz Operation und Chemotherapie im Sommer 1994 behielt er zunächst alle seine Ämter, arbeitete von zuhause aus und übergab nur einen Teil seiner Befugnisse an den Firmenpräsidenten Anthony Ridder. Kurze Zeit später kehrte er vollständig ins Tagesgeschäft zurück. Im Sommer 1995 starb er an den Folgen seiner Krebserkrankung, aber noch zwei Monate vor seinem Tod nahm er – in einem Rollstuhl – an einer Board-Sitzung teil.32 Weitere Beispiele aus der Wirtschaft und Politik finden sich in den nachfolgen­ den Tabellen. Tabelle 1: Verheimlichung der Krankheit durch Politiker Person

Amt

Krankheit

Offizielle Mitteilung

Churchill, Winston

Premierminister, UK

Schlaganfall in 1953 (zweiter in Folge)

„Erholungsbedarf“

Cleveland, Grover

Präsident, USA

Bösartiges Geschwür am ­Gaumen in 1893

Keine; Tumorentfernung durch eine heimliche Operation

Eisenhower, Präsident, USA Dwight

Herzinfarkt in 1955 und Schlaganfall in 1957

Keine

Mitterrand, Präsident, François Frankreich

Prostatakrebs, 1981­–1996

Keine; Verheim­lichung der Krankheit mit fal­ schen ärztlichen Doku­ menten

Pompidou, Präsident, Georges Frankreich

Morbus Waldenström, 1972–1974

„Erkältung“

29  Schwendtke, Krankenverhalten, kritische Lebenssituationen und coping, S. 181 f. 30 Künstlerisch wird ein solches Verhalten sehr eindrucksvoll im Film „Stiller Ab­

schied“ mit Christiane Hörbiger in der Hauptrolle verarbeitet, die eine Firmenchefin in der Anfangsphase einer Demenzerkrankung spielt. 31  Juergens, in: Bayer/​ Juergens/​Rudat, Gesundheitsprobleme eines Vorstandsmitglie­ des, S. 36. 32  Robins, Board dealings with a disabled CEO, Directors & Boards, 22.3.2006; Deutsch, When Death Hits a Corner Office, The New York Times, 21.10.1997, D1.

Person

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§ 1.  Einleitung Krankheit

Offizielle Mitteilung

Reza, Schah, Iran Mohammad

Amt

Leukämie, 1973/74–1980

Keine

Roosevelt, Franklin

Präsident, USA

Bluthochdruck, Anämie, Keine ­Herzinsuffizienz, chronisch obstruktive Lungenerkrankung ab 1944 (4. Amtszeit)

Schmidt, ­Helmut

Bundeskanzler, Deutschland

Herzmuskelentzündung „Fieber“ ­(Myokarditis), Adams-StokesAnfälle mit zweifacher Wieder­ belebung, Implantation eines Herzschrittmachers in 1981

Struck, Peter

Bundesminister der Verteidigung, Deutschland

Schlaganfall im Juni 2004

„Kreislaufschwäche“; richtige Mitteilung erst im August 2004

Tabelle 2: Verheimlichung der Krankheit durch Wirtschaftsführer Person

Amt

Krankheit

Eisner, Michael

CEO, Walt Disney Gefäßerkrankung, Not­ Untersuchung im Kran­ Co. (USA), 1984– operation und Bypass in 1994 kenhaus unter einem fal­ 2005 schen Namen

Grove, Andy

CEO und Grün­ der, Intel (USA),

Parkinson-Erkrankung, 1999

Keine; Die Erkrankung kam erst in der 2006 ver­ öffentlichten Biografie zur Sprache

Jobs, Steve

CEO, Apple (USA), zuletzt 1997–2011

Inselzelltumor der Bauspei­ cheldrüse, erster Ausbruch in 2003

„harmlose Erkrankung“; „Ernährungsprobleme“, etc.

Ross, Steve Co- CEO, Time Warner (USA), 1972–1992

Herzinfarkt in 1980 Prostatakrebs (Mitte 1980er) Prostatakrebs, zweiter Aus­ bruch im November 1991

„Rückenprobleme“ Keine Optimistische Mittei­ lungen trotz schlechter Prognose und schlechten Gesundheitszustandes

Wasserstein, Lazard LLC (USA, Invest­ Bruce mentbank)

Herzprobleme, womöglich eine Bypass-OP (Genaueres nicht bekannt); Verschlech­ terung des Gesundheits­ zustands in 2005

Welch, Jack CEO, General Electric (USA), 1981–2001

Herzinfarkt und Bypass-OP in 1995

1987–2004

Offizielle Mitteilung

Zunächst keine; im De­ zember 2005 sagte Wasserstein in zwei Inter­ views, er habe gerade Pneumonie und mehrere Erkältungen überstan­ den. Herzrhythmusstörung, Hos­ Zwei Tage vor dem Tod pitalisierung und Tod im Ok­ die Mitteilung, dass der Zustand stabil sei und tober 2009 sich bessere Keine

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Kapitel 3: Offenlegungspflichten bei Krankheit

Der dritte Faktor ist die Anfälligkeit der Führungskräfte für die Erkrankun­ gen, bei denen Ablehnung und Verheimlichung so typisch sind, dass sie zum Krankheitsbild gehören. Dies betrifft vor allem Suchterkrankungen.33 So haben in einer Handelsblatt-Umfrage 7 % der befragten Führungskräfte ange­ geben, Alkohol oder Medikamente zur Leistungssteigerung oder Beruhigung zu nehmen, morgens einen „Upper“ wie Ritalin, um den stressigen Berufsall­ tag zu überstehen, abends einen „Downer“ wie Diazepam, um überhaupt ein­ schlafen zu können.34 Die Droge der Wahl bleibt aber nach wie vor der Alko­ hol.35 Suchterkrankungen sind sehr gefährlich, weil sie nahezu jeden Aspekt des beruflichen Handelns tangieren: die Wahrnehmung, die Fähigkeit, Ent­ scheidungen zu treffen, das Urteilsvermögen, die Beziehungen zu Mitarbeitern und die Balance zwischen den eigenen Bedürfnissen und Interessen der an­ deren.36 Im Rauschzustand sind riskante und undurchdachte Entscheidungen möglich. Drew Lewis, von 1987 bis 1997 CEO der größten amerikanischen Ei­ senbahngesellschaft Union Pacific, machte inmitten eines Übernahmekamp­ fes im Alkoholrausch ein hohes Angebot an den CEO der Zielgesellschaft, das weder mit den Kollegen besprochen noch vom Board autorisiert war.37 Die typische Verheimlichung findet überwiegend in der Anfangsphase der Erkrankung statt, bei Alkoholkrankheit etwa, wenn der Kranke beginnt, sei­ nen vergleichsweise hohen Alkoholkonsum als problematisch zu empfinden. Er hat Angst, dass andere ihn schlecht beurteilten, wenn sie erfahren, wie viel er trinkt. Dies führt zu Schuldgefühlen, heimlichem Trinken und Tabuisierung des Themas Alkohol.38 Wegen der Isolation, die eine Spitzenposition mit sich bringt, gelingt die Verheimlichung vergleichsweise leicht. Führungskräfte wer­ den häufig sehr lange nicht auf ein mögliches Alkoholproblem angesprochen: Die untergeordneten Mitarbeiter trauen sich nicht, die gleichgestellten Kollegen meiden das Thema aus falsch verstandener Rücksichtnahme und Teamgefühl, die internen Konkurrenten nutzen die Situation für ihre eigene Karriere aus.39 33  Post/​Robins, When Illness Strikes the Leader, S. 67; Werle, Manager Magazin 2/2015, S. 79; Theobald, Dependence Days, Manager Magazin Online, 25.6.2010; Grabitz, Viele Manager fallen dem Alkohol zum Opfer, Die Welt Online, 20.6.2008; Buchhorn, „Fast hätte ich mich totgesoffen“, Manager Magazin Online, 20.9.2002. 34  Werle, Manager Magazin 2/2015, S. 79 f.; zur Amphetamin-Abhängigkeit von Politi­ kern Post/​Robins, When Illness Strikes the Leader, S. 67 ff. 35  So Prof. Dr. Isabella Heuser im Interview mit dem Manager Magazin, Manager Ma­ gazin 2/2015, S. 82. 36  Post/​Robins, When Illness Strikes the Leader, S. 77. 37  O’Reilly/​Moore, In a Dry Era you Can Still be Trapped by Drinking Sure, the ThreeMartini Lunch is Long Gone, but that Glass of Chardonnay Can Sneak up on you, Fortune Online, 6.3.1995; Weiser, How One Company Handles Alcoholism at the Corporate Helm, The Seattle Times Online, 6.11.1994. 38  Jellinek, Q. J. Stud. Alcohol 1952, 673, 678 ff. 39  Buchhorn, „Fast hätte ich mich totgesoffen“, Manager Magazin Online, 20.9.2002; Grabitz, Viele Manager fallen dem Alkohol zum Opfer, Die Welt Online, 20.6.2008.



§ 1.  Einleitung

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Nur Personen, die eine relativ unabhängige Position haben und zudem das Ver­ trauen des Betroffenen besitzen, können eine Wende bewirken. Dies sind meist Familienangehörige oder befreundete Kollegen. Da der entsprechende Per­ sonenkreis meist recht klein ist, bleibt die Abhängigkeit von Führungskräften oft besonders lange unentdeckt. Der bekannteste schwarze Bankier der Wall Street Wardell Lazard, Gründer und CEO der Investmentbank W. R. Lazard & Co., starb im Alter von 44 während einer Geschäftsreise im Jahr 1994 an einer Überdosis von Alkohol und Drogen; dabei glaubte sogar seine Ehefrau, dass er seit 1991 abstinent sei.40 Auch die innere Abwehrhaltung, eine andere typische Reaktion auf die Alkoholkrankheit, kann bei Führungspersonen stärker aus­ fallen. Es fällt zwar jedem Menschen nicht leicht einzusehen, dass er Alkohol­ probleme hat. Aber für eine Führungskraft, die durch den eigenen beruflichen Erfolg und hohen Status „geblendet“ wird, kann diese Erkenntnis besonders schwer sein, weil die Alkoholkrankheit im gesellschaftlichen Bewusstsein re­ gelmäßig mit einer gescheiterten sozialen Existenz assoziiert wird.41 Zum Krankheitsbild gehört die Verheimlichung auch bei depressiven Er­ krankungen. Ein berühmtes Beispiel aus den USA ist der Atlanta Geschäfts­ mann Lawrence Gellerstedt III, der seine Depressionserkrankung jahrzehn­ telang erfolgreich verheimlicht hat. Seine ambulanten psychotherapeutischen Termine legte er bevorzugt auf samstags um acht Uhr, damit die Nachbarn dachten, er mache normale Samstagsbesorgungen. Für Termine unter der Woche sprach er mit seiner Sekretärin ein System von Handzeichen ab, um seine Abwesenheit plausibel zu erklären.42 Über seinen Aufenthalt in einem psychiatrischen Krankenhaus in 1999 informierte Gellerstedt, damals CEO und Präsident von American Business Products, nur den Boardvorsitzenden. Ein Jahr später machte er allerdings einen mutigen Schritt und sprach in einer Atlanta Zeitung offen über seine Depression.43 Ganz ähnlich tat Tom Johnson, amerikanischer Journalist und von 1990 bis 2001 CEO von CNN. Er erkrankte an Depression in den 80ern, als er bei der Los Angeles Times arbeitete. In der Zeitung vertraute er sich niemandem außer seinen zwei Assistenten an, die er anwies, keine Termine in die Morgenstunden zu legen, da er sich morgens am 40  Cowan, Wall St. Executive’s Hidden Drug Problem, The New York Times, 14.5.1994, P. 37; Rocco, Nightmare on Wall Street, The Independent, 7.8.1994, S. 14. 41  Zu diesem sog. „Identifikationsproblem“ Theobald, Dependence Days, Manager Ma­ gazin Online, 25.6.2010; siehe auch Post/​Robins, When Illness Strikes the Leader, S. 76. Es kann aber auch zu gegensätzlichen Reaktionen kommen: Es wird berichtet, dass viele Mana­ ger aus Angst vor dem Kontrollverlust schnell professionelle Hilfe suchten, weil sie es nicht ertragen würden, dass Alkohol ihr Leben dominiere, dazu Theobald, Dependence Days, Manager Magazin Online, 25.6.2010. 42  Brink, CEO sufferings trickle down, U. S. News & World Report, 21.9.2003. 43  Ausführlich zur Gellerstedts Geschichte Mollenkamp, An Atlanta Business Leader Opens Up About Depression, The Wall Street Journal Online, 26.6.2002. Auch nach der Bekanntmachung seiner Krankheit blieb Gellerstedt beruflich aktiv (seit 2009 ist er Prä­ sident und CEO von Cousins Properties, einer Atlanta Immobiliengesellschaft).

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Kapitel 3: Offenlegungspflichten bei Krankheit

schlechtesten fühlte. Das Antidepressivum (Effexor), das er einnahm, half ihm zwar, verursachte aber starkes Schwitzen. Um diese Nebenwirkung zu ka­ schieren, brachte Johnson drei Hemden der gleichen Farbe ins Büro, die er un­ auffällig wechseln konnte. Sein Verhalten erklärte er später wie folgt: „A CEO ist expected to be a strong, stable, dynamic leader. I didn’t want to provide a bullet that could be used against me“44. Johnson legte jedoch seine Erkrankung gegenüber Ted Turner offen, als dieser ihm den CEO‑Posten bei CNN anbot. In der Öffentlichkeit sprach er darüber, durch das Beispiel von Gellerstedt mo­ tiviert, erst 2002, nachdem er CNN verlassen hatte. Psychische Krankheiten wie Depressionen werden vor allem deshalb ver­ heimlicht, weil sie auf die Öffentlichkeit besonders beängstigend wirken: Das Vertrauen darauf, dass sie geheilt oder zumindest unter Kontrolle gebracht werden können, ist bis heute trotz effektiver Therapien eher gering. Daher haben die Kranken Angst, dass sie beim Bekanntwerden der Erkrankung für den Rest ihres Lebens stigmatisiert werden. Wir leben also nach wie vor in „einer Gesellschaft, in der über psychische Erkrankungen generell nicht offen gesprochen wird“45. Die Verheimlichung der Krankheit hat zur Konsequenz, dass sie oft gar nicht oder erst relativ spät erkannt wird (viele Fälle der schwe­ ren Depression prominenter Personen sind erst durch deren Selbstmord be­ kannt geworden). Krankheitsanzeichen sind für Außenstehende schwer zu erkennen, weil sich die Erkrankung häufig atypisch äußert. Statt Traurigkeit oder Niedergeschlagenheit zu zeigen, flieht der Betroffene in die Aktivität. Er verweigert sich selbst die Erholung und arbeitet bis zur Erschöpfung, weil der Erschöpfungszustand ihn vor der Konfrontation mit seinem Leiden be­ wahrt: Er kann es sich nicht leisten aufzuhören. Die innerliche Unruhe und Spannung äußert sich dann in erhöhter Reizbarkeit und Aggressivität, was die Mitarbeiter oft zu spüren bekommen.46 Auch für Depressionserkrankungen scheinen Spitzenkräfte in besonderem Maße anfällig zu sein. In der Litera­ tur wird jedenfalls eine Verbindung zwischen depressiver Persönlichkeit und herausragenden Leistungen angesprochen. So meint der englische Psychiater Storr, dass gerade der Drang, vor der Depression in die Aktivität zu fliehen, dazu führe, dass die Betroffenen mehr erreichten, als die meisten Menschen erreichen könnten.47 Ihre Spitzenleistungen versetzten sie in der Lage, Füh­ rungspositionen zu bekleiden. Post und Robins heben einen anderen Aspekt hervor: Viele Prominente besäßen narzisstische Persönlichkeitszüge und Nar­ 44  Mollenkamp, An Atlanta Business Leader Opens Up About Depression, The Wall Street Journal Online, 26.6.2002. 45  So einst Angela Merkel in einem Interview mit der „Zeit“, vgl. „Kanzlerin fordert ge­ sellschaftliches Umdenken“, Zeit Online, 18.11.2009. 46  Brink, CEO sufferings trickle down, U. S. News & World Report, 21.9.2003; Storr, Churchill’s black dog, S. 6. 47  Storr, Churchill’s black dog, S. 6.



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zissten seien für Selbstzweifel und depressive Stimmungen besonders anfäl­ lig.48

III.  Gang der weiteren Untersuchung Die Probleme, die mit schweren Krankheiten von Wirtschaftsführern verbun­ den sind, sind vielfältig. Zunächst können sich die Krankheit selbst, ihre Be­ handlung oder sogar das Erlebnis der Genesung auf das Verhalten und Denk­ vermögen des Betroffenen auswirken. Dies kann dank des Einflusses, den Spitzenkräfte regelmäßig ausüben, im gesamten Unternehmen spürbar wer­ den. Hinzu kommt, dass Spitzenkräfte ihre Führungsrolle in der Regel nicht gern gegen eine Krankenrolle tauschen. Statt sich krank zu zeigen, neigen sie dazu, die Krankheit innerlich abzulehnen und sie von Außenstehenden mit Ausnahme der engsten Verbündeten („innerer Zirkel“) zu verheimlichen. Diese Taktik nimmt der Gesellschaft häufig die Möglichkeit, auf die Krank­ heit rechtzeitig und angemessen zu reagieren, insbesondere für eine geordnete Vertretung und Nachfolge zu sorgen. Außerdem sollen Führungskräfte für die Krankheiten besonders anfällig sein, bei denen Verheimlichung zum Krank­ heitsbild gehört. Aus diesen Gründen birgt eine schwere Erkrankung von Füh­ rungskräften auch für das Unternehmen große Gefahren. Im Ergebnis entsteht ein dauerhafter, oft verborgener Konflikt zwischen dem Interesse des Betroffenen, die Krankheit geheim zu halten, und dem Inte­ resse der Gesellschaft, auf die Situation zu reagieren. Die Frage lautet, ob und inwieweit dieser Interessenkonflikt mit Hilfe der Offenlegung gelöst werden kann. Auf der Suche nach einer Antwort widmet sich die nachfolgende Unter­ suchung zunächst dem Krankheitsbegriff und dem damit verbundenen Problem des Krankheitsverdachts. Es folgt ein Exkurs in das Kapitalmarktrecht, bei dem es darum geht, ob börsennotierte Gesellschaften verpflichtet sind, schwere Er­ krankungen ihrer Organmitglieder im Rahmen der Ad-hoc-Publizität bekannt zu geben. Sodann kehrt die Untersuchung zur Ausgangsfrage zurück, nämlich zur Pflicht der Organperson, ihre Erkrankung der Gesellschaft gegenüber of­ fenzulegen. Zum Abschluss werden die Ergebnisse zusammengefasst.

§ 2.  Krankheit und Krankheitsverdacht Wenn schwere Krankheiten von Organpersonen bestimmte Offenlegungs­ pflichten auslösen sollen, so muss feststehen, an welchen Tatbestand diese Pflichten anknüpfen. Benötigt wird also eine subsumtionsfähige Definition einer (schweren) Krankheit. Insofern gibt es drei Möglichkeiten: Erstens, die 48 

Post/​Robins, When Illness Strikes the Leader, S. 44.

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Krankheit im Rechtssinne mit der ärztlich diagnostizierten Krankheit gleich­ zusetzen; zweitens, neben der Diagnose zusätzliche Voraussetzungen zu ver­ langen; drittens, einen eigenständigen, von der Diagnose losgelösten Begriff zu schaffen. Bei der dritten Lösung gäbe es keine Zäsur zwischen der Zeit nach der Diagnose („Krankheit“) und der Zeit davor (bloßer Krankheitsverdacht), was diese Lösung besonders reizvoll macht. Ihr Nachteil liegt darin, dass die Beurteilung, ob jemand krank ist, ohne Diagnose schwer fällt. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Gesellschaft „Anhaltspunkte für krankheitsbeding­ te Ausfallerscheinungen“49 ihres Organmitglieds hat, wenn also Krankheits­ symptome nach außen hervortreten. Ansonsten kann nur der Betroffene selbst sagen, ob er sich krank fühlt oder nicht. Diese subjektive Wahrnehmung ist eine innere, nur dem Indizienbeweis zugängliche Tatsache; bestreitet das Or­ ganmitglied, sich krank gefühlt zu haben, kann die Gesellschaft kaum das Ge­ genteil beweisen. Sie würde daher im Streit über die rechtzeitige Offenlegung unterliegen. Trotz dieser Unsicherheiten im Vorfeld der Diagnose scheinen in einigen Rechtsgebieten Krankheitsbegriffe zu existieren, die sowohl ohne Rückgriff auf die subjektive Wahrnehmung des Betroffenen als auch ohne Di­ agnose auskommen. Sie sollen nun genauer betrachtet werden.

I.  Die Suche nach einem Krankheitsbegriff 1.  Krankheit im Sozialversicherungsrecht Im Sozialversicherungsrecht setzt der Anspruch des gesetzlich Versicherten auf Krankenbehandlung voraus, dass diese notwendig ist, um eine „Krank­ heit“ zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krank­ heitsbeschwerden zu lindern (§ 27 Abs. 1 S. 1 SGB V). Auch der Anspruch auf Krankengeld setzt voraus, dass eine „Krankheit“ den Versicherten arbeits­ unfähig macht (§ 44 Abs. 1 SGB V). Der Begriff der Krankheit ist also für die gesetzliche Krankenversicherung zentral; dennoch hat der Gesetzgeber ihn mit der Begründung undefiniert gelassen, dass er sich mit dem medizinischen Fortschritt und dem Wandel gesellschaftlicher Anschauungen ständig ände­ re.50 Die Rechtsprechung entwickelte indes recht früh51 eine Definition, die in leicht abgewandelter Form bis heute gilt: Krankheit ist ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf und (oder) zur 49  50 

Fleischer, NZG 2010, 561, 564. BT‑Drs. 11/2237, S. 170; Kraftberger, in: Hänlein/​Schuler, SGB V, § 27 Rn. 9; Krasney, ZSR 1976, 411. Die Definition der Krankheit fehlte bereits im Gesetz betreffend die Kran­ kenversicherung der Arbeitnehmer v. 15.6.1883 mit den nachfolgenden Änderungsgesetzen sowie in der durch das SGB abgelösten Reichsversicherungsordnung v. 19.7.1911. 51 PrOVGE 18, 335, 336; 42, 308, 310; RVA GE Nr. 2140 AN 1916, 341; GE Nr. 5115 AN 1937, 265; eingehend zur Begriffsgeschichte Sticken, Die Entwicklung des Krankheits­ begriffs, S. 93 ff.



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Arbeitsunfähigkeit führt.52 Dabei bedeutet „regelwidriger Zustand“ eine Ab­ weichung vom Leitbild des gesunden Menschen, d. h. eines solchen, der zur Ausübung der normalen psycho-physischen Funktionen in der Lage ist.53 Das Leitbild ist also kein gesundheitlicher Ideal-, sondern ein Normalzustand, ein durchschnittlich gesunder Mensch.54 Was ist aber ein gesundheitlicher Normalzustand? Es wird manchmal ge­ sagt, dass sich das Sozialversicherungsrecht an dieser Stelle eng an den Krank­ heitsbegriff der naturwissenschaftlichen Medizin anlehne.55 Dies ist allerdings aus verschiedenen Gründen ungenau: Erstens orientiert sich die naturwissen­ schaftliche Medizin, anders als das Sozialversicherungsrecht, eher am gesund­ heitlichen Idealzustand: „Wenn der wissenschaftlich denkende Mediziner von ‚Abweichungen‘ spricht, so meint er faktisch fast nie den Durchschnitt, son­ dern einen Idealbegriff […]“56 . Zweitens schließt das Sozialversicherungsrecht einige pathologische Zustände aus seinem Krankheitsbegriff aus, um die Kos­ ten des Systems zu dämpfen, vor allem ästhetische oder altersbedingte Regel­ widrigkeiten.57 Drittens gibt es in der naturwissenschaftlichen Medizin keinen konsensfähigen Krankheitsbegriff; es existieren lediglich verschiedene Theo­ rien und Hypothesen dazu, was einen kranken Menschen von den Gesunden unterscheidet. Mit diesen meist philosophischen Theorien können weder das Recht noch die praktische Medizin viel anfangen. Letztere konzentriert sich stattdessen auf konkrete Leiden konkreter Patienten. Karl Jaspers brachte es einst auf den Punkt: „Der Mediziner ist um gar nichts klüger, wenn es im all­ gemeinen heißt, irgend etwas sei krank. Vielmehr besteht seine Arbeit darin, festzustellen, was für ein bestimmtes konkretes Sein und Geschehen vorliegt, wovon es abhängig ist, wie es weiter verläuft, was darauf einwirkt.“58 Im Mit­ telpunkt steht also die Diagnose einer bestimmten Krankheit. Einige bezeich­ nen deshalb die Diagnose als „speziellen Krankheitsbegriff“, der allein für das medizinische Handeln relevant sei.59 52  BSG, Urt. v. 11.9.2012 – B 1 KR 3/12 R, BSGE 111, 289 Rn. 11; v. 28.2.2008 – B 1 KR 19/07 R, BSGE 100, 119 Rn. 10 ff.; v. 19.10.2004 – B 1 KR 3/03 R, BSGE 93, 252; Knispel, in: BeckOK Sozialrecht, SGB V, § 27 Rn. 5; Lang, in: Becker/​K ingreen, SGB V, § 27 Rn. 14; Nolte, in: KassKomm, SGB V, § 27 Rn. 9. 53  BSG, Urt. v. 19.10.2004 – B 1 KR 3/03 R, BSGE 93, 252; v. 10.2.1993 – 1 RK 14/92, BSGE 72, 96; v. 12.11.1985 – 3 RK 48/83, BSGE 59, 119 m. w. N. 54  Lang, in: Becker/​K ingreen, SGB V, § 27 Rn. 16 m. w. N. 55 Vgl. Mrozynski, in: Wannagat, SGB V, § 27 Rn. 14. 56  Jaspers, Allgemeine Psychopathologie, S. 653 f. 57  Vgl. etwa BSG Urt. v. 23.7.2002 – B 3 KR 66/01 R, SozR 3–2500 § 33 Nr 45 – Fehlen der Kopfbehaarung bei Frauen; v. 30.9.1999 – B 8 KN 9/98 KR R, BSGE 85, 36 – Erektile Dysfunktion; Nolte, in: KassKomm, SGB V, § 27 Rn. 12b–c, 14a; Wagner, in: Krauskopf, SGB V, § 27 Rn. 7; Lang, in: Becker/​K ingreen, SGB V, § 27 Rn. 18 ff. 58  Jaspers, Allgemeine Psychopathologie, S. 652. 59  Viefhues, ZSR 1976, 394 f.; so auch Schaefer, in: Blohmke/ ​Ferber/​K isker/​S chaefer, Handbuch der Sozialmedizin, Bd. III, S. 15, 17.

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Dieser spezielle Krankheitsbegriff spielt auch im Sozialversicherungsrecht eine zentrale Rolle. Nicht der Rechtsanwender, sondern der Arzt entscheidet, welche medizinische Norm maßgeblich ist und ob eine krankhafte Abweichung davon vorliegt. Diese Entscheidung ist für den Versicherten und die Kranken­ kasse rechtlich verbindlich: Das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung verleiht dem vom Versicherten ausgewählten Vertragsarzt die entsprechende öffentlich-rechtliche Rechtsmacht.60 Verneint der Arzt eine Krankheit, wird der Versicherte dadurch geschützt, dass die gesetzliche Krankenversicherung die Kosten der Diagnose regelmäßig übernimmt. Denn nach herrschender Mei­ nung liegt eine Krankheit i. S. d. § 27 SGB V bereits bei hinreichend konkretem Krankheitsverdacht vor; die Diagnosebehandlung stellt in diesem Fall eine Be­ handlung dar, die darauf gerichtet ist, „eine Krankheit zu erkennen“.61 Proble­ matisch sind nur Fälle, in denen es an hinreichend konkretem Krankheitsver­ dacht mangelt, etwa bei unklaren gesundheitlichen Beschwerden, die sich ihrer Eigenheit nach nur schwer oder gar nicht objektivieren lassen.62 Bei der Beurteilung, ob eine Krankheit vorliegt, stellt das Sozialversiche­ rungsrecht also primär auf die Diagnose oder – wenn der Arzt keine Krank­ heit feststellen kann – darauf ab, dass sich der Versicherte mit gesundheitlichen Beschwerden zum Arzt begeben hat. Die Antwort auf die Frage, warum das Sozialversicherungsrecht überhaupt einen eigenständigen Krankheitsbegriff entwickelt hat, liefern die Ziele der gesetzlichen Krankenversicherung. Diese bestehen darin, den Einzelnen angemessen medizinisch zu versorgen, ohne die Solidargemeinschaft an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit zu bringen. Denn „in einer Solidargemeinschaft ist die Krankheit eines Individuums immer auch die finanzielle Belastung aller anderen.“63 Den Gemeinschaftsinteressen wird unter anderem durch den engen Krankheitsbegriff Rechnung getragen.64 Die­ ser dient im Grunde dazu, den Gesundheitszustand des Versicherten in be­ stimmten Fällen trotz einer Abweichung von der medizinischen Norm nicht als Krankheit anzuerkennen, um Überbelastungen der gesetzlichen Kranken­ versicherung zu vermeiden. Alle Merkmale des sozialversicherungsrechtlichen Krankheitsbegriffs haben diese einschränkende Funktion. So bedeutet „Regelwidrigkeit“ nicht bloß eine Abweichung von festgelegten medizinischen und biologischen Wer­ ten, sondern nur eine solche, die erheblich ist oder ein erhebliches funktio­ nelles Defizit zur Folge hat. Können die körperlichen, geistigen oder psy­ 60  Mrozynski, in: Wannagat, SGB V, § 27 Rn. 14. 61  BSG, Urt. v. 22.1.1981 – 8/8 a RK 17/79, BSGE 51, 115, 117 f.; Kraftberger, in: Hänlein/​

Schuler, SGB V, § 27 Rn. 23. 62  BSG, Urt. v. 6.10.1999 – B 1 KR 13/97 R, BSGE 85, 56 – Amalgamaustausch; Wagner, in: Krauskopf, SGB V, § 27 Rn. 5. 63  Gostomzyk, in: Gostomzyk, Angewandte Sozialmedizin, Kap. I – 1, S. 13. 64 Vgl. Sticken, Die Entwicklung des Krankheitsbegriffs, S. 73 f.; Eichenhofer, SGb 1994, 501, 502.



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chischen Funktionen noch in befriedigender Weise ausgeübt werden, so ist der Versicherte nicht krank.65 Weitere Einschränkungen bestehen darin, dass als Krankheit nur eine solche Regelwidrigkeit angesehen wird, die behandlungs­ bedürftig ist oder Arbeitsunfähigkeit verursacht. Ersteres setzt voraus, dass die körperlichen oder psychischen Funktionen so beeinträchtigt sind, dass ihre vollständige oder teilweise Wiederherstellung ohne ärztliche Hilfe nicht er­ reichbar erscheint.66 Besteht dagegen die begründete Aussicht, dass sich der Gesundheitszustand auch ohne ärztliche Hilfe wieder normalisiert, ist er nicht behandlungsbedürftig.67 Behandlungsbedürftigkeit fehlt auch dann, wenn die Regelwidrigkeit nicht behandlungsfähig ist, so dass bestimmte Behinderungen und Dauerleiden, bei denen ärztliche Behandlung nichts mehr auszurichten vermag, z. B. Erblindung, Beinverkürzung oder schwerste psychiatrische Er­ krankungen, nicht als Krankheiten i. S. d. gesetzlichen Krankenversicherung gelten.68 Die Alternative zur Behandlungsbedürftigkeit ist die Arbeitsunfähig­ keit, die dann gegeben ist, wenn der Versicherte überhaupt nicht oder nur unter der Gefahr einer erheblichen Verschlimmerung fähig ist, seiner zuletzt aus­ geübten oder einer ähnlich gearteten Tätigkeit nachzugehen.69 Zusammenfassend ist zu sagen, dass im Recht der gesetzlichen Kranken­ versicherung die ärztliche Diagnose im Mittelpunkt steht. Sie bildet das Herz­ stück des sozialversicherungsrechtlichen Krankheitsbegriffs, der im Wesentli­ chen zwei Zwecken dient: Versicherungsleistungen bei hinreichend konkretem Krankheitsverdacht zu gewähren und diese Leistungen in bestimmten Fällen zu verweigern, um die Kosten des Systems zu dämpfen. Darin erschöpft sich die Eigenständigkeit des sozialversicherungsrechtlichen Krankheitsbegriffs. Nach diesem ernüchternden Ergebnis lohnt sich ein Blick ins Arbeitsrecht. 2.  Krankheit im Arbeitsrecht Im Arbeitsrecht wird der Begriff der Krankheit an vielen Stellen relevant, etwa im Kündigungsschutzrecht, wo die Kündigung wegen Krankheit einen häufi­ gen Fall der personenbedingten Kündigung darstellt. Eine zentrale Rolle spielt Krankheit ferner im Recht der Entgeltfortzahlung: Nach § 3 Abs. 1 EFZG hat 65  BSG, Urt. v. 28.2.2008 – B 1 KR 19/07 R, BSGE 100, 119, Rn. 10 ff.; v. 20.10.1972 – 3 RK 93/71, BSGE 35, 10; Kraftberger, in: Hänlein/​Schuler, SGB V, § 27 Rn. 16; Nolte, in: Kass­ Komm, SGB V, § 27 Rn. 12a; Nebendahl, in: Spickhoff, Medizinrecht, SGB V, § 27 Rn. 17; kritisch Sticken, Die Entwicklung des Krankheitsbegriffs, S. 176 f. 66  Lang, in: Becker/​K ingreen, SGB V, § 27 Rn. 31. 67  BSG, Urt. v. 20.10.1972 – 3 RK 93/71, BSGE 35, 10, 12. 68  BSG, Urt. v. 6.8.1987 – 3 RK 15/86, BSGE 59, 116; u. U. liegt aber Pflegebedürftigkeit vor, BSG, Urt. v. 12.11.1985 – 3 RK 45/83, BSGE 59, 116; Nolte, in: KassKomm, SGB V, § 27 Rn. 25 f. 69  BSG, Urt. v. 15.11.1984 – 3 RK 21/83, BSGE 57, 227, 228 f.; v. 31.5.1967 – 3 RK 15/65, BSGE 26, 288, 290; Lang, in: Becker/​K ingreen, SGB V, § 27 Rn. 34; Wagner, in: Krauskopf, SGB V, § 27 Rn. 13.

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Arbeitnehmer einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nur dann, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeits­ leistung (unverschuldet) verhindert ist. Genauso wie im Sozialversicherungs­ recht wird eine Legaldefinition der Krankheit der Rechtsprechung und Litera­ tur überlassen. Allerdings gibt es im Arbeitsrecht keinen klaren Konsens über den genauen Inhalt des Krankheitsbegriffs. Nach wohl herrschender Meinung ist Krankheit jeder regelwidrige körperliche oder geistige Zustand70 oder „ein durch medizinische Symptome feststellbarer regelwidriger Körper- oder Geis­ teszustand …, der nach allgemeiner Erfahrung unter Berücksichtigung eines natürlichen Verlaufs des Lebensganges dem Zustand eines (gesunden) Men­ schen gleichen Alters und Geschlechts nicht entspricht“.71 Eine andere Ansicht verlangt zusätzlich eine Heilbehandlungsbedürftigkeit72 , die ähnlich verstan­ den wird wie die „Behandlungsbedürftigkeit“ im Sozialversicherungsrecht: Sie setzt voraus, dass die Regelwidrigkeit durch eine ärztliche Behandlung be­ hoben, gelindert, erträglich gemacht oder zumindest vor einer drohenden Ver­ schlimmerung bewahrt werden kann.73 Wieder andere stellen stattdessen auf die Arbeitsunfähigkeit ab74 oder bezeichnen gar die Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit als Krankheit im arbeitsrechtlichen Sinne.75 Richtigerweise dürfte jedoch die Behandlungsbedürftigkeit im Arbeitsrecht keine Rolle spielen. Anders als im Sozialversicherungsrecht kommt es hier nur darauf an, wie sich die Krankheit auf die Verpflichtung zur Arbeitsleistung auswirkt. Erfordert die Erkrankung nur eine Behandlung außerhalb der Ar­ 70 

BAG, Urt. v. 9.4.2014  – 10 AZR 637/13, NZA 2014, 719, 720; v. 9.10.2002  – 5 AZR 443/01, NZA 2004, 257, 261; v. 26.7.1989 – 5 AZR 301/88, NZA 1990, 140; v. 9.1.1985 – 5 AZR 415/82, NZA  1985, 562; Feichtinger, in: Feichtinger/​Malkmus/​Feichtinger/​Müller, EFZG, § 3 Rn. 22; Oetker, in: ErfK, KSchG § 1 Rn. 112; Reinhard, in: ErfK, EFZG § 3 Rn. 5; Ricken, in: BeckOK ArbR, EFZG § 3 Rn. 10; Sievers, in: Boecken/​Düwell/​Diller/​Hanau, Gesamtes Arbeitsrecht, EFZG § 3 Rn. 16; Schmitt, EFZG § 3 Rn. 48 f.; Börner, Leistungsstörungen im Arbeitsverhältnis, S. 42 f.; Hessel/​Marienhagen, Krankheit im Arbeitsrecht, S. 23. 71  Feichtinger, in: Feichtinger/​Malkmus/​Feichtinger/​Müller, EFZG, §  3 Rn. 22; sehr ähnlich Börner, Leistungsstörungen im Arbeitsverhältnis, S. 42. 72  BAG, Urt. v. 15.12.1999 – 10 AZR 638/98, NZA‑RR 2000, 443, 444; v. 1.6.1983 – 5 AZR 536/80, AP LohnFG § 1 Nr. 52; v. 29.2.1984 – 5 AZR 455/81, AP BGB § 616 Nr. 64; Hergenröder, in: MüKo BGB, § 1 KSchG Rn. 187; Holthausen, in: Boecken/​Düwell/​Diller/​Hanau, Gesamtes Arbeitsrecht, KSchG § 1 Rn. 259; Linck, in: Schaub, ArbR Hdb., IX. Buch, § 98 Rn. 9 und XIV. Buch, § 131 Rn. 31; Müller-Glöge, in: MüKo BGB, § 3 EFZG Rn. 4; Spengler, in: Däubler/​Hjort/​Schubert/​Wolmerath, ArbR, EFZG § 3 Rn. 8; Vossen, in: Ascheid/​Preis/​ Schmidt, Kündigungsrecht, § 1 KSchG Rn. 135; Lepke, Kündigung bei Krankheit, Rn. 76; ders., NZA‑RR 1999, 57. 73  Vgl. etwa Lepke, NZA‑RR 1999, 57. 74  BAG, Urt. v. 14.1.1972 – 5 AZR 264/71, AP LohnFG § 1 Nr. 12; v. 25.6.1981 – 6 AZR 940/78, AP BGB § 616 Nr. 52; Bauer/​Röder, Krankheit im Arbeitsverhältnis, S. 21; Bezani, Die krankheitsbedingte Kündigung, S. 6 f.; Bufalica/​Braun/​Roos, in: Däubler/​Hjort/​Schu­ bert/​Wolmerath, ArbR, KSchG § 1 Rn. 68; Rolfs, in: BeckOK ArbR, KSchG § 1 Rn. 160 f.; Feichtinger, Krankheit im Arbeitsverhältnis, S. 34. 75  Liebig, Die Krankheit des Arbeitnehmers als Kündigungsgrund, S. 24.



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beitszeit und lässt sie die Verpflichtung aus dem Arbeitsvertrag unberührt, so liegt zwar eine Krankheit im Sinne der Krankenversicherung, nicht aber im arbeitsrechtlichen Sinne vor.76 Bedeutsam ist also allein das Merkmal der Ar­ beitsunfähigkeit.77 Im Sozialversicherungsrecht wird dagegen auf dieses Merk­ mal oft nur zurückgegriffen, wenn der regelwidrige Zustand nicht behand­ lungsfähig und daher nicht behandlungsbedürftig ist. Als Beispiel sei der Fall eines Arbeitnehmers genannt, der an einer Beinverkürzung litt, die durch Kin­ derlähmung verursacht wurde. Er trug deswegen einen Schienenhülsenappa­ rat, der zur Reparatur gegeben werden musste. Während der Reparatur stellte der Betroffene seine Arbeit als Lampenschleifer ein und begehrte anschließend Krankengeld. Das BSG urteilte, dass die Beinverkürzung trotz nicht mehr be­ stehender Behandlungsbedürftigkeit eine „Krankheit“ darstelle, weil auch ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der allein Arbeitsunfähigkeit zur Folge habe, Krankheit im versicherungsrechtlichen Sinne sei.78 Ungeachtet dieser Unterschiede macht das Arbeitsrecht genauso wie das So­ zialversicherungsrecht einen regelwidrigen Zustand zur Grundlage des Krank­ heitsbegriffs, nur die Feinsteuerung erfolgt hier nicht mit Hilfe mehrerer Zu­ satzmerkmale, sondern über ein einziges Merkmal der Arbeitsunfähigkeit. Dieses sorgt allein dafür, dass nicht jeder pathologische Zustand zur Krank­ heit im arbeitsrechtlichen Sinne wird: „Eine medizinisch vom Arzt festgestell­ te Krankheit wird arbeitsrechtlich erst bedeutsam, wenn die Erkrankung den Arbeitnehmer hindert, die von ihm vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Dies bedeutet, daß Krankheitsbefunde, durch die der Arbeitneh­ mer nicht verhindert wird, seine Verpflichtung aus dem Arbeitsvertrag zu er­ füllen, arbeitsrechtlich nicht relevant sind.“79 Ansonsten geht das Arbeitsrecht genauso vor wie das Sozialversicherungsrecht: Es definiert Krankheit schein­ bar autonom als „einen regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand“, stellt aber dabei in Wahrheit auf die ärztliche Diagnose ab. Das BAG macht keinen Hehl daraus, indem es im obigen Zitat von einer „medizinisch vom Arzt fest­ gestellten Krankheit“ spricht. Ohne diese medizinische Feststellung kommt also auch das Arbeitsrecht nicht aus. 3.  Krankheit in der Medizin Im Sozialversicherungs- und im Arbeitsrecht wird häufig unterstellt, dass die Medizin die Krankheit als einen regelwidrigen körperlichen oder geistigen Zustand definiert.80 Bei genauerem Hinsehen erweist sich diese Annahme als 76  BAG, Urt. v. 14.1.1972 – 5 AZR 264/71, AP LohnFG § 1 Nr. 12; zuletzt BAG, Urt. v. 9.4.2014 – 10 AZR 637/13, NZA 2014, 719, 720. 77 Vgl. Börner, Leistungsstörungen im Arbeitsverhältnis, S. 42. 78  BSG, Urt. v. 23.11.1971 – 3 RK 26/70, BSGE 33, 202, 203. 79  BAG, Urt. v. 25.6.1981 – 6 AZR 940/78, AP BGB § 616 Nr. 52. 80  So etwa BAG, Urt. v. 14.01.1972 – 5 AZR 264/71, AP LohnFG § 1 Nr. 12; Oetker, in:

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nicht ganz korrekt. Die praktische Medizin beschäftigt sich, wie bereits er­ wähnt, nicht mit dem Krankheitsbegriff, sondern mit Diagnostik und Thera­ pie einzelner Erkrankungen. Dafür benötigt sie konkrete Krankheitsbegriffe in Form von Definitionen der Einzelerkrankungen, die sie insbesondere in der International Classification of Diseases (ICD) 81 vorfindet. In der naturwissen­ schaftlichen Medizin gibt es aber auch philosophische Reflektionen über das Wesen der Krankheit, nur gehen die diesbezüglichen Ansichten extrem aus­ einander. Schon Rudolf Virchow sprach davon, dass unter Medizinern jede Verständigung sofort aufhöre, sobald es um das Wesen der Krankheit gehe.82 Diese Worte sind heute noch gültig. Zum Teil wird die Krankheit in der Tat als abnormer Zustand, als „Norm­ abweichung von naturwissenschaftlichen Durchschnittsnormen“83 bezeich­ net. Allerdings fragt der Naturwissenschaftler sofort, was genau einen solchen abnormen Zustand ausmacht, insbesondere wo genau im Körper pathologische Veränderungen stattfinden. Mit dieser Frage hat sich die medizinische Wissen­ schaft im Laufe ihrer Geschichte ständig beschäftigt, von der alten Humoral­ pathologie über Virchows Zellularpathologie bis hin zur modernen Moleku­ larbiologie.84 Auf diese Frage folgt die nächste, nämlich was noch „normal“ und was bereits „pathologisch“ ist. Nicht nur bei psychischen, sondern auch bei somatischen Erkrankungen gibt es darauf häufig keine eindeutige Antwort. Zwar konnte die naturwissenschaftlich arbeitende Medizin bereits im 19. Jahr­ hundert die Grenzen zwischen physiologisch normalen und abnormen organi­ schen Prozessen und Strukturen ermitteln. Diese Normen werden kontinuier­ lich an den neuen Technik- und Wissensstand angepasst, so dass sie immer „aktuell“ bleiben. Sie werden zudem entsprechend den Anforderungen der Praxis differenziert, etwa nach Geschlecht und Alter. Und dennoch erlauben statistische Vergleiche allein keine Aussage darüber, ob im konkreten Fall eine Krankheit vorliegt.85 Ein Beispiel ist die Herzfrequenz, die individuell stark variieren kann. Es gibt Individuen, deren Puls nur 40 Schläge pro Minute im ErfK, KSchG § 1 Rn. 112; Reinhard, in: ErfK, EFZG § 3 Rn. 5; Rolfs, in: BeckOK ArbR, KSchG § 1 Rn. 160; Mrozynski, in: Wannagat, SGB V, § 27 Rn. 14; Reinecke, DB 1998, 130. 81  Vgl. die Informationen zu ICD -10 auf der Seite des Deutschen Instituts für Medizi­ nische Dokumentation und Information (DIMDI): . 82  Virchow, Über die heutige Stellung der Pathologie, 1896, abgedr. in: Rothschuh, Was ist Krankheit?, S. 72, 74. 83  Viefhues, ZSR 1976, 394, 399; weitere (ähnliche) Formulierungen bei Schaefer, in: Blohmke/​Ferber/​K isker/​Schaefer, Handbuch der Sozialmedizin, Bd. III, S. 15, 17 f. 84  Dazu etwa Ackerknecht, Geschichte der Medizin, S. 117; Eckart, Geschichte der Me­ dizin, S. 207; Bieganski, Der Krankheitsbegriff, 1909, abgedr.in Rothschuh, Was ist Krank­ heit?, S. 102 ff.; Rather, Zur Philosophie des Begriffs „Krankheit“, 1958, ebd., S. 285, 301; Ribbert, Das Wesen der Krankheiten, 1909, ebd., S. 92 ff.; Becker, Der Pathologe 2005, 7, 9. 85  Siehe auch Schaefer, in: Blohmke/​Ferber/​K isker/​S chaefer, Handbuch der Sozialmedi­ zin, Bd. III, S. 15, 21.



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Vergleich zu den durchschnittlichen 70 beträgt, die dadurch aber keine Be­ schwerden haben und auch sonst gesund sind. Bei gut trainierten Sportlern ist ein unterdurchschnittlicher Herzschlag sogar die Regel, wobei die konkre­ te Frequenz von dem Trainingsfortschritt, dem Alter des Sportlers sowie der Sportart abhängt. Wie das Problem zu lösen ist, wird unterschiedlich beurteilt. Einige meinen, statistische Durchschnittsnormen seien nur Richtwerte, die eine individuel­ le Anpassung erlaubten. Dabei verwischt sich allerdings die Grenze zwischen Normalem und Pathologischem, auch wenn sie letztendlich nicht gänzlich aufgehoben wird.86 Andere plädieren für eine normative Lösung: Zu einer Normabweichung müsse eine negative Bewertung dieser Abweichung hin­ zukommen.87 Wieder andere stellen auf den Grad der Abweichung ab: Je fort­ geschrittener diese sei, desto höher sei die Wahrscheinlichkeit einer Erkran­ kung; problematisch seien dabei immer die Grenzfälle.88 Großes Gewicht wird dabei der Befindlichkeit des Patienten beigemessen, die vielfach den „harten Daten“, dem pathologischen Befund, überlegen sei. Bei der Diagnostik sei je­ denfalls die Berücksichtigung des Befindens unverzichtbar: Krankheit liege dann vor, wenn „sich … Befinden durch Befunde erklärt und sich Befunde im Befinden äußern“89. Noch stärker wird das subjektive Element betont, wenn gesagt wird, Krankheit als naturwissenschaftliches Phänomen, als Strukturund Funktionsabweichung vom Normalen könne noch keinen Behandlungs­ auftrag begründen, da es keine allgemeinverbindlichen Normen über gesundes Leben gebe. Ein therapeutischer Handlungsauftrag komme stets von außen, durch den betroffenen Patienten. Daher solle der medizinische Experte Proble­ me der Therapie und Prioritäten praxisnaher Forschung nicht mehr allein fest­ legen, sondern in Zusammenarbeit mit in Krankheit erfahrenen (insbesondere bei chronischen Krankheiten) Patienten.90 Allen diesen Aussagen ist gemein­ sam, dass sie Krankheit zum Teil als messbares Phänomen, zum Teil als Wert­ begriff auffassen. Am deutlichsten kommt dies zum Ausdruck bei Jaspers, der Krankheit und Gesundheit für Wertbegriffe hält, die zwar mit dem Fortschritt der biologischen Erkenntnis immer klarer würden, aber nie restlos durchschaut werden könnten; im Bereich der psychischen Gesundheit gälten sogar aus­ schließlich Wertbegriffe, die solchen Schwankungen unterworfen seien, dass die Grenze zwischen Gesundem und Krankem oft willkürlich erscheine.91 86 

Canguilhem, Krankheit, Genesung, Gesundheit, 1950, abgedr. in: Rothschuh, Was ist Krankheit?, S. 154, 155. 87  Lanzerath, Krankheit und ärztliches Handeln, S. 133 ff. 88  Schaefer, in: Blohmke/​Ferber/​K isker/​S chaefer, Handbuch der Sozialmedizin, Bd. III, S. 15, 21. 89  Schaefer, in: Blohmke/​Ferber/​K isker/​S chaefer, Handbuch der Sozialmedizin, Bd. III, S. 15, 23. 90  Widder, Wiener Klinische Wochenschrift 2004, 804, 806 f. 91  Jaspers, Allgemeine Psychopathologie, S. 653 ff.

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Schon dieser kursorische Überblick zeigt, wie stark sich medizinische Fra­ gestellungen von juristischen unterscheiden. Dieser Unterschied wird noch größer, wenn man den Bereich der naturwissenschaftlichen Medizin verlässt und andere Teilgebiete der Medizin in Blick nimmt. Eins von ihnen, die Me­ dizinische Soziologie, analysiert medizinisches Handeln und Gesundheitsver­ halten im gesellschaftlichen Zusammenhang.92 Im Zentrum des wissenschaft­ lichen Interesses stehen hier subjektive Reaktionen des Individuums auf die Krankheit (illness) und das Krankenverhalten (illness behavior), das aus einer Wechselbeziehung zwischen der objektiven Erkrankung und anderen indi­ viduellen sowie äußeren Faktoren wie Fähigkeiten und Kenntnisse, Bildung, Ansichten, kultureller und religiöser Hintergrund, soziale Normen u. Ä. re­ sultieren soll. Die Krankheit als pathologischer Befund (disease) gerät dagegen in den Hintergrund und wird als nur eine der möglichen Ursachen für das Krankenverhalten betrachtet. Der Medizinischen Soziologie verdanken wir den Begriff der Krankenrol­ le (sick role) als einer besonderen sozialen Rolle mit eigenen sozialen Rech­ ten und Pflichten.93 Die Krankenrolle kann vom Individuum beispielsweise dazu genutzt werden, die Befreiung von erwarteten sozialen Rollen und Pflich­ ten zu rechtfertigen, Sympathie und Hilfe zu bekommen oder Misserfolge zu entschuldigen.94 Letztendlich entscheidet der Betroffene aber selbst, ob er die Krankenrolle übernimmt: So bleiben manche Patienten mit koronarer Herz­ krankheit aktiv und laufen sogar Marathon, während andere zur sitzenden Le­ bensweise übergehen und zu schwer behinderten Menschen werden.95 Des­ halb soll nach Ansicht der Soziologen der Schwerpunkt von der somatischen Behandlung auf die Behandlung von illness verschoben werden, bei der die Pa­ tienten unter Einleitung von Ärzten, Sozialarbeitern, Physiotherapeuten usw. lernen würden, ihr Verhalten zu ändern und Bewältigungstaktiken zu ent­ wickeln.96 Dieser holistische Ansatz will viele Bereiche entmedikalisieren und helfen, die aktuelle „Somatisierung“ der Medizin zu überwinden. Dasselbe Ziel verfolgen auch die sog. biopsychologischen Modelle der Krankheit, welche betonen, dass der Mensch eine Einheit aus Leib und Seele sei, wobei die seelische Komponente die Entstehung und den Verlauf der Krankheit beeinflusse. Diese Modelle verstehen sich als Gegenbewegung zur 92 

Medizinische Soziologie ist zu unterscheiden von der Sozialmedizin, die sich mit dem Gesundheitszustand der Bevölkerung, Krankheitsursachen und -folgen, der Organisation des Gesundheitswesens und der sozialen Sicherung sowie den Wirkungen und Kosten der medizinischen Versorgung befasst, dazu Gostomzyk, in: Gostomzyk, Angewandte Sozial­ medizin, Kap. I – 1. 93  Grundlegend dazu Parsons, The social system. 94 Grundlegend Mechanic, Medical sociology. 95  Cott, in: MacHugh/​Vallis, Illness behavior, S. 89. 96  Mechanic, Social Science & Medicine 1995, 1207, 1216.



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naturwissenschaftlichen Orientierung in der Medizin.97 Sie selbst sind meist anthroposophisch orientiert und versuchen, bei der Formulierung des Krank­ heitsbegriffs den kranken Menschen miteinzubeziehen. So soll Krankheit ein Zustand der subjektiven, klinischen oder sozialen Hilfsbedürftigkeit eines Menschen infolge des Verlustes des abgestimmten Zusammenwirkens der physischen, psychischen oder psychophysischen Funktionsglieder des Or­ ganismus sein98 oder, wie Viktor von Weizsäcker es einst formulierte: „Das wirkliche Wesen des Krankseins ist eine Not und äußert sich als eine Bitte um Hilfe.“99 Es gibt ferner biopsychosoziale Modelle der Krankheit, die zu­ sätzlich die soziale Integrationsebene berücksichtigen.100 Soziale Erfahrun­ gen eines Menschen sollen dabei über soziopsychische und psychobiologische Prozesse auf menschliche Körpersysteme einwirken und sowohl die Entste­ hung als auch die Wahrnehmung, den Verlauf und die Heilung von Krankhei­ ten beeinflussen.101 Manche sprechen von der individuellen Wirklichkeit, die den Menschen als feste, aber für den außenstehenden Betrachter unsichtbare Hülle umschließe. Diese Hülle könne als Organ aufgefasst werden, das „für das System Mensch und dessen Körper Funktionen einer Grenzschicht [hat], die in Analogie zu den Grenzschichtfunktionen der Haut beschrieben werden können.“102 Darüber hinaus existiert eine Fülle weiterer Krankheitsbegriffe, -konzepte und -modelle, etwa das funktionalistische Modell von Boorse, das Krankheit als Funktionsstörung betrachtet103; verhaltensmedizinische Modelle, die an­ nehmen, dass bestimmte Krankheiten, vor allem Phobien, das Ergebnis von Lernprozessen seien und genauso „verlernt“ werden könnten; psychoanalyti­ sche Modelle, die den Ursprung bestimmter (psychischer) Erkrankungen in den Erlebnissen der frühen Kindheit sehen, usw.104 Sie sollen hier nicht näher dargestellt werden, denn das hiesige Ziel erschöpft sich darin, dem Leser einen Eindruck vom Umgang mit dem Krankheitsbegriff außerhalb des Rechts und der juristischen Wissenschaft zu vermitteln. Hierzu sei es erlaubt, noch die Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu zitieren, die allerdings nicht Krankheit, sondern Gesundheit zum Gegenstand hat: Gesundheit ist ein 97 

Lanzerath, Krankheit und ärztliches Handeln, S. 126. Rothschuh, Der Krankheitsbegriff (was ist Krankheit?), 1972, abgedr. in: Rothschuh, Was ist Krankheit?, S. 397, 417. 99  v. Weizsäcker, Der Arzt und der Kranke, 1927, abgedr. in: Rothschuh, Was ist Krank­ heit?, S. 214, 218. 100 Grundlegend Engel, Science 196: 4286 (1977), 129 ff.; ders., The American Journal of Psychiatry 137: 5 (1980), 535 ff. 101  Pauls, Resonanzen 2013, 15, 17, 27. 102  Uexküll/​Wesiack, Theorie der Humanmedizin, S. 422. 103 Grundlegend Boorse, Philosophy of Science 44 (1977), 542 ff. 104  Weiterführend Beiträge in Sammelwerken wie Rothschuh, Was ist Krankheit?, und Schramme, Krankheitstheorien. 98 

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„Zustand vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur des Freiseins von Krankheit und Gebrechen“105. Die Besonder­ heit dieser Definition liegt darin, dass hier keine biologische oder soziale Wirk­ lichkeit, sondern eine politische Zielvorstellung beschrieben wird106; auch so kann man an den Begriff der Krankheit bzw. der Gesundheit herangehen. 4. Ergebnis Es hat sich gezeigt, dass die Krankheitsbegriffe des Sozialversicherungs- und des Arbeitsrechts, obwohl abstrakt formuliert, in Wahrheit vom medizinischen Befund im konkreten Einzelfall abhängig sind. Sie können in der Praxis erst zum Zuge kommen, wenn eine ärztliche Diagnose vorliegt. Erst dann kann der Rechtsanwender tätig werden, wobei sich dessen Rolle darauf beschränkt, am medizinischen Befund Korrekturen vorzunehmen, die vom Regelungszweck der jeweiligen Materie diktiert werden. Der Rechtsbegriff der Krankheit ist also ein funktioneller Begriff.107 Er ist im Übrigen auch im Zivil- und Han­ delsrecht anzutreffen, etwa in § 89b Abs. 3 Nr. 1 Alt. 2 HGB, in §§ 617, 823, 1365 Abs. 2 und 1426 BGB. Auch dort knüpft das Gesetz an das Vorhanden- oder Nichtvorhandensein einer Krankheit verschiedene Rechtsfolgen, ohne diesen Begriff zu definieren. Auch hier kommt es in der Praxis auf die ärztliche Di­ agnose an. Ohne die Diagnose kommen lediglich die allgemeinen Krankheitsbegrif­ fe der naturwissenschaftlichen Medizin aus. Sie sind allerdings allesamt für das Recht unbrauchbar. Ob eine negativ zu bewertende Abweichung von der medizinischen Norm vorliegt, kann ein Jurist nicht beurteilen. Biopsycho­ logische und biopsychosoziale Krankheitsmodelle beschäftigen sich vorder­ gründig nicht mit dem Begriff der Krankheit, sondern mit ihren Ursachen und Wechselbeziehungen zur Psyche und Umwelt des Kranken, was aus rechtlicher Sicht nicht interessant ist. Soweit biopsychologische und biopsychosoziale Mo­ delle Krankheit definieren, etwa als Not, die sich in der Bitte um Hilfe äu­ ßert, sind solche Definitionen für das rechtliche Handeln nicht griffig genug. Daher existieren zwischen dem hiesigen Thema und diesen Krankheitsmodel­ len kaum Berührungspunkte. Für unsere Zwecke ungeeignet sind ferner die Begriffe „illness“ und „disease“ der Medizinischen Soziologie, denn „disease“ deckt sich im Wesentlichen mit dem Begriff der pathologischen Abweichung und „illness“ enthält ausschließlich subjektive Merkmale, während hier nach einer möglichst objektiven Definition gesucht wird. Ungeachtet dessen kön­ 105  „Health is a state of complete physical, mental and social well-being and not merely the absence of disease or infirmity“, WHO 1946. 106  Genau aus diesem Grund wird die WHO ‑Definition teilweise als „utopisch“ und „unbiologisch“ bezeichnet, siehe etwa Schaefer, in: Blohmke/​Ferber/​K isker/​Schaefer, Handbuch der Sozialmedizin, Bd. III, S. 15, 18. 107  Maurer, Schweizerisches Sozialversicherungsrecht, S. 277.



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nen diese soziologischen Termini an anderen Stellen dieser Arbeit fruchtbar gemacht werden. Insbesondere sollte die wenig ausgeprägte Bereitschaft der Führungskräfte, die Krankenrolle zu übernehmen und sich krank zu verhal­ ten, beim Für und Wider der Offenlegungspflicht berücksichtigt werden. Daher bleibt zu konstatieren, dass es nicht möglich sein wird, einen sub­ sumtionsfähigen und zugleich diagnoseunabhängigen Krankheitsbegriff zu kreieren. Der einzige gangbare Weg besteht darin, an die Diagnose anzuknüp­ fen, wie dies in den anderen Rechtsgebieten getan wird. Dabei kann man da­ rauf verzichten, Krankheit als regelwidrigen Zustand zu umschreiben. Dies mag im Sozialversicherungsrecht sinnvoll sein, weil die begriffliche Distanzie­ rung von der Diagnose es ermöglicht, den Anspruch des Versicherten auf Be­ handlungs- oder Diagnoseleistungen anzuerkennen. Zudem werden mit Hilfe des Merkmals der Regelwidrigkeit Korrekturen am medizinischen Befund vorgenommen. Aber schon das Arbeitsrecht kommt faktisch ohne den „regel­ widrigen Zustand“ aus. Daher spricht nichts dagegen, offen an die Diagnose anzuknüpfen und unter „Krankheit“ lediglich eine vom Arzt diagnostizierte Krankheit zu verstehen.

II.  Umgang mit Krankheitsverdacht 1.  Subjektiver und objektiver Krankheitsverdacht Definiert man Krankheit im Sinne einer diagnostizierten Krankheit, so lässt sich eine begriffliche Dichotomie für die Zeit vor und nach der Diagnose nicht vermeiden. Vor der Diagnose liegt also schon definitionsmäßig keine Krank­ heit vor, auch wenn objektiv ein pathologischer Zustand gegeben ist. Solan­ ge dieser krankhafte Zustand niemandem einschließlich des Kranken selbst auffällt (z. B. ein Tumor ohne Symptome), wäre es ohnehin nicht sinnvoll, ir­ gendwelche Rechtspflichten damit zu verbinden. Über rechtliche Verhaltens­ pflichten kann erst nachgedacht werden, wenn der Kranke oder sein Umfeld Krankheitsanzeichen wahrnimmt. Vielleicht hat der Betroffene aufgrund der Symptome das Gefühl, krank zu sein, oder vermutet sogar, um welche Krank­ heit es sich handeln könnte (subjektiver Krankheitsverdacht). Die Medizi­ nische Soziologie spricht in diesem Fall von „illness“, einem Zustand, der alles umfasst, was das Individuum als Behinderung oder Störung seiner normalen Lebensführung empfindet: unwillkürliche Reaktionen wie Arhythmien, Blut­ hochdruck, Erhöhung der Körpertemperatur, Schweißausbrüche (Symptome im medizinischen Sinne), aber auch „komplexere“ kognitive Reaktionen wie Angst, Nervosität, Interpretationen der Krankheit usw.108 Denkbar ist ferner, dass nicht der Kranke selbst, sondern die Außenstehenden Krankheitssymp­ tome wahrnehmen und sie als solche interpretieren (objektiver Krankheitsver­ 108 

Cott, in: MacHugh/​Vallis, Illness behavior, S. 71, 75.

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dacht). Dies kann vor allem bei Alkoholerkrankung oder bei manchen psy­ chischen Erkrankungen der Fall sein. Das juristische Schrifttum ist sich uneinig, was den Umgang mit einem Krankheitsverdacht angeht. Nach überwiegender Ansicht ist der Betroffene nicht verpflichtet, die Gesellschaft über den Verdacht einer schweren Erkran­ kung zu informieren. Sein Persönlichkeitsrecht überwiege die wirtschaftli­ chen Interessen der Gesellschaft und die Interessen Dritter. Auch der Anstel­ lungsvertrag könne zur Offenlegung des Krankheitsverdachts nicht wirksam verpflichten.109 Es könne zwar geboten sein, den Verdacht einer schweren Erkrankung vom Arzt überprüfen zu lassen, dies sei jedoch eine „höchstper­ sönliche Angelegenheit“ des Organmitglieds.110 Gemeint ist wohl der subjek­ tive Krankheitsverdacht des betroffenen Organmitglieds. In diesem Fall fällt es in der Tat schwer, irgendwelche rechtliche Verpflichtungen anzunehmen, weil eine Erkrankung, die sich nicht einmal nach außen zeigt, eine höchst pri­ vate Angelegenheit zu sein scheint. Auf der anderen Seite kann eine Krankheit schon in diesem Stadium das Verhalten des Betroffenen beeinträchtigen und die Gesellschaft wirtschaftlichen Gefahren aussetzen, so dass die Verneinung jeglicher Rechtspflichten nicht unproblematisch erscheint. Die Gegenansicht hält die Gesellschaft für berechtigt, vom Organmitglied zu verlangen, sich ärztlich untersuchen zu lassen, wenn es Anhaltspunkte für krankheitsbedingte Ausfallerscheinungen gibt.111 Diese Ansicht hat also Si­ tuationen im Blick, in denen sich die Krankheit nach außen zeigt und bei den Außenstehenden einen objektiven Krankheitsverdacht hervorruft. Die Unter­ suchungspflicht setzt dann voraus, dass die Gesellschaft ein berechtigtes In­ teresse an der Abklärung des Verdachts hat, welches das Interesse des Betrof­ fenen an der Wahrung seiner Intimsphäre und körperlicher Unversehrtheit überwiegt. Dies sei der Fall bei konkreten Zweifeln an der Diensttauglichkeit des Organmitglieds, z. B. wenn seine Leistungsfähigkeit durch die Erkrankung erheblich zurückgegangen sei. In solchen Fällen verschaffe die ärztliche Unter­ suchung der Gesellschaft Gewissheit darüber, ob die Leistungsminderung von Dauer sein werde oder eine Besserung zu erwarten sei.112 2.  Offenlegungspflicht bei Krankheitsverdacht Im Raum stehen also bei jeder Art des Krankheitsverdachts eine Offenlegungsund eine Untersuchungspflicht; es empfiehlt sich, mit der Offenlegungspflicht 109  Spindler, in: MüKo AktG, § 84 Rn. 111; Bayer, FS Hommelhoff, S. 87, 89; gegen die Offenlegungspflicht bei bloßem Krankheitsverdacht auch Lutter, Der Aufsichtsrat 2009, 97; Schnorbus/​Klormann, WM 2018, 1069, 1073. 110  Bayer, FS Hommelhoff, S. 87, 89. 111  Fleischer, NZG 2010, 561, 565; Schnorbus/​K lormann, WM 2018, 1069, 1072. 112  Fleischer, NZG 2010, 561, 565 m. w. N. zu Parallelfällen im Arbeitsrecht; ders., in: Spindler/​Stilz, AktG, § 93 Rn. 129; ders., in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 168.



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zu beginnen. Diese Pflicht ist, wenn überhaupt, ausschließlich bei einem sub­ jektiven Krankheitsverdacht sinnvoll. Denn hegt die Gesellschaft selbst einen Krankheitsverdacht, ist sie in erster Linie an der Klärung der Sachlage interes­ siert; ob der Betroffene ebenfalls eine Krankheit bei sich vermutet, ist zunächst nachrangig. Außerdem kann es sein, dass die Organperson selbst noch gar kei­ nen Krankheitsverdacht hat und die Krankheitssymptome nur den Außenste­ henden auffallen. An der Pflicht des Organmitglieds, die Gesellschaft über seinen Verdacht sua sponte zu informieren, könnte man schon deshalb zweifeln, weil ein solcher Verdacht eine innere, von der Außenwelt verborgene Tatsache darstellt und es äußerst schwierig wäre, dem schweigenden Organmitglied eine Pflichtverlet­ zung nachzuweisen. Die Gesellschaft wäre auf Indizien angewiesen, auf unbe­ dachte Äußerungen, die auf den Verdacht des Betroffenen schließen ließen. So etwas würde in der Praxis kaum vorkommen. Eine später gestellte Diagnose würde dagegen kein Indiz für einen vorangegangenen Krankheitsverdacht lie­ fern. Etwas anderes wäre nur dann der Fall, wenn die Gesellschaft in Erfah­ rung bringen könnte, wann das Organmitglied aufgrund konkreter Symptome mit seinem Arzt einen Untersuchungstermin vereinbart hat. Dann könnte sie behaupten, dass der Erkrankte spätestens zu diesem Zeitpunkt einen Krank­ heitsverdacht gehabt haben müsste. Praktisch gesehen ist der Gesellschaft der Zugang zu solchen Informationen verschlossen. Das mit dem Vorwurf einer Pflichtverletzung konfrontierte Organmitglied wird ihr keine freiwillige Aus­ kunft geben; sein behandelnder Arzt und dessen Praxispersonal werden sich auf die ärztliche Schweigepflicht berufen. Allerdings reichen Beweisprobleme für sich genommen nicht aus, um die Existenz einer Rechtspflicht auszuschließen. Größeres Gewicht hat demgegen­ über das Argument, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen in diesem Fall dem Informationsinteresse der Gesellschaft vorgehe.113 Bei einer vollständigen Verhältnismäßigkeitsprüfung wie sie hier gefordert wird114, stellt sich außerdem heraus, dass die Offenlegung des Krankheitsverdachts nicht einmal geeignet wäre, das Gesellschaftsinteresse zu schützen: Die Ge­ sellschaft, der ein Krankheitsverdacht mitgeteilt wird, kann mit diesem Wis­ sen wenig anfangen. Das einzige, was sie machen kann, ist dem Organmit­ glied vorzuschlagen, den Verdacht medizinisch abklären zu lassen. Deswegen ist vorrangig zu prüfen, ob es eine Pflicht zur Abklärung des Verdachts gibt, zumal eine solche Abklärung in beiderseitigem Interesse liegt.115

113  Spindler, in: MüKo 114  Vgl. Kapitel 2, § 4. 115 Vgl.

AktG, § 84 Rn. 111; Bayer, FS Hommelhoff, S. 87, 89.

Bayer, FS Hommelhoff, S. 87, 89.

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Kapitel 3: Offenlegungspflichten bei Krankheit

3.  Pflicht zur Abklärung des Verdachts „Sicher kann man davon ausgehen, dass der Vorstand ein hohes Interesse hat, die beste medizinische Betreuung zu bekommen, aber wissen kann man dies aus der Sicht des Unternehmens nicht.“116 Die Verpflichtung des Organmit­ glieds, den Krankheitsverdacht zeitnah abzuklären, wäre daher bei beiden Arten des Krankheitsverdachts sinnvoll. Bei einem subjektiven Verdacht hätte diese Untersuchungspflicht für den Betroffenen sogar einige Vorteile im Ver­ gleich zu einer Offenlegungspflicht: Sollte der Arzt den Krankheitsverdacht bedauerlicherweise bestätigen, behält die Organperson zumindest die Mög­ lichkeit, die Erkrankung geheim zu halten, indem sie rechtzeitig ihr Mandat niederlegt. Bestätigt sich der Verdacht nicht, braucht die Gesellschaft von der ganzen Angelegenheit nichts zu erfahren. Wäre das Organmitglied dagegen schon im Verdachtsstadium zur Offenlegung verpflichtet, wäre die Sache be­ reits publik; sie wieder aus der Welt zu schaffen, kann sehr schwierig werden. Gerade deshalb hat die Diskretion bei medizinischen Untersuchungen den höchsten Stellenwert, vor allem für bekannte Führungskräfte.117 Teilweise wird es Geschäftsleitern, die im Rampenlicht der medialen Öffentlichkeit ste­ hen, sogar empfohlen, sich an ein Diagnose-Zentrum im Ausland zu wenden, wo sie weitgehend unbekannt sind.118 Dennoch wäre auch die Pflicht zur Abklärung des Krankheitsverdachts grundrechtlich nicht unbedenklich.119 Sie tangiert vor allem das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Teil des allgemeinen Persönlichkeits­ rechts.120 Dieses umfasst das Recht des Einzelnen, selbst über die Angelegen­ heiten zu bestimmen, die der eigenen Persönlichkeitssphäre zuzuordnen sind, also auch darüber, ob und welche medizinische Untersuchungen an ihm vor­ genommen werden.121 Solche Untersuchungen tangieren unter Umständen auch das Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG), was aller­ dings nur dann eine eigenständige Bedeutung hat, wenn der zur Diagnose vor­ genommene Eingriff schmerzlicher ist als das mögliche Untersuchungsergeb­ nis.122 Häufig ist das Gegenteil der Fall: Die körperliche Unversehrtheit wird durch die Untersuchung gar nicht oder nur geringfügig beeinträchtigt, wäh­ rend das Untersuchungsergebnis eine gravierende psychische Belastung mit 116  Juergens, in: Bayer/​Juergens/​Rudat, Gesundheitsprobleme eines Vorstandsmitglie­ des, S. 50. 117 Vgl. Bayer, FS Hommelhoff, S. 87, 89; Lutter, Der Aufsichtsrat 2009, 97. 118  Lutter, Der Aufsichtsrat 2009, 97. 119  Insofern richtig Fleischer, NZG 2010, 561, 565. 120  Vgl. LG Magdeburg, Urt. v. 19.11.2013  – 2 S 140/13, juris; OLG Koblenz, Urt. v. 31.7.2013 – 5 U 1427/12, MedR 2014, 168, 171; Damm, MedR 2012, 705, 709; vgl. ferner zur Kenntnis der genetischen Abstammung BVerfGE 117, 202, 228 = NJW 2007, 753, 754 Rn. 66; BVerfG, FamRZ 2013, 1195 Rn. 22. 121  LG Magdeburg, Urt. v. 19.11.2013 – 2 S 140/13, juris (Einwilligung in einen HIV‑Test). 122  Koppernock, Das Grundrecht auf bioethische Selbstbestimmung, S. 60 f.



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sich bringt. Beispiele sind die Genomanalyse oder eine Blutentnahme zur Fest­ stellung einer HIV‑Infektion oder einer Rauschmittelabhängigkeit. In solchen Fällen ist nur das Recht auf informationelle Selbstbestimmung beeinträch­ tigt.123 Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung beinhaltet ferner das „Recht auf Nichtwissen“, also das Recht des Einzelnen, bestimmte Informa­ tionen nicht zu erhalten.124 Die Untersuchungspflicht führt logischerweise dazu, dass am Ende ein Untersuchungsergebnis feststeht, mit dem der Betrof­ fene konfrontiert wird, ob er das will oder nicht. Denn eine Untersuchungs­ pflicht ohne Kenntnisnahme vom Untersuchungsergebnis würde den Betei­ ligten wenig nutzen. Das Recht auf Nichtwissen läuft also auf das Verbot der Informationsermittlung hinaus und steht somit dem Zwang zu einer medizi­ nischen Untersuchung entgegen.125 In neuerer Zeit hat das Recht auf Nicht­ wissen besondere Ausprägungen als Recht auf Nichtwissen einer HIV‑Erkran­ kung126 sowie eigener genetischer Veranlagung127 erhalten. So müsse es dem Betroffenen beim Verdacht auf eine HIV‑Infektion unbenommen bleiben, sich auch ohne sichere Kenntnis über die Infektion so zu verhalten, als sei er infi­ ziert.128 Das Recht auf Nichtwissen eigener genetischer Veranlagung ist nun in § 9 Abs. 2 Nr. 5 GenDG positivrechtlich verankert und schützt den Einzel­ nen davor, Kenntnis über ihn betreffende genetische Informationen mit Aus­ sagekraft für seine persönliche Zukunft zu erlangen, ohne dies zu wollen.129 Zudem soll niemand gezwungen werden, sich einer Genanalyse zu unterzie­ hen (vgl. § 8 GenDG).130 Die Pflicht zur medizinischen Untersuchung wäre daher nur dann gerecht­ fertigt, wenn sie verhältnismäßig wäre. Sie würde einem legitimen Ziel dienen, nämlich der Feststellung, ob der Betroffene sein Amt einschränkungslos aus­ üben kann. Zur Erreichung dieses Ziels wäre die Pflicht angesichts der hohen 123 Anders BAG, Urt. v. 12.8.1999 – 2 ZR 55/99, NZA 1999, 1209, 1210, das beide Grund­ rechte als verletzt ansieht. 124 Dazu Di Fabio, in: Maunz/​Dürig, GG, Art. 2 Rn. 192; Koppernock, Das Grundrecht auf bioethische Selbstbestimmung, S. 85 ff.; Taupitz, FS Wiese, S. 583, 591 f. 125  Taupitz, FS Wiese, S. 583, 589 m. w. N. 126  OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.4.1994  – 8 U 23/92, MedR 1996, 79; LG Magdeburg, Urt. v. 19.11.2013 – 2 S 140/13, juris; LG Köln, Urt. v. 8.2.1995 – 25 O 308/92, NJW 1995, 1621; vgl. auch EuGH, Urt. v. 5.10.1994 – C-404/92 P, Slg. 1994, I-4737 – X/Kommission (HIV‑Test bei Einstellung eines EG‑Bediensteten). 127  Koppernock, Das Grundrecht auf bioethische Selbstbestimmung, S. 85 ff. spricht in diesem Zusammenhang vom Grundrecht auf bioethische Selbstbestimmung. 128  Koppernock, Das Grundrecht auf bioethische Selbstbestimmung, S. 61; Taupitz, FS Wiese, S. 583, 601. 129  BGH, Urt. v. 20.5.2014 – VI ZR 381/13, BGHZ 201, 263 Rn. 14 = NJW 2014, 2190, 2191 m. w. N.; Di Fabio, in: Maunz/​Dürig, GG, Art. 2 Rn. 192, 204; Tiedemann, Menschen­ würde als Rechtsbegriff, S. 358 f.; Damm, MedR 2012, 705, 709; ders., MedR 2014, 139, 140; Taupitz, FS Wiese, S. 583, 595. 130  Vgl. auch Tiedemann, Menschenwürde als Rechtsbegriff, S. 359.

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Verlässlichkeit moderner Diagnostik auch geeignet. Fraglich ist allerdings ihre Erforderlichkeit, da ein Zwang zu einer medizinischen Untersuchung einen schwerwiegenden Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darstellt. So hat der BGH in einem Fall, in dem es um die psychiatrische Un­ tersuchung eines Schiedsrichters ging, die Untersuchungspflicht verneint. Das Persönlichkeitsrecht des Schiedsrichters wiege schwerer als das Interes­ se einer Partei, die eine solche Untersuchung verlange, um einen ihr nachtei­ ligen Schiedsspruch zu beseitigen. Dies gelte auch dann, wenn die Geisteskraft des Schiedsrichters krankhaft oder altersbedingt so verfällt, dass ernsthafte Zweifel an seiner Eignung zur Ausübung des Schiedsrichteramts bestünden.131 Seine restriktive Haltung gegenüber psychiatrischen Untersuchungen erklärt der BGH damit, dass der damit verbundene Eingriff in die Privatsphäre gra­ vierend sei. Er richte sich auf die Offenlegung wesentlicher Teile des Persön­ lichkeitsbildes und liege damit hart an der Grenze des unantastbaren, dem Zu­ griff Dritter grundsätzlich entzogenen Kernbereichs der persönlichen Freiheit. Darüber hinaus gefährde er das Ansehen und den Ruf des Betroffenen nicht nur in den Augen der Prozessbeteiligten, sondern auch in denjenigen der All­ gemeinheit, denn der Schiedsrichter müsse befürchten, dass die im Rahmen der Begutachtung über seine Person gewonnenen Erkenntnisse zumindest Tei­ len der Öffentlichkeit nicht verborgen bleiben werden. Die Öffentlichkeitswir­ kung sei umso tiefgreifender, je größer der Bekanntheitsgrad und die Reputa­ tion des Betroffenen seien.132 Im Schiedsrichter-Fall hat der BGH indes nicht die Erforderlichkeit, son­ dern die Angemessenheit der Untersuchungspflicht verneint. Würde man bei einem Organmitglied entsprechend vorgehen, so müsste man dessen Persön­ lichkeitsrecht gegen das Interesse der Gesellschaft an der Funktionsfähigkeit ihrer Organe abwägen. Je nach Wichtigkeit der Organperson für den Unter­ nehmenserfolg wären eventuell auch die Interessen von Stakeholdern, etwa von Arbeitnehmern zu berücksichtigen, deren persönliche Schicksale häufig mit dem Erfolg oder Misserfolg des Unternehmens verbunden sind. Wie diese Interessen zu gewichten sind, könnte man nur im Einzelfall entscheiden. Die Gewichtigkeit der Interessen des Organmitglieds hinge vor allem von der Art der Untersuchung und ihrem möglichen Ergebnis ab. Manche Untersuchun­ gen, vor allem psychologische, sind schon für sich genommen belastend, ande­ re nicht. Generelle Aussagen verbieten sich auch im Hinblick auf mögliche Un­ tersuchungsergebnisse. Nach der Rechtsprechung des BVerfG fällt der Schutz des Einzelnen vor der Erhebung und Weitergabe von Befunden über den Ge­ sundheitszustand, die seelische Verfassung und den Charakter umso intensiver 131  BGH, Urt. v. 5.5.1986 – III ZR 233/84, BGHZ 98, 32 = NJW 1986, 3077; kritisch dazu Canaris, JuS 1989, 161, 165 f. 132  BGH NJW 1986, 3077, 3078.



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aus, je näher die Daten der Intimsphäre des Betroffenen stehen.133 Zu bedenken wäre auch, wie belastend das Untersuchungsergebnis ausfallen kann: Geht es (nur) um eine Sucherkrankung oder steht eine tödliche Erkrankung im Raum? Im ersten Fall ist eine Diagnose leichter zu verkraften als bei einem „medizi­ nischen Todesurteil“, auf das ein Mensch mit somatischen Störungen, tiefen Ängsten und Depressionen bis hin zum Suizid reagieren kann.134 Diese Überlegungen zeigen, wie schwierig und wie einzelfallabhängig die Interessenabwägung bei einem Krankheitsverdacht wäre. In dem Fall, in dem es um eine möglicherweise tödliche Erkrankung geht, zeigt sich zudem, wie wichtig das Recht auf Nichtwissen ist. Denn auch wenn der Betroffene bei sich eine solche Krankheit vermutet, kann er einen berechtigten Wunsch haben, auf ein ärztliches Urteil zu verzichten, um die letzte Hoffnung zu behalten und die kommende Zeit nach Möglichkeit wie ein gesunder Mensch zu ver­ bringen. Denn „schon die Entscheidung, etwas ‚nicht so genau wissen zu wol­ len‘, kann Belastungen fernhalten, und nicht selten beruht die erschreckende Erkenntnis gerade darin, daß ein Hoffenkönnen zerstört und aus dem Wissen um Chancen und Risiken Gewißheit wurde.“135 Dieser Wunsch ist menschlich und muss auch dann respektiert werden, wenn der Betroffene in einer Gesell­ schaft Organmitglied ist. Wie lässt sich aber dieser Wunsch mit dem Gesellschaftsinteresse verein­ baren? Ein Organmitglied, das den Verdacht einer schweren Erkrankung nicht abklären will, kann zu einer „tickenden Zeitbombe“ für das Unterneh­ men werden, zumal mit dem Verzicht auf die Abklärung auch ein Verzicht auf die medizinische Behandlung einhergeht. Unter diesen Umständen ist der Verbleib des Betroffenen im Amt für das Unternehmen kaum tragbar. Die lo­ gische rechtliche Konsequenz ist, dass das Organmitglied im Interesse der Ge­ sellschaft sein Amt niederlegen muss. Nur auf diese Weise lässt sich die Ent­ scheidung des Organmitglieds gegen eine medizinische Intervention mit dem Interesse der Gesellschaft an der Funktionsfähigkeit ihrer Organe in Aus­ gleich bringen. Diese Pflicht ist zum Schutz der Gesellschaft genauso geeig­ net wie die Pflicht zur Abklärung des Krankheitsverdachts, greift aber nicht so schwer in das Recht auf die informationelle Selbstbestimmung ein, weil sie keinen rechtlichen, sondern nur einen faktischen Zwang zu medizinischer Ab­ klärung des Krankheitsverdachts begründet. Das Organmitglied kann sich für ein Nichtwissen entscheiden, ohne eine Pflichtverletzung gegenüber der Gesellschaft zu begehen; eine solche liegt erst dann vor, wenn das Organmit­ glied nicht die notwendigen Konsequenzen zieht und weiterhin im Amt bleibt. Die Lösung hat zudem den Vorteil, dass sie ohne einzelfallbezogene Abwä­ gung auskommt. 133  BVerfGE 89, 69, 82 f. – Cannabis m. w. N. 134 Vgl. Koppernock, Das Grundrecht auf bioethische 135 

Taupitz, FS Wiese, S. 583, 597.

Selbstbestimmung, S. 60.

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Die Wahl der Amtsniederlegung als Ausweg ist weniger überraschend, als es auf dem ersten Blick scheinen mag. Die Amtsniederlegung ist ein schar­ fes, aber anerkanntes Mittel zur Lösung von Interessenkonflikten.136 Sie wird im Zusammenhang mit der Fähigkeit der Organperson zur ordnungsgemäßen Amtsführung, also im Kontext der allgemeinen Sorgfaltspflicht, immer wie­ der angesprochen. So muss ein Organmitglied nach allgemeiner Ansicht die zur Ausübung seines Amtes erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse be­ sitzen137, sonst darf es das Amt nicht annehmen.138 Folglich ist es verpflich­ tet, sein Amt niederzulegen, sobald es das eigene Unvermögen erkennt, und zwar auch dann, wenn dieses Unvermögen erst später eintritt.139 Die Pflicht zur Amtsniederlegung greift auch dann, wenn gesundheitliche Gründe die Fä­ higkeit zur Amtsführung beeinträchtigen.140 Genauso muss m. E. die Situation behandelt werden, in der eine Organperson bei sich eine schwere Erkrankung vermutet, den Verdacht aber nicht aufklären lassen will. Bleibt diese Person dennoch im Amt, nimmt sie die Gefährdung der Gesellschaft bewusst in Kauf und begeht damit eine grobe Pflichtverletzung, die nach § 84 Abs. 3 S. 1 AktG bzw. § 38 GmbHG zum Widerruf der Bestellung führen kann. Bei dieser Lösung bliebe die medizinische Untersuchung eines Krank­ heitsverdachts eine höchstpersönliche Entscheidung des betroffenen Organ­ mitglieds. Es kann sich dagegen entscheiden, muss dann allerdings nachteilige Folgen in Form der Amtsniederlegungspflicht hinnehmen. Faktisch ist die Si­ tuation die gleiche wie bei der Anerkennung einer Untersuchungspflicht, denn auch dann hat das Organmitglied die Wahl zwischen Abklärung des Verdachts und Amtsniederlegung: Will er seiner Pflicht zur Abklärung des Verdachts entkommen, kann er sein Mandat niederlegen. So argumentiert auch Canaris im Schiedsrichter-Fall: Anders als der BGH hält er den Schiedsrichter für ver­ pflichtet, sich psychologisch untersuchen zu lassen, will ihm aber mit einem Recht auf Rücktritt vom Schiedsrichtervertrag wegen Unzumutbarkeit hel­ fen.141 Der Nachteil dieser Lösung liegt im rechtlichen Bereich, nämlich in der 136  Dazu im Kapitel 2, § 3 II, III. 137  RG, Urt. v. 28.2.1940 – II 115/39,

RGZ 163, 200, 208 f.; BGH, Urt. v. 15.11.1982 – II ZR 27/82, BGHZ 85, 293, 295 f.; Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 255; Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 59; Kleindiek, in: Lutter/​Hommelhoff, GmbHG, § 43 Rn. 10; Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 93 Rn. 137. 138  RG, Urt. v. 29.5.1934 – II 9/34, RGZ 144, 348, 355; Altmeppen, in: Roth/​A ltmeppen, GmbHG, § 43 Rn. 4; Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 255; Hölters, in: Hölters, AktG, § 93 Rn. 27; Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 59. 139  BFH, Beschl. v. 21.10.2003  – VII B 353/02 (NV); Hölters, in: Hölters, AktG, § 93 Rn. 27; Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 59; Paefgen, in: Ulmer/​ Habersack/​ Löbbe, GmbHG, § 43 Rn. 38; Wettich, Vorstandsorganisation in der Aktiengesellschaft, S. 230; Wiedemann, Organverantwortung, S. 15; vgl. auch Ziemons, in: Michalski, GmbHG, § 43 Rn. 411 f. 140  So ausdrücklich Wiedemann, Organverantwortung, S. 15. 141 Siehe Canaris, JuS 1989, 161, 166.



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Bewertung der Weigerung, sich untersuchen zu lassen, als Pflichtverstoß, ob­ wohl dieses Verhalten vom Recht auf informationelle Selbstbestimmung abge­ deckt ist. Nach der hiesigen Lösung kommt es zum Pflichtverstoß erst dann, wenn der Betroffene sein Recht auf Nichtwissen auf Kosten der Gesellschaft auslebt, indem er mit einem ungeklärten Verdacht auf eine schwere Erkran­ kung im Amt bleibt. Praktisch gesehen wäre es bei beiden Lösungen kaum möglich, dem Organmitglied eine Pflichtverletzung nachzuweisen, solange die Krankheit nach außen nicht in Erscheinung tritt und es bei einem rein subjek­ tiven Verdacht bleibt. Äußert sich die Krankheit dagegen in Symptomen, die Außenstehenden, etwa Organkollegen, auffallen, so führt dies regelmäßig zu einem objektiven Krankheitsverdacht. Die Pflichtenlage ist hier im Wesentlichen die Gleiche: Der Betroffene ist nicht verpflichtet, sich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen und die Gesellschaft kann dies von ihm nicht verlangen. Zwin­ gen könnte sie ihn ohnehin nicht. Sie kann ihm allerdings einen entsprechen­ den Vorschlag machen und bei Ablehnung personelle Konsequenzen daraus ziehen, bis hin zum Widerruf der Bestellung und zur Kündigung des Anstel­ lungsvertrags aus wichtigem Grund. Denn je nachdem, wie heftig die Symp­ tome sind, können sie die Eignung der Person für ordnungsgemäße Amtsaus­ übung in Frage stellen und damit einen wichtigen Grund für die Abberufung und Kündigung geben. Diese harte Folge kommt z. B. in Betracht, wenn auf­ grund der Vergesslichkeit eines Vorstandsmitglieds ein begründeter Verdacht auf eine Alzheimerdemenz besteht oder das Verhalten des Aufsichtsratsvor­ sitzenden für eine Alkoholerkrankung spricht. Dass Alkohol- und Medika­ mentenmissbrauch einen Grund zur Abberufung und zur Kündigung des An­ stellungsvertrages darstellen kann, ist im Schrifttum anerkannt.142 Bei einem objektiven Krankheitsverdacht kann also die Gesellschaft ihre Interessen ef­ fektiv durchsetzen. 4. Ergebnis Ein Krankheitsverdacht kann subjektiv oder objektiv sein, je nachdem, ob der Betroffene selbst oder dessen Umwelt diesen Verdacht hat. Unabhängig davon wäre die Pflicht der Organperson, den Krankheitsverdacht offenzulegen, nicht geeignet, den Konflikt zwischen dem Interesse der Gesellschaft und dem der Organperson angemessen zu lösen. Ein viel geeigneteres Mittel wäre die Pflicht zur medizinischen Abklärung des Krankheitsverdachts. Diese Pflicht würde indes unter Umständen stark in die Grundrechte des Betroffenen eingreifen, vor allem in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, darunter in sei­ 142  Fleischer, in: Spindler/​ Stilz, AktG, § 93 Rn. 129; ders., in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 168; Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 93 Rn. 96; Spindler, in: MüKo AktG, § 84 Rn. 111; Bayer, FS Hommelhoff, S. 87, 93.

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ner Ausprägung als das Recht auf Nichtwissen. Zudem wäre die erforderliche Interessenabwägung im Einzelfall sehr schwer, wenn überhaupt möglich. Die grundrechtsfreundlichere Lösung besteht darin, dem betroffenen Organmit­ glied zu überlassen, ob es sich ärztlich untersuchen lässt. Die Interessen der Gesellschaft werden dadurch geschützt, dass die Organperson, die den Krank­ heitsverdacht nicht abklären lassen will, ihr Mandat niederzulegen hat. Diese Verhaltensanforderung folgt aus der organschaftlichen Sorgfaltspflicht. Sie ist genauso gut wie die Untersuchungspflicht dazu geeignet, den Interessenkon­ flikt bei einem Krankheitsverdacht zu lösen, stellt aber ein milderes Mittel dar, weil sie die Interessen des Amtsträgers und der Gesellschaft schonender zum Ausgleich bringt.

§ 3.  Exkurs: Ad-hoc-Publizitätspflicht in börsennotierten Unternehmen I.  Ad-hoc-Publizität und die Offenlegungspflicht der Organmitglieder Im Schrifttum wurde bereits unter Geltung des WpHG darüber diskutiert, ob schwere Erkrankungen der Organmitglieder einer börsennotierten AG adhoc-publizitätspflichtig sind.143 Die Diskussion bleibt nach dem Inkrafttreten der MAR aktuell, weil die Verordnung die bestehenden Regeln der Ad-hocPublizität nur marginal verändert hat: Es fand eine „Evolution statt Revolu­ tion“144 statt. Art. 17 MAR bestimmt nun, dass ein Emittent Insiderinforma­ tionen, die ihn unmittelbar betreffen, der Öffentlichkeit so bald wie möglich bekannt geben muss (Abs. 1 S. 1). Verschiedene Arten von Insiderinformatio­ nen sind in Art. 7 MAR legal definiert. In Bezug auf Finanzinstrumente, zu denen als übertragbare Wertpapiere auch Aktien gehören145, sind das nicht öf­ fentlich bekannte präzise Informationen, die direkt oder indirekt einen oder mehrere Emittenten oder ein oder mehrere Finanzinstrumente betreffen und die, wenn sie öffentlich bekannt würden, geeignet wären, den Kurs dieser Fi­ nanzinstrumente oder den Kurs damit verbundener derivativer Finanzinstru­ mente erheblich zu beeinflussen (Abs. 1 lit. „a“). Die Informationen über schwere Erkrankungen der Organmitglieder kön­ nen die Merkmale einer Insiderinformation erfüllen, wenn sie nicht öffentlich 143 Siehe Fleischer, FS Uwe Schneider, S. 333, 343 ff.; ders., NZG 2010, 561, 566 f.; Bayer, FS Hommelhoff, S. 87, 94 ff.; ferner Klöhn, in: KölnKomm WpHG, § 13 Rn. 350 ff.; § 15 Rn. 150 ff. 144  Klöhn, AG 2016, 423. 145 Zum Begriff des Finanzinstruments verweist Art. 3 Abs. 1 Nr. 1 MAR auf Art. 4 Abs. 1 Nr. 15 der Richtlinie 2014/65/EU, der wiederum auf Anhang I Abschnitt C der Richtlinie verweist. Abschnitt C nennt in seinem Abs. 1 übertragbare Wertpapiere als Fi­ nanzinstrumente.

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bekannt sind. Sie beziehen sich auf den Emittenten selbst, betreffen ihn also direkt.146 Ferner kann solchen Informationen nicht von vornherein die Ge­ eignetheit abgesprochen werden, im Falle ihres öffentlichen Bekanntwerdens den Aktienkurs erheblich zu beeinflussen. Ein solches Kursbeeinflussungs­ potential besitzt die Information bereits dann, wenn ein verständiger Anle­ ger sie „wahrscheinlich als Teil der Grundlage seiner Anlageentscheidungen nutzen würde“ (Art. 7 Abs. 4 MAR). Je nachdem, welche Rolle das Organmit­ glied zum konkreten Zeitpunkt im Unternehmen spielt, ist es denkbar, dass die Anleger auf seine schwere Erkrankung reagieren. Informationen über Erkran­ kungen von Organmitgliedern können daher kursrelevant sein.147 Schließlich sind die entsprechende Informationen in der Regel „präzise“, denn Krankheit ist ein konkretes, bereits eingetretenes Ereignis und die Informationen darüber sind spezifisch genug, um einen Schluss auf die mögliche Auswirkung dieses Ereignisses auf den Aktienkurs zuzulassen.148 Ad-hoc-Publizitätspflichten treffen zwar nicht die Organmitglieder, son­ dern den Emittenten, und gehören damit nicht zum Gegenstand der vorlie­ genden Untersuchung. Dennoch lohnt sich an dieser Stelle aus zwei Gründen ein Exkurs in das Kapitalmarktrecht. Zum einen sind kapitalmarktrechtliche Publizitätspflichten bei Erkrankungen von Führungskräften in den USA sehr gut erforscht, so dass der Exkurs einen großen rechtsvergleichenden Ertrag verspricht, der auch für die Analyse interner Offenlegungspflichten, also der Pflichten der Organmitglieder gegenüber der Gesellschaft, fruchtbar gemacht werden kann. Zum anderen können kapitalmarktrechtliche Publizitätspflich­ ten Hinweise zur möglichen Reichweite der internen Offenlegung geben. Denn um die Information über eine schwere Erkrankung ihres Organmit­ glieds zu veröffentlichen, muss die Gesellschaft Kenntnis von dieser Informa­ tion haben.149 Behält das erkrankte Organmitglied die Information für sich, so ist es sehr zweifelhaft, ob der Emittent Kenntnis von der Erkrankung haben kann. 146 

Assmann, in: Assmann/​ Schneider/​ Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014, Art. 17 Rn. 232; Klöhn, in: KölnKomm WpHG, § 15 Rn. 149 f. 147 So Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 7 Rn. 415; Krause, in: Meyer/​ Veil/​Rönnau, Hdb. Marktmissbrauchsrecht, § 6 Rn. 156; vgl. auch Assmann, in: Assmann/​Schneider/​Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014, Art. 17 Rn. 74; Hopt/​Kumpan, in: Schimansky/​ Bunte/​Lwowski, BankR‑HdB, § 107 Rn. 142 Fn. 8. 148 Vgl. die Definition des Merkmals „präzise“ in Art. 7 Abs. 2 MAR ; dazu Langenbucher, AG 2016, 417, 421 f. 149 Vgl. Frowein, in: Habersack/​Mülbert/​S chlitt, Hdb. Kapitalmarktinformation, § 10 Rd. 24; Fleischer, FS Uwe Schneider, S. 333, 352; zur ähnlichen Lage im US-amerikanischen Recht Barnard, 21 J. Corp. L. 307, 327 f. (1996); Glenn, 16 Cardoso L. Rev. 537, 586 (1994); Lin, 11 U. Pa. J. Bus. L. 383, 413 f. (2009); ders., 87 Notre Dame L. Rev. 911, 952 f. (2012); zum (umstrittenen) Merkmal der Kenntnis im Rahmen von Art. 17 MAR zuletzt Koch, AG 2019, 273, 276 ff.

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Manche gehen sogar so weit, dass sie in einem solchen Fall schon die Exis­ tenz einer Insiderinformation verneinen.150 Eine andere Lösungsmöglichkeit besteht darin, innerhalb des Art. 17 MAR die deutsche Wissenszurechnungs­ lehre anzuwenden und zu fragen, ob das Wissen des betroffenen Organmit­ glieds über die eigene Erkrankung dem Emittenten zurechenbar ist. Nach der alten Theorie der absoluten Wissenszurechnung wäre dies zumindest bei Mit­ gliedern des geschäftsführenden Organs möglich, weil deren Wissen nach die­ ser Theorie als Wissen der Gesellschaft gilt.151 Diese Theorie der absoluten Wissenszurechnung ist allerdings durch die neue Wissenszurechnungslehre152 abgelöst worden. Danach wird das Wissen von Organvertretern juristischer Personen „nicht mit logisch-begrifflicher Stringenz […], sondern nur in wer­ tender Beurteilung“153 zugerechnet. Vieles an dieser „wertenden Beurteilung“ bleibt indes unklar; zu Recht monieren einige Literaturstimmen, dass die deut­ schen Regeln der Wissenszurechnung „nicht gerade als Vorzeigebeispiel für Errungenschaften des nationalen Rechtsdenkens“ taugten.154 Fest steht nach der bisherigen Rechtsprechung nur, dass z. B. das Wissen ausgeschiedener Or­ ganmitglieder der juristischen Person weiterhin zuzurechnen sei, wenn dieses Wissen typischerweise aktenmäßig festgehalten werde.155 Generell müsse eine juristische Person so organisiert sein, dass Informationen, deren Relevanz für andere Personen innerhalb des Unternehmens bei den konkret Wissenden er­ kennbar ist, tatsächlich an jene Personen weitergegeben werden.156 Maßgeblich sei, ob unter den Umständen des konkreten Einzelfalls ein Informationsaus­ tausch zwischen den verschiedenen Vertretern möglich und geboten gewesen wäre.157 Ob die Kenntnis der Organperson von ihrer eigenen Erkrankung der Ge­ sellschaft nach diesen Regeln zurechenbar wäre, ist zweifelhaft. Die neuen Re­ geln der Wissenszurechnung sind auf Geschäfts- und nicht auf Privatinforma­ tionen zugeschnitten. So wird die Information über schwere Erkrankungen 150 So Assmann, in: Assmann/​ Schneider/​ Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014, Art. 17 Rn. 74. 151  Dazu RG, Urt. v. 27.10.1931 – II 178/31, RGZ 134, 33, 36; BGH, Urt. v. 3.3.1956 – IV ZR 314/55, BGHZ 20, 149, 153 m. w. N.; v. 6.4.1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 282, 287; Möllers/​Leisch, in: KölnKomm WpHG, §§ 37b, c Rn. 174; monografisch zu den Zurechnungs­ theorien Buck, Wissen und juristische Person, S. 208 ff. m. w. N. 152 Dazu BGH, Urt. v. 8.12.1989  – V ZR 246/87, BGHZ 109, 327, 331  – Grundstücksverkauf durch Gemeinde; v. 2.2.1996  – V ZR 239/94, BGHZ 132, 30, 35 ff.  – Altlasten; v. 12.11.1998 – IX ZR 145–98, BGHZ 140, 54, 62; Kort, in: Großkomm AktG, § 76 Rn. 203; Habersack/​Foerster, in: Großkomm AktG, § 78 Rn. 39 ff. 153  BGHZ 109, 327, 331 – Grundstücksverkauf durch Gemeinde; 132, 30, 35 – Altlasten. 154  Klöhn, NZG 2017, 1285, 1289. 155  BGHZ 109, 327, 332  – Grundstücksverkauf durch Gemeinde; 132, 30, 35 ff.  – Altlasten. 156 Vgl. BGHZ 132, 30, 37 – Altlasten. 157  BGHZ 140, 54, 62.



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von Organpersonen im Unternehmen typischerweise nicht aktenmäßig fest­ gehalten und es wird auch nicht erwartet, dass das Unternehmen den internen Informationsfluss so organisiert, dass solche Informationen weitergeleitet wer­ den. Aus diesem Grund müsste die Wissenszurechnung wohl verneint werden. Zum gleichen Ergebnis kommt Hans-Christoph Ihrig, der neuerdings versucht hat, für Art. 17 MAR die Leitlinien der Zurechnung von Privatinformationen herauszuarbeiten.158 Dabei wägt er zwischen den Belangen des Kapitalmarkts und dem Schutz der Privatsphäre ab und meint, der Letztere überwiege, da das Wissen der Organperson um die eigene Erkrankung ausschließlich der Privat­ sphäre angehöre. Dieses Wissen sei der Gesellschaft unter keinen Umständen zuzurechnen; bis zu seiner Offenbarung gegenüber dem Emittenten sei der Schutz vor Insiderhandel allein durch Art. 10 und 14 MAR gewährleistet.159 Zu einem ähnlichen Ergebnis käme wohl auch die Auffassung von Lars Klöhn, der sich gegen die Wissenszurechnung im Rahmen von Art. 17 MAR ausspricht. Nach dieser Auffassung müsse der Emittent die Insiderinformatio­ nen, die ihn betreffen, unabhängig davon offenlegen, ob er sie kenne oder nicht: Art. 17 MAR sei keine „Wissensnorm“.160 Die Veröffentlichung habe aber nach dem Wortlaut der Norm „unverzüglich“, also ohne schuldhaftes Zögern zu er­ folgen. Daher verhalte sich der Emittent pflichtgemäß, wenn er alle erforderli­ chen und zumutbaren Anstrengungen unternehme, um sich die Kenntnis von der Insiderinformation zu verschaffen.161 Nun ist es allerdings schwer, wenn nicht unmöglich, an die Information über den Gesundheitszustand einer Per­ son ohne deren Einverständnis heranzukommen. Deshalb ist es nicht ersicht­ lich, wie sich der Emittent die entsprechende Kenntnis verschaffen soll. Die Wirksamkeit der Ad-hoc-Publizitätspflicht hinge also nach beiden Auf­ fassungen letztlich davon ab, wie offen der Betroffene mit seiner Erkrankung umgeht. Berichtet er der Gesellschaft darüber, so muss sie diese Informationen nach Art. 17 Abs. 1 MAR veröffentlichen; verheimlicht er die Erkrankung, wie es Führungskräfte in der Praxis häufig tun, so wäre der Emittent in der Regel nicht zur Ad-hoc-Publizität verpflichtet. Etwas anderes wäre nach Klöhns An­ sicht nur dann der Fall, wenn die Gesellschaft z. B. aufgrund auffälliger Symp­ tome oder häufiger Fehlzeiten Anlass gehabt hätte nachzuforschen und dies nicht getan hat. Eine interne Offenlegungspflicht würde eventuell für mehr 158 Siehe Ihrig, ZHR 159  Ihrig, ZHR 181

181 (2017), 381, 396 ff. (2017), 381, 400 f. sowie 409 (für Aufsichtsratsmitglieder); zu­ stimmend Assmann, in: Assmann/​ Schneider/​ Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014, Art. 17 Rn. 74; ähnlich Schnorbus/​Klormann, WM 2018, 1069, 1075, die aller­ dings die Zurechnung dann bejahen, wenn das Organmitglied gegen seine „auf die Treue­ pflicht gestützte Mitteilungspflicht“ verstößt. 160 Dazu Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 17 Rn. 105; ders., NZG 2017, 1285 ff.; a. A. Ihrig, ZHR 181 (2017), 381, 385, beide m. w. N. zum Meinungsstand unter Geltung des § 15 WpHG. 161  Klöhn, NZG 2017, 1285 ff., 1288; ders., in: Klöhn, MAR , Art. 17 Rn. 116 ff.; kritisch dazu Koch, AG 2019, 273, 275 ff.

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Kapitel 3: Offenlegungspflichten bei Krankheit

Transparenz sorgen und die Ad-hoc-Publizitätspflicht effizienter machen. Vor diesem Hintergrund wäre es hilfreich zu wissen, was genau gegenüber dem Markt offenzulegen wäre, damit man die unterstützende Offenlegungspflicht im Innenverhältnis dementsprechend gestalten könnte. Diese Abstimmung der internen und externen Publizität würde sowohl dem europäischen Grundsatz des effet utile als auch dem allgemeinen Gebot der Effektivität und der Kohä­ renz der Rechtsordnung Rechnung tragen. Die Mitteilungspflicht im Innen­ verhältnis müsste sich dabei zumindest auf die Tatsachen erstrecken, die nach Art. 17 Abs. 1 MAR zu veröffentlichen wären, denn nur dann könnte sie un­ terstützend wirken. Müsste etwa der Emittent im Rahmen der Ad-hoc-Pu­ blizität die Diagnose des erkrankten Organmitglieds nennen, so wäre eine interne Pflicht zur Mitteilung der Diagnose sinnvoll. Die Ad-hoc-Publizitäts­ pflicht gäbe also gewissermaßen das Mindestmaß an interner Offenlegung vor. Im Hinblick darauf ist es nicht nur rechtsvergleichend, sondern auch sachlich zweckmäßig, zunächst die kapitalmarktrechtliche Publizitätspflicht zu unter­ suchen, um widersprüchliche Einschätzungen zu vermeiden.

II.  Rechtslage in Deutschland und den USA 1. Deutschland a)  Unterschied zwischen Organ- und „Schlüsselstellung“ Für die deutsche Diskussion ist charakteristisch, dass im Bereich der Ad-hocPublizität häufig nicht von Organ-, sondern von sog. „Schlüsselpersonen“ ge­ sprochen wird. Deren Kreis ist gleichzeitig enger und weiter als der Kreis der Organpersonen: Einerseits ist nicht jede Organperson zugleich eine „Schlüs­ selperson“, andererseits können Schlüsselpersonen auch solche Unterneh­ mensangehörige sein, die keine Organstellung besitzen, etwa die Leiterin der Forschungsabteilung eines Pharmazieherstellers, die Gründerin eines Mode­ unternehmens, der Chefdesigner eines Automobilkonzerns, der Trainer oder Spitzenspieler eines Sportvereins usw.162 Der Begriff „Schlüsselperson“ bringt zum Ausdruck, dass der Betroffene der Schlüssel zum Erfolg des Unterneh­ mens ist. Als kursrelevant gelten daher Personalveränderungen, die solche „key player“ betreffen, etwa der Zu- und Abgang von Schlüsselpersonen, die Reduzierung ihrer Arbeitszeit oder die Änderung ihrer Verantwortlichkeits­ bereiche.163 Der Emittentenleitfaden der BaFin beschreibt dies wie folgt: 162  Assmann, in: Assmann/​S chneider, WpHG, § 15 Rn. 89; ders., in: Assmann/​S chnei­ der/​Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014, Art. 17 Rn. 228 f.; Frowein, in: Ha­ bersack/​Mülbert/​Schlitt, Hdb. Kapitalmarktinformation, § 10 Rn. 51; Geibel/​Schäfer, in: Schäfer/​Hamann, KMG, § 15 WpHG Rn. 76; Klöhn, in: KölnKomm WpHG, § 15 Rn. 149; ders., in: Klöhn, MAR , Art. 7 Rn. 409 f.; Pfüller, in: Fuchs, WpHG, § 15 Rn. 271, 273; Fleischer, FS Uwe Schneider, S. 333, 346. 163 Vgl. Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 7 Rn. 408.



§ 3.  Exkurs: Ad-hoc-Publizitätspflicht in börsennotierten Unternehmen 

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„Personalveränderungen innerhalb der Führungsebene eines Unternehmens können im Einzelfall eine Ad-hoc-Publizitätspflicht auslösen. Insbesondere wenn es sich um die Berufung oder Abberufung von Organmitgliedern in Schlüsselpositionen handelt, d. h. wenn es sich um Personen handelt, bei denen eine maßgebliche Einwirkung auf den Geschäftsverlauf zu erwarten ist oder bislang bestand, kann eine solche Verände­ rung eine Insiderinformation darstellen. So kann das überraschende Ausscheiden des Vorsitzenden oder des Sprechers des Organs oder das Ausscheiden eines Gründungs­ mitglieds aus einem Organ eine Signalwirkung für den Kapitalmarkt haben. Bei Unter­ nehmen, deren Entwicklung von der Innovationsfähigkeit oder Kreativität einzelner Personen abhängt, können dies auch Personalveränderungen außerhalb der Organe in den Bereichen Forschung und Entwicklung oder Design sein.“164

Die Literatur teilt diese Auffassung.165 Konkret wird darauf abgestellt, welche Kenntnisse und Fähigkeiten die betreffende Person hat, wie hoch ihr entspre­ chender „Marktwert“ ist, was sie für die Erträge des Unternehmens sowie des­ sen langfristigen Erfolg bedeutet, inwieweit sie die Unternehmenspolitik und -strategie mitgestaltet usw.166 Dies ermöglicht, die für den Emittenten weniger bedeutende Organmitglieder aus dem Bereich der Ad-hoc-Publizität heraus­ zunehmen. In abstrakt-genereller Hinsicht knüpft das Schrifttum dennoch an die Organstellung an und verortet Schlüsselpersonen meist auf der obers­ ten Führungsebene des Unternehmens. Als Kandidaten für die Schlüsselrol­ le kommen dabei vor allem Vorstandsvorsitzende in Betracht, sonstige Vor­ standsmitglieder nur dann, wenn sie wichtige Bereiche betreuen.167 Ähnlich sehen es die DAX30-Unternehmen, die bei der Bestellung eines neuen Vor­ standsvorsitzenden den Markt in der Regel per Ad-hoc-Mitteilung informie­ ren, während dies bei der Bestellung einfacher Vorstandsmitglieder nur aus­ nahmsweise geschieht.168 Auf dieser Achse bewegt sich auch der Schrempp-Beschluss des BGH aus dem Jahr 2008, der die Insiderqualität der Information über den Wechsel des 164  Siehe BaFin, Emittentenleitfaden, Ziff. IV. 2. 2. 11 (S. 57) in der – insoweit noch gülti­ gen – 4. Aufl., Stand: 22.7.2013. 165  Assmann, in: Assmann/​S chneider, WpHG, § 13 Rn. 68a, § 15 Rn. 89; ders., in: Ass­ mann/​Schneider/​Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014, Art. 17 Rn. 228; Geibel/​Schäfer, in: Schäfer/​Hamann, KMG, § 15 WpHG Rn. 76; Schäfer, in: Schäfer/​Hamann, KMG, § 13 WpHG Rn. 52; Frowein, in: Habersack/​Mülbert/​Schlitt, Hdb. Kapitalmarkt­ information, § 10 Rn. 51; Klöhn, in: KölnKomm WpHG, § 13 Rn. 344 (ausführlich zu den möglichen Faktoren); ders., in: Klöhn, MAR , Art. 7 Rn. 409 f.; Krause, in: Meyer/​Veil/​Rön­ nau, Hdb. Marktmissbrauchsrecht, § 6 Rn. 155 f.; Pfüller, in: Fuchs, WpHG, § 15 Rn. 271 ff.; Petsch, Kapitalmarktrechtliche Informationspflichten, S. 146; Bayer, FS Hommelhoff, S. 87, 94; Fleischer, NZG 2007, 401, 403; ders., NZG 2010, 561, 566 f.; ders., FS Uwe Schneider, S. 333, 346; Möllers, NZG 2005, 459, 461; Schnorbus/​Klormann, WM 2018, 1069, 1076 f. 166 Vgl. Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 7 Rn. 409; Krause, in: Meyer/​Veil/​Rönnau, Hdb. Marktmissbrauchsrecht, § 6 Rn. 156. 167 Vgl. Möllers, NZG 2005, 459, 461, der bei Vorstandsmitgliedern aus dem Bereich Controlling, Recht, Entwicklung, Verkauf das Kursbeeinflussungspotential verneint; Fleischer, NZG 2007, 401, 403; ders., NZG 2010, 561, 566 f.; Bayer, FS Hommelhoff, S. 87, 94. 168 Dazu Seibt/​Danwerth, NZG 2019, 121, 122.

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Kapitel 3: Offenlegungspflichten bei Krankheit

Vorstandsvorsitzenden bei DaimlerCrysler annimmt, weil die „Kurserheb­ lichkeit eines feststehenden Amtswechsels in der Leitungsposition eines Groß­ unternehmens […] ohne Weiteres zu bejahen“169 sei. Dagegen könnte man zwar einwenden, dass es Fälle geben kann, in denen eine solche Information kein Kursbeeinflussungspotential hat; typisch sind solche Fälle jedoch nicht. Ähnlich wie der BGH hält auch die Europäische Wertpapier- und Marktauf­ sichtsbehörde ESMA das Ausscheiden des „CEO“ (ESMA hat eine monistische Gesellschaftsverfassung im Blick) für eine Insiderinformation, die sobald wie möglich zu veröffentlichen sei. In ihrem abschließenden Bericht zu den Leit­ linien betreffend die Marktsondierungen und die Selbstbefreiung betont ESMA insbesondere, dass die Veröffentlichung dieser Information nicht aufgeschoben werden darf, bis der Nachfolger bestellt ist.170 Aufsichtsratsmitglieder können ebenfalls eine Schlüsselstellung besitzen171, wenn auch seltener als Mitglieder des Vorstands. Auch hier kommen in ers­ ter Linie der Aufsichtsratsvorsitzende172 oder solche Aufsichtsratsmitglieder in Betracht, die aufgrund ihres besonderen Fachwissens für das Unternehmen von entscheidender Bedeutung sind.173 Regelmäßig soll aber die Kurserheb­ lichkeit bei Mitgliedern des Vorstands oder des Aufsichtsrats eher vorliegen als bei sonstigen Unternehmensangehörigen.174 Die Letzteren müssen hier ohnehin außer Betracht bleiben, da sich die vorliegende Untersuchung aus­ schließlich mit Organmitgliedern beschäftigt. Wenn also im Folgenden von „Schlüsselpersonen“ gesprochen wird, sind nur Organmitglieder (Vorstandsund Aufsichtsratsmitglieder) gemeint, denen im jeweiligen Unternehmen eine Schlüsselstellung zukommt. b)  Ad-hoc-Publizität bei schwerer Erkrankung von Schlüsselpersonen Das deutsche Schrifttum stand der Ad-hoc-Publizität bei schwerer Erkran­ kung von Schlüsselpersonen am Anfang sehr zurückhaltend gegenüber. Es verwies insofern auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Erkrankten, das eine Offenlegung der Krankheit verbiete.175 Harte Kritik erntete daher die Ad-hoc-Mitteilung, die der börsennotierte Fußballclub Borussia Dortmund 169  BGH, Beschl. v. 25.2.2008 – II ZB 9/07, NZG 2008, 300, 303 – Schrempp I; vgl. auch EuGH, Urt. v. 28.6.2012, C-19/11, ECLI:​EU:​C:​2012:397 – Geltl. 170  ESMA , Final Report. Guidelines on the Market Abuse Regulation – market soun­ dings and delay of disclosure of inside information, 13.7.2016, ESMA /2016/1130; kritisch dazu Krämer/​Kiefner, AG 2016, 621, 625 f. 171  Pfüller, in: Fuchs, WpHG, § 15 Rn. 271; zurückhaltender Möllers, NZG 2005, 459, 461: „höchst ausnahmsweise“, vor allem wenn es um Arbeitnehmervertreter geht. 172  Möllers, NZG 2005, 459, 461; siehe auch Seibt/​Danwerth, NZG 2019, 121, 122. 173  Frowein, in: Habersack/​ Mülbert/​ Schlitt, Hdb. Kapitalmarktinformation, §  10 Rn. 51. 174 Vgl. Pfüller, in: Fuchs, WpHG, § 15 Rn. 271. 175 So bereits Burgard, ZHR 162 (1998), 51, 67; Waldhausen, Die ad-hoc-publizitäts­ pflichtige Tatsache, S. 262.



§ 3.  Exkurs: Ad-hoc-Publizitätspflicht in börsennotierten Unternehmen 

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anlässlich der Hirntumor-Erkrankung seines Spielers Heiko Herrlich im No­ vember 2000 veröffentlichte: „Bei dem Lizenzspieler Heiko Herrlich sind Sehstörungen aufgetreten. Zwischenzeit­ liche medizinische Untersuchungen haben ergeben, dass die Sehstörungen auf einen Gehirntumor zurückzuführen sind. Die fachärztlichen Untersuchungen dauern an. Eine vollständige Genesung erscheint aus jetziger Sicht möglich.“

Die Kritiker wiesen darauf hin, dass eine solche Mitteilung das Persönlich­ keitsrecht des Spielers verletze, falls sie ohne seine ausdrückliche oder kon­ kludente Einwilligung erfolge (im Fall Heiko Herrlich soll die Einwilligung vorgelegen haben).176 Bei der Auslegung kapitalmarktrechtlicher Vorschriften seien die Grundrechte des Betroffenen sowie der Umstand zu berücksichtigen, dass es den Marktteilnehmern auf die Diagnose oder auf die Einzelheiten der Erkrankung nicht ankomme. Für sie sei allein die Tatsache interessant, dass der Lizenzspieler mit großer Wahrscheinlichkeit für einen längeren Zeitraum nicht zur Verfügung stehen werde. Ferner sei interessant zu wissen, wie die ausgefallene Person ersetzt werden solle.177 Diese Zurückhaltung hat sich später etwas gelockert. Die Offenlegung einer schweren Erkrankung wird zwar nach wie vor als ein starker Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen angesehen. Deshalb müsse das Kapitalmarktrecht verfassungskonform ausgelegt und eine Abwägung zwi­ schen dem Publizitätsinteresse der Marktöffentlichkeit und dem Geheimhal­ tungsinteresse des Erkrankten vorgenommen werden, wobei zu berücksichti­ gen sei, dass Krankheiten nach der Rechtsprechung des BVerfG typischerweise als „privat“ einzustufen seien. Allerdings seien bei einem besonderen Per­ sonenkreis wie wichtigen Politikern, Wirtschaftsführern oder Staatsober­ häuptern Ausnahmen von diesem Grundsatz möglich. Daher müssten Spit­ zenmanager ähnlich wie Spitzenpolitiker eine stärkere Einschränkung ihres Persönlichkeitsrechts hinnehmen.178 Vor diesem Hintergrund sei eine Ad-hocPublizitätspflicht jedenfalls bei Vorstandsmitgliedern von DAX-30-Unterneh­ men nicht von vornherein unverhältnismäßig.179 176  Schumacher, NZG 2001, 769, 777, der indes bei einem verletzungsbedingten (tätig­ keitsspezifischen) Ausfall eine konkludente Einwilligung annimmt; enger Petsch, Kapital­ marktrechtliche Informationspflichten, S. 316 f., wonach die Veröffentlichung der Diagno­ se als Eingriff in den Kern des Persönlichkeitsrechts des Sportlers stets unterbleiben muss. 177  Waldhausen, Die ad-hoc-publizitätspflichtige Tatsache, S. 263; Schumacher, NZG 2001, 769, 777; Wertenbruch, WM 2001, 193, 194. 178  Fleischer, FS Uwe Schneider, S. 333, 350 f.; ders., NZG 2010, 561, 567 mit Verweis auf BGH NJW 2009, 754, 756 und BGHZ 171, 275, 286 f. zur Erkrankung des Fürsten Rainier von Monaco. 179  Fleischer, NZG 2010, 561, 567; zurückhaltender noch ders., FS Uwe Schneider, S. 333, 351, wo er nur den Vorstandsvorsitzenden erwähnt; auf dem Vorstandsvorsitzenden fokus­ siert sich auch Assmann, in: Assmann/​Schneider/​Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014, Art. 17 Rn. 74, 232.

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Kapitel 3: Offenlegungspflichten bei Krankheit

Trotz dieser vorsichtigen Lockerung wird überwiegend nicht die Krankheit als solche, sondern allein ihre Auswirkung auf den Emittenten für kurserheb­ lich gehalten: Einem verständigen Anleger komme es nicht auf die Kenntnis der Krankheit (der Diagnose) an, sondern lediglich auf die Folgen der Erkran­ kung für die Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betroffenen.180 Diese Folgen sind einigermaßen klar, wenn der Betroffene wegen einer Krankheit dauer­ haft (Ausscheiden) oder vorübergehend (Auszeit) ausfällt. Das erste Szenario, das krankheitsbedingte Ausscheiden aus dem Amt, fällt in die Kategorie „Ab­ gang von Führungskräften“ und ist ad-hoc-publizitätspflichtig, vorausgesetzt, es handelt sich um eine Schlüsselperson. Die Auswirkungen der Krankheit auf das Unternehmen erschöpfen sich hier in dem Ausscheiden des Betroffe­ nen; deshalb nimmt das Schrifttum an, nur das (bevorstehende) Ausscheiden als solches sei publizitätspflichtig: „Scheidet die Person krankheitsbedingt aus dem Unternehmen aus, braucht die Krankheit […] nicht angegeben zu wer­ den.“181 In Bezug auf die Einzelheiten der Erkrankung überwiege das Geheim­ haltungsinteresse des Betroffenen.182 Klarstellend könne höchstens angegeben werden, dass das Ausscheiden durch eine Krankheit und nicht etwa durch an­ dere, weniger honorable Umstände (Zerwürfnis mit dem Aufsichtsrat oder schlechte Leistungen) verursacht worden sei.183 Manche halten nicht einmal dies für erforderlich: „Im Regelfall“ genüge ein Hinweis auf „persönliche Um­ stände“, begleitet von einem Ausdruck des vollen Vertrauens und des Danks für die geleistete Arbeit.184 Die deutsche Unternehmenspraxis liefert mit Peter Bauer und Hartmut Mehdorn gegensätzliche Beispiele dafür, wie ein Top-Manager seinen krank­ heitsbedingten Rückzug verkünden kann. Peter Bauer, bis zum 1. Oktober 2012 Vorstandsvorsitzender des Chipherstellers Infineon, litt seit Jahren an schwerer Osteoporose. Am 13. Mai 2012 kündigte er sein Ausscheiden aus dem Vorstand zum 30. September 2012 an, weil sich sein Gesundheitszustand deut­ lich verschlechtert hatte. Er gab dabei die Diagnose sowie einige Einzelheiten seiner Krankheitsgeschichte bekannt. Infineon veröffentlichte hierzu eine Adhoc-Mitteilung nach § 15 WpHG185 sowie eine Pressemitteilung.186 Auch sonst 180  Klöhn, in: KölnKomm WpHG, § 13 Rn. 350; ders., in: Klöhn, MAR , Art. 7 Rn. 415; Pfüller, in: Fuchs, WpHG, § 15 Rn. 275; Petsch, Kapitalmarktrechtliche Informationspflich­ ten, S. 148; Bayer, FS Hommelhoff, S. 87, 95; Fleischer, FS Uwe Schneider, S. 333, 345; ders., NZG 2010, 561, 566; Schnorbus/​K lormann, WM 2018, 1069, 1076. 181  Klöhn, in: KölnKomm WpHG, § 15 Rn. 152; ders., in: Klöhn, MAR , Art. 17 Rn. 421. 182  Fleischer, FS Uwe Schneider, S. 333, 351; ders., NZG 2010, 561, 567; ihm folgend Bayer, FS Hommelhoff, S. 87, 96; Schnorbus/​Klormann, WM 2018, 1069, 1078. 183  Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 17 Rn. 421; Bayer, FS Hommelhoff, S. 87, 96; Fleischer, FS Uwe Schneider, S. 333, 345; ders., NZG 2010, 561, 566. 184  Ihrig, ZHR 181 (2017), 381, 402 Fn. 87; ähnlich Schnorbus/​K lormann, WM 2018, 1069, 1078. 185  Siehe , zuletzt abgerufen am 28.2.2020. 186 Infineon, Pressemitteilung v. 13.5.2012, , zuletzt abgerufen am 28.2.2020. 187  Hartmann/​Tauber, Teilzeit funktioniert nicht, Die Welt am Sonntag, 3.6.2012, S. 31. 188 „Ex-Bahn-Chef Mehdorn sagt Geschäftswelt Ade“, Reuters, 20.5.2015, , zuletzt abge­ rufen am 28.4.2020. 189  Petsch, Kapitalmarktrechtliche Informationspflichten S. 149; Bayer, FS Hommelhoff, S. 87, 95; Fleischer, NZG 2010, 561, 567; ders., FS Uwe Schneider, S. 333, 348; Schnorbus/​ Klormann, WM 2018, 1069, 1077.

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Kapitel 3: Offenlegungspflichten bei Krankheit

kennen, um die Arbeits- und Leistungsfähigkeit der erkrankten Person ein­ schätzen zu können.190 Klöhns Vorschlag gilt übrigens immer dann, wenn die Person nicht aus dem Amt ausscheidet191, d. h. wohl auch für das zweite Sze­ nario. Keine Publizitätspflicht soll allerdings dann bestehen, wenn die Ver­ öffentlichung der Information über die Erkrankung die Persönlichkeitsrechte des Erkrankten verletzen würde.192 Insoweit beschränkt sich Klöhn im We­ sentlichen auf allgemeine Ausführungen: Entscheidend sei die einzelfallbezo­ gene Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und der Privatsphäre des Betroffenen.193 Für die Offenlegung sprächen dabei die herausragende Stellung des Betroffenen im Unternehmen und in der Öffent­ lichkeit, eine hohe Kursrelevanz der Information, die eventuell bereits kur­ sierenden Gerüchte sowie eine hohe Irreführungs- oder Insiderhandelsgefahr. Zudem sei zu berücksichtigen, inwieweit der Betroffene selbst zur Entstehung der jeweiligen Information beigetragen habe.194 Das Informationsinteresse sei ferner umso höher, je weniger der Emittent die Vertraulichkeit garantieren könne und je länger die Information geheim gehalten werden müsste; es sei umso niedriger, je spekulativer die Information sei.195 Vorrangig sei das Publi­ zitätsinteresse nach diesen Grundsätzen jedenfalls bei „eher wenig persönlich­ keitsrelevanten Informationen einer von der Öffentlichkeit aufmerksam be­ obachteten Person, die hohe Kursrelevanz haben“.196 Diese Ansicht, die Klöhn auch nach dem Inkrafttreten der MAR konsequent vertritt197, scheint auch das übrige Schrifttum zu beeinflussen: Es mehren sich die Stimmen, die die Erkrankung an sich und nicht bloß ihre Auswirkungen als kursrelevant ansehen.198 Heinz-Dieter Assmann geht sogar etwas weiter und hält die Information über eine schwere Erkrankung generell für kursrele­ vant, also nicht nur dann, wenn der Kranke im Amt bleibt, sondern auch wenn er aus dem Amt ausscheidet.199

190  Klöhn, in: KölnKomm WpHG, § 15 Rn. 151. 191 Vgl. Klöhn, in: KölnKomm WpHG, § 15 Rn. 151 f. 192 

Klöhn, in: KölnKomm WpHG, § 15 Rn. 153. Klöhn, in: KölnKomm WpHG, § 15 Rn. 331 ff.; siehe ferner Petsch, Kapital­ marktrechtliche Informationspflichten, S. 316, die ebenfalls im Einzelfall eintscheiden will, ob der Gesundheitszustand der Schlüsselperson ihrem Privatleben zuzuordnen sei. 194  Klöhn, in: KölnKomm WpHG, § 15 Rn. 339 f. 195  Klöhn, in: KölnKomm WpHG, § 15 Rn. 213. 196  Klöhn, in: KölnKomm WpHG, § 15 Rn. 339. 197 Vgl. Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 17 Rn. 420, 422, 379 ff. 198 Siehe Assmann, in: Assmann/​ Schneider/​ Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014, Art. 17 Rn. 74, 230 ff.; wohl auch Hopt/​Kumpan, in: Schimansky/​ Bunte/​ Lwowski, BankR‑HdB, § 107 Rn. 142 m. Fn. 8; Krause, in: Meyer/​ Veil/​ Rönnau, Hdb. Marktmissbrauchsrecht, § 6 Rn. 156. 199 Vgl. Assmann, in: Assmann/​ Schneider/​ Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014, Art. 17 Rn. 74, 230, 232. 193 Vgl.

§ 3.  Exkurs: Ad-hoc-Publizitätspflicht in börsennotierten Unternehmen 



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In der Praxis beschränken sich deutsche Unternehmen meist darauf, die Tatsache der Erkrankung anzugeben; gleichzeitig werden Angaben zum Aus­ scheiden oder zur Auszeit der erkrankten Person sowie zum Nachfolger bzw. Vertreter gemacht. Die Diagnose und weitere Details werden nicht veröffent­ licht. Als der Vorstandsvorsitzende des Maschinenbauers Heidelberger Druck Gerold Linzbach Mitte 2015 krank wurde, teilte die Gesellschaft nur mit, Linzbach sei kurzfristig erkrankt. Später hieß es, die Genesung dauere länger als erwartet; gleichzeitig wurde der Finanzvorstand Dirk Kaliebe zum stellver­ tretenden Vorstandsvorsitzenden berufen. Nachfragen blockte das Unterneh­ men ab.200 Ähnlich knapp äußerte sich die Deutsche Bank zum Ausfall ihres für die Vermögensverwaltungssparte zuständigen Vorstandsmitglieds Quintin Price im April 2016: Das Vorstandsmitglied nehme eine krankheitsbeding­ te Auszeit, weitere Untersuchungen sowie Beratungen mit seinen Ärzten und damit auch die Details der Behandlung stünden noch aus. Seine Aufgaben soll Jon Eilbeck übernehmen.201 Im Juni hieß es dann, Quintin Price verlasse die Deutsche Bank aus gesundheitlichen Gründen.202 Der Energieversorger RWE gab im November 2010 ohne Angabe weiterer Einzelheiten bekannt, sein Vor­ standsvorsitzender Jürgen Großmann sei krankgeschrieben; einige Tage spä­ ter kam die Mitteilung, Großmann leide an Herzkammerflimmern. Diese eher ungewöhnliche Offenheit sollte wahrscheinlich den Spekulationen über den Rücktritt Großmanns wegen eines Zerwürfnisses mit dem Finanzvorstand Rolf Pohlig entgegenwirken.203 Es gibt allerdings auch Ausnahmen, und zwar nicht nur bei Infineon: Jüngst teilte der Energieerzeuger Uniper SE öffent­ lich mit, dass sein Vorstandsvorsitzender Klaus Schäfer an Krebs erkrankt sei und die Behandlung mehrere Monate in Anspruch nehmen werde; in dieser Zeit werde der Betroffene seine Aufgaben als Vorsitzender des Vorstands nicht wahrnehmen können.204

200 

Kros, Linzbach fällt länger aus, Mannheimer Morgen Online, 15.7.2015. nimmt Auszeit wegen Krankheit“, Handelsblatt, 18.4.2016, , zuletzt abgerufen am 28.2.2020. 202 „Vorstandsmitglied Quintin Price geht“, Handelsblatt, 8.6.2016, , zuletzt abgerufen am 28.2.2020. 203 „RWE‑Chef Großmann muss kürzer treten“, DerWesten, 7.11.2010, ; „Konzernchef Großmann wegen Herzproblemen behandelt“, Spiegel, 11.11.2010, (beides zuletzt abgerufen am 28.2.2020). 204  Uniper SE, Ad-hoc-Mitteilung v. 1.8.2018, abrufbar unter . 201 „Vorstandsmitglied

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Kapitel 3: Offenlegungspflichten bei Krankheit

2. USA a)  Unklarer Status Quo In den USA regelt die Securities and Exchange Commission (SEC) die Be­ richterstattung von Unternehmen gemäß der Ermächtigung in Sec. 13 und 15(d) des Securities Exchange Act von 1934205 (Exchange Act). Wichtige Be­ standteile dieser Berichterstattung sind der Jahresbericht („annual report“) und die Quartalsberichte („quarterly reports“), deren Inhalt in der Form 10-K bzw. 10-Q festgelegt ist.206 Die Form 10-Q (Quartalsbericht) sieht keine Angaben vor, die sich auf die Manager als Personen beziehen. Die Form 10-K (Jahresbericht) verlangt zwar einige Informationen über das Management; gesundheitsbezogene Informationen gehören aber nicht dazu.207 Das Glei­ che gilt für die Regulation S‑K, die sowohl auf den Wertpapierprospekt als auch auf den Jahresbericht Anwendung findet.208 Dementsprechend verweist die Form 10-K an einigen Stellen auf die Regulation S‑K. Interessanter ist in­ soweit die Form 8-K, welche die laufende Publizität („current reports“) re­ gelt.209 Publizitätspflichtig sind demnach bestimmte Personalmaßnahmen auf der Führungsebene des Emittenten, namentlich „departure of directors or certain officers, election of directors, appointment of certain officers, com­ pensatory Arrangements of certain officers“ (so die Überschrift des Items 5.02 der Form 8-K). Laut Item 5.02(b) der Form 8-K entsteht die Ad-hoc-Publizitätspflicht ins­ besondere dann, wenn ein principle officer (principal executive officer, pre­ sident, principal financial officer, principal accounting officer etc.) in den Ru­ hestand geht, zurücktritt oder entlassen wird bzw. wenn ein director in den Ruhestand geht, zurücktritt, abberufen wird oder sich nicht zur Wiederwahl stellt. Zu veröffentlichen ist die Tatsache, dass das entsprechende Ereignis ein­ getreten ist, sowie das Datum dessen Eintritts. Tritt der Betroffene zurück, geht er in den Ruhestand oder stellt sich nicht zur Wiederwahl, so entsteht die Publizitätspflicht grundsätzlich mit der internen Bekanntgabe der Entschei­ dung, unabhängig davon, ob diese unter einer Bedingung steht oder einer Zu­ stimmung bedarf.210 Bloße Überlegungen oder Diskussionen genügen aller­ dings nicht, um eine Publizitätspflicht auszulösen. Zu veröffentlichen ist das 205  15 U. S. C. § 78a ff. 206 Dazu Fleischer, FS

Uwe Schneider, S. 333, 336; die Formblätter 10-K und 10-Q sind abrufbar unter . 207  Vgl. Form 10-K, Part III, Item 10 – 13. 208  Siehe Regulation S‑K, Item 10(a)(2) [17 CFR 229.10(a)(2)]. 209  17 C. F. R. § 249.308, abrufbar unter . 210 Vgl. SEC , Compliance and Disclosure Interpretations, Exchange Act Form 8-K, Last Update: December 22, 2017, Question 117.01, abrufbar unter ; vgl. dazu auch Fleischer, FS Uwe Schneider, S. 333, 335.



§ 3.  Exkurs: Ad-hoc-Publizitätspflicht in börsennotierten Unternehmen 

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Datum, zu dem der Betroffene ausscheiden soll, oder, bei fehlender Wieder­ wahlbereitschaft, das Datum der kommenden Wahl.211 Die Ursache, also der Rücktrittsgrund, muss grundsätzlich nicht angegeben werden. Etwas anderes gilt, wenn ein director aufgrund von Meinungsdiver­ genzen mit der Gesellschaft zurücktritt oder sich nicht zur Wiederwahl stellt. In diesem Fall müssen die Meinungsverschiedenheiten in der entsprechenden Ad-hoc-Mitteilung gemäß Item 5.02(a) kurz wiedergegeben werden. Beim Rücktritt von officers ist eine solche Offenlegung dagegen nicht erforderlich. Die SEC hat seinerzeit über eine entsprechende Regelung nachgedacht, ist aber später dem Einwand gefolgt, es würde den unternehmerischen Entscheidungs­ prozess stören, wenn Meinungsdifferenzen zwischen zwei officers hinsichtlich der Firmenpolitik oder -strategie offenzulegen wären.212 Da die Gründe für das Ausscheiden von Führungskräften generell nicht offenzulegen sind, muss die Gesellschaft auch nicht angeben, dass ein etwaiger Rücktritt krankheits­ bedingt ist. Ein Kommentator bemerkt dazu: „Of course, disclosing infirmity after the person has resigned is far less important to investors than disclosing an impairment while the person still occupies the corporate position, a situati­ on not addressed by any Form 8-K item. Thus, for the purposes of Form 8-K, health is at most addressed only indirectly in that the final corporate-related effect of the ailment – resignation or reassignment – must be reported.“213 Item 5.02(b) wird von der SEC in dem Sinne interpretiert, dass sowohl dauerhafte als auch vorübergehende Übertragung der Aufgaben des Betroffe­ nen auf eine andere Person publizitätspflichtig sei.214 Aus diesem Grund wer­ den in der Praxis Mitteilungen nach Item 5.02(b) auch dann veröffentlicht, wenn die Führungskraft eine krankheitsbedingte Auszeit nimmt. Hier wird meist auf eine Erkrankung als Auszeitgrund hingewiesen. Als Beispiel kann die Mitteilung von Overstock.com zur Auszeit ihres Gründers und CEO Patrick Byrne dienen: „On April 11, 2016, Patrick M. Byrne, the Chief Executive Officer of Overstock.com, Inc. (the ‚Company‘), began an indefinite personal leave of absence for medical reasons, and the Senior Vice President and General Counsel of the Company, Mitch Edwards, was named acting Chief Executive Officer of the Company. Dr. Byrne’s leave of absen­ ce is in both his capacity as Chief Executive Officer and in his capacity as a member of the Board of Directors.“215 211  SEC , Compliance and Disclosure Interpretations, Exchange Act Form 8-K, Ques­ tion 117.01. 212 Siehe Additional Form 8-K Disclosure Requirements and Acceleration of Filing Date, Securities Act Release No. 8106, 67 Fed. Reg. 42914, 42925, June 25, 2002 (ursprüng­ licher Vorschlag) und Additional Form 8-K Disclosure Requirements and Acceleration of Filing Date, Securities Act Release No. 8400, 69 Fed. Reg. 15594, 15605, March 25, 2004 unter II. C. 16 (Abkehr von der geplanten Regelung). 213  Horwich, 5 N. Y. U. J.L. & Bus. 827, 837 (2009). 214  Horwich, 5 N. Y. U. J.L. & Bus. 827, 836 (2009). 215  Alle Mitteilungen sind in der öffentlich zugänglichen Datenbank EDGAR der SEC

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Darin ist wie in vielen anderen solchen Mitteilungen nur von der „persönli­ chen Auszeit aus medizinischen Gründen“ („personal leave of absence for me­ dical reasons“) die Rede. Die Diagnose wird nicht genannt, weil dies nach Item 5.02(b) nicht erforderlich ist. Dies erinnert stark an die Praxis in Deutschland. In der US-amerikani­ schen Literatur wird allerdings, anders als hierzulande, kontrovers darüber diskutiert, ob für Führungskräfte (insbesondere für CEO) weitergehende Pu­ blizitätsanforderungen gelten oder de lege ferenda gelten sollen. Die Diskus­ sion lässt sich bis in die 90er Jahre verfolgen.216 Geschuldet ist sie der gesell­ schaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung, die bereits in den 70er Jahren begann, als der Staat steuerliche Vergünstigungen für die private Altersvor­ sorge gewährte. Daraufhin verbreiteten sich vor allem betriebliche Altersvor­ sorgepläne (sog. „401 k“-Pläne), welche den Arbeitnehmern steuerfreie Ren­ tensparleistungen unter Nutzung der vom Arbeitgeber gewährten Zuschüsse ermöglichen.217 Die Rentenersparnisse wurden regelmäßig auf dem Kapital­ markt angelegt, was dazu führte, dass Amerika ab Mitte der 80er Jahre einen regelrechten „Aktienboom“ erlebte. Bis 2005 hat sich die Zahl der Haushal­ te, die Anteile an börsennotierten Unternehmen besaßen, mehr als verdrei­ facht.218 In 2006 betrug diese Zahl ca. 57 Mio., also etwa die Hälfte aller ame­ rikanischen Haushalte.219 Die enorm gestiegene Kapitalmarktaktivität breiter Bevölkerungsschichten führte zu einem großen Interesse des Publikums am korporativen Geschehen, das durch die Wirtschaftsmedien (CNN, Bloomberg TV, etc.) bedient wur­ de.220 Die spektakulären Börsenskandale um die Jahrhundertwende (Enron, WorldCom u. a.), die Milliarden an Rentenersparnissen verschlungen hatten, rückten das Unternehmensmanagement und vor allem die Figur des CEO noch mehr ins Rampenlicht der medialen Aufmerksamkeit. Die persönliche Integri­ tät und Leistungsfähigkeit des CEO erschienen nun den Anlegern gewisserma­ ßen als Garantie für die Sicherheit des eigenen Investments.221 Um Hinweise auf positive wie negative Charaktereigenschaften der Spitzenkräfte zu bekom­ verfügbar, . Die zitierte Mitteilung ist abrufbar unter . 216 Siehe Glenn, 16 Cardoso L. Rev. 537 ff. (1994). 217  Dazu etwa Hussla, Private Vorsorge überfordert US‑Bürger, Handelsblatt Online, 28.6.2003. Die Popularität der privaten Altersvorsorge ist dadurch bedingt, dass die staatli­ che Altersvorsorge in den USA mit weniger als 50 % des letzten Gehalts recht niedrig aus­ fällt. 218  Abril/​Olazábal, 46 Hous. L. Rev. 1545, 1552 (2010); siehe dazu auch Schwartz, 57 B. C. L. Rev. 1963, 1714 (2016). 219  Lin, 11 U. Pa. J. Bus. L. 383, 386 f. (2009). 220  Ausführlich zum Einfluss der Massenmedien auf die öffentliche Wahrnehmung von Führungskräften Abril, 48 Am. Bus. L. J. 177, 200 ff. (2011). 221  Abril/​Olazábal, 46 Hous. L. Rev. 1545, 1552 ff. (2010); Lin, 87 Notre Dame L. Rev.



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men, richtete das Publikum sein Interesse verstärkt auf deren Privatleben, um aus den Geschichten über astronomische Vergütung, dekadenten Lebensstil oder eheliche Untreue – dieser „anecdotal evidence“ – Informationen für die Anlageentscheidung zu gewinnen.222 Dies erklärt, warum die Debatte über die Offenlegungspflichten der Führungskräfte in den USA mitunter sehr emotio­ nal geführt wird.223 De lege lata wird die Pflicht zur Offenlegung privater Tatsachen auf dem Primärmarkt aus Sec. 17(a) des Securities Act von 1933 (Securities Act) abge­ leitet.224 Demnach ist es bei Wertpapiergeschäften verboten: „(1) to employ any device, scheme, or artifice to defraud, or   (2) to obtain money or property by means of any untrue statement of a material fact or any omission to state a material fact necessary in order to make the statements made, in light of the circumstances under which they were made, not misleading; or   (3) to engage in any transaction, practice, or course of business which operates or would operate as a fraud or deceit upon the purchaser.“225

Für den Sekundärmarkt findet sich ein Pendant in Sec. 10(b) des Exchange Act226 , der die Nutzung von „any manipulative or deceptive device“ im Wert­ papierhandel verbietet und in der SEC‑Rule 10b-5 wie folgt konkretisiert wird: „10b-5. Employment of manipulative and deceptive devices   It shall be unlawful for any person, directly or indirectly, by the use of any means or instrumentality of interstate commerce, or of the mails or of any facility of any na­ tional securities exchange,  …   (b) To make any untrue statement of a material fact or to omit to state a material fact necessary in order to make the statements made, in the light of the circumstances under which they were made, not misleading …“.227

Diese Vorschriften sind als „gap-filling rules“ oder „antifraud rules“ be­ kannt.228 Ihre Rolle als „Lückenfüller“ spielen sie, indem sie die Offenlegung aller „material facts“ verlangen, damit die Informationen, die nach anderen Vorschriften offenzulegen sind, nicht irreführend werden. Die „gap-filling 911, 924 f. (2012); ders., 11 U. Pa. J. Bus. L. 383, 386 f., 390 (2009); monografisch Khurana, Searching for a corporate savior, S. 73 f. 222  Abril, 48 Am. Bus. L. J. 177, 202 (2011). 223 Exemplarisch sei die polemische Bemerkung eines Wirtschaftsjournalisten ange­ führt: „Sorry, but privacy concerns take a back seat when you’re entrusted with billions of dollars’ worth of shareholder capital.“, Cahill, JPMorgan did right by investors with disclo­ sures on CEO’s health, Crain’s Chicago Business Online, 10.12.2014. 224 Vgl. Lin, 11 U. Pa. J. Bus. L. 383, 401 ff. (2009). 225  15 U. S. C. § 77(q) (Hervorhebung durch die Verf.). 226  15 U. S. C. § 78(j). 227  17 C. F. R. § 240.10b–5 (Hervorhebung durch die Verf.). 228 Dazu Glenn, 16 Cardoso L. Rev. 537, 548 ff. (1994); Heminway, 42 Wake Forest L. Rev. 749, 756 (2007); Lin, 11 U. Pa. J. Bus. L. 383, 402 ff. (2009); ders., 87 Notre Dame L. Rev. 911, 922 ff. (2012).

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rules“ setzen also eine bestehende Offenlegungspflicht voraus.229 In Erman­ gelung einer solchen Pflicht ist das Schweigen nicht haftbar, auch wenn es einen „material fact“ betrifft.230 Ob das geltende Offenlegungsregime einer „Ver­ vollständigung“ durch die Offenlegung von Gesundheitsdaten bedarf und in­ sofern Raum für die Anwendung der „gap-filling rules“ bietet, wird unter­ schiedlich beurteilt.231 Die Befürworter weisen z. B. darauf hin, dass sowohl die Form 10-K als auch die Form 10-Q eine Pflicht enthält, die Analyse der fi­ nanziellen Situation und der Geschäftsergebnisse darzustellen („Management Discussion and Analysis of Financial Condition and Results of Operations“). Darin seien auch die Unsicherheiten anzugeben, die einen erheblichen nega­ tiven Effekt auf die Geschäfte haben könnten. Es bestünden kaum Zweifel, dass dazu auch solche Unsicherheiten gehörten, die aus einer Erkrankung einer wichtigen Führungskraft resultieren würden.232 Die Gegenstimmen stellen ge­ nauso entschieden fest: „Where the corporation and officer have remained si­ lent, no existing judicial precedent favours a general duty to disclose personal facts not already mandated by regulation.“233 Eine weitere Hürde, die die Pflicht zur Offenlegung von Gesundheitsdaten nehmen muss, ist die „Wesentlichkeit“ („materiality“). Denn die „gap-filling rules“ fordern die Offenlegung nur dann, wenn die betreffende Information „wesentlich“ („material“) ist. Nach dem Urteil des U. S. Supreme Court in der Sache TSC Industries, Inc. v. Northway, Inc. ist eine bestimmte Information dann wesentlich, „[…] if there is a substantial likelihood that a reasonable shareholder would consider it important in deciding how to vote. […] Put another way, there must be a substan­ tial likelihood that the disclosure of the omitted fact would have been viewed by the reasonable investor as having significantly altered the ‚total mix‘ of information made available.“234

Diese Definition wurde sodann in Basic, Inc. v. Levinson ins Kapitalmarktrecht übertragen.235 Da sie auf die „Gesamtmischung“ („total mix“) der Informatio­ 229  Heminway, 42 Wake Forest L. Rev. 749, 756 (2007); Lair, 27 U. Fla. J. L. & Pub. Pol’y 257, 261 (2016); Schwartz, 57 B. C. L. Rev. 1963, 1719 (2016). 230 Siehe Glenn, 16 Cardoso L. Rev. 537, 553 (1994): „The general rule is that Rule 10b–5 does not itself impose an affirmative duty of disclosure. Absent an independent event trig­ gering a disclosure duty, silence will not render a corporation liable even for a material omis­ sion under Rule 10b–5.“ 231  Dafür etwa Horwich, 5 N. Y. U. J.L. & Bus. 827, 837 ff. (2009); wohl auch Heminway, 42 Wake Forest L. Rev. 749, 756 (2007): „Nothing in the gap-filling rules or related guidance excludes executives’ personal facts from the information that may be subject to disclosure.“ A. A. Abril/​Olazábal, 46 Hous. L. Rev. 1545, 1591 ff. (2010). 232  Horwich, 5 N. Y. U. J.L. & Bus. 827, 837 f. (2009); vgl. dazu Fleischer, FS Uwe Schnei­ der, S. 333, 336. 233  Abril/​Olazábal, 46 Hous. L. Rev. 1545, 1592 (2010). 234  TSC Industries, Inc. v. Northway, Inc., 426 U. S. 438, 449 (1976). 235  Basic, Inc. v. Levinson, 485 U. S. 224, 231 f. (1988). Zu dem in dieser Entscheidung



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nen abstellt, kann die Entscheidung über die Wesentlichkeit einer bestimmten Information eigentlich nur unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände getroffen werden.236 Damit haften der Entscheidung die typischen „Abwä­ gungslaster“ an: Die Beurteilung, ob etwas „wesentlich“ ist, bleibt trotz einiger Hilfestellungen, die die Rechtsprechung gegeben hat, immer noch schwierig und subjektiv.237 Dies wird allerdings mit dem Argument hingenommen, kein Unternehmen und kein Geschäftsleiter gleiche einem anderen, so dass eine in­ dividuelle Betrachtung notwendig sei.238 Sind nun die Informationen über eine schwere Erkrankung der Führungs­ kraft „wesentlich“? Im Schrifttum wird dies fast einhellig bejaht, zumindest für die Schlüsselpersonen im Unternehmen, von deren Leistung die Firmen­ performance abhängt, wie etwa Buffet oder Jobs.239 Manche versuchen, sol­ che Schlüsselfiguren abstrakt zu definieren 240 ; wieder andere meinen, jede Ge­ sellschaft müsse ihre Schlüsselpersonen und den Umfang der Information, die über diese Personen offenzulegen sei, individuell bestimmen.241 Die Durch­ sicht der einschlägigen Beiträge zeigt jedenfalls, dass die Information über die Gesundheitsprobleme des CEO meist als wesentlich angesehen wird. Dafür werden mehrere Argumente ins Feld geführt. Das erste Argument betrifft die gerade angesprochene Starrolle der Führungskräfte. Es wird auf die breite Pu­ blikumsbeteiligung am Aktienhandel hingewiesen, die zum gesteigerten Medi­ eninteresse an Führungskräften geführt habe, deren Leben nun das Thema für TV, Print- und Online-Medien, Internetblogs usw. bilde. Viele Top-Manager hätten dadurch einen Kultstatus erlangt (Steve Jobs, Howard Schultz, Martha Stewart, Warren Buffet, Bill Gates), was in signifikant gestiegenen Gehältern resultiere. Höhere Vergütung solle aber einhergehen mit gesteigerten Offen­ legung und Transparenz.242 Damit verwandt ist das zweite Argument: Da die Person des CEO eine wichtigere Rolle bei der Investitionsentscheidung spiele entwickelten „probability-magnitude test“ für die Beurteilung der Wesentlichkeit künfti­ ger Ereignisse im Kontext der Krankheit Glenn, 16 Cardoso L. Rev. 537, 556 ff. (1994); Stokes, 17 Tex. Wesleyan L. Rev. 303, 310 (2011); Petsch, Kapitalmarktrechtliche Informations­ pflichten, S. 148; Fleischer, FS Uwe Schneider, S. 333, 338 f. 236  Horwich, 5 N. Y. U. J.L. & Bus. 827, 852 f. (2009); Lin, 11 U. Pa. J. Bus. L. 383, 405 (2009). 237  Lin, 11 U. Pa. J. Bus. L. 383, 407 (2009) m. w. N.; siehe auch ders., 87 Notre Dame L. Rev. 911, 931 (2012). 238  Lin, 87 Notre Dame L. Rev. 911, 931 (2012). 239  Barnard, 21 J. Corp. L. 307, 324 f. (1996); Glenn, 16 Cardoso L. Rev. 537, 560 (1994); Heminway, 42 Wake Forest L. Rev. 749, 762 ff. (2007); Horwich, 5 N. Y. U. J.L. & Bus. 827, 853 ff. (2009); Lin, 11 U. Pa. J. Bus. L. 383, 408 ff. (2009); ders., 87 Notre Dame L. Rev. 911, 931 (2012); Pollman, 99 Minn. L. Rev. 27, 69 (2014); Schwartz, 40 Fla. St. U. L. Rev. 487, 494 ff. (2013); offenlassend Stokes, 17 Tex. Wesleyan L. Rev. 303, 311 (2011). 240  Horwich, 5 N. Y. U. J.L. & Bus. 827 (2009). 241  Heminway, 42 Wake Forest L. Rev. 749, 790 f. (2007). 242  Barnard, 21 J. Corp. L. 307, 324 f. (1996); Glenn, 16 Cardoso L. Rev. 537, 560 (1994); Horwich, 5 N. Y. U. J.L. & Bus. 827, 853 (2009); Lin, 11 U. Pa. J. Bus. L. 383, 394, 420 (2009).

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als früher243, hätten Aktionäre ein berechtigtes Interesse an der Offenlegung persönlicher Umstände, welche die Fähigkeit des CEO zur Wahrnehmung sei­ ner Aufgaben beeinträchtigen oder in der Zukunft beeinträchtigen können.244 Zudem sei eine schwere Krankheit für die meisten Menschen ein Schicksals­ erlebnis und könne die Person verändern.245 Informationen über gesundheit­ liche Probleme gäben daher Auskunft sowohl über die Leistungsfähigkeit des Betroffenen als auch über seine Fähigkeit, das Amt weiterzuführen.246 Ferner könne die Offenlegung die Unternehmen für Gesundheitsproble­ me ihrer Leiter sensibilisieren und zusätzliche Anreize zur Erarbeitung eines Nachfolgeplans und zur Verbesserung der Verwaltungsstrukturen (Abkehr von der „One-Man-Show“) schaffen. Sie könne auch Vorurteile bezüglich be­ stimmter Krankheiten abbauen mit der Folge, dass der Erkrankte nach der Offenlegung weiter im Amt bleiben könne.247 Nicht zuletzt soll die Offen­ legung das Vertrauen der Märkte in die Integrität der Unternehmensführung stärken.248 In diesem Zusammenhang werden die staatlichen Stellen dafür kritisiert, dass sie sich bisher geweigert hätten, das Problem anzugehen und verbindliche Vorgaben für die Offenlegung persönlicher Informationen zu schaffen: „The absence of clarity and guidance under current regulations has essentially turned back the regulatory clock, retrofitting the philosophy of ca­ veat emptor for the philosophy of disclosure.“249 b)  Offenlegung und „Privacy“ Der Überzeugung, dass die Information über Gesundheitsprobleme von Füh­ rungskräften für Investoren „wesentlich“ sein kann, folgt die Frage, ob die Veröffentlichung solcher Information in Konflikt mit dem Recht auf Privat­ sphäre (right to privacy) kommen kann. Dieses Recht wurde ursprünglich als Reaktion auf die Eingriffe der Presse in die Privatsphäre des Einzelnen ent­ 243 

Glenn, 16 Cardoso L. Rev. 537, 560 (1994). Barnard, 21 J. Corp. L. 307, 324 f. (1996); Heminway, 42 Wake Forest L. Rev. 749, 762 (2007); Horwich, 5 N. Y. U. J.L. & Bus. 827, 863 (2009); Lin, 11 U. Pa. J. Bus. L. 383, 391 (2009); Schwartz, 40 Fla. St. U. L. Rev. 487, 489, 494 (2013). 245  Barnard, 21 J. Corp. L. 307, 325 (1996). Solche Fälle gibt es wirklich. Stanley Fink, ein erfolgreicher britischer Hedgefonds-Manager („the godfather of the hedge fund indus­ try“), kam nach dem überstandenen gutartigen Hirntumor zur Erkenntnis, dass er mehr Zeit für seine Hilfsorganisationen und seine Familie brauche. Mit der Rolle des nicht ge­ schäftsführenden Direktors bei Man Group, die er daraufhin annahm, war er jedoch un­ zufrieden, so dass er zunächst einen kleineren Hedgefonds gründete und anschließend in die Politik wechselte (er wurde Schatzmeister der Konservativen Partei), dazu Blackhurst, Stanley Fink: Tory treasurer, hedge fund manager and charity-giver, The Evening Standard (London) Online, 12.5.2010; Wright, The godfather takes on new role, The National (Abu Dhabi) Online, 20.10.2011. 246  Schwartz, 40 Fla. St. U. L. Rev. 487, 494 ff. (2013). 247  Barnard, 21 J. Corp. L. 307, 328 (1996); Lin, 11 U. Pa. J. Bus. L. 383, 396 f. (2009). 248  Barnard, 21 J. Corp. L. 307, 327 (1996). 249  Lin, 11 U. Pa. J. Bus. L. 383, 409 (2009). 244 



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wickelt, als das Recht des Individuums, in Ruhe bzw. allein gelassen zu werden („right to be let alone“).250 Heute genießt das right to privacy den Schutz im Common Law, in den Einzelgesetzen (Privacy Act 1974, Americans with Dis­ abilities Act 1990, Health Insurance Portability and Accountability Act 1996 usw.) sowie im Verfassungsrecht auf Bundes- und Landesebene.251 Ähnlich wie das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst right to privacy mehrere Aspekte, vom Bildnisschutz bis zum Schutz vor staatlichen Durch­ suchungen. Der Aspekt, der hier allein interessant ist, ist das Recht auf informational privacy, das Pendant des hiesigen Rechts auf informationelle Selbst­ bestimmung. Dieses Recht ist in den USA bereits rechtsökonomisch umstritten. Sein prominentester Gegner Richard Posner verband mit dem Datenschutz in erster Linie Effizienzverluste. Posners Ausgangspunkt war die These, dass sich Menschen, insbesondere Arbeitskräfte, auf dem Markt wie Güter verkauften; dabei wollten sie unvorteilhafte persönliche Informationen zurückhalten, um den eigenen Preis zu steigern.252 Um den wahren Preis zu bestimmen, müsse der Geschäftspartner die Möglichkeit haben, an solche Informationen heran­ zukommen; verwehre das Recht ihm diese Möglichkeit, so fördere es nur die Preismanipulation: „It is no answer that people have ‚the right to be let alone‘, for few people want to be let alone. Rather, they want to manipulate the world around them by selective disclosure of facts about themselves.“253 Mittlerweile erfährt informational privacy in der rechtsökonomischen Literatur allerdings eine wohlwollendere Beurteilung. Betont wird insbesondere, dass unbegrenz­ te Offenlegung zu Fehlurteilen führen könne, wenn private Fakten aus dem Kontext herausgerissen und Informationen mit Wissen verwechselt würden. Ferner könne übermäßige Offenlegung Menschen davon abhalten, sich in dem betreffenden Bereich zu engagieren.254 Nichtsdestotrotz ist der rechtliche Schutz von informational privacy in den USA bisher sehr lückenhaft255, so dass diejenigen, die auf dieser Basis die Adhoc-Publizität beschränken wollen, dafür im positiven Recht nur mit Not ge­ eignete Argumente finden. Dies gilt zunächst für das Verfassungsrecht. Man­ 250 Grundlegend

Warren/​Brandeis, 4 Harv. L. Rev. 193 ff. (1890); aus neuerer Sicht Turkington, 10 N. Ill. U. L. Rev. 479 ff. (1990); siehe auch Rosenschon, Der Schutz der Privat­ sphäre im Arbeitsverhältnis, S. 43 ff. 251  Überblick bei Rosenschon, Der Schutz der Privatsphäre im Arbeitsverhältnis, S. 43 ff.; zu den Einzelheiten Abril/​Olazábal, 46 Hous. L. Rev. 1545, 1567 ff. (2010); Heminway, 42 Wake Forest L. Rev. 749, 772 (2007); Schwartz, 40 Fla. St. U. L. Rev. 487, 508 (2013); Stokes, 17 Tex. Wesleyan L. Rev. 303, 311 ff. (2011). 252  Posner, The economics of justice, S. 233 f. 253  Posner, The economics of justice, S. 234. 254 Ausführlich zu neueren rechtsökonomischen Rechtfertigungen der informational privacy Schwartz, 40 Fla. St. U. L. Rev. 487, 501 f. (2013). 255 So Heminway, 42 Wake Forest L. Rev. 749, 774 (2007); vgl. auch den Befund von Fehling, in: Fehling/​Schliesky, Neue Macht- und Verantwortungsstrukturen in der digita­ len Welt, S. 121, 122 f.

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che betonen zwar die verfassungsrechtliche Komponente von informational privacy und sehen darin ein fundamentales Recht, das nur in der verfassungs­ rechtlich zulässigen Weise eingeschränkt werden könne. Eine entsprechende Schranke bedürfe der Rechtfertigung durch zwingendes staatliches Interesse und dürfe nicht darüber hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erfor­ derlich sei; eine wie auch immer geartete Pflicht der Führungskräfte, ihre Ge­ sundheitsprobleme offenzulegen, würde diesen Test nicht bestehen.256 Dem wird entgegengehalten, angesichts der zurückhaltenden Rechtsprechung des Supreme Court sei immer noch unklar, ob ein verfassungsrechtlich geschütz­ tes Recht auf informationelle Privatsphäre existiere.257 In der Tat hat der Su­ preme Court bisher stets offengelassen, ob das Interesse des Einzelnen, die Offenlegung seiner Daten zu vermeiden („interest in avoiding disclosure“), verfassungsrechtliche Wurzeln hat.258 Aber auch wenn dem so wäre, so das weitere Argument des Schrifttums, wäre eine Offenlegungsregelung nicht ver­ fassungswidrig, solange sie sich nur um die Balance zwischen dem staatlichen Interesse an gut funktionierenden Aktienmärkten und dem Interesse der Füh­ rungskraft am Schutz ihrer Privatsphäre bemühen würde.259 Wenige Früchte verspricht auch der Rückgriff auf die Einzelgesetze. Der Privacy Act erfasst nur die Bundesbehörden 260 , der Health Insurance Portabi­ lity and Accountability Act nur bestimmte Organisationen, die im Bereich der Gesundheitsfürsorge tätig sind.261 Ein älterer Beitrag identifiziert den Ame­ ricans with Disabilities Act (ADA) als Gesetz, der den kapitalmarktrechtlichen Offenlegungspflichten entgegenstehen könnte. Der ADA verpflichte den Ar­ beitgeber unter bestimmten Umständen, medizinische Daten der Arbeitneh­ mer vertraulich zu behandeln. Diese Pflicht komme in Konflikt mit dem Ka­ pitalmarktrecht, wenn die Führungskraft den Board vertraulich über ihre schwere Erkrankung informiere und keine öffentliche Bekanntmachung wün­ sche, während der Kapitalmarkt die Offenlegung fordere, weil die Informati­ on für die Anleger wesentlich sei. Dieser Konflikt stelle den Emittenten vor das Dilemma, entweder die Informationen offenzulegen und sich nach ADA haftbar zu machen oder sie vertraulich zu behandeln, mit der kapitalmarkt­ rechtlichen Haftung als Folge. Da die letztere schärfer sei, sei die Wahrschein­ lichkeit hoch, dass sich Emittenten aus Kostengründen für die Offenlegung 256  Stokes, 17 Tex. Wesleyan L. Rev. 303, 311 ff. (2011). 257  Schwartz, 40 Fla. St. U. L. Rev. 487, 507 ff. (2013).

258 Zuletzt in NASA v. Nelson, 562 U. S. 134, 138, 148 f. (2011); siehe auch Whalen v. Roe, 429 U. S. 589, 599, 605 (1977) sowie Nixon v. Administrator of General Services, 433 U. S. 425, 457 (1977); dazu Fehling, in: Fehling/​Schliesky, Neue Macht- und Verantwor­ tungsstrukturen in der digitalen Welt, S. 121, 125. 259  Schwartz, 40 Fla. St. U. L. Rev. 487, 507 ff. (2013). 260  Fehling, in: Fehling/​S chliesky, Neue Macht- und Verantwortungsstrukturen in der digitalen Welt, S. 121, 137. 261  Schwartz, 40 Fla. St. U. L. Rev. 487, 509 (2013).

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und gegen Vertraulichkeit entscheiden würden. Um dies zu vermeiden, müsse der Vorrang des ADA anerkannt werden.262 Dagegen wird mit Verweis auf die neuere Rechtsprechung263 eingewandt, die Haftung nach ADA greife in der be­ schriebenen Situation ohnehin nicht. Die Gerichte würden den ADA restriktiv auslegen und die Pflicht zur Wahrung der Vertraulichkeit schon dann vernei­ nen, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber die Diagnose zwar vertraulich, aber freiwillig mitgeteilt habe.264 Dabei werde Freiwilligkeit weit verstanden, so dass die Auskunft des Arbeitnehmers über seine Gesundheit auch dann als „freiwillig“ gelte, wenn der Arbeitgeber sie mit einer allgemeinen Frage wie „Ist alles in Ordnung?“ provoziert habe.265 Resigniert stellen manche Auto­ ren fest, dass es zwischen privacy und einer etwaigen Pflicht zur Offenlegung schwerer Krankheiten zwar ein Spannungsverhältnis bestehe, dieses aber vom Gesetzgeber nicht erkannt worden sei.266 Auch das Common Law, namentlich das Deliktsrecht, bietet hochrangigen Führungskräften kaum einen Schutz gegen Informationseingriffe.267 Das De­ liktsrecht gewährt ohnehin keinen umfassenden Schutz bei Privacy-Verletzun­ gen, sondern arbeitet ausschließlich mit vier Fallgruppen, die es zudem eng aus­ legt.268 Bei Führungskräften wird dieser Schutz zusätzlich abgeschwächt, weil sie regelmäßig das mediale Interesse auf sich ziehen, ob freiwillig oder unfrei­ willig. Aus diesem Grund ist die Rechtsprechung, die sie anfangs als Privatper­ sonen behandelte, mittlerweile dazu übergegangen, in ihnen „public figures“ oder zumindest „limited-purpose public figures“ zu sehen.269 Dieser Status er­ schwert den Führungskräften die Abwehr von Eingriffen in ihre Privatsphäre. Um sich etwa gegen Verbreitung von Falschinformationen („defamation“) zu wehren, müssen sie „actual malice“, also Arglist des Gegners beweisen.270 Zwar meinen manche, dass nur berühmte CEOs wie Bill Gates, Steve Jobs, Martha Stewart oder Warren Buffet als „public figures“ anzusehen seien.271 Patricia 262  263 

Glenn, 16 Cardoso L. Rev. 537, 588 f. (1994). Beginnend mit Cash v. Smith, 231 F. 3d 1301, 1303 (11th Cir. 2000). 264  Abril/​Olazábal, 46 Hous. L. Rev. 1545, 1573 (2010). 265  Etwas anderes gilt nur dann, wenn sich der Arbeitgeber explizit nach der Gesund­ heit des Mitarbeiters erkundigt hat, dazu Schwartz, 40 Fla. St. U. L. Rev. 487, 510 f. (2013). 266  Heminway, 42 Wake Forest L. Rev. 749, 774 (2007). 267 Dazu Abril/​Olazábal, 46 Hous. L. Rev. 1545, 1575 ff. (2010). 268  Zu diesen etwa Abril/​Olazábal, 46 Hous. L. Rev. 1545, 1577 ff. (2010); im deutschen Schrifttum Rosenschon, Der Schutz der Privatsphäre im Arbeitsverhältnis, S. 61 ff.; Fehling, in: Fehling/​Schliesky, Neue Macht- und Verantwortungsstrukturen in der digitalen Welt, S. 121, 123. 269  Ausführlich zu dieser Entwicklung Abril, 48 Am. Bus. L. J. 177, 181 ff. (2011), auch mit Erläuterung des jeweiligen Begriffs. 270 Vgl. N. Y. Times Co. v. Sullivan, 376 U. S. 254, 279 f. (1964); Abril, 48 Am. Bus. L. J. 177, 180, 183, 187 ff. (2011); Abril/​Olazábal, 46 Hous. L. Rev. 1545, 1576 (2010); Schwartz, 57 B. C. L. Rev. 1963, 1716 (2016). 271 Vgl. Lair, 27 U. Fla. J. L. & Pub. Pol’y 257, 272 f. (2016); Pollman, 99 Minn. L. Rev. 27, 70 (2014).

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Sánchez Abril legt jedoch aufgrund der Rechtsprechungsanalyse dar, dass die Gerichte den Begriff der „public figure“ mitunter sehr großzügig interpretie­ ren, so dass „a publicly accessible businessperson would have an uphill batt­ le in proving she is a private figure, even if she is not a Fortune 500 CEO or a household name“.272 Der Schutz gegen ein Eindringen in die Privatsphäre („intrusion upon the plaintiff’s seclusion or solitude“) hängt maßgeblich davon ab, ob das Individu­ um in dem betroffenen Bereich berechtigterweise Privatheit erwarten darf.273 Diese „reasonable expectations of privacy“ sollen bei Führungskräften be­ reits aufgrund ihrer herausgehobenen Position im Unternehmen abgeschwächt sein: „their high-level positions in public corporation lessen their reason­able expectations of privacy in information relevant to their involvement in the corporation“274. Ähnlich schwach ausgeprägt ist der Schutz gegen Veröffent­ lichung von privaten Tatsachen („public disclosure of private facts“), etwa be­ treffend eine Scheidung, eine sexuelle Beziehung oder sonstige Aspekte des Privatlebens. Der Kläger muss beweisen, dass die Information besonders pein­ lich („highly offensiv“) ist; gelingt es der Führungskraft, diese Hürde zu neh­ men 275, so scheitert sie höchstwahrscheinlich an dem „newsworthiness test“, der die Veröffentlichung peinlicher privater Informationen erlaubt, solange sie „berichtenswert“ sind. Dieser Test soll noch beklagtenfreundlicher sein als der Public-Figure-Test: Ein irgendwie geartetes Interesse des Publikums an der Information genügt, um die Veröffentlichung zu erlauben. Dies führt einige Kommentatoren zum Schluss, dass in der heutigen Gesellschaft nahezu alle In­ formationen über Führungskräfte den „newsworthiness test“ bestehen dürf­ ten.276 c)  Vorschläge de lege ferenda Aufgrund dieser positivrechtlich ungeklärten Rechtslage („the basic rule is there no rule“277) gibt es im Schrifttum viele Vorschläge zur Verbesserung des Status Quo, sei es durch neue Regelungen, sei es durch dogmatisches Um­ denken. So schlägt Andrew Glenn vor, in Anlehnung an den ADA eine Safe272  Abril, 48 Am. Bus. L. J. 177, 204 f. (2011). 273 Vgl. Rosenschon, Der Schutz der Privatsphäre 274  Pollman, 99 Minn. L. Rev. 27, 72 (2014). 275 Zu den Schwierigkeiten Abril/​Olazábal,

im Arbeitsverhältnis, S. 62.

46 Hous. L. Rev. 1545, 1578 f. (2010); Schwartz, 57 B. C. L. Rev. 1963, 1717 (2016). 276  Schwartz, 57 B. C. L. Rev. 1963, 1717 f. (2016); in der Sache genauso Abril/​Olazábal, 46 Hous. L. Rev. 1545, 1579 ff. (2010). 277  Pimentel, Public disclosure: Health of CEOs brings up issues of personal privacy, SFGate, 3.8.2004, zitierend Patrick McGurn von Institutional Shareholder Services: „The basic rule is there no rule, which is part of the problem.“ Die unklare Rechtslage bemängeln auch Barnard, 21 J. Corp. L. 307, 323 f. (1996); Heminway, 42 Wake Forest L. Rev. 749, 789 f. (2007); Lin, 11 U. Pa. J. Bus. L. 383, 409 (2009); ders., 87 Notre Dame L. Rev. 911, 931 (2012); Schwartz, 40 Fla. St. U. L. Rev. 487, 516 (2013).

§ 3.  Exkurs: Ad-hoc-Publizitätspflicht in börsennotierten Unternehmen 



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Harbor-Regel zu kreieren, wonach die Gesellschaft nicht verpflichtet sei, die Erkrankung offenzulegen, solange die Führungskraft ihre Aufgaben ohne Einschränkungen erfüllen könne.278 Jayne Barnard plädiert für neue Offen­ legungsregeln der Börsen, die den Emittenten zu einer umfassenden Offenle­ gung von Gesundheitsproblemen verpflichten, welche die Fähigkeit von Füh­ rungskräften zur ordnungsgemäßen Erfüllung ihrer Dienstaufgaben für eine längere Zeit erheblich beeinträchtigen können. Dabei soll der Board vom be­ handelnden Arzt verlangen können, dass dieser ihn auf vertraulicher Basis über den Gesundheitszustand der Führungskraft, die Prognose, die vorgesehe­ ne Behandlung und die Aussichten auf Wiedererlangung der bisherigen Leis­ tungsfähigkeit unterrichtet. Der Zugang zu dieser Information soll durch aus­ drückliche Klauseln im Anstellungsvertrag der Führungskraft sichergestellt werden. Der Board soll sodann allein über die Veröffentlichung solcher Daten sowie über den Offenlegungszeitpunkt entscheiden, wobei er die Verlässlich­ keit der medizinischen Information, die momentane Volatilität des Aktienprei­ ses sowie andere spezifische Umstände wie laufende Vertragsverhandlungen berücksichtigen dürfe. Ungeachtet dieser Umstände müssten die Daten inner­ halb von 45 Tagen nach der endgültigen Diagnose veröffentlicht werden.279 Allan Horwich formuliert konkrete Ergänzungen zur Form 8-K, wobei er allerdings nur die Offenlegung der Leistungsbeeinträchtigung („impairment“) und nicht die Offenlegung der zugrunde liegenden Krankheit fordert.280 Tom Lin befürwortet die Offenlegung bei senior officers, wobei er auf den in Rule 16a–1(f) zum Exchange Act ausführlich definierten Begriff „officer“ abstellt. Allerdings gibt er zu, dass dieser Begriff im Kontext der Ad-hoc-Publizität sowohl zu weit als auch zu eng sein kann.281 Das Verfahren der Offenlegung soll nach Lin zweistufig ablaufen: Zunächst sollen senior officers potentiell bedeutsame private Informationen gegenüber dem Board oder einem BoardAusschuss (freiwillig) offenlegen. Dieser soll sodann unter Ausschluss des Be­ troffenen darüber entscheiden, ob und in welcher Form die Offenlegung ge­ genüber den Anlegern zu erfolgen habe, wobei im Hinblick auf das „Wie“ der existierende Regelungsrahmen zu beachten sei. Die Offenlegung könne also je nach Situation in der Form 8-K, 10-K oder auf der Webseite der Gesellschaft erfolgen. Bei der Entscheidung über die Offenlegung soll dem Management, also dem Board oder dem jeweiligen Ausschuss, ein großer Ermessensspiel­ raum zukommen: Da jede Gesellschaft, jeder Geschäftsleiter und jede Situati­ on einzigartig sei, könne das Management am besten beurteilen, ob bestimm­ 278  279 

Glenn, 16 Cardoso L. Rev. 537, 588 f. (1994). Barnard, 21 J. Corp. L. 307, 327 f. (1996). 280  Horwich, 5 N. Y. U. J.L. & Bus. 827, 867 ff. (2009); dazu Fleischer, FS Uwe Schneider, S. 333, 341 f. 281  Lin, 11 U. Pa. J. Bus. L. 383, 411 (2009): „[…] our ,senior officers‘ net inadvertently captures some small fish and lets some big fish escape […]“.

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Kapitel 3: Offenlegungspflichten bei Krankheit

te Privatangelegenheiten der Führungskraft die Gesellschaft beeinträchtigen können.282 Dieses Zwei-Stufen-Modell entwickelt Lin später zum Geschäfts­ geheimnis-Modell: Private Informationen über Führungskräfte sollen als Geschäftsgeheimnis geschützt werden, da das Kapitalmarktrecht es erlaube, Geschäftsgeheimnisse nicht offenzulegen. Auch hier soll der Board über die Informationsweitergabe entscheiden.283 Victoria Schwartz plädiert dafür, von Firmen lediglich die Offenlegung ihrer jeweiligen Offenlegungspolitik zu for­ dern und den Geschäftsleitern zu erlauben, bei der Formulierung dieser Politik die veröffentlichungspflichtigen Inhalte nach dem À-la-carte-Prinzip zusam­ menzustellen.284 Betrachtet man die wissenschaftliche Diskussion in den USA schließlich auf der Zeitachse, so kann man feststellen, dass die Pflicht zur Of­ fenlegung einer schweren Erkrankung anfangs meist bejaht wurde285, in letzter Zeit jedoch immer kritischer gesehen wird.286 d) Unternehmenspraxis Die Unternehmenspraxis in den USA ist äußerst uneinheitlich. In informel­ len Mitteilungen gegenüber den Aktionären, den Mitarbeitern oder der Presse gehen viele Unternehmen und Führungskräfte recht offen mit Erkrankungen um. So hat Patrick Byrne, der bereits bei der Erörterung der Form 8-K als Bei­ spiel angeführt wurde, in einem Brief an die Aktionäre am 11.4.2016 erklärt, dass er wegen einer Hepatitis-C‑Erkrankung im vierten Stadium vorüber­ gehend zurücktrete.287 Coca-Cola hat 1997 die Öffentlichkeit im Zusammen­ hang mit der Lungenkrebserkrankung ihres CEO Roberto Goizueta zeitnah und ausführlich informiert.288 Herbert Kelleher, CEO von Southwest Air­ 282 

283  284 

Lin, 11 U. Pa. J. Bus. L. 383, 413 ff. (2009). Lin, 87 Notre Dame L. Rev. 911 ff., 953 (2012). Schwartz, 40 Fla. St. U. L. Rev. 487, 517 ff. (2013); dies., 57 B. C. L. Rev. 1963, 1738 f.

(2016). 285 Siehe Barnard, 21 J. Corp. L. 307, 327 (1996) (Offenlegung des Gesundheitszustandes unmittelbar nach der sicheren Diagnose); Glenn, 16 Cardoso L. Rev. 537, 562, 588 (1994); Heminway, 42 Wake Forest L. Rev. 749, 790 ff. (2007); Horwich, 5 N. Y. U. J.L. & Bus. 827, 867 f. (2009) (keine Offenlegung der Diagnose); Lin, 11 U. Pa. J. Bus. L. 383, 409 ff. (2009). 286 Vgl. Abril/​Olazábal, 46 Hous. L. Rev. 1545, 1588 f., 1604 f. (2010); Lair, 27 U. Fla. J. L. & Pub. Pol’y 257, 280 (2016) und Stokes, 17 Tex. Wesleyan L. Rev. 303, 322 (2011) (ethi­ sches Ermessen des Geschäftsleiters und des Boards hinsichtlich des „Ob“, „Was“ und „Wann“ der Offenlegung); Lin, 87 Notre Dame L. Rev. 911, 951 (2012) (Behandlung priva­ ter Information wie ein Geschäftsgeheimnis); vermittelnd Schwartz, 40 Fla. St. U. L. Rev. 487 (2013); dies., 57 B. C. L. Rev. 1963, 1738 f. (2016) (Offenlegung der „Offenlegungspoli­ tik“ des jeweiligen Unternehmens). 287  Steele, Overstock CEO Patrick Byrne to Take Medical Leave, The Wall Street Jour­ nal Online, 11.4.2016. 288  Collins, Coca-Cola Chief Is Hospitalized, The New York Times, 9.9.1997, Sec. D, P. 2, Column 4, Business/​Financial Desk; ders., Chief of Coke Still in Hospital, The New York Times, 16.9.1997, Sec. D, P. 20, Column 4, Business/​Financial Desk; ders., Co­ ke’s Chairman Is Critically Ill; Some Duties Given to President, The New York Times,



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lines, informierte das Publikum 1999 über seine Prostatakrebserkrankung289; das Gleiche tat der Großinvestor Warren Buffet, CEO von Berkshire Hatha­ way, im Jahre 2012.290 Buffet hatte bereits Erfahrung mit solchen Meldungen: Als im Februar 2000 Gerüchte über seine ernste Erkrankung aufkamen, ging Berkshire Hathaway in die Offensive und erklärte, ihrem CEO müssten gut­ artige Polypen aus dem Darm entfernt werden.291 Der Mitgründer von Google Sergey Brin hat sogar vorsorglich mitgeteilt, dass er eine Genmutation habe, welche die Wahrscheinlichkeit erhöht, an Parkinson zu erkranken.292 Es gibt auch zahlreiche weitere Beispiele. Berichtet wird von einer Recherche nach Zeitungsartikeln betreffend Erkrankungen von CEO, die in „The Wall Street Journal“ zwischen Januar 2000 und September 2008 veröffentlicht wurden. Diese Recherche soll 29 Artikel zutage gebracht haben, in denen Krankheit als Grund für das Ausscheiden des CEO angegeben wurde, sowie 38 weitere Ar­ tikel, in denen von individuellen Gesundheitsproblemen wie Hospitalisierung oder Krebsdiagnose berichtet wurde.293 Diese offene Einstellung findet ihren Höhepunkt in den Worten von Scott McNealy, des Gründers und früheren CEO von Sun Microsystems: „Privacy is dead. Get over it.“294 Auf der anderen Seite gibt es genügend Beispiele für die Verheimlichung der Krankheit oder eine unzureichende Offenlegung, von denen einige bereits in der Einleitung angeführt wurden. Weitere bekannt gewordene Fälle mangel­ hafter Offenlegung sind Brenda Barnes, frühere CEO des Lebensmittelher­ stellers Sara Lee, deren Schlaganfall im Mai 2010 der Öffentlichkeit zunächst nicht mitgeteilt wurde, oder Andy Grove, ex-CEO von Intel, der seine Pros­ tatakrebserkrankung nicht in einer Mitteilung an die Aktionäre, sondern ein Jahr später in der Zeitschrift „Fortune“ publik gemacht hat. Das berühmteste Beispiel ist jedoch sicherlich Steve Jobs, der seine Krebserkrankung stets als seine Privatsache betrachtete.295 Das gilt schon für die Entdeckung der Krank­ 14.10.1997, Sec. D, P. 1, Column 2, Business/​Financial Desk; Schwartz, Roberto C. Goi­ zueta, Coca-Cola Chairman Noted for Company Turnaround, Dies at 65, The New York Times, 19.10.1997, Sec. 1, P. 45, Column 1, National Desk. 289  Koenig, Southwest’s Kelleher takes cancer diagnosis in stride, Beaver County Times, 12.8.1999, B 6. 290  Temin, Buffet Announces Cancer Diagnosis With Characteristic Courage And Class, Forbes Online, 17.4.2012; dies., Announcing CEO Illness – Best Practices from Buf­ fet to Jobs, Forbes Online, 18.4.2012. 291  Chicago Tribune Online, 22.6.2000, , zuletzt abgerufen am 27.5.2018. 292  Pollman, 99 Minn. L. Rev. 27, 69 (2014). 293  Perryman/​Butler/​Martin/​Ferris, Business Horizons 53 (2010), 21, 22. 294  Lin, 87 Notre Dame L. Rev. 911, 928 (2012). 295  So die Standardantwort von Jobsʼ Kollegen auf die Frage nach dessen Gesundheit: „Steve’s health is a private matter“, dazu Nocera, Apple’s Culture of Secrecy, The New York Times, 26.7.2008, C1.

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heit im Jahr 2003, worüber Jobs nur dem Board von Apple und nicht dem von Pixar berichtete, obwohl er auch dort CEO war. Die breite Öffentlichkeit er­ fuhr gar nichts davon, bis der Tumor im Juli 2004 operativ entfernt wurde.296 Ähnlich verhielten sich Jobs und Apple bei den Rezidiven der Erkrankung 2008 und 2011.297 Wie offen ein Unternehmen mit der Erkrankung ihres CEO umgeht, hängt oft von der Schwere der Erkrankung ab. Wenn Buffet mit Jobs verglichen und für seine Offenheit gelobt wird298 , gerät meist in den Hintergrund, dass sich die Prostatakrebserkrankung von Buffet in einem Frühstadium befand und die Prognose sehr gut war.299 In einem solchen Fall muss das Unternehmen nicht damit rechnen, dass die Nachricht den Markt schockiert, und die Bekanntgabe fällt leichter als bei einem Tumor, der bereits Metastasen in der Leber gebildet hat. Es kommt also durchaus darauf an, wie schlecht die schlechte Nachricht ist. Dabei dürfte nicht die Diagnose, sondern die konkrete Prognose ausschlag­ gebend sein. McDonald’s erntete häufig Lob für die Offenheit in Bezug auf die Darmkrebserkrankung des CEO Charlie Bell300 ; das Unternehmen war indes nur so lange offen, wie die Prognose optimistisch war. Je mehr sich der Ge­ sundheitszustand von Bell verschlechterte, desto spärlicher wurde der Infor­ mationsfluss, bis er am Ende komplett versickerte und die Firma keine Anga­ ben mehr über die Schwere der Erkrankung und die Therapie machte.301 Während Unternehmen in informellen Mitteilungen mitunter sehr viele Informationen über die Art und Schwere der Erkrankung, über die Prog­ nose, über die laufende und geplante Behandlung und teilweise sogar über die Krankheitsgeschichte liefern, kommt es in der Praxis grundsätzlich nicht vor, dass eine Gesellschaft den Kapitalmarkt über die Erkrankung ihres CEO nach den SEC‑Regeln informiert. Eine Ausnahme ist die Bank JPMorgan Chase, die am 2.7.2014 unter Punkt 8.01 der Form 8-K („Other Events“) den Brief ihres Chairman und CEO Jamie Dimon veröffentlichte, in dem er seinen Kol­ legen und den Aktionären der Bank mitteilte, dass bei ihm Kehlkopfkrebs di­ agnostiziert worden sei.302 Dimon beschrieb die Untersuchungsmaßnahmen 296 

Elkind, The trouble with Steve Jobs, Fortune Online, 5.3.2008. Isaacson, Steve Jobs, S. 562, 640 f.; Nocera, Apple’s Culture of Secrecy, The New York Times, 26.7.2008, C1 sowie Apple Press Info, 17.1.2011, , zuletzt abgerufen am 11.4.2019. 298  Siehe nur Temin, Buffet Announces Cancer Diagnosis With Characteristic Courage And Class, Forbes Online, 17.4.2012; Creswell/​Sivler-Greenberg, Dimon’s Cancer and the Fine Line in Revealing Illness of a C. E. O., The New York Times Online, 2.7.2014. 299 So Brady, Why Warren Buffet Revealed He Has Prostate Cancer, Bloomberg Busi­ nessweek Online, 17.4.2012. 300  Temin, Announcing CEO Illness – Best Practices from Buffet to Jobs, Forbes On­ line, 18.4.2012. 301  Horovitz, McDonald’s CEO resigns to fight cancer, USA Today, 23.11.2004. 302  Die Mitteilung und der Brief sind abrufbar unter . 297 

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und betonte, dass der Tumor in einem frühen Stadium entdeckt worden und die Prognose gut sei. Ferner teilte er mit, dass er in Kürze mit einer Radiound Chemotherapie in Memorial Sloan Kettering Hospital beginnen werde. Währenddessen werde er seine Aufgaben in der Firma wie bisher wahrneh­ men; lediglich seine Reisefähigkeit werde eingeschränkt sein. Der Board sei vollumfänglich informiert und unterstütze ihn uneingeschränkt.303 Nach der Mitteilung verlor die Bankaktie 1 % ihres Werts trotz des sehr guten Markt­ umfelds.304 Dennoch wurden Dimon und JPMorgan Chase für ihre Offen­ heit gelobt.305 Dimon selbst sagte später, dass ihm der Gang an die Öffentlich­ keit schwer gefallen sei.306 Rechtlich bleibt es fraglich, ob die Bank verpflichtet war, eine Ad-hoc-Mitteilung zu machen. Eine Mitteilung nach Punkt 5.02 der Form 8-K war jedenfalls nicht erforderlich, da Dimon nicht beabsichtigte, eine Auszeit zu nehmen. Die Bank hat Punkt 8.01 gewählt, der normalerweise von Unternehmen dazu genutzt wird, die für die Investoren potentiell wesentliche Information zu veröffentlichen. Dies zeigt, dass JPMorgan Chase – genauso wie die meisten Stimmen in der Literatur – die Information über Dimons Er­ krankung als wesentlich eingestuft hat.307 3. Ergebnis Was die lex lata betrifft, liegen Deutschland und die USA nicht so weit aus­ einander, wenn es um die Ad-hoc-Publizität bei schweren Erkrankungen von Führungskräften geht. In beiden Ländern sind die Einzelheiten über den Ge­ sundheitszustand der Führungskraft, etwa die Diagnose, der Krankheitsver­ lauf, gegenwärtige Beschwerden oder geplante Therapie, nicht Gegenstand der Ad-hoc-Publizität. Publizitätspflichtig sind primär die Informationen über die 303 

„Dear Colleagues and Shareholders – I wanted to let you know that I have just been diagnosed with throat cancer. The good news is that the prognosis from my doctors is excel­ lent, the cancer was caught quickly, and my condition is curable. Following thorough tests that included a CAT scan, PET scan and a biopsy, the cancer is confined to the original site and the adjacent lymph nodes on the right side of my neck. Importantly, there is no evidence of cancer elsewhere in my body. My evaluation and treatment plan are still being finalized, but at this time it appears I will begin radiation and chemotherapy treatment shortly at, which should take approximately eight weeks. While the treatment will curtail my travel during this period, I have been advised that I will be able to continue to be actively involved in our business, and we will continue to run the company as normal. Our Board has been fully briefed and is totally supportive. […]“. 304  Creswell/​Sivler-Greenberg, Dimon’s Cancer and the Fine Line in Revealing Illness of a C. E. O., The New York Times Online, 2.7.2014. 305  Creswell/​Sivler-Greenberg, Dimon’s Cancer and the Fine Line in Revealing Illness of a C. E. O., The New York Times Online, 2.7.2014; Cahill, JPMorgan did right by inves­ tors with disclosures on CEO’s health, Crain’s Chicago Business Online, 10.12.2014. 306  Theiler, JPMorgan CEO Dimon says he struggled with disclosing his cancer, Reuters Online, 12.1.2015. 307  Kritisch insoweit Hester, Was JPMorgan required to disclose its CEO’s illness?.

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Kapitel 3: Offenlegungspflichten bei Krankheit

personellen Folgen der Erkrankung, also darüber, dass die betroffene Person aus dem Unternehmen ausscheidet oder eine Auszeit nimmt, optional mit der Angabe einer (schweren) Erkrankung als Grund. Allerdings gilt dies in den USA kraft der Regelungen der SEC für alle directors und für die wichtigsten officers, während in Deutschland nach herrschender Meinung nur die Schlüssel­ personen betroffen sind. Blickt man dagegen auf die Unternehmenspraxis, sind die Unterschiede viel größer. US‑Unternehmen machen häufig freiwillige Angaben zu Erkrankun­ gen ihrer Führungskräfte, die mitunter sehr ins Detail gehen. Mitgeteilt wird nicht nur die Diagnose, sondern auch die genaue Prognose, die Krankheits­ geschichte, die diagnostischen und geplanten therapeutischen Maßnahmen sowie die organisatorische Vorkehrungen, die das Unternehmen im Hinblick auf die Erkrankung treffen will. In Deutschland sind Unternehmen deutlich zurückhaltender: Meist werden außer den Mitteilungen über das Ausscheiden oder die Auszeit keine Angaben gemacht bzw. für erforderlich gehalten. Die Offenheit Peter Bauers, die an das Verhalten amerikanischer CEOs erinnert, bleibt hierzulande eher eine Ausnahme. Diese Unterschiede dürften ihre Ursachen darin haben, dass in Deutsch­ land die Privatsphäre des Einzelnen rechtlich besser geschützt und im Wirt­ schaftsleben mehr geschätzt wird als in den USA. Zudem spielen deutschen Unternehmenslenker in der Öffentlichkeit weniger exponierte Rolle als ihre amerikanischen Kollegen, die im gewissen Sinne das Vermögen breiter Bevöl­ kerungsschichten verwalten. Das Interesse der Medien an den Wirtschafts­ führern in den USA ist daher größer, die „expectations of privacy“, die diese Spitzenkräfte an den Tag legen, geringer. Sie betrachten ihre Gesundheit meist nicht bloß als ihre private Sache, sondern auch als eine Unternehmensange­ legenheit, die auch Aktionäre interessiert. In Deutschland wird dagegen viel mehr Wert darauf gelegt, dass Erkrankungen privat bleiben und die Öffent­ lichkeit nur das erfährt, was sie unbedingt erfahren muss. Das Schrifttum in Deutschland steht der Offenlegung von Gesundheits­ informationen restriktiver gegenüber als das US-amerikanische Schrifttum, was wiederum mit dem stärkeren Schutz der Privatsphäre und persönlicher Daten auf europäischer und nationaler Ebene zusammenhängt. Hier zeigen sich die Schwächen des amerikanischen right to privacy und insbesondere der informational privacy, der eine verfassungsrechtliche „Rückendeckung“ fehlt, so dass sich die Literatur darauf nicht stützen kann, um gewichtige Argumente gegen das Eindringen des Kapitalmarktrechts in die Privatsphäre vorzubrin­ gen. Dennoch haben sich die Schrifttumspositionen inzwischen angenähert: Die US-amerikanischen Autoren bewerten die Offenlegung nicht mehr so po­ sitiv wie am Anfang und äußern immer häufiger datenschutzrechtliche Beden­ ken; die deutschen Autoren lassen die kapitalmarktrechtlichen Belange nicht mehr stets hinter das Persönlichkeitsrecht zurücktreten. An einer wichtigen



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Stelle gibt es eine Konvergenz: Sowohl in Deutschland als auch in den USA wird eine schwere Erkrankung der Führungskraft in der Literatur als kurs­ relevant und damit grundsätzlich als publizitätspflichtig angesehen.

III.  Kursrelevante Gesundheitsdaten Die bisherigen Ausführungen rücken die Frage in den Mittelpunkt, welche Informationen bei schwerer Erkrankung von Schlüsselpersonen kurserheb­ lich und deshalb ad-hoc-publizitätspflichtig sind. Sind es, wie die herrschende Meinung in Deutschland annimmt, nur bestimmte Auswirkungen der Erkran­ kung auf die Geschäftsführung, nämlich krankheitsbedingtes Ausscheiden oder krankheitsbedingte Auszeit, oder sind eventuell auch weitere Umstän­ de kursrelevant, etwa die Diagnose und die (individuelle) Prognose über den weiteren Krankheitsverlauf, wie die Literatur und Unternehmenspraxis in den USA es vermuten lassen? Vorher soll aber geklärt werden, ob persönliche Daten überhaupt dazu geeignet sind, Aktienkurse zu beeinflussen. 1.  Einzelpersonen und Unternehmenserfolg Kann der Erfolg eines Unternehmens von einer einzelnen Person abhängen? Nur wer darauf mit „Ja“ antwortet, kann überhaupt die Forderung nach Adhoc-Publizität für persönliche Daten erheben. Hierzulande herrscht Einigkeit darüber, dass Einzelpersonen einen entscheidenden Einfluss auf den Unter­ nehmenserfolg haben können, zumal „personelle Besetzung und strategische Ausrichtung des Unternehmens häufig Hand in Hand gehen“308 . In den USA ist das Thema seit Langem umstritten. Die sog. „leadership school“ geht davon aus, dass Führungskräfte, allen voran der CEO, die Unternehmensperformance maßgeblich beeinflussen.309 Dies geht zum Teil so weit, dass CEOs mit ihren Unternehmen identifiziert werden und die Gesundheit des CEO als Gesund­ heit des Unternehmens betrachtet wird.310 Die Kritiker werfen der „leader­ ship school“ vor, dass sie Führungskräfte nicht als das ansieht, was sie wirk­ lich seien, nämlich bloß temporäre Unternehmenslenker, sondern „as oracles, titans, and alchemists, without whom their companies (and their companies’ stock valuations) would perish.“311 Für eine solche Glorifizierung der TopManager sollen verschiedene Akteure verantwortlich sein, unter anderem die 308  Fleischer, NZG 2006, 561, 567; ders., NZG 2007, 401, 403. 309 Dazu Khurana, Searching for a corporate savior, S. 21 ff.

m. w. N., der selbst zu den Gegnern gehört; ferner Collingwood, Do CEOs Matter?, The Atlantic, June 2009. 310 Vgl. Perryman/​Butler/​Martin/​Ferris, Business Horizons 53 (2010), 21: „[…] the health of CEOs can be viewed as a reflection of the health of their organizations by the mar­ ket.“; S. 23: „[…] firms can be viewed as reflection of their top managers“. 311  Lin, 11 U. Pa. J. Bus. L. 383, 394 (2009); vgl. auch Schwartz, 57 B. C. L. Rev. 1963, 1714 (2016): „doppelgängers of their firms“.

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Medien312 , die Management- und Vergütungsberater313, die Boards, die jeden neuen CEO gerne als Retter oder charismatischen Anführer feierten, und nicht zuletzt die CEOs selbst.314 Dabei hänge der Unternehmenserfolg in einer gro­ ßen Organisation nicht so sehr von den Spitzenkräften, sondern vielmehr von der Qualität des mittleren Managements ab. Sei diese schlecht, so vermöge eine einzelne Person an der Spitze nichts auszurichten: „No single individual can save an organisation.“315 Diese alte Debatte über die Bedeutsamkeit des CEO für das Unternehmen flammt jedes Mal auf, sobald es um die Offenlegung von persönlichen Daten der Führungskräfte geht. Die Gegner der Offenle­ gung bestreiten, dass diese Daten kursrelevant sein können, weil sie meinen, die Leistungen einzelner Personen an der Unternehmensspitze könnten den Unternehmenserfolg nicht beeinflussen, jedenfalls nicht in börsennotierten Unternehmen mit regelmäßig vielen Beschäftigten.316 Richtig ist an dieser Auffassung, dass die Bedeutung des Geschäftsleiters für das Unternehmen nicht überbewertet werden soll. In manchen Situationen kann ein schlecht gehendes Geschäft auch von exzellenten Führungskräften nicht gerettet werden. Hier bewahrheitet sich der Spruch, der dem Starinvestor Warren Buffet zugeschrieben wird: „When you bring good management into a bad business, it’s the reputation of the business that remains intact.“317 Es wäre dann falsch, die Menschen an der Unternehmensspitze für die wirtschaftliche Schieflage verantwortlich zu machen, die sie nicht verursacht haben. Auch um­ gekehrt wäre es nicht richtig, den Erfolg, der auf die Leistungen vieler Men­ schen oder gar auf unternehmensexterne Faktoren zurückgeht, einer einzigen Person – dem Vorstandsvorsitzenden oder dem CEO – zuzuschreiben. Sogar Steve Jobs, der für Apple als schier unersetzlich angesehen wurde318 , war dies im Grunde genommen nicht. Das zeigte sich bereits zu seinen Lebzeiten: Als Jobs 2009 wegen einer Lebertransplantation mehrere Monate abwesend war, erholte sich der Aktienkurs von Apple; Tim Cook erwies sich als fähiger Unter­ 312  Abril/​Olazábal, 46 Hous. L. Rev. 1545, 1602 f. (2010); Perryman/​Butler/​Martin/​ Ferris, Business Horizons 53 (2010), 21, 23. 313  Collingwood, Do CEOs Matter?, The Atlantic, June 2009. 314  Khurana, Searching for a corporate savior, S. 74 ff.; Abril/​Olazábal, 46 Hous. L. Rev. 1545, 1602 (2010); kritisch dazu aus deutscher Sicht Prange, Manager, Mensch, Marke, Han­ delsblatt Online, 15.10.2010. 315  Khurana, Searching for a corporate savior, S. 209. 316  Abril/​Olazábal, 46 Hous. L. Rev. 1545, 1602 ff. (2010); vgl. auch Heminway, 42 Wake Forest L. Rev. 749, 764 f. (2007); Stokes, 17 Tex. Wesleyan L. Rev. 303, 323 (2011). 317  Zitiert nach Khurana, Searching for a corporate savior, S. 21. 318  Nocera, Apple’s Culture of Secrecy, The New York Times, 26.7.2008, C1: „the single most indispensable chief executive on the planet“. Zweifelnd bereits zu Jobs’ Lebzeiten Stokes, 17 Tex. Wesleyan L. Rev. 303, 308 (2011): „[…] Jobs is known as a micro-manager, but product design, daily operations, and marketing are directed by other, well-known execu­ tives. Even if Jobs abruptly departed Apple for health-related reasons, the company’s in­ trinsic value would not deteriorate in the short-term, or maybe even in the long-term […]“.

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nehmensleiter, dessen Strategie auch von der Wirtschaftspresse gut angenom­ men wurde. Jobs soll verärgert und deprimiert darüber gewesen sein und nicht gewusst haben, ob er stolz oder enttäuscht sein soll.319 Offenbar hat er selbst – ganz im Sinne der „leadership school“ – nicht daran geglaubt, dass Apple ohne ihn überleben kann. Auf der anderen Seite erscheint es übertrieben, den Leistungen von Spitzen­ kräften jede Bedeutung für den Unternehmenserfolg abzusprechen. Es mag keinen klaren Zusammenhang zwischen guten Führungskräften und dem Er­ folg des Unternehmens geben, dafür gibt es einen solchen zwischen schlechtem Management und Misserfolg. Die Erkenntnis ist eigentlich trivial: Egal wie gut das Unternehmen ursprünglich aufgestellt war, wird es mit einem schlechten Manager an der Spitze irgendwann in eine Schieflage geraten, sei es durch feh­ lerhafte Personalentscheidungen, die zum Verlust des wertvollen Know-how führen, sei es durch Verkauf gewinnbringender Unternehmenssparten und In­ vestitionen in verlustreiche Projekte oder falsche strategische Planung, die das Unternehmen zum Marktaußenseiter macht. Das Wirtschaftsleben bietet hier­ für genug Beispiele.320 Bei Unternehmen spielt wie bei allen Institutionen der menschliche Faktor eine große Rolle; es gibt keine Institutionen, „[…] deren Funktionieren nicht in großem Maße von Personen abhängen würde: Institu­ tionen können die Unsicherheiten des personalen Faktors bestenfalls herabset­ zen, indem sie jenen Menschen helfen, die auf die Ziele der Institutionen hin­ arbeiten und von deren persönlicher Initiative und persönlichem Können der Erfolg in hohem Maße abhängt.“321 Dies gilt natürlich auch für die Menschen an der Spitze. Abgesehen davon ist die Ad-hoc-Publizität eigentlich der falsche Ort, um die Leadership-Debatte neu aufzurollen. Denn im Rahmen dieser Debatte geht es darum, die objektive Bedeutung des CEO für die Firmenperformance nachzuweisen bzw. zu widerlegen. Bei der Ad-hoc-Publizität geht es nicht pri­ mär darum, ob Spitzenkräfte objektiv für das Unternehmen wichtig sind, son­ dern vielmehr darum, ob der verständige Anleger i. S. d. Art. 7 Abs. 4 MAR bestimmte Informationen über Spitzenkräfte bei seiner Anlageentscheidung berücksichtigen würde. Vorbild für diese Regelung war das US-amerikanische Kapitalmarktrecht, das auf den „reasonable shareholder“ bzw. „reasonable in­ vestor“ abstellt.322 Allerdings ist die Frage, was ein „verständiger Anleger“ be­ rücksichtigen würde, keineswegs leicht. Der Begriff des verständigen Anle­ 319 

Isaacson, Steve Jobs, S. 572. auch Collingwood, Do CEOs Matter?, The Atlantic, June 2009 mit Beatrice als Beispiel für die Gesellschaft, bei der „it took two CEOs nine years to wreck what 85 years of patient accumulation had built.“ 321  Popper, Das Elend des Historizismus, S. 58. 322 Zum US-amerikanischen Ursprung der Regelung Klöhn, ZHR 177 (2013), 349, 369 ff.; ders., in: KölnKomm WpHG, § 13 Rn. 242; ders., in: Klöhn, MAR , Art. 7 Rn. 265. 320  So

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Kapitel 3: Offenlegungspflichten bei Krankheit

gers war schon unter Geltung des WpHG heftig umstritten.323 Die MAR hat die Rechtslage nicht verbessert, weil sie auf jede Präzisierung der Figur des „verständigen Anlegers“ verzichtet hat.324 Die herrschende Meinung definiert den verständigen Anleger als den börsenkundigen, mit Kenntnis aller verfüg­ baren Informationen ausgestatteten und selbst irrationale Reaktionen anderer Marktteilnehmer zu berücksichtigenden Anleger.325 Nach einer anderen Auf­ fassung, die insbesondere von Klöhn vertreten wird, ist der verständige An­ leger die Personifikation oder das Alter Ego eines effizienten Marktes: Er be­ rücksichtigt bei seiner Anlageentscheidung ausschließlich Informationen, die für den Fundamentalwert der Finanzinstrumente relevant sind.326 Was sind aber „fundamentalrelevante Informationen“, wenn es um das Unternehmens­ personal geht? Nach Klöhn gehören dazu selbstverständlich personelle Än­ derungen auf der Führungsebene327 sowie schwere Krankheiten von Schlüs­ selpersonen.328 Einige US‑Autoren meinen dagegen, ein verständiger Anleger konzentriere sich nicht auf die Führungsebene, sondern auf die „bench depth“, also auf die Qualität des Managements eine oder zwei Ebenen unter der Un­ ternehmensspitze.329 Im Ergebnis bleibt man also bei der Abstellung auf die „Fundamentalwertrelevanz“ im alten Streit zwischen der „leadership school“ und deren Antagonisten gefangen. Mehr verspricht insoweit die „empirische Sichtweise“, wonach der verstän­ dige Anleger solche Informationen für erheblich halten wird, von denen sich empirisch belegen lässt, dass sie typischerweise kursrelevant sind.330 Empirisch gesehen reagieren Anleger häufig auf personelle Veränderungen an der Unter­ nehmensspitze, was sowohl der BaFin als auch der ESMA Anlass dazu gibt, überraschende Veränderungen in Schlüsselpositionen des Unternehmens bzw. das Ausscheiden des CEO als kurserhebliche Umstände anzusehen. Diese An­ sicht wird durch Studien bestätigt, in denen eine Beeinträchtigung des Aktien­ preises durch den Tod bzw. Wechsel des CEO festgestellt wird.331 Es gibt sogar 323  Vgl. zum Streitstand Assmann, in: Assmann/​S chneider, WpHG, § 13 Rn. 57 f.; Klöhn, in: KölnKomm WpHG, § 13 Rn. 246 ff., beide m. w. N. 324  Pfüller, in: Fuchs, WpHG, § 15 Rn. 46; Langenbucher, AG 2016, 417, 422. 325 Vgl. BGH, Urt. v. 13.12.2011 – XI ZR 51/10, BGHZ 192, 90 Rn. 41 – IKB; Assmann, in: Assmann/​Schneider/​Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014, Art. 7 Rn. 84 m. w. N.; Bachmann, ZHR 172 (2008), 597, 603; Oechsler, in: Bayer/​Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. II, S. 150, 164 ff.; Schmolke, ZBB 2012, 165, 172 f. 326  Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 7 Rn. 271; ders., ZHR 177 (2013), 349; ders., WM 2014, 537, 538; Hopt/​Kumpan, in: Schimansky/​Bunte/​Lwowski, BankR‑HdB, § 107 Rn. 55; Krause, in: Meyer/​Veil/​Rönnau, Hdb. Marktmissbrauchsrecht, § 6 Rn. 105. 327  Klöhn, WM 2014, 537, 538; ders., in: Klöhn, MAR , Art. 7 Rn. 408. 328  Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 7 Rn. 415 ff.; ders., in: KölnKomm WpHG, §  15 Rn. 150 ff. 329 So Stokes, 17 Tex. Wesleyan L. Rev. 303, 316 (2011). 330 Dazu Langenbucher, AG 2016, 417, 420. 331  Combs/​Ketchen/​Perryman/​Donahue, Journal of Management Studies 44 (2007),



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eine Studie, die einen engen Zusammenhang zwischen dem Tod des Geschäfts­ leiters oder seiner nächsten Familienangehörigen und dem Sinken der Unter­ nehmensperformance nachzuweisen versucht.332 In der Praxis gibt es ebenfalls Beispiele für die Abhängigkeit des Aktienkurses von personellen Veränderun­ gen im Unternehmen. So ist der Kurs der Volkswagen-Aktie nach dem Eintritt von Wolfgang Bernhard in den Konzernvorstand im November 2004 um 8 % gestiegen, weil die Anleger unterstellten, Bernhard werde die erforderlichen Sanierungs- und Effizienzsteigerungsmaßnahmen durchführen.333 Die Erklä­ rung von Jürgen Schrempp im Juli 2005 über sein Ausscheiden als Vorstands­ vorsitzender von DaimlerChrysler ließ die Aktie 10 % dazu gewinnen; ein schwerer Unfall des – damals noch erfolgreichen – Vorstandschefs der Pflei­ derer AG Hans Overdiek im Februar 2007 führte dagegen zu einem Kursein­ bruch um 9 %.334 Als Gerold Linzbach nach einem längeren krankheitsbeding­ ten Ausfall die Führung von Heidelberger Druckmaschinen wieder übernahm, legte die Aktie rund 6 % zu und gehörte zu den größten Kursgewinnern im SDax.335 Und als Antonio Horta-Osorio, der 2011 als Krisenmanager an die Spitze der britischen Bank Lloyds berufen wurde, nach acht Monaten eine krankheitsbedingte Auszeit wegen eines Burnout-Syndroms nahm, brach der Kurs um knapp 4,5 % ein, womit die Aktien des Geldhauses 930 Mio. Pfund an Wert verloren.336 Zudem drohte die Ratingagentur Moody’s, das Kredit­ rating von Lloyds herabzusetzen, falls die Restrukturierungspläne wegen der Abwesenheit des CEO nicht rechtzeitig umgesetzt werden.337 Am dramatischsten war aber die Kursentwicklung bei Apple während der Krankheit von Steve Jobs. Hier kamen mehrere Faktoren zusammen: ein beson­ ders charismatischer CEO, eine lang andauernde lebensbedrohliche Krankheit, Apples spärliche und zum Teil sogar irreführende Informationspolitik, welche 1299 ff.; Borokhovich/​Brunarski/​Donahue/​Harman, Financial Review 41 (2006), 307 ff.; Friedman/​Singh, Academy of Management Journal 32 (1989), 718 ff. 332  Bennedsen/​Perez-Gonzalez/ ​Wolfenzon, „Do CEOs matter?“; dazu Schwartz, 40 Fla. St. U. L. Rev. 487, 495 (2013). 333  Möllers, NZG 2005, 459, 461. Solche Erwartungen enthalten selbstverständlich keine zuverlässige Aussage über den künftigen Erfolg der neuen Führungskraft. Unter Umstän­ den erzielen die Unternehmensleiter, die bei Bekanntwerden ihres Amtseintritts für fallen­ de Kurse sorgen, bessere Ergebnisse als diejenigen, die vom Markt anfangs umjubelt wur­ den, dazu Citrin, Überhöhte Erwartungen, Harvard Business Manager Online, April 2012; Abril/​Olazábal, 46 Hous. L. Rev. 1545, 1602 (2010) m. w. N. 334  Schäfer, in: Schäfer/​Hamann, KMG, § 13 WpHG Rn. 52. 335 Heidelberger Druckmaschinen-Aktie plus sechs Prozent  – Chef nach Krankheit wieder im Einsatz, Börse Online, 12.1.2016, , zuletzt abgerufen am 11.4.2019. 336  Seamark, Lloyds boss goes sick with ,stress‘: Shock departure eight months into job, Mail Online, 3.11.2011. 337  Barrow, Lloyds faces debt rating downgrade as chief executive signs off on long-term sick leave, Mail Online, 9.11.2011.

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Kapitel 3: Offenlegungspflichten bei Krankheit

die Entstehung von Gerüchten in hohem Maße begünstigt hat. Nachdem Jobs im Juni 2008 in der Öffentlichkeit deutlich abgemagert erschien, wurde über eine mögliche Erkrankung als Ursache spekuliert und der Kurs begann kon­ tinuierlich zu fallen. Allein im Zeitraum vom Anfang Juni bis Ende Juli fiel die Apple-Aktie von 188 auf 156 USD338 , verlor also innerhalb von zwei Monaten mehr als 17 %. Die Talfahrt setzte sich fort, bis der Aktienwert am 20. Januar 2009 seinen historischen Tiefpunkt von 78,20 USD erreichte. Im Vergleich zum Juni 2008 brach also der Kurs um 58,4 % ein! An diesem Kurseinbruch hatte die Erkrankung von Jobs einen großen, wenn nicht sogar entscheidenden An­ teil. Als wichtigste Wegmarken wären dabei zu nennen: Ein falscher Internet­ bericht Anfang Oktober 2008, dass Jobs mit einem Herzinfarkt ins Kranken­ haus eingeliefert worden sei (Kursverlust von 5,4 %)339; Apples Ankündigung am 16. Dezember 2008, Jobs werde an der jährlichen Macworld Expo Kon­ ferenz im Januar 2009 nicht teilnehmen (Kurseinbruch um 6 %)340 ; Jobs’ Erklä­ rung am 14. Januar 2009, seine Gesundheitsprobleme seien ernster als gedacht und er werde eine krankheitsbedingte Auszeit bis Ende Juni nehmen (Kursver­ lust von ca. 7 %)341, und letztendlich der Rücktritt Jobs’ als CEO am 24. August 2011, die von einem Kursfall um 5 % begleitet wurde.342 Die Auswirkungen krankheitsbedingter personeller Veränderungen auf den Aktienkurs sind allerdings nicht immer so dramatisch. Dies wird durch die nachfolgende Tabelle illustriert, in der exemplarisch einige Fälle aufgelis­ tet sind, in denen die Information über eine schwere Krankheit des Unterneh­ mensleiters auf den Markt gelangte. In 13 von 18 Fällen wirkte sie sich nicht oder nur gering auf den Kurs aus; nur in 5 Fällen kam es zu Kursbeeinträchti­ gungen von mehr als drei Prozent (einer davon ist Apple). Denkbare Ursachen für fehlende oder geringe Kursreaktion sind gute Krankheitsprognose, stabile wirtschaftliche Lage der jeweiligen Gesellschaft, geschickte Informationspoli­ tik sowie ein Nachfolgeplan, der den Investoren kommuniziert wird. Außer­ dem gibt es Fälle, in denen der Betroffene trotz seiner Leitungsposition im Un­ ternehmen keine Schlüsselperson ist (sog. „titular figurehead“), weil er wegen äußerer Zwänge nur wenig Entscheidungsspielraum hat, z. B. wenn das Unter­ nehmen auf einem staatlich regulierten Markt agiert oder das Geschäft stark von Rohstoffpreisen abhängt.343 In anderen Fällen ist die Führungskraft zwar eine Schlüsselfigur, wird aber von der Öffentlichkeit nicht als solche wahr­ genommen, weil sie sich nicht entsprechend präsentiert. Denn in der Regel 338  339 

Isaacson, Steve Jobs, S. 562. S. E. C. Investigates Web Report on Apple, The New York Times, 4.10.2008. 340  Stone, Apple’s Chief to Skip Macworld, Fueling Speculation, The New York Times, 17.12.2008, B2. 341  Collingwood, Do CEOs Matter?, The Atlantic, June 2009. 342  Streitfeld, Jobs Steps Down at Apple. Saying He Can’t Meet Duties, The New York Times, 25.8.2011, A1. 343  Collingwood, Do CEOs Matter?, The Atlantic, June 2009.



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muss der Betroffene selbst zu seinem Kultstatus beitragen, damit dieser ent­ steht und stabil bleibt. Tabelle 3: Kursbeeinflussung durch die Information über eine schwere Krankheit Gesellschaft Person

Krankheit

Information und Aktienkurs

1

AkzoNobel Tony Büchner, Burnout (NL) Vorstandsvor­ sitzender

18.9.2012: Auszeit von mehreren Wo­ chen. Kurseinbruch um ca. 4 %.

2

Apple (USA) Steve Jobs,

Sommer 2008: Spekulationen über den Gesundheitszustand. Kursfall um 4 USD pro Tag. Oktober 2008: an­ gebliche Hospitalisierung. Kursfall um 5,4 %. 16. 12. 08: Nichtteilnahme an Macworld Expo. 6 % Kursverlust. 14.1.2009: Auszeit bis Ende Juni. His­ torischer Kursfall um 7 %. Die Rück­ kehr im September 2009 wirkte sich positiv aus, die Aktie stieg konstant.

3

Berkshire Hathaway (USA)

Warren Buffet, Prostatakrebs

17.4.2012: Diagnose. Leichter Kursfall (1,2–1,7 %).

4

Coca-Cola (USA)

Roberto Goi­ zueta, CEO

Lungenkrebs

8.9.1997: Diagnose; 16.9.1997: Thera­ pie; 22.9.1997: Entlassung; 13.10.1997: erneute Hospitalisierung. Leichter Kursfall nach den Mitteilungen vom 8.9. und 13.10.1997.

5

Google (USA)

Larry Page,

StimmbandLähmung

21.6.2012: Stimmverlust. Am 22.6. (Freitag) legte die Aktie in einem guten Marktumfeld noch ca. 1 % zu, am 25.6. (Montag) verlor sie jedoch knapp 2 %. Sie erholte sich allerdings schnell und stieg am 26.6.wieder.

6

Imation (USA)

Bruce Hender­ Krebs (Hirntu­ 10.8.2006: Diagnose. 9.11.2007: Aus­ son, CEO mor) zeit. 2.4.2007: Rücktritt. Keine beson­ dere Auswirkung.

7

Infineon (DE)

Peter Bauer, Vorstandsvor­ sitzender

8

9

CEO

Bauspeicheldrüsenkrebs

CEO

CEO

Osteoporose

13.5.2012: Diagnose und geplanter Rücktritt. Am 14.5 (Montag) Kurs­ verlust von 3,3 % gegenüber Freitag.

Kraft Foods Roger Dero­ medi, CEO (USA)

Schwere virale Erkrankung

30.3.2004: Hospitalisierung. 14.4.2004: Angaben zur Erkrankung. Leichter Kursfall.

Lazard LLC Bruce Wasser­ (USA) stein, CEO

Herzrhythmus­ 12.10.2009: Hospitalisierung. Kursfall störung um 1 %. 14.10.2009: Tod. Kurs fällt erneut um 1 %.

10 Lloyds (UK) Antonio Hor­ ta-Osorio, CEO

Burnout

2.11.2011: Diagnose und Auszeit. Kursfall um 4,4 %.

140

Kapitel 3: Offenlegungspflichten bei Krankheit Krankheit

Information und Aktienkurs

11 McDonalds Charlie Bell, (USA) CEO

Gesellschaft Person

Darmkrebs

6.5.2004: Operation. Kursfall um 0,6 %. 14. 5. 04: Metastasen, Chemo­ therapie. Weiterer Kursfall im nega­ tiven Marktumfeld, bis am 20.5.2004 ein vorläufiges Tief erreicht wurde, danach Kursanstieg.

12 Orica (AU)

Malcolm Broomhead,

Lymphom

18.8.2005: Diagnose und Rücktritt zum 31.8.2005. Kursfall um 1,48 % am 18.8. und um weitere 1,15 % am 19. 8. 05.

13 RWE (DE)

Jürgen Groß­ mann, Vorstandsvor­ sitzender

Herzkammerflimmern

6.11.2010: Krankschreibung. 11.11.2010: Diagnose. Keine beson­ dere Auswirkung (Kurs fallend bis Mitte 2011).

14 Sara Lee (USA)

Brenda Barnes, Schlaganfall

15 Sourcefire (USA)

John Burrus,

16 Southwest Airlines (USA)

Herbert Kelle­ Prostatakrebs her, CEO

CEO

CEO

CEO

Darmkrebs

14.5.2010: Auszeit. 14.7.2010: Diagno­ se. Keine besondere Auswirkung; der Kurs ist bereits vorher auf Grund der Marktentwicklung gefallen. 3.7.2012: Auszeit. Kursfall um 9 %. Die Aktie hat sich aber binnen Tagen fast erholt. 7.12.1999: Diagnose. Keine besondere Auswirkung.

17 Union Pacific James Young, CEO (USA)

Bauchspeichel­ drüsenkrebs

2.3.2012: Auszeit. Keine spürbare Auswirkung am Tag der Mitteilung, leichter Kursfall in den nächsten Tagen.

18 Volvo (SE)

Schlaganfall

23.9.2012: Auszeit. Kursfall um 1,48 %.

Stefan Jacoby, CEO

Ein Indiz dafür, dass Schlüsselpersonen, zumindest in unseren Augen, existie­ ren, liefert die Versicherungsindustrie, die mittlerweile auch in Deutschland eine sog. „Keypersonen-Absicherung“ anbietet.344 Diese beinhaltet Schutz bei schweren Erkrankungen von Schlüsselpersonen, indem sie die Einbußen auffängt, die bei krankheitsbedingtem Ausfall solcher Personen entstehen können, sowie den Aufwand ausgleicht, der mit der Suche nach dem geeig­ neten Nachfolger verbunden ist. Vor dem Abschluss der Versicherung muss die Schlüsselperson ihre Gesundheitsrisiken offenlegen. In den USA, wo große Unternehmen ihre Führungsstellen sehr häufig mit externen Kandidaten be­ 344 

So auch Barnard, 21 J. Corp. L. 307, 324 (1996). Die Keypersonen-Absicherung stellt eine Variante der aus dem angloamerikanischen Raum kommenden „Dread-Disease-Ver­ sicherung“ dar, welche die Risiken bestimmter schwerer Krankheiten wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Krebserkrankungen und Multiple Sklerose abdeckt.



§ 3.  Exkurs: Ad-hoc-Publizitätspflicht in börsennotierten Unternehmen 

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setzen, empfehlen die Berater allerdings unabhängig von dem Abschluss einer Keypersonen-Absicherung eine Einstellungsuntersuchung oder zumindest einen Stress-Test, sonst sei die Gefahr groß, dass die von einem anderen Unter­ nehmen mit erheblichem finanziellem Aufwand abgeworbene Führungskraft kurze Zeit später wegen Krankheit ausfalle.345 Ähnliche Erfahrung hat nun die Deutsche Bank mit Quintin Price gemacht, den sie zuvor dem US‑Vermögens­ verwalter Blackrock abgeworben hatte.346 Hierzulande werden Einstellungs­ untersuchungen und insbesondere psychologische Leistungstests nur insoweit für zulässig gehalten, als sie erforderlich sind, um die Eignung des Kandidaten für die konkrete Stelle zu ermitteln, und in angemessenem Verhältnis zu des­ sen Belangen stehen.347 Die Auffassung, welche die Bedeutung des Einzelnen für den Unterneh­ menserfolg negiert, wird also von der Praxis eher nicht bestätigt. Deshalb ist davon auszugehen, dass es auch in größeren Unternehmen sog. Schlüsselper­ sonen gibt, deren Leistungen die Gesamtperformance entscheidend beeinflus­ sen. Wer das ist, lässt sich indes nur im Einzelfall beurteilen. Allgemein kann man lediglich sagen, dass nicht jedes Organmitglied und sogar nicht jeder Vor­ standsvorsitzende zu diesem Kreis gehört. Wenn es aber Schlüsselpersonen gibt, so könnten deren persönliche Verhältnisse den Kurs der Finanzinstru­ mente erheblich beeinflussen. Dies gilt jedenfalls für schwere Erkrankungen, da diese die Leistungsfähigkeit und das Verhalten des Betroffenen regelmäßig nicht unerheblich beeinträchtigen. 2.  Kurserheblichkeit der Gesundheitsdaten Um zu beurteilen, welchen Informationen bei Erkrankungen von Schlüssel­ personen eine Kursrelevanz zukommt, ist es sinnvoll, wie oben zwischen drei Szenarien zu unterscheiden: Ausscheiden aus dem Amt, Auszeit und Verblei­ ben im Amt ohne Auszeit. a)  Ausscheiden aus dem Amt Scheidet eine Schlüsselperson wegen einer schweren Krankheit aus dem Amt aus, so macht es aus der Sicht der Anleger einen Unterschied, ob das Ausschei­ den sofort vollzogen wird oder erst in der Zukunft erfolgen soll. Zum sofor­ tigen Ausscheiden kommt es etwa, wenn ein Vorstands- oder ein Aufsichts­ ratsmitglied sein Mandat mit sofortiger Wirkung niederlegt oder wenn ein Vorstandsmitglied den Aufsichtsrat um eine sofortige einvernehmliche Been­ 345  Zillmann, Jamie Dimon: When a CEO’s health must become public knowledge, For­ tune Online, 2.7.2014. 346  Bartz, Price doppelt angeschlagen – Deutsche-Bank-Vorstand geht, Manager Maga­ zin Online, 8.6.2016. 347  Schnorbus/​K lormann, WM 2018, 1069, 1070.

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Kapitel 3: Offenlegungspflichten bei Krankheit

digung seiner Amtsstellung bittet und der Aufsichtsrat diesem Wunsch nach­ kommt. In dieser Situation kann sich die Krankheit nicht mehr auf das Unter­ nehmen auswirken. Daher wird ein verständiger Anleger die Informationen über die Krankheit, etwa die Diagnose, kaum berücksichtigen. Für den Fun­ damentalwert ist es nicht relevant, ob die Organperson wegen Krebs, Parkin­ son oder Depression ihren Posten verlassen musste. Wichtig ist allein die Infor­ mation über das Ausscheiden als solches sowie darüber, wer die Aufgaben des scheidenden Organmitglieds vorübergehend oder dauerhaft übernehmen soll, falls der endgültige Nachfolger bereits feststeht. Anders zu beurteilen ist die Situation, in der das Ausscheiden erst in Zu­ kunft erfolgen soll, z. B. wenn der Erkrankte sein Amt zu einem künftigen Zeitpunkt niederlegt (wie Peter Bauer bei Infineon). Das gleiche gilt, wenn das Organmitglied erklärt, es werde seinen Vertrag nicht verlängern, oder den Aufsichtsrat um die Beendigung seiner Organstellung und die Aufhebung sei­ nes Anstellungsvertrags zu einem späteren Zeitpunkt bittet (wie Quintin Price bei der Deutschen Bank). Zunächst ist zu bedenken, dass eine solche Amts­ beendigung einen gestreckten Vorgang i. S. d. Art. 7 Abs. 2 S. 2 MAR darstellt, mit der Amtsniederlegung als erstem und dem tatsächlichen Ausscheiden als zweitem und letztem Schritt. Bittet das Vorstandsmitglied den Aufsichtsrat, seine Bestellung aufzuheben, so besteht der Vorgang sogar aus drei Schrit­ ten: (1) Ersuchen des Vorstandsmitglieds; (2) Entscheidung des Aufsichts­ rats; (3) tatsächliches Ausscheiden. Nach Art. 7 Abs. 3 MAR, der insoweit die Geltl-Entscheidung des EuGH kodifiziert, kann bereits ein Zwischenschritt in einem gestreckten Vorgang für sich genommen, d. h. ohne Rücksicht auf die Wahrscheinlichkeit des späteren Ausscheidens, eine Insiderinformation dar­ stellen, wenn er den Kurs beeinflussen kann.348 Dies dürfte bei der Amtsnie­ derlegung aus gesundheitlichen Gründen der Fall sein, weil damit das künftige Ausscheiden so gut wie feststeht. Diese sichere Erkenntnis wird sich im Kurs der Insiderpapiere niederschlagen, so dass bereits die Erklärung der erkrank­ ten Schlüsselperson, sie lege ihr Amt nieder, eine Insiderinformation darstellt. Das Gleiche gilt für das Ersuchen um die Aufhebung der Bestellung, denn es ist sehr unwahrscheinlich, dass der Aufsichtsrat diesem Ersuchen im Falle einer schweren Erkrankung nicht entsprechen wird. Will der Emittent mit der Ad-hoc-Publizität warten, bis der Aufsichtsrat entschieden hat, so kommt die Möglichkeit in Betracht, die Veröffentlichung nach Art. 17 Abs. 5 MAR auf­ zuschieben. Bei einem solchen gestreckten Geschehen kann sich die Erkrankung bis zum Zeitpunkt des tatsächlichen Ausscheidens auf das Unternehmen auswir­ ken. Daher stellt sich die Frage, ob eine entsprechende Ad-hoc-Mitteilung nach 348  Ausführlich dazu Assmann, in: Assmann/​ Schneider/​Mülbert, Wertpapierhandels­ recht, VO Nr. 596/2014, Art. 7 Rn. 49 ff.; siehe auch Assmann, AG 2015, 597, 606.

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dem Wortlaut des Art. 7 MAR genauere Informationen über die jeweilige Er­ krankung enthalten müsste. In Betracht kommen vor allem die genaue Diag­ nose (Art der Erkrankung und das Krankheitsstadium) und die individuelle Prognose, falls eine solche vorliegt. Ob diese Informationen zu Insiderinfor­ mationen zählen, richtet sich nach den allgemeinen Kriterien des Art. 7 Abs. 1 Buchst. „a“ MAR, d. h. es kommt darauf an, ob es sich um präzise Informatio­ nen mit Kursbeeinflussungspotential handelt. Die Diagnose stellt eine „präzi­ se“ Information dar; das Gleiche gilt im Übrigen auch für die Prognose, bei der es sich nicht um einen künftigen Umstand i. S. d. Art. 7 Abs. 2 S. 1 MAR, son­ dern um einen bereits existierenden Umstand handelt.349 Ob diese Informatio­ nen ein Kursbeeinflussungspotential haben, hängt davon ab, ob der verständi­ ge Anleger sie bei seiner Anlageentscheidung berücksichtigen würde. Dafür spricht, dass die Kenntnis der genauen Diagnose dem Anleger regelmäßig die Möglichkeit gibt, zumindest grob abzuschätzen, ob die Krankheit in der Zeit bis zum geplanten Ausscheiden die Amtsführung beeinträchtigen kann. Das Gleiche gilt für die individuelle Prognose, die allerdings nur soweit relevant ist, als sie den Zeitraum bis zum Ausscheiden betrifft. Da der verständige Anleger die Diagnose und Prognose dazu nutzen kann, die internen Risiken des Emit­ tenten besser abzuschätzen, wird er diese Informationen bei seiner Anlageent­ scheidung nicht außer Betracht lassen. Damit stellen sie Insiderinformationen nach Art. 7 MAR dar. Es wird allerdings eingewandt, Investoren hätten möglicherweise Schwie­ rigkeiten, medizinische Informationen zu interpretieren und daraus Rück­ schlüsse auf die Leistungsfähigkeit der Führungskraft zu ziehen.350 Dieser Einwand überzeugt nicht, da für eine solche Interpretation medizinischer Daten kein fachmännisches Verständnis benötigt wird. Es geht nicht darum, anhand von Befunden eine Diagnose zu stellen (dafür müsste man in der Tat Mediziner sein), sondern lediglich darum, eine bereits gestellte Diagnose zu verstehen, wozu im Prinzip jeder Laie in der Lage ist, zumal weiterführende Informationen heute leicht zugänglich sind. Warum man also die Fähigkeit, die Diagnose zu interpretieren, ausgerechnet den Investoren abspricht, denen man ansonsten, z. B. im Hinblick auf Finanzinformationen, recht viel Wissen und Verständnis abverlangt, leuchtet nicht ein. Eine völlig andere Situation ist gegeben, wenn (noch) kein Einvernehmen über das künftige Ausscheiden besteht, wenn also noch nicht feststeht, ob und wann die erkrankte Person aus dem Amt ausscheiden wird. Das Ausschei­ den ist dann als künftiges Ereignis i. S. d. Art. 7 Abs. 2 S. 1 MAR anzusehen. Damit stellt sich die Frage, ob der Emittent die Öffentlichkeit über das mög­ 349 Vgl.

Pfüller, in: Fuchs, WpHG, § 15 Rn. 112. Abril/​Olazábal, 46 Hous. L. Rev. 1545, 1586 (2010); Glenn, 16 Cardoso L. Rev. 537, 561 (1994); vgl. auch Barnard, 21 J. Corp. L. 307, 325 (1996). 350 

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liche Ausscheiden informieren muss. Um publizitätspflichtig zu sein, muss aber die Information über ein künftiges Ereignis präzise sein; dies ist dann der Fall, wenn vernünftigerweise erwartet werden kann, dass das Ereignis in Zu­ kunft eintreten wird. Die Information über ein mögliches Ausscheiden ist also nur dann präzise genug, wenn das Ausscheiden „vernünftigerweise erwartet“ werden kann. Nach dem Geltl-Urteil des EuGH ist insoweit auf die Regeln der allgemeinen Erfahrung abzustellen und im jeweiligen Einzelfall eine um­ fassende Würdigung der bereits verfügbaren Anhaltspunkte vorzunehmen.351 Dabei kommt es darauf an, ob „tatsächlich“ erwartet werden kann, dass das Ereignis in Zukunft eintreten wird. Eine „hohe“ Wahrscheinlichkeit ist da­ gegen nicht erforderlich; auch das Ausmaß der Auswirkung des betreffenden Ereignisses auf den Kurs der betreffenden Finanzinstrumente ist nicht zu be­ rücksichtigen.352 Damit verzichtet das europäische Recht auf den sog. „Pro­ bability-Magnitude-Test“353, der in den USA angewandt wird und neben der Wahrscheinlichkeit des Ereignisses auch dessen mögliche Kursauswirkun­ gen berücksichtigt (vgl. Art. 7 Abs. 2 Satz 1 MAR und Erwägungsgrund 16 S. 3 MAR).354 Maßgeblich ist allein, ob das Ereignis mit überwiegender Wahr­ scheinlichkeit (mehr als 50 %) zu erwarten ist, wenn sein Eintritt also wahr­ scheinlicher ist als sein Ausbleiben.355 Überträgt man diese Grundsätze auf ein mögliches Ausscheiden wegen einer schweren Krankheit, so wäre dieses nur dann Gegenstand einer Insider­ information, wenn aufgrund einer umfassenden Würdigung der Einzelfall­ umstände nach den Regeln der allgemeinen Erfahrung eher mit dem Ausschei­ den der betroffenen Person als mit ihrem Verbleiben im Amt zu rechnen wäre. Um eine solche Einschätzung vorzunehmen, muss man aber wissen, wie der Betroffene auf seine Erkrankung und die angewendete Therapie reagiert. Er­ forderlich ist also eine exakte individuelle Prognose, die meist erst in einem weit fortgeschrittenen Krankheitsstadium vorliegen wird. Ansonsten versagen die Regeln der allgemeinen Lebenserfahrung. Dass die Kenntnis der konkreten Prognose eine conditio sine qua non für die korrekte Einschätzung der Lage ist, zeigt die Geschichte von Steve Ross, CEO von Time Warner, der seine Ge­ sellschaft noch kurz vor dem eigenen Tod über seinen wahren Gesundheits­ zustand getäuscht hat. Ross wollte verhindern, dass sein Rivale und Co-CEO Nicholas sein Nachfolger wird. Um den Board dazu zu bewegen, sich statt­ 351 

EuGH, C-19/11, Rn. 44 f.– Geltl. EuGH, C-19/11, Rn. 46, 56 – Geltl. Dazu etwa Fleischer, FS Uwe Schneider, S. 333, 338 ff., 347 m. w. N. in Fn. 98. 354  Assmann, in: Assmann/​ Schneider/​Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/​ 2014, Art. 7 Rn. 45; Klöhn, AG 2016, 423; ders., AG 2016, 423, 427. 355  Assmann, in: Assmann/​ Schneider/​Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/​ 2014, Art. 7 Rn. 47; Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 7 Rn. 97; Krause, in: Meyer/​Veil/​Rönnau, Hdb. Marktmissbrauchsrecht, § 6 Rn. 62; Hopt/​Kumpan, in: Schimansky/​Bunte/​Lwowski, BankR‑HdB, § 107 Rn. 45; Poelzig, NZG 2016, 528, 532. 352  353 



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dessen für seinen Favoriten Levin zu entscheiden, telefonierte der einflussrei­ che Ross mit den einzelnen Direktoren vom Krankenbett aus. Dabei spiegelte er ihnen vor, dass er bald wieder genesen werde, obwohl seine Prognose sehr schlecht war. Der (recht gefügige) Board von Time Warner ging auf Grund dieser falschen Information davon aus, dass Ross bald ins Amt zurückkehren werde und sich bis dahin einen kooperativen CEO wünsche. Im Ergebnis be­ schloss der Board, Nicholas durch Levin zu ersetzen.356 Wie soll also der Emittent, der in der Regel nicht einmal die abstrakte Prog­ nose kennt, beurteilen können, ob mit dem Ausscheiden der erkrankten Per­ son „vernünftigerweise“ zu rechnen ist? Auf der Suche nach einer Lösung für dieses Problem meint Fleischer, die Publizität komme vor allem dann in Be­ tracht, wenn sich die Anzeichen verdichteten, dass ein Ausscheiden innerhalb eines überschaubaren Zeitraums (etwa des Zeitraums der Viertel- oder Halb­ jahresberichterstattung) unausweichlich werde.357 Dies gelte insbesondere dann, wenn sich die Krankheit nach außen zeige und „aufkommende Gerüchte einen Nährboden für Insiderhandel bereiten.“358 M. E. kann dieses schwierige Rechtsproblem nur pragmatisch gelöst werden, indem der Emittent zuerst die internen Verhältnisse klärt. Er soll also ein Gespräch mit der kranken Schlüs­ selperson suchen, um herauszufinden, wie es um ihren Gesundheitszustand steht und ob sie willig und bereit ist auszuscheiden. In einem solchen Gespräch könnte auch das „Wann“ des Ausscheidens festgelegt werden. Wehrt sich der Betroffene aus irgendeinem Grund gegen das Gespräch, müsste über eine Ab­ berufung aus wichtigem Grund nachgedacht werden, vor allem wenn Krank­ heitsanzeichen sich häufen und auf dem Markt Gerüchte aufkommen. In jedem Fall schafft der Emittent durch die interne Regelung statt vager Wahrschein­ lichkeiten „harte“ Insidertatsachen, die ohne Bedenken veröffentlicht werden können. Praktisch gesehen ist es ohnehin kaum denkbar, dass ein Unterneh­ men über den Kopf des Betroffenen hinweg eine Ad-hoc-Mitteilung über sein baldiges Ausscheiden veröffentlicht. Von Beratern wird Unternehmen jeden­ falls empfohlen, sich erst dann an die Öffentlichkeit zu wenden, wenn alle Fra­ gen, die sich im Zusammenhang mit der Krankheit stellen, geklärt und alle nö­ tigen Vorkehrungen getroffen sind.359 356  Robins, Board dealings with a disabled CEO, Directors & Boards, 22.3.2006; Deutsch, When Death Hits a Corner Office, The New York Times, 21.10.1997, D1; Zonana/​ Citron, Co- CEO Nicholas Ousted in Clash at Time Warner, Los Angeles Times Online, 21.2.1992. Teilweise wird Levin als der wahre Organisator des Coups gegen Nicholas ge­ sehen, als eine typische Figur aus dem inneren Zirkel, die beim Ausscheiden von Ross am meisten zu verlieren hätte. Letztendlich bleibt es unklar, wer die treibende Kraft des Coups war, Levin oder Ross selbst. Jedenfalls hätte sich der Board sehr wahrscheinlich anders ent­ schieden, wenn er die wahre Prognose gekannt hätte. 357  Fleischer, FS Uwe Schneider, S. 333, 347 f.; ihm folgend Schnorbus/​K lormann, WM 2018, 1069, 1076. 358  Fleischer, FS Uwe Schneider, S. 333, 347. 359 Siehe Robins, Board dealings with a disabled CEO, Directors & Boards, 22.3.2006;

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b)  Krankheitsbedingte Auszeit Die Diagnose und Prognose können auch bei einer krankheitsbedingten Aus­ zeit Insiderinformationen darstellen. Dafür spricht, dass solche Informationen Rückschlüsse auf die Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betroffenen zulas­ sen. Wird der Anleger dagegen nur darüber informiert, dass die Schlüsselper­ son wegen einer Erkrankung eine Auszeit nimmt, kann er dieser Information nur entnehmen, dass der Betroffene dem Unternehmen während dieser Zeit nicht zur Verfügung steht (oder nicht im bisherigen Umfang, wenn z. B. er­ klärt wird, das erkrankte Organmitglied werde in die wichtigen Entscheidun­ gen weiterhin eingebunden). Auf dieser Basis kann der Anleger jedoch nicht beurteilen, wie leistungsfähig die Schlüsselperson nach ihrer Rückkehr sein wird. Häufig bleibt die Leistungsfähigkeit auch nach dem Abschluss der The­ rapie und manchmal sogar auf Dauer beeinträchtigt. Das Wissen über die Art der Erkrankung könnte hier eine Hilfestellung leisten. Des Weiteren kann der Anleger eine Mitteilung, in der lediglich über eine Auszeit die Rede ist, nicht auf ihre Plausibilität hin überprüfen. Insbesondere kann er kein eigenständiges Urteil darüber bilden, ob der angegebene Rück­ kehrzeitpunkt realistisch erscheint und ob mit einer Rückkehr überhaupt zu rechnen ist. Er muss vielmehr den Angaben des Emittenten blind vertrauen. In der Praxis sind diese Angaben häufig unzutreffend, sei es, weil die Führungs­ kraft ihre Gesundheitsprobleme gegenüber dem Emittenten herunterspielt, sei es, weil dieser selbst die Mitteilung so gestaltet, dass der Markt nicht beunru­ higt wird. Sehr oft folgt einer optimistischen Mitteilung die Erklärung, die Ge­ sundheitsprobleme des Betroffenen seien doch ernster als anfangs angenom­ men. Bei Gerold Linzbach hieß es etwa, er sei kurzfristig erkrankt, werde aber schnell zurückkehren. Etwa eineinhalb Monate später folgte die Erklärung, die Genesung dauere länger als erwartet und der Zeitpunkt der Rückkehr sei unabsehbar.360 Tatsächlich kehrte Linzbach erst nach einem guten halben Jahr zurück. Hätte Heidelberger Druckmaschinen dagegen die genaue Diagno­ se und die Prognose veröffentlicht, so wären die Anleger – vielleicht – in der Lage gewesen, den Zeitpunkt der Rückkehr besser abzuschätzen. Realistischer und informativer war dagegen die Mitteilung von Uniper, Klaus Schäfer werde wegen einer Krebserkrankung seine Aufgaben als Vorstandsvorsitzender meh­ rere Monate nicht wahrnehmen können.361 Präzise Aussagen dürften natürlich auch bei Kenntnis der Diagnose schwie­ rig, wenn überhaupt möglich sein, da die individuelle Reaktion des Betroffe­ Schnorbus/​Klormann, WM 2018, 1069, 1077 sowie die Ausführungen zur krankheits­ bedingten Auszeit sogleich unter „b“. 360  Kros, Linzbach fällt länger aus, Mannheimer Morgen Online, 15.7.2015. 361  Uniper SE, Ad-hoc-Mitteilung v. 1.8.2018, abrufbar unter < https://www.dgap.de/ dgap/ ​News/adhoc/uniper-vorstandsvorsitzender-krankheitsbedingt-abwesend/?​news​ID=​ 1087681>.



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nen auf seine Erkrankung und die Therapie nicht vorhersehbar ist. Generelle Schlussfolgerungen sind dagegen meist möglich. So ist es allgemein bekannt, dass ein Mensch, der gerade einen Herzinfarkt erlitten hat, eine gewisse Zeit brauchen wird, um ins Berufsleben zurückzukehren. Das gleiche gilt für einen Schlaganfall oder einen bösartigen Tumor, der eine operative und chemo­ therapeutische Behandlung erfordert. Würde der Emittent in solchen Fällen unter Angabe der Diagnose mitteilen, dass der Betroffene bald wieder ins Ta­ gesgeschäft zurückkehre, so könnten informierte Anleger den Überoptimis­ mus dieser Mitteilung unschwer erkennen. Die Kenntnis der Diagnose erlaubt also mehr als eine allgemeingültige Aussage, dass die Leistung des Betroffenen durch Krankheit wahrscheinlich zurückgehen wird.362 Sie gibt dem Anleger die Möglichkeit, das Ausmaß und die Dauer der Leistungsbeeinträchtigung ungefähr einzuschätzen. Denkbar ist außerdem, dass die Pflicht zur Angabe der Diagnose die Emittenten dazu anhalten könnte, realistischere Angaben zu den voraussichtlichen Fehlzeiten zu machen. Dann könnten die Anleger zu­ verlässiger beurteilen, ob die erkrankte Person bei bestimmten künftigen Er­ eignissen im Amt sein wird, z. B. eine bevorstehende wichtige Transaktion be­ gleiten kann oder nicht. Weitere Einzelheiten über die Erkrankung oder die Therapie muss der An­ leger dagegen nicht kennen. Ein schwer erkrankter CEO brachte es seinerzeit auf den Punkt: „I don’t think you have to describe every last detail of your ill­ ness, but you need to describe basically what it is, and how it’s going to be dealt with and how you plan to manage the company while being treated.“363 Sehr ähnlich lautet die Empfehlung des bekannten Silicon Valley Anwalts Larry Sonsini: Bevor man sich an die Öffentlichkeit wendet, muss geklärt sein, um welche Krankheit es sich genau handelt, wie die Prognose lautet und wie die Gesellschaft mit Fehlzeiten umgehen wird.364 Teilweise wird allerdings eingewandt, die Diagnose, vor allem im Früh­ stadium der Erkrankung, sei oft unzuverlässig, so dass ihre Bekanntgabe nur spekulatives Handeln verursachen könne. Was die Prognose betreffe, so läge meist keine individuelle, sondern eine Standardprognose vor, welche den kör­ perlichen und geistigen Zustand des Patienten, seine familiäre Unterstützung, die fachlichen Fähigkeiten des behandelnden Arztes, die Verfügbarkeit neuer experimenteller Behandlungsmethoden und die Bereitschaft der Krankenver­ sicherung, die entsprechenden (Mehr-)Kosten zu übernehmen, nicht berück­ 362  Das vorhersehbare Absinken der Leistung wird in der Sozialmedizin als Merkmal jeder Krankheit angesehen und teilweise zur Grundlage eines allgemeinen Krankheits­ begriffs gemacht, siehe Schaefer, in: Blohmke/​Ferber/​K isker/​Schaefer, Sozialmedizin in der Praxis, S. 15, 24. 363  Richard Brewer, zitiert nach Pimentel, Public disclosure: Health of CEOs brings up issues of personal privacy, SFGate, 3.8.2004. 364  Zitiert nach Copeland, A sick CEO’s full disclosure, Fortune Online, 7.10.2010.

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sichtige. Diagnose und Prognose seien daher keine verlässliche Grundlage für die Beurteilung der individuellen Auswirkung der Krankheit.365 Dieser Ein­ wand überzeugt nicht. Niemand erwartet vom Anleger, dass er die individuel­ le Auswirkung der Krankheit beurteilen kann: Dazu sind häufig nicht ein­ mal Ärzte in der Lage, weswegen sie sich mit individuellen Prognosen meist zurückhalten. Dem Anleger ist aber bereits dann geholfen, wenn er sich all­ gemeine Vorstellungen über die möglichen Krankheitsfolgen machen kann. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Diagnose falsch ist, ist im Hinblick auf die Genauigkeit moderner Diagnostik nicht sehr hoch. Das Risiko einer Fehldiag­ nose ist natürlich größer, wenn es sich um eine vorläufige, noch nicht veri­ fizierte Diagnose oder gar um einen bloßen Krankheitsverdacht handelt; in diesem Fall ist jedoch die Ad-hoc-Publizitätspflicht mangels präziser Informa­ tionen zu verneinen. Das Gleiche gilt, wenn aus sonstigen Gründen Zweifel an der Richtigkeit der Diagnose bestehen. In einer solchen Situation wären in der Tat alle Mutmaßungen über eine mögliche Auszeit oder gar ein Ausscheiden höchst spekulativ. Für den Betroffenen bedeutet das, dass er in jedem Fall die endgültigen Ergebnisse abwarten bzw. weitere ärztliche Meinungen einholen kann, bevor er irgendwelche Angaben über seine Erkrankung macht. Auch im Hinblick auf die Kursstabilität erscheint es vorzugswürdig, eine Pflicht zur Veröffentlichung der Diagnose und Prognose anzunehmen. Mittei­ lungen über Gesundheitsprobleme können zwar den Markt verunsichern.366 Noch mehr Unsicherheit kann aber dadurch entstehen, dass die Investoren nicht wissen, um welche Probleme es sich genau handelt. Vermutet wird re­ gelmäßig das Schlimmste, wie panikartige Aktienverkäufe bei Ängsten um die Gesundheit von Spitzenkräften zeigen. Neben dem Fall von Steve Jobs ist exemplarisch der Stimmverlust von Googles CEO Larry Page zu nennen. Da­ mals, im Juni 2012, teilte Page lediglich mit, dass er seine Stimme verloren habe und daher in der nächsten Zeit nicht an öffentlichen Veranstaltungen teilneh­ men werde. Diese karge Mitteilung weckte Erinnerungen an Jobs’ geheim ge­ haltene tödliche Krankheit. Die Aktie legte am nächsten Tag in einem guten Marktumfeld noch ca. 1 % zu, verlor aber an dem darauffolgenden Handels­ tag knapp 2 % und in den Medien breiteten sich Spekulationen über die Art der möglichen Erkrankung aus.367 Page fehlte sowohl beim jährlichen GoogleEntwicklertreffen als auch bei der Bekanntgabe der Quartalszahlen Anfang Juli. Am 12. Juli versuchte Google, die Investoren mit der Nachricht zu beru­ 365  Abril/​Olazábal, 46 Hous. L. Rev. 1545, 1585 f. (2010); Barnard, 21 J. Corp. L. 307, 326 (1996); Horwich, 5 N. Y. U. J.L. & Bus. 827, 859 f. (2009). 366  Perryman/​Butler/​Martin/​Ferris, Business Horizons 53 (2010), 21, 25. 367 Larry Pages Erkrankung alarmiert Investoren, Focus Money Online, 26.6.2012, , zuletzt abgerufen am 11.4.2019.



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higen, Page sei wieder in seinem Büro und arbeite.368 Die wirkliche Beruhi­ gung trat aber erst im Oktober 2012 ein, als Page zum ersten Mal wieder in der Öffentlichkeit sprach. c)  Verbleiben im Amt ohne Auszeit Die Frage nach der Veröffentlichung der Diagnose und Prognose stellt sich noch schärfer, wenn trotz der Erkrankung keine Auszeit genommen wird. Dann kann man nicht argumentieren, der Emittent müsse die Anleger nicht über die Diagnose, sondern nur über die Folgen der Krankheit für die Arbeitsund Leistungsfähigkeit des Betroffenen informieren. Diese Folgen zu beschrei­ ben, wäre ein viel schwererer Eingriff in die Privatsphäre des Erkrankten als die Nennung der Diagnose. Niemand würde ernsthaft eine Ad-hoc-Mitteilung in Erwägung ziehen, die wie folgt lautet: „Die Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Finanzvorstands XY ist derzeit gemindert und wird künftig nachlassen, was insbesondere seine Rechen- und Problemlösungsfähigkeit betrifft. Erken­ nungs- und Sprachstörungen können auftreten; die Vergesslichkeit wird stei­ gen, es kann zu Desorientierung und Wahnvorstellungen kommen“. Die Nen­ nung der Diagnose (hier: Alzheimerdemenz) wäre definitiv ein milderes Mittel zur Information des Publikums als eine abstrakte Schilderung möglicher Aus­ wirkungen einer schweren Krankheit. Bei der Beurteilung, ob der Emittent beim Verbleiben der erkrankten Per­ son im Amt zur Offenlegung der Diagnose und Prognose verpflichtet ist, ist differenziert vorzugehen. Je nach Fallumständen kann es sein, dass die Erkran­ kung mit Hilfe von Medikamenten oder ambulanter Therapie gut behandel­ bar ist und sich während der Behandlung nicht auf das berufliche Handeln des Kranken auswirkt. Denkbar ist ferner, dass die Krankheit zwar nicht heilbar ist, aber dauerhaft unter Kontrolle gebracht werden kann (bestimmte Stoff­ wechselerkrankungen wie Diabetes mellitus; Herzrhythmusstörungen; Suchtund Depressionserkrankungen). Die Veröffentlichung der Diagnose könnte die Anleger in diesem Fall nur in die Irre führen, weil sie dann geneigt wären anzunehmen, dass es mit dem Betroffenen doch etwas nicht stimmt und seine Leistungsfähigkeit gemindert ist, während er in Wahrheit seine Leistung auf dem bisherigen Niveau erbringt. Solange dies gelingt und die Erkrankung die Arbeitsfähigkeit des Betroffenen nicht beeinträchtigt, kommt die Ad-hoc-Pu­ blizität nicht in Betracht. Die Frage nach Publizität stellt sich aber dann, wenn tatsächlich eine Leis­ tungsminderung eintritt oder nicht mehr ausgeschlossen werden kann. Man­ 368  Google insists CEO Larry Page IS on the mend from mystery illness as he runs mee­ tings at company headquarters, ,talking but talking softly‘, Mail Online, 13.7.2012, , zu­ letzt abgerufen am 11.4.2019.

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che US-amerikanische Autoren plädieren in diesem Fall für die Offenlegung, allerdings nicht der Diagnose, sondern der Tatsache der „Beeinträchtigung“ („impairment“).369 Eine entsprechende Mitteilung würde dem Anleger indes nur signalisieren, dass die Leistungsfähigkeit der Schlüsselperson beeinträch­ tigt ist, ihn aber im Unklaren über die Art und das Ausmaß der Beeinträchti­ gung lassen. Die Angabe der Diagnose und Prognose würde seine Informati­ onslage verbessern, ähnlich wie bei einem geplanten künftigen Ausscheiden. Die Diagnose und Prognose sind also auch beim Verbleiben im Amt ohne Aus­ zeit kursrelevant. Die Veröffentlichung dieser Informationen kann indes in der Praxis Pro­ bleme verursachen. So könnten die Anleger nach der Bekanntgabe der Diag­ nose zu Recht fragen, warum der Betroffene trotzdem im Amt bleibe, obwohl er gesundheitlich schwer angeschlagen sei und daher kraft seiner Treuepflicht gehalten wäre zurückzutreten.370 Sie könnten anfangen, an der Richtigkeit der Personalpolitik des Emittenten zu zweifeln. Da der Anleger zudem das genaue Ausmaß der Beeinträchtigung nur ungefähr einschätzen kann, könnte ihn die Mitteilung der Diagnose zum Verkauf der Finanzinstrumente bewegen. Daher stellt die Bekanntgabe der Diagnose in der beschriebenen Konstellation keine praktikable Lösung dar. Vielmehr müsste der Emittent durch geeignete Per­ sonalmaßnahmen reagieren und zusammen mit dem Betroffenen klären, ob er sich aus dem Amt vorübergehend oder dauerhaft zurückzieht. Die Unter­ nehmenspraxis scheint genau diesen Weg zu gehen: Mitteilungen über Erkran­ kungen von Schlüsselpersonen, die nicht vom Hinweis auf das bevorstehende Ausscheiden, eine krankheitsbedingte Auszeit oder eine erfolgreich verlaufene Operation begleitet werden, kommen dort, soweit ersichtlich, nicht vor. 3. Zusammenfassung Schwere Erkrankungen von Schlüsselpersonen lösen Ad-hoc-Publizitäts­ pflichten aus, die je nach Situation unterschiedliche Intensität haben. Diese In­ tensität ist geringer, wenn die erkrankte Person sofort aus dem Amt ausschei­ det: In diesem Fall ist nur das Ausscheiden als solches kursrelevant und damit mitteilungspflichtig. Kurserheblich kann außerdem die Information sein, dass das Ausscheiden wegen einer Krankheit erfolgt, z. B. wenn auf dem Markt Ge­ rüchte über andere, für das Unternehmen unvorteilhafte Ausscheidungsgrün­ de kursieren. Weitergehende Informationen über die Krankheit besitzen da­ gegen kein Kursbeeinflussungspotential, so dass ihre Veröffentlichung nach Art. 17 MAR nicht in Frage kommt. 369 

Horwich, 5 N. Y. U. J.L. & Bus. 827, 867 f. (2009). bereits in § 2, II. 3. dieses Kapitels im Zusammenhang mit dem Krankheits­ verdacht. 370  Dazu

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Die Intensität der Publizitätspflicht steigt, wenn die betroffene Person nicht sofort, sondern zu einem späteren Zeitpunkt ausscheiden soll. In diesem Fall sind die Diagnose und die individuelle Prognose kursrelevant, weil sie Hin­ weise darauf liefern können, ob die Krankheit bis zum geplanten Ausscheiden negative Folgen für den Emittenten haben kann. Kurserheblich sind solche In­ formationen auch bei einer krankheitsbedingten Auszeit, weil sie dem Anleger eine Chance geben einzuschätzen, ob mit der Rückkehr überhaupt zu rechnen ist, wie realistisch der angegebene Rückkehrzeitpunkt ist und wie leistungs­ fähig die Schlüsselperson nach ihrer Rückkehr sein wird. Diese Überprüfung seitens der Anleger kann die Emittenten dazu anhalten, ihre Mitteilungen über krankheitsbedingte Auszeit realistischer zu gestalten. Bleibt der Betroffene trotz der Erkrankung im Amt, so sind Informationen über die Krankheit solange nicht kurserheblich, bis die bisherige Leistungs­ fähigkeit erhalten bleibt. Kommt es dagegen zu einer Leistungsbeeinträchti­ gung, so werden die genaue Diagnose und die individuelle Prognose kursrele­ vant, weil sie Auskunft über das Ausmaß der Beeinträchtigung geben können. Die Situation ist insoweit vergleichbar mit der des künftigen Ausscheidens. Zu­ sammenfassend ist festzuhalten, dass die Veröffentlichung der Diagnose und Prognose in allen angesprochenen Konstellationen in Betracht kommt: beim (künftigen) Ausscheiden, bei einer Auszeit und beim Verbleiben im Amt ohne Auszeit.

IV.  Publizitätspflicht im Lichte der Grundrechte Zu prüfen ist nun, ob die Pflicht zur Veröffentlichung der Diagnose und Prog­ nose mit den Grundrechten des Erkrankten vereinbar ist. Dabei führt die Re­ gelung der Ad-hoc-Publizität auf europäischer Ebene dazu, dass nicht die Grundrechte des Grundgesetzes371, sondern diejenige der EU‑Grundrechte­ charta (GRCh) einschlägig sind. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass die Grundrechtecharta gemäß Art. 6 Abs. 1 EUV den gleichen Rang wie die EU‑Verträge hat. Sie zählt zum europäischen Primärrecht und geht dem sekundären Unionsrecht wie der MAR vor. Sollte also eine Bestimmung der MAR gegen die EU‑Grundrechte verstoßen, wäre sie als unwirksam anzuse­ hen.372 Die Unwirksamkeitserklärung obläge dem EuGH, der z. B. 2010 die Verordnung über Agrarbeihilfen teilweise für unwirksam erklärt hat, weil die dort vorgesehene Veröffentlichung personenbezogener Daten von Beihil­ feempfängern gegen die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf Datenschutz (Art. 7 und 8 GRCh) verstieß.373 Um die Unwirksamkeit des 371 

Vgl. BVerfGE 73, 339, 387 = NJW 1987, 577, 582 – Solange II.

372 Vgl. Jarass, GRCh, Einl. Rn. 12, 53; ders., EuR 2013, 29, 33 f.; Ehlers, in: Ehlers, Euro­

päische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 14 Rn. 27. 373  EuGH, Urt. v. 9.11.2010 – C-92/09 und C-93/09, Slg. 2010, I-11063, Rn. 89 ff. – Schecke.

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EU‑Sekundärrechts zu vermeiden, muss man dieses nach Möglichkeit grund­ rechtskonform auslegen.374 Eine entsprechende (deklaratorische) Aussage ent­ hält der Erwägungsgrund 77 MAR, wonach die Verordnung im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen der Charta stehe und im Einklang mit ihnen ausgelegt und angewandt werden solle. Das Gebot der grundrechts­ konformen Auslegung gilt unabhängig davon, ob die jeweilige Vorschrift des Unionsrechts dem Privatrecht oder dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist.375 Wäre also die Pflicht zur Ad-hoc-Veröffentlichung der Krankheitsdiagnose und -prognose mit den Grundrechten der EU‑Grundrechtecharta unverein­ bar, so müsste nach Möglichkeit eine andere, grundrechtskonforme Auslegung der MAR gesucht werden. 1.  Publizitätspflicht als Eingriff in die Grundrechte aus Art. 7 und 8 der EU‑Grundrechtecharta Als betroffene Grundrechte kommen solche aus Art. 7 und 8 GRCh in Be­ tracht.376 Art. 7 GRCh gewährleistet die Achtung des Privat- und Familien­ lebens. Die Vorschrift geht auf die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) zurück, deren Art. 8 Abs. 1 sie fast unverändert übernimmt. Somit hat sie gemäß Art. 52 Abs. 3 GRCh grundsätzlich die gleiche Bedeutung und Trag­ weite wie die Konventionsvorschrift. Der Schutzbereich des Art. 7 GRCh ist also in enger Anlehnung an Art. 8 EMRK auszulegen.377 Des Weiteren spielt die Rechtsprechung des EGMR zur Achtung des Privatlebens bei der Auslegung des Art. 7 GRCh eine große Rolle.378 Nach dieser Rechtsprechung schützt das Grundrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens die Identität und Ent­ wicklung der Person sowie das Recht, Beziehungen zu anderen Personen und der Außenwelt zu knüpfen und zu pflegen.379 Der Begriff des Privatlebens ist weit zu verstehen, wobei er einer allgemeinen Definition nicht zugänglich sein soll.380 Jedenfalls umfasse die Achtung des Privatlebens mehr als das US-ame­ 374  Jarass, GRCh, Einl. Rn. 53; ders., EuR 2013, 29, 33; Ehlers, in: Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 14 Rn. 27. 375 Vgl. Jarass, GRCh, Einl. Rn. 53. 376 Vgl. Assmann, in: Assmann/​ Schneider/​ Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/​2014, Art. 17 Rn. 74; Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 17 Rn. 380. 377  Kingreen, in: Calliess/​Ruffert, EUV/AEUV, GRCh, Art. 7 Rn. 2. Die Grundrechte der Charta können aber einen weitergehenden Schutz als die Konvention gewähren, siehe dazu und zum Verhältnis zwischen den Charta-Grundrechten und den Konventionsgrund­ rechten im Allgemeinen Jarass, GRCh, Art. 52 Rn. 59 ff. 378  Jarass, GRCh, Art. 7 Rn. 1, Art. 52 Rn. 65; Jarass, EuR 2013, 29, 41. 379  EGMR , Urt. v. 13.2.2003 – 42326/98, NJW 2003, 2145, Rn. 29 – Odièvre./.Frankreich. 380 EuGH, Urt. v. 20.5.2003  – C-465/00, C-138/01 und C-139/01, Slg. 2003, I-4989, Rn. 73  – Österreichischer Rundfunk; Gersdorf, in: BeckOK Informations- und Medien­ recht, EMRK, Art. 8 Rn. 17; Knecht, in: Schwarze, EU‑Kommentar, GRCh, Art. 7 Rn. 7; Meyer-Ladewig/​Nettesheim, in: Meyer-Ladewig/​Nettesheim/von Raumer, EMRK, Art. 8 Rn. 7; Schorkopf, in: Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 16 Rn. 17.



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rikanische „right to privacy“ im Sinne eines „right to be let alone“ und erinnere vielmehr an das deutsche allgemeine Persönlichkeitsrecht.381 Das EU‑Grund­ recht schütze die Privatheit der Privatsphäre, also alle Bereiche des Lebens, die andere nicht betreffen und in denen aufgrund der Umstände vernünftigerwei­ se der Schutz der Privatheit erwartet werden kann.382 Mitgeschützt sind auch nichtöffentliche Verhaltensweisen im Geschäftsleben.383 Erkrankungen gehören zur Privatsphäre eines Menschen, auch wenn sie Auswirkungen im beruflichen und sozialen Bereich haben können. Ungeach­ tet dieser möglichen Auswirkungen kann das Individuum, das sich Privatheit wünscht, vernünftigerweise erwarten, dass sein Leiden vor der Öffentlich­ keit verborgen bleibt und dass vertrauliche Informationen über die Erkran­ kung geschützt werden. Dies wird durch die (noch zu Art. 8 EMRK ergange­ ne) Rechtsprechung des EuGH bestätigt, wonach das Recht auf Achtung des Privatlebens insbesondere das Recht einer Person umfasst, ihren Gesundheits­ zustand geheimzuhalten.384 Die Ad-hoc-Offenlegung von Gesundheitsdaten würde daher einen Eingriff in das Grundrecht auf Achtung des Privatlebens darstellen. Dass der Eingriff nicht direkt vom Staat, sondern von einem Priva­ ten (Emittenten) ausginge, wäre unschädlich. Nach herrschender Ansicht ist auch eine durch Private vermittelte Belastung den Grundrechtsverpflichteten (der Union und ihren Organen) als Grundrechtseingriff zuzurechnen, wenn eine Maßnahme des Grundrechtsverpflichteten den Privaten notwendig und systematisch zu der Belastung veranlasst.385 Dies ist hier der Fall, da der Emit­ tent nach Art. 17 MAR keine andere Wahl hat, als die Information, die zu In­ siderinformationen i. S. d. Art. 7 MAR gehört, unverzüglich zu veröffentlichen. Art. 8 Abs. 1 GRCh bestimmt, dass jede Person das Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten hat (wortgleich mit Art. 16 Abs. 1 AEUV). Nach Art. 8 Abs. 2 GRCh dürfen diese Daten nur nach Treu und Glauben für festgelegte Zwecke und mit Einwilligung der betroffenen Per­ son oder auf einer sonstigen gesetzlich geregelten legitimen Grundlage ver­ arbeitet werden. Die „Verarbeitung“ ist weit zu verstehen: Sie umfasst jede Er­ 381  Augsberg, in: von der Groeben/​ Schwarze/​Hatje, GRCh, Art. 7 Rn. 5; Bernsdorff, in: Meyer/​Hölscheidt, GRCh, Art. 7 Rn. 15; Uerpmann-Wittzack, in: Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 3 Rn. 3 (zu Art. 8 EMRK); anders Schorkopf, in: Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 16 Rn. 15, nach dessen Ansicht von einem allgemeinen Persönlichkeitsrecht auf Unionsebene nicht gesprochen werden kann, weil sich der EuGH einer anderen, auf der Dogmatik der EMRK basierenden Terminologie bediene. 382  EGMR , Urt. v. 26.7.2007 – 64209/01, Rn. 37 ff. – Peev./.Bulgarien (zu Art. 8 EMRK); Jarass, GRCh, Art. 7 Rn. 6; Bernsdorff, in: Meyer/​Hölscheidt, GRCh, Art. 7 Rn. 15. 383  Augsberg, in: von der Groeben/​S chwarze/​Hatje, Art. 7 GRCh Rn. 5. 384 EuGH, C-404/94 P, Rn. 17  – X/Kommission; vgl. auch Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 17 Rn. 380. 385  EuGH, Urt. v. 28.4.1998 – C-200/96, Slg. 1998, I-1953, Rn. 28 – Metronome; Jarass, GRCh, Art. 52 Rn. 13.

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hebung, Speicherung, Verwendung, Sperrung oder Löschung von Daten.386 Das Grundrecht hat in der EMRK zwar keine direkte Entsprechung, weil die Konvention kein spezielles Datenschutzgrundrecht enthält. Art. 8 GRCh steht aber in engem Zusammenhang mit dem Grundrecht auf Achtung des Privatlebens, so dass Verbindungen sowohl zu Art. 7 GRCh als auch zu Art. 8 EMRK bestehen.387 Das genaue Verhältnis zwischen Art. 7 und 8 GRCh ist bisher nicht abschließend geklärt. Literaturstimmen bezeichnen Art. 8 oft als lex specialis, die den Einzelnen in seiner Privatsphäre bei der Verarbei­ tung personenbezogener Daten schütze.388 Dies klingt andeutungsweise auch beim EuGH an, wenn er von der Achtung des Privatlebens hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Daten spricht.389 Der EuGH räumt jedoch Art. 8 keinen Vorrang gegenüber Art. 7 ein, sondern wendet beide Vorschrif­ ten parallel an wie bei einer Idealkonkurrenz.390 Geht es, wie hier, um per­ sonenbezogene Daten mit Bezug zum Privatleben, so verstärken sich die bei­ den Grundrechte.391 Dementsprechend wird auch hier sowohl Art. 7 als auch Art. 8 GRCh berücksichtigt. Personenbezogene Daten sind alle Informationen über bestimmte oder be­ stimmbare natürliche Personen.392 Es schadet nicht, wenn sie im Kontext einer beruflichen Tätigkeit stehen.393 Personenbezogene Daten können also sowohl den Beruf oder das Vermögen des Einzelnen als auch seine Privatsphäre be­ treffen; erfasst werden dabei insbesondere Gesundheitsdaten und das Arzt­ geheimnis.394 Bei Gesundheitsdaten handelt es sich außerdem um äußerst sensible Daten. Dies kommt unter anderem in der Datenschutz-Grundverord­ 386  EuGH, Urt. v. 17.10.2013 – C-291/12, ECLI:​EU:​C:​2013:670, Rn. 28 – Schwarz; Jarass, GRCh, Art. 8 Rn. 8; vgl. auch die ausführlichere Legaldefinition in Art. 4 Nr. 2 DS‑ GVO. 387 EuGH, Urt. v. 24.11.2011  – C-468/10 und C- 469/10, Slg. 2011, I-12181, Rn. 41  – ASNEF und FECEMD; C-92/09 und C-93/09, Slg. 2010, I-11063, Rn. 47 – Schecke; Bernsdorff, in: Meyer/​Hölscheidt, GRCh, Art. 7 Rn. 14, Art. 8 Rn. 13; Jarass, GRCh, Art. 8 Rn. 1, 4. Im Rahmen der EMRK greift Art. 8 ein, soweit der Schutz personenbezogener Daten be­ troffen ist; der Schutz des Privatlebens fungiert hier gewissermaßen als Auffangsgrund­ recht, dazu Uerpmann-Wittzack, in: Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreihei­ ten, § 3 Rn. 3. 388 So Bernsdorff, in: Meyer/​Hölscheidt, GRCh, Art. 8 Rn. 13; Gersdorf, in: BeckOK Informations- und Medienrecht, GRCh, Art. 8 Rn. 6; Kingreen, in: Calliess/​Ruffert, EUV/ AEUV, Art. 8 GRCh Rn. 1a. 389  EuGH, C-291/12, Rn. 26– Schwarz; C-468/10 und C- 469/10, Rn. 42– ASNEF und FECEMD; C-92/09 und C-93/09, Rn. 52– Schecke. 390  Siehe EuGH, Urt. v. 8.4.2014 – C-293/12, C-594/12, ECLI:​EU:​C:​2014:238, Rn. 29 – Digital Rights Irland; C-291/12, Rn. 23 ff. – Schwarz; C-468/10 und C- 469/10, Rn. 40 ff.– ASNEF und FECEMD; C-92/09 und C-93/09, Rn. 47 ff.– Schecke; so auch EuGH, Gutachten v. 26.7.2017 – 1/15, ECLI:​EU:​C:​2017:592, Rn. 122 ff.; Jarass, GRCh, Art. 8 Rn. 4. 391  Jarass, GRCh, Art. 8 Rn. 4. 392  Jarass, GRCh, Art. 8 Rn. 5. 393  EuGH, Urt. v. 9.3.2017, C-398/15, ECLI:​EU:​C:​2017:197, Rn. 34 – Manni; v. 16.7.2015, C-615/13 P, ECLI:​EU:​C:​2015:489, Rn. 30 – ClientEarth und PAN Europe/​EFSA m. w. N. 394  Jarass, GRCh, Art. 8 Rn. 6.

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nung (DS‑GVO)395 zum Ausdruck, welche Gesundheitsdaten als personenbe­ zogene Daten definiert, die sich auf die körperliche oder geistige Gesundheit einer natürlichen Person, einschließlich der Erbringung von Gesundheits­ dienstleistungen, beziehen und aus denen Informationen über deren Gesund­ heitszustand hervorgehen (Art. 4 Nr. 15 DS‑GVO). Dazu zählen insbesondere auch Informationen über Krankheiten (Erwägungsgrund 35 DS‑GVO). Ge­ sundheitsdaten gehören nach Art. 9 Abs. 1 DS‑GVO zu den besonderen Ka­ tegorien personenbezogener Daten. Der europäische Gesetzgeber unterwirft die Verarbeitung solcher Daten ganz strengen Anforderungen, weil er sie als besonders schutzbedürftig und sensibel ansieht.396 Die Erwägungsgründe 10 und 51 DS‑GVO bezeichnen solche Daten ausdrücklich als „sensible Daten“, so dass die Begriffe „besondere Kategorien personenbezogener Daten“ und „sensible Daten“ im Ergebnis synonym verwendet werden.397 Die Sensibili­ tät von Gesundheitsdaten spielt zwar noch keine große Rolle, soweit es darum geht, ob ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 GRCh vorliegt: Dieser Schutzbereich ist stets eröffnet, sobald es um die Verarbeitung personenbezo­ gener Daten geht; es kommt nicht darauf an, ob die Daten sensibel sind oder die Grundrechtsträger durch den Verarbeitungsvorgang irgendwelche Nach­ teile erleiden.398 Die Empfindlichkeit von Daten hat aber bei der Rechtfertigung des Ein­ griffs eine immense Bedeutung. Der Eingriff wiegt umso schwerer, je sensibler die betreffenden Daten sind. Ein gesellschaftsrechtliches Beispiel für weniger sensible Daten sind im Handelsregister gespeicherte Daten zu den Personalien und Aufgaben der Personen, die befugt sind, die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich zu vertreten, an der Verwaltung, Beaufsichtigung oder Kon­ trolle dieser Gesellschaft teilnehmen oder zu ihrem Liquidator bestellt wur­ den. Dem Schutz dieser Daten hat der EuGH in seinem Manni-Urteil weni­ ger Gewicht beigemessen als dem Schutz Dritter durch die Registerpublizität und deshalb die fristlose Speicherung dieser Daten im Grundsatz für zuläs­ sig erachtet.399 Hier genügt als Erstes die Feststellung, dass der Schutzbereich des Art. 8 GRCh eröffnet wäre: Durch die Veröffentlichung von Gesundheits­ daten im Rahmen der Ad-hoc-Publizität würden diese Daten erhoben sowie anschließend verwendet und damit „verarbeitet“. Die Verarbeitung würde einen Eingriff in das Grundrecht auf Schutz personenbezogener Daten dar­ 395 

Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenver­ kehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung), ABl. L 119 v. 4.5.2016, S. 1. 396 Vgl. Albers/ ​Veit, in: BeckOK Datenschutzrecht, DS‑ GVO Art. 9 Rn. 6. 397 So Albers/ ​Veit, in: BeckOK Datenschutzrecht, DS‑ GVO Art. 9 Rn. 7; ähnlich Schulz, in: Gola, DS‑ GVO, Art. 9 Rn. 1. 398  Vgl. EuGH, C-465/00, C-138/01 und C-139/01, Rn. 75 – Österreichischer Rundfunk. 399  Siehe EuGH, C-398/15, Rn. 55 ff. – Manni.

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stellen, zumindest dann, wenn der Betroffene nicht in Kenntnis der Sachlage seine Einwilligung erteilen würde.400 2. Rechtfertigung a) Grundrechtsschranken Grundrechtseingriffe bedürfen auch im europäischen Recht einer Rechtferti­ gung.401 Diese richtet sich bei allen Chartagrundrechten grundsätzlich nach Art. 52 Abs. 1 GRCh. Danach sind Einschränkungen der Ausübung dieser Rechte zulässig, sofern sie gesetzlich vorgesehen sind und den Wesensgehalt dieser Rechte achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßig­ keit müssen sie erforderlich sein und den von der Union anerkannten dem Ge­ meinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen. Beim Grundrecht auf Achtung der Privatsphäre, das dem Recht aus Art. 8 EMRK entspricht, müss­ ten wegen Art. 52 Abs. 3 GRCh zusätzlich die Schranken des Art. 8 Abs. 2 EMRK beachtet werden.402 In formeller Hinsicht verlangt diese Vorschrift ge­ nauso wie Art. 52 Abs. 1 GRCh eine gesetzliche Grundlage für den Eingriff, die hier im Hinblick auf die MAR gegeben wäre.403 In materieller Hinsicht muss der Eingriff in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Lan­ des, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Frei­ heiten anderer. Diese Ziele sind auf die Ebene der Vertragsstaaten der EMRK zugeschnitten und erscheinen bei der Anwendung der Charta wenig pas­ send.404 Dementsprechend wendet der EuGH in der Praxis meist die allgemei­ ne Rechtfertigungsformel des Art. 52 Abs. 1 GRCh an.405 Im Übrigen ist auch im Geltungsbereich der EMRK die Rechtfertigung eines Eingriffs bisher nur 400 Die dogmatische Einordnung der Einwilligung i. S. d. Art. 8 GRCh ist umstrit­ ten. Nach der Rechtsprechung des EuGH handelt es sich um einen Rechtfertigungsgrund, EuGH, C-291/12 – Schwarz, Rn. 31 f. Im deutschen Schrifttum wird bei der Datenverarbei­ tung mit Einwilligung meist bereits der Eingriff verneint, siehe Jarass, GRCh, Art. 8 Rn. 9; Gersdorf, in: BeckOK Informations- und Medienrecht, GRCh, Art. 8 Rn. 20; Kingreen, in: Calliess/​Ruffert, EUV/AEUV, GRCh, Art. 8 Rn. 13; Knecht, in: Schwarze, EU‑Kommentar, GRCh, Art. 8 Rn. 7; Schorkopf, in: Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 16 Rn. 45. 401 Vgl. Jarass, GRCh, Art. 52 Rn. 19. 402  Jarass, GRCh, Art. 7 Rn. 34. 403 Vgl. EuGH, C-291/12  – Schwarz, Rn.  35 mit dem Hinweis auf Verordnung Nr. 2252/2004 als gesetzliche Grundlage. 404  Bernsdorff, in: Meyer/​Hölscheidt, GRCh, Art. 7 Rn. 14. 405  Siehe etwa EuGH, C-291/12, Rn. 34 – Schwarz; C-92/09 und C-93/09, Rn. 65 – Schecke; zur geringen praktischen Bedeutung des Art. 8 Abs. 2 EMRK als Schranke des Art. 7 GRCh auch Bernsdorff, in: Meyer/​Hölscheidt, GRCh, Art. 7 Rn. 14; Schorkopf, in: Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 16 Rn. 30; ähnlich Jarass, GRCh, Art. 7



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selten daran gescheitert, dass der Eingriff kein legitimes Ziel i. S. v. Art. 8 Abs. 2 EMRK verfolgt. Vorrangige Bedeutung bei der Anwendung dieser Norm hat nicht der darin enthaltene Zielkatalog, sondern das Merkmal der Erforderlich­ keit, das in der Formulierung „in einer demokratischen Gesellschaft notwen­ dig“ zum Ausdruck kommt.406 Beim Grundrecht auf Datenschutz, das keine Entsprechung in der EMRK hat, dürfte Art. 8 Abs. 2 EMRK nicht einschlägig sein.407 Die Schranken die­ ses Grundrechts richten sich nach Art. 8 Abs. 2 S. 1 GRCh, der die allgemeine Schrankenregelung des Art. 52 Abs. 1 GRCh dahingehend konkretisiert, dass der Eingriff einer „gesetzlich geregelten legitimen Grundlage“ bedarf, die den Zweck der Verarbeitung festlegt.408 Der Zweck der Datenverarbeitung ergäbe sich vorliegend aus der MAR und bestünde darin, die Anleger über kursrele­ vante Informationen zu unterrichten, um effiziente Anlageentscheidungen zu ermöglichen sowie Insidergeschäften und der Irreführung von Anlegern vor­ zubeugen (vgl. insbesondere Erwägungsgründe 14 und 49 MAR). Eine wei­ tere Besonderheit ergibt sich daraus, dass das Recht auf Datenschutz auch in Art. 16 AEUV geregelt ist. Dementsprechend stellt sich die Frage, ob die Schrankenregelung des Art. 52 Abs. 2 GRCh Anwendung findet, wonach die Ausübung der durch die Charta anerkannten Rechte, die in den Verträgen ge­ regelt sind, im Rahmen „der in den Verträgen festgelegten Bedingungen und Grenzen“ erfolgt (sog. Transferklausel, die zur Überleitung bestimmter Ge­ halte der Verträge in die Charta führt). Damit wären die Bestimmungen des Art. 16 AEUV im Rahmen der Charta zu beachten.409 In unserem Fall dürf­ te diese Vorgabe keine große Rolle spielen, da der Wortlaut der einschlägigen Vorschriften nahezu identisch ist. Wichtiger ist der Umstand, dass aufgrund der Transferklausel die im Sekundärrecht festgelegten Datenverarbeitungs­ anforderungen Anhaltspunkte für die Auslegung von Art. 8 GRCh liefern können.410 Solche Anforderungen sind vor allem in der DS‑GVO enthal­ ten. Umgekehrt ist natürlich auch das sekundäre Datenschutzrecht im Lich­ te der Grundrechte auszulegen.411 In der Rechtsprechung des EuGH haben Rn. 36; kritisch zur EuGH‑Methode dagegen Augsberg, in: von der Groeben/​Schwarze/​ Hatje, Art. 7 GRCh Rn. 13. 406  Gersdorf, in: BeckOK Informations- und Medienrecht, EMRK , Art. 8 Rn. 55; MeyerLadewig/​Nettesheim, in: Meyer-Ladewig/​Nettesheim/von Raumer, EMRK, Art. 8 Rn. 109. 407  Gersdorf, in: BeckOK Informations- und Medienrecht, GRCh, Art.  8 Rn. 22; a. A. Jarass, GRCh, Art. 8 Rn. 11. 408 Dazu Jarass, GRCh, Art. 8 Rn. 12. 409  Jarass, GRCh, Art. 52 Rn. 52. 410  Jarass, GRCh, Einl. Rn. 54; Schorkopf, in: Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 16 Rn. 48; a. A. wohl Bernsdorff, in: Meyer/​Hölscheidt, GRCh, Art. 8 Rn. 17 (trotz des Bezugs zu den Sekundärrechtsnormen sei das Datenschutzgrundrecht au­ tonom zu bestimmen und nicht in Wechselwirkung zum Sekundärrecht), dort auch w. N. zum Meinungsstand. 411  Siehe nur EuGH, C-398/15, Rn. 39  – Manni; v. 6.10.2015  – C-362/14, ECLI:​EU:​C:​

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indes die Vorschriften des Sekundärrechts als Auslegungshilfe bisher, soweit ersichtlich, keine Rolle gespielt. Stattdessen wendet der EuGH allein Art. 52 Abs. 1 GRCh an.412 b)  Dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung Art. 52 Abs. 1 GRCh verlangt zunächst eine von der Union anerkannte dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung. Wie jede Ad-hoc-Publizitätspflicht würde die Pflicht zur Offenlegung der Gesundheitsdaten die Marktintegri­ tät fördern, indem sie die Markttransparenz und das Vertrauen der Öffent­ lichkeit in die Wertpapiermärkte stärken würde. Damit ginge auch eine Stei­ gerung der Markteffizienz einher (vgl. Erwägungsgrund 2 MAR). Da ein effizienter Markt als Voraussetzung für Wirtschaftswachstum und Wohl­ stand angesehen wird (Erwägungsgrund 2 MAR), liegt eine dem Gemein­ wohl dienende Zielsetzung vor.413 Aus dem europäischen Sekundärrecht er­ gibt sich eine weitere Anforderung an das Regelungsziel: Nach Art. 9 Abs. 2 lit. g DS‑GVO ist die Verarbeitung von Gesundheitsdaten nur zulässig, wenn sie einem „erheblichen“ öffentlichen Interesse dient.414 Angesichts der Wich­ tigkeit der Marktintegrität für die funktionierende Wirtschaft wäre auch ein solches „erhebliches“ Interesse zu bejahen. c)  Achtung des Wesensgehalts der Grundrechte Bei einem Grundrechtseingriff muss ferner die Wesensgehaltsgarantie beach­ tet werden. Diese wird im EU‑Recht im Sinne einer relativen Wesensgehalts­ theorie verstanden. Demnach gibt es keinen absoluten, feststehenden Kern­ bereich der Grundrechte; vielmehr ist der Wesensgehalt des Grundrechts in einem Abwägungsvorgang mit Hilfe des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu be­ stimmen. Damit handelt es sich bei der Wesensgehaltsgarantie um einen Be­ standteil der Verhältnismäßigkeitsprüfung. Sie bestimmt die Grenze, deren Überschreitung zur offensichtlichen Unverhältnismäßigkeit des Grund­ rechtseingriffs führt.415 2015:650, Rn. 38  – Schrems; zu diesem „symbiotischen“ Verhältnis Schorkopf, in: Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 16 Rn. 42. 412  So auch Bernsdorff, in: Meyer/​Hölscheidt, GRCh, Art. 8 Rn. 24 (Fn. 13); zur Vor­ gehensweise des EuGH vgl. die Nachweise in der Fn. 405. 413  So auch Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 17 Rn. 382 in Bezug auf die Ad-hoc-Publizität bei Erkrankungen. 414  Vgl. § 22 Abs. 2 lit. a BDSG: „aus Gründen eines erheblichen öffentlichen Interesses zwingend erforderlich“. 415  O. Koch, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des Ge­ richtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 233 f., 237; vgl. auch Ehlers, in: Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 7 Rn. 125; a. A. Jarass, GRCh, Art. 52 Rn. 28, der indes zugleich feststellt: „Wie der Wesensgehalt im Einzelnen zu bestimmen ist, führt auf unsicheres Gelände“ (a. a. O., Rn. 29).

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d) Verhältnismäßigkeit Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besagt, dass die Einschränkung der in der Charta verankerten Rechte in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten berechtigten Zweck stehen muss. Der EuGH prüft insoweit in stän­ diger Rechtsprechung, ob die von einem Unionsrechtsakt eingesetzten Mit­ tel zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet sind und nicht über das Er­ forderliche hinausgehen.416 Anders als im deutschen Recht, wo die Prüfung der Verhältnismäßigkeit drei Elemente einschließt (Geeignetheit, Erforderlich­ keit und Angemessenheit), erfolgt diese Prüfung im EU‑Recht meist zweistu­ fig. Dabei erscheinen nur die Geeignetheit und Erforderlichkeit der jeweiligen Maßnahme als eigenständige Prüfungspunkte. Soweit Angemessenheitserwä­ gungen angestellt werden, fließen sie oft in die Erforderlichkeitsprüfung ein.417 Ein Paradebeispiel stellt das bereits mehrfach zitierte Urteil in der Rechtssache Schecke, in dem der EuGH unter dem Stichwort „Erforderlichkeit“ ausführt: „Daher ist zu prüfen, ob der Rat […] und die Kommission das Interesse der Union, die Transparenz ihrer Handlungen und eine bestmögliche Verwendung öffentlicher Mittel zu gewährleisten, auf der einen und die Verletzung des Rechts der betroffenen Empfän­ ger auf Achtung ihres Privatlebens im Allgemeinen und auf Schutz ihrer personenbe­ zogenen Daten im Besonderen auf der anderen Seite ausgewogen gewichtet haben.“418

Ein deutsches Gericht hätte erst bei der Prüfung der Angemessenheit die Frage aufgeworfen, ob die kollidierenden Rechte und Interessen „ausgewo­ gen gewichtet“ wurden; der EuGH stellt diese Frage im Rahmen der Erfor­ derlichkeitsprüfung. Um dieser Besonderheit Rechnung zu tragen, wird im Folgenden die Verhältnismäßigkeit der Grundrechtsbeschränkung ebenfalls zweistufig geprüft. aa) Geeignetheit Im Grundsatz bedeutet die Geeignetheit die vorgestellte Kausalität eines Mit­ tels (einer Ursache) für einen Zweck (eine Wirkung).419 Allerdings genügt für die Geeignetheit bereits ein Beitrag zur Zielerreichung, wobei der EuGH den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers grundsätzlich respektiert und ins­ besondere bei komplexen Maßnahmen sich regelmäßig mit der Feststellung begnügt, dass die Maßnahmen nicht offensichtlich ungeeignet sind.420 Der Er­ 416 

EuGH, Urt. v. 8.6.2010 – C-58/08, Slg. 2010, I-4999, Rn. 51 – Vodafone u. a. m. w.N.; C-92/09 und C-93/09, Rn. 74 – Schecke. 417  Eingehend dazu O. Koch, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Rechtspre­ chung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 217; Ehlers, in: Ehlers, Euro­ päische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 7 Rn. 132. 418  EuGH, C-92/09 und C-93/09, Rn. 77 – Schecke. 419  Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 50. 420  Jarass, GRCh, Art. 52 Rn. 37; vgl. auch Kingreen, in: Calliess/​Ruffert, EUV/AEUV, GRCh, Art. 52 Rn. 68.

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folg muss also nicht vollständig erreicht (kausal herbeigeführt) worden sein, es genügt ein „Schritt in die richtige Richtung“. Die Frage, ob die Erstreckung der Publizitätspflicht auf Gesundheitsdaten geeignet wäre, die Markttrans­ parenz und -integrität zu fördern, hat mehrere Aspekte. Der erste betrifft den Personenkreis, über den berichtet wird. Die Fokussierung auf die Schlüssel­ personen des Unternehmens hat den Vorteil, dass von der Offenlegung theo­ retisch alle Akteure erfasst werden, deren Leistungen für den Unternehmens­ wert relevant sind. Würde man dagegen einen starren Ansatz verfolgen und nur Organmitglieder in den betreffenden Personenkreis einbeziehen, so könn­ ten wichtige Leistungsträger, die nicht Mitglieder der Gesellschaftsorgane sind (Chefdesigner, führende IT‑Spezialistin usw.) aus der Ad-hoc-Publizität unnötigerweise herausfallen. Die Publizitätspflicht wäre dann zur Erreichung ihrer Ziele zumindest zum Teil ungeeignet. Diese Gefahr wird umso größer, je enger man den betroffenen Personenkreis fasst, z. B. nur Vorstandsmitglieder oder gar nur den Vorstandsvorsitzenden in die Betrachtung einbezieht. Zu­ gleich wirft die starre Lösung Erforderlichkeitsprobleme auf, da nicht jedes Organmitglied zugleich eine Schlüsselposition besitzt. Die Veröffentlichung von Gesundheitsdaten solcher Personen wäre für die Marktintegrität nicht er­ forderlich.421 Die flexible Schlüsselpersonen-Lösung vermeidet diese Proble­ me, hat aber auch ihre Nachteile. So müsste in der Praxis der Emittent selbst bestimmen, wer seine Schlüsselpersonen sind. Diese subjektive Ex-ante-Be­ urteilung wäre im Nachhinein schwer nachprüfbar; zudem könnte derjenige, der als Schlüsselperson angesehen wird, später einwenden, man habe seine Be­ deutung für das Unternehmen überschätzt. Die Lösung wäre also mit einer er­ heblichen Rechtsunsicherheit verbunden.422 Dennoch kann nicht ausgeschlos­ sen werden, dass sie zur Zielerreichung zumindest in einem gewissen Maße beiträgt. Ein weiterer Aspekt betrifft den Umfang der Information, die dem Markt zur Verfügung gestellt wird. Die Veröffentlichung von Gesundheitsdaten könnte dem Anleger suggerieren, dass er nunmehr in der Lage ist, Rückschlüs­ se auf die Leistungsfähigkeit der betroffenen Person zu ziehen. Neben der eige­ nen Krankheit gibt es aber eine Reihe weiterer Umstände, welche die Arbeits­ fähigkeit eines Menschen erheblich beeinträchtigen können, z. B. Krankheit oder Tod eines nahen Angehörigen. Die hier diskutierte Publizitätspflicht wirft die Frage auf, ob nicht auch solche tragische Lebensereignisse offengelegt werden müssten. Aber sollen die Anleger wirklich informiert werden, wenn Kinder, Ehepartner oder Eltern von Führungskräften sterben oder schwer krank werden? Müssen sie bei ihrer Anlageentscheidung wissen, ob das Pri­ 421  Zum Problem einer „One-size-fits-all“-Regelung siehe Lin, 11 U. Pa. J. Bus. L. 383, 410 f. (2009) (Fn. 281). 422  Stokes, 17 Tex. Wesleyan L. Rev. 303, 317 (2011).



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vatleben der Schlüsselpersonen des jeweiligen Unternehmens gerade glücklich verläuft oder nicht? Dagegen spricht, dass der damit verbundene Eingriff in die Grundrechte der Familienangehörigen noch schwieriger zu rechtfertigen wäre als der Eingriff in die Grundrechte der Führungskraft selbst.423 Zudem erscheint die Offenlegung solcher Informationen ethisch kaum noch vertret­ bar. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wo man den Schlussstrich ziehen soll. Soll der Markt auch über den Tod des besten Freundes eines DAX‑Vorstandes informiert werden? Über den Tod seines Hundes? Die letzte Frage ist nicht nur scherzhaft gemeint: Wie alle Menschen entwickeln auch Wirtschaftsführer mitunter sehr liebevolle Beziehungen zu ihren Hunden und sonstigen Haus­ tieren. Ein Beweis dafür ist die (teils kritisierte, teils als normal empfundene) Tatsache, dass Haustiere oft sogar auf Geschäftsreisen mit privaten Firmen­ jets mitgenommen werden.424 Daher ist es durchaus denkbar, dass der Tod des Haustieres negative Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit des Besitzers haben kann. Daraus den Schluss zu ziehen, es handele sich um eine publizitäts­ pflichtige Tatsache, wäre aber, gelinde gesagt, merkwürdig. Vor diesem Hin­ tergrund liegt es nahe, die Ad-hoc-Publizität nur auf (eigene) Erkrankungen von Schlüsselpersonen zu beschränken. Dabei müsste man allerdings in Kauf nehmen, dass die Anleger nicht alle Informationen bekämen, die für die Be­ urteilung der Leistungsfähigkeit von Schlüsselpersonen relevant sind. Der er­ reichte Anlegerschutz bliebe also lückenhaft.425 Da die Offenlegung jedoch das Schutzniveau etwas verbessern könnte, wäre sie zumindest teilweise geeignet, das damit verfolgte Ziel zu erreichen, und daher nach europäischem Recht un­ bedenklich. bb) Erforderlichkeit Im Hinblick auf die Erforderlichkeit ist zunächst festzuhalten, dass die vor­ geschlagene Publizitätspflicht nur so weit ginge, wie das zur Zielerreichung wirklich notwendig ist. Die Fokussierung auf Schlüsselpersonen gewährleistet, dass die Grundrechte von Individuen, die aus der Sicht der Gesellschaft „aus­ tauschbar“ sind, unangetastet bleiben. In sachlicher Hinsicht ist die Bekannt­ gabe der Diagnose und der Prognose notwendig, um den Anlegern eine Ein­ schätzung der Leistungsfähigkeit von Schlüsselpersonen zu ermöglichen.426 Ein gleich geeignetes Mittel, das weniger in die Grundrechte eingreifen würde, 423 Vgl.

Lin, 11 U. Pa. J. Bus. L. 383, 413 (2009); Schwartz, 40 Fla. St. U. L. Rev. 487, 521(2013). 424  Karaian, When execs take their pets on private jets, shareholders howl, Quartz, 28.4.2015; Gollan, Flying Your Pet By Private Jet, Forbes Online, 1.4.2015; siehe ferner Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 7 Rn. 420. 425  Abril/​Olazábal, 46 Hous. L. Rev. 1545, 1587 (2010); Barnard, 21 J. Corp. L. 307, 325 f. (1996); andeutungsweise Stokes, 17 Tex. Wesleyan L. Rev. 303, 315 (2011). 426  Allgemein zur Erforderlichkeit Jarass, GRCh, Art. 52 Rn. 39 f.; zur Erforderlichkeit der Offenlegung der „Krankheit“ vgl. Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 17 Rn. 379.

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Kapitel 3: Offenlegungspflichten bei Krankheit

ist nicht ersichtlich. Die Beschränkung der Ad-hoc-Publizität auf die Tatsa­ che, dass der Erkrankte krankheitsbedingt ausscheidet bzw. eine krankheits­ bedingte Auszeit nimmt, wäre zwar ein milderes, aber zugleich ein weniger geeignetes Mittel. Eine Pseudonymisierung der Gesundheitsdaten als milderes Mittel kommt dagegen gar nicht in Betracht, weil sie dem verfolgten Ziel wi­ dersprechen würde. Die verursachten Nachteile müssen in angemessenem Verhältnis zu den an­ gestrebten Zielen stehen.427 Hier beginnt das unsichere Terrain der Angemes­ senheitsprüfung, die auf europäischer Ebene zudem etwas anders strukturiert ist als im deutschen Recht. Während in Deutschland zwischen beeinträchtig­ tem subjektivem Recht und gefördertem Allgemeininteresse abgewogen wird („bipolare“ Angemessenheitsprüfung), folgt der EuGH eher dem französi­ schen „Bilanzkonzept“ und untersucht, welche Vor- und Nachteile eine Maß­ nahme insgesamt mit sich bringt. Im Rahmen dieser „multipolaren“ Abwä­ gung werden die verschiedensten geförderten und beeinträchtigten Interessen gewürdigt.428 Vorliegend müsste zunächst die Bedeutung der betroffenen Grundrechte berücksichtigt werden. In seiner ständigen Rechtsprechung misst der EuGH den Grundrechten auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personen­ bezogener Daten ein großes Gewicht bei und betont, dass sich die Ausnah­ men und Einschränkungen auf das absolut Notwendige beschränken müs­ sen.429 Auch in der Rechtsprechung des EGMR hat der Schutz persönlicher Daten einen hohen Stellenwert. Für Gesundheitsdaten gilt das in noch höhe­ rem Maße. Sie zählen zu besonders sensiblen persönlichen Daten, deren Schutz vom EGMR als „fundamental“ eingestuft wird.430 Ein fehlender Schutz kann nach Ansicht des Gerichtshofs dazu führen, dass kranke Menschen die für die Behandlung notwendige Information persönlicher oder intimer Art zurück­ halten oder auf medizinische Hilfe gänzlich verzichten würden. Der Versuch, in die Privatsphäre einzudringen, wird vom Grundrechtsträger sozusagen „im Keim erstickt“, indem der Betroffene dafür sorgt, dass diese Daten gar nicht erst erhoben werden. Dabei gefährde er aber, so der Gerichtshof, sowohl seine eigene Gesundheit als auch  – bei übertragbaren Krankheiten  – die Gesund­ 427 Vgl. Jarass, GRCh, Art. 52 Rn. 41, der allerdings dieses Kriterium nach der deutschen Verfassungstradition im Rahmen der Angemessenheit prüft. 428  O. Koch, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des Ge­ richtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 226 f. 429  EuGH, C-92/09, Rn. 77 – Schecke; C-293/12 und C-594/12, Rn. 51 f. – Digital Rights Ireland; C-362/14, Rn. 92 – Schrems; Urt. v. 21.12.2016, C-203/15 und C-698/15, ECLI:​EU:​ C:​2016:970, Rn. 96, 103 – Tele2 Sverige und Watson u. a. 430 Vgl. EGMR , Urt. v. 25.11.2008  – 36919/02, Rn.  40  – Armonienė./.Litauen; v. 25.11.2008 – 23373/03, Rn. 39 – Biriuk./.Litauen; v. 25.2.1997 – 22009/93, Rn. 95 – Z./.Finnland; Pätzold, in: Karpenstein/​Mayer, EMRK, Art. 8 Rn. 115; vgl. auch Meyer-Ladewig/​ Nettesheim, in: Meyer-Ladewig/​Nettesheim/von Raumer, EMRK, Art. 8 Rn. 40.

§ 3.  Exkurs: Ad-hoc-Publizitätspflicht in börsennotierten Unternehmen 



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heit der Allgemeinheit.431 Aus diesem Grund kann sogar die Verwendung von Gesundheitsdaten für die Strafverfolgung, also für einen sehr wichtigen All­ gemeinzweck, nach der Rechtsprechung des EGMR einen unverhältnismäßi­ gen Eingriff in das Privatleben darstellen.432 Ganz ähnlich argumentiert im Übrigen auch das BVerfG: „Wer sich in ärzt­ liche Behandlung begibt, muß und darf erwarten, daß alles, was der Arzt im Rahmen seiner Berufsausübung über seine gesundheitliche Verfassung erfährt, geheim bleibt und nicht zur Kenntnis Unberufener gelangt. Nur so kann zwi­ schen Patient und Arzt jenes Vertrauen entstehen, das zu den Grundvorausset­ zungen ärztlichen Wirkens zählt, weil es die Chancen der Heilung vergrößert und damit – im ganzen gesehen – der Aufrechterhaltung einer leistungsfähigen Gesundheitsfürsorge dient.“433 Diese Erwägungen lassen sich auch auf Schlüs­ selpersonen in börsennotierten Unternehmen übertragen. Müssten diese Per­ sonen annehmen, dass ihre Gesundheitsdaten zwingend zu veröffentlichen sind und es keine Chance auf vertrauliche Behandlung gibt, könnte dies eine Hürde für den Gang zum Arzt sein.434 Wegen der damit verbundenen Ge­ sundheitsgefährdung kann der Grundrechtseingriff nicht nur für den Grund­ rechtsträger, sondern auch für die Allgemeinheit schwerwiegende Nachteile verursachen. Um das Gewicht des betroffenen Rechtsguts noch besser einzuschätzen, lohnt sich erneut ein Blick in die DS‑GVO, welche der Sensibilität von Ge­ sundheitsdaten durch eine besondere Regel-Ausnahme-Technik Rechnung trägt.435 Im ersten Schritt wird die Verarbeitung dieser Daten grundsätzlich untersagt (Art. 9 Abs. 1 DS‑GVO). Erst in einem zweiten Schritt werden Aus­ nahmen zugelassen (Art. 9 Abs. 2 und 4 DS‑GVO). Dabei werden die Union und die Mitgliedstaaten zwar ermächtigt, den Ausnahmenkatalog der Verord­ nung zu ergänzen, die entsprechenden rechtlichen Regelungen müssen jedoch mehrere Anforderungen erfüllen: Sie müssen aus Gründen eines erheblichen öffentlichen Interesses erforderlich sein, in angemessenem Verhältnis zu dem verfolgten Ziel stehen, den Wesensgehalt des Rechts auf Datenschutz wah­ ren und angemessene und spezifische Maßnahmen zur Wahrung der Grund­ rechte und Interessen der betroffenen Personen vorsehen (Art. 9 Abs. 2 lit. g DS‑GVO). Insbesondere die letzte Anforderung wäre im Hinblick auf die Publizitätspflicht nach MAR problematisch, weil die Verordnung keine spe­ 431 

EGMR , Rs. 22009/93, Rn. 95 f. – Z./.Finnland. EGMR , Rs. 22009/93 – Z./.Finnland zur Bekanntgabe der HIV‑Infektion der

432 Siehe

Ehefrau eines Straftäters im Rahmen des gegen ihn geführten Strafverfahrens und im Straf­ urteil unter Nennung des vollen Namens der Betroffenen. 433  BVerfGE 32, 373, 380 – Ärztekartei. 434  Horwich, 5 N. Y. U. J.L. & Bus. 827, 867 (2009); Stokes, 17 Tex. Wesleyan L. Rev. 303, 320 (2011). 435  Zu dieser Regel-Ausnahme-Technik etwa Frenzel, in: Paal/​Pauly, DS‑ GVO, Art. 9 Rn. 1.

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Kapitel 3: Offenlegungspflichten bei Krankheit

zifischen Maßnahmen zur Wahrung der Grundrechte und Interessen der Per­ sonen vorsieht, deren Gesundheitszustand zum Inhalt einer Ad-hoc-Mittei­ lung werden kann. Die hier in Betracht gezogene Auslegung der MAR würde also unabhängig von ihrer Grundrechtskonformität mit der DS‑GVO in Kon­ flikt kommen.436 Betrachten wir nun die Situation, in der sich die Schlüsselperson an den Arzt wendet und dieser eine schwere Krankheit diagnostiziert. Wird die Di­ agnose sodann vom Emittenten offengelegt, besteht der unmittelbarer Nach­ teil für den Grundrechtsträger darin, dass sein eventuell vorhandener Wunsch nach Geheimhaltung der Erkrankung und Wahrung der Privatheit nicht er­ füllt und ein Teil seiner Privatsphäre für jedermann sichtbar wird. Dies kann dem Betroffenen das Gefühl der „Bloßstellung“ in der Öffentlichkeit vermit­ teln. Außer dieser augenblicklichen einschneidenden Erfahrung kann die Of­ fenlegung weitere negative Konsequenzen haben. Das Bekanntwerden jeder schweren Krankheit kann die Berufschancen der Schlüsselperson lang- und mittelfristig verschlechtern, etwa dann, wenn der Eindruck entsteht, dass diese Person nicht mehr belastbar genug sei. Da die Wahrnehmung wichtiger Auf­ gaben im Unternehmen regelmäßig mit einer hohen beruflichen Belastung ein­ hergeht, wird von Spitzenkräften in der Wirtschaft eine entsprechende Belast­ barkeit erwartet. Eine überstandene schwere Krankheit, etwa ein Herzinfarkt oder ein Hirntumor, wirft häufig die Frage auf, ob der Betroffene noch in der Lage ist, seine Leistung auf dem Spitzenniveau zu erbringen und mit körper­ lichen und psychischen Herausforderungen fertig zu werden, die eine Schlüs­ selposition mit sich bringt. Bestehen insofern Zweifel, so gehen sie in der Regel zu Lasten der Führungskraft. Dies erklärt, warum Krankheit in Management­ kreisen oft als „Karrierekiller“437 gilt. Die Digitalisierung von Daten vergrö­ ßert dieses Problem noch, da sie die Informationen über die Krankheit immer und überall verfügbar macht.438 Dieser auf der Führungskraft lastende Druck erhöht die ohnehin hohe Wahrscheinlichkeit, dass sie sich wieder in die Arbeit stürzt, sobald es ihr bes­ ser geht. Dabei besteht die Gefahr, dass sich der Betroffene nicht genug Zeit für die Genesung nimmt oder die vom Arzt empfohlenen Einschränkungen missachtet. Diese Ablehnung der „illness“ bzw. der Krankenrolle bei der noch nicht vollständig auskurierten „disease“ (objektive Erkrankung) kann zur Folge haben, dass sich der Gesundheitszustand der Führungskraft erneut ver­ schlechtert oder sogar dauerhaft gravierende Schäden nimmt. 436  Dabei wäre DS‑ GVO im Verhältnis zur MAR zugleich lex posterior und lex specialis, so dass die Regelungen der DS‑ GVO Vorrang hätten. Die Kollision könnte aufgelöst wer­ den, indem die MAR um spezifische Regelungen zur Wahrung der Grundrechte und Inte­ ressen der von der Publizität Betroffenen ergänzt würde. 437  Juergens, in: Bayer/​Juergens/​Rudat, Gesundheitsprobleme eines Vorstandsmitglie­ des, S. 35. 438  Hübner, ZHR 183 (2019), 540­­­­, 547.



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Die Nachteile für das Organmitglied wiegen noch schwerer, wenn er an einer Krankheit leidet, die geeignet ist, ihn in der Öffentlichkeit zu stigmati­ sieren (z. B. eine Suchterkrankung oder ein psychisches Leiden wie z. B. De­ pression). Der Erkrankte muss dann nicht nur im beruflichen, sondern auch in anderen Bereichen des sozialen Lebens mit Nachteilen rechnen. Zwar geht die Anzahl stigmatisierender Erkrankungen dank einem positiven gesellschaftli­ chen Wandel langsam zurück. Dennoch hat die Gesellschaft bei Weitem noch nicht den Zustand erreicht, in dem Krankheiten keine gesellschaftlichen Stig­ mata mehr hinterlassen (und ob dieser Zustand irgendwann erreicht werden wird, ist fraglich).439 In der Literatur wird vereinzelt argumentiert, gerade die Offenlegung könne Vorurteile bezüglich bestimmter Krankheiten abbauen und so erkrankten Führungskräften letztendlich ermöglichen, nach der Of­ fenlegung weiter im Amt zu bleiben.440 Das mag richtig sein, nur kann man von derzeit tätigen Führungskräften sicherlich nicht verlangen, dass sie sich für diese bessere Zukunft opfern. Allerdings stellt sich die Frage, ob Schlüsselpersonen nicht generell stärkere Beeinträchtigungen ihrer Grundrechte hinnehmen müssen als andere Indivi­ duen. In diesem Zusammenhang wird in den USA häufig das Public-FigureArgument des Common Law ins Feld geführt.441 Hierzulande wird zum Teil auf die Rechtsprechung des BGH zur Presseberichterstattung über Prominen­ te verwiesen.442 In der Tat lautet der Leitsatz des BGH‑Urteils vom 14. Ok­ tober 2008: „Zur Privatsphäre auch einer Person des öffentlichen Interesses gehört grundsätzlich die eigene Erkrankung; Ausnahmen können bei einem besonderen Personenkreis wie beispielsweise wichtigen Politikern, Wirt­ schaftsführern oder Staatsoberhäuptern bestehen.“443 Dazu ist zunächst an­ zumerken, dass die Formulierung des BGH missglückt ist: Natürlich gehört die eigene Erkrankung auch bei wichtigen Politikern, Wirtschaftsführern oder Staatsoberhäuptern zur Privatsphäre. Der Schutzbereich des Persönlichkeits­ rechts ist auch bei diesem Personenkreis nicht derart eingeschränkt, dass eine etwaige Bekanntmachung der Erkrankung kein Grundrechtseingriff wäre. Es geht lediglich darum, ob der herausgehobene öffentliche Status ein Gesichts­ punkt ist, der im Rahmen der Abwägung zulasten des Grundrechtsträgers 439  Nach Ansicht des LG Magdeburg wirkt z. B. die HIV‑Erkrankung nicht mehr stigma­ tisierend, weil sich die Therapiemöglichkeiten erheblich verbessert hätten und konsequente Aufklärung Vorurteile und Ängste abgebaut hätte, LG Magdeburg, Urt. v. 19.11.2013 – 2 S 140/13, juris. Der EGMR nahm allerdings noch im Jahr 2008 an, dass HIV‑Infektion stig­ matisierend wirke, vgl. EGMR , Rs. 36919/02 – Armonienė./.Litauen sowie Rs. 23373/03 – Biriuk./.Litauen, wobei es in beiden Fällen auch tatsächlich zur starken Stigmatisierung ge­ kommen ist. 440  Lin, 11 U. Pa. J. Bus. L. 383, 396 f. (2009). 441  Dazu § 3, II. 2. b) dieses Kapitels. 442 Siehe Fleischer, NZG 2010, 561, 567; ders., FS Uwe Schneider, S. 333, 351. 443  BGH, Urt. v. 14.10.2008 – VI ZR 272/06, NJW 2009, 754; siehe auch BGH, Urt. v. 6.03.2007 – VI ZR 51/06, BGHZ 171, 275, 286 f.

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und zugunsten des Informationsinteresses der Allgemeinheit zu berücksich­ tigen ist.444 Zum anderen handelt es sich beim zitierten BGH‑Urteil sowie bei der Ent­ scheidung BGHZ 171, 275, auf die dieses Urteil verweist, um etwas ältere Ju­ dikate, die noch mit Begriffen wie „Person der Zeitgeschichte“ operierten, ob­ wohl sie inhaltlich bereits die Leitlinien umsetzten, die der EGMR in seinem ersten Caroline-Urteil445 aufgestellt hat. Die Entscheidung BGHZ 171, 275 wurde vom EGMR im zweiten Caroline-Urteil überprüft, wobei der Gerichts­ hof betont hat, dass die Zulässigkeit der Presseberichterstattung über „Per­ sonen des öffentlichen Lebens“446 maßgeblich vom Beitrag der Information zu einer Debatte von allgemeinem Interesse abhänge. Medienberichte über das Privatleben, die nur dazu dienten, die Neugier eines bestimmten Publikums zu befriedigen, seien dagegen auch dann unzulässig, wenn die betroffene Per­ son einen gewissen Bekanntheitsgrad genieße. So seien etwaige Eheprobleme eines Staatspräsidenten oder finanzielle Schwierigkeiten eines berühmten Sän­ gers nicht relevant für eine Debatte von allgemeinem Interesse.447 Im Ergebnis hat der EGMR allerdings die Entscheidung BGHZ 171, 275 nicht beanstandet, weil er es für vertretbar gehalten hat, die Erkrankung des Fürsten Rainier von Monaco als zeitgeschichtliches Ereignis anzusehen. Zu den in diesem Zusam­ menhang veröffentlichten Fotos von Caroline von Hannover während ihres Urlaubs meinte der EGMR, die Fotos hätten „wenigstens in gewissem Umfang zu einer Diskussion im allgemeinen Interesse beigetragen“448 . Diese Argumentation macht zweierlei deutlich: Zum einen ist sie auf die Presseberichterstattung zugeschnitten und daher auf die Ad-hoc-Publizität kaum übertragbar. So ist ihr zentrales Kriterium  – „Debatte von allgemei­ nem Interesse“ – im Kapitalmarktrecht fehl am Platz, denn es geht hier um das ordnungsgemäße Funktionieren der Finanzmärkte und nicht um eine gesell­ schaftliche oder politische Debatte. Man kann auch nicht die „Debatte von all­ gemeinem Interesse“ einfach durch „das Interesse der Anleger“ ersetzen, weil dieses Merkmal der Sache nach bereits im Rahmen der Kursrelevanz geprüft wird; würde man es im Rahmen der Grundrechtsprüfung erneut gegen den Grundrechtsträger in Stellung bringen, so würde man es unzulässigerweise doppelt berücksichtigen. Außerdem macht es einen großen Unterschied, ob die Presse über eine Erkrankung berichten darf oder ob die Erkrankung zwingend im Wege der Ad-hoc-Mitteilung bekanntzumachen ist. Angesichts dieser 444 Vgl. EGMR , Urt. v. 7.2.2012  – 40660/08 und 60641/08, NJW 2012, 1053, Rn. 108, 110 – v. Hannover./.Deutschland (Nr. 2). 445  EGMR , Urt. v. 24.6.2004 – 59320/00, NJW 2004, 2647 – v. Hannover/​Deutschland (Nr. 1). 446 So EGMR NJW 2012, 1053, Rn. 110 – v. Hannover/​Deutschland (Nr. 2). 447  EGMR NJW 2012, 1053, Rn. 109 f. – v. Hannover/​Deutschland (Nr. 2). 448  EGMR NJW 2012, 1053, Rn. 118 – v. Hannover/​Deutschland (Nr. 2).



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deutlichen Unterschiede lässt sich die Rechtsprechung zur Presseberichterstat­ tung über Prominente für die Zwecke des Kapitalmarktrechts kaum fruchtbar gemachen. Zum anderen ließe sich auf diese Weise ohnehin keine allgemeine Ad-hocPublizitätspflicht bei Erkrankung von Schlüsselpersonen begründen. Be­ gründbar wäre höchstens eine Ad-hoc-Publizitätspflicht bei Erkrankung be­ sonders prominenter Wirtschaftsführer, also solcher Führungskräfte, die zugleich berühmte Persönlichkeiten sind.449 Die Vergleichsgruppe wären nach dem Urteil des BGH vom 14. Oktober 2008 „wichtige Politiker“ und „Staats­ oberhäupter“. Dabei wäre zu berücksichtigen, dass hierzulande Spitzenmana­ ger recht selten zu Personen zählen, die die breite Masse kennt. Anders als ihre US-amerikanischen Kollegen, stehen deutsche Manager nicht so häufig im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Eine schwere Erkrankung wäre also, wenn überhaupt, nur bei einigen wenigen Spitzenkräften publizitätspflichtig, also nicht einmal bei allen 30 DAX‑Vorstandsvorsitzenden. Wie engmaschig das Sieb ist, zeigen wiederum die zitierten BGH‑Urteile: In BGHZ 171, 275 sah der BGH die Erkrankung des Fürsten Rainier als zeitgeschichtliches Ereignis an, während er im Urteil vom 14. Oktober 2008 die Erkrankung des Prinzen von Hannover nicht als ein solches einstufte.450 Eine Herabsenkung der An­ forderungen an eine „Person des öffentlichen Lebens“, um die Erfassung mög­ lichst vieler Führungskräfte zu erreichen, kommt angesichts der eindeutigen nationalen und europäischen Rechtsprechung nicht in Betracht. Eine pressebzw. publizitätsfreundliche Haltung der US-amerikanischen Gerichte bei Ein­ griffen in die Privatsphäre von Führungskräften451 ließe sich also hierzulande nicht nachbilden. Die Zumutbarkeit des Grundrechtseingriffs könnte sich ferner daraus er­ geben, dass Schlüsselpersonen (und vor allem die Vorstandsmitglieder unter ihnen) für ihre Tätigkeit regelmäßig sehr gut vergütet werden: „Wer sich in der­ art exponierter Position mit derart auffälligem Salär befindet, muß sich auch öffentlich ausweisen.“452 Der Einwand dagegen lautet, dass es beunruhigend wäre, wenn es eine finanzielle Grenze, eine bestimmte Einkommenshöhe gäbe, bei deren Überschreitung die Bürger ihre fundamentalen Rechte verlören.453 449 In diese Richtung geht die Argumentation von Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 17 Rn. 385: „Der Betroffene muss eine Veröffentlichung umso eher hinnehmen, je herausragen­ der seine Stellung in dem Unternehmen und in der Öffentlichkeit ist.“ (Hervorhebung durch die Verf.). A. A. wohl Hübner, ZHR 183 (2019), 540­­­­, 566 f., 569, 574 (Organmitglieder als „Personen des öffentlichen Lebens“), relativierend wieder ders., a. a. O., S. 576 („im Einzel­ fall eine besondere Rolle im öffentlichen Leben“) sowie S. 549 (Organmitglieder seien über­ wiegend keine Wirtschaftsführer). 450 Siehe BGH NJW 2009, 754, 756. 451  Dazu § 3, II. 2. b) dieses Kapitels. 452 So Martens, ZHR 169 (2005), 124, 150, im Zusammenhang mit der Vorstandsver­ gütung. 453  Stokes, 17 Tex. Wesleyan L. Rev. 303, 316 (2011).

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Damit wird zu Recht angedeutet, dass die Gehaltshöhe ein Fremdkörper bei der grundrechtlichen Abwägung ist. Außerdem würde die hohe Vergütung allein den Eingriff von dem beschriebenen Ausmaß kaum rechtfertigen. Ab­ zustellen wäre also nicht auf die Vergütung als solche, sondern auf andere Kriterien, etwa darauf, dass Schlüsselpersonen in der Regel erhebliche frem­ de Vermögenswerte verwalten und für den Unternehmenserfolg von zentraler Bedeutung sind. Diese Kriterien wurden hier jedoch bereits berücksichtigt, als es um die Frage ging, ob die Offenlegung schwerer Krankheiten im Interesse der Anleger geboten wäre. Gegen die Offenlegung schwerer Krankheiten von Schlüsselpersonen spricht schließlich noch ein rechtspolitisches Argument. Geringerer Datenschutz als beim übrigen Personal setzt rechtspolitisch gesehen ein falsches Signal, weil damit bessere Leistungen mit dem Entzug der Privatsphäre bestraft werden. Ein US‑Autor bemerkt in diesem Zusammenhang: „The greatest cost [of dis­ closure – Verf.] is likely not a financial one, but an emotional and psychological one; it is the toll that is exacted from the disclosing executive und their fami­ ly“.454 Nicht für alle talentierten Führungskräfte wird dieser Nachteil durch die Vorteile aufgehoben, die eine Spitzenposition in einer börsennotierten Ge­ sellschaft mit sich bringt. Führungskräfte, die ihre Privatsphäre mehr schät­ zen, könnten sich von börsennotierten Unternehmen abwenden und andere Karrierewege vorziehen, z. B. in der Private-Equity-Branche. Manche Unter­ nehmensgründer würden ihre Start-ups gar nicht erst an die Börse bringen. Insgesamt würde sich der Pool geeigneter Führungskräfte für börsennotierte Gesellschaften verringern.455 Führungskräfte, die bei solchen Gesellschaften bereits tätig sind, könnte die Offenlegungspflicht im Krankheitsfall zum Rück­ tritt zwingen, auch wenn dies aus medizinischer und geschäftlicher Sicht nicht notwendig wäre. Für das Unternehmen hieße es, die Suche nach einem Nach­ folger zu starten, mit allen damit verbundenen Kosten und Risiken. Die Offenlegung würde also schwerwiegende Nachteile mit sich bringen, sowohl für die Grundrechtsträger als auch für die Allgemeinheit. Nachteile für die Grundrechtsträger bestünden in möglicher Gefährdung ihrer Gesund­ heit, Verschlechterung weiterer Karrierechancen und Stigmatisierung in der Öffentlichkeit. Die Allgemeinheit würde ihrerseits Nachteile in Form von Ge­ fährdung der öffentlichen Gesundheit und Verringerung des Pools geeigneter Kandidaten für Schlüsselpositionen in börsennotierten Gesellschaften erlei­ den. Fraglich ist, ob diese Nachteile durch die Vorteile der Offenlegung auf­ gewogen wären. Bei der Beantwortung dieser Frage ist zum einen die Bedeu­ 454 

Lin, 11 U. Pa. J. Bus. L. 383, 421 (2009). Heminway, 42 Wake Forest L. Rev. 749, 774 (2007); Horwich, 5 N. Y. U. J.L. & Bus. 827, 867 (2009); Lin, 87 Notre Dame L. Rev. 911, 962 ff. (2012); ders., 11 U. Pa. J. Bus. L. 383, 421 (2009); Schwartz, 57 B. C. L. Rev. 1963, 1730 (2016); Stokes, 17 Tex. Wesleyan L. Rev. 303, 317 f. (2011); vgl. auch Pollman, 99 Minn. L. Rev. 27, 70 (2014). 455 

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tung der verfolgten Ziele, zum anderen der Nutzen zu berücksichtigen, den der Grundrechtseingriff zur Erreichung dieser Ziele leistet.456 Der Eingriff hätte, wie bereits ausgeführt, die Verbesserung der Ad-hocPublizität zum Ziel. Die Ad-hoc-Publizität selbst hat mehrere wichtige Ziel­ setzungen. Als „tragende Säule des kapitalmarktrechtliches Informationssys­ tems“457 steigert sie die Informationseffizienz, indem sie dafür sorgt, dass zu einem gegebenen Zeitpunkt mehr Informationen in Marktpreisen reflektiert werden. Je besser der Markt informiert ist, desto besser kann er den Wert von Finanzinstrumenten einschätzen. Damit steigert die Ad-hoc-Publizität auch die Fundamentalwerteffizienz, bewirkt also, dass Marktpreise von Finanz­ instrumenten ihrem wahren Wert angenähert werden.458 Ad-hoc-Publizität spielt ferner eine wichtige Rolle bei Bekämpfung des Insiderhandels, weil die schnelle Veröffentlichung von Insiderinformationen dem Insiderhandel den Boden entzieht. Dadurch wird das Vertrauen der Anleger in den Kapitalmarkt und dessen institutionelle Effizienz gefördert.459 Teilweise wird der Zweck der Ad-hoc-Publizität auch in der Förderung eines kompetitiven Marktes für In­ formationshändler gesehen.460 Von der Ad-hoc-Publizität profitieren reflex­ artig auch weitere Akteure wie Aktionäre, Utilitätshändler, Gläubiger, Arbeit­ nehmer, Wettbewerber und der Staat.461 Insgesamt schafft sie Voraussetzungen für Wirtschaftswachstum und Wohlstand (Erwägungsgrund 2 MAR). Bei all­ dem handelt es sich um wichtige, dem Gemeinwohl dienende Ziele. Welchen Beitrag würde die Offenlegung schwerer Krankheiten zur Errei­ chung dieser Ziele leisten? Die Publizität würde den Anlegern die Möglich­ keit geben, die Leistungsfähigkeit der erkrankten Schlüsselperson besser ein­ zuschätzen. Die Anleger könnten dann besser beurteilen, ob diese Person aktuell in der Lage ist, ihre Aufgaben ordnungsgemäß zu erfüllen, ob sie dem­ nächst vorübergehend oder dauerhaft ausfällt, wann sie ins Geschäft zurück­ kehrt und ob sie nach der Rückkehr imstande sein wird, ihre Leistungen auf dem bisherigen Niveau zu erbringen. Auf dieser Grundlage wären effizientere Anlageentscheidungen möglich. Darüber hinaus könnte die Offenlegung Spe­ kulationen über den Gesundheitszustand von Schlüsselpersonen verhindern und somit zur Kursstabilität beitragen. 456 

Jarass, GRCh, Art. 52 Rn. 42. Assmann, in: Assmann/​Schneider, WpHG, § 15 Rn. 2; Petsch, Kapitalmarktrecht­ liche Informationspflichten, S. 113. 458  Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 17 Rn. 6; Zimmer/​Kruse, in: Schwark/​Zimmer, KMRK , § 15 WpHG Rn. 7; Waldhausen, Die ad-hoc-publizitätspflichtige Tatsache, S. 23 ff. 459  Geibel/​Schäfer, in: Schäfer/​ Hamann, KMG, § 15 WpHG Rn. 1; Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 17 Rn. 6; Zimmer/​Kruse, in: Schwark/​ Zimmer, KMRK, § 15 WpHG Rn. 8; Petsch, Kapitalmarktrechtliche Informationspflichten, S. 114. 460  Klöhn, in: KölnKomm WpHG, § 15 Rn. 5 ff.; ders., in: Klöhn, MAR , Art. 17 Rn. 7. 461  Auch dazu Klöhn, in: KölnKomm WpHG, § 15 Rn. 52 ff.; ders., in: Klöhn, MAR , Vor Art. 17 Rn. 69 ff. 457 

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Auf der anderen Seite soll dieser Beitrag, wie erheblich er auch sein mag, nicht überschätzt werden. Erstens stellt die Leistungsfähigkeit von Schlüssel­ personen nur ein Element in der Gesamtheit von Informationen, die für eine Anlageentscheidung relevant sind. Zweitens handelt es sich eher um ein un­ tergeordnetes Element, weil personenbezogene Mitteilungen im Gegensatz zu unternehmensbezogenen in der Regel eine schwächere Auswirkung auf den Fundamentalwert des Unternehmens haben. Informationen, welche die Pro­ dukte der Gesellschaft oder ihre finanzielle Lage betreffen, Prognosen für die kommende Geschäftsentwicklung oder Gewinnwarnungen haben grundsätz­ lich ein viel stärkeres Kursbeeinflussungspotential als private Fakten betref­ fend die Spitzenmanager oder sonstige wichtige Personen.462 Drittens ist die beschränkte Aussagekraft von Gesundheitsdaten zu beden­ ken: Es ist zwar möglich, aber bei Weitem nicht garantiert, dass der Anleger daraus weiterführende Erkenntnisse im Hinblick auf die aktuelle und künftige Leistungsfähigkeit der Schlüsselperson gewinnen kann. Vor allem die (Stan­ dard-)Prognose birgt das Risiko, dass der künftige Krankheitsverlauf vom prognostizierten Verlauf abweichen wird. Außerdem kann die Prognose vom Patienten teilweise beeinflusst werden: Ist er mit der ersten Prognose nicht zu­ frieden, so kann er sich theoretisch an einen anderen Arzt wenden, der ihm eine optimistischere Prognose gibt. Die Möglichkeit eines solchen „Doctor Shop­ ping“ macht die Prognose noch unsicherer. Viertens darf man nicht verges­ sen, dass die Offenlegung von Gesundheitsdaten nie ein vollständiges Bild von der Leistungsfähigkeit des Betroffenen vermitteln kann, solange nicht auch an­ dere relevante Faktoren veröffentlicht werden. Dieses Problem wurde bereits im Zusammenhang der Geeignetheit der Offenlegungspflicht angesprochen. An dieser Stelle ist zu wiederholen, dass sich die Teilgeeignetheit des Eingriffs nicht nur aus der Rechtsunsicherheit ergibt, die mit dem Begriff „Schlüsselper­ son“ verbunden ist, sondern auch daraus, dass Gesundheitsdaten für die Op­ timierung von Anlageentscheidungen nur begrenzt nutzbar sind. Ob die Offenlegung von Gesundheitsdaten darüber hinaus einen positiven Effekt auf die Corporate Governance und insbesondere auf die Nachfolgepla­ nung hätte463, ist fraglich. Dass eine geregelte Nachfolge wichtig ist, dürfte auch ohne Offenlegung von Gesundheitsdaten bekannt sein, zumal Unternehmen ihre Schlüsselpersonen nicht nur durch Krankheit, sondern auch durch Un­ fall oder plötzlichen Tod verlieren können. Die Offenlegung kann zwar noch mal ins Bewusstsein rufen, dass Führungskräfte wie alle anderen Menschen an Krankheiten leiden und sterblich sind. Es scheint aber unwahrscheinlich, dass Gesellschaften, die aus irgendeinem Grund dem Problem der Nachfolge aus 462  Heminway, 42 Wake Forest L. Rev. 749, 764 f. (2007); dies., 11 Transactions: Tenn. J. Bus. L. 111, 120 (2009); Stokes, 17 Tex. Wesleyan L. Rev. 303, 322 (2011). 463 So Barnard, 21 J. Corp. L. 307, 328 (1996); Lin, 11 U. Pa. J. Bus. L. 383, 396 f. (2009).



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dem Weg gehen, durch den Offenlegungszwang zur Nachfolgeplanung moti­ viert werden. Das Gleiche gilt für das Argument, die Offenlegung könne An­ reize dazu schaffen, mehr Tiefe in die Verwaltungsstrukturen einzubauen oder Alternativen zum One-Man-Show-Stil mancher CEOs auszuloten.464 Flache Verwaltungsstrukturen, egal wie man sie bewertet, und One-Man-Show-Lei­ tungsstil haben ihre Wurzeln in der US-amerikanischen Corporate-Gover­ nance-Kultur.465 Allein die Einsicht, dass CEOs sterblich sind, würde an die­ sen Phänomenen nichts ändern. Summa summarum würde die Offenlegung von Gesundheitsdaten zwar sehr wichtigen Zielen dienen, aber zur Verwirklichung dieser Ziele nur einen untergeordneten Beitrag leisten; ein Beitrag zur Verbesserung der Corpora­ te Governance wäre von vornherein zweifelhaft. Diesem Beitrag stünde ein schwerwiegender Eingriff in ein wichtiges Grundrecht gegenüber, der auch für die Allgemeinheit mit Risiken verbunden wäre. Unter diesen Umständen muss die Abwägung zu Gunsten der Grundrechtsträger ausgehen. 3.  Grundrechtskonforme Auslegung der MAR Da die Pflicht zur Offenlegung von Gesundheitsdaten mit den EU‑Grund­ rechten unvereinbar ist466 , stellt sich die Frage, ob die MAR „grundrechts­ freundlicher“ ausgelegt werden kann. Dazu sind zunächst die Normen zu bestimmen, die einer solchen Auslegung zugänglich sind. Insoweit gibt zwei Alternativen: Art. 7 Abs. 1 lit. a, Abs. 4 (Begriff der Insiderinformationen) und Art. 17 Abs. 1 MAR (Pflicht zur Veröffentlichung von Insiderinformationen). Das deutsche Schrifttum hat bisher immer die Pflicht zur Veröffentlichung von Insiderinformationen (§ 15 WpHG) grundrechtskonform ausgelegt, wenn es darum ging, einen Ausgleich zwischen der Offenlegung und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zu finden. Das Problem ist, dass sowohl § 15 WpHG als auch Art. 17 Abs. 1 MAR der Auslegung kaum zugänglich sind. So bestimmt Art. 17 Abs. 1 MAR: „Emittenten geben der Öffentlichkeit Insiderinformatio­ nen, die unmittelbar den diesen [sic] Emittenten betreffen, so bald wie möglich bekannt.“ Sucht man hier nach auslegungsfähigen Rechtsbegriffen, die nach der Dürig’schen Drittwirkungslehre als Einbruchsstellen für die Grundrechte dienen könnten, so kämen nur zwei in Frage: der Begriff „unmittelbar“ und der Begriff „Insiderinformation“. Dabei scheidet das Merkmal „unmittelbar“ aus, weil die Information über eine schwere Erkrankung einer Schlüsselper­ son im Tätigkeitsbereich des Emittenten eintritt und daher einen unmittel­ 464  Barnard, 21 J. Corp. L. 307, 328 (1996). 465  Zu den Ursachen des Letzteren eingehend Khurana, Searching for a corporate savior,

S. 20 ff. 466 Anders Assmann, in: Assmann/​ Schneider/​Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014, Art. 17 Rn. 74 f. sowie Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 17 Rn. 379 ff., die für eine einzelfallbezogene Abwägung plädieren.

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Kapitel 3: Offenlegungspflichten bei Krankheit

baren Emittentenbezug aufweist467; eine andere Auslegung ist gar nicht mög­ lich. Was das Merkmal der Insiderinformation angeht, so wird dieses an einer anderen Stelle legal definiert (Art. 7 MAR), weshalb es sich anbietet, die grund­ rechtskonforme Auslegung dort zu verorten. Warum das deutsche Schrifttum bisher anders verfahren hat, ist m. E. nur historisch zu erklären. Die ursprüngliche, bis zum 29. Oktober 2004 geltende Fassung des § 15 Abs. 1 S. 1 WpHG enthielt neben der Regelung der Publizi­ tätspflicht auch die Merkmale der Insiderinformation. Sie lautete: „Der Emittent von Wertpapieren, die zum Handel an einer inländischen Börse zuge­ lassen sind, muß unverzüglich eine neue Tatsache gemäß § 15 Abs. 3 Satz 1 veröffent­ lichen, die in seinem Tätigkeitsbereich eingetreten und nicht öffentlich bekannt ist, wenn sie wegen der Auswirkungen auf die Vermögens- oder Finanzlage oder auf den allgemeinen Geschäftsverlauf des Emittenten geeignet ist, den Börsenpreis der zugelas­ senen Wertpapiere erheblich zu beeinflussen […]“.

Dementsprechend wählte die ältere Literatur das Merkmal „Auswirkung auf die Vermögens- oder Finanzlage oder auf den allgemeinen Geschäftsverlauf des Emittenten“ als Anknüpfungspunkt für die grundrechtskonforme Aus­ legung.468 Dieses Merkmal wurde später in die Legaldefinition der Insider­ information in § 13 WpHG aufgenommen. Dennoch ist die Literatur ihrem ursprünglichen Ansatz treu geblieben und hat die verfassungskonforme Aus­ legung bei § 15 WpHG verankert, ohne allerdings zu erklären, welches seiner Merkmale sie verfassungskonform auslegt.469 Das Gleiche geschieht heute bei Art. 17 MAR.470 Der richtige Auslegungsgegenstand wäre nach alledem der Begriff der In­ siderinformation, der gleich mehrere auslegungsfähige Bestandteile enthält. Nach Art. 7 Abs. 1 lit. a MAR zeichnen sich Insiderinformationen dadurch aus, dass sie geeignet sind, den Kurs der Finanzinstrumente „erheblich zu beein­ flussen“. In Abs. 4 wird die Eignung zur erheblichen Kursbeeinflussung da­ hingehend definiert, dass es sich um Informationen handeln muss, die ein „verständiger Anleger wahrscheinlich als Teil der Grundlage seiner Anlage­ entscheidungen“ nutzen würde. Dies trifft allerdings auf die Gesundheits­ daten von Schlüsselpersonen zu, so dass diese Daten nach dem Wortlaut des Art. 7 Abs. 1 lit. a, Abs. 4 MAR unter den Begriff „Insiderinformation“ fal­ len. Sie aus diesem Begriff wieder herauszunehmen, wäre nur möglich, wenn die Norm zugleich auf die Interessen derjenigen abstellen würde, deren Pri­ vatleben Gegenstand der Insiderinformation wird. Diese Interessen werden 467  468 

Vgl. die Nachw. in der Fn. 146. Siehe etwa Schumacher, NZG 2001, 769, 777; Wertenbruch, WM 2001, 193, 194. 469 Vgl. Klöhn, in: KölnKomm WpHG, § 15 Rn. 332; Fleischer, FS Uwe Schneider, S. 333, 348 f.; so wohl auch Bayer, FS Hommelhoff, S. 87, 95. 470 Vgl. Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 17 Rn. 380 ff.; Schnorbus/​K lormann, WM 2018, 1069, 1078.



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aber hier genauso wenig berücksichtigt wie im Materiality-Begriff des USamerikanischen Rechts. Was „material“ ist bzw. was sich zu einer erheblichen Kursbeeinflussung eignet, bestimmt sich allein aus der Sicht des „verständigen Anlegers“, also aus der Sicht des Finanzmarktes. Private Geheimhaltungsinte­ ressen bleiben außen vor. Grundrechtskonforme Auslegung wäre daher nur durch die Überwin­ dung der Wortlautgrenze möglich. Zumindest im deutschen (Verfassungs-) Recht wird diese Grenze grundsätzlich als überwindbar betrachtet.471 Zulässig ist insbesondere eine teleologische Reduktion, um eine bestimmte Gesetzes­ norm in Einklang mit der Verfassung zu bringen.472 Der Sache nach handelt es sich dabei allerdings nicht mehr um eine Auslegung, sondern um eine verfas­ sungskonforme Rechtsfortbildung oder verfassungskonforme Reduktion.473 Im Rahmen einer solchen Reduktion werden jene Sachverhalte aus dem An­ wendungsbereich der Norm herausgenommen, die aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht erfasst werden dürfen. Voraussetzung ist, dass der mutmaß­ liche Wille des Gesetzgebers nicht entgegensteht.474 Sauer formuliert es wie folgt: „Ist das Ziel einer möglichst weitgehenden Regelung zugunsten ande­ rer Rechtsgüter deutlich, der insofern angezeigte Eingriff aber nicht in Gänze verfassungsrechtlich zu rechtfertigen, mithin für den Betroffenen nicht voll­ umfänglich zumutbar, und vom Gesetzgeber nicht dezidiert in gerade dieser Form gewollt, ist eine Reduktion zulässig.“475 Die Voraussetzungen für eine solche Reduktion, die im hiesigen Kontext wohl „grundrechtskonforme“ oder „primärrechtskonforme“ Reduktion hei­ ßen soll, wären im Hinblick auf Art. 7 MAR gegeben. Das Ziel der Vorschrift ist eine möglichst umfassende Offenlegung kursrelevanter Informationen zu­ gunsten gut funktionierender Märkte, also zugunsten „anderer Rechtsgüter“. Aus der Sicht der Grundrechtecharta ist die Norm aber nicht in Gänze zu recht­ fertigen, weil sie bei wortlautgetreuer Anwendung auch zur Offenlegung von sensiblen persönlichen Daten, insbesondere von Gesundheitsdaten, zwingt, was für die Betroffenen unzumutbar wäre. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der EU‑Gesetzgeber den Eingriff in dieser Form bewusst 471  BVerfGE 35, 263, 278 f. – Nachbarklage; 88, 145, 166 f. – Vergütung des Konkursverwalters; 97, 186, 196 – Kleinbetriebsklausel II; Jarass, in: Jarass/​Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 67. 472  BVerfGE 88, 145, 166 f.  – Vergütung des Konkursverwalters; 97, 186, 196  – Kleinbetriebsklausel II; Jarass, in: Jarass/​Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 67. 473  Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 340; Looschelders/​Roth, Juristi­ sche Methodik im Prozeß der Rechtsanwendung, S. 263; Koch/​Rüßmann, Juristische Be­ gründungslehre, S. 268 f.; Roth, NVwZ 1998, 563, 566; Sauer, Wortlautgrenze der verfas­ sungskonformen Auslegung?, Univ. Freiburg, Institut für Öffentliches Recht, 2006, S. 5 f. Nach Prümm, JuS 1975, 299, 304 handelt es sich um eine „qualitative Teilnichtigkeitserklä­ rung“, die, wie er betont, dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten bleibt. 474  Looschelders/​Roth, Juristische Methodik im Prozeß der Rechtsanwendung, S. 263. 475  Sauer, Wortlautgrenze der verfassungskonformen Auslegung?, Univ. Freiburg, In­ stitut für Öffentliches Recht, 2006, S. 10 (Kursiv wie im Original).

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vorgenommen hat.476 Vielmehr dürfte ihm diese Eingriffsdimension verbor­ gen geblieben sein. Dafür spricht insbesondere der Erwägungsgrund 77 MAR, in dem mögliche Spannungen zwischen der Verordnung und den Rechten auf Pressefreiheit und freie Meinungsäußerung thematisiert werden. Die Rechte auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten wer­ den dagegen nicht erwähnt. Dies legt den Schluss nahe, dass der Verordnungs­ geber an mögliche Kollisionen der MAR mit diesen Rechten nicht gedacht hat oder davon ausgegangen ist, dass sich solche Kollisionen nicht ereignen kön­ nen. Wichtig ist zudem, dass sich der Verordnungsgeber im Erwägungsgrund 77 ausdrücklich zu den Charta-Grundrechten bekennt und betont, dass die Verordnung im Einklang mit ihnen ausgelegt und angewandt werden soll. Damit steht sein Wille einer grundrechtskonformen Reduktion der Verord­ nung nicht entgegen, im Gegenteil: Eine solche Reduktion ist sogar ausdrück­ lich gewollt, sollte die MAR in den Konflikt mit den Grundrechten kommen. Art. 7 Abs. 1 lit. a, Abs. 4 ist somit grundrechtskonform dahingehend zu redu­ zieren, dass Gesundheitsdaten von Personen, die für den Emittenten tätig sind, nicht unter den Begriff der Insiderinformation fallen. Folgt man dieser Auffas­ sung nicht, so bleibt nichts anderes übrig, als die Vorschrift für teilweise pri­ märrechtswidrig zu erklären. Die Veröffentlichung von Gesundheitsdaten (Diagnose und Prognose) hat daher zu unterbleiben. Fraglich ist nur noch, ob der Emittent bei der Ad-hocVeröffentlichung von Personalveränderungen einen pauschalen Hinweis geben muss, dass diese Veränderungen auf eine Erkrankung zurückgehen, etwa dass das Ausscheiden krankheitsbedingt erfolgt oder dass die Auszeit aus gesund­ heitlichen Gründen genommen wird.477 Vor allem beim Ausscheiden kann dies nützlich sein, z. B. um den Spekulationen über den Rücktrittsgrund vorzubeu­ gen. Zweifel an der Zulässigkeit solcher Hinweise ergeben sich daraus, dass sie trotz ihres allgemeinen Charakters Informationen enthalten, die sich auf eine identifizierte natürliche Person beziehen und damit personenbezogene Daten darstellen (vgl. Art. 4 Ziff. 1 DS‑GVO). Darüber hinaus handelt es sich auf­ grund der Nennung des Gesundheitszustandes um sensible Daten. Der Ein­ griff in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz per­ sonenbezogener Daten fällt zwar deutlich geringer aus als bei der Angabe der Diagnose und Prognose; insbesondere ist die Gefahr der Stigmatisierung kaum 476  Ähnliche

Probleme ergeben sich auf der nationalen Ebene: § 22 BDSG, der die Ver­ arbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten regelt, kennt keine Verarbei­ tung von Gesundheitsdaten zu kapitalmarktrechtlichen Zwecken (vgl. Abs. 1 Ziff. 1). Zwar erlaubt § 22 Abs. 1 Ziff. 2 lit. a BDSG zusätzlich, besondere Kategorien personenbezogener Daten „aus Gründen eines erheblichen öffentlichen Interesses“ zu verarbeiten, diese Er­ mächtigung gilt jedoch nur für „öffentliche Stellen“. Ein Privater, etwa ein Emittent, der im Rahmen der Ad-hoc-Publizität Daten verarbeitet, könnte auf diese Ermächtigung nicht zurückgreifen. 477 Verneinend Schnorbus/​K lormann, WM 2018, 1069, 1078.



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gegeben, weil die Art der Erkrankung nicht genannt wird. Nachteilige Kon­ sequenzen für die berufliche Zukunft wären aber auch in diesem Fall nicht ausgeschlossen. Außerdem ist zu bedenken, dass es dem Grundrechtsträger wichtig sein kann, seine Erkrankung absolut geheim zu halten. Je nachdem wie bekannt er ist, kann sogar ein bloßer Hinweis auf gesundheitliche Gründe die Aufmerksamkeit der Medien auf ihn lenken. Es kann für die Presse loh­ nend sein herauszufinden, woran genau er erkrankt ist. Dies kann wiederum dazu führen, dass er auf Schritt und Tritt beobachtet und der Möglichkeit be­ raubt wird, sich für eine erforderliche Behandlung zurückzuziehen. Deshalb ist davon auszugehen, dass der Hinweis auf Gesundheitsprobleme als Grund für das Ausscheiden nur mit Zustimmung des Betroffenen veröffentlicht wer­ den darf. Ganz ähnlich verhält es sich bei einer Auszeit. Auch hier wäre der Hinweis, dass die Auszeit wegen einer Erkrankung („krankheitsbedingt“) genommen wird, als Grundrechtseingriff zu werten, der für den Grundrechtsträger die gleichen nachteiligen Konsequenzen hätte wie der Hinweis auf ein „krank­ heitsbedingtes“ Ausscheiden. Zudem wäre der Eingriff kaum geeignet, den Wissensstand der Anleger zu verbessern, denn, wie oben bereits ausgeführt, führt ein solcher Hinweis den Anleger überhaupt nicht weiter. Er kann daher aus kapitalmarktrechtlicher Sicht genauso gut unterbleiben. Mit Zustimmung des Betroffenen darf er dagegen veröffentlicht werden, was in der Praxis auch häufig geschieht.478 4. Ergebnis Die Pflicht zur Veröffentlichung sensibler Gesundheitsdaten (Diagnose und Prognose), die sich in bestimmten Situationen aus Art. 17 i. V. m. Art. 7 MAR ergibt, wäre mit den Grundrechten der erkrankten Person aus Art. 7 und 8 GRCh nicht zu vereinbaren. Die Ad-hoc-Publizität würde zwar wichti­ gen Zielen dienen, könnte aber zur Zielverwirklichung lediglich einen unter­ geordneten Beitrag leisten. Dieser Beitrag stünde in keinem Verhältnis zu dem schweren Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen, der mit der Offenle­ gung sensibler persönlichen Daten einherginge und sowohl für den Grund­ rechtsträger als auch für die Allgemeinheit Risiken und Nachteile verursachen würde. Durch eine bloße Auslegung des Art. 7 MAR ist der Konflikt der Pu­ blizitätspflicht mit den EU‑Grundrechten nicht zu überwinden, da der Begriff der Insiderinformation allein auf die Interessen der Anleger abstellt und somit nicht erlaubt, andere Interessen, etwa die Interessen des von der Ad-hoc-Ver­ öffentlichung Betroffenen, zu berücksichtigen. Um die Konformität der MAR mit dem europäischen Primärrecht herzustellen, muss Art. 7 MAR grund­ rechtskonform dahingehend reduziert werden, dass sensible Gesundheitsdaten 478 Dazu

Schnorbus/​Klormann, WM 2018, 1069, 1078.

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Kapitel 3: Offenlegungspflichten bei Krankheit

von Personen, die für den Emittenten tätig sind, nicht unter den Begriff der In­ siderinformation fallen. Der Wille des Verordnungsgebers steht einer solchen Reduktion nicht im Wege; er begünstigt sie sogar. Mit Rücksicht auf die Grundrechte dürfen gesundheitsbezogene Daten nicht offengelegt werden. Scheidet also eine Schlüsselperson krankheitsbedingt aus ihrem Amt aus, so ist der Markt nur über das Ausscheiden als solches zu in­ formieren, eventuell auch über die Person des Nachfolgers. Dass eine Erkran­ kung zum Ausscheiden geführt hat, darf nur mit Zustimmung des Betroffenen mitgeteilt werden. Bei einer krankheitsbedingten Auszeit hat der Emittent die Angaben zur Auszeit als solchen zu machen, sowie, falls möglich, zur voraus­ sichtlichen Dauer dieser Auszeit und zum Vertreter der erkrankten Schlüs­ selperson. Auch hier bedarf der Hinweis, dass die Auszeit aus gesundheitli­ chen Gründen oder aufgrund einer schweren Krankheit genommen wird, der Zustimmung des Betroffenen. Mit einer solchen Zustimmung können selbst­ verständlich auch weitere Informationen zur Erkrankung, etwa ihre Art, die Prognose, die beabsichtigte Therapie und Ähnliches bekannt gegeben werden. Gesundheitsdaten dürfen schließlich ohne Zustimmung der erkrankten Person auch dann nicht veröffentlicht werden, wenn diese Person im Amt bleibt, egal ob es zu einer Leistungsbeeinträchtigung kommt oder nicht. Stimmt der Betroffene der Offenlegung seiner Gesundheitsdaten zu, stellt sich die Frage, wie viel Offenheit in der Praxis empfehlenswert ist. Dies hängt vom Einzelfall ab; insbesondere dann, wenn in der Öffentlichkeit bereits Ge­ rüchte kursieren, die den Wert der betroffenen Finanzinstrumente negativ be­ einflussen (können), kann eine detaillierte Offenlegung aus Sicht des Emit­ tenten sinnvoll sein. Sie kann helfen, die Situation wieder unter Kontrolle zu bringen, die Spekulationen zu beenden und das Vertrauen der Investoren zu gewinnen.479 Ansonsten kann sich das Unternehmen in eine Steve-Jobs-Situa­ tion manövrieren, in der fehlende, unvollständige oder irreführende Offenle­ gung zur Entstehung immer neuer Gerüchte führt und dieses Zusammenspiel von Verheimlichung und Gerüchten die Kurse dramatisch und unkontrolliert einbrechen lässt. Insofern hat die detaillierte und rechtzeitige Offenlegung durchaus einen taktischen Vorteil gegenüber einer spärlichen Informations­ politik. Vor der Offenlegung soll der Emittent in jedem Fall alle Fragen klären, die für die Anleger wichtig sein können (etwa Art der Erkrankung; Prognose; Person des Vertreters oder des Nachfolgers), und in der Mitteilung auf diese Fragen eingehen. Wichtig ist, einerseits offen zu sein und die Fakten nicht zu 479  Cahill, JPMorgan did right by investors with disclosures on CEO’s health, Crain’s Chicago Business Online, 10.12.2014; so auch Copeland, A sick CEO’s full disclosure, For­ tune Online, 7.10.2010, wiederum den Rechtsanwalt Larry Sonsini zitierend: „If you are a high-profile CEO, it is better to get out in front of these things, to get the information out, because it will leak out. You really want to show that you are in control of the information.“; vgl. auch Perryman/​Butler/​Martin/​Ferris, Business Horizons 53 (2010), 21, 27.



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beschönigen, andererseits aber zu zeigen, dass man handelt und dass die Zu­ kunft des Unternehmens sicher ist.480

§ 4.  Interne Offenlegungspflichten Bis jetzt galt es herauszufinden, welche Vorgaben die Ad-hoc-Publizitäts­ pflichten in börsennotierten Gesellschaften für die Offenlegungspflichten im Innenverhältnis enthalten. Dieses Ziel gab den Anlass, die Ad-hoc-Publi­ zitätspflichten bei schweren Erkrankungen von Organmitgliedern zu unter­ suchen. Dabei wurde festgestellt, dass diese Pflichten wegen der kollidierenden EU‑Grundrechte sehr begrenzt sind: Offenzulegen sind nur personelle Im­ plikationen der Erkrankung, d. h. Informationen über ein etwaiges Ausschei­ den der Organperson aus dem Amt oder über eine von ihr genommene Aus­ zeit. Irgendwelche Angaben zur Erkrankung darf der Emittent dagegen ohne Zustimmung des Betroffenen nicht machen. Die einzelne Vorgabe für die in­ terne Offenlegungspflicht besteht also darin, dass die erkrankte Organperson der Gesellschaft rechtzeitig darüber informieren muss, ob und wann sie vorhat auszuscheiden bzw. ob sie eine Auszeit nehmen möchte und wie lange diese voraussichtlich dauern soll. Dies ist das Mindeste, was im Innenverhältnis mit­ geteilt werden soll. Nachfolgend wird untersucht, ob die internen Offenlegungspflichten über dieses Mindestmaß hinausgehen und wie sie im Einzelnen beschaffen sind. Dabei ist zu bedenken, dass auch diese internen Pflichten durch die Grund­ rechte, nämlich die Artt. 7 und 8 GRCh sowie das allgemeine Persönlich­ keitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG), beschränkt werden. Bei der Untersuchung bietet es sich an, mit der Offenlegungspflicht der Vorstands­ mitglieder einer AG zu beginnen, zumal dazu bereits einige Untersuchungen existieren. Anschließend können die Besonderheiten beleuchtet werden, die für Aufsichtsratsratsmitglieder in Aktiengesellschaften sowie für Organper­ sonen in der GmbH gelten.

I.  Offenlegungspflicht der Vorstandsmitglieder einer AG 1.  Entstehung, Inhalt und Grenzen a)  Das Modell der „gestuften Mitteilungspflicht“ Soweit es um schwere Erkrankungen von Vorstandsmitgliedern einer AG geht, wird im juristischen Schrifttum nahezu einhellig für eine „gestufte Mittei­ lungspflicht“ plädiert. Ihre Grundzüge lassen sich wie folgt zusammenfassen: 480 

Olsen, Hemisphere Magazine, 3/2005.

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Kapitel 3: Offenlegungspflichten bei Krankheit

Das Vorstandsmitglied ist zur Offenlegung verpflichtet, wenn bei ihm eine Erkrankung diagnostiziert wird, die wahrscheinlich zu einem längeren (drei bis vier Wochen) Ausfall oder zu einem vollständigen Verlust der Dienstfähig­ keit innerhalb eines überschaubaren Zeitraums führen wird.481 Die Pflicht ent­ steht nicht direkt nach der Diagnose, vielmehr hat der Kranke eine Bedenkzeit, kann also „mit sich und seiner Familie zu Rate gehen – was das für ihn und sein weiteres Leben bedeutet, ob er sich aus dem Beruf zurückziehen oder das gerade nicht will.“482 Zudem muss er zunächst nur den Aufsichtsratsvorsitzen­ den informieren (erste Stufe). Später leitet der Aufsichtsratsvorsitzende diese Informationen an den Personalausschuss oder an das Präsidium vertraulich weiter (zweite Stufe). Auf der dritten und letzten Stufe werden schließlich der Gesamtaufsichtsrat durch dessen Vorsitzenden und der Vorstand durch den Erkrankten benachrichtigt.483 Eine weitere Einschränkung erfährt die Mittei­ lungspflicht im Hinblick auf den Umfang der mitzuteilenden Information: Der Betroffene muss seine Vorstandskollegen und den Aufsichtsratsvorsitzenden lediglich über den zu erwartenden Dienstausfall und dessen Dauer bzw. über einen drohenden dauerhaften Verlust der Dienstfähigkeit in Kenntnis setzen. Weitere Angaben, etwa zur Diagnose oder beabsichtigten Therapie, sind nicht erforderlich484, können allerdings freiwillig gemacht werden.485 Zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des erkrankten Vorstandsmitglieds wird also dessen Mitteilungspflicht in dreierlei Hinsicht eingeschränkt: erstens im Hinblick auf ihre Entstehungsvoraussetzungen (drohender längerer Dienst­ ausfall), zweitens im Hinblick auf die Informationsempfänger (zunächst nur der Aufsichtsratsvorsitzende) und drittens im Hinblick auf den Umfang der Information (vorübergehender oder dauerhafter Verlust der Dienstfähigkeit). Dabei stellt sich die Frage, ob das skizzierte Modell der gestuften Mitteilungs­ pflicht einen tauglichen Kompromiss zwischen den Rechten des kranken Vor­ standsmitglieds und den Interessen der AG darstellt. Zustimmung verdient die Idee, dass die Mitteilungspflicht nicht sofort nach der Diagnose greifen soll, weil der Betroffene regelmäßig etwas Zeit benötigt, um die Tatsache, dass er ernsthaft krank ist, psychisch zu verarbeiten, mit den 481  Spindler, in: MüKo AktG, § 84 Rn. 111; Bayer, FS Hommelhoff, S. 87, 90; Fonk, in: Semler/von Schenck, ARHdb. § 10 Rn. 161; ähnlich Fleischer, NZG 2010, 561, 564 und ders., Der Aufsichtsrat 2010, 86, 87; Schnorbus/​Klormann, WM 2018, 1069, 1073. 482  Lutter, Der Aufsichtsrat 2009, 97; in der Sache genauso Schnorbus/​K lormann, WM 2018, 1069, 1073. 483  Lutter, Der Aufsichtsrat 2009, 97; ihm folgend Fleischer, NZG 2010, 561, 564; ders., Der Aufsichtsrat 2010, 86, 87; Bayer, FS Hommelhoff, S. 87, 91; Fonk, in: Semler/von Schenck, ARHdb. § 10 Rn. 161. 484  Spindler, in: MüKo AktG, § 84 Rn. 111; Bayer, FS Hommelhoff, S. 87, 91; Fleischer, NZG 2010, 561, 564; ders., Der Aufsichtsrat 2010, 86, 87; Fonk, in: Semler/von Schenck, ARHdb. § 10 Rn. 161; Schnorbus/​Klormann, WM 2018, 1069, 1073 f.; unklar Lutter, Der Aufsichtsrat 2009, 97. 485 So Bayer, FS Hommelhoff, S. 87, 91.



§ 4.  Interne Offenlegungspflichten

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behandelnden Ärzten in Ruhe die Heilungsaussichten und die Therapiemög­ lichkeiten zu erörtern und zu entscheiden, ob die Krankheit mit der berufli­ chen Tätigkeit vereinbar ist. Fällt das Vorstandsmitglied wegen seiner Erkran­ kung aus, so sind der Bedenkzeit allerdings natürliche Grenzen gesetzt, weil es die Gesellschaft über die krankheitsbedingte Auszeit informieren muss (dazu sogleich unter „b“). In anderen Fällen kann die Überlegungszeit umgekehrt länger sein, z. B. wenn der Betroffene Zweifel an der Richtigkeit der Diagnose hat. In dieser Situation ist es ihm zuzubilligen, weitere ärztliche Meinungen einzuholen; genau genommen geht es hier zunächst nur um einen Krankheits­ verdacht, der abgeklärt werden soll.486 Angesichts dieser situationsabhängigen Besonderheiten kann es keinen allgemeinen Richtwert für die Dauer einer an­ gemessenen Überlegungszeit geben. Bedenklich ist es dagegen, den Aufsichtsratsvorsitzenden als den primären Informationsadressaten anzusehen. Warum soll der Erkrankte nicht zuerst das Organ informieren, dem er angehört, nämlich den Vorstand? Die Personal­ kompetenz über den Vorstand steht wiederum nicht dem Aufsichtsratsvorsit­ zenden zu, sondern dem Aufsichtsrat als Gesamtorgan. Die informationelle Privilegierung des Aufsichtsratsvorsitzenden ist vermutlich dessen Sonder­ stellung als Ansprechpartner des Vorstands sowie Sitzungsleiter, Koordinator und Erklärungsvertreter des Aufsichtsrats geschuldet.487 Er prägt maßgeblich die Arbeit im Aufsichtsrat und soll bei Interessenkonflikten in diesem Organ als Erster informiert werden.488 Er ist Repräsentant des Aufsichtsrats und in dieser Eigenschaft ständiger Ansprechpartner und Berater des Vorstands.489 Er ist Adressat der Sonderberichte des Vorstands nach § 90 Abs. 1 S. 3 AktG und erhält darüber hinaus durch seine Kontakte zum Vorstand und zum Vor­ standsvorsitzendem „zahlreiche weitere Informationen“490. Teile der Literatur beschreiben die informationelle Stellung des Aufsichtsratsvorsitzenden daher wie folgt: „Aus der Rolle des Aufsichtsratsvorsitzenden als ‚informationellem Bindeglied‘ zwischen dem Vorstand und dem übrigen Aufsichtsrat folgt im Allgemeinen ein deutlicher Informationsvorsprung mit der Folge, dass der Aufsichtsratsvorsitzende das bestinformierte Aufsichtsratsmitglied ist und 486 

Dazu § 2 II 3. Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 107 Rn. 38 ff.; Hopt/​Roth, in: Groß­ komm AktG, § 107 Rn. 62 ff.; Spindler, in: Spindler/​Stilz, AktG, § 107 Rn. 39 f.; Habersack, in: MüKo AktG, § 107 Rn. 48; Schenck, in: Semler/von Schenck, ARHdb. § 5 Rn. 2; ders., AG 2010, 649 ff.; Drinhausen/​Marsch-Barner, AG 2014, 337 ff. 488  Habersack, in: MüKo AktG, § 100 Rn. 100; so auch DCGK , Empfehlung E. 1 S. 1; etwas weicher Diekmann/​Fleischmann, AG 2013, 141, 145, 148; Drinhausen/​Marsch-Barner, AG 2014, 337: Richtiger Informationsadressat sei zwar der Gesamtaufsichtsrat, aber in der Praxis empfehle es sich, den Aufsichtsratsvorsitzenden vorab zu informieren. 489  Spindler, in: Spindler/​ Stilz, AktG, § 107 Rn. 39; Drinhausen/​Marsch-Barner, AG 2014, 337, 348; vgl. auch DCGK, Empfehlung D. 6. 490  Drinhausen/​Marsch-Barner, AG 2014, 337, 341. 487 Dazu

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auch sein sollte.“491 Im DCGK 2020 wird die Bindegliedrolle des Aufsichts­ ratsvorsitzenden noch stärker betont: Er soll zwischen den Sitzungen mit dem Vorstand, insbesondere mit dem Vorsitzenden bzw. Sprecher des Vorstands, regelmäßig Kontakt halten und mit ihm Fragen der Strategie, der Geschäfts­ entwicklung, der Risikolage, des Risikomanagements und der Compliance des Unternehmens beraten (Empfehlung D. 6). Allerdings ist diese starke Rolle des Aufsichtsratsvorsitzenden de lege lata nicht abgesichert und daher für diesen selbst sowie für die übrigen Aufsichts­ ratsmitglieder mit Haftungsrisiken verbunden.492 Deshalb ist ihre weitere Stärkung durch das Modell der gestuften Mitteilungspflicht nicht unproble­ matisch. Zudem geht es in diesem Modell nicht um den „klassischen“ Aus­ tausch zwischen dem Vorstands- und dem Aufsichtsratsvorsitzenden, son­ dern um den Informationsfluss zwischen dem Aufsichtsratsvorsitzenden und einem einzelnen Vorstandsmitglied.493 Ein solcher Informationsfluss, der am Vorstand als Gesamtorgan vorbei geht, ist eher ungewöhnlich. Normalerweise kann sich ein einzelnes Vorstandsmitglied zwar in besonderen Situationen an den Aufsichtsrat wenden, z. B. wenn es einen bestimmten Vorstandsbeschluss für rechtswidrig hält, aber auch dann muss es kraft seiner Pflicht zur loya­ len Zusammenarbeit die Bedenken gegen den Beschluss zuerst im Wege der Remonstration im Vorstand vortragen.494 Zugegebenermaßen empfielt neu­ erdings auch der DCGK dem Vorstandsmitglied, sich im Falle eines Interes­ senkonflikts direkt an den Vorsitzenden des Aufsichtsrats zu wenden. Gleich­ zeitig soll aber der Betroffene den Interessenkonflikt dem Vorsitzenden bzw. Sprecher des Vorstands offenlegen sowie die anderen Vorstandsmitglieder in­ formieren (DCGK, E. 2). Die Offenlegung geht also auch hier nicht am Vor­ stand vorbei. Das Informationsprivileg des Aufsichtsratsvorsitzenden wird noch proble­ matischer, wenn man auf die organisatorischen Folgen schwerer Erkrankun­ gen blickt. Hier ist zunächst der Vorstand zum Handeln aufgerufen, nicht der Aufsichtsrat oder dessen Vorsitzender. So muss bei einer Erkrankung, die ein Vorstandsmitglied an der Erfüllung seiner Dienstverpflichtungen hindert, für eine Vertretung gesorgt werden. Mitunter liest man, dass der Aufsichtsrat „die oberste Verantwortlichkeit zur Sicherstellung der Vertretung“ trage.495 Der Vorstand wirkt aber an der Gestaltung der Vertretungsregelung häufig mit; ihm obliegt auch ihre praktische Umsetzung. Geregelt wird die Abwesenheits­ 491  Drinhausen/​Marsch-Barner, AG 2014, 337, 342. 492 Dazu Schenck, AG 2010, 649, 651 ff.; skeptisch zu

immer wachsenden Rolle des Auf­ sichtsratsvorsitzenden ferner Koch, in: Fleischer/​Koch/​K ropff/​Lutter, 50 Jahre Aktien­ gesetz, S. 64, 90 f. 493  Dies sieht auch Bayer, FS Hommelhoff, S. 87, 91. 494 Dazu Fleischer, in: Spindler/​Stilz, AktG, § 77 Rn. 32; Fleischer/​Schmolke, WM 2012, 1013, 1014. 495  Schnorbus/​K lormann, WM 2018, 1113.



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vertretung bei Urlaub, Dienstreisen und Erkrankungen von Vorstandsmitglie­ dern grundsätzlich in der Geschäftsordnung für den Vorstand, die gemäß § 77 Abs. 2 S. 1 AktG vom Vorstand erlassen wird, „wenn nicht die Satzung den Erlaß der Geschäftsordnung dem Aufsichtsrat übertragen hat oder der Auf­ sichtsrat eine Geschäftsordnung für den Vorstand erläßt“. Zulässig ist ferner, dass der Vorstand die Geschäftsordnung mit Zustimmung des Aufsichtsrats erlässt.496 In vielen Fällen ist der Vorstand also bereits am Erlass der Geschäfts­ ordnung beteiligt. Die Vertretung abwesender Vorstandsmitglieder kann un­ mittelbar in der Geschäftsordnung geregelt werden; oft kommt es vor, dass die Geschäftsordnung auf den Geschäftsverteilungs- und Vertretungsplan des Vorstands verweist497, dessen Bestimmungen in materieller Hinsicht Ge­ schäftsordnungsregelungen sind.498 Manche Geschäftsordnungen betrauen di­ rekt den Vorstandsvorsitzenden499 oder den Gesamtvorstand500 mit der Re­ gelung der Abwesenheitsvertretung. So bestimmt die Geschäftsordnung für den Vorstand der ThyssenKrupp AG: „Für den Fall der Abwesenheit eines Mitglieds regeln die Mitglieder des Vorstands in Abstimmung mit dem Vor­ sitzenden die Betreuung des betreffenden Ressorts für die Zeit der Abwesen­ heit.“501 Mitunter wird auch der Aufsichtsratsvorsitzende in die Entscheidung einbezogen.502 Dennoch sieht man, dass die Organisation der Vertretung in der Regel primär dem Vorstand obliegt. Der Aufsichtsratsvorsitzende oder die Aufsichtsratsausschüsse spielen höchstens eine mitwirkende Rolle; den­ noch müssen beide im gestuften Modell vor dem Vorstand informiert werden! Ein solches Informationsmodell ist daher kaum geeignet, das ordnungsgemä­ ße Funktionieren des Vorstands in Abwesenheit des erkrankten Mitglieds zu gewährleisten. Eine gewisse Abhilfe schafft der Vorschlag, dass der Aufsichtsratsvorsitzen­ de in akuten Fällen unverzüglich das Vorstandsmitglied zu informieren habe, das nach der Geschäftsordnung für die Vertretung zuständig sei. Beim Fehlen einer solchen festen Zuordnung sei „zunächst in jedem Fall eine angemessene Vertretung sicherzustellen“503. Um reibungslose Zusammenarbeit im Vorstand 496 Dazu

etwa Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 77 Rn. 58 ff.; Lutter/​Krieger/​ Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 451 ff. 497  Vgl. etwa § 1 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Vorstands der K+S AG (diese und die nachfolgend zitierten Geschäftsordnungen sind auf den Webseiten der betreffenden Unter­ nehmen verfügbar). 498  Happ, in: Happ/​Groß, Aktienrecht, Muster 8.02 Anm. 2.1; van Kann, in: Kann, Vor­ stand der AG Rn. 410; a. A. Krieger, Personalentscheidungen des Aufsichtsrats, S. 200. 499  Vgl. § 7 der Geschäftsordnung für den Vorstand der Deutz AG. 500  § 1 Abs. 3 der Geschäftsordnung für den Vorstand der RWE AG; § 1 Abs. 4 der Ge­ schäftsordnung für den Vorstand der Heidelberger Druckmaschinen AG. 501  § 2 Abs. 8 der Geschäftsordnung für den Vorstand der ThyssenKrupp AG. 502  Vgl. § 6 Abs. 5 der Geschäftsordnung des Vorstands der Progress-Werk Oberkirch AG. 503  Schnorbus/​K lormann, WM 2018, 1069, 1074.

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zu erhalten, sei schließlich „eine zeitnahe“ Information des Gesamtvorstands angezeigt.504 Dieser Vorschlag funktioniert indes nur, wenn die Geschäfts­ ordnung tatsächlich für jedes Vorstandsmitglied einen festen Vertreter vor­ sieht. Ansonsten stellt sich die Frage, wie der Aufsichtsratsvorsitzende eine angemessene Vertretung sicherstellen soll. Hierzu muss er wohl doch den Vor­ stand oder zumindest dessen Vorsitzenden informieren, was sofort zur nächs­ ten Frage führt, nämlich warum diese Aufgabe dem Aufsichtsratsvorsitzenden und nicht dem Erkrankten selbst obliegt. Es ist doch merkwürdig, dass Vor­ standsmitglieder untereinander nicht direkt, sondern über den Aufsichtsrats­ vorsitzenden kommunizieren sollen, wenn eins von ihnen erkrankt. Dies gilt auch dann, wenn dem kranken Vorstandsmitglied zugestanden wird, parallel zum Aufsichtsratsvorsitzenden auch weitere Vorstandsmitglieder nach seinem Ermessen zu unterrichten.505 Bei börsennotierten Gesellschaften kann außerdem der Ausfall von Vor­ standsmitgliedern die Ad-hoc-Mitteilungspflicht nach Art. 17 MAR auslösen. Der Adressat dieser Pflicht ist der Vorstand506 und nicht der Aufsichtsrat oder dessen Vorsitzender. Schon aus diesem Grund muss der Vorstand als Erster über die Erkrankung in Kenntnis gesetzt werden. Ansonsten besteht die Ge­ fahr, dass sich die Ad-hoc-Mitteilung verzögert und der Emittent mit Sank­ tionen rechnen muss, weil er die Öffentlichkeit nicht „unverzüglich“ i. S. d. Art. 17 MAR informiert hat. Die vorgeschlagene Abstufung der Mitteilungspflicht wirft ebenfalls Fra­ gen auf. Die Grenzen zwischen den einzelnen Stufen erscheinen fast bei allen Autoren sehr vage; es bleibt unklar, wann genau der Übergang zur jeweils nächsten Stufe stattfindet. So spricht Fleischer von einer Mitteilungspflicht „zunächst“ nur gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden und „erst zu einem späteren Zeitpunkt“507 gegenüber dem Präsidialausschuss und dem Aufsichts­ ratsplenum, ohne diesen späteren Zeitpunkt genauer zu benennen. Nach Bayer müsse der vom Erkrankten zu informierende Aufsichtsratsvorsitzende „zu­ nächst“ den Personalausschuss bzw. das Präsidium und „anschließend“ den Gesamtaufsichtsrat unterrichten, sollte die diagnostizierte Erkrankung eine längere Behandlung erfordern oder gar mit Wahrscheinlichkeit zum vorzeiti­ gen Ausscheiden führen.508 Das Problem besteht darin, dass eine längere Be­ handlung bzw. ein wahrscheinliches Ausscheiden bei Bayer bereits als Vo­ raussetzung für die Entstehung der Mitteilungspflicht genannt wird.509 Der Übergang zu den weiteren Stufen der Mitteilungspflicht vollzieht sich also 504  Schnorbus/​K lormann, WM 2018, 1069, 1074. 505 Vgl. Schnorbus/​K lormann, WM 2018, 1069, 1074. 506  Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 17 Rn. 60. 507  Fleischer, NZG 2010, 561, 564; ganz ähnlich

508 

Bayer, FS Hommelhoff, S. 87, 91. 509 Siehe Bayer, FS Hommelhoff, S. 87, 90.

ders., Der Aufsichtsrat 2010, 86, 87.



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zeitgleich mit ihrer Entstehung, so dass die einzelnen Stufen wie ein Karten­ haus zusammen klappen. Deutlicher fällt die Unterscheidung der einzelnen Stufen bei Lutter aus, dem spiritus rector der gestuften Mitteilungspflicht. Seiner Ansicht nach muss das Vorstandsmitglied, nachdem es über seine weitere berufliche Planung klar geworden ist, den Aufsichtsratsvorsitzenden in einem vertraulichen Gespräch „informieren, die Perspektive der Ärzte schildern und ihm seine eigene Sicht und seine eigene Planung vorstellen“.510 Bei Zustimmung des Aufsichtsrats­ vorsitzenden zu dieser Planung seien keine weiteren Schritte erforderlich. Nur wenn der Betroffene für mehr als vier Wochen ausfalle, habe der Aufsichtsrats­ vorsitzende streng vertraulich das Präsidium zu informieren. Das Plenum und der Vorstand seien schließlich zu unterrichten, wenn der Betroffene „für Wo­ chen und Monate“ ausfalle oder in seiner Arbeitskraft merklich eingeschränkt sein werde.511 Diese Ausführungen lassen eine echte Abstufung erkennen. Un­ klar bleibt aber auch bei Lutter die Unterscheidung zwischen der zweiten und der dritten Stufe, weil beide einen längeren Ausfall des Betroffenen vorausset­ zen (vier Wochen bzw. „Wochen und Monate“). Das Modell der gestuften Mitteilungspflicht wirft also Vertretungs- sowie Publizitätsprobleme aus und ist mit Rechtsunsicherheit behaftet. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach seiner Rechtfertigung besonders scharf. Diese wird, wie schon erwähnt, darin gesehen, dass das Modell die Persönlich­ keitsrechte des erkrankten Vorstandsmitglieds schütze.512 Das ist im Prinzip richtig, da die Abstufung der Mitteilungspflicht zu mehr Vertraulichkeit führt und diese beim Grundrechtsschutz des Erkrankten eine wichtige Rolle spielt. Berichtet das erkrankte Vorstandsmitglied direkt an den Aufsichtsratsvorsit­ zenden, so bleibt der Kreis der Wissenden zunächst extrem klein, was die ver­ trauliche Behandlung der mitgeteilten Information begünstigt. Die abstrak­ te Gefahr der Offenbarung eines Geheimnisses steigt bekannterweise mit der Zahl der Mitwisser.513 Auf der anderen Seite dürfte die Vertraulichkeit zumindest im Vorstand ge­ sichert sein. Grundsätzlich darf ein Vorstandsmitglied auf Verschwiegenheit seiner Kollegen vertrauen, weswegen es auch keine Verschwiegenheitspflichten der Vorstandsmitglieder untereinander gibt.514 Geschäftsordnungen für den Vorstand mit ihren Regelungen über die Vertretung bei Urlaub, Dienstreisen 510 

Lutter, Der Aufsichtsrat 2009, 97.

511  Lutter, Der Aufsichtsrat 2009, 97. 512  Bayer, FS Hommelhoff, S. 87, 91; Fleischer, NZG

2010, 561, 564; vgl. auch Schnorbus/​ Klormann, WM 2018, 1069, 1074: gesteigertes Geheimhaltungsinteresse des Vorstandsmit­ glieds. 513  Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 93 Rn. 116; vgl. auch Drinhausen/​MarschBarner, AG 2014, 337, 347. 514 Vgl. Kort, in: Großkomm AktG, § 77 Rn. 35; Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 93 Rn. 116.

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und Erkrankungen gehen wie selbstverständlich davon aus, dass der Vorstand informiert wird, wenn eins seiner Mitglieder krank wird. Auch die Anhän­ ger der gestuften Mitteilungspflicht äußern, soweit ersichtlich, keine Beden­ ken gegen die Benachrichtigung des Vorstands, auch wenn diese erst auf der letzten Stufe erfolgen soll; befürchtet werden vielmehr die Indiskretionen im Aufsichtsrat.515 Rechtlich ist die Vertraulichkeit dadurch abgesichert, dass Vor­ standsmitglieder nach § 93 Abs. 1 S. 3 AktG verpflichtet sind, über vertrauliche Angaben und Geheimnisse der Gesellschaft, die ihnen durch ihre Tätigkeit im Vorstand bekannt geworden sind, Stillschweigen zu bewahren. Die Angaben über den Gesundheitszustand eines Vorstandsmitglieds dürften dabei unter den Begriff „Geheimnis der Gesellschaft“ fallen. Dieser umfasst alle nicht of­ fenkundigen Tatsachen, die nach geäußertem oder mutmaßlichem Willen der Gesellschaft auch nicht offenkundig werden sollen; als objektives Element kommt das Bedürfnis der Geheimhaltung im Gesellschaftsinteresse hinzu.516 Als Beispiel für Geheimnisse der Gesellschaft werden neben Herstellungsver­ fahren und Produktionsvorhaben auch wesentliche Personalentscheidungen517 und Personaldaten518 genannt. Beim objektiven Geheimhaltungsinteresse der Gesellschaft geht es meist um ein wirtschaftliches Interesse.519 Stebut, der den heutigen Geheimnisbegriff maßgeblich mitgeprägt hat, weist darauf hin, dass es kaum ein Geheimnis einer AG denkbar sei, durch dessen Verletzung sie nicht (zumindest auch) einen Vermögensschaden erleiden könnte. Selbst die „Offenbarung unerfreulicher geheimer Details aus dem Privatleben eines Vor­ standsmitglieds“ könne Ruf und Ansehen der Gesellschaft und mithin ihre wirtschaftliche Stellung beeinträchtigen.520 Auch beim Gesundheitszustand eines Vorstandsmitglieds wird es sich re­ gelmäßig um eine nicht offenkundige Tatsache handeln, deren Geheimhaltung objektiv im wirtschaftlichen Interesse der Gesellschaft liegt. So kann eine bör­ 515  Manche sprechen offen davon, dass die Vertraulichkeit nicht mehr gesichert sei, so­ bald die Erkrankung dem Aufsichtsrat mitgeteilt werde, etwa Lutter, Der Aufsichtsrat 2009, 97; Juergens, in: Bayer/​Juergens/​Rudat, Gesundheitsprobleme eines Vorstandsmitgliedes, S. 48. 516  BGH, Urt. v. 5.6.1975 – II ZR 156/73, BGHZ 64, 325, 329 = NJW 1975, 1412, 1413; Dauner-Lieb, in: Henssler/​Strohn, AktG, § 93 Rn. 12; Fleischer, in: Spindler/​Stilz, AktG, § 93 Rn. 164; Hölters, in: Hölters, AktG, § 93 Rn. 135; Krieger/​Sailer-Coceani, in: K. Schmidt/​ Lutter, AktG, § 93 Rn. 23; Koch, in: Hüffer/​Koch, AktG, § 93 Rn. 30; Spindler, in: MüKo AktG, § 93 Rn. 134; Stebut, Geheimnisschutz und Verschwiegenheitspflicht im Aktienrecht, S. 39 ff., 53 ff.; gegen das objektive Element Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 283; gegen das subjektive Habersack, in: MüKo AktG, § 116 Rn. 55. 517  Fleischer, in: Spindler/​ Stilz, AktG, § 93 Rn. 164; Hölters, in: Hölters, AktG, § 93 Rn. 136; Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 283; Koch, in: Hüffer/​Koch, AktG, § 93 Rn. 30; U. Schmidt, in: NK‑AktR, § 93 Rn. 64. 518  Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 283. 519  Zur Beeinträchtigung ideeller Interessen Stebut, Geheimnisschutz und Verschwie­ genheitspflicht im Aktienrecht, S. 40 ff., 53 ff. 520  Stebut, Geheimnisschutz und Verschwiegenheitspflicht im Aktienrecht, S. 40.



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sennotierte AG beim Bekanntwerden der Gesundheitsprobleme ihres Vor­ standsmitglieds Vermögensschäden infolge von Kursverlusten erleiden. Au­ ßerdem – und das gilt für jede AG – entsteht nach außen den Eindruck, dass die Gesellschaft nicht in der Lage ist, mit sensiblen privaten Informationen ihrer Vorstandsmitglieder diskret umzugehen. Dies schadet ebenfalls ihrem Anse­ hen und kann die Gewinnung von qualifiziertem Personal erschweren, weil der Erfolg dieser Aufgabe voraussetzt, dass „die in Betracht kommenden Per­ sonen ihrerseits wissen können, dass das betreffende Unternehmen sorgfältig genug organisiert ist und geführt wird, um auch ihre Interessen zu berücksich­ tigen und zu wahren.“521 Aus diesem Grund wird die Geheimhaltung von der Gesellschaft typischerweise gewollt sein. Sogar wenn der Betroffene selbst auf die Geheimhaltung verzichtet, können äußere Reaktionen wie mögliche Kurs­ verluste die Gesellschaft zur Geheimhaltung motivieren. Nach alledem ist die Information, dass ein Vorstandsmitglied ernsthaft krank ist, grundsätzlich als Geheimnis der Gesellschaft i. S. d. § 93 Abs. 1 S. 3 AktG einzustufen. Die übri­ gen Vorstandsmitglieder haben darüber Stillschweigen zu bewahren; Verstoße sind nach § 404 AktG strafrechtlich sanktioniert. Soweit befürchtet wird, dass die Informationen im Gesamtaufsichtsrat nicht vertraulich behandelt werden, gewährleistet das Modell der gestuften Mittei­ lungspflicht nur einen zeitlichen Aufschub. Dessen Länge ist allerdings nicht definiert, was zu einem weiteren Problem führt, nämlich zu einem erhöhten Haftungsrisiko für den Aufsichtsratsvorsitzenden. Dieses Risiko resultiert da­ raus, dass das Modell der gestuften Mitteilungspflicht die ganze Berichterstat­ tung im Krankheitsfall aus dem Berichterstattungssystem des § 90 AktG he­ rauslöst. Bayer weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass § 90 AktG nicht abschließend sei und Erörterungen persönlicher Art deshalb unmittelbar zwischen dem betroffenen Vorstandsmitglied und dem Aufsichtsratsvorsitzen­ den stattfinden könnten.522 Dies mag zutreffen; allerdings gilt dann § 90 Abs. 5 AktG nicht, der den Aufsichtsratsvorsitzenden verpflichtet, die erhaltenen In­ formationen an das Aufsichtsratsplenum weiterzuleiten. Daher ist es völlig un­ klar, auf welcher Rechtsgrundlage der Aufsichtsratsvorsitzende im Krank­ heitsfall weitere Gremien unterrichten soll.523 Das ist aber noch ein kleineres Problem, das eventuell mit dem Rückgriff auf die Sorgfalts- oder die Treue­ pflicht des Aufsichtsratsvorsitzenden gelöst werden könnte. Problematischer ist der Umstand, dass mit der Unanwendbarkeit des § 90 Abs. 5 auch dessen Satz 3 wegfällt, wonach das Aufsichtsratsplenum spätestens in der nächsten Aufsichtsratssitzung zu unterrichten ist. Im Modell der gestuften Mitteilungs­ 521 

Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, Rn. 504.

522  Bayer, FS Hommelhoff, S. 87, 91. 523  Teilweise wird eine solche Pflicht

auch abgelehnt, so deutlich bei Lutter, Der Auf­ sichtsrat 2009, 97: „Stimmt der Aufsichtsratsvorsitzende [den Plänen des Betroffenen] zu, bedarf es keiner Weiterung“.

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pflicht steht es weitestgehend im Ermessen des Aufsichtsratsvorsitzenden, wann er weitere Stellen, etwa das Präsidium und das Plenum, unterrichtet. Mit dem wachsenden Ermessen wachsen auch die Haftungsrisiken für den Auf­ sichtsratsvorsitzenden. Dies soll an folgendem Beispiel524 erläutert werden: Ein Vorstandsmitglied einer börsennotierten AG teilt dem Aufsichtsratsvor­ sitzenden vertraulich und freiwillig mit, bei ihm sei eine Demenzerkrankung im Anfangsstadium diagnostiziert worden. Da der Erkranke versichert, dank wirksamer Therapie sei weder kurz- noch mittelfristig mit Beeinträchtigungen seiner Arbeit durch die Krankheit zu rechnen, zögert der Aufsichtsratsvor­ sitzende zunächst, die Informationen an den Aufsichtsrat weiterzuleiten. Er tut dies erst ein halbes Jahr später, als die Vergesslichkeit des Betroffenen be­ ginnt, ein Thema im Betrieb zu werden. Der Aufsichtsrat beschließt, den Be­ troffenen mit sofortiger Wirkung abzuberufen. In der Zwischenzeit hat das Vorstandsmitglied jedoch aufgrund des krankheitsbedingten Gedächtnisver­ lustes einen schweren Fehler begangen, der zum Schaden der Gesellschaft ge­ führt hat. Hätte der Aufsichtsratsvorsitzende den Aufsichtsrat unverzüglich oder spätestens in der nächsten auf das Gespräch mit dem Vorstandsmitglied folgenden Sitzung informiert, wäre dieses mit hoher Wahrscheinlichkeit abbe­ rufen worden, bevor der Fehler passiert ist. Nun wird dem Aufsichtsratsvor­ sitzenden vorgeworfen, er hätte den Angaben des kranken Vorstandsmitglieds nicht so viel Glauben schenken dürfen und sich anderweitig darüber informie­ ren müssen, dass eine diagnostizierte Demenzerkrankung trotz Therapien in der Regel innerhalb kürzester Zeit zur Berufsunfähigkeit führt. Noch drama­ tischer wird der Situation, wenn festgestellt wird, dass das kranke Vorstands­ mitglied zum Zeitpunkt der schadensverursachenden Handlung infolge seiner Erkrankung bereits geschäftsunfähig war und der Aufsichtsratsvorsitzende damit zum einzigen Schadensersatzschuldner wird. Diese Haftungsproblematik liegt auf der Hand und auch die Beiträge, die den Informationsvorsprung des Aufsichtsratsvorsitzenden sehr wohlwollend betrachten, verkennen nicht, dass dieser mit erhöhter Verantwortung für die rechtzeitige und vollständige Unterrichtung der übrigen Aufsichtsratsmitglie­ der verbunden ist. Sie meinen aber, die Haftungsgefahr sei eher theoretisch, da der Aufsichtsratsvorsitzende gerade in Krisenzeiten nicht allein handeln und sein Wissen frühzeitig mit den anderen Gremiummitgliedern teilen werde.525 Dies mag für wirtschaftliche Krisen zutreffen, hier geht es aber um vertrau­ liche Gesundheitsinformationen, die sehr persönlicher Natur sind. Wird der Aufsichtsratsvorsitzende in solchen Situationen nicht eher geneigt sein, die In­ formationen solange wie möglich für sich zu behalten, um dem Betroffenen nicht zu schaden? Menschlich wäre ein solches Verhalten allemal. 524 

525 

Angelehnt an Schenck, AG 2010, 649, 653. Drinhausen/​Marsch-Barner, AG 2014, 337, 342.



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Der vom Modell der gestuften Mitteilungspflicht angestrebte Grundrechts­ schutz geht also zu Lasten der Gesellschaft  – und des Aufsichtsratsvorsit­ zenden. Dabei ist ein solch überschießender Grundrechtsschutz gar nicht er­ forderlich. Man denke an die Situation eines erkrankten Arbeitnehmers, der nach § 5 Abs. 1 EFZG den Arbeitgeber unverzüglich über eine Arbeitsunfä­ higkeit und deren voraussichtliche Dauer informieren muss. Auch hier wer­ den sensible personenbezogene Daten offengelegt, dennoch zweifelt niemand, soweit ersichtlich, an der Verfassungsmäßigkeit der Mitteilungspflicht. Der Grundrechtsschutz äußert sich darin, dass der Arbeitnehmer grundsätzlich nicht verpflichtet ist, sich zur Art der Erkrankung und deren Ursache zu äu­ ßern.526 Eine solche Einschränkung ist im Modell der „gestuften“ Mitteilungs­ pflicht bereits vorhanden: Mitzuteilen sei nur die „schwindende Diensttaug­ lichkeit“527 bzw. „die Tatsache der (schwindenden) Dienstunfähigkeit und […] deren Dauer“528 . Nur Lutter scheint etwas weiter zu gehen, obwohl er sich sehr vorsichtig ausdrückt. Seine Äußerung, das erkrankte Vorstandsmitglied müsse dem Aufsichtsratsvorsitzenden die „Perspektive der Ärzte“ schildern, könnte jedenfalls so verstanden werden, dass die Diagnose und Prognose mitzuteilen sind. Zudem soll das erkrankte Vorstandsmitglied „seine eigene Planung vor­ stellen“, was das Eingehen auf die beabsichtigte Behandlung impliziert. Dar­ über hinaus setzt ein vertrauliches Gespräch, das dem Aufsichtsratsvorsitzen­ den eine ausgewogene Entscheidung über das künftige Vorgehen ermöglichen soll, eine möglichst vollständige Schilderung der Lage voraus. Eine bloße Mit­ teilung des Erkrankten, er werde seine Dienstfähigkeit demnächst voraussicht­ lich verlieren, würde insoweit kaum ausreichen. Diese Aussagen zum Umfang der Mitteilungspflicht sollen im Folgenden bei der Entwicklung eines alterna­ tiven Modells überprüft werden. b)  Alternatives Modell Angesichts der Schwachstellen des gestuften Modells lohnt es sich, über Al­ ternativen nachzudenken. Dabei sind, genauso wie bei der Ad-hoc-Publizi­ tät, drei Konstellationen gesondert zu betrachten, nämlich die vorübergehende Dienstunfähigkeit (Auszeit), die dauerhafte Dienstunfähigkeit (Ausscheiden) und das Verbleiben im Amt trotz einer diagnostizierten schweren Erkrankung. Angesichts der Grundrechtsrelevanz der Offenlegungspflicht muss bei ihrer Ausgestaltung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit berücksichtigt werden. Dabei ist vor allem darauf zu achten, dass die Offenlegungspflicht im Hinblick auf ihre Adressaten, den Zeitpunkt ihrer Entstehung sowie den Umfang der mitzuteilenden Information nicht über das hinausgeht, was unbedingt erfor­ 526  Allg.M.,

men.

527 

528 

siehe Reinhard, in: ErfK, EFZG § 5 Rn. 5 m. w. N., dort auch zur Ausnah­

Fleischer, NZG 2010, 561, 564; ders., Der Aufsichtsrat 2010, 86, 87. Bayer, FS Hommelhoff, S. 87, 91.

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Kapitel 3: Offenlegungspflichten bei Krankheit

derlich ist. Was im Einzelnen erforderlich ist, ist unter Einbeziehung der Inte­ ressen und Handlungsmöglichkeiten der Gesellschaft zu bestimmen. aa)  Vorübergehende Dienstunfähigkeit Fällt ein Vorstandsmitglied krankheitsbedingt aus, so muss unabhängig davon, ob es sich um eine schwere Krankheit handelt, eine Vertretung orga­ nisiert werden, um die entstandene Lücke zu schließen. Aus diesem Grund muss der Betroffene den Vorstand informieren. Dogmatisch kann dies mit der Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit begründet werden: Es ist anerkannt, dass Vorstandsmitglieder innerhalb des Vorstands loyal und kollegial zusammen­ arbeiten müssen.529 Insbesondere haben sie sich gegenseitig über alle für die Gesellschaft wichtigen Vorgänge zu unterrichten und im Allgemeinen so zu­ sammenzuwirken, wie das im Interesse der Gesellschaft liegt.530 Der Ausfall eines Vorstandsmitglieds dürfte einen für die Gesellschaft wichtigen Vorgang darstellen; indem der Vorstand darüber unterrichtet wird, wird er in die Lage versetzt, rechtzeitig für die Vertretung zu sorgen, was zweifellos dem Interesse der Gesellschaft entspricht. Die Pflicht der Vorstandsmitglieder zur kollegia­ len Zusammenarbeit ist Teil ihrer Sorgfaltspflicht, so dass die Offenlegungs­ pflicht des erkrankten Vorstandsmitglieds gegenüber dem Vorstand dogma­ tisch als Sorgfaltspflicht (und nicht als Treuepflicht) aufzufassen wäre. Die Pflicht zur kollegialen Zusammenarbeit verlangt vom erkrankten Vor­ standsmitglied nicht, jeden seiner Vorstandskollegen einzeln zu unterrichten: Eine Erklärung gegenüber dem Vorstandsvorsitzenden genügt. Handelt es sich beim erkrankten Vorstandsmitglied um den Vorstandsvorsitzenden, ist sein Stellvertreter der richtige Informationsempfänger. Der Vorstandsvorsitzende oder der stellvertretende Vorstandsvorsitzende muss anschließend andere Vor­ standsmitglieder informieren sowie je nach gesellschaftsinterner Regelung al­ leine oder zusammen mit dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats die Aufgaben des Abwesenden auf andere Vorstandsmitglieder verteilen oder einen Vor­ standsbeschluss zur Vertretung herbeiführen; in Betracht kommen auch an­ dere Vertretungsregelungen, etwa die Vertretung durch die stellvertretenden Vorstandsmitglieder i. S. d. § 94 AktG. Da die Offenlegungspflicht die ununterbrochene Funktionsfähigkeit des Vorstands gewährleisten soll, darf sie nicht erst greifen, wenn eine krankheits­ bedingte Abwesenheit von drei oder vier Wochen im Raum steht. Vielmehr ist die Frage situationsabhängig zu beantworten, so dass bereits eine Abwe­ senheit von einigen wenigen Tagen die Offenlegungspflicht auslöst, wenn eine Vertretung notwendig wird, z. B. wenn in dieser Zeit unaufschiebbare Ent­ 529 Vgl. Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 166; Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 93 Rn. 81. 530  Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 167 f.



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scheidungen getroffen werden müssen, die das Ressort des erkrankten Vor­ standsmitglieds betreffen. In der Geschäftsordnung des Vorstands der Hugo Boss AG findet sich beispielsweise eine Regelung, wonach der Aufsichtsrats­ vorsitzende über eine Abwesenheit des Vorsitzenden des Vorstands von mehr als eine Woche zu unterrichten ist; auch eine Erkrankung, die länger als eine Woche dauert, ist ihm mitzuteilen (§ 8 Abs. 2). Zwar geht es hier nur um den Vorstandsvorsitzenden und der Adressat der Mitteilung ist – ganz im Sinne des gestuften Modells  – der Vorsitzende des Aufsichtsrats, dennoch entsteht die Mitteilungspflicht bereits bei einem relativ kurzen Ausfall und nicht erst bei einer Abwesenheit von drei bis vier Wochen. Die Pflicht zur kollegialen Zusammenarbeit gilt naturgemäß nur dann, wenn der Vorstand aus mehreren Personen besteht. Fällt ein Alleinvorstand krankheitsbedingt aus, so gibt es keine Vorstandskollegen, die ihn vertreten könnten. Um die Gesellschaft handlungsfähig zu halten, muss der Aufsichts­ rat schnellstmöglich einen neuen Vorstand oder einen Interimsvorstand be­ stellen.531 Ansonsten kann auch ein Aufsichtsratsmitglied zum Stellvertreter des verhinderten Alleinvorstands nach § 105 Abs. 2 AktG bestellt werden.532 In jedem Fall muss der verhinderte Alleinvorstand den Aufsichtsrat sofort in­ formieren, damit dieser die notwendigen Personalmaßnahmen ergreifen kann. Dies folgt ebenfalls aus der Sorgfaltspflicht des Vorstands, diesmal in ihrer Ausprägung als die Pflicht, für die vorschriftsmäßige Zusammensetzung der Gesellschaftsorgane zu sorgen.533 Der erkrankte Alleinvorstand erfüllt diese Pflicht, indem er den Aufsichtsrat über seine Verhinderung unterrichtet und dadurch diesem ermöglicht, das vorübergehend vakante Vorstandsamt vor­ schriftsmäßig zu besetzen. Als Verfahren dafür bietet sich § 90 Abs. 1 S. 3 AktG an, der den Vorstand verpflichtet, dem Aufsichtsratsvorsitzenden aus wichtigen Anlässen zu berichten. Der krankheitsbedingte Ausfall eines Alleinvorstands, der zur Handlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen kann, stellt zweifelsfrei einen wichtigen Anlass dar, der die Pflicht zur Sonderberichterstattung aus­ löst. Der Aufsichtsratsvorsitzende informiert anschließend die übrigen Auf­ sichtsratsmitglieder nach § 90 Abs. 5 AktG. Auch generell ist anzunehmen, dass der Vorstand gem. § 90 Abs. 1 S. 3 AktG dem Aufsichtsratsvorsitzenden zu berichten hat, wenn ein Vorstandsmitglied aufgrund einer Erkrankung für eine längere Zeit ausfallen muss. Unter einer 531 

Röhrborn, Der Aufsichtsrat 2017, 66, 68. Röhrborn, Der Aufsichtsrat 2017, 66, 68; so geschehen etwa im Oktober 2015 bei Greiffenberger AG wegen der Erkrankung des Alleinvorstands Stefan Greiffenberger oder im September 2012 bei der Badischen Staatsbrauerei Rothaus, nachdem ihr Alleinvorstand Thomas Schäuble im Juli einen Herzinfarkt erlit­ ten hatte , beides zuletzt abgerufen am 28.2.2020. 533 Vgl. Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 157. 532 

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Kapitel 3: Offenlegungspflichten bei Krankheit

längeren Zeit ist ein Zeitraum von mindestens drei bis vier Wochen zu verste­ hen, der auch im gestuften Modell zur Weiterleitung der Informationen vom Aufsichtsratsvorsitzenden an weitere Aufsichtsratsmitglieder führt. Zur An­ wendung des § 90 Abs. 1 S. 3 AktG kommt man allerdings nur, wenn man einen längeren krankheitsbedingten Ausfall von Vorstandsmitgliedern als ein Ereig­ nis von besonderem Gewicht, d. h. als einen wichtigen Anlass ansieht, über den der Vorstand dem Aufsichtsratsvorsitzenden nach § 90 Abs. 1 S. 3 AktG Sonderbericht zu erstatten hat. Dagegen wird unter Verweis auf die Gesetzes­ begründung eingewandt, die Norm ziele nur auf gravierende geschäftliche Er­ eignisse und nicht auf individuelle Personalangelegenheiten ab.534 Dieser Einwand überzeugt nicht. In der Gesetzesbegründung heißt es: „Wann ein wichtiger Anlaß zur Berichterstattung besteht, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und richtet sich nach dem Gegenstand und der Größe der Gesellschaft. Eine erhebliche Betriebsstörung, wesentliche Verluste, eine Gefährdung größerer Außenstände werden in aller Regel einen wichtigen Anlaß für eine Unterrichtung des Vorsitzenden des Aufsichtsrats bilden.“535 Die Aufzählung ist nicht abschließend. Genauso wenig lässt sich die Beschrän­ kung auf wirtschaftliche Ereignisse dem Wortlaut und Zweck der Norm ent­ nehmen. Nach dem Gesetzeswortlaut kann ein wichtiger Anlass alles sein, was geeignet ist, die Lage der Gesellschaft erheblich zu beeinflussen (vgl. § 90 Abs. 1 S. 3 a. E.), d. h. auch eine wichtige Personalangelegenheit. Im Hinblick auf den Zweck der Norm, einen besonderen Informationsaustausch in Eilfällen oder bei vertraulichen Informationen zu ermöglichen536 , bietet sich ihre An­ wendung bei Erkrankungen von Vorstandsmitgliedern geradezu an. Denn es handelt sich dabei regelmäßig um eilige, zumindest aber um vertrauliche Infor­ mationen. Für die Anwendbarkeit des § 90 Abs. 1 S. 3 AktG spricht ferner die Position der herrschenden Auffassung, wonach diese Vorschrift grundsätzlich auch Personalfragen im weitesten Sinne erfasse und etwa zur Berichterstat­ tung verpflichte, wenn die Zusammenarbeit im Vorstand ernsthaft gestört sei.537 Genauso wie ein schwerwiegender Streit im Vorstand können auch län­ gere Ausfälle einzelner Vorstandsmitglieder das ordnungsgemäße Funktionie­ ren des Gesamtorgans und damit das Wohl der Gesellschaft gefährden.538 Die Interessenlage ist also vergleichbar. Dies legt den Schluss nahe, dass die Pflicht 534 So

Schnorbus/​Klormann, WM 2018, 1069, 1073. BegrRegE, abgedr. bei Kropff, Aktiengesetz, S. 117. 536 Vgl. Drinhausen/​Marsch-Barner, AG 2014, 337, 341. 537  Fleischer, in: Spindler/​ Stilz, AktG, § 90 Rn. 31; Kort, in: Großkomm AktG, § 90 Rn. 67; Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 90 Rn. 45; Lutter, Information und Vertrau­ lichkeit im Aufsichtsrat, Rn. 67. Auf der anderen Seite meint die h. A., dass es „vornehmlich“ um Ereignisse gehe, die „von außen an die Gesellschaft herangetragen werden“, Fleischer, in: Spindler/​Stilz, AktG, § 90 Rn. 31; Koch, in: Hüffer/​Koch, AktG, § 90 Rn. 8. 538  Wie wichtig es ist, die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft in Krankheitsfällen zu er­ halten, betont auch Picker, GmbHR 2011, 629, 634. 535 



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des Vorstands zur Sonderberichterstattung auch bei einer längeren krankheits­ bedingten Abwesenheit von Vorstandsmitgliedern greifen muss. Diese Pflicht ist unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 BGB) zu erfüllen.539 So gelangt auch nach hiesigem Modell die Information zum Aufsichtsrats­ vorsitzenden, der allerdings nicht vom erkrankten Vorstandsmitglied, son­ dern vom Gesamtvorstand informiert wird. Die Vorteile dieser Lösung beste­ hen darin, dass sie sich in das aktienrechtliche Berichtssystem nahtlos einfügt. Wohl aus diesem Grund plädieren manche Stimmen, die die Anwendbarkeit des § 90 AktG im Krankheitsfall an sich ablehnen, für eine „Orientierung“ an dieser Norm, soweit es um die praktische Handhabung der Mitteilungspflicht und insbesondere um die Unterrichtung des Aufsichtsratsplenums nach § 90 Abs. 5 S. 3 geht.540 Denn die Pflicht, die übrigen Aufsichtsratsmitglieder spä­ testens in der nächsten Aufsichtsratssitzung zu unterrichten, begrenzt das Er­ messen und damit das Haftungsrisiko des Aufsichtsratsvorsitzenden. Eine ge­ wisse Flexibilität bleibt dabei erhalten: So kann der Aufsichtsratsvorsitzende die Zeit bis zur nächsten Aufsichtsratssitzung nutzen, um über die Angelegen­ heit zuerst in einem kleineren Kreis, etwa im Personal- oder im Präsidialaus­ schuss zu beraten und das weitere Vorgehen zu planen.541 Eine unverzügliche Unterrichtung ist dagegen angezeigt, wenn es sich bei dem erkrankten Vor­ standsmitglied um eine Schlüsselperson handelt und die Information über des­ sen Auszeit ohnehin nach Art. 17 MAR veröffentlicht werden muss.542 Für die Anwendung des § 90 Abs. 1 S. 3, Abs. 5 AktG mit seinen festen Re­ gelungen zur Unterrichtung des Aufsichtsratsplenums spricht schließlich, dass bei einer längeren Erkrankung regelmäßig Maßnahmen erforderlich werden, die der Mitwirkung des Gesamtaufsichtsrats bedürfen. So ist es sinnvoll, das Vorstandsmitglied, das krankheitsbedingt für eine längere Zeit ausfällt, von seinen Ressortaufgaben vorübergehend zu befreien. Eine solche einvernehm­ liche Dienstbefreiung ist zwar gesetzlich nicht geregelt, aber nach allgemeiner Auffassung möglich, solange die Gesellschaft daran interessiert ist, den Betrof­ fenen langfristig zu behalten und die Aussicht besteht, dass er innerhalb eines absehbaren Zeitraums wieder dienstfähig wird.543 Über die Dienstbefreiung entscheidet der Gesamtaufsichtsrat.544 539  Bürgers, in: Bürgers/​Körber, AktG, § 90 Rn. 14; Koch, in: Hüffer/​Koch, AktG, § 90 Rn. 8; Kort, in: Großkomm AktG, § 90 Rn. 67; Spindler, in: MüKo AktG, § 90 Rn. 31. 540  So etwa Schnorbus/​K lormann, WM 2018, 1069, 1073 f. 541 Vgl. Schnorbus/​K lormann, WM 2018, 1069, 1074. 542 Vgl. Schenck, AG 2010, 649, 656. 543 Siehe Kort, in: Großkomm AktG, § 84 Rn. 258; Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 84 Rn. 197; Beiner, Der Vorstandsvertrag, Rn. 142; Lutter/​Krieger/​Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 382; Fleischer, NZG 2010, 561, 566; Schnorbus/​Klormann, WM 2018, 1113, 1114. Ein Beispiel aus der Unternehmenspraxis ist Stada, deren langjähriger Chef Hartmut Retzlaff krankheitsbedingt vom Juni 2016 bis zu seinem Ausscheiden Mitte August 2016 vom Dienst befreit war, , zuletzt ab­ gerufen am 28.2.2020. 544  Kort, in: Großkomm AktG, § 84 Rn. 258; Schnorbus/​K lormann, WM 2018, 1113, 1114; vgl. auch Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 84 Rn. 196 f. 545  Schnorbus/​K lormann, WM 2018, 1113, 1116. 546  Schnorbus/​K lormann, WM 2018, 1113, 1116. 547  Drygala, in: K. Schmidt/​Lutter, AktG, § 105 Rn. 16; Habersack, in: MüKo AktG, § 105 Rn. 28; Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 105 Rn. 56; Grigoleit/​Tomasic, in: Grigo­ leit, AktG, § 105 Rn. 10; Spindler, in: Spindler/​Stilz, AktG, § 105 Rn. 31; Krieger, Personal­ entscheidungen des Aufsichtsrats, S. 231; Lutter/​Krieger/​Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 462; Schnorbus/​Klormann, WM 2018, 1113, 1116. Nach a. A. kann die Entscheidung einem Aufsichtsratsausschuss überantwortet werden, Israel, in: Bürgers/​Kör­ ber, AktG, § 105 Rn. 9; Koch, in: Hüffer/​Koch, AktG, § 105 Rn. 9; Mertens/​Cahn, in: Köln­ Komm AktG, § 105 Rn. 18; Simons, in: Hölters, AktG, § 105 Rn. 16; Wiesner, MünchHdb. AG, § 24 Rn. 31. 548 Vgl. Krieger, Personalentscheidungen des Aufsichtsrats, S. 234 ff.; Heidbüchel, WM 2004, 1317, 1323. Dezidiert gegen solche kommissarische Vorstandsmitglieder Wiesner, MünchHdb. AG, § 24 Rn. 35. 549  Dazu und zur anderslautenden GmbH‑Rechtsprechung Schnorbus/​K lormann, WM 2018, 1113, 1119.



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der zweiten Führungsebene oder externen Führungskräften besetzt werden, die durch eine Interim-Management-Agentur vermittelt werden (Personallea­ sing).550 Sowohl die Neubestellung als auch der Abschluss des Vertrags mit der Personalagentur liegt in der Zuständigkeit des Gesamtaufsichtsrats.551 Es bleibt die Frage, was genau das erkrankte Vorstandsmitglied offenzule­ gen hat. Nach dem Erforderlichkeitsgrundsatz muss es sich um die Tatsachen handeln, welche die Gesellschaft notwendigerweise kennen muss.552 Bei einem krankheitsbedingten Ausfall muss die Gesellschaft zunächst einschätzen kön­ nen, ob sie sich um einen vorübergehenden Ersatz oder schon um einen Nach­ folger für den Betroffenen kümmern muss.553 Dies hängt davon ab, ob mit der Wiedererlangung der Dienstfähigkeit überhaupt zu rechnen ist. Diese prog­ nostische Information muss der Betroffene also mitteilen. Ferner muss er er­ klären, ob er in der Lage ist, an der Gesamtverantwortung des Vorstands teilzunehmen, weil dies eine unerlässliche Voraussetzung sowohl für die Ver­ tretung554 als auch für die Dienstbefreiung555 ist. Dazu gehören insbesondere die Teilnahme an den Sitzungen des Gesamtvorstands und die Beteiligung an Beschlussfassungen.556 Der Kranke muss also überlegen, ob er trotz seines Lei­ dens voraussichtlich in der Lage sein wird, diese Verpflichtungen wahrzuneh­ men, und eine entsprechende Erklärung abgeben. Des Weiteren sind die Angaben zur voraussichtlichen Dauer der Auszeit unbedingt notwendig. Diese werden benötigt, um die Vertretung zu planen oder zu entscheiden, ob eine einvernehmliche Dienstbefreiung überhaupt in Betracht kommt, denn diese ist nur dann zulässig, wenn das Ende der Verhin­ derung zumindest absehbar ist.557 Die Angaben zur voraussichtlichen Dauer der Erkrankung sind auch bei der Bestellung eines Aufsichtsratsmitglieds zum Stellvertreter des verhinderten Vorstandsmitglieds erforderlich, da die Dauer einer solchen Abordnung ein Jahr nicht übersteigen darf, § 105 Abs. 2 550  Schnorbus/​K lormann, WM 2018, 1113, 1119; zum Personalleasing siehe Uffmann, DB 2019, 2281, 2282. 551  BGH, Urt. v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, NZG 2015, 792 Rn. 24; Koch, in: Hüffer/​Koch, AktG, § 112 Rn. 3; Schnorbus/​Klormann, WM 2018, 1113, 1119; differenzierend Uffmann, DB 2019, 2281, 2285 ff. Bei der GmbH ist die Gesellschafterversammlung zuständig, BGH, Urt. v. 14.5.2019 – II ZR 299/17, BGHZ 222, 32 Rn. 20 ff. 552 So zur Mitteilungspflicht des erkrankten Arbeitnehmers Bezani, Die krankheits­ bedingte Kündigung, S. 61; Liebig, Krankheit des Arbeitnehmers als Kündigungsgrund, S. 183. 553 Vgl. Juergens, in: Bayer/​Juergens/​Rudat, Gesundheitsprobleme eines Vorstandsmit­ gliedes, S. 41. 554 Vgl. Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 77 Rn. 22. 555  Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 84 Rn. 197; Kort, in: Großkomm AktG, § 84 Rn. 258; ausführlicher dazu Schnorbus/​Klormann, WM 2018, 1113, 1114 ff. 556  Schnorbus/​K lormann, WM 2018, 1113, 1114. 557  Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 84 Rn. 197; Kort, in: Großkomm AktG, § 84 Rn. 258; Beiner, Der Vorstandsvertrag, Rn. 142; Fleischer, NZG 2010, 561, 566.

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S. 1 AktG. Ob eine erneute Abordnung zulässig ist, ist umstritten: Nach einer großzügigen Ansicht ist die Vertretung über die Einjahresgrenze hinaus zu­ lässig, soweit das Vorstandsmitglied von einem anderen Aufsichtsratsmitglied vertreten wird558; die strengere Ansicht hält eine längere Vertretung nur dann für zulässig, wenn das verhinderte Vorstandsmitglied zwischenzeitlich seine Vorstandstätigkeit wieder aufgenommen hatte und hierdurch eine Zäsur zwi­ schen den beiden Verhinderungsfällen eingetreten sei.559 Steht also von vorn­ herein fest, dass die krankheitsbedingte Auszeit länger als ein Jahr dauern wird, kann eine schnelle Neubesetzung des Vorstandsamts nach § 84 Abs. 1 AktG die bessere Alternative darstellen.560 Schließlich ist zu bedenken, dass sich die Gesundheitssituation im Laufe der Behandlung verändern kann. Aus diesem Grund müsste der Betroffene die Gesellschaft unverzüglich über et­ waige Veränderungen informieren. Aus grundrechtlicher Sicht fragt es sich, ob es effektivere Alternativen gibt, die den Betroffenen nicht stärker belasten. Eine Pflicht zu erklären, dass die Auszeit aus gesundheitlichen Gründen genommen wird, wäre eine stärkere Belastung und zugleich wenig effektiv, weil ein pauschaler Hinweis auf Ge­ sundheitsprobleme die Informationslage der Gesellschaft kaum verbessert. Insbesondere die Entscheidung darüber, ob die Gesellschaft das betroffene Vorstandsmitglied auf längere Sicht behalten will, wird dadurch nicht erleich­ tert: Diese Entscheidung hängt primär von den Leistungen des Vorstandsmit­ glieds sowie von der Länge der Auszeit und nicht davon ab, ob die Auszeit aus gesundheitlichen Gründen benötigt wird oder nicht. Eine effektivere Alternative wäre die Verpflichtung des Vorstandsmitglieds, die Gesellschaft über die Diagnose, Prognose oder Therapie zu informie­ ren. Anhand dieser Informationen könnte die Gesellschaft unter Umständen überprüfen, ob die Angaben des Vorstandsmitglieds zu seiner Auszeit plausi­ bel erscheinen.561 Denn die Persönlichkeitsmerkmale, die für Führungskräf­ te typisch sind, und die soziale Rolle, die mit dem Vorstandsamt verbunden ist, können bewirken, dass der Kranke seine Lage besser einschätzt, als die vorhandenen medizinischen Daten es erlauben, und von einer kurzen Ver­ hinderung ausgeht, obwohl eine längere Auszeit oder sogar ein vollständi­ ger Rückzug angezeigt wäre. Nicht auszuschließen ist ferner die Situation, in der das Vorstandsmitglied wissentlich falsche Angaben zur Auszeit macht; al­ lerdings kann dann eine Pflicht zur Mitteilung der Diagnose, Prognose oder 558  Drygala, in: K. Schmidt/​ Lutter, AktG, § 105 Rn. 17; Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 105 Rn. 66; Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 105 Rn. 25. 559  Grigoleit/ ​Tomasic, in: Grigoleit, AktG, § 105 Rn. 11; Habersack, in: MüKo AktG, § 105 Rn. 31; Koch, in: Hüffer/​Koch, AktG, § 105 Rn. 7; ebenfalls streng Spindler, in: Spind­ ler/​Stilz, AktG, § 105 Rn. 28. 560  So auch Schnorbus/​K lormann, WM 2018, 1113, 1117. 561  Vgl. oben § 3 III 2 „b“ zur Ad-hoc-Publizität.



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Therapie die Lage nicht verbessern: Ein Vorstandsmitglied, das vorsätzlich fal­ sche Angaben zur voraussichtlichen Dauer der Auszeit macht, wird sich kaum korrekter verhalten, soweit es um die näheren Angaben zur Erkrankung geht. Spiegelt es also der Gesellschaft wahrheitswidrig vor, es werde demnächst wie­ der gesund werden, so wird es wahrscheinlich auch keine Hemmungen haben, ihr zur Unterstützung seiner Version eine unrichtige Prognose mitzuteilen (causa Steven Ross). Eine Pflicht zur Offenlegung der konkreten Gesundheits­ daten würde also nur in den Fällen Abhilfe schaffen, in denen das Vorstands­ mitglied unbewusst falsche Angaben zur voraussichtlichen Dauer der Auszeit macht. Eine solche Pflicht würde indes viel stärker in die Grundrechte der Vor­ standsmitglieder eingreifen. Insofern wäre zu bedenken, dass diese Informatio­ nen letztendlich an den Gesamtaufsichtsrat gelangen würden. Dieser ist zwar nach dem gesetzlichen Konzept (§§ 93 Abs. 1 S. 2 und 116 S. 2 AktG) genau­ so verschwiegen wie der Vorstand, weshalb sich der Vorstand dem Aufsichts­ rat gegenüber nicht auf seine eigene Verschwiegenheitspflicht berufen kann.562 „Alles, was der Vorstand weiß, darf auch der Aufsichtsrat wissen“563. Nach heute ganz herrschender Meinung sind im Aufsichtsrat alle Mitglieder zur Ver­ schwiegenheit verpflichtet, darunter auch die Arbeitnehmervertreter, dessen Verschwiegenheitspflicht gleichermaßen gegenüber dem Betriebsrat und der Belegschaft besteht.564 Dieser „Soll-Zustand“ entspricht allerdings nicht dem „Ist-Zustand“, der sich durch Diskretionsprobleme auszeichnet. Die Vertrau­ lichkeit im Aufsichtsrat wird immer wieder verletzt, wobei es meist unmög­ lich ist, die Verantwortlichen zu ermitteln und zur Rechenschaft zu ziehen.565 Durch das Fehlen wirksamer Sanktionen werden die Indiskretionen begüns­ tigt. Weitere Faktoren sollen die Größe des Aufsichtsrats in mitbestimmten Gesellschaften sowie heterogene Interessen sein, die dort vertreten werden (Großaktionär, Kleinaktionärsgemeinschaft, Kreditgeber, Belegschaft, Ge­ werkschaft, öffentliche Hand usw.).566 562  BGH, Urt. v. 26.3.1956 – II ZR 57/55, BGHZ 20, 239, 246; Urt. v. 6.3.1997 – II ZB 4/96, BGHZ 135, 48, 56; Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 292; Krieger/​Sailer-Coceani, in: K. Schmidt/​Lutter, AktG, § 93 Rn. 26; Koch, in: Hüffer/​Koch, AktG, § 90 Rn. 3; Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 93 Rn. 116; Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, Rn. 108. 563  Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, Rn. 138. 564  BAG, Beschl. v. 23.10.2008 – 2 ABR 59/07, AG 2009, 832, 834 m. w. N.; OLG Stuttgart, Beschl. v. 7.11.2006 – 8 W 388/06, NZG 2007, 72, 73 f. – Carl Zeiss SMT AG; Habersack, in: MüKo AktG, § 116 Rn. 58 f.; Henssler, in: Henssler/​Strohn, AktG, § 116 Rn. 9; Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 116 Rn. 221 ff., 229; Koch, in: Hüffer/​Koch, AktG, § 116 Rn. 11; Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 116 Rn. 39, 56; Lutter, Information und Vertrau­ lichkeit im Aufsichtsrat, Rn. 566; a. A. Köstler/​Müller/​Sick, Aufsichtsratspraxis, Rn. 574 ff. 565 Vgl. Drinhausen/​Marsch-Barner, AG 2014, 337, 347. 566  Koch, in: Hüffer/​Koch, AktG, § 90 Rn. 3; ders., in: Fleischer/​Koch/​K ropff/​Lutter, 50 Jahre Aktiengesetz S. 64, 86; Leyens, Information des Aufsichtsrats, S. 373 f.; Lutter, In­

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Vor diesem Hintergrund besteht das Risiko, dass sensible Gesundheits­ daten in die breite Öffentlichkeit gelangen und der Betroffene im gleichen Maße bloßgestellt wird wie bei der Ad-hoc-Publizität.567 Zwar handelt es sich um personen- und nicht um unternehmensbezogene Daten, so dass ihre Wei­ tergabe aus Loyalität zu einer bestimmten Gruppe eher unwahrscheinlich ist (anders ist die Lage bei strategischen Planungen, bei denen „Belegschaftsinte­ ressen auf dem Spiel stehen“568). Dennoch kann die Information über die Er­ krankung eines Vorstandsmitglieds aus Gründen des „human interest“ weiter­ gegeben werden. Je detaillierter sie ist, desto interessanter ist sie für neugierige Dritte und desto höher ist das Risiko ihrer Weitergabe. Da dieses Risiko zudem mit der Zahl der Eingeweihten steigt, ist die Privatsphäre des Vorstandsmit­ glieds sehr gefährdet, sobald das Aufsichtsratsplenum von der Erkrankung un­ terrichtet wird. Dies lässt sich aber nicht vermeiden, weil der Aufsichtsrats­ vorsitzende, einmal vom Vorstand nach § 90 Abs. 1 S. 3 AktG informiert, diese Information an die übrigen Aufsichtsratsmitglieder weiterleiten muss. Denn jedes Aufsichtsratsmitglied hat gemäß § 90 Abs. 5 S. 1 AktG das Recht, von Be­ richten i. S. d. § 90 AktG Kenntnis zu nehmen, also in Textform abgefasste Be­ richte zu lesen und mündliche Berichte zu hören.569 Der Aufsichtsratsvorsit­ zende hat bei der Unterrichtung der übrigen Aufsichtsratsmitglieder nach § 90 Abs. 5 AktG zwar einen Entscheidungsspielraum; dieser bezieht sich jedoch nur auf den Zeitpunkt der Unterrichtung sowie ihre Art und Weise.570 Der Inhalt der Unterrichtung steht dagegen nicht im Ermessen des Aufsichtsrats­ vorsitzenden. Er darf im Hinblick auf die Verschwiegenheitspflicht der Auf­ sichtsratsmitglieder keine Informationen mit dem Argument zurückhalten, es seien unerlaubte Offenbarungen zu befürchten.571 Verweigern kann er die Un­ terrichtung nur dann, wenn es konkrete Anhaltspunkte für drohende Vertrau­ ensbrüche im Aufsichtsrat gibt.572 Die Pflicht, detaillierte Angaben zur Krankheit zu machen, wäre also eine große Gefahr für die Grundrechte des Betroffenen. Hinzu kommt, dass der damit einhergehende Gewinn an der Effektivität überschaubar wäre. Das Ge­ sellschaftsinteresse ist bereits dann befriedigt, wenn der Erkrankte sie nach formation und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, Rn. 388 f.; Kropff, NZG 1998, 613, 615; zum Problem bereits Mertens, AG 1980, 67, 71 f. 567  Dazu oben § 3 IV 2 „d“ bb). 568  Köstler/​Müller/​Sick, Aufsichtsratspraxis, Rn. 576. 569  Fleischer, in: Spindler/​ Stilz, AktG, § 90 Rn. 57; Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 90 Rn. 57; Kort, in: Großkomm AktG, § 90 Rn. 145; Koch, in: Hüffer/​Koch, AktG, § 90 Rn. 14. 570  Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 90 Rn. 64; Kort, in: Großkomm AktG, § 90 Rn. 149. 571  Kort, in: Großkomm AktG, § 90 Rn. 149. 572  Allg. M., vgl. Kort, in: Großkomm AktG, § 90 Rn. 161b; Krieger/​Sailer-Coceani, in: K. Schmidt/​Lutter, AktG, § 90 Rn. 45; Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 93 Rn. 116; Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, Rn. 130.



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bestem Wissen und Gewissen über die voraussichtliche Dauer der Auszeit in­ formiert. Mit weiteren Informationen wie die Diagnose kann dieses Interesse nur geringfügig besser befriedigt werden. Letztendlich gilt also im Innenver­ hältnis: Entweder vertraut die Gesellschaft den Angaben des Vorstandsmit­ glieds oder sie tut es aus irgendeinem Grund nicht; im letzteren Fall könnte nur ein ärztliches Gutachten helfen. Im Hinblick auf seine Persönlichkeitsrechte ist der Erkrankte jedoch zur Vorlage eines solchen Gutachtens genauso wenig verpflichtet wie zur Abklärung eines bestehenden Krankheitsverdachts.573 Er kann also die Vorlage verweigern. Spitzt sich die Situation aber derart zu, dass die Gesellschaft ein ärztliches Gutachten fordert und der Betroffene dies ablehnt, so ist eine vertrauliche Zusammenarbeit kaum noch möglich. Die­ ses Problem ist nicht durch Offenlegungs- oder Auskunftspflichten, sondern durch eine (einvernehmliche) Trennung zu lösen. Effektiver als die vorgeschlagene Offenlegungspflicht könnte indes eine Pflicht des Vorstandsmitglieds sein, seinen behandelnden Arzt von der Schwei­ gepflicht zu entbinden, weil die Gesellschaft vom Arzt eine neutrale, objekti­ ve und fachkundige Einschätzung der Gesundheitssituation bekäme.574 Aus diesem Grund wird im Arbeitsrecht vereinzelt für eine solche Pflicht des er­ krankten Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitnehmer plädiert. Eine ärzt­ liche Auskunft sei zuverlässiger und schütze daher besser vor ungerechtfertig­ ten Kündigungen, als die Auskunft des betroffenen Arbeitnehmers. Diesem fehlten häufig die erforderlichen Fachkenntnisse, aufgrund deren er selbst eine zutreffende Prognose abgeben könnte. Zudem kläre ein Arzt den Patienten in der Regel nur in dem Maße auf, wie dieser das seiner Meinung nach ertragen könne, so dass der erkrankte Arbeitnehmer oft gar nicht die notwendigen In­ formationen besitze.575 Diese Argumentation ist allerdings wenig überzeugend. Zum einen geht es gar nicht darum, dass der Betroffene selbst eine Krankheitsprognose abgibt; es reicht völlig aus, wenn er den Arzt nach der Prognose fragt und dessen Aus­ kunft weiterleitet. Zum anderen ist die Annahme, der Arzt kläre den Patien­ ten nur in beschränktem Umfang auf, kaum noch zeitgemäß: Nach dem neuen § 630c Abs. 2 S. 1 BGB ist der Behandelnde verpflichtet, dem Patienten in ver­ ständlicher Weise über sämtliche für die Behandlung wesentlichen Umstände aufzuklären, etwa über die Diagnose, Prognose und Therapie. Das sog. „the­ rapeutische Privileg“, also das Recht des Arztes aus therapeutischen Gründen von einer umfassenden Aufklärung abzusehen, wird im neueren Schrifttum sehr skeptisch beurteilt576 , obwohl es nach § 630c Abs. 4 BGB grundsätzlich 573 

Dazu § 2 II 3.

574 Vgl. Barnard, 21 J. Corp. L. 307, 575  Bezani, Die krankheitsbedingte

327 f. (1996) (Fn. 279). Kündigung, S. 63. 576  Mansel, in: Jauernig, § 630c Rn. 10; Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, § 630c Rn. 47.

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nicht ausgeschlossen ist, dass erhebliche therapeutische Gründe der Informati­ onspflicht entgegenstehen können. Es bleibt daher nur das Argument, dass der behandelnde Arzt im Gegen­ satz zum betroffenen Vorstandsmitglied keinem Interessenkonflikt unterliegt und damit die Gefahr einer Falschauskunft aus eigennützigen Motiven ge­ ring ist. Auf der anderen Seite verliert aber der Betroffene jede Möglichkeit, den Informationsfluss zu filtern und zu reduzieren, um seine grundrechtlich geschützten Interessen zu wahren. Im Hinblick auf die Interessen des Vor­ standsmitglieds ist dessen Arzt kein guter Informationsregulator, weil ihm die Welt unternehmerischer Entscheidungen und gesellschaftsrechtlicher Interes­ senkollisionen fremd ist.577 Daher ist es nicht ausgeschlossen, dass der Arzt auch auf eine unberechtigte Nachfrage der AG antwortet und dadurch die grundrechtlich geschützten Interessen seines Patienten gefährdet. Abgesehen von diesem Problem stellt der Zwang zur Entbindung des behandelnden Arz­ tes von der Schweigepflicht einen gravierenden Grundrechtseingriff dar, mit allen sich daraus ergebenden Nachteilen für den Grundrechtsträger und die Allgemeinheit.578 Schließlich basiert die Zusammenarbeit zwischen Organen und Organmitgliedern in der AG auf gegenseitigem Vertrauen; vom Vertrauen könnte nicht mehr die Rede sein, wenn sich die AG ihre Informationen nicht vom betroffenen Vorstandsmitglied selbst, sondern von seinem behandeln­ den Arzt beschaffen würde. Aus all diesen Gründen ist eine Pflicht, den be­ handelnden Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden, abzulehnen. Dies hat allerdings seinen Preis, weil die Gesellschaft dann keine Möglichkeit hat, die mit der Krankheit verbundene Beeinträchtigung anhand ärztlicher Auskunft selbst einzuschätzen. Dieser Nachteil muss jedoch in Kauf genommen werden, wenn man nicht einen schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte der Vor­ standsmitglieder zulassen will. bb)  Dauerhafte Dienstunfähigkeit Besteht keine Aussicht, dass das Vorstandsmitglied seine Dienstfähigkeit in­ nerhalb eines überschaubaren Zeitraums wiedererlangt, ist es aufgrund seiner Sorgfaltspflicht gehalten, sein Amt niederzulegen.579 Nach mittlerweile herr­ schender Auffassung ist das Vorstandsmitglied nicht verpflichtet, den Grund für die Amtsniederlegung zu nennen.580 Somit muss es nicht angeben, dass es 577 Vgl.

Juergens, in: Bayer/​Juergens/​Rudat, Gesundheitsprobleme eines Vorstandsmit­ gliedes, S. 32, 44. 578  Siehe dazu die Erörterungen zur Ad-hoc-Publizität in § 3, IV. 2. d) bb) dieses Kapi­ tels. 579  Siehe § 2, II. 3. dieses Kapitels zum Krankheitsverdacht m. N. in Fn. 139 und 140. 580  Für die GmbH BGH, Urt. v. 26.6.1995 – II ZR 109/94, NJW 1995, 2850; v. 8.2.1993 – II ZR 58/92, BGHZ 121, 257, 262; für die AG Fleischer, in: Spindler/​Stilz, AktG, § 84 Rn. 142; Koch, in: Hüffer/​Koch, AktG, § 84 Rn. 45; Kort, in: Großkomm AktG, § 84 Rn. 224; Spindler, in: MüKo AktG, § 84 Rn. 160; Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 84 Rn. 199;



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aus gesundheitlichen Gründen zurücktritt bzw. nicht mehr dienstfähig ist oder seine Dienstfähigkeit demnächst verliert. Die Amtsniederlegung ist nach all­ gemeinen Regeln gegenüber der AG zu erklären, die durch den Aufsichtsrats­ vorsitzenden vertreten wird. Ein vorheriges vertrauliches Gespräch mit die­ sem kann sinnvoll sein, um die Einzelheiten abzuklären. Außerdem kann in einem solchen Gespräch eine einvernehmliche Beendigung der Organstellung des Betroffenen vereinbart werden. Dann wird allerdings ein entsprechender Beschluss des Gesamtaufsichtsrats nach § 107 Abs. 3 S. 4 AktG analog erfor­ derlich.581 Das Amt des Betroffenen kann auch zu einem bestimmten späteren Zeit­ punkt beendet werden, um insbesondere eine Amtsniederlegung zur Unzeit zu vermeiden. Dies ist besonders wichtig bei einem Alleinvorstand oder in einer Krisensituation der Gesellschaft. Außerdem kann diese Art der Amts­ beendigung zu einem möglichst reibungslosen Amtsübergang beitragen, vor allem wenn der Nachfolger schon feststeht und das scheidende Vorstandsmit­ glied ihn in seine Ressortaufgaben einweisen soll. Als Mittel kommen wie­ derum eine einseitige Amtsniederlegung zum künftigen Zeitpunkt (wie beim Infineons Vorstandsvorsitzenden Peter Bauer) und eine einvernehmliche Amtsbeendigung. Die Angabe von Gründen ist auch hier nicht erforderlich, so dass der Hinweis auf Gesundheitsprobleme unterbleiben kann. Allerdings setzt das Ausscheiden zu einem künftigen Zeitpunkt voraus, dass die Kräfte des Vorstandsmitglieds es erlauben, sein Amt bis zu diesem Zeitpunkt – ge­ gebenenfalls mit Unterstützung durch Kollegen – weiterzuführen. Diese Ein­ schätzung muss der Betroffene selbst vornehmen und sich zu diesem Zweck eventuell beim behandelnden Arzt erkundigen, wie sich die Krankheit und die geplante Behandlung bis zum Zeitpunkt des geplanten Ausscheidens auf seine Leistungsfähigkeit auswirken können, denn der Gesellschaft ist eine solche Nachfrage beim Arzt verwehrt. Es kann vorkommen, dass das erkrankte Vorstandsmitglied seine Pflicht zur Amtsniederlegung nicht erfüllt. So kann es aufgrund seiner Erkrankung in so einem schlechten Zustand sein, dass es ihm gar nicht möglich ist, die erfor­ derlichen Erklärungen abzugeben (z. B. wenn es im Koma liegt). Denkbar ist ferner, dass es dem Vorstandsmitglied die Einsicht fehlt, dass er zur ordnungs­ gemäßen Erfüllung seiner Aufgaben nicht mehr fähig ist (denkbar vor allem bei Alkoholkrankheit). In solchen Fällen kann die Gesellschaft zum Instrument der Abberufung greifen, wenn sie von den Gesundheitsproblemen erfährt. In Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass Erkrankung einen wichti­ gen Grund für die Abberufung darstellt, wenn sie die Unfähigkeit zur ord­ Weber, in: Hölters, AktG, § 84 Rn. 86; a. A. Thüsing, in: Fleischer, Handbuch des Vorstands­ rechts, § 5 Rn. 35 f. 581  Allg. M.; siehe nur Thüsing, in: Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, § 5 Rn. 39 m. w. N.

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nungsgemäßen Geschäftsführung nach sich zieht.582 Der Widerruf der Bestel­ lung ist in einer solchen Situation keine „Sanktion“ für die Nichterfüllung der Pflicht zur Amtsniederlegung, sondern eine bloße Reaktion darauf, dass das Vorstandsmitglied seine Dienstfähigkeit bereits verloren hat oder demnächst verliert und mit einem freiwilligen Rücktritt nicht zu rechnen ist. cc)  Amtsweiterführung trotz Krankheit Kann das erkrankte Vorstandsmitglied seine Dienstaufgaben nicht mehr ohne Einschränkungen erfüllen, so muss es entweder eine Auszeit nehmen oder aus dem Amt ausscheiden. Dann gelten die soeben beschriebenen Regeln. Fraglich ist, wie ein Vorstandsmitglied sich zu verhalten hat, wenn bei ihm eine schwere Erkrankung diagnostiziert wird, die seine Amtsführung nicht oder noch nicht beeinträchtigt. Ist er dennoch zur Offenlegung verpflichtet? Dagegen spricht, dass das erkrankte Vorstandsmitglied wenig Anreiz hat, der Gesellschaft über­ haupt etwas mitzuteilen, solange er seinen Aufgaben in vollem Umfang nach­ kommen kann. Zudem liefe eine etwaige Offenlegungspflicht wohl zwangs­ läufig auf die Mitteilung der Diagnose und eventuell der Therapie hinaus, denn was soll ansonsten mitgeteilt werden? Eine bloße Mitteilung des Vorstands­ mitglieds, bei ihm sei eine schwere Krankheit diagnostiziert worden, würde die AG lediglich alarmieren und die Informationsempfänger unter Druck set­ zen, etwas zu unternehmen, um dem Vorwurf zu entgehen, sie hätten von der Krankheit gewusst und seien trotzdem untätig geblieben. Um dieser Panik vorzubeugen, müsste der Betroffene wohl darlegen, dass die Erkrankung aufgrund ihres frühen Stadiums und (oder) wirksamer The­ rapie schnell geheilt oder zumindest unter Kontrolle gebracht werden könne. Wahrscheinlich käme er dabei nicht umhin, die Art und das Stadium der Er­ krankung sowie die Prognose und die geplante Therapie zu nennen. Dies ginge jedoch, was die Preisgabe der Privatsphäre angeht, zu weit, denn auch die Gesellschaft hat regelmäßig kein Bedürfnis, näheres über Gesundheits­ angelegenheiten ihrer Vorstandsmitglieder zu erfahren, solange sie ihre Auf­ gaben ordnungsgemäß erfüllen. Ein Aufsichtsratsvorsitzender brachte es wie folgt auf den Punkt: „Solange die vereinbarten Ziele erreicht werden und die 582 Vgl. OLG Dresden, Beschl.  v. 18.12.2014  – 5 W 1326/14, NZG 2015, 391 (Abberu­ fung eines betreuten GmbH‑Geschäftsführers); OLG Zweibrücken, Urt. v. 5.6.2003 – 4 U 117/02, NZG 2003, 931, 932 (Abberufung eines GmbH‑Geschäftsführers, der infolge seines schlechten Gesundheitszustandes durchgehend über 5½ Monate arbeitsunfähig war. Laut ärztlichem Attest litt er in der Zeit an Hypertonie, Stoffwechselstörungen, Diabetes melli­ tus, Durchblutungsstörungen, Sauerstoffmangel sowie an psychischer und physischer Er­ schöpfung); für schwere und/oder dauerhafte Erkrankungen sowie Sucherkrankungen Fleischer, in: Spindler/​Stilz, AktG, § 93 Rn. 129; ders., in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 168; ders., NZG 2010, 561, 565; Koch, in: Hüffer/​Koch, AktG, § 84 Rn. 36; Spindler, in: MüKo AktG, § 84 Rn. 111, 135; Bayer, FS Hommelhoff, S. 87, 93 f.; Schnorbus/​Klormann, WM 2018, 1113, 1120.



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Zahlen stimmen, ist für mich aus der Sicht eines Aufsichtsrates der Vorstand gesund“583. Was sich zunächst wenig empathisch anhört, zeugt in Wirklich­ keit vom Respekt der Privatsphäre, die unangetastet bleiben soll, solange „die Zahlen stimmen“. Aus diesen Gründen ist eine Offenlegungspflicht grundsätzlich zu vernei­ nen, solange der Erkrankte körperlich und geistig leistungsfähig bleibt. Dies betrifft z. B. unkomplizierte Stadien von Diabetes mellitus, aber auch Depres­ sions- und Suchterkrankungen, soweit sie ambulant behandelt werden können und deshalb keine Abwesenheit des Erkrankten erfordern.584 Der Verzicht auf die Offenlegung hat bei zuletzt genannten Krankheiten den zusätzlichen Vor­ teil, dass die Gefahr der Stigmatisierung minimiert wird; zugleich wird dem Umstand Rechnung getragen, dass bei diesen Erkrankungen die Verheimli­ chung zum Krankheitsbild gehört und die Offenlegung dem Kranken beson­ ders schwer fällt. Zu informieren ist die Gesellschaft aber dann, wenn die volle Leistungs­ fähigkeit lediglich eine Momentaufnahme ist und schon jetzt feststeht, dass das Vorstandsmitglied relativ bald (etwa innerhalb eines Jahres) vorübergehend oder dauerhaft dienstunfähig wird. Über dieses Risiko müsste der Erkrankte den Vorstand kraft seiner Sorgfaltspflicht in Kenntnis setzen, damit sich die AG frühzeitig um Vertretung oder Nachfolge kümmern kann. Die Erklärung gegenüber dem Vorstandsvorsitzenden oder dessen Stellvertreter genügt auch hier. Das weitere Vorgehen bestimmt sich nach § 90 Abs. 3 bis 5 AktG. In­ haltlich geht es darum, eine bevorstehende Auszeit oder ein bevorstehendes Ausscheiden anzukündigen; es gelten daher die entsprechenden Offenlegungs­ pflichten. Die Gesellschaft ist also nur über die Auszeit bzw. das Ausscheiden zu informieren, der Hinweis auf gesundheitliche Probleme ist nicht zwingend erforderlich. Eine Offenlegungspflicht ist dagegen abzulehnen, wenn mit einer Beeinträchtigung nicht kurzfristig, sondern nur mittelfristig, etwa innerhalb der nächsten zwei Jahre, zu rechnen ist.585 Eine derart frühe Warnung wäre zum einen zur Regelung der Vertretung oder der Nachfolge kaum notwendig, zum anderen sehr unsicher, weil ihre Grundlage, nämlich die ärztliche Prog­ nose, nicht so weit in die Zukunft reichen kann, ohne selbst unzuverlässig zu werden.586 Vielmehr muss und soll der Betroffene die weitere Entwicklung sei­ 583  Zitiert nach Juergens, in: Bayer/​ Juergens/​Rudat, Gesundheitsprobleme eines Vor­ standsmitgliedes, S. 47. 584  So konnte der Betroffene im Fall von OLG Brandenburg, Urt. v. 12.12.2006 – 6 U 26/06, AG 2007, 590, seine Tätigkeit als Vorstandsmitglied trotz einer bestehenden Depres­ sionserkrankung zunächst erfolgreich ausüben. Er sollte sogar zum Vorstandsvorsitzenden befördert werden. 585  A. A. Horwich, 5 N. Y. U. J.L. & Bus. 827, 867 f. (2009). 586  Der Arzt kann in einer solchen Situation in der Regel keine individuelle Prognose abgeben, sondern nur auf statistische Lebenserwartungen wie Überlebensraten bei be­ stimmten Erkrankungen verweisen, deren Aussagekraft sehr begrenzt ist. Dies übersieht

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ner Erkrankung abwarten und die Gesellschaft erst dann informieren, wenn er verlässlichere Daten in der Hand hat. Eine andere Beurteilung ist angebracht, wenn die fortschreitende Erkran­ kung die ordnungsgemäße Erfüllung der Offenlegungspflicht unwahrschein­ licher macht. Diese Gefahr besteht bei Krankheiten, die sich negativ auf die ko­ gnitiven Fähigkeiten des Individuums auswirken. Ein geläufiges Beispiel sind Demenzerkrankungen, bei denen sich das Erinnerungs- und Denkvermögen über kurz oder lang dramatisch nachlässt. Kommt es krankheitsbedingt zu solchen Beeinträchtigungen, so kann es passieren, dass in dem Zeitpunkt, in dem der Erkrankte an sich zur Offenlegung oder zum Rücktritt verpflichtet wäre, er dazu gar nicht mehr in der Lage ist. Es stellt sich daher die Frage, wie er sich nach der Diagnose zu verhalten hat. Bei gerade erwähnten Demenz­ erkrankungen hat er nach derzeitigem Stand der Medizin wohl keine andere Wahl, als sein Vorstandsmandat sofort oder jedenfalls so schnell wie möglich niederzulegen. Demenzerkrankungen sind (noch) nicht heilbar und mit an­ spruchsvollen Tätigkeiten nicht vereinbar, weil sie Defizite verursachen, die auch im frühen Krankheitsstadium nicht vollständig ausgeglichen werden können. Somit besteht die Gefahr, dass der Kranke aufgrund von Konzen­ trationsschwierigkeiten und Gedächtnislücken Fehler macht, die zum Schaden der AG führen. Nicht so eindeutig ist die Lage bei Hirnschädigungen, die etwa durch Hirn­ tumore ausgelöst werden können. In manchen Fällen ist es nicht sicher, ob eine kognitive Störung vorliegt oder künftig auftreten wird. Hier dürfte der Betroffene abwarten, ob sich eine solche Störung zeigt, müsste aber bei ihren ersten Anzeichen zurücktreten, solange er die Situation noch beherrscht. Be­ merkenswert ist insoweit das Verhalten von Michael Walsh, CEO des US‑Au­ tozulieferers Tenneco, der die Belegschaft über seinen bösartigen Hirntumor drei Tage nach der Diagnose informierte, dabei die bevorstehende Therapie schilderte und sofort zurückzutreten versprach, falls seine mentale Leistung nachlassen soll. Später demonstrierten Walsh und sein Nachfolger Dana Mead in zahlreichen Interviews, dass Walsh weiterhin seinen Pflichten als CEO un­ eingeschränkt nachkommen kann, Mead aber jederzeit bereit ist, das Amt zu übernehmen, was er kurz vor Walshs Tod im Februar 1994 auch tat.587 Die vorbehaltlose Offenheit von Walsh kann zwar, insbesondere angesichts der Grundrechtsproblematik, kein allgemeiner Pflichtenmaßstab sein. Die Sorg­ m. E. Horwich, 5 N. Y. U. J.L. & Bus. 827, 869 (2009), der von der Zuverlässigkeit von Zwei­ jahresprognosen ausgeht. Vgl. dazu Fleischer, FS Uwe Schneider, S. 333, 348: „Wenn man sich überhaupt auf konkrete Zahlen einlassen will, so dürfte sich als Richtschnur […] eher der Zeitraum der Viertel- oder Halbjahresberichterstattung anbieten.“ 587  Maclean, Tenneco Chief’s Illness Leads Him To Step Aside, Chicago Tribune Online, 25.2.1994; Deutsch, When Death Hits a Corner Office, The New York Times, 21.10.1997, D1.



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faltspflicht erfordert aber vom Vorstandsmitglied die Bereitschaft, sein Amt niederzulegen, sobald die Interessen der Gesellschaft durch die Amtsweiter­ führung in Gefahr geraten können. Bei drohenden kognitiven Beeinträchtigungen stellt sich außerdem die Frage, ob es möglich wäre, den Gesundheitszustand des Betroffenen indivi­ duell zu überwachen. So könnte man in Anlehnung an das Modell der gestuf­ ten Mitteilungspflicht argumentieren, das erkrankte Vorstandsmitglied sei verpflichtet, eine weitere Person im Unternehmen über das Risiko der Ver­ schlechterung seiner mentalen Fähigkeiten vertraulich zu informieren. Als In­ formationsadressat käme nicht nur der Aufsichtsratsvorsitzende, sondern auch ein anderes Aufsichtsrats- oder Vorstandsmitglied in Betracht, zumal es keine Regel gibt, dass der Aufsichtsratsvorsitzende für jedes Vorstandsmitglied die Person des Vertrauens ist. Gegenüber einer solchen Vertrauensperson müss­ te der Betroffene das bestehende Risiko offenlegen, also mindestens darauf hinweisen, dass bei ihm eine Erkrankung diagnostiziert worden sei, die sich auf seine kognitiven Fähigkeiten auswirken könne. Anschließend könnte der konkrete Überwachungsmodus vereinbart werden, etwa dass das Vorstands­ mitglied der Vertrauensperson in bestimmten Zeitabständen ärztliche Be­ scheinigung über seine Dienstfähigkeit vorlegt. Bei fehlender oder negativer Bescheinigung müsste die Vertrauensperson den Vorstand und Aufsichtsrat darüber in Kenntnis setzen, dass das betroffene Vorstandsmitglied nicht mehr dienstfähig ist. Das entscheidende Manko eines solchen Überwachungsmodells besteht darin, dass es die Vertrauensperson einem Haftungsrisiko aussetzt, welches ihre Überwachungsbereitschaft erheblich reduzieren könnte. Sie erhält – ge­ nauso wie der Aufsichtsratsvorsitzende im Modell der gestuften Mitteilungs­ pflicht  – ein Sonderwissen, das den übrigen Organmitgliedern vorenthalten bleibt. Sollte das erkrankte Vorstandsmitglied nach dem Gespräch mit seiner Vertrauensperson tatsächlich einen Managementfehler begehen, weil seine geistige Leistung nachgelassen hat, wäre im Schadensfall eventuell auch die Vertrauensperson haftbar, weil man ihr den Vorwurf machen könnte, sie hätte ihr Wissen nicht für sich behalten dürfen. Unter diesen Umständen wird kaum ein Organmitglied bereit sein, die Rolle einer Vertrauensperson zu überneh­ men, zumal sie mit einem Überwachungsaufwand verbunden ist. Für den Be­ troffenen hieße es, dass er kaum eine Chance hätte, jemand zu finden, dem er sich anvertrauen könnte. Aus diesem Grund wäre das betrachtete Modell im bestehenden System der Organhaftung nicht überlebensfähig. c) Zusammenfassung Dem bisher vorgeschlagenen Modell der „gestuften“ Mitteilungspflicht ist ein anderes Informationsmodell vorzuziehen, dessen Grundzüge wie folgt zusam­ mengefasst werden können:

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Kann das erkrankte Vorstandsmitglied seine Dienstaufgaben nicht mehr ohne Einschränkungen erfüllen, so muss es entweder eine Auszeit nehmen oder aus dem Amt ausscheiden. Das Ausscheiden ist dann geboten, wenn mit der Wiedererlangung der Dienstfähigkeit nicht mehr zu rechnen ist. In diesem Fall ist das Vorstandsmitglied kraft seiner Sorgfaltspflicht gehalten, sein Amt sofort oder zu einem künftigen Zeitpunkt niederzulegen. Mit Zustimmung des Aufsichtsrats ist außerdem eine einvernehmliche Amtsbeendigung möglich. Es ist dabei nach dem allgemeinen Grundsatz nicht erforderlich, den Grund für das Ausscheiden – hier also die Gesundheitsprobleme – zu benennen. Genau­ so wenig bedarf es einer Erklärung des erkrankten Vorstandsmitglieds, dass es nicht mehr dienstfähig ist bzw. seine Dienstfähigkeit demnächst verliert. Besteht dagegen die Aussicht, dass das Vorstandsmitglied seine Dienst­ fähigkeit innerhalb eines überschaubaren Zeitraums wiedererlangt, kann es wegen Krankheit eine Auszeit nehmen. Dabei muss es aufgrund seiner Sorg­ faltspflicht für die ununterbrochene Funktionsfähigkeit des Vorstands sorgen. Bei einem mehrgliedrigen Vorstand hat der Erkrankte die anderen Vorstands­ mitglieder zu unterrichten, und zwar nicht erst dann, wenn er für drei oder vier Wochen ausfällt, sondern sobald eine Vertretung notwendig wird, also unter Umständen schon bei einer kurzen Abwesenheit von wenigen Tagen. Eine Mitteilung gegenüber dem Vorstandsvorsitzenden oder, wenn es sich beim Kranken um den Vorstandsvorsitzenden handelt, gegenüber dem stell­ vertretenden Vorstandsvorsitzenden genügt; dieser muss anschließend andere Vorstandsmitglieder informieren und je nach gesellschaftsinterner Regelung alleine oder zusammen mit dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats für die Ver­ tretung sorgen. Der erkrankte Alleinvorstand informiert direkt den Aufsichtsrat, damit die­ ser mit nötigen Personalmaßnahmen die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft sicherstellen kann. Auch hier ergibt sich das Offenlegungsgebot aus der Sorg­ faltspflicht. Die Erklärung ist gem. § 90 Abs. 1 S. 3 AktG an den Aufsichtsrats­ vorsitzenden zu richten, da die krankheitsbedingte Abwesenheit eines Allein­ vorstands ein wichtiger Anlass ist, der die Pflicht zur Sonderberichterstattung auslöst. Das Gleiche gilt bei einem mehrgliedrigen Vorstand, wenn ein Mitglied voraussichtlich für eine längere Zeit (mehr als drei Wochen) ausfällt. Auch in diesem Fall besteht für den Vorstand ein wichtiger Anlass, dem Aufsichtsrats­ vorsitzenden nach § 90 Abs. 1 S. 3 AktG Bericht zu erstatten. Der große Un­ terschied zwischen dieser Lösung und dem Modell der gestuften Mitteilungs­ pflicht besteht darin, dass der Aufsichtsratsvorsitzende nicht vom erkrankten Vorstandsmitglied, sondern vom Gesamtvorstand informiert wird. Außerdem ist das Ermessen des Aufsichtsratsvorsitzenden im Hinblick darauf, wann er die Informationen weiterleitet, beschränkt, da er die übrigen Aufsichtsrats­ mitglieder spätestens in der nächsten Aufsichtsratssitzung zu unterrichten hat, § 90 Abs. 5 S. 3 AktG.



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Inhaltlich ist die Offenlegungspflicht zum Schutz der Grundrechte des Be­ troffenen beschränkt: Dieser muss die Gesellschaft nach Möglichkeit nur darü­ ber informieren, ob und innerhalb welchen Zeitraums es seine Dienstfähigkeit voraussichtlich wiedererlangen wird. Diese Information ist praktisch gesehen in der Erklärung enthalten, dass das Vorstandsmitglied der Gesellschaft inner­ halb eines bestimmten Zeitraums (oder ab sofort für eine unbestimmte Zeit, etc.) nicht zur Verfügung stehen wird. Außerdem muss er mitteilen, ob er wäh­ rend seiner Abwesenheit in der Lage sein wird, an der Gesamtverantwortung des Vorstands teilzunehmen. Sollten diese Angaben nicht mehr zutreffen, etwa weil sich der Gesundheitszustand des Betroffenen anders entwickelt hat als ur­ sprünglich angenommen, müssen sie unverzüglich aktualisiert werden. Solange der Erkrankte körperlich wie geistig leistungsfähig bleibt, kann er die Geschäfte grundsätzlich weiterführen und ist dabei nicht verpflichtet, der Gesellschaft gegenüber irgendwelche Angaben zu seiner Erkrankung zu machen. Davon gibt es zwei Ausnahmen. Die erste gilt dann, wenn das Vor­ standsmitglied nach der ärztlichen Prognose seine Dienstfähigkeit innerhalb des nächsten Jahres voraussichtlich verlieren wird. Darüber muss der Erkrank­ te kraft seiner Sorgfaltspflicht die AG in Kenntnis setzen, damit sie sich früh­ zeitig um Vertretung oder Nachfolge kümmern kann. Im Hinblick auf das Verfahren gelten die Ausführungen zur krankheitsbedingten Auszeit. Die zweite Ausnahme betrifft die Situation, in der die diagnostizierte Erkrankung die mentale Leistungsfähigkeit des Betroffenen beeinträchtigen kann. Je nach Art der Erkrankung muss das Vorstandsmitglied in dieser Situation entweder schnellstmöglich nach der Diagnose oder bei den ersten Anzeichen einer men­ talen Beeinträchtigung zurücktreten. 2.  (Rechts-)Pflicht, Obliegenheit oder Standard guter Unternehmensführung? Die Untersuchung der Offenlegungspflicht erkrankter Vorstandsmitglieder wäre nicht vollständig, wenn diese Pflicht nicht von ähnlichen Erscheinungen abgegrenzt würde, nämlich von Obliegenheiten, moralischen Pflichten oder Standards guter Unternehmensführung. Mit Obliegenheiten ist diese Offenle­ gungspflicht deshalb verwandt, weil sie zur Kategorie der Aufklärungspflich­ ten gehört, die weder erzwingbar noch einklagbar sind.588 Trotz dieser Ge­ meinsamkeit gibt es aber einen entscheidenden Unterschied: Obliegenheiten werden stets in eigenem Interesse erfüllt, Offenlegungspflichten im Interesse des Gegners.589 Da die Offenlegungspflicht bei Erkrankung primär im Inte­ resse der Gesellschaft gilt, gehört sie nicht zu Obliegenheiten. 588 

Vgl. insoweit die Ausführungen zum Untersuchungsgegenstand im Kapitel 1, § 1. Taupitz, Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, S. 98 f. Bei seinem zweiten Argument (für die Verletzung von Obliegenheiten gebe es von vornherein keine Sanktion in Form von Schadensersatz, während die Verletzung der Offenbarungspflicht zumindest formell mit 589 

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Der Fokus der Diskussion sollte aber nicht auf die Unterscheidung zwi­ schen Rechtspflichten einerseits, Obliegenheiten andererseits verengt wer­ den.590 Vielmehr gilt es herauszufinden, ob es sich bei der Offenlegungspflicht um eine echte Rechtspflicht (eine „Norm“) oder lediglich um einen Standard guter Unternehmensführung, der mit den Empfehlungen des DCGK vergleich­ bar wäre. Gegen die Normqualität der Offenlegungspflicht könnte die Schwä­ che der Sanktionen sprechen, die bei der Verletzung dieser „Pflicht“ greifen. Die schärfsten Sanktionen sind die Abberufung aus wichtigem Grund sowie die Kündigung des Anstellungsvertrags. Diese Sanktionen kommen jedoch nur in gravierenden Fällen in Betracht.591 In übrigen Fällen gilt: Da die Of­ fenlegung nicht erzwingbar ist, stehen der AG nur sekundäre Ansprüche zu, nämlich Schadensersatzansprüche gegen das Vorstandsmitglied aus § 93 Abs. 2 AktG. Sie setzen voraus, dass fehlende, nicht rechtzeitige oder nicht richtige Offenlegung zum Schaden der Gesellschaft geführt hat. Bereits der Einritt eines konkreten Schadens ist schwer vorstellbar.592 Den Ersatz der Kosten für die Suche nach einem externen Nachfolger wird die Ge­ sellschaft grundsätzlich nicht verlangen können.593 Das Vorstandsmitglied kann insofern argumentieren, dass diese Kosten auch dann angefallen wären, wenn es die AG über sein baldiges Ausscheiden rechtzeitig informiert hätte. Ein wirklicher Schaden entsteht nur dann, wenn die nicht ordnungsgemäße Offenlegung Probleme bei der Regelung der Vertretung oder der Nachfol­ ge verursacht. Dies dürfte eher selten vorkommen. Hat z. B. das kranke Vor­ standsmitglied die voraussichtliche Dauer seiner Auszeit zu kurz bemessen, kann die AG ihre bereits getroffene Vertretungsregelung im Normalfall ein­ fach in Kraft lassen, so dass kein Schaden entsteht. Nur dann, wenn die in § 105 Abs. 2 AktG bestimmte Höchstdauer der Abordnung eines Aufsichts­ ratsmitglieds überschritten wäre, müsste die Vertretung neu geregelt werden. Aber auch dann ist ein Schaden unwahrscheinlich. Mit einiger Phantasie ist allerdings eine Situation vorstellbar, in der die nicht ordnungsgemäße Offenle­ gung dazu führt, dass sich die AG zu spät um die Nachfolge kümmert und des­ halb die Chance verpasst, das Amt mit einem internen Kandidaten zu beset­ Schadensersatz verknüpft sei), handelt es dagegen um einen Zirkelschluss: Die verletzte Of­ fenbarungspflicht kann nur dann zum Schadensersatz führen, wenn man sie als Rechts­ pflicht (und nicht als Obliegenheit) einstuft. 590  Vgl. aber Taupitz, Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, S. 96 ff. 591  Schnorbus/​K lormann, WM 2018, 1069, 1075. 592 Besser vorstellbar ist der Schaden, wenn das kranke Vorstandsmitglied sein Amt treuwidrig nicht niederlegt und wegen seiner Erkrankung einen Geschäftsführungsfehler begeht. Allerdings wäre es schwierig nachzuweisen, dass die Erkrankung für den Fehler tatsächlich kausal gewesen ist. Darüber hinaus hat die Gesellschaft in diesem Fall gegen das Vorstandsmitglied einen Schadensersatzanspruch wegen des eigentlichen Fehlers, bei dem sich solche Nachweisprobleme nicht stellen. In der Praxis dürfte daher der Schadensersatz­ anspruch wegen der Verletzung der Amtsniederlegungspflicht wertlos sein. 593 Vgl. Röhrborn, Der Aufsichtsrat 2017, 66, 67.



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zen (etwa weil dieser das Unternehmen inzwischen verlassen hat). Nun muss ein externer Nachfolger gesucht werden; den dafür erforderlichen finanziellen Aufwand könnte die Gesellschaft in dieser Sonderkonstellation als Schaden geltend machen. Abgesehen davon wird der Nachweis der Pflichtverletzung regelmäßig Schwierigkeiten bereiten. Zwar kommt der Gesellschaft die Beweislastumkehr in § 93 Abs. 2 AktG zugute, so dass sie grundsätzlich nur die schädigende Handlung des Vorstandsmitglieds darlegen und beweisen muss. Stellt sich also heraus, dass die Genesung des Vorstandsmitglieds statt den von ihm angege­ benen drei Monaten sechs in Anspruch genommen hat, so könnte sich die AG zunächst auf den Vortrag beschränken, der Betroffene habe unzutreffende An­ gaben zur voraussichtlichen Dauer der Auszeit gemacht. Fraglich ist aber, was passiert, wenn das beklagte Vorstandsmitglied dagegen einwendet, er habe die Gesellschaft nach bestem Wissen und Gewissen informiert, nur die Thera­ pie habe bei ihm nicht so angeschlagen wie gedacht. Wird man den Beklagten dazu auffordern, seine Angaben durch Aussagen der behandelnden Ärzte zu beweisen? Oder wird man mit Rücksicht auf seine Privatsphäre eine solche Be­ hauptung genügen lassen und nunmehr die Gesellschaft in der Pflicht sehen, diese Behauptung durch substantiierte Angaben zu erschüttern? Für Letzte­ res spricht, dass die Gesellschaft nach überwiegender Ansicht auch die Um­ stände darlegen und beweisen muss, aus denen sich zumindest der Anschein einer Pflichtwidrigkeit ergibt.594 Dann hätte aber die Gesellschaft erhebliche Probleme, weil sie regelmäßig nicht über die erforderlichen Informationen ver­ fügt und sich zur Informationsbeschaffung nicht an die behandelnden Ärzte wenden kann. Ähnlich ist die Lage, wenn das Vorstandsmitglied die AG nicht darüber informiert, dass es wahrscheinlich in drei oder vier Monaten krank­ heitsbedingt ausfällt: Die AG könnte kaum nachweisen, dass ihm diese Wahr­ scheinlichkeit bekannt war, denn sie weiß ja nicht einmal, wann die Diagnose gestellt wurde. In Beweisnot kommt die Gesellschaft nur dann nicht, wenn das Vorstandsmitglied ohne jegliche Ankündigung ausfällt, obwohl es ihm mög­ lich gewesen wäre, die Gesellschaft zu informieren. Die Ansprüche wegen der Verletzung der Offenlegungspflicht würden also in der Regel entweder am mangelnden Schaden oder an Beweisschwierigkeiten scheitern. Dies wäre auch dann der Fall, wenn die Pflicht als solche strenger ausgestaltet wäre, z. B. wenn Vorstandsmitglieder die Diagnose, Prognose und Therapie offenlegen müssten. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die Offenlegungspflicht Normcharakter besitzt. Die sog. Sanktionstheo­ 594  OLG Nürnberg, Beschl. v. 28.10.2014 – 12 U 567/13, NZG 2015, 555 Rn. 13; Koch, in: Hüffer/​Koch, AktG, § 93 Rn. 53; Krieger/​Sailer-Coceani, in: K. Schmidt/​Lutter, AktG, § 93 Rn. 41; Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 93 Rn. 142; Bachmann, BB 2015, 771, 774 f.; Paefgen, NZG 2009, 891, 893 f.; ders., AG 2014, 554, 565 f.; ablehnend Bauer, NZG 2015, 549, 550 f.; Fleischer/​Bauer, ZIP 2015, 1901, 1907 f.

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rie595 würde diese Frage wahrscheinlich verneinen. Diese rechtsphilosophische Lehre versteht unter Normen nur sanktionskonstituierte Handlungsgründe: Normen würden erst durch Sanktionen geschaffen, die das Individuum, das ungewünschte Handlungsfolgen vermeiden wolle, zu einem bestimmten Ver­ halten zwängen. Eine Handlung sei also für eine Person nur dann verboten, wenn ihre Durchführung durch diese Person zu Sanktionen führe.596 Das tra­ ditionelle Verständnis von Norm und Sanktion wird dabei umgekehrt: „Es gibt keine der Sanktion vorausgehende Norm, und die Sanktion ist nicht die nachträgliche Strafe für etwas, was bereits unabhängig von ihr verboten ist. Eine Handlung wird nicht sanktioniert, weil sie verboten ist, sie ist vielmehr verboten, weil sie sanktioniert wird.“597 So gesehen wäre es Vorstandsmitglie­ dern nicht verboten, ihre Erkrankungen komplett zu verschweigen, weil sie in diesem Fall kaum Sanktionen zu befürchten hätten. Allerdings wird gegen die Sanktionstheorie zu Recht eingewandt, dass sie letztendlich die Adressaten einer Norm über deren Existenz und Reichwei­ te entscheiden lasse: Welche Norm welche Adressaten betrifft, hängt von die­ sen Personen und deren Wollen ab.598 Dies führe zu absurden Konsequenzen, nämlich dass es nicht verboten sei, Selbstmordattentate zu verüben, weil sie nicht sanktioniert werden könnten (es sei denn, der Täter überlebt). Die tra­ ditionelle Lehre sieht dies anders: Dass die Sanktion nicht verhängt werden kann, weil der Normverletzer nicht greifbar ist, bedeutet danach nicht, dass von vornherein keine Verpflichtung vorlag.599 Ein weiteres Argument gegen die Sanktionstheorie lautet, Sanktionen gäben ihren Adressaten keine Gründe, sich regelkonform zu verhalten; sie gäben ihnen lediglich Gründe, regelkon­ formes Verhalten vorzutäuschen. Daher seien Sanktionen zur ontologischen Konstruktion von Normen ungeeignet.600 Angesicht dieser Schwächen der Sanktionstheorie ist ihr die herkömmliche Lehre vorzuziehen, wonach fehlende oder schwierig durchzusetzende Sank­ tionen nicht gegen die Existenz einer Norm sprechen. H. L. A. Hart weist in diesem Zusammenhang auf die Unterschiede zwischen einer einzelnen Norm und der gesamten Rechtsordnung hin: Eine Rechtsordnung, um eine solche zu sein, müsse für gewisse ihrer Normen Sanktionen vorsehen, aber nicht jede Norm müsse mit einer Sanktion versehen sein. Eine Einzelnorm bestehe ferner auch dann, wenn sie nur in einer Minderheit von Fällen durchgesetzt oder befolgt werde, was sich von einer Rechtsordnung als Ganzem nicht sagen 595  Grundlegend zur Sanktionstheorie Seebaß, in: Leist, Moral als Vertrag?, S. 155 ff.; Stemmer, Handeln zugunsten anderer, 2000; ders., Normativität, 2008; ders., Begründen, Rechtfertigen und das Unterdrückungsverbot, 2013. 596  So die Kritik von Freitag, DZPhil 65 (2017), 436, 447 ff. 597  Stemmer, Normativität, S. 175. 598  Freitag, DZPhil 65 (2017), 436, 442. 599  Brandhorst, in: Buddeberg/​Vesper, Moral und Sanktion, S. 167, 176. 600  Freitag, DZPhil 65 (2017), 436, 446 f., 453.



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ließe.601 Ein anderer einflussreicher Vertreter des Rechtspositivismus, Hans Kelsen, neigt in der Frage „Normexistenz und Sanktion“ zu einer strengeren Ansicht. Er geht von einem notwendigen Zusammenhang zwischen Norm und Sanktion aus und lehnt sanktionslose Rechtspflichten strikt ab.602 Es wäre aber verkehrt zu behaupten, dass Kelsen Normen ohne wirksame Sanktionen eben­ falls ablehnt. Er meint zwar, die Geltung, also die spezifische Existenz einer Norm603, hänge von deren Wirksamkeit und diese wiederum von der Wirk­ samkeit der mit der Norm verbundenen Sanktionen ab, weil die Vermeidung von Sanktionen ein klassisches Motiv für die Normbefolgung sei. Gleichzeitig räumt er ein, die Furcht vor Sanktionen sei nicht das einzig mögliche Motiv für die Befolgung und Anwendung einer Norm. Es seien andere tatsächliche Motive denkbar, die in vielen Fällen gar nicht feststellbar seien. Tatsächlich werde eine Norm als befolgt oder angewendet (d. h. als wirksam) angesehen ohne Rück­ sicht darauf, aus welchem Motiv das tatsächliche Verhalten erfolge, das die Be­ folgung oder Anwendung der Norm darstelle. Außerdem setze die Wirksam­ keit einer Norm lediglich voraus, dass sie im Großen und Ganzen befolgt und angewendet werde, und nicht dass dies immer und ausnahmslos geschehe.604 Wie Hart geht also Kelsen davon aus, dass Unwirksamkeit von Sanktio­ nen nicht automatisch Unwirksamkeit (und die Nichtexistenz) einer Norm bedeutet. Zwischen ihren Auffassungen bestehen nur graduelle Unterschie­ de: Während Kelsen die Befolgung oder Anwendung „im Großen und Gan­ zen“ verlangt, begnügt sich Hart mit der „Minderheit von Fällen“. Ähnlich genugsam äußert sich die zeitgenössische Zivilrechtsliteratur: Dort liest man, dass normative Verhaltensanforderungen keineswegs nur dort gegeben seien, wo im Falle einer Zuwiderhandlung eine Sanktion verhängt werde, sondern auch dort, wo die Pflichtverletzung typischerweise real sanktionslos bleibe.605 Und manche moderne Rechtsphilosophen gehen noch weiter und behaupten, es könne sogar Pflichten geben, die grundsätzlich nicht sanktioniert würden; entscheidend für die Existenz einer Norm sei vielmehr, ob es einen Kontext gibt, in dem auf das geforderte Handeln hingewiesen wird, in dem richtige von falschen Handlungsweisen unterschieden werden oder Urteile über das richti­ ge Handeln bestätigt oder korrigiert werden.606 Unter diesem Blickwinkel be­ trachtet kann die Offenlegungspflicht das Verhalten der Vorstandsmitglieder durchaus effektiv steuern. Ihre Sanktion in Form der Schadensersatzhaftung ist zwar praktisch gesehen schwach, jedoch können auch schwache Sanktionen vom Einzelnen als wirksam empfunden werden, da sie immerhin existieren. Es 601  602 

Hart, Recht und Moral, S. 46 f. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 51 ff., 120 f. 603  Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, S. 3. 604  Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, S. 111 ff. 605  Taupitz, Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, S. 26. 606  Brandhorst, in: Buddeberg/​Vesper, Moral und Sanktion, S. 167, 176.

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wäre daher vorschnell zu behaupten, die Haftung für die Verletzung der Of­ fenlegungspflicht könne gar keine abschreckende Wirkung entfalten. Ferner dient die Offenlegung auch den Interessen des erkrankten Vor­ standsmitglieds. Diesem dürfte genauso wie der Gesellschaft daran gelegen sein, dass bei seinem krankheitsbedingten Ausfall die Vertretung rechtzeitig organisiert wird und in seinem Ressort kein Entscheidungsnotstand ausbricht, der mit einem Haftungsrisiko verbunden sein kann. Sollte das Vorstandsmit­ glied dauerhaft dienstunfähig werden, so liegt es ebenfalls in seinem Interesse, dass seine Amtsstellung beendet wird, damit es nicht mehr an der Gesamtver­ antwortung des Vorstands teilnimmt. Ähnliches gilt für einen rechtzeitigen Rücktritt bei Gefährdung der kognitiven Leistungsfähigkeit: Auch hier nutzt es dem Betroffenen zurückzutreten, bevor die Krankheit die Oberhand gewinnt und ihn zum Verhalten zwingt, für das er später in Haftung genommen wer­ den kann. Wird im Falle der Amtsbeendigung zugleich auch das Anstellungs­ verhältnis beendet, verliert der Betroffene zwar seinen Vergütungsanspruch, hat aber regelmäßig einen Anspruch auf Zahlung von Ruhegeld wegen Inva­ lidität.607 Dieser Befund wird durch die Praxis bestätigt, in der krankheits­ bedingter Rücktritt vom Vorstandsamt keine Seltenheit ist. Schließlich kann auch der Wunsch, sich rechtskonform, loyal oder mora­ lisch korrekt zu verhalten, Anreize zur Pflichtbefolgung geben: „Executives would likely feel morally or legally obligated to share their health status for the sake of the company.“608 Aus diesen Gründen ist der im US-amerikanischen Schrifttum geäußerten Meinung zuzustimmen, dass Führungskräfte die Ge­ sellschaft über etwaige Gesundheitsprobleme in der Regel informieren wer­ den, bevor sie von Außenstehenden gefragt werden, ob sie noch in der Lage seien, ihren Dienstaufgaben nachzukommen.609 Die Beurteilung der Normqualität der Offenlegungspflicht hat sich also nicht „am System des ,Zwanges‘“610 , sondern am Begriff der Verpflichtung zu orientieren. Was ist aber eine Verpflichtung? Klassiker wie Hart sprechen von Verpflichtungen (einschließlich moralischer Verpflichtungen), wenn „eine be­ harrliche und allgemeine Forderung nach Konformität besteht und der soziale Druck beträchtlich ist, der auf jenen lastet, die von der Regel abweichen oder sehr wahrscheinlich abweichen werden.“611 Dieser soziale Druck entstehe da­ durch, dass die Gesellschaft einen bestimmten Verhaltenstyp zum Standard erkläre und die Abweichungen von diesem Standard als Fehltritte oder Ver­ gehen betrachte, die auf Kritik und Zwang zur Konformität treffen würden. 607 Dazu Fonk, in: Semler/von Schenck, ARHdb. § 10 Rn. 241 ff. 608  Abril/​Olazábal, 46 Hous. L. Rev. 1545, 1573 (2010). 609 

Abril/​Olazábal, 46 Hous. L. Rev. 1545, 1573 (2010); vgl. auch Lin, 11 U. Pa. J. Bus. L. 383, 414 (2009). 610  Esser, AcP 154 (155), 49, 50. 611  Hart, Der Begriff des Rechts, S. 124, vgl. auch ebenda, S. 83.



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Der Bezug auf soziale Standards unterscheide Verpflichtungen insbesondere von Befehlen eines Räubers an sein Opfer, die dieses ebenfalls unter Zwang setzten.612 Die Erklärung eines Verhaltens zum sozialen Standard ist ein Wert­ urteil613 oder, in der Terminologie Hans Alberts, eine „normative Aussage“614. Hart selbst betrachtet die Redewendungen „sollen“, „müssen“, „zu tun haben“ als normative Wörter und die Begriffe „Verpflichtung“ und „Pflicht“ als eine wichtige Unterklasse dieser normativen Wörter.615 So gesehen ist die Offenlegungspflicht eine Verpflichtung, da sie auf einen sozialen Standard verweist, nämlich auf die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters. Sie erfüllt auch weitere Merkmale einer Ver­ pflichtung, die Hart formuliert hat: „Ebenso bestimmen wir als ,Verpflich­ tung‘ oder vielleicht häufiger als ,Pflicht‘ solche Regeln, die Aufrichtigkeit oder Wahrhaftigkeit fordern […]. Zweitens wird man allgemein anerkennen, daß das von diesen Regeln verlangte Verhalten mit den Wünschen der Personen kolli­ dieren kann, deren Pflicht es wäre, obwohl andere davon profitieren. Daher denken wir uns Verpflichtungen und Pflichten stets so, daß sie Opfer oder Ver­ zicht implizieren. Und die ständige Möglichkeit des Konflikts zwischen Ver­ pflichtung bzw. Pflicht und Interesse ist in allen Gesellschaften für Juristen wie Moralisten eine Banalität.“616 Allerdings treffen diese Ausführungen auch auf die Empfehlungen des DCGK zu. Auch diese können Opfer oder Verzicht implizieren und auch diese verweisen auf soziale Standards: die Standards guter Unternehmensführung. Es wäre zudem nicht übertrieben zu sagen, dass hinter diesen Empfehlungen ein erheblicher sozialer Druck steht, zumindest für Gesellschaften mit Kapi­ talmarktbezug, die jährlich eine öffentliche Entsprechenserklärung nach § 161 AktG abgeben müssen. Die Öffentlichkeit erwartet von Unternehmen heut­ zutage „gute“ Corporate Governance und bestraft die Nichtbefolgung von Empfehlungen häufig mit Imageverlusten. Hinzu kommt der Druck seitens des Kapitalmarktes und des Staats, der die Nichtbefolgung von Kodex-Emp­ fehlungen immer wieder zum Anlass nimmt, entsprechende Verhaltensstan­ dards gesetzlich festzuschreiben.617 Dass der Druck ernsthaft ist, beweist die Tatsache, dass immer mehr börsennotierte Unternehmen den Empfehlungen und Anregungen des DCGK folgen.618 Die Empfehlungen des DCGK besitzen 612  Hart, Der Begriff des Rechts, S. 83 ff., 123; siehe auch Brandhorst, in: Buddeberg/​ Vesper, Moral und Sanktion, S. 167, 174. 613  Vgl. auch Esser, AcP 154 (155), 49, 50: Rechtswidrigkeit und Pflichtwidrigkeit seien unmittelbare juristische Werturteile. 614  Albert, in: Topitsch, Logik der Sozialwissenschaften, S. 183 f. 615  Hart, Der Begriff des Rechts, S. 123. 616  Hart, Der Begriff des Rechts, S. 125 f. 617  Zum Ganzen Weiß, Hybride Regulierungsinstrumente, S. 114 ff. 618  Dies zeigt zumindest die letzte Studie des Berlin Center of Corporate Governance aus dem Jahr 2015, dazu Werder/​Turkali, DB 2015, 1357 ff.

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somit die Merkmale einer Verpflichtung und sind außerdem dermaßen effek­ tiv, dass sie sogar die strengen Kelsen’schen Kriterien fraglos erfüllen würden. Und dennoch handelt es sich um keine Verpflichtungen: Die Kodex-Empfeh­ lungen sind nach ganz überwiegender Auffassung rechtlich nicht verbindlich, auch wenn ihre (Rechts-)Natur ansonsten umstritten ist.619 Wie ist das zu er­ klären? Die Erklärung findet sich m. E. in der Art des Werturteils, das hinter dem jeweiligen sozialen Standard steht. Bei einer Verpflichtung lautet dieses Wert­ urteil „richtig“ oder „falsch“. Das Verhalten, das der Norm entspricht, ist ein richtiges Verhalten; dasjenige, das dagegen verstößt, ein falsches.620 Das Wert­ urteil, das den Kodex-Empfehlungen zugrunde liegt, lautet anders: nicht „rich­ tig“ oder „falsch“, sondern „gut“ oder „schlecht“. Um es noch präziser aus­ zudrücken: „gut“ oder „schlecht“ im statistischen Normalfall, denn es geht zwar um Standards „guter und verantwortlicher“ Unternehmensführung (DCGK, Präambel, Abs. 3 S. 2), aber die Abweichungen machen die Unterneh­ mensführung nicht automatisch „schlecht und unverantwortlich“. Der Kodex stellt dies unmissverständlich klar und betont sogar, dass eine gut begründe­ te Abweichung im Interesse einer guten Unternehmensführung liegen kann (Präambel, Abs. 4 S. 5). Es ist also im Allgemeinen gut, den Kodex zu befolgen und es kann schlecht sein, von seinen Empfehlungen abzuweichen, aber es ist jedenfalls nicht „falsch“, dies zu tun. Deshalb sind die Kodex-Empfehlungen keine Verpflichtungen; sie setzen höhere Standards fest, deren Erfüllung – je­ denfalls formell gesehen – optional bleibt. Nun fragt es sich, was die Offenlegung im Krankheitsfall in Wirklich­ keit ist: eine echte Verpflichtung oder ein wünschenswerter Standard, der im DCGK als Empfehlung verankert werden könnte? Die Frage ist umstrit­ ten. Manche nehmen das Erstere an und betonen, die Entscheidung über die Mitteilung einer schweren Erkrankung sei nicht als „nobile officium“ in die Hände des betroffenen Vorstandsmitglieds zu legen.621 Andere, vor allem ei­ nige Aufsichtsratsvorsitzende, die im Rahmen einer Studie befragt wurden, sehen das Offenlegungsgebot als DCGK‑Empfehlung besser aufgehoben oder lehnen sogar jegliche Offenlegung ab.622 Dies könnte allerdings daran liegen, dass Aufsichtsratsvorsitzende das Ganze primär aus der Sicht „ihrer“ Gesell­ schaft sehen. So lehnen Aufsichtsratsvorsitzende von Gesellschaften, die be­ 619 Dazu

Heldt, in: NK‑AktR, DCGK Rn. 3 m. w. N.; Borges, ZGR 2003, 508, 515 ff.; Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 525; Seibt, AG 2002, 249, 250; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 158 ff.; monografisch Weiß, Hybride Regulierungsinstrumente, S. 86, 88 ff. 620 Vgl. Hart, Der Begriff des Rechts, S. 85; Brandhorst, in: Buddeberg/​Vesper, Moral und Sanktion, S. 167, 176. 621  Fleischer, NZG 2010, 561, 564; ihm folgend Bayer, FS Hommelhoff, S. 87, 90. 622  Siehe die Darstellung der Studienergebnisse bei Rudat, in: Bayer/​Juergens/​Rudat, Gesundheitsprobleme eines Vorstandsmitgliedes, S. 10 ff.; dazu Bayer, FS Hommelhoff, S. 87, 91.



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reits über interne Offenlegungsvorschriften bei Erkrankungen von Vorstands­ mitgliedern verfügen, entsprechende Regelungen im Gesetz oder im DCGK weit häufiger ab als ihre Kollegen in Gesellschaften, die noch keine internen Vorkehrungen getroffen haben.623 Schließlich gibt es Stimmen, die einerseits eine Offenlegungspflicht qua Treubindung der Vorstandsmitglieder bejahen, sich aber andererseits gegen eine gesetzliche Regelung und für eine Empfeh­ lung im DCGK aussprechen.624 Diese Ansicht ist allerdings widersprüchlich, denn als Teil der Treubindung wäre das Offenlegungsgebot eine bereits exis­ tierende Rechtspflicht, auch wenn sie nicht ausdrücklich normiert und daher in der kontinentalen Rechtstradition vom Gericht erst „zu erkennen“ wäre. Als Rechtspflicht kann sie aber nicht zugleich Gegenstand einer Kodex-Empfeh­ lung sein. Dieser Streit ist zugunsten der Auffassung zu entscheiden, die die Offenle­ gungspflicht im Krankheitsfall als eine echte Verpflichtung ansieht. Dabei ist zu bedenken, dass sich diese Pflicht auf dasjenige beschränkt, was im Interesse der Gesellschaft absolut notwendig ist, um die Grundrechte der Vorstandsmit­ glieder zu schützen. Sie stellt also das Mindeste dar, was Vorstandsmitglieder tun müssen, damit die AG funktionsfähig bleibt. Alles, was unter diesem Min­ deststandard liegt, ist nicht bloß „schlecht“, sondern falsch oder, mit anderen Worten, sorgfaltswidrig. Vor diesem Hintergrund kann die Offenlegung in der Tat kein „nobile officium“ des erkrankten Vorstandsmitglieds sein. An­ ders als bei den Empfehlungen des DCGK kann ein Verzicht auf die Offenle­ gung außerdem nie im Sinne einer guten Unternehmensführung sein, weil das Interesse der Gesellschaft an der Funktionsfähigkeit ihrer Organe essentiell ist. All dies bedeutet, dass es sich bei der vorgeschlagenen Offenlegungspflicht um eine echte Verpflichtung handelt. Nebenbei angemerkt, würde sie als eine Empfehlung des DCGK ihren Zweck weitestgehend verfehlen: Kleinere, in der Regel nicht börsennotierte Gesellschaften sind keinem Druck ausgesetzt, den Kodex zu befolgen, aber gerade bei ihnen können schwere Erkrankungen von Vorstandsmitgliedern oder Geschäftsführern besonders gefährlich werden. Eine Kodex-Empfehlung würde solchen Gesellschaften nicht helfen, dieser Gefahr zu begegnen. Zuletzt sei das Thema „moralische Pflichten“ angesprochen. Eine etwai­ ge moralische Pflicht zur Offenlegung würde nicht gegen die soeben bejahte Rechtspflicht sprechen, weil moralische und rechtliche Normen gleichen In­ 623 In Aktiengesellschaften mit internen Offenlegungsregelungen sprachen sich 81 % der Aufsichtsratsvorsitzenden gegen eine gesetzliche Pflicht und nur 28 % für eine KodexRegelung aus; in den übrigen Gesellschaften wird eine gesetzliche Pflicht nur von 63 % der Aufsichtsratsvorsitzenden abgelehnt und eine Kodex-Regelung von 60 % befürwortet, siehe Rudat, in: Bayer/​Juergens/​Rudat, Gesundheitsprobleme eines Vorstandsmitgliedes, S. 11, 13. 624 Siehe Bayer, FS Hommelhoff, S. 87, 90 und 92, der meint, dass die Legislative mit der Regelung der sensiblen Offenlegungsproblematik überfordert wäre.

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halts koexistieren können. So ist es sowohl rechtlich als auch moralisch ver­ boten, andere Menschen zu töten.625 Aber gibt es eine parallel laufende mora­ lische Pflicht der Vorstandsmitglieder, die AG über eigene Erkrankungen zu informieren? Dies dürfte hierzulande nicht der Fall sein: Das eine oder ande­ re Vorstandsmitglied mag sich dazu moralisch verpflichtet fühlen, aber man würde in diesem Zusammenhang eher nicht von einer öffentlichen Moral spre­ chen. Die Lage in den USA könnte wiederum anders zu beurteilen sein, vor allem wegen einer anderen Einstellung der Öffentlichkeit zur Privatsphäre, insbesondere zur Privatsphäre von Lenkern großer Unternehmen. Von An­ legern, Wall-Street-Analytikern und der Wirtschaftspresse (und diese Institu­ tionen prägen maßgeblich die öffentliche Meinung) wird der offene Umgang mit Erkrankungen stets gelobt, und zwar tendenziell umso mehr, je früher die Bekanntgabe erfolgt und je mehr Details offenbart werden. Mit der gleichen Konsequenz wird die Verheimlichung von Gesundheitsproblemen getadelt, sofern sie bekannt wird. Lob und Tadel sind klassische moralische Sanktionen. In Deutschland dürfte dagegen der große gesellschaftliche Respekt vor Privat­ sphäre des Einzelnen einer solchen Entwicklung entgegenstehen.

II.  Offenlegungspflichten der Aufsichtsratsmitglieder Genauso wie beim Vorstand kann eine schwere Erkrankung die Leistungs­ fähigkeit der Aufsichtsratsmitglieder und damit die Funktionsfähigkeit des ge­ samten Aufsichtsrats beeinträchtigen. Im Vergleich zum Vorstand gibt es je­ doch einige Besonderheiten. Zum einen handelt es sich beim Aufsichtsrat nicht um ein Geschäftsführungs-, sondern um ein Überwachungsorgan, das an un­ ternehmerischen Entscheidungen deutlich weniger beteiligt ist als der Vor­ stand.626 Die Gefahr, dass eine schwere Erkrankung eines Aufsichtsratsmit­ glieds zum Problem für das Unternehmen wird, ist daher viel geringer. Zum anderen ist die Tätigkeit der Aufsichtsratsmitglieder als reine Nebentätigkeit627 ausgestaltet: So kann eine Person nach § 100 Abs. 2 AktG bis zu 10 oder sogar 15 Aufsichtsratsmandate zugleich haben. Dem entspricht eine geringe Anzahl obligatorischer Sitzungen (nach § 110 Abs. 3 S. 1 AktG in der Regel zwei im Kalenderhalbjahr). Schließlich ist der Aufsichtsrat oft zahlenmäßig viel grö­ ßer als der Vorstand; nach § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 MitbestG hat der Aufsichts­ rat z. B. aus 20 Mitgliedern zu bestehen. Aus diesem Grund sinkt das Risiko, dass sich eine schwere Erkrankung eines Aufsichtsratsmitglieds auf das gesam­ te Organ auswirkt. Diese Besonderheiten erklären womöglich, warum die Of­ 625 

Weitere Beispiele bei Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 61 f. Koch, in: Fleischer/​Koch/​K ropff/​Lutter, 50 Jahre Aktiengesetz, S. 65, 89, der sogar von „fehlender Nähe zur unternehmerischen Tätigkeit“ spricht. 627  Israel, in: Bürgers/​ Körber, AktG, § 116 Rn. 8; Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 116 Rn. 142 f.; Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 116 Rn. 20 m. w. N. 626 Vgl.



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fenlegungspflichten schwer erkrankter Aufsichtsratsmitglieder in der Literatur bisher keine Aufmerksamkeit gefunden haben. Abwegig sind solche Pflichten dennoch nicht. Bei ihrer Ausarbeitung ist zu beachten, dass Aufsichtsratsmitglieder ihre Aufgaben nicht durch andere wahrnehmen lassen können, § 111 Abs. 6 AktG. Die Amtsausübung hat nach dem gesetzlichen Konzept stets persönlich zu erfolgen; die Bestellung von Stellvertretern ist nach § 101 Abs. 3 S. 1 AktG unzulässig. Statt Stellvertretung sieht das Gesetz Botenschaft vor: Abwesende Aufsichtsratsmitglieder kön­ nen ihre Stimmabgaben schriftlich überreichen, und zwar sowohl durch ande­ re Aufsichtsratsmitglieder als auch durch Dritte, wenn diese nach § 109 Abs. 3 zur Teilnahme an der Sitzung berechtigt sind. Ein wegen Krankheit abwesen­ des Aufsichtsratsmitglied kann also auf solche Boten zurückgreifen, sofern es zur schriftlichen Stimmabgabe in der Lage ist. Damit sorgt der Betroffene selbst für seine „Vertretung“ (im weiten Sinne); die Offenlegung der Erkran­ kung ist hierfür nicht erforderlich. Darin besteht ein wichtiger Unterschied zum erkrankten Vorstandsmitglied. Findet die Beschlussfassung schriftlich, telefonisch, per Email oder per Videokonferenz statt (vgl. § 108 Abs. 4 AktG), so ist nicht einmal der Rückgriff auf Boten notwendig. Ist der Betroffene wegen seiner Krankheit nicht in der Lage, seine Stimme schriftlich, telefonisch oder in sonstiger Form abzugeben, besteht grundsätz­ lich kein Problem, solange der Aufsichtsrat beschlussfähig bleibt. Dafür reicht es nach der gesetzlichen Grundregel aus, dass die Hälfte der Mitglieder, aus denen der Aufsichtsrat nach Gesetz oder Satzung insgesamt zu bestehen hat, an der Beschlussfassung teilnimmt (§ 108 Abs. 2 S. 2 AktG). Im dreiköpfigen Aufsichtsrat führt allerdings bereits der Ausfall eines Mitglieds zur Beschluss­ unfähigkeit, weil § 108 Abs. 2 S. 3 AktG die Teilnahme von mindestens drei Mitgliedern an der Beschlussfassung verlangt. Die Offenlegung wird also erst dann wichtig, wenn der Aufsichtsrat wegen Krankheit eines seiner Mitglieder beschlussunfähig wird. In diesem Fall hat die Gesellschaft ein Interesse daran zu erfahren, wie lange die krankheits­ bedingte Verhinderung voraussichtlich dauern wird, denn davon hängen ihre Handlungsoptionen ab. Handelt es sich um eine kurze Verhinderung, kann es ausreichen, kurzfristig einen neuen Sitzungs- bzw. Abstimmungstermin an­ zuberaumen. Ist dagegen mit der baldigen Wiedererlangung der Dienstfähig­ keit nicht zu rechnen, müsste für eine Ersatzperson gesorgt werden, damit der Aufsichtsrat handlungsfähig bleibt. Dafür bietet sich neben dem regulären Weg der Abberufung und Neubestellung durch den Bestellberechtigten (Haupt­ versammlung, Arbeitnehmervertreter, Entsendungsberechtigter usw.) die ge­ richtliche Notbestellung nach § 104 Abs. 1 S. 1 AktG. Letztere findet nach dem Gesetzeswortlaut dann statt, wenn dem Aufsichtsrat nicht die zur Beschluss­ fähigkeit nötige Zahl von Aufsichtsratsmitgliedern angehört. Nach ganz herr­ schender Meinung steht die andauernde, d. h. für einen erheblichen oder gar

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unabsehbaren Zeitraum bestehende Verhinderung eines Aufsichtsratsmit­ glieds seinem Fehlen gleich.628 Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Aufsichts­ ratsmitglied auch an der schriftlichen Stimmabgabe gehindert ist, z. B. wegen schwerer Krankheit.629 Dagegen wird allerdings eingewandt, das gerichtliche Bestellungsverfahren sei bei schwerer Krankheit und sonstiger dauerhaften Verhinderung nicht statthaft, wenn für das verhinderte Aufsichtsratsmitglied ein Ersatzmitglied nach § 103 Abs. 3 S. 2 AktG bestellt worden sei, weil das Er­ satzmitglied im Verhinderungsfall automatisch nachrücke.630 In der Tat spre­ chen sich einige Stimmen für ein automatisches Nachrücken der Ersatzmit­ glieder nicht nur bei Wegfall, sondern auch bei dauerhafter Verhinderung von Aufsichtsratsmitgliedern aus.631 Dagegen wird aber zu Recht eingewandt, dass eine solche Verhinderung kein hinreichend präziser Tatbestand sei, um ein au­ tomatisches Nachrücken der Ersatzmitglieder zu bewirken.632 Vor diesem Hintergrund muss das erkrankte Aufsichtsratsmitglied die Ge­ sellschaft nach Möglichkeit über die voraussichtliche Dauer seiner Verhin­ derung informieren. Zugegebenermaßen wird der Betroffene dazu oft nicht in der Lage sein, entweder aufgrund seiner schlechten körperlichen Verfas­ sung (man darf nicht vergessen, dass es um eine Person geht, die sogar an der schriftlichen Stimmabgabe gehindert ist) oder mangels einer verlässlichen me­ dizinischen Prognose. Andererseits ist es aber nicht ausgeschlossen, dass das Aufsichtsratsmitglied die erforderlichen Angaben machen kann, und in die­ sem Fall wäre die Offenlegung für die Gesellschaft hilfreich. Sie könnte sich leichter zwischen dem Aufschub der Beschlussfassung und der Ersetzung des verhinderten Aufsichtsratsmitglieds entscheiden. In dem Fall, dass der Betrof­ fene genaue Angaben zur Dauer der Verhinderung macht, wäre es ferner mög­ lich, die Dauer der gerichtlichen Ersatzbestellung auf diesen Zeitraum zu be­ fristen.633 Als dogmatische Grundlage der Offenlegungspflicht bietet sich die Sorgfaltspflicht der Aufsichtsratsmitglieder (§ 116 AktG) an, aus der sich unter anderem die Pflicht zur kollegialen Zusammenarbeit im Aufsichtsrat ergibt634. 628  BayObLG, Beschl. v. 28.3.2003 – 3Z BR 199/02, NZG 2003, 691, 693; Israel, in: Bür­ gers/​Körber, AktG, § 104 Rn. 2; Drygala, in: K. Schmidt/​Lutter, AktG, § 104 Rn. 3; Grigoleit/​Tomasic, in: Grigoleit, AktG, § 104 Rn. 5; Habersack, in: MüKo AktG, § 104 Rn. 9, 12; Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 104 Rn. 25; Koch, in: Hüffer/​Koch, AktG, § 104 Rn. 2; Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 104 Rn. 5; Simons, in: Hölters, AktG, § 104 Rn. 7; Spindler, in: Spindler/​Stilz, AktG, § 104 Rn. 11. 629  Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 104 Rn. 25. 630 So Krauel/​Fackler, AG 2009, 686, 687 ff. 631 Vgl. Israel, in: Bürgers/​Körber, AktG, § 101 Rn. 16; Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 101 Rn. 99; Spindler, in: Spindler/​Stilz, AktG, § 101 Rn. 83. 632  Habersack, in: MüKo AktG, §  101 Rn. 85; Koch, in: Hüffer/​ Koch, AktG, § 101 Rn. 15; Simons, in: Hölters, AktG, § 101 Rn. 42; vgl. auch Grigoleit/ ​Tomasic, in: Grigoleit, AktG, § 101 Rn. 23; Hoffmann-Becking, MünchHdb. AG, § 30 Rn. 53. 633 Vgl. Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 104 Rn. 6. 634  Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 116 Rn. 86.



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Primärer Adressat der Mitteilung dürfte der Aufsichtsrat sein, weil es bei einer kurzen Verhinderung über den Aufschub der Beschlussfassung entscheidet. Sollte die Verhinderung länger dauern, hat der Aufsichtsrat den Vorstand zu informieren, damit dieser seiner gesetzlichen Antragspflicht nach § 104 Abs. 1 S. 2 AktG nachkommen kann. Wird ein Aufsichtsratsmitglied infolge der Erkrankung dauerhaft dienst­ unfähig, so ist es genauso wie ein Vorstandsmitglied verpflichtet, sein Amt niederzulegen.635 Auch hier braucht der Grund, also die Krankheit oder die Dienstunfähigkeit, nicht angegeben zu werden, denn genauso wie beim Vor­ standsamt bedarf die Amtsniederlegung nach ganz herrschender Meinung kei­ nes wichtigen Grundes.636 Beim Fehlen einer einschlägigen Satzungsregelung ist die Niederlegungserklärung an die AG, vertreten durch Vorstand, zu rich­ ten.637 Im Übrigen gelten im Wesentlichen die Ausführungen zur Dienstunfä­ higkeit der Vorstandsmitglieder.638

III.  Besonderheiten in der GmbH Schwere Erkrankungen von Organmitgliedern sind für die GmbH typischer­ weise gefährlicher als für die AG. In der Rechtsform der GmbH werden häufi­ ger kleine Unternehmen betrieben, die durch eine ernsthafte Erkrankung ihres Leiters besonders hart getroffen und sogar existenziell bedroht werden kön­ nen. Das liegt zum einen an fehlenden Kontrollmechanismen (keine interne Aufsicht, keine externe Kontrolle seitens der Börsenanleger, Behörden usw.), zum anderen an eingeschränkten Personalressourcen. Für eine GmbH ist jeder Geschäftsführer regelmäßig unverzichtbar; andere Geschäftsführer können die Aufgaben ihrer erkrankten Kollegen, wenn überhaupt, nur für eine kurze Zeit übernehmen.639 Oft steht bei Erkrankung des Geschäftsführers nicht ein­ mal ein Vertreter zur Verfügung, weil die Firma außer der Spitzenperson nur untergeordnete Mitarbeiter hat. Aber auch wenn die Gesellschaft im Prinzip über eine „Nummer zwei“ verfügt, ist das Risiko sehr groß, dass diese Ersatz­ person nicht geeignet sein wird, die Geschäftsidee so gut umzusetzen, wie es die erkrankte Führungskraft getan hätte; das gilt insbesondere für innovative Start-ups oder Firmen, dessen Spitzenkraft zugleich die Unternehmensmarke darstellt. Ein großes Unternehmen mit seinen ungleich stärkeren Personalres­ sourcen ist auf die Leistung einer einzelnen Person weniger angewiesen und 635  Zu dieser Pflicht bereits § 2 II 3; allgemein zur Amtsniederlegung durch Aufsichts­ ratsmitglied etwa Koch, in: Hüffer/​Koch, AktG, § 103 Rn. 17. 636  Israel, in: Bürgers/​Körber, AktG, § 103 Rn. 17; Habersack, in: MüKo AktG, § 103 Rn. 59 f.; Koch, in: Hüffer/​Koch, AktG, § 103 Rn. 17; Spindler, in: Spindler/​Stilz, AktG, § 103 Rn. 63, alle m. w. N. 637  H. M., siehe nur Koch, in: Hüffer/​Koch, AktG, § 103 Rn. 17. 638  Siehe oben § 4 I 1 „b“ bb). 639  Picker, GmbHR 2011, 629, 633, 636.

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daher beim Ausfall einer oder sogar mehrerer Führungskräfte viel besser auf­ gestellt als eine kleine Firma.640 Eine weitere Besonderheit besteht darin, dass es „die“ GmbH nicht gibt. Im Unterschied zur AG, deren Struktur im Gesetz einheitlich geregelt ist, ist die GmbH ein Oberbegriff für sehr unterschiedliche Erscheinungsformen un­ ternehmerischer Tätigkeit. Dies betrifft vor allem die Organstruktur: Es gibt GmbHs ohne Aufsichtsrat, mit fakultativem Aufsichtsrat und mit obligatori­ schen Aufsichtsrat. Im letzten Fall existieren nicht weniger als sechs unter­ schiedliche Aufsichtsratssysteme, wobei fünf davon auf mitbestimmungs­ rechtlichen Gesetzen (DrittelbG, MitbestG, MontanMitbestG, MitbestErgG und MgVG) beruhen. Das sechste wurde durch § 18 Abs. 2 KAGB eingeführt, um den Schutz von Anlegern und Finanzsystem zu gewährleisten.641 Für die hiesige Untersuchung sind des Weiteren die Unterschiede zwischen der Mehr­ personen-GmbH und der Einpersonen-GmbH mit einem Gesellschafter-Ge­ schäftsführer von großer Bedeutung. Angesichts der angesprochenen Vielfalt müssen sich die nachfolgenden Ausführungen auf wesentliche Grundlinien beschränken. 1.  GmbH ohne Aufsichtsrat Zunächst soll die GmbH ohne Aufsichtsrat betrachtet werden, mit Einschrän­ kung auf ihre zwei typische Erscheinungsformen: die personalistische Mehr­ personen-GmbH und die Einpersonen-GmbH. In diesen Gesellschaften mbH stellt sich die Frage nach der Offenlegungspflicht der Geschäftsführer. a)  Personalistische Mehrpersonen-GmbH In einer personalistischen GmbH mit einem kleinen Kreis von Gesellschaftern, die sich gut kennen und selbst die Unternehmensleitung in den Händen hal­ ten642 , wird es häufig gänzlich an einem speziellen Überwachungsorgan (Bei­ rat o. Ä.) fehlen. Im Fall einer schweren Erkrankung kann also ein Geschäfts­ führer nur die Gesellschafter oder die anderen Geschäftsführer informieren, falls das Geschäftsleitungsorgan aus mehreren Personen besteht. Im letzten Fall trifft jeden Geschäftsführer unabhängig von der konkreten Ausgestaltung der Geschäftsführungsbefugnis die Pflicht zur kollegialen Zusammenarbeit.643 Er muss seine Kollegen über die wesentlichen Vorgänge in seinem Zuständig­ keitsbereich, aber auch über sonstige Vorkommnisse informieren, soweit sie für die Gesellschaft, ihr Unternehmen und den Verantwortungsbereich der 640 

Lin, 87 Notre Dame L. Rev. 911, 939 (2012); vgl. auch Fleischer, NZG 2010, 561, 566 f. § 52 Rn. 2.

641  Zöllner/​Noack, in: Baumbach/​Hueck, GmbHG, 642  Fleischer, in: MüKoGmbHG, Einl. Rn. 38.

643  Kleindiek, in: Lutter/​Hommelhoff, GmbHG, § 43 Rn. 17; Paefgen, in: Ulmer/​Ha­ bersack/​Löbbe, GmbHG, § 43 Rn. 58; U. Schneider in: Scholz, GmbHG, § 43 Rn. 140.



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Mitgeschäftsführer von Bedeutung sind.644 Daraus ergibt sich, dass ein Ge­ schäftsführer im Krankheitsfall seine Mitgeschäftsführer genauso zu unter­ richten hat wie ein Vorstandsmitglied seine Vorstandskollegen, damit die Ver­ tretung organisiert werden kann, sei es ad hoc, sei es gemäß einer bestehenden Geschäftsordnung oder einem bestehenden Geschäftsverteilungsplan. Im Hinblick auf den Umfang der Unterrichtung wird teilweise vertreten, dass der Geschäftsführer jedenfalls bei einer lang andauernden Erkrankung die Gesellschaft über „Ursache und voraussichtlichen Folgen“ der Erkrankung zu unterrichten habe. Dies sei erforderlich, um eine Prognose über die künftige Leistungsfähigkeit des Geschäftsführers zu treffen. Schweige der Geschäfts­ führer dazu, so könne die Ungewissheit über den weiteren Krankheitsverlauf nicht zu Lasten der Gesellschaft gehen: Sie dürfte von einer negativen Prog­ nose ausgehen und den Vertrag mit dem Geschäftsführer kündigen, wenn die Krankheit mehr als sechs Monate andauere und keine Besserung in Sicht sei.645 Dass das Schweigen des Geschäftsführers in dieser Situation nicht zu Lasten der Gesellschaft gehen soll, ist zwar richtig; einer Pflicht, die Ursache und die Folgen der Krankheit offenzulegen, bedarf es dafür nicht. Auf die Ursache der Erkrankung kommt es ohnehin nicht an: Entscheidend ist wie beim Vor­ standsmitglied allein, wann der Geschäftsführer seine Leistungsfähigkeit vo­ raussichtlich wiedererlangt. Dies muss er der Gesellschaft in der Tat mitteilen. Insgesamt unterscheidet sich die Offenlegungspflicht des Geschäftsführers ihrem Umfang nach nicht von einer entsprechenden Pflicht des Vorstandsmit­ glieds einer AG. Des Weiteren stellt sich die Frage, ob der erkrankte Geschäftsführer die Ge­ sellschafter in Kenntnis setzen muss. Das GmbHG kennt keine dem § 90 AktG vergleichbare Berichtspflicht und normiert ausdrücklich nur die Pflicht der Geschäftsführer, jedem Gesellschafter auf dessen Verlangen Auskunft zu er­ teilen (§ 51a Abs. 1 GmbHG). Daraus wird teilweise geschlossen, GmbH‑Ge­ schäftsführer seien von sich aus nicht zur Berichterstattung an die Gesell­ schafter verpflichtet.646 Ausnahmen gälten nur dann, wenn die Gesellschafter „Geschäftsführungsentscheidungen treffen wollen, etwa entsprechende Ge­ genstände zur Tagesordnung ankündigen oder anmelden“647 oder „bezüglich solcher Maßnahmen, die wegen ihrer Bedeutung der Gesellschaftergesamtheit überantwortet sind“648 . Die letzte Aussage ist recht undeutlich; die erste passt nicht auf eine spontan zu erfüllende Offenlegungspflicht, denn wie sollen die Gesellschafter die Verhinderung des Geschäftsführers zum Tagesordnungs­ 644  U. Schneider in: Scholz, GmbHG, 645  Picker, GmbHR 2011, 629, 633 f. 646 

§ 43 Rn. 140.

Hüffer/​Schürnbrand, in: Ulmer/​Habersack/​Löbbe, GmbHG, § 51a Rn. 10; Zöllner/​ Noack, in: Baumbach/​Hueck, GmbHG, § 51a Rn. 59. 647  Zöllner/​Noack, in: Baumbach/​Hueck, GmbHG, § 51a Rn. 59. 648  Hüffer/​Schürnbrand, in: Ulmer/​Habersack/​Löbbe, GmbHG, § 51a Rn. 10.

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Kapitel 3: Offenlegungspflichten bei Krankheit

punkt machen, wenn dieser nicht verpflichtet ist, darüber zu berichten? Dies funktioniert nur in dem Fall, in dem die Gesellschafter von der Erkrankung des Geschäftsführers zufällig erfahren haben. Die wohl überwiegende Meinung geht indessen davon aus, dass Geschäfts­ führer die Gesellschafter auch ohne deren ausdrückliches Verlangen über die wesentlichen Vorgänge in der Gesellschaft informieren müssen.649 Dies wird aus dem allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Prinzip abgeleitet, dass die Ge­ schäftsleitung einem anderen Organ, das zur Überwachung und zur Entschei­ dung berufen sei (vgl. § 46 Nr. 6 GmbHG), von sich aus alle Informationen zur Verfügung zu stellen habe, die das andere Organ und seine Mitglieder für eine verantwortliche Willensbildung und Entschließung benötigten.650 Hommelhoff spricht (in einem verwandten Zusammenhang) bildhaft von der Pflicht des Geschäftsführers, jedem Gesellschafter die Laterne zu reichen, damit dieser selbst die dunkelste Stelle im Unternehmen noch ausleuchten könne.651 Die­ ser Grundsatz gilt auch bei einer schweren Erkrankung des Geschäftsführers: Zumindest bei seiner längeren Verhinderung müssen die Gesellschafter infor­ miert werden, damit sie entscheiden können, ob sie das Ende der Verhinderung abwarten oder den Geschäftsführer abberufen und einen neuen bestellen. Letzteres kann sogar zwingend notwendig sein, etwa wenn infolge der Ver­ hinderung die nach der Satzung erforderliche Zahl der Geschäftsführer unter­ schritten wird. Unter einer längeren Verhinderung ist in Parallele zur Offen­ legungspflicht in der AG eine Dienstunfähigkeit zu verstehen, die mindestens drei Wochen beträgt. Auch der Umfang der mitzuteilenden Information ist der gleiche wie bei einem Vorstandsmitglied. Die Gesellschafter haben diese In­ formationen vertraulich zu behandeln, da sie nach allgemeiner Auffassung zur Verschwiegenheit verpflichtet sind und die erlangten Informationen an Dritte nicht weitergeben dürfen.652 Ergänzend sei noch die Frage aufgeworfen, ob die Pflicht der Geschäfts­ führer gemäß § 49 Abs. 2 GmbHG, im Interesse der GmbH die Gesellschafter­ versammlung einzuberufen, z. B. wenn ein Geschäftsführer abberufen werden soll653, eine Offenlegungspflicht gegenüber den Gesellschaftern ersetzen kann. 649  So bereits Fischer, GmbH‑Gesetz § 51a Anm. 4; siehe ferner U. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 43 Rn. 143; Grunewald, ZHR 146 (1982), 211, 225 f.; Hommelhoff, ZIP 1983, 383, 388 ff.; ders., BB 1981, 944, 951; K. Schmidt, in: Centrale für die GmbH, Das neue GmbH‑Recht in der Diskussion, S. 87, 98; Timm, GmbHR 1980, 286, 294; monografisch Zitzmann, Die Vorlagepflichten des GmbH‑Geschäftsführers, S. 35 ff. 650  Hommelhoff, ZIP 1983, 383, 390; ders., BB 1981, 944, 951 (Fn. 66). 651  Hommelhoff, ZIP 1983, 383, 388. 652  Ganzer, in: Rowedder/​ Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 51a Rn. 6; Hüffer/​Schürnbrand, in: Ulmer/​Habersack/​Löbbe, GmbHG, § 51a Rn. 11; Lutter, Information und Ver­ traulichkeit im Aufsichtsrat, Rn. 774. 653  Liebscher, in: MüKo GmbHG, § 49 Rn. 49; vgl. auch aus praktischer Sicht Schnurbein/​Neufeld, BB 2011, 585 ff.



§ 4.  Interne Offenlegungspflichten

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Die Frage dürfte zu verneinen sein. Besonders deutlich wird dies in der Situati­ on, in der die GmbH nur über einen Geschäftsführer verfügt und dieser wegen einer schweren Krankheit für eine längere Zeit ausfällt. In diesem Fall kann der Geschäftsführer seiner Pflicht aus § 49 Abs. 2 GmbHG gar nicht nachkom­ men. Zwar können dann die Gesellschafter, die zusammen mindestens 10 % des Stammkapitals halten, die Versammlung nach § 50 Abs. 1, 3 S. 1 GmbHG einberufen, aber ohne Angaben des Geschäftsführers zur voraussichtlichen Dauer seiner Auszeit fehlt der Versammlung die Information, die sie für ihre Entscheidung benötigt. Bei mehreren Geschäftsführern stellt sich das Problem nicht so scharf, solange eine Offenlegungspflicht des erkrankten Geschäfts­ führers gegenüber seinen Geschäftsführerkollegen bejaht wird. Dann können diese beim Ausfall des Erkrankten die Gesellschafterversammlung einberufen und über die voraussichtliche Dauer der Auszeit informieren: Da die Gesell­ schafter keine „Dritten“ sind, sind die Geschäftsführer ihnen gegenüber nicht zur Verschwiegenheit verpflichtet. Unabhängig davon stellt die Einberufung der Gesellschafterversammlung gewissermaßen eine ultima ratio dar: Da die Teilnahme an einer Gesellschaf­ terversammlung für die Gesellschafter mit erhöhtem zeitlichen und finan­ ziellen Aufwand verbunden ist, muss der Geschäftsführer ohnehin im Vor­ feld prüfen, ob nicht eine bloße Unterrichtung der Gesellschafter (mündlich, schriftlich, per Email usw.) ausreicht. Ist dies der Fall, so hat er sich auf die Un­ terrichtung zu beschränken (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit).654 Auch aus diesem Grund kann die Pflicht nach § 49 Abs. 2 GmbHG die (kostengünstige­ re) Offenlegungspflicht nicht substituieren. b) Einpersonen-GmbH Auch in der Einpersonen-GmbH ist der Geschäftsführer nach den obigen Grundsätzen verpflichtet, sowohl seine Mitgeschäftsführer als auch den allei­ nigen Gesellschafter im Krankheitsfall zu unterrichten. Ist der Alleingesell­ schafter aber zugleich der einzige Geschäftsführer, so stoßen diese Pflichten schnell an ihre Grenzen, denn es gibt niemand, der tauglicher Adressat der Of­ fenlegung sein könnte. Deshalb ist die Offenlegungspflicht in solchen Gesell­ schaften mbH praktisch sinnlos. Genauso wenig hilfreich sind die im GmbHG vorgesehenen Pflichten zur Protokollierung der Geschäfte zwischen dem Al­ leingesellschafter und der GmbH (§ 35 Abs. 3 GmbHG) und der Gesellschaf­ terbeschlüsse (§ 48 Abs. 3 GmbHG). Das Fatale ist, dass gerade solche Einpersonen-Gesellschaften im Falle einer schweren Erkrankung ihres geschäftsführenden Gesellschafters besonders ge­ fährdet sind und ohne ausreichende Vorsorge kaum Überlebenschancen haben. 654  Römermann, in: Michalski, GmbHG, § 49 Rn. 70, 86; Seibt, in: Scholz, GmbHG, § 49 Rn. 2; vgl. auch Zöllner/​Noack, in: Baumbach/​Hueck, GmbHG, § 49 Rn. 14.

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Kapitel 3: Offenlegungspflichten bei Krankheit

Der in der Einleitung geschilderte Untergang des Immobilien-Imperiums von Harry Helmsley und der Lobbyfirma von Mark Helmke sind gute Beispiele dafür, wie eine schwere Erkrankung des Firmenchefs ein kleines Unterneh­ men treffen kann. Die einzige Lösung, die so etwas verhindern kann, dürf­ te eine vorsorgliche Regelung zur Weiterführung des Unternehmens im Fall einer schweren Erkrankung des einzigen Gesellschafters und Geschäftsfüh­ rers sein. So wurde z. B. im Fall Helmsley bemängelt, dass es beim Ausbruch seiner Demenzerkrankung keinen offiziellen Nachfolger gab, da Harry und seine Frau Leona eine Nachfolgeregelung nur für den Tod, nicht aber für den Fall einer ersthaften Erkrankung getroffen hätten.655 2.  GmbH mit Aufsichtsrat a)  Montan-mitbestimmte GmbH In einer Montan-mitbestimmten GmbH hat der Aufsichtsrat die gleichen Rech­ te und Pflichten wie der Aufsichtsrat einer AG (§ 3 Abs. 2 MontanMitbestG, der kraft Verweisung in § 3 Abs. 1 S. 2 MitbestErgG auch für eine GmbH gilt, die ein Montan-mitbestimmtes Unternehmen beherrscht). Aus diesem Grund kann hier das für die AG ausgearbeitete Informationsmodell (mit kleineren Anpassungen) Anwendung finden. Ein erkrankter Geschäftsführer, der eine Auszeit benötigt, muss also zunächst seine Geschäftsführerkollegen informie­ ren; diese setzen den Aufsichtsratsvorsitzenden entsprechend § 90 Abs. 1 S. 3 AktG in Kenntnis, wenn die Auszeit länger als drei Wochen dauern soll. Der Aufsichtsratsvorsitzende unterrichtet schließlich den Aufsichtsrat spätestens in dessen nächsten Sitzung, § 90 Abs. 5 S. 3 AktG analog. Da der Aufsichtsrat in diesen Gesellschaften mbH über die Bestellung und Abberufung der Ge­ schäftsführer entscheidet (§ 84 AktG i. V. m. § 12 MontanMitbestG bzw. § 13 MitbestErgG), ist die Geschäftsführung nicht verpflichtet, von sich aus neben dem Aufsichtsratsvorsitzenden auch die Gesellschafter zu informieren. Die Gesellschafter benötigen diese Informationen für eine verantwortliche Wil­ lensbildung und Entschließung nicht, weil die entsprechende Kompetenz beim Aufsichtsrat und nicht bei der Gesellschafterversammlung liegt. Davon unbe­ rührt bleibt das Recht der Gesellschafter, nach § 51a GmbH Auskunft zu ver­ langen, wobei für die Information der Gesellschafter die Geschäftsführer und nicht der Aufsichtsrat oder seine Mitglieder zuständig sind.656 b)  GmbH mit dem Aufsichtsrat nach dem MitbestG In der GmbH, die in der Regel mehr als 2.000 Arbeitnehmer beschäftigt und daher nach §§ 1, 6 Abs. 1 MitbestG einen Aufsichtsrat zu bilden hat, ist die­ 655  Robins, Board dealings with a disabled CEO, Directors & Boards, 22.3.2006; Deutsch, When Death Hits a Corner Office, The New York Times, 21.10.1997, D1. 656  Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, Rn. 752.



§ 4.  Interne Offenlegungspflichten

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ser ebenfalls für die Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer zustän­ dig (§ 31 Abs. 1 MitbestG i. V. m. § 84 AktG). Insoweit besteht Ähnlichkeit zur Montan-mitbestimmten GmbH, so dass im Hinblick auf die Unterrichtung der Gesellschafter auf die obigen Ausführungen zu verweisen ist. Unterschiede bestehen jedoch im Hinblick auf den Informationsfluss zwi­ schen der Geschäftsführung und dem Aufsichtsrat. Anders als die Montanmit­ bestimmungsgesetze verweist § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 MitbestG nur eingeschränkt auf § 90 AktG: Es gelten nur dessen Abs. 3, 4 und 5 S. 1 und 2. Dadurch ent­ fällt die Pflicht der Geschäftsführung zur regelmäßigen Berichterstattung: Der Aufsichtsrat muss selbst notwendige Berichte anfordern.657 Des Weite­ ren besteht nach dem Gesetz keine Möglichkeit, bei wichtigen Anlässen dem Aufsichtsratsvorsitzenden anstatt dem Gesamtaufsichtsrat zu berichten (§ 90 Abs. 1 S. 3 AktG).658 Möglich bleibt allerdings in diesen Gesellschaften mbH die Schaffung einer internen Berichtsordnung, die sich an § 90 Abs. 1 und 2 AktG orientiert.659 Angesichts der oben erwähnten Personalkompetenz des Aufsichtsrats ist dennoch anzunehmen, dass die Geschäftsleitung den Auf­ sichtsrat informieren muss, wenn ein Geschäftsführer krankheitsbedingt für eine längere Zeit ausfällt. Als Grundlage dafür eignet sich die Sorgfaltspflicht der Geschäftsführer, die von ihnen verlangt, mit anderen Gesellschaftsorga­ nen, insbesondere mit dem Aufsichtsrat, kollegial zu arbeiten. c)  GmbH mit dem Aufsichtsrat nach dem DrittelbG, KAGB und MgVG sowie mit fakultativem Aufsichtsrat Gesetzlich vorgeschrieben ist der Aufsichtsrat außerdem in einer GmbH, die mehr als 500, aber nicht mehr als 2.000 Arbeitnehmer beschäftigt (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG), in einer GmbH, die eine externe Kapitalverwaltungsgesell­ schaft ist (§ 18 Abs. 2 S. 1 KAGB) oder in einer GmbH, die aus einer grenz­ überschreitenden Verschmelzung hervorgeht (§ 24 Abs. 2 S. 1 MgVG). Der we­ sentliche Unterschied zum Aufsichtsrat nach dem MitbestG besteht darin, dass § 84 AktG in diesen Gesellschaften mbH keine Anwendung findet und die Bestellung sowie die Abberufung der Geschäftsführer in der Zuständig­ keit der Gesellschafter verbleibt. Was die Berichterstattung betrifft, verweisen § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG, § 18 Abs. 2 S. 3 KAGB und § 24 Abs. 2 S. 2 MgVG auf § 90 AktG im genauso eingeschränkten Umfang wie § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 657 

Heermann, in: Ulmer/​ Habersack/​ Löbbe, GmbHG, §  52 Rn. 115; U. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 52 Rn. 105 f.; Zöllner/​Noack, in: Baumbach/​Hueck, GmbHG, § 52 Rn. 134; Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, Rn. 754, 761; Köstler/​ Müller/​Sick, Aufsichtsratspraxis, Rn. 511; a. A. Schnorbus, in: Rowedder/​Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 52 Rn. 32. 658  Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, Rn. 761. 659  U. Schneider, in: Scholz, GmbHG, §  52 Rn. 107; Zöllner/​Noack, in: Baumbach/​ Hueck, GmbHG, § 52 Rn. 134; Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, Rn. 759; Köstler/​Müller/​Sick, Aufsichtsratspraxis, Rn. 512.

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Kapitel 3: Offenlegungspflichten bei Krankheit

MitbestG, d. h. es wird nur auf Abs. 3, 4 sowie Abs. 5 S. 1 und 2 Bezug genom­ men. Da die Gesellschafter für die Bestellung und Abberufung der Geschäfts­ führer zuständig sind, muss das Geschäftsleitungsorgan sie über eine länge­ re krankheitsbedingte Abwesenheit eines Geschäftsführers informieren. Da­ gegen ist es angesichts der eingeschränkten Verweisung auf § 90 AktG nicht verpflichtet, von sich aus den Aufsichtsrat über diese Umstände zu unterrich­ ten. Der Aufsichtsrat und seine Mitglieder können lediglich ihrerseits von der Geschäftsleitung einen entsprechenden Bericht verlangen, § 90 Abs. 3 AktG. Der Wortlaut der gesetzlichen Verweisungen ist insofern „klar und fraglos“ und lässt sich „durch keine Exegese überwinden“660. Auch in diesen Gesell­ schaften mbH ist jedoch die Schaffung einer internen, an § 90 Abs. 1 und 2 AktG angelehnten Berichtsordnung möglich.661 In einer GmbH mit fakultativem Aufsichtsrat ist die Rechtslage nach der (dispositiven) gesetzlichen Regelung in § 52 Abs. 1 GmbHG die gleiche, so dass die obigen Ausführungen auch für diese Gesellschaften gelten.

§ 5.  Zusammenfassung der Ergebnisse Bei der Untersuchung der Offenlegungspflicht erkrankter Organmitglieder ist unter „Krankheit“ ausschließlich eine vom Arzt diagnostizierte Krankheit zu verstehen. Dabei ist es nicht notwendig, Krankheit als regelwidrigen Zu­ stand zu umschreiben. Die Bildung eines vom ärztlichen Urteil unabhängigen Krankheitsbegriffs ist nicht möglich. Auch das Sozialversicherungs- und das Arbeitsrecht, die scheinbar über solche eigenständige Begriffe verfügen, grei­ fen de facto auf die ärztliche Diagnose zurück. Vor der Diagnose liegt definitionsmäßig keine Krankheit vor. Rechtliche Verhaltenspflichten kommen in diesem Stadium dann in Betracht, wenn die Organperson oder die Gesellschaft einen Krankheitsverdacht hat. In diesem Fall ist der Betroffene allerdings weder zur Offenlegung noch zur medizini­ schen Abklärung des Verdachts verpflichtet. Wünscht er aber keine Abklä­ rung, muss er aufgrund seiner organschaftlichen Sorgfaltspflicht sein Amt nie­ derlegen, um die Gesellschaft nicht zu gefährden. Im Hinblick auf die kapitalmarktrechtliche Ad-hoc-Publizität ist zu be­ achten, dass Art. 17 i. V. m. Art. 7 MAR an sich die Veröffentlichung sensib­ ler Gesundheitsdaten (Diagnose und Prognose) verlangt, wenn eine Schlüssel­ person schwer krank wird. Diese weitgehende Publizitätspflicht ist aber mit den Grundrechten der erkrankten Person aus Art. 7 und 8 GRCh nicht ver­ 660  Lutter, Information 661  Zöllner/​Noack, in:

Nachweise in Fn. 659.

und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, Rn. 758. Baumbach/​ Hueck, GmbHG, § 52 Rn. 134 sowie die übrigen



§ 5.  Zusammenfassung der Ergebnisse

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einbar. Aus diesem Grund ist Art. 7 MAR grundrechtskonform dahingehend zu reduzieren, dass solche sensible Gesundheitsdaten wie die Diagnose und Prognose nicht unter den Begriff der Insiderinformation fallen. Die zulässige Ad-hoc-Publizität beschränkt sich damit bei einem krankheitsbedingten Aus­ scheiden auf die Information über das Ausscheiden als solches, bei einer krank­ heitsbedingten Auszeit auf die Information über die Auszeit, ihre voraussicht­ liche Dauer und über die Personen, die in der Zwischenzeit die Aufgaben des Betroffenen wahrnehmen werden. Alle weiteren Angaben einschließlich des Hinweises auf eine Erkrankung als Grund für das Ausscheiden oder die Aus­ zeit bedürfen der Zustimmung des Betroffenen. Letzteres gilt auch dann, wenn die erkrankte Person im Amt bleibt. Interne Offenlegungspflichten, also die Offenlegungspflichten der Organ­ mitglieder gegenüber der Gesellschaft, sind ebenfalls eingeschränkt, um den Grundrechtsschutz der Organperson zu gewährleisten. Im Einzelnen: Das Vorstandsmitglied einer AG, das wegen Krankheit eine Auszeit nimmt, muss aufgrund seiner Sorgfaltspflicht die anderen Vorstandsmitglie­ der unterrichten, sobald eine Vertretung notwendig wird, also unter Um­ ständen schon bei einer kurzen Abwesenheit. Eine Mitteilung gegenüber dem Vorstandsvorsitzenden oder dem stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden ge­ nügt. Soll die Auszeit länger (mehr als drei Wochen) dauern, hat der Vorstand darüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden nach § 90 Abs. 1 S. 3 AktG Bericht zu erstatten. Die übrigen Aufsichtsratsmitglieder sind spätestens in der nächsten Aufsichtsratssitzung zu unterrichten (§ 90 Abs. 5 S. 3 AktG). Der erkrank­ te Alleinvorstand informiert direkt den Aufsichtsratsvorsitzenden nach § 90 Abs. 1 S. 3 AktG. Inhaltlich beschränkt sich die Mitteilung auf die Angabe, ob und innerhalb welchen Zeitraums das Vorstandsmitglied seine Dienstfähigkeit voraussicht­ lich wiedererlangen wird. Außerdem muss es mitteilen, ob es während seiner Abwesenheit in der Lage sein wird, an der Gesamtverantwortung des Vor­ stands teilzunehmen. Diese Angaben müssen laufend aktualisiert werden. Ist nicht mehr damit zu rechnen, dass das Vorstandsmitglied seine Dienst­ fähigkeit wiedererlangt, ist es kraft seiner Sorgfaltspflicht gehalten, sein Amt sofort oder zu einem künftigen Zeitpunkt niederzulegen. Offenlegungspflich­ ten bestehen in dieser Situation nicht, insbesondere braucht eine Krankheit als Grund für das Ausscheiden nicht genannt zu werden. Solange der Erkrankte leistungsfähig bleibt, kann er die Geschäfte grund­ sätzlich weiterführen und ist dabei nicht verpflichtet, der Gesellschaft gegen­ über irgendwelche Angaben zu seiner Erkrankung zu machen. Eine Mitteilung ist nur dann notwendig, wenn der Arzt den Verlust der Dienstfähigkeit inner­ halb des nächsten Jahres prognostiziert. Für die Mitteilung gelten die Ausfüh­ rungen zur krankheitsbedingten Auszeit. Bei Erkrankungen, welche die men­ tale Leistungsfähigkeit beeinträchtigen können, muss der Betroffene je nach

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Kapitel 3: Offenlegungspflichten bei Krankheit

Art der Erkrankung entweder schnellstmöglich nach der Diagnose oder bei den ersten Anzeichen einer mentalen Beeinträchtigung zurücktreten. Offenlegungspflichten der Aufsichtsratsmitglieder entstehen erst dann, wenn der Aufsichtsrat infolge der Krankheit beschlussunfähig wird. In die­ sem Fall hat das erkrankte Aufsichtsratsmitglied kraft seiner Sorgfaltspflicht die Gesellschaft nach Möglichkeit über die voraussichtliche Dauer seiner Ver­ hinderung zu informieren, damit die Aufsichtsratssitzung verschoben oder für eine Ersatzperson gesorgt werden kann. Der Adressat der Mitteilung ist der Aufsichtsrat; sollte die Verhinderung länger dauern, hat er den Vorstand zu informieren, damit dieser seiner gesetzlichen Antragspflicht nach § 104 Abs. 1 S. 2 AktG nachkommen kann. Wird ein Aufsichtsratsmitglied infolge der Er­ krankung dauerhaft dienstunfähig, ist es genauso wie ein Vorstandsmitglied verpflichtet, sein Amt niederzulegen; besondere Offenlegungspflichten exis­ tieren dabei nicht. In einer GmbH ohne Aufsichtsrat hat der Geschäftsführer im Krankheits­ fall aufgrund seiner Pflicht zur kollegialen Zusammenarbeit (Sorgfaltspflicht) seine Mitgeschäftsführer zu informieren. Bei einer Auszeit von mindestens drei Wochen muss der Erkrankte auch die Gesellschafter unterrichten, weil es sich um einen wesentlichen Vorgang handelt, der den Gesellschaftern zur Kenntnis gebracht werden muss. Inhaltlich unterscheidet sich die Offenle­ gungspflicht nicht von derjenigen eines Vorstandsmitglieds. In einer Einper­ sonen-GmbH wäre jede Offenlegungspflicht sinnlos, da es niemand gibt, der tauglicher Adressat der Offenlegung sein könnte. Deshalb soll der geschäfts­ führende Alleingesellschafter eine vorsorgliche Regelung zur Weiterführung des Unternehmens im Fall seiner schweren Erkrankung treffen. Die Offenlegungspflichten in einer Montan-mitbestimmten GmbH gestal­ ten sich ähnlich wie in einer AG: Das vom Erkrankten informierte Geschäfts­ führergremium muss nach § 90 Abs. 1 S. 3 AktG analog dem Aufsichtsratsvor­ sitzenden berichten, wenn die Auszeit länger als drei Wochen dauern soll. Der Aufsichtsratsvorsitzende unterrichtet schließlich den Aufsichtsrat entspre­ chend § 90 Abs. 5 S. 3 AktG spätestens in dessen nächsten Sitzung. Dagegen ist es nicht notwendig, die Gesellschafter zu informieren, weil die Personalkom­ petenz nicht bei ihnen, sondern allein beim Aufsichtsrat liegt, der gemäß § 84 AktG analog über die Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer ent­ scheidet. Aus gleichem Grund entfällt die Pflicht zur Unterrichtung der Gesell­ schafter auch in einer GmbH mit dem Aufsichtsrat nach dem MitbestG. Ver­ fügt diese GmbH zudem über eine interne Berichtsordnung, die an § 90 Abs. 1 und 2 AktG angelehnt ist, gelten auch die übrigen Ausführungen zur Mon­ tan-mitbestimmten GmbH. Besteht keine solche Berichtsordnung, hat die Geschäftsführung bei einer längeren Abwesenheit eines ihrer Mitglieder den Aufsichtsrat dennoch zu informieren, damit dieser die notwendigen Personal­



§ 6.  Fazit

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entscheidungen treffen kann. Dies folgt aus der Sorgfaltspflicht der Geschäfts­ führer in ihrer Ausprägung als Pflicht zur kollegialen Zusammenarbeit mit an­ deren Gesellschaftsorganen. In einer GmbH mit dem Aufsichtsrat nach dem DrittelbG, KAGB und MgVG sowie in einer GmbH mit fakultativem Aufsichtsrat müssen die Ge­ sellschafter unterrichtet werden, da § 84 AktG in diesen Gesellschaften keine Anwendung findet und die Personalentscheidungen betreffend die Geschäfts­ führer in der Zuständigkeit der Gesellschafter verbleiben. Der Aufsichtsrat braucht mangels besonderer interner Regelung über die krankheitsbedingte Abwesenheit eines Geschäftsführers nicht informiert zu werden.

§ 6.  Fazit Es überrascht nicht, dass nähere Informationen zur Erkrankung (Diagnose und Prognose) Kursrelevanz besitzen; genauso wenig überraschend ist die Tatsache, dass der Umfang der organschaftlichen Offenlegungspflicht wegen der kolli­ dierenden Grundrechte der Organmitglieder sehr eingeschränkt ist. Bei einer schweren Erkrankung eines Organmitglieds entsteht ein dauerhafter Interes­ senkonflikt, der mit Hilfe der Offenlegungspflicht nur zum Teil gelöst werden kann. In manchen Situationen ist die Offenlegungspflicht nicht geeignet, den Interessenkonflikt zu lösen, in anderen belastet sie ihren Adressaten unange­ messen und muss daher gegenüber dessen persönlichen Interessen zurücktre­ ten. Insgesamt hat sich die Verhältnismäßigkeitsprüfung bei der Untersuchung der Pflichtenlage bei schweren Erkrankungen von Organmitgliedern bewährt. Etwas überraschend ist, dass die Offenlegungspflicht der Organmitglieder im Krankheitsfall nicht aus der Treuepflicht folgt. Vielmehr ergeben sich die Offenlegungspflicht der Vorstands- und der Aufsichtsratsmitglieder sowie die Offenlegungspflicht der GmbH‑Geschäftsführer aus ihrer organschaftlichen Sorgfaltspflicht. Die Offenlegungspflicht der Geschäftsführer gegenüber den Gesellschaftern resultiert aus dem allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Prin­ zip, das zur Überwachung berufene Organ über alle wesentlichen Vorgänge in der Gesellschaft zu informieren. Vor allem die Ableitung der Offenlegungs­ pflicht aus der Sorgfaltspflicht bedarf vor dem Hintergrund der Ausführungen im Kapitel 2 einer Erklärung. Die formelle Erklärung besteht darin, dass die Loslösung von einer Offenle­ gungspflicht gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden (Modell der gestuften Mitteilungspflicht) die Mitglieder des Organs in den Fokus gerückt hat, dem der Erkrankte angehört. Die Offenlegungspflicht gegenüber den Mitgliedern desselben Organs lässt sich zwangslos auf die Pflicht zur loyalen Zusammen­ arbeit innerhalb des jeweiligen Organs stützen, die zur Sorgfaltspflicht gehört. Ein Vorstandsmitglied muss also den Vorstand informieren, ein Aufsichtsrats­

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Kapitel 3: Offenlegungspflichten bei Krankheit

mitglied den Aufsichtsrat und ein Geschäftsführer die übrigen Geschäftsfüh­ rer. Auf diese Weise wird eine Lösung erreicht, die für alle Kapitalgesellschaf­ ten rechtsformübergreifend gilt. In sachlicher Hinsicht vollzieht sich dabei keine Revolution, weil die Grenze zwischen Sorgfalts- und Treuepflicht fließend ist. Dies zeigen vor allem prak­ tische Fälle, in denen die genaue Abgrenzung dieser Pflichten schwierig ist.662 Die sachliche Nähe zwischen ihnen erlaubte der früheren Rechtsprechung, von der – im Unterschied zur Treuepflicht gesetzlich geregelten – Sorgfaltspflicht dort zu sprechen, wo es faktisch um die Treuepflicht ging. In einer BGH‑Ent­ scheidung aus dem Jahr 1977 heißt es beispielsweise: „Legt man diese Darstellung zugrunde, so hatte Chr.E. seine Pflicht zu sorgfältiger Geschäftsführung (§ 43 Abs 1 GmbHG) verletzt. Denn ein Geschäftsführer muß in allen Angelegenheiten, die das Interesse der Gesellschaft berühren, allein deren Wohl und Wehe und nicht seinen eigenen Nutzen oder den Vorteil anderer im Auge haben.“663

Ganz ähnlich formuliert der BGH einige Jahre später: „Die aus § 43 Abs. 1 GmbHG folgende Pflicht zu sorgfältiger Geschäftsführung geht weiter. Danach muß ein Geschäftsführer in allen Angelegenheiten, die das Interesse der Gesellschaft berühren, allein deren Wohl und nicht seinen eigenen Nutzen im Auge haben.“664

Ein wichtiger Unterschied zwischen den beiden Pflichten besteht darin, dass die Treuepflicht im Gegensatz zur Sorgfaltspflicht keinen unternehmerischen Handlungsspielraum kennt. Deshalb wird ihre Abgrenzung für wichtig gehal­ ten.665 Dort, wo die Sorgfaltspflicht ebenfalls keinen Spielraum gewährt, etwa bei der Legalitätspflicht, wird die Grenze allerdings durchlässiger.666 Dies ist auch bei der Offenlegungspflicht der Fall: Ein Business-Judgment-Rule greift bei der Frage, ob im Falle einer Erkrankung Offenlegungspflichten bestehen, nicht. In diesem Zusammenhang lohnt sich ein rechtsvergleichender Blick in die USA, wo die Rechtsprechung ebenfalls nicht immer streng zwischen der Sorg­ faltspflicht („duty of care“) und der Treuepflicht („duty of loyalty“) unter­ scheidet.667 Auch in der Literatur finden sich Stimmen, die eine scharfe Grenze zwischen den beiden verneinen.668 Frank Easterbrook und Daniel Fischel tun 662  Siehe etwa OLG Düsseldorf, Urt. v. 26.4.2001 – 6 U 94/00, DStR 2001, 2223 m. Anm. Haas/​Müller. 663  BGH, Urt. v. 10.2.1977 – II ZR 79/75, DB 1977, 716, 717 (Hervorhebung durch die Verf.). 664  BGH, Urt. v. 21.2.1983 – II ZR 183/82, GmbHR 1983, 300 (Hervorhebung durch die Verf.). 665  Vgl. etwa Ziemons, in: Michalski, GmbHG, § 43 Rn. 212. 666 Vgl. Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 73. 667 Siehe Mills Acquisition Co. v. MacMillan, Inc., 559 A. 2d 1261, 1284 n. 32 (Del. 1989). 668  Cox/​Hazen, Business organizations law, § 10.9, S. 221.S. 103.



§ 6.  Fazit

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dies vor allem aus rechtsökonomischen Erwägungen: „What is the difference between working less hard than promised at a given level of compensation (a breach of the duty of care) and being compensated more than promised at a given level of work (a breach of the duty of loyalty)? Both are agency costs, conflicts of interest in an economic sense, that reduce shareholders’ wealth.“669 Speziell bei Erkrankungen wird die Offenlegungspflicht des Geschäftslei­ ters mitunter der Sorgfaltspflicht zugeordnet: „Thus, for example, a CEO and chairwoman of a firm who, because of her personal desires for privacy, fails to disclose to her board and shareholders a serios debilitating cognitive disease that materially affects her daily judgement is likely to have breached her duty of care.“670 Die business judgement rule soll in dieser Situation nicht greifen.671 Ebenfalls interessant ist, dass in den USA, insbesondere im Recht von Dela­ ware, eine besondere Offenlegungspflicht der Direktoren existiert, die kumu­ lativ auf die Sorgfalts- und die Loyalitätspflicht gestützt wird.672 Sie entspringt dem Common Law und wird meist als „duty of disclosure“, manchmal auch als „duty of candor“673 („Pflicht zur Aufrichtigkeit“) bezeichnet. Ihre konkre­ te Gestalt ist kontextabhängig, so dass das Gericht die Einzelfallumstände ana­ lysieren muss, um die genaue Quelle der Pflicht, ihre Anforderungen und die Rechtsfolgen bei Pflichtverletzung zu bestimmen.674 Sie wird im nachfolgen­ den Kapitel genauer betrachtet.

669 

Easterbrook/​Fischel, The economic structure of corporate law, S. 103; ökonomische Argumente für die Unterscheidung ebenda und bei Fleischer, WM 2003, 1045, 1049. 670  Lin, 87 Notre Dame L. Rev. 911, 934 (2012). 671  Lin, 87 Notre Dame L. Rev. 911, 934 (2012). 672 Siehe In re Wayport, Inc. Lit., 76 A. 3d 296, 314 (Del. Ch. 2013); Balotti/​Finkelstein, The Delaware Law of Corporations, § 4.18, S. 4–162, § 17.2[A], S. 17–4. 673 Siehe Smith v. Van Gorkom, 488 A. 2d 858, 893 (Del. 1985). 674 Vgl. In re Wayport, Inc. Lit., 76 A. 3d 296, 314 (Del. Ch. 2013); Hamermesh, 49 Vand. L. Rev. 1087, 1099 (1996).

Kapitel 4

Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out Anders als bei Krankheiten von Organmitgliedern stehen beim ManagementBuy-out die Informationen im Mittelpunkt, die nicht zur Privatsphäre, son­ dern fast ausschließlich zur Unternehmenssphäre gehören und den Unterneh­ menswert maßgeblich prägen. Deshalb eignen sich die Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out hervorragend als Kontrastbeispiel zu den Offenle­ gungspflichten erkrankter Organmitglieder. Diese Untersuchung konzentriert sich ausschließlich auf diejenigen buyoutwilligen Manager, die zugleich Mit­ glieder des Geschäftsführungsorgans sind; im Folgenden werden sie generell als „Manager“ bezeichnet.1

§ 1.  Einleitung: Management-Buy-out I. Problemaufriss Unter einem Management-Buy-out (MBO) versteht man ganz allgemein die Übernahme eines Unternehmens oder Unternehmensteils durch das bisherige Management.2 Manchmal wird hinzugefügt, dass dies mit dem Ziel geschieht, die unternehmerische Leitung der Gesellschaft zu übernehmen.3 Plastisch aus­ gedrückt handelt es sich um eine „Unternehmensakquisition von innen“4, die das Management zum Unternehmer werden lässt. Das Konzept wurde in den 70er Jahren in den USA entwickelt; in der Mitte der 80er Jahre erreichten die Buy-out-Transaktionen Großbritannien und etwas später auch das restliche Europa.5 Ihre rechtliche und wirtschaftliche Unbedenklichkeit ist heute un­ 1  Manager, die keine Organmitglieder sind, unterliegen eventuell arbeitsrechtlichen Of­ fenlegungspflichten, vgl. Harbers, Management Buy-Out, S. 46 ff. 2  Siehe Springer Gabler Verlag, Gabler Wirtschaftslexikon Online, Stichwort: Manage­ ment Buyout (MBO), ; Berkefeld, Die Beteiligung von Investoren, S. 19, 23; Weitnauer, in: Weitnauer, Management Buy-Out, A 2; vgl. auch Hölters, in: Hölters, Handbuch des Un­ ternehmens- und Beteiligungskaufs, Teil I Rn. 72: „Kauf des Unternehmens durch die bis­ herigen Manager“. 3  Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 535; ders., AG 2000, 309; Rhein, Interessenkon­ flikt der Manager, S. 4; ähnlich Hauschka, BB 1987, 2169, 2170. 4  Berkefeld, Die Beteiligung von Investoren, S. 23. 5 Ausführlich zur Geschichte der Buy-outs in verschiedenen Ländern Hoffmann/​

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

umstritten.6 Dennoch werfen Buy-outs diverse Probleme auf. Einige von ihnen treten auch bei anderen Unternehmensakquisitionen auf, etwa das erhöhte In­ solvenzrisiko bei hoher Fremdfinanzierung der Transaktion und anschließen­ der Bedienung der Schuld aus den Mitteln der Zielgesellschaft.7 Andere sind dagegen buyoutspezifisch, z. B. zahlreiche Konflikte zwischen Interessen des Managements und der bisherigen Unternehmensinhaber. An der Spitze dieser Interessenkonflikte steht der monetäre Widerstreit: Die bisherigen Inhaber wollen das Unternehmen so teuer wie möglich verkaufen, die Geschäftsleiter es so preiswert wie möglich erwerben. Dieser jedem Kauf­ vertrag innewohnende Antagonismus wird durch zwei Umstände verschärft: Erstens sind Geschäftsleiter verpflichtet, auch in dieser Situation im Interes­ se der Anteilseigner zu handeln8 , zweitens haben sie den Gesellschaftern ge­ genüber regelmäßig einen Informationsvorsprung, weil sie das Unternehmen und dessen gesamtes Umfeld genau kennen. „Die vorhandenen Branchen­ kenntnisse, Geschäftsverbindungen und unternehmensinterne Informationen (z. B. Mitarbeiterstruktur, Produktentwicklungsstand, Finanzlage, zu erwar­ tende Ertragslage) sowie seine guten Kenntnisse über den Markt“9 machen den Geschäftsleiter zu einem perfekt informierten Käufer, was für Kaufverträge im Allgemeinen eher atypisch ist. Der Informationsstand des Verkäufers wird in aller Regel weniger gut sein10 , auch wenn es sich dabei um die Konzern­ mutter oder einen Familienunternehmer handelt, der einen Nachfolger für sein Lebenswerk sucht.11 Wie ist das Management dazu anzuhalten, seine Loya­ litätspflichten gegenüber dem Altinhaber zu erfüllen und diesen nicht durch Ramke, Management Buy-Out, S. 32 ff.; Luippold, Management buy-outs, S. 73 ff.; Schwenkedel, Management buyout, S. 22 ff.; Weitnauer, in: Weitnauer, Management Buy-Out, A 63 ff. 6  In der älteren Literatur wurde dagegen nicht selten ein MBO ‑Verbot thematisiert, siehe etwa Adams, AG 1989, 333, 337; dagegen D. Weber, ZHR 155 (1991), 120, 130: „Der MBO ist für sich nicht gut oder böse.“; aus dem US‑Schrifttum vor allem Brudney/​Chirelstein, 87 Yale L. J. 1354, 1367 (1978); Lowenstein, 85 Colum. L. Rev. 730, 777 (1985); eine Übersicht über die Diskussion in den USA bei Ebke, ZHR 155 (1991), 132, 142 f. 7  Berkefeld, Die Beteiligung von Investoren, S. 20; Eidenmüller, ZHR 171 (2007), 644, 647: „Spiel mit der Insolvenz“; ders., DStR 2007, 2116, 2117; noch kritischer U. Schneider, FS Döllerer, S. 537, 540, den Bankier Hermann Josef Abs zitierend: „Die verbrecherische Nei­ gung, ein Unternehmen mit dem Geld des übernommenen Unternehmens zu bezahlen, hat in Deutschland noch nicht Platz gegriffen, während wir das Unheil schon in den U. S. A. und England haben. Aber auch in Deutschland stehen solche Räuber vor der Tür.“ 8 Vgl. M. Doralt, Management-Buyout, S. 31; Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 535; Hassner, Leveraged Buyout, S. 38; Jepsen, Die Entlohnung des Managements, S. 20; Kuntz, Informationsweitergabe, S. 17. 9  Hoffmann/​R amke, Management Buy-Out, S. 42; siehe auch Enzinger, Interessenkon­ flikt und Organpflichten, S. 4; Hauschka, BB 1987, 2169, 2171. 10 Ebenso Hölters, in: Hölters, Handbuch des Unternehmens- und Beteiligungskaufs, Teil I Rn. 77; Luippold, Management buy-outs, S. 244; Rhein, Interessenkonflikt der Mana­ ger, S. 16; Schwenkedel, Management buyout, S. 27. 11  A. A. Harbers, Management Buy-Out, S. 34, der dazu tendiert, nur die Erben des ver­



§ 1.  Einleitung: Management-Buy-out

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die Ausnutzung des Wissensvorsprungs zu übervorteilen?12 Die heute übliche Antwort auf diese Frage fasst Hopt prägnant zusammen: „It is obvious that the shareholders need protection in such a case, not by a flat prohibition of the transaction that would not be in their interest, but by full disclosure …“13. Damit ist die Verbindung zum hiesigen Untersuchungsgegenstand – den Of­ fenlegungspflichten von Organmitgliedern – hergestellt.

II.  Unterschiede zwischen MBO, MBI und IBO Was sich hinter dem Begriff „Management-Buy-out“ im Einzelnen verbirgt, ist sehr umstritten, zumal es bisher keine rechtliche Festlegung existiert. Der Terminus „Buy-out“ bedeutet wörtlich übersetzt den Aufkauf eines Unter­ nehmens.14 Daher könnte „Management-Buy-out“ schlicht „Aufkauf eines Unternehmens durch das Management“ heißen. Dies ginge allerdings zu weit, denn unter einem MBO wird gemeinhin nur der Aufkauf eines Unternehmens durch dessen eigenes Management-Team verstanden. Die Übernahme durch ein externes Management-Team wird dagegen als Management-Buy-in (MBI) bezeichnet. Soweit ist die Abgrenzung unproblematisch. Schwierigkeiten beginnen, sobald neben den Managern andere Akteure als Erwerber auftreten. Das ist in der Praxis der Normalfall, denn nur selten er­ wirbt das Management das Unternehmen im Alleingang.15 Viel häufiger er­ folgt die Übernahme mit Hilfe von Finanzinvestoren, die dem Management außerbörsliches Eigenkapital (Private Equity) zur Verfügung stellen.16 Inves­ titionen in Buy-outs sind für Private-Equity-Fonds17 ausgesprochen attraktiv, weil sie mit relativ geringem Risiko und hohen Renditen verbunden sind.18 Bei storbenen Unternehmensinhabers, die das Unternehmen nicht kennen, für schutzbedürftig zu erachten. 12  Vgl. dazu Berkefeld, Die Beteiligung von Investoren, S. 20; Jepsen, Die Entlohnung des Managements, S. 20; Schwenkedel, Management buyout, S. 27. 13  Hopt, ECFR 2013b, 167, 182; zum Versagen des Konzepts der freiwilligen Offenle­ gung beim Management-Buy-out Heidemann, Management Buyout, S. 216. 14  Tancredi, Hedge-Fonds und Private Equity, S. 47; so auch Hassner, Leveraged Buy­ out, S. 26 Fn. 156. 15  Ein Gegenbeispiel ist die Abspaltung des Pharmaunternehmens Nordmark aus dem BASF‑Konzern im Jahr 2001. Damals verliefen die Gespräche mit Risikokapitalgesellschaf­ ten „enttäuschend“, so dass der (erfolgreiche) MBO vorwiegend durch das Management selbst, stille Beteiligung der Mitarbeiter und einen Kredit finanziert wurde, siehe Scharrenbroch, Management-Buy-out: Chance und Risiko, F. A. Z. Online, 30.4.2004. 16  Vgl. Springer Gabler Verlag, Gabler Wirtschaftslexikon Online, Stichwort: Manage­ ment Buyout (MBO); Berkefeld, Die Beteiligung von Investoren, S. 19, 46; Rosarius, Bewer­ tung von Leveraged Buyouts, S. 36; Tancredi, Hedge-Fonds und Private Equity, S. 50. 17  Zu den Begriffen Finanzinvestoren, Private-Equity-Fonds und Buy-out-Fonds siehe nur Eidenmüller, DStR 2007, 2116 f.; ferner Holzner, Private Equity, der Einsatz von Fremd­ kapital und Gläubigerschutz, S. 41 f. 18  Dementsprechend wurden 2011 über die Hälfte (55 %) aller Private-Equity-Gelder in

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

der Unternehmensübernahme treten Management und Investoren gemeinsam auf, indem sie eine neue Gesellschaft (NewCo) gründen, meist in der Rechts­ form der GmbH, die sodann das Zielunternehmen erwirbt.19 Die Zwischen­ schaltung der NewCo hilft, die Haftung zu begrenzen sowie die Steuerlast und die Finanzierungskosten zu verringern.20 Diese typische Gestaltung des MBO unter Beteiligung von Investoren macht es schwierig, diesen vom Insti­ tutionellen Buy-out (IBO) abzugrenzen.21 Ein IBO zeichnet sich dadurch aus, dass Finanzinvestoren aus Renditeinte­ ressen ein Unternehmen aufkaufen, um es später gewinnbringend zu veräußern, z. B. an einen strategischen Investor (Trade Sale), einen weiteren Finanzinves­ tor (Secondary Sale) oder im Wege eines Börsengangs.22 Das Management der Zielgesellschaft wird kapitalmäßig beteiligt, um zusätzliche Anreize für gute Unternehmensführung zu schaffen und dadurch den Unternehmenswert zu steigern. Genauso wie beim MBO werden also Manager zusammen mit Fi­ nanzinvestoren neue Anteilseigner. Daher wird für MBO und IBO manchmal ein gemeinsamer Oberbegriff „Buy-out“ verwendet, der für eine Unterneh­ mensübernahme durch Eigenkapitalinvestoren und Management steht.23 Beim IBO übersteigt die Managementbeteiligung indes regelmäßig nicht 15 % des Kapitals.24 Aus diesem Grund versuchen manche Autoren, zwischen MBO und bloßer Managementbeteiligung anhand von Beteiligungsquoten zu differenzieren. Einige von ihnen fordern für einen MBO eine Mindestbetei­ ligung von mehr als 10 %25, andere eine solche von 25 %26 oder sogar von 50 %27. Man könnte sicherlich auch in Anlehnung an § 29 Abs. 2 WpÜG eine Buy-outs investiert, WealthCap, Von Honigbienen und Heuschrecken: WealthCap PrivateEquity-Studie 2011, S. 7, 23, 41. 19  Berkefeld, Die Beteiligung von Investoren, S. 52 f.; Harbers, Management Buy-Out, S. 119; Luippold, Management buy-outs, S. 242 f.; Weitnauer, in: Weitnauer, Management Buy-Out, D 4. 20 Vgl. Berkefeld, Die Beteiligung von Investoren, S. 52; Harbers, Management BuyOut, S. 119. 21  Zu dieser Problematik auch Hassner, Leveraged Buyout, S. 39 f. 22 Siehe Himmelreich/​Rose, in: Weitnauer, Management Buy-Out, E 1; Eidenmüller, ZHR 171 (2007), 644, 649 ff. 23  Vgl. etwa die Definition des Bundesverbands Deutscher Kapitalbeteiligungsgesell­ schaften e. V., , zuletzt abgerufen am 28.2.2020; aus dem Schrifttum Weitnauer, in: Weitnauer, Management Buy-Out, A 1. 24 Vgl. Kaplan/​Strömberg, Leveraged Buyouts and Private Property, S. 13 mit empiri­ schen Daten aus den USA und UK; ferner Berkefeld, Die Beteiligung von Investoren, S. 24; Weitnauer, in: Weitnauer, Management Buy-Out, A 1; Hohaus/​Inhester, DStR 2003, 1765; etwas abweichend Himmelreich/​Rose, in: Weitnauer, Management Buy-Out, E 24 (in der Regel bis zu 20 %). 25  Berkefeld, Die Beteiligung von Investoren, S. 24. 26  Tancredi, Hedge-Fonds und Private Equity, S. 50; Schwenkedel, Management buy­ out, S. 5. 27  Braun, Leveraged buyouts, S. 6; Schwenkedel, Management buyout, S. 5 (für Manage­ ment-Buy-outs im engeren Sinne); ähnlich Hoffmann/​R amke, Management Buy-Out, S. 20



§ 1.  Einleitung: Management-Buy-out

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Beteiligung von 30 % der Stimmrechte fordern. Jede zahlenmäßige Festlegung wäre indes willkürlich und nicht einzelfallgerecht. In der Buy-out-Praxis gibt es Gestaltungen, in denen auch unter 20 % liegende Beteiligungen dem Ma­ nagement die Kontrolle über das Unternehmen ermöglichen.28 Zudem kommt es nicht selten vor, dass das Management zunächst eine kleinere Beteiligung erwirbt und diese später aufstockt sowie umgekehrt.29 Eine starre Grenze zwi­ schen Management-Buy-outs und (sonstigen) Managementbeteiligungen lässt sich daher kaum ziehen.30 Deshalb erscheint es vorzugswürdig, darauf abzustellen, wer „die treibende Kraft“ des Buy-outs ist, wer also die Unternehmensübernahme initiiert und ihre Durchführung entscheidend gestaltet. Sind es die Manager, sollte man von einem MBO sprechen, sind es externe Investoren, von einem IBO.31 Demnach ist für einen MBO charakteristisch, dass „die gestalterische Herrschaft“32 über die Transaktion dem Management zukommt. Dieses übernimmt die führende Rolle bei den Verhandlungen mit dem bisherigen Unternehmensinhaber und erhält üblicherweise die operative Verantwortung für die NewCo.33 Ein IBO wird dagegen vom Investor gesteuert, während die Führungskräfte, zumindest in der Anfangsphase, häufig nicht einmal wissen, ob der IBO eine Chance oder ein Risiko für das Unternehmen und für sie selbst darstellt.34 Insofern unter­ scheidet sich ein IBO kaum von einem herkömmlichen Unternehmenskauf.35 Diese Gesichtspunkte können bei der Untersuchung der Offenlegungs­ pflichten der Manager durchaus relevant werden.36 Die Annahme solcher Pflichten liegt bei einem MBO näher als bei einem IBO, bei dem das Manage­ ment an den Verhandlungen mit dem Veräußerer nicht oder nur in einem gerin­ gen Umfang beteiligt ist. Sogar in der Phase des IBO, in der das Management („Mehrheit der Anteile oder zumindest wesentliche Anteile“), die allerdings zugleich mei­ nen, die Höhe der Beteiligung sei letztendlich nicht entscheidend (S. 24). 28  Rhein, Interessenkonflikt der Manager, S. 4 Fn. 5; so auch Hoffmann/​R amke, Ma­ nagement Buy-Out, S. 24 mit dem Hinweis auf „interne Vereinbarungen“ mit den Inves­ toren. 29  Vgl. die Praxisbeispiele bei Weitnauer, in: Weitnauer, Management Buy-Out, Anhang 1, S. 281. 30  Kuntz, Informationsweitergabe, S. 18; Hohaus/​Inhester, DStR 2003, 1765. 31  Berkefeld, Die Beteiligung von Investoren, S. 24; Eichner, Management-buy-out-Ge­ staltungen beim Konzern-spin-off, S. 11; Hassner, Leveraged Buyout, S. 41; Himmelreich/​ Rose, in: Weitnauer, Management Buy-Out, E 2; Weitnauer, ebenda, A 1 ff.; vgl. ferner Boxberg, Das Management-Buyout-Konzept, S. 12. 32  Hassner, Leveraged Buyout, S. 41. 33  Hassner, Leveraged Buyout, S. 41. 34  Himmelreich/​Rose, in: Weitnauer, Management Buy-Out, E 2. 35 Vgl. Hauschka, BB 1987, 2169, 2170. 36  So auch Hassner, Leveraged Buyout, S. 41; a. A. Kuntz, Informationsweitergabe, S. 18, der angesichts der Beteiligung von Insidern auf der Erwerberseite keine Unterschiede zwi­ schen dem klassischen Management-Buy-out und dem „Buy-out unter Managementbetei­ ligung“ machen will.

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

den Investor zum Zwecke der Unternehmensbewertung mit Informationen über die Zielgesellschaft versorgt und einen Business Plan aufstellt, agiert es „nur als Informationsträger im Hintergrund“37, so dass die Annahme direkter Aufklärungspflichten gegenüber dem Veräußerer auf Schwierigkeiten stößt. Im Folgenden wird also grundsätzlich zwischen einem Management-Buy-out und einem Institutionellen Buy-out unterschieden.

III.  Share Deal und Asset Deal Der Erwerb der Zielgesellschaft kann beim Management-Buy-out wie bei jedem Unternehmenskauf als Share Deal oder als Asset Deal ausgestaltet sein. Beim Share Deal werden die Anteile an der Zielgesellschaft, beim Asset Deal ihre einzelnen Wirtschaftsgüter erworben. Die beiden Erwerbsformen un­ terscheiden sich aus praktischer Sicht vor allem im Hinblick auf ihre steuer­ lichen Folgen. Ganz pauschal kann man sagen, dass bei der Übernahme einer Kapitalgesellschaft der Asset Deal nach dem heutigen Stand der Steuergesetz­ gebung für den Erwerber, der Share Deal dagegen für den Veräußerer attrakti­ ver ist.38 Welche Alternative in der Praxis gewählt wird, hängt vom Einzelfall ab, insbesondere von den Wünschen aller am Kauf Beteiligten.39 Der Ausgleich steuerlicher Interessen des Veräußerers und des Erwerbers findet dann bei der Bestimmung der Kaufpreishöhe statt.40 Für die vorliegende Untersuchung sind weniger die steuerlichen Aspekte als der Unterschied in der Person des Veräußerers relevant: Beim Asset Deal kontrahiert der Erwerber mit der Zielgesellschaft selbst, beim Share Deal mit den bisherigen Anteilsinhabern. Aus diesem Grund kann der Asset Deal dem recht gut erforschten Problemfeld „Eigengeschäfte der Geschäftsleiters mit der Gesellschaft“ zugeordnet werden, während der Share Deal teilweise schwieri­ ge rechtsdogmatische Probleme aufwirft, gerade im Hinblick auf die Offen­ legungspflichten des Managements (Stichwort: gesellschafterbezogene Treue­ pflicht). Aus diesem Grund liegt der Schwerpunkt der weiteren Ausführungen auf dem Share Deal, während zum Asset Deal nur punktuelle Anmerkungen gemacht werden.41 37 So Kuntz, Informationsweitergabe, S. 139, der jedoch auch in dieser Konstellation Aufklärungspflichten des Managements bejaht. 38  Ausführlich dazu Berkefeld, Die Beteiligung von Investoren, S. 29 ff.; Eisen, in: Weit­ nauer, Management Buy-Out, C 116 f. 39  Sattler/​Jursch/​Pegels, Unternehmenskauf, S. 45. 40  Eisen, in: Weitnauer, Management Buy-Out, C 119. 41  Dies entspricht der üblichen Vorgehensweise, vgl. knappe Ausführungen zum Asset Deal bei Berkefeld, Die Beteiligung von Investoren, S. 69; Kuntz, Informationsweiterga­ be, S. 142 f.; Rhein, Interessenkonflikt der Manager, S. 76, 105, 117, 124; Tirpitz, Pflichten, S. 49 ff.; manche Untersuchungen konzentrieren sich sogar ausschließlich auf den Share Deal, etwa Fleischer, AG 2000, 309 ff.



§ 1.  Einleitung: Management-Buy-out

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Eine Besonderheit des Asset Deals verdient es jedoch, direkt angesprochen zu werden. Es geht um die Frage, ob die Zielgesellschaft über den Wert ihres Vermögens aufgeklärt werden muss und wenn ja, wer sie dabei vertritt. Manche meinen, die Gesellschaft sei beim Asset Deal nicht schutz- und aufklärungs­ bedürftig, weil ihr das Wissen der buyoutwilligen Geschäftsleiter zuzurech­ nen sei (Organtheorie). Außerdem könne sie externe Experten zur Bewertung ihrer Verhältnisse heranziehen.42 Die Organtheorie in dieser strengen Form wird indes kaum noch vertreten. Die neue Wissenszurechnungslehre fordert eine wertende Betrachtung, wobei es insbesondere darauf ankommt, ob die fragliche Information typischerweise aktenmäßig festgehalten wird oder kraft Organisationspflichten weitergegeben werden muss.43 Ob die letztgenannten Grundsätze auf den Asset Deal einschränkungslos übertragbar sind, ist zweifelhaft. Sie sind zum Schutz Dritter im Verkehr mit einer juristischen Person entwickelt worden; in der besonderen Situation des Asset Deals, in der es um den Schutz der juristischen Person gegen das Han­ deln des Wissensträgers geht, führen sie kaum zu gerechten Ergebnissen. So wird kaum jemand bestreiten, dass das Wissen des Managers über eine Wert­ steigerung des Gesellschaftsvermögens oder eine lukrative Geschäftschance der Gesellschaft ein Wissen ist, dass typischerweise aktenmäßig festgehalten wird oder kraft Organisationspflichten weiterzuleiten ist. Wie ist es aber, wenn der Manager dieses Wissen pflichtwidrig für sich behält, um das Gesellschafts­ vermögen im Rahmen eines Asset Deals unter Wert zu erwerben? Ist dieses Wissen dennoch der Gesellschaft zuzurechnen mit der Folge, dass sie nicht aufklärungsbedürftig ist? Würde man hier mechanisch die Wissenszurechnungsgrundsätze anwen­ den, dann würde die Antwort vermutlich „ja“ lauten. Denn hätte der Manager seine Pflichten im Hinblick auf die wertrelevante Information erfüllt, hätte die Gesellschaft die notwendige Kenntnis gehabt.44 Dann würde aber die Rechts­ ordnung das Verhalten des unredlichen Managers belohnen, indem sie ihn von jeglichen Aufklärungspflichten im Rahmen des MBO befreien würde: ein pa­ radoxes und unbilliges Ergebnis. Um so etwas zu vermeiden, ist die Wissens­ zurechnung aufgrund wertender Betrachtung abzulehnen. Dies würde, anders als beim Rechtsgeschäft der Gesellschaft mit einem Dritten, nicht zulasten von Dritten gehen, sondern ausschließlich zulasten des pflichtvergessenen Wis­ sensträgers. Die Zielgesellschaft ist also auch beim Asset Deal grundsätzlich aufklä­ rungsbedürftig. Es bleibt zu klären, wer der konkrete Aufklärungsadressat ist. Dies richtet sich grundsätzlich danach, wer die Gesellschaft im Rahmen der 42  43 

Kuntz, Informationsweitergabe, S. 143. Dazu oben im Zusammenhang mit der Ad-hoc-Publizität, Kapitel 3, § 3, I. 44  So wohl Sajnovits, WM 2016, 765, 770, allerdings im Kontext der Ad-hoc-Publizität.

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

Transaktion gegenüber den buyoutwilligen Managern vertritt. Diese Mana­ ger selbst scheiden als Vertreter der Zielgesellschaft regelmäßig aus.45 Wenn sie ihr Vermögen direkt erwerben, tätigen sie ein In-Sich-Geschäft; wenn sie die NewCo als Erwerbsvehikel zwischenschalten und für diese auftreten, liegt eine Mehrvertretung vor. In beiden Fällen kann der Vertreter den Vertretenen nach der Grundregel des § 181 BGB nicht wirksam verpflichten, falls er vom Verbot des Selbstkontrahierens nicht befreit ist. Im Recht der Kapitalgesellschaften wird § 181 BGB allerdings teilwei­ se durch Spezialregelungen verdrängt. Erwerben die buyoutwilligen Mana­ ger das Vermögen der Gesellschaft direkt, also ohne die Zwischenschaltung der NewCo, so greift im Aktienrecht § 112 AktG, wonach die AG ihren Vor­ standsmitgliedern gegenüber durch den Aufsichtsrat vertreten wird. Der kon­ krete Verhandlungspartner und Aufklärungsadressat ist somit der Aufsichtsrat der Zielgesellschaft. Beim Einsatz der NewCo findet § 112 AktG grundsätz­ lich keine Anwendung, weil die kaufwilligen Vorstandsmitglieder nicht im ei­ genen Namen, sondern im Namen des Erwerbsvehikels handeln.46 Etwas an­ deres würde nur dann gelten, wenn an der NewCo nur die buyoutwilligen Vorstandsmitglieder (und keine Investoren) beteiligt wären. Dann bestünde zwischen diesen Vorstandsmitgliedern und der NewCo wirtschaftliche Iden­ tität, so dass § 112 doch zur Anwendung käme.47 Eine bloß „maßgebliche“ Be­ teiligung der Vorstandsmitglieder an der NewCo dürfte dagegen nicht aus­ reichen, um eine Vertretungsmacht des Aufsichtsrats nach § 112 AktG zu begründen, zumal es sich bei der NewCo regelmäßig um eine GmbH han­ delt.48 Kommt § 112 AktG nach den beschriebenen Grundsätzen nicht zur An­ wendung, so gilt Folgendes. Zunächst kann die Zielgesellschaft gegenüber der NewCo durch die Vorstandsmitglieder vertreten werden, die am MBO nicht beteiligt sind, sofern sie dazu trotz des Ausfalls ihrer buyoutwilligen Kolle­ gen rechtlich in der Lage sind.49 Ist dies nicht der Fall, müssten die buyoutwil­ ligen Vorstandsmitglieder auf beiden Seiten des Geschäfts tätig werden. Dann 45 So

Harbers, Management Buy-Out, S. 97 ff.; a. A. wohl Tirpitz, Pflichten, S. 53. Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 112 Rn. 19. BGH, Urt. v. 15.1.2019  – II ZR 392/17, ZIP 2019, 564, Ls. und Rn. 17 ff.; OLG Brandenburg, Urt. v. 14.1.2015 – 7 U 68/13, DStR 2015, 1877, 1878; OLG Saarbrücken, Urt. v. 11.10.2012 – 8 U 22/11–6, NZG 2012, 1348, 1349 f.; Drygala, in: K. Schmidt/​Lutter, AktG, § 112 Rn. 11; Habersack, in: MüKo AktG, § 112 Rn. 9; Koch, in: Hüffer/​Koch, AktG, § 112 Rn. 4; Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 112 Rn. 18; Bayer/​Scholz, ZIP 2015, 1853, 1856. 48 Vgl. Habersack, in: MüKo AktG, § 112 Rn. 9; a. A. etwa Spindler, in: Spindler/​Stilz, AktG, § 112 Rn. 9; Rupietta, NZG 2007, 801, 802 ff.; Theusinger/​Guntermann, AG 2017, 798, 804 (vor dem Hintergrund der Neuregelungen der Aktionärsrechterichtlinie); offen lassend BGH ZIP 2019, 564, Rn. 17, 27. 49 Vgl. OLG Saarbrücken, Urt. v. 30.11.2000 – 8 U 71/00–15, NZG 2001, 414; Seibt, in: K. Schmidt/​Lutter, AktG, § 78 Rn. 8; Spindler, in: MüKo AktG, § 78 Rn. 124. 46 Vgl. 47 Vgl.



§ 1.  Einleitung: Management-Buy-out

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liegt eine Mehrvertretung vor, deren Folgen sich nach § 181 BGB richten.50 Das Rechtsgeschäft zwischen Zielgesellschaft und NewCo ist demnach schwebend unwirksam, bis es genehmigt wird (§ 177 BGB). Das hierfür zuständige Organ ist nach einer Ansicht der Aufsichtsrat51, nach der Gegenansicht auch oder sogar zunächst nur der Vorstand unter Ausschluss der betroffenen Mitglieder, sofern er in dieser Zusammensetzung die Gesellschaft noch wirksam vertreten kann.52 Der richtige Aufklärungsadressat wäre hier in Abweichung von oben Gesag­ tem nicht derjenige, der die Zielgesellschaft vertritt, sondern derjenige, der die Genehmigung erteilt und damit letztendlich über das Zustandekommen des Asset Deals entscheidet. Je nachdem, welcher Ansicht man folgt, ist dies der Aufsichtsrat oder die Vorstandsmitglieder, die am Buy-out nicht beteiligt sind. Einer Genehmigung bedarf es nicht, wenn beide Gesellschaften die Mehr­ vertretung vorher gestattet haben. Aufseiten der Zielgesellschaft kann die Ge­ stattung vom Aufsichtsrat ausgesprochen werden, der vorher über vertrags­ wesentliche Umstände aufzuklären wäre. Die Gestattung kann ferner analog § 78 Abs. 3 S. 1 AktG bereits in der Satzung enthalten sein.53 Dies ist beim Ma­ nagement-Buy-out problematisch, da die Manager dadurch die Möglichkeit be­ kommen, das Vermögen der Zielgesellschaft auf die NewCo beim Asset Deal ohne besondere Offenlegung und Kontrolle zu übertragen. Abhilfe könnte hier die Pflicht des Aufsichtsrats schaffen, einen Management-Buy-out nach § 111 Abs. 4 S. 2 AktG dem Zustimmungsvorbehalt zu unterwerfen, die aus der Sorgfaltspflicht der Aufsichtsratsmitglieder abgeleitet wird.54 Des Weiteren müsse der Aufsichtsrat eine vollständige und unabhängige Überprüfung der gesamten Transaktion sicherstellen.55 Abgesehen davon wird die Veräußerung größerer Teile des Gesellschaftsvermögens, wie sie beim Asset Deal regelmäßig stattfindet, im Normalfall der Zustimmung des Aufsichtsrats bedürfen. Darü­ ber hinaus kann nach den Grundsätzen der Holzmüller/​Gelatine-Rechtspre­ chung56 sogar die Zustimmung der Hauptversammlung erforderlich werden. 50  Fleischer, in: Spindler/​Stilz, AktG, § 78 Rn. 12; Habersack/​Foerster, in: Großkomm AktG, § 78 Rn. 23; Spindler, in: MüKo AktG, § 78 Rn. 121 f.; Harbers, Management BuyOut, S. 100. 51  Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, §  78 Rn. 76; Seibt, in: K. Schmidt/​ Lutter, AktG, § 78 Rn. 8; Spindler, in: MüKo AktG, § 78 Rn. 132; Schubert, in: MüKo BGB, § 181 Rn. 64. 52  Habersack/​Foerster, in: Großkomm AktG, § 78 Rn. 25; Mertens/​Cahn, in: Köln­ Komm AktG, § 78 Rn. 76. Ähnlich für die GmbH BGH, Urt. v. 29.11.1993 – II ZR 107/92, NJW‑RR 1994, 291, 292 f.; Leptien, in: Soergel, § 181 Rn. 45. 53  Fleischer, in: Spindler/​Stilz, AktG, § 78 Rn. 12; Habersack/​Foerster, in: Großkomm AktG, § 78 Rn. 25; Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 78 Rn. 75. 54 Vgl. Spindler, in: Spindler/​Stilz, AktG, § 116 Rn. 71. 55  Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 116 Rn. 137; Spindler, in: Spindler/​Stilz, AktG, § 116 Rn. 71. 56  BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122 – Holzmüller; v. 26.4.2004 – II ZR 155/02, BGHZ 159, 30 – Gelatine I.

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

Greift im konkreten Fall kein Zustimmungsvorbehalt, so wäre zu überlegen, ob die am Buy-out beteiligten Vorstandsmitglieder nicht kraft ihrer Treue­ pflicht verpflichtet sind, den Sachverhalt von sich aus dem Aufsichtsrat offen­ zulegen und dessen Zustimmung einzuholen.57 In der GmbH wird § 181 BGB dadurch verdrängt, dass ungewöhnliche Maßnahmen wie die Veräußerung bedeutender Betriebsteile von vornherein in die Zuständigkeit der Gesellschafter fallen.58 Erst vor Kurzem hat der BGH entschieden, dass die Übertragung des ganzen Gesellschaftsvermögens einer GmbH ein besonders bedeutsames Geschäft ist, das einer Zustimmung der Gesellschafterversammlung bedarf, selbst wenn der Gesellschaftsvertrag kei­ nen entsprechenden Zustimmungsvorbehalt vorsieht.59 Die buyoutwilligen Geschäftsführer müssen daher mit den Gesellschaftern verhandeln und diese aufklären. Für die Anwendung des § 181 BGB verbleibt daher der eher selte­ ne Fall, dass beim Management-Buy-out nur untergeordnete Teile des Gesell­ schaftsvermögens veräußert werden.60 Dann gelten ähnliche Regeln wie bei der AG: Das Geschäft ist schwebend unwirksam, kann aber durch die Gesell­ schafter oder die übrigen Geschäftsführer genehmigt werden, wobei die Letz­ teren selbst die erforderliche Vertretungsmacht haben müssen.61 Ebenso ist die vorherige Gestattung denkbar, die in der Satzung bzw. vom Organ erteilt wer­ den kann, das für die Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer zu­ ständig ist (Gesellschafter, Aufsichtsrat, Beitrat o. Ä.).62 Auch hier gilt, dass derjenige, der das Geschäft genehmigt oder gestattet, der richtige Informati­ onsadressat ist.

IV.  Finanzierung des MBO (Abgrenzung zu LBO) Finanziert werden Management-Buy-outs meist durch eine Kombination von Eigen-, Mezzanine- und Fremdkapital.63 Das Eigenkapital wird regel­ mäßig von Finanzinvestoren, das Fremdkapital von Banken bereitgestellt. Das Mezzaninekapital wird von Banken, spezialisierten Mezzanine-Anbie­ 57 In

diese Richtung Tirpitz, Pflichten, S. 53, die von der Mitteilungspflicht der Ge­ schäftsführer an die von ihnen personenverschiedene Verhandlungsführer spricht. 58  Kleindiek, in: Lutter/​ Hommelhoff, GmbHG, § 37 Rn. 10 f.; Lenz, in: Michalski, GmbHG, § 37 Rn. 14 f.; U. Schneider/​S . Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 37 Rn. 15 ff.; Zöllner/​Noack, in: Baumbach/​Hueck, GmbHG, § 37 Rn. 11; Harbers, Management Buy-Out, S. 97. 59  BGH, Urt. v. 8.1.2019 – II ZR 364/18, DB 2019, 776, 2. Ls. 60  Harbers, Management Buy-Out, S. 98. 61  Kleindiek, in: Lutter/​Hommelhoff, GmbHG, § 35 Rn. 51; U. Schneider/​S . Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 35 Rn. 140. 62  Kleindiek, in: Lutter/​Hommelhoff, GmbHG, § 35 Rn. 52; U. Schneider/​S . Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 35 Rn. 144; Stephan/​Tieves, in: MüKo GmbHG, § 35 Rn. 183. 63  Berkefeld, Die Beteiligung von Investoren, S. 33; Weitnauer, in: Weitnauer, Manage­ ment Buy-Out, A 43.



§ 1.  Einleitung: Management-Buy-out

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tern oder Beteiligungsgesellschaften beigebracht. Es rangiert zwischen Eigenund Fremdkapital, weil es nach dem Letzteren, aber vor dem Ersteren bedient wird64, stellt aber wirtschaftlich gesehen Eigenkapital dar. Rechtlich kann es sich dabei um Gesellschafterdarlehen, stille Beteiligungen, partialische Dar­ lehen, Genussrechte, gestundete Kaufpreisforderungen der Altgesellschafter oder andere hybride Finanzierungsinstrumente handeln.65 Das richtige Ver­ hältnis von Eigen- und Fremdkapital wird in der Regel durch Private-EquityInvestoren ermittelt, die über das erforderliche Know-how verfügen. Eine besondere Finanzierungstechnik stellt der sog. Leveraged Buy-out (LBO) dar, der sich durch einen hohen Einsatz von Fremdkapital auszeichnet. Die typische Fremdkapitalquote liegt zwischen 60 und 90 %66; nach einer an­ deren Ansicht zwischen 55 und 70 %.67 Ein starker Einsatz von Fremdkapital sorgt unter bestimmten Voraussetzungen, nämlich wenn die Gesamtkapital­ rentabilität höher ist als die Fremdkapitalzinsen, für eine hohe Eigenkapital­ rentabilität (sog. Leverage-Effekt).68 Diese Finanzierungstechnik ermöglicht die Durchführung von Transaktionen mit sehr großem Volumen und wird häufig von institutionellen Investoren eingesetzt, was wiederum zur Über­ schneidung der Begriffe IBO und LBO führt.69 Einen Höhepunkt erreichten LBOs in den USA zwischen 1986 und 1989. In dieser Zeit kam es aufgrund historisch günstiger Marktbedingungen zu einem regelrechten „LBO‑Boom“, der in der milliardenschweren Übernahme des Nahrungsmittel- und Tabak­ konzerns RJR Nabisco durch die LBO‑Boutique Kohlberg, Kravis & Roberts gipfelte.70 In der US‑Literatur der damaligen Zeit wurde  – wohl aus diesem 64  Daher „Mezzanine“ 65 Dazu im Einzelnen

(ital. „Zwischengeschoss“). Diem, Akquisitionsfinanzierungen, § 38 Rn. 1 ff.; Sagasser, in: Assmann/​Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts, § 27 Rn. 587 ff.; Weitnauer, in: Weit­ nauer, Management Buy-Out, A 46 f., B 53 ff. 66  Kaplan/​Strömberg, Leveraged Buyouts and Private Property, S. 6; Tancredi, HedgeFonds und Private Equity, S. 48. 67  Diem, Akquisitionsfinanzierungen, § 5 Rn. 5. 68  Ausführlich dazu Hassner, Leveraged Buyout, S. 27 ff.; Holzner, Private Equity, der Einsatz von Fremdkapital und Gläubigerschutz, S. 51 ff.; rechtspolitische Bewertung bei Eidenmüller, ZHR 171 (2007), 644, 656 ff. 69  Gleichsetzung der Begriffe etwa bei Hassner, Leveraged Buyout, S. 27; wohl auch bei Tancredi, Hedge-Fonds und Private Equity, S. 48 f.; Versuch einer Abgrenzung (LBO als Unterfall von IBO) bei Weitnauer, in: Weitnauer, Management Buy-Out, A 1: „Wird ein IBO überwiegend fremdfinanziert, spricht man auch vom Leveraged Buy-Out (LBO).“ [Die im Original vorhandenen Hervorhebungen wurden hier weggelassen – Verf.]. 70  Ausführlich zur Entwicklung des amerikanischen LBO ‑Marktes in dieser Zeit Lehnert, Unternehmensübernahmen in den USA in den 80er Jahren, S. 81 ff.; Kurzüberblick bei Ebke, ZHR 155 (1991), 132, 136 f. Die spektakuläre Nabisco-Übernahme wurde literarisch verarbeitet bei Burrough/​Helyar, Barbarians at the gate: The Fall of RJR Nabisco. Bereits zu Beginn der 90er Jahre veränderte sich das amerikanische LBO ‑Geschäft allerdings er­ heblich: Die Zahl der großen Transaktionen sowie die Rolle der Mezzanine-Finanzierung gingen deutlich zurück, wobei die Mezzanine-Finanzierung höheren Eigenkapitalbeträgen und konventioneller Darlehensfinanzierung durch die Banken wich.

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

Grund – der Leveraged Buy-out als Oberbegriff für jeden Buy-out (auch für den Management-Buy-out) gebraucht.71 Auch in der deutschsprachigen Lite­ ratur liest man häufig, dass jeder oder fast jeder Management-Buy-out stark fremdfinanziert und damit zugleich ein Leveraged Buy-out sei.72 Mittlerweile dürfte die Grenze zwischen LBO und MBO klarer geworden sein, weil sich die Finanzierungsstruktur von Buy-outs deutlich verändert hat. Von 2003 bis Mitte 2007 musste ein Investor in den USA durchschnittlich nur 33 % des Transaktionsvolumens mit Eigenkapital finanzieren. Kurz nach dem Ausbruch der Finanzkrise ist die erforderliche Eigenkapitalquote auf bis zu 51 % angestiegen.73 Obwohl sie zum Ende 2010 wieder etwas gesunken ist (auf ca. 41 %), spielt das Eigenkapital bei Buy-outs einer Private-Equity-Studie zu­ folge eine viel größere Rolle als vor der Finanzkrise.74 Dies gilt umso mehr für Buy-outs, die vom Management durchgeführt werden: Hier liegt das Verhält­ nis zwischen Eigen- und Fremdkapitalfinanzierung in der Regel bei 50:50.75 Ein MBO, der nur zur Hälfte mit Fremdkapital finanziert wird, ist aber kein Leveraged Buy-out. Das Gleiche gilt dann, wenn die Finanzierungsstruktur zu 40 % aus Eigenkapital, zu 10 % aus Mezzanine-Kapital und zu 50 % aus Fremdkapital besteht.76 Nicht jeder MBO ist also zugleich ein LBO; vielmehr ist eher das Gegenteil der Fall: Meist ist ein MBO gerade kein Leveraged Buyout. Ob bei einem MBO eine LBO-typische Finanzierung überhaupt in Be­ tracht kommt, hängt im Übrigen insbesondere vom freien Cash Flow 77 der Zielgesellschaft ab, weil daraus das Fremdkapital bedient wird. Daher ist der 71 Vgl. DeMott, 49 Ohio St. L. J. 517, 519 (1988); Oesterle/ ​Norberg, 41 Vand. L. Rev. 207,

208 (1988); siehe ferner Luippold, Management buy-outs, S. 13; Rhein, Interessenkonflikt der Manager, S. 3; Ebke, ZHR 155 (1991), 132, 136; Otto, DB Beilage 12/1988, 1, 3. 72  Hölters, in: Hölters, Handbuch des Unternehmens- und Beteiligungskaufs, Teil I Rn. 73; Semler, ebenda, Teil VII Rn. 205; Berkefeld, Die Beteiligung von Investoren, S. 24; M. Doralt, Management-Buyout, S. 21; Harbers, Management Buy-Out, S. 4 f.; Heidemann, Management Buyout, S. 47; Hoffmann/​R amke, Management Buy-Out, S. 24; Luippold, Ma­ nagement buy-outs, S. 13 f.; Tirpitz, Pflichten, S. 19; Koppensteiner, ZHR 155 (1991), 97, 98; Peltzer, DB 1987, 973; zurückhaltender (MBO muss nicht zwangsläufig in Form eines Le­ veraged-Buy-outs ablaufen) Otto, DB Beilage 12/1988, 1, 3; Schwenkedel, Management buy­ out, S. 18. 73  WealthCap, Von Honigbienen und Heuschrecken: WealthCap Private-Equity-Studie 2011, S. 33; vgl. auch Berkefeld, Die Beteiligung von Investoren, S. 35 f.; Diem, Akquisitions­ finanzierungen, S. V. 74  Vgl. WealthCap, Von Honigbienen und Heuschrecken: WealthCap Private-EquityStudie 2011, S. 35. 75  So das Ergebnis der Anfrage bei der Deutschen Beteiligungs AG; gleich hohe An­ teile der Eigen- und Fremdkapitalfinanzierung auch im MBO ‑Rechenbeispiel der BPE Un­ ternehmensbeteiligungen GmbH (Hamburg), , zuletzt abgerufen am 11.4.2019. 76  So das Beispiel bei Berkefeld, Die Beteiligung von Investoren, S. 39 Abb. 3. 77  Der freie Cashflow wird vereinfacht definiert als EBITDA +/- Rückstellungszunah­ men oder -abnahmen, – Steuern, +/- Desinvestitionen des/​Investitionen in das Anlagever­ mögen, +/- Abnahme/​Zunahme des Working Capital (der Betriebsmittel), so Diem, Ak­



§ 1.  Einleitung: Management-Buy-out

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Anteil des Fremdkapitals in der Gesamtfinanzierung stets durch den freien Cash Flow des Zielunternehmens begrenzt.78

V.  Praktisches Erscheinungsbild In Deutschland finden Management-Buy-outs vor allem in der mittelstän­ dischen Wirtschaft statt, wo sie häufig der Regelung der Unternehmensnach­ folge dienen. Ein weiteres typisches Einsatzfeld sind Konzern-Spin-offs.79 In­ sofern ist die Situation ähnlich wie in Frankreich, wo der MBO als Instrument zur Nachfolgeregelung von Familienunternehmen sogar gesetzlich gefördert wurde.80 Einen Einblick in den heutigen deutschen Buy-out-Markt geben vor allem die Statistiken der Private-Equity-Branche, die allerdings nur die Inves­ titionstätigkeit der Beteiligungsgesellschaften widerspiegeln.81 Die Statistiken des Bundesverbands Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften (BVK) ver­ zeichnen seit 2015 ein fast ununterbrochenes Wachstum des Buy-out-Marktes. Im Jahr 2017 erreichte das Volumen der Buy-out-Investitionen (alle Buy-outs, also sowohl MBOs als auch IBOs) seinen bisherigen Höhepunkt (8,4 Mrd. Euro), 2018 lag es immerhin bei 6,7 Mrd. Euro. Bei den meisten Transaktionen handelt es sich um kleine (Investitionsvolumen < 15 Mio. Euro) und mittel­ große Buy-outs (Investitionsvolumen zwischen 15 und 150 Mio. Euro). Der Anteil solcher Buy-outs am gesamten Buy-out-Geschäft betrug 91,5 % in 2017 und 94,7 % in 2018; der Rest entfiel auf große (Investitionsvolumen zwischen 150 und 300 Mio. Euro) und sehr große Buy-outs (Investitionsvolumen > 300 Mio. Euro).82 Das Beteiligungskapital fließt vor allem in kleine und mittlere Unternehmen; spektakuläre Übernahmen wie die von STADA in 2017 ereignen sich auf dem deutschen Buy-out-Markt nur selten. Im Jahr 2018 beschäftigten 96 % der finanzierten Unternehmen weniger als 500 Mitarbeiter, 78 % sogar weniger als 100 Mitarbeiter; im Jahr 2017 lagen die entsprechenden Zahlen bei 93 % bzw. bei 79 %.83 quisitionsfinanzierungen, § 4 Rn. 4; noch einfacher: Einnahmen – Ausgaben, so Großfeld/​ Egger/​Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rn. 333. 78  Diem, Akquisitionsfinanzierungen, § 4 Rn. 4. 79  Hassner, Leveraged Buyout, S. 37; Schwenkedel, Management buyout, S. 19 f.; mono­ grafisch Eichner, Management-buy-out-Gestaltungen beim Konzern-spin-off. 80  Durch das sog. „Delors-Gesetz“ v. 22.11.1984 („Rachat d’une Entreprise pas ses Sa­ lariés“); dazu Harbers, Management Buy-Out, S. 17 f.; Luippold, Management buy-outs, S. 101 ff. 81  Andere Finanzierungsmittel, etwa Fremdmittel der Banken, sind in diesen Statistiken nicht erfasst. 82  Die Zahlen für die Jahre 2015 bis 2018 finden sich in der BVK‑Statistik – Das Jahr 2018 in Zahlen, als Excel-Datei abrufbar unter , zuletzt abgerufen am 28.2.2020. 83 Siehe BVK , Pressemitteilung v. 22.2.2019, „Deutscher Beteiligungsmarkt auch 2018 in starker Verfassung“, und v. 26.2.2018, „Beteiligungskapital auf Rekordniveau“, jeweils unter

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

Blickt man speziell auf Management-Buy-outs im deutschen Mittelstand, so ist deren Zahl und Volumen 2018 im Vergleich zum Vorjahr erneut gestie­ gen (von 35 auf 47 Transaktionen). Ein großer Teil der Management-Buyouts dient der Gestaltung der Familiennachfolge. Dieser Trend setzte sich be­ reits 2016 ein: Fast jeder dritter Buy-out (10 von insgesamt 34 Transaktionen) hatte damals ein Familienunternehmen zum Gegenstand (davor lag der An­ teil solcher Buy-outs nur bei rund 10 %).84 2018 wurden 19 Familienunter­ nehmen im Wege eines MBO veräußert.85 Attraktive Buy-out-Ziele im mit­ telständischen Bereich sind gut positionierte Unternehmen aus dem Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie und der Branche Unter­ nehmensprodukte und -dienstleistungen sowie Biotechnologie/​Healthcare.86 Die meisten dieser Unternehmen sind in der Rechtsform der GmbH organi­ siert.87 Ein Kurzportrait eines typischen MBO‑Kandidaten lässt sich anhand dieser statistischen Daten wie folgt beschreiben: Es ist keine börsennotierte AG und schon gar nicht ein größeres DAX- oder MDAX‑Unternehmen. Es ist vielmehr eine mittelständische GmbH, die häufig als Familienunternehmen gegründet und geführt wurde. Diese Erkenntnis wird auch den nachfolgen­ den Ausführungen zugrunde gelegt, die vornehmlich eine mittelständische GmbH im Blick haben, soweit Größe und Rechtsform überhaupt relevant werden.

VI.  Gang der weiteren Untersuchung Die weitere Untersuchung widmet sich zunächst dem Geltungsgrund der Offenlegungspflicht der Manager beim Management-Buy-out. Als solcher kommt sowohl die fremdnützige Stellung der Geschäftsleiter als auch deren Insiderwissen in Betracht; beides kann besondere Informationsverpflichtun­ gen der Manager beim Buy-out rechtfertigen. Eng verwandt mit dieser Pro­ blematik ist die Frage nach dem Rechtsgrund der Offenlegungspflicht, also nach der passenden dogmatischen Grundlage. In der Literatur werden mehrere Grundlagen genannt, darunter die culpa in contrahendo und die Treuepflicht. „Fragen & Antworten zur BVK‑Statistik“, abrufbar unter , zuletzt abgerufen am 8.4.2019. 84 Deutsche Beteiligungs AG, Pressemitteilung v. 25.1.2017, „Bewertungen am deut­ schen Private-Equity-Markt: ‚Hoch, aber nicht überzogen‘,abrufbar unter < https://www. dbag.de/newsroom/archiv/>, zuletzt abgerufen am 28.2.2020. 85 Deutsche Beteiligungs AG, Pressemitteilung v. 29.1.2019, „Management-Buy-outs im Mittelstand 2018 auf neuem Rekordniveau“, abrufbar unter < https://www.dbag.de/ newsroom/archiv/>, zuletzt abgerufen am 28.2.2020. 86  BVK , Pressemitteilung v. 22.2.2019 (Fn. 83). 87  Als GmbH waren nach eigener Internet-Recherche 25 von 34 Unternehmen organi­ siert, die in der Pressemitteilung der Deutschen Beteiligungs AG v. 25.1.2017 namentlich genannt wurden.



§ 2.  Geltungsgrund der Offenlegungspflicht

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Das Institut der culpa in contrahendo spricht dabei das Problem des Insider­ wissens an, während die fremdnützige Stellung der Führungskräfte man­ chen Autoren den Anlass gibt, die Offenlegungspflicht beim Buy-out aus der Treuepflicht abzuleiten. Diese und weitere mögliche dogmatische Grundlagen werden im Rahmen dieser Untersuchung erörtert und im Hinblick auf ihre Leistungsfähigkeit miteinander verglichen. Sodann wird das Verhältnis der Offenlegungspflicht zu anderen informationsbezogenen Pflichten, etwa zur Verschwiegenheitspflicht der Geschäftsleiter, kurz beleuchtet. Zum Abschluss befasst sich die Untersuchung mit dem Umfang der Offenlegungspflicht.

§ 2.  Geltungsgrund der Offenlegungspflicht Dass die Geschäftsleiter bei der Durchführung des Management-Buy-outs be­ stimmten Informationspflichten unterliegen, ist im Grunde fast unbestritten.88 Nur vereinzelt wird eine gesetzliche Grundlage für diese Pflichten vermisst und dafür plädiert, die Regelung der Informationspflichten und vor allem der Haftung dem Kaufvertrag zu überlassen.89 Unterschiedlich beurteilt wird indes der Geltungsgrund dieser Pflichten, wobei sich zwei große Strömungen ausmachen lassen: Die erste sucht die sachliche Rechtfertigung der Offenle­ gungspflicht in der fremdnützigen Stellung, die zweite in dem überlegenen In­ siderwissen der Manager.

I.  Fremdnützige Stellung der Manager Die auf Fremdnützigkeit aufbauende Argumentation hat sich im Laufe der Zeit gewandelt. Zu Beginn der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Management-Buy-out diente die fremdnützige Stellung der Manager le­ diglich als Brücke zur Geschäftschancenlehre, deren Wurzel ebenfalls in der Fremdnützigkeit liegen.90 Die Existenz besonderer Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out wurde sodann mit Hilfe der Geschäftschancen­ lehre gerechtfertigt. In den neueren Abhandlungen wird diese Rechtfertigung 88  Siehe nur Assmann, in: Assmann/​S chneider, WpHG, § 14 Rn. 166, 171; Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 158, 336; ders., in: Spindler/​Stilz, AktG, § 93 Rn. 119; ders., AG 2000, 309, 315; Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 246; Kort, in: Großkomm AktG, § 76 Rn. 168; Mennicke, in: Fuchs, WpHG, § 14 Rn. 316; Enzinger, Interessenkonflikt und Organpflichten, S. 37; Rhein, Interessenkonflikt der Manager, S. 214 ff.; Tirpitz, Pflichten, S. 104; M. Weber, Vormitgliedschaftliche Treubindungen, S. 279; Koppensteiner, ZHR 155 (1991), 97, 103, 110; Talos/​Schrank, ecolex 2003, 30, 32; D. Weber, ZHR 155 (1991), 120, 126. 89 Vgl. Schnorbus, in: Rowedder/​S chmidt-Leithoff, GmbHG, § 43 Rn. 110, der sowohl die Treuepflicht als auch die culpa als contrahendo als Rechtsgrundlage der Offenlegungs­ pflicht ablehnt. 90 Vgl. Fleischer, NZG 2003, 985, 986.

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

hingegen direkt in der fremdnützigen (treuhänderischen) Stellung der Mana­ ger erblickt. 1. Geschäftschancenlehre Die Idee, auf den Management-Buy-out die Geschäftschancenlehre zu über­ tragen, geht auf Koppensteiner zurück.91 Dies ist mit Schwierigkeiten verbun­ den, weil im Fokus der Geschäftschancenlehre das Verhältnis zwischen der Gesellschaft und ihrem Geschäftsleiter steht. Sie besagt, dass es Geschäfts­ leitern grundsätzlich verboten ist, Geschäftschancen der Gesellschaft als Ei­ gengeschäft wahrzunehmen.92 Bestimmte Erwerbsgelegenheiten sollen also dem primären Zugriff der Organmitglieder entzogen werden, damit die Ge­ sellschaft sie als Erste verwerten kann.93 Beim Management-Buy-out in Form eines Share Deals geht es dagegen um das Verhältnis zwischen dem Geschäfts­ leiter und den Gesellschaftern. Ein Geschäftsleiter, der beim Share Deal den Anteilsinhabern bestimmte wertrelevante Umstände verschweigt, greift nicht auf die Erwerbsgelegenheiten der Gesellschaft zu, sondern auf die der Alt­ gesellschafter. Um die Geschäftschancenlehre an den Share Deal anzupassen, argumen­ tierte Koppensteiner, es mache keinen Unterschied, ob der Geschäftsleiter in die Vermögenssphäre der Gesellschaft oder der Gesellschafter eingreife. Er nehme in jedem Fall fremde Vermögenswerte in Anspruch, nur schädige er beim Management-Buy-out das Vermögen der Gesellschafter unmittelbar und bei der Aneignung korporativer Geschäftschancen mittelbar, nämlich über die Schädigung des Gesellschaftsvermögens. Ob die Schädigung der Gesellschaf­ ter mittelbar oder unmittelbar erfolge, sei aber irrelevant. Die unmittelbare Schädigung beim Management-Buy-out sei genauso verboten wie die Aneig­ nung von Geschäftschancen.94 Diese Argumentation steht in einem Spannungsverhältnis zur herkömm­ lichen Lehre, die sehr deutlich zwischen der unmittelbaren und mittelbaren Schädigung der Gesellschafter (sog. Reflexschäden) differenziert.95 Zum ande­ 91 Siehe Koppensteiner, ZHR 155 (1991), 97, 102 f.; ihm folgend Heidemann, Manage­ ment Buyout, S. 235; auch die jüngere Literatur greift gerne auf die Geschäftschancenlehre zurück, um den Umfang der Offenlegungspflicht zu bestimmen, dazu unten in § 5. 92  BGH, Urt. v. 8.5.1967 – II ZR 126/65, WM 1967, 679 (GmbH); v. 23.9.1985 – II ZR 257/84, NJW 1986, 584, 585 (oHG); v. 4.12.2012 – II ZR 159/10, NZG 2013, 216 Rn. 20 (GbR); Fleischer, in: Spindler/​Stilz, AktG, § 93 Rn. 136; ders., WM 2003, 1045, 1054 ff.; ders., NZG 2003, 985 ff.; Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 250; Mertens/​Cahn, in: Köln­ Komm AktG, § 93 Rn. 105; U. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 43 Rn. 201; Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre, S. 166 ff.; Weisser, Corporate Op­ portunities, S. 125 ff.; Kübler, FS Werner, S. 437, 438 f. 93  Fleischer, in: Spindler/​Stilz, AktG, § 93 Rn. 138. 94  Koppensteiner, ZHR 155 (1991), 97, 103; Heidemann, Management Buyout, S. 235. 95 Siehe BGH, Urt. v. 10.11.1986 – II ZR 140/85, NJW 1987, 1077, 1079; v. 11.7.1988 – II



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ren kann man darüber streiten, ob es beim Management-Buy-out tatsächlich um eine Schädigung oder um eine Bereicherung geht. Manche Stimmen mei­ nen, es sei falsch zu fragen, ob das Schweigen der Geschäftsleiter das Vermögen der Gesellschaft oder aber (nur) dasjenige der Gesellschafter gefährde: Durch ihr Schweigen würden die Geschäftsleiter nicht fremdes Vermögen schädigen, sondern ihr Insiderwissen für eigene Bereicherung ausnutzen, so dass ein be­ reicherungsrechtlich einzuordnendes und nicht schadensersatzrechtlich zu lö­ sendes Problem vorliege.96 Problematisch ist die Lösung Koppensteiners aber vor allem deshalb, weil sie die Grenzen zwischen dem Vermögen und dem Interesse der Gesellschaft ei­ nerseits, dem Vermögen und dem Interesse der Gesellschafter andererseits ver­ wischt. So betont Koppensteiner selbst, dass man den Unterschied zwischen mittelbarer und unmittelbarer Schädigung nur dann außer Acht lassen könne, wenn man „dem sog. Eigeninteresse der Gesellschaft keinen Eigenwert bei­ mißt, sondern es nur als Abbreviatur für das allen Gesellschaftern gemeinsame, gleichwohl aber individuell zugeordnete Interesse auffaßt.“97 Koppensteiner beschränkt seine Ausführungen auf den Buy-out, bei dem das Management sämtliche Anteile der Zielgesellschaft erwirbt.98 Veräußern dagegen nicht alle Gesellschafter ihre Anteile, wird es schwierig, an dieser Ansicht festzuhalten: Man müsste dann unter dem Gesellschaftsinteresse das Desinvestitionsinte­ resse der ausscheidenden Gesellschafter verstehen und deren Schädigung der unmittelbaren Schädigung der Gesellschaft bei der Aneignung von Geschäfts­ chancen gleichstellen. Dies ist kaum möglich. Im Übrigen hebt die Ansicht Koppensteiners die Trennung zwischen der Gesellschaft als juristischer Person und ihren Gesellschaftern auf99 und er­ innert daher an das rechtsökonomische Konzept des „nexus of contracts“100 , welches das Unternehmen als Vertragsnetz begreift. Die Rechtspersönlich­ keit einer Körperschaft ist demnach „a matter of convenience rather than rea­ lity“101 oder „nur ein angenehmes und nützliches Denkmuster […], um einem bestimmten zwischen zahlreichen Menschen bestehenden Vertragsgeflecht eine Bezeichnung zu geben, die rechtliche Standardisierung von Vertragspflich­ ten und Rechten erlaubt.“102 Ganz ähnlich betrachtete schon Kelsen in seiner ZR 243/87, BGHZ 105, 121, 130 ff.; Bayer, in: Lutter/​Hommelhoff, GmbHG, § 13 Rn. 50; Baums, Der Geschäftsleitervertrag, S. 215 ff. 96  Enzinger, Interessenkonflikt und Organpflichten, S. 36; vgl. auch Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 265. 97  Koppensteiner, ZHR 155 (1991), 97, 103, der insofern auf Adams in AG 1989, 333, 337 f. und AG 1990, 243, 246 f. verweist. 98 Siehe Koppensteiner, ZHR 155 (1991), 97, 102. 99  So zu Recht Harbers, Management Buy-Out, S. 63 f.; Tirpitz, Pflichten, S. 74 f. 100  Dazu etwa Easterbrook/​Fischel, The economic structure of corporate law, S. 12, 14, 90 f. 101  Easterbrook/​Fischel, The economic structure of corporate law, S. 12. 102  Adams, AG 1989, 333, 337 f.; siehe auch ders., AG 1990, 243, 247.

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

„Reinen Rechtslehre“ die Rechtssubjektivität einer juristischen Person als eine Fiktion, weil nur Menschen Träger von Rechten und Pflichten sein könnten, und meinte, die Rechte und Pflichten einer Körperschaft seien in Wahrheit die Rechte und Pflichten der dahinter stehenden Menschen.103 Trotz aller Ver­ dienste dieser Theorien erfassen sie das Wesen der juristischen Person nur aus einem bestimmten Blickwinkel, wie ein Röntgenstrahl, der beim Fluss durch den menschlichen Körper hauptsächlich dessen Knochensubstanz beleuchtet. Genauso wenig wie der Körper eine Ansammlung von Knochen ist, ist aber die Körperschaft eine bloße Ansammlung von Verträgen. 2.  Manager als Treuhänder Die jüngere Literatur verzichtet auf die Geschäftschancenlehre und führt die Offenlegungspflicht buyoutwilliger Manager direkt auf deren treuhänderische Stellung zurück.104 Dabei wird betont, dass Rechte und Pflichten des Geschäfts­ leiters einer Kapitalgesellschaft fiduziarische Struktur hätten. Der Geschäftslei­ ter agiere als Treuhänder, der zur umfassenden und ausschließlichen Wahrneh­ mung verbandsrechtlicher Belange verpflichtet sei. Aus diesem Grund verkehre sich das allgemeine Verhältnis von Regel und Ausnahme bei den vertragsschluss­ bezogenen Offenlegungspflichten in sein Gegenteil: Der Geschäftsleiter unter­ liege strengeren Maßstäben als ein außenstehender Käufer und müsse die Ge­ sellschafter beim Erwerb ihrer Anteile umfassend aufklären.105 Strenggenommen sind Geschäftsleiter keine Treuhänder, weil sie bei der Verwaltung des Gesellschaftsvermögens keine eigene Rechtszuständigkeit er­ halten (kein Eigentum am Gesellschaftsvermögen und keine diesbezügliche Verfügungsbefugnis) und nicht im eigenen Namen, sondern im Namen der Gesellschaft handeln.106 Ihre Bezeichnung als „Treuhänder“ ist daher eher als eine Metapher für die Fremdnützigkeit ihrer Aufgaben zu verstehen.107 Dieser 103  Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 180. 104  Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43

Rn. 336; ders., Informationsasymmetrie, S. 534 f.; ders., AG 2000, 309, 311 f.; Rhein, Interessenkonflikt der Manager, S. 62, 214 f.; Talos/​ Schrank, ecolex 2003, 30, 32. 105  Fleischer, AG 2000, 309, 312; Talos/​Schrank, ecolex 2003, 30, 32. 106  Zu diesen Merkmalen der Treuhand Martinek/​Omlor, in: Staudinger, BGB, § Vor­ bem. zu §§ 662 ff. Rn. 40. 107  Dubovitskaya, NZG 2015, 983, 985 ff., 988. Auch im US‑Recht sind directors keine trustees im eigentlichen Sinne, sondern haben lediglich eine funktional vergleichbare Stel­ lung: „While technically not trustees, they stand in a fudiciary relation to the corporation and its stockholders“, Guth v. Loft, Inc., 5 A. 2d 503, 510 (Del. 1939); vgl. auch Cox/​Hazen, Business organizations law, § 10.9, S. 220 f.: „The rhetoric of the director or officers as a trus­ tee, therefore, continues to appear in today’s decisions, although the guidance that courts invoke to determine the content of the officer’s or director’s fiduciary obligation is gleaned not by reference to the law of trusts but to the extensive body of corporate fiduciary case law.“; ferner Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre, S. 153; Ebke, ZGR 1990, 50, 69 m. w. N.



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Einwand kann hier allerdings fallengelassen werden, zumal es Usus ist, den Geschäftsleiter einer Kapitalgesellschaft als Organ mit treuhänderischer Stel­ lung bzw. Funktion108 , als treuhänderischen Verwalter fremden Vermögens109 oder als Treuhänder fremden Vermögens110 zu bezeichnen.111 In der Sache ist es richtig, dass das Management seine Leitungsaufgabe nicht eigennützig, sondern fremdnützig für die Gesellschaft wahrnimmt. Sein ei­ genes wirtschaftliches Interesse wird durch die vereinbarte Managementver­ gütung abgegolten.112 Wären die Geschäftsleiter beim Buy-out nicht zur Auf­ klärung verpflichtet, könnten sie das Vermögen der Zielgesellschaft oder ihre Anteile weit unter Wert erwerben. Sie würden also den Wissensvorsprung, den sie gerade aufgrund ihrer fremdnützigen Funktion erworben haben, zu eigener Bereicherung ausnutzen.113 Sie würden am Unternehmenswert partizipieren, obwohl es keinen Grund dazu gibt und eine solche „Zusatzvergütung“ im Wi­ derspruch zu ihrer fremdnützigen Aufgabe stünde. Der Gesellschaft bzw. den Gesellschaftern würden dadurch die Früchte der Fremdbetrauung im Nach­ hinein wieder entzogen.114 Ungeachtet dessen bleibt ein dogmatisches Problem: Das Management gilt nach herkömmlicher Sicht zwar als Treuhänder der Gesellschaft, aber nicht als Treuhänder der Gesellschafter.115 Die deutsche Doktrin unterscheidet sich insofern von der Position des US-amerikanischen Rechts, das im Prin­ zip die fiduziarische Stellung der Direktoren sowohl gegenüber der Gesell­ schaft als auch gegenüber den Gesellschaftern anerkennt.116 Die treuhän­ 108 

Dauner-Lieb, in: Henssler/​Strohn, AktG, § 93 Rn. 8; Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 93 Rn. 95; Raiser/​Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 14 Rn. 91; Wiesner, in: MünchHdb. AG, § 25 Rn. 41; Weisser, Corporate Opportunities, S. 136. 109  Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 224; ähnlich U. Schneider, in: NK‑AktR, § 93 AktG Rn. 30; zu GmbH Altmeppen, in: Roth/​A ltmeppen, GmbHG, § 43 Rn. 26; Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 153; Mertens, in: Hachenburg, GmbHG, § 43 Rn. 16; Paefgen, in: Ulmer/​Habersack/​Löbbe, GmbHG, § 43 Rn. 36 f. 110  Spindler, in: MüKo AktG, § 93 Rn. 125; Bürgers, in: Bürgers/​Körber, AktG, § 93 Rn. 3. 111  Die Rechtsprechung ist insofern zurückhaltender: Von Treuhand spricht OLG Ko­ blenz, Urt. v. 12.5.1999 – 1 U 1649/97, NJW‑RR 2000, 483, 484; vorsichtiger OLG Frank­ furt, Urt. v. 18.11.2010  – 5 U 110/08, AG 2011, 462, 463 („ähnlich wie ein Treuhänder“); wenig aussagekräftig BGH, Urt. v. 21.12.2005  – 3 StR 470/04, BGHSt 50, 331, 346 („Ver­ walter fremden Vermögens“); Urt. v. 20.2.1995 – II ZR 143/93, BGHZ 129, 30, 34 (die dort angesprochene „selbstständige treuhänderische Wahrnehmung fremder Vermögensinteres­ sen“ bezieht sich auf den vorläufigen Geschäftsführer der Treuhandanstalt); siehe aber BGH, Urt. v. 15.11.2002 – LwZR 8/02, VIZ 2003, 310, 311. Vgl. ferner Haas/​Ziemons, in: BeckOK GmbHG, § 43 Rn. 139; U. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 43 Rn. 151; Ziemons, in: Mi­ chalski, GmbHG, § 43 Rn. 205. 112  Grundmann, Der Treuhandvertrag, S. 193, 269. 113  Talos/​Schrank, ecolex 2003, 30, 32. 114  Rhein, Interessenkonflikt der Manager, S. 215. 115  Sehr deutlich Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 225: „der Vorstand ist Treu­ händer, die Gesellschaft ist Treugeber“; vgl. auch Talos/​Schrank, ecolex 2003, 30, 32. 116  Siehe nur Citigroup Inc. v. AHW Investment Partnership, 140 A. 3d 1125, 1139 (Del.

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derische Stellung des buyoutwilligen Managements kann also nur dessen Offenlegungspflicht gegenüber der Zielgesellschaft erklären. Daher passt die Treuhandlösung wiederum nicht auf den Share Deal, bei dem es um die Of­ fenlegungspflicht gegenüber den Gesellschaftern geht. Dies stellt auch Michael Enzinger fest: „Es ist allerdings sehr zweifelhaft, ob dieser Ansatz [die Treu­ handlösung – Verf.] zutreffend ist … Selbst wenn man die Organfunktion, die ja per se kein Vertragsverhältnis zur Gesellschaft begründet, als treuhand­ ähnliche Rechtsbeziehung einstuft, lassen sich aus der Treuhandschaft per se keinerlei Rechtswirkungen in Ansehung der Gesellschafter ableiten, weil die Gesellschafter mit den Organmitgliedern in derartigen Rechtsbeziehungen si­ cher nicht stehen.“117 Vereinzelt werden allerdings Geschäftsleiter auch hierzulande als Treuhän­ der der Gesellschafter angesehen.118 Vom Standpunkt der herrschenden Lehre aus ist diese Auffassung angreifbar, weil sie, zu Ende gedacht, aus den Treu­ handbeziehungen zwischen der Geschäftsleitung und den Gesellschaftern auch die entsprechenden Treuepflichten ableiten muss. Die herrschende Lehre lehnt aber gesellschafterbezogene Treuepflichten der Geschäftsleiter mehr oder weniger kategorisch ab.119 Konsequent bleibt insofern Tilman Rhein, der sowohl gesellschafterbezogene Treuepflichten der Geschäftsleiter als auch deren treuhänderische Beziehungen zu den Gesellschaftern bejaht. Im Hin­ blick auf die Treuhand geht er allerdings sehr vorsichtig vor und spricht ange­ sichts der Tatsache, dass unmittelbar nur die Gesellschaft als verselbstständig­ te Rechtsperson Eigentümerin des im Unternehmen gebundenen Kapitals ist, lediglich von einer Quasi-Treuhand.120 Eine ausführliche Auseinandersetzung mit dieser Position folgt in § 3. An dieser Stelle genügt das Resümee, dass die Treuhandlösung die Offenlegungspflicht beim Share Deal nur dann stimmig erklären kann, wenn man gesellschafterbezogene Treuepflichten des Manage­ ments bejaht.

2016); Mills Acquisition Co. v. Macmillan, Inc., 559 A. 2d 1261, 1280 (Del. 1989); Aronson v. Lewis, 473 A. 2d 805, 811 (Del. 1984); Guth v. Loft, Inc., 5 A. 2d 503, 510 (Del. 1939). 117  Enzinger, Interessenkonflikt und Organpflichten, S. 39. 118  Fleischer, AG 2000, 309, 311 f. und dezidiert auf S. 315; ders., in: Spindler/​Stilz, § 93 Rn. 114 („Treuhänder zugunsten aller Aktionäre“) und in: MüKoGmbHG, § 43 Rn. 153 („Treuhänder zugunsten aller Gesellschafter“); ähnlich Wiedemann, FS Heinsius, S. 949, 951 (Organe seien „Treuhänder von Anlagegesellschaftern“). Vgl. ferner Grundmann, Der Treuhandvertrag, S. 268 f., 278 ff., der vom „treuhänderischen Gesamtvertrag“ zwischen dem Geschäftsleiter und den Gesellschaftern spricht. 119 Vgl. Altmeppen, in: Roth/​ A ltmeppen, GmbHG, § 43 Rn. 35; Bürgers, in: Bürgers/​ Körber, AktG, § 93 Rn. 6; Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 157; ders., AG 2000, 309, 319; Hölters, in: Hölters, AktG, § 93 Rn. 114; Spindler, in: MüKo AktG, § 93 Rn. 129; Paefgen, in: Ulmer/​Habersack/​Löbbe, GmbHG, § 43 Rn. 313. 120  Rhein, Interessenkonflikt der Manager, S. 59 ff.



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3.  Manager als Geschäftsbesorger Zu ähnlichen Ergebnissen führt die Fokussierung auf das Anstellungsver­ hältnis der Manager, also die entgeltliche Geschäftsbesorgung i. S. d. §§ 675 ff. BGB, auf die gemäß § 675 Abs. 1 BGB die Vorschriften über den Auftrag An­ wendung finden.121 Der Auftrag, die Geschäftsbesorgung und die Treuhand gehören zu den Interessenwahrungsverträgen, die durch Fremdnützigkeit ge­ kennzeichnet sind.122 Daher lassen sich die aus der Rechtsfigur der Treuhand gezogenen Wertungen genauso gut aus dem Auftragsrecht des BGB ableiten. Im Auftragsrecht bestimmt § 677 BGB, dass der Beauftragte verpflichtet ist, dem Auftraggeber alles herauszugeben, was er zur Ausführung des Auftrags erhält und was er aus der Geschäftsbesorgung erlangt. Die Norm bringt den allgemeinen Gedanken zum Ausdruck, dass derjenige, der fremde Geschäfte besorgt und damit auf die Interessen eines anderen zu achten hat, aus der Aus­ führung des Auftrags keine Vorteile haben soll, weil diese dem Auftraggeber gebühren.123 Was der Beauftragte zur Ausführung des Auftrags erlangt hat, ist ihm lediglich zu treuen Händen überlassen.124 Er darf sich durch seine Stellung nicht bereichern. Vor diesem Hintergrund bezweckt § 677 BGB die Abschöp­ fung des bei dem Beauftragten vorhandenen Vorteils.125 Ein gesellschaftsrecht­ liches Pendant zu diesem Bereicherungsverbot ist das Verbot, die Stellung als Geschäftsleiter zum eigenen Nutzen einzusetzen.126 Das auftragsrechtliche Bereicherungsverbot wäre umgangen, wenn das Management beim Buy-out sein wertrelevantes Wissen zurückhalten dürfte. Damit würde es ungerechtfertigte Vorteile aus der Geschäftsbesorgung ziehen und sich auf Kosten der Gesellschaft bzw. der Gesellschafter bereichern. Mit den Wertungen des Auftragsrechts wäre eine solche Bereicherung nicht ver­ einbar. Eine Offenlegungspflicht würde dies verhindern und somit dem § 677 BGB zur Wirksamkeit verhelfen. Das Problem besteht allerdings darin, dass nach § 677 BGB das Erlangte an den Auftraggeber herauszugeben ist; der Auf­ 121 Ganz h. M., siehe BGH, Urt. v. 11.7.1953  – II ZR 126/52, BGHZ 10, 187, 191; v. 7.12.1961 – II ZR 117/60, BGHZ 36, 142, 143 = NJW 1962, 340, 343; Bürgers, in: Bürgers/​ Körber, AktG, § 84 Rn. 13; Dauner-Lieb, in: Henssler/​Strohn, AktG, § 84 Rn. 15; Fleischer, in: Spindler/​Stilz, AktG, § 84 Rn. 24; Koch, in: Hüffer/​Koch, AktG, § 84 Rn. 14; Kort, in: Großkomm AktG, § 84 Rn. 271a; Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 84 Rn. 34; Oltmanns, in: NK‑AktR, AktG, § 84 Rn. 10; Seibt, in: K. Schmidt/​Lutter, AktG, § 84 AktG Rn. 23; Spindler, in: MüKo AktG, § 84 Rn. 59; Weber, in: Hölters, AktG, § 84 AktG Rn. 34. 122  Martinek/​Omlor, in: Staudinger, BGB, Vorbem. zu §§ 662 ff. Rn. 26. 123  BGH, Urt. v. 17.10.1991 – III ZR 352/89, NJW‑RR 1992, 560, 561; Beuthien, in: Soer­ gel, § 667 Rn. 1; Martinek/​Omlor, in: Staudinger, BGB, § § 667 Rn. 1; Mansel, in: Jauernig, § 667 Rn. 1; Schäfer, in: MüKo BGB, § 667 Rn. 1; Steffen, in: RGRK, § 667 Rn. 3. 124  Schwab, in: NK‑BGB, § 667 Rn. 1. 125  Mansel, in: Jauernig, § 667 Rn. 1; zum bereicherungsrechtlichen Hintergrund der Herausgabepflicht nach § 667 auch Riesenhuber, in: BeckOGK, BGB, § 667 Rn. 2. 126  Zu diesem aus der organschaftlichen Treuepflicht folgenden Verbot siehe nur Hopt/​ Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 266 ff.

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traggeber ist aber nur die Zielgesellschaft und nicht ihre Gesellschafter. Dem­ entsprechend hat der BGH seinerzeit mit einem knappen Satz § 666 BGB als Rechtsgrundlage für den Auskunftsanspruch des Aktionärs abgelehnt: Vor­ stand und Aufsichtsrat würden nicht im Auftrag des einzelnen Aktionärs tä­ tig.127 Genauso wie die Treuhandlösung funktioniert also die Auftragslösung nur beim Asset Deal, nicht beim Share Deal, es sei denn, man blendet die Ge­ sellschaft als juristische Person aus und betrachtet die Gesellschafter als die wirklichen Auftraggeber. Zusätzlich hätte die Auftragslösung mit dem Vorwurf zu kämpfen, die Ge­ schäftsbesorgung sei weniger fremdnützig als die Treuhand. So behauptet Grundmann, dass die treuhandtypische Interessenwahrungspflicht in §§ 662 ff. BGB nicht zu finden sei.128 Auch nach Ansicht von Klaus Hopt und Markus Roth kann der Anstellungsvertrag als Austauschverhältnis im Gegensatz zur (treuhänderischen) Organstellung des Geschäftsleiters dessen fremdnützigen Pflichten „nicht abschließend beschreiben“.129 Gegen diesen Vorwurf kann sich die entgeltliche Geschäftsbesorgung allerdings erfolgreich verteidigen. Sie ist kein Interessenwahrungsverhältnis „minderer Art und Güte“; vielmehr ist die Wahrung fremder Interessen ihr wichtigstes typologisches Qualifikations­ merkmal, das diesen Vertragstypus entscheidend prägt.130 Insbesondere ist sie kein Austauschvertrag, bei dem es jeder Partei nur um ihre eigene Sache geht („mea res agitur“), sondern ein Subordinationsvertrag: Der Geschäftsbesorger ist, nicht anders als der Treuhänder, zuerst zur Wahrung fremder Belange ver­ pflichtet, die er wie seine eigenen zu behandeln hat („tua res a me quasi mea agitur“).131 Die Tatsache, dass der Geschäftsbesorger gegen Entgelt tätig wird, ändert nichts daran, dass er sich dem Auftraggeber unterordnet, was bei einem Austauschvertrag nicht geschieht. Der Austausch wird also beim Auftrag von der Asymmetrie der Interessenunterordnung überlagert, so dass das Synallag­ ma „hinkt“132. Daher gibt es keinen Grund, am Interessenwahrungscharakter der Geschäftsbesorgung zu zweifeln.133 127 

128 

BGH, Urt. v. 30.3.1967 – II ZR 245/63, NJW 1967, 1462.

Grundmann, Der Treuhandvertrag, S. 94; dagegen Martinek/​Omlor, in: Staudinger,

BGB, Vorbem. zu §§ 662 ff. Rn. 40.

129  Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 224; siehe auch Hopt, ZGR 2004, 1, 5 ff., der zwischen der organschaftlichen Interessenwahrungspflicht des Vorstands und der ver­ traglichen Interessenwahrungspflicht von „Geschäftsbesorgern“ (Maklern, Kommissionä­ ren und anderen Dienstleistern) unterscheidet. 130  Martinek/​Omlor, in: Staudinger, BGB, § 675 Rn. A 22. 131  Martinek/​Omlor, in: Staudinger, BGB, Vorbem. zu §§ 662 ff. Rn. 26, 28; § 675 Rn. A 22; vgl. auch Beyerle, Die Treuhand im Grundriß des deutschen Privatrechts, S. 18 f. und Teubner, Networks as connected contracts, S. 140. 132  Martinek/​Omlor, in: Staudinger, BGB, Vorbem. zu §§ 662 ff. Rn. 28. 133  Vgl. auch Wiedemann, FS Heinsius, S. 949, 951, der das Organmitglied gleichzeitig als Treuhänder und als Geschäftsbesorger fremder Vermögensinteressen bezeichnet.



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II.  Insiderwissen der Manager Jeder MBO zeichnet sich dadurch aus, dass das Management über Insiderkennt­ nisse verfügt und damit dem Veräußerer überlegen ist.134 Kann das Insiderwis­ sen der Manager ihre Offenlegungspflichten rechtfertigen? Um diese Frage zu beantworten, lohnt sich zunächst ein kurzer Blick ins Kapitalmarktrecht und auf das dortige Verhältnis zwischen Insiderwissen und Offenlegungspflicht. 1.  Kapitalmarktrechtliches Insiderhandelsverbot Betrachtet man den (außergewöhnlichen) Management-Buy-out einer bör­ sennotierten Gesellschaft, so stößt man schnell auf insiderrechtliche Proble­ me. Das mit der Geschäftsführung betraute Management hat typischerwei­ se Kenntnis von den die Gesellschaft betreffenden Insiderinformationen.135 Als Mitglieder des Leitungsorgans des Emittenten sind dessen Manager sog. Primärinsider, bei denen unwiderleglich vermutet wird, dass sie die Insider­ qualität der betreffenden Informationen kennen.136 Handeln sie nun mit Wert­ papieren ihrer Gesellschaft, so wird außerdem vermutet, dass der Handel unter Nutzung der Insiderinformationen erfolgt (vgl. Erwägungsgründe 24 und 26 MAR). Dies entspricht der bisher geltenden, vom EuGH im Spector-Urteil formulierten Vermutung, dass derjenige, der beim Erwerb oder der Veräuße­ rung von Finanzinstrumenten eine Insiderinformation kennt, diese Informati­ on nutzt.137 Wird die Spector-Vermutung nicht widerlegt, so gilt das Geschäft über den Erwerb- oder die Veräußerung von Finanzinstrumenten als nach Art. 14 lit. a MAR verbotenes Insidergeschäft (Art. 8 Abs. 1 S. 1 MAR). Dabei kommt es nicht einmal darauf an, ob das Geschäft auf einem Handelsplatz ge­ tätigt wird, solange die Finanzinstrumente generell zum Handel auf einem ge­ regelten Markt zugelassen sind (vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. a, Abs. 3 MAR). Das In­ siderverbot gilt also grundsätzlich auch für außerbörsliche Geschäfte mit den Papieren einer börsennotierten Gesellschaft.138 134  Hinweise auf allgemeine insiderrechtliche Problematik beim MBO schon bei Adams, AG 1989, 333, 336 f.; Koppensteiner, ZHR 155 (1991), 97, 103; Heidemann, Management Buy­ out, S. 238. Vgl. ferner Enzinger, Interessenkonflikt und Organpflichten, S. 5, der im Inte­ ressenkonflikt beim Buy-out eine „Sonderausprägung der Verwertung von Insiderwissen“ sieht. 135  Fürhoff, AG 1998, 83, 87. 136  Vgl. Art. 8 Abs. 4 S. 1 lit. a sowie S. 2 MAR betreffend Sekundärinsider, bei denen keine solche Vermutung gilt; dazu Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 8 Rn. 15 ff.; Hopt/​Kumpan, in: Schimansky/​Bunte/​Lwowski, BankR‑HdB, § 107 Rn. 68. 137 EuGH, Urt. v. 23.12.2009  – C-45/08, Slg. 2009, I-12073 Rn. 62  – Spector Photo Group; dazu Assmann, in: Assmann/​ Schneider/​ Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014, Art. 8 Rn. 36; Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 8 Rn. 116; Hopt/​Kumpan, in: Schi­ mansky/​Bunte/​Lwowski, BankR‑HdB, § 107 Rn. 69. 138  Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 8 Rn. 40; vgl. auch Assmann, in: Assmann/​S chneider/​ Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014, Art. 2 Rn. 3; dies war bereits unter

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

Die Frage lautet also, ob die Spector-Vermutung beim Management-Buyout widerlegt werden kann. Dagegen spricht zunächst, dass die in Art. 9 MAR enthaltenen Ausnahmen von der Spector-Vermutung beim Buy-out regel­ mäßig nicht greifen. So sieht Art. 9 Abs. 4 MAR zwar eine Ausnahme für Un­ ternehmensübernahmen und -zusammenschlüsse auf der Grundlage eines öf­ fentlichen Angebots vor, diese greift aber nur, wenn die Insiderinformation erst im Zuge der Transaktion erworben wurde (etwa im Rahmen einer DueDiligence-Prüfung).139 Da das Management bei einem Management-Buyout Insiderinformationen besitzt, bevor es den Übernahmeentschluss fasst, ist Art. 9 Abs. 4 auf den MBO nicht anwendbar. Auch die weiteren in diesem Artikel genannten Ausnahmen kommen nicht in Betracht. Allerdings hält die ­herrschende Meinung in Deutschland den Ausnahmenkatalog des Art. 9 MAR für nicht abschließend und eine Widerlegung der Spector-Vermutung in weiteren Fällen für möglich.140 Mitunter werden diese Fälle in drei Gruppen eingeteilt: (1) fehlende Kausalität zwischen Insiderinformation und Handels­ entschluss; (2) fehlende Kausalität zwischen Insiderwissen und Handelspreis; (3) fehlende Auswirkung des Insidervorteils auf die Konditionen des Insider­ geschäfts.141 Bei einer Übernahme der Zielgesellschaft über die Börse wäre keine die­ ser Fallgruppen einschlägig, so dass ein MBO nur bei vorheriger Veröffent­ lichung aller relevanten Insiderinformation möglich wäre. Anders wäre die Lage bei einem Face-to-Face-Geschäft. Solche Geschäfte fallen unter die letz­ te Fallgruppe, wenn beide Vertragspartner die Insiderinformationen kennen. In diesem Fall besteht zwischen den Parteien eine informationelle Chancen­ gleichheit, so dass ein Insiderverbot nicht gerechtfertigt wäre.142 Erfolgt also der MBO einer börsennotierten Gesellschaft als Face-to-Face-Geschäft, so haben die Manager die Möglichkeit, den Vorwurf des Insiderhandels dadurch Geltung des WpHG ganz h. M., siehe nur Assmann, in: Assmann/​Schneider, WpHG, § 14 Rn. 42 f., 171 m. w. N. 139  Assmann, in: Assmann/​ Schneider/​ Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014, Art. 8 Rn. 20; Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 9 Rn. 121; Hopt/​Kumpan, in: Schi­ mansky/​Bunte/​Lwowski, BankR‑HdB, § 107 Rn. 88; Veil, in: Meyer/​Veil/​Rönnau, Hdb. Marktmissbrauchsrecht, § 7 Rn. 75. 140  Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 8 Rn. 133; Klöhn, AG 2016, 423, 433; Hopt/​Kumpan, in: Schimansky/​Bunte/​Lwowski, BankR‑HdB, § 107 Rn. 96; Veil, in: Meyer/​Veil/​Rönnau, Hdb. Marktmissbrauchsrecht, § 7 Rn. 75; Poelzig, NZG 2016, 528, 533; Seibt/ ​Wollenschläger, AG 2014, 593, 597 f.; Veil, ZBB 2014, 85, 91. 141  Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 8 Rn. 138 ff.; ders., AG 2016, 423, 433. 142  Für die MAR Assmann, in: Assmann/​S chneider/​Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014, Art. 8 Rn. 40; Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 8 Rn. 143 f.; ders., AG 2016, 423, 434; Hopt/​Kumpan, in: Schimansky/​Bunte/​Lwowski, BankR‑HdB, § 107 Rn. 96; Veil, in: Meyer/​Veil/​Rönnau, Hdb. Marktmissbrauchsrecht, § 7 Rn. 45 f.; Poelzig, NZG 2016, 528, 533; Seibt/ ​Wollenschläger, AG 2014, 593, 598; bereits früher EuGH, C-45/08 Rn. 48 – Spector Photo Group; Urt. v. 10.5.2007 – C-391/04, Slg. 2007, I-3741 Rn. 38 – Georgakis; Assmann, in: Assmann/​Schneider, WpHG, § 14 Rn. 28; Klöhn, in: KölnKomm WpHG, § 14 Rn. 169.



§ 2.  Geltungsgrund der Offenlegungspflicht

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auszuräumen, dass sie ihr Insiderwissen dem Vertragspartner offenlegen.143 Manche meinen sogar, dass das Management dann die restlichen Anteile über die Börse erwerben könne, ohne gegen das Insiderhandelsverbot zu versto­ ßen. Die Begründung lautet, die im Rahmen des Face-to-Face-Geschäfts auf­ geklärten Paketinhaber würden für ihre Papiere einen fairen Preis aushan­ deln, der dank des Gleichbehandlungsgebots allen Anlegern zugutekäme, d. h. auch denjenigen, die später ihre Anteile über die Börse verkauften. Daher erziele das Management keine wirtschaftlichen Vorteile auf Kosten der nicht informierten Anleger und dürfe deren Wertpapiere ohne besondere Aufklä­ rung erwerben.144 Ob das so allgemein zutrifft, ist allerdings zweifelhaft. Zwar ließe es sich ar­ gumentieren, es fehle hier an der Kausalität zwischen Insiderwissen und Han­ delspreis (zweite Fallgruppe der ungeschriebenen Spector-Ausnahmen), jedoch könnten die nicht informierten Anleger einwenden, sie hätten bei Kenntnis relevanter Insidertatsachen ihre Wertpapiere zu dem mit den Paketinhabern vereinbarten Preis nicht veräußert. Denn dafür, dass dieser Preis tatsächlich „fair“ und für alle Anteilsinhaber wünschenswert ist, gibt es keine Garantie. Das wird besonders deutlich, wenn man an sog. „Paketabschläge“ denkt, die den Preis der im Paket verkauften Wertpapiere sogar unter den Börsenpreis drücken können. Preisabsprachen mit informierten Paketinhabern können daher den übrigen Anlegern nicht immer einen hinreichenden Schutz bieten. Nicht umsonst werden der zweiten Fallgruppe der ungeschriebenen SpectorAusnahmen normalerweise nur die Fälle zugeordnet, in denen eine staatliche „Preiskontrolle“ stattfindet, in denen also die Angemessenheit des Kaufpreises in einem gerichtlichen Verfahren überprüft werden kann (Squeeze-out und die sonstigen gesetzlichen Abfindungsfälle).145 Damit ist die Preiskontrolle seitens privater Akteure, die unter Umständen nicht den besten Preis erzielen, sondern eine größere Beteiligung auf einen Schlag veräußern wollen, nicht vergleichbar. Sie kann die übrigen Marktteilnehmer vor den Gefahren des Insiderhandels nicht so effektiv schützen. Es bleibt also dabei, dass beim Management-Buyout einer börsennotierten Gesellschaft wertrelevante Insiderinformationen in jedem Fall offengelegt werden müssen: Bei einem Börsengeschäft müssen sie vorher veröffentlicht, bei einem Face-to-Face-Geschäft jedenfalls dem Ver­ äußerer bekannt gemacht werden.146 143 

Assmann, in: Assmann/​Schneider, WpHG, § 14 Rn. 171; Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 8 Rn. 171 ff.; Schwark/​Kruse, in: Schwark/​Zimmer, KMRK, § 14 WpHG Rn. 82; Fürhoff, AG 1998, 83, 87 f. 144  Kuntz, Informationsweitergabe, S. 153 f., 157 f.; a. A. etwa Assmann, in: Assmann/​ Schneider, WpHG, § 14 Rn. 170; Berkefeld, Die Beteiligung von Investoren, S. 98. 145 Vgl. Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 8 Rn. 141; ders., in: KölnKomm WpHG, § 14 Rn. 166 f. 146  Schwark/​Kruse, in: Schwark/​Zimmer, KMRK , § 14 WpHG Rn. 82; Fürhoff, AG 1998, 83, 87 f.

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

Diese kapitalmarktrechtliche Offenlegungspflicht wird von Teilen des Schrifttums ins Gesellschaftsrecht hineingetragen. Um die wertungsmäßige Konsistenz zu wahren, sei es geboten, die Geschäftsleiter aller Kapitalgesell­ schaften den gleichen Rechtsregeln zu unterwerfen.147 Einige Literaturstim­ men sprechen sogar von einem allgemeinen Grundsatz, wonach das Ausnutzen nicht öffentlich zugänglicher Informationen beim Vertragsschluss nicht nur sittlich bemakelt, sondern rechtlich verboten sei. Vor diesem Hintergrund sei es gerechtfertigt, vom Management die Aufklärung der Gegenseite über den Unternehmenswert zu verlangen.148 Die Gegner argumentieren, ein Verbot des Ausnutzens von Insiderwissen gebe es nur im Kapitalmarktrecht, dessen Wertungen in anderen Rechtsbereichen, insbesondere beim Management-Buyout, nicht analog anwendbar seien.149 Angesichts dieser Diskussion ist es in­ teressant zu klären, ob es außerhalb des Kapitalmarktrechts tatsächlich erlaubt ist, Insiderwissen zu eigenem Vorteil einzusetzen. Denn möglicherweise lässt sich das Insiderhandelsverbot schon auf der Basis zivilrechtlicher Wertungen begründen. 2.  Zivilrechtliche Aufklärungspflicht Im Zivilrecht endet die Möglichkeit des Ausnutzens von Insiderwissen dort, wo nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) eine Pflicht zur Aufklärung des Ver­ tragspartners existiert. Nach der sog. „goldenen Regel“150 der Rechtsprechung bestehen Aufklärungspflichten hinsichtlich sämtlicher Umstände, die für die Willensbildung der anderen Vertragspartei von ausschlaggebender Bedeutung sind und deren Mitteilung zumutbar ist sowie nach Treu und Glauben erwar­ tet werden kann.151 Aus der „goldenen Regel“ lassen sich drei Hauptvorausset­ zungen einer Aufklärungspflicht ableiten: die Wesentlichkeit der Information für die Willensbildung des Gegners, ein erkennbares Informationsgefälle zwi­ schen den Parteien und die Zumutbarkeit der Informationsweitergabe für den Pflichtigen.

147  Fleischer, AG 2000, 309, 312; ihm folgend Berkefeld, Die Beteiligung von Investo­ ren, S. 72; für ein allgemeines gesellschaftsrechtliches Insiderverbot Hopt, ECFR 2013, 167, 185; für das Aktienrecht Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 265; Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 93 Rn. 79. 148  Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 301 ff., 536, 560 ff.; ders., AG 2000, 309, 312; Berkefeld, Die Beteiligung von Investoren, S. 90 ff. 149  Harbers, Management Buy-Out, S. 62; D. Weber, ZHR 155 (1991), 120, 126. 150 So bezeichnet von Pohlmann, Die Haftung wegen Verletzung von Aufklärungs­ pflichten, S. 103; ihm folgend Olzen, in: Staudinger, BGB, § 241 Rn. 447. 151  St. Rspr.; aus neuerer Zeit etwa BGH, Urt. v. 1.6.2017 – VII ZR 95/16, NJW 2017, 2403 Rn. 18, vgl. aber bereits RG, Urt. v. 24.9.1918 – VII ZR 95/18, RGZ 95, 58, 60.



§ 2.  Geltungsgrund der Offenlegungspflicht

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a)  Wesentlichkeit der Information Die offenzulegende Information muss für die Willensbildung der anderen Ver­ tragspartei von ausschlaggebender Bedeutung, also „wesentlich“ oder „ent­ scheidungserheblich“ sein.152 Entscheidungserheblich sind zunächst Um­ stände, deren Mitteilung stets erwartet werden kann, etwa solche, die den Vertragszweck vereiteln können oder gegen die Wirksamkeit oder Durchführ­ barkeit des Vertrags sprechen.153 Daneben gibt es Umstände, deren Entschei­ dungserheblichkeit vom jeweiligen Vertragstyp abhängt. Bei einem Kaufver­ trag sind dies insbesondere die Umstände, die sich auf die Kaufsache selbst beziehen.154 Die entsprechenden Auflistungen im Schrifttum sind lang und beschränken sich keineswegs nur auf verkehrswesentliche Eigenschaften der Kaufsache i. S. d. § 119 Abs. 2 BGB.155 Im MBO‑Kontext lässt sich allerdings der Kreis entscheidungsrelevanter Tatsachen erheblich einschränken, wenn man bedenkt, dass die Entscheidungsrelevanz aus der Sicht des Veräußerers zu beurteilen ist. Diesem geht es in erster Linie darum, einen angemessenen Kaufpreis zu erzielen. Daher ist er an der Information über die Kaufsache nur insoweit interessiert, als sie eine Aussage über den Wert des Vermögens (Asset Deal) bzw. der Anteile (Share Deal) enthält. Das Management verfügt typi­ scherweise über diese Information; sie zählt zu seinem unternehmensbezoge­ nen Insiderwissen. b)  Erkennbares Informationsgefälle Eine „logisch zwingende“156 Voraussetzung der Aufklärungspflicht ist ein In­ formationsgefälle zwischen den Vertragsparteien.157 Nur beim Vorhandensein eines solchen Informationsgefälles kann eine Aufklärung nach Treu und Glau­ ben erwartet werden. Beim Management-Buy-out ist ein Informationsgefälle gegeben, weil das Management gegenüber den Altgesellschaftern regelmäßig über einen Informationsvorsprung verfügt.158 Dies gilt unabhängig von etwai­ ger Börsennotierung oder Rechtsform, so dass auch die Geschäftsführer einer 152 Siehe

Olzen, in: Staudinger, BGB, § 241 Rn. 447, 452; Böhme, Aufklärungspflicht, S. 67; Breidenbach, Informationspflichten, S.  61  ff.; Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 985; Klingler, Aufklärungspflichten, S. 22; Pohlmann, Die Haftung wegen Verletzung von Aufklärungspflichten, S. 103; Kieninger, AcP 199 (1999), 190, 232; Kötz, FS Drobnig, S. 563, 567. 153 Siehe nur Pohlmann, Die Haftung wegen Verletzung von Aufklärungspflichten, S. 103 f. 154  Dazu ausführlich Werres, Aufklärungspflichten, S. 122 ff. 155 Vgl. Böhme, Aufklärungspflicht, S. 89 ff.; Werres, Aufklärungspflichten, S. 125 ff. 156  Olzen, in: Staudinger, BGB, § 241 Rn. 448. 157  Becker, in: NK‑BGB, § 311 Rn. 75a; Ellenberger, in: Palandt, § 123 Rn. 5; Olzen, in: Staudinger, BGB, § 241 Rn. 448; Breidenbach, Informationspflichten, S. 54; Rehm, Aufklä­ rungspflichten, S. 220; Kieninger, AcP 199 (1999), 190, 232. 158  Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 536.

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

GmbH aufgrund ihrer Leitungsposition einen Informationsvorsprung ge­ genüber den GmbH‑Gesellschaftern haben. Die Richtung des Informations­ gefälles ist beim Management-Buy-out jedoch eine andere als bei einem her­ kömmlichen Kaufvertrag: Während normalerweise der Verkäufer überlegenes Wissen über die Kaufsache hat, ist es beim Management-Buy-out der Käufer. Das Informationsgefälle muss außerdem für den Aufklärungspflichtigen erkennbar sein.159 Auch dies ist beim Management-Buy-out typischerweise der Fall. Fraglich ist allerdings, wie sich der Umstand auswirkt, dass sich die Gesellschafter die notwendige Information möglicherweise selbst beschaffen können, kraft ihres Auskunftsrechts aus § 131 AktG bzw. § 51a GmbHG. Das Auskunftsrecht des Aktionärs ist jedoch so eingeschränkt, dass es ihm nicht ermöglicht, das Informationsgefälle zwischen sich und dem Vorstand zu über­ winden.160 Der Informationsanspruch des GmbH‑Gesellschafters ist zwar umfassend, soll aber ebenfalls seine Schwächen haben. So müsse der Gesell­ schafter präzise Fragen stellen, um keine allgemein gehaltene Auskunft zu be­ kommen.161 Dies sei vor allem für einen schlecht informierten Gesellschafter schwer: „Wer wenig weiß, kann auch nicht präzise fragen“162. Zudem wird be­ zweifelt, ob der primär zur Effektuierung anderer Gesellschafterrechte kon­ zipierte § 51a GmbHG bei der Anteilsveräußerung überhaupt anwendbar ist.163 Somit hat auch der GmbH‑Gesellschafter beim Management-Buy-out schlechtere Zugriffsmöglichkeiten auf die Information als der Geschäftsleiter. Gewisse Möglichkeiten sind immerhin vorhanden: Neben dem Auskunfts­ recht kommt etwa die Heranziehung eines Sachverständigen in Betracht. Aus zivilrechtlicher Sicht schließt allerdings die Möglichkeit der nicht informierten Partei, selbst erforderliche Nachforschungen anzustellen, die Aufklärungs­ pflicht nicht aus.164 Entscheidend ist letztendlich die Abwägung widerstrei­ tender Parteiinteressen bei der Prüfung der Zumutbarkeit der Informations­ weitergabe.

159 

Olzen, in: Staudinger, BGB, § 241 Rn. 450; Breidenbach, Informationspflichten, S. 54; Klingler, Aufklärungspflichten, S. 42 ff. (für Bürgschaften); vgl. auch BGH, Urt. v. 28.4.1971 – VIII ZR 258/69, NJW 1971, 1795, 1799 – Tankzug. 160 Dazu eingehend Kuntz, Informationsweitergabe, S. 130 ff.; Rhein, Interessenkon­ flikt der Manager, S. 142 ff. 161  BayObLG, Beschl. v. 22.12.1988 – 3 Z 157/88, NJW‑RR 1989, 932, 934; Hillmann, in: MüKo GmbHG, § 51a Rn. 44; K. Schmidt, in: Scholz, GmbHG, § 51a Rn. 24; Zöllner/​Noack, in: Baumbach/​Hueck, GmbHG, § 51a Rn. 15. 162  Rhein, Interessenkonflikt der Manager, S. 141; zustimmend Kuntz, Informations­ weitergabe, S. 133. 163  Fleischer, AG 2000, 309, 317; Koppensteiner, ZHR 155 (1991), 97, 103; zweifelnd wohl auch Enzinger, Interessenkonflikt und Organpflichten, S. 73. 164 Vgl. BGH NJW 1971, 1795, 1798 ff. – Tankzug; Breidenbach, Informationspflichten, S. 70 f.; Böhme, Aufklärungspflicht, S. 81 f.



§ 2.  Geltungsgrund der Offenlegungspflicht

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c)  Zumutbarkeit der Informationsweitergabe Die Aufklärungspflicht endet dort, wo die Informationsweitergabe für die wis­ sende Partei unzumutbar wäre. Darüber entscheidet eine Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der einen Partei und dem Geheimhaltungsinteresse der anderen.165 Dabei überwiegt in der liberalen Marktwirtschaft tendenziell das Geheimhaltungsinteresse: Nach dem Grundsatz der Eigenverantwortlich­ keit muss jede Partei selbst prüfen und entscheiden, ob das beabsichtigte Ge­ schäft für sie vorteilhaft ist oder nicht; der Gegner ist nicht gehalten, ihr das Vertragsrisiko abzunehmen.166 Deshalb bezieht sich die Aufklärungspflicht nicht auf frei zugängliches Wissen, etwa über die allgemeinen Marktverhält­ nisse und die damit zusammenhängende Preisentwicklung.167 Ein Gegensatz zum frei zugänglichen Marktwissen stellt das Experten- und Insiderwissen dar, dessen Offenlegung nach vorsichtiger Einschätzung von Emmerich gebo­ ten sein kann, „wenn man ein übermäßiges Informationsgefälle zwischen den Beteiligten vermeiden will“168 . Die Offenlegung ist jedenfalls dann zumutbar, wenn die Ausnutzung des Wissensvorsprungs als Verstoß gegen die Waffen­ gleichheit oder Fairness am Markt erscheint.169 Es bleibt die Frage, wann dies der Fall ist. aa)  Insider- und Expertenwissen: Struktureller Unterschied? Die Suche nach einer Antwort gibt Anlass, sich mit dem Phänomen des Ex­ perten- und des Insiderwissens etwas näher zu beschäftigen. Beide Wissens­ arten haben einige Gemeinsamkeiten, was mitunter zur Verwechselung führen kann: So wird das Insiderwissen des Managers teilweise als besondere Sachoder Expertenkunde eingestuft.170 Die Hauptähnlichkeit besteht darin, dass sowohl das Experten- als auch das Insiderwissen einem Außenstehenden be­ sonders schwer zugänglich ist: Mit einem Experten oder Insider als Vertrags­ partner hat er keine realistische Chance, das vor Vertragsschluss bestehende Informationsgefälle noch rechtzeitig auszugleichen. Fleischer ordnet daher das Experten- und Insiderwissen zu Recht unter dem „weit gewölbten Dach des ungleichen Informationszugangs“171 ein. Den Unterschied sieht er darin, dass 165 Vgl. BGH NJW 2017, 2403 Rn. 18; Olzen, in: Staudinger, BGB, § 241 Rn. 454; Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 6 f.; Pohlmann, Die Haftung wegen Verlet­ zung von Aufklärungspflichten, S. 106 f. 166  BGH NJW 2017, 2403 Rn. 18; Urt. v. 28.06.2006  – XII ZR 50/04, BGHZ 168, 168 Rn. 28; Olzen, in: Staudinger, BGB, § 241 Rn. 454; Klingler, Aufklärungspflichten, S. 123 f.; Pohlmann, Die Haftung wegen Verletzung von Aufklärungspflichten, S. 101 f.; Werres, Auf­ klärungspflichten, S. 16 ff. 167  RG, Urt. v. 7.7.1925 – II 494/24, RGZ 111, 233, 234 f.; Olzen, in: Staudinger, BGB, § 241 Rn. 450; Kötz, FS Drobnig, S. 563, 569. 168  Emmerich, in: MüKo BGB, § 311 Rn. 70. 169  Bachmann, in: MüKo BGB, § 241 Rn. 136; Olzen, in: Staudinger, BGB, § 241 Rn. 454. 170  Siehe etwa Tirpitz, Pflichten, S. 88. 171  Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 305.

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

dem Vertragspartner des Insiders der Informationszugang in einem absoluten Sinne versperrt sei, während der Experte gegenüber seinem Vertragspartner lediglich über einen fachlichen, geschäftlichen oder organisatorischen Vorteil verfüge (struktureller Unterschied).172 Ob es diesen Unterschied tatsächlich gibt, ist zweifelhaft, denn auch in Insiderfällen ist die entsprechende Information für die schlechter informier­ te Partei nicht absolut unzugänglich: „People do not have or lack ‚access‘ in some absolute sense. There are, instead, different costs of obtaining informa­ tion …“173. Theoretisch kann der Vertragspartner des Insiders versuchen, die Insiderinformation von einem anderen Insider zu bekommen oder selbst In­ sider zu werden. Es ist auch nicht so, dass der Laie, der mit einem Experten kontrahiert, dessen Informationsvorsprung leichter überwinden kann. Selbst wenn das dazu erforderliche Fachwissen allgemein zugänglich ist (allgemein zugängliche Marktdaten, Fach- und Ausbildungsliteratur, etc.), ist regelmäßig eine längere Zeit erforderlich, um sich dieses Wissen anzueignen. Für einen Laien lohnt sich der damit verbundene Aufwand meist nicht und dies ist genau der Grund, warum er auf die Dienste eines Experten zurückgreift. Der Aus­ gleich des Informationsgefälles ist also auch hier eher theoretisch als faktisch möglich. Noch deutlicher wird die Informationsbarriere, wenn der Experte die Informationen, die er für sein Fachurteil benötigt, nicht aus allgemein zugäng­ lichen Quellen bezieht, sondern durch den Einsatz von Spezialgeräten oder -software gewinnt (man denke an den Arzt oder den Kfz-Mechatroniker). Die Anschaffung dieser Mittel ist mit erheblichen Kosten verbunden, die sich für den Laien wiederum nicht lohnen, zumal er die Daten, die solche Spezial­ vorrichtungen liefern (etwa die Bilder einer Computertomographie) ohnehin mangels Fachwissens nicht interpretieren kann. Daher ist der Zugang der nicht wissenden Partei zur besonderen Information in Expertenfällen genauso illu­ sorisch wie in Insiderfällen. Zum anderen ist es fraglich, ob es sinnvoll ist, bei der Differenzierung zwi­ schen Insider- und Expertenwissen auf die Sicht der nicht informierten Par­ tei abzustellen.174 Denn aus dieser Sicht dürfte es gerade keine Rolle spielen, warum der Zugang zur begehrten Information erschwert ist; entscheidend ist allein, dass er erschwert ist. Macht es für die nicht wissende Partei wirklich einen Unterschied, ob ihr Vertragspartner sein überlegenes Wissen aus Insider­ quellen bezieht oder als Experte einen fachlichen, geschäftlichen oder organi­ satorischen Vorteil genießt? Wohl kaum. Wenn wir etwas als Insider- oder als Fachwissen einstufen, beurteilen wir in erster Linie das Verhalten der wissen­ den Partei, und zwar nicht aus der Sicht ihres Vertragsgegners, sondern aus ob­ 172 Siehe Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 301 ff. 173  Easterbrook, 11 Sup. Ct. Rev. 309, 330 (1981). 174 

So aber wohl Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 296 ff.



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jektiver Sicht. Dabei kommt es darauf an, ob die eigennützige Wissensverwen­ dung aus gesellschaftlicher Sicht zu missbilligen ist oder nicht. bb)  Insider- und Expertenwissen: Ethische und wirtschaftliche Unterschiede Easterbrook sieht zwischen eigennützigem Handeln eines Experten und eines Insiders keine ethischen Unterschiede: „The different costs of access are simply a function of the division of labor. A manager (or a physician) always knows more than a shareholder (or patient) in some respekts, but unless there is some­ thing unethical about the division of labor, the difference is not unfair.“175 Damit stellt er das Insiderwissen eines Managers und das Fachwissen eines Arztes auf die gleichen Stufe: Sie resultierten aus der gesellschaftlichen Ar­ beitsteilung, und da diese nicht verwerflich sei, seien auch die jeweiligen Infor­ mationsasymmetrien nicht verwerflich. Stattdessen versucht Easterbrook, das Verbot des Insiderhandels mit wirtschaftlichen Argumenten zu begründen, von denen er allerdings selbst nicht überzeugt zu sein scheint.176 Bei näherem Hinsehen bestehen zwischen Experten- und Insiderfällen durchaus sowohl ökonomische als auch ethische Unterschiede. Ökonomisch gesehen trägt die Tätigkeit eines Experten zur allgemeinen Wohlfahrt bei.177 Fleischer meint daher zu Recht, dass die fachliche Arbeitsteilung förderungs­ würdig sei, während der Insiderhandel nur zu systematischer Benachteiligung des Vertragspartners führe und daher eingedämmt werden solle.178 Der Ex­ perte müsse hingegen für seine Informationsanstrengungen belohnt werden, entweder durch die Erlaubnis, sein Wissen zum eigenen Vorteil einzusetzen, oder durch den Anspruch auf Informationskostenersatz, soweit er dieses Wis­ sen offenlegen müsse. Fehle es an einem solchen Ersatz, entfalle auch die in­ nere Rechtfertigung für eine vertragsschlussbezogene Aufklärungspflicht.179 Aus der These, dass das Wissen eines Experten wohlfahrtssteigernd und damit wirtschaftlich produktiv sei, folgt also eine weitere, nämlich dass der Wissens­ erwerb gefördert werden soll (sog. Belohnungs- und Anreizargument).180 175 

Easterbrook, 11 Sup. Ct. Rev. 309, 330 (1981). Easterbrook, 11 Sup. Ct. Rev. 309, 330 ff. (1981), schwankend vor allem auf S. 338: „The arguments [für und gegen Insiderhandel – Verf.] are closely balanced. Although I think it likely that legal restrictions on such trading are beneficial, the questions ultimately are empirical. I may be singing a different tune tomorrow.“ Zugegebenermaßen wird das In­ siderhandelsverbot im wirtschaftswissenschaftlichen Schrifttum auch sonst kontrovers be­ urteilt, siehe einerseits Schäfer/​Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, Kap. 25, S. 714 f., andererseits Schneider, Betriebswirtschaftslehre, Bd. 3: Theorie der Unter­ nehmung, S. 561 ff., mit einem Plädoyer für den Insiderhandel. 177 Vgl. Schäfer/​Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, Kap. 16, S. 539. 178 Vgl. Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 305. 179  Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 307. 180 Dazu Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 282 ff. 176 

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

Anders verhält es sich bei einem Insider. Häufig nutzt dieser lediglich einen zeitlichen Wissensvorsprung aus, ohne dass die allgemeine Wohlfahrt gestei­ gert wird, weil die betreffende Information kurz nach deren Ausnutzung durch den Insider auch der breiten Öffentlichkeit bekannt wird. Diese Information ist daher aus ökonomischer Sicht schlicht unproduktiv und es lohnt sich nicht, knappe Ressourcen in ihre Beschaffung zu investieren.181 Tut der Insider dies, indem er z. B. zur Informationsbeschaffung Beamte besticht oder Detektive engagiert, so kann er keinen Kostenersatz beanspruchen, da sein Handeln so­ zial schädlich ist: Es bindet nur wirtschaftliche Ressourcen, die woanders pro­ duktiver eingesetzt werden könnten.182 Meist wirft das Handeln des Insiders in solchen Fällen auch ethische Fragen auf. Wie eng ethische und wirtschaftliche Aspekte in Insiderfällen miteinander verwoben sind, zeigt unter anderem der berühmte Fall Laidlaw v. Organ, in dem sich der Tabakhändler Organ aus New Orleans kurz vor dem Ende des britisch-amerikanischen Kriegs günstig mit Tabak eingedeckt hat, weil er als Erster über die bevorstehende Aufhebung der britischen Seeblockade der Stadt erfahren hatte und daher wusste, dass die Tabakpreise demnächst rasant stei­ gen werden.183 Wie das Verhalten Organs zu bewerten ist, hängt maßgeblich davon ab, ob er sein Wissen aus Insiderkreisen oder aus allgemein zugäng­ lichen Quellen bezogen hat.184 Im ersten Fall sind ethische185 und wirtschaft­ liche186 Bedenken evident, während sie im zweiten Fall deutlich weniger wie­ gen. So könnte man gegen ethische Bedenken einwenden, der Vertragspartner habe den gleichen Zugang zur Information gehabt wie die besser informierte Partei, er sei nur nicht schnell genug gewesen. Es sei aber moralisch nicht ver­ werflich, sich schneller als die anderen zu informieren und daraus wirtschaft­ lichen Nutzen zu ziehen. Wirtschaftlich lässt sich argumentieren, es sei wün­ schenswert, wenn neue Informationen von den Marktteilnehmern so schnell wie möglich verarbeitet werden, denn nur dann handele es sich um einen ef­ fektiven Markt.187 Ob eine Information allgemein zugänglich ist, ist allerdings in einem gewis­ sen Umfang eine Wertungsfrage, und Wertungen können sich im Laufe der Zeit 181 Vgl. Schäfer/​Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, Kap. 16, S. 538 f. 182  Schäfer/​Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, Kap. 16, S. 539 f.; Adams, AcP 186 (1986), 453, 472. 183  Laidlaw v. Organ, 15 U. S. 84, 2 Wheat. 178 (1817), wobei der Supreme Court die Aufklärungspflicht Organs verneint hat; dazu schon Kronman, 7 J. Leg. Stud. 1 ff. (1978) und jüngst Kaye, 79 Miss. L. J. 577 ff. (2010). 184 Siehe Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 304. 185 Vgl. Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 880. 186 Vgl. Schäfer/​Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, Kap. 16, S. 540. 187 Ähnlich, wenn auch mit einigen Einschränkungen Fleischer, Informationsasym­ metrie, S. 304.



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ändern. Dies lässt sich gut an einem anderen älteren Fall illustrieren, der das Reichsgericht Anfang des vergangenen Jahrhunderts beschäftigt hat: Ein deut­ scher Bankier erfuhr aus der Morgenzeitung vom Schachteinsturz in einem Bergwerk; eine Viertelstunde später verkaufte er die Aktien dieses Bergwerks zum noch nicht eingebrochenen Tageskurs, erfolgreich darauf spekulierend, dass der Käufer vom Bergwerkunglück noch nicht erfahren habe. Das RG hat angenommen, dass der Bankier rechtswidrig gehandelt habe, weil er verpflich­ tet gewesen sei, den Käufer über den Unfall aufzuklären.188 Im Schrifttum wurde das Verhalten des Bankiers später auch als insiderrechtlich unzulässig eingestuft: Das Insiderhandelsverbot erlösche nicht unmittelbar, nachdem die Information über ein Nachrichtenmedium einer unbestimmten Anzahl von Personen zugänglich gemacht worden sei. Die informierten Marktteilnehmer müssten vielmehr zuwarten, bis der Markt die Information habe aufnehmen und verarbeiten können.189 Heute würde man die Information in der Morgen­ zeitung nicht als Insiderinformation einstufen, jedenfalls dann nicht, wenn es sich um ein bundesweites Printmedium handelt: Informationen, die in solchen Printmedien abgedruckt werden, werden nach herrschender Ansicht bereits mit dem jeweiligen Verkaufsbeginn öffentlich.190 Demnach wäre die Nach­ richt über den Bergwerkunglück bereits öffentlich bekannt und damit keine Insiderinformation i. S. v. Art. 7 MAR, als der Bankier sie las. Sein Aktienver­ kauf wäre kein unzulässiger Insiderhandel, sondern eine zulässige Ausnutzung eines Informations(verarbeitungs-)vorsprungs; sein Profit eine verdiente Be­ lohnung für die schnelle Umsetzung der allgemein verfügbaren Information in eine Anlageentscheidung. Vor diesem Hintergrund käme auch eine zivilrecht­ liche Aufklärungspflicht wohl kaum in Betracht. Von den Fällen, in denen der Insider bloß einen zeitlichen Vorsprung aus­ nutzt, sind solche zu unterscheiden, in denen der Insider ähnlich einem Exper­ ten produktive Informationen verwertet, etwa neue Informationen über wert­ relevante Eigenschaften des Vertragsgegenstands. Meist handelt es sich dabei um Primärinsider, etwa Unternehmensleiter, Politiker, Beamte oder sonstige Informations- oder Entscheidungsträger, die amts- bzw. berufsbedingt über solche produktive Informationen verfügen.191 In solchen Fällen erlangt der In­ sider die betreffenden Informationen ohne besondere Suchanstrengungen oder 188  Vgl. RG, Urt. v. 3.2.1904 – I 404/03, JW 1904, 167 f.; dazu etwa Fleischer, Informa­ tionsasymmetrie, S. 302 f.; Kötz, FS Drobnig, S. 563, 570; Werres, Aufklärungspflichten, S. 13 f., 131 f. 189  Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 303, 553 ff. m. w. N. 190  Klöhn, in: KölnKomm WpHG, § 13 Rn. 136; ders., in: Klöhn, MAR , Art. 7 Rn. 135; Mennicke/​Jakovou, in: Fuchs, WpHG, § 13 Rn. 95; Hopt/​Kumpan, in: Schimansky/​Bunte/​ Lwowski, BankR‑HdB, § 107 Rn. 53; Krause, in: Meyer/​Veil/​Rönnau, Hdb. Marktmiss­ brauchsrecht, § 6 Rn. 89; etwas zurückhaltender Assmann, in: Assmann/​Schneider/​Mül­ bert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014, Art. 7 Rn. 68. 191 Vgl. Hopt, ZGR 1991, 17, 39.

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

wird für die Informationssuche bereits anderweitig belohnt. Ökonomisch ge­ sehen sind also besondere Anreize für die Informationssuche bzw. weitere Be­ lohnungen nicht erforderlich. Vor diesem Hintergrund muss das Recht dem Informationsträger nicht erlauben, sein Wissen zum eigenen Vorteil und zum Nachteil des Vertragspartners auszunutzen.192 Auch hier kann man zusätzlich zu wirtschaftlichen soziale Gesichtspunkte fruchtbar machen: Man könnte die gesellschaftliche Arbeitsteilung als einen sozialen Vertrag ansehen, der auf die Steigerung der allgemeinen Wohlfahrt gerichtet ist. Die Allgemeinheit finan­ ziert den Erwerb von Fachwissen, welches dafür anschließend zum Wohle der Allgemeinheit, typischerweise in Übereinstimmung mit der beruflichen Stel­ lung der Fachkräfte eingesetzt werden soll (der Arzt behandelt Kranke, der Manager führt das Unternehmen, der Politiker setzt sich für Gemeinwesen ein usw.). Diese Nutzung von Wissen ist sozial erwünscht. Wird das erworbene Fachwissen dagegen ausschließlich zu eigenem Vorteil der Wissensinhaber ein­ gesetzt, so handelt es sich um eine sozial unerwünschte (und unerlaubte) Nut­ zung.193 Deswegen ist die Professionalisierung nicht „unfair“ oder „unethisch“, der Insiderhandel aber schon. Der Aspekt der sozialen Nützlichkeit hilft zu verstehen, dass zwischen Arzt und Manager im Beispiel von Easterbrook nicht nur wirtschaftliche, sondern auch ethische Unterschiede bestehen. cc)  Grundstücksgeschäfte von Gemeinden Die Problematik wird besonders deutlich, wenn es um Grundstücksgeschäfte von Gemeinden vor dem Hintergrund einer kommunalen Planung geht. Fleischer, der sich ausführlich mit der in- und ausländischen Judikatur zur Ver­ wertung von Insiderwissen auseinander gesetzt hat194, hebt den Fall hervor, in dem eine elsässische Gemeinde ein landwirtschaftliches Grundstück erworben hat, ohne den privaten Verkäufer darüber zu unterrichten, dass der Bebauungs­ plan geändert und eine gewerbliche Nutzung des Grundstücks zulässig wer­ den sollte. Die französische Cour de Cassation meinte, dass das Schweigen der Gemeinde einen Verstoß gegen Treu und Glauben darstellen könne, und wies die Sache an die Vorinstanz zurück.195 Aus ökonomischer Sicht erscheint diese Entscheidung richtig: Würde man anders entscheiden, so würde man für die Kommunalpolitik Fehlanreize schaffen, „Prämien für die Verwertung des un­ produktiven Insiderwissens zu kassieren“196 . Fleischer spricht im diesem Zu­ 192 Dazu

Kötz, FS Drobnig, S. 563, 570 ff. die gleiche Richtung Hopt, ZGR 1991, 17, 39 mit der Bemerkung, dass Primär­ insider über ihre Wissensvorsprünge nur entsprechend ihren Berufspflichten, aber nicht pri­ vat disponieren dürften. 194  Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 301 ff., 590 ff. 195  Cass. Civ. 3ème, 27.3.1991, Bull. Civ. III, n˚ 108, S. 62, Contrats, conc., consom. 1991, n˚ 133; dazu Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 301 f., 704 ff. 196  Vgl. in einem ähnlichen Zusammenhang Schäfer/​Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, Kap. 16, S. 539. 193  In



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sammenhang vom strukturellen Macht- und Informationsvorsprung der Ge­ meinde.197 Inzwischen haben auch deutsche Gerichte über einen sehr ähnlichen Fall entschieden.198 Diesmal ging es um eine Gemeinde im Rheinland, die vom pri­ vaten Eigentümer eine Fläche zur Errichtung eines Regenrückhaltebeckens und auf dessen Wunsch auch die Restfläche zum 3-fachen Verkehrswert für Ackerland erwarb. Auf die bevorstehende Änderung des Flächennutzungs­ plans, mit der diese Restfläche zum Bauland werden sollte, wies die Gemeinde den Verkäufer nicht hin. Nachdem die Änderung des Flächennutzungsplans durchgeführt und bekannt gegeben worden war, focht der Verkäufer den Kauf­ vertrag wegen arglistiger Täuschung an und verlangte die Rückübereignung des Grundstücks. Die beklagte Gemeinde hat in allen Instanzen verloren. Das OLG Köln als Berufungsinstanz befand, dass die Gemeinde im Hinblick auf die baurecht­ lichen Planungen über einen Informationsvorsprung verfügt habe und daher verpflichtet gewesen sei, den Verkäufer über diesen für seinen Verkaufsent­ schluss wesentlichen Umstand aufzuklären. Anders als der Eigentümer habe die Gemeinde selbst die Planungen betrieben und deren Stand genau gekannt. Die Aussicht, dass die geplante Änderung des Flächennutzungsplans tatsäch­ lich in Kraft treten werde, sei zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses hinrei­ chend begründet gewesen, weil die Zustimmung des gemeindlichen Planungs­ ausschusses bereits vorgelegen habe, etwaige Hindernisse für die Umsetzung der Planung nicht erkennbar gewesen seien und zudem aufgrund der Nähe des Grundstücks zu dem bereits als Bauland ausgewiesenen Gebiet eine konkrete Erwartung bestanden habe, dass die beabsichtigte Änderung des Flächennut­ zungsplans auch umgesetzt werde.199 Der BGH stimmte dem Berufungsurteil insoweit zu.200 Im Urteil des OLG Köln lassen sich zwei Begründungspunkte ausmachen: (1) die Gemeinde habe selbst die Planungen betrieben; (2) sie war über die Pla­ nungen und deren Stand im Gegensatz zum Verkäufer genau informiert. Dies gab dem Schrifttum Anlass, von der strukturellen Unterlegenheit des Grund­ stückseigentümers zu sprechen.201 Dieses strukturelle Argument trifft aber m. E. nicht den Kern der Sache. Mit der Feststellung, dass der Informations­ 197 

Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 301, 706. BGH, Urt. v. 25.7.2003 – V ZR 124/02, ZfIR 2003, 783; als Vorinstanz OLG Köln, Urt. v. 5.3.2002 – 22 U 117/01, juris mit zust. Anm. Grziwotz, EWiR 2002, 1075 f. 199  OLG Köln, Urt. v. 5.3.2002 – 22 U 117/01, juris, Rn. 37 ff. = EWiR 2002, 1075 (Ls.). 200  BGH ZfIR 2003, 783; allerdings entschied der BGH, dass sich die Verkäuferseite bei der Vertragsrückabwicklung die Vorteile anrechnen lassen müsse, die sich aus dem Erwerb des gesamten Grundstücks zum 3-fachen Verkehrswert für Ackerland ergeben hätten. 201 Vgl. Grziwotz, EWiR 2002, 1075, 1076: „Die Gerichte gehen bei Grundstücks­ geschäften der Gemeinden, die im Zusammenhang mit einer Bauleitplanung erfolgen, of­ fenbar von einer strukturellen Unterlegenheit des Grundstückseigentümers aus.“ 198 

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vorsprung „strukturell“ ist, ist noch wenig gewonnen, denn was bedeutet „strukturell“ in diesem Kontext? Ist der (förderungswürdige) Informations­ vorsprung eines Experten nicht ebenfalls „strukturell“? Keine entscheidende Rolle dürfte auch der Machtvorsprung der Gemeinde spielen, also der Um­ stand, dass sie es selbst in der Hand hat, den Wert eines Grundstücks durch eine entsprechende Planung zu beeinflussen. Daraus folgt lediglich, dass die Gemeinde Primärinsiderin ist, aber auch ein Sekundärinsider, der von einer gemeindlicher Planung erfährt, darf von diesem Wissen nicht profitieren. So muss nach der Rechtsprechung ein Grundstücksverkäufer, der von einer ge­ meindlichen Planung weiß, die sein Grundstück betrifft (Sekundärinsider), den Käufer aufklären, wenn das Planungsvorhaben für dessen Kaufentschluss wesentlich ist.202 Es ist also nicht die Primärinsiderqualität des Wissens, die eine Aufklärungspflicht begründet. Überzeugend erklären lässt sich die Offenlegungspflicht in Gemeindefäl­ len mit wirtschaftlichen und sozialen Argumenten: Die Gemeinde erhält die Informationen über das eigene Planungsvorhaben ohne jegliche Suchanstren­ gungen, weil sie die Planung selbst durchführt. Wirtschaftliche Anreize für die Suche nach Informationen über die kommunale Planung oder gar für die Pla­ nung selbst sind wirtschaftlich nicht erforderlich und rechtlich nicht zulässig, weil die Planung eine öffentliche, aus Steuermitteln finanzierte Aufgabe ist. Einen eigenen wirtschaftlichen Nutzen darf die Gemeinde daraus nicht ziehen; vielmehr ist es „[r]echtsmissbräuchlich …, wenn die Gemeinde ihre Planungs­ hoheit dazu benutzt, sich auf Kosten des Vertragspartners zu bereichern und ihre Gemeindefinanzen zu sanieren.“203 Darin und nicht in der wenig griffi­ gen „strukturellen Überlegenheit“ der Gemeinde ist die Rechtfertigung für die Offenlegungspflicht zu sehen. dd)  Insiderhandel der Manager beim Management-Buy-out Was für Gemeinden gilt, muss auch für Geschäftsleiter beim ManagementBuy-out gelten. Sie sind Primärinsider, die über produktive Informationen in Bezug auf das von ihnen geleitete Unternehmen verfügen. Diese Informatio­ nen erhalten sie teils ohne besondere Anstrengungen, gewissermaßen beiläu­ fig, teils nach einer gezielten Suche (etwa die Suche nach lukrativen Geschäfts­ chancen), die aber durch ihre Geschäftsleitervergütung ausreichend honoriert wird.204 Einen zusätzlichen Profit aus diesem Wissen sollen die Geschäftsleiter 202 Vgl. BGH, Urt. v. 6.2.1976 – V ZR 44/74, MDR 1976, 565; dazu Fleischer, Informa­ tionsasymmetrie, S. 302. In dem Rechtsstreit ging es um eine Verkehrsplanung, zu deren Zwecken die Gemeinde das betreffende Hausgrundstück entweder ankaufen oder enteignen musste. Der Verkäufer hätte die Käufer darüber aufklären müssen, da er wusste, dass sie das Haus als Alterswohnsitz erwerben wollten und deshalb an einem dauernden ungestörten Besitz interessiert waren. 203  Grziwotz, EWiR 2002, 1075, 1076. 204 Vgl. Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 536.



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beim Wechsel in die Stellung des Unternehmenseigners nicht herausschlagen, vor allem nicht auf Kosten der Gesellschaft bzw. der Altgesellschafter. Die Of­ fenlegung ist daher zumutbar, so dass eine zivilrechtliche Aufklärungspflicht zu bejahen ist. Insofern kann man auch von einem zivilrechtlichen Verbot des Insiderhandels sprechen.

III.  Befunde der ökonomischen Analyse Ihre sachliche Rechtfertigung schöpft die Offenlegungspflicht bei einem Ma­ nagement-Buy-out auch aus rechtsökonomischen Überlegungen, denn sie trägt dazu bei, wirtschaftlich schädliche Informationsasymmetrien zwischen Geschäftsleitung und Gesellschafter vor und nach Vertragsschluss abzubau­ en. 1.  Informationsasymmetrie nach Vertragsschluss (Principal-Agent-Kontroverse) Der Management-Buy-out ist ein gutes Beispiel für die Principal-Agent-Kon­ troverse.205 Diese ist im Allgemeinen dadurch gekennzeichnet, dass es für den Auftraggeber (principal) weder sinnvoll noch möglich ist, die Rechte und Pflichten des Beauftragten (agent) im Voraus vollständig aufzulisten (sog. un­ vollständiger Vertrag).206 Genauso wenig sinnvoll ist es, den Beauftragten auf Schritt und Tritt zu überwachen, weil dies zu kostspielig wäre.207 Dem Be­ auftragten verbleibt daher ein Handlungs- und Entscheidungsspielraum, in dem er sich unbeobachtet bewegen kann. Das ist der Raum für verborgene Handlungen (hidden actions) und verborgene Information (hidden information). Bei hidden action sieht der Auftraggeber nur das Ergebnis der Handlung des Beauftragten, nicht aber die Handlung selbst, so dass der Beauftragte z. B. schlechte Ergebnisse mit äußeren Umwelteinflüssen rechtfertigen kann. Hidden information bleibt dem Auftraggeber gänzlich unbekannt, so dass er nicht beurteilen kann, ob der Beauftragte diese Information tatsächlich in seinem besten Interesse einsetzt.208 Dieser Zustand wird auch als Informationsasym­ metrie nach Vertragsschluss bezeichnet.209 Da sich der Beauftragte aufgrund seines Informationsvorsprungs relativ leicht aus der Verantwortung für eige­ ne Fehler stehlen kann, erhöht sich das Risiko des verantwortungslosen oder leichtsinnigen Verhaltens (moral hazard). 205  206 

Fleischer, AG 2000, 309, 313; vgl. auch Rhein, Interessenkonflikt der Manager, S. 70. Schneider, Betriebswirtschaftslehre, Bd. 3: Theorie der Unternehmung, S. 21, 23 f. 207  Richter/​Furubotn, Neue Institutionenökonomik, S. 173 f. 208  Ripperger, Ökonomik des Vertrauens, S. 66. 209  Richter/​Furubotn, Neue Institutionenökonomik, S. 173; Ripperger, Ökonomik des Vertrauens, S. 66.

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

Beim Management-Buy-out spitzt sich dieses Problem noch zu, weil die be­ stehende Principal-Agent-Beziehung durch die gegenläufigen Interessen der Manager und der Gesellschafter verkompliziert wird: „the principal-agent problem squared“210. Solche Interessengegensätze erhöhen die Gefahr des op­ portunistischen Verhaltens und des moral hazard.211 Insofern gibt es gewiss Parallelen zur Situation, in der der Geschäftsleiter die Geschäftschancen der Gesellschaft für sich nutzen will.212 Dennoch handelt es sich beim Manage­ ment-Buy-out um eine eigenständige Problematik: Dank ihrem verborgenen Wissen können die Geschäftsleiter die Kaufvertragsbedingungen zu ihren Gunsten beeinflussen, insbesondere die Verkäufer dazu zwingen, ihren Reser­ vationspreis213 zu reduzieren. Dies geschieht, indem das Management die In­ formationen für sich behält, die sich positiv auf den Wert der Gesellschaft aus­ wirken. In der Folge gehen die Gesellschafter von einem Wert aus, der unter dem tatsächlichen Wert liegt, und setzen einen entsprechend niedrigen Reser­ vationspreis. Dadurch verschiebt sich der Verhandlungsspielraum zum Vorteil der Manager, die nun in größerem Umfang am gemeinschaftlich geschaffenen Werten partizipieren können. Dabei sollen die Manager sogar in börsennotier­ ten Gesellschaften ausreichende Möglichkeiten haben, den Firmenwert eigen­ nützig zu manipulieren, trotz vielfältiger Offenlegungspflichten.214 Wenn diese Möglichkeiten nicht eingeschränkt werden, wird die agency weitgehend entwertet, weil die scheidenden Gesellschafter nicht alles erhal­ ten, was die Manager bis zu diesem Zeitpunkt an Kapitalwert im Unterneh­ men angehäuft haben. Für das Management wäre dann die Übernahme des von ihm verwalteten Unternehmens „lediglich eine weitere, sehr effektive Variante, sich das anvertraute Gut einzuverleiben“.215 Um diesem Problem zu begegnen, müssen die Geschäftsleiter beim Management-Buy-out alle werthaltigen Posi­ tionen offenlegen. „Auf diese Weise gewinnen die Anteilseigner faktisch Ein­ flussmöglichkeiten zurück, die sie vorher mangels Wissens und wegen der De­ legation der Verwaltungsbefugnis an die Geschäftsleiter nicht mehr hatten“.216 210 

Anabtawi, 49 UC Davis L. Rev. 1285, 1296 (2016). 1297 (2016).

211  Anabtawi, 49 UC Davis L. Rev. 1285, 212 Vgl. Fleischer, AG 2000, 309, 313.

213  Unter Reservationspreis (Grenzpreis, Entscheidungswert) versteht man in der Mi­ kroökonomie den maximalen Preis, den ein Nachfrager bereit ist zu zahlen bzw. den mi­ nimalen Preis, den ein Anbieter akzeptieren würde, Springer Gabler Verlag, Gabler Wirt­ schaftslexikon Online, Stichwort: Reservationspreis, , zuletzt abgerufen am 28.2.2020. 214  Ausführlich dazu Anabtawi, 49 UC Davis L. Rev. 1285, 1299 ff. (2016). 215  Rhein, Interessenkonflikt der Manager, S. 70; vgl. ferner Fleischer, Informations­ asymmetrie, S. 536; ders., AG 2000, 309, 312; Berkefeld, Die Beteiligung von Investoren, S. 71. 216  Kuntz, Informationsweitergabe, S. 24; ähnlich Trebilcock, The limits of freedom of contract, S. 115 (Offenlegungspflicht zur Verringerung von Agentur-Kosten).



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Die Aufklärung der Gesellschafter führt im Idealfall dazu, dass das Manage­ ment das Zielunternehmen zu einem fairen Preis erwirbt. Diesem Ergebnis stimmen auch die Autoren zu, die meinen, zu Beginn der Buy-out-Verhandlungen habe sich das eigentliche Principal-Agent-Verhältnis bereits aufgelöst, weil das Management nicht mehr für die Gesellschafter, son­ dern eigennützig tätig werde. Nach dieser Ansicht gelten die Agentur-Wert­ ungen in dieser Situation dennoch, weil die Interessen der Treugeber ansons­ ten erheblich gefährdet wären.217 Manche wollen hier aus rechtlicher Sicht mit nachwirkenden Treuepflichten helfen.218 Ob dieses Ausweichen auf eine Art „verlängerte Agentur“ und „verlängerte Treuepflicht“ wirklich erforderlich ist, erscheint zweifelhaft, denn rechtlich gesehen bleibt der Geschäftsleiter solan­ ge im fremden Interesse tätig, bis er tatsächlich in die Eigentümerstellung ge­ wechselt hat. Bis zu diesem Zeitpunkt dauern sowohl sein Organ- als auch sein Anstellungsverhältnis mit entsprechenden fremdnützigen Pflichten fort. Al­ lein der Umstand, dass der Manager den Altgesellschaftern „als Kaufaspirant mit erkennbar gegenläufigen Interessen gegenübertritt“219, dürfte daran nichts ändern. Außerdem sind Interessengegensätze für Agentur-Beziehungen nichts Außergewöhnliches (man denke nur an den Interessenwiderstreit bei Wahr­ nehmung von Geschäftschancen). Würde sich die Agentur-Beziehung bei einer Zuspitzung des Interessenkonflikts jedes Mal auflösen, so stünde das Instru­ ment der Agentur gerade dann nicht zur Verfügung, wenn man es am meisten bräuchte. Vor diesem Hintergrund ist vom Fortbestand der Agentur bis zum Abschluss der Transaktion auszugehen. 2.  Informationsasymmetrie vor Vertragsschluss a)  Unerwünschter Informationsvorsprung Aus der Informationsasymmetrie nach Vertragsschluss, d. h. infolge der Prin­ cipal-Agent-Beziehung, resultiert beim Management-Buy-out eine weitere Asymmetrie, nämlich die Informationsasymmetrie vor dem Abschluss des Kaufvertrags über das Vermögen oder die Anteile der Zielgesellschaft. Die wesentlichen ökonomischen Argumente für den Abbau dieser Informations­ asymmetrie wurden soeben im Zusammenhang mit der Insiderproblematik vorgebracht. An dieser Stelle ist hinzuzufügen, dass aus ökonomischer Sicht nichts gegen eine Offenlegungspflicht spricht. Grundsätzlich werden Informa­ tionen in der Rechtsökonomie zwar als Wirtschaftsgüter angesehen und Aus­ schließlichkeitsrechte an ihnen anerkannt.220 Den Grundbaustein dieses Kon­ zepts legte Anthony Kronman, der darauf aufmerksam gemacht hat, dass die 217  218 

Rhein, Interessenkonflikt der Manager, S. 70. Fleischer, AG 2000, 309, 312. 219  Fleischer, AG 2000, 309, 312. 220 Dazu Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 154 f.; Adams, AcP 186 (1986), 453, 468.

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

Gewinnung bestimmter vertragsrelevanter Informationen mit einem erhebli­ chen Aufwand verbunden sein könne. Würde man den Informationssamm­ ler in dieser Situation zur Offenlegung zwingen, könnte er keine Rendite aus der kostenintensiven Informationssuche erzielen. Infolgedessen hätte er kei­ nen Anreiz, in die Informationssuche zu investieren, was wiederum für die Entdeckung der Güter, Produkte oder Dienstleistungen schädlich wäre, die unterbewertet seien und produktiver eingesetzt werden könnten. Letztendlich würde die Gesellschaft die ihr zur Verfügung stehenden Tauschmöglichkeiten nicht ausschöpfen.221 Kronman schlug daher vor, zwischen beiläufig und gezielt erlangter Infor­ mation („casual“ bzw. „deliberately acquired information“) zu unterscheiden. Die Gewinnung beiläufig erlangter Information erfolge ohne Rücksicht auf eine mögliche Informationsrendite und wäre deshalb durch eine rechtliche Of­ fenlegungspflicht nicht beeinträchtigt, im Gegensatz zu gezielt erlangter Infor­ mation, deren Produktion durch eine Offenlegungspflicht gefährdet wäre.222 Diese Differenzierung bleibt bis heute Gegenstand lebhafter Kritik.223 Bemän­ gelt wird insbesondere, dass die Kriterien der beiläufig und gezielt erlangten Information unscharf seien und außerdem nicht immer effiziente Lösungen er­ möglichten.224 Stattdessen tendiert man mittlerweile dazu, darauf abzustellen, ob die fragliche Information wohlfahrtssteigende oder lediglich redistributive Wirkungen hat.225 Dies ist erforderlich, um eine sozial schädliche Informati­ onssuche, wie sie etwa bei Industriespionage oder Insiderhandel stattfindet, nicht zu belohnen.226 Auf die Beurteilung der Situation beim Management-Buy-out wirkt sich dieser Diskurs allerdings kaum aus. Benutzt man Kronmans Kriterien, so ist das Wissen der Führungskraft über ihr Unternehmen eine „beiläufig erlang­ te Information“, deren Gewinnung keine Kosten verursacht außer denen, die sowieso entstanden wären.227 Denn die Manager werden nicht zur Erzielung einer Informationsrendite tätig, sondern deshalb, weil sie ihren Arbeitseinsatz der Gesellschaft vertraglich schulden. Die Erlangung wertvoller Informatio­ nen über die Gesellschaft ist nur ein Nebenprodukt dieses Einsatzes, der durch 221  Kronman, 7 J. Leg. Stud. 1, 9 ff. (1978); so auch Easterbrook, 11 Sup. Ct. Rev. 309, 313 (1981); Harrison, 17 Geo. Mason L. Rev. 335, 336 (2010). 222  Kronman, 7 J. Leg. Stud. 1, 13 f. (1978). 223  Siehe etwa Scheppele, Legal secrets, S. 32 ff., 111 ff.; Wonnell, 41 Case W. Res. L. Rev. 329, 341 ff. (1991); Harrison, 17 Geo. Mason L. Rev. 335 ff. (2010) sowie Nachweise und Kri­ tik bei Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 152 ff. 224 Vgl. Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 153 f. 225  Aus dem neueren Schrifttum etwa Harrison, 17 Geo. Mason L. Rev. 335, 375 (2010); ferner Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 154. 226  Adams, AcP 186 (1986), 453, 472. 227 Vorsichtig in diese Richtung auch Trebilcock, The limits of freedom of contract, S. 114.



§ 2.  Geltungsgrund der Offenlegungspflicht

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die vereinbarte Managervergütung vollständig abgegolten wird. Da diese Ver­ gütung genügend Anreiz für das Handeln im Interesse der Gesellschaft bietet, sind besondere Stimuli für die Informationssammlung nicht notwendig; zudem dürfen Geschäftsleiter aus ihrer Stellung ohnehin keine zusätzliche Rendite er­ zielen. Eine Offenlegungspflicht wäre daher wirtschaftlich unschädlich. Zum gleichen Ergebnis führt das Kriterium der sozialen Schädlichkeit bzw. Nützlichkeit: Dürfte das Management die wertrelevanten Informationen für sich behalten, würde dies nicht zur Steigerung der allgemeinen Wohlfahrt, sondern lediglich zur Umverteilung von Ressourcen zu Gunsten der Mana­ ger und zu Lasten der Gesellschafter führen. Dagegen lässt sich nicht einwen­ den, dass das Management aufgrund seiner Erfahrung und Sachkompetenz ein „besserer“ Unternehmensinhaber sei und der Eignerwechsel somit zu einer besseren Ressourcenallokation beitrage. Denn die weniger kompetenten Alt­ gesellschafter haben diesen Nachteil bis zum Management-Buy-out gerade da­ durch kompensiert, dass sie das Management mit der Führung des Unterneh­ mens betraut haben.228 Daher spricht wirtschaftlich gesehen nichts dagegen, die Manager bei einem Management-Buy-out zur Offenlegung vertragsrele­ vanter Informationen gegenüber den Anteilseignern zu verpflichten. Nachtei­ lige Auswirkungen einer solchen Pflicht auf die „Urproduktion“ von Informa­ tionen wären jedenfalls nicht zu befürchten.229 b)  „Market for gems“? Zur geschilderten Problematik kommt beim Management-Buy-out den neue­ ren Untersuchungen zufolge eine weitere, nämlich das Problem der sog. um­ gekehrten adversen Selektion (inverse adverse selection). Auch dieses Problem hat seine Wurzel in der asymmetrischen Informationsverteilung. Der Proto­ typ für die „umgekehrte adverse Selektion“ ist die adverse Selektion oder Ne­ gativauslese. Zu einer solchen kommt es nach der sog. „Zitronen-Theorie“ des Wirtschaftswissenschaftlers und Nobelpreisträgers George Akerlof insbeson­ dere dann, wenn der Verkäufer über die Eigenschaften der Kaufsache typi­ scherweise besser informiert ist als der Käufer. So kann jemand, der einen Gebrauchtwagen sucht, regelmäßig nicht zwischen höherwertigen und min­ derwertigen Angeboten („lemons“) unterscheiden. Er wird daher kaum bereit sein, angemessene Preise für bessere Autos zu bezahlen. Infolgedessen wer­ den auf dem Markt Waren unterschiedlicher Qualität zum gleichen Preis an­ geboten und gute Produkte letztendlich durch schlechtere verdrängt, weil der Handel mit ihnen für die Verkäufer profitabler ist. Es entsteht ein „market for lemons“.230 228 Vgl. Fleischer, AG 2000, 309, 313. 229  Fleischer, AG 2000, 309, 313; ähnlich 230 

ders., Informationsasymmetrie, S. 536. Akerlof, 84 Q. J. Econ. 488, 489 f. (1970).

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

Zur umgekehrten adversen Selektion (Bestenauslese) kommt es dann, wenn die Information spiegelbildlich verteilt ist: Nicht der Verkäufer, sondern der Käufer ist typischerweise die besser informierte Partei. Die Verkäufer wissen nicht, ob ihre Produkte hoch- oder minderwertig sind. Sie laufen daher die Gefahr, hochwertige Waren weit unter Wert zu verkaufen. Um dieses Risi­ ko zu begrenzen, werden sie für alle Produkte einen gewissen Preisaufschlag verlangen. Der Käufer, der um die Qualität dieser Produkte Bescheid weiß, wird indes nicht bereit sein, für schlechtere Produkte einen Aufschlag zu zah­ len. Er wird nur die besseren, die „Juwelen“ („gems“) unter ihnen auswählen. Im Ergebnis werden schlechtere Waren vom Markt verschwinden; es entsteht ein „market for gems“.231 Manche, etwa die US-amerikanische Rechtswissen­ schaftlerin Iman Anabtawi, glauben, dass der MBO‑Markt die Eigenschaften eines solchen Juwelen-Marktes habe.232 Das besser informierte Management agiere als Juwelen-Käufer, die Anteilseigner als Verkäufer eines potentiellen „Juwels“. Aufgrund der fehlenden Bereitschaft der Manager, einen Aufpreis für Nicht-Juwelen zu bezahlen, würden Letztere durch Juwelen vom MBO‑Markt verdrängt. Die ökonomische Ineffizienz wird darin gesehen, dass Nicht-Juwe­ len in den Händen der Verkäufer blieben, die sie weniger schätzten als poten­ tielle Käufer. Zur Lösung dieses Problems werden umfassende Offenlegungs­ pflichten des Managements beim Management-Buy-out gefordert.233 Ob diese These zutrifft, ist allerdings fraglich. Zweifel sind deshalb an­ gebracht, weil das Management beim Management-Buy-out per definitionem nur die Anteile an „seiner“ Gesellschaft kauft und daher keine Möglichkeit hat, auf „Juwelensuche“ zu gehen. Würde das Management dies tun, so läge kein Management-Buy-out vor, sondern ein Management-Buy-in, bei dem das Management im Übrigen keinen Wissensvorsprung gegenüber dem Ver­ äußerer hat. Der MBO‑Markt ist daher aus der Sicht des kaufwilligen Manage­ ments kein Juwelenmarkt, sondern ein Markt, an dem nur ein Produkt angebo­ ten wird. Der Käufer hat nur die Wahl, dieses Produkt zu erwerben oder vom Kauf Abstand zu nehmen, wenn ihm der Preis zu hoch erscheint. Die Situati­ on ist am ehesten mit einem Monopol zu vergleichen, nicht dagegen mit einem Markt, auf dem Wettbewerb herrscht und schlechtere Angebote durch bessere verdrängt werden können.

231 Grundlegend Dari‐Mattiacci/​Onderstal/​Parisi, Inverse Adverse Selection: The Mar­ ket for Gems, S. 6 ff. 232  Anabtawi, 49 UC Davis L. Rev. 1285, 1303 ff. (2016) mit Verweis auf Samlin/​Enander, Public-to-Private Transactions  – A Cross Country Comparison, die allerdings aus­ drücklich nur von der adversen Selektion (im Verhältnis der Gesellschaft zum schlechter in­ formierten Investor) sprechen (S. 9). 233  Anabtawi, 49 UC Davis L. Rev. 1285, 1305, 1330 f. (2016).



§ 3.  Dogmatische Einordnung der Offenlegungspflicht

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§ 3.  Dogmatische Einordnung der Offenlegungspflicht Die vorigen Ausführungen haben gezeigt, dass die sachliche Rechtfertigung der Offenlegungspflicht beim Management-Buy-out sich zum einen aus der fremdnützigen Stellung der Manager, zum anderen aus dem Verbot ergibt, ver­ tragsrelevantes Insiderwissen zum eigenen Vorteil auszunutzen. Diese Zwei­ gleisigkeit spiegelt sich in den ökonomischen Erwägungen wider: Die Offen­ legungspflicht dient dem wirtschaftlich sinnvollen Ausgleich der nach- und vorvertraglichen Informationsasymmetrie, deren Zusammentreffen beim Ma­ nagement-Buy-out die Offenlegung umso dringender macht. Dies setzt sich schließlich auch bei der dogmatischen Einordnung der Offenlegungspflicht der Geschäftsleiter fort, die zum Teil auf deren Treuepflicht, zum Teil auf die vorvertragliche Aufklärungspflicht gestützt wird; beide Ansätze sind in der Literatur vertreten.

I.  Culpa in contrahendo Ein klares Favorit ist dabei die Lösung über die vorvertragliche Aufklärungs­ pflicht, die aus dem vorvertraglichen Schuldverhältnis zwischen dem Manage­ ment und der Gesellschaft bzw. den Anteilsinhabern beim Share Deal abge­ leitet wird (culpa in contrahendo).234 Im Folgenden wird diese These kritisch überprüft. 1.  Vorvertragliches Schuldverhältnis a)  Aufnahme von Vertragsverhandlungen (§ 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB) Die Aufklärungspflicht des Managements aus culpa in contrahendo setzt vo­ raus, dass das Management in einer vorvertraglichen Sonderbeziehung zur Zielgesellschaft (Asset Deal) oder zu ihren Gesellschaftern (Share Deal) steht. Diese Sonderbeziehung soll durch den eigenständigen rechtsgeschäftli­ chen Kontakt zwischen dem Management und dem Veräußerer im Rahmen 234  Assmann, in: Assmann/​ Schneider, WpHG, § 14 Rn. 166, 171; Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 158, 336; ders., in: Spindler/​Stilz, AktG, § 93 Rn. 119; ders., AG 2000, 309, 320; ders., WM 2003, 1045, 1046; Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 246 (zugleich für eine organschaftliche Pflicht gegenüber der Gesellschaft, soweit diese an der Transakti­ on beteiligt ist); Kort, in: Großkomm AktG, § 76 Rn. 168; Mennicke, in: Fuchs, WpHG, § 14 Rn. 316; Berkefeld, Die Beteiligung von Investoren, S. 100 ff. (im Hinblick auf die Pflich­ ten der Investoren beim MBO); Enzinger, Interessenkonflikt und Organpflichten, S. 37 ff.; Harbers, Management Buy-Out, S. 61, 67 (der zusätzlich auf arbeitsrechtliche Pflichten des Managements abstellt); Kuntz, Informationsweitergabe, S. 126 ff.; Voß, in: Knott, Unterneh­ menskauf, XI Rn. 763; Weitnauer, in: Weitnauer, Management Buy-Out, D 152; Buck-Heeb, ZHR 174 (2010), 616, 617 f.; Talos/​Schrank, ecolex 2003, 30, 32; D. Weber, ZHR 155 (1991), 120, 126; ähnlich Tirpitz, Pflichten, S. 80, 89 (Vertrauens- und Berufshaftung).

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

von Vertragsverhandlungen entstehen.235 Genau genommen trifft dies nur dann zu, wenn das Management der Käufer im rechtlichen Sinne ist, also nur beim Direkterwerb. Dann werden die Manager selbst Partei eines vorvertrag­ lichen Schuldverhältnisses nach § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB mit besonderen Auf­ klärungspflichten, die sich gleichermaßen auf den Wissensvorsprung der Ma­ nager, ihre fiduziarische Stellung und ihr wertpapierbezogenes Insiderwissen stützen lassen. Dies gilt für Share und Asset Deal gleichermaßen. Diese ele­ gante schuldrechtliche Lösung entspricht zudem der im AGB‑Recht herr­ schenden Qualifizierung von Anteilskaufverträgen als schuldrechtliche Aus­ tauschverträge.236 Der Direkterwerb ist jedoch in der Buy-out-Praxis eine Ausnahme; der Re­ gelfall ist der Erwerb durch die NewCo, in der sich die Geschäftsleiter und die Investoren zusammenschließen. Vertragliche und vorvertragliche Beziehungen bestehen dementsprechend grundsätzlich nur zwischen dem Veräußerer (Ziel­ gesellschaft bzw. ihre Gesellschafter) und dem Akquisitionsvehikel NewCo.237 Mitunter liest man, die Geschäftsführer würden auch dann Partei des vertrag­ lichen Anbahnungsverhältnisses, wenn sie nicht unmittelbar als Kaufinteres­ senten auftreten, sondern ein Akquisitionsvehikel dazwischenschalten.238 Dies lässt sich dogmatisch kaum begründen; vielmehr hat die NewCo in dieser Si­ tuation eigene Aufklärungspflichten, die vom Schrifttum bisher stiefmütter­ lich behandelt werden. Originäre Aufklärungspflichten der NewCo entstehen vor allem bei einem „echten“, d. h. durch die Manager angestoßenen Buy-out, bei dem sie die Geschäftsführung in der NewCo übernehmen und diese in den Kaufverhandlungen vertreten.239 Dann ist das Wissen der Manager unstreitig der NewCo zuzurechnen.240 Sie erlangt damit einen Informationsvorsprung gegenüber dem Veräußerer, der zur einer Aufklärungspflicht nach § 241 Abs. 2 235 Vgl. Fleischer, AG 2000, 309, 320. 236  Fleischer, AG 2000, 309, 320; Die

Folge dieser Einordnung ist, dass Anteilskaufver­ träge, anders als „Verträge auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts“, von der Bereichsaus­ nahme des § 310 Abs. 4 S. 1 BGB nicht erfasst werden und damit der AGB‑Kontrolle unter­ liegen, vgl. BGH, Urt. v. 8.12.2010 – VIII ZR 343/09, NJW 2011, 1215 Rn. 13 ff.; Basedow, in: MüKo BGB, § 310 Rn. 124; Becker, in: BeckOK BGB, § 310 Rn. 32; Richters/​Friesen, in: BeckOGK, BGB, § 310 Rn. 190 f.; Roloff, in: Erman, § 310 Rn. 29; Piekenbrock, in: Stau­ dinger, BGB, § 310 Rn. 154; H. Schmidt, in: Wolf/​Lindacher/​Pfeiffer, § 310 Abs. 4 Rn. 14; Ulmer/​Schäfer, in: Ulmer/​Brandner/​Hensen, § 310 Rn. 123; a. A. Kollmann, in: NK‑BGB, § 310 Rn. 55. 237  Berkefeld, Die Beteiligung von Investoren, S. 101; Kuntz, Informationsweitergabe, S. 138. 238  Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 336. 239  Siehe dazu die Ausführungen zum Unterschied zwischen MBO und IBO in § 1 II. 240 Vgl. Kleindiek, in: Lutter/​ Hommelhoff, GmbHG, §  35 Rn.  60; U. Schneider/​ S. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 35 Rn. 122 f.; Stephan/​Tieves, in: MüKo GmbHG, § 35 Rn. 214 f.; Grigoleit, ZHR 181 (2017), 160, 188; Spindler, ZHR 181 (2017), 311, 323 (dort auch zum im Übrigen umstrittenen Problem der Wissenszurechnung im Unternehmen).



§ 3.  Dogmatische Einordnung der Offenlegungspflicht

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BGB führt. Die Erfüllung dieser Pflicht obliegt wiederum den Geschäftsfüh­

rern der NewCo, die für diese in den Buy-out-Verhandlungen auftreten. Die­ ser Umstand ändert jedoch nichts daran, dass es sich um eine eigene Pflicht der NewCo handelt, für deren Verletzung die NewCo gegenüber dem Veräußerer grundsätzlich alleine haftet. b)  Vorvertragliche Dritthaftung (§ 311 Abs. 3 BGB) Fraglich ist, ob neben der NewCo auch das Management zur Aufklärung des Veräußerers verpflichtet ist und bei Verletzung dieser Aufklärungspflicht haf­ tet. Diese Frage wurde früher mit dem knappen Hinweis bejaht, die NewCo sei das Instrument eigener Interessenverfolgung der Manager und könne daher an deren Pflichten nichts ändern.241 Nach der Schuldrechtsreform ver­ sucht die Literatur, die Aufklärungspflicht der Manager in § 311 Abs. 3 BGB zu verankern.242 Die Vorschrift regelt die sog. vorvertragliche Dritthaf­ tung.243 Ihr Satz 1 bestimmt generalklauselartig, dass ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB auch zu Personen entstehen kann, die nicht selbst Vertragspartei werden sollen. Satz 2 präzisiert, dass ein solches Schuld­ verhältnis insbesondere dann entsteht, wenn der Dritte in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch nimmt und dadurch die Vertragsverhandlun­ gen oder den Vertragsschluss erheblich beeinflusst. Nach der Intention des Gesetzgebers sollte Satz 1 vornehmlich die Eigenhaftung des Vertreters oder Verhandlungsgehilfen erfassen, Satz 2 dagegen die sog. Sachwalterhaftung, d. h. die Haftung von Sachverständigen oder anderen „Auskunftspersonen“, die selbst zwar kein Eigeninteresse am Vertragsabschluss haben, dazu aber durch ihre Äußerungen entscheidend beitragen, weil sich ein Verhandlungs­ partner auf ihre Objektivität und Neutralität verlässt.244 Beide Fallgruppen werden nachstehend näher betrachtet, wobei auch auf die Rechtsprechung vor der Schuldrechtsreform zurückgegriffen wird, zumal das Gesetz außer den dargestellten knappen Regelungen keine weiteren Voraussetzungen einer Dritthaftung formuliert.245 aa)  Eigenes wirtschaftliches Interesse des Managements am Buy-out Die Eigenhaftung des Vertreters oder Verhandlungsgehilfen kommt vor allem dann in Betracht, wenn diese Person ein derart starkes wirtschaftliches Eigen­ 241 

Harbers, Management Buy-Out, S. 61; Koppensteiner, ZHR 155 (1991), 97, 104. Berkefeld, Die Beteiligung von Investoren, S. 102; Kuntz, Informationsweiter­ gabe, S. 139. 243  Teilweise wird § 311 Abs. 3 S. 1 aber auch extensiv als Generalnorm für alle Dritt­ haftungen außerhalb vom Vertrag oder Delikt interpretiert, siehe etwa Becker, in: NK‑BGB, § 311 Rn. 109 ff. 244  Begr. RegE, BT‑Drs. 14/6040 S. 163. 245  So auch Emmerich, in: MüKo BGB, § 311 Rn. 188 f.; Grüneberg, in: Palandt, § 311 Rn. 60; Kindl, in: Erman, § 311 Rn. 89. 242 Siehe

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

interesse am Geschäft hat, dass sie als Quasi-Partei oder als eigentlicher wirt­ schaftlicher Interessenträger angesehen werden kann.246 Paradigmatisch dafür ist ein vom Reichsgericht in 1928 entschiedener Fall, in dem der Käufer eines Grundstücks dieses vor dem endgültigen Eigentumserwerb (wohl) im Namen des Verkäufers weiterverkauft hatte. Das RG urteilte, dass der Weiterverkauf allein im Interesse des Käufers gelegen habe, der nur aus formellen Gründen, nämlich weil er im Grundbuch noch nicht als Eigentümer eingetragen worden sei, als Vertreter und nicht als Verkäufer aufgetreten sei. Als „procurator in rem suam“ sei er aus dem Rechtsgeschäft persönlich verpflichtet, und zwar selbst dann, wenn er schon damals lediglich als Vertreter des Eigentümers aufgetre­ ten sein sollte.247 Der BGH griff diese Rechtsprechung auf und war zunächst bei der Be­ jahung der Eigenhaftung von Vertretern oder Verhandlungsgehilfen sehr großzügig. Sie hafteten regelmäßig schon dann, wenn sie selbst am Ver­ tragsabschluss wirtschaftlich stark interessiert waren und aus dem Geschäft persönlichen Nutzen erstrebten.248 Im Bereich des Gesellschaftsrechts führ­ te diese weite Formel dazu, dass ein Gesellschafter-Geschäftsführer, der an „seiner“ GmbH maßgeblich beteiligt war, höchstpersönlich für die Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten haftete.249 Auch diese Entwicklung war in der Rechtsprechung des RG bereits angelegt.250 Der BGH begründete seine Ansicht damit, dass ein geschäftsführender Mehrheitsgesellschafter ein eige­ nes wirtschaftliches Interesse an den Geschäften der GmbH habe, und zwar nicht bloß ein mittelbares Interesse, sondern ein unmittelbares Eigeninteresse, so dass er beim Einsatz für die GmbH gleichsam in eigener Sache verhande­ le.251 Unter Zugrundelegung dieser alten Rechtsprechung wären die Manager beim Management-Buy-out sicherlich als „procuratores in rem suam“ anzuse­ hen, weil sie wirtschaftlich selbst an der Transaktion stark interessiert sind und daraus persönlichen Nutzen erstreben. Wirtschaftlich betrachtet sind die Ma­ nager (und Investoren) die eigentlichen Käufer, während die NewCo nur aus praktischen Gründen dazwischengeschaltet wird. Zumindest dann, wenn die Manager an der NewCo maßgeblich beteiligt sind und als deren Geschäftsfüh­ rer in den Verhandlungen mit den Altgesellschaftern auftreten, läge ein Fall der vorvertraglichen Dritthaftung vor. 246 

Emmerich, in: MüKo BGB, § 311 Rn. 190; Grüneberg, in: Palandt, § 311 Rn. 61; Löwisch/​Feldmann, in: Staudinger, BGB, § 311 Rn. 197. 247  RG, Urt. v. 1.3.1928 – VI 258/27, RGZ 120, 249, 252 f.; kritisch dazu Ballerstedt, AcP 151 (1950–1951), 501, 524 f. 248 Vgl. BGH, Urt. v. 19.12.1962 – VIII ZR 216/61, MDR 1963, 301. 249  BGH MDR 1963, 301; BGH, Urt. v. 27.10.1982 – VIII ZR 187/81, NJW 1983, 676, 677; v. 23.2.1983 – VIII ZR 325/81, NJW 1983, 1607, 1608 f. 250  Siehe vor allem RG, Urt. v. 19.1.1934 – VII 276/33, RGZ 143, 219, 222 f. 251  So deutlich BGH NJW 1983, 1607, 1608 f.



§ 3.  Dogmatische Einordnung der Offenlegungspflicht

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Diese haftungsfreundliche Rechtsprechung ist jedoch unter Einfluss be­ rechtigter Kritik 252 mittlerweile größtenteils aufgegeben worden. Bereits 1985 stellte der VIII. Senat klar, dass allein die maßgebliche oder auch beherrschen­ de Beteiligung des Vertreters an der von ihm vertretenen GmbH noch nicht ausreiche, um eine Haftung wegen unmittelbaren wirtschaftlichen Eigeninte­ resses annehmen zu können. Dies stünde im Widerspruch zum Trennungs­ prinzip sowie zum Grundsatz, dass die GmbH für ihre Verbindlichkeiten alleine hafte (§ 13 Abs. 2 GmbHG). Dass die Stellung des (Allein-)Gesellschaf­ ters und Geschäftsführers für sich genommen noch nicht als Haftungsgrund ausreiche, zeige sich besonders deutlich am Beispiel der Einmann-GmbH, bei der der handelnde Alleingesellschafter andernfalls stets für ein Verschulden bei Vertragsschluss auch persönlich haften würde.253 Das wirtschaftliche Ei­ geninteresse des für die Gesellschaft auftretenden Gesellschafters/​Geschäfts­ führers komme deshalb nur beim Vorliegen besonderer Umstände in Betracht. Dabei nannte der BGH beispielhaft drei Fallgruppen: (1) der Handelnde hatte sich für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft unbeschränkt selbstschuldne­ risch verbürgt; (2) die Tätigkeit des Handelnden zielt auf die Beseitigung von Schäden ab, für die er andernfalls von der Gesellschaft in Anspruch genom­ men werden könnte; (3) der Handelnde hatte bei Abschluss des Vertrags die Absicht, die vom Vertragspartner zu erbringende vertragliche Leistung nicht ordnungsgemäß an die vertretene Gesellschaft weiterzuleiten, sondern sie zum eigenen Nutzen von ihm selbst bestimmten Zwecken zuzuführen.254 1994 hat der II. Senat unter interner Zustimmung der anderen Senate entschieden, dass auch die Übernahme einer Bürgschaft oder anderer Sicherheiten nicht genüge, um die Eigenhaftung des GmbH‑Geschäftsführers zu bejahen.255 Als Fazit ist festzuhalten, dass eine persönliche Haftung des GmbH‑Ge­ schäftsführers unter dem Gesichtspunkt des wirtschaftlichen Eigeninteresses heute in aller Regel nicht in Betracht kommt.256 Die alte Rechtsprechung ist aus guten Gründen, nämlich wegen des Wertungswiderspruchs zu § 13 Abs. 2 GmbHG, aufgegeben worden; ihre Wiederbelebung ist daher nicht angezeigt. Besondere Umstände, die nach der neuen Judikatur die Eigenhaftung begrün­ den können, dürften beim Management-Buy-out nicht vorliegen. Die Tatsa­ che, dass das Management der eigentliche Erwerber der Anteile ist (und die NewCo gewissermaßen nur „vorgeschoben“ wird), würde insoweit nicht ge­ 252  Siehe

etwa Schanze, Einmanngesellschaft und Durchgriffshaftung, S. 107 f.; Grunewald, ZGR 1986, 580, 586 ff.; Medicus, FS Steindorff, S. 725, 729, 734; Ulmer, NJW 1983, 1577, 1579; Wiedemann, NJW 1984, 2286 f.; eher wohlwollend Roth, GmbHR 1985, 137, 140. 253  BGH, Urt. v. 23.10.1985 – VIII ZR 210/84, NJW 1986, 586, 587. 254 Vgl. BGH NJW 1986, 586, 588. 255  BGH, Urt. v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 186 ff. = NJW 1994, 2220, 2221; bestätigt im Urt. v. 7.11.1994 – II ZR 138/92, ZIP 1995, 31. 256 So BGH, Urt. v. 27.3.1995 – II ZR 136/94, NJW 1995, 1544; vgl. ferner Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 343.

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

nügen. Dafür spricht auch der Vergleich mit den zwei verbliebenen Fallgrup­ pen der persönlichen Haftung, namentlich mit der Verschleierung des Scha­ dens aus dem vorherigen Fehlverhalten und der eigennützigen Verwendung der Gegenleistung statt deren Weiterleitung an die vertretene Gesellschaft. In bei­ den Fällen handelt der Vertreter stark eigennützig gegen das Interesse der Ge­ sellschaft, so dass es im Hinblick auf das Gebot von Treu und Glauben nahe liegt, ihn als den eigentlichen Geschäftsherrn zu behandeln. Der Einsatz des Erwerbsvehikels beim Management-Buy-out (und sei es nur zum Zwecke der Haftungsbeschränkung) hat mit einer solchen Eigennützigkeit nichts zu tun. Eine Haftung des Managements aus culpa in contrahendo unter dem Gesichts­ punkt des eigenen wirtschaftlichen Interesses am Buy-out ist daher abzuleh­ nen.257 bb)  Inanspruchnahme besonderen Vertrauens Die zweite etablierte Fallgruppe der Dritthaftung ist unmittelbar in § 311 Abs. 3 S. 2 BGB geregelt. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass der Dritte „in besonde­ rem Maße Vertrauen für sich in Anspruch nimmt“. Ursprünglich ging es dabei um die Eigenhaftung der sog. Sachwalter, also Personen, die, ohne Stellvertre­ ter einer Verhandlungspartei zu sein, bei den Vertragsverhandlungen eine der­ art hervorgehobene Rolle spielen, die ihre Gleichstellung mit einem künftigen Vertragspartner rechtfertigt.258 Mittlerweile unterscheidet die Rechtsprechung zwischen „persönlichem Vertrauen“, welches voraussetzt, dass der Dritte an Vertragsverhandlungen persönlich teilgenommen hat, und „typisiertem Ver­ trauen“, das eine persönliche Teilnahme nicht erfordert.259 Da der „echte“ Ma­ nagement-Buy-out stets mit einer persönlichen Teilnahme des Managements an den Buy-out-Verhandlungen einhergeht260 , ist hier zunächst das Merkmal des „besonderen persönlichen Vertrauens“ von Interesse. (1)  Persönliches Vertrauen Ein besonderes persönliches Vertrauen nimmt ein Geschäftsleiter nicht schon dann in Anspruch, wenn er im Namen „seiner“ Gesellschaft Verhandlungen führt. Nach der Rechtsprechung entsteht in diesem Fall grundsätzlich nur ein normales Verhandlungsvertrauen, für dessen Verletzung ausschließlich die GmbH haftet.261 Etwas anderes würde mit der gesetzlichen Haftungsordnung 257  Vgl.

auch Berkefeld, Die Beteiligung von Investoren, S. 104 in Bezug auf die Eigen­ haftung der am Buy-out beteiligten Investoren. 258 Grundlegend BGH, Urt. v. 5.4.1971  – VII ZR 163/69, BGHZ 56, 81 (Finanz- und Grundstücksmakler). Zum schillernden Begriff „Sachwalter“ siehe Becker, in: NK‑BGB, § 311 Rn. 122; Medicus, FS Steindorff, S. 725, 736. 259  Sehr anschaulich BGH, Urt. v. 2.6.2008  – II ZR 210/06, BGHZ 177, 25 Rn. 12 f. = NZG 2008, 661. 260  Dazu § 1 II. 261  BGH NJW 1994, 2220, 2222.



§ 3.  Dogmatische Einordnung der Offenlegungspflicht

279

bei der GmbH (§ 13 Abs. 1, 2 GmbHG) kollidieren, die nicht durch eine Aus­ weitung der vorvertraglichen Haftung ihrer gesetzlichen Vertreter umgangen werden dürfe.262 Deshalb lässt der BGH das Argument nicht gelten, dass das Vertrauen in eine juristische Person weitgehend an die natürlichen Personen anknüpfe, die für sie handeln.263 In der Literatur hat sich die Sicht auf den Ge­ schäftsleiter als „Vertrauensträger“ der Gesellschaft, der neben ihr aus culpa in contrahendo haftet (sog. Repräsentantenhaftung), ebenfalls nicht durch­ gesetzt.264 Vor diesem Hintergrund haben die Geschäftsleiter beim Manage­ ment-Buy-out nicht schon kraft ihres Amtes eine besondere Vertrauensstel­ lung inne.265 Allerdings verfügen die Manager in Bezug auf den Vertragsgegenstand über Insiderwissen. Um diesen Umstand zu würdigen, könnte man die Recht­ sprechung zur besonderen Sachkunde des Verhandlungsführers heranziehen. Nach dieser Rechtsprechung haftet der Verhandlungsführer indes nicht schon dann, wenn er auf eine besondere eigene Sachkunde hinweist266 oder als aus­ gewiesener Fachmann auftritt.267 Vielmehr muss er dem Partner zusätzlich in zurechenbarer Weise den Eindruck vermitteln, er werde persönlich die ord­ nungsgemäße Abwicklung des Geschäfts selbst dann gewährleisten, wenn der Partner dem Geschäftsherrn nicht oder nur wenig vertraut oder sein Verhand­ lungsvertrauen sich als nicht gerechtfertigt erweist.268 Erforderlich ist, dass er eine Gewähr für die Seriosität und die Erfüllung des Geschäfts oder die Richtigkeit und Vollständigkeit seiner Erklärungen bietet, die über das norma­ le Verhandlungsvertrauen hinausgeht und den Willensentschluss des anderen Teils beeinflusst.269 Dies kann dadurch geschehen, dass der Fachmann „garan­ 262 

263  264 

BGH, Urt. v. 3.10.1989 – XI ZR 157/88, NJW 1990, 389, 390. BGH NJW 1990, 389, 390.

Siehe nur Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 345; Kleindiek, in: Lutter/​Hommel­ hoff, GmbHG, § 43 Rn. 74; Oetker, in: Henssler/​Strohn, GmbHG, § 43 Rn. 82; Paefgen, in: Ulmer/​Habersack/​Löbbe, GmbHG, § 43 Rn. 345 f.; U. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 43 Rn. 314; Zöllner/​Noack, in: Baumbach/​Hueck, GmbHG, § 43 Rn. 73; a. A. etwa K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1086 ff.; ders., ZIP 1998, 1497, 1502 f. Diskutiert wurde die Repräsen­ tantenhaftung insbesondere bei fahrlässig falschen Angaben zur Kreditwürdigkeit einer insolvenzreifen Gesellschaft. Neuerdings erlebt sie ein gewisses „Comeback“ im Zusam­ menhang mit unrichtiger Angabe des Rechtsformzusatzes „Unternehmergesellschaft (haf­ tungsbeschränkt)“. Dabei wird die Schaffung einer eigenständigen Fallgruppe im Rahmen des § 311 Abs. 3 S. 1 BGB vorgeschlagen, der die Haftung der Geschäftsführer zugeordnet werden soll, vgl. Freitag/​Korch, GmbHR 2013, 1184, 1188 ff. 265  So aber wohl Kuntz, Informationsweitergabe, S. 139. 266  BGH, Urt. v. 4.7.1983 – II ZR 220/82, BGHZ 88, 67, 69 f.; v. 17.10.1989 – XI ZR 173/88, NJW 1990, 506. 267  BGH, Urt. v. 18.10.1993 – II ZR 255/92, NJW 1994, 197, 198. 268  BGH NJW 1990, 389, 390; BGH, Urt. v. 3.4.1990 – XI ZR 206/88, NJW 1990, 1907, 1908. 269  BGH NJW 1990, 389; NJW 1990, 1908; NJW 1994, 2220, 2222; Urt. v. 13.6.2002 – VII ZR 30/01, NJW‑RR 2002, 1309, 1310; Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 344; Oetker, in:

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

tieähnliche Erklärungen“ oder Erklärungen im Vorfeld einer Garantiezusage abgibt.270 Beim Handeln des Geschäftsführers für seine GmbH muss also der Dritte, dem das Vertrauen in die Gesellschaft fehlt, stattdessen darauf vertrau­ en, dass der Geschäftsführer selbst die ordnungsgemäße Geschäftsabwicklung gewährleistet. Ferner ist erforderlich, dass dem Geschäftsführer dieser Um­ stand bekannt ist und er sich auch darauf beruft, um den Dritten zum Ge­ schäftsabschluss zu bewegen.271 Die Anwendung dieser Grundsätze auf den Management-Buy-out würde zum Ergebnis führen, dass die Manager kein besonderes persönliches Ver­ trauen in Anspruch nehmen. Sie treten zwar den Altgesellschaftern gegenüber nicht bloß als Geschäftsführer der NewCo, sondern gleichsam als Geschäfts­ leiter und Kenner der Zielgesellschaft auf. Dabei stellen sie sich mit den Worten von Dieter Medicus „mit einer gewissen Selbstständigkeit“ neben die NewCo, tun also etwas, was über ihre Tätigkeit als Geschäftsführer der NewCo hinaus­ geht.272 Es ist allerdings nicht anzunehmen, dass sie regelmäßig eine Gewähr dafür übernehmen, dass die Erklärungen zum Unternehmenswert richtig und vollständig sind oder dass der angebotene Preis „fair“ ist. Es mag sein, dass die Altgesellschafter dennoch der „eigenen“ Geschäftsleitung mehr vertrauen als dem eigentlichen Geschäftspartner NewCo. Es handelt sich dabei jedoch um abstraktes, typisiertes Vertrauen, das den Managern als Berufsträgern ent­ gegengebracht wird.273 Davon zu unterscheiden ist ein konkretes persönliches Vertrauen, das aufgrund garantieähnlicher Zusagen des Verhandlungsführers entsteht. In Ermangelung solcher Erklärungen scheidet die Inanspruchnahme eines besonderen persönlichen Vertrauens aus. Noch fernliegender ist die Annahme einer persönlichen Vertrauensstellung der Manager, wenn die Buy-out-Verhandlungen von Investoren geführt wer­ den. Es handelt sich dann um einen IBO, d. h. um eine von Investoren gesteu­ erte Übernahme, bei der das Altmanagement lediglich zu Anreizzwecken in geringerem Umfang am Kapital der NewCo beteiligt wird.274 Beim IBO ist le­ diglich an eine Aufklärungspflicht der Investoren oder der NewCo zu denken, wenn das Management sein Insiderwissen an die Investoren weitergibt. Das Wissen der Investoren wird wiederum der NewCo zugerechnet, weil sie beim IBO die Geschäftsleitung der NewCo übernehmen und die Buy-out-Verhand­ Henssler/​Strohn, GmbHG, § 43 Rn. 82; Paefgen, in: Ulmer/​Habersack/​Löbbe, GmbHG, § 43 Rn. 342. 270  BGH NJW 1994, 2220, 2222; OLG Stuttgart, Urt. v. 23.3.2016 – 1 U 97/15, GmbHR 2016, 1200, 1201; Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 344; Grüneberg, in: Palandt, § 311 Rn. 65. 271  OLG Stuttgart, GmbHR 2016, 1200, 1201; U. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 43 Rn. 316. 272 Vgl. Medicus, FS Steindorff, S. 725, 737. 273  So auch Tirpitz, Pflichten, S. 89. 274  Vgl. oben § 1 II.



§ 3.  Dogmatische Einordnung der Offenlegungspflicht

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lungen führen. Aufgrund ihres Insiderwissens erlangt die NewCo einen In­ formationsvorsprung, der ihre eigene Aufklärungspflicht gegenüber dem Ver­ äußerer begründet, ganz ähnlich wie bei einem typischen MBO, bei dem der NewCo das Insiderwissen der Manager zugerechnet wird. Ob bei einem IBO auch die Investoren einer Aufklärungspflicht aus §§ 311 Abs. 3, 241 Abs. 2 BGB unterliegen, ist wiederum zweifelhaft. Sebastian Berkefeld bejaht das mit der Begründung, der Investor nehme ein besonderes per­ sönliches Vertrauen der Altgesellschafter in Anspruch, weil er als Garant für die finanzielle Durchführung des Buy-outs auftrete und die Gesellschafter ihm insofern mehr als der NewCo vertrauten.275 Auch wenn diese Annah­ me zutreffen sollte, folgt daraus nicht, dass der Investor die Altgesellschafter über wertrelevante Umstände informieren muss.276 Es dürfte eine große Rolle spielen, wofür der Investor eine garantieähnliche Zusage abgibt: Seine Garan­ tenstellung im Hinblick auf die Finanzierung bedeutet nicht, dass er auch die Angemessenheit des Kaufpreises persönlich garantiert. Sogar wenn er sich in­ soweit auf etwaige Erklärungen des Managements beruft, nimmt er kein per­ sönliches Vertrauen der Anteilseigner in Anspruch; wenn überhaupt, wird das persönliche Vertrauen dem Management entgegengebracht. (2)  Typisiertes Vertrauen Soeben wurde angedeutet, dass eine Dritthaftung des Managements auf einem typisierten Vertrauen beruhen könnte. Die Rechtsprechung spricht von typi­ siertem Vertrauen etwa im Bereich der allgemeinen zivilrechtlichen Prospekt­ haftung.277 Ein typisiertes Vertrauen findet danach seine Grundlage in einer „Garantenstellung der für die Geschicke der kapitalsuchenden Gesellschaft und damit gegebenenfalls auch für die Herausgabe eines Anlageprospekts ver­ antwortlichen Personen“; zu diesen Prospektverantwortlichen gehören ins­ besondere „die Initiatoren, Gründer und Gestalter der Gesellschaft, soweit sie das Management bilden oder beherrschen“.278 Teilweise werden buyout­ willige Manager mit Prospektverantwortlichen verglichen 279, was gar nicht so fernliegend ist, wenn man die Angaben zum Unternehmenswert, die das Management der NewCo zur Verfügung stellt, als eine Art „Prospekt“ für die verkaufswilligen Gesellschafter ansieht. Dann könnte man die Manager als Personen ansehen, die für diesen „Prospekt“ verantwortlich sind und denen ein standardisiertes Vertrauen entgegen gebracht wird. Dies gälte für den MBO 275  Berkefeld, Die Beteiligung von Investoren, S. 106 f. 276  So aber Berkefeld, Die Beteiligung von Investoren,

S. 107. allgemeinen zivilrechtlichen Prospekthaftung und deren Entwicklung siehe etwa Assmann, in: Assmann/​Schlitt/von Kopp-Colomb, WpPG/VermAnlG, WpPG, vor §§ 21 – 25 Rn. 2 ff.; Kindl, in: Erman, § 311 Rn. 95 ff. 278  BGHZ 177, 25 Rn. 12; dazu Feldmann, in: Staudinger, BGB, § 311 Rn. 207; Kindl, in: Erman, § 311 Rn. 97. 279  Kuntz, Informationsweitergabe, S. 140. 277 Zur

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

und den IBO gleichermaßen, sofern die Manager ihr wertrelevantes Wissen an die NewCo weitergeben. Die Folge wäre, dass die Manager aufgrund eines sol­ chen Vertrauens dafür haften würden, dass ihre Angaben zum Unternehmens­ wert richtig und vollständig sind. Unabhängig von der Frage, ob die Gesellschafter beim Management-Buyout genauso schutzbedürftig sind wie die Anleger im Bereich der Prospekthaf­ tung, sieht sich diese Lösung mit einem weiteren Hindernis konfrontiert: Die Prospekthaftung setzt voraus, dass die Personen, denen ein typisiertes Vertrau­ en entgegen gebracht wird, das jeweilige Anlagemodell maßgeblich gestalten (als Initiatoren, Gründer und Gestalter der Gesellschaft oder zumindest als Hin­ termänner) oder durch ihr nach außen in Erscheinung getretenes Mitwirken an dem Prospekt einen Vertrauenstatbestand schaffen (sog. Garanten).280 Allein die „Erkenntnis der Gesellschafter, dass jemand am Geschäft partizipiert, dem sie die Verwaltung ihrer Investition anvertraut haben“281, dürfte für die Annah­ me eines typisierten Vertrauens kaum genügen. Beim IBO wäre also ein typisier­ tes Vertrauen der Gesellschafter in die Manager zu verneinen, da die Letzteren weder die treibende Kraft der Transaktion sind noch nach außen in Erscheinung treten. Beim MBO käme dagegen ein typisiertes Vertrauen grundsätzlich in Be­ tracht. Zu einer „kraft Organisationsrechts institutionalisierten Vertrauensstel­ lung“282 der Geschäftsleiter muss dann aber ihr tatsächlicher Einfluss auf das Ergebnis von Vertragsverhandlungen (vgl. § 311 Abs. 3 S. 2 BGB) hinzukommen. Parallelen bestehen nicht nur zur Prospekthaftung, sondern auch zur Haf­ tung von Sachverständigen, deren Gutachten oder Prüfervermerken eben­ falls typisiertes Vertrauen entgegengebracht wird. Dieses bildet die sachliche Grundlage für die sog. Berufs- oder Expertenhaftung, etwa für die Richtig­ keit eines Gutachtens, das die eine Partei der anderen vorlegt, um diese zum Vertragsabschluss zu bewegen. Wertrelevante Angaben der buyoutwilligen Manager unterscheiden sich in dieser Hinsicht kaum von Ausführungen eines Sachverständigen in seinem Gutachten.283 Ein typisiertes Vertrauen setzt hier allerdings voraus, dass der Veräußerer weiß, dass die Angaben der NewCo, die für den Wert der Zielgesellschaft relevant sind, auf den Ausführungen des Managements basieren. Dies kommt ebenfalls eher beim MBO als beim IBO in Betracht. Ein weiteres Problem ist, dass die dogmatische Einstufung der Ex­ pertenhaftung sehr umstritten ist. Zum Teil wird sie tatsächlich als eine Un­ terkategorie der Sachwalterhaftung angesehen und unter § 311 Abs. 3 S. 2 BGB subsumiert.284 Die Rechtsprechung und ein Teil der Lehre erblicken dagegen 280  Vgl. dazu Kindl, in: Erman, § 311 Rn. 97 f. 281  Kuntz, Informationsweitergabe, S. 140. 282 

Kuntz, Informationsweitergabe, S. 140. Teilweise werden MBO ‑Fälle sogar direkt der Kategorie der Berufshaftung zugeord­ net, etwa von Tirpitz, Pflichten, S. 89. 284 Vgl. BT‑Drs. 14/6040 S. 163; zu „third party legal opinion“ von Rechtsanwälten 283 



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im Verhältnis zwischen dem Sachverständigen und seinem Auftraggeber einen Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten des Dritten, für den das Gutachten be­ stimmt ist.285 Im Urteil vom 12.1.2011 hat der BGH neuerdings beides geprüft, aber offen gelassen, ob die Voraussetzungen des § 311 Abs. 3 S. 2 BGB erfüllt waren.286 Im Schrifttum wird mitunter gesagt, beide Lösungswege führten zu praktisch identischen Ergebnissen.287 Dennoch gibt es Unterschiede, die auch beim Buy-out relevant sind. Bei einer Haftung des Sachwalters aus culpa in contrahendo sind etwaige An­ sprüche des Geschädigten gegen den eigentlichen Vertragspartner unschäd­ lich, sogar im Gegenteil: Haftet der Vertragspartner nicht, so scheidet auch die Sachwalterhaftung aus, da sie nicht weiter gehen kann als die Haftung des eigentlichen Geschäftsherrn.288 Beim Buy-out haftet die NewCo als Käufe­ rin für etwaige Aufklärungsmängel, so dass auch das Management als Sach­ walter oder Experte gemäß § 311 Abs. 3 S. 2 haftbar wäre. Beim Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ist die Haftung des Sachverständigen aus­ geschlossen, wenn der Geschädigte gleichwertige vertragliche Ansprüche (egal gegen wen) hat, weil er dann nicht schutzwürdig ist.289 Die Ansprüche des Veräußerers gegen die NewCo könnten also der Haftung der Manager ent­ gegenstehen. Allerdings handelt es sich bei diesen Ansprüchen um vorvertrag­ liche und nicht um vertragliche Ansprüche. Einige Literaturstimmen halten jedoch neben vertraglichen auch „sonst rechtlich gleichwertige“ Ansprüche für ausreichend, um den Sachverständigen aus der Haftung zu entlassen.290 Die Position des BGH ist nicht ganz klar. Er hat zwar mehrmals entschieden, dass Ansprüche aus Prospekthaftung  – ebenfalls vorvertragliche Ansprü­ che – den Ansprüchen gegen einen Wirtschaftsprüfer aus einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter nicht gleichwertig seien. Der BGH hat die­ ses Ergebnis aber auf andere Umstände gestützt, nämlich darauf, dass Pro­ spekthaftung und Berufshaftung unterschiedliche Ziele verfolgen und unter­ BT‑Drs. 14/7052 S. 190; Emmerich, in: MüKo BGB, § 311 Rn. 197; Kersting, Dritthaftung, S. 318, 333; Canaris, JZ 1995, 441, 444 ff.; ders., ZHR 163 (1999), 206, 220 ff.; Hennrichs, FS Hadding, S. 875, 889 f.; J. Koch, AcP 204 (2004), 59, 70 ff. 285  BGH, Urt. v. 7.2.2002 – III ZR 1/01, NJW 2002, 1196, 1197 (Architekt); v. 17.9.2002 – X ZR 237/01, NJW 2002, 3625, 3626 (Versicherungsgutachter); v. 20.4.2004 – X ZR 250/02, NJW 2004, 3035 (Gutachter zur Grundstückswertermittlung); v. 12.1.2011 − VIII ZR 346/09, NJW‑RR 2011, 462 (Kfz-Gutachter); w. N. bei Kindl, in: Erman, § 311 Rn. 92; zustimmend Grüneberg, in: Palandt, § 328 Rn. 34; vgl. auch Gottwald, in: MüKo BGB, § 328 Rn. 217. 286  BGH NJW‑RR 2011, 462 Rn. 14. 287 So Grüneberg, in: Palandt, § 328 Rn. 34. 288  BGH NJW‑RR 2011, 462 Rn. 14 f. 289  BGH, Urt. v. 15.2.1978 – VIII ZR 47/77, BGHZ 70, 327, 329 f.; v. 22.7.2004 – IX ZR 132/03, NJW 2004, 3630, 3632; Gottwald, in: MüKo BGB, § 328 Rn. 191; Grüneberg, in: Pa­ landt, § 328 Rn. 18. 290  Hübner/​Sagan, JA 2013, 741, 743.

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

schiedlich verjähren.291 Letztendlich spricht mehr dafür, dass die Ansprüche des Veräußerers gegen die NewCo aus culpa in contrahendo genügen würden, um die Haftung der Manager aus einem Vertrag mit Schutzwirkung zuguns­ ten der Gesellschafter auszuschließen. Eine „Expertenhaftung“ der Manager käme also nur dann in Betracht, wenn man diese dogmatisch auf § 311 Abs. 3 S. 2 BGB stützen würde. Im Ergebnis kann man bei einem „echten“ Management-Buy-out eine Haf­ tung des Managements aufgrund des typisierten Vertrauens nicht ausschlie­ ßen. Sie ließe sich mit den Parallelen zur Prospekt- und zur Berufshaftung be­ gründen. Zu betonen ist jedoch, dass § 311 Abs. 3 S. 2 BGB das Management nicht zur Aufklärung des Veräußerers verpflichtet (dies obliegt der NewCo), sondern lediglich die Haftung für unrichtige oder unvollständige Angaben zu wertrelevanten Umständen postuliert. Diese Haftung tritt zur Haftung der NewCo für die Verletzung ihrer Aufklärungspflicht hinzu und trägt dazu bei, dass diese Pflicht ordnungsgemäß erfüllt wird. 2.  Rechtsfolgen der Pflichtverletzung Nicht nur beim Tatbestand, sondern auch im Hinblick auf die Rechtsfolgen erlaubt das Institut der culpa in contrahendo an die jeweilige MBO‑Situation angepasste, flexible Lösungen. Im Einzelnen ist die Schadensersatzhaftung beim Verstoß gegen vorvertragliche Aufklärungspflichten indes sehr umstrit­ ten. Nach der allgemeinen Regel kann der Geschädigte verlangen, so gestellt zu werden, wie er ohne die Pflichtverletzung gestanden hätte (vgl. § 249 Abs. 1 BGB).292 Beim Management-Buy-out hat also der Veräußerer grundsätzlich einen Anspruch auf die Herstellung des Zustands, der bei einer ordnungs­ gemäßen Aufklärung eingetreten worden wäre. Im Falle einer ordnungsgemä­ ßen Aufklärung gibt es zwei mögliche Kausalverläufe: (1) die Verkäuferseite er­ zielt einen besseren Preis oder (2) die Transaktion scheitert, weil die Erwerber nicht bereit sind, diesen Preis zu zahlen.293 Im ersten Fall umfasst der Schaden auch das Erfüllungsinteresse, also die Differenz zwischen dem hypothetischen und dem tatsächlich erzielten Preis als entgangenen Gewinn (§ 252 BGB). Der Ersatz des Erfüllungsinteresses ist immer möglich, solange der Geschädigte nachweisen kann, dass der Vertrag bei gehöriger Aufklärung tatsächlich zu den von ihm behaupteten Konditionen zustande gekommen wäre (Kausalitäts­ nachweis).294 Dies stößt oft auf praktische Hürden, zumal es keine Darlegungs291  BGH, Urt. v. 8.6.2004 – X ZR 283/02, NJW 2004, 3420, 3421 f.; v. 24.4.2014 – III ZR 156/13, NJW 2014, 2345 Rn. 22. 292  Grüneberg, in: Palandt, § 311 Rn. 54. 293  Nur die erste Alternative berücksichtigen Berkefeld, Die Beteiligung von Investoren, S. 109 f. sowie Tirpitz, Pflichten, S. 94. 294  BGH, Urt. v. 19.5.2006 – V ZR 264/05, BGHZ 168, 35 Rn. 23 = NJW 2006, 3139; vgl. auch Urt. v. 8.5.2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 66 f.; Emmerich, in: MüKo BGB,



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und Beweiserleichterungen für den Geschädigten gibt.295 Auch beim Manage­ ment-Buy-out wird der Kausalitätsnachweis schwierig zu führen sein, so dass der Erwerber meist nicht auf das Erfüllungsinteresse haften wird.296 Wie sich die Haftung des Schädigers dann gestaltet, wird unterschiedlich beurteilt. Im Ausgangspunkt herrscht überwiegend Einigkeit: Der tatsächlich abge­ schlossene Vertrag wird als Schaden angesehen, den der Geschädigte im Wege der Vertragsaufhebung nach § 249 Abs. 1 BGB liquidieren kann.297 Dies gilt grundsätzlich auch für den Unternehmenskauf298 und damit für den Manage­ ment-Buy-out. Allerdings stößt die Naturalrestitution bei solchen Transaktio­ nen schnell an ihre Grenzen. Zum Zeitpunkt der Geltendmachung des Ersatz­ anspruchs hat sich das vom Erwerber fortgeführte Unternehmen im Normalfall bereits mehr oder weniger erheblich verändert.299 Dies gilt schon für den Un­ ternehmenskauf in Form des direkten Anteilserwerbs; wird ein Erwerbsvehi­ kel eingeschaltet, so werden später in der Regel auch die Vermögenswerte der Zielgesellschaft auf dieses übertragen. Dies hat zur Folge, dass die Zielgesell­ schaft zum Zeitpunkt der Rückabwicklung „nur noch als ihres Unternehmens entkleidete Hülle“300 existiert. Die zurück zu gewährenden Anteile sind der Sache nach nicht mehr diejenigen, die verkauft wurden. Die Rückgewähr des Vermögens stößt ebenfalls auf praktische Schwierigkeiten. Aus diesen Grün­ den ist die Naturalrestitution beim Unternehmenskauf eigentlich „die falsche Wahl“; oft stellt sich die Frage, ob sie überhaupt möglich oder zumutbar ist. Die Parteien haben daran in den meisten Fällen auch gar kein Interesse. Die Literatur hilft dann mit einer großzügigen Anwendung des § 251 Abs. 1 BGB und erlaubt dem Geschädigten, statt Naturalrestitution Geldersatz zu fordern.301 Die Gegenansicht, der insbesondere die Rechtsprechung folgt, ge­ währt dem Geschädigten ein Wahlrecht zwischen Aufhebung und Aufrecht­ § 311 Rn. 213; Herresthal, in: BeckOGK, BGB, § 311 Rn. 347; kritisch Feldmann, in: Staudin­ ger, BGB, § 311 Rn. 175. 295  So ausdrücklich BGHZ 193, 159 Rn. 67. 296  A. A. Berkefeld, Die Beteiligung von Investoren, S. 115 f.; Tirpitz, Pflichten, S. 94. 297  St. Rspr. seit BGH, Urt. v. 31.1.1962  – VIII ZR 120/60, NJW 1962, 1196, 1198 f.  – Kreissäge; Emmerich, in: MüKo BGB, § 311 Rn. 211; Feldmann, in: Staudinger, BGB, § 311 Rn. 177; Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 137 ff.; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 69 ff.; Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspflichten, S. 306; Fleischer, AcP 200 (2000), 91, 111 ff., 117, 120. 298 Vgl. Engelhardt/von Maltzahn, in: Holzapfel/​Pöllath, Unternehmenskauf in Recht und Praxis, Rn. 683. 299  Dazu etwa Kersting, JZ 2008, 714, 716 und Schöne, ZGR 2000, 86, 103 ff. 300  Rhein, Interessenkonflikt der Manager, 224. 301  Becker, in: NK‑BGB, § 311 Rn. 86; Herresthal, in: BeckOGK, BGB, § 311 Rn. 347; Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung nach culpa in contrahendo, S. 121, 159; Rhein, Interessenkonflikt der Manager, S. 224; Canaris, AcP 200 (2000), 273, 315 f.; Kersting, JZ 2008, 714, 719; Kindl, WM 2003, 409, 412; Mertens, ZGS 2004, 67, 70 f.; a. A. Goede, Wahl­ recht auf schadensersatzrechtliche Minderung, S. 58 ff.; enger wohl auch Grigoleit, Vorver­ tragliche Informationshaftung, S. 206 f.

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erhaltung des für ihn ungünstigen Vertrags, wobei er im letzten Fall seinen (Rest-)Vertrauensschaden liquidieren kann.302 Das geschieht bei einem Kauf­ vertrag in der Weise, dass der Geschädigte so behandelt wird, als wäre es ihm bei Kenntnis der wahren Sachlage gelungen, den Vertrag zu einem günstigeren Preis abzuschließen.303 Schaden ist danach der Betrag, um den der Geschädig­ te den Kaufgegenstand zu teuer erworben hat.304 Dies gilt auch für den Un­ ternehmenskauf, wobei dort das „zuviel Gezahlte“ im Hinblick auf die Unsi­ cherheiten der Unternehmensbewertung unter Berücksichtigung aller für den Erwerb maßgeblichen Umstände zu ermitteln und notfalls nach § 287 ZPO zu schätzen ist.305 Dogmatisch steht diese Ansicht im Spannungsverhältnis zum Konzept des Vertrags als Schaden, dem im Ausgangspunkt ja auch die Recht­ sprechung folgt.306 Stimmig wird das Ganze nur dann, wenn man wie Hans Stoll307 den Schaden bei Aufklärungspflichtverletzungen nicht in dem Ver­ tragsschluss, sondern in den frustrierten Vertragsaufwendungen erblickt. Das „zuviel Gezahlte“ erscheint in diesem Licht als frustrierte Aufwendung, als der Betrag, den der Geschädigte in den Vertrag irrtümlich investiert hat. Zu dieser Sichtweise tendiert auch der BGH, wenn er das „zuviel Gezahlte“ als Vertrau­ ensschaden betrachtet und den Geschädigten infolgedessen vom schwierigen Kausalitätsnachweis befreit.308 Denn ein solcher Nachweis sei nur dann er­ forderlich, wenn der Geschädigte mehr verlange, als ihm vertraglich zustehe, wenn er also sein Erfüllungsinteresse geltend mache.309 Ob diese Judikatur auf den Management-Buy-out passt, ist fraglich. Der BGH scheint bei aller seiner Großzügigkeit gegenüber dem Geschädigten im­ merhin zwischen „zu teuer gekauft“ und „zu billig verkauft“ zu differen­ zieren.310 Nur im ersten Fall liege ein Vertrauensschaden vor, bei dem der Kausalitätsnachweis entbehrlich sei. Die geschädigten Gesellschafter beim 302 

BGH, Urt. v. 6.4.2001 – V ZR 394/99, NJW 2001, 2875, 2876 f.; v. 19.5.2006 – V ZR 264/05, BGHZ 168, 35 Rn. 21 = NJW 2006, 3139; Feldmann, in: Staudinger, BGB, § 311 Rn. 179; Stoll, FS Riesenfeld, S. 275, 283 ff., ders., FS Deutsch, S. 361, 371 f.; Lieb, FS Rechts­ wiss. Fakultät Köln, S. 251, 256, 264. 303  BGH NJW 2001, 2875, 2876 f.; BGH, Urt. v. 11.11.2011 − V ZR 245/10, NJW 2012, 846 Rn. 12. 304  BGH NJW 2001, 2875, 2876 f.; BGH, Urt. v. 1.2.2013 – V ZR 72/11, NJW 2013, 1807 Rn. 15; v. 6.11.2015 – V ZR 78/14, BGHZ 207, 349 Rn. 24 = NJW 2016, 1815; Lorenz, in: Beck­ OK BGB, § 280 Rn. 57. 305  BGH, Urt. v. 25.5.1977 – VIII ZR 186/75, BGHZ 69, 53, 58 f.; v. 2.6.1980 – VIII ZR 64/79, NJW 1980, 2408, 2410; v. 4.6.2003 – VIII ZR 91/02, NZG 2003, 873, 875. 306  Vgl. die Nachweise in Fn. 297. 307  Stoll, FS Riesenfeld, S. 275, 283 ff., ders., FS Deutsch, S. 361, 371 f. 308  BGHZ 69, 53, 58; BGH, Urt. v. 14.3.1991 – VII ZR 342/89, BGHZ 114, 87, 94; BGH NJW 2001, 2875, 2876. Insofern ist die Position des BGH dogmatisch nicht konsequent. 309  BGHZ 168, 35 Rn. 22. 310  So auch Kindl, in: Erman, § 311 Rn. 81; Kersting, JZ 2008, 714, 718; a. A. (keine Dif­ ferenzierung) Theisen, NJW 2006, 3102, 3103, der insofern auf BGH NJW 1999, 2032, 2034 verweist.



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Management-Buy-out haben dagegen zu billig verkauft und können nach der Rechtsprechung eine Nachzahlung wohl nur dann fordern, wenn sie nachwei­ sen, dass die Erwerber auch den höheren Preis gezahlt hätten.311 Ansonsten bleibt nur der bereits geschilderte Weg über §§ 249, 251 BGB. Dogmatisch er­ scheint dieser Weg ohnehin vorzugswürdig, da die Rechtsprechung zum Rest­ vertrauensschaden, wie ihr zu Recht vorgeworfen wird, dem Geschädigten de facto das Erfüllungsinteresse ohne Nachweis gewährt, dass sich der andere Teil auf veränderte Konditionen tatsächlich eingelassen hätte. Für den Schä­ diger entsteht dadurch ein Kontrahierungszwang, weil ihm der Nachweis des Gegenteils versperrt wird. Im Ergebnis erhält das Schadensersatzrecht eine minderungsähnliche Funktion, die ihm wesensfremd ist: Es kommt zu einer „Minderung aus c. i. c.“.312 Unabhängig davon, welchem Ansatz man folgt, stellt sich die Frage, wie der Restvertrauensschaden bzw. der Geldersatz nach § 251 BGB zu berechnen ist. Auch dies ist umstritten, wobei „die Meinungsfronten bei diesem Streit nicht entlang derselben Linien verlaufen wie bei der Frage nach der Zulässigkeit der ‚Minderung aus c. i. c.‘“313. In der Literatur wird häufig dafür plädiert, bei der schadensrechtlichen Abwicklung die zwischen den Parteien vereinbarte Wert­ relation zu berücksichtigen. Denn der Geschädigte habe weder ein Reurecht und könne ein für ihn ungünstiges Äquivalenzverhältnis ausmerzen noch dürfe ihm ein günstiges Äquivalenzverhältnis aufgrund des Schadensereig­ nisses genommen werden.314 Dogmatisch wird die Beibehaltung des vertrag­ lichen Äquivalenzverhältnisses meist über die analoge Anwendung der Min­ derungsvorschriften erreicht. Der Vertragspreis muss also gemäß § 441 Abs. 3 BGB analog unter Aufrechterhaltung der vereinbarten Wertrelation proportio­ nal herabgesetzt bzw. beim Buy-out erhöht werden.315 Zur Veranschaulichung wird oft folgendes, auf Stoll316 zurückgehendes Beispiel gebracht: Aufgrund falscher Angaben in der Bilanz kauft K von V ein Unternehmen zum Preis von 311 Vgl.

Kindl, in: Erman, § 311 Rn. 81. Becker, in: NK‑BGB, § 311 Rn. 86; Harke, in: Soergel, § 311 Rn. 115; Herresthal, in: BeckOGK, BGB, § 311 Rn. 346; Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 182 ff.; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 78 ff.; ders., NJW 1999, 1001, 1002; Basedow, NJW 1982, 1030; Messer, FS Steindorff, S. 743, 749 ff.; Tiedtke, JZ 1989, 569, 571 f.; kritisch auch Grüneberg, in: Palandt, § 311 Rn. 57. 313  Kersting, JZ 2008, 714, 719. 314  Herresthal, in: BeckOGK, BGB, § 311 Rn. 348. 315  Herresthal, in: BeckOGK, BGB, § 311 Rn. 348; Gebhardt, Herabsetzung der Gegen­ leistung nach culpa in contrahendo, S. 150; Canaris, AcP 200 (2000), 273, 316 f., 318; Huber, AcP 202 (2002), 179, 216 f.; Kindl, WM 2003, 409, 412; Stoll, FS Riesenfeld, S. 275, 285; für den Buy-out Berkefeld, Die Beteiligung von Investoren, S. 110 f. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt Harke, in: Soergel, § 311 Rn. 116 über einen Teilrücktritt nach § 324. 316  Stoll, FS Riesenfeld, S. 275, 285. Canaris, AcP 200 (2000), 273, 317 schreibt das Bei­ spiel irrtümlich Paefgen zu, der sich aber selbst auf den soeben zitierten Beitrag Stolls beruft, siehe Paefgen, Haftung für mangelhafte Aufklärung, S. 79. 312 

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1.000.000 DM, dessen wahrer Wert aber nur 400.000 DM beträgt; träfen die Bilanzzahlen zu, beliefe sich der Wert auf 800.000 DM. K war also bereit, aus welchem Grund auch immer, 25 % Aufschlag auf den aus der Bilanz hervor­ gehenden Unternehmenswert zu bezahlen. Daran muss er sich festhalten las­ sen, so dass auch der angepasste Kaufpreis 125 % des wahren Werts beträgt, d. h. 500.000 DM. Die Differenz zwischen dem gezahlten und angepassten Kaufpreis (hier 500.000 DM) bekommt K im Rahmen der schadensrechtlichen Abwicklung zurück. Würde man dagegen einfach auf die Differenz zwischen dem gezahlten Preis und dem wahren Wert abstellen, bekäme K 600.000 DM als Ausgleich. Er stünde damit besser als ohne die Pflichtverletzung, weil er die Nachteile des Vertrags, die auf seiner eigenen Entscheidung beruhen, nicht mehr tragen müsste.317 Ähnliche Überlegungen werden von Berkefeld für den Management-Buy-out angestellt: Es sei z. B. denkbar, dass der Gründer eines Familienunternehmens bei der Regelung der Nachfolge einen Abschlag auf den Kaufpreis akzeptiere, wenn der Erwerber zusichere, das Unternehmen im Sinne des Gründers fortzuführen. Daher müsse die vertragliche Wertrelation bei der Schadensberechnung erhalten bleiben.318 Die Gegenmeinung lehnt die analoge Anwendung der Minderungsvor­ schriften ab und will dem Geschädigten die schlichte Differenz zwischen dem gezahlten Kaufpreis und dem wirklichen Wert der Kaufsache gewähren.319 Be­ gründet wird dies damit, dass bei der Abwicklung nach § 251 BGB der An­ spruch des Geschädigten auf Vertragsaufhebung in Geld umzurechnen sei; es müsse also festgestellt werden, welchen Wert die Vertragsaufhebung für den Geschädigten hätte. Hierzu sei der Anspruch auf Rückzahlung des Kaufprei­ ses mit dem Anspruch auf Herausgabe der Kaufsache zu saldieren. Letzterer entspreche dem objektiven Wert der Kaufsache, so dass der Geschädigte die Differenz zwischen diesem Wert und dem gezahlten Kaufpreis erhalte. Auf den objektiven Wert und nicht auf die vertragliche Wertrelation sei deshalb ab­ zustellen, weil man sich nicht im Vertragsrecht, sondern im Schadensersatzund Bereicherungsrecht befinde.320 Der BGH verhält sich in der Frage der Schadensberechnung ambivalent321, seine ausdrückliche Berufung auf Stoll im Urteil vom 19.5.2006322 könnte je­ doch so verstanden werden, dass er dessen Ansicht auch insofern teilt, als es 317 Vgl. Canaris, AcP 200 (2000), 273, 317 (auch mit dem umgekehrten Beispiel der Rückabwicklung eines für den Geschädigten günstigen Geschäfts). 318  Berkefeld, Die Beteiligung von Investoren, S. 111. 319  Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 194 ff.; Tutmann, Minderung des Kaufpreises aufgrund von culpa in contrahendo, S. 108 ff.; Kersting, JZ 2008, 714, 719 ff.; Medicus, FS Lange, S. 539, 557 f.; Mertens, ZGS 2004, 67, 71 f.; Messer, FS Steindorff, S. 743, 754; Tiedtke, JZ 1989, 569, 570. 320  Kersting, JZ 2008, 714, 719 f. 321 Dazu Mertens, ZGS 2004, 67, 71 f. 322  BGHZ 168, 35 Rn. 21.



§ 3.  Dogmatische Einordnung der Offenlegungspflicht

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um die Berücksichtigung des vertraglichen Äquivalenzverhältnisses geht.323 Schließlich gibt es noch eine dritte Methode der Schadensberechnung, wonach dem Geschädigten die Differenz zwischen dem fiktiven Wert (im obigen Bei­ spiel: 800.000 DM) und dem tatsächlichen Wert des Vertragsgegenstands (im Beispiel: 400.000 DM) zu gewähren ist. Diese Methode basiert auf der Über­ zeugung, dass die Schadensberechnung von der Höhe des Kaufpreises un­ abhängig sein müsse.324 Da eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Pros und Kontras jeder Berechnungsmethode im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich ist, wird auf die weiterführende Literatur verwiesen.325 An dieser Stelle genügt die Fest­ stellung, dass das Institut der culpa in contrahendo nicht nur tatbestands­ mäßig, sondern auch im Hinblick auf die Rechtsfolge geeignet ist, die Auf­ klärungsproblematik beim Management-Buy-out angemessen zu lösen. Dies gilt im Prinzip unabhängig davon, welcher Berechnungsmethode man folgt. Es verbleibt allerdings ein praktisches Problem, nämlich die Bestimmung des „wahren“ Unternehmenswerts, das sich bei jeder Schadensberechnungs­ methode und auch sonst in der Praxis des Unternehmenskaufs immer wieder stellt. 3.  Zusammenfassung und Erwiderung auf die Kritik a)  Zusammenfassung der Ergebnisse Das Institut der culpa in contrahendo bietet ein solides dogmatisches Werk­ zeug für die Behandlung von Aufklärungspflichten beim Management-Buyout. Unter § 311 Abs. 2 und 3 BGB lässt sich sowohl der Direkterwerb als auch der praktisch häufigere Erwerb der Zielgesellschaft über ein Akquisitions­ vehikel (NewCo) subsumieren. Beim Direkterwerb entsteht mit der Aufnah­ me der Buy-out-Verhandlungen zwischen dem Management und dem Ver­ äußerer (der Zielgesellschaft oder ihren Gesellschaftern) ein vorvertragliches Schuldverhältnis i. S. d. § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB, aus dem Aufklärungspflich­ ten des Managements resultieren. Bei der Einschaltung eines Akquisitions­ vehikels entsteht ein solches Schuldverhältnis nur zwischen dem Veräußerer und der NewCo. Im Rahmen dieses Schuldverhältnisses ist die NewCo zur Aufklärung des Veräußerers verpflichtet, soweit sie in den Besitz von Insider­ wissen kommt. Bei einem „echten“, vom Management betriebenen MBO ist dies stets der Fall, da das Insiderwissen der Manager der NewCo zugerechnet wird. Bei einem von Investoren initiierten IBO hängt die Rechtslage davon ab, ob die Manager ihr Insiderwissen an den Investor weitergeben. Tun sie 323 Vgl.

Kersting, JZ 2008, 714, 720.

324  So wohl Paefgen, Haftung für mangelhafte Aufklärung, S. 80 f., 88. 325 Siehe insbesondere eine eingehende Analyse unterschiedlicher Auffassungen

Gebhardt, Herabsetzung der Gegenleistung nach culpa in contrahendo, S. 133 ff.

bei

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das, wird dieses Wissen ebenfalls der NewCo zugerechnet mit der Folge, dass sie zur Aufklärung des Veräußerers verpflichtet wird. Ansonsten trifft die NewCo keine Aufklärungspflicht; die Situation gestaltet sich wie bei einem normalen Unternehmenskauf. Beim Erwerb der Zielgesellschaft über die NewCo kommt zudem eine vor­ vertragliche Dritthaftung der Manager nach § 311 Abs. 3 S. 2 BGB in Betracht. Die Manager haften insoweit für die Richtigkeit und Vollständigkeit der An­ gaben, die gegenüber dem Veräußerer gemacht werden und auf den Wert der Zielgesellschaft schließen lassen. Begründen lässt sich diese Haftung mit einem typisierten Vertrauen, das die Gesellschafter dem Management entgegenbrin­ gen; insoweit bestehen Parallelen zur Prospekt- sowie zur Berufs- und Exper­ tenhaftung. Ein solches typisiertes Vertrauen besteht jedoch nur beim MBO und nicht beim IBO. Zudem folgt aus § 311 Abs. 3 S. 2 BGB keine Aufklärungs­ pflicht des Managements, sondern vielmehr die Haftung für unrichtige oder unvollständige Angaben zu wertrelevanten Umständen. Diese Dritthaftung tritt zur Aufklärungspflicht der NewCo hinzu und verstärkt sie. Auf der Rechtsfolgenseite erlaubt das Institut der culpa in contrahendo ebenfalls angemessene Lösungen. Die Verletzung vorvertraglicher Aufklä­ rungspflichten führt in der Regel nicht zur Vertragsaufhebung, sondern zur Haftung des Erwerbers auf Geldersatz, wobei die Begründungen divergie­ ren. Den meisten Literaturstimmen zufolge tritt der Geldersatz an die Stelle der Vertragsaufhebung gemäß § 251 Abs. 1 BGB. Die Rechtsprechung gewährt dem geschädigten Käufer dagegen ein Wahlrecht zwischen Vertragsaufhebung und Ersatz des „zuviel Gezahlten“ ohne Nachweis, dass sich der Gegner auf veränderte Konditionen tatsächlich eingelassen hätte. Ob auch der Verkäufer, etwa beim Management-Buy-out, von dieser Erleichterung profitieren kann, bleibt indes zweifelhaft. Mehr Rechtssicherheit bietet daher die vom Schrift­ tum befürwortete Schadensliquidation nach § 251 Abs. 1 BGB, die außerdem dogmatisch vorzugswürdig ist. Meinungsverschiedenheiten bestehen auch hinsichtlich der richtigen Berechnungsmethode, wobei der Hauptstreitpunkt ist, ob im Rahmen der schadensrechtlichen Abwicklung das vertragliche Äqui­ valenzverhältnis berücksichtigt werden muss. b)  Bedenken gegen die culpa in contrahendo beim MBO Die Bedenken, die gegen die Anwendung der culpa in contrahendo beim Ma­ nagement-Buy-out gelegentlich geäußert werden, haben keine starke Durch­ schlagskraft. Die Einwände von Rhein richten sich etwa gegen die Existenz vorvertraglicher Aufklärungspflichten der Manager. Er bejaht zwar den Infor­ mationsbedarf des Veräußerers sowie die Möglichkeit des Managements, die erforderlichen Informationen zur Verfügung zu stellen, zweifelt jedoch an der Zumutbarkeit der Informationsweitergabe und meint deshalb, vertragsschluss­ bezogene Aufklärungspflichten des Managements kämen nur in Einzelfällen



§ 3.  Dogmatische Einordnung der Offenlegungspflicht

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in Betracht.326 Dies liegt aber daran, dass Rhein bei der Betrachtung der culpa in contrahendo das Problem des Insiderwissens der Manager nicht würdigt.327 Karsten Heidemann wendet ein, die culpa in contrahendo könne beim Akti­ enkauf über die Börse nicht angewandt werden, weil es dort an einem per­ sönlichen Kontakt zwischen dem verkaufenden Aktionär und dem Erwerber mangele.328 Dabei handelt es sich aber um eine Sonderkonstellation, in der es ohnehin keinen Platz für eine individuelle Aufklärung des Veräußerers gibt. Dessen Schutz erfolgt vielmehr über eine zwingende Vorabveröffentlichung aller relevanten Insiderinformationen, ohne die ein Buy-out gar nicht möglich ist.329 Martin Weber will im Gesellschaftsrecht generell lieber mit der eigens ent­ wickelten vormitgliedschaftlichen Treuepflicht arbeiten als mit der culpa in contrahendo. Die Vorzüge seiner Ansicht begründet Weber teilweise mit rei­ nen Wertungen, die sich wissenschaftlich nicht verifizieren lassen: So stuft er den Management-Buy-out als eine „gesellschaftsrechtliche“ Transaktion ein, im deren Rahmen der schuldrechtliche Kaufvertrag eine lediglich untergeord­ nete Rolle spiele.330 Genauso gut könnte man aber auch das Gegenteil behaup­ ten.331 Ferner meint Weber, die culpa in contrahendo sei zwar ein ausgefeiltes Instrument für die Behandlung von Verhaltenspflichten des Anteilkäufers332 , bleibe aber grundsätzlich „zweiseitig orientiert“ und damit auf die „doppel­ te Ausrichtung spezifisch gesellschaftsvertraglicher Bindungen (auf gemein­ samen Gesellschaftszweck und Mitgesellschafter gleichermaßen) schon vom Ansatz her nicht eingerichtet“333. Diese recht pauschale Annahme wird z. B. dadurch widerlegt, dass die culpa in contrahendo nach herrschender Meinung auch beim Abschluss eines Gesellschaftsvertrags anwendbar ist.334 Bereits die­ ser Umstand spricht gegen ihre bloß „zweiseitige Orientierung“. Generell versucht Weber, beim Anteilskauf eine starre Grenze zwischen dem Mitgliedschaftserwerb und der Anteilsübertragung zu ziehen, um die culpa in contrahendo aus der Regelung der „gesellschaftsrechtlichen Seite“ des Anteilskaufs herauszuhalten. Dazu fehle ihr die „Erstreckungskompetenz“, weil sie dann quasigesellschafterliche Bindungen konstruieren und dabei aus­ 326  Rhein, Interessenkonflikt der Manager, S. 53 f., Stichwort: „Funktionskreis“ (wie bei Breidenbach, Informationspflichten, S. 62 ff.). 327 Vgl. Rhein, Interessenkonflikt der Manager, S. 54. 328  Heidemann, Management Buyout, S. 237. 329  Dazu oben § 2 II 1 (am Ende). 330 Vgl. M. Weber, Vormitgliedschaftliche Treubindungen, S. 267, 279 mit Fn. 101; ähn­ lich äußerten sich einige Teilnehmer des ZHR‑Symposions 1991, vgl. Diskussionsbericht von Ballweg, ZHR 155 (1991), 163, 166. 331 Kritisch dazu auch Fleischer, AG 2000, 309, 320 („reicht [als Begründung] kaum aus“). 332  M. Weber, Vormitgliedschaftliche Treubindungen, S. 230 f. 333  M. Weber, Vormitgliedschaftliche Treubindungen, S. 232. 334  Siehe nur Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. II, S. 99 m. w. N. in Fn. 37.

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nahmslos auf gesellschaftsrechtliche Wertungen zurückgreifen müsse.335 Auch dies kann letztlich nicht überzeugen: Die bisherige Analyse der culpa in contrahendo beim Management-Buy-out hat gezeigt, dass dieses schuldrechtliche Institut bei seiner Anwendung auf gesellschaftsrechtliche Probleme durch­ aus eigene Wertungen mitbringt, die zur Lösung dieser Probleme beitragen. Es entsteht eine wertvolle Symbiose des Gesellschafts- und des Zivilrechts, die durch eine starre Trennung beider Rechtsbereiche zerstört wäre. Die von Weber favorisierte vormitgliedschaftliche Treuepflicht kann diese Symbiose kaum ersetzen. Ergänzend sei anzumerken, dass der von Weber ebenfalls ver­ misste Drittschutz beim Anteilskauf heute womöglich über § 311 Abs. 3 S. 1 BGB erreicht werden könnte, zumal es im Schrifttum Stimmen gibt, die diese Norm als Generalklausel für alle Sonderverbindungen zu Dritten auslegen, die keines Bezuges zu einem vorvertraglichen Verhältnis bedürfe und neben der Dritthaftung auch Drittschutz umfasse.336

II.  Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten der Gesellschafter Als alternative Lösung des Aufklärungsproblems beim Management-Buy-out käme der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter in Betracht.337 Dann müsste man das Rechtsverhältnis zwischen der Zielgesellschaft und ihrem Management als Vertrag ansehen, der Schutzwirkungen zugunsten der Ge­ sellschafter entfaltet.338 Allerdings kann diese Konstruktion beim Manage­ ment-Buy-out von vornherein nur in einem sehr beschränkten Umfang zur Anwendung kommen. Beim Asset Deal ist sie nicht anwendbar, weil der Er­ werber direkt mit der Zielgesellschaft kontrahiert und es keine zu schützenden Dritte gibt. Beim Anteilserwerb über die NewCo fehlt es an einem Rechtsver­ hältnis zwischen dieser und der Zielgesellschaft, aus dem sich Verpflichtungen der NewCo gegenüber den Gesellschaftern des Ziels ergeben könnten. Daher kann der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, wenn überhaupt, nur beim direkten Anteilserwerb durch das Management zum Einsatz kommen. Sein klassisches Einsatzfeld im Gesellschaftsrecht ist jedoch die GmbH&Co. KG. K. Schmidt spricht sogar von „einer GmbH-&-Co.-spezifischen Fortbil­ dung des § 43 GmbHG zu einem Sonderrechtsverhältnis mit Schutzwirkung zugunsten der Kommanditgesellschaft“339. Dabei wird die KG in den Schutz­ bereich des zwischen der Komplementär-GmbH und ihrem Geschäftsfüh­ rer bestehenden Organ- und Anstellungsverhältnisses einbezogen und kann 335  336 

M. Weber, Vormitgliedschaftliche Treubindungen, S. 232. Becker, in: NK‑BGB, § 311 Rn. 109 ff.; Hübner/​Sagan, JA 2013, 741, 743. 337 Dazu Harbers, Management Buy-Out, S.  65; Kuntz, Informationsweitergabe, S. 121 f.; Fleischer, AG 2000, 309, 318. 338 Vgl. Kuntz, Informationsweitergabe, S. 121. 339  K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1649.



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folglich bei sorgfaltswidriger Geschäftsführung Ansprüche aus § 43 Abs. 2 GmbHG unmittelbar gegen den Geschäftsführer der Komplementär-GmbH geltend machen. Dies gilt zumindest dann, wenn die alleinige oder wesentliche Aufgabe der Komplementär-GmbH in der Führung der Geschäfte der KG be­ steht.340 Diese Rechtsprechung findet in der Literatur ganz überwiegend Zu­ stimmung, auch wenn darüber gestritten wird, ob das Dienst- oder das Organ­ verhältnis des Geschäftsführers Schutzwirkung zugunsten der KG entfaltet.341 Es ist aber fraglich, ob diese Konstruktion auf die Bereiche außerhalb der GmbH&Co.KG übertragbar ist. Vereinzelt wird im Schrifttum zwar versucht, auf ihrer Basis eine Sonderbeziehung zwischen Organmitgliedern und Gesell­ schaftern zu konstruieren, um organschaftliche Pflichten der Geschäftsleiter gegenüber den Gesellschaftern zu begründen.342 Ganz überwiegend wird das Verhältnis zwischen einer Kapitalgesellschaft und ihrem Geschäftsleiter aber nicht als Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten der Gesellschafter ange­ sehen.343 Schon aus diesem Grund ist es zweifelhaft, dass diese Rechtsfigur beim Share Deal fruchtbar gemacht werden kann. Selbst wenn, würde es im Verhältnis zwischen der Zielgesellschaft und dem Management an einer Of­ fenlegungspflicht fehlen, die drittschützend wirken könnte. Es wird zu Recht darauf hingewiesen, dass beim Share Deal lediglich ein Mitgliederwechsel stattfindet, der schützenswerte Belange der Zielgesellschaft nicht berührt. Aus diesem Grund existiert keine Offenlegungspflicht des Managements gegen­ über der Zielgesellschaft. Dies hat wiederum zur Folge, dass solche Pflichten auch im Sekundärverhältnis, also im Verhältnis zwischen dem Management und den Anteilsinhabern ausscheiden, denn der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter kann nur schon bestehende Pflichten auf weitere Gläubi­ ger erstrecken, nicht aber neue Pflichten begründen.344 Ansonsten hätte man 340  Für

einen solchen Schutz der KG durch den Dienstvertrag zwischen der Komple­ mentär-GmbH und ihrem Geschäftsführer BGH, Urt. v. 12.11.1979 – II ZR 174/77, BGHZ 75, 321, 322 ff., seitdem st. Rspr.; in BGH, Urt. v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 Rn. 15 ff. wurde dieser Schutz auch auf das entsprechende Organverhältnis gestützt. 341 Siehe Gottwald, in: MüKo BGB, §  311 Rn. 231; Kleindiek, in: Lutter/​ Hommel­ hoff, GmbHG, § 43 Rn. 48; Mertens, in: Hachenburg, GmbHG, § 43 Rn. 109; Paefgen, in: Ulmer/​Habersack/​Löbbe, GmbHG, § 43 Rn. 301 f.; U. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 43 Rn. 428 ff.; Schnorbus, in: Rowedder/​Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 43 Rn. 138 f.; Ziemons, in: Michalski, GmbHG, § 43 Rn. 571; Zöllner/​Noack, in: Baumbach/​ Hueck, GmbHG, § 43 Rn. 66; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1649; ablehnend Becker, in: NK‑BGB, § 311 Rn. 142; Krebs, Geschäftsführungshaftung, S. 145 ff.; Grunewald, BB 1981, 581, 582 ff. 342  Baums, Der Geschäftsleitervertrag, S. 249; Raiser, ZHR 153 (1989), 1, 13. 343  Kleindiek, in: Lutter/​ Hommelhoff, GmbHG, § 43 Rn. 49; Mertens, in: Hachen­ burg, GmbHG, § 43 Rn. 108; Paefgen, in: Ulmer/​Habersack/​Löbbe, GmbHG, § 43 Rn. 313; U. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 43 Rn. 300; Ziemons, in: Michalski, GmbHG, § 43 Rn. 570; Zöllner/​Noack, in: Baumbach/​Hueck, GmbHG, § 43 Rn. 64; Habersack, Mitglied­ schaft, S. 206 f.; Fleischer, AG 2000, 309, 318. 344 Siehe Harbers, Management Buy-Out, S.  65  f.; Kuntz, Informationsweitergabe, S. 121 f.; Rhein, Interessenkonflikt der Manager, S. 207; Fleischer, AG 2000, 309, 318.

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„die zivilrechtliche Anomalie einer drittschützenden Nebenpflicht […], der im Verhältnis zwischen den Vertragsparteien ein entsprechendes Gegenstück fehlt.“345 Außerdem würde die Übertragung der GmbH&Co.KG‑Rechtsprechung auf den Management-Buy-out an der fehlenden Schutzbedürftigkeit der ver­ äußerungswilligen Gesellschafter scheitern. Die Schutzbedürftigkeit ist bereits bei der GmbH&Co.KG problematisch, da die KG immerhin einen Schadens­ ersatzanspruch gegen die Komplementär-GmbH aus dem Gesellschaftsvertrag i. V. m. § 31 BGB hat, wenn der Geschäftsführer der GmbH seine Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung verletzt.346 Ob dieser Anspruch demje­ nigen aus dem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter gleichwertig ist, ist allerdings umstritten. Einige bejahen dies und meinen im Übrigen, dass die Vorschriften über die Haftung für Organe (§ 31 BGB) und für Erfüllungsgehil­ fen (§ 278 BGB) eine abschließende Regelung für das Problem der gläubiger­ gleichen Gefährdung des Dritten durch Organe bzw. Erfüllungsgehilfen ent­ hielten, so dass der Rückgriff auf den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter weder erforderlich noch zulässig sei.347 Andere weisen darauf hin, dass der Anspruch der KG gegen die Komplementär-GmbH den Kommanditisten in der Praxis wenig nutze. Interessant sei er nur insoweit, als er den Zugriff auf den Anspruch der GmbH gegen ihren Geschäftsführer erlaube; dieser Zugriff sei aber den Einflussmöglichkeiten der GmbH ausgesetzt.348 Beim Manage­ ment-Buy-out in Form eines direkten Anteilserwerbs sind die Gesellschafter deshalb nicht schutzbedürftig, weil sie gegen die buyoutwilligen Manager An­ sprüche aus einem vorvertraglichen Schuldverhältnis haben. Die vorvertragli­ che Natur dieser Ansprüche dürfte insoweit nicht schaden.349 Es besteht daher kein Bedarf, auf den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter zurück­ zugreifen.

III.  Organschaftliche Treuepflicht gegenüber Anteilseignern Als dogmatische Grundlage der Offenlegungspflicht kommt neben der culpa in contrahendo die organschaftliche Treuepflicht der Geschäftsleiter in Betracht. Beim Asset Deal lässt sich die Offenlegungspflicht in der Tat recht problemlos auf die organschaftliche Treubindung stützen: Kraft der Treuepflicht gegen­ über der Zielgesellschaft müssen deren Manager beim Erwerb ihres Vermögens die Umstände offenlegen, die von wesentlicher Bedeutung für den Verkaufsent­ 345  Fleischer, AG 2000, 309, 318. 346  Becker, in: NK‑BGB, §  311

Rn. 142; Krebs, Geschäftsführungshaftung, S. 145 ff., 150 f.; Grunewald, BB 1981, 581, 583. 347  Krebs, Geschäftsführungshaftung, S. 145 ff. 348  Grunewald, BB 1981, 581, 583 ff. mit alternativen Lösungsmöglichkeiten. 349  Vgl. dazu § 3, I. 1. b) bb) (2).



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schluss der Gesellschaft sind.350 Beim Share Deal führt dieser Weg dagegen in eine Sackgasse, weil die ganz herrschende Meinung jegliche Treuepflichten der Geschäftsleiter gegenüber den Gesellschaftern ablehnt: GmbH‑Geschäftsfüh­ rer oder Vorstandsmitglieder einer AG seien nur der Gesellschaft, nicht aber den Gesellschaftern gegenüber zur Treue verpflichtet.351 Genauso entschieden lehnt die herrschende Auffassung auch eine Sonderverbindung zwischen den Organen eines Verbands und dessen Mitgliedern ab, aus der sich eine mitglie­ derbezogene Treuepflicht der Organe ergeben könnte.352 Die gesellschafterbe­ zogene Treuepflicht wird damit gewissermaßen „im Keim erstickt“. Nur ver­ einzelt wird versucht, eine Sonderrechtsbeziehung der Gesellschafter zu den Gesellschaftsorganen zu verteidigen353 und auf ihrer Grundlage eine Offenle­ gungspflicht der Geschäftsleiter beim Management-Buy-out zu begründen.354 Der Versuch stößt regelmäßig auf Ablehnung355, zumindest aber auf Skepsis, wobei er als „de lege lata fraglich“356 bezeichnet wird. Die Bedenken, die gegen eine gesellschafterbezogene Treuepflicht der Or­ gane vorgebracht werden, sind bekannt. Eine solche Pflicht zöge eine direkte Haftung der Organe gegenüber den Gesellschaftern nach sich, die dem in § 93 AktG, § 43 GmbHG verankerten Prinzip der Haftungskonzentration auf die Gesellschaft widerspräche. Nach diesem Prinzip sollten Geschäftsleiter nur 350  Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 246; Berkefeld, Die Beteiligung von In­ vestoren, S. 69; vgl. auch Tirpitz, Pflichten, S. 52 f. (Aufklärungspflicht als „Konkretisierung der allgemeinen Förderpflicht“). 351  Siehe nur Altmeppen, in: Roth/​A ltmeppen, GmbHG, § 43 Rn. 35; Bürgers, in: Bür­ gers/​Körber, AktG, § 93 Rn. 6; Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 157; Hölters, in: Höl­ ters, AktG, § 93 Rn. 114; Paefgen, in: Ulmer/​Habersack/​Löbbe, GmbHG, § 43 Rn. 313; Spindler, in: MüKo AktG, § 93 Rn. 128; a. A. U. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 43 Rn. 301; Ziemons, in: Michalski, GmbHG, § 43 Rn. 572 ff. 352  BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 123, 134 – Holzmüller; für den Verein BGH, Urt. v. 12.3.1990 – II ZR 179/89, BGHZ 110, 323, 334 – Schärenkreuzer; Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 335; Paefgen, in: Ulmer/​Habersack/​Löbbe, GmbHG, § 43 Rn. 313; Zöllner/​Noack, in: Baumbach/​Hueck, GmbHG, § 43 Rn. 64; Habersack, Mit­ gliedschaft, S. 205 f.; Zöllner, ZGR 1988, 392, 408 f. 353  So insbes. Ziemons, in: Michalski, GmbHG, § 43 Rn. 574; Rhein, Interessenkonflikt der Manager, S. 173 ff., 214 f.; Enzinger, Interessenkonflikt und Organpflichten, S. 31 f., 37; siehe auch die Nachw. in Fn. 342. 354  Ziemons, in: Michalski, GmbHG, § 43 Rn. 574; M. Doralt, Management-Buyout, S. 39 f.; Enzinger, Interessenkonflikt und Organpflichten, S. 31 f., 37; Heidemann, Manage­ ment Buyout, S. 236 ff.; Rhein, Interessenkonflikt der Manager, S. 173 ff., 214 f.; Schwenkedel, Management buyout, S. 37. 355  Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 157 f.; ders., in: Spindler/​ Stilz, AktG, § 93 Rn. 119; ders., Informationsasymmetrie, S. 542 f.; ders., AG 2000, 309, 319; ders., WM 2003, 1045, 1046; Paefgen, in: Ulmer/​Habersack/​Löbbe, GmbHG, § 43 Rn. 313; Schnorbus, in: Rowedder/​Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 43 Rn. 110; Spindler, in: MüKo AktG, § 93 Rn. 128; Kuntz, Informationsweitergabe, S. 29 ff.; Tirpitz, Pflichten, 75 ff.; Talos/​Schrank, ecolex 2003, 30, 31 f. 356 So Zöllner/​Noack, in: Baumbach/​Hueck, GmbHG, § 35 Rn. 48.

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der Gesellschaft gegenüber haften.357 Befürchtet wird außerdem, dass eine mit­ gliederbezogene Treuepflicht der Geschäftsleiter zu Pflichtenkollisionen und erweiterten Klagerechten der Gesellschafter führen würde, was das Binnen­ recht der Kapitalgesellschaften aus der Balance bringen könnte.358 Diese Be­ denken schlagen auch gegenüber der Treuepflicht beim Management-Buy-out durch.359 Dabei sind aus verschiedenen Gründen Zweifel an ihrer Richtigkeit angebracht. Zweifelhaft erscheint zunächst eine pauschale Ablehnung jegli­ cher Sonderverbindung zwischen Geschäftsleitern und Gesellschaftern. Fer­ ner würde die Anerkennung einer solchen Sonderverbindung nicht zwangsläu­ fig bedeuten, dass sich daraus Pflichten ergeben, die denjenigen im Verhältnis zwischen Organmitgliedern und Gesellschaft in jeder Hinsicht entsprechen. Zu denken wäre vielmehr an eine „subsidiäre“, auf Einzelfälle beschränkte ge­ sellschafterbezogene Treuepflicht. 1.  Das Dogma der fehlenden Sonderverbindung Das Postulat der fehlenden Sonderverbindung zwischen Organen und Mit­ gliedern gehört spätestens seit Holzmüller zum allgemeinen gesellschafts­ rechtlichen Gedankengut. In Holzmüller hat der BGH ausgeführt, dass der AG‑Vorstand zu den Aktionären in keinen unmittelbaren Rechtsbeziehun­ gen stehe und damit außer in Fällen des § 117 Abs. 1 S. 2 AktG nur deliktisch belangt werden könne.360 Er nahm dabei Bezug auf Hans-Joachim Mertens, der schon zuvor, wenn auch ohne nähere Begründung, eine Sonderbeziehung zwischen dem Geschäftsführungsorgan und dem einzelnen Gesellschafter verneinte361 und stattdessen für den Schutz der Mitgliedschaft als „sonstiges Recht“ nach § 823 Abs. 1 BGB plädierte.362 Diese Linie setzte der BGH spä­ ter im Schärenkreuzer-Fall363 konsequent um: Er lehnte eine Sonderbeziehung zwischen Vereinsvorstand und Vereinsmitglied ab und gewährte dem Mitglied tatsächlich den deliktischen Schutz nach § 823 Abs. 1 BGB, obwohl es primär in seinen Vermögensinteressen betroffen war.364 Die Grenzen des „sonstigen 357 

Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 335, 339; Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 623 f., 648; Kleindiek, in: Lutter/​Hommelhoff, GmbHG, § 43 Rn. 49; Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 93 Rn. 207 ff.; Paefgen, in: Ulmer/​Habersack/​Löbbe, GmbHG, § 43 Rn. 313; Zöllner/​Noack, in: Baumbach/​Hueck, GmbHG, § 43 Rn. 64. 358  So insbes. Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 157; ders., AG 2000, 309, 319; ders., WM 2003, 1045, 1046; Talos/​Schrank, ecolex 2003, 30, 31 f. 359  Besonders deutlich bei Paefgen, in: Ulmer/​Habersack/​Löbbe, GmbHG, § 43 Rn. 313; Kuntz, Informationsweitergabe, S. 29 ff.; Fleischer, AG 2000, 309, 319; ders., WM 2003, 1045, 1046. 360  BGHZ 83, 123, 134. 361  Mertens, FS R. Fischer, S. 461, 469. 362  Mertens, AG 1978, 309, 310. 363  BGHZ 110, 323, 334. 364  Der Betroffene begehrte vom Segelverein und dessen Vorsitzenden den Ersatz des



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Rechts“ wurden dabei derart überspannt, dass K. Schmidt im Anschluss an das Urteil zu Recht bemängelte, der Senat hätte statt der „unhaltbaren Deliktskon­ struktion“ mitgliederschützende Organpflichten in Betracht ziehen sollen.365 Kritik an dem Dogma der fehlenden Sonderverbindung äußerten bereits Herbert Wiedemann und Werner Flume. Wiedemann wandte sich entschie­ den gegen die These, dass die Selbstständigkeit der juristischen Person jegli­ che Rechtsbeziehungen zwischen Organmitgliedern und Gesellschaftern aus­ schließe. Die Organe, meinte er, seien deshalb den Mitgliedern zur „Sorgfalt“ verpflichtet, weil sie „nicht nur Organe der juristischen Person [sind], son­ dern auch und in erster Linie Amtsträger des Verbandes.“366 Flume wider­ sprach zwar dieser Argumentation, gab aber Wiedemann in der Sache Recht: „Die Beschränkung der aktienrechtlichen Ansprüche des Aktionärs gegen die Handlungsorgane auf Schadensersatz ist […] nicht damit zu begründen, daß zwischen den Aktionären und den Handlungsorganen der AG kein Rechtsver­ hältnis besteht. Das Mitgliedschaftsverhältnis ist für solche Schadensersatz­ ansprüche, soweit sie sachgerecht sind, sehr wohl eine dogmatische Grundlage, wie sie es auch für den Anspruch nach § 117 AktG ist.“367 Betrachtet man die herrschende Lehre „von außen“, aus der Perspektive des allgemeinen Zivilrechts, so fällt auf, dass ihre Entscheidung gegen die Sonder­ verbindung und für den Deliktschutz der zivilrechtlichen Tendenz entgegen­ läuft, die Defizite des deliktischen Vermögensschutzes durch großzügige An­ erkennung von Sonderverbindungen auszugleichen. Diese Tendenz dürfte sich nach dem grundlegenden Aufsatz von Canaris aus dem Jahre 1965368 noch ver­ stärkt haben: Eine 2000 erschienene Monografie hat mehr als 100 Konstella­ tionen zutage gefördert, die als Sonderverbindung eingeordnet werden kön­ nen.369 Inzwischen verfügt die Lehre von der Sonderverbindung über eine breite Palette von Legitimationsansätzen, von Vertrauensschutzargumenten bis hin zum neueren funktionalen Rechtfertigungsansatz.370 Der Letztere geht auf Peter Krebs zurück und betont die rechtlich und sozial nützlichen Funk­ tionen der Sonderverbindung. Diese adressiere das Problem der besonderen Schutzbedürftigkeit des Einzelnen, der erhöhten Einwirkungsmöglichkeiten des Gegners ausgesetzt sei und sich dagegen nicht ausreichend verteidigen kön­ Vermögensschadens, der ihm infolge der rechtswidrigen Nichtzulassung seines Schären­ kreuzers zu Klassenregatten entstanden war, siehe BGHZ 110, 323 f. 365  K. Schmidt, JZ 1991, 157, 161, wobei er allerdings an eine drittschützende Organ­ pflicht wie bei der GmbH&Co.KG dachte. 366  Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 241. 367  Flume, Die juristische Person, S. 308 Fn. 190. 368  Canaris, JZ 1965, 475 ff., wobei Canaris noch dem Begriff „Schutzverhältnis“ den Vorzug gab. 369 So Grüneberg, in: Palandt, Einl. v. § 241 Rn. 4 mit Verweis auf Krebs, Sonderverbin­ dung, 2000. 370  Übersicht bei Krebs, Sonderverbindung, S. 35 ff.; ders., in: NK‑BGB, § 241 Rn. 26 ff.

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ne.371 Ferner würden die Pflichten aus einer Sonderverbindung ein vertrauens­ volles Miteinander der Beteiligten begünstigen und damit die störungsfreie und zügige Erreichung des Sonderverbindungszwecks fördern.372 Ähnliche Über­ legungen finden sich vereinzelt auch im gesellschaftsrechtlichen Schrifttum. So spricht Rhein von einer „organisationsrechtlichen Sonderverbindung“373, deren Funktion er in der Bewältigung der Agentur-Problematik sieht.374 Dies geschehe mit Hilfe der mitgliederbezogenen Treuepflicht, die im Rahmen die­ ser Sonderverbindung entstehe und die Rhein als „Bedingung der Möglichkeit funktionierender Organschaft“375 bezeichnet. Klaus Ulrich Schmolke schließ­ lich folgt ausdrücklich dem Konzept von Krebs376 und sieht im Verhältnis zwi­ schen Organwalter und Verbandsmitglied eine „Sonderverbindung mit mittel­ barer Zwecksetzung“377. Betrachtet man das Dogma fehlender Sonderverbindung „von innen“, aus der gesellschaftsrechtlichen Perspektive, so zeigen sich Spannungen zur Lehre von der mitgliedschaftlichen Treuepflicht. Denn die Treuepflicht der Gesell­ schafter untereinander wird spätestens seit Wolfgang Zöllners Abhandlung über die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht378 ganz überwie­ gend aus der Einwirkungsmacht des Individuums auf die Angelegenheiten der Anderen abgeleitet.379 Besonders stark sollen die Einwirkungsmacht und als ihr Korrelat die Treubindung des Einzelnen dort sein, „wo die Interessen­ einwirkung eine laufende und wechselnde ist und sich unter stetig sich wan­ delnden Umständen vollzieht, m. a. W. wo die Rechtsordnung gezwungen ist, dem Rechtsinhaber einen weiten Spielraum des Ermessens einzuräumen, um die sachgerechte Verwirklichung des Zwecks dieses Rechtsverhältnisses zu er­ 371  Krebs, Sonderverbindung, S. 212 f.; zum Merkmal der Einwirkungsmöglichkeit siehe bereits Canaris, JZ 1965, 475, 476. 372 Näher Krebs, Sonderverbindung, S. 216 ff.; ders., in: NK‑BGB, § 241 Rn. 31. 373  Rhein, Interessenkonflikt der Manager, S. 208 f. 374  Rhein, Interessenkonflikt der Manager, S. 182 ff. 375  Rhein, Interessenkonflikt der Manager, S. 185. 376 So Schmolke, Organwalterhaftung, S. 174 ff. 377  Schmolke, Organwalterhaftung, S. 229 ff. 378  Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrecht­ lichen Personenverbänden, 1963. 379  BGHZ 65, 15, 19 – ITT; 103, 184, 194 – Linotype; Fleischer, in: Spindler/​Stilz, AktG, § 93 Rn. 116; ders., WM 2003, 1045, 1046; Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 224; Zöllner/​Noack, in: Baumbach/​Hueck, GmbHG, § 35 GmbHG Rn. 39; Möllers, in: Hom­ melhoff/​Hopt/v. Werder, Hdb. Corporate Governance, S. 423, 427; Wiesner, in: MünchHdb. AG, § 25 Rn. 11; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 432; ders., JZ 1989, 447 f.; Winter, Mit­ gliedschaftliche Treubindungen im GmbH‑Recht, S. 69 f.; Hopt, ZGR 2004, 1, 18 ff.; vgl. auch Hüffer, FS Steindorff, S. 59, 73 f., der zusätzlich auf Vertrauensschutz abstellt. Weitere Be­ gründungstopoi der mitgliedschaftlichen Treuepflicht sind das mitgliedschaftliche Gemein­ schaftsverhältnis und die mitgliedschaftliche Zweckförderungspflicht, siehe K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 20 IV 1, S. 587 f. Ablehnend gegenüber der mitgliedschaftlichen Treue­ pflicht dagegen Flume, ZIP 1996, 161, 163 ff.



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möglichen“380. Diese Worte passen hervorragend auf den Einfluss, den ein Ge­ schäftsleiter aufgrund seiner Organstellung auf die Angelegenheiten der Ge­ sellschafter ausübt. Zu Recht meint Ziemons, dass dieser Einfluss mindestens genauso intensiv ist, wie die Einwirkungsmöglichkeiten der Gesellschafter un­ tereinander. Daraus schließt sie: „So wie die mitgliedschaftliche Treupflicht der Gesellschafter zwei Bezugspunkte hat, nämlich die Gesellschaft und die (Mit-)Gesellschafter hat auch die organschaftliche Treupflicht des Geschäfts­ führers zwei Bezugspunkte: Die GmbH und ihre Gesellschafter.“381 Vor die­ sem Hintergrund fragt es sich in der Tat, warum die herrschende Meinung eine Sonderverbindung zwischen den Gesellschaftern und ihre gegenseiti­ gen Treuepflichten anerkennt382 , die mitgliederbezogene Treuepflicht der Ge­ schäftsleiter dagegen nicht, obwohl die Geschäftsleiter über mindestens ebenso starke, wenn nicht noch stärkere Einflussmöglichkeiten verfügen.383 Thilo Kuntz setzt diesem Einwand entgegen, die einflussreichen Organ­ mitglieder würden nicht im eigenen Namen und im eigenen Interesse, son­ dern lediglich im Namen des Verbands handeln. Nicht sie, sondern der Ver­ band habe damit die Einwirkungsmacht und nicht sie, sondern der Verband alleine sei den Mitgliedern zur Treue verpflichtet.384 Das Argument gilt aber nur dann, wenn das Organmitglied als Vertreter der Gesellschaft handelt (vgl. § 78 AktG, § 35 GmbHG).385 Wirkt es dagegen in sonstiger Weise auf Rechte und Interessen der Gesellschafter ein, so kann man sein Handeln dem Verband nicht automatisch zurechnen, denn das wäre ein „naturalistischer Fehlschluss aus der Organtheorie“386 . Vielmehr ist eine wertende Betrachtung erforder­ lich.387 So wird etwa das Verschulden des Organmitglieds dem Verband nur dann zugerechnet, wenn dieses in „amtlicher Eigenschaft“ gehandelt hat.388 380  Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 342; die ersten Ansätze dieser Lehre bei Fechner, Die Treubindungen des Aktionärs, S. 75 ff.; Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre, S. 214 f. 381  Ziemons, in: Michalski, GmbHG, § 43 Rn. 574. 382  So deutlich BGH im Linotype-Urteil, BGHZ 103, 184, 195: Es sei „anzuerkennen, daß auch das Verhältnis der Mitglieder einer Korporation untereinander den Charakter einer Sonderverbindung haben kann. Auch bei der Aktiengesellschaft hat ein Mehrheits­ gesellschafter die Möglichkeit, durch Einflußnahme auf die Geschäftsführung die gesell­ schaftsbezogenen Interessen der Mitgesellschafter zu beeinträchtigen, so daß auch hier als Gegengewicht die gesellschaftsrechtliche Pflicht zu fordern ist, auf diese Interessen Rück­ sicht zu nehmen.“ 383 So Aubel, Vorstandspflichten bei Übernahmeangeboten, S. 139 f.; Rhein, Interessen­ konflikt der Manager, S. 177 f. 384 Vgl. Kuntz, Informationsweitergabe, S. 44 f. 385  Dazu und zu den Grenzen etwa K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 254 ff. 386 So Fleischer, NJW 2006, 3239, 3242 im Zusammenhang mit Wissenszurechnung. 387 Vgl. Fleischer, NJW 2006, 3239, 3243; ferner Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 326 ff. 388 Dazu BGH, Urt. v. 20.2.1979 – VI ZR 256/77, NJW 1980, 115; Ellenberger, in: Pa­ landt, § 31 Rn. 10.

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Umgekehrt muss die Zurechnung unterbleiben, wenn der Geschäftsleiter nicht als Amtsträger des Verbands, sondern im eigenen Interesse handelt. Beim Ma­ nagement-Buy-out scheitert die Zurechnung nach diesen Grundsätzen, weil das Management im Rahmen der Transaktion nicht als Geschäftsleitung der Zielgesellschaft handelt.389 Es tritt dem Veräußerer gegenüber nicht als Organ der Zielgesellschaft, sondern als privater Erwerber. Seine Einwirkung auf die Angelegenheiten der Gesellschafter ist somit ihm selbst zuzurechnen. Schon beim direkten Anteilserwerb gibt es daran keinen Zweifel: Wäre das Auftre­ ten der Manager der Zielgesellschaft zurechenbar, läge paradoxerweise kein MBO, sondern ein Erwerb eigener Anteile vor.390 Noch klarer ist die Situation, wenn der Erwerb über die NewCo erfolgt: Dann handelt das Management als Vertreter der NewCo und nicht als Amtsträger der Zielgesellschaft. Aus die­ sen Gründen dringt die Argumentation von Kuntz gerade beim ManagementBuy-out nicht durch. 2.  Eng gesteckte Sonderverbindung als Alternative Der wahre Grund für die strikte Ablehnung einer Sonderverbindung zwi­ schen Organmitgliedern und Gesellschaftern dürfte sein, dass diese Sonder­ verbindung als eine Art Gabe der Pandora betrachtet wird, die mit ihren Fol­ gen – Vervielfältigung der Organpflichten, der Schadensersatzansprüche und der Einzelklagerechte – das Haftungssystem des Kapitalgesellschaftsrechts ins Wanken bringen kann. Diese Gefahr besteht jedoch nur dann, wenn man da­ raus eine weite Treuepflicht der Organpersonen gegenüber den Gesellschaftern ableitet.391 Ein solches weites Konzept vertritt etwa Thomas Raiser, der zur Treuepflicht der Gesellschafter untereinander sagt: „Treuepflichtverletzungen gegenüber der Gesellschaft verletzen stets auch den aus der Mitgliedschaft fol­ genden Treueanspruch gegen die Mitgesellschafter.“392 Die Folge ist, dass ein Gesellschafter gegen den anderen aus eigenem Recht klagen kann, wenn die­ ser sich gegenüber der Gesellschaft treuwidrig verhält. Die einzige Einschrän­ kung besteht darin, dass der Kläger bei einem bloßen Reflexschaden (Wert­ minderung seines Anteils infolge der Schädigung der Gesellschaft) Leistung an die Gesellschaft verlangen muss.393 Ganz ähnlich sollen Gesellschafter nach 389 Vgl. Rhein, Interessenkonflikt der Manager, S. 125, der zutreffend anmerkt, dass sich der Erwerb der Anteile „völlig außerhalb des Bereichs organschaftlicher Vertretung voll­ zieht“. 390  Noch paradoxer wird es, wenn man sich einen (unrealistischen) Direkterwerb des Vermögens beim Asset Deal vorstellt: Würde man die Erwerbshandlungen des Manage­ ments als „amtlich“ und damit als der Zielgesellschaft zurechenbar ansehen, so würde diese ihre Vermögensgegenstände an sich selbst verkaufen. 391  Vgl. etwa Aubel, Vorstandspflichten bei Übernahmeangeboten, S. 144 ff.; Raiser, in: Habersack/​Caspar/​Löbbe, GmbHG, § 14 Rn. 67 ff.; ders., ZHR 153 (1989), 1, 13, 25 ff. 392  Raiser, in: Habersack/​Caspar/​Löbbe, GmbHG, § 14 Rn. 67. 393  Raiser, in: Habersack/​ Caspar/​Löbbe, GmbHG, § 14 Rn. 67; so auch Lutter, ZHR



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Raiser stets eigene Ansprüche gegen Geschäftsführer haben, wenn Letztere ihre Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft verletzen. Der Grund sei eine „mitgliedsrechtliche Beziehung“ zwischen Gesellschafter und Organmitglied, deren Existenz mit „treuhänderischen Funktionen“ der Geschäftsführer ge­ genüber den Gesellschaftern gerechtfertigt wird.394 Im Grunde werden dabei die Begriffe „Mitgliedschaft“ und „Treuhand“ synonym verwendet; Habersack kritisiert insoweit, dass Raisers Ansicht Ge­ schäftsleiter mitgliedschaftlichen Bindungen unterwirft und zentrale Unter­ schiede zwischen fremdnütziger Organschaft und eigennütziger Mitglied­ schaft nivelliert.395 Problematischer ist m. E., dass diese Ansicht in der Tat Organpflichten und -haftung vervielfältigt, indem sie eine einzige Pflichtver­ letzung (die Treuepflichtverletzung gegenüber der Gesellschaft) ohne beson­ dere Begründung zum Anlass nimmt, gleich mehrere Haftungsansprüche zu konstruieren: Der Geschäftsleiter haftet für diese Pflichtverletzung sowohl der Gesellschaft als auch jedem einzelnen Gesellschafter.396 Dies soll, wie soeben dargestellt, auch bei Reflexschäden gelten, allerdings können die Gesellschaf­ ter dann nur auf Leistung an die Gesellschaft klagen. Insoweit geht diese Auf­ fassung sogar weiter als das US-amerikanische Recht, das zwar fiduziarische Pflichten der Geschäftsleiter gegenüber den Gesellschaftern anerkennt397, die­ sen jedoch bei Reflexschäden keine eigenen Ansprüche gegen Gesellschafts­ organe gewährt und stattdessen mit dem derivative suit hilft.398 Die mitgliederbezogene Treuepflicht der Organmitglieder muss aber nicht deren Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft spiegelgleich nachbilden. Sie kann eine subsidiäre Rolle übernehmen und sich auf den Schutz der Gesell­ schafter in den Fällen beschränken, in denen sie durch das Organhandeln zwar unmittelbar geschädigt werden, aber keine Ansprüche gegen die Gesell­ schaft oder ihre Organe haben. Diese Gedanken kommen bereits bei Baums zum Ausdruck 399, teilweise auch bei Rhein und sehr deutlich bei Schmolke. Nach Rheins Ansicht soll eine mitgliederbezogene Treuepflicht „nicht die ge­ sellschaftsbezogenen Organpflichten vervielfältigen, indem auch die Gesell­ schafter insoweit aktivlegitimiert werden, sondern spezifischen Gesellschaf­ 162 (1998), 164, 180; anders die h. M. (kein eigener Anspruch, sondern ein Sozialanspruch der Gesellschaft, der vom einzelnen Gesellschafter im Wege einer Prozessstandschaft gel­ tend gemacht werden kann), siehe Bayer, in: Lutter/​Hommelhoff, GmbHG, § 13 Rn. 50, 54 m. w. N. 394 Siehe Raiser, in: Habersack/​ Caspar/​Löbbe, GmbHG, § 14 Rn. 69; ders., ZHR 153 (1989), 1, 13, 25 ff. 395 So Habersack, Mitgliedschaft, S. 206. 396  Die Ansprüche der Gesellschaft und des Gesellschafters sollen nebeneinander beste­ hen, vgl. Raiser, in: Habersack/​Caspar/​Löbbe, GmbHG, § 14 Rn. 68 f. 397  Vgl. oben § 2 I 2 (Fn. 116). 398  Smith v. Bramwell, 31 P. 2d 647 (Oreg. 1934); dazu Großfeld, Aktiengesellschaft, Un­ ternehmenskonzentration und Kleinaktionär, S. 239. 399 Siehe Baums, Der Geschäftsleitervertrag, S. 230 ff.

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terschutz bewirken für Mitgliederinteressen, deren Beeinträchtigung nicht nur ein Reflex der Schädigung von Belangen der Gesellschaft ist.“400 Geschützt werden sollen also nur die sog. „überschießenden“ Mitgliederinteressen401 und nicht die Interessen, „die sich unmittelbar auf die Art und Weise der Verwirk­ lichung des gemeinsamen Zwecks, das ist die unternehmerische Leitung der Gesellschaft, beziehen“402. Problematisch ist jedoch, dass sich diese beiden Interessenkategorien kaum sauber trennen lassen. Daher bleibt der Anwen­ dungsbereich der gesellschafterbezogenen Treuepflicht sehr unscharf.403 Deutlich enger präsentiert sich Schmolkes Konzept einer „Sonderverbin­ dung mit bloß mittelbarer Zwecksetzung“. Gemeint ist eine Situation, in der jemand als Hilfsperson oder als Anfangsglied einer mehrgliedrigen Leistungs­ kette eine Leistungspflicht gegenüber der Zwischenperson erfüllt und dabei dem Letztempfänger haftet.404 Eine solche „Dritthaftungssituation“ liegt nach Ansicht Schmolkes auch bei Beziehungen zwischen Geschäftsleiter (Organ­ person), dem Verband (Zwischenperson) und dem einzelnen Verbandsmit­ glied (Letztempfänger) vor. Die Organperson stehe zwar in einer Leistungs­ beziehung nur mit dem Verband und nicht mit dessen Mitgliedern, könne aber unter Umständen auch diesen gegenüber haften.405 Dogmatisch wird die Haf­ tung im Wesentlichen mit Hilfe einer auf § 311 Abs. 3 BGB gestützten Rechts­ fortbildung begründet.406 Sachlich soll sie auf die Fälle beschränkt sein, in denen die Haftungskette Schädiger-Zwischenperson-Geschädigter in Abwei­ chung vom Normalfall ein spezifisches Funktionsdefizit aufweist. Dieses liege vor, wenn der Geschädigte gläubigergleich durch die Handlung des Schädigers betroffen sei und infolge der Mehrpersonenbeziehung ein Präventions- oder ein Haftungsdefizit bestehe, das so in einer Zweipersonenbeziehung nicht auf­ trete.407 Anhand dieser Kriterien bejaht Schmolke in bestimmten Konstellationen eine sonderverbindungsspezifische Haftung des Organwalters gegenüber dem Gesellschafter. Eine gläubigergleiche Gefährdung sieht er angesichts großer Einwirkungsmöglichkeiten des Geschäftsleiters auf die Interessen des Gesell­ schafters generell als gegeben an. Ein Präventions- oder ein Haftungsdefizit will er dagegen nur in besonderen Fällen annehmen, ein Haftungsdefizit etwa dann, wenn das schädigende Verhalten der Organperson der Gesellschaft nicht zugerechnet werden kann, so dass Ansprüche des Gesellschafters gegen den 400 

Rhein, Interessenkonflikt der Manager, S. 187. Rhein, Interessenkonflikt der Manager, S. 174, 193. Rhein, Interessenkonflikt der Manager, S. 187. 403  So zu Recht Kuntz, Informationsweitergabe, S. 47 f. 404  Schmolke, Organwalterhaftung, S. 191; vgl. auch Krebs, Sonderverbindung, S. 275 f., der in diesem Zusammenhang von „Unmittelbarkeitsproblematik“ spricht. 405  Schmolke, Organwalterhaftung, S. 230. 406 Vgl. Schmolke, Organwalterhaftung, S. 216 ff. 407  Schmolke, Organwalterhaftung, S. 194, 230; Krebs, Sonderverbindung, S. 396. 401  402 



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Verband ausscheiden.408 Zudem müsse die Dritthaftung für die Organper­ son zumutbar sein, insbesondere das Haftungsrisiko vorausschaubar und ver­ sicherbar sein. Ferner dürfe die Haftung kraft Sonderverbindung legitimen In­ teressen des Verbands nicht widersprechen und es müsse de lege lata an einer vorzugswürdigen Alternative zur Behebung des Haftungsdefizites mangeln (wobei eine deliktische Haftung des Organmitglieds keine solche Alternative sei).409 Der Überblick über unterschiedliche Konzepte der mitgliederbezogenen Treuepflicht zeigt, dass diese so konstruiert werden kann, dass sie sich rei­ bungslos in das bestehende gesellschaftsrechtliche Haftungssystem einfügt. Insbesondere das Haftungsmodell von Schmolke dürfte weder dem Prinzip der Haftungskanalisierung auf die Gesellschaft widersprechen noch Organ­ pflichten und Klagerechte in der Kapitalgesellschaft vervielfältigen. Denn Schmolkes Ansatz ist auf Schließung von Schutzlücken und nicht auf Entwick­ lung eines zusätzlichen Haftungssystems gerichtet. Die Voraussetzungen der Haftung der Organmitglieder gegenüber den Gesellschaftern sind so eng for­ muliert, dass diese Haftung eine Ausnahme bleibt.410 Daher bietet dieser An­ satz einen gangbaren Weg, eine Sonderverbindung zwischen Gesellschaftern und Geschäftsleitern sowie eine gesellschafterbezogene Treuepflicht der Ge­ schäftsleiter zu etablieren. 3.  Übertragung auf Management-Buy-out Auch die Buy-out-Situation lässt sich als Haftungskette Schädiger-Zwischen­ person-Geschädigter beschreiben, wenn man sich unter Schädiger das schwei­ gende Management, unter Zwischenperson die Zielgesellschaft und unter Ge­ schädigtem die Altgesellschafter vorstellt, die ihre Anteile aufgrund falscher oder unvollständiger Angaben des Managements unter Wert verkaufen. Un­ mittelbare Beziehungen bestehen dabei nur zwischen dem Management und der Zielgesellschaft bzw. zwischen dieser und ihren Gesellschaftern, nicht aber zwischen dem Schädiger (Management) und den geschädigten Dritten (Alt­ gesellschafter).411 Das spezifische Funktionsdefizit der Haftungskette ist darin zu sehen, dass die Gesellschafter durch den ungünstigen Verkauf ihrer Anteile zwar einen Schaden erleiden, die Zielgesellschaft als unmittelbarer Sonderverbindungs­ partner für das Verhalten des Schädigers jedoch nicht haftet. Für das Han­ deln der buyoutwilligen Manager muss sie nach § 31 BGB nicht einstehen, da 408 

Schmolke, Organwalterhaftung, S. 232 f.

409  Schmolke, Organwalterhaftung, S. 244 ff. 410 Vgl. Schmolke, Organwalterhaftung, S.  244 ff.;

396 f.

411 Vgl.

Schmolke, Organwalterhaftung, S. 230.

Krebs, Sonderverbindung, S. 276,

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ihr dieses Handeln nicht zugerechnet werden kann.412 Wie oben ausgeführt, handeln die Manager nicht in ihrer amtlichen Eigenschaft als Geschäftsleiter der Zielgesellschaft, sondern entweder als private Erwerber oder als Vertreter der NewCo. Damit scheiden Ersatzansprüche der Altgesellschafter gegen die Zielgesellschaft aus; ein Schadensausgleich innerhalb der unmittelbaren Leis­ tungsbeziehung findet nicht statt. Da die Gesellschaft keinen Schadensersatz­ ansprüchen der Gesellschafter ausgesetzt ist, kann sie das Management nicht in Regress nehmen; genauso wenig wird sie durch das Verhalten des Manage­ ments unmittelbar geschädigt.413 Im Gegenteil: Da der Kaufpreis für die An­ teile letztendlich aus dem Vermögen der Zielgesellschaft erbracht wird, kommt ihr der niedrige Kaufpreis wirtschaftlich zugute, weil sie anschließend weniger Schulden hat. Aus diesem Grund hat die Zielgesellschaft keinen Anlass, auf das Management disziplinierend einzuwirken. Die direkte Haftung wäre dem Management zumutbar414 und wider­ spräche nicht den legitimen Interessen der Zielgesellschaft: Auch wenn diese wirtschaftlich von einem niedrigen Kaufpreis profitiert, kann sie von ihren Geschäftsleitern dennoch berechtigterweise nicht verlangen, dass sie die ver­ kaufswilligen Gesellschafter übervorteilen. Problematisch ist dagegen die letz­ te Voraussetzung der direkten Haftung, nämlich das Fehlen einer gleichwer­ tigen Haftungsalternative.415 Eine solche besteht beim Management-Buy-out in Gestalt der culpa in contrahendo.416 Durch die Aufnahme von Buy-out-Ver­ handlungen entsteht bereits eine Sonderverbindung der Gesellschafter zum Management der Zielgesellschaft bzw. zum Akquisitionsvehikel NewCo, so dass es einer zweiten Sonderverbindung nicht mehr bedarf. Da die Haftung aus culpa in contrahendo keine Schutzlücken aufweist, sind die verkaufswil­ ligen Gesellschafter nicht mehr schutzbedürftig. Folglich scheiden mitglieder­ bezogene Treuepflichten des Managements beim Management-Buy-out aus. Dieser Befund wird durch methodische Überlegungen bestätigt. Sowohl die Sonderverbindung zwischen Organ und Gesellschafter als auch eine mit­ gliederbezogene Treuepflicht der Organe sind Rechtsfiguren, die im Gesetz nicht verankert sind und daher nur durch Rechtsfortbildung gewonnen wer­ den können. Die Voraussetzungen für eine Rechtsfortbildung sind aber nicht gegeben. So setzt eine gesetzesimmanente Rechtsfortbildung eine Gesetzes­ lücke voraus, die angesichts der culpa in contrahendo nicht besteht. Dies gilt bereits für die Zeit vor der Schuldrechtsreform, jedenfalls wenn man die da­ 412  Dass fehlende Zurechnung des Organhandelns eine direkte Haftung der Organmit­ glieder gegenüber den Gesellschaftern rechtfertigen kann, betont bereits Baums, Der Ge­ schäftsleitervertrag, S. 233, 248; ganz ähnlich Schmolke, Organwalterhaftung, S. 233 f. 413  Zu den beiden Aspekten Krebs, Sonderverbindung, S. 341; zum letzten Aspekt Harbers, Management Buy-Out, S. 53 f. 414  Zur Zumutbarkeit Krebs, Sonderverbindung, S. 397. 415 Vgl. Krebs, Sonderverbindung, S. 358 ff.; Schmolke, Organwalterhaftung, S. 249 ff. 416  Dazu § 3, I dieses Kapitels.



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malige culpa in contrahendo als eine sich zum Gewohnheitsrecht verfestigte Rechtsfigur ansieht. Nach der Schuldrechtsreform liegt sogar eine gesetzli­ che Regelung vor (§ 311 Abs. 2 und 3, § 241 Abs. 2 und § 280 Abs. 1 BGB). Von einer Regelungslücke kann also nur dann die Rede sein, wenn man das Gesell­ schaftsrecht isoliert vom Zivilrecht betrachtet und eine genuin gesellschafts­ rechtliche Regelung verlangt, die es bisher nicht gibt. Diese isolierte Betrach­ tungsweise verbietet sich jedoch angesichts der allgemeinen Methodenlehre, die bei der Lückenfeststellung unter „Gesetz“ die Gesamtheit der in den Ge­ setzen oder im Gewohnheitsrecht gegebenen, der Anwendung fähigen Rechts­ regeln versteht.417 Erst recht mangelt es an Voraussetzungen für eine geset­ zesübersteigende Rechtsfortbildung, die nur dort zulässig ist, wo das Problem im Wege einfacher Gesetzesauslegung oder einer gesetzesimmanenten Rechts­ fortbildung nicht gelöst werden kann.418 Aber auch wenn die in Rede stehende Rechtsfortbildung zulässig wäre, wäre das Offenlegungsproblem allein mit der Annahme einer Sonderverbindung bzw. einer Treuepflicht noch nicht gelöst. Es wäre zu klären, wie die Betei­ ligung der Manager am Buy-out ausgestaltet sein muss, damit die Treue- bzw. Offenlegungspflicht überhaupt greift. Muss hierfür ein „echter“ ManagementBuy-out vorliegen oder würde bereits eine kapitalmäßige Managementbetei­ ligung im Rahmen eines institutionellen Buy-outs genügen? Falls nicht, wie wäre im letzten Fall das Offenlegungsproblem zu lösen, wenn die bloß kapi­ talmäßig beteiligten Manager ihr Insiderwissen an die NewCo oder an die In­ vestoren weitergegeben haben? In solchen Fällen müsste man entweder doch auf die culpa in contrahendo zurückgreifen, um das Problem des überlege­ nen Wissens der Erwerberseite zu lösen, oder mit der Annahme der Treue­ pflicht der Manager sehr großzügig sein. Man müsste sagen, dass die Treue­ pflicht die Offenlegung gegenüber den Gesellschaftern immer dann gebietet, wenn das werterhebliches Wissen an die Erwerber weitergegeben wurde (eine Art Treuepflicht zur Herstellung der Chancengleichheit). Was jedenfalls nicht ginge, wäre die Übertragung der Treuepflicht der Manager auf die NewCo. Man sieht also, dass die Lehre von der Sonderverbindung in derartigen Buyout-Konstellationen schnell an ihre Grenzen kommt. Hier präsentiert sich die culpa in contrahendo nicht bloß als vorrangiges, sondern auch als leistungs­ fähigeres Konzept. 4.  Gesellschafterbezogene Treuepflicht im Rechtsvergleich Obwohl mitgliederbezogene Treuepflichten beim Management-Buy-out der culpa in contrahendo weichen müssen, ist ein rechtsvergleichender Blick in Richtung Treuepflichten des Managements gegenüber den Mitgliedern den­ 417 Siehe 418 

Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 370. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 426.

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

noch interessant. So ist im französischen Gesellschaftsrecht die Loyalitäts­ pflicht („devoir de loyauté“) der Geschäftsleiter gegenüber den Gesellschaftern anerkannt.419 Sie hat ihren Ursprung in der berühmten Vilgrain-Entscheidung aus dem Jahr 1996, in der die Cour de Cassation angenommen hat, der Ge­ schäftsleiter, der von einem Gesellschafter dessen Gesellschaftsanteile erwer­ be, müsse diesen über die vertragswesentlichen Umstände aufklären.420 Die spätere Rechtsprechung hielt an der gesellschafterbezogenen Loyali­ tätspflicht fest. Exemplarisch zu nennen ist eine Entscheidung der Cour de Cassation aus dem Jahr 2008.421 In dem Rechtsstreit ging es um die Pflichten des Gesellschafter-Geschäftsführers einer SARL. Ursprünglich hatte die Ge­ sellschaft zwei Gesellschafter-Geschäftsführer; nachdem einer von ihnen ver­ starb, kaufte der andere den Erben deren GmbH‑Anteile ab. Der Kauf wurde über eine GbR abgewickelt, an welcher der überlebende Gesellschafter-Ge­ schäftsführer beteiligt war. Dabei verschwieg er den Erben, dass in der GmbH noch verteilungsfähige Gewinne vorhanden waren, die den Kaufpreis deut­ lich überstiegen. Später fochten die Erben das Geschäft an und verklagen den Gesellschafter-Geschäftsführer und die GbR auf Schadensersatz. Das Beru­ fungsgericht wies die Klage ab; die Cour de Cassation verwies die Sache zu­ rück mit der Begründung, das Berufungsgericht habe nicht geprüft, ob der Geschäftsführer seine Loyalitätspflicht gegenüber den Erben als Gesellschaf­ tern durch die unterlassene Aufklärung verletzt habe. Obwohl der säumige Geschäftsführer selbst Gesellschafter war und die Aufklärungspflicht, zumin­ dest aus deutscher Sicht, auf die Treuepflicht der Gesellschafter untereinander hätte gestützt werden können, sprach die Cour de Cassation explizit die Loya­ litätspflicht des Geschäftsleiters gegenüber den Gesellschaftern an: Das Beru­ fungsgericht habe nicht geprüft, ob „M. Pauchard, dirigeant de la société HPA, n’avait pas manqué à l’obligation de loyauté à laquelle il était, en cette qualité, tenu à l’égard des associés cédants […]“.422 In einem Fall aus dem Jahr 2013423 erwarb der Vorstand einer Aktien­ gesellschaft vom Aktionär dessen Aktien und verkaufte sie sieben Tage spä­ ter zu einem deutlich höheren Preis an einen Dritten weiter. Der Aktionär verklagte den Vorstand auf Schadensersatz mit der Begründung, dieser habe seine Treuepflicht verletzt, indem er die Kaufvertragsverhandlungen mit dem Dritten verschwiegen habe. Das Berufungsgericht wies die Klage ab, da zwi­ schen dem Dritten, dem Vorstand und der Gesellschaft eine Vertraulichkeits­ 419  Vgl. allgemein Charvériat/​Couret/​Z abala, Mémento pratique: Sociétés commercia­ les, Rn. 13953. 420  Cass. com., 27.2.1996, Nr. 94–11.241, Bull. civ. 1996, IV, Nr. 65, S. 50; dazu Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 706 f.; ders., AG 2000, 309, 319. 421  Cass. com., 6.5.2008, Nr. 07–13.198, Dr. sociétés 2008, Nr. 156, S. 24 m. Anm. Hovasse. 422  Cass. com., Dr. sociétés 2008, Nr. 156, S. 24, 25. 423  Cass. com., 12.3.2013, Nr. 12–11.970, Rev. soc. 2013, 689 m. Anm. Massart.



§ 3.  Dogmatische Einordnung der Offenlegungspflicht

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klausel verabredet worden war. Die Cour de Cassation verwies die Sache zu­ rück: Der Geschäftsleiter, der den Gesellschafter in einer solchen Situation nicht über die Umstände informiere, die dessen Willenserklärung beeinflus­ sen könnten, verletze seine Loyalitätspflicht gegenüber dem Gesellschafter.424 Die dogmatische Grundlage dieser Loyalitätspflicht blieb indes ungeklärt.425 In der neueren Literatur wird darauf hingewiesen, dass sich diese Pflicht zu­ nehmend von der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre emanzipiert und zu einer eigenständigen Rechtsfigur des Gesellschaftsrechts entwickelt habe.426 Auch in den USA gehören fiduziarische Loyalitätspflichten der Geschäfts­ leiter gegenüber den Gesellschaftern „zum festen Bestandteil verbandsrecht­ lichen Denkens“427. Bei näherem Hinsehen ist die Lage allerdings weniger eindeutig, weil die Loyalität nicht den einzelnen Gesellschaftern oder Gesell­ schaftergruppen, sondern nur der Gesamtheit aller Gesellschafter geschuldet wird.428 Es besteht demzufolge auch keine Loyalitätspflicht gegenüber dem Mehrheitsgesellschafter429 oder dem Inhaber privilegierter Beteiligung430. Da aber fiduziarische Pflichten gegenüber der Gesamtheit aller Gesellschafter immerhin anerkannt sind, gibt es keinen Streit darüber, ob mitgliederbezoge­ ne Treuepflichten existieren. Wichtig wird stattdessen, in welchen Situationen sie existieren und wie sie sich von den Pflichten gegenüber der Gesellschaft unterscheiden. Diese Fragen werden insbesondere bei der Unterscheidung zwischen derivate und individual suit praktisch relevant. Diese Unterschei­ dung ist oft sehr schwierig; statt allgemeiner Leitlinien findet man Fallkasuis­ tik vor.431 Soweit es um Offenlegung im Rahmen eines Management-Buy-outs geht, greifen meist bundesrechtliche Offenlegungspflichten, insbesondere sol­ che aus dem Securities and Exchange Act.432 Die klassischen fiduziarischen Pflichten der Verwaltung nach Common Law spielen aber weiterhin eine Rolle, wenn directors oder officers die Anteile der Gesellschafter außerhalb 424  „Manque à son devoir de loyauté le dirigeant social qui s’abstient d’informer l’associé cédant de circonstances de nature à influer sur son consentement“. 425  Massart, Rev. soc. 2013, 689, 691. 426  Schlumberger, Bull. Joly Sociétés 2016, 709, 711. 427 So Fleischer, AG 2000, 309, 319; siehe auch die Rechtsprechungsnachweise in Fn. 116. 428 Vgl. Biberstine v. New York Blower Co., 625 N. E. 2d 1308, 1318 (Ind. App. 1993); Balotti/​Finkelstein, The Delaware Law of Corporations, § 4.16[E], S. 4–150; Knepper/​Bailey, Liability of corporate officers and directors, § 1.07[1], 1–30; aus dem deutschen Schrift­ tum Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rn. 899. 429  Dazu und zu den möglichen Ausnahmen unter Delaware Law Balotti/​Finkelstein, The Delaware Law of Corporations, § 4.16[E][3]. 430  Knepper/​Bailey, Liability of corporate officers and directors, § 1.07[1], 1–30 f. 431 Vgl. Cox/​Hazen, Business organizations law, § 15.2, S. 444 ff.; aus dem deutschen Schrifttum schon Großfeld, Aktiengesellschaft, Unternehmenskonzentration und Klein­ aktionär, S. 239 ff. 432  Ausführlich dazu Kuntz, Informationsweitergabe, S. 110 ff.

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

der Börse erwerben. Generell existiert im Common Law eine „duty of dis­ closure“ oder „duty of candor“433, die bereits kurz angesprochen wurde.434 Diese Offenlegungspflicht wird auf „the combination of the fiduciary duties of care, loyalty and good faith“435 gestützt, wobei die „duty of good faith“ keine selbstständige Pflicht, sondern ein Unterfall der „duty of loyalty“ ist436 , so dass es auf die Kombination von Sorgfalts- und Treuepflicht hinausläuft.437 Zur Konkretisierung der Offenlegungspflichten werden unterschiedliche Fallgruppen gebildet. Die vier wichtigsten davon sind: (1) „classic common law ratification“; (2) „request for stockholder action“; (3) „speaking outside of the context of soliciting or recommending stockholder action“; (4) „purchase of shares by a fiduciary“. Die erste Fallgruppe, „classic common law ratification“, betrifft Situatio­ nen, in denen ein director oder officer („corporate fiduciary“) persönlich an einem Rechtsgeschäft interessiert ist, das in Konflikt mit dem Interesse der Gesellschaft oder der Gesellschafter als Gesamtheit gerät. Bittet der Board die Gesellschafter, dem Rechtsgeschäft zuzustimmen, so sind die Direktoren ver­ pflichtet, alle Fakten offenzulegen, die für die Entscheidung wesentlich sind und ihnen kraft ihrer Position als Direktoren bekannt sind oder bekannt sein müssen.438 Die zweite Fallgruppe beinhaltet anders als die erste keine Inte­ ressenkonflikte, sondern Situationen, in denen die Direktoren eine Maßnah­ me durchführen wollen, die der Zustimmung der Gesellschafter bedarf (etwa Verschmelzung, Satzungsänderung oder Veräußerung vom Gesellschaftsver­ mögen) oder eine Investitionsentscheidung der Gesellschafter erfordert. In diesen Fällen müssen die Direktoren „eine angemessene Sorgfalt aufwenden“ („exercise reasonable care“), um alle Fakten offenzulegen, die für die Entschei­ dung der Gesellschafter wesentlich sind und ihnen kraft ihrer Position als Di­ rektoren bekannt sind oder bekannt sein müssen.439 In der dritten Fallgruppe geht es weniger um die Offenlegungspflicht als vielmehr um die Pflicht zur Wahrung der Ehrlichkeit. Diese Pflicht greift immer dann, wenn „corporate fi­ duciaries“ direkt oder indirekt (im Rahmen öffentlicher Äußerungen oder ka­ pitalmarktrechtlicher Publizität) mit den Gesellschaftern über die Angelegen­ heiten der Gesellschaft kommunizieren. In diesem Fall dürfen sie kraft ihrer 433 Siehe

Smith v. Van Gorkom, 488 A. 2d 858, 893 (Del. 1985).

434  Im Kapitel 3, § 6. 435  Malone v. Brincat,

722 A. 2d 5, 11 (Del. 1998).

436  Stone v. Ritter, 911 A. 2d 362, 369 f. (2006). 437 Vgl. Pfeffer v. Redstone, 965 A. 2d 676, 684

(Del. 2009); In re Wayport, Inc. Lit., 76 A. 3d 296, 314 (Del. Ch. 2013); Balotti/​Finkelstein, The Delaware Law of Corporations, § 17.2, S. 17–4 Fn. 8. 438 Siehe In re Wayport, Inc. Lit., 76 A. 3d 296, 314 (Del. Ch. 2013); Ganter v. Stephens, 965 A. 2d 695, 713 (Del. 2009). 439  In re Wayport, Inc. Lit., 76 A. 3d 296, 314 (Del. Ch. 2013); Hamermesh, 49 Vand. L. Rev. 1087, 1103 (1996).



§ 3.  Dogmatische Einordnung der Offenlegungspflicht

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Sorgfalts- und Treuepflicht keine falschen Angaben machen, sind also gegen­ über den Gesellschaftern zur Ehrlichkeit verpflichtet.440 Die vierte Fallgruppe hat schließlich direkte Anteilskaufgeschäfte zwischen „corporate fiduciaries“ und den außenstehenden Anteilseignern im Blick. Dies ist die Fallgruppe, die beim Management-Buy-out einschlägig ist. Zur Frage, wann ein fiduciary beim Anteilskauf einer Offenlegungspflicht unter­ liegt, haben sich drei Ansichten entwickelt: die „majority rule“, die „minori­ ty rule“ und die „special facts doctrine“.441 Die „majority rule“ lehnt jegliche Offenlegungspflichten ab, wurde aber bereits in den 30er Jahren in den meis­ ten Bundesstaaten nicht mehr vertreten. Die Mehrheit der Staaten folgt ent­ weder der „minority rule“ oder der „special facts doctrine“.442 Die „minority rule“ besagt ähnlich wie die herrschende Meinung hierzulande, dass die fiduciaries alle Informationen offenzulegen haben, die für den Wert der Anteile wesentlich sind, wenn sie die Gesellschaftsanteile von Gesellschaftern kaufen oder an diese verkaufen.443 Die „special facts doctrine“ (auch „special circums­ tances doctrine“) wurde vom U. S. Supreme Court in Strong v. Repide444 ent­ wickelt und stellt einen Kompromiss zwischen majority und minority rule dar. Sie betont das Prinzip, dass „directors generally do not occupy a fiduciary po­ sition vis à vis individual stockholders in direct personal dealings as opposed to dealings with stockholders as a class“445. Auf der anderen Seite erkennt sie an, dass unter besonderen Umständen, nämlich dann, wenn die Direktoren aufgrund ihrer Insiderkenntnisse einen großen und unfairen Verhandlungs­ vorteil hätten, eine Offenlegungspflicht existiere. Erforderlich ist ein gravie­ rendes Informationsgefälle: Als „special facts“ gelten in der Regel nur ganz außergewöhnliche Umstände wie Fusionen, Übernahmen, Veräußerung des gesamten Vermögens, Angebote Dritter über den Kauf einer wesentlichen Be­ teiligung zu einem hohen Preis usw.446 In Strong v. Repide stand die Gesellschaft z. B. kurz vor dem Abschluss eines bedeutsamen Geschäfts mit der philippinischen Regierung: Diese wollte 440  In re Wayport, Inc. Lit., 76 A. 3d 296, 315 (Del. Ch. 2013); Malone v. Brincat, 722 A. 2d 5, 11 (Del. 1998). 441  In re Wayport, Inc. Lit., 76 A. 3d 296, 316 (Del. Ch. 2013); Bainbridge, 52 Wash. & Lee L. Rev., 1189, 1219 (1995); Hamermesh, 49 Vand. L. Rev. 1087, 1116 f. (1996); siehe auch Fleischer, AG 2000, 309, 313 f. 442 So In re Wayport, Inc. Lit., 76 A. 3d 296, 317 (Del. Ch. 2013); Bainbridge, 52 Wash. & Lee L. Rev., 1189, 1220 (1995). 443  In re Wayport, Inc. Lit., 76 A. 3d 296, 317 (Del. Ch. 2013); Hamermesh, 49 Vand. L. Rev. 1087, 1117 (1996). 444  213 U. S. 419, 29 S. Ct. 521 (1909); eine weitere Leitentscheidung ist Northern Trust Co. v. Essaness Theatres Corp., 348 Ill.App. 134, 108 N. E. 2d 493 (1952). 445  Kors v. Carey, 158 A. 2d 136, 143 (Del. Ch. 1960). 446 Vgl. In re Wayport, Inc. Lit., 76 A. 3d 296, 317, 320 (Del. Ch. 2013); Lank v. Steiner, 224 A. 2d 242 (Del. 1966); Knepper/​Bailey, Liability of corporate officers and directors, § 15.02, 15–10.

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

die philippinischen Grundstücke der Gesellschaft kaufen, die einen wesentli­ chen Teil des Gesellschaftsvermögens ausmachten. In dieser Situation erwarb der Direktor der Gesellschaft über eine Mittelsperson die Anteile einer Gesell­ schafterin, ohne diese über den bevorstehenden Grundstücksverkauf zu in­ formieren. Das spätere Grundstücksgeschäft ließ den Preis der Gesellschafts­ anteile emporschnellen; als die Altgesellschafterin davon erfuhr, klagte sie und bekam Recht. Der Supreme Court befand, dass der Direktor arglistig gehan­ delt habe: Das Grundstücksgeschäft mit der Regierung sei ein mitteilungs­ pflichtiger „special fact“ gewesen, den der Direktor nicht habe verschweigen dürfen. Für seine Arglist spreche zudem, dass er über eine Mittelsperson auf­ getreten sei und damit seine Identität verschleiert habe.447 Zum Vergleich: In In re Wayport hat der Delaware Court of Chancery einen Patentverkauf nicht als „special fact“ eingestuft, obwohl er der Gesellschaft einen Reingewinn von 7,6 Mio. US‑Dollar eingebracht und ihren Barmittelbestand zum Jahresende um 22 % gesteigert hat. Da der Patentverkauf aber den Anteilswert nicht maß­ geblich beeinflusst hat, wurde er lediglich als „wesentlich“ („material“) angese­ hen.448 Immerhin ist festzustellen, dass die meisten Jurisdiktionen in den USA bei Anteilskaufgeschäften zwischen Direktoren und Gesellschaftern eine fidu­ ziarische Offenlegungspflicht der Direktoren anerkennen, entweder generell („minority rule“) oder unter besonderen Umständen. Des Weiteren lohnt sich ein Blick auf das Recht der Commonwealth-Län­ der. Dort gilt der Grundsatz, dass sich die Pflichten der Direktoren allein auf die Gesellschaft beziehen: „The director’s duties are owed to the company“.449 Die (englische) Leitentscheidung Percival v Wright ist allerdings sehr alt, sie stammt aus dem Jahr 1902. Sie besagt, dass die Direktoren keine Treuhänder der Gesellschafter seien und daher beim Erwerb deren Anteile nicht offen­ baren müssten, dass ein Dritter die gesamte Gesellschaft zu einem wesentlich höheren Preis übernehmen wolle.450 Spätere Entscheidungen, die diesen Stand­ punkt bestätigt haben, haben ihn zugleich aufgeweicht: Direktoren haben „im Allgemeinen“ („in general“) keine fiduziarischen Pflichten gegenüber Gesell­ schaftern.451 Damit machten sie deutlich, dass es sich lediglich um ein Prinzip handelt, das auch Ausnahmen zulässt. 447 Vgl.

Strong v. Repide, 213 U. S. 419, 431 ff., 29 S. Ct. 521 (1909). In re Wayport, Inc. Lit., 76 A. 3d 296, 320 f. (Del. Ch. May 1, 2013). 449  Davies/ ​Worthington, Gower’s Principles of Modern Company Law, Rn. 16–5; Palmer/​Morse, Palmer’s company law, Rn. 8.2402 f. 450  Percival v Wright [1902] 2 Ch. 421, 425 f.; dazu Davies/ ​Worthington, Gower’s Prin­ ciples of Modern Company Law, Rn. 16–5. 451  Vgl. die schottische Entscheidung Dawson International plc v Coats Paton plc [1989] B. C. L. C. 233, 243; sowie die Entscheidungen des englischen High Court in Peskin v Anderson [2000] B. C. C. 1110, 1111 (Neuberger J) und Sharp v Blank [2015] EWHC 3220 (Ch) = [2017] B. C. C. 187, 193 (Nugee J). 448 



§ 3.  Dogmatische Einordnung der Offenlegungspflicht

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Begründet wird das Prinzip mit ähnlichen Argumenten wie in Deutsch­ land. Verwiesen wird insbesondere auf die eigene Rechtspersönlichkeit der Gesellschaft sowie darauf, dass die Direktoren die Geschäfte der Gesellschaft führen und ihr Vermögen verwalten, nicht dagegen die Geschäfte und das Vermögen der Gesellschafter.452 Genauso wie hierzulande wird befürch­ tet, dass „[t]o hold that directors have a general fiduciary duty to sharehol­ ders would place an unfair, unrealistic and uncertain burden on directors and would present them frequently with conflicting duties between the company and the shareholders.“453 Zudem bestehe die Gefahr, dass Minderheitsgesell­ schafter, einmal mit Einzelklagerechten ausgestattet, diese Rechte missbrau­ chen und Direktoren mit einer Flut von Klagen überziehen würden.454 Auf der anderen Seite werden Ausnahmen vom allgemeinen Prinzip aus­ gelotet. Als Grundregel gilt hier, dass gesellschafterbezogene Pflichten nur aufgrund einer besonderen Beziehung („special relationship“) zwischen dem Direktor und den Gesellschaftern entstehen können; anders als fiduziarische Pflichten der Direktoren gegenüber der Gesellschaft können sie nicht allei­ ne durch die Organstellung begründet werden.455 Das Merkmal der beson­ deren Beziehung erinnert an die US-amerikanische „special facts doctrine“ und noch mehr an die deutsche Rechtsfigur der Sonderbeziehung oder -ver­ bindung. Was die Voraussetzungen der „special relationship“ betrifft, ist ihre Herausarbeitung noch in Entwicklung begriffen. Ursprünglich wurde eine solche Beziehung in Auftragsfällen (agency) anerkannt, etwa dann, wenn die Gesellschafter die Direktoren mit dem Verkauf ihrer Anteile an einen außen­ stehenden Dritten beauftragen.456 Inzwischen werden allmählich auch Fälle außerhalb von agency erfasst, wobei das neuseeländische Urteil Coleman v Myers457 den Anfang gemacht haben dürfte. In casu ging es um eine alte Fa­ miliengesellschaft mit vielen Anteilseignern, die von zwei Direktoren (Vater und Sohn) übernommen wurde: ein typischer Management-Buy-out. Der Neuseeländische Court of Appeal hat umfassende Aufklärungspflichten der betroffenen Manager angenommen, wobei er insbesondere ihre Insiderkennt­ nisse, ihre herausgehobene Stellung im Unternehmen und der Familie sowie 452  So die australische Entscheidung Brunninghausen v Glavanics (1999) 32 A. C. S. R. 294 (Handley JA) mit Verweis auf Salomon v Salomon [1897] AC 22. 453  Peskin v Anderson [2000] B. C. C. 1110, 1111. 454  Brunninghausen v Glavanics (1999) 32 A. C. S. R. 294; ferner Court of Appeal in Peskin v Anderson [2001] B. C. C. 874, 880. 455  Sharp v Blank [2017] B.  C. C. 187, 195; vgl. ferner Peskin v Anderson [2001] B. C. C. 874, 880 („special factual relationship“); Davies/ ​Worthington, Gower’s Principles of Modern Company Law, Rn. 16–5. 456  Siehe die kanadische Entscheidung Allen v Hyatt (1914) 30 T. L. R. 444 PC; ferner Briess v Wolley [1954] A. C. 333 HL; Davies/ ​Worthington, Gower’s Principles of Modern Company Law, Rn. 16–5 f. 457  [1977] 2 N. Z. L. R. 225.

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

das damit verbundene besondere Vertrauen der anderen Familiengesellschaf­ ter berücksichtigt hat.458 In der englischen Rechtsprechung fand das Urteil Zustimmung: In Re Chez Nico hat sich der High Court in einem obiter darauf berufen und betont, dass Direktoren beim Erwerb der Anteile von außenstehenden Gesellschaftern je nach Einzelfallumständen zur Aufklärung verpflichtet sein könnten.459 Eine weitere Zustimmung folgte vom Court of Appeal in Peskin v Anderson460 , der indes im konkreten Fall eine „special factual relationship“ und eine Offenle­ gungspflicht der Direktoren gegenüber den Gesellschaftern abgelehnt hat, weil die Direktoren am fraglichen Geschäft (Veräußerung der Anteile durch die Gesellschafter in Unkenntnis künftiger Pläne der Direktoren) nicht beteiligt waren.461 Später bejahte der High Court gesellschafterbezogene Aufklärungs­ pflichten in einem Fall, in dem eine aus drei Brüdern bestehende Gesellschaft vom ältesten Bruder, der zugleich Direktor war, übernommen wurde. Dieser hatte die stimmrechtslosen Anteile seiner jüngeren Brüder zu einem symboli­ schen Preis von 1 £ gekauft und sie dabei sogar über die wirtschaftlichen Ver­ hältnisse des Unternehmens getäuscht.462 Eine Sonderbeziehung zwischen Di­ rektor und Gesellschafter mit entsprechenden fiduziarischen Verpflichtungen des Direktors wurde in einer Reihe weiterer Entscheidungen der Common­ wealth-Länder anerkannt; sie betrafen mehrheitlich Management-Buy-outs in kleineren geschlossenen Gesellschaften.463 Von besonderem Interesse ist das Urteil in der Sache Sharp v Blank464, in dem der High Court eine Sonderbeziehung zwischen Direktoren und Gesell­ schaftern zwar verneinte, weil außer dem Informationsvorsprung der Direk­ toren keine besonderen Umstände vorlagen. Zugleich versuchte aber das Ge­ richt, die Voraussetzungen für eine „special relationship“ zu präzisieren. Es führte aus, dass hierfür für sich genommen weder ein Informationsvorsprung der Direktoren noch deren potentieller Einfluss auf die Interessen der Gesell­ schafter ausreiche; die Parteien müssten vielmehr durch ein persönliches Ver­ hältnis oder eine konkrete Transaktion miteinander verbunden sein. Eine fidu­ ziarische Beziehung, so das Gericht, sei eine solche „of trust and confidence“ und nicht umsonst sei eine Sonderbeziehung zwischen Direktoren und Ge­ sellschaftern bisher meist bei kleinen geschlossenen Gesellschaften anerkannt worden, deren Mitglieder oft in einem familiären oder sonstigen persönlichen 458 Vgl.

Coleman v Myers [1977] 2 N. Z. L. R. 225, 325 ff. Re Chez Nico (Restaurants) Ltd [1991] B. C. C. 736, 750. [2001] B. C. C. 874, 880. 461  Peskin v Anderson [2001] B. C. C. 874, 884. 462  Platt v Platt [1999] 2 B. C. L. C. 745. 463 Siehe Dusik v Newton (1985) 62 B. C. L. R. 1; Brunninghausen v Glavanics (1999) 32 A. C. S. R. 294; Crawley v Short [2009] N. S. W. C.A. 410; Valastiak v Valastiak [2010] B. C. C. A. 71. 464 [2015] EWHC 3220 (Ch) = [2017] B. C. C. 187. 459  460 



§ 3.  Dogmatische Einordnung der Offenlegungspflicht

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Verhältnis zueinander stünden. Häufig sei es zudem um eine Transaktion zwi­ schen den Direktoren und den Gesellschaftern gegangen, von der die Direkto­ ren persönlich profitierten.465 Die Ausführungen lassen sich zwei Merkmale einer „special relationship“ erkennen, die zu fiduziarischen Pflichten und insbesondere zu einer Offen­ legungspflicht der Direktoren gegenüber den Gesellschaftern führt: (1) per­ sönliche/familiäre Verhältnisse zwischen den Betroffenen; (2) besondere ge­ schäftliche Kontakte zwischen ihnen, etwa eine gemeinsame Transaktion, an der die Direktoren ein persönliches Interesse haben.466 Ob diese Merkmale kumulativ vorliegen müssen, ist nach dem derzeitigen Stand der Rechtspre­ chung noch unklar. Diese Entwicklung zeigt, dass sich die CommonwealthRechtsprechung in die gleiche Richtung bewegt wie die deutsche Ansicht, die unter bestimmten Voraussetzungen eine Sonderverbindung zwischen Orga­ nen und Mitgliedern eines Verbands bejaht.467 Beide sind von einer pauschalen Anerkennung derartiger Sonderverbindungen und einer vollständigen Über­ führung gesellschaftsbezogener Treuepflichten in das Verhältnis zwischen Ge­ schäftsleitern und Gesellschaftern weit entfernt. Es kann daher lohnenswert sein, künftig mehr über eine begrenzte Anerkennung mitgliederbezogener Treuepflichten der Verwaltung nachzudenken.

IV.  Vormitgliedschaftliche Treuepflicht Teilweise wird die Offenlegungspflicht beim Share Deal aus der vormitglied­ schaftlichen Treuepflicht der erwerbswilligen Manager abgeleitet.468 Genau­ so wie die gerade besprochene Treuepflicht des Geschäftsleiters gegenüber den Gesellschaftern wird die vormitgliedschaftliche Treuepflicht mit Hilfe der Rechtsfortbildung konstruiert. Ursprünglich lehnte man sich dabei an die culpa in contrahendo an: „So wie bei der Anbahnung von Schuldverträ­ gen bereits vorvertragliche Schutz- und Loyalitätspflichten bestehen, […] muß es aber auch die vorwirkende mitgliedschaftliche Treuepflicht bei der Anbah­ nung der Mitgliedschaft geben.“469 Martin Weber, der dem Thema seine Habi­ litationsschrift gewidmet hat, begründet den Rechtsfortbildungsbedarf damit, 465  Sharp v Blank [2017] B. C. C. 187, 195 f. 466  Nur auf das erste Merkmal konzentrieren

sich Davies/ ​Worthington, Gower’s Prin­ ciples of Modern Company Law, 16–6. 467  Wenngleich die Commonwealth-Rechtsprechung mehr auf äußere Merkmale (Größe der Gesellschaft, Gesellschafterkreis, konkrete Transaktion) abstellt im Unterschied zu den deutschen Autoren, die funktional vorgehen und nach Haftungsdefiziten im geltenden Recht fragen. 468  So zunächst Wittkowski, GmbHR 1990, 544, 549; später monografisch M. Weber, Vormitgliedschaftliche Treubindungen, S. 279 ff., 284 ff.; zustimmend K. Schmidt, Gesell­ schaftsrecht, S. 589. 469  Wittkowski, GmbHR 1990, 544, 549.

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

dass unerwünschtes Verhalten beim Anteilserwerb de lege lata nicht zurei­ chend unterbunden werden könne, jedenfalls nicht mit den herkömmlichen Instrumenten wie deliktische Haftung, culpa in contrahendo oder spezifische kapitalmarktrechtliche Lösungen.470 Er plädiert daher für eine genuin gesell­ schaftliche Treubindung der (Noch-)Nichtgesellschafter, zumal sich „das ge­ neralklauselartige Institut der gesellschaftlichen Treuepflicht schon aufgrund seiner gleichermaßen rechtsformübergreifend wie rechtsformspezifisch ein­ setzbaren Flexibilität nicht nur als Mittel der Einzelfallgerechtigkeit, sondern auch und vor allem als ein Medium praxisangemessener richterlicher Rechts­ fortbildung im gesetzgeberischen Vorfeld [eignet].“471 Die herrschende Meinung lehnt die Erstreckung mitgliedschaftlicher Treu­ bindungen auf Nichtmitglieder bisher ab. So betonte der BGH im Scheich Kamel-Urteil, dass die Treuepflicht nur unter Gesellschaftern und nur im mit­ gliedschaftsrechtlichen Bereich wirke.472 In Girmes fügte er hinzu, dass die Treuepflicht der Aktionäre Ausfluss der Mitgliedschaft sei und von dieser ebenso wenig getrennt werden könne wie andere aus der Mitgliedschaft fol­ gende Rechte.473 Dieser Standpunkt wird vom Schrifttum überwiegend geteilt: „Treupflicht setzt Mitgliedschaft voraus.“474 Bekannt ist die Warnung Lutters in seiner „Theorie der Mitgliedschaft“: Würde man die Lösung aller gesell­ schaftsrechtlichen Probleme in der Mitgliedschaft suchen, würde dies „das eben in Fahrt gebrachte Schiff weit überfrachten und zum Untergang ver­ urteilen“475. Dementsprechend findet Webers Konzept in der Literatur zwar teilweise Zustimmung476 , von der Mehrheit wird es jedoch abgelehnt oder zu­ mindest kritisch beurteilt.477 Dies gilt insbesondere im Hinblick auf seine An­ 470  M. Weber, Vormitgliedschaftliche Treubindungen, S. 10 ff.; kritisch dazu Kort, ZHR 164 (2000), 444, 447 f. 471  M. Weber, Vormitgliedschaftliche Treubindungen, S. 50. 472  BGH, Urt. v. 22.6.1992 – II ZR 178/90, NJW 1992, 3167, 3171 – Scheich Kamel; andere Interpretation des Urteils bei M. Weber, Vormitgliedschaftliche Treubindungen, S. 209 ff.; Wilhelm, Dritterstreckung im Gesellschaftsrecht, S. 261 f. 473  BGH, Urt. v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136, 148 – Girmes. 474  Lutter, ZHR 153 (1989), 446, 458; siehe ferner ders., AcP 180 (1980), 84, 156; ders., ZHR 153 (1989), 446, 460; Bozenhardt, Freiwillige Übernahmeangebote im deutschen Recht, S. 75 f.; Janke, Gesellschaftsrechtliche Treuepflicht, S. 29 f.; Rhein, Interessenkonflikt der Manager, S. 172; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. II, S. 208. 475  Lutter, AcP 180 (1980), 84, 156. 476 Vgl. Henze/​Notz, in: Großkomm AktG, 4. Aufl. Ahn. § 53a Rn. 41; K. Schmidt, Ge­ sellschaftsrecht, S. 588 f.; Wilhelm, Dritterstreckung im Gesellschaftsrecht, S. 261 f., 288; in der Sache ähnlich Tröger, Treupflicht im Konzernrecht, S. 59 ff. 477 Vgl. Götze, in: MüKo AktG, vor § 53a Rn. 36; Cahn/v. Spannenberg, in: Spind­ ler/​Stilz, AktG, § 53a Rn. 47; Drygala, in: KölnKomm AktG, § 53a Rn. 84; Fleischer, in: K. Schmidt/​Lutter, AktG, § 53a Rn. 53; Lange, in: Henssler/​Strohn, AktG, § 53a Rn. 8; Laubert, in: Hölters, AktG, § 15 f.; Servatius, in: Wachter, AktG, § 53a Rn. 43 f.; Rieckers, MünchHdb. AG, § 17 Rn. 20; zurückhaltend Koch, in: Hüffer/​Koch, AktG, § 53a Rn. 18 („noch nicht abschließend geklärt“); allgemein skeptisch bei Anwendbarkeit im vorvertrag­



§ 3.  Dogmatische Einordnung der Offenlegungspflicht

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wendung beim Management-Buy-out, laut Weber einem seiner zentralen Ein­ satzgebiete.478 Da der Anteilskaufvertrag ein schuldrechtliches Geschäft ist, vermissen die Kritiker eine stichhaltige Begründung dafür, dass sich die Auf­ klärungspflichten der Erwerber besser gesellschaftsrechtlich als schuldrecht­ lich erklären ließen.479 Ferner wird eingewandt, dass die Aufklärungspflichten der Manager auf deren Organ- bzw. Treuhänderstellung und nicht auf deren Stellung als zukünftige Gesellschafter beruhten und deshalb kaum durch vor­ mitgliedschaftliche Treubindungen legitimiert werden könnten.480 Schließlich sei die Aussicht der erwerbswilligen Manager auf die Mitgliedschaft noch nicht fest genug, um vormitgliedschaftliche Treubindungen zu rechtfertigen.481 Die Kritik ist berechtigt, denn die Argumente Webers gegen die Anwen­ dung der culpa in contrahendo im Vorfeld des Mitgliedschaftserwerbs letzt­ endlich nicht überzeugend sind.482 Außerdem liefert Weber keine Begründung dafür, dass vormitgliedschaftliche Treuepflichten den buyoutwilligen Ge­ schäftsleiter gerade als zukünftigen Gesellschafter treffen.483 Dies ist symp­ tomatisch für das allgemeine Problem, die Gleichbehandlung von Gesellschaf­ tern und Nichtgesellschaftern zu begründen.484 Weber nutzt dafür den Topos besonderer Einwirkungsmöglichkeiten künftiger Gesellschafter auf die Ge­ sellschaft und deren Mitglieder.485 Das Kriterium der Einwirkungsmacht ist allerdings recht unbestimmt und bedarf weiterer Präzisierung.486 Sein Verfech­ ter Zöllner präzisierte es, indem er nur auf eine objektive, von der Rechtsord­ nung vermittelte Macht abstellte und zudem verlangte, dass die Einwirkung eine laufende ist und die Rechtsordnung deswegen dem Einzelnen einen wei­ ten Ermessensspielraum einräumt, um die sachgerechte Verwirklichung des Leistungszwecks zu ermöglichen.487 Nutzt man das Kriterium der Einwir­ kungsmacht, um mitgliedschaftliche Pflichten auf gesellschaftsfremde Drit­ te auszudehnen, ist der Präzisierungsbedarf noch höher, weil der Kreis der lichen Bereich Fleischer, NZG 2000, 561, 563; kritisch auch Kort, ZHR 164 (2000), 444, 452 (sinnvoll nur in Teilbereichen). 478 Vgl. M. Weber, Vormitgliedschaftliche Treubindungen, S. 239, 267 ff. 479 So Enzinger, Interessenkonflikt und Organpflichten, S. 33; Kuntz, Informationswei­ tergabe, S. 125; Fleischer, AG 2000, 309, 320; Kort, ZHR 164 (2000), 444, 450 f. 480  Fleischer, AG 2000, 309, 320; ihm folgend Enzinger, Interessenkonflikt und Organ­ pflichten, S. 32 f.; a. A. Kuntz, Informationsweitergabe, S. 122 f. 481  Kuntz, Informationsweitergabe, S. 125. 482 Dazu oben § 3, I. 3. b) dieses Kapitels; vgl. auch Kuntz, Informationsweitergabe, S. 123 f. 483 Siehe M. Weber, Vormitgliedschaftliche Treubindungen, S. 212, 324; dazu die Kritik von Kort, ZHR 164 (2000), 444, 450; vgl. auch Fleischer, AG 2000, 309, 320. 484 Dazu monografisch neuerdings Wilhelm, Dritterstreckung im Gesellschaftsrecht, 2017. 485  M. Weber, Vormitgliedschaftliche Treubindungen, S. 233. 486  So schon die Kritik von Grundmann, Der Treuhandvertrag, S. 142 ff. 487  Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 342.

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„Quasi-Mitglieder“ ansonsten schier unüberschaubar wird. Denn während der Lebensdauer der Gesellschaft haben unterschiedlichste externe Akteure, etwa Wettbewerber, Behörden, Kreditgeber, wichtige Lieferanten und Kunden mehr oder weniger ausgeprägte Möglichkeiten, auf die Gesellschaft und ihre Mitglieder einzuwirken.488 Weber will nur künftige Gesellschafter und nicht sonstige einflussreiche Dritte mitgliedschaftlichen Treubindungen unterwerfen.489 Zu diesem Zweck präzisiert er das Merkmal der Einwirkungsmöglichkeiten dahingehend, dass diese einen „spezifischen Gesellschaftsbezug“ aufweisen müssen; dies un­ terscheide den Einfluss eines künftigen Gesellschafters von dem eines blo­ ßen Kreditgebers oder Lieferanten.490 Anders als Letztere könne ein (Noch-) Nichtmitglied „wie ein Gesellschafter auf Gesellschaft und Gesellschafter ein­ wirken“491. Dies ist aber sehr fraglich. Bei einem Mitglied ist es gerade die Mit­ gliedschaft und vor allem sein Stimmrecht, das ihm die Einflussmöglichkeiten auf die Gesellschaft und die Mitgesellschafter vermittelt und gesellschafterli­ che Treubindungen als Gegengewicht auf den Plan ruft. Wie soll aber ein Mit­ glied in spe auf die Gesellschaft „wie ein Gesellschafter“ einwirken, wenn es noch über keine Stimmrechte oder sonstige mitgliedschaftliche Hebel ver­ fügt?492 Die künftige Mitgliedschaft als solche vermittelt ihm keine rechtliche Einflussmacht.493 Denkbar ist allenfalls eine rein faktische Einflussnahme, bei der das künftige Mitglied jedoch nicht „wie ein Gesellschafter“ auf die Ge­ sellschaft einwirkt. Eine faktische Macht kann aber auch ein Kunde ausüben, wenn er zum Kreis wichtiger Abnehmer gehört. Eine solche Macht reicht also kaum aus, um den Erwerber wie einen Gesellschafter zu behandeln.494 Als Beispiele für eine vormitgliedschaftliche Einwirkungsmacht nennt Weber im Vorfeld eingeräumte Mitspracherechte, Einfluss über das noch nicht ausgeschiedene Mitglied und direkten, über die künftige Mitgliedschaft ver­ mittelten Einfluss auf die Verwaltung.495 Mitspracherechte sind indes kein Spe­ 488 Dazu Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. II, S. 208, der in solchen Fällen nicht über die Anwendung des § 242 BGB hinausgehen will; a. A. Wilhelm, Dritterstreckung im Ge­ sellschaftsrecht, S. 136, der schon bei faktischen Einflussmöglichkeiten mitgliedschaftliche Bindungen erwägt. 489  Anders etwa Wilhelm, Dritterstreckung im Gesellschaftsrecht, passim. 490 Vgl. M. Weber, Vormitgliedschaftliche Treubindungen, S. 233, 259 ff. 491  M. Weber, Vormitgliedschaftliche Treubindungen, S. 234. 492 Vgl. M. Weber, Vormitgliedschaftliche Treubindungen, S. 237, wo er für die Treubin­ dung des Dritten bereits individuelle Vertragsverhandlungen über den Anteilserwerb aus­ reichen lässt. 493  So auch Tröger, Treupflicht im Konzernrecht, S. 62; Wilhelm, Dritterstreckung im Gesellschaftsrecht, S. 288. 494  A. A. Tröger, Treupflicht im Konzernrecht, S. 62 f.; Wilhelm, Dritterstreckung im Gesellschaftsrecht, S. 157 f., 288, die insoweit m. E. die Grenzen einer möglichen Analogie überschreiten. 495  M. Weber, Vormitgliedschaftliche Treubindungen, S. 261, 263.



§ 3.  Dogmatische Einordnung der Offenlegungspflicht

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zifikum künftiger Mitgliedschaft, denn sie werden auch durch Covenants ge­ sicherten Kreditgebern eingeräumt. Sie können zwar Anlass dazu geben, über gewisse Treubindungen des Mitspracheberechtigten nachzudenken496 , mit einer „Vormitgliedschaft“ hätten diese Treubindungen allerdings nichts zu tun. Das Gleiche gilt für einen Einfluss auf die Gesellschaft über einen Gesell­ schafter, der theoretisch von jedem Dritten, etwa von einem Familienangehö­ rigen dieses Gesellschafters, ausgeübt werden kann. In beiden Fällen kann also die Einflussmöglichkeit mit einem künftigen Mitgliedschaftserwerb einher­ gehen, muss es aber nicht: „Cum hoc“ heißt eben nicht zwangsläufig „propter hoc“ oder, wem der englische Ausdruck lieber ist, „correlation does not imply causation“. Im dritten Beispiel (Einfluss auf die Verwaltung) geht es um eine Situati­ on, in der sich die Verwaltung über den Kopf des noch nicht ausgeschiede­ nen Gesellschafters hinweg dem Willen des künftigen Mitglieds im Wege eines „vorauseilenden Gehorsams“497 beugt, etwa aus Angst vor personellen Kon­ sequenzen seitens des Erwerbers nach dessen Beitritt zur Gesellschaft. Weber scheint indes selbst daran zu zweifeln, ob eine solche Situation praktisch rele­ vant werden kann.498 Abgesehen davon handelt es sich wiederum um eine rein faktische Einwirkungsmacht, die zur Gleichstellung des Dritten mit einem Gesellschafter nicht ausreicht und die außerdem de lege lata durch die Pflich­ ten der Verwaltung aus §§ 93, 116 AktG, § 43 GmbHG begrenzt wird. Hinzu kommt die Haftung des Dritten aus § 117 Abs. 1 AktG. Ob es erforderlich ist, den Dritten darüber hinaus wegen Verletzung der vormitgliedschaftlichen Treuepflicht haften zu lassen, ist fraglich; eine Schutzlücke dürfte insoweit nicht bestehen. Genauso zweifelhaft ist die Erforderlichkeit der Treuepflicht des Dritten in der soeben besprochenen Situation, nämlich dann, wenn der Dritte versucht, die Gesellschaft über den Anteilsveräußerer zu beeinflussen, der selbstverständlich selbst haftet, wenn er sich infolge dieser Einflussnahme treuwidrig verhält.499 Abgesehen von dieser allgemeinen Kritik stößt die vormitgliedschaftli­ che Treuepflicht beim Management-Buy-out auf die gleichen Einwände wie die mitgliederbezogene Treuepflicht. Die Regeln der culpa in contrahendo, 496  So 497 So

in der Tat Wilhelm, Dritterstreckung im Gesellschaftsrecht, S. 401 ff. Wilhelm, Dritterstreckung im Gesellschaftsrecht, S. 288. 498 Vgl. M. Weber, Vormitgliedschaftliche Treubindungen, S. 263 f. 499  A. A. M. Weber, Vormitgliedschaftliche Treubindungen, S. 262 bzw. 266, der die Er­ forderlichkeit zusätzlicher Haftung ausdrücklich betont. Ähnliche Kritik ist gegenüber sei­ nem Bestreben angebracht, den Insiderhandel Dritter zusätzlich zu den bestehenden ka­ pitalmarkt- und zivilrechtlichen Regeln noch vormitgliedschaftlichen Treubindungen zu unterwerfen, sobald der Erwerb von Insiderwissen mit der Stellung als künftiger Gesell­ schafter zusammenhängt, ebenda, S. 324 ff.; kritisch dazu Kuntz, Informationsweitergabe, S. 124; Kort, ZHR 164 (2000), 444, 451; vgl. auch Lutter, AcP 180 (1980), 84, 156; ders., ZHR 153 (1989), 446, 459.

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die beim Buy-out greifen, hinterlassen keine Gesetzeslücke, die rechtsfortbil­ dend mit Hilfe einer vormitgliedschaftlichen Treuepflicht geschlossen werden könnte. Neben den vorvertraglichen Aufklärungspflichten ist also kein Raum mehr für vormitgliedschaftliche Treubindungen. Diese blieben zudem in ihrer Regelungsdichte hinter der culpa in contrahendo zurück: Im Regelfall des An­ teilserwerbs über die NewCo würde die vormitgliedschaftliche Treuepflicht und damit die Offenlegungspflicht nur die NewCo als künftige Gesellschaf­ terin treffen, nicht aber die Manager persönlich.500 Bei Anwendung der culpa in contrahendo wäre dagegen eine persönliche Haftung nach §§ 311 Abs. 3 S. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB möglich.

V. Ergebnis Die dogmatische Grundlage der Offenlegungspflicht beim Management-Buyout ist die culpa in contrahendo. Beim Buy-out in Form eines Asset Deals er­ gibt sich die Offenlegungspflicht zusätzlich aus der Treuepflicht der Manager gegenüber der Zielgesellschaft. Beim Share Deal wäre es zwar auch denkbar, die Offenlegungspflicht aus der Treuepflicht, diesmal gegenüber den Gesell­ schaftern, abzuleiten. Dies scheitert jedoch daran, dass das Institut der culpa in contrahendo die Veräußerer bereits ausreichend schützt und auch methodisch keine Rechtsfortbildung in Form einer mitgliederbezogenen Treuepflicht zu­ lässt. Es ist daher de lege lata nicht möglich, die eingangs angesprochene Zwei­ gleisigkeit der Offenlegungspflicht beim Share Deal dogmatisch beizubehal­ ten.

§ 4.  Verhältnis zu anderen informationsbezogenen Pflichten Zur weiteren dogmatischen Absicherung der Offenlegungspflicht ist zu klären, wie sie sich mit den bestehenden Offenlegungsverboten vereinbaren lässt, vor allem mit der gesellschaftsrechtlichen Verschwiegenheitspflicht der Geschäfts­ leiter und dem kapitalmarktrechtlichen Offenlegungsverbot nach Art. 14 lit. c MAR. Außerdem ist das Verhältnis zu den Offenlegungspflichten nach WpÜG interessant.

I. Verschwiegenheitspflicht In einer Aktiengesellschaft sind die Vorstandsmitglieder nach § 93 Abs. 1 S. 3 AktG zur Verschwiegenheit über vertrauliche Angaben und Geheimnisse der Gesellschaft verpflichtet. Geheimnisse sind alle nicht offenkundigen Tatsa­ 500 

Mit diesem Argument bereits Rhein, Interessenkonflikt der Manager, S. 171 f.



§ 4.  Verhältnis zu anderen informationsbezogenen Pflichten

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chen, die nach geäußertem oder mutmaßlichem Willen der Gesellschaft auch nicht offenkundig werden sollen.501 Vertrauliche Angaben sind Tatsachen, deren Mitteilung sich für die Gesellschaft nachteilig auswirken kann, mögen sie auch allgemein bekannt und daher keine Geheimnisse (mehr) sein.502 Der Vorstand ist allerdings insoweit „Herr der Gesellschaftsgeheimnisse“503, als er darüber entscheidet, ob die Geheimhaltung einer bestimmten Tatsache im Un­ ternehmensinteresse liegt. Diese Entscheidung kann jedes Vorstandsmitglied in seinem Geschäftsbereich alleine treffen, es sei denn, das Geheimnis ist für die Gesellschaft von entscheidender Bedeutung: Dann ist ein Beschluss des Gesamtvorstands erforderlich.504 Diese Vorstandsbefugnisse sind vor allem beim Unternehmenskauf von Be­ deutung, weil potentielle Käufer für die Durchführung der Due-DiligencePrüfung Information über die Zielgesellschaft benötigen, die in der Regel zu vertraulichen Angaben und Geheimnissen der Gesellschaft gehört. Die Ver­ schwiegenheitspflicht des Vorstands aus § 93 Abs. 1 S. 3 AktG steht der Wei­ tergabe dieser Information an die Käufer entgegen. Der Vorstand muss diesen Konflikt selbst auflösen und in eigener Verantwortung über die Informations­ weitergabe entscheiden.505 Zusätzlich wird empfohlen, eine Zustimmung des Aufsichtsrats zur Due Diligence einzuholen.506 Überwiegend wird die Weiter­ gabe der Informationen für zulässig gehalten, sofern die Transaktion nach der Überzeugung des Vorstands im Interesse der Gesellschaft liegt, eine Geheim­ haltungsvereinbarung besteht und die Offenlegung für das Zustandekommen der Transaktion erforderlich ist.507 Beim MBO stellen sich ganz ähnliche Fragen im Zusammenhang mit der Weitergabe geschützter Informationen an Investoren (Kaufinteressenten) und externe Berater. Hinzu kommt allerdings, dass die buyoutwilligen Vorstands­ mitglieder befangen sind, weil sie an der Transaktion teilnehmen. Deshalb sind sie an deren Gelingen und damit auch an der Informationsweitergabe beson­ ders interessiert. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass auch ihre unbeteilig­ ten Kollegen in dieser Situation über die Offenlegung nicht unvoreingenom­ men entscheiden können.508 Daher wird vorgeschlagen, den Aufsichtsrat 501  502 

Zu Geheimnissen der Gesellschaft bereits im Kapitel 3, § 4, I. 1. a). Fleischer, in: Spindler/​Stilz, AktG, § 93 Rn. 166; Hölters, in: Hölters, AktG, § 93 Rn. 137; Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 286; Koch, in: Hüffer/​Koch, AktG, § 93 Rn. 30; Krieger/​Sailer-Coceani, in: K. Schmidt/​Lutter, AktG, § 93 Rn. 24; Spindler, in: MüKo AktG, § 93 Rn. 137. 503 So BGHZ 64, 325, 329 = NJW 1975, 1412, 1413. 504  Fleischer, in: Spindler/​ Stilz, AktG, § 93 Rn. 169; Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 93 Rn. 120; abweichend Spindler, in: MüKo AktG, § 93 Rn. 138. 505  Becker/​Voß, in: Knott, Unternehmenskauf, II Rn. 117. 506  Greitemann/​Funk, in: Holzapfel/​Pöllath, Unternehmenskauf in Recht und Praxis, Rn. 778. 507  Becker/​Voß, in: Knott, Unternehmenskauf, II Rn. 117 m. w. N. 508  So insbesondere Rhein, Interessenkonflikt der Manager, S. 86 f.

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

einzuschalten, bevor Gesellschaftsinterna zur Vorbereitung des Buy-outs an Dritte weitergegeben werden.509 Dogmatisch soll dies durch die analoge An­ wendung des § 88 AktG510 bzw. § 112 AktG511 erreicht werden. Auf diesem Wege kann auch der Konflikt zwischen der Verschwiegenheits­ pflicht und der Aufklärungspflicht gegenüber den Aktionären beim Direkt­ erwerb ihrer Aktien gelöst werden. Grundsätzlich sind Vorstandsmitglieder auch gegenüber Aktionären zur Verschwiegenheit verpflichtet, soweit keine besondere Auskunftspflicht (§§ 131, 175 Abs. 2, 176 Abs. 1 AktG) besteht.512 Ansonsten dürfen vertrauliche Angaben und Geheimnisse nicht einmal einem Großaktionär offenbart werden.513 Allerdings kann der Vorstand auch im Verhältnis zu den Aktionären als „Herr der Gesellschaftsgeheimnisse“ über die Offenlegung von Informationen eigenverantwortlich entscheiden und daher die verkaufswilligen Aktionäre über vertragswesentliche Umstände aufklären. Angesichts der Befangenheit der beteiligten Vorstandsmitglieder, die auch ihre eigene vorvertragliche Aufklärungspflicht gegenüber den Veräußerern erfüllen wollen, ist die Zustimmung des Aufsichtsrats zur Weitergabe vertraulicher In­ formationen an einzelne Aktionäre erforderlich. Die selektive Aufklärung ein­ zelner Aktionäre ist mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar, weil sie einem besonderen Informationsinteresse Rechnung trägt, was die Ungleichbe­ handlung rechtfertigt. Daher greift beim Management-Buy-out wie generell in M&A‑Fällen auch die erweiterte Auskunftspflicht nach § 131 Abs. 4 AktG nicht ein.514 Bei der GmbH ist die Situation eine andere. Zwar sind GmbH‑Geschäfts­ führer genauso wie Vorstandsmitglieder einer AG zur Verschwiegenheit ver­ pflichtet, obgleich diese Pflicht im Gesetz nicht explizit geregelt ist.515 Die Verschwiegenheitspflicht besteht aber nicht gegenüber der Gesellschafterver­ sammlung und grundsätzlich auch nicht gegenüber den einzelnen Gesellschaf­

509  Rhein, Interessenkonflikt der Manager, S.  87; Kuntz, Informationsweitergabe, S. 75 ff.; Weitnauer, in: Weitnauer, Management Buy-Out, D 149; in diese Richtung ferner Harbers, Management Buy-Out, S. 73; unklar Hauschka, BB 1987, 2169, 2175, der meint, die Weitergabe von Informationen bedürfe der Zustimmung des Altunternehmens. 510  Rhein, Interessenkonflikt der Manager, S. 87. 511  Kuntz, Informationsweitergabe, S. 79 ff. 512  Koch, in: Hüffer/​ Koch, AktG, § 93 Rn. 31; Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 116 Rn. 56; Spindler, in: MüKo AktG, § 93 Rn. 142; Lutter, Information und Vertraulich­ keit im Aufsichtsrat, Rn. 473 f. 513  Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 299; Spindler, in: MüKo AktG, § 93 Rn. 142; Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, Rn. 473. 514  Koch, in: Hüffer/​Koch, AktG, § 131 Rn. 71 m. w. N.; Kuntz, Informationsweiterga­ be, S. 145 ff. 515  Fleischer, in: MüKo GmbHG, §  43 Rn. 199; Kleindiek, in: Lutter/​ Hommelhoff, GmbHG, § 43 Rn. 20; U. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 43 Rn. 144; Ziemons, in: Michals­ ki, GmbHG, § 43 Rn. 291; Zöllner/​Noack, in: Baumbach/​Hueck, GmbHG, § 35 Rn. 40.



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tern.516 Letztere können sich im Rahmen des § 51a GmbHG über alle Ange­ legenheiten der Gesellschaft prinzipiell unbeschränkt informieren517, wobei der Begriff der Angelegenheiten der Gesellschaft sehr weit zu verstehen ist. Er umfasst z. B. Vermögensbestand und Anlage des Gesellschaftsvermögens, Cash Flow, Finanzplanung und Solvenzprognose, Erwerbs- und Veräuße­ rungsabsichten, unternehmerische Planungen und Maßnahmen, rechtliche und wirtschaftliche Verhältnisse innerhalb der GmbH oder gegenüber Drit­ ten, Covenant-Vereinbarungen mit Kreditgebern und vieles mehr.518 In bestimmten Konstellationen kann die Auskunft allerdings verwei­ gert werden, etwa wenn zu besorgen ist, dass der Gesellschafter sie zu gesell­ schaftsfremden, insbesondere gesellschaftsschädlichen Zwecken verwenden wird, § 51a Abs. 2 GmbHG. Diese Regelung kann insbesondere beim Anteils­ verkauf an einen Dritten relevant werden, z. B. wenn der Dritte ein konkur­ rierendes Unternehmen ist und der Gesellschafter beabsichtigt, ihm vertrau­ liche Informationen über die Gesellschaft zwecks der Durchführung der Due Diligence zugänglich zu machen.519 Beim Management-Buy-out ist die Situati­ on jedoch grundlegend anders, weil der verkaufswillige Gesellschafter die In­ formation nicht zum Zwecke der Weitergabe an einen Dritten, sondern aus­ schließlich für sich benötigt, um seine eigenen Interessen beim Anteilsverkauf wahren zu können. Er hat somit regelmäßig nicht die Absicht, die von den Ge­ schäftsführern erhaltene Information für gesellschaftsfremde Zwecke zu ver­ wenden.520 § 51a Abs. 2 GmbHG ist also beim Management-Buy-out grund­ sätzlich nicht einschlägig. Außerhalb dieser Norm gibt es zwar eine ganze Reihe weiterer, ungeschriebener Beschränkungen des Informationsrechts des einzelnen GmbH‑Gesellschafters521, ihnen allen ist aber gemeinsam, dass sie nicht MBO-typisch sind. Daher kollidiert die Aufklärung der verkaufswilligen Gesellschafter grundsätzlich nicht mit der Verschwiegenheitspflicht der Ge­ schäftsführer.

516  U. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 43 Rn. 149; Ziemons, in: Michalski, GmbHG, § 43 Rn. 301. 517  Bayer, in: Lutter/​Hommelhoff, GmbHG, § 51a Rn. 10. 518 Dazu K. Schmidt, in: Scholz, GmbHG, § 51a Rn. 19. 519  Zu dieser Konstellation eingehend Ziegler, DStR 2000, 249, 250 ff. Ansonsten ist § 51a Abs. 2 GmbHG bei einem Unternehmenskauf nach überwiegender Ansicht nicht einschlä­ gig; für die Weitergabe der Informationen an kaufinteressierte Dritte soll aber ein Gesell­ schafterbeschluss erforderlich sein, Hohaus/​Koch-Schulte, in: Holzapfel/​Pöllath, Unter­ nehmenskauf in Recht und Praxis, Rn. 1820 f. 520  Greitemann/​Funk, in: Holzapfel/​Pöllath, Unternehmenskauf in Recht und Praxis, Rn. 730. 521  Dazu etwa K. Schmidt, in: Scholz, GmbHG, § 51a Rn. 32 ff.

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

II.  Verbot unrechtmäßiger Offenlegung von Insiderinformationen Ist das Ziel eines Management-Buy-outs eine börsennotierte Gesellschaft, muss das Management, um nicht gegen das Verbot von Insidergeschäften (Art. 14 lit. a MAR) zu verstoßen, die ihm bekannten wertrelevanten Insiderin­ formationen grundsätzlich veröffentlichen, bevor es mit dem Erwerb der Ge­ sellschaftsanteile über die Börse beginnt. Es gilt also faktisch eine Disclose-orAbstain-Regel.522 Beim Erwerb außerhalb der Börse (Face-to-Face-Geschäft) besteht indes die Möglichkeit, die Insiderinformationen (nur) dem Veräuße­ rer mitzuteilen und dadurch den Vorwurf des Insiderhandels auszuräumen.523 Beim Management-Buy-out einer börsennotierten Gesellschaft könnten also die Manager die wertrelevanten Informationen den verkaufswilligen Aktionä­ ren offenlegen, um den außerbörslichen Buy-out zu ermöglichen. Zivilrecht­ lich wären sie zur Offenlegung nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo sogar verpflichtet. Fraglich ist, inwieweit sich dies mit dem kapitalmarktrecht­ lichen Verbot, Insiderinformationen unrechtmäßig offenzulegen, vereinbaren lässt. Denn nach Art. 10 Abs. 1 MAR ist die Offenlegung von Insiderinforma­ tionen durch einen Insider gegenüber einem Dritten grundsätzlich unrecht­ mäßig. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Insider im Zuge der normalen Ausübung seiner Arbeit oder seines Berufs oder der normalen Erfüllung seiner Aufgaben handelt, die Informationsweitergabe also im normalen Geschäfts­ gang erfolgt (vgl. auch Erwägungsgrund 35 MAR). Ansonsten ist die Offenle­ gung nach Art. 14 lit. c MAR verboten. Die deutsche Vorgängervorschrift, § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG, enthielt ein Ver­ bot, eine Insiderinformation einem anderen „unbefugt“ mitzuteilen oder zu­ gänglich zu machen. Hierzu wurde überwiegend vertreten, dass die am MBO beteiligten Manager, die den veräußerungswilligen Anteilseignern Insiderin­ formationen bekannt geben, um das Insiderhandelsverbot zu vermeiden und ihren vorvertraglichen Aufklärungspflichten zu genügen, nicht „unbefugt“ handeln.524 Diese Interpretation des § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG galt unbescha­ det des noch zu Art. 3 lit. a der Insiderrichtlinie 89/592/EWG525 ergangenen Grøngaard-Urteils des EuGH.526 Die Entscheidung betraf die Weitergabe von Insiderinformationen durch Arbeitnehmervertreter und postulierte vor allem, dass ein solcher Informationsaustausch zwischen den Beteiligten nur dann zu­ 522  Zu „disclose or abstain“-Regel im US‑Recht siehe etwa Kuntz, Informationsweiter­ gabe, S. 111. 523  Siehe oben § 2, II. 1. dieses Kapitels. 524  Assmann, in: Assmann/​ Schneider, WpHG, §  14 Rn. 171; Mennicke, in: Fuchs, WpHG, § 14 Rn. 84, 316; Schwark/​Kruse, in: Schwark/​Zimmer, KMRK, § 14 WpHG Rn. 82; Weitnauer, in: Weitnauer, Management Buy-Out, D 150; Fürhoff, AG 1998, 83, 88. 525  Richtlinie 89/592/EWG des Rates v. 13.11.1989 zur Koordinierung der Vorschriften betreffend Insider-Geschäfte, ABl. L 334 v. 18.11.1989, S. 30. 526  EuGH, Urt. v. 22.11.2005 – C-384/02, Slg 2005, I-9939 = NZG 2006, 60 – Grøngaard und Bang.



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lässig sei, wenn er in einem engen Zusammenhang zur Ausübung ihrer Arbeit oder ihres Berufes oder der Erfüllung ihrer Aufgaben stehe, hierfür unerläss­ lich sei und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachte.527 Die herrschen­ de Meinung in Deutschland interpretierte das Merkmal „unerlässlich“ i. S. v. „erforderlich“.528 Die Informationsweitergabe sollte insbesondere beim Paket­ handel „erforderlich“ sein. Dabei wurde unter anderem darauf hingewiesen, dass es kein milderes Mittel für die erfolgreiche Durchführung der Transakti­ on gebe, das Vorgehen der gängigen Marktpraxis entspreche und von der BaFin jedenfalls beim Erwerb einer nicht unerheblichen Beteiligung (ab 3 %) gebilligt worden sei.529 Ob sich die Rechtslage nach dem Inkrafttreten der MAR verändert hat, wird unterschiedlich beurteilt. Teilweise wird vertreten, dass die Regelungen der MAR milder seien als die Grundsätze der Grøngaard-Rechtsprechung, weil der Wortlaut des Art. 10 Abs. 1 MAR das Gebot der Unerlässlichkeit nicht enthalte.530 Tatsächlich spricht die Norm nur von der Offenlegung „im Zuge der normalen Ausübung einer Beschäftigung oder eines Berufes oder der nor­ malen Erfüllung von Aufgaben“. Vor diesem Hintergrund wird angenommen, dass der Insider ein großes Ermessen bei der Informationsweitergabe habe und rechtmäßig handele, sobald die Weitergabe zweckmäßig sei. Gestützt wird die These ferner auf die Vorschriften der MAR zu Marktsondierungen, bei denen ausgewählte Investoren im Vorfeld einer Transaktion mit Insiderinformatio­ nen versorgt werden, um ihr Interesse an der Transaktion auszuloten (vgl. Art. 11 Abs. 1 und 4 MAR).531 Dabei wird argumentiert, dass die MAR die Of­ fenlegung von Insiderinformationen im Verlauf einer Marktsondierung erlau­ be, obwohl Marktsondierungen weder unerlässlich noch erforderlich seien und lediglich der Transaktionssicherheit dienten.532 Dies zeige, dass „der informa­ tionellen Gleichbehandlung in der MAR kein pauschaler Vorrang zukommt, die Transaktionssicherheit vielmehr in einem Umfang neben dem Markt- und Anlegerschutz steht, der Einschränkungen bei der informationellen Gleichbe­ handlung rechtfertigt.“533 527 

EuGH, C-384/02 – Grøngaard und Bang, Rn. 34. Assmann, in: Assmann/​Schneider, WpHG, § 14 Rn. 74b; Klöhn, in: KölnKomm WpHG, § 14 Rn. 325 ff.; Schwark/​Kruse, in: Schwark/​Zimmer, KMRK, § 14 WpHG Rn. 47; Schäfer, in: Marsch-Barner/​Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 14 Rn. 46; Sethe, in: Assmann/​Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts, § 8 Rn. 128. 529 Siehe Meyer/​K iesewetter, WM 2009, 340, 342. 530  Sethe, in: Assmann/​S chütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts, § 8 Rn. 128; Tissen, NZG 2015, 1254, 1255 f.; noch schärfer Zetzsche, NZG 2015, 817, 820: „weder das Gebot der Unerlässlichkeit, noch der Erforderlichkeit“. 531  Zur Marktsondierung in der MAR siehe im Allgemeinen Hopt/​Kumpan, in: Schi­ mansky/​Bunte/​Lwowski, BankR‑HdB, § 107 Rn. 111 ff.; Kiesewetter/​Parmentier, BB 2013, 2371, 2374; Seibt/ ​Wollenschläger, AG 2014, 593, 599 ff. 532  Tissen, NZG 2015, 1254, 1255 f.; Zetzsche, NZG 2015, 817, 819 f. 533  Zetzsche, NZG 2015, 817, 820. 528 Vgl.

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

Gegen diese weite Ansicht spricht indes, dass Art. 11 Abs. 4 MAR die Son­ dervorschriften betreffend die Marktsondierung als eine Ausnahme von der Regelung des Art. 10 Abs. 1 MAR formuliert: „Für die Zwecke des Artikels 10 Absatz 1 wird eine Offenlegung von Insiderinformationen, die im Verlauf einer Marktsondierung vorgenommen wurde, so betrachtet, dass sie im Zuge der normalen Ausübung der Beschäftigung oder des Berufs oder der norma­ len Erfüllung der Aufgaben einer Person vorgenommen wurde …“. Das deutet darauf hin, dass diese Sondervorschriften nicht verallgemeinert werden sollen. Daher nimmt die herrschende Auffassung an, dass die MAR den Status quo nicht verändert habe.534 Es gälten weiterhin die Grundsätze der GrøngaardRechtsprechung, wonach die Informationsweitergabe zulässig sei, wenn keine ebenso wirksame, aber mit geringerem Missbrauchsrisiko verbundene Maß­ nahme in Betracht komme.535 Dementsprechend wird im Schrifttum nach wie vor vertreten, dass gesetzli­ che und insbesondere vorvertragliche Aufklärungspflichten die Informations­ weitergabe rechtmäßig machten.536 Andere plädieren für die einschränkende Auslegung des Offenlegungsverbots in den Fällen, in denen sein Schutzzweck durch die Offenlegung nicht beeinträchtigt werde. Dies soll insbesondere dann gelten, wenn die Informationsweitergabe dazu diene, das für ein Face-to-FaceGeschäft erforderliche Informationsgleichgewicht herzustellen.537 Ähnliche Ansichten werden im Übernahmerecht vertreten, soweit die Weitergabe von Insiderinformationen an einen Kaufinteressenten im Rahmen von Due Dili­ gence für rechtmäßig gehalten wird.538 Nach allen diesen Auffassungen käme die Aufklärungspflicht der Manager beim Management-Buy-out in Gestalt eines Face-to-Face-Geschäfts nicht in Konflikt mit dem Offenlegungsverbot der MAR. Etwas schwieriger wäre die Beurteilung nach der strengeren Ansicht von Klöhn, die er bereits zu § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG vertreten hat.539 Demnach genügen zivilrechtliche Aufklärungspflichten nie, um eine Offenlegungs­ befugnis zu begründen.540 Dennoch dürfte auch nach dieser Ansicht die Wei­ tergabe von Insiderinformationen in der angesprochenen Buy-out-Konstel­ lation möglich sein. Klöhn sieht die Informationsweitergabe im Allgemeinen 534  Hopt/​Kumpan, in: Schimansky/​Bunte/​Lwowski, BankR‑HdB, § 107 Rn. 105; Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 10 Rn. 72; Kiesewetter/​Parmentier, BB 2013, 2371, 2373; Poelzig, NZG 2016, 528, 534; Teigelack, BB 2012, 1361, 1364; Veil/​Koch, WM 2011, 2297, 2300. 535  Hopt/​Kumpan, in: Schimansky/​Bunte/​Lwowski, BankR‑HdB, § 107 Rn. 105 Fn. 4; Kiesewetter/​Parmentier, BB 2013, 2371, 2373. 536  Assmann, in: Assmann/​ Schneider/​ Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014, Art. 10 Rn. 25. 537  Meyer, in: Meyer/​Veil/​Rönnau, Hdb. Marktmissbrauchsrecht, § 8 Rn. 17 f. 538 Vgl. Hofmeister, in: Paschos/​Fleischer, Übernahmerecht-HdB, § 7 Rn. 60. 539 Siehe Klöhn, in: KölnKomm WpHG, § 14 Rn. 350 f., 426 ff., 431 ff. 540  Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 10 Rn. 101.



§ 4.  Verhältnis zu anderen informationsbezogenen Pflichten

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als rechtmäßig an, wenn sie verhältnismäßig ist, also einem legitimen Zweck dient, geeignet, erforderlich und angemessen ist.541 Handelt es sich, wie beim Management-Buy-out, um die Weitergabe fremder Insiderinformationen, so müsse die Weitergabe zunächst von einer ausdrücklichen oder konkludenten Zustimmung der Gesellschaft gedeckt sein. Dann dürfe der Offenlegende die Information aufgrund seines Interesses an der Ermöglichung des Beteiligungs­ erwerbs weitergeben, soweit dies erforderlich und angemessen sei.542 Bei einem Management-Buy-out dürfte für die Erteilung dieser Zustim­ mung der Aufsichtsrat zuständig sein, weil der Vorstand angesichts der Betrof­ fenheit seiner Mitglieder nicht neutral entscheiden könnte. Eine solche Zustim­ mung wäre aber zumindest konkludent in der Befreiung des Vorstands von der Verschwiegenheitspflicht (soeben unter I) enthalten. Die von Klöhn geforder­ te „Freigabe“ der Information durch die Zielgesellschaft wäre also bei einem Management-Buy-out ohne Weiteres möglich. Im Rahmen der Erforderlich­ keit käme es darauf an, ob der Management-Buy-out auch ohne die Weiterga­ be der Information über die Börse durchgeführt werden könnte.543 Eine bloß theoretische Möglichkeit soll indes nicht genügen; vielmehr sei die Offenle­ gung bereits dann erforderlich, wenn der Beteiligungserwerb im Interesse des Emittenten liege und er ohne die Informationsweitergabe unwahrscheinlicher wäre.544 Auch diese Voraussetzung könnte beim Management-Buy-out prin­ zipiell erfüllt werden. Das Gleiche gilt für die Angemessenheit, wobei es hier auf solche Gesichtspunkte ankommen soll wie die Vorteile der Transaktion für den Emittenten, die Ernsthaftigkeit der Erwerbsabsicht, die Kursrelevanz der Information, die Missbrauchsgefahr, die Verlässlichkeit des Empfängers und die Kontrollierbarkeit des Informationsflusses nach der Offenlegung.545 Beim Management-Buy-out hat das Management in der Regel eine ernste Erwerbs­ absicht; ob auch andere von Klöhn genannten Gesichtspunkte für die Offen­ legung sprächen, könnte allerdings nur im Einzelfall beurteilt werden. Seine Auffassung macht also die Beurteilung, ob die Aufklärungspflicht des Ma­ nagements beim Management-Buy-out in Konflikt mit der MAR kommt, sehr einzelfallabhängig. Allerdings schließt diese strenge Auffassung zumindest nicht aus, dass die Offenlegung von Insiderinformationen im Rahmen eines Management-Buy-outs (Face-to-Face-Geschäft) rechtmäßig sein kann. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Offenlegung von Insiderinfor­ mationen im Rahmen eines Management-Buy-outs nach Art. 11 Abs. 4 MAR als Marktsondierung zulässig sein kann, nämlich dann, wenn das Management beabsichtigt, ein Übernahmeangebot für die Anteile der Zielgesellschaft ab­ 541 Siehe

Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 10 Rn. 43 ff. Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 10 Rn. 184. 543 Vgl. Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 10 Rn. 176. 544  Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 10 Rn. 176. 545  Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 10 Rn. 176. 542 

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

zugeben. Dies setzt voraus, dass die Offenlegung notwendig ist, um den An­ teilsinhabern die Entscheidung über die Veräußerung ihrer Anteile zu ermög­ lichen; außerdem muss die Veräußerungsbereitschaft der Anteilseigner nach vernünftigem Ermessen für den Beschluss zur Abgabe des Übernahmeange­ bots erforderlich sein (vgl. Art. 11 Abs. 2 MAR).

III.  Offenlegungspflichten nach § 11 WpÜG Der Management-Buy-out einer börsennotierten Gesellschaft kann auch nach den Vorschriften des WpÜG ablaufen (vgl. § 1 Abs. 1 WpÜG). Dies ist etwa der Fall, wenn das Management ein freiwilliges öffentliches Angebot (einfaches Erwerbsangebot oder auf den Kontrollerwerb gerichtetes Übernahmeange­ bot i. S. d. § 29 WpÜG) abgibt.546 In diesem Fall ist das Management bzw. die NewCo als Bieter547 verpflichtet, eine Angebotsunterlage zu erstellen und zu veröffentlichen, deren Inhalt durch § 11 WpÜG und WpÜG‑AngV festgelegt ist. Diese Angebotsunterlage dient ähnlich wie die vorvertragliche Aufklä­ rungspflicht dazu, den Anteilseignern eine Informationsgrundlage für ihre Veräußerungsentscheidung zu verschaffen. Darüber hinaus hat die Angebots­ unterlage die Funktion, die Arbeitnehmer der Zielgesellschaft, die Öffentlich­ keit und die Aufsichtsbehörde (BaFin) über den genauen Inhalt des Angebots und die Ziele des Bieters zu informieren.548 Dementsprechend ist ihr Inhalt nicht auf die Angaben beschränkt, die für die Parteien des Anteilkaufvertrags wesentlich sind: In der Angebotsunterlage sind beispielsweise die Absichten des Bieters im Hinblick auf die Arbeitnehmer der Zielgesellschaft und deren Vertretungen anzugeben (§ 11 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 WpÜG). Andererseits ist die Offenlegung nach WpÜG etwas fragmentarisch, soweit es um die Informa­ tionen geht, die für den Wert der Anteile relevant sind. Im Mittelpunkt stehen die Art und Höhe der für die Wertpapiere der Zielgesellschaft gebotenen Ge­ genleistung (§ 11 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 WpÜG) sowie die zu ihrer Festsetzung ange­ wandten Bewertungsmethoden (§ 2 Nr. 3 WpÜG‑AngV). Insgesamt gehen also die Anforderungen an den Inhalt der Angebotsunterlage nicht so weit wie vor­ vertragliche Aufklärungspflichten.549 546  Ein Pflichtangebot nach § 35 WpÜG kommt dagegen nur dann in Betracht, wenn das Management bereits die Kontrolle über die Zielgesellschaft erworben hat, und zwar nicht auf Grund eines Übernahmeangebots; missverständlich daher Kuntz, Informationsweiter­ gabe, S. 149. 547 Dazu Versteegen, in: KölnKomm WpÜG, § 2 Rn. 129. 548  Meyer, in: Assmann/​ Pötzsch/​Schneider, WpÜG, § 11 Rn. 8; Thoma, in: Baums/​ Thoma/​Verse, WpÜG, § 11 Rn. 2. 549  Ausführlich dazu Kuntz, Informationsweitergabe, S. 150 f.; zur umstrittenen Frage, ob der Katalog des § 11 Abs. 2 WpÜG abschließend ist, siehe Meyer, in: Assmann/​Pötzsch/​ Schneider, WpÜG, § 11 Rn. 44 f. m. w. N.



§ 4.  Verhältnis zu anderen informationsbezogenen Pflichten

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Vor diesem Hintergrund wird teilweise die Frage gestellt, wie sich vorver­ tragliche und übernahmerechtliche Informationspflichten zueinander verhal­ ten.550 Nach Ansicht von Kuntz werden vorvertragliche Aufklärungspflichten durch das Übernahmerecht verdrängt, so dass sich die Offenlegung insgesamt auf den vom WpÜG vorgegebenen Umfang beschränkt.551 Letzteres ist zwei­ felhaft, weil es im Geltungsbereich des WpÜG um Geschäfte mit Wertpapie­ ren geht, die zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind. Damit greift das kapitalmarktrechtliche Insiderhandelsverbot mit umfassenden Of­ fenlegungspflichten als Folge: Alle relevanten Insiderinformationen müssen beim außerbörslichen Wertpapiererwerb zumindest dem potentiellen Ver­ äußerer bekannt gemacht werden.552 Bei einem öffentlichen Angebot nach WpÜG sind das die Inhaber der Wertpapiere, die Gegenstand des Angebots sind.553 Da es bei einem öffentlichen Angebot an einem persönlichen Kontakt zwischen dem Bieter und den Angebotsadressaten fehlt, kann der Bieter sei­ ner kapitalmarktrechtlichen Offenlegungspflicht nur genügen, wenn er die relevanten Insiderinformationen veröffentlicht oder in die Angebotsunterla­ ge aufnimmt. Die Pflichtenlage ähnelt somit derjenigen, die beim Börsenhan­ del besteht. Die Offenlegungsmaßstäbe werden also nicht von § 11 WpÜG ge­ setzt, der einen außerstehenden Erwerber und keinen Unternehmensinsider im Blick hat554, sondern vom Kapitalmarktrecht. Die Frage lautet daher, wie sich in einer Übernahmesituation vorvertragliche und kapitalmarktrechtliche Informationspflichten zueinander verhalten. Obwohl die Parteien bei einem öffentlichen Angebot nicht persönlich in Kontakt zueinander treten, entstehen zugunsten der schlechter informierten Partei vorvertragliche Aufklärungs­ pflichten, und zwar kraft Vertragsanbahnung (§ 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB).555 Diese Pflichten erstrecken sich immerhin auf die Umstände, die für einen Anteils­ inhaber in der gegebenen Situation typischerweise von Interesse sind, also auf die Informationen, die für den Wert der Anteile relevant sind. Daher haben sie den gleichen Umfang wie die kapitalmarktrechtlichen Informationspflichten, so dass keine Pflichtenkollisionen bestehen.

550 So

Kuntz, Informationsweitergabe, S. 152.

551  Kuntz, Informationsweitergabe, S. 153 ff. 552  Siehe oben § 2 II 1; dort auch zur Ansicht

von Kuntz, der das Insiderhandelsverbot für nicht einschlägig hält, soweit zumindest die Paketinhaber Kenntnis von Insiderinfor­ mationen erhalten. 553  Thoma, in: Baums/​T homa/​Verse, WpÜG, § 11 Rn. 7. 554  Dies zeigt sich auch in § 27 WpÜG, der eine Stellungnahme des Vorstands und des Aufsichtsrats der Zielgesellschaft zum Angebot vorsieht. Beim Management-Buy-out, bei dem der Vorstand als Insider die Zielgesellschaft übernimmt, hat seine Stellungnahme einen sehr begrenzten Wert, vgl. Hirte, in: KölnKomm WpÜG, § 27 Rn. 18. 555 Vgl. Kindl, in: Erman, § 311 Rn. 21.

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

§ 5.  Gegenstand der Offenlegung Was die Art von Informationen angeht, die das Management dem Veräußerer mitzuteilen hat, besteht im Ausgangspunkt Einigkeit darüber, dass alle Tat­ sachen offenzulegen sind, die für den Wert des Unternehmens und damit den Wert der Anteile relevant sind.556 Im Detail ist jedoch manches umstritten, insbesondere die Frage, ob die buyoutwilligen Manager verpflichtet sind, ihre künftigen Geschäftspläne offenzulegen. Die Streitursache dürfte zumindest teilweise in der Wahl der Kriterien liegen, die zur Bestimmung des Offenle­ gungsgegenstands benutzt werden. Meist korrelieren diese Kriterien mit der dogmatischen Grundlage der Offenlegungspflicht, die der jeweilige Autor he­ ranzieht; dies ist aber nicht immer der Fall. Nachfolgend werden die häufig be­ nutzten Kriterien dargestellt und deren Auswirkung auf die genauere Ausfor­ mung der Offenlegungspflicht durchleuchtet.

I.  Kriterien für die Bestimmung der offenzulegenden Information 1.  Vertrauens- und Berufshaftung Nach Renate Tirpitz bestimmen die Grundsätze der Vertrauens- und Berufs­ haftung sowohl die Voraussetzungen557 als auch den Umfang der Offenle­ gungspflicht. Offenzulegen sei (nur) das Wissen der Manager, das aufgrund ihrer beruflichen Stellung im Unternehmen entstehe. Dabei könne sich das „Wissen“ im Gegensatz zum „Wollen“ allein auf gegenwärtige und nicht auf künftige Tatsachen beziehen. Mitzuteilen sind somit grundsätzlich nur die ge­ genwärtigen Verhältnisse der Gesellschaft, künftige Aktivitäten dagegen nur, wenn die Grundlage dafür bereits in der Gegenwart gelegt worden sei. Dann sei das Planungsstadium überschritten und die Tatsache bereits gegenwärtig angelegt, ansonsten befinde sie sich im Stadium der Planung und damit im Be­ reich des „Wollens“.558 Problematisch an dieser Sichtweise ist, dass sie nicht zwischen künftigen Er­ eignissen als solchen und dem Wissen über diese Ereignisse differenziert. Pla­ nen etwa die Manager für die Zeit nach dem Buy-out eine Umstrukturierung, ist dies eine künftige Tatsache, die entsprechenden Pläne hingegen eine gegen­ wärtige, auch wenn noch keine Schritte zu ihrer Umsetzung unternommen 556  Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 336; ders., AG 2000, 309, 316; Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 246; Enzinger, Interessenkonflikt und Organpflichten, S. 37; Rhein, Interessenkonflikt der Manager, S. 216; Tirpitz, Pflichten, S. 111; M. Weber, Vormit­ gliedschaftliche Treubindungen, S. 279; Koppensteiner, ZHR 155 (1991), 97, 103, 110; Talos/​ Schrank, ecolex 2003, 30, 32; D. Weber, ZHR 155 (1991), 120, 126. 557 Siehe Tirpitz, Pflichten, S. 89. 558  Tirpitz, Pflichten, S. 111.



§ 5.  Gegenstand der Offenlegung

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worden sind. Denn die beteiligten Manager wissen bereits gegenwärtig von diesen Plänen und es ist gerade die Frage, ob sie dieses Wissen für sich behalten dürfen oder dem Veräußerer offenbaren müssen. 2.  Treuhänderische Funktion der Manager Als Befürworter einer gesellschafterbezogenen Treuepflicht bestimmt Rhein den Offenlegungsgegenstand anhand der quasi-treuhänderischen Funktion der Manager. Die Aufgabenteilung im Principal-Agent-Modell führe dazu, dass der Geschäftsleiter über Kenntnisse verfügten, die ohne ihre Einschaltung die Gesellschafter als wirtschaftliche Eigentümer hätten. Solche Insiderkennt­ nisse dürfe das Management nicht für sich nutzen und schon gar nicht gegen die Eigentümer verwenden. Sie seien daher beim Management-Buy-out den Anteilseignern preiszugeben, damit diese ihre Angelegenheiten wieder selbst in die Hand nehmen könnten.559 So allgemein formuliert, müsste diese Ansicht eigentlich dazu führen, dass die Geschäftsleiter beim Management-Buy-out ihr gesamtes Bild vom Unter­ nehmen offenzulegen hätten. Denn alle Kenntnisse, Pläne oder Ansichten in Bezug auf das Unternehmen resultieren aus der treuhänderischen Tätigkeit der Manager für die Anteilseigner.560 Dennoch erstreckt Rhein die Offenlegungs­ pflicht nicht auf all diese Informationen, sondern korrigiert die weite Folge der „Treuhandlösung“ mit Zumutbarkeits- und Praktikabilitätserwägungen. So seien Manager nicht verpflichtet, ihre subjektive Einschätzung des Unter­ nehmenswerts offenzulegen, weil sie dabei entweder falsche Angaben machen oder die eigene Verhandlungsposition vollständig zerstören müssten. Zudem könne man im Nachhinein kaum nachprüfen, ob die gemachten Angaben der subjektiven Wirklichkeit entsprochen hätten.561 3. Geschäftschancenlehre Noch häufiger wird versucht, den Gegenstand der Offenlegungspflicht mit Hilfe der Geschäftschancenlehre zu bestimmen.562 Dies geschieht unabhän­ gig davon, welche dogmatische Grundlage zur Begründung der Offenlegungs­ pflicht herangezogen wird: die Geschäftschancenlehre selbst563, die culpa in

559  Rhein, Interessenkonflikt der Manager, S. 215. 560  Vgl. insoweit auch Rhein, Interessenkonflikt der 561  Rhein, Interessenkonflikt der Manager, S. 216. 562  Vor allem Fleischer, Informationsasymmetrie,

Manager, S. 216.

S. 537 ff.; ders., AG 2000, 309, 315 ff.; Koppensteiner, ZHR 155 (1991), 97, 102 f.; D. Weber, ZHR 155 (1991), 120, 126; teilweise auch Berkefeld, Die Beteiligung von Investoren, S. 73; Kuntz, Informationsweitergabe, S. 175 ff.; M. Weber, Vormitgliedschaftliche Treubindungen, S. 282. 563 So Koppensteiner, ZHR 155 (1991), 97, 102 f.

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

contrahendo564 oder die vormitgliedschaftliche Treuepflicht565. Die Geschäfts­ chancenlehre ist insofern ein Konzept von erheblicher Anziehungskraft. Dabei erfordert ihre Anwendung beim Share Deal die Überwindung einer größe­ ren Hürde, nämlich der herrschenden These, dass zwischen dem Management und den Gesellschaftern keine Sonderverbindung existiert.566 Denn die Argu­ mente für die Heranziehung der Geschäftschancenlehre lauten, das vom Ma­ nagement fiduziarisch verwaltete Gesellschaftsvermögen umfasse insbesonde­ re korporative Geschäftschancen, so dass deren Verschweigen auf Aneignung des Gesellschaftsvermögens hinauslaufe.567 Das Verbot der Aneignung von Geschäftschancen gilt aber mangels Sonderverbindung nicht im Verhältnis zwischen Managern und Gesellschaftern. Es bedarf daher einer besonderen Begründung, warum die Manager die Geschäftschancen der Gesellschaft den Gesellschaftern gegenüber offenzulegen haben.568 Als Begründung wird angeführt, das Gesellschaftsinteresse sei in Wahr­ heit das gemeinsame Interesse aller Gesellschafter und das Gesellschaftsver­ mögen die Summe ihrer Vermögenspositionen.569 Im nächsten Schritt werden Geschäftsleiter nicht nur als Treuhänder des Gesellschaftsvermögens, sondern auch als Treuhänder der einzelnen Gesellschafter angesehen. Es wird argu­ mentiert, dass das Management die Geschäftschancen, die im Gesellschafts­ vermögen und damit auch im Vermögen der Veräußerer stecken, nicht still­ schweigend an sich ziehen dürfe.570 De facto werden also doch entgegen der herrschenden Doktrin direkte Rechtsbeziehungen zwischen Gesellschaftern und Geschäftsleitern angenommen, und zwar generell und nicht bloß beim Vorliegen einer Schutzlücke. Zugleich wird der Unterschied zwischen Gesell­ schafts- und Gesellschaftervermögen teilweise eingeebnet, wodurch die Ge­ sellschaft recht weit in Richtung eines „nexus of contracts“ gerückt wird.571 Weitere Probleme folgen daraus, dass sich die Offenlegungspflicht nach allgemeiner Ansicht nicht nur auf Geschäftschancen, sondern auf alle wert­ relevanten Umstände bezieht, etwa auf den wirklichen Wert des Anlage- und Umlaufvermögens und auf stille Reserven. Warum dem so ist, kann die Ge­ schäftschancenlehre an sich nicht erklären. Fleischer sieht das Problem, meint 564  So etwa Fleischer, AG 2000, 309, 320; Berkefeld, Die Beteiligung von Investoren, S. 100 ff.; Kuntz, Informationsweitergabe, S. 126 ff. 565  M. Weber, Vormitgliedschaftliche Treubindungen, S. 279 ff., 284 ff. 566  Dazu oben § 2, I. und § 3, III. 1. dieses Kapitels. 567  Fleischer, AG 2000, 309, 315. 568 Vgl. Fleischer, AG 2000, 309, 315: Es bedürfe „[…] noch eines gedanklichen Zwi­ schenschrittes, um zu begründen, warum das Verschweigen werterheblichen Insiderwissens gegenüber den Altgesellschaftern der heimlichen Aneignung von Gesellschaftsvermögen gleichzuachten ist.“ 569  Koppensteiner, ZHR 155 (1991), 97, 103; ihm folgend Fleischer, AG 2000, 309, 315. 570  Fleischer, AG 2000, 309, 315 f. 571  Symptomatisch ist, dass Fleischer, AG 2000, 309, 315, die juristische Person in diesem Kontext als „Vorhang“ bezeichnet.



§ 5.  Gegenstand der Offenlegung

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aber, dass die Erstreckung der Offenlegungspflicht auf andere Gegenstände als Geschäftschancen aus der treuhänderischen Aufgabe der Manager zur Er­ haltung und Mehrung der Gesellschaftsvermögens folge, die eine Pflicht zur umfassenden Rechnungslegung nach sich ziehe.572 Damit verlässt er aber den Bereich der Geschäftschancenlehre und greift auf die treuhänderische Funk­ tion der Manager zurück, die dem Ansatz von Rhein zugrunde liegt. Die Ge­ schäftschancenlehre muss also beim Management-Buy-out zwangsläufig mit weiteren Elementen kombiniert werden, was manche Autoren auch tun, indem sie diese Lehre als nur eines von mehreren Kriterien heranziehen.573 Schließlich kommt es bei der Anwendung der Geschäftschancenlehre zur Ungereimtheiten, wenn man die Offenlegungspflicht als solche nicht aus der Geschäftschancenlehre, sondern z. B. aus der culpa in contrahendo ableitet. Für die Entstehung der Offenlegungspflicht gelten dann die zivilrechtliche Voraus­ setzungen der culpa in contrahendo, während der Pflichtenumfang mit Hilfe der gesellschaftsrechtlichen Topoi der Geschäftschancenlehre bestimmt wird. Zu ihnen gehört insbesondere die treuhänderische Stellung der Manager; bei der Wahl der culpa in contrahendo als dogmatische Grundlage der Offenle­ gungspflicht sollten aber nicht die Treuhand und die Treuepflicht, sondern an­ dere Aspekte im Vordergrund stehen, etwa der Ausgleich des unerwünschten Informationsgefälles. Aus diesem Grund lohnt sich der Blick auf das allgemei­ ne Zivilrecht, das über ein ausgefeiltes Instrumentarium zur Festlegung der Grenzen der Offenlegungspflicht verfügt. 4.  Allgemeine zivilrechtliche Kriterien Im Zivilrecht wird der Umfang vorvertraglicher Aufklärungspflichten nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) bestimmt. Auch insofern gilt die „goldene Regel“ der Rechtsprechung, wonach sich solche Pflichten auf sämtliche Um­ stände beziehen, die für die Willensbildung der anderen Vertragspartei von ausschlaggebender Bedeutung sind und deren Mitteilung zumutbar ist sowie nach Treu und Glauben erwartet werden kann.574 Der Inhalt der Aufklärungs­ pflicht ergibt sich somit aus ihren Voraussetzungen: Das Informationsbedürf­ nis, das den Grund für eine Aufklärungspflicht abgibt, bestimmt auch ihren Umfang.575 Der Gegenstand der Offenlegung ist also anhand der drei Krite­ rien der „goldenen Regel“ zu präzisieren: Wesentlichkeit der Information, er­ kennbares Informationsgefälle und Zumutbarkeit der Informationsweitergabe. Offenzulegen wären daher nur die Umstände, die für die Willensbildung des Veräußerers wesentlich sind. Dies sind beim Management-Buy-out regel­ 572 

Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 538; ders., AG 2000, 309, 316. Kuntz, Informationsweitergabe, S. 175, 204; ähnlich bereits Harbers, Management Buy-Out, S. 69 f. 574  Siehe etwa BGH NJW 2017, 2403 Rn. 18; dazu bereits unter § 2 II 2 (Fn. 150). 575  Bachmann, in: MüKo BGB, § 241 Rn. 142; Olzen, in: Staudinger, BGB, § 241 Rn. 460. 573 

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

mäßig die Tatsachen, die den Einfluss auf den Wert des Unternehmens haben. Allerdings ist zu bedenken, dass im Einzelfall auch andere Umstände für die Willensbildung des Veräußerers ausschlaggebend sein können, etwa die Tat­ sache, dass in einem gewissen Zeitraum nach dem Buy-out die bisherige Fir­ menpolitik fortgesetzt wird. Die allgemeine Zivilrechtslehre ermöglicht die Berücksichtigung solcher Umstände, indem sie den Umfang der Aufklärungs­ pflicht letztendlich vom Einzelfall abhängig macht.576 Aus dem Kriterium des Informationsgefälles folgt, dass die schutzwürdige Partei nur soweit aufzuklären ist, wie ihr Informationsdefizit es erfordert.577 Auch hier kommt es also auf die Umstände des Einzelfalles an, etwa auf die er­ kennbare Erfahrenheit oder Unerfahrenheit der aufzuklärenden Partei.578 Hat also der Erwerber beim Management-Buy-out einen Gesellschafter vor sich, der in den Angelegenheiten der Geschäftsführung unerfahren ist, hat er ihn umfassend aufzuklären. Anders ist die Lage, wenn der Altgesellschafter über die Vermögenslage der Gesellschaft inklusiver Geschäftschancen und stiller Reserven bestens informiert ist, wie z. B. ein Familienunternehmer, der in die Geschäftsführung ständig involviert war. Bei der Frage, ob die Offenlegung einer bestimmten Tatsache für den Er­ werber zumutbar ist, ist eine Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der einen Partei und dem Geheimhaltungsinteresse der anderen vorzunehmen. Je enger die konkrete Information mit der Tätigkeit des Managements für den bisherigen Unternehmensinhaber verbunden ist, desto zumutbarer ist die Of­ fenlegung. Die Zumutbarkeit bereitet daher keine Probleme, soweit es um den Wert des vorhandenen Gesellschaftsvermögens geht; schwieriger wird es bei künftigen Plänen der Manager: Diese sind nicht bloß „Teil des Unternehmens“, sondern „gehören“ gewissermaßen auch den Managern als deren persönliche geistige Leistung.

II.  Einzelne Gegenstände der Offenlegung Bei der Bestimmung einzelner offenzulegender Informationen kommen alle Ansätze oft zum gleichen Ergebnis. In einigen Punkten gibt es aber bedeut­ same Unterschiede. 1.  Vermögensgegenstände und stille Reserven Unumstritten ist bisher, dass das Management den Veräußerer die Aus­ kunft über das vorhandene Vermögen einschließlich stiller Reserven geben 576 

577 

BGHZ 168, 168 Rn. 15, 27; BGH NJW 2017, 2403 Rn. 18. Olzen, in: Staudinger, BGB, § 241 Rn. 460; Pohlmann, Die Haftung wegen Verlet­

zung von Aufklärungspflichten, S. 104. 578  BGHZ 168, 168 Rn. 15, 27; BGH NJW 2017, 2403 Rn. 18.



§ 5.  Gegenstand der Offenlegung

333

muss.579 Die Anhänger der Geschäftschancenlehre müssen hier allerdings auf alternative Begründungen zurückgreifen, etwa auf die treuhänderische Pflicht der Geschäftsleiter zur umfassenden Rechnungslegung.580 Denkbar wäre auch ein „Erst-Recht-Schluss“: Wenn schon künftige Geschäftschancen offenzule­ gen sind, müssen die Anteilsveräußerer erst recht über den gegenwärtigen Ver­ mögensstand informiert werden. Nach den hier favorisierten zivilrechtlichen Kriterien wäre die Aufklärungspflicht zu bejahen, soweit der Veräußerer er­ kennbar aufklärungsbedürftig ist. In diesem Fall ist die Information über den Bestand und den wirklichen Wert des Gesellschaftsvermögens für den Ver­ äußerer wesentlich, weil sie dessen Verhandlungsspielraum und Reservations­ preis bestimmt. Die Aufklärung ist zumutbar, weil das Informationsinteresse des Veräußerers gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse des Erwerbers über­ wiegt: Es handelt sich um Informationen, die ganz eng mit der fremdnützigen Tätigkeit des Managements für die Gesellschaft verbunden sind. Historische Beispiele für eine Verheimlichung der Vermögenswerte finden sich etwa bei den Management-Buy-outs, die nach der Wende von der Treu­ handanstalt durchgeführt wurden. Beim MBO des Leipziger Kiepenheuer Ver­ lags in 1991 soll die damalige Geschäftsführung der Treuhandanstalt, die den Verlag nach der Wende übernommen hatte, verheimlicht haben, dass sich im Verlagsarchiv wertvolle Teile des Joseph-Roth-Nachlasses581 befanden.582 Die Treuhandanstalt erfuhr darüber erst, nachdem der Verlag in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten worden war und die neuen Eigner versucht hatten, die Manuskripte von Joseph Roth zu versteigern. Sie focht den Kaufvertrag an und ließ einen gerichtlich bestellten Geschäftsführer einsetzen. Letztendlich gaben die neuen Gesellschafter die Verlagsanteile 1993 an die Treuhandanstalt zu­ rück.583 Die Richtigkeit des Sachverhalts unterstellt, hat die Verlagsgeschäfts­ führung ihre Aufklärungspflicht gegenüber der Treuhandanstalt verletzt, indem sie diese über wertvolles Verlagsvermögen nicht informiert hat.584 In einem anderen Fall hat ein zu privatisierendes Hochbauunternehmen im Auftrag der Bundesrepublik Deutschland 500 Häuser gebaut und diese in der 579 

Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 336; ders., AG 2000, 309, 316; Berkefeld, Die Beteiligung von Investoren, S. 73; Heidemann, Management Buyout, S. 238; Kuntz, Infor­ mationsweitergabe, S. 204 ff.; Rhein, Interessenkonflikt der Manager, S. 216; Tirpitz, Pflich­ ten, S. 114; Talos/​Schrank, ecolex 2003, 30, 32. 580 So Fleischer, AG 2000, 309, 316. 581  Als Schriftsteller und Publizist Joseph Roth 1933 aus Berlin floh, ließ er einen Groß­ teil seiner Manuskripte bei seinem Freund, dem Verleger Gustav Kiepenheuer, der 1949 starb. Roths Manuskripte wurden wohl erst Ende der 70er Jahre beim Umzug des Kiepen­ heuer Verlags nach Weimer entdeckt, Hall/​Renner, Handbuch der Nachlässe und Samm­ lungen österreichischer Autoren, S. 281. 582 Vgl. Tirpitz, Pflichten, S. 24, die den Fall nach der Darstellung ehemaliger Mitarbei­ ter der Treuhandanstalt wiedergibt. 583  Links, Das Schicksal der DDR‑Verlage, S. 221. 584 Vgl. Tirpitz, Pflichten, S. 112.

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

Bilanz zulässigerweise mit den angefallenen Kosten für Löhne und Material ausgewiesen, da die Häuser am Bilanzstichtag noch nicht abgenommen waren. Kurz darauf erfolgte die Abnahme und das Management trat in die MBO‑Ver­ handlungen mit der Treuhandanstalt ein. Noch vor dem Abschluss der Trans­ aktion wurden die Häuser von der Bundesrepublik bezahlt, wobei der gezahlte Betrag den in der Bilanz ausgewiesenen (Niederst-)Wert um mehrere Millio­ nen überstieg. Die Treuhandanstalt, die weder von der Abnahme noch von der Zahlung wusste, schloss mit dem Management einen Kaufvertrag anhand der bilanziellen Werte.585 Auch hier liegt eine Verletzung der Aufklärungspflicht seitens der damaligen Unternehmensleitung vor.586 2. Geschäftschancen Nahezu übereinstimmend wird angenommen, dass die buyoutwilligen Mana­ ger die Altgesellschafter über die Geschäftschancen der Gesellschaft aufklären müssen, soweit diese hinreichend konkretisiert sind.587 Dies lässt sich auch im Rahmen der allgemeinen zivilrechtlichen Lehre gut begründen, und zwar mit den gleichen Argumenten wie oben. Die Information über die Geschäftschan­ cen der Zielgesellschaft ist für den Veräußerungsentschluss wesentlich, da vor­ handene Geschäftschancen den Wert des Unternehmens erhöhen. Soweit im Hinblick auf die konkrete Geschäftschance ein Informationsgefälle zwischen dem Management und dem Veräußerer besteht, ist die Aufklärung auch zu­ mutbar, weil die Information über die Geschäftschancen zu den Insiderkennt­ nissen gehört, die das Management im Rahmen seiner Tätigkeit für die Gesell­ schaft sammelt. Die Abwägung zwischen dem Interesse der verkaufswilligen Gesellschafter an dieser Information und dem Interesse des Managements an ihrer Zurückhaltung fällt daher zugunsten der Gesellschafter aus. Was die Zuordnung der Geschäftschancen zur Gesellschaft angeht, so ist auf die allgemeinen Leitlinien der Geschäftschancenlehre zurückzugreifen. Die Zuordnung verlangt entweder, dass die Geschäftschance im Geschäftszweig der Gesellschaft liegt (im US‑Recht: „line-of-business-test“), oder dass die Ge­ 585  586 

Tirpitz, Pflichten, S. 23 f. Tirpitz, Pflichten, S. 112 f.; ihr folgend Berkefeld, Die Beteiligung von Investoren, S. 68, 73. 587  Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 336; Berkefeld, Die Beteiligung von Inves­ toren, S. 73 f.; Kuntz, Informationsweitergabe, S. 175 ff., 195 ff., 207 f.; M. Weber, Vormit­ gliedschaftliche Treubindungen, S. 282; Koppensteiner, ZHR 155 (1991), 97, 102 f.; Talos/​ Schrank, ecolex 2003, 30, 32; D. Weber, ZHR 155 (1991), 120, 126; vgl. auch Hölters, in: Höl­ ters, Handbuch des Unternehmens- und Beteiligungskaufs, Teil I Rn. 77 ff.; Tirpitz, Pflich­ ten, S. 113. Lediglich Rhein versucht, rechtsformbezogen zu differenzieren: Während in der GmbHG die Geschäftschancen offenzulegen seien, sollen sie in der AG zwar in die den Ak­ tionären mitzuteilenden Wertansätze „nachvollziehbar“ eingehen, aber nicht im Einzelnen dargelegt werden, vgl. Rhein, Interessenkonflikt der Manager, S. 216. Dies überzeugt jedoch in der Sache nicht.



§ 5.  Gegenstand der Offenlegung

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sellschaft ein konkretes Interesse an der Geschäftschance bzw. diesbezüglich eine greifbare Erwartung hat („interest-or-expectancy-test“).588 Für den Lineof-Business-Test genügt, dass das Geschäft im tatsächlichen Tätigkeitsbereich der Gesellschaft oder in den angrenzenden Geschäftsfeldern liegt.589 Die Kri­ terien des Interest-or-Expectancy-Tests sind erfüllt, wenn sich die Geschäfts­ chance aus einem von der Gesellschaft bereits abgeschlossenen Vertrag ergibt, wenn die Gesellschaft in Verhandlungen über einen solchen Vertrag steht oder ein Interesse am Geschäft geäußert hat.590 Nach überwiegender Ansicht ge­ nügt es außerdem, wenn ihr das Geschäft nur angeboten wurde.591 Auch in­ terne Vorbereitungen für die Wahrnehmung der Geschäftschance können aus­ reichen, etwa ein entsprechender Beschluss (außer dieser ist nichtig)592 , ein interner Auftrag an ein Mitglied der Geschäftsleitung, nach neuen Tätigkeits­ bereichen zu suchen593, oder hinreichend konkrete Planungen in Hinblick auf ein bestimmtes Tätigwerden.594 Nach Ansicht der Rechtsprechung und eines Teils der Lehre spielt bei der Zuordnung keine Rolle, ob der Geschäftsleiter von der Geschäftschance beruflich oder privat Kenntnis erlangt hat. Nach der Gegenansicht darf der Geschäftsleiter jedenfalls die Geschäftschancen zustim­ mungsfrei für sich nutzen, die ihm höchstpersönlich angetragen wurden, etwa im Familienkreis oder auf Grund persönlicher Freundschaft.595 Berechtigt erscheint beim Management-Buy-out die Einschränkung, dass, wenn die Zielgesellschaft täglich viele Aufträge erhält, nicht jeder einzelne von ihnen offengelegt werden muss. Vielmehr bezieht sich die Aufklärungspflicht nur auf solche Aufträge oder Geschäftschancen, die angesichts ihrer Bedeu­ tung für die Zielgesellschaft deren Wert beeinflussen können.596 Dies hängt 588 Im Allgemeinen Fleischer, in: Spindler/​ Stilz, AktG, § 93 Rn. 139 ff.; ders., NZG 2003, 985, 986 f.; Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 254; U. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 43 Rn. 203; explizit für den Management-Buy-out Kuntz, Informationsweiter­ gabe, S. 196 f.; Fleischer, AG 2000, 309, 315 f. 589  Fleischer, in: Spindler/​Stilz, AktG, § 93 Rn. 142; ders., NZG 2003, 985, 987; Spindler, in: MüKo AktG, § 88 Rn. 62; Weisser, Corporate Opportunities, S. 150; für die Berücksichti­ gung auch des satzungsmäßigen Tätigkeitsbereichs etwa Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 255; U. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 43 Rn. 204. 590  Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, §  93 Rn. 256; Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 93 Rn. 105; Fleischer, NZG 2003, 985, 986. 591  Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, §  93 Rn. 256; Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 93 Rn. 105; U. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 43 Rn. 204; Spindler, in: MüKo AktG, § 88 Rn. 62; a. A. Weisser, Corporate Opportunities, S. 166. 592  Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 256; Fleischer, NZG 2003, 985, 986. 593  Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 256; Weisser, Corporate Opportunities, S. 168. 594  Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 256; U. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 43 Rn. 204; Weisser, Corporate Opportunities, S. 167 f. 595  Vgl. dazu bereits Kapitel 2, § 1, I. 3. mit Hinweisen in Fn. 40 f. 596  Tirpitz, Pflichten, S. 113; vgl. auch Talos/​Schrank, ecolex 2003, 30, 32: „unmittelbar bevorstehende Großaufträge“.

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

nicht nur von der Größe des Auftrags, sondern auch von der Größe der Gesell­ schaft und der Wichtigkeit des Auftrags ab. So kann auch ein kleinerer Auftrag eines Neukunden wertrelevant sein, wenn zu erwarten ist, dass sich daraus eine langfristige Beziehung mit einem wichtigen Geschäftspartner entwickeln kann.597 3.  Kaufangebote Dritter Grundsätzlich ist ein Marktteilnehmer nicht verpflichtet, auf günstigere An­ gebote der Konkurrenz hinzuweisen, denn dann wäre er gezwungen, seine Preise entsprechend anzupassen oder als Anbieter auszuscheiden. Die Auf­ gabe der Preiskontrolle ist primär dem Markt und dem darauf bestehenden Wettbewerb als „Entdeckungsverfahren“ zugewiesen.598 Beim ManagementBuy-out wird jedoch das Management für verpflichtet gehalten, die Altgesell­ schafter über die Kaufangebote Dritter zu informieren.599 Die Pflicht erstreckt sich sowohl auf höhere600 als auch auf niedrigere Angebote, weil die Letzteren Konditionen enthalten können, die in den Augen der Veräußerer den niedrige­ ren Preis wettmachen, und es ist Sache der Gesellschafter zu entscheiden, zu welchen Bedingungen sie ihre Anteile verkaufen wollen.601 Diese Thesen lassen sich in gewissem Umfang auf die Rechtsprechung stüt­ zen.602 Die Aufklärungspflicht bezüglich eines Drittangebots wurde vom BGH im sog. Daktari-Fall603 anerkannt. Dort ging es um den Streit zwischen zwei Filmgesellschaften und einem Vermittler von Lizenzen an amerikani­ schen Fernsehfilmen. Die Filmgesellschaften hatten dem Vermittler seine Be­ teiligung am Erlös aus der Verwertung der Filmserien „Daktari“ und „Flip­ per“ für 10.000 US‑Dollar abgekauft, ohne ihn darüber aufzuklären, dass zu diesem Zeitpunkt bereits ein konkretes Angebot des ZDF über den Erwerb der Verwertungsrechte an diesen Serien zum Preis von 8,3 Mio. DM vorgelegen hatte. Der BGH sah darin eine Aufklärungspflichtverletzung: Die Information sei „offensichtlich von entscheidender Bedeutung“ für den Vertragsentschluss des Vermittlers gewesen und hätte angesichts einer besonderen Vertrauens­ beziehung zwischen den Parteien offengelegt werden müssen. Die Partei­ en seien durch ihre langjährigen intensiven Geschäftsverbindungen und per­ 597 Vgl. Tirpitz, Pflichten, S. 113. 598  BGHZ 168, 168 Rn. 28; siehe ferner

Singer/​Finckenstein, in: Staudinger, § 123 Rn. 14. Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 336; ders., Informationsasymmetrie im Ver­ tragsrecht, S. 538; ders., AG 2000, 309, 316 f., Kuntz, Informationsweitergabe, S. 211. 600  Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 538; ders., AG 2000, 309, 316. 601  Kuntz, Informationsweitergabe, S. 211. 602  So zutreffend Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 538; ders., AG 2000, 309, 316, der neben den hier besprochenen deutschen Entscheidungen auch ausländische Judikate an­ führt. 603  BGH, Urt. v. 31.1.1979 – I ZR 77/77, GRUR 1979, 429 – Daktari. 599 



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sönliche Freundschaft miteinander verbunden gewesen. Sie hätten ferner ihre Kooperation vertrauensvoll ausgestaltet; insoweit berief sich der BGH auf den Umstand, dass der Vermittler die Filmverwertung vollständig den Filmgesell­ schaften überlassen habe und damit entscheidend auf ihre Auskunft über Ver­ wertungsmaßnahmen und eingegangene Angebote angewiesen worden sei.604 Viele meinen, der BGH sei im Daktari-Urteil zu großzügig gewesen.605 Al­ lein die langjährige intensive Zusammenarbeit und persönliche Freundschafts­ beziehung könnten dort, wo es um gegensätzliche Geschäftsinteressen gehe, noch keinen Vertrauenstatbestand schaffen.606 Der BGH hätte daher entwe­ der eine gesellschaftsähnliche Beziehung zwischen den Parteien bejahen oder die Interessenwahrungspflicht der Filmgesellschaften aus der Geschäftsbesor­ gung stärker hervorkehren müssen.607 Diesen kritischen Stimmen ist insofern Recht zu geben, als eine langjährige geschäftliche oder auch freundschaftli­ che Beziehung für sich genommen nicht ausreichen dürfte, um Abweichungen vom Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit der Parteien zu begründen. Sie ist lediglich ein vages Indiz für das Bestehen einer Aufklärungspflicht.608 Auf der anderen Seite betonte der BGH, dass der Vermittler im Vertrauen auf seine Geschäftspartner ihnen den Filmverwertungsprozess vollständig überlassen habe. Durch diese Aufgabenteilung entstand zwischen den Parteien eine infor­ mationelle Abhängigkeit, weil nur die Filmgesellschaften Kenntnisse über ein­ gehende Angebote erlangten. Diese Kenntnisse verliehen ihnen eine Einwir­ kungsmacht auf die Interessen des Vermittlers. Ruft man die Worte Zöllners zur gesellschaftsrechtlichen Einwirkungsmacht609 in Erinnerung, erscheint die Annahme einer Aufklärungspflicht aus Treu und Glauben nicht so fern­ liegend.610 Die zweite Entscheidung stammt vom OLG Hamm und betrifft den He­ rauskauf aus einer GmbH&Co.KG.611 Der Beklagte war an der KG mit 90 % beteiligt. Als ein Dritter an ihn herantrat und sein Interesse am Erwerb des gesamten KG‑Anteils bekundete, kaufte der Beklagte dem Minderheitsgesell­ schafter und späteren Kläger dessen 10 %-igen Kommanditanteil zum doppel­ 604 

BGH GRUR 1979, 429, 430 – Daktari.

605 So

Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspflichten, S. 107; siehe ferner Fleischer,

NZG 2000, 561, 566 f.; Kötz, FS Drobnig, S. 563, 575 f. 606 

Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspflichten, S. 107.

607  Fleischer, NZG 2000, 561, 566 f. 608  Breidenbach, Informationspflichten,

S. 56. Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 342; allerdings ließ Zöllner eine rechtsgeschäftliche Einwirkungsmacht nicht genügen, vgl. Zöllner, a. a. O., S. 341 f. 610 Ähnlich Breidenbach, Informationspflichten, S. 54 f., der mit Funktionsteilung bzw. Funktionskreis argumentiert; zustimmend zum BGH auch Krüger, GRUR 1979, 430, 431; a. A. Kötz, FS Drobnig, S. 563, 575 f., der annimmt, dass der Vermittler nach den getroffe­ nen Vereinbarungen keine Kenntnis von solchen Angeboten wie das des ZDF haben sollte. 611  OLG Hamm, Urt. v. 9.1.1991 – 8 U 122/90, DB 1991, 799. 609 

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

ten Nennwert ab, ohne das Drittangebot offenzulegen. Anschließend verkauf­ te er den gesamten KG‑Anteil an den Dritten, der sodann das Dienstverhältnis des Klägers, der in der Geschäftsleitung angestellt war, kündigte. Im Prozess trug der Kläger vor, durch das Verschweigen des Drittangebots arglistig ge­ täuscht worden zu sein. Er hätte bei Kenntnis der Sachlage seinen Anteil nicht oder jedenfalls nicht ohne deutliche Erhöhung des Kaufpreises veräußert. Das OLG Hamm entschied, dass die Information über das Angebot des Dritten für den Verkaufsentschluss des Klägers von „wesentlicher Bedeutung“ gewesen sei und „im Hinblick auf die langjährigen geschäftlichen Beziehungen der Partei­ en zueinander“ hätte offengelegt werden müssen.612 Auch hier wäre die langjährige Geschäftsbeziehung allein nicht ausrei­ chend für die Annahme einer Aufklärungspflicht. Im Ergebnis lässt sich die Entscheidung des OLG Hamm gleichwohl verteidigen, vor allem wenn man annimmt, dass die Gesellschafter kraft ihrer Treubindung verpflichtet sind, Informationen über geschäftliche Chancen aller Art für die Gesellschaft zu beschaffen und der Gesellschaft oder den Mitgesellschaftern zur Verfügung zu stellen. Diese Pflicht konkretisiert sich bei der Anteilsveräußerung unter den Gesellschaftern dahingehend, dass der besser informierte Gesellschafter der anderen Partei alle Informationen offenlegen muss, die er für die Gesell­ schaft beschafft hat und die für den Wert des Geschäftsanteils relevant sind.613 Der andere Gesellschafter darf darauf vertrauen und von eigenen Informati­ onsanstrengungen absehen.614 In beiden Entscheidungen werden mehr oder weniger konsequent die all­ gemeinen Kriterien der Wesentlichkeit und Zumutbarkeit angewandt, um eine Aufklärungspflicht des Erwerbers bezüglich Drittangebote zu rechtfertigen. Dieses Vorgehen bietet sich auch beim Management-Buy-out an. Die Informa­ tion über höhere und niedrigere Kaufangebote Dritter erfüllt problemlos die Kriterien der Wesentlichkeit und Erforderlichkeit. Im Hinblick auf die Zumut­ barkeit ist zulasten des Managements zu berücksichtigen, dass es die betref­ fende Information als Fremdverwalter erhält und sie somit zum gesellschaftli­ chen Treugut gehört.615 Denn wären die Gesellschafter selbst Geschäftsleiter, würde also das Management als „agent“ wegfallen, so würden Dritte mit sol­ chen Angeboten direkt an sie herantreten.616 Diese fiduziarische Gebunden­ heit unterscheidet das Management von einem nicht gebundenen Marktteil­ 612 

OLG Hamm DB 1991, 799. Kötz, FS Drobnig, S. 563, 572 f.; ähnlich Fleischer, NZG 2000, 561, 565 f. mit rechts­ vergleichenden Nachweisen. Zum Gesellschaftsverhältnis als Grundlage für gesteigerte Aufklärungspflichten bei Änderung des Gesellschaftsvertrags siehe BGH, Urt. v. 7.10.1991 – II ZR 194/90, NJW 1992, 300, 302 (allerdings kam in diesem Fall hinzu, dass die Mitgesell­ schafter noch jung und in Fragen des Gesellschaftsrechts unerfahren waren). 614  Fleischer, NZG 2000, 561, 565. 615 Vgl. Kötz, FS Drobnig, S. 563, 572. 616 Vgl. Rhein, Interessenkonflikt der Manager, S. 215. 613 



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nehmer, der auf günstigere Angebote der Konkurrenz nicht hinweisen muss. Und wenn schon ein Gesellschafter, der mit anderen Anteilseignern über den Kauf ihrer Anteile verhandelt, zur Aufklärung über wertrelevante Umstän­ de verpflichtet ist, so gilt das erst recht für einen Manager, der „als ‚Insider‘ über einen natürlichen Informationsvorsprung verfügt“617. Das Management ist also nach allgemeinen zivilrechtlichen Kriterien verpflichtet, beim Manage­ ment-Buy-out die Information über Drittangebote offenzulegen. 4.  Pläne des Managements Oft haben buyoutwillige Manager bereits konkrete Geschäftspläne für die Zeit nach dem Buy-out. Ist etwa eine strategische Neuausrichtung der Zielgesell­ schaft geplant, ist das Konzept dazu in der Planungsphase des Buy-outs schon entwickelt.618 Zukunftspläne des Managements sind daher regelmäßig ein Teil seines Informationsvorsprungs. Somit stellt sich die Frage, ob das Management diese Pläne offenlegen muss. a) Meinungsstand Dazu gibt es keine einheitliche Meinung. Häufig wird eine Aufklärungspflicht der Manager über ihre Zukunftspläne mit unterschiedlichen Begründungen verneint.619 Laut Tirpitz müssen geplante Aktivitäten als künftige Tatsachen nur dann mitgeteilt werden, wenn die Grundlage dafür schon gegenwärtig ge­ legt ist, also geplante Entlassungen etwa dann, wenn der Betriebsrat darüber in Kenntnis gesetzt worden ist; geplante Produktionseinstellungen, wenn die entsprechenden Einkaufs- oder Lieferverträge gekündigt worden sind.620 Die Fokussierung auf die geplanten Maßnahmen versperrt indes die Einsicht, dass die diesbezüglichen Pläne keine künftigen, sondern gegenwärtige Tatsachen sind und daher eigentlich bekanntgegeben werden müssten. Rhein verneint die Aufklärungspflicht mit dem Argument, die konkreten Pläne und Absichten des Managements lägen von jeher außerhalb des übernommenen Mandats621, während Koppensteiner meint, die aus diesen Plänen eventuell resultierenden Zusatzgewinne stünden den Managern selbst und nicht den Gesellschaftern zu622. Beide ordnen die Pläne also nicht der Gesellschaft oder den Gesellschaf­ tern, sondern den Managern zu, ohne jedoch die Gründe dafür näher darzule­ 617 

Fleischer, NZG 2000, 561, 565.

618  Giessler, in: Weitnauer, Management Buy-Out, F 38. 619 Siehe Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 336; ders., AG 2000, 309, 317; Berkefeld,

Die Beteiligung von Investoren, S. 74 mit Fn. 288; Rhein, Interessenkonflikt der Manager, S. 216, 244; Tirpitz, Pflichten, S. 116 f.; Weitnauer, in: Weitnauer, Management Buy-Out, D 152; Koppensteiner, ZHR 155 (1991), 97, 104, 110; Talos/​Schrank, ecolex 2003, 30, 32 f. 620  Tirpitz, Pflichten, S. 116 f. 621  Rhein, Interessenkonflikt der Manager, S. 216. 622  Koppensteiner, ZHR 155 (1991), 97, 104, 110.

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

gen.623 Andere argumentieren, die bloßen Pläne, etwa zur strategischen Neu­ ausrichtung des Unternehmens nach dem Buy-out, seien noch nicht verfestigt genug, um als Wertfaktor der Aktien oder als Treugut der Gesellschaft ange­ sehen zu werden.624 In den Kategorien der Geschäftschancenlehre handele es sich also „nicht um ein verbotenes Eingreifen in gesellschaftlich umzäuntes Gelände, sondern um ein erlaubtes Ausgreifen auf noch unbestellte Felder“625. Auf der anderen Seite gibt es Stimmen, die aus der Geschäftschancenlehre ein Offenlegungsgebot bezüglich künftiger Pläne ableiten626 oder zumindest von einem „sehr schmalen Spielraum“ der Manager beim Verschweigen eigener Pläne sprechen.627 Enzinger hält die kurz-, mittel- und langfristigen strategischen Pläne des Vorstands für mitteilungspflichtig, weil sie „schon Gegenstand seiner Be­ richtspflicht gegenüber dem Aufsichtsrat“ seien.628 Nicolas Harbers weist da­ rauf hin, dass unternehmensbezogene Planungen durch die Manager regel­ mäßig während ihrer Arbeitszeit unter Inanspruchnahme im Unternehmen vorhandener Daten entwickelt würden. Sie erfolgten damit auf Kosten des Un­ ternehmens, das dementsprechend ein Nutzungsrecht daran erwerbe. Außer­ dem könne eine erfolgsversprechende Planung den Wert des Unternehmens steigern und sei daher durchaus preisrelevant.629 Heidemann plädiert in An­ lehnung an das US-amerikanische Schrifttum generell für die Offenlegung aller subjektiven Bewertungen der Manager in Bezug auf das Unternehmen (sog. „soft information“) 630 , wovon auch die Pläne umfasst sein dürften. Auch Kuntz argumentiert, dass die Pläne für die Zeit nach dem Buy-out in die Un­ ternehmensbewertung einfließen müssten, weil sie ausreichend konkretisiert und in gegenwärtigen Verhältnissen schon „verwurzelt“ seien.631 b)  Lösung anhand zivilrechtlicher Kriterien Die Offenlegungspflicht hinsichtlich der Managementpläne stellt auch die all­ gemeine zivilrechtliche Lehre vor eine besondere Herausforderung. Umso 623 

Vgl. auch die Kritik von D. Weber, ZHR 155 (1991), 120, 126. Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 539; ders., AG 2000, 309, 317; Talos/​Schrank, ecolex 2003, 30, 32 f. 625  Fleischer, AG 2000, 309, 317; kritisch zur Offenlegung von Plänen auch Hopt, ECFR 2013, 167, 183, der allerdings die Offenlegung wegen der Druckmittelzylinder-Entscheidung des BGH für geboten hält. 626  So wohl einige Teilnehmer des ZHR‑Symposions 1991, vgl. den Diskussionsbericht von Ballweg, ZHR 155 (1991), 163, 167. 627  M. Weber, Vormitgliedschaftliche Treubindungen, S.  285; vgl. ferner M. Doralt, Man­agement-Buyout, S. 40 mit Fn. 60; D. Weber, ZHR 155 (1991), 120, 126. 628  Enzinger, Interessenkonflikt und Organpflichten, S. 44 f. 629  Harbers, Management Buy-Out, S. 69 f. 630  Heidemann, Management Buyout, S. 187 f., 268. 631  Kuntz, Informationsweitergabe, S. 208 ff. 624 



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reizvoller ist der Versuch, dieses schwierige Problem mit Hilfe allgemeiner zi­ vilrechtlicher Kriterien zu lösen. aa)  Wesentlichkeit der Pläne für den Entschluss des Veräußerers Wesentlich sind Zukunftspläne des Erwerbers für den Vertragsentschluss des Veräußerers ohne Zweifel dann, wenn er im Laufe der Verhandlungen selbst deutlich macht, dass seine Verkaufsentscheidung von solchen Plänen abhängt. Als Beispiel kann wieder der verkaufende Familienunternehmer genannt wer­ den, der Wert darauf legt, dass unmittelbar nach dem Buy-out keine Entlas­ sungen stattfinden. Verschweigt der Erwerber in dieser Situation seine Ent­ lassungspläne, enthält er dem Veräußerer wesentliche Informationen vor. Abgesehen von diesem besonderen Fall ist fraglich, ob die Zukunftspläne der Manager für den Veräußerer wesentlich sind. Es wäre allerdings vorschnell, dies mit der Begründung zu verneinen, die Planungen des Erwerbers seien für die verkaufswilligen Gesellschafter „allenfalls von emotionalem Interes­ se“, da sie ohnehin aus der Gesellschaft ausscheiden wollen.632 Denn die zu­ kunftsbezogene Pläne können eventuell den Wert des Unternehmens be­ reits zum Zeitpunkt des Ausscheidens beeinflussen. In diesem Fall wäre ihre ­Offenlegung notwendig, um den Gesellschaftern eine wirtschaftlich vernünf­ tige Desinvestitionsentscheidung zu ermöglichen.633 Die Frage lautet also, ob und inwiefern die Pläne der Manager Einfluss auf den Unternehmenswert haben. Um dies herauszufinden, ist ein Rückgriff auf bestimmte Grundsätze der Unternehmensbewertung unerlässlich. Die Unternehmensbewertung erfolgt immer zu einem bestimmten Stichtag, der festlegt, ab wann Überschüsse den bisherigen Eignern ab- und den neuen Eignern zuzurechnen sind (Stichtags­ prinzip). Das Unternehmen wird so bewertet, „wie es am Stichtag steht und liegt“, mit den an diesem Tag vorhandenen Organisationsverhältnissen sowie wirtschaftlichen und rechtlichen Strukturen.634 Nach der sog. „Wurzeltheo­ rie“ werden aber auch spätere Entwicklungen berücksichtigt, wenn sie am Be­ wertungsstichtag schon angelegt waren; liegen ihre Wurzel dagegen in der Zeit nach dem Stichtag, bleiben sie außer Betracht.635 Diese Theorie ist zwar nicht 632 Vgl. Seydel, in: KölnKomm WpÜG, § 11 Rn. 67 in: Bezug auf die Absichten des Bie­ ters bei Barangeboten. 633  Vgl. auch dazu Seydel, in: KölnKomm WpÜG, § 11 Rn. 67. 634  IDW S 1 2008 Rn. 22; BGH, Urt. v. 21.07.2003 – II ZB 17/01, AG 2003, 627, 629; van Rossum, in: MüKo AktG, § 305 Rn. 98; Großfeld/​Egger/​Tönnes, Recht der Unternehmens­ bewertung, Rn. 357 f.; Nestler, in: Weitnauer, Management Buy-Out, B 197; Peemöller/​Kunowski, in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 293. 635  BGH, Urt. v. 17.1.1973 – IV ZR 142/70, NJW 1973, 509, 511; Beschl. v. 29.9.2015 – II ZB 23/14, AG 2016, 135 Rn. 40; Emmerich, in: Emmerich/​Habersack, § 305 Rn. 56a f.; Koch, in: Hüffer/​Koch, AktG, § 305 Rn. 34; van Rossum, in: MüKo AktG, § 305 Rn. 99; Großfeld/​ Egger/​Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rn. 364 f.

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

unumstritten636 , in der Rechtsprechung aber gleichwohl vorherrschend.637 Sie wird teilweise als Bestätigung dafür gedeutet, dass buyoutwillige Manager ihre Zukunftspläne nicht offenzulegen brauchen, solange noch keine Umsetzungs­ schritte erfolgt seien. Die Geschäftsvorhaben, auf die sich solche Pläne bezie­ hen, seien dann zum Zeitpunkt des Buy-outs noch nicht „verwurzelt“, so dass die damit verbundenen Wertsteigerungspotentiale ausschließlich dem neuen Eigner und nicht den Altgesellschaftern zustünden.638 Im Ergebnis deckt sich dies mit der Ansicht von Tirpitz, wonach die Offenlegungspflicht nur dann greift, wenn künftige Vorhaben bereits gegenwärtig „angelegt“ sind. Überzeugender erscheint die Annahme, dass die Wurzeltheorie der Berück­ sichtigung von Zukunftsplänen des Managements grundsätzlich nicht ent­ gegensteht.639 So heißt es in der Grundlagenentscheidung des BGH zur Wur­ zeltheorie, dass bei der Bewertung „auch die persönlichen Fähigkeiten und die Absichten der Unternehmensleitung (Betriebsumstellungen usw.) eine Rolle spielen [können]“. Es sei daher „nicht unzulässig und  […] sogar angebracht, auch noch die während des Bewertungszeitraums erkennbare Entwicklung des Unternehmens, wozu hier die behauptete Veräußerung einer Unterneh­ mensabteilung gehören könnte, mit zu berücksichtigen.“640 Die Pläne müs­ sen allerdings vom vorhandenen Management ausgehen, also den Organisati­ onsverhältnissen des Unternehmens am Bewertungsstichtag entsprechen. Der Grund, warum der BGH in seiner Entscheidung zur Unterbilanzhaftung641 eine hypothetische Entwicklung (Abbau eines Personalüberhangs in einem Gastronomiebetrieb) nicht berücksichtigt hat, war weniger der Umstand, dass der Personalabbau zum Bewertungsstichtag noch nicht in die Wege geleitet worden war642 , sondern die Tatsache, dass die vorhandene Geschäftsführung im Gastronomiebereich unerfahren war und nicht vorhatte, das überflüssige Personal abzubauen. Lediglich der Sachverständige und das Berufungsgericht 636  Kritisch zur Berücksichtigung künftiger Entwicklungen Koppensteiner, in: Köln­ Komm AktG, § 305 Rn. 61; Hüttemann/​Meyer, in: Fleischer/​Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, Rn. 14.48 ff.; vgl. dagegen Emmerich, in: Emmerich/​Habersack, § 305 Rn. 59, der die Wurzeltheorie und das Stichtagsprinzip aus einer anderen Richtung an­ greift: Beides solle „über Bord geworfen“ werden, um alle späteren Entwicklungen (außer ganz außergewöhnlichen) berücksichtigen zu können. 637  Siehe außer den in der Fn. 635 zitierten Entscheidungen etwa BGH, Urt. v. 28.4.1977 – II ZR 208/75, BB 1977, 1168 f.; Beschl. v. 4.3.1998 – II ZB 5/97, BGHZ 138, 136, 140; Urt. v. 9.11.1998 – II ZR 190/97, BGHZ 140, 35, 38; zahlreiche weitere Nachweise bei Hüttemann/​ Meyer, in: Fleischer/​Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, Rn. 14.43 ff., 14.50. 638 So Fleischer, AG 2000, 309, 317. 639 So Kuntz, Informationsweitergabe, S. 209 f. 640  BGH NJW 1973, 509, 511. 641  BGH, Urt. v. 9.11.1998 – II ZR 190/97, NZG 1999, 70; dazu Fleischer, GmbHR 1999, 752, 758 ff. 642  So aber Fleischer, AG 2000, 309, 317 mit Fn. 121.



§ 5.  Gegenstand der Offenlegung

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haben bei der Unternehmensbewertung unterstellt, dass das Unternehmen künftig wirtschaftlich sinnvoll geführt werde, also ein erfahrener Gastronom als Geschäftsleiter angestellt und der offensichtliche Personalüberhang abge­ baut werde.643 Eine weitere Voraussetzung dürfte sein, dass es sich nicht um vage Absichten, Überlegungen oder gar Spekulationen über die zukünftige Entwicklung, son­ dern um hinreichend konkrete Pläne handelt.644 Geplante Maßnahmen müs­ sen am Bewertungsstichtag in den Ansätzen eingeleitet oder jedenfalls schon hinreichend  konkretisiert  sein.645 Diese These lässt sich auf die obergericht­ liche Rechtsprechung stützen: So können nach Ansicht des OLG München die Erträge aus einer Beteiligungsveräußerung in die Bewertung nicht einfließen, solange der Veräußerer noch keinen Verkaufsentschluss gefasst und mit dem potentiellen Erwerber nur allgemein über eine Zusammenarbeit gesprochen habe.646 Ähnlich äußert sich dasselbe OLG zum Verkauf von Geschäftsberei­ chen: Der Verkäufer müsse vor dem Stichtag endgültig entschieden haben, ein bestimmtes Geschäftsfeld abzugeben.647 Zu streng erscheint vor diesem Hin­ tergrund ein Beschluss des OLG Karlsruhe, der die Berücksichtigung einer Desinvestition ablehnt, weil das betreffende Unternehmen zum Stichtag nicht veräußert worden sei und „im übrigen mangels Unterlagen konkrete Planun­ gen für eine Veräußerung nicht festgestellt werden konnten“  – dies, obwohl der Veräußerungsgewinn bereits in der Vorstandsplanung eingestellt worden war.648 Letztlich ist es aber nur eine Beweisfrage, ob die entsprechenden Pläne und Absichten am Bewertungsstichtag bereits hinreichend konkret waren.649 Manche Handbücher zur Unternehmensbewertung nehmen sogar Hinwei­ se auf konkrete Pläne in ihre Definition der Wurzeltheorie mit auf: „Späte­ re Entwicklungen und Erkenntnisse als die Sicht am Bewertungsstichtag sind nicht zu berücksichtigen, wenn sie weder konkret geplant noch absehbar und damit in ihren Ursprüngen nicht bereits am Bewertungsstichtag angelegt und erkennbar waren.“650 Andere Kommentatoren wollen ex post auf die vorhan­ denen Unternehmensplanungen zurückgreifen, um zu beurteilen, ob eine be­ stimmte Entwicklung am Stichtag bereits „angelegt“ war: Dies sei der Fall, wenn durch die Entwicklung die Unternehmensplanungen im Wesentlichen 643  Vgl. die Urteilsgründe in BGH NZG 1999, 70, 644 Vgl. Kuntz, Informationsweitergabe, S. 210. 645 

71.

van Rossum, in: MüKo AktG, § 305 Rn. 100. OLG München, Urt. v. 12.11.1993 – 7 U 3165/93, AG 1994, 375; Großfeld/​Egger/​Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rn. 1354. 647  OLG München, Beschl. v. 17.7.2007 – 31 Wx 60/06, 31 Wx 060/06, juris, Rn. 39 ff. 648  OLG Karlsruhe, Beschl. v. 4.2.1998 – 15 W 25/97, AG 1998, 288, 289; kritisch dazu Popp, in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 181. 649  Kuntz, Informationsweitergabe, S. 210. 650 So Bode, in: Petersen/​ Zwirner/​Brösel, Handbuch Unternehmensbewertung, D. 2 Rn. 18. 646 

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

bestätigt werden.651 Zu keinem anderen Ergebnis kommt man, wenn man die Wurzeltheorie ablehnt und nicht auf eine objektive Verwurzelung, sondern auf die subjektive Absehbarkeit der jeweiligen Entwicklung am Stichtag ab­ stellt652 , ein Kriterium, das manchmal vom BGH653 und noch stärker von In­ stanzgerichten654 betont wird. Bewertungsrelevant sollen dann die Umstände sein, die für einen gedachten Unternehmenserwerber am Stichtag erkennbar waren. Dabei wird unterstellt, dass der Erwerber eine gründliche Prüfung des Unternehmens durchführt und die Geschäftsleitung keine relevanten Infor­ mationen zurückhält.655 Unter diesen Umständen wird ein gedachter Unter­ nehmenserwerber die konkreten Zukunftspläne der Manager in der Regel er­ kennen können, so dass sie als bewertungsrelevant anzusehen sind. Für die Wertrelevanz konkreter Pläne spricht zudem, dass die gängigen Me­ thoden der Unternehmensbewertung (Ertragswertmethode, Discounted Cash Flow-Methode) auf die zukunftsbezogene Planung des Managements zurück­ greifen. Dabei halten Planungsrechnungen, die auf konkretisierten Absich­ ten basieren, später einer Überprüfung durch den Gutachter oder das Gericht stand, im Gegensatz zu solchen, die eine optimistische Entwicklung unterstel­ len, deren Wurzeln zum Stichtag noch nicht erkennbar waren.656 Die erwähn­ ten Methoden der Unternehmensbewertung sind eng miteinander verwandt und gehören zu den sog. Gesamtbewertungs- oder Zukunftserfolgswertver­ fahren, die das Unternehmen als ganzheitliche Einheit ansehen und auf dessen Zukunftserfolgswert abstellen. Maßgeblich für den Wert des Unternehmens ist dabei dessen Fähigkeit, in Zukunft finanzielle Überschüsse für die Eig­ ner zu erwirtschaften.657 Der Unterschied zwischen der Ertragswertmethode und der Discounted Cash Flow-Methode (DCF‑Verfahren) besteht darin, dass die Erste auf den zukünftigen Ertragsüberschuss (= Ertrag ./. Aufwand), die Zweite auf den zukünftigen Einnahmeüberschuss (Cash Flow = Einnahmen ./. Ausgaben) abstellt.658 Die Ertragswertmethode hat sich bei der Überprü­ fung von aktienrechtlichen Abfindungen nach §§ 305, 320b, 327b AktG etab­ 651  Emmerich, in: Emmerich/​Habersack, § 305 Rn. 57. 652 So Hüttemann/​Meyer, in: Fleischer/​Hüttemann, Rechtshandbuch

Unternehmens­ bewertung, Rn. 14.60 ff. 653  BGH, Beschl. v. 8.5.1998 – BLw 18/97, BGHZ 138, 371, 384. 654  OLG Stuttgart, Beschl. v. 24.7.2013 – 20 W 2/12, AG 2013, 840, 843; OLG Frankfurt, Beschl. v. 24.11.2011 – 21 W 7/11, AG 2012, 513, 515; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 6.4.2011 – I-26 W 2/06 (AktE), 26 W 2/06 (AktE), juris, Rn. 22; OLG München, Beschl. v. 17.7.2007 – 31 Wx 60/06, 31 Wx 060/06, juris, Rn. 39. 655  Hüttemann/​Meyer, in: Fleischer/​ Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmens­ bewertung, Rn. 14.60. 656 Vgl. Popp, in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, S. 179. 657  Großfeld/​Egger/​Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rn. 332 ff.; Nestler, in: Weitnauer, Management Buy-Out, B 190; Mattes/​Maldeghem, BKR 2003, 531, 533. 658  Großfeld/​Egger/​Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rn. 333; zum CashFlow-Begriff siehe auch oben § 1 IV (Fn. 77).



§ 5.  Gegenstand der Offenlegung

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liert659, während das DCF‑Verfahren vornehmlich bei M&A‑Transaktionen einschließlich Buy-outs Anwendung findet.660 Die Schätzung zukünftiger Erträge bzw. Einnahmen erfolgt anhand der Prognose der künftigen Unternehmensentwicklung, die sich einerseits auf die Vergangenheitsanalyse, andererseits auf zukunftsgerichtete Planungen stützt, wobei die Letzteren die Hauptrolle spielen. Zu Prognosezwecken wird die Zu­ kunft regelmäßig in unterschiedliche Phasen eingeteilt (sog. Phasenmetho­ de). Die erste Phase (Detailplanungsphase) beinhaltet normalerweise einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren. Daran schließt sich die Phase der ewigen Rente an, für die nur allgemeine Trendaussagen möglich sind.661 Damit liegt der Schwerpunkt auf der Detailplanungsphase. Für die Schätzung der Erträge oder Cash Flows in dieser Phase ist primär die von der Geschäftsleitung erstell­ te Unternehmensplanung maßgeblich; sie wird nur daraufhin überprüft, ob sie auf zutreffenden Annahmen basiert und plausibel ist.662 Zukunftsbezogene Unternehmensplanungen spielen damit in der Bewertungspraxis „eine nach­ gerade zentrale Rolle“663. Dadurch werden aber auch die konkreten Pläne und Absichten des Managements in den Mittelpunkt gerückt, denn sie bilden die Grundlage für den Planungsprozess, z. B. für die Ermittlung künftiger Über­ schüsse, Investitionen, Personalaufwendungen oder künftigen Finanzbedarfs. Zukunftspläne haben also durchaus Einfluss auf den Unternehmenswert664 und sind somit wesentlich für den Verkaufsentschluss der Gesellschafter. In gewisser Hinsicht wird dieses Ergebnis durch § 11 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 WpÜG gestützt.665 Danach muss der Bieter seine Absichten im Hinblick auf die künf­ tige Geschäftstätigkeit der Zielgesellschaft in der Angebotsunterlage darlegen, 659 Siehe BGH, Beschl. v. 21.7.2003 – II ZB 17/01, NJW 2003, 3272 f.; Koch, in: Hüffer/​ Koch, AktG, § 305 Rn. 24; Koppensteiner, in: KölnKomm AktG, § 305 Rn. 69; Mattes/​Maldeghem, BKR 2003, 531, 533; ausführlicher zum Ertragswertverfahren Böcking/​Nowak, in: Fleischer/​Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 4. 660  Nestler, in: Weitnauer, Management Buy-Out, B 193; Mattes/​Maldeghem, BKR 2003, 531, 534 f.; ausführlich zum DCF‑Verfahren Jonas/ ​Wieland-Blöse, in: Fleischer/​Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 10. 661  Emmerich, in: Emmerich/​Habersack, § 305 Rn. 62; Koch, in: Hüffer/​Koch, AktG, § 305 Rn. 25. 662  Großfeld/​Egger/​Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rn. 487; Emmerich, in: Emmerich/​Habersack, § 305 Rn. 62 f.; Bode, in: Petersen/​Zwirner/​Brösel, Handbuch Un­ ternehmensbewertung, D. 2 Rn. 17; ausführlich zu den einzelnen Bestandteilen der Unter­ nehmensplanung Großfeld/​Egger/​Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, Rn. 471 ff.; Franken/​Schulte, in: Fleischer/​Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, § 5. 663  Emmerich, in: Emmerich/​ Habersack, § 305 Rn. 62a, der dieses Phänomen aber durchaus kritisch bewertet. Zukunftsaussichten des Unternehmens spielen auch in der USamerikanischen Bewertungspraxis eine wichtige Rolle, vgl. Weinberger v. UOP Inc., 457 A. 2d 701, 711 (Del. 1983); dazu Heidemann, Management Buyout, S. 101. 664  So auch Harbers, Management Buy-Out, S. 69 f. 665  Kuntz, Informationsweitergabe, S. 210 f.; vgl. auch Heidemann, Management Buy­ out, S. 238 f., der die übernahmerechtlichen Regelungen wohl direkt heranzieht.

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

und zwar vollständig und richtig.666 Beispielhaft genannt sind unter anderem die Angaben zum Sitz und Standort wesentlicher Unternehmensteile, zur Ver­ wendung des Vermögens und zu künftigen Verpflichtungen. Die Vorschrift dient nicht zuletzt den Interessen der Aktionäre der Zielgesellschaft, die in aus­ reichender Kenntnis der Sachlage über das Angebot entscheiden sollen.667 Man kann ihr die Wertung entnehmen, dass die Absichten des Erwerbers bei der Unternehmensübernahme für den Veräußerer prinzipiell wesentlich sind.668 Auch im Übernahmerecht sind im Übrigen nur konkret in Aussicht genom­ mene Veränderungen bedeutsam, nicht dagegen bloße Vorüberlegungen, die nicht einmal das Planungsstadium erreicht haben.669 Auf der anderen Seite ist beim Rückgriff auf übernahmerechtliche Wer­ tungen Vorsicht geboten, weil § 11 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 WpÜG auch an Aktionäre denkt, die beim Tauschangebot als Gegenleistung für ihre Aktien die Akti­ en des Bieters erhalten und damit von dessen Absichten besonders betroffen sind. Zudem dient die Offenlegung auch den Interessen der Zielgesellschaft (vor allem im Hinblick auf die Stellungnahme zum Angebot nach § 27 WpÜG) sowie den Interessen ihrer Arbeitnehmer, was schon dem Wortlaut der Norm zu entnehmen ist.670 bb)  Informationsgefälle und Zumutbarkeit der Offenlegung Dass die Manager im Hinblick auf ihre eigenen Pläne einen Informationsvor­ sprung gegenüber dem Veräußerer haben, braucht nicht besonders begründet zu werden. Nicht so leicht zu begründen ist die Zumutbarkeit der Offenle­ gung, weil sich bei der Interessenabwägung vor allem die Frage stellt, ob die Umsetzung der eigenen Pläne durch das Management einen Insiderhandel dar­ stellt. Läge ein Insiderhandel vor, spräche dies für die Zumutbarkeit der Of­ fenlegung. Fleischer geht wohl davon aus, dass kein Insiderhandel gegeben sei: Die Partei, die mit dem Rechtsgeschäft lediglich ihre Pläne in die Tat umsetze, müsse den Gegner generell nicht über diese Pläne informieren. So brauche eine Eisenbahngesellschaft, die Grundstücke für den Bau einer Bahntrasse erwer­ be, die Eigentümer über ihr Vorhaben nicht in Kenntnis zu setzen; das Gleiche 666  Thoma, in: Baums/​T homa/​Verse, WpÜG, § 11 Rn. 78. 667  Vgl. § 11 Abs. 1 S. 2 WpÜG; noch deutlicher Art. 6 Abs. 2 S. 1 sowie Erwägungsgrund

13 der Übernahmerichtlinie (Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote), ABl. L 142 v. 30.4.2004, S. 12. 668 So Kuntz, Informationsweitergabe, S. 211; vgl. auch Meyer, in: Assmann/​Pötzsch/​ Schneider, WpÜG, § 11 Rn. 109. 669  Meyer, in: Assmann/​ Pötzsch/​ Schneider, WpÜG, § 11 Rn. 109; Seydel, in: Köln­ Komm WpÜG, § 11 Rn. 67; vgl. ferner Paschos/​Goslar, in: Paschos/​Fleischer, Übernahme­ recht-HdB, § 14 Rn. 68. 670  Vgl. auch Art. 6 Abs. 1, 2 und 3 lit. i sowie Erwägungsgrund 13 der Übernahme­ richtlinie; siehe ferner Noack/​Holzborn, in: Schwark/​Zimmer, KMRK, WpÜG § 11 Rn. 21; Seydel, in: KölnKomm WpÜG, § 11 Rn. 67; Steinhardt/​Nestler, in: Steinmeyer, WpÜG, § 11 Rn. 72.



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gelte für einen Investor, der nach und nach Flächen für die Errichtung eines Freizeitparks aufkaufe.671 Auch ein Aktienkäufer, der lediglich seinen eigenen Entschluss zum Auf- oder Ausbau einer Beteiligung ausführe, ohne zu die­ sem Plan durch Insiderwissen veranlasst worden zu sein, handele nicht unter Ausnutzung dieser Kenntnis und tätige daher kein Insidergeschäft.672 Deshalb dürften auch buyoutwillige Manager ihre Pläne für sich behalten.673 Dem Eingangsbefund Fleischers ist zuzustimmen: Derjenige, der seine Ge­ schäftsidee nicht auf der Grundlage von Insiderinformationen entwickelt hat, muss die Idee dem Gegner nicht offenbaren und darf den wohlerworbenen In­ formationsvorsprung behalten. Dementsprechend ist auch im Kapitalmarkt­ recht eine bloße Ausführung eigener Pläne, bestimmte Finanzinstrumente zu erwerben oder zu veräußern, insiderrechtlich unbedenklich: Das Han­ deln in Kenntnis des eigenen Entschlusses stellt keine Nutzung von Insider­ informationen dar (Art. 9 Abs. 5 MAR).674 Insiderrechtlich problematisch ist es aber, wenn jemand im Zuge der Umsetzung seiner Pläne Insiderinforma­ tionen erlangt und dennoch mit der Umsetzung fortfährt. Im Grundsatz be­ steht in dieser Situation nach der Spector-Regel675 die Vermutung des Insider­ handels. Art. 9 Abs. 4 MAR macht davon eine Ausnahme, allerdings nur für Unternehmensübernahmen und -zusammenschlüsse auf der Grundlage eines öffentlichen Angebots. Zudem setzt die Norm voraus, dass der Bieter die In­ siderinformation, die er z. B. im Laufe einer Due-Diligence-Prüfung erhält, ausschließlich nutzt, um die Übernahme oder den Zusammenschluss auf der Grundlage eines öffentlichen Angebots weiterzuführen. Schließlich müssen zum Zeitpunkt der Genehmigung des Zusammenschlusses oder der Annahme des Angebots durch die Anteilseigner der Zielgesellschaft sämtliche Insiderin­ formationen veröffentlicht worden sein. Die beschriebene Ausnahme gilt nach Art. 9 Abs. 4 letzter Satz MAR nicht für den Beteiligungsaufbau, so dass bloße Paketerwerbe im Anschluss an eine Due-Diligence-Prüfung grundsätzlich vom Insiderhandelsverbot erfasst sind.676 Eine weitere, in der MAR nicht geregelte Ausnahme soll für sog. Master­ pläne gelten, die auf Aufbau einer Beteiligung an einem börsennotierten Un­ ternehmen gerichtet sind. Es geht dabei um die Fälle, in denen ein Bieter, der zunächst über keine Insiderkenntnisse verfügt, die Umsetzung seines Betei­ 671  672 

Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 565. Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 558 f., 565; ders., AG 2000, 309, 317. 673  Fleischer, AG 2000, 309, 317. 674 Dazu Assmann, in: Assmann/​ Schneider/​ Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014, Art. 8 Rn. 33, Art. 9 Rn. 23; Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 9 Rn. 129 ff.; Hopt/​ Kumpan, in: Schimansky/​Bunte/​Lwowski, BankR‑HdB, § 107 Rn. 93 ff.; Veil, in: Meyer/​ Veil/​Rönnau, Hdb. Marktmissbrauchsrecht, § 7 Rn. 78 ff. 675  Dazu oben § 2 II 1. 676  Hopt/​Kumpan, in: Schimansky/​Bunte/​Lwowski, BankR‑HdB, § 107 Rn. 89; Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 9 Rn. 128.

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

ligungsplans vom positiven Ergebnis einer vorherigen, mit dem Management des Emittenten abgesprochenen Due-Diligence-Prüfung abhängig macht. Fällt die Prüfung positiv aus und beteiligt sich der Bieter anschließend wie geplant am Kapital des Emittenten, so stellt sich die Frage, ob er die im Rah­ men der Due-Diligence-Prüfung erworbenen Insiderkenntnisse zum Erwerb der Beteiligung verwendet und somit mit der Umsetzung seiner Pläne ein In­ sidergeschäft getätigt hat.677 Dafür spricht die Spector-Vermutung: Wer eine Insiderinformation kennt, nutzt sie vermutlich. Unter Geltung des WpHG wurde allerdings überwiegend angenommen, dass der Bieter die Spector-Ver­ mutung in Masterplan-Fällen widerlegen könne, wenn er nachweise, dass er seinen ursprünglichen Erwerbsentschluss ohne Kenntnis von Insiderinforma­ tionen gefasst habe. Die später erworbene Insiderinformation sei dann für das getätigte Geschäft nicht kausal und es sei auch unschädlich, dass sie den Bieter in seinem Entschluss verstärkt habe.678 Diese „Masterplan-Theorie“ soll nach dem Inkrafttreten der MAR als ungeschriebene Ausnahme von der SpectorRegel weitergelten.679 Mitunter wird ihr Geltungsbereich angesichts des Art. 9 Abs. 4 letzter Satz MAR auf Beteiligungsaufbau beschränkt, die nicht der Un­ ternehmensübernahme dient.680 Von all diesen Fällen unterscheidet sich die Situation beim ManagementBuy-out. Wie eingangs erwähnt, werden die Pläne für die Zeit nach dem Buyout regelmäßig bereits in der Planungsphase des Buy-outs herausgearbeitet. In dieser Phase haben buyoutwillige Manager als Geschäftsleiter der Zielge­ sellschaft einen uneingeschränkten Zugang zu den Insiderinformationen, die sich auf diese Gesellschaft beziehen. Nach der Spector-Formel wäre also zu vermuten, dass die Manager ihre Zukunftspläne auf der Grundlage dieser In­ siderinformationen entwickeln. Dafür spricht auch die allgemeine Erfahrung: Strategische Entscheidungen, etwa einen neuen Markt zu erschließen, entste­ hen nicht in einem luftleeren Raum. Sie stützen sich – zumindest auch – auf die Insiderinformationen über die Zielgesellschaft, die notwendig sind, um zu beurteilen, ob das geplante Vorhaben realisierbar ist. Somit entstehen die 677 

Zum Ganzen Klöhn, in: KölnKomm WpHG, § 14 Rn. 193 ff.; ders., in: Klöhn, MAR , Art. 8 Rn. 175 ff. 678  So die h.Lit.; siehe Assmann, in: Assmann/​S chneider, WpHG, § 14 Rn. 31, 35; Klöhn, in: KölnKomm WpHG, § 14 Rn. 195 f.; Mennicke, in: Fuchs, WpHG, § 14 Rn. 75; Schwark/​ Kruse, in: Schwark/​Zimmer, KMRK, WpHG § 14 Rn. 23; Meyer/​Kiesewetter, WM 2009, 340, 341, jew. m. w. N. 679 Vgl. Assmann, in: Assmann/​ Schneider/​ Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014, Art. 8 Rn. 59 f.; Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 8 Rn. 179; ders., AG 2016, 423, 433 f.; Hopt/​Kumpan, in: Schimansky/​Bunte/​Lwowski, BankR‑HdB, § 107 Rn. 98; Poelzig, NZG 2016, 528, 533; Seibt/ ​Wollenschläger, AG 2014, 593, 598; Veil, ZBB 2014, 85, 91 Fn. 68 mit dem Argument, dass für die Weitergeltung der Masterplan-Ausnahme der Erwägungs­ grund 31 MAR spreche. 680  Hopt/​Kumpan, in: Schimansky/​ Bunte/​ Lwowski, BankR‑HdB, §  107 Rn.  98; a. A. Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 8 Rn. 179 mit Fn. 189.



§ 5.  Gegenstand der Offenlegung

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Zukunftspläne zumindest teilweise auf der Grundlage von Insiderinforma­ tionen, so dass die Umsetzung dieser Pläne als Insidertätigkeit anzusehen ist. Was die Widerlegung der Spector-Vermutung angeht, so wird der buyoutwil­ lige Manager kaum nachweisen können, dass seine Pläne für die künftige Ent­ wicklung der Zielgesellschaft völlig losgelöst von den Informationen entstan­ den seien, die er als Geschäftsleiter dieser Gesellschaft erworben habe. Sogar wenn er eine totale Neuausrichtung des Unternehmens plant, also beispiels­ weise ein Finanzdienstleistungsunternehmen in eine Softwarefirma umwan­ deln will, wird er dennoch auf die im Unternehmen vorhandenen Daten (in­ klusive der Umsatz- und der Personaldaten) zurückgreifen müssen. Verlässt man die kapitalmarktrechtliche Perspektive, so erscheinen unter­ nehmensbezogene Informationen, auf deren Grundlage die Zukunftspläne entwickelt werden, als Teil des vom Geschäftsleiter zu verwaltenden Treu­ guts.681 Als Früchte dieser Informationen gehören auch die Zukunftspläne zum Treugut, was für ihre Offenlegung spricht. Dagegen könnte man ein­ wenden, dass die Pläne immerhin das Ergebnis der eigenen geistigen Leistung der Manager sind und deswegen wertungsmäßig ihren Urhebern zugeordnet werden sollen, wenngleich sie mit den Mitteln des Urheber-, Patent- oder Ge­ brauchsmusterrechts nicht schützbar sind. Wenn dies zuträfe, könnten die Manager ihre Pläne tatsächlich für sich behalten und möglicherweise sogar als Know-how schützen. Dagegen spricht wiederum, dass diese Pläne aus der Sicht des Immaterialgüterrechts am ehesten mit Erfindungen von Arbeitneh­ mern vergleichbar sind, weil die Manager sie während ihrer Arbeitszeit und unter Zugriff auf die Unternehmensressourcen (Planungsdaten, Marktfor­ schungsberichte usw.) entwickeln.682 Solche Erfindungen, auch wenn sie zu sog. freien Erfindungen nach § 4 ArbnErfG gehören, können von ihren Ur­ hebern nur unter gewissen Einschränkungen genutzt werden: Der Urheber muss seinen Arbeitgeber über die Erfindung unverzüglich unterrichten und ihm mindestens ein nichtausschließliches Nutzungsrecht daran anbieten, falls er die Erfindung anderweitig verwerten will (§§ 18 f. ArbnErfG). Überträgt man diese Wertungen auf den Management-Buy-out, liegt der Schluss nahe, dass die Gesellschaft oder die Gesellschafter von den Plänen des Manage­ ments erfahren sollen. Es bleibt also dabei, dass die zukunftsbezogenen Pläne offenzulegen sind. 5.  Grenzpreis und andere subjektive Wertungen Einigkeit besteht wiederum darüber, dass das Management nicht verpflich­ tet sei, seinen Grenzpreis (Entscheidungswert) offenzulegen, also nicht erklä­ 681 Vgl. Grundmann, Der Treuhandvertrag, S.  101 ff.; Fleischer, Informationsasym­ metrie, S. 534. 682  Harbers, Management Buy-Out, S. 69 f.

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

ren müsse, wie viel es höchstens bereit sei, für die Anteile zu zahlen.683 Wie zu Recht angenommen wird, würde eine derart weitgehende Offenlegungs­ pflicht den Veräußerern „einen ungerechtfertigten Vermögensvorteil verschaf­ fen und eine wesentliche Funktionsbedingung ‚fairer‘ Verhandlungsprozesse außer Kraft setzen. […] Dem Gebot informationeller ‚Waffengleichheit‘ zwi­ schen Managern und Anteilseignern ist durch eine Aufklärung der Anteils­ eigner über alle werterheblichen Tatsachen Genüge getan.“684 Zudem hätte die Offenlegung des Entscheidungswerts nachteilige praktische Konsequenzen, weil sie die Renditechancen des Erwerbers stark senken würde, so dass dieser gerade noch in der Lage wäre, die Unkosten zu decken. In der Folge entstünde für den Erwerber ein starker Anreiz, falsche Grenzpreise zu erfinden und sie durch legitimierende Nachweise zu stützen.685 Ein „ehrlicher“ Buy-out würde jedenfalls sehr unattraktiv werden. Genauso wenig brauchen die Manager zur Angemessenheit ihres Angebots Stellung zu nehmen oder ihre Ansichten über den Unternehmenswert offen­ zulegen.686 Als Begründung wird teilweise angeführt, dass die Offenlegungs­ pflicht nur die Kenntnisse der Manager erfasse, nicht dagegen ihre Meinun­ gen über den Unternehmenswert.687 Überzeugender erscheint das Argument, dass die Mitteilung der eigenen Ansicht, wie hoch das Unternehmen zu be­ werten ist, im Ergebnis auf die Offenbarung des Grenzpreises hinausliefe.688 Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass die buyoutwilligen Mana­ ger auch nicht verpflichtet sind, den Unternehmenswert durch Dritte ermit­ teln zu lassen.689 Im älteren Schrifttum wurde zwar vereinzelt eine Prüfung der Angemessenheit des Angebots durch einen unabhängigen Prüfer mit an­ schließender Veröffentlichung des Angebots und Prüfungsberichts verlangt690 , der Vorschlag hat sich aber nicht durchsetzen können. Da solche Prüfungen Kosten verursachen, sollten die Gesellschafter darüber entscheiden, ob sich die 683  Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 336; ders., Informationsasymmetrie, S. 539; ders., AG 2000, 309, 317 f.; Berkefeld, Die Beteiligung von Investoren, S. 74; Heidemann, Management Buyout, S. 207; Kuntz, Informationsweitergabe, S. 211 ff., 214 (dort auch zur umstrittenen Lage in den USA); Rhein, Interessenkonflikt der Manager, S. 216; Tirpitz, Pflichten, S. 117; Koppensteiner, ZHR 155 (1991), 97, 110. 684  Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 539; ders., AG 2000, 309, 317 f.; ihm folgend Berkefeld, Die Beteiligung von Investoren, S. 74. 685  Berkefeld, Die Beteiligung von Investoren, S. 74; Heidemann, Management Buyout, S. 207. 686  Rhein, Interessenkonflikt der Manager, S. 216; Weitnauer, in: Weitnauer, Manage­ ment Buy-Out, D 152; Koppensteiner, ZHR 155 (1991), 97, 110; Talos/​Schrank, ecolex 2003, 30, 33; vgl. ferner Fleischer, AG 2000, 309, 318; a. A. Heidemann, Management Buyout, S. 187 f., 268, der für die Offenlegung jeglicher „soft information“ plädiert. 687  Tirpitz, Pflichten, S. 111, 117; Talos/​Schrank, ecolex 2003, 30, 33. 688  Rhein, Der Interessenkonflikt der Manager beim Management Buy-out, S. 216; Koppensteiner, ZHR 155 (1991), 97, 110. 689  Koppensteiner, ZHR 155 (1991), 97, 110. 690  Adams, AG 1989, 333, 337.



§ 5.  Gegenstand der Offenlegung

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Gesellschaft damit belasten will.691 In den USA haben sich insofern die An­ gemessenheitsgutachten der Investmentbanken (sog. „fairness opinions“) nicht als besonders wirkungsvoll erwiesen.692 Zivilrechtlich lässt sich dieses Ergeb­ nis damit begründen, dass die Aufklärungspflicht regelmäßig keine Nachfor­ schungs- oder Untersuchungspflicht beinhaltet.693 Was schließlich die subjektiven Einschätzungen der Manager im Hinblick auf künftige Erfolgspotentiale angeht694, so werden sie teilweise durch die Offenlegung konkreter Managementpläne „mit offenbart“. Eine gesonderte, darüber hinausgehende Offenlegung ist aus den gleichen Gründen wie beim Entscheidungswert abzulehnen. Die Annahme des Managements, dass es im Unternehmen Wertsteigerungspotenziale schlummern, ist für den Manage­ ment-Buy-out eine conditio sine qua non, denn ansonsten wäre das Manage­ ment nicht bereit, ein eigenes finanzielles Engagement einzugehen.695 Würden solche Potentiale offengelegt und in das Angebot eingepreist, verlöre der Buyout für die Manager seine wirtschaftliche Attraktivität. Sämtliche Ergebnisse können auf den zivilrechtlichen Grundsatz gestützt werden, dass keine Vertragspartei gehalten ist, der anderen Partei das Vertrags­ risiko abzunehmen. Vielmehr muss jeder selbst prüfen und entscheiden, ob das beabsichtigte Geschäft für ihn vorteilhaft ist oder nicht.696 Vor diesem Hin­ tergrund hat der BGH etwa die Pflicht eines Leistungsanbieters verneint, den Kunden über seine Preisgestaltung zu informieren und auf sein jeweils güns­ tigstes Angebot aufmerksam zu machen: Eine solche Offenbarungspflicht bestehe in der Marktwirtschaft gerade nicht.697 Sie wäre auch beim Manage­ ment-Buy-out nicht angezeigt. Für die Veräußerer mag es hilfreich sein, die Ansichten des Managements zur Angemessenheit des Angebots zu erfahren. Unbedingt erforderlich ist diese Information zum Schutz der Altgesellschafter jedoch nicht, weil diese die Angemessenheit des Angebots auch auf der Grund­ lage entsprechender objektiver Informationen beurteilen können. Werden sie mit solchen Informationen versorgt, sind sie auf die Offenbarung subjektiver Vorstellungen der Manager nicht angewiesen. Für die Manager wäre dagegen der Zwang zur Offenlegung ihrer subjekti­ ven Ansichten über den Anteilswert und den Grenzpreis ein gravierender Ein­ schnitt in ihre Verhandlungsposition, der in der Praxis tatsächlich das „Aus“ 691 

Koppensteiner, ZHR 155 (1991), 97, 110. Ausführlich dazu Heidemann, Management Buyout, S. 107 ff. Pohlmann, Die Haftung wegen Verletzung von Aufklärungspflichten, S. 104; a. A. für den Management-Buy-out Berkefeld, Die Beteiligung von Investoren, S. 76 ff., der eine Informationsbeschaffungspflicht des Managements annimmt. 694  Gegen ihre Offenlegung Rhein, Interessenkonflikt der Manager, S. 216. 695 Vgl. Jepsen, Die Entlohnung des Managements, S. 19. 696  Vgl. die Nachweise in Fn. 166. 697  BGHZ 168, 168 Rn. 28. 692  693 

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

für Management-Buy-outs bedeuten könnte. Dieser Eingriff ließe sich auch nicht durch die fiduziarische Stellung der Manager rechtfertigen. Die Treue­ pflichten dienen nicht dem Zweck, dem Treugeber jede Denkaufgabe zu er­ sparen. Würden die Eigner etwa kein fremdes Management einschalten, son­ dern das Gesellschaftsvermögen selbst verwalten, so gäbe es keinen Zweifel, dass sie selbst ein Urteil über den Wert dieses Vermögens bilden müssen; kein Dritter würde ihnen diese Aufgabe abnehmen. Aus diesen Gründen über­ wiegt das Geheimhaltungsinteresse der Manager gegenüber dem Informati­ onsinteresse der Anteilseigner. Die Zumutbarkeit der Offenlegung ist daher zu verneinen. 6. Aktualisierungspflicht Ähnlich wie bei Gesundheitsinformationen698 müssen die Informationen, die die Manager den Gesellschaftern zur Verfügung stellen, bis zum Abschluss der Transaktion ständig aktualisiert werden. Die verkaufswilligen Gesellschafter sind also über Vermögenszugänge, neue Geschäftschancen oder Management­ pläne zu unterrichten, soweit die neuen Informationen für den Verkaufsent­ schluss wesentlich sind. Interessantes Beispiel aus der US‑Rechtsprechung bie­ tet insofern der Fall In re Wayport, in dem eine kleinere Gesellschaft (Wayport) eins ihrer Patente für 7,6 Mio. US‑Dollar an Cisco verkaufte.699 Parallel lie­ fen bei Wayport Verhandlungen über den Verkauf eines Gesellschaftsanteils. Da der verkaufswillige Gesellschafter befürchtete, nicht auf dem gleichen In­ formationsstand zu sein wie die Käufer, wurde ihm versichert, dass die Ge­ sellschaft derzeit keine lukrativen Geschäftschancen habe: „We are not aware of any bluebirds of happiness in the Wayport world right now  …“700 Diese „Bluebirds“-Erklärung (man denkt unwillkürlich an „L’oiseau bleu“ von Maurice Maeterlinck) entsprach der Wahrheit, als sie abgegeben wurde. Nach dem Patentverkauf, der sich eine kurze Zeit später ereignete, wurde sie jedoch un­ richtig. Dennoch wurde der Anteilsverkäufer über diese wichtige Veränderung nicht informiert. Aus diesem Grund hat das Gericht eine arglistige Täuschung durch unterlassene Aktualisierung einmal gegebener Informationen bejaht („common law fraud“).701

§ 6.  Zusammenfassung der Ergebnisse Die sachliche Rechtfertigung der Offenlegungspflicht beim ManagementBuy-out ergibt sich zum einen aus der fremdnützigen Stellung der Manager, 698  699 

Siehe Kapitel 3, § 4, I. 1. c). Dazu bereits in diesem Kapitel unter § 3, III. 4. 700  In re Wayport, Inc. Lit., 76 A. 3d 296, 311 (Del. Ch. 2013). 701  In re Wayport, Inc. Lit., 76 A. 3d 296, 323 ff. (Del. Ch. 2013).



§ 6.  Zusammenfassung der Ergebnisse

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zum anderen aus dem Verbot, vertragsrelevantes Insiderwissen zum eigenen Vorteil auszunutzen. Diese Zweigleisigkeit findet sich in den ökonomischen Erwägungen wieder: Die Offenlegungspflicht dient dem wirtschaftlich sinn­ vollen Ausgleich der nach- und der vorvertraglichen Informationsasymmetrie, die beim Management-Buy-out miteinander verschmelzen und das Bedürfnis nach Offenlegung umso stärker machen. Die dogmatische Grundlage der Offenlegungspflicht bei allen Arten des Management-Buy-outs ist zunächst die vorvertragliche Aufklärungspflicht aus § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2 BGB. Das Management ist allerdings nur dann selbst der Verpflichtete, wenn es die Zielgesellschaft direkt erwirbt. Bei der Zwischenschaltung eines Akquisitionsvehikels (NewCo) kann dagegen nur die NewCo zur Aufklärung verpflichtet sein: Beim Direkterwerb entsteht ein vorvertragliches Schuldverhältnis zwischen dem Management und dem Veräußerer (der Zielgesellschaft beim Asset Deal oder den Gesellschaftern beim Share Deal) i. S. d. § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB, aus dem vorvertragliche Aufklärungspflichten des Managements resultieren. Tritt die NewCo als Erwerberin auf, entsteht ein Schuldverhältnis nach § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB nur zwischen ihr und dem Veräußerer. Somit ist die NewCo zur Aufklärung des Veräußerers verpflichtet, soweit sie in den Be­ sitz des vertragsrelevanten Insiderwissens kommt. Dies ist bei einem „echten“, vom Management betriebenen MBO stets der Fall, da das Insiderwissen der Manager der NewCo zugerechnet wird; bei einem von Investoren initiierten IBO nur dann, wenn die Manager ihr Insiderwissen an die NewCo tatsächlich weitergeben. Beim Anteilserwerb über die NewCo können Manager als Dritte i. S. d. § 311 Abs. 3 S. 2 BGB für die Richtigkeit und Vollständigkeit der vertragsrele­ vanten Information haften. Diese vorvertragliche Dritthaftung lässt sich mit den Parallelen zur Prospekt- und zur Berufshaftung begründen. Sie setzt aller­ dings ein typisiertes Vertrauen des Veräußerers zum Management voraus und scheidet daher beim IBO aus, da die Manager bei dieser Buy-out-Art weder die treibende Kraft der Transaktion sind noch nach außen in Erscheinung treten. Beim MBO haften die Manager dagegen neben der NewCo als Dritte, sofern sie die Verhandlungen oder den Vertragsschluss erheblich beeinflussen. Beim Buy-out in Form eines Asset Deals ergibt sich die Offenlegungspflicht zusätzlich aus der Treuepflicht der Manager gegenüber der Zielgesellschaft. Beim Anteilskauf scheitert der Rückgriff auf die Treuepflicht daran, dass die mitgliederbezogene Treuepflicht der Verwaltung kein fester Bestandteil der deutschen Rechtsdogmatik ist. Entgegen der herrschenden Meinung wäre die Anerkennung einer solchen Pflicht möglich, allerdings nur in den Situationen, in denen die Gesellschafter ansonsten schutzlos wären. Dies ist beim Manage­ ment-Buy-out nicht der Fall, weil das Institut der culpa in contrahendo ihnen ausreichenden Schutz bietet und auch methodisch keine Rechtsfortbildung

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

in Form einer mitgliederbezogenen Treuepflicht zulässt. Es ist daher de lege lata nicht möglich, die angesprochene Zweigleisigkeit der Offenlegungspflicht beim Share Deal dogmatisch beizubehalten. Die skizzierte Offenlegungspflicht der Manager lässt sich sowohl mit der gesellschaftsrechtlichen Verschwiegenheitspflicht und dem kapitalmarktrecht­ lichen Offenlegungsverbot (Art. 14 lit. c MAR) als auch mit den übernahme­ rechtlichen Offenlegungspflichten vereinbaren. Einzelne Gegenstände der Offenlegung sind anhand der allgemeinen zivil­ rechtlichen Kriterien zu bestimmen: Wesentlichkeit der Information, erkenn­ bares Informationsgefälle und Zumutbarkeit der Informationsweitergabe. Demnach erstreckt sich die Offenlegungspflicht des Managements auf das vor­ handene Vermögen einschließlich stiller Reserven, die Kaufangebote Dritter sowie auf die Geschäftschancen der Gesellschaft und die zukunftsbezogenen Pläne der Manager, soweit diese hinreichend konkretisiert sind. Die offenzule­ genden Informationen müssen bis zum Abschluss des Deals ständig aktuali­ siert werden. Das Management ist dagegen nicht verpflichtet, seinen Grenz­ preis oder seine Ansichten über den Unternehmenswert offenzulegen oder zur Angemessenheit ihres Angebots Stellung zu nehmen.

§ 7.  Fazit Beim Management-Buy-out spielt die Offenlegungspflicht des Managements bzw. der NewCo eine zentrale Rolle. Dies überrascht kaum, weil der Inte­ ressenkonflikt, dessen Lösung die Offenlegungspflicht bezweckt, kein Dauer­ konflikt ist, sondern einen punktuellen Charakter hat. Insoweit bestätigt sich die ursprüngliche Annahme, dass die Offenlegungspflicht primär der Lösung punktueller Interessenkonflikte dient. Dazu passt, dass die Offenlegungs­ pflicht Verbindungen zur Treuepflicht aufweist: Beim Asset Deal (Direkt­ erwerb) lässt sich die Offenlegungspflicht ohne Weiteres auf die Treuepflicht der buyoutwilligen Manager stützen, nur beim Share Deal reißt diese Verbin­ dung ab, weil die herrschende Meinung keine Sonderverbindung und keine Treuepflicht im Verhältnis zwischen den Organmitgliedern und den Gesell­ schaftern anerkennt. Die ausländischen Rechtsordnungen zeigen jedoch, dass die Begründung von Aufklärungspflichten mit Hilfe der Treuepflicht durch­ aus in Betracht kommt. Allerdings ist das deutsche Recht darauf nicht ange­ wiesen, weil es dank der culpa in contrahendo über ein griffiges Instrument zur Herstellung des Informationsgleichgewichts verfügt. Ein großer Unterschied zur Offenlegungspflicht im Falle schwerer Erkran­ kung besteht darin, dass die Aufklärungspflicht beim Management-Buy-out kaum Grundrechtsrelevanz aufweist. Im gesamten Kapitel 4 kamen die Grund­ rechte der Organmitglieder kein einziges Mal zur Sprache; auch das gesichtete



§ 7.  Fazit

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Schrifttum zum Management-Buy-out spricht die Grundrechte nicht an. Dies erklärt sich daraus, dass sich die Offenlegung beim Management-Buy-out fast ausschließlich auf die Informationen über das Unternehmen bezieht. Eine ein­ zige Ausnahme stellen die Pläne des Managements dar, die ein Produkt der geistigen Leistung der Manager sind und somit eine persönliche Komponente aufweisen. Vor diesem Hintergrund könnten diese Pläne durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG) geschützt sein. Bei nähe­ rem Hinsehen ist jedoch dieser Grundrechtsschutz problematisch: Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung greift nicht ein, weil die Pläne zwar vom Management ausgehen, aber keine persönlichen Daten enthalten702; das Recht auf Schutz der engeren persönlichen Lebenssphäre ist ebenfalls nicht einschlä­ gig, da die Pläne nicht dem Bereich der engeren Lebensführung zugerechnet werden können.703 Genauso wenig geht es um die Selbstdarstellung der Mana­ ger in der Öffentlichkeit oder sonstige Ausprägungen des allgemeinen Persön­ lichkeitsrechts. Daher schützt dieses Grundrecht die Managementpläne nicht. Der Schutz durch die entsprechenden EU‑Grundrechte (Art. 7 und 8 GRCh) ist ebenfalls zu verneinen. Die Aufklärungspflicht der Manager könnte jedoch unabhängig davon, auf welche Informationen sie sich bezieht, in die Berufsfreiheit der Manager (Art. 12 Abs. 1 GG) eingreifen. Einschlägig wäre vorliegend die Freiheit der Berufsausübung, die die Gesamtheit der Modalitäten der beruflichen Tätigkeit schützt, die mit ihren Inhalten, ihrem Umfang, ihrer Dauer, ihrer äußeren Er­ scheinungsform, ihren Verfahrensweisen und ihren Instrumenten zusammen­ hängen.704 Die Aufklärungspflicht trifft jedoch die Manager nicht in ihrer be­ ruflichen Eigenschaft, sondern als Erwerber des Vermögens bzw. der Anteile der Zielgesellschaft. Sie stellt somit weder eine gezielte Berufsausübungsrege­ lung noch eine faktische Beeinträchtigung mit einer objektiv berufsregelnden Tendenz dar.705 Es handelt sich vielmehr um eine interessenausgleichende pri­ vatrechtliche Pflicht mit berufsneutraler Zwecksetzung.706 Die Aufklärungspflicht beeinträchtigt daher lediglich die allgemeine Hand­ lungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG). Im Gegensatz zu Art. 12 Abs. 1 GG profi­ tieren von dieser Norm auch die Manager, die Angehörige von Drittstaaten sind.707 Dass nur die allgemeine Handlungsfreiheit betroffen ist, wirkt sich 702 Zu diesem Erfordernis Jarass, in: Jarass/​ Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 43; vgl. auch Di Fabio, in: Maunz/​Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 173; Murswiek/​Rixen, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 72 f. 703 Vgl. Di Fabio, in: Maunz/​ Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 149; Murswiek/​Rixen, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 69. 704  Mann, in: Sachs, GG, Art. 12 Rn. 79. 705 Siehe Jarass, in: Jarass/​Pieroth, GG, Art. 12 Rn. 14 ff.; Mann, in: Sachs, GG, Art. 12 Rn. 93 ff. 706 Vgl. Mann, in: Sachs, GG, Art. 12 Rn. 96. 707 Bei EU‑Ausländern ist die Lage umstritten. Teilweise wird auch hier nur Art. 2

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Kapitel 4: Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out

auf den Umfang der Offenlegungspflicht aus, die beim Management-Buyout recht weit geht. Allerdings wird auch sie durch das Verhältnismäßigkeits­ gebot beschränkt. Dieses Gebot wurde hier bei der Prüfung der Vorausset­ zungen der vorvertraglichen Aufklärungspflicht bereits berücksichtigt, so dass eine gesonderte Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht mehr erforderlich ist. Die Kriterien der „goldenen Regel“ (Wesentlichkeit, Erforderlichkeit und Zumut­ barkeit) bilden die verfassungsrechtlichen Kriterien der Erforderlichkeit und Angemessenheit ziemlich exakt ab; lediglich ein legitimes Zweck und die Ge­ eignetheit werden im Rahmen der „goldenen Regel“ typischerweise nicht ge­ prüft, da diese Merkmale von vorvertraglichen Aufklärungspflichten regel­ mäßig erfüllt werden.

Abs. 1 GG für einschlägig gehalten, allerdings sollen Angehörige der EU‑Staaten inner­ halb des Art. 2 Abs. 1 GG den gleichen Schutz genießen wie Deutsche innerhalb des Art. 12 GG, siehe Mann, in: Sachs, GG, Art. 12 Rn. 34 f.; Scholz, in: Maunz/​Dürig, GG, Art. 12 Rn. 105. Nach einer anderen Ansicht erstreckt sich der Schutzbereich des Art. 12 GG wegen des Diskriminierungsverbots des Art. 18 Abs. 1 AEUV auch auf EU‑Ausländer, so Ruffert, in: BeckOK GG, Art. 12 Rn. 35 ff. m. w. N.

Kapitel 5

Offenbarung eigenen Fehlverhaltens Als neues Kontrastbeispiel wird nun die Pflicht der Organmitglieder betrach­ tet, ihre eigenen Pflichtverletzungen offenzulegen, die sie im Rahmen ihrer Tä­ tigkeit für die Gesellschaft begangen haben. In Anlehnung an Jochen Taupitz1 wird dieser Verhaltensstandard hier als Pflicht zur Offenbarung eigenen Fehl­ verhaltens oder kurz als Offenbarungspflicht bezeichnet. Der Interessenkon­ flikt, der dabei entsteht, zeichnet sich dadurch aus, dass die Gesellschaft an der Aufdeckung der Verfehlungen ihrer Organmitglieder typischerweise interes­ siert ist, während die Organmitglieder selbst kein Interesse daran haben, eige­ ne Pflichtverstöße offenzulegen.

§ 1.  Einführung I.  Offenbarungspflicht und Strafprozess Ob Organmitglieder ihr eigenes Fehlverhalten offenbaren müssen, ist bisher nicht abschließend geklärt. Eine derartige „Pflicht zur Selbstbezichtigung“2 ruft schnell den strafprozessualen Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accu­ sare“ in Erinnerung, wonach niemand gezwungen werden darf, gegen sich selbst als Zeuge auszusagen oder sich schuldig zu bekennen. Verweigert der Beschuldigte im Strafverfahren die Einlassung zur Sache vollständig, so darf sein Schweigen nicht als belastendes Indiz gegen ihn verwendet werden.3 Er­ zwungene Aussagen unterliegen einem absoluten Verwertungsverbot (§ 136a Abs. 3 S. 2 StPO).4 Dieser Grundsatz entspringt der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG)5 und gewährleistet dem Einzelnen ein Recht auf einen fairen Pro­ zess. Er ist auf mehreren Rechtsebenen verankert: Auf völkerrechtlicher Ebene in Art. 14 Abs. 3 lit. g des Internationalen Pakts über bürgerliche und politi­ sche Rechte vom 19. Dezember 1966, auf europäischer Ebene in Art. 6 Abs. 3 1 Siehe Taupitz, Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, 2 Vgl. Grunewald, NZG 2013, 841, 844. 3 BVerfG,

S. 7 f.

Beschl. v. 7.7.1995  – 2 BvR 326/92, NStZ 1995, 555; v. 6.5.2016  – 2 BvR 890/16, BeckRS 2016, 46112 Rn. 21. 4 Dazu Monka, in: BeckOK StPO, § 136a Rn. 29. 5  Siehe nur Hillgruber, in: BeckOK GG, Art. 1 Rn. 37.

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Kapitel 5: Offenbarung eigenen Fehlverhaltens

EMRK und Art. 48 GRCh6 und auf nationaler Ebene in § 136 Abs. 1 S. 2, § 163a Abs. 3 S. 2, § 243 Abs. 5 StPO. Außer im Strafprozess kommt der Nemo-tene­ tur-Grundsatz etwa in Disziplinarverfahren, in berufsgerichtlichen Verfahren oder bei der Gewährung von Sozialleistungen (§ 65 Abs. 3 SGB I) zur Anwen­ dung.7 Im Besteuerungsverfahren sind Zwangsmittel gegen den Steuerpflich­ tigen unzulässig, wenn er dadurch gezwungen würde, sich selbst wegen einer von ihm begangenen Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit zu belasten (§ 393 Abs. 1 S. 2 AO). Es besteht darüber hinaus ein begrenztes strafrecht­ liches Verwertungsverbot gemäß § 393 Abs. 2 AO. Im Zivilprozess gibt es dagegen keinen Selbstbezichtigungsschutz. Die Par­ tei darf schweigen, wenn sie sich selbst keiner Straftat bezichtigen will, trägt dann aber das Risiko, den Prozess zu verlieren. Ihre Darlegungs- und Beweis­ last wird bei Gefahr einer Selbstbezichtigung nicht ermäßigt, weil dies auto­ matisch zulasten des Prozessgegners ginge. Entschließt sich die Partei dazu, belastende Informationen preiszugeben, um den Rechtsstreit zu gewinnen, dürfen diese Informationen in einem Strafverfahren verwertet werden, weil ein Verwertungsverbot das öffentliche Strafverfolgungsinteresse unangemes­ sen schmälern würde. Die Partei steht also in solchen Fällen vor dem Dilem­ ma, entweder sich selbst zu bezichtigen oder auf die prozessuale Durchsetzung ihrer zivilrechtlichen Ansprüche zu verzichten.8 Im materiellen Zivilrecht ist die Lage viel weniger klar. Das Privatrecht kennt zahlreiche Auskunftspflichten (vgl. §§ 259 ff., 666, 1698, 2314 BGB), schweigt aber meist zu der Frage, ob diese Pflichten auch dann zu erfüllen sind, wenn eine Selbstbezichtigung droht. Eine bemerkenswerte Ausnahme ist die Pflicht des Behandelnden zur Offenbarung von Behandlungsfehlern. Sie wurde durch das Patientenrechtegesetz vom 20. Februar 2013 eingeführt und findet sich nun in § 630c Abs. 2 S. 2 BGB, der wie folgt lautet: „Sind für den Behandelnden Umstände erkennbar, die die Annahme eines Behandlungsfeh­ lers begründen, hat er den Patienten darüber auf Nachfrage oder zur Abwen­ dung gesundheitlicher Gefahren zu informieren.“ Diese Information darf zu Beweiszwecken in einem gegen den Behandelnden geführten Straf- oder Buß­ geldverfahren nur mit Zustimmung des Behandelnden verwendet werden (vgl. § 630c Abs. 2 S. 3 BGB). Damit ist klar, dass die Offenbarungspflicht des Be­ handelnden auch bei strafrelevanten Behandlungsfehlern greift.9 6  Obwohl er in diesen europäischen Vorschriften nicht ausdrücklich genannt wird, vgl. Jarass, GRCh, Art. 48 Rn. 31. 7 Ausführliche Übersicht bei BVerfGE 56, 37, 44  – Selbstbezichtigung des Gemeinschuldners. 8  Nothhelfer, Die Freiheit von Selbstbezichtigungszwang, S. 94 f. 9 Diese Offenbarungspflicht war eine wirkliche Novelle des Patientenrechtegeset­ zes, das sich ansonsten im Wesentlichen auf die Kodifizierung des alten Richterrechts be­ schränkte, so Spickhoff, JZ 2015, 15.



§ 1.  Einführung

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Auch die übrigen zivilrechtlichen Auskunftspflichten sind nach überwie­ gender Meinung selbst dann zu erfüllen, wenn dies den eigenen Interessen des Pflichtigen zuwiderläuft oder ihn der Gefahr einer Strafverfolgung aussetzt. Der strafrechtliche Nemo-tenetur-Grundsatz sei in das Zivilrecht nicht pau­ schal übertragbar.10 Denn anders als im Strafverfahren stehe im Privatrecht dem Geheimhaltungsinteresse des Betroffenen nicht das Staatsinteresse, son­ dern das Interesse eines anderen Privatrechtssubjekts gegenüber. Die Anerken­ nung eines umfassenden Schweigerechts des Auskunftspflichtigen, etwa eines Beauftragten oder eines Erben, ginge also automatisch zulasten des Auskunfts­ suchenden (des Auftraggebers bzw. des Pflichtteilsberechtigten). „Je weiter das ,privatrechtliche Schweigerecht‘ ausgedehnt wird, um so weiter werden auf gleicher Ebene stehende Rechte anderer zurückgedrängt“11. Allerdings richten sich die berechtigten Interessen des Auskunftssuchenden auf die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche und nicht auf die Strafverfol­ gung des Auskunftspflichtigen. Dieser muss also bei der Erfüllung seiner zivil­ rechtlichen Pflichten durch strafprozessuale Garantien geschützt werden. Der älteren Gesetzgebung und Rechtsprechung war dies nicht immer bewusst, so dass die Gesetze keine Beweisverwertungsverbote enthielten und die Gerichte mitunter forderten, der Auskunftspflichtige habe die Gefahr einer Strafverfol­ gung einfach hinzunehmen. So urteilte der BGH im Falle eines zur Auskunft verpflichteten Architekten: „Wer ein fremdes Rechtsgut verletzt, hat grundsätzlich dafür einzustehen und für die Wiedergutmachung zu sorgen. Ist dies nicht anders möglich, als dadurch, daß der Schuldner dabei eine eigene strafbare Handlung bekennt, so hat er dies auf sich zu neh­ men, soweit ihn das Gesetz nicht ausdrücklich davon freistellt. Jedenfalls steht es nicht mit dem Gedanken der Rechtsstaatlichkeit in Widerspruch, wenn in einem solchen Falle die Belange des Geschädigten höher bewertet werden als die des Schädigers.“12

Dabei betonte der BGH, dass zivilrechtliche Auskunftsansprüche des Auftrag­ gebers gerade dann besonders wichtig seien, wenn der Beauftragte gegen seine Pflichten besonders schwer verstoßen und Straftaten zulasten des Auftrag­ gebers begangen habe: „Würde man sie von der Auskunftspflicht ausschließen, so würde der § 666 BGB gerade bei besonders schweren Verstößen die ihm vom Gesetz zugewiesene Aufgabe weitgehend nicht mehr erfüllen.“13 Zudem wäre 10  Vgl. BVerfGE 56, 37, 48 ff. – Selbstbezichtigung des Gemeinschuldners; Fleischer, In­ formationsasymmetrie, S. 296; Nothhelfer, Die Freiheit von Selbstbezichtigungszwang, S. 98 f.; Taupitz, Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, S. 32; Winkler von Mohrenfels, Abge­ leitete Informationsleistungspflichten, S. 52; Hopt, ZGR 2004, 1, 27 f. 11  Taupitz, Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, S. 32; so auch Nothhelfer, Die Freiheit von Selbstbezichtigungszwang, S. 98. 12  BGH, Urt. v. 30.4.1964 – VII ZR 156/62, BGHZ 41, 318, 327 = NJW 1964, 1469, 1471. 13  BGHZ 41, 318, 322 f. = BGH, NJW 1964, 1469, 1470; siehe auch BGH, Urt. v. 30.11.1989 – III ZR 112/88, BGHZ 109, 260, 268 – Handakten eines Rechtsanwalts; Krüger, in: MüKo BGB, § 259 Rn. 36; Riesenhuber, in: BeckOGK, BGB, § 666 Rn. 19.1 und 37.

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Kapitel 5: Offenbarung eigenen Fehlverhaltens

jemand, der zulasten seines Auftraggebers eine Straftat begeht und damit be­ sonders verwerflich handelt, gegenüber demjenigen privilegiert, der sich ord­ nungsgemäß verhält oder „nur“ seine zivilrechtlichen Pflichten verletzt.14 Mittlerweile ist allerdings anerkannt, dass zivilrechtliche Auskunftspflich­ ten durch strafrechtliche Verwertungsverbote flankiert sein müssen. Denn sonst würde das Privatrecht den Auskunftspflichtigen um sein Schweigerecht im Strafverfahren bringen: Dieses Recht wäre illusorisch, wenn seine zivil­ rechtliche Auskunft gegen ihn strafrechtlich verwertet werden könnte. Dies würde den Nemo-tenetur-Grundsatz aushebeln und das Recht des Einzelnen auf einen fairen Prozess weitestgehend entwerten.15 Aus diesem Grund hat das BVerfG in seinem Gemeinschuldner-Beschluss aus dem Jahre 1981 die For­ derung erhoben, die Auskunftspflicht des Gemeinschuldners nach § 100 KO durch ein strafrechtliches Verwertungsverbot zu ergänzen: Der bloße Um­ stand, dass dem Gemeinschuldner im Interesse seiner Gläubiger eine unein­ geschränkte Auskunftspflicht zuzumuten sei, rechtfertige es nicht, dass er zugleich zu seiner Verurteilung beitragen müsse und dass die staatlichen Straf­ verfolgungsbehörden weitergehende Möglichkeiten erlangten als in anderen Fällen der Strafverfolgung. Die Statuierung eines solchen Verwertungsverbots hat das BVerfG indes grundsätzlich dem Gesetzgeber überlassen.16 Dementsprechend enthalten neuere gesetzliche Regelungen, die Auskunfts­ pflichten normieren, fast ausnahmslos Schutzvorkehrungen gegen die Gefahr einer Selbstbezichtigung.17 Dabei besteht eine Tendenz, statt eines bloßen Verwertungsverbots ein umfassendes Verwendungsverbot zu statuieren. Denn ein Verwertungsverbot garantiert dem Auskunftspflichtigen keinen vollumfäng­ lichen Schutz. Die Auskunft selbst ist zwar unverwertbar, weder direkt noch mittelbar, etwa durch die Befragung des Auskunftsempfängers zu ihrem In­ halt.18 Das Verwertungsverbot entfaltet aber keine Fernwirkung, so dass in­ haltlich selbständige, lediglich durch die Auskunft vermittelte Beweismittel verwertet werden dürfen.19 Das Verwendungsverbot geht weiter, weil es zu­ sätzlich besagt, dass die erteilte Auskunft nicht einmal als Grundlage für wei­ tere Ermittlungen mit dem Ziel der Schaffung selbstständiger Beweismittel eingesetzt werden darf. Ein solches Fernwirkungsverbot findet sich z. B. in § 97 Abs. 1 S. 3 InsO, wonach eine Auskunft, die der Insolvenzschuldner gemäß seiner Auskunftspflicht erteilt, in einem Straf- oder Bußgeldverfahren gegen 14 Vgl. Taupitz, Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, S. 33. 15  Vgl. BVerfGE 56, 37, 50 f. – Selbstbezichtigung des Gemeinschuldners;

Taupitz, Of­ fenbarung eigenen Fehlverhaltens, S. 33 f.; Nothhelfer, Die Freiheit von Selbstbezichtigungs­ zwang, S. 99 f. 16  BVerfGE 56, 37, 51 – Selbstbezichtigung des Gemeinschuldners. 17 Dazu Nothhelfer, Die Freiheit von Selbstbezichtigungszwang, S. 102 ff. 18 Vgl. Schuhr, in: MüKo StPO, § 136a Rn. 96. 19 Vgl. Schuhr, in: MüKo StPO, § 136a Rn. 96, 98.



§ 1.  Einführung

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den Schuldner nur mit dessen Zustimmung verwendet werden darf.20 Eine ganz ähnliche Formulierung („darf … nur mit Zustimmung des Behandelnden verwendet werden“) enthält auch § 630c Abs. 2 S. 3 BGB, so dass die Literatur zum Arzthaftungsrecht immer mehr dazu tendiert, dieser Norm ein ähnliches Verwendungsverbot zu entnehmen.21

II.  Persönlichkeitsrecht als immanente Grenze der Offenbarungspflicht Eine rechtsstaatliche conditio sine qua non für jede zivilrechtliche Auskunfts­ pflicht ist also ein Verwendungsverbot, das die Aussage des Pflichtigen im Straf- und Bußgeldverfahren umfassend schützt. Unabhängig davon stellt sich die Frage, ob zivilrechtliche Auskunftspflichten eigene Grenzen haben. Hat das Privatrecht, mit anderen Worten, einen eigenen Nemo-tenetur-Grund­ satz oder können Private ohne Weiteres zur Selbstbezichtigung gezwungen werden, solange nur strafprozessuale Garantien diesen Zwang abpuffern?22 Die Antwort auf diese Frage ist recht einfach: Das privatrechtliche Pendant zum strafprozessualen Nemo-tenetur-Grundsatz ist das allgemeine Persön­ lichkeitsrecht, das jede zivilrechtliche Offenbarungspflicht begrenzt. Dieses Grundrecht greift außerdem unabhängig davon, ob die zu offenbarenden Ver­ fehlungen strafrechtlich relevant sind oder nicht. Diese These wird durch die Rechtsprechung des BVerfG bestätigt. Nach dieser Rechtsprechung soll der Staat den Einzelnen grundsätzlich nicht in eine Konfliktlage bringen, in der er sich selbst strafbarer Handlungen oder ähnlicher Verfehlungen bezichtigen müsse.23 Bereits im Gemeinschuldner-Beschluss hat das BVerfG das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Gegengewicht zur Aus­ kunftspflicht ins Feld geführt: Die erzwingbare Auskunftspflicht beeinträch­ tige das Persönlichkeitsrecht; ein Zwang zur Selbstbezichtigung berühre zu­ gleich die Würde des Menschen, dessen Aussage als Mittel gegen ihn selbst verwendet werde.24 Vor dem Hintergrund, dass das allgemeine Persönlichkeits­ recht keinen lückenlosen Schutz gegen Selbstbezichtigungen gewährleistet, hat das BVerfG dem Gemeinschuldner zwar kein Aussageverweigerungsrecht zugebilligt, aber immerhin zu seinen Gunsten ein Beweisverwertungsverbot anerkannt.25 20  Jungmann, in: K. Schmidt, InsO, § Rn. 12; Stephan, in: MüKo InsO, § 97 Rn. 18 f.; Uhlenbruck, NZI 2002, 401, 403. 21 Vgl. Spickhoff, JZ 2015, 15, 17 ff.; ders., MedR 33 (2015), 845, 849; ders., in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, § 630c Rn. 24; Wagner, in: MüKo BGB, § 630c Rn. 53. 22 Im letzten Sinne wohl Nothhelfer, Die Freiheit von Selbstbezichtigungszwang, S. 98 ff.; Sajnovits, WM 2016, 765, 772 f.; Schmolke, RIW 2008, 365, 372. 23  BVerfGE 56, 37, 41 – Selbstbezichtigung des Gemeinschuldners; 95, 220, 241 – Aufzeichnungspflicht. 24  BVerfGE 56, 37, 41 f. – Selbstbezichtigung des Gemeinschuldners. 25  BVerfGE 56, 37, 49 f. – Selbstbezichtigung des Gemeinschuldners.

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Während im Gemeinschuldner-Beschluss die Offenbarung möglicher Straf­ taten im Vordergrund stand, ging es einem späteren Urteil des BVerfG um die Offenbarung früherer Parteifunktionen in der SED und der Tätigkeiten für das Ministerium für Staatssicherheit. Als nachteilige Konsequenz stand nicht die Strafverfolgung, sondern die Kündigung des Arbeitsverhältnisses nach den Vorschriften des Einigungsvertrags im Raum. Das BVerfG hat das ent­ sprechende Fragerecht des öffentlichen Arbeitsgebers am allgemeinen Persön­ lichkeitsrecht der betroffenen Arbeitnehmer gemessen und teilweise für un­ zulässig erklärt.26 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung, so das BVerfG, schütze in be­ sonderer Weise „vor dem Verlangen, Informationen preiszugeben, die den Be­ troffenen selbst belasten. Auskunftspflichten, die darauf gerichtet sind, berüh­ ren daher das allgemeine Persönlichkeitsrecht.“27 Dieses Grundrecht schützt also den Auskunftspflichtigen auch dann, wenn er „lediglich“ gegen seine pri­ vatrechtlichen Interessen handeln muss, indem er die Umstände zu offenbaren hat, die den Gegner zur Vertragskündigung oder zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen veranlassen können.28 Denn auch in diesem Fall wird der Mensch als Objekt, als bloße Informationsquelle im Interesse anderer genutzt.29 Stets betont das BVerfG, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht uneingeschränkt gewährleistet sei und durch Gesetz unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit beschränkt werden könne.30 Daran wird der Unterschied zwischen dem zivilrechtlichen und dem strafprozessua­ len Nemo-tenetur-Grundsatz sichtbar: Anders als im Strafprozessrecht gibt es im Privatrecht keinen absoluten Schutz vor Selbstbezichtigung; insbesondere schutzwürdige Belange Dritter können im Privatrecht Ausnahmen vom Ne­ mo-tenetur-Grundsatz rechtfertigen. Man könnte also in diesem Zusammen­ hang von einem absoluten und einem relativen Selbstbezichtigungsschutz spre­ chen.31 Auf das gleiche Ergebnis läuft die Argumentation derjenigen hinaus, die eine unmittelbare Geltung des Nemo-tenetur-Grundsatzes im Privat­ rechtsverhältnis verneinen, aber für die Berücksichtigung des entsprechenden Gedankens bei der Interessenabwägung plädieren.32 Dabei werde Letztere „sehr häufig zu dem […] Ergebnis führen, daß selbst eine bestehende Treue­ 26  27 

Siehe BVerfGE 96, 171 ff. – Stasi-Fragen. BVerfGE 96, 171, 181 – Stasi-Fragen. 28 Vgl. Taupitz, Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, S. 30. 29  Winkler von Mohrenfels, Abgeleitete Informationsleistungspflichten, S. 52. 30  So BVerfGE 96, 171, 182 – Stasi-Fragen; vgl. auch BVerfGE 56, 37, 49 – Selbstbezichtigung des Gemeinschuldners. 31 Ähnlich Di Fabio, in: Maunz/​Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 188. 32 Vgl. Taupitz, Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, S. 32 ff.; Seibt/​Cziupka, AG 2015, 93, 104; ferner Ihrig, ZHR 181 (2017), 381, 402, 403; offenlassend Grunewald, NZG 2013, 841, 845.



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pflicht nicht bis zur Selbstbelastung reicht“33. Richtigerweise beschränkt sich die Grundrechtsprüfung jedoch nicht auf eine Interessenabwägung: Eine Aus­ kunftspflicht mit Selbstbezichtigungsfolge steht mit dem allgemeinen Persön­ lichkeitsrecht nur dann im Einklang, wenn sie zum Schutz kollidierender In­ teressen als verhältnismäßig erscheint.34

III.  Gang der weiteren Untersuchung Damit ist das nachfolgende Prüfungsprogramm vorgezeichnet: Es gilt zu prü­ fen, ob die Offenbarungspflicht der Organmitglieder in einem angemesse­ nen Verhältnis zu ihrem Zweck – Schutz der Gesellschaft – steht. Dabei sind grundsätzlich strengere Maßstäbe anzulegen als bei sonstigen Auskunfts­ pflichten, weil die Pflicht zur Offenbarung eigenen Fehlverhaltens die Selbst­ bezichtigung der Pflichtadressaten final anstrebt und deshalb in das allgemeine Persönlichkeitsrecht besonders stark eingreift. Dies unterscheidet die Offen­ barungspflicht etwa von der Auskunftspflicht nach § 259 BGB, bei der die Selbstinkriminierung nur als Nebenfolge der Auskunftserteilung, also nur re­ flexiv auftreten kann. Angesichts dieser grundrechtlichen Brisanz der Offen­ barungspflicht bedarf ihre Existenz einer besonderen Rechtfertigung. Bevor die Offenbarungspflicht der Organmitglieder auf ihre Verhältnis­ mäßigkeit hin überprüft wird, gilt es, den aktuellen Stand der Diskussion um diese Pflicht zu präsentieren und kritisch zu würdigen. Der Fokus richtet sich dabei zunächst auf das deutsche Recht, wo bereits vor längerer Zeit im Rah­ men der sog. „Sekundärhaftung“ ungeschriebene Offenbarungspflichten von Rechtsanwälten, Steuerberatern und Architekten entwickelt wurden. Diese Entwicklung gab Anlass, über eine entsprechende Pflicht der Organmitglieder in Kapitalgesellschaften nachzudenken. Nach der Darstellung der deutschen Rechtsprechung und Literatur wird ein rechtsvergleichender Blick auf das Ver­ einigte Königreich geworfen, wo die Diskussion über die Offenbarungspflicht der Organmitglieder noch offener und kontroverser geführt wurde. Anschlie­ ßend wird gezeigt, wie das UK‑Recht die wissenschaftliche Auseinanderset­ zung mit der Offenbarungspflicht der Organmitglieder in Deutschland beein­ flusst, und auf die Offenbarung eigenen Fehlverhaltens als Nebenfolge einer anderen Pflicht eingegangen. Zum Schluss werden die Ergebnisse zusammen­ gefasst und analysiert.

33 

Taupitz, Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, S. 34 f. Di Fabio, in: Maunz/​Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 188 m. w. N.; vgl. auch oben Kapi­ tel 2, § 2, III. 3. zur Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Offenlegungspflichten. 34 

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§ 2.  Rechtsvergleichende Bestandsaufnahme I. Deutschland In Deutschland wurde die Offenbarungspflicht zuerst nur für Rechtsanwälte und andere Freiberufler im Rahmen der sog. „Sekundärhaftung“ diskutiert. Erst später setzten sich Literatur und Rechtsprechung mit der Frage auseinan­ der, ob und in welchen Situationen die Offenbarungspflicht auch Mitglieder der Gesellschaftsorgane trifft. 1.  Offenbarungspflicht der Rechtsanwälte, Architekten und Steuerberater a)  Entwicklung der „Sekundärhaftung“ Die Pflicht zur Offenbarung eigenen Fehlverhaltens diente den deutschen Ge­ richten lange Zeit dazu, die sog. Sekundärhaftung der Rechtsanwälte und eini­ ger anderer Freiberufler zu begründen. Für die vorliegende Untersuchung sind lediglich die Wesenszüge dieser Haftung sowie die dahinter stehenden rechts­ politischen Erwägungen interessant. Den Grundbaustein der Rechtsprechung zur Sekundärhaftung legte das Reichsgericht mit einem Urteil aus dem Jahr 1938, in dem es die Pflicht der An­ gehörigen der Anwaltschaft bejaht hat, auf eigene Fehler hinzuweisen.35 Da es die Aufgabe des Rechtsanwalts sei, rechtliche Prüfung und Sicherung der An­ sprüche des Mandanten vorzunehmen, dürfe der Anwalt nicht vor der eigenen Haftung halt machen: Sein Mandant könne schließlich nicht dadurch schlech­ ter gestellt werden, dass der beauftragte Rechtsanwalt selbst sein Schuldner sei. Der Anwalt mache sich also schadensersatzpflichtig, wenn er die gebotene rechtliche Prüfung unterlasse oder den eigenen Fehler und damit den Ersatz­ anspruch des Auftraggebers zwar erkenne, aber keine Schritte zur Anspruchs­ sicherung oder zur Unterbrechung der Verjährung unternehme. Als Folge sei ihm die Berufung auf die Verjährung untersagt.36 Der BGH hat diese Rechtsprechung in zahlreichen Entscheidungen fort­ geführt.37 Dabei formte er die Hinweispflicht zu einer eigenständigen An­ waltspflicht, die immer dann entstand, wenn der Anwalt einen begründeten Anlass zur Überprüfung seines bisherigen Verhaltens hatte. Bei Verletzung dieser Pflicht wurde der Mandant so behandelt, als wäre er ordnungsgemäß 35  36 

RG, Urt. v. 17.5.1938 – III 172/37, RGZ 158, 130. RGZ 158, 130, 134 ff. 37  Siehe etwa BGH, Urt. v. 11.7.1967 – VI ZR 41/66, VersR 1967, 979; v. 19.5.1970 – VI ZR 27/69, VersR 1970, 815, 818; v. 20.5.1975 – VI ZR 138/74, NJW 1975, 1655; v. 8.3.1977 – VI ZR 142/75, VersR 1977, 617, 618; v. 26.2.1985  – VI ZR 144/83, NJW 1985, 1151, 1152; v. 23.5.1985 – IX ZR 102/84, BGHZ 94, 380; v. 21.1.1988 – IX ZR 65/87, NJW 1988, 2245, 2246 f.; v. 4.6.1996 – IX ZR 51/95, VersR 1996, 1499; v. 9.12.1999 – IX ZR 129/99, NJW 2000, 1263, 1264 f.



§ 2.  Rechtsvergleichende Bestandsaufnahme

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belehrt worden. Dabei griff regelmäßig die Vermutung, dass der Mandant in diesem Fall die Verjährung unterbrochen hätte. Er wurde somit im Rahmen des Schadensausgleichs so gestellt, als wäre der primäre Regressanspruch noch nicht verjährt.38 Wie das Reichsgericht leitete der BGH die Hinweispflicht des Rechtsanwalts aus dessen umfassender Rechtsberatungsaufgabe ab, fügte aber weitere Geltungsgründe hinzu: die besondere Treuepflicht des Rechts­ anwalts39, dessen Vertrauensposition und Stellung als Organ der Rechtspfle­ ge40 sowie seine im Verhältnis zum Mandanten überragenden Rechtskennt­ nisse41. In der Literatur wurden diese Begründungen mitunter skeptisch betrach­ tet.42 Es wurde unter anderem eingewandt, dass Notare und Richter ebenfalls „Organe der Rechtspflege“ seien und umfassende Rechtskenntnisse besäßen, aber eigene Fehler dennoch nicht offenbaren müssten. Es fiel dem Schrifttum nicht schwer, den wahren Geltungsgrund der Hinweispflicht auszumachen, nämlich die relativ kurze, kenntnisunabhängige Verjährungsfrist für die Haf­ tung des Rechtsanwalts43, zumal die einschlägige Judikatur dieses Problem teilweise offen ansprach.44 Bis zur Anpassung der Verjährungsvorschriften an die Schuldrechtsmodernisierung45 waren Rechtsanwälte nämlich im Hinblick auf die Haftungsverjährung gegenüber vielen anderen Berufen privilegiert: Ihre Haftung gegenüber Mandanten verjährte nach § 32a RRAO46 in fünf Jah­ ren nach der Entstehung des Anspruchs. Durch § 51 BRAO a. F. (später § 51b BRAO a. F.) wurde diese Frist sogar auf drei Jahre nach der Anspruchsent­ stehung oder der Beendigung des Auftrags verkürzt. Dank dieser Regelung war der Anspruch des Mandanten gegen den Anwalt häufig verjährt, bevor der Mandant überhaupt Kenntnis davon erlangte. Die Rechtsprechung schaffte hier Abhilfe, indem sie annahm, der Rechtsanwalt sei zu umfassender Aufklä­ rung des Mandanten verpflichtet. Dabei musste der Anwalt nicht nur auf mög­ liche eigene Fehler, sondern auch auf die daraus folgenden Regressansprüche 38  Taupitz, Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, S. 10 f. mit zahlr. w. N. zur Rspr. und Lit.; ausführlich zur Dogmatik der Sekundärhaftung Sturm, Die Verjährung, S. 421 ff. 39  BGH, Urt. v. 20.1.1982  – IVa ZR 314/80, BGHZ 83, 17, 24 (zum Rechtsanwalt und Steuerberater). 40  BGH, Urt. v. 2.7.1968 – VI ZR 39/67, VersR 1968, 1042, 1043; so auch OLG Celle, Urt. v. 25.8.1977 – 16 U 23/77, VersR 1978, 1119, 1120. 41  BGHZ 83, 17, 25 f.; BGH NJW 1985, 2250, 2252. 42  Siehe nur Eckert, NJW 1989, 2081, 2085 f.; Evers, VersR 1979, 776; Venrooy, DB 1981, 2364, 2367; vgl. auch Taupitz, Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, S. 12 ff. 43  Eckert, NJW 1989, 2081, 2086; Venrooy, DB 1981, 2364, 2367. 44  Vgl. die entsprechenden Urteilszitate bei Venrooy, DB 1981, 2364, 2372; siehe ferner BGHZ 83, 17, 26; 94, 380, 385. 45 Siehe das Gesetz zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts (Verjährungsanpassungsgesetz) v. 9.12.2004, BGBl I 2004, 3214. 46  Eingeführt durch das Gesetz v. 22.5.1910.

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und die kurze Verjährungsfrist hinweisen. Im Gegensatz dazu galt für Richter und Notare (für Letztere über § 19 BNotO) die Amtshaftungsvorschrift des § 852 BGB a. F. (jetzt § 839 BGB), die auf die Kenntnis des Geschädigten abstell­ te; ohne Rücksicht auf diese Kenntnis verjährten die Haftungsansprüche erst in dreißig Jahren von der Begehung der Handlung an. Gleiches galt für die An­ sprüche gegen den Arzt.47 Angesichts dieser Verjährungsgestaltung bestand für die Rechtsprechung kein Anlass, für Richter, Notare oder Ärzte die Frage nach der Hinweispflicht aufzuwerfen. Die Grundsätze der Sekundärhaftung übertrug der BGH später auf die Haf­ tung des umfassend beauftragten Architekten, d. h. des Architekten, dem die Planung, die Oberleitung und die Bauaufsicht übertragen worden sind.48 Auf­ grund der Qualifizierung des Architektenvertrags als Werkvertrag49 galt für die Haftung des Architekten eine kenntnisunabhängige Verjährungsfrist von fünf Jahren (§ 638 BGB a. F.). In dem Fall, in dem der BGH die Sekundärhaf­ tung des umfassend beauftragten Architekten zum ersten Mal anerkannt hat50 , hatten die Parteien sogar eine noch kürzere Frist von zwei Jahren vereinbart, wie es in der damaligen Kautelarpraxis üblich war51. Dank der Anerkennung der Sekundärhaftung konnte der Bauherr trotz dieser Vereinbarung und der zwischenzeitlichen Verjährung seiner Ansprüche diese dennoch erfolgreich durchsetzen. Der BGH stellte sich insoweit auf den Standpunkt, dass der Ar­ chitekt zwar nicht auf die gegen ihn selbst gerichteten Regressansprüche hin­ weisen müsse, aber als Sachwalter des Bauherrn diesen unverzüglich und um­ fassend über die Ursachen sichtbar gewordener Baumängel aufzuklären habe. Zudem müsse der Architekt dem Bauherrn sachkundig darüber berichten, zu welchem Ergebnis die Untersuchung geführt habe und wie sich die Rechtslage gestalte.52 Dabei dürfe der Architekt angesichts des ihm eingeräumten Vertrau­ ens auch die Mängel des eigenen Architektenwerks nicht verschweigen: Sein Interesse, sich eigener Haftung möglichst zu entziehen, berechtige ihn nicht zur Verheimlichung dieser Fehler.53 47  Taupitz, Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, S. 13. 48 Siehe BGH, Urt. v. 16.3.1978 – VII ZR 145/76, BGHZ 71, 144; Ausweitung durch BGH,

Urt. v. 11.1.1996  – VII ZR 85/95, NJW 1996, 1278, 1279: Hinweispflicht im Rahmen des übernommenen Aufgabengebiets, der Umfang der Pflicht richte sich nach der übernomme­ nen Aufgabe. 49  BGH, Urt. v. 26.11.1959 – VII ZR 120/58, BGHZ 31, 224, 228. 50  BGHZ 71, 144. 51 Dazu Reinelt/​Pasker, BauR 2010, 983, 987. 52  Inwieweit sich eine „sachkundige (!) Unterrichtung über die Rechtslage“ von einem Hinweis auf den Regressanspruch unterscheidet, ist indes unklar. In einer späteren Ent­ scheidung spricht der BGH offen von einer entsprechenden Hinweispflicht: „[…] der Be­ klagte hat es versäumt, die Klägerin auf die Möglichkeit eines Anspruchs gegen sich hin­ zuweisen“, BGH, Urt. v. 11.1.1996 – VII ZR 85/95, NJW 1996, 1278, 1279. 53  BGHZ 71, 144, 148 f.; kritisch dazu Lauer, BauR 2003, 1639, 1643 ff.; Reinelt/​Pasker, BauR 2010, 983 ff.



§ 2.  Rechtsvergleichende Bestandsaufnahme

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Es folgte die Anerkennung der Sekundärhaftung des Steuerberaters.54 Es ist fast schon überflüssig zu sagen, dass die Schadensersatzansprüche des Man­ danten gegen den Steuerberater kenntnisunabhängig in drei Jahren nach ihrer Entstehung verjährten (§ 68 StBG a. F.). Es stellte sich ein ähnliches Problem wie beim Rechtsanwalt: „Prüft die Finanzbehörde Jahre, nachdem ein Steuer­ berater tätig geworden ist, die Unterlagen des Steuerpflichtigen, und ergibt sich aus dieser Prüfung eine nachzufordernde Steuerschuld, deren Entstehung bei richtiger Sachbehandlung durch den Steuerberater vermieden worden wäre, dann ist der gegen ihn bestehende Schadensersatzanspruch in aller Regel be­ reits verjährt.“55 Der BGH nahm daher an, dass der Steuerberater genauso wie der Rechtsanwalt verpflichtet sei, auf eigene Fehler und die kurze Verjährungs­ frist hinzuweisen, und begründete dies mit der Ähnlichkeit der entsprechen­ den Verjährungsvorschriften sowie mit der gleichen Interessenlage.56 Mit der Sekundärhaftung nahm also die Rechtsprechung jeweils die Kor­ rektur an der kurzen kenntnisunabhängigen Verjährungsfrist vor, um den Vertragspartner des Rechtsanwalts, des Architekten oder des Steuerberaters zu schützen. Dieser Schutz ging indes mit einem Eingriff in die Persönlich­ keitsrechte des Freiberuflers einher, der nun ungefragt eigene Fehler bei der Vertragserfüllung offenbaren musste. Das Unbehagen, das dieser Eingriff aus­ löste, zeigt sich am besten in dem vielzitierten Ausruf Ulrich Hübners: „Ver­ brechern mutet unsere Rechtsordnung eine Selbstbezichtigung nicht zu; sollen Anwälte und Freiberufler dazu verpflichtet sein?“57. b)  Sekundärhaftung nach neuem Recht? Im Zuge der Anpassung der Verjährungsvorschriften an das modernisier­ te Schuldrecht hat der Gesetzgeber die privilegierten Verjährungsfristen für Rechtsanwälte und Steuerberater abgeschafft. Die alten § 51b BRAO und § 68 StBG mussten zum 15. Dezember 2004 dem allgemeinen Verjährungsregime der §§ 195, 199 BGB weichen. Im Hinblick auf die neue, kenntnisabhängige Verjährung spricht die Begründung zum Verjährungsanpassungsgesetz davon, dass für die Sekundärhaftung „kein Bedürfnis mehr“ bestehe.58 Die meisten Literaturstimmen teilen diese Ansicht59 und gehen davon aus, dass die Sekun­ därhaftung nach der Verjährungsmodernisierung „ihren Zweck eingebüßt“60 54  BGH, Urt. v. 20.1.1982 – IVa ZR 314/80, BGHZ 83, 17. 55  Venrooy, DB 1981, 2364, 2368; mit Verständnis für die Verjährungsverlängerung auch

Hübner, NJW 1989, 5, 10. 56  BGHZ 83, 17, 24. 57  Hübner, NJW 1989, 5, 11. 58  Begr. RegE, BT‑Drs. 15/3653, S. 14. 59  Grothe, in: MüKoBGB, Vor § 194 Rn. 18; Olzen/​L ooschelders, in: Staudinger, BGB, § 242 Rn. 544; Wagner, in: MüKo BGB, § 630c Rn. 28; Borgmann, NJW 2005, 22, 30; Mansel/​ Budzikiewicz, NJW 2005, 321, 325. 60  Wagner, in: MüKo BGB, § 630c Rn. 30.

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habe und nunmehr ein bloßes „Relikt“61 sei. Nur vereinzelt wird eingewandt, die Frage nach der Daseinsberechtigung der Hinweispflicht sei unabhängig von den Verjährungsvorschriften zu beurteilen, weil die Pflichtenlage in einem Schuldverhältnis nicht von der Verjährungsfrage abhängen könne.62 Dies ist zwar richtig, doch spricht für die überwiegende Auffassung, dass die Hinweis­ pflicht mit der privilegierten Verjährung untrennbar verbunden war. Mit dem Wegfall dieser Verjährung ist auch der Geltungsgrund der Hinweispflicht rest­ los entfallen. Die neue kenntnisabhängige Verjährungsfrist hat die Rechtstel­ lung des Mandanten im Vergleich zur alten Rechtslage erheblich verbessert und die Sekundärhaftung obsolet gemacht. De lege lata könnte diese Haftung nur die Verjährungshöchstfrist verlängern, die derzeit zehn Jahre ab Anspruchs­ entstehung bzw. dreißig Jahren ab Vornahme der Verletzungshandlung be­ trägt (§ 199 Abs. 3 BGB). Dadurch würde aber der vom Gesetzgeber angestreb­ te Ausgleich zwischen den Interessen des Gläubigers, des Schuldners und der Allgemeinheit63 aus den Fugen geraten. Die Rechtsprechung hat zunächst die Frage nach den Auswirkungen der Verjährungsmodernisierung auf die Sekundärhaftung offen gelassen.64 Mitt­ lerweile hat auch sie sich von der Sekundärhaftung distanziert. In einem Ur­ teil des BGH aus dem Jahr 2011 ist zu lesen: „Unterliegt die Primärverjäh­ rung eines Regressanspruchs altem Verjährungsrecht, so sind auch die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze über die Sekundärhaftung weiter­ hin anwendbar“65. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass diese Grundsätze im neuen Recht nicht mehr gelten. Ähnlich äußert sich das OLG Düsseldorf: „Die Schadensersatzforderung der Klägerin wegen anwaltlicher Pflichtverlet­ zung der Beklagten verjährt gem. § 199 Abs. 1 BGB, der einen kenntnisabhän­ gigen Verjährungsbeginn bestimmt. Auf Verjährungsfragen im Zusammen­ hang mit der zu § 51b BRAO entwickelten Sekundärhaftung des Rechtsanwalts […] kommt es damit nicht an.“66 Lediglich im Architektenrecht spielt die Sekundärhaftung noch eine Rolle, weil es dort nach wie vor die Verjährungsfrist von fünf Jahren gilt, die mit der Abnahme des Werkes zu laufen beginnt (§ 634a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BGB). Die Rechtsprechung scheint deshalb an der Sekundärhaftung des Architek­ ten festzuhalten.67 Auch die Literatur geht überwiegend davon aus, dass die 61  Borgmann, NJW 2005, 22, 30. 62  Sturm, Die Verjährung, S. 425

und Fn. 61; ganz ähnlich Schwarz, Anzeige eigener Fehler, S. 194, 201, 277; vgl. auch Olzen, in: Staudinger, BGB, § 241 Rn. 468. 63 Dazu Grothe, in: MüKo BGB, § 199 Rn. 48. 64 Siehe BGH, Urt. v. 10.12.2009 – VII ZR 42/08, BGHZ 183, 323, 332. 65  BGH, Urt. v. 24.3.2011 − IX ZR 197/09, NJW‑RR 2011, 858, 859. 66  OLG Düsseldorf, Urt. v. 26.1.2016 – I-24 U 190/14, juris, Rn. 31. 67 Vgl. BGH, Urt. v. 28.1.2016  – VII ZR 266/14, BGHZ 208, 372 Rn. 17; OLG Braun­ schweig, Urt. v. 29.12.2016 – 8 U 2/16, juris, Rn. 48 ff.; LG Düsseldorf, Urt. v. 2.8.2016 – 7 O 247/15, juris, Rn. 48.



§ 2.  Rechtsvergleichende Bestandsaufnahme

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Grundätze der früheren Rechtsprechung im neuen Schuldrecht weiter gälten.68 Dogmatisch lässt sich dieses Ergebnis im neuen Recht begründen, indem aus der allgemeinen Aufklärungs- und Beratungspflicht des Architekten die Ver­ pflichtung abgeleitet wird, den Bauherrn über die eigenen Fehler zu informie­ ren. Die Verletzung dieser Pflicht führt dann zur Haftung des Architekten nach § 280 Abs. 1 BGB, die der allgemeinen Verjährungsfrist unterliegt. Somit greift die Sekundärhaftung auch dann, wenn die Gewährleistungsansprüche wegen des Baumangels bereits verjährt sind.69 c) Fazit Die kurze kenntnisunabhängige Verjährung ist also eine notwendige Bedin­ gung der Sekundärhaftung. Fraglich ist, ob es sich zugleich um eine hinrei­ chende Bedingung handelt. Der Umgang der Rechtsprechung mit anderen Berufsgruppen zeigt, dass dies nicht der Fall ist: Eine kurze Verjährung al­ lein reichte den Gerichten nicht aus, um die Sekundärhaftung zu etablieren. So gab es im Schrifttum Vorschläge, den Anwendungsbereich der Sekundär­ haftung auf Wirtschaftsprüfer70 und Wertpapierdienstleistungsunternehmen71 zu erstrecken, weil auch für sie eine kurze, ab Anspruchsentstehung laufende Verjährungsfrist galt (fünf Jahre nach § 51a WPO a. F., drei Jahre nach § 37a WpHG a. F.). Die Rechtsprechung ist diesen Vorschlägen nicht gefolgt. Sie stellte sich auf den Standpunkt, die Sekundärhaftung sei auf Wertpapierdienst­ leister „mangels eines vergleichbaren dauerhaften Vertragsverhältnisses“ nicht übertragbar. Zudem würde die Übertragung dem Gesetzeszweck, die Kapital­ beschaffung für junge und innovative Unternehmen zu erleichtern, zuwider­ laufen. Schließlich sei es Aufgabe des Gesetzgebers, als zu kurz erachtete Ver­ jährungsfristen aufzuheben.72 Was die Wirtschaftsprüfer angeht, so beschränkte sich der BGH zunächst auf eine beiläufige Bemerkung, dass die Grundsätze der Sekundärhaftung zwar für den Rechtsanwalt, nicht aber für den Wirtschaftsprüfer gälten.73 Später verneinte er die Sekundärhaftung des als Jahresabschlussprüfer tätigen Wirtschaftsprüfers mit der Begründung, dessen Stellung unterscheide sich so­ wohl von derjenigen des umfassend beauftragten Architekten als auch von der­ jenigen des Rechtsanwalts oder Steuerberaters.74 Im Unterschied zum Archi­ 68  Piekenbrock, in: BeckOGK, BGB, § 195 Rn. 17.11; Busche, in: MüKo BGB, § 634a Rn. 74; Lauer, BauR 2003, 1639, 1640; für die Aufgabe der Sekundärhaftung Reinelt/​Pasker, BauR 2010, 983, 986 ff. 69 Siehe Piekenbrock, in: BeckOGK, BGB, § 195 Rn. 17.11; Busche, in: MüKo BGB, § 634a Rn. 74. 70  Taupitz, Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, S. 13 m. w. N. 71 Dazu Sturm, Die Verjährung, S. 420. 72  BGH, Urt. v. 8.3.2005 – XI ZR 170/04, BGHZ 162, 306, 313. 73  BGH, Urt. v. 28.9.1995 – IX ZR 158/94, NJW 1995, 3248, 3251. 74  BGH, Urt. v. 10.12.2009 – VII ZR 42/08, BGHZ 183, 323, 328 ff., Rn. 27 ff.

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Kapitel 5: Offenbarung eigenen Fehlverhaltens

tekten, der eine zentrale Position während der Errichtung eines Bauvorhabens habe, fehle es dem Wirtschaftsprüfer eine vergleichbare Sachwalterstellung, zumindest wenn er nur mit der Prüfung des Jahresabschlusses beauftragt wor­ den sei. Zudem werde der Wirtschaftsprüfer nicht nur für den Auftraggeber als dessen Sachwalter, sondern auch im öffentlichen Interesse tätig.75 Und im Unterschied zum Rechtsanwalt oder Steuerberater habe der Wirtschaftsprüfer keine Aufgabe, den Auftraggeber umfassend rechtlich zu beraten; vielmehr be­ schränke sich seine Beratungsaufgabe auf den zu prüfenden Jahresabschluss. Außerdem sei die Verjährungsfrist zwei Jahre länger als die für Rechtsanwälte und Steuerberater geltende Verjährungsfrist, so dass kein Bedürfnis für eine Sekundärhaftung bestehe.76 Diese Begründung lässt viele Fragen offen. So verhält sich der BGH wider­ sprüchlich, wenn er die fünfjährige Verjährungsfrist beim Wirtschaftsprü­ fer als ausreichend lang, beim Architekten dagegen als zu kurz ansieht. Und ist die Rechtsberatungsaufgabe des Steuerberaters, die sich immerhin nur auf steuerliche Unterlagen bezieht, wirklich umfassender als diejenige des Wirt­ schaftsprüfers? Es fragt sich schließlich, warum der Umstand, dass der Jahres­ abschluss auch im Interesse der Öffentlichkeit geprüft wird, gegen die Sach­ walterstellung des Abschlussprüfers im Verhältnis zum Auftraggeber spricht. Die Differenzierungen, die der BGH vornimmt, sind deshalb wenig überzeu­ gend, genauso wie die von ihm bisher genannten Geltungsgründe der Sekun­ därhaftung. Deutlich wird nur, dass eine kurze kenntnisunabhängige Ver­ jährungsfrist alleine nicht ausreicht, damit die Rechtsprechung eine solche Haftung bejaht. Hübner äußerte seinerzeit die Vermutung, dass die obligatorische Berufs­ haftpflichtversicherung die Entwicklung der Sekundärhaftung begünstigt habe, indem sie die Hürde für die Zubilligung von Schadensersatz gesenkt habe.77 Es sei für die Gerichte beruhigend gewesen zu wissen, dass die „per­ petuierte Schadensersatzpflicht regelmäßig auf ein Schadenkollektiv im Wege der Versicherung abgewälzt“78 werde. Dies mag in der Tat eine Rolle gespielt haben, aber das tragende Motiv der Sekundärhaftung war sicherlich das Gefühl der Ungerechtigkeit, das die Judikative bei manchen Verjährungsnormen emp­ fand.79 In BGHZ 83, 17 beklagt der BGH etwa, dass die kurze Verjährungsfrist den Mandanten rechtlos stelle und nur eingeführt worden sei, um dem Wusch der Anwaltschaft in einer für den Mandanten sehr einschneidenden Weise 75  BGHZ 183, 323, 329, Rn. 29. 76  BGHZ 183, 323, 331, Rn. 34.

77 Was Hübner durchaus kritisch sieht: Die Versicherung setze eine Haftung voraus und sei ihr dogmatisch nachgeschaltet; außerdem verteuere sich die Versicherung mit dem Um­ fang der Haftung, dazu Hübner, NJW 1989, 5, 11. 78  Taupitz, Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, S. 23. 79 Dazu Sturm, Die Verjährung, S. 419; Eckert, NJW 1989, 2081, 2086; Venrooy, DB 1981, 2364, 2367.



§ 2.  Rechtsvergleichende Bestandsaufnahme

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Rechnung zu tragen. Mit rechtsstaatlichen Grundsätzen lasse sich eine solche gesetzliche Regelung nur vereinbaren, wenn man zum Ausgleich strenge An­ forderungen an die Pflichten des Rechtsanwalts stelle.80 Auf diese Weise korri­ gierte die Rechtsprechung die Rechtsvorschriften, die sie nur als „das Ergebnis einer sehr guten Lobby“81 betrachtete. Sobald sie, wie bei Wertpapierdienst­ leistungsunternehmen, ein sachliches Bedürfnis für die verjährungsrechtliche Privilegierung sah, hielt sie sich zurück und meinte, es sei „Aufgabe des Ge­ setzgebers, als zu kurz erachtete Verjährungsfristen aufzuheben“82. Sehr deutlich wird der BGH auch in einer Entscheidung aus dem Jahr 2002, in der er die Sekundärhaftung als eine „im Wege der Rechtsfortbildung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung geschaffene[n] Rechtsfigur zum Ausgleich unerträglicher, verfassungsrechtlich bedenklicher Rechtsfolgen einer wortlaut­ getreuen Auslegung der Verjährungsvorschrift des § 51b BRAO“83 bezeichnet. In diesem Zusammenhang sei anzumerken, dass der BGH sowohl bei § 51 bzw. 51b BRAO a. F. als auch bei § 68 StBG a. F. (beides nachkonstitutionelle Geset­ ze) die Möglichkeit gehabt hätte, das BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG anzuru­ fen. Zu einer solchen Vorlage war der BGH sogar verpflichtet, wenn er die Nor­ men wirklich für verfassungsrechtlich untragbar gehalten hat. Dass er diese Vorschriften durch die Hintertür der Hinweispflicht faktisch außer Kraft ge­ setzt hat, ist aus rechtsstaatlicher Sicht nicht minder problematisch als diese Normen selbst, denn der BGH hat den Gewaltenteilungsgrundsatz missachtet und de facto eine rückwirkende Rechtsänderung vorgenommen.84 Diese Pro­ blematik soll hier allerdings nicht vertieft werden; wichtig ist nur der Befund, dass die Hinweispflicht nie eine selbstständige Rolle gespielt, sondern immer nur als Vehikel gedient hat, um eine längere Verjährung zu erreichen.85 Auch die Voraussetzungen der Sekundärhaftung können nun etwas klarer umrissen werden: Erforderlich ist eine kurze kenntnisunabhängige Verjährungsfrist, für die es eine sachliche Rechtfertigung fehlt, so dass die Frist im Hinblick auf die Interessen des Geschädigten geradezu unerträglich erscheint. Vor diesem Hin­ tergrund wird nun die Rechtsprechung zur Offenbarungspflicht der Organ­ mitglieder betrachtet.

80  BGHZ 83, 17, 26; siehe auch BGHZ 94, 380, 385 und BGH, Urt. v. 20.5.1975 – VI ZR 138/74, NJW 1975, 1655, 1656. 81  Venrooy, DB 1981, 2364, 2368. 82  BGHZ 162, 306, 313; vgl. auch BGHZ 182, 323, 331 für Wirtschaftsprüfer: Die kennt­ nisunabhängige Verjährung „beruht auf der Entscheidung des Gesetzgebers und ist hin­ zunehmen“. 83  BGH, Urt. v. 29.11.2001 – IX ZR 278/00, NJW 2002, 1117, 1120. 84  Dazu etwa Marmor, Law and Philosophy 23 (2004), 1, 22 ff. 85 So Reinelt/​Pasker, BauR 2010, 983, 986, die die Hinweispflicht auch als „künstliches Selbstbelastungskonstrukt“ bezeichnen.

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Kapitel 5: Offenbarung eigenen Fehlverhaltens

2.  Offenbarungspflicht der Organmitglieder a)  Offenbarungspflicht im Allgemeinen Auch im Recht der Kapitalgesellschaften haben Rechtsprechung und Literatur über die Sekundärhaftung nachgedacht. Ihre Grundvoraussetzung, nämlich eine kurze kenntnisunabhängige Verjährungsfrist, ist erfüllt: Die Ansprüche gegen Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder einer AG verjähren nach § 93 Abs. 6, § 116 AktG in fünf Jahren, das Gleiche gilt für die Ansprüche gegen Ge­ schäftsführer einer GmbH nach § 43 Abs. 4 GmbHG. Nach ganz herrschender Meinung richtet sich der Beginn der Verjährung nicht nach der allgemeinen Vorschrift des § 199 Abs. 1 BGB, sondern nach § 200 S. 1 BGB. Auf die subjek­ tive Kenntnis des Gläubigers kommt es daher nicht an; die Verjährung beginnt mit der Entstehung des Anspruchs, d. h. mit dem Eintritt des Schadens dem Grunde nach.86 Bei börsennotierten Aktiengesellschaften und Kreditinstitu­ ten verjähren allerdings die Organhaftungsansprüche erst in zehn Jahren nach ihrer Entstehung (§ 93 Abs. 6 AktG, § 52a KWG). Angesichts dieser langen Ver­ jährungsfrist wäre die Sekundärhaftung der Organmitglieder in börsennotier­ ten Aktiengesellschaften und Kreditinstituten von vornherein problematisch. Bei sonstigen Kapitalgesellschaften käme die Sekundärhaftung der Organmit­ glieder dagegen in Betracht. Dieses Ergebnis mutet merkwürdig an, stellt doch das Gesetz an Börsen-Player und Kreditinstitute in der Regel strengere Anfor­ derungen, zeigt aber erneut, dass die Sekundärhaftung im Grunde kein haf­ tungs-, sondern ein verjährungsrechtliches Instrument ist. Sachlich ließe sich diese Haftung mit der Sachwalter- bzw. Treuhänder­ stellung der Organmitglieder gegenüber der Gesellschaft rechtfertigen.87 Dies würde zumindest für die Mitglieder des geschäftsführenden Organs gelten. Als weiterer Rechtfertigungsgrund käme die Vertrauensbeziehung zwischen der Gesellschaft und ihren Organmitgliedern in Betracht.88 Dogmatisch könnte die Sekundärhaftung der Organmitglieder ähnlich konstruiert werden wie bei Freiberuflern: Die Gesellschaft bekäme wegen der Nichterfüllung der Offen­ barungspflicht einen sekundären Schadensersatzanspruch gegen den Pflichti­ gen, der eigenständig verjähren würde. Die Verjährung würde mit dem Eintritt des Schadens beginnen, d. h. mit der Verjährung des Schadensersatzanspruchs wegen des originären Fehlverhaltens.89 86  So

bereits RG, Urt. v. 11.12.1913 – II 505/13, RGZ 83, 354; BGH, Urt. v. 23.3.1987 – II ZR 190/86, BGHZ 100, 228, 231; aus dem Schrifttum Dauner-Lieb, in: Henssler/​Strohn, AktG, § 93 Rn. 54; Fleischer, in: Spindler/​ Stilz, AktG, § 93 Rn. 303a; ders., in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 331a; Koch, in: Hüffer/​Koch, AktG, § 93 Rn. 87; Spindler, in: MüKo AktG, § 93 Rn. 325 f.; Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 43 Rn. 280, 282. 87 Vgl. Altmeppen, ZIP 2019, 2117, 1256. 88  So die ältere Rechtsprechung, siehe die Nachw. im Kapitel 2, § 1, I. 1. (Fn. 11). 89  Ähnlich ist es bei der Haftung des Aufsichtsrats, der die Ansprüche der AG gegen den Vorstand verjähren lässt, dazu BGH, Urt. v. 18.9.2018 – II ZR 152/17, NZG 2018, 1301,



§ 2.  Rechtsvergleichende Bestandsaufnahme

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Aus dem Umstand, dass die fehlende Offenbarung eigenen Fehlverhaltens ein Unterlassen darstellt, ergäben sich keine Besonderheiten, denn auch bei pflichtwidrigen Unterlassungen beginnt die Verjährung der Organhaftungs­ ansprüche grundsätzlich mit dem Eintritt des Schadens.90 Umstritten sind le­ diglich die Situationen, in denen die Unterlassung eine gewisse Zeit dauert und während dieser Zeit unterschiedliche Teilschäden auslöst. Der BGH differen­ ziert insoweit zwischen einheitlichen Dauerhandlungen, bei denen die Verjäh­ rung erst nach dem Abschluss des Gesamteingriffs einsetzt, und mehreren, sich wiederholenden Einzeleingriffen, bei denen die Verjährung für jeden ein­ zelnen Schaden gesondert beginnt.91 Instanzgerichte und Teile des Schrifttums stehen auf dem Standpunkt, die Verjährung beginne erst nach dem Abschluss des gesamten „Unterlassungskomplexes“ bzw. erst ab dem Zeitpunkt, ab dem die gebotene Handlung nicht mehr nachgeholt werden könne.92 Neuerdings wird allerdings angenommen, dass jeder abgrenzbare Teilschaden eine eigen­ ständige Verjährungsfrist in Lauf setze, soweit die Nachholung der gebotenen Handlung keine Auswirkungen mehr auf diesen Schaden gehabt hätte.93 Dies ließe sich auch auf die Offenbarungspflicht übertragen, soweit ihre Verletzung zu solchen Teilschäden führt. Trotz dieser dogmatischen Möglichkeiten betrachtete der II. Zivilsenat des BGH die Sekundärhaftung der Organmitglieder von Anfang an sehr skeptisch. Im Urteil vom 14. Dezember 1970 zur Verjährung von Forderungen einer GmbH gegen ihre Liquidatoren hat er zwar offen gelassen, ob die Rechtspre­ chung des VI. Zivilsenats zur sekundären Anwaltshaftung „sich überhaupt auf Schadensersatzansprüche einer Gesellschaft gegen ihre Geschäftsführer oder Liquidatoren übertragen läßt“94. Zugleich machte der II. Senat aber deutlich, dass sich eine solche Haftung in das Gesellschaftsrecht schlecht einfügen ließe: Dadurch würde „die aus guten Gründen erlassene Verjährungsvorschrift des Rn. 19 ff. – Easy Software; Pendl, Die Verjährung, S. 176; Eichel, NJW 2019, 393, 394 f.; Fleischer, ZIP 2018, 2341, 2345. 90  Hölters, in: Hölters, AktG, § 93 Rn. 337; Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 93 Rn. 201; Spindler, in: MüKo AktG, § 93 Rn. 327. 91 Siehe BGH NZG 2018, 1301 Rn. 18 – Easy Software. 92  LG München, Urt. v. 10.12.2013  – 5 HKO 1387/10, ZIP  2014, 570, 578  – Siemens/​ Neubürger; LG Essen, Urt. v. 25.4.2012 – 41 O 45/10, NZG 2012, 1307, 1308 – Arcandor; Fleischer, in: Spindler/​Stilz, AktG, § 93 Rn. 303b; ders., AG 2014, 457, 462; Hölters, in: Höl­ ters, AktG, § 93 Rn. 337; Hopt, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 593; Mertens/​Cahn, in: Köln­ Komm AktG, § 93 Rn. 203; Sturm, Die Verjährung, S. 377; kritisch dazu Goj, ZIP 2019, 447, 451 ff. 93  Pendl, Die Verjährung, S. 174 ff.; Fleischer, ZIP 2018, 2341, 2345; Guntermann, NZG 2018, 851, 852 f.; Harbarth/​Höfer, NZG 2016, 686, 689; Jenne/​Miller, AG 2019, 112, 116; Löbbe/​Lüneborg, Der Konzern 2019, 53, 59; vgl. auch Bayer/​Scholz, NZG 2019, 201, 208; ähnlich, wenn auch mit einem anderen Konzept Goj, ZIP 2019, 447, 453 f. 94  BGH, Urt. v. 14.12.1970 – II ZR 161/68, BB 1971, 369; dazu Taupitz, Offenbarung ei­ genen Fehlverhaltens, S. 16 und Sturm, Die Verjährung, S. 428 f.

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Kapitel 5: Offenbarung eigenen Fehlverhaltens

Art. 43 Abs. 2 GmbHG […] aus den Angeln gehoben“; außerdem könnte dann „die Verjährung solcher Ansprüche entgegen der gesetzlichen Regel des § 198 BGB [wonach die Verjährungsfrist mit der Entstehung des Anspruchs zu lau­ fen begann – Verf.] nur selten […] vor der Beendigung des Geschäftsführungsund Liquidationsauftrags beginnen“.95 Bereits in dieser frühen Entscheidung lehnte der BGH die Sekundärhaf­ tung faktisch ab, weil er die Entscheidung des Gesetzgebers für eine kurze Verjährung als sachlich gerechtfertigt ansah. Ganz ähnlich argumentierte er Jahre später im Hinblick auf die Sekundärhaftung der Wirtschaftsprüfer und Wertpapierdienstleistungsunternehmen. Der Hinweis, dass die Verjährungs­ vorschrift des Art. 43 Abs. 2 GmbHG „aus guten Gründen“ erlassen wurde, sollte offenbar verdeutlichen, dass die verjährungsrechtliche Privilegierung einen Ausgleich für die besondere Situation der Organmitglieder darstellt. Der historische Gesetzgeber wollte nämlich, dass Organpersonen angesichts ihres umfassenden Aufgaben- und Entscheidungsbereichs sowie ihrer verschärf­ ten Verantwortlichkeit nicht lange in der Unsicherheit darüber bleiben, ob sie wegen ihrer Organtätigkeit verfolgt werden können. Dies gilt insbesondere nach dem Ausscheiden aus dem Amt.96 Es vergingen viele Jahre, bis die Rechtsprechung die Möglichkeit bekam, sich erneut mit der Sekundärhaftung der Organmitglieder zu beschäftigen. Diesmal war es das OLG Köln, das sich im Urteil vom 29. Juni 2000 von der Sekundärhaftung in der Einpersonen-GmbH distanzierte.97 Der Rechtsstreit betraf eine Abfindung, die der Alleingesellschafter und Geschäftsführer sei­ ner Mitgeschäftsführerin und Lebensgefährtin bei ihrem Ausscheiden aus der GmbH ausgezahlt hatte. Etwaige damit verbundene Schadensersatzansprüche gegen den beklagten Geschäftsführer waren verjährt, der klagende Konkurs­ verwalter meinte aber, der Beklagte dürfe sich darauf nicht berufen, weil er verpflichtet gewesen sei, geeignete Maßnahmen gegen die Verjährung zu er­ greifen. Das OLG Köln erteilte einer solchen „Selbstverfolgungspflicht“ eine klare Absage: „Die Anforderungen an die Sorgfaltspflichten eines ordentlichen Kaufmanns werden in rechtlich unzulässiger Weise überspannt, wollte man fordern, der Alleingeschäftsführer und Alleingesellschafter sei gehalten, zur Unterbrechung der Verjährung etwaiger gegen ihn gerichteter Gesellschafts­ ansprüche, deren Berechtigung er naturgemäß verneint, gegen sich selber ge­ richtliche Maßnahmen einzuleiten.“98 Im Hinblick auf die „klassische“ Hin­ weispflicht, also auf die Pflicht des Geschäftsführers, auf die Verjährung von 95 

BGH BB 1971, 369.

96 Dazu

Sturm, Die Verjährung, S. 61 f., dort auch zur Entstehungsgeschichte gesell­ schaftsrechtlicher Verjährungsvorschriften (S. 47 ff.); zur historischen Entwicklung im Ak­ tienrecht Fleischer, AG 2014, 457, 458 f. 97  OLG Köln, Urt. v. 29.6.2000 – 18 U 31/00, OLGR Köln 2001, 34 (mit Sachverhalt) = NZG 2000, 1137 (red. Leitsatz und Gründe). 98  OLG Köln, NZG 2000, 1137.



§ 2.  Rechtsvergleichende Bestandsaufnahme

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Regressansprüchen hinzuweisen, war sich das Gericht weniger sicher, meinte aber, sie würde bei der Einpersonengesellschaft ins Leere laufen. Im Urteil vom 21. Februar 200599 setzte sich der BGH mit einer Ansicht auseinander, die der Lehre von der Sekundärhaftung zumindest ähnlich ist. Diese Ansicht verneint zwar die Pflicht der Verwaltungsmitglieder zur An­ zeige des eigenen Fehlverhaltens und sieht in ihrem Schweigen deshalb keine eigenständige Pflichtverletzung.100 Sie rechnet jedoch das Schweigen der ori­ ginären Pflichtverletzung zu, jedenfalls dann, wenn sich die Heimlichkeit auf eine Handlung bezieht, gegen die das Verwaltungsmitglied bei einem ande­ ren hätte vorgehen müssen.101 Dadurch erreicht diese Ansicht ähnliche Ergeb­ nisse wie die Lehre von der Sekundärhaftung: Die Verjährungsfrist beginnt nicht mit dem Eintritt des Schadens infolge des Fehlverhaltens, sondern erst nach dem Ablauf des Verschweigens zu laufen, weil das Schweigen des Verwal­ tungsmitglieds „nicht zur Verbesserung seiner Haftungsgrundlage im Verhält­ nis zur Gesellschaft“ führen dürfe.102 Dieser Zurechnungslösung ist der BGH im Urteil vom 21. Februar 2005 nicht gefolgt. Im Rechtsstreit ging es um den Schadensersatzanspruch gegen den Geschäftsführer, der für die GmbH nutzlose Maschinen angemietet und den Gesellschaftern den Abschluss des Mietvertrags verheimlicht hatte. Der II. Senat urteilte, dass der Schadensersatzanspruch verjährt sei, weil die Ver­ jährung bereits im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zu laufen beginne und nicht erst mit der Beendigung des Verheimlichens. Das Gesetz wolle die Gel­ tendmachung eines Schadensersatzanspruchs nach Ablauf von fünf Jahren ab­ schneiden; dieser Zweck würde verfehlt, wenn ein Verheimlichen der schädi­ genden Handlung der pflichtwidrigen Handlung selbst zugerechnet und die Verjährung erst mit dem Ende des Verschweigens beginnen würde. Es käme dann im Ergebnis entgegen dem Gesetzeswortlaut für das Entstehen des An­ spruchs doch auf die Kenntnis der Gesellschaft oder der Gesellschafter an. Das Vorgehen des Beklagten verstoße auch nicht in dem Maß gegen Treu und Glau­ ben, dass ihm die Erhebung der Verjährungseinrede unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung versagt wäre.103 Die meisten Literaturstimmen lehnen die Zurechnungslösung ebenfalls ab.104 Sie weisen darauf hin, dass Verwaltungsmitglieder stets gegen Dritte ein­ 99  BGH, Urt. v. 21.2.2005 – II ZR 112/03, DStR 2005, 659. 100  Mertens, in: KölnKomm AktG, 2. Aufl., § 90 Rn. 22,

§ 93 Rn. 129 und 162; ders., in: Hachenburg, GmbHG, § 43 Rn. 96; so auch Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 90 Rn. 28, § 93 Rn. 166 und 201. 101  Mertens, in: KölnKomm AktG, 2.  Aufl., §  93 Rn. 162; ders., in: Hachenburg, GmbHG, § 43 Rn. 96; Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 93 Rn. 166. 102  Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 93 Rn. 166; siehe ferner Mertens, FS Fleck S. 209, 215. 103  BGH DStR 2005, 659; zustimmend Dollmann, GmbHR 2005, 529. 104 Vgl. Fleischer, in: Spindler/​ Stilz, AktG, § 93 AktG Rn. 303e; ders., in: MüKo

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Kapitel 5: Offenbarung eigenen Fehlverhaltens

schreiten müssten, deren Verhalten die Gesellschaft schädige. Würde man also bei einem Verwaltungsmitglied, das die eigene Pflichtverletzung verschwei­ ge, das Verschweigen immer dann dieser Pflichtverletzung zurechnen, wenn das Organmitglied gegen einen Dritten wegen einer solchen Pflichtverletzung hätte vorgehen müssen, so wäre die Zurechnung stets angebracht und es könn­ te nie zum Ablauf der Verjährungsfrist kommen. Dies wäre wiederum mit dem Gesetz unvereinbar, das die Geltendmachung von Ansprüchen gegen Verwal­ tungsmitglieder zeitlich begrenze und insoweit nicht einmal die Kenntnis vom Bestehen des Anspruchs verlange.105 Eine weitere Schwäche der Zurechnungs­ lösung wird darin gesehen, dass sie zwei Pflichten mit jeweils unterschiedli­ chem Unrechtsgehalt miteinander vermische, nämlich die Pflicht zum recht­ mäßigen Verhalten und die Pflicht zum anschließenden Einschreiten gegen sich selbst im Wege der Offenbarung des eigenen Fehlverhaltens.106 Im Urteil vom 29. September 2008 sprach sich der BGH nun ausdrücklich gegen die Sekundärhaftung der Organmitglieder aus.107 In casu forderte der In­ solvenzverwalter einer GmbH von ihrem Gesellschafter-Geschäftsführer und einer weiteren Gesellschafterin die Zahlungen zurück, welche die GmbH vor der Insolvenz auf das Bankkonto der Beklagten geleistet hatte. Die Beklagten beriefen sich auf Verjährung. Auf die Revision des beklagten Geschäftsführers hin entschied der BGH, dass eventuelle Ansprüche gegen ihn aus § 43 Abs. 2, 3 GmbH verjährt seien.108 Insoweit stützte sich der BGH auf sein Urteil vom 21. Februar 2005: Die Verjährungsfrist beginne mit der Entstehung des An­ spruchs unabhängig von der Kenntnis der Gesellschafter oder der Gesellschaft von den anspruchsbegründenden Tatsachen, selbst wenn der Geschäftsführer diese verheimliche. Ebenso wenig entstehe dadurch, dass der Geschäftsführer gegen ihn gerichtete Schadensersatzansprüche aus § 43 Abs. 2 GmbHG verjäh­ ren lasse, erneut ein Schadensersatzanspruch.109 An dieser Stelle verwies der GmbHG, § 43 Rn. 331e; Hölters, in: Hölters, AktG, § 93 Rn. 339; Spindler, in: MüKo AktG, § 93 Rn. 327; Sturm, Die Verjährung, S. 417; Taupitz, Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, S. 22, 26 f.; Harbarth/​Jaspers, NZG 2011, 368, 369 f. 105  Hopt, in: Großkomm AktG, 4. Aufl., § 93 Rn. 439; Hölters, in: Hölters, AktG, § 93 Rn. 339; Paefgen, in: Ulmer/​Habersack/​Löbbe, GmbHG, § 43 Rn. 159; Spindler, in: MüKo AktG, § 93 Rn. 327. 106  Taupitz, Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, S. 26 f.; siehe auch Sturm, Die Verjäh­ rung, S. 417. 107  BGH, Urt. v. 29.9.2008  – II ZR 234/07, NJW 2009, 68; zustimmend Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 331f; Gätsch/​Eckhold, GmbHR 2008, 1322 f.; Haertlein, LMK 2009, 275; Paefgen, DZWiR 2009, 177, 179 f.; Schulz, DZWiR 2009, 191, 192. 108 Eine mit § 43 Abs. 3 GmbHG konkurrierende, der Regelverjährung unterliegen­ de Haftung des Beklagten als Gesellschafter-Geschäftsführer wegen Verletzung der ge­ sellschafterlichen Treuepflicht lehnte der BGH in Anbetracht des einvernehmlichen Han­ delns der Beklagten als alleinigen Gesellschaftern der GmbH ab. Verneint wurden auch eine Treuepflichtverletzung gegenüber der Gesellschaft und die Voraussetzungen einer Exis­ tenzvernichtungshaftung. 109  BGH NJW 2009, 68 Rn. 16; bestätigt in BGH NZG 2018, 1301 Rn. 35 – Easy Software.



§ 2.  Rechtsvergleichende Bestandsaufnahme

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BGH auf das Urteil des OLG Köln zur Selbstverfolgungspflicht. Er ging aber in zweierlei Hinsicht weiter als das OLG, weil er zum einen seine Aussage nicht

auf die Einpersonengesellschaft beschränkte, zum anderen nicht nur die Selbst­ verfolgungs-, sondern auch die Hinweispflicht des Geschäftsführers verneinte: „Da die Verjährungsfrist des § 43 Abs. 4 GmbH selbst bei Verheimlichen der schädigenden Handlung nicht erst mit dem Ende des Verschweigens beginne, könne durch Unterlassung entsprechender Hinweise gegenüber anderen Or­ ganpersonen oder dem Insolvenzverwalter der Gesellschaft erst recht nicht eine erneute Verjährungsfrist in Lauf gesetzt werden. Die dem Berufungsgericht of­ fenbar vorschwebenden Grundsätze der Sekundärverjährung bei der Anwaltsund Steuerberaterhaftung finden hier keine Anwendung.“110 Mit dem Urteil vom 29. September 2008 hat der II. Senat also die Sekun­ därhaftung, die er schon 1970 kritisch beurteilte, endgültig abgelehnt. Ver­ worfen wurden auch die verwandten Rechtsfiguren wie die Selbstverfolgungs­ pflicht und die Zurechnung des Schweigens zur originären Pflichtwidrigkeit. Der Hintergrund dürfte die Überzeugung sein, dass die kurze Verjährung der Organhaftungsansprüche sachlich gerechtfertigt ist und somit für die Korrek­ tur der gesetzgeberischen Entscheidung kein Bedürfnis besteht. Die Grund­ sätze der Entscheidung vom 29. September 2008 hat der BGH zuletzt auf die Haftung der Vorstandsmitglieder einer AG übertragen: Verschweige das Vor­ standsmitglied eine eigene Pflichtverletzung und lasse die daraus resultierenden Ansprüche verjähren, begründe dies keine neue, zusätzliche Schadensersatz­ verpflichtung des Vorstands, die einer neuen, später beginnenden Verjährung unterliegen würde.111 Im Schrifttum wird die Offenbarungspflicht der Organmitglieder kontro­ vers beurteilt. Einzelne Stimmen sprechen sich für die Sekundärhaftung aus, etwa Herbert Wiedermann: „Was die Rechtsprechung […] von jedem Rechts­ anwalt verlangt, […] das muß von einem Geschäftsführer ebenfalls erwartet werden.“112 Dieses Gleichstellungsargument hat allerdings mit dem Wegfall der anwaltlichen Sekundärhaftung seine Überzeugungskraft verloren. Heute wird die Offenbarungspflicht der Organmitglieder meist darauf gestützt, dass sie fremde (Vermögens-)Interessen wahrnehmen. So verweist Holger Altmeppen auf die Pflicht zur Fürsorge und Rechenschaft aus § 666 BGB und zieht eine Parallele zum Vormund, der die Ansprüche des Mündels gegen ihn selbst rechtzeitig durchsetzen müsse: Eine Pflicht, die bereits dem klassischen Rö­ mischen Recht bekannt gewesen sei.113 Auch Klaus Hopt bejaht die Offen­ 110  111 

BGH NJW 2009, 68 Rn. 18; anders Hopt, ZGR 2004, 1, 27 f. BGH NZG 2018, 1301, Rn. 35 – Easy Software.

112 So

Wiedermann, FS Heinsius, S. 949, 954; für die Offenbarungspflicht ferner Galetke, WiB 1997, 398, 399 mit Fn. 31, allerdings ohne nähere Begründung und mit einem un­ zutreffenden Verweis auf Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 43 Rn. 204. 113 Vgl. Altmeppen, ZIP 2019, 2117, 1256, 1259.

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Kapitel 5: Offenbarung eigenen Fehlverhaltens

barungspflicht der „organschaftlichen Interessenwahrer“, insbesondere der Vorstandsmitglieder, „um dem Aufsichtsrat bzw. den Aktionären zu ermög­ lichen, die Herausgabe- oder Schadensersatzansprüche der Gesellschaft  – man denke an Wettbewerbsverstöße, Schmiergeldempfang oder gesellschafts­ schädliches Verhalten – geltend machen zu können“.114 Ähnlich argumentiert Hans Jörg Gäntgen in seiner der Offenbarungspflicht gewidmeten Disserta­ tion. Er bejaht die Offenbarungspflicht bei allen fremdnützigen Verträgen, weil er meint, durch die Übernahme eines bestimmten Aufgabenkreises über­ nehme der Schuldner zugleich das Risiko aller Schäden, die in diesem Kreis auftreten könnten. Außerdem wecke er ein bestimmtes Vertrauen in seinem Vertragspartner, der aus diesem Grund vor der eigenen Schadensprävention absehe.115 Der größte Teil der Literatur verneint jedoch die Verpflichtung der Or­ ganmitglieder, eigene Pflichtverstöße aufzudecken oder sich selbst zu bezich­ tigen.116 Dementsprechend sei das Schweigen des pflichtvergessenen Organ­ mitglieds keine neue Pflichtverletzung, die eine neue Verjährung beginnen lasse.117 Eine Sekundärhaftung wie im Anwaltsrecht sei abzulehnen, erst recht vor dem Hintergrund der Reform des Verjährungsrechts.118 Genauso wie in der Rechtsprechung lautet das Hauptargument gegen die Offenbarungs­ pflicht, dass sie während des Bestehens des Organverhältnisses permanent zu erfüllen wäre und auf diese Weise die vom Gesetz vorgesehene Verjährung aus den Angeln heben würde.119 Zusätzlich wird argumentiert, dass das Fehl­ verhalten des Organmitglieds keine höchstpersönlichen Rechtsgüter, sondern lediglich Vermögensinteressen der Gesellschaft verletze; die Gesellschaft sei auch nicht aus sonstigen Gründen besonders schutzbedürftig. Vor diesem Hintergrund sei eine Pflicht zur Selbstbeschuldigung, die das Organmitglied sehr stark belasten würde, abzulehnen.120 Im Einklang mit diesem Gedanken bemerkt Matthias Pendl: „Die Pflicht, jeden denkbaren Verstoß auf dem Sil­ 114  Hopt, ZGR 2004, 1, 27 f.; diesen Gedanken wiederaufgreifend Hopt/​Roth, in: Groß­ komm AktG, § 93 Rn. 275. 115  Gäntgen, Die Pflicht zum Hinweis auf eigene und fremde Fehler, S. 59 ff., 64. 116 Siehe Fleischer, in: Spindler/​ Stilz, AktG, § 84 Rn. 82a, § 93 Rn. 130a; ders., WM 2003, 1045, 1051; ders., AG 2014, 457, 461; ders., in: Fleischer, Handbuch des Vorstands­ rechts § 9 Rn. 16; Hölters, in: Hölters, AktG, § 93 Rn. 339; Kleindiek, in: Lutter/​Hommel­ hoff, GmbHG, § 43 Rn. 58, 67; Koch, in: Hüffer/​Koch, AktG, § 93 Rn. 7; Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 90 Rn. 28, § 93 Rn. 166 und 201; Paefgen, in: Ulmer/​Habersack/​Löbbe, GmbHG, § 43 Rn. 159; U. Schmidt, in: NK‑AktR, § 93 AktG Rn. 182; Spindler, in: MüKo AktG, § 93 Rn. 327; Zöllner/​Noack, in: Baumbach/​Hueck, GmbHG, § 43 Rn. 59; Sturm, Die Verjährung, S. 440 ff.; Grunewald, NZG 2013, 841, 843 ff.; Paefgen, DZWiR 2009, 177, 180; für Rechtsanwälte Schwarz, Anzeige eigener Fehler, S. 276 f. 117 Vgl. Hölters, in: Hölters, AktG, § 93 Rn. 339; Spindler, in: MüKo AktG, § 93 Rn. 327. 118  Spindler, in: MüKo AktG, § 93 Rn. 327. 119  Siehe etwa Fleischer, ZIP 2018, 2341, 2349; Grunewald, NZG 2013, 841, 845; Harbarth/​Jaspers, NZG 2011, 368, 370. 120  Grunewald, NZG 2013, 841, 845.



§ 2.  Rechtsvergleichende Bestandsaufnahme

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bertablett zu servieren, überspannt im Allgemeinen wie im Besonderen das Zumutbare.“121 Trotz der generellen Selbstbezichtigungsfreiheit ist es nach herrschender Meinung verboten, die begangene Pflichtverletzung aktiv zu verschleiern, also durch bewusste Manipulationen zu verdecken. Die dogmatische Behandlung des Verschleierns ist umstritten: Einige halten Manipulationen zur Verdeckung des Fehlverhaltens aufgrund ihres zusätzlichen Unrechtsgehalts für eine eigen­ ständige Pflichtverletzung, die eine neue Verjährungsfrist in Lauf setze122 , an­ dere wollen dem Organmitglied je nach Einzelfallkonstellation die Berufung auf die Verjährung wegen Arglist versagen (§ 242 BGB).123 Die letzte Auffassung hat den Vorteil, dass sie nicht die schwierige Unterscheidung zwischen bloßem Verschweigen und bewusst manipulativem Handeln vornehmen muss.124 Eine weitere Schranke der Selbstbezichtigungsfreiheit wird zum Teil aus der Berichtspflicht der Organmitglieder abgeleitet. So dürfe das Vorstandsmit­ glied einer AG über die Umstände nicht schweigen, über die es nach allgemei­ nen Grundsätzen seinen Vorstandskollegen oder dem Aufsichtsrat zu berichten hätte. Dies gelte auch für die Umstände, die Rückschlüsse auf sein eigenes Fehl­ verhalten erlaubten, vor allem wenn das Einschreiten der Organe erforderlich sei, um weiteren Schaden von der Gesellschaft abzuwenden. Verschweige das Vorstandsmitglied solche Informationen, begehe es eine selbstständige Pflicht­ verletzung.125 Als Beispiel werden Fehlspekulationen eines Vorstandsmitglieds genannt, die zu einem Liquiditätsengpass führen: Über den Liquiditätsengpass müsse der Betroffene berichten, auch auf die Gefahr hin, dass sein eigenes Fehl­ verhalten aufgedeckt werde.126 Er müsse indes nicht darauf hinweisen, dass er möglicherweise eine Pflichtverletzung begangen habe; diese rechtliche Bewer­ tung obliege dem Kontrollorgan. Zu berichten sei lediglich über die Tatsachen, die für eine solche Bewertung benötigt werden.127 121 

Pendl, Die Verjährung, S. 238 f. Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 93 Rn. 201; U. Schmidt, in: NK‑AktR, § 93 AktG Rn. 182; Sturm, Die Verjährung, S. 415 f.; abschwächend Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 589 („in der Regel“) sowie Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 43 Rn. 282 und Ziemons, in: Michalski, GmbHG, § 43 Rn. 532. 123  Hölters, in: Hölters, AktG, § 93 Rn. 340; Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 589 (ausführlicher Hopt in der 4. Auflage, § 93 Rn. 440); Fleischer, in: Spindler/​Stilz, AktG, § 93 AktG Rn. 303e; ders., in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 331e; Mertens, in: Ha­ chenburg, GmbHG, § 43 Rn. 96; Paefgen, in: Ulmer/​ Habersack/​ Löbbe, GmbHG, § 43 Rn. 159; vgl. ferner BGH Urt. v. 14.11.1994 – II ZR 160/93, NJW 1995, 1353, 1358 und BGH DStR 2005, 659. 124  Zu diesem Problem Harbarth/​Jaspers, NZG 2011, 368, 370. 125  Hölters, in: Hölters, AktG, § 93 Rn. 339; Hopt, in: Großkomm AktG, 4. Aufl., § 93 Rn. 439; Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 93 Rn. 166; Sturm, Die Verjährung, S. 449. 126  Hopt, in: Großkomm AktG, 4. Aufl., § 93 Rn. 439. 127  Krieger/​Sailer-Coceani, in: K. Schmidt/​ Lutter, AktG, § 90 Rn. 54; Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 90 Rn. 28; Sturm, Die Verjährung, S. 450 f. 122 

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Kapitel 5: Offenbarung eigenen Fehlverhaltens

b)  Offenbarungspflicht bei Abfindungsverhandlungen Führen die Gesellschaft und das Organmitglied Vertrags-, insbesondere Auf­ hebungsverhandlungen, so stellt sich ebenfalls die Frage, ob das Organmit­ glied verpflichtet ist, die Gesellschaft über seine früheren Verfehlungen auf­ zuklären. Die Position des II. Senats in dieser Frage ist ambivalent. In einer älteren Entscheidung vom 17. März 1954, die allerdings nicht Abfindungs-, sondern Anstellungsverhandlungen betraf, hat er eine entsprechende Aufklä­ rungspflicht verneint.128 Der unveröffentlichte Sachverhalt dieser Entschei­ dung lässt sich anhand deren Gründe in etwa rekonstruieren: Der Kläger hatte wohl 1938 das Vorstandsamt in einer der Aufsicht des Auswärtigen Amtes un­ terliegenden Gesellschaft angenommen, ohne seine Homosexualität offenbart zu haben. Als die Gesellschaft von der Homosexualität des Klägers aus der Zeit vor dem Vertragsschluss erfuhr, kündigte sie das Anstellungsverhältnis fristlos aus wichtigem Grund. Der Kläger war damit nicht einverstanden und forderte von der Gesellschaft die Zahlung von Rühegehaltsbezügen. Der BGH hielt die Kündigung zwar für wirksam, weil er annahm, das Ver­ halten des Klägers sei geeignet gewesen, den Ruf der Beklagten zu schädigen.129 Auf der anderen Seite verneinte der Gerichtshof die Pflicht des Klägers, sein se­ xuelles Vorleben bei der Anstellung zu offenbaren. Er wandte dabei seine „gol­ dene Regel“130 an, wobei er betonte, die Aufklärungspflicht setze voraus, dass der Vertragsgegner die Mitteilung der betreffenden Tatsachen nach der Ver­ kehrsauffassung erwarten dürfe. Dies sei nicht der Fall, wenn es um strafrecht­ liche Verfehlungen gehe, die zu dem vertraglich übernommenen Pflichtenkreis in keinem unmittelbaren Zusammenhang stünden. „Die Verkehrsauffassung erfordert nicht allgemein die Offenbarung jeder Tatsache, die dem Vertrags­ gegner zur Erhebung von Ansprüchen gegen den Wissenden oder zur Ab­ wehr von Ansprüchen des Wissenden als Grundlage dienen kann, auch wenn eine solche Offenherzigkeit sittlichen Anforderungen entsprechen mag. Dies würde im Endergebnis darauf hinauslaufen, es demjenigen, der einen Fehltritt begangen hat, zu erschweren oder unmöglich zu machen, eine seinen Fähigkei­ ten entsprechende Arbeitsstellung beizubehalten oder wiederzuerlangen“131. Im Ergebnis verurteilte der BGH die Gesellschaft, dem Kläger aus Billigkeits­ gründen die Hälfte der geforderten Ruhegehaltsbezüge zu zahlen. 128 Siehe

BGH, Urt. v. 17.3.1954 – II ZR 248/53, LM Nr. 1 zu § 276 (Fb) BGB (Leitsatz und Gründe) = BB 1954, 360 (stark abgekürzt). 129  Insoweit ist zu bedenken, dass homosexuelle Handlungen sowohl im Dritten Reich als auch nach dem Krieg unter Strafe standen. Das strafrechtliche Verbot wurde erst ab dem Ende der 60er Jahre allmählich gelockert und schließlich 1994 ganz aufgehoben. Homo­ sexualität galt auch außerhalb des Strafrechts als Verstoß gegen das „Sittengesetz“, vgl. dazu BVerfGE 6, 389, 434 ff. 130  Dazu Kapitel 4, § 2, II. 2. 131  BGH LM Nr. 1 zu § 276 (Fb) BGB.



§ 2.  Rechtsvergleichende Bestandsaufnahme

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Dementsprechend konzentrierte sich die nachfolgende Rechtsprechung auf den Zusammenhang zwischen dem Fehlverhalten des Organmitglieds und dem abzuschließenden Vertrag. Die erste Stellungnahme kam vom OLG Düs­ seldorf, das im Urteil vom 25. November 1999 die Offenbarungspflicht eines GmbH‑Geschäftsführers bei Abfindungsverhandlungen abgelehnt hat.132 Die klagende GmbH&Co.KG vertrieb seinerzeit die Produkte eines US‑Kosme­ tikkonzerns in Deutschland. Der beklagte Geschäftsführer der Komplemen­ tär-GmbH leitete auch die Geschäfte der KG. In dieser Funktion veranlass­ te er die KG, ihre Kosmetikprodukte zu sehr günstigen Konditionen an die L. GmbH zu liefern. Bei dieser handelte es sich um einen sog. „Graumarkt­ anbieter“, der außerhalb der üblichen Vertriebssysteme und Bezugsbindun­ gen von Fall zu Fall Waren erwarb und absetzte. Die L. GmbH veräußerte die Kosmetikartikel mit Gewinn an eine große Drogeriemarktkette. 1993 schied der Beklagte aufgrund eines Aufhebungsvertrages als Geschäftsführer aus und bekam eine hohe Abfindung. Der neue Geschäftsführer ließ die Geschäfte sei­ nes Vorgängers mit der L. GmbH untersuchen. Dabei kam heraus, dass die KG die L. GmbH faktisch kostenlos beliefert hatte. Die anschließenden strafrecht­ lichen Ermittlungen deckten auf, dass die L. GmbH einen Teil ihrer Erträge dem Beklagten zukommen ließ. Daraufhin focht die KG den Aufhebungsver­ trag an und forderte die gezahlte Abfindung zurück. Das OLG Düsseldorf hielt den Aufhebungsvertrag für wirksam und wies die Klage ab. Der Beklagte habe die Klägerin beim Vertragsabschluss nicht arglistig getäuscht, weil er nicht verpflichtet gewesen sei, sie über sein Fehl­ verhalten und den dadurch verursachten Schaden aufzuklären. Insoweit berief sich das OLG auf das BGH‑Urteil vom 17. März 1954 und führte aus: „Die Of­ fenbarungspflicht findet […] jedenfalls dann ihre Grenze in der Selbstbezich­ tigung, wenn es sich um die Aufdeckung von strafrechtlichen Verfehlungen handelt, die mit dem Gegenstand des Vertrages in keinem unmittelbaren Zu­ sammenhang stehen.“133 Einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Fehlverhalten des Beklagten und dem Gegenstand des Aufhebungsvertrags verneinte das OLG: Vertragsgegenstand sei die Beendigung des Anstellungs­ verhältnisses des Beklagten gewesen; die ihm gewährte Abfindung sollte weder seine bisherigen Leistungen noch seine Zuverlässigkeit würdigen, sondern ihn für die Zukunft finanziell entschädigen und den Verlust des Arbeitsplat­ zes ausgleichen. Zwar könne es der Gesellschaft daran gelegen sein zu wissen, ob sie sich vom Beklagten im Wege einer fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund oder nur durch eine hochdotierte Aufhebungsvereinbarung trennen könne. Ebenso wenig wie der Beklagte verpflichtet gewesen wäre, ihr in einem fortdauernden Anstellungsverhältnis von sich aus Kündigungsgründe zu of­ 132  133 

OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.11.1999 – 6 U 146/98, GmbHR 2000, 666. OLG Düsseldorf, GmbHR 2000, 666, 668.

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Kapitel 5: Offenbarung eigenen Fehlverhaltens

fenbaren, sei er indes gehalten gewesen, ihr in dieser Situation Wege zur kos­ tengünstigen Beendigung des Anstellungsvertrages aufzuzeigen.134 In eine andere Richtung weist allerdings ein Urteil des BGH, das zwei Jahre früher, am 8. Dezember 1997, ergangen ist.135 In der Sache ging es um eine Abfindungsvereinbarung, mit der eine GmbH auf alle Ansprüche gegen ihren Geschäftsführer verzichtet hatte. Als die GmbH später erfuhr, dass der Ge­ schäftsführer sich unzulässige Gehaltserhöhungen und Sonderzuwendungen genehmigt hatte, focht sie die Vereinbarung wegen des arglistigen Verschwei­ gens dieser Zahlungen an. Die Vorinstanzen hielten die Klage für unbegründet; der II. BGH‑Senat verwies die Sache an das Berufungsgericht zurück. Dabei behandelte er die Offenbarungspflicht nur sehr knapp, machte aber deutlich, dass er eine solche Pflicht keineswegs ausschließe. Es gehe, so der Senat, nicht alleine darum, ob der Beklagte zu einer „Selbstbezichtigung“ verpflichtet sei, denn er habe sich „auf eine Abfindungsvereinbarung mit einer beträchtlichen Abfindung eingelassen“136 . Gegen eine Aufklärungspflicht spreche weder der Umstand, dass die Parteien bei ihren Verhandlungen gegensätzliche Interessen verfolgt hätten, noch die Frage, ob sich die Klägerin die erforderlichen Infor­ mationen anderweitig hätte beschaffen können.137 Auf den Zusammenhang zwischen dem Fehlverhalten des Geschäftsfüh­ rers und der Abfindungsvereinbarung ging der BGH in diesem Urteil nicht ein. Er nannte auch keine besonderen Umstände, die eine Aufklärung trotz widerstreitender Interessen der Verhandlungspartner nahe gelegt hätten. Inso­ fern unterscheidet sich das Urteil von der Entscheidung des VIII. Senats, auf die es Bezug nimmt und die besondere Situationen bei Kaufvertragsverhand­ lungen ausführlich beschreibt: Eine Situation, die Aufklärungspflichten aus­ löst, „kann dann vorliegen, wenn sich die Vertragsverhandlungen über einen längeren Zeitraum hinweg ziehen, ein gewisses Vertrauensverhältnis zwischen den Vertragspartnern entstanden ist und seitens des Verkäufers im Rahmen dieser Verhandlungen Angaben gemacht werden, die für die Kaufentscheidung erkennbar von wesentlicher Bedeutung sind, deren tatsächliche Grundlagen aber noch vor Vertragsschluß entfallen und die sich damit als unrichtig heraus­ stellen.“138 Von solchen besonderen Umständen nennt der II. Senat nur einen, nämlich die „beträchtliche Abfindung“, so dass der Eindruck entsteht, diese sei der einzige Grund gewesen, eine Aufklärungspflicht des Geschäftsführers in Betracht zu ziehen. Im Urteil vom 20. Juni 2005 hat der II. Senat schließlich eine Aufklärungs­ pflicht des GmbH‑Geschäftsführers bei Abfindungsverhandlungen aus­ 134 

OLG Düsseldorf, GmbHR 2000, 666, 668. BGH, Urt. v. 8.12.1997 – II ZR 236/96, NJW 1998, 1315, 1316. 136  BGH NJW 1998, 1315, 1316. 137  BGH NJW 1998, 1315, 1316. 138  BGH NJW 1983, 2493, 2494. 135 



§ 2.  Rechtsvergleichende Bestandsaufnahme

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drücklich bejaht.139 Der beklagte Geschäftsführer, der im Streit aus einer GmbH&Co.KG ausschied, schloss mit der Gesellschaft einen Vergleich ab. Darin verpflichtete sich die KG, dem Beklagten ratenweise 2,97 Mio. DM als Geschäftsführerabfindung zu zahlen, und unterwarf sich wegen dieser Ver­ pflichtung der Zwangsvollstreckung. Während der laufenden Vergleichsver­ handlungen „verkaufte“ der Beklagte eine Vertragsurkunde, die für die KG sehr wichtig war, an eine Konkurrenzfirma. Nachdem er aufgrund des Ver­ gleichs von der KG insgesamt 1,47 Mio. DM erhalten hatte, erlaubte er dem Konkurrenzunternehmen, von der Vertragsurkunde Gebrach zu machen. Da­ raufhin machte dieses Unternehmen, basierend auf der Urkunde, vor Gericht zahlreiche Ansprüche gegen den verbliebenen Geschäftsführer der KG gel­ tend. Die Rechtsstreitigkeiten konnten für die KG zu einem erheblichen wirt­ schaftlichen Schaden führen. Sie focht die Abfindungsvereinbarung mit dem Beklagten wegen arglistiger Täuschung an. Die Vorinstanzen haben eine Täuschung durch Unterlassen verneint: Der Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, der KG sein Fehlverhalten während der Vergleichsverhandlungen offenzulegen. Insbesondere das OLG Hamm als Berufungsinstanz hat sich um eine Abgrenzung zum BGH‑Urteil vom 8. De­ zember 1997 bemüht: Anders als dort gebe es keinen Zusammenhang zwischen Fehlverhalten und Vertragsverhandlungen. Mit dem Vergleichsvertrag habe die Gesellschaft den Beklagten lediglich zum freiwilligen Ausscheiden bewegt und nicht auf ihre Schadensersatzansprüche gegen ihn verzichtet. Diese seien erst entstanden, nachdem er ausgeschieden sei und seinen Plan in die Tat umge­ setzt habe. Der Plan als solcher sei nicht offenbarungspflichtig gewesen, denn niemand sei verpflichtet, seine unlauteren Absichten dem Gegner zu offen­ baren, damit dieser die Möglichkeit bekomme, von einem Geschäft mit jeman­ dem, der solche Absichten habe, Abstand zu nehmen.140 Der II. BGH‑Senat ist dieser Argumentation nicht gefolgt und hat das Schweigen des Beklagten über seine Schädigungsabsicht als arglistige Täu­ schung gewertet. Diese sei für den Abschluss des Abfindungsvergleichs auch kausal geworden, denn hätte die KG vor dem Abschluss des Vergleichs erfah­ ren, dass der Beklagte die Urkunde an die Konkurrenz weitergegeben habe, hätte sie den Anstellungsvertrag wegen dieses Fehlverhaltens fristlos kündigen können. Dies sei auch dem Beklagten bewusst gewesen, sonst hätte er nicht darauf bestanden, dass die Urkunde erst nach seiner Zustimmung verwendet werden dürfe.141 Zum notwendigen Zusammenhang zwischen dem Fehlver­ halten und den Vergleichsverhandlungen führt der Senat aus: „Tatsächlich hat der Beklagte nach seinem eigenen Vortrag gegen diese Geheimhaltungspflicht verstoßen und die Urkunde an den Geschäftsführer der [Konkurrenzfirma] 139  140 

BGH, Urt. v. 20.6.2005 – II ZR 232/04, NZG 2005, 809. OLG Hamm, Urt. v. 7.10.2004 – 27 U 72/03, NZG 2005, 211, 212 f. 141  BGH NZG 2005, 809, 811.

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‚verkauft‘, und zwar im zeitlichen Zusammenhang mit den Verhandlungen über sein Ausscheiden aus den Gesellschaften und der Beendigung seines Ge­ schäftsführeranstellungsvertrags.“142 Als Einzelfallentscheidung ist das Urteil gewiss nachvollziehbar. Zum einen hat der Beklagte einen gravierenden Loyalitätsbruch begangen, zum anderen war es lange nicht klar, ob die KG wegen der vom Konkurrenzunternehmen angestrengten Prozesse einen Schaden erleiden wird. Nichtsdestotrotz musste die KG aufgrund des Vergleichsvertrags weiterhin fällige Abfindungsraten an den möglichen Schädiger zahlen bzw. sich um eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung bemühen. Während sich das OLG Hamm davon unbeeindruckt zeigt143, betont der BGH, dass die Lage der klagenden Gesellschaft deutlich günstiger wäre, wenn sie den Vergleich nicht geschlossen hätte.144 Es dürfte dem Rechtsempfinden des BGH widersprochen haben, den schweren Treuebruch „unbestraft“ zu lassen und dem Beklagten zu erlauben, weiterhin Abfindungsbeträge einzufordern, obwohl er die Gesell­ schaft womöglich schwer geschädigt hat. In dogmatischer Hinsicht ist die Entscheidung des II. Senats jedoch sehr problematisch.145 Erstens steht sie im Widerspruch zu seiner eigenen Verjäh­ rungsjudikatur, wonach die unterlassene Offenbarung eigenen Fehlverhaltens keine erneute Verjährung von Organhaftungsansprüchen auslöse. Daraus folgt logischerweise, dass Organmitglieder ihre eigenen Pflichtverletzungen nicht offenbaren müssen. Warum soll bei Vertragsverhandlungen etwas anderes gel­ ten? Zweitens verzichtet der Senat im Urkunden-Urteil auf das Kriterium des inneren Zusammenhangs zwischen Fehlverhalten und Vertragsgegenstand, indem er dieses Kriterium durch das des zeitlichen Zusammenhangs ersetzt. Ein bloß zeitlicher Zusammenhang kann jedoch Aufklärungspflichten bei Vertragsverhandlungen weder sinnvoll begrenzen noch überzeugend begrün­ den. Ob eine bestimmte Verfehlung in die Zeit der Vertragsverhandlungen fällt, hängt mehr oder weniger vom Zufall ab; Rechtspflichten sollen aber nicht nach dem Zufallsprinzip verteilt werden. Die Rechtsprechung hält sich selbst daran, indem sie etwa im Rahmen von §§ 31, 278 und 831 BGB nahezu penibel zwischen der Schadenszufügung „in Ausführung der Verrichtung“ und „bei Gelegenheit“ unterscheidet: Die Haftung des Geschäftsherrn für den Gehilfen soll nicht vom Zufall abhängen, sondern nur dann greifen, wenn die schädi­ gende Handlung des Gehilfen in einem qualifizierten, inneren Zusammenhang zum übertragenen Aufgabenkreis steht.146 Drittens ist zu bemängeln, dass der BGH im Urkunden-Urteil keine Interessenabwägung vornimmt, obwohl eine 142 

BGH NZG 2005, 809, 810 (Hervorhebung durch die Verf.). OLG Hamm, NZG 2005, 211, 213. 144 Vgl. BGH NZG 2005, 809, 811. 145  Siehe auch die Kritik von Kindl/​Steffen, WuB II C § 123 BGB 1.05. 146  Dazu etwa Wagner, in: MüKo BGB, § 831 Rn. 25 ff. m. w. N. 143 Vgl.



§ 2.  Rechtsvergleichende Bestandsaufnahme

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solche nach der „goldenen Formel“ erforderlich ist und regelmäßig bei der Prü­ fung der Zumutbarkeit stattfindet.147 Im Ergebnis wird die Aufklärungspflicht im Urkunden-Urteil allein auf den zeitlichen Zusammenhang zwischen Fehlverhalten und Vertragsverhand­ lungen gestützt. Ein sachlicher Zusammenhang besteht insofern nicht: Genau­ so wie im eingangs geschilderten Fall148 handelte es sich um eine ablösende Abfindung, die den Geschäftsführer zum freiwilligen Ausscheiden bewegen sollte.149 Es ging insbesondere nicht um eine nachträgliche Anerkennungsprä­ mie („appreciation award“), mit der vergangene Leistungen oder früheres loya­ les Verhalten honoriert werden.150 Die ablösende Abfindung hat ihren Zweck ungeachtet des Fehlverhaltens des Beklagten erreicht: Die KG konnte sich von ihm als Geschäftsführer lösen, ohne die anhängigen Rechtsstreitigkeiten wei­ terführen zu müssen. Dieses Ergebnis war ihr offensichtlich 2,97 Mio. DM wert; dass sie es auch „günstiger“ hätte haben können, steht auf einem anderen Blatt. Sonstige sachliche Gründe für die Aufklärungspflicht des Geschäftsfüh­ rers findet man im Urkunden-Urteil ebenfalls nicht: Der BGH spricht zwar die Treuepflicht an, sagt jedoch nicht, ob diese vom Beklagten verlangte, den „Verkauf“ der Urkunde an die Konkurrenz offenzulegen. Ferner betont das Gericht die Verschwiegenheitspflicht; diese bedeutet aber nur, dass die Wei­ tergabe der Urkunde eine Pflichtverletzung darstellte, nicht jedoch, dass diese offenzulegen war. Und sicherlich war der Beklagte kraft seiner Berichtspflicht gehalten, die KG von der Existenz der Urkunde zu unterrichten, was er nicht getan hat. Diese Pflichtverletzung war für den Abschluss des Vergleichs indes nicht kausal, da die KG bei ordnungsgemäßer Aufklärung über die Existenz der Urkunde den Vergleich erst recht abgeschlossen hätte. Auf dieses Aufklä­ rungsdefizit kann die Anfechtung des Vergleichs also nicht gestützt werden. Kausal war dagegen das Schweigen des Beklagten darüber, dass er die Urkunde an die Konkurrenz weitergeben will bzw. weitergegeben hat.151 Diese weiter­ gehende Aufklärungspflicht kann aber nicht ohne weiteres aus der Berichts­ pflicht des Geschäftsführers abgeleitet werden. Rechtspolitisch wäre eine Pflicht, eigenes Fehlverhalten bei Abfindungs­ verhandlungen zu offenbaren, jedenfalls sehr problematisch. Barbara Gru147  Vgl. dazu die st.Rspr. des BAG: BAG, Urt. v. 4.10.2005 – 9 AZR 598/04, NZA 2006, 545, 549; v. 26.7.2007 – 8 AZR 707/06, NJOZ 2008, 3171, 3175; v. 22.1.2009 – 8 AZR 161/08, NJW 2009, 2616, 2617. 148  OLG Düsseldorf, GmbHR 2000, 666. 149 Vgl. Müller-Glöge, in: ErfK, BGB, § 620 Rn. 10a; Sutschet, in: BeckOGK, BGB, § 620 Rn. 345 ff. 150  Zu solchen Abfindungen siehe BGH, Urt. v. 21.12.2005 – 3 StR 470/04, NJW 2006, 522, 524 – Mannesmann/​Vodafone; Fleischer, in: Spindler/​Stilz, AktG, § 87 Rn. 47 f.; Fonk, in: Semler/von Schenck, ARHdb. § 10 Rn. 146 ff. sowie 358; Beiner, Der Vorstandsvertrag, Rn. 621. 151 Ähnlich Kindl/​Steffen, WuB II C § 123 BGB 1.05.

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newald weist zutreffend darauf hin, dass es sehr schwer werden würde, Ab­ findungsvereinbarungen abzuschließen, wenn Organmitglieder verpflichtet wären, ihre sämtlichen früheren (erheblichen) Pflichtverletzungen ungefragt offenzulegen.152 Diejenigen Organmitglieder, die ihre Pflichtverletzungen bei Abfindungsverhandlungen verschweigen würden, müssten jedenfalls nach dem Ausscheiden ständig mit der Anfechtung des Aufhebungsvertrags und der Rückforderung der gezahlten Abfindung rechnen. Ob das rechtspolitisch wünschenswert wäre, ist zweifelhaft. Holger Fleischer weist zusätzlich darauf hin, dass bei Abfindungsverhandlungen das organschaftliche und vertragli­ che Pflichtenband zur Gesellschaft bereits gelockert sei, so dass das Organ­ mitglied legitimerweise (auch) eigene Belange berücksichtigen dürfe. Außer­ dem könne sich die Gesellschaft gegen eine Übervorteilung schützen, indem sie eine Clawback-Klausel für die Pflichtverletzungen vorsehe, die innerhalb eines bestimmten Zeitraums nach dem Ausscheiden des Organmitglieds be­ kannt werden. Dies spreche gegen eine Offenbarungspflicht bei Abfindungs­ verhandlungen.153 Gerald Spindler vertritt dagegen die Auffassung, dass Vorstandsmitglieder bei Verhandlungen zur Aufhebung (und zur Begründung) des Anstellungsver­ hältnisses verpflichtet seien, vergangenes Fehlverhalten offenzulegen. Etwas anderes stünde „im Gegensatz zur sonst geltenden Pflicht zur Offenlegung relevanter Tatsachen bei Vertragsverhandlungen mit der Gesellschaft“154. Das Vorstandsmitglied könne zwar bei solchen Verhandlungen sein eigenes In­ teresse in den Vordergrund stellen, jedoch nur „in den Grenzen der Berück­ sichtigung des Gesellschaftsinteresses“. Daher sei das Vorstandsmitglied bei Einstellungs- und Abfindungsverhandlungen verpflichtet, frühere Pflichtver­ letzungen zu offenbaren, sofern „im konkreten Einzelfall“ ein entsprechendes Gesellschaftsinteresse bestehe und das Eigeninteresse davon überlagert wer­ de.155

II.  Vereinigtes Königreich Im Vereinigten Königreich haben vor allem zwei Entscheidungen zur Offen­ barungspflicht Stellung bezogen: Bell v Lever Brothers Ltd156 auf der einen Seite und Item Software157 auf der anderen. Während die Offenbarungspflicht 152  153 

Grunewald, NZG 2013, 841, 845 f. Fleischer, ZIP 2018, 2341, 2350; zu solchen Clawback-Klauseln (Compliance-Claw­ back) etwa Schockenhoff/​Nußbaum, AG 2018, 813, 817 ff.; Poelzig, NZG 2020, 41, 43 ff. 154  Spindler, in: MüKo AktG, § 93 Rn. 125. 155  Spindler, in: MüKo AktG, § 93 Rn. 125. 156  [1932] A. C. 161. 157  Item Software (UK) Ltd v Fassihi & Ors [2003] B. C. C. 858 sowie das Berufungsver­ fahren Fassihi & Ors v Item Software (UK) Ltd [2004] B. C. C. 994.



§ 2.  Rechtsvergleichende Bestandsaufnahme

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in Bell v Lever verneint wurde, wurde sie in Item Software vor dem Hinter­ grund der Treuepflicht der Gesellschaftsdirektoren befürwortet. Das tragende Motiv dürfte auch hier der Gedanke gewesen sein, dass ein Treuebruch hart bestraft werden muss. 1.  „Bell v Lever“ Bell v Lever ist in erster Linie bekannt als eine Entscheidung über den beider­ seitigen Irrtum.158 Die Entscheidung trifft aber auch einige wichtige Aussagen zur Offenbarungspflicht. Der Auslöser des Rechtsstreits war das Fehlver­ halten von zwei Angestellten der Gesellschaft Lever Brothers, Bell und Snelling. Lever Brothers wies ihnen die Ämter des Boardvorsitzenden respektive stellvertretenden Boardvorsitzenden in der Tochtergesellschaft Niger Com­ pany zu. Niger Company handelte mit Kakao; während ihrer Tätigkeit für diese Gesellschaft fingen Bell und Snelling ebenfalls an, heimlich mit Kakao zu handeln. Wären diese Wettbewerbsverstöße entdeckt worden, hätten sie eine außerordentliche Kündigung zur Folge gehabt. Sie blieben aber zunächst unbemerkt. Im Zuge der Umstrukturierung der Niger Company wurde es notwendig, die Verträge von Bell und Snelling vorzeitig aufzulösen. Die Be­ troffenen willigten in die Vertragsaufhebung ein und erhielten im Gegenzug eine Abfindung. Später kamen die heimlichen Kakaogeschäfte ans Licht; Lever Brothers focht die Aufhebungsvereinbarung an und verlangte die Abfindung zurück. Nach den verbindlichen Feststellungen der Jury hatten Bell und Snelling beim Abschluss der Aufhebungsvereinbarung nicht an ihr vergangenes Fehl­ verhalten gedacht und dieses daher nicht bewusst verschwiegen. Da auch Lever Brothers vom Fehlverhalten ihrer Angestellten und somit von ihrem Recht, das Anstellungsverhältnis fristlos zu kündigen, nicht gewusst hatte, prüften die Richter, ob dieser beiderseitige Irrtum den Dienstherrn zur Anfechtung berechtigt. Das House of Lords hat dies verneint und die Rückforderung der Abfindung abgelehnt. Dabei meinte der Richter Lord Atkin, dass die Verein­ barung über die Aufhebung eines bestimmten Vertrags nicht deshalb unwirk­ sam werde, weil es sich herausstellt, dass der Vertrag bereits gebrochen wurde und daher hätte anderweitig beendet werden können. „The contract released is the identical contract in both cases, and the party paying for release gets ex­ actly what he bargains for. It seems immaterial that he could have got the same result in another way, or that if he had known the true facts he would not have entered into the bargain.“159 Diese Worte erinnern an die Feststellung des OLG 158 So

Arden L. J. in Fassihi & Ors v Item Software (UK) Ltd [2004] B. C. C. 994, 1005, Rn. 48; zu Bell v Lever und auch allgemein zum beiderseitigen Motivirrtum in englischen Rspr. Fleischer, Informationsasymmetrie, S. 847 ff. 159  Bell v Lever Brothers Ltd [1932] A. C. 161, 223 f.

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Düsseldorf, dass eine Abgeltungsabfindung ihren Zweck auch dann erreiche, wenn die Gesellschaft eine günstigere Lösungsmöglichkeit außer Acht lasse160: Jeder Vertragspartner „gets exactly what he bargains for“. Eine Pflicht der Vertragspartei, die für sie ungünstigen Umstände zu of­ fenbaren, soweit sie für die Entschließung der anderen Partei wesentlich sein können, bejahte Lord Atkin nur für Verträge uberrimae fidei („contracts of ut­ most good faith“), also für spezielle fiduziarische Verhältnisse sowie für Ver­ sicherungs- und Partnerschaftsverträge. Das Vertragsverhältnis zwischen dem Angestellten Bell und Lever Brothers falle nicht unter diese Kategorie, sondern sei ein ganz gewöhnliches Dienstverhältnis, zumal Bell nicht Direktor von Lever Brothers gewesen sei. Sein fiduziarisches Verhältnis zur Niger Company könne kein ähnliches Verhältnis zur Muttergesellschaft begründen. Ein Ange­ stellter habe aber keine vertragliche Pflicht, sein vergangenes Fehlverhalten zu offenbaren: „The servant owes a duty not to steal, but, having stolen, is there superadded a duty to confess that he has stolen? I am satisfied that to imply such a duty would be a departure from the well established usage of mankind and would be to create obligations entirely outside the normal contemplation of the parties concerned.“161 Insofern trage der Dienstherr das Risiko; er könne sich dadurch absichern, dass er den Dienstverpflichteten explizit nach dessen Verfehlungen frage. Der Richter Lord Thankerton ging in seiner Stellung­ nahme noch weiter und meinte, dass abgesehen von betrügerischem Verhalten weder ein Dienstverpflichteter noch ein Direktor verpflichtet sei, sein Fehl­ verhalten offenzulegen und dadurch dem Dienstherrn oder der Gesellschaft die Möglichkeit zu geben, ihn zu entlassen. Daher seien die Angestellten nicht verpflichtet gewesen, ihre Kakaogeschäfte offenzulegen, weder im Zeitpunkt ihrer Vornahme noch später bei den Aufhebungsverhandlungen.162 Die Frage, ob Direktoren oder sonstige Angestellte zur Offenbarung ei­ genen Fehlverhaltens verpflichtet sind, stellte sich auch in einer späteren Ent­ scheidung, Horcal Limited v Gatland.163 Der Richter Goff ließ aber diese Frage offen, da sich der Direktor erst nach der Beendigung seines Vertrags mit der Gesellschaft fehlerhaft verhalten habe. Er habe zwar die entsprechende Absicht noch während seiner Anstellung gefasst, diese aber erst nach der Vertragsauf­ hebung in die Tat umgesetzt. In seinem Urteil bemerkte der Richter allerdings, dass seiner Ansicht nach die besseren Argumente gegen die Offenbarungs­ pflicht sprächen und dass eine „Beichte“ des Direktors vor dem Abschluss einer Abfindungsvereinbarung eine „extravagante“ Erscheinung wäre.164 160 

OLG Düsseldorf, GmbHR 2000, 666, 668. Bell v Lever Brothers Ltd [1932] A. C. 161, 228. 162  Bell v Lever Brothers Ltd [1932] A. C. 161, 231 f. 163  (1984) 1 B. C. C. 99089. 164  Horcal Limited v Gatland (1984) 1 B. C. C. 99089, 99093 f. 161 



§ 2.  Rechtsvergleichende Bestandsaufnahme

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2.  „Item Software“ Im Jahr 2003 haben die Gerichte eine wahre Kehrtwende vollzogen, indem sie im Fall Item Software einen Direktor wegen des Verschweigens seiner Verfeh­ lungen zum Schadensersatz verurteilt haben. Dem Urteil lag folgender Sach­ verhalt zugrunde: Die Gesellschaft Item Software vertrieb Software-Produkte für die Firma Isograph. Zu den Direktoren von Item gehörten Herr Dehghani als managing director und Herr Fassihi als sales and marketing director. Im November 1998 entschloss sich Item, mit Isograph über bessere Vertriebskon­ ditionen zu verhandeln. Zu dieser Zeit trat Fassihi heimlich an Isograph heran und schilderte seine Absicht, eine eigene Gesellschaft RAMS zu gründen, die anstatt von Item den Vertrieb von Isographs Produkten übernehmen könne. Gleichzeitig ermutigte Fassihi Herrn Dehghani, in den Verhandlungen mit Iso­ graph auf verbesserte Konditionen zu bestehen, was dieser auch tat und was letztendlich zum Scheitern der Verhandlungen und zur Kündigung der lau­ fenden Vertragsbeziehung führte. Nachdem Item vom Fehlverhalten Fassihis erfahren hatte, kündigte die Gesellschaft seinen Vertrag und verklagte ihn auf Schadensersatz. Dabei trug sie vor, dass Fassihi letztendlich an dem Scheitern der Geschäftsbeziehung mit Isograph schuld sei: Er habe Dehghani dazu ge­ bracht, in den Verhandlungen eine harte Linie einzunehmen, weil er den Ver­ trag mit Isograph an sich habe ziehen wollen. Der High Court hat die Schadensersatzpflicht Fassihis bejaht. Das Gericht war zwar der Meinung, dass Dehghani auch ohne Fassihis Einwirkung eine harte Linie eingenommen hätte, weil er an Items starke Verhandlungspositi­ on geglaubt habe (nur Item und nicht Isograph habe den Zugang zur Kunden­ datenbank gehabt). Fassihi sei von Items Stärken genauso überzeugt gewesen, so dass er seinem Kollegen eine harte Verhandlungsführung auch dann emp­ fohlen hätte, wenn er nicht beabsichtigt hätte, den Vertrag an sich zu ziehen.165 Obwohl diese Feststellungen gegen die Kausalität von Fassihis Verhalten für das Scheitern der Vertragsverhandlungen sprachen166 , sah das Gericht den Ur­ sächlichkeitszusammenhang als gegeben an: Hätte Fassihi sein Fehlverhalten offengelegt, so hätte sich Dehghani bei den Verhandlungen sehr wahrschein­ lich anders verhalten. Der Schock, den er durch die Offenlegung erlebt hätte, hätte ihn dazu bewogen, das Angebot von Isograph zu akzeptieren, anstatt bei seiner harten Linie zu bleiben. Dann hätte Isograph die Geduld nicht verloren und den Vertrag nicht gekündigt.167 165  Item Software (UK) Ltd v Fassihi [2003] B. C. C. 858, 866, Rn. 34. 166 So Berg, (2005) 121 L. Q. R. 213, 214 mit Verweis auf Swindle v Harrison [1997] 4 All

E. R. 705; auch Sulaiman, Commonwealth Law Bulletin 38 (2012), 91, 103; a. A. wohl Flannigan, (2005) 26 Bus. L. R. 258, dessen Meinung nach ein Interessenkonflikt die Verhand­ lungen immer beeinflusst. 167  Item Software (UK) Ltd v Fassihi [2003] B. C. C. 858, 867, Rn. 36.

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Kapitel 5: Offenbarung eigenen Fehlverhaltens

So kam das Gericht zum Ergebnis, dass die fehlende Offenlegung des Wett­ bewerbsverstoßes für den Abbruch der Geschäftsbeziehung und den daraus resultierenden Schaden kausal gewesen sei. Die Argumentation des High Court ist insofern sehr gewagt, weil er auf einen hypothetischen Kausalverlauf abstellt, in dem sich Dehghani den Forderungen von Isograph fügt. Ob sich die Ereignisse wirklich so abgespielt hätten, kann hinterher niemand wissen, und genau deshalb hätte die Schadensersatzpflicht Fassihis nicht auf diese Weise be­ gründet werden dürfen. Nach den allgemeinen deliktischen Grundsätzen hätte das Gericht die Schadensersatzpflicht verneinen müssen. Dies wird auch im Schrifttum nicht verkannt: „In reality, of course, a director devious enough to divert assets from the company is hardly likely to hold his hands up will­ ingly; though it will not be surprising if the failure to disclose becomes another standard allegation in pleadings against wrongdoing directors […] not at least because it provides another way of insulating against adverse causation find­ ings, which was the whole reason the disclosure issue arose in Item Software in the first place.“168 Die abenteuerlichen Kausalitätsfeststellungen haben im Ergebnis dazu geführt, dass Item vom Fehlverhalten ihres Direktors profitiert hat: Hätte er nicht die Absicht verfolgt, in Konkurrenz zur eigenen Firma zu treten, hätte Item keinen Schadensersatz zugesprochen bekommen. Im Berufungsverfahren vor dem Court of Appeal wurden die Kausalitäts­ feststellungen des High Court nicht mehr thematisiert. Warum Fassihi sie nicht angegriffen hat, bleibt unklar. Vermutet wird, dass die Annahme des Richters, der Beklagte habe sich betrügerisch verhalten, diesem die Berufung auf die normalen Kausalitätsgrundsätze versperrt habe.169 Ob dies zutrifft, kann und muss hier nicht beurteilt werden. Der Court of Appeal konzentrierte sich auf die Offenbarungspflicht Fassihis, wobei die Richterin Arden L. J. diese Pflicht ganz entschieden bejahte; die beiden anderen Richter stimmten ihr zu.170 Die Entscheidung hat zwei Begründungsstränge, einen rechtsdogmatischen und einen rechtsökonomischen. Dogmatisch wird die Offenbarungspflicht auf fi­ duziarische Pflichten des Direktors einer Gesellschaft gestützt. Insoweit betont die Entscheidung, dass Fassihi kein bloßer Angestellter, sondern ein Direktor gewesen sei und als solcher der Treuepflicht unterlegen habe. Darin liege auch ein wichtiger Unterschied zu Bell v Lever, wo es um Verhalten von Angestell­ ten gegangen sei.171 Nicht relevant seien auch die Ausführungen von Richter Goff in Horcal, da sie nur Vertragsverhandlungen beträfen und zudem streng 168 

Cloherty, (2005) J. B. L. 252, 255.

169  Berg, (2005) 121 L. Q. R. 213, 214. 170 Siehe Fassihi & Ors v Item Software

(UK) Ltd [2004] B. C. C. 994. Fassihi & Ors v Item Software (UK) Ltd [2004] B. C. C. 994, 1003, 1007, Rn. 34, 55 f.; siehe auch Keay, Directors’ duties, Rn. 4.49. De facto wurde Bell v Lever durch Item Software indes „overruled“, allgemein zu solchen Rechtsprechungsentwicklungen Marmor, Law and Philosophy 23 (2004), 1, 22. 171 



§ 2.  Rechtsvergleichende Bestandsaufnahme

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obiter gewesen seien.172 Aufgrund seiner Treuepflicht hätte Fassihi sein Fehl­ verhalten offenbaren müssen, weil die Offenbarung im Interesse der Gesell­ schaft gelegen habe und dies für ihn ohne weiteres erkennbar gewesen sei.173 In ökonomischer Hinsicht stellt sich das Gericht auf den Standpunkt, dass die Pflicht eines Direktors, eigenes Fehlverhalten zu offenlegen, die einzige wirtschaftlich effiziente Lösung sei. Alles andere würde dazu führen, dass die Gesellschaft wertvolle Ressourcen in die Ermittlungen investieren müsste. Die Haftungsdurchsetzung würde davon abhängen, ob sie das Glück habe, Pflicht­ verletzungen ihrer Direktoren aufzudecken. Dabei sei das Verschweigen sol­ cher Pflichtverletzungen für die Gesellschaft äußerst schädlich, weil es sie zu falschen Geschäftsentscheidungen verleiten könne. Eine rechtliche Regelung, die dies billige, billige ineffiziente Ergebnisse. Eine Offenbarungspflicht könne hier Abhilfe schaffen und zudem die Agentur-Nachteile mildern, indem sie die Entscheidungsträger (die Gesellschafter oder das Aufsichtsorgan) mit Infor­ mationen versorge, die für eine gute Entscheidungsfindung notwendig seien.174 Trotz der Entschiedenheit dieser Ausführungen liefert das Urteil keine überzeugende Begründung dafür, dass die Offenbarungspflicht tatsächlich existiert. Vordergründig geht es vielmehr um die Frage, ob die Offenbarungs­ pflicht eine eigenständige Pflicht oder nur ein Ausfluss der Treuepflicht sei. Zu diesem Zweck setzt sich Arden L. J. eingehend mit den Fällen Bhullar und Cooley auseinander, in denen die Richter von der Offenlegungspflicht (duty to disclose) im Zusammenhang mit Geschäftschancen sprachen.175 Im Ergebnis be­ trachtet Arden L. J. die Offenbarungspflicht als Teil der Treuepflicht176 , was aus der Sicht der Common-Law-Dogmatik nicht unproblematisch ist: Im Com­ mon Law wird die Treuepflicht normalerweise als reine Unterlassungspflicht (proscriptive duty) aufgefasst, die Offenbarung eigenen Fehlverhaltens impli­ ziert aber ein positives Tun (prescriptive duty).177 Aus diesem Grund ist z. B. die australische Rechtsprechung der Item-Software-Entscheidung nicht gefolgt und eine Offenbarungspflicht auf der Basis der Treuepflicht abgelehnt.178 172 

Fassihi & Ors v Item Software (UK) Ltd [2004] B. C. C. 994, 1005 ff., Rn. 47 ff.; dazu Cloherty, (2005) J. B. L. 252, 254. 173  Fassihi & Ors v Item Software (UK) Ltd [2004] B. C. C. 994, 1004, Rn. 44. 174  Fassihi & Ors v Item Software (UK) Ltd [2004] B. C. C. 994, 1009, Rn. 65 f.; zustim­ mend Armour/​Conaglen, (2005) 64 C. L. J. 48, 51 (2005); Schmolke, RIW 2008, 365, 368. 175 Siehe Re Bhullar Bros Ltd [2003] B. C. C. 711, 723; Industrial Development Consultants Ltd v Cooley [1972] 1 WLR 443, 451 einerseits, Fassihi & Ors v Item Software (UK) Ltd [2004] B. C. C. 994, 1003 ff., Rn. 38 ff. andererseits. 176  Fassihi & Ors v Item Software (UK) Ltd [2004] B. C. C. 994, 1004, Rn. 41; dazu etwa Davies/ ​Worthington, Principles of modern company law, Rn. 16–78; Hannigan, Company law, Rn. 12–6. 177 Dazu French, in: Mayson, French & Ryan on Company Law, 16.6.3, S. 493; Cloherty, (2005) J. B. L. 252, 255 f.; siehe auch Palmer/​Morse, Palmer’s company law, Rn. 8.2617. 178 Siehe P & V Industries Pty Ltd v Porto [2006] VSC 131; dazu French, in: Mayson,

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Kapitel 5: Offenbarung eigenen Fehlverhaltens

Warum wurde in Item Software dennoch aus der Treuepflicht die Ver­ pflichtung zur Offenbarung eigenen Fehlverhaltens abgeleitet? Eine große Rolle dürfte der Umstand gespielt haben, dass Fassihi einen handfesten Inte­ ressenkonflikt hervorgerufen hat, als er beschloss, mit Item in Konkurrenz zu treten.179 Das englische Gesellschaftsrecht geht mit Interessenkonflikten sehr streng um und ist insofern bekannt für seine „gerechte, aber drakonische Tra­ ditionen“180. Nach der berühmten „no-conflict and no-profit rule“ darf der Direktor ohne Erlaubnis der Gesellschaft weder in eine Situation kommen, in der seine Interessen mit den Interessen der Gesellschaft kollidieren kön­ nen, noch von einer solchen Situation profitieren.181 Diese Regel soll präventiv wirken und Direktoren von illoyalem Handeln abhalten.182 Zumindest sind bestehende Interessenkonflikte offenzulegen.183 Diese Offenlegungspflicht er­ streckt Arden L. J. auch auf das Fehlverhalten Fassihis, das sie als Teil des In­ teressenkonflikts ansieht. Sie weist darauf hin, dass Fassihi ein eigenes Interes­ se an der Geschäftsbeziehung mit Isograph gehabt habe, das im Konflikt mit Items Interessen gestanden habe. Diesen Interessenkonflikt und damit auch sein Fehlverhalten habe Fassihi offenlegen müssen. „The only reason that I can see that could be said that the duty of loyalty does not require a fiduciary to disclose his own misconduct is that it has never been applied to this situation before. […] … he [Fassihi] could not fulfil his duty of loyalty in this case except by telling Item about his setting up of RAMS, and his plan to acquire the Iso­ graph contract for himself.“184 Dabei geht das Urteil im Fall Item Software über die konkrete Situation des Interessenkonflikts hinaus, indem es an die Treuepflicht eines Direktors gene­ rell eine Offenbarungspflicht anknüpft. Die Offenbarungspflicht bezieht sich also nicht nur auf Interessenkonflikte, sondern auf jedes Fehlverhalten, dessen Offenbarung im konkreten Fall im Interesse der Gesellschaft liegt. Letzteres wird traditionell aus der subjektiven Sicht des betroffenen Direktors beurteilt: „The duty imposed on directors to act bona fide in the interests of the com­ pany is a subjective one […] The question is not whether, viewed objectively French & Ryan on Company Law, 16.6.3, S. 493; Keay, Directors’ duties, Rn. 4.50; Sulaiman, Commonwealth Law Bulletin 38 (2012), 91, 96 f. 179  Für die Betrachtung von Item Software im Kontext der Lehre vom Interessenkon­ flikt etwa Hannigan, Company law, Rn. 12–7: „Framed in these terms, rather than a duty to disclose misconduct, the approach in Fassihi is uncontroversial.“ 180  Milman, (2005) Co. L. N. 1, 2. 181  Nunmehr (abgeschwächt) kodifiziert in s. 175 Companies Act 2006; vgl. dazu die Ausführungen zu Interessenkonflikten im Kapitel 2, § 3, III. 182 Vgl. Reisberg/​Donovan, Pettet, Lowry & Reisberg’s Company law, S. 185 f. unter Be­ rufung auf P. Birks („policy of prophylaxis“). 183  Vgl. s. 177 Companies Act 2006; Hannigan, Company law, Rn. 12–6 f. 184  Fassihi & Ors v Item Software (UK) Ltd [2004] B. C. C. 994, 1004, Rn. 44; zustim­ mend Hemraj, (2006) 27 Comp. Law. 183, 184; kritisch dagegen Berg, (2005) 121 L. Q. R. 213, 217.



§ 2.  Rechtsvergleichende Bestandsaufnahme

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by the court, the particular act or omission which is challenged was in fact in the interests of the company […] Rather, the question is whether the director honestly believed that his act or omission was in the interests of the company. The issue is as to the director’s state of mind.“185 Somit besteht in den Fällen, in denen sich der Direktor des Fehlverhaltens bewusst ist, stets eine Offen­ barungspflicht.186 Die nachfolgende UK‑Rechtsprechung hat das Judikat von Item Software mehrmals bestätigt und an der Offenbarungspflicht festgehal­ ten.187 Angestellte sind dagegen ohne ausdrückliche Regelung im Arbeitsver­ trag nach wie vor nicht verpflichtet, eigenes Fehlverhalten dem Arbeitgeber of­ fenzulegen.188 In der englischsprachigen Literatur ist Item Software teilweise auf harte Kritik gestoßen. Nach Ansicht des kanadischen Professors Robert Flannigan hätte die Gesellschaft für den Loyalitätsbruch ihres Direktors auch auf der Grundlage der herkömmlichen Lehre entschädigt werden können; einer neuen „duty to confess“ habe es dafür nicht bedurft.189 Flannigan kritisiert ferner, dass Arden L. J. eine scharfe Trennlinie zwischen fiduziarischen Pflichten von Direktoren einerseits und von Angestellten andererseits gezogen hat, obwohl diese Pflichten den gleichen Inhalt hätten, egal ob sie sich an einen agent, trustee, partner oder solicitor richteten. Es gebe daher keine „höheren“ fiduziari­ schen Pflichten der Direktoren.190 Aber nicht nur dogmatische, sondern auch allgemeine Einwände sprächen gegen die in Item Software kreierte Offenbarungspflicht: Diese Pflicht wider­ spreche den sozialen Normen, welche den Einzelnen von der Selbstbezichti­ gung und staatlichem Zwang freistellten. Die Haftung für die Verletzung der Offenbarungspflicht sei eine „Huckepackhaftung“ („piggyback liability“), eine parasitäre, tautologische Haftung, „a legal form of piling on“.191 Angesichts der Tatsache, dass die Offenbarungspflicht tief in die individuelle Freiheit eingreife, 185  Regentcrest plc v Cohen [2001] 2 B. C. L. C. 80, Rn. 120; so auch Fulham Football Club (1987) Ltd v Jean Tigana [2004] EWHC 2585 (QB), Rn. 103; GHLM Trading Ltd v Maroo [2012] EWHC 61 (Ch), Rn. 194. 186  Vgl. aber Palmer/​Morse, Palmer’s company law, Rn. 8.2617, die auf das objektive In­ teresse der Gesellschaft abstellen und daher die Offenbarungspflicht als notwendige Folge jeder Pflichtverletzung ansehen. 187 Siehe etwa Fulham Football Club (1987) Ltd v Jean Tigana [2004] EWHC 2585 (QB); Shepherds Investments Ltd v Walters [2006] EWHC 836 (Ch); Brandeaux Advisers (UK) Ltd v Chadwick [2010] EWHC 3241 (QB); QBE Management Ltd v Dymoke [2012] I. R. L. R. 458; GHLM Trading Ltd v Maroo [2012] EWHC 61 (Ch). 188  So neuerdings Employment Appeal Tribunal (EAT) in  Basildon Academies v Amadi, Appeal No. UKEAT/0342/14/RN, UKEAT/0343/14/RN, 27.2.2015, vollständiger Text ver­ fügbar unter https://www.gov.uk/employment-appeal-tribunal-decisions/the-basildon-aca​ de​mies-v-mr-e-amadi-ukeat-0343–14-rn. 189  Flannigan, (2005) 26 Bus. L. R. 258. 190  Flannigan, (2005) 26 Bus. L. R. 258; siehe auch ders., (2004) 83 Can Bar Rev 35, 42 ff. 191  Flannigan, (2005) 26 Bus. L. R. 258, 259.

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hätte sie einer gründlichen Rechtfertigung bedurft: „We do, however, require a clear justification for what, intuitively, seems anomalous, if not perverse.“192 Eine solche Rechtfertigung habe der Court of Appeal nicht gegeben. Seine rechtspolitischen und rechtsökonomischen Argumente seien jedenfalls un­ zutreffend, denn trotz ihrer Strenge werde die Offenbarungspflicht die Direk­ toren nicht animieren, pflichtgemäß zu handeln. Die alltägliche Praxis wider­ lege diese unrealistische Annahme. Die Offenbarungspflicht werde daher die Agentur-Kosten nicht senken: Gesellschaften müssten weiterhin Ressourcen in die Aufdeckung und Kontrolle opportunistischen Verhaltens investieren, wobei dessen Aufdeckung immer eine Frage des Zufalls bleiben werde. Daran könne eine Offenbarungspflicht nichts ändern. Außerdem: Wäre die Offen­ barungspflicht wirtschaftlich effizient, so hätte sich das Common Law bereits früher damit beschäftigt, weil das Common Law wirtschaftlich effizient sei. Das Schweigen des Common Law spreche also gegen die Effizienz der Offen­ barungspflicht.193 Alan Berg (Tel-Aviv) sieht keinen Kausalzusammenhang zwischen der feh­ lenden Offenbarung des Treuebruchs und dem Scheitern von Vertragsverhand­ lungen mit Isograph. Seiner Ansicht nach lag die Ursache dafür nicht im Ver­ halten von Fassihi, sondern in der unnachgiebigen Verhandlungstaktik von Item.194 Trotz der Behauptung von Arden L. J., die Offenbarungspflicht sei keine eigenständige, von der Treuepflicht zu trennende Pflicht, habe die Of­ fenbarungspflicht genau auf diese Weise funktioniert: Sie habe eine zusätzliche Haftungsquelle dort geschaffen, wo der Betroffene ansonsten nicht gehaftet hätte, weder auf Schadensersatz noch auf die Herausgabe der unrechtmäßig ge­ zogenen Vorteile.195 Berg meint daher, dass das Gericht die Treuepflicht über­ dehnt habe. Es hätte dem Standpunkt von Goff L. J., der die Offenbarungs­ pflicht in Horcal als „extravagant“ bezeichnet habe, mehr Beachtung schenken müssen.196 Aiman Sulaiman stimmt dieser Ansicht zu und meint, das Problem in Item Software habe womöglich darin bestanden, dass Fassihi durch sein Fehlver­ halten nichts erlangt habe. Die Gesellschaft habe ihn daher nicht auf Heraus­ gabe des Erlangten („account for profits“) verklagen können, was normaler­ weise beim Verstoß gegen fiduziarische Pflichten geschehe.197 Möglicherweise habe das Gericht kein passendes Rechtsmittel gefunden und deswegen eine neue Pflicht kreiert, um die Gesellschaft nicht schutzlos zu lassen.198 Eine wei­ 192 

Flannigan, (2005) 26 Bus. L. R. 258, 259. Flannigan, (2005) 26 Bus. L. R. 258, 259 f. Berg, (2005) 121 L. Q. R. 213, 214. 195  Berg, (2005) 121 L. Q. R. 213, 220; zustimmend Keay, Directors’ duties, Rn. 4.49. 196  Berg, (2005) 121 L. Q. R. 213, 220. 197  Sulaiman, Commonwealth Law Bulletin 38 (2012), 91, 100, 103. 198  Sulaiman, Commonwealth Law Bulletin 38 (2012), 91, 101: „Nonetheless, it was clear 193  194 



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tere kritische Stellungnahme findet sich in Palmer’s Company Law: Dort wird die Entscheidung in Item Software als eine „drastische Ausweitung der tradi­ tionellen billigkeitsrechtlichen Pflichten von Direktoren“ bezeichnet und ge­ nauso wie im Beitrag von Berg gefragt, worin der Zusammenhang zwischen der Nichtoffenbarung und dem wirtschaftlichen Schaden von Item bestehe.199 Brenda Hannigan nennt die Pflicht zur Offenbarung eigenen Fehlverhaltens „schwierig“200. Die Kritiker sind jedoch deutlich in der Minderheit: Die meisten Literatur­ stimmen bewerten Item Software neutral oder positiv.201 Als beruhigend wird vor allem empfunden, dass die Offenbarungspflicht in Item Software nicht als eine eigenständige Pflicht, sondern als Teil der altbekannten Loyalitätspflicht formuliert wurde.202 In diesem Zusammenhang wird die Flexibilität des Bil­ ligkeitsrechts und der Gerichte gelobt, die durch eine weite Interpretation der Treuepflicht den Bedürfnissen des Rechtsverkehrs Rechnung tragen wür­ den.203 Die damit verbundenen dogmatischen Schwierigkeiten, etwa das Pro­ blem, dass fiduziarische Pflichten herkömmlich Unterlassungspflichten sind, während in Item Software eine Handlungspflicht als fiduziarische Pflicht ein­ gestuft worden ist, werden nicht für unlösbar gehalten.204 In diesem Zusam­ menhang ist außerdem zu bedenken, dass der Konflikt zwischen Item Software und der englischen Rechtsdogmatik im Laufe der Zeit ohnehin an Schärfe verloren hat. Dies ist dem Companies Act von 2006 zu verdanken, dessen s. 172 dem Direktor eine positive Pflicht auferlegt, so zu handeln, wie „he considers, in good faith, would be most likely to promote the success of the company for the benefit of its members as a whole“. Diese Handlungspflicht hat mit der von Arden L. J. formulierten Pflicht, im besten Interesse der Gesellschaft zu han­ deln, viele Gemeinsamkeiten 205 und dementsprechend wird nun auch die Of­ from the facts that Fassihi’s conduct was unconscionable, but it could be that the court could not find a fit in terms of the appropriate remedy unless a new duty was created and thus the creation of the new duty was necessary to enable a remedy to be given to the company.“ 199  Palmer/​Morse, Palmer’s company law, Rn. 8.2617 f.; verhalten kritisch Stafford/​R itchie, Fiduciary duties: directors and employees, Rn. 2.150 ff. 200  Hannigan, Company law, Rn. 12–7: „a difficult issue“. 201 Siehe etwa Davies/ ​Worthington, Principles of modern company law, Rn. 16–78; Dignam/​Lowry, Company law, Rn. 14.28; French, in: Mayson, French & Ryan on Compa­ ny Law, 16. 6. 13, S. 492 f.; Girvin/​Frisby/​Hudson, Charlesworth’s Company law, Rn. 17– 026; Haywood, in: Mortimore, Company directors, Rn. 12.26; Reisberg/​Donovan, Pet­ tet, Lowry & Reisberg’s Company law, S. 172, 186 Fn. 122; Armour/​Conaglen, (2005) 64 C. L. J. 48, 50; Cloherty, (2005) J. B. L. 252; Hemraj, (2006) 27 Comp. Law. 183 ff.; Ho/​Lee, (2007) 66 C. L. J. 348 ff.; Lee/​Ho, (2007) J. B. L. 98 ff.; Wynn-Evans, (2005) 34 I. L. J. 178 ff. 202  In diesem Sinne Davies/ ​Worthington, Principles of modern company law, Rn. 16–78. 203  Cloherty, (2005) J. B. L. 252, 256. 204  Ho/​L ee, (2007) 66 C. L. J. 348, 360 ff.; zu dieser Problematik ferner Schmolke, RIW 2008, 365, 368. 205  Palmer/​Morse, Palmer’s company law, Rn. 8.2617; Stafford/​R itchie, Fiduciary duties:

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Kapitel 5: Offenbarung eigenen Fehlverhaltens

fenbarungspflicht nicht selten bei s. 172 Companies Act (duty to promote the success of the company) verortet.206 Die Autoren, die dem Urteil zustimmen, betonen vor allem, dass eine harte Bestrafung der Treuebrüche im Interesse der Gesellschaft notwendig sei. „It is therefore imperative that the judges send a strong message that a director shall be penalised for an unethical act or behaviour.“207 Diese Strenge gegenüber den Direktoren sei ein effizienter Weg, um der Agentur-Problematik, insbesonde­ re den Schwierigkeiten, die Aktionäre bei der Überwachung der Direktoren hätten, zu begegnen.208 Etwas kritischere Stimmen weisen darauf hin, dass die Offenbarungspflicht häufig nicht viel zur herkömmlichen Haftung der Direk­ toren für die Verletzung fiduziarischer Pflichten hinzufügen werde, halten es aber für ausreichend, dass in besonderen Fällen wie Item Software ein „Mehr“ an Haftung erreicht werden könne, indem etwa die Kausalitätsprobleme über­ wunden werden.209

III.  Einfluss von „Item Software“ in Deutschland 1.  Offenbarungspflicht kraft Treuepflicht (Schmolke) Im deutschen Schrifttum hat die Item-Software-Entscheidung ebenfalls An­ hänger gefunden. Insbesondere Schmolke bejaht die Offenbarungspflicht der Geschäftsleiter in Kapitalgesellschaften in Anlehnung an Item Software.210 Ähnlich wie die Richterin Arden L. J. leitet er diese Pflicht aus der organschaft­ lichen Treubindung ab, denn diese solle den Gefahren begegnen, die sich aus dem Informationsvorsprung der Geschäftsleiter ergeben würden. Dabei rezi­ piert Schmolke auch die rechtsökonomischen Argumente von Item Software und betrachtet die Offenbarungspflicht als taugliches Instrument zur Lö­ sung der Agentur-Problematik: Die Offenbarungspflicht reduziere die Über­ wachungskosten der Gesellschaft, indem sie ex ante auf ein pflichtgemäßes Verhalten und ex post auf eine verbesserte Ahndung von Pflichtverstößen hin­ wirke.211 Der deutschen Dogmatik folgend, stützt Schmolke die Offenbarungspflicht zusätzlich auf das Anstellungsverhältnis der Geschäftsleiter, auf welches § 675 directors and employees, Rn. 2.155; vgl. auch GHLM Trading Ltd v Maroo [2012] EWHC 61 (Ch), Rn. 193. 206 Vgl. Dignam/​L owry, Company law, Rn. 14.28; Reisberg/​Donovan, Pettet, Lowry & Reisberg’s Company law, S. 172; Stafford/​Ritchie, Fiduciary duties: directors and employ­ ees, Rn. 2.160 ff. 207  Hemraj, (2006) 27 Comp. Law. 183, 185; ähnlich Lee/​Ho, (2007) J. B. L. 98, 101. 208  Hannigan, Company law, Rn. 12–4. 209 Vgl. Cloherty, (2005) J. B. L. 252, 255; Lowry, (2009) 68 C. L. J. 607, 619. 210 Siehe Schmolke, RIW 2008, 365 ff. 211  Schmolke, RIW 2008, 365, 371.



§ 2.  Rechtsvergleichende Bestandsaufnahme

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BGB und über dessen Abs. 1 auch § 666 BGB Anwendung finde. Nach § 666 BGB

sei der Beauftragte verpflichtet, dem Auftraggeber die erforderlichen Nachrich­ ten zu geben, auf Verlangen über den Stand des Geschäfts Auskunft zu ertei­ len und nach der Ausführung des Auftrags Rechenschaft abzulegen. An dieser Stelle greift Schmolke die These von Wiedermann auf, dass die Pflicht aus § 666 BGB auch den Zugang zu Sanktionen gegenüber dem Geschäftsführer ermög­ lichen solle212 , und argumentiert, dass zu den „erforderlichen Informationen“ i. S. d. § 666 BGB auch etwaige Pflichtverstöße des Geschäftsleiters gehörten. Die Leitungsorganmitglieder einer Kapitalgesellschaft seien also grundsätzlich zur Offenbarung begangener Pflichtverletzungen verpflichtet, auch wenn dies zur Kündigung des Geschäftsbesorgungsvertrags führen könne.213 Der strafrechtliche Nemo-tenetur-Grundsatz, so Schmolke weiter, stehe diesem Ergebnis nicht entgegen, weil er nicht uneingeschränkt gelte. Nach der Rechtsprechung des BVerfG sei vielmehr eine Abwägung der Interessen des Auskunftspflichtigen und des Auskunftsberechtigten vorzunehmen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass das Auskunftsrecht des Geschäftsherrn nach § 666 BGB gerade dann besonders wichtig sei, wenn der Beauftragte gegen die ihm obliegenden Pflichten verstoßen habe.214 Haftungsrechtlich sei die Offen­ barungspflicht nicht nur im Hinblick auf die eigenständige Verjährung bedeut­ sam, sondern könne auch helfen, die Probleme beim Nachweis der Kausalität und des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs überwunden werden. Eigenstän­ dige Bedeutung erhalte die Offenbarungspflicht auch dann, wenn das Fehlver­ halten des Organwalters zwar einen objektiven Pflichtverstoß darstelle, im Be­ gehungszeitpunkt aber das Verschulden fehle.215 Schon an dieser Stelle seien zwei kritische Anmerkungen erlaubt: Zum einen ist es keineswegs sicher, ob man aus § 666 BGB eine Pflicht zur Offenbarung eigenen Fehlverhaltens ableiten kann.216 Taupitz bemerkt in diesem Zusam­ menhang, dass der BGB‑Gesetzgeber alle in § 666 BGB genannten Pflichten als „selbstverständlich, eigentlich keiner ausdrücklichen Erwähnung bedürf­ tig, angesehen hat“217. Er habe diese Pflichten letztlich unter der wenig aus­ sagekräftigen Formulierung „erforderliche Nachrichten“ zusammengefasst. Eine Offenbarungspflicht, die eine massive Zurücksetzung der Interessen 212 So

Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. II, S. 343 f.

213  Schmolke, RIW 2008, 365, 371; ähnlich jetzt auch Altmeppen, ZIP 2019, 214  Schmolke, RIW 2008, 365, 372 mit Verweis auf BGHZ 41, 318, 322 f. 215  Schmolke, RIW 216 Bejahend etwa

2117, 1256.

2008, 365, 372. Riesenhuber, in: BeckOGK, BGB, § 666 Rn. 19 f., 37; Schäfer, in: MüKo BGB, § 666 Rn. 17, 25; für § 259 BGB auch Krüger, in: MüKo BGB, § 259 Rn. 36; Altmeppen, ZIP 2019, 2117, 1256; dagegen Taupitz, Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, S. 42; gegen die Ableitung aus der anstellungsvertraglichen Treuepflicht Fleischer, in: Spindler/​ Stilz, AktG, § 84 Rn. 82a. 217  Taupitz, Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, S. 42 mit Verweis auf Mot. II, S. 537 und Prot. II, 357 f.

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Kapitel 5: Offenbarung eigenen Fehlverhaltens

des Beauftragten bedeute, könne damit nicht gemeint sein. Zudem sei die Be­ nachrichtigungspflicht des § 666 BGB nach vorn (prospektiv) auf die weitere Ausführung des Auftrags gerichtet, während die Offenbarungspflicht retro­ spektiv bei der Durchsetzung der Schadensersatzansprüche helfe, die sich aus der Nicht- oder Schlechterfüllung des Vertrags ergeben.218 Aus diesem Grund betrachtet Taupitz § 666 BGB lediglich als eine „Mustervorschrift“, in der der Gesetzgeber in eigener Konkretisierung des Grundsatzes von Treu und Glau­ ben zum Ausdruck gebracht habe, dass eine freiwillige Tätigkeit im fremden Interesse Anlass für besondere und spontan zu erfüllende Informationspflich­ ten gebe, die in hohem Maße altruistisch auf die Interessen der anderen Ver­ tragspartei ausgerichtet seien.219 Zum anderen gerät bei Schmolke die vom Gemeinschuldner-Beschluss des BVerfG vorgegebene Interessenabwägung220 etwas zu kurz. Denn er stützt sich – wie allerdings viele221 – vollständig auf die Aussage des BGH in BGHZ 41, 318, dass das Auskunftsrecht des Geschäftsherrn nach § 666 BGB gerade dann besonders wichtig sei, wenn der Beauftragte gegen die ihm obliegenden Pflichten verstoßen habe. Daraus folgert Schmolke: „Entsprechendes muss dann auch für die Mitglieder des Leitungsorgans gegenüber der Gesellschaft gelten […]“.222 Dabei handelt es sich bei BGHZ 41, 318 um eine ältere Entschei­ dung, die noch vor dem Gemeinschuldner-Beschluss ergangen ist.223 In dieser Entscheidung nimmt der BGH keine Interessenabwägung vor, sondern geht davon aus, dass der Schuldner grundsätzlich für seine rechtswidrige Handlung einstehen und sie offenbaren müsse, soweit ihn das Gesetz nicht ausdrücklich davon freistelle. Und der Gerichtshof fügt noch hinzu: „Ebensowenig enthält es einen Verstoß gegen die Menschenwürde, wenn der Schuldner die Folgen seines Versagens zu tragen hat, auch wenn sie schwerwiegend sein mögen.“224 Den Anforderungen an eine grundrechtlich gebotene Interessenabwägung ge­ nügen diese Ausführungen kaum. Im Rahmen seines Beitrags behandelt Schmolke auch das Urteil des OLG Düsseldorf vom 25. November 1999, das er als Pendant zu Bell v Lever ansieht. Dabei meint er, das OLG Düsseldorf habe die Offenbarungspflicht deshalb verneint, weil es sich komplett auf vorvertragliche Aufklärungspflichten kon­ zentriert habe. Eine treuepflichtgestützte Verpflichtung zur Anzeige eigenen Fehlverhaltens habe das Gericht deshalb nicht erwogen, weil der Beklagte nicht 218 

Taupitz, Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, S. 42 ff.

219  Taupitz, Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, S. 45 f. 220  Siehe BVerfGE 56, 37, 48 ff. – Selbstbezichtigung des Gemeinschuldners.

221 Vgl. BFH, Urt. v. 26.7.2005 – VII R 57/04, DStRE 2005, 1422, 1423; Riesenhuber, in: BeckOGK, BGB, § 666 Rn. 19.1; Schäfer, in: MüKo BGB, § 666 Rn. 17; Krüger, in: MüKo BGB, § 259 Rn. 36. 222  Schmolke, RIW 2008, 365, 372. 223  Dazu in der Einleitung (§ 1, I. dieses Kapitels). 224  BGHZ 41, 318, 327.



§ 2.  Rechtsvergleichende Bestandsaufnahme

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in der klagenden KG, sondern nur in der Komplementär-GmbH Geschäfts­ führer gewesen sei. Deshalb sei dem Gericht der Weg zur Offenbarungspflicht über die organschaftliche Treubindung versperrt gewesen. Hätte dagegen die Gesellschaft gegen ihr eigenes Leitungsorganmitglied geklagt, so wäre der An­ spruch auf Rückzahlung der Abfindung anzuerkennen gewesen.225 An dieser Stelle übersieht Schmolke m. E., dass das Verhältnis zwischen einer Komplementär-GmbH und ihrem Geschäftsführer nach ständiger Rechtsprechung Schutzwirkung zugunsten der KG entfaltet.226 Davon geht auch das OLG Düsseldorf in seiner Entscheidung aus: „Besteht die wesent­ liche Aufgabe des Geschäftsführers einer Komplementär-GmbH in der Ge­ schäftsführung für die KG, entfaltet der Anstellungsvertrag zwischen dem Geschäftsführer und der GmbH Schutzwirkung zu Gunsten der KG. Diese kann Schadensersatzansprüche aus § 43 Abs. 2 GmbHG und aus der Treue­ pflicht hergeleitete Ansprüche unmittelbar gegen den Geschäftsführer geltend machen.“227 Daher stand dem Gericht der Weg zu einer Offenbarungspflicht kraft der Treuepflicht des Geschäftsführers gegenüber der KG durchaus offen. Die Situation war also eine andere als in Bell v Lever, wo Bell in einem An­ gestelltenverhältnis zur Gesellschaft Lever Brothers stand, was aus der Sicht von Lord Atkin jegliche Überlegungen zu Bells fiduziarischen Pflichten von vornherein überflüssig machte. Das OLG Düsseldorf hätte dagegen durchaus die Möglichkeit gehabt, aus dem Geschäftsführerverhältnis des Beklagten zur Komplementär-GmbH eine Offenbarungspflicht abzuleiten, die auch gegen­ über der KG wirken würde. Das OLG hat dies aber nicht getan. Deshalb wäre die Entscheidung kaum anders ausgefallen, wenn die Gesellschaft gegen ihr ei­ genes Leitungsorganmitglied geklagt hätte. Schmolkes Idee als solche, also die Idee einer Offenbarungspflicht qua Treu­ bindung, hat gewiss ihren Charme. Daher wundert es nicht, dass sie von ge­ wichtigen Stimmen in der Literatur positiv aufgenommen wurde.228 Allerdings wird diese Idee nirgendwo bis in die letzte Konsequenz umgesetzt: Entweder wird der Geltungsbereich der Offenbarungspflicht auf Abfindungsverhand­ lungen beschränkt229 oder ihr wird eine verjährungsrechtliche Bedeutung abgesprochen, so dass das Schweigen des pflichtvergessenen Organmitglieds „keine neue Pflichtverletzung im Sinne des Verjährungsrechts“230 sein soll. Letzteres ist widersprüchlich: Wenn es eine Offenbarungspflicht gibt, muss 225 

Schmolke, RIW 2008, 365, 371 f. Ausführlicher dazu oben im Kapitel 4, § 3, II. OLG Düsseldorf, WM 2000, 1393 (3. Ls. und S. 1398). 228 Vgl. Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 275; Spindler, in: MüKo AktG, § 93 Rn. 125; zurückhaltend Kort, in: FS Hopt, S. 983, 1002: Die Offenbarungspflicht lasse sich „nicht gänzlich ausschließen“, außer bei Straftaten, weil dann der Nemo-tenetur-Grund­ satz uneingeschränkt gelte. 229 So Spindler, in: MüKo AktG, § 93 Rn. 125. 230 So Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 588. 226  227 

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Kapitel 5: Offenbarung eigenen Fehlverhaltens

das Schweigen eine Pflichtverletzung sein, und zwar auch „im Sinne des Ver­ jährungsrechts“. Denn alle Pflichtverletzungen wirken sich auf die Verjährung aus, indem sie Haftungsansprüche begründen, die sodann eigenständig ver­ jähren. 2.  Selbstbezichtigung und Ad-hoc-Publizität Es scheint jedenfalls, dass Schmolkes Vorstoß die Selbstbezichtungspflicht „sa­ lonfähig“ gemacht hat: Sie wird nun auch im Zusammenhang mit der kapital­ marktrechtlichen Publizität öfter angesprochen.231 Der Grund dafür ist, dass das Fehlverhalten von Organmitgliedern eine kursrelevante und damit eine ad-hoc-publizitätspflichtige Tatsache sein kann. Kursrelevanz soll insbeson­ dere dann vorliegen, wenn die Information über das Fehlverhalten dem ver­ ständigen Anleger erlaubt, die Qualität und Integrität des Managements zu beurteilen und so die Agentur-Kosten einzuschätzen, die beim Emittenten anfallen.232 Ist die Information über das Fehlverhalten nach diesen Kriterien kursrelevant, entsteht in der Regel eine Ad-hoc-Publizitätspflicht nach Art. 17 MAR , da diese Information den Emittenten unmittelbar betrifft.233 Für manche genügt dies, um eine Offenbarungspflicht des pflichtverges­ senen Organmitglieds gegenüber dem Emittenten anzunehmen: Alles ande­ re würde zulasten des Kapitalmarkts gehen.234 Diese Auffassung wendet im Rahmen der Ad-hoc-Publizität die Wissenszurechnungsgrundsätze an 235 und muss daher, um die Ad-hoc-Publizitätspflicht des Emittenten zu bejahen, zu­ nächst feststellen, ob er von der publizitätspflichtigen Tatsache gewusst (oder fahrlässig nicht gewusst) hat. Vor diesem Hintergrund stellt die Offenbarungs­ pflicht des Organmitglieds gegenüber der Gesellschaft eine Informationswei­ terleitungspflicht dar, die es erlaubt, das Wissen des Organmitglieds über sein Fehlverhalten dem Emittenten zuzurechnen. Die Existenz einer solchen Of­ fenbarungspflicht wird dabei nicht bezweifelt: Es gebe eine „Weiterleitungs­ pflicht im Privatrechtsverhältnis zum Emittenten“236 , die vom Nemo-teneturGrundsatz nicht beschränkt werde, weil dies zulasten des Kapitalmarkts ginge und der Nemo-tenetur-Grundsatz im privatrechtlichen Verhältnis zwischen der Organperson und dem Emittenten ohnehin nicht gelte.237 231  Siehe etwa Ihrig, ZHR 181 (2017), 381, 402 f.; Sajnovits, WM 2016, 765, 772 f.; Seibt/​ Cziupka, AG 2015, 93, 104; Spindler, ZHR 181 (2017), 311, 322. 232  Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 7 Rn. 419 ff., Art. 17 Rn. 423 ff.; ders., ZIP 2015, 1145, 1151; nun auch BGH, Urt. v. 10.7.2018 – II ZB 24/14, AG 2019, 79 (Ls. 1a und Rn. 125). 233  Assmann, in: Assmann/​ Schneider/​ Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014, Art. 17 Rn. 234; Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 17 Rn. 424. 234  Sajnovits, WM 2016, 765, 772 f. 235 Vgl. Sajnovits, WM 2016, 765 ff.; zur Wissenszurechnung im Rahmen der Ad-hocPublizität siehe auch Kapitel 3, § 3, I. 236  Sajnovits, WM 2016, 765, 773. 237 So Sajnovits, WM 2016, 765, 772; zustimmend Spindler, ZHR 181 (2017), 311, 322.



§ 2.  Rechtsvergleichende Bestandsaufnahme

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Die meisten Autoren teilen diese Extremposition nicht und trennen mehr oder weniger streng zwischen der Ad-hoc-Publizitätspflicht des Emittenten und der Offenbarungspflicht der Organmitglieder.238 Dabei tendieren diese Stimmen dazu, die Offenbarungspflicht zu verneinen, auch wenn diese „aus rein rechtsökonomischer Perspektive […] im Lichte dadurch ermöglichter Re­ duktion der Überwachungskosten Effizienzgewinne verspräche“239. Sie erlau­ ben sogar dem Vorstandsmitglied, das für die entsprechende Ad-hoc-Mittei­ lung zuständig ist, von der Mitteilung abzusehen, wenn es sich dadurch einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit bezichtigen müsste.240 Ansonsten wäre die Organperson zur öffentlichen Selbstbezichtigung gezwungen, was im Hinblick auf ihre Grundrechte und insbesondere den Nemo-tenetur-Grund­ satz verfassungswidrig wäre.241 In derartigen Fällen sei die Ad-hoc-Mittei­ lung für die Organperson unzumutbar. Sie könne die Mitteilung unterlassen, ohne rechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen; insbesondere begehe sie durch das Unterlassen keine Ordnungswidrigkeit.242 Wie sich dies auf die Ad-hoc-Publizitätspflicht des Emittenten auswirkt, wird kontrovers beurteilt: Die einen lassen gleich auch die Ad-hoc-Publizitäts­ pflicht des Emittenten entfallen 243, die anderen meinen, diese Pflicht bestehe fort und könne durch die anderen Vorstandsmitglieder erfüllt werden.244 Im letzten Fall entsteht allerdings ein Problem: Da das pflichtvergessene Organ­ mitglied schweigen darf, stellt sich die Frage, wie sich der Emittent die Kennt­ nis von der Pflichtverletzung verschaffen soll, um seine Ad-hoc-Publizitäts­ pflicht zu erfüllen. Die Lösung hängt von der Position des jeweiligen Autors in der Wissenszurechnungsfrage ab: Diejenigen, die im Rahmen des Art. 17 MAR mit Wissenszurechnung arbeiten, greifen zu wertender Betrachtung, in die auch der Nemo-tenetur-Grundsatz einbezogen wird. Dabei wird das Wis­ sen des pflichtvergessenen Organmitglieds dem Emittenten zugerechnet, wenn 238  Siehe etwa Assmann, in: Assmann/​S chneider/​Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014, Art. 17 Rn. 83, 235; Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 17 Rn. 429; Ihrig, ZHR 181 (2017), 381, 402; Bunz, NZG 2016, 1249, 1252; vgl. auch Seibt/​Cziupka, AG 2015, 93, 103. 239  Seibt/​Cziupka, AG 2015, 93, 104; vgl. auch Ihrig, ZHR 181 (2017), 381, 402, 404. 240  Assmann, in: Assmann/​ Schneider/​Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/​ 2014, Art. 17 Rn. 83, 235; ders., in: Assmann/​Schneider, WpHG, § 15 Rn. 91; Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 17 Rn. 429; ders., ZIP 2015, 1145, 1154; Bunz, NZG 2016, 1249, 1252; ab­ weichend Seibt/​Cziupka, AG 2015, 93, 103, die vom Fortbestand der Mitteilungspflicht des Organmitglieds ausgehen und nur ordnungswidrigkeitenrechtliche Sanktionen verneinen, wenn das Organmitglied die Mitteilung unterlässt. 241  Assmann, in: Assmann/​ Schneider/​Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/​ 2014, Art. 17 Rn. 83, 235; ders., in: Assmann/​Schneider, WpHG, § 15 Rn. 91. 242  Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 17 Rn. 429; so auch Seibt/​Cziupka, AG 2015, 93, 103. 243 Etwa Assmann, in: Assmann/​ Schneider/​ Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014, Art. 17 Rn. 235. 244  Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 17 Rn. 429; zum Streitstand Gehling, ZIP 2018, 2008, 2009.

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Kapitel 5: Offenbarung eigenen Fehlverhaltens

die Pflichtverletzung in Ausübung der Organtätigkeit erfolgt oder sich gegen die Gesellschaft richtet, und verneint, wenn das Fehlverhalten keinen Unter­ nehmensbezug aufweist.245 Die Zurechnung begründet sodann die Kenntnis des Emittenten von der Insidertatsache und seine Publizitätspflicht. Dieje­ nigen, die ohne Wissenszurechnung auskommen, fragen stattdessen, ob der Emittent alle erforderlichen und zumutbaren Anstrengungen unternommen habe, um sich die Kenntnis von der publizitätspflichtigen Tatsache zu verschaf­ fen.246 Von einer Straftat, die sich gegen ihn richte, erlange er nicht automatisch Kenntnis, weil er sich in einer Opferrolle befinde; er müsse aber bei konkreten Anhaltspunkten für Straftaten interne Ermittlungen durchführen.247 Das Meinungsbild ist also äußerst vielfältig. Um das Wissenszurechnungs­ thema abzuschließen, sei ein Hinweis auf ein altes englisches Urteil zu diesem Thema erlaubt. In Re Hampshire Land248 ging es um einen Angestellten, der für zwei Gesellschaften gleichzeitig tätig war. Er wusste, dass in der ersten Ge­ sellschaft ein Gesellschafterbeschluss fehlerhaft zustande gekommen war. Die Richter mussten entscheiden, ob dieses Wissen auch der zweiten Gesellschaft zurechenbar war. Sie formulierten daraufhin die Voraussetzungen der Wis­ senszurechnung sowie eine „Arglistausnahme“ („fraud exception“), wonach die Zurechnung ausscheide, soweit sich das Wissen auf die Umstände beziehe, aus denen folge, dass sich der Wissende gegenüber der ersten Gesellschaft be­ trügerisch oder ähnlich dolos verhalten habe. Denn der gesunde Menschenver­ stand spreche dafür, dass eine Mitteilungspflicht nicht erfüllt werde, wenn die Mitteilung das eigene Fehlverhalten betreffe. Da das Wissen in einer solchen Situation regelmäßig nicht weitergegeben werde, scheide die Wissenszurech­ nung aus. Das Wissen des Angestellten über sein Fehlverhalten gegenüber der ersten Gesellschaft sei daher der zweiten Gesellschaft nicht zuzurechnen. Das gleiche gelte auch dann, wenn kein fraud, sondern eine sonstige Pflichtverlet­ zung (breach of duty) vorliege.249 Ein gutes Jahrhundert vor Item Software war also die englische Justiz von praktischem Versagen der Offenbarungspflicht überzeugt.

IV. Ergebnis In Deutschland wurde die Offenbarungspflicht der Organmitglieder tradi­ tionell im Zusammenhang mit der sog. Sekundärhaftung diskutiert. Letztere wurde von der Rechtsprechung entwickelt, um die kurze kenntnisunabhän­ gige Haftungsverjährung im Anwalts-, Steuerberater- und Architektenrecht 245 Vgl.

Ihrig, ZHR 181 (2017), 381, 403 f. Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 17 Rn. 111 ff. 247  Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 17 Rn. 120. 248  Re Hampshire Land Co (No.2) [1896] 2 Ch. 743. 249  Re Hampshire Land Co (No.2) [1896] 2 Ch. 743, 749 f. 246 Siehe



§ 2.  Rechtsvergleichende Bestandsaufnahme

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durch eine Regelverjährung zu ersetzen. Zu diesem Zweck wurde angenom­ men, dass Rechtsanwälte, Steuerberater und Architekten verpflichtet seien, ei­ gene Fehler zu offenbaren (Hinweispflicht). Der unterlassene Hinweis galt als eine neue Pflichtverletzung, die regelmäßig verjährte. Auf diese Weise korri­ gierte die Rechtsprechung „falsche“ Entscheidungen des Gesetzgebers, ohne mit ihm in einen offenen Konflikt zu kommen. Aus heutiger Sicht macht es wenig Sinn, darüber nachzudenken, ob diese Judikatur auf Organmitglieder übertragbar ist.250 Denn zum einen haben die Gerichte und allen voran der II. BGH‑Senat mehrfach und deutlich ausgespro­ chen, dass die kenntnisunabhängige Verjährung der Organhaftungsansprüche sachlich gerechtfertigt sei und eine Sekundärhaftung der Organmitglieder des­ halb nicht in Betracht komme. Zum anderen hat die Sekundärhaftung durch die Verjährungsrechtsreform ihre Bedeutung weitestgehend verloren. Zum dritten ist die Hinweispflicht, die zur Begründung der Sekundärhaftung konstruiert wurde, ein reines Zweckinstrument ohne eigenständigen Inhalt: Sie wurde be­ jaht, wenn die Richter die jeweilige Verjährungsregelung als ungerecht emp­ fanden, und verneint, wenn die kurze Verjährung sachgerecht erschien. Trotz Begründungen wie Vertrauensbeziehung oder überlegenes Fachwissen war und bleibt die Hinweispflicht eine leere Hülle, die zur wissenschaftlichen Dis­ kussion über die Offenbarungspflicht der Organmitglieder kaum etwas bei­ tragen kann. In der heutigen deutschen Rechtsprechung spielt die Offenbarungspflicht der Organmitglieder dennoch eine Rolle, und zwar im Zusammenhang mit Vertragsverhandlungen. Ihre dogmatische Grundlage findet sie in der vorver­ traglichen Aufklärungspflicht. Die Rechtsprechung ist allerdings uneinheit­ lich. In einem älteren Urteil des BGH und einigen instanzgerichtlichen Ent­ scheidungen wird die Offenbarungspflicht abgelehnt. Als Argumente dienen insbesondere der Schutz vor Selbstbezichtigung, der fehlende Zusammenhang zwischen vergangenem Fehlverhalten und Anstellungs- bzw. Aufhebungs­ verhandlungen sowie mögliche negative Auswirkungen der Offenbarungs­ pflicht auf die Berufschancen des Betroffenen. Im sog. Urkundenfall aus dem Jahr 2005 hat der II. BGH‑Senat eine vorvertragliche Aufklärungspflicht des GmbH‑Geschäftsführers in Bezug auf das eigene Fehlverhalten dagegen be­ jaht, wofür ihm schon ein zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Fehlver­ halten und den Vertragsverhandlungen gereicht hat. Allerdings ging es im Urkundenfall um einen gravierenden Loyalitätsverstoß, den der Gerichtshof wohl nicht unbestraft lassen wollte. Im UK ist seit dem Urteil des Court of Appeal in Item Software (2004) eine fiduziarische Offenbarungspflicht der Direktoren anerkannt, die aus der Treuepflicht abgeleitet wird. Diese „fiduciary duty to disclose own wrong­ 250 

So aber Sturm, Die Verjährung, S. 427 f., 435 ff.

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doing“ findet auch im Schrifttum überwiegend Zustimmung. Sie greift gene­ rell und nicht nur bei Vertragsverhandlungen.251 Ähnlich wie im deutschen Urkundenfall geht es im UK‑Recht darum, Direktoren für illoyales Verhalten (insbesondere bei einem Interessenkonflikt) hart zu bestrafen und die Gesell­ schaft für den Treuebruch zu entschädigen, und zwar auch dann, wenn dies unter Zugrundelegung der herkömmlichen Dogmatik nicht möglich gewe­ sen wäre. Auch hier erscheint die Offenbarungspflicht also als reines Zweck­ instrument. Eine weitere Ähnlichkeit besteht darin, dass die Offenbarungs­ pflicht recht karg begründet wird. Insbesondere gehen die Gerichte nicht auf die Frage ein, was eine solche Offenbarungspflicht für den Betroffenen be­ deutet; stattdessen wird auf das Interesse der Gesellschaft abgestellt, über das Fehlverhalten ihrer Organmitglieder aufgeklärt zu werden. In Deutschland plädiert vor allem Schmolke für eine Treuepflicht nach dem Muster von Item Software. Sein Verdienst besteht in erster Linie darin, dass er die Offenbarungspflicht  – wiederum der UK‑Rechtsprechung folgend  – auf eine neue dogmatische Grundlage gestellt hat: Nicht die Sekundärhaftung oder die vorvertragliche Aufklärungspflicht, sondern die organschaftliche und anstellungsvertragliche Treuepflicht sollen Organmitglieder dazu anhal­ ten, ihr eigenes Fehlverhalten offenzulegen. Es ist zu beobachten, dass die Of­ fenbarungspflicht seit dem Vorstoß von Schmolke immer öfter in Erwägung gezogen wird, auch wenn die meisten Literaturstimmen sie nach wie vor ab­ lehnen. Dabei stützten sie sich unter anderem auf die Rechtsprechung des II. Zivilsenats zur Sekundärhaftung der Organmitglieder sowie auf das Urteil des OLG Düsseldorf vom 25. November 1999 zur Offenbarungspflicht bei Ver­ tragsverhandlungen. Das Urteil des II. Senats im Urkundenfall findet bisher im gesellschaftsrechtlichen Schrifttum, soweit ersichtlich, keine Beachtung.

§ 3.  Daseinsberechtigung der Offenbarungspflicht „Ungewöhnlich“252 , „extravagant“253, „anomalous, if not perverse“254, „a de­ parture from the well established usage of mankind“255 – in diesen Bezeich­ nungen kommt das Unbehagen gegenüber der Offenbarungspflicht zum 251  Manche meinen sogar, die Offenbarungspflicht bestehe nur außerhalb der Vertrags­ verhandlungen. In diesem Bereich stelle sie eine normale Erscheinungsform der Loyalitäts­ pflicht dar, während dies bei Vertragsverhandlungen eher nicht der Fall sei, weil die Partei­ en entgegengesetzte Interessen verfolgten, in diese Richtung Davies/ ​Worthington, Gower’s Principles of Modern Company Law, Rn. 16–78. In der Praxis stellt sich allerdings die Frage nach der Offenbarung eigenen Fehlverhaltens in der Regel im Zusammenhang mit den Ab­ findungsverhandlungen, wenn die Gesellschaft die getroffene Abfindungsvereinbarung vor Gericht angreift. 252  Hübner, NJW 1989, 5, 11. 253  Horcal Limited v Gatland (1984) 1 B. C. C. 99089, 99093 (Goff L. J.).



§ 3.  Daseinsberechtigung der Offenbarungspflicht

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Ausdruck. Andere sehen darin eine „normale“ Folge der Treuepflicht, die ins­ besondere rechtsökonomisch geboten ist. Es geht nun darum, diese Kontrover­ se aufzulösen und herauszufinden, ob Organmitglieder nach deutschem Recht wirklich verpflichtet sind, ihr eigenes Fehlverhalten offenzulegen. Die Unter­ suchung beginnt mit möglichen sachlichen sowie dogmatischen Grundlagen der Offenbarungspflicht und endet mit deren verfassungsrechtlichen Analyse.

I.  Geltungsgrund und dogmatische Ableitung Als Geltungsgründe der Offenbarungspflicht kommen ähnlich wie beim Ma­ nagement-Buy-out zwei Faktoren in Betracht: die Principal-Agent-Bezie­ hung und die Informationsasymmetrie vor Vertragsschluss. Die PrincipalAgent-Beziehung gibt dem Organmitglied die Möglichkeit, sein Fehlverhalten zu verbergen und sich aus der Verantwortung für eigene Fehler zu stehlen, was das Risiko des moral hazard erhöht.256 Eine Offenbarungspflicht würde dem entgegenwirken, wenn sie diese nach Vertragsschluss entstandene Infor­ mationsasymmetrie beheben könnte. Sie würde dann die eigenen Kontroll­ anstrengungen des Auftraggebers (hier: die Gesellschaft) unterstützen. Bei Abfindungsverhandlungen könnte die Offenbarungspflicht zudem auch die Informationsasymmetrie vor Vertragsschluss abbauen. Denn in der Regel weiß der Betroffene um sein vergangenes Fehlverhalten, die Gesellschaft dagegen nicht. Bei dem Wissen des Betroffenen handelt es sich um eine „beiläufig er­ langte Information“, deren Gewinnung keine Kosten verursacht, so dass ihre Offenbarung wirtschaftlich nicht schädlich wäre. Die Geheimhaltung würde dagegen nicht zur Steigerung der allgemeinen Wohlfahrt, sondern dazu füh­ ren, dass die Gesellschaft unnötig finanzielle Mittel in die Beendigung der An­ stellungsverhältnisses investiert, obwohl sie sich von dem Betroffenen „kos­ tenlos“, sprich durch eine außerordentliche Kündigung, trennen könnte. Eine Offenbarungspflicht könnte hier zu einer besseren Ressourcenallokation bei­ tragen. Es stellt sich außerdem die Frage, ob die Offenbarungspflicht die Über­ wachungskosten der Gesellschaft verringern kann.257 Die Frage ist klar zu ver­ neinen, weil die Gesellschaft auch beim Bestehen einer Offenbarungspflicht mit Verstößen gegen eben diese Pflicht rechnen müsste. Sie könnte daher weder auf die Überwachung ihrer Organmitglieder verzichten noch ihren Über­ wachungsaufwand verringern.258 Jede Nachlässigkeit bei der Compliance 254  Flannigan, (2005) 26 Bus. L. R. 258, 259. 255  Bell v Lever Brothers Ltd [1932] A. C. 161,

228 (Lord Atkin). Vgl. dazu Kapitel 4, § 2, III. 1. 257 Bejahend Schmolke, RIW 2008, 365, 371; in diese Richtung auch Arden L. J. in Fassihi & Ors v Item Software (UK) Ltd [2004] B. C. C. 994, 1009, Rn. 65. 258 Vgl. Flannigan, (2005) 26 Bus. L. R. 258, 260. 256 

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könnte zur Folge haben, dass ein Pflichtenverstoß unentdeckt bleibt, der bei engmaschigeren Kontrolle ans Licht gekommen wäre. Wenn dies tatsächlich passiert, haften die Überwachungsverantwortlichen ohne Rücksicht auf eine etwaige Offenbarungspflicht. Sie könnten insbesondere nicht einwenden, sie hätten darauf vertraut, dass das pflichtvergessene Organmitglied seine Fehler rechtzeitig offenbaren werde. Ein solches Vertrauen wäre genauso naiv wie ein Vertrauen darauf, dass Organmitglieder stets die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anwenden werden, weil das Gesetz das vorschreibt. Die Anerkennung der Offenbarungspflicht würde also das Über­ wachungsproblem nicht lösen: „Opportunism is a cost of operating an under­ taking […]. A duty to confess is not a substitute for monitoring for oppor­ tunism.“259 Abgesehen davon könnte die Offenbarungspflicht den status quo sogar verschlimmern, da ihre Erfüllung ebenfalls überwacht werden müsste. Im Ergebnis könnte sie den Überwachungsaufwand paradoxerweise vergrö­ ßern. Zudem müssten fahrlässige Verstöße gegen die Offenbarungspflicht im Rahmen der D&O‑Versicherung versichert werden, wodurch die Versiche­ rungskosten steigen könnten. Statt Ressourceneinsparung käme es dann zu Kostenwachstum. Dogmatisch ließe sich die Offenbarungspflicht auf die Treuepflicht aus dem Organ- und Anstellungsverhältnis260 sowie auf die vorvertragliche Aufklä­ rungspflicht261 stützen. Bei laufender Organ- und Vertragsbeziehung ergäbe sich die Offenbarungspflicht also aus der Treuepflicht, bei Beendigung dieser Beziehung zusätzlich aus der vorvertraglichen Aufklärungspflicht. Es könn­ ten sich indes schwierige Abgrenzungsfragen stellen, etwa im Hinblick auf das Gebot der Offenlegung von Geschäftschancen und Interessenkonflikten. So hat z. B. Fassihi in Item Software gegen ein Wettbewerbsverbot verstoßen, indem er Isograph ein eigenes Angebot gemacht hat (Fehlverhalten), gleich­ zeitig wollte er die Geschäftschance von Item für sich nutzen und befand sich deshalb in einem Interessenkonflikt. Hier fällt die Offenbarungspflicht gewis­ sermaßen mit der Pflicht zur Offenlegung des Interessenkonflikts zusammen, weil die Letztere auf die Offenbarung des Fehlverhaltens hinausläuft. Bei Beendigung des Anstellungsverhältnisses bestünde zudem die Not­ wendigkeit, die Offenbarungspflicht einzugrenzen. Insoweit könnte man mit dem OLG Düsseldorf262 einen strengen Maßstab anlegen und einen sachlichen Zusammenhang zwischen dem Fehlverhalten und dem Gegenstand des Auf­ hebungsvertrags fordern, was bei einer ablösenden Abfindung regelmäßig zur Verneinung der Offenbarungspflicht führen würde. Denkbar wäre es aber 259 

Flannigan, (2005) 26 Bus. L. R. 258, 260.

260 So Schmolke, RIW 2008, 365, 371. 261 Vgl. BGH LM Nr. 1 zu § 276 (Fb) BGB

= BB 1954, 360; NJW 1998, 1315; NZG 2005, 809 – Urkundenfall; OLG Düsseldorf, GmbHR 2000, 666. 262  OLG Düsseldorf, GmbHR 2000, 666.



§ 3.  Daseinsberechtigung der Offenbarungspflicht

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auch, nicht auf den Vertragsgegenstand, sondern auf den Vertragsentschluss abzustellen und zu fragen, ob die Gesellschaft den Vertrag in dieser Form auch dann abgeschlossen hätte, wenn sie vom Fehlverhalten der scheidenden Organ­ person gewusst hätte. Im Ergebnis würde sich diese Sichtweise mit der Position des BGH im Urkundenfall decken.

II. Grundrechtsrelevanz Die Offenbarungspflicht ist ausgesprochen grundrechtsrelevant. Wie ein­ gangs gezeigt, greift sie in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Organmit­ glieder ein (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG).263 Auf europäischer Ebene liegt dementsprechend ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens (Art. 7 GRCh, Art. 8 EMRK) vor. Die Offenbarungspflicht bewirkt ferner, dass personenbezogene Daten erhoben und verarbeitet werden, was einen Ein­ griff in das Grundrecht auf Datenschutz (Art. 8 GRCh, Art. 16 AEUV) be­ deutet.264 Schließlich tangiert die Offenbarungspflicht auch die Berufsfreiheit der Organmitglieder265 (Art. 12 GG, Art. 15 GRCh), wenngleich hier nicht der Schwerpunkt der Beeinträchtigung liegt. Als Grundrechtseingriff bedarf die Offenbarungspflicht einer verfassungs­ rechtlichen Rechtfertigung, die nur dann gegeben ist, wenn diese Pflicht ver­ hältnismäßig ist. Es führt also kein Weg an der klassischen Verhältnismäßig­ keitsprüfung mit ihren vier Elementen (legitimer Zweck, Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit) vorbei. Namhafte Stimmen in der zivil­ rechtlichen Literatur versuchen dagegen häufig, die Offenbarungspflicht samt ihren Grenzen autonom aus § 666 BGB heraus zu entwickeln, und zwar aus dem Merkmal „erforderliche Nachrichten“. So hält Taupitz die Offenbarung eigener Verfehlungen für „erforderlich“, wenn der Betroffene im fremden Inte­ resse tätig werde, seine Vermögensbetreuungspflicht ohne Offenbarung nicht erfüllen könne und in einer engen Vertrauensbeziehung zu seinem Vertrags­ partner stehe. Der Letztere müsse außerdem besonders schutzbedürftig sein, und zwar aufgrund fehlender eigener Kontrollmöglichkeiten.266 Im Hinblick auf das Merkmal der Erforderlichkeit hält Taupitz angesichts der verfassungs­ rechtlichen Relevanz der Offenbarungspflicht eine Einschränkung für not­ wendig: Die Offenbarung eigenen Fehlverhaltens müsse zur Erfüllung einer Hauptleistungspflicht „zwingend“ erforderlich sein.267

263  Siehe § 1, II. dieses Kapitels. 264 Vgl. Jarass, GRCh, Art. 8 Rn. 8. 265 Vgl.

Schwarz, Anzeige eigener Fehler, S. 159 für Rechtsanwälte.

266 Vgl. Taupitz, Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, S. 45 ff.; ders., NJW 1992, 713, 714;

so auch Sturm, Die Verjährung, S. 435 ff.; zustimmend Hanau, FS Baumgärtel, S. 121, 133. 267  Taupitz, Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, S. 41 ff.

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Es ist indes zweifelhaft, dass das knappe Merkmal „erforderliche Nachrich­ ten“ tatsächlich alle diese Kriterien beinhaltet; eher handelt es sich um eine Rechtsfortbildung, die nur deshalb bei diesem Merkmal angesiedelt wird, weil es unbestimmt genug ist. Dabei droht die verfassungsrechtliche Problematik aus dem Blick zu geraten, weil die einfachgesetzliche Vorschrift des § 666 BGB in den Mittelpunkt rückt.268 Schließlich wird die Überprüfung der Offen­ barungspflicht abgekürzt, weil streng genommen nur die Erforderlichkeit der Offenbarung untersucht wird, nicht aber deren Zweck, Geeignetheit oder An­ gemessenheit. Der kritisierte Ansatz ist daher keine taugliche Alternative zur klassischen Verhältnismäßigkeitsprüfung.

III.  Verhältnismäßigkeit der Offenbarungspflicht 1.  Legitime Zwecke der Offenbarungspflicht Bei der Analyse der legitimen Zwecke der Offenbarungspflicht ist es sinn­ voll, zwischen ihren primären und sekundären Zwecken zu unterscheiden. Eine rechtstheoretische Bemerkung vorweg: Ganz generell ist jede rationale Rechtspflicht darauf gerichtet, menschliches Verhalten zu steuern 269 und so be­ schreibt Lon Fuller das Recht als „the enterprise of subjecting human conduct to the governance of rules“270. Daher wird hier zunächst unterstellt, dass die Offenbarungspflicht generell das Ziel verfolgt, das Verhalten ihrer Adressa­ ten zu steuern. Des Weiteren wird angenommen, dass die Offenbarungspflicht eine „ehrliche“ Pflicht ist und das Verhalten ihrer Adressaten genau so steuern will, wie sie vorgibt, die Organmitglieder also dazu anhalten will, ihr Fehl­ verhalten der Gesellschaft unaufgefordert zu offenbaren.271 Folgen die Organ­ mitglieder diesem Normbefehl, so erfüllt die Offenbarungspflicht ihren primären Zweck, indem sie z. B. hilft, die Organhaftung effektiver zu gestalten. Missachten die Organmitglieder dagegen die Offenbarungspflicht, sind nega­ tive Folgen denkbar, etwa in Form von Schadensersatzansprüchen der Gesell­ schaft. Die säumigen Organmitglieder solchen negativen Konsequenzen zu unterwerfen, ist der sekundäre Zweck der Offenbarungspflicht. Beide Zwecke werden im Folgenden näher betrachtet.

268  So spricht Taupitz diese Problematik zwar anfangs an (vgl. Taupitz, Offenbarung ei­ genen Fehlverhaltens, S. 30), verliert sie aber später aus den Augen. 269  Celano, in: Waluchow/​ Sciaraffa, Philosophical foundations of the nature of law, S. 129, 133. 270  Fuller, The morality of law, S. 106. 271  Das Gegenteil sind Normen, die andere Zwecke verfolgen, als sie vorgeben; sie steu­ ern menschliches Verhalten nicht, sondern manipulieren, vgl. Celano, in: Waluchow/​Scia­ raffa, Philosophical foundations of the nature of law, S. 129, 136.



§ 3.  Daseinsberechtigung der Offenbarungspflicht

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a)  Primäre Zwecke der Offenbarungspflicht Was soll die Offenbarung von Pflichtverletzungen bewirken? Das Wissen vom Fehlverhalten ihrer Organmitglieder bietet der Gesellschaft diverse Vorteile: aa)  Bessere Personalentscheidungen Offenbart ein amtierendes Organmitglied einen schweren Pflichtverstoß, kann die Gesellschaft entscheiden, ob es dem Betroffenen durch die Offen­ barung gelungen ist, das Vertrauen als erforderliche Grundlage für die weitere Zusammenarbeit aufrechtzuerhalten. Kommt die Gesellschaft dagegen zu dem Schluss, dass sie dem Organmitglied nicht mehr vertraut, kann sie seine Be­ stellung widerrufen und seinen Anstellungsvertrag unter Umständen außer­ ordentlich kündigen. Die Offenlegung würde die Gesellschaft jedenfalls in die Lage versetzen, diese wichtige Personalentscheidung auf der Basis zutreffender Informationen zu treffen. Das Gleiche gilt, soweit es um die Verlängerung des Bestellungs- und Anstellungsverhältnisses geht. Auch hier führt die Offen­ barung begangener Pflichtverletzungen dazu, dass die Gesellschaft bewusst abwägen kann, ob sie die Verlängerung wünscht. bb)  Bessere Compliance und Haftungsdurchsetzung Rechtzeitige Kenntnis von Pflichtverstößen ihrer Organmitglieder würde der Gesellschaft helfen, die Betroffenen in Haftung zu nehmen, bevor die Haf­ tungsansprüche verjähren. Zudem wäre der Nachweis der Pflichtverletzung leichter zu führen, wenn der Betroffene den Verstoß selbst zugäbe. Im Ergeb­ nis könnte die Gesellschaft ihre Ansprüche gegen Organmitglieder effektiver durchsetzen.272 Die bessere Haftungsdurchsetzbarkeit würde zusätzliche An­ reize zu pflichtgemäßem Verhalten schaffen und dadurch zur Schadenspräven­ tion beitragen.273 Darüber hinaus bekäme die Gesellschaft durch die Offen­ barung von Pflichtverletzungen unter Umständen Hinweise auf die Lücken in ihrer Compliance-Organisation, die sie dann schließen könnte. cc) Schadensprävention In den Fällen, in denen das Fehlverhalten zu einem Schaden führt, der sich im Laufe der Zeit vergrößert, kann die Offenbarung des Fehlverhaltens die Ge­ sellschaft in die Lage versetzen, einzugreifen und die Schadensentwicklung zu stoppen. In diesem Fall würde die Offenbarungspflicht der Prävention weite­ rer Schäden dienen.

272  Vgl.

795.

zur ärztlichen Informationspflicht nach § 630c BGB Wagner, VersR 2012, 789,

273 Zur Schadensprävention als Ziel der Organhaftung Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 28 m. w. N.; vgl. auch Arnold, Die Steuerung des Vorstandshandelns, S. 170.

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dd)  Bessere Geschäftsentscheidungen In Item Software haben die Gerichte festgestellt, dass die Gesellschaft auf die Vorstellungen ihres Geschäftspartners eingegangen wäre, wenn sie Kenntnis von den Konkurrenzaktivitäten ihres eigenen Direktors gehabt hätte. Nach Ansicht von Arden L. J. kann die Offenbarungspflicht generell zu besseren Geschäftsentscheidungen beitragen, indem sie die Informationsgrundlage für diese Entscheidungen verbessere: „As the facts of this case demonstrate, the consequence of non-disclosure may be that the company makes erroneous business decisions because it lacks essential information. […] The duty upheld above helps to ameliorate these problems (often called agency problems) by en­ couraging the provision of information on which proper decision-making can take place.“274 Dies erscheint plausibel und entspricht dem, was zu Personal­ entscheidungen gesagt wurde. ee)  Kostengünstige Trennung vom Organmitglied Wiegt der Verstoß so schwer, dass er einen Grund für die außerordentliche Kündigung liefert, kann sich die Gesellschaft vom Organmitglied kosten­ günstig trennen, indem sie seinen Anstellungsvertrag kündigt. Auf einen Auf­ hebungsvertrag mit (eventuell erheblicher) Abfindung muss sie sich in diesem Fall nicht einlassen. Dieser Aspekt der Offenbarungspflicht („Wissen spart Geld“) wurde beispielsweise vom BGH im Urkundenfall angesprochen. Auf Organmitglieder könnten diese personalrechtlichen und finanziellen Folgen abschreckend wirken, was wiederum zur besseren Compliance führen würde. b)  Sekundäre Zwecke der Offenbarungspflicht Die sekundären Zwecke der Offenbarungspflicht sind die Sanktionen, die die schweigenden Organmitglieder treffen: aa)  Eigenständige Haftung auf Schadensersatz Da die Offenbarungspflicht eine eigenständige Pflicht ist, kann das Schweigen theoretisch Schadensersatzansprüche der Gesellschaft auslösen. In der Praxis wird es aber regelmäßig an einem eigenständigen Schaden fehlen. Die meis­ ten Schäden entstehen durch das originäre Fehlverhalten. Dessen fehlende Of­ fenbarung kann den Schaden zwar vergrößern, jedoch resultiert auch dieser größere Schaden aus dem ursprünglichen Fehlverhalten und wird daher vom Schadensersatzanspruch wegen dieses Verhaltens erfasst.275 Angenommen, ein GmbH‑Geschäftsführer mietet für die Gesellschaft gewerbliche Räume zu ungünstigen Konditionen, weil er sich im Vorfeld schlecht informiert hat. Als ihm sein Fehler bewusst wird, legt er ihn nicht offen. In der Folge verpasst 274 

275 

Fassihi & Ors v Item Software (UK) Ltd [2004] B. C. C. 994, 1009, Rn. 66. Grunewald, NZG 2013, 841, 844.



§ 3.  Daseinsberechtigung der Offenbarungspflicht

411

die GmbH die Kündigungsmöglichkeit, so dass sich der Mietvertrag um einen weiteren Zeitraum verlängert. Zwar ist der Schaden, der durch die Vertragsver­ längerung entsteht, das Resultat der fehlenden Offenbarung. Gleichzeitig geht jedoch der gesamte Schaden auf den Abschluss des ungünstigen Mietvertrags zurück und ist von einem entsprechenden Schadensersatzanspruch erfasst. Das Verschweigen des ursprünglichen Fehlers führt also nur zu einem „Hilfsscha­ densersatzanspruch“, der außerdem in seinem Umfang hinter dem Anspruch wegen der fehlerhaften Anmietung bleibt. Ein anderes Beispiel ist die verbotene Einlagenrückgewähr durch ein Vor­ standsmitglied: die Konstellation, die dem Easy-Software-Urteil276 zugrunde lag. Hier wird teilweise argumentiert, durch die Einlagenrückgewähr verlie­ re die Gesellschaft zwar den entsprechenden Vermögensgegenstand, erlange aber gleichzeitig einen Rückgewähranspruch gegen den Empfänger verbotener Leistung (§ 62 Abs. 1 AktG). Die AG erleide also zunächst nur einen „Vorent­ haltungsschaden“, solange der Anspruch aus § 62 Abs. 1 AktG werthaltig und nicht verjährt sei. Erst wenn das Vorstandsmitglied, das die Einlagen pflicht­ widrig zurückgewährt habe, diesen Anspruch aus Angst vor eigener Haftung verjähren lasse, schlage der „Vorenthaltungsschaden“ in den endgültigen Ver­ lust um.277 Diese zutreffende Beobachtung ändert jedoch nichts daran, dass auch dieser endgültige Verlust auf die ursprüngliche Pflichtverletzung (ver­ botene Einlagenrückgewähr) zurückgeht. Das Verschweigen der Einlagen­ rückgewähr durch das beteiligte Vorstandsmitglied führt also auch hier nicht zu einem „anderen“ Schaden, also einem solchen, der von der ursprünglichen Pflichtverletzung völlig losgelöst wäre und ausschließlich aus der Verletzung der Offenbarungspflicht resultieren würde.278 Ganz ähnlich ist die Lage im Arzthaftungsrecht, wo § 630c Abs. 2 S. 2 BGB dem Behandelnden vorschreibt, eigene Behandlungsfehler zu offenbaren. Der Norm wird meist jede haftungsrechtliche Bedeutung abgesprochen.279 Der ge­ samte Schaden des Patienten sei bereits vom Ersatzanspruch wegen des Be­ handlungsfehlers erfasst; wegen der unterlassenen Offenbarung des Fehlers erhalte der Patient einen zweiten Schadensersatzanspruch, der nicht über den ersten hinausreiche. Es handele sich dabei um eine „ergebnisneutrale und daher sinnlose Verdoppelung der Haftung“280. Ein Parallelproblem aus dem Straf­ recht ist die sog. „Garantenstellung aus Ingerenz“. Dabei geht es um die Frage, 276 

BGH NZG 2018, 1301 – Easy Software.

277  Altmeppen, ZIP 2019, 2117, 1255 f. 278  Anders wohl Altmeppen, ZIP 2019,

2117, 1255 f., 1259. Mansel, in: Jauernig, § 630c Rn. 7; Wagner, in: MüKo BGB, § 630c Rn. 34; ders., VersR 2012, 789, 795; Weidenkaff, in: Palandt, § 630c Rn. 7; Katzenmeier, NJW 2013, 817, 819; Preis/​Schneider, NZS 2013, 281, 283; Taupitz, NJW 1992, 713, 714; ders., Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, S. 21 ff., 99 f.; vgl. auch Jaeger, Patientenrechtegesetz, Rn. 110: „Die Norm wird […] ins Leere laufen.“ 280  Wagner, VersR 2012, 789, 795. 279 

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ob jemand, der vorsätzlich eine Tat begeht, anschließend als Garant verpflich­ tet ist, den Taterfolg abzuwenden, und als Unterlassungstäter haftet, wenn er dies nicht tut. Die Strafrechtler gehen insoweit pragmatisch vor, indem sie ent­ weder die Garantenstellung aus Ingerenz als solche verneinen (der Täter, der vorsätzlich einen Erfolg anstrebt oder billigend in Kauf nimmt, ist nicht zu­ gleich verpflichtet, ihn abzuwenden) oder annehmen, dass der Unterlassungs­ delikt auf der Konkurrenzebene verdrängt wird.281 Eine haftungsrechtliche Bedeutung hätte die Offenbarungspflicht allen­ falls im Hinblick auf Verzögerungsschäden. Offenbart ein Organmitglied sein Fehlverhalten frühzeitig, kann die Gesellschaft es zur Zahlung von Schadens­ ersatz auffordern und dadurch in Verzug setzen. Unterbleibt dagegen die Of­ fenbarung und erfährt die Gesellschaft erst später von dem Fehlverhalten, so kann sie für die Vergangenheit keinen Verzugsschaden geltend machen. Der Verzugsschaden, etwa in Form von entgangenen Verzugszinsen, würde also einen eigenständigen Schaden infolge der Verletzung der Offenbarungspflicht darstellen.282 Die Verzögerung bei der Anspruchserhebung kann sich au­ ßerdem negativ auf die Leistungen der D&O‑Versicherung auswirken.283 So kann es sein, dass im Zeitpunkt der Anspruchserhebung die Versicherungs­ summe bereits verbraucht oder der Versicherungsvertrag bereits beendet ist und auch keine Nachhaftung in Frage kommt.284 Dann kann die Gesellschaft nur gegen den Betroffenen selbst vorgehen; kann er nicht zahlen, entsteht ihr ein Verzögerungsschaden. Allerdings nutzt ihr ein zusätzlicher Anspruch gegen das zahlungsunfähige Organmitglied nichts, so dass dieser Verzöge­ rungsschaden keine praktische Bedeutung hat. Ganz ähnlich ist die Lage bei vorsätzlichen Pflichtverletzungen, welche die D&O‑Versicherung von vorn­ herein nicht deckt.285 Hier kann die Gesellschaft von Anfang an nur gegen die Organperson selbst vorgehen; verzögert diese ihre Inanspruchnahme, indem sie die Pflichtverletzung verschweigt, und wird sie später zahlungsunfähig, so hat die Gesellschaft zwar einen Anspruch auf Ersatz des Verzögerungsscha­ dens, praktisch realisieren kann sie ihn aber wegen der Zahlungsunfähigkeit der Organperson nicht.

281 Dazu Bosch, in: Schönke/​S chröder, StGB, § 13 Rn. 38 m. w. N. 282  Vgl. für die Arzthaftung Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht,

BGB, § 630c Rn. 16; ders., JZ 2015, 15, 25 f.; Jaeger, Patientenrechtegesetz, Rn. 140 ff. 283  Zur Versicherungsproblematik im Medizinrecht Spickhoff, in: Spickhoff, Medizin­ recht, BGB, § 630c Rn. 16; ders., VersR 2013, 267, 274; ders., JZ 2015, 15, 26. 284  Löbbe/​Lüneborg, Der Konzern 2019, 53, 59; ausführlich zur D&O‑Problematik Conradi, AnwBl. 2012, 803 ff.; zum sog. Claims-made-Prinzip der D&O‑Versicherung, wo­ nach der Versicherungsfall erst durch die Anspruchserhebung ausgelöst wird, siehe OLG München, Urt. v. 8.5.2009 – 25 U 5136/08, VersR 2009, 1065; Fleischer, in: Spindler/​Stilz, AktG, § 93 Rn. 248; Lüneborg/​Resch, AG 2017, 691, 692 f. 285 Dazu Hölters, in: Hölters, AktG, § 93 Rn. 406.



§ 3.  Daseinsberechtigung der Offenbarungspflicht

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bb)  „Vervollständigung“ des originären Haftungsanspruchs In Item Software und im Urkundenfall war die Haftung für das originäre Fehl­ verhalten problematisch: In Item Software mangelte es an Kausalität zwischen dem Fehlverhalten und dem Schaden, im Urkundenfall war nicht klar, wie die Patentprozesse ausgehen und ob ein Schaden entstehen wird. In beiden Fällen wurde die Offenbarungspflicht dazu genutzt, diese Lücken auszufüllen. Dem­ entsprechend meint Schmolke, man könne mithilfe der Offenbarungspflicht die Probleme der Kausalität, des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs und des Verschuldens überwinden, wenn diese Merkmale beim primären Pflichtenver­ stoß fehlten.286 Dies ist abzulehnen: Hätte schon wegen des originären Fehl­ verhaltens kein Schadensersatz verlangt werden können, so kann auch das Verschweigen dieses Verhaltens keine Haftung begründen.287 Eine Haftung auf Schadensersatz unterliegt bestimmten Voraussetzungen und scheidet aus, wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind. Sie wie ein Puzzlespiel zu be­ trachten, für das die Offenbarungspflicht die fehlenden Puzzlestücke liefern kann, wäre mit der herkömmlichen Zivilrechtsdogmatik nicht vereinbar. cc) Verjährungsverlängerung Der Anspruch wegen Verletzung der Offenbarungspflicht würde wie im Mo­ dell der Sekundärhaftung eigenständig verjähren. Es käme also zu einer Ver­ längerung der gesetzlichen Verjährungsfrist, unabhängig davon, ob die feh­ lende Offenbarung nur zur Verjährung der Ansprüche wegen des originären Fehlverhaltens oder zu sonstigen (Teil-)Schäden führen würde.288 Die Offen­ barungspflicht würde also die bestehenden aktien- und GmbH-rechtlichen Verjährungsregelungen aus den Angeln heben.289 Diese Verjährungsverlänge­ rung wäre daher kein legitimer Zweck der Offenbarungspflicht. dd)  Anfechtbarkeit von Verträgen und Rückforderung des Geleisteten Weitreichende Folgen hätte die Verletzung der Offenbarungspflicht beim Ab­ schluss von Aufhebungsverträgen, wie der Urkundenfall zeigt. Die Gesell­ schaft könnte dann den abgeschlossenen Aufhebungsvertrag wegen arglistiger Täuschung anfechten, die geleisteten Zahlungen nach § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB zurückverlangen und künftige Leistungen verweigern. Dies würde aller­ dings voraussetzen, dass das Organmitglied seine Pflichtverletzungen bewusst verschwiegen hat; handelte es dagegen fahrlässig, weil es seinen Fehler als sol­ chen überhaupt nicht erkannt oder bei den Aufhebungsverhandlungen daran 286  287 

Schmolke, RIW 2008, 365, 372. So richtigerweise Wagner, VersR 2012, 789, 795 in Bezug auf ärztliche Behandlungs­

fehler. 288  Vgl. § 2, I. 2. a) in diesem Kapitel; unklar insofern Altmeppen, ZIP 2019, 2117, 1257 f. 289 Vgl. Grunewald, NZG 2013, 841, 845; Paefgen, DZWiR 2009, 177, 180.

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nicht mehr gedacht hat, läge keine Täuschung und damit kein Anfechtungs­ grund vor. In den übrigen Fällen, d. h. beim Fehlen von Verhandlungen zwischen der Gesellschaft und dem Organmitglied, wären die Folgen der Verletzung der Offenbarungspflicht dagegen recht überschaubar. Theoretisch könnte die Ge­ sellschaft zumindest bei gravierendem Fehlverhalten argumentieren, sie hätte das Anstellungsverhältnis sofort gekündigt, wenn das Organmitglied das Fehlverhalten offenbart hätte. Bezüge und sonstige Leistungen, die sie ihm nach diesem hypothetischen Kündigungszeitpunkt gewährt hat, könnte sie dennoch nicht als Schaden geltend machen. Denn nach der Differenzhypothe­ se wäre das tatsächliche Vermögen der Gesellschaft mit dem hypothetischen Vermögensstand zu vergleichen, der ohne das schädigende Ereignis vorgelegen hätte. Dabei wäre davon auszugehen, dass die Gesellschaft bei Kenntnis des Fehlverhaltens das pflichtvergessene Organmitglied durch eine andere Person ersetzt und ihr eine entsprechende Vergütung gezahlt hätte. Ihr Vermögens­ stand wäre also der gleiche. Zu keinem anderen Ergebnis führte der Gedan­ ke des Vorteilsausgleichs: Die Gesellschaft müsste sich die Vorteile anrechnen lassen, die sie im Zusammenhang mit dem schädigenden Ereignis erlangt hat. Ein solcher Vorteil wären die Dienste, die das Organmitglied tatsächlich er­ bracht hat. Da es die Gesellschaft nicht über seine Qualifikation, sondern nur über sein früheres Fehlverhalten getäuscht hat, wäre anzunehmen, dass der Wert seiner Leistungen der gezahlten Vergütung entspricht. Die umstrittene Frage, ob bei einer Täuschung über die Qualifikation die gezahlte Vergütung als Schaden zu betrachten ist290 , würde sich hier nicht stellen. Ähnlich hat übrigens ein englisches Gericht in Brandeaux Advisers (UK) Ltd v Chadwick291 argumentiert. Dort verlangte der Arbeitgeber von einer pflichtwidrig handelnden Angestellten die geleisteten Gehaltszahlungen zu­ rück mit der Begründung, er hätte das Arbeitsverhältnis gekündigt und sich die Zahlungen erspart, wenn die Arbeitnehmerin den Pflichtverstoß offenbart hätte. Was die mutmaßliche Kündigung betraf, ist das Gericht dieser Argu­ mentation gefolgt; es hat die Forderung dennoch mangels eines ersatzfähigen Schadens für unbegründet erachtet: Der Arbeitgeber habe von der Leistungen der Angestellten profitiert, wobei zu vermuten sei, dass der Wert der Leistun­ gen der vereinbarten Vergütung entspreche.292 290  Dafür

etwa LAG Köln, Urt. v. 16.6.2000 – 11 Sa 1511/99, NZA‑RR 2000, 630, 631, dagegen LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 24.8.2011 – 15 Sa 980/11, RDV 2012, 36 = juris, Rn. 33; weitere Nachweise bei Preis, in: ErfK, BGB, § 611a Rn. 367. 291 [2010] EWHC 3241 (QB); dazu Stafford/​R itchie, Fiduciary duties: directors and em­ ployees, Rn. 2.168. 292  Brandeaux Advisers (UK) Ltd v Chadwick [2010] EWHC 3241 (QB), Rn. 56. In einem anderen Fall, Cavenagh v William Evans Ltd [2012] EWCA Civ 697, wurde die Frage nach dem Verstoß gegen die Offenbarungspflicht als Anfechtungs- und Schadensersatz­ grund von Mummery L. J. nur kurz angesprochen, aber nicht entschieden, da sich die Ge­



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c) Zusammenfassung Die primären Zwecke der Offenbarungspflicht wären insbesondere: y Verbesserung der Personal- und Geschäftsentscheidungen; y Bessere Compliance und effektivere Organhaftung; y Schadensprävention; y Kostenersparnis bei Trennung von pflichtvergessenen Organmitgliedern. All diese Zwecke stellen ohne Weiteres legitime Zwecke dar. Zu den wichtigen sekundären Zwecken der Offenbarungspflicht zählten die Folgenden: y Haftung für Verzögerungsschäden; y Anfechtbarkeit von Aufhebungsverträgen mit der Möglichkeit der Rück­ forderung des Geleisteten; y Verjährungsverlängerung; y „Vervollständigung“ des originären Haftungsanspruchs. Von diesen sekundären Zwecken wären nur die ersten zwei legitim; der dritte käme in Konflikt mit der ausdrücklichen gesetzgeberischen Entscheidung, der vierte mit der herkömmlichen Rechtsdogmatik. Nun gilt es festzustellen, ob die Offenbarungspflicht zur Erreichung ihrer primären und sekundären Zwe­ cke geeignet wäre, soweit diese Zwecke legitim sind. 2.  Offenbarungspflicht und ihre primären Zwecke a) Geeignetheit Wäre die Offenbarungspflicht aus Ex-ante-Sicht geeignet, ihre primären Zwe­ cke zu fördern? Ähnlich wie der EuGH293 stellt das BVerfG an die Geeignetheit einer Grundrechtsschranke keine besonders hohe Anforderungen: Ein kon­ kretes Mittel ist geeignet, den erstrebten Zweck zu erreichen, „wenn mit seiner Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann“294. Außerdem billigt das BVerfG dem Gesetzgeber ein „Recht auf Irrtum“ zu und fragt lediglich, ob der Gesetzgeber aus Ex-ante-Sicht annehmen durfte, dass die fragliche Maß­ nahme den erstrebten Zweck fördert.295 Erweist sich diese Prognose im Nach­ hinein als falsch, so bedeutet dies nicht automatisch, dass das betreffende Gesetz verfassungswidrig ist. Dies ist nur dann der Fall, wenn das Gesetz auch unter Berücksichtigung des gesetzgeberischen Prognosespielraums zur Zweckerrei­ chung „von vornherein“ oder „völlig (schlechthin) ungeeignet“ ist.296 sellschaft auf diesen Verstoß nicht berufen hat (Rn. 19); auch dazu Stafford/​Ritchie, Fiducia­ ry duties: directors and employees, Rn. 2.169 ff. 293  Vgl. Kapitel 3, § 3, IV. 2. d) aa). 294  BVerfGE 30, 292, 316; 33, 171, 187. 295  BVerfGE 25, 1, 12; 30, 250, 263; 39, 210, 230; vgl. auch BVerfGE 50, 290, 331 f. (zum Mitbestimmungsgesetz). 296  St. Rspr., siehe BVerfGE 13, 97, 113; 16, 147, 181; 19, 119, 126 f.; 29, 402, 410 f.; 37,

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Nicht schlechthin ungeeignet wäre die Offenbarungspflicht dann, wenn ihre Adressaten sie zumindest in manchen Fällen erfüllen würden, denn nur dann kann sie die korporative Entscheidungsfindung und Compliance verbes­ sern oder die Durchsetzung der Organhaftungsansprüche erleichtern.297 Dann wäre jedenfalls die Teileignung der Offenbarungspflicht zur Zweckerreichung zu bejahen. Zugleich wäre die Offenbarungspflicht als eine wirksame Norm anzusehen; zwar nicht im strengen Kelsen’schen Sinne, da Kelsen die Normbe­ folgung und -anwendung im Großen und Ganzen fordert, wohl aber im Sinne von L. A. Hart, der sich schon mit der Befolgung und Anwendung in einer Minderheit von Fällen begnügt.298 Um eine Norm zu befolgen, braucht ihr Adressat ein Motiv. Motive für die Normbefolgung können ganz unterschiedlich sein. Für manche, in hohem Maße pflichtbewusste Individuen kann bereits die Existenz einer Norm ein ausreichendes Motiv für ihre Befolgung darstellen. In der Regel wird man jedoch nicht annehmen können, „that the creation of the duty will be follo­ wed by compliance“299. Die meisten Menschen benötigen besondere, über die Existenz der Norm hinausgehende Anreize, um sich normkonform zu ver­ halten. Die klassischen Anreize sind die Belohnung für normkonformes und die Bestrafung für normwidriges Verhalten, im Volksmund „Zuckerbrot und Peitsche“. Die Kombination von Beidem ist wahrscheinlich die effektivste Art der Verhaltenssteuerung. Bei der Offenbarungspflicht fehlt die Belohnung als Anreiz, weil die Offenbarung eigenen Fehlverhaltens nicht oder kaum belohnt wird. Das Organmitglied, das seinen Fehltritt offenbart, kann den Umfang seiner Haftung dadurch nicht verringern, da es bereits wegen des ursprüng­ lichen Fehlverhaltens für alle Folgeschäden haftet. Es könnte lediglich verhin­ dern, dass eine neue Verjährungsfrist wegen Verletzung der Offenbarungs­ pflicht anlaufen würde.300 Die fehlende oder geringfügige Belohnung bedeutet nicht automatisch, dass die Norm das Verhalten ihrer Adressaten nicht steuern kann und daher nicht effektiv ist. Auch Sanktionen sind ein wirkungsvoller Anreiz für die Norm­ befolgung, und es gibt genug Normen, die ausschließlich auf Sanktionen set­ zen und dabei sehr effektiv sind. Das Problem der Offenbarungspflicht besteht weniger in der fehlenden Belohnung als in dem verkehrten Verhältnis von Be­ lohnung und Bestrafung: Bei ihr wird nicht normwidriges, sondern normkon­ formes Verhalten bestraft. Dies wird ganz deutlich, wenn man sich die Folgen 104, 117; zum Ganzen Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 51 ff.; Grabitz, AöR 98 (1973), 568 572. 297  Ähnlich in Bezug auf ärztliche Offenbarungspflicht Taupitz, NJW 1992, 713, 714. 298  Siehe einerseits Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, S. 111 ff., andererseits Hart, Recht und Moral, S. 46 f.; dazu ebenfalls im Kapitel 3, § 4, I. 2. 299  Flannigan, (2005) 26 Bus. L. R. 258, 260. 300 Vgl. Grunewald, NZG 2013, 841, 844.



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der Pflichterfüllung anschaut. Offenbart z. B. ein Vorstandsmitglied einer AG eine eigene Pflichtverletzung, so würde dies regelmäßig zu einem „nahezu si­ cheren Schadensersatzprozess gegen den sich selbst Beschuldigenden“301 füh­ ren. Denn der Aufsichtsrat der AG muss dann im Einklang mit den ARAG/ Garmenbeck-Grundsätzen302 prüfen, ob die Gesellschaft wegen des Fehlver­ haltens durchsetzbare Schadensersatzansprüche gegen das Vorstandsmitglied geltend machen kann. Ist dies der Fall, so muss der Aufsichtsrat nach ARAG/ Garmenbeck grundsätzlich die Schadensersatzansprüche verfolgen. Ausnah­ men gelten nur dann, wenn gewichtige Interessen und Belange der Gesellschaft dafür sprechen, den Schaden ersatzlos hinzunehmen. Dabei können solche Ge­ sichtspunkte wie negative Auswirkungen auf Geschäftstätigkeit und Ansehen der Gesellschaft in der Öffentlichkeit, Behinderung der Vorstandsarbeit und Beeinträchtigung des Betriebsklimas berücksichtigt werden. Auf andere Ge­ sichtspunkte als die des Unternehmenswohls, wie etwa die Schonung eines verdienten Vorstandsmitglieds oder das Ausmaß der mit der Beitreibung für das Mitglied und seine Familie verbundenen sozialen Konsequenzen, darf der Aufsichtsrat nur in Ausnahmefällen abstellen, etwa dann, wenn auf der einen Seite die Pflichtverletzung nicht schwer wiegt und der Schaden gering ist, auf der anderen Seite jedoch einschneidende Folgen für das betroffene Vorstands­ mitglied drohen.303 In der GmbH gelten die ARAG/Garmenbeck-Grundsätze nur in bestimm­ ten Fällen, nämlich dann, wenn sie über einen fakultativen oder obligatori­ schen Aufsichtsrat verfügt, dem die Satzung die Entscheidung über die Gel­ tendmachung von Ersatzansprüchen gegen die Geschäftsführer übertragen hat.304 Ansonsten verbleibt diese Entscheidung in der Zuständigkeit der Ge­ sellschafter (§ 46 Nr. 8 GmbHG), die bei ihrer Ermessensausübung nur durch die Treuepflicht gebunden sind.305 Aber auch die Treuepflicht wird in der Regel die Verfolgung der Ansprüche gegen den Geschäftsführer nahe liegen, wenn das Wohl der Gesellschaft dies fordert.306 301 

Grunewald, NZG 2013, 841, 844; ähnlich im Hinblick auf den Arzt Wagner, in: MüKo BGB, § 630c Rn. 34. 302 Siehe BGH, Urt. v. 21.4.1997 –  II ZR 175/95,  BGHZ 135,  244 =  NJW 1997,  1926  – ARAG/Garmenbeck. 303  BGH NJW 1997, 1926, 1928 – ARAG/Garmenbeck; BGH NZG 2018, 1301, Rn. 37 f. – Easy Software. 304 So Kleindiek, FS Westphalen, S. 387, 393 f.; siehe auch Altmeppen, in: Roth/​A ltmep­ pen, GmbHG, § 52 Rn. 27; Jaeger, in: BeckOK GmbHG, § 52 Rn. 81; vgl. ferner Liebscher, in: MüKo GmbHG, § 46 Rn. 291. 305  Kleindiek, FS Westphalen, S. 387, 393 f. 306 Vgl. Goette im Interview mit „Dem Aufsichtsrat“ mit der Bemerkung, die Entschei­ dung in ARAG/Garmenbeck wäre im Ergebnis „bei einer GmbH ohne Aufsichtsrat schwer­ lich anders ausgefallen, weil es im Grunde um eine treupflichtwidrige Stimmausübung der Mehrheit ging“, Thümmel, Der Aufsichtsrat 2017, 177.

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Neben einer (in der AG nahezu sicheren, in der GmbH wahrscheinlichen) Schadensersatzklage müsste das sich selbst belastende Organmitglied zudem mit dem Widerruf seiner Bestellung und der außerordentlichen Kündigung des Anstellungsvertrags rechnen, wenn das Fehlverhalten hinreichend schwer wiegt. Eine einvernehmliche Trennung mit einer Abfindung wäre dann keine Option mehr. Diese nachteiligen Konsequenzen bewirken, dass die Offenbarungspflicht eine höchst unwirksame Norm wäre, denn sogar ein Organmitglied, das keine besonderen Anreize braucht, um Rechtspflichten zu erfüllen, würde unter diesen Umständen vor der Offenbarung eines eigenen Fehlverhaltens zu­ rückschrecken. Dies gilt erst recht für den Bewohner ökonomischer Modelle, den sog. rational egoistischen Menschen (REM), dessen Verhalten nicht von Moral und Pflichtbewusstsein, sondern von Rationalität und Eigennutz ge­ leitet wird.307 Ein REM würde nie eine Entscheidung treffen, die gegen seine kurz- oder langfristige Interessen gerichtet ist.308 Er würde allerdings unter Umständen auch gravierende Nachteile in Kauf nehmen, um noch schlimmere Konsequenzen zu verhindern. Solche „noch schlimmere Konsequenzen“ gäbe es jedoch beim Verstoß gegen die Offenbarungspflicht nicht. Das schlimmste, was passieren könnte, wenn die Gesellschaft einen solchen Verstoß aufdeckt, ist die Anfechtung eines eventuell abgeschlossenen Aufhebungsvertrags und die Rückforderung der geleisteten Abfindung. Dies ist ein vergleichsweise klei­ nes Übel, vor allem wenn man bedenkt, dass die Gesellschaft mit dem Be­ troffenen einen solchen Aufhebungsvertrag gar nicht erst abgeschlossen hätte, wenn er ihr vorher sein Fehlverhalten offenbart hätte. Es mangelt somit an jeglichen Anreizen, um Organmitglieder zur Erfül­ lung der Offenbarungspflicht zu motivieren.309 Damit wäre diese Pflicht zur Förderung ihrer primären Zwecke ungeeignet, und zwar „schlechthin“, „von vorherein“ und „völlig“ ungeeignet. Ganz ähnlich verhält es sich übrigens mit der Offenbarungspflicht des Behandelnden nach § 630c Abs. 2 S. 2 BGB, der es genauso an Anreizen mangelt, um den Arzt zur Offenlegung von Behand­ lungsfehlern zu bewegen. Mitunter wird dem Arzt offen empfohlen, die Of­ fenbarungspflicht zu ignorieren: „Da die Erfüllung der Informationspflicht kaum Vorteile bringt und ihre Nichterfüllung nicht sanktioniert ist, ist ein auf seine eigenen Interessen bedachter Arzt gut beraten, sich für die Nichterfül­ lung zu entscheiden.“310 307 Dazu Schäfer/​Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, Kap. 4, S. 95 ff.; Jost, Effektivität von Recht aus ökonomischer Sicht, S. 58. 308  Schäfer/​Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, Kap. 4, S. 99. 309  So bereits Grunewald, NZG 2013, 841, 844; a. A. Schwarz, Anzeige eigener Fehler, S. 137, die als Motive für die Befolgung der Offenbarungspflicht den Wunsch nach rechts­ konformem Verhalten sowie die Sanktion in Form von Schadensersatz anführt. 310  Wagner, in: MüKo BGB, § 630c Rn. 34; vgl. ferner Jaeger, Patientenrechtegesetz, Rn. 110; Katzenmeier, NJW 2013, 817, 819; Preis/​Schneider, NZS 2013, 281, 283.



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b) Erforderlichkeit Will man dieser Argumentation nicht folgen, so scheitert die Offenbarungs­ pflicht spätestens an der fehlenden Erforderlichkeit, weil es mildere Mittel zur Erreichung der primären Ziele gibt. Zu diesen zählen die bestehenden Kon­ trollmechanismen des Gesellschaftsrechts, vor allem die Überwachung der Geschäftsführung durch das Aufsichtsorgan. Dementsprechend wird im Schrifttum teilweise angenommen, dass eine Offenbarungspflicht „schlicht deshalb nicht [besteht], weil die Durchsetzung der aktienrechtlichen Organ­ haftung in den Händen des jeweils anderen Organs liegt und damit gar nicht in den Pflichtenkreis des Haftpflichtigen fällt.“311 Weitere Kontrollmechanismen sind die Überwachung der Geschäftsführung durch die Gesellschafter sowie die Aufklärung von Compliance-Verstößen durch das eigene ComplianceManagement-System oder externe Berater. Zudem sind die Mitglieder dessel­ ben Organs, etwa des Vorstands oder des Aufsichtsrats, in gewissem Umfang zur gegenseitigen Kontrolle und Überwachung verpflichtet. Zwar handelt es sich jeweils um unvollkommene Mittel, die in der Praxis häufig versagen, aber sie sind jedenfalls nicht weniger wirksam als die Offenbarungspflicht. Dabei greift die Pflicht zur Selbstbezichtigung viel stärker in die Grundrechte der Organmitglieder ein als die Überwachung und Kontrolle durch Dritte. Aus diesem Grund wäre von zwei teilgeeigneten Mitteln das schärfere – die Selbst­ bezichtigungspflicht – zu verwerfen. Im Prinzip ähnlich argumentieren diejenigen, die die Offenbarungspflicht an der fehlenden Schutzwürdigkeit der Gesellschaft scheitern lassen. Nach Taupitz können Organmitglieder ihre Vermögensbetreuungspflicht nur dann vollständig erfüllen, wenn sie eigenes Fehlverhalten offenbaren: Aus der Ver­ mögensmehrungspflicht folge die Verpflichtung, auf die Ansprüche wegen des eigenen Fehlverhaltens hinzuweisen, um die Anspruchsdurchsetzung zu ermöglichen.312 Die Offenbarungspflicht setze aber eine besondere Schutz­ bedürftigkeit des Informationsempfängers voraus, die nur bei einem starken Kompetenzgefälle bestehe. Dem Vertragspartner müsse es nahezu unmöglich sein, ein Fehlverhalten des anderen Vertragsteils aus eigener Kompetenz he­ raus zu erkennen: „Besteht die Störung des Vertragsgleichgewichts in einem so gravierenden Kompetenzgefälle, dass die vom Gesetz als Grundsatz un­ terstellte Kontrollmöglichkeit der Leistung des Vertragspartners und damit die Möglichkeit zum Ausgleich des Informationsdefizits faktisch nicht gege­ ben ist, dann hat die Rechtsordnung diese Ungleichheit durch vorsichtig zu entwickelnde Informationspflichten zu kompensieren.“313 Ein solches Kom­

311  Bayer/​Scholz, NZG 2019, 201, 207. 312  Taupitz, Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, 313 

S. 61 ff. Taupitz, Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, S. 75.

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petenzgefälle zwischen der Gesellschaft und ihren Organmitgliedern ist nach Ansicht von Taupitz wohl nicht gegeben.314 Sturm folgt im Wesentlichen dieser Argumentation.315 Dabei meint er, die Gesellschaft sei gegenüber ihren Geschäftsleitern nicht besonders schutzwür­ dig, weil ihr zuzumuten sei, die benötigten Information anderweitig zu be­ schaffen. Als Mittel dafür sieht Sturm die Berichtspflicht der Geschäftsleiter, wobei er sich in erster Linie mit der Berichtspflicht der Vorstandsmitglie­ der nach § 90 AktG auseinandersetzt.316 Aber auch in der GmbH sei der Ge­ schäftsführer verpflichtet, dem Aufsichtsrat oder bei Fehlen eines solchen der Gesellschafterversammlung unaufgefordert über wichtige Angelegenheiten zu berichten. Ergänzt werde diese Pflicht dadurch, dass Organmitglieder auf Nachfrage zur wahrheitsgemäßen und vollständigen Auskunft verpflichtet sei­ en.317 Die Gesellschaft könne sich also die notwendigen Informationen durch ihr Kontrollorgan beschaffen; die Offenbarungspflicht würde dem Kontroll­ organ das Risiko des Nichtwissens abnehmen und die von der Organisations­ verfassung vorgegebene Kompetenzverteilung zwischen dem Leitungs- und Überwachungsorgan verletzen.318 Der Kern dieser Argumentation besteht darin, dass es in der AG und der GmbH kein Informationsgefälle gibt, das eine Offenbarungspflicht der Or­ ganmitglieder zwingend erfordern würde. Die Gesellschaft ist ihren Organ­ mitgliedern und insbesondere ihren Geschäftsleitern nicht schutzlos ausgelie­ fert, sondern verfügt über Kontrollmöglichkeiten, die das Informationsgefälle einebnen und damit den starken Grundrechtseingriff in Gestalt einer Selbst­ bezichtigungspflicht unverhältnismäßig machen. Neben den traditionellen Kontrollmechanismen wird im Schrifttum zu­ nehmend ein neuer ins Licht gerückt, nämlich die Kontrolle des Aufsichts­ rats durch den Vorstand.319 Es handelt sich dabei um eine eingeschränkte und punktuelle Kontrolle, weil es ist grundsätzlich der Aufsichtsrat, der den Vorstand überwacht, und nicht umgekehrt.320 Genauso wenig wie der Auf­ sichtsrat ein gleichberechtigter Mitunternehmer neben dem Vorstand ist, ist der Vorstand ein gleichberechtigter Kontrolleur neben dem Aufsichtsrat.321 Dafür fehlt ihm schon das notwendige Instrumentarium.322 Dennoch wer­ 314 Vgl.

Taupitz, Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, S. 78.

315 Siehe Sturm, Die Verjährung, S. 436 ff. 316  Sturm, Die Verjährung, S. 440 ff. 317 

Sturm, Die Verjährung, S. 448 ff. Sturm, Die Verjährung, S. 451. Siehe insbesondere J. Koch, ZHR 180 (2016), 578 ff. 320  Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 175; siehe auch Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, Rn. 134 (der Vorstand ist nicht der Aufpasser des Aufsichts­ rats); Schwab, Das Prozeßrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, S. 572; Fleischer, DB 2013, 217, 220 (der Kontrollierte darf nicht zum Kontrolleur aufschwingen). 321 Vgl. Bachmann, ZHR 180 (2016), 563, 574 f. 322  J. Koch, ZHR 180 (2016), 578, 580; Bachmann, ZHR 180 (2016), 563, 574 f. 318  319 



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den die bestehenden Kompetenzbarrieren allmählich durchlässiger. So wird der Vorstand für verpflichtet gehalten, gegen rechtswidrige Beschlüsse oder Verhaltensweisen des Aufsichtsrats einzuschreiten323, Schadensersatzansprü­ che gegen pflichtwidrig handelnde Aufsichtsratsmitglieder zu verfolgen324, ins­ besondere wenn sie gegen die (Alt-)Vorstände pflichtwidrig nicht vorgehen325, oder Unterlassungsklage gegen Kompetenzüberschreitungen zu erheben.326 Diese neuen Kontrollmechanismen ergänzen die bestehende Palette und schwächen damit zusätzlich das Bedürfnis nach einer Offenbarungspflicht. Bezeichnend ist, dass bei allen diesen Überlegungen dem Vorstand keine Selbstverfolgungspflicht auferlegt wird, die ja mit der Offenbarungspflicht eng verwandt wäre. Insbesondere wird vom Vorstand nicht erwartet, dass er gegen den Aufsichtsrat vorgeht, der ihn ungenügend kontrolliert und deshalb seine Geschäftsführungsmängel nicht aufdeckt. Es geht vielmehr um die Fehler der Amtsvorgänger, also der Altvorstände. Versagt der Aufsichtsrat dagegen bei der Überwachung des amtierenden Vorstands, so sei es „unwahrschein­ lich“ und sogar „absurd“, „dass es gerade der Vorstand sein soll, der diesem Überwachungsversagen im Hinblick auf sein eigenes Leitungsversagen auf die Schliche kommt und dagegen aktive Maßnahmen einleitet“327. Eine Selbstver­ folgungspflicht des Vorstands wird also trotz der Aufwertung seiner Stellung als Kontrolleur entschieden abgelehnt. 3.  Offenbarungspflicht und ihre sekundären Zwecke a) Geeignetheit Zur Erreichung ihrer sekundären Zwecke wäre die Offenbarungspflicht da­ gegen geeignet, weil die Verstöße gegen diese Pflicht regelmäßig zu Sanktionen führen würden, wenn die Gesellschaft das Fehlverhalten – egal ob durch eigene Kontrollmaßnahmen oder zufällig – entdeckt. Die Gesellschaft könnte dann beispielsweise einen Verzögerungsschaden geltend machen oder von einem Organmitglied, das beim Abschluss einer Abfindungsvereinbarung sein ver­ gangenes Fehlverhalten wissentlich verschwiegen hat, die gezahlte Abfindung zurückfordern. Problematisch ist allerdings, dass diese Vorteile nur durch die Verlängerung der gesetzlichen Verjährungsfristen „erkauft“ werden könnten: Als eine eigenständige Pflicht würde die Offenbarungspflicht eigenständig 323 

Spindler, in: MüKo AktG, § 93 Rn. 116. Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 116 Rn. 19; vor § 95 Rn. 4; J. Koch, ZHR 180 (2016), 578, 601 f., 611; zurückhaltender Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 175; Bachmann, ZHR 180 (2016), 563, 574 f. 325  Spindler, in: MüKo AktG, § 93 Rn. 116; J. Koch, ZHR 180 (2016), 578, 584, 612 (in ent­ sprechender Geltung der ARAG/Garmenbeck-Grundsätze). 326  J. Koch, ZHR 180 (2016), 578, 608, 612. 327  J. Koch, ZHR 180 (2016), 578, 582; siehe auch Habersack, in: MüKo AktG, § 116 Rn. 8; Spindler, in: Spindler/​Stilz, AktG, § 116 Rn. 3; Jenne/​Miller, AG 2019, 112, 119. 324 

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verjähren und auf diese Weise die Verjährung der Organhaftungsansprüche faktisch verlängern. Ein weiteres Problem folgt daraus, dass die Offenbarungspflicht ihre pri­ mären Zwecke nicht fördert, so dass die Sanktionen faktisch zu ihrem ein­ zigen Zweck avancieren. Anfangs haben wir unterstellt, dass die Offen­ barungspflicht das Ziel hat, menschliches Verhalten zu steuern; diese Annahme hat sich inzwischen als falsch erwiesen. Aus diesem Grund unter­ scheidet sich die Offenbarungspflicht von allen anderen Pflichten. Um dies zu verdeutlichen, lohnt sich ein Vergleich mit einer gewöhnlichen Aufklärungs­ pflicht, etwa der Pflicht des Verkäufers, bestimmte Mängel der Kaufsache ungefragt zu offenbaren. Ein Pflichtverstoß führt zwar jeweils zu ähnlichen Folgen: Verschweigt das Organmitglied bewusst sein Fehlverhalten bei Ab­ findungsverhandlungen, kann die Gesellschaft die Abfindungsvereinbarung anfechten und die gezahlte Abfindung zurückfordern; verschweigt der Ver­ käufer arglistig den Mangel, kann der Käufer den Vertrag anfechten und den gezahlten Kaufpreis zurückverlangen.328 Ferner bringt die Pflichterfüllung dem Pflichtigen jeweils Nachteile. Aber die Nachteile des Verkäufers sind bei Weitem nicht so gravierend wie die des Organmitglieds. Der Verkäufer muss bei Aufklärung des Käufers schlimmstenfalls damit rechnen, dass dieser vom Kauf Abstand nimmt oder einen erheblichen Preisabschlag verlangt. Er geht, anders als das Organmitglied, kein Risiko ein, Adressat von Schadensersatz­ forderungen (unter Umständen in Millionenhöhe) zu werden oder seine be­ rufliche Stellung zu verlieren. Zudem kann der Verkäufer, der den Mangel nicht offenbaren will, vom Vertragsschluss gänzlich absehen; ein scheidendes Organmitglied kann das in der Regel nicht. Vor diesem Hintergrund besteht eine realistische Chance, dass der Verkäufer seiner Aufklärungspflicht in der Praxis nachkommen wird. Bei der Offenbarungspflicht ist dies nicht der Fall, so dass sie ihre Daseinsberechtigung nicht in ihrer Erfüllung, sondern nur in ihren Sanktionen haben kann. Aber ist dies ein Grund, die Offenbarungs­ pflicht nicht anzuerkennen? b)  Two wrongs do not make a right? Legitimität einer unerfüllbaren Pflicht In Item Software musste sich der Court of Appeal unter anderem mit dem Ein­ wand auseinandersetzen, dass eine Pflicht, mit deren Erfüllung nicht zu rech­ nen ist, keine Existenzberechtigung hat. Dem hält Arden L. J. entgegen: „My answer to that is two wrongs do not make a right: the fact that a director is un­ likely to comply with a duty is not a logically sustainable reason for not impos­ ing it if it is otherwise appropriate.“329 Was bedeutet aber „otherwise appro­ 328 

Zudem kann er seine Gewährleistungsrechte geltend machen; zu diesem Parallellauf zwischen Anfechtung wegen arglistiger Täuschung und kaufrechtlicher Gewährleistung Ellenberger, in: Palandt, § 123 Rn. 29. 329  Fassihi & Ors v Item Software (UK) Ltd [2004] B. C. C. 994, 1009, Rn. 65 f.



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priate“ im Hinblick auf die Offenbarungspflicht? Wie gerade ausgeführt, kann diese Pflicht ihre Daseinsberechtigung nur in den Sanktionen finden, die bei Pflichtverstößen verhängt werden. Dies führt direkt zur nächsten Frage: Kön­ nen Sanktionen der einzige Zweck einer Rechtspflicht sein? Ist eine Rechts­ norm zulässig, die von vornherein nicht darauf gerichtet ist, das menschliche Verhalten zu steuern, sondern nur dazu da ist, Rechtsverstöße zu bestrafen, die sie selbst provoziert? Die Antwort auf diese Fragen gibt die moderne Rechtstheorie mit ihrem Konzept der „Rule of Law“, eines von Vernunft geleiteten Rechts, das die Men­ schenwürde ihrer Adressaten respektiert und dessen Anforderungen von allen, inklusive des Gesetzgebers, einzuhalten sind.330 Die Rechtsnorm, die diesen Anforderungen entspricht, muss Menschen als Personen behandeln, die fähig sind, ihre Zukunft zu planen und zu gestalten. Sie darf Menschen nicht mani­ pulieren, sie als Dinge betrachten, die ohne Rücksicht auf ihre Meinung, ihre Einstellungen oder ihren Willen verändert oder beeinflusst werden können.331 Dementsprechend gilt das Prinzip, dass eine „gute“ Verhaltensregel aufgestellt wird, damit die Adressaten sie befolgen: „Dinge werden normiert, damit sie sich in der Wirklichkeit auf eine bestimmte Art und Weise verhalten.“332 Wenn also X von Y verlangt, eine bestimmte Handlung vorzunehmen, dann will X, dass Y diese Handlung vornimmt. Bruno Celano nennt dies das Prinzip ratio­ naler Rechtssetzung.333 Nun könnte man argumentieren, auch die Offenbarungspflicht wird den Organmitgliedern auferlegt, damit diese sie befolgen; für die fehlende Com­ pliance ist nicht der Normgeber, sondern der Pflichtige verantwortlich. In­ soweit hat aber schon Fuller zutreffend festgestellt, dass Rechtsnormen nicht Unmögliches verlangen dürfen.334 Dabei meinte er, was im konkreten Fall un­ möglich sei, werde durch unsere Vorstellungen über die menschliche Natur und das Universum („the nature of man and the universe“) bestimmt.335 Auch das moderne Schrifttum sieht in der Erfüllbarkeit („compliability“) ein not­ 330 

Bei der „Rule of Law“ handelt es sich um ein ethisch-politisches Ideal, das unter an­ derem eine Reihe formeller Anforderungen an Gesetze beinhaltet. So müssen sie veröffent­ licht werden, prospektiv, erfüllbar und frei von Widersprüchen sein, relativ allgemein, klar und stabil sein. Diese Anforderungen werden durch bestimmte institutionelle und proze­ durale Prinzipien ergänzt. 331 Vgl. Raz, The authority of law, S. 221; Celano, in: Waluchow/​S ciaraffa, Philosophical foundations of the nature of law, S. 129, 132; ders., in: Beltrán/​Mateos/​Papayannis, Neutra­ lity and Theory of Law, S. 175, 192 ff. 332  von Wright, in: Krawietz, Theorie der Normen, S. 447, 453; siehe auch Celano, in: Beltrán/​Mateos/​Papayannis, Neutrality and Theory of Law, S. 175, 189. 333  Celano, in: Waluchow/​ Sciaraffa, Philosophical foundations of the nature of law, S. 129, 138. 334  Fuller, The morality of law, S. 79. 335  Fuller, The morality of law, S. 79.

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wendiges Merkmal einer „Rule of Law“.336 Die Erfüllbarkeit bedeutet, dass die Befolgung der Norm nicht nur logisch oder physisch, sondern auch „men­ schenmöglich“ sein muss: Das vorgeschriebene Verhalten muss den Fähigkei­ ten und Möglichkeiten normaler Menschenwesen entsprechen.337 Solange diese Voraussetzung noch erfüllt ist, darf der Gesetzgeber die Verhaltensstandards auch hoch setzen, etwa zu „erzieherischen“ Zwecken. Für den Gesetzgeber ist ein solches Vorgehen aber stets eine Gratwanderung, denn je höher die Stan­ dards, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie nicht erfüllt werden und die Rechtsregel ihren Zweck, das menschliche Verhalten zu steuern, nicht erreichen wird.338 Gerade die Erfüllbarkeit ist bei der Offenbarungspflicht höchst problema­ tisch, da sie ihren Adressaten große Opfer abverlangt, ohne diese in irgend­ einer Weise zu kompensieren oder sonstige Anreize zur Pflichterfüllung zu schaffen. Somit stellt sie an Organmitglieder Anforderungen, die ein norma­ ler Mensch nicht erfüllen kann. Sofern ihr Zweck darin besteht, einen Stan­ dard guter Unternehmensführung zu setzen, ist dieser Standard zu hoch. Schon Lord Atkin hat die Offenbarungspflicht deshalb als „departure from the well established usage of mankind“ charakterisiert, was im Übrigen an Fullers „the nature of man and the universe“ erinnert. In den Termini der modernen Rechtstheorie lässt sich diese Charakteristik als „unerfüllbar“ übersetzen. Die Offenbarungspflicht entspricht daher nicht den Anforderungen an eine ver­ nünftige „Rule of Law“. Wenn der Normgeber etwas Unmögliches verlangt, wenn er Standards setzt, die für ihre Adressaten unmenschlich hoch sind, verletzt er das Prin­ zip rationaler Rechtssetzung: Er will letztendlich nicht das, was er verlangt. Bereits H. L. A. Hart sprach in diesem Zusammenhang von „unaufrichtigen Befehlen“ („insincere commands“) und erklärte den Begriff am Beispiel eines sadistischen Feldwebels, der Spaß daran hat, Soldaten zu bestrafen. Dieser Feldwebel findet einen Rekruten, der unfähig und zerstreut ist, und gibt ihm einen Befehl nach dem anderen in der Hoffnung, dass der Soldat an der Auf­ gabe scheitert oder sie vergisst und so dem Feldwebel den gesuchten Grund gibt, ihn zu bestrafen.339 Der Wunsch nach Strafe ist aber nicht das einzige Motiv für unaufrichtige (Rechts-)Befehle. Letztere können vom Motiv getra­ gen sein, die Rechtstreue der Normadressaten zu testen; in diesem Fall verhält sich der Gesetzgeber wie der Gott im Alten Testament, der von Abraham ver­ langte, seinen Lieblingssohn Isaak zu opfern: Der Gott hat nicht das Opfer 336 Siehe Celano, in: Waluchow/​ Sciaraffa, Philosophical foundations of the nature of law, S. 129, 141 ff.; Marmor, Law and Philosophy 23 (2004), 1, 6, 32 f. 337  Celano, in: Waluchow/​ Sciaraffa, Philosophical foundations of the nature of law, S. 129, 141. 338  Marmor, Law and Philosophy 23 (2004), 1, 33. 339  Hart, Essays on Bentham, S. 247.



§ 3.  Daseinsberechtigung der Offenbarungspflicht

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gewollt, sondern nur den Glauben Abrahams auf die Probe gestellt.340 Denk­ bar ist ferner, dass der Normgeber die Pflichtadressaten zu Höchstleistungen motivieren will wie ein ehrgeiziger Lehrer seine Schüler und es ihm nur darum geht, dass sie ihr Bestes geben bei dem Versuch, eine unerfüllbare Pflicht zu er­ füllen.341 Ein weiteres Motiv kann der Wunsch nach dem Versagen der Pflich­ tigen sein, um in ihnen Schuldgefühle hervorzurufen und sie mit Hilfe dieser Gefühle zu manipulieren („the technology of guilt“).342 In jedem Fall ist eine solche Rechtssetzung irrational, manipulativ und verletzt damit die Menschen­ würde.343 Zu solchen unaufrichtigen Befehlen zählt auch die Offenbarungspflicht. Im alten Anwaltsrecht bestand ihr wahres Ziel darin, die Verjährungsfristen zu verlängern. Im heutigen Gesellschaftsrecht zielt sie vor allem darauf ab, das Fehlverhalten von Organmitgliedern zusätzlich zu sanktionieren und erinnert insofern an Harts Feldwebel. Die Offenbarungspflicht bezweckt keine Of­ fenbarung des Fehlverhaltens, da dieses Ziel für sie unerreichbar ist, sondern wartet gewissermaßen auf Pflichtverstoße, um andere Zwecke zu erreichen. So kann sie z. B. bewirken, dass ein Organmitglied, dem ein Fehlverhalten vorzu­ werfen ist, später keine Abfindung erhält (Urkundenfall) oder Schadensersatz leisten muss, obwohl er den Schaden nicht verursacht hat (Item Software) oder obwohl sonstige Voraussetzungen für eine Schadensersatzhaftung fehlen.344 Hinzu kommt wie im früheren Anwaltsrecht die Verlängerung der bestehen­ den Verjährungsfristen. Solche Rechtsfolgen bedürfen in einem Rechtsstaat einer klaren gesetz­ lichen Regelung, der eine offene Diskussion vorangeht. Eine Organhaftung ohne Kausalität, Pflichtwidrigkeitszusammenhang oder Verschulden wäre indes kaum diskutabel. Wenig sinnvoll wäre ferner die Verlängerung der Ver­ jährungsfristen für die Organhaftung: Ganz im Gegenteil wird gegenwärtig verlangt, die zehnjährige Frist zu verkürzen, die für börsennotierte Aktien­ gesellschaften und Kreditinstitute gilt.345 Nachzudenken wäre höchstens über ein Recht der Gesellschaft, die Abfindungsvereinbarung anzufechten, wenn dem Organmitglied ein schwerer Loyalitätsverstoß zur Last fällt. Ein solches Anfechtungsrecht könnte mit verschiedenen Argumenten verteidigt werden. Das erste appelliert an das Gerechtigkeitsgefühl: Ein Organmitglied, das sich in besonderer Weise illoyal verhalten hat, hat an sich keine Abfindung verdient. Das zweite ist ein Präventionsargument: Das Risiko, später nicht nur Scha­ 340  Hart, Essays on Bentham, S. 247. 341  Fuller, The morality of law, S. 71.

342  Celano, in: Waluchow/​ Sciaraffa, Philosophical foundations of the nature of law, S. 129, 136, 141. 343  Celano, in: Waluchow/​ Sciaraffa, Philosophical foundations of the nature of law, S. 129, 141 ff. 344 Vgl. Schmolke, RIW 2008, 365, 372. 345 Siehe Fleischer, AG 2014, 457, 467 m. w. N.; zuletzt ders., ZIP 2018, 2341, 2346.

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densersatz zu schulden, sondern auch die Abfindung zu verlieren, könnte Or­ ganmitglieder zusätzlich zu pflichtgemäßem Verhalten motivieren. Das dritte ist ein Effizienzargument: Die Gesellschaft könnte Kosten bei der Trennung von Organmitgliedern sparen, zumindest wenn diese pflichtwidrig gehandelt und ihr seinerzeit dadurch Kosten verursacht haben. Der Versuch, ein solches Anfechtungsrecht nicht im Wege einer Gesetzes­ änderung, sondern durch die Hintertür der Offenbarungspflicht einzuführen, würde dagegen die Menschenwürde der Organmitglieder missachten. Zudem könnte eine unerfüllbare „Huckepackpflicht“ in ihren Adressaten die Gefüh­ le der Frustration und der eigenen Schwäche auslösen, sobald sie merken wie unfähig sie sind, die vorgeschriebenen rechtlichen Standards zu erfüllen.346 All dies würde die Rechtssetzung manipulativ machen. Da die Offenbarungs­ pflicht keine legitimen Zwecke verfolgen würde, würde sie einen unverhältnis­ mäßigen Eingriff in die Grundrechte der Organmitglieder darstellen mit der Folge, dass sie verfassungswidrig wäre.

§ 4.  Offenbarung eigenen Fehlverhaltens als Nebenfolge einer anderen Pflicht Der Zwang zur Offenbarung eigenen Fehlverhaltens kann auch als Nebenfolge einer anderen Pflicht entstehen, etwa als Folge der Überwachungs- und Ver­ folgungspflicht des Aufsichtsrats. Es geht um Situationen, in denen die Ver­ folgung von Ansprüchen gegen den Vorstand die Aufsichtsratsmitglieder dem Risiko aussetzt, dass ihr eigenes Fehlverhalten zutage tritt. In dieser Situati­ on stellt sich die Frage, ob die betroffenen Aufsichtsratsmitglieder von ihren Kontrollpflichten nicht deshalb frei werden, weil es ihnen unzumutbar ist, sich selbst zu bezichtigen. Mit dieser Frage hat sich jüngst der BGH in seinem Easy-Software-Urteil auseinandergesetzt.347 Der Rechtsstreit gehört zu den meh­ reren Verfahren, die der börsennotierte Mülheimer Softwareentwickler Easy Software AG gegen seinen ehemaligen Aufsichtsratsvorsitzenden Manfred Wagner angestrengt hat.348 Das Hauptstreitthema waren die Vorgänge rund um den Verkauf der 98 %igen Easy-Beteiligung an der ScanOptik GmbH im Oktober 2002.349 Zum damaligen Zeitpunkt stand Easy Software kurz vor der 346 

Celano, in: Waluchow/​Sciaraffa, Philosophical foundations of the nature of law, S. 129, 142 f. 347 Siehe BGH NZG 2018, 1301 – Easy Software. 348  Zu den übrigen Verfahren siehe Stodollick, AG klagt auf Millionen-Schadenersatz, DerWesten.de, 6.11.2015; zum „Bürgschaftsverfahren“ siehe Easy Software AG, Ad-hocMitteilungen v. 12.2.2016 und 27.7.2018, und , beide zuletzt abgerufen am 28.2.2020. 349  Stodollick, Easy Software erstreitet 1,5 Millionen Euro, DerWesten.de, 14.1.2016;



§ 4.  Offenbarung eigenen Fehlverhaltens als Nebenfolge einer anderen Pflicht 

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Insolvenz. Im September 2002 erwarb Wagner eine Sperrminorität von 27,4 % zu einem symbolischen Preis; Anfang Oktober wurde er Aufsichtsratsvorsit­ zender von Easy Software. Von dem Kaufpreis, den Easy Software durch den Verkauf ihrer Scan-Optik-Beteiligung erzielte, kehrte sie 1,38 Mio. Euro an Wagner aus – wie sie später behauptete, ohne eine vollwertige Gegenleistung. Es gab allerdings eine Vereinbarung, mit der Easy Software die Hälfte ihrer Kaufpreisansprüche aus dem Beteiligungsverkauf an Wagner abtrat. Dieser verpflichtete sich im Gegenzug zu diversen Maßnahmen, mit denen die Um­ schuldung der Easy Software erreicht werden sollte. Tatsächlich leistete er Zah­ lungen in der Gesamthöhe von über 1,9 Mio. Euro auf die Konten der AG bei den Gläubigerbanken. Easy Software behauptete jedoch, die Zahlungen seien nicht zur Erfüllung der Abtretungsvereinbarung erfolgt; vielmehr handele es sich um Darlehen. Das LG Duisburg als erste Instanz wertete die Auszah­ lung des Verkaufserlöses an Wagner als verbotene Einlagenrückgewähr (§§ 62, 57 AktG) bzw. dessen Zahlungen an die AG als eigenkapitalersetzende Darle­ hen.350 Das OLG Düsseldorf zweifelte an dieser Bewertung; beide Instanzen stimmten jedoch darin überein, dass alle etwaigen Ansprüche gegen Wagner wegen des Empfangs von 1,38 Mio. Euro verjährt seien.351 Neben diesem grö­ ßeren Betrag forderte Easy Software von Wagner eine kleinere Summe von 133.000 Euro zurück, die sie ihm zur Ablösung des Darlehens gezahlt hatte, das er seinerzeit einer anderen Gesellschaft gewährt hatte. Bei dieser Gesell­ schaft, Easy UK 352 , handelte es sich um eine frühere 100 %ige Auslandstochter der Easy Software. Als Easy Software jedoch das Darlehen für Easy UK zu­ rückzahlte, besaß sie nur noch 19,9 % der Anteile. Diesen Vorgang sahen beide Vorinstanzen als eine unzulässige Einlagenrückgewähr an. Die daraus resul­ tierenden Ansprüche gegen Wagner waren jedoch ebenfalls verjährt.353 Nichtsdestotrotz stand noch eine Haftung Wagners nach den ARAG/Garmenbeck-Grundsätzen im Raum. Denn sollte er die Zahlungen der AG un­ zulässigerweise erhalten haben, hätte der damalige Vorstand ihn auffordern müssen, die Beträge zurückzuzahlen. Der Aufsichtsrat hätte den Vorstand in­ soweit überwachen und ihn gegebenenfalls zur Geltendmachung der Rück­ zahlungsansprüche veranlassen müssen. Durch seine Untätigkeit hätte sich der Vorstand gegenüber der AG schadensersatzpflichtig gemacht. Nach ARAG/ siehe auch Easy Software AG, Ad-hoc-Mitteilung v. 15.1.2016, , zuletzt abgerufen am 28.2.2020. 350  LG Duisburg, Urt. v. 13.1.2016 – 25 O 41/12, juris, Rn. 68 ff. bzw. 74 ff. 351  LG Duisburg, Urt. v. 13.1.2016 – 25 O 41/12, juris, Rn. 62 f.; OLG Düsseldorf, Urt. v. 7.4.2017 – I-17 U 29/16, juris, Rn. 39 ff. 352  Stodollick, Easy Software erstreitet 1,5 Millionen Euro, DerWesten.de, 14.1.2016; Easy Software AG, Ad-hoc-Mitteilung v. 15.1.2016, . 353  LG Duisburg, Urt. v. 13.1.2016 – 25 O 41/12, juris, Rn. 83 ff.; OLG Düsseldorf, Urt. v. 7.4.2017 – I-17 U 29/16, juris, Rn. 52.

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Garmenbeck wäre nun der Aufsichtsrat verpflichtet gewesen, die Haftungs­ ansprüche der AG gegen den Vorstand durchzusetzen. Da dies nicht gesche­ hen ist und etwaige Ansprüche gegen den Vorstand inzwischen verjährt waren, haben sich die Mitglieder des Aufsichtsrats – und damit auch Wagner – mög­ licherweise wegen Verletzung ihrer Überwachungs- und Verfolgungspflicht nach §§ 116 S. 1, 93 Abs. 2 S. 1 AktG haftbar gemacht. Das LG hat diese Haftung bejaht354, das OLG dagegen verneint.355 Der BGH folgte im Ergebnis dem Landgericht und verwies die Sache zur neuen Verhand­ lung zurück, um die Frage nach dem Fehlverhalten Wagners im Zusammen­ hang mit dem Scan-Optik-Verkauf zu klären.356 Zunächst stellte der BGH fest, dass etwaige Ansprüche gegen die Aufsichtsratsmitglieder noch nicht verjährt seien, weil deren Verjährung erst mit der Verjährung der Ansprüche gegen den Vorstand beginne.357 Sodann setzte sich der BGH mit dem Selbstbezichtigungsproblem auseinan­ der. Er bekräftigte seine ARAG/Garmenbeck-Doktrin, indem er betonte, der Aufsichtsrat sei grundsätzlich verpflichtet, Schadensersatzansprüche gegen ein Vorstandsmitglied zu verfolgen, und habe dabei kein unternehmerisches Er­ messen. Das rein persönliche Interesse des Aufsichtsratsmitglieds, sich durch die Verfolgung des Vorstands nicht mittelbar zu  bezichtigen, gehöre nicht dazu.358 Zu diesem Ergebnis kommt der BGH nach der Abwägung, die er nach den Leitlinien des Gemeinschuldner-Beschlusses vornimmt. Gegen das Inte­ resse des Aufsichtsratsmitglieds, sich selbst nicht zu bezichtigen, spreche der Umstand, dass die besondere Überwachungs- und Schutzfunktion des Auf­ sichtsrats unterlaufen würde, würde man den Aufsichtsrat von ihrer Erfüllung bereits dann generell freistellen, wenn er dadurch eine eigene Pflichtverlet­ zung oder ein ersatzverpflichtendes Verhalten offenbaren müsste. Außerdem würde die Freistellung dazu führen, dass es im Einzelfall schwierig zu beur­ teilen wäre, ob eine Anspruchsverfolgungspflicht des Aufsichtsrats gegeben sei oder nicht. Schließlich würde die Freistellung von einer Verfolgungspflicht ge­ rade denjenigen ungerechtfertigt entlasten, der zuvor zum Nachteil der Ge­ sellschaft seine Pflichten verletzt habe. Hinzu komme, dass der Beklagte auch zum Nachteil der Gesellschaftsgläubiger gehandelt habe, indem er gegen die Vorschriften zum Kapitalschutz verstoßen habe. Zum Schluss wirft der BGH die Frage auf, ob das Aufsichtsratsmitglied bei strafbarem Vorverhalten von der Anspruchsverfolgung unter Berufung auf den Nemo-tenetur-Grundsatz absehen dürfe. Dies bezweifelt er im Hinblick auf die besondere Funktion des 354  LG Duisburg, Urt. v. 13.1.2016 – 25 O 41/12, juris, Rn. 67, 71 ff., 355  OLG Düsseldorf, Urt. v. 7.4.2017 – I-17 U 29/16, juris, Rn. 48 f. 356  357 

79 f., 88.

BGH NZG 2018, 1301, Rn. 14, 37 f., 50 f. – Easy Software. BGH NZG 2018, 1301, Rn. 19 ff. – Easy Software; im Ergebnis zustimmend Fleischer,

ZIP 2018, 2341, 2345; Stöber, BB 2018, 2769. 358  BGH NZG 2018, 1301, Rn. 37 f. – Easy Software.



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Aufsichtsrats sowie die Möglichkeit, die Interessen des Betroffenen durch ein strafrechtliches Verwertungsverbot zu schützen. Die Frage lässt der BGH aber offen, da er das Verhalten des Beklagten nicht als strafrechtlich relevant an­ sieht.359 Diese Abwägung hat bisher ein gemischtes Echo hervorgerufen. Während einige dem BGH zustimmen360 , halten andere seine Position für zu streng.361 Sie meinen zwar, ein Aufsichtsratsmitglied müsse die abstrakte Gefahr hin­ nehmen, dass bei der Anspruchsverfolgung gegen den Vorstand auch sein ei­ genes Überwachungsverschulden ans Licht komme.362 Diese Gefahr gehöre zum „Amtsrisiko“, das ein Aufsichtsratsmitglied mit der Mandatsübernah­ me in Kauf nehme, und könne daher keine Ausnahme von der Anspruchs­ verfolgungspflicht rechtfertigen.363 Bei konkreten Verdachtsmomenten oder unstreitigen Verfehlungen solle sich jedoch ein Aufsichtsratsmitglied auf die Unzumutbarkeit der Anspruchsverfolgung berufen können. Etwas anderes gelte nur dann, wenn sein Fehlverhalten im Hinblick auf das verfolgte Ziel, die eingesetzten Mittel, die zutage tretende Gesinnung oder die eingetretenen Fol­ gen besonders verwerflich gewesen sei.364 Diese unterschiedliche Reaktionen zeigen, wie schwierig die Lösung bei mittelbarer Selbstbezichtigung ist.365 Denn es geht hier nicht um eine Offenbarungs- oder Selbstbezichtigungspflicht, die entweder unerfüllbar ist oder kein legitimes Ziel verfolgt, soweit sie nur um den Sanktionswillen da ist. Die Entscheidung gegen eine solche Pflicht fällt daher relativ leicht. Im vor­ liegenden Fall handelt es sich dagegen (nur) um einen faktischen Zwang zur Selbstbezichtigung, der infolge einer anderen Pflicht entsteht, nämlich der Verfolgungspflicht des Aufsichtsrats. Die Selbstbezichtigung der Aufsichts­ ratsmitglieder ist dabei kein Ziel, sondern lediglich ein Reflex, eine nicht be­ 359 

360 

BGH NZG 2018, 1301, Rn. 44 ff. – Easy Software. Altmeppen, ZIP 2019, 1253, 1256, 1259; Bayer/​Scholz, NZG 2019, 201, 206 f.; Stöber,

BB 2018, 2769; mit Einschränkungen Jenne/​Miller, AG 2019, 112, 122; Paefgen, JZ 2020, 101, 104. 361  Fleischer, ZIP 2018, 2341, 2347 ff. 362  Zu diesem Problem BGH NZG 2018, 1301, Rn. 46  – Easy Software; BGH, Urt. v. 8.7.2014 – II ZR 174/13, BGHZ 202, 26 Rn. 20; Habersack, in: MüKo AktG, § 111 Rn. 35; Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 111 Rn. 45; Faßbender, NZG 2015, 501, 507; Jenne/​ Miller, AG 2019, 112, 118; Kocher/​Falkenhausen, AG 2016, 848, 850 ff. 363  Fleischer, ZIP 2018, 2341, 2348. 364  Fleischer, ZIP 2018, 2341, 2348 f.; zustimmend Jenne/​Miller, AG 2019, 112, 122; ent­ schieden dagegen Bayer/​Scholz, NZG 2019, 201, 207, die zudem befürchten, dass die Selbst­ belastungsfreiheit (nemo tenetur) dadurch zu „einem eigenständigen gesellschaftsrecht­ lichen Institut“ ausgebaut werde. Die Befürchtung erscheint mir indes ungerechtfertigt, denn es geht lediglich um die Berücksichtigung der Grundrechte im Gesellschaftsrecht und nicht um die Schaffung neuer Rechtsinstitute. 365  Fleischer, ZIP 2018, 2341, 2350 bezeichnet dieses Problem einprägsam als „hard case“ im Dworkin’schen Sinne, für das weder das Gesetz noch höchstrichterliche Präjudizen eine klare Lösung liefern.

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absichtigte, sondern höchstens in Kauf genommene Nebenfolge der Verfol­ gungspflicht. Dies führt dazu, dass der Selbstbezichtigungszwang, der für manche Auf­ sichtsratsmitglieder entsteht, nicht isoliert von der Verfolgungspflicht beurteilt werden kann. Man kann also nicht fragen, ob die Selbstbezichtigung der Auf­ sichtsratsmitglieder einem legitimen Zweck dient und zur Erreichung dieses Zwecks geeignet sowie erforderlich ist. An diesem Maßstab lässt sich nur die Verfolgungspflicht selbst messen, wobei deren legitime Ausrichtung, Geeig­ netheit und Erforderlichkeit nicht besonders zweifelhaft sein dürften.366 Der faktische Zwang zur Selbstbezichtigung, der mit der Verfolgungspflicht ein­ hergeht, ist für eine rechtliche Bewertung nur greifbar, soweit man fragt, ob der Pflichtige diesen Zwang hinnehmen muss oder ausnahmsweise von der Pflichterfüllung frei wird. Genau so macht es der BGH im Easy-Software-Ur­ teil. Der Sache nach geht es dabei um die Prüfung, ob die Verfolgungspflicht, die bei drohender Selbstbezichtigungsgefahr keine Ausnahmen kennt, verhält­ nismäßig i. e. S. ist. Der Rechtsanwender gelangt also direkt in die Angemessenheitsprüfung, die im Wesentlichen aus einer Interessenabwägung besteht. Von den Tücken der Interessenabwägung ist hier genug gesprochen worden; ein zentrales Pro­ blem der Abwägung besteht darin, dass ihre Ergebnisse rational kaum be­ gründbar sind und deshalb immer in hohem Maße subjektiv bleiben. Völlig zu Recht bemerkt insofern Fleischer: „Letztlich lässt sich die Grenzziehung zwi­ schen zumutbarer Offenbarungspflicht und unzumutbarer Selbstbezichtigung in ihren Randbereichen nicht restlos rationalisieren. Sie ist und bleibt  – wie jede Zumutbarkeitsfrage […]  – unterschiedlichen Wertungen zugänglich.“367 Ich kann daher an dieser Stelle nur meine eigene Wertung präsentieren, die mit derjenigen des BGH übereinstimmt: Die Regelverfolgungspflicht des Aufsichtsrats lässt keine Ausnahmen für die Organmitglieder zu, denen eine Selbstbezichtigung droht. Die Überwachung des Vorstands und die Verfolgung dessen Pflichtver­ letzungen ist die Kernaufgabe des Aufsichtsrats.368 Um sie zu erfüllen, muss der Aufsichtsrat funktionsfähig sein, was im Idealfall bedeutet, dass alle seine Mitglieder ihre Pflichten ordnungsgemäß erfüllen können. Je mehr Grün­ 366 Vgl. Bachmann, Reform der Organhaftung? – Materielles Haftungsrecht und seine Durchsetzung in privaten und öffentlichen Unternehmen, Gutachten E zum 70. DJT, S. 81: „Anlass, diese Doktrin anzutasten, besteht m. E. nicht“; zur Diskussion um die Begrenzung der Verfolgungspflicht durch Ermessen u. Ä. siehe nur Habersack, in: MüKo AktG, § 111 Rn. 44 m. zahlr. Nachw. 367  Fleischer, ZIP 2018, 2341, 2348. 368  Hambloch-Gesinn/​Gesinn, in: Hölters, AktG, § 116 Rn. 13; im Zusammenhang mit der Easy-Software-Entscheidung Löbbe/​Lüneborg, Der Konzern 2019, 53, 60; Stöber, BB 2018, 2769; Vetter, EWiR 2019, 69, 70: „Das BGH‑Urteil ist als Stärkung der Überwachungsund Schutzfunktion des Aufsichtsrats zu verstehen“.



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de man schafft, die ein Aufsichtsratsmitglied von seinen Pflichten entbinden, ohne dass es aus dem Amt ausscheidet und durch ein anderes ersetzt wird, desto mehr schwächt man die Stellung des Aufsichtsrats im Gesellschaftsgefü­ ge. Dem kann man entgegensetzen, ein Aufsichtsratsmitglied, das sich durch die Erfüllung seiner Verfolgungspflicht selbst bezichtigen müsste, werde diese Pflicht in der Praxis ohnehin nicht erfüllen, ob die Rechtsordnung es davon freistelle oder nicht. Das Gegenargument lautet, die Freistellung schaffe für ein solches Aufsichtsratsmitglied Fehlanreize, im Amt zu bleiben, obwohl es zur ordnungsgemäßen Amtsführung nur bedingt fähig sei, während das Fest­ halten an der ARAG/Garmenbeck-Haftung im Gegenteil Anreize schaffe, das Aufsichtsratsmandat jedenfalls nach einer schweren Pflichtverletzung nieder­ zulegen. Dies wird m. E. von denjenigen, die die Freistellung des Aufsichtsrats von der Verfolgungspflicht weniger kritisch sehen, zu wenig beachtet. Im Hin­ blick darauf, dass der Aufsichtsrat ein Kollegialorgan ist, halten sie es für un­ schädlich, wenn ein Aufsichtsratsmitglied von seiner Verfolgungspflicht frei werde, weil diese Pflicht noch von seinen Aufsichtsratskollegen erfüllt werden könne. Dies gelte jedenfalls, solange der Aufsichtsrat insgesamt funktionsfähig bleibe.369 Neben rechtspolitischen wirft diese Lösung auch praktische Proble­ me auf. Der Aufsichtsrat und die Gesellschaft wissen im Vorfeld in der Regel nichts von dem „pflichtbefreienden“ Fehlverhalten des betroffenen Aufsichts­ ratsmitglieds (die Frage der Wissenszurechnung lasse ich außen vor, weil sie hier keine Rolle spielt). Der Betroffene ist insofern zu keiner Offenbarung ver­ pflichtet. Eine freiwillige Offenbarung ist ebenfalls nicht zu erwarten, was das Beispiel Wagners bestätigt: Auch er hat bei der Erörterung des Scan-OptikVerkaufs in der Aufsichtsratssitzung vom 21. November 2002 nicht offenbart, dass nicht nur die Gesellschaft, sondern er selbst wesentlicher Profiteur des Geschäfts gewesen sei.370 Nimmt man an, ein Aufsichtsratsmitglied ist von der Verfolgungspflicht befreit, sobald sich ein konkretes Selbstbelastungsrisiko abzeichnet, stehen die Chancen für die Durchsetzung der Vorstandshaftung schlecht: Das pflicht­ vergessene Aufsichtsratsmitglied hat überhaupt keine Anreize, tätig zu wer­ den, weil ihm nicht einmal die ARAG/Garmenbeck-Haftung droht; die ande­ ren Aufsichtsratsmitglieder haben vom Verstoß zunächst keine Kenntnis. Sie können also ihrer Verfolgungspflicht erst nachkommen, wenn sie vom Ver­ stoß erfahren, sei es zufällig, sei es im Rahmen interner oder externer Unter­ suchungen. Handelt es sich beim pflichtvergessenen Aufsichtsratsmitglied zudem um den Aufsichtsratsvorsitzenden, wird es aber für die anderen Auf­ sichtsratsmitglieder schwierig, den Pflichtverstoß zu entdecken, weil ein Auf­ 369  370 

Fleischer, ZIP 2018, 2341, 2348; vgl. auch Pendl, Die Verjährung, S. 280 f. OLG Düsseldorf, Urt. v. 7.4.2017 – I-17 U 29/16, juris, Rn. 43.

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Kapitel 5: Offenbarung eigenen Fehlverhaltens

sichtsratsvorsitzender den Informationsfluss im Aufsichtsrat maßgeblich steu­ ern kann.371 Solange der Pflichtverstoß des Vorstands (und damit auch der des Auf­ sichtsratsmitglieds) unentdeckt bleibt, erscheint der Aufsichtsrat nach außen und möglicherweise auch nach innen als funktionsfähig, egal wie viele seiner Mitglieder involviert sind. Handelt es sich um die Mehrheit oder gar um alle Mitglieder, ist die Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrats vollständig aufgeho­ ben, soweit es um die Verfolgung dieses Pflichtverstoßes geht. Das Problem ist, dass dieses Manko verborgen bleibt, weil es keine Pflicht gibt, eigenes Fehlver­ halten zu offenbaren. Der Aufsichtsrat und die Gesellschaft haben daher keine Möglichkeit, steuernd einzugreifen. Sieht man nun eigene Pflichtverstöße der Aufsichtsratsmitglieder als Umstand, der diese von der Verfolgungspflicht be­ freit, kann sogar ein insgesamt funktionsunfähiger Aufsichtsrat im Amt blei­ ben und die Vorstandshaftung verjähren lassen, ohne selbst irgendwelche haf­ tungsrechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen. Diese „verborgene Funktionsunfähigkeit“ wegen eigenen Fehlverhaltens unterscheidet diese Fälle von denjenigen, in denen ein Aufsichtsratsmitglied wegen einer Krankheit oder eines Interessenkonflikts nicht der Lage ist, seine Pflichten zu erfüllen. Ein krankheitsbedingter Ausfall oder ein Interessenkon­ flikt, der den Betroffenen zum „Richter in eigener Sache“ macht, ist offenle­ gungspflichtig, eigenes Fehlverhalten dagegen nicht. Etwas anderes mag dann gelten, wenn die Verfolgung der Ansprüche gegen Vorstandsmitglieder bereits Thema im Aufsichtsrat ist oder erst recht, wenn das verklagte Vorstandsmit­ glied dem betroffenen Aufsichtsratsmitglied den Streit verkündet. Hier gerät das Aufsichtsratsmitglied, das eventuell zusammen mit dem Vorstand haftet, in einen Interessenkonflikt, wenn es an Entscheidungen über die Durchset­ zung der Vorstandshaftung mitwirkt.372 Auch dann muss jedoch sorgfältig geprüft werden, inwieweit die Pflicht zur Offenlegung des „Interessenkon­ flikts“ auf eine unzulässige Pflicht zur Offenbarung eigenen Fehlverhaltens hinausläuft. Angesichts der beschriebenen Funktionsprobleme wäre es m. E. der falsche Schritt, bei konkreten Anhaltspunkten für eine Pflichtverletzung des Auf­ 371  Im Fall von Easy Software kam die besondere Macht Wagners hinzu. In der Kla­ geschrift ist davon die Rede, dass Wagner sich als Zentralgestalt des Unternehmens geriert habe: Er habe den Vorstand durch wöchentliche Rapportpflichten „an der kurzen Leine ge­ halten“ und sich ständig in die operative Geschäftsführung eingemischt. Außerdem habe er die Gesellschaft in ein unüberschaubares Geflecht vertraglicher Beziehungen zu Unter­ nehmen, die er selbst mittelbar oder unmittelbar beherrscht habe, verwickelt und dadurch umfassende Abhängigkeiten bewirkt, in denen jedes Infragestellen seiner Person katego­ risch ausgeschlossen gewesen sei, vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 7.4.2017 – I-17 U 29/16, juris, Rn. 22, 43. 372  Habersack, in: MüKo AktG, § 111 Rn. 35; Kocher/​Falkenhausen, AG 2016, 848, 850 ff.

§ 4.  Offenbarung eigenen Fehlverhaltens als Nebenfolge einer anderen Pflicht 



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sichtsratsmitglieds dieses von der Verfolgungspflicht zu befreien. Außerdem ist es in der Tat nicht ersichtlich, warum etwa ein Aufsichtsratsmitglied, der ganz offenkundig gegen seine Überwachungspflicht verstoßen hat, im Hin­ blick auf die ARAG/Garmenbeck-Haftung besser gestellt werden soll, als dasjenige, bei dem nur ein entfernter Verdacht eines Überwachungsverschul­ dens besteht.373 Es leuchtet mir zwar ein, dass im ersten Fall die Gefahr einer Selbstbezichtigung deutlich größer ist als im zweiten374, aber die Bevorzu­ gung des „schlechteren“ Organmitglieds lässt sich schwer mit dem Gerech­ tigkeitsgefühl vereinbaren. Im Ergebnis kommt man am Gerechtigkeitsargu­ ment des Gemeinschuldner-Beschlusses doch nicht vorbei: „Die Zubilligung eines Auskunftsverweigerungsrechts würde gerade denjenigen ungerechtfer­ tigt bevorzugen, der zum Nachteil der Gläubiger besonders verwerflich ge­ handelt hat.“375 Im Hinblick auf Aufsichtsratsmitglieder lässt es sich zudem argumentieren, dass die Gefahr der eigenen Haftung in beiden Fällen zum „Amtsrisiko“ gehört, das der Betroffene freiwillig übernommen hat: Er „weiß, was gespielt wird“. Er muss daher seine Verfolgungspflicht auch dann erfüllen, wenn sie für ihn zum Selbstbezichtigungszwang wird. Will er die­ sem Zwang entgehen, kann er sein Mandat freiwillig niederlegen376; damit gibt er zugleich der Gesellschaft die Möglichkeit, das frei gewordene Auf­ sichtsratsamt mit einem Kandidaten zu besetzen, der es besser führen kann. Ähnliches gilt dann, wenn ein pflichtvergessenes Vorstandsmitglied in den Aufsichtsrat wechselt. Auch hier müsste es dem Betroffenen klar sein, worauf er sich einlässt; ist er verständlicherweise nicht bereit, in seiner neuen Rolle als Aufsichtsratsmitglied die Ansprüche gegen sich selbst zu verfolgen, soll er vom Wechsel absehen.377 Nicht überzeugend ist schließlich die Rückausnahme, wonach die ARAG/ Garmenbeck-Doktrin ungeachtet einer konkreten Selbstbezichtigungsgefahr doch gelten soll, wenn sich das Verhalten des Aufsichtsratsmitglieds im Hin­ blick auf das verfolgte Ziel, die eingesetzten Mittel, die zutage tretende Ge­ sinnung oder die eingetretenen Folgen als besonders verwerflich darstelle.378 Sachlich erscheint es zwar richtig, bei besonders verwerflichen Verstößen dem 373  So auch Löbbe/​Lüneborg, Der Konzern 2019, 53, 60. 374 Der BGH spricht allerdings hier zu Recht von „Abgrenzungsschwierigkeiten“,

siehe

BGH NZG 2018, 1301, Rn. 46 – Easy Software; ihm widerspricht Fleischer, ZIP 2018, 2341,

2348.

375  BVerfGE

56, 37, 50  – Selbstbezichtigung des Gemeinschuldners; diesem Argument folgend BGH NZG 2018, 1301, Rn. 46 – Easy Software. 376  So auch Schockenhoff, AG 2019, 745, 750; vgl. ferner Löbbe/​Lüneborg, Der Konzern 2019, 53, 60: „Als Ultima Ratio bleibt dem Aufsichtsratsmitglied schließlich noch der Weg der Amtsniederlegung.“ 377 Anders Fleischer, ZIP 2018, 2341, 2349, der die Frage der Offenbarungspflicht per­ sonen- und nicht pflichtenkreisbezogen beurteilen und die Verfolgungspflicht des früheren Vorstandsmitglieds nur bei „besonders verwerflichem“ Fehlverhalten bejahen will. 378  Fleischer, ZIP 2018, 2341, 2349.

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Kapitel 5: Offenbarung eigenen Fehlverhaltens

Aufsichtsratsmitglied die Berufung auf die Unzumutbarkeit zu versagen.379 Aber was ist „besonders verwerflich“, sei es im Hinblick auf die „Gesinnung“, sei es im Hinblick auf das Ziel, die Mittel und die Folgen? Diese aus der Recht­ sprechung zu § 826 BGB stammende Umschreibung380 ist so unterschiedli­ chen Wertungen zugänglich, dass die Rechtsunsicherheit vorprogrammiert ist. Diese Unsicherheit mag noch hinnehmbar sein, wenn es darum geht, ein de­ liktisches Verhalten ex post als sittenwidrig zu bewerten.381 Muss dagegen der Betroffene – wie hier das Aufsichtsratsmitglied – ex ante wissen, ob er von der Anspruchsverfolgung absehen darf oder nicht, kann die Rechtsordnung ihn nicht mit einer derartigen Rechtsunsicherheit belasten. Alles in allem kann eine eigene Pflichtverletzung des Aufsichtsratsmit­ glieds und die damit verbundene Gefahr einer Selbstbezichtigung keine Aus­ nahme von der Verfolgungspflicht nach den ARAG/Garmenbeck-Grundsät­ zen begründen. Handelt es sich jedoch um eine Pflichtverletzung, die auch strafrechtlich relevant ist, muss die Verfolgungspflicht in Einklang mit dem Nemo-tenetur-Grundsatz gebracht werden. Dafür ist ein umfassendes Ver­ wendungsverbot notwendig; ein bloßes Verwertungsverbot, von dem der BGH in Anlehnung an den Gemeinschuldner-Beschluss spricht382 , ist nicht ausreichend, um strafprozessuale Rechte der Aufsichtsratsmitglieder zu schützen.383

§ 5.  Zusammenfassung der Ergebnisse I.  Die Pflicht der Organmitglieder zur Offenbarung eigenen Fehlverhaltens (Offenbarungspflicht) würde in das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG) und die Berufsfreiheit der Pflichtadressaten (Art. 12 GG) eingreifen. Auf europäischer Ebene läge ein Eingriff in das Recht auf Ach­ tung des Privatlebens (Art. 7 GRCh, Art. 8 EMRK), das Recht auf Schutz per­ sonenbezogener Daten (Art. 8 GRCh, Art. 16 AEUV) und die Berufsfreiheit (Art. 15 GRCh) vor. Aus der Eingriffsqualität der Offenbarungspflicht folgt, dass sie dem Gebot der Verhältnismäßigkeit unterliegt. II.  Rechtsvergleichend zeigt sich, dass Rechtsprechung und Lehre in Deutsch­ land die Offenbarungspflicht der Organmitglieder überwiegend ablehnen, 379 Vgl. Taupitz, Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, S. 89. 380 Vgl. BGH, Urt. v. 15.10.2013 – VI ZR 124/12, NJW 2014,

1380, Rn. 8. aber Wagner, in: MüKo BGB, § 826 Rn. 9 f., der die Rechtsprechungsformel für Lösung konkreter Fälle für ungeeignet hält und stattdessen die sozialen Folgen des delikti­ schen Verhaltens stärker in den Vordergrund rückt, a. a. O., Rn. 19 ff. 382 BVerfGE 56, 37, 51  – Selbstbezichtigung des Gemeinschuldners; BGH NZG 2018, 1301, Rn. 48 – Easy Software. 383  Vgl. dazu Einleitung zu diesem Kapitel (§ 1). 381  Vgl.



§ 5.  Zusammenfassung der Ergebnisse

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während sich im Vereinigten Königreich eine „fiduciary duty to disclose own wrongdoing“ fest etabliert hat, zumindest für die Direktoren der Gesellschaft. Bei Vertragsverhandlungen des Organmitglieds mit der Gesellschaft erkennt allerdings auch der BGH eine Offenbarungspflicht an, wobei ihm bereits ein zeitlicher Zusammenhang zwischen Fehlverhalten und Vertrag zu genügen scheint; bei unterlassener Aufklärung kann die Gesellschaft den Vertrag an­ fechten. In der Sache nutzen sowohl englische als auch deutsche Gerichte die Offenbarungspflicht dazu, Treuebrüche der Organmitglieder hart zu bestra­ fen, ohne jedoch die grundrechtliche Problematik dieser Pflicht in irgendeiner Weise zu würdigen. III. Rechtsdogmatisch ließe sich die Offenbarungspflicht bei laufender Organ- und Vertragsbeziehung als Teil der Treuepflicht auffassen, bei Ver­ handlungen über die Beendigung dieses Verhältnisses zusätzlich als vorver­ tragliche Aufklärungspflicht. Aus rechtsökonomischer Sicht könnte die Of­ fenbarungspflicht zu einer besseren Ressourcenallokation beitragen und einer Informationsasymmetrie entgegenwirken. Dies setzt allerdings voraus, dass die Offenbarungspflicht zumindest in einer bestimmten Anzahl von Fällen erfüllt wird. Die Überwachungskosten der Gesellschaft könnte diese Pflicht indes unter keinen Umständen verringern. IV.  Rechtstheoretisch handelt es sich bei der Offenbarungspflicht um eine un­ erfüllbare Pflicht. Organmitglieder haben keine nennenswerten Anreize, ihr Fehlverhalten zu offenbaren, und zugleich gewichtige Anreize, dieses zu ver­ heimlichen. In anderen Worten wird bei der Offenbarungspflicht das norm­ konforme Verhalten bestraft, das normwidrige dagegen belohnt. Unter diesen Umständen verlangt die Offenbarungspflicht von ihren Adressaten Opfer, die ein normaler Mensch nicht bringen kann, und ist somit ungeeignet, mensch­ liches Verhalten zu steuern. Ihre einzige Daseinsberechtigung sind die Sank­ tionen, die beim Verstoß gegen diese Pflicht greifen. Vor diesem Hintergrund ist die Offenbarungspflicht eine unehrliche, unaufrichtige Pflicht, die etwas anderes will, als sie vorgibt zu wollen. Sie verstößt auf diese Weise gegen das Gebot rationaler Rechtssetzung und entspricht nicht den Anforderungen an eine vernünftige „Rule of Law“, d. h. eine Norm, die ein Mindestmaß an Res­ pekt vor der Menschenwürde ihrer Adressaten zeigt. V.  Verfassungsrechtlich gesehen würde die Offenbarungspflicht der Organ­ mitglieder gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit verstoßen. Ihre primä­ ren Zwecke könnte sie mangels Erfüllbarkeit nicht fördern und wäre somit zur Erreichung dieser Zwecke ungeeignet. Außerdem wäre sie dafür nicht er­ forderlich, da die tradierten Kontrollmechanismen des Gesellschaftsrechts die Grundrechte der Organmitglieder weniger beeinträchtigen und somit ein milderes Mittel darstellen. Die Offenbarungspflicht könnte lediglich ihre se­

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Kapitel 5: Offenbarung eigenen Fehlverhaltens

kundären Zwecke fördern, indem sie Verstöße gegen eben diese Pflicht sank­ tionieren würde. Eine Rechtspflicht kann aber nicht ausschließlich um der Sanktionen willen existieren. Hinzu kommt, dass manche sekundäre Zwecke der Offenbarungspflicht bereits für sich genommen nicht legitim wären. Dies gilt etwa, soweit mit Hilfe dieser Pflicht die Verjährung der Organhaftungs­ ansprüche verlängert oder die Schadensersatzhaftung dort begründet werden sollte, wo die allgemeinen zivilrechtlichen Voraussetzungen wie Kausalität, Pflichtwidrigkeitszusammenhang oder Verschulden fehlen. Genauso wenig le­ gitim wäre es, durch die Hintertür der Offenbarungspflicht ein ungeschriebe­ nes Recht der Gesellschaft einzuführen, Abfindungsverträge mit pflichtver­ gessenen Organmitgliedern anzufechten. VI.  Anders zu beurteilen ist ein faktischer Zwang zur Selbstbelastung, der als Nebenfolge einer anderen Pflicht entsteht, etwa der Überwachungs- und Ver­ folgungspflicht des Aufsichtsrats. Dieser Zwang ist dem betroffenen Aufsichts­ ratsmitglied zumutbar, weil die Überwachung des Vorstands und die Verfol­ gung dessen Pflichtverletzungen zur Kernaufgabe des Aufsichtsrats gehört. Dies ist auch jedem Kandidaten für ein Aufsichtsratsamt bewusst. Besteht für den Betroffenen die Gefahr, dass er sich durch die Erfüllung seiner Aufsichts­ ratsaufgaben selbst belasten muss, so soll er das Amt nicht annehmen oder soll es niederlegen, wenn die Selbstbelastungsgefahr erst nach seinem Amtsein­ tritt entsteht. Ein solches Aufsichtsratsmitglied von seiner Verfolgungspflicht zu befreien, würde dem Interesse der Gesellschaft an einem funktionsfähigen Kontrollorgan widersprechen. Steht eine strafrechtlich relevante Selbstbelas­ tung im Raum, muss allerdings der strafprozessuale Nemo-tenetur-Grund­ satz beachtet und es müssen die Rechte des Aufsichtsratsmitglieds durch ein umfassendes Verwendungsverbot abgesichert werden.

§ 6.  Fazit Es geschieht vergleichsweise selten, dass eine Grundrechtsschranke bereits daran scheitert, dass sie keinen legitimen Zweck verfolgt oder zur Errei­ chung eines legitimen Zwecks völlig ungeeignet ist. Bei der Offenbarungs­ pflicht ist dies der Fall. Aus diesem Grund gehen alle rechtsökonomischen und rechtlichen Argumente, welche die Vorteile der Offenbarungspflicht unter­ streichen, von vornherein ins Leere. Das obige Kapitel hat zwar keine über­ raschenden Ergebnisse zutage gebracht, aber erneut gezeigt, wie wichtig eine Verhältnismäßigkeitsprüfung bei organschaftlichen Offenlegungspflichten ist. Ohne diese Prüfung besteht tatsächlich die Gefahr, über das Für und Wider einer Rechtspflicht zu diskutieren, die es im Hinblick auf die Menschenwür­ de gar nicht geben kann. Fehlgeleitet wird die wissenschaftliche Diskussion



§ 6.  Fazit

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durch das vorschnelle Fokussieren auf den strafprozessualen Nemo-teneturGrundsatz und die ebenfalls vorschnelle Annahme, dass im Privatrecht kein entsprechender Grundsatz gilt. Dies hat zur Folge, dass die Dimension der Of­ fenbarungspflicht, die die Menschenwürde ihrer Adressaten missachtet, häufig aus dem Blickwinkel gerät oder bei der rechtlichen Analyse der Offenbarungs­ pflicht vernachlässig wird.

Teil III

Theorie der organschaftlichen Offenlegungspflicht

Kapitel 6

Organschaftliche Offenlegungspflichten § 1.  Allgemeine Hypothese Die Ergebnisse der bisherigen Untersuchung der Offenlegungspflicht von Or­ ganmitgliedern bei Erkrankungen, eigenem Fehlverhalten und ManagementBuy-out sind in der nachfolgenden Tabelle zusammengefasst. Die Tabelle be­ schränkt sich auf Kernaussagen zur dogmatischen Grundlage, Zweck und Umfang der jeweiligen Offenlegungspflicht sowie zu den schwerpunktmäßig betroffenen Grundrechten und der Art des Interessenkonflikts, in dem sich der Pflichtige befindet. Tabelle 4: Organschaftliche Offenlegungspflichten Fallgruppe

Zweck der Pflicht

Krank- Funktionsfähig­ heit keit der Organe

MBO

Aufklärung des Veräußerers

Fehl­ver- Verbesserung halten der Informa­ tionsgrundlage für die Entschei­ dungen der Ge­ sellschaft Bessere Compli­ ance und Haf­ tungsdurchset­ zung

Dogmatische Grundlage

Grundrechtsbeeinträchtigung (Schwerpunkt und Schwere)

Art des Umfang der Interes- ­Offenlegung senkonflikts

Sorgfaltspflicht Persönlich­ keitsrecht, Privatsphäre, Datenschutz (schwerer Ein­ griff)

dauer­ haft

Ausscheiden/​ Auszeit inkl. ihrer Dauer Nicht: Diagnose oder Prognose

Vorvertragliche Aufklärungs­ pflicht Treuepflicht

Allgemeine Handlungs­ freiheit (mittel­ schwerer Ein­ griff)

punk­ tuell

Alle wertrele­ vanten Infor­ mationen inkl. Managementpläne

Vorvertragliche Aufklärungs­ pflicht Treuepflicht

Persönlich­ keitsrecht, Privatsphäre, Datenschutz (gravierender Eingriff)

dauer­ haft

Keine Offenle­ gung (unerfüll­ bare Pflicht)

442

Kapitel 6: Organschaftliche Offenlegungspflichten

Die Tabelle zeigt deutlich, wie unterschiedlich die einzelnen Offenlegungs­ pflichten sind. Sie haben unterschiedliche dogmatische Grundlagen, dienen unterschiedlichen Zwecken und haben einen sehr unterschiedlichen Umfang. Angesichts dessen erscheint es gewagt, von einer Pflichtenfamilie zu sprechen. Hinter den Unterschieden verbirgt sich jedoch etwas, was man als einheitli­ chen Wirkmechanismus bezeichnen könnte: Die Ausformung der Offenle­ gungspflichten ging immer gleich vonstatten, weil stets das Verhältnismäßig­ keitsgebot zu beachten war. Egal, ob es um eine schwere Erkrankung, eigenes Fehlverhalten des Organmitglieds oder einen Management-Buy-out ging: Die jeweilige Offenlegungspflicht musste einem legitimen Zweck dienen, geeignet, erforderlich und angemessen sein. Am Anfang der Untersuchung wurde die Verhältnismäßigkeitsprüfung primär im Zusammenhang mit dem Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht, also im Zusammenhang mit der Offenle­ gung persönlicher Informationen angesprochen.1 Später zeigte sich, dass das Verhältnismäßigkeitsgebot auch dann gilt, wenn keine persönlichen Informa­ tionen betroffen sind, etwa beim Management-Buy-out. An dieser Stelle soll als allgemeine Hypothese unterstellt werden, dass das Verhältnismäßigkeits­ gebot immer gilt, soweit Organmitglieder zur Offenlegung verpflichtet wer­ den sollen. Dieses Gebot liegt dem gerade angesprochenen Wirkmechanismus zugrun­ de, der jede potentielle Offenlegungspflicht einem Verhältnismäßigkeitstest unterzieht. Dabei gibt es bestimmte Parameter, die von Fallgruppe zu Fall­ gruppe variieren und so den Umfang der Offenlegungspflicht beeinflussen wie den Graph einer Funktion. Ein solcher Parameter ist die Art des Interessen­ konflikts, die vor allem auf der Stufe der Geeignetheit bedeutsam wird: Bei punktuellen Interessenkonflikten ist die Offenlegung eher zur Konfliktlösung geeignet, während bei Dauerkonflikten oft bessere Mittel in Betracht kommen, was zur Folge haben kann, dass die Offenlegungspflicht sehr eingeschränkt ist (wie bei Erkrankungen) oder gar nicht existiert (ihr Umfang ist dann gleich Null). Beim Management-Buy-out, bei dem es um eine ganz bestimmte Trans­ aktion geht (punktueller Interessenkonflikt) besteht dagegen eine umfassende Offenlegungspflicht. Ein weiterer Parameter ist die Schwere des Grundrechtseingriffs, der mit der Offenlegungspflicht einhergeht. Die Hürde der Erforderlichkeit kann diese Pflicht umso leichter nehmen, je weniger sie in die Grundrechte der Organper­ son eingreift. Bei schwereren Eingriffen muss sorgfältig geprüft werden, ob auch mildere Mittel vorhanden sind. So wiegt beim Management-Buy-out der Grundrechtseingriff nicht besonders schwer, so dass die Offenlegungspflicht den Erforderlichkeitstest passieren kann, ohne irgendwas an ihrem Umfang 1  Vgl. Kapitel 2, § 2, § 4; in § 3 wurde allerdings das Verhältnismäßigkeitsgebot generell herangezogen, soweit es um die Offenlegung von Interessenkonflikten ging.



§ 1.  Allgemeine Hypothese

443

einzubüßen. Bei Erkrankungen und beim Fehlverhalten stellt sich die Erfor­ derlichkeitsfrage viel schärfer. Im Rahmen der Angemessenheitsprüfung spielt erneut eine Rolle, wie schwer der Grundrechtseingriff ist, wie sensibel die betroffenen Grundrechte sind und wie wichtig das legitime Ziel ist, dem die Offenlegung dient. Inso­ weit erklärt sich der unterschiedliche Umfang der Offenlegung bei Erkran­ kungen und beim Management-Buy-out dadurch, dass es im ersten Fall um sensible Grundrechte geht, während im zweiten allein die allgemeine Hand­ lungsfreiheit betroffen ist. Zudem geht es bei Erkrankungen um die Offenle­ gung personenbezogener Daten, beim Management-Buy-out werden dagegen nur unternehmensbezogene Informationen offengelegt. Im Ergebnis kommt die Offenlegungspflicht beim Management-Buy-out viel leichter durch das Sieb der Verhältnismäßigkeitsprüfung hindurch als in den beiden anderen Fall­ gruppen. Damit zeigt sich ein Riss, der durch die Offenlegungspflichten der Or­ ganmitglieder geht und zwischen personenbezogenen und allen übrigen In­ formationen verläuft. Die Pflicht zur Offenlegung personenbezogener In­ formationen greift immer in das allgemeine Persönlichkeitsrecht sowie auf europäischer Ebene in das Recht auf Achtung der Privatsphäre und auf Schutz personenbezogener Daten ein. Die Sensibilität dieser Grundrechte be­ wirkt, dass der Umfang der Offenlegung regelmäßig sehr eingeschränkt ist. Auf der anderen Seite stehen Informationen, die keinen Bezug zur Organper­ son haben, sondern nur unternehmens- oder marktbezogen sind. Eine Pflicht zur Offenlegung solcher Informationen ist aus verfassungsrechtlicher Sicht viel weniger bedenklich, da sie nur in die allgemeine Handlungsfreiheit der Organperson eingreift. Aber ist dieser Riss so tief, dass er die Offenlegungspflichten wesensver­ schieden macht? M. E. sollte man diese Frage im Hinblick auf die gleiche (Ver­ hältnismäßigkeits-)Struktur aller Offenlegungspflichten eher verneinen und lieber von zwei Stämmen einer Familie sprechen. Zum ersten Stamm gehören die Pflichten, welche die Offenlegung personenbezogener Informationen for­ dern, zum zweiten diejenigen, die sich ausschließlich auf nicht personenbe­ zogene Informationen beziehen. Die Vorteile dieser Betrachtungsweise lassen sich am Beispiel der Geschäftschancen illustrieren: Bei deren Offenlegung ste­ hen oft nicht personenbezogene Informationen im Vordergrund. Wird die ent­ sprechende Offenlegungspflicht dennoch unserer Pflichtenfamilie zugeordnet, so gilt auch für sie die allgemeine Hypothese, dass das Verhältnismäßigkeits­ gebot zu beachten ist. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit i. e. S. wäre dann zu entscheiden, ob die Offenlegungspflicht auch die Geschäftschancen umfasst, von denen das Organmitglied privat erfahren hat. Auch wenn das Er­ gebnis dabei von einer Interessenabwägung abhinge, so ist eine solche dennoch transparenter als das Argument, alle Geschäftschancen seien offenzulegen,

444

Kapitel 6: Organschaftliche Offenlegungspflichten

weil die Sorgfalts- und Treuepflicht des Organmitglieds gegenüber der Gesell­ schaft unteilbar seien.2 Gegen die Verwandtschaft aller persönlichen Offenlegungspflichten kön­ nen allerdings unterschiedliche dogmatische Grundlagen sprechen, auf die sich die einzelnen Pflichten stützen. So ergibt sich die Mitteilungspflicht eines er­ krankten Organmitglieds nach hiesiger Auffassung aus seiner Sorgfaltspflicht. Die Offenlegungspflichten bei einem Management-Buy-out ergeben sich in den meisten Fällen aus der vorvertraglichen Aufklärungspflicht; beim Asset Deal, bei dem das Management nicht mit den Anteilsinhabern, sondern mit der Zielgesellschaft selbst kontrahiert, zusätzlich aus der Treuepflicht. Die Pflicht zur Offenbarung eigenen Fehlverhaltens hätte, wenn es sie denn gäbe, ihren Ursprung ebenfalls in der Treuepflicht und teilweise auch in der vorvertraglichen Aufklärungspflicht. Diese dogmatischen Unterschiede sind jedoch häufig Zufallsergebnisse und daher kein gewichtiges Argument gegen die These, dass alle Offenlegungs­ pflichten „Mitglieder einer Familie“ sind. Die Zufälligkeit dogmatischer Zu­ ordnung zeigte sich beispielsweise bei der Offenlegungspflicht im Krankheits­ fall, deren Einordnung als Sorgfalts- oder als Treuepflicht davon abhängt, ob die Pflicht gegenüber den Mitgliedern desselben Organs (dann Sorgfaltspflicht) oder eines anderen Organs (dann Treuepflicht) besteht. Immer dann, wenn der Informationsfluss die Grenzen eines Organs verlässt, kann die Sorgfaltspflicht nicht mehr greifen, so dass die Treuepflicht mit ihrer Auffangfunktion benö­ tigt wird, um die Offenlegungspflicht dogmatisch zu stützen. Beim Manage­ ment-Buy-out scheitert die Qualifizierung der Offenlegungspflicht als Treue­ pflicht im Wesentlichen daran, dass sich eine mitgliederbezogene Treuepflicht der Verwaltung in Deutschland nicht etablieren konnte, anders als in anderen Ländern, wo solche Pflichten unter bestimmten Umständen anerkannt wer­ den. Was schließlich die vorvertragliche Aufklärungspflicht angeht, überrascht es kaum, dass diese stets hinzukommt, wenn es um Vertragsverhandlungen geht. In diesem Fall laufen gesellschafts- und allgemeine zivilrechtliche Pflich­ ten parallel und es gibt keinen Grund, die einen oder die anderen „unter den Tisch zu kehren“. Insgesamt sind also die dogmatischen Unterschiede nicht so gravierend, dass sie die Verwandtschaft aller Offenlegungspflichten ausschließen. Dies er­ laubt es, an der ursprünglichen Hypothese festzuhalten, dass diese Pflichten tatsächlich Familienähnlichkeit besitzen. Diese Hypothese wird nun zusam­ men mit der Hypothese, dass alle Offenlegungspflichten die gleiche, vom Ver­ hältnismäßigkeitsgebot vorgegebene Struktur haben, an weiteren Fallgruppen der Offenlegungspflicht überprüft. 2 So

BGH NJW 1986, 585, 586 – Druckmittelzylinder.



§ 2.  Erprobung der Hypothese an weiteren Offenlegungsfällen

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§ 2.  Erprobung der Hypothese an weiteren Offenlegungsfällen I.  Eigengeschäfte (Directors’ Dealings) 1.  Offenlegungspflichten bei Directors’ Dealings Zu den persönlichen Offenlegungspflichten der Organmitglieder in börsen­ notierten Gesellschaften gehört die Pflicht, bestimmte Eigengeschäfte mit Fi­ nanzinstrumenten ihrer Gesellschaft (sog. „Directors’ Dealings“) zu melden. Diese Pflicht, die früher ihre Rechtsgrundlage in § 15a WpHG hatte, ergibt sich nun aus Art. 19 MAR, dessen englische Überschrift allerdings nicht mehr „Directors’ Dealings“, sondern „Managers’ Transactions“ lautet.3 Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die Meldepflicht gemäß Art. 19 Abs. 1 MAR an alle Personen richtet, die Führungsaufgaben wahrnehmen („persons dis­ charging managerial responsibilities“), also neben Organmitgliedern an An­ gehörige untergeordneter Managementebenen, die regelmäßig Zugang zu In­ siderinformationen haben und befugt sind, unternehmerische Entscheidungen über zukünftige Entwicklungen und Geschäftsperspektiven zu treffen (Art. 3 Abs. 1 Nr. 25 MAR).4 Die eingebürgerte Bezeichnung „Directors’ Dealings“ ist daher streng genommen zu eng. Nichtsdestotrotz scheinen Literatur und Pra­ xis in Deutschland an ihr festzuhalten.5 Neben Personen, die Führungsaufgaben wahrnehmen, sind auch „in enger Beziehung zu ihnen stehende Personen“ von der Meldepflicht erfasst. Der Be­ griff ist in Art. 3 Abs. 1 Nr. 26 MAR legal definiert, wobei dort allerdings von „eng verbundenen Personen“ die Rede ist. Inhaltliche Abweichungen sind damit nicht verbunden.6 Gemeint sind zum einen juristische Personen, Treu­ hand- und Personengesellschaften, die mit den Führungskräften eng verbun­ den sind, zum anderen bestimmte natürliche Personen: Ehepartner oder ein nach nationalem Recht gleichstehender Lebenspartner, unterhaltsberechtig­ te Kinder und solche Verwandte, die seit mindestens einem Jahr demselben Haushalt angehören. 3 

Semrau, in: Klöhn, MAR , Art. 19 Rn. 13; Stegmaier, in: Meyer/​Veil/​Rönnau, Hdb. Marktmissbrauchsrecht, § 19 Rn. 1; Hitzer/​Wasmann, DB 2016, 1483 mit dem Titel: „Von § 15a WpHG zu Art. 19 MMVO: Aus Directors’ Dealings werden Managers’ Transactions“; Kocher, Bucerius Law Journal 2017, 113. 4  In Deutschland ist der Kreis solcher Personen regelmäßig recht eng, dazu Stegmaier, in: Meyer/​Veil/​Rönnau, Hdb. Marktmissbrauchsrecht, § 19 Rn. 19. 5  Siehe etwa Kumpan, AG 2016, 446; Linden, DStR 2016, 1036, 1039; Maume/​Kellner, ZGR 2017, 273; Poelzig, NZG 2016, 761, 767; Rubner/​Pospiech, GWR 2016, 228; Stenzel, DStR 2017, 883, 886; Stüber, DStR 2016, 1221; sowie die Webseite der BaFin, . 6  Dies zeigt die englische Fassung der MAR , die jeweils den Ausdruck „persons closely associated“ verwendet; dazu Semrau, in: Klöhn, MAR , Art. 19 Rn. 29 m. Fn. 34; Kumpan, AG 2016, 446, 450; Maume/​Kellner, ZGR 2017, 273, 287; Simons, AG 2016, 651, 654.

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Kapitel 6: Organschaftliche Offenlegungspflichten

Meldepflichtig sind nach Art. 19 Abs. 1 MAR alle Eigengeschäfte mit Antei­ len oder Schuldtiteln des Emittenten oder damit verbundenen Derivaten oder anderen damit verbundenen Finanzinstrumenten (lit. a); beim Emissionshan­ del alle Eigengeschäfte mit Emissionszertifikaten, darauf beruhenden Auk­ tionsobjekten oder damit verbundenen Derivaten (lit. b). Der Begriff des „Ge­ schäfts“ wurde von der EU‑Kommission gemäß der Ermächtigung in Art. 19 Abs. 14 MAR konkretisiert.7 Die Liste meldepflichtiger Geschäfte ist zwar nicht erschöpfend8 , aber so umfangreich, dass sie „quasi jeden denkbaren Er­ werb oder Veräußerung von Finanzinstrumenten erfasst“9. Meldepflichtig sind neben aktiven Transaktionen wie Erwerb, Veräußerung, Leerverkauf, Zeich­ nung oder Austausch auch passive Erwerbsvorgänge wie Spenden oder Erb­ schaften. Die MAR selbst erstreckt die Meldepflicht zudem auf das Verpfänden und Verleihen von Finanzinstrumenten, auf Geschäfte von Personen, die sol­ che Geschäfte im Auftrag des Pflichtigen gewerbsmäßig ausführen, auch wenn sie dabei ein Ermessen ausüben, und schließlich auf bestimmte Geschäfte im Rahmen einer Lebensversicherung (vgl. Art. 19 Abs. 7 MAR). Jedes Eigengeschäft muss spätestens drei Geschäftstage nach seiner Vornah­ me der BaFin10 und dem Emittenten11 gemeldet werden; maßgeblich ist grund­ sätzlich das schuldrechtliche Geschäft.12 Der Emittent hat dafür zu sorgen, dass diese Informationen so veröffentlicht werden, dass sie schnell und diskri­ minierungsfrei im Einklang mit den für die Ad-hoc-Publizität entwickelten technischen Standards zugänglich sind (Art. 19 Abs. 3 Unterabs. 1 MAR). An­ schließend muss der Emittent die Veröffentlichung der BaFin mitteilen und die veröffentlichten Informationen dem Unternehmensregister i. S. d. § 8b HGB zur Speicherung übermitteln (§ 26 Abs. 2 WpHG). Inhaltlich bezieht sich die Meldung auf folgende Angaben: Name der meldepflichtigen Person, Grund der Meldung (Führungsposition beim Emittenten bzw. enge Beziehung zu einer Führungsperson), Bezeichnung des Emittenten, Beschreibung und Ken­ nung des Finanzinstruments, Art des Geschäfts (d. h. Erwerb oder Veräuße­ 7  Siehe Art. 10 Abs. 2 der Delegierten Verordnung (EU) 2016/522 der Kommission v. 17.12.2015 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf eine Ausnahme für bestimmte öffentliche Stellen und Zen­ tralbanken von Drittstaaten, die Indikatoren für Marktmanipulation, die Schwellenwerte für die Offenlegung, die zuständige Behörde, der ein Aufschub zu melden ist, die Erlaubnis zum Handel während eines geschlossenen Zeitraums und die Arten meldepflichtiger Eigen­ geschäfte von Führungskräften, ABl. L 88 v. 5.4.2016, S. 1. 8  Kumpan, AG 2016, 446, 453; Poelzig, NZG 2016, 761, 768. 9  Semrau, in: Klöhn, MAR , Art. 19 Rn. 47. 10  BaFin ist die zuständige Behörde i. S. d. Art. 19 Abs. 2 Unterabs. 2 MAR , vgl. § 6 Abs. 2 S. 1 i. V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 8 lit. e WpHG. 11  Hier und im Folgenden wird der Einfachheit halber nur von Emittenten gesprochen, obwohl die MAR stets auch Teilnehmer am Markt für Emissionszertifikate einbezieht. 12  Anders wohl bei passiven Vorgängen wie Erbschaften, bei denen die Änderung der sachenrechtlichen Zuordnung maßgeblich sein soll, Kumpan, AG 2016, 446, 453 f.



§ 2.  Erprobung der Hypothese an weiteren Offenlegungsfällen

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rung), Datum und Ort sowie Kurs und Volumen des Geschäfts (vgl. Art. 19 Abs. 6 MAR). Einzelheiten regelt die Durchführungsverordnung Nr. 2016/523 der Kommission.13 Der Emittent hat eine Liste der Personen zu erstellen, die Führungsauf­ gaben wahrnehmen, sowie der Personen, die zu ihnen in enger Beziehung ste­ hen (Art. 19 Abs. 5 Unterabs. 1 MAR). Er muss seine Führungskräfte schriftlich über ihre Meldepflichten unterrichten. Die gleiche Pflicht trifft die Führungs­ kräfte im Verhältnis zu den Personen, die mit ihnen eng verbunden sind. Die Pflicht des Emittenten, zwei Listen der Meldepflichtigen zu erstellen, bedeutet praktisch gesehen, dass ein Organmitglied bei Directors’ Dealings zwei Of­ fenlegungspflichten gegenüber dem Emittenten hat: Es muss erstens die ei­ genen Geschäfte und zweitens die Personen benennen, die mit ihm eng ver­ bunden sind. Die Pflicht zur Nennung eng verbundener Personen ist zwar in Art. 19 Abs. 5 Unterabs. 1 MAR nicht ausdrücklich vorgesehen, sie folgt aber aus den gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen. Rolf Sethe und Alexander Hellgardt meinen, es handele sich je nach Konstellation um eine Nebenpflicht aus dem Organ- und Dienstverhältnis oder um die Treuepflicht der Führungsper­ son gegenüber der Gesellschaft.14 Andere sprechen wenig präzise von einer Pflicht aus dem Organ- oder Anstellungsverhältnis.15 M. E. ist bei Organmitgliedern zu differenzieren. Als Ausgangspunkt ist festzuhalten, dass die Führung der Liste eng verbundener Personen in die Zu­ ständigkeit des Vorstands des Emittenten fällt, weil es sich um eine Geschäfts­ führungsmaßnahme handeln dürfte.16 Bei der Erfüllung dieser Pflicht ist der Vorstand auf die Mitwirkung einzelner Vorstands- und Aufsichtsratsmitglie­ der angewiesen. Diese müssen die mit ihnen in enger Beziehung stehenden Per­ sonen benennen, denn sonst ist die Identifizierung dieser Personen in der Regel nicht möglich.17 Vorstandsmitglieder, die dem zuständigen Vorstandskollegen ihre eng verbundenen Personen nennen, erfüllen dabei ihre Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit im Vorstand, die als Ausprägung der Sorgfaltspflicht gilt.18 13 Durchführungsverordnung (EU) 2016/523 der Kommission v. 10.3.2016 zur Fest­ legung technischer Durchführungsstandards im Hinblick auf das Format und die Vorlage für die Meldung und öffentliche Bekanntgabe der Eigengeschäfte von Führungskräften gemäß Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. L 88 v. 5.4.2016, S. 19. 14  Sethe/​Hellgardt, in: Assmann/​ Schneider/​ Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014 Art. 19 Rn. 150. 15 Vgl. Stegmaier, in: Meyer/​Veil/​Rönnau, Hdb. Marktmissbrauchsrecht, § 19 Rn. 102; Hitzer/​Wasmann, DB 2016, 1483, 1486; ohne Nennung der Pflichtgrundlage Semrau, in: Klöhn, MAR , Art. 19 Rn. 75. 16 Vgl. Koch, in: Hüffer/​Koch, AktG, § 77 Rn. 3; Kort, in: Großkomm AktG, § 77 Rn. 3: „jede vom Vorstand für die Gesellschaft wahrgenommene Tätigkeit“. 17  Semrau, in: Klöhn, MAR , Art. 19 Rn. 75. 18 Vgl. Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 166 ff.; Mertens/​Cahn, in: Köln­ Komm AktG, § 93 Rn. 81 f.

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Kapitel 6: Organschaftliche Offenlegungspflichten

Bei den Aufsichtsratsmitgliedern ist die Lage etwas anders: Sie erfüllen bei der Nennung ihrer eng verbundenen Personen die Pflicht zur vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem Vorstand, die Teil ihrer Treuepflicht ist.19 Für die Einstufung als Treue- und nicht als Sorgfaltspflicht spricht hier der Umstand, dass es nicht um die Kernaufgabe des Aufsichtsrats geht, nämlich die Über­ wachung und Beratung der Geschäftsführung. Ebenso wenig geht es um die loyale Zusammenarbeit innerhalb des Aufsichtsrats, die als Annex der Kern­ aufgabe verstanden und deshalb der Sorgfaltspflicht zugeordnet werden könn­ te. Da die Sorgfaltspflicht nicht greift, muss die Treuepflicht mit ihrer Auf­ fangfunktion die Lücke schließen. Somit sind Vorstandsmitglieder kraft ihrer Sorgfaltspflicht, Aufsichtsratsmitglieder kraft ihrer Treuepflicht zur Nennung ihrer eng verbundenen Personen verpflichtet. Die entsprechenden Angaben sind laufend zu aktualisieren.20 2.  Offenlegungspflicht als Grundrechtseingriff Wie alle persönlichen Offenlegungspflichten tangieren die Pflichten aus Art. 19 MAR die Grundrechte der Organmitglieder. Da sich diese Pflichten aus dem europäischen Recht ergeben, sind sie am Maßstab europäischer Grundrechte zu messen.21 Bei der Auflistung betroffener Grundrechte ist es sinnvoll, mit der Pflicht zur Meldung der Eigengeschäfte zu beginnen und anschließend die Pflicht zur Auskunft über eng verbundene Personen zu betrachten. a)  Pflicht zur Meldung der Eigengeschäfte Die Offenlegung von Directors’ Dealings erfolgt zweistufig: Auf der ersten Stufe meldet die Führungskraft ihre Eigengeschäfte dem Emittenten und der BaFin, auf der zweiten Stufe veröffentlicht der Emittent die gemeldeten Infor­ mationen. Diese Besonderheit setzt sich beim Grundrechtseingriff fort. Der europäische Gesetzgeber greift in die Grundrechte der Organmitglieder ein, indem er ihnen die Pflicht auferlegt, Eigengeschäfte zu melden (erste Stufe). Anschließend greift er in diese Grundrechte erneut ein, indem er den Emitten­ ten verpflichtet, die gemeldete Information zu veröffentlichen (zweite Stufe). Auf der zweiten Stufe wird die Belastung des Grundrechtsträgers deutlich in­ 19 Siehe Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 116 Rn. 173, die allerdings an dieser Stelle auch das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit innerhalb des Aufsichtsrats als Treue­ pflicht einstufen. 20  Schäfer, in: Marsch-Barner/​S chäfer, HdB börsennotierte AG, § 16 Rn. 16.7; Stegmaier, in: Meyer/​Veil/​Rönnau, Hdb. Marktmissbrauchsrecht, § 19 Rn. 103; Stüber, DStR 2016, 1221, 1225; wie oft die Liste aktualisiert werden muss, wird unterschiedlich gesehen, vgl. einerseits Sethe/​Hellgardt, in: Assmann/​Schneider/​Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014 Art. 19 Rn. 151 (monatlich), andererseits Kocher, Bucerius Law Journal 2017, 113, 115 (jährlich im Zusammenhang mit dem Jahresabschluss). 21  Vgl. BVerfGE 73, 339, 387 = NJW 1987, 577, 582 – Solange II.



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tensiver, weil die Information in die breite Öffentlichkeit gelangt. Diese durch den Emittenten vermittelte Belastung ist dem europäischen Gesetzgeber zu­ rechenbar, weil er den Emittenten notwendig und systematisch dazu ver­ anlasst.22 Daher bietet es sich an, das Dazwischentreten des Emittenten „aus­ zublenden“ und das Geschehen als einheitlichen Vorgang zu betrachten, bei dem bereits die ursprüngliche Meldepflicht zur Veröffentlichung führt. Denn die Meldepflicht ist kein Selbstzweck, sondern dient gerade dazu, die anschlie­ ßende Veröffentlichung durch den Emittenten zu ermöglichen.23 Somit ist die Grundrechtsbelastung, die durch die Veröffentlichung erfolgt, bereits rechtlich und tatsächlich in der Meldepflicht angelegt.24 Soweit also hier von der „Mel­ depflicht“ gesprochen wird, ist nicht nur die Bekanntgabe der Eigengeschäf­ te gegenüber dem Emittenten und der BaFin, sondern auch die anschließende Veröffentlichung gemeint. Die Meldepflicht beeinträchtigt in erster Linie das Recht auf Schutz per­ sonenbezogener Daten (Art. 8 Abs. 1 GRCh, Art. 16 Abs. 1 AEUV). Denn das betroffene Organmitglied muss in der Meldung seinen Namen angeben (so Art. 19 Abs. 6 lit. a MAR). Dementsprechend sieht die Meldevorlage im Anhang der Durchführungsverordnung Nr. 2016/523 die Angabe des Vor- und Fami­ liennamens vor. Die Namensangabe zählt als Information über eine bestimm­ te natürliche Person zu personenbezogenen Daten i. S. d. Art. 8 Abs. 1 GRCh. Ein etwaiger Zusammenhang der Namensangabe mit der beruflichen Tätigkeit schadet dabei nicht.25 Die betreffenden Daten werden bei Directors’ Dealings erhoben, gespeichert und verwendet und somit „verarbeitet“. Durch die Na­ mensnennung erhalten auch alle anderen Angaben, die in Art. 19 Abs. 6 MAR und in der Meldungsvorlage genannt werden, einen Personenbezug. Dies gilt sowohl für die weiteren Angaben zum Meldepflichtigen (Position beim Emit­ tenten) als auch für die Angaben zum konkreten Geschäft (Art, Volumen usw.). Mitbetroffen ist das Grundrecht auf Schutz der Privatsphäre (Art. 7 GRCh), weil auch beim Handel mit Finanzinstrumenten grundsätzlich Privatheit er­ wartet werden kann. Die Anleger agieren zwar auf einem öffentlichen Markt, jedoch wird auch das Handeln in der Öffentlichkeit durch Art. 7 GRCh ge­ schützt, wenn eine begründete Erwartung besteht, dass es nicht oder jedenfalls nicht in bestimmter Form wahrgenommen und gespeichert wird.26 Beim Han­ del mit börsennotierten Finanzinstrumenten bleiben die Anleger in der Regel anonym, so dass eine entsprechende Erwartung zu bejahen ist. Es widerspricht 22  Vgl. EuGH, C-200/96, Slg. 1998, I-1953, Rn. 28 – Metronome; Jarass, GRCh, Art. 52 Rn. 13. 23  VGH Kassel, Urt. v. 3.5.2006 – 6 UE 2623/04, NJW 2006, 3737, 3738. 24  VGH Kassel, NJW 2006, 3737. 25  Vgl. EuGH, C-398/15 Rn. 34 – Manni; C-615/13 P, Rn. 30 – ClientEarth und PAN Europe/​EFSA. 26  EGMR , Urt. v. 2.9.2010 − 35623/05, NJW 2011, 1333, Rn. 44 – Uzun/​Deutschland; Jarass, GRCh, Art. 7 Rn. 13.

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dieser Erwartung, wenn die Anonymität durch eine Meldepflicht aufgehoben wird, die zur Veröffentlichung und Speicherung persönlicher Daten führt. Die Rechte an diversen Finanzinstrumenten fallen unter den Eigentums­ begriff des Art. 17 Abs. 1 GRCh 27, der alle vermögenswerten Rechte erfasst, aus denen sich im Hinblick auf die Rechtsordnung eine gesicherte Rechts­ position ergibt, die eine selbstständige Ausübung dieser Rechte durch und zu­ gunsten ihres Inhabers ermöglicht.28 Allerdings spricht die Vorschrift nur von „rechtmäßig erworbenem Eigentum“, schützt also nur bestehende Rechte.29 Daher greift das Eigentumsgrundrecht nur bei Veräußerung von Finanzinstru­ menten ein. Der Erwerb wird allerdings ebenfalls geschützt, und zwar durch Art. 15 Abs. 1 GRCh (Berufsfreiheit)30 bzw. Art. 16 GRCh (unternehmerische Freiheit). Da die Veräußerung i. S. d. Art. 19 MAR sehr weit zu verstehen ist, kann sie je nach Situation unterschiedliche Aspekte des Eigentumsrechts be­ treffen: Verfügung, Nutzung oder sogar Vererbung.31 Betroffen ist außerdem der Besitz, da der Inhaber von Finanzinstrumenten gezwungen wird, seine Identität preiszugeben; ein anonymer Besitz ist bei Directors’ Dealings nicht möglich. Alle diese Aspekte – Besitz, Nutzung, Verfügung und Vererbung – sind vom Schutzbereich des Art. 17 Abs. 1 GRCh umfasst.32 Die Meldepflicht greift in diesen Schutzbereich ein, weil sie eine sog. Nutzungsregelung dar­ stellt, d. h. eine hoheitliche Maßnahme, die einen bestimmten Gebrauch des Ei­ gentums gebietet oder untersagt, sei es zeitlich, räumlich oder sachlich.33 Die Meldepflicht aus Art. 19 MAR gebietet einen bestimmten Gebrauch des Eigen­ tums, indem sie das Organmitglied bei dem Besitz oder der Veräußerung von Finanzinstrumenten zur Preisgabe seiner Identität zwingt. Zugleich verbietet sie anonymen Besitz und anonyme Veräußerung von Finanzinstrumenten, so­ weit es um Directors’ Dealings geht. b)  Pflicht zur Nennung der eng verbundenen Personen Das EU‑Recht regelt nicht ausdrücklich, welche Informationen in die Liste eng verbundener Personen aufzunehmen sind. Nach Ansicht der BaFin genügt die Namensangabe, es sei denn, sie erlaubt keine eindeutige Identifizierung der 27 Vgl. Sethe/​Hellgardt, in: Assmann/​S chneider/​Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014 Art. 19 Rn. 188; Maume/​Kellner, ZGR 2017, 273, 296 ff., alle allerdings nur im Hinblick auf das Handelsverbot (Art. 19 Abs. 11 MAR). 28  EuGH, Urt. v. 22.1.2013 – C-283/11, ECLI:​EU:​C:​2013:28, Rn. 34 – Sky Österreich; Jarass, GRCh, Art. 17 Rn. 6; Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, GRCh, Art. 17 Rn. 6. 29 Vgl. Jarass, GRCh, Art. 17 Rn. 15; Schwarze/​ Voet van Vormizeele, in: Schwarze, EU‑Kommentar, GRCh, Art. 17 Rn. 4. 30  Schwarze/​Voet van Vormizeele, in: Schwarze, EU‑Kommentar, GRCh, Art. 17 Rn. 4; Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, GRCh, Art. 17 Rn. 8, Art. 15 Rn. 7. 31  Siehe Art. 10 Abs. 2 der Delegierten Verordnung Nr. 2016/522. 32 Dazu Jarass, GRCh, Art. 17 Rn. 15. 33 Vgl. Jarass, GRCh, Art. 17 Rn. 20.



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betreffenden Person. Im letzten Fall sei ein weiteres Identifizierungsmerkmal hinzuzufügen, z. B. das Geburtsdatum.34 Im Schrifttum wird dies teilweise genauso gesehen35, teilweise werden zusätzliche Informationen gefordert, wie Wohnadresse bzw. Geburtsdatum und Geburtsort.36 Bei juristischen Personen plädiert die Literatur für die Angabe des Namens (der Firma) und des Sitzes.37 Ein rechtsvergleichendes Beispiel zeigt jedoch, dass die Angabe zusätzlicher Details wie Wohnadresse durchaus Probleme verursachen kann. Im UK konn­ te früher die breite Öffentlichkeit aus dem Handelsregister komplette Privat­ adressen von Direktoren ersehen. Dies führte zu häufigen Verletzungen der Privatsphäre der Direktoren, die zu Hause von wütenden Aktionären, ver­ ärgerten Kunden und Protestgruppen aufgesucht wurden. Zudem wurden Di­ rektoren oft Opfer von Identitätsdiebstählen. Beide Probleme waren so gra­ vierend, dass der Gesetzgeber eingreifen musste. Statt Wohnadresse wird nun lediglich eine Zustelladresse angegeben; der Zugang der Öffentlichkeit zu Alt­ einträgen wurde nach und nach eingeschränkt.38 Vor diesem Hintergrund erscheint es geboten, zum Schutz der Grundrechte eng verbundener Personen die Angaben zu diesen Personen auf das Notwen­ digste zu beschränken, wie die BaFin dies tut. In die Liste aufzunehmen ist daher bei natürlichen Personen grundsätzlich nur der Vor- und Familienname, bei juristischen Personen der Name einschließlich der Rechtsform. Bei Gefahr einer Irreführung ist ein weiteres Merkmal hinzuzufügen. Zusätzlich unter­ mauert wird diese Lösung durch den Vergleich mit den Angaben, die eine eng verbundene Person machen muss, wenn sie eigene Geschäfte meldet. In diesem Fall muss sie ebenfalls nur ihren Vor- und Familiennamen oder, wenn es sich um eine juristische Person handelt, ihren vollständigen Namen einschließlich der Rechtsform wie im Register vermerkt mitteilen.39 Trotz dieser Einschränkung beeinträchtigt die Pflicht zur Nennung der eng verbundenen Personen verschiedene Grundrechte der Organmitglieder. Betroffen ist zunächst das Grundrecht auf Achtung des Privatlebens (Art. 7 GRCh), weil die Namen der eng verbundenen Personen zur Privatsphäre des Organmitglieds gehören. Geht es um Familienangehörige, so ist Art. 7 GRCh auch in seiner Ausprägung als Recht auf Achtung des Familienlebens tangiert. Ferner liegt ein Eingriff in Art. 8 Abs. 1 GRCh vor, da im Rahmen der Lis­ 34 BaFin, FAQ zu Eigengeschäften von Führungskräften nach Art. 19 MAR (Stand: 1.2.2018), V. 1. 35  Sethe/​Hellgardt, in: Assmann/​ Schneider/​ Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014 Art. 19 Rn. 150. Stegmaier, in: Meyer/​Veil/​Rönnau, Hdb. Marktmissbrauchs­ recht, § 19 Rn. 102. 36  Semrau, in: Klöhn, MAR , Art. 19 Rn. 76. 37  Semrau, in: Klöhn, MAR , Art. 19 Rn. 76; Sethe/​Hellgardt, in: Assmann/​ Schneider/​ Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014 Art. 19 Rn. 150. 38 Dazu J. Schmidt, FS Bergmann, S. 637, 648. 39  Siehe die Meldungsvorlage im Anhang der Durchführungsverordnung Nr. 2016/523.

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tenführung personenbezogene Daten verarbeitet werden, und zwar auch sol­ che des Organmitglieds. Denn es handelt sich um seine eng verbundenen Per­ sonen, die zu ihm in enger Beziehung stehen. Aus diesem Grund können sich auch Organmitglieder und nicht nur ihre eng verbundenen Personen auf das Datenschutzgrundrecht berufen. Des Weiteren greift zugunsten der Organ­ mitglieder die Berufsfreiheit (Art. 15 GRCh) und unter Umständen die un­ ternehmerische Freiheit (Art. 16 GRCh) ein, etwa wenn der Name der juris­ tischen Person zu nennen ist, die vom Organmitglied kontrolliert wird (vgl. Art. 3 Abs. 1 Nr. 26 lit. d). 3. Rechtfertigung Die geschilderten Grundrechtseingriffe bedürfen einer Rechtfertigung. a)  Gesetzliche Grundlage Erforderlich ist zunächst gemäß Art. 52 Abs. 1 S. 1 GRCh eine gesetzliche Grundlage.40 Eine solche ist hier gegeben: Die Pflicht der Organmitglieder zur Meldung der Eigengeschäfte folgt aus Art. 19 MAR, die Pflicht zur Nennung der eng verbundenen Personen aus § 93 Abs. 1 S. 1, § 116 AktG (Sorgfalts- bzw. Treuepflicht). Weitere Anforderungen an die gesetzliche Grundlage ergeben sich daraus, dass ein Eingriff in das Datenschutzgrundrecht vorliegt. Aus die­ sem Grund muss die Eingriffsgrundlage klare und präzise Regeln für die Trag­ weite und die Anwendung der fraglichen Maßnahmen vorsehen, damit die Ad­ ressaten ihr Verhalten darauf einrichten können.41 Die gesetzliche Grundlage muss insbesondere den Zweck der Datenverarbeitung festlegen.42 Dies ist bei § 93 Abs. 1 S. 1, § 116 AktG nicht der Fall. Art. 19 MAR regelt recht präzise die Voraussetzungen und den Umfang der Meldepflicht, aber nicht den Zweck der Datenverarbeitung. Insofern dürfte jedoch der Rückgriff auf die Erwägungs­ gründe der MAR erlaubt sein, die den Zweck beschreiben, dem die Offenle­ gung von Eigengeschäften der Führungskräfte dient.43 Somit ist für die Pflicht zur Meldung der Eigengeschäfte eine ausreichende gesetzliche Grundlage vorhanden, während dies bei der Pflicht der Organmit­ glieder zur Nennung ihrer eng verbundenen Personen nicht der Fall ist. Als Ausweg wäre zu erwägen, die letztere Pflicht ebenfalls aus Art. 19 MAR ab­ zuleiten, und zwar als Annex zur dort geregelten Listenführungspflicht des 40  Beim Grundrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens folgt das Erforder­ nis einer gesetzlichen Grundlage zusätzlich aus Art. 8 Abs. 2 EMRK, beim Grundrecht auf Schutz personenbezogener Daten aus Art. 8 Abs. 2 EMRK und Art. 8 Abs. 2 S. 1 GRCh, beim Eigentumsgrundrecht aus Art. 17 Abs. 1 S. 3 GRCh. 41  EuGH, C-465/00, Slg.2003, I-4989 Rn. 77  – Österreichischer Rundfunk; C-362/14, Rn. 91 – Schrems; Jarass, GRCh, Art. 8 Rn. 12. 42  Art. 8 Abs. 2 S. 1 GRCh. 43  Siehe vor allem die Erwägungsgründe 58 und 59 MAR .



§ 2.  Erprobung der Hypothese an weiteren Offenlegungsfällen

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Emittenten (Abs. 5 Unterabs. 1 S. 2, 2. Var.). Dies würde allerdings kaum wei­ terhelfen, da die Listenführungspflicht des Emittenten in dieser Vorschrift nur rudimentär geregelt ist und auch in den Durchführungsvorschriften zur MAR nicht konkretisiert wird. Diese können also nicht herangezogen werden, um die MAR als gesetzliche Grundlage zu vervollständigen. Das damit verbunde­ ne praktische Problem wurde soeben angesprochen, nämlich die Unsicherheit darüber, welche Angaben zu eng verbundenen Personen in die Liste aufzuneh­ men sind. An dieser Stelle zeigt sich ein weiteres Problem, nämlich das Fehlen einer formellen Grundlage, die den Grundrechtseingriff legitimieren würde. b)  Achtung des Wesensgehalts der Grundrechte Aus Art. 52 Abs. 1 S. 1 GRCh folgt ferner das Gebot, den Wesensgehalt der einzuschränkenden Grundrechte zu achten. Bei diesem Gebot handelt es sich indes um einen Bestandteil der Verhältnismäßigkeitsprüfung: Es untersagt von vornherein die Eingriffe, die offensichtlich unverhältnismäßig sind.44 c) Verhältnismäßigkeit Das Gebot der Verhältnismäßigkeit (Art. 52 Abs. 1 S. 2 GRCh) ist bei allen be­ troffenen Grundrechten zu beachten.45 Dies bestätigt wiederum die hiesige Hypothese, dass Offenlegungspflichten der Organmitglieder stets verhältnis­ mäßig sein müssen. Die Verhältnismäßigkeit der Meldepflichten im Rahmen von Directors’ Dealings wurde sogar in Deutschland bereits einmal gericht­ lich untersucht, nämlich vom VG Frankfurt am Main (Vorinstanz)46 und vom VGH Kassel47. Dabei ging es zwar um Meldepflichten nach altem Recht (§ 15a WpHG a. F.), die gerichtlichen Entscheidungen geben dennoch eine wertvolle Orientierungshilfe im Hinblick auf den Ablauf und das Ergebnis der Verhält­ nismäßigkeitsprüfung. aa)  Legitimes Ziel Über die Ziele der Offenlegungspflichten bei Directors’ Dealings besteht in­ zwischen Klarheit, zumal sie in den Erwägungsgründen 58 und 59 MAR fest­ gehalten werden. Die Meldepflichten der Führungskräfte und der in enger Be­ ziehung zu ihnen stehenden Personen dienen dazu, den Marktmissbrauch und vor allem den Insiderhandel zu verhindern.48 Denn mit der erhöhten Trans­ 44 

Siehe bereits Kapitel 3, § 3, IV. 2. c). Jarass, GRCh, Art. 7 Rn. 37; Art. 8 Rn. 14; Art. 15 Rn. 15 f.; Art. 16 Rn. 21 ff.; Art. 17 Rn. 34 ff. 46  VG Frankfurt am Main, Urt. v. 14.5.2004 – 9 E 1636/03, NJOZ 2004, 2969. 47  VGH Kassel, NJW 2006, 3737. 48 Erwägungsgrund 58 MAR ; Semrau, in: Klöhn, MAR , Art. 19 Rn. 4; Schäfer, in: Marsch-Barner/​Schäfer, HdB börsennotierte AG, § 16 Rn. 16.2; Sethe/​Hellgardt, in: Ass­ mann/​Schneider/​Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014 Art. 19 Rn. 12; Kumpan, AG 2016, 446, 448; Veil, ZBB 2014, 85, 93; kritisch Stegmaier, in: Meyer/​Veil/​Rönnau, 45 Vgl.

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Kapitel 6: Organschaftliche Offenlegungspflichten

parenz von Eigengeschäften der Führungskräfte soll das Entdeckungsrisiko steigen.49 Ferner kann die Transparenz die Führungskraft dazu anhalten, ver­ dächtige Geschäfte, die unangenehme Fragen provozieren können, von vor­ neherein zu unterlassen.50 Zugleich bekommen die Aufsichtsbehörden eine zu­ sätzliche Möglichkeit zur Überwachung der Märkte.51 Erhöhte Transparenz ist außerdem eine Voraussetzung für das Vertrau­ en der Marktteilnehmer und insbesondere der Anteilseigner eines Unterneh­ mens.52 Starkes Vertrauen erhöht die Investitionsbereitschaft und senkt die Kosten der Unternehmen bei der Kapitalbeschaffung.53 Darüber hinaus erlau­ ben Eigengeschäfte der Führungskräfte nach überwiegender Ansicht Rück­ schlüsse auf die gegenwärtige oder künftige Unternehmensentwicklung. In­ sofern kann es ein „gutes“ Signal sein, wenn Führungskräfte die Papiere des eigenen Unternehmens kaufen, bzw. ein „schlechtes“, wenn sie sich davon tren­ nen.54 Von Eigengeschäften der Führungskräfte geht also eine gewisse „Indi­ katorwirkung“ aus, die der Anleger nutzen kann, um erfolgreicher zu investie­ ren. Vor diesem Hintergrund dient die Offenlegung von Directors’ Dealings dem Ziel, die Informationsgrundlagen für eine Anlageentscheidung zu ver­ bessern.55 Erwägungsgrund 58 MAR spricht in diesem Zusammenhang von einer „höchst wertvollen Informationsquelle für Anleger“. Nach Ansicht des Schrifttums begrenzen die Meldepflichten nach Art. 19 MAR zudem den In­ formationsvorsprung der Führungspersonen gegenüber dem breiten Publikum und fördern damit die Anlegergleichbehandlung.56 Die Verordnung selbst er­ wähnt dieses Ziel explizit nicht. Hdb. Marktmissbrauchsrecht, § 19 Rn. 6: Diese Zwecksetzung stelle die Führungskräfte unter Generalverdacht. 49  Semrau, in: Klöhn, MAR , Art. 19 Rn. 4; Sethe/​Hellgardt, in: Assmann/​ Schneider/​ Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014 Art. 19 Rn. 12. 50  Schuster, ZHR 167 (2003), 193, 199. 51 Erwägungsgrund 59 MAR ; Semrau, in: Klöhn, MAR , Art. 19 Rn. 4; Kumpan, AG 2016, 446, 448; Veil, ZBB 2014, 85, 93. 52  Erwägungsgrund 58 MAR ; vgl. auch Schäfer, in: Marsch-Barner/​S chäfer, HdB bör­ sennotierte AG, § 16 Rn. 16.2; Stegmaier, in: Meyer/​Veil/​Rönnau, Hdb. Marktmissbrauchs­ recht, § 19 Rn. 8; Fleischer, ZIP 2002, 1217, 1219 f.; ders., NZG 2006, 561, 565. 53  Maume/​Kellner, ZGR 2017, 273, 279. 54 Vgl. Sethe/​Hellgardt, in: Assmann/​S chneider/​Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014 Art. 19 Rn. 10; Maume/​Kellner, ZGR 2017, 273, 277. 55  Sethe/​Hellgardt, in: Assmann/​ Schneider/​ Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014 Art. 19 Rn. 10; Stegmaier, in: Meyer/​Veil/​Rönnau, Hdb. Marktmissbrauchs­ recht, § 19 Rn. 7; Kumpan, AG 2016, 446, 448; Poelzig, NZG 2016, 761, 767; Rubner/​Pospiech, GWR 2016, 228, 229; Veil, ZBB 2014, 85, 93. 56  Schäfer, in: Marsch-Barner/​ Schäfer, HdB börsennotierte AG, § 16 Rn. 16.2; Sethe/​ Hellgardt, in: Assmann/​ Schneider/​ Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014 Art. 19 Rn. 11; Stegmaier, in: Meyer/​Veil/​Rönnau, Hdb. Marktmissbrauchsrecht, § 19 Rn. 7; Diekgräf, Directors’ Dealings, S. 39 ff.; Osterloh, Directors’ Dealings, S. 72 f.; Kumpan, AG 2016, 446, 448; Maume/​Kellner, ZGR 2017, 273, 279.



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Ein spezielles Ziel verfolgt die Pflicht, die Verpfändung von Finanzinstru­ menten zu melden (Art. 19 Abs. 7). Nach Ansicht des Verordnungsgebers er­ höhen solche Geschäfte das Risiko, dass es plötzlich zu einer wesentlichen Ver­ änderung des Anteilsbesitzes, einer Zunahme des Angebots von Anteilen auf dem Markt oder zum Verlust von Stimmrechten in dem betreffenden Unter­ nehmen kommt. Die Offenlegung soll den Markt vor diesen Risiken warnen, zumal sie auf den Emittenten destabilisierend wirken können.57 Die Pflicht der Organmitglieder zur Nennung ihrer eng verbundenen Per­ sonen dient schließlich dem Ziel, dem Emittenten die Erfüllung seiner Listen­ führungspflicht zu ermöglichen. Die Listenführungspflicht wiederum zählt zu vorbeugenden Organisationspflichten, die dafür sorgen, Verstöße gegen die Meldepflichten oder das Handelsverbot möglichst zu minimieren.58 Dabei verfolgt die Listenführungspflicht das Ziel, dem Unternehmen selbst und der Aufsichtsbehörde einen Überblick über die Adressaten des Art. 19 MAR zu verschaffen.59 Alle diese Ziele entsprechen den Anforderungen des Art. 52 Abs. 1 S. 2 GRCh, der im Falle der Einschränkung der Charta-Grundrechte eine von der Union anerkannte dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung verlangt. bb) Geeignetheit Die Offenlegungspflichten bei Directors’ Dealings sind im Prinzip geeig­ net, ihre Zwecke zu fördern.60 Dies gilt in erster Linie für die Erhöhung der Transparenz mit ihren positiven Auswirkungen auf die Märkte.61 Außerdem verringert die Pflicht zur Meldung der Eigengeschäfte die Anlegerungleich­ behandlung, auch wenn sie dieses Problem nicht endgültig lösen kann.62 Der Wissensvorsprung der Führungskräfte wird durch eine zeitnahe Veröffent­ lichung von Directors’ Dealings „zwar nicht eingeebnet, aber immerhin ab­ gemildert“63. Innerhalb eines kurzen Zeitfensters können die Führungskräfte indes von ihrem Wissensvorsprung profitieren, was teilweise mit Pessimismus betrachtet wird: „In dem Moment, in dem die sonstigen Marktteilnehmer über 57 Erwägungsgrund 58 MAR ; Semrau, in: Klöhn, MAR , Art. 19 Rn. 5; Kumpan, AG 2016, 446, 452; Poelzig, NZG 2016, 761, 768; Veil, ZBB 2014, 85, 94. 58 So Sethe/​Hellgardt, in: Assmann/​ Schneider/​Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014 Art. 19 Rn. 145. 59  Sethe/​Hellgardt, in: Assmann/​ Schneider/​ Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014 Art. 19 Rn. 145; Seibt/ ​Wollenschläger, AG 2014, 593, 601. 60  Siehe aber zu praktischen Durchsetzungsproblemen Maume/​Kellner, ZGR 2017, 273, 302 ff. 61 Vgl. Fleischer, ZIP 2002, 1217, 1220: kaum noch Platz für kapitalmarktrechtliche „Ge­ heimdiplomatie“. 62 Vgl. Sethe/​Hellgardt, in: Assmann/​S chneider/​Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014 Art. 19 Rn. 11; Diekgräf, Directors’ Dealings, S. 138; Veil, ZBB 2014, 85, 94. 63  Fleischer, ZIP 2002, 1217, 1220.

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Kapitel 6: Organschaftliche Offenlegungspflichten

die getätigten Directors’ Dealings informiert werden, haben die Führungs­ kräfte eine etwaige Informationsasymmetrie bereits ausgenutzt.“64 In der Tat können nachträgliche Meldepflichten solche Informationsasymmetrien nicht beseitigen; um dies zu erreichen, wäre ein Wechsel vom derzeitigen System der Post-trading-Transparenz zur Vorabveröffentlichung geplanter Geschäfte er­ forderlich.65 Allerdings ist zu bedenken, dass bei Vorabveröffentlichung von Directors’ Dealings eine umgekehrte Ungleichbehandlung drohte: Führungs­ kräfte könnten dann im Gegensatz zu den übrigen Marktteilnehmern nicht einmal allgemein zugängliche Informationen nutzen, um einen Vorteil zu er­ langen. Sie wären stets gezwungen, die Früchte eigener Informationsauswer­ tung der breiten Öffentlichkeit zu überlassen. Dies würde auch die Anreize für Directors’ Dealings erheblich verringern66 und zum Rückgang dieser Geschäf­ te mit ihrer nützlichen67 Indikatorwirkung führen.68 Zur Erzeugung der gerade erwähnten Indikatorwirkung ist die Meldepflicht sehr gut geeignet. Das Schrifttum warnt zwar vor möglichen Manipulationen: So könnten Führungskräfte gezielt die Aktien ihres Unternehmens kaufen, um dieses in einem guten Licht erscheinen zu lassen, obwohl es finanziell an­ geschlagen sei.69 Ferner wird darauf hingewiesen, dass die Veräußerung von Finanzinstrumenten eine schwächere Indikatorwirkung habe als der Erwerb, weil die Veräußerung dadurch bedingt sein könne, dass die Führungsperson Liquidität für private Zwecke brauche.70 Ungeachtet dessen fällt die Gesamt­ bilanz positiv aus71, was vor allem darauf beruht, dass die Indikatorwirkung inzwischen durch empirische Studien aus den USA, Kanada und Europa bestä­ 64  Diekgräf, Directors’ Dealings, S. 138. 65 So Maume/​Kellner, ZGR 2017, 273, 300;

Veil, ZBB 2014, 85, 94. Vgl. auch Fleischer, ZIP 2002, 1217, 1228. 67  Siehe aber rechtspolitische und ökonomische Bedenken bei Schuster, ZHR 167 (2003), 193, 199 f. 68  Sehr überzeugend insofern Sethe/​Hellgardt, in: Assmann/​S chneider/​Mülbert, Wert­ papierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014 Art. 19 Rn. 16; für Pre-trading-Disclosure dagegen Maume/​Kellner, ZGR 2017, 273, 281 f. 69  Dazu mit Beispielen aus der Praxis Fleischer, ZIP 2002, 1217, 1220; ihm folgend Sethe/​ Hellgardt, in: Assmann/​ Schneider/​ Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014 Art. 19 Rn. 11; Zimmer/​Osterloh, in: Schwark/​Zimmer, KMRK, WpHG Art. 15a Rn. 14, die aber zugleich darauf hinweisen, dass in Deutschland inzwischen wie in den USA ein Markt für Dienstleister entstanden ist, die Informationen über Directors’ Dealings gezielt aufarbeiten; es sei daher leichter geworden, solche Geschäfte langfristig zu beobachten und Manipulationen zu durchschauen. 70  Sethe/​Hellgardt, in: Assmann/​ Schneider/​ Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014 Art. 19 Rn. 11; Zimmer/​Osterloh, in: Schwark/​ Zimmer, KMRK, WpHG Art. 15a Rn. 14; Diekgräf, Directors’ Dealings, S. 87; Maume/​Kellner, ZGR 2017, 273, 278; Schneider, AG 2002, 473, 475. 71 Vgl. Sethe/​Hellgardt, in: Assmann/​ Schneider/​ Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014 Art. 19 Rn. 10; Zimmer/​Osterloh, in: Schwark/​Zimmer, KMRK, WpHG Art. 15a Rn. 12 ff.; Maume/​Kellner, ZGR 2017, 273, 277 f.; Veil, ZBB 2014, 85, 93; ferner Fleischer, ZIP 2002, 1217, 1220. 66 



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tigt wird.72 Diesen Studien zufolge sind Unternehmensinsider, die mit Wert­ papieren ihres Unternehmens handeln, als Anleger überdurchschnittlich er­ folgreich; einige der Studien attestieren einen überdurchschnittlichen Erfolg auch Outsidern, die in ihren Anlageentscheidungen Directors’ Dealings nach­ bilden. Kaufentschlüsse seien dabei nachahmenswerter als Verkaufsentschlüs­ se, weil die Letzteren häufig aus privaten Motiven erfolgten und daher weniger Aussagekraft hätten.73 Angesichts dieser empirischen Daten kann kaum be­ zweifelt werden, dass die Meldepflicht geeignet ist, die Informationsgrundlage für Anlageentscheidungen zu verbessern. Viel kritischer beurteilt das Schrifttum die Geeignetheit der Meldepflicht zur Eindämmung des Insiderhandels: Es sei naiv zu glauben, dass jemand, der vor strafbarem Insiderhandel nicht zurückschrecke, sich an die mit blo­ ßem Bußgeld bewehrte Vorschrift des Art. 19 MAR halten werde, die zudem als mitbestrafte Nachtat gelten dürfte.74 Personen, die gegen das Insiderhan­ delsverbot verstoßen, werden also in der Regel nicht geneigt sein, ihre Insider­ geschäfte nach Art. 19 MAR zu melden.75 Theoretisch ist es zwar denkbar, dass der Täter seine Insidergeschäfte meldet, z. B. weil er einem Verbotsirr­ tum unterliegt und die Geschäfte als legal betrachtet. Praktisch bedeutsam ist eine solche Konstellation jedoch nicht.76 Es gibt allerdings in der jüngsten Ge­ schichte einen prominenten Fall, in dem gemeldete Geschäfte zu Ermittlungen gegen den Meldepflichtigen führten: Im Dezember 2015 kaufte Carsten Kengeter, damals der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Börse AG, deren Akti­ en und meldete dies als Directors’ Dealings.77 Gut zwei Monate später gaben die Deutsche Börse und die London Stock Exchange ihre Pläne bekannt, mit­ einander zu fusionieren. Die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen Kengeter auf­ grund des Verdachts, er habe beim Aktienkauf von seinem Insiderwissen über die Fusionspläne profitiert, weil er bereits im Sommer 2015 Fusionsgespräche mit der Londoner Börse geführt hatte. Der Manager wies die Vorwürfe zu­ 72 Dazu Sethe/​Hellgardt, in: Assmann/​ Schneider/​ Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014 Art. 19 Rn. 10; Zimmer/​Osterloh, in: Schwark/​Zimmer, KMRK, WpHG Art. 15a Rn. 13; Diekgräf, Directors’ Dealings, S. 87; Veil, ZBB 2014, 85, 93, jeweils m. w. N. 73  Sethe/​Hellgardt, in: Assmann/​ Schneider/​ Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014 Art. 19 Rn. 10. 74  Sethe/​Hellgardt, in: Assmann/​ Schneider/​ Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014 Art. 19 Rn. 12; Maume/​Kellner, ZGR 2017, 273, 276; vgl. auch Pfüller, in: Fuchs, WpHG, § 15a Rn. 28 ff. 75  So deutlich Pfüller, in: Fuchs, WpHG, § 15a Rn. 28b. 76 Siehe Maume/​Kellner, ZGR 2017, 273, 276 mit Verweis auf die Praxis der BaFin, in der Verstöße gegen die Meldepflichten selten Ausgangspunkt von Ermittlungen seien. 77  Zum Fall Kengeter siehe „Gegen den Börse-Boss wird weiter ermittelt“, FAZ Online, 24.10.2017, , zuletzt abgerufen am 28.2.2020; ferner Sethe/​Hellgardt, in: Assmann/​ Schneider/​ Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014 Art. 19 Rn. 12.

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rück: Er habe die Aktien nicht zu einem selbst gewählten Zeitpunkt, sondern nach den festen Zeitvorgaben des Aufsichtsrats im Rahmen des speziellen Ver­ gütungsprogramms erworben.78 Ob die Vorwürfe gegen Kengeter berechtigt waren, wird man nicht mehr erfahren, weil das LG Frankfurt das Ermittlungs­ verfahren eingestellt hat, nachdem die Deutsche Börse Geldbußen in Höhe von 10,5 Mio. Euro gezahlt hatte.79 Die Meldepflicht kann dem Insiderhandel jedoch auf eine andere Weise ent­ gegenwirken: Im Schrifttum wird ein Szenario angesprochen, in dem mehrere Führungskräfte innerhalb eines bestimmten Zeitraums Eigengeschäfte tätigen, wobei nur einige von ihnen als Insider handeln, andere dagegen nicht, weil sie z. B. die Finanzinstrumente des Emittenten im Rahmen eines Management­ beteiligungsprogramms80 erwerben oder ausschließlich „soft information“ wie Meinungen, Analysen und subjektive Einschätzungen81 nutzen. Die Füh­ rungskräfte, deren Eigengeschäfte legal sind, melden diese ordnungsgemäß dem Emittenten und der BaFin. Daraufhin beginnt die BaFin zu ermitteln, ob auch andere Führungskräfte im betreffenden Zeitraum Eigengeschäfte ge­ tätigt haben, und kann so die ungemeldeten Geschäfte und den Insiderhandel aufdecken. Das Risiko des verbotswidrig handelnden Insiders, auf diese Weise überführt zu werden, wird indes als gering eingeschätzt; entsprechend gering soll auch die präventive Wirkung des Art. 19 MAR sein.82 Dennoch ist die Meldepflicht nicht völlig ungeeignet, den Insiderhandel und Marktmissbrauch zu bekämpfen. Auch wenn ihr Beitrag zur Prävention und Aufdeckung von Insiderstraftaten eher bescheiden ausfällt, dürfte sie jedenfalls ein teilgeeignetes Mittel zur Verwirklichung dieser Ziele sein. Im Ergebnis för­ dert die Meldepflicht alle ihre Ziele, die einen besser (Verbesserung der Infor­ mationsgrundlage für Anlageentscheidungen), die anderen schlechter (Anle­ gergleichbehandlung, Bekämpfung des Marktmissbrauchs). Schließlich dürfte sie auch geeignet sein, den Markt beim Verpfänden und Verleihen von Finanz­ 78  In der Tat wird im Schrifttum vertreten, dass der Manager, der Kenntnis von einer Insiderinformation habe, dem aber jeglicher Einfluss auf den Zeitpunkt des Geschäfts fehle, die Spector-Vermutung widerlegen und den Vorwurf des Insiderhandels entkräften könne. Beim Erwerb von Aktien im Rahmen eines Vergütungsprogramms soll Art. 9 Abs. 3 lit. a MAR greifen, siehe Stenzel, DStR 2017, 883, 886; ferner Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 9 Rn. 106 f.; Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 93 Rn. 73; Merkner/​Sustmann, NZG 2005, 729, 730. 79  „Deutsche Börse zahlt Millionen-Bußgeld im Fall Kengeter“, Handelsblatt Online, 21.12.2018, , zuletzt abgerufen am 28.2.2020. 80 Dazu Stenzel, DStR 2017, 883 ff. 81 Vgl. Zimmer/​Osterloh, in: Schwark/​Zimmer, KMRK , WpHG Art. 15a Rn. 13; Fleischer, ZIP 2002, 1217, 1220; ausführlich zur „soft information“ Heidemann, Management Buyout, S. 187 ff. 82  Pfüller, in: Fuchs, WpHG, § 15a Rn. 28b; Sethe/​Hellgardt, in: Assmann/​S chneider/​ Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014 Art. 19 Rn. 12.



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instrumenten vor möglichen destabilisierenden Effekten solcher Transaktio­ nen zu warnen. Die Pflicht zur Nennung eng verbundener Personen ist zur Erreichung ihres Zwecks ebenfalls geeignet. Dieser Zweck besteht lediglich darin, dem Emittenten die Führung der Liste eng verbundener Personen zu ermöglichen; dass die Verpflichtung der Organmitglieder, dem Vorstand des Emittenten ihre eng verbundenen Personen zu nennen, diesen Zweck fördert, unterliegt keinem Zweifel. cc) Erforderlichkeit Bei der Prüfung der Erforderlichkeit ist ein strenger Maßstab anzulegen, weil ein Eingriff in die Grundrechte aus Art. 7 und 8 GRCh vorliegt, also die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbe­ zogener Daten. Einschränkungen dieser Rechte müssen sich nach der Recht­ sprechung des EuGH auf das absolut Notwendige beschränken.83 Eine Ori­ entierungshilfe bietet das Urteil des EuGH in der Rechtssache Schecke, in dem der Gerichtshof die Veröffentlichung von Informationen über die Empfänger von Agrarbeihilfen für grundrechtswidrig erklärt hat, weil die entsprechen­ de Verordnung eine namentliche Nennung aller Beihilfeempfänger vorsah, ohne irgendwelche Ausnahmen zuzulassen. Der EuGH befand, dass die Ver­ öffentlichung zwar einem legitimen Ziel diene, indem sie Steuerzahler über die Verwendung öffentlicher Gelder informiere. Der Gesetzgeber hätte jedoch die Veröffentlichung personenbezogener Daten von bestimmten Kriterien abhän­ gig machen müssen, wie etwa Bezugsdauer, Häufigkeit oder Art und Umfang der erhaltenen Beihilfen. Dies hätte in bestimmten Fällen, etwa bei kleineren Empfängern, ermöglicht, die Daten anonymisiert zu veröffentlichen, was diese Empfänger vor einem Eingriff in ihr Privatleben bewahrt hätte.84 Eine anonymisierte Veröffentlichung käme auch bei Directors’ Dealings grundsätzlich in Betracht. Die deutschen Verwaltungsgerichte sind aber bei der Betrachtung dieser Alternative zum Ergebnis gekommen, dass eine ano­ nymisierte Veröffentlichung weniger effektiv wäre als die namentliche Nen­ nung des Meldepflichtigen. Aufgrund der Namensangabe könne die Aufsichts­ behörde Insiderverstöße besser entdecken, weil sie die Möglichkeit habe, die mitteilungspflichtigen Organmitglieder im Rahmen der Überwachung zu iden­ tifizieren.85 Zudem versetze die Namensnennung potentielle Whistleblower in die Lage, einen Bezug zu einem konkreten Veräußerungs- oder Erwerbs­ geschäft herzustellen und der Aufsichtsbehörde Hinweise auf ein mögliches Insidergeschäft zu geben. Im Hinblick darauf vermöge die Veröffentlichung 83  EuGH, C-92/09, Rn. 77 – Schecke; C-293/12 und C-594/12, Rn. 51 f. – Digital Rights Ireland; C-362/14, Rn. 92 – Schrems; C-203/15 und C-698/15, Rn. 96, 103 – Tele2 Sverige und Watson u. a. 84  EuGH, C-92/09, Rn. 79 bis 83 – Schecke. 85  VG Frankfurt am Main, NJOZ 2004, 2969, 2973.

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unter Namensnennung bereits im Vorfeld eine gewisse abschreckende Wirkung zu entfalten.86 Dem ist hinzuzufügen, dass die Namensnennung für die Indikatorwir­ kung von Directors’ Dealings unverzichtbar ist: Um das Investitionsverhalten der Führungskräfte erfolgreich nachzuahmen, muss der Anleger wissen, wer genau die Transaktion getätigt hat.87 Würde etwa eine AG mit einem mehr­ köpfigen Vorstand das Publikum nur darüber informieren, dass „ein Mitglied des Vorstands“ ein bestimmtes Eigengeschäft vorgenommen habe, so wäre eine genaue Zuordnung des Geschäfts nicht möglich.88 Die Anleger könnten in diesem Fall nicht feststellen, ob die übers Jahr gemeldeten Transaktionen von demselben oder von verschiedenen Vorstandsmitgliedern vorgenommen wurden.89 Außerdem bestünde die Gefahr, dass der Meldepflichtige die Ge­ samtsumme mehrerer hintereinander geschalteter Transaktionen zu verschlei­ ern versucht.90 Die Anonymisierung könnte den Markt sogar in die Irre füh­ ren, wie Sethe am Fall Cordes illustriert: Hätten die Anleger nicht gewusst, welches Vorstandsmitglied bei DaimlerChrysler massiv Aktien verkaufe, hät­ ten sie dies nicht in den Zusammenhang mit dem Ausscheiden von Eckhard Cordes aus dem Unternehmen bringen können und wären möglicherweise irri­ tiert. Die Veröffentlichung des Namens habe hier für die notwendige Klarheit gesorgt.91 Anonymität und Markttransparenz schließen sich also im Fall von Directors’ Dealings gegenseitig aus. In manchen Fällen spielt der Name eine kleinere Rolle als die genaue Funk­ tion des Meldepflichtigen im Unternehmen. Kauft etwa der Finanzvorstand des Emittenten dessen Aktien, so können die Anleger dies als besonders po­ sitives Signal interpretieren, weil sie davon ausgehen, dass ein Finanzvorstand über die finanzielle Lage der Gesellschaft besser informiert sei als seine Vor­ standskollegen oder die Aufsichtsratsmitglieder.92 Die genaue Funktion des Meldepflichtigen muss dem Anlegerpublikum allerdings nicht gesondert mit­ geteilt werden, da sie anhand der Namensangabe ermittelt werden kann. In der Praxis wird diese Funktion allgemein umschrieben, etwa als „Vorstand“, „Aufsichtsrat“, „Sonstige Führungsperson“ u. Ä.93 86 Vgl. VGH Kassel, NJW 2006, 3737, 3739; a. A. wohl Sethe, EWiR 2006, 701 f.: Mittei­ lung des Namens an die BaFi würde ausreichen. 87  Sethe, EWiR 2006, 701, 702; vgl. auch Möllers/ ​Wenninger, WuB I G 6 § 15a WpHG 1.06. 88  Bestünde der Vorstand dagegen aus einer einzigen Person, könnte auch eine solche anonym klingende Mitteilung keine wirkliche Anonymität gewährleisten, da die Zuord­ nung des Geschäfts zum Alleinvorstand problemlos möglich wäre. Die Indikatorwirkung wäre gegeben, aber nicht die Anonymität. 89  Sethe, EWiR 2006, 701, 702. 90 Vgl. VGH Kassel, NJW 2006, 3737, 3739. 91  Sethe, EWiR 2006, 701, 702. 92  So VG Frankfurt am Main, NJOZ 2004, 2969, 2973. 93  Vgl. die Angaben in der Datenbank der BaFin, < https://portal.mvp.bafin.de/database/​



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Manche meinen, es würde umgekehrt genügen, statt des Namens die genaue Funktion des Meldepflichtigen anzugeben, etwa „Aufsichtsratsvorsitzender“: „Ob der Aufsichtsratsvorsitzende Heinz Meyer […] heißt, ist für den Kapital­ markt nicht von Interesse.“94 Diese Lösung mag für den Aufsichtsratsvorsit­ zenden und die Vorstandsmitglieder passen, sie versagt aber, sobald die An­ gabe der genauen Funktion nicht möglich ist. So würde z. B. die Angabe „ein Mitglied des Aufsichtsrats“ nicht ausreichen, um die genaue Zuordnung zu er­ möglichen. Bis auf den Aufsichtsratsvorsitzenden müssten also die Aufsichts­ ratsmitglieder in der Regel wohl doch namentlich genannt werden. Die Folge wäre eine bedenkliche Ungleichbehandlung der Aufsichtsratsmitglieder ge­ genüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden. Außerdem ist zweifelhaft, ob die An­ gabe der genauen Funktion, die den Betroffenen eindeutig identifizieren lässt, in dessen Grundrechte weniger eingreift als die Namensnennung. Die Öffent­ lichkeit erfährt jeweils, um wen es sich konkret handelt, der einzige Unter­ schied besteht darin, dass die Namensnennung die konkrete Person direkt bestimmt, während die Nennung der genauen Funktion die Person bestimmbar macht.95 In beiden Fällen liegen indes personenbezogene Daten i. S. d. Art. 8 GRCh vor, die zur Identifizierung der Organperson führen. Abschließend ist anzumerken, dass der EuGH im Schecke-Urteil eine teil­ weise Anonymisierung personenbezogener Daten gefordert hat, um vor allem kleinere Empfänger von Beihilfen zu schonen. Die Kläger der Ausgangsver­ fahren waren eine natürliche Person sowie eine GbR, die wiederum aus zwei natürlichen Personen (Volker und Markus Schecke) bestand. Der EuGH wollte also, dass der europäische Gesetzgeber eine Bagatellregelung einführt. Art. 19 MAR adressiert Bagatellfälle, indem er in Abs. 8 den Schwellenwert von 5.000 Euro festlegt; die Meldepflicht greift erst, wenn die Summe der Geschäfte der meldepflichtigen Person innerhalb eines Kalenderjahres diesen Schwellenwert überschreitet. Gemäß Art. 19 Abs. 9 MAR kann dieser Schwellenwert von der Aufsichtsbehörde auf 20.000 Euro angehoben werden. Diese Bagatellgrenzen stellen gewissermaßen ein funktionelles Pendant zu einer teilweisen Anonymi­ sierung von Daten je nach Bezugsdauer, Häufigkeit oder Art und Umfang der erhaltenen Beihilfen, die der EuGH im Fall Schecke gefordert hat. Weitere Alternativen zur namentlichen Nennung sind nicht ersichtlich, so dass deren Erforderlichkeit zu bejahen ist. Eine andere Frage ist, ob es z. B. im Hinblick auf die Ziele des Art. 19 MAR wirklich erforderlich war, auch Erb­ DealingsInfo/>, oder die Angaben auf den Webseiten von BASF, < https://www.basf.com/ de/company/investor-relations/basf-at-a-glance/corporate-governance/directors-dealings. html>, und Siemens, . 94  Lenenbach, EWiR 2005, 235, 236. 95  Oder, in der Terminologie der DS‑ GVO, um eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person, Art. 4 Nr. 1 DS‑ GVO.

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schaften meldepflichtig zu stellen.96 Ein weiteres Beispiel ist die Verpfändung von Finanzinstrumenten, deren Meldepflichtigkeit im Schrifttum durchaus kritisch gesehen wird: Der europäische Gesetzgeber habe die Gefahren über­ schätzt, die bei Verwertung der verpfändeten Finanzinstrumente auftreten könnten. Zu einer wesentlichen Veränderung des Anteilsbesitzes, einer Zu­ nahme des Angebots von Anteilen auf dem Markt, einem Verlust von Stimm­ rechten mit destabilisierender Wirkung auf den Emittenten (vgl. Erwägungs­ grund 58 MAR) könne es nur dann kommen, wenn die Führungskraft über eine sehr hohe Beteiligung am Emittenten verfüge (etwa als Gründungsgesell­ schafter). Zudem seien diese Gefahren nur dann relevant, wenn Anteilsrechte verpfändet würden, die Meldepflicht würde aber auch Schuldtitel und deriva­ tive Finanzinstrumente umfassen.97 Dieser Problematik wird hier nicht weiter nachgegangen: Zur Überprüfung der hiesigen Hypothese genügt die Feststel­ lung, dass die Meldepflicht und die Veröffentlichung von Directors’ Dealings unter Namensnennung grundsätzlich erforderlich sind. Erforderlich ist auch die Pflicht zur Nennung der eng verbundenen Personen, soweit die Angaben zu diesen Personen, wie oben vorgeschlagen, auf das Notwendigste beschränkt werden. Mildere Mittel, um dem Emittenten die Führung der Liste eng ver­ bundener Personen zu ermöglichen, sind dann nicht ersichtlich. dd) Angemessenheit Für die Angemessenheit des Eingriffs spricht, dass bei Directors’ Dealings keine sensiblen Daten veröffentlicht werden.98 Der Eingriff in die Grund­ rechte der Organmitglieder wiegt daher nicht schwer99, was die Rechtferti­ gung leichter macht. Ein vergleichbarer Fall aus der EuGH‑Praxis ist der Fall Manni, in dem es um die Speicherung personenbezogener Daten im Unter­ nehmensregister ging. Salvatore Manni war seinerzeit alleiniger Geschäfts­ führer und Liquidator einer Immobiliengesellschaft, die 1992 für insolvent erklärt und 2005 nach einem Liquidationsverfahren im Unternehmensregis­ ter gelöscht wurde. Diese Daten wurden im Register gespeichert und später von einer Ratingagentur verarbeitet, die sich auf Risikobewertung speziali­ siert hatte. Manni sah darin den Grund für den Misserfolg seiner neuen Firma, die einen öffentlichen Auftrag für die Errichtung einer Ferienanlage erhalten hatte, aber für die entsprechenden Immobilien keine Käufer finden konnte. Sein Antrag bei der zuständigen Handelskammer auf Löschung der Daten, die 96 Vgl. Kocher, Bucerius Law Journal 2017, 113, 117: „information overload“; kritisch zur Erstreckung der Meldepflicht auf Erbschaften und Schenkungen auch Schäfer, in: MarschBarner/​Schäfer, HdB börsennotierte AG, § 16 Rn. 16.13. 97  Sethe/​Hellgardt, in: Assmann/​ Schneider/​ Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014 Art. 19 Rn. 81. 98 Vgl. den Katalog sensibler Daten in Art. 9 DS‑ GVO („besondere Kategorien per­ sonenbezogener Daten“). 99  Anders in Bezug auf § 15a WpHG a. F. Schneider, AG 2002, 473, 475.



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ihn in Verbindung mit dem insolventen Unternehmen brachten, hatte indes keinen Erfolg.100 Im Verfahren vor dem EuGH ging es um die Frage, ob es mit den Grund­ rechten aus Art. 7 und 8 GRCh und der Datenschutzrichtlinie101 vereinbar ist, dass die im Unternehmensregister gespeicherten personenbezogenen Daten auch nach der Auflösung der betreffenden Gesellschaft allgemein zugänglich sind, und zwar ohne jegliche zeitliche Beschränkung. Der EuGH stellte fest, dass mögliche Ansprüche Dritter nach der Auflösung einer Gesellschaft in verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedlich verjährten. Es sei deshalb nicht möglich, eine einheitliche Frist festzulegen, die mit der Auflösung der Gesell­ schaft zu laufen beginne und nach deren Ablauf die Eintragung der Daten im Register und ihre Offenlegung nicht mehr notwendig wären.102 Eine zeitlich unbegrenzte Registerpublizität stelle dennoch keinen unverhältnismäßigen Eingriff in die Grundrechte der betroffenen Personen dar, denn zum einen schreibe die gesellschaftsrechtliche Publizitätsrichtlinie die Offenlegung „nur für wenige personenbezogene Daten vor, und zwar solche zu den Personalien und Aufgaben der Personen, die befugt sind, die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich zu vertreten […]“103. Zum anderen sei die Offenlegung zum Schutz Dritter geboten, die dem wirtschaftlichen Risiko ausgesetzt seien, das von einer beschränkt haftenden Gesellschaft ausgehe. Die Personen, die sich dafür entscheiden würden, über eine solche Gesellschaft am Wirtschaftsleben teilzunehmen, müssten die Offenlegungspflicht hinnehmen, „zumal sie sich dieser Verpflichtung in dem Augenblick, in dem sie sich für eine solche Tätig­ keit entscheiden, bewusst sind“.104 Diese Argumentation ist zwar kritikwürdig, denn daraus, dass die Offen­ legung personenbezogener Daten zum Schutz Dritter geboten ist, folgt noch kein Recht der breiten Öffentlichkeit auf einen zeitlich unbegrenzten Zugang zu diesen Daten.105 In einem wichtigen Punkt verdient das Manni-Urteil aller­ dings Zustimmung: Der Eingriff in die Grundrechte aus Art. 7 und 8 GRCh wiegt weniger schwer, wenn er sich auf wenige personenbezogene Daten be­ schränkt, die zudem nicht sensibel sind. Dies ist bei Eigengeschäften der Füh­ rungskräfte der Fall. Demgegenüber handelt es sich bei der Erhöhung der 100 

EuGH, C-398/15, Rn. 23 ff. – Manni. Die Grundsätze des Urteils behalten auch unter DS‑ GVO ihre Gültigkeit, dazu Lutter/​Bayer/​Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, Rn. 18.36; Hübner, ZHR 183 (2019), 540­­­­, 571; J. Schmidt, FS Bergmann, S. 637, 651. 102  EuGH, C-398/15, Rn. 55 – Manni. 103  EuGH, C-398/15, Rn. 58 – Manni. 104  EuGH, C-398/15, Rn. 59 – Manni; zustimmend Hübner, ZHR 183 (2019), 540­­­­, 572. 105  Immerhin hat der EuGH die Befugnis des nationalen Gesetzgebers anerkannt, in Ausnahmefällen nach Ablauf einer hinreichend langen Frist nach der Auflösung der Gesell­ schaft den Zugang zu den im Register eingetragenen personenbezogenen Daten auf Dritte zu beschränken, die ein besonderes Interesse an der Einsichtnahme in diese Daten nachwei­ sen, siehe EuGH, C-398/15, Rn. 60 f. – Manni. 101 

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Marktransparenz und der Bekämpfung des Marktmissbrauchs um anerkannte Gemeinwohlziele. Die Publizität bei Directors’ Dealings leistet zu diesen Zie­ len einen nicht unerheblichen Beitrag, zumindest im Hinblick auf die Markt­ ransparenz. Damit steht der Eingriff nicht außer Verhältnis zu den verfolgten Zielen und verstößt nicht gegen das Übermaßverbot. Dagegen könnte man einwenden, dass es in der Rechtssache Schecke eben­ falls um Veröffentlichung unsensibler persönlicher Daten ging, der EuGH je­ doch eine Grundrechtsverletzung bejaht hat. Vorliegend gibt es allerdings ei­ nige Unterschiede zum Fall Schecke, von denen einer bereits genannt wurde: Während im Fall Schecke eine teilweise Anonymisierung personenbezogener Daten durchaus in Betracht kam, wäre bei Directors’ Dealings jegliche Ano­ nymisierung kontraproduktiv. Ferner war bei Empfängern von Agrarbeihil­ fen nach der damals geltenden Regelung neben dem Namen und dem Betrag der erhaltenen Beihilfen auch die Gemeinde anzugeben, in der der Empfänger wohnte oder eingetragen war.106 Zudem ging es in der Sache um kleinere Emp­ fänger, bei denen die Beihilfen einen beträchtlichen Teil ihrer Einkünfte aus­ machten.107 Der Eingriff wog damit schwerer und war daher im Hinblick auf sein Ziel, die Öffentlichkeit über die Verwendung von Steuergeldern zu infor­ mieren, bei kleineren Beihilfeempfängern unverhältnismäßig. Auch die deutschen Gerichte haben die Veröffentlichung von Directors’ Dealings unter Namensangabe als eine angemessene Grundrechtseinschrän­ kung qualifiziert.108 Eine Prangerwirkung der Veröffentlichung haben sie verneint: Gerade interessierte Personen, die derartige Veröffentlichungen ge­ zielt verfolgten, wüssten, dass ein „Directors’ Dealing“ ohne Hinzutreten wei­ terer Umstände nichts Verbotenes oder sonst Vorwerfbares sei.109 Dieses Ar­ gument gilt heute umso mehr, weil die anhaltende Veröffentlichungspraxis die öffentliche Wahrnehmung von Directors’ Dealings positiv beeinflusst hat. Nicht überzeugend ist schließlich der Einwand, die Veröffentlichung von Ei­ gengeschäften unter Namensnennung könne Kriminelle anlocken, die aus den getätigten Geschäften Rückschlüsse auf das Vermögen der Führungskraft zie­ hen könnten.110 Die Gegenargumente lauten, dass die „Anlockwirkung“ be­ reits von der herausgehobenen Position der Führungskraft in ihrem Unterneh­ men ausgehe und dass die Informationen über ihr Vermögen anderweitig aus allgemein zugänglichen Quellen erlangt werden könnten.111 Teilweise wird die Verfassungsmäßigkeit der Meldepflicht deshalb bezwei­ felt, weil sie nicht von einem Verwertungsverbot flankiert sei. Denn für eine 106 

Vgl. EuGH, C-92/09 und C-93/09, Rn. 57 – Schecke.

107  Vgl. EuGH, C-92/09 und C-93/09, Rn. 58 – Schecke. 108 Siehe VGH Kassel, NJW 2006, 3737, 3740; VG Frankfurt am Main, NJOZ 2004, 2969,

2973 f. 109  VGH Kassel, NJW 2006, 3737, 3740. 110 Siehe VGH Kassel, NJW 2006, 3737, 3740; ferner Schuster, ZHR 167 (2003), 193, 209. 111  VGH Kassel, NJW 2006, 3737, 3740; Sethe, EWiR 2006, 701, 702.



§ 2.  Erprobung der Hypothese an weiteren Offenlegungsfällen

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Führungskraft, die ein Insidergeschäft tätige, bedeute die Pflicht, dieses Ei­ gengeschäft als Directors’ Dealing zu melden, einen Zwang zur Selbstbezich­ tigung.112 Hierzu ist anzumerken, dass die Führungskraft in dieser Kon­ stellation tatsächlich einem faktischen Selbstbelastungszwang unterliegt, der als Nebenfolge der Meldepflicht eintritt.113 Dies macht die Meldepflicht als solche nicht unzulässig, weil sie sich generell an Führungskräfte richtet, die Eigengeschäfte tätigen, und nicht nur an solche, die dabei einen verbote­ nen Insiderhandel treiben. Ob für die letzteren Führungskräfte ein Verwer­ tungsverbot gelten soll, ist eine schwierige Frage. Ein bloßes Verwertungs­ verbot würde auch hier zum Schutz der betroffenen Führungskräfte kaum ausreichen; ein Verwendungsverbot könnte aber dazu führen, dass jemand, der Insidergeschäfte tätigt, durch die Meldung dieser Geschäfte als Directors’ Dealings de facto Straffreiheit erlangen könnte, weil das daraufhin einset­ zende Verwendungsverbot die Ermittlungen wegen Insiderstraftaten erheb­ lich erschweren könnte. Vor diesem Hintergrund erscheint mir die geltende materiell-rechtliche Lösung (Verstoß gegen die Meldepflicht als mitbestrafte Nachtat) vorzugswürdig, weil sie bedeutet, dass dem Täter bei unterlassener Meldung seiner Insidergeschäfte keine zusätzliche Strafe droht. Daher ist er praktisch gesehen nicht gezwungen, diese Geschäfte zu melden und sich da­ durch selbst zu belasten. 4.  Exkurs: Eng verbundene Personen Die Meldepflicht der Personen, die zu Organmitgliedern in enger Beziehung stehen, ist zwar nicht Gegenstand dieser Untersuchung, einige kurze Be­ merkungen zu diesem Thema seien dennoch erlaubt. Genauso wie die Mel­ depflicht der Organmitglieder greift auch die Meldepflicht eng verbundener Personen in deren Grundrechte ein. Denn auch diese Personen müssen in der Meldung neben den Angaben zum Geschäft ihren Vor- und Familiennamen bzw. den vollständigen Namen einschließlich der Rechtsform wie im Regis­ ter vermerkt angeben. Außerdem muss der Meldepflichtige unter „Grund der Meldung“ laut Meldungsvorlage seinen Status erläutern, d. h. mitteilen, dass er in enger Beziehung zu einer Führungskraft steht, deren Namen und Posi­ tion er ebenfalls zu nennen hat. Eine Angabe zur genauen Art der Beziehung ist allerdings nicht erforderlich114; in der Praxis genügt die Formulierung „in enger Beziehung“.115 112 Siehe Pfüller, in: Fuchs, WpHG, § 15a Rn. 28 f.; vgl. auch Maume/​Kellner, ZGR 2017, 273, 276 Fn. 14. 113  Vgl. Kapitel 5, § 4. 114  Semrau, in: Klöhn, MAR , Art. 19 Rn. 68; Sethe/​Hellgardt, in: Assmann/​S chneider/​ Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014 Art. 19 Rn. 122. 115  Vgl. die Angaben in der Datenbank der BaFin, abrufbar unter .

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Dadurch werden bei natürlichen Personen die Grundrechte auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 7 GRCh), auf Schutz personenbezogener Daten (Art. 8 GRCh) sowie das Eigentumsrecht (Art. 17 GRCh) beeinträch­ tigt. In besonderen Fällen kann auch die Berufsfreiheit (Art. 15 GRCh) be­ troffen sein. Bei juristischen Personen ist neben dem Eigentumsrecht in erster Linie die unternehmerische Freiheit (Art. 16 GRCh) betroffen.116 Die Beein­ trächtigung dieser Freiheit liegt immer vor, wenn Unternehmen unabhängig von der Art ihrer Tätigkeit Offenlegungspflichten auferlegt werden.117 Mit­ betroffen ist die Berufsfreiheit, die aber durch Art. 16 GRCh als lex specialis verdrängt wird.118 Unklar ist dagegen, inwieweit sich juristische Personen auf Art. 7 und 8 GRCh berufen können. Für die Geltung des Art. 7 GRCh spricht, dass das Recht auf Achtung der Privatsphäre auch geschäftliche Tätigkeiten juristischer Personen schützt, soweit sie gegenüber der Öffentlichkeit abge­ schirmt sind („geschäftliches Privatleben“).119 Auch Art. 8 GRCh ist seinem Wortlaut und Sinn nach sowohl auf natürliche als auch auf juristische Personen anwendbar. Der EuGH hat im Schecke-Urteil indes ausdrücklich festgestellt, dass die Grundrechte aus Art. 7 und 8 GRCh für juristische Personen nur dann gelten, wenn „der Name der juristischen Person eine oder mehrere natürliche Personen bestimmt“120. Die Grundrechtseingriffe sind grundsätzlich verhältnismäßig.121 Die Er­ streckung der Publizität auf eng verbundene Personen dient einem legitimen Zweck: Sie soll einerseits Umgehungen des Art. 19 MAR durch Führungs­ kräfte verhindern122 , andererseits Personen erfassen, die regelmäßig am Wis­ 116 Vgl.

Ruffert, in: Calliess/​Ruffert, EUV/AEUV, GRCh Art. 16 Rn. 3. EuGH, Beschl. v. 23.9.2004  – C-435/02 und C-103/03, Slg. 2004, I-08663, Rn. 47 f. – Springer, in Bezug auf die Offenlegung des Jahresabschlusses. Die Entscheidung erging noch vor dem Inkrafttreten der GRCh, so dass der EuGH darin noch von der „freien Berufsausübung“ und nicht von der unternehmerischen Freiheit spricht. 118  Jarass, GRCh, Art. 15 Rn. 9, Art. 16 Rn. 4a; ähnlich Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, GRCh Art. 15 Rn. 7, Art. 16 Rn. 1; a. A. Ruffert, in: Calliess/​Ruffert, EUV/AEUV, GRCh Art. 15 Rn. 8 (nur unternehmerische Freiheit statt Berufsfreiheit). 119 So Jarass, GRCh, Art. 7 Rn. 13; Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, GRCh Art. 7 Rn. 10, 13; vgl. EuGH, Urt. v. 14.2.2008 – C-450/06, Slg. 2008, I-581, Rn. 48, 51 – Varec (zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen). Mit großen Einschränkungen (nur bei Schutzgütern der Woh­ nung und der Kommunikation) Kingreen, in: Calliess/​Ruffert, EUV/AEUV, GRCh Art. 7 Rn. 11. 120 EuGH, C-92/09, Rn. 53  – Schecke; für den vollwertigen Schutz dagegen Jarass, GRCh, Art. 8 Rn. 7; Kingreen, in: Calliess/​ Ruffert, EUV/AEUV, GRCh Art. 8 Rn. 11; Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, GRCh Art. 8 Rn. 6. 121  A. A. Schuster, ZHR 167 (2003), 193, 209 f., der sich im Hinblick auf eng verbundene Personen gegen die Veröffentlichung ausspricht („bedenklicher Verlust an Privatsphäre“) und lediglich eine Mitteilung an den Emittenten und die BaFin für verhältnismäßig hält. 122  Semrau, in: Klöhn, MAR , Art. 19 Rn. 29; Sethe/​Hellgardt, in: Assmann/​S chneider/​ Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014 Art. 19 Rn. 40; Sethe, EWiR 2006, 701, 702; Möllers/ ​Wenninger, WuB I G 6 § 15a WpHG 1.06. 117 Vgl.



§ 2.  Erprobung der Hypothese an weiteren Offenlegungsfällen

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sensvorsprung der Führungskräfte teilhaben.123 Für die Anleger kann es in­ teressant sein zu wissen, dass nicht nur eine Führungsperson, sondern auch ihre Familienmitglieder Geschäfte mit den Finanzinstrumenten des Emit­ tenten tätigen.124 Für die Aufsichtsbehörden kann dies unter Umständen ein Indiz dafür sein, dass die Führungskraft gegen Art. 14 lit. b oder c MAR ver­ stoßen hat, indem sie ihre Insiderkenntnisse mit ihren Angehörigen geteilt oder diesen sogar empfohlen hat, Insidergeschäfte zu tätigen.125 Die Meldepflicht eng verbundener Personen ist im Hinblick auf diese Zwe­ cke zumindest teilweise geeignet. Sie ist außerdem erforderlich, weil milde­ re Mittel nicht ersichtlich sind. Eine vollständige Anonymisierung scheidet von vornherein aus; eine partielle Anonymisierung in der Weise, dass statt des Namens der eng verbundenen Person ihre genaue Beziehung zur Führungs­ kraft des Emittenten anzugeben wäre126 , wäre kaum ein milderes Mittel. Keine vorzugswürdige Alternative wäre es schließlich, dem Organmitglied den Anteilsbesitz naher Angehöriger zuzurechnen und ihm die Meldepflicht aufzuerlegen.127 Dies würde dem Prinzip der Eigenverantwortung widerspre­ chen, vor allem wenn der Angehörige ausschließlich aus eigener Veranlassung handelt. Es ist dann kaum berechtigt, der Führungskraft eine Meldepflicht für dieses fremde, ihr nach allgemeinen Grundsätzen nicht zurechenbare Handeln aufzubürden; bessere Gründe sprechen dafür, die Meldepflicht dem Handelnden aufzuerlegen. Außerdem würde die Zurechnung zwar Umge­ hungen verhindern, aber man würde nichts über die Personen erfahren, die regelmäßig am Wissensvorsprung der Führungskräfte teilhaben, was ein wei­ terer Zweck der Meldepflicht eng verbundener Personen sein soll. Was die Verhältnismäßigkeit i. e. S. angeht, so gelten im Prinzip die glei­ chen Argumente wie bei Führungskräften. Die Schwere des Eingriffs wird zudem dadurch gemildert, dass er die Grundrechtsadressaten nicht völlig überraschend trifft, sondern an deren freie Entscheidung anknüpft, mit den Finanzinstrumenten desjenigen Unternehmens zu handeln, bei dem ihr An­ gehöriger eine Führungsposition bekleidet.128

123  Sethe/​Hellgardt, in: Assmann/​ Schneider/​ Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014 Art. 19 Rn. 40; Pfüller, in: Fuchs, WpHG, § 15a Rn. 83; Kumpan, AG 2016, 446, 450; Maume/​Kellner, ZGR 2017, 273, 289. 124  VGH Kassel, NJW 2006, 3737, 3739; vgl. auch VG Frankfurt am Main, NJOZ 2004, 2969, 2973; a. A. Semrau, in: Klöhn, MAR , Art. 19 Rn. 29: die Meldepflicht eng verbundener Personen tauge „nur in geringerem Maße“ als Informationsquelle für die Anleger. 125  Skeptisch insoweit Schuster, ZHR 167 (2003), 193, 209: „Generalverdacht“. 126 Dafür Lenenbach, EWiR 2005, 235, 236. 127 Dafür Fleischer, ZIP 2002, 1217, 1226; vgl. auch Schuster, ZHR 167 (2003), 193, 209. Für die Zurechnung beim Schwellenwert Maume/​Kellner, ZGR 2017, 273, 289. 128 Vgl. VGH Kassel, NJW 2006, 3737, 3740.

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Kapitel 6: Organschaftliche Offenlegungspflichten

II.  Eigene Annahmeabsicht bei Übernahmeangeboten 1. Allgemeines In einer Übernahmesituation trifft den Vorstand und den Aufsichtsrat der Ziel­ gesellschaft nach § 27 Abs. 1 S. 1 WpÜG die Pflicht, eine begründete Stellung­ nahme zum Übernahmeangebot abzugeben. Besitzen bestimmte Vorstandsoder Aufsichtsratsmitglieder zudem Wertpapiere der Zielgesellschaft, muss die Stellungnahme auch darauf eingehen, ob diese Organmitglieder beabsichti­ gen, das Angebot anzunehmen (§ 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 WpÜG). Adressaten die­ ser Pflicht sind zunächst nur die Organe der AG, also der Vorstand und der Aufsichtsrat. Da sie jedoch ihre Pflicht aus § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 WpÜG ohne die Mitwirkung der betroffenen Organmitglieder nicht erfüllen können, wer­ den diese für verpflichtet gehalten, eine Auskunft über ihre Annahmeabsichten zu geben.129 Eine Verpflichtung der Organe führt somit zu einer persönlichen Offenlegungspflicht. Die Situation ist insoweit vergleichbar mit Directors’ Dealings, wo die Pflicht der Organmitglieder, ihre eng verbundenen Personen zu nennen, ebenfalls als Folge einer anderen Pflicht entsteht, namentlich der Listenführungspflicht des Emittenten. Dogmatisch lässt sich die Pflicht der Organmitglieder zur Offenlegung eigener Annahmeabsicht bei Übernahme­ angeboten auf die Sorgfaltspflicht stützen, da die Informationsadressaten die Mitglieder desselben Organs sind, dem der Pflichtige angehört. Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen Directors’ Dealings und der über­ nahmerechtlichen Vorschrift des § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 WpÜG besteht im Hin­ blick auf den Offenlegungszweck.130 Auch in der Übernahmesituation sollen außenstehende Wertpapierinhaber die Möglichkeit bekommen, das Verhalten der besser informierten Primärinsider nachzubilden, weil das Gesetz dieses Verhalten als ein wichtiges Indiz für die Attraktivität des Übernahmeangebots betrachtet.131 Das WpÜG geht davon aus, dass die Bereitschaft der Organmit­ glieder, ihre Aktien an den Bieter zu veräußern oder gegen die Aktien der Bie­ tergesellschaft einzutauschen, dafür sprechen kann, dass die Angebotskon­ ditionen günstig sind. Unterschiedliche Absichten einzelner Organmitglieder können auf eine unterschiedliche Bewertung des Angebots hindeuten.132 Wie bei Directors’ Dealings handelt es sich bei solchen Absichten jedoch um keine 129 Siehe Krause/​Pötzsch, in: Assmann/​Pötzsch/​S chneider, WpÜG, § 27 Rn. 86; Goslar, in: Paschos/​Fleischer, Übernahmerecht-HdB, § 22 Rn. 86. 130  Goslar, in: Paschos/​Fleischer, Übernahmerecht-HdB, § 22 Rn. 86; vgl. ferner Krause/​ Pötzsch, in: Assmann/​Pötzsch/​Schneider, WpÜG, § 27 Rn. 83. 131 So Harbarth, in: Baums/​ Thoma/​ Verse, WpÜG, § 27 Rn. 58; Krause/​Pötzsch, in: Assmann/​Pötzsch/​Schneider, WpÜG, § 27 Rn. 83; Louven, in: Angerer/​Geibel/​Süßmann, WpÜG, § 27 Rn. 19; Fleischer/​Schmolke, DB 2007, 95, 96; Kiesewetter/​Kreymborg, CFL 2013, 105, 109; vgl. noch vor dem Inkrafttreten der Regelung Hopt, FS Lutter, S. 1361, 1382 („aussagekräftig“). 132  Harbarth, in: Baums/​T homa/​Verse, WpÜG, § 27 Rn. 58; Louven, in: Angerer/​Gei­



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absolut verlässliche Aussage, sondern lediglich um ein Indiz, weil sie auf Grün­ den beruhen können, die mit der Attraktivität des Angebots nichts zu tun ha­ ben.133 Durch die Offenlegung persönlicher Absichten werden außenstehende Wertpapierinhaber schließlich in die Lage versetzt, die Glaubwürdigkeit der Stellungnahme des Vorstands und des Aufsichtsrats zu überprüfen.134 Der Inhalt der Stellungnahme variiert je nach Situation. Publizitätspflich­ tig ist grundsätzlich nur die Annahmeabsicht und nicht die Höhe der Betei­ ligung einzelner Organmitglieder.135 Haben alle Mitglieder des jeweiligen Organs gleiche Absichten in Bezug auf das Angebot, darf sich die Stellungnah­ me auf die pauschale Aussage beschränken, dass alle Mitglieder des Vorstands bzw. des Aufsichtsrats das Angebot annehmen oder ablehnen wollen.136 Ist das Meinungsbild innerhalb des jeweiligen Gremiums gespalten, sind in der Stellungnahme alle Organmitglieder unter Nennung ihres Namens und ihrer Annahmeabsicht anzuführen. Dies ist erforderlich, weil es für die Außenste­ henden von Interesse sein kann, welche Organmitglieder das Angebot anneh­ men und welche es ablehnen wollen.137 Besondere Angaben sind ferner not­ wendig, wenn einige oder sämtliche Organmitglieder keine Wertpapiere der Zielgesellschaft besitzen. Auf diesen Umstand ist hinzuweisen (Negativtestat), weil sonst der Eindruck entstehen kann, dass Organmitglieder das Angebot nicht annehmen wollen, weil sie es für unattraktiv halten.138 Ähnliche klar­ stellende Hinweise sind geboten, wenn bestimmte Organmitglieder noch un­ bel/​Süßmann, WpÜG, § 27 Rn. 19; Goslar, in: Paschos/​Fleischer, Übernahmerecht-HdB, § 22 Rn. 86; Fleischer/​Schmolke, DB 2007, 95, 96. 133  Kiesewetter/​Kreymborg, CFL 2013, 105, 109. 134  Hirte, in: KölnKomm WpÜG, § 27 Rn. 45; Krause/​Pötzsch, in: Assmann/​Pötzsch/​ Schneider, WpÜG, § 27 Rn. 83; Noack/​Holzborn, in: Schwark/​Zimmer, KMRK, WpÜG, § 27 Rn. 12; Fleischer/​Schmolke, DB 2007, 95, 96. 135  Harbarth, in: Baums/​ Thoma/​ Verse, WpÜG, § 27 Rn. 60; Hirte, in: KölnKomm WpÜG, § 27 Rn. 46; Krause/​Pötzsch, in: Assmann/​Pötzsch/​Schneider, WpÜG, § 27 Rn. 85; Louven, in: Angerer/​Geibel/​Süßmann, WpÜG, § 27 Rn. 19; Noack/​Holzborn, in: Schwark/​ Zimmer, KMRK, WpÜG, § 27 Rn. 12; Röh, in: Frankfurter Komm WpÜG, § 27 Rn. 42; Steinmeyer, in: Steinmeyer, WpÜG, § 27 Rn. 48. 136  Hirte, in: KölnKomm WpÜG, § 27 Rn. 46; Krause/​Pötzsch, in: Assmann/​Pötzsch/​ Schneider, WpÜG, § 27 Rn. 85; Goslar, in: Paschos/​Fleischer, Übernahmerecht-HdB, § 22 Rn. 88; Hippeli/​Hofmann, NZG 2014, 850, 854; a. A. Kiesewetter/​Kreymborg, CFL 2013, 105, 109 f. unter Verweis auf die vermeintliche BaFin-Praxis. 137  Harbarth, in: Baums/​ Thoma/​ Verse, WpÜG, § 27 Rn. 60; Hirte, in: KölnKomm WpÜG, § 27 Rn. 46; Krause/​Pötzsch, in: Assmann/​Pötzsch/​Schneider, WpÜG, § 27 Rn. 85; Röh, in: Frankfurter Komm WpÜG, § 27 Rn. 42; Goslar, in: Paschos/​Fleischer, Übernahme­ recht-HdB, § 22 Rn. 88; Hippeli/​Hofmann, NZG 2014, 850, 854. 138  Harbarth, in: Baums/​ Thoma/​ Verse, WpÜG, § 27 Rn. 60; Hirte, in: KölnKomm WpÜG, § 27 Rn. 46; Krause/​Pötzsch, in: Assmann/​Pötzsch/​Schneider, WpÜG, § 27 Rn. 85; Röh, in: Frankfurter Komm WpÜG, § 27 Rn. 42; Steinmeyer, in: Steinmeyer, WpÜG, § 27 Rn. 47; Wackerbarth, in: MüKo AktG, WpÜG, § 27 Rn. 28; Goslar, in: Paschos/​Fleischer, Übernahmerecht-HdB, § 22 Rn. 88; Hippeli/​Hofmann, NZG 2014, 850, 854; Kiesewetter/​ Kreymborg, CFL 2013, 105, 110.

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entschlossen oder durch eine Lock-up-Vereinbarung an der Veräußerung der Wertpapiere gehindert sind.139 Immer dann, wenn nicht alle Mitglieder des je­ weiligen Organs betroffen sind, wird eine namentliche Nennung erforderlich. Die Organmitglieder der Zielgesellschaft sind an ihre einmal erklärte Ab­ sicht nicht gebunden; sie können diese später ändern, ohne rechtliche Nachtei­ le befürchten zu müssen.140 In diesem Fall muss aber die Stellungnahme nach ganz herrschender Meinung unverzüglich aktualisiert werden; diese Aktuali­ sierungspflicht besteht unabhängig von der Pflicht aus § 27 Abs. 1 S. 1 WpÜG, zu jeder Änderung des Angebots erneut Stellung zu nehmen.141 Denn das Wissen um das Annahmeverhalten der Organmitglieder sei für Wertpapier­ inhaber von erheblicher Bedeutung, so dass sie über etwaige Änderungen zeit­ nah informiert werden müssten. Der Vorstand und der Aufsichtsrat dürfen also nicht bis zu einer Änderung des Angebots zuwarten.142 2. Grundrechtseingriff Die geschilderte Offenlegungspflicht stieß in der Literatur früher manchmal auf verfassungsrechtliche Kritik. Einige nannten sie „problematisch“ und ver­ wiesen darauf, dass es bei den Absichten der Organmitglieder nicht um eine Angelegenheit der Gesellschaft handelte, sondern um einen Umstand, der die Organmitglieder ausschließlich in ihrer Stellung als Gesellschafter beträfe.143 Andere trugen vor, die Pflicht der Organmitglieder, die Zusammensetzung ihres Privatvermögens partiell offenzulegen, verletze ihr allgemeines Persön­ lichkeitsrecht, weil die Privatsphäre der Organmitglieder auch in der Übernah­ mesituation höherrangig sei als das Informationsinteresse der Öffentlichkeit.144 Diese Stimmen sind indes schnell verstummt; soweit die aktuelle Literatur ver­ fassungsrechtliche Bedenken gegen § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 WpÜG überhaupt er­ 139  Hirte, in: KölnKomm WpÜG, § 27 Rn. 46; Krause/​Pötzsch, in: Assmann/​Pötzsch/​ Schneider, WpÜG, § 27 Rn. 85, 89; Noack/​Holzborn, in: Schwark/​Zimmer, KMRK, WpÜG, § 27 Rn. 12; Röh, in: Frankfurter Komm WpÜG, § 27 Rn. 42, der aber bei Unentschlossen­ heit die Offenlegungspflicht verneint; Steinmeyer, in: Steinmeyer, WpÜG, § 27 Rn. 47; Goslar, in: Paschos/​Fleischer, Übernahmerecht-HdB, § 22 Rn. 88 f. 140  Harbarth, in: Baums/​ Thoma/​Verse, WpÜG, § 27 Rn. 62; Goslar, in: Paschos/​Flei­ scher, Übernahmerecht-HdB, § 22 Rn. 86, beide m. w. N. 141  Krause/​Pötzsch, in: Assmann/​ Pötzsch/​Schneider, WpÜG, § 27 Rn. 87; Louven, in: Angerer/​Geibel/​Süßmann, WpÜG, § 27 Rn. 19; Röh, in: Frankfurter Komm WpÜG, § 27 Rn. 43, 56; Steinmeyer, in: Steinmeyer, WpÜG, § 27 Rn. 49; Goslar, in: Paschos/​Fleischer, Übernahmerecht-HdB, § 22 Rn. 86; a. A. Noack/​Holzborn, in: Schwark/​Zimmer, KMRK, WpÜG, § 27 Rn. 12: nur wenn die Änderung der Annahmeabsicht aufgrund der Änderung des Angebots erfolgt; vermittelnd Hirte, in: KölnKomm WpÜG, § 27 Rn. 47. 142  Krause/​Pötzsch, in: Assmann/​Pötzsch/​S chneider, WpÜG, § 27 Rn. 87. 143  Kort, FS Lutter, S. 1421, 1439. Diese Argumentation weist eine deutliche Parallele zum hiesigen Befund auf, dass die Offenlegung leichter zu rechtfertigen ist, wenn sie nicht personenbezogene Informationen („Angelegenheit der Gesellschaft“) betrifft. 144  Witte, BB 2000, 2161, 2164.



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wähnt, bezeichnet sie diese als unbegründet und verweist entweder auf die wichtigen Ziele der Offenlegung145 oder darauf, dass es „nicht in erster Linie um einen Eingriff in die Privatsphäre“ der Organmitglieder gehe, sondern um eine Kontrolle ihres Verhaltens als Verwalter des Aktionärsvermögens.146 Vor der Ausstellung einer verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeits­ bescheinigung sollte die Offenlegungspflicht jedoch genauer untersucht wer­ den. Dass sie in die Grundrechte der betroffenen Organmitglieder eingreift, dürfte unstreitig sein. Wie sich ein Wertpapierinhaber bei der Übernahme der Gesellschaft zu verhalten gedenkt, ist grundsätzlich seine Privatsache. Die Pflicht, sich öffentlich dazu zu äußern, greift daher in die Privatsphäre des Pflichtigen ein. Für Organmitglieder gilt insoweit nichts anderes; ihre etwaige herausgehobene Stellung147 spielt erst bei der Rechtfertigung des Eingriffs eine Rolle. Neben dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht sind auf nationaler Ebene die allgemeine Handlungsfreiheit sowie die Freiheit der Berufsausübung be­ troffen. Hinzu kommt der Eingriff in das Eigentumsgrundrecht der Organ­ mitglieder, weil das Gesetz an einen bestehenden Wertpapierbesitz anknüpft und dessen Innehaben bestimmten Pflichten unterwirft. Aus diesem Grund stellt § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 WpÜG eine Schrankenbestimmung i. S. d. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG dar.148 Ganz ähnliche Grundrechtseinwirkungen sind auf der europäischen Ebene zu beobachten: Dort sind die Grundrechte aus Art. 7, 8, 15 und 17 GRCh be­ troffen. Das Recht auf Schutz personenbezogener Daten (Art. 8 GRCh) ist des­ halb einschlägig, weil die Angaben in der Stellungnahme stets konkreten Or­ ganmitgliedern zugeordnet werden können. Dies trifft nicht nur dann zu, wenn die Stellungnahme die Namen der Organmitglieder nennt, sondern auch dann, wenn sie ohne namentliche Nennung über die einheitliche Absicht des gesam­ ten Gremiums berichtet. Im letzten Fall bezieht sich die Information auf bestimmbare natürliche Personen, weil sie jedes Organmitglied betrifft. Für den Informationsempfänger ist dann klar, dass auch das Organmitglied XY das Angebot annehmen bzw. ablehnen will, gar keine Wertpapiere der Zielgesell­ schaft besitzt, durch eine Lock-up-Vereinbarung an der Veräußerung gehin­ dert ist usw. 3. Rechtfertigung Die Offenlegungspflicht verfolgt ein legitimes Ziel, indem sie den Informa­ tionsstand der außenstehenden Wertpapierinhaber verbessern will, um ihnen 145  Krause/​Pötzsch, in: Assmann/​Pötzsch/​S chneider, WpÜG, § 27 Rn. 83; Goslar, in: Pa­ schos/​Fleischer, Übernahmerecht-HdB, § 22 Rn. 86. 146  Hirte, in: KölnKomm WpÜG, § 27 Rn. 45. 147 Vgl. Krause/​Pötzsch, in: Assmann/​Pötzsch/​S chneider, WpÜG, § 27 Rn. 83; Fleischer, NZG 2006, 561, 568. 148 Vgl. Wendt, in: Sachs, GG, Art. 14 Rn. 54 f.

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Kapitel 6: Organschaftliche Offenlegungspflichten

in der Übernahmesituation eine fundierte Entscheidung zu ermöglichen. Ein wichtiges Ziel allein reicht indes als Rechtfertigung nicht aus149, vielmehr muss die organschaftliche Offenlegungspflicht im Hinblick auf dieses Ziel geeignet, erforderlich und angemessen sein. Wie meist, kommt es dabei auf die konkrete Pflichtengestalt an: Der Teufel steckt im Detail.150 a) Geeignetheit An der Geeignetheit der Offenlegungspflicht bestehen wenig Zweifel, weil das beabsichtigte Verhalten des Organmitglieds in der Übernahmesituation regel­ mäßig zeigt, wie der Betroffene das Angebot bewertet. Sicherlich kann er in bestimmten Fällen nicht durch die Eigenschaften des Angebots, sondern durch andere Motive geleitet werden, so dass die Offenlegung nicht immer mehr Transparenz bewirkt. Dennoch kann die Offenlegungspflicht ihren Zweck zumindest in einer nicht geringen Anzahl von Fällen fördern und ist somit als (teil-)geeignet anzusehen. Sie könnte ihn zwar noch besser fördern, wenn Or­ ganmitglieder nicht bloß ihre Absichten, sondern auch die dahinter stehenden Beweggründe offenlegen müssten. Der damit verbundene starke Eingriff in die Grundrechte der Organmitglieder wäre jedoch schwierig zu rechtfertigen. Daher erscheint es sinnvoll, die Offenlegung von Beweggründen nur in eng begrenzten Ausnahmefällen (Lock-up-Vereinbarungen o. Ä.) zu fordern.151 Zur Herstellung der Transparenz ist die übernahmerechtliche Offenlegungs­ pflicht im Übrigen besser geeignet als die entsprechende Pflicht bei Directors’ Dealings: Die Offenlegung von Absichten bedeutet eine Pre-trading-Trans­ parenz, während sich Art. 19 MAR mit einer bloßen Post-trading-Transparenz begnügt. b)  Erforderlichkeit und Angemessenheit Das Gesetz bleibt ferner im Rahmen des Erforderlichen, indem es lediglich die Annahmeabsicht der Organmitglieder, nicht dagegen die Höhe deren Betei­ ligung zum Gegenstand der Publizität macht. Da die Organperson die Frage, ob sie beabsichtigt, das Übernahmeangebot anzunehmen, im Prinzip mit einem einfachen „Ja“, „Nein“ oder „Unentschlossen“ beantworten kann, ist der Eingriff in die Privatsphäre relativ gering. Will das Organmitglied aller­ dings das Angebot nur für einen Teil seiner Wertpapiere annehmen, ist die Rechtslage umstritten. Die Mitarbeiter der BaFin verlangen in einem vor ei­ 149  Verfassungsrechtlich einwandfrei ist daher die vorsichtige Formulierung von Fleischer, NZG 2006, 561, 568, dass die „Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs eher gelingt, wenn die Organpublizität in den Dienst kapitalmarktrechtlicher Zielsetzungen gestellt wird“ (Hervorhebung durch die Verf.). 150  Ausnahme ist die organschaftliche Offenbarungspflicht, die ungeachtet ihrer kon­ kreten Gestaltung (Flankierung durch ein Verwertungs- oder ein Verwendungsverbot, etc.) rechtstheoretisch unmöglich und daher verfassungswidrig ist, vgl. Kapitel 5, § 5. 151 Vgl. Goslar, in: Paschos/​Fleischer, Übernahmerecht-HdB, § 22 Rn. 88.



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nigen Jahren erschienenen Beitrag die Angabe, bezüglich welcher absoluten Stückzahl die Annahme bzw. die Ablehnung beabsichtigt ist.152 Noch weiter ginge es, in jedem Fall (d. h. auch bei gleicher Absicht aller Organmitglieder) eine individualisierte Aufstellung der Beteiligung unter Namensnennung zu verlangen.153 Die überwiegende Literaturansicht hält dagegen prozentuale Angaben für völlig ausreichend, soweit die Organperson das Angebot nur teilweise anneh­ men will. Wichtig sei, durch eine auf den Gesamtbesitz dieser Person bezogene prozentuale Aufschlüsselung erkennen zu lassen, ob sie überwiegend zur An­ nahme oder zur Ablehnung neige.154 Dem ist auch im Hinblick auf die Grund­ rechte völlig zuzustimmen, da eine solche Aufschlüsselung viel weniger über das private Vermögen des Organmitglieds verrät als die Information über die genaue Stückzahl der ihm gehörenden Wertpapiere. Eine prozentuale Angabe ist daher ein milderes Mittel, ist aber zur Erreichung des Gesetzeszwecks ge­ nauso gut geeignet: Um Rückschlüsse auf die Attraktivität des Angebots zu ziehen, muss der Aktionär nicht wissen, wie viele Aktien das jeweilige Organ­ mitglied besitzt; erforderlich und zugleich ausreichend ist eine relative Größe, die zeigt, ob das Organmitglied dem Übernahmeangebot eher offen oder eher ablehnend gegenüber steht. In dieser Form geht die Offenlegungspflicht nicht über das hinaus, was zur Erreichung ihres Ziels erforderlich ist. Ferner handelt es sich um einen ver­ gleichsweise milden Grundrechtseingriff, der in einem angemessenen Ver­ hältnis zu seinem Ziel steht. Angesichts ihrer beruflichen Stellung ist es den Grundrechtsträgern zumutbar, ihre Annahmeabsichten in einer Übernahme­ situation offenzulegen. c)  Erstreckung auf nahestehende Personen Der Anwendungsbereich des § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 WpÜG ist umstritten. Ihrem Wortlaut nach ist die Norm nur anwendbar, wenn das Organmitglied selbst Inhaber von Wertpapieren der Zielgesellschaft ist. Hält es diese Wertpapiere über eine Vermögensverwaltungsgesellschaft, die es zu 100 % kontrolliert, ist es nach der strengen Lesart des § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 WpÜG zu keiner Offenle­ gung verpflichtet. Das Schrifttum empfindet dies als nicht stimmig und bejaht die Offenlegungspflicht auch dann, wenn das Organmitglied die zwischen­ 152  Hippeli/​Hofmann, NZG 2014, 850, 854; vgl. auch Wackerbarth, in: MüKo AktG, WpÜG, § 27 Rn. 28. 153 So Kiesewetter/​Kreymborg, CFL 2013, 105, 109 f. mit Verweis auf die angebliche Ba­ Fin-Praxis. 154  Harbarth, in: Baums/​ Thoma/​ Verse, WpÜG, § 27 Rn. 61; Hirte, in: KölnKomm WpÜG, § 27 Rn. 46; Krause/​Pötzsch, in: Assmann/​Pötzsch/​Schneider, WpÜG, § 27 Rn. 85; Röh, in: Frankfurter Komm WpÜG, § 27 Rn. 42; Steinmeyer, in: Steinmeyer, WpÜG, § 27 Rn. 47; Goslar, in: Paschos/​Fleischer, Übernahmerecht-HdB, § 22 Rn. 88.

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geschaltete Verwaltungsgesellschaft so stark kontrolliert, dass es sie zur An­ nahme des Angebots veranlassen kann.155 Der Weg dahin ist umstritten: Man­ che wollen die Norm selbst analog anwenden, manche dagegen § 15a Abs. 3 WpHG a. F. (heute Art. 19 Abs. 1 MAR).156 Einzelne Stimmen meinen sogar, das Organmitglied müsse nach § 15a Abs. 3 WpHG a. F. analog auch über das beabsichtige Annahmeverhalten seiner „sonst nahestehenden Personen“ (ge­ meint sind natürliche Personen) berichten, um etwaige Umgehungen zu ver­ hindern.157 Dem wird wiederum widersprochen mit dem Argument, es fehle eine dem § 15a Abs. 3 WpHG a. F. vergleichbare Zurechnungsnorm.158 Kurio­ serweise greifen auch diejenigen zum letzteren Argument, die kein Problem darin sehen, § 15a Abs. 3 WpHG a. F. bei nahestehenden juristischen Personen analog anzuwenden.159 Warum ist es richtig, nur juristische, nicht aber natürliche Personen in die Offenlegung einzubeziehen? Einige Hinweise gibt bereits das Verfassungs­ recht: Die Einbeziehung juristischer Personen in den Anwendungsbereich des § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 WpÜG ändert wenig an der Tiefe und Intensität des Grundrechtseingriffs, der in der Norm bereits angelegt ist. Da das Organmit­ glied und die juristische Person, die es kontrolliert, eine wirtschaftliche Einheit sind, wiegt die zusätzliche Belastung nicht schwer, weder für das betroffene Organmitglied noch für die juristische Person selbst. Die Erstreckung der Pu­ blizität auf nahe Angehörige würde dagegen empfindlich in deren Grundrech­ te eingreifen.160 Eingriffe von solchem Gewicht muss der Gesetzgeber nach der Wesentlichkeitstheorie selbst regeln161, was er ausweislich des Wortlauts des § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 WpÜG nicht getan hat. Bei nahestehenden juristischen Personen stünde dem Rechtsanwender noch das Mittel der Auslegung zur Ver­ fügung: Als „Inhaber von Wertpapieren der Zielgesellschaft“ kann jedenfalls derjenige angesehen werden, der diese Papiere über eine Verwaltungsgesell­ schaft besitzt, die er zu 100 % kontrolliert. Das Organmitglied ist aber spätes­ tens dann kein Wertpapierinhaber, wenn nur sein Ehepartner oder seine Töch­ 155  Krause/​Pötzsch, in: Assmann/​ Pötzsch/​ Schneider, WpÜG, § 27 Rn. 84; Röh, in: Frankfurter Komm WpÜG, § 27 Rn. 42; Steinmeyer, in: Steinmeyer, WpÜG, § 27 Rn. 48; Goslar, in: Paschos/​Fleischer, Übernahmerecht-HdB, § 22 Rn. 87; einschränkend Harbarth, in: Baums/​Thoma/​Verse, WpÜG, § 27 Rn. 59: jedenfalls bei einer 100 %igen Kontrolle. 156  Für Ersteres Krause/​Pötzsch, in: Assmann/​Pötzsch/​S chneider, WpÜG, § 27 Rn. 84; wohl auch Steinmeyer, in: Steinmeyer, WpÜG, § 27 Rn. 48; für Letzteres Röh, in: Frankfur­ ter Komm WpÜG, § 27 Rn. 42; Goslar, in: Paschos/​Fleischer, Übernahmerecht-HdB, § 22 Rn. 87. 157  So etwa Hirte, in: KölnKomm WpÜG, § 27 Rn. 45. 158  Steinmeyer, in: Steinmeyer, WpÜG, § 27 Rn. 48; ohne besondere Begründung Hippeli/​Hofmann, NZG 2014, 850, 854. 159 Siehe Goslar, in: Paschos/​Fleischer, Übernahmerecht-HdB, § 22 Rn. 87. 160  Vgl. zu den Grundrechten eng verbundener Personen bei Directors’ Dealings oben I 4. 161  Vgl. BVerfGE 47, 46, 79 – Sexualkundeunterricht.



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ter die betreffenden Wertpapiere besitzen. Diese Konstellation liegt außerhalb der Wortlautgrenze des § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 WpÜG. Rechtsmethodisch bleibt also in der Tat nur eine Gesetzesanalogie, die auch unter Geltung der Wesentlichkeitstheorie nicht verboten ist.162 Insbesondere ist eine Analogie auch im Bereich der Grundrechtseinschränkungen nicht aus­ geschlossen.163 Die Wesentlichkeitstheorie stellt aber erhöhte Anforderungen an die Bestimmtheit einer Regelung164, die auch bei analoger Gesetzesanwen­ dung zu beachten sind. Vor diesem Hintergrund wäre hier Art. 19 MAR und nicht § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 WpÜG analog anzuwenden, weil die MAR den Kreis der eng verbundenen Personen hinreichend bestimmt beschreibt. Allerdings ist fraglich, ob das WpÜG überhaupt eine Regelungslücke aufweist. Eine solche erkennt man klassischerweise an Ungleichbehandlung gleichartiger Fälle; aber steht der Wertpapierbesitz eines nahen Angehörigen dem Wertpapierbesitz des Organmitglieds wirklich gleich? Zwar sind Fälle denkbar, in denen Organ­ mitglieder die Wertpapiere ihrer Gesellschaft ausschließlich über Angehörige als „Strohpersonen“ halten, aber sind solche Fälle wirklich typisch? Es wird genug Fälle geben, in denen jemand Aktien der Gesellschaft hält, in der sein Angehöriger Organmitglied ist, ohne dessen Strohmann zu sein. Die Gleich­ stellung wäre also nur dann gerechtfertigt, wenn eine hohe Gefahr bestünde, dass Organmitglieder im Vorfeld einer Übernahme ihre Wertpapiere auf die eigenen Angehörigen übertragen, um die Offenlegungspflicht nach § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 WpÜG zu umgehen. Diese Gefahr dürfte indes gering sein, weil die Offenlegungspflicht nicht so belastend ist, dass mit spontanen Wertpapierver­ schiebungen zu rechnen wäre. Die Gesetzesgeschichte spricht ebenfalls gegen eine Lücke, weil dem Ge­ setzgeber die Angehörigenproblematik bei der Schaffung des § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 WpÜG bekannt gewesen sein dürfte. Am Entwurf des WpÜG hat der Gesetzgeber vor allem im Zeitraum vom 11.7. bis 15.11.2001 intensiv gearbei­ tet: Am 11.7.2001 beschloss die Regierung ihren Entwurf165 in der Kabinetts­ sitzung, am 15.11.2001 nahm sie die abschließende Empfehlung des Finanzaus­ schusses an.166 Einen Tag davor, am 14.11.2001, wurde der Regierungsentwurf des Vierten Finanzmarktförderungsgesetzes167 beschlossen, der unter anderem die Regelung zu Directors’ Dealings enthielt (§ 15a WpHG a. F.).168 Darin war auch die Mitteilungspflicht von Angehörigen bereits enthalten. Es wäre also durchaus möglich gewesen, in § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 WpÜG eine entsprechen­ 162 Vgl. Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 120 f. 163  Jarass, in: Jarass/​Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 66a. 164  Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 165  BT‑Drs. 14/7034, S. 7. 166 Siehe

Rn. 117.

zur Gesetzgebungsgeschichte Fleischer, in: Paschos/​Fleischer, Übernahme­ recht-HdB, § 1 Rn. 24 ff. 167  BR‑Drucks. 936/01. 168 Dazu Pfüller, in: Fuchs, WpHG, § 15a Rn. 10.

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de Regelung aufzunehmen. Dass der Gesetzgeber dies nicht getan hat, spricht für eine bewusste Entscheidung gegen die Einbeziehung von Angehörigen in die übernahmerechtliche Publizität. Im Hinblick auf nahestehende juris­ tische Personen ist es übrigens anders: Sie fanden selbst in § 15a WpHG a. F. zunächst keine Erwähnung169 und wurden erst 2004 im Zuge der Umsetzung der Marktmissbrauchsrichtlinie in den persönlichen Anwendungsbereich die­ ser Norm einbezogen.170 Wer also auf die übernahmerechtliche Stellungnahme § 15a WpHG a. F. bzw. Art. 19 MAR anwenden will, um Organmitglieder zur Offenlegung der Absichten ihrer eng verbundenen juristischen Personen zu verpflichten, findet in der Gesetzgeschichte eine gewisse Stütze. Die Einbeziehung natürlicher Personen wäre dagegen methodisch nicht zu­ lässig, weil eine Regelungslücke und mit ihr ein Grund für die Analogie fehlt. Somit wäre eine solche Erweiterung der Offenlegungspflicht zugleich formell nicht verfassungsgemäß. In der Praxis würde eine Pflicht der Organmitglieder, über die Absichten ihrer Angehörigen zu berichten, wahrscheinlich ohnehin leer laufen: Die Angehörigen des Organmitglieds sind diesem gegenüber nicht zur Auskunft verpflichtet, so dass die Organperson regelmäßig erklären könn­ te, ihre Angehörigen hätten sich zu ihren Absichten nicht äußern wollen; sie sei daher nicht in der Lage, entsprechende Angaben zu machen. Um dieses Pro­ blem zu lösen, müsste man die Angehörigen selbst in die Pflicht nehmen, wie dies bei Directors’ Dealings geschieht.

III.  Außerdienstliches Fehlverhalten Im Kapitel 5 ging es um ein Fehlverhalten, bei dem das Organmitglied seine Pflichten gegenüber der Gesellschaft verletzt. Davon abzugrenzen sind Pflicht­ verletzungen ohne direkten Bezug zur Gesellschaft, etwa solche im privaten Bereich oder aus der Zeit vor der Bestellung zum Organmitglied. Die Situa­ tion wird besonders brisant, wenn es sich dabei um Straftaten handelt. Die Gesellschaft hat wegen solcher „außerdienstlichen“ Verfehlungen zwar grund­ sätzlich keine Ansprüche gegen die Organperson, weil ihr regelmäßig kein Schaden entsteht. Daher unterscheidet sich die Situation grundlegend von der­ jenigen einer „dienstlichen“ Pflichtverletzung. Die Gesellschaft kann jedoch an der Offenbarung außerdienstlichen Fehlverhaltens vor allem deshalb inte­ ressiert sein, weil sie daraus unter Umständen Rückschlüsse auf die Integrität der Organperson und ihre berufliche Eignung ziehen kann. Der Betroffene ist dagegen regelmäßig an der Geheimhaltung interessiert, wobei er sich auf die Grundrechte berufen kann, die dem Schutz der Privatsphäre und der Berufs­ freit dienen. Es gilt nun herauszufinden, inwieweit die bisherigen Erkenntnisse helfen, diesen Interessenkonflikt aufzulösen. 169 

170 

Vgl. BR‑Drucks. 936/01, S. 58 f. Fuchs, in: Fuchs, WpHG, Einl. Rn. 39, 43.



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1.  Offenbarungspflicht bei Anstellungsverhandlungen a) Allgemeines Die Frage nach Offenbarung außerdienstlichen Fehlverhaltens stellt sich schon bei der Begründung des Organ- und Anstellungsverhältnisses. Muss jemand, der sich um das Amt eines Vorstands, Aufsichtsrats oder Geschäftsführers be­ wirbt, sein vergangenes Fehlverhalten offenlegen? Eine solche Pflicht würde die Berufsfreiheit der Organmitglieder (Art. 12 GG, Art. 15 GRCh) stark be­ einträchtigen, weil der Grundrechtsträger gezwungen wäre, dem potentiel­ len Dienstherrn die Umstände zu offenbaren, die seine Bewerbung vereiteln könnten. In einer Extremsituation wäre dann dem Bewerber der Zugang zu bestimmten Berufsposten faktisch versperrt. Der BGH zeigte im Urteil vom 17. März 1954 große Sensibilität für diese Grundrechtsbelange und plädierte gegen eine umfassende Offenbarung, weil dies „im Endergebnis darauf hinaus­ laufen [würde], es demjenigen, der einen Fehltritt begangen hat, zu erschweren oder unmöglich zu machen, eine seinen Fähigkeiten entsprechende Arbeits­ stellung beizubehalten oder wiederzuerlangen“171. Mit dieser Begründung hat der BGH die Pflicht des Bewerbers um ein Vorstandsamt zur Offenbarung sei­ ner (damals strafbaren) Homosexualität verneint.172 Der Vertragsgegner darf also keine Aufklärung über strafrechtliche Ver­ fehlungen erwarten, die in keinem unmittelbaren Zusammenhang zu dem ver­ traglich übernommenen Pflichtenkreis stehen. Dementsprechend verneint die herrschende Meinung im Arbeitsrecht eine Pflicht des Bewerbers, seine Vor­ strafen zu offenbaren, jedenfalls solange diese mit dem Arbeitsverhältnis kei­ nerlei Berührungspunkte haben.173 Das gesellschaftsrechtliche Schrifttum belässt es dagegen bei der vagen Formulierung, dass Vorstandsmitglieder bei Anstellungsverhandlungen eine „Pflicht zur Offenheit“ gegenüber der Gesell­ schaft hätten174, wobei diese „Offenheit“ über das übliche Maß hinausgehe.175 Als Beleg dient dabei die Entscheidung in BGHZ 20, 239, in der es allerdings um die Pflicht des amtierenden Vorstandsmitglieds zur Offenheit gegenüber dem Aufsichtsrat geht. Irgendwelche Aussagen zur Offenheitspflicht des Kan­ didaten für das Vorstandsamt enthält diese Entscheidung nicht. Auf diese Weise entsteht der Eindruck, dass es sich bei der Offenbarungs­ pflicht angehender Organmitglieder um einen „weißen Fleck“ auf der Land­ karte des Gesellschaftsrechts handelt. Im Folgenden wird versucht, etwas 171  172 

BGH LM Nr. 1 zu § 276 (Fb) BGB.

Siehe dazu Kapitel 5, § 2, I. 2. b). Hefemehl, in: Soergel, § 123 Rn. 18; Joussen, in: BeckOK ArbR, BGB, § 611a Rn. 116; Maties, in: BeckOGK, BGB, § 611a Rn. 629; Preis, in: ErfK, BGB, § 611a Rn. 289. 174  Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 93 Rn. 108; vgl. ferner Hopt/​Roth, in: Groß­ komm AktG, § 93 Rn. 243; Spindler, in: MüKo AktG, § 93 Rn. 125; Fleischer, WM 2003, 1045, 1047. 175  Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 243; Fleischer, WM 2003, 1045, 1047. 173 

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Farbe hereinzubringen. Wie eingangs erwähnt, hat die Gesellschaft ein le­ gitimes Interesse daran, dass ein künftiges Organmitglied sein vergangenes Fehlverhalten offenbart. Dies verbessert die Informationsgrundlage für die anstehende Personalentscheidung, so dass die Gesellschaft unter mehreren Kandidaten die Person auswählen kann, deren Vergangenheit keine Pflichtver­ letzungen aufweist, in der Hoffnung, dass diese Person ihre künftige Organ­ tätigkeit zuverlässig und pflichtgemäß ausüben wird. Umgekehrt kann sich die Gesellschaft entscheiden, einer bestimmten Pflichtverletzung keine Bedeutung beizumessen, weil sie in ihren Augen nicht schwer wiegt. In jedem Fall würde die Offenbarungspflicht der Gesellschaft ermöglichen, eine bewusstere Ent­ scheidung für oder gegen einen bestimmten Kandidaten zu treffen. Genauso wie die Offenbarungspflicht bei Abfindungsverhandlungen176 würde also die Offenbarungspflicht bei Anstellungsverhandlungen helfen, die Informationsasymmetrie vor Vertragsschluss abzubauen. Dogmatisch ließe sie sich auf die vorvertragliche Aufklärungspflicht stützen. Was ihre Verhältnis­ mäßigkeit angeht, so würde die Offenbarungspflicht einem legitimen Zweck dienen, nämlich der Befriedigung des berechtigten Informationsinteresses der Gesellschaft. An ihrer Geeignetheit zur Erreichung dieses Zwecks könn­ te man allerdings zweifeln: Der Bewerber hat in der Regel wenig Anreize, sein vergangenes Fehlverhalten offenzulegen, weil er dabei riskiert, nicht einmal in die engere Auswahl zu kommen. Kleinere Fehltritte können indes durch hervorragende Qualifikationen aufgewogen werden, so dass ihre Offenlegung nicht von vornherein außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit läge. Anders ist es bei schwerwiegendem, vor allem bei strafbarem Fehlverhalten. Hier wird die Offenbarungspflicht aber häufig dazu führen, dass der Betroffene von einer Bewerbung gänzlich absieht. Dadurch wird aber der Zweck der Offenbarungs­ pflicht – Optimierung von Personalentscheidungen – ebenfalls erreicht, weil ungeeignete Kandidaten bereits im Vorfeld ausscheiden. b) Vorstrafen Sehr spannend ist die Frage, welche Informationen erforderlich wären, um der Gesellschaft eine optimale Personalentscheidung zu ermöglichen.177 Insofern sind zunächst die Vorstrafen offenbarungspflichtig, die ein Bestellungshinder­ nis begründen. Dazu zählen nach § 76 Abs. 3 AktG bzw. § 6 Abs. 2 GmbHG die Insolvenzverschleppung, die Straftaten nach §§ 283 bis 283d StGB (Insol­ 176 

Vgl. Kapitel 5, § 3, I. § 26 Abs. 1 S. 1 BDSG: „Personenbezogene Daten von Beschäftigten dürfen für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses verarbeitet werden, wenn dies für die Entschei­ dung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder nach Begründung des Beschäftigungsverhältnisses für dessen Durchführung oder Beendigung […] erforderlich ist.“ Die Norm ist hier indes nicht einschlägig, da Organmitglieder keine „Beschäftigten“ i. S. d. BSDG sind (siehe die Legaldefinition in § 26 Abs. 8 BSGD). 177  Vgl.



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venzstraftaten), die falschen Angaben nach § 399 AktG oder § 82 GmbHG, die unrichtige Darstellung nach § 400 AktG, § 331 HGB, § 313 UmwG oder § 17 PublG sowie die Straftaten nach den §§ 263 bis 264a oder den §§ 265b bis 266a StGB mit Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr; vergleichbare Auslandsstraftaten sind ebenfalls erfasst. Die Straftat muss in jedem Fall vorsätzlich begangen worden sein. Der Tatenkatalog als solcher wird im Schrifttum nicht beanstandet.178 Liegt eins der genannten Bestel­ lungshindernisse vor, so ist eine gleichwohl erfolgte Bestellung nach § 134 BGB nichtig, eine Abberufung somit nicht erforderlich.179 Im Hinblick auf die glei­ che Interessenlage ist es allerdings problematisch, dass § 76 Abs. 3 AktG nur für Vorstandsmitglieder, nicht dagegen für Aufsichtsratsmitglieder gilt (auch nicht analog).180 Dies wird im Schrifttum auch aus rechtspolitischer Sicht kri­ tisiert.181 Abgesehen von Straftaten, die ein Bestellungshindernis begründen, kommt auch die Offenbarung weiterer Straftaten in Betracht. Eine wichtige Ein­ schränkung gilt aber für die Taten, die von den Strafverfolgungsbehörden (noch) nicht entdeckt wurden: Der strafprozessuale Nemo-tenetur-Grundsatz greift hier zwar nicht, aber sein zivilrechtliches Pendant, d. h. das allgemeine Persönlichkeitsrecht, spricht gegen die Offenlegung unentdeckter Straftaten, da eine solche Pflicht dem Adressaten kaum zumutbar wäre. Soweit ersicht­ lich, wird eine solche Pflicht auch nirgendwo thematisiert. Damit verengt sich der Fokus auf vorbestrafte Taten (zu Ermittlungsverfahren sogleich). Im Ein­ klang mit dem BGH‑Urteil vom 17. März 1954 wird man insoweit einen sach­ lichen Zusammenhang zwischen der jeweiligen Straftat und der künftigen Tä­ tigkeit fordern müssen. Entsprechend geht das Arbeitsrecht vor, indem es bei der Bestimmung der Grenzen des zulässigen Fragerechts des Arbeitgebers da­ rauf abstellt, ob die vorbestrafte Tat im Zusammenhang mit der ausgeschriebe­ nen Stelle einschlägig ist. Demzufolge darf der Arbeitgeber den Arbeitnehmer bei der Einstellung nach Vorstrafen fragen, wenn und soweit die Art des zu besetzenden Arbeits­ platzes dies „erfordert“.182 Eine Frage nach vermögensrechtlichen Vorstrafen 178 „Moderat und sinnvoll“, so Koch, in: Hüffer/​ Koch, AktG, § 76 Rn. 62; Kort, in: Großkomm AktG, § 76 Rn. 262; verfassungsrechtliche Bedenken werden indes gegen das fünfjährige Berufsverbot geäußert, das mit der Rechtskraft der Verurteilung beginnt, siehe Koch, in: Hüffer/​Koch, AktG, § 76 Rn. 62; Kort, in: Großkomm AktG, § 76 Rn. 262; Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 76 Rn. 123; Spindler, in: MüKo AktG, § 76 Rn. 138. 179  Fleischer, in: Spindler/​ Stilz, AktG, § 76 Rn. 140; Spindler, in: MüKo AktG, § 76 Rn. 139. 180  OLG Stuttgart, Urt. v. 8.7.2015 – 20 U 2/14, BeckRS 2015, 14340, Rn. 313; Habersack, in: MüKo AktG, § 100 Rn. 51; Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 100 Rn. 27; Mertens/​ Cahn, in: KölnKomm AktG, § 100 Rn. 7. 181 Vgl. Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 100 Rn. 27; w. N. bei Habersack, in: MüKo AktG, § 100 Rn. 51. 182  BAG, Urt. v. 6.9.2012 – 2 AZR 270/11, NJW 2013, 1115, Rn. 24; v. 20.5.1999 – 2 AZR

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sei z. B. bei der Besetzung einer Stelle als Kassierer oder im Bankwesen sowie bei der Einräumung einer besonderen Vertrauensstellung zulässig, eine Frage nach Vorstrafen wegen eines Verkehrsdelikts bei der Einstellung eines Kraft­ fahrers usw.183 Im Hinblick auf das Spannungsverhältnis zwischen dem In­ formationsinteresse des Arbeitgebers und dem Geheimhaltungsinteresse des Bewerbers hält sich das Arbeitsrecht übrigens streng an den Verhältnismäßig­ keitsgrundsatz: Es prüft im Rahmen der Erforderlichkeit, ob die Frage des Ar­ beitgebers nach Vorstrafen für den angestrebten Arbeitsplatz und die Tätig­ keit Bedeutung hat. Selbst wenn dies zutrifft, ist eine Frage unzulässig, wenn sie mit einem unverhältnismäßigen Eingriff in die Privatsphäre des Bewerbers verbunden ist.184 Die arbeitsrechtlichen Leitlinien lassen sich auf Organmitglieder übertra­ gen: „Erforderlich“ zur Wahrung der Belange der Gesellschaft ist die Infor­ mation über vermögensrechtliche Vorstrafen, nicht hingegen über vorbestrafte Körperverletzungsdelikte.185 Wie der Begriff „vermögensrechtliche Vorstra­ fen“ in diesem Zusammenhang zu verstehen ist, hängt von der konkreten Po­ sition und Gesellschaft ab, z. B. davon, ob sie im Bank- und Kreditwesen tätig ist, börsennotiert ist usw. Im Hinblick auf die Zumutbarkeit ist zu bedenken, dass das Informationsinteresse der Gesellschaft umso schwächer wird, je wei­ ter zurück die Tat liegt; zugleich gewinnt das Resozialisierungsinteresse des Betroffenen an Bedeutung.186 Dem Resozialisierungsinteresse wird dadurch Rechnung getragen, dass sich der Verurteilte als unbestraft bezeichnen darf, sobald die Eintragung über eine Verurteilung im Bundeszentralregister zu til­ gen ist (§§ 51 Abs. 1, 53 Abs. 1 Nr. 2 BZRG). Dementsprechend entfällt die Of­ fenbarungspflicht nach Ablauf der Tilgungsfrist, die für die jeweilige Straftat gilt (vgl. §§ 45 f. BZRG).187 c) Ermittlungsverfahren Im Arbeitsrecht ist die Frage umstritten, ob laufende Ermittlungsverfahren zu offenbaren sind. Teilweise wird dies im Hinblick auf die Unschuldsvermutung (Art. 48 Art. 1 GRCh, Art. 6 Abs. 2 EMRK) für unzumutbar gehalten, und 320/98, NZA 1999, 975, 976; Armbrüster, in: MüKo BGB, § 119 Rn. 133, § 123 Rn. 47; Singer/​ Finkelstein, in: Staudinger, § 123 Rn. 43; Joussen, NZA 2012, 776, 777. 183  Hefemehl, in: Soergel, § 123 Rn. 18; Joussen, NZA 2012, 776, 777; vgl. auch Armbrüster, in: MüKo BGB, § 119 Rn. 133. 184  Joussen, NZA 2012, 776, 777. 185  Im Hinblick auf Führungskräfte weitergehend Armbrüster, in: MüKo BGB, § 123 Rn. 47: Offenbarungspflicht auch im Hinblick auf nicht einschlägige Vorstrafen, welche die Eignung beeinträchtigen können. 186  Starck, in: v. Mangoldt/​K lein/​Starck, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 181. 187 Für das Arbeitsrecht BAG, Urt.  v. 20.3.2014  –  2 AZR 1071/12, NZA 2014, 1131, Rn. 33 ff.; Armbrüster, in: MüKo BGB, § 123 Rn. 47; Hefemehl, in: Soergel, § 123 Rn. 18; Joussen, NZA 2012, 776, 777.



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zwar auch für Führungskräfte. Gegenstand eines Ermittlungsverfahrens zu sein, gehöre zum allgemeinen Lebensrisiko, das bei Unschuld nicht steuerbar sei. Warum der Bewerber von der Verwirklichung dieses Risikos soll berichten müssen, sei nicht eingängig, jedenfalls dann, wenn er nicht von einer überwie­ genden Verurteilungswahrscheinlichkeit ausgehe.188 Die Gegenansicht, die auch vom BAG vertreten wird, interpretiert die Un­ schuldsvermutung eng in dem Sinne, dass sie nur den Richter binde, der über die Anklage zu entscheiden habe. Der Arbeitgeber dürfe nach anhängigen Er­ mittlungsverfahren fragen, wenn sie Zweifel an der persönlichen Eignung des Arbeitnehmers begründen können, wie dies bei einem Ermittlungsverfahren gegen den Kindergärtner wegen sexuellen Missbrauchs von Kindergartenkin­ dern der Fall sein soll.189 Bei Führungskräften nimmt die Literatur sogar teil­ weise an, sie müssen anhängige Ermittlungsverfahren ungefragt offenbaren, wenn die schwebenden Strafverfahren für die spätere Tätigkeit relevant seien.190 Vorab ist zu bemerken, dass der EGMR und der EuGH die Unschuldsver­ mutung keineswegs so eng interpretieren wie das BAG. Nach deren Rechtspre­ chung wird die Unschuldsvermutung insbesondere durch Erklärungen oder Entscheidungen verletzt, welche das Gefühl vermitteln, dass sich der Betroffene einer Straftat schuldig gemacht hat, oder die Öffentlichkeit dazu verleiten, ihn für schuldig zu halten, oder der Würdigung des Sachverhalts durch das zuständi­ ge Gericht vorgreifen.191 Eine Offenbarungspflicht allein hat solche Wirkungen nicht. Das gleiche gilt für die Entscheidung des Arbeitgebers oder des Dienst­ herrn, von der Einstellung des Kandidaten abzusehen, gegen den ein Ermitt­ lungsverfahren läuft. Diese Entscheidung ist keine Vorverurteilung des Kandi­ daten, sondern nur das Ergebnis von Zweifeln an seiner persönlichen Eignung. Es darf aber nicht außer Acht gelassen werden, dass für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens bereits ein Anfangsverdacht genügt. Dennoch wirkt die Information über ein eingeleitetes Ermittlungsverfahren stigmatisierend und wird in der Praxis regelmäßig zur Ablehnung der Kandidatur des Betrof­ fenen führen. Letztendlich erzielt ein (Anfangs-)Tatverdacht im Berufsleben den gleichen Effekt wie eine rechtskräftige Verurteilung. Angesichts dessen ist es für den Bewerber unzumutbar, ein gegen ihn eingeleitetes Ermittlungs­ verfahren zu offenbaren, jedenfalls dann, wenn er seine Unschuld beteuert.192 Denn es ist gut möglich, dass an den Vorwürfen überhaupt nichts dran ist. 188 

Maties, in: BeckOGK, BGB, § 611a Rn. 636. BAG NZA 1999, 975, 976; BAG NJW 2013, 1115, Rn. 24; Armbrüster, in: MüKo BGB, § 123 Rn. 47; Joussen, in: BeckOK ArbR, BGB, § 611a Rn. 116; ders., NZA 2012, 776, 777; Sin189 

ger/​Finkelstein, in: Staudinger, § 123 Rn. 43. 190  Joussen, in: BeckOK ArbR, BGB, § 611a Rn. 116. 191  EuG, Urt. v. 27.2.2014 – T-256/11, ECLI:EU:T:2014:93, Rn. 82 – Ezz; EGMR , Urt. v. 21.9.2006 – 13583/02, Rn. 42 – Pandy/​Belgien; v. 18.10.2011 – 38746/03, Rn. 116 – Păvălache/​ Rumänien. 192 Vgl. Maties, in: BeckOGK, BGB, § 611a Rn. 636.

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Kapitel 6: Organschaftliche Offenlegungspflichten

Dies leuchtet bereits im Kindergärtner-Beispiel des BAG ein: Was ist, wenn die Missbrauchsvorwürfe auf der Aussage eines Kindes beruhen, dessen Eltern es mit gezielten Nachfragen dazu bewegt haben, den Erzieher zu Unrecht zu be­ lasten? Im Wirtschaftsstrafrecht mit seinen komplizierten Wertungen dürfte die Indizwirkung des Anfangsverdachts noch geringer sein. d)  Sonstige Pflichtverletzungen „Erforderlich“ wäre für die Gesellschaft nicht nur die Kenntnis von Vorstrafen, sondern auch von strafrechtlich nicht relevanten Pflichtverletzungen, die der Bewerber in einer vergleichbaren Position begangen hat. Entsprechendes gilt für etwaige Insolvenzen der von ihm geleiteten Gesellschaften, die allerdings per se kein „Fehlverhalten“ darstellen. Denn auch solche Angaben sind wich­ tig, um die Eignung des Kandidaten für die vakante Organstelle zu beurteilen. Bei nicht strafbarem Vorverhalten ist ähnlich wie bei Straftaten zwischen entdecktem und nicht entdecktem Fehlverhalten zu differenzieren. Ist der Ver­ stoß in der Vergangenheit entdeckt worden, so ist dessen Offenlegung durch den Betroffenen streng genommen nicht erforderlich, da es der Gesellschaft zuzumuten ist, ein etwaiges Informationsgefälle selbst abzubauen. Sie kann sich das erforderliche Wissen beschaffen, indem sie etwa die Referenzen des Bewerbers überprüft und beim früheren Dienstherrn nachfragt. Noch leich­ ter kann sie sich über ein Fehlverhalten informieren, über das die Wirtschafts­ presse berichtet hat. Ein schutzwürdiges Informationsinteresse in Bezug auf entdeckte Pflichtverstöße ist somit zu verneinen, so dass es beim allgemeinen Grundsatz „caveat emptor“ bleibt. Im Hinblick auf unentdeckte Pflichtverletzungen ist ein solches Informa­ tionsinteresse zwar zu bejahen, hier greift aber das Argument a maiore ad minus: Wenn schon unentdeckte Straftaten nicht mitzuteilen sind, gilt dies erst recht für die Regelverstoße, die unterhalb der Strafbarkeitsschwelle liegen. Wen dieses Argument nicht überzeugt, muss bedenken, dass der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht und die Berufsausübungsfreiheit der Führungskraft, die gezwungen wird, ihre eigene Position in den Anstellungsverhandlungen zu untergraben, sehr schwer zu rechtfertigen wäre. Denn bereits ein einmaliger Fehltritt in der Vergangenheit kann eine berufliche Neuorientierung erheblich erschweren oder gar unmöglich machen, obwohl er kein Präjudiz für künfti­ ge Pflichtverstöße ist. Der Eingriff wiegt also mindestens genauso schwer wie das Interesse der Gesellschaft an der Gewinnung zuverlässiger Führungskräf­ te. In dieser „Pattsituation“ bei der Abwägung dürfte der Umstand ausschlag­ gebend sein, dass es um eine Verhandlungssituation handelt, in der die Parteien entgegengesetzte Interessen verfolgen. Organschaftliche Treubindungen set­ zen erst nach der Bestellung ein193; dementsprechend spricht die gesellschafts­ 193 Vgl.

Kort, in: Großkomm AktG, § 84 Rn. 76.



§ 2.  Erprobung der Hypothese an weiteren Offenlegungsfällen

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rechtliche Literatur zwar von der Pflicht zur Offenheit, meint aber zugleich, dass der Kandidat im Rahmen der Anstellungsverhandlungen im eigenen wirt­ schaftlichen Interesse handeln dürfe.194 In dieser Situation erscheint es über­ zogen, dem Bewerber eine Offenbarungspflicht in Bezug auf frühere unent­ deckte Verfehlungen aufzuerlegen. Die Pflicht zu ihrer Offenbarung dürfte also unverhältnismäßig i. e. S. sein. 2. Prospektpublizität a) Überblick Im Aktienprospekt muss jeder Emittent bestimmte Angaben zu seinen Organ­ mitgliedern sowie zu den Mitgliedern des oberen Managements machen, unter anderem solche, die Rückschlüsse auf die Fähigkeiten und persönliche Integri­ tät dieser Personen erlauben.195 Anschließend hat der Emittent den Prospekt zu veröffentlichen. So werden die Anleger in die Lage versetzt, in ihrer An­ lageentscheidung die Qualität des Managements des Emittenten zu berück­ sichtigen. Der alte Regelungsmechanismus bestand aus Art. 7 WpPG und der Verordnung (EG) Nr. 809/2004 der Kommission vom 29. April 2004196 (auch EU‑ProspektVO genannt; im Folgenden wird sie als VO Nr. 809/2004 be­ zeichnet). Seit dem 21. Juli 2019 sind diese Rechtsakte durch die neue, unmit­ telbar geltende EU‑ProspektVO197 und die neue Delegierte Verordnung der Kommission (DelVO 2019/980)198 abgelöst. Derzeit muss der Emittent nach Anhang I Punkt 12.1 Unterabs. 2 DelVO 2019/980 neben dem Namen und der Anschrift der Organmitglieder sämtli­ che Unternehmen und Gesellschaften auflisten, bei denen das Organmitglied während der letzten fünf Jahre Mitglied der Verwaltungs-, Geschäftsfüh­ rungs- oder Aufsichtsorgane bzw. Partner war, unter Angabe der Tatsache, 194  Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 159; Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 243; Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 93 Rn. 108. 195  Dazu im Kontext der „Organpublizität“ bereits Fleischer, NZG 2006, 561, 564. 196 Verordnung (EG) Nr. 809/2004 der Kommission v. 29.4.2004 zur Umsetzung der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die in Pro­ spekten enthaltenen Angaben sowie die Aufmachung, die Aufnahme von Angaben in Form eines Verweises und die Veröffentlichung solcher Prospekte sowie die Verbreitung von Wer­ bung, ABl. L 149 v. 30.4.2004, S. 1 (mit späteren Änderungen und Berichtigungen). 197  Verordnung (EU) 2017/1129 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 14.6.2017 über den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulas­ sung zum Handel an einem geregelten Markt zu veröffentlichen ist und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/71/EG, ABl. L 168 v. 30.6.2017, S. 12. 198  Delegierte Verordnung (EU) 2019/980 der Kommission v. 14.3.2019 zur Ergänzung der Verordnung (EU) 2017/1129 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Aufmachung, des Inhalts, der Prüfung und der Billigung des Prospekts, der beim öffent­ lichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel an einem geregel­ ten Markt zu veröffentlichen ist, und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 809/2004 der Kommission, ABl. L 166 v. 21.6.2019, S. 26.

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Kapitel 6: Organschaftliche Offenlegungspflichten

ob die Mitgliedschaft in diesen Organen oder als Partner weiter fortbesteht (lit. a). „Von besonderer Brisanz“199 und daher etwas näher zu untersuchen sind jedoch die Angaben, die in lit. b bis d gefordert werden. Nach lit. b sind detaillierte Angaben zu etwaigen Schuldsprüchen in Bezug auf betrügerische Straftaten während zumindest der letzten fünf Jahre anzugeben, lit. c verlangt detaillierte Angaben über etwaige Insolvenzen, Insolvenzverwaltungen, Li­ quidationen oder Zwangsverwaltungen während zumindest der letzten fünf Jahre. Lit. d schließlich fordert detaillierte Angaben zu etwaigen öffentlichen Anschuldigungen und/oder Sanktionen in Bezug auf das Organmitglied von­ seiten der gesetzlichen Behörden oder der Regulierungsbehörden (einschließ­ lich bestimmter Berufsverbände) und eventuell Angabe des Umstands, ob das Organmitglied jemals von einem Gericht für die Mitgliedschaft in einem Ver­ waltungs-, Geschäftsführungs- oder Aufsichtsorgan eines Emittenten oder für die Tätigkeit im Management oder die Führung der Geschäfte eines Emit­ tenten während zumindest der letzten fünf Jahre als untauglich angesehen wurde. Die alte VO Nr. 809/2004 enthielt im Anhang I Ziffer 14 im Wesentli­ chen gleiche Regelungen. b) Grundrechtseingriff In der Praxis fragen Emittenten diese Informationen bei Organmitgliedern mit Hilfe spezieller Fragebögen (sog. „D&O‑Questionnaires“) ab und erklären im Prospekt, dass die entsprechenden Prospektangaben auf einer schriftlichen Befragung der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder beruhen.200 Es ist an­ zunehmen, dass die Organmitglieder kraft ihrer Sorgfalts- oder Treuepflicht201 gehalten sind, die Fragen des Emittenten richtig und vollständig zu beantwor­ ten. Daraus folgt eine entsprechende Offenlegungspflicht, die allerdings nicht spontan, sondern auf Nachfrage zu erfüllen ist (Auskunftspflicht). Da diese Pflicht auf die Offenlegung brisanter personenbezogener Informationen ab­ zielt, ist sie in hohem Maße grundrechtsrelevant.202 Betroffen sind in erster Linie die Grundrechte aus Art. 7 und 8 GRCh. Zudem fällt die Prospektpubli­ zität in den Anwendungsbereich der DS‑GVO. Prospektdaten werden regel­ mäßig digitalisiert, um eine elektronische Veröffentlichung des Prospekts zu ermöglichen. Eine Digitalisierung der verarbeiteten Daten ist eine hinreichen­ de, wenngleich nicht notwendige, Bedingung der Automatisierung.203 Damit liegt eine automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten i. S. d. Art. 2 199 

Fingerhut/​Voß, in: Just/​Voß/​R itz/​Zeising, WpPG, EU‑ProspektVO Anh. I Rn. 225. Schlitt, in: Assmann/​Schlitt/von Kopp-Colomb, WpPG/VermAnlG, EU‑Prospekt­ VO, Anh. I Rn. 128; Schlitt/​Schäfer, AG 2008, 525, 534; siehe auch Kopp/​Metzner, in: Frank­ furter Komm WpPG/EU‑ProspektVO, Anh. I Ziff. 14 Rn. 25. 201  Vgl. oben § 2 I 1. 202 Vgl. Fleischer, NZG 2006, 561, 568. 203  Bäcker, in: BeckOK Datenschutzrecht, DS‑ GVO Art. 2 Rn. 2. 200 



§ 2.  Erprobung der Hypothese an weiteren Offenlegungsfällen

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Abs. 1 DS‑GVO vor. Aus diesem Grund sind im Rahmen der Prospektpubli­ zität die Anforderungen der DS‑GVO, insbesondere deren Art. 5, 6 und 10 zu beachten. Soweit es um die Offenlegung öffentlicher Anschuldigungen geht, steht die Prospektpublizität in einem Spannungsverhältnis zu Art. 48 Art. 1 GRCh und Art. 6 Abs. 2 EMRK (Unschuldsvermutung). Denn zu einer „öffentlichen An­ schuldigung“ (Anhang I Punkt 12.1 Unterabs. 2 lit. d DelVO 2019/980) führt grundsätzlich schon die Erhebung der öffentlichen Anklage durch die Staats­ anwaltschaft.204 Etwas anderes soll nur dann gelten, wenn das Gericht die Er­ öffnung des Hauptverfahrens nach § 204 StPO abgelehnt hat205, nicht dagegen, wenn das Verfahren nach der Erhebung der öffentlichen Anklage eingestellt wird.206 Die Anklageerhebung ist also im Prospekt zu erwähnen, obwohl das Gericht die Schuld des Angeklagten noch nicht festgestellt oder auf eine solche Feststellung verzichtet hat. Nach Art. 48 Art. 1 GRCh gilt jeder Angeklagte bis zum rechtsförmlich erbrachten Beweis seiner Schuld als unschuldig. Die vorangehende Veröffentlichung der Information über eine öffentliche Anklage könnte also in die Unschuldsvermutung eingreifen. Im Allgemeinen liegt ein Eingriff in Art. 48 Art. 1 GRCh vor, wenn der Angeklagte oder Beschuldigte vor dem rechtsförmlichen Nachweis der Schuld als Straftäter bezeichnet oder behandelt wird.207 Es genügen bereits Erklärun­ gen, welche die Öffentlichkeit dazu verleiten, ihn für schuldig zu halten.208 Dementsprechend ist die Unschuldsvermutung auch bei Presseberichterstat­ tung über Straf- und Ermittlungsverfahren strikt zu beachten.209 Denn es be­ steht die Gefahr, dass die Öffentlichkeit die bloße Einleitung eines Ermitt­ lungsverfahrens mit dem Nachweis der Schuld gleichsetzt und deshalb im Fall einer späteren Einstellung des Ermittlungsverfahrens oder eines Freispruchs vom Schuldvorwurf „etwas hängenbleibt“.210 Ganz ähnliche Wertungen gelten 204  Alfes/ ​Wieneke, in: Holzborn, WpPG, EU‑ProspV Anh. I Rn. 70; Fingerhut/​Voß, in: Just/​Voß/​R itz/​Zeising, WpPG, EU‑ProspektVO Anh. I Rn. 226; Kopp/​Metzner, in: Frank­ furter Komm WpPG/EU‑ProspektVO, Anh. I Ziff. 14 Rn. 16; Schlitt, in: Assmann/​Schlitt/ von Kopp-Colomb, WpPG/VermAnlG, EU‑ProspektVO, Anh. I Rn. 124. 205  Kopp/​Metzner, in: Frankfurter Komm WpPG/EU‑ProspektVO, Anh. I Ziff. 14 Rn. 16. 206  Alfes/ ​Wieneke, in: Holzborn, WpPG, EU‑ProspV Anh. I Rn. 70; Fingerhut/​Voß, in: Just/​Voß/​R itz/​Zeising, WpPG, EU‑ProspektVO Anh. I Rn. 226; Schlitt, in: Assmann/​ Schlitt/von Kopp-Colomb, WpPG/VermAnlG, EU‑ProspektVO, Anh. I Rn. 124; ab­ schwächend Kopp/​Metzner, in: Frankfurter Komm WpPG/EU‑ProspektVO, Anh. I Ziff. 14 Rn. 16 (die Anklageerhebung sollte in diesem Fall im Prospekt „vorsorglich“ mitgeteilt werden). 207  EuGH, Urt. v. 16.7.2009 – C-344/08, Slg.2009, I-7033 Rn. 31 – Rubach; Eser/​Kubiciel, in: Meyer/​Hölscheidt, GRCh, Art. 48 Rn. 6; Jarass, GRCh, Art. 48 Rn. 9. 208  Vgl. die Nachw. in der Fn. 191. 209  EGMR , Urt. v. 7.2.2012  – 39954/08, Rn. 96  – Axel Springer/​Deutschland; BVerfG, Beschl. v. 13.6.2006 – 1 BvR 565/06, NJW 2006, 2835 – Prinz Ernst August von Hannover. 210 Vgl. BGH, Urt. v. 30.10.2012 – VI ZR 4/12, GRUR 2013, 94, Rn. 14 – Gazprom Ma-

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im Datenschutzrecht: Bei der Verarbeitung von Daten über kriminalbehördli­ che Ermittlungsmaßnahmen, die letztlich nicht zu einer Verurteilung geführt haben, müssen überschießende Schlussfolgerungen und daraus resultierende ungerechtfertigte Verdächtigungen unbedingt verhindert werden.211 Dennoch dürften die Prospektpublizitätsvorgaben mit der Unschulds­ vermutung noch vereinbar sein. Zunächst ist zu beachten, dass der Prospekt über laufende Ermittlungsverfahren nicht zu berichten hat212 und die Offen­ legungspflicht erst bei der Erhebung der öffentlichen Anklage greift, d. h. in dem Stadium, in dem sich der Anfangsverdacht zu einem hinreichenden Tat­ verdacht erhärtet hat und die Staatsanwaltschaft die Verurteilung für überwie­ gend wahrscheinlich hält.213 Dies schont die Grundrechte des Betroffenen, genauso wie die Tatsache, dass die Information für die Anleger bestimmt ist und nicht für die Allgemeinheit wie bei der Presseberichterstattung. Auf der anderen Seite kann natürlich auch die Information über eine öffentliche An­ klage das Anlegerpublikum zur Annahme verleiten, dass an den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft „was dran ist“ oder, im Falle der Verfahrenseinstellung, „etwas dran war“, zumal die Publizitätsvorgaben gerade einen solchen Warn­ zweck verfolgen. Deren Gestaltung ist daher eine „Gratwanderung zwischen (zulässiger) Anknüpfung an Verdachtsgründe und (unzulässiger) Schuldvor­ wegnahme“214. Dafür, dass die Regelung noch im Rahmen des Zulässigen bleibt, spricht der Umstand, dass es sich um eine rein sachliche Information handelt, die nicht verstellt oder verzerrt wird, wie dies bei der Pressebericht­ erstattung manchmal geschieht. Zudem hat die Regelung einen verständigen Anleger im Blick, der Informationen rational und sorgfältig auswertet, der also die Anklageerhebung nicht mit einer strafrechtlichen Verurteilung gleichsetzt und den Betroffenen direkt vorverurteilt. Eine solche Information kann zwar die Anlageentscheidung negativ beeinflussen und einen vorsichtigen Anleger davon abhalten, die Aktien des Emittenten zu erwerben. Dies bedeutet aber nicht, dass damit eine Vorverurteilung des angeklagten Organmitglieds statt­ findet. Nach alledem ist Art. 48 Abs. 1 GRCh nicht tangiert, so dass es beim Eingriff in Art. 7 und 8 GRCh verbleibt.

nager; v. 16.2.2016 – VI ZR 367/15, GRUR 2016, 532, Rn. 16 – Online-Archiv einer Tageszeitung. 211  Bäcker, in: BeckOK Datenschutzrecht, DS‑ GVO Art. 10 Rn. 10. 212  Fingerhut/​Voß, in: Just/​Voß/​R itz/​Zeising, WpPG, EU‑ProspektVO Anh. I Rn. 226; Kopp/​Metzner, in: Frankfurter Komm WpPG/EU‑ProspektVO, Anh. I Ziff. 14 Rn. 16; Schlitt, in: Assmann/​ Schlitt/von Kopp-Colomb, WpPG/VermAnlG, EU‑ProspektVO, Anh. I Rn. 124. 213  Kopp/​Metzner, in: Frankfurter Komm WpPG/EU‑ProspektVO, Anh. I Ziff. 14 Rn. 16. 214  So (in einem anderen Zusammenhang) Eser/​Kubiciel, in: Meyer/​Hölscheidt, GRCh, Art. 48 Rn. 17.



§ 2.  Erprobung der Hypothese an weiteren Offenlegungsfällen

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c) Rechtfertigung aa)  Legitimes Ziel und Geeignetheit Die Eingriffsrechtfertigung folgt dem üblichen Muster. Die Regelung ver­ folgt ein legitimes Ziel, indem sie Informationsasymmetrien zwischen Anle­ gern und Emittenten beseitigen und so den Anlegerschutz verbessern will.215 Dadurch ist auch den Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 lit. b DS‑GVO Genü­ ge getan, wonach personenbezogene Daten nur für festgelegte, eindeutige und legitime Zwecke erhoben werden dürfen. Im Hinblick auf die Geeignetheit der Prospektpublizität zur Erreichung ihrer Ziele führt die EU‑ProspektVO aus: „Die Bereitstellung der Informationen, die je nach Art des Emittenten und der Wert­ papiere notwendig sind, damit die Anleger eine fundierte Anlageentscheidung tref­ fen können, stellt zusammen mit den Wohlverhaltensregeln den Anlegerschutz sicher. Darüber hinaus sind diese Informationen ein wirksames Mittel, um das Vertrauen in Wertpapiere zu erhöhen und so zur reibungslosen Funktionsweise und zur Entwick­ lung der Wertpapiermärkte beizutragen. Die geeignete Form zur Bereitstellung jener Informationen ist die Veröffentlichung eines Prospekts.“216

Die Geeignetheit ist auch im Hinblick auf die konkreten Vorschriften des Anhangs I Punkt 12.1 DelVO 2019/980 zu bejahen. Die Informationen über betrügerische Straftaten, öffentliche Anschuldigungen und Sanktionen, die sich auf die Organmitglieder des Emittenten beziehen, erlauben dem Anle­ ger Rückschlüsse auf die Integrität dieser Personen, während die Informatio­ nen über Insolvenzen zeigen können, ob das Organmitglied ein Unternehmen erfolgreich führen kann.217 Natürlich setzt dies voraus, dass Organmitglie­ der diese Informationen tatsächlich offenlegen, was immer problematisch ist, wenn es um Informationen geht, die dem Betroffenen schaden können. Dieses Problem wurde im Rahmen der Diskussion um die Offenbarung eigenen Fehl­ verhaltens bereits thematisiert. Hier ist die Lage insofern anders, als dem Or­ ganmitglied im Falle der Offenlegung keine direkten Sanktionen seitens des Emittenten drohen. Eine Ausnahme stellt die Situation dar, in der die Füh­ rungskraft bei ihrer Einstellung eine Straftat verschwiegen hat, die gemäß § 76 Abs. 3 AktG, § 6 Abs. 2 Nr. 3 GmbHG ein Bestellungshindernis begründet (z. B. eine Insolvenzstraftat). Würde sie nun zum Zwecke der Erstellung des Prospekts diese Straftat doch offenlegen, würde für alle Beteiligten klar wer­ den, dass die Bestellung nichtig ist. Um seine Organstellung nicht auf diese Weise zu verlieren, wird der Betroffene seine Insolvenzstraftat mit an Sicher­ 215 

Vgl. Erwägungsgrund 3 EU‑ProspektVO.

216  Erwägungsgrund 7 EU‑ProspektVO. 217 Vgl. Fleischer, NZG 2006, 561, 564: „Angaben

über die persönliche Integrität der Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder und ggf. den wirtschaftlichen Misserfolg ihres Wirkens“.

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Kapitel 6: Organschaftliche Offenlegungspflichten

heit grenzender Wahrscheinlichkeit weiterhin verschweigen. In allen anderen Fällen ist die Offenlegung zumindest nicht ausgeschlossen. Zu bedenken ist auch, dass die Organperson ein Risiko eingeht, wenn sie die Fragen des Emit­ tenten nach Vorstrafen, Sanktionen oder Insolvenzen nicht richtig beantwor­ tet. Die entsprechenden Fakten sind regelmäßig in öffentlichen Registern ent­ halten, so dass der Emittent die Angaben der Organperson überprüfen kann. Stimmen sie nicht, führt dies entweder zu einem automatischen Amtsverlust oder zumindest zu einem Vertrauensverlust mit negativen Konsequenzen für den Betroffenen. Dieses Entdeckungsrisiko kann dazu beitragen, dass die Of­ fenlegungspflicht von ihren Adressaten erfüllt wird. bb) Erforderlichkeit Fraglich ist jedoch, ob alle vorgeschriebenen Angaben für eine fundierte An­ lageentscheidung erforderlich sind.218 Lit. b beschränkt sich auf das Erforderli­ che, indem sie die Offenlegung „betrügerischer Straftaten“ verlangt. Darunter fallen Straftaten, die gerade im Hinblick auf die Tätigkeit auf einem geregelten Markt aufschlussreich sind: Betrug, Untreue, Steuerhinterziehung, Markma­ nipulation, Insiderhandel, Bilanzfälschung, Urkundenfälschung, Falschanga­ be-Delikte sowie Insolvenzdelikte.219 Durch die Fokussierung auf spezifische Straftaten wird dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung getra­ gen.220 Die Regelung ist ferner präziser als ihr US-amerikanisches Pendant, Item 401(f) der Regulation S‑K, der die Angabe aller Strafverfahren außer Verkehrsverstößen und Bagatelldelikten fordert.221 Einschränkend bestimmt die Regulation S‑K zwar, dass diese Strafverfahren nur dann anzugeben sind, wenn sie wesentlich („material“) für die Beurteilung der Integrität des Betrof­ fenen sind.222 Dies macht die Regelung jedoch sehr unbestimmt: Sie „leaves public companies with what appears to be substantial wiggle room to deter­ mine whether an executive’s personal legal entanglements are relevant to his integrity and therefore must be disclosured“223. Dieser Interpretationsspiel­ raum wirkt sich für Emittenten und deren Führungskräfte letztendlich nach­ teilig aus, weil er Rechtsunsicherheit schafft. Diese führt wiederum zu Ein­ bußen an Privatsphäre, weil die Adressaten der Offenlegungspflicht de facto gezwungen sind, sich in Zweifelsfällen sicherheitshalber für die Offenlegung zu entscheiden. 218 

Vgl. auch Art. 5 Abs. 1 lit. c DS‑ GVO: Grundsatz der „Datenminimierung“. Kopp/​Metzner, in: Frankfurter Komm WpPG/EU‑ProspektVO, Anh. I Ziff. 14 Rn. 16; a. A., jedenfalls für Steuerstraftaten, Tielmann/​Struck, DStR 2013, 1191, 1194. 220 Vgl. Bäcker, in: BeckOK Datenschutzrecht, DS‑ GVO Art. 10 Rn. 12. 221  Regulation S‑K, Item 401(f)(2) [17 CFR 229.401(f)(2)]: „criminal proceeding (exclu­ ding traffic violations and other minor offenses)“, abrufbar unter: . 222  Vgl. Regulation S‑K, Item 401(f) [17 CFR 229.401(f)]. 223  Abril/​Olazábal, 46 Hous. L. Rev. 1545, 1589 f. (2010). 219 



§ 2.  Erprobung der Hypothese an weiteren Offenlegungsfällen

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Im Gegensatz zu lit. b ist lit. d sehr weit gefasst und spricht generell von öf­ fentlichen Anschuldigungen und Sanktionen, ohne die Art des Vorwurfs auch nur ansatzweise zu bestimmen. Theoretisch würden sogar Verkehrsverstö­ ße darunter fallen, also Delikte, die sogar nach der Regulation S‑K von vorn­ herein nicht publizitätspflichtig sind. Damit geht lit. d weit über das Erfor­ derliche hinaus und müsste aus diesem Grund verfassungskonform reduziert werden. Lit. c wiederum, die die Angabe von Insolvenzen, Insolvenzverwal­ tungen oder Liquidationen fordert, ist hinreichend bestimmt und beschränkt sich auf die Umstände, die die Anleger wissen müssen, um die Fähigkeiten der betroffenen Führungskraft besser beurteilen zu können. Um dem Publikum ein vollständiges und somit ein zutreffendes Bild zu vermitteln, empfehlen ei­ nige Autoren, Angaben zu den Gründen für die Eröffnung des Insolvenzver­ fahrens zu machen und unter Umständen zu der Art der Verantwortung und Involvierung der betreffenden Person in Bezug auf die Insolvenz Stellung zu nehmen.224 cc)  Angemessenheit, insbesondere das Resozialisierungsproblem Was die Verhältnismäßigkeit i. e. S. betrifft, ist zunächst ein tiefer Eingriff in die Grundrechte der Organmitglieder festzustellen. Das Organmitglied wird zur Preisgabe von Informationen gezwungen, die jeder Mensch lieber für sich behalten würde, da sie die Wahrnehmung seiner Person in der Öffent­ lichkeit sehr negativ beeinflussen können. Die Angabe, dass ein Unternehmen unter Führung des Betroffenen insolvent wurde, kann schnell dazu führen, dass dieser als unfähiger Manager abgestempelt wird; die Angabe, er habe sich eines verbotenen Insiderhandels schuldig gemacht, kann ihn in den Augen der Marktöffentlichkeit für immer stigmatisieren; ganz ähnlich verhält es sich mit öffentlichen Anschuldigungen, Sanktionen und Berufsverboten. Abgemildert wird dieser Eingriff dadurch, dass nur Verurteilungen und Insolvenzen der letzten fünf Jahre anzugeben sind (lit. b und c), was dem Resozialisierungs­ interesse des Betroffenen Rechnung trägt. Lit. d sieht die Fünf-Jahres-Gren­ ze für Berufsverbote vor, nicht dagegen für öffentliche Anschuldigungen und Sanktionen, denn sie fordert „detaillierte Angaben zu etwaigen öffentlichen Anschuldigungen und/oder Sanktio­ nen in Bezug auf die genannten Personen […] und eventuell Angabe des Umstands, ob diese Personen jemals von einem Gericht für die Mitgliedschaft im Verwaltungs-, Ge­ schäftsführungs- oder Aufsichtsorgan eines Emittenten oder für die Tätigkeit im Ma­ nagement oder die Führung der Geschäfte eines Emittenten während zumindest der letzten fünf Jahre als untauglich angesehen wurden.“ (Hervorhebung durch die Verf.)

224 So Kopp/​Metzner, in: Frankfurter Komm WpPG/EU‑ProspektVO, Anh. I Ziff. 14 Rn. 16.

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Kapitel 6: Organschaftliche Offenlegungspflichten

Die Fünf-Jahres-Grenze bezieht sich also nur auf die gerichtliche Entschei­ dung über die Untauglichkeit, nicht dagegen auf öffentliche Anschuldigungen und Sanktionen. Nach Ansicht des Schrifttums (und wohl der BaFin) zur alten VO Nr. 809/2004 handelt es sich allerdings um einen Fehler der deutschen Fas­ sung: Aus der englischen Fassung folge, dass sich die Fünf-Jahres-Grenze auf alle in lit. d genannten Tatsachen beziehe.225 Tatsächlich sprach die englische Fassung von „details of any official public incrimination and/or sanctions of such person […] and whether such person has ever been disqualified by a court from acting as a member of the administrative, management or supervisory bodies of an issuer or from acting in the management or conduct of the affairs of any issuer for at least the previous five years.“ (Hervorhebung durch die Verf.)

Eine ganz ähnliche Formulierung findet sich auch in der neuen DelVO 2019/980. Angesichts dessen erscheint es möglich und angemessen, die Rege­ lung so auszulegen, dass die Fünf-Jahres-Grenze auch für öffentliche Anschul­ digungen und Sanktionen gilt.226 Sonst bliebe nur der Rückgriff auf die verfas­ sungskonforme Reduktion. Dennoch gibt es weitere Probleme, die beim Blick in Art. 10 S. 1 Hs. 2 DS‑GVO deutlich werden. Diese sekundärrechtliche Norm lässt die Ver­ arbeitung von Daten über strafrechtliche Verurteilungen und Straftaten zu, „wenn dies nach dem Unionsrecht […], das geeignete Garantien für die Rech­ te und Freiheiten der betroffenen Personen vorsieht, zulässig ist.“ Zwar sagt die Norm nicht, wie diese „geeignete Garantien“ beschaffen sein sollen. Li­ teraturstimmen nehmen aber überwiegend an, dass solche Garantien die Zwe­ cke der Datenverarbeitung klar bestimmen, das Persönlichkeitsrecht sowie das Resozialisierungsinteresse des Betroffenen beachten und den Verhältnismäßig­ keitsgrundsatz wahren müssen.227 Zu Resozialisierungszwecken seien die Strafdaten nach Ablauf einer bestimmten Frist zu löschen oder zu sperren.228 Art. 17 DS‑GVO regelt zwar ein allgemeines Recht auf Löschung („Recht auf Vergessenwerden“), es bezieht sich aber nicht explizit auf Strafdaten, so dass anzunehmen ist, dass der Rechtsakt, der die Verarbeitung von Strafdaten vor­ sieht, auch deren Löschung regeln muss, und zwar unter Berücksichtigung des Resozialisierungsinteresses des früheren Täters. 225  Fingerhut/​Voß, in: Just/​Voß/​R itz/​Zeising, WpPG, EU‑ProspektVO Anh. I Rn. 228 mit Hinweis auf die entsprechende Ansicht der BaFin; Kopp/​Metzner, in: Frankfurter Komm WpPG/EU‑ProspektVO, Anh. I Ziff. 14 Rn. 16 Fn. 26; Schlitt, in: Assmann/​Schlitt/ von Kopp-Colomb, WpPG/VermAnlG, EU‑ProspektVO, Anh. I Rn. 123. 226  In den USA gilt insofern eine Zehn-Jahres-Grenze, siehe Regulation S‑K, Item 401(f) [17 CFR 229.401(f)]. 227 Vgl. Bäcker, in: BeckOK Datenschutzrecht, DS‑ GVO Art. 10 Rn. 10 ff.; Schiff, in: Eh­ mann/​Selmayr, DS‑ GVO, Art. 10 Rn. 8; Weichert, in: Kühling/​Buchner, DS‑ GVO, Art. 10 Rn. 13. 228 Vgl. Weichert, in: Kühling/​Buchner, DS‑ GVO, Art. 10 Rn. 13.



§ 2.  Erprobung der Hypothese an weiteren Offenlegungsfällen

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Das geltende Prospektrecht weist hier erhebliche Regelungsdefizite auf. Die EU‑Prospekt-VO bekennt sich zwar zum Datenschutz (vgl. deren Art. 36), sieht aber weder Löschung noch Sperrung personenbezogener Straf­ daten vor. Auch im Übrigen ignoriert sie die Datenschutzproblematik: Ihr Art. 21 Abs. 7 bestimmt z. B., dass alle gebilligten Prospekte nach ihrer Ver­ öffentlichung mindestens zehn Jahre lang auf verschiedenen Webseiten öffent­ lich zugänglich bleiben müssen, unter anderem auf der Webseite des Emit­ tenten, des geregelten Marktes und der ESMA. Eine solche Publizität „ohne Wenn und Aber“ gerät aber in Konflikt mit dem gerade erwähnten „Recht auf Vergessenwerden“ aus Art. 17 DS‑GVO, das dem Betroffenen unter be­ stimmten Voraussetzungen zusteht. Als besonders problematisch erweist sich die Webseitenregelung wiederum bei Strafdaten: Sie kann dazu führen, dass eine Straftat unter Umständen auf diversen Webseiten veröffentlicht bleibt, obwohl sie längst aus dem Bundeszentralregister getilgt ist. Das Resozialisie­ rungsinteresse wird dabei missachtet, was die Webseitenregelung unverhält­ nismäßig macht. dd)  Formelle Bedenken Die dargestellten Angaben, die der Emittent zu seinen Organmitgliedern im Prospekt machen muss, sind von der EU‑Kommission aufgestellt worden. Dies gilt sowohl für das alte als auch für das neue Recht, da auch die neue EU‑­ProspektVO die Regelungen zum Inhalt des Prospekts der Kommission überlässt (vgl. Art. 13 Abs. 1 und 2 EU‑ProspektVO); zu diesem Zweck hat die Kommission unter anderem die DelVO 2019/980 erlassen. Wie grundrechts­ relevant die Prospektangaben zum Management sind, wurde gerade gezeigt. Aus diesem Grund fragt es sich, ob ein Kommissionsakt in formeller Hinsicht genügt, um derart schwere Grundrechtseingriffe zu rechtfertigen. Art. 52 Abs. 1 S. 1 GRCh postuliert einen Gesetzesvorbehalt für Grund­ rechtseinschränkungen: Diese müssen „gesetzlich vorgesehen sein“. Dabei gilt in der EU ein materieller Gesetzesbegriff.229 Darunter fallen zunächst Rechtsakte, die in einem Gesetzgebungsverfahren  angenommen und in Art.  289 Abs. 3 AEUV daher als „Gesetzgebungsakte“ bezeichnet werden. Dazu ge­ hören vor allem Verordnungen und Richtlinien des Europäischen Parlaments und des Rats.230 Des Weiteren umfasst der Gesetzesbegriff aber auch delegier­ te Rechtsakte der Kommission.231 Daher kommt eine delegierte Verordnung 229 

Schwerdtfeger, in: Meyer/​Hölscheidt, GRCh, Art. 52 Rn. 32.

230  Kingreen, in: Calliess/​Ruffert, EUV/AEUV, EU‑GRCharta, Art. 52 Rn. 62. 231  Jarass, GRCh, Art.  52 Rn.  25; Kingreen, in: Calliess/​ Ruffert, EUV/AEUV,

EU‑GRCharta, Art. 52 Rn. 62, der diesen Umstand allerdings kritisch bewertet; Schwerdtfeger, in: Meyer/​Hölscheidt, GRCh, Art. 52 Rn. 32; vgl. ferner EuGH, C-92/09, Rn. 66  – Schecke, wo der Gerichtshof eine Verordnung der Kommission als ordnungsgemäße Ein­ griffsgrundlage ansieht.

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grundsätzlich als taugliche gesetzliche Grundlage für den Grundrechtseingriff in Betracht. Auf der anderen Seite fordern der EuGH232 und das Schrifttum 233 zu Recht, dass schwerwiegende Grundrechtseingriffe stets in einem EU‑Gesetz­ gebungsakt selbst  vorgesehen  sein müssen. Insofern wird für eine vorsichti­ ge Übertragung der deutschen „Wesentlichkeitstheorie“ plädiert, wonach alle wesentlichen, den Bürger besonders belastenden Maßnahmen verstärkter de­ mokratischer Legitimation durch ein formelles Gesetz bedürfen.234 Wolle ein EU‑Gesetzgebungsakt bestimmte Befugnisse an die Kommission delegieren, müsse er alle wesentlichen Vorgaben selbst regeln.235 Reine Blankettermächti­ gungen an die Exekutive seien unzulässig.236 In diesem Licht ist die Ermächtigung in Art. 13 Abs. 2 EU‑Prospekt-VO durchaus kritisch zu sehen. Demnach soll die Kommission delegierte Rechts­ akte erlassen, in denen „das Schema für die in das einheitliche Registrierungs­ formular aufzunehmenden Mindestangaben festzulegen ist“. Über die Grund­ rechtseingriffe, die damit verbunden sein können, verliert die Ermächtigung kein Wort. Sie nennt weder die Grundrechte, die die Kommission einschrän­ ken darf, noch macht sie irgendwelche Vorgaben zu der Art und dem Umfang möglicher Einschränkungen. Deswegen drängt sich die Frage auf, ob sich bei dieser Norm nicht um eine reine Blankettermächtigung handelt. Nimmt man dies an, so sind die EU-Publizitätsvorschriften aus formell-verfassungsrecht­ licher Sicht äußerst problematisch. 3. Ad-hoc-Publizität Die Prospektpublizität hat zeitliche Grenzen. Nachdem die zuständige Be­ hörde den Prospekt gebilligt hat, entsteht eine Nachtragspflicht237, wenn sich die Umstände geändert haben und die Angaben im Prospekt dadurch un­ richtig geworden sind (vgl. Art. 23 Abs. 1 EU‑Prospekt-VO). Wenn z. B. ein Vorstandsmitglied des Emittenten in der Zwischenzeit wegen einer betrü­ gerischen Tat angeklagt wird, muss dieser Umstand unverzüglich in einem Nachtrag zum Prospekt genannt werden. Die Nachtragspflicht gilt allerdings nur bis zu dem Zeitpunkt, in dem die Angebotsfrist ausläuft oder der Handel an einem geregelten Markt eröffnet wird, falls dieser Zeitpunkt später liegt. 232 

Rat.

Vgl. EuGH, Urt. v. 5.9.2012 – C-355/10, ECLI:​EU:​C:​2012:516, Rn. 76 ff. – Parlament/​

233  Jarass, GRCh, Art.  52 Rn.  25; Kingreen, in: Calliess/​ Ruffert, EUV/AEUV, EU‑GRCharta, Art. 52 Rn. 62; Schwerdtfeger, in: Meyer/​Hölscheidt, GRCh, Art. 52 Rn. 32. 234  Borowski, in: Meyer, GRCh, 4. Aufl., Art. 52 Rn. 20a. 235  Jarass, GRCh, Art. 52 Rn. 25. 236  Borowski, in: Meyer, GRCh, 4. Aufl., GRCh, Art. 52 Rn. 20a. 237  Davor ist der Prospekt ggf. gegenüber der ursprünglichen Fassung zu berichtigen, Becker, in: NK‑AktR, WpPG § 16 Rn. 9.



§ 2.  Erprobung der Hypothese an weiteren Offenlegungsfällen

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Die Angebotsfrist ist der Zeitraum, in dem potentielle Anleger die Wertpapie­ re erwerben oder zeichnen können.238 Sie wird im Prospekt festgelegt.239 Die Eröffnung des Handels an einem geregelten Markt beginnt mit der Aufnahme der Notierung zugelassener Wertpapiere im regulierten Markt (§ 38 Abs. 1 S. 1 BörsG).240 Nach dem Auslaufen der Angebotsfrist oder nach der Aufnahme der Notie­ rung endet die Nachtragspflicht. An ihre Stelle treten die allgemeinen Zulas­ sungsfolgepflichten, vor allem die Ad-hoc-Publizitätspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR.241 Aus kapitalmarktrechtlicher Sicht kann nur diese Pflicht zur Offen­ legung außerdienstlichen Fehlverhaltens führen. In den USA ist die Rechtslage anders: Dort haben börsennotierte Gesellschaften nach den Regelungen der SEC jährlich über Strafverfahren gegen ihre directors und officers zu berichten. Item 10 der Form 10-K („Directors, Executive Officers and Corporate Gover­ nance“) nimmt insoweit Bezug auf Item 401 der Regulation S‑K, wonach die Offenlegung geboten ist, wenn die Führungskraft „was convicted in a crimi­ nal proceeding or is a named subject of a pending criminal proceeding“.242 Die Angaben sind jedoch nur dann erforderlich, wenn die entsprechende Tatsache für die Beurteilung der Integrität der Führungskraft wesentlich ist und wenn es zur Anklage oder Verurteilung gekommen ist.243 Dementsprechend hat das U. S. Court of Appeals for the Second Circuit in United States v. Matthews 244 die Pflicht der Führungskraft abgelehnt, ihre Teilnahme an einer grand jury investigation offenzulegen, weil das Verfahren nicht mit einer Anklageerhebung endete.245 Allerdings meinen manche Literaturstimmen, schwerwiegende kri­ minelle Vorwürfe („serios criminal legal problems“) könnten nach den kapi­ talmarktrechtlichen „gap-fillig rules“ offenlegungspflichtig sein: Ein Ermitt­ lungs- oder Gerichtsverfahren könne die Führungskraft von ihren Aufgaben 238 

So die Legaldefinition in Art. 2 lit. y Prospekt-VO. Seitz/​Scholl, in: Assmann/​ Schlitt/von Kopp-Colomb, WpPG/VermAnlG, WpPG § 16 Rn. 65. 240  So zur „Einführung in den Handel an einem organisierten Markt“ i. S. d. § 16 WpPG Seitz/​Scholl, in: Assmann/​ Schlitt/von Kopp-Colomb, WpPG/VermAnlG, WpPG § 16 Rn. 66. 241 Vgl. Becker, in: NK‑AktR, WpPG § 16 Rn. 9. Vor dem Ende der Nachtragspflicht können diese und die Ad-hoc-Publizitätspflicht parallel laufen, sobald der Emittent die Zulassung beantragt hat (vgl. Art. 17 Abs. 1 Unterabs. 3 MAR). In der Regel wird aber die Nachtragspflicht durch die Ad-hoc-Publizitätspflicht verdrängt, es sei denn, es handelt sich um einen IPO: Dann bleibt die Nachtragspflicht wegen einer besonderen Anlagestimmung bestehen, so die Begründung zum Regierungsentwurf des Prospektrichtlinie-Umsetzungs­ gesetzes, BT‑Drs. 15/4999, S. 36. 242  Regulation S‑K, Item 401(f)(2) [17 CFR 229.401(f)(2)]. 243  Abril/​Olazábal, 46 Hous. L. Rev. 1545, 1589 (2010). 244  787 F. 2d 38, 49 (2d Cir. 1986); dazu Lair, 27 U. Fla. J. L. & Pub. Pol’y 257, 265 (2016). 245  Die Grand Jury entscheidet, ob die von der Staatsanwaltschaft vorgelegten Beweise einen hinreichenden Tatverdacht begründen und somit eine Anklage wegen eines Verbre­ chens rechtfertigen; sonst wird das Strafverfahren eingestellt. 239 Vgl.

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ablenken; eine anschließende Verurteilung die weitere Tätigkeit für die Gesell­ schaft ganz unmöglich machen. Dies seien Umstände, die für die Anleger „we­ sentlich“ („material“) seien.246 Dem wird entgegengehalten, die Offenlegung strafrechtlich relevanten Verhaltens vor der Anklageerhebung oder Verurtei­ lung stehe im Spannungsverhältnis zum 5. Zusatzartikel der US‑Verfassung, namentlich zur dort verankerten Selbstbezichtigungsfreiheit.247 In Deutschland kommt bei außerdienstlichem Fehlverhalten von Organ­ mitgliedern in erster Linie die Ad-hoc-Publizität in Betracht. Sie greift aber nur dann, wenn die Information über das Fehlverhalten eine Insiderinformati­ on i. S. d. Art. 7 Abs. 1 lit. a MAR darstellt. Teilweise wird dies mit der Begrün­ dung verneint, privates Fehlverhalten weise keinen Emittentenbezug auf.248 Der erforderliche Emittentenbezug liege erst dann vor, wenn eine (drohende) Verurteilung personelle Konsequenzen nach sich ziehe, etwa wenn ein straf­ fällig gewordenes Aufsichtsratsmitglied seinen Aufsichtsratsvorsitz verliere.249 Andere sind großzügiger und bejahen einen Emittentenbezug bereits dann, wenn sich eine „privat“ begangene Straftat in irgendeiner Weise im dienst­ lichen Bereich auswirke (als Beispiele werden genannt: Ansehensverlust, Ver­ trauensverlust, Beeinträchtigung der Tätigkeit durch das bevorstehende Straf­ verfahren, drohende Feststellung der fehlenden Eignung).250 M. E. sollten die Anforderungen an den Emittentenbezug bei einem außer­ dienstlichen Fehlverhalten nicht überspannt werden: Bereits der Umstand, dass der Urheber des Fehlverhaltens ein Organmitglied des Emittenten ist, stellt den notwendigen Emittentenbezug her. Viel wichtiger ist die Frage, ob ein außerdienstliches Fehlverhalten der Organmitglieder Kursrelevanz besitzt. Dies ist bisher unklar. Soweit Rechtsprechung und Literatur zur Kursrelevanz des Fehlverhaltens Stellung nehmen, beziehen sie sich meist auf dienstliches Fehlverhalten, also Pflichtverstöße, die im Rahmen der Organtätigkeit erfol­ gen. So soll etwa die rechtliche Würdigung des Fehlverhaltens als Pflichtver­ letzung nicht ad-hoc-publizitätspflichtig sein, da es sich dabei nicht um eine (Insider-)Tatsache, sondern um eine Meinungsäußerung handele.251 Dienst­ liche Fehltritte als solche seien dagegen kurserheblich, insbesondere wenn sie Symptome eines größeren Leidens seien, nämlich einer schlechten Corporate Governance, die solche Pflichtverstöße nicht ausreichend bekämpfe. Die ein­ zelne Tat sei also kursrelevant, wenn sie einen Aufschluss über ein tiefer sitzen­ 246 Vgl.

Heminway, 42 Wake Forest L. Rev. 749, 762 (2007); Schwartz, 57 B. C. L. Rev. 1963, 1721 (2016). 247  Glenn, 16 Cardoso L. Rev. 537, 546 (1994) mit Verweisen auf die entsprechende Rspr. in Fn. 50. 248 So Tielmann/​Struck, DStR 2013, 1191 für ein privates Steuerstrafdelikt eines Auf­ sichtsratsmitglieds. 249  Tielmann/​Struck, DStR 2013, 1191. 250  Pfüller, in: Fuchs, WpHG, § 15 Rn. 284. 251 Siehe BGH AG 2019, 79, Ls. 1a und Rn. 125.



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des Problem (schlechte Qualität des Managements) gebe.252 In diesem Fall sei die Annahme begründet, dass beim Emittenten hohe Agenturkosten anfielen, die sich entsprechend auf dessen Wert auswirkten.253 Dienstliches Fehlverhal­ ten des Managements ist also nicht an und für sich kurserheblich, sondern nur dann, wenn es seine Ursache in der allgemein schlechten Managementqualität und -integrität hat. In diesem Licht betrachtet dürfte außerdienstliches Fehlverhalten nicht kursrelevant sein. Eine private Verfehlung lässt keine Schlüsse auf die Corpo­ rate Governance des Emittenten und die entsprechenden Agenturkosten zu, weil die Governance-Mechanismen des Emittenten bei solchen Fehltritten von vornherein nicht greifen können. Eine „privat“ begangene Tat kann höchstens die Integrität des Täters insgesamt in Zweifel ziehen: Wer sich im Privatleben nicht an die Regeln hält, wird sich möglicherweise auch im Beruf pflichtwid­ rig verhalten. Zwingend ist dieser Schluss jedoch nicht. Eine Person, die pri­ vat Steuern hinterzieht oder Insiderhandel treibt, kann ein gesetzestreuer und gewissenhafter Manager sein, zumal die meisten Individuen zwischen privater und beruflicher Sphäre sehr gut trennen können. Manche Taten erscheinen al­ lerdings besonders geeignet, den Schatten auf die berufliche Seite zu werfen. Dazu zählt die Untreue: Wenn das Organmitglied im Privaten fremde Gelder veruntreut, gibt dies regelmäßig Anlass zur Befürchtung, dass der Betroffe­ ne auch mit dem Gesellschaftsvermögen entsprechend verfahren könnte. Die zweifelhafte Integrität des Täters genügt aber für sich genommen nicht, um Kursrelevanz zu begründen; vielmehr muss die Tat, wie gesagt, einen „symp­ tomatischen Wert“254 für das Corporate-Governance-System des Emittenten haben. Dies ist bei privat begangenen Taten grundsätzlich ausgeschlossen. Verschiebt man den Fokus vom Verhalten auf dessen Urheber, d. h. auf das konkrete Organmitglied, erscheinen die Dinge anders. Handelt es sich bei die­ sem Organmitglied um eine Schlüsselperson, so sind wie bei Erkrankungen jedenfalls die dienstlichen Folgen des außerdienstlichen Fehlverhaltens kurs­ erheblich, also etwa die Tatsache, dass die Gesellschaft das Vertrauen zur straf­ fällig gewordenen Schlüsselperson verloren hat oder dass die Schlüsselperson ihr Amt wegen eines laufenden Strafverfahrens zeitweise ruhen lassen muss. Diese Folgen sind dann publizitätspflichtig, unter Umständen schon als künf­ tige Tatsachen ab dem Zeitpunkt, ab dem man ihren Eintritt „vernünftigerwei­ se erwarten kann“255. Dass auch das Fehlverhalten selbst kurserheblich ist, ist 252  BGH AG 2019, 79, Ls. 1c und Rn. 65; Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 7 Rn. 419 ff., Art. 17 Rn. 423 ff.; ders., ZIP 2015, 1145, 1151; ihm folgend Assmann, in: Assmann/​Schnei­ der/​Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014, Art. 17 Rn. 234; vgl. auch Wilken/​ Hagemann, BB 2016, 67, 69; Schockenhoff, NZG 2015, 409, 413. 253 Vgl. Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 7 Rn. 419 f.; Art. 17 Rn. 423 f., 428. 254  Klöhn, ZIP 2015, 1145, 1151. 255  EuGH, C-19/11, Rn. 44 ff.– Geltl.

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damit allerdings noch nicht gesagt. Vielmehr setzt die Kurserheblichkeit des Fehlverhaltens voraus, dass der verständige Anleger es bei seiner Anlageent­ scheidung berücksichtigen wird. Dies dürfte dann der Fall sein, wenn bereits das Fehlverhalten als solches sichere Schlüsse auf dessen Auswirkungen im dienstlichen Bereich erlaubt (z. B. wenn eine Schlüsselperson wegen einer Straf­ tat angeklagt wird und die Verurteilung sowie das anschließende Ausscheiden aus der Schlüsselposition sicher erscheinen). Ein anderer Fall, der noch seltener vorkommen dürfte, ist die Situation, in der sich ein privater Fehltritt des Or­ ganmitglieds direkt auf den Aktienkurs auswirkt. Diese extrem seltenen Fälle betreffen Top-Manager, deren persönliche Integrität den Unternehmenserfolg entscheidend prägt: Nimmt diese Schaden, leidet auch das Unternehmen. Das Fehlverhalten ist in dieser Situation weder ein Indikator von Corporate-Go­ vernance-Problemen noch ein Vorbote wichtiger personeller Veränderungen, sondern die Ursache eines kursrelevanten Imageschadens.256 Ein berühmtes Beispiel ist die US-amerikanische Fernsehmoderatorin, Fernsehköchin und Unternehmerin Martha Stewart, die ein Milliardenimpe­ rium erschaffen hat. Bekannt wurde sie durch verschiedene Projekte rund um Haus und Garten, die sie im Fernsehen und anderen Medien regelmäßig prä­ sentierte. 1997 bündelte sie ihre Rechte und Marken in einem eigenen Unter­ nehmen namens Martha Stewart Living Omnimedia (MSLO), das fortan ihre Kollektionen und Zeitschriften vertrieb. Martha Stewart wurde Präsidentin, chairwoman und CEO des neuen Unternehmens, dessen Gang an die New Yorker Börse 1999 zwei Milliarden Dollar einbrachte.257 Ein paar Jahre später wurde die Gründerin in einen Insiderhandel-Skan­ dal verwickelt: Sie hielt privat knapp 4.000 Aktien der Pharmafirma ImClo­ ne Systems, die ein vielversprechendes Krebspräparat entwickelte. Am 28. De­ zember 2001 veröffentlichte ImClone die Nachricht, dass die Food and Drug Administration (FDA) dem Präparat die Marktzulassung versagt hatte. Die ImClone-Aktie verlor daraufhin 16 % und notierte bei 46,46 USD. Martha Stewart schaffte es, Vermögensverluste zu vermeiden: Am Tag vor der Be­ kanntgabe der FDA‑Entscheidung führte sie ein kurzes Telefonat mit dem As­ sistenten ihres Börsenmaklers und verkaufte unmittelbar danach alle ihre Im­ Clone-Aktien zum Preis von 58 USD.258 Pikant: Stewarts Börsenmakler und dessen Assistent wussten zu diesem Zeitpunkt, dass ImClone’s CEO Samuel Waksal sowie seine Freunde und Verwandten alle ihre ImClone-Aktien ab­ stoßen. Waksal war zudem ein enger persönlicher Freund von Stewart. Spä­ ter wurde mutmaßt, dass entweder Stewarts Brocker über seinen Assistenten 256 Vgl. zu ad-hoc-publizitätspflichtigen Reputationsschäden Klöhn/​Schmolke, ZGR 2016, 866, 871 f., 894. 257  Bogage, How Martha Stewart lost her $2 billion empire, The Washington Post On­ line, 29.6.2015. 258  O’Shea, 78 U. Cin. L. Rev. 1129, 1131 (2010).



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oder sogar Samuel Waksal selbst Martha Stewart den Tipp gegeben habe, ihre ImClone-Papiere zu verkaufen, bevor die FDA‑Entscheidung bekannt werde. Stewart hat dagegen bis zum Schluss behauptet, der Verkauf habe mit der In­ siderinformation nichts zu tun gehabt, vielmehr habe sie mit ihrem Broker ver­ einbart, dass die Aktien veräußert werden sollten, sobald deren Wert unter 60 USD falle. Die Ermittlungen richteten sich zunächst nur gegen Waksal, der im Juni 2002 wegen Verdachts auf Insiderhandel verhaftet wurde und später die Tat zugab.259 Auch Stewart kam in den Fokus der Ermittler, nachdem diese „beunruhigende Unstimmigkeiten“ („troubling inconsistencies“) in Stewarts Bericht über ihr ImClone-Geschäft entdeckt hatten.260 Die Geschichte begann, mediales Interesse zu erregen. Stewart versuchte, unangenehmen Fragen aus dem Weg zu gehen; berühmt-berüchtigt wurde ihr Auftritt im Juni 2002 in „The Early Show“ von CBS, wo sie eine regelmäßige Kochsendung hatte. Auf die laufenden Ermittlungen angesprochen, antworte­ te Stewart: „I want to focus on my salad“.261 Ihren nächsten Auftritt in „The Early Show“ sagte sie einfach ab, nachdem sie erfahren hatte, dass sie erneut zur ImClone-Affäre befragt werden sollte.262 Diese Vogel-Strauß-Taktik scha­ dete Stewart, die sich in 20 Jahren ihres Wirkens nicht nur Anhänger, son­ dern auch viele Gegner geschaffen hatte. Viele Frauen ärgerten sich über ihre „unrealistischen Standards für Haushalt, Handwerk und Dinieren, besonders wenn sie, anders als Ms. Stewart, mehr als drei Stunden Schlaf am Tag benö­ tigten“263. Der Niedergang von Martha Stewart war für diesen Teil des Publi­ kums eine Genugtuung.264 Bei Martha Stewart bemerkt das juristische Schrifttum: „Die Presse baut solche Führungskräfte auf und, wenn sie provoziert wird, stürzt sie, wobei sie jedes Mal die Vorstellungen des Publikums bekräftigt (mögen sie richtig sein oder falsch), dass der Shareholder Value von jeder Bewegung der Führungs­ kraft abhängt.“265 Im Fall von Martha Stewart hing der Unternehmenswert tatsächlich stark von ihr ab: Als ihr öffentliches Image immer mehr Schaden nahm, litt auch ihr Unternehmen. Die Aktien von MSLO, die am 31. Mai 2002 259 

Pollack, Prosecuting Martha Stewart: The Drug Company, The New York Times, 5.6.2003. 260  Hays, Investigators Cite Inconsistencies In Martha Stewart Stock Case, The New York Times, 18.6.2002. 261  Hays/​Eaton, Martha Stewart, Near Trial, Arranges Her Image, The New York Times, 20.1.2004. 262  „Martha Stewart Canceles TV Appearance“, Fox News, 3.7.2002, , zuletzt abgerufen am 11.4.2019. 263  Hays/​Eaton, Martha Stewart, Near Trial, Arranges Her Image, The New York Times, 20.1.2004 (Übersetzung der Verf.). 264  „People are more than happy to see her end up as a whiffle ball for New York media to swat around“, Stanley/​Hays, Martha Stewart’s To-Do List May Include Image Polishing, The New York Times, 23.6.2002. 265  Heminway, 11 Transactions: Tenn. J. Bus. L. 111, 120 (2009) (Übersetzung der Verf.).

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noch bei 19,40 USD notiert hatten, fielen nach der Nachricht über Waksals Ver­ haftung auf 15 USD. Ende Juni waren sie nur noch 12,55 und Anfang August 6,78 USD wert. Gleichzeitig gingen einige Werbekunden auf Abstand.266 Die neue Möbellinie verkaufte sich schlechter als erwartet, trotz Marthas Behaup­ tung, die Möbellinie werde sich verkaufen, sei sie selbst „lebendig oder tot“. Die Einnahmen im dritten Quartal 2002 fielen um 42 %, der Verkauf von Mar­ tha Stewarts Produkten über die Handelskette Kmart ging um 6,9 % zurück und die Internetabteilung von MSLO berichtete von Verlusten. Im Januar 2003 erklärte Chrysler, dass es seine Werbevereinbarung mit MSLO nicht verlän­ gern werde. Im März berichtete der CFO von MSLO erneut von zurückgehen­ den Einnahmen und – zum ersten Mal in der Geschichte des jungen Unterneh­ mens – vom Quartalsverlust.267 Im Juni 2003 stellte „The New York Times“ fest: „Since the investigation became widely known a year ago, the company’s business has declined in every division, from television to publishing and pro­ duct sales.“268 Ein solcher Einfluss wurde nur möglich, weil Martha Stewart das Business von MSLO buchstäblich verkörperte. In diesem Zusammenhang schrieb wie­ derum „The New York Times“: „The Martha Stewart media and marketing empire is intimately woven around her persona. […] Ms. Stewart is the face, the voice and hands behind the brand, a woman who appears on television some 30 times a week; does radio reports for CBS that air in 360 markets, and writes a column, ,Ask Martha‘, that is syndicated by The New York Times in some 220 newspapers around the country. […] Melding the professional and the personal has marked Martha Stewart’s dealings form her days as a stock­ broker to the present […]. Her TV shows sell her magazines, her Web site sells her products, her products sell her TV shows.“269 Dementsprechend hieß es im Aktienprospekt von MSLO: „Martha Stewart, as well as her name, her image and the trademarks and other intellectual property rights relating to these, are integral to our marketing efforts and form the core of our brand name. Our continued success and the value of our brand name therefore depend, to a large degree, on the reputation of Martha Stewart.“270 Und der Jahresbericht nach der Form 10-K enthielt die folgende Beschreibung von Risikofaktoren: „Our success depends in part on the popularity of our brands and the reputation and popularity of our founder, Martha Stewart, and any adverse reactions to pub­ licity relating to Ms. Stewart, or the loss of her services, could adversely affect 266  O’Shea, 267  O’Shea,

78 U. Cin. L. Rev. 1129, 1132 (2010). 78 U. Cin. L. Rev. 1129, 1155 (2010), dort auch zu den anderen nachteiligen Folgen der ImClone-Affäre für MSLO. 268  Hays, Prosecuting Martha Stewart: The Overview; Martha Stewart Indicted by U. S. On Obstruction, The New York Times, 5.6.2003. 269  Stanley/​Hays, Martha Stewart’s To-Do List May Include Image Polishing, The New York Times, 23.6.2002. 270  Zitiert nach O’Shea, 78 U. Cin. L. Rev. 1129, 1150 f. (2010).



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our revenues, results of operations and our ability to maintain or generate a consumer base.“271 Eine solche Verflechtung von Person und Unternehmen ist selbst in den USA eine Seltenheit. Dort lässt sich dieses Phänomen vor allem um die Jahr­ tausendwende zu beobachten, in einer Zeit, in der „[c]ompanies took on per­ sonalities and sought to foster anthropomorphic relationships, trading on the currencies of integrity, merit, trust, passion, and creativity“272. Heute treten Wirtschaftsführer in der Regel bescheidener auf, indem sie die Verbundenheit mit ihrer „Basis“ betonen, anstatt ihre eigene Wichtigkeit herauszukehren.273 Hierzulande, wo Top-Manager ihre mediale Präsenz regelmäßig auf das Not­ wendigste beschränken, ist es noch weniger wahrscheinlich, solche Figuren wie Martha Stewart anzutreffen. Das Szenario, in dem ein privates Fehlverhalten eines Managers den Unternehmenswert in Mitleidenschaft zieht, bleibt daher theoretisch. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass ein solcher Fall in der Zu­ kunft Realität werden kann, zumal digitale Medien auch hierzulande immer stärker das private Leben zum öffentlichen werden lassen. In diesem Fall wird privates Fehlverhalten zu einer Insiderinformation i. S. d. Art. 7 Abs. 1 lit. a MAR. Eine teleologische Reduktion dieser Norm wie im Falle von Erkran­ kungen käme nicht in Betracht, weil die Ad-hoc-Publizität mit den Grund­ rechten der betroffenen Führungsperson vereinbar wäre. Der Eingriff würde zwar schwer wiegen, aber einen nicht unerheblichen Beitrag zur Transparenz auf dem Kapitalmarkt leisten, weil die Integrität der Führungsperson ein wert­ bildender Faktor für das Unternehmen und dessen Wertpapiere wäre. Zudem wäre zu berücksichtigen, dass die Führungskraft den Eingriff gewissermaßen „selbst verschuldet“ hat, indem sie ihre Person zum integralen Bestandteil des Unternehmens gemacht hat. Ihr wären daher schwerere Grundrechtseingriffe zuzumuten als einem normalen Manager. Nach alledem wäre ein privates Fehl­ verhalten einer solchen Führungskraft eine ad-hoc-publizitätspflichtige Tatsa­ che, die vom Emittenten 274 offenzulegen wäre. Die Geschichte von Martha Stewart wird uns noch im nächsten Teil­ abschnitt beschäftigen. Sie verdient daher, zu Ende erzählt zu werden: An­ ders als ImClones CEO hat Martha Stewart einen etwaigen Insiderhandel nie zugegeben. Sie wurde 2004 wegen Behinderung der Justiz, Meineids und Falschaussagen zu fünf Monaten Gefängnis mit anschließenden fünf Monaten Hausarrest sowie zur Geldstrafe i. H. v. 30.000 USD verurteilt.275 Noch höhe­ re Zahlungen musste sie leisten, damit die SEC das Verfahren wegen Insider­ 271  272 

Zitiert nach Lin, 11 U. Pa. J. Bus. L. 383, 415 (2009). Abril, 48 Am. Bus. L. J. 177, 200 (2011). 273  So der Befund von Abril, 48 Am. Bus. L. J. 177, 203 (2011). 274  Die Führungskraft selbst ist indes nicht verpflichtet, ein solches Fehlverhalten offen­ zulegen, dazu sogleich unter „b“. 275  Abril/​Olazábal, 46 Hous. L. Rev. 1545, 1563 (2010).

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handels gegen sie einstellt; außerdem erklärte sie sich mit einem fünfjährigen Berufsverbot einverstanden.276 2005 feierte sie – selbstverständlich mit großer medialer Inszenierung – ihr geschäftliches Comeback. 4.  Interne Offenlegung Selbst wenn ein privates Fehlverhalten im Ausnahmefall kursrelevant und somit ad-hoc-publizitätspflichtig werden kann, folgt daraus noch keine Pflicht des betroffenen Organmitglieds, dieses Fehlverhalten offenzulegen. Genauso wie bei Erkrankungen begründet die Ad-hoc-Publizitätspflicht keine interne Of­ fenlegungspflicht.277 Die Letztere kann sich jedoch aus der organschaftlichen Treuepflicht ergeben, und zwar in ihrer Ausprägung als Gebot, Schäden von der Gesellschaft abzuwenden.278 Denn das Verhalten und das Ansehen des Un­ ternehmensleiters kann eine erhebliche Rolle für die Unternehmensreputation spielen.279 Die Ableitung aus der Treuepflicht bedeutet, dass die Offenlegungs­ pflicht für alle Kapitalgesellschaften gilt und nicht nur für die börsennotierten. Auch das US-amerikanische Schrifttum, das sich mit Martha Stewart beschäf­ tigt, untersucht ihr Verhalten im Kontext fiduziarischer Pflichten, vor allem der duty of loyalty.280 Denn anders als in UK, wo die Pflichten von directors und officers seit Item Software auseinanderdriften, ist in den USA die Pflich­ tenlage gleich, jedenfalls in Delaware, dessen Supreme Court 2009 in Gantler v. Stephens ausdrücklich anerkannt hat, dass officers den gleichen fiduziarischen Pflichten unterliegen wie directors.281 Daraus schließen einige, dass ranghöchste officers – CEOs wie Martha Stewart oder Steve Jobs – der Gesellschaft zu be­ sonderer Treue verpflichtet seien und eventuell für die fehlende Offenlegung privater Angelegenheiten haftbar gemacht haben könnten.282 Allerdings ma­ chen auch US-amerikanische Autoren die Einschränkung, dass das Verhalten der Führungskraft zum Schaden der Gesellschaft geführt haben muss. Dabei lassen sie einen Imageschaden allein nicht ausreichen, vielmehr müsse dieser zu messbaren wirtschaftlichen Einbußen geführt haben, wie im Fall von MSLO.283 276 Siehe SEC , Litigation Release No. 19794 (August 7, 2006), abrufbar unter , zuletzt abgerufen am 28.2.2020. 277  Dazu Kapitel 3, § 3, I, Kapitel 5, § 2, III. 2. 278 Vgl. Spindler, in: MüKo AktG, § 76 Rn. 13; Hölters, in: Hölters, AktG, § 93 Rn. 114; explizit für Reputationsschäden Seibt, DB 2015, 171, 174. 279 Dazu Seibt, DB 2015, 171, 172 f. mit Verweis auf entsprechende Studien. 280  Heminway, 11 Transactions: Tenn. J. Bus. L. 111, 112 ff. (2009); O’Shea, 78 U. Cin. L. Rev. 1129, 1150 ff. (2010), der zusätzlich duty of care heranzieht; vgl. auch Lin, 87 Notre Dame L. Rev. 911, 935 (2012). 281  965 A. 2d 695, 709 (Del. 2009); dazu etwa Merkt, US-amerikanisches Gesellschafts­ recht, Rn. 900. 282  Heminway, 11 Transactions: Tenn. J. Bus. L. 111, 115 (2009). Bei Martha Stewart ist der Rückgriff auf Gantler v. Stephens streng genommen nicht erforderlich, da sie auch Di­ rektorin der MSLO war. 283 Siehe O’Shea, 78 U. Cin. L. Rev. 1129, 1153 ff. (2010); für das Erfordernis eines Scha­



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Die Wirkung der Treuepflicht im Privatbereich wird jedoch durch das Recht auf Privatsphäre beschränkt. Deshalb stellt sich die Frage, ob die Treuepflicht bei außerdienstlichem Verhalten regelnd eingreifen kann. Grundsätzlich gilt, dass das Verhalten der Organmitglieder im Privatbereich keinen Beschränkun­ gen unterworfen ist, soweit sich dieses Verhalten nicht unmittelbar auf die Ge­ sellschaft bezieht.284 Letzteres ist etwa bei Äußerungen über die Gesellschaft und ihre Organe der Fall; hier ist anerkannt, dass das Organmitglied herabset­ zende Äußerungen zu unterlassen hat.285 Sonst kann ein Organmitglied sein Privatleben frei gestalten: öffentliche und private Funktionen übernehmen, gefährliche Sportarten ausüben, rauchen usw.286 Auf der anderen Seite soll (strafbares) Verhalten im Privatbereich unter Umständen eine „grobe Pflicht­ verletzung“ i. S. d. § 84 Abs. 3 S. 2 AktG und damit einen Abberufungsgrund darstellen. So hat der BGH einst entschieden, dass neben dienstlichen auch au­ ßerdienstliche Verfehlungen eines Vorstandsmitglieds berücksichtigt werden könnten, wenn das Ansehen der Gesellschaft dadurch gelitten habe.287 Dem­ entsprechend wertet die Literatur die Schädigung des Ansehens der AG durch außerdienstliches Verhalten übereinstimmend als Abberufungsgrund.288 Teil­ weise wird sogar generell die Beteiligung an strafbaren Handlungen im priva­ ten Bereich als eine grobe Pflichtverletzung nach § 84 Abs. 3 S. 2 AktG ange­ sehen.289 Das Persönlichkeitsrecht hat es in jedem Fall schwer, die Treuepflicht zu­ rückzudrängen, wenn das Organmitglied selbst die Sphärentrennung missach­ tet. Soweit es sich selbst als Person in den Dienst der Gesellschaft stellt, wird der entsprechende Bereich der Privatsphäre gleichsam zu einem beruflichen Bereich, der von der Treuepflicht erfasst werden kann. Dementsprechend plä­ dieren manche US‑Autoren für die Erstreckung fiduziarischer Pflichten auf den Privatbereich in den Fällen, in denen es nicht möglich ist, zwischen Privat­ leben der Führungskraft und Geschäftstätigkeit des Unternehmens zu unter­ dens auch Heminway, 11 Transactions: Tenn. J. Bus. L. 111, 117 (2009): „knowing conduct that harmes a corporate shareholder“. Zum Unterschied zwischen bloßem Reputationsscha­ den und Reputationsvermögensschaden Klöhn/​Schmolke, ZGR 2016, 866, 871 f. 284  Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 239. 285  Fleischer, in: Spindler/​Stilz, AktG, § 93 Rn. 129; Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 239; Mertens/​Cahn, in: KölnKomm AktG, § 93 Rn. 98. 286 Vgl. Hopt/​Roth, in: Großkomm AktG, § 93 Rn. 239. 287  BGH, Urt. v. 25.1.1956 – VI ZR 175/54, WM 1956, 865, 867. 288  Fleischer, in: Spindler/​ Stilz, AktG, § 84 Rn. 105; Kort, in: Großkomm AktG, § 84 Rn. 156; Seibt, in: K. Schmidt/​Lutter, AktG, § 84 Rn. 49a; ders., DB 2015, 171, 178; Spindler, in: MüKo AktG, § 84 Rn. 134. 289 So Seibt, in: K. Schmidt/​Lutter, AktG, § 84 Rn. 49a; Spindler, in: MüKo AktG, § 84 Rn. 134; einschränkend (nur wenn die Straftat zu einem Imageschaden der AG führt, auf die mangelnde Eignung des Betroffenen schließen lässt oder einen Bezug zur beruflichen Tätig­ keit aufweist) Fleischer, in: Spindler/​Stilz, AktG, § 84 Rn. 105; Kort, in: Großkomm AktG, § 84 Rn. 156; Thüsing, in: Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, § 5 Rn. 19.

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scheiden.290 Solche Fälle sind extrem selten; der einzige, der bisher bekannt ist, ist tatsächlich derjenige von Martha Stewart.291 Welche Voraussetzungen dafür im Einzelnen vorliegen müssen, bedarf noch näherer Untersuchungen. Fest steht nur, dass die Berühmtheit der Führungskraft alleine nicht genügt, um eine derart starke Abhängigkeit des Unternehmens von dem Image der Füh­ rungskraft zu begründen. Steve Jobs war kaum weniger berühmt als Martha Stewart und konnte sich ebenfalls gekonnt in Szene setzen, soweit es darum ging, Apples Produkte der Öffentlichkeit zu präsentieren. Anders als Martha Stewart war Jobs jedoch nicht die Marke seines Unternehmens. Möglicherwei­ se sind berühmte Wirtschaftsführer in der Mode- und Lifestylebranche be­ sonders „gefährdet“, weil dort die Abhängigkeit der Marke von der Person grö­ ßer ist. Eine ständige Präsenz des Unternehmensleiters in den Medien dürfte ebenfalls ihren Beitrag zur Verschmelzung der Person mit dem Unternehmen leisten. Die Treuepflicht gebietet zunächst, die schädigende Handlung zu vermei­ den. Dies gilt nicht nur für Gesetzesverstoße, sondern auch für Handlungen, die irgendwo an der Grenze zwischen Legalität und Illegalität angesiedelt sind, und bei ihrem Bekanntwerden das öffentliche Ansehen des Handelnden he­ rabsetzen können. Die Frage nach der Offenlegung stellt sich erst, wenn die Führungskraft das Vermeidungsgebot missachtet und eine rechtswidrige oder zwielichtige Handlung vorgenommen hat. So war im Fall von Martha Stewart nicht nur das Aktiengeschäft selbst problematisch, sondern auch ihr Verhal­ ten nach dem Bekanntwerden dieses fragwürdigen Geschäfts: Sie hat versucht, der öffentlichen Diskussion aus dem Wege zu gehen, was den Verdacht des In­ siderhandels nur erhärtete. Hätte sie also, anstatt sich „auf ihren Salat zu kon­ zentrieren“, der Öffentlichkeit Detailinformationen über ihren ImClone-Ver­ kauf liefern sollen? Manche US‑Autoren sind sehr vorsichtig und meinen, es gebe bisher keine duty to disclosure oder duty of candor außerhalb anerkann­ ter Fallgruppen, in denen „corporate fiduciaries“ die Zustimmung der Gesell­ schafter zu einer Transaktion suchen oder sonst mit den Gesellschaftern kom­ munizieren würden.292 Andere Autoren erblicken tatsächlich einen (Sorgfalts-) Pflichtverstoß darin, dass Martha Stewart es versäumt habe, auf die Medien­ berichterstattung nach dem Bekanntwerden ihres Aktiengeschäfts angemessen zu reagieren.293 Sie sagen allerdings nicht, wie sie hätte reagieren sollen. Hätte sie einen etwaigen Verstoß gegen das Insiderhandelsverbot offenlegen müssen? 290 So O’Shea, 78 U. Cin. L. Rev. 1129, 1152 f. (2010), der dies – m. E. nicht ganz über­ zeugend – mit dem „Line-of-Business-Test“ aus der Geschäftschancenlehre begründet. 291  Vgl. auch O’Shea, 78 U. Cin. L. Rev. 1129, 1153 (2010): „This conclusion is unique to Martha Stewart.“ 292  Heminway, 11 Transactions: Tenn. J. Bus. L. 111, 117 (2009); zu den Fallgruppen siehe Kapitel 4, § 3, III. 4. 293  O’Shea, 78 U. Cin. L. Rev. 1129, 1157 (2010).



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Dies wäre im Hinblick auf den Nemo-tenetur-Grundsatz im 5. Zusatzartikel höchst problematisch.294 Um die Frage nach deutschem Recht zu beantworten, wäre wiederum zu fragen, ob die Offenlegung geeignet, erforderlich und verhältnismäßig wäre, um den drohenden Schaden von der Gesellschaft abzuwenden. Die Geeignet­ heit setzt zunächst die Erfüllbarkeit der Offenlegungspflicht voraus, die vor­ liegend problematisch ist. Sanktionen seitens der Gesellschaft braucht der Be­ troffene zwar nicht zu fürchten, weil sich das Fehlverhalten nicht gegen die Gesellschaft richtet.295 Allerdings liefe die Pflicht  – jedenfalls bei börsen­ notierten Gesellschaften – auf eine öffentliche Selbstbezichtigung hinaus, weil die Gesellschaft nach der Offenlegung keine Wahl hätte, als die Information nach Art. 17 Abs. 1 MAR zu veröffentlichen. Denn wie gerade festgestellt, ist bei solchen Persönlichkeiten wie Martha Stewart ein außerdienstliches Fehl­ verhalten kursrelevant. Hier liegt zugleich ein weiteres Problem: Wenn der­ art sensible Informationen bekannt werden, kann dies zu einem plötzlichen Kursabsturz führen. Angenommen, Martha Stewart hatte im Dezember 2001 tatsächlich Insiderhandel begangen: Hätte sie dies ihrem Unternehmen früh­ zeitig, also noch vor dem Medienaufruhr im Juni 2002 offengelegt, und hätte MSLO diese Information veröffentlicht, so wäre dies mit Sicherheit ein Schock für die Anleger gewesen. Ob eine solche Offenlegung geeignet gewesen wäre, Schäden von MSLO abzuwenden, ist mehr als zweifelhaft. Allerdings hat ein börsennotiertes Unternehmen grundsätzlich die Mög­ lichkeit, die Offenlegung nach Art. 17 Abs. 4 MAR aufzuschieben, wenn die unverzügliche Offenlegung geeignet wäre, seine berechtigten Interessen zu beeinträchtigen.296 Ein solcher Aufschub käme bei einem Unternehmen wie MSLO durchaus in Betracht: Zum einen wäre zu berücksichtigen, dass eine sofortige Offenlegung in Konflikt mit dem Nemo-tenetur-Grundsatz zu­ gunsten der betroffenen Führungskraft käme.297 Zum anderen wäre eine sol­ che Offenlegung für den Fundamentalwert der Aktien abträglich, weil sie zum Reputationsverlust der Führungskraft und damit zum Reputationsschaden des Unternehmens führen würde. Dabei ginge es, wie bereits erwähnt, nicht bloß um einen wirtschaftlich nicht messbaren Reputationsverlust298 , sondern 294  Heminway, 11 Transactions: Tenn. J. Bus. L. 111, 118 (2009). 295  Nicht auszuschließen ist allerdings, dass die Gesellschaft den

Betroffenen zur vor­ zeitigen Amtsniederlegung drängen kann; auf der anderen Seite darf man nicht vergessen, dass es sich um eine besondere Führungskraft handelt, die gleichzeitig Unternehmensmarke ist und auf die das Unternehmen im großen Umfang angewiesen ist. 296  Weitere Voraussetzungen sind keine Irreführung der Öffentlichkeit durch den Auf­ schub und die Sicherstellung der Geheimhaltung durch den Emittenten, Art. 17 Abs. 4 Un­ terabs. 1 lit. b und c MAR. 297 Vgl. Assmann, in: Assmann/​ Schneider/​ Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, VO Nr. 596/2014, Art. 17 Rn. 118. 298 Vgl. Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 17 Rn. 426.

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um drohende Vermögensschäden, weil die Gefahr bestünde, dass sich Kunden und Geschäftspartner vom Unternehmen abwenden. Solche Reputationsver­ mögensschäden sind in jedem Fall zu berücksichtigen, wenn es um den Auf­ schub der Ad-hoc-Veröffentlichung geht.299 Berücksichtigungsfähig ist ferner die konkrete Gefahr einer erheblichen Marktüberreaktion bei unverzüglicher Offenlegung.300 Der Aufschub könnte genutzt werden, um eine gemeinsame PR‑Strategie festzulegen, die auf eine Schadensbegrenzung gerichtet ist.301 Dabei könnten interne oder externe Berater hinzugezogen werden, um Fehler im Umgang mit den Medien zu vermeiden. Das Ergebnis wäre eine „offensive Verteidigungs­ strategie“, die das Fehlverhalten eingesteht, aber zugleich nach vorne blickt und verhindert, dass die negative Presse die Regie übernimmt. Denn profes­ sionelle Berater empfehlen Führungskräften, stets zu den eigenen Fehlern zu stehen und sich nicht aus der Verantwortung zu stehlen.302 Unter diesen Ge­ sichtspunkten ist die Offenlegung des Sachverhalts gegenüber der Gesellschaft prinzipiell geeignet, zur Schadensabwendung beizutragen. Dies löst aber nicht das Problem der öffentlichen Selbstbezichtigung. Die Of­ fenlegung eigenen Fehlverhaltens gegenüber einer börsennotierten Gesellschaft gleicht einem öffentlichen Geständnis, da die Gesellschaft zur Ad-hoc-Publizi­ tät verpflichtet ist, die zwar aufgeschoben, aber nicht aufgehoben werden kann. Strafverfolgungs- oder Verwaltungsbehörden können sodann die entsprechen­ de Ad-hoc-Mitteilung grundsätzlich als Ansatz für weitere Ermittlungen nut­ zen.303 Ein bloßes Verwertungsverbot wie vom BVerfG im GemeinschuldnerBeschluss gefordert304 stünde dem nicht entgegen, weil das Verwertungsverbot nur die Aussage selbst unverwertbar macht, aber keine Fernwirkung entfaltet, so dass inhaltlich selbständige, lediglich durch die Aussage vermittelte Beweis­ mittel keiner Verwertungssperre unterliegen.305 Um eine Fernwirkung zu be­ gründen und die Aussage der Führungskraft umfassend zu schützen, bedürfte es eines Verwendungsverbots wie in § 97 InsO oder in § 630c Abs. 2 S. 3 BGB. Ob ein solches rechtspolitisch wünschenswert wäre, ist wiederum fraglich, weil es Führungskräften ermöglichen würde, durch die Ad-hoc-Veröffent­ lichung ihres Fehlverhaltens de facto Straffreiheit zu erlangen. 299  Für die Berücksichtigung des drohenden Reputationsschadens im Rahmen der Kos­ ten-Nutzen-Analyse Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 17 Rn. 152 f.; Klöhn/​Schmolke, ZGR 2016, 866, 871 f., 877 f. 300  Klöhn, in: Klöhn, MAR , Art. 17 Rn. 156 a. E.; Klöhn/​Schmolke, ZGR 2016, 866, 882 f. 301 Vgl. Klöhn/​Schmolke, ZGR 2016, 866, 877 f. 302 Siehe Scheele/​Eversmeier, Kommunikation: „Unternehmen brauchen ein Gesicht“, Manager Magazin Online, 29.4.2004. 303 Vgl. Wagner, in: MüKo BGB, § 630c Rn. 52 f.; vgl. ferner Pfüller, in: Fuchs, WpHG, § 15 Rn. 292 f. 304  BVerfGE 56, 37, 51 – Selbstbezichtigung des Gemeinschuldners. 305  Schuhr, in: MüKo StPO, § 136a Rn. 98.



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Soweit sich also die Führungskraft durch die Offenlegung ihres Fehlverhal­ tens der Gefahr einer Strafverfolgung oder eines Bußgeldverfahrens aussetzt, ist eine Offenlegungspflicht zu verneinen. Denn im Hinblick auf den Nemotenetur-Grundsatz kann niemand zu einer öffentlichen Selbstbezichtigung ge­ zwungen werden. In einer nicht börsennotierten Gesellschaft ist die Lage inso­ fern anders, als die Gesellschaft nicht verpflichtet ist, die Information über das Fehlverhalten zu veröffentlichen. Mehr noch, die Gesellschaft darf diese In­ formation ohne Zustimmung der Führungskraft nicht veröffentlichen. Wenn aber die Führungskraft im ersten Schritt ihr Fehlverhalten offenlegen muss und im zweiten Schritt darauf bestehen darf, dass die Information vertraulich bleibt, stellt sich die Frage nach dem Sinn der Offenlegungspflicht. Wie gerade festgestellt, soll diese Pflicht der Erarbeitung einer PR‑Strategie dienen, deren Bestandteil das öffentliche Bekenntnis der Führungskraft zu ihrem Fehler ist. Eine solche Strategie ist nicht möglich, wenn der Betroffene die Geheimhal­ tung wünscht. In diesem Fall ist jede interne Offenlegungspflicht sinnlos. Sie würde nur zu Problemen führen, etwa die Frage aufwerfen, wie Vertraulich­ keit gewährleistet werden kann. Damit ginge wiederum ein Selbstbezichti­ gungsproblem einher: Kämen die Informationen an die Öffentlichkeit, könn­ ten sie mangels eines Verwendungsverbots behördliche Ermittlungen nach sich ziehen. Die Offenlegung käme also nur bei solchem Fehlverhalten in Betracht, das die Schwelle zu einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit nicht überschrei­ tet. Aber dann stellt sich wiederum der Frage, wie viel Sinn eine Offenlegung macht, die gerade das schwerwiegende Fehlverhalten ausblendet. Eine derart verkürzte Offenlegungspflicht wäre ein Grundrechtseingriff mit einem gerin­ gen Nutzen, so dass sie unverhältnismäßig i. e. S. wäre. 5.  Fazit: „Bewegliche Grenze“ der Treuepflicht Der Fall Martha Stewart zeigt nicht nur, dass privates Fehlverhalten unterneh­ mens- und kursrelevant werden kann. Er demonstriert auch, dass die Grenze zwischen beruflicher und privater Sphäre nicht starr ist: Das Organmitglied kann diese Grenze verschieben, indem es seine Privatsphäre für berufliche Zwecke nutzt. Dies führt zur schwächeren Wirkung der Grundrechte, die die Sphärentrennung schützen. Das Phänomen ist dem Verfassungsrecht bekannt; dort gilt es, dass Personen, die ihre Privatsphäre freiwillig und bewusst öf­ fentlich machen, stärkere Einschränkungen akzeptieren müssen. Der Persön­ lichkeitsschutz ist in diesem Fall reduziert, was im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen ist.306 Dies ist vor allem dann anerkannt, wenn jemand Ex­ 306  BVerfGE 101, 361, 385 – Caroline II; Grabenwarter, in: Maunz/​Dürig, GG, Art. 5 Abs. 1 Rn. 438; Jarass, in: Jarass/​Pieroth, GG, Art. 5 Rn. 88 a. E.; Stern, in: Stern/​Sachs/​ Dietlein, Staatsrecht, Bd. IV/2, S. 1596 m. w. N.

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klusivverträge über die Berichterstattung aus seiner Privatsphäre abschließt und so seine Persönlichkeit kommerziell über die Medien verwertet. „Zwar ist niemand an einer solchen Öffnung privater Bereiche gehindert. Er kann sich dann aber nicht gleichzeitig auf den öffentlichkeitsabgewandten Privatsphä­ renschutz berufen. Die Erwartung, daß die Umwelt die Angelegenheiten oder Verhaltensweisen in einem Bereich mit Rückzugsfunktion nur begrenzt oder nicht zur Kenntnis nimmt, muß daher situationsübergreifend und konsistent zum Ausdruck gebracht werden.“307 Für die hiesige Kontroverse zwischen dem Persönlichkeitsrecht und der Treuepflicht gilt nichts anderes: Ein Organmitglied, das sich auch als Privatper­ son freiwillig in den Dienst des Unternehmens stellt, muss stärkere Treubin­ dungen hinnehmen. Sein abgeschwächtes Persönlichkeitsrecht hält dann dem Druck der Treuepflicht nicht mehr stand; der Damm bricht, die Treuepflicht strömt in das Privatbereich hinein. Dazu passt das Verständnis der Treuepflicht als Prinzip, das offen formuliert und damit bestens geeignet ist, jede Lücke zu füllen. Als Rechtsprinzip ist die Treuepflicht ferner der Abwägung zugänglich, wobei erst die Abwägung darüber entscheidet, welche Verhaltensanforderun­ gen jeweils gelten. Dies betrifft nicht nur die abstrakt-generelle Abwägung, die gewöhnlich zur Fallgruppenbildung benutzt wird, sondern auch die konkrete Abwägung im Einzelfall. Im Rahmen einer solchen Einzelfallabwägung kann berücksichtigt werden, ob und inwieweit sich das Organmitglied freiwillig im Privatbereich für das Unternehmen einsetzt und auf einen starken Schutz sei­ ner Privatsphäre verzichtet. Das Ergebnis dieser Abwägung sind neue, dem Gesellschaftsrecht bisher unbekannte Verhaltenspflichten, etwa das Gebot, strafbare oder sonst ver­ werfliche Handlungen im Privatbereich zu unterlassen. Zwar wird die Offen­ legung einer strafbaren Handlung nicht geschuldet, aber auch ohne solche Of­ fenlegungspflicht wird der Betroffene zu einem Organmitglied, das „immer im Dienst“ ist. Dies kann kuriose Fragen nach sich ziehen: So fragt ein US‑Autor ketzerisch, ob Martha Stewart ihre fiduziarischen Pflichten verletzen würde, wenn sie zu rauchen anfinge, ihr Haar blau färben oder erklären würde, dass sie lesbisch sei.308 Es mag schockierend klingen, aber die Antwort müsste „Ja“ lauten, jedenfalls in den beiden ersten Beispielsfällen. Der Presseberichterstat­ tung ist zu entnehmen, dass Martha Stewart auch ihre äußere Erscheinung zum Firmenkennzeichen gemacht hat.309 Zum Image einer perfekten Hausfrau, die traditionelle Werte verkörpert, passt weder blaues Haar noch das Rauchen, so dass Martha Stewart verpflichtet wäre, von solchen Imageveränderungen Ab­ stand zu nehmen, soweit mit einem Schaden für MSLO zu rechnen wäre. 307 

BVerfGE 101, 361, 385 – Caroline II. O’Shea, 78 U. Cin. L. Rev. 1129, 1151 (2010). Vgl. etwa Stanley/​Hays, Martha Stewart’s To-Do List May Include Image Polishing, The New York Times, 23.6.2002. 308  309 



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Daran werden die Probleme sichtbar, die mit einer starken Sphärenver­ mischung einhergehen. Deutsche Führungskräfte werden manchmal dafür kritisiert, dass sie, anders als ihre US-amerikanischen Kollegen, die Medien zum Aufbau und zur Pflege des eigenen Image nicht oder zu wenig nutzen. Sie zeigten sich zu selten im Fernsehen, z. B. in Talkshows310 , und seien zu zö­ gerlich bei der Verwendung moderner Kommunikationsmittel: Der SAP‑Vor­ standsvorsitzende Bill McDermott soll der einzige Chef eines DAX‑Unterneh­ mens sein, der twittere, und dies wohl auch nur dank seiner amerikanischen Wurzeln.311 Deutschen Spitzenkräften wird empfohlen, ihre Scheu zu über­ winden und die Möglichkeiten moderner Medien zu nutzen: Ein Manager, der sich in der Öffentlichkeit zeige, werde von einem Millionenpublikum wahr­ genommen, könne strategische Interessen kundtun sowie sein Unternehmen und dessen Produkte populär machen. Auch in Krisenzeiten ließen sich Me­ dien für Kommunikation gut einsetzen.312 Diese Empfehlungen sind an sich nicht falsch, weil die Nutzung traditioneller und moderner Medien Gewin­ ne sowohl für den Manager als auch für das Unternehmen verspricht. Nicht umsonst hat die US‑Wirtschaft, insbesondere kurz vor der Jahrtausendwende, von der medialen Vermarktung ihrer Spitzenkräfte profitiert. Die Berühmtheit seines CEO erlaubte dem Unternehmen „to gain maximum exposure for little cost“313. Medienskandale um berühmte Spitzenkräfte, die das Image des Un­ ternehmens und dessen Börsenwert in Mitleidenschaft gezogen haben (neben Martha Stewart nennt das Schrifttum etwa den Gründer und CEO von Broad­ com Henry Nicholas, der in 2008 wegen Kapitalmarkt- und Drogendelikten angeklagt wurde), führten allerdings zur Ernüchterung.314 Die Medien sind also ein zweischneidiges Schwert, das mit Vorsicht zu benutzen ist. Ein Mana­ ger, der sich mit ihrer Hilfe zum Star aufbaut, muss auch mit negativer Bericht­ erstattung rechnen, die er dann als berühmte Persönlichkeit hinzunehmen hat. In extremen Fällen können das Kapitalmarktrecht mit einer erweiterten Ad-hoc-Publizität und das Gesellschaftsrecht mit einer erweiterten Sorgfaltsoder Treuepflicht reagieren. Und auch das Unternehmen kann einen hohen Preis zahlen, wenn es sein öffentliches Image mit dem seiner Spitzenkraft ver­ schmilzt. 310  Scheele/​Eversmeier, Kommunikation: „Unternehmen brauchen ein Gesicht“, Mana­ ger Magazin Online, 29.4.2004. 311  „Manager in sozialen Medien: Dax-Vorstände unterschätzen Twitter“, Handelsblatt, 19.2.2017, , zuletzt abgerufen am 28.2.2020. 312  Scheele/​Eversmeier, Kommunikation: „Unternehmen brauchen ein Gesicht“, Mana­ ger Magazin Online, 29.4.2004; „Manager in sozialen Medien: Dax-Vorstände unterschät­ zen Twitter“, Handelsblatt, 19.2.2017. 313  Abril, 48 Am. Bus. L. J. 177, 200 (2011), wiederum einen anderen Autor zitierend. 314 Dazu Abril, 48 Am. Bus. L. J. 177, 203 (2011).

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Kapitel 6: Organschaftliche Offenlegungspflichten

IV.  Weitere private Informationen 1.  Gezielte Offenlegung privater Tatsachen In den USA ist das Publikum gewöhnt, über das Privatleben der Führungs­ kräfte informiert zu werden, sei es durch die Presse, sei es durch Unterneh­ men oder Führungskräfte selbst. Das Kapitalmarktrecht, insbesondere die Regulation S‑K, enthält einige ausdrückliche Vorgaben zur Offenlegung pri­ vater Informationen über Führungskräfte.315 Dazu gehören der Name und das Alter316 , familiäre Beziehungen zwischen Führungskräften317, Einbeziehung in bestimmte juristische Verfahren (Insolvenz- und Strafverfahren, andere Verfahren im Bereich des Handels- und des Kapitalmarktrechts, die mit einer Verurteilung oder einem Berufsverbot enden)318 , Vergütung319 sowie Besitz von Wertpapieren der Gesellschaft320. Zusätzlich fordert etwa die Rule 10b–5, die von der SEC gemäß § 10(b) des Exchange Act erlassen wurde, die Offenle­ gung jeder „material information“, soweit Offenlegungspflichten bestehen.321 Die Unsicherheit darüber, was unter „material information“ zu verstehen ist, wirkt als Katalysator bei der Zersetzung der Privatsphäre von Leitern bör­ sennotierter Unternehmen. Kritiker betrachten diese Entwicklung mit Sorge, sehen in ihr aber eine unbeabsichtigte Nebenfolge des Kapitalmarktrechts, das „verständlicherweise“ ohne jede Rücksicht auf Privatbelange der Führungs­ kräfte konzipiert worden sei.322 „Material“ oder „wesentlich“ können je nach Situation ganz unterschied­ liche Privatinformationen sein. Als Beispiele nennt das juristische Schrifttum nicht nur Krankheiten und Straftaten von Führungskräften, sondern auch Krankheit oder Tod eines Kindes, eines Ehepartners, sonstige Probleme mit Kindern, Scheidung vom Ehepartner, außereheliche Beziehungen, diverse Pro­ bleme mit dem Gesetz, Sucht, finanzielle Schwierigkeiten, Erwerb von Häu­ sern oder anderen Luxusgegenständen.323 Sogar der Erwerb eines Weinguts soll unter Umständen „material“ und damit berichtspflichtig sein.324 Es man­ gelt auch nicht an spektakulären Beispielsfällen aus der Presse, solchen wie die 315 Dazu Lin, 87 Notre Dame 316  17 C. F. R. § 229.401(a)-(c). 317  318 

L. Rev. 911, 922 (2012).

17 C. F. R. § 229.401(d). Vgl. 17 C. F. R. § 229.401(f). 319  17 C. F. R. § 229.402. 320  17 C. F. R. § 229.403. 321  Siehe 17 C. F. R. § 240.10b–5(b); dazu Kapitel 3, § 3, II. 2. a). 322 So Schwartz, 57 B. C. L. Rev. 1963, 1719 (2016). 323 Siehe Abril/​Olazábal, 46 Hous. L. Rev. 1545, 1557 ff., 1587 (2010); Lin, 87 Notre Dame L. Rev. 911, 931 f. (2012); ders., 11 U. Pa. J. Bus. L. 383, 385 f., 412 f. (2009); Pollman, 99 Minn. L. Rev. 27, 69 (2014); Schwartz, 40 Fla. St. U. L. Rev. 487, 490, 516 (2013); dies., 57 B. C. L. Rev. 1963, 1720 (2016). 324  So etwa Lin, 11 U. Pa. J. Bus. L. 383, 412 (2009) m. Fn. 178.



§ 2.  Erprobung der Hypothese an weiteren Offenlegungsfällen

509

Geschichte von Chris Albrecht (ex-CEO von Home Box Office), der versucht hat, seine Freundin zu erwürgen325, die Scheidung von Steve Wynn (Immo­ bilien-Tycoon, ex-CEO von Wynn Resorts) und dessen Affäre mit einer 25 Jahre jüngeren Frau326 , oder der verschwenderische Lebensstil von Leo Dennis Kozlowski (ex-CEO von Tyco), der durch Steuerhinterziehung und Ver­ untreuung von Tycos Vermögen finanziert wurde; Kozlowski soll unter ande­ rem 6.000 USD für einen Duschvorhang ausgegeben haben.327 Als potentiell „wesentlich“ werden derartige Informationen deshalb ange­ sehen, weil sie einen Aufschluss über die „Fähigkeit und Integrität“ („abili­ ty and integrity“) der Führungskraft geben können. Für die Beurteilung der Integrität sollen etwa die Informationen über persönliche Ansichten, sexuelle Vorlieben, Grad der persönlichen Verschuldung oder ehelichen Treue sein.328 Im Hinblick auf die „Fähigkeit“ wird zwischen der Fähigkeit unterschieden, sich auf die beruflichen Aufgaben zu fokussieren, und der Fähigkeit, im Amt zu bleiben. Die Konzentration auf die beruflichen Aufgaben könne beispiels­ weise durch eine schwierige Scheidung oder den Tod eines nahen Angehörigen gestört sein.329 Die Beispielliste lässt sich erweitern: Die Konzentration einer Führungskraft kann durch ihre eigene Krankheit oder die Krankheit ihrer An­ gehörigen, eingeleitete Ermittlungsverfahren, Rechtsstreitigkeiten, finanzielle Engpässe, Probleme in der Ehe usw. gestört werden. Die Fähigkeit, im Amt zu bleiben, könne wiederum durch Krankheit oder ernsthafte Straftatvorwür­ fe beeinträchtigt sein.330 Auch hier sind weitere Beispiele denkbar: So könne eine Führungskraft aus dem Unternehmen ausscheiden, um einen schwer er­ krankten Angehörigen zu pflegen, oder einfach, um eine neue Beschäftigung aufzunehmen. Interessanterweise hat aber bisher niemand über die Pflicht des CEO nachgedacht, die Anleger darüber zu informieren, dass er oder sie sich beruflich neu orientieren will. Aus hiesiger Sicht sind solche Informationen nicht offenlegungspflichtig, jedenfalls nicht nach europäischem Kapitalmarktrecht. Bei einigen dieser In­ formationen ist bereits die Eignung zu einer erheblichen Kursbeeinflussung sehr zweifelhaft, etwa bei solchen, die eine Aussage über die persönliche Inte­ grität enthalten sollen. Nicht einmal bei derartigen Führungspersönlichkeiten wie Martha Stewart dürften Informationen über sexuelle Vorlieben, außerehe­ liche Beziehungen oder Scheidungen331 fundamentalwertrelevant sein. Solche Informationen gehören kaum zu den Faktoren, die ein vernünftiger Anleger 325 Dazu Abril/​Olazábal, 46 Hous. L. Rev. 1545, 1558 326  Lair, 27 U. Fla. J. L. & Pub. Pol’y 257, 258 (2016). 327 Dazu 328 Dazu

(2010).

Abril/​Olazábal, 46 Hous. L. Rev. 1545, 1560 f. (2010). Abril/​Olazábal, 46 Hous. L. Rev. 1545, 1556 f. (2010). 329  Schwartz, 57 B. C. L. Rev. 1963, 1720 (2016). 330  Schwartz, 57 B. C. L. Rev. 1963, 1721 (2016). 331  Allerdings passen die letzten beiden Beispiele auf Martha Stewart nicht ganz, denn sie war zum Zeitpunkt der Gründung von MSLO bereits längst geschieden.

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Kapitel 6: Organschaftliche Offenlegungspflichten

bei seiner Anlageentscheidung berücksichtigen würde; sie befriedigen lediglich die Neugier des Publikums.332 Aber sogar wenn sie kursrelevant sein sollten, scheitert ihre Offenlegung spätestens an der grundrechtskonformen Redukti­ on der MAR. Die Information über Sexualität und Sexualleben ist besonders geschützt: Auch wenn man sie nicht der absolut unantastbaren Intimsphäre333, sondern (nur) der Privatsphäre zuordnet, unterliegen etwaige Informationsein­ griffe besonders hohen Anforderungen, die bei Veröffentlichung solcher Infor­ mationen im Interesse des Kapitalmarkts nicht erfüllt wären. Sonstige Infor­ mationen, etwa über außereheliche Beziehungen oder Scheidungen, sind zwar weniger sensibel, jedoch würde auch ihre Veröffentlichung gegen das Über­ maßverbot verstoßen, weil der Beitrag solcher Nachrichten zur Markttrans­ parenz recht überschaubar wäre und einen tiefen Eingriff in die Privatsphäre der Führungskräfte nicht rechtfertigen könnte. Den Verhältnismäßigkeitstest würden auch die Informationen nicht beste­ hen, die den Anlegern signalisieren sollen, dass die Führungskraft von ihren beruflichen Aufgaben abgelenkt sein könnte. Verlässliche Aussagen wären die­ sen Informationen nicht zu entnehmen, denn ein Außenstehender kann an­ hand von äußeren Faktoren nicht sicher beurteilen, ob die Führungskraft wirklich abgelenkt ist oder nicht. Zudem kann die Führungskraft auch beim Fehlen solcher Umstände abgelenkt sein, etwa durch einen anderen Umstand, an dessen Offenlegung man nicht gedacht hat. Sie stellen daher ein sehr un­ sicheres Indiz dar. Dementsprechend gering ist auch ihr Beitrag zur Markt­ transparenz, so dass die Mittel-Zweck-Relation genauso problematisch ist wie im Fall von Scheidungsinformationen. Einige von diesen Informationen bezie­ hen sich zudem auf Familienangehörige der Führungskraft, was die Rechtfer­ tigung des Eingriffs zusätzlich erschwert.334 Die zuletzt genannten Informationen (Krankheit, ernsthafte Straftatvor­ würfe) sind ebenfalls nicht ganz zuverlässig, wenn es darum geht zu beurtei­ len, ob die Führungskraft im Amt bleiben wird. Aus diesem Grund leisten auch sie keinen erheblichen Beitrag zur Verbesserung des Informationsstands der Anleger, so dass der Schutz der Privatsphäre überwiegt und die Offenle­ gung zu unterbleiben hat. Zu veröffentlichen ist erst die Information über per­ sonelle Maßnahmen, die wegen einer Erkrankung oder einer strafrechtlichen Ermittlung erforderlich werden, etwa die Information über Auszeit, Ausschei­ den, Suspendierung usw. Das Gesellschaftsrecht fordert ebenfalls keine Offenlegung der beschriebe­ nen Informationen. Persönliche Probleme der Führungskräfte können zwar zu einem Schaden der Gesellschaft führen, wie am Beispiel von Krankheiten aus­ 332 Vgl.

EGMR NJW 2012, 1053, Rn. 109 f. – v. Hannover/​Deutschland (Nr. 2). den Schwierigkeiten, diesen unantastbaren Bereich festzulegen, siehe Di Fabio, in: Maunz/​Dürig, GG, Art. 2 Rn. 158 ff. 334  Dazu bereits oben, Kapitel 3, § 3, IV. 2. d) aa). 333  Zu



§ 2.  Erprobung der Hypothese an weiteren Offenlegungsfällen

511

führlich erläutert wurde.335 Solche Probleme beanspruchen regelmäßig Zeit und Kraft, die dann für berufliche Aufgaben nicht zur Verfügung stehen. Es besteht außerdem die Gefahr, dass die Konzentration des Betroffenen nach­ lässt und dessen Tätigkeit fehleranfälliger wird. Letztendlich begründen also schwerwiegende private Probleme die Sorge, dass die betroffene Führungs­ kraft ihre Aufgaben nicht ordnungsgemäß erfüllen wird. Allerdings kann die Offenlegung hier keine Abhilfe schaffen, weil die Gesellschaft selbst bei Kenntnis von privaten Problemen ihrer Führungskräfte keine Vorsorge- oder Gegenmaßnahmen ergreifen kann. So kann sie sich von einer Führungskraft nicht schon deshalb trennen, weil diese private Probleme hat. Ein Angebot an den Betroffenen, freiwillig gegen eine Abfindung auszuscheiden, wäre wirt­ schaftlich kaum verantwortlich. Ein Abberufungsgrund liegt in solchen Fällen regelmäßig nicht vor, abgesehen von der Situation, in der ein privates Problem (z. B. eine Suchterkrankung) die Eignung des Betroffenen entfallen lässt oder auch im beruflichen Bereich zu einem Vertrauensverlust führt. In dieser Situa­ tion wird aber der Betroffene seiner Offenlegungspflicht nicht nachkommen, so dass sie in der Praxis leer laufen wird. Im Ergebnis begründen private Pro­ bleme keine Offenlegungspflichten, und das ist aus ethischer und grundrecht­ licher Sicht auch gut so. 2.  Bekanntwerden privater Tatsachen als Nebenfolge einer Offenlegungspflicht Ähnlich wie Fehlverhalten können private Angelegenheiten der Organmitglie­ der als Folge einer anderen (Offenlegungs-)Pflicht in die Öffentlichkeit gelan­ gen. Ein einschlägiger Fall aus der Praxis betraf eine transsexuelle GmbH‑Ge­ schäftsführerin, die bei der Gründung der Gesellschaft noch das männliche Geschlecht hatte und dementsprechend mit ihren ehemals männlichen Vor­ namen ins Handelsregister eingetragen wurde. Nach der Geschlechtsumwand­ lung teilte sie dem Registergericht ihre neuen weiblichen Vornahmen mit, wo­ raufhin das Gericht die neue Namensangabe als Änderung eingetragen und die alte Namensangabe gerötet hat. Die Geschäftsführerin ging dagegen vor, weil sie erreichen wollte, dass ihre alten männlichen Vornamen vollständig aus dem Register entfernt werden, um alle Rückschlüsse auf die Transsexualität zu verhindern. Die Registereintragungen sollten so aussehen, als hätte die GmbH von Anfang an eine weibliche Geschäftsführerin gehabt. Im Rechtsstreit ging es um die Frage, ob das Offenbarungsverbot des § 5 Abs. 1 TSG der transsexuel­ len Organperson einen Anspruch auf Löschung ihres früheren Vornamens im Handelsregister gewährt.336 335 

Kapitel 3, § 1 (Einleitung). BGH, Beschl. v. 3.2.2015 – II ZB 12/14, NJW 2015, 2116.

336 Siehe

512

Kapitel 6: Organschaftliche Offenlegungspflichten

Eine Pflicht des Organmitglieds, seine Transsexualität zu offenbaren, wäre ein schwerer Grundrechtseingriff, weil die Privatheit der Sexualsphäre grund­ rechtlich geschützt ist, insbesondere auch die Geschlechtsumwandlung und deren personenstandsrechtliche Folgen.337 Ein solcher Eingriff wäre nicht zu rechtfertigen, denn es wäre bereits unklar, welchem legitimen Zweck er dienen soll. In casu waren die Grundrechte der Geschäftsführerin auf Achtung des Privatlebens (Art. 7 GRCh, Art. 8 EMRK) und auf Schutz personenbezogener Daten (Art. 8 GRCh) sowie die Berufsfreiheit (Art. 15 GRCh) betroffen.338 Die Offenbarung der früheren Vornamen war indes nur eine Folge einer anderen Pflicht, nämlich der Pflicht der Geschäftsführerin, ihre Personalien dem Han­ delsregister mitzuteilen. Es fragt sich wie beim Fehlverhalten, ob diese Ge­ schäftsführerpflicht auch dann verhältnismäßig i. e. S. ist, wenn sie keine Aus­ nahmen für transsexuelle Personen zulässt, obwohl sie bei ihnen zu deutlich stärkeren Beeinträchtigungen der Privatsphäre führt als bei nicht transsexuel­ len Personen, die der Gesetzgeber im Blick hatte, als er die Registerpublizität regelte. Diese Frage ist grundsätzlich mit Hilfe einer Interessenabwägung zu beantworten. Der BGH ist einen anderen Weg gegangen, weil er die Registerpublizität nicht am Maßstab der Grundrechte, sondern am einfachgesetzlichen Maßstab des § 5 Abs. 1 TSG gemessen hat. Dieser besagt, dass die früheren Vornamen einer transsexuellen Person ohne deren Zustimmung nicht offenbart oder aus­ geforscht werden dürfen, es sei denn, dass besondere Gründe des öffentlichen Interesses dies erfordern oder ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird. Der BGH hat die Vorschrift zutreffend als Konkretisierung des verfassungs­ rechtlichen Verhältnismäßigkeitsgebots gewertet.339 Dementsprechend hat er die Offenlegungspflicht des Geschäftsführers gegenüber dem Handelsregister einer vollständigen Verhältnismäßigkeitsprüfung unterzogen, was nicht zu be­ anstanden ist, zumal die Prüfung einwandfrei vorgenommen wurde.340 Als legitimes Ziel der Registerpublizität bzw. als „besonderen Grund des öf­ fentlichen Interesses“ i. S. v. § 5 Abs. 1 TSG hat der BGH den Schutz des Rechts­ verkehrs angesehen. Die Person des Geschäftsführers gehöre zu den essentiel­ len Informationen über eine GmbH, weil dieser das vertretungsberechtigte Organ der Gesellschaft sei, das im Rechtsverkehr verbindlich für sie handeln dürfe. Damit Dritte im Rechtsverkehr diesen verlängerten „natürlichen“ Arm 337 

Jarass, in: Jarass/​Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 39. J. Schmidt, GmbHR 2015, R209, R210, die zutreffend darauf hinweist, dass die Grundrechte des Grundgesetzes angesichts der europarechtlichen Prägung der Mate­ rie nicht einschlägig waren; der BGH hat diese Frage offen gelassen, BGH NJW 2015, 2116, Rn. 25. 339 Vgl. BGH NJW 2015, 2116, Rn. 12. 340  Siehe auch die positive Kritik bei Bayer, in: Lutter/​Hommelhoff, GmbHG, § 8 Rn. 3; Kleefass, EWiR 2015, 533 f.; J. Schmidt, GmbHR 2015, R209 f.; dies., FS Bergmann, S. 637, 650; a. A. Block, LMK 2015, 371625. 338 Vgl.



§ 2.  Erprobung der Hypothese an weiteren Offenlegungsfällen

513

der Gesellschaft identifizieren könnten, würden der Vor- und Familienname des Geschäftsführers nebst Geburtsdatum und Wohnort im Handelsregister eingetragen.341 Anschließend stellte sich die Frage, ob zum Schutz des Rechts­ verkehrs eine lückenlose chronologische Dokumentation aller Vorgänge im Handelsregister notwendig ist. Denn die Kritiker weisen darauf hin, dass sich die Beeinträchtigung der Grundrechte der Geschäftsführerin vollständig ver­ meiden ließe, wenn das Registergericht ihre alten männlichen Vornamen kom­ plett gelöscht hätte. Auch in diesem Fall würde das Register den Rechtsverkehr zutreffend darüber informieren, wer der Geschäftsführer der GmbH sei.342 Der BGH hat sich demgegenüber zu Recht auf den Standpunkt gestellt, dass der Schutz des Rechtsverkehrs die Beibehaltung früherer Eintragungen erfor­ dere, damit auch Sachverhalte aus der Vergangenheit zutreffend beurteilt wer­ den könnten: „Was einmal publik gemacht wurde, kann nicht mehr rückgängig gemacht werden.“343 Wie jede Person hat auch die Geschäftsführerin Spuren in der Vergangenheit hinterlassen, indem sie die Verträge für die GmbH mit ihren ehemaligen männlichen Vornamen unterschrieben hatte. Wären diese Vor­ namen komplett aus dem Register entfernt, müsste ein Dritter, der den alten Vertrag in der Hand hat, annehmen, dieser sei von einem Unbefugten unter­ zeichnet worden, denn das Handelsregister sage ganz klar, dass die Geschäfts­ führerin schon immer eine Frau gewesen sei.344 Abgesehen von dieser Einzel­ fallproblematik wäre auch die Zuverlässigkeit des Registers insgesamt in Frage gestellt, wenn nachträgliche Eingriffe in abgeschlossene Eintragungen zulässig wären.345 Das Handelsregister gliche dann einer Zeitung aus Orwells „1984“, deren Inhalt täglich verändert wird, um ihn mit der aktuellen politischen Linie in Einklang zu bringen. Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit i. e. S. hat der BGH dem In­ teresse des Rechtsverkehrs daran, dass die Eintragungen im Handelsregister verlässlich und frühere Eintragungen unveränderbar sind, größeres Gewicht beigemessen als dem Interesse der Geschäftsführerin an der Geheimhaltung ihrer früheren Geschlechtsidentität. Dabei dürfte der Umstand eine Rolle ge­ spielt haben, dass das Register die Transsexualität der Geschäftsführerin nicht direkt offenbarte, sondern nur indirekte Hinweise darauf enthielt. Dabei hatte das Registergericht versucht, die Interessen der Geschäftsführerin so gut wie möglich zu wahren: Es hatte ihren Änderungsantrag nebst Antrag beigefüg­ ten Unterlagen (die Ausfertigung des amtsgerichtlichen Beschlusses über die 341 

BGH NJW 2015, 2116, Rn. 15. LMK 2015, 371625.

342 Vgl. Block, 343  BGH NJW

2015, 2116, Rn. 20; J. Schmidt, GmbHR 2015, R209; dies., FS Bergmann, S. 637, 649. 344 Vgl. BGH NJW 2015, 2116, Rn. 17, 19; J. Schmidt, GmbHR 2015, R209, R210; dies., FS Bergmann, S. 637, 650. 345  BGH NJW 2015, 2116, Rn. 18 f.; Kleefass, EWiR 2015, 533, 534.

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Kapitel 6: Organschaftliche Offenlegungspflichten

Namensänderung und die Geburtsurkunde) nicht in dem zum elektronischen Registerblatt geführten, online zugänglichen Registerordner abgelegt. Daher war es nicht möglich, durch die Einsicht in den Registerordner festzustellen, worauf die Änderung letztendlich beruht.346 Vor diesem Hintergrund hat der BGH angenommen, das Register gebe keinen direkten Hinweis auf das frü­ here männliche Geschlecht der Geschäftsführerin. Die Eintragungen könn­ ten auch als Geschäftsführerwechsel interpretiert werden. Dem naheliegenden Einwand, es sei ungewöhnlich, dass die neue Geschäftsführerin den gleichen Familiennamen habe und am selben Tag geboren worden sei wie der alte Ge­ schäftsführer, hält der BGH entgegen, dieser Umstand lasse nicht zwingend auf eine Geschlechtsanpassung schließen; angesichts des nicht sehr hohen Anteils von Transsexuellen an der Bevölkerung sei es sogar wahrscheinlicher, dass es sich um die Ehefrau des alten Geschäftsführers handele, die zufällig am selben Tag geboren worden sei, oder um eine Zwillings- oder Mehrlingsschwester.347 Auch wenn das letzte Argument nicht vollends überzeugen kann348 , ist dem BGH im Ergebnis zuzustimmen, zumal es weitere Gesichtspunkte gibt, die für die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs sprechen. Einen davon hat der BGH ebenfalls angesprochen, nämlich die Tatsache, dass die Namensänderung nicht aus dem kostenlosen aktuellen Auszug aus dem Register, sondern erst aus einem kostenpflichtigen chronologischen Ausdruck ersichtlich war.349 Des Weiteren ließe sich argumentieren, dass die Person, die sich als Geschäftsfüh­ rer einer GmbH betätigt, sich im Klaren darüber sein muss, dass damit auch gewisse Publizitätspflichten einhergehen.350 Eine transsexuelle Person muss somit im Falle einer Namensänderung damit rechnen, dass ihr alter Name im Handelsregister gespeichert bleibt. Ein ähnliches Problem besteht im Übrigen auch im Hinblick auf das Melderegister, dessen Eintragungen ebenfalls nicht nachträglich gelöscht werden. Dort gibt es indes eine Lösung in Form der Re­ gistersperre351, die beim Handelsregister nicht in Betracht kommt. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass § 5 TSG selbst Ausnahmen vom Offenbarungsver­ bot macht, um die Interessen des früheren Ehegatten, der Eltern, der Groß­ eltern und der Abkömmlinge der transsexuellen Person zu wahren. Das Ge­ setz erkennt an, dass dieser Personenkreis ein Interesse daran haben kann, den 346 Siehe

BGH NJW 2015, 2116 (Sachverhalt). BGH NJW 2015, 2116, Rn. 11, 21, wobei er mit dieser Begründung bereits eine „Offenbarung“ i. S. d. § 5 TSG anzweifelt. Die „Offenbarung“ darf aber nicht zu eng inter­ 347 So

pretiert werden, um den Schutz transsexueller Personen nicht zu verkürzen, so die berech­ tigte Kritik von Block, LMK 2015, 371625. 348 Vgl. J. Schmidt, GmbHR 2015, R209: relativ leicht möglicher Schluss auf die Trans­ sexualität. 349  BGH NJW 2015, 2116 Rn. 22; Kleefass, EWiR 2015, 533, 534; J. Schmidt, GmbHR 2015, R209, R210; dies., FS Bergmann, S. 637, 650. 350  Vgl. EuGH, C-398/15, Rn. 59 – Manni. 351 Dazu Spickhoff, in Spickhoff, Medizinrecht, TSG, § 5 Rn. 1.



§ 3.  Ergebnisse

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früheren Vornamen der transsexuellen Person zu verwenden, und erlaubt dies, solange es nicht um die Führung öffentlicher Bücher und Register geht. Der transsexuellen Person wird also zugemutet, die Verwendung ihres früheren Vornamens durch ihre Angehörigen zu dulden. Daher darf die Zumutbarkeits­ schwelle auch in anderen Bereichen nicht zu hoch angesetzt werden.

§ 3.  Ergebnisse Die Betrachtung weiterer Fallgruppen der Offenlegungspflicht hat die all­ gemeine Hypothese bestätigt, dass bei allen Offenlegungspflichten der Or­ ganmitglieder das Verhältnismäßigkeitsgebot gilt. Mit Hilfe des Verhält­ nismäßigkeitsgebots lassen sich nicht geregelte Offenlegungspflichten grundrechtskonform gestalten und gesetzliche Offenlegungsvorschriften auf ihre Grundrechtskonformität hin überprüfen. Bei der Überprüfung gesetzlicher Vorschriften ist allerdings aufgefal­ len, dass manche von ihnen bereits den grundrechtlichen Anforderungen an die gesetzliche Grundlage nicht in jeder Hinsicht genügen. Es geht dabei um EU‑Vorschriften, die das Grundrecht auf Schutz personenbezogener Daten beeinträchtigen. In solchen Fällen muss die gesetzliche Grundlage klare und präzise Regeln für die Tragweite und die Anwendung der fraglichen Maßnah­ men vorsehen, insbesondere den Zweck der Datenverarbeitung festlegen. Dies ist bei den EU‑Regelungen zu Directors’ Dealings teilweise problematisch, weil sie die Pflicht der Führungskräfte, dem Emittenten ihre eng verbundenen Personen zu nennen, nicht einmal erwähnen, obwohl der Emittent ohne sie seiner Verpflichtung zur Führung der Liste eng verbundener Personen (Art. 19 Abs. 5 Unterabs. 1 S. 2, 2. Var. MAR) nicht nachkommen kann. Die Pflicht als solche kann zwar aus der Sorgfaltspflicht der Vorstandsmit­ glieder (§ 93 Abs. 1 S. 1 AktG) bzw. aus der Treuepflicht der Aufsichtsrats­ mitglieder (§ 116 AktG) abgeleitet werden, diese organschaftlichen Pflichten waren jedoch nie dazu gedacht, Eingriffe in Art. 8 GRCh zu rechtfertigen, und entsprechen deshalb nicht den formellen Anforderungen, die dieser Artikel an Datenverarbeitungsnormen stellt. Es wäre also Sache des EU‑Gesetzgebers ge­ wesen, beim Erlass der MAR oder der entsprechenden Durchführungsbestim­ mungen für die Einhaltung der Vorschriften der GRCh hinreichend Sorge zu tragen. Ähnliche Probleme gibt es bei den EU‑Vorschriften zur Prospektpubli­ zität: Art. 13 Abs. 2 EU‑Prospekt-VO ermächtigt die Kommission zu inhalt­ lichen Vorgaben für den Prospekt, ohne zu bedenken, dass die Kommission dabei empfindliche Grundrechtseingriffe vornehmen kann. Die Norm ähnelt daher einer Blankettermächtigung. In materieller Hinsicht konnten jene Offenlegungspflichten den Verhältnis­ mäßigkeitstest am leichtesten bestehen, die sich nicht auf sensible Daten bezo­

516

Kapitel 6: Organschaftliche Offenlegungspflichten

gen, etwa die Pflicht zur Meldung der Eigengeschäfte und die Pflicht zur Nen­ nung der eng verbundenen Personen (Directors’ Dealings) sowie die Pflicht zur Offenlegung der eigenen Annahmeabsicht bei Übernahmeangeboten. Es ist also nicht nur zwischen personenbezogenen und nicht personenbezogenen Daten zu unterscheiden, sondern auch innerhalb der Kategorie der personen­ bezogenen Daten zwischen sensiblen und nicht sensiblen Daten. Die allgemei­ ne Hypothese bedarf einer entsprechenden Ergänzung. Im Hinblick auf die einzelne Stufen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zeig­ te sich erneut, dass die Geeignetheit regelmäßig dann problematisch ist, wenn es sich um einen dauerhaften Interessenkonflikt handelt. So können zwar schwerwiegende private Probleme dazu führen, dass das Leistungsniveau der betroffenen Führungskraft abfällt, die Offenlegung kann hier jedoch keine Abhilfe schaffen, weil die Gesellschaft selbst bei Kenntnis der privaten Proble­ me ihrer Führungskräfte keine Vorsorge- oder Gegenmaßnahmen ergreifen könnte. Die Geeignetheit kann außerdem dann problematisch sein, wenn die Offenlegungspflicht auf eine Selbstbezichtigung hinausläuft. Wären z. B. be­ sondere Schlüsselpersonen in börsennotierten Gesellschaften verpflichtet, ihr außerdienstliches Fehlverhalten zu offenbaren, so würde dies wegen der sich daran anschließenden Ad-hoc-Publizitätspflicht zu einer öffentlichen Selbst­ bezichtigung führen. Aus diesem Grund wäre mit der Erfüllung einer solchen Offenbarungspflicht kaum zu rechnen, so dass sie nicht geeignet wäre, verhal­ tenssteuernd zu wirken. Eine derartige Selbstbelastungspflicht würde außer­ dem spätestens an der Angemessenheitshürde scheitern, da es dem Organmit­ glied nicht zuzumuten ist, sich selbst öffentlich zu belasten. Die Erforderlichkeit war in den analysierten Fallgruppen meist unproble­ matisch, mit Ausnahme der noch geltenden Regelungen zur Prospektpublizi­ tät, welche die Offenlegung von öffentlichen Anschuldigungen und Sanktio­ nen verlangen, ohne die Art des Vorwurfs auch nur ansatzweise zu präzisieren, so dass theoretisch sogar Verkehrsverstöße darunter fallen. Beim Fehlen ge­ setzlicher Regelungen lassen sich die Offenlegungspflichten immer so gestal­ ten, dass sie nicht über das erforderliche Maß hinausgehen. Dies zeigte sich vor allem an der Pflicht zur Nennung der eng verbundenen Personen (Nennung nur des Namens) oder der Offenlegungspflicht bei Anstellungsverhandlun­ gen (Nennung nur der Vorstrafen, die Bestellungshindernisse begründen oder sonst im Zusammenhang mit der Organstelle einschlägig sind). Bei der Prüfung der Angemessenheit fielen wiederum die EU‑Vorschriften zur Prospektpublizität auf, die Organmitgliedern keinen ausreichenden Schutz bei der Veröffentlichung von Strafdaten gewähren. Vorgesehen ist weder Lö­ schung noch Sperrung personenbezogener Strafdaten. Stattdessen enthält Art. 21 Abs. 7 EU‑Prospekt-VO die starre Regelung, dass alle gebilligten Pro­ spekte nach ihrer Veröffentlichung mindestens zehn Jahre lang auf verschie­ denen Webseiten öffentlich zugänglich bleiben müssen, unter anderem auf der



§ 3.  Ergebnisse

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Webseite des Emittenten, des geregelten Marktes und der ESMA. Bei Straf­ daten kann diese Regelung dazu führen, dass eine Straftat auf offiziellen Web­ seiten veröffentlicht bleibt, obwohl sie längst aus dem Bundeszentralregister getilgt ist. Wegen der Missachtung des Resozialisierungsinteresses ist diese Webseitenregelung unverhältnismäßig i. e. S. Was schließlich die dogmatische Grundlage der Offenlegungspflichten an­ geht, so bestätigt sich das bisherige Bild: Meist entspringt die Offenlegungs­ pflicht der Organmitglieder der Sorgfalts-, der Treue- oder der vorvertragli­ chen Aufklärungspflicht, wenn sie nicht wie die Meldepflicht bei Directors’ Dealings gesetzlich geregelt ist. So folgt die Offenlegungspflicht bei Anstel­ lungsverhandlungen aus der vorvertraglichen Aufklärungspflicht; die Pflicht, der Gesellschaft außerdienstliches Fehlverhalten oder sonstige private Infor­ mationen offenzulegen, hätte, wenn es sie gäbe, ihre Grundlage in der Treue­ pflicht. Dabei wurde festgestellt, dass die Treuepflicht bewegliche Grenzen hat und umso tiefer in das Privatleben hineinreichen kann, je mehr die Organper­ son die Grenze zwischen Beruf und Privatleben verwischt. Manche Offenlegungspflichten sind zwar gesetzlich nicht geregelt, haben aber eine gesetzliche Regelung als Anknüpfungspunkt. So knüpft die Pflicht zur Nennung der eng verbundenen Personen an die Listenführungspflicht des Emittenten an, die Pflicht zur Offenlegung eigener Annahmeabsicht bei Über­ nahmeangeboten an die entsprechende Pflicht des Vorstands bzw. des Auf­ sichtsrats aus § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 WpÜG, die Pflicht zur Offenlegung betrü­ gerischer Straftaten im Rahmen der Prospektpublizität an die Prospektpflicht des Emittenten. Die dogmatische Grundlage für diese abgeleiteten Pflichten ist dann entweder die Sorgfalts- oder die Treuepflicht der Organmitglieder. Die Ergebnisse der Untersuchung sind in der nachstehenden Tabelle zu­ sammengefasst: Tabelle 5: Weitere organschaftliche Offenlegungspflichten Fallgruppe

Zweck der Pflicht

Meldung der Markttrans­ Eigengeschäf­ parenz, Indi­ te katorwirkung, Anlegergleich­ behandlung Nennung der eng verbun­ denen Per­ sonen

Annex zur Lis­ tenführungs­ pflicht des ­Emittenten

DogmatiGrundrechts­ sche Grund- beeinträchtigung lage (Schwerpunkt und Schwere) Art. 19

MAR (Di­

rectors’ Dealings)

Umfang der Offenlegung

Privatsphäre, Name, Position, An­ ­Datenschutz (mit­ gaben zum Geschäft telschwerer Ein­ (nicht sensible Daten) griff)

Privatsphäre, Da­ Sorgfalts­ pflicht/​ tenschutz (mit­ Treuepflicht telschwerer Ein­ griff)

Name der eng verbun­ denen Person (nicht sensible Daten); Pro­ blem: formelle Verfas­ sungsmäßigkeit

518

Kapitel 6: Organschaftliche Offenlegungspflichten

Fallgruppe

Zweck der Pflicht

DogmatiGrundrechts­ sche Grund- beeinträchtigung lage (Schwerpunkt und Schwere)

Eigene An­ nahmeabsicht bei Übernah­ meangeboten

Annex zur Pflicht der ­Organe aus § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 WpÜG

Sorgfalts­ pflicht

Umfang der Offenlegung

Privatsphäre, Annahme-/Ableh­ ­Datenschutz nungsabsicht/​Unent­ (leichter Eingriff) schlossenheit (nicht sensible Daten)

Außerdienst­ Aufklärung des Vertragsgegners liches Fehl­ verhalten (Anstellungsverhandlun­ gen)

Vorvertrag­ Privatsphäre, Da­ liche Auf­ tenschutz (schwe­ klärungs­ rer Eingriff) pflicht

Außerdienst­ Annex zur Pro­ liches Fehl­ spektpflicht des Emittenten verhalten (Prospektpublizität)

Sorgfalts­ Privatsphäre, Da­ Betrügerische Straf­ pflicht/​ tenschutz (schwe­ taten; Probleme: for­ Treuepflicht rer Eingriff) melle Verfassungs­ mäßigkeit, Erfassung weiterer Straftaten, Missachtung des Re­ sozialisierungsgedan­ kens

Vorstrafen (Bestel­ lungshindernisse und einschlägige Vorstra­ fen), nicht: sonstige Pflichtverstöße, Er­ mittlungsverfahren

Außerdienst­ liches Fehl­ verhalten (in­ tern)

Schadensabwen­ Treuepflicht Privatsphäre, dung (Fest­ ­ atenschutz D legung einer (schwerer Ein­ PR‑Strategie) griff)

Sonstige pri­ vate Tatsa­ chen

Schadensabwen­ Treuepflicht Privatsphäre, Da­ keine Offenlegung dung tenschutz (schwe­ (ungeeignetes Mittel) rer Eingriff)

keine Offenlegung (ungeeignetes/unange­ messenes Mittel)

Schlusswort Am Schluss angekommen, kann man sicher sagen, dass die Offenlegungs­ pflichten der Organmitglieder zu einer Familie gehören. Sie besitzen die Wittgenstein’sche Familienähnlichkeit im Sinne von gemeinsamen Zügen, die bei einigen Familienmitgliedern auftauchen und bei anderen wieder ver­ schwinden. Zu diesen gemeinsamen Zügen gehört etwa die Treuepflicht, die manchen organschaftlichen Offenlegungspflichten einen dogmatischen Halt gibt und bei den anderen versagt, weil sie durch die Sorgfaltspflicht oder die vorvertragliche Aufklärungspflicht zurückgedrängt wird. Darüber hinaus zeichnen sich alle organschaftlichen Offenlegungspflichten durch eine ein­ heitliche Struktur aus, die vom Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vorgegeben wird und dazu dient, Eingriffe in die Grundrechte der Organpersonen mög­ lichst gering zu halten. Die gebotene Zurückhaltung bei der Auferlegung von Offenlegungspflich­ ten führt dazu, dass sie kein Universalmittel zur Lösung von Konflikten zwi­ schen dem Gesellschaftsinteresse und den Belangen der Organperson sind. Offenlegungspflichten sind ein präzises Instrument, das vor allem bei punk­ tuellen Interessenkonflikten passgenaue Lösungen erlaubt. Bei tiefer liegenden Dauerkonflikten birgt dagegen die Offenlegung häufig die Gefahr, dass sensi­ ble Grundrechte verletzt werden und das eigentliche Problem dennoch unge­ löst bleibt. Ein „gläsernes Organmitglied“ ist also nicht das Ziel, welches das moderne Gesellschaftsrecht anstreben soll. Das Ziel ist vielmehr ein Organ­ mitglied, dessen Privatsphäre vom Recht respektiert wird und welches umge­ kehrt persönliche Daten anderer, etwa die Daten von Mitarbeitern und Kun­ den, respektvoll behandelt. Denn Organmitglieder, vor allem Mitglieder der Geschäftsleitung, tragen insofern gewisse Pflichten im Hinblick auf Daten­ schutz und Datensicherheit. Dazu gehört auch eine Pflicht zur Errichtung eines Datenschutz-Compliance-Systems, die in Anlehnung an die Grundsätze des Neubürger-Urteils1 konstruiert wird.2 Die Problematik ist vor allem des­ halb virulent, weil die DS‑GVO die Bußgeldandrohungen für Unternehmen und damit deren wirtschaftliche Risiken bei Datenschutzversäumnissen dras­ 1 

LG München I, Urt. v. 10.12.2013 – 5 HKO 1387/10, 5HK O 1387/10, 5 HK O 1387/10,

NZG 2014, 345 – Neubürger. 2 Dazu

Löschhorn/​Fuhrmann, NZG 2019, 161 ff.; Korch/​Chatard, AG 2019, 551 ff.

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Schlusswort

tisch erhöht hat. Ein pflichtvergessener Geschäftsleiter muss also auch in die­ sem Bereich mit einer persönlichen (Regress-)Haftung rechnen.3 Die ordnungsgemäße Erfüllung datenschutzrechtlicher (Compliance-) Pflichten setzt aber ein gewisses Gespür für die Datenschutzproblematik vo­ raus, das einem „gläsernen“ Geschäftsleiter fehlen könnte. Nach einer neue­ ren, von der US‑Wissenschaftlerin Victoria Schwartz entwickelten Theorie kann sich ein geringer Schutz der Privatsphäre von Führungskräften negativ auf unternehmerische Entscheidungen im Datenschutzbereich auswirken. Die Entwicklung der Wirtschaftsführungskraft zu einer „öffentlichen Person“ be­ dinge eine Auslese, bei der Spitzenämter in Unternehmen vorzugsweise von Personen besetzt würden, welche Privatsphäre nicht genügend schätzten. Sol­ che Führungskräfte würden über datenschutzrechtliche Implikationen ihrer Entscheidungen zu wenig nachdenken oder die entsprechende Problematik unterbewerten, was zu gravierenden Versäumnissen beim Datenschutz füh­ ren könne.4 Bei der Entscheidung, ob die Firmenfahrzeuge mit GPS ‑Trackern ausgestattet werden oder ob die Kundendaten in einer zentralen Datenbank gespeichert werden sollten, würden solche Manager lediglich über den mög­ lichen finanziellen Aufwand oder die Effizienz reflektieren, nicht aber über den Datenschutz.5 Denn solche korporative Entscheidungsträger gehörten zur Kategorie von Menschen, die „to use the language of law school professors, […] may not even spot the privacy issue on the exam“6 . Auf diese Weise über­ tragen sich Datenschutzlücken auf Organwalterebene auf die Unternehmens­ ebene, wo sie zur Nachlässigkeit im Umgang mit Daten zahlreicher anderer Menschen führen. Diese Theorie ist zwar empirisch nicht belegt7, beschreibt aber recht plausi­ bel den Weg vom gläsernen Vorstand zum gläsernen Mitarbeiter und gläsernen Kunden. Ist das die „schöne neue Welt“ und wie kann das Recht sie erträgli­ cher machen? In Deutschland und in Europa dürfte das Problem abgeschwächt sein, nicht zuletzt dank der Datenschutzgesetze und des großen Stellenwerts der informationellen Selbstbestimmung in der Rechtsprechung des BVerfG, des EuGH und des EGMR. Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass sich Schwartz für das Amt eines CPO, d. h. eines chief privacy officers stark­ macht – in Anlehnung an das europäische Datenschutzrecht und die Figur des Datenschutzbeauftragten.8 Aber ausgerechnet die neueren EU‑Vorschriften zeigen erstaunlich wenig Sensibilität für den Datenschutz, sobald dieser nicht zu ihrem primären Regelungsgegenstand gehört. Wenn wir aber in Europa 3  Löschhorn/​Fuhrmann, NZG 2019, 161, 170; Korch/​Chatard, 4 Siehe Schwartz, 57 B. C. L. Rev. 1963, 1712, 1727 ff. (2016). 5  6 

Schwartz, 57 B. C. L. Rev. 1963, 1735 (2016). Schwartz, 57 B. C. L. Rev. 1963, 1731 (2016). 7 So Schwartz, 57 B. C. L. Rev. 1963, 1744 (2016). 8 Siehe Schwartz, 57 B. C. L. Rev. 1963, 1739 ff. (2016).

AG 2019, 551, 558 f.

Schlusswort

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Unternehmen und Führungskräfte haben wollen, die behutsam mit der Privat­ sphäre von Kunden und Mitarbeitern umgehen, müssen wir nicht nur im Da­ tenschutzrecht, sondern auch im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht zwi­ schen erwünschter und unerwünschter Transparenz unterscheiden.

Zusammenfassung in Thesen A. Allgemeines 1.  Alle Offenlegungspflichten der Organmitglieder haben die gleiche Struk­ tur, die vom Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vorgegeben wird. Eine organ­ schaftliche Offenlegungspflicht, welche die Grundrechte ihrer Adressaten be­ achtet, dient stets einem legitimen Zweck, ist zu dessen Erreichung geeignet sowie erforderlich und im Übrigen angemessen (verhältnismäßig i. e. S.). Nur dieser vollständige Verhältnismäßigkeitstest mit seinen vier Elementen kann sicherstellen, dass die konkrete Offenlegungspflicht methodisch korrekt, ra­ tional kontrollierbar und dogmatisch generalisierbar formuliert ist. Eine bloße Interessen- oder Güterabwägung kann dies nicht gewährleisten. Sie ist nur dann statthaft, wenn der Informationseingriff nicht wie bei einer Offenle­ gungspflicht final gewollt ist, sondern als Nebenfolge einer anderen Pflicht (re­ flexartig) eintritt. In diesem Fall ist zu prüfen, ob die zuletzt genannte Pflicht verhältnismäßig i. e. S. ist, obwohl sie in bestimmten Konstellationen faktisch zu einem Offenlegungszwang führt. 2.  Die Unterschiede zwischen den einzelnen Offenlegungspflichten erklären sich dadurch, dass das Ergebnis der Verhältnismäßigkeitsprüfung von variab­ len Parametern abhängt, die letztlich über die Existenz und den Umfang der jeweiligen Offenlegungspflicht entscheiden. Zu diesen Parametern zählen die Art des Interessenkonflikts; die Gefahr, sich durch die Pflichterfüllung selbst zu belasten; die Sensibilität der Grundrechte, in welche die Offenlegungs­ pflicht eingreift; die Sensibilität der Daten, die offengelegt werden sollen und die Wichtigkeit des legitimen Ziels, dem die Offenlegung dient. 3. Soweit die konkrete Offenlegungspflicht dazu dient, den Konflikt zwi­ schen dem Interesse der Organperson und der Gesellschaft zu lösen (im Ge­ gensatz zu den Offenlegungspflichten, die kapitalmarktrechtlichen Zielen die­ nen), spielt die Art des zu lösenden Interessenkonflikts eine große Rolle. Zur Lösung punktueller Interessenkonflikte ist die Offenlegung in der Regel ge­ eignet und erforderlich. Bei dauerhaften Interessenkonflikten sind Offenle­ gungspflichten häufig nicht das richtige Instrument zur Konfliktlösung, da sie entweder ungeeignet sind oder nicht das mildeste Mittel darstellen. Das

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Zusammenfassung in Thesen

herrschende Postulat, dass alle Interessenkonflikte offenzulegen sind, ist vor diesem Hintergrund nicht richtig. Dieses Postulat dürfte der Überzeugung geschuldet sein, dass die Offenlegung das mindeste sei, was man von einem loyalen Organmitglied erwarten könne, und daher stets zumutbar sei. Es gilt aber zu bedenken, dass Offenlegungspflichten derart gravierende Infor­ mationseingriffe bewirken können, dass eine Pflicht des Organmitglieds zur Amtsniederlegung, diese ultima ratio der Konfliktlösung, im Vergleich dazu ein milderes Mittel sein kann. 4. Die Gefahr, sich durch die Pflichterfüllung selbst zu belasten, spielt vor allem an zwei Stellen der Verhältnismäßigkeitsprüfung eine Rolle: bei der Ge­ eignetheit und der Angemessenheit. Im Hinblick auf die Geeignetheit ist zu bedenken, dass bei Pflichten, die einen Selbstbezichtigungszwang begründen, eine große Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie von ihren Adressaten nicht er­ füllt werden (Non-Compliance). Sie können dann in einer großen Zahl der Fälle das menschliche Verhalten nicht so steuern, wie ihr Normbefehl vorgibt, so dass ihre Wirksamkeit herabgesetzt ist. Ob solche Offenlegungspflichten dennoch als geeignet angesehen werden können, ist für jede konkrete Pflicht gesondert zu entscheiden, wobei die Gesamtmischung aller Befolgungsanrei­ ze und Gegenanreize ausschlaggebend ist. Liegt demnach zumindest eine Teilgeeignetheit vor, so ist im Rahmen der Angemessenheitsprüfung zu un­ tersuchen, inwieweit dem Organmitglied die Selbstbelastung zuzumuten ist. Geht es um die Offenlegung möglicher oder abgeurteilter Straftaten, so ist der strafprozessuale Nemo-tenetur-Grundsatz bzw. Resozialisierungsgedanke zu berücksichtigen. Zur Wahrung des strafprozessualen Nemo-tenetur-Grund­ satzes reicht ein bloßes Verwertungsverbot nicht aus, weil es keine Fernwir­ kung entfaltet; erforderlich ist vielmehr ein umfassendes Verwendungsverbot wie in § 97 Abs. 1 S. 3 InsO und (wohl auch) in § 630c Abs. 2 S. 3 BGB. 5.  Im Hinblick auf die Sensibilität der Grundrechte ist von Bedeutung, auf welche Daten sich die Offenlegungspflicht bezieht. Handelt es sich um per­ sonenbezogene Daten, greift die Offenlegungspflicht stets in das Grund­ recht auf Schutz personenbezogener Daten (Art. 8 GRCh) ein. Dabei ist zu beachten, dass dieses Grundrecht erhöhte Anforderungen an die gesetzli­ che Eingriffsgrundlage stellt, die in der Praxis oft nicht erfüllt werden, und zwar gerade vom EU‑Recht (Kapitalmarkt- und Prospektrecht). Neben dem Grundrecht aus Art. 8 GRCh sind regelmäßig die Grundrechte betrof­ fen, die die Privatsphäre schützen (Art. 7 GRCh, Art. 8 EMRK, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG). Bei allen diesen Rechten handelt es sich um sensible Grundrechte, die den Umfang der Offenlegungspflicht erheblich reduzieren können. Sind keine personenbezogenen Daten, sondern nur Daten mit einem Unternehmens- oder Marktbezug offenzulegen, ist häufig nur die allgemeine Handlungsfreiheit, manchmal auch die Berufsfreiheit (Art. 15 GRCh, Art. 12



A. Allgemeines

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GG) und die unternehmerische Freiheit (Art. 16 GRCh) betroffen. Die Offen­ legungspflicht, die in diese Grundrechte eingreift, ist regelmäßig leichter zu rechtfertigen. 6.  Beim Eingriff in personenbezogene Daten ist zusätzlich zu unterscheiden, ob es sich um sensible Daten i. S. d. Art. 9 und 10 DS‑GVO handelt oder nicht. Beim Eingriff in sensible Daten (etwa Straf- oder Gesundheitsdaten) ist es für die Offenlegungspflicht regelmäßig schwer, die Hürden der Erforderlichkeit und der Angemessenheit zu nehmen. Sind dagegen nur unsensible personenbe­ zogene Daten wie z. B. der Name offenzulegen, kann die Offenlegungspflicht meist die Verhältnismäßigkeitsprüfung bestehen. Im Rahmen der Angemes­ senheitsprüfung kommt es schließlich noch darauf an, wie wichtig das legi­ time Ziel ist, dem die Offenlegung dient, weil die Zweck-Mittel-Relation un­ tersucht wird. Ist mit der Offenlegung ein schwerer Eingriff verbunden, der einem wichtigen Ziel dient, kommt es letztendlich darauf an, welchen Beitrag der Eingriff zur Verwirklichung des Ziels leistet. Dabei wird die Geeignetheit der Offenlegungspflicht zur Zielerreichung erneut relevant. 7. Die organschaftliche Offenlegungspflicht ist keine eigenständige Pflicht, sondern ergibt sich, soweit sie im Gesetz ausdrücklich nicht geregelt ist, aus anderen organschaftlichen und zivilrechtlichen Pflichten, namentlich aus der Sorgfalts-, der Treue- oder der vorvertraglichen Aufklärungspflicht der Or­ ganmitglieder. Die Sorgfaltspflicht ist einschlägig, wenn die Information dem Organ offengelegt werden soll, dem der Pflichtige angehört. Offenlegungs­ pflichten gegenüber einem anderen Organ (Vorstandsmitglied berichtet an den Aufsichtsrat oder umgekehrt) folgen regelmäßig aus der Treuepflicht. Bei Of­ fenlegung bestimmter Tatsachen im Rahmen von Vertragsvertragsverhand­ lungen greift die vorvertragliche Aufklärungspflicht, die gegebenenfalls zur Treuepflicht parallel läuft. 8.  Bei der Treuepflicht der Organmitglieder handelt es sich um ein Bündel aus einem Rechtsprinzip und diversen Rechtsregeln. Ihre Generalklausel, dass die Organmitglieder in allen Angelegenheiten, die das Interesse der Gesellschaft berühren, allein deren Wohl und nicht ihren eigenen Nutzen im Auge haben dürfen, stellt ein Rechtsprinzip im Dworkin’schen Sinne dar, das mit ande­ ren Prinzipien (Schutz der Privatsphäre, der Meinungsfreiheit, Rücksicht auf Vermögensinteressen der Organmitglieder usw.) kollidieren kann. Bei einer solchen Kollision entscheidet die Abwägung, welches Prinzip sich inwieweit durchsetzt. Das Ergebnis sind Rechtsregeln, die man in den Fallgruppen der Treuepflicht vorfindet (Einzelausprägungen der Treuepflicht), soweit sich die Treuepflicht in der Abwägung ganz oder teilweise durchsetzt. 9.  Die Grenze zwischen Treuepflicht und Privatsphäre ist fließend. Im Nor­ malfall strahlt die Treuepflicht nur in einem geringen Umfang in die Privat­

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Zusammenfassung in Thesen

sphäre der Organmitglieder aus, weil sie vom kollidierenden Persönlichkeits­ recht zurückgehalten wird. Stellt sich das Organmitglied auch als Privatperson in den Dienst des Unternehmens, indem es sich zur Unternehmensmarke macht, so schwächt es sein eigenes Persönlichkeitsrecht. Dieses bietet dann keine starke Gegenwehr gegen die Treuepflicht, die weit in den Privatbereich vordrängen und dem Organmitglied diktieren kann, wie es sich dort zu ver­ halten hat.

B.  Einzelne Offenlegungspflichten I.  Offenlegungspflichten bei schwerer Erkrankung 10.  Eine schwere Erkrankung kann sich negativ auf die Leistungen des Or­ ganmitglieds und das Unternehmen auswirken und aus diesem Grund offen­ legungspflichtig sein. Etwaige Offenlegungspflichten entstehen erst, nachdem ein Arzt eine schwere Krankheit diagnostiziert hat, da es weder sinnvoll noch möglich erscheint, einen Rechtsbegriff der Krankheit zu konstruieren, der vom ärztlichen Urteil unabhängig wäre. Vor der Diagnose liegt dann recht­ lich gesehen nur ein Krankheitsverdacht vor, zu dessen Offenlegung oder me­ dizinischen Abklärung das betroffene Organmitglied nicht verpflichtet ist. Wünscht es allerdings keine Abklärung des Krankheitsverdachts, muss es auf­ grund seiner organschaftlichen Sorgfaltspflicht sein Amt niederlegen, um die Gesellschaft nicht zu gefährden. 11. Schwere Erkrankungen der Organmitglieder, bei denen es sich um sog. Schlüsselpersonen handelt, sind kursrelevant. Kursrelevanz besitzen unter an­ derem auch sensible Gesundheitsdaten wie Diagnose und Prognose. Sie zäh­ len somit zu Insiderinformationen i. S. d. Art. 7 MAR und sind nach Art. 17 MAR ad-hoc-publizitätspflichtig. Deren Veröffentlichung im Rahmen der Adhoc-Publizität gerät jedoch in Konflikt mit den Grundrechten des Erkrankten aus Art. 7 und 8 GRCh, so dass Art. 7 MAR grundrechtskonform zu redu­ zieren ist: Diagnose und Prognose sind aus dem Begriff der Insiderinforma­ tion herauszunehmen. Beim Ausscheiden der erkrankten Schlüsselperson ist der Markt also nur über das Ausscheiden als solches, bei einer Auszeit nur über die Auszeit als solche zu informieren. Ferner sind, soweit möglich, beim Ausscheiden die Angaben zum Nachfolger, bei einer Auszeit zu ihrer voraus­ sichtlichen Dauer und zu den Personen zu machen, die in der Zwischenzeit die Aufgaben des Betroffenen wahrnehmen werden. Die Angaben sind bei Bedarf unverzüglich zu aktualisieren. Verbleibt die erkrankte Person im Amt ohne Auszeit, existiert keine Ad-hoc-Publizitätspflicht. In jedem Fall bleibt es dem Emittenten unbenommen, mit Einwilligung des Betroffenen weitere Angaben



B.  Einzelne Offenlegungspflichten

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zu machen (Verweis auf eine schwere Erkrankung als Rücktritts- oder Verhin­ derungsgrund, Angabe der Diagnose, Prognose, Therapie usw.). 12.  Intern muss das Vorstandsmitglied einer AG, das wegen Krankheit eine Auszeit nimmt, aufgrund seiner Sorgfaltspflicht die anderen Vorstandsmit­ glieder unterrichten, sobald eine Vertretung notwendig wird, also unter Um­ ständen schon bei einer kurzen Abwesenheit. Eine Mitteilung gegenüber dem Vorstandsvorsitzenden oder dem stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden ge­ nügt. Soll die Auszeit länger (mehr als drei Wochen) dauern, hat der Vorstand darüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden nach § 90 Abs. 1 S. 3 AktG Bericht zu erstatten. Die übrigen Aufsichtsratsmitglieder sind spätestens in der nächsten Aufsichtsratssitzung zu unterrichten (§ 90 Abs. 5 S. 3 AktG). Der erkrank­ te Alleinvorstand informiert direkt den Aufsichtsratsvorsitzenden nach § 90 Abs. 1 S. 3 AktG. Inhaltlich beschränkt sich die Mitteilung auf die Angabe, ob und innerhalb welchen Zeitraums das Vorstandsmitglied seine Dienstfähigkeit voraussichtlich wiedererlangen wird. Außerdem muss es mitteilen, ob es wäh­ rend seiner Abwesenheit in der Lage sein wird, an der Gesamtverantwortung des Vorstands teilzunehmen. Diese Angaben müssen bei Bedarf aktualisiert werden. 13.  Ist nicht mehr damit zu rechnen, dass das Vorstandsmitglied seine Dienst­ fähigkeit wiedererlangt, ist es kraft seiner Sorgfaltspflicht gehalten, sein Amt sofort oder zu einem künftigen Zeitpunkt niederzulegen. Offenlegungspflich­ ten bestehen in dieser Situation nicht, insbesondere braucht eine Krankheit als Grund für den Rücktritt nicht genannt zu werden. Solange der Erkrankte leis­ tungsfähig bleibt, kann er die Geschäfte grundsätzlich weiterführen und ist dabei nicht verpflichtet, der Gesellschaft gegenüber irgendwelche Angaben zu seiner Erkrankung zu machen. Eine Mitteilung ist nur dann notwendig, wenn der Arzt den Verlust der Dienstfähigkeit innerhalb des nächsten Jah­ res prognostiziert. Für den Inhalt der Mitteilung gelten die Ausführungen zur krankheitsbedingten Auszeit. Bei Erkrankungen, welche die mentale Leis­ tungsfähigkeit beeinträchtigen können, muss der Betroffene je nach Art der Erkrankung entweder schnellstmöglich nach der Diagnose oder bei den ersten Anzeichen einer mentalen Beeinträchtigung zurücktreten. 14.  Ein erkranktes Aufsichtsratsmitglied ist nur dann zur Offenlegung ver­ pflichtet, wenn das Gesamtgremium infolge seiner Erkrankung beschluss­ unfähig wird. Es hat die Gesellschaft kraft seiner Sorgfaltspflicht nach Mög­ lichkeit über die voraussichtliche Dauer seiner Verhinderung zu informieren, damit die Aufsichtsratssitzung verschoben oder für eine Ersatzperson gesorgt werden kann. Die Mitteilung ist an den Aufsichtsrat zu richten, der bei einer längeren krankheitsbedingten Verhinderung den Vorstand informieren muss, damit dieser seiner gesetzlichen Antragspflicht nach § 104 Abs. 1 S. 2 AktG

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Zusammenfassung in Thesen

nachkommen kann. Wird ein Aufsichtsratsmitglied infolge der Erkrankung dauerhaft dienstunfähig, ist es genauso wie ein Vorstandsmitglied verpflich­ tet, sein Amt niederzulegen; besondere Offenlegungspflichten existieren dabei nicht. 15. In einer GmbH ohne Aufsichtsrat hat der Geschäftsführer im Krank­ heitsfall aufgrund seiner Pflicht zur kollegialen Zusammenarbeit (Sorgfalts­ pflicht) seine Mitgeschäftsführer zu informieren. Bei einer Auszeit von min­ destens drei Wochen muss der Erkrankte auch die Gesellschafter unterrichten, weil es sich um einen wesentlichen Vorgang handelt, der den Gesellschaftern zur Kenntnis gebracht werden muss. Inhaltlich unterscheidet sich die Offen­ legungspflicht nicht von derjenigen eines Vorstandsmitglieds. In einer Einper­ sonen-GmbH wäre jede Offenlegungspflicht sinnlos, da es niemand gibt, der tauglicher Adressat der Offenlegung sein könnte. Deshalb soll der geschäfts­ führende Alleingesellschafter eine vorsorgliche Regelung zur Weiterführung des Unternehmens im Fall seiner schweren Erkrankung treffen. 16. Die Offenlegungspflichten in einer Montan-mitbestimmten GmbH ge­ stalten sich ähnlich wie in einer AG: Das vom Erkrankten informierte Ge­ schäftsführergremium muss nach § 90 Abs. 1 S. 3 AktG analog dem Aufsichts­ ratsvorsitzenden berichten, wenn die Auszeit länger als drei Wochen dauern soll. Der Aufsichtsratsvorsitzende unterrichtet schließlich den Aufsichtsrat entsprechend § 90 Abs. 5 S. 3 AktG spätestens in dessen nächsten Sitzung. Da­ gegen ist es nicht notwendig, die Gesellschafter zu informieren, weil die Per­ sonalkompetenz nicht bei ihnen, sondern allein beim Aufsichtsrat liegt, der gemäß § 84 AktG analog über die Bestellung und Abberufung der Geschäfts­ führer entscheidet. 17.  Aus dem gleichem Grund entfällt die Pflicht zur Unterrichtung der Ge­ sellschafter auch in einer GmbH mit dem Aufsichtsrat nach dem MitbestG. Verfügt diese GmbH zudem über eine interne Berichtsordnung, die an § 90 Abs. 1 und 2 AktG angelehnt ist, gelten auch die übrigen Ausführungen zur Montan-mitbestimmten GmbH. Besteht keine solche Berichtsordnung, hat die Geschäftsführung bei einer längeren Abwesenheit eines ihrer Mitglieder den Aufsichtsrat dennoch zu informieren, damit dieser die notwendigen Personal­ entscheidungen treffen kann. Dies folgt aus der Sorgfaltspflicht der Geschäfts­ führer in ihrer Ausprägung als Pflicht zur kollegialen Zusammenarbeit mit an­ deren Gesellschaftsorganen. 18. In einer GmbH mit dem Aufsichtsrat nach dem DrittelbG, KAGB und MgVG sowie in einer GmbH mit fakultativem Aufsichtsrat müssen die Gesell­ schafter unterrichtet werden, da § 84 AktG in diesen Gesellschaften keine An­ wendung findet und Personalentscheidungen betreffend die Geschäftsführer in der Zuständigkeit der Gesellschafter verbleiben. Der Aufsichtsrat braucht



B.  Einzelne Offenlegungspflichten

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mangels besonderer interner Regelung über die krankheitsbedingte Abwesen­ heit eines Geschäftsführers nicht informiert zu werden.

II.  Offenlegungspflichten beim Management-Buy-out 19.  Die sachliche Rechtfertigung der Offenlegungspflicht beim ManagementBuy-out ergibt sich zum einen aus der fremdnützigen Stellung der Manager, zum anderen aus dem Verbot, vertragsrelevantes Insiderwissen zum eigenen Vorteil auszunutzen. Diese Zweigleisigkeit findet sich in den ökonomischen Erwägungen wieder: Die Offenlegungspflicht dient dem wirtschaftlich sinn­ vollen Ausgleich der nach- und der vorvertraglichen Informationsasymmetrie, die beim Management-Buy-out miteinander verschmelzen und das Bedürfnis nach Offenlegung noch verstärken. 20.  Die dogmatische Grundlage der Offenlegungspflicht bei allen Arten des Management-Buy-outs ist zunächst die vorvertragliche Aufklärungspflicht aus § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2 BGB. Das Management ist allerdings nur dann selbst der Verpflichtete, wenn es die Zielgesellschaft direkt erwirbt, nicht da­ gegen bei der Zwischenschaltung eines Akquisitionsvehikels (NewCo). Beim Direkterwerb entsteht ein vorvertragliches Schuldverhältnis zwischen dem Management und dem Veräußerer (der Zielgesellschaft beim Asset Deal oder den Gesellschaftern beim Share Deal) i. S. d. § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB, aus dem vorvertragliche Aufklärungspflichten des Managements resultieren. Tritt die NewCo als Erwerberin auf, entsteht ein Schuldverhältnis nach § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB nur zwischen ihr und dem Veräußerer. Somit ist die NewCo zur Aufklärung des Veräußerers verpflichtet, soweit sie in den Besitz des vertrags­ relevanten Insiderwissens kommt. Dies ist bei einem „echten“, vom Manage­ ment betriebenen MBO stets der Fall, da das Insiderwissen der Manager der NewCo zugerechnet wird; bei einem von Investoren initiierten IBO nur dann, wenn die Manager ihr Insiderwissen an die NewCo tatsächlich weitergeben. 21.  Beim Anteilserwerb über die NewCo können Manager als Dritte i. S. d. § 311 Abs. 3 S. 2 BGB für die Richtigkeit und Vollständigkeit der vertragsrele­ vanten Information haften. Diese vorvertragliche Dritthaftung lässt sich mit den Parallelen zur Prospekt- und zur Berufshaftung begründen. Sie setzt aller­ dings ein typisiertes Vertrauen des Veräußerers zum Management voraus und scheidet daher beim IBO aus, da die Manager bei dieser Buy-out-Art weder die treibende Kraft der Transaktion sind noch nach außen in Erscheinung treten. Beim MBO haften die Manager dagegen neben der NewCo als Dritte, sofern sie die Verhandlungen oder den Vertragsschluss erheblich beeinflussen. 22.  Beim Buy-out in Form eines Asset Deals ergibt sich die Offenlegungs­ pflicht zusätzlich aus der Treuepflicht der Manager gegenüber der Zielgesell­

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Zusammenfassung in Thesen

schaft. Beim Anteilskauf scheitert der Rückgriff auf die Treuepflicht daran, dass die mitgliederbezogene Treuepflicht der Verwaltung kein fester Bestand­ teil der deutschen Rechtsdogmatik ist. Entgegen der herrschenden Meinung wäre die Anerkennung einer solchen Pflicht möglich, allerdings nur in den Si­ tuationen, in denen die Gesellschafter ansonsten schutzlos wären. Dies ist beim Management-Buy-out nicht der Fall, weil das Institut der culpa in contrahendo ihnen ausreichenden Schutz bietet und auch methodisch keine Rechtsfortbil­ dung in Form einer mitgliederbezogenen Treuepflicht zulässt. Es ist daher de lege lata nicht möglich, die angesprochene Zweigleisigkeit der Offenlegungs­ pflicht beim Share Deal dogmatisch beizubehalten. 23.  Einzelne Gegenstände der Offenlegung sind anhand der allgemeinen zi­ vilrechtlichen Kriterien zu bestimmen: Wesentlichkeit der Information, er­ kennbares Informationsgefälle und Zumutbarkeit der Informationsweiterga­ be. Demnach erstreckt sich die Offenlegungspflicht des Managements auf das vorhandene Vermögen einschließlich stiller Reserven, die Kaufangebote Drit­ ter sowie auf die Geschäftschancen der Gesellschaft und die zukunftsbezoge­ nen Pläne der Manager, soweit diese hinreichend konkretisiert sind. Die of­ fenzulegenden Informationen müssen bis zum Abschluss des Deals ständig aktualisiert werden. Das Management ist dagegen nicht verpflichtet, seinen Grenzpreis oder seine Ansichten über den Unternehmenswert offenzulegen oder zur Angemessenheit seines Angebots Stellung zu nehmen.

III.  Offenlegungspflichten bei eigenem Fehlverhalten 24. Die Offenbarungspflicht bei eigenem Fehlverhalten des Organmitglieds gegenüber der Gesellschaft wird durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht begrenzt, das insoweit das privatrechtliche Pendant zum strafprozessualen Nemo-tenetur-Grundsatz darstellt. Dieses Grundrecht greift unabhängig davon, ob die zu offenbarenden Verfehlungen strafrechtlich relevant sind oder nicht. 25.  Rechtsvergleichend zeigt sich, dass Rechtsprechung und Lehre in Deutsch­ land die Offenbarungspflicht der Organmitglieder überwiegend ablehnen, während sich im Vereinigten Königreich eine „fiduciary duty to disclose own wrongdoing“ fest etabliert hat, zumindest für die Direktoren der Gesellschaft. Bei Vertragsverhandlungen des Organmitglieds mit der Gesellschaft erkennt allerdings auch der BGH die Offenbarungspflicht an, wobei ihm bereits ein zeitlicher Zusammenhang zwischen Fehlverhalten und Vertrag zu genügen scheint; bei unterlassener Aufklärung kann die Gesellschaft den Vertrag an­ fechten. In der Sache nutzen sowohl englische als auch deutsche Gerichte die Offenbarungspflicht dazu, Treuebrüche der Organmitglieder hart zu bestra­



B.  Einzelne Offenlegungspflichten

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fen, ohne jedoch die grundrechtliche Problematik dieser Pflicht in irgendeiner Weise zu würdigen. 26.  Rechtsdogmatisch ließe sich die Offenbarungspflicht bei laufender Organund Vertragsbeziehung als Teil der Treuepflicht auffassen, bei Verhandlungen über die Beendigung dieses Verhältnisses zusätzlich als vorvertragliche Auf­ klärungspflicht. Aus rechtsökonomischer Sicht könnte die Offenbarungs­ pflicht zu einer besseren Ressourcenallokation beitragen und einer Infor­ mationsasymmetrie entgegenwirken. Dies setzt allerdings voraus, dass die Offenbarungspflicht zumindest in einer bestimmten Anzahl von Fällen erfüllt wird. Die Überwachungskosten der Gesellschaft könnte diese Pflicht indes unter keinen Umständen verringern. 27.  Rechtstheoretisch handelt es sich bei der Offenbarungspflicht um eine un­ erfüllbare Pflicht. Organmitglieder haben keine nennenswerten Anreize, ihr Fehlverhalten zu offenbaren, und zugleich gewichtige Anreize, dieses zu ver­ heimlichen. In anderen Worten wird bei der Offenbarungspflicht das norm­ konforme Verhalten bestraft, das normwidrige dagegen belohnt. Unter diesen Umständen verlangt die Offenbarungspflicht von ihren Adressaten Opfer, die ein normaler Mensch nicht bringen kann, und ist somit ungeeignet, mensch­ liches Verhalten zu steuern. Ihre einzige Daseinsberechtigung sind die Sank­ tionen, die beim Verstoß gegen diese Pflicht greifen. Vor diesem Hintergrund ist die Offenbarungspflicht eine unehrliche, unaufrichtige Pflicht, die etwas anderes will, als sie vorgibt zu wollen. Sie verstößt auf diese Weise gegen das Gebot rationaler Rechtssetzung und entspricht nicht den Anforderungen an eine vernünftige „Rule of Law“, d. h. eine Norm, die ein Mindestmaß an Res­ pekt vor der Menschenwürde ihrer Adressaten zeigt. 28.  Verfassungsrechtlich gesehen würde die Offenbarungspflicht der Organ­ mitglieder gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit verstoßen. Ihre primä­ ren Zwecke könnte sie mangels Erfüllbarkeit nicht fördern und wäre somit zur Erreichung dieser Zwecke ungeeignet. Außerdem wäre sie dafür nicht er­ forderlich, da die tradierten Kontrollmechanismen des Gesellschaftsrechts die Grundrechte der Organmitglieder weniger beeinträchtigen und somit ein milderes Mittel darstellen. Die Offenbarungspflicht könnte lediglich ihre se­ kundären Zwecke fördern, indem sie Verstöße gegen eben diese Pflicht sank­ tionieren würde. Eine Rechtspflicht kann aber nicht ausschließlich um der Sanktionen willen existieren. Hinzu kommt, dass manche sekundäre Zwecke der Offenbarungspflicht bereits für sich genommen nicht legitim wären. Dies gilt etwa, soweit mit Hilfe dieser Pflicht die Verjährung der Organhaftungs­ ansprüche verlängert oder die Schadensersatzhaftung dort begründet werden sollte, wo die allgemeinen Haftungsvoraussetzungen wie Kausalität, Pflicht­ widrigkeitszusammenhang oder Verschulden fehlen. Genauso wenig legitim

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Zusammenfassung in Thesen

wäre es, durch die Hintertür der Offenbarungspflicht ein ungeschriebenes Recht der Gesellschaft einzuführen, Abfindungsverträge mit pflichtvergesse­ nen Organmitgliedern anzufechten. 29.  Anders zu beurteilen ist ein faktischer Zwang zur Selbstbelastung, der als Nebenfolge einer anderen Pflicht entsteht, etwa der Überwachungs- und Ver­ folgungspflicht des Aufsichtsrats. Dieser Zwang ist dem betroffenen Aufsichts­ ratsmitglied zumutbar, weil die Überwachung des Vorstands und die Verfol­ gung dessen Pflichtverletzungen zur Kernaufgabe des Aufsichtsrats gehört. Dies ist auch jedem Kandidaten für ein Aufsichtsratsamt bewusst. Besteht für ihn die Gefahr, dass er sich durch die Erfüllung seiner Aufsichtsratsauf­ gaben selbst belasten muss, so soll er das Amt nicht annehmen oder niederle­ gen, wenn die Selbstbelastungsgefahr erst nach seinem Amtseintritt entsteht. Ein solches Aufsichtsratsmitglied von seiner Verfolgungspflicht zu befreien, würde dem Interesse der Gesellschaft an einem funktionsfähigen Kontroll­ organ widersprechen. Steht eine strafrechtlich relevante Selbstbelastung im Raum, muss allerdings der strafprozessuale Nemo-tenetur-Grundsatz beach­ tet und es müssen die Rechte des Aufsichtsratsmitglieds durch ein umfassendes Verwendungsverbot abgesichert werden.

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Sachregister Abwägung, verfassungsrechtliche 42–44 – bei Entwicklung von Offenlegungs­ pflichten 42 – Einzelfallabhängigkeit 49 f. – fehlende Rationalisierbarkeit 49 f., 53 f., 430 – Kardinalskalen 50 f. – numerische Verfahren 51 – Ordinalskalen 50, 52 – Rangordnungen von Verfassungswer­ ten 50–53 Ad-hoc-Publizität 104 – als Datenverarbeitung 155 – bei einem gestreckten Vorgang 142 – bei Erkrankung, siehe Ad-hoc-Offen­ legung von Gesundheitsdaten – bei Fehlverhalten von Organmit­ gliedern 400–402 – bei privatem Fehlverhalten von ­Organmitgliedern 494–500 – bei personellen Veränderungen von Schlüsselpersonen 108–110 – Informationen über Angehörige 160 f. – u. interne Offenlegungspflichten 105, 107 f. – verständiger Anleger 135 f. – Vorstand als Pflichtadressat 182 – Wissenszurechnung 106 f., 400–402 – Ziele 169 Ad-hoc-Offenlegung von Gesundheits­ daten 104–108 – siehe auch Gesundheitsdaten – als Eingriff in das Grundrecht auf Achtung des Privatlebens 153 – als Eingriff in das Grundrecht auf Schutz personenbezogener Daten 155 f. – bei krankheitsbedingter Auszeit 113, 146–148

– bei künftigem möglichem Ausschei­ den aus dem Amt 143–145 – bei künftigem sicherem Ausscheiden aus dem Amt 142 f. – bei Leistungsminderung 149 f. – bei sofortigem Ausscheiden aus dem Amt 112, 141 f. – beim Verbleiben im Amt ohne krank­ heitsbedingte Auszeit 113 f., 149 f. – dem Gemeinwohl dienende Ziel­ setzung 158 – deutsches Schrifttum 110–114 – deutsche Unternehmenspraxis 112 f., 115 – Diagnose 143, 146–150 – Erforderlichkeit 161–171 – erhebliches öffentliches Interesse 158 – Geeignetheit 160 f., 170 – Grundrechtswidrigkeit 171, 175 – Hinweis auf gesundheitliche Gründe 174 f. – negative Folgen 162–165, 168 – positive Folgen 169–171 – praktische Empfehlungen 176 f. – Prognose 143 f., 146–150 – Unterschiede zu den USA 132 f. – USA, siehe dort – Zustimmung des Betroffenen 175 f. Allgemeines Persönlichkeitsrecht 35–38 – Ad-hoc-Veröffentlichung von ­Erkrankungen 111 – bei ärztlichen Untersuchungen 98– 101 – Fallgruppen 36 f. – psychiatrische Untersuchung eines Schiedsrichters 100 – Recht auf informationelle Selbst­ bestimmung 37 f., 98 f., 362 – Recht auf Nichtwissen 99, 101

572 – – – – –

Sachregister

Schutz der Privatsphäre 37 Selbstdarstellungsschutz 37 Menschenwürde 36 u. Nemo-tenetur-Grundsatz 361 f. u. organschaftliche Offenlegungs­ pflicht 68 f. – u. Pflicht zur Offenlegung eigenen Fehlverhaltens 361–363 – u. organschaftliche Treuepflicht 36, 500–502 Anstellungsverhandlungen, Offenle­ gungspflicht 380, 477–483 – siehe auch Fehlverhalten, außerdienst­ liches – als vorvertragliche Aufklärungspflicht 478 – Ermittlungsverfahren 480–482 – Pflicht zur Offenheit 477 – Pflichtverletzungen, entdeckte 482 – Pflichtverletzungen, unentdeckte 482 f. – Straftaten, unentdeckte 479 – Vorstrafen 478–480 – Zweck 478 ARAG/Garmenbeck-Grundsätze 417, 427 f., 431, 433 f. Asset Deal 236 – Aufklärungsbedürftigkeit der Ziel­ gesellschaft 237 – bei der GmbH 240 – Mehrvertretung 238 f. – Selbstkontrahieren 238 – Treuepflicht der Manager 294 f. – Verkauf größerer Teile des Gesell­ schaftsvermögens 239 – Vertretung der Zielgesellschaft 237– 240 – Zustimmung des Aufsichtsrats 239 f. Aufklärungspflicht 5 – ärztliche 197 – beim Management-Buy-out 273–275 – Daktari-Fall 336 f. – Einklagbarkeit 5 – goldene Regel 256, 331, 356, 380 – Grundstücksgeschäfte von Gemein­ den 264–266 – Informationsgefälle 257 f. – Nachforschungspflicht 351

– – – – –

spontan zu erfüllende 5 Umfang 331 f. Voraussetzungen 256 Wesentlichkeit der Information 257 Zumutbarkeit der Informations­ weitergabe 259 Aufsichtsratsvorsitzender 179 – erhöhtes Haftungsrisiko 180, 185 f. – Informationsprivileg 179 f. – Sonderstellung 179 Auskunftspflicht 5 – siehe auch: Fehlverhalten, Offen­ legungspflicht; Nemo-teneturGrundsatz; Sekundärhaftung; ­Selbstbezichtigung – des Behandelnden über Behandlungs­ fehler 358, 411, 418 – Gemeinschuldner-Beschluss 360 f. – u. allgemeines Persönlichkeitsrecht 361–363 – u. Selbstbezichtigung 358–361 – u. Verwendungsverbot 360 f. – u. Verwertungsverbot 360 Buy-out 233 – siehe auch: Management-Buy-out; Institutioneller Buy-out; Leveraged Buy-out Clawback-Klausel 386 Daten, personenbezogene 38, 154, 174, 449 Daten, sensible 155, 162 f. Datenverarbeitung 153 f. DCGK 4, 16 – Aufsichtsratsvorsitzender 180 – Interessenkonflikt 55, 58, 64 – Normqualität der Empfehlungen 211 f. – Standards guter Unternehmens­ führung 211 f. Diagnose, siehe Gesundheitsdaten Directors’ Dealings, Meldepflicht eng verbundener Personen 465–467 – als Grundrechtseingriff 466 – eng verbundene Personen 445 – Inhalt der Meldung 465

Sachregister

– Verhältnismäßigkeit 466 f. Directors’ Dealings, Pflicht zur Meldung der Eigengeschäfte 445–465 – Adressaten 445 – als Grundrechtseingriff 448–450 – Angemessenheit 462–464 – Eindämmung des Insiderhandels 457 f. – Erbschaften 461 f. – Indikatorwirkung 454, 456 f. – gesetzliche Grundlage 452 – Inhalt der Meldung 446 f., 449 – meldepflichtige Eigengeschäfte 446 – namentliche Nennung der Mel­ depflichtigen 459–461 – Selbstbezichtigung 465 – Verpfändung von Finanzinstrumenten 462 – Ziele 453–455 – Post-trading-Transparenz 456 Directors’ Dealings, Pflicht zur ­Nennung eng verbundener Personen 447 f. – Aktualisierungspflicht 448 – als Grundrechtseingriff 450–452 – als Sorgfaltspflicht der Vorstands­ mitglieder 447 – als Treuepflicht der Aufsichtsrats­ mitglieder 448 – Inhalt der Meldung 450 f. – gesetzliche Grundlage 452 f. – Ziel 455, 459 – Erforderlichkeit 462 Dritthaftung, vorvertragliche 275–284 – Berufs- u. Expertenhaftung 282 f. – eigenes wirtschaftliches Interesse am Geschäft 275–277 – garantieähnliche Erklärungen 279 f. – persönliches Vertrauen 278–280 – Repräsentantenhaftung 279 – Sachwalterhaftung 275, 283 – typisiertes Vertrauen 281–283 – zivilrechtliche Prospekthaftung 281 f. DS-GVO, siehe EU-Datenschutzrecht, sekundäres Easy Software-Urteil 377, 426–434 Entscheidungswert, siehe Grenzpreis

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EU-Datenschutzrecht, sekundäres 154 f., 157 f., 163 EU-Grundrechte 151–162 – Angemessenheitsprüfung 162 – Berufsfreiheit 450, 452, 466 – Eigentumsgrundrecht 450, 466 – Gesetzesvorbehalt 491 f. – Grundrecht auf Achtung des Privatund Familienlebens 152 f., 156 f., 449– 451, 466 – Grundrecht auf Schutz personenbezo­ gener Daten 153–157, 449, 451 f., 466 – in Erwägungsgründen der MAR 174 – Kommissionsakt als Schranke 491 f. – mittelbarer Eingriff 153 – Rechtfertigung von Eingriffen 156– 160 – Unschuldsvermutung 485 – unternehmerische Freiheit 450, 452, 466 – Verhältnismäßigkeit von Eingriffen 159 – Wesensgehaltsgarantie 158 EU-Grundrechtecharta 151 – grundrechtskonforme Auslegung des Sekundärrechts 152 – Rang 151 Europäische Menschenrechtskonvention 152, 156 f. Familienähnlichkeit 6 f. Fehlverhalten, außerdienstliches 476– 507 – Ad-hoc-Publizität 493–500 – als Abberufungsgrund 501 – Aufschub der Ad-hoc-Publizität 503 f. – bei Schlüsselpersonen 495 f. – Emittentenbezug 494 – Fall Martha Stewart 496–500, 502 – Interessenkonflikt 476 – Kursrelevanz 494–496, 499 – Offenlegung bei Anstellungsverhand­ lungen, siehe Anstellungsverhand­ lungen, Offenlegungspflicht – Offenlegung ggü der Gesellschaft 500–505 – Offenlegung u. Treuepflicht 500–502

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Sachregister

– Offenlegung u. öffentliche Selbst­ bezichtigung 503–505 – Prospektpublizität, siehe dort – Verhältnismäßigkeit der Offen­ legungspflicht 503–505 Fehlverhalten des Organmitglieds, ­Offenlegungspflicht 357, 372–437 – siehe auch: Auskunftspflicht; Nemotenetur-Grundsatz; Sekundärhaftung; Selbstbezichtigung – Ad-hoc-Publizität 400–402 – aufgrund der Verfolgungspflicht des Aufsichtsrats 426, 429–434 – aufgrund der Meldepflicht bei Direc­ tors’ Dealings 465 – bei Abfindungsverhandlungen 380– 386, 406 f. – deutsche Literatur 377–379, 396–402 – deutsche Rechtsprechung 373–377 – Dogmatik 372 f., 396–400, 406 f. – Geeignetheit 415–418, 421 – Hinweispflicht 374 f., 377 – Erforderlichkeit 419–421 – Erfüllungsanreize 416–418 – im australischen Recht 391 – im UK-Recht 386–396 – Interessenkonflikt 357 – primäre Zwecke 408–410, 415 – rechtsökonomische Argumente 391, 394, 396, 405 f. – rechtstheoretische Einwände 422–425 – Schadensersatzhaftung 410–412 – sekundäre Zwecke 408, 410–415 – Selbstverfolgungspflicht 374, 377 – u. Berichtspflicht 379 – u. die gesellschaftsrechtlichen Kon­ trollmechanismen 419–421 – u. Grundrechte 407 – u. Treuepflicht 372, 377 f., 396–399, 406 – Verfassungsmäßigkeit 407–426 – Verschleierungsverbot 379 – Zurechnung des Schweigens zur Pflichtverletzung 375 f. Gemeinschuldner-Beschluss 360 f., 428, 433 Geschäftschancenlehre 246

– bei Management-Buy-out 246–248, 335 f. – privat erlangte Informationen 22 f., 335, 443 f. – Zuordnung der Geschäftschancen 334 f. Gesellschaftsgeheimnis 184, 318 f. Gesundheitsdaten 133, 155 – als Gesellschaftsgeheimnis 184 f. – als sensible Daten 154 f., 162 f. – Informationen über Krankheiten 155 – Vertraulichkeit 163 Grenzpreis 268, 349 f. Grundrechtsprüfung bei Informations­ eingriffen 38 – siehe auch Grundrechte im Privatrecht Grundrechte im Privatrecht 39–54 – siehe auch Abwägung, verfassungs­ rechtliche – als Abwehrrechte 47–49 – als Wertentscheidungen 40 f., 69 – bei Entwicklung von Offenlegungs­ pflichten 41 f. – Bindung des Zivilrichters 41 f., 44 f., 48 – Kontrollkompetenz des BVerfG 41 – enge Drittwirkungslehre 42, 44–47 – mittelbare Drittwirkung 39–47 – neue Abwehrrechtslehre 47–49 – praktische Konkordanz 45, 69 – staatsgleiche Bindung Privater 40 – unmittelbare Drittwirkung 39 f. – Verhältnismäßigkeitsgebot 45–49, 54, 69 – weite Drittwirkungslehre 42–44, 49, 54 Informationsasymmetrie vor Vertrags­ schluss 269 – siehe auch Insider- und Experten­ wissen – adverse Selektion (market for lemons) 271 – beiläufig erlangte Information 270 – gezielt erlangte Information 270 – umgekehrte adverse Selektion (market for gems) 271 f.

Sachregister

Informationsasymmetrie nach Ver­ tragsschluss, siehe Principal-Agent-­ Konflikt Insider- und Expertenwissen 259–264 – Informationsbarriere für den ­Vertragspartner 259 f. – ökonomische, soziale und ethische Unterschiede 261–264, 266 – struktureller Unterschied 260 Insiderhandelsverbot 253 – Masterpläne 347 f. – Umsetzung eigener Pläne 347–349 – wirtschaftliche, ethische und soziale Gründe 262–264 – zivilrechtliches, siehe Aufklärungs­ pflicht Insiderinformation 104 – siehe auch: Ad-hoc-Publizität – Auslegung des Begriffs 172 f. – Berücksichtigung von privaten ­Geheimhaltungsinteressen 172 f. – grundrechtskonforme Auslegung des Begriffs 172–174 – künftige Ereignisse 143 f. – Kursbeeinflussungspotential 105 – Offenlegungsverbot 322 – privates Fehlverhalten als I. 494–496 – produktive 263 f., 266 – u. allgemein zugängliche Information 262 f. – Zeitfenster zwischen Veröffentlichung und Bekanntwerden 263 Insiderinformation, Offenlegung 322– 326 – bei Marktsondierung 323 f. – beim Management-Buy-out 322, 324– 326 – Grøngaard-und-Bang-Urteil 322 f. – rechtmäßige 323–325 – u. vorvertragliche Aufklärungspflicht 324 – unbefugte 322 – unerlässliche 323 – Verbot der unrechtmäßigen Offen­ legung 322 – Zustimmung des Aufsichtsrats 325 Institutioneller Buy-out 234 – Aufklärungspflicht der Investoren 281

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– Aufklärungspflicht der Manager 235 f. – Aufklärungspflicht der NewCo 280 f. – Managementbeteiligung 234 f. – Secondary Sale 234 – Trade Sale 234 – Unterschied zum Management-Buyout 235 f. Interessenkonflikt 54–60 – Amtsniederlegung 64, 67, 433 – Begriff 55–58 – bei Erkrankung 83, 227 – bei eigenem Fehlverhalten 357 – beim Management-Buy-out 232 – dauerhafter 57–59 – einfacher 56 – Interrollenkonflikt 56, 65 – Intrarollenkonflikt 56 – no-conflict rule 59 f., 65 f., 392 – Pflichtenkollision 56 – potentieller 58 f. – punktueller 57–60 – Relevanzschwelle 57 – u. Treuepflicht 61, 68 Interessenkonflikt, Offenlegungspflicht 54 f., 58 f. – siehe auch Interessenkonflikt – dauerhafter Interessenkonflikt 61–65 – Offenlegung sämtlicher Interessen­ konflikte 57–59 – Offenlegungsgegenstand 63 – punktueller Interessenkonflikt 65– 68, 354 – u. allgemeines Persönlichkeitsrecht 62, 67 – u. andere Konfliktlösungen 63 f. – u. Treuepflicht 61–64, 68 Item-Software-Urteil 389–396 – Einfluss in Deutschland 396 Keypersonen-Absicherung 140 Krankheit, allgemein 83–95 – Arbeitsunfähigkeit 87, 89 – Behandlungsbedürftigkeit 87 f. – biopsychologische u. biopsychosoziale Modelle 92 f. – Definition der WHO 93 f. – disease 92, 164

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Sachregister

illness 92, 95, 164 im Arbeitsrecht 87–89 im Sozialversicherungsrecht 84–87 in der klassischen Medizin 85, 89–92, 94 – in der Medizinischen Soziologie 92 – Krankenrolle 92, 164, 194 – Presseberichterstattung über K. 166 – regelwidriger Zustand 84–91 – spezieller Krankheitsbegriff 85 f., 90 – stigmatisierende 82, 165 – u. Diagnose 83 f., 86 f., 94 f. Krankheit der Führungskraft 73–83 – Ad-hoc-Publizität, siehe Ad-hoc-­ Offenlegung von Gesundheitsdaten – als Insiderinformation 104 f. – als Karrierekiller 164 – Auswirkungen auf das Unternehmen 73–76 – innerer Zirkel 74, 83 – Interessenkonflikt 83 – Kursrelevanz 133, 138–140 – Rechtsbegriff 95 – Verheimlichung 77–83 Krankheit des Aufsichtsratsmitglieds 214–217 – Abberufung u. Neubestellung 215 – Amtsniederlegungspflicht 217 – Auswirkungen auf das Unternehmen 214 – automatisches Nachrücken des ­Ersatzmitglieds 216 – Beschlussunfähigkeit des Aufsichts­ rats 215 – Dienstunfähigkeit, dauerhafte 217 – gerichtliche Notbestellung 215 f. – Stimmabgabe 215 Krankheit des Aufsichtsratsmitglieds, Offenlegungspflicht 216 f. – als Pflicht zur kollegialen Zusammen­ arbeit 216 – Informationsweiterleitung an den Vorstand 217 – Inhalt 216 – Offenlegung ggü dem Aufsichtsrat 217 – Zweck 216 Krankheit des GmbH-Geschäftsführers 217–224

– aktienrechtliches Informationsmodell 222 – Besonderheiten 217 f. – Einberufung der Gesellschafterver­ sammlung 220 f. – Einpersonen-GmbH 221 f. – GmbH mit Aufsichtsrat nach Drit­ telbG 223 f. – GmbH mit Aufsichtsrat nach KAGB 223 f. – GmbH mit Aufsichtsrat nach MgVG 223 f. – GmbH mit Aufsichtsrat nach Mit­ bestG 222 f. – GmbH mit fakultativem Aufsichtsrat 224 – Montan-mitbestimmte GmbH 222 – Offenlegung ggü Gesellschaftern 219–221 – Offenlegung ggü Mitgeschäftsführern 219, 221 – Offenlegungsumfang 219 f. – personalistische MehrpersonenGmbH 218–221 – Pflicht zur kollegialen Zusammen­ arbeit 218, 223 Krankheit des Vorstandsmitglieds 177– 205 – Abberufung 199 f. – Abordnung von Aufsichtsratsmitglie­ dern in den Vorstand 192–194 – Alleinvorstand 189 – als Geheimnis der Gesellschaft 184 f. – als wichtiger Anlass für Sonder­ berichterstattung 190 f. – Amtsbeendigung zu einem künftigen Zeitpunkt 199 – Amtsniederlegungspflicht 198–200, 202 f. – Amtsweiterführung 200–203 – Demenzerkrankung 202 – Dienstbefreiung 191 – Dienstunfähigkeit, dauerhafte 198–200 – Dienstunfähigkeit, drohende 201–203 – Dienstunfähigkeit, vorübergehende 188–198 – Entbindung des Arztes von der Schweigepflicht 197 f.

Sachregister

– Entscheidungen des Gesamtaufsichts­ rats 191–193, 199 – Hirntumor 202 – Interimsbestellung anderer Personen 192 f. – Sorgfaltspflicht 188 f., 201, 204 – Überwachung 203 – Vertretungsregelung 180–182, 188 f., 192 Krankheit des Vorstandsmitglieds, ­Offenlegungspflicht 177–214 – Aktualisierungspflicht 194 – als moralische Pflicht 213 f. – als Rechtspflicht 212 f. – als Sorgfaltspflicht 188 f., 201 – als Standard guter Unternehmens­ führung 212 f. – alternatives Modell 187–205 – Ankündigung der Auszeit (des Aus­ scheidens) 201 – Ansprüche bei Pflichtverletzung 206 f. – Bedenkzeit 178 f. – bei Amtsweiterführung 200–203 – bei krankheitsbedingter Auszeit 188– 198 – bei künftigem Ausscheiden aus dem Amt 199 – bei sofortigem Ausscheiden aus dem Amt 198 f. – gestufte Mitteilungspflicht 177 f. – Hinweis auf Gesundheitsgründe 194, 198 f. – Kritik des gestuften Modells 179–183, 185–187 – O. ggü dem Aufsichtsratsvorsitzenden 178–182, 189–191 – O. ggü dem Gesamtaufsichtsrat 178, 191 – O. ggü dem Personalausschuss (dem Präsidium) 178 – O. ggü dem Vorstand 178, 188 – O. von Diagnose, Prognose und ­Therapie 194–197, 200 – Offenlegungsanreize 209 f. – u. aktienrechtliche Berichterstattung 185 f., 189–191 – Umfang 178, 187, 193 f.

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– Vertraulichkeit im Aufsichtsrat 195 f. – Vertraulichkeit im Vorstand 183–185 – Zeitpunkt 178, 182 f., 188–190 Krankheitsverdacht 95 f. – Amtsniederlegungspflicht 101 f., 104 – objektiver 95 f., 103 – Offenlegung 96 f., 103 – Pflicht zur Abklärung 98–104 – Sorgfaltspflicht 102, 104 – subjektiver 95–97 Laidlaw v. Organ 262 Leveraged Buy-out 241 f. Leverage-Effekt 241 Management-Buy-in 233 Management-Buy-out 231, 233 – siehe auch: Asset Deal, Share Deal, Leveraged Buy-out – als Börsengeschäft 254, 322 – als Face-to-Face-Geschäft mit nach­ folgendem Börsengeschäft 255 – als Face-to-Face-Geschäft 254 f. – culpa in contrahendo 273–292 – Direkterwerb 274 – echter 235, 274, 284 – Erwerb durch die NewCo 234, 274 – freier Cash Flow 242 – Informationsvorsprung der Manager 232, 257 f. – Interessenkonflikt 232 f. – Mindesthöhe der Management­ beteiligung 234 f. – mit Übernahmeangebot 326 – praktisches Erscheinungsbild 243 f. – Principal-Agent-Konflikt 268 f. – Spector-Vermutung 253 f. – Unterschied zum Institutionellen Buy-out 235 f. – Unterschied zum Leveraged Buy-out 242 f. – vorvertragliches Schuldverhältnis 273 f. Management-Buy-out, Haftung bei Auf­ klärungspflichtverletzung 284–289 – Ersatz des Erfüllungsinteresses 284 f. – Ersatz des Vertrauensschadens 286 f. – Geldersatz 285

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Sachregister

– Haftung der Zielgesellschaft für das Management 303 f. – Kausalitätsnachweis 284 f. – Schadensberechnung 287–289 – Vertragsaufhebung (Naturalrestitu­ tion) 285 – Wahlrecht des Geschädigten 285 f. Management-Buy-out, Offenlegungs­ pflicht der Manager 245–356 – Aktualisierungspflicht 352 – Angemessenheit des Angebots 350 – Angemessenheitsgutachten 350 f. – Aufträge 335 f. – Commonwealth-Länder 311–313 – Drittangebote 336, 338 f. – Einschätzung des Unternehmens­ potentials 351 – Einschätzung des Unternehmenswerts 329, 350–352 – Frankreich 306 f. – Geschäftschancen 334 – Grenzpreis 349 f. – kapitalmarktrechtliche 255 f., 322 – kraft Stellung als Geschäftsbesorger 251 f. – kraft Treuepflicht ggü den Gesell­ schaftern 295, 303–305 – kraft Treuepflicht ggü der Zielgesell­ schaft 249 f., 294 f. – kraft Vertrags mit Schutzwirkung ­zugunsten der Gesellschafter 292– 294 – kraft vormitgliedschaftlicher Treue­ pflicht 315, 317 f. – Kriterien zur Bestimmung des ­Umfangs 328–332 – künftige Tatsachen 328, 339 – Pläne der Manager 339–349 – rechtsökonomische Argumente 268– 272 – stille Reserven 332 f. – u. Auskunftsrecht der Gesellschafter 258 – u. Geschäftschancenlehre 246–248, 329–331 – u. Grundrechte der Manager 354–356 – u. Offenlegungspflicht nach § 11 WpÜG 327

– u. Verbot unrechtmäßiger Offen­ legung von Insiderinformationen 322, 324–326 – u. Verschwiegenheitspflicht 319–321 – USA 307–310 – Vermögensgegenstände 332 f. – vorvertragliche Aufklärungspflicht der Manager 273 f., 275 – vorvertragliche Aufklärungspflicht der NewCo 274 f., 280 f. – zivilrechtliche Aufklärungspflicht 256–258, 266 f. – Zustimmung des Aufsichtsrats 320 Management-Buy-out, vorvertragliche Dritthaftung der Manager 275–284 – siehe auch Dritthaftung, vorvertrag­ liche – Eigeninteresse der Manager 277 f. – persönliches Vertrauen 279 f. – typisiertes Vertrauen 281–284 Manager 231 – als Geschäftsbesorger 251 – als Primärinsider 253 – als Treuhänder der Gesellschaft 248 f. – als Treuhänder der Gesellschafter 249 f. – fremdnützige Stellung 245 f. Managers’ Transactions, siehe Directors’ Dealings Manni-Urteil 155, 462 f. MAR 4 – grundrechtskonforme Auslegung 171–173 – grundrechtskonforme Reduktion 173 f. Menschenwürde 35, 51 Methoden der Untersuchung 8–11 – Abduktion 9 – Deduktion 8 – dreistufige Erkenntnislogik 9–12 – Hermeneutik 11 – Induktion 8 f. – intendierte Anwendungen der Theorie 12 f. – Kontrastbeispiele 12, 71, 231, 357 – Theoretical Sampling 12, 71 – Theoriennetz 12 Mezzaninekapital 240 f.

Sachregister

Nemo-tenetur-Grundsatz 38, 357 – siehe auch: Auskunftspflicht; Fehl­ verhalten, Offenlegungspflicht; Selbstbezichtigung – absolutes Verwertungsverbot 357 – im Strafverfahren 357 – im Zivilverfahren 358 – im Zivilrecht 358–363, 400 – in sonstigen Verfahren 358 – normative Verankerung 357 f. – u. Menschenwürde 357 – u. Recht auf informationelle Selbst­ bestimmung 38 NewCo 234 Offenlegungspflichten, organschaft­ liche 4 f. – Abgrenzung von anderen Informa­ tionspflichten 4 – allgemeine Hypothese 442, 444, 515 – als Norm 206, 209–213 – als Teil der Sorgfaltspflicht 204, 216, 218, 227–229, 444 – bei eigenem Fehlverhalten, siehe dort – bei Interessenkonflikt, siehe dort – bei Krankheit, siehe dort – bei Management-Buy-out, siehe dort – Bindung an die Grundrechte bei ­Entwicklung von O. 41 f. – einheitliches Wirkmechanismus 442 – Familienähnlichkeit 6 f., 443 f., 519 – Interessenabwägung 42 – personenbezogene 5, 37 f., 443 – u. allgemeines Persönlichkeitsrecht 37 f., 68 f., 361–363 – u. informationelle Selbstbestimmung 37 – u. Obliegenheiten 205 – u. organschaftliche Treuepflicht 15 f., 31, 444 – u. Privatsphäre 37 – u. Selbstdarstellungsschutz 37 – u. vorvertragliche Aufklärungspflicht 444 – unternehmensbezogene 5, 443 – Unterschiede 442, 444 – Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 442 f., 453, 515–517

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Organmitglied 4 – siehe auch: Führungskraft, Geschäfts­ leiter, Manager, Schlüsselperson, Vor­ standsmitglied, Aufsichtsratsmitglied, GmbH-Geschäftsführer – Anstellungsverhältnis 24 – Bestellungsverhältnis 24 – interne Offenlegung bei Krankheit 177 – Zurechnung der Handlungen dem Verband 299 f. Person der Zeitgeschichte, siehe Person des öffentlichen Lebens Person des öffentlichen Lebens 165–167 Principal-Agent-Konflikt 267 – beim Management-Buy-out 268 f. – hidden actions 267 – hidden information 267 – Informationsasymmetrie nach Ver­ tragsschluss 267 – moral hazard 267 – unvollständiger Vertrag 267 Private Equity 233 Private-Equity-Fonds 233 Private Informationen über Führungs­ kräfte 380, 508–515 – Ad-hoc-Offenlegung 508–510 – außereheliche Beziehungen 508–510 – Bekanntwerden als Nebenfolge einer anderen Pflicht 511–515 – Erwerb von Luxusgegenständen 508 – Homosexualität 380 – Krankheit oder Tod von Angehörigen 508 f. – Offenlegung ggü der Gesellschaft 510 f. – Scheidungen 508–510 – Sexualleben 508–510 – Transsexualität 511–515 Privatsphäre 37 – Gesundheitsdaten 37, 153 – Grundrechtsschutz 38 – Nutzung für Unternehmenszwecke 501 f., 505 f. – Öffnung für die Öffentlichkeit 505 f. Probability-Magnitude-Test 144 Prospektpublizität 483–492

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Sachregister

als Datenverarbeitung 484 f. Angaben zu Organmitgliedern 483 f. Angemessenheit 489 f. Auskunftspflicht der Organmitglieder 484 D&O‑Questionnaires 484 demokratische Legitimation 491 f. Erforderlichkeit 488 f. Geeignetheit 487 f. Nachtragspflicht 492 f. öffentliche Anschuldigung 485 u. Resozialisierungsgedanke 490 f. u. Unschuldsvermutung 485 f. US-Regulation S–K 488 f. Ziel 487

Rechtsfortbildung, verfassungskon­forme 173 Rechtsnorm 206 – Befolgung von R. 208–211, 416 – Befolgungsmotive 209, 416 – Begriff der Verpflichtung 210 f. – Empfehlungen des DCGK als R. 211 f. – Erfüllbarkeit 423 f. – rationale Rechtssetzung 423 f. – u. Sanktion 208 f., 416 f. – unaufrichtige Befehle 424 f. – Verhaltenssteuerung als Zweck 408, 424 Reduktion, grundrechtskonforme 173 Reduktion, teleologische 173 Reduktion, verfassungskonforme 173 Reservationspreis, siehe Grenzpreis Rollen, soziale 32 – homo sociologicus 34 – Rollentheorie 32 – Rollentrennung 32 f., 65, 68, 501 – Rollenzwang 33–35 – Selbstdarstellung 33 – u. Freiheit 33–35 – u. Menschenwürde 33, 35 – u. Privatsphäre 35 Rule of Law 423 Sanktionstheorie 207 f. Schecke-Urteil 459, 461, 466 Schlüsselperson 108–110, 160

– Ad-hoc-Publizität bei außerdienst­ lichem Fehlverhalten 495–499 – Ad-hoc-Publizität bei Erkrankung, siehe Ad-hoc-Offenlegung von Ge­ sundheitsdaten – Ad-hoc-Publizität bei personellen Veränderungen 108 f. – als Person des öffentlichen Lebens 165, 167 – Bedeutung für den Unternehmens­ erfolg 133–135, 141 – Begriff 108 – Information über Familienangehörige 160 f. – Kursauswirkung von personellen ­Veränderungen 136–140 – Organmitglieder als S. 109 f. – titular figurehead 138 Sekundärhaftung 364–377 – Architekt 366, 368 f. – im neuen Recht 367–369 – Organmitglied 372–377 – Rechtsanwalt 364–366 – Steuerberater 367 – u. kurze Verjährungsfrist 367–371 Selbstbezichtigung 357, 362 f. – siehe auch: Auskunftspflicht; Fehl­ verhalten, Offenlegungspflicht; ­Nemo-tenetur-Grundsatz; Sekundär­ haftung – faktischer Zwang zur S. 429 f., 465 – Offenbarungspflicht des Behandeln­ den 358 – öffentliche 503–505 – Pflicht zur S., siehe Fehlverhalten, ­Offenlegung – Schutz vor S. 362 – u. Ad-hoc-Publizität 400–402 Share Deal 236 Sorgfaltspflicht, organschaftliche 204, 227 f. – Amtsniederlegungspflicht 102, 104, 202 – Pflicht zur kollegialen Zusammen­ arbeit 188, 216, 218, 224, 227, 447 – Sorge für die vorschriftsmäßige ­Zusammensetzung der Gesellschafts­ organe 189, 201

Sachregister

– u. Treuepflicht 227–229 Spector-Vermutung 253 – Ausnahmen 254, 347 f. – beim Management-Buy-out 253 f., 348 f. – Masterpläne 347 f. Standards guter Unternehmensführung 211 f. Standards, soziale 210 f. Transferklausel 157 Treuepflicht, mitgliedschaftliche 298 f. Treuepflicht, organschaftliche 16–31 – als Rechtsnorm 27–31 – als Rechtsprinzip 27–31, 69, 506 – Begriff 16 – bei finanziellen Interessenkonflikten 22 – bei nicht finanziellen Interessenkon­ flikten 22 – bewegliche Grenze 505–507 – erweiterte 506 f. – Fallgruppen 18 f., 29 f. – Generalklausel 16, 27, 30 – im engeren Sinne 19–21, 28 – im weiteren Sinne 19 – Interessenabwägung 19, 22 f., 25–31 – nachwirkende 269 – offenes Konzept 24 f., 27 – stricto sensu, siehe T. im engeren Sinne – u. Einwirkungsmacht 17, 24 – u. Geschäftschancen 20–23, 29 f. – u. Interessenkonflikt 61 – 64, 68 f. – u. organschaftliche Offenlegungs­ pflicht 15 f., 31, 69 – u. Persönlichkeitsrecht 21 f., 31, 36, 69, 501 f., 506 – u. Sorgfaltspflicht 227–229 – u. Treu und Glauben 23 f. – Vertrauenslehre 17 Treuepflicht, mitgliederbezogene 295– 303 – aus Vertrag mit Schutzwirkung zu­ gunsten Gesellschafter 293 – Bedenken 295 f. – Commonwealth Law 310–313 – Frankreich 306 f.

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– Holzmüller-Fall 296 – Schärenkreuzer-Fall 296 – Sonderverbindung zwischen Ver­ bandsorganen und -mitgliedern 295– 303 – subsidiäre 296, 301–305 – USA 307–310 – weites Konzept 300 f. Treuepflicht, vormitgliedschaftliche 313–318 – bei Management-Buy-out 315, 317 f. – Einwirkungsmacht, vormitglied­ schaftliche 315–317 – Girmes-Urteil 314 – Scheich-Kamel-Urteil 314 – u. culpa in contrahendo 317 f. Übernahmeangebote 326 f., 468–476 – Angebotsunterlage 326, 345 f. – kapitalmarktrechtliche Aufklärungs­ pflichten 327 – u. vorvertragliche Aufklärungspflich­ ten 327 Übernahmeangebote, Stellungnahme zur Annahmeabsicht nahestehender ­Personen 473–476 Übernahmeangebote, Stellungnahme zur eigenen Annahmeabsicht 468–473 – Aktualisierungspflicht 470 – als Grundrechtseingriff 470 f. – als Teil der Sorgfaltspflicht 468 – Inhalt 469 f., 472 f. – Pre-trading-Transparenz 472 – Verhältnismäßigkeit 472 f. – Zweck 468 f., 471 f. UK und Commonwealth Law, director 310–313, 386–396 – Bell v Lever 387 f. – duty to disclose own wrongdoing 388–396 – fiduziarische Pflichten ggü den ­Gesellschaftern 310–313 – fiduziarische Pflichten ggü der Gesell­ schaft 310, 388, 390, 395 – Horcal Limited v Gatland 388 – Interessenkonflikt 59 f., 65 f., 392 – Item Software 389–396 – special relationship doctrine 311–313

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Sachregister

– Treuepflicht 390–392, 395 – Unterschied zu Angestellten 390, 393, 500 Unternehmensbewertung 341–345 – DCF-Verfahren 344 f. – erkennbare künftige Entwicklungen 343 f. – Ertragswertmethode 344 f. – Prognose der künftigen Entwicklung 345 – Stichtagsprinzip 341 – Unternehmensplanungen 345 – Wurzeltheorie 341–343 Untersuchungsmethoden, siehe Metho­ den der Untersuchung Untersuchungsziel 6 f. USA 60, 66 f., 122–125, 228–310 – Americans with Disabilities Act 123– 125 – derivative suit 301 – duty of candor, siehe duty of ­disclosure – duty of care 228, 308 – duty of disclosure 229, 308–310 – duty of good faith 308 – duty of loyalty 228, 308 – fiduziarische Stellung des director 249, 301, 307–310 – fiduziarische Stellung des officer 500 – Health Insurance Portability and ­Accountability Act 123 f. – informational privacy 123–125 – Interessenkonflikt 60, 66 f. – majority rule 309 – minority rule 309 – Privacy Act 123 f. – right to be let alone 123, 153 – right to privacy 122 f. – special facts doctrine 309 f. USA, Führungskräfte 116–134, 508 f. – Ad-hoc-Publizität bei Erkrankung 121 f., 126–128 – Ad-hoc-Publizität bei Erkrankung, Unternehmenspraxis 117, 128–131 – als public figures 125 f. – deliktischer Schutz der informational privacy 125 f.

– Interesse des Publikums und der ­Medien 118 f., 121 – leadership school 133 f. – Offenlegung privater Tatsachen 119, 508 f. – principal officer 116 USA, Kapitalmarktpublizität 116–121, 488 f., 493 f., 508 – Form 10-K 116, 120, 493 – Form 10-Q 116, 120 – Form 8-K 116 f., 130 – gap-filling rules 119 f., 493 f. – personelle Veränderungen bei princi­ pal officers und directors 116 f. – Regulation S–K 116, 488 f., 493, 508 – Securities Act 119 – Securities Exchange Act 116, 119 – Wesentlichkeit der Information ­(materiality) 120 f. Verschwiegenheitspflicht 318–321 – bei der GmbH 320 f. – beim Management-Buy-out 319–321 – beim Unternehmenskauf 319 f., 292– 294 – Due-Diligence-Prüfung 319, 321 – Gesellschaftsgeheimnisse 184, 318 f. – vertrauliche Angaben 319 – Voraussetzungen für die Informa­ tionsweitergabe 319 – Vorstand als Herr der Gesellschafts­ geheimnisse 319 f. – Zustimmung des Aufsichtsrats zur ­Informationsweitergabe 319 f. Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter 283 f., 292–294 – als Grundlage der gesellschafter­ bezogenen Treuepflicht 293 – bei der GmbH&Co.KG 292 f., 399 – beim Management-Buy-out 283 f., 292–294 – Berufs- und Expertenhaftung 282 f. – Unterschied zur Sachwalterhaftung aus c.i.c. 283 Verwendungsverbot 360 f., 434, 504 Verwertungsverbot 357, 360, 434, 504