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German Pages 238 Year 2009
Ralf Rittwage Normen für die rechtssichere Anwendung von Change-of-Control-Klauseln
Ralf Rittwage
Normen für die rechtssichere Anwendung von Change-of-Control-Klauseln
De Gruyter Recht · Berlin
Dr. iur. Ralf Rittwage, Rechtsanwalt in Berlin
∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISBN 978-3-89949-626-0
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Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2008/2009 von der Juristischen Fakultät der Universität Rostock als Dissertation angenommen. Sehr herzlich bedanken möchte ich mich bei Frau Prof. Dr. Anja Hucke für die sehr professionelle und freundliche Betreuung meiner Arbeit. Herrn Prof. Dr. Klaus Tonner danke ich für die hohe Wertschätzung, die mir in seinem Zweitgutachten zuteil wurde. Dank sagen möchte ich auch meinen Eltern, Dr. Edeltraud Rittwage und Dr. Reinhard Rittwage, meiner Ehefrau Christina Rittwage und meiner Tochter Olivia Rittwage, die mich während der gesamten Zeit des Entstehens meiner Arbeit mit großem Verständnis unterstützt haben. Herrn Rechtsanwalt Rainer Pietschmann und Herrn Dr.-Ing. Peter Pietschmann danke ich für die langjährige freundschaftliche berufliche Zusammenarbeit. Berlin im Dezember 2008
Ralf Rittwage
Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V
1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Herkunft und Erscheinungsformen der Change-of-ControlKlauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Wirkungen von Change-of-Control-Klauseln . . . . . . . 1.3. Problemlage und Zielstellung der Arbeit . . . . . . . . . . 1.4. Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 2 3 6 8
2. Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Normen für Wirtschaftsvereinbarungen . . . . . . . . 2.2. Wesentliche Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Kontrollwechsel infolge eines Übernahmeangebots . . 2.4. Die Ausnahme von der Offenlegungspflicht . . . . . .
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10 10
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14 26 29
3. Normen in Rechtsprechung und Rechtslehre 3.1. Kapitalmarkt- und Aktienrecht . . . . 3.2. Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . 3.3. Bürgerliches Recht . . . . . . . . . . . 3.4. Zwischenergebnisse . . . . . . . . . .
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32 32 42 48 73
4. Potentielle Normen in Rechtsprechung und Rechtslehre . . . . 4.1. Das Pflichtangebot gemäß § 35 WpÜG . . . . . . . . . . . 4.2. Der allgemeine zivilrechtliche Kontrahierungszwang . . . 4.3. Zwischenergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75 75 81 101
5. Gesetzesimmanente Rechtsfortbildung . . . . . . . 5.1. Voraussetzungen einer Analogie . . . . . . . . 5.2. Analogie zu §§ 68 Abs. 2, 180 Abs. 2 AktG . . 5.3. Analogie zu §§ 33, 33a WpÜG . . . . . . . . . 5.4. Analogie zu §§ 327a ff. AktG, §§ 39a ff. WpÜG 5.5. Analogie zu § 35 WpÜG . . . . . . . . . . . . 5.6. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . .
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102 102 104 104 106 107 108
6. Gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . 6.1. Heranziehung der Grundrechte im Privatrecht . . . . . . .
110 110
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VIII
Inhaltsübersicht
6.2. Mögliche Schutzpflichten gegenüber den Aktionären . . . 6.3. Mögliche Schutzpflichten gegenüber den Vertragspartnern 7. Europarechtskonforme Rechtsfortbildung . . . . . . . 7.1. Das europäische Vertragsrecht „in statu nascendi“ 7.2. Das europäische Eigentumsgrundrecht . . . . . . 7.3. Binnenmarkt und Grundfreiheiten . . . . . . . .
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160 160 164 177
8. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1. Stand der Rezeption im deutschen Recht . . . . . . . . . 8.2. Die Zulässigkeit der Change-of-Control-Klauseln an sich 8.3. Die Zulässigkeit der Ausübung des Kündigungsrechtes . 8.4. Normkonkretisierung durch Schiedsgerichte . . . . . . . 8.5. Rechtssicherheit in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . 8.6. Schlussfolgerungen für die Zukunft . . . . . . . . . . . .
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190 190 191 192 193 194 195
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Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
223
Literaturverzeichnis
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118 138
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V
1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Herkunft und Erscheinungsformen der Change-of-ControlKlauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Wirkungen von Change-of-Control-Klauseln . . . . . . . 1.3. Problemlage und Zielstellung der Arbeit . . . . . . . . . . 1.4. Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
2. Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Normen für Wirtschaftsvereinbarungen . . . . . . . . . 2.1.1. Herkunft und Verwendung von Normen als Rechtsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2. Für die vorliegende Arbeit wesentliche Definitionsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3. Begriffsdefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Wesentliche Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1. Definitionsansätze in der Literatur . . . . . . . . . 2.2.2. Relevanz der Offenlegungspflicht in der Praxis . . 2.2.2.1. Praxisbeispiel DaimlerChrysler AG . . . . 2.2.2.2. Praxisbeispiel Hochtief AG . . . . . . . . 2.2.2.3. Praxisbeispiel Senator Entertainment AG 2.2.3. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4. Entwicklung eigener Definitionskriterien . . . . . 2.2.4.1. Due-Diligence-Prüfung . . . . . . . . . . 2.2.4.2. Rating . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4.3. Begriffsdefinition . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Kontrollwechsel infolge eines Übernahmeangebots . . . 2.3.1. Meinungsstand in der Literatur . . . . . . . . . . 2.3.2. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3. Begriffsdefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4. Die Ausnahme von der Offenlegungspflicht . . . . . . . 2.4.1. Bisherige Auslegungsansätze in der Literatur . . . 2.4.2. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2 3 6 8
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10 10
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12 14
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14 15 17 18 19 20 20 21 22 23 25 26 26 27 28 29 29 30 30
X
Inhaltsverzeichnis
3. Normen in Rechtsprechung und Rechtslehre . . . . . . . . . . 3.1. Kapitalmarkt- und Aktienrecht . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1. Verhinderungsverbote der §§ 33, 33a WpÜG . . . . 3.1.1.1. Meinungsstand in der Literatur . . . . . . . 3.1.1.2. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2. Aktienrechtliche Pflichtenbindung des Vorstandes . 3.1.2.1. Meinungsstand in der Literatur . . . . . . . 3.1.2.2. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1. Die „Taxi-Zentrale“-Entscheidung des OLG Düsseldorf und der Meinungsstand in der Literatur . . . . 3.2.2. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.1. Schutzzweck des Kartellrechts . . . . . . . . 3.2.2.2. Unvollständige Problemerfassung . . . . . . 3.2.2.3. Rechtsunsicherheit der beteiligten Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3. Bürgerliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1. Existenzgefährdende AGB . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1.1. Die „Opel“-Entscheidung des BGH und der Meinungsstand in der Literatur . . . . . 3.3.1.2. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1.3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2. Sittenwidrige Change-of-Control-Klauseln gemäß § 138 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2.1. Meinungsstand in der Literatur . . . . . . . 3.3.2.2. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2.3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3. Der Vertrag zu Lasten Dritter . . . . . . . . . . . . 3.3.3.1. Meinungsstand in der Literatur . . . . . . . 3.3.3.2. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3.2.1. Dogmatische Einordnung drittbelastender Vereinbarungen in der Lehre . . . . . . . 3.3.3.2.2. Rechtsprechung zu gesetzlichen Ausgleichsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3.2.3. Subsumtion . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3.2.4. Abgrenzung zwischen Vinkulierungs- und Change-of-Control-Klauseln . . . . . . .
32 32 32 34 35 37 38 40 41 42 43 45 45 47 48 48 48 49 49 50 52 52 53 53 55 56 56 56 57 62 65 69
XI
Inhaltsverzeichnis
3.3.3.3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . 3.3.4. Zusammenfassung zu den Normen des Zivilrechts insgesamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4. Zwischenergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72 73 73
4. Potentielle Normen in Rechtsprechung und Rechtslehre . . . 4.1. Das Pflichtangebot gemäß § 35 WpÜG . . . . . . . . . . 4.1.1. Meinungsstand zur effizienten Kontrolle des Managements durch die Austrittsentscheidungen der Aktionäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2. Der allgemeine zivilrechtliche Kontrahierungszwang . . 4.2.1. Dogmatische Begründung . . . . . . . . . . . . . 4.2.1.1. Meinungsstand in der Rechtslehre . . . . . 4.2.1.2. Ausgewählte Rechtsprechung des BGH . . 4.2.1.3. Bewertung und Typisierung . . . . . . . . 4.2.2. Anspruchsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2.1. Meinungsstand in der Rechtslehre . . . . . 4.2.2.2. Rechtsprechung des BGH . . . . . . . . . 4.2.2.3. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3. Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3.1. Vertragsfreiheit und Vergaberecht . . . . . 4.2.3.2. Angewiesensein auf die weitere Leistungserbringung . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3.3. Bewertung und Zusammenfassung . . . . 4.3. Zwischenergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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75 75
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77 78 81 81 82 86 87 89 89 91 91 93 94
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97 100 101
5. Gesetzesimmanente Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . 5.1. Voraussetzungen einer Analogie . . . . . . . . . . . . . . 5.2. Analogie zu §§ 68 Abs. 2, 180 Abs. 2 AktG . . . . . . . . 5.3. Analogie zu §§ 33, 33a WpÜG . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1. Vergleichbare Interessenlage . . . . . . . . . . . . 5.3.2. Systemgerechte Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . 5.3.3. Beschränkter Anwendungsbereich . . . . . . . . . 5.4. Analogie zu §§ 327a ff. AktG, §§ 39a ff. WpÜG . . . . . . 5.4.1. Vergleichbare Interessenlage . . . . . . . . . . . . 5.4.2. Beschränkter Anwendungsbereich . . . . . . . . . 5.4.3. Abgrenzung zu mitgliedschaftlichem Lösungsrecht 5.5. Analogie zu § 35 WpÜG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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102 102 104 104 104 105 106 106 106 106 107 107 108
XII
Inhaltsverzeichnis
6. Gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . 6.1. Heranziehung der Grundrechte im Privatrecht . . . . . . . 6.1.1. Meinungsstand in der Rechtslehre . . . . . . . . . . 6.1.2. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2. Mögliche Schutzpflichten gegenüber den Aktionären . . . 6.2.1. Schutz der Verkehrsfähigkeit von Aktien . . . . . . 6.2.1.1. Meinungsstand in der Literatur . . . . . . . 6.2.1.2. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1.3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2. Schutz des wirtschaftlichen Wertes des Aktieneigentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2.1. Definition des allgemeinen Anlagerisikos aus verfassungsrechtlicher Sicht . . . . . . . 6.2.2.2. Verfassungsrechtlich geschützter Inhalt des Aktieneigentums . . . . . . . . . . . . . 6.2.2.3. Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur zum Ausschluss von Minderheitsaktionären . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2.4. Bewertung und Zusammenfassung . . . . . 6.2.3. Die maßgebliche Beteiligungsschwelle . . . . . . . . 6.2.3.1. Meinungsstand in der Rechtslehre zur „übertragenden Auflösung“ . . . . . . . . . . . . 6.2.3.2. Bewertung und Zusammenfassung . . . . . 6.2.4. Möglichkeiten der Aktionäre zum effektiven Selbstschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.4.1. Selbstschutz beim Erwerb neuer Aktien . . . 6.2.4.2. Selbstschutz im Rahmen bereits bestehender Beteiligungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.4.3. Berücksichtigung der Beteiligungsstruktur . 6.2.5. Zwischenergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3. Mögliche Schutzpflichten gegenüber den Vertragspartnern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1. Schutz der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit . . . 6.3.1.1. Rechtsprechung des BVerfG . . . . . . . . . 6.3.1.2. Meinungsstand in der Rechtslehre . . . . . . 6.3.1.3. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1.4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . 6.3.2. Schutz der Vertragsfreiheit und Berufsfreiheit . . . .
110 110 112 114 118 118 118 119 122 123 124 125 126
127 128 130 130 131 132 132 133 135 136 138 138 139 140 140 142 142
XIII
Inhaltsverzeichnis
6.3.2.1. Erklärungsmodelle der Vertragsfreiheit in der Rechtslehre . . . . . . . . . . . . . . 6.3.2.2. Rechtsprechung des BVerfG . . . . . . . 6.3.2.3. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.3. Kriterien für die Inhaltskontrolle von Verträgen . 6.3.3.1. Meinungsstand in der Literatur . . . . . 6.3.3.2. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.3.3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . 6.3.4. Zwischenergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . .
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143 147 150 152 152 153 158 159
7. Europarechtskonforme Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . 7.1. Das europäische Vertragsrecht „in statu nascendi“ . . . . . 7.1.1. Gesetzgebungskompetenz für ein europäisches Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.2. Der materielle Regelungsumfang . . . . . . . . . . . 7.1.3. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2. Das europäische Eigentumsgrundrecht . . . . . . . . . . . 7.2.1. Rechtliche Grundlagen des europäischen Eigentumsgrundrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.2. Wirkung des europäischen Eigentumsgrundrechts im deutschen Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.2.1. Rechtsprechung des EuGH und EGMR . . 7.2.2.2. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.3. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen deutschem und europäischem Eigentumsgrundrecht 7.2.3.1. Schutz der Minderheitsaktionäre . . . . . . 7.2.3.2. Schutz der Vertragspartner . . . . . . . . . 7.2.4. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3. Binnenmarkt und Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . 7.3.1. Wirkung der Grundfreiheiten im deutschen Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.1.1. Meinungsstand in der Rechtslehre . . . . . . 7.3.1.2. Rechtsprechung des EuGH zu Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit . . 7.3.1.3. Rechtsprechung des EuGH zur Warenverkehrsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.1.4. Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.1.5. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
160 160 161 163 164 164 165 168 168 171 172 173 174 177 177 179 179 180 181 183 187
XIV
Inhaltsverzeichnis
7.3.2. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1. Stand der Rezeption im deutschen Recht . . . . . . . . . 8.2. Die Zulässigkeit der Change-of-Control-Klauseln an sich 8.3. Die Zulässigkeit der Ausübung des Kündigungsrechtes . 8.4. Normkonkretisierung durch Schiedsgerichte . . . . . . . 8.5. Rechtssicherheit in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . 8.6. Schlussfolgerungen für die Zukunft . . . . . . . . . . . . 8.6.1. Rechtssicherheit gegenüber den Aktionären . . . . 8.6.2. Rechtssicherheit gegenüber den Vertragspartnern .
188 189
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190 190 191 192 193 194 195 195 201
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Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Literaturverzeichnis
1. Einleitung „Verträge sind das wichtigste Planungsinstrument von Unternehmen in einer Marktwirtschaft“1. Die Institution des Marktes kann aus rechtlicher Sicht als „Netz von Verträgen“ 2 bezeichnet werden. Bei ihren vertraglichen Planungsentscheidungen sehen sich die am Markt tätigen Unternehmen mit einem in der Praxis herausgebildeten Phänomen konfrontiert, dessen rechtliche Einordnung noch weitgehend unklar ist: die Change-of-Control-Klauseln. Es handelt sich um vertragliche Vereinbarungen, die einem Vertragspartner bestimmte Gestaltungsrechte, zumeist ein Kündigungsrecht, einräumen, wenn beim anderen Vertragspartner ein Kontrollwechsel eintritt 3. In anderen Fällen wird der gesamte Vertrag unter der aufschiebenden oder auflösenden Bedingung des Kontrollwechsels geschlossen, also in der Weise, dass er im Falle eines Kontrollwechsels wirksam wird, sich ändert oder endet 4. Die vorliegende Untersuchung beschäftigt sich ausschließlich mit Verträgen börsennotierter Aktiengesellschaften. Bei diesen tritt ein Kontrollwechsel regelmäßig dann ein, wenn entweder das herrschende Unternehmen wechselt (§ 17 AktG) oder erstmals eine Kontrollbeteiligung im Sinne des § 29 Abs. 2 WpÜG begründet wird 5. Teilweise wird deshalb vorgeschlagen, den Begriff „Change-in-Control-Klausel“ zu verwenden, um deutlicher zum Ausdruck zu bringen, dass auch der erstmalige Kontrollerwerb an einer „bis dahin unabhängigen Gesellschaft“ 6 und nicht nur der Wechsel einer schon bestehenden Kontrollmehrheit unter den Anwendungsbereich der Klausel fällt 7.
Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 264. Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, S. 12. 3 Vgl. Lips/Stratz/Rudo, in: Hettler/Stratz/Hörtnagl, Unternehmenskauf, § 4 Rn. 408; Krause, AG 2002, S. 143; Merkt, Internationaler Unternehmenskauf, Rn. 881; Mielke/Nguyen-Viet, DB 2004, S. 2515. 4 Vgl. Lezius, in: Ensthaler, HGB, § 289 Rn. 56. 5 Vgl. Hüffer, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel Band II, S. 368. 6 Hoffmann-Becking, ZHR 169 (2005), S. 170. 7 Vgl. Bauer/Arnold, DB 2006, S. 263; Dörrwächter/Trafkowski, NZG 2007, S. 847; Fonk, in: Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch, § 9 Rn. 271; HoffmannBecking, ZHR 169 (2005), S. 170. 1 2
2
1. Einleitung
1.1. Herkunft und Erscheinungsformen der Change-of-Control-Klauseln Change-of-Control-Klauseln entstammen der U.S.-amerikanischen Rechtspraxis 8. Dort wird allerdings überwiegend nicht die Bezeichnung „Change-of-Control-Klausel“ verwendet. Es wird vielmehr differenziert zwischen den so genannten goldenen Fallschirmen (Golden Parachutes) 9 sowie den blechernen Fallschirmen (Tin Parachutes) 10 und den verschiedensten „Giftpillen“ (Poison Pills, Dead Hand Pills, No Hand Pills, Slow Hand Pills) 11. Im deutschen Recht sind zwei wesentliche Erscheinungsformen der Change-of-Control-Klauseln zu unterscheiden. Die infolge des spektakulären und in den Medien viel beachteten Übernahmekampfes zwischen der Mannesmann AG und Vodafone AirTouch Plc im Winter 1999/200012 in der Öffentlichkeit bekannt gewordene Erscheinungsform verpflichtet eine Aktiengesellschaft in Anstellungsverträgen mit Vorstandsmitgliedern, im Falle eines Kontrollwechsels dem Vorstandsmitglied eine bestimmte Summe zu zahlen und/oder Aktienoptionen einzuräumen13. Die in Deutschland geführte Debatte über die Zulässigkeit dieser Klauseln beschränkt sich im Wesentlichen auf die Höhe der vorgesehenen Abfindungszahlungen 14. Nach der Ein8 Vgl. Dreher, AG 2002, S. 214; Lips/Stratz/Rudo, in: Hettler/Stratz/Hörtnagl, Unternehmenskauf, § 4 Rn. 408; Mielke/Nguyen-Viet, DB 2004, S. 2515. 9 Vgl. Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, S. 335–337 Rn. 624– 627 und S. 664 f. Rn. 1401; Schander, BB 1997, S. 1802. 10 Vgl. Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, S. 665 Rn. 1402. 11 Vgl. Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, S. 657–662 Rn. 1388–1395, insbesondere S. 660 Rn. 1392 (dort Anm. 494). 12 Vgl. Bauer/Arnold, DB 2006, S. 264; Riehmer/Schröder, NZG 2000, S. 820; Schanz, NZG 2000, S. 337; Strenger, WM 2000, S. 952. 13 Vgl. Brechbühl, SJZ 2004, S. 34; Dreher, AG 2002, S. 215; Hoffmann-Becking, ZHR 169, S. 170; Hüffer, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel Band II, S. 368 ff.; Krause, AG 2002, S. 143 (der für dieser Erscheinungsform den im U.S.-amerikanischen Recht gebräuchlichen Begriff der „Golden parachutes“ verwendet). 14 Vgl. Bauer/Arnold, DB 2006, S. 264; Bauer/Krets, DB 2003, S. 816; Dörrwächter/Trafkowski, NZG 2007, S. 847 ff.; Dreher, AG 2002, S. 215 ff.; Fonk, in: Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch, § 9 Rn. 273; Hoffmann-Becking, ZHR 169, S. 170 ff.; Hirte, ZGR 2002, S. 623; Hirte, in: Hirte/v. Bülow, WpÜG, § 33 Rn. 59; Krause/Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 33 Rn. 116; Krause, AG 2002, S. 143; Michalski, AG 1997, S. 160; Schander, BB 1997, S. 1802.
1.2. Wirkungen von Change-of-Control-Klauseln
3
führung gesetzlicher Publizitätspflichten15 und der Aufnahme eines Abfindungs-Caps in Ziffer 4.2.3 des Deutschen Corporate Governance Kodex16 dürfte die Diskussion über die Anforderungen an Change-of-Control-Klauseln in Vorstandsverträgen weitestgehend entschärft sein17. Diese Klauseln sind deshalb nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Die vorliegende Untersuchung nimmt die zweite wesentliche Erscheinungsform der Change-of-Control-Klauseln in den Blick. Diese bezieht sich nicht auf das Verhältnis zwischen dem Unternehmen und seinem Management, sondern auf Verträge mit Außenstehenden, zumeist Geschäftspartnern oder wichtigen Leistungsträgern18. Typische Anwendungsbereiche sind Kreditverträge19, Liefer- und Vertriebsverträge 20 sowie Know-how-Überlassungs-Verträge und Lizenzverträge 21.
1.2. Wirkungen von Change-of-Control-Klauseln Das Zurückgreifen auf Change-of-Control-Klauseln soll die Unternehmen zum einen davor schützen, wirtschaftlich einen anderen Schuldner zu erhalten 22. Denn mit den Anteilseignern können sich §§ 285 S. 1 Nr. 9a, 314 Abs. 1 Nr. 6a HGB n. F., eingeführt durch das Vorstandsvergütungsoffenlegungsgesetz vom 3. August 2005, BGBl. I 2005, S. 2267, sowie §§ 289 Abs. 4 Nr. 9, 315 Abs. 4 Nr. 9 HGB, eingeführt durch das Gesetz vom 8. Juli 2006 zur Umsetzung der Richtlinie 2004/25 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote, BGBl. I 2004, S. 1426; kritische Stellungnahme von Feudner, NZG 2007, S. 781. 16 Vgl. Pressemitteilung der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex vom 14. Juni 2007, zusammengefasst in: NZG 2007, S. 537: Für die vorzeitige Beendigung eines Anstellungsvertrags soll das Cap den Wert von zwei Jahresvergütungen nicht übersteigen und auf die Summe der Vergütung für die Restlaufzeit des Anstellungsvertrages begrenzt sein. Speziell für den Fall des Kontrollwechsels soll die zu zahlende Abfindung höchstens 150 Prozent des Abfindungs-Caps betragen. 17 Zu den voraussichtlichen Auswirkungen des Abfindungs-Cap in der Praxis: Dörrwächter/Trafkowski, NZG 2007, S. 849. 18 Vgl. Maul/Muffat-Jeandet, die das Beispiel des Chefdesigners anführen, dem eine Change-of-Control-Klausel in seinem Anstellungsvertrag es erlaubt, bei einem Kontrollwechsel das Unternehmen zu verlassen, AG 2004, S. 309. 19 Vgl. Krause/Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 33 Rn. 117. 20 Vgl. BGH NJW 1985, S. 623; Mielke/Nguyen-Viet, DB 2004, S. 2515. 21 Vgl. Merkt, Internationaler Unternehmenskauf, Rn. 881. 22 Vgl. Krause, AG 2002, S. 143. 15
4
1. Einleitung
auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, die Vermögenszusammensetzung, die Kreditwürdigkeit und die Unternehmesstrategie eines Unternehmens grundlegend verändern, obgleich seine Rechtspersönlichkeit erhalten bleibt 23. Über ihre Ausschüttungs- und Thesaurierungspolitik haben die Gesellschafter Einfluss auf die Vermögenslage des Rechtsträgers 24. Neben diesem generellen Nutzen für alle Arten von Unternehmen besteht ein ganz besonderer Nutzen für börsennotierte Unternehmen: Diese schützen sich mit Hilfe von Change-of-Control-Klauseln vor feindlichen Übernahmen 25 und im Speziellen besonders sensible Wirtschaftsbereiche vor ausländischen Einflüssen, etwa in der Wehrtechnik26. Dabei wird häufig das Ziel verfolgt, die eigenen Betriebsgeheimnisse und den Kundenstamm vor dem Zugriff der Konkurrenten über eine Beteiligung am Vertragspartner zu bewahren 27. Das Schutzbedürfnis für solche Vertragsklauseln ergibt sich aus der Gefahr einer feindlichen Übernahme, die grundsätzlich erst mit der Börseneinführung entsteht 28. Den Vertragspartnern von börsennotierten Unternehmen könnte es bei der Vereinbarung von Change-of-ControlKlauseln somit in erster Linie nicht auf die Möglichkeit ankommen, sich vom Geschäftspartner zu lösen, sondern vielmehr darauf, das bloße Recht zur Kündigung als präventives Druckmittel einzusetzen. Eine solche Präventionsfunktion können Change-of-Control-Klauseln auch durchaus erfüllen, wenn sie in solche Verträge aufgenommen werden, die aus Sicht eines potentiellen Bieters für die Fortführung des Geschäftsbetriebes der Zielgesellschaft besonders wichtig oder gar notwendig sind. So kann etwa der Wegfall von KreditverträVgl. Mielke/Nguyen-Viet, DB 2004, S. 2515; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, S. 267. 24 Vgl. Mielke/Nguyen-Viet, DB 2004, S. 2516. 25 Dies geschieht entweder präventiv oder anlässlich eines konkreten Übernahmeversuches zum Beispiel in Wandelanleihen (§ 221 AktG), um im Falle eines Kontrollwechsels entweder eine Verringerung des Wandlungspreises zu erreichen oder eine vorzeitige Fälligstellung der Anleihe und damit einen Refinanzierungsbedarf auszulösen, hierauf wird noch unter 3.1.2.1. näher einzugehen sein. 26 Vgl. Merkt, Internationaler Unternehmenskauf, Rn. 881. 27 Vgl. OLG Düsseldorf, WuW/E OLG Bd. 8, S. 3708 (3711) = WuW 1986, S. 616 (619) – „Taxi-Zentrale Essen“; Merkt, Internationaler Unternehmenskauf, Rn. 881. 28 Vgl. Schanz, NZG 2007, S. 927. 23
1.2. Wirkungen von Change-of-Control-Klauseln
5
gen dazu führen, dass Kredite fällig gestellt werden und dringend benötigte Liquidität nicht mehr zur Verfügung steht29. Der Wegfall von Lizenzrechten oder wichtigen Kunden kann einen Personalabbau in erheblichem Umfang erforderlich machen und sogar die wirtschaftliche Existenz des Unternehmens bzw. eines Unternehmenszweiges gefährden. Problemfälle aus der Praxis dringen nur selten an die Öffentlichkeit und zumeist nur dann, wenn – entgegen der Präventionsfunktion – das Kündigungsrecht tatsächlich ausgeübt wurde. Als Beispiel kann die gemeinsame Entwicklung eines inhalierbaren Insulinpräparats durch die Unternehmen Sanofi-aventis und Pfizer herangezogen werden 30. Die Verträge zu dieser Kooperation bezogen sich auf die gemeinsame Entwicklung, Herstellung und Vermarktung des Präparates und enthielten eine Change-of-Control-Klausel. Nach der Akquisition von aventis durch Sanofi-Synthelabo berief sich Pfizer auf diese Klausel. Am 13. Januar 2006 unterzeichneten die Parteien eine Vereinbarung, nach der Sanofi-aventis seine Anteile an den weltweiten Rechten für die Entwicklung, Herstellung und Vermarktung des Präparates sowie seine Anteile an dem Joint Venture Diabel, welches die Produktionsanlagen für das Insulin besitzt, verkaufen musste 31. Nicht immer kann eine einvernehmliche Regelung zur Schadensbegrenzung getroffen werden. Dies soll ein weiteres Praxisbeispiel verdeutlichen: Nach der Ankündigung des U.S.-Internetportals Yahoo, den Suchevermarkter Overture, einen seiner großen Umsatzträger, übernehmen zu wollen, kündigte T-Online Anfang August 2003 die Kooperationsverträge mit ihrem Vertragspartner Overture und berief sich auf eine im Vertrag vereinbarte Change-of-Control-Klausel 32. Diese Klausel erlaubte den Partnern die Vertragskündigung, wenn der andere Teil von einem direkten Konkurrenten übernommen werde 33. Hingegen wertete Overture die Entscheidung von T-Online Vgl. Krause/Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 33 Rn. 117. Vgl. die Pressemitteilung der Sanofi-aventis vom 13. Januar 2006, abrufbar unter: http://www.sanofi-aventis.de. 31 Vgl. die Pressemitteilung der Sanofi-aventis vom 13. Januar 2006, abrufbar unter: http://www.sanofi-aventis.de. 32 Vgl. Schmidt, FAZ v. 15.9.2003, Nr. 214, S. 18; Manager-Magazin: Mitteilung vom 14. August 2003, 17 : 33 Uhr, abrufbar unter: www.manager-magazin.de. 33 Vgl. Manager-Magazin: Mitteilung vom 14. August 2003, 17 : 33 Uhr, abrufbar unter: www.manager-magazin.de. 29 30
6
1. Einleitung
als Vertragsbruch. Das Manager-Magazin berichtete am 14. August 2003, es sei aus Branchenkreisen verlautet, dass es Overture nur um die Verhandlung der Konditionen für den Ausstieg gehe 34. Tatsächlich setzte sich Overture sodann aber erfolgreich mit gerichtlicher Hilfe gegen die Kündigung zur Wehr. In einer einstweiligen Verfügung erklärte das Landgericht Frankfurt die Kündigung für rechtswidrig, da die Übernahme noch gar nicht vollzogen war 35. T-Online musste Overture wieder als Suchdienst einsetzen 36. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung würdigte die wirtschaftliche Bedeutung des Rechtstreits zwischen T-Online und Overture in einem Beitrag vom 15. September 2003 wie folgt: „Der Markt ist hart umkämpft, denn eine gute Suchmaschine ist für die Internet-Portale wie T-Online, AOL oder Yahoo weit mehr als ein Instrument, um die Nutzer an sich zu binden. Inzwischen werden mit dem so genannten Suchmaschinen-Marketing zweistellige Millionenbeträge verdient.“ 37
1.3. Problemlage und Zielstellung der Arbeit Die vorstehenden veröffentlichten Praxisbeispiele zeigen, dass vertragliche Kontrollwechselregelungen erhebliche Auswirkungen auf die kurzfristige Finanzlage und darüber hinaus auch auf die langfristig angelegte Unternehmensentwicklung haben können. Dass sich die Unternehmen dennoch auf diese Klauseln einlassen, hat verschiedene Gründe: In bestimmten Geschäftsbereichen sind diese Klauseln als Marktstandard anzusehen38, etwa in Kreditverträgen39 oder Akquisitionsfinanzierungen 40. In anderen Fällen kann sich bei bestimmten intensiven Geschäftsbeziehungen ein Angewiesensein auf die Vertragsfortführung entwickeln, das keinen Verhandlungsspielraum mehr lässt 41. Vgl. Manager-Magazin: Mitteilung vom 14. August 2003, 17 : 33 Uhr, abrufbar unter: www.manager-magazin.de. 35 Vgl. Schmidt, FAZ v. 15.9.2003, Nr. 214, S. 18. 36 Vgl. Schmidt, FAZ v. 15.9.2003, Nr. 214, S. 18. 37 Schmidt, FAZ v. 15.9.2003, Nr. 214, S. 18. 38 Diese Marktüblichkeit wird im zweiten Kapitel anhand von Praxisbeispielen börsennotierter Aktiengesellschaften belegt. 39 Vgl. Krause, AG 2002, S. 143; Meyer, Die Übernahme, S. 182. 40 Vgl. Krause/Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 33 Rn. 117. 41 Hierauf wird noch näher im vierten, sechsten und siebenten Kapitel einzugehen sein. 34
1.3. Problemlage und Zielstellung der Arbeit
7
Die unbestrittenen Vorzüge der Change-of-Control-Klauseln als Schutzmechanismen für die in einer Marktwirtschaft notwendigen Planungsentscheidungen können nur dann wirksam werden, wenn diese Klauseln auch zulässig sind. Hingegen werden die grundsätzlich legitimen Ziele verfehlt, wenn Rahmenbedingungen (Normen) nicht vorhanden sind und dadurch die Gefahr besteht, dass die Klauseln unangemessen in den Rechtskreis der beteiligten Interessengruppen eingreifen und diese dann die Gerichte erfolgreich um Rechtsschutz anrufen. Solcher Rahmenbedingungen im Sinne von Normen bedarf es zum einen für die Zulässigkeit der Change-of-Control-Klauseln an sich und zum anderen für die Ausübung des Kündigungsrechts. Ein Rechtsschutzbedürfnis wird zum Teil erst dann entstehen, wenn die Fortführung wichtiger Vertragsbeziehungen konkret abgelehnt wird. Dies zeigt die rechtliche Auseinandersetzung zwischen T-Online und Overture. Kritisch ist aber nicht nur die Ausübung des Kündigungsrechts. Allein das Vorhandensein von Change-of-Control-Klauseln kann ein Unternehmen für potentielle Bieter insgesamt unattraktiv machen 42. Unattraktiv wird die Beteiligung an der Gesellschaft deshalb, weil der Bieter damit rechnen muss, dass wichtige Verträge nicht fortgeführt werden 43. Dadurch könnte sich das allgemeine Anlagerisiko der Aktionäre erheblich verschärfen. In Anbetracht dieses Spannungsverhältnisses zwischen den Vorzügen und Risiken von Change-of-Control-Klauseln stellt sich die Frage, ob die deutsche Rechtsordnung über Normen verfügt, die geeignet sind, die genannten – teilweise existentiellen – Probleme für börsennotierte Unternehmen und deren Aktionäre zu verhindern und damit den Vertragspartnern die erforderliche Rechtssicherheit zu geben. Mit der vorliegenden Untersuchung wird das Ziel verfolgt, Rechtssicherheit für die Anwendung von Change-of-Control-Klauseln zu gewährleisten. Damit soll auch ein Beitrag dazu geleistet werden, gerichtliche Auseinandersetzungen über die Zulässigkeit dieser Klauseln in der gegenwärtigen und künftigen Rechtspraxis zu vermeiden.
42 43
Vgl. Krause/Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 33 Rn. 117. Vgl. Grunewald, in: Baums/Thoma, WpÜG, § 33 Rn. 40.
8
1. Einleitung
1.4. Vorgehen Maßstab für die rechtssichere Anwendung von Change-of-ControlKlauseln bilden die Anforderungen an ihre Zulässigkeit. Ein entscheidendes Kriterium für die Zulässigkeit ist der unangemessene Eingriff in den Rechtskreis der Vertragspartner und Aktionäre. Als geeignet werden in der Untersuchung folglich solche Normen angesehen, welche die betroffenen Rechte der Vertragspartner und Aktionäre angemessen berücksichtigen. Zu Beginn (Kapitel 2) erfolgt die Definition der für die Untersuchung erforderlichen Grundbegriffe. Es werden dann (Kapitel 3) diejenigen Normen analysiert und bewertet, die in der gegenwärtigen Rechtspraxis zur Beurteilung der Zulässigkeit von Change-of-Control-Klauseln herangezogen werden. Ausgangspunkt ist dabei die Rechtsprechung, denn die Inanspruchnahme von Gerichten kann zeigen, „dass von einer Norm Gebrauch gemacht, dass sie rezipiert wird“ 44. Soweit noch keine einschlägige Rechtsprechung vorhanden ist, wird auf den Meinungsstand in der Rechtslehre zurückgegriffen. Die Darstellung erfolgt geordnet nach den Rechtsgebieten. Im Anschluss daran (Kapitel 4) werden Beispiele vorhandener Normen des deutschen Zivilrechts behandelt, die im Zusammenhang mit Change-of-Control-Klauseln bisher weder in der Rechtsprechung angewandt noch in der Rechtslehre diskutiert worden sind, die aber grundlegende Erkenntnisse für die Anforderungen an eine rechtssichere Anwendung von Change-of-Control-Klauseln bringen können. Dabei wird differenziert zwischen der Zulässigkeit der Klauseln an sich und der Ausübung des Kündigungsrechts. Den Schwerpunkt der Arbeit (Kapitel 5, 6 und 7) bildet die Beantwortung der Frage, ob und in welchem Umfang eine Weiterentwicklung der vorhandenen Normen erforderlich ist. In Abgrenzung zu „bloße(n) individuelle(n) oder kollektive(n) rechtspolitische(n) Wünsche(n)“ 45 wird geprüft, ob eine planwidrige Regelungslücke vorliegt, die im Wege der Analogie zu vorhandenen gesetzlichen Normen geschlossen werden kann. Es wird danach gefragt, ob Schutzpflichten des Staates, also des Gesetzgebers und auch der Gerichte bestehen, 44 45
Cancik, Rezeption, S. 158. Bydlinski, Methodenlehre, S. 473.
1.4 Vorgehen
9
welche die Anwendung von Change-of-Control-Klauseln steuern und beschränken. Dies geschieht sowohl auf der Ebene der deutschen Rechtsordnung als auch in den spezifischen Bereichen des europäischen Rechts. Denn Rechtssicherheit sollte nicht nur vor deutschen Gerichten, sondern auch vor dem EuGH und dem EGMR gewährleistet sein. Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung werden deshalb mit dem Anspruch auf Kompatibilität mit dem europäischen Recht überprüft. Anhand von Beispielen werden auf den verschiedenen Ebenen des nationalen Privatrechts, des Grundgesetzes sowie der europäischen Grundfreiheiten und Grundrechte inhaltliche Grundstrukturen und Maßstäbe zum Schutz der beteiligten Interessengruppen herausgearbeitet. Zum Abschluss der Untersuchung (Kapitel 8) werden solche Rahmenbedingungen für die Zulässigkeit von Change-of-Control-Klauseln entwickelt und dargestellt, die den Vertragspartnern eine rechtssichere Anwendung dieser Klauseln ermöglichen. Auf dieser Grundlage werden Vorschläge für die inhaltliche Gestaltung von Change-of-Control-Klauseln in der Praxis unterbreitet.
2. Begriffsbestimmungen Die für die vorliegende Untersuchung relevanten Grundbegriffe und Grundannahmen sollen im Folgenden erläutert werden. Zunächst soll festgelegt werden, was unter dem Begriff der Normen im Zusammenhang mit Wirtschaftsvereinbarungen zu verstehen ist. Diese Begriffs- und Bedeutungsklärung ist Voraussetzung für die Untersuchung des Verhältnisses zwischen Rechtswirklichkeit und Normen für Change-of-Control-Klauseln.
2.1. Normen für Wirtschaftsvereinbarungen 2.1.1. Herkunft und Verwendung von Normen als Rechtsbegriff
„Das Wort Norm stammt von norma = Regel, Richtschnur“ 46. Der Begriff der Normen als Rechtsbegriff veränderte sich in der Vergangenheit gemeinsam mit den jeweils vorherrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen. Das alte Römische Recht verwendete für Einzelgeschäfte, wie zum Beispiel Adoption oder Testament, den Begriff „lex“ und für bestimmte vertragliche Beziehungen den Begriff „lex contractus“ 47. Auch in der deutschen mittelalterlichen Gesellschaft blieb diese Zuordnung der verschiedenen Normbegriffe zu den jeweiligen Rechtsverhältnissen bestehen 48. Da zu dieser Zeit eine einheitliche Gesetzgebung kaum vorhanden war, bestimmten ideelle und wirtschaftliche Verbände maßgeblich die Regelung der rechtlichen Verhältnisse in der Gesellschaft 49. In diesem rechtlichen Gefüge fehlten aber viele der heute üblichen Unterscheidungen. Zum Beispiel wurde zwischen moralischen und rechtlichen Normen sowie zwischen generellen Normen und rechtsgeschäftlichen Einzelfallentscheidungen nicht strikt differenziert 50. Mit der Ausprägung der industriellen und kapitalistischen Wirtschaftsordnung entstand ein Bedürfnis nach umfassenden rechtlichen 46 47 48 49 50
Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, S. 6. Vgl. Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, S. 9. Vgl. Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, S. 9. Vgl. Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, S. 8. Vgl. Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, S. 9.
2.1. Normen für Wirtschaftsvereinbarungen
11
Regelungen, verbunden mit einer Emanzipation des sein Leben und seinen Status selbst gestaltenden Individuums und sich herausbildender Wirtschaftsunternehmen51. Seither sind Normen Gegenstand der verschiedensten Wissenschaftsgebiete. Aus soziologischer und sozialpsychologischer Sicht können Normen definiert werden als „von Individuen geäußerte Erwartungen, dass etwas der Fall sein soll oder muss oder nicht der Fall sein soll oder muss“ 52. Auch der ökonomische Untersuchungsansatz bezieht sich oft auf soziale Erwägungen, die Fragen der Politik betreffen und deshalb in der Praxis der Rechtsprechung wegen ihrer Komplexität nur schwer berücksichtigt werden können 53. Die Rechtslehre verwendet zumeist den Begriff der Rechtsnorm. Rechtsnormen und sonstige soziale Normen werden danach unterschieden, dass nur erstere eine absolute Rechtsgeltung gegenüber ihren Adressaten entfalten 54. Zum Teil wird auch der Begriff Rechtsnorm nicht nur für die geschriebenen generellen Gesetze, sondern ebenso für nur im Einzelfall geltende, insbesondere vertragliche Regelungen verwendet 55. Über den Begriff der Rechtsnormen sind die unterschiedlichsten Betrachtungen angestellt worden56. Einheitliche allgemeingültige Definitionen der Begriffe „Norm“ und „Rechtsnorm“ sind somit nicht vorhanden. Zutreffend hat Karl-Dieter Opp festgestellt: „Bevor man festlegt, welchen Normbegriff man verwenden will, ist es sinnvoll, die Kriterien offenzulegen, denen ein Normbegriff zu genügen hat“ 57. Der für die vorliegende Untersuchung maßgebliche Normbegriff soll deshalb im Folgenden anhand der konkreten Eigenschaften von Change-of-Control-Klauseln unter Berücksichtigung der Zielstellung der Arbeit definiert werden.
Vgl. Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, S. 10 ff. Opp, Normen, S. 4. 53 Vgl. Eidenmüller, Ökonomische Effizienzkonzepte, S. 28. 54 Vgl. Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, S. 6. 55 Vgl. Dörner, Dynamische Relativität, S. 26 m.w. N. 56 Vgl. Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, S. 14 f.; Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, S. 3 ff.; Opp, Normen, S. 3 ff.; Röthel, Normkonkretisierung, S. 25 ff.; Zoglauer, Normenkonflikte, S. 23 ff. 57 Opp, Normen, S. 1. 51 52
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2. Begriffsbestimmungen
2.1.2. Für die vorliegende Arbeit wesentliche Definitionsmerkmale
Im Zentrum der Untersuchung stehen nicht soziologische oder ökonomische Aspekte, sondern die Gewährleistung von Rechtssicherheit. Rein wirtschaftliche Aspekte werden lediglich ergänzend zur Argumentation herangezogen. In diesem Kontext darf auch die rein juristische Auseinandersetzung mit Normen nicht deren Effizienz völlig vernachlässigen 58. Unter dieser Prämisse sind bei der Bestimmung des maßgeblichen Normbegriffs für die rechtssichere Anwendung von Change-of-Control-Klauseln vor allem drei Aspekte zu berücksichtigen: Erstens handelt es sich um Regelungen aus dem U.S.-amerikanischen Wirtschaftsraum 59. Die Rezeption einer ausländischen Vertragsklausel muss – anders als die Einführung gesetzlicher Normen, bei denen eine wörtliche Rezeption zumeist an den prinzipiellen Unterschieden zwischen Case Law und Kodifikation sowie an der unterschiedlichen inhaltlichen Systematik der Rechtssysteme scheitert – anhand einer dogmatischen und kautelarjuristischen Weiterentwicklung durch Rechtsprechung und Lehre erfolgen 60. Diese Entwicklung hat sich auch für viele andere moderne Vertragstypen, zum Beispiel das Factoring, Leasing, Franchising, den Letter of Intent vollzogen, die „zunächst in Gestalt relativ wörtlich importierter Vertragsentwürfe in das deutsche bzw. kontinentaleuropäische Recht verbracht und dann allmählich angepasst“ 61 wurden. Zweitens finden sich in der Praxis der Umstrukturierungen von Unternehmen häufig Schiedsgerichtsvereinbarungen, in denen nicht der Grundsatz der Öffentlichkeit gilt und die regelmäßig auch nicht veröffentlicht werden 62. Es steht daher kaum Rechtsprechung staatlicher Gerichte zur Auslegung einzelner Klauseln zur Verfügung 63. Vgl. Eidenmüller, Ökonomische Effizienzkonzepte, S. 28. Vgl. Dreher, AG 2002, S. 214; Lips/Stratz/Rudo, in: Hettler/Stratz/Hörtnagl, Unternehmenskauf § 4 Rn. 408; Mielke/Nguyen-Viet, DB 2004, S. 2515. 60 Vgl. Stürner, FS für Rebmann, S. 853. 61 Stürner, FS für Rebmann, S. 853. 62 Vgl. Holzapfel/Pöllath, Unternehmenskauf, S. 71 f. Rn. 80; Lips/Stratz/Rudo, in: Hettler/Stratz/Hörtnagl, Unternehmenskauf, § 4 Rn. 668; Merkt, Internationaler Unternehmenskauf, Rn. 737 ff. 63 Vgl. Hilgard, ZIP 2005, S. 1821. 58 59
2.1. Normen für Wirtschaftsvereinbarungen
13
Auch aus diesem Grunde kommt der Rechtslehre eine besondere Bedeutung bei der Rezeption der Change-of-Control-Klauseln in das deutsche Privatrechtssystem zu. Drittens ist es besonders in grenzübergreifenden Schiedsverfahren wichtig, auf allgemeine Rechtsgrundsätze für die Entscheidung wichtiger Praxisprobleme zurückgreifen zu können 64. Internationale Schiedsverfahren benötigen deshalb materielle Entscheidungsregeln, die unabhängig von Kollisionsrecht und ausländischem Recht von allen Beteiligten akzeptiert werden 65. Ohne solche allgemein anerkannte Rechtsnormen besteht bei internationalen Geschäften die Gefahr, dass in der Praxis entwickelte und befolgte Regeln von verschiedenen Rechtsordnungen unterschiedlich bewertet werden 66. Diese Bewertung hängt regelmäßig von Kriterien gesetzlicher Vorschriften ab, die „meist nur der Interessenlage und den Erwartungen einer der Parteien entsprechen“ 67. Mit der Schaffung allgemeiner Rechtsgrundsätze können formelle und begriffliche Hürden und Unterschiede zwischen den verschiedenen Rechtssystemen ausgeglichen werden. Mit Hilfe der vertraglichen Verweisung auf allgemein anerkannte Rechtsregeln können die Parteien den Schiedsrichter von der Bindung an nationale gesetzliche Normen befreien 68. Insbesondere bei grenzüberschreitenden Verträgen kann das jeweilige nationale Verständnis des Normbegriffes erheblich abweichen. So wird zum Beispiel in der italienischen Rechtswissenschaft zwischen den Begriffen „disposizione“ und „norma“ unterschieden69. Während die „disposizione“ (Bestimmung) den schriftlichen Willen des Gesetzgebers bezeichnen, sind „norma“ die Auslegungsmöglichkeiten, die aus der „disposizione“ abgeleitet werden können70. Aus der unterschiedlichen Verwendung des Begriffs der „Norm“ können Ungenauigkeiten resultieren und es besteht die Gefahr der Verwechslung.
Vgl. Bonell, RabelsZ 42, S. 485 ff.; Bydlinski, Methodenlehre, S. 482; Schlesinger/Gündisch, RabelsZ 28, S. 4. 65 Vgl. Schlesinger/Gündisch, RabelsZ 28, S. 4. 66 Vgl. Bonell, RabelsZ 42, S. 488. 67 Bonell, RabelsZ 42, S. 505. 68 Vgl. Schlesinger/Gündisch, RabelsZ 28, S. 44. 69 Vgl. D’Atena, Die Normenerzeugung, S. 469 f. 70 Vgl. D’Atena, Die Normenerzeugung, S. 469 f. 64
14
2. Begriffsbestimmungen
2.1.3. Begriffsdefinition
Aus den vorstehenden Gründen verwendet die vorliegende Untersuchung für gesetzliche Vorschriften den Begriff der „gesetzlichen Normen“ und den weiten Begriff der „Normen“ für alle Regeln, die nicht nur die geschriebenen Gesetze, sondern auch allgemeine Rechtsgrundsätze, Rechtsprechung und Ansichten der Rechtslehre im Sinne ungeschriebener Verhaltensanordnungen umfassen.
2.2. Wesentliche Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB Der Gesetzgeber hat sich den Change-of-Control-Klauseln erstmals in Umsetzung der Übernahmerichtlinie 71 mit der am 14. Juli 2006 in Kraft getretenen Neufassung der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB zugewandt72. Diese neuen Vorschriften für Change-of-ControlKlauseln in Wirtschaftsverträgen erstrecken die Publizitätspflichten im Lagebericht bzw. Konzernlagebericht auf „wesentliche Vereinbarungen“ der Gesellschaft bzw. des Mutterunternehmens, die unter der Bedingung eines Kontrollwechsels infolge eines Übernahmeangebots stehen sowie auf die hieraus folgenden Wirkungen73. Die Neuregelung betrifft nur Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien, die einen organisierten Markt im Sinne des § 2 Abs. 7 WpÜG in Anspruch nehmen, sowie ihre Mutterunternehmen, soweit diese einen organisierten Markt im Sinne des § 2 Abs. 7 WpÜG durch von ihnen ausgegebene stimmberechtigte Aktien in Anspruch nehmen. Welche konkreten Anforderungen an die Zulässigkeit von Change-ofControl-Klauseln im Hinblick auf die beteiligten Interessengruppen zu stellen sind, ließ der Gesetzgeber bisher offen. Auch den Begriff der wesentlichen Vereinbarungen verwendet die Neufassung der §§ 289 Richtlinie 2004/25 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote, veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Union vom 30.4.2004. 72 Art. 2 bis 4 des Gesetzes vom 8. Juli 2006 zur Umsetzung der Richtlinie 2004/25 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote, BGBl. I 2004, S. 1426. 73 Die Angabe kann unterbleiben, soweit sie geeignet ist, der Gesellschaft einen erheblichen Schaden zuzufügen; vgl. hierzu 2.4. 71
2.2. Wesentliche Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 und 315
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Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB, ohne ihn im Gesetz oder der Regierungsbegründung zu definieren74. Die Wesentlichkeit des von einer Change-of-Control-Klausel betroffenen Vertragsverhältnisses könnte aber wichtig für die Frage der Zulässigkeit dieser Klausel bzw. der Ausübung des Kündigungsrechtes sein. Deshalb erfolgt eine Analyse der bisherigen Definitionsversuche in der Rechtslehre sowie einiger Praxisbeispiele. 2.2.1. Definitionsansätze in der Literatur
In der Literatur wurde zunächst bereits im Hinblick auf die Übernahmerichtlinie vertreten, die Wesentlichkeit eines Vertrages sei dann anzunehmen, wenn dieser für die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes der Gesellschaft und die erfolgreiche Umsetzung des Übernahmeangebotes von Bedeutung sei 75. Während des deutschen Gesetzgebungsverfahrens wurde der Begriff der Wesentlichkeit aus Sicht eines potentiellen Bieters beurteilt 76. Aus seiner Sicht soll es darauf ankommen, ob die im Falle des Kontrollwechsels „vereinbarte Rechtsfolge geeignet ist, eine Übernahme zu verhindern oder erheblich zu erschweren“ 77. Seinem Wortlaut nach bezieht sich der Begriff „wesentliche Vereinbarungen“ in §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB auf Verträge, die jeweils für sich betrachtet wesentlich sind. Jedoch kann ein Unternehmen seinen Geschäftsbetrieb auch „über eine Vielzahl kleinvolumiger Verträge“ 78 organisieren, die jeweils Change-of-Control-Klauseln enthalten und erst in ihrer Gesamtheit zu einer Gefährdung des Geschäftsbetriebes führen 79. Teilweise wird deshalb unter Hinweis Gesetzesentwurf BR-Drucksache 154/06, S. 48–52; Art. 2 bis 4 des Gesetzes vom 8. Juli 2006 zur Umsetzung der Richtlinie 2004/25 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote, BGBl. I 2004, S. 1426. 75 Vgl. Lanfermann/Maul, BB 2004, S. 1520; Maul/Muffat-Jeandet, AG 2004, S. 309. 76 Vgl. Handelsrechtsausschuss des DAV, NZG 2006, S. 183 sowie NZG 2006, S. 223; Seibt/Heiser, AG 2006, S. 316; Maul/Muffat-Jeandet, AG 2004, S. 309; Sailer, AG 2006, S. 915 (unter Hinweis auf die regelmäßig sehr unterschiedliche Sichtweise der verschiedenen Arten von Bietern („Stratege oder Finanzinvestor“). 77 Sailer, AG 2006, S. 915. 78 Sailer, AG 2006, S. 915. 79 Vgl. Sailer, AG 2006, S. 915. 74
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2. Begriffsbestimmungen
auf den Schutzweck der Vorschriften gefordert, nicht nur auf den einzelnen Vertrag, sondern auf die Gesamtheit aller mit Change-of-Control-Klauseln versehener Verträge abzustellen 80. Nach dieser Ansicht sind also sämtliche Auswirkungen in Betracht zu ziehen, die sich aufgrund der Beendigung, Änderung oder Wirksamkeit sämtlicher Vereinbarungen für den Geschäftsbetrieb der Gesellschaft ergeben würden 81. Demgegenüber hat Viola Sailer das Schutzzweckargument für die Beurteilung der Wesentlichkeit abgelehnt82. Nur eine Change-of-Control-Klausel in einer einzelnen wesentlichen Vereinbarung begründe das spezifische Risiko der Kündigung dieses Vertrages 83. Demgegenüber bestehe bei der Verteilung von Change-of-Control-Klauseln auf verschiedene kleinvolumige Verträge, die jeweils für sich genommen keine wesentliche Bedeutung für den Geschäftsbetrieb haben, die Chance, dass nicht alle Vertragspartner ihr Kündigungsrecht ausüben 84. Notwendig sei deshalb eine Betrachtung im Einzelfall 85. Die bisherigen Kommentierungen zum Handelgesetzbuch befassen sich nicht näher mit der Definition der „wesentlichen Vereinbarung“ und ihren von der Privatautonomie gesetzten Grenzen. Teilweise wird der Begriff der „Wesentlichkeit“ gar nicht angesprochen 86. Grundsätzlich wird für den Begriff der Wesentlichkeit im Hinblick auf den Schutzzweck des Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetzes auf die Sicht des potentiellen Bieters abgestellt 87. Ihm wolle das Gesetz Informationen und Transparenz verschaffen 88. Christian Kirnberger hält die neue Regelung in § 289 Abs. 4 Nr. 8 HGB deshalb für problematisch, weil die geforderten Angaben über Kontrollwechselklauseln „sehr stark in die Rechte Dritter eingreifen“ 89. Diese Kommentierung Vgl. Meyer, Die Übernahme, S. 183; Seibt/Heiser, ZIP 2002, S. 2198. Vgl. Meyer, Die Übernahme, S. 183; Seibt/Heiser, ZIP 2002, S. 2198. 82 Vgl. Sailer, AG 2006, S. 915. 83 Vgl. Sailer, AG 2006, S. 915. 84 Vgl. Sailer, AG 2006, S. 915. 85 Vgl. Sailer, AG 2006, S. 915. 86 Vgl. Merkt, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 289 Rn. 4 und § 315 Rn. 1; Morck, in: Koller/Roth/Morck, HGB, § 289 Rn. 10 und § 315 Rn. 1 f.; Wiedmann, in: Joost/Strohn, HGB, § 289 Rn. 44. 87 Vgl. Lezius, in: Ensthaler, HGB, § 289 Rn. 56. 88 Vgl. Lezius, in: Ensthaler, HGB, § 289 Rn. 56. 89 Kirnberger, in: Glanegger u. a., HGB, § 289 Rn. 1. 80 81
2.2. Wesentliche Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 und 315
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wird aber nicht begründet, so dass zunächst unklar ist, welche Rechte welcher Dritter gemeint sind. Von der Offenlegungspflicht betroffen sind wohl in erster Linie die Geheimhaltungsinteressen der Vertragspartner der Vereinbarung. Im Ergebnis stimmen die bisherigen Ansichten zur Übernahmerichtlinie und zur Neuregelung der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB darin überein, dass auf die Sicht des potentiellen Bieters abzustellen ist, wobei die Beurteilung der „wesentlichen Vereinbarungen“ bei verschiedenen Bietern sehr unterschiedlich ausfallen kann 90 und insbesondere davon abhängen wird, ob es sich um einen strategischen Beteiligungserwerb oder ein bloßes Investment handelt 91. Das Ergebnis dieser subjektiven Bietereinschätzung ist jedoch für die Zielgesellschaft in der Regel kaum vorhersehbar. 2.2.2. Relevanz der Offenlegungspflicht in der Praxis
Die von der Neuregelung der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB eingeführte Offenlegungspflicht besteht gemäß Art. 60 EGHGB erstmals für Jahres- und Konzernabschlüsse für das nach dem 31. Dezember 2005 beginnende Geschäftsjahr, so dass bereits Reaktionen der Praxis vorliegen. Diese sollen im Folgenden an einigen ausgewählten Beispielen verschiedener deutscher Aktiengesellschaften untersucht werden. Einige Unternehmen haben in den erläuternden Berichten des Vorstandes aus dem Jahre 2007 im Hinblick auf die neuen Publizitätsanforderungen schlicht angegeben, es bestünden keine „wesentlichen Vereinbarungen unter der Bedingung eines Kontrollwechsels“ 92. Dies entspricht zwar der gesetzlich geforderten Angabe. Misslich ist aber, dass man dieser Mitteilung nicht entnehmen kann, ob überhaupt Vereinbarungen unter der Bedingung Vgl. Meyer, Die Übernahme, S. 183; Sailer, AG 2006, S. 915; Seibt/Heiser, ZIP 2002, S. 2198. 91 Vgl. Sailer, AG 2006, S. 915. 92 Die LBB Holding AG mit erläuterndem Bericht des Vorstandes vom Juli 2007, abrufbar unter: www.bankgesellschaft.com; die Francotyp-Postalia Holding AG mit erläuterndem Bericht des Vorstandes vom Mai 2007 abrufbar unter http://www.francotyp.com/de/downloads/Erlaeuternder_Bericht.pdf; sowie die TTL Information Technology AG mit erläuterndem Bericht des Vorstandes vom Juni 2007, abrufbar unter http://www.ttl-ag.de/; den erläuternden Bericht des Vorstandes der Adler Real Estate AG, vom April 2007, abrufbar unter http://www. adler-ag.de/pdf/Erlaeuternder_Bericht_des_Vorstands_2007.pdf. 90
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2. Begriffsbestimmungen
eines Kontrollwechsels abgeschlossen wurden, die von der Gesellschaft nur nicht als wesentlich angesehen werden. 2.2.2.1. Praxisbeispiel DaimlerChrysler AG
Konkretere Angaben finden sich zum Beispiel im Konzernlagebericht der DaimlerChrysler AG für das Jahr 2006 93. Dort sind mehrere „wesentliche Vereinbarungen“ aufgeführt, die Regelungen für den Fall eines Kontrollwechsels enthalten. Zunächst handelt es sich „um unbeanspruchte syndizierte Kreditlinien über einen Betrag von insgesamt 12 Milliarden US-Dollar, die ein Kündigungsrecht des Darlehensgebers für den Fall vorsehen, dass die DaimlerChrysler AG Tochterunternehmen einer anderen Gesellschaft oder einer oder mehrerer gemeinsam handelnder Personen wird. Darüber hinaus ist die DaimlerChrysler AG Partei eines Joint Ventures zur Entwicklung von Brennstoffzellensystemen; dieses Joint Venture ist für jede Vertragspartei kündbar, falls die jeweils andere Partei einem Kontrollwechsel unterliegt (…) Weiterhin ist die DaimlerChrysler AG Partei einer Vereinbarung über geistige Eigentumsrechte im Zusammenhang mit einem Joint Venture zur Entwicklung eines Hybridantriebs, das für den Fall eines Kontrollwechsels einer der beteiligten Parteien Kündigungsmöglichkeiten der anderen Parteien vorsieht (…) Schließlich ist die DaimlerChrysler AG Partei eines Vertragswerkes, das die Ausübung der Stimmrechte an der EADS N.V. regelt. Dieses sieht für den Fall eines Kontrollwechsels vor, dass die DaimlerChrysler AG nach Aufforderung durch die französischen Vertragspartner verpflichtet ist, sich nach besten Kräften zu bemühen, ihren Anteil an EADS an einen Dritten, der kein Wettbewerber von EADS bzw. der französischen Vertragspartner der DaimlerChrysler AG ist, zu angemessenen Konditionen zu veräußern. In diesem Fall steht der französischen Seite ein Vorkaufsrecht zu den von Dritten angebotenen Bedingungen zu. Auch kann es zu einer Auflösung des Stimmrechtskonsortiums im Falle eines Beherrschungswechsels kommen“ 94. Vgl. den interaktiven Geschäftsbericht der DaimlerChrysler AG unter http://ar2006.daimlerchrysler.com/cgi-bin/daimler/show.ssp?report_id=gb2006& language=German&fn=content-lagebericht-strategie-rechtliche-coc (zuletzt aufgerufen am 26.1.2009). 94 Interaktiver Geschäftsbericht der DaimlerChrysler AG unter http://ar2006. daimlerchrysler.com. 93
2.2. Wesentliche Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 und 315
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2.2.2.2. Praxisbeispiel Hochtief AG
Umfassende Angaben gemäß §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB enthält auch der erläuternde Bericht des Vorstandes zum Lagebericht der Hochtief AG vom 20. Februar 2007 95. Dort wird auf insgesamt vier bedeutende Darlehens- bzw. Kreditverträge hingewiesen, die Kündigungsrechte zugunsten der Darlehensgeber für den Fall vorsehen, dass eine Person oder eine Gruppe von gemeinsam handelnden Personen entweder eine Mehrheitsbeteiligung an der Hochtief AG erwirbt oder eine Abhängigkeit der Hochtief AG im Sinne von § 17 AktG begründet, oder dass auf andere Weise die Kontrolle über die Hochtief AG auf ein oder mehrere andere Unternehmen übergeht 96. Im Hinblick auf die ebenfalls gesetzlich geforderten Angaben zu möglichen Auswirkungen der wesentlichen Vereinbarungen führt die Hochtief AG aus: Falls die Darlehensgeber unter den vorgenannten Bedingungen ihr Kündigungsrecht ausüben würden, müsste der entsprechende Finanzierungsbedarf der Hochtief AG bzw. des HochtiefKonzerns auf andere Weise sichergestellt werden 97. Schließlich wird nach der Angabe weiterer Vereinbarungen, die unter der Bedingung eines Kontrollwechsels stehen, darauf hingewiesen, dass im Geschäftsbereich der Public Privat Partnerships (PPP) dem Auftraggeber in den Projektverträgen häufig weitgehende Gestaltungsrechte eingeräumt werden, die eine Änderung der Beteiligungsverhältnisse an der jeweiligen Projektgesellschaft erschweren oder gar unmöglich machen sollen 98. Diese Angabe betrifft das Verhältnis zu den besonderen Anforderungen, die das Vergaberecht des GWB an den Kontrollwechsel beim Vertragspartner des öffentlichen Auftraggebers stellt. Diese Anforderungen werden an späterer Stelle noch umfassend behandelt 99.
Vgl. den Lagebericht der Hochtief AG für das Jahr 2006, unter: http://www.berichte.hochtief.de/gb06/66.jhtml (zuletzt aufgerufen am 27.1.2009). 96 Vgl. den Lagebericht der Hochtief AG für das Jahr 2006, wie Fn. 95. 97 Vgl. den Lagebericht der Hochtief AG für das Jahr 2006, wie Fn. 95. 98 Vgl. den Lagebericht der Hochtief AG für das Jahr 2006, unter: http://www.berichte.hochtief.de/gb06/64.jhtml (zuletzt aufgerufen am 27.1.2009). 99 Unter 4.2.3.1. 95
20
2. Begriffsbestimmungen
2.2.2.3. Praxisbeispiel Senator Entertainment AG
Teilweise enthalten die erläuternden Berichte in Erfüllung der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB auch einen konkreten Bezug auf das verfolgte Ziel, insbesondere den Schutz vor bestimmten Wettbewerbern. So legt zum Beispiel die Senator Entertainment AG offen, dass bei einem verbundenen Unternehmen die Möglichkeit der Einziehung von Gesellschaftsanteilen besteht, wenn ein Unternehmen aus der Medienbranche mehr als 50 Prozent der Aktien an der Senator Entertainment AG unmittelbar oder mittelbar erwirbt100. 2.2.3. Bewertung
Zusammenfassend ist festzustellen, dass in der Praxis vornehmlich Dauerschuldverhältnisse, insbesondere Kreditverträge und wettbewerbsrelevante Kooperationsverträge, als wesentliche Vereinbarungen eingestuft werden. Eine generelle Begriffsklärung ist aber bisher nicht vorhanden. Bei der Beantwortung der Frage, ob es für den Begriff der „Wesentlichkeit“ auf den Einzelvertrag oder die Geschäftsbeziehungen insgesamt ankommen soll, ist das von Viola Sailer vertretene Argument, wenn Change-of-Control-Klauseln auf viele kleinvolumige Verträge mit verschiedenen Vertragspartnern verteilt würden, bestehe die Chance, dass nicht alle Vertragspartner von dem Kündigungsrecht Gebrauch machen101, grundsätzlich zutreffend. Jedoch sollte analog zu dem im Arbeitsrecht herausgebildeten Rechtsgedanken des Kettenvertrages 102 danach differenziert werden, ob ein ständiger „punktuelle(r) Einfluss“ 103 zum „Dauereinfluss“104 von erheblichem Gewicht wird, der im Laufe der Zeit eine Qualitätsänderung des Rechtsverhältnisses mit sich bringt105. Im Rahmen dieser Unterscheidung dürfte es für Change-of-Control-Klauseln in Wirtschaftsverträgen maßgeblich darauf ankommen, ob es sich um eine zufällige Vgl. den erläuternden Bericht des Vorstandes der Senator Entertainment AG vom Juli 2007, abrufbar unter http://www.senator.de. 101 Vgl. Sailer, AG 2006, S. 915. 102 Vgl. Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, S. 254 ff. 103 So auch für Stimmbindungsverträge zur Umgehung von Vinkulierungsklauseln: Lutter/Grunewald, AG 1989, S. 112. 104 Lutter/Grunewald, AG 1989, S. 112. 105 Vgl. Lutter/Grunewald, AG 1989, S. 112. 100
2.2. Wesentliche Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 und 315
21
Verteilung eines insgesamt wesentlichen Vertragsvolumens auf wirtschaftlich-funktional unterschiedliche Vertragspartner handelt, oder ob ein einheitliches wirtschaftliches Austauschverhältnis künstlich in viele kleine Einzelverträge mit formal verschiedenen Rechtsträgern aufgeteilt wird, obgleich die Vorteile aus den Verträgen bei wirtschaftlicher Betrachtung nur einem Unternehmen zugute kommen. In letzterem Falle handelt es sich bei der zum Schutz der Bieter gebotenen wirtschaftlich-funktionalen Betrachtung um eine einzige Geschäftsbeziehung, die im Zweifel bei einem vom Geschäftspartner missbilligten Kontrollwechsel auch insgesamt beendet werden wird. Es kann festgestellt werden, dass die Praxis bisher sehr unterschiedliche Vorstellungen davon hat, welche Verträge als „wesentlich“ im Sinne der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB anzusehen sind. Zu verschieden sind die Angaben in den Lageberichten. Die bisherige Offenlegungspraxis bezieht sich in erster Linie auf Verträge, die mit intensiven geschäftlichen Kontakten auch zu Geschäftsgeheimnissen des jeweiligen Vertragspartners sowie zu dessen Kundenbeziehungen verbunden sind. Die Tatsache, dass Gesetzgeber, Rechtsprechung, Rechtslehre und Unternehmenspraxis bisher keine konkrete Definition des Begriffs der wesentlichen Vereinbarungen herausgebildet haben, führt zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit für die beteiligten Vertragspartner. Geboten ist eine Objektivierung. 2.2.4.
Entwicklung eigener Definitionskriterien
Wenn das Gesetz die Begriffe „wesentlich“ oder „unwesentlich“ verwendet, verfolgt es damit den Zweck einer „tatbestandliche(n) Begrenzung“106 der in der fraglichen Norm geregelten Ansprüche bzw. Pflichten107. Im Rahmen dieses generellen Zwecks kann der Begriff der Wesentlichkeit zwei unterschiedliche Zielrichtungen verfolgen. Entweder soll die Einschätzung veränderlicher Sachverhalte ermöglicht werden, wie zum Beispiel bei der „wesentlichen Veränderung“ der Kaufsache in § 498 Abs. 2 S. 2 BGB a. F.108, oder es soll das Wesen eines Gegenstandes oder eines Rechtsaktes beschrieben wer-
106 107 108
Röthel, Normkonkretisierung, S. 40. Vgl. Röthel, Normkonkretisierung, S. 40. Vgl. Röthel, Normkonkretisierung, S. 40 f. mit weiteren Beispielen.
22
2. Begriffsbestimmungen
den, wie zum Beispiel die „wesentlichen Grundgedanken“ der gesetzlichen Regelung in § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB n. F.109. Die Offenlegungspflichten in §§ 289 Abs. 4, 315 Abs. 4 HGB sollen potentielle Bieter in die Lage versetzen, „sich vor Abgabe eines Angebotes ein umfassendes Bild über die mögliche Zielgesellschaft und ihre Struktur sowie etwaige Übernahmehindernisse zu machen“ 110. Vor diesem Hintergrund enthält das Merkmal der Wesentlichkeit in §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB eine tatbestandliche Begrenzung der Informationsrechte der Bieter. Vereinbarungen sind demnach nur dann als wesentlich anzusehen, wenn sie die Kaufentscheidung des Bieters beeinflussen können. Die „Wesentlichkeit“ bezieht sich dabei nicht auf das Eigentliche und Bedeutsame an der jeweiligen Vereinbarung an sich, sondern auf veränderliche Umstände, nämlich die Auswirkungen des Wegfalls der fraglichen Vertragsbeziehungen auf die Unternehmensentwicklung der Zielgesellschaft. Eine Begriffsdefinition muss also danach fragen, auf welche objektiven Bewertungsverfahren die Bieter für die Bewertung der Risiken eines Beteiligungserwerbs an einem börsennotierten Unternehmen zurückgreifen. 2.2.4.1. Due-Diligence-Prüfung
Die Praxis der Unternehmens- und Beteiligungskäufe untersucht die Risiken eines Beteiligungserwerbs zunächst mit Hilfe einer Due-Diligence-Prüfung 111. Bei dieser geht es vor allem darum, individuelle Risiken eines Unternehmens zu erfassen112. Es werden regelmäßig gerade die für den Kaufinteressenten relevanten Fragen beleuchtet, um auf dieser Grundlage einen „maßgeschneiderten“ Unternehmenskaufvertrag zu erstellen. In der Literatur finden sich umfangreiche Due-Diligence-Checklisten, die jedoch nicht erschöpfend sind, weil je nach Branche oder Marktsegment spezielle Problemstellungen und
Vgl. Röthel, Normkonkretisierung, S. 41 mit weiteren Beispielen. Gesetzesentwurf BR-Drucksache 154/06, S. 48. 111 Vgl. Leker/Fischer/Wieben/Mahlstedt, in: Berens/Brauner/Strauch, Due Diligence, S. 221 ff.; Niedostadek, Rating, S. 81; Stratz/Klug, in: Hettler/Stratz/Hörtnagl, Unternehmenskauf, § 2 Rn. 19 ff. 112 Vgl. Leker/Fischer/Wieben/Mahlstedt, in: Berens/Brauner/Strauch, Due Diligence, S. 221 ff.; Niedostadek, Rating, S. 81. 109 110
2.2. Wesentliche Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 und 315
23
Fragen auftreten113. So spielen beispielsweise für die Bewertung von Speditions- und Transportunternehmen der genaue Stand der Transportlisten, die Art der Lizenzen und der Bestand öffentlich-rechtlicher Genehmigungen eine wesentliche Rolle114. Zudem sind bei verschiedenen räumlichen Märkten unterschiedliche Risiken anzutreffen, zum Beispiel die Auswirkungen der Grenzöffnungen im europäischen Binnenmarkt115. 2.2.4.2. Rating
Anders als bei der Due-Diligence-Prüfung besteht die Aufgabe des stärker standardisierten Ratings 116 darin, „ein Unternehmen gerade auch im Vergleich zu anderen Unternehmen zu beurteilen“ 117. Anhand möglichst allgemeingültiger und übertragbarer Maßstäbe soll eine Einstufung der Chancen und Risiken unabhängig von einer konkreten Transaktion erfolgen 118. Primäre Aufgabe des Ratings ist es, vergleichbare und möglichst objektive Informationen schnell und sicher bereitzustellen 119. Das Rating enthält in erster Linie eine Entscheidungsquelle für Kreditgeber, jedoch nicht ausschließlich. Vielmehr macht ein negatives Rating eine mögliche Zielgesellschaft auch für potentielle Bieter unattraktiv 120. Denn Ratings haben sich „zu faktischen Zugangsvoraussetzungen sowohl zum Kapitalmarkt als auch zum Geldmarkt entwickelt“121. Eine positive Ratingeinstufung ist damit von existenzieller Bedeutung 122. Folglich ist eine dauerhaft ungünstige RatingeinstuVgl. Stratz/Klug, in: Hettler/Stratz/Hörtnagl, Unternehmenskauf, § 2 Rn. 30 und 63; Wegen, WiB 1994, S. 292. 114 Vgl. Wegen, WiB 1994, S. 292. 115 Vgl. Wegen, WiB 1994, S. 292. 116 Zu den verschiedenen Erscheinungsformen des Rating und den Rating-Kriterien vgl. Blaurock, ZGR 2007, S. 604–606; Deipenbrock, WM 2005, S. 261 f.; Niedostadek, Rating, S. 69 ff.; Seubert, Brüsseler Verständigung, S. 60 ff. 117 Niedostadek, Rating, S. 81 Rn. 106. 118 Vgl. Leker/Fischer/Wieben/Mahlstedt, in: Berens/Brauner/Strauch, Due Diligence, S. 221 ff.; Niedostadek, Rating, S. 81 Rn. 106. 119 Vgl. Niedostadek, Rating, S. 37 Rn. 20. 120 Vgl. Grunewald, in: Baums/Thoma, WpÜG, § 33 Rn. 40. 121 Blaurock, ZGR 2007, S. 609. 122 Vgl. Blaurock, ZGR 2007, S. 609; Deipenbrock, WM 2005, S. 261; Niedostadek, Rating, S. 46 Rn. 39. 113
24
2. Begriffsbestimmungen
fung geeignet, die Verkehrsfähigkeit der Gesellschaftsanteile erheblich einzuschränken. Nach dem Vorgesagten wird man einen negativen Einfluss auf die Ratingeinstufung zunächst für Change-of-Control-Klauseln in Kreditverträgen uneingeschränkt bejahen können. Eine nochmalige Betrachtung der bereits behandelten Beispiele aus der bisherigen Offenlegungspraxis börsennotierter Unternehmen zeigt: In Erfüllung der Anforderungen der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB hat die DaimlerChrysler AG an erster Stelle unbeanspruchte syndizierte Kreditlinien angeführt 123. Dies verdeutlicht, dass eine wesentliche Vereinbarung jedenfalls dann vorliegt, wenn ihre (vorzeitige) Beendigung sich zwangsläufig auf die Finanzkraft des Unternehmens auswirkt, also einen Refinanzierungsbedarf auszulösen geeignet ist. Noch deutlicher weist die Hochtief AG explizit darauf hin, dass im Falle einer anlässlich des Kontrollwechsels erklärten Kündigung der wesentlichen Vereinbarung der entsprechende Finanzierungsbedarf auf andere Weise sichergestellt werden müsse124. Aber auch in Bezug auf Change-of-Control-Klauseln in anderen Verträgen sprechen gute Gründe dafür, dass die Beschränkung der Verkehrsfähigkeit der Gesellschaftsanteile eine Verschlechterung des Ratings nach sich ziehen kann. So kann eine Aufnahmesperre für neue Gesellschafter generell Einfluss auf die Eigenkapitalausstattung des Unternehmens und damit auf seine Ratingeinstufung haben. Gerade die Absicherung strategischer Erfolgspotentiale und die Stellung am Markt sind aber wesentliche Ratingkriterien125. Auch ohne einen unmittelbaren Bezug zur Finanzkraft des bewerteten Unternehmens werden Verträge, die für die Fortführung des Geschäftsbetriebes wichtig oder sogar notwendig sind, im Rahmen des Ratings berücksichtigt 126. Eine große Rolle spielen gewerbliche Schutzrechte wie Marken und Patente 127.
Vgl. den interaktiven Geschäftsbericht der DaimlerChrysler AG, Fn. 93. Vgl. den Lagebericht der Hochtief AG für das Jahr 2006, Fn. 95 und 98. 125 Vgl. Müller, in: Achleitner/Everling, Existenzgründerrating, S. 309 ff.; Schamp, in: Achleitner/Everling, Existenzgründerrating, S. 795 ff.; Niedostadek, Rating, S. 177–178 Rn. 295. 126 Vgl. Niedostadek, Rating, S. 25, 204. 127 Vgl. Niedostadek, Rating, S. 169 ff., 178 (Rn. 25), 204. 123 124
2.2. Wesentliche Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 und 315
25
Wenn also ein Unternehmen nach der Vereinbarung von Change-ofControl-Klauseln dieselbe Ratingeinstufung erhält wie zuvor, dürfte es sich im Zweifel nicht um wesentliche Vereinbarungen handeln, denn andernfalls würde das Rating sein Ziel verfehlen. Freilich ist das Kriterium des Ratings nicht abschließend, das heißt es sind durchaus Vereinbarungen denkbar, die aus der Sicht der potentiellen Bieter wesentlich im Sinne der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB sind, obwohl das Rating der Gesellschaft unverändert geblieben ist. Dies wird aber nur in sehr speziellen Fällen möglich sein, insbesondere bei gänzlich neuen Verträgen, bei denen es für die Ratingeinstufung an einem Vergleichsmaßstab fehlt. Soweit eine Ratingagentur die Nachteile von Change-of-Control-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB durch andere positive Entwicklungen als kompensiert ansieht, sollte dies mit einer Anmerkung zur Ratingeinstufung klargestellt werden. Aus den vorstehenden Gründen erscheint das Rating für die Suche nach einer Objektivierung des Begriffs der wesentlichen Vereinbarungen besser geeignet als die Due-Diligence-Prüfung, da letztere von ihrem Ausgangspunkt her einzelfallbezogen und damit für eine generelle Objektivierung vertraglicher Risiken zu speziell ist. Demgegenüber besteht das Ziel des Ratings darin, Chancen und Risiken eines Unternehmens möglichst objektiv, also unabhängig von einer konkreten Übernahmesituation zu bewerten128. Einfluss auf die Ratingeinstufung haben infolge der Handhabung durch die jeweiligen Analysten zwar auch subjektive Komponenten, jedoch sind die angewandten Methoden objektiv129. Die im Rahmen des Ratings bewerteten Risiken können auch aus Verträgen resultieren130. Eine Betrachtung der Entwicklung des Ratings der Gesellschaft ermöglicht also eine differenzierte Beurteilung der Frage, welche Bedeutung bestimmte Vertragsbeziehungen für ein Unternehmen haben. 2.2.4.3. Begriffsdefinition
Als wesentlich im Sinne der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB sind Vereinbarungen anzusehen, wenn sich die RatingeinstuVgl. Niedostadek, Rating, S. 81 Rn. 106. Vgl. Hirsch, in: Büschgen/Everling, Handbuch Rating, S. 657; Niedostadek, Rating, S. 66 Rn. 78. 130 Vgl. Niedostadek, Rating, S. 25. 128 129
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2. Begriffsbestimmungen
fung eines Vertragspartners infolge der Aufnahme von Change-ofControl-Klauseln in dieses Vertragsverhältnis verschlechtert. Abhängig ist diese Begriffsdefinition von den Voraussetzungen der Zuverlässigkeit, Unabhängigkeit und Qualität des Ratings. Eine wirksame Kontrolle der Erfüllung dieser Voraussetzungen durch die Ratingagenturen ist bisher nicht vorhanden131, kann aber künftig entweder mit Hilfe einer umfassenden staatlichen Regulierung 132 oder durch eine Selbstverpflichtung im Rahmen einer Entsprechenserklärung bei Marktzugang 133 erreicht werden. Die Begriffsklärung ist damit für die Unternehmen am Markt möglich. Die Schaffung der erforderlichen Bedingungen für eine geeignete Kontrolle der Ratingagenturen ist nicht Gegenstand dieser Untersuchung. Für den Fortgang der Untersuchung ist aber die Klärung des nachfolgenden Begriffes des „Kontrollwechsels infolge eines Übernahmeangebotes“ von entscheidender Relevanz.
2.3. Kontrollwechsel infolge eines Übernahmeangebots Die §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB beziehen sich auf solche wesentlichen Vereinbarungen, die unter der Bedingung eines „Kontrollwechsels infolge eines Übernahmeangebots“ stehen. 2.3.1. Meinungsstand in der Literatur
Unter Hinweis auf diesen Wortlaut hat Joachim von Falkenhausen die Ansicht vertreten, die Offenlegungspflicht bestehe nur dann, wenn die Vertragsparteien ausdrücklich vereinbart haben, dass die Changeof-Control-Klausel nur im Falle eines Übernahmeangebotes greifen soll 134. Eine „erweiternde Auslegung“ der Norm auf „allgemeine“ Change-of-Control-Klauseln sei nicht zulässig, da die Übernahmerichtlinie dies nicht vorsehe und der deutsche Gesetzgeber darüber nicht habe hinausgehen wollen 135. Nach der von Viola Sailer vertretenen Gegenmeinung gilt die Offenlegungspflicht für alle Change-ofControl-Klauseln und jede Form des Kontrollwechsels136. 131 132 133 134 135 136
Vgl. Blaurock, ZGR 2007, S. 614 ff.; Deipenbrock, WM 2005, S. 261 ff. Vgl. Blaurock, ZGR 2007, S. 614 ff. Vgl. Blaurock, ZGR 2007, S. 651 f. Vgl. v. Falkenhausen, NZG 2007, S. 97. Vgl. v. Falkenhausen, NZG 2007, S. 97. Vgl. Sailer, AG 2006, S. 916.
2.3. Kontrollwechsel infolge eines Übernahmeangebots
27
2.3.2. Bewertung
Die von Joachim von Falkenhausen vertretene Ansicht ist nicht überzeugend. Unzutreffend ist bereits die ihr zugrunde liegende Prämisse, der Gesetzgeber habe zwischen der Nullstufe der „allgemeinen“ Change-of-Control-Klauseln und einer weiteren Ebene von ausschließlich auf Übernahmeangebote bezogenen Change-of-ControlKlauseln unterschieden. Hierfür bestehen in Wortlaut und Begründung des Gesetzes keine Anhaltspunkte. Aus dem Wortlaut der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB könnte man allenfalls ableiten, dass die Offenlegungspflicht nicht für solche Change-of-ControlKlauseln gelten soll, die sich ausdrücklich und ausschließlich auf Kontrollwechsel beziehen, denen kein Übernahmeangebot vorangegangen ist. Enthält die fragliche Klausel keine solche ausdrückliche Differenzierung, bezieht sich ihr Anwendungsbereich jedoch auf jede Form des Kontrollwechsels, also auch auf Übernahmeangebote. Dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis ergibt sich auch aus Erwägungsgrund 18 der Übernahmerichtlinie, der sich auf die Offenlegung von „Abwehrstrukturen und -mechanismen“ 137 bezieht, ohne zwischen „allgemeinen“ und ausdrücklich auf ein Übernahmeangebot bezogenen Abwehrstrukturen- und -mechanismen zu unterscheiden138. Die Begründung zum Regierungsentwurf des ÜbernahmerichtlinieUmsetzungsgesetzes beginnt mit der Feststellung, die Übernahmerichtlinie diene „dem Schutz der Interessen der Aktionäre bei Übernahmeangeboten und sonstigen Kontrollerwerben“ 139. Nach dem Regierungsentwurf fallen unter den Anwendungsbereich der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB „insbesondere […] ‚change-ofcontrol’-Klausel(n), die Sonderregelungen für den Fall eines Wechsels der Unternehmenskontrolle beinhalten“ 140. Es ist also dem Willen des Gesetzgebers nicht zu entnehmen, dass die offen zu legenden Klauseln sich ihrerseits ausdrücklich auf Übernahmeangebote beziehen Richtlinie 2004/25 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote, Amtsblatt der Europäischen Union vom 30.4.2004. 138 Vgl. Richtlinie 2004/25 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote, Amtsblatt der Europäischen Union vom 30.4.2004. 139 Gesetzesentwurf BR-Drucksache 154/06, S. 18. 140 Gesetzesentwurf BR-Drucksache 154/06, S. 51. 137
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2. Begriffsbestimmungen
müssen. Folglich gehen Richtlinie und Umsetzungsgesetz davon aus, dass alle Change-of-Control-Klauseln offen zu legen sind, die bei Kontrollwechseln Auswirkungen auf wesentliche Vereinbarungen der Zielgesellschaft haben können. Dies umfasst alle Change-of-ControlKlauseln, soweit sie nicht Übernahmeangebote aus ihrem Anwendungsbereich ausdrücklich ausnehmen. Tatsächlich ist also gar nicht die von Joachim von Falkenhausen abgelehnte „erweiternde Auslegung“ auf „allgemeine“ Change-of-Control-Klauseln141 erforderlich. Unzulässig ist vielmehr eine einschränkende Auslegung, welche die vermeintlich „allgemeinen“ Change-of-Control-Klauseln, die auch (aber nicht nur) bei einem Übernahmeangebot eingreifen, vom Anwendungsbereich des §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB ausnimmt. Die hier befürwortete Sichtweise entspricht auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Denn aus Sicht der Bieter, deren Schutz Richtlinie 142 und Umsetzungsgesetz bezwecken143, ist es ohne jede Bedeutung, ob die Vertragsparteien die Change-of-Control-Klauseln ausdrücklich in den Kontext von Übernahmeangeboten gestellt haben oder nicht. Ihnen kommt es allein darauf an zu erfahren, welche Auswirkungen ein Kontrollwechsel auf wesentliche Vereinbarungen hat. 2.3.3. Begriffsdefinition
Der Begriff der „wesentlichen Vereinbarungen“ der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB umfasst alle Change-of-Control-Klauseln, es sei denn, der Anwendungsbereich der Klausel ist vertraglich ausdrücklich und ausschließlich auf Kontrollwechsel beschränkt, denen kein Übernahmeangebot vorangegangen ist. In der Praxis sollte somit bei der Formulierung von Change-of-Control-Klauseln v. Falkenhausen, NZG 2007, S. 97. Richtlinie 2004/25 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote, Amtsblatt der Europäischen Union vom 30.4.2004, Erwägungsgrund 9: „Die Mitgliedstaaten sollten die notwendigen Schritte unternehmen, um Wertpapierinhaber, insbesondere Wertpapierinhaber mit Minderheitsbeteiligungen, nach einem Kontrollwechsel in ihren Gesellschaften zu schützen.“ 143 Gesetzesentwurf BR-Drucksache 154/06, S. 25: „Damit wird dem Informationsbedürfnis möglicher Bieter sowie der Anleger Rechnung getragen. Auf der Grundlage der ihnen zur Verfügung stehenden Informationen können sie ihre Investitionsentscheidung treffen.“ 141 142
2.4. Die Ausnahme von der Offenlegungspflicht
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im Hinblick auf den Wortlaut der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB der Anwendungsbereich der Klausel vertraglich ausdrücklich festgelegt werden.
2.4. Die Ausnahme von der Offenlegungspflicht Nach §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB kann die Offenlegung wesentlicher Vereinbarungen unterbleiben, soweit sie geeignet ist, der Gesellschaft bzw. dem Mutterunternehmen einen erheblichen Schaden zuzufügen; die Angabepflicht nach anderen gesetzlichen Vorschriften bleibt unberührt. Auch diese gesetzliche Ausnahmeregelung könnte sich für die vorliegende Untersuchung als klärungsbedürftig erweisen, wenn sich aus dem Blickwinkel des möglicherweise eintretenden erheblichen Schadens Kriterien für die Zulässigkeit solcher Klauseln als Voraussetzung für ihre rechtssichere Anwendung ableiten lassen. 2.4.1. Bisherige Auslegungsansätze in der Literatur
Bisher hat sich keine eingehende Auseinandersetzung mit der Auslegung der Ausnahmenregelung in §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB herausgebildet. Zum Teil wird vertreten, die Ausnahmeregelung wirke nur zugunsten des Unternehmens und umfasse nicht etwaige erhebliche Nachteile für nahe stehende Unternehmen oder die Vertragspartner 144. Nach der Gegenansicht genügt auch die Möglichkeit einer erheblichen Schädigung des Vertragspartners sowie die drohende Haftung der Gesellschaft gegenüber Dritten, soweit dadurch mittelbar auch ein Schaden für die Gesellschaft droht 145. Denkbar ist dies zum Beispiel infolge einer vertraglichen Geheimhaltungsvereinbarung 146. Empfohlen wird die Heranziehung der von der Rechtsprechung und Literatur zu § 286 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 HGB 147 sowie zu den §§ 131 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 AktG, 8 Abs. 2 S. 1 UmwG gebildeten Kriterien 148, worauf sogleich einzugehen ist. 144 145 146 147 148
Vgl. Lezius, in: Ensthaler, HGB, § 289 Rn. 56. Vgl. Sailer, AG 2006, S. 919 f. Vgl. Meyer, Die Übernahme, S. 184. Vgl. Meyer, Die Übernahme, S. 184; Seibt/Heiser, ZGR 2005, S. 238. Vgl. Sailer, AG 2006, S. 919.
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2. Begriffsbestimmungen
2.4.2. Bewertung
Es erscheint nahe liegend, für die Definition der Ausnahmenregelung in §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB auf verwandte Publizitätsvorschriften zurückzugreifen. Damit könnte zugleich geklärt werden, ob diese gesetzlich geregelten Ausnahmen Rückschlüsse auf die Zulässigkeit der offen zu legenden Tatsachen zulassen. Im Rahmen des § 131 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 AktG sowie des § 286 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 HGB kommt es auf die „vernünftige kaufmännische Beurteilung“ 149 an. Diese kann Ergebnis einer Abwägung von Vor- und Nachteilen der Offenlegung sein150. Allerdings können Gegenstände dieser Abwägung nur das Interesse der Gesellschaft sowie der Aktionäre sein151. Ausreichend ist die Möglichkeit einer – unter Umständen auch nicht messbaren – wirtschaftlichen Beeinträchtigung; als Beispiele werden die Offenlegung von „Forschungs- und Entwicklungsergebnissen oder strategischen Unternehmenszielen“ 152 angeführt. In Betracht kommt auch die Gefährdung schwebender Verhandlungen 153. Zweck des § 8 Abs. 2 S. 1 UmwG ist der Geheimnisschutz, dessen Vorrang vor der notwendigen Transparenz nicht generell, sondern nur anhand einer Bewertung des Einzelfalls festgestellt werden kann 154. Folglich räumen diese gesetzlichen Publizitätsvorschriften den handelnden Organen ein unternehmerisches Ermessen ein, dessen Grenzen nicht mit den Zulässigkeitsgrenzen der zu veröffentlichenden Tatsachen übereinstimmen müssen. Wenn die Rechtsordnung Ausnahmen von der grundsätzlich bestehenden Pflicht zur Offenlegung abgeschlossener Verträge aus Rücksicht auf unternehmerische Belange anerkennt, kann daraus nicht gefolgert werden, dass die ausnahmsweise nicht offen zu legenden Verträge zulässig oder unzulässig sind. 2.4.3. Zwischenergebnis
Aus den vorstehenden Gründen können der Ausnahmeregelung der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB keine konkreten Zulässig149 150 151 152 153 154
Hüffer, AktG, § 131 Rn. 24. Vgl. Kubis, in: Kropff u. a., Münchener Kommentar AktG, § 131 Rn. 100. Vgl. Siems, in: Spindler/Stilz, AktG, § 131 Rn. 39. Kubis, in: Kropff u. a., Münchener Kommentar AktG, § 131 Rn. 99. Vgl. Siems, in: Spindler/Stilz, AktG, § 131 Rn. 38. Vgl. Stratz, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG, § 8 Rn. 23 ff.
2.4. Die Ausnahme von der Offenlegungspflicht
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keitskriterien für eine rechtssichere Anwendung von Change-of-Control-Klauseln in Wirtschaftsverträgen entnommen werden. Eine Definition dieses Ausnahmetatbestandes ist deshalb im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht erforderlich. Mit der Klärung der vorstehenden Grundbegriffe sind die Voraussetzungen dafür geschaffen, die Anwendung der Change-of-Control-Klauseln in Rechtsprechung und Rechtslehre zu untersuchen.
3. Normen in Rechtsprechung und Rechtslehre Nachdem im zweiten Kapitel die von der vorliegenden Untersuchung vorausgesetzten Grundbegriffe definiert wurden, sind nun in den verschiedenen Teilen der Rechtsordnung diejenigen Normen zu untersuchen, die bisher im Zusammenhang mit Change-of-Control-Klauseln in der Rechtsprechung angewandt und in der Rechtslehre diskutiert wurden.
3.1. Kapitalmarkt- und Aktienrecht Ausgangspunkt ist das Kapitalmarktrecht, insbesondere die Verhinderungsverbote der §§ 33, 33a WpÜG. Denn das europäische Verhinderungsverbot des § 33a WpÜG ist ebenso wie die Offenlegungspflicht gemäß §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB Ergebnis der Übernahmerichtlinie und ihrer Umsetzung in Deutschland155. Somit weist das Kapitalmarktrecht den engsten Sachzusammenhang mit der ersten ausdrücklichen Normierung von Change-of-Control-Klauseln im HGB auf. Rechtsprechung zu diesen neuen Normen ist bisher noch nicht vorhanden, jedoch hat sich – auch schon im Vorfeld der Neuregelung – eine rege Diskussion in der Literatur entwickelt. 3.1.1. Verhinderungsverbote der §§ 33, 33a WpÜG
Das bereits zum 1. Januar 2002 eingeführte 156 deutsche Verhinderungsverbot des § 33 Abs. 1 WpÜG bestimmt, dass im Falle eines Übernahmeangebots der Vorstand der Zielgesellschaft keine Handlungen vornehmen darf, durch die der Erfolg des Angebots verhindert werden könnte. Allerdings ist dieser Schutz nur unvollkommen, denn das Verbot des § 33 Abs. 1 WpÜG gilt zunächst nur vorbehaltlich der in § 33 Abs. 1 S. 2 WpÜG geregelten drei Ausnahme-Alternativen. Vgl. den Gesetzesentwurf BR-Drucksache 154/06, S. 6 ff.; Art. 1 des Gesetzes vom 8. Juli 2006 zur Umsetzung der Richtlinie 2004/25 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote, BGBl. I 2004, S. 1428. 156 Vgl. das Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen vom 20.12.2001 BGBl. I S. 3822. 155
3.1. Kapitalmarkt- und Aktienrecht
33
Dies sind nach der ersten Alternative Handlungen, die auch ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter einer Gesellschaft, die nicht von einem Übernahmeangebot betroffen ist, vorgenommen hätte. Die zweite Alternative erlaubt dem Vorstand die Suche nach einem konkurrierenden Angebot. Die dritte Alternative erlaubt Handlungen, denen der Aufsichtsrat der Zielgesellschaft zugestimmt hat. Neben diesen drei Ausnahme-Alternativen enthält § 33 Abs. 2 WpÜG als weitere Ausnahme die so genannte Vorratsermächtigung durch die Hauptversammlung zur Vornahme von Handlungen, die in die Zuständigkeit der Hauptversammlung fallen, mit zusätzlicher Zustimmung des Aufsichtsrats. Daneben hat der Gesetzgeber das in Art. 9 der Übernahmerichtlinie vorgesehene europäische Verhinderungsverbot mit dem neuen § 33a WpÜG umgesetzt. Dieses ist strenger als das deutsche Verhinderungsverbot des § 33 WpÜG, es enthält insbesondere nicht die in § 33 Abs. 1 S. 2 WpÜG vorgesehene Ausnahme der Zustimmung des Aufsichtsrates 157. Im Gegenteil verbietet das europäische Verhinderungsverbot – anders als § 33 Abs. 1 S. 1 WpÜG – auch dem Aufsichtsrat grundsätzlich alle zur Verhinderung des Erfolgs eines Übernahmeangebots geeigneten Handlungen158. Allein die Hauptversammlung soll nach dem europäischen Verhinderungsverbot die Ermächtigungskompetenz haben, wobei noch nicht einmal Vorratsbeschlüsse zulässig sind 159. Da der Gesetzgeber von der durch Art. 12 der Übernahmerichtlinie eingeräumten Möglichkeit, Art. 9 der Übernahmerichtlinie nicht in zwingendes Recht umzusetzen, Gebrauch gemacht hat (so genanntes opt out), gilt § 33a WpÜG nur, wenn die Gesellschaft dies in der Satzung bestimmt (so genanntes opt in)160. Im Ergebnis kann die Satzung also festlegen, dass anstelle der bisherigen Regelung des § 33 WpÜG die strengeren Normen des neuen, in Umsetzung der Übernahmerichtlinie eingeführten § 33a WpÜG gelten sollen161.
Vgl. Steinmeyer, in: Steinmeyer/Häger, WpÜG, § 33a Rn. 2. Vgl. Schanz, NZG 2007, S. 928. 159 Vgl. Schanz, NZG 2007, S. 928 f. 160 Vgl. Diekmann, NJW 2007, S. 17 f.; Steinmeyer, in: Steinmeyer/Häger, WpÜG, § 33a Rn. 1. 161 Vgl. Diekmann, NJW 2007, S. 17. 157 158
34
3. Normen in Rechtsprechung und Rechtslehre
3.1.1.1. Meinungsstand in der Literatur
Umstritten ist die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Change-of-Control-Klauseln geeignet sind, den Erfolg eines Angebotes zu verhindern. Nach Ansicht von Barbara Grunewald 162 und Heribert Hirte 163 habe die Vereinbarung solcher Vertragsbestimmungen generell eine Verhinderungseignung und sei deshalb grundsätzlich unzulässig. Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass solche Klauseln die Gesellschaft für einen Bieter unattraktiv machen, weil dieser damit rechnen muss, dass wichtige Verträge nicht fortgeführt werden164. Demgegenüber will Michael Schlitt 165 den Interessen des anderen Vertragspartners dann generell den Vorrang einräumen, wenn die Vereinbarung von Change-of-Control-Klauseln nachweislich seinem Schutz dient und auf seine Initiative zurückgeht. Neben diesen Extrempositionen wird größtenteils eine Betrachtung im Einzelfall gefordert 166. Nach der Ansicht von Jens Ekkenga bestehe nur bis zur Offenlegung dieser Klauseln eine Vermutung, dass sie sich nicht gegen das Veräußerungsinteresse der Aktionäre, sondern gegen das wirtschaftliche Erfolgsinteresse eines Bieters richten167. Es könne aber nicht durchweg eine Abwehrmaßnahme unterstellt, sondern es müsse im Einzelfall geprüft werden, ob die Klausel auf Wunsch des jeweiligen Vertragspartners vereinbart wurde 168. Im Ergebnis hänge die Rechtfertigung davon ab, ob die Vereinbarung den Anforderungen an eine ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleitung im Sinne des § 33 Abs. 1 S. 2, 1. Alt. WpÜG genügt 169. Auch Hartmut Krause vertrat zunächst die Ansicht, dass eine Entscheidung des Vorstandes zur Aufnahme von Change-of-ControlVgl. Grunewald, in: Baums/Thoma, WpÜG, § 33 Rn. 40. Vgl. Hirte, in: Hirte/v. Bülow, WpÜG, § 33 Rn. 59. 164 Vgl. Grunewald, in: Baums/Thoma, WpÜG, § 33 Rn. 40; Hirte geht ohne Begründung von der Verhinderungseignung dieser Klauseln aus (Hirte, in: Hirte/ v. Bülow, WpÜG, § 33 Rn. 59). 165 Vgl. Schlitt, in: Kropff u. a., Münchener Kommentar AktG, § 33 WpÜG Rn. 115. 166 Vgl. Ekkenga, in: Ehrike/Ekkenga/Oechsler, WpÜG, § 33 Rn. 112; Krause, AG 2002, S. 143; Krause/Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 33 Rn. 117. 167 Vgl. Ekkenga, in: Ehrike/Ekkenga/Oechsler, WpÜG, § 33 Rn. 112. 168 Vgl. Ekkenga, in: Ehrike/Ekkenga/Oechsler, WpÜG, § 33 Rn. 112. 169 Vgl. Ekkenga, in: Ehrike/Ekkenga/Oechsler, WpÜG, § 33 Rn. 112. 162 163
3.1. Kapitalmarkt- und Aktienrecht
35
Klauseln immer dann zulässig sei, wenn der Geschäftspartner dies verlange und ein schutzwürdiges Interesse daran habe 170. Gemeinsam mit Thorsten Pötzsch 171 stellte er später für die Zulässigkeit solcher Klauseln darauf ab, ob sie für bestimmte Geschäfte als Marktstandard anzusehen seien, etwa bei syndizierten Kreditgeschäften oder Akquisitionsfinanzierungen. Würden Change-of-Control-Klauseln hingegen erst nach der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebotes gemäß § 10 WpÜG in bestehende Verträge eingefügt, sei dies ein Indiz dafür, dass ein schutzwürdiges Interesse des Vertragspartners nicht bestehe 172. 3.1.1.2. Bewertung
Bei der Bewertung der Streitfrage, wann Change-of-Control-Klauseln ein Mittel zur Verhinderung eines Übernahmeangebots darstellen, ist zunächst festzustellen, dass eine einheitliche Aussage nicht möglich ist. Die verschiedenen in der Praxis entwickelten Erscheinungsformen der Change-of-Control-Klauseln müssen in Anbetracht der im jeweiligen Einzelfall verfolgten Ziele auf ihre Eignung zur Verhinderung des Erfolges eines Übernahmeangebotes untersucht werden. Eine klare Aussage lässt sich aber für die spezielle Erscheinungsform der Change-of-Control-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB treffen. Diese werden nämlich nach der Gesetzesbegründung ausdrücklich als „Übernahmehindernisse“ 173 bezeichnet. Folglich besteht nach der Neuregelung der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB eine Vermutung, dass Change-of-Control-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen geeignet sind, den Erfolg eines Angebotes zu verhindern. Nachdem festgestellt wurde, dass Change-of-Control-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB grundsätzlich den Tatbestand des § 33 Abs. 1 S. 1 WpÜG erfüllen, ist nun zu prüfen, ob das Verhinderungsverbot als geeignete Norm für die Anwendung dieser Klauseln in der Praxis anzusehen ist. 170 171 172 173
Vgl. Krause, AG 2002, S. 143. Vgl. Krause/Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 33 Rn. 117. Vgl. Krause/Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 33 Rn. 117. Gesetzesentwurf BR-Drucksache 154/06, S. 25, 48.
36
3. Normen in Rechtsprechung und Rechtslehre
Der Normzweck des Verhinderungsverbotes besteht darin, den Aktionären die Möglichkeit einzuräumen, in Kenntnis der Sachlage für sich selbst über das Übernahmeangebot zu entscheiden174. Die anlässlich eines Übernahmeangebotes regelmäßig aufeinander treffenden Interessen der Aktionäre, ihre Aktien möglichst ungestört durch Eingriffe des Managements verkaufen zu können, sowie des Managements, seine drohende Ablösung im Falle einer Übernahme zu verhindern, sollen ausgeglichen werden 175. Die in § 33 Abs. 1 S. 2 WpÜG geregelten drei Ausnahmen beruhen grundsätzlich auf sachgerechten Erwägungen, denn auch in der Übernahmephase ist die Fortführung des Tagesgeschäftes sowie der bisherigen Unternehmensstrategie sicherzustellen 176 und insbesondere die unangemessene Behinderung des Unternehmens durch das Übernahmeangebot eines feindlichen Bieters zu verhindern 177. Die Gesetzesformulierung ist aber zu unbestimmt. Es entsteht eine erhebliche Rechtsunsicherheit für die beteiligten Unternehmen und Bieter. Schon aus diesem Grunde handelt es sich nicht um eine für die Anwendung von Change-of-Control-Klauseln in Wirtschaftsverträgen geeignete Norm. Ungeeignet für die Aufstellung genereller normativer Maßstäbe ist auch der Anwendungsbereich der §§ 33, 33a WpÜG. Die Verhinderungsverbote gelten nämlich nur in dem Zeitraum ab Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots gemäß § 10 WpÜG bis zur Veröffentlichung des Ergebnisses nach § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 WpÜG. Die Normen der §§ 33, 33a WpÜG gelten damit von vornherein nur für solche Change-of-Control-Klauseln, die bei Vertragsabschlüssen im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit einer konkreten Übernahme vereinbart oder
Vgl. die Begründung des RegE, BT-Drucksache 14/7034, S. 58; Grunewald, AG 2001, S. 289; Hirte, in: Hirte, WpÜG, S. 20; Hirte, in: Hirte/v. Bülow, WpÜG, § 33 Rn. 3; Krause/Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 33 Rn. 8. 175 Vgl. die Begründung des RegE, BT-Drucksache 14/7034, S. 58; Krause/ Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 33 Rn. 6. 176 Vgl. die Begründung des RegE, BT-Drucksache 14/7034, S. 58; Krause/ Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 33 Rn. 145; Winter/Harbarth, ZIP 2002, S. 8. 177 Vgl. die Begründung des RegE, BT-Drucksache 14/7034, S. 58; Krause/ Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 33 Rn. 145; Winter/Harbarth, ZIP 2002, S. 8. 174
3.1. Kapitalmarkt- und Aktienrecht
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nachträglich in bestehende Verträge eingefügt werden178. Damit wird nur ein Bruchteil der Vertragspraxis der am Markt tätigen Unternehmen erfasst. Das europäische Verhinderungsverbot des §§ 33a WpÜG ist darüber hinaus überhaupt nur dann anwendbar, wenn eine entsprechende Regelung in der Satzung dies bestimmt. Aus diesen Gründen sind diese Normen ungeeignet, eine rechtssichere (auch prophylaktische) Anwendung von Change-of-Control-Klauseln in Wirtschaftsverträgen sicherzustellen. 3.1.2. Aktienrechtliche Pflichtenbindung des Vorstandes
Auch vor Inkrafttreten des WpÜG bestand weitestgehend Einigkeit darüber, dass der Vorstand einem Verhinderungsverbot unterliege 179. Die dogmatische Begründung erfolgte zum Teil anhand des Aktienrechtes 180 und zum Teil über das Kapitalmarktrecht, insbesondere die kapitalmarktrechtliche Unzulässigkeit eines Eingriffs des Managements in laufende Transaktionen zwischen den Aktionären und Bietern 181. Die Kodifikation in § 33 WpÜG schließt eine Fortgeltung der einschlägigen Erfordernisse des Aktienrechtes nicht aus182. Die gesetzlichen Schranken sowie die im Rahmen der „Holzmüller/Gelatine“Rechtsprechung183 herausgebildeten Bindungen an das Unternehmensinteresse bleiben also unberührt. Jedoch sind die aktienrechtlichen Regelungen nur außerhalb der vom zeitlichen Anwendungsbereich des § 33 WpÜG abgedeckten Übernahmephase anwendbar, Vgl. Krause/Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 33 Rn. 117. Vgl. Grunewald, AG 2001, S. 289 ff.; Hirte, in: Hirte/v. Bülow, WpÜG, § 33 Rn. 168 ff.; Hopt, in: Hopt/Wiedemann, AktG, § 93 Rn. 122; Krause, WM 1996, S. 851 und 897; Krause, AG 2000, S. 218 ff.; Krause/Pötzsch, in: Assmann/ Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 33 Rn. 50 ff.; Maier-Reimer, ZHR 165, S. 260; Mertens, in: Zöllner/Noack, AktG, § 76 Rn. 26; Michalski, AG 1997, S. 159; Schanz, NZG 2000, S. 340. 180 Vgl. Hopt, in: Hopt/Wiedemann, AktG, § 93 Rn. 122; Krause, WM 1996, S. 851 und 897; Krause, AG 2000, S. 218; Mertens, in: Zöllner/Noack, AktG, § 76 Rn. 26; Michalski, AG 1997, S. 159; Schanz, NZG 2000, S. 340. 181 Vgl. Grunewald, AG 2001, S. 289; Maier-Reimer, ZHR 165, S. 260 und 278 f. 182 Vgl. die Begründung des RegE, BT-Drucksache 14/7034, S. 58; Hirte, in: Hirte/v. Bülow, WpÜG, § 33 Rn. 168 ff. 183 Vgl. BGH NJW 1982, S. 1703, 1706 („Holzmüller“); BGH NZG 2004, S. 575, 579 („Gelatine“). 178 179
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3. Normen in Rechtsprechung und Rechtslehre
da der Gesetzgeber insoweit eine abschließende Kodifikation schaffen wollte 184. Change-of-Control-Klauseln, die vor der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots nach dem WpÜG in Verträge aufgenommen wurden, sind folglich nach allgemeinen aktienrechtlichen Vorschriften zu beurteilen185. 3.1.2.1. Meinungsstand in der Literatur
Die Fragen, ob und unter welchen Voraussetzungen die aktienrechtliche Pflichtenbindung des Vorstands Maßnahmen zur Abwehr von Übernahmeangeboten entgegensteht, werden anhand des Schädigungsverbotes des § 93 Abs. 1 AktG beurteilt186. Zum Teil wird (ergänzend) auf das Bestehen 187 bzw. Nichtbestehen 188 einer Neutralitätspflicht des Vorstandes aus § 53a AktG abgestellt. Bei der konkreten Subsumtion der Change-of-Control-Klauseln ist die Herleitung der Zulässigkeitsvoraussetzungen und Ausnahmen im Einzelnen umstritten und unscharf. Nach der Ansicht von Hartmut Krause verlaufen die Grenzen der aktienrechtlichen Zulässigkeit von Change-of-Control-Klauseln dort, wo ein schutzwürdiges Interesse des Geschäftspartners fehlt 189. Nach der Ansicht von Joachim von Falkenhausen und Hennig von Klitzing ist die Vereinbarung von Change-of-Control-Klauseln immer dann pflichtwidrig im Sinne des § 93 AktG, wenn damit auch freundliche Übernahmen be- oder verhindert werden 190. Der Vorstand verstoße insbesondere dann gegen die Bindung an das Unternehmensinteresse, wenn er in Wandelanleihen (§ 221 AktG) im Falle eines Kontrollwechsels entweder eine Verringerung des Wandlungspreises oder eine vorzeitige Fälligstellung Vgl. die Begründung des RegE, BT-Drucksache 14/7034, S. 58; Grunewald, in: Baums/Thoma, WpÜG § 33 Rn. 8; Krause, AG 2002, S. 136; Krause/Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 33 Rn. 50; Schlitt, in: Kropff u. a., Münchener Kommentar AktG, § 33 WpÜG Rn. 51 und 53. 185 Vgl. Schanz, NZG 2007, S. 930. 186 Vgl. v. Falkenhausen/v. Klitzing, ZIP 2006, S. 1518; v. Falkenhausen, NZG 2007, S. 97; Krause, AG 2000, S. 218; Krause/Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/ Schneider, WpÜG, § 33 Rn. 133; Winter/Harbarth, ZIP 2002, S. 15. 187 Vgl. Krause, AG 1996, S. 214; Michalski, AG 1997, S. 159. 188 Vgl. v. Falkenhausen, NZG 2007, S. 97. 189 Vgl. Krause, AG 2002, S. 143. 190 Vgl. v. Falkenhausen/v. Klitzing, ZIP 2006, S. 1518 f.; v. Falkenhausen, NZG 2007, S. 97. 184
3.1. Kapitalmarkt- und Aktienrecht
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der Anleihe vereinbare 191. Denn eine solche Regelung diene bei objektiver Betrachtung ausschließlich dem unzulässigen Zweck, jegliche Übernahmen zu erschweren192. Insbesondere werde mit der vorzeitigen Fälligstellung der Anleihe ein Refinanzierungsbedarf (so genannte Poison Debt) ausgelöst193. Dadurch werde die Liquidität der Gesellschaft belastet194. Demgegenüber sehen Michael Schlitt, Oliver Seiler und Bernd Singhof ein Schutzbedürfnis der Anleihegläubiger, da sich ein Übernahmeangebot nur auf die Aktionäre erstrecke, „von Gesetzes wegen aber die Inhaber von Wandelschuldverschreibungen nicht berücksichtigen muss“ 195. Gerechtfertigt sei die Change-of-Control-Klausel, weil sich infolge des Kontrollwechsels die Kreditwürdigkeit des Unternehmens verschlechtern und die Unternehmensstrategie ändern kann196. Differenzierter hat sich Christian Bank mit den verschiedenen Theorien zum Inhalt des so genannten Unternehmensinteresses auseinandergesetzt197. Auf Grundlage der als „pluralistische Ansicht“198 bezeichneten herrschenden Meinung ist er zu dem Ergebnis gelangt, der Vorstand könne über die Aufnahme von Change-of-Control-Klauseln im Einzelfall aufgrund einer Abwägung der in der Gesellschaft zusammentreffenden Gruppeninteressen entscheiden199. Hierbei bestehe ein weiter unternehmerischer Ermessensspielraum des Vorstandes, der nur darauf überprüfbar sei, ob die weiten Grenzen verantwortlicher Unternehmensführung deutlich überschritten sind 200.
Vgl. v. Falkenhausen/v. Klitzing, ZIP 2006, S. 1513 ff., mit Beispielen aus Wandelanleihen der Linde AG, der TUI AG und der deutschen Lufthansa AG; Hirte, in: Hirte/v. Bülow, WpÜG, § 33 Rn. 169. 192 Vgl. v. Falkenhausen/v. Klitzing, ZIP 2006, S. 1514, Hirte, in: Hirte/v. Bülow, WpÜG, § 33 Rn. 169. 193 Vgl. v. Falkenhausen/v. Klitzing, ZIP 2006, S. 1514, Hirte, in: Hirte/v. Bülow, WpÜG, § 33 Rn. 169. 194 Vgl. v. Falkenhausen/v. Klitzing, ZIP 2006, S. 1513. 195 Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, S. 267. 196 Vgl. Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, S. 267. 197 Vgl. Bank, Präventivmaßnahmen, S. 40. 198 Bank, Präventivmaßnahmen, S. 135. 199 Vgl. Bank, Präventivmaßnahmen, S. 135. 200 Vgl. Bank, Präventivmaßnahmen, S. 40. 191
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3. Normen in Rechtsprechung und Rechtslehre
3.1.2.2. Bewertung
Gerade in Übernahmesituationen deckt sich das Interesse an der Rentabilität des Unternehmens nicht unbedingt mit dem Interesse des einzelnen Aktionärs an einem möglichst hohen Aktienkurs 201. Allerdings können die verschiedenen in einer Aktiengesellschaft zusammentreffenden Interessen nicht gegen ein Unternehmensinteresse als solches abgewogen werden. Vielmehr ist letzteres nur das Resultat einer Abwägung und nicht etwa ein selbständiger Abwägungsfaktor 202. „Selbständig ist das Unternehmensinteresse erst, nachdem es aufgrund der Abwägung als solches festgestellt worden ist“203. Im Rahmen einer solchen Abwägung ist zu berücksichtigen, dass organschaftliches Handeln im Gesellschaftsrecht Ausdruck der Ausübung von Handlungsfreiheit der Gesellschaft ist 204. Zugleich dient die organschaftliche Vertretung der Vertragsfreiheit, denn sie ist Voraussetzung dafür, dass der vertretene Verband überhaupt Rechtsgeschäfte abschließen kann 205. Damit verbunden ist zwangsläufig ein Eingriff in die Selbstbestimmung der Verbandsmitglieder, die ihre Privatautonomie (teilweise) auf die Organe des Verbandes übertragen 206. Zur Erforderlichkeit eines unternehmerischen Ermessensfreiraums des Vorstands liegt eine gefestigte Rechtsprechung des BGH vor 207 und der Meinungsstand in der Literatur ist umfangreich dokumentiert 208, so dass auf dessen erneute Darstellung verzichtet werden kann. Mit der Neufassung des § 82 Abs. 1 S. 2 AktG durch das GeVgl. v. Falkenhausen, NZG 2007, S. 98. Vgl. Kunze, ZHR 144 S. 117; Raisch, FS für Hefermehl, S. 357. 203 Kunze, ZHR 144 S. 117. 204 Vgl. Hefermehl/Spindler, in: Kropff u. a., Münchener Kommentar AktG, § 82 Rn. 41; Wiesner, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch AG, § 19 Rn. 30; Martens, AcP 177, S. 151; Tomat/Nehls, in: Schüppen/Schaub, Anwaltshandbuch AktienR, § 22 Rn. 7 ff. 205 Vgl. Vedder, Vertretungsmacht, S. 1. 206 Vgl. Martens, AcP 177, S. 151. 207 Vgl. BGH NJW 1982, S. 1703, 1706 („Holzmüller“); BGH NZG 2004, S. 575, 579 („Gelatine“); BGHZ 135, 244 („ARAG/Garmenbeck“). 208 Vgl. Hefermehl/Spindler, in: Kropff u. a., Münchener Kommentar AktG, § 82 Rn. 41; Hüffer, AktG, § 82 Rn. 7; Koppensteiner, in: Zöllner/Noack, AktG, § 292 Rn. 70; Wiesner, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch AG, § 19 Rn. 17 ff.; Tomat/Nehls, in: Schüppen/Schaub, Anwaltshandbuch AktienR, § 22 Rn. 7 ff. 201 202
3.1. Kapitalmarkt- und Aktienrecht
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setz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG) 209 wurden die in der „ARAG/Garmenbeck“Entscheidung des BGH 210 aufgestellten Kriterien zum Ermessensfreiraum des Vorstandes in das geschriebene Recht übernommenen 211. Danach handelt der Vorstand aus aktienrechtlicher Sicht auch dann nicht unbedingt pflichtwidrig, wenn er eine Vereinbarung abschließt, die eine Verschlechterung des Ratings der Gesellschaft nach sich zieht. Folglich lässt sich eine konkrete aktienrechtliche Grenze des Ermessensfreiraums für die Vereinbarung von Change-of-ControlKlauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB auch nicht aus der im zweiten Kapitel vorgeschlagenen Definition des Begriffs der wesentlichen Vereinbarungen anhand der Veränderung der Ratingeinstufung ermitteln. Eine ultimative Grenze des unternehmerischen Ermessens bieten allein die Fälle offensichtlich unverantwortlicher Risikoübernahmen 212 sowie der stets schädliche Missbrauch organschaftlicher Vertretungsmacht 213. Diese Voraussetzungen werden sich aber nur im Ausnahmefall nachweisen lassen. 3.1.3. Zusammenfassung
Die Verhinderungsverbote der §§ 33, 33a WpÜG können ihren Normzweck, einen Ausgleich zwischen den betroffenen Interessen des Managements und der Aktionäre herzustellen, nur in sehr begrenztem zeitlichen und sachlichen Umfang erfüllen. Die Voraussetzungen der gesetzlich geregelten Ausnahmen vom grundsätzlichen Verhinderungsverbot sind zu unbestimmt. Außerhalb der Übernahmephase können der Pflichtenbindung des Vorstands ebenfalls keine konkreten Zulässigkeitsvoraussetzungen entnommen werden. Vielmehr ist die Vereinbarung solcher Klauseln grundsätzlich vom Ermessensfreiraum des Vorstandes umfasst. Damit bleiben die bisher in der Rechtslehre diskutieren aktien- und kapitalmarktrechtlichen Regelungen für die Beantwortung der Frage nach der Zulässigkeit von Change-ofGeändert mit Wirkung vom 1.11.2005 durch Art. 1 UMAG vom 22.9.2005, BGBl. I S. 2802. 210 Vgl. BGHZ 135, 244 („ARAG/Garmenbeck“). 211 Vgl. Bank, Präventivmaßnahmen, S. 40. 212 Vgl. Hüffer, AktG, § 93 Rn. 13a m.w. N. 213 Vgl. hierzu zuletzt: Vedder, Vertretungsmacht, S. 27 ff., 130 ff. m. w. N. 209
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3. Normen in Rechtsprechung und Rechtslehre
Control-Klauseln zu vage und unbestimmt, um dem Bedürfnis der Praxis nach einer rechtssicheren Anwendung dieser Klauseln gerecht zu werden. Insbesondere ist die ausschließliche gesellschaftsrechtliche Betrachtung nicht geeignet, die Problemstellung, dass der Beitritt zur Gesellschaft als Akt der Selbstbestimmung gleichzeitig mit einem Verzicht auf die Selbstbestimmung verbunden ist 214, angemessen zu erfassen. Notwendig ist eine Beurteilung dieser Konfliktlage anhand allgemeiner zivilrechtlicher Vorgaben 215. Obgleich „wegen der Verbandszugehörigkeit der Mitglieder Außenwirkungen im eigentlichen Sinne nicht vorliegen“ 216, müssen dennoch die allgemeinen Grundsätze der Privatautonomie beachtet werden 217. Denn der einzelne Gesellschafter handelt auch im Rahmen seiner Betätigung in einer Gesellschaft als Privatrechtssubjekt 218. Gerade neue Normen, die sich in speziellen Rechtsgebieten herausgebildet haben, müssen vor dem allgemeinen Hintergrund des BGB betrachtet werden 219. Andernfalls kann man „leicht Lösungen entwickeln, die in Widerspruch zu Ergebnissen anderer aber doch wieder ähnlicher Rechtsgebiete stehen“ 220. Mit der bisherigen Einordnung der Change-of-Control-Klauseln in das BGB beschäftigt sich der Abschnitt 3.3. dieses Kapitels. Zuvor sind im folgenden Abschnitt 3.2. die speziellen Anforderungen des Kartellrechts zu behandeln.
3.2. Kartellrecht Neben den speziellen kapitalmarkt- und gesellschaftsrechtlichen Vorschriften kommt eine Anwendung des kartellrechtlichen Missbrauchsverbotes des § 19 GWB in Betracht. Dieses verbietet die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung durch ein oder mehrere Unternehmen. Nach § 19 Abs. 4 Nr. 1 GWB liegt ein Missbrauch insbesondere vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art 214 215 216 217 218 219 220
Vgl. Weber, Privatautonomie im Gesellschaftsrecht, S. 205. Vgl. Weber, Privatautonomie im Gesellschaftsrecht, S. 205. Martens, AcP 177, S. 151. Vgl. Martens, AcP 177, S. 151. Vgl. Weber, Privatautonomie im Gesellschaftsrecht, S. 205. Vgl. Grunewald, AcP 182, S. 185. Grunewald, AcP 182, S. 185.
3.2. Kartellrecht
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von Waren oder gewerblichen Leistungen die Wettbewerbsmöglichkeiten anderer Unternehmen in einer für den Wettbewerb auf dem Markt erheblichen Weise ohne sachlich gerechtfertigten Grund beeinträchtigt. Einen konkretisierten Unterfall des allgemeinen Missbrauchsverbotes gemäß § 19 GWB bildet das Behinderungs- und Diskriminierungsverbot des § 20 Abs. 1 GWB, dessen Anwendungsbereich auf marktmächtige Unternehmen im Sinne des § 20 Abs. 4 GWB erweitert ist 221. Die Voraussetzungen dieser gesetzlichen Normen können Change-of-Control-Klauseln in Wirtschaftsverträgen erfüllen, wie das nachfolgend behandelte Beispiel aus der Rechtsprechung sowie der Meinungsstand in der Literatur zeigen. 3.2.1. Die „Taxi-Zentrale“-Entscheidung des OLG Düsseldorf und der Meinungsstand in der Literatur
Das OLG Düsseldorf hat mit Urteil vom 17. September 1985 noch unter Anwendung des § 26 Abs. 2 S. 1 GWB a. F. in der „Taxi-Zentrale“-Entscheidung 222 eine Change-of-Control-Klausel für unzulässig erklärt. Dieser Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Eine als Genossenschaft gegründete Vereinigung selbstständiger Taxi-Unternehmer vermittelte mit einer Funkzentrale und anderen Einrichtungen Fahraufträge an ihre Mitglieder sowie an Nicht-Mitglieder, sofern letztere vorher so genannte Teilnehmerverträge abgeschlossen hatten 223. Die Vereinigung kündigte die laufenden Teilnahmeverträge fristgemäß und bot gleichzeitig den Neuabschluss zu veränderten Konditionen an, allerdings nun unter Einbeziehung verschiedener Changeof-Control-Klauseln 224. Insbesondere wurde jede Änderung der Rechtsform des Teilnehmers oder dessen Inhaberverhältnisse von der Zustimmung der Vereinigung abhängig gemacht, andernfalls sollte die Vereinigung ein Recht zur fristlosen Kündigung des Vertragsverhältnisses haben. Zur Begründung erklärte die Vereinigung, es gehe Vgl. Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 2007, § 19, Rn. 252. OLG Düsseldorf, WuW/E OLG Bd. 8, S. 3708 (WuW 1986, S. 616) – „TaxiZentrale Essen“. 223 Vgl. OLG Düsseldorf, WuW/E OLG Bd. 8, S. 3708 f. (WuW 1986, S. 616 f.) – „Taxi-Zentrale Essen“. 224 Vgl. OLG Düsseldorf, WuW/E OLG Bd. 8, S. 3709 (WuW 1986, S. 617) – „Taxi-Zentrale Essen“. 221 222
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3. Normen in Rechtsprechung und Rechtslehre
ihr darum, „ihren Genossen und den vertragstreuen Teilnehmern die Früchte ihrer kontinuierlichen unternehmerischen Arbeit, insbesondere den Kundenstamm und den sogenannten Auftragsbestand zu erhalten.“ 225 Es solle verhindert werden, dass Vertragspartner über die Zentrale vermittelte Fahraufträge an dritte, nicht der Vereinigung zugehörige Unternehmen weiterleiten 226. Ein ehemaliger Vertragspartner erhob Klage auf Neuabschluss des Teilnehmervertrages unter Wegfall der von ihm beanstandeten Klauseln sowie auf Schadensersatz 227. Das OLG Düsseldorf bejahte den Anspruch des Klägers auf Neuabschluss des Teilnehmervertrages aus § 26 Abs. 2 S. 1 GWB a. F. in Verbindung mit § 1004 BGB analog. Es verneinte jedoch den Schadensersatzanspruch, da ein wenigstens fahrlässiges Verhalten der Vereinigung nicht festgestellt werden könne 228. In Bezug auf die Verpflichtung der Vereinigung zur Annahme des vom Kläger unterbreitetenen Vertragsangebotes betonte das Gericht, dass sich ein marktbeherrschendes oder marktstarkes Unternehmen auch bei der Durchsetzung verständlicher und grundsätzlich einleuchtender wirtschaftlicher Ziele auf solche Mittel beschränken müsse, welche die Handlungsfreiheit der anderen Unternehmer am wenigsten beeinträchtige 229. Ein vom Gericht hinzugezogener Sachverständiger hatte die Auffassung vertreten, dass die Vereinigung der Gefahr einer Weiterleitung von Einzelaufträgen per Funk durch Kontrollen hätte begegnen können, nicht hingegen der Abwerbung von Stammkunden 230. Letztere Einschränkung des Sachverständigen überzeugte das OLG Düsseldorf jedoch nicht. Es entschied, dass die Gefahr eines möglichen Verlustes von Stammkunden äußerst gering sei und die Klauseln keinesfalls OLG Düsseldorf, WuW/E OLG Bd. 8, S. 3711 (WuW 1986, S. 619) – „TaxiZentrale Essen“. 226 Vgl. OLG Düsseldorf, WuW/E OLG Bd. 8, S. 3711 (WuW 1986, S. 619) – „Taxi-Zentrale Essen“. 227 Vgl. OLG Düsseldorf, WuW/E OLG Bd. 8, S. 3709 (WuW 1986, S. 617) – „Taxi-Zentrale Essen“. 228 Vgl. OLG Düsseldorf, WuW/E OLG Bd. 8, S. 3714 (WuW 1986, S. 622) – „Taxi-Zentrale Essen“. 229 Vgl. OLG Düsseldorf, WuW/E OLG Bd. 8, S. 3710 f. (WuW 1986, S. 618 f.) – „Taxi-Zentrale Essen“. 230 Vgl. OLG Düsseldorf, WuW/E OLG Bd. 8, S. 3712 (WuW 1986, S. 620) – „Taxi-Zentrale Essen“. 225
3.2. Kartellrecht
45
rechtfertigen könne. Die Vereinigung müsse die vorhandenen Kontrollmöglichkeiten nutzen und hieraus resultierende zusätzliche finanzielle Belastungen durch Erhöhung der vertraglichen Gebühren auffangen 231. Unter Bezugnahme auf die vorstehende Entscheidung des OLG Düsseldorf beurteilte auch die Literatur die Zulässigkeit von Change-ofControl-Klauseln bisher in erster Linie anhand des Missbrauchverbotes des § 19 GWB 232. Nur vereinzelt und erst in zweiter Linie wurden zivilrechtliche Ansprüche geprüft233. 3.2.2. Bewertung
Auch die gerichtliche Missbrauchskontrolle nach §§ 19, 20 GWB n. F. kann die rechtssichere Anwendung von Change-of-Control-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4, 315 Abs. 4 HGB aus verschiedenen Gründen nicht mit hinreichender Verlässlichkeit gewährleisten. 3.2.2.1. Schutzzweck des Kartellrechts
Zweifelhaft ist bereits, ob der Schutzzweck des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen die Wahrung der betroffenen Rechte der Vertragspartner und ihrer Aktionäre umfasst oder aber diese Aufgabe dem allgemeinen Zivilrecht vorbehalten ist. Das Verhältnis zwischen Wettbewerbsbeschränkungen und Privatrecht hat Knut Wolfgang Nörr treffend wie folgt charakterisiert: Die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung stelle eine „Erkrankung des Privatrechts“ 234 dar. Die Heilung des Privatrechts könne aber nicht mit seiner Beschränkung und Einzäunung erreicht werden 235. Es bedarf daher der Wiederherstellung der „unverfälschte(n) Natur der Vertragsfreiheit“ 236, einer Reinigung des Privatrechts von den „Kontaminationen der
Vgl. OLG Düsseldorf, WuW/E OLG Bd. 8, S. 3712 f. (WuW 1986, S. 620 f.) – „Taxi-Zentrale Essen“. 232 Vgl. Bank, Präventivmaßnahmen, S. 135, Mielke/Nguyen-Viet, DB 2004, S. 2518. 233 Hierzu unter 3.3. 234 Nörr, Die Leiden des Privatrechts, S. 223. 235 Vgl. Nörr, Die Leiden des Privatrechts, S. 223. 236 Nörr, Die Leiden des Privatrechts, S. 223. 231
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3. Normen in Rechtsprechung und Rechtslehre
Macht“ 237. Nach diesem traditionellen Verständnis soll das GWB die am Markt tätigen Unternehmen daran hindern, „ihrerseits einen wirksamen Wettbewerb auszuschließen“ 238. Zur Verwirklichung dieses Zwecks schütze das GWB ausschließlich den Wettbewerb als Institution und begründe subjektive Rechtspositionen nur als Folge des Institutionsschutzes 239. Zwar ist in der neueren, vor allem europarechtlich geprägten Entwicklung des Kartellrechts eine Tendenz zum Schutz von Individualinteressen erkennbar 240. Auch besteht heute im Wesentlichen Einigkeit darüber, dass Institutionsschutz und Individualschutz einander nicht ausschließen, sondern „als Erscheinungsformen eines Problems verstanden werden können“.241 Zutreffend stellte aber Karsten Schmidt auf der Zivilrechtslehrertagung am 26. September 2005 in Basel 242 fest, dass jede wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung eine Außenseite und eine Innenseite habe. Die Außenseite bezieht sich auf den Konflikt zwischen Freiheit und Beeinträchtigung dritter Marktteilnehmer. Die Innenseite betrifft den Konflikt zwischen vertraglicher „Loyalität“ und „Knebelung“ 243. Das Wettbewerbsrecht und das Zivilrecht müssen auf der Grundlage der ihnen jeweils zukommenden Aufgaben „miteinander in ihren je unterschiedlichen Methoden und Fragestellungen korrespondieren“ 244. Nach dieser überzeugenden Differenzierung kann man allenfalls in Bezug auf das Außenverhältnis eine Marktrelevanz wettbewerbswidrigen Verhaltens begründen, die anhand des allgemeinen Zivilrechtes möglicherweise nicht erschöpfend erfasst und rechtlich eingeordnet werden kann. Hingegen ist die rechtliche Einordnung der bilateralen Beziehungen zwischen den Vertragspartnern originäre Aufgabe des Zivilrechtes. Insbesondere „der spezifisch kartellrechtliche Kontrahierungszwang hat marktschützende, nicht individualschützende Funktion“ 245, setzt somit keine Verletzung eines Individuums in seinen Rechten, sondern „allein eine objektive kartellrecht237 238 239 240 241 242 243 244 245
Nörr, Die Leiden des Privatrechts, S. 223. Mestmäcker, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 2001, Einleitung Rn. 1. Vgl. Busche, Privatautonomie, S. 319, 393; Schmidt, AcP 206, S. 188. Vgl. Zimmer, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 2007, § 1 Rn. 16. Zimmer, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 2007, § 1 Rn. 15 m. w. N. Vgl. Schmidt, AcP 206, S. 169 ff. Schmidt, AcP 206, S. 181. Schmidt, AcP 206, S. 173. Schmidt, AcP 206, S. 203 f.
3.2. Kartellrecht
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liche Abwägung voraus.“ 246 Der Individualschutz bleibt dem Zivilrecht vorbehalten 247. 3.2.2.2. Unvollständige Problemerfassung
Nach dem Vorgesagten kann – ebenso wie schon die aktienrechtliche Pflichtenbindung des Vorstandes 248 – auch das Kartellrecht nicht für sich in Anspruch nehmen, die mit der Anwendung von Change-ofControl-Klauseln in wichtigen Wirtschaftsverträgen auftretende Problemlage zu bewältigen. Es besteht nämlich eine diffizile Abhängigkeit zwischen der Vertragsfreiheit der Vertragspartner, dem Bedürfnis eines sich umstrukturierenden Unternehmens auf die Fortführung notwendiger Verträge und dem Interesse der Gesellschafter an der Veräußerung ihrer Geschäftsanteile und damit an der Realisierung der ihnen gehörenden Werte. Diese Konfliktlage kann allein anhand wettbewerbsrechtlicher Beurteilungskriterien nicht aufgelöst werden. Denn das Kartellrecht hat ein spezielles Regelungsanliegen wegen des „hohen Machtpotentials der dort auftretenden Normadressaten“ 249, das auf Privatrechtssubjekte mit geringeren Einflussmöglichkeiten und Durchsetzungsmitteln nicht ohne weiteres übertragen werden kann 250. Wegen seiner zahlreichen Ausnahmen und Berührungspunkte mit anderen Rechtsgebieten ist das Kartellrecht ein Beispiel für ein Rechtsgebiet, das sich allgemeingültigen Abgrenzungskriterien entzieht und im Wesentlichen auf „Kompromissformeln“ 251 angewiesen ist sowie regelmäßig auf eine umfassende Interessenabwägung aller beteiligten Personen 252. Gerade solche rechtsgebietsübergreifenden Probleme müssen in das „Gefüge des BGB und damit in allgemeinere Zusammenhänge“ 253 eingeordnet werden, um aus den dort aufgezeigten Lösungen Argumente auch für die Regelung von Spezialproblemen zu gewinnen.
Schmidt, AcP 206, S. 203 f. Vgl. Busche, Privatautonomie, S. 319, 393; zustimmend: Schmidt, AcP 206, S. 203 f. 248 Hierzu oben 3.1.2. 249 Martens, AcP 177, S. 169. 250 Vgl. Martens, AcP 177, S. 169. 251 Martens, AcP 177, S. 170. 252 Vgl. Martens, AcP 177, S. 170. 253 Grunewald, AcP 182, S. 185. 246 247
48
3. Normen in Rechtsprechung und Rechtslehre
3.2.2.3. Rechtsunsicherheit der beteiligten Unternehmen
Darüber hinaus besteht im Anwendungsbereich des GWB für die Rechtspraxis der Change-of-Control-Klauseln eine erhebliche Rechtsunsicherheit. Dies aus drei Gründen: Erstens greift das kartellrechtliche Missbrauchsverbot nur ein, wenn es sich bei dem begünstigten Vertragspartner um ein marktbeherrschendes oder marktstarkes Unternehmen handelt. Es begründet also nur gegenüber speziellen Vertragspartnern wirksame Normen für die Anwendung von Changeof-Control-Klauseln. Jedoch sind mit der Feststellung einer marktbeherrschenden oder marktstarken Stellung im Sinne der §§ 19, 20 GWB erhebliche Unwägbarkeiten verbunden, nicht zuletzt infolge der verschiedenen Möglichkeiten zur Definition des im Einzelfall relevanten Marktes 254. Zweitens ist der allgemeine Missbrauch von Marktmacht wohl der unbestimmteste Tatbestand des Kartellrechts 255. Drittens können Wettbewerbsstörungen mit Sicherheit nur ex post festgestellt werden und auch dann besteht ein kompliziertes und nur schwer entwirrbares Geflecht von Ursachen und Wirkungen 256. 3.2.3. Zusammenfassung
Aus den vorstehenden Gründen können auch die gesetzlichen Normen des Kartellrechts keine Rechtssicherheit in Bezug auf die Zulässigkeitsvoraussetzungen von Change-of-Control-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4, 315 Abs. 4 HGB bringen. Insbesondere kann das Kartellrecht den notwendigen Ausgleich der verschiedenen subjektiven Interessen ohne eine Einbeziehung allgemein-zivilrechtlicher Normen nicht verwirklichen.
3.3. Bürgerliches Recht Der privatautonome Freiheitsraum für die Vereinbarung von Changeof-Control-Klauseln außerhalb aktien-, kapitalmarkt- und kartellrechtlicher Schranken wurde bisher nur punktuell untersucht. Zur Marktdefinition und Marktabgrenzung der Angebotsmärkte von den Bedarfsmärkten vgl.: Bechthold, GWB, § 19 Rn. 6 ff.; Götting, in: Loewenheim/ Meessen/Riesenkampff, GWB, § 19 Rn. 9 ff.; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 392 ff. 255 Vgl. Schmidt, AcP 206, S. 174. 256 Vgl. Meessen, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, EuR, Einf. Rn. 8. 254
3.3. Bürgerliches Recht
49
3.3.1. Existenzgefährdende AGB 3.3.1.1. Die „Opel“-Entscheidung des BGH und der Meinungsstand in der Literatur
Bereits im Jahre 1985 hatte der BGH über eine Allgemeine Geschäftsbedingung des Unternehmens Opel in einem Vertragshändlervertrag zu entscheiden, die dem Unternehmen Opel bei jeder Änderung der Eigentumsverhältnisse des Vertragshändlers, insbesondere bei jeder Veräußerung von mehr als zehn Prozent der Geschäftsanteile, ein Recht zur Kündigung einräumte 257. Bei der nach § 9 AGBG a. F. erforderlichen Abwägung erkannte der BGH zunächst an, dass der Erfolg eines selektiven Vertriebssystems in erheblichem Maße auf den persönlichen Kundenbeziehungen der Inhaber des Vertragshändlerunternehmens beruhe und von einer Beibehaltung der personellen Verhältnisse in dessen Unternehmen abhängen könne 258. Jedoch seien die Interessen des Herstellerunternehmens nicht schon dadurch berührt, dass ca. zehn Prozent der Anteile des Händlerunternehmens veräußert werden 259. Auf der anderen Seite könne eine Kündigung des Händlervertrages die Existenz des Vertragshändlers bedrohen. Der betreffende Vertragshändler verliere dadurch seine oft einzige Erwerbsquelle und die von ihm aufgebauten Kundenbeziehungen 260. Deshalb sei die Klausel gemäß § 9 AGBG unwirksam, weil sie mit einer unangemessenen Benachteiligung des Vertragshändlers verbunden sei 261. Die Literatur hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen 262. Nach § 9 AGBG a. F. (§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB n. F.) werden derartige Klauseln nicht schlechthin für unwirksam gehalten. Vielmehr sei die Wirksamkeit danach zu beurteilen, ob die Änderungen im Gesellschafterbestand des Vertragshändlers die Interessen des Herstellers beein-
Vgl. BGH NJW 1985, S. 623 ff. Vgl. BGH NJW 1985, S. 625. 259 Vgl. BGH NJW 1985, S. 625. 260 Vgl. BGH NJW 1985, S. 625. 261 Vgl. BGH NJW 1985, S. 625 f. 262 Vgl. v. Westphalen, in: v. Westphalen, Vertragsrecht, Vertragshändlerverträge Rn. 41; Mielke/Nguyen-Viet, DB 2004, S. 2518; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, Anhang § 310 BGB Rn. 965. 257 258
50
3. Normen in Rechtsprechung und Rechtslehre
trächtigen können 263. Teilweise wurde vorgeschlagen, die vom BGH herangezogenen Kriterien auf die Verwendung von Change-of-Control-Klauseln in allgemeinen Geschäftsbedingungen zu Finanzierungsverträgen, Lizenzverträgen und Serviceprovider-Verträgen zu übertragen 264. 3.3.1.2. Bewertung
Die Entscheidung des BGH ist zutreffend und für Allgemeine Geschäftsbedingungen in vielen Dauerschuldverhältnissen verallgemeinerungsfähig. Mit Hilfe von AGB können neue Vertragstypen dynamisch herausgebildet und einer Vielzahl von Anwendungsfällen gleichförmig zugrunde gelegt werden 265, um so generelle Normen zu entwickeln. Allgemeine Geschäftsbedingungen dienen der Rationalisierung und können – bei angemessener Verteilung der vertraglichen Risiken – die Abwicklung komplizierter Geschäftsbeziehungen typisieren und standardisieren 266. In Bezug auf Change-of-Control-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4, 315 Abs. 4 HGB dürfte der gerichtlichen Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff. BGB aber nur ein eingeschränkter Anwendungsbereich zukommen. Zwar ist die Einbeziehung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen in der heutigen Wirtschaftspraxis weitestgehend Standard geworden 267. Im Rahmen dieser Entwicklung könnten auch Change-of-Control-Klauseln mit ihrer fortschreitenden Rezeption in das deutsche Recht verstärkt in Allgemeine Geschäftsbedingungen aufgenommen werden. Zu erwarten ist dies insbesondere für diejenigen Geschäftsbereiche, in denen Change-of-Control-Klauseln als Marktstandard angesehen werden, etwa in Kreditverträgen 268. So betreffen auch die im zweiten Kapitel Vgl. v. Westphalen, in: v. Westphalen, Vertragsrecht, Vertragshändlerverträge Rn. 41; Mielke/Nguyen-Viet, DB 2004, S. 2518; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, Anhang § 310 BGB Rn. 965. 264 Vgl. Mielke/Nguyen-Viet, DB 2004, S. 2518. 265 Vgl. Basedow, in: Säcker/Rixecker, Münchener Kommentar BGB, Vor § 305 Rn. 2. 266 Vgl. Basedow, in: Säcker/Rixecker, Münchener Kommentar BGB, Vor § 305 Rn. 3. 267 Vgl. Basedow, in: Säcker/Rixecker, Münchener Kommentar BGB, Vor § 305 Rn. 2. 268 Vgl. Krause, AG 2002, S. 143; Meyer, Die Übernahme, S. 182. 263
3.3. Bürgerliches Recht
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angeführten Praxisbeispiele zur Offenlegung „wesentlicher Vereinbarungen“ unter anderem Kreditgeschäfte. Allerdings zeigen diese Praxisbeispiele ebenso deutlich, dass Change-of-Control-Klauseln gerade auch im Rahmen der Entwicklung, Herstellung und Vermarktung neuartiger Produkte mittels der Kooperationsformen des Joint Venture, des Wirtschaftsverbandes, des Konsortiums etc. eine wesentliche Rolle spielen. Solche Vereinbarungen werden in der Praxis aufgrund ihrer Einmaligkeit und ihrer wirtschaftlichen Bedeutung zumeist individualvertraglichen Charakter haben. Aber auch für diejenigen Change-of-Control-Klauseln, die in Allgemeinen Geschäftsbedingungen einseitig gestellt werden, ist zu beachten, dass eine Anwendung der §§ 305 ff. BGB im unternehmerischen Geschäftsverkehr in neuerer Zeit verstärkt kritisch beurteilt wird 269. Bereits im Jahre 1987 bezeichnete Dieter Rabe das AGB-Gesetz als „Moloch“ 270, der sich „durch das Klauselwerk im kaufmännischen Verkehr hindurchgefressen“ 271 habe. Im Jahre 2001 hat Klaus Peter Berger darauf hingewiesen, dass die Wertungen des Handelsrechtes, das generell von einer erhöhten Selbstverantwortung des Kaufmanns ausgeht, auch bei der AGB-Inhaltskontrolle von Verträgen zwischen Wirtschaftsunternehmen beachtet werden müssen 272. Aus heutiger Sicht entscheidend ist der Schutzzweck der AGB-Kontrolle, der von Lars Leuschner zutreffend darin gesehen wird, die aus einer situationsbedingten Unterlegenheit des Klauselgegners resultierende Informationsasymmetrie auszugleichen273. Dieser Schutzzweck bestehe aber regelmäßig nicht bei wichtigen Verträgen zwischen Wirtschaftsunternehmen, deren Vertragswert so hoch ist, dass der Klauselgegner die Informationsasymmetrie ausgleichen kann, ohne unverhältnismäßige Transaktionskosten zu verursachen (so genannte „positive Transaktionskosten-Vertragswert-Relation“) 274. Die Verhältnismäßigkeit der zur Informationsbeschaffung notwendigen Kosten werde bei solchen Transaktionen zwischen Wirtschaftsunternehmen vermutet, Vgl. Berger, NJW 2001, S. 2152 ff.; Leuschner, AcP 207, S. 492 und 528; Rabe, NJW 1987, S. 1979. 270 Rabe, NJW 1987, S. 1979. 271 Rabe, NJW 1987, S. 1979. 272 Vgl. Berger, NJW 2001, S. 2152 f. und 2154. 273 Vgl. Leuschner, AcP 207, S. 528. 274 Leuschner, AcP 207, S. 529. 269
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3. Normen in Rechtsprechung und Rechtslehre
bei denen die Parteien ohnehin eine umfassende Rechtsberatung in Anspruch nehmen 275. Dies betreffe zum Beispiel so genannte M&AVerträge und vergleichbar umfangreiche Geschäfte 276. Zu diesen umfangreichen Geschäften sind typischerweise auch wesentliche Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4, 315 Abs. 4 HGB zu zählen. Aus dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG ergibt sich, dass wesentlich Ungleiches seiner Eigenart entsprechend behandelt werden muss 277. Wichtige Verträge zwischen internationalen Wirtschaftsunternehmen mit Vertragsvolumina in Millionenhöhe dürfen nicht denselben Maßstäben der Inhaltskontrolle gemäß §§ 305 ff. BGB unterliegen wie Verbrauchergeschäfte des täglichen Lebens 278. Auf die Fragen, welche Wirkung dem Gleichheitsgrundsatz im Privatrecht zukommt und in welchem Umfang der Grundsatz der Gewaltenteilung die Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe durch die Rechtsprechung erlaubt, wird noch im sechsten Kapitel näher einzugehen sein. 3.3.1.3. Zusammenfassung
Aus den vorstehenden Gründen hat auch die gerichtliche Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff. BGB nur einen begrenzten Anwendungsbereich und kann wichtige Felder des Wirtschaftsrechts, auf denen Changeof-Control-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4, 315 Abs. 4 HGB angewandt werden, nicht erfassen. 3.3.2. Sittenwidrige Change-of-Control-Klauseln gemäß § 138 BGB
Eine – auch für individualvertragliche Regelungen geltende – Grenze der Vertragsfreiheit bilden „die guten Sitten“. Diese werden von der Rechtsordnung als so wesentlich für den Bestand der Rechtsgemeinschaft angesehen, dass Rechtsgeschäfte, welche die guten Sitten nicht beachten, keine Rechtsgeltung erlangen 279. Dem Umstand, dass die Vgl. Leuschner, AcP 207, S. 529. Vgl. Leuschner, AcP 207, S. 529. 277 Vgl. BVerfGE 84, 133 (158); 90, 226 (239); 98, 365 (385); Jarass, in: Jarass/ Pieroth, GG, Art. 3 Rn. 5; Leuschner, AcP 207, S. 528. 278 Vgl. Leuschner, AcP 207, S. 528. 279 Vgl. Mayer-Maly/Armbrüster, in: Säcker/Rixecker, Münchener Kommentar BGB, § 138 Rn. 1. 275 276
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Grenzen der guten Sitten nicht für alle Einzelfälle mit speziellen Gesetzen abschließend erfasst werden können, trägt die Generalklausel des § 138 BGB Rechnung 280. 3.3.2.1. Meinungsstand in der Literatur
Im Zusammenhang mit Change-of-Control-Klauseln wurde die Norm des § 138 BGB bisher ausschließlich zum Schutz der Anteilseigner des eingeschränkten Vertragspartners herangezogen 281. Nach Ansicht von Werner Mielke und Thanh-Mai Nguyen-Viet kann unter dem Gesichtspunkt der sittenwidrigen Knebelung eine rechtliche Beeinträchtigung des Gesellschafters vorliegen, wenn die Anteile einen wesentlichen Teil des Vermögens des Anteilseigners darstellen 282. Dem hat sich auch Christian Bank angeschlossen, allerdings die Anwendbarkeit des § 138 BGB noch weiter eingeschränkt, nämlich auf die Fälle, in denen der Vertreter der Gesellschaft und der Geschäftspartner kollusiv zum Nachteil der Gesellschaft zusammenwirken 283. 3.3.2.2. Bewertung
Durch die Verwendung von Change-of-Control-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4, 315 Abs. 4 HGB kann für die Aktionäre die Gefahr einer Veräußerungserschwernis ihrer Geschäftsanteile am Markt begründet werden 284. Es handelt sich also um den typischen Fall einer möglichen Belastung außerhalb des Vertrages stehender Dritter. Damit ist zwar eine Anwendung des § 138 BGB nicht ausgeschlossen, denn die Bedeutung der guten Sitten erschöpft sich nicht im bilateralen Verhältnis zwischen den Vertragsparteien 285. Sittenwidrig kann auch ein Vertrag sein, der darauf abzielt, bereits erworbene oder künftige Rechtspositionen Dritter zu beeinträchtigen 286. Entscheidend ist aber, dass die Schädigung Dritter Vgl. Palm, in: Westermann, Erman BGB, § 138 Rn. 1. Vgl. Bank, Präventivmaßnahmen, S. 135, Anm. 727; Mielke/Nguyen-Viet, DB 2004, S. 2517. 282 Vgl. Mielke/Nguyen-Viet, DB 2004, S. 2517. 283 Vgl. Bank, Präventivmaßnahmen, S. 135, Anm. 727. 284 Hierzu oben 2.2.4.2. und 3.1.1.2. 285 Vgl. Mayer-Maly/Armbrüster, in: Säcker/Rixecker, Münchener Kommentar BGB, § 138 Rn. 96. 286 Vgl. Mayer-Maly/Armbrüster, in: Säcker/Rixecker, Münchener Kommentar BGB, § 138 Rn. 96. 280 281
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nicht ohne weiteres sittenwidrig ist, sondern nur in Fällen besonders vorwerfbaren Verhaltens 287. Demgegenüber wird die sittenwidrige Knebelung üblicherweise definiert als Einschränkung der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit einer Vertragspartei in einem Ausmaße, dass diese ihre Selbständigkeit nahezu völlig verliere und dadurch in eine sittlich zu missbilligende Abhängigkeit gerate 288. Die mit jeder vertraglichen Bindung verbundene Beschränkung der Freiheit muss einen Grad erreicht haben, dass der Betroffene sich gewissermaßen selbst entmündigt und dadurch wirtschaftlich zu einem willenlosen Werkzeug des anderen wird 289. Diese Wertung lässt sich nicht auf das Verhältnis zu den außerhalb der Vertragsbeziehung stehenden Aktionären eines Vertragspartners übertragen. Denn die „relative Enge der allgemeinen Vertragskontrolle“ 290 hat ihre Rechtfertigung allein in der Zustimmung der beschwerten Partei anlässlich des Vertragsabschlusses 291. Auch der einseitig zu Lasten eines Vertragspartners abgeschlossene Vertrag findet grundsätzlich noch seine „Rechtfertigung in den gegenseitigen Parteierklärungen“ 292. Der Norm des § 138 BGB liegt also der Gedanke zugrunde, dass die Bindung im internen Verhältnis zwischen den kontrahierenden Parteien auf korrespondierenden Willenserklärungen beruht. Diese grundsätzliche Voraussetzung ist bei Verträgen, die in die Rechtskreise außerhalb des Vertragsverhältnisses stehender Dritte eingreifen, gerade nicht gegeben. Nicht überzeugend ist das von Werner Mielke und Thanh-Mai Nguyen-Viet vorgeschlagene Abgrenzungskriterium, demzufolge eine Knebelung eines Gesellschafters dann vorliegen soll, wenn die Anteile einen wesentlichen Teil des Vermögens dieses Anteilseigners dar-
Vgl. Heinrichs, in: Palandt, § 138 BGB Rn. 61 m. w. N. aus der Rechtsprechung; Mayer-Maly, AcP 194, S. 147 f.; Sack, in: Staudinger, BGB, § 138 Rn. 333. 288 Vgl. Hefermehl, in: Soergel, BGB, § 138 Rn. 117; Weber, Privatautonomie im Gesellschaftsrecht, S. 214. 289 Vgl. Hefermehl, in: Soergel, BGB, § 138 Rn. 116; Weber, Privatautonomie im Gesellschaftsrecht, S. 214. 290 Martens, AcP 177, S. 168. 291 Vgl. Bydlinski, Privatautonomie, S. 106 ff.; Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 7; Martens, AcP 177, S. 168; Schricker, Gesetzesverletzung, S. 185; Säcker, Gruppenautonomie, S. 212. 292 Martens, AcP 177, S. 168. 287
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stellen 293. Entscheidend ist nämlich, dass der von einer Change-ofControl-Klausel geschützte Vertragspartner regelmäßig nicht beurteilen kann, ob die Aktionäre des anderen Teils neben den Aktien noch weiteres Vermögen haben. Genau auf diese Erkennbarkeit kommt es aber an, denn vorwerfbar kann lediglich ein Verhalten der Vertragspartner sein, das gerade das Ziel verfolgt oder es wenigstens billigend in Kauf nimmt, die Möglichkeit der Anteilsveräußerung auszuschließen, zumindest aber zu begrenzen. Eine objektive Betrachtung der maßgeblichen Intentionen der Vertragspartner ist aufgrund der aufeinander treffenden verschiedenen Interessen schwierig 294. Folglich lassen sich am Maßstab der „guten Sitten“ nur Sonderfälle lösen und folglich nur die äußersten normativen Grenzen der Vertragsfreiheit ermitteln, so dass die Norm des § 138 BGB nur einen begrenzten Teil der Anwendungsbereiche von Change-of-Control-Klauseln erfassen kann. Im Hinblick auf die im Anwendungsbereich von wesentlichen Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4, 315 Abs. 4 HGB aufeinander treffenden Interessen der beteiligten Vertragspartner und Gesellschafter erscheint auch die starre Rechtsfolge des § 138 BGB ungeeignet. Das Management muss nämlich bei der Entscheidung über die Aufnahme von Change-of-Control-Klauseln eine umfassende Abwägung der betroffenen Rechtsgüter vornehmen. Im Einzelfall ist zu entscheiden, ob dem Interesse des Unternehmens am Abschluss und der Fortführung einer wichtigen Geschäftsbeziehung oder dem Bedürfnis der einzelnen Aktionäre, ihre Aktien zu marktüblichen Konditionen verkaufen zu können, der Vorrang einzuräumen ist. Die Nichtigkeit eines aufgrund dieser Abwägungsentscheidung abgeschlossenen Vertrages ist als Rechtsfolge nicht sachgerecht. 3.3.2.3. Zusammenfassung
Aus den vorstehenden Gründen ist § 138 BGB keine für die rechtssichere Anwendung von Change-of-Control-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4, 315 Abs. 4 HGB geeignete Norm. Insbesondere den sachgerechten Umgang mit der Gefahr, Vgl. Mielke/Nguyen-Viet, DB 2004, S. 2517. Dies haben die unter 3.1.2.1 behandelten jeweils nachvollziehbar begründeten verschiedenen Meinungen zur Zielrichtung von Change-of-Control-Klauseln in Wandelanleihen gezeigt.
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dass die Vertragsparteien mit der Verwendung von Change-of-Control-Klauseln unangemessen in den Freiheitsbereich ihrer Aktionäre eindringen, kann eine Anwendung des § 138 BGB nicht befriedigend gewährleisten. Darüber hinaus wird die Rechtsfolge des § 138 BGB auch dem Verhältnis, in dem die Vertragsparteien zu einander stehen, im Hinblick auf die große wirtschaftliche Bedeutung wesentlicher Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4, 315 Abs. 4 HGB und die regelmäßig erforderlichen Abwägungsentscheidungen der handelnden Organe nicht gerecht. Erforderlich sind Normen, deren Tatbestandsmerkmale und Rechtsfolgen darauf angelegt sind, einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessen herbeizuführen. 3.3.3. Der Vertrag zu Lasten Dritter 3.3.3.1. Meinungsstand in der Literatur
Werner Mielke und Thanh-Mai Nguyen-Viet haben für Change-ofControl-Klauseln in Wirtschaftsverträgen die Voraussetzungen eines Vertrages zu Lasten Dritter mit der Begründung verneint, der möglicherweise eintretende Wertverlust des Gesellschaftsanteils sei lediglich eine faktische Folge der Klausel 295. Somit bilde § 138 BGB die einzige Grenze zum Schutz der in ihren Rechten beeinträchtigten Gesellschafter 296. 3.3.3.2. Bewertung
Richtig ist, dass Verträge zu Lasten Dritter mit der Privatautonomie unvereinbar und unzulässig sind 297. Richtig ist ferner, dass ein Vertrag zu Lasten Dritter üblicherweise definiert als ein Rechtsgeschäft wird, das die unmittelbare rechtliche Verpflichtung des Dritten ohne dessen Mitwirkung begründet 298. Demgegenüber sollen solche Verträge, bei denen die belastende Wirkung für den Dritten lediglich einen Reflex darstellt, vom Grundsatz der generellen Unwirksamkeit
Vgl. Mielke/Nguyen-Viet, DB 2004, S. 2517. Vgl. Mielke/Nguyen-Viet, DB 2004, S. 2517. 297 Vgl. Grüneberg, in: Palandt, Vor § 328 BGB Rn. 10 m. w. N. 298 Vgl. Gottwald, in: Säcker/Rixecker, Münchener Kommentar BGB, § 328 Rn. 172. 295 296
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ausgenommen sein 299. Zutreffend ist schließlich, dass Verträge mit Personen- oder Kapitalgesellschaften gemäß §§ 124, 161 Abs. 2 HGB, § 13 GmbHG, § 1 AktG grundsätzlich nur die Gesellschaft verpflichten, nicht aber die Gesellschafter. So wird der Anteilseigner nicht unmittelbar durch die Change-of-Control-Klausel verpflichtet, seinen Anteil zu halten oder zu einem unangemessen niedrigen Preis zu veräußern. Jedoch sind von dem Vertrag zu Lasten Dritter im engeren Sinne weitere Typen drittbelastender Vereinbarungen zu unterscheiden, mit deren Hilfe die rechtlichen Interessen Dritter erheblich beeinträchtigt werden, ohne dass ihnen eine unmittelbare rechtliche Verpflichtung auferlegt wird. Der Hinweis, die lediglich faktisch-wirtschaftliche Betroffenheit von Dritten sei kein juristisches Problem, dient nach dem von Ulrich Meyer-Cording verwendeten Ausdruck oftmals nur „als Feigenblatt“, um „die Ratlosigkeit der Juristen darüber zu verschleiern“ 300, wie die fraglichen Sachverhalte rechtlich einzuordnen sind 301. Das grundlegende Problem bei Verträgen mit Drittwirkung besteht gerade darin, „aufgrund gesetzlicher Wertungen die Verfestigung von Drittinteressen nachzuweisen“ 302, die dazu führt, dass gegenläufige Vertragsregelungen unwirksam sind 303. Nachfolgend sollen die in der deutschen Rechtslehre kontrovers diskutierte Einordnung drittbelastender Verträge sowie einige Beispiele aus der Rechtsprechung des BGH näher betrachtet werden, um die Voraussetzungen eines unangemessenen Eingriffs in den Rechtskreis der Aktionäre feststellen zu können. 3.3.3.2.1. Dogmatische Einordnung drittbelastender Vereinbarungen in der Lehre
Die dogmatische Einordnung des Verhältnisses zwischen der Relativität schuldrechtlicher Beziehungen und der Beeinträchtigung außerhalb des Rechtsgeschäftes stehender Dritter gehört zu den umstritVgl. BGH NJW 2004, S. 3326. Meyer-Cording, Die Rechtsnormen S. 44. 301 Vgl. Meyer-Cording, Die Rechtsnormen S. 44; so auch Heinze, FS für Fechner, S. 81. 302 Martens, AcP 177, S. 136. 303 Vgl. Martens, AcP 177, S. 136. 299 300
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tensten Problemen des Zivilrechts. Einigkeit besteht noch nicht einmal in der Frage, welches Rechtsgebiet vornehmlich den Schutz der Beeinträchtigung außerhalb eines Vertrages stehender Dritter gewährleisten soll. Bisher wurden im Wesentlichen drei Ansichten vertreten: Erstens betrachtet die herrschende Meinung das Problem ausschließlich zivilrechtlich und erkennt lediglich den Vertrag zu Lasten Dritter im engeren Sinne als juristisches Problem an 304. Immer dann, wenn es an einer unmittelbaren rechtlichen Verpflichtung des Dritten fehlt, soll lediglich ein faktisches Phänomen vorliegen, das anhand der allgemeinen Inhaltsgrenzen des Rechtsgeschäfts zu beurteilen sei 305. Überwiegend ziehen die Vertreter dieses rein zivilrechtlichen Erklärungsmodells die Norm des § 138 BGB als Maßstab zur Beurteilung der Drittwirkungen vertraglicher Abreden heran 306. Im Rahmen dieser zivilrechtlichen Betrachtung hat Karl August Bettermann einen speziellen Lösungsweg gewählt 307 und den Vertrag zu Lasten Dritter mit der Verpflichtungsermächtigung verglichen. Die Interessen des Dritten seien durch eine analoge Anwendung des Ablehnungsrechts nach § 333 BGB ausreichend geschützt 308. Die Anwendung des § 333 BGB könne aber zu untragbaren Härten für den Gläubiger führen, weil diese Norm dem Vertragspartner – anders als etwa §§ 180 Abs. 2, 177 Abs. 2 BGB – keine Möglichkeit biete, unter Fristsetzung über die Bindungswirkung des Dritten Gewissheit zu erlangen. Daher seien drittverpflichtende Verträge nur auf Grundlage der Verpflichtungsermächtigung möglich 309. Diese Rechtsfigur lasse immer dann eine Verpflichtungswirkung gegen den Dritten zu, wenn er den Handelnden ermächtigt hat oder wenn dies an seiner Stelle das Gesetz oder die gesetzlich ermächtigte Behörde getan hat 310. Hierbei könne es nicht darauf ankommen, ob die Macht, in Vgl. Grüneberg, in: Palandt, Vor § 328 BGB Rn. 10 m. w. N. Gottwald, in: Säcker/Rixecker, Münchener Kommentar BGB, § 328 Rn. 172. 305 Vgl. RGZ 111, 166; Bettermann, JZ 1951, S. 322; Raiser, Vertragsfunktion, S. 112. 306 Vgl. Medicus, JuS 1974, S. 614; Palm, in: Westermann, Erman BGB, § 138 Rn. 85; Raiser, Vertragsfunktion, S. 112. 307 Vgl. Bettermann, JZ 1951, S. 321. 308 Vgl. Bettermann, JZ 1951, S. 323. 309 Vgl. Bettermann, JZ 1951, S. 324. 310 Vgl. Bettermann, JZ 1951, S. 324. 304
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den Rechtskreis des Dritten einzugreifen, vor oder nach Abschluss des drittbelastenden Vertrages verliehen wurde – es bestehe also die Möglichkeit einer Genehmigung analog §§ 177, 185 Abs. 2 Alt. 1 BGB 311. Zweitens nimmt die Gegenansicht eine ausschließlich wettbewerbsbezogene Betrachtung vor und hält unter Übertragung der Wertungen des Kartellrechts sämtliche Verträge mit Lastenwirkungen für Dritte grundsätzlich für unzulässig 312. Bereits im Jahre 1958 hat Kurt H. Biedenkopf am Beispiel der Ausschließlichkeitsbindung das Problem dahingehend eingeordnet, dass wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen den Vertragspartnern die Macht zuweisen, allgemein in den Prozess des Interessenausgleichs einzugreifen313. Dadurch würden die Chancen außerhalb des Vertragsverhältnisses stehender Dritter, ihrerseits Verträge mit bestimmten Inhalten abschließen zu können, beeinträchtigt. Hierin liege eine Verletzung des Anspruchs dieser Dritten, dass andere keine Verträge schließen, die ausschließlich das Ziel verfolgen, ihnen diese Chance zu nehmen 314. Im Jahre 1959, also nahezu zeitgleich mit dem Inkrafttreten des GWB, hat Rudolf Lukes den Kartellvertrag wegen seiner Außenwirkungen gegenüber Wettbewerbern als unzulässigen Vertrag zu Lasten Dritter eingeordnet 315. Nach seiner Ansicht setzten wettbewerbsbeschränkende Verträge die rechtliche Drittwirkung der getroffenen oder potentiellen vertraglichen Vereinbarung zwingend voraus, da nur so das Ziel einer Beeinflussung und Steuerung des Marktablaufes erreicht werden könne 316. Sie könnten deshalb ihrer Typologie nach nicht isoliert betrachtet werden, sondern nur unter Einbeziehung vertraglicher Drittwirkungen 317. Hierauf sei auch gerade der Wille der Vertragsschließenden ausgerichtet 318. Meinhard Heinze sieht eine noch weitergehende Drittwirkung der marktordnenden Verträge darin begründet, dass diese nicht nur den möglichen Vertragsinhalt, also das „Wie“ einer VertragsbeVgl. Bettermann, JZ 1951, S. 324. Vgl. Biedenkopf, Ausschließlichkeitsbindung; Lukes, Der Kartellvertrag; Heinze, FS für Fechner, S. 101, 116. 313 Vgl. Biedenkopf, Ausschließlichkeitsbindung, S. 128 ff. 314 Vgl. Biedenkopf, Ausschließlichkeitsbindung, S. 216. 315 Vgl. Lukes, Der Kartellvertrag, S. 170 ff., 190 ff. 316 Vgl. Lukes, Der Kartellvertrag, S. 33, 135 ff. 317 Vgl. Lukes, Der Kartellvertrag, S. 22 ff., 150 ff. 318 Vgl. Lukes, Der Kartellvertrag, S. 137 ff. 311 312
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ziehung, sondern auch die Abschlusschancen der dritten Marktteilnehmer, also das „Ob“ einschränken. Durch die Marktaufteilung zwischen den an einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung beteiligten Unternehmen werde zwar nicht unmittelbar der mögliche Vertragsinhalt vorgegeben, wohl aber die Abschlussfreiheit des unbeteiligten Dritten, der nur mit dem Partner abschließen kann, dem der betreffende Markt zugeteilt ist 319. Jedoch bestehe die Möglichkeit, mit Hilfe des Bindungsvertrages die nachfolgenden Wirtschaftsstufen „rechtlich zu ordnen“, so dass neben der wirtschaftlichen Betroffenheit gleichzeitig eine rechtliche Einwirkung auf die an sich privatautonom gesicherte Rechtstellung von Dritten vorliege 320. Im Ergebnis verschaffe die eingreifende Zielrichtung solcher Verträge den Vertragsparteien eine Art Normsetzungsbefugnis, die außerhalb der Zuständigkeitsordnung der Privatautonomie liege und deshalb einer besonderen grundsätzlichen Ermächtigung bedürfe, andernfalls grundsätzlich unwirksam sei 321. Diesen Ansatz hat Meinhard Heinze nach Inkrafttreten des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen am 1. Januar 1958322 ergänzend damit begründet, dass sowohl in § 1 GWB als auch in § 15 GWB ausdrücklich von Verträgen die Rede ist, die geeignet sind, die Marktverhältnisse bzw. die Freiheit der Gestaltung von Preisen oder Geschäftsbedingungen mit Dritten zu beeinflussen 323. Kurt H. Biedenkopf zustimmend hat Meinhard Heinze den Begriff des „marktordnenden Vertrages“ zur Einordnung einer besonderen Kategorie des Vertrages zu Lasten Dritter, nämlich zu Lasten der von einer Wettbewerbsabsprache betroffenen außenstehenden Martktteilnehmer, verwendet 324. Ein echter Wettbewerb entstehe vor allem infolge der Vielzahl einzelner voneinander unabhängiger Wirtschaftspläne, die für den Einzelnen den Charakter eines anonymen, einem Einfluss entzogenen Vorgangs haben325. Gelingt es einem Teilnehmer, Vgl. Heinze, FS für Fechner, S. 79. Vgl. Heinze, FS für Fechner, S. 84. 321 Vgl. Heinze, FS für Fechner, S. 101, 116. 322 Vgl. Bechthold, GWB, Einführung Rn. 7. 323 Vgl. Heinze, FS für Fechner, S. 81. 324 Vgl. Heinze, FS für Fechner, S. 77. 325 Vgl. Heinze, FS für Fechner, S. 76; so auch (allerdings nicht in Bezug auf den Vertrag zu Lasten Dritter) Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 264. 319 320
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an den unabhängigen Einzelplänen anderer Marktteilnehmer anzuknüpfen, sie zur Einhaltung eines bestimmten Wirtschaftsplans zu zwingen, so verliert der Austauschvorgang die ihm eigentümliche Zufälligkeit 326. Es handele sich bei der wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung um eine gegenseitige Verpflichtung der Parteien, ihre Wirtschaftspläne entsprechend vorgegebenen Normen zu gestalten. Treffend für diese Vereinbarungen sei der Begriff des „marktordnenden Vertrages“ deshalb, weil ihr Leistungsinhalt nicht auf die Teilnahme am Güteraustausch gerichtet ist, sondern auf das Verhalten der Marktteilnehmer 327. Schon hieraus ergebe sich die Funktion der Regelung potentieller vertraglicher Drittverhältnisse, denn die vereinbarten Regeln wirtschaftlichen Verhaltens beziehen sich unmittelbar auf den Markt, also auf den Geschäftsverkehr mit Dritten 328. Drittens hat Klaus-Peter Martens eine vermittelnde Ansicht vertreten, indem er dessen Lösung weder allein im Zivilrecht noch ausschließlich im Kartellrecht gesucht hat 329. Vielmehr hat er unter dem Begriff des Vertrages mit Lastenwirkung für Dritte die Anerkennung eines eigenen Vertragstypus befürwortet 330. Dieser soll diejenigen Konstellationen erfassen, in denen der Dritte ohne unmittelbare rechtliche Verpflichtung lediglich in seinem allgemeinen Interesse auf Bewahrung seiner vertragsrechtlichen Handlungsfreiheit betroffen wird 331. Eine solche Lastenwirkung im Sinne einer vertraglichen Beschränkung der natürlichen Abschluss- und Vereinbarungschancen des Dritten könne entweder die Möglichkeit (das „Ob“) oder die inhaltliche Ausgestaltung (das „Wie“) des Vertrages betreffen332. Vor diesem Hintergrund sieht Klaus-Peter Martens den Vertrag mit Lastenwirkung als eigene Gattung an, die sich weder in die wettbewerbsrechtliche noch in die allgemein zivilrechtliche Dogmatik eindeutig einordnen lässt 333. Deshalb hat er Wertungsindizien entwickelt, um Vgl. Heinze, FS für Fechner, S. 76; so auch (allerdings nicht in Bezug auf den Vertrag zu Lasten Dritter) Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 264. 327 Vgl. Heinze, FS für Fechner, S. 77. 328 Vgl. Heinze, FS für Fechner, S. 78. 329 Vgl. Martens, AcP 177, S. 171. 330 Vgl. Martens, AcP 177, S. 164. 331 Vgl. Martens, AcP 177, S. 164 ff. 332 Vgl. Martens, AcP 177, S. 124 ff. 333 Vgl. Martens, AcP 177, S. 164. 326
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den unzulässigen Vertrag zu Lasten Dritter von der bloß zwangsläufigen unbeabsichtigten Drittwirkung zu unterscheiden 334. Maßgeblich seien insbesondere der Inhalt der Vertragsregelung und die Rechtsund Interessenlage der Vertragsparteien sowie des oder der vom Vertrag betroffenen Dritten. Die auf die Einflussnahme gegenüber konkreten Drittinteressen angelegten Verträge seien grundsätzlich anders strukturiert als Verträge mit (unbeabsichtigter) freiheitsbeschränkender Wirkung gegenüber Dritten (zum Beispiel Liefer- oder Bezugssperren etc.). Im Bereich des Gesellschaftsrechtes könne ein Vertrag mit Lastenwirkung für Dritte infolge „autorisierten Kollektivverhaltens“ 335 zustande kommen, nämlich durch eine Pflichtenerstreckung auf die selbst nicht unmittelbar am Vertrag der Gesellschaft beteiligten Gesellschafter 336. Es komme entscheidend darauf an, ob der Vertrag gezielt auf die Verkürzung der Gesellschafterinteressen angelegt ist, oder ob diese Beeinträchtigung nur eine notwendige, von den handelnden Organen nicht beabsichtigte Nebenfolge der Vertragsabsprache ist 337. Als Beispiel führt Martens Abfindungsvereinbarungen in Gesellschaftsverträgen an, welche die Pfändung des Geschäftsanteils ins Leere gehen lassen und sich damit zu Lasten des Gläubigers eines Gesellschafters auswirken 338. Im Hinblick auf die Rechts- und Interessenlage der von der Regelung betroffenen Dritten sei insbesondere auf die Spürbarkeit der Eingriffswirkung abzustellen sowie darauf, ob sich den Dritten eine „zumutbare Ausweichmöglichkeit auf andere Vertragswege“ 339 bietet. 3.3.3.2.2. Rechtsprechung zu gesetzlichen Ausgleichsvorschriften
Die Rechtsprechung hat einen unzulässigen vertraglichen Eingriff in die Rechtspositionen Dritter – auch ohne Begründung einer unmittelbaren rechtlichen Verpflichtung – dann angenommen, wenn sich die Vertragsparteien über gesetzliche (Ausgleichs-)Vorschriften zum Schutze dieser Dritten hinwegsetzen. Dies wurde bisher vor allem für
334 335 336 337 338 339
Vgl. Martens, AcP 177, S. 175 ff. Martens, AcP 177, S. 175 ff. Vgl. Martens, AcP 177, S. 175 ff. Vgl. Martens, AcP 177, S. 175 ff. Vgl. Martens, AcP 177, S. 179. Martens, AcP 177, S. 177.
3.3. Bürgerliches Recht
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Verzichts-, Erlass- und Vergleichsverträge festgestellt 340. So hatte der BGH in einem Schadensersatzprozess wegen eines Autounfalls darüber zu entscheiden, welche Auswirkungen ein behaupteter (stillschweigender) Haftungsausschluss zwischen Fahrer und Fahrgast auf die Augleichspflicht zwischen ersterem und einem für den Unfallschaden mitverantwortlichen Dritten gemäß §§ 426, 254 BGB hat 341. Der BGH entschied, dass ein etwaiger Haftungssauschluss nur innerhalb der Vertragsbeteiligten Wirkung entfalten und nicht das Ausgleichsverhältnis zwischen den Schädigern berühren könne 342. Wenn nämlich das Gesetz eine gesamtschuldnerische Haftung vorsieht, so steht dies in engem Zusammenhang mit der Ausgleichsvorschrift des § 426 BGB, deren Zweck darin besteht, zu verhindern, dass die Gläubiger willkürlich bestimmen können, welcher Gesamtschuldner den Schaden wirtschaftlich tragen muss 343. Die Vertragsfreiheit finde dort ihre Grenzen, wo eine vertragliche Abrede in solche Interessen des am Vertrag nicht beteiligten Schädigers eingreift, die durch gesetzliche Ausgleichsvorschriften geschützt werden 344. Jedoch stützte der BGH seine Entscheidung nicht (ausschließlich) auf den Rechtsgrundsatz des unzulässigen Vertrages zu Lasten Dritter, sondern bezog sich auf die bereits vom Reichsgericht in einem ähnlichen Fall herangezogene Norm des § 138 BGB 345. In einer weiteren Entscheidung befasste sich der BGH mit einem Erlassvertrag zwischen einer Kommanditgesellschaft und deren Gläubiger, der unter dem Vorbehalt des Gläubigers geschlossen worden war, einen von mehreren persönlich haftenden Gesellschaftern weiterhin in Anspruch nehmen zu können 346. Nach Ansicht des BGH könne die Vorschrift des § 423 BGB, nach der ein Schulderlass zwischen Gläubiger und einem von mehreren Gesamtschuldnern grundsätzlich wirksam sei, nicht auf die Beziehung zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern übertragen werden. Denn hier bestehe kein echtes GeVgl. BGHZ 12, 213 (218); BGHZ 47, 376 (379); BGHZ 51, 37 (39); BGHZ 54, 256; BGHZ 55, 11 (15); BGHZ 58, 216 (219); BGHZ 58, 355 (359). 341 Vgl. BGHZ 12, 213. 342 Vgl. BGHZ 12, 213 (218). 343 Vgl. BGHZ 12, 213 (218). 344 Vgl. BGHZ 12, 213 (218). 345 Vgl. BGHZ 12, 213 (218). 346 Vgl. BGHZ 47, 376. 340
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3. Normen in Rechtsprechung und Rechtslehre
samtschuldverhältnis im Sinne der §§ 422 ff. BGB 347. Vielmehr müsse im jeweiligen Einzelfall geprüft werden, ob die unterschiedlichen Interessen der Beteiligten eine Übertragung des in diesen Vorschriften zum Ausdruck kommenden Rechtsgedankens erlauben 348. Der Gesamtschuldner habe nämlich nach § 425 BGB regelmäßig nicht die Möglichkeit, dem Gläubiger in der Person eines Mitschuldners entstandene Einwendungen entgegenzuhalten. Demgegenüber sei die Haftung des Gesellschafters eher der Bürgenhaftung angenähert (§§ 768, 770 BGB), denn er könne gemäß § 129 BGB aus bei der Gesellschaft vorliegenden Gründen Einwendungen erheben, aufrechnen und die Erfüllung ablehnen 349. Zur Lösung des Falles erkannte der BGH auf Seiten des Gläubigers, der auf dem Vorbehalt besteht, die objektiv unrichtige Erwartung, er werde sich wegen der Gesellschaftsschuld weiterhin an den Gesellschafter halten können 350. Diese Erwartung sei auch von der Gesellschaft erkannt und gebilligt worden. Deshalb sei der Erlassvertrag insgesamt wegen Fehlens der Geschäftsgrundlage gemäß § 242 BGB als nichtig anzusehen 351. Eine anderweitige interessengerechte Anpassung komme nicht in Betracht 352. An dieser Rechtsprechung zur Unzulässigkeit eines vertraglichen Hinwegsetzens über drittschützende gesetzliche Ausgleichsvorschriften hat der BGH auch in weiteren Entscheidungen festgehalten. Diese Entscheidungen betrafen zum einen die Ausgleichspflicht zwischen einem bauüberwachenden Architekten und der ausführenden Bauunternehmung wegen Mängeln am Bauwerk 353 und zum anderen die Rückgriffsmöglichkeit des Trägers einer Sozialversicherung gegenüber gesetzlichen Gesamtschuldverhältnissen 354.
Vgl. BGHZ 47, 376 (378). Vgl. BGHZ 47, 376 (379). 349 Vgl. BGHZ 47, 376 (379). 350 Vgl. BGHZ 47, 376 (380). 351 Vgl. BGHZ 47, 376 (381). 352 Vgl. BGHZ 47, 376 (381). 353 Vgl. BGHZ 58, 216 (219); hierzu auch: Wacke, AcP 170, S. 67. 354 Vgl. BGHZ 51, 37 (39); BGHZ 54, 256; BGHZ 55, 11 (15); BGHZ 58, 355 (359); hierzu auch: Martens, AcP 177, S. 125. 347 348
3.3. Bürgerliches Recht
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3.3.3.2.3. Subsumtion
Aufgrund ihrer Präventivfunktion 355 erfüllen Change-of-ControlKlauseln das typische Merkmal des von Klaus-Peter Martens begründeten so genannten Vertrags mit Lastenwirkung für Dritte, nämlich die hervorragende Eignung, „sonst nicht erreichbare Regelungspositionen aufzubauen und ein künstliches Potential an Regelungsmacht durch entsprechende Vertragspolitik zu Lasten Dritter manipulativ einzurichten“ 356. Es handelt sich also oftmals nicht nur um ein faktisches Phänomen, sondern um eine gezielte vertragliche Regelung der Parteien 357. Der von der herrschenden Meinung vertretene rein zivilrechtliche Erklärungsansatz kann die befriedigende rechtliche Einordnung dieses Problems nicht leisten. Es bestehen erneut diejenigen Bedenken, die bereits gegen die guten Sitten als Maßstab zur Beurteilung der vertraglich eingeschränkten Rechte Dritter dargelegt wurden. Die strengen Voraussetzungen des § 138 BGB passen nur für solche rechtsgeschäftlichen Einschränkungen der Privatautonomie, denen der Betroffene zugestimmt hat. Die gegen ihren Willen beeinträchtigten Dritten werden auf dieser Grundlage nicht ausreichend geschützt. Gegen die ausschließlich wettbewerbsbezogene Betrachtung spricht der ebenfalls bereits herausgearbeitete Einwand, dass eine allgemeine Übertragung wettbewerbsrechtlicher Wertungen und Legitimationsvoraussetzungen sowie Beurteilungskriterien auf das gesamte Zivilrecht nicht zulässig ist. Das Kartellrecht ist schon ungeeignet, die Problemlage der Anwendung vertraglicher Regelungen mit Lastenwirkung für Dritter hinreichend zu erfassen. Hier kann auf die Ausführungen zu § 19 GWB unter Abschnitt 3.2. verwiesen werden. Grundsätzlich überzeugend ist der von Klaus-Peter Martens vertretene Ansatz für die Bestimmung der Zulässigkeit drittbelastender Verträge. Danach muss im Einzelfall anhand verschiedener Kriterien entschieden werden, ob der Eingriff in die Rechte Dritter von den Vertragsparteien gerade bezweckt wird oder lediglich als (unvermeidbarer) Nebeneffekt einer Regelung eigener berechtigter Interessen 355 356 357
Hierzu oben 1.2., 2.2.4.2. und 3.1.1.2. Martens, AcP 177, S. 167. Vgl. Martens, AcP 177, S. 166.
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3. Normen in Rechtsprechung und Rechtslehre
eintritt. Allerdings sieht sich diese Abgrenzung mit denselben Beweisund Abgrenzungsschwierigkeiten konfrontiert wie der Nachweis einer sittenwidrigen Schädigung der Gesellschafter. Gerade im Falle der Change-of-Control-Klauseln in Wirtschaftsverträgen werden sich die Vertragsparteien regelmäßig mit Erfolg auf die verschiedensten sachlichen Gründe und schutzwürdigen Interessen berufen können. Der bereits oben behandelte weite unternehmerische Ermessenspielraum des Vorstandes führt dazu, dass von der Rechtsfigur des Vertrages mit Lastenwirkung für Dritte ein Ertrag für die rechtssichere Anwendung von Change-of-Control-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4, 315 Abs. 4 HGB nicht zu erwarten ist. Vorzugswürdig ist die Vorgehensweise in den angeführten Beispielen aus der Rechtsprechung des BGH, die sich an konkreten normativen Anknüpfungspunkten zur Objektivierung der Rechtswirkungen vertraglicher Belastungen für Dritte orientiert. Bedauerlich ist allerdings, dass der BGH bisher keinen einheitlichen allgemeinen Rechtsgrundsatz zur Behandlung drittbelastender Vereinbarungen herausgebildet hat, sondern seine Entscheidungen zum Teil auf § 138 BGB und zum Teil auf § 242 BGB stützt. Überzeugend ist dennoch die Methode einer Suche nach gesetzlichen Ausgleichsvorschriften zum Schutze Dritter. Denn diese Vorgehensweise bietet die Grundlage für einen Drittschutz, der ohne die Wertungen des Wettbewerbs- oder Zivilrechts, die sich im Zusammenhang mit Change-of-Control-Klauseln als zu speziell herausgestellt haben, auskommt. Als gesetzliche Ausgleichsvorschriften, über die sich ein Vertrag mit Change-of-Control-Klausel hinwegsetzen könnte, kommen die §§ 68 Abs. 2, 180 Abs. 2 AktG in Betracht. Der Sinn und Zweck der Vinkulierung wird überwiegend darin gesehen, dass eine Einflussnahme auf die Entscheidungen in der Gesellschaft (Hauptversammlung) nur von denjenigen Personen und nur in dem Umfang möglich sein soll, wie es die Gesellschaft nach § 68 Abs. 2 AktG akzeptiert hat 358. Demgegenüber hat Karl-Georg Loritz für die Vinkulierung von GmbHGeschäftsanteilen nach § 15 Abs. 5 GmbHG die Ansicht vertreten, dass der Schutzzweck der Vinkulierungsklauseln nicht einheitlich
Vgl. Asmus, Mitgliedschaft, S. 44 ff.; Liebscher, ZIP 2003, S. 826; Lutter/ Grunewald, AG 1989, S. 111 f. 358
3.3. Bürgerliches Recht
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bestimmt werden könne 359. Vielmehr müsse danach differenziert werden, ob die Gesellschaft durch eine enge Zusammenarbeit und Vertrauensbeziehung gekennzeichnet ist oder ob sie sich für Investoren öffnet 360. Man könne nicht generell davon ausgehen, dass mit Hilfe der Vinkulierung die Gesellschafter darin gehindert werden sollen, ihre Anteile an Fremde zu veräußern. Denkbar ist zum Beispiel auch, dass die Gesellschafter sich lediglich ein Vorkaufsrecht – gegebenenfalls zu einem verminderten Kaufpreis – sichern wollen 361. Für die börsennotierte Aktiengesellschaft besteht aber weitestgehend Einigkeit darüber, dass die Vinkulierungsvorschriften §§ 68 Abs. 2, 180 Abs. 2 AktG dem Zweck dienen, das Eindringen Fremder in die Gesellschaft zu verhindern362. Somit bilden diese gesetzlichen Normen die Ausnahme zu dem im Aktienrecht herrschenden Grundsatz der freien Übertragbarkeit der Aktien363. Hinsichtlich der Voraussetzungen, unter denen die Beschränkung der Verkehrsfähigkeit der Aktien ausnahmsweise zulässig ist, unterscheidet das AktG zwischen der Vinkulierung in der ursprünglichen Satzung (§ 68 Abs. 2 AktG) und einer nachträglichen Vinkulierung, der gemäß § 180 Abs. 2 AktG alle Aktionäre zustimmen müssen. Über diese gesetzliche Wertung könnten sich die Vertragsparteien mit der Aufnahme von Change-of-Control-Klauseln in Wirtschaftsverträgen hinwegsetzen. Dies setzt voraus, dass aufgrund der Wertung der §§ 68 Abs. 2, 180 Abs. 2 AktG eine solche Verfestigung der Aktionärsinteressen nachgewiesen werden kann, die auch für Change-of-ControlKlauseln in wesentlichen Wirtschaftsverträgen eine satzungsmäßige Grundlage oder die Zustimmung aller Aktionäre erfordert. Um diese Feststellung treffen oder verneinen zu können, sind diejenigen Fälle zu analysieren, in denen der BGH das Vorhandensein drittschützender Ausgleichsvorschriften angenommen hat. Gemeinsam ist diesen Entscheidungen, dass die jeweils herangezogenen gesetzlichen NorVgl. Loritz, NZG 2007, S. 362. Vgl. Loritz, NZG 2007, S. 362. 361 Vgl. Loritz, NZG 2007, S. 362. 362 Vgl. LG Aachen, ZIP 1992, S. 924; Asmus, Mitgliedschaft, S. 44 ff.; Grunewald, Gesellschaftsrecht, S. 309 f. und 393 (Rn. 168); Liebscher, ZIP 2003, S. 826; Lutter/Grunewald, AG 1989, S. 111 f. 363 Vgl. BGH, WM 1987, S. 174, 175; Krause, AG 2002, S. 137; Hüffer, AktG, § 68 Rn. 10; Lutter/Grunewald, AG 1989, S. 109. 359 360
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3. Normen in Rechtsprechung und Rechtslehre
men Haftung und Ausgleich zwischen einem Vertragspartner und einem außerhalb des Vertrages stehenden Dritten als rechtliche Einheit betrachten364. Damit ist dem Gesetz selbst also bereits die Qualität der gegenläufigen Drittinteressen und auch die zum Ausgleich erforderliche Kollisionsregelung zu entnehmen365. Die Normen der §§ 68 Abs. 2, 180 Abs. 2 AktG enthalten eine Kodifizierung des gesellschaftsrechtlichen Grundprinzips eines mitgliedschaftlichen Lösungsrechtes, welches eine Einschränkung der Verkehrsfähigkeit von Aktien nur ausnahmsweise unter besonderen Voraussetzungen ermöglicht 366. Dieses Lösungsrecht bestimmt, dass kein Gesellschafter gegen seinen Willen auf unbestimmte Zeit in einem Verband festgehalten werden kann 367. Derjenige, der sich an einer Aktiengesellschaft beteiligt, muss darauf vertrauen können, dass sein Anteilseigentum nicht gegen seinen Willen auf Dauer „eingefroren“ 368 wird. Auch die zum Ausgleich der Aktionärsinteressen erforderliche Kollisionsregelung findet sich im Gesetz, nämlich in den Erfordernissen einer Satzungsregelung (§ 68 Abs. 2 AktG) oder der Zustimmung aller Aktionäre (§ 180 Abs. 2 AktG) über die Einschränkung der Fungibilität der Aktien wieder. Die §§ 68 Abs. 2, 180 Abs. 2 AktG verhindern also die Vereinbarung von Einschränkungen der Verkehrsfähigkeit von Aktien ohne Zustimmung der Aktionäre. Sie können damit als Ausgleichvorschriften zum Schutz Dritter vor vertraglichen Regelungen angesehen werden. Nachdem festgestellt wurde, dass die §§ 68 Abs. 2, 180 Abs. 2 AktG gesetzliche Ausgleichvorschriften zum Schutz der Aktionäre vor vertraglichen Einschränkungen der freien Übertragbarkeit von Aktien enthalten, stellt sich nun die Frage, ob die Vertragspartner einer wesentlichen Vereinbarung gemäß §§ 289 Abs. 4, 315 Abs. 4 HGB sich über diese gesetzlichen Vorschriften hinwegsetzen.
Vgl. BGHZ 12, 213 (218); BGHZ 47, 376 (379); BGHZ 58, 216 (219). Vgl. Martens, AcP 177, S. 125. 366 Vgl. Wiedemann, in: Hopt/Wiedemann, AktG, § 180 Rn. 3, 5. 367 Vgl. Wiedemann, in: Hopt/Wiedemann, AktG, § 180 Rn. 5. 368 Wiedemann, in: Hopt/Wiedemann, AktG, § 180 Rn. 5; Zöller, Stimmrechtsmacht, S. 114; Zöllner, in: Zöllner/Noack, Kölner Kommentar AktG, § 180 Rn. 10. 364 365
3.3. Bürgerliches Recht
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3.3.3.2.4. Abgrenzung zwischen Vinkulierungsund Change-of-Control-Klauseln
Zur Beantwortung der vorstehenden Frage bedarf es einer Abgrenzung zwischen Change-of-Control-Klauseln in Wirtschaftsverträgen und Vinkulierungsklauseln. Bisher haben sich Rechtsprechung und Rechtslehre nicht umfassend mit dem Verhältnis dieser Regelungen auseinandergesetzt. Interessant ist jedoch eine vom OLG Naumburg vorgenommene Negativabgrenzung bei der Beurteilung von Vinkulierungsklauseln in der Satzung einer Obergesellschaft, an der als Gesellschafterin wiederum eine Untergesellschaft beteiligt war 369. Das OLG Naumburg lehnte die Erstreckung der Vinkulierung auf die Anteilseigner eines Gesellschafters ab370. Die Änderung der Beteiligungsverhältnisse der Untergesellschaft falle nicht unter die Vinkulierung. Die Gesellschafter müssten, um den Wechsel in der Beteiligungsstruktur eines Gesellschafters zu verhindern, neben der Vinkulierung noch eine Change-of-Control-Klausel in den Gesellschaftsvertrag aufnehmen 371. In der Rechtslehre wurde das Verhältnis zwischen Vinkulierung und Change-of-Control-Klauseln bisher nicht behandelt. Die Auseinandersetzung über den Schutzzweck der Vinkulierung beschränkte sich im Wesentlichen auf die Frage, ob die Einschränkung der Verkehrsfähigkeit von Geschäftsanteilen im Wege der Auslegung auch auf die Auswechslung eines Gesellschafters einer beteiligten Gesellschaft erstreckt werden kann 372. Zutreffend haben Barbara Grunewald und Marcus Lutter festgestellt, das durch die Vinkulierung begründete Zustimmungserfordernis müsse entsprechend gelten, wenn mittels einer anderen Gestaltung, zum Beispiel im Wege eines Stimmbindungsvertrages, einem Außenstehenden ein „allgemeiner und ständiger Einfluss“ 373 auf die Entscheidungen der Gesellschaft eingeräumt werde, der ohne Zustimmung der Gesellschaft bzw. der anderen Gesellschafter nicht bestehen soll 374. Dem hat sich die Literatur über-
369 370 371 372 373 374
Vgl. OLG Naumburg, NZG 2004, S. 775, 779. Vgl. OLG Naumburg, NZG 2004, S. 775, 779. Vgl. OLG Naumburg, NZG 2004, S. 775, 779. Vgl. Liebscher, ZIP 2003, S. 829, 833; Lutter/Grunewald, AG 1989, S. 111. Lutter/Grunewald, AG 1989, S. 111. Vgl. Lutter/Grunewald, AG 1989, S. 111.
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3. Normen in Rechtsprechung und Rechtslehre
wiegend angeschlossen 375. Umgekehrt unterliege der nur vorübergehende Einfluss auf Einzelfallentscheidungen nicht dem von der Vinkulierungsklausel begründeten Zustimmungserfordernis 376. Die bisherige Auseinandersetzung in Rechtsprechung und Lehre über die Anforderungen an eine Einschränkung der Verkehrsfähigkeit von Geschäftsanteilen ist wie folgt zu bewerten: Hervorzuheben ist, dass das OLG Naumburg offensichtlich Vinkulierungs- und Change-ofControl-Klauseln durchaus derselben „Familie“ von Schutzregelungen gegen das Eindringen Dritter zugeordnet hat. Zutreffend legt das OLG Naumburg die mit Hilfe einer Vinkulierung zu erreichende Einschränkung der Verkehrsfähigkeit der Aktien eng aus und begründet dies mit der Möglichkeit, einen weitergehenden Schutz vor dem mittelbaren Eindringen Dritter in die Gesellschaft mit Hilfe von Changeof-Control-Klauseln erreichen zu können. Gleichzeitig stellt das Gericht klar, dass solche Change-of-Control-Klauseln einer Grundlage im Gesellschaftsvertrag bedürfen. Dies deutet – wenn auch in der Entscheidung nicht ausdrücklich ausgesprochen – einen Schluss vom Kleineren auf das Größere (argumentum a minori ad maius) 377 an: Wenn schon die unmittelbare Vinkulierung einer Regelung in der Satzung bedarf, so gilt dies erst recht für die Einbeziehung der Anteilseigner der Gesellschafter. Wenn eine satzungsmäßige – also von den Aktionären akzeptierte – Übertragungsbeschränkung in Anbetracht des Grundsatzes der freien Übertragbarkeit der Aktien eng auszulegen ist, könnte dies erst recht für Change-of-Control-Klauseln in wichtigen Wirtschaftsverträgen gelten, denn diesen fehlt regelmäßig jegliche Legitimationsgrundlage in der Satzung. Darüber hinaus umfasst das Zustimmungserfordernis des § 180 Abs. 2 AktG auch die nachträgliche Verschärfung einer bereits bestehenden
Vgl. Bayer, in: Kropff u. a., Münchener Kommentar AktG, § 68 Rn. 117 ff.; Hüffer, AktG, § 68 Rn. 11 f.; Liebscher, ZIP 2003, S. 827; Lutter, in: Zöllner/ Noack, Kölner Kommentar AktG, § 68 Rn. 48; Wiesner, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch AG, § 14 Rn. 31. 376 Vgl. Bayer, in: Kropff u. a., Münchener Kommentar AktG, § 68 Rn. 117 ff.; Hüffer, AktG, § 68 Rn. 11 f.; Liebscher, ZIP 2003, S. 827; Lutter/Grunewald, AG 1989, S. 111 f.; Lutter, in: Zöllner/Noack, Kölner Kommentar AktG, § 68 Rn. 48; Wiesner, in: Hoffmann-Becking, Münchener Handbuch AG, § 14 Rn. 31. 377 Vgl. Bydlinski, Methodenlehre, S. 479. 375
3.3. Bürgerliches Recht
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Vinkulierung 378, wobei nach herrschender Meinung sogar eine nur geringfügige Verschärfung ausreichen soll 379. Die Satzung kann nach herrschender Meinung noch nicht einmal eine Ermächtigung der Hauptversammlung begründen, nach der diese durch Mehrheitsbeschluss eine Vinkulierung begründen kann 380. Dies bekräftigt den strikten Schutz des Gesetzes vor jeglicher nachträglicher Einschränkung der Fungibilität der Aktien ohne oder gegen den Willen der Aktionäre. Schließlich sind sowohl die Vinkulierung als auch die Change-of-Control-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4, 315 Abs. 4 HGB deshalb so problematisch für die Aktionäre, weil sie einen Wertverlust der in ihrer Fungibilität eingeschränkten Aktien nach sich ziehen können. Es lassen sich aber auch folgende Gegenargumente anführen: Der Hinweis darauf, dass Change-of-Control-Klauseln anders als die Vinkulierung keine unmittelbare rechtliche Bindung der Aktionäre, sondern die Gefahr einer mittelbaren Beeinträchtigung ihres Aktieneigentums begründen, ist allerdings nicht stichhaltig. Dieser Unterschied führt lediglich dazu, dass eine direkte Anwendung der §§ 68 Abs. 2, 180 Abs. 2 AktG ausscheidet. Jedoch kann damit nicht zugleich die Anwendung der Rechtsprechung zum Verbot des unzulässigen Hinwegsetzens über gesetzliche Ausgleichsvorschriften für Dritte ausgeschlossen werden. Dieses Verbot setzt nämlich gerade das Fehlen einer unmittelbaren rechtlichen Bindung der Dritten voraus 381. Ein weiterer Unterschied ist aber von größerer Relevanz: Die Vinkulierung betrifft das Innenverhältnis zwischen den Gesellschaftern, Vgl. Hüffer, AktG, § 180 Rn. 5; Wiedemann, in: Hopt/Wiedemann, AktG, § 180 Rn. 12; Stein, in: Kropff u. a., Münchener Kommentar AktG, § 180 Rn. 18. 379 Vgl. Hüffer, AktG, § 180 Rn. 5; Stein, in: Kropff u. a., Münchener Kommentar AktG, § 180 Rn. 18; Stein, in: Kropff u. a., Münchener Kommentar AktG, § 180 Rn. 18; Wiedemann, in: Hopt/Wiedemann, AktG, § 180 Rn. 12; a. A.: Barz, in: Hopt/Wiedemann, AktG, § 68 Rn. 6. 380 Vgl. Stein, in: Kropff u. a., Münchener Kommentar AktG, § 180 Rn. 20; Wiedemann, in: Hopt/Wiedemann, AktG, § 180 Rn. 13; a. A.: Zöllner, in: Zöllner/ Noack, Kölner Kommentar AktG, § 180 Rn. 12. 381 Bei Vorliegen einer unmittelbaren rechtlichen Bindung wäre die Vereinbarung nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Rechtslehre als Vertrag zu Lasten Dritter (im engeren Sinne) ohne weiteres unwirksam; vgl. Gottwald, in: Säcker/Rixecker, Münchener Kommentar BGB, § 328 Rn. 172, Grüneberg, in: Palandt, Vor § 328 BGB Rn. 10 m. w. N. 378
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3. Normen in Rechtsprechung und Rechtslehre
Change-of-Control-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4, 315 Abs. 4 HGB betreffen hingegen das Außenverhältnis zwischen der Gesellschaft und ihren Geschäftspartnern. Es bestehen also Zweifel an der hinreichenden Vergleichbarkeit der Interessenlage. Zweifelhaft ist die Vergleichbarkeit auch deshalb, weil das mit einer Change-of-Control-Klausel begründete Kündigungsrecht ausgeübt werden kann oder auch nicht, während die Veräußerung vinkulierter Aktien stets der Zustimmung bedarf. Zweitens dient die Aufnahme von Change-of-Control-Klauseln in wichtige Wirtschaftsverträge in erster Linie dem Interesse der Vertragspartner und nur mittelbar – über die mit dem Vertragsabschluss verbundenen Vorteile – dem Interesse der Gesellschaft. Schließlich – und dies ist der entscheidende Punkt – mag die strikte Zustimmungspflicht des § 180 Abs. 2 AktG für das unmittelbare rechtliche Verbot der Verfügung über das Anteilseigentum gerechtfertigt sein. Sie ist aber für die bloß faktische Beeinträchtigung des Aktieneigentums mit einer unangemessen starken Beeinträchtigung der Vertragsfreiheit verbunden, die nach den bereits behandelten Fällen der kartellrechtlichen Missbrauchskontrolle und der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle nur für bestimmte Bereiche der Rechtsordnung und abhängig von besonderen Voraussetzungen (zum Beispiel besondere Marktmacht oder Verwendung von AGB) gerechtfertigt ist. Diese Sonderregelungen dürfen nicht dadurch unterlaufen werden, dass ihre Rechtsfolgen im Rahmen eines ungeschriebenen Rechtsgrundsatzes verallgemeinert und auf den Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen insgesamt ausgedehnt werden. Eine Gesamtschau der vorstehenden Argumente und Gegenargumente bietet keine sichere Grundlage für eine Anwendung der Rechtsprechung zum Verbot des unzulässigen Hinwegsetzens über gesetzliche Ausgleichsvorschriften für Dritte. 3.3.3.3. Zusammenfassung
In Rechtsprechung und Rechtslehre besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass die Rechtsordnung die außerhalb einer Vertragsbeziehung stehenden Dritten davor schützen muss, dass ihr Freiheitsbereich mit Hilfe vertraglicher Regelungen ohne ihre Zustimmung unangemessen beeinträchtigt wird. Allerdings hat sich das System des deutschen Privatrechts in Bezug auf Verträge, die sich faktisch zu Lasten Dritter auswirken, insoweit als lückenhaft erwiesen, als für
3.4. Zwischenergebnisse
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Change-of-Control-Klauseln kein geeigneter Maßstab für die Abgrenzung zwischen der reflexartigen faktischen Betroffenheit und dem unangemessenen Eingriff in die Rechtsstellung Dritter vorhanden ist. Notwendig ist die Entwicklung eines solchen Maßstabs. 3.3.4. Zusammenfassung zu den Normen des Zivilrechts insgesamt
Von den Normen des allgemeinen Zivilrechts hat der BGH bisher allein die Vorschrift des § 9 AGBG a. F. (§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB n. F.) zur Prüfung der Zulässigkeit von Change-of-Control-Klauseln in Wirtschaftsverträgen herangezogen. In der Literatur wurde vertreten, dass in Ausnahmefällen eine Nichtigkeit der Vereinbarung nach § 138 BGB in Betracht kommen könne. Die Anwendung des Rechtsinstituts des Vertrages zu Lasten Dritter wurde hingegen generell abgelehnt. Die gesetzlichen Normen des § 9 AGBG (§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB n. F.) sowie des § 138 BGB sind aber wegen ihres begrenzten Anwendungsbereichs und ihrer strikten Rechtsfolgen (Nichtigkeit bzw. Unwirksamkeit der vertraglichen Vereinbarung) ungeeignet, die betroffenen Interessen der Vertragspartner und ihrer Gesellschafter ausgleichend zusammenzuführen. Notwendig ist eine befriedigende dogmatische Einordnung des Verhältnisses zwischen der Relativität schuldrechtlicher Beziehungen und der Beeinträchtigung außerhalb des Rechtsgeschäftes stehender Dritter.
3.4. Zwischenergebnisse Die Untersuchungsergebnisse dieses Kapitels haben gezeigt, dass die Gerichte bereits vor Jahrzehnten von Unternehmen um Rechtschutz vor unzulässigen Change-of-Control-Klauseln in Wirtschaftsverträgen angerufen wurden. Bisher liegt – soweit ersichtlich – keine Entscheidung der staatlichen Gerichte vor, in der die Zulässigkeit von Change-of-Control-Klauseln in Wirtschaftsverträgen bestätigt wurde. Auch in der Rechtslehre werden Change-of-Control-Klauseln in Wirtschaftsverträgen weitgehend als unzulässige Rechtsakte angesehen. Damit hat sich die der Untersuchung zugrunde gelegte Voraussetzung, dass die Vorzüge der Change-of-Control-Klauseln nur wirksam werden können, wenn ihre Zulässigkeitsvoraussetzungen feststehen, als praxisrelevant erwiesen.
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3. Normen in Rechtsprechung und Rechtslehre
Die veröffentlichte Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte begegnete der Frage nach der Zulässigkeit in Anbetracht des zu schützenden Rechtskreises der beteiligten Interessengruppen lediglich im Wege der Einzelfallauslegung, so dass ein genereller Lösungsansatz nicht herausgebildet werden kann und eine erhebliche Rechtsunsicherheit geschaffen wird. Deutlich wurde auch, dass Rechtsprechung und Lehre bei der Prüfung der rechtlichen Zulässigkeitsanforderungen von Change-of-Control-Klauseln nicht zwischen der Klausel an sich und der Ausübung des Kündigungsrechts differenzieren. Vielmehr wird ausschließlich auf die Zulässigkeit der Klausel als solcher abgestellt. Kläger in der veröffentlichten Rechtsprechung waren auch ausschließlich die Vertragspartner. Die Rechte der Aktionäre wurden in der Lehre bislang nicht umfassend behandelt. Lediglich punktuell wurde der Schutz der Aktionäre durch die Verhinderungsverbote der §§ 33, 33a WpÜG im Rahmen der aktienrechtlichen Pflichtenbindung des Vorstands und im Falle einer sittenwidrigen Knebelung nach § 138 BGB diskutiert. Eine generelle Beschränkung der Vertragsfreiheit für die Vereinbarung von Change-ofControl-Klauseln durch das Eigentumsrecht der Aktionäre wurde unter Hinweis auf die (vermeintlich eindeutigen) Anforderungen an einen unzulässigen Vertrag zu Lasten Dritter von vornherein abgelehnt. Als ein wesentliches Ergebnis dieses Kapitels ist zusammenfassend festzuhalten, dass die für eine rechtssichere Anwendung der Change-of-Control-Klauseln in Wirtschaftsverträgen erforderliche Herausbildung geeigneter Normen durch die Rechtsprechung und Lehre bisher nicht erfolgt ist.
4. Potentielle Normen in Rechtsprechung und Rechtslehre Die Analyse der bisherigen Rechtsprechung und Lehre hat gezeigt, dass nur solche Normen Rechtssicherheit bei der Anwendung von Change-of-Control-Klauseln bringen können, deren Rechtsfolgen einen Ausgleich im Sinne einer praktischen Konkordanz zwischen den Rechtskreisen der beteiligten Interessengruppen herbeizuführen geeignet sind. Deshalb sollen im Folgenden zwei Beispiele privatrechtlicher Normen untersucht werden, die über solche Rechtsfolgen verfügen. Anknüpfend an die Untersuchungsergebnisse des dritten Kapitels geht dieses vierte Kapitel zweistufig vor und unterscheidet zwischen der Zulässigkeit der Klausel an sich und der Ausübung des Kündigungsrechts. Ein erster Abschnitt behandelt das Pflichtangebot des § 35 WpÜG, das grundsätzlich geeignet erscheint, die Aktionäre davor zu schützen, infolge der Aufnahme von Change-of-Control-Klauseln einen Wertverlust ihrer Aktien zu erleiden. Im zweiten Abschnitt werden anhand der Rechtsfigur des allgemeinen zivilrechtlichen Kontrahierungszwangs dogmatische Überlegungen zur Zulässigkeit der Ausübung des Kündigungsrechts angestellt. Diese zwei Normen wurden ausgewählt, weil sie für die Anwendung von Change-of-ControlKlauseln relevante Grundsatzprobleme zum Gegenstand haben. Für das Pflichtangebot des § 35 WpÜG sind dies die Grundsätze der freien Veräußerbarkeit von Aktien und des mitgliedschaftlichen Lösungsrechts. Für den allgemeinen zivilrechtlichen Kontrahierungszwang ist es die rechtliche Einordnung des Bedürfnisses nach Fortführung wichtiger Geschäftsbeziehungen. Folglich könnten mit der Analyse dieser Normen grundlegende Erkenntnisse über die Zulässigkeit von Change-of-Control-Klauseln gewonnen werden.
4.1. Das Pflichtangebot gemäß § 35 WpÜG Die Vorschrift des § 35 WpÜG verfolgt das Ziel, die Minderheitsaktionäre davor zu schützen, dass sie nach einer Kontrollübernahme in aller Regel nur noch die Wahl haben, als Minderheitsgesellschafter in einem Konzern zu bleiben oder ihre Anteile nach Bekanntwerden des Kontrollwechsels zur einem schlechteren Börsenkurs zu ver-
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4. Potentielle Normen in Rechtsprechung und Rechtslehre
äußern382. Zur Erreichung dieses Ziels verpflichtet die Vorschrift denjenigen, der ohne ein öffentliches Angebot die Kontrolle 383 über ein Unternehmen erwirbt, zur Abgabe eines Pflichtangebotes. Gleichzeitig wird damit den Minderheitsaktionären ein Austrittsrecht eingeräumt, um sicherzustellen, dass sie ihre Beteiligungen zu angemessenen Konditionen veräußern können 384. Damit sind die Interessen der Aktionäre, ihre Geschäftsanteile im Falle eines Kontrollwechsels weiterhin zu den am Markt üblichen Konditionen veräußern zu können, ausreichend geschützt. Somit kann der Vorschrift des § 35 WpÜG ein wichtiges Auslegungskriterium für die Beurteilung der Zulässigkeit von Change-of-Control-Klauseln entnommen werden: Das Bedürfnis der Minderheitsaktionäre, ihre Beteiligungen zu angemessenen Konditionen veräußern zu können, kann damit befriedigt werden, dass ihnen ein Austrittsrecht eingeräumt wird. Interessant für die vorliegende Untersuchung ist ein weiterer Aspekt des Austrittsrechts: In der Rechtslehre wird die Ansicht vertreten, ein Austrittsrecht der Aktionäre gegen Abfindung könne eine effizientere Kontrolle des Managements gewährleisten, als zum Beispiel ein Mehrheitsbeschluss in der Hauptversammlung 385. Denn infolge des stärker zunehmenden Streubesitzes der Aktien steigen „die Kosten der Aktionäre zur Nutzung gesellschaftsinterner Kontroll- und Mitwirkungsbefugnisse wegen des nunmehr erforderlichen kollektiven Vorgehens an“ 386, ohne dass damit ein angemessener individueller Vorteil des Einzelaktionärs verbunden sei 387. Demgegenüber ermöglichen die Austrittsentscheidungen der einzelnen Aktionäre in ihrer Gesamtheit einen effektiven Selbstschutz der Aktionäre 388. Vgl. Ekkenga/Schulz, in: Ehricke/Ekkenga/Oechsler, WpÜG, § 35 Rn. 3. Nach der Legaldefinition des § 29 Abs. 2 WpÜG ist Kontrolle das Halten von mindestens 30 Prozent der Stimmrechte der Zielgesellschaft. 384 Vgl. die Begründung des RegE, BT-Drucksache 14/7034, S. 30; v. Bülow, in: Hirte/v. Bülow, WpÜG, § 35 Rn. 4; Krause/Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 33 Rn. 8; Steinmeyer, in: Steinmeyer/Häger, WpÜG, § 35 Rn. 7. 385 Vgl. Dimke/Heiser, NZG 2001, S. 254; Ekkenga, in: Ehricke/Ekkenga/Oechsler, WpÜG, § 33 Rn. 5. 386 Dimke/Heiser, NZG 2001, S. 254. 387 Vgl. Dimke/Heiser, NZG 2001, S. 254. 388 Auf die Bedeutung und die Voraussetzungen an einen effektiven Selbstschutz der Aktionäre wird noch an späterer Stelle (unter 6.2.4.) ausführlich einzugehen sein. 382 383
4.1. Das Pflichtangebot gemäß § 35 WpÜG
77
Dieser Ansatz könnte die Lösung des Interessenkonfliktes zwischen den Vertragspartnern wesentlicher Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4, 315 Abs. 4 HGB und ihren Aktionären bringen. Der Meinungsstand in der Rechtslehre soll deshalb im Folgenden zusammengefasst und bewertet werden. 4.1.1. Meinungsstand zur effizienten Kontrolle des Managements durch die Austrittsentscheidungen der Aktionäre
Ihren Ursprung hat die Debatte über die Möglichkeiten, Interessenkonflikte zwischen den Aktionären und dem Management über einen so genannten Markt für Unternehmensleitung zu lösen, im U.S.-amerikanischen Recht 389. Dort stehen sich die Vertreter des so genannten Managerialism und die so genannte Neoklassische Schule (Chicago School) 390 gegenüber. Nach dem Konzept des Managerialism richtet sich das Interesse des Managements in erster Linie nicht auf ein Ansteigen des Aktienkurses, sondern auf ein Wachstum des Unternehmens 391. Dies entspreche aber nicht dem Interesse der Anteilsinhaber an der Maximierung des Ertrags pro Anteil, so dass die Entscheidungsfreiheit des Managements jenseits marktmäßiger Mechanismen staatlich reguliert werden müsse 392. Nach der Gegenansicht der Neoklassischen Schule (Chicago School) kommt es für die Kontrolle des Managements maßgeblich auf die so genannten „agency costs“ 393 an. Dies sind die Kosten die dadurch entstehen, dass der Geschäftsherr sich eines Vertreters bedient, anstatt selbst zu handeln. Zu den agency costs zählen die so genannten „direct monitoring costs“ 394, d. h. die Kosten der Überwachung des Vertreters, sowie die so genannten „indirect monitoring costs“ 395, also die auf schlechtes Management zurückzuführenden Verluste. Nach Vgl. Dimke/Heiser, NZG 2001, S. 254 (die sich dafür aussprechen, besser den Begriff „Markt für Unternehmenskontrolle“ zu verwenden). 390 Vgl. v. Hein, Die Rezeption US-amerikanischen Gesellschaftsrechts, S. 639 ff.; Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, S. 90 ff. mit Nachweisen aus der U.S.-amerikanischen Literatur. 391 Vgl. Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, S. 94 ff. 392 Vgl. Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, S. 92 f. 393 Vgl. Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, S. 92 f. 394 Vgl. Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, S. 92 f. 395 Vgl. Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, S. 92 f. 389
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4. Potentielle Normen in Rechtsprechung und Rechtslehre
diesem Ansatz sorge der Markt dafür, dass die Kosten, welche den Anteilseignern durch die Überwachung des Managements sowie allgemein durch den Schutz vor illoyalem Verhalten des Managements entstehen, möglichst niedrig gehalten werden396. Eine schlechte Managerleistung, die den Interessen der Anteilseigner nicht gerecht wird, schlage sich „negativ auf den Marktwert des betreffenden Managers nieder“ 397. Der Kapitalmarkt sorge dafür, dass ein Unternehmen zum Übernahmekandidaten wird, „sobald der Aktienkurs unter das Niveau fällt, das er bei einem optimalen Management hätte“ 398. Auch in der deutschen Literatur wird dieses Konzept, demzufolge die Leitungsrechte auf einem freien Markt als „selbstständiges wirtschaftliches Gut“ 399 gehandelt werden, vertreten 400. Auf diesem Markt könnten die Aktionäre die Unternehmensführung demjenigen Management antragen, „das sie am effizientesten zu nutzen vermag“ 401. In der Praxis werde ein Übernahmeangebot nicht selten gerade dann abgegeben, wenn Bedenken an der Effizienz der Leistungen des bisherigen Managements bestehen 402. Das effektivste Mittel zur Abwehr feindlicher Übernahmen sei die Steigerung des Unternehmenswertes durch optimales Management 403. 4.1.2. Bewertung
Ausgangspunkt für die Notwendigkeit der Kontrolle des Managements ist dessen eigennütziges Interesse, mit der Vereinbarung von Change-of-Control-Klauseln seine im Falle eines Kontrollwechsels drohende Ablösung zu verhindern. Es stellt sich die Frage, wie ein Interessengleichlauf zwischen Aktionären und Management erreicht Vgl. Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, S. 92 f. Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, S. 93. 398 Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, S. 93. 399 Dimke/Heiser, NZG 2001, S. 254. 400 Vgl. Dimke/Heiser, NZG 2001, S. 254; Hopt, ZGR 1993, S. 542 ff.; Schanz, NZG 2007, S. 930; kritisch: Reul, Gleichbehandlung, S. 133 ff., der bezweifelt, ob die Effizienzsteigerung tatsächlich das Hauptmotiv für den Erwerb der Kontrolle an einem Unternehmen bilde und somit der Kapitalmarkt eine effiziente Kontrolle des Managements gewährleisten könne. 401 Dimke/Heiser, NZG 2001, S. 254. 402 Vgl. Dimke/Heiser, NZG 2001, S. 254; Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, S. 93. 403 Vgl. Schanz, NZG 2007, S. 930. 396 397
4.1. Das Pflichtangebot gemäß § 35 WpÜG
79
werden kann. Die bisherige Rezeption der Change-of-Control-Klauseln im deutschen Recht (vgl. Kapitel 2 und 3) hat gezeigt, dass der Staat (Gesetzgeber und Rechtsprechung) sich nur schwerlich einen Überblick über die aus Sicht der am Markt tätigen Unternehmen notwendigen Kontrollmechanismen verschaffen kann. Im Falle einer staatlichen Regulierung besteht also die Gefahr, dass die Kosten der Umsetzung von Schutzmaßnahmen (direct monitoring costs) die zu verhindernden Schäden (indirect monitoring costs) übersteigen. In Bezug auf die Zulässigkeit von Change-of-Control-Klauseln könnte zum Beispiel ein gesetzlich eingeführtes oder von der Rechtsprechung begründetes Zustimmungserfordernis aller Aktionäre (etwa analog § 180 Abs. 2 AktG) mit erheblichen Transaktionskosten verbunden sein, die in keinem angemessenen Verhältnis zum Nutzen einer solchen Regelung stehen. Es bestünde die Gefahr, dass ein Einvernehmen zwischen Management und Aktonären über den Abschluss wesentlicher Vereinbarungen nicht oder nicht rechtzeitig zustande kommt. Gerade die wichtigen unternehmerischen Entscheidungen dürfen aber nicht verzögert werden. Demgegenüber erscheint ein in der Satzung freiwillig verankertes Austrittsrecht gegen Abfindung grundsätzlich geeignet, einen angemessenen und effektiven Selbstschutz der Aktionäre zu sichern. Die Abfindungsansprüche hätten die Funktion einer Kontrollmaßnahme, indem sie eine (potentielle) finanzielle Belastung für die Gesellschaft (indirect monitoring costs) begründen. Dies muss das Management bei der Vereinbarung von Change-of-Control-Klauseln in Erwägung ziehen, denn es besteht die Gefahr, dass die verbleibenden Aktionäre unzufrieden mit den Leistungen des Managements werden und dieses abberufen lassen. So kann der Aufsichtsrat gemäß § 84 Abs. 3 AktG die Bestellung zum Vorstandsmitglied aus wichtigem Grund widerrufen. Ein wichtiger Grund liegt gemäß § 84 Abs. 3 Alt. 3 AktG insbesondere vor, wenn die Hauptversammlung dem Vorstand das Vertrauen entzieht. Folglich kann das Management sein Ziel, mit Hilfe von Change-of-Control-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen seine Abberufung zu verhindern, nicht mehr erreichen, wenn sich die Aktionäre zum Austritt aus der Gesellschaft entschließen. Es kann – im Gegenteil – seine Abberufung nur verhindern, indem es die Entscheidung über die Vereinbarung von Change-of-Control-Klauseln ausschließlich am Interesse der Aktionäre ausrichtet. Mit Hilfe dieses
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4. Potentielle Normen in Rechtsprechung und Rechtslehre
Konzeptes wird in der Mehrzahl der Fälle eine effizientere Kontrolle des Managements möglich sein als über die Hauptversammlung. Freilich muss die freiwillige Verankerung eines Austrittsrechts gegen Abfindung in der Satzung das Ergebnis einer Abwägungsentscheidung sein, welche auch die Beteiligungsstruktur der Gesellschaft berücksichtigt 404. Entscheidend ist dabei das Verhältnis zwischen den potentiellen Verlusten, die mit den Austrittsentscheidungen der Aktionäre verbunden sind, und den Kosten einer anderweitigen Kontrolle des Managements zum Beispiel über die in der Satzung gemäß § 111 Abs. 4 Satz 2 und 3 AktG mögliche Regelung einer zwingenden Einbeziehung des Aufsichtsrats oder der Hauptversammlung in die Vereinbarung von Change-of-Control-Klauseln. Aufgrund der vorstehenden Erwägungen könnte ein Austrittsrecht aber grundsätzlich ein effektives Mittel zum Schutz der Aktionäre vor unzulässigen Change-of-Control-Klauseln bieten. Allerdings besteht die Tücke der Change-of-Control-Klauseln gerade darin, dass diese einen Kontrollwechsel verhindern können, weil allein die Möglichkeit eines Wegfalls „wesentlicher Vereinbarungen“ die Gesellschaft für potentielle Bieter insgesamt unattraktiv macht. Die Vorschrift des § 35 WpÜG begründet ein Austrittsrecht aber nur nach bereits vollzogenem Kontrollwechsel. Die Problemstellung, dass allein die Aufnahme von Change-of-Control-Klauseln den Verkauf des Anteilseigentums faktisch zu erschweren geeignet ist, kann die Vorschrift des § 35 WpÜG folglich nicht erfassen. Damit scheidet eine direkte Anwendung dieser gesetzlichen Norm zur Beurteilung der Zulässigkeit von Change-of-Control-Klauseln aus. Bevor in den folgenden Kapiteln die Möglichkeit einer Weiterentwicklung des von § 35 WpÜG bezweckten Schutzes der Aktionäre untersucht wird, ist zunächst eine Rechtsfigur des deutschen Zivilrechts zu behandeln, die den Schutz der Vertragspartner vor der Ausübung des mit einer Change-of-Control-Klausel begründeten Kündigungsrechts gewährleisten könnte: Der allgemeine zivilrechtliche Kontrahierungszwang.
Auf die konkrete Ausgestaltung und die Grenzen einer möglichen Satzungsregelung, insbesondere aus §§ 23, 71 AktG, wird an späterer Stelle im achten Kapitel einzugehen sein. 404
4.2. Der allgemeine zivilrechtliche Kontrahierungszwang
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4.2. Der allgemeine zivilrechtliche Kontrahierungszwang Die Suche nach konkreten Normen für die Beurteilung der Ausübung des Kündigungsrechts führt zur Rechtsfigur des Kontrahierungszwangs in Gestalt des Anpassungs- bzw. Fortführungszwangs bei bestehenden Verträgen. Der Kontrahierungszwang wird üblicherweise definiert als Anspruch auf Abschluss eines Vertrages 405. Bei bestehenden Verträgen wirkt der Kontrahierungszwang wie ein Kündigungsverbot 406. Das mögliche Eingreifen eines Kontrahierungszwangs im Anwendungsbereich von Change-of-Control-Klauseln ergibt sich auch aus der „Taxi-Zentrale“-Entscheidung OLG Düsseldorf 407, in der ein Unternehmen gegen seinen Willen zum Neuabschluss der gekündigten Verträge unter Verzicht auf Change-of-Control-Klauseln verpflichtet wurde. Allerdings geschah dies ausschließlich unter den speziellen marktstrukturellen Voraussetzungen des GWB. Auch in der Standardliteratur zum Kontrahierungszwang wird dessen besondere Variante des Anpassungszwangs bei bestehenden Verträgen lediglich am Rande und ausschließlich im Zusammenhang mit dem GWB erwähnt 408. Nachdem sich aber gezeigt hat, dass der ausschließlich marktsstrukturelle Ansatz des Kartellrechts keine Rechtssicherheit bei der Zulässigkeitsprüfung von Change-of-Control-Klauseln bietet, ist nun zu prüfen, ob und unter welchen Voraussetzungen ein allgemeiner zivilrechtlicher Kontrahierungszwang besteht und ob dieser Rechtsfigur generelle Zulässigkeitskriterien für wesentliche Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB entnommen werden können. 4.2.1. Dogmatische Begründung
Die Pflicht zum Abschluss und zur Fortführung eines Vertrages ist für wichtige Bereiche der Daseinsvorsorge ausdrücklich gesetzlich festgelegt 409. Die Anforderungen an einen daneben bestehenden allVgl. Busche, Privatautonomie, S. 2 ff. m. w. N.; BGH NJW 1989, S. 3011; LG Stuttgart, NJW 1996, S. 3347. 406 Vgl. BGH NJW 1989, S. 3011; LG Stuttgart, NJW 1996, S. 3347; Heinrichs, in: Palandt, Einf. v. § 145 BGB Rn. 11. 407 Hierzu oben 3.2.1. 408 Vgl. Busche, Privatautonomie, S. 304. 409 Vgl. Heinrichs, in: Palandt, Einf. v. § 145 Rn. 8 m.w.N.; Kilian, AcP 180, S. 50. 405
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4. Potentielle Normen in Rechtsprechung und Rechtslehre
gemeinen zivilrechtlichen Kontrahierungszwang sind in der Rechtslehre seit langem umstritten. Die Herausbildung und Weiterentwicklung der einzelnen Anspruchsvoraussetzungen wird im Folgenden zusammengefasst. Dabei beginnt die Darstellung in der Zeit nach Gründung der Bundesrepublik. Die vorherige historische Entwicklung und die Rechtsprechung des Reichsgerichts sind in der Literatur umfassend dokumentiert 410, so dass auf eine erneute Darstellung verzichtet werden kann. 4.2.1.1. Meinungsstand in der Rechtslehre
Im Jahre 1958 hat Ludwig Raiser unter dem Titel „Vertragsfreiheit heute“ zu den Auswirkungen des noch jungen Bonner Grundgesetzes auf das Zivilrecht Stellung genommen 411. Die freie Marktwirtschaft unterscheide sich auch gerade dadurch vom planwirtschaftlichen System, dass eine Pflicht zum Kontrahieren nicht generell, sondern nur ausnahmsweise dort existieren könne, wo eine Monopolstellung aus Gründen des Gemeinwohls rechtlich verliehen wird 412. Hier werde das Sozialstaatsprinzip klar der Vertragsfreiheit übergeordnet 413. Auf Märkten, auf denen ein echter Leistungswettbewerb herrscht, müsse es jedem Marktteilnehmer weiterhin erlaubt sein, verschiedene Partner je nach Marktlage unterschiedlich zu behandeln 414. Jedoch soll auf „vermachteten“ Märkten ein Vorrang des Gleichbehandlungsgrundsatzes vor der Vertragsfreiheit gelten: Wer Marktmacht hat, missbrauche diese nicht nur dann, wenn er zu überhöhten Preisen oder unangemessenen Bedingungen liefert, sondern auch dann, wenn er einzelne Abnehmer willkürlich benachteiligt 415. Werner Flume hat den von Ludwig Raiser vertretenen Ansatz auf Güter oder Leistungen „notwendigen Bedarfs“ eingeschränkt. Im Geschäftsverkehr stehen sich im Allgemeinen wirtschaftlich unterschiedlich starke Partner gegenüber. Dadurch wird aber die Privatautonomie nicht beeinträchtigt, solange alle Teilnehmer, ganz gleich wie stark sie sind, mit dem Markt in Wettbewerb treten müssen. 410 411 412 413 414 415
Vgl. Busche, Privatautonomie, S. 124 ff., 162 ff. Vgl. Raiser, JZ 1958, S. 1. Vgl. Raiser, JZ 1958, S. 7. Vgl. Raiser, JZ 1958, S. 8. Vgl. Raiser, JZ 1958, S. 8. Vgl. Raiser, JZ 1958, S. 8.
4.2. Der allgemeine zivilrechtliche Kontrahierungszwang
83
Durch einen funktionierenden Markt werde der Machtunterschied aufgehoben. Diese sich selbst regulierende Ordnung der Privatautonomie werde nur dann problematisch, wenn hinsichtlich eines Gutes allgemeinen Bedarfs aus irgendwelchen Gründen eine außergewöhnliche Verknappung eintritt 416. Anstelle des „notwendigen Bedarfs“ sollen nach Ansicht von Franz Bydlinski die von einem Durchschnittsmenschen regelmäßig in Anspruch genommenen Güter und Leistungen maßgeblich sein. Auch wenn die Definition des „Normalbedarfs“ einige Unwägbarkeiten mit sich bringe, würden doch bestimmte Bereiche von Leistungen und Gütern klar ausgeschlossen, nämlich insbesondere Luxusgüter 417. Der entscheidende neue Aspekt bei Franz Bydlinski liegt aber in der Berücksichtigung des Vertrauens auf eine Fortführung der Leistungserbringung. Diejenigen Unternehmen, die einen „Normalbedarf“ in der Vergangenheit öffentlich angeboten haben, dürfen einem zum angesprochenen Personenkreis gehörigen Interessenten, wenn diesem eine zumutbare Ausweichmöglichkeit auf andere Anbieter fehlt, die zur Befriedigung seines Bedarfs nötige Leistung nicht verweigern, sofern es sich um den „Normalbedarf“ handelt 418. Erwartet werde nämlich von den angesprochenen Personenkreisen, dass man im Bedarfsfall die betreffenden Leistungen von einem in Frage kommenden Anbieter erlangen kann. In Analogie zur Auslegung rechtsgeschäftlicher Erklärungen müsse geprüft werden, auf welche Personengruppen, Bedingungen und Leistungen ein durchschnittlicher, sorgfältiger Mensch aus dem angesprochenen Publikum die generelle Inaussichtstellung beziehen durfte. Entscheidend müsse insoweit das letzte relevante Verhalten des Unternehmers sein. Hierbei handele es sich aber nicht etwa um eine rechtsgeschäftlich übernommene Pflicht aus einer Offerte gegenüber der Öffentlichkeit, sondern um eine normativ begründete Verpflichtung 419. Karl Larenz hat den Schwerpunkt für die Begründung einer Pflicht zum Vertragsschluss weiter in Richtung des Angewiesenseins der Marktgegenseite auf die Leistung verschoben und danach differenziert, ob das betreffende Unternehmen eine öffentliche Versorgungs416 417 418 419
Vgl. Flume, Das Rechtsgeschäft, § 1, 7. Vgl. Bydlinski, AcP 180, S. 42. Vgl. Bydlinski, AcP 180, S. 35, 41. Vgl. Bydlinski, AcP 180, S. 35, 41.
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4. Potentielle Normen in Rechtsprechung und Rechtslehre
aufgabe erfüllt. Dies gelte für Leistungen, die heute jeder mehr oder weniger benötigt, die aber nur von einem oder wenigen Unternehmen erbracht werden. In solchen Fällen ist die Allgemeinheit auf dieses Unternehmen angewiesen, und die Verweigerung des Abschlusses eines Vertrages (zu den üblichen oder angemessenen Bedingungen) würde den Einzelnen als Teil der Allgemeinheit hart treffen. In diesem Falle soll ein Kontrahierungszwang generell gelten, für alle anderen Unternehmen nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 826 BGB 420. Barbara Grunewald hat die Ansätze von Franz Bydlinski und Karl Larenz weiter vertieft und folgende Fallgruppen des Kontrahierungszwangs außerhalb ausdrücklicher gesetzlicher Regelungen herausgearbeitet: Erstens, wenn zur Verteilung öffentlicher Mittel eine Privatperson zwischengeschaltet ist, zweitens bei mit Hilfe öffentlicher Subventionierung erstellten Leistungen und drittens bei Leistungen, auf die ein Nachfrager angewiesen ist 421. Hingegen sei die Anerkennung eines Kontrahierungszwangs nicht von einer marktbeherrschenden oder marktstarken Stellung des Anbieters abhängig. Auch Barbara Grunewald sieht das Hauptproblem in einer rechtssicheren Definition des Begriffs des „Angewiesenseins“. Grundsätzlich könne nicht jedes Bedürfnis zum Kontrahierungszwang führen. Angewiesen sei man auf Güter oder Leistungen nur, wenn man sich in seinen Dispositionen nicht auf einen eventuellen Mangel hat einstellen können 422. Die Frage ist also, welche Ausweichmöglichkeiten der Markt dem Vertragsinteressenten bietet. Auch Günther Hönn stellt auf die Ausweichmöglichkeiten des Vertragsinteressenten ab. Ein Kontrahierungszwang könne sich nicht allein daraus ergeben, dass die Marktbedingungen für einen Vertragsabschluss mit anderen abschlussbereiten Anbietern ungünstig erscheinen 423. Die Sicherung der privatautonomen Betätigungsfreiheit des Interessenten verlange nur dort die Abschlusspflicht eines Anbieters, wo die Inanspruchnahme der Vertragsfreiheit durch den Interessenten gerade an der individuellen Leistungsverweigerung des Anbieters 420 421 422 423
Vgl. Larenz, Schuldrecht AT, § 4 I. Vgl. Grunewald, AcP 182, S. 198. Vgl. Grunewald, AcP 182, S. 195. Vgl. Hönn, Kompensation, S. 117.
4.2. Der allgemeine zivilrechtliche Kontrahierungszwang
85
scheitert. Die für den Anbieter real bestehende (negative) Vertragsfreiheit müsse auf das Maß der von der Rechtsordnung zugestandenen Freiheit reduziert werden, um dem Interessenten das ebenfalls von der Rechtsordnung vorausgesetzte Maß an (positiver) Vertragsfreiheit zu gewährleisten 424. Jan Busche hat diesen Ansatz von Günther Hönn weiterverfolgt und festgestellt, dass sich aus den besonderen spezialgesetzlichen Kontrahierungszwängen ein „gemeinwohlverpflichteter Kontrahierungszwang“ 425 und unmittelbar aus der Institution des Vertrages ein „allgemeiner freiheitssichernder Kontrahierungszwang“ 426 ergebe. Letzterer begründe einen Anspruch auf Abschluss eines Vertrages aber nur ausnahmsweise unter der Voraussetzung, dass durch die Vertragsverweigerung die Möglichkeit der Interessenverfolgung für einen Vertragsinteressenten vollständig vereitelt wird. Jan Busche hat hierfür den Begriff der „qualifizierten Vertragsvereitelung“ 427 verwendet. Für die Annahme einer „qualifizierten Vertragsvereitelung“ müssen vier Voraussetzungen erfüllt sein. Zunächst verlange der dem Funktionsprinzip der Vertragsfreiheit zugrunde liegende Selbstbestimmungsgedanke allenfalls dann einen Eingriff in die Vertragsbegründungsfreiheit, wenn die Abschlussverweigerung dem Vertragsinteressenten die Verfolgung „rechtlich geschützter Interessen“ 428 unmöglich macht. Interessen seien „rechtlich geschützt“, wenn das Vertragsziel bzw. das mit dem Vertrag zu befriedigende Bedürfnis durch die Rechtsordnung anerkannt wird 429. Diese Abgrenzung bezieht sich auf Schranken der Vertragsfreiheit, die sich aus ausdrücklichen einfachgesetzlichen Normen (§§ 134, 138 BGB) und der Rechtsordnung insgesamt ergeben 430. Als Beispiel führt Busche die vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BVerfG zur Bürgschaft naher Angehöriger 431 diskutierte Aufgabe des Vertragsrechtes, „gerechte“ Lösungen zu ge-
424 425 426 427 428 429 430 431
Vgl. Hönn, Jura 1984, S. 69. Busche, Privatautonomie, S. 646. Busche, Privatautonomie, S. 646. Busche, Privatautonomie, S. 127, 141. Busche, Privatautonomie, S. 127. Vgl. Busche, Privatautonomie, S. 127, 141. Vgl. Busche, Privatautonomie, S. 128. Vgl. BVerfGE 89, 214; hierauf wird noch unter 6.7.3. näher einzugehen sein.
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4. Potentielle Normen in Rechtsprechung und Rechtslehre
währleisten, an 432. Schon auf dieser ersten Prüfungsstufe müsse festgestellt werden, ob die Rechtsordnung das vom Vertragsinteressenten verfolgte Bedürfnis nicht positiv beschränkt, zum Beispiel auf den in § 611a Abs. 2 BGB geregelten Anspruch auf Ersatz des entstandenen Vermögensschadens 433. Zweite Voraussetzung einer „qualifizierten Vertragsvereitelung“ sei die Abhängigkeit des Vertragsinteressenten von einem Anbieter. Von der so genannten sachlichen Abhängigkeit, die danach fragt, ob andere Anbieter mit gleichem Leistungsangebot überhaupt vorhanden sind, seien die so genannte räumlich-zeitliche Abhängigkeit und die so genannte konditionale Abhängigkeit zu unterscheiden, also die Ausweichmöglichkeiten in räumlicher und finanzieller Hinsicht 434. Als dritte Voraussetzung müsse die Vertragsgeneigtheit des Anbieters und als vierte die Leistungsfähigkeit des Anbieters vorliegen 435. 4.2.1.2. Ausgewählte Rechtsprechung des BGH
Die Rechtsprechung des BGH zum Kontrahierungszwang hat sich außerhalb des GWB bisher vor allem mit dem Aufnahmezwang in Vereine und Verbände beschäftigt 436. Da der Beitritt zu einem Verein oder Verband durch Vertrag erfolgt 437, handelt es sich um einen Unterfall der Pflicht zum Vertragsabschluss 438. Hervorzuheben ist die „IG Metall“-Entscheidung 439: Ein Maschinenschlosser wandte sich gegen die Zurückweisung seines Antrags auf Beitritt zur IG Metall. Die IG Metall berief sich auf sachlich gerechtfertigte Gründe für die Aufnahmeverweigerung, insbesondere eine frühere KPD-Mitgliedschaft des Bewerbers. Streitig war, ob sich der Bewerber inzwischen glaubhaft von der KPD distanziert hatte 440. Der BGH stellte fest, Busche, Privatautonomie, S. 128 f. Vgl. Busche, Privatautonomie, S. 129. 434 Vgl. Busche, Privatautonomie, S. 133 ff. 435 Vgl. Busche, Privatautonomie, S. 127, 141. 436 Vgl. BGH NJW 1969, S. 316, 317 („Universitätssportclub“); BGH NJW 1975, S. 771 („DSB“); BGH NJW 1980, S. 186 („Hamburgischer Anwaltsverein“); BGH NJW 1985, S. 1216 („IG Metall“); BGH NJW 1988, S. 552, 555 („IG Chemie“). 437 Vgl. Heinrichs, in: Palandt, § 38 BGB Rn. 4. 438 Vgl. Grunewald, AcP 182, S. 185. 439 Vgl. BGH NJW 1985, S. 1216 („IG Metall“). 440 Vgl. BGH NJW 1985, S. 1216 („IG Metall“). 432 433
4.2. Der allgemeine zivilrechtliche Kontrahierungszwang
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dass es sich bei der IG Metall nicht um einen Monopolverband handele. Die Monopolstellung eines Verbands sei für sich genommen gar nicht der innere Grund, an den der Aufnahmezwang anknüpfe 441. Dieser bestehe vielmehr darin, dass die Rechtsordnung mit Rücksicht auf schwerwiegende Interessen der betroffenen Kreise die grundsätzliche Selbstbestimmung des Vereins über die Aufnahme von Mitgliedern dann nicht ohne weiteres hinnehmen könne, wenn der Verein im wirtschaftlichen oder sozialen Bereich eine überragende Machtstellung innehat und ein wesentliches Interesse an der Mitgliedschaft besteht 442. Der BGH unterschied also zwischen der Monopolstellung im Sinne des völligen Fehlens zumutbarer Ausweichmöglichkeiten und dem bloßen erheblichen Einfluss einer Organisation in wirtschaftlicher oder sozialer Hinsicht, die ebenfalls einen allgemeinen zivilrechtlichen Kontrahierungszwang nach sich ziehen könne. Im Ergebnis sah der BGH eine für beide Teile angemessene Lösung in der Annahme einer gewissen Karenzzeit zwischen Beendigung der KPDMitgliedschaft und Aufnahme in die Gewerkschaft 443. 4.2.1.3. Bewertung und Typisierung
Die im Vorstehenden behandelten Ansätze zur dogmatischen Einordnung des Kontrahierungszwangs lassen sich in zwei Gruppen einteilen. Die erste Gruppe will eine Pflicht zum Kontrahieren nicht generell, sondern nur ausnahmsweise dort anerkennen, wo eine Monopolstellung die Marktmechanismen ausschaltet. Für die zweite Gruppe ist die Beteiligung eines marktbeherrschenden oder marktstarken Unternehmens nicht Grundvoraussetzung eines Anspruchs auf Vertragsfortführung. Ausreichend, aber auch erforderlich ist ein so wesentliches, schwerwiegendes Interesse des betroffenen Vertragspartners an der Vertragsbeziehung, dass ein Ausgleich zwischen der für den Anbieter real bestehenden (negativen) Vertragsfreiheit und der dem Interessenten von der Rechtsordnung einzuräumenden (positiven) Vertragsfreiheit erfolgen muss. Für den marktstrukturellen Ansatz der ersten Gruppe spricht, dass die „individualliberale Zivilrechtsdogmatik“ 444 des BGB die kollekti441 442 443 444
Vgl. BGH NJW 1985, S. 1216 („IG Metall“). Vgl. BGH NJW 1985, S. 1216 („IG Metall“). Vgl. BGH NJW 1985, S. 1216 („IG Metall“). Schmidt, AcP 206, S. 170.
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4. Potentielle Normen in Rechtsprechung und Rechtslehre
ven Rechtsbeziehungen der Verbände und Gesellschaften und die Entwicklung des Marktes nicht angemessen erfassen kann, sondern im Wesentlichen individuelle Rechte und relative Schuldverhältnisse regelt 445. Andererseits hat sich die ausschließlich marktstrukturelle Betrachtung des GWB bereits unter 3.2. zur Erfassung individueller Vertragsrechte als ungeeignet erwiesen. Die dort angestellten Erwägungen gelten auch im Zusammenhang mit der Rechtsfigur des allgemeinen zivilrechtlichen Kontrahierungszwangs. Denn die Anspruchsvoraussetzung besonderer Marktmacht berücksichtigt nicht ausreichend die Lage des Vertragspartners, der eine (für seinen Geschäftsbetrieb) dringend benötigte Leistung künftig nicht mehr erhalten soll 446. Für diesen ist es nämlich ohne jede Bedeutung, ob der andere Teil marktbeherrschend ist oder nicht 447. Bedeutung hat aus seinem Blickwinkel allein die Frage, ob er auf die Fortführung eines Vertrages angewiesen ist 448. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Debatte auf dem Ersten Rechtsvergleichenden Kolloquium des Zentrums für Internationale Wirtschaft im Oktober 1993 in Konstanz 449, die sich auch mit dem Kontrahierungszwang im Falle einer ungerechtfertigten Vertragsbeendigung auseinandersetzte. Im Rahmen dieser Debatte wurde zutreffend auf die ungewöhnliche Situation hingewiesen, dass im deutschen Recht die Verpflichtung zur Vertragsfortführung ausgerechnet über das Kartellrecht konstruiert wird, also über ein Rechtsgebiet, das dazu dienen soll, die Wettbewerbsfreiheit sicherzustellen 450. Richtig erscheint auch die ergänzende Feststellung, dass es sich bei dem Kontrahierungszwang um eine bilaterale Frage des Vertragsrechts zwischen zwei Vertragspartnern handelt und das Kartellrecht (nur) deshalb Anwendung findet, weil ein Vertragspartner besonders marktmächtig und der andere abhängig ist 451. Ebenfalls zutreffend ist der Hinweis, dass gerade im Zusammenhang mit der missbräuchlichen Kündigung oder Verweigerung der Vertragsverlängerung die RechtsVgl. Schmidt, AcP 206, S. 170. So für den allgemeinen Kontrahierungszwang: Grunewald, AcP 182, S. 190. 447 So für den allgemeinen Kontrahierungszwang: Grunewald, AcP 182, S. 190. 448 Vgl. Grunewald, AcP 182, S. 190. 449 Eine Zusammenfassung dieses Kolloquiums wurde veröffentlicht in: Ebenroth/Rouger, Verhaltenspflichten. 450 Vgl. Seidel, in: Ebenroth/Rouger, Verhaltenspflichten, S. 164. 451 Vgl. Bornkamm, in: Ebenroth/Rouger, Verhaltenspflichten, S. 166. 445 446
4.2. Der allgemeine zivilrechtliche Kontrahierungszwang
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stellung des betroffenen Vertragspartners nicht ausschließlich nach dem Kartellrecht, sondern auch auf Grundlage des allgemeinen Zivilrechtes und des Handelsrechtes beurteilt werden muss 452. Unter Beachtung der Normen des BGB sowie gegebenenfalls der spezielleren Regelungen des HGB müsse jeweils im Einzelfall entschieden werden, ob und unter welchen Voraussetzungen gekündigt werden kann und ob ein Ausgleich für die betroffene Vertragspartei erfolgen muss 453. Für das bilaterale Verhältnis zwischen den Vertragsparteien ist nicht das Wettbewerbsrecht, sondern in erster Linie das allgemeine Zivilrecht aufgerufen, den Schutz des wirtschaftlich abhängigen Vertragspartners sicherzustellen. Denn die Gewährleistung der Vertragsgerechtigkeit und die Durchsetzung rechtsethischer Mindestpostulate gehört zu den ureigensten Funktionen des allgemeinen Zivilrechtes 454. Nach dem Vorgesagten sprechen die besseren Argumente dagegen, den allgemeinen zivilrechtlichen Kontrahierungszwang von marktstrukturellen Erwägungen abhängig zu machen. Vorzugswürdig sind deshalb die Ansichten der zweiten Gruppe. 4.2.2. Anspruchsgrundlage
Im Rahmen des hier befürworteten zivilrechtlichen Begründungsansatzes unabhängig von marktstrukturellen Erwägungen ist umstritten, auf welche Anspruchsgrundlage der allgemeine zivilrechtliche Kontrahierungszwang gestützt werden kann. 4.2.2.1. Meinungsstand in der Rechtslehre
Zu dieser Frage werden in der veröffentlichten Rechtslehre im Wesentlichen zwei Ansichten vertreten. Teilweise wird der Kontrahierungszwang entsprechend dem Vorschlag von Hans Carl Nipperdey auf einen sich aus § 826 BGB ergebenden Anspruch auf Unterlassung und Beseitigung der Schädigung gestützt455. Von den Vertretern dieser Ansicht wird angenommen, dass im Wege des SchadenserVgl. Hübner, in: Ebenroth/Rouger, Verhaltenspflichten, S. 168. Vgl. Hübner, in: Ebenroth/Rouger, Verhaltenspflichten, S. 168. 454 Vgl. Bydlinski, Privatautonomie, S. 46 ff.; 122 ff., 173 ff.; Bydlinski, JZ 1975, S. 1 ff.; Martens, Wirtschaftsabhängigkeit, S. 149. 455 Vgl. Hönn, in: Soergel, BGB, § 826 Rn. 156; Nipperdey, Kontrahierungszwang, S. 67. 452 453
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4. Potentielle Normen in Rechtsprechung und Rechtslehre
satzes ein Anspruch auf Verurteilung des Vertragspartners zur Abgabe der auf den Vertragsabschluss gerichteten Willenserklärung bestehe 456. Die Gegenansicht wendet ein, dass der Vertragsschluss nicht auf Behebung eines eintretenden Schadens gerichtet sei und der Kontrahierungszwang sich ausschließlich auf die Zukunft auswirke 457. Beim Kontrahierungszwang gehe es nicht um Unterlassung, sondern um Handlung 458. Ferner könne es auch auf die von § 826 BGB vorausgesetzten subjektiven Komponenten nicht ankommen 459. Entscheidend sei vielmehr die – von der Frage der Vorwerfbarkeit auf Seiten des Anbietenden unabhängige – Situation desjenigen, der auf die Güter oder Leistungen angewiesen ist 460. Innerhalb dieser Gegenansicht ist streitig, welcher Rechtsgrundlage der Kontrahierungszwang zugeordnet werden soll. Teilweise wird die Norm des § 1004 BGB herangezogen, die von subjektiven Erwägungen frei ist 461. Schließlich wird vorgeschlagen, die Legitimationsbasis der richterlichen Rechtsfortbildung zu überlassen, weil der Kontrahierungszwang zu einer Erweiterung des Rechtsbereiches des Anspruchsberechtigten führe, § 1004 BGB aber nur einen bereits bestehenden Besitzstand schütze 462. Ergänzend hat Reinhard Singer darauf hingewiesen, die Ansicht, die den Kontrahierungszwang auf die Norm des § 826 BGB stützen will, unterliege einem Zirkelschluss, da eine unerlaubte Handlung voraussetzt, dass eine Pflicht zum Vertragsschluss besteht 463. Grundsätzlich Vgl. Rolfs, NJW 2007, S. 1493 f.; Grüneberg, in: Palandt, § 21 AGG Rn. 3, v. Koppenfels, WM 2002, S. 1491; Säcker, BB-Special S. 18; Wiedemann/Thüsing, DB 2002, S. 469. 457 Vgl. Armbrüster, NJW 2007, S. 1497; Busche, Privatautonomie, S. 220 f. sowie im Kontext des GWB: Schmidt, AcP 206, S. 191. 458 Vgl. Bydlinski, AcP 180, S. 13. 459 Vgl. Armbrüster, NJW 2007, S. 1497; Busche, Privatautonomie, S. 220 f. sowie im Kontext des GWB: Schmidt, AcP 206, S. 191. 460 Vgl. Grunewald, AcP 182, S. 196; Kilian, AcP 180, S. 82; Nicklisch, JZ 1976, S. 107. 461 Vgl. Bork, BGB-AT Rn. 672; Heinrichs, in: Palandt, § 25 BGB Rn. 10; Kilian, AcP 180, S. 82. 462 Vgl. Grunewald, AcP 182, S. 197. 463 Vgl. Reinhard Singer im Rahmen seiner Vorlesungen an der Humboldt Universität zu Berlin im Sommersemester 2007, Übersicht abrufbar unter: http/www. singer.rewi.hu-berlin.de/Sommersemester2007/RepLoesungFall%2014%20kl.pdf. 456
4.2. Der allgemeine zivilrechtliche Kontrahierungszwang
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bilde die Norm des § 1004 BGB deshalb die passende Anspruchsgrundlage 464. Der Vertragspartner eines bereits zustande gekommenen Vertrages kann sich – wenn ein Kontrahierungszwang besteht – gegen eine Kündigung mit der Arglisteinrede des § 242 BGB („dolo agit qui petit quod statim redditurus est“) zur Wehr setzen 465. 4.2.2.2. Rechtsprechung des BGH
Im Rahmen seiner bereits im Vorstehenden behandelten, über Jahrzehnte entwickelten Rechtsprechung 466 stützt der BGH seine Ausführungen teilweise nicht einmal mehr auf eine konkrete Norm, sondern bezieht sich „unter dem Schleier des Geheimnisvollen“ 467 auf die „an die Vorschrift des § 826 BGB und an die Tatbestandselemente des § 27 GWB a. F. angelehnte Formel“ 468. 4.2.2.3. Bewertung
Für die Anwendung des § 1004 BGB und gegen einen Schadensersatzanspruch spricht, dass es sich bei dem Anspruch auf Vertragsfortführung nicht um die Beseitigung eines Schadens handelt. Die Vorschrift des § 249 Abs. 1 BGB geht grundsätzlich von der Naturalrestitution aus. Speziell im Zusammenhang mit den von der vorliegenden Arbeit untersuchten Change-of-Control-Klauseln stehen einer Anwendung des § 1004 BGB auch nicht die von Franz Bydlinski vorgebrachten Bedenken, es gehe beim Kontrahierungszwang nicht um Unterlassung sondern um Handlung 469, entgegen, weil das Rechtschutzbedürfnis sich regelmäßig darauf richten wird, den Abbruch des Vertragsverhältnisses zu unterlassen. Ebenso wenig trifft der Einwand von Barbara Grunewald zu, der Kontrahierungszwang führe zu einer Erweiterung des Rechtsbereiches des Anspruchsberechtigten, Vgl. http/www.singer.rewi.hu-berlin.de/Sommersemester2007/ RepLoesungFall%2014%20kl. pdf. 465 Vgl. http/www.singer.rewi.hu-berlin.de/Sommersemester2007/ RepLoesungFall%2014%20kl.pdf. 466 Vgl. BGH NJW 1969, S. 316, 317 („Universitätssportclub“); BGH NJW 1975, S. 771 („DSB“); BGH NJW 1980, S. 186 („Hamburgischer Anwaltsverein“); BGH NJW 1985, S. 1216 („IG Metall“); BGH NJW 1988, S. 552, 555 („IG Chemie“). 467 Busche, Privatautonomie, S. 652. 468 BGH NJW 1975, S. 771, 772. 469 Vgl. Bydlinski, AcP 180, S. 13. 464
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4. Potentielle Normen in Rechtsprechung und Rechtslehre
§ 1004 BGB schütze aber nur einen bereits bestehenden Besitzstand 470. Denn bei der Change-of-Control-Klausel haben wir es in aller Regel gerade mit dem umgekehrten Fall der Verpflichtung zum Vertragsabschluss, also dem Anspruch auf Fortführung und damit Unterlassung der Vertragsbeendigung, zu tun. Es geht also um die Wahrung bereits bestehender Rechtspositionen im Sinne des § 1004 BGB. Überzeugend ist die von Reinhard Singer befürwortete Arglisteinrede des § 242 BGB („dolo agit qui petit quod statim redditurus est“) gegen den Abbruch bestehender Vertragsbeziehungen. Umstritten ist allerdings das Verhältnis zwischen § 1004 BGB und § 242 BGB. Die unterschiedlichsten Auffassungen werden zunächst dazu vertreten, ob sich der Anwendungsbereich des § 242 BGB auch auf das Sachenrecht erstreckt. Nach einer Auffassung gilt das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung im Sachenrecht nur für „sachenrechtliche Sonderverbindungen“ 471, nicht hingegen dort, wo es um die Zuordnungsfunktion absoluter Rechte geht 472. Entscheidend sei insoweit allein „das dingliche Rechtsverhältnis“ 473, nicht hingegen dessen schuldrechtliche Kausalverhältnisse 474. Die Gegenansicht geht von einer uneingeschränkten Anwendbarkeit des Grundsatzes von Treu und Glauben auch im Sachenrecht aus 475. Eine vermittelnde Ansicht will anhand einer Interessenabwägung im Einzelfall den besonderen Wertungen des Sachenrechts Rechnung tragen und insbesondere die spezifisch sachenrechtlichen Anforderungen an Rechtssicherheit und Bestandsschutz einbeziehen 476. Erheblich sind diese verschiedenen Standpunkte allein für die Beantwortung der Frage, ob § 242 BGB zur Begründung eines Anspruchs auf erstmaligen Vertragsabschluss neben § 1004 BGB herangezogen werden kann. Hingegen muss der Meinungsstreit für die dogmatische Einordnung des Anspruchs auf Fortführung bestehender Verträge nicht entschieden werden, da hier eine Sonderbeziehung vorliegt, so Vgl. Grunewald, AcP 182, S. 197. Heinrichs, in: Palandt, § 242 Rn. 79. 472 Vgl. BGH NJW 1960, S. 673 (zum Inhalt einer Grunddienstbarkeit); Heinrichs, in: Palandt, § 242 Rn. 79; Schmidt, in: Staudinger, BGB, § 242 Rn. 1527. 473 BGH NJW 1960, S. 673 (zum Inhalt einer Grunddienstbarkeit). 474 Vgl. BGH NJW 1960, S. 673. 475 Vgl. Hohloch, in: Erman, BGB, § 242 Rn. 15. 476 Vgl. Roth, in: Säcker/Rixecker, Münchener Kommentar BGB, § 242 Rn. 80. 470 471
4.2. Der allgemeine zivilrechtliche Kontrahierungszwang
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dass nach allen Ansichten eine ergänzende Anwendung des § 242 BGB neben § 1004 BGB zulässig ist. Wenn also die Voraussetzungen des allgemeinen zivilrechtlichen Kontrahierungszwangs vorliegen, können sich die Vertragspartner gegen die auf eine Change-of-Control-Klausel gestützte Kündigung neben § 1004 BGB auch auf die Arglisteinrede des § 242 BGB berufen. Es bleibt aber zu klären, in welchem dogmatischen Vorrangverhältnis diese Normen zueinander stehen. So hat die Rechtsprechung einen Anspruch auf Abwehr rechtsmissbräuchlichen Verhaltens zwischen Grundstücksnachbarn unmittelbar aus § 242 BGB, nämlich aus dem „nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis“ 477, abgeleitet. Demgegenüber hat Karl-Heinz Gursky vorgeschlagen, den Begriff des nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses „zur Verengung der rechtlichen Grenzen des Eigentums zu benutzen“ 478 und den Abwehranspruch aus § 1004 BGB herzuleiten 479. Hieraus kann grundsätzlich folgendes abgeleitet werden: Wenn zur Abwehr einer rechtsmissbräuchlichen Rechtsbeeinträchtigung sowohl § 1004 BGB als auch § 242 BGB als Rechtsgrundlage in Betracht kommen, muss nach dem jeweils beeinträchtigten Rechtsgut entschieden werden, ob es dogmatisch angemessener ist, der einen oder der anderen Norm den Vorrang einzuräumen. Anders als im nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis, deren dogmatische Einordnung unmittelbar durch das Eigentum der Nachbarn geprägt wird, steht bei der Herleitung des Kontrahierungszwangs bei bestehenden Verträgen die rechtsmissbräuchliche Verweigerung der Vertragsfortführung im Vordergrund, so dass dogmatisch die Anwendung des § 242 BGB sogar vorzugswürdig erscheint. 4.2.3. Fallgruppen
Für die vorliegende Untersuchung bedeutet der im Vorstehenden zusammengefasste und typisierte Meinungsstand zur Rechtsfigur des allgemeinen zivilrechtlichen Kontrahierungszwangs, dass auch außerhalb des Anwendungsbereichs des GWB der Abbruch besonders intensiver Geschäftsbeziehungen unzulässig ist, wenn rechtsgeschäft477 478 479
BGH LM § 903 BGB Nr. 2; vgl. OLG Düsseldorf NJW 1979, S. 2618. Gursky, in: Staudinger, BGB, § 1004 Rn. 67. Vgl. Gursky, in: Staudinger, BGB, § 1004 Rn. 67.
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4. Potentielle Normen in Rechtsprechung und Rechtslehre
liches Handeln sich nicht mehr auf dem Boden einer funktionierenden Vertragsfreiheit bewegt. Dies ist der Fall, wenn infolge eines Angewiesenseins auf die Fortführungen einer besonders intensiven Geschäftsbeziehung der vom Prinzip der Vertragsfreiheit vorhandene Selbstschutz versagt. Generelle Maßstäbe für die Zulässigkeit der Ausübung des in einer Change-of-Control-Klausel vereinbarten Kündigungsrechtes können diesen Normen nicht entnommen werden. Allerdings können Fallgruppen gebildet werden, die wie eine Kündigungssperre wirken, so dass Change-of-Control-Klauseln ins Leere gehen. Im Folgenden sollen zwei verallgemeinerungsfähige Fallgruppen entwickelt werden. Dies soll eine wesentliche Grundlage für die Herausbildung geeigneter Normen in den folgenden Kapiteln sein. 4.2.3.1. Vertragsfreiheit und Vergaberecht
Eine Fallgruppe kann in Anlehnung an Barbara Grunewald für die Verteilung öffentlicher Mittel durch Privatpersonen und die mit Hilfe öffentlicher Subventionierung erstellten Leistungen gebildet werden. Das bereits im zweiten Kapitel behandelte Praxisbeispiel der Hochtief AG zeigt, dass zu den Vereinbarungen, die unter der Bedingung eines Kontrollwechsels stehen, auch der Geschäftsbereich der Public Privat Partnerships (PPP) gezählt wird 480. Der Geschäftsbereich der Public Privat Partnerships bildet einen für die Praxis der am Markt tätigen Großunternehmen bedeutenden Teilbereich der Privatisierung öffentlicher Aufgaben 481. Bei der Verhandlung und Abwicklung der verschiedenen PPP-Modelle müssen regelmäßig auch die Anforderungen des Vergaberechts gemäß §§ 97 ff. GWB beachtet werden 482. Auch außerhalb des speziellen Bereichs der Public Privat Partnerships besteht auf Seiten der Interessenten für öffentliche Aufträge in der Praxis „ein erhebliches Bedürfnis der beteiligten Rechtsträger an einer möglichst einfachen und kostengünstigen Restrukturierung unter Erhaltung der wirtschaftlichen Unternehmenskontinuität“ 483. In diesem Vgl. den Lagebericht der Hochtief AG für das Jahr 2006, abrufbar unter: http://berichte.hochtief.de/gb06/67.jhtml. 481 Vgl. Prieß, Vergaberecht, S. 118 und 120. 482 Vgl. Prieß, Vergaberecht, S. 120 ff. 483 Rittwage, VergabeR 2006, S. 334 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung. 480
4.2. Der allgemeine zivilrechtliche Kontrahierungszwang
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Zusammenhang sind in Vergabeverfahren regelmäßig verschiedene Normen europäischer sowie nationaler Herkunft mit divergierenden Rechtsfolgen anzuwenden 484. Das OLG Düsseldorf löst den Konflikt, indem es dem Vergaberecht den generellen Vorrang vor den nach Gesellschaftsrecht und Umwandlungsrecht bestehenden Möglichkeiten zur freien Umstrukturierung einräumt. Zur Stärkung der Rechtssicherheit sei grundsätzlich jede Veränderung des Rechtsträgers eines Bieterunternehmens als unzulässige inhaltliche Änderung des Angebotes anzusehen, die den Ausschluss des betroffenen Bieters vom weiteren Verfahren zur Folge hat 485. Demgegenüber liegt eine Kollision zwischen dem Vergaberecht und den nach Gesellschaftsrecht und Umwandlungsrecht bestehenden Möglichkeiten zur freien Umstrukturierung nicht vor, wenn der Vertragspartner des öffentlichen Auftraggebers den Vertrag auf eine hundertprozentige Tochtergesellschaft überträgt, die er wie eine eigene Abteilung kontrollieren kann 486. Denn dieser Fall ist mit der sog. Inhouse-Vergabe vergleichbar, die grundsätzlich nicht den vergaberechtlichen Vorschriften unterliegt 487. Diese Ansicht hat nun auch der EuGH in seinem Urteil vom 19. Juni 2008 vertreten 488. Von der Änderung der Rechtspersönlichkeit des Bieters bzw. des Auftragnehmers zu unterscheiden ist die bloße Änderung seiner Beteiligungsverhältnisse. Da diese den Rechtsträger eines Unternehmens unberührt lässt, kommt ein Ausschluss derjenigen Unternehmen, bei denen sich ein Kontrollwechsel vollzieht, grundsätzlich nicht in Betracht. Wird ein öffentlicher Auftrag an eine börsennotierte Aktiengesellschaft vergeben, ergibt sich bereits aus dem Wesen dieser juristischen Person, dass sich die Beteiligungsverhältnisse jederzeit ändern können 489. Dies kann „die Gültigkeit der Vergabe eines öffentlichen Für die Eröffnung des sachlichen Anwendungsbereiches des GWB-Vergaberechts müssen die in §§ 100, 127 GWB, §§ 2, 3 VgV angegebenen Schwellenwerte überschritten werden. 485 Vgl. OLG Düsseldorf, NZBau 2007, S. 254 mit Besprechung von Rittwage, NZBau 2007, S. 232. 486 Vgl. Rittwage, VergabeR 2006, S. 331 ff. 487 Vgl. Rittwage, VergabeR 2006, S. 331 ff. 488 Vgl. EuGH, Rs. C-454/06, VergabeR 2008, S. 758, Rn. 54; vgl. auch die Schlussanträge der Generalanwältin Juliane Kokott vom 13. März 2008 zur Rs. C-454/06, Rn. 51 ff. 489 Vgl. EuGH, Rs. C-454/06, VergabeR 2008, S. 758, Rn. 51. 484
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4. Potentielle Normen in Rechtsprechung und Rechtslehre
Auftrags an eine solche Gesellschaft“ 490 grundsätzlich nicht in Frage stellen. Lediglich in Ausnahmefällen kann etwas anderes gelten, wie etwa bei Manipulationen zur Umgehung vergaberechtlicher Vorschriften 491. Dies müssen öffentliche Auftraggeber beachten, wenn sie eine Change-of-Control-Klausel in die öffentliche Ausschreibung 492 bzw. den späteren Vertrag aufnehmen möchten. Zulässig dürfte die Anwendung einer Change-of-Control-Klausel nur dann sein, wenn ihre Tatbestandsvoraussetzungen darauf gerichtet sind, im Einzelfall eine unzulässige Umgehung vergaberechtlicher Vorschriften zu verhindern. Denn im Vergabeverfahren gilt der Grundsatz der Gleichbehandlung, § 97 Abs. 2 GWB. Ein leistungsfähiges Unternehmen darf nicht allein deshalb ausgeschlossen werden, weil sich seine Beteiligungsverhältnisse geändert haben. Diese Einschränkung der (negativen) Vertragsfreiheit bei der Vergabe öffentlicher Aufträge durch den Gleichheitsgrundsatz des § 97 Abs. 2 GWB gilt nicht nur dann, wenn der Staat bzw. dessen Gebietskörperschaften oder kommunale Eigenbetriebe einen Auftrag erteilen (§ 98 Nr. 1 GWB). Vielmehr gilt im GWB-Vergaberecht eine funktionalmaterielle Betrachtung, die unter besonderen Voraussetzungen auch juristische Personen des Privatrechts an den Gleichheitsgrundsatz bindet. Dies gilt erstens dann, wenn diese Rechtspersonen zu dem besonderen Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen und wenn sie durch die Art ihrer Finanzierung, Leitung oder Beaufsichtigung eng mit dem Staat, Gebietskörperschaften oder anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts verbunden sind (§ 98 Nr. 2 GWB). Zweitens müssen die speziellen Einschränkungen der Vertragsfreiheit durch das GWB-Vergaberecht auch dann beachtet werden, wenn eine der unter § 98 Nr. 1 GWB oder § 98 Nr. 2 GWB fallenden Personen für bestimmte, im öffentlichen Interesse stehende Gebäude bzw. Vorhaben den Auftrag nicht selbst vergibt, sondern finanzielle Mittel (mehr als 50 Prozent der Beschaffungskosten) an einen Dritten weitergibt, der dann die EuGH, Rs. C-454/06, VergabeR 2008, S. 758, Rn. 51. Vgl. EuGH, Rs. C-454/06, VergabeR 2008, S. 758, Rn. 51. 492 In der Ausschreibung könnte mit Hilfe einer Change-of-Control-Klausel geregelt werden, dass ein Bieter, bei dem sich während des Vergabeverfahrens ein Kontrollwechsel vollzieht, von der weiteren Wertung ausgeschlossen wird. 490 491
4.2. Der allgemeine zivilrechtliche Kontrahierungszwang
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Auftragsvergabe steuert. Gerade diese letzte Konstellation der so genannten Drittvergaben 493 nach § 98 Nr. 5 GWB erfüllt die Kriterien, welche Barbara Grunewald für ihre Fallgruppe der Verteilung öffentlicher Mittel durch Privatpersonen aufgestellt hat 494. 4.2.3.2. Angewiesensein auf die weitere Leistungserbringung
Eine zweite Fallgruppe kann für diejenigen Konstellationen entwickelt werden, in denen ein Vertragspartner auf die Fortführung der Geschäftsbeziehung „angewiesen“ ist. Problematisch ist aber, dass die Voraussetzungen des „Angewiesenseins“ in der im Vorstehenden behandelten Rechtsprechung und Lehre nur sehr abstrakt formuliert wurden. Zur Konkretisierung dieses Begriffes könnten möglicherweise die Überlegungen beitragen, die Klaus-Peter Martens zur dogmatischen Begründung eines Anspruchs auf vorübergehende Vertragsfortführung angestellt hat 495: Zunächst vertrat Klaus-Peter Martens im Jahre 1970 die Ansicht, im faktischen Konzern könne ein Anspruch auf Abschluss eines Beherrschungsvertrages als Sonderfall des Kontrahierungszwangs entstehen 496. Da ein faktisch abhängiges Unternehmen keine selbständige Wirtschaftsbetätigung mehr ausüben kann, bestehe ein Anspruch jedes einzelnen Gesellschafters dieses Unternehmens auf Abschluss eines Beherrschungsvertrages, wenn die abhängige Gesellschaft faktisch in den Konzernverbund verflochten ist 497. Zur Begründung verweist Klaus-Peter Martens auf das Verbot widersprüchlichen Verhaltens 498. Das herrschende Unternehmen dürfe, wenn es die Rechte aus dem Beherrschungsverhältnis in Anspruch nimmt, sich nicht den damit verbundenen Pflichten entziehen 499. Neun Jahre später hat Klaus-Peter Martens diesen Ansatz in einer Monographie zum „Einstieg in die allgemeine Dogmatik der wirt493 494 495 496 497 498 499
Vgl. Werner, in: Byok/Jaeger, Vergaberecht, § 98 Rn. 384. Vgl. Grunewald, AcP 182, S. 198. Vgl. Martens, DB 1970, S. 865; Martens, Wirtschaftsabhängigkeit. Vgl. Martens, DB 1970, S. 868. Vgl. Martens, DB 1970, S. 868. Vgl. Martens, DB 1970, S. 868. Vgl. Martens, DB 1970, S. 868.
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4. Potentielle Normen in Rechtsprechung und Rechtslehre
schaftlichen Abhängigkeit“ 500 erheblich vertieft und verallgemeinert. Diese Untersuchung behandelt die Rechtsstellung der Unternehmen, die aufgrund intensiver Geschäftsbeziehungen zu einem überlegenen Vertragspartner in eine existentielle Abhängigkeit geraten, die einem gesellschaftsrechtlichen Beherrschungsverhältnis nicht unähnlich ist. Von dem Grundsatz, dass im Normalfall jede Vertragspartei die von ihr freiwillig übernommenen Vertragsrisiken trägt, müsse dann abgewichen werden, wenn der Vertrag insgesamt Ausdruck einer schon anlässlich des Vertragsabschlusses bestehenden Unterlegenheitssituation der einen Vertragspartei ist 501. Maßgeblich soll danach nicht der einzelne Vertrag sein, sondern die gesamte Geschäftsbeziehung, die ihr Wesen nicht nur aus besonders langfristigen Verträgen, sondern ebenso aus der faktischen Entwicklung fortlaufender Austauschverträge entwickeln kann 502. Zur dogmatischen Einordnung der existentiellen Abhängigkeit stellt Klaus-Peter Martens den schuldrechtlichen Austauschvertrag der organisationsrechtlichen Strukturverbindung (insbesondere in Gestalt des gesellschaftsrechtlichen Beherrschungsvertrages) gegenüber und vergleicht zunächst ihre Charakterzüge, um sodann aufgrund einer Betrachtung der Rechtsfolgen folgenden Lösungsvorschlag zu entwickeln: Wenn der jeweilige Vertrag im Austausch gegen entsprechende Eingriffe in die Freiheit des abhängigen Unternehmens eine äquivalente Gegenleistung vorsieht, dann fließe dem abhängigen Unternehmen ein Gegenwert zu, durch den dann auch die Interessen aller (auch außenstehenden) Beteiligten gesichert und befriedigt werden 503. Ein solcher ökonomischer Ausgleich mache gesonderte Schutzvorschriften zugunsten der mit dem Unternehmen verbundenen Interessenträger entbehrlich504. Danach können nur solche Abhängigkeitsverhältnisse als organisationsrechtliche Strukturverbindungen im Sinne eines Beherrschungsvertrages qualifiziert werden, bei denen die Einflussnahmemöglichkeiten auf unternehmerische Entscheidungen des Geschäftspartners nicht mehr finanziell messbar sind und folglich nicht mehr äquivalent abgegolten werden können 505. 500 501 502 503 504 505
Martens, Wirtschaftsabhängigkeit. Vgl. Martens, Wirtschaftsabhängigkeit, S. 141. Vgl. Martens, Wirtschaftsabhängigkeit, S. 141. Vgl. Martens, Wirtschaftsabhängigkeit, S. 22. Vgl. Martens, Wirtschaftsabhängigkeit, S. 22. Vgl. Martens, Wirtschaftsabhängigkeit, S. 23.
4.2. Der allgemeine zivilrechtliche Kontrahierungszwang
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Die Frage nach der Anspruchsgrundlage für diese im Spannungsverhältnis zwischen allgemeinem Vertragsrecht, Konzernrecht und Wettbewerbsrecht bestehenden Schutzpflichten beantwortet Klaus-Peter Martens nicht konkret. Er spricht den vordringlichen Schutzauftrag vor vertraglich begründeter Abhängigkeit dem Wettbewerbsrecht zu 506. Im Ergebnis erklärt Klaus-Peter Martens, dass sich ein Kontrahierungszwang im Sinne eines „allgemeinen“ Anspruchs auf Vertragsfortführung wohl nicht begründen lassen wird, jedoch bestehe ein Anspruch des unterlegenen Vertragspartners auf fehlerfreies Entscheidungsermessen des anderen Teils und darüber hinaus ein Anspruch auf eine angemessene Auslaufphase der dringend benötigten Geschäftsbeziehung „zwecks Anpassung an seinen zukünftigen Status als unabhängiger, wieder frei agierender Marktteilnehmer“ 507. Zur Bestimmung der Tatbestandsvoraussetzung unterscheidet KlausPeter Martens drei graduelle Abstufungen der wirtschaftlichen Abhängigkeit. Zunächst ist dies die marktstrukturelle Abhängigkeit, die nicht aus einem konkreten Rechtsverhältnis zu einem individuellen Unternehmen resultiert, sondern allgemein aus den jeweiligen Marktgegebenheiten 508. Die zweite Stufe der so genannten funktionellen Abhängigkeit betrifft konkrete Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen, wenn ein Geschäftspartner maßgeblichen Einfluss auf einen einzelnen unternehmerischen Entscheidungsbereich des anderen Teils nehmen kann 509. Hier entstehen sektoriell begrenzte Bezugs-, Absatz- und Finanzierungsabhängigkeiten510. Auf der dritten Stufe hat sich die Abhängigkeit so stark verdichtet, dass das andere Unternehmen über Rechte oder sonstige Mittel verfügt, um das abhängige Unternehmen „generell zu verplanen und damit über dessen Schicksal existentiell zu entschieden“ 511. Für diese so genannte existentielle Abhängigkeit soll es aber nicht erforderlich sein, dass sich das abhängige Unternehmen schon in einem Zustand existentieller Angewiesenheit auf die Fortführung der Geschäftsbeziehung befindet 512. Es sei Vgl. Martens, Wirtschaftsabhängigkeit, S. 141 ff. Martens, Wirtschaftsabhängigkeit, S. 144. 508 Vgl. Martens, Wirtschaftsabhängigkeit, S. 8. 509 Vgl. Martens, Wirtschaftsabhängigkeit, S. 9. 510 Vgl. Martens, Wirtschaftsabhängigkeit, S. 9. Als Beispiel führt Martens die berühmte „Rossignol“-Entscheidung des BGH an (BGH, NJW 1976, S. 801). 511 Martens, Wirtschaftsabhängigkeit, S. 10 f. 512 Vgl. Martens, Wirtschaftsabhängigkeit, S. 10. 506 507
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nicht notwendig, dass mit Abbruch der Geschäftsbeziehung die Existenz des abhängigen Unternehmens unmittelbar zerstört wird. Es genüge vielmehr die abstrakte Möglichkeit, dass die wesentlichen unternehmerischen Entscheidungen nicht mehr autonom von dem abhängigen Unternehmen getroffen, sondern von dem übermächtigen Vertragspartner gesteuert werden513. 4.2.3.3. Bewertung und Zusammenfassung
Das von Klaus-Peter Martens untersuchte Bedürfnis nach feststehenden Normen beim Abbruch intensiver Geschäftsbeziehungen ist auf die Anwendung von Change-of-Control-Klauseln in „wesentlichen Vereinbarungen“ grundsätzlich übertragbar. Die Rechtsfolgen treffen genau das Rechtschutzbedürfnis der betroffenen Vertragspartner. Der Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung bzw. vorübergehende Vertragsfortführung bietet anstelle der „Alles-oder-NichtsLösung“ der Vertragsnichtigkeit (zum Beispiel gemäß § 138 BGB) einen angemessenen Ausgleich der betroffenen Interessen. Sachgerecht erscheint insbesondere die Abgrenzung danach, ob der Vertragspartner einen ökonomischen Ausgleich für den Eingriff in seine Handlungsfreiheit erhält. Jedoch werden sich nicht alle „wesentliche Vereinbarungen“ im Sinne von §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB unter den Begriff der „existentiellen Wirtschaftsabhängigkeit“ subsumieren lassen. Schon die erste Prüfungsstufe, ob es sich bei den Vertragspartnern um unterschiedlich starke Unternehmen handelt, kann naturgemäß nur im Einzelfall beantwortet werden. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass sich die von Klaus-Peter Martens entwickelte Dogmatik der „existentiellen Wirtschaftsabhängigkeit“ bis heute in Rechtsprechung und Rechtslehre nicht hat durchsetzen können. Schließlich kann die Frage, wann eine Vertragspartei auf die Fortführungen einer Geschäftsbeziehung in dem Sinne angewiesen ist, dass der vom Prinzip der Vertragsfreiheit vorausgesetzte Selbstschutz versagt, nicht allein anhand dogmatischer Überlegungen des Zivilrechts beantwortet werden. Erforderlich ist eine Auseinandersetzung mit dem verfassungsrechtlich geschützten Inhalt und den sich aus der 513
Vgl. Martens, Wirtschaftsabhängigkeit, S. 10.
4.3. Zwischenergebnisse
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Rechtsordnung insgesamt ergebenden Grenzen der Vertragsfreiheit. Eine Analyse dieser Problemstellung kann aber erst im sechsten Kapitel erfolgen. Zuvor sind im fünften Kapitel solche einfachgesetzlichen Normen zu behandeln, deren analoge Anwendung zur Beurteilung der Zulässigkeit von Change-of-Control-Klauseln in Betracht kommt.
4.3. Zwischenergebnisse Auch die Norm des § 35 WpÜG ist nicht geeignet, die Zulässigkeitsvoraussetzungen von Change-of-Control-Klauseln „an sich“ verbindlich zu ermitteln und damit deren rechtssichere Anwendung zu gewährleisten. Dieser Norm kann aber ein wichtiges Auslegungskriterium für die Beurteilung der Zulässigkeit dieser Klauseln entnommen werden: Das Bedürfnis der Minderheitsaktionäre, ihre Beteiligungen zu angemessenen Konditionen veräußern können, kann damit befriedigt werden, dass ihnen ein Austrittsrecht eingeräumt wird. In den folgenden Kapiteln ist zu prüfen, ob dieser grundsätzlich wirksame Schutzmechanismus verallgemeinerungsfähig und auch auf die Mehrheitsaktionäre übertragbar ist. Ähnlich verhält es sich bei der Ausübung des Kündigungsrechtes. Die Betrachtung der Rechtsfigur des allgemeinen zivilrechtlichen Kontrahierungszwangs zeigt deutlich, dass zwar keine allgemeingültigen Zulässigkeitsanforderungen gebildet werden können, aber Fallgruppen, die wie eine Kündigungssperre wirken, so dass Change-of-Control-Klauseln ins Leere gehen. Neben den speziellen Fällen des GWBVergaberechts konnten Kriterien des Vertrauens und des Angewiesenseins auf die Vertragsfortführung herausgebildet werden. Diese Ansätze erscheinen grundsätzlich verallgemeinerungsfähig und sind in den nachfolgenden Kapiteln weiter zu verfolgen, um nach Möglichkeit gemeinsame Grundstrukturen für einheitliche Zulässigkeitsmuster zu finden.
5. Gesetzesimmanente Rechtsfortbildung Die Untersuchungsergebnisse der vorangegangen Kapitel haben gezeigt, dass bei der Anwendung von Change-of-Control-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4, 315 Abs. 4 HGB bisher Rechtsunsicherheit besteht. Aufgrund dieser Rechtslage tragen die Wirtschaftsunternehmen, die sich mit Change-of-ControlKlauseln vor wirtschaftlichen und wettbewerblichen Gefahren schützen wollen, ein nicht unerhebliches Subsumtionsrisiko. Angesichts dessen erscheint die Weiterentwicklung der vorhandenen Normen zwingend erforderlich, denn als vertragliche Regelung ist die Changeof-Control-Klausel ein Rechtsakt 514 und die Rechtsordnung muss über die Rechtswirkungen eines Rechtsaktes Regeln schaffen 515.
5.1. Voraussetzungen einer Analogie Nach den vorstehenden Untersuchungsergebnissen könnte eine Gesetzeslücke bestehen, die geschlossen werden müsste. Eine solche liegt vor, wenn ein Rechtsfall nach dem bereits ausgelegten Recht nicht beurteilt werden kann, jedoch einer Beurteilung im Sinne der Festsetzung von Rechtsfolgen bedarf 516. Notwendig ist eine planwidrige Unvollständigkeit517. Vorliegend kommt eine so genannte unechte oder teleologische Lücke in Betracht, bei der der Gleichbehandlungsgrundsatz die Erstreckung der in einer oder mehreren Rechtsnormen vorgesehenen Rechtsgedanken und Rechtsfolgen auf einen vergleichbaren Sachverhalt erfordert 518. Diese setzt voraus, dass der in einem Rechtsfall typischerweise auftretende Interessenkonflikt bereits Gegenstand vorhandener Nor-
Zur Definition des Rechtsaktsbegriffs: Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, S. 12 f. m. w. N.: Die Rechtsordnung besteht aus Rechtsakten und anderen normativen Erscheinungen. Für die Rechtsordnung ist die Unterscheidung zwischen Rechtsakten (Recht) und Nichtrecht konstitutiv. 515 Vgl. Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, S. 12 f. m. w. N. 516 Vgl. Bydlinski, Methodenlehre, S. 473. 517 Vgl. Bydlinski, Methodenlehre, S. 473; Larenz, Methodenlehre, S. 354. 518 Demgegenüber ist bei der so genannten echten oder logischen Lücke eine gesetzliche Regelung ohne eine Ergänzung gar nicht anwendbar, vgl. Bydlinski, Methodenlehre, S. 474. 514
5.1. Voraussetzungen einer Analogie
103
men ist, seien dies geschriebene Gesetze oder von Rechtsprechung und Lehre entwickelte allgemeine Rechtsgrundsätze 519. Bei der analogen Anwendung von geschriebenen Gesetzen oder Rechtsgrundsätzen lassen sich die so genannte „gesetzesimmanente Rechtsfortbildung“ 520 und die so genannte „gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung“ 521 unterscheiden. Erstere bewegt sich „noch im Rahmen des ursprünglichen Plans, der Teleologie des Gesetzes selbst“ 522. In diesem Bereich ist eine Regelungslücke dann planwidrig, wenn der Gesetzgeber bei der Schaffung gesetzlicher Vorschriften einen Anwendungsbereich schlicht übersehen hat 523. Letztere erfordert eine planwidrige Lückenhaftigkeit des Rechts, die sich nicht aus vorhanden gesetzlichen Vorschriften herleiten lässt, sondern sich aus „leitenden Prinzipien der Gesamtrechtsordnung“ 524, also insbesondere aus Wertungen des Grundgesetzes, ergibt 525. Um feststellen zu können, ob in Bezug auf Change-of-Control-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4, 315 Abs. 4 HGB eine Gesetzeslücke vorliegt, werden im Folgenden zunächst solche gesetzlichen Vorschriften untersucht, die einen unangemessenen Eingriff in den Rechtskreis der Vertragspartner und ihrer Gesellschafter in ähnlichen Zusammenhängen regeln. Anhand dieser Vorschriften soll geprüft werden, ob die bestehende Rechtsunsicherheit im Wege der „gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung“ beseitigt werden kann, also mit Hilfe einer analogen Anwendung vorhandener gesetzlicher Vorschriften. Im Anschluss daran wird im sechsten Kapitel danach gefragt, ob sich aus den Grundrechten der Vertragspartner und Aktionäre eine planwidrige Regelungslücke ergibt, die im Wege der „gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung“ geschlossen werden kann.
519 520 521 522 523 524 525
Vgl. Bydlinski, Methodenlehre, S. 473. Larenz, Methodenlehre, S. 366. Larenz, Methodenlehre, S. 366. Larenz, Methodenlehre, S. 366. Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 366. Larenz, Methodenlehre, S. 366. Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 366.
104
5. Gesetzesimmanente Rechtsfortbildung
5.2. Analogie zu §§ 68 Abs. 2, 180 Abs. 2 AktG Denkbar wäre zunächst eine analoge Anwendung der §§ 68 Abs. 2, 180 Abs. 2 AktG, denn diese Vorschriften über die Zulässigkeit einer Vinkulierung bilden die gesetzlich geregelte Ausnahme zu dem im Aktienrecht herrschenden Grundsatz der freien Übertragbarkeit der Aktien 526. Die Interessenlage ist damit durchaus vergleichbar. Allerdings hat sich bereits bei der Behandlung drittbelastender Verträge unter 3.4. gezeigt, dass Vinkulierung und Change-of-Control-Klauseln mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten aufweisen. Es fehlt damit schon eine sichere Grundlage für die Annahme einer Regelungslücke.
5.3. Analogie zu §§ 33, 33a WpÜG 5.3.1. Vergleichbare Interessenlage
Bereits zu Beginn des dritten Kapitels hat sich gezeigt, dass Changeof-Control-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4, 315 Abs. 4 HGB generell als verbotene Verhinderungsmaßnahmen gemäß §§ 33, 33a WpÜG anzusehen sind. Diese Verhinderungsverbote verfolgen den Zweck, den Aktionären die eigenverantwortliche Entscheidung über die Annahme eines Angebotes zu ermöglichen 527. Folglich geht es der Vorschrift (auch) um den Schutz der Aktionäre vor faktischen Beeinträchtigungen ihrer Abschlussfreiheit, die ihren Grund in vertraglichen Regelungen der Aktiengesellschaft mit Dritten haben. Noch weiter verallgemeinert kann man festhalten: Verträge zwischen der Aktiengesellschaft und Dritten dürfen nicht dazu benutzt werden, laufende bzw. unmittelbar bevorstehende Vertragsverhandlungen zwischen den Aktionären und einem Bieter faktisch zu verhindern. Dieser Rechtsgedanke erscheint auf das Phänomen der Change-ofControl-Klauseln übertragbar, soweit diese – auch außerhalb der Übernahmephase – einen Eingriff in aktuelle Abschlusschancen der Vgl. BGH, WM 1987, S. 174, 175; Krause, AG 2002, S. 137; Hüffer, AktG, § 68 Rn. 10; Lutter/Grunewald, AG 1989, S. 109. 527 Vgl. die Begründung des RegE, BT-Drucksache 14/7034, S. 58; Grunewald, AG 2001, S. 289; Hirte, in: Hirte, WpÜG, S. 20; Hirte, in: Hirte/v. Bülow, WpÜG, § 33 Rn. 3; Krause/Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 33 Rn. 8. 526
5.3. Analogie zu §§ 33, 33a WpÜG
105
Aktionäre enthalten. Folglich könnte eine rechtssichere Anwendung von Change-of-Control-Klauseln dadurch gewährleistet werden, dass die Verhinderungsverbote sowie die Ausnahmeregelungen des § 33 Abs. 1 S. 2 3. Alt. WpÜG sowie des § 33 Abs. 2 WpÜG im Wege der „gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung“ auch außerhalb der Übernahmephase angewandt werden. Die zum Schutz der Aktionäre notwendigen Zulässigkeitsvoraussetzungen von Change-of-Control-Klauseln wären dann klar definiert. Erforderlich wären ein höchstens 18 Monate vor Abschluss des fraglichen Vertrages mit Dreiviertel-Mehrheit gefasster Hauptversammlungsbeschluss und/oder die Zustimmung des Aufsichtsrats der betroffenen Gesellschaft. 5.3.2. Systemgerechte Rechtsfolge
Auch die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen § 33 WpÜG erscheinen systemgerecht. Pflichtwidrig vereinbarte Change-of-Control-Klauseln blieben zwar im Außenverhältnis grundsätzlich wirksam, weil eine Beschränkung der Vertretungsmacht des Vorstandes wegen § 82 AktG und dem auch im Anwendungsbereich des WpÜG erforderlichen Schutz des Rechtsverkehrs nicht in Betracht kommt 528. Die Zielrichtung des Gesetzes, pflichtwidriges Verhalten des Managements zu Lasten der Aktionäre zu verhindern, wird sich aber in Anbetracht des in § 60 Abs. 1 Nr. 8, Abs. 3 WpÜG vorgesehenen Bußgeldes bis zu einer Million Euro auch weitestgehend im Außenverhältnis verwirklichen lassen. Diskutiert wird zudem der Schutzgesetzcharakter des § 33 WpÜG im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB 529. Im Übrigen bestehen unter besonderen Umständen Einwendungen auch gegenüber dem Vertragspartner nach den Grundsätzen des Missbrauchs der Vertretungsmacht 530. Vgl. Ekkenga, in: Ehrike/Ekkenga/Oechsler, WpÜG, § 33 Rn. 35; Krause/ Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 33 Rn. 145; Röh, in: Haarmann/Schüppen, WpÜG, § 33 Rn. 201; Schlitt, in: Kropff u. a., Münchener Kommentar AktG, § 33 WpÜG Rn. 235; Schwenicke, in: Geibel/Süßmann, WpÜG, § 33 Rn. 18, 85. 529 Vgl. Schwenicke, in: Geibel/Süßmann, WpÜG, § 33 Rn. 88 ff. m. w. N. 530 Vgl. Ekkenga, in: Ehrike/Ekkenga/Oechsler, WpÜG, § 33 Rn. 35; Schwenicke, in: Geibel/Süßmann, WpÜG, § 33 Rn. 85; allgemein zum Missbrauch (auch) organschaftlicher Vertretungsmacht: Vedder, Vertretungsmacht, S. 34 ff. m. w. N. 528
106
5. Gesetzesimmanente Rechtsfortbildung
5.3.3. Beschränkter Anwendungsbereich
Die Frage ist aber, ob die vorstehenden Argumente ausreichen, eine planwidrige Regelungslücke zu begründen. Dagegen spricht, dass der Gesetzgeber ganz bewusst nicht über die Vorgaben der Übernahmerichtlinie hinausgehen wollte 531. Vor diesem Hintergrund kommt die analoge Anwendung der Vorschrift außerhalb ihres ausdrücklich gesetzlich eingegrenzten zeitlichen Anwendungsbereichs (Übernahmephase) nicht in Betracht.
5.4. Analogie zu §§ 327a ff. AktG, §§ 39a ff. WpÜG Anstelle der bei Verstößen gegen die Verhinderungsverbote der §§ 33, 33a WpÜG vorgesehenen Sanktionen könnten adäquate Rechtsfolgen für den Schutz der Minderheitsaktionäre vor Change-of-ControlKlauseln auch den gesetzlichen Vorschriften über den Ausschluss von Minderheitsaktionären nach §§ 327a ff. AktG, 39a ff. WpÜG entnommen werden. 5.4.1. Vergleichbare Interessenlage
Bei dem Hinausdrängen der Aktionäre haben wir es genau mit dem umgekehrten Fall der Change-of-Control-Klauseln zu tun, denn letztere können dazu führen, dass die Aktionäre gegen ihren Willen in der Gesellschaft festgehalten werden. Auf beiden Wegen, also dem Hinausdrängen und auch dem Festhalten in der Gesellschaft, kann der wirtschaftliche Wert des Aktieneigentums erheblich beeinträchtigt werden. Die Interessenlage ist also grundsätzlich vergleichbar. 5.4.2. Beschränkter Anwendungsbereich
Allerdings setzten die Abfindungsregelungen in §§ 327a ff. AktG, 39a ff. WpÜG voraus, dass ein Hauptaktionär direkt oder über von ihm abhängige Unternehmen mindestens 95 Prozent des Grundkapitals der Gesellschaft hält. Mit dieser Beteiligungsschwelle hat der Gesetzgeber eine grundsätzliche Wertung aufgestellt, ab welchem Beteiligungsverhältnis das „Rationalisierungsinteresse“ 532 der Gesell-
531 532
Vgl. den Gesetzesentwurf BR-Drucksache 154/06, S. 18. v. Morgen, WM 2003, S. 1555, 1560.
5.5. Analogie zu § 35 WpÜG
107
schaftermehrheit als derart schutzwürdig anzusehen ist, dass es einen Ausschluss der Minderheitsgesellschafter rechtfertigt 533. Eine Analogie im Wege der „gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung“ käme also nur im Rahmen dieser Beteiligungsverhältnisse in Betracht und könnte folglich nur einen Bruchteil der betroffenen Aktionäre erfassen. 5.4.3. Abgrenzung zu mitgliedschaftlichem Lösungsrecht
Unabhängig von dem geringen Anwendungsbereich einer möglichen gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung scheidet diese bereits deshalb aus, weil – trotz der grundsätzlich vergleichbaren Interessenlage – erhebliche Unterschiede zwischen Squeeze-out und Change-of-Control-Klauseln bestehen, die der Annahme einer teleologischen Regelunglücke entgegenstehen. Dies ist – wie auch schon im Zusammenhang mit der Vinkulierung festgestellt – erstens die lediglich faktisch mögliche Beeinträchtigung des Anteilseigentums durch Change-ofControl-Klauseln. Zweitens betrifft auch das Squeeze-out allein das Innenverhältnis zwischen den Gesellschaftern. Demgegenüber regeln Change-of-Control-Klauseln das Verhältnis der Gesellschaft zu außenstehenden Dritten. Schließlich kann sich der Mehrheitsgesellschafter beim Squeeze-out grundsätzlich frei entscheiden, ob er das Anteilseigentum der Minderheitsaktionäre gegen Zahlung einer Abfindung erwerben will. Eine analoge Anwendung im Sinne einer Verpflichtung zur Zahlung der Abfindung auf Wunsch der von Changeof-Control-Klauseln betroffenen Aktionäre kommt deshalb im Wege der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung nicht in Betracht.
5.5. Analogie zu § 35 WpÜG Anders als beim Squeeze-out haben die Minderheitsaktionäre im Anwendungsbereich des § 35 WpÜG einen Anspruch gegen den Mehrheitsaktionär auf Übernahme ihrer Anteile. Allerdings gilt diese Norm – wie bereits unter 4.1. festgestellt – nur im Falle eines vollzogenen Kontrollwechsels. Es lässt sich auch nicht begründen, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 35 WpÜG den Anwendungsbereich der Change-of-Control-Klauseln als Mittel zur faktischen 533
Vgl. v. Morgen, WM 2003, S. 1555, 1560.
108
5. Gesetzesimmanente Rechtsfortbildung
Verhinderung eines Kontrollwechsels schlicht übersehen haben soll. Normadressat des § 35 WpÜG ist nur derjenige, der die Kontrolle bereits erworben hat 534. Die Vorschrift bezweckt einen „Gleichlauf von Übernahme- und Pflichtangebot“ 535. Nach der Gesetzesbegründung ging es dem Gesetzgeber darum, ein erfolgreiches, das heißt zur Erlangung der Kontrolle führendes und ordnungsgemäß durchgeführtes Übernahmeangebot insofern zu privilegieren, als kein anschließendes Pflichtangebot mehr erforderlich ist 536. Daneben dient die Vorschrift der Kapitalmarkttransparenz, indem sie denjenigen, der unmittelbar oder mittelbar die Kontrolle über eine Gesellschaft erlangt, zur unverzüglichen Publizität verpflichtet 537. Die Angebotspflicht soll darüber hinaus das Vertrauen des „typischerweise in einer Minderheitsposition befindlichen“ 538 Anlegers in die Kontinuität der Mehrheitsverhältnisse schützen 539. Hingegen ist es nicht Ziel des Gesetzes, die Aktionäre davor zu schützen, dass ein Kontrollwechsel mit Hilfe vertraglicher Regelungen der Gesellschaft verhindert bzw. faktisch ausgeschlossen wird. Umgekehrt besteht auf Seiten der Aktionäre auch kein Bedürfnis für eine Analogie, wenn ein Kontrollwechsel stattgefunden hat. Denn dann können sie das Pflichtangebot des Erwerbers annehmen.
5.6. Zwischenergebnis Angesichts der bestehenden erheblichen Unterschiede zwischen den Change-of-Control-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen einerseits und den von §§ 68 Abs. 2, 180 Abs. 2 AktG, §§ 33, 33a WpÜG, §§ 327a ff. AktG, 39a ff. WpÜG, § 35 WpÜG geregelten Sachverhalten lässt sich das Bestehen einer planwidrigen Regelungslücke anhand dieser spezialgesetzlichen Vorschriften nicht begründen. Im Gegenteil zeigt die Neuregelung in §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 316 Abs. 4
Vgl. Krause/Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 33 Rn. 3. Krause/Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 33 Rn. 9. 536 Vgl. Begründung RegE WpÜG, BT-Drucksache 14/7034, S. 60. 537 Vgl. v. Bülow, in: Hirte/v. Bülow, WpÜG, § 35 Rn. 1; Steinmeyer, in: Steinmeyer/Häger, WpÜG, § 35 Rn. 6. 538 Steinmeyer, in: Steinmeyer/Häger, WpÜG, § 35 Rn. 6. 539 Vgl. Schlitt, in: Kropff u. a., Münchener Kommentar AktG, § 33 WpÜG Rn. 6; Steinmeyer, in: Steinmeyer/Häger, WpÜG, § 35 Rn. 6. 534 535
5.6. Zwischenergebnis
109
Nr. 8 HGB, dass der Gesetzgeber das Phänomen der Change-of-Control-Klauseln erkannt und gleichwohl von einer Weiterentwicklung der vorhandenen Schutzvorschriften des AktG, HGB und WpÜG abgesehen hat. Für eine „gesetzesimmanente Rechtsfortbildung“ ist damit kein Raum.
6. Gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung Eine Lückenhaftigkeit privatrechtlicher Normen – wie sie sich in den vorangegangenen Kapiteln drei bis fünf gezeigt hat – bildet die Grundlage für die ergänzende Heranziehung der Grundrechte im Privatrecht 540. Aus den Grundrechten der betroffenen Interessengruppen könnten staatliche Schutzpflichten resultieren, die von den Vertragsparteien bei der Prüfung der Zulässigkeit dieser Klauseln zu beachten sind. Denn eine freie Wirtschaftsordnung muss die Grundrechte der Aktionäre schützen und kann es nicht hinnehmen, wenn die Gesellschaft oder ihre Organe uneingeschränkt darüber entscheiden, den Gesellschafter an der Veräußerung seines Geschäftsanteils und damit an der Realisierung der ihm gehörenden Werte zu hindern 541. Zu prüfen ist also, ob sich aus den Grundrechten der Vertragspartner und ihrer Aktionäre eine planwidrige Regelungslücke im Hinblick auf die rechtssichere Bestimmung der Zulässigkeitsvoraussetzungen von Change-of-Control-Klauseln ergibt.
6.1. Heranziehung der Grundrechte im Privatrecht Zunächst ist zu klären, unter welchen Voraussetzungen eine ergänzende Heranziehung der Grundrechte im Privatrecht in Betracht kommt. Im Kontext des Grundgesetzes sind Normen zunächst danach zu differenzieren, ob sie von der öffentlichen Gewalt oder von privaten Personen erlassen wurden 542. Grundsätzlich unterliegen nur erstere der unmittelbaren Grundrechtsbindung 543. Für die privaten Normen besteht grundsätzlich nur eine eingeschränkte Grundrechtsbindung 544. Während alle staatliche Gewalt gemäß Art. 1 Abs. 3 GG unmittelbar an die Grundrechte gebunden ist, herrschen im Privatrecht verschiedene Theorien zu Art und Umfang der so genannten Drittwirkung der Grundrechte.
Vgl. Neuner, Grundrechte, S. 160. So im Zusammenhang mit Vinkulierungsklauseln: Loritz, NZG 2007, S. 365. 542 Vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 1 Rn. 42. 543 Vgl. BVerfGE 73, 261 (268); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 1 Rn. 42. 544 Vgl. Canaris, JuS 1989, S. 161; Canaris, Grundrechte, S. 16; Singer, Die Grundrechte, S. 248. 540 541
6.1. Heranziehung der Grundrechte im Privatrecht
111
Hans Carl Nipperdey begründete speziell für den Bereich des Arbeitsrechts die Theorie der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte 545, die zunächst auch vom BAG übernommen wurde 546. Abgelöst wurde sie von der Theorie der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte 547, nach der die Grundrechte bei der Auslegung des Zivilrechtes, insbesondere der zivilrechtlichen Generalklauseln, beachtet werden müssen 548. Schließlich hat sich seit der ersten Entscheidung des BVerfG zu § 218 StGB 549 die so genannte Schutzpflichtentheorie weitestgehend durchgesetzt 550. Diese begründet eine Verpflichtung des Staates, also des Gesetzgebers und notfalls auch der Gerichte, den Privatrechtsverkehr dort zu steuern und zu beschränken, wo dessen Teilnehmer zu einem angemessenen Selbstschutz nicht in der Lage sind 551. Gegen die ergänzende Heranziehung der Grundrechte bei der Beurteilung der Zulässigkeit von Change-of-Control-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 316 Abs. 4 Nr. 8 HGB könnte der Einwand erhoben werden, der Gesetzgeber habe Gelegenheit gehabt, Rechtsnormen für die Anwendung dieser Klauseln mittels einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung festzulegen. Mit dem Verzicht auf eine entsprechende Normierung habe der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass er keine besonderen Normen für erforderlich hält. Dieses Argument betrifft die umstrittene Frage, in welchem Verhältnis der Gesetzesvorbehalt und die Auslegung des Zivilrechtes, insbesondere der zivilrechtlichen Generalklauseln, durch die Rechtsprechung zueinander stehen. Diese Frage soll im Folgenden beantwortet werden, um feststellen zu können, ob die Herausbildung von Normen zur Bestimmung der Zulässigkeit Vgl. Nipperdey, Grundrechte. Vgl. BAGE 1, 258; Heinrichs, in: Palandt, § 242 BGB Rn. 7; Singer, Die Grundrechte, S. 248. 547 Vgl. BGH, NJW 1986, S. 2944, 2945. 548 Vgl. BGH, NJW 1986, S. 2944, 2945. 549 Vgl. BVerfGE 39, 1 (42 ff.). 550 Vgl. BVerfGE 39, 1 (42); BVerfGE 89, 214; Canaris, JuS 1989, S. 161; Canaris, Grundrechte, S. 21 ff., 48 ff.; Canaris, AcP 184, S. 225 ff.; Singer, Die Grundrechte, S. 249; Singer, JZ 1995, S. 1141. 551 Vgl. BVerfGE 89, 214; Canaris, JuS 1989, S. 161; Becker, Der unfaire Vertrag, S. 7 ff.; Canaris, Grundrechte, S. 16; Dieterich, RdA 1995, S. 132; Singer, Die Grundrechte, S. 249; Singer, JZ 1995, S. 1141. 545 546
112
6. Gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung
von Change-of-Control-Klauseln den Zivilgerichten überlassen werden kann oder aber eine ausdrückliche gesetzliche Regelung erforderlich ist. 6.1.1. Meinungsstand in der Rechtslehre
Begründet werden könnte die Erforderlichkeit einer gesetzlichen Regelung zunächst mit dem auf Hans Kelsen zurückgehenden dogmatischen Ansatz, demzufolge rechtliche Ansprüche und Pflichten nicht bestehen, wenn sie in keiner ausdrücklichen Rechtsnorm begründet sind 552. In der jüngeren Vergangenheit hat insbesondere Ralf Poscher die Ansicht vertreten, eine Freistellung der Gerichte vom Gesetzesvorbehalt sei mit Art. 1 Abs. 3 GG nicht in Einklang zu bringen und könne auch nicht mit der „Besonderheit der Rechtsprechungsaufgabe“ 553 gerechtfertigt werden. Die Wahrnehmung von Aufgaben der Legislative durch die Rechtsprechung begründe vielmehr die Gefahr der Zufälligkeit und Umgehung 554. Nach der Ansicht von Ralf Poscher bilden die privatrechtlichen Generalklauseln lediglich in den Fällen „regelungstechnischer Schwierigkeiten eines Sachgebiets oder zeitlicher Verschiebungen zwischen der Herausbildung eines Sachbereichs und seiner gesetzlichen Regelung“ 555 eine dem Gesetzesvorbehalt genügende Ermächtigungsgrundlage. Hingegen fordere der „Gesetzesvorbehalt die demokratische Legitimation von Grundrechtsbeschränkungen“ 556 dort, wo das Fehlen einer ausdrücklichen Gesetzesnorm auf eine „Ablehnung politischer Verantwortung durch den Gesetzgeber“ 557 zurückzuführen sei. Als Beispiel kann erneut das bereits im vierten Kapitel im Zusammenhang mit dem allgemeinen zivilrechtlichen Kontrahierungszwang behandelte Nachbarrecht herangezogen werden. Hierzu hat Ralf Poscher den Standpunkt eingenommen, es sei nicht einzusehen, weshalb „etwa Emissionsverbote, die durch die Verwaltung verhängt werden, dem Gesetzesvorbehalt unterliegen, nicht aber dieselben Ver-
552 553 554 555 556 557
Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 16, 251 ff. Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, S. 324. Vgl. Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, S. 324. Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, S. 324 f. Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, S. 325. Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, S. 325.
6.1. Heranziehung der Grundrechte im Privatrecht
113
bote, wenn sie durch den Zivilrichter ausgesprochen werden“ 558. Die privatrechtlichen Generalklauseln würden dem Gesetzesvorbehalt nur insoweit genügen, als „ein Sachbereich sich mit Spezialregelungen nicht angemessen erschließen lässt“ 559. Hiergegen hat Jörg Neuner eingewandt, ein privatrechtlicher Gesetzesvorbehalt würde dazu führen, dass der zivilrechtliche Anspruch gegen den Nachbarn auf Unterlassung bestimmter Emissionen einer ausdrücklichen gesetzlichen Anspruchsgrundlage bedürfte 560. Die von Ralf Poscher vertretene Ansicht, dass unter bestimmten Voraussetzungen auch Generalklauseln einem privatrechtlichen Gesetzesvorbehalt genügen würden 561, enthalte im Zivilrecht weitgehend einen „Etikettenschwindel“ 562. Eine vermittelnde Ansicht hat Anne Röthel herausgearbeitet: Zwar sei es richtig, dass insbesondere die Ausfüllung zivilrechtlicher Generalklauseln und unbestimmter Rechtsbegriffe die Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG) berührt 563. Jedoch habe dies nicht zwangsläufig einen unzulässigen Eingriff in die Gewaltenordnung zur Folge 564. Vielmehr funktioniere die Gewaltenteilung gerade durch die gegenseitige Kontrolle und Einschränkung der Gewalten, lediglich die zum jeweiligen Kernbereich zählenden Aufgaben dürfen nicht von einer anderen Gewalt an sich gezogen werden 565. Da das Privatrecht in besonderem Maße auf die beteiligten Rechtspersönlichkeiten bezogen sei, erfolge eine zulässige Delegation von Rechtssetzung an die Rechtsprechung aus verfassungsrechtlicher Sicht immer dann, wenn die Rechtssetzungsaufgabe nicht ausdrücklich dem Gesetzgeber vorbehalten ist und von der Rechtsprechung sachgerechter erfüllt wird 566. Die Grenze der zum Kernbereich der Gesetzgebung zählenden Aufgaben werde nach der Wesentlichkeitstheorie des BVerfG auch durch die Grundrechte definiert 567. Ob der Gesetzgeber die für Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, S. 324. Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, S. 324. 560 Vgl. Neuner, Grundrechte, S. 161. 561 Vgl. Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, S. 324. 562 Neuner, Grundrechte, S. 161 dort Anmerkung 8. 563 Vgl. Röthel, Normkonkretisierung, S. 33 und 60 ff. 564 Vgl. Röthel, Normkonkretisierung, S. 60 ff. und 435 f. 565 Vgl. Röthel, Normkonkretisierung, S. 61. 566 Vgl. Röthel, Normkonkretisierung, S. 60 f. und 435 f. 567 Vgl. BVerfG NJW 2003, S. 3111 (3116) m. w. N.; Röthel, Normkonkretisierung, S. 64 ff. 558 559
114
6. Gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung
einen „Lebensbereich erforderlichen Leitlinien selbst bestimmen muss, richtet sich nach dessen Grundrechtsbezug. Eine Pflicht hierzu besteht, wenn miteinander konkurrierende grundrechtliche Freiheitsrechte aufeinander treffen und deren jeweilige Grenzen fließend und nur schwer auszumachen sind.“ 568 6.1.2. Bewertung
Die Rechtsordnung beschränkt privatautonome vertragliche Regelungen vor allem aufgrund gesetzlicher Vorschriften für bestimmte Vertragstypen, bei denen allgemein mit ungleicher Machtlage zu rechnen ist 569. Für diese Verträge wird das Rechtsverhältnis entweder durch unabdingbare Rechtsnormen bestimmt (zum Beispiel im Kündigungsschutzrecht) oder die Einzelentscheidung durch eine Gruppenentscheidung ersetzt (zum Beispiel im Tarifvertragsrecht) 570. Dennoch kann der Gesetzesvorbehalt im Privatrecht keine Geltung beanspruchen, denn dies hätte im horizontalen Verhältnis zwischen den Privatrechtssubjekten jenseits ausdrücklicher gesetzlicher Verbote willkürliche Verhältnisse zur Folge 571. Während der Gesetzesvorbehalt dem Staat das Tätigwerden ohne gesetzliche Grundlage verbietet, erfolgt nach dem Konzept des Privatrechtssystems der Ausgleich entgegengesetzter Interessen grundsätzlich im Wege des einvernehmlichen Ausgleichs der betroffenen Freiheitssphären zwischen Gleichberechtigten 572. Die Ansicht von Ralf Poscher erscheint zu abstrakt. Es fehlt an objektiven Kriterien für die vorgeschlagene Abgrenzung, ob das Fehlen einer ausdrücklichen Gesetzesnorm auf eine „Ablehnung politischer Verantwortung durch den Gesetzgeber“ 573 zurückzuführen ist. Tatsächlich muss das „Schweigen des Gesetzes“ 574 nicht zwangsläufig auf einer „ablehnende(n) Willenshaltung“ 575 beruhen, sondern vielmehr darauf, dass der Gesetzgeber ein bestimmtes Problem nicht BVerfG NJW 2003, S. 3116. Vgl. Flume, Das Rechtsgeschäft, § 1, 7. 570 Vgl. Flume, Das Rechtsgeschäft, § 1, 7. 571 Vgl. Neuner, Grundrechte, S. 161. 572 Vgl. Busche, Privatautonomie, S. 125; Classen, JZ 2003, S. 696; Neuner, Grundrechte, S. 161. 573 Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, S. 325. 574 Neuner, Grundrechte, S. 160. 575 Neuner, Grundrechte, S. 160. 568 569
6.1. Heranziehung der Grundrechte im Privatrecht
115
erkannt hat oder nicht regeln wollte 576. Aus diesem Grunde hat sich auch die von Hans Kelsen begründete Lehre, rechtliche Ansprüche und Pflichten müssten ihren Grund stets in ausdrücklichen Rechtsnormen haben, nicht durchsetzen können, weil Rechtssätze grundsätzlich keinen abschließenden Charakter aufweisen577. Ein Beispiel bilden die Vorschriften der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB, denn diese zeigen, dass die Tätigkeit des Gesetzgebers sich auch auf die Umsetzung von EU-Richtlinien beschränken kann. Freilich hätte der Gesetzgeber anlässlich dieser Kodifizierung auch zugleich eine Regelung über die Zulässigkeitsvoraussetzungen von Change-of-Control-Klauseln schaffen können. Es sind auch keine besonderen regelungstechnischen Schwierigkeiten dieses Sachgebiets erkennbar, wie die vorhandenen Normen der §§ 33, 33a, 35 WpÜG zeigen. Dennoch ergeben sich aus der Beschränkung auf die Publizitätsregelung keine Anhaltpunkte für eine „Ablehnung politischer Verantwortung“ 578. Vielmehr ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Gesetzgeber die zivilrechtlichen Normen zunächst als ausreichend angesehen hat, unter dem Vorbehalt eines später gegebenenfalls erkennbaren Regelungsbedürfnisses. Konkreter sind die von Anne Röthel herausgearbeiteten Kriterien: Da die Judikative nicht über eigene Rechtssetzungskompetenzen verfügt, benötige sie eine „verfassungsrechtlich wirksame Aufgabendelegation durch den Gesetzgeber“ 579. Grundlage für eine solche Delegation bilden die zivilrechtlichen Generalklauseln, allerdings habe die Legislative insoweit ein „Rückholrecht“ 580, von dem sie zum Beispiel bei der Kodifikation der zuvor im Wesentlichen in der Rechtsprechung gebildeten Regeln zur Inhaltskontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen Gebrauch gemacht hat 581. Demgegenüber besteht unter drei Voraussetzungen eine zum Rückholrecht korrespondierende „Rückholpflicht“ 582 des Gesetzgebers: Vgl. Neuner, Grundrechte, S. 160. Vgl. Bydlinski, Methodenlehre, S. 472; Canaris, Lücken im Gesetz, S. 49 f.; Neuner, Die Rechtsfindung, S. 50 f. 578 So aber die Formulierung von Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, S. 325. 579 Röthel, Normkonkretisierung, S. 79. 580 Röthel, Normkonkretisierung, S. 80. 581 Vgl. Röthel, Normkonkretisierung, S. 81 f. 582 Röthel, Normkonkretisierung, S. 83. 576 577
116
6. Gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung
Erstens muss der Gesetzgeber tätig werden, wenn die Rechtsprechung erforderliche Regeln auf Dauer nicht entwickelt 583, die so genannte „Konkretisierungsverweigerung“ 584. Zweitens bedarf es einer gesetzlichen Regelung, wenn die vorhandene richterliche Rechtsfortbildung gegen Gesetze oder die Verfassung verstößt 585. Drittens können die aus den Grundrechten resultierenden Schutzpflichten des Staates einen Anspruch auf ein Tätigwerden des Gesetzgebers begründen, allerdings nur soweit diese Schutzpflichten nicht selbst eine Aufgabendelegation an die Rechtsprechung – insbesondere im Rahmen der zivilrechtlichen Generalklauseln – zulassen 586. Nach diesem dogmatisch überzeugenden und auch für die Praxis ausreichend konkreten Lösungsansatz müssen die Zivilgerichte den gesetzlich eingeräumten Konkretisierungsauftrag bewusst und ausdrücklich erfüllen und im Rahmen der Rechtsordnung eine Regel dazu aufstellen, in welchem Verhältnis die Grundrechte im Privatrecht zueinander stehen. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist die Rechtsprechung der Zivilgerichte also generell dazu aufgerufen, neue, in der Wirtschafts- und Rechtspraxis entstandene Rechtsakte mit Hilfe der zivilrechtlichen Generalklauseln unter Beachtung der Grundrechte der beteiligten Interessengruppen zu konkretisieren. Wenn die Praxis der Rechtsprechung diesen grundlegenden Anforderungen an Rechtssicherheit im Wirtschaftleben nicht genügt, muss der Gesetzgeber einschreiten. Speziell in Bezug auf Change-of-Control-Klauseln haben die unter 3.4. zusammengefassten Untersuchungsergebnisse des dritten Kapitels gezeigt, dass die Gerichte in den vergangenen Jahrzehnten keinen generellen Lösungsansatz entwickelt haben. In den wenigen veröffentlichten Entscheidungen wurden Change-of-Control-Klauseln aus den unterschiedlichsten Gründen für unzulässig erklärt. Dies geschah gerade nicht im Wege der Ausfüllung der zivilrechtlichen Generalklauseln unter Berücksichtigung der betroffenen Grundrechte, sondern in Anwendung spezialgesetzlicher Vorschriften, die nicht verallgemeinert werden können. Dennoch lässt sich hieraus nicht der Schluss 583 584 585 586
Vgl. Röthel, Normkonkretisierung, S. 83. Röthel, Normkonkretisierung, S. 83. Vgl. Röthel, Normkonkretisierung, S. 83. Vgl. Röthel, Normkonkretisierung, S. 83.
6.1. Heranziehung der Grundrechte im Privatrecht
117
ableiten, dass die Rechtsprechung sich einer erforderlichen Regelbildung verweigert. Vielmehr sprechen die wenigen veröffentlichten Entscheidungen dafür, dass die Streitigkeiten über die Zulässigkeit von Change-of-Control-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne von §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB primär vor Schiedsgerichten ausgetragen werden. Die Frage ist somit, ob ein Eingreifen des Gesetzgebers auch dann erforderlich ist, wenn die ordentlichen Gerichte infolge der Anrufung von Schiedsgerichten keine Gelegenheit haben, sich mit den grundrechtsrelevanten Auswirkungen von Change-of-Control-Klauseln in einem für die Herausbildung geeigneter Normen ausreichendem Maße zu beschäftigen, § 1032 Abs. 1 ZPO. Dagegen spricht, dass es der Entscheidung der Vertragsparteien überlassen ist, ob sie die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts anstelle der staatlichen Gerichte vereinbaren. Darüber hinaus bleibt die Möglichkeit des Aufhebungsantrags gemäß § 1059 ZPO vor den ordentlichen Gerichten. So müssen auch die Entscheidungen der Schiedsgerichte den Grundrechten entsprechen587. Die Schiedsgerichte sind nämlich an den ordre public, der auch die Einhaltung der Grundrechte umfasst 588, gebunden. Dies können die Schiedsparteien im Wege des Aufhebungsantrags gemäß § 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. b ZPO vor den ordentlichen Gerichten überprüfen lassen. Die Entscheidung eines staatlichen Gerichtes, das einen Schiedsspruch bestätigt oder aufhebt, kann im Wege der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden, denn „der Staat darf Schiedsgerichtsbarkeit nur zulassen, soweit sie einen der staatlichen Gerichtsbarkeit gleichwertigen Rechtsschutz gewährt“ 589. Folglich kann die Herausbildung von Normen zur Bestimmung der Grenzen der Vertragsfreiheit für Change-of-Control-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne von §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB der Ausfüllung der Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB sowie der Norm des § 1004 BGB durch die Schiedsgerichte sowie die ordentlichen Gerichten überlassen werden. Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung für die rechtssichere Anwendung dieser grundrechtsrelevanten vertraglichen Regelungen ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht erforderlich. 587 588 589
Vgl. Schlosser, in: Stein/Jonas, ZPO, § 1059 Rn. 30. Vgl. Geimer, in: Zöller, ZPO, § 1059 Rn. 64. Schlosser, in: Stein/Jonas, ZPO, § 1059 Rn. 30.
118
6. Gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung
6.1.3. Zusammenfassung
Nachdem festgestellt wurde, dass die Aufgabe der Normsetzung für Change-of-Control-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne von §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB grundsätzlich der Rechtsprechung überlassen werden kann, sind nun die konkreten inhaltlichen Anforderungen der Grundrechte an die zivilgerichtliche Entscheidungspraxis zu untersuchen. Im Folgenden werden anhand aktueller Beispiele aus der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung und Rechtslehre die Voraussetzungen ermittelt, unter denen im Wege der „gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung“ die Vereinbarkeit von Change-of-Control-Klauseln mit den Grundrechten der betroffenen Interessengruppen festgestellt werden kann. Diese Untersuchung beginnt in dem folgenden Abschnitt 6.2. mit dem Eigentumsgrundrecht der betroffenen Aktionäre. Im Anschluss daran wird in einem gesonderten Abschnitt 6.3. der Frage nachgegangen, ob und in welchem Umfang auch Grundrechte der Vertragspartner bei der Auslegung von Change-of-Control-Klauseln durch die Zivilgerichte zu beachten sind.
6.2. Mögliche Schutzpflichten gegenüber den Aktionären Bei der Untersuchung möglicher Schutzpflichten der Rechtsprechung gegenüber den Aktionären aus Art. 14 Abs. 1 GG bieten sich zwei Anknüpfungspunkte an, welche die Verbindung zwischen dem Eigentumsgrundrecht und dem Gesellschaftsrecht deutlich zeigen: Zum einen sind dies die verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Schutz der Verkehrsfähigkeit von Aktien (hierzu sogleich 6.2.1.) und zum anderen das Verhältnis zwischen dem wirtschaftlichen Wert des Eigentums und dem allgemeinen Anlagerisiko (hierzu 6.2.2.). 6.2.1. Schutz der Verkehrsfähigkeit von Aktien
Staatliche Schutzpflichten könnten sich zunächst daraus ergeben, dass Change-of-Control-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB – wie bereits unter 3.1. gezeigt wurde – generell den Tatbestand des Verhinderungsverbots des § 33 WpÜG erfüllen. Wenn also allein die Aufnahme solcher Klauseln dazu führen kann, dass sich das Risiko der Weiterveräußerung der Aktien über das allgemeine Anlagerisiko hin-
6.2. Mögliche Schutzpflichten gegenüber den Aktionären
119
aus erheblich erhöht, könnte dies generell gegen die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG verstoßen. Zur Beantwortung dieser Fragestellung kann auf eine Debatte in der Rechtslehre über die Vereinbarkeit des § 33 WpÜG mit Art. 14 Abs. 1 GG zurückgegriffen werden. Anhand des vorhandenen Meinungsstandes über das Verhältnis zwischen § 33 WpÜG und Art. 14 Abs. 1 GG soll geprüft werden, ob eine planwidrige teleologische Regelungslücke direkt aus der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG hergeleitet werden kann. Während das Verhinderungsverbot des § 33 Abs. 1 S. 1 WpÜG dem Schutz der Aktionäre dienen soll, stellt sich die Frage, ob die in § 33 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 WpÜG vorgesehen Ausnahmen in das Anteilseigentum eingreifen. Gerade die verfassungsrechtlichen Anforderungen an diese Ausnahmen des Verhinderungsverbotes sind im Zusammenhang der vorliegenden Untersuchung besonders wertvoll. Denn hierbei handelt es sich um diejenigen seltenen Fälle, in denen die Zulässigkeitsvoraussetzungen von Change-ofControl-Klauseln positiv geregelt sind. Eine nach Art. 14 Abs. 1 GG erforderliche „gesetzesübersteigende“ Analogie zu diesen Ausnahmeregelungen könnte also konkrete Kriterien für die rechtssichere Anwendung von Change-of-Control-Klauseln bringen. 6.2.1.1. Meinungsstand in der Literatur
Die ersten beiden Ausnahmen des § 33 Abs. 1 S. 2 WpÜG, also Handlungen, die auch ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter einer Gesellschaft, die nicht von einem Übernahmeangebot betroffen ist, vorgenommen hätte und die Suche nach einem konkurrierenden Angebot, werden übereinstimmend als mit Art. 14 Abs. 1 GG vereinbar angesehen 590. Denn diese Ausnahmen lassen sich mit der Erwägung rechtfertigen, dass es einem (feindlichen) Bieter nicht erlaubt werden soll, die Gesellschaft „zu lähmen“ 591 oder die Fortführung einer bereits von der Gesellschaft eingeschlagenen Unternehmensstrategie zu verhindern 592. Zweifelsohne zulässig sind auch die Vgl. Hirte, in: Hirte/v. Bülow, WpÜG, § 33 Rn. 66 ff.; Krause/Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 33 Rn. 53 f.; Schlitt, in: Kropff u. a., Münchener Kommentar AktG, § 33 WpÜG Rn. 40 f.; Winter/Harbarth, ZIP 2002, S. 8; Zschocke, DB 2002, S. 82. 591 Winter/Harbarth, ZIP 2002, S. 8. 592 Vgl. Winter/Harbarth, ZIP 2002, S. 8. 590
120
6. Gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung
Ausnahmen des § 33 Abs. 2 WpÜG, also die so genannte Vorratsermächtigung durch die Hauptversammlung zur Vornahme von Handlungen, die in die Zuständigkeit der Hauptversammlung fallen, mit zusätzlicher Zustimmung des Aufsichtsrats 593. Umstritten ist demgegenüber die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Ausnahme des § 33 Abs. 1 S. 2 3. Alt. WpÜG, also der bloßen Zustimmung des Aufsichtsrats, ohne dass zusätzlich bereits ein Vorratsbeschluss der Hauptversammlung vorliegt. In Teilen der Rechtslehre wird ein Eingriff des § 33 WpÜG in Art. 14 Abs. 1 GG vor allem damit begründet, dass börsennotierte Aktiengesellschaften in Deutschland weitestgehend der Mitbestimmung durch Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat unterliegen594. Eine Zustimmung des Aufsichtsrates sei nicht akzeptabel, weil es sich beim paritätisch mitbestimmten Aufsichtsrat nicht um „eine Art Aktionärsausschuss“ 595 handelt. Es sei deshalb nicht einzusehen, warum gerade der Aufsichtsrat, der bis zur Hälfte aus Arbeitnehmervertretern bestehen kann, darüber entscheiden soll, ob die Aktionäre ihr Aktieneigentum veräußern können 596. Auch aus dem Mitbestimmungsurteil des BVerfG 597 ergäben sich Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift, denn das BVerfG habe das Ausmaß zulässiger Sozialbindung des Aktieneigentums an größeren Unternehmen lediglich auf die Verwaltung und Lenkung der Gesellschaft, also auf die Wahrnehmung der Mitgliedschaftsrechte innerhalb der Gesellschaft beschränkt 598. Die Veräußerung des Aktieneigentums sei davon nicht umfasst 599. Bei dem möglichen Eingriff der Arbeitnehmerseite in die Eigentumsrechte der Aktionäre handele es sich nicht mehr lediglich um eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung, weil es nicht Vgl. Hirte, in: Hirte/v. Bülow, WpÜG, § 33 Rn. 95 ff.; Krause/Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 33 Rn. 53 f.; Schlitt, in: Kropff u. a., Münchener Kommentar AktG, § 33 WpÜG Rn. 40 f.; Winter/Harbarth, ZIP 2002, S. 8, 12 f.; Zschocke, DB 2002, S. 82. 594 Vgl. Schlitt, in: Kropff u. a., Münchener Kommentar AktG, § 33 WpÜG Rn. 40; Winter/Harbarth, ZIP 2002, S. 8; Zschocke, DB 2002, S. 82. 595 Winter/Harbarth, ZIP 2002, S. 8. 596 Vgl. Zschocke, DB 2002, S. 82; Schlitt, in: Kropff u. a., Münchener Kommentar AktG, § 33 WpÜG Rn. 40. 597 Vgl. BVerfGE 50, 290. 598 Vgl. Winter/Harbarth, ZIP 2002, S. 8. 599 Vgl. Winter/Harbarth, ZIP 2002, S. 8. 593
6.2. Mögliche Schutzpflichten gegenüber den Aktionären
121
mehr um die Ausgestaltung der Eigentumsrechte, sondern um deren Verwertung bzw. Realisierung (durch Verkauf der Aktien) gehe 600. Problematisch sei schließlich, dass die nach § 33 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 3. Alt. WpÜG möglichen Abwehrmaßnahmen mit Zustimmung des Aufsichtsrates nicht am Maßstab des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters zu messen seien 601. Damit bestehe die Gefahr, dass in der Übernahmephase ohne vorherige Befragung der Aktionäre „mitten im Strom die Pferde“ 602 gewechselt werden. Die Gegenansicht bezieht sich auf die rechtlichen Bindungen des Vorstands und Aufsichtsrats, in deren Rahmen auch die Interessen der Aktionäre angemessene Berücksichtigung fänden 603. Die möglichen Entscheidungen des Vorstandes mit Zustimmung des Aufsichtsrates seien durch den aktienrechtlichen Umfang seiner Geschäftsführung gemäß § 77 AktG beschränkt 604. Wenn für eine Maßnahme nach allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften eine Zustimmung der Hauptversammlung erforderlich sei, gelte dies auch im Anwendungsbereich des § 33 Abs. 1 S. 2 3. Alt. WpÜG 605. Dies ergebe sich aus dem Willen des Gesetzgebers 606 und folge im Umkehrschluss aus § 33 Abs. 2 WpÜG, der als weitere Ausnahme vom Verhinderungsverbot des § 33 Abs. 1 WpÜG die Vorratsbeschlüsse auf solche Handlungen begrenzt, die in die Zuständigkeit der Hauptversammlung fallen 607. Diese Regelung hätte nämlich keiVgl. Zschocke, DB 2002, S. 83. Vgl. Winter/Harbarth, ZIP 2002, S. 8. 602 Winter/Harbarth, ZIP 2002, S. 8. 603 Vgl. Grunewald, in: Baums/Thoma, WpÜG, § 33 Rn. 54; Hirte, in: Hirte/ v. Bülow, WpÜG, § 33 Rn. 84 ff.; Krause/Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 33 Rn. 53; Röh, in: Haarmann/Schüppen, WpÜG, § 33 Rn. 59; Schneider, AG 2002, S. 129. 604 Vgl. Ekkenga, in: Ehrike/Ekkenga/Oechsler, WpÜG, § 33 Rn. 58; Grunewald, in: Baums/Thoma, WpÜG, § 33 Rn. 48, Krause/Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/ Schneider, WpÜG, § 33 Rn. 174; Krause, NJW 2002, S. 712. 605 Vgl. Hirte, in: Hirte/v. Bülow, WpÜG, § 33 Rn. 84 ff.; Krause/Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 33 Rn. 174; Pötzsch, Übernahmerecht, S. 41; Röh, in: Haarmann/Schüppen, WpÜG, § 33 Rn. 152; Schwenicke, in: Geibel/Süßmann, WpÜG, § 33 Rn. 49. 606 Vgl. die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses, BT-Drucksache 14/ 7477, S. 53. 607 Vgl. Krause/Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 33 Rn. 174; Röh, in: Haarmann/Schüppen, WpÜG, § 33 Rn. 152. 600 601
122
6. Gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung
nen Anwendungsbereich, wenn der Vorstand nach § 33 Abs. 1 S. 2 3. Alt. WpÜG mit Zustimmung des Aufsichtsrates in den Zuständigkeitsbereich der Hauptversammlung eingreifen könnte 608. Jedenfalls könnte etwaigen verfassungsrechtlichen Bedenken im Wege der verfassungskonformen Auslegung insbesondere der Ausnahmetatbestände des § 33 Abs. 1 S. 2 WpÜG Rechnung getragen werden 609. Schließlich könne ein etwaiger Eingriff in Art. 14 GG mit der Sozialbindung des Eigentums an Aktien gerechtfertigt werden 610. 6.2.1.2. Bewertung
Die verfassungsrechtlichen Einwände gegen die Ausnahmeregelung des § 33 Abs. 1 S. 2 3. Alt. WpÜG können keinen Bestand haben. Zutreffend ist die Auffassung, der zufolge auch im Rahmen der vorgesehenen Ausnahmen zum Verhinderungsverbot die aktienrechtliche Pflichtenbindung des Vorstandes der Aktionäre erhalten bleibt. Damit kommt der für die erste Ausnahme ausdrücklich geforderte Maßstab eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters auch im Rahmen der dritten Ausnahme zum Tragen. Der Unterschied besteht darin, dass die Ausnahme der ersten Alternative sich nur auf das Tagesgeschäft unabhängig von dem vorliegenden Übernahmeangebot bezieht. Daraus kann aber nicht gefolgert werden, dass dieser Maßstab für weitergehende Maßnahmen mit Bezug zum konkreten Übernahmenangebot nicht gelten soll. Auch der Aufsichtsrat kann nicht willkürlich sämtlichen Verteidigungsmaßnahmen zustimmen, da er bei seiner Beschlussfassung an die Pflichten eines sorgfältigen und ordentlichen Geschäftsleiters gebunden ist, §§ 116, 93 AktG 611. Er muss daher seine Entscheidung im Interesse der Gesellschaft und der Aktionäre treffen 612 und folglich auch deren Eigentumsgrundrechte angemessen berücksichtigen.
Vgl. Krause/Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 33 Rn. 174; Röh, in: Haarmann/Schüppen, WpÜG, § 33 Rn. 152. 609 Vgl. Krause/Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 33 Rn. 53; Röh, in: Haarmann/Schüppen, WpÜG, § 33 Rn. 59. 610 Vgl. Krause/Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 33 Rn. 53. 611 Vgl. Diekmann, NJW 2007, S. 17. 612 Vgl. Diekmann, NJW 2007, S. 18. 608
6.2. Mögliche Schutzpflichten gegenüber den Aktionären
123
6.2.1.3. Zusammenfassung
Die verfassungsrechtliche Betrachtung des in § 33 WpÜG geregelten Verhinderungsverbotes hat gezeigt, dass bei der Verhinderung von Abschlusschancen der Aktionäre grundsätzliche Wertungen des Eigentumsschutzes nach Art. 14 Abs. 1 GG zu berücksichtigen sind. Diese grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Anforderungen können nicht auf Handlungen des Vorstands während der Übernahmephase des § 33 Abs. 1 S. 1 WpÜG beschränkt werden. Sie enthalten „leitende Prinzipien der Gesamtrechtsordnung“ 613 aus denen sich eine planwidrige Lückenhaftigkeit der deutschen Rechtsordnung in Bezug auf die in der Rechtspraxis zu beobachtende Anwendung von Change-of-Control-Klauseln herleiten lässt. Es ist nämlich nach der Rechtssprechung des BVerfG wesentliches Merkmal des Aktieneigentums, dass es „eine Sphäre individueller Freiheit in finanzieller Hinsicht“ 614 ermöglicht. Dieser Freiraum beruhe auf der im Verhältnis zu anderen Unternehmensbeteiligungen „besonders ausgeprägten Verkehrsfähigkeit von Aktien“ 615. „Vor allem trifft das auf Beteiligungen an börsennotierten Aktiengesellschaften zu, die es dem Gesellschafter, jedenfalls in Zeiten eines funktionierenden Kapitalmarktes, praktisch jederzeit erlauben, sein Kapital nach freiem Belieben zu investieren oder zu deinvestieren“ 616. Infolge ihrer Verhinderungseignung im Sinne des § 33 Abs. 1 S. 2 3. Alt. WpÜG 617 bieten Change-of-Control-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB jedenfalls die abstrakte Möglichkeit einer dauerhaften Erschwerung der Veräußerung des Aktieneigentums. Bereits aus dieser abstrakten Möglichkeit lässt sich eine teleologische Regelungslücke direkt aus dem von der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG gewährleisteten Schutz der besonderen Verkehrsfähigkeit von Aktien in Verbindung mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG begründen: Ebenso wie in der Übernahmephase bedarf es eines Schutzes der Aktionäre vor einer Erschwerung der Veräußerung des Aktieneigentums. Umgekehrt benötigen die Vertragsparteien wesentlicher Verein613 614 615 616 617
Larenz, Methodenlehre, S. 366. BVerfGE 100, S. 301 Rn. 56. BVerfGE 100, S. 301 Rn. 56. BVerfGE 100, S. 301 Rn. 56. Vgl. hierzu Abschnitt 3.1.
124
6. Gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung
barungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB auch außerhalb der Übernahmephase Rechtssicherheit. Beide Bedürfnisse können unter Anwendung der für die Norm des § 33 WpÜG herausgearbeiteten verfassungsrechtlichen Wertungen befriedigt werden. Zulässigkeitsvoraussetzung wäre damit die Zustimmung der Hauptversammlung und des Aufsichtsrats bzw. in eiligen Fällen zumindest des Aufsichtsrats des durch die Change-of-Control-Klausel in seinen Umstrukturierungsmöglichkeiten eingeschränkten Vertragspartners. Damit könnte ein aus verfassungsrechtlicher Sicht angemessener Ausgleich zwischen den Eigentumsgrundrechten der Aktionäre und der Vertragsfreiheit der beteiligten Unternehmen geschaffen werden. 6.2.2. Schutz des wirtschaftlichen Wertes des Aktieneigentums
Fraglich ist die Anwendbarkeit der vorstehenden dogmatischen Überlegungen in der Praxis. Gerade das soeben angeführte Argument der „besonders ausgeprägten Verkehrsfähigkeit von Aktien“ 618 weckt Zweifel daran, ob sich die abstrakte Möglichkeit einer Veräußerungserschwernis tatsächlich realisieren wird. Diese Frage werden die handelnden Organe der beteiligten Unternehmen nur im Einzelfall konkret beantworten können. Zumindest eine generelle Aussage scheint aufgrund der vorstehenden Untersuchung aber möglich: Die bloße Vereinbarung von Change-of-Control-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB ist infolge ihrer generellen Verhinderungseignung 619 mit einer erheblichen Verschärfung des allgemeinen Anlagerisikos für die Aktionäre verbunden. Zur Verwirklichung des Ziels der Gewährleistung von Rechtssicherheit in der Praxis soll deshalb im Folgenden untersucht werden, ob aus der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG eine Grenze ermittelt werden kann, an der das allgemeine Anlagerisiko in eine unzulässige Beeinträchtigung des Aktieneigentums „umkippt“. Voraussetzung für eine solche Abgrenzung ist die Definition des allgemeinen Anlagerisikos aus verfassungsrechtlicher Sicht.
618 619
BVerfGE 100, S. 301 (Rn. 56). Hierzu 3.1.
6.2. Mögliche Schutzpflichten gegenüber den Aktionären
125
6.2.2.1. Definition des allgemeinen Anlagerisikos aus verfassungsrechtlicher Sicht
Eine ausdrückliche Definition des Begriffs „allgemeines Anlagerisiko“ ist in der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung und Lehre nicht erkennbar. Die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG schützt nur „normativ zugeordnete Rechtspositionen“ 620 und nicht „das Ergebnis situativer Einschätzungen der Marktbeteiligten, auch wenn dies wirtschaftlich folgenreich ist“ 621. Allerdings hat das BVerfG in seiner Entscheidung zur Aufhebung der Steuerfreiheit von Zinsen aus bestimmten festverzinslichen Wertpapieren vom 5. Februar 2002 622 folgende Abgrenzung vorgenommen: Der „Tauschwert vermögenswerter Rechte“ sei als solcher nicht in den Schutzbereich der Eigentumsfreiheit einbezogen 623. Dies gelte grundsätzlich auch für den Marktwert von Wertpapieren 624. Denn dieser Marktwert werde „vom Finanzmarkt, insbesondere von der Renditeerwartung und dem Nachfrageverhalten potentieller Anleger bestimmt“ 625. Solche Umstände und die damit verbundene mögliche Wertänderung von Aktien seien von Art. 14 Abs. 1 GG aber nicht geschützt. Der Eigentumsgarantie unterfielen nämlich lediglich die Aktien „in Gestalt des Wertpapiers und der darin verbrieften Forderungen“ 626. Jedoch werde die Wertveränderung im Falle einer so genannten Aufopferung vom Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG erfasst. Dies setze voraus, dass die Aktionäre „zur Aufgabe ihrer Wertpapiere gezwungen“ würden, so dass „die individuelle Zuordnung des Wertpapiereigentums zum privatnützig handelnden Eigentümer aufgehoben wäre“ 627. Auch in der Rechtslehre wird der Marktwert von Aktien grundsätzlich nicht in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG einbezogen 628. Dieser Abgrenzung kann entnommen werden, dass die bloße – aus der Natur der Aktie und des Kapitalmarktes zwangsläufig resultieCremer, in: Grote/Marauhn, EMRK/GG, S. 1245. BVerfGE 105, 252 (278). 622 Vgl. BVerfGE 105, 17. 623 Vgl. BVerfGE 105, 17 (30 f.) Rn. 41. 624 Vgl. BVerfGE 105, 17 (30 f.) Rn. 41. 625 BVerfGE 105, 17 (30 f.) Rn. 41. 626 BVerfGE 105, 17 (30 f.) Rn. 41. 627 BVerfGE 105, 17 (30 f.) Rn. 41. 628 Vgl. Wieland, in: Dreier, GG, Art. 14 Rn. 49; Papier, in: Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art. 14 Rn. 164. 620 621
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6. Gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung
rende – Gefahr des Wertverlustes von Aktien vom allgemeinen Anlagerisiko umfasst und damit nicht von Art. 14 Abs. 1 GG geschützt ist. Staatliche Schutzpflichten aus der Eigentumsgarantie greifen erst gegenüber solchen Maßnahmen ein, die es rechtfertigen, von dem „Entzug des Anteilswertes“ auszugehen. Ein Entzug in diesem Sinne setzt voraus, dass die Substanz des Anteilseigentums betroffen ist, also dessen Kern. Für die Change-of-Control-Klauseln bedeutet dies, dass sie eine dauerhafte Veräußerungserschwernis begründen müssen. Bei bloß vorübergehenden Veräußerungserschwernissen verwirklicht sich somit lediglich das allgemeine Anlagerisiko, da die Substanz des Anteilswertes nicht betroffen ist. Aufgrund dieser verfassungsrechtlichen Definition des allgemeinen Anlagerisikos in Abgrenzung zum Entzug der Substanz des Anteilswertes ist nun zu untersuchen, unter welchen Voraussetzungen die Aufnahme von Change-of-Control-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB als Entzug der Substanz des Anteilswertes angesehen werden kann. Zur Beantwortung dieser Frage ist zu definieren, welchen Inhalt das verfassungsrechtlich geschützte Eigentum hat, also wann seine Substanz entzogen wird. 6.2.2.2. Verfassungsrechtlich geschützter Inhalt des Aktieneigentums
Nach der Rechtsprechung des BVerfG seien zwei Aspekte des Aktieneigentums strikt auseinander zu halten, nämlich Leitungsbefugnis und vermögensrechtliche Ansprüche 629. „Die Leitungsbefugnis beruht darauf, dass das Aktienrecht die Aktionärsversammlung als zentrales Organ der Gesellschaft vorsieht. Die vermögensrechtliche Stellung ist in dem gesetzlichen Anspruch auf den Bilanzgewinn, soweit er zur Verteilung kommt, in dem Recht zum Bezug neuer Aktien bei Kapitalerhöhungen sowie dem Recht auf Teilnahme an dem Liquidationserlös begründet“ 630.
629 630
Vgl. BVerfGE 100, 289, S. 301 Rn. 43. BVerfGE 100, S. 301 Rn. 43.
6.2. Mögliche Schutzpflichten gegenüber den Aktionären
127
6.2.2.3. Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur zum Ausschluss von Minderheitsaktionären
Auf Grundlage der vorstehenden Unterscheidung zwischen Leitungsbefugnissen und vermögensrechtlichen Ansprüchen differenzieren Rechtsprechung und Lehre zwischen den Minderheits- und den Mehrheitsaktionären. Für die Minderheitsaktionäre, die auf die Unternehmenspolitik regelmäßig keinen relevanten Einfluss nehmen können, stehe nicht Leitungsbefugnis im Vordergrund des Anteilseigentums, sondern der in der Aktie verkörperte vermögensrechtliche Wert 631. Beginnend mit der „DAT/Altana“-Entscheidung 632 hat das BVerfG zunächst für die Vorschriften über die Eingliederung (§§ 320 ff. AktG) entschieden, dass den Minderheitsaktionären der in der Aktie verkörperte vermögensrechtliche Wert gegen Zahlung einer angemessenen Entschädigung entzogen werden darf 633. Für die Bestimmung der Angemessenheit sei die Verkehrsfähigkeit der Aktien maßgebliches Kriterium. Unter Berücksichtigung dieser besonderen Verkehrsfähigkeit des Aktieneigentums müsse der Ausgleich so bemessen sein, dass die Aktionäre auch künftig vergleichbare Renditen erhalten 634. In der „Moto-Meter“-Entscheidung vom 23. August 2000 635 entschied das BVerfG, dass die in der „DAT/Altana“-Entscheidung angewandten Kriterien auch dann gelten, wenn ein Großaktionär – anstelle der mit entsprechenden gesetzlichen Schutzvorkehrungen versehenen Möglichkeiten der Eingliederung oder Verschmelzung nach dem Umwandlungsgesetz – eine „übertragende Auflösung“ vornimmt 636. Diese liegt dann vor, wenn die Mehrheitsaktionärin einer Aktiengesellschaft eine andere Gesellschaft gründet, auf die sodann durch Beschlüsse der Mehrheitsaktionärin das gesamte Vermögen der Aktiengesellschaft übertragen (§ 361 AktG a. F. bzw. § 179a AktG n. F.) und die Aktiengesellschaft gleichzeitig liquidiert (§ 262 Abs. 1 Nr. 2 AktG) wird 637. Soweit die Minderheitsaktionäre wirtschaftlich „voll“ 631 632 633 634 635 636 637
Vgl. BVerfGE 100, 289, S. 301 Rn. 56. Vgl. BVerfGE 100, S. 289. Vgl. BVerfGE 100, 289, S. 301 Rn. 56. Vgl. BVerfGE 100, S. 301 Rn. 57. Vgl. BVerfG NJW 2001, S. 279. BVerfG NJW 2001, S. 279. Vgl. BVerfG NJW 2001, S. 279.
128
6. Gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung
entschädigt werden, wertete das BVerfG die nach § 179a AktG (früher § 361 AktG a. F.) bestehende Möglichkeit des Mehrheitsaktionärs, die restlichen freien Aktionäre aus der Gesellschaft zu drängen, als Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne von Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG 638. Diese Rechtsprechung hat das BVerfG mit der „Edscha AG“-Entscheidung vom 30. Mai 2007 bestätigt 639. Es erklärte die Vorschriften der §§ 327a ff. AktG über den Ausschluss von Minderheitsaktionären aus einer Aktiengesellschaft gegen Zahlung einer Abfindung (Squeeze-out) für verfassungsgemäß und stellte erneut klar, es sei „verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber bei Normierung der Voraussetzungen für ein Squeeze-out die Schutzvorkehrungen zu Gunsten der Minderheitsaktionäre auf die vermögensrechtliche Komponente der Aktie als Kapitalanlage konzentriert hat“ 640. Die Rechtslehre hat sich der Rechtsprechung des BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses von Minderheitsaktionären nahezu 641 einhellig angeschlossen 642. 6.2.2.4. Bewertung und Zusammenfassung
Entscheidend für die verfassungsrechtliche Rechtfertigung einer dauerhaften Veräußerungserschwernis durch Change-of-ControlVgl. BVerfG NJW 2001, S. 279. Vgl. BVerfG, NZG 2007, S. 587 (= NJW 2007, S. 3268). 640 BVerfG, NZG 2007, S. 587 (= NJW 2007, S. 3268). 641 a. A. nur Hanau, NZG 2002, S. 1042 ff., der einen Eingriff in die von Art. 14 GG geschützten Eigentumsgrundrechte derjenigen Aktionäre, die vor Inkrafttreten des WpÜG (1.1.2002) ihre Beteiligungen erworben haben, annimmt; sowie Leuschner, NJW 2007, S. 3248, der dem BVerfG im Ergebnis zustimmend nicht Art. 14 Abs. 1 GG, sondern die von Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Vertragsfreiheit für einschlägig hält. 642 Vgl. Bauer, NZG 2000, S. 1215; Ehrike/Roth, DStR 2001, S. 1121; Fröde, NZG 2007, S. 733 f.; Gesmann-Nuissl, WM 2002, S. 1205; Halm, NZG 2000, S. 1165; Land/Hasselbach, DB 2000, S. 562; Hüffer, AktG, § 327a Rn. 4; Grunewald, in: Kropff u. a., Münchener Kommentar AktG, Vor § 327a Rn. 8; Habersack, in: Emmerich/Habersack, AktG, § 327a Rn. 7; Sellmann, WM 2003, S. 1553; Singhof, in: Spindler/Stilz, AktG, § 327a Rn. 5; Vetter, DB 2001, S. 746; Wirth/ Arnold, AG 2002, S. 503 und 507. Teilweise wurden Bedenken dahingehend geäußert, dass der Gesetzgeber das Squeeze-out nicht auf börsennotierte Gesellschaften beschränkt hat, so Grunewald, ZIP 2002, S. 21 f.; Habersack, ZIP 2001, S. 1234 f. 638 639
6.2. Mögliche Schutzpflichten gegenüber den Aktionären
129
Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 316 Abs. 4 Nr. 8 HGB ist zunächst die Erkenntnis, dass ein Entzug der vermögensrechtlichen Bestandteile des Aktieneigentums von Minderheitsaktionären mit der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG vereinbar ist, wenn eine angemessene Entschädigung erfolgt. Aus dieser Erkenntnis kann mit Hilfe des Schlusses vom Größeren auf das Kleinere (argumentum a maiori ad minus) 643 gefolgert werden: Wenn in der deutschen Rechtsordnung sogar der Ausschluss von Minderheitsgesellschaftern gegen ihren Willen, also der gezielte vollständige Entzug ihres Aktieneigentums mit einer angemessenen Abfindung ausgeglichen werden kann, muss dies erst recht für den mit Change-of-Control-Klauseln verbundenen weniger gewichtigen Eingriff, nämlich den faktischen Wertverlust der Aktien gelten. Aus Art. 14 Abs. 1 GG lassen sich folglich keine Schutzpflichten des Staates herleiten, denen zufolge die Vereinbarung von Change-of-Control-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 316 Abs. 4 Nr. 8 HGB im Hinblick auf die Rechte der Minderheitsaktionäre schlicht unzulässig bzw. von deren Zustimmung abhängig wäre. Aus der Parallelbetrachtung der Anforderungen an den Ausschluss von Minderheitsaktionären ergibt sich aber auch, dass Art. 14 Abs. 1 GG einen Schutz der Minderheitsaktionäre fordert, der mit den berechtigten Interessen der Gesellschaft bzw. der übrigen (Mehrheits-) Aktionäre in Ausgleich zu bringen ist. Im Ergebnis dieses Ausgleichs können den Minderheitsaktionären ihre in den Aktien verkörperten Verwaltungs- und Mitwirkungsrechte entzogen werden, nicht aber der wirtschaftliche Wert ihres Aktieneigentums. Letzterer erfordert die Zahlung einer angemessenen Entschädigung, deren Höhe sich nach dem (unter Berücksichtigung des Börsenkurses zu ermittelnden) Verkehrswert richtet und gerichtlich überprüfbar sein muss 644. Hieraus ergibt sich, dass auch die dauerhafte Veräußerungserschwernis, die nicht mehr vom allgemeinen Anlagerisiko gedeckt ist, grundsätzlich zulässig ist, wenn sich das Anteilseigentum auf vermögensrechtliche Positionen beschränkt und eine Abfindung erfolgt.
Vgl. Bydlinski, Methodenlehre, S. 479. Vgl. BVerfGE 100, 289 (305 ff.); BGHZ 153, 47 (57); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 14 Rn. 67; Wieland, in: Dreier, GG, Art. 14 Rn. 49.
643 644
130
6. Gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung
6.2.3. Die maßgebliche Beteiligungsschwelle
Die Frage ist, ob diese möglichen Schutzpflichten sich nur auf Minderheitsbeteiligungen von bis zu fünf Prozent beziehen oder aber auf eine höhere Beteiligungsschwelle oder sogar auf alle Aktionäre erstreckt werden können. Diese Frage betrifft die grundsätzliche Problemstellung, ab welcher Beteiligungsschwelle die Aktionäre nicht nur vermögensrechtliche, sondern auch Leitungsbefugnisse in der Aktionärsversammlung verfolgen. Zur Einordnung dieser Problemstellung finden sich im Aktiengesetz verschiedene Beteiligungsschwellen, deren Verhältnis zu den neu eingefügten §§ 327aff. umstritten ist. 6.2.3.1. Meinungsstand in der Rechtslehre zur „übertragenden Auflösung“
Diskutiert wird in der Rechtslehre vor allem die Frage, ob die vor Einführung der §§ 327a ff. AktG im Rahmen der so genannten „übertragenden Auflösung“ ausreichende Mehrheitsbeteiligung von nur 75 Prozent weiterhin Bestand hat oder aber künftig generell eine Mehrheit von 95 Prozent für alle Varianten zum Ausschluss von Minderheitsaktionären erforderlich ist 645. Eine Ansicht befürwortet ein Fortbestehen der 75-Prozent-Schwelle außerhalb des Anwendungsbereichs der §§ 327a ff. AktG, da auch für die Auflösung der Gesellschaft gemäß §§ 179a Abs. 1 S. 1, 179 Abs. 2 S. 2, 262 Abs. 1 Nr. 2 AktG weiterhin eine Drei-Viertel-Mehrheit maßgeblich ist 646. Hieraus ergebe sich eine grundsätzliche Wertung des Aktienrechts, dass Aktionäre mit einer Beteiligung von bis zu 25 Prozent in erster Linie vermögensrechtliche Interessen verfolgen 647. Die Gegenansicht verweist darauf, dass die Minderheitsgesellschafter im Rahmen einer Umwandlung immerhin eine Beteiligung an dem neuen Rechtsträger erlangen, auf den das Unternehmen als Einheit übergeht 648. Der Gesetzgeber habe mit Einführung der §§ 327a ff. Vgl. v. Morgen, WM 2003, S. 1554 ff.; Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 260 ff., 270 ff., 348; Rühland, WM 2002, S. 1961 ff.; Wolf, ZIP 2002, S. 156 f. 646 Vgl. Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 260 ff., 270 ff., 348; Wolf, ZIP 2002, S. 156 f. 647 Vgl. Mülbert, Aktiengesellschaft, S. 260 ff., 270 ff., 348; Wolf, ZIP 2002, S. 156 f. 648 Vgl. v. Morgen, WM 2003, S. 1555. 645
6.2. Mögliche Schutzpflichten gegenüber den Aktionären
131
AktG deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die Beteiligung von mehr als fünf Prozent nicht nur vermögensrechtliche, sondern auch mitgliedschaftliche Rechte begründet, die den Gesellschaftern nicht gegen ihren Willen entzogen werden können649. Bereits die fünfprozentige Beteiligung begründet Mitsprache- und Kontrollrechte, die über eine bloße vermögensrechtliche Beteiligung hinausgehen 650. Hierfür können folgende Beispiele gebildet werden: Die in § 122 Abs. 1 S. 1 AktG vorgesehene Möglichkeit, die Einberufung der Hauptversammlung zu verlangen, das in § 122 Abs. 2 S. 1 AktG geregelte Recht Gegenstände zur Beschlussfassung in die Hauptversammlung einzubringen, den Beschluss über die Verwendung des Bilanzgewinns gemäß § 254 Abs. 2 S. 3 AktG anzufechten, eine Sonderprüfung wegen unzulässiger Unterbewertung des Jahresabschlusses zu beantragen (§§ 258 Abs. 2 S. 3, 260 Abs. 1 S. 1 AktG) sowie das Antragsrecht nach § 265 Abs. 3 S. 1 AktG im Falle der Auflösung über das Gericht einen Abwickler bestellen zu lassen 651. 6.2.3.2. Bewertung und Zusammenfassung
Bei dem Squeeze-out nach §§ 327a ff. AktG handelt es sich um eine gesetzlich vorgesehene Ausnahme zu dem Grundsatz, dass Art. 14 Abs. 1 GG dem dauerhaften Entzug des Aktieneigentums entgegensteht. Die in §§ 327a ff. AktG vorgesehene Abfindungspflicht stellt klar, dass unterhalb der Fünf-Prozent-Schwelle lediglich der vermögensrechtliche Wert des Aktieneigentums von der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG geschützt wird, nicht aber die aus dem Anteilseigentum resultierenden Leitungsbefugnisse. Nur diese gesetzliche Ausnahmeregelung ist an die Fünf-Prozent-Schwelle gebunden. Eine generelle Schlussfolgerung für die Zulässigkeit von Change-ofControl-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 316 Abs. 4 Nr. 8 HGB lässt sich daraus nicht ableiten. Anders als beim Squeeze-out besteht im Anwendungsbereich von Change-of-Control-Klauseln die abstrakte Gefahr einer dauerhaften Einschränkung der Veräußerung sämtlicher Aktien unabhängig von
649 650 651
Vgl. v. Morgen, WM 2003, S. 1555 f. Vgl. Rühland, WM 2002, S. 1961 f.; v. Morgen, WM 2003, S. 1556. Vgl. v. Morgen, WM 2003, S. 1556.
132
6. Gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung
der Beteiligungshöhe 652. Da sich die Präventionswirkung dieser Klauseln auf einen Kontrollwechsel bezieht, wird ihr Vorhandensein sich sogar in erster Linie auf die Veräußerlichkeit und den Wert größerer Beteiligungspakete auswirken und erst in zweiter Linie auf Minderheitsbeteiligungen von bis zu fünf Prozent oder bis zu 25 Prozent. Entscheidend ist die Differenzierung zwischen Minderheits- und Mehrheitsaktionären aber für die Frage, ob den Aktionären effektive Möglichkeiten zum Selbstschutz zur Seite stehen, um ihr Anteilseigentum vor der von Change-of-Control-Klauseln ausgehenden Präventionswirkung zu bewahren. Bereits unter 6.1. hat sich nämlich gezeigt, dass Schutzpflichten des Staates im Privatrechtsverkehr nur dort bestehen, wo dessen Teilnehmer zu einem angemessenen Selbstschutz nicht in der Lage sind 653. Im Folgenden sind deshalb zunächst die Möglichkeiten der Mehrheits- und Minderheitsaktionäre zum effektiven Selbstschutz vor Change-of-Control-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 316 Abs. 4 Nr. 8 HGB zu untersuchen, bevor eine abschließende Aussage dazu getroffen werden kann, ob und bis zu welcher Beteiligungsschwelle staatliche Schutzpflichten bestehen können. 6.2.4. Möglichkeiten der Aktionäre zum effektiven Selbstschutz 6.2.4.1. Selbstschutz beim Erwerb neuer Aktien
Beim Erwerb neuer Aktien könnten die mit den §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB neu eingeführten Publizitätspflichten einen ausreichenden Selbstschutz gewährleisten. Beim Erwerb von Minderheitsbeteiligungen in Kenntnis vorhandener Change-of-ControlKlauseln sowie der hieraus folgenden Wirkungen stellt sich die mögliche Beeinträchtigung des Aktieneigentums als allgemeines Anlagerisiko dar. Die Frage ist aber, ob die Neuregelung der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB die Erwerber neuer Aktien tatsächlich in die Lage versetzen, das Vorhandensein und die Folgen von ChangeVgl. Krause/Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 33 Rn. 117, Lips/Stratz/Rudo, in: Hettler/Stratz/Hörtnagl, Unternehmenskauf, § 4 Rn. 408; Mielke/Nguyen-Viet, DB 2004, S. 2515. 653 Vgl. BVerfGE 89, 214; Canaris, JuS 1989, S. 161; Becker, Der unfaire Vertrag, S. 7 ff.; Canaris, Grundrechte, S. 16; Dieterich, RdA 1995, S. 132; Singer, Die Grundrechte, S. 249; Singer, JZ 1995, S. 1141. 652
6.2. Mögliche Schutzpflichten gegenüber den Aktionären
133
of-Control-Klauseln zu überblicken. Dagegen spricht zunächst die bereits im zweiten Kapitel behandelte Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe („wesentliche Vereinbarungen“, „Kontrollwechsel infolge eines Übernahmeangebots“). Ferner kann die Angabe gemäß §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB unterbleiben, soweit sie geeignet ist, der Gesellschaft einen erheblichen Schaden zuzufügen. Vor diesem Hintergrund bestehen Bedenken, ob ein durchschnittlich informierter Anleger die Tragweite der im Lagebericht bzw. Konzernlagebericht vorhandenen oder gerade nicht vorhandenen Angaben zu Change-of-Control-Klauseln richtig einordnen kann. Den für einen effektiven Selbstschutz erforderlichen Überblick über das Vorhandensein von wesentlichen Vereinbarungen und deren Auswirkungen auf den Wert der Aktien wird sich – jedenfalls für eine Übergangszeit – allenfalls ein qualifizierter Anleger verschaffen können. Hierbei handelt es sich aber nicht um ein spezifisches Problem der Publizitätspflichten nach §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB. Auch der gemäß § 325 HGB zu veröffentlichende Jahresabschluss wird regelmäßig nur dem qualifizierten Aktionär nützliche Informationen bieten können. Ein Bedürfnis für staatliche Schutzpflichten gegenüber möglicherweise für Kleinanleger schwer verständlichen Angaben zu wesentlichen Vereinbarungen im Lagebericht kann hieraus nicht abgeleitet werden. Mit Einführung der Offenlegungspflichten gemäß §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB werden neue Aktionäre vor Beeinträchtigungen ihres Eigentums infolge der möglicherweise beschränkten Verkehrfähigkeit der zu erwerbenden Aktien aus der verfassungsrechtlichen Perspektive der Art. 14 Abs. 1, 3 Abs. 1 GG ausreichend geschützt. 6.2.4.2. Selbstschutz im Rahmen bereits bestehender Beteiligungen
Die Offenlegungspflichten gemäß §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB dienen allein dem Schutz beim Erwerb einer Beteiligung, nicht hingegen dem Schutz der bereits vorhandenen Aktionäre vor den Maßnahmen ihres Managements. Allerdings hat die satzungsändernde Mehrheit grundsätzlich die Möglichkeit, Schutzregelungen vor Change-of-Control-Klauseln in der Satzung durchzusetzen. In Anlehnung an die Ausnahmeregelungen der Verhinderungsverbote des § 33 Abs. 1 S. 2 3. Alt. WpÜG sowie des § 33 Abs. 2 WpÜG kann
134
6. Gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung
in der Satzung vorgesehen werden, dass die Aufnahme von Changeof-Control-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 316 Abs. 4 Nr. 8 HGB generell einen (Vorrats-) Beschluss der Hauptversammlung oder zumindest die Zustimmung des Aufsichtsrats erfordert. Hierfür bedarf es aber einer Satzungsänderung. Gemäß § 179 Abs. 2 S. 1 AktG erfordert die Satzungsänderung einen Beschluss der Hauptversammlung grundsätzlich mit einer Mehrheit, die mindestens drei Viertel des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals umfasst. Wenn sich bei Stückaktien die Anzahl der Stimmrechte und die Anzahl der Stückaktien unterscheiden oder bei Nennbetragsaktien der Nennbetrag vom Stimmgewicht abweicht, ist daneben die Vorschrift des § 133 Abs. 1 AktG zu beachten 654. Diese sieht vor, dass Beschlüsse der Hauptversammlung der Mehrheit der abgegebenen Stimmen (einfache Stimmenmehrheit) bedürfen, soweit nicht Gesetz oder Satzung eine größere Mehrheit oder weitere Erfordernisse bestimmen. Unterhalb einer solchen satzungsändernden Mehrheit ist ein Selbstschutz vor Beeinträchtigungen des Eigentumsgrundrechts durch die Vereinbarung von Change-of-Control-Klauseln nicht gewährleistet. Die bereits behandelten Mitwirkungsrechte der Minderheitsaktionäre, die Einberufung der Hauptversammlung zu verlangen (§ 122 Abs. 1 S. 1 AktG), Gegenstände zur Beschlussfassung in die Hauptversammlung einzubringen (§ 122 Abs. 2 S. 1 AktG), den Beschluss über die Verwendung des Bilanzgewinns anzufechten (§ 254 Abs. 2 S. 3 AktG), eine Sonderprüfung wegen unzulässiger Unterbewertung des Jahresabschlusses zu beantragen (§§ 258 Abs. 2 S. 3, 260 Abs. 1 S. 1 AktG) und im Falle der Auflösung der Gesellschaft über das Gericht einen Abwickler bestellen zu lassen (§ 265 Abs. 3 S. 1 AktG) bieten den Minderheitsaktionären aber keine ausreichenden Möglichkeiten, sich vor einer Beeinträchtigung ihres Aktieneigentums durch Change-of-Control-Klauseln zu schützen. Daneben kommen Unterlassungsansprüche der Aktionäre aus §§ 1004, 823 Abs. 2 BGB, 33 WpÜG 655 nur im zeitlichen Anwendungsbereich Vgl. Sickinger, in: Schüppen/Schaub, Aktienrecht, § 29 Rn. 38. Zum umstrittenen Schutzgesetzcharakter des § 33 WpüG vgl. Schwenicke, in: Geibel/Süßmann, WpÜG, § 33 Rn. 88 ff. m. w. N. 654 655
6.2. Mögliche Schutzpflichten gegenüber den Aktionären
135
des § 33 WpÜG in Betracht. Die Geltendmachung solcher Ansprüche setzt zudem die rechtzeitige Kenntnis der Aktionäre von der bevorstehenden Vereinbarung von Change-of-Control-Klauseln voraus, die gesetzlich nicht sichergestellt ist. Insgesamt ist denjenigen Aktionären, die nicht über eine satzungsändernde Mehrheit verfügen, kein ausreichender Selbstschutz vor einer Beeinträchtigung ihres Anteilseigentums durch Change-of-Control-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB möglich. Aber auch die über eine satzungsändernde Mehrheit verfügenden Aktionäre haben die Möglichkeit zum Selbstschutz nur, solange noch keine Change-of-Control-Vereinbarungen vorhanden sind. Wenn hingegen das Eigentumsgrundrecht der Mehrheitsaktionäre infolge bereits vereinbarter – diesen aber bislang unbekannter – Change-ofControl-Klauseln beeinträchtigt ist, kann auch die Möglichkeit einer Satzungsänderung keinen effektiven Selbstschutz mehr gewährleisten. 6.2.4.3. Berücksichtigung der Beteiligungsstruktur
Das Funktionieren der nach der vorstehenden formalen Betrachtung vorhandenen Schutzmöglichkeiten einer satzungsändernden Mehrheit könnte in der Praxis aber weitestgehend von der Beteiligungsstruktur der Gesellschaft abhängen. Zweifelsohne wird ein effektiver Selbstschutz dann möglich sein, wenn die satzungsändernde Mehrheit von einem oder wenigen Gesellschaftern gehalten wird. Stehen hingegen die Aktien im Streubesitz vieler anonymer Aktionäre, macht dies ein gemeinsames Vorgehen erforderlich, das in der Praxis kaum realisierbar, jedenfalls aber mit erheblichen Kosten verbunden ist. Dieses Problem haben Adolf A. Berle und Gardiner C. Means bereits im Jahre 1932 mit ihrer Arbeit „The Modern Corporation and Private Property“ für das U.S.-amerikanische Gesellschaftsrecht untersucht 656. Diese Abhandlung wird noch heute als das einflussreichste Werk zum U.S.-amerikanische Gesellschaftsrecht im 20. Jahrhundert angesehen 657. Die Grundidee besteht darin, dass die Trennung von Vgl. Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, S. 84 mit Nachweisen aus der U.S.-amerikanischen Literatur. 657 Vgl. Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, S. 85. 656
136
6. Gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung
Eigentum und Kontrolle eine grundlegende Begleiterscheinung der modernen börsennotierten Gesellschaften darstellt, die dem einzelnen Aktionär die effektive Kontrolle der Unternehmensführung erheblich erschwert 658. Im Ergebnis der Untersuchung von 200 bedeutenden U.S.-amerikanischen Unternehmen nahmen Adolf A. Berle und Gardiner C. Means unter Zugrundelegung des größten Aktienpakets als Kriterium folgende Typisierung vor: „privately owned“ sind Unternehmen mit mindestens 80 Prozent der Anteile in einer Hand; „management controlled“ sind Unternehmen mit höchstens fünf Prozent der Anteile in einer Hand; die Schwelle des Kontrollwechsels zum Management liegt bei etwa 20 Prozent 659. Diese Theorie bildete die Grundlage für die bis heute andauernde Diskussion über die rechtliche Einordnung des Interessenkonfliktes zwischen Aktionären und Management 660. Auch die deutsche Literatur verwendet diese Erklärungsansätze von Adolf A. Berle und Gardiner C. Means noch heute 661. Für die vorliegende Untersuchung ist festzuhalten, dass die Möglichkeiten der Aktionäre zum effektiven Selbstschutz auch davon abhängen, auf wie viele Aktienpakete die satzungsändernde Mehrheit verteilt ist. Wenn sich weniger als 20 Prozent der Anteile in einer Hand befinden, ist die Aufnahme schützender Regelungen in der Satzung praktisch erheblich erschwert. Dies ist bei der Beantwortung der Frage, ob die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG staatliche Schutzpflichten vor Change-of-Control-Klauseln zugunsten der Aktionäre erfordert, im Einzelfall zu berücksichtigen. 6.2.5. Zwischenergebnisse
Nach dem Vorgesagten ist für die Frage, ob die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG eine planwidrige teleologische Regelungslücke begründet, zwischen dem Schutz der Verkehrsfähigkeit von Aktien und dem Schutz des wirtschaftlichen Wertes des Eigentums zu unter-
658 659 660 661
Vgl. Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, S. 84. Vgl. Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, S. 85. Vgl. Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, S. 85. Vgl. Dimke/Heiser, NZG 2001, S. 254; Hopt, ZGR 1993, S. 542 ff.
6.2. Mögliche Schutzpflichten gegenüber den Aktionären
137
scheiden. Change-of-Control-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne von §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB bieten generell die abstrakte Möglichkeit einer Veräußerungserschwernis von Aktien, auch außerhalb der im WpÜG geregelten Übernahmephase. Folglich liegt eine Ungleichbehandlung grundsätzlich gleicher Sachverhalte vor, wenn der Schutz der Aktionäre vor einer möglichen dauerhaften Erschwerung der Veräußerung des Aktieneigentums durch Change-of-Control-Klauseln auf den Anwendungsbereich des § 33 WpÜG beschränkt wird. Schwierigkeiten bereitet die Konkretisierung dieser abstrakten Gefahr in der Praxis. Diffizil ist auch eine Bestimmung der Auswirkungen von Change-of-Control-Klauseln auf den wirtschaftlichen Wert des Aktieneigentums. Hier bedarf es einer Abgrenzung zum allgemeinen Anlagerisiko. Im Ergebnis kann ein Entzug der Substanz des Anteilswertes nur in Ausnahmefällen angenommen werden, wenn die Veräußerungsmöglichkeiten der Aktien dauerhaft eingeschränkt werden. Die Schutzpflichten des Staates gegenüber den Aktionären stoßen dort auf ihre Grenzen, wo den Aktionären ein effektiver Selbstschutz möglich ist. Beim Erwerb neuer Aktien bieten die mit §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB neu eingeführten Offenlegungspflichten eine ausreichende Möglichkeit zum Selbstschutz. Solange noch keine Change-of-Control-Klauseln vorhanden sind, ist ein solcher Selbstschutz nur der satzungsändernden Mehrheit durch Errichtung geeigneter Schutzmechanismen in der Satzung möglich. In der Praxis sind die Beteiligungsverhältnisse zu beachten. Einer Vielzahl anonymer Minderheitsaktionäre wird ein effektiver Selbstschutz über die Hauptversammlung nur im Ausnahmefall möglich sein. Als Abgrenzungsmerkmal kann auf die von Adolf A. Berle und Gardiner C. Means begründeten Kriterien zurückgegriffen werden, denen zufolge auf Seiten der Aktionären ein Verlust der effektiven Kontrollmöglichkeiten eintritt, wenn das größte Aktienpaket weniger als 20 Prozent der Anteile umfasst. Somit beschränken sich staatliche Schutzpflichten auf diejenigen Aktionäre, die bereits eine Beteiligung an dem betroffenen Unternehmen halten, die ihnen aber – entweder rechtlich oder tatsächlich – nicht die effektive Möglichkeit zur Satzungsänderung gemäß §§ 133 Abs. 1, 179 Abs. 2 S. 1 AktG verschafft. Die gefundene Regelungslücke kann nur im Wege der Gesamtanalogie, also der Übertragung der den Normen der §§ 33 ff. WpÜG,
138
6. Gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung
327a ff. AktG sowie der Rechtsfigur des Vertrags zu Lasten Dritter zugrunde liegenden Rechtsgedanken und Rechtsfolgen geschlossen werden. Denn die Heranziehung staatlicher Schutzpflichten aus den Grundrechten setzt einen Ausgleich im Sinne einer praktischen Konkordanz zwischen den Grundrechten der Aktionäre und den Interessen der Gesellschaft sowie ihrer Vertragspartner voraus, den keine der vorhandenen Einzelvorschriften für sich genommen gewährleisten kann. Nach der hier befürworteten Gesamtanalogie sind Change-of-Control-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne von §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB in Bezug auf ihren möglichen Eingriff in das Eigentumsgrundrecht der nicht über eine satzungsändernde Mehrheit gemäß §§ 133 Abs. 1, 179 Abs. 2 S. 1 AktG verfügenden Aktionäre unter zwei alternativen Voraussetzungen zulässig: Erstens, wenn die Hauptversammlung den Vorstand höchstens 18 Monate vor Abschluss des fraglichen Vertrages mit Dreiviertel-Mehrheit zur Aufnahme der Change-of-Control-Klausel ermächtigt und der Aufsichtsrat der betroffenen Gesellschaft vor Abschluss des Vertrages zugestimmt hat. Zweitens, wenn bei Abschluss des Vertrages eine besondere Eilbedürftigkeit besteht und eine Zustimmung des Aufsichtsrates vorliegt. Unter Beachtung dieser Voraussetzungen können die Parteien beim Abschluss wesentlicher Vereinbarungen im Sinne von §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB im Hinblick auf die Rechte der Aktionäre Rechtssicherheit erlangen. Ein konkreter Lösungsvorschlag zur Umsetzung der vorstehenden Erkenntnisse in der Praxis wird im abschließenden achten Kapitel unterbreitet.
6.3. Mögliche Schutzpflichten gegenüber den Vertragspartnern 6.3.1. Schutz der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit
Aber nicht nur die Aktionäre, sondern auch die Vertragspartner könnten durch die Anwendung von Change-of-Control-Klauseln in ihren Grundrechten beeinträchtigt werden. Es ist deshalb zu prüfen, ob auch in diesem Zusammenhang staatliche Schutzpflichten bestehen, die eine planwidrige teleologische Regelungslücke begründen. Für die betroffenen Unternehmen begründen Change-of-ControlKlauseln in erster Linie die Gefahr des Verlustes der für den eigenen
6.3. Mögliche Schutzpflichten gegenüber den Vertragspartnern
139
Geschäftsbetrieb wichtigen oder sogar notwendigen Geschäftsbeziehungen sowie des Kundestamms. Fraglich ist, ob und in welchem Umfang diese Interessen der Vertragspartner von der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG geschützt werden. 6.3.1.1. Rechtsprechung des BVerfG
Zu Beginn der Rechtsprechung des BVerfG wurde der Gewerbebetrieb dem Sacheigentum gleichgestellt 662. Diese Rechtsprechung hat sich bis heute in ihr Gegenteil gewandelt 663. Der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb genießt im Rahmen des Art. 14 GG allenfalls noch einen Bestandsschutz, nicht aber einen Erwerbsschutz 664. Weitestgehende Einigkeit besteht darüber, dass nur die konkret vorhandenen Werte geschützt werden, nicht hingegen die gewerbliche Tätigkeit als solche oder bloße Aussichten und in der Zukunft liegende Chancen 665. Nicht geschützt ist die Aussicht, das Unternehmen auch künftig rentabel zu betreiben 666. Aber auch bestehende Geschäftsbeziehungen sowie den Kundenstamm hat das BVerfG als „bloße (Umsatz- und Gewinn-)Chancen und tatsächliche Gegebenheiten angesehen“, die nicht von dem im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 GG gewährleisteten Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs umfasst seien 667.
Vgl. BVerfGE 1, 264 (277 f.); Wieland, in: Dreier, GG, Art. 14 Rn. 50. Vgl. BVerfGE 13, 225 (229 f.); BVerfGE 45, 142 (173); BVerfGE 51, 193 (221 f.); BVerwGE 39, 329 (336 f.); BVerwGE 95, 341 (348 f.); BGHZ 98, 341 (351); BGHZ 92, 34 (46); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 14 Rn. 10. 664 Vgl. BVerfGE 13, 225 (229 f.); BVerfGE 45, 142 (173); BVerwGE 39, 329 (336 f.); BVerwGE 95, 341 (348 f.); BGHZ 98, 341 (351); BGHZ 92, 34 (46) sowie in der Rechtslehre zuletzt: Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 14 Rn. 10; Leuschner, NJW 2007, S. 3249. 665 Vgl. BVerfGE 30, 292 (335); BVerwGE 95, 341 (349); Jarass, in: Jarass/ Pieroth, GG, Art. 14 Rn. 25; Papier, in: Herzog u. a., Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Rn. 95; wohl auch Uendt, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 47 (mit der Einschränkung „die keinen Bezug zu einem bestimmten einzelnen Gewerbebetrieb haben“). 666 Vgl. BVerfGE 110, 274 (290); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 14 Rn. 25. 667 Vgl. BVerfGE 77, 84 (118). 662 663
140
6. Gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung
6.3.1.2. Meinungsstand in der Rechtslehre
Zum Teil hat sich auch die Rechtslehre dem BVerfG angeschlossen 668. Nach der Gegenmeinung umfasst der Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG alles, was in seiner Gesamtheit den wirtschaftlichen Wert des Unternehmens bestimmt, also auch die geschäftlichen Verbindungen und Beziehungen eines Unternehmens 669. Da der Gewerbebetrieb „die Gesamtheit aller sachlichen und sonstigen Mittel in allen ihren Erscheinungsformen“ umfasst 670, sei ein völliger Ausschluss der Geschäftsbeziehungen aus dem Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG problematisch, da eine rein begriffliche Abgrenzung zwischen „eigentumsgeschützten Ausstrahlungen“ und „nicht geschützten Chancen“ nicht möglich sei 671. Erforderlich sei vielmehr eine wertende Betrachtung des schutzwürdigen Vertrauens des betroffenen Unternehmens, dass der gewinnbringende Einsatz des Unternehmens überhaupt geschützt wird 672. 6.3.1.3. Bewertung
Zutreffend hat Joachim Wieland 673 im Hinblick auf bestehende Geschäftsbeziehungen unter Bezugnahme auf Dieter Medicus 674 darauf hingewiesen, dass im freien Wettbewerb kein Raum für einen ebenso umfassenden Schutz des Gewerbebetriebes wie des Sacheigentums bestehen kann 675. Diese zivilrechtliche Sichtweise bietet den richtigen Ansatz für die Beantwortung der Frage, ob das „Recht am Unternehmen“ 676 Schutzgegenstand des Art. 14 Abs. 1 GG ist 677. Dagegen spricht, dass eine entsprechende Inhaltsbestimmung des Gesetzgebers erforderlich wäre, der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb seine Grundlage hingegen ausschließlich in der Rechtsfortbildung Vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 14 Rn. 25; Wieland, in: Dreier, GG, Art. 14 Rn. 52. 669 Vgl. Papier, in: Herzog u. a., Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Rn. 95; Wendt, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 48. 670 Papier, in: Herzog u. a., Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Rn. 95. 671 Wendt, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 48. 672 Vgl. Wendt, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 48. 673 Vgl. Wieland, in: Dreier, GG, Art. 14 Rn. 51. 674 Vgl. Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 614. 675 Vgl. Wieland, in: Dreier, GG, Art. 14 Rn. 51. 676 Wieland, in: Dreier, GG, Art. 14 Rn. 52. 677 Vgl. Wieland, in: Dreier, GG, Art. 14 Rn. 52. 668
6.3. Mögliche Schutzpflichten gegenüber den Vertragspartnern
141
durch die Rechtsprechung hat 678. Somit erscheint der Schutz eines Unternehmens vor Vertragsklauseln schon strukturell nicht mit dem Sacheigentum vergleichbar. Allerdings ist wiederum zwischen der Zulässigkeit der Change-of-Control-Klausel an sich und der Ausübung des Kündigungsrechtes zu unterscheiden. Bei der Betrachtung der Zulässigkeit der Klausel an sich kann erneut danach differenziert werden, ob es sich um die erstmalige Vertragsverhandlung oder die Aufnahme von Change-of-Control-Klauseln in bereits bestehende Verträge handelt. In ersterem Fall bildet der allgemeine Wunsch nach Abschluss eines Vertrages ohne Change-of-Control-Klausel ein typisches Beispiel für eine bloße ungewisse Erwerbschance, die nach einhelliger Auffassung nicht von Art. 14 Abs. 1 GG geschützt wird. Im Rahmen der Vertragsverhandlungen begründet die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG somit grundsätzlich kein Schutzbedürfnis vor Change-of-Control-Klauseln. Demgegenüber könnten bereits abgeschlossene Verträge in den Schutzbereich des Art. 14 GG einzubeziehen sein. Wenn nachträglich eine Aufnahme von Change-of-Control-Klauseln in Dauerschuldverhältnisse gefordert wird, handelt es sich nämlich nicht mehr nur um die allgemeinen ungewissen Erwerbschancen. Vielmehr droht der Verlust einer wichtigen vertraglichen Grundlage für die Fortführung eines Gewerbebetriebes. Erst recht gilt dies im Falle der Ausübung des Kündigungsrechtes. Folglich werden konkret vorhandene Werte gefährdet, die man zur wesentlichen Substanz des Gewerbebetriebs zählen kann. Dass es sich um eine durchaus praxisrelevante Fallgestaltung handelt, zeigt die bereits behandelte „Taxi-Zentrale“-Entscheidung des OLG Düsseldorf 679. Die Frage ist also, ob die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG einen Vertragspartner davor schützen soll, dass er sich bei bestehenden Geschäftsbeziehungen entscheiden muss, ob er die mit der nachträglichen Aufnahme der Klausel verbundene Einschränkung seiner Umstrukturierungsmöglichkeiten akzeptiert oder ein Vertragsverhältnis verliert, das möglicherweise die Existenzgrundlage seines Unternehmens bildet. Die Formulierung dieser Frage zeigt, dass in erster Linie ein Eingriff in die Entscheidungsfreiheit des auf 678 679
Vgl. Wieland, in: Dreier, GG, Art. 14 Rn. 52. Vgl. oben 3.2.1.
142
6. Gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung
die Vertragsfortführung angewiesenen Vertragspartners vorliegen könnte und erst in zweiter Linie ein (mittelbarer) Eingriff in den Bestand seines Geschäftsbetriebes. Denn bei formaler Betrachtung trifft der Vertragspartner eine rechtsgeschäftliche Entscheidung. Vor solchen Rechtsakten, die eher in die Freiheit rechtsgeschäftlichen Handelns eingreifen, schützt aber nicht die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG, sondern die Vertragsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG. Soweit der vertraglich ausgeübte Druck sich seinem Inhalt nach auf „die Freiheit der individuellen Erwerbs- und Leistungstätigkeit“ 680 richtet, könnte auch die Berufsfreiheit Art. 12 Abs. 1 GG eingreifen 681. Es soll daher im folgenden Abschnitt 6.3.2 untersucht werden, in welchem Verhältnis die Berufsfreiheit und die Vertragsfreiheit im Anwendungsbereich von Change-of-Control-Klauseln zu einander stehen. 6.3.1.4. Zusammenfassung
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG die Bedürfnisse des Unternehmens nach Abschluss wichtiger Geschäftsbeziehungen ohne Change-of-ControlKlauseln aus ihrem Anwendungsbereich ausschließt. Die Fortführung solcher wichtiger Verträge und der Erhalt des Kundestamms tangieren eher die Grundrechte der Vertrags- und Berufsfreiheit. Folglich ergibt sich aus der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG keine Verpflichtung des Gesetzgebers sowie der Rechtsprechung, geeignete Normen zum Schutz der Vertragspartner zu schaffen. Eine planwidrige Regelungslücke scheidet insoweit aus. 6.3.2. Schutz der Vertragsfreiheit und Berufsfreiheit
Nachdem sich gezeigt hat, dass der Schutzbereich der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG für den Schutz der Vertragspartner vor Change-of-Control-Klauseln nicht eröffnet ist, stellt sich die Frage nach dem Verhältnis zwischen Vertragsfreiheit und Berufsfreiheit im unternehmerischen Geschäftsverkehr.
BVerfGE 84, S. 133 (157). Vgl. BVerfGE 84, S. 133 (157); Cremer, in in: Grote/Marauhn, EMRK/GG, S. 1263; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 14 Rn. 10. 680 681
6.3. Mögliche Schutzpflichten gegenüber den Vertragspartnern
143
Zunächst soll geprüft werden, ob die von Art. 2 Abs. 1 GG garantierte Vertragsfreiheit einen wirksamen Schutz der Vertragspartner erfordert. Auf den ersten Blick scheint die Vertragsfreiheit gerade für die Wirksamkeit von Change-of-Control-Klauseln zu sprechen, da der Vertragspartner der Aufnahme dieser Klauseln anlässlich des Vertragsabschlusses zugestimmt hat. Geht es aber um eine Leistung, auf die ein wirtschaftlich unterlegener Vertragspartner angewiesen ist, fehlt der nötige Freiheitsraum für den Vertrag als „Akt der Selbstbestimmung“ 682. In diesem Falle ist der Vertrag nur noch „technisches Mittel“ 683 zum Vollzug der von Gesetzes wegen bestehenden Verpflichtung zum Austausch von Gütern oder Leistungen 684. Auch bei der Bestimmung der Vertragsfreiheit gilt in der deutschen Rechtsordnung die Schutzpflichttheorie. Kompliziert ist dabei die Bestimmung der Voraussetzungen staatlicher Schutzpflichten zur Verhinderung von Störungen der Funktionsfähigkeit der Vertragsfreiheit. Die grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bindungen der Rechtsprechung bei der Bestimmung der Grenzen der Vertragsfreiheit sollen im Folgenden untersucht werden. 6.3.2.1. Erklärungsmodelle der Vertragsfreiheit in der Rechtslehre
Der vom Gesetzgeber und der Rechtsprechung auszugestaltende Bereich individueller vertraglicher Gestaltungsrechte wird in der Rechtslehre anhand zweier unterschiedlicher Grundmodelle, nämlich einem „liberalen“ und einem „paternalistischen“ 685 bestimmt 686. Nach dem liberalen Verständnis dienen die Grundrechte nicht bestimmten Zielen, sondern der „Freiheit schlechthin“ 687. Der Staat dürfe die Motive und Zwecke der Grundrechtsträger nicht rechtlich bewerten und ebenso wenig zum „Anknüpfungspunkt für eine rechtliche Differenzierung des Freiheitsumfangs“ 688 machen. Gerade die Vertragsfreiheit diene damit auch dem Recht, sich selbst zu schädiFlume, Das Rechtsgeschäft, § 1, 7. Flume, Das Rechtsgeschäft, § 1, 7. 684 Vgl. Flume, Das Rechtsgeschäft, § 1, 7. 685 Bruns, JZ 2007, S. 386. 686 Vgl. Bruns, JZ 2007, S. 386; Kramer, in: Säcker/Rixecker, Münchener Kommentar BGB, Vor § 145 Rn. 2 ff., Singer, JZ 1995, S. 1134 ff. 687 Vgl. Böckenförde, NJW 1974, S. 1530. 688 Böckenförde, NJW 1974, S. 1530. 682 683
144
6. Gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung
gen, solange die Rechte anderer oder der Gemeinschaft nicht verletzt werden 689. Der Vertrag enthalte als Ergebnis gegenläufiger Willenserklärungen prinzipiell eine Richtigkeitsgewähr, so dass es auf die objektive Gerechtigkeit grundsätzlich nicht ankomme 690. Diese Vorstellung war auch maßgeblich für den historischen Gesetzgeber, der das Vertragsrecht des BGB mit nur sehr wenigen zwingenden Vorschriften ausstattete und im Übrigen darauf vertraute, dass „durch Vertragsfreiheit automatisch auch Vertragsgerechtigkeit garantiert sei“ 691. Bei einem gegenseitigen Vertrag würden die gegensätzlichen Interessen von den Vertragsschließenden selbst gewahrt, weil jeder der Vertragsschließenden für sich selbst sorge 692. Das dem liberalen Verständnis der Vertragsfreiheit entgegen gesetzte paternalistische Modell ist durch Otto von Gierkes Mahnung zur Aufnahme eines „Tropfen sozialen Öles“ 693 in das BGB bekannt geworden 694. Auf seiner Grundlage entwickelte sich vor allem nach Einsetzen des Wirtschaftswunders in der noch jungen Bundesrepublik eine immer stärkere Berücksichtigung materieller Vertragsgerechtigkeit in Rechtswissenschaft und Rechtsprechung 695. Bis heute werden beide Grundmodelle in verschiedenen Variationen vertreten. Für die vorliegende Untersuchung ist eine konkrete Entscheidung des Meinungsstreits zwischen liberalem und paternalistischem Verständnis der Vertragsfreiheit wichtig, denn ein paternalistisches Verständnis der Vertragsfreiheit wird feststehende Normen für die (einschränkende) Ausgestaltung vertraglicher Regelungen eher für erforderlich halten als ein liberales. Das Grundverständnis der Vertragsfreiheit ist damit Voraussetzung für die Beantwortung der Frage, ob und in welchem Umfang überhaupt aus verfassungsrechtlicher Perspektive Normen für die Anwendung von Change-of-Control-Klauseln in Wirtschaftsverträgen notwendig sind und somit eine teleologische RegeVgl. Hillgruber, Der Schutz, S. 111 ff. Vgl. Schmidt-Rimpler, AcP 147, S. 130 ff. 691 Basedow, in: Säcker/Rixecker, Münchener Kommentar BGB, Vor § 305 Rn. 4. 692 Vgl. Flume, Das Rechtsgeschäft, S. 7. 693 v. Gierke, Die soziale Aufgabe, S. 10. 694 Vgl. Bruns, JZ 2007, S. 386; Kramer, in: Säcker/Rixecker, Münchener Kommentar BGB, Vor § 145 Rn. 4 ff. m. w. N. 695 Vgl. Bruns, JZ 2007, S. 386; Kramer, in: Säcker/Rixecker, Münchener Kommentar BGB, Vor § 145 Rn. 4 ff. m. w. N. 689 690
6.3. Mögliche Schutzpflichten gegenüber den Vertragspartnern
145
lungslücke besteht oder nicht besteht. Deshalb soll im Folgenden dieser Meinungsstreit zu der Begründung der Vertragsfreiheit stellvertretend anhand von zwei Ansichten aus der jüngeren Rechtswissenschaft näher betrachtet und bewertet werden. Das liberale Modell wurde zuletzt von Alexander Bruns insbesondere aus der europäischen Perspektive vertreten 696. Er kritisierte, dass die Grenzen der Vertragsfreiheit zunehmend Gegenstand einer „mehr oder weniger beliebig(en)“ 697 Abwägung individueller Grundrechtspositionen im Sinne einer Verhältnismäßigkeitsprüfung bestimmt würden 698. Insbesondere sei fraglich, ob die im europäischen Sekundärrecht geregelten Widerrufsrechte und Abschlusszwänge überhaupt noch mit der primärrechtlichen Garantie der Vertragsfreiheit vereinbar sind 699. Jedenfalls verbleibe den Parteien immer weniger privatautonomer Gestaltungsraum 700. Notwendig sei eine Besinnung auf die drei wesentlichen Funktionen der Vertragsfreiheit. Die erste Funktion bestehe in der Gewährleistung eines Freiraums vor staatlicher Regulierung als Voraussetzung einer jeden freiheitlichen Demokratie 701. Zum zweiten diene die Vertragsfreiheit der Innovationskraft im Wirtschaftsleben, zum Beispiel bei der dynamischen Entwicklung neuer Vertragstypen. Drittens bestehe eine wesentliche Funktion in der Gewährleistung von Stabilität bei der eigenverantwortlichen Gestaltung privater Rechtsverhältnisse, wodurch die mit der Bedürfnisbefriedigung „auf anderen Wegen“ 702 jenseits der Rechtsordnung verbundenen gesellschaftlichen Spannungen vermieden werden können 703. Ein sehr überzeugendes Plädoyer für das paternalistische Verständnis der Vertragsfreiheit hat Reinhard Singer in seiner Antrittsvorlesung an der Universität Rostock am 29. Juni 1995 gehalten. Er hat insbesondere festgestellt, dass die bürgerlich-rechtliche Vertragsfreiheit nicht schrankenlos bestehen kann, weil „der Vertragsmechanismus 696 697 698 699 700 701 702 703
Vgl. Bruns, JZ 2007, S. 390. Bruns, JZ 2007, S. 390. Vgl. Bruns, JZ 2007, S. 390. Vgl. Bruns, JZ 2007, S. 393. Vgl. Bruns, JZ 2007, S. 394. Vgl. Bruns, JZ 2007, S. 390. Bruns, JZ 2007, S. 390. Vgl. Bruns, JZ 2007, S. 390.
146
6. Gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung
nur eine begrenzte Richtigkeitsgewähr“ 704 biete. Die in der heutigen Wirtschaftsordnung bestehenden wirtschaftlichen und sozialen Zwänge bewirken eine eingeschränkte Funktion der Vertragsfreiheit. Rechtsprechung und Rechtslehre müssen bei Anwendung der zivilrechtlichen Normen und insbesondere bei Ausfüllung der Generalklauseln stets die jeweils bestehenden realen Bedingungen für freiheitliches Handeln in Erwägung ziehen 705. Als Beispiele für diese freiheitsbegrenzende Funktion der Grundrechte führt Reinhard Singer unter anderem den Schutzzweck der Formformvorschriften an sowie die Norm des § 310 BGB a. F., deren Schutzweck darin besteht, die Selbstbestimmung des einzelnen „vor ihrer völligen Preisgabe“ 706 zu bewahren 707. In diese Richtung zielen auch die von Günther Hönn 708 und Jan Busche 709 vertreten Erklärungsansätze, denen zufolge schon die Wirkungsfähigkeit des Vertrages als Institut eine Einschränkung der vom liberalen Modell befürworteten grundsätzlich unbeschränkten, auch den eigenen Nachteil umfassenden Gestaltungsfreiheit erfordert 710. Denn die Sicherung der privatautonomen Betätigungsfreiheit verlange eine gewisse Einschränkung der real bestehenden (negativen) Vertragsfreiheit 711. Da eine positive Definition der Vertragfreiheit nicht vorhanden sei und damit auch der Inhalt der Vertragsbegründungsfreiheit nicht explizit beschrieben werden könne, sei zur Bestimmung der Grenzen der Vertragsfreiheit eine Analyse ihrer Funktionen im jeweiligen Normkontext erforderlich: „Wer unter allen Umständen auf seiner Vertragsfreiheit beharren kann und auf diese Weise von der Freiheit Gebrauch macht, Verträge nicht abschließen zu müssen, lähmt das Vertragsrecht und entkleidet es seiner eigentlichen Funktion“ 712. Die originäre Aufgabe der Vertragsfreiheit sei die Zusammenführung verschiedener Interessen 713. 704 705 706 707 708 709 710 711 712 713
Singer, JZ 1995, S. 1141. Singer, JZ 1995, S. 1140. Singer, JZ 1995, S. 1134 m. w. N. Vgl. Singer, JZ 1995, S. 1134 m. w. N. Vgl. Hönn, Jura 1984, S. 69. Vgl. Busche, Privatautonomie, S. 125. Vgl. Busche, Privatautonomie, S. 125; Hönn, Jura 1984, S. 69. Vgl. Hönn, Jura 1984, S. 69. Busche, Privatautonomie, S. 644 f. Vgl. Busche, Privatautonomie, S. 645.
6.3. Mögliche Schutzpflichten gegenüber den Vertragspartnern
147
6.3.2.2. Rechtsprechung des BVerfG
Bisher liegen drei Grundsatzentscheidungen des BVerfG zur Inhaltskontrolle zivilrechtlicher Verträge vor, die sich mit dem entschädigungslosen Wettbewerbsverbot für Handelsvertreter 714, mit der Bürgschaft eines vermögenslosen Angehörigen 715 und mit der Inhaltskontrolle von Eheverträgen 716 auseinandergesetzt haben. Der Beschwerdeführer der ersten Entscheidung vom 7. Februar 1990 717 arbeitete für ein Unternehmen, das Weine erzeugt und vertreibt. Nach einem vertraglichen entschädigungslosen Wettbewerbsverbot verpflichtete sich der Beschwerdeführer im Falle einer von ihm schuldhaft verursachten Vertragsbeendigung für die Dauer von zwei Jahren, jede Tätigkeit für ein Konkurrenzunternehmen zu unterlassen und sich an einem solchen Unternehmen auch nicht direkt oder indirekt zu beteiligen oder es auf andere Weise zu fördern. Nach Beendigung des Vertragsverhältnisses wurde er durch die Zivilgerichte zur Zahlung der für den Fall des Verstoßes gegen das Wettbewerbsverbot vorgesehenen Vertragsstrafe verurteilt718. Hierin sah das BVerfG eine Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG. Die angegriffenen Urteile unterliegen der verfassungsrechtlichen Kontrolle, da die Rechtsprechung wie jede staatliche Gewalt an die Grundrechte gebunden ist719. Das BVerfG prüfe jedoch die Entscheidungen der Fachgerichte auf Einhaltung des Verfassungsrechts nur dann, wenn Auslegungsfehler in Bezug auf die Grundrechte erkennbar sind, „in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind“ 720. Das Zivilgericht habe in diesem Fall die Berufsfreiheit des Beschwerdeführers so stark eingeschränkt, dass die Ausübung der beruflichen Tätigkeit in seiner Branche über zwei Jahre verhindert werde. Damit sei seine Existenzgrundlage berührt. Die mit der rechtsgeschäftlichen Selbstbindung des Beschwerdeführers erfolgte Einschränkung der 714 715 716 717 718 719 720
Vgl. BVerfGE 81, 242 = NJW 1990, S. 1469. Vgl. BVerfGE 89, 214 = NJW 1994, S. 36. Vgl. BVerfGE 103, 89 = NJW 2001, S. 957. Vgl. BVerfGE 81, 242 = NJW 1990, S. 1469. Vgl. BVerfGE 81, 242 = NJW 1990, S. 1469. Vgl. BVerfGE 81, 242 = NJW 1990, S. 1469. BVerfGE 81, 242 = NJW 1990, S. 1469.
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6. Gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung
beruflichen Mobilität sei gleichzeitig als Bestandteil der individuellen Freiheit zu sehen. Die Privatautonomie sei jedoch nur im Rahmen der Einhaltung der Grundrechte gewährleistet721. Der Gesetzgeber verfüge bei der Interpretation der Verfassung über einen breiten Gestaltungsraum. So sei von vornherein in der Verfassung nicht erkennbar, wann zum Beispiel Vertragsfreiheit gesetzlich flankiert werden muss 722. Gleiches gelte für eventuell notwendig werdende Schutzvorschriften. Reagieren müsse der Gesetzgeber jedoch auf deutliche Anzeichen von Fehlentwicklungen. Das bedeute jedoch nicht, dass infolge eines Verzichtes des Gesetzgebers auf bindendes Vertragsrecht für spezifische Verträge ein unbegrenzter Freiraum für die Vertragsgestaltung bestehe. Die Rechtsprechung habe den erforderlichen Schutzauftrag der Verfassung zu sichern. Sie habe bei fehlender Vertragsparität den objektiven Grundentscheidungen der Grundrechte mit Hilfe des Zivilrechts flexibel Rechnung zu tragen. Dies gelte insbesondere für Vertragsklauseln, für die keine spezifischen Schutzvorschriften vorhanden sind 723. In der zweiten Grundsatzentscheidung vom 19. Oktober 1993 724 beschäftigte sich das BVerfG mit mehreren Verfassungsbeschwerden über zivilgerichtliche Urteile. Die Beschwerdeführer wandten sich gegen die Auslegung und Anwendung solcher Generalklauseln, die eine Kontrolle von schuldrechtlichen Verträgen durch die Zivilgerichte erfordern 725. Insbesondere betrifft dies die §§ 138 und 242 BGB. Die Zivilgerichte seien ihrer Verpflichtung zur Kontrolle von Bürgschaftsverträgen der Banken nicht nachgekommen, in denen mittellose Angehörige von Kreditnehmern Bürgschaften mit hohen Haftungsrisiken übernommen hätten 726. Die Zivilgerichte hätten bei ihrer Entscheidung die verfassungsrechtlich geschützte Privatautonomie berücksichtigen müssen. Eine entscheidende Voraussetzung für die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Privatautonomie sei das tatsächliche Vorhandensein der erforderlichen Rahmenbedingungen der Selbstbestimmung des Einzelnen. Verschieben sich die Vertragsin721 722 723 724 725 726
Vgl. BVerfGE 81, 242 = NJW 1990, S. 1470. Vgl. BVerfGE 81, 242 = NJW 1990, S. 1470. Vgl. BVerfGE 81, 242 = NJW 1990, S. 1470. Vgl. BVerfGE 89, 214 = NJW 1994, S. 36. Vgl. BVerfGE 89, 214 = NJW 1994, S. 36. Vgl. BVerfGE 89, 214 = NJW 1994, S. 36.
6.3. Mögliche Schutzpflichten gegenüber den Vertragspartnern
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halte in einem Vertragsverhältnis jedoch einseitig zu Gunsten eines Vertragspartners, sei das Zivilgericht verpflichtet, auf die Parität der Grundrechtspositionen bei beiden Partnern einzuwirken. „Die Frage, ob und inwieweit beide Vertragspartner über den Abschluss und den Inhalt des Vertrages tatsächlich frei entscheiden konnten, stellte sich der BGH nicht. Darin liegt eine Verkennung der grundrechtlich gewährleisteten Privatautonomie.“ 727 Die Selbstbestimmung eines Vertragspartners dürfe sich nicht in eine Fremdbestimmung umkehren. Für die Zivilgerichte heiße das, den Inhalt zu kontrollieren 728. Gegenstand der dritten Grundsatzentscheidung war eine Verfassungsbeschwerde gegen die Bestimmung der Grenzen der Vertragsfreiheit für Eheverträge durch die ordentlichen Gerichte 729. Die Beschwerdeführerin hatte bereits aus erster Ehe ein Kleinkind zu versorgen, als sie von ihrem späteren Ehemann schwanger wurde. Der Vater des noch ungeborenen Kindes erinnerte die Beschwerdeführerin an eine grundsätzliche Übereinkunft zu Beginn ihrer Beziehung, nicht heiraten und keine Kinder haben zu wollen. Die Beschwerdeführerin drängte auf eine baldige Heirat, damit das Kind ehelich geboren werde. Nachdem ihr künftiger Ehemann erklärt hatte, Unterhaltsansprüche der Frau im Falle einer Scheidung zu befürchten, legte die Beschwerdeführerin einen von ihr ausgearbeiteten Ehevertragsentwurf vor, der für den Fall der Scheidung einen gegenseitigen Verzicht der Ehegatten auf jeglichen Unterhalt für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sowie einen Freistellungsanspruch des Vaters gegen die Mutter in Bezug auf etwaige, den Betrag von 150 DM/Monat übersteigende Unterhaltsansprüche des zu erwartenden Kindes gegen den Vater enthielt 730. Nachdem die Ehe auf Basis des Ehevertrages geschlossen und wieder geschieden worden war, nahm der Sohn seinen Vater im Wege der Stufenklage auf Auskunft und Kindesunterhalt in Anspruch. Das Oberlandesgericht hielt die ehevertragliche Vereinbarung für wirksam und begründete dies mit der Vertragsfreiheit der Ehegatten. „Der Ehemann habe die Heirat von einer solchen Vereinbarung abhängig machen können, da jedem
727 728 729 730
BVerfGE 89, 214 = NJW 1994, S. 38. Vgl. BVerfGE 89, 214 = NJW 1994, S. 38 f. Vgl. BVerfGE 103, 89 = NJW 2001, S. 957 ff. Vgl. BVerfGE 103, 89 Rn. 13 = NJW 2001, S. 957.
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6. Gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung
die Eheschließung frei stehe“ 731. Das BVerfG erklärte die angegriffene Entscheidung für verfassungswidrig. Sie verletze die Beschwerdeführerin in ihrem Recht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 4 GG. Darüber hinaus verstoße die Entscheidung gegen Art. 6 Abs. 2 GG 732. Es obliege „vornehmlich den Gerichten, bei der Inhaltskontrolle den verfassungsrechtlichen Schutzauftrag umzusetzen und der Schwangeren Schutz vor Druck und Bedrängung aus ihrem sozialen Umfeld oder seitens des Kindesvaters zu gewähren (…), insbesondere wenn sie dadurch zu Vertragsvereinbarungen gedrängt wird, die ihren Interessen massiv zuwiderlaufen“ 733. 6.3.2.3. Bewertung
Dem paternalistischen Erklärungsmodell der Vertragsfreiheit ist zuzustimmen, denn die Vertragsfreiheit kann als Rechtsprinzip nur verwirklicht werden, wenn auch tatsächlich die Macht zur Selbstbestimmung besteht 734. Die Privatautonomie hat nämlich ihre Rechtfertigung nur darin, dass die Selbstbestimmung als Wert anerkannt ist 735. Dies hat auch das BVerfG in seiner unter 6.3.2.2. behandelten Rechtssprechung zur Inhaltskontrolle zivilrechtlicher Verträge betont. Das Prinzip der Selbstbestimmung wird aber dort in Frage gestellt, wo infolge ungleicher Machtverteilung anstelle der beiderseitigen Selbstbestimmung die einseitige Fremdbestimmung tritt 736. Das in den verschiedenen Lebenssachverhalten unterschiedlich stark ausgeprägte Ungleichgewicht an Verhandlungsmacht zwischen den Vertragspartnern wird vom liberalen Erklärungsmodell der Vertragsfreiheit nicht ausreichend beachtet. „Ein formales Verständnis der Vertragsfreiheit macht sie zu einem Instrument der Unterdrückung des Schwachen durch den Starken“ 737. Dies kann die Vertragsfreiheit nicht hinnehmen, ohne ihre eigentliche Funktion einzubüßen. Gerade die von Alexander Bruns eingenommene europäische Perspektive muss die „Asymmetrie der Lebensverhältnisse und Grund731 732 733 734 735 736 737
BVerfGE 103, 89 Rn. 17. Vgl. BVerfGE 103, 89 Rn. 27 = NJW 2001, 957. BVerfGE 103, 89 Rn. 33 = NJW 2001, 958. Vgl. Flume, Das Rechtsgeschäft, § 1, 7. Vgl. Flume, Das Rechtsgeschäft, § 1, 7. Vgl. Flume, Das Rechtsgeschäft, § 1, 7. Armbrüster, in: Westermann, Erman BGB, Vor § 145 Rn. 26.
6.3. Mögliche Schutzpflichten gegenüber den Vertragspartnern
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rechtsstandards“ 738 in den verschiedenen Mitgliedstaaten beachten. Angesichts der „aus multiplen Verflechtungen und dank vielfacher Rezeptionsprozesse erwachsene(n) europäische(n) Grundrechtsordnung“ 739 ist bei der Bestimmung der Grenzen des Grundrechts der Vertragsfreiheit mehr denn je eine funktional-materielle Betrachtung geboten. Schon im Jahre 1971 hat Ulrich Meyer-Cording eine „Vertragsdämmerung“ 740 festgestellt, die ihre Ursache in dem explosionsartigen Anwachsen des technischen Fortschritts und der Bevölkerung habe und das Vertragsrecht an seine Grenzen führe 741. Der Einzelne sehe sich nicht mehr in die Lage versetzt, seine rechtlichen Interessen in den „unüberschaubaren Lebensbeziehungen“ 742 eigenverantwortlich auszuhandeln 743. Diese Ansicht hat in der heutigen Zeit der internationalen Finanzmärkte nichts an Aktualität verloren. Auch die von Alexander Bruns angeführten drei wesentlichen Funktionen der Vertragsfreiheit, nämlich der Schutz vor staatlicher Regulierung, die Innovationskraft im Wirtschaftsleben sowie die Vermeidung von gesellschaftlichen Spannungen744 stehen einem paternalistischen Verständnis der Vertragsfreiheit nicht entgegen. Im Gegenteil ist zweifelhaft, ob eine liberale Bestimmung der – damit zwangsläufig weiten – privatautonomen Gestaltungsfreiräume die vorstehenden Funktionen erfüllen kann. Denn ein weitestgehender Schutz vor staatlicher Regulierung führt in der heutigen Globalisierung der Wirtschaftsräume und Rechtssysteme 745 regelmäßig zu Störungen der Vertragsfreiheit. So beruft sich ein Beschränker des Wettbewerbs in aller Regel auf die Vertragsfreiheit, sobald sich sein Vertragspartner gegen die Beschränkung zur Wehr setzen will 746. Gerade innovative (kleinere) Wirtschaftsunternehmen benötigen staatlichen Schutz vor der Willkür übermächtiger Vertragspartner. In dem immer unüberKotzur, Kooperativer Grundrechtsschutz, S. 355. Kotzur, Kooperativer Grundrechtsschutz, S. 355. 740 Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, S. 151. 741 Vgl. Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, S. 150 f. 742 Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, S. 151. 743 Vgl. Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, S. 151. 744 Vgl. Bruns, JZ 2007, S. 390. 745 Zur Unterscheidung zwischen „rechtlichen und nicht rechtlichen Erscheinungsformen der Globalisierung“: Häberle, Menschenrechte und Globalisierung, S. 400 ff. 746 Vgl. Nörr, Die Leiden des Privatrechts, S. 223. 738 739
152
6. Gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung
sichtlicher werdenden europäischen Wirtschaftsleben, können die Unternehmen nicht immer ohne weiteres (rechtzeitig) erkennen, welche Möglichkeiten zum Selbstschutz vor zum Teil existentiellen Eingriffen in ihre Entscheidungsfreiheit ihnen im Einzelfall offen stehen. 6.3.3. Kriterien für die Inhaltskontrolle von Verträgen
Nach den vorstehenden Erwägungen soll der weiteren Untersuchung das paternalistische Erklärungsmodell der Vertragsfreiheit zugrunde gelegt werden, das einen steuernden Eingriff des Staates grundsätzlich für erforderlich hält, wenn der Einzelne eines Schutzes objektiv bedarf, zum Beispiel weil er die ihm offen stehenden Möglichkeiten zum Selbstschutz nicht erkennt oder aufgrund wirtschaftlicher Abhängigkeiten gezwungen ist, auf formal vorhandene Möglichkeiten zum Selbstschutz zu verzichten. Die Frage ist, ob in Bezug auf Change-of-Control-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne von §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB konkrete Anhaltspunkte für einen Ausfall an Vertragsgerechtigkeit bestehen, die eine planwidrige Regelungslücke begründen. Die Feststellung eines Ausfalls der Funktion der Vertragsfreiheit im vorstehend beschriebenen Sinne war auch Hintergrund der bisherigen Eingriffe der Rechtsprechung zur Unzulässigkeit von Change-ofControl-Klauseln zwischen Wirtschaftsunternehmen747. Ein wesentlicher Mangel der bisher angewandten Normen bestand aber darin, dass die marktstrukturellen Erwägungen des Kartellrechts und der begrenzte Anwendungsbereich der AGB-Inhaltskontrolle zu speziell und/oder deren Rechtsfolge nicht ausreichend flexibel sind. Zu prüfen ist somit, ob allgemeine inhaltliche Maßstäbe für eine immanente Begrenzung der Vertragsfreiheit vorhanden sind, die zur Feststellung einer entsprechenden Regelunglücke herangezogen werden können. 6.3.3.1. Meinungsstand in der Literatur
Teilweise wurde auf Grundlage der bisher vorliegenden Grundsatzentscheidungen des BVerfG 748 zur Inhaltskontrolle zivilrechtlicher Hierzu oben unter 3.2. und 3.3. Vgl. BVerfGE 81, 242 (entschädigungslose Wettbewerbsverbote für Handelsvertreter); BVerfGE 89, 214 (Bürgschaft eines vermögenslosen Angehörigen); BVerfGE 103, 89 (Inhaltskontrolle von Eheverträgen). 747 748
6.3. Mögliche Schutzpflichten gegenüber den Vertragspartnern
153
Verträge die Ansicht vertreten, der „unfaire Vertrag“ unterliege generell einer Inhaltskontrolle durch die Gerichte749. Ein solcher Vertrag „stehe nämlich außerhalb der Rechtsordnung“ 750 und könne deshalb auch im Zivilrecht keinen Bestand haben 751. Da eine allgemeingültige Definition der Funktionsbedingungen und Schranken der Vertragsfreiheit für alle denkbaren Rechtsgeschäfte nicht in Betracht komme, sei eine gerichtliche Inhaltskontrolle im Einzelfall vorzunehmen. Der bisherige Maßstab des § 138 BGB habe sich wegen seines begrenzten Anwendungsbereichs als eng auszulegende Ausnahmevorschrift vom Grundsatz der Vertragsfreiheit und auch wegen seiner strikten Rechtsfolgen (Nichtigkeit bzw. Unwirksamkeit der vertraglichen Vereinbarung) als zu unflexibel herausgestellt 752. Hingegen ermögliche die Inhaltskontrolle nach § 242 BGB anhand bestimmter Kriterien eine flexiblere Bestimmung der Schranken der Vertragsfreiheit 753. Nicht stichhaltig sei der Einwand, die richterliche Inhaltskontrolle führe zu Rechtsunsicherheit, denn die mit der Inhaltskontrolle verbundene Einschränkung der vertraglichen Planungssicherheit falle „in die Risikosphäre dessen, der einem anderen einen unfairen Vertrag ansinnt“ 754. Übertragbar sei insoweit die allgemein anerkannte Risikoverteilung zu Lasten eines Verwenders von Allgemeinen Geschäftsbedingungen 755. 6.3.3.2. Bewertung
Der Forderung, unfaire Verträge einer allgemeinen Inhaltskontrolle nach § 242 BGB zu unterziehen, ist grundsätzlich zuzustimmen. Der Grundsatz von Treu und Glauben ermöglicht eine gerechte und flexible Behandlung auftretender Störungen der Vertragsfreiheit außerhalb spezialgesetzlicher Normen. Allerdings ist der Begriff des „unfairen“ Vertrags zu vage und weitmaschig. Solange nicht konkrete normative Vorgaben für die Zulässigkeitsanforderungen an bestimmte
749 750 751 752 753 754 755
Vgl. Becker, Der unfaire Vertrag, S. 1 ff., S. 71 ff. Becker, Der unfaire Vertrag, S. 2. Vgl. Becker, Der unfaire Vertrag, S. 2. Vgl. Becker, Der unfaire Vertrag, S. 11. Vgl. Becker, Der unfaire Vertrag, S. 11. Becker, Der unfaire Vertrag, S. 17. Vgl. Becker, Der unfaire Vertrag, S. 17.
154
6. Gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung
Vertragsklauseln vorhanden sind, dient eine allgemeine gerichtliche Inhaltskontrolle nach § 242 BGB nicht der Rechtssicherheit. Es bedarf also einer Konkretisierung der Grenzen der Vertragsfreiheit speziell für Change-of-Control-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne von §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB. Einen Ansatzpunkt bildet der Kontrahierungszwang, denn dieser begründet eine immanente Grenze der Vertragsfreiheit. An dieser Stelle sind also die bereits im vierten Kapitel angestellten Überlegungen aus verfassungsrechtlicher Sicht weiterzuführen. Hierbei stößt man auf einen Beschluss des BVerfG vom 9. Oktober 2000, der sich mit den Anforderungen des Grundgesetzes an den Kontrahierungszwang beschäftigt 756. Die Entscheidung behandelt zwar ausschließlich den spezialgesetzlichen Kontrahierungszwang nach dem GWB. Das BVerfG stellt jedoch grundsätzliche Überlegungen zum Verhältnis zwischen positiver und negativer Vertragsfreiheit im unternehmerischen Geschäftsverkehr an, die auch auf den allgemeinen zivilrechtlichen Kontrahierungszwang übertragbar erscheinen. Der Beschwerdeführerin, einem führenden deutschen Arzneimittelgroßhandelsunternehmen, war durch einen vom BGH bestätigten Beschluss des Bundeskartellamts untersagt worden, „sich zu weigern, die Produkte eines bestimmten Arzneimittelimporteurs zu beziehen, auf Lager zu nehmen und zu vertreiben“ 757. Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde nicht gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG zur Entscheidung an, da die „von ihr aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen zu den Grenzen der Vertragsfreiheit und der Freiheit unternehmerischer Betätigung“ sich anhand seiner bisherigen Rechtsprechung beantworten ließen 758. Interessant für die vorliegende Untersuchung ist die Begründung dieser Entscheidung insoweit, als der Kontrahierungszwang als Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG angesehen wird. Hierzu führt das BVerfG unter Hinweis auf seine bisherige Rechtsprechung aus, dass die „allgemeine Vertragsfreiheit und die Freiheit zu wirtschaftlicher beziehungsweise unternehmerischer Betätigung“ 759 zwar 756 757 758 759
Vgl. BVerfG GRUR 2001, S. 266. BVerfG GRUR 2001, S. 266. Vgl. BVerfG GRUR 2001, S. 266. BVerfG GRUR 2001, S. 266.
6.3. Mögliche Schutzpflichten gegenüber den Vertragspartnern
155
in erster Linie von Art. 2 Abs. 1 GG geschützt werde 760. Allerdings habe „die Aufbürdung von Belastungen mit dem Ziel, die Normadressaten vom Abschluss bestimmter Verträge abzuhalten oder zum Abschluss beziehungsweise zur Aufrechterhaltung bestimmter Verträge zu bewegen“ 761 eine objektiv berufsregelnde Tendenz und sei deshalb als Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit anzusehen 762. Eingriffe in die Freiheit der Berufsausübung gemäß Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG bedürfen einer gesetzlichen Grundlage, die ihrerseits den Anforderungen der Verfassung an grundrechtsbeschränkende Gesetze genügt. Bei den gesetzlichen Grundlagen der §§ 26 Abs. 2 S. 2, 37a Abs. 2, 38 Abs. 1 Nr. 4 GWB, auf die das Bundeskartellamt seine Entscheidung gestützt hatte, handelt es sich nach Auffassung des BVerfG um unbedenkliche Regelungen der Berufsausübung, die den Zweck verfolgen, den freien Wettbewerb vor missbräuchlicher Ausübung wirtschaftlicher Machtstellungen zu schützen und somit grundsätzlich geeignet sind, Einschränkungen der Berufsausübungsfreiheit zu rechtfertigen 763. Nach der vorstehenden Entscheidung des BVerfG muss bei der Prüfung der Voraussetzungen eines Kontrahierungszwangs zugunsten des von der Kündigung einer wesentlichen Vereinbarungen im Sinne von §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB bedrohten Vertragspartners die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit des anderen Vertragspartners beachtet werden. Insoweit dürfte auch eine objektiv berufsregelnde Tendenz anzunehmen sein, da Change-of-Control-Klauseln der Absicherung vertraglicher Planungsentscheidungen der am Markt tätigen Unternehmen, mithin deren beruflicher Betätigung dienen. Ein Eingriff des Staates in die Berufsfreiheit des durch Change-of-Control-Klauseln geschützten Unternehmens bedarf einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Bereits unter 6.1. wurde festgestellt, dass die zur Begründung des allgemeinen zivilrechtlichen Kontrahierungszwangs denkbaren Rechtsgrundlagen der §§ 242, 1004 BGB grundsätzlich dem Gesetzesvorbehalt genügen, solange die Rechtsprechung die Erfüllung der ihr übertragenden Konkretisierungsaufgaben sicherstellt. 760 761 762 763
Vgl. BVerfG GRUR 2001, S. 266. BVerfG GRUR 2001, S. 267. Vgl. BVerfG GRUR 2001, S. 267. Vgl. BVerfG GRUR 2001, S. 267 ff.
156
6. Gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung
Die Zivilgerichte müssen bei der Ausfüllung dieser denkbaren Rechtsgrundlagen der §§ 242, 1004 BGB aber nicht nur die Berufsfreiheit des durch die Change-of-Control-Klauseln geschützten Vertragspartners und die Vertragsfreiheit des anderen Teils einem angemessenen Ausgleich zuführen. Zu berücksichtigen ist auch die Berufsfreiheit des anderen, von der Kündigung aufgrund der Change-of-Control-Klauseln bedrohten Vertragspartners, soweit dessen berufliche Existenz auf dem Spiel steht. Ein Beispiel für eine solche existentielle vertragliche Regelung kann der „Mandantenschutzklausel“-Entscheidung 764 des BGH entnommen werden. Dieser Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der 65 Jahre alte Beklagte hatte seine Rechtsanwaltskanzlei an den Kläger veräußert. Vereinbarungsgemäß war der Beklagte für einen Übergangszeitraum weiterhin unentgeltlich in der Kanzlei tätig. Erst im Nachgang zum Kaufvertrag hatten die Parteien eine Vereinbarung getroffen, mit der sich der Beklagte unter anderem dazu verpflichtete, auf seine Zulassung als Rechtsanwalt zu verzichten und bezüglich aller neuen Mandate, die an ihn herangetragen würden, die Mandanten an den Kläger zu verweisen. Für jeden Verstoß gegen diese Regelung war eine Vertragsstrafe vereinbart. Der BGH erklärte diese Vereinbarung gemäß § 138 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 GG für sittenwidrig und daher nichtig. Hierbei ging der BGH unter Hinweis auf seine ständige Rechtsprechung davon aus, dass die Grundrechte bei der Auslegung einfachgesetzlicher Normen vor allem über die Generalklauseln zu beachten sind, also insbesondere auch bei der Ausfüllung des Begriffs der guten Sitten in § 138 BGB. In diesem Rahmen müsse die von Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Berufsfreiheit schon bei der Frage, ob überhaupt ein Eingriff in die von Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Vertragsfreiheit vorliegt, angemessen berücksichtigt werden. Die Freiheit rechtsgeschäftlichen Handels sei nämlich von vornherein nur in den Grenzen der verfassungsmäßigen Ordnung geschützt, so dass von Grundrechten Dritter geforderte Einschränkungen der Vertragsfreiheit keinen verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegen 765.
764 765
Vgl. BGH, NJW 1986, S. 2944. Vgl. BGH, NJW 1986, S. 2945.
6.3. Mögliche Schutzpflichten gegenüber den Vertragspartnern
157
Diese Entscheidung zeigt, dass der BGH schon in der Vergangenheit für sich in Anspruch nahm, die Grenzen der Vertragsfreiheit anhand der von Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsfreiheit zu bestimmen. Auf Grundlage dieser Rechtsprechung ist davon auszugehen, dass auch die Vertragsfreiheit für Change-of-Control-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne von §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB von vornherein durch die Berufsfreiheit beider Vertragspartner begrenzt wird. Zugleich zeigen die vorstehende Entscheidung des Bundesgerichtshofes sowie die unter 6.3.2.2. behandelten Grundsatzentscheidungen des BVerfG, dass das Verhältnis, in welchem die Vertragsfreiheit und die Berufsfreiheit zueinander stehen, nicht generell, sondern nur im Einzelfall bestimmt werden kann. Eine allgemeingültige Regel kann aber dennoch aufgestellt werden: Die Berufsfreiheit schränkt die Vertragsfreiheit dann ein, wenn die vertragliche Regelung die berufliche Existenz eines Vertragspartners bedroht. Dieses Ergebnis bestätigt die von Klaus-Peter Martens begründete Dogmatik der „existentiellen Wirtschaftsabhängigkeit“ 766: Vertragsfreiheit besteht von vornherein nur insoweit, wie die Berufsausübungsfreiheit des Vertragspartners weiterhin gewährleistet bleibt. Eine Einschränkung der Vertragsfreiheit für Change-of-ControlKlauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne von §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB ist somit jedenfalls dann erforderlich, wenn die abstrakte Möglichkeit besteht, dass die wesentlichen unternehmerischen Entscheidungen nicht mehr autonom von dem abhängigen Unternehmen getroffen, sondern von dem übermächtigen Vertragspartner gesteuert werden 767. Nach den vorstehenden Erwägungen ist das vorzugswürdige paternalistische Erklärungsmodell der Vertragsfreiheit grundsätzlich geeignet, die bereits am Ende des vierten Kapitels behandelten Überlegungen von Klaus-Peter Martens zu den graduellen Abstufungen einer wirtschaftlichen Abhängigkeit zu stützen. Staatliche Schutzpflichten vor der Ausübung des von Change-of-Control-Klauseln begründeten Kündigungsrechts können demnach nicht schon dann bestehen, wenn es sich lediglich um eine marktstrukturelle Abhängigkeit oder eine so Hierzu oben 4.2. So definiert Martens die dritte Stufe der „existentiellen Wirtschaftsabhängigkeit“.
766 767
158
6. Gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung
genannte funktionelle Abhängigkeit handelt 768. Hingegen muss der Staat spätestens dann in die Vertragsfreiheit und gegebenenfalls auch in die Berufsfreiheit des durch Change-of-Control-Klauseln geschützten Unternehmens eingreifen, wenn aufgrund der insgesamt getroffenen vertraglichen Regelungen die Gefahr besteht, dass der andere Vertragspartner die maßgeblichen unternehmerischen Entscheidungen nicht mehr selbst gesteuert hat bzw. künftig nicht mehr eigenständig steuern kann. Andernfalls kann die Vertragsfreiheit ihre Funktion im Rahmen der Privatautonomie nicht erfüllen. Besonders interessant für die Konkretisierung dieser staatlichen Schutzpflichten zugunsten eines wirtschaftlich abhängigen Vertragspartners ist das von Klaus-Peter Martens herausgearbeitete Kriterium, ob dieser Vertragspartner einen adäquaten Ausgleich für die Einschränkung seiner Handlungsfreiheit erhält 769. Dieses Kriterium könnte ebenso wie bereits der Begriff der „wesentlichen Vereinbarung“ mit Hilfe eines Vergleichs der Ratingeinstufung des abhängigen Unternehmens objektiviert werden. Wenn sich nämlich das Rating vor und nach Begründung der fraglichen Vereinbarung nicht verändert, spricht dies dafür, dass es sich entweder nicht um eine wesentliche Vereinbarung handelt oder aber dem abhängigen Unternehmen infolge der Geschäftsbeziehung ein ökonomischer Ausgleich zugeflossen ist, so dass gesonderte Schutzvorschriften zugunsten zur Beschränkung der Vertragsfreiheit nicht erforderlich sind. Die infolge von Change-of-Control-Klauseln eintretende Einschränkung der Umstrukturierungsmöglichkeiten wäre damit wirtschaftlich abgegolten, so dass ein Funktionieren des Vertragsmechanismus vermutet werden kann. Für staatliche Schutzpflichten besteht dann kein Raum. 6.3.3.3. Zusammenfassung
Die verfassungsrechtliche Betrachtung möglicher staatlicher Schutzpflichten gegenüber den Vertragspartnern wesentlicher Vereinbarungen im Sinne von §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB hat das Zwischenergebnis des vierten Kapitels bestätigt: Ein Eingriff in die Vertragsfreiheit des durch Change-of-Control-Klauseln geschützten Vertragspartners kann als Sonderfall des allgemeinen zivilrechtlichen 768 769
Vgl. Martens, Wirtschaftsabhängigkeit, S. 9. Vgl. Martens, Wirtschaftsabhängigkeit, S. 22.
6.3. Mögliche Schutzpflichten gegenüber den Vertragspartnern
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Kontrahierungszwangs aus den Grundrechten auf Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG und Vertragsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG begründet werden, wenn die Ausübung des Kündigungsrechtes eine Existenzbedrohung des anderen Vertragspartners befürchten lässt. Im Falle der wirtschaftlichen Abhägigkeit hat der abhängige Vertragspartner einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung oder auf vorübergehende Fortführung des Vertragsverhältnisses. Konkretere Maßstäbe für die Zulässigkeit der Ausübung des in einer Change-ofControl-Klausel vereinbarten Kündigungsrechtes können auch dem Grundgesetz nicht entnommen werden. Künftig wird es Aufgabe der Juristen sein, diesen Sonderfällen vorzubeugen und somit Rechtssicherheit für die Ausübung des Kündigungsrechtes zu gewährleisten. 6.3.4. Zwischenergebnisse
Aus verfassungsrechtlicher Sicht kann die Herausbildung von Normen zur Bestimmung der Grenzen der Vertragfreiheit für Change-ofControl-Klauseln der Rechtsprechung überlassen werden. Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung ist nach der Wesentlichkeitstheorie nicht erforderlich, solange die Rechtsprechung die möglicherweise betroffenen Grundrechte der Vertragsparteien aus Art. 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 GG ausreichend beachtet und zu einem angemessenen Ausgleich bringt. Diesen Wertungen des Grundgesetzes entspricht eine Anwendung des allgemeinen zivilrechtlichen Kontrahierungszwangs, denn dieser beinhaltet eine immanente Grenze der Vertragsfreiheit und ermöglicht einen sachgerechten Ausgleich zwischen Vertragsfreiheit und Berufsfreiheit der Vertragsparteien wesentlicher Vereinbarungen im Sinne von §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB. Konkrete Kriterien für die Zulässigkeit von Change-of-ControlKlauseln werden sich in der Praxis der Vertragsgestaltung und Rechtsprechung entwickeln müssen. Ein Ausblick auf die mögliche Umsetzung der gewonnenen Erkenntnisse in der Praxis der Vertragsgestaltung bleibt dem abschließenden achten Kapitel vorbehalten.
7. Europarechtskonforme Rechtsfortbildung Bei der Gestaltung von Change-of-Control-Klauseln kann nur dann Rechtssicherheit erlangt werden, wenn auch die im europäischen Recht entwickelten Grundsätze zum Schutz der Aktionäre sowie der Vertragspartner Berücksichtigung finden, soweit diese vom deutschen Recht abweichen. Es ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Übernahme der Change-of-Control-Klauseln aus dem U.S.-amerikanischen Wirtschafts- und Rechtsraum Deutschland auch als Bestandteil der Europäischen Union betrifft. Ein effektiver Rechtsschutz muss diese verschiedenen Ebenen der „mehrstufigen Rechtsordnung“ 770 des europäischen und deutschen Rechts weitestgehend in Einklang bringen und Widersprüche vermeiden771. Von Bedeutung für den Rechtsverkehr ist hier die Frage, inwieweit die in der Untersuchung entwickelten Lösungsansätze auch unter den bestehenden Bedingungen des Europarechts anwendbar sind. Zur Beantwortung dieser Frage nimmt dieses siebente Kapitel diejenigen Felder des europäischen Rechts in den Blick, auf denen sich spezielle Anforderungen an den Schutz der Vertragspartner und ihrer Aktionäre vor Change-of-Control-Klauseln entwickeln könnten.
7.1. Das europäische Vertragsrecht „in statu nascendi“772 Die Frage nach der Zulässigkeit vertraglicher Kontrollwechselregelungen betrifft zunächst das Vertragsrecht. Ein einheitliches europäisches Vertragsrecht liegt bisher nur im Entwurf vor 773. Bevor der bisherige Entwicklungsstand dieses Entwurfs behandelt wird (unter 7.1.2.), soll der Frage nachgegangen werden, ob eine Gesetzgebungskompetenz der Europäischen Gemeinschaft besteht.
Kraus, in: Grote/Marauhn, EMRK/GG, S. 98, 112. Vgl. Kraus, in: Grote/Marauhn, EMRK/GG, S. 112. 772 Bruns, JZ 2007, S. 386. 773 Zum Diskussionsstand: v. Bar/Schulte-Nölke, ZRP 2005, S. 165; Hirsch, ZIP 2007, S. 937; Prisching, ZfRV 2007, S. 12 jeweils m. w. N. 770 771
7.1. Das europäische Vertragsrecht „in statu nascendi“
161
7.1.1. Gesetzgebungskompetenz für ein europäisches Vertragsrecht
Der EG-Vertrag verleiht der Gemeinschaft keine umfassende Kompetenz zur Gesetzgebung im Bereich des Privatrechts, sondern nur Einzelkompetenzen in verschiedenen Spezialbereichen774. Gemäß Art. 3 lit. h EG umfasst die Tätigkeit der Gemeinschaft nach Maßgabe des EG-Vertrags auch die Angleichung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften, soweit dies für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes erforderlich ist. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine Kompetenznorm, sondern eine bloße Aufgabennorm, die „keine Rechtsgrundlage für eine Angleichungstätigkeit“ 775 darstellt. Die Kompetenz zur Angleichung des Privatrechts könnte aber aus Art. 44 Abs. 2 lit. g), 94, 95, 153 Abs. 4 und 308 EG abgeleitet werden776. Da Art. 44 Abs. 2 lit. g) EG speziell den Bereich des Gesellschaftsrechts betrifft, kann diese Norm für das Vertragsrecht im engeren Sinne keine Zuständigkeit begründen777. Auch die Norm des Art. 153 EG hat einen zu beschränkten Anwendungsbereich, sie bezieht sich ausschließlich auf den Bereich des Verbraucherschutzes. Als mögliche Rechtsgrundlagen für eine Vereinheitlichung des europäischen Vertragsrechts verbleiben demnach die Art. 94, 95 und 308 EG. Während Art. 94 EG lediglich eine Kompetenz des Rates zum Erlass von Richtlinien begründet, kann der Rat nach Art. 95 EG Maßnahmen im Allgemeinen zur Angleichung von Rechtsvorschriften im Wege des Mitentscheidungsverfahrens nach Art. 251 EG erlassen 778. Anders als beim Erlass von Richtlinien nach Art. 94 EG verlangt Art. 95 EG auch keine einstimmige Entscheidung, sondern lediglich eine qualifizierte Mehrheit779. Die Kompetenznorm des Art. 95 EG umfasst nach ihrem Wortlaut „Maßnahmen zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, welche die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben“. Zweifelhaft 774 775 776 777 778 779
Vgl. Hucke, Harmonisierung des Wettbewerbsrechts, S. 47. Hucke, Harmonisierung des Wettbewerbsrechts, S. 47. Vgl. Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, S. 61. Vgl. Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, S. 61. Vgl. Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, S. 62. Vgl. Hucke, Harmonisierung des Wettbewerbsrechts, S. 48 und 51.
162
7. Europarechtskonforme Rechtsfortbildung
ist, ob davon das gesamte Privatrecht umfasst ist. Eingeführt wurde Art. 95 EG (Art. 100a EGV) mit Art. 18 der Einheitlichen Europäischen Akte zum 1. Juli 1987 mit dem Ziel, in Ergänzung zur Kompetenz des Art. 94 EG (Art. 100 EGV) die Entwicklung des Europäischen Binnenmarktes zu fördern780. Gemäß Art. 95 Abs. 2 EG sind die Bestimmungen über die Steuern (Art. 93 EG), die Freizügigkeit (Art. 39, 40, 46, 47, 49 EG) und die Rechte der Arbeitnehmer (Art. 42, 138 Abs. 2 EG) ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich des Art. 95 EG ausgenommen781. Für die Kaptialverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit gelten die Sondervorschriften der Art. 57, 59, 60 EG sowie des Art. 55 EG in Verbindung mit Art. 47, Abs. 2 EG, so dass die Warenverkehrsfreiheit des Art. 28 EG den Hauptanwendungsbereich des Art. 95 EG darstellen wird 782. Folglich kann eine Vereinheitlichung des Privatrechts nur insoweit auf die Kompetenznorm des Art. 95 EG gestützt werden, wie das Privatrecht für die Verwirklichung des Binnenmarktes relevant ist und keine der vorstehenden Sonderregelungen eingreift. Die Schaffung eines einheitlichen „Europäisches Zivilgesetzbuches“, vergleichbar mit dem BGB, ist davon nicht umfasst. Denn eine umfassende Kodifikation des Vertragsrechts sollte auch das aus dem Anwendungsbereich des Art. 95 EG heraus fallende Recht der Arbeitnehmer und Dienstleistungsverträge einschließen. Jedoch ermöglicht Art. 308 EG – soweit die Einzelermächtigungen nicht eingreifen – solche Maßnahmen, deren Regelung durch die Gemeinschaft erforderlich erscheint, um im Rahmen des Gemeinsamen Marktes eines ihrer Ziele zu verwirklichen. Da diese Norm sich nicht ausschließlich auf die Errichtung des Binnenmarktes bezieht, hat sie einen weiteren Anwendungsbereich als die Art. 94, 95 EG783. Eine solche Maßnahme nach Art. 308 EG bedarf einer einstimmigen Entscheidung des Rates auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments. Im Ergebnis ergibt sich die Gesetzgebungskompetenz für ein einheitliches europäisches Vertragsrecht – je nach dem beabsichtigten materiellen Regelungsumfang – entweder aus Art. 95 EG oder (ergänzend, mit Einstimmigkeitserfordernis) aus Art. 308 EG. 780 781 782 783
Vgl. Hucke, Harmonisierung des Wettbewerbsrechts, S. 49. Vgl. Hucke, Harmonisierung des Wettbewerbsrechts, S. 49. Vgl. Hucke, Harmonisierung des Wettbewerbsrechts, S. 49. Vgl. Hucke, Harmonisierung des Wettbewerbsrechts, S. 53.
7.1. Das europäische Vertragsrecht „in statu nascendi“
163
7.1.2. Der materielle Regelungsumfang
Der beabsichtigte materielle Regelungsumfang des vorgesehenen europäischen Vertragsrechts steht noch nicht abschließend fest. Bereits die von der Lando/Beale-Kommission erarbeiteten „Principles of European Contract“ behandeln in Art. 1.102 die allgemeinen Grundsätze der Vertragsfreiheit (Abschlussfreiheit und die Gestaltungs- bzw. Inhaltsfreiheit) sowie die Endigungs- bzw. Abänderungsfreiheit 784. Derzeit arbeitet ein Netzwerk von Experten an einem „Gemeinsamen Referenzrahmen für ein europäisches Vertragsrecht“ (GRR oder englisch Common Frame of Reference, CFR). Maßgeblich beteiligt ist die „Study Group on a European Civil Code“ unter Leitung von Christian von Bar und die „Research Group on Existing EC Private Law“ unter dem Vorsitz von Hans Schulte-Nölke 785. Nach der bisher von dem Expertennetzwerk vorgesehenen Struktur des Gemeinsamen Referenzrahmens soll ein einführendes Kapitel grundsätzliche Prinzipien, insbesondere die Geltung von Treu und Glauben sowie den Umfang der Vertragsfreiheit und des Diskriminierungsverbotes behandeln786. Der konkrete Regelungsgehalt steht aber noch nicht fest und bleibt der – auch politischen – Entscheidung der Mitgliedstaaten vorbehalten. Kontrovers diskutiert werden die konkreten Maßnahmen zur Verwirklichung der Harmonisierung des europäischen Vertragsrechtes. Das Europäische Parlament hat in mehreren Entschließungen seit 1989 die Ausarbeitung einer einheitlichen europäischen Kodifizierung des Privatrechts angemahnt 787. Demgegenüber sieht die Kommission788 vier Optionen: Zum einen könnte die Lösung festgestellter Probleme dem Markt überlassen werden. Zweitens kommt die Entwicklung gemeinsamer Grundsätze des Europäischen Vertragsrechts in Betracht. Drittens könnte man das geltende EG-Recht verbessern Vgl. Kramer, in: Säcker/Rixecker, Münchener Kommentar BGB, Vor § 145 Rn. 8. 785 Vgl. Hirsch, ZIP 2007, S. 939; Prisching, ZfRV 2007, S. 14. 786 Vgl. Hirsch, ZIP 2007, S. 942. 787 Vgl. die Entschließung v. 26.5.1989, ABl. EG Nr. C 158 (E) v. 26.6.1989, S. 400; Entschließung v. 6.5.1994, ABl. EG Nr. C 20 (E) v. 25.7.1994, S. 518. 788 Vgl. die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat, KOM (2004) 651 endg. v. 10.11.2004, 9 (19 ff.); ABl. EG Nr. C 14 v. 20.1. 2005. 784
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7. Europarechtskonforme Rechtsfortbildung
oder viertens neue Rechtsvorschriften zum Vertragsrecht erlassen. Hingegen sei die Schaffung eines „Europäisches Zivilgesetzbuches“ aus Sicht der Kommission nicht beabsichtigt 789. 7.1.3. Bewertung
Von besonderem Interesse für den der vorliegenden Untersuchung zugrunde gelegten Normbegriff, der schwerpunktmäßig auch allgemeine Rechtsgrundsätze umfasst 790, ist die von Günter Hirsch ausgesprochene Empfehlung, der GRR solle in Anbetracht der unterschiedlichen nationalen Rechtskulturen gemeinschaftsweit konsensfähige Definitionen und Regelungsmodelle entwickeln sowie darüber hinaus gemeinsame vertragliche Grundsätze und Modellregeln formulieren 791. Auf dieser Grundlage könnte dann eine einheitliche Kodifikation des Vertragsrechts entstehen, die den Vertragsparteien optional zur Verfügung steht, um bei grenzüberschreitenden Verträgen eine von den europäischen Institutionen und den Mitgliedstaaten anerkannte rechtliche Ordnung wählen zu können792. Ob dieser Entwicklungsprozess die notwendige Rechtssicherheit für die Anwendung von Change-of-Control-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB gewährleisten wird, kann aus heutiger Sicht nicht abgeschätzt werden.
7.2. Das europäische Eigentumsgrundrecht Bis zur abschließenden Verständigung auf ein einheitliches europäisches Vertragsrecht bedeutet die „Herrschaft des Rechts“ in und für Europa „Herrschaft der Grundrechte“ 793. Es ist folglich zunächst zu klären, auf welchen rechtlichen Grundlagen der Eigentumsschutz der Aktionäre sowie des Unternehmens im europäischen Recht beruht (hierzu 7.2.1.). Im Anschluss daran ist der Frage nachzugehen, welche Wirkung das europäische Eigentumsgrundrecht im deutschen Zivilrecht entfaltet (hierzu 7.2.2.). Auf dieser Grundlage sind GeVgl. die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat, KOM (2004) 651 endg. v. 10.11.2004, 9 (19 ff.); ABl. EG Nr. C 14 v. 20.1. 2005. 790 Oben 2.1. 791 Vgl. Hirsch, ZIP 2007, S. 941. 792 Vgl. Hirsch, ZIP 2007, S. 941. 793 Kotzur, Kooperativer Grundrechtsschutz, S. 337. 789
7.2. Das europäische Eigentumsgrundrecht
165
meinsamkeiten und Unterschiede zwischen deutschem und europäischem Eigentumsgrundrecht aufzuzeigen (hierzu 7.2.3.), um schließlich Schlussfolgerungen für die Zulässigkeitsanforderungen an Change-of-Control-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB ziehen zu können (hierzu 7.2.4.). 7.2.1. Rechtliche Grundlagen des europäischen Eigentumsgrundrechts
Obgleich der EuGH die im EG-Vertrag enthaltenen Marktfreiheiten schon seit der Entscheidung „van Gend & Loos“ 794 als „im Sinne subjektiv-öffentlicher Berechtigungen“ 795 ausgelegt hat, ist ein geschriebener Grundrechtskatalog im EG-Vertrag nicht vorhanden796. Seit der Entscheidung „Stauder“ 797 hat der EuGH ungeschriebene Gemeinschaftsgrundrechte anerkannt 798. Damit hat der EuGH die Grundrechte zunächst in Form von allgemeinen Rechtsgrundsätzen im Europarecht etabliert 799. Diese Gemeinschaftsgrundrechte haben ihre Grundlage zum einen in den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten 800, zum anderen in der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) 801. Allerdings hat der EuGH der EMRK in seinen frühen Entscheidungen zunächst nur eine Indizwirkung zur Konkretisierung der entwickelten allgemeinen Rechtsgrundsätze beigemessen, da die EMRK zu diesem Zeitpunkt noch nicht von allen Mitgliedstaaten ratifiziert worden war 802. Erst nachdem die in Art. 59 Abs. 2 EMRK vorgeseheEuGH, Slg. 1963, S. 1, 25 („van Gend & Loos“). Grote, in: Grote/Marauhn, EMRK/GG, S. 55. 796 Vgl. Grote, in: Grote/Marauhn, EMRK/GG, S. 55. 797 EuGH, Slg. 1969, S. 419 („Stauder“). 798 Vgl. Grote, in: Grote/Marauhn, EMRK/GG, S. 55 799 Vgl. Kotzur, Kooperativer Grundrechtsschutz, S. 337. 800 Vgl. EuGH, Slg. 1970, S. 1125 („Internationale Handelsgesellschaft“); Kraus, in: Grote/Marauhn, EMRK/GG, S. 102. 801 Vgl. EuGH, Slg. 1991, I-2925 Rn. 41 („ERT“); EuGH, Slg. 2001, I-1611 Rn. 37 („Connolly/Kommission“); EuGH, Slg. 2002, I-9011 Rn. 25 („Roquette Frères“). 802 Zur Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte der EMRK: Grote, in: Grote/ Marauhn, EMRK/GG, S. 9 ff., 55; Walter, in: Ehlers, Europäische Grundrechte, § 1 Rn. 21 ff. 794 795
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7. Europarechtskonforme Rechtsfortbildung
nen zehn Ratifikationen erfolgt waren, trat sie am 3. September 1953 in Kraft 803. Obgleich das Recht auf Eigentum schon bei den Verhandlungen über den Abschluss der EMRK einhellig anerkannt wurde, bestanden unterschiedliche Standpunkte insbesondere in Bezug auf die Frage einer Entschädigungspflicht bei Enteignungen 804. Um den Erfolg einer grundsätzlichen Einigkeit in den wesentlichen Fragen nicht zu gefährden, wurden bei Ratifizierung der EMRK im Zeitraum vom 8. März 1951 bis zum 3. September 1995 einige noch umstrittene Diskussionspunkte offen gelassen, um diese sodann nach Möglichkeit in Zusatzprotokollen zu regeln 805. Im Ergebnis verständigten sich die Regierungen auf den in Art. 1 des Ersten Zusatzprotokolls zur EMRK (ZP 1) aufgenommenen Schutz des Eigentums unter Anerkennung der Normen des Völkerrechts 806. Daneben trat am 7. Dezember 2000 die Charta der Grundrechte der Europäischen Union in Kraft 807, allerdings bisher nicht als Bestandteil des Gemeinschaftsrechts, sondern nur als die Mitgliedstaaten politisch verpflichtende Erklärung 808. Die Konvention bildet damit die erste „konstitutionelle Verdichtung“ 809 der europäischen Grundrechtsgarantien neben den vom EuGH herausgebildeten allgemeinen Rechtsgrundsätzen 810. Heute wird die EMRK neben den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als „privilegierte Erkenntnisquelle für die Grundrechtssprechung des EuGH“ 811 angesehen. Ferner hat der EuGH auch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union in seiner Rechtssprechung als Bekräftigung der bereits aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen und den internationalen Pflichten der Mitgliedstaaten folgenden Rechte berücksich-
Vgl. Fleischer/Schoppe, Der Konzern 2006, S. 330. Vgl. Grote, in: Grote/Marauhn, EMRK/GG, S. 40 f. 805 Vgl. Grote, in: Grote/Marauhn, EMRK/GG, S. 39 f. 806 Das ZP 1 wurde auf der Sitzung des Ministerkomitees am 20. März 1952 unterzeichnet und trat am 18. Mai 1954 in Kraft; ausführlich hierzu: Grote, in: Grote/Marauhn, EMRK/GG, S. 42; Riedel, EuGRZ 1988, S. 333 ff. 807 Vgl. ABl. 2000 C 364/1 (abrufbar unter: http://www.europarl.eu.int/carter/). 808 Vgl. Giegerich, in: Grote/Marauhn, EMRK/GG, S. 77. 809 Kotzur, Kooperativer Grundrechtsschutz, S. 346. 810 Vgl. Kotzur, Kooperativer Grundrechtsschutz, S. 343 ff. 811 Grote, in: Grote/Marauhn, EMRK/GG, S. 56; Kingreen, JuS 2000, S. 859; Kühling, Grundrechte, S. 589. 803 804
7.2. Das europäische Eigentumsgrundrecht
167
tigt 812. Damit weist die „europäische Grundrechtsgemeinschaft“ 813 wohl eine höhere „Grundrechtsdichte“ 814 auf, als jeder andere Verfassungsraum 815. Allerdings konnte bisher weder die Europäische Gemeinschaft der EMRK beitreten 816, noch wurde die Charta der Grundrechte in den EG-Vertrag oder den EU-Vertrag aufgenommen 817. Die endgültige Institutionalisierung der europäischen Grundrechtsgarantien bleibt damit der vorgesehenen gemeinsamen Verfassung vorbehalten. Nach der ausdrücklichen Anerkennung der EMRK im Vertrag von Maastricht (Art. 6 Abs. 2 EUV) war im Entwurf des Vertrages über eine Verfassung für Europa vom 18. Juli 2003 (EVV) vorgesehen, dass die Europäische Union den Beitritt zur EMRK anstrebt 818. Nach Ablehnung des EVV auf der Ratstagung in Brüssel am 21./22. Juni 2007 beschloss der Europäische Rat, auf Basis eines vom portugiesischen Vorsitz vorgelegten Entwurfs einen Vertrag zu erarbeiten, den die Mitgliedstaaten vor den Wahlen zum Europäischen Parlament im Jahre 2009 ratifizieren sollen 819. Nach diesem so genannten Reformvorschlag soll die Charta der Grundrechte nicht in den EU-Vertrag aufgenommen werden, sondern in der Fassung der Regierungskonferenz 2004 wieder in Kraft treten 820. Materielle Änderungen gegenüber dem EVV sind aber nicht vorgesehen 821.
Vgl. EuGH, Slg. 2006, I-5769, Rz. 54 ff. („Parlament/Rat“: Familienzusammenführung); Kraus, in: Grote/Marauhn, EMRK/GG, S. 104. 813 Kotzur, Kooperativer Grundrechtsschutz, S. 337. 814 Kotzur, Kooperativer Grundrechtsschutz, S. 337. 815 Vgl. Kotzur, Kooperativer Grundrechtsschutz, S. 337. 816 Nach Art. 59 Abs. 1 EMRK können nur Mitglieder des Europarates beitreten, also bisher nur die europäischen Staaten, jedoch sieht Art. 17 Nr. 1 des Protokolls Nr. 14 zur EMRK vom 13.5.2005 eine Öffnungsklausel für den Beitritt der EU vor, hierzu: Fleischer/Schoppe, Der Konzern 2006, S. 330 m. w. N. 817 Jedoch haben sich das Europäische Parlament und die Europäische Kommission verpflichtet, die Charta der Grundrechte zu beachten, hierzu: Alber, EuGRZ 2001, S. 349; Kraus, in: Grote/Marauhn, EMRK/GG, S. 104. 818 Vgl. Art. 1–9 (2) des Vertrages über eine Verfassung für Europa (CIG 87/04); Grote, in: Grote/Marauhn, EMRK/GG, S. 57. 819 Vgl. Rabe, NJW 2007, S. 3153. 820 Vgl. Rabe, NJW 2007, S. 3154. 821 Vgl. Rabe, NJW 2007, S. 3154. 812
168
7. Europarechtskonforme Rechtsfortbildung
7.2.2. Wirkung des europäischen Eigentumsgrundrechts im deutschen Privatrecht
Ebenso wie in Bezug auf die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG ist auch für das europäische Eigentumsgrundrecht zunächst die Frage zu beantworten, welche Wirkung dieses im deutschen Privatrecht entfaltet. Denn hiervon hängt es ab, ob und in welchem Umfang Schutzpflichten des deutschen Staates in Betracht kommen. Dies ist im Hinblick auf die dogmatische Einordnung eines möglichen Schutzes der Vertragspartner vor Eingriffen in Geschäftsbeziehungen und Kundenstamm von Bedeutung. 7.2.2.1. Rechtsprechung des EuGH und EGMR
In der Rechtsprechung des EuGH finden sich bisher keine Ausführungen zur Begründung staatlicher Schutzpflichten aus dem Eigentumsgrundecht 822. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) ist kasuistisch und lässt einheitliche, abstrakt definierbare Voraussetzungen an staatliche Schutzpflichten nicht zu, wie die folgenden Beispiele zeigen 823. In dem der „Öneryildiz“-Entscheidung 824 vom 16. Juni 2002 zugrunde liegenden Sachverhalt hatte eine Methangasexplosion einen Erdrutsch ausgelöst, der die Wohnung der Familie Öneryildiz zerstörte. Die Ehefrau und acht weitere Familienmitglieder des Klägers, Massalah Öneryildiz, waren durch den Unfall ums Leben gekommen 825. Der EGMR betonte zunächst die autonome Auslegung des Eigentumsbegriffs im Sinne des Art. 1 ZP 1 826 und ging dann der Frage Vgl. Cremer, in: Grote/Marauhn, EMRK/GG, S. 1313 f. Alle im Folgenden angegebenen Entscheidungen des EGMR sind abrufbar in der Datenbank des EMGR „HUDOC“ unter http://www.echr.coe.int/, die Randnummern werden mit „§“ bezeichnet. 824 Vgl. EGMR, No. 48939/99 („Öneryildiz“). 825 Vgl. EGMR, No. 48939/99, § 5 („Öneryildiz“). 826 The Court reiterates that the concept of “possessions” in Article 1 of Protocol No. 1 has an autonomous meaning and certain rights and interests constituting assets can also be regarded as “property rights”, and thus as “possessions” for the purposes of this provision … Although it is true that the determination and identification of a right of property is governed by the national legal system and that the applicant must establish both the exact nature of the right he claims and his prerogative to freely enjoy that right, the Court considers that neither the lack of recognition by the domestic laws of a private interest such as a “right” nor the 822 823
7.2. Das europäische Eigentumsgrundrecht
169
nach, ob ein Eingriff des Staates in die Grundrechte des Herrn Öneryildiz vorliege 827. Im Ergebnis erkannte der EGMR positive Handlungspflichten des türkischen Staates, die Methangasexplosion und den damit verbundenen Erdrutsch, der die Wohnung der Familie Öneryildiz zerstört hatte, zu verhindern 828. Noch im selben Jahr bestätigte der EGMR in der Entscheidung „Sovtransavto Holding v. Ukraine“ 829 staatliche Schutzpflichten zur Gewährleistung eines angemessenen gerichtlichen Rechtsschutzes vor Eingriffen Privater in das europäische Grundrecht auf Aktieneigentum. Dieser Entscheidung lag der Fall eines russischen Transportunternehmens zugrunde, dessen Beteiligung an der SovtransavtoLugansk, einer ukrainischen Aktiengesellschaft, infolge einer Umwandlung der Aktiengesellschaft in eine GmbH sowie durch mehrere durch die Geschäftsführung beschlossene und von der zuständigen ukrainischen Behörde bestätigte Kapitalerhöhungen von ursprünglich 49 Prozent auf 20,7 Prozent gesunken war. Der EGMR stellte in seinem Urteil vom 25. Juli 2002 fest, dass die damit verbundene Änderung der Kontrollmöglichkeiten der Antragstellerin 830 eine Verletzung ihres Eigentumsgrundrechts nach Art. 1 ZP 1, Abs. 1 S. 1 darstelle, weil es der Antragstellerin nicht möglich gewesen sei, den Sachverhalt in angemessener Weise (schieds-)gerichtlich überprüfen zu lassen. Vielmehr habe die nach der Auffassung des EGMR in mehrfacher Hinsicht vorliegende Verletzung des Rechts auf ein faires fact that these laws do not regard such interest as a “right of property”, does not necessarily prevent the interest in question, in some circumstances, from being regarded as a “possession” within the meaning of Article 1 of Protocol No. 1 (EGMR, No. 48939/99, § 139 „Öneryildiz“). 827 In the instant case the applicant complained not of an act by the State, but of its failure to act. In his submission, the loss of his possessions was entirely due to the negligent omissions of the authorities. The Government disputed that submission … The Court has long held that, although the essential object of many provisions of the Convention is to protect the individual against arbitrary interference by public authorities, there may in addition be positive obligations inherent in an effective respect of the rights concerned (EGMR, No. 48939/99, §§ 143 f. „Öneryildiz“). 828 Vgl. EGMR, No. 48939/99, §§ 143 ff. („Öneryildiz“). 829 Vgl. EGMR, Sovtransavto Holding v. Ukraine, Urteil v. 25.07.2002, Appl. No. 48553/99. 830 “changes in the powers the applicant company exercised as a shareholder, that is to say in its ability to run the company and control its assets”.
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7. Europarechtskonforme Rechtsfortbildung
Verfahren gemäß Art. 6 EMRK für die Antragstellerin zu einer dauerhaften Unsicherheit über die Frage geführt, ob die Entscheidungen der Geschäftsführung der Sovtransavto-Lugansk und der ukrainischen Behörden rechtmäßig seien. Diese für die Antragstellerin bei der Verringerung ihrer ursprünglichen Beteiligung und Kontrollmöglichkeiten bestehende Rechtsunsicherheit habe den „gerechten Ausgleich“ zwischen den Erfordernissen des Allgemeininteresses und dem nötigen Schutz des Eigentums der Antragstellerin gestört 831. Der ukrainische Staat habe dabei seine Pflicht verletzt, ein gerichtliches Verfahren zu ermöglichen, welches die nötigen Verfahrensgarantien anbieten und somit die mitgliedstaatlichen (schieds-)Gerichte in die Lage versetzt, in effektiver und fairer Weise über Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten zu entscheiden 832. Allerdings ergibt sich aus der Rechtssprechung des EGMR kein einheitliches Bild. So lehnte der EGMR in der „Broniowski“-Entscheidung 833 aus dem Jahre 2004 eine schematische Unterscheidung zwischen positiven Schutzpflichten und negativen Unterlassungspflichten ab. Es müsse vielmehr im Einzelfall eine Abwägung zwischen den Belangen des Einzelnen und der Gemeinschaft erfolgen, wobei dem jeweiligen Konventionalstaat ein Einschätzungsfreiraum zukomme 834. Ebenfalls noch im Jahre 2004 hatte der EGMR in der „Dogˇan“-Entscheidung835 über den möglichen Eingriff in das Eigentumsgrundrecht vertriebener Bewohner ländlicher Gebiete in der Türkei zu entscheiden. Ein Rechtsschutz kam nach Auffassung des EGMR nicht in Betracht, weil nicht festgestellt werden konnte, ob die Dorfbewohner von Angehörigen der türkischen Staatsmacht oder der PKK vertrieben worden waren 836. “Having regard to the foregoing, the Court finds that the manner in which the proceedings were conducted and ended, and the uncertainty in which the applicant company was left, upset the “fair balance” that has to be struck between the demands of the public interest and the need to protect the applicant company’s right to the peaceful enjoyment of its possessions.” 832 “the States are under an obligation to afford judicial procedures that offer the necessary procedural guarantees and therefore enable the domestic courts and tribunals to adjudicate effectively and fairly any disputes between private persons.” 833 Vgl. EGMR, No. 31443/96, § 143 ff. („Broniowski“). 834 Vgl. EGMR, No. 31443/96, § 144 ff. („Broniowski“); Cremer, in: Grote/ Marauhn, EMRK/GG, S. 1314. 835 Vgl. EGMR, No. 8803–8811/02, § 139 („Dog ˇ an“). 836 Vgl. EGMR, No. 8803–8811/02, § 145 („Dog ˇ an“). 831
7.2. Das europäische Eigentumsgrundrecht
171
7.2.2.2. Bewertung
Nach der vorstehenden Rechtsprechung des EGMR ist das Eigentumsgrundrecht des Art. 1 ZP 1 EMRK weitestgehend als Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe einzuordnen, nicht gegen Handlungen von Privaten 837. Für eine unmittelbare Beschränkung der Privatautonomie privater Unternehmen durch die europäischen Grundrechte besteht nach dem derzeitigen Entwicklungsstand des Europarechts keine tragfähige Grundlage. Erheblichen Einfluss auf die Entwicklung konkreter Zulässigkeitskriterien für die Anwendung von Change-of-Control-Klauseln kann allerdings die unmittelbare Bindung der Mitgliedstaaten als Vertragsparteien haben. Diese bezieht sich auf alle Maßnahmen nationaler Hoheitsträger, umfasst also auch die Rechtsprechung. Die „judikative Auslegung und Fortbildung nationalen (Privat-)Rechts“ 838 darf „demnach nicht gegen die Grundfreiheiten verstoßen“ 839. In der deutschen Rechtsordnung steht die nach Art. 59 Abs. 2 GG transformierte EMRK auf dem Rang des einfachen Bundesrechts 840. Darüber hinaus sind nach der Rechtsprechung des BVerfG Inhalt und Entwicklungsstand der EMRK bei der Interpretation des Grundgesetzes und auch bei der Anwendung einfachen Gesetzesrechts zu berücksichtigen 841. Auch der EuGH ist gemäß Art. 6 Abs. 2 EG gehalten, die EMRK bei seiner eigenen Rechtsprechung einzubeziehen. Daneben bietet die durch das 11. Zusatzprotokoll eingeführte 842 Individualbeschwerde (Art. 34 EMRK) Privaten die Möglichkeit, den EGMR zur Wahrung und Durchsetzung der in der EMRK geregelten Rechte anzurufen. Denkbar wäre also die Beschwerde der Aktionäre oder der Vertragspartner gegen eine mit dem europäischen Eigentumsgrundrecht unvereinbare Auslegung einer Change-of-ControlKlausel durch die nationalen Gerichte. Im Ergebnis bedarf es einer Vgl. Cremer, in: Grote/Marauhn, EMRK/GG, S. 1275. Herresthal, Die Drittwirkung, S. 178. 839 Herresthal, Die Drittwirkung, S. 178. 840 Vgl. Kotzur, Kooperativer Grundrechtsschutz, S. 349 f. 841 Vgl. BVerfGE 74, 358 (370); Fleischer/Schoppe, Der Konzern 2006, S. 330 m. w. N. 842 Vgl. Fleischer/Schoppe, Der Konzern 2006, S. 330 m. w. N. 837 838
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7. Europarechtskonforme Rechtsfortbildung
materiell-funktionalen Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen BVerfG, EuGH und EGMR sowie der weitestgehenden Kooperation dieser Gerichte im Sinne einer „Verantwortungsteilung“ zur „kohärente(n) Grundrechtssicherung“ 843. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch das BVerfG die Vorgaben des EuGH und EGMR an einen europäischen Eigentumsschutz künftig bei seiner Rechtsprechung verstärkt heranzieht. Auch die Rechtsprechung der deutschen Zivilgerichte hat die Anforderungen der europäischen Grundrechte zu berücksichtigen. Denn das Ziel des in Art. 234 EG vorgesehenen Vorabentscheidungsverfahrens besteht darin, dass der EuGH direkt mit den nationalen Gerichten zusammenarbeitet und diesen die Hinweise zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts gibt, die sie zur Entscheidung der bei ihnen anhängigen Rechtsstreitigkeiten benötigen 844. Aus den vorstehenden Gründen soll nun im Folgenden geprüft werden, ob der materielle Inhalt des europäischen Grundrechtsschutzes von den im sechsten Kapitel gefundenen verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Zulässigkeit von Change-of-Control-Klauseln abweicht. 7.2.3. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen deutschem und europäischem Eigentumsgrundrecht
Die Rechtslehre ordnet das Aktieneigentum dem Schutzbereich des europäischen Grundrechts auf Eigentum zu und begründet dies damit, dass der gemeinschaftsrechtliche Eigentumsschutz auf den Verfassungsprinzipien der Mitgliedstaaten beruht 845 und der eigentumsrechtliche Schutz von Aktien auch im Rahmen der Europäischen Menschenrechtskonvention anerkannt ist 846. Der EuGH hatte bisher nicht über die Frage zu entscheiden, ob auch das Aktieneigentum vom Schutzbereich des europäischen Grundrechts auf Eigentum umfasst ist 847. Kotzur, Kooperativer Grundrechtsschutz, S. 354 f. Vgl. EuGH, Slg. 1990, I-3763 Rn. 33 („Dzodzi“); EuGH, Slg. 2003, I-5659 Rn. 16 („Schmidberger“). 845 Vgl. Calliess, in: Ehlers, Europäische Grundrechte, S. 467; Hilmer, Die Übernahmerichtlinie, S. 241. 846 Vgl. Fleischer/Schoppe, Der Konzern 2006, S. 329, 332 m. w. N.; Hilmer, Die Übernahmerichtlinie, S. 241. 847 Vgl. Hilmer, Die Übernahmerichtlinie, S. 241. 843 844
7.2. Das europäische Eigentumsgrundrecht
173
Allerdings wird in der gefestigten Rechtsprechung des EGMR das Eigentum an Aktien in den Schutzbereich des Art.1 ZP 1 EMRK einbezogen 848. Die Vorschrift des Art. 1 ZP 1 lautet: „(1) Jede natürliche oder juristische Person hat das Recht auf Achtung ihres Eigentums. Niemandem darf sein Eigentum entzogen werden, es sei denn, dass das öffentliche Interesse es verlangt, und nur unter den durch Gesetz und durch die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts vorgesehenen Bedingungen. (2) Abs. 1 beeinträchtigt jedoch nicht das Recht des Staates, diejenigen Gesetze anzuwenden, die er für die Regelung der Benutzung des Eigentums im Einklang mit dem Allgemeininteresse oder zur Sicherung der Zahlung der Steuern oder sonstigen Abgaben oder von Geldstrafen für erforderlich hält.“ 849 Nach der vom EGMR angewandten so genannten „Drei-NormenRegel“ 850 ist bei der Anwendung des Art. 1 ZP 1 zwischen drei strikt zu trennenden Normen zu differenzieren, nämlich der allgemeinen Anerkennung des Eigentums (Abs. 1 S. 1), den Voraussetzungen für einen Entzug des Eigentums (Abs. 1 S. 2) und der Berechtigung der Staaten zur gesetzlichen Regelung des Eigentums im Einklang mit dem Allgemeininteresse (Abs. 2) 851. Der EGMR prüft zunächst, ob überhaupt ein Eingriff in das Eigentum vorliegt. Auf der zweiten Prüfungsstufe untersucht der EGMR, ob dieser Eingriff als Entzug des Eigentums gemäß Art. 1 Abs. 1 S. 2 ZP 1, eine Nutzungsregelung gemäß Art. 1 Abs. 2 ZP 1 oder ein sonstiger Eingriff gemäß Art. 1 Abs. 1 S. 1 ZP 1 anzusehen ist 852. 7.2.3.1. Schutz der Minderheitsaktionäre
Am Maßstab des Gemeinschaftsrechts wird das mit der Übernahmerichtlinie eingeführte europäische Squeeze-out (§ 39a WpÜG) als Eingriff in das europäische Eigentumsgrundrecht angesehen, der Vgl. EGMR EuGRZ 1988, 350 (“Lithgow”); EGMR, Urteil vom 12.12.2002, S. 8 (“Cesnieks”); EGMR No. 48553/99, § 91 („Sovtransavto Holding“). 849 Abgedruckt in: Grote/Marauhn, EMRK/GG, S. 1222. 850 Fleischer/Schoppe, Der Konzern 2006, S. 331 f. 851 Vgl. EGMR, A 213, § 71 („Wiesinger“); EGMR, No. 46720/99, § 62 („Jahn“); EGMR, No. 8803–8811/02, § 145 („Dogˇ an“); EGMR, NJW 2006, S. 197, 200 („Bosphorus“); Cremer, in: Grote/Marauhn, EMRK/GG, S. 1275. 852 Vgl. Cremer, in: Grote/Marauhn, EMRK/GG, S. 1275, 1278 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des EGMR. 848
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7. Europarechtskonforme Rechtsfortbildung
allerdings bei Zahlung einer angemessenen Entschädigung für den Eigentumsverlust gerechtfertigt sei 853. Ebenso wie nach deutschem Recht wird also der Ausgleich der betroffenen Interessen diskutiert und mit Hilfe des Entschädigungsanspruchs erreicht. In Bezug auf den Schutz der Minderheitsgesellschafter ergeben sich also grundsätzlich keine Abweichungen zum deutschen Recht, die für eine rechtssichere Anwendung von Change-of-Control-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB zu beachten wären. 7.2.3.2. Schutz der Vertragspartner
Nach den vorstehenden Ausführungen stellt sich die Frage, ob die Eigentumsgarantie des Art. 1 ZP 1, Abs. 1 S. 1 EMRK auch einen Schutz der Vertragspartner wesentlicher Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB gewährleistet. Grundsätzlich werden im Anwendungsbereich des Eigentumsgrundrechts nach Art. 1 ZP 1, Abs. 1 S. 1 EMRK – ebenso wie nach deutschem Recht – lediglich momentane wirtschaftliche Positionen (zum Beispiel Marktanteile), die auf veränderlichen Faktoren beruhen, nicht geschützt 854. Abweichungen bestehen aber bei gefestigten, nicht nur temporären wirtschaftlichen Ressourcen. So hat der EGMR in der bereits im Vorstehenden behandelten „Dogˇ an“-Entscheidung 855 den Schutz des Eigentumsgrundrechts vertriebener Bewohner ländlicher Gebiete in der Türkei nicht davon abhängig gemacht, ob diese Eigentümer der von ihnen bewirtschafteten Grundstücke waren. Entscheidend sei vielmehr, dass die Vertriebenen die fraglichen Gebiete seit Generationen bewirtschaftet hatten und sie unstreitig berechtigt waren, mit Viehzucht und Forstwirtschaft ihre Existenzgrundlage zu sichern 856. Vgl. Fleischer/Schoppe, Der Konzern 2006, S. 329, 332; Hilmer, Die Übernahmerichtlinie, S. 239 ff., 246. 854 Vgl. EuGH, Slg. 2004 I-11893, § 73 („Swedish Match“); Kraus, in: Grote/ Marauhn, EMRK/GG, S. 129. 855 Vgl. EGMR, No. 8803–8811/02, § 139 („Dog ˇ an“). 856 Vgl. EGMR, No. 8803–8811/02, § 145 („Dog ˇ an“): “The Court notes that it is not required to decide whether or not in the absence of title deeds the applicants have rights of property under domestic law. The question which arises under this head is whether the overall economic activities carried out by the applicants constituted “possessions” coming within the scope of the protection afforded by Article 1 of Protocol No. 1. In this regard, the Court notes that it is undisputed 853
7.2. Das europäische Eigentumsgrundrecht
175
In der Rechtslehre wurde zu der „Dogˇan“-Entscheidung angemerkt, der EGMR könnte mit der Erstreckung des Eigentumsgrundrechts auf allgemeine wirtschaftliche Ressourcen unabhängig von der Anerkennung des formalen Eigentumsrechtes in der nationalen Rechtsordnung „eine neue Formel geprägt“ 857 haben. Tatsächlich scheint diese Entscheidung den Schutzbereich des europäischen Eigentumsgrundrechts über denjenigen des Art. 14 Abs. 1 GG hinaus zu erweitern. Allerdings ist zu beachten, dass die unternehmerische berufliche Betätigung in der EMRK keinen besonders ausgeformten Schutz erfahren hat 858. Es fehlt somit eine dem Art. 12 Abs. 1 GG vergleichbare Grundrechtsnorm 859. Die Norm des Art. 4 Abs. 2 EMRK verbietet lediglich Zwangs- und Pflichtarbeit und kann somit keine Garantie der freien beruflichen und wirtschaftlichen Betätigung begründen 860. Allein deswegen könnte der EGMR das spezielle Schutzbedürfnis des unternehmerischen Handels, insbesondere auf Erhaltung notwendiger Geschäftsbeziehungen sowie des Kundenstamms, in den Eigentumsschutz aufgenommen haben. Hierfür spricht die Entscheidung „Van Marle u. a.“ 861 über die Klage der Inhaber einer niederländischen Buchprüfungsgesellschaft. Diese setzten sich dagegen zur Wehr, dass sie aufgrund einer Änderung des niederländischen Rechts ihren Status als eingetragene und staatlich anerkannte Wirtschaftsprüfer verlieren sollten. Sie rügten eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 1 ZP 1 mit der Begründung einer drohenden Reduzierung ihres Einkommens sowie des Wertes des Goodwill ihrer Praxen 862. Der that the applicants all lived in Boydas¸ village until 1994. Although they did not have registered property, they either had their own houses constructed on the lands of their ascendants or lived in the houses owned by their fathers and cultivated the land belonging to the latter. The Court further notes that the applicants had unchallenged rights over the common lands in the village, such as the pasture, grazing and the forest land, and that they earned their living from stockbreeding and tree-felling. Accordingly, in the Court’s opinion, all these economic resources and the revenue that the applicants derived from them may qualify as “possessions” for the purposes of Article 1.” 857 Cremer, in: Grote/Marauhn, EMRK/GG, S. 1264. 858 Vgl. Cremer, in: Grote/Marauhn, EMRK/GG, S. 1263; Milczewski, Schutz des Eigentums, S. 265. 859 Vgl. Günter, Berufsfreiheit, S. 11; Milczewski, Schutz des Eigentums, S. 265. 860 Vgl. Günter, Berufsfreiheit, S. 11. 861 EGMR A 101, § 39 ff. („Van Marle u. a.“). 862 Vgl. EGMR A 101, § 39 ff. („Van Marle u. a.“).
176
7. Europarechtskonforme Rechtsfortbildung
Gerichtshof behandelte das geltend gemachte Recht als dem Eigentum ähnlich, da die Kläger es durch ihre eigene Leistung aufgebaut haben, und stellte es deshalb unter den Schutz des Art. 1 ZP1863. Danach schützt Art. 1 ZP 1 die „materiell geronnene Berufsfreiheit“ 864 also in ähnlichem Umfang wie die – insoweit gegenüber Art. 14 Abs. 1 GG speziellere – Norm des Art. 12 Abs. 1 GG. Bestätigt wird diese Überlegung, wenn man die Rechtsprechung des EuGH betrachtet. Da der EuGH den gemeinschaftsrechtlichen Eigentumsschutz nicht ausschließlich aus der EMRK ableitet, sondern daneben maßgeblich auf die gemeinsamen Verfassungsprinzipien der Mitgliedstaaten abstellt 865, trennt der EuGH zwischen dem Eigentumsgrundrecht und der freien Berufsausübung als eigenständigem Gemeinschaftsgrundrecht 866. Ein Beispiel für die Anerkennung des europäischen Grundrechts auf Berufsfreiheit durch den EuGH bildet die Entscheidung Kommission/Deutschland vom 18. September 1986 867. Gegenstand dieser Entscheidung war eine deutsche Vorschrift, die es verbot, Qualitätsweine bestimmter Anbaugebiete außerhalb des jeweiligen Anbaugebietes zu produzieren. Der EuGH stellte fest, dass diese Bestimmung nicht die Existenz der betroffenen Unternehmen gefährde und auch nicht den Wesensgehalt der freien Berufswahl beeinträchtige. Vielmehr handele es sich um eine nur mittelbare Beeinträchtigung der Berufsfreiheit in Form einer Berufsausübungsregelung 868. Ausdrücklich betonte der EuGH etwa in der Entscheidung „Deutschland/Rat“ vom 5. Oktober 1994, dass die freie Berufsausübung ebenso wie das Eigentumsgrundrecht zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts gehört 869.
Vgl. EGMR A 101, § 41 ff. („Van Marle u. a.“). Cremer, in: Grote/Marauhn, EMRK/GG, S. 1263. 865 Vgl. EuGH Slg. 1979, S. 3727 Rn. 15 („Hauer“); EuGH Slg. 2003, I-7411 Rn. 65 („Booker Aquaculture und Hydro Seafood“). 866 Vgl. Cremer, in: Grote/Marauhn, EMRK/GG, S. 1263; Günter, Berufsfreiheit, S. 16 ff.; Milczewski, Schutz des Eigentums, S. 265. 867 Vgl. EuGH Slg. 1986, S. 2519 („Kommission/Deutschland“). 868 Vgl. EuGH Slg. 1986, S. 2519 (2545) Rn. 27 („Kommission/Deutschland“). 869 Vgl. EuGH Slg. 1994, I-4973, S. 5065 Rn. 78 („Deutschland/Rat“). 863 864
7.3. Binnenmarkt und Grundfreiheiten
177
7.2.4. Schlussfolgerungen
Es zeigt sich, dass der Schutz der Aktionäre und Vertragspartner am Maßstab des Grundgesetzes, der europäischen Grundrechte sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention ähnlich gelagert ist. Zwar definiert der EGMR den Schutzbereich des Art. 1 ZP 1 EMRK weit und bezieht in einigen Entscheidungen auch die berufliche und wirtschaftliche Betätigungsfreiheit mit ein. Daraus dürften sich im Ergebnis aber keine grundlegenden Unterschiede zu dem vom deutschen Grundgesetz gewährleisteten Schutz vor Change-of-Control-Klauseln wesentlicher Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB ergeben. Dies aus zwei Gründen: Erstens fehlt im Konventionstext eine besondere Regelung zum Schutz der Berufsfreiheit im Sinne der wirtschaftlichen Betätigung eines Unternehmens. Folglich begründet die Einbeziehung der betroffenen Rechtspositionen in den Schutzbereich des Eigentumsgrundrechts lediglich einen systematischen Unterschied zum deutschen Verfassungsrecht, welches eine Abgrenzung zwischen Art. 12 GG und Art. 14 GG erfordert. In der Sache besteht bisher ein Gleichklang zwischen deutschen und europäischen Grundrechten, der den Vertragspartnern wesentlicher Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB folgende Rahmenbedingungen vorgibt: Soweit eine langfristige und intensive Geschäftsbeziehung die Existenzgrundlage für einen Vertragspartner bildet, könnte der plötzliche Abbruch dieser Geschäftsbeziehung einen Eingriff in dessen Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 und 12 Abs. 1 GG sowie aus Art. 1 ZP 1, Abs. 1 S. 1 EMRK darstellen. Hieraus könnten sich auch staatliche Schutzpflichten ergeben, die insbesondere von der Rechtsprechung der Zivilgerichte bei der Auslegung der jeweiligen Vereinbarung zu beachten sind.
7.3. Binnenmarkt und Grundfreiheiten „Zentrales Ziel der Gemeinschaftspolitik ist die Verwirklichung des Europäischen Binnenmarktes. Dieser kann nur dann effektiv funktionieren, wenn ein Mindestmaß an einheitlichen Regelungen vorhanden ist, um die vier Grundfreiheiten im Binnenmarkt zu gewährleisten“870. Obgleich es sich bei Change-of-Control-Klauseln um 870
Hucke, Harmonisierung des Wettbewerbsrechts, S. 455.
178
7. Europarechtskonforme Rechtsfortbildung
vertragliche Rechtsakte zwischen privaten Wirtschaftsunternehmen handelt, schließt dies eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des gemeinsamen Binnenmarktes nicht aus. So könnte zum Beispiel ein deutsches Bauunternehmen, das sich in einer Bietergemeinschaft mit einem ungarischen Bauunternehmen um bedeutende Aufträge in Ungarn bewirbt, eine Change-of-Control-Klausel in den Kooperationsvertrag aufnehmen, um zu verhindern, dass seine deutschen oder westeuropäischen Konkurrenten die Kontrolle am ungarischen Kooperationspartner erlangen. Neben Marktakquisitionskosten oder dem Schutz eigener Geschäftsgeheimnisse können auch Überlegungen zur Erlangung einer Vormachtstellung auf dem ungarischen Nachfragemarkt für Bauleistungen sowie eine exklusive Zusammenarbeit mit allen ortsansässigen Unternehmen im Vordergrund stehen. Für die europäischen Konkurrenzunternehmen können derartige Vereinbarungen von Change-of-Control-Klauseln die Inanspruchnahme ihrer Grundfreiheiten (zum Beispiel der Niederlassungs- und Warenverkehrsfreiheit) unattraktiv machen. Denn im Wettbewerb um bedeutende Bauvorhaben im Ausland besteht ein Erfolg versprechendes Marktzugangskonzept in der Akquisition eines bereits etablierten, aber noch international unabhängigen einheimischen Bauunternehmens. Ein wesentliches Motiv für den Erwerb eines bestehenden Unternehmens kann es sein, einen „Schlüsselkunden“, gemeinsam mit der eigentlich nicht benötigten Zielgesellschaft zu erwerben 871. Damit können eigene langwierige und möglicherweise erfolglose Akquisitionsbemühungen erspart werden 872. Der Erwerb einer im Ausland bereits bestehenden Gesellschaft bietet Unternehmen die Möglichkeit, die eigene Geschäftstätigkeit über die nationalen Grenzen hinaus zu erweitern 873. Aus dem vorstehenden Beispiel ergibt sich die Frage, ob und in welchem Umfang nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch private Unternehmen gegenüber anderen Privaten durch die Grundfreiheiten verpflichtet werden und ihr rechtsgeschäftliches Verhalten auf die europäischen Anforderungen einstellen müssen. Diese Frage wird im Folgenden beantwortet.
871 872 873
Vgl. Böx, in: Hettler/Stratz/Hörtnagl, Unternehmenskauf, § 1 Rn. 50. Vgl. Böx, in: Hettler/Stratz/Hörtnagl, Unternehmenskauf, § 1 Rn. 50. Vgl. Merkt, Internationaler Unternehmenskauf, S. 1.
7.3. Binnenmarkt und Grundfreiheiten
179
7.3.1. Wirkung der Grundfreiheiten im deutschen Privatrecht 7.3.1.1. Meinungsstand in der Rechtslehre
Im Gemeinschaftsrecht ist die Frage der Drittwirkung der Grundfreiheiten zwischen Privaten umstritten. In der Literatur wird zum Teil grundsätzlich von einer unmittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten ausgegangen 874. Dies wird mit dem Wortlaut der Grundfreiheiten begründet, der sich nicht ausdrücklich nur auf die Mitgliedstaaten beziehe, sowie mit dem effet-utile-Grundsatz, der im Hinblick auf das Ziel der Verwirklichung eines einheitlichen Binnenmarktes eine Beschränkung der Grundfreiheit auch durch Private verhindern müsse 875. Die Gegenansicht verneint eine unmittelbare Einschränkung der Vertragsfreiheit Privater durch die Grundfreiheiten unter Hinweis auf deren historische Entwicklung als Mittel zur Verpflichtung der Mitgliedsstaaten 876. Sie stützt sich auf die gemeinwohlorientierten Rechtfertigungsgründe (zum Beispiel in Art. 30 EG und Art. 39 Abs. 3 EG) und die Regelung des Art. 86 Abs. 2 EG, demzufolge die Vorschriften des EG-Vertrags (nur) für Unternehmen gelten, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind oder den Charakter eines Finanzmonopols haben 877. Zuletzt hat sich Carsten Herresthal zu dieser Problemstellung geäußert 878. Er hat die Ansicht vertreten, dass in der Rechtsprechung des EuGH für bestimmte Grundfreiheiten punktuelle Ansätze einer Drittwirkung zu finden seien, insbesondere für „kollektive Regelungen“ Privater im Arbeits- und Dienstbereich 879. Demgegenüber komme eine Drittwirkung der Warenverkehrsfreiheit der Art. 28, 30 EG nicht in Betracht, weil insoweit nach der Rechtsprechung des EuGH das europäische Wettbewerbsrecht den alleinigen Maßstab für die Beurteilung des Verhaltens von Privaten darstelle 880. Das Problem könne folglich nicht einheitlich behandelt werden, da eine „Pluralität eigenständiger, sich überlagernder Wertungskomplexe“ 881 vorliege. 874 875 876 877 878 879 880 881
Vgl. Ganten, Die Drittwirkung der Grundfreiheiten, S. 94 ff., 106 ff. m. w. N. Vgl. Ganten, Die Drittwirkung der Grundfreiheiten, S. 94 ff., 106 ff. m. w. N. Vgl. Canaris, Drittwirkung, S. 29 ff., 40 ff. Vgl. Canaris, Drittwirkung, S. 29 ff., 40 ff. Vgl. Herresthal, Die Drittwirkung, S. 177 ff. Vgl. Herresthal, Die Drittwirkung, S. 181 f. Vgl. Herresthal, Die Drittwirkung, S. 183 f. Herresthal, Die Drittwirkung, S. 189.
180
7. Europarechtskonforme Rechtsfortbildung
Zur Problemlösung hat Herresthal „vier eigenständige Wertungskomplexe“ gebildet. Der erste Wertungskomplex umfasst das so genannte „funktional staatliche Handeln“, also eine unmittelbare Bindung derjenigen Privaten, die „delegierte Hoheitsgewalt ausüben“ 882. Der zweite Wertungskomplex enthält das „Verbot privater Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit“ 883, das sich aus Art. 12 EG ergebe 884. Im dritten Wertungskomplex sind die Maßnahmen zur so genannten „Behebung horizontaler Marktstörungen durch Private“ 885 zusammen zu fassen, die ausschließlicher Schutzauftrag des Wettbewerbsrechts seien 886. Schließlich sollen in einem vierten Wertungskomplex „hinreichende Wertungsgrundlagen“ 887 für die Frage gefunden werden, ob von Normen jenseits von Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit und wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen eine relevante Beeinträchtigung der Grundfreiheiten Dritter ausgehen kann, die so genannte „Regelsetzung durch Private“ 888. 7.3.1.2. Rechtsprechung des EuGH zu Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit
In der Rechtssache „Angonese“ hat der EuGH Art. 39 EG auf eine Privatbank angewandt, die einem Bewerber (Herrn Angonese) die Teilnahme an einer Stellenausschreibung versagt hatte, weil dieser die geforderte Bescheinigung über die Zweisprachigkeit, die nur von den örtlichen Behörden ausgestellt werden, nicht vorweisen konnte 889. In der Urteilsbegründung führte der EuGH aus, dass Arbeitnehmer ihre beruflichen Qualifikationen nicht so einfach ändern oder eine alternative Beschäftigung finden, wie Kaufleute ihre Produktpalette ändern oder alternative Wege für deren Vermarktung finden können 890. Diskriminierende Regelungen durch einen privaten Arbeitgeber wirk-
882 883 884 885 886 887 888 889 890
Herresthal, Die Drittwirkung, S. 189. Herresthal, Die Drittwirkung, S. 193. Vgl. Herresthal, Die Drittwirkung, S. 193 ff. Herresthal, Die Drittwirkung, S. 206. Vgl. Herresthal, Die Drittwirkung, S. 206 ff. Herresthal, Die Drittwirkung, S. 210. Herresthal, Die Drittwirkung, S. 210. Vgl. EuGH, Slg. 2000, I-4139 Rn. 36 („Angonese“). Vgl. EuGH, Slg. 2000, I-4139 Rn. 8 („Angonese“).
7.3. Binnenmarkt und Grundfreiheiten
181
ten sich deshalb nachhaltig negativ auf das Funktionieren des Gemeinsamen Markts aus 891. Auch hat der EuGH eine Drittwirkung für die Dienstleistungsfreiheit der Art. 49 f. EG 892 bejaht: Die gemeinschaftsrechtlichen Regelungen über die Freizügigkeit und die Dienstleistungsfreiheit beträfen nicht nur behördliche Maßnahmen, sondern auch andere Vorschriften, die zur kollektiven Regelung unselbständiger Arbeit und der Erbringung von Dienstleistungen dienen. Denn Freizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit seien gefährdet, wenn „die Abschaffung der Schranken staatlichen Ursprungs durch Hindernisse ersetzt werden könnte, die nicht dem öffentlichen Recht unterliegende Vereinigungen und Einrichtungen im Rahmen ihrer rechtlichen Autonomie setzen könnten“ 893. 7.3.1.3. Rechtsprechung des EuGH zur Warenverkehrsfreiheit
Auf eine Klage der Kommission gemäß Art. 169 EG hat der EuGH in der Rechtssache „Kommission/Frankreich“ 894 festgestellt, dass die Französische Republik dadurch gegen die Verpflichtungen aus Art. 30 in Verbindung mit Art. 5 EG-Vertrag und aus den gemeinsamen Marktorganisationen für landwirtschaftliche Erzeugnisse verstoßen hat, dass sie nicht alle erforderlichen und angemessenen Maßnahmen ergriffen hat, um über längere Zeiträume auftretenden Gewalttaten in Frankreich gegen landwirtschaftliche Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten zu verhindern 895. Das Anhalten von Lastwagen, die Vernichtung der Ladung, der Angriff auf die Fahrer und Drohungen gegenüber Groß- und Einzelhändlern sah der EuGH unzweifelhaft als Hemmnisse für den innergemeinschaftlichen Handel an 896. Zwar liege es im Ermessen der Mitgliedstaaten, die geeigneten Maßnahmen zu treffen, um Beeinträchtigungen der Einfuhr zu verhindern. Jedoch habe der EuGH zu prüfen, ob die Mitgliedstaaten tatsächlich geeignete Maßnahmen ergriffen haben 897. Ein Eingreifen der Gemein891 892 893 894 895 896 897
Vgl. EuGH, Slg. 2000, I-4139 Rn. 9 („Angonese“). Vgl. EuGH, Slg. 2000, I-2549 Rn. 47 ff. („Deliège“). EuGH, Slg. 2000, I-2549 Rn. 47 ff. („Deliège“). EuGH, Slg. 1997, I-6959 („Kommission/Frankreich“). Vgl. EuGH, Slg. 1997, I-6959 Rn. 38 („Kommission/Frankreich“). Vgl. EuGH, Slg. 1997, I-6959 Rn. 38 ff. („Kommission/Frankreich“). Vgl. EuGH, Slg. 1997, I-6959 Rn. 33 ff. („Kommission/Frankreich“).
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7. Europarechtskonforme Rechtsfortbildung
schaftsorgane sei besonders dann erforderlich, wenn andernfalls eine „Atmosphäre der Unsicherheit“ 898 entstehen könnte, die sich „auf die gesamten Handelsströme nachteilig auswirkt“ 899. Dies sei wegen der Dauerhaftigkeit der Übergriffe anzunehmen. Einen weiteren Beispielfall bildet die Rechtssache „Schmidberger“ 900. Dieser lag eine Vorlage des Oberlandesgerichts Innsbruck in einem Rechtsstreit zwischen dem Speditionsunternehmen Eugen Schmidberger und der Republik Österreich zugrunde. Die österreichischen Behörden hatten einen Umwelt-Verein nicht daran gehindert oder diesem auch nur untersagt, eine Versammlung auf der Brenner-Autobahn abzuhalten, die zu einer fast 30-stündigen vollständigen Verkehrsblockade führte 901. Das Oberlandesgericht Innsbruck legte dem EuGH unter anderem die Frage vor, ob diese Blockade eine mit dem freien Warenverkehr unvereinbare Behinderung darstelle 902. Der EuGH betone, dass ein Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit auch dann vorliege, wenn ein Mitgliedsstaat nicht die erforderlichen Maßnahmen ergriffen hat, um den von privaten gesetzten Ursachen entgegenzuwirken 903. Die 30-stündige Blockade einer wichtigen Verkehrsverbindung sei als Maßnahme gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen anzusehen 904. Für die Rechtfertigung dieser Maßnahme seien zwar grundsätzlich nicht die von den Demonstranten verfolgten Ziele maßgeblich, sondern allein die Ziele, welche die Behörden des Mitgliedstaates verfolgt haben 905. Da aus den Akten ersichtlich war, dass für die zuständigen Behörden vor allem die „Achtung der Grundrechte der Demonstranten auf Meinungsäußerungs- und Versammlungsfreiheit“ 906 im Vordergrund stand, nahm der EuGH im Ergebnis eine Abwägung zwischen dem Recht auf der Meinungs- und Versammlungsfreiheit von Demonstranten und dem Recht eines Transportunternehmens, unbe898 899 900 901 902 903 904 905 906
EuGH, Slg. 1997, I-6959 Rn. 53 („Kommission/Frankreich“). EuGH, Slg. 1997, I-6959 Rn. 53 („Kommission/Frankreich“). EuGH, Slg. 2003, I-5659 („Schmidberger“). Vgl. EuGH, Slg. 2003, I-5659 Rn. 11 ff. („Schmidberger“). Vgl. EuGH, Slg. 2003, I-5659 Rn. 47 („Schmidberger“). Vgl. EuGH, Slg. 2003, I-5659 Rn. 57 f. („Schmidberger“). Vgl. EuGH, Slg. 2003, I-5659 Rn. 64 („Schmidberger“). Vgl. EuGH, Slg. 2003, I-5659 Rn. 67 f. („Schmidberger“). EuGH, Slg. 2003, I-5659 Rn. 69 („Schmidberger“).
7.3. Binnenmarkt und Grundfreiheiten
183
hindert Waren von einem Mitgliedstaat in den anderen zu befördern, vor 907. Zwar sei den staatlichen Stellen ein weiter Ermessenfreiraum eingeräumt, dennoch könne der EuGH prüfen, ob „die Beschränkungen, denen der innergemeinschaftliche Handel unterworfen wurde, in einem angemessenen Verhältnis zu dem berechtigten Ziel stehen, das mit ihnen verfolgt wird, hier dem Schutz der Grundrechte“ 908. Unter anderem stellte der EuGH darauf ab, dass die Verkehrsteilnehmer durch die Medien über die Verkehrsbeschränkungen rechtzeitig informiert waren und sich folglich frühzeitig auf die vorhersehbaren Beschränkungen einstellen konnten 909. Im Ergebnis entschied der EuGH, dass die Beeinträchtigung des freien Warenverkehrs wegen des insoweit rechtmäßigen Ermessensgebrauchs der österreichischen Behörden zum Schutz der Meinungs- und Versammlungsfreiheit gerechtfertigt sei 910. 7.3.1.4. Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit
Mit Urteil vom 11. Dezember 2007 hat der EuGH erstmals umfassend zur Frage der Drittwirkung der Niederlassungsfreiheit Stellung genommen und im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 234 EG unter anderem festgestellt: Art. 43 EG ist geeignet, einem privaten Unternehmen Rechte zu verleihen, auf die es sich gegenüber einer Gewerkschaft oder einem Gewerkschaftsverband berufen kann 911. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde: Viking Line ABP, ein finnischer Betreiber von Passagierfähren, machte auf der Route zwischen Tallinn und Helsinki mit der Rosella, einem Schiff ihrer estnischen Tochtergesellschaft, Verluste. Die Ursache hierfür sah die Viking Line ABP darin, dass sie nach finnischem Recht und dem geltenden Tarifvertrag der Besatzung der Rosella Löhne nach dem – im Vergleich zu den Löhnen estnischer Besatzungen wesentlich höheren – finnischen Lohnniveau zahlen muss, solange das Schiff unter finnischer Flagge Vgl. EuGH, Slg. 2003, I-5659 Rn. 81 („Schmidberger“). EuGH, Slg. 2003, I-5659 Rn. 82 („Schmidberger“). 909 Vgl. EuGH, Slg. 2003, I-5659 Rn. 87 („Schmidberger“). 910 Vgl. EuGH, Slg. 2003, I-5659 Rn. 93 („Schmidberger“). 911 Urteil des Gerichtshofs vom 11. Dezember 2007, Rs. C-438/05 („ITF und FSU/Viking Line ABP“) – noch nicht in der amtlichen Sammlung des EuGH veröffentlicht. 907 908
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7. Europarechtskonforme Rechtsfortbildung
fährt 912. Anstatt das Schiff zu veräußern, wollte die Viking Line ABP es „umflaggen“, also in Estland oder Norwegen registrieren lassen, um einen neuen Tarifvertrag mit einer Gewerkschaft eines dieser Staaten abschließen zu können913. Die Besatzung der Rosella gehört der Finnish Seamen’s Union (FSU) an, die wiederum Mitglied in einem internationalen Gewerkschaftsverband (International Transport Workers’ Federation, ITF) ist. Auf Wunsch der FSU wies die ITF ihre ca. 600 Mitglieder-Gewerkschaften in einem Rundschreiben unter Androhung von Sanktionen an, nicht mit Viking Line ABP zu verhandeln. Die FSU kündigte ihrerseits gegenüber der Viking Line ABP Arbeitskampfmaßnahmen an, die sodann im Vergleichswege verhindert wurden, indem Viking Line ABP sich unter anderem verpflichtete, dass geplante Umflaggen zunächst für 15 Monate auszusetzen. Dennoch zog die ITF ihr Rundschreiben nicht zurück. Nach Ablauf der 15 Monate erwirkte Viking Line ABP vor dem Commercial Court in London ein Feststellungs- und Unterlassungsurteil gegen die ITF, mit dem weitere Boykottmaßnahmen untersagt wurden. Auf die Berufungen der ITF und der FSU rief der Court of Appeal den EuGH um Vorabentscheidung an 914. In seinen Schlussanträgen vom 23. Mai 2007 hat Generalanwalt M. Poiares Maduro das Problem zunächst nach der Stellung und Funktion der Niederlassungsfreiheit im System des EG-Vertrages beleuchtet 915. Es komme darauf an, ob es für ein ordnungsgemäßes Funktionieren des Gemeinsamen Marktes erforderlich ist, die Rechte der Marktbeteiligten dadurch zu schützen, dass nicht nur die Befugnisse der Mitgliedstaaten beschränkt werden, sondern auch die Autonomie privater Dritter. Nach Auseinandersetzung mit dem in der Literatur über diese Frage geführten Meinungsstreit 916 hat sich der Generalanwalt der Ansicht angeschlossen, dass auch die Tätigkeit von Privaten durchaus das ordnungsgemäße Funktionieren des gemeinsamen Markts behindern könne 917. Vgl. EuGH, Rs. C-438/05 Rn. 9. Vgl. EuGH, Rs. C-438/05 Rn. 9. 914 Vgl. EuGH, Rs. C-438/05 Rn. 10–27. 915 Vgl. die Schlussanträge vom 23. Mai 2007, Rs. C-438/05 („ITF und FSU/ Viking Line ABP“). 916 Hierzu oben 7.3.1.1. 917 Vgl. die Schlussanträge Rs. C-438/05 Rn. 35 ff. 912 913
7.3. Binnenmarkt und Grundfreiheiten
185
Auf einer zweiten Prüfungsstufe hat der Generalanwalt sodann klargestellt, dass es nicht zulässig sei, „die Vorschriften über den freien Verkehr immer in Verfahren gegen Private ins Spiel“ 918 zu bringen. Vielmehr sei erforderlich, dass die Privaten über ein mit staatlicher Macht vergleichbares Potenzial verfügen, das geeignet ist, das ordnungsgemäße Funktionieren des Gemeinsamen Markts zu behindern. Für die Frage der Vergleichbarkeit sei insbesondere zu berücksichtigen, dass Aktionen staatlicher Stellen in aller Regel breite – auch politische – Auswirkung auf eine Vielzahl von Marktteilnehmern haben können und nicht allein von wirtschaftlichen Überlegungen geleitet werden 919. In Abgrenzung hierzu führt der Generalanwalt das Beispiel eines Einzelkaufmanns an, der den Vertragsabschluss mit Anbietern von Waren aus anderen Mitgliedstaaten verweigert. Eine Funktionsstörung des Gemeinsamen Markts sei im Falle des Einzelkaufmanns nicht zu befürchten, wenn und soweit den Lieferanten alternativen Absatzwege offen stehen. Dann werde der Wettbewerb auf einem freien Markt „die Sache regeln“ 920, so dass ein Eingreifen des Gemeinschaftsrechts nicht erforderlich sei 921. In einem dritten Prüfungsschritt hat der Generalanwalt festgestellt, dass es grundsätzlich im Ermessen der Mitgliedstaaten liegt, wie die horizontale Wirkung der Bestimmungen über den freien Verkehr mit dem nach innerstaatlichem Recht vorgesehenen Schutzes der Privatautonomie und der Lösung von Konflikten zwischen privaten Wirtschaftsteilnehmern in Einklang gebracht wird 922. Die nationalen Gerichte müssen das innerstaatliche Recht gemeinschaftsrechtskonform auslegen, andernfalls könne – soweit im Recht der Mitgliedstaaten Rechtsschutzmöglichkeiten fehlen – nach dem Effektivitätsgrundsatz die Klage unmittelbar auf die einschlägige Bestimmung des Vertrags gestützt werden 923. Den Ausführungen des Generalanwalts M. Poiares Maduro in seinen Schlussanträgen vom 23. Mai 2007 ist der EuGH im Urteil vom 11. Dezember 2007 im Wesentlichen gefolgt. Er hat zunächst unter 918 919 920 921 922 923
Schlussanträge Rs. C-438/05 Rn. 41. Vgl. Schlussanträge Rs. C-438/05 Rn. 41. Schlussanträge Rs. C-438/05 Rn. 42. Vgl. Schlussanträge Rs. C-438/05 Rn. 42. Vgl. Schlussanträge Rs. C-438/05 Rn. 49 ff. Vgl. Schlussanträge Rs. C-438/05 Rn. 53.
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7. Europarechtskonforme Rechtsfortbildung
Hinweis auf seine bisherige Rechtsprechung klargestellt, dass die Art. 39 EG, 43 EG und 49 EG nicht nur für Akte der staatlichen Behörden gelten, sondern auch für „Regelwerke anderer Art, die die abhängige Erwerbstätigkeit, die selbständige Arbeit und die Erbringung von Dienstleistungen kollektiv regeln sollen“ 924. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass die Anwendung der Grundfreiheiten ausschließlich auf Maßnahmen der öffentlichen Gewalt zu Ungleichheiten führt, da die Arbeitsbedingungen in den verschiedenen Mitgliedstaaten teilweise durch staatliche Vorschriften und teilweise durch Tarifverträge und sonstige Maßnahmen Privater geregelt sind 925. Auch die im Gemeinschaftsrecht anerkannten Grundrechte liegen nicht außerhalb des Anwendungsbereichs der Bestimmungen des Vertrags und müssen mit den im Vertrag geschützten Rechten in Einklang gebracht werden und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen 926. Es lasse sich auch nicht feststellen, dass mit der Wahrnehmung der Koalitionsfreiheit zwangsläufig eine gewisse Beeinträchtigung der genannten Grundfreiheiten verbunden wäre 927. Die Tatsache, dass sich bestimmte Vertragsbestimmungen förmlich an die Mitgliedstaaten richten, schließe nicht aus, dass auch „allen an der Einhaltung der so definierten Pflichten interessierten Privatpersonen Rechte verliehen sein können“ 928. Eine Beschränkung der Grundfreiheit liege auch dann vor, wenn eine kollektive Maßnahme eines privaten Verbandes es für ein privates Wirtschaftsunternehmen weniger attraktiv oder sogar zwecklos macht, von seiner Niederlassungsfreiheit Gebrauch zu machen 929. Die Rechtfertigung einer solchen Beschränkung komme nur in Betracht, wenn mit ihr ein berechtigtes und mit dem Vertrag zu vereinbarendes Ziel verfolgt wird und wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gestützt wird 930. Im Ergebnis entschied der EuGH, dass Art. 43 EG einem privaten Unternehmen Rechte gegenüber einer Gewerkschaft zu verleihen geeignet sei. Eine Beschrän924 925 926 927 928 929 930
EuGH Rs. C-438/05 Rn. 33. Vgl. EuGH Rs. C-438/05 Rn. 34. Vgl. EuGH Rs. C-438/05 Rn. 46. Vgl. EuGH Rs. C-438/05 Rn. 52. EuGH Rs. C-438/05 Rn. 58. Vgl. EuGH Rs. C-438/05 Rn. 72. Vgl. EuGH Rs. C-438/05 Rn. 75.
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kung des Art. 43 EG könne sich aus kollektiven Maßnahmen einer Gewerkschaft oder eines Gewerkschaftsverbands ergeben, die darauf gerichtet sind, ein in einem bestimmten Mitgliedstaat ansässiges Unternehmen, dazu zu veranlassen, einen Tarifvertrag mit einer in diesem Mitgliedstaat ansässigen Gewerkschaft zu schließen, dessen Bestimmungen auch auf die Arbeitnehmer solcher Tochtergesellschaften, deren Sitz in anderen Mitgliedstaaten liegt, anzuwenden sind 931. 7.3.1.5. Bewertung
In Bezug auf den in der Literatur geführten Meinungsstreit ist Carsten Herresthal darin zuzustimmen, dass beide Extrempositionen zur Beurteilung der Drittwirkung von Grundfreiheiten Wertungswidersprüche zur Folge haben 932. Während die Ablehnung jeglicher Drittwirkung nicht berücksichtigt, dass schon das Primärrecht (Art. 141 EG) privaten Rechtsträgern bestimmte diskriminierende Regelungen untersagt, kann die Annahme einer generellen Drittwirkung nicht die Unterscheidung zwischen Personenverkehrsfreiheit, Warenverkehrsfreiheit und europäischem Wettbewerbsrecht erklären 933. Darüber hinaus erscheint der von den Befürwortern einer generellen unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte herangezogene effetutile-Grundsatz insbesondere dort problematisch, wo der nationale Rechtsakt dem Ausgleich verschiedener Interessen dient, während die europäische Norm „nur ein bestimmtes Ziel verfolgt und sektoriell begrenzt ist“ 934. Dies gilt regelmäßig für Change-of-Control-Klauseln in Wirtschaftsverträgen, die durchaus geeignet sind, einen Interessenausgleich zwischen den beteiligten Vertragsparteien herbeizuführen. Nicht zuzustimmen ist Carsten Herresthal darin, dass nach der Rechtsprechung des EuGH die Warenverkehrsfreiheit der Art. 28, 30 EG keine Drittwirkung entfalten solle, vielmehr das europäische Wettbewerbsrecht insoweit den alleinigen Maßstab für die Beurteilung des Verhaltens von Privaten darstelle935. Tatsächlich hat der 931 932 933 934 935
Vgl. EuGH Rs. C-438/05 Rn. 90 ff. Vgl. Herresthal, Die Drittwirkung, S. 188 f. Vgl. Herresthal, Die Drittwirkung, S. 188 f. Gebauer, in: Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht, S. 99 Rn. 7. Vgl. Herresthal, Die Drittwirkung, S. 183 f.
188
7. Europarechtskonforme Rechtsfortbildung
EuGH in der Rechtssache „Schmidberger“ 936 mit der Abwägung zwischen den Rechten der Demonstranten und eines Transportunternehmens den Grundsatz des freien Warenverkehrs auf der horizontalen Ebene zwischen Privaten angewandt. Darauf hat auch Generalanwalt Maduro in seinen Schlussanträgen vom 23. Mai 2007 in der Rechtssache „ITF und FSU/Viking Line ABP“ ausdrücklich hingewiesen 937. Auch die Warenverkehrsfreiheit kann folglich Drittwirkung zwischen Privaten entfalten und muss bei der Abwägung der betroffenen Grundrechte und Grundfreiheiten im Einzelfall beachtet werden. Ob eine solche Drittwirkung ausschließlich auf kollektive Regelungen privater Verbände beschränkt ist, hat der EuGH noch nicht ausdrücklich entschieden938. Eine entsprechende Einschränkung der Wirkung der Grundfreiheiten im Priavtrecht lässt sich folglich nicht mit Sicherheit begründen. 7.3.2. Schlussfolgerungen
Die Analyse von Rechtsprechung und Rechtslehre zur „Drittwirkung der Grundfreiheiten“ zeigt Parallelen zu den bereits behandelten Voraussetzungen des allgemeinen zivilrechtrechtlichen Kontrahierungszwangs. Sie könnte also in erster Linie für die Beurteilung der Ausübung des von einer Change-of-Control-Klausel begründeten Kündigungsrechtes bedeutsam sein. Ähnlichkeiten bestehen etwa bei der Betrachtung des von Carsten Herresthal gebildeten ersten Wertungskomplexes des „funktional staatlichen Handelns“ und der von Barbara Grunewald aufgestellten Fallgruppe der Verteilung öffentlicher Mittel 939. Allen im Vorstehenden behandelten Entscheidungen des EuGH ist gemeinsam, dass das Verhältnis zwischen den privaten Unternehmen, Arbeitnehmern, Bewerbern und Verbänden von einem Angewiesensein im Sinne fehlender Ausweichmöglichkeiten geprägt war. Diese Abhängigkeitsbeziehung könnte somit als Grundvoraussetzung für eine Drittwirkung der Grundfreiheiten angesehen werden, unabhängig von der im Einzelfall einschlägigen Grundfreiheit. In ählicher weise hat Barbara Grunewald einen Kontrahierungszwang nicht nur 936 937 938 939
EuGH, Slg. 2003, I-5659 („Schmidberger“). Vgl. die Schlussanträge Rs. C-438/05 Rn. 42. Vgl. Herresthal, Die Drittwirkung, S. 182 m. w. N. Vgl. Grunewald, AcP 182, S. 198.
7.3. Binnenmarkt und Grundfreiheiten
189
in speziellen Fallgruppen, sondern im Allgemeinen auch dann angenommen, wenn ein Nachfrager auf eine Leistung angewiesen ist 940. Eine weitere Gemeinsamkeit besteht darin, dass die Grundfreiheiten und der allgemeine zivilrechtliche Kontrahierungszwang die Funktionstüchtigkeit einer freien unverfälschten Marktwirtschaft sicherstellen sollen. Ein Ausgangspunkt von Verfälschungen der Vertragsfreiheit wird darin gesehen, dass der Staat nicht an die ökonomischen Gesetze des Marktes gebunden ist und sich folglich bei seiner Tätigkeit auf dem Markt auch von anderen Erwägungen leiten lassen kann. Ausgehend von diesen gemeinsamen Grundmerkmalen können Marktfreiheiten und Kontrahierungszwang immer dann auch auf das Verhältnis zwischen privaten Wirtschaftsunternehmen angewandt werden, wenn zwischen ihnen eine Abhängigkeitsbeziehung besteht, die ein Ausweichen auf andere Anbieter nicht zulässt. Entscheidend sind Ursachen und Ausmaß der von Privaten ausgehenden Behinderung anderer Privater sowie die Frage, ob ein sachlich gerechtfertigter Grund vorhanden ist. Letzteren Aspekt hat Generalanwalt M. Poiares Maduro als „konkurrierende(r) Belange der Privatautonomie“ bezeichnet und treffend festgestellt: „Privaten mag oft noch erlaubt werden, was Behörden nicht mehr erlaubt ist“ 941. 7.3.3. Zwischenergebnis
Die Grundfreiheiten des EG-Vertrages begründen staatliche Schutzpflichten im Sinne eines Eingreifens des Gesetzgebers sowie der Rechtsprechung in die Beendigung eines Vertrages aufgrund einer Change-of-Control-Klausel nur im Ausnahmefall des Angewiesenseins auf die Fortführung des Vertragsverhältnisses. Hier besteht eine Parallele zu den in der deutschen Privatrechtslehre entwickelten Voraussetzungen eines allgemeinen zivilrechtlichen Kontrahierungszwangs: Die Privatautonomie findet dort ihre Grenze, wo ihr von der deutschen und europäischen Rechtsordnung vorausgesetzter Funktionsmechanismus versagt.
940 941
Vgl. Grunewald, AcP 182, S. 198. Schlussanträge Rs. C-438/05 Rn. 42.
8. Fazit 8.1. Stand der Rezeption im deutschen Recht Es hat sich gezeigt, dass Gesetzgeber, Rechtsprechung und Rechtslehre bislang keine geeigneten Nomen zur rechtssicheren Anwendung von Change-of-Control-Klauseln zwischen börsennotierten Unternehmen herausgebildet haben. Der Gesetzgeber hat zwar in Umsetzung der Übernahmerichtlinie Offenlegungspflichten für Change-ofControl-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne von §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 316 Abs. 4 Nr. 8 HGB begründet, ohne jedoch die Zulässigkeitsanforderungen an diese Klauseln zu regeln. Auch den Begriff der wesentlichen Vereinbarungen definierte der Gesetzgeber nicht. Die „wesentlichen Vereinbarungen“ werden in der vorliegenden Untersuchung definiert als die Vereinbarungen, welche, wenn sie mit Change-of-Control-Klauseln verbunden werden, negativen Einfluss auf die Ratingeinstufung einer Vertragspartei haben. Voraussetzung für diese Definition ist die Zuverlässigkeit, Unabhängigkeit und Qualität eines Ratings. Dabei umfasst der Begriff der wesentlichen Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB nach der hier vertretenen Ansicht grundsätzlich alle Change-of-Control-Klauseln, es sei denn, der Anwendungsbereich der Klausel ist vertraglich ausdrücklich und ausschließlich auf Kontrollwechsel beschränkt, denen kein Übernahmeangebot vorangegangen ist. Für die Beurteilung der Zulässigkeit von Change-of-Control-Klauseln werden in der Rechtsprechung und Rechtslehre bisher vier gesetzliche Normkomplexe herangezogen. Es handelt sich hierbei um die Verbotsnormen der §§ 33, 33a WpÜG und des § 19 GWB sowie um die Vorschriften des § 9 AGBG a. F. und des § 138 BGB, die eine Unwirksamkeit bzw. Nichtigkeit vertraglicher Vereinbarungen begründen. Nicht angewandt und diskutiert werden Normen, die einen Ausgleich im Sinne einer praktischen Konkordanz zwischen den Rechtskreisen der beteiligten Interessengruppen herbeiführen können. Rechtsprechung und Lehre differenzieren nicht zwischen der Zulässigkeit der Change-of-Control-Klauseln an sich und der Ausübung des Kündigungsrechts. Vielmehr wird ausschließlich auf die Zulässigkeit der Klausel als solcher abgestellt. Kläger in der veröffentlichten Recht-
8.2. Die Zulässigkeit der Change-of-Control-Klauseln an sich
191
sprechung waren ausschließlich die Vertragspartner. Die Rechte der Aktionäre werden in der Lehre lediglich im Zusammenhang mit den Verhinderungsverboten der §§ 33, 33a WpÜG und der aktienrechtlichen Pflichtenbindung des Vorstands diskutiert.
8.2. Die Zulässigkeit der Change-of-Control-Klauseln an sich Normative Anknüpfungspunkte für die Zulässigkeit der Change-ofControl-Klauseln an sich konnten den gesetzlichen Vorschriften über die Vinkulierung (§§ 68 Abs. 2, 180 Abs. 2 AktG), die kapitalmarktrechtlichen Verhinderungsverbote (§§ 33, 33a WpÜG), das Pflichtangebot (§ 35 WpÜG) und den Squeeze-out (§§ 327a ff. AktG, 39a ff. WpÜG) entnommen werden. Diese gesetzlichen Normen sind Ausdruck folgender allgemeiner Rechtsgrundsätze zum Schutz der Aktionäre: Der Grundsatz der freien Veräußerbarkeit von Aktien, das mitgliedschaftliche Lösungsrecht, das Verbot eines Eingriffs in aktuelle Verkaufsmöglichkeiten der Aktionäre und der Anspruch auf Entschädigung bei einem Entzug des Aktienwertes. Die Untersuchung hat gezeigt, dass diese gesetzlichen Vorschriften jeweils für sich genommen keine Rechtssicherheit bei der Anwendung von Changeof-Control-Klauseln bringen können. Auch eine gesetzesimmanente Rechtsfortbildung im Wege von Einzelanalogien lässt sich nicht verlässlich begründen. Jedoch können aus der verfassungsrechtlichen Perspektive im Wege der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung folgende Normen im Sinne allgemeiner Rechtsgrundsätze entwickelt werden: (1.) Change-of-Control-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne von §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB bieten generell die abstrakte Möglichkeit einer Veräußerungserschwernis von Aktien, auch außerhalb der im WpÜG geregelten Übernahmephase. (2.) Zulässig sind diese Klauseln, wenn den Aktionären ein effektiver Selbstschutz in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht möglich ist. Die Möglichkeit der Aktionäre zum Selbstschutz setzt voraus, dass (a.) die Vereinbarung der Change-of-Control-Klausel noch bevorsteht, (b.) die betroffenen Aktionäre über eine satzungsändernde Mehrheit in der Hauptversammlung verfügen
192
8. Fazit
und (c.) das größte Aktienpaket mehr als 20 Prozent des Grundkapitals umfasst. (3.) Fehlt die Möglichkeit zum effektiven Rechtsschutz, sind solche Change-of-Control-Klauseln unzulässig, die das allgemeine Anlagerisiko der Weiterveräußerung der Geschäftsanteile in einer Weise verschärfen, die einem Entzug des wirtschaftlichen Wertes des Anteilseigentums gleichkommt. (4.) Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist ein Entzug des wirtschaftlichen Wertes des Anteilseigentums im Falle einer dauerhaften Veräußerungserschwernis anzunehmen. Ein solcher Entzug kann mit einer angemessenen Abfindung ausgeglichen werden, wenn sich das Aktieneigentum auf vermögensrechtliche Interessen beschränkt. Dies ist bis zu einer Beteiligungsschwelle von fünf Prozent des Grundkapitals anzunehmen. Oberhalb dieser Beteiligungsschwelle begründet das Aktieneigentum auch Leitungsbefugnisse, so dass der Entzug des wirtschaftlichen Wertes des Anteilseigentums einer besonderen Rechtfertigung bedarf. (5.) Gegenüber den Aktionären, deren Anteil mehr als fünf Prozent des Grundkapitals ausmacht, kann die erforderliche besondere Rechtfertigung dadurch erreicht werden, dass die Hauptversammlung den Vorstand höchstens 18 Monate vor Abschluss des fraglichen Vertrages mit Dreiviertel-Mehrheit zur Aufnahme der Change-of-Control-Klausel ermächtigt und der Aufsichtsrat vor Abschluss des Vertrages zugestimmt hat. Im Falle einer besonderen Eilbedürftigkeit sollte die Zustimmung des Aufsichtsrates genügen, um die Zulässigkeit von Change-of-Control-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne von §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB sicher zu stellen.
8.3. Die Zulässigkeit der Ausübung des Kündigungsrechtes Auf Seiten der Vertragspartner kommt ein Eingriff in die Freiheit ihrer Erwerbs- und Leistungstätigkeit in Betracht, die im deutschen Recht nicht von der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG, sondern durch die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG und die Vertragsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG geschützt ist. Einen solchen Eingriff begründet nicht schon das Bestehen der Change-of-Control-Klausel an sich, sondern erst die (unmittelbar drohende) Ausübung des Kün-
8.4. Normkonkretisierung durch Schiedsgerichte
193
digungsrechts. Unter möglichst behutsamer Abwägung der miteinander verflochtenen Grundrechte lassen sich folgende Normen im Sinne allgemeiner Rechtsgrundsätze zum Schutz der Vertragspartner herausbilden: (1.) Die Ausübung des Kündigungsrechts ist dann zulässig, wenn schon bei Vereinbarung der Klausel ein angemessener wirtschaftlicher Ausgleich für den betroffenen Vertragspartner erfolgt. (2.) Unzulässig ist der sofortige Abbruch einer Geschäftsbeziehung auf Grund einer Change-of-Control-Klausel, wenn (a.) die Verteilung öffentlicher Mittel eine Einschränkung der (negativen) Vertragsfreiheit durch den Gleichheitsgrundsatz nach sich zieht oder (b.) das Angewiesensein eines Vertragspartners auf die weitere Leistungserbringung dazu führt, dass die Kündigung die Existenz seines Unternehmens bedroht. (3.) Im Falle der Existenzbedrohung können die Grundrechte auf Berufsfreiheit und Vertragsfreiheit einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung oder auf vorübergehende Fortführung des Vertragsverhältnisses begründen. Hierzu bedarf es einer Interessenabwägung im Einzelfall, die auch die Berufsfreiheit und Vertragsfreiheit des durch die Klausel geschützten Vertragspartners berücksichtigen muss. Für einen angemessenen Ausgelich der betroffenen Grundrechte wurden vier Indizien gefunden: (a.) Die besondere Intensität der bisherigen Geschäftsbeziehung, (b.) das Vertrauen auf die weitere Leistungserbringung, (c.) das Vorhandensein eines Machtungleichgewichts und (d.) daraus resultierende Einflussmöglichkeiten des überlegenen Vertragspartners auf den Geschäftsbetrieb des unterlegenen Vertragspartners.
8.4. Normkonkretisierung durch Schiedsgerichte Die Formulierung der vorstehenden Normen als allgemeine Rechtsgrundsätze trägt dem Umstand Rechnung, dass Streitigkeiten in der Praxis der Umstrukturierungen von Unternehmen häufig von Schiedsgerichten entschieden werden. Damit kann insbesondere in grenzübergreifenden Schiedsverfahren ein Ausgleich der betroffenen Interessen und Grundrechte unabhängig vom Kollisionsrecht und ausländischem Recht erreicht werden. Dies kann dazu beitragen, dass
194
8. Fazit
einheitliche Normen für die rechtssichere Anwendung von Changeof-Control-Klauseln entstehen können. Aus verfassungsrechtlicher Sicht bestehen keine Bedenken gegen eine Normkonkretisierung durch Schiedsgerichte, solange die schiedsgerichtlichen Entscheidungen sowie deren Kontrolle durch die ordentlichen Gerichte (§ 1059 ZPO) die Grundrechte der Vertragspartner sowie ihrer Aktionäre angemessen berücksichtigen. Geschieht dies nicht oder nicht in verfassungskonformer Weise, ist der Gesetzgeber verpflichtet, die an die Rechtsprechung delegierten Aufgaben der Normschaffung selbst wahrzunehmen. In diesem Falle müsste eine ausdrückliche gesetzliche Regelung der Zulässigkeitsvoraussetzungen von Change-of-Control-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB geschaffen werden.
8.5. Rechtssicherheit in Europa Die in der Untersuchung gefundenen Ergebnisse haben auch unter den bestehenden Bedingungen des Europarechts Bestand. Der Schutz der Aktionäre und Vertragspartner am Maßstab des Grundgesetzes sowie der europäischen Grundrechte ist ähnlich gelagert. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, die Durchsetzung der europäischen Grundrechte durch den steuernden Eingriff in die Rechtsgeschäfte privater Marktteilnehmer sicherzustellen. Die Grundfreiheiten des EG-Vertrages begründen staatliche Schutzpflichten gegenüber den Vertragspartnern wesentlicher Vereinbarung im Sinne der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB nur im Ausnahmefall des Angewiesenseins auf die Fortführung des Vertragsverhältnisses. In diesem Zusammenhang zeigen sich ähnliche Grundvoraussetzungen für die Drittwirkung der Grundfreiheiten im Privatrecht einerseits und den allgemeinen zivilrechtrechtlichen Kontrahierungszwang andererseits. Der Zweck der Grundfreiheiten und auch des Kontrahierungszwangs besteht auch darin, Verfälschungen der Privatautonomie der Unternehmen am Markt zu verhindern. Solche Verfälschungen drohen insbesondere bei der Verteilung öffentlicher Mittel, da sich die öffentliche Hand hierbei nicht ausschließlich von wirtschaftlichen Erwägungen leiten lassen muss. Ein weiteres gemeinsames Kriterium für die Drittwirkung der Grundfreiheiten und das
8.6. Schlussfolgerungen für die Zukunft
195
Bestehen eines Kontrahierungszwangs ist das Angewiesensein im Sinne fehlender Ausweichmöglichkeiten der Marktteilnehmer. Diese im europäischen und deutschen Recht gleichermaßen vorhandenen Zulässigkeitsmerkmale für einen Eingriff des Staates in die Privatautonomie sind bei der Beurteilung der Kündigung einer wesentlichen Vereinbarung im Sinne der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB zu beachten.
8.6. Schlussfolgerungen für die Zukunft Aus den vorstehenden Untersuchungsergebnissen lassen sich folgende Empfehlungen für die rechtssichere Anwendung von Change-of-Control-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB in der Praxis ableiten. 8.6.1. Rechtssicherheit gegenüber den Aktionären
Eine Rechtsverletzung solcher Aktionäre, die zum effektiven Selbstschutz vor Change-of-Control-Klauseln nicht in der Lage sind, sollte vermieden werden. Zu diesem Zweck bietet sich eine freiwillige Regelung in der Satzung an, die einen ausreichenden Schutz vor unzulässigen Eingriffen in den von Art. 14 Abs. 1 GG, Art. 1 ZP 1 EMRK geschützten Wert des Anteilseigentums sicherstellt. Dabei sollte zwischen den Aktionären, die weniger als fünf Prozent des Grundkapitals halten, und den Beteiligungen oberhalb dieser Schwelle differenziert werden. Den normativen Anknüpfungspunkt für eine Regelung zum Schutz der Beteiligungen bis zur Fünf-Prozent-Schwelle bieten das Austrittsrecht in § 35 WpÜG 942 sowie die Abfindungsregelungen in §§ 327a ff. AktG, 39a ff. WpÜG 943. Bei der Überlegung, wie der erforderliche Interessenausgleich zwischen den Vertragspartnern und diesen Aktionären in eine praxistaugliche Regelung gefasst werden kann, stößt man auf einen von Herbert Wiedemann im Jahre 1964 veröffentlichten Alternativvorschlag zu der beabsichtigten Neuregelung des § 168 des Regierungsentwurfs zum Aktiengesetz von 1960, der dem heutigen § 180 Abs. 2 AktG ent-
942 943
Hierzu oben 4.1. Hierzu oben 6.2.2.
196
8. Fazit
spricht 944. Dieser Alternativvorschlag sieht vor, den Konflikt zwischen der „zweckmäßigen Gestaltung im Interesse der Gesellschaft und der gerechten Entscheidung zugunsten des Gesellschafters“ 945 mit Hilfe folgender Kompromisslösung auszugleichen: Zwar habe der Aktionär grundsätzlich kein absolutes Recht auf unveränderten Bestand seiner Mitgliedschaft, jedoch habe er einen Anspruch darauf, nicht gegen seinen Willen in der Gesellschaft gehalten zu werden 946. Eine gerechte und zweckmäßige Kompensation der jeweiligen Nachteile eines „Alles-oder-Nichts-Prinzips“ liege darin, die Notwendigkeit einer nachträglichen Vinkulierung durch Mehrheitsentscheidung anzuerkennen und dem einzelnen Gesellschafter die Möglichkeit zum sofortigen Ausscheiden aus der Gesellschaft zu gewähren sowie eine Barabfindung auf Grundlage des Wertes seiner Anteile vor Einführung der nachträglichen Vinkulierung 947. Diese Alternativlösung hat sich nicht durchsetzen können 948. Der Gesetzgeber hat sich mit der Vorschrift des § 180 Abs. 2 AktG für einen strengen Schutz des Einzelaktionärs entschieden, um zu verhindern, dass ein Austritts- und Abfindungsrecht dazu missbraucht wird, eine missbilligte Minderheit aus der Gesellschaft zu drängen 949. Jedoch erscheint diese Begründung in Anbetracht der neueren Rechtsprechung und Rechtslehre zu den Normen der §§ 327a ff. AktG sowie des §§ 39a ff. WpÜG überholt. Auch in der Praxis ist die von § 180 Abs. 2 AktG vorgesehene Einholung der Zustimmung aller Aktionäre regelmäßig nicht praktikabel, weil allein die mit einer solchen Vorgehensweise verbunden Transaktionskosten für die Gesellschaft das zumutbare Maß übersteigen dürften. Demgegenüber spricht für die Regelung eines Austrittsrechts der Aktionäre gegen Abfindung insbesondere die Tatsache, dass die Austrittsentscheidungen der einzelnen Aktionäre in ihrer Gesamtheit eine effizientere Kontrolle des Managements gewährleisVgl. Wiedemann, NJW 1964, S. 284. Wiedemann, NJW 1964, S. 284. 946 Vgl. Wiedemann, NJW 1964, S. 284 (h. M, vgl. z. B. Wiedemann, in: Hopt/ Wiedemann, AktG, § 180 Rn. 5; Zöller, Stimmrechtsmacht, S. 114; Zöllner, in: Zöllner/Noack, AktG, § 180 Rn. 10). 947 Vgl. Wiedemann, NJW 1964, S. 285. 948 Vgl. Hüffer, AktG, § 180 Rn. 5; Wiedemann, in: Hopt/Wiedemann, AktG, § 180 Rn. 12. 949 Vgl. Stein, in: Kropff u. a., Münchener Kommentar AktG, § 180 Rn. 2; Wiedemann, in: Hopt/Wiedemann, AktG, § 180 Rn. 5. 944 945
8.6. Schlussfolgerungen für die Zukunft
197
ten können, als zum Beispiel ein Mehrheitsbeschluss in der Hauptversammlung 950. Schließlich erscheint das von Herbert Wiedemann vorgeschlagene Austrittsrecht auch systemgerecht und praktikabel. Es lässt sich konstatieren, dass eine Ausdehnung der Zustimmungspflicht des § 180 Abs. 2 AktG auf bloß faktische Beeinträchtigung des Aktieneigentums einen Wertungswiderspruch zu den spezialgesetzlichen Einschränkungen der Vertragsfreiheit, etwa im GWB, zur Folge hätte. Dies verhindern die von Herbert Wiedemann herausgearbeiteten Rechtsfolgen. Überträgt man diesen Lösungsansatz auf die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung, könnten diejenigen Aktionäre, die weniger als fünf Prozent des Grundkapitals halten, mit Hilfe eines Austrittsrechts gegen angemessene Entschädigung in Höhe ihres Anteilswertes vor Aufnahme der Change-of-Control-Klauseln in wesentliche Vereinbarungen im Sinne von §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB geschützt werden. Ein solches Austrittsrecht ist rechtstechnisch als Erwerb eigener Aktien anzusehen, der gemäß § 71 AktG nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist. Vorliegend könnte der Erwerb eigener Aktien gemäß § 71 Abs. 1 Nr. 1 AktG erlaubt sein, wenn dies notwendig ist, um einen schweren, unmittelbar bevorstehenden Schaden von der Gesellschaft abzuwenden. Ein solcher Schaden könnte sich daraus ergeben, dass die betroffenen Minderheitsaktionäre erfolgreich die Gerichte um Rechtsschutz vor unzulässigen Change-of-ControlKlauseln in wesentlichen Vereinbarungen anrufen. Dies könnte dazu führen, dass diese für die Gesellschaft wesentlichen Vereinbarungen insgesamt für nichtig erklärt werden (§ 139 BGB), was einem sofortigen Abbruch dieser wichtiger Geschäftsbeziehungen gleichkäme. Da der plötzliche Wegfall wesentlicher Vereinbarungen im Sinne von §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB existenzbedrohende Schäden für die Gesellschaft verursachen kann, wären die Tatbestandsvoraussetzungen des § 71 Abs. 1 Nr. 1 AktG erfüllt. Wenn im Einzelfall die besonderen Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 Nr. 1 AktG nicht gegeben sind, müsste ein Vorratsbeschluss der Hauptversammlung gemäß § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG eingeholt werden, für den kein besonderer sachlicher Erwerbsgrund erforderlich ist. 950
Hierzu oben 4.1.
198
8. Fazit
Zu beachten ist der im Aktienrecht geltende Grundsatz der Satzungsstrenge, § 23 Abs. 5 AktG. Zur Gewährleistung von Rechtssicherheit kommt eine Konkretisierung des § 71 Abs. 1 Nr. 1 AktG in der Satzung in Betracht, im Sinne einer gemäß § 23 Abs. 5 Satz 2 AktG zulässigen ergänzenden Bestimmung der Satzung 951. Eine entsprechende freiwillige Regelung in der Satzung dient der Verhinderung etwaiger Klagen der Aktionäre. Für das Management bietet dieser Lösungsvorschlag eine Konkretisierung seines weiten Ermessensfreiraums 952. Ihm werden konkrete Entscheidungsalternativen vor Abschluss wesentlicher Vereinbarungen gemäß §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB an die Hand gegeben. Der Vorstand kann eine eigene unternehmerische Abwägungsentscheidung treffen, ohne deren Nichtigkeit wegen Verletzung der Aktionärsinteressen riskieren zu müssen. Damit kann auch ein Interessengleichlauf zwischen Management und Aktionären erreicht werden953. Denn der Vorstand muss bei seiner Abwägung die möglichen finanziellen Konsequenzen berücksichtigen, mit denen die Gesellschaft infolge einer etwaigen Verpflichtung zur Zahlung von Abfindungen an die mit der Klausel nicht einverstandenen Minderheitsaktionäre zu rechnen hat. Diese mögliche finanzielle Belastung der Gesellschaft steht der vorgeschlagenen Lösung einer freiwilligen Regelung in der Satzung aber nicht entgegen. Im Gegenteil können freiwillige Vorsorgemaßnahmen nicht nur der Rechtssicherheit dienen, sondern auch der Steuerung möglicher Verbindlichkeiten der Gesellschaft. Denn auch ohne derartige freiwillige Regelungen besteht das Risiko, dass die Gerichte in Erfüllung ihrer Schutzpflichten aus Art. 14 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG bzw. aus Art. 1 ZP 1 EMRK entsprechende Entschädigungsansprüche im Wege der Rechtsfortbildung begründen. Auch wenn die Gerichte eine Entschädigung nicht zusprechen, könnten sie die mit einer Change-of-Control-Klausel versehene wesentliche Vereinbarung wegen Eingriffs in die Grundrechte der Aktionäre gemäß § 138 BGB respektive § 242 BGB jeweils in Verbindung mit § 139 BGB für insgesamt nichtig erklären. Damit könnte im Einzelfall eine wesentlich größere finanzielle Belastung für die Gesellschaft eintreJedenfalls zulässig wäre eine (schuldrechtliche) satzungsergänzende Nebenabrede, vgl. hierzu Seibt, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 23 Rn. 64 ff. 952 Hierzu oben 3.1.2. 953 Hierzu oben 4.1. 951
8.6. Schlussfolgerungen für die Zukunft
199
ten, als mit der Geltendmachung von Austritts- und Abfindungsrechten. Wenn den Minderheitsaktionären hingegen Austritts- und Abfindungsrechte in der Satzung eingeräumt werden, wird ein Rechtsschutzbedürfnis gegenüber der Aufnahme von Change-of-ControlKlauseln in wesentliche Vereinbarungen im Sinne von §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB entfallen. Dabei ist ferner § 71 Abs. 2 Satz 2 AktG zu beachten, demzufolge die Gesellschaft in der Lage sein muss, die nach § 272 Abs. 4 HGB vorgeschriebene Rücklage für eigene Aktien aus Mitteln zu bilden, die sie auch an die Aktionäre ausschütten könnte 954. Darüber hinaus ist der Erwerb nach der geltenden Fassung des § 71 Abs. 2 AktG mengenmäßig auf zehn Prozent der Aktien beschränkt. Diese mengenmäßige Beschränkung ist seit der Änderung der Kapitalrichtline im Jahre 2006 nicht mehr europarechtlich bindend vorgegeben 955. Für die Abschaffung dieser Beschränkung auch im deutschen Recht bestehen gute Gründe: Da der Gläubigerschutz bereits durch die Kapitalerhaltungsregeln gewährleistet wird, sollten die Gesellschaften künftig so viele eigene Aktien erwerben dürfen, wie sie ausschüttungsfähiges Kapital haben 956. Wenn aufgrund der Beteiligungsstruktur einer Gesellschaft die mengenmäßige Beschränkung des § 71 Abs. 2 AktG bzw. das ausschüttungsfähige Kapital für einen Rückerwerb aller Aktienpakete mit höchstens fünf Prozent des Grundkapitals nicht ausreicht, sollte entsprechend den Ausnahmeregelungen vom kapitalmarktrechtlichen Verhinderungsverbot in § 33 Abs. 1 S. 2 3. Alt., Abs. 2 WpÜG ein einschlägiger Vorratsbeschluss der Hauptversammlung eingeholt und/oder der Aufsichtsrat in die Entscheidungsfindung über die Aufnahme der Klauseln eingebunden werden. Diese Vorgehensweise ist auch in Bezug auf diejenigen Aktionäre, die mehr als fünf Prozent des Grundkapitals halten, sachgerecht. Eine ensprechende Regelung kann in die Satzung aufgenommen werden, um größtmögliche Rechtssicherheit zu schaffen. Denn § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG erlaubt
Vgl. Bezzenberger, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 71 Rn. 4. Richtlinie 2006/68/EG vom 6.9.2006 zur Änderung der Richtlinie 77/91/EWG, ABl. EU Nr. L 264 vom 25.9.2006, S. 32–36; Bezzenberger, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 71 Rn. 13. 956 Vgl. Bezzenberger, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 71 Rn. 14. 954 955
200
8. Fazit
ausdrücklich Satzungsbestimmungen, die anordnen, dass bestimmte Arten von Geschäften nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats vorgenommen werden dürfen. Wenn der Aufsichtsrat die Zustimmung verweigert, kann der Vorstand gemäß § 111 Abs. 4 Satz 3 AktG die Zustimmung der Hauptversammlung einholen. Die vorstehenden Empfehlungen beziehen sich auf das Verhältnis zwischen dem durch Change-of-Control-Klauseln eingeschränkten Vertragspartner und seinen Aktionären. Der andere Vertragspartner, der seine vertraglichen Planungsentscheidungen mit Hilfe von Changeof-Control-Klauseln absichern will, kann dadurch Rechtssicherheit erlangen, dass er sich im Rahmen der Vertragsverhandlungen vom anderen Teil einen Nachweis über die Gewährleistung ausreichender Schutzvorkehrungen zugunsten dessen Aktionäre vorlegen lässt. Denkbar ist eine Bestätigung des Aufsichtsrates des anderen Teils, dass das hier befürwortete Austrittsrecht in der Satzung verbindlich geregelt ist, ein einschlägiger Vorratsbeschluss der Hauptversammlung vorhanden ist und/oder der Aufsichtsrat in die Entscheidungsfindung über die Aufnahme der Klauseln eingebunden wurde. Ohne eine solche Bestätigung könnte der gesamte Vertrag unter der aufschiebenden Bedingung der Genehmigung der vorgesehenen Changeof-Control-Klausel innerhalb einer angemessenen Frist durch die Hauptversammlung oder wenigstens des Aufsichtsrates des anderen Teils abgeschlossen werden. Freilich wird etwaigen Klagen seiner Aktionäre in erster Linie der durch die Klausel eingeschränkte Vertragspartner ausgesetzt sein. Das damit verbundene wirtschaftliche Risiko trifft allerdings auch den anderen Vertragspartner, da sein Geschäftspartner durch mögliche Schadensersatz- oder Abfindungsansprüche seiner Aktionäre wirtschaftlich geschwächt und damit der Erfolg der wesentlichen Vereinbarung im Sinne von §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB gefährdet werden könnte. Schließlich können die Vertragsparteien die Auswirkungen eines möglichen Rechtsverstoßes steuern, indem sie die Vermutung der Gesamtnichtigkeit der wesentlichen Vereinbarung entgegen § 139 BGB mit Hilfe so genannter Erhaltungs- und Ersetzungsklauseln 957 widerlegen.
957
Vgl. BGH NJW 2005, S. 2225; Heinrichs, in: Palandt, BGB, § 139 Rn. 17 f.
8.6. Schlussfolgerungen für die Zukunft
201
8.6.2. Rechtssicherheit gegenüber den Vertragspartnern
Zur Vermeidung etwaiger Ansprüche der Vertragspartner auf (vorübergehende) Vertragsfortführung sollte bei Aufnahme von Changeof-Control-Klauseln in wesentliche Vereinbarungen im Sinne von §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB konkret geregelt werden, unter welchen Voraussetzungen der betroffene Vertragspartner in die Fortführung der Geschäftsbeziehung vertrauen darf. Dieses Vertrauen bezieht sich auf die Tatbestandsvoraussetzungen des Kündigungsrechts. Wenn diese Tatbestandsvoraussetzungen vage und weitmaschig formuliert, also auslegungsbedürftig sind, können sie Raum für ein schutzwürdiges Vertrauen lassen. Ein Beispiel bildet das bereits in der Einleitung geschilderte einstweilige Verfügungsverfahren zwischen Overture und T-Online. Die Parteien dieses Verfahrens stritten unter anderem darüber, ob Yahoo als direkter Konkurrent von T-Online anzusehen sei. Die im Vertrag vereinbarte Change-of-Control-Klausel erlaubte den Partnern die Vertragskündigung nämlich nur dann, wenn der andere Teil von einem direkten Konkurrenten übernommen werde 958. Manfred Klaus, Deutschlandchef des Unternehmens Overture, erklärte gegenüber dem Manager-Magazin, dass die Geschäftsmodelle von Yahoo und T-Online doch sehr verschieden seien, so dass von einer direkten Konkurrenz keine Rede sein könne.959 Dass die Vertreter von T-Online dies anders beurteilten, lässt auf eine auslegungsfähige Vertragsgestaltung schließen. Zur Vermeidung solcher Auslegungsstreitigkeiten sollte deshalb konkret geregelt werden, ob sich die Klausel ausschließlich auf den Kontrollerwerb eines direkten Wettbewerbers des Vertragspartners bezieht und wie der Begriff des direkten Wettbewerbers zu definieren ist. Einer klaren Definition bedarf auch das Tatbestandsmerkmal des Kontrollwechsels. Hier sollten konkrete Beteiligungsschwellen vereinbart und weiterhin klargestellt werden, ob auch der erstmalige Kontrollerwerb oder nur der Wechsel einer schon bestehenden Kontrollmehrheit den Tatbestand der Klausel erfüllt. Darüber hinaus sollte im Hinblick auf den Wortlaut der §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 315 Abs. 4 Nr. 8 HGB der Anwendungsbereich der Klausel vertraglich ausVgl. Manager-Magazin: Mitteilung vom 14. August 2003, 17 : 33 Uhr, www. manager-magazin.de. 959 Vgl. Beitrag des Manager-Magazins vom 01.09.2003, abrufbar unter: http:// www.manager-magazin.de/it/artikel/0,2828,263877,00.html. 958
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8. Fazit
drücklich festgelegt werden. Dies reduziert das Subsumtionsrisiko und die damit verbundene Gefahr von Verstößen gegen die Offenlegungspflicht, die gemäß § 60 Abs. 1 Nr. 8, Abs. 3 WpÜG ein Bußgeld bis zu einer Million Euro nach sich ziehen können. Vorgebeugt werden sollte auch etwaigen Streitigkeiten über die Frage, ob auch Umstrukturierungen zwischen konzernverbundenen Unternehmen den Tatbestand einer vereinbarten Change-of-Control-Klausel erfüllen und wie der Begriff des Konzernverbundes zu definieren ist. Für Streit über die Auslegung einer allgemein gefassten Changeof-Control-Klausel dürften insbesondere einhundertprozentige Konzernstrukturen sorgen, also die Fälle, in denen der ursprüngliche Mehrheitsaktionär des Vertragspartners zu 100 Prozent am neuen Mehrheitsaktionär beteiligt ist. Hier könnte der andere Vertragspartner argumentieren, der Kontrollwechsel setze die Begründung eines wirtschaftlichen Austauschverhältnisses zu dritten Marktteilnehmern voraus. In der umgekehrten Konstellation, dass der neue Mehrheitsaktionär 100 Prozent der Anteile des ursprünglichen Mehrheitsaktionärs hält, sollte zusätzlich danach differenziert werden, ob sich die wirtschaftliche Betätigung der Muttergesellschaft auf das Halten der Beteiligung am ursprünglichen Mehrheitsaktionär beschränkt (Holdingstruktur) oder die Muttergesellschaft aktiv am Markt tätig ist. Die vorstehenden Beispiele verdeutlichen: Eine rechtssichere Anwendung dieser Klauseln erfordert die eindeutige Formulierung der Tatbestandsvoraussetzungen des Kündigungsrechts. Im Falle auslegungsbedürftiger Tatbestandsvoraussetzungen könnte der Ausübung des Kündigungsrechts die Arglisteinrede aus § 242 BGB entgegenstehen, wenn der Vertragspartner in Kenntnis der Change-of-ControlKlauseln auf die Fortführung der Geschäftsbeziehung ungeachtet eines Kontrollwechsels vertrauen durfte. Ferner ergibt sich aus den Ergebnissen des vierten, sechsten und siebenten Kapitels, dass nach deutschem und europäischem Recht das mit der Kündigung einer intensiven Geschäftsbeziehung verbundene Risiko der Existenzbedrohung eines Geschäftspartners entscheidend für die Beurteilung der Ausübung des Kündigungsrechtes ist. Zur Vermeidung späterer Streitigkeiten sollte im Vertrag klargestellt werden, dass der von der Klausel eingeschränkte Vertragspartner die Auswirkungen eines möglichen Wegfalls des Vertragsverhältnisses
8.6. Schlussfolgerungen für die Zukunft
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geprüft hat und bestätigt, dass die Fortführung seines Geschäftsbetriebes im Falle der Kündigung nicht gefährdet wird. Dies entfaltet eine Warnfunktion und dient der Dokumentation der voraussichtlichen Auswirkungen der Kontrollwechselvereinbarung. Das Risiko einer Existenzbedrohung im Falle der Kündigung wird damit vertraglich einer Partei zugewiesen. Bei langfristigen Vertragsbeziehungen sollte zusätzlich eine künftige Prüfungs- und Hinweispflicht aufgenommen werden, die sicherstellt, dass die Parteien eine sich erst nach Abschluss des Vertrages entwickelnde essentielle Bedeutung der Geschäftsbeziehung für einen Partner rechtzeitig erkennen und hierauf angemessen reagieren können. Zu empfehlen ist, die Verpflichtung zur Vertragsanpassung oder die ordentliche Kündigung mit einer angemessenen Frist bevor ein Angewiesensein auf die Vertragsfortführung, das der zulässigen Ausübung des Kündigungsrechts entgegenstehen könnte, überhaupt entsteht. Mit Hilfe einer solchen ausdrücklichen vertraglichen Regelung kann auch möglichen Einwänden vom Wegfall der Geschäftsgrundlage vorgebeugt werden. Auf der Rechtsfolgenseite sollten die Vertragspartner das Prozessrisiko eindämmen, indem sie ökonomische Kompensationen für die Einschränkung der Umstrukturierungsmöglichkeiten audrücklich vereinbaren. Wenn eine äquivalente Gegenleistung vereinbart wird, können die Interessen des Vertragspartners und auch seiner Aktionäre damit gesichert und befriedigt werden. Ein besonderer gerichtlicher Schutz würde damit entbehrlich, es fehlt das Rechtsschutzbedürfnis. Damit könnte die im Falle eines Rechtsstreits erforderliche Interessenabwägung zwischen den möglicherweise betroffenen Grundrechten bereits im Rahmen der Vertragsgestaltung beeinflusst werden. Unter Beachtung der vorstehenden Empfehlungen erscheint eine rechtssichere Anwendung von Change-of-Control-Klauseln in wesentlichen Vereinbarungen im Sinne von §§ 289 Abs. 4 Nr. 8, 316 Abs. 4 Nr. 8 HGB möglich. Die Aufgabe der Vertragsjuristen wird künftig darin bestehen, Change-of-Control-Klauseln und auch die Satzungen der Vertragspartner rechtssicher zu formulieren.
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Stichwortverzeichnis Abfindungsansprüche 79, 200 Abhängigkeit 19, 54, 86, 97 ff., 152 ff. agency costs 77 f. Allgemeine Geschäftsbedingung (AGB) 49 ff. allgemeines Anlagerisiko 124 ff. Arglisteinrede 90 ff. Aufsichtsrat 33 ff., 79, 105, 119 ff., 200 f. Ausgleichsvorschriften 62 ff. Austrittsrecht 76 ff., 194 ff. Ausweichmöglichkeiten 83 ff., 185 ff. Berufsfreiheit 139 ff., 153 ff., 173 ff. Beteiligungsstruktur der Gesellschaft 79, 133 Binnenmarkt 160 ff., 177 ff. Charta der Grundrechte der Europäischen Union 166 Daseinsvorsorge 81 Dienstleistungsfreiheit 180 f. Drittwirkung der Grundfreiheiten zwischen Privaten 179 ff. Drittwirkung der Grundrechte 110 ff. Due-Diligence-Prüfung 22 ff. effet-utile-Grundsatz 179 Eigentumsgrundrecht 119 ff., 131, 164 ff. Erwerb eigener Aktien 197 Europäisches Vertragsrecht 160 ff. Fungibilität
68 ff.
Geschäftsgeheimnisse 21, 178 Gesetzesvorbehalt 112 ff. Gewaltenteilung 112 ff. gewerbliche Schutzrechte 24 Gleichheitsgrundsatz 52, 96, 123, 136, 193 Golden Parachutes 2
Hauptversammlung 33, 66, 71, 76, 120 ff., 131, 191, 200 Joint Venture 5, 18, 51 Kontrolle des Managements 76 ff. Kontrollwechsel 1 ff., 14 ff., 38, 75 ff., 95 ff., 201 Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) 165 Kreditverträge 3, 4, 6, 19, 51 Kündigungsrecht 1, 4, 7, 15, 18 ff., 71 ff., 141, 159, 191 ff. Managerialism 77 Marktmacht 47, 72, 81 ff. Marktwirtschaft 1, 6, 82, 189 Minderheitsaktionäre 75, 107, 127 ff., 198 Mitbestimmungsurteil des BVerfG 120 monitoring costs 77 f. Neoklassische Schule (Chicago School) 77 Neutralitätspflicht des Vorstandes 38 Niederlassungsfreiheit 183 ff. Pflichtangebot 75 ff., 106 ff. Poison Debt 39 Poison Pill 2 Public Privat Partnerships (PPP) 94 Publizitätspflichten 3, 14, 132 Rating
19,
23 ff., 158, 190
Schiedsgericht 12, 117, 193 Squeeze-out 106, 127 ff., 173, 191 Transaktionskosten
51, 79, 196
224 Übernahmeangebot 14, 26 ff., 35 ff., 107, 190 Übernahmerichtlinie 14 ff., 26 ff. 106, 173 Unternehmensinteresse 38 ff. Vergaberecht 19, 94 ff. Verhinderungsverbot 32 ff., 74, 104 ff., 133, 191
Stichwortverzeichnis Vinkulierung 66 ff., 104, 191 ff. Vorratsbeschluss 120, 197 Wandelanleihe 38 Warenverkehrsfreiheit 179, 181 ff. 187 Wesentlichkeitstheorie des BVerfG 113 Wettbewerb 42, 45, 60, 151, 178