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German Pages 224 Year 1960
HEINRICH
TROST
Norddeutsche Stadttore zwischen Elbe und Oder
D E U T S C H E A K A D E M I E D E R W I S S E N S C H A F T E N ZU B E R L I N Arbeitsstelle für Kunstgeschichte
S C H R I F T E N ZUR K U N S T G E S C H I C H T E herausgegeben von Richard Hamann und Edgar Lehmann Heft 5
AKADEMIE-VERLAG - BERLIN 1959
S C H R I F T E N ZUR K U N S T G E S C H I C H T E
Norddeutsche Stadttore zwischen Elbe und Oder VON H E I N R I C H T R O S T
Mit 183 Abbildungen und 21 Textskizzen
AKADEMIE-VERLAG • BERLIN 1 959
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen Copyright 1959 by Akademie-Verlag G m b H , Berlin W 1 Erschienen im Akademie-Verlag G m b H , Berlin W 1, Leipziger Straße 3 - 4 Lizenz-Nr.: 202 • 100/120/59 Klischeeanfertigung: Graphischer Großbetrieb Sachsendruck Plauen Satz und D r u c k : IV-14-48 Druckerei Volksstimme Magdeburg Einband: Druckhaus „Maxim G o r k i " Altenburg Bestellnummer: 2076/5 Printed in Germany ES 12 C 2
Inhalt Vorwort Einleitung Die Typen der norddeutschen Backsteintortürme Der quadratische Torturm Der runde Torturm Die durch quadratischen Turm und Rundturm flankierte Durchfahrt Zusammenfassung Die Anfänge Die Tortürme des 14. Jahrhunderts Die Tortürme des 15. Jahrhunderts Der quadratische Torturm mit Aufsatz u n d vermittelnden Ecktürmen Der quadratische Torturm mit Eckenbetonung und Stadt- und Feldseitengiebelabschluß oder Pyramidendachbekrönung Der quadratische Torturm mit Satteldach und Stadtund Feldseitengiebel Der quadratische Torturm mit Dachabschluß Der unten quadratische, oben achteckige Torturm neben der Durchfahrt Der Rundturm Das Doppelturmtor Die Vortore Ergebnisse Katalog Literaturverzeichnis Tafelteil mit Bildnachweis
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60 64 79 82 87 91 96 104 113 125
Vorwort Das eigentliche Gelobte Land phantasievollen Reichtums in der Durchbildung der Tore ist aber das ostelbische Backsteingebiet. Georg Dehio
Der Torturm gehört zu den wichtigsten Profanbauten der mittelalterlichen Stadt. Der Reichtum, den insbesondere der norddeutsche Raum für seine Ausgestaltung aufgebracht hat, rechtfertigt es, ihn gleichberechtigt dem anderen wichtigen Profanbau, den die mittelalterliche Stadt kannte, dem Rathaus, zur Seite zu stellen. Die vorliegende Arbeit, aus einer Dissertation vom Jahre 1957 am Kunstgeschichtlichen Institut der Humboldt-Universität Berlin hervorgegangen, beschäftigt sich mit den Tortürmen und Vortoren des Backsteingebietes zwischen Elbe und Oder, wozu westlich der Elbe die Altmark und östlich der Oder die mit den Geschicken Brandenburgs eng verknüpfte Neumark - zumindest mit ihren wichtigsten Vertretern - hinzugenommen worden sind. Dieses durch Elbe und Oder begrenzte Backsteingebiet ist in seinen Kunstäußerungen nicht einheitlich. Der Unterschied zwischen der mittelalterlichen Architektur der Küste und ihres Hinterlandes einerseits und der des südlich anschließenden brandenburgischen Binnenlandes andererseits ist oft erkannt worden. Der herben, großzügigen, fast möchte man sagen nüchternen Architektur der mecklenburgischen und vorpommerschen Ostseestädte, wir denken vor allem an die mächtigen Basiliken in Lübeck, Wismar, Rostock und Stralsund, hat Brandenburg nichts Entsprechendes zur Seite zu stellen. Seine Architektur ist kleinteiliger, zierlicher, wir erinnern an Giebel oder daran, wie selbst bei großen Bauten, etwa der Prenzlauer Marienkirche, graziles Maßwerk den Dachansatz verdeckt. Man könnte versucht sein, sie kleinbürgerlich zu nennen, während die Bauten des Küstenlandes echte Zeugnisse der nüchtern berechnenden, nur im Großen, Weltweiten planenden Hanseaten zu sein scheinen. Richten wir jedoch unsere Blicke auf die Nachbargebiete in Ost und West - auf die preußische Ordensbaukunst und auf die niederrheinisch-westfälisch-niedersächsische, ebenfalls größtenteils dem Backstein verpflichtete Architektur so verlieren diese Unterschiede an Gewicht. Das Elbe-Oder-Gebiet erweist sich dann, auch wenn verschiedene Dialekte gesprochen werden, als das Gebiet einer Sprache mit einheitlicher Entwicklung. Eine sinnvolle zeitliche Begrenzung gibt das zur Untersuchung sich darbietende Material von selbst. Die Christianisierung und Besiedlung des Elbe-Oder-Gebietes mit deutschen Siedlern erfolgte zu überwiegenden Teilen in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Bald danach, aber doch meist erst - von wenigen Ausnahmen wie Lübeck abgesehen - im frühen 13. Jahrhundert, blühte eine große Anzahl von Städten auf; folglich können die Anfänge des städtischen Befestigungsbaues und VII
somit die ersten Torbauten in unserem Gebiet nicht vor dem frühen 13. Jahrhundert angesetzt werden. Die spätesten Tortürme Norddeutschlands gehören dem ausgehenden 15. Jahrhundert an. Die zunehmende Verwendung des längst erfundenen Schießpulvers machte den Torturm, der zudem schon im 14. und besonders dann im 15. Jahrhundert durch überreichen Schmuck erkennen läßt, daß er nicht nur Zweckbau sein will, zu einem fragwürdigen, den neuen Angriffswaffen nicht mehr entsprechenden Verteidigungsbau. Neue Tortürme sind im 16. Jahrhundert kaum noch errichtet worden, wobei wohl ein Weiteres der im 15. Jahrhundert beginnende wirtschaftliche Niedergang dazu getan haben mag. Das sich zur Untersuchung darbietende Material reicht also vom frühen 13. Jahrhundert bis ins späte 15. Jahrhundert und führt somit über die letzten Äußerungen mittelalterlicher Baukunst nicht hinaus. An Literatur, die sich mit den norddeutschen Stadttoren beschäftigt, standen hauptsächlich zwei Dissertationen zur Verfügung: Max Nova „Die Stadttore der Mark Brandenburg im Mittelalter", Berlin-Charlottenburg 1909, und Jenny Müller „Die mittelalterlichen Tortürme in Mecklenburg", Rostock 1923. Eine Münchener Dissertation aus dem Jahre 1909 von Kurt Freyer: „Das norddeutsche Stadttor in gotischer Zeit" war für unsere Untersuchung schon allein deshalb unbrauchbar, weil sie von dem Standpunkt ausgeht, daß eine eigentliche historische Entwicklung der Tore kaum erkennbar sei. Wichtige Anregungen dagegen konnte das kurze, aber lehrreiche Kapitel über die Stadtbefestigung in Georg Dehios „Geschichte der Deutschen Kunst" vermitteln 1 . In Novas Arbeit ist zusammengetragen, was für den äußeren und inneren Aufbau der Toranlage und insbesondere des Torturmes an Fakten - erläutert an Beispielen aus der Mark Brandenburg vorhanden ist. Auf Fragen des Stiles und der Datierung geht sie jedoch kaum ein, so daß für unsere Arbeit eine Auseinandersetzung mit ihr nicht erforderlich ist. Jenny Müller beschäftigt sich mit den mecklenburgischen Tortürmen und Vor toren. Als ein Mangel der Arbeit, die sich bemüht, über das, was Nova für die brandenburgischen Tortürme getan hat, durch eingehendere Besprechung der vorhandenen mecklenburgischen Tore hinauszugehen, erscheint das Fehlen einer gründlichen stilistischen Bestimmung der einzelnen Bauten; und die angegebenen ungefähren Entstehungsdaten erwecken schon allein dadurch, daß sie nicht genügend begründet werden, Zweifel und Mißtrauen. Es steht mit diesem Mangel an stilkritischer Exaktheit im Zusammenhang, daß rein zufällige Erwähnungen in den Quellen zu einer zeitlichen Festlegung benutzt werden, ohne daß eine Überprüfung vorgenommen wird, ob die Nachricht auf den bestehenden Torturm auch zutreffen kann. Der Rostocker Torturm in Ribnitz beispielsweise wird in einer Chronik des 16. Jahrhunderts zum Jahre 1329 erwähnt, und Jenny Müller läßt deshalb den bestehenden Torturm um 1300 - wie auch im Inventar - entstanden sein. Jedoch gibt sich dieser sowohl dem Typ als auch den Einzelformen nach eindeutig als ein Werk der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts zu erkennen. In unserer Arbeit sind Erwähnungen in Urkunden und Chroniken eingehend besprochen worden, wenn es uns sicher schien, daß sie sich auf den bestehenden Bau beziehen und gleichzeitig Rückschlüsse auf seine Errichtung oder Fertigstellung zulassen. Zu demselben Zwecke 1
Nova 1909 (53); Müller 1923 (52); Freyer 1909 (43); Dehio 1921 (42), II, S. 316 ff.
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wurden wiederholt Gründungsdaten von Städten benutzt. Häufig jedoch mußten wir erkennen, daß die Erwähnung dieses oder jenes Torturmes für unsere Absichten wertlos war: Es handelte sich dann um rein äußerliche Geschehnisse, die mit der Errichtung des Baues nicht das geringste zu tun hatten und bei denen fraglich blieb, ob sich die Nachricht auf den bestehenden Bau oder einen Vorgängerbau bezieht. Novas, vor allem aber Jenny Müllers Arbeit machen deutlich: Als das Wichtigste und Dringlichste erscheint eine systematische Durcharbeitung des vorhandenen Materials, um so eine Einsicht in den Entwicklungsablauf zu gewinnen und für die einzelnen Bauten begründete Entstehungsdaten auch dann, wenn die Quellen schweigen, was meist der Fall ist. Im Verlauf der Arbeit wird sich zeigen, welche Bedeutung dafür neben Einzelformen vor allem der Art und Weise, wie durch die Gliederung die Vertikalität gesteigert oder vermindert wird, zukommt. Von nicht geringerer Bedeutung erweist sich die Bildung der Durchfahrtsbögen, die eine sehr genaue Antwort auf deren zeitliche Stellung gibt. Dabei zeigt sich für das 15. Jahrhundert, daß das zunächst Unverständliche seiner Entwicklung, für das die Forschung zumindest für die norddeutsche Backsteinarchitektur noch keine überzeugende Deutung gefunden hat, bei Zugrundelegung der von Malerei und Plastik her bekannten Entwicklung verständlich wird. Dem Realismus der ersten Hälfte des Jahrhunderts, dem Antigotischen, „Renaissancehaften" in Malerei und Plastik auch nördlich der Alpen entspricht es, wenn bei unseren Tortürmen und Vortoren das Gotische abgelehnt wird und zusammen mit Horizontalgliederungen „romanische" oder noch weiter zurückgreifende Elemente und Gestaltungen Anwendung finden. Diese Elemente und Gestaltungen rechtfertigen es in ihrer Nähe zu solchen der späten Antike - Nähe zur späten Antike trifft letztlich selbst für die Romanik noch zu bei ihrer Wiederaufnahme im 15. Jahrhundert von etwas „Renaissancehaftem" zu sprechen. Und auch die intensive Rückwendung zur Gotik der Bauten der zweiten Jahrhunderthälfte läßt unschwer einen Zusammenhang mit der Rückwendung zur Gotik in Malerei und Plastik erkennen, jenem von Richard Hamann in seiner „Geschichte der Kunst" neogotisch genannten gesamteuropäischen Stil. In einer Einleitung sollen die grundsätzliche Anlage der städtischen Befestigung und deren wichtigster Teil, die Toranlage mit dem Torturm und dem Vortor, kurz besprochen werden. An den Anfang der Untersuchung ist eine Aufstellung der im norddeutschen Raum auftretenden Torturmtypen gestellt. Es soll hier versucht werden, bereits die verschiedenen Typen als eine stilbedingte Erscheinung darzustellen, wodurch ungefähre Anhaltspunkte dafür gewonnen werden, von welchem Zeitpunkt an die Tortürme vom Typ her zu erwarten sind. Im Anschluß daran erfolgt die Besprechung der einzelnen Tortürme in chronologischer Abfolge. Die Vielzahl der im 15. Jahrhundert vorhandenen Typen macht es notwendig, die Tortürme dieses Jahrhunderts zu Gruppen zusammenzufassen. Für die Besprechung und Untersuchung der einzelnen Tortürme ist folgende Form gewählt, von geringfügigen Abweichungen abgesehen : Der Bau wird typenmäßig eingegliedert. Neben chronikalischen und urkundlichen Fakten werden eingreifende Veränderungen späterer Jahrhunderte genannt. IX
Es schließt eine eingehende Beschreibung an. Da diese für das Verständnis der nachfolgenden Untersuchung nicht unbedingt erforderlich ist, ist sie zur Erhöhung der Übersichtlichkeit in kleinerer Type und zweispaltig gesetzt. Die stilkritische Untersuchung berücksichtigt in der Hauptsache drei Punkte: die Gliederung (die hier beigefügten Aufrißskizzen besonders wichtiger Tortürme sollen lediglich der Verdeutlichung der Bewegung am Turmkörper dienen und sind nicht maßstabgerecht gezeichnet); die Einzelformen; die Bildung des Durchfahrtsbogens. Zum Schluß ist meistens das Ergebnis noch einmal besonders herausgestellt. Weniger wichtige Tortürme sind ohne ausführliche Beschreibung und ohne eingehende stilistische Besprechung an die ihnen verwandten Bauten angeschlossen. Im letzten Kapitel werden die Typen der Vortore aufgestellt und die wenigen erhaltenen Beispiele einer ähnlichen Untersuchung wie die Tortürme unterzogen. In den „Ergebnissen" wird die Entwicklung des Stadttores im Elbe-Oder-Gebiet noch einmal in gedrängter Form dargestellt und abschließend der Versuch unternommen, mit diesen hier gewonnenen Einsichten unter Berücksichtigung gesellschaftlicher und historischer Fakten auf einige der wichtigsten sich daraus ergebenden Fragen erste Antworten zu geben. Der Katalog enthält sämtliche noch vorhandenen und einige einwandfrei überlieferte Tortürme und Vortore - die nicht besprochenen besonders gekennzeichnet - alphabetisch nach Orten geordnet. Die gewonnenen Datierungen der einzelnen Bauten sind im Katalog vermerkt. Unser Programm, wie es hier dargelegt wurde, läßt erkennen, daß nicht alle mit der Stadttorarchitektur im Zusammenhang stehenden Fragen behandelt werden. Einmal bleibt das Verhältnis der norddeutschen Stadttorarchitektur zu der des übrigen Deutschland und zu der anderer Länder, beispielsweise den Niederlanden, weitgehend unberücksichtigt. Zum anderen wird die Rolle des Torturmes als Bedeutungsträger, d. h. also die Funktion, die dem Torturm von der Gesellschaft neben seiner Aufgabe, Verteidigungsbau zu sein, gestellt worden ist, nur gelegentlich und lediglich am Schluß etwas breiter erörtert. Gerade für eine solche Untersuchung und zusammen mit einer eingehenden Analyse der gesellschaftlichen Struktur der mittelalterlichen Städte im Elbe-OderGebiet werden Urkunden und Chroniken wichtige Aufschlüsse geben können. Unsere Arbeit will für eine umfassende Untersuchung über die Bedeutung und den Wert des Stadttores für die mittelalterliche Gesellschaft nur Voruntersuchung sein, insofern die Entwicklung des Torturmes und Vortores zwischen Elbe und Oder verfolgt wird und die einzelnen Bauten eine eingehend begründete zeitliche Festlegung erfahren. Nach dem Stand der Forschung erscheint uns dies als das zunächst Wichtigste. Daneben aber glauben wir, daß unsere Arbeit dort, wo sie bereits über dieses hier gesetzte Ziel hinausgeht, fördernd und zu weiteren Arbeiten über dieses lohnende Thema bürgerlicher Profanbaukunst des Mittelalters anregend sein kann.
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Einleitung Bevor wir uns den Tortürmen und Vortoren zuwenden, sollen die allgemeine Anlage einer mittelalterlichen Stadtbefestigung und der daraus sich ergebende Aufbau der Toranlagen, deren wichtigste Bestandteile Torturm und Vortor sind, skizziert werden. Im Hinblick auf unsere Aufgabe können wir uns auf die kürzeste und allgemeinste Darstellung beschränken. Abgesehen davon, daß vielfach die Städte von vornherein in einem für eine Verteidigung günstigen Gelände gegründet wurden 1 und daß bei der Anlage der Stadtbefestigung diese jeweiligen örtlichen Verhältnisse Berücksichtigung fanden, kann als allgemein verbindlich für eine städtische Befestigung folgende Form gelten: Eine nach oben sich leicht verjüngende Mauer umläuft die Stadt. Sie ist Abb. 1-4 meist in regelmäßigen Abständen mit Weichhäusern versehen, halbrunden oder rechteckigen Mauervorsprüngen, die auf eingefügten Holzböden Besatzungen zur Verteidigung der Mauer aufnehmen konnten. An besonders wichtigen Punkten, an Ecken oder in der Nähe von Toren, befinden sich oft Mauertürme, die entweder von Anfang an als solche erbaut wurden oder aber durch Erhöhung eines Weichhauses nachträglich entstanden. Die Mehrzahl der erhaltenen Mauern besteht aus Feldsteinmauerwerk, das ungefähr von Meter zu Meter durch Einfügen von kleineren Steinen horizontal abgeglichen ist. Aus Backsteinen errichtete Mauerzüge scheinen seltener gewesen zu sein. Die ursprüngliche Höhe der Mauer betrug im Durchschnitt sechs bis sieben Meter. Einen an der Stadtseite ausgekragten hölzernen Umgang in Höhe der Mauerkrone, wie er bei süddeutschen Stadtbefestigungen üblich ist, kennt die Stadtmauer Norddeutschlands kaum: Ihre Verteidigung wurde meist von den Weichhäusern aus vorgenommen, die deshalb in geringen Abständen - etwa dreißig bis fünfzig Meter - aufeinander folgen 2 . Zur Feldseite hin ist der Mauer ein mitunter sehr umfangreiches Wall- und Grabensystem vorgelegt: Abb. 5 Unmittelbar vor der Mauer befindet sich ein tiefer und breiter, ursprünglich mit Wasser gefüllter Graben, wodurch die Mauer noch an Höhe gewinnt, und ein Wall, der gelegentlich mit einem Palisadenzaun versehen war. Bei besonders starken Befestigungen und an besonders gefährdeten Punkten erfuhr dieses Wall- und Grabensystem eine Verdoppelung oder gar Verdreifachung. Als ein 1
Z. B. Stralsund, rings von Wasser umgeben, oder Brandenburg a. d. Havel, durch Seen und sumpfige Niederungen bereits hinlänglich geschützt.
'-' Das Weichhaus ist eine vereinfachte Form des Mauerturmes antiker Stadtbefestigungen (z. B. Rom, Aurelianische Mauer), der die gleichen Funktionen (Bildung von Konzentrationspunkten der Verteidigung und Sicherung der Mauer) zu erfüllen hatte.
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weiterer Schutz konnte in einer Entfernung von mehreren Kilometern eine Landwehr die Stadt umlaufen, meist eine wallartige Erdaufschüttung, die dort, wo sie von Verkehrswegen durchschnitten wurde, oft mit Warttürmen versehen war. Abb. 6
Die Abfolge von Mauer, Graben und Wall, d. h. also der Querschnitt durch den die Stadt umziehenden Verteidigungsgürtel, bestimmt auch den Aufbau der Tore: Der Hauptteil des Tores, das meist als Torturm ausgebildete Innentor, ist dem Hauptteil des Befestigungsgürtels, der Mauer, eingefügt; über den Graben spannt sich eine Brücke, und in Höhe des Walles legt sich riegelartig vor Torturm und Brücke ein Vortor. Zwingermauern verbinden Torturm und Vortor zu einer geschlossenen Verteidigungsanlage und geben den Flanken den nötigen Schutz. So wie Wall und Graben eine Verdoppelung erfahren konnten, so konnte zu einer solchen Toranlage selbstverständlich auch noch ein zweites, in Höhe des zweiten Walles befindliches Vortor treten. - Auch Wasserwege, die durch die Stadt führten, konnten an ihrem Eintritt bzw. Austritt mit von Türmen geschützten Toren versehen werden. Die ursprüngliche Anlage mit Torturm, Vortor und Zwingermauern haben nur wenige Stadttore unseres Bereiches bewahrt. Meist ist es nur der Torturm, der den wachsenden Verkehrsbedürfnissen im 19. Jahrhundert nicht hat weichen müssen, während Vortor und Zwingermauern verschwunden sind. Dem Torturm, zweifelsohne dem wichtigsten Teil des Stadttores, gilt unser Hauptaugenmerk. Trotzdem soll während der nachfolgenden Untersuchung nicht ganz vergessen werden, daß er - und dies aufzuzeigen war Sinn und Zweck dieser Einleitung - eben nur ein Teil der Toranlage und diese wiederum nur ein Teil der stadtumfassenden Befestigung ist.
Die Typen der norddeutschen Tortürme Der quadratische
Torturm
I. Die Grundrißbildung Die am häufigsten für den Torturm verwendete Grundrißform ist das Quadrat oder das dem Quadrat sich nähernde Rechteck 1 . In der Verbindung mit einer Durchfahrt gestattet es drei Möglichkeiten der Grundrißbildung: 1. Der quadratische Turm über der Durchfahrt
Der quadratische Turm über der Durchfahrt ist die naheliegendste Verbindung von Turm und Durchfahrt. Hinzu kommt, daß sie gute Verteidigungsmöglichkeiten bietet: Der die Durchfahrt enthaltende Turm bildet mit den Zwingermauern und dem Vortor eine auf das einfachste nach allen Seiten hin abgeschlossene Wehranlage; von ihm aus konnte das gesamte Torgelände gut übersehen werden. Ein toter Winkel entstand nur in dem Gelände unmittelbar vor dem Außentor, welches jedoch ebenfalls eine Besatzung aufnehmen und die Verteidigung des vom Hauptturm nicht zu übersehenden Abschnittes übernehmen konnte. Diese sich am ehesten aufdrängende Lösung der Verbindung von Turm und Durchfahrt und ihre guten fortifikatorischen Eigenschaften machen es verständlich, daß sie in zahlreichen Fällen Anwendung gefunden hat. 2. Der quadratische Turm neben der Durchfahrt
Der quadratische Turm neben der Durchfahrt bietet den schätzbaren Vorteil, daß der Turm selbst nicht durch eine breite und hohe Durchfahrt geöffnet werden muß, sondern von unten an allseitig geschlossen aufgemauert werden kann. Verteidigungstechnisch ergeben sich jedoch Nachteile. Da der Turm seitlich der Durchfahrt und somit seitlich der einen Zwingermauer liegt, ist das Gelände vor dieser Zwingermauer von der Plattform des Turmes aus nicht zu überblicken. Es entsteht hier also ein toter Winkel, und nur dadurch kann Abhilfe geschafft werden, daß entweder ein Wehrgang über den Durchfahrtsanbau angelegt wird, oder aber daß die Sicherung dieser gefährdeten Flanke von der Besatzung des nächsten Weichhauses durchgeführt wird. Im letzteren Falle hat jedoch die Toranlage zum Teil an Selbständigkeit verloren und ist auf Unterstützung von außen angewiesen. 1
Die Grundrißform eines reinen Quadrates zeigen die Tortürme nur selten. Da indes eine genaue Bestimmung der Grundrißform belanglos ist, begnügen wir uns im folgenden der Einfachheit und Klarheit halber mit der Bezeichnung quadratisch auch dort, wo eine rechteckige, mehr oder weniger stark dem Quadrat sich nähernde Form vorhanden ist.
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Die von %wei quadratischen Türmen flankierte Durchfahrt Die Toranlage mit der von zwei quadratischen Türmen flankierten Durchfahrt ist zwischen Elbe und Oder kaum angewendet worden. Erhalten hat sich kein Beispiel 1 . Uns scheint der Grund für das Ablehnen dieser an sich naheliegenden Anlage nicht nur in den größeren materiellen Herstellungsschwierigkeiten zu liegen. Wichtiger mag vielmehr sein, daß für eine solche Anlage, die einem antiken oder antik beeinflußten Tore ähneln würde, im Elbe-Oder-Gebiet, welches keine antike Tradition wie etwa die Rheinlande besitzt, die Voraussetzungen fehlen. Von wesentlicher Bedeutung für unsere Untersuchung sind also von den drei denkbaren Möglichkeiten nur die unter i. Turm über der Durchfahrt und 2. Turm neben der Durchfahrt aufgeführten. Eine Priorität der einen Bildung vor der anderen ist nicht anzunehmen. Beide Gestaltungsmöglichkeiten sind von Anfang an denkbar und auch unter den wenigen erhaltenen Bauten des 13. Jahrhunderts zu finden. II. Die Aufrißbildung Bei der Aufrißgestaltung des quadratischen Torturmes steht die Bildung des oberen Abschlusses im Vordergrund. Sie bedingt hauptsächlich die verschiedenen zu besprechenden Typen. 1. Der quadratische Turm über der Durchfahrt a) Der quadratische Torturm mit horizontalem Abschluß. Abb. 15u. 16
Als einfachste Bildung des Turmabschlusses ist eine über der Wachtstube liegende, von einem Zinnenkranz umschlossene Plattform - auf dieser meist ein kleiner kegel- oder pyramidenförmiger Helm oder aber auch ein auf den Zinnen aufruhendes Zeltdach - anzusehen. Diesen in der Anfangszeit häufigen, meist nur zweigeschossigen Bauten - Durchfahrts- und Obergeschoß - wird ob dieser geringen Höhenerstreckung die Bezeichnung Torhaus eher entsprechen. b) Der quadratische Torturm mit Satteldach und Stadt- und Feldseitengiebel.
Abb. 50 u. 51
Die durch den horizontalen Abschluß und die geringe Höhenerstreckung bedingte Gedrungenheit und Gelagertheit des eben besprochenen Types, der wohl dem romanischen Stilempfinden, nicht aber dem gotischen gemäß sein konnte, und das allmählich sich stärker ausbildende Repräsentationsbedürfnis der Bürger, denen die schlichten Torhäuser wohl nicht aufwendig genug Die Meriansche Ansicht von Frankfurt a. d. Oder (abgeb. im Inv. Brandenburg 1912 [16], S. 3) zeigt zwei von zwei quadra-
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tischen Türmen flankierte Toranlagen (Lebuser und Gubener Tor). Adler 1898 (36), II, S. 63, bildet eine Darstellung der Stadt Frankfurt aus dem frühen 18. Jahrhundert von Daniel Petzold ab, die das Gubener T o r unverkennbar als aus zwei quadratischen Türmen bestehend wiedergibt. Dafür, daß es sich bei beiden Bauten um mittelalterliche handelt, könnte sprechen, daß das Berliner T o r in dem nicht weit von Frankfurt entfernten Müncheberg, von welchem der neben der Durchfahrt (diese nicht mehr vorhanden) befindliche Turm noch erhalten ist, nach dem Stadtplan von 1724 (Inv. Brandenburg 1909 [15], Tafel 25) ursprünglich ebenfalls eine zweitürmige Anlage gewesen zu sein scheint. Wenn diese Annahme stimmt, wird mit Recht angenommen werden können, daß das Berliner T o r in Müncheberg v