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German Pages 299 Year 1993
ALFRED ESCHER
Neukantianische Rechtsphilosophie, teleologische Verbrechensdogmatik und modernes Präventionsstrafrecht
Schriften zur Rechtstheorie Heft 162
Neukantianische Rechtsphilosophie, teleologische Verbrechensdogmatik und modernes Präventionsstrafrecht Eine biographische und wissenschaftsgeschichtliche Untersuchung über Alexander Graf zu Dohna (1876-1944)
Von Alfred Escher
Duncker & Humblot * Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Escher, Alfred: Neukantianische Rechtsphilosophie, teleologische Verbrechensdogmatik und modernes Präventionsstrafrecht : eine biographische und wissenschaftsgeschichtliche Untersuchung über Alexander Graf zu Dohna (1876 - 1944) / von Alfred Escher. - Berlin : Duncker und Humblot, 1993 (Schriften zur Rechtstheorie ; H. 162) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1992 ISBN 3-428-07803-9 NE: GT
Alle Rechte vorbehalten © 1993 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0472 ISBN 3-428-07803-9
Vorwort D i e A r b e i t ist i m Sommersemester 1992 v o n der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg i m Breisgau als Dissertation angenommen worden. Das Manuskript wurde bereits i m Februar 1991 fertiggestellt.
Im
Herbst 1992 habe ich einige kleinere Ä n d e r u n g e n i m Text vorgenommen; zudem wurde neuere Literatur i n den Fußnoten berücksichtigt. D e r Familie D o h n a , namentlich Frau D r . Helga Fremerey-Dohna u n d Dagmar Gräfin v o n Baudissin, möchte ich für die freundliche Unterstützung herzlich danken. Besonderen D a n k schulde ich auch all denen, die m i r i m Laufe der Erstellung dieser A b h a n d l u n g zur Seite gestanden haben, u n d namentlich meinem verehrten Lehrer, H e r r n Professor D r . Alexander Hollerbach, für die freundliche Förderung meiner A r b e i t . D e r Wissenschaftlichen Gesellschaft Freiburg i m Breisgau danke ich für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses. Karlsruhe, i m November 1992
Alfred Escher
Inhaltsverzeichnis Einführung - Abgrenzung und Festlegung des Themas - Gang und Schwerpunkte der Untersuchung - Quellen und Literatur
13 13 16 17
Erster Teil Biographie I. Herkunft, Persönlichkeit und Werdegang bis zum Beginn des I. Weltkrieges II. Kriegsteilnahme und erste politische Schriften
19 19 21
III. Mitglied der Weimarer Nationalversammlung und des ersten Reichstags in der Fraktion der DVP
24
I V . Verfassungstreuer Hochschullehrer in der Weimarer Republik
28
V. Hochschullehrer im „Dritten Reich"
39
Zweiter Teil Neukantianische Rechtsphilosophie I. Einführung und Themenbegrenzung II. Der „kritisch-transzendentalphilosophische" Ansatz für die Erkenntnis und Bewertung des Rechts 1. Dohna 2. Stammler 3. Vergleich und Würdigung I I I . Begriff und Geltung des Rechts: Eine positivistische Macht- und Gehorsamstheorie des Rechts 1. Dohna 2. Stammler 3. Vergleich und Würdigung IV. Idee und Rechtfertigung des Rechts, eine machtpolitisch instrumentalisierbare Lehre mit scheinbar höherer Begründungskraft? 1. Dohna 2. Stammler 3. Vergleich und Würdigung V. Revolutionäre Rechtsentstehung und „sittliche" Rechtfertigung einer Revolution 1. Dohna
45 45 49 49 50 50 55 55 61 63 68 68 71 72 79 79
8
Inhaltsverzeichnis 2. Stammler 3. Vergleich und Würdigung
83 83
V I . Deontologischer Rechtspositivismus als legitimer Mittelweg zwischen reinem Machtpositivismus und klassischem Naturrecht
86
1. Sind nach Dohna Willkür und sachlich unrichtiges Recht unterscheidbar? 2. Zum deontologischen Rechtspositivismus
86 87
Dritter Teil Strafrecht und Strafrechtsphilosophie A . Strafrechtstheorie I. Die Aufgaben des Strafrechts beim Schutz der sozialen Lebensbedingungen im Verhältnis zum Verwaltungsrecht II. Würdigung
91 92 92 93
B. Deterministische Auffassung zur Willensfreiheit, Verantwortlichkeit als faktische Charakterhaftung
96
I. Die Position Dohnas, das Problem des Strafen-Dürf ens gegenüber dem einzelnen Verbrecher
96
II. Würdigung C. Differenzierte Strafzwecktheorie mit Schwerpunkt bei der Spezialprävention
101 104
I. Die Zwecke der Strafdrohung, Strafverhängung und des Strafvollzuges . . 104 II. Würdigung
107
D. Kriminalpolitik und richterliche Ermessensfreiheit im Spannungsfeld zwischen möglichst effektiver Verbrechensbekämpfung und rechtsstaatlicher Begrenzung der staatlichen Strafgewalt 109 I. Zur Kriminalpolitik 1. 2. 3. 4.
Grundkonzeption eines „einspurigen" Sanktionensystems Verständigungsbemühungen im sog. Schulenstreit Insbesondere die unbestimmte Verurteilung und die Sicherungsstrafe Insbesondere die sog. Ehrenstrafe
109 109 110 111 115
II. Gesetzlichkeitsprinzip und strafrichterliches Ermessen im gewaltenteiligen Rechtsstaat 118 1. Eingrenzung des Themas 118 2. Der abgestufte Umfang des richterlichen Ermessens und das Prinzip: nullum crimen sine lege . 118 3. Individualisierte Strafzumessung und das Prinzip: nulla poena sine lege scripta 120 I I I . Die Stellung des Strafrichters zum Gesetz und der Wegfall des Analogieverbots im nationalsozialistischen Strafrecht 122 1. Die zeitgenössischen Schriften Dohnas 2. Würdigung
122 129
Inhaltsverzeichnis E. Dogmengeschichtliche Untersuchung der teleologischen allgemeinen Verbrechenslehre I. Einführung
131 131
1. Eingrenzung des Themas 131 2. Bemerkungen zum Sinn einer solchen dogmengeschichtlichen Untersuchung und zur Notwendigkeit einer Vermittlung zwischen Ontologie und Normativismus in einer rechtsstaatlichen Verbrechensdogmatik 134 II. Der Aufbau der Imputationslehre in dem Manuskript über den „Kriminaldolus" (1900) 137 I I I . Die ursprüngliche Verbrechenslehre: Das Verbrechen als (strafbare) zurechenbare Normwidrigkeit 143 1. Die Grundkonzeption im Überblick 143 2. Der eingeschränkt kausale Handlungsbegriff 146 3. Ansätze zu einer spezifischen Tatbestandslehre anläßlich der Unterscheidung zwischen Versuch und Mangel am Tatbestand 151 a) Der gesetzliche Tatbestand b) Die Dohnasche Lehre vom Mangel am Tatbestand
151 152
4. Die formale Maxime vom angemessenen Mittel zum rechten Zweck als Fundament der Lehre von der Rechtswidrigkeit wie der Rechtfertigung: Eine ethisierende Auslegungslehre zu einer soziologischen Unrechtsauffassung 157 a) Zum Sprachgebrauch b) Hinweise zur Dogmengeschichte der Lehre von der Rechtswidrigkeit c) Darstellung der Lehre Dohnas d) Aufnahme in der Literatur und in der Rechtsprechung e) Strafrechtsphilosophisch-methodische Würdigung f) Materiellrechtlich-dogmatische Würdigung g) Die späteren Ergänzungen zur Zwecktheorie und Zusammenfassung zur dogmengeschichtlichen Bedeutung
157 160 164 172 180 189 201
5. Die ethisierende Lehre von der Schuld: Die Pflichtwidrigkeit der Willensbestätigung als normatives Schuldelement 203 a) Zielrichtung der Untersuchung, zum Sprachgebrauch 203 b) Darstellung der Lehre Dohnas 205 c) Rechtsphilosophische und strafrechtsdogmatische Würdigung, zur dogmengeschichtlichen Bedeutung 211 I V . Die revidierte Verbrechenslehre: Objekt der Wertung (objektiver und subjektiver Tatbestand) und Wertung des Objekts (Rechtswidrigkeit und Schuld) 215 1. Einführung 2. Der Verbrechensaufbau im Überblick und die beiden Definitionen des Verbrechens 3. Der Objekt-Wertungs-Dualismus 4. Annäherung an den finalen Handlungsbegriff? 5. Tatbestand und Rechtswidrigkeit 6. Die Trennung des Vorsatzes vom (aktuellen oder potentiellen) Unrechtsbewußtsein und die Scheidung des Tatumstands- vom Verbotsirrtum
215 215 218 224 228
230
10
Inhaltsverzeichnis V. Abschließende Einordnung in den dogmengeschichtlichen Zusammenhang 234
Vierter
Teil
Strafprozeß- und Gerichtsverfassungsrecht I. Themenbegrenzung und Hauptfragestellungen
236 236
II. Programm eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens und der zugehörigen Strafgerichtsverfassung 237 1. Gegen die Berufung in Strafsachen, für einen modifizierten Parteiprozeß 237 2. Zum Wiederaufnahmeverfahren 243 3. Fehlende Eignung seiner Reformvorschläge zur Eindämmung der Mißbrauchsgefahren des modernen Präventionsstrafrechts 246 I I I . Die Bindung des Revisionsgerichts an frühere Entscheidungen im Falle einer Neukodifikation 247 I V . Zum Verhältnis von Amtsaufklärungspflicht und Beweisantragsrecht - Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung und die Auslegung einer diffusen Gesetzeslage (1944) 251 Zusammenfassung einiger Ergebnisse
258
Biographie im Überblick
260
Quellen- und Literaturverzeichnis
262
I. Quellen und Archivalien 1. 2. 3. 4.
Der Nachlaß Dohnas 262 Weitere Briefe Dohnas 264 Zum politischen Wirken Dohnas (Materialien außerhalb des Nachlasses) 265 Sonstiges 265
II. Primärliteratur von Graf zu Dohna 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
262
Rechtsphilosophie Strafrecht und Strafrechtsphilosophie Strafprozeß- und Gerichtsverfassungsrecht Verfassungsrecht und Verfassungspolitik Allgemeine Politik Glückwünsche Nachrufe
I I I . Sekundärliteratur 1. Zur Biographie, zur Geschichte der Deutschen Volkspartei etc 2. Rechtsphilosophie 3. Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
265 265 267 279 282 283 285 285 285 285 286 290
Abkürzungsverzeichnis Es haben grundsätzlich nur bekannte Abkürzungen Verwendung gefunden; im übrigen wird auf das Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache von Hildebert Kirchner und Fritz Kastner verwiesen, 3. Aufl. 1983. ARSP
Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie
ARWiP
Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie
DJZ
Deutsche Juristenzeitung
DLZ
Deutsche Literaturzeitung
DStR
Deutsches Strafrecht
GS
Der Gerichtssaal
IKV
Internationale Kriminalistische Vereinigung
Int. Wochschr.
Internationale Wochenschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik
JW
Juristische Wochenschrift
MschrKrimBiol
Monatsschrift für Kriminalbiologie und Strafrechtsreform
MschrKrimPsych
Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform
NDB
Neue Deutsche Biographie
NL
Nachlaß
Schmollers Jahrbuch
Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im deutschen Reich (Hrsg. von Gustav Schmoller)
ZStW
Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft
Einführung Eine umfassende wissenschaftsgeschichtliche und biographische Untersuchung über Alexander Graf zu Dohna liegt noch nicht vor. Die bisherige Würdigung der Persönlichkeit, des Politikers und Wissenschaftlers Dohna beschränkt sich im wesentlichen auf die Reden zur Gedenkfeier am 29. Juni 19471. Vielen jüngeren Juristen sind seine Schriften unbekannt. Ältere Juristengenerationen werden sich beispielsweise an (1) die vielbeachtete Habilitationsschrift über „Die Rechtswidrigkeit als allgemeingültiges Merkmal im Tatbestande strafbarer Handlungen", (2) das Kurzlehrbuch zum Strafverfahren, (3) die Fallsammlung „Übungen im Strafrecht und Strafprozeßrecht" und (4) an den Grundriß „Der Aufbau der Verbrechenslehre" erinnern 2 . Warum aber sein vorwiegend aus strafrechtlichen, strafprozessualen und rechtsphilosophischen Beiträgen bestehendes Werk sowie eine diesbezügliche historische Aufarbeitung noch heute Interesse beanspruchen darf, darüber sollen die nachfolgenden Kapitel selber Rechenschaft ablegen. Die Biographie schildert die Lebensgeschichte eines Juristen, der als neukantianischer Rechtsphilosoph, präventiv denkender Kriminalist und als nationalliberaler, der DVP angehörender Politiker vom Kaiserreich bis zum Dritten Reich verschiedene Phasen der Strafrechtsentwicklung und ihrer methodi1 Veranstaltet von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bonn, Privatdruck 1947, Ansprache des Dekans Erwin von Beckerath S. 1 - 2, Gedenkrede von Hellmuth von Weber S. 2 - 11, Erinnerungsworte im Namen der Schüler von Dr. Hubert Ciaessen S. 11 - 15, N L Dohna I I I , C, Nr. 6, Abdruck der Rede v. Webers in: Wilfried Küper, Heidelberger Strafrechtslehrer im 19. und 20. Jahrhundert, Heidelberg 1986, S. 275 - 284, Bildnis auf S. 279. Ferner Grabrede von Emil v. Beckerath am 30.12.1944, 3 Seiten; Alexander Graf zu Dohna als Lehrer des Rechts, Manuskript von Max Grünhut, 1963, 3 Seiten; Dagmar Gräfin Baudissin, Alexander Dohna - Ein Lebensbild, Vortrag auf dem Familientag 1965, 16 Seiten; jeweils in N L Dohna I I I , C, Nr. 6. Vgl. ferner Nachruf von Eduard Kohlrausch in der Deutschen Allgemeinen Zeitung vom 18.1.1945. Vorwort von Hans Welzel zu dem posthum aus dem Nachlaß Dohnas veröffentlichten Aufsatz, Ein unausrottbares Mißverständnis, ZStW 66 (1954), S. 505. Erik Wolf, Artikel Dohna in N D B I V 1959, S. 53, 54; ders. Nachwort zu dem Neudruck, Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1959, S. 97 - 99. 2 (1) 1905. (2) 1. Aufl. 1913, 2. Aufl. 1925, 3. Aufl. 1929 mit Nachtrag 1932. (3) 1. Aufl. 1921, 2. Aufl. 1925, 3. Aufl. 1929; darin finden sich viele Schulfälle zu Problemen der allgemeinen Verbrechenslehre, beispielsweise der Fensterscheibenfall (S. 85 Nr. 17) zum fehlenden subjektiven Rechtfertigungselement und der sog. Dohna-Fall (S. 93 Nr. 36) zur mittelbaren Täterschaft; Besprechungen der Übungen von Baumgarten, in: MschrKrimPsych. Bd. 13 (1922), S. 362, 363; Schriftleitung, in: JW 1930, S. 3388; Heimberger, in: DJZ 1931, S. 384. (4) 1. Aufl. 1936, 2. Aufl. 1941, 3. Aufl. 1947, 4. Aufl. 1950.
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Einführung
sehen sowie rechtsphilosophischen Grundlegung erlebt hat. Die Lehrtätigkeit an den Universitäten Halle a.d. Saale, Königsberg, Heidelberg und Bonn wurde durch die Teilnahme am 1. Weltkrieg und durch die Mitgliedschaft in der Weimarer Nationalversammlung unterbrochen. Obwohl Dohna am 31. Juli 1919 als Befürworter der Verschmelzung von Demokratie und Kaisertum gegen die mehrheitlich angenommene Weimarer Verfassung stimmte, gehörte er in der Republik zu den verfassungstreuen politischen Professoren, die für die Erhaltung und organische Fortentwicklung des Staates auf dem Boden dieser Verfassung eintraten. In der Endphase der Republik engagierte er sich öffentlich gegen die Nationalsozialisten. Sein Verhalten im Dritten Reich ist bisher im wesentlichen wie folgt gewürdigt worden. Nach der Gedenkrede Hellmuth v. Webers hat Dohna, „beargwöhnt und überwacht von den herrschenden Gewalten, in einem eigentlichen Sinne auch jetzt noch politisch gewirkt und auf die öffentlichen Angelegenheiten Einfluß genommen. Mit unbestechlicher und furchtloser Kritik hat er die Entwicklung von Gesetzgebung, Rechtsprechung und Lehre begleitet, mit Anerkennung, wo er, freilich selten genug, wie etwa bei der Einführung des unbestimmten Strafurteils gegen Jugendliche oder der Beseitigung des Verbotes der reformatio in peius, einen Fortschritt zu sehen glaubte, mit Tadel, der in der Form die gebotene Zurückhaltung wahrte, aber in der Sache klar und deutlich blieb, wo er den Verfall drohen sah. Immer wieder hat er den Gewalthabern den Grundsatz: „iustitia fundamentum regnorum" vor Augen gehalten. Und so gehörte er zum Kreise derer, die in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft das deutsche Rechtsgewissen repräsentierten'^.
Eberhard Schmidt schreibt: „ . . . gegen diesen Opportunismus einzelner stach die Haltung derjenigen ab, die der großen deutschen Rechtstradition die Treue gewahrt haben, wie etwa jene Mitglieder der Ständigen Deputation des Deutschen Juristentages, denen es nach einem Worte des Grafen zu Dohna ,lieber war, in Ehren unterzugehen, als in Schande zu bestehen', und die demgemäß der ehrwürdigen und ruhmreichen Institution des Deutschen Juristentages ein Ende setzten, bevor die ,Gleichschaltung' durch die neuen Machthaber erfolgte" 4 .
Erik Wolf bezeichnet die 1940 erschienenen „Kernprobleme der Rechtsphilosophie" als „ein wesentliches Zeugnis unabhängig-unbeirrten Rechtsdenkens, das in dafür ungünstiger Zeit hervortrat". Einige Sätze, „die sich mit politischen Gegebenheiten und Gedanken aus der Entstehungszeit des Buches befassen, lassen die kritische Grundhaltung des Autors . . . deutlich erken3
Gedenkrede, S. 9; wiederabgedruckt: Heidelberger Strafrechtslehrer im 19. und 20. Jahrhundert, 1986, S. 282. 4 Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 3. Aufl. 1964, Nachdruck 1983, S. 428, 429. Der Ausspruch Dohnas ist z.B. auch abgedruckt in: Just-Dahlmann, Barbara, Die Gehilfen: NS-Verbrechen und die Justiz nach 1945, 1988, S. 246, und in: Albers, Jan, Juristentag in München: Thema verfehlt?, ZRP 1990, S. 449, 450 FN 3, 4 mwN.
Einführung
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nen" 5 . Hubert Schorn erwähnt die Mitarbeit des „mutvollen Bonner Strafrechtslehrers Graf zu Dohna" an der Revisionsbegründung gegen ein Urteil, welches einen Hilfsprediger wegen dauernder Kollektensammlung für die „Bekennende Kirche" zu einem Jahr Gefängnis verurteilt hatte 6 . Diese Fakten bzw. Einschätzungen enthalten einen wesentlichen Wahrheitskern und können auf der Grundlage zum Teil noch unveröffentlichter Quellen weiter präzisiert werden. Bei der Interpretation der veröffentlichten Schriften Dohnas ist zu berücksichtigen, daß diese unter den Bedingungen beseitigter Wissenschaftsfreiheit erschienen sind. Dann können das Unterlassen einer Stellungnahme zu bestimmten Themen und widersprüchliche Äußerungen einen anderen Stellenwert einnehmen, als dies sonst der Fall ist. Die nationalsozialistische Rechtsanschauung war ein Tabubereich, sie war inhaltlicher Auseinandersetzung entrückt. Mehr als der Verzicht auf ein pathetisches Bekenntnis zu ihr war nicht möglich. Vor diesem Hintergrund ist das SpannungsVerhältnis in den Schriften Dohnas zu sehen, welches zwischen nüchterner fach wissenschaftlicher Arbeit, methodischer Kritik, Ohnmacht einerseits und äußerlich loyalem Gehorsam gegenüber den neuen Machthabern, distanzierter Anpassung andererseits besteht. Die Gesamtbetrachtung hat aber auch die mehr inoffizielle Seite zu berücksichtigen. Dohna blieb seinen politischen Grundüberzeugungen treu, trat niemals in die NSDAP ein, hielt sich freiwillig von offiziellen „wissenschaftlichen" Aufmärschen der NS-Juristen fern, war Mitglied der Bekennenden Kirche und hatte Schwierigkeiten, einen Verlag für seine Manuskripte zu finden. U m dieses gesamte Erscheinungsbild möglichst getreu wiederzugeben, erscheint es gerechtfertigt, einige längere charakteristische Zitate aus Briefen, anderen Quellen und aus den einschlägigen Schriften anzuführen. Die Biographie stützt sich vielfach auf Archivalien. Allerdings ist sein persönlicher und wissenschaftlicher Nachlaß nicht vollständig erhalten, da das Ehepaar Dohna im Herbst 1944 aus Sorge vor Verfolgung durch die GeStaPo einen erheblichen Teil der privaten Korrespondenz vernichtet hat 7 . Zur Mitarbeit Dohnas in der Weimarer Nationalversammlung, der Deutschen Volkspartei, der Weimarer Vereinigung verfassungstreuer Hochschullehrer sowie im Deutschen Nationalverein wird weiterführende Literatur angegeben. Ein erheblicher Teil der Werkanalyse besteht allein darin, das auf zahlreiche Schriften und Vorträge verstreute Lebenswerk zu erschließen und auf bestimmte Grundlinien zurückzuführen. Die wissenschaftliche Bedeutung 5
Nachwort zu den Kernproblemen der Rechtsphilosophie, 1959, S. 97, 99. Der Richter im Dritten Reich. Geschichte und Dokumente, 1959, S. 245. Das Gutachten findet sich neben einer Urteilssammlung im N L Dohna, V. 7 Auskunft von seiner Tochter Frau Dr. Fremerey-Dohna. 6
Einführung
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seines Werkes wird sich dabei bemessen: nach der innovativen, kreativen Kraft des zugrundeliegenden Denkansatzes, nach dem Grad der konzeptionellen Geschlossenheit und inneren Harmonie des Gesamtwerkes und drittens nach der Wirkungs- und Überzeugungskraft der einzelnen Argumente, insbesondere ob sie für den Fortgang der spezifischen Diskussion richtungsweisende Akzente setzen konnten. Bisher haben meist nur einzelne Arbeitsschwerpunkte Dohnas besonders aus dem Bereich der Verbrechensdogmatik in neueren Monographien Beachtung gefunden 8. Andere Themen wie die Beiträge zur Strafrechtsreform haben ein auf die Weimarer Zeit beschränktes bzw. nur ein wenig reichhaltiges Rezeptionsschicksal erfahren. Viele Aspekte sind bezogen auf sein Werk fast gar nicht erörtert worden; dies gilt etwa für die Frage, ob der von Rudolf Stammler übernommene formal-idealistische, erkenntnistheoretische Ansatz mit dem von Franz v. Liszt übernommenen sozialnützlichen, erfahrungswissenschaftlichen Denken harmoniert. Die Würdigung der Rechtsphilosophie Dohnas beschäftigt sich einmal mit dem Grad der Eigenständigkeit gegenüber Stammler. Ferner geht es namentlich darum, ob Dohna nur wie Stammler eine Komplementärtheorie des Rechtspositivismus liefert oder ob sich Ansätze finden, um den radikalen Dualismus zwischen Rechtslogik und Rechtsethik in Anknüpfung an Kant und den späten Radbruch zu überwinden. In methodischer Hinsicht interessieren die Auswirkungen der Lehre vom richtigen Recht auf das teleologische Wertungsdenken in der Jurisprudenz. Der Formalismus dieser Lehre legt die Frage nach der Mißbrauchs- und der Umwertungsmöglichkeit nahe. Dohna betont zwar die strenge Gesetzesbindung des Richters und befürwortet gleichzeitig die Auslegung des Gesetzesrechts im Sinne des richtigen Rechts bis zum Beweis des Gegenteils. Dabei bedeutet richtiges Recht ein von der formalen, allgemeingültigen Rechtsidee erfolgreich geleitetes positives Recht. Die Gefahr der machtpolitischen Instrumentalisierung ist aber dann gegeben, wenn die an der Rechtsidee ausgerichteten konkreten Wertungen in Wirklichkeit nur von den Leitlinien der herrschenden Machthaber und ihrer Staatsräson getragen sind. Der umfangreichste Teil der strafrechtlichen Untersuchung ist der allgemeinen Verbrechensdogmatik gewidmet. Dohnas in zwei Phasen entwickelte Lehre steht dogmengeschichtlich zwischen den modifiziert Klassischen und der ontologischen Welzelschule. Sie gehört zu den Vorläufern der heutigen teleologischen Systeme, welche die einzelnen allgemeinen Straftatkategorien eben sinn- und zweckorientiert verstehen und also die zugehörigen Substrate unter einem bestimmten normativen Blickwinkel betrachten. Die Arbeiten Dohnas haben für zahlreiche mehr grundsätzliche und mehr speziellere Fra8
Siehe die Nachweise im Text.
Einführung
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gen erhebliche und zum Teil sogar richtungsweisende Bedeutung gewonnen: Dies gilt beispielsweise für den Objekt-Wertungs-Dualismus, die imperative Strafnormauffassung im Hinblick auf die Vorverlagerung des Tatbestandsvorsatzes, die monistische Zwecktheorie zur Erklärung der früher sog. „übergesetzlichen" Rechtfertigungsgründe, die subjektiven Rechtfertigungselemente, die Trennung des rechtfertigenden vom entschuldigenden Notstand und endlich für die in die Verbrechenssystematik integrierte Irrtumslehre. Auf seine Schriften zum Besonderen Teil des Strafrechts, etwa zum politischen Strafrecht, kann hier nicht näher eingegangen werden. Das Mißbrauchs- und Umwertungsproblem stellt sich nicht nur allgemein bezüglich der Lehre vom richtigen Recht, sondern auch bei der Verwendung der Formel vom angemessenen Mittel zum rechten Zweck als Grundprinzip aller Rechtfertigung und bei der Begriffsbestimmung der Pflichtwidrigkeit als das maßgebliche normative Schuldelement. Es stellt sich ferner hinsichtlich der spezialpräventiven Strafzumessung. Namentlich Dohnas Auffassung zur unbestimmten Verurteilung und zu den Ehrenstrafen steht in einem schwer auflösbaren Konflikt mit dem von ihm sonst bejahten Rechtsstaatsgedanken und der kantschen Ethik. Seine Vorstellungen zur Reform des Strafverfahrens und der Gerichtsverfassung werden u.a. daraufhin untersucht, ob sie zur Eindämmung der Mißbrauchsgefahren des Präventionsstrafrechts geeignet sind. Das Thema, inwiefern das Dritte Reich die vorherige Rechtsentwicklung abrupt unterbrochen bzw. fortgesetzt hat und inwiefern die Machthaber von 1933 bis 1945 vorherige rechtswissenschaftliche Lehrmeinungen für ihre Zwecke unter Zugrundelegung ihres Vorverständnisses als Methoden der Gesetzesverdrängung und der Umwertung einer Rechtsordnung gebrauchen konnten, ist bis heute wohl noch nicht erschöpfend behandelt. Es erfordert sicherlich eine stark differenzierende Erörterung auf einer breiten Materialgrundlage. Das mehrfach wiederkehrende Mißbrauchs- und Umwertungsproblem ist bei der Analyse des wissenschaftlichen Werkes von Dohna gerade auch im Hinblick auf das Dritte Reich zu sehen, obwohl Dohna sogar ein Gegner der Nationalsozialisten gewesen ist. Bei der Erfassung der Primärliteratur Dohnas ist möglichste Vollständigkeit angestrebt. Der von ihm selbst angelegte index scriptorum erwies sich als ziemlich unvollständig. Abgesehen von dem unvollständigen Verzeichnis der rechtsphilosophischen Schriften Dohnas im Nachwort der von Erik Wolf herausgegebenen Kernprobleme der Rechtsphilosophie existiert bis jetzt keine Bibliographie. Jedoch kann nicht ausgeschlossen werden, daß beispielsweise politische Zeitungsartikel in der heute fast verloren gegangenen Königsberger Allgemeinen Zeitung nicht erfaßt worden sind. Der Grad der Vertiefung der Sekundärliteratur richtet sich grundsätzlich nach der Gewichtung unserer Fragestellungen zu den Themenschwerpunkten Dohnas.
2 Escher
Erster Teil
Biographie I. Herkunft, Persönlichkeit und Werdegang bis zum Beginn des I. Weltkrieges Georg Theobald Alexander Burggraf und Graf zu Dohna-Schlodien wurde am 29. Juni 1876 in Potsdam als Sohn des königlich-preußischen Generalleutnants Hannibal Ludwig Fabian Wilhelm Alfred Theobald Burggraf und Graf zu Dohna-Schlodien und der griechischen Prinzessin Helene Maurokordatos geboren 1. Sein Elternhaus vereinigte das traditionelle preußische Offiziersund Adelsmilieu mit einem weltoffenen, geistigen Klima 2 . Von dort empfing Dohna maßgebliche Impulse für seine Geisteshaltung und sein ausgeprägtes politisches Interesse. Preußisches Pflichtbewußtsein, protestantischer Glauben, patriotische und monarchistische 3 Gesinnung, Freiheit von Standesdünk e l s Toleranz gegenüber politisch Andersdenkenden, soziales Verantwortungsgefühl und schließlich geistige Gradlinigkeit und Unabhängigkeit können als Charakteristika seiner Persönlichkeit bezeichnet werden. Nach Beendigung des Gymnasiums in Brandenburg studierte Dohna von 1895 bis 1898 in Rom, Lausanne, Freiburg i.Br. und Berlin Rechtswissenschaft und belegte außerdem sprachwissenschaftliche, philosophische und theologische Vorlesungen. Schon in seiner Berliner Studienzeit fühlte er sich zum kriminalistischen Seminar der modernen soziologischen Strafrechtsschule Franz v. Liszts hingezogen. Dafür war neben der wissenschaftlichen Faszination Liszts auch Dohnas politisches Interesse ausschlaggebend. Sein Bewußt-
1
Genealogisches Handbuch der gräflichen Häuser, Bd. X , 1981, S. 122. Vortrag von Dagmar Baudissin, Alexander Dohna - Ein Lebensbild, in: N L Dohna I I I , C, Nr. 6, 1965, S. 2, 3: Auch der Vater stand den Zeitverhältnissen kritisch gegenüber und schrieb in seinen Lebenserinnerungen, daß ihm das absolute Königtum, die konservative Gesellschaftsordnung und das auf Paraden fixierte Militärleben zunehmend als überholt erschien. Die Herkunft der Mutter aus phanariotischem Adel eröffnete den Eltern vielfältige internationale Kontakte. 3 Ob Dohna zeitlebens ein Herzensmonarchist geblieben ist, ist nicht ganz sicher. Dies erklärt aber seine Tochter Dagmar Baudissin auf dem Vortrag „Alexander Dohna - Ein Lebensbild", 1965, S. 8 (NL Dohna I I I , C, Nr. 6). Im Jahre 1930 bezeichnet er jedenfalls eine durch Leistung und Befähigung ausgewiesene Aristokratie auf demokratischem Boden als sein politisches Ideal, in: Der 18. Januar und die deutsche Republik, 1930, S. 12 (Bonner akademische Reden Nr. 8). 2
I. Lebensweg bis zum Beginn des I. Weltkrieges
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sein von der Reformbedürftigkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse wegen der Lage der Arbeiterschaft und der Kluft zu Kaiser und Bürgertum brachte ihm in der Verwandtschaft den Namen „Der rote Graf" ein 4 . Der Entschluß, die wissenschaftliche Laufbahn einzuschlagen, reifte seit dem Ende der Studienzeit5. Nach der Gerichtsreferendarprüfung in Berlin am 29.12.1898 folgte ein neunmonatiger Teil der praktischen Referendar ausbildung und ein einjähriger freiwilliger Militärdienst. Daran Schloß sich eine zweijährige Tätigkeit (1.10.1900 bis zum 30.9.1902) als Doktorand beim kriminalistischen Seminar Franz v. Liszts in Berlin an; seit dieser Zeit verband ihn besonders mit Eduard Kohlrausch eine enge Freundschaft 6. Ein bleibender Kontakt bestand ferner mit Gustav Radbruch, mit dem Dohna zusammen am 13.5.1902 sein Rigorosum bestand7. Eine nach 1900 für das Lisztsche Seminar angefertigte dogmatische Arbeit über den Criminaldolus und die Dissertation über „Die Stellung der Buße im reichsrechtlichen System des Immaterialgüterschutzes" lassen noch keinen Einfluß der Gedanken Stammlers erkennen. In mehreren Briefen an seine Eltern berichtet Dohna - inzwischen nach Halle an der Saale übergewechselt und mit Rudolf Stammler bekannt geworden - darüber, daß sein Vorhaben, unter Verwendung und Fortführung der Stammlerschen Lehre vom richtigen Recht seine Habilitationsschrift über die Rechtswidrigkeit als Verbrechensmerkmal auszuarbeiten, von einem Teil des Kollegiums in Halle mit einer Mischung aus Skepsis und Zurückhaltung begleitet wurde. August Finger würde zwar grundsätzlich seine Habilitierung befürworten, ihm erscheine aber die Schrift zu wenig positiv, zu wenig dogmatisch, zu sehr philosophisch, zu sehr an der allgemein abgelehnten Methode Stammlers orientiert; es zähle nur eine Arbeit über Rechtsgeschichte, Rechtsvergleichung, Dogmatik; eine solche Arbeit über die allgemeine Rechtslehre 4 Alexander Fürst zu Dohna-Schlobitten, Erinnerungen eines alten Ostpreußen, 1989, S. 22, 164. 5 Dagmar Baudissin, Vortrag, in: N L Dohna I I I , C, Nr. 6, 1965, S. 4. 6 Allgemein zum kriminalistischen Seminar, aus dem zahlreiche akademische Lehrer hervorgingen: Eberhard Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 3. Aufl. 1964, Nachdruck 1983, S. 359. 7 Im Nachlaß Radbruchs (Universitätsbibliothek Heidelberg) finden sich mehrere Briefe Dohnas aus der Zeit von 1902 bis 1938. Die Gegenbriefe sind bis auf den Kondolenzbrief Radbruchs verloren gegangen, siehe N L Dohna, I I a . Arthur Kaufmann schreibt in seiner Radbruch Biographie, daß Dohna Radbruch „nicht ganz wesensfremd" gewesen sei; in: Gustav Radbruch. Rechtsdenker, Philosoph und Sozialdemokrat, 1987, S. 111. Man wird wohl genauer sagen müssen, daß erst in der Zeit nach 1933 wegen der gemeinsamen Zurückgezogenheit der Lebensweise der Kontakt vertrauter wurde. Nach der sozialen Herkunft, dem Lebensgefühl und im parteipolitischen Standort bestanden doch eher erhebliche Unterschiede; vgl. auch die gegenteiligen Stellungnahmen im Reichstag zur Vertrauenskrise der Justiz (Verhandlungen des Reichstags, Bd. 347, S. 2106 - 2113, 2127 - 2132) und die gemeinsame Arbeit im Weimarer Kreis verfassungstreuer Hochschullehrer (siehe sobald im Text). 2*
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1. Teil: Biographie
würde ihm nur in der Öffentlichkeit schaden8. Liszt habe zwar viel Verständnis für die Stammlerschen Ideen geäußert, halte sie aber für falsch 9. Finger äußerte sich in seinem Gutachten über die Habilitationsschrift Dohnas ablehnend, da wegen der Anlehnung an Stammler zu wenig Selbständigkeit in ihr enthalten sei 10 . Stammler verneinte in einem Zweitgutachten die Einwände Fingers und schlug vermittelnd eine geringfügige Umarbeitung vor 1 1 . Nach der Umarbeitung wurde die Schrift über „Die Rechtswidrigkeit als allgemeingültiges Merkmal im Tatbestande strafbarer Handlungen" von der Fakultät angenommen. Nach der Probevorlesung über die geschichtliche Entwicklung und heutige Stellung der Staatsanwaltschaft Anfang August 1904 erhielt Dohna am 23.10.1904 - dem Tage der Antrittsvorlesung über „Die Elemente des Schuldbegriffs" - die Lehrbefugnis für die strafrechtlichen Fächer. Nach der Tätigkeit als Privatdozent an der Universität Halle folgte Dohna am 1.10.1906 einem Ruf als außerordentlicher Professor an die Universität Königsberg. Kurz zuvor hatte er am 24.9.1906 Elisabeth von Pommer Esche geheiratet; aus der Ehe gingen fünf Töchter und ein Sohn hervor. Die dortige Lehrtätigkeit wurde vom Herbst 1906 bis zum Frühjahr 1909 zum Zwecke der (rechts-)wissenschaftlichen Begleitung des Prinzen August Wilhelm von Preußen in Bonn, Straßburg und Potsdam unterbrochen. Diese Zeit wurde beruflich zu einer herben Enttäuschung, da Dohna bald feststellen mußte, daß er der einzige war, der von dem Prinzen ein ernsthaftes Studium erwartete. Daher ergriff er die erste Gelegenheit, um die Entlassung aus kaiserlichen Diensten zu erbitten 12 . Der private Kontakt blieb gleichwohl bestehen. Im Nachlaß findet sich ein historisch interessanter Brief des Prinzen an Dohna vom 7.1.1919, wie er die Revolutionsgeschehnisse beurteilt 13 . Nach dem Fortgang von Eduard Kohlrausch wurde Dohna am 10.2.1913 dessen Nachfolger als ordentlicher Professor. In Königsberg pflegte er engen Kontakt u.a. zu dem Historiker Albert Brackmann 14 . 8
Brief Halle a. d. Saale vom 20.6.1904 vormittags, in: N L Dohna I I c) 1. Umschlag. Brief Halle a.d. Saale vom 20.6.1904 nachmittags, in: N L Dohna I I c) 1. Umschlag. 10 Gutachten, S. 1, 6, Archiv der Martin-Luther-Universität Halle. 11 Gutachten, S. 13, 14, Archiv der Martin-Luther-Universität Halle. 12 Dagmar Baudissin, Vortrag, in: N L Dohna I I I , C, Nr. 6, 1965, S. 6. 13 Darin beklagt er u.a., daß das große deutsche Volk, „das so turmhoch über dem Völkerdurchschnitt stand", das sich „wunderbar behauptet hat gegen die Feindeswelt da draußen", daß solches Volk „durch blinde Verhetzung in einem Moment der Nervenschwäche sich hat feige zum Selbstmord treiben lassen". Im Hinblick auf die politische Führungsschicht nach der Revolution spricht er von Juden, die nie haben Blut vergießen wollen und sehen können, weswegen sie tragischer Weise meist die Urheber zu viel schlimmeren Blutbädern wurden, als die verschrieensten Tyrannen. Von den Lokkungen der Freiheit und Demokratie erwartet er nichts gutes. Er verneint ausdrücklich, daß dieser Brief Ausdruck persönlichen Gekränktseins, verletzten Hochmuts, Fürstendünkels und enttäuschten Ehrgeizes ist; (NL Dohna IIa). Aus einer Karte von HansGeorg v. Mackensen an Dohna geht hervor, daß noch im Jahre 1926 der Kontakt Dohnas zu dem Prinzen weiterbestand (NL Dohna I I a); der Prinz trat 1930 der NSDAP bei. 9
II. Kriegsteilnahme und erste politische Schriften
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I I . Kriegsteilnahme und erste politische Schriften Die wissenschaftliche Laufbahn erfuhr durch die Kriegsdienstzeit und durch den sich anschließenden Eintritt in die Politik einen tiefen Einschnitt. Fronteinsatz, Kriegsgerichtsrat, Militärverwaltung und die Universitäten Königsberg und Dorpat waren die Stationen seiner Kriegsteilnahme 15 . Seit der Rückkehr an die Königsberger Universität im Jahre 1916 nahm Dohna in einigen Zeitungsartikeln zu außen- und innenpolitischen Themen Stellung. Diese Ausführungen lassen bereits seine Auffassung von der Versöhnung des nationalen mit dem liberalen und sozialen Gedankengut erkennen. Die Steigerung der nationalen Macht, Größe und Ehre bildet für die Außen- und Innenpolitik den obersten Richtpunkt. Die bestehenden sozialen und verfassungsrechtlichen Verhältnisse müssen im Sinne einer bestmöglichen Erreichung dieses Zieles in einer sich verändernden Welt ausgestaltet werden. Dies bedeutet eine Absage an das konservative Prinzip, überkommene Ordnungen und Wertungen allein wegen der Überlieferung bewahren bzw. restaurieren zu wollen, wobei freilich die Voranstellung des nationalen Gedankens selber ein konservatives Element ist. Der Wert der Einzelpersönlichkeit und seiner freien Entfaltungsmöglichkeit wird nicht nur um seiner selbst willen, sondern vor allem um seiner staatsfördernden Bedeutung wegen bejaht. Die Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Lage der Arbeiterschaft wird ebenso als im nationalen Interesse liegend angesehen. In der Weimarer Republik wird der nationale Gedanke weiterhin vorangestellt; nur werden die Interessen des Staatswohls unabhängig von der Staatsform beurteilt. Der deutsche Anspruch auf Weltgeltung und koloniale Betätigung, ein siegreicher Frieden mit Machtzuwachs allerdings ohne Annexion fremder Länder werden als Kriegsziele befürwortet 16 . Die Ursache des Weltkrieges wird darin 14
Siehe den ausführlichen Briefwechsel, N L Brackmann (Geheimes Staatsarchiv, Stiftung Preußischer Kulturbesitz) und N L Dohna I I a. 15 Vom 7.8.1914 bis zur Verwundung am 16.11.1914 Teilnahme mit dem 2. Brandenburgischen Reserve Dragoner Regiment an Kämpfen an der Westfront; nach der Entlassung aus dem Lazarett am 26.11.1914 Überweisung zur Etappeninspektion Gent; ab dem 1.4.1915 Kriegsgerichtsrat bei der 1. Kavallerie Division in Litauen; auf Antrag der Universität Königsberg gegen den Wunsch Dohnas am 10.5.1916 vorläufige Entlassung aus der Mobilmachungsverwendung, Arbeit im Zivilberuf und daneben als Berichterstatter beim außerordentlichen Kriegsgericht; ab dem 2.12.1917 Leiter der Justizabteilung der Militärbezirksverwaltung Litauen-Süd in Bialystok; vom 28.9.1918 bis zum 28.11.1918 als Prorektor an die Universität Dorpat abkommandiert; am 28.11.1918 Versetzung zum 2. Reserve Dragoner Regiment und am 7.1.1919 Entlassung aus der Mobilmachung. Die Angaben stützen sich auf die Personalakten und History of Tartu University 1632 - 1982, edited by Karl Siilivask, Tallinn, 1985, S. 171. 16 Geschlossen nach innen - entschlossen nach außen, in: Der Tag, 15.9.1916: Die Dauer des Krieges und die Erbitterung der Gegner belehren uns, „daß wir einen Kampf um unseren Bestand und unsere Weltgeltung zu führen haben. . . . Wir vertrauen auf
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1. Teil: Biographie
gesehen, daß die anderen Weltmächte den friedlichen, auf redlicher Arbeit beruhenden wirtschaftlichen Aufstieg Deutschlands voller Neid mit Gewalt wieder rückgängig machen wollten 17 . In einer nicht gehaltenen Rede über „Preußen und die neue Zeit" wird eine Parallele zu den Stein/Hardenbergschen Reformen gezogen. Wenn ein Staat im Krieg von seinen Gliedern den äußersten Einsatz in seinem Kampf um die Weltgeltung verlangt, muß er allen auch mehr Mit Wirkungsmöglichkeiten an der staatlichen Willensbildung einräumen. Eine erfolgreiche Kriegsführung, eine Steigerung der staatlichen Macht und eine willige Teilnahme und Hingabe des Volkes am nationalen Leben bedingen sich gegenseitig18. Nicht die Demokratisierung und nicht die Parlamentarisierung, sondern die Politisierung des deutschen Volkes ist als nächstes Ziel ins Auge zu fassen. Eine wahre und wertvolle Staatsgesinnung äußert sich nicht in gedankenlosem, unterwürfigem Gehorsam, sondern in überzeugter und williger Hingabe; sie benötigt als Nährboden nicht den Zwang, sondern die Freiheit. Zur Lösung der gestellten Aufgabe haben die Hochschulen einen wichtigen Beitrag zu leisten 19 . Eine wissenschaftliche Politik hat sich vor dem verlockenden Fehler zu hüten, abstrakte Lehrsätze allgemeingültigen Inhalts über die zu verfolgenden Zwecke und die zu ihrer Erreichung erforderlichen Mittel herauszuarbeiten 20. Reine Politik ist etwas Wesenloses, nationale Politik hat der einzig mögliche und würdige Gegenstand dieser Disziplin zu sein. Es sollte niemals eine öde, ewig unfruchtbare Freiheit vom Staate, sondern vielmehr eine alle Kräfte lösende und fruchtbar gestaltende Freiheit zum Staate das Ideal eines gesununsere unvergleichliche Wehrmacht, daß sie uns den Sieg erkämpfen wird, und wir erwarten von unseren Staatsmännern, daß sie es verstehen werden, diesen Waffensieg umzusetzen in den verdienten und notwendigen Zuwachs an Macht und Sicherheit". Der Satz, daß es in diesem Krieg weder Sieger noch Besiegte geben dürfe, wird als ein verräterisches Wort bezeichnet. Preußen und die neue Zeit, geplante Rede zum 18.1.1918 vor der Deutschen Gesellschaft, in: N L Dohna I V : Das deutsche Volk ficht heute „jenseits der Reichsgrenze um seinen Bestand und seine Zukunft als Weltmacht und als Mitbewerber um den Platz an der Sonne" (S. 1). „Das deutsche Volk stark und tüchtig zu machen zur Erfüllung der ihm zugewiesenen Aufgaben - darauf kommt es an. Es hat die Bahn der Weltpolitik betreten; es will den deutschen Gedanken hinaustragen über Länder und Meere" (S. 7). 17 Preußen und die neue Zeit, in: N L Dohna I V , S. 3: „ I n friedlichem Wettbewerb war es uns gelungen, den meisten Staaten Europas den Rang abzulaufen und uns den großen Weltmächten ebenbürtig zur Seite zu stellen. Sie aber waren nicht gesonnen, den Wettkampf aufzunehmen. Unter Führung des angelsächsischen Stammes ist Dreiviertel der Welt gegen uns aufgestanden und war entschlossen, uns mit den Mitteln der Gewalt die Früchte ernster Arbeit und redlichen Schaffens zu entreißen und unser deutsches Volk in den Zustand einstiger Ohnmacht und beschaulicher Selbstgenügsamkeit zurückzuschaudern. Der Anschlag ist mißlungen. . . . " . « In: N L Dohna I V , S. 4, 7. 19 Preußen und die neue Zeit, in: N L Dohna I V , S. 5. 20 Preußen und die neue Zeit, in: N L Dohna I V , S. 6. Vgl. demgegenüber Stammlers reine Politik, in: Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1928, S. 342 - 362.
II. Kriegsteilnahme und erste politische Schriften
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den politischen Liberalismus sein dürfen. Dem Ziel - die deutsche Weltgeltung (nicht Weltherrschaft) - müssen sich die Mittel zu seiner Erreichung anpassen21. Die innenpolitische Situation „kompliziert sich in bedenklicher Weise dadurch, daß wir sowohl in der sozialdemokratischen als auch in der klerikalen Partei Organisationen vor uns haben, deren letztes Ideal jenseits der nationalen Sphäre gelegen ist". Gerade deshalb bleibt der 4.8.1914 ein gewaltiges Symbol dafür, daß die deutsche Nation höher steht als aller Parteienstreit 22 . Das bestehende preußische Dreiklassenwahlrecht wird ebenso wie das für die Reichstagswahlen gültige Mehrheitswahlrecht abgelehnt, weil beide an „dem schweren Gebrechen kranken", daß die Minoritäten - die in Gestalt der Sozialdemokratie Millionen Stimmen zählen - erdrosselt werden 23 . Vielmehr ist ein Wahlrecht dann sachlich berechtigt, wenn es „ein getreues Spiegelbild der im Volke lebenden Anschauungen und Strebungen gewährt und ihnen denjenigen Einfluß sichert, auf den sie nach Maßgabe ihres Anteils an der politischen Struktur des Volkskörpers Anspruch haben". Das bestehende auf Wahlkreise bezogene Mehrheitswahlrecht werde dem nicht gerecht. Folgerichtig wird ein Proportionalwahlrecht befürwortet, was aber im Unterschied zu streng demokratischen Forderungen mit einem „wie immer näher auszugestaltenden Pluralwahlrecht" zu verbinden ist. Ein gleiches Stimmrecht wird abgelehnt, „weil dabei das sehr verschiedene Maß an politischer Schulung, Einsicht und Geltung ganz außer Betracht bleibt". Auf welche Kriterien ein abgestuftes Wahlrecht nun im einzelnen abzustellen hat, wird nur angedeutet: die Bemessung der Stimmen hat allen Umständen Rechnung zu tragen, „welche für die soziale Wertung des Individuums Bedeutung haben; unter ihnen ist der Besitz ein wichtiger, nicht aber der ausschließlich maßgebende Faktor". Der richtige Standpunkt liege in der Mitte zwischen der Stimmengleichheit des Reichstagswahlrechts und der preußischen Regelung 24 . Ein weiteres Grundthema Dohnas ist die Versöhnung der Arbeiterschaft mit der deutschen Nation und dem Bürgertum. Die Ablehnung der sozialdemokratischen Vertretung des Proletariats und ihrer Doktrin darf nicht, wie es 21
Preußen und die neue Zeit, in: N L Dohna I V , S. 7. Preußen und die neue Zeit, in: N L Dohna I V , S. 8. 23 Richtlinien einer Wahlrechtsreform, in: Der Tag, 18.8.1916. 24 AaO. Vgl. auch Preußens Erste Kammer, in: Königsberger Allgemeine Zeitung, 15.4.1917, Nr. 174: In Bezug auf die Osterbotschaft von Kaiser Wilhelm I I , die eine Reform der Zusammensetzung des preußischen Herrenhauses wie auch des Dreiklassenwahlrechts für die Abgeordnetenkammer in Aussicht gestellt hat, heißt es: „Nicht also, daß das Herrenhaus eine Ständevertretung darstellt, darf man ihm zum Vorwurf machen. Wohl aber ließe sich erwarten, daß die fundamentalen Wandlungen (des Wirtschaftslebens und der Sozialstruktur) in der Zusammensetzung des Hauses deutlicheren Ausdruck finden möchte, als es bislang geschehen ist". Vgl. zur Wahlrechtsfrage und zur „Osterbotschaft": E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 5, 1978, S. 152 - 157. 22
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1. Teil: Biographie
von konservativer Seite geschieht, mit der Verneinung der berechtigten Interessen der Arbeiterschaft nach Verbesserung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage gleichgesetzt werden. „Es ist ein wahres Verhängnis, daß auch in dieser entscheidenden Stunde unter den vielen Millionen deutscher Männer sich nicht einer findet, der Beruf und Neigung in sich fühlt, die schon so lange mißleiteten Massen zu einer nationalen Arbeiterpartei zu organisieren".
Selbst wenn diese Forderung unerfüllt bleibt, soll sich das Verhältnis zur Vertretung dieser Massen nach dem Verhalten der Vertretenen richten. Die Bevölkerung hat in ihrem tatsächlichen Verhalten großen Opfermut für den nationalen Gedanken bewiesen. Deshalb hat gegenüber der Sozialdemokratie der Argwohn und die Feindschaft den Gefühlen der Achtung und des Vertrauens zu weichen 25 . Dohna befürwortet zwar weiterhin die konstitutionelle, nicht die parlamentarische Verfassungsform, hält aber dennoch im Gegensatz zu konservativen Kräften einen erneuerten Geist des (preußischen) Verfassungslebens für notwendig 26 . I I I . Mitglied der Weimarer Nationalversammlung und des ersten Reichstags in der Fraktion der D V P Die Nachricht von der Abdankung des Kaisers am 9.11.1918 bedeutete für Dohna eine schwere Erschütterung seiner politischen Überzeugungen 27. Während er bisher der Nationalliberalen Partei angehört hatte 28 , trat er der Ende November 1918 neugegründeten rechtsliberalen Deutschen Volkspartei bei 29 . 25
Parteipolitik oder Nationalpolitik?, in: Der Tag, 18.6.1916. Die Reden im Herrenhause, in: Königsberger Allgemeine Zeitung, 21.3.1917. Für das Funktionieren des Staatsgefüges sei ein verbessertes Einvernehmen zwischen Regierung und Volk bzw. Krone und Parlament unentbehrlich. 27 Vortrag Dagmar Baudissin auf dem Familientag 1965, in: N L Dohna I I I , C, Nr. 6, S. 7. Im Tagebuch Dohnas heißt es am 10. November 1918, daß die Erklärung des Deutschen Reiches zur Republik nach dem Lauf der Dinge „keine Überraschung mehr" war; in: N L Dohna I I I , C, Nr. 3, S. 3. A m 11. November 1918 kam Dohna mit Brackmann und dem Herausgeber der Königsberger Allgemeinen Zeitung, Wyneken, überein, „daß zur Zeit jeder die Pflicht habe, sich in den Dienst der neuen Gewalthaber zu stellen, um die Ordnung aufrecht zu erhalten"; ferner müsse die Einberufung einer Nationalversammlung auf alle Weise betrieben und es müsse überlegt werden, ob die Vereinigung der nationalliberalen und der Fortschrittspartei ins Auge zu fassen sei; in: Tagebuch, aaO, S. 3,4. 28 Dohna erwähnt seine Mitgliedschaft in einem Brief an Brackmann vom 18.9.1917, in: N L Brackmann, Geheimes Staatsarchiv, Berlin. 29 Die DVP sah sich in der Tradition der NLP, während die mehr linksliberalen Kräfte mit Teilen der ehemaligen Fortschrittspartei die DDP gründeten. Vgl. zur Entstehungsgeschichte der DVP: Hartenstein, Wolfgang, Die Anfänge der Deutschen 26
III. Mitglied der Weimarer Nationalversammlung
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A u f einer Mitgliederversammlung der D V P A n f a n g Dezember 1918 i n Königsberg beklagt D o h n a die vollzogene innere U m w ä l z u n g , die militärische Niederlage u n d den Verlust der Ideale, für welche die Nationalliberale Partei immer gestritten habe. U m das vorhandene Chaos abzuwehren u n d u m eine Grundlage z u m Wiederaufbau zu schaffen, w i r d die frühest mögliche Einberufung einer Nationalversammlung verlangt. D i e N L P habe ihren Parteinamen i n D V P geändert, u m zu zeigen, daß sie sich auf den B o d e n der neu geschaffenen Verhältnisse stellt. „Die grundsätzliche (nationale und liberale) Orientierung bleibt die alte : die Sicherung der Macht und des Ansehens unseres nationalen Staates. Tot ist das monarchische Prinzip und das demokratische hat seine Erbschaft angetreten. Es wäre zwecklos und fehlsam, sich darüber irgendwelcher Täuschung hinzugeben. Das bedeutet nun aber keineswegs, daß es geboten wäre, sich alsbald mit Emphase auf die republikanische Staatsform festzulegen. Es wird abzuwarten sein, ob nicht innerhalb der Nationalversammlung die alte Kaiseridee, genau so wie es 1848 geschah, Wiederaufleben" wird. Das demokratische Prinzip verlangt, daß die Initiative zur Berufung des Premierministers nicht mehr v o m Fürsten, sondern v o m Parlament ausgeht, also v o n den wechselnden Mehrheiten. D i e Schwäche dieses Prinzips liegt darin, „daß es keine Instanz i m Staate gibt, die eine gewisse Stetigkeit des Kurses verbürgt". Jedenfalls „werden wir - mit Bedauern vielleicht, aber doch auch mit Gleichmut - die Tatsache konstatieren, daß das demokratische Prinzip den Sieg davongetragen hat und ihn nicht wieder aus der Hand geben wird. Wir behalten uns die Entscheidung für oder gegen eine kaiserliche Spitze, welche . . . mit der demokratischen Struktur wohl vereinbar ist, aber vor, bis sich erkennen läßt, ob das Volksbedürfnis in diese Richtung weist. . . . Wie ein fossiler Überrest aus unvordenklicher Zeit mutet uns das preußische Dreiklassenwahlrecht an. Das Prinzip der Abschichtung des Volkes ist für alle Zeiten überwunden. Das gleiche Wahlrecht hat gesiegt". D i e prinzipielle Gleichberechtigung der Frauen i m politischen Leben w i r d als Errungenschaft der neuen Z e i t anerkannt 3 0 .
Volkspartei 1918 - 1920, Düsseldorf 1962, S. 1 - 33. Allgemein zur DVP z.B.: Neumann, Sigmund, Die Parteien der Weimarer Republik, 1932, 5. Aufl. 1986, S. 54 - 61; Booms, Hans, Die Deutsche Volkspartei, in: Das Ende der Parteien, hrsg. von Erich Matthias und Rudolf Morsey, 1960, S. 523 - 539; E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 6, 1981, S. 177 - 186; Lexikon zur Parteiengeschichte, Bd. 2, hrsg. von Dieter Fricke, V E B Bibliographisches Institut Leipzig 1984, S. 413 - 446. Quellenmaterial z.B.: Bestände des Bundesarchivs Koblenz R 45/11 und N L Dingeldey; N L Stresemann im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes. A m 12. November 1918 nahm Dohna die ihm angebotene Stelle im Justizausschuß des Arbeiter- und Soldatenrats in Königsberg an; siehe: Tagebuch, S. 4, N L Dohna I I I , C, Nr. 3; das Tagebuch schildert die Zeit vom 4. November 1918 bis zum 1. Februar 1919. 30 Mitgliederversammlung der DVP Königsberg, in: Königsberger Allgemeine Zeitung, 12.12.1918, Nr. 581.
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1. Teil: Biographie
A m 19.1.1919 wird Dohna als Kandidat der DVP in die verfassunggebende Weimarer Nationalversammlung gewählt. Zur DVP-Fraktion gehörten damals u.a. Gustav Stresemann, Wilhelm Kahl und Rudolf Heinze. Dohna übernahm im Wahlprüfungsausschuß die Stelle des 2. Vorsitzenden und war zeitweise noch in anderen Ausschüssen Mitglied 31 . Wiederholt ergriff er im Plenum das Wort. Die allgemeine Wehrpflicht wird weiterhin als demokratische Einrichtung bejaht; das Militär wird gegen pauschale Schmähungen trotz Anerkennung reformbedürftiger Punkte in Schutz genommen 32 . Der Versailler Vertrag wird scharf abgelehnt; auf einer öffentlichen parteiübergreifenden Versammlung vor dem Reichstagsgebäude spricht er nach Bekanntwerden der Friedensbedingungen auch von der Möglichkeit bewaffneten Widerstandes 33. Als Zuhörer der Sitzungen des Untersuchungsausschusses zur Aufklärung der Kriegsschuldfrage und der Ursachen der militärischen Niederlage gelangt Dohna zunehmend zu der Überzeugung, daß die damaligen militärischen und politischen Führer „versagt" hätten und daß die Revolution Folge, nicht Ursache der Niederlage gewesen sei 34 . Was die Wahl Friedrich Eberts zum Reichspräsidenten anbelangt, fügt sich Dohna der Fraktionsdisziplin, obwohl er durchaus geneigt gewesen wäre, ihm seine Stimme zu geben 35 . In voller Übereinstimmung mit der Fraktion stimmt er gegen die Annahme der Weimarer Reichsverfassung und erklärt aber gleichzeitig die Bereitschaft, auf der Grundlage dieser Verfassung konstruktiv für den Wiederaufbau des Staatswesens mitzuarbeiten. Der Verschmelzung von Demokratie und Kaisertum wird vor der republikanischen Staatsform der Vorzug gegeben, da nur so eine dem Gesamtwohl und nicht partikularen Parteiinteressen verpflichtete Regierung gewährleistet sei; dagegen werden die Fortschritte in Richtung des Unitarismus begrüßt 36 . Die Niederholung der 31
Verhandlungen der Nationalversammlung, Bd. 326, 15. Sitzung, S. 319 (3. Ausschuß für Wahlprüfungen). Später Mitglied im 21. Ausschuß zur Vorberatung des Entwurfes eines Gesetzes über die durch innere Unruhen verursachten Schäden (Bd. 330, 90. Sitzung, S. 2843); später Mitglied im 8. Ausschuß (Bd. 330, 108. Sitzung, S. 3415), der u.a. den Entwurf über das Gesetz zum Staatsgerichtshof behandelte; später Mitglied im 10. Ausschuß über Steuerfragen (Bd. 332, 141. Sitzung, S. 4521); später Mitglied im 27. Ausschuß, der u. a. den Gesetzentwurf zur Aufhebung der Militärgerichtsbarkeit behandelte (Bd. 333, 168. Sitzung, S. 5328). 32 Vgl. Verhandlungen, Bd. 327, 31. Sitzung am 28. März 1919, S. 867; Bd. 328, 53. Sitzung am 10. Juli 1919, S. 1482; Bd. 328, 70. Sitzung am 30. Juli 1919, S. 2119, 2120, gegen Abschaffung der militärischen Ehrengerichte und der Militärgerichtsbarkeit. 33 Verhandlungen, Bd. 327, 39. Sitzung am 12. Mai 1919, S. 1106. Brief an seine Ehefrau vom 13. Mai 1919, in: N L Dohna I I c, Nr. 2. 34 Brief an seine Schwester Freda-Marie vom 20. Januar 1920 (NL Dohna I I c, Nr. 1); später auch Brief an seine Ehefrau und seine Schwestern (die ,Weimarer' genannt) vom 24. März 1921 (NL Dohna I I c, Nr. 1). 35 Brief an seine Ehefrau vom 11. Februar 1919, in: N L Dohna l i e , Nr. 2. 36 Vgl. nur den Aufsatz, Epilog zur Reichsverfassung, in: Deutsche Stimmen, Nr. 36, Berlin, 7. September 1919, S. 601 - 604.
III. Mitglied der Weimarer Nationalversammlung
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schwarz-weiß-roten Flagge stelle eine Versündigung an der ruhmreichen V e r gangenheit d a r 3 7 . A u f dem 1. Parteitag der D V P u n d auf dem evangelisch-sozialen Kongreß w i r d nochmals die Aussöhnung der Arbeiterschaft m i t dem nationalen u n d evangelischen Gedankengut gefordert 3 8 . D i e D V P müsse sich, o b w o h l sie m i t der D N V P das Bekenntnis zur N a t i o n gemeinsam habe, v o n deren umstürzlerischer, reaktionärer u n d destruktiver Politik fernhalten u n d sich für die i n der Sozialdemokratie organisierte Arbeiterschaft offenhalten 3 9 . Z w a r hatte kein führendes D V P - M i t g l i e d an der Vorbereitung des Putschversuchs von K a p p - L ü t t w i t z teilgenommen. D e r am 13. Februar 1920 verfaßte A u f r u f der i n B e r l i n anwesenden Mitglieder des Geschäftsführenden Ausschusses u n d der F r a k t i o n ließ jedoch die Bereitschaft erkennen, sich wiederum auf den B o d e n der durch einen erfolgreichen Hochverrat geschaffenen Verhältnisse zu stellen. A n der Abfassung dieses Aufrufes war D o h n a nicht beteiligt u n d beurteilte i h n später als einen schweren F e h l e r 4 0 . Es ist noch anzumerken, daß die A n g a b e , D o h n a sei zusammen m i t Paul v. L e t t o w - V o r b e c k M i t g l i e d des Reichsverbandes zur geistigen Bekämpfung des 37
Ebenda und öfter, z.B. Nachklänge, in: Deutsche Pressekorrespondenz, 2. Februar 1922. Später hat Dohna aber betont, daß im Flaggenstreit Versöhnung und Verständigung nötig ist. 38 Referat Lebenshaltung und Lebensinhalt, in: 22. kirchlich-sozialer Kongreß in Königsberg am 20. bis 22. Oktober 1919, Erlangen 1919, S. 76 - 96. Leitsätze Nr. 3, 4: Die Versöhnung von christlicher Gesinnung, nationalem Wollen und sozialem Empfinden „ist heutigen Tages nur möglich unter Einbeziehung auch der Gedankenwelt des Sozialismus". 39 Bericht über den Ersten Parteitag der DVP am 13. April 1919 in Jena, Berlin 1919, S. 77 - 79, Redebeitrag Dohnas. Ebenso sein Aufsatz Methoden der Opposition der Rechten, in: Mitteilungen der Deutschen Volkspartei, 15. Oktober 1919. Vgl. auch den Brief an seine Schwester Irene vom 22.7.1922, N L Dohna I I , C, Nr. 1: In den großen Prinzipienfragen (z.B. Monarchie, Republik, Nation) steht uns die DNVP näher als die DVP; „was uns trennt, allerdings rettungslos, ist die Art des Vorgehens. Sie wollen den Staat durch das Chaos hindurchtreiben, um auf dem Wege der blutigen Diktatur dann Ordnung zu schaffen. Ich halte dieses Vorhaben für verbrecherisch." 40 Vgl. Brief an die ,Weimarer' vom 18. März 1920 (NL Dohna I I , C, Nr. 1): Die Person Kapps hat sich als völlig unfähig erwiesen. Zu den Folgen des Putsch-Versuchs heißt es: „Alle national und loyal denkenden Staatsbürger, also vor allem wir und unsere Wähler, wurden in die schwere Gewissensnot versetzt, Kapp um seiner patriotischen Ziele und Motive wegen zu verteidigen und dadurch das Recht zum Hochverrat anzuerkennen, oder (seinem Vorhaben) durch nationale Erhebung in den Rücken zu fallen. Alles in allem: So etwas muß Erfolg haben, sonst ist es ein Verbrechen. . . . So wie die Sache gemacht wurde, war sie verbrecherisch." Brief an seine Schwester Freda-Marie vom 31. März 1920 (NL Dohna I I , C, Nr. 1): „Daß die Erklärung vom 13. März ein schwerer Fehler war, ist ihren Verfassern kein Geheimnis mehr. Ich gehörte nicht dazu, wußte gar nichts davon. Sie stammt von einem zufällig zusammengerufenen Kreise, darunter freilich auch Stresemann". Vgl. zum Kapp-Lüttwitz Putsch nur E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 7, 1981, S. 44 - 100.
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1. Teil: Biographie
Bolschewismus gewesen, eindeutig auf einer Personenverwechselung beruht und also unrichtig ist 41 . Dohnas Begeisterung und pflichtbewußte Hingabe galt gleichermaßen dem akademischen Lehrberuf und dem parlamentarischen Mandat. Namentlich Wilhelm Kahl und der Fraktionsvorsitzende Rudolf Heinze, aber auch Gustav Stresemann versuchten, Dohna endgültig zur politischen Laufbahn zu bewegen. Nach anfänglicher Unsicherheit, die auch mit dem zunächst noch ungewissen Ruf auf den freiwerdenden Lehrstuhl von Karl v. Lilienthal zusammenhing, und auf Zuspruch seiner Frau entschloß sich Dohna, auf das Katheder zurückzukehren. A m 1. April 1920 folgte er dann dem Ruf an die Heidelberger Universität und legte am 20. Februar 1921 sein damit unvereinbares Reichstagsmandat nieder 42 . I V . Verfassungstreuer Hochschullehrer in der Weimarer Republik Dohna war in der Lehre wie auch in der Wissenschaft erfolgreich. Unter seiner Betreuung habilitierten sich Wilhelm Sauer, Herbert Engelhard, Erik Wolf und Gotthold Bohne 43 . A m 1. August 1926 wechselte Dohna als Nachfolger von Joseph Heimberger an die Universität Bonn und kehrte in preußisch geprägtes Land zurück. Dort stieg die Zahl der Zuhörer seiner Vorlesungen auf mehrere hundert. 1. Nach der Rückkehr an die Universität widmete sich Dohna vor allem der Strafrechtsreform. Daneben war er bemüht, in mehreren Universitätsreden nicht als Parteipolitiker, sondern gewissermaßen staatspolitisch für den Erhalt des Staates zu wirken. Die Feiern zur Reichsgründung am 18. Januar galten 41 So aber die Angabe im Lexikon zur Parteiengeschichte, Bd. 1, (ehemals) VEB Bibliographisches Institut Leipzig 1983, S. 67 unter Berufung auf die Fundstelle: Zentrales Staatsarchiv Potsdam, RMfJ, Nr. 13318, Bl. 90. Dort wird ein Korvettenkapitän Graf zu Dohna erwähnt, bei dem es sich aber eindeutig nur um den Korvettenkapitän und Kommandanten des Hilfskreuzers Möwe Nikolaus Graf zu Dohna handeln kann (geb. 5.4.1879, gest. 21.8.1956; Genealogisches Handbuch des Adels. Gräfliche Häuser, 1981, S. 121). 42 Briefe Dohnas an die ,Weimarer' vom 7.10.1919 und vom 25.10.1920, ferner an seine Schwester Freda-Marie vom 6.1.1920 (NL Dohna I I , C, Nr. 1); zahlreiche Briefe an seine Ehefrau (NL Dohna I I , C, Nr. 2). Briefe von seiner Ehefrau Elisabeth Gräfin zu Dohna an Dohna vom 6. und 14.9.1919 (NL Dohna I I , C, Nr. 3). Die Angabe bei E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 5, 1978, S. 1071 FN 24, Dohna sei bis 1924 Mitglied des Reichstags gewesen, ist unrichtig; vgl. Verhandlungen des Reichstags, I. Wahlperiode, Bd. 348, S. 2685 und Schwarz, Max, Bibliographisches Handbuch der Reichstage, Hannover 1965, S. 637. 43 Miyazawa, Koichi, Materialien zum Straf rechtsvergleich. Die deutsche Strafrechtswissenschaft, Tokio 1978, S. 43, 44, 77, 515, 687. Erik Wolf nennt noch Heinrich Drost und Erich Schwinge, in: Nachwort, Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1959, S. 99. Er selbst war bis 1926 Assistent von Dohna; sein „Habilitations-Vater" im formellen Sinne war Radbruch.
IV. Verfassungstreuer Hochschullehrer in der Weimarer Republik
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nun nicht mehr der Kaiserkrönung, sondern der Reichseinheit. Der immer wiederkehrende Tenor lautete, daß die Treue gegenüber der stolzen Vergangenheit mit einem Bekenntnis zum Wiederaufbau auf verfassungsgemäßer Grundlage zu verbinden ist 44 . Insbesondere wandte er sich in der Endphase der Republik gegen alle radikalen Bestrebungen rechts und links, die gerade auch in der Studentenschaft erheblichen Zulauf hatten 45 . Im Laufe der Weimarer Republik läßt sich feststellen, daß Dohna gegenüber der neuen Staatsform einen versöhnlicheren Ton findet und besonders in der Endphase immer entschiedener ein Eintreten für diesen Staat fordert. Dies zeigt sich beispielhaft an seiner Stellungnahme zu den neuen Reichsfarben. Die Verständigung hat an die Stelle des zermürbenden Streits zu treten; dies beinhaltet die Einsicht und sachliche Anerkennung, daß die neue Staatsform wegen der Paulskirchentradition nur in den Farben schwarz-rot-gold das ihr entsprechende Symbol finden konnte 46 . Eine gewisse Wandlung und eine Offenheit für die veränderten Zeitverhältnisse betrifft seine Bewertung des Militärischen. Zwar werden Wehrhaftigkeit und Wehrfreudigkeit weiterhin als sittliche Werte eines Volkes bezeichnet. „Daß die kriegerischen Ideale vergangener Epochen im Zeitalter der Chemie und der Technik und angesichts der wirtschaftlichen Verschlungenheit Europas ihren Sinn verloren haben," ist eine Erwägung, „die uns mahnen sollte an die Unabweislichkeit der inneren Umstellung" 47 . 44 Vgl. nur die Rede zum 18.1.1921, in: N L Dohna I V , S. 1; Der 18. Januar und die deutsche Republik, 1930, S. 3; ferner die Einschätzung des badischen Kultusministeriums vom 12. Februar 1926: „Seine Einstellung zum heutigen Staat und sein Bemühen, den heutigen Staatsnotwendigkeiten gerecht zu werden, hat in Heidelberg auf die Studentenschaft einen guten Einfluß ausgeübt", in: Generallandesarchiv Karlsruhe, G . L . A . 235, Nr. 1897. 45 Der 18. Januar und die deutsche Republik, 1930, S. 10, 11: Das Verlangen nach dem Diktator zur Rettung aus schwieriger Lage ist „kein Zeichen staatsmännischer Einsicht, das ist das Eingeständnis eigenen Versagens, die Erklärung des völligen politischen Bankrotts. Wie kann deutsche Jugend sich zu solcher Resignation erniedrigen? . . . A n der Bierbank zu sitzen und Betrachtungen darüber anzustellen, daß wir einen Mann brauchten, der uns die Arbeit abnimmt, zu der wir selber die Tatkraft nicht mehr aufzubringen vermögen, das scheint mir unwürdig eines verantwortungsbewußten Volks. Diktatur kann die Rettung bedeuten - zum Ideal erheben kann sie nur politischer Unverstand." 46 Der 18. Januar und die deutsche Republik, 1930, S. 6 - 9. 47 Der 18. Januar und die deutsche Republik, 1930, S.10. Weiter unten heißt es: „Krieg dem Kriege ist wohl die wenigst geeignete Parole für einen wahren und echten Pazifismus. Im aggressiven Gewände kann er nur abstoßend wirken. Es ist ein schweres Unrecht, das wir den toten Helden antun würden, wenn wir den Idealen, für die sie gestorben, die Ehrfurcht deshalb versagen wollten, weil auch in dieser Sphäre die Einstellung der Menschheit eine Wandlung erfahren hat. Auch hier liegt kein Widerspruch darin, Treue gegenüber der Vergangenheit zu verbinden mit vorurteilsloser Besinnung auf die Notwendigkeiten und Daseinsbedingungen einer veränderten Welt." Dabei hatte Dohna nur fünf Jahre zuvor in der durchaus nationalpathetischen Rede „Der Rhein, Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Grenze" das Vaterland als einen Lebenswert bezeichnet, um den es sich verlohnt, (als Soldat) das Leben dahinzugehen; 1925, S. 11, auch S. 13: Das Leben des einzelnen findet erst in dem Leben der Nation seine Zweckbestimmung.
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1. Teil: Biographie
2. Neben Gustav Radbruch, Friedrich Meinecke, Gerhard Anschütz, Hans Delbrück gehörte Dohna zum Weimarer Kreis verfassungstreuer Hochschullehrer. Der Weimarer Kreis hat in der Studie von Herbert Döring eine umfassende Behandlung erfahren, auf die hier verwiesen wird 4 8 . Dieser Kreis vereinigte akademische Lehrer verschiedener Disziplinen und verschiedener politischer Herkunft. Er forderte zwar kein Bekenntnis zur republikanischen Gesinnung, stellte sich aber auf den Boden der Verfassung. In der Rede über „Die Weimarer Reichsverfassung und die Krisis des Parlamentarismus" hält Dohna die Frage nach der Berechtigung der Demokratie für kein aktuelles Problem 49 . Vielmehr ist die Gesundung des Parlamentarismus das drängende Problem. Die Hoffnung auf ein besseres Funktionieren des parlamentarischen Systems ist gering: Das parlamentarische Prinzip baut sich entwicklungsgeschichtlich auf soziologischen Verhältnissen auf, „die bei uns weder vorhanden noch auch nur in Zukunft zu beschaffen sind". Seine Einführung war unter den ungünstigen Bedingungen ein „gefährliches Wagnis." Der einzige Ausweg besteht in einem gesteigerten Verantwortungsgefühl des Parlaments, daß also der Sturz einer Regierung nur dann verantwortet werden kann, wenn eine mehrheitsfähige an deren Stelle tritt 5 0 . Während die parlamentarische Regierungsbildung nicht als die dem deutschen Volk und dem Staatswohl angemessene Regierungsweise angesehen wird, bezeichnet Dohna es als politisches Ideal, daß sich auf demokratischem Boden eine durch Leistung und Befähigung ausgewiesene Aristokratie erhebe 51 . Dementsprechend bevorzugt er für die Reform des Wahlrechts eine Verstärkung der Persönlichkeits wähl 52 . 3. Aufgrund der bisherigen Ausführungen kann die Einschätzung Hollerbachs, Dohna habe streng republikanisch gesinnt für den demokratischen Liberalismus in Weimar gewirkt, korrigiert werden 53 . Er ist lange Zeit ein
48 Döring, Herbert, Der Weimarer Kreis. Studien zum politischen Bewußtsein verfassungstreuer Hochschullehrer in der Weimarer Republik, Mannheimer Sozial wissenschaftliche Studien Bd. 10, 1975. Mit Gerhard Anschütz verband Dohna eine enge Freundschaft, vgl. dessen Lebenserinnerungen „Aus der Juristischen Fakultät der Jahrhundertwende", in: RupertoCarola, Heidelberg, Bd. 22, 1957, S. 34. 49 In: Die Krisis des deutschen Parlamentarismus, zwei Vorträge von Willy Hellpach und Dohna, 1927, S. 21. 50 Ebenda, S. 35. 51 Der 18. Januar und die deutsche Republik, 1930, S. 12. 52 Die Änderung des Reichswahlgesetzes, in: Wille und Weg, Bd. 2,1926, S. 9 - 12; Die Reform des Wahlgesetzes, in: Kölnische Zeitung, 8. März 1931; Diskussionsbeitrag auf der Tagung der Staatsrechtslehrer zu Halle am 28. und 29. Oktober 1931, W D S t R L , 1932, S. 192. 53 Hollerbach, Alexander, Zu Leben und Werk Erik Wolfs, in: Erik Wolf, Studien zur Geschichte des Rechtsdenkens, hrsg. v. Hollerbach, 1982, Bd. 3, S. 242.
IV. Verfassungstreuer Hochschullehrer in der Weimarer Republik
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Herzensmonarchist geblieben, hat die Ablehnung der Weimarer Verfassung mit dem republikanischen Staatsoberhaupt begründet und hat sich nur aufgrund seiner etatistisch - nationalliberalen Überzeugung für den Erhalt und die Fortbildung der Weimarer Republik eingesetzt; darüber darf auch nicht die Benennung als verfassungstreu' hinwegtäuschen. Das demokratische Prinzip der Mehrheitsentscheidung und der Stimmengleichheit hat er später ohne Begeisterung hingenommen. Nur in Verbindung mit dem aristokratischen Führungsprinzip wird die Demokratie bejaht. Der demokratische Liberalismus, wie er etwa von der Deutschen Demokratischen Partei vertreten wurde, wird gerade abgelehnt. 4. Während der Weimarer Republik nahm Dohna ebenfalls zu verfassungsrechtlichen, verfassungs- und justizpolitischen Zeitthemen Stellung, was im Rahmen der schwerpunktmäßig politischen Biographie auch berücksichtigt werden soll. In einem Gutachten zum 33. Deutschen Juristentag im Jahre 1924 in Heidelberg beschäftigte er sich mit der Frage nach der „Zulässigkeit und Form von Verfassungsänderungen ohne (gleichzeitige) Änderung des Verfassungstextes" 5 4 . Seine Vorschläge sind dabei von dem Bemühen getragen, dem Verfassungstext eine stärkere Konstanz zu sichern und mit formalen Schranken eine möglichste Übereinstimmung mit der übrigen einfachen Gesetzgebung zu gewährleisten. Es geht um die auch unter der neuen Verfassung herrschende Praxis, nach der materielle Verfassungsänderungen auch ohne Änderungen des Verfassungstextes für rechtlich zulässig erachtet werden. Angesichts des Art. 76 S. 1 WRV, wonach die Verfassung im Wege der Gesetzgebung geändert werden kann, können nur formale Kautelen gegen eine Aushöhlung des Verfassungstextes in der Verfassungswirklichkeit in Betracht kommen. Nach Dohna ist nur in bestimmten Fällen eine gleichzeitige Änderung des Verfassungstextes erforderlich, wenn nämlich das neu eingebrachte Gesetz die bisherige Geltung verfassungsrechtlicher Grundsätze (beurteilt i^ach der Verfassungsurkunde) aufhebt oder davon grundsätzlich abgeht. Anders ist es, wenn das neue Gesetz das verfassungsrechtliche Prinzip im besonderen Fall durchbricht, es aber in seiner allgemeinen Geltung bestehen läßt. Aber auch in diesem Fall sollte das neue Gesetz entweder im Text oder in der Verkündungsformel zum Ausdruck bringen, daß die Voraussetzungen des Art. 76 W R V erfüllt sind. Schon in der Nationalversammlung hatte sich Dohna gegen die Praxis ausgesprochen, daß der Reichstag mit einfacher Mehrheit darüber entscheidet, ob ein Gesetz verfassungsändernd ist (mit der Folge einer notwendigen 2 h Mehrheit für die Ver-
54 Verhandlungen des 33. Deutschen Juristentags, 1924, S. 31 - 44; dazu der Bericht Dohnas, in: JW 1924, 1809, 1810. Vgl. E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 6, 1981, S. 418 - 429.
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1. Teil: Biographie
abschiedung) oder nicht 55 . Dabei handele es sich um eine Rechtsfrage, für die der Reichstag als Gesetzgebungsorgan funktionell nicht zuständig sei 56 . Deshalb soll eine ein Drittel übersteigende Minderheit des Reichstags das Recht bekommen, den Staatsgerichtshof anzurufen, wenn es ein in der Beratung befindliches einfaches Gesetz für verfassungsändernd hält. Diese formalen Vorbehalte bei der Abänderung der Verfassung sollen nach Meinung Dohnas das umstrittene materielle richterliche Prüfungsrecht erübrigen 57 . In der Diskussion um die Reichsreform befürwortet Dohna die unitarische Position, ohne aber eigene detaillierte Vorschläge zu entwickeln 58 . A m 29. März 1929 wurde Dohna in den Reichsausschuß der DVP zur Verfassiingsund Reichsreform zugewählt 59 . Die historische Aufgabe Preußens besteht darin, den deutschen Einheitsstaat zu schaffen und darin aufzugehen; jedoch darf der weitere Weg zum Unitarimus nur auf dem Wege freier Entschließung des deutschen Volkes erfolgen. Der Einheitsstaat soll alle hoheitlichen Befugnisse vereinigen; den reichsunmittelbaren Gebietskörperschaften wird namentlich auf den Gebieten der Kultur und der Wirtschaftspflege ein gewisses Maß an Autonomie eingeräumt 60 . In der Justizpolitik forderte Dohna angesichts der zahlreichen Notverordnungen und Amnestien, der Mängel der Republikschutzgesetze und der Sonder- und Ausnahmegerichte eine Rückkehr zum gesicherten Rechtsstaat61. Zum Magdeburger Urteil, welches inzident den Reichspräsidenten Friedrich Ebert wegen seines Verhaltens bei dem Berliner Munitionsarbeiterstreik im Januar 1918 der landesverräterischen Feindbegünstigung bezichtigte, hat Dohna als einziger Rechtsgelehrter seine ablehnende Meinung in einer juristi55 Verhandlungen der Nationalversammlung, Bd. 329, 71. Sitzung am 31. Juli 1919, S. 2147. 56 Verhandlungen des 33. DJT, 1924, S. 38, 40, 41. 57 Ebenda, S. 41 - 44. 58 Vgl. allgemein zur Reichsreform: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 4, hrsg. von Kurt Jeserich u.a., 1985, S. 130 - 137; E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 7, 1981, S. 667 - 679. 59 Rundschreiben der Parteileitung Nr. 9 vom 20.3.1929 an die Parteigliederungen, in: FC 801 N, S. 210, Bundesarchiv Koblenz. Allerdings läßt sich näheres über seine dortige Mitarbeit nicht nachweisen. Vgl. auch zu den Vorstellungen des Reichsausschusses für Verwaltungs- und Verfassungsreform der DVP: N L Dingeldey, Bd. 13, S. 256 - 262, S. 265 - 296, und Bd. 34, S. 5 - 10, Bundesarchiv Koblenz. 60 Dohna, Manuskript, Reich und Länder, wohl 1919, N L Dohna I V , S. 1, 5, 6; Rede unbekannten Ortes zur „Kritik der bayerischen Denkschrift", 1924, N L Dohna I V , S. 15 - 26; Liberalismus und Unitarismus, in: Wille und Weg, Bd. 1, 1925, S. 319, 320, 322; Das Problem Preußen, in: Wille und Weg, Bd. 3, 1927, S. 224 - 229. 61 Die Erklärung des Ausnahmezustandes, in: JW 1921, S. 1429 - 1430; Die Revolution als Rechtsbruch und Rechtsschöpfung, 1923, S. 17 - 25; Recht in Not, Zur Tagung des 33. Deutschen Juristentags in Heidelberg, in: Badische Presse, Nr. 385,12. September 1924, S. 3.
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sehen Fachzeitschrift dargelegt 6 2 . Erwähnenswert ist seine Stellungnahme z u m Hochverratsprozeß gegen H i t l e r u n d L u d e n d o r f f vor dem Münchner „ V o l k s gericht" i m Frühjahr 1924. O b w o h l er Sympathien für die vaterländische, nationale Gesinnung der Angeklagten, namentlich für L u d e n d o r f f äußert, w i r d gesagt, daß die Weimarer R e p u b l i k trotz ihres eigenen revolutionären Ursprungs durch die Hochverratsbestimmungen geschützt ist; politisch werden revolutionäre Bestrebungen verworfen 6 3 . I n den Schlußsätzen stellt sich D o h n a ganz auf den Standpunkt des positiven Rechts : I n Anbetracht der von den Angeklagten i n Aussicht gestellten Wiederholung ihres Vorhabens bildet deren „oppositionelle Grundstimmung . . . einen Straferschwerungsgrund und mußte als solcher auch von einem Richter gewertet werden, der jene Grundstimmung teilt. Nur wer im Richterspruch sich selbst zu überwinden gelernt hat, taugt als Werkzeug der Gerechtigkeit" 64 . 5. D i e Rückkehr an die Universität brachte es m i t sich, daß der K o n t a k t zu den Parteigremien i n B e r l i n zunächst nachließ.
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Miltenberger, Michael, Der Vorwurf des Landesverrats gegen Reichspräsident Friedrich Ebert, 1989, S. 77; Dohna, Vorsatz bei Landesverrat, in: DJZ 1925, Sp. 146 150. Vgl. auch Dohnas Gutachten zugunsten der Verteidigung von Felix Fechenbach, in: Der Fall Fechenbach, Juristische Gutachten, hrsg. von Max Hirschberg und Friedrich Thimme, 1924, S. 56 - 58. Vgl. ferner Dohnas Arbeiten zum politischen Strafrecht: Manuskript, Politische Verbrechen, 46 S., N L Dohna I, Nr. 15; Der Hochverrat im Strafrecht der Zukunft, in: Festgabe für Reinhard v. Frank, 1930, Bd. 2, S. 229 - 244. Über den Fechenbach-Prozeß ausführlich Jung, Otmar, Senatspräsident Freymuth. Richter, Sozialdemokrat und Pazifist in der Weimarer Republik. Eine politische Biographie, 1989, S. 111 - 134. 63 Der Münchner Hochverratsprozeß, in: DJZ 1924, Sp. 330, 331, 333: „Die Lauterkeit der Motive ist bei allen Beteiligten über jeden Verdacht erhaben; heiße Liebe zum Vaterlande hat ihr Verhalten bestimmt. . . . Mit anerkennenswerter Entschiedenheit betont das Urteil doch wenigstens die grundsätzliche Schutzwürdigkeit der Weimarer Reichsverfassung." Sp. 334 zum Freispruch Ludendorffs: „Auch unter denen, welche von den letzten Zielen dieses Mannes eine andere Auffassung gewonnen hatten, werden es viele dem Gericht Dank wissen, daß es dem deutschen Volke die Schande erspart hat, den Bezwinger feindlicher Festen hinter Festungsmauern eingekerkert zu wissen". Das Urteil des „Volksgerichts" München ist abgedruckt in: Der Hitler-Prozeß, 2. Teil, München 1924, S. 91 - 105. Vgl. ferner nur.E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 7, 1981, S. 402 420. 64 Der Münchner Hochverratsprozeß, in: DJZ 1924, Sp. 335. Dort wird auch die zwingend vorgeschriebene Anwendung des § 9 I des Republikschutzgesetzes als Willkür bezeichnet. Vgl. auch das bekannte Wort Radbruchs: „Wir verachten den Pfarrer, der gegen seine Überzeugung predigt, aber wir verehren den Richter, der sich durch sein widerstrebendes Rechtsgefühl in seiner Gesetzestreue nicht beirren läßt" (Rechtsphilosophie, 8. Aufl. 1973, S. 178). 3 Escher
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1. Teil: Biographie
Als Vertreter des protestantisch-sozialpolitischen, „linken" Flügels der DVP lehnte Dohna den zunehmenden Einfluß der rheinisch-westfälischen Großindustrie ab 65 . Ferner trat er 1925 nach einigem Zögern der Liberalen Vereinigung bei, die sich vor allem für eine Einigung der bürgerlichen Mitte einsetzte66. Entgegen den offiziellen DVP-Verlautbarungen enthielt er sich in beiden Wahlgängen zur Reichspräsidentenwahl im Jahr 1925 der Stimme 67 . Im Jahre 1928 wollte die DVP-Gruppe aus dem Wahlkreis Trier-Koblenz Dohna zur Reichstagskandidatur bewegen, wozu er sich aber nicht entschließen konnte 68 . In einem Manuskript vom 29. November 1929 bezeichnet Dohna das von Hugenberg betriebene Volksbegehren auf Erlaß eines „Gesetzes gegen die Versklavung des deutschen Volks" (sog. „Freiheitsgesetz") als einen „unerhörten Skandal" 69 . A m 17. August 1930 antwortete Dohna auf eine Anfrage der Parteileitung, daß er zwar bereit sei, einige Wahlkampf reden insbesondere über Fragen der Verfassungs- und Reichsreform sowie über die Gefahren des Radikalismus zu halten. Was die eigene Aufstellung als Kandidat zur Reichstagswahl am 14. September 1930 anbelangt, sei es notwendig, vorab eine Reihe von Zweifeln betreffend die Politik der Fraktion und der Parteileitung zu klären. Dohna bekennt offen, daß es ihm „schwer" fallen werde, „diese Politik im Wahlkampf zu vertreten und zu verteidigen" 70 . Dennoch wurde Dohna auf Platz 23 des Reichswahlvorschlages der DVP piaziert 71 . Über die Gründe 65
Brief an seine Schwester Irene vom 22.7.1922, N L Dohna I I , C, Nr. 1. Brief an seine Schwester Freda-Marie vom 4.6.1925, N L Dohna I I , C, Nr. 1. Siehe zur Liberalen Vereinigung Lexikon zur Parteiengeschichte, hrsg. von Dieter Fricke, Bd. 3, 1985, S. 356 - 359; ein Ziel bestand darin, eine Annäherung zwischen der DDP und der DVP und die Bildung einer einheitlichen liberalen Partei herbeizuführen. 67 Briefe an seine Schwester Freda-Marie vom 17.3. und 24.4.1925, N L Dohna I I , C, Nr. 1. A m 29.3.1925 unterstützte die DVP zusammen mit der DNVP Karl Jarres, im zweiten Wahlgang am 26.4.1925 zusammen mit der DNVP, BVP und NSDAP Hindenburg. Bei der Reichspräsidentenwahl im Jahre 1932 unterstützte Dohna dagegen Hindenburg. 68 Brief an seine Schwester Freda-Marie vom 27.1.1928, N L Dohna I I , C, Nr. 1. 69 N L Dohna I V , S. 6. Der § 4 des Entwurfes sah Zuchthausstrafe vor, wer den folgenden Verpflichtungen zuwiderhandelt: Widerruf des „Kriegsschuldanerkenntnisses" von Versailles, Verlangen der Aufhebung der Besetzung deutschen Gebietes, Eingehen neuer Reparationslasten nach dem Young-Plan. A m 22. Dezember 1929 scheiterte das Volksbegehren. Vgl. dazu E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 7, 1981, S. 697 - 702. 70 Brief Dohnas an Stocksieck, in: FC 797 N, S. 96, 97, Bundesarchiv Koblenz. 71 Der Wahlaufruf der Deutschen Volkspartei, in: Nationalliberale Correspondenz, Pressedienst der DVP, Nr. 164, 26. August 1930 (zugleich in: R 45/11, Bd. 32, S. 483, 487, Bundesarchiv Koblenz). Nach Stresemanns Tod am 3.10.1929 hatte Ernst Scholz für ein Jahr den Parteivorsitz übernommen; unter dem neuen Vorsitzenden Eduard Dingeldey setzte seit November 1930 die Rechtswendung der DVP ein. 66
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seines Entschlusses zur Rückkehr in das Parlament können mangels gesicherter Unterlagen nur Vermutungen angestellt werden. Das Hauptmotiv dürfte wohl die Sorge vor einem Rechtsruck und Obstruktionskurs der eigenen Partei gewesen sei, welchen Dohna gerade angesichts der heraufziehenden erneuten Krisenphase der Republik nicht für akzeptabel hielt. Die schwere Niederlage der DVP verhinderte seinen erneuten Einzug in das Parlament. Die zunehmende Rechtswendung der DVP brachte Dohna immer mehr in die innerparteiliche Opposition. A m 30.10.1931 organisierte er in Berlin eine Zusammenkunft von Parteimitgliedern, deren gemeinsames Bestreben es war, entgegen der Mehrheit der Partei und der Fraktion die Regierung Brüning zu stützen 72 . Dohna stellt die Übereinstimmung der Anwesenden fest, daß es einen Sprung ins „Dunkle" bedeutet, „wenn man den Antrag auf Sturz einer Regierung unterstützt, einer Regierung, deren Ersatz nur zu erlangen ist mit Gruppen, die es bislang ablehnten, als Ersatz in Erscheinung zu treten, und die auch nach unserer Meinung dazu nicht fähig sind" 7 3 . Die Versammlung schließt sich seinem Vorschlag an, daß eine Abordnung „in voller Offenheit und Loyalität gegenüber dem Parteiführer" handelt und unseren Wunsch um „Gewissensbefreiung" vertritt. Der Gedanke, daß eine Nichtduldung der Minderheitsauffassung die Frage nach der Trennung von der Partei aufwirft, wird nur eher mit Scheu angesprochen. Zugleich weist Dohna auf die notwendige „strengste Vertraulichkeit der heutigen Besprechung gegenüber der Presse" hin, damit die Partei nach außen keinen Schaden nehme 74 . Die Aussprache mit Dingeldey fand am 6. November 1931 allerdings ohne Dohna statt, der verhindert war 75 . A m 20. November 1931 kam es zu einer erneuten Zusam72 Dohnas sog. Protestantengruppe wird erwähnt im Lexikon zur Parteiengeschichte, Bd. 2, 1984, hrsg. von Dieter Fricke, S. 435 - 436. Im Sommer und Winter 1931 stand die Regierung Brüning wegen der Wirtschaftskrise und der Youngplan-Frage unter erheblichem innenpolitischen Druck. Nachdem Reichsaußenminister Julius Curtius zuvor seinen Rücktritt eingereicht hatte, war am 7.10.1931 das übrige Kabinett Brüning zurückgetreten. Allerdings wurde Brüning erneut von Hindenburg ohne parlamentarische Mehrheit mit der Regierungsbildung beauftragt. Nachdem sich am 11.10.1931 die Harzburger Front von NSDAP, DNVP und Stahlhelm versammelt hatte, stimmten am 16.10.1931 im Reichstag die Mehrzahl der Fraktionsmitglieder der DVP für das Mißtrauensvotum gegen Brüning (21 dafür; anders v. Kardorff, W. Kahl, Thiel vom Arbeitnehmerflügel, Glatzel und Kalle, sämtlich Dohna nahestehende Politiker). 73 FC 792 N, S. 75, Bundesarchiv Koblenz. Eine weitere, weitgehend inhaltsgleiche Niederschrift über die Zusammenkunft findet sich ebenfalls in: FC 792 N, S. 3 - 8; dort heißt es auf S. 3 noch zur Rede Dohnas: „Der Nachweis zur Befähigung (zur Aufbauarbeit) fehlt bisher vor allem den Nationalsozialisten, welche die DVP durch ihre Politik unmittelbar unterstützt hat". Die Politik der DVP sei nicht zu verantworten, weil sie ein Experiment wage, die „das Reich aufs Spiel setze". 74 FC 792 N, S. 76, 81. In die Gruppe, die beim Parteivorsitzenden Dingeldey vorsprechen sollte, wurde an erster Stelle Dohna gewählt. 75 FC 792 N, S. 10 - 12. In einem Schreiben an ein befreundetes Parteimitglied vom 18.11.1931 bedauert Dohna seine Verhinderung und berichtet von weiteren eigenen
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1. Teil: Biographie
menkunft der später sog. Protestantengrupe, an der wiederum D o h n a verhindert w a r 7 6 . D a es doch entgegen der Absprache zu einer vorzeitigen Presseveröffentlichung i m Berliner Tageblatt gekommen war, was Dingeldey u n d die Parteileitung zusätzlich gegen die Abweichler aufbrachte, schrieb D o h n a am 30.11.1931 an Dingeldey: „Der Sinn Ihrer Äußerung (kann) doch nur der sein, daß in der Parteiorganisation nur noch eine Parole gilt: Ordre parieren: Wenn es wirklich die Auffassung der maßgeblichen Parteiinstanzen sein sollte, derartige Meinungsäußerungen zu verbieten, so fürchte ich, daß der Bestand an selbständigen Persönlichkeiten in der Partei sehr rasch auf den Nullpunkt reduziert sein dürfte. . . . Die sachliche Differenz, die unsere Auffassung von derjenigen der offiziellen Parteihaltung scheidet, ist prinzipieller Natur. . . . Ich gebe aber die Hoffnung nicht auf, daß es auf der bevorstehenden Tagung in Hannover gelingt, einen Ausgleich der beiden Richtungen herzustellen" 77 . A u f der Sitzung des Zentralvorstandes am 6. Dezember 1931, an der D o h n a als Nichtmitglied dieses Gremiums keinen Z u t r i t t hatte, wurde die Protestantengruppe als verschwindende M i n d e r h e i t geradezu „ a b g e f e r t i g t " 7 8 . Dieser deutliche Mißerfolg stellte D o h n a vor die Frage nach den Konsequenzen: „Das Ergebnis der Tagung in Hannover hat mich keineswegs überrascht, aber tief deprimiert. Nun kommt heute die Notverordnung und in den allernächsten Tagen dann wohl erneute Abstimmung über das Kabinet. Der Ausgang bleibt abzuwarten. Aber ich stehe vor der Frage, welche Konsequenzen ich aus der Situation zu ziehen habe. Wäre ich ganz frei, so bedürfte es keiner langen Überlegung. Der Entschluß, mich von einer Partei zu lösen, der ich angehört habe, seit ich begonnen habe, politisch nachzudenken, fiele mir schwer. Aber ich habe meinen Glauben an die Partei verloren. Und ob ihr noch eine Zukunft beschieden ist, erscheint mir zweifelhaft. Nun aber bin ich durch ein starkes Gemeinschaftsgefühl an diejenigen gebunden, mit denen ich in den letzten Wochen zusammen gearbeitet habe. Und auch die Rücksicht auf den alten Kahl hält mich vor einseitigen Entschließungen zurück. Ich weiß, daß alle diejenigen, die parlamentarisch tätig sind, Konsequenzen in die Rechnung einzustellen haben, die sorgfältig überlegt sein wollen. So warte auch ich die weitere Entwicklung ab. . . . Namentlich wüßte ich gern, ob die ja doch auch von unserem Parteiführer in Aussicht genommene Fühlungnahme mit anderen Gruppen der bürgerli-
Bemühungen. A m Ende heißt es: Die Parole lautet „Sammlung der mittelparteilichen Splitter"; „Hoffentlich gelingt es, im Reich die Katastrophe noch aufzuhalten" (aaO, S. 14, 15). 76 FC 792 N, S. 19 - 25; auf S. 25 findet sich eine Resolution, welche neben der Einberufung einer Sitzung des Zentralvorstandes und der Sammlung des mittleren Bürgertums fordert, daß sich die Reichstagsfraktion künftig dem Reichskanzler Brüning zur Verfügung stellt. 77 FC 792 N, S. 41, 42; vgl. auch S. 38, 39. 78 p c 792 N, S. 57. Vgl. auch die Berichte in der Kölnischen Zeitung vom 7. und 8.12.1931; Der Kurs der Deutschen Volkspartei, Ende Dezember 1931, in: R 45/11, Bd. 63, S. 121 - 129, Bundesarchiv Koblenz.
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chen Mitte in die Wege geleitet wird; wobei ich mir freilich die Rolle, die die DVP dabei sollte spielen können, nicht recht vorzustellen vermag. Man wird also befürchten müssen, daß, falls es überhaupt noch zu parlamentarischen Wahlen kommt, die Mittelparteien in demselben, wenn nicht noch gesteigerten chaotischen Zustand hineingehen, in dem sie sich bisher befanden. Dann freilich wird man sich nicht darüber beklagen können, daß die Flut über das Bürgertum hinwegbraust und es politisch endgültig vernichtet. Da ich den Glauben an die Wunderkraft der nationalsozialistischen Rezepte nicht zu teilen vermag, kann ich nur mit Grausen an die Zukunft denken" 79 . A m 11.12.1931 schreibt D o h n a , daß er sich ausschließlich aus äußeren Gründen, vor allem aus Rücksicht auf den Beruf, „aus der vordersten F r o n t " zurückziehen w i l l 8 0 . 6. I n der Endphase der Weimarer R e p u b l i k nahm D o h n a öffentlich gegen die K P D u n d i n erster L i n i e gegen die N S D A P Stellung. Zugleich setzte er außerhalb der D V P i n dem v o n i h m mitinitiierten Deutschen Nationalverein die Bemühungen für eine Einigung der bürgerlichen M i t t e fort. Nach dem Scheitern seiner Protestanten-Gruppe i n der D V P i m Herbst 1931 sagte sich D o h n a zunächst innerlich von der Partei los u n d trat i m M a i 1932 folgerichtig aus der D V P aus 8 1 . Sein Engagement gegen die Nationalsozialisten stützt sich hauptsächlich auf drei M o t i v e . Es sind dies die A b l e h n u n g der Rassenideologie 8 2 , die Sorge vor einem Untergang des Bürgertums u n d das nationalliberale Staatsverständnis, welches v o n ungebildeten, gewaltbereiten u n d rechtsstaatsfeindlichen Führern keine Wahrnehmung der nationalen Interessen erwartete. I n dem Zeitungsartikel „ D e m o k r a t i e und Staatsräson" w i r d bezogen auf die N S D A P (und K P D ) ein V e r b o t verfassungswidriger Parteien gefordert 8 3 . E n t -
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Brief an Siegfried v. Kardorff vom 8.12.1931, in: N L Kardorff, Bd. 9, S. 30, Bundesarchiv Koblenz. 80 Brief an Rechtsanwalt Dr. Kunz, FC 792 N, S. 54 - 55, Bundesarchiv Koblenz. Wiederholt heißt es auf S. 54, daß es sich darum handelt, „die letzten Reste des Bürgertums, die von der Psychose des Nationalsozialismus noch nicht erfaßt sind, unter der Parole einer nationalen, staatsbewußten Politik zuammenzufassen, die bestehende Staatsordnung zu schützen und dem Kanzler (Brüning) denjenigen Rückhalt zu gewähren, dessen er bedürfte, um sich von dem dominierenden Einfluß des Sozialismus frei zu machen." 81 Vgl. auch den Brief an Erik Wolf vom 1.5.1932, in dem Dohna „die politische Passivität als bedrückend" empfindet; N L Erik Wolf, Universitätsbibliothek Freiburg i. Br. 82 Brief an Erik Wolf vom 29.12.1933, in: N L Erik Wolf; distanziert auch in Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 93. 83 Demokratie und Staatsräson. Die Lehren von Thüringen, in: Kölnische Zeitung, 30. März 1930. Aktueller Anlaß war die von Dohna bejahte und auf die grundsätzliche Problematik zurückgeführte Verweigerung des Reichszuschusses an Thüringen durch Reichsminister Severing allein deshalb, weil Frick von der NSDAP dort Polizeiminister
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1. Teil: Biographie
weder wird die Parteienbildung ganz freigegeben, was restlos dem demokratischen Prinzip entspricht, oder es wird dem Gebot der Staatsräson Rechnung getragen. Danach ist Parteien, die offenkundig auf den gewaltsamen Umsturz der Verfassung hinarbeiten, die Anerkennung zu versagen und „ein Handeln für den Staat unmöglich zu machen". Die Frage, ob Parteien nicht unter bestimmten Umständen verboten werden sollen, wird bejaht, weil die Parteibildung keinen Freibrief zur Begehung strafbarer Handlungen gibt und weil „die Gesetzmäßigkeit der verfolgten Ziele" Voraussetzung für den Zusammenschluß als Partei sein sollte. „Die Kommunistische und die Nationalsozialistische Partei (sind) mehr als hochverräterische Organisationen. Sie bilden Gesinnungsgemeinschaften, deren staatspolitisches Programm der bestehenden Verfassung zuwiderläuft und daher nur auf den Trümmern der bestehenden Staatsordnung sich durchführen läßt".
Es geht nicht um strafrechtliche Verfolgungen dieser Parteien. Auch soll es keiner Weltanschauung verwehrt werden, Einfluß auf die Gemüter zu gewinnen. „Nur das soll verhindert werden, daß Personen organschaftlich für den Staat tätig werden, dessen Vernichtung sie im Schilde führen. Es darf keinen Abgeordneten und keine Minister geben, die einer Partei zugehören, die den gewaltsamen Umsturz der Reichsverfassung zu ihren Programmpunkten zählt".
In dem Aufsatz „Das Bürgertum am Scheideweg" heißt es, daß sich die Bevölkerung über die einzige Alternative klar werden müsse. Entweder führt der Weg auf „verfassungsmäßigen Bahnen" Schritt um Schritt aus den Beschwernissen der Stunde oder „blindlings in den Abgrund . . . in der vagen Hoffnung, irgendwo . . . wieder festen Fuß zu fassen". A n dem Versagen des Parlaments angesichts der mangelnden Unterstützung Brünings ist zum überwiegenden Teil die Rechte - gemeint ist insbesondere die DNVP und auch nunmehr die DVP - schuld. Schaut man auf die Taten dieser Monopolisten der nationalen Gesinnung, so wird man ein „Vakuum" gewahr. Alle bisherigen innen- und außenpolitischen Erfolge mußten gegen den zähen Widerstand der Rechten durchgesetzt werden. Angesichts der bedrängenden wirtschaftlichen Lage und der beiden radikalen Flügelgruppen im Parlament kann nur eine Koalitionspolitik in Frage kommen. Die Einigung des liberalen, konservativen und protestantischen Bürgertums tut dringend not, um den Sozialdemokraten und dem Zentrum einen dritten verfassungstreuen Regierungspartner an die Seite zu stellen 84 . war. Im übrigen befürwortete Dohna die Erklärung der Polizei zur Reichsangelegenheit. Seine späteren Äußerungen gegen die beiden radikalen Parteien legen die Vermutung nahe, daß der sog. Legalitätseid Hitlers vor dem Reichsgericht am 25. September 1930 nichts an dieser seinen Auffassung geändert hat. 84 Das Bürgertum am Scheideweg. Klare Entscheidung - Trias der Mitte - Endlich Reichsreform, in: Blätter des Deutschlandsbundes, 9. Januar 1932.
V. Hochschullehrer im „Dritten Reich"
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In einem Aufruf zur Reichstagswahl am 6. November 1932 wird es zur ersten Pflicht eines jeden verantwortungsbewußten Staatsbürgers erhoben, „mit seiner Stimme ein Gegengewicht schaffen zu helfen gegen den Radikalismus von rechts und links, die Mitte zu stärken, auf deren Boden allein wir uns zu verfassungsmäßigen Formen zurückfinden und positive Aufbauarbeit leisten können. . . .die bürgerlichen Parteien der Mitte werden, ob sie wollen oder nicht, durch den Druck der beiden Flügel zu einer Abwehrgemeinschaft gegen Reaktion und Revolution zusammengeschmiedet werden" 85 .
Bereits zuvor war Dohna auf der Gründungsversammlung des Deutschen Nationalvereins am 18. September 1932 in Berlin zum 2. Vorsitzenden gewählt worden 86 . Der Deutsche Nationalverein wendet sich an alle Deutschen, die sich politisch heimatlos fühlen. Das Ziel ist die Neugestaltung der politischen Mitte innerhalb des Spektrums zwischen den Deutschnationalen und der Sozialdemokratie unter Ausschluß des Zentrums. „Der Zweck des Vereins ist der Zusammenschluß derjenigen Deutschen, die in der freien und verantwortlichen Persönlichkeit die Grundlage von Staat und Wirtschaft sehen" 87 . Der Verein versteht sich nicht als politische Partei und will zunächst nur Vorbereitungen treffen, die Parteienzersplitterung der Mitte zu beseitigen. Programmatisch stimmt die Linie mit den bisherigen Vorstellungen Dohnas überein; insbesondere setzt er sich für eine „soziale Freiwirtschaft" zur Verbesserung der Lage der Arbeiterschaft ein 88 . Das weitere politische Geschehen entzog dem Nationalverein die Möglichkeiten zur Entfaltung 89 . V . Hochschullehrer im „Dritten Reich" Nach dem 30. Januar 1933 mußte sich Dohna öffentlicher politischer Stellungnahmen enthalten und fühlte kein Bedürfnis, an den offiziellen Aufmär85
Der Sinn der Wahl, in: Kölnische Zeitung, 4. November 1932. Niederschrift der Gründungsversammlung, in: N L Dohna I V , S. 1 - 3; Anwesenheitsliste S. 4 - 5. Der Gedanke zur Gründung eines Deutschen Nationalvereins war bereits im Dezember 1931 nach dem Scheitern der Protestantengruppe von mehreren Dohna nahestehenden Politikern der DVP ins Auge gefaßt worden; vgl. den Brief von Mittelmann vom 8.12.1931 an Dohna, FC 792 N, S. 56, Bundesarchiv Koblenz. Zum Deutschen Nationalverein auch Lexikon zur Parteiengeschichte, Bd. 2, 1984, hrsg. von Dieter Fricke, S. 216 - 220. 87 Siehe den Gründungsaufruf, in: R 45/11, Bd. 8, S. 13 - 15, Bundesarchiv Koblenz. 88 R 45/11, Bd. 8, S. 17; ausführlich die verschiedenen Hefte und Briefe des Nationalvereins, aaO, S. 1 - 102; der letzte Brief erschien am 1. März 1933. 89 Vgl. weiterführend zu den verschiedenen, sämtlich gescheiterten Einigungsversuchen der bürgerlichen Mitte z.B. Jones, Larry Eugen, Gustav Stresemann und die Krise des deutschen Liberalismus (1974), in: Gustav Stresemann, hrsg. von Wolfgang Michalka und Marshall M . Lee, 1982, S. 276 - 303; ders. Sammlung oder Zersplitterung. Die Bestrebungen zur Bildung einer neuen Mittelpartei in der Endphase der Weimarer Republik 1930 - 1933, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte Bd. 25 (1977), S. 265 - 304. 86
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1. Teil: Biographie
sehen der NS-Juristen teilzunehmen. Angesichts der allgemeinen Lage u n d der Chancenlosigkeit des Weimarer Kreises wie der bürgerlichen Sammlungsbemühungen schreibt D o h n a am 6. Februar 1933 an W a l t e r Goetz: „ I c h b i n tief niedergeschlagen und fühle Lust u n d Kraft schwinden, ,Professor' der Rechte zu s e i n " 9 0 . Das bisher freundschaftliche Verhältnis zu E r i k W o l f wurde 1933 durch dessen H i n w e n d u n g zum Nationalsozialismus erheblich getrübt. Nachdem E r i k W o l f sich v o m Nationalsozialismus enttäuscht sah u n d sich i n einem langen Prozeß bishin zur M i t a r b e i t i m Widerstandskreis u m D i e t r i c h Bonhoeffer davon abkehrte, stellte sich die frühere vertraute H a r m o n i e wieder e i n 9 1 . I n einem B r i e f v o m 23. Juli 1933 schreibt D o h n a , daß er des Geredes u m liberales u n d autoritäres Strafrecht „herzlich m ü d e " ist; zugleich lehnt er E r i k Wolfs Neubau des Strafrechts v o m autoritär-sozialen Standpunkt als „Rückschritt u m etliche Jahrhunderte" a b 9 2 . Z u dem Glauben E r i k Wolfs, daß der Nationalsozialismus die Verwirklichungsmöglichkeiten
sittlicher, religiöser
und
sozialer Ideale bereithalte, äußert sich D o h n a skeptisch: „ . . . fast wäre ich geneigt, Sie um diesen Glauben zu beneiden. Ich fürchte meinerseits, daß die Welt nach wie vor dem 30. Januar 1933 weiterhin aus einer Minderheit 90
N L Walter Goetz 215, Bd. 93, Umschlag V , Bl. 5; Bundesarchiv Koblenz. Vgl. weiterführend Hollerbach, Alexander, Zu Leben und Werk Erik Wolfs, in: Ausgewählte Schriften von Erik Wolf, hrsg. von Hollerbach, Bd. 3, 1982, Anhang, S. 235 - 271, besonders S. 247 - 254. Allgemein auch Günther van Norden, Widerstand im deutschen Protestantismus 1933 - 1945, in: Der deutsche Widerstand 1933 - 1945, hrsg. Klaus-Jürgen Müller, 1986, S. 108 - 134, S. 131 Erik Wolf als Mitglied der Bekennenden Kirche erwähnt. Vor allem die folgenden Schriften enthalten die Parteinahme Erik Wolfs für den Nationalsozialismus: Krisis und Neubau der Strafrechtsreform, 1933; Richtiges Recht im nationalsozialistischen Staate, 1934 (Freiburger Universitätsreden, Nr. 13); Das Rechtsideal des nationalsozialistischen Staates, in: ARSP Bd. 28 (1934/35), S. 348 363. Vgl. auch die bisher noch unbekannten Briefe Erik Wolfs im N L Dohna I I a : Im Brief vom 11. April 1935 schildert er noch, daß „seine auf rein innerlichem Wege gewonnene positive Einstellung zu den Grundwerten des nationalsozialistischen Staats- und Rechtsaufbaus . . . ergriffen von dem philosophischen Genius des Mannes Heidegger" ihm aus alten Freunden Feinde gemacht habe, ohne daß er neue Freunde und Mitstrebende gefunden habe. Darauf antwortet Dohna am 5. Mai 1935, daß ihn selbst „eine größere, durch weltanschauliche Einstellung und höheres Alter bedingte Skepsis vor den Enttäuschungen bewahrt hat, die Ihnen nun nicht erspart geblieben sind"; alles weitere müsse in mündlicher Zwiesprache geklärt werden (NL Erik Wolf). In den Briefen vom 7.3.1938, 9.5.1938,13.12.1941,6.11.1942 und vom 8.12.1943 berichtet Erik Wolf u.a., daß er nur an seinen philosophie- und rechtsgeschichtlichen Arbeiten Genugtuung findet und sich an den Modethemen der Strafrechtserneuerung nicht mehr beteiligen will. Schließlich heißt es in einem Brief an Elisabeth Gräfin zu Dohna vom 26. Juli 1946, daß er „alte Fehler wiedergutzumachen" habe (NL Dohna, I I a). 92 N L Erik Wolf; die Äußerung Dohnas bezieht sich namentlich auf den Satz Erik Wolfs, daß staatlicher Strafschutz nicht am Platze sei, wo nicht die Rechtsgemeinschaft als solche, sondern ein beliebiger Einzelner als Verletzter in Frage steht; Krisis und Neubau der Strafrechtsreform, 1933, S. 33. 91
V. Hochschullehrer im „Dritten Reich"
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halbwegs anständiger und einer Mehrheit moralisch zweifelhafter Elemente bestehen wird. Ganz und gar unverständlich bleibt mir aber die Gebundenheit solchen Experiments an eine bestimmte oder vielmehr sehr unbestimmte Rasse, und vollends, wieso, wenn diese Verwurzelung zu recht besteht, die Verbindung mit einer auf ganz anderem Boden erwachsenen Religion eine Wesensnotwendigkeit darstellen soll. Rätsel über Rätsel. . . . Das ist Mystik, der gegenüber rationale Einwände naturgemäß versagen" 93 .
Die Belastung des persönlichen Verhältnisses wegen der unterschiedlichen politischen Grundhaltungen scheint insbesondere nach einer mündlichen Aussprache im Frühjahr 1938 überwunden worden zu sein 94 . Ein Brief an Franz Exner vom 24. Februar 1935 drückt besser als jede Beschreibung aus, daß Dohna die Zurückgezogenheit einer erzwungenen äußeren Anpassung vorgezogen hat: „Ihnen und Herrn Kollegen Mezger verbindlichsten Dank für die Aufforderung zur Teilnahme an der Weimarer Tagung. . . . Was mich betrifft, so bitte ich, mich zu entschuldigen. Einmal sind es wirtschaftliche Gründe, die Reiseplänen nicht günstig sind. Entscheidender noch ist eine andere Erwägung, die ich Ihnen in aller Offenheit darlegen möchte. Ich bin ein Mann von liberalen Grundsätzen von jeher gewesen und geblieben. Ich glaube aber nicht, daß mir jemand wird nachsagen können, daß ich jemals Fragen meiner Wissenschaft unter parteipolitischen Aspekten behandelt hätte. In der Frage der Todesstrafe, der Ehrenstrafen, der Sicherung der Gesellschaft vor dem Gewohnheitsverbrechertum, der Umgestaltung des Strafverfahrens, der Zwangssterilisierung und vielen anderen habe ich nachweislich Anschauungen vertreten, die ich auch heute noch ungestraft vertreten könnte. Aber meine Stimme hat heute keine Geltung mehr, weil ich es nicht gelernt habe, sachliche Fragen unter dem Richtpunkt ihrer Verträglichkeit mit einem Parteidogma zu behandeln. Wie sehr das auch in dem in Weimar versammelten Gremium erwartet wird, davon liefert der im 1. Heft der Z. (ZStW) erstattete Bericht deutlichen Beweis. Gestand doch Kollege Siegert ein, daß seine ganzen Vorschläge getragen seien von dem Bestreben, dem Geist des Nationalsozialismus ungehinderten Zutritt in die Strafrechtspflege zu verschaffen. Wußte doch Kollege Henkel keinen vernichtenderen Einwand gegen eine in der Diskussion geäußerte Meinung vorzubringen, als daß es sich dabei ganz offensichtlich um Restbestände liberaler Erwägungen gehandelt habe. Ich bin nicht temperamentlos genug, um sicher zu sein, derartigen Argumentationen gegenüber Haltung zu bewahren. Und den Störenfried zu spielen, habe ich ja keinen ausreichenden Anlaß. Solange jede aus der liberalen Ära erwachsene Institution um deswillen diskriminiert wird und, wer eine Ansicht bekämpfen will, sie zu diesem Behuf e erst einmal dem Liberalismus in die Schuhe schiebt; solange jede von prominenter Stelle vertretene Ansicht um deswillen für richtig gilt und, wer eine Forderung stellen will, sie zu diesem Behufe als eine Forderung aus nationalsozialistischer Grundanschauung aus93
Brief vom 29.12.1933, in: N L Erik Wolf. Brief Erik Wolfs vom 9.5.1938, in: N L Dohna I I a. Auch zeigte Erik Wolf reges Interesse an Dohnas Gutachten in einem Strafprozeß gegen einen Hilfsprediger der Bekennenden Kirche; mehrere Briefe Dohnas aus dem Jahr 1938 im N L Erik Wolf. 94
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1. Teil: Biographie
gibt, - mag es sich dabei um den Determinismus oder den Indeterminismus, um die unbestimmte Verurteilung oder das System der Zweispurigkeit, um die Behauptung der Bedeutsamkeit oder der Bedeutungslosigkeit des Unrechtsbewußtseins handeln - so lange bleibe ich für meine Person sog. wissenschaftlichen Tagungen fern, weil die Opfer an Zeit und Geld sich nicht bezahlt machen. Daß ich damit Verzicht leisten muß auf die persönliche Berührung mit einer Reihe von Kollegen, denen ich die größte persönliche Hochachtung bewahre, ist mir außerordentlich schmerzlich. Aber auch nach dieser Richtung habe ich gelernt, Entsagung zu üben. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir erklären könnten und wollten, daß Sie für meinen Standpunkt einiges Verständnis aufbringen. Daß Sie ihn teilen, möchte ich Ihnen nicht einmal wünschen" 95 .
Es finden sich nur spärliche Unterlagen über Schwierigkeiten, die die veränderten Machtverhältnisse für das Leben Dohnas an der Universität mit sich brachten. Eine Ausnahme macht die Reaktion von Studenten des Nationalsozialistischen Studentenbundes auf eine Sondervorlesung zum sog. Kownoer Schandurteil, welche am 22. Mai 1935 vom für Wissenschaft zuständigen Ministerium angeordnet worden war. In dem Urteil waren die Angeklagten von einem litauischen Gericht wegen Hochverrats schuldig gesprochen worden, weil sie das Memelland von Litauen losreißen und dem Deutschen Reich einverleiben wollten. In der Vorlesung schildert Dohna vor allem die Geschichte des Memellandes seit dem Versailler Vertrag und geht auf die juristischen Fehler des Urteils ein; der Versailler Vertrag wird als der „schlimmste Gewaltfriede" seit dem Untergang Karthagos bezeichnet96. „Unser Führer" hat sich die Aufgabe gesetzt, gegen „den ewig friedlosen Geist von Versailles" zu kämpfen; „seinem Sinn kann es (aber) nicht entsprechen", daß dieser Kampf um die erstrebte Rückkehr des Memelgebiets in das Deutsche Reich mit den „unwürdigen" Mitteln illegaler Volkserhebung geführt wird 9 7 . Der Schlußsatz lautet: „ A u f daß wahr und unanfechtbar bleibe der alte Leitspruch: Justitia fundamentum regnorum" 98 . Die besagten Studenten hielten diese Rede für zu wenig vom nationalsozialistischen Geist getragen, woraufhin ein Gaustudentenbundführer Garben am 25. Mai 1935 Anzeige bei der Gestapo Köln erstattete: „ . . . Nach Rücksprache mit Gauinspektor Thiel bin ich der Auffassung, daß derartige Professoren nichts auf einer deutschen Hochschule zu suchen haben. Ich über95
Durchschrift im N L Dohna I I a . Vgl. auch den Brief Dohnas an Erik Wolf vom 23. Juli 1933: Er wolle sich, was die Ausrichtung der wissenschaftlichen Arbeit an die Parteidoktrin anbelangt, in der Kunst des Schweigens üben. Ebenso der Brief Dohnas an Erik Wolf vom 1. Januar 1939: Er lehne die Teilnahme an einer wissenschaftlichen Tagung in München ab, weil das „Verbot der Kritik an Maßnahmen der Gesetzgebung, die Bindung an gewisse festgelegte Richtlinien" nicht gerade für fruchtbare wissenschaftliche Kritik bürge. Beide Briefe im N L Erik Wolf. 9 * N L Dohna I, Nr. 13, S. 3 - 9, S. 9. 97 N L Dohna I, Nr. 13, S. 11. 9 « N L Dohna I, Nr. 13, S. 12.
V. Hochschullehrer im „Dritten Reich"
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gebe Ihnen als Leiter der Geheimen Staatspolizei für den Regierungsbezirk Köln den Fall zur Verfolgung". Es folgen die N a m e n v o n 12 Z e u g e n " . M i t Schreiben v o m 3. August 1935 erklärt die Gestapo, nachdem sie sich auch v o n dem R e k t o r der Universität über den Inhalt der Rede hat informieren lassen, die Angelegenheit für erledigt: „ . . . Da das Material für eine strafrechtliche Verfolgung nicht ausreichend ist, andererseits Herr zu Dohna der Partei nicht angehört, haben wir keine Veranlassung, gegen ihn etwas zu unternehmen" 100 . Nach 1933 hatte D o h n a wiederholt Schwierigkeiten, für seine Manuskripte einen Verlag bzw. eine Zeitschrift zu f i n d e n 1 0 1 . D i e Kernprobleme der Rechtsphilosophie k o n n t e n erst 1940 i m Limbach-Verlag aus W i e n veröffentlicht werden, nachdem sie zuvor mehrfach abgelehnt w u r d e n 1 0 2 . Dieser H i n t e r grund soll nicht zur Verharmlosung derjenigen Stellen dienen, die für einen unbefangenen, besonders für den heutigen Leser als opportunistisch erschein e n 1 0 3 . Andererseits gibt es Stellen, die ziemlich offen eine gegenüber den Zeitverhältnissen kritische Stellungnahme e n t h a l t e n 1 0 4 . Jedenfalls w i r d man 99
Personalakten Graf zu Dohna, Universitätsarchiv Bonn. Personalakten Graf zu Dohna, Universitätsarchiv Bonn. i Q 1 Vgl. z.B. den Brief an Erik Wolf 20.2.1938: Die Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht habe schon mehrfach Manuskripte abgelehnt. Vgl. allgemein Heine, Götz-Thomas, Juristische Zeitschriften in der NS-Zeit, in: Recht und Unrecht im Nationalsozialismus, hrsg. von Peter Salje, 1985, S. 272 - 293. 102 Die Felix Meiner Verlagsbuchhandlung in Leipzig teilte am 30.12.1937 mit, daß die Schrift vor zehn Jahren recht gute Erfolgsmöglichkeiten gehabt hätte. Die von Dohna zitierten Autoren seien nicht mehr zeitgemäß; auf dem Gebiete der juristischen Literatur sei die Empfindlichkeit dafür noch größer als auf anderen Gebieten. „Da ich mit meinem Verlag in verschiedener Hinsicht bereits große Risiken gelaufen bin, möchte ich nicht noch neue Gefahren heraufbeschwören, die sich möglicherweise verhängnisvoll auswirken könnten" (NL Dohna I I b , Abt. 1). Die Verlagsbuchhandlung Quelle & Meyer lehnt mit Schreiben vom 13.3.1939 das Manuskript ab, weil „von heute viel erörterten Problemen, wie dem Rasseproblem, gänzlich abgesehen ist" und weil es sich nicht um ein umfassendes Studentenlehrbuch handelt (NL Dohna I I b , Abt. 1). Auch das Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie hat die Schrift nicht angenommen (Brief Dohnas an Erik Wolf vom 23.4.1939). 103 Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 52: Bezogen auf die nationale Erhebung vom Frühjahr 1933 spricht Dohna von „hoffnungsfreudigen Tagen". Der Gedanke des Überzeugungsverbrechers ist in die neue Rechtsordnung in der „positiven Funktion" übernommen worden, daß „derjenige, der im Übereifer für den nationalen Gedanken des Dritten Reiches sich zu Straftaten hat hinreißen lassen", Aussicht hat, „Gnade vor dem Richter zu finden" (S. 87). 104 Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 38: „Die zeitweise von weiten Kreisen geforderte Gestattung der Vernichtung keimenden oder lebensunwerten Lebens" wird als sachlich unrichtige Regelung, als Willkür in diesem Sinne bezeichnet. Im Zusammenhang mit der Unterscheidung zwischen Rechtsbegriff und Rechtsidee und der Unmöglichkeit eines absolut richtigen Rechts ist der Satz eingefügt: „Wohl kann ich dem zur Zeit geltenden Recht ein in Gedanken entworfenes besseres Recht entgegenstellen" (S. 60). Angesichts der gegenwärtigen enormen Steigerung der rieh100
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1. Teil: Biographie
bei der Einzelanalyse seiner Schriften während des „Dritten Reichs" sagen können, daß sie sich erheblich von solchen unterscheiden, die ein mehr oder weniger schwülstiges Bekenntnis zum Nationalsozialismus enthalten und daraus dann bestimmte juristische Ergebnisse abzuleiten versuchen. Im Oktober 1939 wurde Dohna bis zum 22. Dezember 1939 zur Lehrstuhlvertretung nach Erlangen abkommandiert. Die Emeritierung wurde 1941 wegen des Lehrkräftemangels hinausgeschoben. In der Endphase des Krieges übernahm Dohna zusätzlich zum Universitätsbetrieb die Wehrmachtsbetreuung für studierende Soldaten 105 . Im Herbst des Jahres 1944 erkundigte sich die Gestapo nach Dohna, der sich aber schon wegen einer schweren Krankheit in einem Krankenhaus befand. Der genaue Grund kann heute nicht mehr ermittelt werden. Jedenfalls hatte die Gestapo aufgrund eines Gästebucheintrages bei dem Freiherrn Tilo v. Wilmowsky von der engen Freundschaft mit Dohna erfahren und Verdacht geschöpft 106 . Außerdem ist die Vermutung nicht unbegründet, daß auch zusätzlich zu der den Machthabern bekannten politischen Einstellung Dohnas allein der Name verdächtig war. 1 0 7 . A m 25. Dezember 1944 verstarb Dohna in Bonn.
terlichen Ermessensfreiheit bei der Strafzumessung „ist ernstlich zu erwägen, ob nicht . . . ein Spielraum gewährt wird, der den Richterspruch dem Verdacht preisgibt, in Willkür auszuarten" (S. 76). Die These, daß die Gleichartigkeit der Rasse genügt, um eine Übereinstimmung rechtlicher Wertungen und Überzeugungen zu gewährleisten, ist „doch wohl noch genauerer Erprobung und Erhärtung bedürftig" (S. 93). los Angaben in den Personalakten, Bonn. 106 Vgi # d e n Brief v. Wilmowsky an Gräfin Dohna vom 12.3.1946, worin er auch über seine eigene Verfolgung und Inhaftierung in Sachsenhausen durch die Gestapo berichtet; N L Dohna I I a. 107
Heinrich Graf zu Dohna-Schlobitten (1882 - 1944) gehörte u.a. zum Bruderrat der Bekennenden Kirche und zum Widerstandskreis um Carl Goerdeler; er wurde im Zusammenhang mit dem 20. Juli 1944 einen Tag darauf verhaftet und am 14. September 1944 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt; siehe N D B , Bd. 4, 1959, S. 46.
Zweiter Teil
Neukantianische Rechtsphilosophie I. Einführung und Themenbegrenzung Die Interpretation der rechtsphilosophischen Schriften Dohnas sieht sich vor die Schwierigkeit gestellt, daß diese maßgeblich von den Vorstellungen Stammlers geprägt worden sind. Dohna spricht selber von dem bestimmenden Einfluß seiner Gedanken und die Literatur begnügt sich häufig damit, diesen Umstand festzustellen 1. Einfluß bedeutet mehr als die auf jeden Autor zutreffende Begebenheit, daß seine Ausführungen mit den Hauptfragestellungen, Vorgehensweisen und Antworten der bisherigen wissenschaftlichen Durchdringung einer Disziplin in Kontakt stehen. Einfluß heißt hier geistige Abhängigkeit und Mangel an Eigenständigkeit. Die Aufgabe dieser Untersuchung besteht darin, auseinanderzuhalten, was allenfalls sprachliche Umformung des bereits Vorgedachten ist und was sachlich über Stammler hinaus neuen Ertrag aufweist. Dieser Ertrag kann schon darin bestehen, daß die bei Stammler (und bei vielen Rechtspositivisten) zunächst so bestechend wirkende strikte Trennung zwischen Rechtsbegriff und Rechtsidee schon aus systemimmanenten Ungereimtheiten wieder fragwürdig und hinfällig wird. Viele verbrechensdogmatische Schriften Dohnas zur Rechtswidrigkeit und zur Schuld sowie seine Begründung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von einem deterministischen Standpunkt zur Willensfreiheit weisen einen
1 Bereits in: Die Problemstellung der kritischen Rechtstheorie in ihrem Gegensatz zum Naturrecht und zur historischen Rechtsschule, in: Internationale Wochenschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik, 1907, Sp. 1209; Besprechung von Rudolf Laun, Recht und Sittlichkeit, 1935, in: Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reiche, Bd. 61 (1937), S. 117; Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, 1959, S. 12, 44. Larenz, Karl, Sittlichkeit und Recht, in: Reich und Recht in der deutschen Rechtsphilosophie, Bd. 1, 1943, S. 177, 178: Dort heißt es in Bezug auf Dohna, Stammler, Schmoller: „ . . . dem Geiste der liberalen Epoche verhaftete(n) Theoretiker . . . " ; Sauer, Wilhelm, System der Rechts- und Sozialphilosophie, 1949, S. 464; Leo Haas, Rechtsbegriff und Rechtsidee, 1950, S. 3; Erik Wolf, Leben und Werk Gustav Radbruch, in: Radbruch, Rechtsphilosophie, 8. Aufl. 1973, S. 53: „das Erbe Stammlers treu bewahrend"; ders. Nachwort zu Dohnas „Kernproblemen der Rechtsphilosophie", 1959, S. 97: Dohna sei dessen Leitgedanken unablenkbar gefolgt.
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2. Teil: Neukantianische Rechtsphilosophie
engen Bezug zu rechtsphilosophischen Fragen auf 2 . Soweit sie mit den nachfolgend zu behandelnden Themen zusammenhängen, werden sie mitberücksichtigt. Von den vorwiegend rechtsphilosophischen Schriften interessieren hier der Aufsatz über „Die Problemstellung der kritischen Rechtstheorie in ihrem Gegensatz zum Naturrecht und zur historischen Rechtsschule"3, die Festrede über „Die Revolution als Rechtsbruch und Rechtsschöpfung" 4, die Abhandlung „Rudolf Stammler zum 70. Geburtstag" 5 und insbesondere das Buch „Kernprobleme der Rechtsphilosophie" 6 . Die Kernprobleme fassen seine wesentlichen rechtsphilosophischen Aussagen mit Ausnahme der in der Schrift über die Rechtswidrigkeit entwickelten sog. Zwecktheorie zusammen. Die Zielrichtung des Buches besteht darin, ausgehend von dem kritischen Ansatz die einzelnen der Rechtsphilosophie als formale Erkenntnis- und Bewertungsdisziplin zugewiesenen Aufgaben zu entwickeln. Der Rang eines großen Lehrbuchs, welches eine erschöpfende und umfassende Herleitung und Verteidigung des eingeschlagenen Weges gegenüber den zahlreichen Kritikern bieten will, wird nicht beansprucht. Die Rede „Lebenshaltung und Lebensinhalt" zeigt weniger Spuren von der neukantischen Rechtsphilosophie, so wie Dohna deren Aufgabenstellung und Kompetenzreichweite versteht, sondern enthält vielmehr sein parteipolitisches und kulturphilosophisches Glaubensbekenntnis7. In der Literatur haben vorwiegend Einzelaspekte seiner Rechtsphilosophie Beachtung gefunden, so sein Verständnis der Rechtsgeltung und der revolutionären Rechtsentstehung8. Im Gegensatz dazu steht die umfangreiche, in der Sache überwiegend ablehnende literarische Diskussion, die Rudolf Stammler mit seinem Werk hervorgerufen hat 9 . 2 Etwa Die Rechtswidrigkeit als allgemeingültiges Merkmal im Tatbestande strafbarer Handlungen, 1905; Die Elemente des Schuldbegriffs, in: GS 65 (1905), S. 304 324; Willensfreiheit und Verantwortlichkeit, 1907; Der Aufbau der Verbrechenslehre, 1. Aufl. 1963. 3 Ebenda FN 1. 4 Heidelberg 1923. 5 In: Kantstudien Bd. 31 (1926), S. 1 - 26. 6 Zuerst erschienen in: Philosophische Untersuchungen, Bd. 8, Berlin - Wien 1940, Nachdruck: Darmstadt 1959 mit Nachwort von Erik Wolf. 7 In: Referate für den 22. kirchlich-sozialen Kongreß in Königsberg, Erlangen 1919, S. 76 - 102. 8 Nachweise im Text. 9 Hauptwerke Stammlers: Wirtschaft und Recht nach der materialistischen Geschichtsauffassung, 1. Aufl. 1896, 2. Aufl. 1906; Die Lehre von dem richtigen Rechte, Nachdruck der Ausgabe von 1926, Darmstadt 1964; Theorie der Rechtswissenschaft, 1. Aufl. 1911, 2. Aufl. 1923, Nachdruck Aalen 1970; Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1928, Nachdruck Berlin 1970; Rechtsphilosophische Abhandlungen und Vorträge, 2 Bände, 1925. A n Dissertationen über Stammler sind erschienen: Goepel, Gerhard, Über Stamm-
I. Einführung
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Bei der Untersuchung der Rechtsphilosophie Dohnas gehen wir nach Erörterung des „kritisch-transzendentalphilosophischen" Ansatzes von seiner systematischen Aufspaltung der rechtsphilosophischen Fragestellungen aus. Es sind dies die Fragen nach dem allgemeingültigen Rechtsbegriff als Grundlage aller erst dadurch möglichen Rechtserfahrung, dem Wesen der Rechtsgeltung, der revolutionären Rechtsentstehung, der Rechtsidee (Gerechtigkeit) und nach der Rechtfertigung des Rechtszwanges. Dabei werden zunächst die Antworten Dohnas und Stammlers auf Gemeinsamkeiten und sachliche Unterschiede untersucht. In der reichhaltigen Literatur ist gegen Stammler viel zutreffendes gesagt worden, was auch gegenüber Dohna Gültigkeit beanspruchen kann. Allerdings geht es hier nicht um eine umfassende Darstellung, Überprüfung und gegebenenfalls Korrektur der Sekundärliteratur zum Werke Stammlers. Vielmehr gibt die Interpretation Dohnas dazu Anlaß, daß mittelbar bestimmte Aspekte im Werk Stammlers stärker problematisiert werden, als es häufig in der Literatur geschieht. Nicht immer wird die Distanz zur Kantschen Rechtsphilosophie und die Nähe zum realistischen Rechtsbegriff Rudolf v. Jherings gebührend beachtet. Namentlich wird zu fragen sein, ob die Rechtsphilosophie bei Dohna vergleichsweise stärkeren ethischen, kantischen und bei Stammler mehr formallogisch-methodologischen Charakter trägt. Eine weitere Frage betrifft eine etwaige Annäherung Dohnas an den südwestdeutschen, werttheoretischen Neukantianismus. Ferner geht es um die lers Rechtsphilosophie und das Problem der Aufopferung, Jena 1915; Graff, Heinrich, Die Allgemeingültigkeit des Stammlerschen „sozialen Ideals" und seine Bedeutung für die Praxis, Königsberg 1924; Kränzlein, Erich, Die Naturphilosophie Stammlers und das moderne deutsche Rechtsdenken, Erlangen, 1935; Gornickel, Werner, Der Rechtsbegriff bei Stammler im Lichte der Kritik, Berlin 1943 (G. beschäftigt sich nicht einmal mit der Frage, ob Dohna dessen Rechtsbegriff fortgebildet hat); Haas, Leo, Rechtsbegriff und Rechtsidee, Die formalistische Rechtsphilosophie Stammlers und das formale Naturrecht, Freiburg/CH, Diss, phil., 1950; Ciaessen, Herbert, Stammlers Bedeutung für die Theorie des Naturrechts und den Gedanken der Aequitas, Köln 1968. Von den wichtigsten Abhandlungen und Monographien zu Stammler sind zu nennen (weitere Nachweise im Text): Weber, Max, R. Stammlers „Überwindung" der materialistischen Geschichtsauffassung, (1907), in: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, 7. Aufl. 1988, S. 291 - 359; ders. Nachtrag, ebenda S. 360 - 383; Kantorowicz, Hermann, Zur Lehre vom richtigen Recht, in: ARWiP 2 (1908), S. 42 - 73; Breuer, Isaak, Der Rechtsbegriff auf der Grundlage der Stammlerschen Sozialphilosophie, 27. Ergänzungsband der Kantstudien, 1912; Wielikowski, Gamschei Abraham, Die Neukantianer in der Rechtsphilosophie, 1914, S. 26 - 102; Binder, Julius, Rechtsbegriff und Rechtsidee. Bemerkungen zur Rechtsphilosophie Rudolf Stammlers, 1915, Neudruck 1967; Erich Kaufmann, Kritik der neukantischen Rechtsphilosophie, 1921, Neudruck 1964, besonders S. 11 - 20. Über Stammler selbst: Binder, Julius, Dem Andenken Stammlers, in: ARSP 31 (1938), S. 433 - 440; Hesse, Albert, Artikel: Stammler, in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. 10 (1959), S. 15,16; Gerd Kleinheyer/Jan Schröder, Deutsche Juristen aus fünf Jahrhunderten, 3. Aufl. 1989, S. 269 - 271. Kurze Zusammenfassungen seines Werkes finden sich etwa bei: Somlo, Juristische Grundlehre, 2. Aufl. 1927, Neudruck 1973, S. 43 - 48; Larenz, Karl, Rechts- und Staatsphilosophie der Gegenwart, 2. Aufl. 1935, S. 25 - 35; ders. Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl. 1983, S. 83 - 90.
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2. Teil: Neukantianische Rechtsphilosophie
Möglichkeit einer machtpolitischen Instrumentalisierung der formal-idealistischen Lehre vom richtigen Recht. Insbesondere ist der innere Systemwiderspruch zu untersuchen, der darin zu sehen ist, daß bei der Abgrenzung des Rechts von der Willkür als Nichtrecht letztlich dieselben Kriterien verwendet werden wie bei der Unterscheidung zwischen sachlich richtigem und unrichtigem Recht. Dies ist der Ansatzpunkt für die Frage, ob die von Dohna angestellten Überlegungen nicht letztlich doch dahin führen müssen, angesichts von evidenten Unrechtsgesetzen einen ethischen Mindeststandard für den Rechtsbegriff zu verlangen. Beachtenswert ist, daß seine Fortführung der Gedanken Stammlers interpretativ auf einen Mittelweg zwischen klassischem Naturrecht und reinem Rechts- oder Machtpositivismus hinausläuft, wie er in der Fluchtlinie des Kantschen Rechtsprinzips, der späteren Radbruchschen Formel und der objektiven Wertordnung des Grundgesetzes seinen Ausdruck findet. Dieser Mittelweg würde dann die Auflösung des Widerspruches bedeuten, daß Dohna einmal wie Stammler als Komplementärtheoretiker des Positivismus erscheint und dann in seinem Rechtsdenken Kantsche Gedanken aufgreift, die dem eigentlich entgegenstehen10. Der Einzeluntersuchung ist vorauszuschicken, daß der Stil Dohnas von demjenigen Stammlers verschieden ist. Dieser zeigt eine hohe Selbstgewißheit, die letzten Wahrheiten im Bereich der logisch-methodischen Grundlagen und Denkanleitungen für die Rechtswissenschaft aufgespürt zu haben. Gerade in den Spätwerken wird mit einer eigenwilligen Diktion, die sich durch ständige Wiederholung bestimmter Termini wie einheitlich geordnet, Form und Stoff, rein und bedingt, richtig und unrichtig usw. auszeichnet, ein festgefügtes Begriffsgebäude errichtet. Gegen ihn erhobene Einwände werden in diese Begriffswelt übersetzt und von dort aus als unbegründet verworfen. Demgegenüber schreibt Dohna mehr in der Art eines Fragenden, der Erkenntnis als ständig fortschreitenden, nie endenden Entwicklungsprozeß auffaßt. Er anerkennt beispielsweise bei der Abgrenzung des Rechtsbegriffes von anderen Normenkomplexen die Möglichkeit von Unsicherheiten und Unschärfen, was Stammler im Bereich dieser „reinen" Formen eigentlich von sich gewiesen hat.
10 Weiterführend zum rechtsphilosophischen Hintergrund zu Lebzeiten Dohnas z.B. Sauer, Wilhelm, Übersicht über die gegenwärtigen Richtungen in der deutschen Rechtsphilosophie, in: ARWiP Bd. 17 (1923/24), S. 284 - 313; Larenz, Karl, Rechtsund Staatsphilosophie der Gegenwart, 2. Aufl. 1935; zum Neukantianismus z.B. Ueberwegs, Friedrich, Grundriß der Geschichte der Philosophie, Bd. 4,13. Aufl. 1951, S. 416 - 419, 434 - 467; Köhnke, Klaus-Christian, Entstehung und Aufstieg des Neukantianismus. Die deutsche Universitätsphilosophie zwischen Idealismus und Positivismus, 1986.
II. Der „kritisch transzendentalphilosophische" Ansatz
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I L Der „kritisch-transzendentalphilosophische" Ansatz für die Erkenntnis und Bewertung des Rechts 1. Dohna Dohna hat die kritische Methode nur in wenigen Sätzen kurz erläutert. Vielmehr geht er alsbald zur Anwendung auf rechtliche Fragen über, dies ist die Ermittlung der grundlegenden Denkgesetze juristischer Erkenntnis und Bewertung. Es fehlt eine Untersuchung, welche die Tauglichkeit der gewählten Methode gegen die erhobenen bzw. zu erwartenden Einwände sicherstellt. In dem Festbeitrag für Stammler heißt es sogar: „ . . . wer seine Fragestellung nicht akzeptiert, wen es nicht lockt, den eigenen (!) Gedankeninhalt in kritischer Besinnung zu nehmen, der halte sich fern von der Lektüre Stammlerscher Schriften, fern aber auch von ihrer K r i t i k ! " 1 1 . Das heißt aber nichts anderes, als daß der Ausgangspunkt der nachfolgenden Überlegungen tabuisiert und der wissenschaftlichen Diskussion entzogen werden soll. Hier geht es um die Herkunft und Würdigung des kritischen Denkens bei Dohna, nicht des transzendentalphilosophischen, kantischen Denkens überhaupt. Die kritische Methode besteht in der Selbstbesinnung auf den Inhalt unseres Bewußtseins, um in logisch-systematischer Weise die allgemeingültigen, reinen Formen von dem geschichtlich bedingten Stoff zu scheiden12. Diese Trennung ist nur an Hand der Erfahrung möglich, liefert aber Gegenstände, die jenseits aller Erfahrung liegen 13 . Es handelt sich um eine Reflexion auf die besonderen im Subjekt gelegenen Bedingungen, unter denen der menschliche Geist die Beschäftigung mit den Einzelwissenschaften erst aufzunehmen vermag 14 . Es ist die philosophische Großtat Kants gewesen, die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit und den Grenzen wissenschaftlicher Erkenntnis gestellt zu haben 15 . Das Verdienst Stammlers besteht darin, diese transzendentale Denkmethode für die Rechtsphilosophie erschlossen zu haben 16 . 11
Rudolf Stammler zum 70. Geburtstag, in: Kantstudien, Bd. 31 (1926), S. 2. Vgl. Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 14, 42, 43, 47, 48, 50 (Dabei erstrebt die teleologische Fragestellung Einsicht in die apriorische Gesetzmäßigkeit auf sozialem Gebiet.); Die Problemstellung der kritischen Rechtstheorie, in: Int. Woch. 1907, Sp.1209. 13 Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 9. 14 Willensfreiheit und Verantwortlichkeit, 1907, S. 5 - 7 (Das Kausalgesetz bildet als apriorische Denkform die Vorbedingung naturwissenschaftlicher Erkenntnis.); Rudolf Stammler zum 70. Geburtstag, in: Kantstudien Bd. 31 (1926), S. 6 (Die kritische Erwägung hat es nur mit logischen Kategorien zu tun.). 15 Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 7. 16 Rudolf Stammler zum 70. Geburtstag, in: Kantstudien Bd. 31 (1926), S . l , 26, auch S. 6: Stammlers Sozialphilosophie fragt, wie ist Gesellschaft als Gegenstand menschlicher Erkenntnis überhaupt möglich?; Besprechung von Stammler, Rechtsphilosophische Abhandlungen, 1925, in: D L Z 1925, S. 2354. 12
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2. Teil: Neukantianische Rechtsphilosophie
Diese Methode wird dann für den Begriff im Bereich der Verbrechensdogmatik für und der Schuld durchgeführt, immer wird Gedanken haben, wenn wir beispielsweise
des Rechts, der Gerechtigkeit und die Begriffe der Rechtswidrigkeit gefragt, was wir allgemeingültig in von Schuld sprechen.
2. Stammler Auch nach Stammler hat die kritische Zergliederung des Bewußtseins die Aufgabe, die reinen, allgemeingültigen, unwandelbaren Denkformen als Grundarten des Ordnens offenzulegen, welche Wissenschaft als das Ordnen von einzelnen Erlebnissen nach unbedingt einheitlicher Methode zuallererst möglich machen 17 . Dabei ist die reine Einheit (gemeint sind die Formen) nicht transzendent, sondern dem besonderen Erkennen immanent 18 . Diese Äußerung drängt zur Klärung der Frage, ob die „reinen" Formen nun mit bestimmten Menschen als deren Träger verknüpft sind oder nicht. Diese Formen sind nun nicht etwa angeboren, sie führen überhaupt keine abgetrennte Existenz für sich, sondern sie kommen nur innerhalb der geschichtlich bedingten Erfahrung vor und „entstehen für jeden Einzelnen in seinen besonderen (rechtlichen) Erlebnissen" 19 . Die logische Voraussetzung für die isolierte Betrachtung der „reinen" Formen ist die Möglichkeit des einheitlichen Ordnens überhaupt; dabei kommt es auf den besonderen Träger dieses Gedankens nicht an 20 . Nochmals heißt es, daß die reinen Formen nur innerhalb des geschichtlichen Erlebens auftreten und nur in ihm entdeckt werden können. „Von einem Erkennen aus reiner Vernunft her ist also bei der hier befolgten Methode keine Rede. Es handelt sich vielmehr um die kritische Analyse der geschichtlichen Erfahrung. Die Eigenschaft der Reinheit gewisser Gedankeninhalte betrifft nicht ihre Herkunft, sondern ihren Geltungswert ( ! ) " 2 1 . 3. Vergleich und Würdigung Bei der Würdigung der kritischen Methode nach Dohna und Stammler geht es vor allem darum, den philosophischen Gehalt, den Grad der Eigenständigkeit und der Gedankentiefe dieser als Erkenntnistheorie geplanten Grundlegung aller Rechtslehre herauszuarbeiten.
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Vgl. Theorie der Rechtswissenschaft, 1. Aufl. 1911, S. 37; Die Lehre von dem richtigen Rechte, 2. Aufl. 1926, S. 11; Wirtschaft und Recht, 2. Aufl. 1906, S. 112. 18 Theorie der Rechtswissenschaft, 1911, S. 21. 19 Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1928, S. 5. 20 Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1928, S. 9 FN 2. 21 Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1928, S. 10 FN 4.
II. Der „kritisch transzendentalphilosophische" Ansatz
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Auf terminologische Unstimmigkeiten soll geringerer Wert gelegt werden. Dohna spricht bei der Ermittlung der reinen Formen von apriorischen, transzendentalen, also der Erfahrung vorausgehenden und diese zugleich ermöglichenden Denkgesetzen, während Stammler den apriorischen Charakter gerade verneint 22 . Der Sache nach stellt aber auch er als Erkenntnistheoretiker den Anspruch, solche apriorischen, formal-idealistischen Grundlagen aller (Rechts-)Erfahrung zu begründen. Vielmehr bleibt unerklärlich, wie es gelingen mag, anhand der (rechtlichen) Erfahrung reine, also erfahrungsunabhängige, vom geschichtlichen Inhalt freie Formen zu ermitteln, die den Charakter von Kategorien, reinen Verstandesbegriffen, also grundlegenden Bewußtseinsfunktionen besitzen sollen. In der Rechtserfahrung ist bereits eine begrifflich verarbeitete Welt der Normen, Rechtssätze, Rechtseinrichtungen usw. gegeben. Wird nun im Bewußtseinsinhalt, sei es beim Einzelmenschen oder der Menschengattung, Form und Stoff geschieden, bedeutet dies im praktischen Ergebnis, daß allgemeine von besonderen Begriffen geschieden werden, daß es sich bei den „reinen" Formen um empirische Abstraktionen handelt. Bei Dohna wie auch bei Stammler zeigt sich deutlich, daß sie über die Regeln der formalen Logik zur Begriffsbildung nicht hinausgekommen sind 23 . Ein geringfügiger Unterschied besteht insofern, als die reine Formenwelt bei Dohna noch eindeutiger als bei Stammler subjektiv-psychologischen Charakter trägt. Dohna spricht regelmäßig von der Besinnung auf den Inhalt des eigenen bzw. unseres Bewußtseins. A n einer Stelle heißt es zwar in Bezug auf 22 Etwa Dohna, Rudolf Stammler zum 70. Geburtstag, in: Kantstudien Bd. 31 (1926), S. 6; ders. Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 40, 43: „aprioristische Erwägung". Stammler, Wirtschaft und Recht, 2. Aufl. 1906, S. 9, 10: Zur Gewinnung des allgemeingültigen Rechtsbegriffes ist „auf die Tatsache des sozialen Lebens der Menschen zurückzugehen und diese Erfahrung . . . (ist) auf ihre allgemeingültigen Bedingungen zu überprüfen, um unter ihnen die sozialen Grundbegriffe, und so auch den des Rechts, in ihrem notwendigen Aufbau klarzustellen", S. 485: „Der Begriff des Rechts kann und soll nicht a priori gefunden werden". Ders. Die Lehre von dem richtigen Recht, 2. Aufl. 1926, S. 127: Es ist ein „Mißverständnis, als ob diese Forschung es mit einem aprioristischen Suchen und Finden zu tun hätte." 23 Es ist auffällig, daß sich Dohna nicht mit dem Unterschied zwischen formaler Logik und Erkenntnistheorie beschäftigt, obwohl er im Bereich des Rechts eine Letztbegründung der menschlichen Erkenntnisfähigkeit bieten will. Vgl. nur Weber, Max, Stammlers Überwindung der materialistischen Geschichtsauffassung, 1907, in: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, 7. Aufl. 1988, S. 309: Verwechselung der höchsten Generalisationen einer Disziplin mit erkenntnistheoretischen Kategorien a priori; Binder, Julius, Rechtsbegriff und Rechtsidee, 1915, Nachdruck 1967, S. 19, 20, 90, 11: Stammler habe nach Regeln der formalen Logik zur Begriffsbildung nur Allgemeinbegriffe auf empirischer Grundlage geliefert; ebenso Kaufmann, Erich, Kritik der neukantischen Rechtsphilosophie, 1921, Nachdruck 1964, S. 11,12: Verwechselung empirischer Allgemeinbegriffe mit der kategorialen Sphäre. Vgl. allgemein Karl Engisch, Form und Stoff in der Jurisprudenz, in: Beiträge zur Rechtstheorie, 1984, S. 251 - 285 zur Vieldeutigkeit dieses Gegensatzpaares. 4*
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2. Teil: Neukantianische Rechtsphilosophie
die Stammlersche Denkform des Wollens, daß es ein völliges Mißverständnis bedeuten würde, wenn man dieses Wollen als psychischen Prozeß auffassen würde 24 . Aber Dohna versucht nicht einmal, wie es Stammler in den angeführten Stellen getan hat, den Urgrund der transzendentalen Formen in der möglichen Einheit des Bewußtseins überhaupt gleichbedeutend mit der transzendentalen Apperzeption bei Kant zu finden. Stammler sieht sich dann vor das folgende Dilemma gestellt. Einmal können diese Formen als psychologische Größen verstanden werden, so daß deren objektive Verbindlichkeit, um deren Nachweis es Stammler gerade zu tun war, wieder fraglich wird. Soll die subjektiv-psychologische Deutung vermieden werden, verflüchtigen sich die Formen in eine transzendente Geltungswelt, bei der aber dann unklar bleibt, wie sie die empirische Welt zu ergreifen vermögen 25 . Unklar bleibt die Vermittlung zwischen dieser geradezu platonischen Ideenwelt und der erfahrbaren Menschenwelt, wie sich Menschen bei ihrem Denken, Handeln, juristischen Arbeiten bewußtermaßen von diesen angeblich reinen, von empirischen Subjekten losgelösten Formen bedienen sollen. Bei Dohna reduziert sich die kritische Besinnung auf formallogisch-psychologistische Gedankengänge, die folglich zu empirischen Abstraktionen führen. Selbst wenn einzelne Äußerungen gegen diese psychologische Deutung sprechen, bleibt dann das andere Bedenken der transzendenten Isolierung der reinen Formenwelt bestehen. Die kritische Selbstbesinnung Dohnas auf den Inhalt des eigenen Bewußtseins weist damit eine gewisse Ähnlichkeit mit der Erkenntnistheorie John Lockes auf 26 . Locke untersucht in seinem „Essay concerning Human Understanding" den Ursprung, den Umfang und die Grenzen menschlicher Erkenntnis. Er beginnt bei den empirischen Empfindungen des äußeren und inneren Sinnes (sensation and reflection) und steigt dann zur rationalen Komponente der Erkenntnis auf. Nach der Verneinung angeborener Ideen im ersten Buch beschäftigt er sich damit, wie der Mensch zu den Ideen, Vorstellungen oder
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Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 21. Kaufmann, Erich, Kritik der neukantischen Rechtsphilosophie, 1921, 1964, S. 7: „Eine transzendente Welt reiner Formen und Werte soll der empirischen Welt Rückhalt und Sinn verleihen; aber beide Welten werden dualistisch so auseinandergerissen, daß ihr Verhältnis zueinander unbegreiflich wird". Haas, Leo, Rechtsbegriff und Rechtsidee, 1950, S. 56: Stammler vermag im Zuge seines transzendentalen Gedankenganges die Einheit des Bewußtseins nicht auf das individuelle Bewußtsein zu beschränken; die Bewußtseinseinheit verselbständigt sich zu einer formalen, logisch-abstraktiven, gedanklichen Geltungswelt; S. 57: Jeder metaphysiklose Konzeptualismus steht vor der ständigen Gefahr des Abgleitens in einen subjektiven Individualismus und Nominalismus. In der Vermeidung dieser Gefahr liegt die Tendenz, sich in eine abstrakt-logische Geltungswelt zu verflüchtigen, die ihrerseits nur schwer mit der doch vorhandenen empirischen Wirklichkeit sich verbinden will. Diese Ungereimtheiten treten bei Stammler deutlich hervor. 26 Locke, John, Versuch über den menschlichen Verstand, 1690, Bd. 1, Ausgabe Phil. Bibliothek Meiner, 4. Aufl. 1981. 25
II. Der „kritisch transzendentalphilosophische" Ansatz
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Begriffen kommt (II. Buch I. 1.). Der Geist oder das Bewußtsein erscheint zunächst als tabula rasa. Alles Material für die menschliche Vernunft und Erkenntnis stammt allein aus der Erfahrung (II. Buch 12.). Während die äußere Wahrnehmung die sinnlich wahrnehmbaren Objekte dem Geist zuführt, beschäftigt sich die innere Wahrnehmung mit den Operationen des eigenen Geistes27. Diese innere Selbstbeobachtung Lockes ist der Sache nach grundsätzlich nichts anderes als die „kritische" Methode bei Dohna 28 . Diese uneingestandene Nähe zu dem Grundgedanken der Erkenntnistheorie Lockes setzt sich bei Dohna dahin fort, daß sein Rechtsbegriff in einem positivistischen Gewand erscheint. Von hier aus wird sich auch sein sozialutilitaristisches Denken in der Straftheorie, der Kriminalpolitik und der verbrechensdogmatischen Rechtswidrigkeitslehre erklären; es ist dies die Verwandtschaft mit dem (Straf-)Rechtsdenken bei Rudolph v. Jhering, Georg Jellinek und Franz v. Liszt, die ihrerseits von den englischen Utilitaristen in der Nachfolge Lockes angeregt worden sind. Dies leitet dazu über, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zur Kantschen Erkenntnistheorie festzuhalten. Dabei ist das Thema nur darauf zu beschränken, daß Dohna und Stammler von der Feinheit und Differenziertheit der Gedankenführung Kants recht weit entfernt sind. Auf diesen Umstand ist in der Literatur gegenüber Stammler bereits hingewiesen worden 29 . Kant hat in der „Kritik der reinen Vernunft" eine erkenntnistheoretische Fundierung der mathematischen Naturwissenschaften nach dem Vorbilde der Physik Newtons geliefert. In dem Streit zwischen Empiristen und Rationalisten richtet er einen Gerichtshof ein, in dem die Vernunft über die Bedingungen der Möglichkeit und der Grenzen von Erfahrungserkenntnis, also über ihren eigenen Anteil an der Erfahrung und der erfahrbaren Gegenstände, selbst zu Gericht sitzt 30 . Sein Ziel ist dabei, der Metaphysik künftig den sicheren Gang einer Wissenschaft zu erweisen 31 . Erfahrung und damit die Gegenstände derselben sind möglich, wenn das von der Anschauung der rezeptiven Sinnlichkeit gegebene Material mit der Spontaneität der Kategorien unter Vermittlung der transzendentalen Schemata, welche die Anwendung der reinen Verstandesbegriffe auf die von der Anschauung gegebenen Empfindungen sicherstellen, zusammentrifft 32 . Die Dinge an sich können gedacht, aber im Unterschied zu
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Vgl. Locke, Versuch über den menschlichen Verstand, Bd. 1, II. Buch, 1., 2., 6., 9. und 11. Kapitel. 28 Locke, Versuch über den menschlichen Verstand, Bd. 1, S. 109. Stammler hat sich in seinen Hauptwerken nicht einmal mit Locke beschäftigt, wohl weil er sich als Kritizist weit entfernt von den Empiristen wähnte. 29 Vgl. oben die Nachweise FN 23, 25. 30 Kant, Kritik der reinen Vernunft, Vorrede zur 1. Aufl. 1781, (Ausgabe Weischedel/ Suhrkamp), S. 13, 15, 16. 31 Kant, Kritik der reinen Vernunft, Vorrede zur 2. Aufl. 1787, S. 20, 29.
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2. Teil: Neukantianische Rechtsphilosophie
den Erscheinungen nicht erkannt werden, da den Begriffen das von der Anschauung gegebene Material fehlt 33 . In der „Kritik der Urteilskraft" wird u.a. die Biologie in ihrer Besonderheit erkenntniskritisch fundiert, indem die regulative Verwendung des teleologischen Denkens als Ergänzung des mathematisch-kausal-mechanischen Denkens begründet wird, ohne daß das für bestimmte Einzelwissenschaften charakteristische Beziehen auf Zweckmäßigkeiten nun in den Rang einer Kategorie erhoben wird 3 4 . Gewiß weist die Fragestellung und die Trennung von Form und Stoff bei Dohna und Stammler in die Richtung Kantschen Denkens 35 . Aber Kant ist wesentlich differenzierter vorgegangen, um die Gedankentiefe eines transzendentalphilosophischen, formal-idealistischen Denkens zur Begründung objektiv-verbindlicher Erkenntnisse zu erreichen. Demgegenüber ist es geradezu unkantisch, eine spezielle Wissenschaft wie die Jurisprudenz auf ihre speziellen Bedingungen zu untersuchen, und die gewonnenen Ergebnisse als Kategorien oder reine Formen mit einer besonderen, ihr gar nicht zustehenden Dignität auszustatten. Dohna hat sich ausgehend von Kant überhaupt nicht mit der Problematik auseinandergesetzt, ob alle Erkenntnis der Wirklichkeit restlos in das Denken nach vorwirklichen Begriffen ohne die rezeptive Anschauung als zweite Erkenntnisquelle aufgelöst werden kann. Dohna und Stammler haben sich nicht mit dem Grundproblem aller Erkenntnistheorien beschäftigt, welches darin besteht, daß eine sichere Letztbegründung der menschlichen Erkenntnis- oder Einsichtsfähigkeit wiederum nur mit Hilfe des eben zu untersuchenden menschlichen Erkenntnisapparats zu bewerkstelligen ist 36 . Es ist das Problem, daß eine Erkenntnistheorie nicht 32 Kritik der reinen Vernunft, 1781, S. 84f., 91f. (Transzendentale Ästhetik), S. 109f., 170, 187f. (Transzendentale Analytik). 33 Kritik der reinen Vernunft, 1781, S. 77f., 89. 3 4 Kritik der Urteilskraft, 1790, §§ 67, 75, 77; Kritik der reinen Vernunft, 1781, S. 116 - 121 (Von den reinen Verstandesbegriffen oder Kategorien). 35 Zum Verständnis Kants der Begriffe Form und Materie Kritik der reinen Vernunft, 1781, S. 69f., 127, 289. 36 Vgl. dazu Jaspers, Karl, Die großen Philosophen, 1988, S. 435: zur unüberwindbaren Grundschwierigkeit, die in der Natur der Kantschen Erkenntnistheorie liegt: „Er befragt die Subjekt - Objekt - Spaltung, aber jede Frage und jede Antwort muß innerhalb dieser Spaltung stattfinden. Denn immer wird vom Denkenden etwas gedacht. Will Kant über diese Spaltung hinausdenken in den Grund, aus dem sie erwächst, so kann er es nur durch Denkformen in Gegenständlichkeiten, die selber dieser Spaltung angehören". Auch S. 439: Kant „will das Subjekt - Objekt - Verhältnis, in dem wir denkend stehen, begreifen, als ob wir außerhalb stehen könnten, während wir immer darin bleiben". Dreher, Eduard, Die Willensfreiheit, 1987, S. 380: Jede Erkenntnistheorie ist schon an der Wurzel zum Scheitern verurteilt. Der Mensch ist außerstande, seine Fähigkeit zu objektivem Erkennen als solche abstrakt zu überprüfen. „Es stände uns nämlich dafür als Werkzeug eben und gerade nur diese Erkenntnisfähigkeit zur Verfügung, deren Qualität und Leistung es doch zu untersuchen gilt. Wir müßten also unsere Fähigkeit zu objektivem Erkennen zunächst als gegeben ansehen, um ein zutreffendes Resultat der
III. Begriff und Geltung des Rechts
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radikal voraussetzungslos vorgehen kann. Vielmehr sieht sich immer wieder zur hypothetischen Annahme gedrängt, daß es menschliche Erkenntnisfähigkeit gibt, obwohl sie gerade deren Instrumente und deren Grenzen der Leistungsfähigkeit in objektiv-verbindlicher Weise sicherstellen will. Es sei hier dahingestellt, ob eine Erkenntniskritik überhaupt sichere Ergebnisse zeitigen mag. Jedenfalls haben Dohna und Stammler dieses Kap Horn aller Erkenntnistheorie nicht einmal ansatzweise umschifft. Für den kritischen Ansatz bei Dohna ergibt sich als Ergebnis, daß dieser nicht die Tiefe des transzendental-erkenntniskritischen Denkens bei Kant erreicht, vielmehr nur auf psychologischer Ebene das Programm formallogischer Regeln des Denkens formuliert. Allerdings untersucht er anschließend nicht den sog. Justizsyllogismus und methodische Probleme der Auslegung lückenhaften Gesetzesrechts - letzteres geschieht inzidenter namentlich in der Schrift über die Rechtswidrigkeit - , sondern wendet sich dem Rechtsbegriff und der Rechtsidee mit den zugehörigen Einzelfragen zu.
I I I . Begriff und Geltung des Rechts: Eine positivistische Macht- und Gehorsamstheorie des Rechts L
Dohna
Die kritische Rechtstheorie hat die Fehler sowohl des klassischen Naturrechts als auch der historischen Rechtsschule zu vermeiden. Die erste Lehre wähnte, eine ideale Rechtsordnung in Paragraphen auszuprägen, die für alle Zeiten und Völker gültig im Sinne von geltend wäre. Die zweite Lehre beschränkte sich auf die Erforschung und Ausdeutung des geltenden Rechts, ohne es zu einem spekulativ gewonnenen Ideal in Beziehung zu setzen37. Ausgehend von der kritischen Selbstbesinnung auf den Inhalt unseres rechtlichen Bewußtseins können nur formale Ergebnisse, „jene gewissen reinen Rechtsgedanken", allgemeingültig sein 38 . Der Begriff des Rechts geht als solch ein reiner Begriff aller Erfahrung voraus, ist also unabhängig von der inhaltlichen Eigenart der historisch auftretennoch ausstehenden Prüfung annehmen zu können. Das aber wäre eine unzulässige Unterstellung". 37 Die Problemstellung der kritischen Rechtstheorie in ihrem Gegensatz zum Naturrecht und zur historischen Rechtsschule, in: Int. Woch. 1907, Sp. 1209; Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 58 - 62. Diese Frontstellung auf dem Gebiet der Rechtslehre wird in Parallele zur Aufgabe des Gerichtshofes der Vernunft in der Kantschen Kritik der reinen Vernunft gesehen. Sie findet sich ebenfalls bei Lask, Rechtsphilosophie, in: Gesammelte Schriften, Bd. 1, 1923, S. 278 - 291 (Zuerst erschienen in Festschrift für Kuno Fischer, 1905). 38 Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 8.
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2. Teil: Neukantianische Rechtsphilosophie
den, sehr verschiedenartigen Rechtssätze. Der Inhalt eines gegebenen Rechts wird erst bedeutsam, wenn gefragt wird, ob es der Bestimmung des Rechts, der Rechtsidee, dem Recht, wie es sein sollte, genüge tut. Jedoch ist zu beachten, daß kein inhaltlich ausgefüllter Rechtssatz unbedingte und uneingeschränkte Gültigkeit beanspruchen dürfte 39 . Die Einsicht in die notwendige Bedingtheit jedweden Gesetzesinhalts und das Postulat einer mit unbedingter Gültigkeit ausgestatteten Rechtsidee bilden die Voraussetzungen aller rechtsphilosophischen Konstruktion. Die Gültigkeit dieser Idee ist von der Geltung des positiven Rechts verschieden. Die Idee ist konstant und unwandelbar, hat eine regulative Funktion, indem sie gegenüber der zeitlich bedingten Wirksamkeit einer empirischen Rechtsordnung die Aufgabe eines Richtmaßes und vorbildlichen Zieles übernimmt 40 . Der Dualismus zwischen Rechtsbegriff und Rechtsidee, zwischen juristischer Logik und Ethik sowie die Beschränkung auf die Gewinnung formaler, allgemeingültiger, apriorischer Strukturgesetze des juristischen Denkens bildet somit das Programm der Dohnaschen Rechtsphilosophie. Zur Bestimmung des Rechtsbegriffes wird die Methode der Abstraktion verworfen. Vielmehr ist nach den Regeln der Logik der höhere Gattungsbegriff und sind dann die Differenzmerkmale von anderen Arten der gleichen übergeordneten Gattung zu bestimmen. Ausgehend von solchen Sätzen, denen wir ohne Besinnen den Charakter objektiv-rechtlicher Vorschriften zusprechen, ergibt sich als Gattungsbegriff: Das Recht ist eine besondere Art der Regelung des menschlichen Gemeinschaftslebens. Das Recht hat sich als soziale Regel oder Norm erwiesen 41. Das Wesen der Rechtsnorm wird im Gegensatz zum Naturgesetz entwickelt. Die Norm ist ein Maßstab der Beurteilung, den wir an unser Denken, Fühlen und Wollen anlegen, um innerhalb desselben das richtige Verhalten von dem mißbilligenswerten zu scheiden42. Zugleich dient die Norm als Motivationsfaktor, als Bestimmungsgrund für menschliche Willensentschlüsse43. Die Normen und damit auch das Recht gehören zum Reich des Sollens, der Zwecke, der Werte, der Kultur im Gegensatz zur Natur als dem Inbegriff aller wahrnehmbaren Erscheinungen 44. Das Naturgesetz ist ein Mittel der Naturerkenntnis. 39 Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 8, auch S. 12, 69: Man hat nur die Wahl zwischen allgemeingültigen formalen Erkenntnissen und bloß relativ gültigen Bekenntnissen zu bestimmten empirisch bedingten Zielen. 40 Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 61, 62. 41 Die Problemstellung der kritischen Rechtstheorie, in: Int. Woch. 1907, Sp. 1201. 42 Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 14. 43 Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 46; Die Elemente des Schuldbegriffs, in: GS 65 (1905), S. 317, 318. Dohna ist damit vor allem von Windelband beeinflußt worden; Normen und Naturgesetze (1882), in: Präludien, 7./8. Aufl. 1921, S. 65 74. Vgl. die Auswirkungen dieses Normverständnisses auf die strafrechtliche Rechtswidrigkeitslehre, 3. Teil, E., I I I . , 4., e).
III. Begriff und Geltung des Rechts
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Die Unverbrüchlichkeit von Naturgesetzen gilt uns als Axiom, als unverzichtbare Bedingung für alles einheitliche Ordnen unserer Wahrnehmungen im Sinne der Verknüpfung von Ursache und Wirkung. Wenn die Erfahrung einen Widerspruch zu einem bisher in Geltung stehenden Naturgesetz aufweist, ist der Beweis erbracht, „daß jenes vermeintliche Naturgesetz in Wahrheit nicht gilt und nie gegolten hat, daß ein Irrtum unterlaufen ist". Das Naturgesetz wird korrigiert. Dagegen kommen Verstöße gegen Normen der Moral oder des Rechts allenthalben vor und tun ihrer Geltung keinen Abbruch 45 . Der Gegensatz von Sein und Sollen bezeichnet im Anschluß an Kelsen eine formallogische Verschiedenheit von allgemeinen Denkbestimmungen, unter denen wir alle Objekte bezeichnen können. In den Grenzen der formallogischen Betrachtung sind beide Welten durch eine unüberbrückbare Kluft getrennt 46 . Dohna vertritt damit einen strikten Methodendualismus. Aber ganz beziehungslos stehen sich diese beiden Betrachtungen doch nicht gegenüber, wenn es wenig später heißt, „daß das richtige Denken, Fühlen und Wollen sich darstellt als ein unter bestimmten wertenden Gesichtspunkten erfolgender Ausschnitt aus dem möglichen Verhalten" 47 . Die Erörterung über das Wesen der Norm endet in den abschließenden Bemerkungen: „Es ist überall der gleiche Gegensatz, der sich in den Antithesen: Sein und Sollen, Wirklichkeit und Wert, Kausalität und Telos, Natur und Zweck, Wahrnehmen und Wollen, Geschehen und Bewirken, explikativer und normativer Methode, Realität und Idealität ausdrückt". Das Gesamtgebiet der menschlichen Erkenntnis zerfällt in zwei völlig getrennte Bereiche: es ist dies einmal das Reich der Natur, die Welt unserer Wahrnehmungen, die Realität. Die Blindheit gegenüber dem Wert gibt aller naturwissenschaftlichen Arbeit das Gepräge. Der andere Bereich läßt sich nach Gegenstand und Methode durch die Beziehung auf Werte bestimmen. Der Naturwissenschaft wird nach dem Vorgange Rickerts die Kulturwissenschaft gegenübergestellt und dorthin ist das Recht als Kulturgebilde einzuordnen 48 . Die zweite Aufgabe besteht darin, die Eigenart der sozialen Regel im Unterschied zur Sittlichkeit oder Moral zu bestimmen. Soziale Regeln und damit auch das Recht bilden eine Art menschlicher Zwecksetzung. Sie beziehen sich 44 Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 15, 21. Vgl. zum Gegensatz von Normen und Naturgesetzen etwa Kelsen, Hans, Reine Rechtslehre, 2. Aufl. 1960, Nachdruck 1983, S. 79 - 86; Popper, Karl, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 1,6. Aufl. 1980, S. 91 -93. 45 Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 15, 46. 46 Kernprobleme, S. 14,15; Kelsen, Hans, Reine Rechtslehre, 2. Aufl. 1960, S. 5, 6. 47 Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 17. Dieser Methodendualismus wird gleichbedeutend auch als Gegensatz der kausalen und der teleologisch-normativen Betrachtungsweise bezeichnet; ebenda S. 18,19; Rudolf Stammler zum 70. Geburtstag, in: Kantstudien Bd. 31 (1926), S. 14 - 18. 48 Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940; Rickert, Heinrich, Kultur- und Naturwissenschaft, 3. Aufl. 1915, S. 20; M . E. Mayer, Rechtsphilosophie, 1922, S. 34. 4 9 Entfällt.
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2. Teil: Neukantianische Rechtsphilosophie
auf eine Vielheit von Menschen, die durch das Zusammenleben im Dienste gemeinsamer, kultureller Zwecke zu einer Gesellschaft verbunden sind. Im Begriff der Gesellschaft wird die Vorstellung einer äußeren Regelung als bedingendes Merkmal mitgedacht 50 . Die Abgrenzung zwischen sozialen bzw. rechtlichen und sittlichen Normen kann nun nicht nach dem Gegenstand der Beurteilung erfolgen. Es gibt keine Lebensbereiche - Dohna nennt z.B. Freundschaft, geselligen Verkehr, Intimitäten des Familienlebens - , die dem Zugriff rechtlicher Regelung a priori entzogen sind; ein Staat kann den Anspruch auf Totalität erheben. Wo sich die staatliche Gesetzgebung des Eingreifens enthält, „beruht es auf ihrer freien Entschließung". Zwar bedeutet es „eine unrichtige Betonung eines im Prinzip zutreffenden Gedankens, wenn man das äußere Verhalten rechtlicher, das innere sittlicher Wertung unterstellt". Dohna stimmt Radbruch zu, daß auch das innere Verhalten rechtlich gewürdigt werden kann, aber eben in seiner Bedeutung für die Gemeinschaft 51. Der begriffliche Gegensatz zwischen Recht und Sittlichkeit besteht aber „in dem Vorhandensein oder im Fehlen einer Beziehung des individuellen Verhaltens zu der sozialen Gemeinschaft und in der damit verbundenen Alternative der Möglichkeit bzw. Unmöglichkeit seiner zwanglichen Durchsetzung" 52 . Die dritte Aufgabe besteht darin, dem Recht innerhalb der sozialen Regelungen seinen besonderen Platz anzuweisen, es also von der Sitte und Willkür abzugrenzen 53,. So wenig deutlich schon die Grenzen zwischen Recht und Sittlichkeit verliefen, so sind die Schwierigkeiten der Scheidung von Recht und Sitte „noch sehr viel größer" 54 . Dohna wendet sich gegen Jhering, der das Recht als den Inbegriff der in einem Staate geltenden Zwangsnormen bestimmt hat. Zunächst muß sich die Rechtsordnung neben den seltenen Fällen physischer Erzwingbarkeit der Rechtspflichten meistens mit einem Surrogat der eigentlichen Pflichterfüllung begnügen. Ferner fehlt beispielsweise dem Völkerrecht und dem Staatsrecht hinsichtlich der Rechtspflichten der höchsten Staatsorgane die Möglichkeit zwangficher Effektuierung. Richtigerweise ist auf den von der Norm erhobenen Geltungsanspruch abzustellen. Der eine Normenkomplex, das Recht, gewährt dem anderen, der Sitte, Raum nach eigenem souveränen Ermessen. „Die Sitte lebt von der Gnade des Rechts" ; das Recht legt die Grenzen seines eigenen Bereichs, ohne den Betroffenen um seine Zustimmung zu fragen, 50
Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 21, 22. Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 31; Radbruch, Rechtsphilosophie, 8. Aufl. 1973, hrsg. von Erik Wolf und Hans Peter Schneider, S. 127 - 128. 52 Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 33. 53 Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 14, 29, 37. 54 Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 30. 51
III. Begriff und Geltung des Rechts
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selbstherrlich fest. Demgegenüber stellt die Sitte den Anspruch, „daß ihr nur diejenigen eingeordnet sind, die sich ihr freiwillig fügen". Die Selbstherrlichkeit des Rechts bedeutet, daß es von sich aus bestimmt, wer seiner Autorität unterworfen sein, wieweit diese Unterwerfung reichen und in welchem Umfang von dem Zwangsapparat Gebrauch gemacht werden soll 55 . Mit anderen Worten: „Es gibt für den Einzelnen kein Entrinnen aus der Gewalt des Staates". Diese „dem Prinzip nach unbegrenzte (!) Unterordnung des Individuums unter den Willen der Gemeinschaft . . . ist in der Tat ein ganz brutales Verhältnis... ". Im gesamten Leben eines Menschen „kommt kein Tag, an dem er vor die Wahl gestellt würde, ob diese Zugehörigkeit zur sozialen (gemeint: staatlichen) Gemeinschaft ihm behagt oder nicht, ob er sie fortsetzen will oder nicht. Er ist Staatsbürger nicht kraft eigener Wahl, sondern auf Geheiß des Staates, und er ist es so lange, wie es dem Staat beliebt" 5 6 .
Bei der Abgrenzung einer Rechtsordnung von der Herrschaft einer Räuberbande geht es darum, in formaler Hinsicht „die Willkür als eine dem Rechte begrifflich entgegengesetzte Form der Befehlserteilung" zu erweisen. In diesem Zusammenhang meint Willkür weder eine sachlich unrichtige Regelung noch eine bestimmte Art und Weise der Einführung einer neuen Ordnung, etwa im Wege des Bruchs des vormals geltenden Rechts. Entgegen Somlo, der das Recht als „die Normen einer gewöhnlich befolgten, umfassenden und höchsten Macht" definiert, kommt es auch nicht auf die faktische Geltung und die Herkunft einer Norm an. Die Geltung ist kein Begriffsmerkmal des Rechts: Die formal-logische Untersuchung der Struktur von verschiedenen Normenkomplexen und die faktisch-psychologische Wirksamkeit von Normen sind zwei völlig disparate Gesichtspunkte. Die Herkunft einer Norm kann nicht über die Klassifikation entscheiden, da der Begriff des Staates den des Rechts „offensichtlich" voraussetzt und da außerdem der Staat nicht die einzige Quelle der Rechtssätze ist 57 . Entscheidend ist die Art des Geltungsanspruchs: Das objektiv gemeinte Verpflichten steht im Gegensatz zur Unterwerfung eines fremden Willens unter ein bloßer subjektiver Laune entspringendes Zwangsgebot 58 . Zwar fließen bei absolut oder gar despotisch regierten Staaten die Grenzen zwischen rechtlicher und willkürlicher Gewalt „kaum unterscheidbar" ineinander. Das Recht beansprucht, für alle diejenigen eine objektive und allgemeinverbindliche Ordnung darzustellen, „die es selbstherrlich seinem Willen unterwirft". Die bloße Gewaltschaft „stellt die bestehende rechtliche Ordnung 55 Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 34 - 36, 49, 88; Jhering, Der Zweck im Recht, Bd. 1, 1877, S. 249, 399. 56 Verantwortung und Recht, in: Gesetz und Freiheit, hrsg. von Graf Hermann Keyserling, 1926, S. 70, 71. 57 Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 38, 40; Die Revolution als Rechtsbruch und Rechtsschöpfung, 1923, S . l l , 12; Somlo, Juristische Grundlehre, 2. Aufl. 1927, Neudruck: 1973, S. 105. 58 Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 42, 43.
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2. Teil: Neukantianische Rechtsphilosophie
nicht grundsätzlich in Frage". Sie will nur an diese Ordnung nicht gebunden sein 59 . Somit bedeutet nach der abschließenden Definition das Recht „eine besondere Art der Regelung des Gemeinschaftslebens". Die Besonderheit liegt einmal in dem Anspruch, „von sich zu bestimmen, wer der Gemeinschaft eingeordnet sein und in welchem Umfang von dem Zwang Gebrauch gemacht werden soll". Die zweite Besonderheit besteht darin, daß es eine „objektive Ordnung" darstellt, „welche alle Glieder der Gemeinschaft gleichmäßig umfaßt und neben sich keine gleichberechtigte Ordnung duldet" 6 0 . Bei dem Wesen der Geltung des Rechts handelt es sich um ein bestimmtes Maß faktischer Durchsetzbarkeit. Geltung bedeutet, daß die Verknüpfung von Mitteln und Zwecken füreinander, die im Rechtsbegriff bloß möglich war, nun wirklich wird. Die oberste Autorität, die den Anspruch auf Rechtsgeltung stellt, kann nicht alleine über das In-Geltung-Stehen der Normen entscheiden. Dazu kommt es auch auf das Verhalten derjenigen an, die den Geboten der Rechtsordnung Gehorsam schulden. Die Geltung erfordert eine bestimmt geartete Anerkennung durch die Rechtsgenossen61. Im folgenden wird dies näher bestimmt, wobei die Erfordernisse der Anerkennung immer mehr ausgedünnt werden. Eine fallweise besondere Anerkennung jeder einzelnen rechtlichen Anordnung ist nicht erforderlich; vielmehr sind mit der Gesamtrechtsordnung alle zugehörigen Einzelnormen implicte anerkannt, einschließlich derjenigen, die dem Rechtsunterworfenen gar nicht in das Bewußtsein getreten sind. Nicht einmal ein Jurist kennt die Rechtsordnung in allen ihren Teilen. Bei der Geltung ist sowohl die Seite der Rechtshoheit als auch die Seite der Rechtsunterworfenen zu beachten. „Nicht auf das jeweilige Einverständnis mit dem rechtlichen Inhalt, sondern auf die Unangefochtenheit der Rechtsherrschaft kommt es an". Letzteres „ist sogar mit innerlicher Ablehnung einer besonderen, vom Gesetzgeber getroffenen Entscheidung sehr wohl verträglich. Auch wer etwa die parlamentarische Demokratie, die Verbindlichkeit der Tarifverträge oder das Gesetz zum Schutze der Republik als ungeeignete und zweckwidrige Gestaltungen erachtete, wußte sich durch sie gebunden. Und heute fügen sich ungezählte Beamte in die ihnen erteilte Entlassung, weil sie die Geltung der Normen respektieren, auf denen die Maßnahme beruht. Anerkennung bedeutet eben nicht Zustimmung; es genügt das Bewußtsein des Verpflichtetseins".
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Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 44; Die Revolution als Rechtsbruch und Rechtsschöpfung, 1923, S. 12, 13. 60 Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 45. 61 Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 47 - 49. Dabei unterstellt Dohna unrichtigerweise Bierling, zuerst eine Anerkennungstheorie entwickelt zu haben. Diese geht auf Carl Theodor Welcker zurück: Die letzten Gründe von Recht, Staat und Strafe, Gießen 1813; dazu Schreiber, Hans-Ludwig, Der Begriff der Rechtspflicht. Quellenstudien zu seiner Geschichte, 1966, S. 85 - 90.
III. Begriff und Geltung des Rechts
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Dieses Bewußtsein ist regelmäßig bei Zuwiderhandlungen gegen Rechtsvorschriften vorhanden. Solche Anerkennung fehlt erst dann, wenn jemand als ÜberzeugungsVerbrecher, vor allem ein Anarchist, der Rechtsordnung als Gesamtinstitution den Kampf angesagt hat. Dieser will in seinem Verhalten keine bloße Ausnahme von der Norm zu seinen Gunsten machen, sondern will eine allgemeinverbindliche Norm an deren Stelle setzen bzw. er verleugnet rechtliche Gebundenheit überhaupt und prinzipiell 62 . Aber die Ausnahmslosigkeit der Anerkennung seitens der Rechtsunterworfenen bildet kein Erfordernis der Geltung. Es reicht aus, wenn die Rechtsordnung die Kraft hat, „sich auch solchen Elementen gegenüber zu bewähren", und wenn sie im Rechtsbewußtsein der Gesamtheit - gemeint ist wohl der überwiegende Teil der Bevölkerung - ihre Stütze findet 63 . 2. Stammler Wahrnehmen und Wollen sind die beiden grundlegenden, bedingenden Weisen des Ordnens des Bewußtseinsinhalts. Damit sind die beiden Möglichkeiten gegeben, die Beziehungen zu Gegenständen vorzustellen. Die erste Methode ordnet die Wahrnehmungen in kausaler Weise, die andere besagt das Auswählen von Mitteln zur Verfolgung von Zwecken und betrachtet also die menschlichen Strebungen, die Verknüpfung einer auszuwählenden Ursache für die Herbeiführung eines zu bewirkenden Gegenstandes, in finaler, teleologischer Hinsicht. Diese beiden reinen Denkformen konstituieren die Bereiche der Natur- und Zweckwissenschaften mit je eigener Gesetzmäßigkeit 6 4 . „Der Gedanke des Rechts bedeutet eine Art des Wollens" 65. Im Bereich der reinen Formen geht es darum, das Recht von anderen Arten des Wollens in allgemeingültiger, damit exakter Weise nach formalen Gesichtspunkten abzugrenzen. Die Abgrenzung zur Sittlichkeit oder Moral geschieht durch das Merkmal des Verbindens. Das verbindende Wollen bestimmt „ein mehreres Wollen als Mittel füreinander" und steht damit über den durch von ihr verbundenen Bestrebungen. Das getrennte oder innere Wollen betrachtet die wünschenden Gedanken des einzelnen Menschen, somit die Begehrungen eines Menschen als Mittel untereinander ohne Bezug auf das gesellschaftliche 62 Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 50, 51; Verantwortung und Recht, in: Gesetz und Freiheit, hrsg. von Graf Hermann Keyserling, 1926, S. 80, 81. Vgl. zu dem Beispiel der entlassenen Beamten, Schreiber, Rupert, Die Geltung von Rechtsnormen, 1966, S. 88: Die Beamten sind zu einem bestimmten Verhalten nicht eigentlich verpflichtet worden; sie wissen, daß sie gehen müssen und sich gegenüber dem Stärkeren nicht wehren können. 63 Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 51. 64 Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1928, Neudruck 1970, S. 8 - 10, 56 - 59. 65 Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1928, S. 65.
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2. Teil: Neukantianische Rechtsphilosophie
Zusammenleben 66 . Im Bereich des verbindenden oder sozialen Wollens unterscheidet sich das Recht von der Sitte oder den Konventionalregeln durch das Merkmal des selbstherrlichen Geltungsanspruchs. Das entscheidende Bestimmen kann entweder dem verbindenden Wollen selbst oder den Verbundenen überlassen werden. Beim selbstherrlichen Wollen ist es ein Verbinden von bleibender Bestimmtheit und bei der einladenden Konventionairegei ein solches von Fall zu Fall 6 7 . Es ist der Unterschied zwischen der autokratischen Satzung und der hypothetisch geltenden Norm. Das Recht erhebt den Anspruch, ganz unabhängig von der Zustimmung der Unterworfenen zu gelten, und bestimmt dabei selbst, wer seinen Regelungen unter welchen Voraussetzungen unterworfen ist und wann er ausscheiden darf. Die Konventionairegel beansprucht nur, infolge der Einwilligung der Unterstellten zu gelten 68 . Der Gegensatz des Rechts zur Willkür kann nicht nach der Güte des Inhalts der sozialen Regeln begriffen werden, sondern nur durch das Merkmal der Unverletzbarkeit, ob das verbindende (selbstherrliche) Wollen als Einzelheit, von Fall zu Fall oder in bleibender Art gedacht ist 69 . Ein willkürlicher Machtbefehl liegt vor, wenn ihn der Befehlende selbst gar nicht als objektiv bindende Regelung menschlicher Verhältnisse erachtet, der somit nichts von einer Bindung des Befehlenden an seinen Befehl an sich trägt, der also nur die Bedeutung der Befriedigung subjektiver Wünsche des Gewalthabers durch ledigliche Bindung anderer besitzt. Dagegen will beim Recht der Gebietende an die von ihm erlassene Regel auch selbst gebunden sein. Will er diese Bindung wieder aufheben, muß er erst jenen Befehl wieder aufheben 70 . Auch eine Despotie bedeutet danach einen rechtlichen Zustand, weil diese aus einem einzigen, im voraus allgemein aufgestellten Paragraphen besteht, daß „die rechtlichen Beziehungen unter den Rechtsunterworfenen . . . lediglich nach der konkreten Entscheidung des Herrschers im einzelnen Falle beurteilt und durchgeführt" werden 71 . Somit lautet die abschließende Definition: „Recht ist die ihrem Sinne nach unverletzbar geltende Zwangsregelung menschlichen Zusammenlebens" oder gleichbedeutend: „Recht ist das unverletzbar selbstherrlich verbindende Wollen" 7 2 . 66
Theorie der Rechtswissenschaft, 1. Aufl. 1911, S. 74 - 80 (I. 9.). Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1928, S. 85. 68 Wirtschaft und Recht, 2. Aufl. 1906, S. 124, 125. 69 Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1928, S. 91, 92. 7 ° Wirtschaft und Recht, 2. Aufl. 1906, S. 487 (§ 87). Übereinstimmend Jherings Unterscheidung zwischen einseitig und zweiseitig bindenden Normen, in: Der Zweck im Recht (1. Aufl. 1877), abgedruckt in: Begriff und Wesen des Rechts, hrsg. von Werner Maihofer, 1973, S. 188. 71 Wirtschaft und Recht, 2. Aufl. 1906, S. 507 (§ 91); ebenso Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1928, S. 93 (§ 48): „Aber freilich kommt der Despotismus in so nackter Gestalt, wie er hier hypothetisch eingeführt wurde, nirgends vor". Ebenso Recht und Willkür, 1895, in: Rechtsphilosophische Abhandlungen und Vorträge, Band 1, 1925, S. 85 - 118, S. 117 Anm. 7. 67
III. Begriff und Geltung des Rechts
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Die Lehre von der Geltung des Rechts stellt eine psychologische Ergänzung der kritischen Erwägung des Rechtsbegriffes dar. Nur positives Recht als die Zusammenfassung aller nach dem formalen Rechtsbegriff bestimmten Willensinhalte kann zur Zeit oder nicht mehr oder noch nicht in Geltung stehen. Das Gelten eines Rechts besteht in der Möglichkeit seiner Durchsetzung, wobei es sich um die Betätigung eines rechtlich bestimmten Wollens in der empfindbaren Wirklichkeit handelt 73 . Die Möglichkeit der Durchsetzung verweist auf die graduell abstufbare Erörterung der Macht, also auf eine subjektiv-(massen-) psychologische Beschreibung von Erlebnissen 74. Zu jedem Gelten des Rechts gehört in psychologischer Hinsicht die Anerkennung, „ob bei gewissen Menschen die Überzeugung besteht, daß ein rechtlicher Zustand für ihre Verbindung verwirklicht ist" 7 5 . 3. Vergleich und Würdigung Dohna sagt selbst, daß er sich bei der Entwicklung des Rechtsbegriffes und der Geltungslehre eng an Stammler orientiert hat. Abgesehen von seiner Modifikation der „Unverletzbarkeit" soll seine Definition des Rechts in anderer Ausdrucksweise mit derjenigen Stammlers sachlich übereinstimmen. Es will scheinen, als könnten wir uns damit begnügen, den gegen Stammler zutreffend erhobenen Einwand einer positivistischen Begriffsbestimmung gegenüber Dohna zu wiederholen. So zutreffend dies ist, dennoch sind einige Punkte hervorzuheben. Vorab sei bemerkt, daß die teilweise Übernahme des südwestdeutschen Sprachgebrauchs (Kultur und Natur, Werte) nicht als sachliche Annäherung erscheint, sondern eher als recht oberflächliche Nivellierung. Dohna verwendet die Gattungsbegriffe Norm und Wollen gleichbedeutend, obwohl beide Ausdrücke im Hinblick auf die Gewinnung einer Definition des Rechts eher nach dem Sprachgebrauch einen verschiedenen Sinngehalt aufweisen. Der Ausdruck Norm meint im Bereich des Rechts und der Ethik einen Satz, der ein Sollen ausdrückt. Damit ist idealtypisch die Vorstellung einer sachvernünftigen Sollenswahrheit verknüpft, die für die Normadressaten deshalb eine höhere Verpflichtungskraft als ein bloßes Müssen zu begründen ver72 Das erste Zitat in: Wirtschaft und Recht, 2. Aufl. 1906, S. 488 (§ 87); das zweite Zitat in: Theorie der Rechtswissenschaft, 1. Aufl. 1911, S. 113 (I. 16) und Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1928, S. 93. 73 Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1928, S. 147 - 149; Theorie der Rechtswissenschaft, 1. Aufl. 1911, S. 116 - 119 (II. 2). 74 Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1928, S. 152. 75 Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1928, 1970, S. 168, 169 (dort Zitat) (§§ 77, 78); auf S. 169 heißt es auch, daß die Psychologie des rechtlichen Geltens keine Allgemeingültigkeit beanspruchen kann, wie es „für die psychologische (!) Rückführung des Rechtsbegriffes aufzustellen möglich ist".
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2. Teil: Neukantianische Rechtsphilosophie
mag. Die Verbindlichkeit einer Sollenswahrheit ist um so größer und um so mehr in sich selbst begründet, als sie der Verwirklichung von ethischen und rechtsethischen Werten dient, je weniger der Sollenssatz also der Verfolgung von bloßen technisch-pragmatischen Zielen dient. Ohne auf das philosophische Problem der Seinsweise der Werte und des Sollens einzugéhen, führen die Sollenssätze nach einem gemeinen sprachlich-geistigen Verständnis eine überindividuelle Existenz. Genauer gesagt werden sie unabhängig von einer normsetzenden Instanz gedacht. Elementare Normen wie die Menschenrechte und die Kerngehalte rechtsstaatlicher Verfassungen stellen den Anspruch auf Unverfügbarkeit und einer allseitigen Bindung einschließlich der normsetzenden Instanzen. Demgegenüber hat die Vorstellung des Wollens psychisches Gepräge. Sie bedeutet die Verfolgung von empirischen Zielen und ist eng mit dem wollenden Subjekt verknüpft. Bei dem Konflikt zweier Zweckstrebungen kommt es auf die Macht zur Durchsetzung des eigenen Zieles an. Diese beiden Bedeutungen der Begriffe Norm und Wollen haben idealtypisch für die Definition des Rechts unterschiedliche Konsequenzen. Verweist der Begriff der Norm auf ein Sollen und eine besondere Verpflichtungskraft, ist es erforderlich, für den Rechtsbegriff bestimmte inhaltliche Mindeststandards und Basisvoraussetzungen zu verlangen. Geht man von der Vorstellung des Wollens aus, so läuft dies darauf hinaus, das Recht grundsätzlich als einen Komplex von Befehlen aufzufassen. Befehle haben aufgrund einer dahinter stehenden, zur zwangsweisen Durchsetzung befähigten Macht ein Müssen und kein Sollen zur Folge. Der zweite Gedankengang führt also ausgehend von dem Gattungsbegriff des Wollens folgerichtig zum Rechtspositivismus. A n dieser Stelle kommt es uns nur darauf an, daß Dohnas Gleichsetzung des Wollens mit der Norm wie auch sein nur scheinbar kritizistischer Ausgangspunkt die Weichenstellung in Richtung Rechtspositivismus bedeutet 76 . Die von Dohna und Stammler angewandte Methode, den Rechtsbegriff durch die Unterscheidung von Artmerkmalen innerhalb derselben Gattung zu bestimmen, ist dieselbe wie bei den Vertretern der positivistischen allgemei76 In seinem ersten Hauptwerk spricht Stammler anders aïs" später noch häufiger von Normen, Regeln und dergleichen; Wirtschaft und Recht, 2. Aufl. 1906, etwa § 20. Aber auch dort haben diese Begriffe eine ganz empirische Bedeutung des Müssens. Ausweislich der Zitate in den Kernproblemen hat sich Dohna besonders an dieses Werk angelehnt; die spätere Tendenz Stammlers, die kritische Rechtstheorie immer mehr in einer eigenen, fest abgeschotteten Formelsprache auszudrücken, hat Dohna in dem Maße nicht mitgemacht. Stammler hat die Begriffe des Wertes und des Sollens ganz den empirischen Kategorien des Zweckes und des Wollens untergeordnet. Der Wert ist ein Begriff teleologischen Inhalts und er besagt, daß das auf einen Zweck gerichtete Wollen richtig ist; das Sollen ist nur ein besonders geartetes Wollen, eben ein solches, welches von der Idee der Richtigkeit geleitet ist; vgl. nur Theorie der Rechtswissenschaft, 1. Aufl. 1911, S. 58 - 62 (I. 6), 536 - 541 (VI); Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1928, S. 58 FN 8 gegen Wielikowski, Die Neukantianer in der Rechtsphilosophie, 1914, S. 64, 65.
III. Begriff und Geltung des Rechts
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nen Rechtslehre 77. Es ist bereits für Stammler nachgewiesen worden, daß sein Rechtsbegriff in Wirklichkeit auf verdeckt-induktiver Grundlage ein empirischer Allgemeinbegriff ist, was auch auf denjenigen Dohnas zutrifft 78 . Die Ansicht, bei dem gewonnenen Rechtsbegriff handele es sich um eine der Erfahrung vorausgehende, diese bedingende, reine Denkform oder eine Kategorie im Sinne der Transzendentalphilosophie, erweist sich als ein deutlicher Trugschluß. Die klassifikatorische Begriffsbestimmung Dohnas (und Stammlers) beschränkt den Bereich der Sittlichkeit auf den minimalen Bereich des geistigen Innenlebens eines Menschen. Nach dem von Dohna angegebenen Differenzkriterium entscheidet der Staat, wann noch eine Beziehung des individuellen Verhaltens zur sozialen Gemeinschaft gegeben ist, und ob eine Möglichkeit zwanglicher Durchsetzung besteht. Im Jahre 1926 spricht er bereits von der im Prinzip unbegrenzten Unterordnung des Individuums unter dem „rechtlichen" Gemeinschaftswillen. Im Jahre 1940 heißt es, daß auch ein Staat, der den Anspruch auf Totalität stellt, dem Rechtsbegriff unterfallen kann. Ersichtlich wird damit ein extremer Rechts- oder Machtpositivismus vertreten, der auch die radikalste und brutalste Unrechtsherrschaft dem „Rechts"-begriff unterstellt. Das Merkmal des selbstherrlichen oder bloß einladenden Geltungsanspruchs dürfte untauglich sein, das Recht von der Sitte zu sondern. Die Erwartungshaltung einer nach Normen der Sitte oder des Rechts organisierten Gemeinschaft ist dieselbe. Solche Normen wollen Bestimmungsgründe des Handelns gerade auch derjenigen sein, die mit der so verfaßten Gemeinschaft für die in der Norm umschriebene Tatbestandssituation in Kontakt treten. Die Bekanntschaft des Angesprochenen mit der Norm wird vorausgesetzt bzw. vermutet; die äußere Normbefolgung wird dabei vom Standpunkt der Gemeinschaft verlangt. Dabei ist es dann gleichgültig, aus welchen inneren Gründen dieser Erwartungshaltung entsprochen wird, sei es aus bloßer Nachahmung, Aussicht auf Vorteilhaftigkeit, innerer Zustimmung oder aus sonstigen Motiven 79 . Vielmehr wird man sich wohl damit begnügen müssen, Recht und Sitte nach dem gemeinen Sprachgebrauch als historisch bedingte Typus-
77 Vgl. etwa Bierling, Zur Kritik der juristischen Grundbegriffe, 1877 - 1883, Neudruck 1965, S. 3; ders. Rechtsnormen und Konventionalregeln, in: ARWiP, Bd. 3 (1909/10), S. 162; Somlo, Juristische Grundlehre, 2. Aufl. 1927, S. 66. 7 8 Vgl. nur Binder, Rechtsbegriff und Rechtsidee, 1915, S. 19, 20, 87; Kaufmann, Erich, Kritik der neukantischen Rechtsphilosophie, 1921, S. 11, 12; allgemein Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, 4. Aufl. 1962, Nachdruck 1980, S. 182 - 190, 190: Die neukantische Rechtsphilosophie verfestige sogar den positivistischen Rechtsbegriff. 79 Gleichlautende Überlegungen bei Kantorowicz, Zur Lehre vom richtigen Recht, in: ARWiP Bd. 2 (1908), S. 47, 48; Bierling, Rechtsnormen und Konventionalregeln, in: ARWiP Bd. 3 (1909/10), S. 159 - 162.
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2. Teil: Neukantianische Rechtsphilosophie
begriffe zu unterscheiden. Als Kriterien kommen dafür in Betracht: Regelungsbereich, schriftliche Niederlegung, Normadressaten, Entstehung in staatlich festgelegten Verfahrensweisen, Anwendung durch staatliche Gerichte. Bei der Abgrenzung des Rechts von der Willkür^ ill sich Dohna von dem Verständnis Stammlers distanzieren. Dazu ist aber das Kriterium der Errichtung einer allgemeinverbindlichen Ordnung ohne inhaltliche Begleitvorstellungen ganz ungeeignet. Beispielsweise wird eine despotische und diktatorische Staatsführung die eigene Bindung an unverfügbare und nur eingeschränkt abänderbare Verfassungsnormen „allgemeinverbindlich" verneinen. Die „allgemeinverbindliche Ordnung" kann in einer allgemeinen Unsicherheit der Machtunterworfenen bestehen, die aus beliebigen Einzelfallentscheidungen der Machthaber resultiert; auch wenn es in der Praxis zu gewissen Statusausbildungen und gewissen gleichförmigen Regelungen der Lebensbereiche kommen mag, immer bleibt der obersten Macht die allgemeine Möglichkeit, sich schrankenlos durchzusetzen. Es ergibt sich damit, daß die erstrebte formale Unterscheidung einer rechtlichen Herrschaft von derjenigen einer „Räuberbande" letztlich auf bloßen Formulierungskünsten beruhen wird 8 0 . Die Geltungslehre Dohnas ist zwar inhaltsreicher als diejenige Stammlers; jedoch handelt es sich bei ihr gleichfalls um eine soziologische Geltungslehre. In der Literatur unterscheidet man häufig juristische, soziologische und philosophische Geltungslehren 81 . Die erste Sichtweise beschäftigt sich innerhalb einer positiven Rechtsordnung mit der Hierarchie der Rechtsquellen und den Ableitungszusammenhängen beispielsweise von der Verfassung, dem Gesetz bis hin zur Rechtsverordnung. Solche Geltungslehren bleiben hier außer Betracht. Die zweite Sichtweise untersucht die faktische Wirksamkeit von meist staatlichen Rechtsnormen, in welchem Maße sie in der Rechtswirklichkeit beachtet werden und welches die Voraussetzungen dazu sind. Die dritte Fragestellung lautet, ob und warum Rechtsnormen auch für die widerstrebenden Normadressaten und auch im Falle inhaltlicher Unrichtigkeit gemessen an außerjuristischen Maßstäben dennoch Sollenscharakter tragen, eine (ethische) Verbindlichkeit und damit eine Rechtspflicht begründen können. Innerhalb der soziologischen Geltungslehren werden häufig Macht- und Anerkennungstheorien unterschieden 82. Die eine begründet die Wirksamkeit 80 Ablehnend auch z.B. Müller, Otto, Stammlers Sozialphilosophie, in: ZStW 17 (1897), S. 261, 262; Bierling, Rechtsnormen und Konventionalregeln, in: ARWiP Bd. 3 (1909/10), S. 163,164. 81 Weiterführend etwa Emge, Carl August, Über den Charakter der Geltungsprobleme in der Rechtswissenschaft, in: ARWiP Bd. 14 (1920), S. 146 - 171, 277 - 285; Bd. 15 (1921), 54 - 63; Larenz, Karl, Das Problem der Rechtsgeltung, 1929, Neudruck mit Nachwort 1967; Radbruch, Rechtsphilosophie, hrsg. von Erik Wolf und Hans-Peter Schneider, 8. Aufl. 1973, S. 170 - 179; Schreiber, Rupert, Die Geltung von Rechtsnormen, 1966; Welzel, A n den Grenzen des Rechts. Die Frage nach der Rechtsgeltung, 1966.
III. Begriff und Geltung des Rechts
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von Rechtsnormen verstanden als Zwangsnormen mit einer dahinterstehenden effektiven staatlichen Macht. Die Anerkennungstheorien verstehen unter Anerkennung entweder eine Summe von einzelnen Zustimmungsakten oder überwiegend ein Einverstandensein des überwiegenden Teils, der herrschenden Schicht der Bevölkerung, welche damit die Vorstellung eines (ethischen) Gesolltseins verknüpft; vielfach geraten diese Lehren dann in die Nähe entweder der Macht- oder der philosophischen Geltungstheorien 83 . Bei der Auffassung Dohnas handelt es sich um eine soziologische, massenpsychologische Beschreibung der Wirksamkeit von rechtlichen Anordnungen 84 . Allerdings dürfte es nicht richtig sein, seine Ansicht in die große Gruppe der generellen Anerkennungstheorien einzuordnen, auch wenn Dohna von dem Begriff der Anerkennung ausgeht85. Vielmehr erscheint die Bezeichnung als (positivistische) Macht- und Gehorsamstheorie angebrachter. Dohna verflüchtigt den Anerkennungsbegriff immer weiter, bis schließlich nur noch bei dem überwiegenden Teil der Bevölkerung das Bewußtsein des Verpflichtetseins und auf der anderen Seite die Unangefochtenheit der „Rechts"hoheit Übriggeblieben ist. Begrifflich gesehen setzt „Anerkennen" als die schwächere Form des Billigens voraus, daß man die anzuerkennende Regelung überhaupt in ihrem Aussagegehalt kennt. Es ist also eine Fiktion, daß mit dem Bewußtsein, in einer „rechtlich" organisierten Gemeinschaft zu leben, alle, auch die unbekannten und die mißbilligten Normen, anerkannt seien. Bei dem Bewußtsein des Verpflichtetseins in der beschriebenen Art handelt es sich um Gehorsam aus Zweckmäßigkeitsgründen. Dieses Bewußtsein bedeutet die pragmatische Einschätzung, daß eine oberste Autorität ihre Anordnungen im Widerstrebensfalle der Adressaten mit einer effektiven Sanktionsgewalt durchsetzen kann. Es vermittelt den Unterworfenen das Gefühl, daß Widerstand gegen für unrichtig gehaltene Anordnungen und Maßnahmen aussichtslos und daß das äußere Sich-Fügen zumindest wegen vermiedener Sanktionen vorteilhafter ist. Auch wenn Dohna sein Hauptaugenmerk der Präzisierung des Begriffes der Anerkennung zuwendet, stellt er damit letztlich einseitig auf die effektive 82 Vgl. etwa Radbruch, Rechtsphilosophie, 8. Aufl. 1973, S. 172 - 174; Schreiber, Hans-Ludwig, Der Begriff der Rechtspflicht. Quellenstudien zu seiner Geschichte, 1966, S. 70 - 117. Engisch, Auf der Suche nach der Gerechtigkeit, 1971, S. 67 - 73. 83 Vgl. auch Radbruch, dessen philosophische Geltungslehre auf eine faktisch-soziologische Auffassung zurückwirkt; Rechtsphilosophie, 8. Aufl. 1973, S. 174 - 179; dazu Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht, 1966, S. 124 - 129. 84 Im Zusammenhang mit der Problematik der revolutionären Rechtsentstehung vermengt Dohna im Geltungsbegriff allerdings faktische und legitimistische Aspekte; siehe sogleich 2. Teil, V., 3. 85 So aber Welzel, A n den Grenzen des Rechts. Die Frage nach der Rechtsgeltung, 1966, S. 12 FN 28. Kritisch zu Dohna auch Schreiber, Rupert, Die Geltung von Rechtsnormen, 1966, S. 84 - 88. Kritisch auch Engisch, Auf der Suche nach der Gerechtigkeit, 1971, S. 56: Es sei vergleichsweise unerheblich, ob die Geltung ein Merkmal des Rechtsbegriffs sei oder nicht. Im übrigen knüpft er an die Geltungsauffassung Dohnas im Sinne der Anerkennungstheorie an; S. 74 - 81.
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2. Teil: Neukantianische Rechtsphilosophie
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Durchsetzungskraft der hoheitlichen Instanz ab. Damit bedeutet die Geltungslehre eine konsequente Fortsetzung dessen, was zum Verständnis der Begriffe Norm und Wollen gesagt wurde. Dem Verständnis der Rechtsnorm als Sollenssatz wird eine philosophische Geltungslehre entsprechen, die nach den Bedingungen und den Grenzen der sozialethischen Verpflichtungskraft des positiven Rechts fragt. Demgegenüber korrespondiert eine rein faktische Geltungslehre einem rein voluntaristischen Normverständnis; ohne die Voraussetzung eines inhaltlichen Mindeststandards kann sie eine Rechtspflicht oder sozialethische Verbindlichkeit im eigentlichen Sinne des Wortes nicht begründen. I V . Idee und Rechtfertigung des Rechts, eine machtpolitisch instrumentalisierbare Lehre mit scheinbar höherer Begründungskraft? 1. Dohna Die Lehre von der Idee des Rechts hat die Aufgabe, die formalen allgemeingültigen Bedingungen des Rechts, wie es sein soll, und der Bestimmung des Rechts, wozu es dienen soll, klarzustellen, um anhand dieses Zielpunktes und Maßstabes alles begrifflich bestimmte Recht in seinem inhaltlichen Wert, in der materiellen Eigenart seiner Regelungen als richtig oder unrichtig bemessen zu können 86 . Dazu ist in Parallele zur Gesetzmäßigkeit im Reich der Natur die Gesetzmäßigkeit im Reich der Zwecke herauszuarbeiten, die in der Methode des Bewertens konkreter Zweckinhalte besteht 87 . Es ist nicht irgendein geschichtlich bedingtes, wenn auch sehr abstraktes Ziel als oberster Zweck aufzustellen, sondern es sind alle Begehrungen und Zwecksetzungen zu objektivieren. In dem Postulat des kategorischen Imperativs ist das Grundgesetz allen Wollens, die allgemeingültige, empirisch nicht bedingte Gesetzmäßigkeit der Zwecke beschlossen88. Der Gedanke der Objektivierung ist das einheitliche Grundgesetz für alle menschliche Zwecksetzung, insbesondere für die begrifflich bestimmten Bereiche des Rechts und der Sittlichkeit. Diese einheitliche Idee „kann sich in der mehrfachen Richtung ihres Auftretens modifizieren und zu einer unterschiedlichen Beurteilung des gleichen Verhaltens führen" 89 . Die einheitliche Idee teilt sich also entsprechend der formalen Scheidung von Recht und Moral. Die sittlichen Ideale, also die Lauterkeit und Wahrhaftigkeit der inneren, wünschenden Bestrebungen, stehen dem sozialen Ideal Stammlers oder gleichbedeutend der Rechtsidee in der Kantschen 86
Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, 1905, S. 14, 47 - 50, 113, 119, 150. 87 Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 88 Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 89 Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S.
S. 54, 55. Die Rechtswidrigkeit, 62, 63, 65. 65. 68.
IV. Idee und Rechtfertigung des Rechts
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Formulierung gegenüber. Die Verwirklichung der Rechtsidee kann von keiner Rechtsordnung erwartet werden, „wohl aber, daß rechtliches Wollen von dieser Idee soweit geleitet werde, als es eben möglich ist" 9 0 . Somit setzt die kritische Rechtstheorie an die Stelle des Naturrechts das richtige Recht: „ein Naturrecht mit wechselndem Inhalt" 9 1 . Mit der so bestimmten Idee des Rechts wird auch die Gerechtigkeit als rein formale Methode synonym verstanden 92. Im Bereich konkreter Zwecke, also zeitlich und kulturell bedingter Wertentscheidungen, ist der Relativismus am Platze. Diese Lehre ist aber abzulehnen, soweit sie den formalen Richtpunkt „und damit die Möglichkeit bestreitet, zwischen objektiv begründeten und subjektiv gültigen Urteilen zu unterscheiden". Es ist unzutreffend, daß „sich über die Richtigkeit eines Sollens (gemeint sind beliebige konkrete Sollenssätze) überhaupt nichts aussagen" ließe. Gegen Radbruch, nach dessen Äußerung die letztendliche Auswahlentscheidung zwischen individualistischen, überindividualistischen und transpersonalen Wertsystemen jenseits der Leistungsfähigkeit wissenschaftlicher Rechtswertbetrachtung liege, heißt es, „daß es gerade die Funktion der allgemeingültigen formalen Maxime ist, die getroffene Auswahl auf ihre Tauglichkeit zu richtiger Anleitung des sozialen Verhaltens zu prüfen". Aus allgemeinen Prinzipien lassen sich niemals konkrete Zwecke ableiten, aber ihr Wert oder Unwert kann daran erprobt werden 93 . Auch wenn Dohna die Methodenlehre als Gesetzgebungs- und Gesetzesauslegungslehre aus dem Bereich der Rechtsphilosophie ausgeschlossen hat, geht er doch dazu über 94 . Der Gesetzgeber hat die Aufgabe, die Gerechtig90
Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 68, 69. Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 66 unter Bezug auf Stammler, Wirtschaft und Recht, 2. Aufl. 1906, S. 181. 92 Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 71. Dohna beruft sich dort auf M . E. Mayer, daß die Gerechtigkeit durch keinen Inhalt beschwert, aber bereit sei, jeden Inhalt anzunehmen; M. E. Mayer, Rechtsphilosophie, 1922, S. 78. Dabei unterläßt es Dohna aber, die nachfolgenden Sätze Mayers zu zitieren: Wird die Gerechtigkeit mit der Richtigkeit als einer reinen Kategorie identifiziert, „dann aber birgt sich in der Lehre, die Gerechtigkeit sei die Idee oder das Ideal des Rechts, keine Weisheit, sondern nur ein Spiel mit tautologischen Begriffen. Dann bleibt die angebliche Auskunft in der Fragestellung stecken, denn es ist dann einerlei, ob ich die Idee des Rechts in seine Richtigkeit oder in die Gerechtigkeit verlege. Diese unzulängliche Auffassung beherrscht die landläufigen Äußerungen über Gerechtigkeit" (S. 78, 79). Auf S. 72 pflichtet Dohna Anderhub bei, daß Piaton in der Politela die Idee der Gerechtigkeit als Methode des Ordnens eingeführt habe; ein jeder habe im Staat die Funktion und den Platz einzunehmen, zu der er besonders veranlagt sei. Dabei setzt sich Dohna gar nicht damit auseinander, daß diese Auffassung auf die sehr umstrittene Interpretation der platonischen Ideenlehre durch Paul Natorp zurückgeht; siehe dazu sogleich. 93 Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 69 - 71. Radbruch, Rechtsphilosophie, 8. Aufl. 1973, S. 96 - 101, 142 - 151. 94 Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 5,6. 91
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2. Teil: Neukantianische Rechtsphilosophie
keit, die Rechtsidee zu verwirklichen 95 . Über den dazu nötigen Mittelweg zwischen Abstrahierung von Besonderheiten und Individualisierung lassen sich allgemeingültige Aussagen nicht treffen. Nach einem Wort M. E. Mayers ist die Normierung, Typisierung die Seele des Rechts, Individualisierung die der Gerechtigkeit. Wegen dieses Spannungsverhältnisses zeichnet eine richtige Rechtsordnung sich dadurch aus, daß sie durch sog. Generalklauseln und normative Begriffe Raum gewährt für billiges Ermessen und gerechte Würdigung des Einzelfalles 96 . Wenn heute (veröffentlicht 1940) neben dem Gesetz für den Richter das gesunde Volksempfinden als Rechtsquelle auftritt, bedeutet dies nicht, daß der Richter nicht mehr an das Recht gebunden sei. „ I m Gegenteil: Gerade ihm (dem Recht) zu dienen, es in seiner Lauterkeit und ungetrübt durch etwaige Mißgriffe, die der Gesetzgeber bei seiner Ausprägung begangen, herauszuholen aus den Tiefen des völkischen Rechtsbewußtseins, darin besteht die ihm gesetzte Aufgabe".
Dazu hat er sich unbeirrt die Methode vor Augen zu halten, „in der die Idee des Rechts gewonnen und geklärt wird". A n die Stelle der freien Rechtsfindung „muß treten die kritisch abgeklärte Besinnung auf das grundsätzlich Richtige, auf die nach dem Gedanken der freien Gemeinschaft ausgerichtete Willensgestaltung" 97 . Da auch sachlich unrichtiges Recht dem formalen Rechtsbegriff unterfällt, muß es gelingen, auch gegenüber den prinzipiellen Gegnern allen Rechts Dohna nennt Max Stirner und Leo Tolstoi als Antipoden innerhalb des Anarchismus - gerade den selbstherrlichen Zwangscharakter überhaupt vor dem Richterstuhl sittlich zu rechtfertigen 98. Dazu reicht es nicht aus, auf den tatsächlichen Gehorsam der Menschen gegenüber den staatlichen Machtgeboten 95
Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 71. Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 74, 75; M. E. Mayer, Rechtsphilosophie, 1922, S. 79. Vgl. auch Dohna, Die Revolution als Rechtsbruch und Rechtsschöpfung, 1923, S. 14: Zur Vermeidung einer Revolution sollte jede Rechtsordnung die Mittel zu organischer Fortbildung selber bieten und die Wege vorzeichnen. Zur Anwendung auf das Strafrecht ζ. B. Der neueste Strafgesetzentwurf im Lichte des richtigen Rechts, in: Festgabe für Rudolf Stammler, 1926, S. 255 - 280. 97 Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 79. Vgl. auch Dohnas Habilitationsschrift Die Rechtswidrigkeit, 1905, und die Würdigung in methodischer Hinsicht, 3. Teil, E., I I I . , 4., e). A n dieser Stelle sei darauf hingewiesen, daß Dohna in seinen Schriften nach 1933 das gesunde Volksempfinden nur selten zur Begründung einer konkreten Sachentscheidung herangezogen hat; etwa Der Aufbau der Verbrechenslehre, 1. Aufl. 1936, S. 24: betreffend die Einschränkung der Notwehrbefugnis. 98 Kernprobleme der Rechtsphilosophie, S. 88, 89. Auf S. 38 werden als Beispiele für eine sachlich unrichtige Regelung genannt: das Institut der Sklaverei, die Verfolgung des Irrglaubens, die Freigabe wucherischer Ausbeutung, die Gestattung der Vernichtung keimenden oder lebensunwerten Lebens! Mehrfach wird betont, daß begrifflich bestimmtes Recht den Charakter von Unrecht oder Willkür in diesem Sinne tragen kann; ebenda S. 30, 54, 55; Die Revolution als Rechtsbruch und Rechtsschöpfung, 1923, S. 12,13; Verantwortung und Recht, in: Gesetz und Freiheit, hrsg. von Graf Hermann Keyserling, 1926, S. 79. 96
IV. Idee und Rechtfertigung des Rechts
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hinzuweisen. Auch wollen viele Menschen, selbst wenn sie die überkommene Ordnung bekämpfen, auf den allen Rechtsgenossen gewährten Schutz nicht verzichten". Die sittliche Rechtfertigung des Rechts ist nach der zutreffenden KantInterpretation durch Breuer darin begründet, daß die Menschen nach dem Sittengesetz unter Regeln stehen sollen, daß also jeder von allen fordert, sich der Regel zu unterwerfen, weil er sich selbst zu unterwerfen gewillt ist. Somit „ist einer ethischen Rechtfertigung nur das richtige Recht fähig. Und so nimmt an ihr der Rechtszwang unter der Bedingung nur teil, daß man die rechtliche Ordnung als einen Zwangsversuch zum Richtigen erachten darf" 1 0 0 . 2. Stammler Stammler unterscheidet in seiner Lehre von dem richtigen Rechte den Begriff, die Methode und die Praxis des richtigen Rechts. Der Begriff des richtigen Rechts setzt zunächst eine Klärung des allgemeinen Gedankens der Richtigkeit voraus. Dieser Gedanke bedeutet die ideale Ausrichtung jedes kategorial bestimmten Wollens, er ist von absoluter Gültigkeit, während ein danach gerichtetes bedingtes Wollen nur objektiv gültig ist. Richtig heißt einheitlich geordnet, im Bereich des Wollens bedeutet diese bedingende Methode des Richtens die Möglichkeit des Ordnens aller denkbaren Bestrebungen im Sinne unbedingter Harmonie 101 . Es handelt sich darum, auf die Fragen, wie Recht seinem Inhalt nach beschaffen sein soll und wie Recht ohne Rücksicht auf die Qualität seines Inhalts vor dem Richterstuhl der Sozialphilosophie gerechtfertigt werden kann, eine allgemeingültige Antwort zu erteilen 102 . Dabei kann kein stofflich ausgefüllter Rechtssatz absolute Richtigkeit beanspruchen 103. Es ist der Fehler der Kantschen Rechtsphilosophie gewesen, daß sie ganz in den Bahnen des klassischen Naturrechts wandelte, anstatt die transzendentale Frage für die Rechtslehre anzuwenden 104 . Der Gedanke der unbedingten Harmonie aller überhaupt denkbaren Zwecksetzungen ist für das Gesamtgebiet des menschlichen Wollens einheitlich, er unterfällt aber in die Gedanken der Lauterkeit und der Wahrhaftigkeit für den 99
Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 91, 92. Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 95, 96. Dohna wendet sich dabei ausdrücklich gegen Stammlers bloße logische Rechtfertigung des Rechts; siehe sogleich. Breuer, Isaac, Der Rechtsbegriff auf der Grundlage der Stammlerschen Sozialphilosophie, 27. Ergänzungsband der Kantstudien, 1912, S. 63. Vgl. Kant, Die Metaphysik der Sitten, 1797 (Ausgabe Weischedel/Suhrkamp), 336 - 339 (§§ B, C Rechtslehre), 422 - 425, 430 - 431 (§§ 41, 42, 44 Rechtslehre). 101 .Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1928, 171 - 173, 176 - 178. 102 Die Lehre von dem richtigen Rechte, 2. Aufl. 1926, S. 91. 103 Die Lehre von dem richtigen Rechte, 2. Aufl. 1926, S. 94. 104 Die Lehre von dem richtigen Rechte, 2. Aufl. 1926, S. 35, 36. 100
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2. Teil: Neukantianische Rechtsphilosophie
Bereich der wünschenden Gedanken, der Moral, auf der einen Seite und in den Gedanken des sozialen Ideals für den Bereich des Rechts auf der anderen Seite 105 . Das soziale Ideal ist die Gemeinschaft freiwollender Menschen, in der ein jeder die berechtigten, also von subjektiver Laune freien Zwecke der anderen verfolgt; es gleicht dem unerreichbaren Polarstern, an dem jede konkrete Zwecksetzung im sozialen Leben sich auszurichten hat, will sie objektiv berechtigt sein 106 . Ein richtiges Recht ist ein besonders geartetes gesetztes Recht; sein bedingter Rechtsinhalt ist in objektiv, nicht absolut gültiger Weise von dem Gedanken reiner Gemeinschaft, dem sozialen Ideal, geleitet 107 . Um den reinen Gedanken des sozialen Ideals anwendungsfähig zu gestalten, werden die ebenfalls reinen Gedanken der Sondergemeinschaft und der Grundsätze des richtigen Rechts entwickelt 108 . In der Praxis des richtigen Rechts geht es darum, in konkreten Zivilrechtsfällen etwa die bedingenden Gedanken des richtigen Rechts wiederzuerkennen. Die Letztentscheidung aber liegt bereits außerhalb der Leistungsfähigkeit der Lehre von dem richtigen Recht 109 . Die rechtliche Zwangsregelung ist vor dem Richterstuhl der Sozialphilosophie deshalb gerechtfertigt, weil sich ein gesetzmäßiges Zusammenleben aller Glieder einer Gesellschaft ohne die Zuhilfenahme der Selbstherrlichkeit gar nicht ausdenken läßt. Eine konventionale Gemeinschaft kann nur das Zusammenleben derjenigen Mitglieder, die sich aus eigenem Willen ihr unterworfen haben, gesetzmäßig gestalten. Jeder Rechtsordnung wohnt allein durch das Merkmal der Selbstherrlichkeit eine alle Glieder umfassende Regelung inne und enthält damit bereits den Zug zum Richtigen; „alles gesetzte Recht ist ein Versuch, richtiges Recht zu sein" 1 1 0 . 3. Vergleich und Würdigung Dohnas Identifizierung der Rechtsidee mit der Rechtsformel Kants und dem sozialen Ideal Stammlers wirft die Frage auf, ob Kant und Stammler wirklich dasselbe sagen. Es soll die These erwiesen werden, daß Stammler in unkantischer Weise stark von der Marburger Schule, insbesondere von der (umstrittenen) logizistisch-methodologischen Interpretation Paul Natorps der plantonischen Ideenlehre beeinflußt worden ist, während Dohna in unklarer, widersprüchlicher Weise Kant und Stammler vermengt. Dies beinhaltet, auf 105
Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1928, S. 187, 189, 190,195. Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1928, S. 204 - 206. 107 Die Lehre von dem richtigen Rechte, 2. Aufl. 1926, S. 52. 108 Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1928, S. 211. 109 Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1928, S. 213 - 215. 110 Die Lehre von dem richtigen Rechte, 2. Aufl. 1926, S. 55 - 57. m Entfällt. 106
IV. Idee und Rechtfertigung des Rechts
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die Auswirkung des Verallgemeinerungsgedankens in der Rechtslehre Dohnas hinzuweisen. Dohnas grobmaschige Behandlung des Relativismusproblems sowie seine (ausschließliche) Rechtfertigung des richtigen Rechts machen auf zwei Grundmängel aufmerksam, welche in der fehlenden Auseinandersetzung mit der Kantschen Ethik und Rechtslehre und in der unterlassenden Überwindung des radikalen Dualismus zwischen Rechtsbegriff und Rechtsidee bestehen. In dem gesamten Zusammenhang ist auch auf das Vorverständnis bei konkreten Wertentscheidungen und auf die Frage nach der weltanschaulichen Manipulierbarkeit der Lehre von dem richtigen Recht einzugehen. Der Einfluß Natorps auf Stammler ist vielfach übersehen worden, nur in der wenig rezipierten Arbeit von Anderhub über „Piatons politeia und die kritische Rechtsphilosophie" wird darauf hingewiesen 112 . Natorp wendet sich gegen die (metaphysische) Deutung des Aristoteles, welcher der platonischen Idee eine überlogische Seinsweise unterstellt habe, und versteht sie ganz als Methode der Begründung von Wissenschaft, als Gesetz des reinen, voraussetzungsfreien Denkens, was alle besondere Erkenntnis zuallererst möglich macht 113 . Der platonischen Idee wird ein logisches Sein zugeschrieben; diese bildet den Koinzidenzpunkt von Denken und Sein, welcher erst unter sich die Spaltung in Subjekt und Transsubjektives umfaßt 114 . Der Ausdruck „Denken" bezeichnet die Welt des Gedachten unabhängig vom Denkakt irgendeines Menschen, um den Subjektivismus, Psychologismus und den damit verwand112 Oft begnügt man sich damit, Stammler dem Marburger Neukantianismus wegen seiner einseitigen Betonung der Erkenntnistheorie in streng formaler und methodischer Art zuzuordnen. Dies ist zwar grundsätzlich zutreffend, aber es gehen die Unterschiede zu dem Begründer der Marburger Schule, Hermann Cohen, verloren. Darüber informieren: Haas, Leo, Rechtsbegriff und Rechtsidee, 1950, S. 20 - 48, 60, 61; Winter, Eggert, Ethik und Rechtswissenschaft, Eine historisch-systematische Untersuchung zur Ethik - Konzeption des Marburger Neukantianismus im Werke Hermann Cohens, Berlin 1980, S. 20 - 23. J. H. Anderhub, Piatons Politeia und die kritische Philosophie, in: Zeitschrift für Rechtsphilosophie in Lehre und Praxis, Bd. 3 (1921), S. 89 - 224, besonders S. 121, 124, 161, 163, 184, 192 - 197, 209 - 224. A m Rande sei bemerkt, daß die Arbeit Anderhubs aus dem Jahre 1921 ein Beispiel dafür liefert, wie seine antidemokratische Haltung unter Berufung auf die Autorität Piatos Eingang in eine wissenschaftliche Abhandlung findet; S. 196, 197: Plato habe über die Demokratie ein „für alle Zeiten" gültiges „vernichtendes Urteil gefällt". Stammler selbst hat sich in einem Gespräch mit Julius Binder dahingehend geäußert, daß er als Philosoph „von kaum einem anderen wirklich beeinflußt worden (sei) als von Piaton"; Julius Binder, Dem Andenken Rudolf Stammlers, in: ARWiP Bd. 31 (1937), S. 433. Dies soll zwar nicht überbewertet werden, aber als echter Kantianer dürfte Stammler wohl nicht zu bezeichnen sein; siehe sogleich im Text. 113 Piatos Ideenlehre. Einführung in den Idealismus, 1903, 2. Aufl. 1921, S. 187, 210, 211. Vgl. auch den Vortrag Über Piatos Ideenlehre, in: Philosophische Vorträge, hrsg. v. Arthur Liebert, Nr. 5, 1914. 114 Vortrag Über Piatos Ideenlehre, 1914, S. 26.
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2. Teil: Neukantianische Rechtsphilosophie
ten Teleologismus zu vermeiden 115 . In jedem besonderen Denken ist die Setzung eines Seins enthalten 116 . Auch die Idee des Guten besagt einen voraussetzungsfreien Anfang, welcher im logischen Rückgang von den relativen Grundsätzen der besonderen konkreten Wissenschaften zu den letzten, völlig reinen Denkgrundlagen erreicht werden soll 1 1 7 . Diese reinsten Begriffe werden nun nicht aus, sondern an der Erfahrung im Wege der Selbstbesinnung und des Hinaufsteigens zu immer höheren Voraussetzungen gewonnen 118 . Der Zusammenhang zu Stammlers Idee des Richtigen besteht darin, daß diese nicht im metaphysischen Sinne, sondern ebenfalls als gesetzter Anfangspunkt von logischen und methodischen Erwägungen gedacht ist. Bei Natorp zeigt sich wiederum das Dilemma, daß die reine Formen weit der Idee entweder transzendenten Geltungswert oder psychologischen Charakter besitzt. Die Idee des richtigen Rechts und die Hilfsmittel zur Wiedererkennung dieser Idee in einem besonderen Rechtsinhalte stellen sich dar als eine Abfolge von Gedankenschritten, welche bei der sachlichen Erörterung und Bewertung dieses Rechtsinhalts befolgt werden sollen. Der entscheidende Mangel besteht darin, daß notwendig und ausschlaggebend für konkrete Wertentscheidungen bei der Anwendung der Lehre von dem richtigen Rechte auf das kultur- und milieubedingte Vorverständnis des Interpreten zurückgegriffen wird. Die Gefahr der machtpolitischen Instrumentalisierung zeigt sich deutlich an dem egoistischen Vorbehalt in der Formulierung des sozialen Ideals. In der Gemeinschaft freiwollender Menschen verfolgt ein jeder die berechtigten Zwecke der anderen. Ein berechtigter Zweck ist nun ein solcher, welcher mit allen denkbaren Bestrebungen aller Gemeinschafter in Harmonie bestehen kann. Der egoistische Vorbehalt ist darin verborgen, daß zunächst ein jeder zur Entscheidung darüber berufen ist, ob die eigene Zweckverfolgung in der konfliktgeladenen Welt mit den anderen Bestrebungen vereinbar ist. Da die empirische Menschenwelt nicht aus heiligen Altruisten besteht, wird ein jeder, besonders jeder staatliche Machthaber die Verfolgung seiner Zwecke als berechtigt behaupten. Ein diesbezüglicher Streit kann mit dem zur Verfügung gestellten Instrumentarium mangels materialer Basiswertungen überhaupt nicht rational entschieden werden; in der empirischen Welt entscheidet einfach das austauschbare Gorgonenhaupt der Macht darüber, was richtiges Recht ist 1 1 9 . us Vortrag Über Piatos Ideenlehre, 1914, S. 12, 13. h 6 Vortrag Über Piatos Ideenlehre, 1914, S. 10. 117 Piatos Ideenlehre, 1903, 2. Aufl. 1921, S. 189. us Piatos Ideenlehre, 1903, 2. Aufl. 1921, S. 215 - 219. Diese gesamte Plato-Interpretation ist aber weitgehend wohl zu Recht auf Ablehnung gestoßen; vgl. nur Ueberwegs, Friedrich, Grundriß der Geschichte der Philosophie, Bd. 1, 13. Aufl. 1953, S. 263, 264. 119 Vgl. etwa Stammler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1928, S. 215 FN 6: „Die Grundsätze der Richtigkeit eines Rechts sind formale Richtlinien der
IV. Idee und Rechtfertigung des Rechts
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D i e formalistisch-methodologische richtige Rechtslehre Stammlers stimmt m i t der Kantschen Rechtsformel nicht überein. Nach K a n t ist das Recht „der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit zusammen vereinigt werden kann" 1 2 0 . D e r kategorische Imperativ darf nicht einseitig i n seiner Bedeutung für die M a x i m e n e t h i k gesehen werden; er bildet als reine gesetzgebende praktische Vernunft die gemeinsame Grundlage für die Tugend- u n d die Rechtslehre i n ihren metaphysischen Anfangsgründen. D e r Verallgemeinerungsgedanke ist das gemeinsame Bindeglied u n d gewinnt wegen der Losgelöstheit von empirischen Einzelmenschen den Charakter einer objektiven Sollensnorm.
Der
kategorische Imperativ hat i n seiner praktischen Formulierung die noumenale Menschengemeinschaft zum I n h a l t ; die Verallgemeinerungsfähigkeit ist darauf zu beziehen und hat damit keinen beliebigen Bezugspunkt. Folglich hat auch mittelbar das Rechtsprinzip die Mensch-Zweck-Formel z u m Gegenstand ; ein rechtsstaatlicher Gesetzgeber ist darauf v e r p f l i c h t e t 1 2 1 . Stammler w i l l seine Lehre v o m richtigen Recht rein formal verstanden wissen. Z w a r geht er bei der A n w e n d u n g derselben v o n einem durchaus zeitbedingten, inhaltlichen Vorverständnis aus 1 2 2 . E r lehnt es aber ab, den GedanGedanken, aber keine Verfassungsartikel, wie die sog. Grundrechte. Die letzteren gehören zum positiven Recht". 120 Kant, Die Metaphysik der Sitten, 1797, Ausgabe Weischedel/Suhrkamp, S. 337 (§ Β Rechtslehre). 121 Vgl. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 1785, S. 51, 61 - 72; Die Metaphysik der Sitten. Erster Teil. Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, S. 309 (Vorrede), 324, 325, 336 - 338 (§§ B, C Rechtslehre), 475 - 479 (§ 62 Weltbürgerrecht); Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, besonders S. 39 - 50 (5. - 9. Satz). Vgl. zur Interpretation aus der unübersehbaren Literatur zum Verhältnis von Rechtslehre und Ethik sowie vom Rechtsprinzip zum positiven Recht: Christian Ritter, in: Staatsdenker im 17. und 18. Jahrhundert, hrsg. von Michael Stolleis, 2. Aufl. 1987, S. 336 - 344; Wolfgang Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, 1984, S. 16 - 35, 70 - 100; Friedrich Kaulbach, Moral und Recht in der Philosophie Kants, in: ders. Studien zur späten Rechtsphilosophie Kants und ihrer transzendentalen Methode, 1982, S. 135 168; Ralf Dreier, Zur Einheit der praktischen Philosophie Kants, in: ders. Recht Moral - Ideologie, 1981, S. 286 - 315; ders. Rechtsbegriff und Rechtsidee. Kants Rechtsbegriff und seine Bedeutung für die gegenwärtige Diskussion, 1986, S. 8 - 25; Julius Ebbinghaus, Kants Rechtslehre und die Rechtsphilosophie des Neukantianismus, in: Festschrift für Theodor Litt, 1960, S. 317 - 334; Gerd-Walter Küsters, Kants Rechtsphilosophie, 1988. 122 Vgl. z.B. nur Die Lehre von dem richtigen Rechte, 2. Aufl. 1926, S. 80: Die Einehe ist die allein richtige Art des geschlechtlichen Zusammenlebens; S. 231: „Daß der Mieter ein Dieb sei, hatte ein Hausbesitzer kurze Zeit nach dem Vermieten erfahren und infolgedessen das Einziehen des Mieters verweigert. Das Gericht entschied: Der Vermieter braucht den wegen Diebstahls Bestraften nicht einziehen zu lassen, weil der Vermieter zu befürchten hat, daß andere im Hause Wohnende ihm das Mietverhält-
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2. Teil: Neukantianische Rechtsphilosophie
ken der Menschenrechte und der rechtsstaatlichen Selbstbeschränkung der Staatshoheit in den allgemeingültigen Begriff der Richtigkeit eines Rechts zu integrieren. Deswegen läuft seine Lehre im praktischen Ergebnis auf eine Gleichsetzung des positiven mit dem richtigen Recht hinaus, auch wenn er selbst diese Konsequenz nicht in jedem Anwendungsfalle ziehen mag; nur bietet seine Lehre wegen der rein formal-methodischen Intention kein Hindernis, daß ein anderer Interpret mit demselben Schein größerer Berechtigung die objektive Ausrichtung eines bestimmten positiven Rechtssatzes oder irgendeiner Gesamtrechtsordnung an dem sozialen Ideal behauptet. Die unzutreffende Gleichsetzung der Kantschen Rechtslehre in den metaphysischen Anfangsgründen mit dem sozialen Ideal Stammlers führt bei Dohna zu Ungereimtheiten und Widersprüchen, die im Sinne einer deontologischen Rechtstheorie aufgelöst werden können (siehe dazu unter 6.). Weiter geht es darum, die Instrumentalisierungsthese zunächst bezogen auf allgemeine Äußerungen Dohnas zu überprüfen. Im Zusammenhang mit Einwänden gegen die unbestimmte Verurteilung und die Sicherungsstrafe heißt es, daß die Gerechtigkeit kein metaphysischer Begriff ist. Sie bedeutet nichts anderes als die Übereinstimmung mit den im Volksbewußtsein lebendigen (Wert-)Vorstellungen 123 . Ersichtlich ist solche Ausdrucksweise geeignet, im Extremfall auch eklatante Unrechtsgesetze (gemessen am Wertverständnis der Menschenrechte und dem Erfordernis einer allgemeinen Rechtssicherheit) zu rechtfertigen, da über die Konkretisierung solcher meist nie einheitlichen Volksmeinung stets die politische Machtinstanz im Staate das letzte Wort hat. Der von Stammler übernommene Sprachgebrauch des Naturrechts mit wechselndem Inhalt und die Unterscheidung zwischen objektiv richtigen und bloß subjektiv gültigen Werturteilen sprechen ebenfalls dafür, daß die Lehre von dem richtigen Rechte im Prinzip beliebigen Machthabern dienstbar gemacht werden kann 1 2 4 . Dennoch ist die Mißbrauchsthese differenzierter zu sehen. Dies zeigt sich an der Auslegung des Verbots der Richterentziehung und der Ausnahmegenis kündigen. - Die Entscheidung ist richtig und mit Hilfe der Grundsätze des richtigen Rechts wohl zu begründen. Ein (positivgesetzlicher) Endigungsgrund der Miete lag nicht vor. Aber die Pflicht des Vermieters darf nur in dem Sinne bestehen, daß er bei der Überlassung seiner Sache sich noch der Nächste sein kann; solches ist bei der Hingabe an einen vormaligen Verbrecher in sich nicht gewiß." 123 Die Sicherungsstrafe, in: ZStW 44 (1924), S. 51. 124 Stammler, Wirtschaft und Recht, 2. Aufl. 1906, S. 181; ders. Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1928, S. 176 - 178. Dohna, Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 66, 69, 70. Beispielsweise auf S. 65 spricht Dohna von der „Übereinstimmung" einer konkreten Entschließung mit dem obersten Prinzip aller Zwecksetzung. Nach der eigenen Systematik ist gerade solches niemals möglich; es ist nicht nur ein Beleg sprachlicher Ungenauigkeit und Wechselhaftigkeit, sondern zugleich Ausdruck sachlicher Konfusion. Vgl. auch ders. Die kritische Rechtstheorie usw., in: Int. Woch. 1907, Sp. 1213: Die Idee sei dem Begriff des Rechts bereits immanent.
IV. Idee und Rechtfertigung des Rechts
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richte. Hier geht es nur darum, daß Dohna dabei auf den Gedanken der Verallgemeinerungsfähigkeit zurückgreift und diesen durch bestimmte, nicht beliebig manipulierbare Topoi konkretisiert 125 . Das Verbot der Richterentziehung gilt unbeschränkt nur innerhalb einer gesetzlichen Ordnung, welche für jeden denkbaren Streitfall den zur Entscheidung berufenen Richter im voraus bestimmt hat. Die Zulässigkeit eines gesetzlichen Entziehungsaktes bemißt sich nach der sachlichen Angemessenheit der Maßnahme, nach der Übereinstimmung mit der Rechtsidee 126 . Die Verbote des Art. 105 W R V werden aus dem Willkürverbot des Gleichheitssatzes im Art. 109 W R V heraus interpretiert: sie verbieten eine willkürliche, also auf sachfremder Motivation beruhende Differenzierung der Staatsbürger in Bezug auf den Gerichtsstand. Ein unstatthaftes Ausnahmegericht „ist ein Gericht, dessen Zuständigkeitsbereich unter Gesichtspunkten geregelt ist, die die Tendenz der Generalisierung verleugnen" 127 . Es kommt darauf an, daß ein Gericht in der Besonderheit der Fälle, für die es eingesetzt worden ist, seine sachliche Legitimation finden muß. Der Gedanke der Generalisierungstendenz bzw. der sachlichen Legitimation ist also das Prinzip, welches ein Rechtsstaat bei der Ordnung des Justizwesens beachten muß. Bei der Anwendung dieses Prinzips empfiehlt es sich aber, im Interesse der Rechtssicherheit das leichter feststellbare Symptom an die Stelle des sehr viel schwerer feststellbaren eigentlich ausschlaggebenden Kriteriums zu setzen. Die Umstände, daß Gerichte „auf individuell umschriebene bzw. auf bereits begründete Tatbestände Anwendung finden sollen", sind Symptome für ein unzulässiges Ausnahmegericht. Anderes gilt jedoch für Organisationsveränderungen und Zuständigkeitsverschiebungen allgemeiner Art, auch wenn sie sich auf zurückliegende Sachverhalte beziehen, sowie für außerordentliche Gerichte im Ausnahmezustand 128 . Auf dem Gebiet der gesetzlichen Regelung der gerichtlichen Zuständigkeit wird der Verallgemeinerungsgedanke also dadurch konkretisiert, daß offensichtliche Anwendungsfälle des Verbots der Richterentziehung und der Ausnahmegerichte die Begründungslast für abweichende Fallgestaltungen verschieben. Gewiß wird damit kein Wertungsspielraum beseitigt, was auch gar nicht möglich wäre. Nur dürfte die schrittweise, sachgebietsabhängige Umgrenzung des Regelungsbereichs der beiden Verbote im Hinblick auf den Adressaten (Verwaltung, Gesetzgeber), die Zeitumstände (Friedenszeiten, Staatsnotstand) und sonstige Gesichtspunkte (historische Ratio, Rückwirkung 125 Vgl. nur weiterführend zur Auslegung des damaligen Art. 105 W R V die Kommentierung bei Anschütz, 14. Aufl. 1933, mwN. 126 Artikel 105. Ausnahmegerichte, in: Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, hrsg. von Hans Carl Nipperdey, I. Bd. 1929, S. 113. * 2 7 Ebenda S. 116. 128 Ebenda S. 117, 118, 121.
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und Allgemeinheit der vorgesehenen Maßnahme, Eingriffsschwere für den betroffenen Staatsbürger) geeignet sein, einer beliebigen machtpolitischen Instrumentalisierung Einhalt zu gebieten. Der Verallgemeinerungsgedanke kehrt bei der Aufgabenbestimmung der Revisionsinstanz wieder, enthält aber für das hier interessierende Problem der Konkretisierung im Sinne einer objektiven Norm, nicht bloß machtpolitischen Anordnung keine neuen Hinweise 129 . Von besonderer Bedeutung ist aber Dohnas strafrechtliche Rechtswidrigkeitslehre, welche rechtsethische Prinzipien in die positive Rechtsordnung im Wege der Auslegung zu integrieren sucht. Die Formel vom angemessenen Mittel zum rechten Zweck als Grundprinzip aller Rechtfertigung greift auf die Generalisierungsmaxime zurück. Sie ist eine Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgedankens im Recht, trägt also in gewissem Sinne den Charakter einer objektiven Sollensnorm; andererseits eröffnet sie dem sozialnützlichen Zweckmäßigkeitsdenken weiten Raum. Die Mensch-Zweck-Formel dient dazu, die Einschränkung der unbegrenzten Notwehrbefugnis zu fordern 130 . Auch bei dem normativen Schuldmerkmal der Pflichtwidrigkeit wird auf die Verallgemeinerungsfähigkeit der zur Tat führenden Willensbildung abgestellt; sie wird aber nach dem Standpunkt der Rechtsordnung beurteilt 131 . Insgesamt ordnet sich die Integration rechtsethischer Prinzipien in das positive Recht nicht ganz dem Modell der strikten Trennung zwischen Rechtsbegriff und Rechtsidee ein ; die Frage der machtpolitischen Instrumentalisierung wird man nicht in einem pauschalen Sinne beantworten können. Bei der Rechtfertigung des Rechts hat Dohna Stammler zu Recht vorgeworfen, in logischer, besser müßte es heißen, in tautologischer Weise vorgegangen zu sein. Seine Schlußsätze lassen eher Fragen offen, als daß sie eine befriedigende Antwort auf das Problem der Rechtfertigung des Rechts ohne Rücksicht auf die inhaltliche Beschaffenheit gewähren. Zunächst soll nur das richtige Recht einer sittlichen Rechtfertigung fähig sein. Dann heißt es, daß jede Rechtsordnung gerechtfertigt ist, wenn man sie „als einen Zwangsversuch zum Richtigen erachten darf" 1 3 2 . Stammler hat solches in der Tat postuliert, ohne dafür eine überzeugende Begründung zu liefern. Jedes Recht sei ein Zwangsversuch zum Richtigen, weil jedes begrifflich bestimmte Recht allein aufgrund des Umstandes der Unverletzbarkeit eine Tendenz zur Harmonisierung aller Zweckstrebungen aufweise 133 . Damit wäre dann auch die brutalste Despotie gerechtfertigt: Jede Terrorherrschaft hat ein Gutes, nämlich daß überhaupt 129
Die Problematik der Aufgaben des Revisionsgerichts in Theorie und Praxis, in: Deutsches Strafrecht, Bd. 7 (1940), S. 66 - 69. 130 Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 132. 131 Vgl. unter diesem Aspekt 3. Teil, E., I I I . , 5., b) und c). 132 Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 96. 133 Die Lehre von dem richtigen Rechte, 2. Aufl. 1926, S. 56, 57.
V. Revolutionäre Rechtsentstehung
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eine Knute geschwungen wird, der sich alle fügen müssen 134 . Man hat also dem begrifflich bestimmten Recht die Tendenz zur Richtigkeit untergeschoben, um dann das „Recht" überhaupt zu rechtfertigen. Bei Stammler besteht die Gefahr der idealisierenden Verklärung der bestehenden Verhältnisse; mit der genannten Begründung richtet sich solche Auffassung selbst. Bei Dohna drängt sich wiederum die Notwendigkeit auf, in Fortbildung Kants einen rechtsethischen Mindeststandard als konstitutives Merkmal des positiven Rechts zu begründen. V . Revolutionäre Rechtsentstehung und „sittliche" Rechtfertigung einer Revolution 1. Dohna Die Rede zur Reichsgründungsfeier am 18. Januar 1923 über „Die Revolution als Rechtsbruch und Rechtsschöpfung" enthält ziemlich unverbunden gleichermaßen politische und rechtstheoretische Aspekte, die für unsere Betrachtung auseinandergehalten werden 135 . Sie veranschaulicht zudem die zuletzt behandelte Möglichkeit einer machtpolitischen Instrumentalisierung der kritischen Rechtstheorie. Die Antwort auf die Frage, „was einer neu aufkommenden Staatsmacht oder einer neu sich gestaltenden inneren Staatsordnung Rechtscharakter verleiht", richtet sich nach den feststehenden Merkmalen des Wesens einer Rechtsordnung. Es handelt sich um die „dünn(e) Scheidelinie" im Bereich der sozialen Zwangsbefehle zwischen Recht und Willkür 1 3 6 . Der formale Unterschied besteht in dem Geltungsanspruch, „daß eine Norm, die in allgemein verbindlicher Weise das Verhalten der Gemeinschafter zu regeln und an die Stelle einer bisher geltenden Ordnung zu treten berufen ist, als Recht, ein Befehl dagegen, der in gewolltem Gegensatz zu der in ihrer sonstigen Herrschaft gar nicht angefochtenen Ordnung auftritt, als Willkür zu gelten hat. . . . Eine soziale Ordnung also, die in der zuerst gedachten Art die frühere abzulösen berufen ist, trägt, auch wenn sie sich durch Rechtsbruch den Weg ebnet, von allem Anfange an den Charakter des Rechts, - sie erwirbt ihn nicht etwa erst mit ihrer tatsächlichen Durchsetzung. . . . Die neue Ordnung ist Recht, weil und insofern sie die formalen Merkmale an sich trägt, die das Wesen des Rechts bestimmen; und sie ist zur gleichen Zeit Unrecht, gemessen einmal an der Idee des Rechts und sodann an der positiven Ordnung, zu der sie sich in Gegensatz stellt".
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So das drastische, aber treffende Wort von Julius Ebbinghaus, Kants Rechtslehre und die Rechtsphilosophie des Neukantianismus, in: Festschrift für Theodor Litt, 1960, S. 333. 135 Veröffentlicht Heidelberg 1923. 136 Die Revolution als Rechtsbruch und Rechtsschöpfung, 1923, S. 10, 11.
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Im Falle einer revolutionären, aber noch nicht erfolgreichen Erhebung können also „unzweifelhaft Recht gegen R e c h t . . . um die Herrschaft ringen" 1 3 7 . Im Interesse der Rechtssicherheit sollte es darauf ankommen, „allen umstürzlerischen Tendenzen die Heiligkeit der bestehenden Rechtsordnung . . . entgegenzuhalten", so daß ein gelungener Rechtsbruch nicht einfach zum Rechtstitel erklärt werden kann. Vielmehr bedarf die Macht erst noch der Legitimation, um als Recht aufzutreten 138 . „Nicht um ihrer formalen Qualitäten willen (wird) der Rechtsordnung ein so hohes Maß an Achtung gezollt". Eine Rechtsordnung erhält kulturellen Wert einmal durch die Güte ihres Inhalts, welche sich nach der Rechtsdefinition Kants und danach bemißt, selber eine organische Fortentwicklung und Verbesserung des bestehenden Rechts zu ermöglichen 139 . Der zweite Wert besteht in der Unverbrüchlichkeit der Geltung rechtlicher Regeln, also in dem gesicherten Vertrauen der Rechtsgenossen auf den Bestand dieser Regeln 140 . Wenn nach einem Umsturz auch die der neuen Ordnung innerlich widerstrebenden Staatsbürger, besonders die Angehörigen des gesamten Staatsapparats, erklären, „auf den Boden der durch die tatsächlichen Vorgänge geschaffenen Verhältnisse zu treten", dann hat der Anspruch der neuen Ordnung, als rechtliche unverbrüchlich zu gelten, mit der Anerkennung ihrer faktischen Herrschaft seine Legitimation gefunden 141 . Obwohl aus dem Umstand einer revolutionären Rechtsentstehung, also aus der Illegitimität der entstandenen Rechtsordnung in diesem Sinne, „niemals" ein Recht zu ihrer Zertrümmerung abgeleitet werden kann, wird doch von einem metajuristischen Standpunkt ein Recht zur Revolution als neuere Lehre vom Widerstandsrecht des Volkes bejaht. Es gibt höhere Gesichtspunkte, unter denen der Bruch der formalen Rechtsordnung als sachlich gerechtfertigt nachgewiesen werden kann. „So hoch uns das Ansehen der Rechtsordnung steht, so sehr wir darauf bedacht sind, die Unverbrüchlichkeit des Rechts zum Grunddogma unseres politischen Glaubensbekenntnisses zu machen - einen letzten Wert stellt uns das formale Recht nicht dar". Es „ist Mittel zum Zweck der Förderung der Kultur, der Ertüchtigung des Volkes zur Lösung der ihm gestellten Kulturaufgaben". Wenn die Kraftquellen eines Volkes, seine Lebensbedingungen, die Möglichkeiten zur Entfaltung seiner Fähigkeiten zu verkümmern drohen, „dann kann es sein, daß dieses Volk nur noch durch gewaltsamen Rechtsbruch seine Daseinswerte zu retten vermag". Man muß 137
Die Revolution als Rechtsbruch und Rechtsschöpfung, 1923, S. 12, 13. Die Revolution als Rechtsbruch und Rechtsschöpfung, 1923, S. 9. 139 Die Revolution als Rechtsbruch und Rechtsschöpfung, 1923, S. 14, auch S. 20: Das eigentliche Fundament, welches einer Rechtsordnung „sittlichen Halt und überzeugende Gültigkeit verlangen kann, ist der Einklang aller positiven Rechtssatzung mit dem Grundgesetz allen sozialen Wollens - mit der Idee der Gerechtigkeit". 140 Die Revolution als Rechtsbruch und Rechtsschöpfung, 1923, S. 15,14. 141 Die Revolution als Rechtsbruch und Rechtsschöpfung, 1923, S. 26. 138
V. Revolutionäre Rechtsentstehung
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Revolutionen messen an den Ideen, die sie bejahen und zum Siege verhelfen wollen. In dem Vorwurf der Ideenlosigkeit liegt die schwerste Verurteilung einer Revolution. „Revolutionen, die ihre sittliche Rechtfertigung in sich tragen, müssen Höhepunkte darstellen im Leben eines Volkes" 1 4 2 . Aus dieser theoretischen Betrachtung ergeben sich für die Beurteilung der Revolution am 9. November 1918 die folgenden Konsequenzen. Der auf den Geltungsanspruch abstellende Rechtsbegriff paßt schon auf die neue Ordnung ab dem 9. November 1918, nicht erst ab dem 11. August 1919. Allerdings konnte sich die junge Republik bei ihrer Entstehung nicht auf den Satz „justitia fundamentum regnorum" berufen, sondern muß sich dieses Fundament erst mühsam erkämpfen 143 . Der Rat der Volksbeauftragten konnte als provisorische Staatsgewalt nur ein bescheidenes Maß an Geltung gewinnen, während die von der Nationalversammlung verabschiedete Verfassung eine „Geltungskraft von ungleich stärkerem Gewicht" erhalten hat, weil sie von der demokratisch gewählten Mehrheit beschlossen und „daraufhin von der opponierenden Minderheit als sie gleichermaßen verpflichtend - sei es ausdrücklich, sei es tatsächlich - anerkannt worden ist. Aber damit war der Makel, der sich an die Entstehung der neuen Verfassung heftet, mitnichten getilgt. . . . Die Autorität des Staates hatte einen schweren Stoß erlitten" 1 4 4 . Im Hinblick auf verfassungswidrige separatistische Bewegungen heißt es, daß „wer heute hochverräterische Pläne verfolgt, . . . billigen Trost in der Erwägung (findet), daß auch die bestehende Ordnung keine bessere Legitimation aufzuweisen vermag" 145 . Die neue Verfassung steht in Geltung, weil „auch die der neuen Ordnung innerlich widerstrebenden Elemente erklärten, auf den Boden der durch die tatsächlichen Vorgänge geschaffenen Verhältnisse zu treten. Wer das tat - und wir taten es alle - behielt sich zwar vor, mit allen verfassungsmäßigen Mitteln die neue Ordnung zu bekämpfen und die Restauration zu propagieren; den Gedanken an gewaltsamen Widerstand aber lehnte er ab" 1 4 6 .
Deshalb soll sich der neue Staat mit der Erklärung loyaler Gesinnung seiner Beamtenschaft zufrieden geben und nicht versuchen, ihnen die republikanische Gesinnung zu oktroyieren 147 . Der Revolution vom 9. November wird die sittliche Rechtfertigung abgesprochen: „Wer wollte vom 9. November unseligen Angedenkens solches behaupten", daß es einen Höhepunkt im Leben des Volkes darstellte. „Es ist der Tag, an dem das deutsche Volk den Glauben an sich selbst verlor - ein Tag tiefer Demütigung und darum in alle Zukunft ein 142
Die Revolution als Rechtsbruch und Rechtsschöpfung, 1923, S. 27, 28. Die Revolution als Rechtsbruch und Rechtsschöpfung, 1923, S. 8, 12; auf S. 17 22 näher zur notwendigen Rückkehr zum gesicherten Rechtsstaat. 144 Die Revolution als Rechtsbruch und Rechtsschöpfung, 1923, S. 16. 145 Die Revolution als Rechtsbruch und Rechtsschöpfung, 1923, S. 24, 25. 146 Die Revolution als Rechtsbruch und Rechtsschöpfung, 1923, S. 26. 147 Die Revolution als Rechtsbruch und Rechtsschöpfung, 1923, S. 6, 7. 143
6 Escher
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Tag nationaler T r a u e r " . D e r 18. Januar 1870 ist uns heute der Tag der Reichsgründung, nicht der Kaiserkrönung. „Die Einheit des Reiches bedeutet uns nun wirklich einen letzten Wert, soweit das Wort auf historisch bedingte Ziele überhaupt Anwendung finden darf. Die Würde, die wir bei aller Wertschätzung dem formalen Recht absprechen zu sollen glaubten, dem Einheitsgedanken erkennen wir sie zu. Höher als die Verfassung steht uns der Bestand des Reichs!" 1 4 8 . I n diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, daß die D V P während des Kapp-Putsches durchaus bereit war, sich auf den B o d e n der jeweils neuesten Tatsachen zu stellen. D o h n a beurteilte zwar die ohne seine Teilnahme zustandegekommene E r k l ä r u n g der D V P v o m 13. M ä r z 1920 als einen Fehler, weil die Situation noch nicht zu überschauen war. D e m Vermittlungskurs Stresemanns, der sich ganz an der für die Zwecke der D V P optimalen Ausnutzung der jeweiligen Tatsachen orientierte, erteilte er in der Fraktionssitzung am 15. März 1920 aber seine Z u s t i m m u n g 1 4 9 . D i e Frage, ob u n d wann nach dem 30. Januar 1933 die Weimarer Verfassung revolutionär außer K r a f t gesetzt worden ist, w i r d eher nur beiläufig gestreift 1 5 0 . 148 Die Revolution als Rechtsbruch und Rechtsschöpfung, 1923, S. 28, 5. Zustimmend Marschall von Bieberstein, Der Kampf des Rechts gegen die Gesetze, 1927, S. 31 FN 109. Vgl. auch Dohna, Der 18. Januar und die deutsche Republik, Bonner Universitätsrede zur Reichsgründungsfeier, 1930, S. 3: Wir haben „ein Recht darauf, diesen Tag zu feiern, nicht um seines monarchischen, sondern um seines unitarischen Gepräges willen". Die Differenzierung zwischen Reichseinheit und Staatsform ist für Dohna (und viele andere) ein wichtiger Grund gewesen, sich nach dem 9. November 1918 aus patriotisch-nationalen Gründen auf den Boden der neuen Tatsachen zu stellen; vgl. auch zur Biographie, daß Dohna mindestens bis zur Mitte der Weimarer Republik ein „Herzensmonarchist und Vernunftrepublikaner" gewesen ist. 149 Vgl. Nachlaß Gustav Stresemann, Politisches Archiv beim Auswärtigen Amt, Bd. 217, S. H 139541 - H 139542: Niederschrift über die Besprechung der Parteileitung der DVP am 13. März 1920, 11 Uhr vormittags; S. H 139543 - H 139553 (dort der Aufruf): Zweite Sitzung am 13.März um 16.30 Uhr; z.B. S. H 139550: Stresemann: „Was ich gesagt habe, ist doch eine klare Parole: Die neuen Tatsachen werden anerkannt, aber wir fordern die sofortige Zurückführung des ungesetzlichen Zustands auf eine gesetzmäßige Grundlage." Und ein anderes Mitglied von Krause: „Ich bin mit Stresemann einverstanden. . . . Wir sollten uns auf den Standpunkt der Beamten von November 1918 stellen. Bereit sein zur Mitarbeit unter der Voraussetzung, daß kein Opfer der Gesinnung zu bringen ist. Das müsse auch der Standpunkt der Partei sein."; S. H 139554 - H 139561: 3. Sitzung am 14. März morgens um 11 Uhr; S. H 139562 H 139571: 4. Sitzung am 15. März morgens um 11 Uhr; S. H 139569: Dohna: „Er warne vor einer neuen Proklamation. Die erste Erklärung war ein Fehler, weil die Verhältnisse noch nicht zu übersehen waren. Sie seien es auch heute noch nicht. Wichtiger als eine neue Erklärung sei es, unsere Vermittlungsaktion fortzusetzen". Vgl. ausführlich Hartenstein, Wolfgang, Die Anfänge der DVP 1918 - 1920, Düsseldorf 1962, S. 149 - 193 zum Verhalten der DVP während des Kapp-Putsches. 150 Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 39: Jüngst habe sich eine Revolution „auf legalem Wege" durchgesetzt; S. 49: „Angesichts der noch ungeschriebenen und doch deutlich erkennbaren Richtlinien des neuen Staatsaufbaues ist daher die Frage, in welchem Umfang und mit welchen Modifikationen die Weimarer Reichsver-
V. Revolutionäre Rechtsentstehung 2.
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Stammler
D i e Fragen nach der revolutionären Rechtsentstehung, der Geltung des neu entstandenen Rechts u n d der sittlichen Rechtfertigung einer R e v o l u t i o n werden auseinandergehalten. I m Falle einer R e v o l u t i o n war der rechtsbrechende Eingriff „ a n sich willkürliche G e w a l t " , der sich aber zum rechtserzeugenden A k t zu verwandeln vermag, indem er für die Folgezeit den Sinn der Unverletzbarkeit beansprucht 1 5 1 . Das alte Recht ist erst ann aufgehoben, wenn i n einem Bürgerkrieg die rechtsbrechende Partei den Sieg errungen h a t 1 5 2 . I n besonderer Lage kann eine R e v o l u t i o n gerechtfertigt werden, wenn ohne die V o r nahme eines Rechtsbruchs „eine V e r w i r k l i c h u n g v o n richtigem Rechte, geleitet v o n der Idee der Gerechtigkeit, unmöglich e r s c h e i n t " 1 5 3 .
3. Vergleich und Würdigung Dohnas Ansicht stimmt mit derjenigen Stammlers i m wesentlichen überein. E i n Unterschied besteht darin, daß Stammler es vermeidet, während der noch unentschiedenen Machtfrage v o n dem Kampfe zweier „Rechts"-ordnungen zu sprechen 1 5 4 . Ferner enthält hier die Geltungslehre Dohnas gemessen an dem fassung noch heute geltendes Recht darstellt, schwer zu entscheiden."; S. (51), 52: Wenn bei den Rechtsunterworfenen gegenüber der alten Ordnung das Bewußtsein des Verpflichtetseins entfallen ist, dann steht die alte Ordnung nicht mehr in Geltung. „Unter den Erschütterungen jener hoffnungslosen (Herbst 1918) und dieser hoffnungsfreudigpn Tage (Frühjahr 1933) brachen die Grundfesten der alten Ordnung jeweils zusammen. Sie fanden in den Seelen des Volkes nicht mehr die nötige Resonanz, um sich den aufkommenden Widerständen gegenüber durchzusetzen. Materiell wurde seit der Aufrichtung des Dritten Reiches das Gefüge der parlamentarischen Demokratie restlos zerstört. Was von der Verfassung übrig blieb, war, bei Lichte betrachtet, nur ein Stück der äußeren Fassade. Es ist erstaunlich, wie rasch und wie vollkommen die Mentalität des Volkes sich umgestellt hat auf ganz neue Gedanken und Ziele volksstaatlichen Aufbaus. Die Weimarer Verfassung ist tot, weil der Glaube an sie erloschen ist." 151 Recht und Willkür (1895), in: Rechtsphilosophische Abhandlungen und Vorträge, Bd. 1,1925, S. 105, 106. 152 Wirtschaft und Recht, 2. Aufl. 1906, S. 499; Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1928, S. 146: Eine revolutionäre Rechtsentstehung erfordert einmal, daß „die neu gesetzte Verbindung . . . dem Begriffe des rechtlichen Wollens nach allen logischen Merkmalen restlos" entspricht. Zweitens muß „das Wollen, das in originärer Weise als rechtliches Wollen eintritt, nun auch als solches in Wirklichkeit sich durchzusetzen" vermögen. Ersichtlich sagen beide Sätze dasselbe aus; zudem werden im Widerspruch zur postulierten Trennung von Begriff und Geltung des Rechts beide Aspekte vermengt. Zur Entstehung der Weimarer Republik heißt es auf S. 144 FN 6: Das Gesetz vom 3. April 1919, welches die Anordnungen der revolutionären Gewalthaber zu rechtlichen Gesetzen erklärte, habe zur „Selbstberuhigung" nur klargestellt, daß diese Anordnungen im Sinne des formalen Rechtsbegriffes im Gegensatz zur Willkür gemeint gewesen seien. 153 Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1928, S. 302. 154 Diesen Sprachgebrauch hat Dohna von Georg Jellinek übernommen, Der Kampf des alten mit dem neuen Recht, 1907, S. 5, 6 und öfter. 6*
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postulierten strikten Dualismus von Rechtslogik und Rechtsethik systemwidrige legitimatorische Erwägungen. In der Literatur unterscheidet man üblicherweise drei Theorien: Die herrschende Ansicht der Staatsrechtslehre und der Rechtsprechung läßt die „normative Kraft des Faktischen" entscheiden; wer sich etwa im Bürgerkrieg erfolgreich gegen die vorherige Staatsführung durchgesetzt hat, kann im Interesse des allgemeinen Friedensbedürfnisses und der dazu notwendigen Fortführung des Staatsapparates neues Recht, genauer eine neue Verfassung, setzen. Die streng legitimistische Theorie verneint die Möglichkeit revolutionärer Rechtsentstehung und verlangt für den Rechtsbegriff eine genetische Fortentwicklung aus dem seitherigen Recht. Vermittelnde Theorien anerkennen zwar die Möglichkeit, daß auch aus einem gewaltsamen Rechtsbruch eine neue Rechtsordnung erwachsen kann; besonders im Hinblick auf die Qualität des neuen „Rechts-"inhalts wird eine abgestufte Verpflichtungskraft der neu entstandenen Ordnung angenommen 155 . Der erste, begrifflich-rechtspositivistische Teil der Ausführungen Dohnas stimmt zunächst mit der herrschenden Theorie der vollendeten Tatsachen überein. Allerdings hat Dohna für weitere damit zusammenhängende wichtige Probleme keinerlei neuen Ertrag erbracht; dies gilt etwa für die Fragen, ob der neue und alte Staat als juristische Person identisch sind, ob vorher bestehende Bundesländer weiterexistieren, ob und wie einfache Gesetze und Verordnungen weitergelten, was aus den Rechtsverhältnissen der Beamten und Richter wird und ob die Hochverratsbestimmungen nun die neuen, meist nicht sofort in einer Urkunde fixierten Verfassungsverhältnisse schützen 156 . Dagegen verleihen die metajuristischen Bemerkungen zur revolutionären Rechtsentstehung allgemein und bezogen auf den 9. November 1918 der gesamten Lehre einen antagonistischen Charakter. Einerseits wird der Wei-, marer Ordnung der positive Rechtscharakter und die Geltung im Sinne der faktischen Anerkennungstheorie, besser im Sinne der Macht- und Gehorsamstheorie zugesprochen, während dieser Rechtsordnung zugleich ein mitnichten; getilgter „Makel" anhaften soll 1 5 7 . Die bestehende Rechtsordnung soll vor 155 Vgl, weiterführend z.B. Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl. 1914, S. 337ff.; Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11.8.1919, 14. Aufl. 1933, Neudruck 1987, S. 3 - 11 mwN; Beling, Revolution und Recht, 1923; Herrfahrdt, Heinrich, Revolution und Rechtswissenschaft, 1930, Neudruck 1970, S. 57 - 68; Huber, Ernst Rudolf, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 6,1981, S. 5 - 21. 156 Vgl. aber Dohnas Manuskript Reich und Länder, wohl 1919, S. 1 - 8, und seine Rede „Zur Kritik der bayerischen Denkschrift", 1924, S. 6 - 9, beide in N L Dohna I V : Nur die Reichspersönlichkeit sei identisch geblieben; dagegen bestehe für die Verfassung und die Gliedstaaten das Verhältnis der Diskontinuität, so daß die Weimarer Verfassung wegen des Untergangs der Länder nicht an weiteren Fortschritten in Richtung zum Unitarismus gehindert gewesen wäre. Weiterführend z.B. Herrfahrdt, Revolution und Rechtswissenschaft, 1930, S. 84 150.
V. Revolutionäre Rechtsentstehung
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künftigen revolutionären oder separatistischen Rechtsbrüchen verteidigt werden, während gleichzeitig der mehrheitsdemokratisch zustandegekommenen Verfassung die Legitimität abgesprochen wird, weil sich die Revolution gegen „vitale Interessen" des Volks und der Nation versündigt hat. Die Formel von der sittlichen Rechtfertigung einer Revolution gemessen an den wahren nationalen und kulturellen Bedürfnissen kann einerseits von militanten Umstürzlern leicht als argumentative Waffe gebraucht werden; sie kann andererseits auch staats- und rechtsbewahrenden Charakter tragen. Dieselbe Zwiespältigkeit betrifft auch den Satz, daß der schärfste gegen eine Revolution zu erhebende Vorwurf in der Ideenlosigkeit bestehe. Da bei der Anwendung der Lehre vom richtigen Recht keine allgemeingültigen inhaltlichen Erkenntnisse möglich sind, läuft letztlich alles auf die bloße Machtfrage hinaus: auctoritas, non Veritas facit legem 158 . Darüber hinaus hat sich Dohna durch die metajuristische Betrachtung von der herrschenden Theorie entfernt. Im Endergebnis nähert er sich vermittelnden Theorien, die etwa zwischen Ordnungs- und Rechtsnormen unterscheiden und nur letzteren eine normative Geltungskraft zusprechen 159. Auch wenn Dohnas wissenschaftliche Stellungnahmen grundsätzlich nicht seinen parteipolitischen Standpunkt erkennen lassen, so ist hier eine enge Verflochtenheit der rechtstheoretischen Argumentation mit der politischen Meinung zu erkennen 160 . 157 Gegen den Makel Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11.8.1919, 14. Aufl. 1933, S. 4: Es handele sich um ein politisches Werturteil, im Rechtssinne ist ein Makel nicht vorhanden. 15 8 Hobbes, Thomas, Leviathan, 1651, 1987 (Reclam), Kapitel 26, S. 230, 231. 159 Herrfahrdt, Revolution und Rechtswissenschaft, 1930, S. 48, 49: Im lebendigen Rechtsbegriff des Volkes, also im Begriff des Rechts im strengen Sinne, ist die Vorstellung des Achtungsgebietenden enthalten, also „des Abbildes einer über alle äußere Macht erhabenen höheren Ordnung, die ewig bestehen bleibt, auch wenn sie auf Erden tausendmal vergewaltigt wird. Deshalb sträubt sich das Rechtsbewußtsein, Dinge als Recht zu bezeichnen, die noch mit der Vorstellung des Ursprungs aus reiner Gewalt oder gar aus Rechtsbruch behaftet sind". Demgegenüber stehen die Ordnungsnormen, denen (nur) im Interesse der Ordnung und Sicherheit Gehorsam geleistet wird. S. 82: Bis heute sei es noch nicht zu einem Zustand völliger Legitimierung der neuen Staatsordnung gekommen. S. 84: Die verfassungsmäßige Grundlage unseres Staatslebens sei noch nicht über die Stufe einer zu äußerem Gehorsam verpflichtenden Ordnungsnorm hinausgediehen. In seiner Rezension hält Dohna zwar die Grenzziehung zwischen Rechts- und Ordnungsnormen nicht für überzeugend; vielmehr sei strikt zu trennen, was Recht begrifflich ist, wann eine Rechtsnorm gilt und wie beschaffen ihr Inhalt sein sollte; in: Kritische Vierteljahresschrift, Bd. 24 (1931), S. 365, 366. Jedoch hat er nicht einmal selbst diese Trennung durchgehalten, da wie im Text ausgeführt die faktischen und normativen Aspekte vermengt werden. Vgl. auch Freiherr Marschall v. Bieberstein, Fritz, Vom Kampf des Rechtes gegen die Gesetze, 1927, der zwischen im Volksbewußtsein verwurzelten echten, würdevollen Rechtsnormen und bloßen Richtungsnormen unterscheidet; S. 104 - 106, 119 - 140. 160 Vgi # ferner Der drohende Riß. Eine Mahnung zur Besinnung, in: Wille und Weg, 2. Jg. 1926/27, Nr. 19, S. 451: Der Wechsel der Minderheitsregierungen zeige „das Eingeständnis, daß die parlamentarische Regierungsform sich mit den Belangen des deut-
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2. Teil: Neukantianische Rechtsphilosophie
V I . Deontologischer Rechtspositivismus als legitimer Mittelweg zwischen reinem Machtpositivismus und klassischem Naturrecht 1. Sind nach Dohna Willkür
und sachlich unrichtiges Recht unterscheidbar?
Dem strikten Dualismus zwischen Rechtsbegriff und Rechtsidee ist vielfach vorgeworfen worden, daß auch evidenten Unrechtsgesetzen und faktisch wirksamen Unrechtssystemen Rechtscharakter zugesprochen wird. Hier kann nur der Frage nachgegangen werden, ob sich nach Dohna Willkür als Nichtrecht oder Gewalt und sachlich unrichtiges Recht auseinanderhalten lassen. Dieser Aspekt ist in der bisherigen Literatur auch gegenüber Stammler nicht gebührend berücksichtigt worden. Bei der kategorialen/formallogischen und idealen/formalethischen Rechtsbetrachtung soll es sich um reine Formen handeln, die im Wege kritischer Selbstbesinnung in einem gegebenen historischen Stoff wiedererkannt werden können. Danach muß es möglich sein, in einer Gemeinschaftsregelung das bedingende Merkmal der Willkür offenzulegen. Dies könnte für eine bestimmte Regelung oder für das Regelungssystem insgesamt zutreffen. Ebenfalls muß es möglich sein, in einem Rechtsinhalt das Merkmal der Unrichtigkeit nachzuweisen. A n sich muß an jedes kategorial bestimmtes Wollen bzw. an jede Norm für menschliches Handeln der ideale Maßstab angelegt werden können. Aber die Prüfung, ob es richtige Willkür geben könne, erscheint wegen des darin enthaltenen Widerspruchs widersinnig. Auch das Rechtsinstitut der Gnade kann nicht dafür herhalten. Dohna sagt zutreffend, daß eine Gnadenentscheidung nicht dazu verwandt werden darf, ein Strafurteil wegen angeblich fehlerhafter Beweiswürdigung nachträglich zu korrigieren. Vielmehr sei die Gnade das Sicherheitsventil des Rechts. Der Gesetzesunterworfene soll nicht unter der Diskrepanz zwischen dem buchstäblichen und dem zu vermutenden vernünftigen Willen des Gesetzes leiden, wenn „die abstrakt gefaßten und auf den Durchschnitt der Fälle berechneten Rechtsnormen bei einer außerordentlichen und vom Gesetzgeber nicht in den Bereich der Erwägung gezogenen Konstellation der Umstände eine unbillige Härte enthalten" 161 . Aber die Kriterien für ein unbillig hartes Strafmaß werden doch einen gewissen Grad der Generalisierung enthalten müssen, um eine
sehen Volkes nicht verträgt". Einerseits stellte sich Dohna auf den Boden der Verfassung und distanzierte sich von der destruktiven Oppositionspolitik der DNVP, während er andererseits zumindest in der Anfangsphase der Republik ein Herzensmonarchist blieb. Kennzeichnend ist sein staatswohlorientierter Liberalismus, der eine Führungselite kraft Leistung und Gesamtwohlverantwortung bejaht, und seine Unterscheidung der jeweiligen Staatsform von den Erfordernissen der Staatsautorität. 161 Über den Beruf der Gnade, in: Der Tag, Nr. 59, 23. Oktober 1907.
VI. Deontologischer Rechtspositivismus
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gleichförmige Gnadenpraxis zu erzielen. Sie beziehen sich zwar auf extreme Ausnahmetatbestände gemessen am positiven Recht; dennoch beinhalten sie den Anspruch, daß bei dem erneuten Auftreten solcher Umstände dieselbe Entscheidung gefällt wird. Deswegen ist es nicht zutreffend, die Gnade als mögliches Beispiel einer „richtigen" Willkür aufzufassen. Vielmehr weist das Rechtsinstitut der Gnade schon begrifflich auf den Generalisierungsgedanken hin. Dieses hier nicht weiter zu verfolgende Beispiel der Gnade weist auf den entscheidenden Mangel hin: bei der Unterteilung in Recht und Willkür als Nichtrecht durch den Anspruch, eine allgemeinverbindliche Ordnung aufzurichten, sowie bei der Unterteilung in richtiges und unrichtiges Recht greift Dohna letztlich jeweils auf den Verallgemeinerungsgedanken im Gegensatz zur egoistischen Laune zurück. Mit anderen Worten: zwischen der Willkür und dem sachlich unrichtigen Recht verschwimmt der Unterschied bis zur Unkenntlichkeit 162 . 2. Zum deontologischen Rechtspositivismus Diese mißlungene Unterscheidung zwischen Willkür und sachlich unrichtigem Recht drängt zur Fortbildung in Richtung des vielberufenen Mittelweges zwischen dem klassischen Naturrecht und dem radikalen Machtpositivismus. Dieser maßgeblich von Kant ausgehende163 Mittelweg hat in der neueren Literatur in den Formulierungen Radbruchs von der Stoffbestimmtheit der Idee und der Ideebestimmtheit des Stoffes sowie von dem übergesetzlichen Recht und dem gesetzlichen Unrecht einen prägnanten Ausdruck gefunden 164 . 162
Stammler betont zwar, daß Willkür als Gewalt des einzelnen Falles und sachlich unrichtiges Recht auseinanderzuhalten sind; Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1928, S. 90 FN 1. Dies ist ihm jedoch in Wirklichkeit nicht gelungen, da seine Unterscheidung zwischen einseitig und zweiseitig bindenden Zwangsbefehlen auf bloßen Formulierungskünsten beruht; zudem kann man sogar sagen, daß in dem Merkmal der Zweiseitigkeit bereits eine begriffliche Tendenz zur Generalisierung anklingt. 163 Es ist wiederholt auf den allgemeinen Umstand hingewiesen worden, daß die historische Rezeption Kants zuerst von den Ursprüngen zum Positivismus und Relativismus wegführte, um dann zum Vernunft- oder besser menschenrechtlichen Ausgangspunkt zurückzuführen; z.B. Dreier, Ralf, Zur Einheit der praktischen Philosophie Kants, in: ders. Recht, Moral, Ideologie, 1981, S. 286, 287. 164 Radbruch, Rechtsidee und Rechtsstoff, in: ARWiP 17 (1923), S. 343 - 350; ders. Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht, in: Süddeutsche Juristenzeitung 1946, S. 105 - 108, ebenfalls in: Rechtsphilosophie, 8. Aufl. 1973, S. 339 - 350; Ellscheid, Günter, Das Problem von Sein und Sollen in der Philosophie Immanuel Kants, 1968; Arthur Kaufmann, Einführung in Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 5. Aufl. 1989, S. 21, 22, 87 - 98. Vgl. allgemein zum Positivismus Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl. 1967, S. 430 - 468; Somlo, Juristische Grundlehre, 2. Aufl. 1927; Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl. 1960, Nachdruck 1983; Hart, H. L. Α . , Der Positivismus und die Trennung von Recht und Moral, in: Recht und Moral, 1971, S. 14 - 57.
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2. Teil: Neukantianische Rechtsphilosophie
Als Gegenthese zum überwiegend formalen und machtpositivistischen Charakter der Rechtsphilosophie Dohnas soll eine deontologische oder axiologische Rechtstheorie entwickelt werden. In der Rechtstheorie Dohnas finden sich nur schwache Anhaltspunkte, die in fortbildender Interpretation in diese Richtung weisen 165 . Dohna behandelt das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, das Blutschutzgesetz und die extremen Strafrahmenbestimmungen im Dritten Reich als geltendes positives Recht. Auch die in dieser Zeit aufrechterhaltene strikte Betonung des unbedingt zu beachtenden Gesetzeswillens legt den Schluß nahe, daß er in dieser Zeit jedes von den Machthabern ausgehendes „Gesetz" als positives Recht angesehen hat 1 6 6 . Unter der fingierten Voraussetzung damals vorhandener Wissenschaftsfreiheit hätte ihm dies zur Auflösung des Widerspruchs Anlaß geben müssen, wenn einmal auch zugunsten jedes Verbrechers zur Einschränkung der Notwehrbefugnis die Mensch-als-Zweck-an-sich-selbst-Formel geltend gemacht wird, während dann von der unbegrenzten Verfügungsgewalt des Staates über die unterworfenen Individuen gesprochen wird 1 6 7 . Allgemein gesagt führt der von Dohna angestrebte strikte Dualismus zwischen Rechtslogik und Rechtsethik, so paradox dies zunächst klingen mag, zur Identifizierung beider Bereiche. Jeder Gesetzesinterpret, insbesondere jeder Machthaber, kann sein Vorverständnis in die formalen Wertungsmaßstäbe der Rechtsethik hineinlesen. Formale Gerechtigkeitsprinzipien wie Stammlers soziales Ideal freiwollender Menschen oder die Formel „jedem das seine" bedeuten dann die Anerkennung des faktischen Rechts des Stärkeren. Demgegenüber steht der deontologische oder axiologische Rechtspositivismus in der Traditionslinie Kants und Radbruchs. Die Kantsche Rechtslehre legt es in ihrem apriorischen Anfangsteil durchaus nahe, staatlichen „Gesetzen", welche etwa bestimmte Menschengruppen schlechthin aus bloß voluntaristischen Gründen von der Teilhabe an einem Mindestmaß an Rechtssicherheit ausschließen und auch deren Lebensrecht schlechthin der Verfügungsgewalt nach Gutdünken ausliefern, den Rechtscharakter abzusprechen 168. 165 Vgl. auch 3. Teil, E. 1.2. und E. IV. 3. 166 Vgl. Z . B . Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 50; Die Verwendung der Todesstrafe in Deutschland seit 1933, in: MschrKrimPsych. Bd. 30 (1939), S. 479 487; Die Macht des Richters. Ermessensfreiheit und Verantwortung, in: Das Reich, 16. Februar 1941; Die gesetzliche Strafzumessung, in: MschKrimBiol. Bd. 34 (1943), S. 138 - 148; Die Problematik der Aufgaben des Revisionsgerichts in Theorie und Praxis, in: DStR Bd. 7 (1940), S. 72 - 75. Siehe auch 3. Teil, D . I I I . l . , daß die methodische Kritik an der „Steigerung der Richtermacht" auch als inhaltliche Kritik verstanden werden kann. 167 Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 132; Verantwortung und Recht, in: Gesetz und Freiheit, hrsg. v. Graf Hermann Keyserling, 1926, S. 70, 71.
VI. Deontologischer Rechtspositivismus
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Nach der Radbruchschen Formel ist der Konflikt zwischen Gerechtigkeit und Rechtssicherheit dahin zu lösen, „daß das positive, durch Satzung und Macht gesicherte Recht auch dann den Vorrang hat, wenn es inhaltlich ungerecht und unzweckmäßig ist, es sei denn, daß der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, daß das Gesetz als „unrichtiges Recht" der Gerechtigkeit zu weichen hat. . . . Wo Gerechtigkeit nicht einmal erstrebt wird, wo die Gleichheit, die den Kern der Gerechtigkeit ausmacht, bei der Setzung positiven Rechts bewußt verleugnet wurde, da ist das Gesetz nicht etwa nur „unrichtiges Recht", vielmehr entbehrt es überhaupt der Rechtsnatur. Denn man kann Recht, auch positives Recht, gar nicht anders definieren denn als eine Ordnung und Satzung, die ihrem Sinn nach bestimmt ist, der Gerechtigkeit zu dienen. A n diesem Maßstab gemessen sind ganze Partien nationalsozialistischen ,Rechts' niemals zur Würde geltenden Rechts gelangt" 169 .
Diese Linie wird fortgesetzt von der objektiven Wertordnung des Grundgesetzes (Art. 1, 20 I I I , 79 I I I GG) und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Problem der Geltungskraft von Unrechtsgesetzen 170. Auf dieser Grundlage kann der Gedanke des deontologischen Rechtspositivismus formuliert werden 171 . Deontologisch meint, daß die allgemeine Einhaltung eines gewissen elementarsten inhaltlichen Mindeststandards jeder staatlichen Ordnung zur Pflicht gemacht wird, will diese überhaupt als „rechtlich" konstituierte Ordnung legitimen Gehorsam beanspruchen und verbindliche Rechtspflichten auferlegen. Dieser elementarste Mindeststandard besteht namentlich in der Unverfügbarkeit der Kerngehalte der Menschenrechte insbesondere auf Leben, persönliche Freiheit und Eigentum. Dieser für jede Rechtsordnung konstituierende und kraft Menschseins zur Pflicht erhobene elementarste Mindeststandard beinhaltet die Aufgabe, eine judikative Instanz bereitzustellen, welche in Zweifelsfällen über die Einhaltung dieses Standards zu entscheiden berufen ist. Weitere Mindeststandards wie das (staatsbürgerliche) Recht auf politische, gleiche und demokratische Teilhabe an der staatlichen Willensbildung sowie die klassischen Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit bauen erst darauf auf. Die deontologische Rechtstheorie will nicht das Programm des überkommenen Naturrechts oder des sog. Natur168
Siehe oben FN 121. Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht (1946), in: Rechtsphilosophie, 8. Aufl. 1973, S. 345, 346. 170 Z . B . BVerfGE Bd. 3, S. 58, 118, 119; S. 225, 232, 233; Bd. 6, S. 414, 415. Vgl. auch Hofmann, Hasso, Menschenrechtliche Autonomieansprüche, in: JZ 1992, S. 165 - 173. m Vgl. ζ. B. aus der umfangreichen Literatur Ebbinghaus, Julius, Kants Rechtslehre und die Rechtsphilosophie des Neukantianismus, in: Festschrift für Theodor Litt, 1960, S. 317 - 334; Welzel, Hans, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, 4. Aufl. 1962, Nachdruck 1980, S. 239, 240; Dreier, Ralf, Der Begriff des Rechts, in: NJW 1986, S. 890 - 896; ders. Rechtsbegriff und Rechtsidee. Kants Rechtsbegriff und seine Bedeutung für die gegenwärtige Diskussion, 1986, S. 25 - 37. 169
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2. Teil: Neukantianische Rechtsphilosophie
rechts mit wechselndem Inhalt verfolgen. Die Aufgabe besteht einmal darin, alle Gemeinschaftsordnungen, die auf bloßer Gewaltherrschaft beruhen und den elementarsten Mindeststandard realiter verleugnen, aus dem Rechtsbegriff auszuschließen. Zum anderen wird begründet, daß bei Einhaltung des elementarsten Mindeststandards die vielfältige, im zwischenstaatlichen Vergleich ganz verschiedenartige positive Ausgestaltung der staatlichen Rechtsordnung für Richter, Verwaltungsangehörige und alle Normadressaten verbindlich ist, auch wenn diese zutreffend oder nicht die politische Opportunität der Einzelnormen bestreiten. Die deontologische Rechtstheorie erhebt in erster Linie einen negativen Wahrheitsanspruch; sie will sachvernünftig begründen können, was nicht Recht sein kann. Dagegen will und kann sie nicht den Anspruch stellen, aus elementaren Grundwerten nun bestimmte positive Rechtssätze als die allein richtigen zu deduzieren. Aus dem elementarsten Mindeststandard wird aber man beispielsweise negativ ableiten können, daß ein Angriffs- und Ausrottungskrieg, die Folter, die Tötung von Menschen aufgrund bloßer voluntaristischer Unerwünschtheit, insbesondere die staatliche Freigabe der Tötung ungeborener, alterskranker, behinderter oder rassisch mißliebiger Menschen, die Todesstrafe, die Sklaverei, die Nürnberger Rassengesetze und anderes mehr rechtlich schlechthin unzulässig sind 172 . Eine nähere Ausarbeitung und vertieftere Begründung, warum gerade auch jeder positive Verfassungsgesetzgeber auf die Beachtung, Rezeption und zeitgemäße Konkretisierung dieses elementarsten Mindeststandards verpflichtet ist, wird das Programm der deontologischen Rechtstheorie zu bilden haben. Dohna hat es in seiner Rechtsphilosophie unterlassen, einen notwendigen Zusammenhang zwischen der Mensch-Zweck-Formel und dem Anspruch des Rechts auf allgemeine Rechtssicherheit als Grundelemente des Rechtsbegriffs zu begründen. Der machtpositivistische Charakter seiner Lehre überwiegt. Es bleibt die Aufgabe, dem universalen Rechtsbegriff einen in sich selbst begründeten elementaren inhaltlichen Mindeststandard zu integrieren 173 .
172 Vgl. ζ. B. auch das Urteil des L G Berlin zu den Todesschüssen an der Mauer, in: JZ 1992, S. 492 - 494. 173 Zur umfangreichen neueren Kant-Diskussion z.B. Höffe, Otfried, Politische Gerechtigkeit. Grundlegung einer kritischen Philosophie von Recht und Staat, 1987; ders. Kategorische Rechtsprinzipien. Ein Kontrapunkt der Moderne, 1990; Kersting, Wolf gang, Wohlgeordnete Freiheit. Immanuel Kants Rechts- und Staatsphilosophie, 1984; Kaulbach, Friedrich, Studien zur späten Rechtsphilosophie Kants und ihrer transzendentalen Methode, 1982, S. 89 - 110, 169 - 190; weiterführende Nachweise bei Küsters, Gerd Walter, Kants Rechtsphilosophie, 1988.
Dritter
Teil
Strafrecht und Strafrechtsphilosophie Die strafrechtlichen und strafrechtsphilosophischen Schriften Dohnas leben von dem Spannungsverhältnis mehrerer Betrachtungsweisen, welche in je unterschiedlicher Gewichtung miteinander verknüpft werden. Die gesetzespositivistische Sicht zeigt sich beispielhaft in der grundsätzlich wortlautstrengen Auslegung der Strafausdehnungsvorschrift über den Versuch. Im Bereich der Straftheorie und der Kriminalpolitik dominiert ein ausgeprägtes Effektivitätsund Nützlichkeitsdenken; hingegen soll die Verwirklichung des Strafrechts in einem streng rechtsstaatlich-liberalen Strafverfahren stattfinden. Das teleologische oder sozialutilitaristische Rechtsverständnis findet in dem allgemeinen Motivationsgesetz und in der formalen Maxime richtigen Handelns seine erkenntniskritische Fundierung. In der Verbrechensdogmatik wird der strikte Sein-Sollens-Dualismus zum tragenden Konstruktionsprinzip erhoben ; ferner wird in der Lehre von der Rechtswidrigkeit und der Schuld auf den Verallgemeinerungsgedanken des kategorischen Imperativs und des Rechtsprinzips Kants zurückgegriffen. Diese Betrachtungsweisen geben zu dem Generalthema Anlaß, die wissenschaftliche Harmonie in seinem Gesamtwerk zu untersuchen. Beispielsweise disharmoniert Dohnas der Individualethik entlehnter Schuldbegriff mit der spezialpräventiven Strafzumessung. Bei der Strafrechtstheorie, der Strafzwecklehre, der Willensfreiheit und der Kriminalpolitik wird die Einzeluntersuchung grundsätzlich eng auf das Werk Dohnas beschränkt. Anders als bei der allgemeinen Verbrechensdogmatik wird dort auf eine vergleichsweise umfangreiche Berücksichtigung der Sekundärliteratur verzichtet. In den genannten Themenfeldern besteht ein Hauptaspekt darin, die recht zahlreichen und meist kleineren Schriften Dohnas zu einem Ganzen zusammenzuziehen und die dahinter stehende Konzeption sichtbar zu machen. Zudem können sein grundsätzlicher Standort und der Grad seiner relativen Eigenständigkeit bestimmt werden. Die zweite Hauptfragestellung beschäftigt sich mit der Mißbrauchs- und Kontinuitätsthese im Hinblick auf die Strafrechtspflege im Dritten Reich. Dohna selbst hat in manchen Gesprächen seiner letzten Lebensjahre der Sorge Ausdruck gegeben, „ob nicht das Liszt'sche Programm der Zweckstrafe, seiner Sicherungen entkleidet, die Grundlage verfehlter nationalsozialistischer Strafrechtspflegemaßnahmen gewor-
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
den sei, denen man sicher nicht Unzweckmäßigkeit, wohl aber Ungerechtigkeit vorwerfen mußte" 1 .
Genauer geht es darum, in welcher Hinsicht die Nationalsozialisten Dohnas Vorstellungen namentlich zur unbestimmten Verurteilung, zu den Ehrenstrafen und zum richterlichen Ermessen für ihre Zwecke umfunktionieren und (konsequent) mißbrauchen konnten. Dahinter verbirgt sich das allgemeine Problem, ein rechtsstaatliches Strafrecht zu begründen und deutlich von einem nicht rechtsstaatlichen abzugrenzen. Diese Fragestellung kann hier nicht einmal annähernd in der erforderlichen Weise vertieft werden. Nur läßt sich die Notwendigkeit, besonders die Strafrechtstheorie und die Kriminalpolitik eng an die Prinzipien rechtsstaatlicher Verfassungen anzubinden, an einigen problematischen Punkten in der Lehre Dohnas veranschaulichen; das gilt etwa für seine Vorstellungen von den spezialpräventiven Kampfmitteln gegen bestimmte Verbrechertypen.
A. Strafrechtstheorie I· Die Aufgaben des Strafrechts beim Schutz der sozialen Lebensbedingungen im Verhältnis zum Verwaltungsrecht Der Aufsatz „Beziehungen und Begrenzungen von Strafrecht und Verwaltungsrecht" handelt davon, die spezifische Rechtsmaterie und die Stellung des Strafrechts in der Gesamtrechtsordnung zu bestimmen1. Art. 7 Nr. 2 W R V , der dem Reich die Gesetzgebungszuständigkeit für das Strafrecht zuweist, und § 13 G V G verleihen der Frage auch praktische Bedeutung. Dohna wendet sich gegen die überwiegende Meinung der Staatsrechtler, wonach der Reichsgesetzgeber mit Hilfe des Erlasses von Strafdrohungen jede beliebige Materie auch einschließlich des Vorbehaltsgutes der Länder regeln könne 2 . Vielmehr macht nicht die Strafe, sondern der besondere Tatbestand, das Verbrechen, das Wesen des S traf rechts aus. Aus der sozialen Zielrichtung, nicht aufgrund der Betrachtung der formalen Struktur der Strafrechtssätze, ergibt sich, daß das Kriminalrecht zum präventiven Rechtsgüterschutzrecht gehört und der Bekämpfung des Verbrechens durch Bekämpfung der Verbrecher dient 3 . Wird das Verwaltungsrecht einschließlich des ft)lizeirechts so verstanden, daß damit alles umfaßt wird, was die Befriedigung der materiellen 1
Hellmuth v. Weber, Rede auf der Gedenkfeier für Alexander Graf zu Dohna veranstaltet von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bonn am 29. Juni 1947, Bonn 1947, S. 5, 6; wiederabgedruckt in: Heidelberger Strafrechtslehrer im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. von Wilfried Küper, 1986, S. 278. ι Verwaltungsarchiv, Bd. 30 (1925), S. 233 - 243. 2 AaO. S. 233, 234. 3 AaO. S. 235.
Α. Strafrechtstheorie
93
und kulturellen Bedürfnisse der Gemeinschaftsmitglieder in geordneten Bahnen hält und die allgemeine Wohlfahrt fördert, so ist letztlich alles Straf recht Verwaltungsrecht 4. Notwendig ist ein Kriterium im Sinne einer regulativen Idee, um die Strafrechtspflege als einen besonderen Zweig der Staatsverwaltungsmaßnahmen herauszuheben, insbesondere um zugleich die Materie des Kernstrafrechts von derjenigen der Nebenstrafgesetzgebung zu unterscheiden. Das äußere Merkmal des Nebenstrafrechts besteht darin, daß der Gesetzgeber die mit der Straf Sanktion ausgestattete Norm erst noch ausdrücklich formuliert, während die Ge- und Verbote des Kernstrafrechts dem ungeschriebenen Recht, dem „ethischen Minimum", den „Kulturnormen" angehören 5. Strafrecht ist wesentlich Normenrecht und die sachliche Aufgabe des Kernstrafrechts besteht darin, die durch solche Normen konstituierten (elementaren) Lebensbedingungen der Gemeinschaft vor Angriffen zu schützen. Dadurch soll der Bestand des Gemeinwesens gesichert werden, während die polizeiliche Gefahrenabwehr und vor allem die öffentliche Wohlfahrtspflege das Gedeihen des Gemeinwesens bezwecken6. Folglich wird das Strafrecht definiert als „das (mit peinlich empfundenen Sanktionen ausgestattete) Schutzrecht der Lebensbedingungen der sozialen Gemeinschaft" 7 . I I . Würdigung Diese Auffassung Dohnas, die in der unerträglichen Sozialschädlichkeit der inkriminierten Verhaltensweise den Realgrund des Strafrechts erblickt, reiht sich in die vielschichtige, die gesellschaftsschützende Funktion des Strafrechts betonende Lehre ein. Insbesondere ist die Anlehnung an v. Jhering, Georg Jellinek, v. Liszt und M. E. Mayer auffallend 8. 4
AaO. S. 238. Ebenso Dohna, Die Sicherungsstrafe, ZstW44 (1924), S. 46, 47: Der Anspruch des Staates auf normgemäßes Verhalten bildet die gemeinsame Wurzel der Strafjustiz und der Präventivpolizei. Die Strafe reiht sich ein in das Gesamtsystem staatlicher Abwehrmittel gegen das Verbrechen, was aber keine Verwischung ihrer besonderen Eigenart noch Leugnung von Vergeltung und Gerechtigkeit bedeutet. 5 In: Verwaltungsarchiv, Bd. 30 (1925), S. 240 - 242. 6 AaO. S. 241, 243. 7 AaO. S. 243. Zustimmend: Thoma, Richard, in der Festgabe zum 50jährigen Bestehen des Preußischen OVG, 1925, S. 202. Ablehnend: Anschütz, Gerhard, Kommentar, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, 14. Aufl. 1933, S. 80 - 82. Er hält aufgrund der traditionellen Auslegung und der Praxis an der alten Auffassung fest; die von Dohna vorgeschlagene Grenzziehung zwischen echtem und unechtem Kriminalrecht sei begrifflich undurchführbar. Ablehnend auch Dreher, Eduard, Was ist Strafrecht im Sinne des Art. 74 Nr. 1 GG?, in: NJW 1952, S. 1282. Zustimmend aber auch für den Begriff des Kriminalstraf rechts, Maunz/Dürig/Herzog, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 74 R N 64 mwN. 8 Vgl. v. Jhering, Der Zweck im Recht, Bd. 1, 1877, S. 378, 379, 382 („Verbrechen ist die von seiten der Gesetzgebung konstatierte, nur durch Strafe abzuwehrende Gefähr-
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie Zunächst ist kurz aufzuzeigen, daß mehrere Forderungen Dohnas an die
Strafrechtsreform i n dieser elementaren sozialen Schutzfunktion des Strafrechts begründet sind, u m sodann die Frage nach den Grenzen der Pönalisierungsbefugnis des Staates aufzuwerfen. E i n m a l w i r d dem Strafrecht dergestalt eine subsidiäre Aufgabe zugewiesen, als die Ursachen des Verbrechens am wirksamsten m i t den M i t t e l n der modernen Sozialleistungs- und Wohlfahrtspolitik zu bekämpfen sind 9 . Zweitens w i r d das V o r h a b e n unterstützt, das weite Feld der Übertretungen bzw. des Polizeiu n d Verwaltungsunrechts - das sind weitgehend die heutigen Ordnungswidrigkeiten -
ungeachtet
der
Schwierigkeiten
einer
begrifflich-dogmatischen
Abgrenzung i m Einzelfall als weit weniger gravierendes Unrecht aus dem Strafgesetzbuch herauszunehmen 1 0 . H a t sich das Kernstrafrecht wegen der besonderen Qualität der zugrundeliegenden Schutznormen als eine besondere Unterart des Verwaltungsrechts erwiesen, dann ergeben sich daraus gegen die Einbeziehung v o n Präventivmaßnahmen i n die Strafjustiz keine B e d e n k e n 1 1 . Schließlich gehört es nach der negativen Seite h i n nicht zu den Aufgaben des Strafrechts, die Sittlichkeit durchzusetzen. Daraus rechtfertigt sich namentlich die geplante Liberalisierung des Sexualstrafrechts, wobei dort noch hinzuk o m m t , einem Wertewandel der v o n weiten Bevölkerungskreisen vertretenen Kulturanschauung Rechnung zu tragen 1 2 . dung der Lebensbedingungen der Gesellschaft."), S. 384 (Tarif der Strafe als Wertmesser der sozialen Güter); Jellinek, Georg, Die sozialethische Bedeutung von Recht, Unrecht und Strafe, 1878, S. 56 (Unrecht ist ein Angriff auf die Existenzbedingungen der Gesellschaft durch den normwidrigen menschlichen Willen; es bezeichnet ein Herabsinken unter das sozialethische Minimum), S. 116 (Durch die vom Staat gegen den Urheber eines Unrechts vorgenommene Strafe sollen die durch das Unrecht hervorgerufenen schädlichen sozialpsychologischen Erscheinungen ausgeglichen werden.); v. Liszt, Der Zweckgedanke im Strafrecht (1882), in: Strafrechtliche Vorträge und Aufsätze, 1905, S. 147, 149; ders. Lehrbuch des Strafrechts, 12./13. Aufl. 1903, S. 68 (Die eigenartige Aufgabe des Strafrechts ist der verstärkte Schutz besonders schutzwürdiger und besonders schutzbedürftiger menschlicher Lebensinteressen durch Androhung und Vollzug der Strafe als eines den Verbrecher treffenden Übels.). M. E. Mayer, Rechtsnormen und Kulturnormen, 1903; ders. Rechtsphilosophie, 1922, S. 38, 39. Vgl. aus neuerer Zeit nur Roxin, Sinn und Grenzen staatlicher Strafe (1966), in: Strafrechtliche Grundlagenprobleme, 1973, S. 12 - 17: Der Gesetzgeber darf seinen Bürgern bei Strafe verbieten, was zum Schutz der gesellschaftskonstituierenden Rechtsgüter wie Leben, Körperintegrität, Freiheit der Willensbetätigung, Eigentum usw. sowie zur Garantie der daseinsnotwendigen öffentlichen Leistungen unerläßlich ist. 9
Kriminalpolitische Randglossen zum Prozeß Dippold, in: Beilage zur Allgemeinen Zeitung, München, 4. Dezember 1903, S. 444. 10 Dohna, Beziehungen und Begrenzungen von Strafrecht und Verwaltungsrecht, in: Verwaltungsarchiv Bd. 30 (1925), S. 242, 243. 11 Dohna, Die Sicherungsstrafe, ZStW 44 (1924), S. 48. 12 Der Strafgesetzentwurf nach der ersten Lesung. Die Unzuchtsdelikte, in: Kölnische Zeitung, 9. Juli 1930, N. 370: Der Gesetzgeber darf die Grenzen nicht außer acht lassen, „die seiner Einflußnahme auf das Verhalten der Individuen durch die Aufgaben gezogen sind, welche die Rechtsordnung zu erfüllen hat. Zu ihnen gehört es nicht, durch Strafdrohungen die Sittlichkeit zu fördern, sittenstrenges Verhalten zu erzwin-
Α. Strafrechtstheorie
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Der von Dohna vertretenen Aufgabenbestimmung des Strafrechts und den daraus abgeleiteten Forderungen an die Strafrechtsreform ist grundsätzlich zuzustimmen. Nur besteht ein Mangel seiner Definition darin, daß die Anbindung der spezifischen Normmaterie des Kriminalrechts an eine rechtsstaatliche Verfassungsordnung nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht wurde 13 . Seine formale Definition kann von totalitären Interpreten mißbraucht werden. Diese können ihr Vorverständnis hinzubringen und damit einer rechtsstaatlichen Aufgabenbestimmung des Strafrechts entgegengesetzte Ergebnisse erzielen. Der jeweilige Gesetzgeber entscheidet letztlich, was nach dem ungeschriebenen Recht oder den Kulturnormen die maßgeblichen zu schützenden Lebensbedingungen sind. Im Falle einer revolutionären und autoritären Umgestaltung einer Rechtsordnung liegt diese Entscheidungsgewalt bei dem neuen Machthaber, der nun auch seine Ideologie als den kulturellen Basiskonsens ausgeben kann. Es besteht dann die Gefahr, daß die Formel Dohnas die ihr ursprünglich zugedachte Funktion, die staatliche Strafgewalt zu begrenzen, nicht mehr zu erfüllen vermag. Dohna wollte ein regulatives Prinzip angeben, um bei der Auslegung der Vorschrift über die Gesetzgebungszuständigkeit eine schrankenlose Ausweitung der reichsgesetzlichen Pönalisierungsbefugnis zu verhindern. Äußerste Grenzen der staatlichen Pönalisierungsbefugnis lassen sich aber nur in einem Rechtsstaat, der individuelle Menschenrechte anerkennt, begründen. Beispielsweise ist aus der Menschenwürde und den Freiheitsrechten herzuleiten, daß die im sog. Blutschutzgesetz aus dem Jahre 1935 enthaltene Strafvorschrift, die ein verständliche geschlechtliche Beziehungen zwischen Deutschen und Juden verbietet, nicht „Recht" sein kann; die „Reinheit des arischen Blutes" kann nicht „recht"-mäßigerweise als strafrechtlich zu schützende Lebensbedingung der sozialen Gemeinschaft ausgegeben werden. Gewiß mag es im Einzelfall unsicher sein, ob ein Strafgesetzgeber die äußersten rechtlichen Grenzen überschritten hat, unter Berufung auf schützenswerte Lebensbedingungen der Gemeinschaft neue Straftatbestände zu schaffen. Nur kann eine rein formale Aufgabenbestimmung des Strafrechts entgegen der wirklichen Intention Dohnas ein Einfallstor für eine totalitäre Uminterpretation bilden. gen; sie muß sich darauf beschränken, Schäden hintanzuhalten, die aus einer Zügellosigkeit sexueller Betätigung des einzelnen für die Umwelt erwachsen." Vgl. auch das Manuskript: Die Bekämpfung homosexueller Betätigungen, in: N L Dohna I, Nr. 14, S. 6 „Der heutige § 175 sollte ersatzlos gestrichen werden." 13 Radbruch bietet eine einigermaßen verfassungs- und staatsformresistente Aufgabenbestimmung eines Strafgesetzbuchs, in: Begründung zum Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs, 1922 (Nachdruck 1952 mit Einleitung von Eberhard Schmidt), S. 49, 50: In das StGB gehören nur Strafdrohungen zum Schutze des ungeschriebenen staatsbürgerlichen Dekalogs. „Diese Normen . . . sind . . . als Sitte und Sittlichkeit in jedermanns Gewissen lebendig, im wesentlichen gemeinsames Gut der zivilisierten Welt und nur langsamem geschichtlichen Wandel unterworfen." Vgl. zur deontologischen Rechtstheorie 2. Teil, V I . 2.
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
B. Deterministische Auffassung zur Willensfreiheit, Verantwortlichkeit als faktische Charakterhaftung Dohna hat sich in mehreren Schriften damit beschäftigt, wie von einem deterministischen Standpunkt zur menschlichen Willensfreiheit die strafrechtliche Verantwortlichkeit begründet werden kann. Die Schwierigkeit dieser Materie liegt in den komplexen Zusammenhängen begründet, die über das kriminalistische Gebiet namentlich in die philosophische Erkenntnistheorie und Psychologie hinausführen 1. In strafrechtlicher Hinsicht stellt sich insbesondere die Frage, ob nicht die Strafverhängung verstanden als Vergeltung der Tatschuld ungeachtet zusätzlicher Strafzwecke voraussetzt, daß der bestimmte Täter in der konkreten Situation sich auch anders im Sinne von rechtmäßig hätte verhalten können 2 . Gerade diese auf den konkreten Täter bezogene Forderung des Andershandelnkönnens hält Dohna für „Ein ausrottbares Mißverständnis" 3 . Nach der Darstellung seines Gedankengangs geht es darum, die kritischen Punkte der auf motivationsgesetzlicher Grundlage erzielten Charakterhaftung aufzuzeigen.
I. Die Position Dohnas, das Problem des Strafen-Dürfens gegenüber dem einzelnen Verbrecher 1. In der Strafrechtstheorie ging es vom Standpunkt der Allgemeinheit wesentlich darum, die Institution der staatlichen Strafe als Gesellschaftsschutz 1 Vgl. beispielsweise aus der unübersehbaren Literatur, Dreher, Eduard, Die Willensfreiheit. Ein zentrales Problem mit vielen Seiten, 1987, der außerdem unter Berücksichtigung der Ergebnisse der neueren Physik, der Genetik und der Gehirnforschung einen interdisziplinären Lösungsweg beschreitet. 2 Vgl. heute nur die berühmte Entscheidung BGHSt 2, 194, 200, 201: „Strafe setzt Schuld voraus. Schuld ist Vorwerfbarkeit. Mit dem Un Werturteil der Schuld wird dem Täter vorgeworfen, daß er sich nicht rechtmäßig verhalten, daß er sich für das Unrecht entschieden hat, obwohl er sich rechtmäßig verhalten, sich für das Recht hätte entscheiden können. Der innere Grund des Schuldvorwurfes liegt darin, daß der Mensch auf freie, verantwortliche, sittliche Selbstbestimmung angelegt und deshalb befähigt ist, sich für das Recht und gegen das Unrecht zu entscheiden, sein Verhalten nach den Normen des rechtlichen Sollens einzurichten und das rechtlich Verbotene zu vermeiden, sobald er die sittliche Reife erlangt hat und solange die Anlage zur freien sittlichen Selbstbestimmung nicht durch die in § 51 StGB genannten krankhaften Vorgänge vorübergehend gelähmt oder auf Dauer zerstört ist. Voraussetzung dafür, daß der Mensch sich in freier, verantwortlicher, sittlicher Selbstbestimmung für das Recht und gegen das Unrecht entscheidet, ist die Kenntnis von Recht und Unrecht. Wer weiß, daß das, wozu er sich in Freiheit entschließt, Unrecht ist, handelt schuldhaft, wenn er es gleichwohl tut." 3 So der Titel des von Hans Welzel posthum aus seinem Nachlaß veröffentlichten Aufsatzes, in: ZStW 66 (1954), S. 505, 506.
Β. Willensfreiheit und Verantwortlichkeit
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zu rechtfertigen. Wegen dieser rechtsgüterschützenden Funktion werden folgerichtig auch die einzelnen Stadien der Strafverwirklichung zweckgerichtet im Sinne der Bekämpfung des Verbrechens verstanden 4. Das mit dem Thema Willensfreiheit und Verantwortlichkeit gestellte Problem läßt sich vom Standpunkt des zu Bestrafenden im Sinne Dohnas dahin formulieren: Dürfen wir überhaupt einen Täter, dessen individuelle Persönlichkeit von den Ursachenkomplexen Anlage und Umwelt bestimmt ist, für eine Tat, die er unter den gegebenen Bedingungen begehen mußte, in der primären Absicht strafen, ihn künftig zu bessern bzw. die Gesellschaft vor ihm zu schützen5? Die dabei anzustellenden Betrachtungen werden sich „diesseits der Grenze metaphysischer Spekulation" zu halten haben6. Der Hauptkritikpunkt wird darin bestehen, daß die Antwort auf das individuelle Strafen-Dürfen letztlich nur aus der sozialen Notwendigkeit des Strafen-Müssens abgeleitet ist. 2. Die Erklärung menschlicher Willensentschlüsse wie aller anderen Erscheinungen auch hat die unbedingte Gültigkeit des Kausalgesetzes zur Grundlage. Dieser Satz vom zureichenden Grunde des Werdens besagt ein doppeltes: alles, was geschieht, ist Wirkung einer vorhergehenden Ursache; ist die erste Veränderung - die Ursache - eingetreten, so muß die dadurch herbeigeführte spätere - die Wirkung - ganz unausbleiblich, mithin notwendig folgen 7. Die Allgemeingültigkeit des Kausalgesetzes beruht darauf, daß es sich dabei im Sinne Kants um eine apriorische Denkform, um eine im menschlichen Verstand gelegene Bedingung der wissenschaftlichen Erkenntnis der Erfahrungswelt handelt 8 . Diese formale Kategorie unseres menschlichen Bewußtseins hat nichts zu schaffen mit den in der Natur wirksamen Kräften 9 . Deshalb ist die Gleichsetzung des Determinismus mit der materialistischen Weltanschauung verfehlt, da das Kausalgesetz eben über die reale Natur der Ursachen noch gar nichts aussagt10. Diese Verknüpfungstätigkeit des Denkens stellt vielmehr der empirischen Forschung die Aufgabe, die tatsächlichen Gründe der festgestellten Veränderungen zu suchen. Diesem Kausalgesetz sind auch die menschlichen Handlungen und Willensentschlüsse ebenso wie die menschliche Persönlichkeit unterworfen. Die Handlungen werden auf den Willen des Subjekts zurückgeführt. Die Willens4
Siehe sogleich unter C. zur Strafzwecklehre Dohnas. Willensfreiheit und Verantwortlichkeit, 1907, S. 23; Manuskript, Zur Willensfreiheit, in: N L Dohna I, Nr. 4, S. 11; Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 85. 6 Willensfreiheit und Verantwortlichkeit, 1907, S. 5. 7 Willensfreiheit und Verantwortlichkeit, 1907, S. 6. 8 Willensfreiheit und Verantwortlichkeit, 1907, S. 7; Kant, Kritik der reinen Vernunft, 1781, S. 118 (Tafel der Kategorien), 226 - 242. 9 Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 16. 10 Willensfreiheit und Verantwortlichkeit, 1907, S. 9. 5
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
entschlüsse resultieren aus dem Stärkeverhältnis der um die Vorherrschaft ringenden Motive. Unter Motiven sind Vorstellungen von herbeizuführenden Zwecken zu verstehen, die mit einer Gefühlsbetonung der Lust oder Unlust verbunden sind. Die Charakteranlage eines Menschen, seine konstanten Neigungen und Schwächen, kurz seine Persönlichkeit ist mitentscheidend für das Maß von Lustgefühl, welches in ihm durch die jeweilige Vorstellung ausgelöst wird 1 1 . Damit schließt sich Dohna Schopenhauer an, der bei den psychischen Prozessen von Menschen die Motivation durch Begriffe und abstrakte Vorstellungen als Erscheinungsform der Kausalität ansieht 12 . Das Freiheitsgefühl im inneren Erleben der Menschen, welches sich gerade vor einer schwerwiegenden Entscheidung dahingehend äußert, zwischen mehreren vorgestellten Zwecken wählen zu können, steht der These von der Notwendigkeit der einmal getroffenen Entscheidung nicht entgegen. Es handelt sich um einen Wechsel der Perspektive: vorwärtsschauend Freiheit der Wahl und im Nachhinein Gebundenheit 13 . Auch die Persönlichkeit, der Charakter ist keine prima causa; vielmehr ist die Einzigartigkeit eines jeden Menschen im ursächlichen Zusammenhang von Anlage, Erziehung und Milieu entstanden. Der Umstand, daß die vollständige Enträtselung dieses Prozesses empirisch wohl nie gelingen wird, steht der Unterworfenheit des Gesamthabitus eines Menschen unter dem Satze vom zureichenden Grunde für den erkennenden Verstand nicht entgegen. Die Individualität des Menschen läßt immer einen Rest übrig, „der sich unter typische Merkmale nicht mehr rubrizieren läßt, weil er eben das schlechthin einzigartige der menschlichen Persönlichkeit ausmacht" 14 . Dieser deterministischen Auffassung steht die indeterministische Sichtweise gegenüber, die durchaus den Einfluß von Motiven auf Willensentschließungen anerkennt, welche aber dennoch als ausschlaggebend einen ursachlos sich selbst bestimmenden Willen behauptet. Es ist unzutreffend, daß die ethischen (und juridischen) Grundbegriffe Schuld und Verdienst, Vergeltung und Verantwortlichkeit ein Andershandelnkönnen des Betroffenen voraussetzen. 11
Willensfreiheit und Verantwortlichkeit, 1907, S. 11. Willensfreiheit und Verantwortlichkeit, 1907, S. 9, 10. Schopenhauer, Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde, 1813, S. 97 (Sämtliche Werke, Bd. 1, 4. Aufl. 1988); ders. Preisschrift über die Freiheit des Willens, 1839, S. 31, 32 (Sämtliche Werke, Bd. 4, 4. Aufl. 1988). 13 Willensfreiheit und Verantwortlichkeit, 1907, S. 10, 11. 14 Willensfreiheit und Verantwortlichkeit, 1907, S. 12, 13. Ebenso Sinn und Wesen der Vergeltung, in: Zeitschrift für deutsche Geisteswissenschaft, Bd. 6 (1943), S. 54: Die Persönlichkeit stellt nichts anderes dar als die Resultante aus den Anlagefaktorea und den Ablagerungen der das Leben begleitenden Einflüsse des Milieus. Dennoch liegt uns nichts ferner, „als die Persönlichkeit in ihrer einmaligen und mit unseren unzulänglichen Erkenntnismitteln unergründbaren Individualität zu leugnen." Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 83. Ein unausrottbares Mißverständnis, in: ZStW 66 (1954), S. 509,510. 12
Β. Willensfreiheit und Verantwortlichkeit
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Vielmehr ist der Nachweis zu erbringen, „daß sich auf deterministischer Basis allein die Verantwortlichkeit des Menschen begründen läßt" 1 5 . Die ethische und juristische Zurechnung kann nur eine Ursache für ihre Wirkung verantwortlich machen. Für unser Lob und Tadel sind die Eigenschaften der Persönlichkeit entscheidend, die in der Tat zu Tage treten. Ist die Willensfreiheit die Kausalität der Persönlichkeit, so ist darin der Grund der Verantwortlichkeit zu finden. Der Indeterminismus kann eigentlich die Zurechnung nicht begründen, da er auch nicht das Lob für eine edle Tat davon abhängig macht, daß der Handelnde sich auch für den schlechten Weg hätte entscheiden können 16 . Dennoch gilt es den Umstand als sinnvoll zu erklären, daß der Mensch zwei Gesetzgebungen, dem Satze vom zureichenden Grunde und den Gesetzen des Sollens, unterstellt ist. Es ist der Unterschied zwischen der genetischen und der normativen Betrachtung. Zwar mußte die gefällte Willensentscheidung rückwärts betrachtet notwendig so geschehen wie sie geschehen ist. Entscheidend ist, daß die sittlichen und juridischen Gesetze des Sollens sich an den Willensbildungsprozeß wenden und als ausschlaggebende Motive wirken wollen. Die Normen verwandeln sich gegenüber dem von Motiven beeinflußbaren Menschen von Beurteilungsmaßstäben des Geschehens in Bestimmungsgründe seines Handelns 17 . Sittliche Freiheit ist gegeben, wenn das Handeln aus Pflichtgefühl, aus Achtung vor dem Sittengesetz bzw. dem kategorischen Imperativ frei von subjektiven Launen zum inneren Bedürfnis geworden ist 18 . Der Rechtsordnung genügt es, daß ihren Geboten überhaupt nachgekommen wird, aus welchen Motiven auch immer. „So tritt denn an die Stelle des etwa versagenden Pflichtgefühls das Verantwortlichkeitsgefühl, also die Gewißheit, daß die Nichtbefolgung der Rechtsnormen Übel und Nachteile im Gefolge hat". Die Strafe hat danach nur unter der Voraussetzung Sinn, daß der Wille von Motiven abhängig ist und daß die Aussicht auf Vollstreckung der angedrohten Strafe einen gewichtigen Bestimmungsgrund bilden kann 19 . 15 Willensfreiheit und Verantwortlichkeit, 1907, S. 11, 15. Ein unausrottbares Mißverständnis, in: ZStW 66 (1954), S. 505, 506. 16 Willensfreiheit und Verantwortlichkeit, 1907, S. 16, 17. Im Anschluß an Adolf Merkel, Lehrbuch des Straf rechts, 1889 /fortgeführt als Die Lehre von Verbrechen und Strafe, hrsg. von Moritz Liepmann, 1912, S. 92, 93; auch S. 209 - 233 zur Vereinbarkeit des Determinismus mit der Strafe als gerechte Vergeltung. Ferner Adolf Merkel, Rechtliche Verantwortlichkeit, in: Die Aula, 1. Jahrgang 1895, Sp. 289 - 297, Sp. 328 333. 17 Willensfreiheit und Verantwortlichkeit, 1907, S. 22. Im Anschluß an Wilhelm Windelband, Normen und Naturgesetze (1882), in: Präludien, 7./8. Aufl. 1921, S. 80 85; ders. Über Willensfreiheit, 1904, S. 195, 206 - 209. 18 Willensfreiheit und Verantwortlichkeit, 1907, S. 22, 26. 19 Willensfreiheit und Verantwortlichkeit, 1907, S. 23. Bereits in der Antrittsvorlesung über „Die Elemente des Schuldbegriffs" heißt es im Anschluß an Windelband, daß die Verantwortlichkeit eine Zweckinstitution bildet; in: GS 65 (1905), S. 317, 318; Windelband, Normen und Naturgesetze (1882), in: Präludien, 7./8. Aufl. 1921, S. 95.
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
Nach dem Ausgeführten knüpft die Verantwortlichkeit an die Persönlichkeit an, soweit sie in der Tat wirksam geworden ist. Der strafrechtliche Schuldvorwurf ist unabhängig davon, daß das Willensverhalten des Täters den Gesetzen kausaler Entstehung unterliegt; er betrifft das Zurückbleiben hinter den Anforderungen der Gemeinschaft. Es ist deshalb unrichtig, von dem Andershandelnkönnen des Täters als Schuldvoraussetzung zu sprechen. Es bedarf auch nicht der von Kohlrausch vertretenen Willensfreiheit als staatsnotwendige Fiktion. Vielmehr kommt es darauf an, „ob man unter den gegebenen Umständen hätte anders handeln können". Dabei ist unter ,man\ „wenn eine leichte Zuspitzung gestattet ist, das Menschengeschlecht zu verstehen mit alleiniger Ausnahme ausgerechnet des Täters! Dieser eine konnte gerade nicht" 2 0 . Es stellt sich dann die Zweifelsfrage, ob es gerecht ist, jemanden „für die Mängel und Schäden seiner Persönlichkeit, für die Bosheit und Gefährlichkeit seines Charakters" haften zu lassen. Aber in der empirischen Welt entspricht es jedenfalls einem allgemein gültigen Gesetz der sozialen Ordnung, daß ein jeder für seine Individualität einstehen muß. Dies führt konsequent zur Charakterschuldvergeltung: „Vergelten heißt nichts anderes, als jemanden behandeln nach Maßgabe seiner Persönlichkeit. Darum ist Vergeltung gerechtfertigt dem gegenüber, dessen Taten wirklich Ausflüsse seiner Persönlichkeit sind und gemäß dem Umfange, in dem sie es sind" 2 1 . A m Ende ist kurz auf den Begriff der Zurechnungsfähigkeit einzugehen22. Die Abgrenzung zur Zurechnungsunfähigkeit wird mittels des Begriffs der Normalität unternommen. Im allgemeinen besitzen die Menschen die Fähigkeit, sich durch das ethische Pflichtgebot oder durch die Furcht vor Strafe in ihrer Willensbildung beeinflussen zu lassen. Das Normale ist zunächst das empirisch Durchschnittliche. Die Wirklichkeit weist eine unübersehbare Abstufung im Grade dieser Beeinflußbarkeit auf, so daß unbedeutende 20 Ein unausrottbares Mißverständnis, in: ZStW 66 (1954), S. 506, 508. Der Sache nach findet sich das Abstellen darauf, ob ein Andershandelnkönnen in genere möglich gewesen ist, bereits im frühen Aufsatz Willensfreiheit und Verantwortlichkeit, 1907, S. 25. Kohlrausch, Sollen und Können als Grundlagen der strafrechtlichen Zurechnung, in: Festgabe für Karl Güterbock, 1910, S. 26. 21 Willensfreiheit und Verantwortlichkeit, 1907, S. 23, 24. Ebenso Verantwortung und Recht, in: Gesetz und Freiheit, hrsg. von Graf Hermann Keyserling, 1926, S. 75, 76. Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 86. Sinn und Wesen der Vergeltung, in: Zeitschrift für deutsche Geisteswissenschaft, Bd. 6 (1943), S. 56. Ein unausrottbares Mißverständnis, in: ZStW 66 (1954), S. 508, 509: „ M i t dieser Art sozialer Gerechtigkeit gilt es sich abzufinden." 22 § 51 RStGB: „Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn der Täter zur Zeit der Begehung der Handlung sich in einem Zustande von Bewußtlosigkeit oder krankhafter Störung der Geistestätigkeit befand, durch welche seine freie Willensbestimmung ausgeschlossen war". Durch Art. 3 Ziff. 4 des Gesetzes vom 24. November 1933 (RGBl I S. 995) erhielt der § 51 RStGB hinsichtlich der aus bestimmten Gründen ausgeschlossenen bzw. verminderten Einsichts- und Steuerungsfähigkeit eine den heutigen §§ 20, 21 StGB gleichlautende Fassung.
Β. Willensfreiheit und Verantwortlichkeit
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Abweichungen von dem idealen Durchschnittstypus noch dem Begriff der Normalität unterstellt werden. Die Normalität verwandelt sich in Normativität, und die Zurechnungsfähigkeit wird nach der negativen Seite hin abgegrenzt, wann von ihr überhaupt nicht mehr gesprochen werden kann. Zurechnungsunfähigkeit bedeutet, daß eine Persönlichkeit aus pathologischen Gründen überhaupt nicht durch die genannten Motive bestimmt werden kann 23 . Hatte Dohna 1905 noch einseitig auf die Einsichtsfähigkeit abgestellt, so bezieht er später auch die heute sog. Steuerungsfähigkeit als Voraussetzung dafür ein, daß eine Bestimmbarkeit durch die fraglichen Motive gegeben ist 24 . I I . Würdigung Dohna selbst schreibt im Jahre 1907, daß er sich nicht rühmen darf, einen einzigen neuen Gedanken hinzugetragen zu haben 25 . Sein Gedankengang stützt sich ersichtlich insbesondere auf den erkenntniskritischen Determinismus Kants, die Motivationspsychologie Schopenhauers, Adolf Merkels (erstrebte) Vereinbarung des deterministischen Denkmodells mit dem Vergeltungsbegriff und auf Windelbands genetische und normative Betrachtung der menschlichen Willensentschlüsse. Dennoch wird man seine Leistung in der Verknüpfung bekannter Gedanken und deren sprachlicher Umformung gerade im Hinblick auf ein Präventionsstrafrecht zu suchen haben. Die Frage, wie sich Determinismus und politischer Liberalismus miteinander vereinbaren lassen, hat Dohna an keiner Stelle aufgeworfen 26. Immerhin kann man sagen, daß ein die freie Entfaltung der Persönlichkeit nach selbstgesetzten Lebensplänen bejahender Liberalismus am besten mit relativ indeterministischen Anschauungen harmoniert. Diese Unstimmigkeit kann konstruktiv durch den von Dohna angesprochenen unergründlichen Rest menschlicher Individualität überwunden werden. Dogmengeschichtlich reiht sich Dohna in die vielfältige besonders an Schopenhauer und Adolf Merkel anknüpfende deterministische Charakterschuldlehre ein 27 . 23
Willensfreiheit und Verantwortlichkeit, 1907, S. 24 - 26. Vgl. Die Elemente des Schuldbegriffs, in: GS 65 (1905), S. 319, 320. Verantwortung und Recht, in: Gesetz und Freiheit, hrsg. von Graf Hermann Keyserling, 1926, S. 77, 78. Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 84, 85. Vgl. auch das Manuskript zum § 51, in: N L Dohna I, Nr. 16, S. 3, 7: biologisch-normative Methode des § 51 RStGB. 25 Vorwort, Willensfreiheit und Verantwortlichkeit, 1907. Dies gilt aber nicht für den späteren Gedanken, ob man in genere mit Ausnahme des Täters anders handeln konnte; siehe alsbald im Text. 26 Diese Anregung verdanke ich Herrn Professor Hollerbach. 27 Vgl. etwa v. Hippel, Robert, Willensfreiheit und Strafrecht, in: ZStW 23 (1903), S. 396 - 423; ders. Deutsches Strafrecht, Bd. 2, 1930, S. 281 - 287; Holzhauer, Heinz, 24
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
Die Äußerung, daß es auf das Andershandelnkönnen eines jedermann mit alleiniger Ausnahme des Täters ankomme, hat mehrfach Beachtung gefunden. Holzhauer hält die Forderung für theoretisch minder interessant ; sie besage nur die Selbstverständlichkeit, daß die Motive nicht so extrem gewesen sein dürfen, daß überhaupt kein anderer Mensch anders gehandelt hätte 28 . Engisch hält die Verallgemeinerung Dohnas für übertrieben, modifiziert aber diesen Gedanken im Hinblick auf den konkreten Täter: Es kommt auf eine Abstraktion im Rahmen der persönlichen Qualitäten des Täters an. Auf der Grundlage der persönlichen Verfassung und der geistigen Konstitution des Täters muß es ihm bei Aufbietung der Willenskraft und der Besorgnis, deren Mangel ihm zum Vorwurf gemacht wird, möglich gewesen sein, anders handeln zu können 29 . Aber damit verwandelt sich bei Engisch das Andershandelnkönnen wiederum in ein normatives Postulat. Der Einwand Holzhauers ist in der Sache durchaus zutreffend. Dohna wiederholt auf der Schuldebene letztlich nur die allgemeine Forderung, daß die rechtlichen Sollensnormen nichts vorschreiben, was nach der Lebenserfahrung als nicht erfüllbar erscheint. Dieses Andershandelnkönnen leitet zu dem eigentlich problematischen Punkt über. Das soziale Grundgesetz der Verantwortlichkeit für den gegebenen Charakter bedeutet nichts anderes als die Festsetzung einer hinzunehmenden Faktizität 30 . Der Ausspruch, daß es sich damit abzufinden gilt, kommt einem Willensfreiheit und Strafe. Das Problem der Willensfreiheit in der Strafrechtslehre des 19. Jahrhunderts und seine Bedeutung für den Schulenstreit, 1970, S. 169 - 177; Engisch, Karl, Die Lehre von der Willensfreiheit in der strafrechtsphilosophischen Doktrin der Gegenwart, 2. Aufl. 1965, besonders S. 48 - 55 jeweils mwN. 28 Holzhauer, Willensfreiheit und Strafe, 1970, S. 177. 29 Vgl. Engisch, Die Lehre von der Willensfreiheit, 1965, S. 25, 26, 40. Vgl. auch zum Gedanken des Andershandelnkönnens in genere und zur Charakterhaftung die neueren sozialen und funktional-generalpräventiven Schuldlehren: Krümpelmann, Justus, Dogmatische und empirische Probleme des sozialen Schuldbegriffs, in: G A 1983, S. 337 - 360; Roxin, Strafrecht, 1992, S. 544 - 550; Jakobs, Strafrecht, 2. Aufl. 1991, 17. Abschn. R N 18ff., 43ff.; S/S Lenckner, 24. Aufl. 1991, Vorbem. §§ 13ff., RN 117, 118 mwN. 30 Der Sache nach Dohna zustimmend etwa Engisch, Zur Idee der Täterschuld, in: ZStW 61 (1942), S. 172, 173; ders. Die Lehre von der Willensfreiheit usw., 2. Aufl. 1965, S. 45, 49, 53 (Dort sucht Engisch allerdings nach einer empirischen Begründung und findet diese letztlich darin, daß der empirische Charakter durch Strafe ansprechbar » ist.); Heinitz, Ernst, Strafzumessung und Persönlichkeit, in: ZStW 63 (1950), S. 74; ; Schmidt, Eberhard, Vergeltung, Sühne und Spezialprävention, in: ZStW 67 (1955), ' S. 387; Brauneck, Anne-Eva, Zum Schuldstrafrecht des neuesten Entwurfs eines Strafgesetzbuchs, in: MschrKrim 1958, S. 136, 140, 141. Dagegen etwa Arthur Kaufmann, Das Schuldprinzip, 2. Aufl. 1976, S. 190, 191: Damit wird das Schuldprinzip preisgegeben, da bei der ,Schuld' im Sinne von Charakterhaftung jedenfalls nicht mehr von sittlicher Schuld als freier und bewußter Entscheidung gegen das Unrecht gesprochen werden kann; solche ,Schuld' ist wie eine Krankheit ein tatsächlicher Befund. Vgl. auch Schopenhauer, dessen Verantwortlichkeitslehre im empirischen Teil auf die Dohnasche hinausläuft; Preisschrift über die Freiheit des Willens, 1839, (Sämtliche
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unwissenschaftlichen und unphilosophischen Frage verbot gleich, das gewonnene Ergebnis (Charakterhaftung) gegen weitere Einwände zu erhärten und die Prämissen zu überprüfen. Es gleicht einem dogmatischen Abbruch eines Diskurses. Diese apodiktische Aussage ist zudem geeignet, den Umstand zu verschleiern, daß auf solcher Grundlage dem Schuldprinzip ein anderer Sinn untergeschoben wird. Ein Tatschuldvergeltungsprinzip auf relativ indeterministischer Grundlage versucht, den Kreis der zulässigen Strafzumessungsfaktoren auf einen relativ engen Kreis zu begrenzen: Es sind dies vornehmlich der Grad des verwirklichten Unrechts und die nur darauf bezogene Einzeltatentscheidungsschuld. Gewiß können daraus keine exakten Strafgrößen abgeleitet werden, nur besitzt es im Vergleich zu einem faktischen Charakterhaftungsrecht eine relativ sicherere und griffigere Limitierungsfunktion. Bei dem Andershandelnkönnen im Sinne einer sittlich-strafrechtlichen Schuld bleibt z.B. die charakterliche Schlechtigkeit außen vor. Dagegen ist der Kreis der relevanten Strafzumessungsfaktoren auf der Grundlage einer faktischen Charakterhaftung viel weiter. Zudem sind die Charaktertatsachen noch schwieriger und unvollkommener zu ermitteln. Wird die Charakterhaftung als unabänderliches Faktum ausgegeben und sind die Maßstäbe darüber, welche charakterlichen Eigenschaften nun als besonders schlimm oder nicht bewertet werden sollen, dem zeitlichen Wandel unterworfen, so können mit solcher Charakterschuldauffassung schnellebige und unter Umständen entgegengesetzte Strafzumessungslehren gerechtfertigt werden. Gewiß ist auch ein Tatschuldvergeltungsstrafrecht bei den Kriterien der Strafgrößenbestimmung einem möglichen Wertewandel unterworfen. Nur dürfte sich vergleichsweise eine Charakterschuldlehre wie diejenige Dohnas, die einfach mit dem Postulat einer faktischen sozialen Gesetzlichkeit arbeitet, viel leichter zu einer Umwertung eignen. Dohna spricht zuweilen von einem unergründlichen Rest der menschlichen Individualität. Es fragt sich, ob er sich damit gewissermaßen eine indeterministische Hintertür offenhält. Ist die kausale Erforschung insbesondere des menschlichen Charakters niemals restlos durchführbar, bedeutet dies im praktischen Ergebnis dasselbe wie die relativ indeterministische Auffassung, daß das Ich-Zentrum trotz aller kausalen Einwirkungsfaktoren einen Rest von sich selbst erzeugender Ursprünglichkeit aufweist. Dohna hat zwar ausdrücklich
Werke, Bd. 4, 4. Aufl. 1988), S. 93: Die Verantwortlichkeit ist eine Tatsache des Bewußtseins. Der Täter hätte unter einer einzigen Bedingung anders handeln können, „wenn nur er ein anderer gewesen wäre: Hieran allein hat es gelegen. Ihm, weil er dieser und kein anderer ist, weil er einen solchen und solchen Charakter hat, war freilich keine andere Handlung möglich; aber an sich selbst, also objektiv, war sie möglich. Die Verantwortlichkeit, deren er sich bewußt ist, trifft daher bloß zunächst und ostensibel die Tat, im Grunde aber seinen Charakter: für diesen fühlt er sich verantwortlich. Und für diesen machen ihn auch die anderen verantwortlich, indem ihr Urteil sogleich die Tat verläßt, um die Eigenschaften des Täters festzustellen."
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betont, daß es sich beim Determinismus um ein Denkmodell handelt. Dieses befriedigt aber deswegen nicht, weil es experimentiell weder bewiesen noch widerlegt werden kann. Welches das stärkste Motiv gewesen ist, wissen wir beispielsweise erst nach der getroffenen Entscheidung. Im praktischen Ergebnis läuft Dohnas Ausspruch auf eine indeterministische „Hintertür" hinaus, obwohl es seiner Intention widerspricht 31 . Vielmehr drängt die Würdigung des von Dohna vertretenen Gedankenganges und die hier unterstellte empirische Nichtentscheidbarkeit weder des deterministischen noch des relativ indeterministischen Ansatzes wohl eher dazu, entweder das Strafrecht jenseits des Streits um die Willensfreiheit zu fundieren oder vielmehr unter normativem Blickwinkel eine relative Willensfreiheit im Sinne des Andershandelnskönnens zu postulieren 32 .
C. Differenzierte Strafzwecktheorie mit Schwerpunkt bei der Spezialprävention I. Die Zwecke der Strafdrohung, der Strafverhängung und des Strafvollzuges 1. Die Strafzwecktheorie Dohnas gehört zur spezialpräventiven Schule v. Liszts, zeigt aber doch eigene Akzente, die hier kurz herauszuarbeiten sind. In seinen Schriften beschäftigt sich Dohna allerdings vorrangig mit dem darauf aufbauenden kriminalpolitischen Programm. So trägt die nachfolgende Darstellung auch vorbereitenden Charakter ; sie stützt sich auf einen frühen Aufsatz und auf einige Manuskripte aus dem Nachlaß1.
31 Im Unterschied zu Kant und Schopenhauer bleibt Dohna ganz in der „diesseitigen" Sphäre und übernimmt damit nicht deren Lehre vom empirischen und intelligiblen Charakter bzw. einer vorzeitlichen Charakterwahl außerhalb der Erscheinungswelt; vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, 1781, S. 488 - 494; Schopenhauer, Preisschrift über die Freiheit des Willens, 1839, S. 95 - 98. Nur unter dieser metaphysischen Annahme hält Schopenhauer die Charakterschuld für erträglich; vgl. Engisch, Die Lehre von der Willensfreiheit usw., 2. Aufl. 1965, S. 49. 32 Vgl. z.B. Mezger, Über Willensfreiheit, in: Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, Jg. 1944/46, Heft 9, 1947, S. 3 - 28; Engisch, Die Lehre von der Willensfreiheit usw., 2. Aufl. 1965, S. 24, 41; Arthur Kaufmann, Das Schuldprinzip, 2. Aufl. 1976, S. 116 - 118, 279 - 282; Jakobs, Günther, Strafrechtliche Schuld ohne Willensfreiheit?, in: Aspekte der Freiheit, hrsg. v. Dieter Henrich, 1982, S. 69 - 83; Dreher, Die Willensfreiheit, 1987, S. 379 - 397. 1 Weiterführend aus der reichhaltigen Literatur zur Geschichte der Strafrechtstheorien z.B. Nagler, Johannes, Die Strafe. Eine juristisch-empirische Untersuchung, 1918, S. 508 - 517 (Zusammenfassendes Ergebnis einer umfangreichen dogmengeschichtlichen Untersuchung); v. Hippel, Robert, Deutsches Strafrecht, Bd. 1,1925, §§ 21, 22; Schmidhäuser, Eberhard, Vom Sinn der Strafe, 2. Aufl. 1971, S.18 - 33; Frommel, Monika, Präventionsmodelle in der deutschen Strafzweck-Diskussion, 1987. Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, 4. Aufl. 1988, § 8 I - V.
C. Strafzwecktheorie
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2. Die Strafzwecktheorie fragt nach der Sinngebung für die gesetzliche Strafdrohung, die richterliche Strafverhängung und für die Strafvollstreckung. Für diese drei Stadien kann es keinen einheitlichen Strafzweck geben: „Die Strafdrohung bezweckt Abschreckung aller. Die Strafverurteilung gewährt Genugtuung und Befriedigung. Der Strafvollzug wirkt Besserung und Sicherung. Der Vergeltungsgedanke passt nur auf das Strafurteil: Befriedigung des Vergeltungsbedürfnisses, Bewährung der Autorität der Rechtsordnung, Ausgleich der Erregung der Gemüter. Vergeltung setzt den Rechtsbruch als erfolgt voraus. Auf die Strafdrohung lässt er sich nicht übertragen. Für den Vollzug bietet er keinerlei Handhabe" 2 .
Die herkömmlichen sog. Straftheorien stellen immer auf ein bestimmtes Stadium der Strafe ab und sind konsequent fortgedacht zu einseitig. Obwohl Dohna schließlich selber schwerpunktmäßig eine spezialpräventive Auffassung vertritt, räumt er diese Einseitigkeiten ein und hält die Antinomien der Strafzwecke für unaufhebbar. In dem schon 1903 erschienenen Artikel „Kriminalpolitische Randglossen zum Prozeß Dippold" faßt er seine Ansicht im Streit der Straftheorien knapp zusammen3. Die Vergeltungstheorie scheitert an der Unmöglichkeit, für die Strafzumessung einen in sich gerechtfertigten Maßstab zu finden. Einem Talionsprinzip steht die Forderung nach einem humanen Strafrecht entgegen. Die Schwere der Schuld und die Größe der Strafe sind nicht kommensurabel 4. Der gesuchte Maßstab kann also nicht in der Vergangenheit, dem die Strafe auslösenden Verbrechen, sondern nur in der Zukunft, dem durch die Strafe zu bekämpfenden Verbrechen, gefunden werden. Die Theorie der Generalprävention stellt auf die Wirkung der Strafdrohung gegenüber der Gesamtheit ab. Aber die Ausführung des Verbrechens beweist für diesen Fall, daß die mit der Drohung beabsichtigte Hemmungsvorstellung unwirksam gewesen ist. Diese Lehre „scheitert an der Unmöglichkeit, zwischen der strafbaren Handlung und der sie auslösenden Strafe eine befriedigende logische Beziehung überhaupt herzustellen". Zwar ist unter dem alleinigen Gesichtswinkel der Generalprävention die Strafdrohung mit der zur Beurteilung anstehenden Tat verknüpft, jedoch läßt sich daraus die Strafvollstrekkung im Einzelfall nicht rechtfertigen. Solches ist nun allein noch im Hinblick auf eine etwa zu befürchtende Wiederholung solchen Verbrechens möglich. Es kommt entscheidend darauf an, „die Strafe zu dem sie aussöhnenden speziellen Delikt (und) zu dem von ihr betroffenen individuellen Delinquenten in Beziehung zu setzen. Die Gesellschaft gegen solchen Friedbruch zu sichern, ihn, den Friedbrecher, wiederum zu einem nütz2
Manuskript: Strafen und sichernde Maßnahmen im Entwurf von 1925, in: N L Dohna I, Nr. 7, S . I I . 3 In: Allgemeine Zeitung, Beilage zum 4. Dezember 1903, München, S. 443 - 445. Die nachfolgenden Zitate sind diesem Aufsatz entnommen. 4 Die Sicherungsstrafe, in: ZStW 44 (1924), S. 51.
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
liehen Mitglied der sozialen Gemeinschaft zu machen: das sind die Aufgaben der Strafjustiz unter dem Gesichtswinkel der Spezialprävention - der Wirkung auf den Verbrecher." M a n ist fast einstimmig der Überzeugung, daß für bestimmte Fälle langjährige Freiheitsstrafen unentbehrlich sind. Es bleibt i m m e r noch der W i d e r spruch, daß k e i n noch so verbesserter Strafvollzug i n einem Zuchthaus „ j e d e m einzelnen Sträfling die i h m gerade zuträgliche, für i h n erforderliche Behandlung, Pflege, Erziehung u n d Z u c h t z u k o m m e n lassen" kann. „Strafe soll sein: das Unbefriedigende aber, was jede Strafe im Hinblick auf ihr Ziel, die Verbrechensbekämpfung, an sich trägt, liegt gerade im Begriff der Strafe selbst. Die Strafe ist ein Kompromiß zwischen ihrem ursprünglichen Element, der impulsiven Reaktion, und deren späterer Abklärung zu zweckbewußter Reflexion. Sie soll dem Verlangen nach vergeltender Gerechtigkeit und den Forderungen rationeller Kriminalpolitik gleichzeitig gerecht werden; und der Erfolg ist, daß sie nach keiner Seite voll befriedigt. Dieser innere Widerspruch aber ist, ich wiederhole es, im Wesen der Strafe selber gegründet. . . . Und mit dem Augenblicke, wo aus unserer heutigen Strafe der letzte Rest des Vergeltungsgedankens ausscheidet, das individuelle Begehren sich ganz dem sozialen Nutzen unterordnen würde, sänke die Strafe zur bloßen Sicherungsmaßregel, zu einem Erziehungsmittel herab; ihre Todesstunde wäre gekommen. . . . Ein Strafrecht, welches sich in den Dienst dahin zielender Entwicklungstendenzen stellen würde, arbeitete an seinem eigenen Untergange". Während sich die i n k r i m i n i e r t e n Verhaltensweisen u n d die gesetzlichen Strafrahmen primär am objektiven W e r t der verletzten Rechtsgüter auszurichten haben, k o m m t bei der Konkretisierung des staatlichen Strafanspruchs gegen den einzelnen Verbrecher dessen Persönlichkeit maßgeblich hinzu. A u s dieser Sachlage erklärt sich die widersprüchliche N a t u r der Strafe; die A n t i n o m i e n der Strafzwecke sind i n ihr vereinigt: „ W i r finden den Gegensatz des Vergeltungsgedankens und des Zweckgedankens bereits i m Begriff der Strafe vor"5. 3. B e i der Darstellung der historischen E n t w i c k l u n g der Straftheorien bevorzugt es D o h n a , nicht die absoluten u n d die relativen Theorien, sondern die staatsrechtliche u n d die kriminalpolitische Betrachtungsweise gegenüberzustellen 6 . I n der zeitgenössischen Diskussion ab dem Ende des 19. Jahrhun5 Manuskript, Die Geschichte der Strafe, wohl vor 1914, in: N L Dohna I, Nr. 19, S. 12. 6 Manuskript, Die Geschichte der Strafe, wohl vor 1914, in: N L Dohna I, Nr. 19, S. 13: In der Aufklärungszeit fragte man: „Hat der Staat überhaupt das Recht zu strafen und woher schöpft er dieses Recht?" und bemühte dazu den Gedanken des Gesellschaftsvertrages. Kant bahnte eine neue Gedankenentwicklung an, indem er beide Fragen nach der Rechtfertigung der Strafe überhaupt und nach der Bestimmung der Strafe in jedem einzelnen Falle auf die einheitliche Wurzel des kategorischen Imperativs zurückführte (S. 14). Die Prinzipien der Zweckbestimmung und der Rechtfertigung blieben bei Grolmann und Feuerbach noch verschmolzen, während von da ab (abgesehen von Hegel) eine Trennung beider Fragen eintritt und die Zweckmäßigkeitsfrage immer mehr in den Vordergrund drängt (S. 16).
C. Strafzwecktheorie
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derts gibt man sich damit zufrieden, daß die Gesamtinstitution der staatlichen Strafe für die Selbsterhaltung der Gesellschaft und des Staates notwendig ist; das Problem der staatsrechtlichen Rechtfertigung der Strafe ist in den Hintergrund getreten. Der Streit betrifft nur noch die kriminalpolitische Sinngebung oder genauer den dominierenden Strafzweck, da der Vergeltungsgedanke in der klassischen Schule mit der generalpräventiven Zweckmäßigkeit verbunden worden ist und so seinen absoluten Charakter verloren hat 7 . Die Gegensätze im sog. Schulenstreit sind im Grundsatz nicht so unversöhnlich wie es zunächst scheinen mag. „Daß die Strafe von jeher Vergeltungscharakter getragen hat und tragen wird, wird von unserer Seite so wenig bestritten, wie von der anderen, daß man mit ihr von jeher Präventionszwecke verfolgt hat und verfolgen wird 8 . Die Differenzen betreffen eher mehr die Einzelfragen der kriminalpolitisch möglichst effizienten Ausgestaltung der einzelnen Sanktionen. I I . Würdigung Dohna unterscheidet sich in mehrfacher Hinsicht von Liszt; seine Strafzwecklehre enthält Elemente einer Vereinigungstheorie und setzt zugleich den Schwerpunkt bei der Spezialprävention. Der Begriff der Vergeltung wird von Dohna nicht im absoluten Sinne, sondern durch die Verbindung mit der generalpräventiven Abschreckungswirkung im relativen Sinne gebraucht. Demgegenüber meidet Liszt eher die Verwendung des Vergeltungsbegriffs 9. Dohna betont anders als Liszt die unaufhebbare Antinomie der Strafzwecke, während Liszt die Lehre von den spezialpräventiven Verbrechertypen in den Vordergrund stellt 10 . Eine nähere Auseinandersetzung insbesondere mit der spezialpräventiven Theorie kann hier nicht erfolgen; es ist nur ein Bedenken anzubringen 11. 7 Manuskript, Die Theorien der Strafe, wohl vor 1914, in: N L Dohna I, Nr. 19, S. 29. Dieselbe Einschätzung findet sich heute etwa bei Frommel, Präventionsmodelle in der deutschen Strafzweck-Diskussion, 1987, S. 104 - 107 (Verdeckt-relative Straftheorien im absoluten Gewand). » Die Sicherungsstrafe, in: ZStW 44 (1924), S. 48. 9 Vgl. etwa Liszt, Die deterministischen Gegner der Zweckstrafe (1893), in: Strafrechtliche Vorträge und Aufsätze, Bd. 2, 1905, 1970, S. 48, 49: „Für den folgerichtigen Determinismus bleibt einzig und allein die Zweckstrafe übrig. . . . Die Vergeltung auf deterministischer Grundlage (wie bei Adolf Merkel) i s t . . . eine Verirrung des Verstandes". Vgl. aber auch Liszt, Der Zweckgedanke im Strafrecht (1882), in: Strafrechtliche Vorträge und Aufsätze, Bd. 1, 1905, 1970, S. 174: „Die einzig haltbare und fruchtbare Form der Vergeltungsstrafe ist die Schutzstrafe". 10 Vgl. Liszt, Der Zweckgedanke im Strafrecht (1882), aaO, S. 151: „Der Widerstreit der absoluten und der relativen Theorien hat sich uns gelöst". S.161: „Das völlige Gebundensein der Strafgewalt durch den Zweckgedanken ist das Ideal der strafenden Gerechtigkeit". Nachfolgend (S. 163 - 173) ordnet er den unmittelbaren Wirkungen der Strafe, nämlich Besserung, Abschreckung und Unschädlichmachung, die entsprechenden spezialpräventiven Verbrechertypen zu.
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
Eine spezialpräventive Auffassung wie diejenige Dohnas vernachlässigt die Sinngebung für die beiden Erscheinungsstufen der Strafdrohung und der Strafverhängung. Der Gedanke geht dahin, daß die Sinngebung für die jeweilige Erscheinungsform der ,Strafe 4 diejenige der vorangehenden, logisch vorrangigen Stufe übernimmt und eine spezifische hinzufügt. Nachfolgend kommt es uns nur auf die formelle Seite an, also darauf, daß die Strafzwecke in ihrem Sinn- und Legitimierungsgehalt auf der nachfolgenden Verwirklichungsstufe fortwirken; die inhaltliche Seite im Sinne eines rechtsstaatlichen Strafrechts wird dabei vorausgesetzt. Die generelle Strafandrohung tabuisiert bestimmte Verhaltensweisen durch die hypothetische Verknüpfung mit der zu erwartenden Strafverhängung. Dies bedeutet unter der weiteren Voraussetzung einer effektiven Straftatenaufklärung, daß damit eine Abschreckungswirkung und eine Bekräftigung der elementarsten Strafnormen in der Bevölkerung erzielt werden soll. Die Strafverhängung übernimmt und konkretisiert diesen generalpräventiven Bestimmungszweck der Strafandrohung. Sie kann dies vor allem dadurch wirksam erfüllen, daß sie der Schwere des tatbestandlich vertypten Unrechts und der darauf bezogenen Einzeltatschuld entsprechende Vergeltung übt. Die Strafverhängung insbesondere in Gestalt der Freiheitsstrafe bietet dem Verurteilten die Chance oder Möglichkeit, auf sich im Sinne einer künftigen Vermeidung von Straftaten einwirken zu lassen. Dies setzt aber auf seiner Seite eine gewisse Bereitschaft voraus, die nicht erzwungen werden kann. Auch wenn im Extremfall der Verurteilte jeden Versuch einer bessernden oder resozialisierenden Einwirkung von sich weist, behalten die beiden ersten Zwecke ihre sinnstiftende Wirksamkeit: Die Vollstreckung der tatschuldvergeltenden Strafgröße trägt zur generalpräventiven Abschreckung und kontrafaktischen Normstabilisierung bei 12 . Dieses Fortwirken des generalpräventiven Zwecks und des Vergeltungszwecks auf die Strafvollstreckung hat Dohna vernachlässigt.
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Vgl. nur die treffende Kritik bei Schmidhäuser, Eberhard, Vom Sinn der Strafe, 2. Aufl. 1970, S. 59 - 74 (Einteilung in drei Verbrechertypen nicht durchführbar). 12 Vgl. Jakobs, Günther, Strafrecht, 2. Aufl. 1991, S. 5 - 14.
D. Kriminalpolitik und strafrichterliches Ermessen
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D. Kriminalpolitik und richterliche Ermessensfreiheit im Spannungsfeld zwischen möglichst effektiver Verbrechensbekämpfung und rechtsstaatlicher Begrenzung der staatlichen Strafgewalt I. Zur Kriminalpolitik Die Würdigung des kriminalpolitischen Programms Dohnas und seiner Ausführungen zum strafrichterlichen Ermessen konzentriert sich insbesondere auf die Mißbrauchsgefahren. Dementsprechend liegt zunächst der Schwerpunkt bei der Forderung nach der absolut unbestimmten Verurteilung und nach den Ehrenstrafen. 1. Grundkonzeption eines „ einspurigen " Sanktionensystems Die Kriminalpolitik beschäftigt sich im Sinne Dohnas mit der möglichst effektiven Ausgestaltung der Straf- und Sanktionsmittel im Interesse der Verbrechensbekämpfung. Die nähere, teils schärfere, teils mildere Ausgestaltung des Sanktionensystems im Vergleich zum (damals) geltenden Recht hängt von der spezialpräventiven Einteilung der Verbrecher ab, ob es sich also um Gelegenheits-, besserungsfähige oder um besserungsunfähige Zustandstäter handelt. „Einspurigkeit" bedeutet, daß einzelne Sanktionen mehrere Funktionen wie Abschreckung und Sicherung zugleich zu erfüllen vermögen. Die Unterscheidung zwischen Strafen und Maßregeln der Besserung und Sicherung entfällt. Dies rechtfertigt sich systematisch einmal aus der Nähe des Strafrechts als vorbeugendes Rechtsgüterschutzrecht zum Verwaltungsrecht sowie daraus, daß wirkliche Zurechnung die in der Tat zum Ausdruck gekommenen Charaktereigenschaften des Täters zu vergelten hat. Das Ziel ist grundsätzlich eine nach Charakter und Milieu individualisierende Strafzumessung, bei der die objektive Höhe des angerichteten Schadens seinen zur Zeit dominierenden Einfluß verliert 1 . Dohna sieht das Bedürfnis nach Maßhalten und rechtsstaatlicher Begrenzung, legt aber letztlich den Schwerpunkt auf die Nützlichkeit. Es ist das Grundthema des Ausgleichs zwischen Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit, also zwischen der sozial- und eigennützigen staatlichen Tätigkeit und der Sicherung der individuellen Freiheitssphäre 2. Der im rechtsphilosophischen 1
Die Entwürfe zu einem deutschen Strafgesetzbuch, in: JW 1921, S. 371. Die Sicherungsstrafe, in: ZStW 44 (1924), S. 46: „Nicht um die begriffliche Abgrenzung von Strafe und Sicherungsmittel ist es zu tun, sondern um den Ausgleich in dem immer sich erneuernden Konflikt zwischen Gesellschaft und Einzelwesen". Es kommt darauf an, wie wir eine Maßnahme gestalten müssen, „damit sie gute Früchte trage, und wie wir sie gestalten dürfen, ohne dem Schutzbedürfnis der Gesamtheit die 2
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
T e i l näher behandelte positivistische Rechtsbegriff Dohnas und die Machttheorie zur Rechtsgeltung führen hier zu konkreten Konsequenzen. Jeder W a n d e l der Staatsauffassung gibt sich i n einer Grenzverschiebung zwischen den beiden Reichen des Individuums u n d der Gesellschaft k u n d 3 . Ausgehend von seinem liberal-rechtsstaatlichen Vorverständnis befürwortet D o h n a zwar weiterhin, den E i n t r i t t einer Strafsanktion v o n der Begehung eines bestimmten, nachgewiesenen Verbrechens abhängig zu machen 4 . Jedoch w i r d dem Staat beispielsweise i m H i n b l i c k auf obdachlose, dem T r ü n k e verfallene, arbeitsunfähige u n d vielfach vorbestrafte Individuen die M a c h t u n d damit letztlich auch die Berechtigung eingeräumt, die symptomatische Verdachtsstrafe einzuführen, wobei allerdings dieser Ausdruck vermieden wird. Z w a r „lehnen (wir) diese Auffassung ab; aber wir sehen in ihr kein Gespenst, mit dem man uns bange machen könnte ; und wir sind uns bewußt, daß der Staat jederzeit in der Lage ist, sich auf diesen Standpunkt zu stellen, wenn er zur Überzeugung gelangt, nur auf diese Weise die Integrität des sozialen Körpers garantieren zu können" 5 . 2. Verständigungsbemühungen
im sog. Schulenstreit
Trotz der v o n i h m favorisierten „ E i n s p u r i g k e i t " 6 befürwortet D o h n a eine pragmatische Verständigung i m sog. Schulenstreit 7 . Das Z i e l der Gesamt-
individuelle Freiheit in ungebührlicher Weise zu opfern, ohne größere Werte zu zerstören, als jene Maßnahme bestenfalls zu zeitigen vermag, ohne endlich das sittliche Bewußtsein des Volkes zu verletzen". Auch S. 55, 56. 3 Der Kampf gegen den Modernismus im Strafrecht, in: MschrKrimPsych Bd. 5 (1908), S. 69, 70. 4 Die Sicherungsstrafe, in: ZStW 44 (1924), S. 48. 5 Der Kampf gegen den Modernismus im Straf recht, MschrKrimPsych Bd. 5 (1908), S. 70. 6 Etwa Dohna, Die Individualisierung in der Strafrechtspflege, in: 98. Jahresbericht der Rheinisch-Westfälischen Gefängnisgesellschaft auf das Jahr 1926,1928, S. 34. Dennoch werde man sich mit der Zweispurigkeit von Strafen und Maßregeln der Besserung und Sicherung abfinden müssen; Die Systematik der Unrechtsfolgen, in: DJZ 1927, Sp.1092. 7 Etwa Dohna, Die ,Deutsche Strafrechtliche Gesellschaft', in: DJZ 1925, Sp. 1101, 1102: Zur Vollendung der Reformarbeit ist die Mitarbeit aller, Verständigung und Eintracht nötig; Der Stand des Streits um die Strafrechtsreform, in: DJZ 1928, Sp 47. Dagegen ist der frühe Aufsatz „Der Kampf gegen den Modernismus im Strafrecht" noch in einem eher unversöhnlichen Tonfall gehalten; in: MschrKrimPsych Bd. 5 (1908), S. 65 - 71. Vgl. zur damaligen Kampfesstimmung z.B. Binding, Grundriß des deutschen Strafrechts. Allgemeiner Teil, 8. Aufl. 1913, Vorwort S. V - X I X . Zum Schulenstreit der Klassiker (Binding, Birkmeyer, Nagler u.a.), der Soziologen. (Liszt, Kohlrausch u.a.) und der Vereinigungstheoretiker (Adolf Merkel, Robert v. Hippel u.a.) sowie zu den Reformentwürfen bzw. Reformgesetzgebungen, Schmidt, Eberhard, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 3. Aufl. 1964, § 273, §§ 310 - 318, §§ 321, 322, §§ 327 - 333; Frommel, Monika, Präventionsmodelle in der deutschen Strafzweck-Diskussion, 1987; Stammberger, Wolfgang, Die Geschichte der Strafrechtsreform bis zum Strafgesetzbuchentwurf 1962, in: Probleme der Straf-
D. Kriminalpolitik und strafrichterliches Ermessen
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reform umfaßt eine strikt rechtsstaatliche Fortbildung des Strafverfahrens, als Kernstück des materiellen Strafrechts die Maßnahmen gegen besonders geartete Kriminelle und das zu kodifizierende Strafvollzugsrecht 8. „Die Prinzipien (der alten Strafrechtsschulen) stehen heute nicht mehr zur Debatte". In den Reihen der I K V und der Strafrechtlichen Gesellschaft werden ganz unterschiedliche Positionen vertreten 9 . Die praktischen Fragen betreffen das richterliche Ermessen und das Verhältnis von Strafe und Sicherungsmittel. Über zahlreiche Punkte ist bereits Einigkeit erzielt: „Die große Masse der Gelegenheitsverbrecher erheischt ausschließlich Strafe, die in A r t und Höhe nach der Eigenart und Schwere der Tat sich richtet. Der Vollzug langfristiger Freiheitsstrafen steht im Dienst des Besserungsgedankens. Gemeingefährliche Irre sind zu internieren, ohne daß sich dieses Sicherungsverfahren an irgendeiner Stelle mit einem Strafverfahren kreuzt. Muß aber ein Angeklagter wegen Unzurechnungsfähigkeit freigesprochen werden, so gebietet schon die Prozeßökonomie, daß der Strafrichter zugleich über die Sicherung entscheidet. Handelt es sich um einen Fall von verminderter Zurechnungsfähigkeit oder Trunksucht, so kommt nur eine Kombination von Strafe und Heilbehandlung in Frage. Danach verbleiben einzig und allein die Kategorien der gemeingefährlichen und der gemeinschädlichen verantwortlichen Personen, über welche die Einigung noch aussteht".
Dort sind die Gegensätze nicht unüberwindlich und dürfen vor allem dem Gelingen der Reform nicht entgegenstehen10. 3. Insbesondere die unbestimmte Verurteilung
und die Sicherungsstrafe
Die Einzelheiten der Entwürfe und der literarischen Diskussion zum System der Zweispurigkeit und besonders zur Reaktion gegenüber gemeingefährlichen Gewohnheits- und Rückfalltätern können und sollen hier nicht behandelt werden. Die Entwürfe haben für diese Tätergruppe grundsätzlich eine Strafschärfung verbunden mit einer zusätzlichen Sicherungsverwahrung vorgesehen; dieser Linie haben sich auch Vertreter der modernen Schule, besonders aber Anhänger der Vereinigungstheorie und der Klassiker angeschlossen11. Demgegenüber hat Dohna auf der Göttinger Tagung der I K V im Jahre 1922 neben Kohlrausch und anderen folgenden Antrag eingebracht :
rechtsreform, 1963, S. 11 - 29; Eser, Albin, Hundert Jahre deutscher Strafgesetzgebung, in: Festschrift für Werner Maihofer, 1988, S. 109 - 134. 8 Die Entwürfe zu einem deutschen Strafgesetzbuch, in: JW 1921, S. 372. 9 Die ,Deutsche Strafrechtliche Gesellschaft', in: DJZ 1925, Sp. 1101. 10 Der Stand des Streits um die Strafrechtsreform, DJZ 1928, Sp. 46, 47. Ferner besteht grundsätzliche Einigkeit über die Zurückdrängung der kurzfristigen Freiheitsstrafe zugunsten der Geldstrafe, die bedingte Strafaussetzung bei günstiger Täterprognose und über ein am Erziehungsgedanken ausgerichtetes Jugendstrafrecht. 11 Nachweise bei v. Hippel, Robert, Deutsches Strafrecht, Bd. 1, 1925, S. 527 - 532.
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
„ I . Gemeingefährliche Gewohnheitsverbrecher, welche schon viele Straftaten begangen haben, sind zu einer Freiheitsstrafe zu verurteilen, bei welcher der Richter nur Höchst- und Mindestmaß festsetzt. II. Der Sicherungszweck hat gegenüber solchen Verbrechern nicht durch eine besondere Sicherungsverwahrung, sondern innerhalb des Strafvollzuges zu erfolgen" 1 2 .
Ferner erteilt er dem Zusatzantrag Dürr seine Zustimmung, der eine absolut unbestimmte Verurteilung vorsieht: „Gemeingefährliche Verbrecher, die schon viele Straftaten begangen haben, sind zu einer Freiheitsstrafe von zunächst unbestimmter Dauer zu verurteilen. Auf Grund des Verhaltens des Verurteilten in der Strafhaft entscheidet das Gericht, ob und wann der Verurteilte zu entlassen ist" 1 3 .
Bei der absolut unbestimmten Verurteilung soll von Zeit zu Zeit die Fortdauer des Haftgrundes überprüft werden. Später ändert Dohna seine Meinung dahin, daß über die endgültige Haftdauer nicht das Gericht, sondern die Strafvollstreckungsinstanz entscheiden soll 14 . Für diese Ansicht werden die folgenden Gründe vorgebracht: Die Unterscheidung zwischen tatschuldvergeltenden Strafen und Maßnahmen der Besserung und Sicherung entstammt dem Doktrinarismus der Klassiker. Die Regelung der Entwürfe zeigt, daß das Arbeitshaus gegenüber Gemeinschädlichen wie Bettlern und Landstreichern trotz des vorwaltenden Besserungsgedankens die Straffunktion mitübernehmen kann. Genauso sollte den (unverbesserlichen) Gemeingefährlichen gegenüber die Strafanstalt die Sicherungsfunktion mitübernehmen 15 . Die verwirrenden Regeln über das Kumulieren und Vikariieren besonders im Verhältnis zwischen verschärfter Rückfallstrafe und Sicherungsverwahrung, speziell die Vorschrift über die nachträgliche Erübrigung der Sicherungsmaßnahme nach vollzogener Strafvollstreckung bestätigen die Berechtigung der Sicherungsstrafe 16. Der Vergeltungsbegriff stehe der Sicherungsstrafe gerade nicht entgegen, da Vergeltung die (nach dem sittlichen Volksbewußtsein angemessene) Behandlung gemäß der schuld12 Antrag Kohlrausch, Dohna, Liepmann, Rosenfeld, in: Mitteilungen der I K V , 18. Versammlung der Deutschen Landesgruppe zu Göttingen, 1922, S. 131, S. 147: Der Antrag wurde mit 40 gegen 26 Stimmen angenommen. 13 Mitteilungen der I K V , 1922, S. 143, 144, 147: Der Antrag wurde mit 34 gegen 32 Stimmen angenommen. 14 Die Sicherungsstrafe, in: ZStW 44 (1924), S. 56. 15 Die Sicherungsstrafe, in: ZStW 44 (1924), S. 43; ebenso auf der 20. Tagung der I K V in Innsbruck, Mitteilungen der I K V , Neue Folge, Bd. 1, 1926, S. 201 - 203; Der Stand des Streits um die Strafrechtsreform, in: DJZ 1928, Sp. 46; Auf dem Wege zum unbestimmten Strafurteil, in: ZStW 51 (1931), S. 453; Weitere Schritte auf dem Wege zum unbestimmten Strafurteil, in: MschrKrimBiol. Bd. 33 (1942), S. 5. 16 Auf dem Wege zum unbestimmten Strafurteil, in: ZStW 51 (1931), S. 450 - 454; Weitere Schritte auf dem Wege zum unbestimmten Strafurteil, in: MschrKrimBiol. Bd. 33 (1942), S. 2 - 4.
D. Kriminalpolitik und strafrichterliches Ermessen
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haften Gesinnung und der daraus entspringenden Gefährlichkeit bedeute 17 . Der Vollzug von Strafe und Sicherungsverwahrung wird sich gleichen wie ein Ei dem anderen; für diese Unterscheidung und die damit verbundenen Zusatzkosten würde im Volk niemand Verständnis haben 18 . Auf der Karlsruher Tagung der I K V im Jahre 1927 stimmt Dohna dem Antrag zu, die Forderung nach der unbestimmten Verurteilung zurückzustellen, iim nicht das Projekt der Reform durch einen neuen aufflammenden Schulenstreit zu gefährden 19. Im Jahre 1931 widerruft Dohna diesen Kompromiß wider seine Überzeugung und befürwortet weiterhin die vom Richter zu verhängende zeitlich unbestimmte Verurteilung. Mit der Aufnahme der unbestimmten Jugendstrafe in der Reichstagsvorlage hat der Gesetzgeber die richtige Bahn der Verbrechensbekämpfung beschritten, die konsequent zu Ende geführt werden müsse20. Außerdem ist mit der bedingten Begnadigung bzw. der künftigen bedingten Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung bereits das relativ bestimmte Strafurteil eingeführt; dann sind bei der unbestimmten Verurteilung gegenüber den viel gefährlicheren Gewohnheits- und Rückfalltätern erst recht keine rechtsstaatlichen Bedenken anzuerkennen 21. Es fällt auf, daß Dohna mit dieser Forderung noch über Liszt hinausgeht, der die relativ unbestimmte Verurteilung mit der Angabe eines gesetzlichen, nicht vom Richter festgelegten Höchst- und Mindestmaßes für die einzelnen strafbaren Handlungen verlangt hat 22 . Liszt hat später im Interesse einer erfolgreichen Reformgesetzgebung die Zweispurigkeit akzeptiert 23 . Dieser Argumentation ist bereits in der damaligen Literatur entgegengetreten worden 24 . Hier ist vor allem die Gesetzesbindung des Richters und der ι 7 Die Sicherungsstrafe, in: ZStW 44 (1924), S. 53, 54. 18 Die Sicherungsstrafe, in: ZStW 44 (1924), S. 54; Beitrag auf der 20. Tagung der I K V in Innsbruck, Mitteilungen der I K V , Neue Folge, Bd. 1, 1926, S. 201, 202. 19 Die diesjährige Tagung der Deutschen Landesgruppe der I K V , in: DJZ 1927, Sp. 1330; 22. Tagung der Deutschen Landesgruppe der I K V zu Karlsruhe, Mitteilungen der I K V , Neue Folge, Bd. 3, 1928, S. 125. 20 Auf dem Wege zum unbestimmten Strafurteil, in: ZStW 51 (1931), S. 454, 455. Auch der heutige § 19 JGG sieht noch die relativ unbestimmte Jugendstrafe vor. 21 Auf dem Wege zum unbestimmten Strafurteil, in: ZStW 51 (1931), S. 450; bereits Die Sicherungsstrafe, in: ZStW 44 (1924), S. 55, 56. 22 Liszt, Kriminalpolitische Aufgaben (1889 - 1892), in: Strafrechtliche Vorträge und Aufsätze, Bd. 1, 1905, 1970, S. 392, 393 („Daneben könnte dem Richter gestattet werden, bei Vorliegen besonderer, in den Urteilsgründen genau anzugebender Milderungsumstände an Stelle des im Gesetze angedrohten, den nächst niederen Strafrahmen zur Anwendung zu bringen".); Die Reform der Freiheitsstrafe (1890), aaO, S. 532, 533. 2 3 Aufruf Liszt und Kahl, in: DJZ 1902, S. 301 - 303. 24 Vgl. nur v. Hippel, Deutsches Strafrecht, Bd. 1, 1925, S. 529 - 531 vom Standpunkt der Vereinigungstheorie, S. 568 - 570: Ein Teil der „Strafzumessung ist der Kontrolle des Gerichts und der Öffentlichkeit entzogen; der Maßstab guter oder 8 Escher
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
Wert der Rechtssicherheit zu beachten. Dann muß gegen die zeitlich unbestimmte Verurteilung eingewandt werden, daß sie zu einer drakonischen Härte führen kann, die der rechtsstaatlichen Forderung nach Berechenbarkeit hoheitlicher Maßnahmen besonders für die Höchstgrenze des Freiheitsentzuges im Interesse des individuellen Freiheitsschutzes entgegengesetzt ist. Wird in gewissen Zeitabständen von der Strafvollstreckungsbehörde über die Frage der beseitigten Gemeingefährlichkeit entschieden, so kann die Beurteilungsgrundlage für das Verhalten in der wiedererlangten Freiheit mit je längerer Haftdauer nur um so unsicherer werden. Es handelt sich um eine nicht verifizierbare Prognoseentscheidung. Es besteht die Gefahr, daß letztlich auf der Grundlage der notwendig unvollständigen Ermittlung der Lebensgeschichte, der Taten und der geistigen Verfassung die bisherige kriminelle Entwicklungslinie einfach in die Zukunft extrapoliert wird. Berücksichtigt man, daß Fälle denkbar sind, in denen für einen gemeingefährlichen Taschendieb, Kleinbetrüger etc. die unbestimmte Verurteilung unter Umständen lebenslanges Zuchthaus bedeutet, so wird die Abstufung der geschützten Rechtsgüter nach den Schweregraden in den gesetzlichen Strafdrohungen geradezu auf den Kopf gestellt 25 . Bei der Analyse der Schriften Dohnas zum nationalsozialistischen Strafrecht wird sich zeigen, daß er u. a. der Ausweitung der Strafdrohungen mit Hilfe eines verworrenen Systems von Grundtatbeständen, tatbestandlichen Abwandlungen und Strafänderungsgründen durchaus kritisch gegenüberstand. Gegenüber den nahezu absolut unbestimmten Strafdrohungen, die in vielen Fällen auf Tätertypisierungen aufbauten, wurde der Wert der Rechtssicherheit stärker noch als in der Zeit vor 1933 betont 26 . Dann ist es erst recht unverständlich, wie Dohna noch im Jahre 1943 angesichts der vollständigen Beseitigung aller rechtsstaatlichen Elemente im praktizierten Strafrecht an seiner alten Auffassung zur unbestimmten Verurteilung festgehalten hat. Die unbestimmte Verurteilung in der von Dohna geforderten radikalen Form gehört der Vergangenheit an. Es sei aber darauf hingewiesen, daß die schlechter Führung in der Anstalt ist als Maßstab künftigen Wohlverhaltens leicht unsicher. 25 Ein unausrottbares Mißverständnis, in: ZStW 66 (1954), S. 513, 514: Gefährliche Gewohnheitsverbrecher, „deren uneingeschränktes Verschulden keinem Zweifel begegnet, (sollen) mit einer Strafe belegt werden, die der Volksgemeinschaft genügenden Schutz gegen die Gefahren bietet, welche ihr von solchen Unholden droht. Es soll keinesfalls bestritten werden, daß der Gesichtspunkt der Proportionalität zwischen dem Ernst der Verfehlung und der Höhe der Strafe Berücksichtigung erheischt. Es ginge nicht an, den Bettler und Müßiggänger auf Jahre hinaus in eine Strafanstalt zu sperren, weil es aus sozialen Gründen erforderlich erscheint, den Volkskörper von solchen Elementen frei zu halten. Hier also ist eine Verwahrung am Platze, die anderen als pönalen Charakter trägt (für wie lange? Anm. d. Verf.), sehr wohl aber die Straffunktion mit übernehmen könnte". 26 Siehe sogleich 3. Teil, D., I I I . , 2.
D. Kriminalpolitik und strafrichterliches Ermessen
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sachliche Problematik freilich in entschärfter Weise im geltenden Recht wiederkehrt, da vielfach am Tage der Urteilsverkündung die tatsächliche Dauer der zu erwartenden Freiheitsentziehung nicht genau feststeht 27. 4. Insbesondere die sog. Ehrenstrafe Das damalige StGB regelte im §31 die obligatorischen Ehrenfolgen der Zuchthausstrafe, so die dauernde Unfähigkeit zum Militärdienst und zur Bekleidung öffentlicher Ämter. Der § 32 StGB stellte es in das Ermessen des Gerichts, u.a. bei der Zuchthausstrafe auf den Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte zu erkennen. Diese Nebenstrafe soll die Bedeutung einer Statusstrafe, einer Schmälerung der Rechtsstellung besitzen, wie die in §§33, 34 näher geregelten Wirkungen zeigen. „Davon, daß der zum Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte Verurteilte für ehrlos erklärt würde, kann keine Rede sein" 28 . Gerade dies erklärt Dohna in dem Aufsatz „Der innere Konnex von Freiheits- und Ehrenstrafen" für einen Etikettenschwindel: Nach dem Verständnis der Bevölkerung bedeutet das Zuchthaus Ehrverlust; es trägt also infamierenden, die persönliche Ehre und Würde abschneidenden Charakter 29 . Über diese Feststellung hinausgehend fordert er, die ehrlose oder nicht ehrlose Gesinnung des Täters zum maßgeblichen Unterscheidungsmerkmal zwischen dem entehrenden Zuchthaus und der neutralen Einschließung zu erheben 30 . Zur Begründung wird vor allem vorgebracht, daß „der Staat zu seinem Kampfe gegen das Verbrechen in der gesunden Reaktion des Volksempfin27
Vgl. nur § 19 JGG und §§ 57, 57a, 66, 67 StGB. 8 So Frank, Kommentar zum StGB, 17. Aufl. 1926, S. 66 (zu § 32). Weiterführend mit Hinweisen zur Geschichte etwa Grünhut, Max, Die Abschaffung der Ehrenstrafen, in: ZStW 46 (1925), S. 260 - 278. 29 In: MschrKrimPsych Bd. 17 (1926), S. 353. 30 Bereits Manuskript Zum Strafrechtsreformentwurf 1925, in: N L Dohna I, Nr. 7, S. 16: Der Entwurf verbindet Zuchthaus und Gefängnis nicht mit den Ehrenstrafen. Solches „widerspreche dem Zweck der Besserungsstrafe. Die Strafe solle entsühnen, nicht entehren. . . . Aber das ist weder erwünscht noch durchführbar. Wir brauchen die Mißbilligung durch die Umwelt. Wir müssen anständige und ehrlose Elemente scheiden." Der innere Konnex von Freiheits- und Ehrenstrafen, in: MschrKrimPsych Bd. 17 (1926), S. 355: Die Differenzierung der Strafarten soll dazu dienen, der einen Verbrechergruppe ihre besondere Unehrenhaftigkeit zu bezeugen. S. 356: „Aber es sollte überhaupt die Verteilung der Strafarten von vornherein gar nicht unter dem Gesichtspunkt des jeweils angegriffenen Rechtsguts, des Deliktstypus, sondern unter dem Gesichtspunkt der zugrunde liegenden Gesinnung erfolgen. Das geschähe am besten in der Weise, daß in jedem Falle Freiheitsstrafe ohne nähere Qualifikation angedroht und dazu allgemein bestimmt würde, daß sich die Auswahl der besonderen A r t derselben nach der Gesinnung richtet, die in der Tat zum Ausdruck gelangt ist". Also gegebenenfalls neutrale Einschließung für Totschläger und Hochverräter und Zuchthaus für einen geringwertige Sachen entwendenden Dieb? 2
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
dens ein wertvolles Hilfsmittel" haben würde, wenn alle ehrlosen Verbrecher und nur diese ausnahmslos ins Zuchthaus kommen 31 . Das Kriterium wird so formuliert: „Ehrlos ist die Gesinnung desjenigen, dessen Eigenart es entspricht, allgemein anerkannte Werte bewußtermaßen seinem persönlichen Interesse zu opfern" 32 .
Auf dem Deutschen Juristentag, der sich 1926 mit der von Radbruch im § 71 E 25 geforderten Einschließung für ÜberzeugungsVerbrecher beschäftigt, spricht sich Dohna für die Beibehaltung des §20 RStGB aus. Im Falle der wahlweisen Androhung von Zuchthaus und Festungshaft insbesondere bei den Hochverrats- und Landesverratsdelikten darf nach § 20 auf Zuchthaus nur dann erkannt werden, wenn festgestellt wird, daß die strafbar befundene Handlung aus einer ehrlosen Gesinnung entsprungen ist. Wieder wird betont, daß der Gesetzgeber dem Ehrgefühl der anständigen Menschen, dem Ehrgefühl des Volkes Rechnung tragen muß, welches gegenüber dem ehrlosen Teil der Verbrecherwelt verschärfte Mißbilligung verlangt 33 . Mit dieser Position stimmt Dohna, der sich selber sonst zutreffend als radikaler Moderner einordnet, eher mit vielen Klassikern als mit vielen Modernen überein 34 . Die Ehrenrührigkeit des Zuchthauses erscheint geradezu nach des Volkes maßgeblicher Stimme als Talion für die ehrlose Gesinnung, wird aber sofort instrumentativ benutzt. Hier sind aus rechtsphilosophischer und rechtshistorischer Sicht die folgenden Einwände gegen die Dohnasche Argumentation entscheidend. Diese Befürwortung der „moralischen Lynchjustiz" 35 erweckt den Eindruck, als wolle der Dualist und Neukantianer Dohna aus einem Faktum, der (hier als gegeben unterstellten einheitlichen) Ansicht des Volkes, ein Werturteil ableiten, nämlich daß eine solche moralische Degradierung der Gesamt31 Der innere Konnex von Freiheits- und Ehrenstrafen, in: MschrKrimPsych Bd. 17 (1926), S. 353, 354. 32 Ebenda S. 359. 33 Verhandlungen des 34. Deutschen Juristentages 1926 in Köln, S. 405 - 408, S. 417 (Gemeinschaftlicher Antrag mit Goldschmidt, Gerland und Landsberg). Verantwortung und Recht, in: Gesetz und Freiheit, hrsg. von Graf Hermann Keyserling, 1926, S. 81, 82: Ein Staat, der ausdrücklich einem Teil der Verbrecher moralische Ehrenhaftigkeit attestieren würde, würde seine moralisch überlegene Position preisgeben, von der erst die Strafe gerechtfertigt werden kann. Ebenso Manuskript Politische Verbrechen, in: N L Dohna I , Nr. 15, S. 21, 22. 34 Vgl. etwa Binding, Grundriß des deutschen Straf rechts, Allgemeiner Teil, 8. Aufl. 1913, S. 244: „Seltsamerweise schließt nach dem Wortlaut des Gesetzes (—> § 20 RStGB) ehrlose Gesinnung des Täters die Verhängung der Festungshaft nicht aus. Doch ist es berichtigend darin auszulegen, daß nur bei ehrloser Gesinnung auf Zuchthaus erkannt werden kann, dann aber auch erkannt werden muß". 35 Der Ausdruck stammt von Radbruch, Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs, 1922, 1952 hrsg. mit einem Vorwort von Eberhard Schmidt, S. 53.
D. Kriminalpolitik und strafrichterliches Ermessen
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person sozialnützlich und damit als richtig gerechtfertigt sei. Genau genommen stützt sich Dohna auf die Macht der Fakten; eine ethische Reflexion des gewonnenen Ergebnisses fehlt. Zweitens wird mit der moralisierenden Begriffsbestimmung der ehrlosen Gesinnung der Umstand verdeckt, daß der Charakter, die grundsätzliche innere Willenshaltung des Täters zu den „allgemein anerkannten Werten" eben nach der herrschenden Weltanschauung beurteilt wird. Diese ideologische Weltanschauung bzw. das Gefüge der Sinnprinzipien der jeweiligen Verfassungsordnung ist auswechselbar und dem Wandel der historischen Machtverhältnisse unterworfen. Damit ist der Begriff der ehrlosen Gesinnung im Zusammenhang mit der Strafartbestimmung politisch instrumentalisierbar. Man denke nur an politisch motivierte Straftaten in der Weimarer Republik, um zu erkennen, daß die „besondere Unehrenhaftigkeit" von einem bestimmten weltanschaulichen Vorverständnis beurteilt wird. Dohna beklagt die Politisierung der Justiz und liefert dann eine Generalklausel zur Strafartbestimmung, mit der gerade solches leicht bewerkstelligt werden kann. Wird die Stigmatisierung als ehrlos nach dem Politikverständnis der Machthaber bestimmt und ganz in den Dienst der Verbrechensbekämpfung gestellt, bleibt von der Mensch-Zweck-Formel der Kantschen Ethik nichts mehr übrig. Der ehrlose Zuchthäusler wird ganz als Mittel zum Zweck gesehen, er erscheint geradezu als ein an der Idee der Menschheit nicht mehr teilhabendes, vernichtungswürdiges Objekt 36 . Obwohl Dohna sogar ein Gegner der Nationalsozialisten gewesen ist, haben seine und gleichlautende Ausführungen zu den Ehrenstrafen der Sache nach in methodischer und kriminalpolitischer Hinsicht den Boden dafür mitbereitet, daß nach 1933 unter Rückgriff auf das Volksempfinden, letztlich auf die Machtinteressen der Nationalsozialisten, bestimmte Verbrechergruppen besonders „entehrend" behandelt wurden. Dies gilt z.B. für §3 I I S.2 der Verordnung über die Strafrechtspflege gegen Polen und Juden in den eingegliederten Ostgebieten, wonach auch dort, wo das Gesetz die Todesstrafe nicht vorsieht, diese Strafe verhängt wird, wenn die Tat von besonderer niedriger Gesinnung zeugt oder aus anderen Gründen besonders schwer ist 37 . Mit
36 In strafrechtlicher Hinsicht bedeuten die Ehrenstrafen einen krassen Widerspruch zum Besserungs- oder Resozialisierungsgedanken; vgl. nur Eberhard Schmidt in Liszt/ Schmidt, Lehrbuch des Strafrechts, 26. Aufl. 1932, Bd. 1, S. 398 - 400; Paul Bockelmann, Zur Reform des Strafensystems, in: JZ 1951, S. 495, 496, 498. 37 Abgedruckt z.B. in Justiz und Nationalsozialismus, hrsg. vom Bundesminister der Justiz, 1989, S. 226; RGBl 11941, S. 759ff. Vgl. außerdem z.B. Rietsch, Strafensystem, in: Das kommende deutsche Strafrecht, Bericht über die Arbeit der amtlichen Strafrechtskommission, hrsg. von Franz Gürtner, 1934, S. 98: Im künftigen Recht wird den Ehrenstrafen eine besondere Bedeutung zukommen. S. 99: Künftig soll mit dem Zuchthaus Ehrverlust zwangsläufig verbunden sein; bei der Gefängnisstrafe soll die Verbindung mit der Ehrenstrafe dem Ermessen des Richters überlassen bleiben, während die Haftstrafe die Ehre unangetastet lassen soll. „Für die schwersten Straftaten aber wird noch eine besondere Ehrenstrafe zu
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
der Erniedrigung des „ehrlosen" Delinquenten zu einem bloßen Mittel zu einem der Machterhaltung nützlichen Zweck ist sogar methodisch die Bahn betreten, welche die rassische Rechtslehre in letzter Konsequenz dazu führte, den rechtstheoTetischen Begriff der Person und des Rechtssubjektes von der Eigenschaft als Mensch abzulösen und dafür auf die rassische Blutsverwandtschaft als Arier abzustellen38. I I . Gesetzlichkeitsprinzip und strafrichterliches Ermessen im gewaltenteiligen Rechtsstaat 1. Eingrenzung des Themas Die nachfolgende Darstellung trägt vorwiegend vorbereitenden Charakter. Sie liefert die Grundlage für die anschließende Untersuchung, wie Dohna in methodischer Hinsicht die Umgestaltung in ein nationalsozialistisches Strafrecht gesehen hat. Sodann kann die Frage beantwortet werden, inwiefern die Nationalsozialisten seine Auffassung vom strafrichterlichen Ermessen für ihre Zwecke mißbrauchen und umfunktionieren konnten. Im Zusammenhang mit den Strafrechtsentwürfen in der Weimarer Republik hat sich Dohna mit der Stellung des Richters zum Gesetz und auch inzidenter mit dem Gesetzlichkeitsprinzip im Strafrecht beschäftigt. Methodische Fragen der Gesetzesauslegung und der richtigen Rechtsfindung wurden bereits in der Habilitationsschrift über die Rechtswidrigkeit besprochen 39. Hier geht es darum, wie Dohna das Verhältnis zwischen Richterfreiheit und Gesetzesbindung bestimmt hat, je nachdem es sich um die Merkmale des Verbrechens, die S traf art und das Strafmaß handelt. 2. Der abgestufte Umfang des richterlichen Ermessens und das Prinzip: nullum crimen sine lege Die praktische Bedeutung des Prinzips nullum crimen (et nulla poena) sine lege wird trotz des Bekenntnisses zu ihm zurückhaltend eingeschätzt. schaffen sein: die Ächtung. Sie bedeutet den Ehrentod. Der Geächtete wird für immer aus der Volksgemeinschaft ausgeschieden, er darf nicht mehr Glied des Volkes oder Staates sein, er geht der Reichsangehörigkeit ebenso wie der Amtsfähigkeit, des Wahlund Stimmrechts und anderer Ehrenrechte verlustig." Dahm, Die Erneuerung der Ehrenstrafen, in: DJZ 1934, S. 821; Schaffstein, Die Bedeutung der Ehrenstrafen im nationalsozialistischen Strafrecht, in: Deutsches Recht, 1935, S. 269. 38 Vgl. etwa die Nachweise bei Bernd Rüthers, Entartetes Recht. Rechtslehren und Kronjuristen im Dritten Reich, 1988, S. 88 - 95, S. 94 Zitat von Karl Larenz aus dem Jahre 1935: „Letzten Endes bedeutet jede Ehrenstrafe eine Beeinträchtigung des Rechtsgenosse-Seins des Volksgenossen und damit der Rechtsfähigkeit". 39 Dazu 3. Teil, E., I I I . , 4., c) und e).
D. Kriminalpolitik und strafrichterliches Ermessen
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Die mit diesem Satz geforderte strikte Bindung des Richters an gesetzlich formulierte Tatbestände und an gesetzlich umrissene Strafdrohungen stammt aus der Zeit der Aufklärung und diente dazu, im konstitutionellen Staat die Willkür- und Kabinettsjustiz des absolutistischen Staates zu beseitigen40. Das Modell völliger Gesetzesgebundenheit, bei dem der Richter ohne jegliche Eigenwertung Tatsachen unter präzise, begriffliche gesetzliche Tatbestands(und Rechtsfolgen-)merkmale subsumiert, ist schon im geltenden Recht nicht durchgeführt und ist auch nicht durchführbar. Die Skepsis gründet sich auf die wertausfüllungsbedürftigen Tatbestandsmerkmale und auf die Abgrenzung γοίι rechtmäßigen und rechtswidrigen Verhaltensweisen, bei der in weitem Umfang das technische Gesetz nicht weiterhilft, sondern bei der auf das ungeschriebene Recht, die Idee von der sozialethischen Unrichtigkeit, also letztlich auf die materielle Rechtswidrigkeit oder Sozialschädlichkeit zurückgegriffen werden muß 41 . Allerdings bietet Dohnas Lehre vom Mangel am Tatbestand ein Beispiel für eine grundsätzlich eng am Gesetzlichkeitsprinzip orientierte Wortlautauslegung; der Richter hat die Strafbarkeitsbegrenzungsfunktion des Gesetzes strikt zu beachten und darf nicht ihm strafwürdig erscheinende Fälle unter den Versuchsparagraphen subsumieren 42. Dagegen wird dem Richter bei der Rechtfertigung straftatbestandsmäßiger Verhaltensweisen mittels der formalen Maxime vom angemessenen Mittel zum rechten Zweck ein erheblicher Wertungsspielraum eingeräumt 43 . Für das künftige Strafrecht bejaht Dohna „im vollen Bewußtsein der großen Tragweite des Prinzips und der damit verknüpften Gefahren" das Vorhaben, das richterliche Ermessen auch für die Entscheidung über die Strafwürdigkeit des Einzelfalls freizugeben. „Die Tendenz des Entwurfs, durch Verwendung ausfüllungsbedürftiger Wertformeln zum Aufbau seiner Tatbestände Raum zu schaffen für eine individualisierende Beurteilung des Einzelfalls, ist im allgemeinen zu billigen" 4 4 .
40 Erpressung und Betrug seit dem Zeitalter der Aufklärung, in: Festschrift für Adolf Zycha, 1941, S. 469. Weiterführend zur Geschichte des Prinzips Hans Ludwig Schreiber, Gesetz und Richter, 1976. 41 Recht und Irrtum, 1925, S. 1 - 8. Das richterliche Ermessen nach dem Amtlichen Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs, in: Mitteilungen der I K V , Neue Folge, Bd. 2, 21. Tagung der deutschen Landesgruppe zu Bonn im Jahre 1926, 1927, S. 21 - 23. Der neueste Strafgesetzentwurf im Lichte des „richtigen Rechts", in: Festgabe für Rudolf Stammler, 1926, S. 256, 257. 42 Vgl. 3. Teil, E., I I I . , 3. 43 Vgl. 3. Teil, E., I I I . , 4., e). 44 Das richterliche Ermessen nach dem Amtlichen Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs, Mitteilungen der I K V , N.F. Bd. 2, 1927, S. 25. Beispiele im Aufsatz Der neueste Strafgesetzentwurf im Lichte des „richtigen Rechts", in: Festgabe für Rudolf Stammler, 1926, S. 255 - 280.
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
Die wertrelativistische Grundhaltung Dohnas wirkt sich dahingehend aus, daß über die Reichweite der Verwendung „ausfüllungsbedürftiger Wertformeln" der Machtspruch des Gesetzgebers entscheidet. Im Jahre 1926 dachte Dohna an die Fortentwicklung des damals geltenden Rechts unter Beibehaltung liberal-rechtsstaatlicher Elemente. Aber in seiner Forderung verbunden mit seiner rechtsphilosophischen Einstellung ist das Paradoxon enthalten, daß der eingeschlagene Weg der Minderung der Richterbindung an das präzise technische Gesetz zur Beseitigung der rechtssicherheits- und freiheitsschützenden Funktion des Strafgesetzes führen kann. Zusammenfassend ergibt sich für das richterliche Ermessen bei der Feststellung eines Verbrechens ein differenziertes Bild: Beim Mangel am Tatbestand und bei den deskriptiven Tatbestandsmerkmalen ist der Richter streng an das Gesetz gebunden. Dagegen greift der Richter bei den normativen Tatbestandsmerkmalen und der materiellen Rechtswidrigkeit in letzter Konsequenz auf die von ihm als herrschend und richtig angesehene Kulturanschauung zurück; eine Anbindung der Auslegung solcher Begriffe an rechtsstaatliche Prinzipien wurde nicht ausdrücklich thematisiert. 5. Individualisierte Strafzumessung und das Prinzip: nulla poena sine lege scripta Bei dem Prinzip nulla poena sine lege stellt sich für Dohna die Frage nach der weiteren oder engeren gesetzlichen Umrahmung der richterlichen Strafbemessung45. Die erstrebte Individualisierung im Sinne der Besserungsstrafe würde konsequent den einen Paragraphen erfordern: „Jeder Verbrecher ist so zu behandeln, wie es seiner Anlage gemäß erforderlich ist, um ihn auf den Weg Rechtens zurückzuführen und ihn der sozialen Gemeinschaft wieder einzufügen" 46 . Der Richter müßte bei der Strafart- und Strafmaßbestimmung von speziellen Gesetzesanweisungen weitestgehend freigestellt sein, da das Wesen der gesetzlichen Regelung eben in der Generalisierung, Schematisierung ohne Rücksicht auf die Besonderheiten des Einzelfalls besteht. Dies widerspricht aber in unerträglicher Weise unserem „sozialen Gewissen", welches ein gewisses Gleichmaß im Verhältnis zwischen dem Wert der beeinträchtigten Rechtsgüter, dem Unrecht und der Strafe verlangt sowie eine berechenbare, an Regeln gebundene Strafzumessung fordert. Folglich ist nur ein Kompromiß zwischen Richterfreiheit und Gesetzesgebundenheit tragbar 47 . Dieser Mittelweg ist nun darzustellen. 45
Das richterliche Ermessen nach dem Amtlichen Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs, in: Mitteilungen der I K V , N.F. Bd. 2, 1927, S. 25 - 30, 35. 46 Die Individualisierung in der Strafrechtspflege, in: 98. Jahresbericht der Rheinisch· Westfälischen Gefängnisgesellschaft auf das Jahr 1926,1928, S. 27. 47 Ebenda S. 27, 28.
D. Kriminalpolitik und strafrichterliches Ermessen
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In dem Aufsatz „Die gesetzliche Strafzumessung" fordert Dohna von dem Gesetzgeber, daß er seine drei Aufgaben, wie er der richterlichen Strafzumessung im Einzelfall vorarbeitet, methodisch geordnet und einheitlich zu erfüllen habe. Dabei handelt es sich a) um die Umgrenzung des den eigenständigen Delikten zugedachten Strafrahmens, b) um die Erweiterung dieser Grundstrafrahmen nach oben und nach unten bei Hinzutritt besonderer vom Gesetzgeber näher bezeichneter oder vom Richter als solche zu bewertender Strafänderungsgründe sowie c) darum, dem Richter allgemeine Direktiven nach der Richtung zu erteilen, welchen Umständen er bei Ausübung seines Ermessens seine Aufmerksamkeit zuwenden und welche Bedeutung er ihnen zuerkennen soll 48 . Die Stellungnahme zur Praxis im III. Reich lassen wir an dieser Stelle zunächst beiseite. Auch der Punkt a) ist hier nicht weiter zu verfolgen; er schließt sich an die Gesetzgebungslehre von der Straftatbestandsbildung an. Zu den Punkten b) und c) finden sich inhaltliche Aussagen bereits anläßlich der Erörterung des Entwurfes von 1925. Dort äußert er sich kritisch zu der erzielten ungeheueren Spannbreite des richterlichen Ermessens. Die „Hypertrophie an Strafbefreiungsmodalitäten wirkt geradezu verwirrend und abstoßend" 49 . Dies bezieht sich auf das unbenannte außerordentliche Milderungsrecht, auf die besonders leichten Fälle bei Vergehen und auf das Absehen von Strafe 50. Vielmehr wird die Methode außerordentlicher Strafschärfung befürwortet, um der unterschiedlichen Intensität der verbrecherischen Gesinnung, besonders derjenigen eines Gewohnheitsverbrechers, Rechnung zu tragen 51 . Grundsätzlich soll der Gesetzgeber dem Richter für die Berücksichtigung besonderer Strafmilderungs- und Strafschärfungsgründe als auch für die Bewertung der einzelnen Strafzumessungstatsachen die Direktive geben, daß der (nachhaltig kriminelle und gefährliche) Charakter belastet und das Motiv entlastet, daß also der Gegensatz zwischen Charakter und Milieu richtungsweisend sein soll 52 . Dem Gesetz und nicht dem (ungebundenen) richterlichen Ermessen bleibt insbesondere vorbehalten die Entscheidung über die Todesstrafe 53, über das Ob der Bestrafung und der Strafmilderung 54 , über die Anwendung von Siche48 MschrKrimBiol Bd. 34 (1943), S. 138 - 148, 140. 49 Das richterliche Ermessen nach dem Amtlichen Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs, Mitteilungen der I K V , N.F. Band 2, 1927, S. 28. 50 Ebenda S. 19, 20. si Ebenda S. 30. 52 Ebenda S. 26. Die Individualisierung in der Strafrechtspflege, in: 98. Jahresbericht der Rheinisch-Westfälischen Gefängnisgesellschaft auf das Jahr 1926, 1928, S. 30. 53 Die Verwendung der Todesstrafe seit 1933, in: MschrKrimBiol Bd. 30 (1939), S. 483. 54 Das richterliche Ermessen nach dem Amtlichen Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs, in: Mitteilungen der I K V , N.F. Bd. 2, 1927, S. 35.
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
rungsmaßnahmen und Strafen 55 , über die Dauer der Verjährungsfristen 56 und über den Rahmen von Bewährungsauflagen 57. Dem richterlichen Ermessen wird die Entscheidung darüber zugewiesen, welche Charakter- und welche Milieumerkmale erschwerend bzw. entlastend wirken, ob eine ehrlose Gesinnung mit der Folge der Zuchthausstrafe statt der Einschließung vorliegt und ob gegen einen gemeingefährlichen Gewohnheitsverbrecher das zeitlich unbestimmte Strafurteil zu verhängen ist. Zusammenfassend läßt sich folgendes festhalten: Diese Arbeitsteilung zwischen Gesetz und Richter bei der Strafbemessung ist eine Konsequenz daraus, daß bei der Strafverhängung gegenläufige Grundsätze vereinbart werden. Das System der einzelnen Straftatbestände bleibt grundsätzlich am objektiven Wert der jeweiligen Rechtsgutsbeeinträchtigung orientiert, was bis auf die Strafmaßebene fortwirkt. Hinzukommt die spezialpräventive Ausrichtung der Strafverhängung nach den Besserungs- und Sicherungsgedanken. Gerade die spezialpräventive Strafzumessung (Unbestimmte Verurteilung) beinhaltet die Tendenz zur drakonischen Härte, zum sozialnützlichen oder besser, zum machtpolitischen „Durchgreifen" gegen bestimmte, für besonders gefährlich gehaltene Verbrecher; darüber entscheidet der Richter nach „seinem", vom Gesetz eingeräumten Ermessen oder besser, nach Präventionsgesichtspunkten im Sinne der Machthaber; die tatsächlichen Anknüpfungspunkte sind der revisionsgerichtlichen Kontrolle dabei weitgehend entzogen. I I I . Die Stellung des Strafrichters zum Gesetz und der Wegfall des Analogieverbots im nationalsozialistischen Strafrecht 1. Die zeitgenössischen Schriften
Dohnas
Im Nachlaß findet sich ein Manuskript aus dem Jahre 1935 vermutlich für den Vorlesungsgebrauch, welches sich namentlich mit dem neuen Gesetzgebungsstil und dem Wegfall des Analogieverbots beschäftigt. 55 Konkurrenz von Rechtsfolgen strafbaren Unrechts, in: ZStW 54 (1935), S. 414: Der Gesetzgeber, nicht der Richter muß entscheiden, welche A r t von Anstalt zur Aufnahme geistig minderwertiger gemeingefährlicher Täter dienen soll. 56 Das richterliche Ermessen nach dem Amtlichen Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs, in: Mitteilungen der I K V , N.F. Bd. 2, 1927, S. 33, 34: Die Möglichkeit, die Verjährungsfristen durch eine Behördenentscheidung zu verlängern, wird als „die schwerste denkbare Verletzung des in der Verfassung allen Staatsbürgern gewährleisteten Rechts auf Gleichbehandlung" bezeichnet. Der neueste Strafgesetzentwurf im Lichte des richtigen Rechts, Festgabe für Stammler, 1926, S. 267, 268: Gerade bei Fristen ist Formalismus am Platze. Artikel über Verjährung, in: Reform des Strafrechts, hrsg. von Paul Aschrott und Eduard Kohlrausch, 1926, S. 206: „schlechthin unerträglich". 57 Die reichsrechtliche Regelung der bedingten Strafaussetzung, in: Festgabe für Gustav Aschaffenburg, 1926, S. 85.
D. Kriminalpolitik und strafrichterliches Ermessen
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D i e neuen Gesetze rühren an den Fundamenten des überkommenen Strafrechts - gemeint sind vor allem (a) das Ausführungsgesetz z u m Gewohnheitsverbrechergesetz v o m 24.11.1933, welches u . a . einen A n t r a g des Staatsanwalts auf nachträgliche A n o r d n u n g der Sicherungsverwahrung u n d der E n t mannung ermöglicht, ferner (b) das Gesetz zur Ä n d e r u n g v o n Vorschriften des Strafrechts u n d des Strafverfahrens v o m 24.4.1934, welches u . a . den Volksgerichtshof errichtet u n d die Abschnitte über den Hoch- u n d Landesverrat neu gestaltet u n d (c) schließlich die Gesetze v o m 28.6.1935 zur Ä n d e r u n g des StGBs, der StPO u n d des G V G s , w o r i n u. a. die Neufassung des § 2 S t G B und eine Auslegungsvorschrift für das Reichsgericht enthalten sind 5 8 . „Man hätte früher Bedenken getragen, in ein altes Gesetz Bestimmungen einzufügen, die den Grundanschauungen entgegengesetzt sind, auf denen das Gesetz beruht. . . . Man befolgt einen neuen Gesetzgebungsstil: zuerst werden die Grundtendenzen des neu zu gestaltenden Rechts herausgestellt; sie sollen sich durchsetzen unbekümmert um die formalen Schwierigkeiten ihrer Einfügung in den alten Text. Sie sollen ihn mit neuem Leben füllen und eine Justiz ermöglichen, die den veränderten Anschauungen und Bewertungen angepasst ist. . . . Seines Amtes (des Rechtswahrers) ist es, den Geist der neuen Gesetze in der Sphäre der Anwendung wirksam werden zu lassen, ohne doch sich über die Schranken hinwegzusetzen, die ihm durch den Wortlaut des Gesetzes gezogen sind. Das große Problem von Richterbindung und Richterfreiheit wird wieder in besonderem Maße akut. Denn außerordentlich groß ist gerade in diesen neuesten Gesetzen die Tendenz, die schöpferische Bedeutung der Richtersprüche heraustreten zu lassen. Rechtsschöpfung durch entsprechende Anwendung der Strafgesetze, Zulassung von Wahlfeststellungen, freieres Ermessen des Gerichts bei Beweiserhebungen, Beseitigung von Bindungen der Rechtsmittelgerichte, freiere Stellung der Staatsanwaltschaft" 59. Das Analogieverbot
hatte bei der Entwendung elektrischer Energie u n d der
Ingangsetzung eines Fernsprechautomaten praktische Bedeutung erlangt. Sonst ist es eigentlich nie als schweres H e m m n i s empfunden w o r d e n 6 0 .
58
§ 2 RStGB n.F. (RGBl I S. 839): „Bestraft wird, wer eine Tat begeht, die das Gesetz für strafbar erklärt oder die nach dem Grundgedanken eines Strafgesetzes und nach gesundem Volksempfinden Bestrafung verdient. Findet auf die Tat kein bestimmtes Strafgesetz unmittelbar Anwendung, so wird die Tat nach dem Gesetz bestraft, dessen Grundgedanke auf sie am besten zutrifft... ." „Das Reichsgericht als höchster deutscher Gerichtshof ist berufen, darauf hinzuwirken, daß bei der Auslegung des Gesetzes dem durch die Staatserneuerung eingetretenen Wandel der Lebens- und Rechtsanschauung Rechnung getragen wird. Damit es diese Aufgabe ungehindert durch die Rücksichtnahme auf die aus einer anderen Lebens- und Rechtsanschauung erwachsende Rechtsprechung der Vergangenheit erfüllen kann, wird folgendes bestimmt: Bei Entscheidung über eine Rechtsfrage kann das Reichsgericht von einer Entscheidung abweichen, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes ergangen ist." Vgl. zum letzteren auch 4. Teil, III.: Zur Bindung des Revisionsgerichts an frühere Entscheidungen bei einer Neukodifikation. 59 Manuskript Zum neuen § 2 RStGB, nach 1935, in: N L Dohna I, Nr. 2, S. 2. 60 Manuskript Zum neuen § 2 RStGB, nach 1935, in: N L Dohna I, Nr. 2, S. 6,
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
„Wer freilich auf die Rechtsprechung genauer achtete, konnte bemerken, daß die extensive Interpretation schon manches mal in Analogie ausgeartet war. Dafür bieten bekannte Beispiele die Ausweitung des alten Untreuetatbestandes und die Unterstellung der Entwendung von Fundsachen unter die Unterschlagung. In bedächtiger Weise angewandt könnte die Analogie mit einigem Nutzen verwendet werden. Alles kommt dabei auf die Praxis an. Die Gefahren sind im Strafrecht unzweifelhaft größer als im Zivilrecht. Denn das Strafrecht schafft seine engumgrenzten Tatbestände unter Verwendung einer Fülle begrifflicher Merkmale ja gerade deshalb, weil es die Verwendung der Strafe auf die Fälle einschränken will, in denen es dieses äußersten Mittels bedarf. Jede Ausdehnung des Strafbereichs ist insoweit schon Abweichung vom Gesetzeswillen. Das Gesetz schützt die Lebenswerte der Nation und des Einzelnen; aber es stellt nicht jede Verletzung unter Strafe, sondern nur die schwersten Formen derselben. Es hat nicht einen Tatbestand der Vermögensverletzung geschaffen, sondern scheidet die Zueignungsdelikte vom Betrug, Erpressung und Wucher; es bedroht den Vertragsbruch nur in engen Grenzen" 61 . A m Beispiel des Gesetzes gegen den Autostraßenraub v o m 22. Juni 1938 w i r d eine restriktive
Auslegung
des Analogiefreigabe
versucht. Z w a r sind auch
die Gesetze, welche die Todesstrafe androhen, analogiefähig 6 2 . Jedoch muß es für schlechterdings unzulässig erklärt werden, die i n dem Autofallengesetz statuierte Todesstrafe auf Handlungen zu übertragen, „ d i e zwar die M e r k m a l e des objektiven Tatbestandes aufweisen, aber nicht i n räuberischer Absicht vorgenommen worden sind". D e r ganz eindeutig bekundete Grundgedanke des Gesetzes geht dahin, nur eine besonders gefährliche A r t des Straßenraubes m i t unnachsichtiger Strenge zu ahnden. W e r eine A u t o f a l l e nicht zum Zwecke des Raubes, sondern etwa zur Vorbereitung einer Notzucht gestellt hat, gehört eben nicht zu dem bestimmten Tätertypus, auf den das Gesetz zugeschnitten i s t 6 3 . Es ist dringend zu wünschen, daß k e i n Gericht den Schritt t u t , jeden zum Tode zu verurteilen, der eine Autofalle zu einem Z w e c k stellt, der ebenso strafwürdig erscheint wie der Raub. Dies gilt „nicht um der schönen Augen der Verbrecher willen, denen es sich nicht verlohnte, eine Träne nachzuweinen, sondern um des hohen und unverzichtbaren Wertes willen, den eine Justiz verkörpert, die treu und gehorsam die Schranken achtet, die das Gesetz aufgerichtet hat. Dem Gesetzgeber aber, nicht dem Richter kommt es zu, zu bestimmen, welche Verbrechen des Todes würdig sind. Es sind die, welche ausdrücklich von ihm mit der Todesstrafe bedroht sind, und jene, auf die der Grundgedanke eines mit solcher Strafdrohung versehenen Gesetzes zutrifft. Dieser Gesetzeswille bedarf unbedingter Respektierung" 64 .
61
Manuskript Zum neuen § 2 RStGB, in: N L Dohna I, Nr. 2, S. 7. Die Verwendung der Todesstrafe in Deutschland nach 1933, in: MschrKrimBiol Bd. 30 (1939), S. 482. ω Ebd. S. 483. 64 Ebd. S. 483; bereits auf S. 482 heißt es: Die im übrigen so wenig befriedigende Unterscheidung von Mord und Totschlag konnte allein darin eine gewisse Rechtferti62
D. Kriminalpolitik und strafrichterliches Ermessen Dohnas
Methode
einer
restriktiven
Auslegung
der
125
Analogiefreigabe
besteht somit darin, den Grundgedanken des Gesetzes u n d den Tätertypus eng auf den Gesetzeswortlaut (hier Straßenfalle z u m Z w e c k des Raubes) zu beziehen. I n dem Aufsatz „ D i e Problematik der Aufgaben des Revisionsgerichts i n Theorie u n d Praxis" w i r d u . a . die Methodik schutzgesetzes in Verbindung
der Gesetzesauslegung
mit §§3, 4 RStGB
des Blut-
behandelt 6 5 . D o h n a wendet
sich besonders gegen die Entscheidungen des Reichsgerichts R G S t B d . 72, N r . 35, 58, auch N r . 132, die m i t dem Z w e c k des Blutschutzgesetzes und dem gesunden Volksempfinden die Strafbarkeit i m A u s l a n d begangener „Rassenschandedelikte" bejahen. D a b e i w i r d die Zielrichtung dieses Gesetzes nach außen h i n ohne freilich gar nicht mögliche K r i t i k gehorsam hingenommen. W e n n das Reichsgericht die Strafbarkeit solcher Auslandstaten verneint hätte, würde der Gesetzgeber die Lücke alsbald schließen. „Inzwischen wären dann wohl ein paar Fälle von Rassenschande ungesühnt, zugleich aber auch die deutsche Rechtspflege vor dem Schaden bewahrt geblieben, der ihr aus einer Judikatur erwächst, die sich bemüht, fünf für eine gerade Zahl auszugeben. Zwar lehnt es das Reichsgericht ab, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob es der Wortlaut des §3 (StGB) gestatte, solche nun doch eben im Ausland begangenen Handlungen gleichwohl als solche zu behandeln, die im Gebiete des Deutschen Reiches begangen sind; oder zu der anderen, ob die in den §§3, 4 (StGB) enthaltenen Rechtsanwendungsnormen analoger Anwendung fähig seien und ob bei Bejahung dieser Frage der in den §§3 und 4 1 (StGB) mit aller Schärfe zum Ausdruck gebrachte Gedanke des Territorialitätsprinzips mit Hilfe des §2 (StGB n.F.) in sein Gegenteil verkehrt oder Zahl und Art der § 4 I I (StGB) aufgeführten Ausnahmefälle vermehrt werden dürfen. Aber man gewinnt doch den Eindruck, daß das Reichsgericht sich der Unzulässigkeit aller dieser Konstruktionen voll bewußt gewesen ist" 6 6 .
gung finden, daß das Gesetz dem Richter die Verantwortung für die Entscheidung abnimmt. Als Mitglied der Weimarer Nationalversammlung hatte Dohna in der namentlichen Abstimmung über den Antrag Auer und Genossen (Nr. 419 Ziff. 11 der Drucksachen), der die Abschaffung der Todesstrafe vorsah, mit Nein gestimmt (Verhandlungen der Verfassunggebenden Nationalversammlung, Bd. 328, 58. Sitzung am 16. Juli 1919, S. 1615). Allerdings ist keine Stelle nachweisbar, in der Dohna seine Auffassung dargelegt hat, bzw. ob er diese geändert hat. Ob Dohna als Befürworter der Todesstrafe die enorme Ausweitung des Anwendungsbereichs derselben ablehnte, kann nicht sicher gesagt werden. 65 In: Deutsches Strafrecht, Bd. 7, 1940, S. 65 - 75. Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre vom 15. September 1935, RGBl I . S . 1146: § 2 „Außerehelicher Verkehr zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen und artverwandten Blutes ist verboten." § 5 I I „Der Mann, der dem Verbot des § 2 zuwiderhandelt, wird mit Gefängnis oder mit Zuchthaus bestraft." 66 Die Problematik der Aufgaben des Revisionsgerichts in Theorie und Praxis, in: Deutsches Strafrecht, Bd. 7, 1940, S. 72.
126
3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
Nach der Wiedergabe der Begründung des Reichsgerichts heißt es: Der Nachweis, „daß die Ziele des Gesetzgebers durch im Ausland begangene Verstöße in gleichem Maße hintertrieben werden wie durch Verstöße im Inland, . . . war mit leichter Mühe zu erbringen". Vielmehr kam es darauf an, „den Weg aufzuweisen, auf dem die Schranke überwunden werden konnte, die durch die §§3, 4 StGB aufgerichtet war. Davon ist in dieser zweiten Entscheidung überhaupt nicht mehr die Rede. Einen solchen Weg gab es denn auch in der Tat nicht. (Also es hätte Freispruch erfolgen müssen! Anm. des Verf.) So haben wir es hier mit einer Entscheidung zu tun, die jeder Begründung entbehrt. . . . Ein nicht erkennbar aus einem Rechtssatz abgeleiteter Richterspruch hat nicht die Kraft, zu überzeugen, zum Rechte zu erziehen und es fortzubilden. Es ist bitter, daß so etwas erst noch gesagt werden muß" 6 7 .
Der Aufsatz „Die Macht des Richters. Ermessensfreiheit und Verantwortung" faßt zusammen, wie seit 1933 die Strafrechtspflege verwandelt wurde Das Gesetz hat nunmehr eine nur regulierende Bedeutung, wann ein strafwürdiges Verbrechen gegeben ist. Zwar gab es schon in den damaligen gesetzlichen Tatbeständen normative Merkmale, bei denen der Richter den Wertungsmaßstab aus der Volkskultur entnommen hat. Jetzt verweisen zahlreiche Einzelregelungen (§2 StGB, Begründung der Pflicht zur Hilfeleistung bei Unglücksfällen, Bezeichnung der Grenzen zulässiger Offenbarung von Berufsgeheimnissen durch den Arzt, Kennzeichnung anstößigen Umgangs mit Kriegsgefangenen u.a.) und die Entwürfe (Frage der Gleichstellung der Unterlassung mit der Handlung, Bezeichnung der Grenzen der Notwehr, des rechtfertigenden Notstands und des entschuldigenden Verbotsirrtums) auf das gesunde Volksempfinden, um die strafbare von der straflosen Verhaltensweise abzugrenzen. Die Verdrängung der Tatbestände durch Verbrechertypen - genannt werden als Beispiele die Typen des gefährlichen Gewohnheits- und Sittlichkeitsverbrechers im Gesetz vom 24.11.1933, der §2 des Heimtückegesetzes, seit Kriegsausbruch die Typen des Volksschädlings und des Gewaltverbrechers - bezweckt zweierlei: „gewissen Verbrechen mit der vollen Schärfe strafrechtlicher Repression begegnen zu können, diese aber zugleich auf solche Verhaltensweisen einzuschränken, in denen der zu bekämpfende Verbrecher auch wirklich ans Licht tritt". Dies bedeutet eine vollkommene Verschiebung der Richterauf gäbe : statt eine Handlung einen gesetzlichen Tatbestand zu subsumieren, „soll jetzt die Persönlichkeit des Täters, für welche die Vornahme der für strafbar erklärten Handlung nur symptomatische Bedeutung behält, von ihm einer Wertung unterzogen werden, für die ihm das Gesetz nur sehr vage Anhaltspunkte liefert".
67
Ebd. S. 73, 74. In: Das Reich, Deutsche Wochenzeitung, Berlin, 16. Februar 1941. Die nachfolgenden Zitate sind diesem Aufsatz entnommen. 68
68
.
D. Kriminalpolitik und strafrichterliches Ermessen
127
„Nicht nur, ob im Einzelfall der Täter einer Tat dem gemeinten Typus entspricht, sondern auch, ob die dieser Tat zugedachte Strafdrohung überhaupt die Begehung durch einen solchen Typus voraussetzt, unterliegt, solange es an zuverlässiger Auskunft durch die Gesetzgebung und die einstweilen noch ganz unfertige Doktrin gebricht, der seitens des Richters". D i e Entscheidungen sind „zwar aller Gefahr der Schabionisierung entrückt, dafür aber auch aller M ö g l i c h k e i t der Substanziierung entzogen". A u ß e r d e m hat die Ausweitung
der gesetzlichen
Strafrahmen
solche Aus-
maße erreicht, „daß w i r bereits hart an der Grenze absolut unbestimmter Strafdrohungen angelangt sind". Nicht nur hat die Z a h l der Tatbestände, welche die Todesstrafe vorsehen, enorm zugenommen 6 9 . „ I n prinzipiell bedeutsamem Gegensatz" zu den Fällen der absolut angedrohten Todesstrafe stehen diejenigen, i n denen richterliches
Ermessen über die Todesstrafe entscheidet 7 0 .
D a r a n zeigt sich das allgemeine Phänomen, daß einstweilen nicht erkennbar ist, welche methodischen Prinzipien der Gesetzgeber bei der Regelung der gesetzlichen Strafzumessung anzuwenden gesonnen i s t 7 1 . Abschließend heißt es: „Der Gesetzgeber mag in der Umgrenzung des Spielraums, den er dem Richter in puncto Strafzumessung gewährt, engherzig oder weitherzig sein; er mag das richterliche Ermessen durch tatbestandliche Merkmale einschnüren, durch Wertungsgesichtspunkte dirigieren oder unter Verzicht auf alle Gängelung frei walten lassen; nur eines sollte er unbedingt vermeiden: zwischen diesen verschiedenen Methoden hin und her zu pendeln und den Eindruck zu erwecken, als fehle ihm die grundsätzliche Klarheit darüber, welche von ihnen er zu befolgen willens sei" 7 2 . *
Diese Umgestaltung des materiellen Rechts i n ihrer Bedeutung für die Gesetzes-(un-)gebundenheit (und Ideologiegebundenheit) des Richters w i r d von
zahlreichen prozessualen
und
gerichtsorganisatorischen
Änderungen
begleitet 7 3 . Für die m i t dem Tode bedrohten Verbrechen sind die Schwurge69
Siehe die Auflistung in: Die Verwendung der Todesstrafe in Deutschland seit 1933, in: MschrKrimBiol Bd. 30 (1939), S. 479 - 481. 70 Ebenda S. 482. Dabei sind drei Gruppen zu unterscheiden: a) Das Gesetz sieht primär die Todesstrafe vor, gestattet aber, statt ihrer bei Vorliegen benannter oder unbenannter Milderungsgründe auf Freiheitsstrafe zu erkennen; b) dem Richter steht von vornherein Todesstrafe und Freiheitsstrafe zur Wahl; c) primär droht das Gesetz eine Freiheitsstrafe an, stellt aber für besonders schwere Fälle die Todesstrafe zur Verfügung. 71 Die gesetzliche Strafzumessung, in: MschrKrimBiol Bd. 34 (1943), S. 140, 145., Aufgrund der unsystematischen, weitmaschigen Tatbestandsbildung im Gesetz und wegen der verschiedenen Strafänderungsgründe besteht eine große Unsicherheit, nach welchen Kriterien ein Delikt in die Gruppe der Verbrechen, Vergehen oder Übertretungen einzuordnen ist (S. 142). „Diese Unsicherheit ist auf die Dauer unerträglich"^ (S. 143). 72 Ebenda S. 148. 73 Vgl. dazu Nachweise im strafprozessualen Teil. Neue Mittel des Ehrenschutzes, in: ZStW 57 (1938), S. 162: Dohna kritisiert, daß der Anspruch des Beleidigers auf Feststellung der Wahrheit der aufgestellten Behauptung
128
3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
richte nur noch zuständig, soweit nicht der Volksgerichtshof oder die Sondergerichte zuständig sind. Gerade im Hinblick auf die für ein Schnellverfahren zugeschnittenen Sondergerichte heißt es: „Die Blitzartigkeit . . . bedeutet einen unverkennbaren Vorzug. Bestünden gegen eine so summarische Prozedur keinerlei Bedenken, so wäre unerfindlich, warum sie nicht zum ordentlichen Verfahren erhoben würde. Der Grund, warum es nicht geschehen ist und nicht geschehen kann, liegt auf der Hand. Gründlichkeit der Schuldfeststellung und Schnelligkeit der Aburteilung sind unvereinbare Ideale. Zwischen ihnen den richtigen Ausgleich zu schaffen, darin besteht die schwierige Aufgabe des Gesetzgebers. Angesichts der tief gehenden Beunruhigung, die durch gewisse Arten von Straftaten und gewisse Methoden ihrer Begehung in der Bevölkerung hervorgerufen wird, hat der Gesetzgeber geglaubt, auf einige retardierende Kautelen der ordentlichen Justiz verzichten zu können, um dadurch zwei Wirkungen zu erzielen: verstärkte Abschreckung auf Seiten potentieller Täter, Festigung des Vertrauens auf den staatlichen Rechtsschutz auf Seiten der potentiellen Opfer solcher Taten. Aber gerade der Ernst und die Schwere der letzteren, die den Anlaß bieten, die Abwehr zu beschleunigen, erhöhen auch das Risiko, das die Justiz läuft; denn es geht dabei regelmäßig um hohen Einsatz, häufig, wie wir gesehen haben, um das Leben des Angeklagten. Derselbe Grund, der zu größter Eile mahnt, mahnt gleichzeitig zu größstmöglichster Sorgfalt" 74 .
A m Ende des Aufsatzes über „Recht und Gerechtigkeit", der kurz diese Umgestaltung der Strafrechtspflege in Bezug auf das Gesetzlichkeitsprinzip, das richterliche Ermessen und den Wert der Rechtssicherheit skizziert, heißt es: „ . . . A n Stelle des bisherigen Tatstrafrechts soll, in gewissem Umfang wenigstens, ein Täterstrafrecht treten. So sehr ein solches Streben nach einem höchsten Grad der Gerechtigkeit moralisch begründet ist, so begegnen ihm doch gewichtige Bedenken. Nicht nur besteht dort, wo Gelegenheit geboten wird, ein schlechthin gerechtes Urteil zu fällen, die damit Schritt haltende Gefahr, die gerechte Entscheidung zu verfehlen; sondern außerdem verliert eine Rechtsordnung in dem Maße, in dem sie elastisch gehalten wird, den Vorzug der Zuverlässigkeit, der Stetigkeit, der Berechenbarkeit. Schon oft ist darauf hingewiesen worden, daß das Verlangen nach gerechter Entscheidung nicht weiter gehen dürfe, als es die Rechtssicherheit verträgt" 75 .
dem gerichtlichen Ermessen anheimgestellt wird. Zur Regelung der Kompetenzaufteilung zwischen Strafrichter, Friedensrichter und Schiedsmänner heißt es (S.166): „ . . . so wird man doch etwas ängstlich ob solcher Richtermacht . . . . Z u befürchten ist nur, daß mit dem Abbau formaler Garantien und der Niederlegung beengender Schranken die Heranziehung eines für so erhabene Friedenssprüche qualifizierten Richterstandes nicht Schritt halten wird." 74 Die Verwendung der Todesstrafe in Deutschland seit 1933, in: MschrKrimBiol Bd. 30 (1939), S. 486. 75 Recht und Gerechtigkeit, in: Wir und die Welt, Heidelberg/Berlin/Magdeburg, 3. Jg. 1941, S. 228, 229.
D. Kriminalpolitik und strafrichterliches Ermessen
129
2. Würdigung Bei der Würdigung ist auch zu beachten, was Dohna zu der Bindung des Richters an die überkommenen und neuen Gesetze im Dritten Reich nicht ausdrücklich angesprochen hat. Er hat es unterlassen, die nationalsozialistische Weltanschauung, also die machtpolitischen und rassistischen Ziele der Führung, als oberste Auslegungsmaxime für die gesamte strafrichterliche Rechtsanwendung hervorzuheben. Anläßlich des neuen §2 StGB und des neuen (Straf-)Gesetzgebungsstils hat Dohna keine Rechtsquellenlehre vorgelegt, in der die Verlautbarungen des Führers, das Parteiprogramm der NSDAP und das gesunde Volksempfinden im Sinne der Parteiführung als vorrangige Rechtsquellen thematisiert wurden, mit welchen ein den Machtinteressen etwa noch entgegenstehender Gesetzeswortlaut beiseitegedrängt werden konnte. Bei ihm findet sich auch nicht die Vorgehensweise, aus einem Bekenntnis zur nationalsozialistischen Weltanschauung und zum völkischen, antiliberalen, autoritären Willensstrafrecht scheinbar irgendwelche Ergebnisse zu deduzieren, die der Verwirklichung dieser Ziele allein adäquat seien. Namentlich durch diese Unterlassungen hebt sich Dohna von Autoren ab, die sich als Wortführer oder deren opportunistische Epigonen der nationalsozialistischen Straf-„rechts"-erneuerung gebärdet haben 76 . Dennoch vermag der Umstand, daß die von dem (Regierungs-)Gesetzgeber und der Staatsführung ausgehende Veränderung des Strafrechts gehorsam und unter Verzicht auf eine (freilich gar nicht mögliche) inhaltliche Auseinandersetzung hingenommen wurde, für den unbefangenen Leser den Eindruck loyaler Gefolgschaft erwecken. Es will fast scheinen, daß gerade der heutige Leser die methodische Kritik beispielsweise an der Anwendung des Blutschutzgesetzes auf Auslandstaten und an der Art der Ausweitung der mit dem Tode bedrohten Straftaten keineswegs als inhaltliche Kritik auffasst. Bedenkt man den damaligen Zustand beseitigter Wissenschaftsfreiheit und die Differenz zu den Schriften der Protagonisten der NS-„Rechts"-lehre, so liegt die Vermu-
76
Vgl. nur Carl Schmitt, Neue Leitsätze für die Rechtspraxis, in: JW 1933, S. 2793, 2794, etwa Leitsatz Nr. 4: „Für die Anwendung und Handhabung der Generalklauseln durch den Richter, Anwalt, Rechtspfleger oder Rechtslehrer sind die Grundsätze des Nationalsozialismus unmittelbar und ausschließlich maßgebend." Ders. Nationalsozialismus und Rechtsstaat, in: JW 1934, S. 716: „Wir bestimmen also nicht den Nationalsozialismus von einem vorhergehenden Begriff des Rechtsstaates, sondern umgekehrt den Rechtsstaat vom Nationalsozialismus her." S. 717: „Das ist das erste Auslegungsprinzip, das wir auch gegenüber dem ungeheuern Komplex positiv weitergeltender Normen im Auge behalten müssen. Jede Auslegung muß eine Auslegung im nationalsozialistischen Sinne sein." Weiterführend nur Bernd Rüthers, Entartetes Recht. Rechtslehren und Kronjuristen im Dritten Reich, 1988, S. 59 - 76 (Das Denken in konkreten Ordnungen und Gestaltungen), S. 76 - 98 (Der konkret-allgemeine Begriff), S. 178 - 215 (Instrumente der Gesetzesverdrängung und Rechtsfortbildung). 9 Escher
130
3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
tung nahe, daß damalige Leser die Ausführungen Dohnas zwischen den Zeilen vielfach nicht nur als methodische, sondern vor allem als inhaltliche Kritik oder zumindest Distanz verstanden haben. Dohna hat durchgängig versucht, einen Mittelweg zwischen richterlicher Ermessensfreiheit und enger Gesetzesbindung zu finden. Während der Weimarer Republik hat er die Erweiterung des richterlichen Ermessens besonders bei der spezialpräventiven Strafzumessung gefordert, ohne den Hinweis zu vernachlässigen, daß neben einem strikt rechtsstaatlichen Strafverfahren auch im materiellen Recht gleichzeitig eine gesetzliche Begrenzung desselben vonnöten ist. Im Dritten Reich enthält die methodische Analyse der maßlosen Erweiterung des strafrichterlichen Ermessens eine mahnende, kritische Tendenz. Allerdings ist die These von der enormen Steigerung der richterlichen Ermessensspielräume gerade insofern irreführend, als gegenüber der neuen Auslegungsmaxime und den neuen, besonders den Rassegesetzen unbedingter Gehorsam verlangt wurde. Ausgehend davon bedeutet die größere Ermessensfreiheit des Richters gegenüber den unverändert übernommenen Gesetzesvorschriften, daß die dortigen generalklauselartigen, normativen Merkmale umgewertet werden und daß mit Hilfe der Berufung auf neue Rechtsquellen und einer machtpolitisch instrumentalisierten Auslegungstechnik ein solcher Gesetzeswortlaut beiseitegedrängt werden konnte, welcher der Verwirklichung der Ideologie hinderlich entgegenstand77. Das Generalthema, ob die Rechtsentwicklung in Deutschland nach 1933 abrupt abgebrochen wurde oder ob nicht bestimmte Traditionen eine unter veränderten Vorzeichen beibehaltene Fortsetzung erfahren haben, ist wohl in der heutigen Literatur noch nicht erschöpfend behandelt 78 . Zu einem brauch-
77
Rüping, Hinrich, Strafjustiz im Führerstaat, in: G A 1984, S. 298: „Daß völkisches Rechtsdenken den Richter von formallogischen Fesseln der Subsumtion befreit und statt dessen dazu beruft, durch Konkretisierung des Gemeinschaftswillens das Recht schöpferisch zu gestalten, gibt ihm nur scheinbar größere Macht. Er wird in Wirklichkeit zum Werkzeug der politischen Führung." 78 Vgl. etwa Peters, Karl, Die Umgestaltung des Strafgesetzes, in: Deutsches Geistesleben und Nationalsozialismus, hrsg. von Andreas Flitner, 1965, S. 160 - 177; Rüthers, Bernd, Die unbegrenzte Auslegung. Zum Wandel der Privatrechtsordnung im Nationalsozialismus, 3. Aufl. 1988, S. 101 - 430; Hattenhauer, Hans, Richterleitbilder im 19. und 20. Jahrhundert, S. 9 - 33; Behrends, Okko, Von der Freirechtsschule zum konkreten Ordnungsdenken, S. 34 - 80; Maus, Ingeborg, „Gesetzesbindung" der Justiz und die Struktur der nationalsozialistischen Rechtsnormen, S. 81 - 104, jeweils in: Recht und Justiz im „Dritten Reich", hrsg. von Ralf Dreier und Wolfgang Sellert, 1989. Vgl. ferner Marxen, Klaus, Der Kampf gegen das liberale Strafrecht. Eine Studie zum Antiliberalismus in der Strafrechtswissenschaft der zwanziger und dreißiger Jahre, 1975; Naucke, Wolfgang, NS-Strafrecht - Perversion oder Anwendungsfall moderner Kriminalpolitik?, Vortrag auf dem 27. Deutschen Rechtshistorikertag in Bielefeld, Sektion: Nationalsozialismus und Recht, 1988; Lüken, Erhard-Josef, Der Nationalsozialis-
E. Dogmengeschichtliche Untersuchung der teleologischen Verbrechenslehre 131
baren Ergebnis werden sicherlich nur differenzierende Studien im Hinblick insbesondere auf die Auslegungstechnik des Richters und das moderne Präventionsstrafrecht gelangen können. A n der zeitgenössischen Einschätzung Dohnas ist beachtenswert, daß er dem förmlichen Wegfall des Analogieverbots am 28. Juni 1935 nicht die zentrale Rolle für die Umgestaltung der Strafrechtspflege zugesprochen hat wie es nach 1945 vielfach geschehen ist. Dies stimmt im Ansatz mit der Untersu- < chung Nauckes überein, der dem ausdrücklichen Wegfall des Analogie Verbots * für die Entwicklung des Strafrechts in der Zeit von 1933 bis 1945 „keine hervorragende Bedeutung" beimißt 79 . Eine umfassende Untersuchung der Mißbrauchs- und Kontinuitätsthese für das Werk Dohnas (und) Stammlers liegt noch nicht vor. Das Fazit des bisher Gesagten aber lautet, daß der Sache nach manche Lehren Dohnas entgegen seiner Absicht in methodischer Hinsicht die Instrumentalisierung der Strafrechtspflege im Dienste der Nationalsozialisten mitermöglicht haben. Obwohl Dohna ausdrücklich eine strenge Bindung des Richters an das Gesetz fordert, gewinnt der Richter gegenüber dem Gesetz letztlich eine freiere Stellung, bei der das sinnstiftende und auswechselbare Vorverständnis eine immer größere Bedeutung gewinnt. Dies geschieht im Wege der Anwendung der formalen Lehre vom richtigen Recht bei der Feststellung des Verbrechens; dasselbe geschieht bei der spezialpräventiven Strafzumessung im Sinne der Charakterschuldvergeltung, der Feststellung der ehrlosen Gesinnung als Kriterium der Strafart und bei der unbestimmten Verurteilung gefährlicher Gewohnheitsverbrecher.
E . Dogmengeschichtliche Untersuchung der teleologischen allgemeinen Verbrechenslehre I. Einführung 1. Eingrenzung des Themas Dohna hat seine strafrechtsdogmatischen Arbeiten in der Zeit von 1902 bis 1942 veröffentlicht. Es ist dies der Zeitraum einer tiefgreifenden Umgestalmus und das materielle Straf recht. Ein Beitrag zur Strafrechtsgeschichte, 1988, enthält besonders eine Aufbereitung der Gesetzesänderungen. Allgemein Stolleis, Michael, Artikel: Nationalsozialistisches Recht, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 3, 1984, Sp. 873 - 892 mwN. 79 Naucke, Wolfgang, Die Aufhebung des Analogieverbots 1935, in: NS-Recht in historischer Perspektive, 1981, S. 71 - 108, S. 91. Vgl. ferner Rüping, Hinrich, Nullum crimen sine poena. Zur Diskussion um das Analogieverbot im Nationalsozialismus, in: Festschrift für Dietrich Oehler, 1985, S. 27 - 42.
132
3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
tung der allgemeinen Verbrechenslehre 1. Nachdem Ernst v. Beling 1906 den Begriff der Tatbestandsmäßigkeit eingeführt hatte, gab die Liszt / Belingsche Definition des Verbrechens als einer tatbestandsmäßigen, rechtswidrigen, schuldhaften Handlung der neueren Dogmatik auf positivistisch-naturalistischer Grundlage einen scheinbar festen Halt 2 . Unter dem Einfluß des südwestdeutschen Neukantianismus vertieften namentlich August Hegler, Max Ernst Mayer, Wilhelm Sauer, Edmund Mezger, Max Grünhut und der frühe Erik Wolf unter Hervorhebung einer teleologischen Betrachtungsweise die Probleme der subjektiven Tatbestands-/Unrechtselemente, der normativen Tatbestandsmerkmale, des normativen Schuldbegriffs und der objektiv gefaßten Schuldmerkmale. Jedoch blieben sie noch vielfach maßgeblich von dem klassischen Einteilungsschema beeinflußt, das alle objektiven Umstände zum Unrecht und alle subjektiven zur Schuld wies. A b den 30er Jahren rückte die finale Handlungslehre Hans Welzeis in den Mittelpunkt des Interesses, wobei für unsere Untersuchung die sog. Ganzheitsbetrachtung der Kieler Schule und eine in die Straftatsystematik zu integrierende Tätertypenlehre außer Betracht gelassen werden kann. Welchen Anteil Dohna an dieser Umgestaltung gehabt hat und inwiefern seine Lehre der Sache nach in die Traditionslinie der heutigen teleologischen Systeme gehört, ist bis jetzt noch nicht umfassend und erschöpfend untersucht worden. Die zu erweisende These lautet, daß seine Lehre in methodischer Hinsicht der südwestdeutschen Schule näher steht als den Finalisten, daß er aber trotz seines anderen philosophischen Hintergrundes manche Hauptaussagen Welzels vorbereitet bzw. vorweggenommen hat. Dann erscheint es angemessen, die Lehre Dohnas dogmengeschichtlich gesehen als relativ eigenständige Entwicklung zu begreifen. Gewiß sind im Zuge der neueren Verfeinerung der systematischen Fragestellungen und Ergebnisse manche seiner Aussagen überholt. Dennoch hat er gestützt auf die kritische Rechtstheorie in Verbindung mit einem sozialnützlichen Zweckdenken und (individual-) ethischen Vorstellungen in die Zukunft weisende Leistungen erbracht. Dies gilt insbesondere für die materielle Rechtswidrigkeit, die Zwecktheorie als das Prinzip aller Rechtfertigungsgründe, das Erfordernis subjektiver Rechtfertigungselemente, auch für die personale Unrechtslehre und die Vorverlagerung des Vorsatzes, für die Differenzierungstheorie beim Notstand, den normativen Schuldbegriff und endlich für die Unterscheidung zwischen Tatumstands- und Verbotsirrtum. Unsere Einzeluntersuchung wird sich wesentlich mit der diesbezüglichen (dogmengeschichtlichen) Bedeutung Dohnas beschäftigen. 1 Im Laufe der Untersuchung, insbesondere bei der Einordnung der Lehre Dohnas in den dogmengeschichtlichen Zusammenhang, werden dazu Literaturhinweise gegeben. 2 Beling fügt der Begriffsbestimmung des Verbrechens noch die Merkmale Passen einer bestimmten Strafdrohung und Vorliegen der Strafdrohungsbedingungen hinzu, was hier vernachlässigt werden kann (Lehre vom Verbrechen, 1906, S. 7).
E. Dogmengeschichtliche Untersuchung der teleologischen Verbrechenslehre 133
Gerade seine Rechtswidrigkeitslehre und die Aktualität mancher von Dohna dazu behandelten Fragen verdeutlichen bei genauerem Hinsehen, daß seine Lehre nicht einfach in eine abgeschlossene historische Schublade eingeordnet werden darf. Die Berechtigung zu unserer Analyse ergibt sich auch aus der bisherigen zu grobmaschigen, teils widersprüchlichen und damit unbefriedigenden Einordnung der Lehre Dohnas. Einmal wird er als Vorläufer der finalen Verbrechenslehre behandelt3. Lampe sieht in der Dohnaschen Habilitationsschrift die personale Verbrechenslehre in ihrer heute durch Wenzel geprägten Form zum Greifen nahe4. Auf der anderen Seite wird Dohna im Rahmen des neoklassischen Verbrechensbegriffes der Südwestdeutschen genannt5. Achenbach erblickt in der Dohnaschen Verbrechenslehre eine völlig eigenständige Entwicklung unter dem Einfluß der neukantischen Philosophie, also einer Welzel ganz fernstehenden philosophischen Richtung 6 . In der Entwicklung der allgemeinen Verbrechenslehre lassen sich bei Dohna drei Abschnitte unterscheiden. Die Frühphase zeigt noch keinen Einfluß der kritischen Rechtsphilosophie und findet ihren Ausdruck in dem noch unveröffentlichten Manuskript über den „Criminaldolus. Eine Untersuchung zur Festlegung und Abgrenzung des Begriffs der dolosen Delikte" 7 . Die beiden anderen Abschnitte weichen in vier Punkten voneinander ab. In der ursprünglichen Lehre finden sich nur Ansätze zu einer spezifischen Tatbestandslehre, während die Rechtswidrigkeits- und Schuldlehre intensiver als später auf die apriorische (ethische) Verallgemeinerungsmaxime gegründet wird. In der revidierten Lehre wird der Objekt-Wertungs-Gegensatz ausdrücklich zum tragenden Konstruktionsprinzip erhoben. Außerdem wird der Vorsatz in den subjektiven Tatbestand vorverlagert und von der Schuld wie dem (potentiellen) Unrechtsbewußtsein getrennt. 3
Busch, Moderne Wandlungen der Verbrechenslehre, 1949, S. 9 - 14; darauf verweist Gallas, Stand, ZStW 67, S. 5 FN 9; Schmidhäuser, Lehrbuch, 1970, S.137f.; Jescheck, Der strafrechtliche Handlungsbegriff in dogmengeschichtlicher Entwicklung, 1961, S. 146, aber FN 33 Dohna unrichtig zitiert; ders. Lehrbuch, § 22 V 2. 4 Ernst Joachim Lampe, Das personale Unrecht, 1967, S. 26. 5 Jescheck, Entwicklung des Verbrechensbegriffs, ZStW 73, S. 179,193 FN 79; ders. Lehrbuch § 22 I I I 2 c); Schünemann, Einführung in das strafrechtliche Systemdenken, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, 1984, S. 25 FN 46, 28 FN 54. 6 Achenbach, Schuldlehre, S. 89; Welzel, Kausalität und Handlung, ZStW 51 (1931), S. 703; ders.: Naturalismus und Wertphilosophie im Strafrecht, 1935, in: Abhandlungen zum Strafrecht und zur Rechtsphilosophie, 1975, besonders S. 70 - 92, wo er sich gegen den Neukantianismus als Komplementärtheorie des Positivismus wendet und eine Hinwendung zum Ontischen fordert. Ebenso ders.: Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, Nachdruck der 4. Aufl. 1980, S. 183 - 190. Ders.: Das neue Bild des Strafrechtssy stems, 4. Aufl. 1961, S. I X - X I : Welzel sieht sich selbst nicht von der philosophischen Schichtenlehre Nicolai Hartmanns, sondern von der Phänomenologie beeinflußt. 7 Siehe sogleich die Darstellung und Erläuterung unter II.
134
3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
Bei der Darstellung sollen seine Schriften soweit wie möglich zu einem geschlossenen Ganzen zusammengezogen werden. Davon wird der interpretative Teil deutlich abgesetzt. Die Untersuchung dieser drei Phasen dürfte dogmengeschichtlich auch deshalb von Interesse sein, weil Dohna seine Lehre nicht in die Form eines Lehrbuchs gebracht hat, sondern nur in Einzelabhandlungen vorangetrieben hat. Der Einzeluntersuchung werden Hinweise zur speziellen Dogmengeschichte der Handlungs-, Tatbestands-, Unrechts- und Schuldlehre beigefügt. Dies dient dazu, den Grad der Eigenständigkeit und die Bedeutung der Lehre Dohnas sowohl hinsichtlich der Gesamtstruktur als auch dieser Teilfragen klarzustellen. Die Intensität der Literaturvertiefung richtet sich grundsätzlich danach, welchen Stellenwert das jeweilige Sachproblem im Werk Dohnas einnimmt. Wie sich die jeweilige Diskussion nach 1945 weiterentwickelt hat, geht über unser historisches Thema hinaus. Dazu werden allenfalls weiterführende Hinweise gegeben, insbesondere soweit ein fortwirkender sachlicher Gehalt der Lehre Dohnas zu erkennen ist. Abschließend kann die erstrebte Einordnung in den dogmengeschichtlichen Zusammenhang erfolgen, wobei es der Einfluß kantischer Gedanken auf Dohna erlaubt, auch die Bedeutung des Kritizismus für die Straf- und Zurechnungslehre bei Paul Johann Anselm v. Feuerbach als Vergleichspunkt heranzuziehen. Dies wird sich aber auf einige Bemerkungen beschränken, da die (relative) Eigenständigkeit Dohnas gegenüber Binding, Liszt / Beling, den Südwestdeutschen und Welzel im Vordergrund des Interesses steht.
2. Bemerkungen zum Sinn einer solchen dogmengeschichtlichen Untersuchung und zur Notwendigkeit einer Vermittlung zwischen Ontologie und Normativismus in einer rechtsstaatlichen Verbrechensdogmatik Es soll exemplarisch auf den allgemeinen Umstand hingewiesen werden, daß die rechtswissenschaftliche Bearbeitung des geltenden Rechts zu einem gewissen Teil in der ständigen Umformung des bereits Gedachten besteht. Dabei ist es nicht immer leicht, bloße sprachliche Umbenennungen von sachlichen Neuerungen, Fortbildungen oder Verfeinerungen zu unterscheiden. Ein sachlicher Fortschritt bzw. die Leistung eines Dogmatikers wird sich daran bemessen lassen, mit welcher Gedankenkraft ein Begründungszusamwienhang hergestellt wird, der für das leitende Konstruktionsprinzip, die inhaltlichen Kriterien zur fortschreitenden Konkretisierung der Verbrechenskategorien bishin zur Lösung praktischer Einzelfragen zu fordern ist. Ein solcher Fortschritt wird zumeist in der Verknüpfung tradierter Denkmuster und Denkinhalte mit innovativen Einfällen bestehen. In der Lehre Dohnas wird ein Fortschritt darin zu suchen sein, wie die normativen Grundstrukturen von Unrecht und Schuld mittels der Frage nach den allgemeingültigen Erkenntnisbedingun-
E. Dogmengeschichtliche Untersuchung der teleologischen Verbrechenslehre 135
gen vertieft und unter der Hand durch sozialnützliche Erwägungen ausgefüllt werden. Dabei wird sich als Mangel erweisen, daß die inhaltliche Seite der fortlaufenden Konkretisierung allgemeiner Prinzipien (des angemessenen Mittels zum rechten Zweck oder der Pflichtwidrigkeit) vernachlässigt wurde. Die Schwierigkeiten aller Verbrechensdogmatik sind in der Komplexität ihrer Aufgaben, ihrer möglichen Ausgangspunkte und ihrer Berührungspunkte namentlich mit der allgemeinen Normentheorie, dem Verfassungsrecht, der Kriminologie und der Strafzwecktheorie begründet. Die Aufgabe besteht zuvorderst darin, die Inhalte der maßgeblichen Verbrechenskategorien (Unrecht, Schuld, Vorsatz, Fahrlässigkeit etc.) zu formulieren und zu konkretisieren; ein solcher Erkenntnisgewinn ist nicht nur Selbstzweck, sondern hat auch die praktische Verwertbarkeit für eine auf Strafgerechtigkeit und Rechtssicherheit ausgerichtete Rechtspflege zu berücksichtigen. Hinsichtlich der möglichen Ausgangspunkte geht der Gedankengang dahin, bisherige Verbrechenslehren auszublenden, die Vorgegebenheiten zu sichten und sich auf die leitenden Sinnprinzipien beim Aufbau einer rechtsstaatlichen Verbrechensdogmatik zu besinnen. Gerade dort werden die genannten Berührungspunkte bedeutsam. Dies kann hier nur im Hinblick auf die Lehre Dohnas näher angedeutet werden. Vorgegeben sind das Strafgesetz, die Verbrechensfälle und die Menschen, welche die Verbrechen begehen (im untechnischen Sinne verstanden). In einem Strafrecht, welches Maßregeln der Besserung und Sicherung kennt, ist es unangebracht, erst das Subjekt (den Verbrecher) und dann das Objekt (das Verbrechen) zum Ausgangspunkt zu nehmen. Nicht ein zurechnungsfähiger Mensch, sondern eine Unrechtstat ist die erste Voraussetzung für den Eintritt der Rechtsfolgen. Hinsichtlich des vorrangig interessierenden Verbrechensfalles bestehen die beiden Möglichkeiten, einen empirischen oder normativen Angelpunkt zu wählen. Bei Liszt und Beling bildet die kausal-naturalistische Handlung den klassifikatorischen Oberbegriff, zu dem die übrigen Verbrechensmerkmale als Attribute hinzutreten 8 . Radbruch teilt den Grundgedanken, sieht aber wegen des unversöhnlichen Gegensatzes zwischen Handlung und Unterlassung das Verbrechenssystem von oben bis unten in zwei Teile zerrissen 9. Eine andere Möglichkeit nimmt Dohna wahr. Seine Begriffsbildung der Verbrechensdogmatik geht von der Normwidrigkeit aus, fragt nach den bedingenden (formal-teleologischen) Sinnkriterien und schaut von dort auf das reale Substrat. Dies wird in der re vidierten Lehre dahin modifiziert, daß zuerst die wertfreie Tatbestandsmäßigkeit festgestellt wird, was jedoch 8 Liszt, Rechtsgut und Handlungsbegriff im Bindingschen Handbuche, 1886, in: Strafrechtliche Vorträge und Aufsätze 1905, Neudruck 1970, Bd. 1, S. 238,239; Beling, Lehre vom Verbrechen, 1906, S. 20, 21. 9 Radbruch, Der Handlungsbegriff in seiner Bedeutung für das Strafrechtssystem, 1904, S. 71, 140 - 143.
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
eben in Bezug auf das normativ-juristische Merkmal geschieht. Es überschreitet unsere Aufgabe, alle Verbrechenslehren seit Binding und Liszt nach dem Grade der Reinheit und der Fortbildung des obigen Gedankens zu untersuchen. Nur wird die revidierte Lehre Dohnas insbesondere mit derjenigen Welzeis zu vergleichen sein, der den Verbrechensaufbau abgesehen von Überlegungen zu der Funktionsweise von Strafrechtsnormen maßgeblich auf die sachlogisch, ontisch vorgegebene Finalstruktur der menschlichen Handlung gründet. Wie sich in der Rechtsphilosophie ein radikaler Sein-Sollens-Dualismus als für die Grundlegung der Jurisprudenz nicht haltbar erwiesen hat, so besteht für die Verbrechensdogmatik entsprechend die Aufgabe, zwischen Ontologie und Normativismus zu vermitteln. Ontologie wird hier als Seinslehre verstanden, welche die Realität nicht bloß gegenständlich begreift, sondern auch die seelische und geistig erfaß- und mitteilbare Sicht des Menschen einbezieht; die geistige Schicht beinhaltet, was hier wesentlich interessiert, die durch das kulturelle und soziale Herkommen tradierte (Un-)Wertbetonung, mit der bestimmte (geschehene oder erwartete) Verhaltensweisen semantisch belegt werden. Normativismus meint hier die insbesondere vom Gesetzgeber oder vom Gesetzesinterpreten ausgehende Wertzuschreibung oder Wertfestsetzung ; irgendeine menschliche Verhaltensweise wird verbindlich für (un-)werthaft erklärt. Weder können nun etwa die Strukturen vorsätzlichen oder fahrlässigen Unrechts oder die Trennung zwischen Tatumstands- und Verbotsirrtum ohne Rücksicht auf gesetzliche Vorgaben allein aus ontischen Vorgegebenheiten gefolgert werden, noch können die Substrate des Unrechts und der Schuld allein zu „normativen Kunstprodukten" zweckrationaler funktionaler Erwägung erklärt werden 10 . Alle normativistischen Verbrechenslehren werden auf welchem Wege sie im einzelnen auch zur Notwendigkeit und Unentbehrlichkeit gesetzgeberischer bzw. interpretatorischer Wertsetzungen gelangen mögen - der Frage nachzugehen haben, ob sie nicht unter anderen Prämissen machtpolitisch instrumentalisiert bzw. umgewertet werden können. Mit anderen Worten besteht die Aufgabe einer verbrechensdogmatischen Grundlegung darin, den material-rechtsstaatlichen Bezug stärker herauszuheben und zu konkretisieren. Gewiß können und sollen nicht aus solchen Prämissen spezifizierte Inhalte der herkömmlichen Verbrechenskategorien und ihrer Unterstrukturen abgeleitet werden; nur geht es um möglichst griffige material-regulative Grenzen, innerhalb dessen sich nun der straf rechtsdogmatische Normativismus unter Hinzutritt sachgebietsabhängiger und mehr oder weniger zeitbedingter Kriterien entfalten kann. Man wird beispielsweise aus den Menschen· und Grundrechten, dem Schuldgrundsatz und den herkömmlichen 10 Der Ausdruck findet sich bei Hirsch, Hans-Joachim, Die Entwicklung der Strafrechtsdogmatik nach Welzel, in: Festschrift der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, 1988, S. 416.
E. Dogmengeschichtliche Untersuchung der teleologischen Verbrechenslehre 137
Rechtsstaatsprinzipien herleiten können, daß es einem rechtsstaatlichen Gesetzgeber verwehrt ist, beliebiges menschliches Tun und Unterlassen zu pönalisieren oder umgekehrt etwa elementare menschliche Lebensgüter strafrechtlich vollkommen schutzlos zu lassen. Die weitere Fundierung, warum auch ein Verfassungsgesetzgeber an menschenrechtliche Kerngehalte gebunden ist, führt in das Gebiet der Rechtsethik. Dort wie auch auf der Ebene einer rechtsstaatlichen Verfassung ist die Menschenwürde nicht nur oberste materiale Grundnorm, sondern sie ist zugleich auch mit dem empirischen Menschen und seiner Geistnatur verknüpft; die unendlich vielfältige ontische Existenzweise der Gattung Mensch ist dann notwendiger, wenn auch nicht alleiniger Bestandteil dieser materialen Grundnorm. Es kommt eine Setzung der - im herkömmlichen Sprachgebrauch - praktischen Vernunft hinzu, die aus sich selbst heraus einsichtig ist. Kurzum wird eine solche material-rechtsstaatliche Umgrenzung des strafrechtsdogmatischen Normativismus über das spezifische Gebiet des Kriminalrechts hinausführen 11. Jedenfalls liegt ein Ausbau dieser Gedanken und eine Auseinandersetzung mit heutigen finalistisch-ontologischen einerseits und insbesondere mit normativistisch-funktionalen Lehren andererseits außerhalb unseres Themas. Wesentlich geht es uns darum, bei der Interpretation und Würdigung Dohnas auch auf den genannten Grundgedanken und den geforderten Begründungszusammenhang zurückzukommen. I I . Der Aufbau der Imputationslehre in dem Manuskript über den „Kriminaldolus" (1900) Bei diesem Manuskript handelt es sich um eine Arbeit aus dem Jahre 1900, welche für das kriminalistische Seminar Franz v. Liszts bestimmt gewesen ist 12 . Dieses Früh werk enthält keinen literarischen Apparat, und an einzelnen 11 Vgl. zum Ausgeführten z.B.: Radbruch, Zur Systematik der Verbrechenslehre, in: Festgabe für Reinhard v. Frank, 1930, Bd. 1, S. 158 - 173; Engisch, Sinn und Tragweite juristischer Systematik, in: Beiträge zur Rechtstheorie, hrsg. v. Paul Bockelmann u. a., 1984, S. 88 - 125; ders. Die Idee der Konkretisierung in Recht und Rechtswissenschaft, 2. Aufl. 1968, besonders S. 101 - 120 mwN; Roxin, Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, 2. Aufl. 1973; ders. Täterschaft und Tatherrschaft, 5. Aufl. 1990, S. 19 25; Arthur Kaufmann, Das Schuldprinzip, 2. Aufl. 1976, S. 86 - 115 mwN; Schmidhäuser, Strafrecht, 2. Aufl. 1975, S. 139 - 158; Schünemann, Einführung in das strafrechtliche Systemdenken, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, 1984, S. 1 - 68; Hirsch, Hans-Joachim, Die Entwicklung der Strafrechtsdogmatik nach Welzel, in: Festschrift der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, 1988, S. 399 - 427. Allgemein betreffend die Möglichkeiten der Umwertung einer Rechtsordnung, Bernd Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, Zum Wandel der Privatrechtsordnung im Nationalsozialismus, 3. Aufl. 1988. Zur deontologischen Rechtstheorie: 2. Teil, V I . , 2. 12 N L Dohna I, Nr. 20, 93 Seiten. A m Rand finden sich Anmerkungen vermutlich von Liszt selber. Ob die Arbeit veröffentlicht werden sollte, ist nicht bekannt.
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
Stellen mag die Klarheit der Gedankenführung auch unter etwas ungelenken Wendungen leiden. Allerdings dürfte die Arbeit noch heute dogmengeschichtliches Interesse beanspruchen, weil sie einen Einblick in die Werkstatt gewährt, aus der viele bedeutende Kriminalisten hervorgegangen sind 13 . In ihr werden einige Problemkreise angesprochen, welche erst teilweise viele Jahre später im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion standen. Dies gilt insbesondere für die Unterscheidung zwischen formeller und materieller Rechtswidrigkeit, für die erst später sog. subjektiven Tatbestands- oder Unrechtselemente, für das Verständnis des später sog. Unrechtsbewußtseins als laienhafte Vorstellung von der sozialethischen Verwerflichkeit des inkriminierten Verhaltens und endlich für die Beachtlichkeit des heute sog. unvermeidbaren Verbotsirrtums. Freilich stimmen diese Ansätze nicht immer mit dem Verständnis überein, wie es sich nachher überwiegend herausgebildet hat. Aber sie weisen in diese Richtung. Da diese Arbeit bisher noch unbekannt ist, empfiehlt es sich, hier kurz den Gedankengang und die Schwerpunktsetzung darzustellen. A n geeigneten Stellen der Untersuchung der veröffentlichten Schriften Dohnas wird unter Berücksichtigung der Literatur darauf zurückzukommen sein. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt darin, auf der subjektiven Tatseite das Verhältnis von Bewußtsein und Wille allgemeinpsychologisch und bezogen auf die Straftat zu bestimmen, die Billigungstheorie zur Abgrenzung des dolus eventualis von der bewußten Fahrlässigkeit zu begründen und die einzelnen Arten des Dolus zu analysieren 14. Hier interessiert allerdings nur die sich abzeichnende Systematik der Verbrechenslehre. Die Frühschrift weist bereits die Tendenz auf, erst normative Gesichtspunkte und dann die physisch-psychischen Substrate zu untersuchen. Dies hängt wie auch in der späteren Lehre damit zusammen, daß der Verbrechensbegriff von vornherein mit der (Bindingschen) Normentheorie in Verbindung gebracht wird und nicht wie bei Liszt als klassifikatorisches Gebäude errichtet wird. Diese Frühschrift läßt in Verbindung mit den späteren Arbeiten Dohnas den Schluß zu, daß die Unterscheidung zwischen der formellen und materiellen, sozialen oder teleologischen Verbrechensbetrachtung ein maßgeblicher Faktor für die nachfolgenden Umbauten gegenüber dem ursprünglichen Liszt-Belingschen System gewesen ist. Es wird sich zudem zeigen, daß die drei Phasen in der Lehre Dohnas trotz mancherlei Unterschiede
13 Zum Schülerkreis dieses Seminars: Schmidt, Eberhard, Einführung in die ' Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, Nachdruck der 3. Aufl. 1983, S. 359 (§ 308). 14 Kriminaldolus, S. 16; S. 90 - 92 Zusammenfassung in Thesen; S. 93 Schaubild; Einteilung: § I Objektiver Tatbestand, § I I Subjektive Verschuldung, § I I I Das Kausalitätsverhältnis, § I V Bewußtsein und Wille, § V Dolus und Culpa, § V I Vorsatz und Absicht, Zweck, § V I I Das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit, § V I I I Das generelle Erfordernis des Dolus zur Strafbarkeit.
E. Dogmengeschichtliche Untersuchung der teleologischen Verbrechenslehre 139
und eines veränderten Streit- und Erkenntnisstandes im wissenschaftlichen Umfeld eben nicht als unverbundene Fragmente erscheinen. Objektive Rechtswidrigkeit, subjektive Verschuldung und Kausalität sind die drei zu prüfenden Erfordernisse kriminalistischer Imputation 15 . Der juristische Begriff der Rechtswidrigkeit hat mit dem ethischen Begriff des Unrechts nichts zu tun, da das Kriterium der Rechtswidrigkeit in der Verletzung einer Staatsnorm besteht 16 . Nur durch die Gesetze des Staates ist erkennbar, wann eine Rechtswidrigkeit Bestrafung erfordere und wann ziviler Ersatz genüge17. Die Strafbarkeit ist somit abhängig von der Verletzung einer Straf norm, deren begriffliche Elemente in dem sog. objektiven Tatbestand als der Summe derjenigen Merkmale zusammengefaßt werden, welche die jedesmalige Veränderung der Außenwelt zu dem betreffenden Delikt stempelt 18 . Nur die auf das Verhalten eines menschlichen Subjekts zurückführbare Veränderung der Außenwelt nennen wir rechtswidrig. Handlung und Unterlassung sind die korrelativen Begriffe, je nachdem die verletzte Norm ein Verbot oder ein Gebot enthält 19 . Die bei bestimmten Delikten geforderte Absicht oder Zweckrichtung des Täters wird als „objektives Tatbestandsmerkmal" eingeordnet. Insbesondere macht erst die Absicht der Aneignung das Delikt zum Diebstahl und die Absicht der Vermögensbereicherung das Delikt zum Betrug; „die Verschuldung ist dadurch an sich nicht berührt" 2 0 . Diese „Entdeckung" der Absicht als besonderes Tatbestandsmerkmal des Diebstahls führt Dohna zu der Auffassung, daß die Verletzung der Staatsnorm, die formelle Rechtswidrigkeit, jedenfalls nicht überall das alleinige Kriterium der Rechtswidrigkeit bildet. In einem Teil der objektiven Tatbestände der Strafgesetze ist die Verletzung eines subjektiven Rechts zu finden, also des Anrechts auf Leben, Körperintegrität, Geschlechtsehre der Frau, Eigentum etc. Diese materielle Rechtswidrigkeit ist von der formellen scharf zu unterscheiden 21. 15
Kriminaldolus, S. 3. Kriminaldolus, S. 4. 17 Kriminaldolus, S. 5; siehe dazu die Dissertation „Die Stellung der Buße im reichsrechtlichen System des Immaterialgüterschutzes", 1902, S. 49, 50: „Schadensersatz ist Reparation für Verletzung reparabler Werte; Strafe ist Reaktion gegen Verletzung irreparabler Werte. . . . das Institut der Buße (wurde) geschaffen, um dem Verletzten die vorher fehlende Möglichkeit zu gewähren, sich volle Genugtuung zu verschaffen. . . . Die Buße ist Ersatz und nicht Strafe, weil sie in der Schutzlosigkeit des Verletzten, nicht in der Straflosigkeit des Verletzten ihren - historischen wie logischen - Grund hat"; Dohna, Die Privatgenugtuung, in: Vergleichende Darstellung des Deutschen und Ausländischen Strafrechts, 1908, Bd. 1, S. 225 - 268; zu diesem Themenkreis auch Hirsch, Hans-Joachim, Zur Abgrenzung von Strafrecht und Zivilrecht, in: Festschrift für Karl Engisch, 1969, S. 304 - 327. 18 Kriminaldolus, S. 5, 6. 19 Kriminaldolus, S. 6. 20 Kriminaldolus, S. 8 - 10, 68 - 72. 16
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
In dem Abschnitt über die subjektive Verschuldung werden die Ausdrücke Rechtswidrigkeit und Schuld als „korrelate Begriffe" bezeichnet. „Nur das schuldhafte Verhalten eines Menschen kann Ursache einer Rechtswidrigkeit sein" 22 . Seine Äußerungen zu der damals üblicherweise als Schuldform verstandenen Fahrlässigkeit weisen in die Richtung einer „normativen" Schuldauffassung, freilich ohne diesen Ausdruck zu verwenden. Die Vielfalt der Verschuldungstheorien beruhen auf der Variabilität der Beziehungen zwischen den beiden psychischen Funktionen Bewußtsein und Wille zueinander und zu dem objektiven Tatbestand in seiner Allgemeinheit bzw. seiner Zerlegbarkeit in die beiden Elemente Tat und Erfolg 23 . Aber das Vorhandensein von Bewußtsein oder Wille bildet nicht die Voraussetzung jeglicher Verschuldung, sondern „kraft seiner Autorität fordert der Staat an gewissen Stellen vom Bürger, daß er wisse oder wolle. Und wo dann eine solche Verpflichtung, die Aufmerksamkeit anzuspannen oder dem Willen einen Anstoß zu geben, besteht, da straft sinngemäß der Staat gerade dann, wenn dieser Verpflichtung nicht nachzukommen wird, wo also Wille oder Bewußtsein fehlen" 24 . Es zeugt von einer planmäßigen Begriffsverwirrung, wie „in der Unterlassung gleichzeitig ein Tun und in der Fahrlässigkeit einen negativen Willen sehen zu wollen". Die Grenze der kriminellen Verschuldung ist bei der fehlenden qualitativen Begriffsbestimmbarkeit und dem Schweigen des Gesetzgebers, was konkret der Sorgfaltspflicht entspricht, notwendig eine fließende und stellt einen Mangel an wünschenswerter Rechtssicherheit dar 25 . Die Grenze der Schuld bildet der Zufall, also eine solche „kausale Verkettung von Umständen, deren Realität wir nicht erkannt haben, bzw. deren Realität zu erkennen der Staat nicht geglaubt hat von uns verlangen zu sollen". Im Hinblick auf die sog. qualifizierten Erfolgsdelikte stellt Dohna fest, daß der Staat tatsächlich auch ohne Vorhandensein von Schuld straft, also „ . . . ohne auch nur im mindesten dazu berechtigt zu sein" 26 . Die Unterlassungsdelikte zeigen, daß nicht immer Kausalität als Erfordernis neben der Verschuldung für die Strafbarkeit gefordert werden muß. Die Unterlassung kann hinweggedacht werden, ohne daß der kriminelle Erfolg entfiele. In diesen Fällen ist ein Kausalzusammenhang zwischen der Verschuldung und dem Erfolg logisch nicht nachweisbar. Die Herrschaftsgebiete der Kausalität und der Verschuldung sind somit verschieden: „1. Die Kausalität reicht weiter als die Verschuldung, da diese auf einem Fehler des Wissens oder 21
Kriminaldolus, S . l l , 12; vgl. Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 15 FN 1, 18: Die Unterscheidung von Gesetzes- und Rechtsgüterverletzung soll die Bahn ebnen, sie ist aber noch nicht das Ziel selber im Sinne Dohnas! 22 Kriminaldolus, S. 13. 23 Kriminaldolus, S. 14. 24 Kriminaldolus, S. 14. 25 Kriminaldolus, S. 15. 2 6 Kriminaldolus, S. 18, 21, 22.
E. Dogmengeschichtliche Untersuchung der teleologischen Verbrechenslehre 141
Wollens beruht, die Kausalität aber den Zufall mit umfaßt. 2. Die Verschuldung kann aber auch weiter reichen wie die Kausalität, indem ein rechtswidriger Erfolg einem schuldhaften Verhalten auch ohne Kausalnexus zugeschrieben werden kann" 2 7 . Die Frage der Kausalität stellt sich erst im Bereich der Begehungsdelikte. Dort wird genauer die objektive Kausalität zwischen der Tätigkeit und dem Erfolg von der inneren Kausalität zwischen der subjektiven Verschuldung und der objektiven Rechtswidrigkeit unterschieden 28. Bei den (unechten) Unterlassungsdelikten bedarf es für die Imputation eines der Kausalität analogen Verhältnisses 29. Das Gebot des Staates lautet: „du sollst die und die Wirkungen herbeiführen wollen" 3 0 . Deshalb ist eigentlich nicht die Unterlassung strafbar, sondern die Nichtherbeiführung dieser Wirkungen (oder anders ausgedrückt: strafbar ist die gebotene, aber unterbliebene Verhinderung des eingetretenen rechtswidrigen Erfolges). Ein solches Gebot, also eine Verpflichtung zur Betätigung, läßt sich aus dem geschriebenen wie dem ungeschriebenen Recht herleiten 31 . Die analoge innere Kausalität bedeutet eine Vermittlung derart, daß der rechtswidrige Erfolg sich auf die Verschuldung muß zurückführen lassen32. Nachfolgend untersucht Dohna das Verhältnis zwischen Bewußtsein und Wille, die Arten des Vorsatzes oder Dolus malus und die Abgrenzung zur Culpa, was aber für unser Erkenntnisinteresse zu speziell ist. Bewußtsein und Wille werden nicht als zwei grundverschiedene, sondern als aufeinander angewiesene Seelenfunktionen verstanden. „Wille ist nur mit Bewußtsein denkbar. Ich kann nichts wollen, wovon ich keine Vorstellung habe" 33 . Der Dolus wird als „der auf die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes gerichtete bewußte Wille" definiert 34 . Da der objektive Tatbestand die (formelle) Rechtswidrigkeit im Sinne der Verletzung des objektiven Rechts impliziert, stellt sich das Problem, ob zum strafbaren Dolus das Bewußtsein gehört, daß der bewußt und gewollt verwirklichte Tatbestand ein rechtswidriger gewesen ist 35 . Nach Dohna setzt die Verschuldung voraus, daß dem Subjekt der objektiv rechtswidrige Charakter seiner Tat „entweder vermöge seiner juristischen Kenntnisse formell oder doch vermöge seines ethischen Bewußtseins bekannt gewesen ist" 3 6 . Da die strafrechtlichen Ver- und Gebote 27
Kriminaldolus, S. 24. « Kriminaldolus, S. 24 - 26, 30 - 33, 36, 37. 29 Kriminaldolus, S. 28, 36. 30 Kriminaldolus, S. 28. 31 Kriminaldolus, S. 29. 32 Kriminaldolus, S. 36. 33 Kriminaldolus, S. 35 (Zitat), 33 - 57, 59 - 67. 34 Kriminaldolus, S. 73. 35 Kriminaldolus, S. 74. 36 Kriminaldolus, S. 77. 2
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
weitgehend mit den sittlichen und kulturellen Anforderungen übereinstimmen, ist in dem Erfordernis des Bewußtseins moralischer Verschuldung eine Gefährdung des Staates und der Sicherheit seiner Bürger nicht zu erblicken. Wo dies wie etwa beim § 139 StGB nicht der Fall ist, würde die Durchführung des Satzes ,Unkenntnis des Gesetzes schützt vor Strafe nicht' „eine an die Auffassung des Mittelalters grenzende Härte bedeuten" 37 . Bei fehlendem Unrechtsbewußtsein hat also Freisprechung zu erfolgen. Allerdings kann strafbare Fahrlässigkeit übrigbleiben, wenn dieser Mangel auf dem fehlenden Bewußtsein kriminell relevanter Tatumstände beruht. In anderen Fällen resultiert die Fahrlässigkeit aus den mangelhaften Beziehungen des Bewußtseins zu dem kriminell relevanten Erfolge. Zu den hier gemeinten besonderen Tatumständen zählen die formelle Rechtswidrigkeit und solche Merkmale, die wie die Altersgrenze bei der Verführung Minderjähriger über die Rechtswidrigkeit entscheiden. Die Sache nach wird es bei der unbewußten Fahrlässigkeit für ausreichend erachtet, wenn „die Einsicht in die Rechtswidrigkeit der Handlung . . . hätte zum Bewußtsein kommen können" 3 8 . Bei den Delikten, welche einen Angriff auf ein subjektives Recht als spezifisches Tatbestandsmerkmal enthalten, ist für den Dolus das Bewußtsein dieser materiellen Rechtswidrigkeit zu fordern. Das Fehlen dieses Bewußtseins macht auch hier das Delikt zu einem fahrlässigen, vorausgesetzt, daß die Kenntnis hätte vorhanden sein müssen39. A m Ende gelangt Dohna doch dazu, in einer bestimmten Fallgruppe beim vermeidbaren Fehlen des Unrechtsbewußtseins eine geminderte Vorsatzstrafe anzunehmen. Bei der Beleidigung und der Unterschlagung hat der Gesetzgeber Fahrlässigkeit nicht unter Strafe gestellt und auch nicht ausdrücklich Vorsatz gefordert. Die fahrlässige Begehung hat dann straflos zu bleiben. Dohna unterscheidet bei der Beleidigung das Bewußtsein zu beleidigen von dem Bewußtsein der an sich beleidigenden Natur der Äußerung. Letzteres ist das zur (dolosen) Verschuldung erforderliche Bewußtsein der objektiven Rechtswidrigkeit. Wenn das Fehlen dieses Bewußtseins vermeidbar ist, dann ist „eine bloße Herabsetzung der Strafe nach Analogie des zwischen Dolus und Culpa im allgemeinen bestehenden Strafmaßverhältnisses natürlich innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens" geboten 40 . Erst in der revidierten Verbrechenslehre beschäftigt sich Dohna wieder intensiver mit dem Verhältnis zwischen Vorsatz und dem davon abgetrennten potentiellen Unrechtsbewußtsein allgemein und im Hinblick auf die Irrtumslehre 41 . Dort wird die Scheidung des Irrtums über normative Tatbestands37 38 39 40 41
Kriminaldolus, S. 76. Kriminaldolus, S. 79, 82, 83. Kriminaldolus, S. 81, 82. Kriminaldolus, S. 84, 85. Siehe 3. Teil, E., I V . , 6.
E. Dogmengeschichtliche Untersuchung der teleologischen Verbrechenslehre 143
merkmale von dem Verbotsirrtum zur fast unlöslichen Aufgabe erklärt. In diesen frühen Ausführungen ist herausgearbeitet worden, daß der einheitliche Dolusbegriff ganz heterogene Elemente umfaßt, so den Handlungswillen in Bezug auf eine Veränderung der Außenwelt, die Kenntnis von tatsächlichen Umständen und die normative Bedeutungskenntnis. Letztere kann sich wiederum auf die Unwerthaftigkeit der Gesamttat nach dem ethischen, kulturellen Verständnis des Täters oder spezieller auf die Unwerthaftigkeit solcher Umstände beziehen, die den Unrechtsgehalt der Tat prägen. In der ursprünglichen Lehre wird insbesondere die teleologische materielle oder soziale Betrachtung des Verbrechens in einem weiteren Sinne als in diesem ersten Aufriß vertieft. Hier ist das freilich noch unausgereifte Bemühen zu erkennen und für unsere Untersuchung zu konstatieren, Seinsgegebenheiten (Bewußtsein und Wille, Handlung, Dolus, Kausalität) getreu zu erfassen und mit normativen Bezugspunkten (Verbote und Gebote, schuldhaftes Unrecht, Unterlassung, Fahrlässigkeit) in Beziehung zu setzen. I I I . Die ursprüngliche Verbrechenslehre: Das Verbrechen als (strafbare) zurechenbare Normwidrigkeit 1. Die Grundkonzeption im Überblick Die ursprüngliche Verbrechenslehre ist in mehreren Abhandlungen aus der Zeit zwischen 1902 und 1912 enthalten. Das Grundgerüst findet sich in dem 1907 erschienenen Aufsatz „Zur Systematik der Lehre vom Verbrechen" 42 , während die anderen, meist monographischen Schriften vorwiegend der Rechtswidrigkeit, der Schuld und dem Mangel am Tatbestand gewidmet sind. Nachdem Dohna sich mit den Verbrechenslehren von Liszt, Beling und Binding auseinandergesetzt hat, wendet er sich dem eigenen Aufbau zu. Das Delikt wird „in deutlicher Anlehnung an Binding als zurechenbare Normwidrigkeit" definiert, wobei (gegen Binding) „unter Normwidrigkeit der Verstoß gegen den staatlichen Zwangsbefehl nicht in seiner formalen, sondern in seiner inhaltlichen Eigenart" verstanden wird 4 3 . Die Ausdrücke Delikt und Verbrechen werden meist synonym verwandt; nur einmal wird das Verbrechen als mit Strafe bedrohtes Delikt bezeichnet44. Die Normwidrigkeit bildet den Gegenstand der Zurechnung, also der Schuld im Sinne der geläufigen Terminologie. Auf der Stufe der Normwidrigkeit wie der Zurechnung werden die einzelnen Verbrechenselemente abgeschichtet, indem jeweils tatsächliche und 42
ZStW 27 (1907), S. 329 - 349. ZStW 27 (1907), S. 342; Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Bd. 1, 4. Aufl. 1922, 1965, S. 194 - 201 (§ 29), 311, 312 (§ 47). 44 ZStW 27 (1907), S. 329; Binding, Grundriß des deutschen Strafrechts, 8. Aufl. 1913, 1975, S. 87. 43
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
normative Größen gegenübergestellt werden. Durch den Umstand, daß die empirischen Phänomene jeweils eine positive oder negative Größe haben können, will Dohna die Unterlassung wie die Fahrlässigkeit in die am (vorsätzlichen) Begehungsdelikt orientierte Systematik miteinbeziehen 45 . Auf der tatsächlichen Seite der Normwidrigkeit ist entweder eine Handlung (verstanden als Kausalzusammenhang zwischen Willensentschluß, Körperbewegung und Erfolg) oder eine Unterlassung gegeben, zu der die begleitenden Tatumstände hinzutreten 46 . Die Rechtswidrigkeit bedeutet die Bedingung, unter der eine Rechtsgüterverletzung gleichzeitig eine Gesetzesverletzung und damit normwidrig ist 47 . Da die Rechtswidrigkeit einer Handlung oder Unterlassung nicht restlos „aus dem Ganzen der Rechtsordnung heraus" bestimmt werden kann, muß dazu auf die Idee des Rechts zurückgegangen werden. Dabei bildet die formale Maxime vom rechten Mittel zum rechten Zweck die Bedingung, welche die Erkenntnis der strafgesetzlichen Rechtswidrigkeit wie der Rechtfertigung erst möglich macht. Zu den psychologischen Voraussetzungen der Zurechnung gehören die Zurechnungsfähigkeit des Täters und die Zurechenbarkeit der Tat 4 8 . Das letztere Merkmal umfaßt u.a. den spezifischen Schuldzusammenhang zwischen Tat und Täter. Diese psychische Beziehung zwischen dem Willen und dem objektiv auf einen menschlichen Willen zurückführbaren Erfolg ist im Falle des Vorsatzes gegeben; hingegen liegt sie bei der Fahrlässigkeit nicht vor 4 9 . Das normative Element der Schuld besteht in der abschließend zu berücksichtigenden Pflichtwidrigkeit der Willensbestimmung, welche das genus proximum zu Vorsatz und Fahrlässigkeit bildet 50 . Da das Wesen der Pflichtwidrigkeit in dem Widerspruch des Willens zur erkannten Pflicht beruht, ist zur Schuld - modern gesprochen - das Unrechtsbewußtsein erforderlich 51 . Die so skizzierte Struktur der Verbrechenslehre läßt sich in dem folgenden Schaubild festhalten.
45 ZStW 32 (1907), S. 329; Dohna rügt die einseitige Berücksichtigung des Vorsatzdeliktes als landläufigen Fehler. 4 * ZStW 27 (1907), S. 343. 47 ZStW 27 (1907), S. 344. 48 ZStW 27 (1907), S. 342. 49 ZStW 27 (1907), S. 347, 348. so ZStW 27 (1907), S. 342, 343, 348. 5i ZStW 27 (1907), S. 349.
10 Escher
begleitende Tatumstände
fehlende Handlung = Unterlassung Schädlichkeit)
Wille, rechtes Mittel zum rechten Zweck anzuwenden (pflichtgemäßes Ermessen), als subjektives Rechtfertigungselement
Verhalten nicht rechtswidrig, wenn es sich darstellt als AusÜbung einer Pflicht (Amtsund Dienstpflicht etc.) oder als Ausübung eines Rechts (Notwehr, Notstand etc.)
fehlender Vorsatz: Entschuldigungsgründe: Fahrlässigkeit entschuldigender Notstand, entschuldbarer Rechtsirrtum kann Vorsatzstrafe ausschließen oder Fahrlässigkeit übriglassen
Schuld (im eigentlichen Sinne): Pflichtwidrigkeit der Willensbestimmung Pflichtwidrigkeit als das Vorsatz Zurechenbarkeit der Tat: und Fahrlässigkeit gemeinsame dolus malus (Vorsatz und Merkmal, weswegen von ihnen aktuelles Bewußtsein der erst als Formen der Verschuldung gesprochen werden kann
normative Seite
Zurechnungsfähigkeit des Täters
tatsächliche Seite
Zurechnung (Schuld im weiteren Sinne)
Rechtswidrigkeit: formell: Widerspruch zur Rechtsordnung materiell: Unrichtigkeit = Verstoß gegen die formale Maxime vom rechten Mittel zum rechten Zweck (= SozialPflichtwidrigkeit)
normative Seite
gesetzlicher Tatbestand: Handlung = Willensverwirklichung; = Willensentschluß, Körperbewegung und Erfolg im Kausalzusammenhang
tatsächliche Seite
Normwidrigkeit
Verbrechen = strafbares Delikt; Delikt = zurechenbare Normwidrigkeit
E. Dogmengeschichtliche Untersuchung der teleologischen Verbrechenslehre 145
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
2. Der eingeschränkt kausale Handlungsbegriff Dohna hat seine Handlungslehre vor allem im Systematik-Aufsatz entwikkelt. Ergänzende Ausführungen finden sich in der Abhandlung über den Mangel am Tatbestand. Neben Hinweisen zur speziellen Dogmengeschichte beschäftigt sich die Interpretation mit drei Fragenkreisen: die Handlungslehren von Stammler, Liszt, Radbruch, Beling und M. E. Mayer werden als Vergleichspunkte herangezogen; zweitens gilt es, die Funktionen des Handlungsbegriffs im Verbrechenssystem bei Dohna kurz festzustellen; und drittens geht es insbesondere um die Frage, ob die beiden von Dohna dargebotenen, an sich etwas widersprüchlichen Begriffsbestimmungen doch zusammenstimmen können. a) „Handlung ist objektivierter W i l l e " 5 2 ; sie „ist wesentlich Willensverwirklichung" 53 . Der Wille kann sich entweder eine Körperbewegung oder die Körperruhe zum Gegenstand wählen, so daß im letzteren Falle die Verwirklichung des Willens nicht notwendig in der Außenwelt stattgefunden haben muß. Im psychologischen Sinne können dann alle vorsätzlichen Unterlassungsdelikte als Handlungen bezeichnet werden 54 . In der anderen Definition wird neben dem menschlichen Willen und dessen Verwirklichung der Erfolg als drittes Moment betont. Die Handlung ist „eine auf menschlichen Willen zurückführbare Veränderung der Außenwelt" 55 . „ U m sich zur Handlung zusammenzuschließen, müssen Willensentschluß, Körperbewegung und Erfolg miteinander im Kausalzusammenhang stehen" 56 . Die Unterlassung bedeutet das direkte Gegenteil zur Handlung 57 . Dabei kommt es nicht darauf an, ob eine vorsätzliche Unterlassung in Gestalt der Körperruhe im psychologischen Sinne als Handlung aufgefaßt werden kann. Entscheidend ist zweierlei. Einmal „pflegen wir unter Handlung ein reales Geschehen zu begreifen" 5 8 ; ferner ist die Handlung (wie der Vorsatz) im Gegensatz zur Unterlassung (wie der Fahrlässigkeit) „zunächst einmal ethisch indifferent" 59 . Der Begriff der Unterlassung „sagt nur aus, daß eine gewisse vorgestellte Handlung unterblieben ist"; „was an dessen Stelle wirklich geschehen ist, liegt logisch außerhalb des Begriffs" 60 .
52 ZStW S. 310. 53 ZStW 54 ZStW 55 ZStW 56 ZStW 57 ZStW 58 ZStW 59 ZStW 60 ZStW
27 (1907), S. 329, 332; Die Elemente des Schuldbegriffs, in: GS 65 (1905), 27 27 27 27 27 27 27 27
(1907), (1907), (1907), (1907), (1907), (1907), (1907), (1907),
S. S. S. S. S. S. S. S.
343. 333, 343. 333. 343, 344. 332. 333. 335. 332.
E. Dogmengeschichtliche Untersuchung der teleologischen Verbrechenslehre 147
In Anknüpfung an die erste Definition werden fahrlässige Delikte aus dem Bereich der Handlung ausgeschieden. „Fahrlässige Delikte sind als solche niemals Handlungen" 61 . „Da Handlung Willensverwirklichung ist, so ergibt sich ohne weiteres der Begriff der fahrlässigen Handlung als eine contradictio in adjecto" 62 . Hierzu ist auch die spätere Bemerkung anläßlich der Unterscheidung zwischen Versuch und Mangel am Tatbestand zu berücksichtigen: „Handlung aber ist Willensbetätigung", wobei der Handlungswille auf den Erfolg gerichtet ist; „einen Erfolg wollen heißt: für seinen Eintritt bewußt kausal werden" 63 . In ihrer strafrechtlichen Bedeutung erweist sich die Fahrlässigkeit als Unterlassung und zwar als Mangel der erforderlichen Umsicht und Aufmerksamkeit im sozialen Zusammenleben 64 . b) Mit dieser Handlungslehre reiht sich Dohna in die Reihe neuerer Auffassungen seit Liszt, Radbruch, Beling und anderen ein, deren gemeinsames Merkmal negativ darin besteht, daß ihr Handlungsbegriff im Vergleich zu der früheren, insbesondere hegelianisch geprägten Epoche weit inhaltsärmer ist 65 . Wir beschränken uns darauf, den Grad der Eigenständigkeit der Dohnaschen Handlungslehre herauszuarbeiten. Zunächst hebt sich sein auf die Beschreibung empirisch-psychischer Verhältnisse gerichteter Handlungsbegriff deutlich von der Denkform der Rechtshandlung bei Stammler ab. Dieser rechnet die Rechtshandlung zu den Kategorien des Rechts, welche an die vier Merkmale des reinen Rechtsbegriffes anknüpfen. Das Kriterium des verbindenen Wollens ist darauf gerichtet, ein Verhalten der danach verbundenen Rechtssubjekte herbeizuführen. So meint die Vorstellung der Rechtshandlung „das von einem rechtlichen Wollen bezweckte Verhalten der nach jenem verbundenen Menschen" 66 . Was im Sinne einer geschichtlichen Rechtsordnung nun empirisch den Inhalt des „ver61 ZStW 27 (1907), S. 333. 62 ZStW 27 (1907), S. 348, 331. 63 Der Mangel am Tatbestand, 1910, S. 12, 13 (Sonderabdruck aus der Festgabe für Karl Güterbock, 1910, S. 37 - 69). 64 Dohna spricht in ZStW 27 (1907), S. 348 von der Notwendigkeit, das fahrlässige Erfolgsdelikt als unechtes Unterlassungsdelikt zu konstruieren, wobei der fahrlässig herbeigeführte Erfolg die Bedeutung einer objektiven Bedingung der Strafbarkeit habe. Anders aber Dohna in ZStW 32 (1911), S. 334, wonach der soziale Unwert des Handlungserfolges nur scheinbar eine solche Bedingung bilde. 65 Vgl. dazu den dogmengeschichtlichen Überblick bei Radbruch, Der Handlungsbegriff, 1904, S. 76 -131; v. Bubnoff, Die Entwicklung des strafrechtlichen Handlungsbegriffes von Feuerbach bis Liszt unter besonderer Berücksichtigung der Hegelschule, 1966; Otter, Funktionen des Handlungsbegriffs im Verbrechensaufbau?, 1973; Jescheck, Der strafrechtliche Handlungsbegriff in dogmengeschichtlicher Entwicklung, 1961, S. 139, 142 - 146. 66 Theorie der Rechtswissenschaft, 2. Aufl. 1923, III. Nr. 16, S. 149; zustimmend Binding, Normen II. 1. Hälfte, S. 89 FN 9; vgl. dazu Bindings juristischen Handlungsbegriff: „Handlung ist verwirklichter rechtlich relevanter Wille", welcher Zurechnungsfähigkeit voraussetzt, ebenda, S. 92, 117. 1
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bundenen Wollens" ausmacht, liegt außerhalb der Denkform der Rechtshandlung. Stammler vertritt damit einen juristischen Handlungsbegriff, der ganz der vornaturalistisch-kausalen Epoche angehört, zumal er die Zurechnungsfähigkeit als Handlungsfähigkeit auffaßt 67 . Mit den kausalen bzw. naturalistischen Begriffsbestimmungen bei Liszt, Beling, Radbruch und M. E. Mayer ergeben sich Gemeinsamkeiten und auch Unterschiede. Liszt definiert die Handlung als willkürliche Verursachung oder Nichthinderung einer Veränderung in der Außenwelt 68 . Die Vornahme oder Unterlassung einer Körperbewegung wird auf den Willen bloß in seiner (quasi-)verursachenden Eigenschaft zurückgeführt. Die sinngebenden Vorstellungen des Handelnden werden erst anläßlich der Scheidung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit auf der subjektiv-psychologischen Ebene der Schuld beachtet. Liszt nimmt damit den Ausgang von einer kausal-naturwissenschaftlichen Abstraktion aller Verbrechensfälle. Folglich kritisiert er an der Dohnaschen Verbrechensdefinition, daß diese „anzugeben unterläßt, auf was sich dieses doppelte Werturteil bezieht" 69 . Belings naturalistischer Handlungsbegriff stellt auf ein vom Willen getragenes menschliches Verhalten ab, „einerlei, worin es besteht, einerlei, wohin der es meisternde Wille zielte" 70 . Die Handlung (i. w. S.) umfaßt die gewollte Körperbewegung (Handlung i.e.S.) wie die gewollte Regungslosigkeit (Unterlassung) 71 . Radbruch betont die strikte Trennung zwischen Kausal- und Schuldzusammenhang im Verbrechensaufbau. Der Handlungsbegriff erfordert lediglich Kausalität des Willens für die Tat, wobei unter Tat eine Körperbewegung in kausaler Verbindung mit dem Erfolg verstanden wird 7 2 . Da der Unterlassung schon der Kausalzusammenhang zwischen Wille und Tat fehlt, haben Handlung und Unterlassung wie a und non-a keinen Oberbegriff 73 . M. E. Mayer gliedert die Handlungslehre in die Tatbestandslehre ein und definiert in seinem Lehrbuch die Handlung als eine motivierte Willensbetätigung mitsamt ihrem Erfolg 74 . Da für die Handlung eine Willensverwirklichung wesentlich ist, umfaßt die Handlung sowohl die auf einen motivierten Willens67
Stammler, Theorie der Rechtswissenschaft, 2. Aufl. 1923, I I I . Nr. 16. 68 Strafrecht, 12./13. Aufl., 1903, S. 124, 134, 135. 69 Strafrecht, 21./22. Aufl., 1919, S. 114 FN 1, zitiert nach Frommel, Präventionsmodelle, 1987, S. 122, FN 22. 70 Lehre vom Verbrechen, 1906, S. 17. 71 Lehre vom Verbrechen, 1906, S. 9. 72 Der Handlungsbegriff, 1904, S. 75,129 - 132. 73 Der Handlungsbegriff, 1904, S. 132, 140 - 142. 74 Lehrbuch, 1915, S. 89, 102.
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akt zurückführbare Untätigkeit (Unterlassung) wie die gewollte Tätigkeit 75 , wobei der Willensinhalt in die Schuldlehre verwiesen wird. Mayer stimmt Dohna insoweit zu, als nicht jedes verbrecherische Verhalten Handlung ist; jedoch lehnt er die Bestimmung des Delikts als zurechenbare Normwidrigkeit ab, sieht das Verbrechen für die typischen Fälle durch eine Handlung verwirklicht und definiert folglich das Verbrechen als ein „tatbestandsmäßiges, rechtswidriges, zurechenbares Geschehnis" 76 . Im Vergleich dazu ergibt sich bei Dohna das folgende Bild: Handlung und Unterlassung haben keinen gemeinsamen Oberbegriff (ebenso Radbruch). Die Handlung hat nicht die Funktion, die anderen Verbrechensmerkmale als Attribute an sich zu tragen 77 . Die Reflexbewegungen scheidet Dohna erst bei der Handlungsfreiheit als eine der Voraussetzungen der Zurechenbarkeit aus78. Dem Handlungsbegriff wird somit weder eine Grund- noch eine Grenzfunktion zugewiesen. Es erscheint aber fraglich, ob die Dohnasche Handlungslehre als ganze wegen der Ausscheidung der Unterlassung und der Fahrlässigkeit noch zu den strikt kausalen Auffassungen gerechnet werden kann 79 . Ein kausaler Handlungsbegriff unter Einbeziehung des Erfolges würde schließlich auch die fahrlässigen Begehungsdelikte mitumfassen. Die beiden von Dohna gegebenen Definitionen können nur dann einen miteinander vereinbaren Sinn bekommen, wenn seiner Handlungslehre nur eine eingeschränkte Trennung zwischen Willensinhalt und Willensursächlichkeit zugrunde liegt. Dieser Schluß drängt sich aber tatsächlich auf. Jedenfalls bei der unbewußten Fahrlässigkeit spiegelt sich der (tatbestandliche) Erfolg nicht im Willen wieder. Wenn fahrlässige Delikte als solche keine Handlungen sind und wenn Handlung als Willensverwirklichung verstanden 75 Lehrbuch, 1915, S. 108, 109; das Schaubild auf S. 110 FN 23 hat Dohna später in seinem Aufbau der Verbrechenslehre (1. Aufl. 1936, S. 6) übernommen. Den Ausdruck, Handlung sei wesentlich Willensverwirklichung, scheint Mayer von Dohna übernommen zu haben. 7 * Lehrbuch, 1915, S. 130,131 FN 1,13,14 FN 29; angesichts der Delikte ohne Willensbetätigung und/oder Erfolg meint Frank, den Begriff der Handlung durch den des Verhaltens ersetzen zu können. 77 Anders Liszt, Rechtsgut und Handlungsbegriff im Bindingschen Handbuche (1886), in: Strafrechtliche Vorträge und Aufsätze, 1905, Bd. 1, S. 238, 239; Mayer und Beling verwenden genaugenommen für die Verbrechenskonstruktion die Tatbestandsmäßigkeit als Oberbegriff, dazu Otter, Funktionen des Handlungsbegriffs, 1973, S. 63. 78 ZStW 27 (1907), 346; anders Liszt, Lehrbuch 12./13. Aufl. 1903, S. 124; Beling, Lehre vom Verbrechen, 1906, S. 17: Die Bedeutung des Handlungsbegriffes liege negativ „in der Ausschaltung aller Vorkommnisse, die nicht Handlung sind, als für das Strafrecht von vornherein nicht in Betracht kommend". 79 So aber Otter, Funktionen des Handlungsbegriffs, 1973, S. 67, der freilich FN 224 selbst bemerkt, daß die Meinung, Handlung sei Willensverwirklichung, vom kausalen Begriff abgeht.
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wird, muß das bedeuten, daß zur Handlung eine Kongruenz zwischen Willensentschluß und Willensbetätigung gerade im Hinblick auf den (tatbestandlichen) Erfolg notwendig ist. Damit ist ein Teil des Willensinhalts in den Handlungsbegriff einbezogen. Der Handlungswille als natürlicher Vorsatz in Bezug auf den Außenweltserfolg erscheint somit im Sinne der späteren Terminologie als subjektives Tatbestands- oder Unrechtsbegründungsmerkmal. Das fahrlässige und vorsätzliche Begehungsdelikt müßte sich folglich schon auf der Stufe der Normwidrigkeit, des Unrechts unterscheiden. Dennoch stellt Dohna erst auf der Schuldebene den rechtswidrigen Vorsatz, der auch die Kenntnis der Tatumstände und das Bewußtsein der Pflichtwidrigkeit beinhaltet, der Fahrlässigkeit gegenüber 80. Andererseits finden sich Bemerkungen, aus denen hervorgeht, daß Dohna die in seinen Ausführungen gelegenen Konsequenzen (noch) nicht ziehen wollte. Der „Duplizität des Vorsatzbegriffes", also je nachdem ob sich die Vorstellung des Handelnden auf den natürlichen oder den kriminell relevanten Erfolg bezogen hat, wird im Rahmen des Lisztschen Lehrbuches eine verhängnisvolle Rolle nachgesagt81. Ferner heißt es wenige Sätze vor dem rein kausal klingenden Handlungsbegriff, daß auf der tatsächlichen Seite der Normwidrigkeit lediglich das Setzen einer Körperbewegung im Gegensatze zum Unterbleiben einer solchen interessiert 82. Dies würde zumindest die Einbeziehung der fahrlässigen Begehungsdelikte in den Handlungsbegriff ermöglichen. Aber Dohna hat wiederholt den Handlungscharakter der Fahrlässigkeit verneint. Mit dem auf den tatbestandlichen Erfolg gerichteten Willen hat er ein „intentionales", „finales" Element der Handlung implizite anerkannt 83 . Dohnas eingeschränkt kausaler Handlungsbegriff hat somit wegen der Einbeziehung des natürlichen Handlungsvorsatzes nicht strikt zwischen Willensursächlichkeit und Willensinhalt getrennt. Seine Handlungslehre macht auf zwei nicht geklärte Fragen aufmerksam. Die erste müßte sich damit beschäftigen, ob und anhand welcher Kriterien sich Vorsatz-, Fahrlässigkeits- und Unterlassungsdelikte schon im Unrechtsbereich unterscheiden. Zweitens wird die grundsätzliche Trennung zwischen Unrecht und Schuld nach dem Schema objektiv und subjektiv problematisch, welche sich der Konzeption nach auf der tatsächlichen Seite der Normwidrigkeit und Zurechnung wiederfindet.
80 ZStW 27 (1907), S. 333, 347; erst in der revidierten Lehre wird der von dem Unrechtsbewußtsein abgetrennte Vorsatz in den subjektiven Tatbestand vorverlagert. 81 ZStW 27 (1907), S. 331; Der Mangel am Tatbestand, 1910, S. 10 FN 1. S2 ZStW 27 (1907), S. 343. 83 Allerdings ist ein solches „finales" Verständnis nicht ontologisch im Sinne Welzels gemeint.
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3. Ansätze zu einer spezifischen Tatbestandslehre anläßlich der Unterscheidung zwischen Versuch und Mangel am Tatbestand In seiner Habilitationsschrift verwendet Dohna den Begriff des Tatbestandes meist im weiten Sinne der allgemeinen Rechtslehre, also als Inbegriff aller Deliktsmerkmale, welche die Rechtsfolge Strafe auslösen. Es findet sich zwar ein engerer Tatbestandsbegriff, wenn es heißt: ein Verhalten ist rechtswidrig, welches „die spezifischen Tatumstände eines gesetzlich bestimmten Delikts" (oder gleichbedeutend, welches „den besonderen Tatbestand eines Delikts erfüllt") und außerdem unrichtig ist 84 . Aber erst in der Abhandlung über den Mangel am Tatbestand wird dieser engere Begriff hinsichtlich seiner Merkmale und seines Charakters inzidenter näher erläutert. Hier ist zunächst dieser engere Tatbestandsbegriff kurz zu untersuchen, um sodann auf die Lehre vom Mangel am Tatbestand einzugehen. a) Der gesetzliche Tatbestand Dieser umfaßt die Handlung und die begleitenden Tatumstände, worunter namentlich besondere Eigenschaften des Subjekts (Beamter etc.), des Objekts (fremde Sache etc.), besondere Werkzeuge sowie räumliche und zeitliche Verhältnisse der Tat verstanden werden 85 . Dieser Tatbestand enthält eine (grundsätzlich) wertfreie Beschreibung der objektiven, der Außenwelt angehörenden Umstände und kennzeichnet, was Dohna zwar nicht ausdrücklich sagt, was aber naheliegt, die tatsächliche Seite der Normwidrigkeit. Da Dohna sich in diesem Aufsatz primär mit der Unterscheidung und Abgrenzung zwischen Versuch und Mangel am Tatbestand beschäftigt, vermeidet er eine Vertiefung der Tatbestandslehre, insbesondere eine Erörterung der Belingschen Lehre. Beling versteht unter dem Tatbestand „den Inbegriff der Merkmale, die ergeben, um welches Verbrechen es sich typisch handelt" 86 . Die Tatbestandsmäßigkeit oder Typizität bildet eine Eigenschaft der Handlung; damit beschreibt der Gesetzgeber wertfrei in objektiver Weise die einzelnen Verbrechenstypen 87. 84 Siehe schon die Überschrift „Die Rechtswidrigkeit als allgemeingültiges Merkmal im Tatbestande strafbarer Handlungen", 1905, Zitat auf S. 54; Ein weiter Begriff findet sich auch im „Kriminaldolus", 1900, N L Dohna I, Nr. 20, S. 6, 73: Der objektive Tatbestand als Summe derjenigen Merkmale, welche die jedesmalige Veränderung der Außenwelt zu dem betreffenden Delikt stempelt, impliziere den Begriff der Rechtswidrigkeit; auch S. 13: Schuld und Rechtswidrigkeit als korrelate Begriffe. Ebenfalls den weiten Tatbestandsbegriff gebraucht Liszt, 12./13. Aufl. 1903, S. 118. 85 Der Mangel am Tatbestand, 1910 (Sonderabdruck aus der Festgabe für Karl Güterbock, 1910, S. 36 - 69), S. 5,12, 13, 18,19. 86 Lehre vom Verbrechen, 1906, S. 3. 87 Lehre vom Verbrechen, 1906, S. 24, S. 147: im Tatbestand liege kein Werturteil, S. 206: der tatbestandsmäßige Erfolg wie der Tatbestand im ganzen sei rein zu halten
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Dohnas Tatbestandslehre steht der Grundkonzeption der Belingschen Auffassung nahe, enthält aber schon mit dem Handlungswillen ein subjektives Tatbestandsmerkmal. Das Verhältnis zwischen Tatbestand und Rechtswidrigkeit sowie weitere sog. subjektive Unrechtselemente werden demnächst erörtert 8 8 . Das Problem der sog. normativen Tatbestandsmerkmale wird von Dohna in dem nachfolgenden speziellen Zusammenhang angeschnitten. b) Die Dohnasche Lehre vom Mangel am Tatbestand Diese Lehre ist auf dem Boden der §§ 43, 59 RStGB entstanden und dürfte in der heutigen Fassung des § 22 StGB keine gesetzliche Grundlage mehr finden 89 . Dennoch interessiert eine Erörterung in zweierlei Hinsicht. Einmal ist die Einschätzung zu korrigieren, daß es sich dabei um eine rein (formell-) objektive Versuchstheorie handelt 90 . Nach Dohna werden nämlich bestimmte Fälle des Mangels am Tatbestand dennoch aufgrund subjektiver Begründung der Strafwürdigkeit als Versuch bestraft. Deshalb ist zum anderen die grundsätzlich zutreffende Ansicht zu relativieren, die in dieser Lehre ein Musterbeispiel einer streng rechtsstaatlichen Auslegung des Strafgesetzes erblickt 91 . Der Versuch bildet einen Spezialfall des Irrtums. Die Nichtübereinstimmung zwischen dem Geschehenen und dem Gewollten kann die drei möglichen Beziehungsobjekte der Täterpsyche betreffen, nämlich 1. die eigentliche Wirkung der Handlung (den Erfolg), 2. die begleitenden Tatumstände und 3. die Beziehung der Handlung zu den Rechtsnormen. In jedem Falle kann das von jeder Wertung im Sinne der Rechtswidrigkeit; allgemein zur Dogmengeschichte: Schweikert, Heinrich, Die Wandlungen der Tatbestandslehre seit Beling, Diss. Karlsruhe 1957. 88 Siehe sogleich zur Rechtswidrigkeitslehre, dort auch die ablehnende Äußerung Dohnas zu der Theorie von den negativen Tatumständen. Siehe ferner bei der re vidierten Verbrechenslehre auch zum Problem des Standorts der Rechtfertigungsvoraussetzungen und mit weiteren Literaturangaben zu der erst nach Beling einsetzenden Diskussion um den Tatbestandsbegriff. 89 § 43 RStGB: „Wer den Entschluß, ein Verbrechen oder Vergehen zu verüben, durch Handlungen, welche einen Anfang der Ausführung dieses Verbrechens oder Vergehens enthalten, betätigt hat, ist, wenn das beabsichtigte Verbrechen oder Vergehen nicht zur Vollendung gekommen ist, wegen Versuches zu bestrafen. . . . " § 59 RStGB: „Wenn jemand bei Begehung einer strafbaren Handlung das Vorhandensein von Tatumständen nicht kannte, welche zum gesetzlichen Tatbestande gehören oder die Strafbarkeit erhöhen, so sind ihm diese Umstände nicht zuzurechnen. Bei der Bestrafung fahrlässig begangener Handlungen gilt diese Bestimmung nur insoweit, als die Unkenntnis selbst nicht durch Fahrlässigkeit verschuldet ist." Zum damaligen Meinungsstand Frank, Kommentar, 17. Aufl. 1926, § 43, Anm. I. 90 Jescheck, Lehrbuch Strafrecht, 4. Aufl. 1988, § 49 I I 1.; S/S - Eser, 23. Aufl. 1988, Vorbem. § 22 R N 19; Hirsch, Hans-Joachim, Die Entwicklung der Strafrechtsdogmatik nach Welzel, in: Festschrift... zur 600-Jahr-Feier der Universität Köln, 1988, S. 423 FN 99. 91 S/S - Eser, 23. Aufl. 1988, § 22 R N 26: „ . . . rechtsstaatlich an sich begrüßenswerte Tatbestandsstrenge . . . " .
E. Dogmengeschichtliche Untersuchung der teleologischen Verbrechenslehre 153 Geschehene i n krimineller Hinsicht über das Gewollte hinausragen oder dahinter zurückbleiben 9 2 . Dohnas These besagt, daß die Vorschrift des §43 R S t G B , welche die Strafbarkeit über den Bereich der an sich erforderlichen V o l l e n d u n g des D e l i k t s ausdehnt, nur die Fälle des Versuchs erfaßt. E r lehnt es entschieden ab, die Strafbarkeit des Mangels am Tatbestand aus §59 I R S t G B abzuleiten, wie es i n der Rechtsprechung des Reichsgerichts m i t H i l f e eines Umkehrschlusses geschah 9 3 . D a m i t ergibt sich die N o t w e n d i g k e i t , beide Fallgruppen deutlich voneinander abzugrenzen. D e r Versuch betrifft nur die Fälle, w o es am Schlußstück der H a n d l u n g , an dem Erfolg, als etwas v o n dem Täter willentlich u n d kausal zu Bewirkendes f e h l t 9 4 . Mangel am Tatbestand ist gegeben, wenn es an einem der begleitenden Tatumstände fehlt. U m diese Umstände kann der Täter nur wissen; sie k ö n n e n nicht zu der T ä t e r h a n d l u n g i n kausaler Beziehung stehen 9 5 . Es ist ein K e n n 92 ZStW 27 (1907), S. 347; Der Mangel am Tatbestand, 1910, S. 4, 5. Der Mangel am Tatbestand, 1910, S. 8, 10, 12 - 15; Die Rechtsprechung des Reichsgerichts und der Kommentar zum Strafgesetzbuch, MschrKrimPsych 13 (1922), S. 228 - 231, auf S. 226 zählt Dohna das Verhältnis zwischen Versuch und Mangel am Tatbestand zu den elementarsten Problemen unserer Strafrechtsdogmatik; ebenso in: Reform des Strafrechts, 1926, S. 98, 99; Der Aufbau der Verbrechenslehre, 1936, S. 48 - 50; Dohna wendet sich u.a. gegen RGSt Bd. 42, S. 94 (auch RGSt Bd. 47, Nr. 59), dort heißt es: „Wie der tatsächliche Irrtum nach § 59 die Schuld ausschließt, so findet er auch umgekehrt zu Ungunsten des Täters Beachtung, wenn er zur Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorhandenen Tatbestandserfordernisses führt"; Dohna JW 1932, S. 3086 Urteilsbesprechung: . . . „Die Strafe auf § 59 stützen zu wollen, ist auf alle Fälle eine Ungeheuerlichkeit, die schärfste Zurückweisung verdient."; für die Lehre vom Mangel am Tatbestand auch Frank, Kommentar, 17. Aufl. 1926, § 43 Anm. I, S. 83, 84 mwN. 94 Der Mangel am Tatbestand, 1910, S. 10, 15, 18. 95 Der Mangel am Tatbestand, 1910, S. 12, 13, 15. Diese Unterscheidung findet sich bereits in ähnlicher Weise bei P. J. A . Feuerbach, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen Peinlichen Rechts, 14. Aufl. 1847 hrsg. von Karl Joseph Anton Mittermaier; § 42 objektive Auffassung des Versuchs; Anm. 3: „Wer . . . von dem Versuch der Tötung eines Leichnams und dergl. spricht, verwechselt das Moralische mit dem Rechtlichen, die Gründe der Sicherungspolizei mit dem Recht zur Strafe". Note V I der Herausg.: „Der Versuch beginnt erst da strafbar zu werden, wo die äußere Handlung bereits einen Anfang der Ausführung enthält". Im § 97 wird der Mangel am Tatbestand als allgemeiner Strafmilderungsgrund eingeordnet: Ein solcher Mangel liegt vor, wenn „die zum Wesen des Verbrechens gehörende Rechtsverletzung zum Teil vollzogen, jedoch eine oder andere Eigenschaft, welche noch zum vollständigen Begriff des Verbrechens gehört, entweder erweislich nicht vorhanden oder rechtlich ungewiß ist". Kritisch Mittermaier Note I: Feuerbach meine zum Teil auch Konkurrenzprobleme, vielmehr müsse man nur „prüfen, ob das fehlende oder ungewisse . . . Merkmal überhaupt zum Tatbestande des Verbrechens gehört, so daß ohne dasselbe gar nicht der Grund der Strafbarkeit existiert . . . " . § 98a „Der Mangel am Tatbestand kommt als Milderungsgrund nicht zur Anwendung, wenn I. das hinwegfallende oder zweifelhafte Merkmal die Strafbarkeit der Tat überhaupt bedingt...". In der Fußnote 1 wird als Beispiel dafür genannt die Tötung eines totgeborenen Kindes. 93
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zeichen dieser Fälle, „daß der Handlungserfolg gerade eintritt und nur der besonderen juristischen Qualifikation ermangelt" 96 . Ein Beispiel für den Mangel am Tatbestand bildet die Verführung eines 16-jährigen Mädchens, welches der Täter für 15-jährig gehalten h a t 9 7 . Der (natürliche) Handlungserfolg in Gestalt der Verführung ist eingetreten, aber es fehlt an einem im Sinne des Straftatbestandes geeigneten Tatobjekt, also an einem begleitenden Tatumstand. Ein anderes Beispiel ist die Wegnahme des eigenen Mantels in der Gastwirtschaft, welchen der Täter irrtümlich für einen fremden gehalten hat. Oder zwei Versicherungsnehmer geben das Todesdatum des versicherten Pferdes falsch an in der irrtümlichen Annahme, nur auf diese Weise die Auszahlung der Prämie erzielen zu können, während in Wirklichkeit die Versicherungsgesellschaft dazu bereits aufgrund des wahren Sachverhalts verpflichtet war. In diesem Zusammenhang geht Dohna kurz auf die sog. normativen Tatbestandsmerkmale ein 98 . In dem Betrugsfall fehlt es neben der Rechtswidrigkeit des zu erzielenden Vermögensvorteils an dem Schaden, wobei dieser Begriff eine „weniger unter juristischen als unter ökonomischen Gesichtspunkten erfolgende Wertung einer Vermögensverschiebung enthält, welche in den ihr zugrunde liegenden tatsächlichen Veräußerungen nun in der Tat Wirkung menschlicher Betätigung ist" 9 9 . Dohna betont, daß der Versuchsbereich nur das Fehlen des kausal-naturwissenschaftlich herbeizuführenden Handlungserfolges betrifft 100 . Dagegen hat die rechtliche Würdigung tatsächlicher Verhältnisse als Schaden, Urkunde, Falschgeld etc. mit der Kausalität unseres Tuns nichts zu tun. Die Kausalität wird dabei im Sinne der Äquivalenztheorie verstanden, welche als apriorische Synthese des menschlichen Bewußtseins zwei Erscheinungen (der naturwissenschaftlichen Welt) als notwendig aufeinanderfolgend verknüpft 101 . Die Wertung selber als Schaden darf somit nicht als fehlendes Schlußstück der Handlung betrachtet werden, sondern sie liegt außerhalbdessen, was durch einen Anfang der Ausführungshandlung kausal bewirkt werden kann. Somit ist ein Fall des straflosen Mangels am Tatbestand gegeben. 96
In: Reform des Strafrechts, 1926, S. 99. In: Reform des Strafrechts, 1926, S. 98. 98 Der Mangel am Tatbestand, 1910, S. 16 - 18; dies anerkennt auch M . E. Mayer, der selber diese Lehre wesentlich vorangetrieben hat, Lehrbuch, 1915, S. 183 FN 3; allgemein dazu: Kunert, Karl Heinz, Die normativen Merkmale der strafrechtlichen Tatbestände, 1958. 99 Der Mangel am Tatbestand, 1910, S. 17. 100 Der Mangel am Tatbestand, 1910, S. 16, S. 18: Die Frage lautet, ob die Qualifikation . . . des gefälschten Schriftstücks als Urkunde mit der Tätigkeit des Fälschers im Kausalzusammenhang steht. Da die Frage zu verneinen ist, liegt kein Versuch vor. 101 Zur Lehre von der Kausalität im Rechtssinne, Zugleich eine Besprechung von: Litten, Die Ersatzpflicht des Tierhalters, in: Juristisches Literaturblatt 17 (1905), S. 80 - 82; Beitrag zur Lehre von der adäquaten Verursachung, in: MschrKrimPsych 2 (1905), S. 425 - 432. 97
E. Dogmengeschichtliche Untersuchung der teleologischen Verbrechenslehre 155
Die Einordnung als formell-objektive Versuchstheorie ist zutreffend, soweit außer dieser grundsätzlichen Unterscheidung noch die Behandlung des sog. irrealen Versuchs betrachtet wird. Dohna nimmt solche Fälle, wie das Aufstoßen mit dem Fuße in der Meinung, dadurch seinen Antipoden und den dort stehenden Menschen in die Luft zu sprengen, aus dem Bereich des strafbaren Versuchs heraus. „Der Versuch ist (nur) dann straflos, wenn der Täter einen Erfolg seines Tuns nur um deswillen erwarten konnte, weil sein nomologisches Urteil in allgemein erkennbarer Weise falsch war" 1 0 2 . In den Fällen des irrealen Versuchs fehlt es also an einer objektiven Gefährdung des durch den Tatbestand geschützten Handlungsobjekts, weil das Urteil des Täters über menschenmögliche Erfolgsbewirkungen überhaupt eindeutig abwegig war. Die Grundlage für die Feststellung der objektiven Harmlosigkeit eines solchen irrealen Versuchs bildet dabei die Vorstellung, welche „sich der Täter im Augenblick der Tat von der ihn umgebenden Weltlage gemacht hat 1 0 3 . Aber Dohna verläßt die rein objektive Versuchstheorie im Hinblick auf eine bestimmte Fallgruppe des Mangels am Objekt, die entgegen der allgemeinen Regel nicht als Mangel am Tatbestand, sondern als Versuch behandelt wird. Es geht um die Fälle des Angriffs gegen ein an bestimmter Stelle vermutetes taugliches Objekt, während es sich aus welchen Gründen auch immer dort nicht befindet 104 . A n dieser Stelle drohen die Grenzen zwischen Versuch und Mangel am Tatbestand „ineinander zu fließen", da an sich jeder Mangel am Objekt einen straflosen Mangel am Tatbestand darstellen müßte, und da andererseits bei jedem Mangel am Objekt das tatbestandliche Schlußstück des Handlungserfolges (wie Tötung, Beleidigung) gar nicht eintreten kann 1 0 5 . Die Grenzlinie verläuft zwischen „dem Tötungsversuch, den jemand unternimmt gegen eine Leiche, die er vor sich sieht und für einen lebenden Menschen hält, und dem anderen, den jemand unternimmt gegen eine Person, die er an bestimmter Stelle vermutet, während sie (beispielsweise) in Wirklichkeit gar nicht mehr lebt" 1 0 6 . Solche Fälle des Mangels am Objekt, bei denen es sich „um einen sozusagen blinden Angriff gegen ein unsichtbares, an bestimmter Stelle bloß vermutetes Objekt" handelt, gelten als Versuch. Der Nichteintritt des Erfolges erklärt sich nämlich in genügender Weise daraus, „daß das Objekt an der Stelle, gegen die sich der Angriff richtete, nicht vorhanden war" 1 0 7 . Aber diese Erklärung ist nur eine Beschreibung, welche Fallgruppe 102
Der Mangel am Tatbestand, 1910, S. 27. Der Mangel am Tatbestand, 1910, S. 26. 104 Der Mangel am Tatbestand, 1910, S. 28, 34. 105 Der Mangel am Tatbestand, 1910, S. 28. 106 Der Mangel am Tatbestand, 1910, S. 30. 107 Der Mangel am Tatbestand, 1910, S. 32. Etwas unklar in: Reform des Strafrechts, 1926, S. 99,100: Im Fall einer nur eingebildeten Schwangerschaft soll wohl de lege lata ein strafloser Mangel am Tatbestand vorliegen. Die Strafwürdigkeit wird indessen bejaht; im übrigen sollen die Fälle des Mangels am Tatbestand weiterhin straflos blei103
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
des Mangels am Objekt als Versuch bestraft werden soll. Vielmehr wird als ausschlaggebender Grund genannt : Es „entscheidet die Richtung des verbrecherischen Willens, die größere oder geringere Bestimmtheit des Angriffs. . . . Versuch liegt deshalb insbesondere in allen denjenigen Fällen vor, wo der Verbrecher ein bestimmtes Ziel gar nicht im Auge hat, (also) mit einem dolus indeterminatus sive generalis handelt. Steckt jemand ein Gebäude in Brand, in welchem er Menschen vermutet, greift jemand in eine Tasche, in welcher er Habseligkeiten vermutet, so hat offenbar die Frage nach der Existenz des Objekts gar keinen Sinn" 1 0 8 .
Dann ist aber nicht mehr eine objektive Gefährdung des Rechtsguts, sondern der betätigte rechtsfeindliche Wille der Strafgrund des Versuchs. Damit ist der Boden einer rein objektiven Versuchstheorie verlassen. Gewiß ist diese Lehre vom Mangel am Tatbestand in methodischer Hinsicht bemüht, mit der Gar antiefunktion des Strafgesetzes und dem strafbarkeitsbegründenden Analogieverbot zuungunsten des Angeklagten ernst zu machen. Nur dem Gesetzgeber, nicht auch dem mit unzulässigen Umkehrschlüssen arbeitenden Reichsgericht steht es zu, alle als strafwürdig erkannten Sachverhalte einer Bestrafung zuzuführen. Wenn die Subsumtion der Strafbarkeitsausdehnungsvorschrift des §43 RStGB (und des §59 RStGB) ergibt, daß beispielsweise der erwähnte Tötungs-„versuch" an einer Leiche nach der Gesetzeslage unter Berücksichtigung der nach dem Gesetzlichkeitsprinzip noch zulässigen Auslegungsmethoden nicht strafbar ist, ist das Gericht daran gebunden, mag es die Regelung für noch so unvernünftig halten. Andererseits beruht die Hereinnahme bestimmter Fälle des Mangels am Objekt in den strafbaren Versuchsbereich letztlich doch auf einer richterlichen Wertentscheidung über die Strafwürdigkeit des Verhaltens. Der von Dohna gegen die Ansicht insbesondere des Reichsgerichts erhobene Vorwurf der Gesetzesuntreue würde sich dann auch gegen ihn selbst wenden. Dennoch dürfte diese Lehre beispielhaft für den wohl allgemeinen Umstand gelten, daß selbst eine streng am Strafgesetz orientierte Dogmatik richterliche Wertungsspielräume, die in Grenzbereichen auch Erwägungen über die Strafwürdigkeit anstellen werden, nicht ganz vermeiden kann. Nur sollte es darauf ankommen, daß solche Erwägungen innerhalb des Bereichs bleiben, der nach der vom Gesetzlichkeitsprinzip gebotenen Wortlautauslegung des Strafgesetzes umgrenzt wird.
ben. Aber es sei dem Gesetzgeber nicht verwehrt, künftig alle diese Fälle wegen der bösen Gesinnung trotz fehlender Gefährdung eines Rechtsguts für strafbar zu erklären. 108 Der Mangel am Tatbestand, 1910, S. 34.
E. Dogmengeschichtliche Untersuchung der teleologischen Verbrechenslehre 157
4. Die formale Maxime vom angemessenen Mittel zum rechten Zweck als Fundament der Lehre von der Rechtswidrigkeit wie der Rechtfertigung: Eine ethisierende Auslegungslehre zu einer soziologischen Unrechtsauffassung Im Jahre 1905 hat Dohna seine strafrechtsphilosophische Habilitationsschrift über „Die Rechtswidrigkeit als allgemeingültiges Merkmal im Tatbestande strafbarer Handlungen" veröffentlicht. Die Analyse in strafrechtsphilosophisch-methodischer als auch in materiellrechtlich-dogmatischer Hinsicht setzt dreierlei voraus: eine terminologische Klarstellung der maßgeblichen Begriffe, einen Abriß der großen Entwicklungslinien der Rechtswidrigkeitslehre in der deutschen Strafrechtswissenschaft vom Ende des 19. Jahrhunderts bis ca. 1945 und drittens eine Zusammenstellung, wie die sog. Dohnasche Zwecktheorie in der Literatur und Rechtsprechung aufgenommen worden ist. a) Zum Sprachgebrauch Unsere Untersuchung kann nicht der Frage umfassend nachgehen, welche verschiedenen sachlichen Vorstellungen mit den abstrakten Begriffen Unrecht und Rechtswidrigkeit sowie deren Attributen personal bzw. formell, materiell, subjektiv und objektiv im Laufe der Dogmengeschichte und speziell bei der Erörterung der Dohnaschen Lehre verknüpft worden sind. Die Klärung des Sprachgebrauchs bezweckt nur, in den Stellungnahmen zu seiner Lehre bloßen Wortstreit von sachlichen Differenzen auseinanderzuhalten und so seine dogmengeschichtliche Bedeutung für die Bewältigung der Sachfragen herauszuarbeiten. Die Wörter Unrecht und Rechtswidrigkeit können vielfach synonym gebraucht werden, obwohl ein Unterschied besteht. „Rechtswidrigkeit" bedeutet ein Prädikat; es wird damit in nicht abstufbarer Weise ausgedrückt, daß ein Geschehen mit rechtlichen Sollensanforderungen nicht übereinstimmt. „Unrecht" bedeutet substantiell etwas Wertwidriges, also die qualitativ abstufbare rechtswidrige Verhaltensweise selbst. Diese Unterscheidung ist vor allem von Welzel betont worden und darf heute zum Gemeingut zählen 109 .
109 Welzel, Das neue Bild des Strafrechtssystems, 4. Aufl. 1961, S. 18, 19; ders., Lehrbuch, 11. Aufl. 1969, S. 51, 52; Arthur Kaufmann JZ 1956, S. 394; Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale im Strafrecht, 1958, S. 211; Engisch, Der Unrechtstatbestand im Strafrecht, DJT-Festschrift, Bd. I, 1960, S. 402, 403; Hirsch, Hans-Joachim, L K 10. Aufl. 1985, Vor. § 32 RN 11; S/S - Lenkner Vorbem §§ 13ff. R N 51, 52 mwN; diese Unterscheidung findet sich bereits bei Sauer, Grundlagen des Strafrechts, 1921, S. 231 FN 1: das Unrecht umfasse auch den Gegenstand, während das Rechtswidrigkeitsurteil nur den Maßstab der Wertung angebe (allerdings verwendet er sonst beide Ausdrücke synonym).
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
„Personales" Unrecht weist darauf hin, daß die Willensrichtung des Täters neben den in der Außenwelt sich abspielenden Veränderungen für das Unrecht jedenfalls mitkonstituierend ist 1 1 0 . Die nachfolgenden Gegensatzpaare stammen aus einem weiter zurückreichenden Zeitraum. Die Unterscheidung von subjektiver und objektiver Rechtswidrigkeit stand vielfach im Zusammenhang mit normentheoretischen Überlegungen 111 . Ausgehend von einem imperativen Verständnis der Rechtsnormen wurde unter der subjektiven Rechtswidrigkeit verstanden, daß nur schuldhaftes Verhalten zurechnungsfähiger Personen rechtswidrig ist. Die objektive Rechtswidrigkeit bedeutet, daß der Widerspruch eines menschlichen Verhaltens zum Recht anhand der Rechtsnormen im Sinne allgemeiner und adressatenunabhängiger Bewertungsnormen unabhängig von dem logisch nachrangigen Verschulden des Täters festgestellt wird. Mit der Unterscheidung zwischen formeller und materieller Rechtswidrigkeit ist häufig ein wechselnder Sinn verbunden worden 112 . Dies läßt sich gerade auch innerhalb der Gesamtentwicklung der Lehre Dohnas und in deren Rezeptionsgeschichte nachweisen 113 . Die eine Sichtweise stellt die Gesetzes- oder Rechtsverletzung der Rechtsgüter- oder Interessenverletzung gegenüber. Die formelle Rechtswidrigkeit erläutert als Nominaldefinition den Namen - eine Verhaltensweise widerspricht der Rechtsordnung - , während die materielle Rechtswidrigkeit als Realdefinition die Sache erklärt. Letztere fragt nach den inhaltlichen Gründen, die für die Rechtswidrigkeitserklärung wie die Rechtfertigung leitend sind. Wird die materielle Rechtswidrigkeit als unerträgliche Sozialschädlichkeit aufgefaßt, so wird dies bei der Auslegung und Lückenergänzung bedeutsam 114 . Die Besinnung auf den real-wertwidrigen Gegenstand der Rechtswidrigkeit (als Relationsbegriff) kann sogar dazu führen, die materielle Rechtswidrigkeit mit dem Unrecht gleichzusetzen. Anläßlich der Diskussion um übergesetzliche Rechtfertigungsgründe wurde 110 Für unsere Untersuchung interessiert nur diese subjektiv-personale, den Vorsatz einbeziehende Sicht. Weiterführend etwa Lampe, Ernst Joachim, Das personale Unrecht, 1967, S. 19, 51 - 111; Gallas, Zur Struktur des strafrechtlichen Unrechtsbegriffs, in: Festschrift für Bockelmann, 1979, S. 155 - 179. 111 Dazu Nagler, Der heutige Stand der Lehre von der Rechtswidrigkeit, in: Festschrift für Binding, 1911, Bd. 2, S. 283 - 343; Mezger, Die subjektiven Unrechtselemente, in: GS 89 (1924), S. 208 - 250; Arthur Kaufmann, Das Unrechtsbewußtsein, 1949, S. 62 - 65. 112 Allgemein zum Begriffspaar formell - materiell: Engisch, Form und Stoff in der Jurisprudenz, in: Beiträge zur Rechtstheorie, 1984, S. 251 - 285. 113 Siehe bereits 3. Teil, Ε . , II. (Kriminaldolus von 1900). 114 Liszt, Lehrbuch, 12./13. Aufl. 1903, S. 118, 119, 140, 141; M. E. Mayer, Lehrbuch, 1915, S. 180; ausführlich Heinitz, Das Problem der materiellen Rechtswidrigkeit, 1926; Arthur Kaufmann, Das Unrechtsbewußtsein, 1949, S. 62 - 65, 118 - 131; Jescheck, Lehrbuch, 4. Aufl. 1988, § 24 I. Maurach/Zipf, Lehrbuch, 6. Aufl. 1983, S. 324, auch S. 159 - 164; Zipf, Kriminologischer und strafrechtlicher Verbrechensbegriff, M D R 1969, S. 889 - 892, dort auch zu den geschichtlichen Vorgängern Liszts.
E. Dogmengeschichtliche Untersuchung der teleologischen Verbrechenslehre 159
das Begriffspaar in einem anderen Sinne (miß-)verstanden. Es ging um die Frage, ob die Rechtfertigung nur unter Berufung auf das (formelle) positive Recht oder auch nach außerrechtlichen (materiellen) Maßstäben eintreten sollte, ob also eine formell „an sich" gesetzwidrige Verhaltensweise nach übergeordneten metajuristischen Gesichtspunkten letztlich doch für rechtmäßig erklärt werden kann 1 1 5 . Teilweise wird heute wegen dieser historischen Blickverengung das Begriffspaar ganz für überflüssig erachtet 116 . Wie in der Lehre Dohnas eine hermeneutische und eine materiellrechtlichdogmatische Seite auseinanderzuhalten ist, so zielen die Begriffe personales Unrecht, subjektive und objektive Rechtswidrigkeit doch mehr auf den Gegenstand des Rechtswidrigkeitsurteils, während die materielle Rechtswidrigkeit vorwiegend als Auslegungslehre auftritt. Es dürfte sich empfehlen, das recht vieldeutige Begriffgpaar formell-materiell durch die technische und legitimatorische Erörterung der Rechtswidrigkeit zu ersetzen. Die technische Rechtswidrigkeitslehre geht vom geschriebenen positiven Recht aus. Wenn danach die Rechtwidrigkeit oder Rechtfertigung eines straftatbestandsmäßigen Verhaltens nicht evidentermaßen entschieden werden kann, ist die legitimatorische Erwägung in den Rahmen der herkömmlichen Auslegungsmethoden zu integrieren. Schreibt das Verfassungsrecht den Schuldgrundsatz und ein vertyptes Einzeltatstrafrecht vor, so ist bereits die gesetzestechnische Ausgestaltung der Straftatbestände und der allgemeinen Verbrechenslehre von rechtsordnungsinternen Gerechtigkeits- und Strafwürdigkeitserwägungen motiviert. Damit hängt einmal zusammen, daß die Strafrechtsschuld aufgrund verfassungsrechtlicher Vorgaben auf das kriminelle Unrecht bezogen sein muß 1 1 7 . Zum anderen bedeutet dies, daß der Strafrichter und die Strafrechtswissenschaft (erst) bei hermeneutischen Zweifelsfragen der Rechtswidrigkeit auf die Strafwürdigkeit oder die unerträgliche Sozialschädlichkeit verwiesen werden. Unsere Untersuchung der „monistischen" Rechtfertigungstheorie Dohnas soll den Nachweis erbringen, daß sie einen frühen, immer noch bedenkenswerten Versuch zu einer solchen legitimatorischen Erwägung bei Problemen der (Straf-)Rechtswidrigkeit enthält.
115 Nagler, Der heutige Stand der Lehre von der Rechtswidrigkeit, in: Festschrift für Binding, 1911, Bd. 2, S. 343 - 358; Meyer/Allfeld, Lehrbuch, 7. Aufl. 1912, S. 176 179; Köhler, Lehrbuch, 1917, S. 98, 99. 116 So etwa Hans-Joachim Hirsch, L K 10. Aufl. 1985, Vorb. § 32, R N 13; auch RN 34: Für den einen Begriff der Rechtswidrigkeit gelten die allgemeinen Regeln der juristischen Hermeneutik. Soll die Rechtsetzungskompetenz des Gesetzgebers nicht unterlaufen werden, sind „Lücken im Katalog der gesetzlichen Rechtfertigungsgründe . . . aus Zusammenhang und Zweck der geltenden Rechtssätze, vor allem im Wege der Gesetzes- und Rechtsanalogie, zu schließen". (Aber was sind denn die sachlichen Kriterien bei der Anwendung dieser Auslegungsmittel? Dies sind doch wohl u.a. Überlegungen im Sinne der materiellen Rechtswidrigkeit.) 117 Dies wird hinsichtlich der Schuldlehre Dohnas erörtert, siehe 3. Teil, E., 5., c).
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
b) Hinweise zur Dogmengeschichte der Lehre von der Rechtswidrigkeit Wir beschränken uns darauf, drei Phasen mit typischen Hauptfragestellungen zu unterscheiden, wobei diese wie alle Schematisierung mit dem Makel der Vergröberung behaftet ist 1 1 8 . Es geht keineswegs darum, erneut die Gesamtentwicklung dieser Disziplin nachzuzeichnen oder den Diskussionsstand zu spezielleren Fragen vollständig aufzuarbeiten. Es soll nur das historische Bezugsfeld für die Entstehungs- und Rezeptionszeit der Dohnaschen Lehre gezeigt werden. Der Umstand, daß seine Lehre zunächst mehr Ablehnung und nachher eine gewisse Anerkennung gefunden hat, hängt auch mit einer Verlagerung der Problemschwerpunkte im Sinne Dohnas zusammen. Die Lehre Dohnas behandelt verschiedene Aspekte des Generalthemas „Rechtswidrigkeit", weswegen dieser abrißartige dogmengeschichtliche Überblick bewußt nicht bestimmte Einzelfragen herausgreift, sondern einen recht weiten Horizont der Problemstellungen zu vermitteln versucht. Ferner soll unsere Untersuchung auf den Umstand hinweisen, daß manche heute diskutierte Grundsatzfrage eine inhaltliche Verbindung zur Lehre Dohnas enthält 119 . Einmal handelt es sich um die Möglichkeit und die Aussagekraft eines grundlegenden Rechtfertigungsprinzips, welches die einzelnen Rechtfertigungsgründe unter Hinzutritt sachgebietsabhängiger Erwägungen unter sich umfaßt. Ferner betrifft dies den Streit, ob und in welchen Fällen die Kenntnis der Rechtfertigungslage, der Wille zum Rechthandeln und eine pflichtgemäße Prüfung der widerstreitenden Interessen in einer Konfliktsituation als subjektive Rechtfertigungselemente zu verlangen sind. Im bejahenden Falle stellt sich das Problem, nach welchen Grundsätzen bei dem Fehlen solcher Elemente Bestrafung erfolgen kann. Auch die Frage, ob allgemein oder spezieller im Hinblick auf die Rechtfertigung von Amtsrechten oder verwaltungsrechtlichen Erlaubnissen von einem einheitlichen Begriff der Rechtswidrigkeit für die gesamte Rechtsordnung gesprochen werden kann, weist Berührungspunkte mit der Lehre Dohnas auf.
lis w i r stützen diesen Abriß auf die folgenden Arbeiten: Nagler, Der heutige Stand der Lehre von der Rechtswidrigkeit, Binding-FS, 1911, Bd. 2, S. 273 - 386, besonders S. 283 - 358; H. A . Fischer, Die Rechtswidrigkeit, 1911, S. 92 - 186; Binding, Normen, Bd. I, 4. Aufl. 1922, S. 237 - 252; Mezger, Die subjektiven Unrechtselemente, GS Bd. 89 (1924), S. 207 - 314; Wegner, Kriminelles Unrecht, Staatsunrecht und Völkerrecht, 1925, S. 40 - 52; Heinitz, Das Problem der materiellen Rechtswidrigkeit, 1926, S. 4 - 19, 54 - 107; Sieverts, Beiträge zur Lehre von den subjektiven Unrechtselementen im Strafrecht, 1934, S. 4 - 9 0 ; Hermann Lampe, Über den personalen Unrechtsbegriff im Strafrecht, Diss. 1954, S. 8 - 161; Krauß, Erfolgsunwert und Handlungsunwert im Unrecht, ZStW 76 (1964), S. 19 - 68; Ernst Joachim Lampe, Das personale Unrecht, 1967, S. 13 - 50. 119 Literaturhinweise finden sich dazu im Text.
E. Dogmengeschichtliche Untersuchung der teleologischen Verbrechenslehre 161
Die erste Phase, welche ungefähr bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts datierte, war geprägt von Auseinandersetzungen um das Norm Verständnis und ragte damit in die allgemeine Rechtslehre hinein. Man suchte das Wesen der Rechtswidrigkeit aus dem Wesen des Rechts zu erklären. Die Diskussionen kreisten um einen einheitlichen Begriff für bürgerliches und kriminelles Unrecht, für und gegen das Verständnis der Rechtsnormen im Sinne der Imperativentheorie, um den Normadressaten, um die Stellung der Zurechnungsfähigkeit und der Schuld zum Unrecht sowie um die Möglichkeit, ob Unzurechnungsfähige und Naturgewalten rechtswidrig handeln bzw. rechtswidrige Zustände herbeiführen können. Gerade die Vertreter einer subjektiven Rechtswidrigkeit sind zu beachten, wenn das Normverständnis Dohnas zu klären und der oft gegen ihn erhobene Vorwurf der Konfundierung zwischen Rechtswidrigkeit und Schuld zu beurteilen ist. Adolf Merkel verstand unter Recht einen Inbegriff von Ge- und Verboten, welche sich an den Willen zurechnungsfähiger Personen richten 120 . Die reale Beeinträchtigung der Rechtsobjekte ist nicht gleichbedeutend mit der Verletzung der rechtlichen Bestimmungsnormen als einer geistigen Macht. Nur Zurechnungsfähige seien imstande, sich gegen diese geistige Macht aufzulehnen. Damit wurde die Zurechenbarkeit zum Kern des Unrechts; folglich konnte nur schuldhaftes Unrecht überhaupt als Unrecht anerkannt werden. Demgegenüber wies Rudolph v. Jhering im Zivilrecht am Beispiel des gutgläubigen Besitzers einer fremden Sache die Möglichkeit objektiv schuldlosen Unrechts nach 121 . Jedoch verlangte er die Rückführbarkeit der fraglichen Verhaltensweise auf den menschlichen Willen. Binding trennt das bürgerliche von dem öffentlichen Unrecht; eine Unterart des letzteren ist das Delikt, wovon das Verbrechen als strafbares Delikt eine weitere Unterart bildet 1 2 2 . Von den Strafgesetzen, die heute die Rechtssätze über die staatlichen Strafpflichten enthalten, sind die Normen, welche das öffentliche Herrscherrecht auf Gehorsam oder Botmäßigkeit begründen, zu unterscheiden. Dieses subjektive Recht auf Botmäßigkeit ist das Angriffsobjekt des Delikts; dessen Verletzung ist die einzige allen Delikten wesentliche Rechtsverletzung 123. Das Delikt ist notwendig schuldhafte Normwidrigkeit 124 . Die Normwidrigkeit setzt die Zurechnungs- oder Handlungsfähigkeit voraus, da die Norm sich nur an solche Menschen richten kann, die ebenso fähig sind, 120 Zur Lehre von den Grundeinteilungen des Unrechts und seinen Rechtsfolgen, in: Kriminalistische Abhandlungen, Bd. I, 1867, S. 42 - 56; über ihn: Dornseifer, Rechtstheorie und Strafrechtsdogmatik bei Adolf Merkel, 1979. 121 Das Schuldmoment im römischen Privatrecht, in: Festschrift für Birnbaum, 1867, S. 5,6. 122 Die Normen, Bd. I, S. 301. 123 Die Normen, Bd. I, S. 98. 124 Die Normen, Bd. I, S. 196; vgl. die ursprüngliche Verbrechensdefinition Dohnas (3. Teil, E., I I I . , 1.).
11 Escher
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
ihre Anforderungen zu erfüllen als zu verletzen. Die Schuld, verstanden als der auf eine Widerrechtlichkeit gerichtete Wille eines Handlungsfähigen, läßt sich in die beiden Unterbegriffe Vorsatz und Fahrlässigkeit zerlegen 125 . Wegen der allgemeinen Gründe aufgehobener Rechtswidrigkeit wie Notwehr und Notstand erscheinen alle Normen als Normen mit Ausnahmen. „Die Ausnahme von der Norm wird entweder durch Gesetz oder durch Verordnung oder durch ungesetztes Recht oder durch amtlichen Dispens oder durch bindenden Befehl statuiert" 126 . Gegen eine solche auf eine gewährte Befugnis abstellende Betrachtungsweise wendet sich die Dohnasche Rechtfertigungslehre. Kohlrausch und Hold v. Ferneck stehen in der Tradition von Adolf Merkel und anerkennen als Unrecht nur das schuldhafte Tun eines Zurechnungsfähigen 127 . Die zweite Phase hatte ihren Höhepunkt zwischen dem Anfang des 20. Jahrhunderts und den 30er Jahren. Die Auseinandersetzungen um das Wesen und den Adressaten der Rechtsnormen wurden zurückgedrängt. Die vorherrschende strikte Trennung zwischen Rechtswidrigkeit und Schuld korrespondierte damit, auf der einen Seite die Rechtsnormen als objektive, adressatenlose Bewertungsnormen aufzufassen, während auf der nachgeschalteten Schuldseite die Normen als Bestimmungsnormen verstanden wurden 128 . Zur Begründung übergesetzlicher Rechtfertigungsgründe diente die Gegenüberstellung der formellen und der materiellen Rechtswidrigkeit, wobei die letztere Betrachtung den staatlichen Interessenschutz, die Sozialschädlichkeit oder die Kulturnorm Widrigkeit heranzog 129 . Damit hing der Versuch zusammen, die Rechtfertigung auf einheitliche, meist gemischt erkenntnistheoretisch-soziologische Prinzipien zurückzuführen, sei es das Mehr-Nutzen-als Schaden-Prinzip, das jedem Rechtssystem immanente Streben nach dem kompossiblen Maximum der Interessenbefriedigung oder auch die Güterabwägungstheorie des Reichsgerichts 130. Gestützt auf eine teleologische Fragestel125 Normen, Bd. I , S. 99; Normen, Bd. I I , 1. Hälfte, S. 293, 294, 200. 126 Normen, Bd. I, S. 130. 127 Kohlrausch, Irrtum und Schuldbegriff, 1903, S. 47 - 59, besonders S. 53, 54, 56, 57; dazu Besprechung von Dohna: D L Z 1903, Sp. 2155 - 2157; Hold von Ferneck, Die Rechtswidrigkeit, 1903, Bd. 1, S. 98 - 116, 276 - 281, 355 - 370; dazu Besprechung von Dohna: ZStW 24 (1904), S. 53 - 68. ι 2 8 Grundlegend: Windelband, Normen und Naturgesetze (1882), in: Präludien, 7./ 8. Aufl. 1921, Bd. I I , S. 80, 85; Nagler, Der heutige Stand der Lehre von der Rechtswidrigkeit, in: Festschrift für Binding, 1911, Bd. 2, S. 331 - 343; Mezger, Die subjektiven Unrechtselemente, GS 89 (1924), S. 239 - 248, besonders S. 245, 246; Eberhard Schmidt in: Liszt/Schmidt, Lehrbuch, 26. Aufl. 1932, Bd. 1, S. 176, 222, 223. 129 Vgl. dazu nur die eingehende Studie von Heinitz, Das Problem der materiellen Rechtswidrigkeit, 1926. 1 30 Sauer, Grundlagen des Strafrechts, 1921, S. 276, 286, 320, 391; Mezger, GS 89, S. 290; ders. bereits vorbereitend in: Sein und Sollen im Recht, 1920, S. 99; RGSt Bd. 61, S. 254.
E. Dogmengeschichtliche Untersuchung der teleologischen Verbrechenslehre 163
lung, warum die Rechtsordnung ein Verhalten als rechtsguts- oder interessenverletztend bewertet, und ausgehend von einer Einzelexegese der gesetzlichen Tatbestände haben namentlich H. A . Fischer, Hegler, M. E. Mayer, Mezger und Erik Wolf erkannt, daß subjektive, also täterpsychische Faktoren die Rechtswidrigkeit wie die Rechtfertigung einer Verhaltensweise mitbegründen können 131 . In der Reichweite der Anerkennung solcher Faktoren differierten sie zum Teil erheblich; manche sahen darin nur eng umgrenzte Ausnahmen, während andere darin eine prinzipielle, die Grundfesten der klassischen Verbrechenskonzeption erschütternde Erscheinung erblickten 132 . Die Lehre vom Vorsatz oder Dolus malus blieb noch in der Schuldlehre verhaftet. Diese Auflistung drängt zur Prüfung, inwiefern Dohna schon früher als andere auf eigenem Wege maßgebliche Impulse für die teleologische, materielle Rechtswidrigkeitsbetrachtung und die subjektiven Unrechts- und Rechtfertigungselemente gegeben hat. Die Arbeiten dieser Phase machen verständlich, warum Dohna später eine positivere Einschätzung als früher erfahren hat. Als Vertreter der dritten Phase (ab den 30er Jahren) interessiert in unserem Zusammenhang nur die personale Unrechtslehre Hans Welzels 133 . Zwei Gründe führen Welzel dazu, den Handlungsunwert neben dem Erfolgsunwert als für das Unrecht konstituierend zu betrachten. Es ist einmal die Finalität der Handlung verstanden als Ausübung menschlicher Zwecktätigkeit, welche dem Recht als ontologische Sachstruktur vorgegeben ist. Hinzu kommt die Besinnung auf die Funktionsweise und das Ordnungsziel des Rechts. Rechtsnormen sind wesentlich Verhaltensnormen, die auf den zwecktätigen oder zwecktätig vermeidbaren Handlungswillen der Rechtsgenossen einwirken wollen, um einen werthaften Zustand herbeizuführen 134 . Zum Unrecht gehört 131 H. A . Fischer, Die Rechtswidrigkeit, 1911, S.138: Verteidigungswille bei der Notwehr, unsittlicher Zweck beim Schikaneverbot, auf S. 139 heißt es (unter Berufung auf Dohna), daß beim operativen Eingriff des Arztes und bei der Geschäftsführung ohne Auftrag die objektive Rechtswidrigkeit durch die subjektive Pflichtwidrigkeit bedingt ist (auch S. 288 - 290); Hegler, Die Merkmale des Verbrechens, ZStW 36 (1915), S. 31 - 34 (überschießende Innentendenz beim Diebstahl und beim Betrug); M. E. Mayer, Lehrbuch, 1915, S. 186,187; Mezger, Die subjektiven Unrechtselemente, GS 89 (1924), S. 257; die Frank-Belingsche Aufteilung, daß die Rechtswidrigkeit auf objektivem und die Schuld auf subjektivem Gebiet liege, sei so nicht haltbar, S. 259 314; zu den Fallgruppen der subjektiven Unrechtsbegründung und des subjektiven Unrechtsausschlusses, S. 259; Unrecht ist grundsätzlich objektive Interessen Verletzung, aber das Prinzip der maximalen Interessenbefriedigung selbst verlangt eine Mitberücksichtigung des subjektiven Faktors; ders. Vom Sinn der strafrechtlichen Tatbestände, in: Festschrift für Ludwig Träger, 1926, S. 197 - 215; Erik Wolf, Die Typen der Tatbestandsmäßigkeit, in: Festschrift für Max Pappenheim, 1931, S. 427 (graphische Übersicht). 132 Erik Wolf, aaO, S. 439 mit Bezug auf diese Phänomene: „Ein Systemumbau des Allgemeinen Teils kündigt sich darin an." 133 v o n d e r Ganzheitsbetrachtung der Kieler Schule, welche Rechtswidrigkeit und Schuld wieder identifiziert, sehen wir hier ab; vgl. etwa Schaffstein, Rechtswidrigkeit und Schuld im Aufbau des neuen Strafrechtssystems, in: ZStW 57 (1937), S. 295 - 336.
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
maßgeblich der Handlungsunwert, der in der vorsätzlichen oder fahrlässigsorgfaltswidrigen Pflichtverletzung des Täter besteht; somit ist Unrecht täterbezogenes personales Unrecht 135 . Der Vergleich mit Welzel soll nur auf die Prüfung beschränkt werden, ob wirklich in der frühen Dohnaschen Rechtswidrigkeitslehre „die personale Unrechtslehre in ihrer heute durch Welzel geprägten Form . . . zum Greifen nahe ist" 1 3 6 oder ob seine Lehre für die Wendung zur personalen Unrechtsauffassung nur geringe Bedeutung besitzt 137 . c) Darstellung der Lehre Dohnas Dohna will die Fragen beantworten, wann eines Menschen Verhalten rechtswidrig ist, und was sich darüber allgemeingültig aussagen läßt 138 . Im ersten Teil soll zunächst der Nachweis der Unzulänglichkeit der bisherigen Lösungsversuche erbracht werden. Anschließend wird die formale Maxime als richtige Methode für die Problemlösung entwickelt und für die Strafrechtslehre nutzbar gemacht. Der zweite Teil gilt der Anwendung der Methode, wobei verschiedene positivrechtlich problematische Fälle ausgeschlossener Rechtswidrigkeit - das Züchtigungsrecht des Lehrers, das Operationsrecht des Arztes, die unbefugte Geheimnisverletzung, die Not des Verletzers, die pflichtgemäßen Rechtsverletzungen und die Einwilligung des Verletzten - einheitlich auf die formale Maxime richtigen Handelns zurückgeführt werden. Dohna geht davon aus, daß die Antwort auf die Ausgangsfragen entgegen den bisherigen Lösungsversuchen weder aus dem technisch formulierten Gesetz noch aus dem Ganzen der Rechtsordnung erschöpfend gegeben werden kann 1 3 9 . Die einzelnen Tatbestände des Strafgesetzes enthalten nicht die gewünschte Auskunft, was sich schon an der teilweisen, völlig willkürlichen Aufnahme der Rechtswidrigkeit als Tatbestandsmerkmal zeigt. Schon deshalb ist die Ansicht unzutreffend, welche die Rechtswidrigkeit als bloße Folge der Strafbarkeitserklärung ansieht 140 . Vielmehr „sehen wir den rechtswidrigen Charakter einer Handlungsweise als den Grund, nicht als die Folge der Straf-
134 Studien zum System des Strafrechts, 1939, in: Abhandlungen, 1975, S. 129; bei der Erörterung der revidierten Lehre Dohnas werden wir ausführlicher auf Welzel zu sprechen kommen. 135 Ebenda S. 143, 146, 147; ders. Das neue Bild des Strafrechtssystems, 4. Aufl. 1961, S. 30; ebenso Lehrbuch, 11. Aufl. 1969, S. 62. 136 Ernst Joachim Lampe, Das personale Unrecht, 1967, S. 26. 137 Hermann Lampe, Über den personalen Unrechtsbegriff, 1954, S. 22, 24. 138 Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 15. 139 Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 13 - 15, durchgängig als roter Faden. 140 Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 32, 20 - 25; gegen Kitzinger, Zur Lehre von der Rechtswidrigkeit im Strafrecht, in: GS 55 (1898), S. 63; im Sinne der Gegenmeinung auch Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl. 1960, S. 117.
E. Dogmengeschichtliche Untersuchung der teleologischen Verbrechenslehre 165 drohung a n " 1 4 1 . D i e Bedeutung der Rechtswidrigkeit i m Sinne eines sozialethischen Unwerturteils über die T a t ist dem staatlichen V e r b o t bzw. Gebot vorgegeben. U m g e k e h r t ist bei der Rechtfertigung ein sozialethisches B i l l i gungsurteil bereits vorhanden. Daß die Suche nach einer gesetzlich statuierten Befugnis zur V o r n a h m e einer H a n d l u n g , welche scheinbar die äußeren M e r k male eines gesetzlichen Deliktstatbestandes an sich trägt, allein noch nicht die Lösung des Problems enthält, zeigt sich an den Beispielen des Züchtigungsrechts des Lehrers und des ärztlichen Operationsrechts 1 4 2 . D o r t ist die gesetzliche Regelung lückenhaft und, selbst wenn sie es nicht wäre, müßten sich die dort gewährten Befugnisse über ihre innere Berechtigung ausweisen. Dieses unbefriedigende Ergebnis betrifft auch die Lehre Bindings, nach der die N o r m e n letztlich aus den Strafgesetzen durch U m w a n d e l u n g eines hypothetischen i n einen imperativen Satz gewonnen werden. D e r maßgebliche Mangel seiner Lehre besteht darin, daß B i n d i n g keine „strikte M e t h o d e " geliefert hat, u m die N o r m e n als Regeln m i t Ausnahmen sicher zu formulier e n 1 4 3 . D i e offenen Fragen ausgeschlossener Rechtswidrigkeit verlagern sich von den Strafgesetzen und der übrigen Rechtsordnung auf die N o r m e n , welche zwar eine selbständige öffentlich-rechtliche Existenz haben mögen, die aber eben anhand dieser Rechtssätze erkannt werden. 141 Dieser Gedanke kehrt häufig wieder, Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 20, 23 (dort das Zitat), 27, 37 - 39, 58, 59, 110, 134, 151. Allerdings muß Dohna im Laufe der Untersuchung zugeben, daß nicht notwendigerweise jede im positivgesetzlichen Sinne rechtswidrige Verhaltensweise zugleich gemessen an vorgegebenen sozialethischen Maßstäben besonders strafwürdig sein muß. Dohna steht damit in einer langen Tradition, welche die Strafwürdigkeit als Grund der Strafbarkeit fordert; vgl. nur die Nachweise bei Welzel, Der Irrtum über die Rechtswidrigkeit des Handelns (1949), in: Abhandlungen 1975, S. 250, 251; Arthur Kaufmann, Das Unrechtsbewußtsein, 1949, S. 99, 100, 117; ders. Das Schuldprinzip, 2. Aufl. 1976, S. 130, 131. 142 Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 33 - 36, 86, 95. 143 Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 29. Bereits in seiner Dissertation über die Buße (1902, S. 48) bezeichnet er es als den Fundamentalfehler Bindings, einseitig das formale Moment der Normwidrigkeit zu betonen; vielmehr müsse die materielle Seite des Unrechts, die Rechtsgüterverletzung, gebührend berücksichtigt werden. Ebenso in ZStW 24 (1904), S. 66, 67 (Besprechung von Hold v. Ferneck, Die Rechtswidrigkeit, 1903). Der Vorwurf Dohnas bezieht sich der Sache nach auch auf die Ausführungen Bindings im Handbuch des Strafrechts, 1885, Bd. 1, S. 792: nachdem die einzelnen Gründe der Nichtentstehung von Straf recht und Strafklagerecht wie Notwehr, Notstand und erlaubte Eigenmacht abgehandelt worden sind, heißt es einleitend im § 154 über Berufsrechte und Berufspflichten: „wo es nun an gesetzlicher Regelung dieser Rechts- und Pflichtenkreise fehlt, bilden m.E. folgende Sätze die Beurteilungsnorm: 1. die notwendigen Mittel zu rechtlich gebotenen (bzw. 2. erlaubten) Zwecken sind rechtlich gebotene (bzw. 2. erlaubte) Mittel; . . . ; 3. die Energie des Mittels darf nicht soweit gehen, den Zweck zu vereiteln". A n dieser Stelle sei erwähnt, daß Dohna bei aller (erstrebten) methodischen Verschiedenheit den Bindingschen Gedanken der Scheidung von Normen und Strafgesetzen sowie von Normwidrigkeits- und Strafbarkeitsmerkmalen übernommen hat; vgl. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts und der Kommentar zum Strafgesetzbuch, MschrKrimPsych 13 (1922), S. 230; Der Aufbau der Verbrechenslehre, 1936, S. 1.
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
Gegen die Theorie von den negativen Tatbestandsmerkmalen, die in ihrer neueren Gestalt das Fehlen eines Rechtfertigungsgrundes als negativen Tatumstand ansieht, spricht einmal der bereits erwähnte fehlerhafte Blick auf das Bestehen einer Befugnis; sodann bildet die Rechtswidrigkeit wegen der damit bejahten Strafwürdigkeit ein positives Verbrechensmerkmal 144 . Die Rückführung der Rechtswidrigkeit auf Kulturnormwidrigkeit weist zutreffend über das technische Gesetz hinaus. Jedoch hat M. E. Mayer keine einheitliche Methode geliefert, diese im Volke lebenden Anschauungen über das Wertwidrige genau zu formulieren 145 . Die Gegenüberstellung der formellen und materiellen Rechtswidrigkeit führt allein noch nicht zum Ziel. Das Vorliegen einer (materiellen) Rechtsgüterverletzung ergibt nicht notwendig die (formelle) Gesetzesverletzung, was beispielsweise schon durch die massiven Eingriffe in Gestalt des Strafvollzuges verdeutlicht wird 1 4 6 . Vielmehr kann nur eine formal-methodische Untersuchung, die in kritischer Selbstbesinnung die apriorische Gesetzmäßigkeit auf sozialem Gebiet offenlegt, allgemeingültige Erkenntnisse über das Wesen der Rechtswidrigkeit gewinnen. Ein solcher apriorischer Maßstab ist erkenntnistheoretisch für die Beurteilung menschlicher Handlungen anhand gegebener Rechtsnormen ebenso grundlegend wie für die Wertung dieser Normen selber, ob die Handlungen bzw. Normen sich als richtig, sachlich berechtigt oder unrichtig ausweisen147. Das gesuchte Grundgesetz menschlichen Wollens und Handelns wird ermittelt, indem sich „die teleologische Fragestellung neben der kausalen die so lange versagte Anerkennung zurückerobert" 148 . Danach sind „die Gebote und Verbote der Rechtsordnung . . . auch nach ihren Zwecken einer kritischen Würdigung zu unterziehen". Eine gesicherte Grundlage zu richtiger Auslegung und Anwendung der geltenden rechtlichen Vorschriften wird vor allem dadurch gewonnen, „indem wir in den Normen die Bedingungen erblicken, unter denen die Regelung des sozialen Lebens sich erfüllen soll. Die Rechtsinstitute . . . erscheinen uns außerdem
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Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 33, 36, 59. 145 Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 72, 73; GS 63 (1903), S. 355 - 358, Besprechung von M. E. Mayer, Rechtsnormen und Kulturnormen, 1903. 146 Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 15 FN 1, 18, 132, 133. Im Kriminaldolus verstand Dohna noch unter der formellen Rechtswidrigkeit die Verletzung der objektiven Staatsnorm und unter der materiellen Rechtswidrigkeit die Verletzung eines subjektiven Rechts bei bestimmten Delikten (NL Dohna I, Nr. 20, 1900, S. 4, 11 -13). In der Dissertation wird von der materiellen Seite des Unrechts oder der Rechtsgüterverletzung als dem ethischen Moment der Rechtsverletzung gesprochen (Die Stellung der Buße, 1902, S. 48, 49). Diese Ausführungen dürften Liszt's bekannt gewordene Unterscheidung in der 12./13. Aufl. 1903, S. 140, 141 angeregt haben. Erst später hat sich Dohna ausdrücklich der zweiten, engeren Verständnisvariante der materiellen Rechtswidrigkeit angenähert (Der Aufbau der Verbrechenslehre, 1936, S. 22, 23). 1 47 Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 14, 42, 43, 47, 48, 50. 148 Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 47.
E. Dogmengeschichtliche Untersuchung der teleologischen Verbrechenslehre 167 und vorzüglich als Mittel zu Zwecken. Dann aber ergibt sich . . . für eine kritische Würdigung solcher Normen die an sie mit Fug zu richtende Anforderung: daß sie
rechtes Mittel zu rechtem Zwecke seien"149.
Ausgehend von einem historisch bedingten Ziel im sozialen Gemeinschaftsleben kann das zur Zweckerreichung taugliche Mittel unschwer mit dem Kriterium der Angemessenheit bestimmt werden. U m die Berechtigung des in Aussicht genommenen Zwecks zu begründen, muß unter Absehung von bedingten Zielen empirischer Rechtsordnungen das Stammlersche soziale Ideal den Zielpunkt abgeben. Bei diesem Anwendungsfall der formalen Maxime verfolgt ein jeder die objektiv berechtigten, also miteinander harmonierenden Zwecke der anderen Gemeinschaftsmitglieder. Für eine soziale, nicht moralische Betrachtung können „berechtigte Zwecke im Sinne der Rechtsordnung nur solche sein, welche den Interessen des sozialen Ganzen dienen" 150 . Die Grenze der Leistungsfähigkeit der formalen Maxime besteht einmal darin, daß sich aus der Forderung, jeder vorgesetzte Zweck müsse selber objektiv gerechtfertigt sein, „nie und nimmer ein konkreter unter allen Umständen anzustrebender Zweck ableiten" läßt 1 5 1 . Ferner können nur in relativer Weise darüber Aussagen getroffen werden, inwieweit irgendwelche menschliche Zwecksetzungen, seien es Rechtsnormen oder Handlungen im Zusammenleben, sachlich richtig sind. Für das Verständnis der Rechtswidrigkeit allgemein und speziell im Strafrecht ergeben sich daraus die folgenden Konsequenzen. Wie es die Aufgabe des Rechts ist, das soziale Zusammenleben der Gemeinschaftsmitglieder zu regeln, und die der Rechtsordnung unterworfenen Menschen zu inhaltlich richtigem Wollen anzuleiten, so ist es der Zweck des Strafrechts, menschliche Lebensinteressen zu schützen 152 . Die Antwort auf die Ausgangsfragen liegt in der Erkenntnis begründet: „ein menschliches Verhalten, welches als rechtes Mittel zu rechtem Zweck erscheint," kann „niemals zugleich einer rechtlichen Norm, wenn anders dieser sachliche Berechtigung zukommen soll, widerstreiten" 153 . Da jede 1 49 Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 48. 150 Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 49, 61. 151 Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 49. 152 Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 14, 16, 49, 113, 119, 150; Beziehungen und Begrenzungen von Strafrecht und Verwaltungsrecht, in: Verwaltungsarchiv 30 (1925), S. 233 - 243. 153 Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 50. Später hat Dohna klargestellt, daß er von einem einheitlichen Begriff der Rechtswidrigkeit für die gesamte Rechtsordnung, insbesondere für das Zivil- und Strafrecht, ausgeht (Verhandlungen des 34. DJT in Köln 1926, S. 491, 492 zum Thema: Schuldfähigkeit, Schuld und Ausschluß der Rechtswidrigkeit). Dieses wird heute grundsätzlich in Frage gestellt und verneint von Hans-Ludwig Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, Studien zur Rechtswidrigkeit als Straftatmerkmal und zur Funktion der Rechtfertigungsgründe im Strafrecht, 1983.
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
Rechtsordnung einen Zwangsversuch zum Richtigen darstellt, oder anders ausgedrückt, da jeder Rechtssetzung allein wegen der generalisierenden Fassung der Normen eine Tendenz zum Richtigen innewohnt, „kann niemals" mit dem Wort ,rechtswidrig 4 ohne Widerspruch mit dieser inneren Natur allen Rechts „ein Verhalten gemeint sein, welches sich im Hinblick auf das Endziel der sozialen Gemeinschaft als rechtes Mittel zu rechtem Zweck darstellt". Der Gesetzgeber darf also niemals ein der formalen Maxime entsprechendes Verhalten bei Strafe verbieten bzw. ein derselben widerstreitendes Verhalten gebieten 154 ; aber er kann es. „Für die Gültigkeit einer positiven Gesetzesvorschrift
entscheidet einzig und allein die
Erfüllung der formellen Erfordernisse ihres Zustandekommens, also das verfassungsmäßige Zusammenwirken der gesetzgebenden Organe, niemals aber die Eigenart ihres materiellen Inhalts" 1 5 5 .
Damit ist das Primat des positiven Rechts ohne Rücksicht auf die sozialethische Berechtigung der damit verfolgten Ziele anerkannt. Gleichwohl versucht Dohna im folgenden, dieses Ergebnis im Wege der Auslegung des positiven Rechts durch die Ausrichtung an der Idee des Rechts zu entschärfen. Zwar ist für den Interpreten auch im Falle sachlich unrichtigen Rechts „der Wille des Gesetzgebers allein entscheidend", jedoch gehen wir bei der Auslegung des Strafgesetzes bis zum Beweis des Gegenteils „mit dem begründeten Vertrauen" davon aus, den Gesetzgeber „als einen richtigen einsehen und nachweisen zu können" 1 5 6 . Wegen der Positivität des Rechts ist es nun nicht zulässig, einfach Unrichtigkeit und Rechtswidrigkeit im Sinne der Kriminalgesetzgebung gleichzusetzen. Unter der Voraussetzung, daß ein gegebenes Recht richtiges Recht ist, ist zwar eine Handlung, welche sich als rechtes Mittel zu rechtem Zweck ausweist, „rechtmäßig im eigentlichen Sinne des Wortes" 1 5 7 . Aber „wir sind gewohnt, nicht alles, was der Idee des Rechtes nicht entsprechend ist, als Unrecht zu bezeichnen, sondern den Umfang des Unrechts als durch das technisch geformte Recht abgegrenzt zu erachten" 158 . Für den gesetzestechnischen Begriff der Rechtswidrigkeit muß zu der Unrichtigkeit ein Gegensatz zur positiven Rechtsordnung hinzukommen ; somit ergibt sich der folgende Satz : „Rechtswidrig im Sinne unseres Reichsstrafrechts ist ein Verhalten, welches die spezifischen Tatumstände eines gesetzlich bestimmten Delikts aufweist und in dieser Lage unrichtig ist ; oder umgekehrt : rechtswidrig ist ein solches unrichtiges Verhalten, welches außerdem den besonderen Tatbestand eines Delikts erfüllt" 1 5 9 . 154
Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 113. Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 50. 156 Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 51, 52. 157 Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 53. 158 Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 54. 159 Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 54, auch S. 51; S. 55: auf das Merkmal „unrichtig" legen wir für unsere Zwecke den Nachdruck. 155
E. Dogmengeschichtliche Untersuchung der teleologischen Verbrechenslehre 169
Nur zur Besinnung auf ein heuristisches Prinzip kann man zwischen unbedingt und bedingt rechtswidrigen Delikten unterscheiden. Jene können nicht in rechtmäßiger Ausübung begangen vorgestellt werden; die Rechtswidrigkeit ist dort mit der Summe der spezifischen Tatumstände von selber gegeben 160 . Das persönliche Moment der kränkenden Form der Äußerung stellt bei der Beleidigung wie die wollüstige Begierde bei der unzüchtigen Handlung das Moment dar, welches diesen Delikten den rechtswidrigen Charakter verleiht 161 . In anderen Fällen muß die Rechtswidrigkeit als besonderes Merkmal zur Summe der Tatumstände noch hinzutreten (z.B. bei der Tötung und der Sachbeschädigung). Bisher wurde die Rechtswidrigkeit aus der Blickrichtung des sozialen Gemeinschaftslebens betrachtet. Aus der Sicht des handelnden Individuums ist eine abschließende Erörterung der Rechtswidrigkeit ohne gleichzeitige Berücksichtigung der Pflichtwidrigkeit, also des ethischen Schuldelements, gar nicht durchführbar; dann ist die objektive Rechtswidrigkeit bedingt durch die subjektive Pflichtwidrigkeit 162 . „Indem wir also von den psychologischen Voraussetzungen des Schuldurteils absehen und nach dieser Richtung hin die Zurechenbarkeit eines beliebigen Delikts als gegeben voraussetzen, fallen für unsere Betrachtung Rechtswidrigkeit und Verschulden ineinander. Diese Tatsache hindert uns nun natürlich nicht daran, zur Gewinnung systematischer Einsicht in die Struktur des Verbrechens eine begriffliche Zerfällung des einheitlichen Tatbestandes nach Seiten seiner objektiven und seiner subjektiven Merkmale vorzunehmen . . . Wir werden jedoch im Auge zu behalten haben, daß . . . nur der Standpunkt wechselt, von dem aus dasselbe Phänomen jeweils in Betracht gezogen wird. Es erscheint nämlich das Verbrechen normwidrig vom Standpunkt der Rechtsordnung aus, deren Gebot bzw. Verbot verletzt worden, pflichtwidrig aber vom Standpunkt des Individuums aus, welches die durch jenen Gesetzesbefehl ihm auferlegte Verpflichtung unbeachtet gelassen. Jede normwidrige Handlung ist mithin notwendig zugleich eine pflichtwidrige" . . . 1 6 3 .
Aus der formalen Maxime folgt somit, daß es für die Rechtswidrigkeit einer Tat nicht nur objektiv auf die Wertung des Zwecks und des Mittels ankommt, sondern auch auf die diesbezügliche Willenshaltung des Täters, also ob der Angeklagte nach pflichtgemäßem Ermessen gehandelt bzw. es „an der erforderlichen Prüfung und Sorgfalt bei Vornahme der inkrimierten Handlung hat fehlen lassen" 164 . Dabei bezieht sich das Wesen der Pflichtwidrigkeit auf die Willensbeschaffenheit des Täters und bedeutet „die bewußte Nichtüberein160 Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 59, 60; als Beispiele werden genannt Unzucht, Kuppelei, Beleidigung (?); aber auf S. 60 wird der § 193 StGB als Unrechtsausschließungsgrund bezeichnet. 161 Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 63. 162 Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 105, auch S. 94; diese Formulierung übernimmt H. A . Fischer, Die Rechtswidrigkeit, 1911, S. 139! 163 Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 70. 164 Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 77, auch S. 72, 76.
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
Stimmung des eigenen Tuns mit der allgemeingültigen M a x i m e richtigen Ver-
haltens"165. I n vielen Fällen der ausgeschlossenen Rechtswidrigkeit handeln Personen mit einer besonderen Vertrauensstellung häufig i n Eilsituationen; an ihnen läßt sich das Erfordernis der sorgfältigen Prüfung der Rechtfertigungsvoraussetzungen besonders verdeutlichen. D e r züchtigende Lehrer muß sich von einem Züchtigungsanlaß vergewissert und sein H a n d e l n am Erziehungszweck ausgerichtet h a b e n 1 6 6 . D e r A r z t muß die gewissenhaft und kunstgerecht vorgenommene Operation nach pflichtgemäßem Ermessen für das geeignete M i t t e l zur Erreichung des objektiv begründeten Zwecks der H e i l u n g des Patienten erachtet h a b e n 1 6 7 . D e r Geheimnisverletzer muß gewissenhaft darüber die Überzeugung gewonnen haben, daß sein T u n (§§299, 300, 355 R S t G B , 9, 10 U W G ) eine Verfolgung des höherwertigen Interesses gegenüber dem Geheimhaltungsbedürfnis darstellt und keine willkürliche Bevorzugung des eigenen Anliegens b e d e u t e t 1 6 8 . B e i Eingriffen von Hoheitsträgern in private Interessen bildet zwar eine gesetzliche Befugnis formell die Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit des Vorgehens. D i e Berechtigung dieser pflichtgemäßen Rechtsverletzungen selbst ergibt sich aber aus den damit verfolgten sozialen Zwecken ( z . B . Zwangs-, Strafvollstreckung). D e r Beamte muß sich bei seiner Verwaltungstätigkeit dieser Leitlinien der Rechtsordnung bewußt gewesen sein und muß sich daran orientieren 1 6 9 . H i e r wie überall bildet nicht das verfolgte M o t i v des Täters, sondern die Berechtigung des realen Zwecks der Täterhandlung den inneren G r u n d , weswegen die Rechtswidrigkeit ausgeschlossen i s t 1 7 0 . D e r Fensterscheibenfall bildet das bekannte Schulbeispiel zum fehlenden subjektiven Rechtfertigungselement. W e r die Fensterscheibe seines Nachbarn einschlägt, u m dessen K i n d vor dem sicheren Erstickungstode zu retten, weil er von draußen starke Rauchentwicklung in dem Z i m m e r bemerkt hatte, handelt rechtmäßig. Dagegen ist eine rechtswidrige und strafbare Sachbeschädigung gegeben, wenn jemand dem Nachbarn aus Bosheit und M u t w i l l e n die Fensterscheibe eingeworfen und dadurch unbewußt das K i n d gerettet hat. D i e Wertung als rechtswidrig knüpft unmittelbar an die Willensbestimmung an und wird erst von dort aus auf den Erfolg bezogen 1 7 1 . 165
Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 93. Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 88, 90, 91. 167 Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 95, 106. 168 Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 115 - 117. 169 Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 133 - 135. 170 Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 60, 61, 75, 76, 99 - 101, 104, 105. 166
171 Die Elemente des Schuldbegriffs, GS 65 (1905), S. 311. Die Ausführungen Dohnas sind wohl so zu verstehen, daß er im zweiten Fall wegen vollendeter Sachbeschädigung bestrafen will. Ebenso: Der Aufbau der Verbrechenslehre, 1936, S. 32. 33: Der Gesetzgeber kann gewisse allgemein verbotene Handlungen für den Fall gestatten, daß
E. Dogmengeschichtliche Untersuchung der teleologischen Verbrechenslehre 171
Bei den Notstands fällen gilt es, objektive und subjektive Momente auseinanderzuhalten, um die Fälle mangelnder Rechtswidrigkeit und fehlender Verschuldung deutlich zu unterscheiden 172 . Für die gerechtfertigte Notstandstat ist „nicht eigentlich das Moment der Not", sondern das Wertverhältnis der kollidierenden Interessen maßgeblich. Dagegen kann die rechtswidrige Notstandstat nur wegen der anormalen psychischen Disposition des Handelnden im Hinblick auf die Macht des Selbsterhaltungstriebs entschuldigt werden 173 . Die Erläuterung der Grundsätze, nach welchen die Interessenkollisionen zu bewerten sind, zeigt, wie Dohna die Zwecktheorie mit der Güter- und Interessenabwägungstheorie verbindet, freilich ohne schon diese Termini zu gebrauchen. Außerdem findet sich der charakteristische Zusammenhang der Rechtswidrigkeitslehre mit Überlegungen zur Aufgabe und Funktionsweise der Strafrechtsnormen. „Dem Bestände der Rechtsgüter widmet die Rechtsordnung ihre wohlbegründete Fürsorge; ihre vornehmste Aufgabe erblickt sie darin, den Gliedern der staatlichen Gemeinschaft Schutz zu bieten gegen Verletzungen ihrer Interessen, auf deren bestmögliche Erhaltung und Förderung sie bedacht ist. Doch . . . es gibt Fälle, in denen die Aufopferung des einen zur Konservierung des anderen Interesses zur gebieterischen Notwendigkeit wird. Gegen die Macht der Tatsachen ist das Recht machtlos. . . . Wo von zwei Werten einer mit Gewißheit der Vernichtung anheimfallen wird, da wäre es kindischer Eigensinn, dennoch die Rettung beider als Ziel zu nehmen und dadurch möglicherweise den Untergang beider herbeizuführen. Die Rechtsordnung muß sich entscheiden, für welches Interesse sie Partei ergreift; das aber kann wirksam geschehen nur durch einen Appell an den Menschen, sich eben dieses Objektes anzunehmen und ihm zum Siege zu verhelfen".
„Selbstverständlich" entscheidet nach einem objektiven Standpunkt der Rechtsordnung unter den kollidierenden Gütern das qualitativ wertvollere und bei gleicher Qualität der Maßstab der Quantität; die Verfolgung des höherwertigen Interesses ist also grundsätzlich rechtes Mittel zum rechten Zweck. „Diese rein rechnungsmäßige Methode" oder „das Interesse der Rechtsordnung an der größtmöglichen Erhaltung der Vermögenswerte, mithin der Gesichtspunkt des überwiegenden Interesses" wird dann sofort nach den Grundsätzen des richtigen Rechts am Beispiel der §§ 228, 904 BGB modifiziert. sie „in gewisser, den Zielen der Rechtsordnung adäquater Intention vorgenommen werden". Etwa im Fensterscheibenfall oder bei der Tötung in Notwehr oder der ärztlichen Heilbehandlung ist die Beurteilung „der Rechtswidrigkeit der Tat abhängig von der Zielsetzung desjenigen, der sie begangen hat". 172 Sog. Differenzierungstheorie, Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 122 - 123,126, auch S. 70, 135. Ebenso: Zur Systematik der Lehre vom Verbrechen, ZStW 27 (1907), S. 345 - 347, und: Zum neuesten Stand der Schuldlehre, ZStW 32 (1911), S. 335, 336, und: Rechtswidrigkeit und Schuld nach der Reichstagsvorlage, Leipziger Zeitschrift 1927, Sp. 982 - 984, und: Der Aufbau der Verbrechenslehre, 1936, S. 25, 26, 37, 38. 173 Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 124 (Zitat), 126, 127 im Anschluß an Rudolf Merkel, Die Kollision rechtmäßiger Interessen und die Schadensersatzpflicht bei rechtmäßigen Handlungen, 1895, S. 41, 42.
172
3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
Einmal ist ein jeder bei der Verwaltung seiner Angelegenheiten gehalten, die Entstehung von Gefahren für andere zu vermeiden. Zweitens ist ein jeder grundsätzlich nicht berechtigt, einen ihm drohenden Schaden auf unbeteiligte Dritte abzuwälzen 174 . Der Angreifer in der Notwehrlage, die zugleich eine spezielle Notstandslage ist, verstößt eklatant gegen den ersten Grundsatz und muß es sich deshalb gefallen lassen, wenn seine vom Angegriffenen in berechtigter Notwehr begangene Verletzung schwerwiegender als die von ihm angedrohte Güterverletzung ist. Aus dem zweiten Grundsatz folgt, daß ein jeder erst dann berechtigt ist, einen ihm drohenden Schaden auf einen Dritten abzuwälzen, wenn der dem Handelnden drohende Schaden unverhältnismäßig größer ist als der im Rechtskreis des Dritten eingetretene Schaden. Wenn die Rechtswidrigkeit auf den Gedanken der Unrichtigkeit zurückgeführt wird, müssen sich daraus zumindest in logischer Hinsicht praktisch-prozessuale Konsequenzen ergeben. „Nicht darf ausgegangen werden von der äußeren Ähnlichkeit eines konkreten Sachbestandes mit einem abstrakten Deliktstatbestande", sondern erst ist zu prüfen, ob ein rechtswidriges Verhalten vorliegt, ob also die fragliche Verhaltensweise objektiv unrichtig ist. Dabei stehen sich Urteilender und Beurteilter gleichberechtigt gegenüber und zwar auch bezüglich der Frage, ob der Willensentschluß des Angeklagten vom pflichtgemäßen Ermessen geleitet war. Danach ist die Entscheidung nach dem Vorliegen eines strafbaren Tatbestandes zu treffen 175 . Diese Ansicht über die Prüfungsreihenfolge scheint Dohna später aufgegeben zu haben, indem er zunächst auf der tatsächlichen Seite der Normwidrigkeit das Vorliegen einer Handlung und der Tatumstände feststellt 176 . d) Aufnahme in der Literatur und in der Rechtsprechung Die Habilitationsschrift Dohnas hat im Schrifttum ein ganz unterschiedliches Echo gefunden. Das Spektrum reicht von einer recht pauschalen Ablehnung bis hin zu einer fortbildenden, zustimmenden Beurteilung. Es finden sich sogar Stimmen, die Dohna eine von ihm gar nicht eingenommene Position vorwerfen. Heimberger behauptet, nach seiner Lehre heilige der Zweck die Mittel 1 7 7 . Seine Ausführungen ergeben jedoch eindeutig, daß sowohl die Angemessenheit des Mittels als auch die Berechtigung des Zwecks einer eigenen Bewertung zu unterziehen sind.
174
Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 127 - 130. Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 38, 74 - 77. 176 Zur Systematik der Lehre vom Verbrechen, ZStW 27 (1907), S. 342 - 349. 177 Rechtmäßiges und rechtswidriges Handeln, in: Vergleichende Darstellung, 1908, Bd. I V , S. 4, 12. 175
E. Dogmengeschichtliche Untersuchung der teleologischen Verbrechenslehre 173 Ferner lassen manche A u t o r e n keine Bereitschaft erkennen, ihr eigenes festgefügtes Begriffsgebäude zu verlassen u n d sich i n ein anderes hineinzudenken. B i n d i n g äußert sich so: „ M . E . das Stärkste i n der U m k e h r der
richtigen
Anschauungen hat aber Graf D o h n a geleistet"; dies gilt dem Ausspruche Dohnas, „daß von der Rechtsordnung verboten werde, was (und weil es) rechtswidrig erfunden w o r d e n " 1 7 8 . Ganz i m Banne seiner Normentheorie erblickt er das Wesen der verbotenen H a n d l u n g darin, daß „eine H a n d l u n g von der Rechtsquelle und von niemandem sonst verboten ist" ; i m folgenden unterstellt er D o h n a gleichsam die Behauptung, ein vor dem gesetzten Recht und davon unabhängig existierendes natürliches, soziologisches Verbrechen konstruiert zu h a b e n 1 7 9 . D a b e i hat D o h n a zwischen Unrichtigkeit u n d Rechtswidrigkeit i m gesetzestechnischen Sinne unterschieden, die Suche nach einem naturrechtlichen Verbrechen verworfen und ausdrücklich erklärt, daß die Gültigkeit des positiven Rechts von der inhaltlichen Eigenart als richtig unabhängig i s t 1 8 0 . I n vielen Stellungnahmen kehren i n unterschiedlichen Nuancen mehrere Einwände w i e d e r 1 8 1 . D i e formale M a x i m e sei für die D o g m a t i k wie die tägliche 178 Normen, 2. Aufl. 1914, Neudruck 1965, Bd. I I , 1. Hälfte, S. 160 FN 41; Dohna, Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 27. 179 Normen, 2. Aufl. 1914, Neudruck 1965, Bd. I I , 1. Hälfte, S. 152 - 161; Zitat auf S. 155. Bindings eigene Ausführungen, daß die notwendigen Handlungen zur Erreichung eines rechtlich erlaubten Zwecks gestattet sind, hätten ihm zu einer vorsichtigeren Einschätzung Anlaß geben müssen (Handbuch, 1885 Bd. 1, S. 792). Gewiß stimmen die Formeln Dohnas und Bindings abgesehen von dem ethisierenden Charakter bei Dohna nicht zwangsläufig überein, da der Richter bei der Beurteilung des „angemessenen" Mittels zum „rechten" Zweck unter Beachtung des „pflichtgemäßen" Ermessens trotz grundsätzlicher Gesetzesgebundenheit mehr eigenverantwortliche Konkretisierungsspielräume besitzt als nach der Formel Bindings. 180 Gegen die Behauptung Bindings auch Heinitz, Materielle Rechtswidrigkeit, 1926, S. 62 FN 2. 181
Kohlrausch hält in seiner Rezension die Methode für untauglich, unserem empirisch bedingten Verhalten als Richtschnur zu dienen (ZStW 25 (1905), S. 662). Die mit Hilfe der angeblich formalen Maxime gewonnenen Wertungen führen zur Rechtsunsicherheit, denn die letzte Quelle der praktischen Entscheidungen Dohnas sei das Rechtsgefühl (S. 663). Der Richter dürfe bei der Entscheidung konkreter Fälle anhand der Formel vom rechten Mittel zum rechten Zweck über die Grenzen des Gesetzes hinausgehen (S. 661). Dies müsse in letzter Konsequenz zur Straflosigkeit einer nach Meinung des Richters richtigen Handlung führen, auch wenn der Gesetzgeber sie offenbar mit Strafe treffen wollte. Wenn zudem noch das subjektive Element des pflichtgemäßen Ermessens berücksichtigt werden müsse, sei der Weg zu der Straflosigkeit des überzeugten Anarchisten von da auch nicht mehr weit (S. 662). Radbruch anerkennt in seiner Besprechung zwar den Mut Dohnas, „in unserer paragraphengläubigen Zeit für das paragraphengläubigste Rechtsgebiet die Einsetzung außergesetzlicher Werturteile als für die Rechtsprechung in größtem Umfang notwendig erwiesen" zu haben (MschrKrimPsych 1 (1905), S. 601). Jedoch verneint er, daß Dohna in dem richtigen Recht eine objektive Methode zur Entscheidung über das Vorliegen oder NichtVorliegen der Rechtswidrigkeit gefunden hat; für jeden Interpreten bleibt nur das individuelle Rechtsgefühl (so schon gegen Stammler in „Der Handlungsbegriff in seiner Bedeutung für das Strafrechtssystem, 1904, S. 16, 17). Wenn das
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
Rechtsanwendung viel zu vage, ungenau u n d unbrauchbar, eben letztlich tautologisch. D u r c h die i n sich fragwürdige Maßgeblichkeit eines außergesetzlichen Prinzips werde die Rechtssicherheit und die Gesetzesunterworfenheit des Richters beeinträchtigt; vielmehr ergebe sich, was ein rechtes M i t t e l zu einem rechten Z w e c k sei, aus der gesamten Rechtsordnung. Es sei eben unzulässig, der gegen das positive Recht gerichteten formellen Rechtswidrigkeit eine unabhängig davon bestehende materielle Rechtswidrigkeit gegenüberzustellen. D u r c h die Berücksichtigung der Pflichtwidrigkeit habe D o h n a Rechtswidrigkeit u n d Schuld vermengt; demgegenüber müsse die Rechtswidrigkeit nicht subjektiv, sondern objektiv bestimmt werden. Allerdings verwenden einige A u t o r e n , nachdem sie grundsätzlich die Lehre Dohnas abgelehnt haben, bei der Auslegung des positiven Rechts bzw. bei der Lückenergänzung seine Gedankengänge. pflichtgemäße und sachkundige Ermessen des Täters in erster Linie entscheiden solle, ob eine Handlung rechtes Mittel zu rechtem Zweck sei, bestehe die Gefahr der Privilegierung des Verbrecherwahns (S. 601). In diesem Zusammenhang sei es Dohna nicht gelungen, zwischen psychischem Motiv und realem Zweck zu unterscheiden. Liszt bemerkt anläßlich der Lehre von der materiellen Rechtswidrigkeit: „Es ist das Verdienst der zu diesem § verzeichneten Schriften, auf den materiellen Gehalt des Unrechts scharf hingewiesen und für die Abgrenzung der rechtmäßigen und rechtswidrigen Handlung eine breitere Grundlage und einen festeren Maßstab gesucht zu haben. Abschließende Ergebnisse haben diese Untersuchungen nicht geliefert. M . E. Mayers „Kulturnormen" bieten uns keinen festen und abgeklärten Begriff. Graf zu Dohna steht und fällt mit Stammlers „Lehre vom richtigen Recht"; er zeigt zugleich, bes. in der Behandlung des Züchtigungsrechts, eine bedenkliche Neigung, die Kraft positivrechtlicher Satzung zu unterschätzen" (Lehrbuch, 14./15. Aufl. 1905, S. 140 FN 3). In der 12./13. Aufl. 1903 heißt es: „Das Verbrechen ist . . . rechtswidrig, d.h. formell die Übertretung einer staatlichen Norm, eines Gebotes oder Verbotes der Rechtsordnung, materiell ein Angriff auf die durch die staatlichen Normen rechtlich geschützten Interessen" (S. 140, 141). „Der im allgemeinen und grundsätzlich verbotene Angriff auf rechtlich geschützte Interessen wird ausnahmsweise und unter eng umschriebenen Voraussetzungen im Interesse höherer Zwecke durch die Rechtsordnung gestattet" (S. 142). Beling hält die Zurückführung der Rechtswidrigkeit auf das Nichtangemessene entweder für nichtssagend, weil eben die gesamte Rechtsordnung den entscheidenden Maßstab für die Angemessenheit liefert, oder für falsch, weil Dohna die Rezeption seiner außerrechtlichen Maßstäbe in das Recht nicht nachgewiesen hat (Lehre vom Verbrechen, 1906, S. 138,139). Es gibt keinen Tatbestand, dessen Erfüllung unter allen Umständen rechtswidrig sei (S. 150, 151). Vielmehr ist eine strikte Scheidung zwischen Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld erforderlich, wobei für die Bestimmung der objektiven Rechtswidrigkeit prinzipiell die vom Handelnden verfolgten Zwecke außer Betracht zu bleiben haben (S. 139,141; 142; es gibt aber wenige Ausnahmen in Sonderbestimmungen). Der Hauptkritikpunkt Hold v. Fernecks besteht darin, daß Dohna die Gesetzesunterworfenheit des Richters schwächt (Die Rechtswidrigkeit, 2. Bd. 1905, S. 7, 8). Es handele sich um einen Versuch der Einschränkung des Gesetzesbefehls. Nach Dohna lautet die Frage: „Was muß ein Verbrechen außer dem, daß es den Tatbestand erfüllt, noch sein, damit es der Richter bestrafen darf? . . . Das Verhalten - so lautet die Antwort muß auch materiell, nicht bloß formell rechtswidrig sein". Und materiell rechtswidrige Handlungen sind unangemessene, unvernünftige Handlungen (S. 4). Das Neuartige liege in der Befugnis des Richters, in jedem Falle nachzuprüfen, ob die den Tatbestand
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erfüllende Handlung auch als unrichtig anzusehen ist (S. 5). Aber dieser Weg ist nicht praktikabel, da über das, was im einzelnen Falle angemessen, vernünftig, richtig ist, verschiedene Ansichten möglich sind (S. 7, 9). Bei Zweifelsfragen in der Beurteilung der Rechtswidrigkeit hilft nicht ein solches aprioristisches Prinzip weiter, sondern nur der Sinnzusammenhang der gesamten Rechtsordnung (S. 10, 11). Auch Ludwig v. Bar wirft Dohna vor, daß der Richter über den Gesetzgeber gestellt werde. Der Richter könne in allen Fällen, in denen eine Handlung dem gesetzlichen Tatbestand eines Delikts entspreche, das Gesetz nicht anwenden, wenn ihm „ . . . die Handlung des Angeklagten nach unbestimmtem Ermessen als sozial zweckmäßig erscheint" (Gesetz und Schuld, 1909, Bd. 3, Die Befreiung von Schuld und Strafe durch das Strafgesetz, S. 5 FN l b ) . Hans Albert Fischer weist alle Versuche, darunter denjenigen Dohnas, zurück, die der gegen das positive Recht gerichteten formellen Rechtswidrigkeit eine materielle, unabhängig vom Gesetz bestehende Rechtswidrigkeit gegenüberstellen (Die Rechtswidrigkeit, 1911, S. 110 FN 2; „Rechtswidrig ist, was das positive Recht mißbilligt" S. 93). Nagler versteht unter rechtswidrig das objektive Unwerturteil der Rechtsordnung (Der heutige Stand der Lehre von der Rechtswidrigkeit, Binding-Festschrift 2. Bd., 1911, S. 308, 314). Die von außer- und überrechtlichen Maßstäben abhängige materielle Rechtswidrigkeit Dohnas befriedigt nicht, da der gewonnene Maßstab sehr unsicher ist (S. 344, 345, 353, 355). Maßgebend ist der autoritative Wille der Rechtsquelle, der keiner Korrektur durch irgend eine übergeordnete Instanz unterliegt (S. 345). Wenn die individuelle Auffassung der Richterbank über die Richtigkeit entscheidet, endet die Dohnasche Revolte gegen den Gesetzesformalismus in der Suprematie des Richters (S. 354). Dagegen wird die Lehre vom rechten Mittel zum rechten Zweck ausgehend von dem Zweckgedanken des positiven Rechts für die Ermittlung des rechtlichen Unwerturteils verwertbar (S. 371). - In dieser Stellungnahme zeigt sich bereits eine Wendung zu einer etwas positiveren Einschätzung, indem die Zwecktheorie von der idealen Sphäre in den hierarchisch gestuften Sinnzusammenhang der empirischen Rechtsordnung verpflanzt wird. Philipp Allfeld lehnt den Gegensatz von formeller und materieller Rechtswidrigkeit ab. Es geht offenbar zu weit und läßt sich gegenüber dem positiven Recht nicht halten, wenn der Richter in jedem Einzelfalle außer dem Vorhandensein der Tatbestandsmerkmale die Unrichtigkeit festzustellen habe. Aber „darin freilich ist dem Verfasser beizupflichten, daß manche von der Rechtsordnung zweifellos anerkannte Unrechtsausschließungsgründe, wie z.B. der mit der Vornahme einer ärztlichen Operation verbundene, darauf beruhen, daß Zweck und Mittel der Handlung als angemessen zu erachten sind. Aber die Anerkennung seitens des objektiven Rechts muß dazu kommen" (Lehrbuch des deutschen Strafrechts, Hugo Meyer/Ph. Allfeld, 7. Aufl.'1912, S. 177 FN 7). Ob solche Anerkennung vorliegt, entscheidet jedoch der Interpret, nicht das objektive Recht selber (Anm. d. Verf.). Hegler hält es für unzulässig, die materielle Rechtswidrigkeit mit Hilfe eines formellüberpositiven Prinzips zu bestimmen (Die Merkmale des Verbrechens, ZStW 36 (1915), S. 28 FN 29). Stattdessen sei auch bei den Unrechtsausschließungsgründen auf die Zweckidee des positiven Rechts abzustellen. Die Rückführung mangelnder Rechtswidrigkeit auf die Anwendung des richtigen Mittels zur Erreichung des als richtig erkannten Zwecks komme nicht in Betracht, da dieses Prinzip „viel zu vag, unübersehbar und deshalb gefährlich oder ganz nichtssagend ist" (S. 38 FN 47). Μ. E. Mayer geht davon aus, daß das Wesen der Rechtswidrigkeit nur extern bestimmt werden kann und zwar durch eine Realdefinition, die nicht wie die Nominaldefinition den Namen, sondern die Sache erläutert (Lehrbuch, 1915, S. 177, 179, 180). Die Lisztsche Bestimmung der materiellen Rechtswidrigkeit verbunden mit subsidiärer Bezugnahme auf die formale Maxime Dohnas enthält nicht die gesuchte Realdefinition (S. 179,181). Die Formel vom rechten Mittel zum rechten Zweck ist zwar allgemeingültig, aber tautologisch. Diese gewinnt erst Wert, wenn die Schablone durch Normen aus-
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
gefüllt wird: „Schweigend erkennt die Rechtsordnung als richtig an, was nach der guten Sitte richtig ist, und fordert hierdurch von den Gerichten, die staatlich anerkannten Kulturnormen zur Geltung zu bringen" (S. 285, 286 FN 6). Die Realdefinition lautet vielmehr: „Rechtswidrig ist dasjenige Verhalten, das staatlich anerkannten Kulturnormen widerspricht" (S. 51, 180). August Köhler läßt für die Rechtswidrigkeit den „formell zu konstatierenden Widerspruch zwischen der Handlung und dem gesetzten oder ungesetzten (!) Recht" genügen. Es ist abzulehnen, noch außerdem die Feststellung materiell unrichtigen Handelns anhand der Zweckformel Dohnas zu verlangen (Deutsches Strafrecht, 1917, S. 98,99). Mezger sieht es zwar als Verdienst Dohnas an, die Grenzen des Gesetzespositivismus bei der Lösung praktischer Rechtsfragen erkannt und deswegen in kritischer Weise auf die rationale Idee des Rechts verwiesen zu haben (Lehrbuch, 2. Aufl. 1933, S. 202, 203). Hinsichtlich des übergesetzlichen Notstandes sei der Gegensatz zwischen der Zweck- und der Güterabwägungstheorie kein so sehr wesentlicher mehr (Lehrbuch, 2. Aufl. 1933, Vorwort S. X X ) . Bei der Anwendung der formalen Maxime ist es die entscheidende Frage, was „rechter Zweck" ist. Aber Dohna läßt nicht den realen Zweck der Handlung, sondern den psychischen Zweck des Täters maßgeblich sein, was sich an dem Erfordernis einer dem Angeklagten zur Last fallenden Pflichtverletzung zeigt (Die subjektiven Unrechtselemente, GS 89 (1924), S. 225, 226, 228). Es ist widersprüchlich, wenn einmal die subjektive Pflichtwidrigkeit als Essentiale des Unrechts erscheint, während auf der anderen Seite anläßlich des Notstandes das objektive und subjektive Prinzip auseinandergehalten werden soll (GS 89, S. 227 FN 1). Wegner unterscheidet die theoretische und die technische Frage nach der Rechtswidrigkeit (Kriminelles Unrecht, Staatsunrecht und Völkerrecht, 1925, S. 38, 58, 59). Jene untersucht den Begriff des Unrechts nach seinen formalen Voraussetzungen in Abhängigkeit von der Bestimmung des Rechtsbegriffes, während diese Frage sich damit beschäftigt, wie der Richter der geltenden Rechtsordnung gemäß die Rechtswidrigkeit in concreto feststellt. Wenn Dohna die Rechtswidrigkeit als allgemeines Tatbestandsmerkmal bezeichnet, vermengt er diese beiden Problemstellungen (S. 45). Bei der technischen Betrachtung kann man sich darauf beschränken, ob die durch den objektiven Tatbestand indizierte Rechtswidrigkeit durch einen Rechtfertigungsgrund oder eine Befugnis ausgeschlossen ist. Bei der theoretischen Klärung der Rechtswidrigkeit ist es fehlerhaft, nicht den Rechtsbegriff, sondern die Rechtsidee als Ausgangspunkt zu nehmen. In Anlehnung an Stammlers Kategorientafel ist die Rechtswidrigkeit als Verletzung des positiv gegebenen Rechts aufzufassen (S. 53). Dohna verwischt durch seine durchgängige Verwendung der Praxis des richtigen Rechts den Unterschied, der zwischen der objektiven Unrichtigkeit (Gerechtigkeitswidrigkeit) und der Rechtswidrigkeit (Unrichtigkeit nach Meinung des Gesetzgebers) besteht (S. 51, 56). Reinhard Frank lehnt die Zwecktheorie ab, da eine Theorie nur scharf umgrenzte, wenn auch gewohnheitsrechtliche Rechtfertigungsgründe, aufstellen darf (Kommentar zum StGB, 17. Aufl. 1926, Vor. § 51, I I I , S. 135, 136 mwN). Eberhard Schmidt lehnt die Prüfungsreihenfolge Dohnas ab, erst die Unrichtigkeit und dann die spezifischen Tatumstände festzustellen. Vielmehr darf der Richter „nur in den äußersten Fällen, wo das positive Recht (ihn) im Stiche läßt, (wo) auch der innere Zusammenhang einzelner bestimmter Normen einen unausgesprochenen Rechtssatz nicht erschließt, nur da darf der Richter den Versuch machen, der Rechtsidee sich erinnernd, im Hinblick auf den empirisch gegebenen Zweck des staatlich geregelten Zusammenlebens zu ermitteln, ob das Verhalten im Hinblick hierauf ein angemessenes ist". Die Lehre Dohnas ist für die Rechtssicherheit und die rechtsstaatliche Funktion der Strafrechtssätze bedenklich, „weil die allgemeingültige Rechtsidee allzu großzügig an die Stelle des Rechtsbegriffs gesetzt wird". Dennoch ist sein Buch in der kriminalistischen Literatur „eine Tat" gewesen. Es hat „die Unzulänglichkeit jeglichen Positivismus aufgezeigt . . . , daß mit den Tatbeständen im Strafrecht noch lange nicht alles gesagt ist" (Lehrbuch Liszt/Schmidt, 25. Aufl. 1927, S. 175 FN 6). Für die Lehre von der formellen und materiellen Rechtswidrigkeit folgt daraus der Vorrang der for-
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mellen Betrachtung. „Die Verletzung oder Gefährdung eines Rechtsguts ist nur dann materiell rechtswidrig, wenn sie den Zwecken der das Zusammenleben regelnden Rechtsordnung widerspricht". Für die materiell rechtmäßige Handlung gilt das umgekehrte. Der „materielle (antisoziale) Gehalt des Unrechts ist unabhängig von seiner richtigen Würdigung durch den Gesetzgeber . . . Formelle und materielle Rechtswidrigkeit können sich decken; sie können aber auch auseinanderfallen. Ein solcher Widerspruch zwischen dem materiellen Gehalt der Handlung und ihrer positivrechtlichen Würdigung ist nicht zu vermuten, aber er ist nicht ausgeschlossen. Liegt er vor, so ist der Richter durch das Gesetz gebunden; die Korrektur des geltenden Rechts liegt jenseits seiner Aufgabe" (S. 174). Ausgehend von dieser Vermutung heißt es wenig später, daß sich die Rechtmäßigkeit eines tatbestandsmäßigen Verhaltens bei Fehlen eines Rechtfertigungsgrundes des positiven Rechts aus dem materiellen Gehalt der in Frage stehenden Handlung ergeben kann (S. 177). Erweist sich eine Handlung als angemessenes Mittel zur Erreichung eines berechtigten Zwecks, „so ist sie rechtmäßig, mag sie auch den Tatbestand einer Straftat erfüllen", wobei sich allerdings die Berechtigung des Zieles aus dem Zusammenhang bestimmter gesetzlicher Bestimmungen bzw. aus dem empirisch gegebenen Zweck des staatlich geregelten Zusammenlebens herleiten lassen muß (S. 178). Adolf Lobe hält dagegen den bloßen Umstand, „daß ein vom Gesetz gebilligter Zweck durch eine hierzu geeignete und angemessene Handlung zu erreichen versucht wird", nicht für ausreichend, die Handlung zu einer rechtmäßigen zu machen, „sofern sie im übrigen gegen ein gesetzliches Verbot verstößt" (Leipziger Kommentar, 4. Aufl. 1929, Einl. I I I , Nr. 16, S. 22 mwN). Allerdings kann die Auslegung des Verbots und Gebots bei den einzelnen Delikten ergeben, daß unbedingt notwendige Handlungen zur Erreichung eines von der Rechtsordnung anerkannten Zwecks rechtmäßig sind. Arthur Kaufmann äußert sich zwar ablehnend, räumt aber ein, daß die Unterscheidung Dohnas zwischen Rechtswidrigkeit und Unrichtigkeit in der Traditionslinie der von ihm selbst vertretenen Trennung der formellen und materiellen Sichtweise liegt (Das Unrechtsbewußtsein in der Schuldlehre des Strafrechts, 1949, S. 125, 126, 128). Aus der formalen Maxime Dohnas lassen sich keine begrenzten Inhalte gewinnen; sie ist tautologisch. Für die Frage nach der Rechtswidrigkeit und der Rechtmäßigkeit ist in erster Linie das positive Recht entscheidend; nur bei der Lückenausfüllung und Auslegung ist die materielle Unrechtsauffassung bedeutsam. „Keinesfalls darf man die Rechtswidrigkeitslehre und die Unrechtsausschließungsgründe einzig und allein auf den materiellen Wertmaßstab aufbauen, wie es Dohna getan hat" (S. 131; auch S. 130). Grundsätzlich ablehnend zur Subjektivierung des Unrechts etwa Oehler, Das objektive Zweckmoment in der rechtswidrigen Handlung, 1959. Zahlreiche Autoren werfen Dohna die Vermengung von Rechtswidrigkeit und Schuld vor: Kohlrausch ZStW 25 (1905) S. 659; Radbruch MschrKrimPsych 1 (1905), S. 600; Nagler in Binding Festschrift, 1911, S. 293, 295 vorsichtig, aber auch S. 334; M. E. Mayer, Lehrbuch, 1915, S. 187 FN 12: Dohna habe die ethische Seite der Schuld und Rechtswidrigkeit identifiziert; Mezger, Die subjektiven Unrechtselemente, GS 89 (1924), S. 227, 239, 240; Eberhard Schmidt, Die Rechtsprechung des Reichsgerichts und der übergesetzliche Notstand, ZStW 49 (1929), S. 394; Grünhut, Zum übergesetzlichen Notstand, ZStW 51 (1931), S. 457: Dohna habe die Einheitlichkeit des in der Rechtswidrigkeit und in der Schuld zum Ausdruck gelangenden rechtlichen Unwerturteils betont; Wegner, Kriminelles Unrecht, Staatsunrecht und Völkerrecht, 1925, S. 59; Elster, Artikel Rechtswidrigkeit im Handwörterbuch der Rechtswissenschaft, 1927, S. 744; Robert v. Hippel, Lehrbuch des Strafrechts, 2. Bd. 1930, S. 186, FN 6; Arthur Kaufmann, Das Unrechtsbewußtsein in der Schuldlehre des Strafrechts, 1949, S. 63; Oehler, Das objektive Zweckmoment in der rechtswidrigen Handlung, 1959, S. 19 FN 21: erst in der revidierten Verbrechenslehre sei Dohna zur objektiven Rechtswidrigkeitslehre übergegangen; Welzel, Lehrbuch, 11. Aufl. 1969, S. 48; Maurach/Zipf, Strafrecht, 6. Aufl. 1983, Bd. 1, S. 322; zurückhaltend etwa: Heinitz, Das Problem der 12 Escher
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
Im Laufe der Zeit finden sich mehr günstigere Stimmen, welche die Abkehr Dohnas von der positivistisch-naturalistischen Betrachtungsweise, seine Bedeutung für die Lehre von der materiellen Rechtswidrigkeit und für die Entwicklung übergesetzlicher Rechtfertigungsgründe anerkennen 182 .
materiellen Rechtswidrigkeit, 1926, S. 6, 10: dort werden nur Adolf Merkel, Binding, Kohlrausch und Hold v. Ferneck als Vertreter der subjektiven Rechtswidrigkeitslehre genannt. 182 Heinitz, Das Problem der materiellen Rechtswidrigkeit, 1926, S. 57, den entscheidenden Fortschritt für diese Lehre brachte erst die Arbeit Dohnas; Eberhard Schmidt, Die Rechtsprechung des Reichsgerichts und der übergesetzliche Notstand, ZStW 49 (1929), S. 381, er pflichtet Dohna bei, der später das Güterabwägungsprinzip als einen Spezialfall der Zwecktheorie bezeichnet hat (Recht und Irrtum, 1925, S. 11 - 13, 14); Eb. Schmidt beipflichtend Grünhut, Grenzen des übergesetzlichen Notstands, ZStW 51 (1931), S. 460, 461; Goldschmidt in Frank Festgabe, Bd. I 1930, S. 444 FN 3: Dohna als Begründer der Lehre von der materiellen Rechtswidrigkeit genannt. Zustimmend auch Erik Wolf, Krisis und Neubau der Strafrechtsreform, 1933, S. 38: „Rechtfertigung (muß) immer eintreten, wenn ein Rechtsgenosse das angemessene Mittel zu einem von der Rechtsordnung anerkannten Zweck verwendet hat. Maßstab der Angemessenheit geben die Bedürfnisse des Staates. Zu der objektiven Prüfung der Angemessenheit des Mittels tritt als subjektives Rechtfertigungselement das Erfordernis der inneren Gewißheit, als Funktionär der Rechtsgemeinschaft zu handeln". Bei Erik Wolf zeigt sich im Zusammenhang deutlich, wie die Zweckformel einer neuen politischen Grundordnung dienstbar gemacht wird; vgl. dazu etwa S. 6: „Die staatspolitische Entwicklung Deutschlands fordert unabweislich eine Kriminalpolitik des autoritären (national-sozialen) Strafrechts."; S. 29: „Die sogenannten Grundrechte des Einzelnen stellen ja keine absoluten Werte mehr dar, nachdem die Absolutheit des Individuums uns fragwürdig geworden ist."; S. 30: „ . . . es muß vielmehr gerade eine aktive Hereinnahme sozialer Wertvorstellungen in die Idee eines nationalsozialistischen Strafgesetzbuchs erfolgen."; S. 33: „Grundwerte der neuen Strafrechtsreform sollen nicht Individuum und Gesellschaft, sondern Staat und Person sein."; S. 37: „Der Gedanke der materiellen Rechtswidrigkeit . . . wird als Staatswidrigkeit begriffen, fortgepflegt und entwickelt."; auch S. 39: „Schuld als Staatspflichtwidrigkeit wird der Zentralbegriff des kommenden Rechts sein." Auch Welzel, Um die finale Handlungslehre, 1949, S. 21: im Feuerwehrmannfall bewähre sich die Zweckformel über die Güterabwägungsformel hinaus. Seine Lehre von der sozialen Adäquanz weist sachlich manche Gemeinsamkeiten mit der Zwecktheorie auf, nur daß der ethisierende und nicht nur sozialnützliche Charakter der Lehre Dohnas nicht so deutlich zum Ausdruck kommt; allerdings hat Welzel in der systematischen Einordnung und den einschlägigen Fallgruppen dieser Kategorie geschwankt (vgl. etwa Studien zum System des Strafrechts (1939), in: Abhandlungen, 1975, S. 151, 152; Das neue Bild des Strafrechtssystems, 4. Aufl. 1961, S. 25, 26; Lehrbuch des Strafrechts, 11. Aufl. 1969, S. 55 - 58). Zustimmend auch Heinrich Henkel, allerdings ohne Dohna überhaupt zu erwähnen; Zumutbarkeit und Unzumutbarkeit als regulatives Rechtsprinzip, in: Festschrift für Edmund Mezger, 1954, S. 304: aus einem echten regulativen Prinzip lassen sich zwar keine inhaltlich bestimmten Entscheidungssätze gewinnen, aber ein Satz wie derjenige vom angemessenen Mittel zum angemessenen Zweck' stellt „ein in der heutigen Rechtspflege unentbehrliches Mittel (dar), den Richter zur Erarbeitung eines konkreten Entscheidungsinhalts anzuweisen, also die Gesetzesnorm durch die Richternorm zu ersetzen (!) oder zu ergänzen".
E. Dogmengeschichtliche Untersuchung der teleologischen Verbrechenslehre 179 Andererseits w i r d D o h n a später manchmal nicht einmal mehr als Begründer der i n der formalen M a x i m e wurzelnden Rechtswidrigkeitslehre erwähnt183. Das neuere Schrifttum begnügt sich meist damit, die Zwecktheorie als (überholte) monistische Rechtfertigungslehre zu registrieren sowie Dohnas dogmengeschichtliche Bedeutung für die Differenzierungstheorie beim N o t stand zu w ü r d i g e n 1 8 4 . Das Reichsgericht hat sich in seiner grundlegenden Entscheidung zum übergesetzlichen Notstand beim Schwangerschaftsabbruch wegen Lebensgefahr für die Schwangere anders als das Schöffengericht gegen die Dohnasche Zwecktheorie ausgesprochen 1 8 5 . D e r Grundsatz, daß Eingriffe i n rechtlich geschützte Interessen, welche sich als ein angemessenes M i t t e l zur Erreichung eines staatlich anerkannten Zwecks darstellt, nicht rechtswidrig seien, sei von allgemeiner Anerkennung noch weit entfernt. Insbesondere lasse sich bei der Weite der Fassung gar nicht übersehen, „ o b nicht seine A n w e n d u n g i n der Praxis zu bedenklichen Folgen führen würde, die nicht als dem Rechte gemäß erachtet werden k ö n n t e n " 1 8 6 . V i e l m e h r vertritt das Reichsgericht den Grundsatz der Güter- und Pflichtenabwägung 1 8 7 . Gewiß ist es nicht die Aufgabe eines
183 Noll, Tatbestand und Rechtswidrigkeit: Die Wertabwägung als Prinzip der Rechtfertigung, ZStW 77 (1965), S. 29: „ . . . der von Stammler in die Rechtsdogmatik eingeführte, auf Kant zurückgehende Satz vom angemessenen Mittel zum berechtigten Zweck . . . " . Ebenfalls was die Urheberschaft anbelangt unrichtig Wieacker, Geschichtliche Wurzeln des Prinzips der verhältnismäßigen Rechtsanwendung, in: Festschrift für Robert Fischer, 1979, S. 869: im Strafrecht finde sich „die Franksche Formel" vom richtigen Mittel zum richtigen Zweck. 184 Vgl. z.B. Strathenwerth, Prinzipien der Rechtfertigung, in: ZStW 68 (1956), S. 41: die Formel der Zwecktheorie sei zu allgemein, um neue Einsichten erschließen zu können; dem Ziel am nächsten gekommen sei die älteste Formel: das Prinzip der Pflichten- und Güterabwägung. Jescheck, Lehrbuch, 4. Aufl. 1988, § 24 I 3.c): reine Generalklauseln wie die Zweckformel sollten wegen der Gefährdung der Rechtssicherheit niemals unmittelbar zur Lösung des Einzelfalles verwendet werden. Maurach/ Zipf, Strafrecht, 6. Aufl. 1983, Bd. 1, S. 326: Die Zwecktheorie „beansprucht mit Recht die Zusammenfassung sämtlicher Rechtfertigungsgründe. (Sie) hat den großen Vorteil, den sog. subjektiven Rechtfertigungselementen den gebührenden Platz einzuräumen, dafür aber den Mangel, kaum mehr als ein wohl selbstverständliches Hilfsmittel bei Auslegung der Rechtfertigungsgründe, lediglich ein regulatives Prinzip darzustellen". Hans Joachim Hirsch in: L K , 10. Aufl. 1985, Vor. § 32, RN 47, 48: die von den monistischen Theorien aufgestellten Prinzipien sind zu allgemein und zu formal, um aus ihnen konkrete Ergebnisse ableiten zu können. Küper, Grundsatzfragen der Differenzierung zwischen Rechtfertigung und Entschuldigung, in: JuS 1987, S. 83 - 88. 185 RGSt 61, S. 244; der Ausdruck „übergesetzlicher Notstand" wird erstmals verwandt in RGSt 62, S. 137ff. 186 RGSt 61, S. 253. 187 RGSt 61, S. 254: „In Lebenslagen, in welchen eine den äußeren Tatbestand einer Verbrechensform erfüllende Handlung das einzige Mittel ist, um ein Rechtsgut zu schützen oder eine vom Recht auferlegte oder anerkannte Pflicht zu erfüllen, ist die Frage, ob die Handlung rechtmäßig oder rechtswidrig ist, an der Hand des dem gelten-
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
Revisionsgerichts, wissenschaftliche Streitfragen über Prinzipien der Rechtfertigung zu entscheiden. Aber es muß auffallen, wie stark sich das Reichsgericht an Dohna annähert, wenn es zunächst nur die Fähigkeit zur Beurteilung der Sachlage und dann sogar als subjektives Rechtfertigungselement verlangt, „daß vor der Notstandshandlung die im Widerstreit stehenden Güter wirklich pflichtmäßig abgewogen werden" 188 . Eberhard Schmidt hat zutreffend nachgewiesen, inwiefern das Reichsgericht keine rein rechnungsmäßige Güterabwägungstheorie vertreten, sondern Anleihen bei der Zwecktheorie gemacht hat 1 8 9 . Nach der systematischen Untersuchung der Lehre Dohnas und der späteren Ergänzungen wird der Hinweis angebracht sein, daß manche Gedankengänge der sog. Zwecktheorie an vielen Stellen der gesamten Rechtsordnung zur Bestimmung der Grenze zwischen Recht und Unrecht Verwendung gefunden haben. Darüber hinaus dürfte sie trotz aller ihr gewiß anhaftenden Mängel an dem überzeitlichen Gedanken der Verhältnismäßigkeit im Recht Anteil haben 190 . Die nachfolgende Analyse soll selber den Nachweis erbringen, daß trotz dieser zahlreichen Stellungnahmen, die manches zutreffende enthalten, die aber häufig zu grobmaschig sind, eine Beschäftigung mit den verschiedenen philosophischen, methodischen und strafrechtsdogmatischen Aspekten der Zwecktheorie verlohnt. Auch kann dann die These erwiesen werden, daß die späteren Ergänzungen Dohnas nicht als Bruch, sondern eher als in der Habilitation bereits angelegte Fortentwicklung zu verstehen sind. e) Strafrechtsphilosophisch-methodische Würdigung Betrachtet man das umfangreiche literarische Echo, so fällt auf, daß nicht hinreichend deutlich zwischen den rechtsphilosophisch-methodischen und den materiellrechtlich-dogmatischen Aspekten in der Rechtswidrigkeitslehre Dohnas unterschieden worden ist. In der ersteren Hinsicht stellt sich die Grundfrage, ob es sich bei der formalen Maxime um ein generelles, ungeschriebenes rechtliches Auslegungsprinzip handelt, welches ethische und sozialutilitaristische Maßstäbe zur Bestimmung der Grenze zwischen Recht und Unrecht heranzieht. Dann bedarf es einer grundsätzlichen Rechtfertigung, ob überhaupt so weitgehend in der technischen Rechtswidrigkeitslehre auf diese Grundsätze zurückgegriffen werden darf, die ihrer Herkunft nach von einer juristisch-
den Recht zu entnehmenden Wertverhältnisses der im Widerstreit stehenden Rechtsgüter oder Pflichten zu entscheiden." 188 RGSt 61, 256 und RGSt 62, 138. Ebenso BGHSt 2, 111, 114. 189 Das Reichsgericht und der übergesetzliche Notstand, ZStW 49 (1929), S. 370 384. 190 Vgl. Wieacker, Franz, Geschichtliche Wurzeln des Prinzips der verhältnismäßigen Rechtsanwendung, in: Festschrift für Robert Fischer, 1979, S. 867 - 881.
E. Dogmengeschichtliche Untersuchung der teleologischen Verbrechenslehre 181 technischen Ausprägung unabhängig sind. D e r Umstand, daß sich i m Wege der Auslegung des positiven Rechts die V e r m i t t l u n g m i t der Rechtsidee, genauer m i t der i n der Verfassung aktualisierten Rechtsidee, vollzieht, könnte diese Rechtfertigung selbst i n sich tragen. Das praktische H a u p t p r o b l e m besteht i n der Gewinnung einer konkretisierbaren Grenzziehung, i n welchem Maße solche Auslegungsprinzipien vor einem entgegenstehenden, ausdrücklichen, aber verfassungsrechtlich noch zulässigen W i l l e n des Gesetzgebers H a l t machen müssen. Genauer geht es d a r u m , i n welchem U m f a n g v o m Strafrichter bei der B e u r t e i l u n g v o n Rechtswidrigkeitsfragen Strafwürdigkeitsüberlegungen angestellt werden dürfen. A u ß e r d e m ist der V o r w u r f der (möglichen) machtpolitischen Instrumentalisierung dieser formalen M a x i m e zu überprüfen u n d gegebenenfalls auf den berechtigten K e r n einzuschränk e n 1 9 1 . Ausgehend v o n der bisher zu wenig beachteten Unterscheidung D o h nas zwischen U n r i c h t i g k e i t u n d Rechtswidrigkeit i m gesetzestechnischen Sinne ergibt sich die Frage, ob die Bedeutung der formalen M a x i m e darin liegt, für die Verbrechenskategorie der Rechtswidrigkeit die teleologischwertende Auslegung vorangebracht zu haben. D i e damit gewonnene Rechts(un-)sicherheit bei der Wertung, ob und warum i n konkreten Fällen die Rechtswidrigkeit ausgeschlossen ist oder nicht, leitet über z u m L ü c k e n p r o b l e m i n der geschriebenen Rechtsordnung, zu methodischen Fragen der Rechtsfindung i m ungeschriebenen Recht u n d zur Stellung des Richters z u m Gesetz 1 9 2 . D i e 191 Klaus Marxen, Die rechtsphilosophische Begründung der Straftatlehre im Nationalsozialismus, in: ARSP 1983, Beiheft Nr. 18, S. 63: U m die Jahrhundertwende verband sich „der Abbau formaler Grenzen des (klassischen Verbrechens-)Systems... mit der Öffnung für politische Zwecke. Der Motor für Veränderungen war innerhalb der Straftatlehre der Rechtswidrigkeitsbegriff. Mit seiner Materialisierung vollzog sich ein Stilwandel in der Straftatlehre von einem formalistischen zu einem finalistischen Rechtsverständnis. Der Umbruch setzte . . . ein mit der Entwicklung eines materiellen Rechtswidrigkeitsbegriffs durch Graf zu Dohna und Sauer, der auf die Nützlichkeit des Verfahrens für Staat und Gesellschaft abstellte". 192 In der Entstehungs- und Rezeptionszeit der Lehre Dohnas sind von Vertretern der Freirechtsschule, der Interessenjurisprudenz, der südwestdeutsch-teleologischen Richtung und anderen eine Vielzahl von hermeneutischen Arbeiten erschienen, die zumindest negativ darin übereinstimmen, daß die Tätigkeit des gesetzesunterworfenen Richters sich nicht in einem bloß logischen Subsumtionsmechanismus erschöpfen kann. Vgl. z.B. Stammler, Die Lehre von dem richtigen Rechte, 1902; Hermann Kantorowicz, Der Kampf um die Rechtswissenschaft, 1906 (Rezension von Dohna in: Juristisches Literaturblatt 18 (1906), S. 157, 158; über Kantorowicz: Karl Heinz Muscheler, Relativismus und Freirecht, 1984, S. 85 - 174: Freirechtliche Methodenlehre); Philipp Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, in: AcP 112 (1914), S . l - 313; Isay, Hermann, Rechtsnorm und Entscheidung, 1929; Grünhut, Max, Begriffsbildung und Rechtsanwendung im Strafrecht, 1926; ders. Methodische Grundlagen der heutigen Rechtswissenschaft, in: Festgabe für Reinhard Frank, 1930, Bd. 1, S. 1 - 32; Schwinge, Erich, Teleologische Begriffsbildung im Strafrecht, 1930; weiterführende Hinweise z. B. bei Arthur Kaufmann, Die Freirechtsschule - lebendig oder tot?, in: JuS 1965, S. 1 - 9; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl. 1967, S. 514 625; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl. 1983, S. 43 - 108; auch Mittenzwei, Ingo, Teleologisches Rechtsverständnis, 1988, S. 377 - 398 (Gesetzespositivismus und das Problem der Begründung des richtigen Rechts).
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3. Teil: Strafirecht und Strafrechtsphilosophie
somit aufgeworfenen Fragen führen in weite Problemgebiete mit einer umfangreichen Literatur. Uns ist wesentlich nur daran gelegen, dogmengeschichtlich herauszuarbeiten, welche Leistungen Dohna für die Beantwortung dieser Fragen erbracht hat. Zunächst geht es um das Verhältnis der formalen Maxime zum Gesamtsystem Stammlers und zum kategorischen Imperativ Kants. Dohna hat zwar einige Gedanken der Lehre Stammlers vom richtigen Recht übernommen. Beispielsweise bei der Prüfung der Berechtigung eines vorgestellten Zwecks wird dessen soziales Ideal als Richtschnur herangezogen; anläßlich des ärztlichen Operationsrechts, der unbefugten Geheimnisverletzung, der Not des Verletzers und der Einwilligung des Verletzten werden ausdrücklich Stammlers Gedanken zur Sondergemeinschaft und seine Grundsätze des Achtens und Teilnehmens verwandt 193 . Wichtiger ist aber der Umstand, daß Dohnas Verständnis der Rechtswidrigkeit und seine Ansicht, wann bei der Entscheidung konkreter Fälle die Praxis des richtigen Rechts einzuarbeiten ist, von der Lehre Stammlers abweicht. Bereits Wegner hat darauf aufmerksam gemacht, daß Dohna bei der Bestimmung des Wesens der Rechtswidrigkeit eben nicht an den Begriff, sondern an die Idee des Rechts angeknüpft hat 1 9 4 . In der Theorie der Rechtswissenschaft leitet Stammler die Kategorien Rechtmäßigkeit und Rechtswidrigkeit aus der Unverletzbarkeit ab, also aus einem Merkmal der reinen Denkform des Rechtsbegriffes. „Rechtmäßigkeit ist die Übereinstimmung der verbundenen Willensinhalte mit dem sie verbindenden rechtlichen Wollen. - Rechtswidrigkeit besagt den Widerspruch in der gleichen Richtung" 195 . Die Rechtswidrigkeit bedeutet also in formal-allgemeingültiger Weise den Widerspruch einer Verhaltensweise, genauer einer Rechtshandlung eines Handlungsfähigen, zur rechtlichen Regelung. Der Inhalt dieser Regelung und der danach beurteilten Verhaltensweise gehört zum veränderlichen, dem geschichtlichen Wandel unterworfenen „Stoff". In seinem ersten Hauptwerk hat sich Stammler zum Begriff der Rechtswidrigkeit nicht ausdrücklich geäußert, jedoch scheint ihm dieselbe Vorstellung vorgeschwebt zu haben 196 . Die Praxis des richtigen Rechts als die eine Art der rechtlichen Subsumtion wird vor allem bei den zivilgesetzlichen Generalklauseln (Treu und Glauben, wichtiger Grund, gute Sitten u.a.) angewandt. Die strenge Bindung des Richters an das gesetzte Recht wird grundsätzlich betont, !93 Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 49, 102, 114 - 116, 128 - 130, 147, 148. Kriminelles Unrecht, Staatsunrecht und Völkerrecht, 1925, S. 48 - 56; ebenso Heinitz, Das Problem der materiellen Rechtswidrigkeit, 1926, S. 59. 195 Stammler, Theorie der Rechtswissenschaft, 2. Aufl. 1923, S. 131 ( = I I I . 8). 196 Stammler, Wirtschaft und Recht, 2. Aufl. 1906, S. 488: die ihrem Sinne nach unverletzbar geltende Zwangsregelung menschlichen Zusammenlebens, also das begrifflich bestimmte Recht, kann entgegen seinem Willen gebrochen werden. 194
E. Dogmengeschichtliche Untersuchung der teleologischen Verbrechenslehre 183
so daß der Richter den Obersatz nur dann an der Richtschnur des sozialen Ideals auswählen dürfe, „wenn der wirkliche Wille des gesetzten Rechts ihm dieses auferlegt" 197 . Freilich hat wiederum der Richter im Wege der Auslegung darüber zu entscheiden, ob diese Voraussetzung des Rückgriffs auf die Rechtsidee gegeben ist. Werden diese Ausführungen auch noch unter dem Gesichtspunkt des Gesetzlichkeitsprinzips im Straf recht betrachtet, so scheint für Stammler anders als für Dohna die Frage nach der (Straf-)Rechtswidrigkeit nur ein Problem des technisch geformten Rechts zu sein, ohne dazu auf die Lehre vom richtigen Recht zurückgreifen zu müssen. Dohna ist nicht ganz unschuldig an dem Vorwurf, mit der metajuristischen Zweckformel das positive Gesetz zu verdrängen. Andererseits anerkennt er für die Frage nach der Rechtswidrigkeit bzw. Rechtfertigung menschlichen Verhaltens das Primat des positiven Rechts und sucht aus der Annahme, alles gesetzte Recht sei ein Zwangsversuch zum Richtigen, weitreichende Folgerungen zu ziehen. So erscheint es richtiger, die Zweckformel als Auslegungslehre des positiven Rechts zu verstehen. Jedoch wird der Optimismus nicht begründet, den Gesetzgeber bis zum Beweis des Gegenteils als einen richtigen im rechtsethischen Sinne anzusehen. Eine solche Erklärung erübrigt sich ihm wohl wegen „des heutzutage allgemein anerkannten Sittenkodex", da ausgehend von einem solchen Vorverständnis bei der Anwendung der „formalen" Maxime Ergebnisse erzielt werden, die eben den sog. herrschenden Kulturanschauungen entsprechen 198 . Mit diesem Vorverständnis hängt der Umstand zusammen, daß der an sich bestehende Gegensatz zwischen dem formalen Idealismus Stammlers und dem Soziologismus Liszts im Werke Dohnas gar nicht so unüberbrückbar ist wie es zunächst den Anschein haben mag. Die Fundierung der kriminalgesetzlichen Rechtswidrigkeit in der Unrichtigkeit ist gleichbedeutend mit der Frage nach der Strafwürdigkeit, nach der Ratio des gesetzlichen Verbots bzw. Gebots. Die erkenntnistheoretisch gedachte und auf die formalen Strukturen des teleologischen Denkens hinweisende Antwort erscheint durchaus als Unterbau einer soziologischen Theorie des Verbrechens, welche nach dem Vorbilde v. Jherings, Georg Jellineks und Liszts den Grund des strafrechtlichen Verbots bzw. Gebots in der unerträglichen Sozialschädlichkeit der fraglichen Betätigung erblickt 199 . Dies wird beispielsweise dadurch bestätigt, daß Dohna bei 197
Stammler, Die Lehre von dem richtigen Rechte, 2. Aufl. 1926, S. 210. Vgl. Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 52, 45. 199 Jhering, Der Zweck im Recht, 1877, Bd. 1, S. 378, 379 (über ihn Hurwicz, Elias, Rudolph v. Jhering und die deutsche Rechtswissenschaft. Mit besonderer Berücksichtigung des Strafrechts, 1911, besonders S. 105 - 128; Erik Wolf, Große Rechtsdenker, 4. Aufl. 1963, S. 622 - 668; Baratta, Allessandro, Über Jherings Bedeutung für die Strafrechtswissenschaft, in: Jherings Erbe, 1970, S. 17 - 26; Otto Behrends, Rudolph von Jhering (1818 - 1892). Der Durchbruch zum Zweck des Rechts, in: Rechtswissenschaft in Göttingen, hrsg. von Fritz Loos, 1987, S. 229 - 269); Georg Jellinek, Die sozialethi198
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der Anwendung seiner formalen Maxime geradezu ganz zweckrealistisch und von sozialen Nützlichkeitserwägungen geleitet bei dem Heilungs- und Erziehungszweck des operierenden Arztes und des züchtigenden Lehrers stehenbleibt. Verständlicherweise hält er es für überflüssig, die Berechtigung dieser stofflichen Zwecke am Zielpunkt des sozialen Ideals zu überprüfen. Diese zwar abstrakten, aber noch empirischen Ziele werden für die weitere Erörterung als in sich begründet vorausgesetzt. Auch bei der Erläuterung des rechtfertigenden Notstands wird der Rückgriff auf die „ideale" Formenwelt der Rechtsidee schlicht für überflüssig gehalten. Vielmehr erklärt er grundsätzlich die Bevorzugung des höherwertigen Rechtsguts auf Kosten des geringerwertigen für rechtmäßig, wobei sich die Wertigkeit der Lebensinteressen nach pragmatischen, zeitbedingten Kulturanschauungen beurteilt. Kurz gesagt: auch wenn Dohna viel weitergehend als Stammler vom richtigen Recht Gebrauch machen will, bildet seine Rechtswidrigkeitslehre eine Komplementärtheorie zu einer soziologischen Begründung der Rechtswidrigkeit. Dies würde für unsere Ausgangsfragen bedeuten, daß der Richter bei Zweifelsfragen der Auslegung wie der Lückenergänzung gemäß dem herrschenden Kultur- und Staatsverständnis ganz sozialutilitaristisch argumentiert. Aber mit dieser Einschätzung ist der Gehalt seiner Lehre noch nicht erschöpft; es gilt sein Bemühen zu würdigen, der Berücksichtigung sozialer Zwecke besonders bei der Rechtfertigung eine ethische Vertiefung auf kantischer Grundlage zu geben. A n sich ist die Formulierung der formalen Maxime bezogen auf das Verbrechensmerkmal „rechtswidrig" sowie als Grundprinzip aller Rechtfertigung tautologisch und nichtssagend. Die Formeln werden in rechtsethischer und methodischer Hinsicht erst dann interessanter, wenn die von Dohna damit verbundenen Gedankengänge und unterschwelligen Wertungen beachtet werden. Das einheitliche Unwerturteil der Rechtswidrigkeit setzt voraus, daß im jeweiligen Sachverhalt bestimmt wird, was das angewandte Mittel und was der erstrebte Zweck ist. Anschließend wird die Berechtigung des Mittels gerade zu diesem Zweck geprüft. Das angewandte Mittel läßt sich relativ sicher feststellen; es ist das tatbestandsmäßige Verhalten. Bei der Bestimmung des Zweckes und der Wertungskriterien tauchen erhebliche Unsicherheiten auf, was nun näher dargelegt werden soll. Es stellt sich die Frage, ob der handlungsnahe oder der handlungsferne psychische Zweck des Täters oder der reale und objektive Zweck dieser Tätersche Bedeutung von Recht, Unrecht und Strafe, 1878, S. 106 - 110; Liszt, Der Zweckgedanke im Strafrecht (1882), in: Strafrechtliche Vorträge und Aufsätze, 1905/1970, S. 149, 150; ders. Lehrbuch des Strafrechts, 12./13. Aufl. 1903, S. 65 - 68; Die Verbindung von erkenntniskritischem, teleologischem und sozialnützlichem Denken bei Sauer (Grundlagen des Strafrechts, 1921, S. 273 - 286 zum Mehr-Nutzen-als-Schaden-Prinzip) und bei Mezger (Sein und Sollen, 1920, S. 65 - 106) findet somit bei Dohna ihren Vorläufer.
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handlung auf seine Generalisierungsfähigkeit zu überprüfen ist. Dohna äußert sich dazu unklar und widersprüchlich. Einerseits stellt er auf den handlungsnahen psychischen Zweck des Arztes, Beamten usw. ab; andererseits läßt er den realen objektiven Zweck der Handlung entscheiden 200 . Bei der Prüfung der Berechtigung des Mittels zu dem erstrebten Zweck greift Dohna auf den Verallgemeinerungsgedanken zurück 201 . Dieser Maßstab ist dem kategorischen Imperativ Kants entlehnt : „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde" 2 0 2 .
Dieser bildet das allgemeine Prinzip eines guten Willens und ist als die moralische Grundnorm das Kernstück aller Individualethik (Tugendlehre). Darüber hinaus kehrt das Verallgemeinerungsprinzip im Rechtsbegriff wieder 2 0 3 : „Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit zusammen vereinigt werden kann" 2 0 4 .
Der Gedanke der Generalisierung wird nun als Maßstab verwandt, ob der Zweck der Handlung der Rechtsgemeinschaft zum objektiven Lebenshorizont dienen kann. Damit ist der Sache nach der Bereich der Individualethik verlassen. Insofern ist es zumindest mißverständlich, wenn Dohna seine Formel als formale Maxime bezeichnet, zumal Kant unter Maximen subjektive Grundsätze des Handelns versteht, die eine allgemeine Bestimmung des Willens und mehrere praktische Regeln unter sich haben 205 . Wichtiger ist die Frage, wer nach welchen sachlichen Kriterien über die Eignung zum objektiven Lebenshorizont letztverbindlich entscheidet. In weitem Umfange muß sich die Antwort im Interesse der Rechtssicherheit aus dem gesetzten Recht ergeben. Für den danach verbleibenden Bereich des Zweifels wurde bereits gesagt, daß Dohna ganz zweckrealistisch und zeitbedingt vorgeht. Andererseits erhält die formale Maxime durch die Anlehnung an den 200
Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 60f., 75f., 88, 90f., 95, 99ff., 104ff., 115ff. Die entsprechende Unsicherheit bei der Auslegung des § 240 I I StGB dürfte wegen der Übernahme der Theorie Dohnas in das Gesetz hierauf zurückzuführen sein; siehe demnächst im Text. 201 Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 14 FN 2, Dohna verweist grundsätzlich auf Kants Metaphysik der Sitten und die Kritik der praktischen Vernunft. 202 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 1785, S. 51. 203 Kant, Metaphysik der Sitten, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, 1797, S. 318; vgl. aus der umfangreichen Literatur z.B. Christian Ritter, in: Staatsdenker im 17. und 18. Jahrhundert, 2. Aufl. 1987, S. 336 FN 17; Otfried Höffe, Immanuel Kant, 1983, S. 215, 216; auch Kersting, Wolfgang, Wohlgeordnete Freiheit. Immanuel Kants Rechts- und Staatsphilosopjiie, 1984, S. 16 - 50, 70 - 88. 204 Kant, Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Rechtslehre, 1797, S. 337 (§ B). 205 Kant, Kritik der praktischen Vernunft, 1788, § 1, S. 125.
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kategorischen Imperativ wie an den Rechtsbegriff Kants den Charakter einer überindividuellen objektiven Norm. Dem Vorverständnis nach verbindet Dohna mit der „formalen Maxime" auch materialethische Voraussetzungen, nämlich die Achtung vor der menschlichen Person als Selbstzweck206. Dies ist der anderen Formulierung des kategorischen Imperativs entnommen, der die Materie der Maximen betrifft : „Handle so, daß du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel gebrauchst" 207 .
So ist in der Dohnaschen Lehre eine nicht ausgetragene Spannung enthalten, die zwischen der individualethischen Herkunft der „formalen Maxime" und der Berücksichtigung sozialnützlicher Ergebnisse besteht. Dies führt zu einer erheblichen Wertungsunsicherheit, da in vielen Fällen bei der Frage nach der Verallgemeinerungsfähigkeit des sozialnützlichen Zwecks der Täterhandlung verschiedene Wertentscheidungen denkbar bleiben 208 . Dies vergrößert sich noch angesichts des Wertungsspielraums bei der Prüfung der Angemessenheit des Mittels. Das ungelöste Problem, wie positivgesetzliche Entscheidungen, zeitbedingte teleologisch-pragmatische Erwägungen und die überzeitliche Zweck-Mittel-Formel als strafrechtliches Verhältnismäßigkeitsprinzip bei der Entscheidung von Fragen der (Straf-)rechtswidrigkeit nun genauer zusammenzuwirken haben, ohne daß die primär durch das Gesetz zu verwirklichende Rechtssicherheit beeinträchtigt wird, durchzieht die gesamte Auslegungslehre Dohnas. Dieses Problem stellt sich bei der Frage, in welchem Umfang sozusagen im Wege der Beweislastumkehr der Gesetzgeber noch im Sinne richtigen Rechts ausgelegt werden darf. Es gilt gleichermaßen für die Abgrenzung zwischen Auslegung eines gesetzlichen Obersatzes und Lückenausfüllung sowie dafür, die Grundsätze für übergesetzliche Rechtfertigungsgründe im ungeschriebenen Recht zu formulieren. 206 Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 132 anläßlich der Einschränkung des positivgesetzlich unbeschränkten Notwehrrechts: „ . . . es ringt hier überall der Gedanke nach Anerkennung, daß auch der Rechtsbrecher doch noch als Rechtsgenosse zu achten ist, . . . . Auch er darf nicht zum bloßen Mittel für die willkürlichen Zwecke des Angegriffenen werden 207 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 1785, S. 61. 208 Dennoch scheint insbesondere in diesem Rückgriff auf generalisierbare sozialnützliche Maßstäbe der Fortschritt gegenüber der Zweckformel Bindings zu liegen (siehe oben FN 143, 179). Lilienthal spricht von dem „latenten Rechtsgedanken . . . , daß der Zweck einer Handlung, d. h. der letzte materielle Erfolg, den sie erreichen soll, die zu seiner Erreichung notwendigen Mittel als nicht rechtswidrig erscheinen läßt, sofern er selbst als rechtlich notwendig zu betrachten ist" (Der Zweck als Straf- und Schuldmoment, in: ZStW 20 (1900), S. 442). Dieser Gedanke wird dann ganz realutilitaristisch ohne jeden Versuch einer rechtsethischen Korrektur und Begrenzung im Hinblick auf die Zwecke der unmittelbaren Selbsterhaltung des Staates, der Aufrechterhaltung der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung, der Wahrnehmung berechtigter Interessen nach § 193 StGB und anhand der Berufsrechte näher erläutert (S. 442 447).
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Die Einbeziehung der Pflichtwidrigkeit des Täters in die Rechtswidrigkeitsprüfung bedeutet, daß der Richter die dem Einzelgewissen zu überlassende Feststellung treffen soll, ob der Täter in sittlicher Weise seinen Willen bestimmt habe, also nach der obigen ersten Formulierung des kategorischen Imperativs gehandelt hat. Dem Tatrichter wird durch ein solches generelles subjektives Rechtfertigungselement aufgrund ethischer, nicht positivgesetzlicher Vorgaben ein weitreichender, revisionsgerichtlich nur unvollkommen nachprüfbarer Entscheidungsspielraum überlassen. Die Gesetzesbindung und die vom Strafgesetz befolgte Methode, bei der Formulierung der Straftatbestände maßgeblich auf das Erfolgsunrecht abzustellen, legen es vielmehr nahe, wenn überhaupt (was einer gesonderten, hier nicht zu unternehmenden Untersuchung bedarf), dann nur spezifizierte subjektive Rechtfertigungselemente dem Richter zur Entscheidung zu überantworten. Auf dieser Grundlage kann auch die Mißbrauchsmöglichkeit der Zwecktheorie als Auslegungslehre für eine politische Instrumentalisierung entschieden werden. Dieser Vorwurf geht insofern zu weit, wenn er die von Dohna ausdrücklich bejahte strikte Gesetzesbindung und seine grundsätzlich rechtsstaatlich strenge Straftatbestandsauslegung übersieht 209 . Zweitens ist zu berücksichtigen, daß deswegen nur eine strafbarkeitseinschränkende Mißbrauchsmöglichkeit überhaupt in Betracht kommt 2 1 0 . Für diejenigen, welche nicht in den „Genuß" der Straffreiheit durch eine mißbräuchlich-extensive Anwendung der Zweckformel kommen, mag dies gleichgültig sein. Immerhin 209 Vgl. nur Dohnas Mangel am Tatbestand, 1910. Dohna hat selber den Vorwurf zurückgewiesen, daß mit der Zweckformel das richterliche Prüfungsrecht über alle gesetzlichen Schranken hinweggesetzt, der Richter zur Korrektur des Gesetzes berufen werde; in: Besprechung von Wenzeslaus Graf Gleispach, Die Veruntreuung an vertretbaren Sachen, 1905, ZStW 26 (1906), S. 831; Dohnas Schlußsatz lautet auf S. 832: „Das gesetzte Recht als richtiges zu begreifen, nicht zwischen beiden einen Gegensatz zu begründen, ist die Aufgabe der Gesetzesinterpretation!" Aber in methodischer Hinsicht wird mit einer solchen Redeweise dem Interpreten gerade ermöglicht, seine Vorstellungen über „richtige" Norminhalte dem Gesetzestext unterzuschieben, um sie dann als die einzig zutreffenden gesetzeskonformen Normkonkretisierungen wieder herauszuholen. 210 Demgegenüber kam z.B. Binding mit Hilfe seiner an der Teleologie der Normen orientierten Auslegungslehre dazu, den Wegfall des Analogieverbots zuungunsten des Angeklagten de lege ferenda zu fordern; Binding, Handbuch des Strafrechts, 1885, Bd. 1, S. 17 - 28, besonders S. 27, 28 (§ 4 Die Entstehung des Satzes nulla poena sine lege und seine Rückwirkung auf die Theorie), auch S. 450 - 474 zur Auslegung der Strafgesetze, S. 456, 457 („Das Gesetz denkt und will, was der vernünftig auslegende Volksgeist aus ihm entnimmt".), besonders S. 466 - 469 (§ 99 Die Erkenntnis des Rechtswillens und ihre Mittel, die Schlußsätze lauten: „So ist alles Recht in Wahrheit nur aus seiner Form und seinen beiden Eigenschaften, daß es Mittel zum Zweck und Teil des Ganzen ist, zu erschließen. Seine Auslegungsmittel liegen nie außerhalb, sondern stets innerhalb des Rechtsgebiets. Alles dem Recht Fremde ist keine Quelle für seine unmittelbare Erkenntnis".); über Binding Kaufmann, Armin, Lebendiges und Totes in Bindings Normentheorie. Normlogik und moderne Strafrechtsdogmatik, 1954; Hans-Ludwig Schreiber, Der gesetzliche Richter, 1976, S. 169 - 174.
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soll die Zweckformel nichts daran ändern, daß die Ausdehnung der straftatbestandlichen Verbotsmaterien im Wege der Analogie unzulässig ist. Der Vorwurf ist aber insofern berechtigt, als Dohna den Anwendungsbereich der Zweckformel mit ihren einzelnen Konsequenzen viel zu unbestimmt abgegrenzt und das materialethisch-rechtsstaatliche Vorverständnis nicht deutlich genug hervorgehoben hat. Der Mangel besteht darin, die mit Zweckformel verbundenen legitimatorischen Strafwürdigkeitserwägungen des Richters nicht eng und deutlich genug auf den hermeneutisch unvermeidlichen Bereich in eine an die verfassungsrechtlichen Vorgaben orientierte Auslegungslehre integriert zu haben. Dieser „unvermeidliche Bereich" meint richterrechtliche Wertentscheidungen, die heute etwa zur Konkretisierung der Kriterien der objektiven Zurechnung, der Verwerflichkeit der Nötigung, der Garantenpflicht bei Straftaten eines abhängig Beschäftigten und in anderen Fällen mehr getroffen werden. Andererseits hat jeder Mißbrauchsvorwurf gegenüber allen partiell richterrechtlichen Auslegungslehren zu beachten, daß wohl keine Rechtsfindungsmethode vor einer machtpolitischen Instrumentalisierung im Sinne der vorgefaßten Weltanschauung des Interpreten sicher ist 2 1 1 . Es sei nur beispielsweise auf die heutige Diskussion um ein sog. Recht auf zivilen Ungehorsam hingewiesen. Mit der Mißbrauchsmöglichkeit hängt auch der Umstand zusammen, daß in der Sphäre konkreter Wertungen die Gefahr einer idealisierenden Verklärung oder Überhöhung der getroffenen Entscheidung besteht. Theoretisch versucht Dohna diese Gefahr zu bannen, indem er im Sinne Stammlers zwischen absolut und objektiv richtig unterscheidet und bei der „Ausrichtung" praktischer Erwägungen an den „reinen Formen" eine relativistische Position vertritt, was vom wissenschaftlichen Standpunkt das Gelten-Lassen-Müssen anderer Dezisionen als möglicherweise ebenso vernünftig wie die eigene bedeutet. Dann spricht er aber wiederholt von der (Nicht-)Übereinstimmung einer empirischen Verhaltensweise mit der formalen Maxime, was wohl nicht einfach als sprachliche Ungenauigkeit abgetan werden kann 2 1 2 . Dahinter steht das ungelöste philosophische Problem, wie wirklich reine Formen einen amorphen Stoff in eine bestimmte Richtung ergreifen können, und das ungelöste hermeneutische Problem, das „rein" formale Denkstrukturen ohne Hinzutritt leitender inhaltlicher Sinnprinzipien und situationsbezogener Topoi keinen 211 Vgl. allgemein zum Problem der Umwertung einer Rechtsordnung, Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, Zum Wandel der Privatrechtsordnung im Nationalsozialismus, 3. Aufl. 1988; ders. Entartetes Recht, Rechtslehren und Kronjuristen im Dritten Reich, 1988, S. 176 - 218; Hans Hattenhauer, Richterleitbilder im 19. und 20. Jahrhundert, S. 9 - 33, und Okko Behrends, Von der Freirechtsschule zum konkreten Ordnungsdenken, S. 34 - 80, beide in: Recht und Justiz im ,Dritten Reich', hrsg. von Ralf Dreier und Wolfgang Sellert, 1989. 212 Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 51. Zum neuesten Entwurf eines Strafgesetzbuchs im Lichte des richtigen Rechts, in: Festschrift für Stammler, 1926, S. 261, 271, 279; Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 67.
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bestimmten praktischen Erkenntnisgewinn vermitteln können. Jedenfalls ist solche Ausdrucksweise nicht ungefährlich, weil damit irgendeiner Entscheidung ein bloßer Schein einer größeren Berechtigung und Rationalität verliehen werden kann. Dennoch darf in methodischer Hinsicht als Verdienst Dohnas festgehalten werden, für die Verbrechenskategorie der Rechtswidrigkeit die teleologische Auslegung vertieft zu haben. Seine Unterscheidung zwischen dem unbedingt zu beachtenden eindeutigen Gesetzeswortlaut und der Auslegung im Sinne des richtigen Rechts, die dem Richter einen größeren Wertungsspielraum eröffnet, ist auch für die spätere Lehre von den normativen Tatbestandsmerkmalen bedeutsam. Abgesehen von dem Streit um den systematischen Standort dieser Merkmale ging die Diskussion auch darum, inwieweit der Richter gesetzliche Wertungen nachvollzieht und vom Gesetzgeber auf kulturelle Wertungen verwiesen oder gar zu einer eigenen Wertentscheidung ermächtigt wird 2 1 3 . Dohna reiht sich damit als einer der ersten Strafrechtler in die vielfältige Bewegung von der Freirechtsbewegung, der Interessen- und der beginnenden Wertungsjurisprudenz ein, welche die (teilweise) Unvollkommenheit des strikten Gesetzespositivismus und die Auffassung vom Richter als Subsumtionsautomaten untersucht 214 . f) Materiellrechtlich-dogmatische Würdigung Hier ist namentlich das Verhältnis der Rechtswidrigkeit zu den anderen Verbrechenselementen zu untersuchen. Dabei geht es im einzelnen um das ObjektWertungs-Schema, die grundsätzlich wertfreie Tatbestandslehre, den Vorwurf der Vermengung zwischen Rechtswidrigkeit und Schuld und um materiale Rechtfertigungsprinzipien. Das Konstruktionsprinzip der Verbrechenslehre, welches im SystematikAufsatz deutlich als Gegenüberstellung des (naturwissenschaftlichen) Bewertungsgegenstandes und der zweifachen Wertung hervortritt, ist im Jahre 1905 schon ansatzweise zu erkennen 215 . Dies gilt allgemein für die Gegenüberstel213 Mezger, Vom Sinn der strafrechtlichen Tatbestände, in: Festschrift für Ludwig Traeger, 1926, S. 226 - 229 (rechtliche, kulturelle, subjektive Wertungsdelikte). 214 Siehe oben FN 192 weiterführende Hinweise. 215 Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 68: das Schuldurteil setze sich aus zwei disparaten Elementen zusammen, einem psychologischen und einem ethischen. Ebenso Die Elemente des Schuldbegriffs, GS 65 (1905), S. 314; Zur Systematik der Lehre vom Verbrechen, in: ZStW 27 (1907), S. 335: Handlung und Vorsatz sind zunächst einmal ethisch indifferent, während in den Begriffen Fahrlässigkeit und Unterlassung eine Wertung notwendig enthalten ist. Vgl. ferner zum frühen Einfluß des dualistischen, neukantischen Denkens auf das Strafrecht, Kohlrausch, Über deskriptive und normative Elemente im Vergeltungsbegriff des Strafrechts, in: Zur Erinnerung an Immanuel Kant, Abhandlungen aus Anlaß der 100. Wiederkehr des Tages seines Todes, 1904, S. 267 284.
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
lung der mit der Zweckformel verbundenen Wertungsstrukturen und den danach bewerteten menschlichen Verhaltensweisen, wobei freilich der Untersuchungsschwerpunkt einseitig auf die formalteleologische normative Seite gelegt wird. Jedoch hat Dohna es wie auch später in der re vidierten Lehre unterlassen, das Objekt-Wertungs-Schema näher zu erläutern. Diese Unterlassung betrifft einmal die Frage nach der komplexen empirisch-normativen Gegenstandsstruktur des Wertungsobjekts und dann die Frage nach den materialen, wenn auch mehr oder weniger historisch bedingten Sinnprinzipien, die für die Bewertung ausschlaggebend sind. Dabei würde es ein modifiziertes Verständnis dieses Dualismus durchaus nahelegen, den Tatbestand in Richtung eines Unrechtstatbestandes zu normativieren 216. Nach dem sprachlich-sozialen Verständnis bildet der Verbrechensfall ungeachtet der letztendlichen Verantwortlichkeit des Täters bereits vor aller strafrechtswissenschaftlichen Konstruktion ein ontisch-unwerthaftes Gebilde. Das formelle Urteil der Rechtswidrigkeit (wie auch der Schuld als Vorwerfbarkeit) setzt einen materialen Bezugspunkt voraus, welcher kraft seiner vorhandenen Unwerthaftigkeit dieses Urteil zumindest teilweise erklärlich macht, wobei noch Unwertzuschreibungen hinzukommen. Für diesen Zusammenhang ist es unerheblich, daß die semantische Unwerthaftigkeit des Gegenstandes wiederum zu einem Teil auf im sprachlichen Bewußtsein rezipierte Unwertfestsetzungen des Strafgesetzgebers beruht. Die Festsetzungen des Gesetzgebers resultieren ihrerseits daraus, daß vorhandene Sozialwertungen durch den Filter eigener kriminalpolitischer Vorstellungen präzisiert und übernommen werden. In der historischen Entwicklung besteht somit eine Wechselbeziehung zwischen der Unwerthaftigkeit des Gegenstandes und der Konstituierung des Unwertes durch eine Unwertzuschreibung. Ein höherer Grad der Reflexion über dieses Vorverständnis und insbesondere das Problem der Seinsweise der Werte gehört in das Gebiet der Philosophie. Jedenfalls bleibt festzuhalten, daß die Tatbestandslehre zumindest im Bereich des Kernstrafrechts einen bereits unwerthaften Gegenstand vorfindet. Wenn man nun auf dieser Grundlage auf die engere oder weitere Umgrenzung des Bewertungsobjektes und auf die Besonderheiten bestimmter Deliktstatbestände achtet, erscheint die Unterscheidung Dohnas zwischen unbedingt und bedingt rechtswidrigen Delikten in einem neuen Licht. Wenn z. B. sämtliche Gesetzesmerkmale der Vergewaltigung erfüllt sind, ist die Tat rechtswidrig. Dies gilt unabhängig davon, welche Lehre zum Standort des Vorsatzes nun vertreten wird. Die Frage nach etwaigen Rechtfertigungsgründen und deren systematisches Verhältnis zum Unrechtstatbestand stellt 216
Immerhin hatte Dohna anläßlich der Unterscheidung zwischen Versuch und Mangel am Tatbestand schon auf die normativen Tatbestandsmerkmale hingewiesen, ohne allerdings wie auch später von der wertfreien deskriptiven Tatbestandslehre abzugehen; siehe 3. Teil, E. I I I . 3.
E. Dogmengeschichtliche Untersuchung der teleologischen Verbrechenslehre 191
sich überhaupt nicht und zwar weder allgemein noch bezogen auf einen konkreten Einzelfall. Anders liegt die Sache beispielsweise bei den Tötungsdelikten. Wird isoliert auf den eigentlichen Tötungsakt und den Tötungserfolg geschaut, kann man sagen, daß insoweit ein Unwert verwirklicht, ein Unrechtstatbestand erfüllt ist. Wird dann der Blickwinkel auf das Situationsumfeld des Tötungsaktes erweitert, kann sich ergeben, daß die Rechtsordnung die Tat wegen Notwehr als rechtmäßig bewertet. Ein höherbewerteter Rechtfertigungstatbestand verhindert also, daß die Bejahung des Unrechtstatbestandes das Urteil „rechtswidrig" zur Folge hat. Dagegen kann in dem ersten Fall die engere oder weitere Umgrenzung des Geschehens als Bewertungsobjekt an dem Urteil „rechtswidrig" überhaupt nichts ändern. In diesem Sinne stehen sich unbedingt und bedingt rechtswidrige Deliktstatbestände gegenüber. Eine nähere Untersuchung wird zu erweisen haben, daß die besondere Struktur bestimmter Delikte einer einheitlichen Bestimmung des Verhältnisses von Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit entgegensteht217. Bekanntlich ist diese Frage in der Nachfolge Belings bis heute noch nicht abschließend geklärt. Die Beurteilung des Vorwurfes der „subjektivistischen" Vermengung zwischen Rechtswidrigkeit und Schuld setzt die Klärung voraus, wie Dohna die Funktionen der Rechtsnormen gesehen hat. Dabei ist zu berücksichtigen, daß er eine nähere Erörterung normentheoretischer Fragen vermieden hat. Es gibt zwar Stellen, die für sich genommen eine Nähe zur (einseitigen) Imperativentheorie beinhalten. Nach dieser Meinung werden unter Rechtsnormen wesentlich Befehle in Gestalt von ge- und verbietenden Verhaltensanweisungen verstanden, die sich an ansprechbare und motivierbare Adressaten richten 218 . Dohna bestimmt die Aufgabe der Rechtsordnung dahin, die Rechtsgenossen zu inhaltlich richtigem Wollen anzuleiten 219 . Im Anschluß an Stammler heißt es, daß nur Zurechnungsfähige Unrecht handeln können 220 . Dabei hätte die von Dohna befürwortete Unterscheidung zwischen Rechtfertigung und Entschuldigung ihm zwecks Vermeidung eines Widerspruches Anlaß geben müssen, sich näher mit Stammler auseinanderzusetzen, der ganz im Sinne Adolf Merkels nur schuldhaftes Unrecht kennt und die Differenzie217
Allgemein zum Verhältnis von Unrechts- und Rechtfertigungstatbestand Schmidhäuser, Lehrbuch, 2. Aufl. 1975, S. 187 - 194, 280 - 288 mwN; zur Dogmengeschichte Schweikert, Wandlungen der Tatbestandslehre seit Beling, 1957. 218 Thon, Rechtsnorm und subjektives Recht, 1878, S. 8; weitere Nachweise bei Mezger, Die subjektiven Unrechtselemente, in: GS 89 (1924), S. 213 - 216; Somlo, Juristische Grundlehre, 2. Aufl. 1927, S. 213 - 215. Larenz, Der Rechtssatz als Bestimmungssatz, in: Festschrift für Karl Engisch, 1969, S. 150 - 160. 219 Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 14,113, 119, 127,150. 220 Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 131; Stammler, Darstellung der strafrechtlichen Bedeutung des Notstandes, 1878, S. 2.
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
rungstheorie beim Notstand gerade ablehnt 221 . Möglich, aber nicht eindeutig ist auch die Interpretation, daß Dohna nur für den rechtswidrigen Angriff im Rahmen der Notwehrlage einen „frivolen Rechtsbruch", also einen vorsätzlich rechtswidrigen Rechtsbruch eines Zurechnungsfähigen verlangt 222 . Dennoch bildet die Bestimmungsfunktion bei Dohna ein wesentliches Element der Rechtsnorm, auch wenn seine Position zum Adressatenproblem im werkinternen Gesamtzusammenhang unklar bleibt. Allerdings hat er sich mit der weiteren Frage, wie der Inhalt der Strafrechtsnormen ausgehend von der Unterscheidung zwischen bedingt und unbedingt rechtswidrigen Handlungen zu formulieren ist, wie sich also das Verhältnis zwischen (Unrechts-)Tatbestand und Rechtswidrigkeit auf die Umschreibung des tabuisierten Verbots- bzw. Gebotsbereiches der Befehlsnormen auswirkt, nicht näher beschäftigt. Dies mag mit seiner Absicht erklärt werden, die häufig befolgte Vorgehensweise, den Begriff der Rechtswidrigkeit aus dem Rechtsbegriff und dem Wesen rechtlicher Normen zu erklären, zu vermeiden. Nur drängen sich auch ihm wieder die Berührungspunkte aller dogmatischen Untersuchungen der Rechtswidrigkeit mit der Normentheorie wieder auf. Andererseits wird die Bewertungsfunktion der Rechtsnormen inzidenter vorausgesetzt. Die formale Maxime bedeutet, sei es in ihrer Eigenschaft als alleiniger Gerechtigkeitsmaßstab oder sei es als Hilfsmittel der Auslegung der gesetzlichen Vorschriften, einen allgemeinen Beurteilungsmaßstab. Im Zusammenhang mit seinem deterministischen Standpunkt zur Willensfreiheit beruft sich Dohna auf Windelband, der diese beiden Funktionen von Normen unterschieden hat 2 2 3 . Zu dem Vorwurf der Vermengung zwischen Rechtswid221 Stammler, Darstellung der strafrechtlichen Bedeutung des Notstandes, 1878, S. 67: entschuldigende Kraft des Notstandes; S. 74: es gibt ein Recht des Notstandes; S. 78f.: gegen eine Handlung im Notstand ist Notwehr nicht zulässig, da wir die Notstandshandlung nicht als rechtswidrig ansehen. Übrigens verstößt Stammler in seiner Notstandslehre eklatant gegen die Grundsätze des richtigen Rechts, wenn er auf S. 77 bezogen auf den Karneades- und den Schiffsjungenfall sagt: auch in diesem Falle geschehe die Verletzung im Notstand gemäß dem Rechte, nicht gegen das Recht, da sich das unterlegene Rechtsgut als das tatsächlich schwächere und daher als das für das Recht weniger wertvolle herausgestellt habe. 222 Die legislative Behandlung von Notwehr und Notstand, ZStW 33 (1912), S. 126. 223 Dohna, Die Elemente des Schuldbegriffs, GS 65 (1905), S. 317, 318; ders. Willensfreiheit und Verantwortlichkeit, 1907, 21, 22; ders. Ein unausrottbares Mißverständnis, in: ZStW 66 (1954), S. 511; ders. Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 26. Allerdings räumt Dohna ein, daß nicht alle Rechtsnormen als Zwangsnormen verstanden werden können. Die Leges imperfectae wie das gesamte Völkerrecht und das Staatsrecht, soweit es um die Kontrolle der Pflichterfüllung der höchsten souveränen Organe geht, entraten der Möglichkeit zwanglicher Durchsetzung (Kernprobleme, S. 35). Da aber der Befehlscharakter von Rechtsnormen und die Möglichkeit einer effektiven Sanktion im Widerstrebensfalle typischerweise zusammengehören, kann Dohnas Auffassung auch insoweit als eingeschränkte Imperativentheorie verstanden werden. Windelband, Normen und Naturgesetze, in: Präludien, 2. Bd., 7./8. Aufl. 1921, S. 80 - 85. Ebenso Mezger, Die subjektiven Unrechtselemente, in: GS 89 (1924), S. 240 - 245.
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rigkeit und Schuld hat die später vertretene Lehre beigetragen, daß der Stufe der objektiven Rechtswidrigkeit die Bewertungs- und daß der Stufe der Schuld die Bestimmungsfunktion der Rechtsnormen entspreche 224. Gegen diese Lehre kann man einwenden, daß auf der Stufe der Beurteilung der Rechtswidrigkeit der Tat die Rechtsnormen neben der Bewertungsfunktion auch eine allgemeine, auf die Gesamtbevölkerung und deren Bewußtsein vom „sozialethischen Minimum" hinzielende Bestimmungsfunktion besitzen. Solche nicht individualisierten Bestimmungs- und Bewertungsnormen tabuisieren dann diejenigen Verhaltensweisen, welche im Unrechtstatbestand der unbedingt wie der nur bedingt rechtswidrigen Delikte umschrieben sind. Wird dann eine Rechtfertigungssituation für die Gruppe der bedingt rechtswidrigen Delikte und die Schuldseite des Täters berücksichtigt, dann konkretisiert und individualisiert sich die Bestimmungsseite der Norm immer mehr: die Norm drückt dann die verbindliche normative Erwartungshaltung der Rechtsordnung gegenüber dem bestimmten Täter für die bestimmte Tatsituation aus. Der Strafausspruch sagt letztendlich, daß der Täter für diesen Widerspruch zwischen der Tat und dem individualisierten Normbefehl einzustehen hat. Es ergibt sich also, daß die Lehre der Aufspaltung der Bewertungs- und Bestimmungsfunktion der Rechtsnormen für die Rechtswidrigkeits- und Schuldseite des Delikts zu modifizieren ist. Betrachtet man unter diesem Aspekt die Lehre Dohnas, so ergibt sich, daß er die höchstpersönliche Bestimmungsseite der Norm unter Beachtung aller für die konkrete Tatsituation und die Täterperson erforderlichen Umstände, daß er also diese für die letztendliche persönliche Verantwortlichkeit des Täters entscheidende Bestimmungsseite der Norm trotz gewisser Ungereimtheiten nicht für die Rechtswidrigkeitsfrage herangezogen hat. Dohna hat seine Auffassung von der Bestimmungs- oder Verhaltenssteuerungs- und der konkludenten Bewertungsfunktion der Strafrechtsnormen beibehalten und näher ausgeführt. Die Normen des Rechts wenden sich an den Menschen, indem sie ihm ein Tun oder Lassen, d.h. eine Willensbestimmung, vorschreiben; dadurch wollen die Normen die Hintanhaltung sozialschädlichen Verhaltens erreichen 225 . „Der Gesetzgeber kann verbieten oder gestatten, gewisse Handlungen vorzunehmen, die bestimmte objektiv gehaltene Eigenschaften an sich tragen. . . . Der Gesetzgeber kann nun aber auch seine Verbote und Erlaubnisse anknüpfen an gewisse Bestrebungen des Täters. Er verbietet alsdann eine bestimmt geartéte Handlung, 224 Vgl. nur Eb. Schmidt/Liszt, Lehrbuch, 26. Aufl. 1932, S. 176, 222, 223; auch Hellmuth v. Weber, Zum Aufbau des Strafrechtssystems, 1935, S. 11 („Die Schuld betrifft das Können, die Rechtswidrigkeit das Sollen".). Diese Unterscheidung findet maßgebliche Impulse bei Kohlrausch, Sollen und Können als Grundlagen der strafrechtlichen Zurechnung, in: Festgabe für Karl Güterbock, 1910, S. 3 - 34. 225 Der Subjektivismus in der Lehre von der Rechtswidrigkeit, in: MschrKrimPsych 25 (1934), S.183.
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wenn und soweit sie vorgenommen wird in bestimmt gearteter Absicht . Ebenso kann es sein, daß er gewisse allgemein verbotene Handlungen gestattet für den Fall, daß sie in gewisser, den Tendenzen der Rechtsordnung adäquater Intention vorgenommen werden. . . . In diesen Fällen ist dann die Beurteilung . . . schon der Rechtswidrigkeit der Tat abhängig von der Zielsetzung des Täters" 2 2 6 .
Es zeigt sich zugleich, daß die imperative Struktur der Strafrechtsnormen ein wesentliches Argument für die Miteinbeziehung täterpsychischer Elemente in das (Straf-)Unrecht bedeutet. Wenn Strafrechtsnormen im Interesse ihrer Effektivität nicht bloße Verursachungsverbote bzw. -geböte enthalten, folgt daraus, schon auf der Unrechtsseite neben dem Erfolgs- das Handlungsunrecht zu berücksichtigen 227 . Später hat insbesondere Welzel diese „finale" Normauffassung übernommen, jedoch hat er die Vorverlagerung des Vorsatzes in das Unrecht wesentlich mit der ontologischen Finalstruktur der menschlichen Handlung begründet 228 . Angesichts des Normverständnisses Dohnas ist es also durchaus zutreffend, daß schon in seiner frühen Lehre die personale Unrechtslehre in der später durch Welzel geprägten Gestalt zum Greifen nahe gewesen ist 2 2 9 . Die Kritik an Dohna hat zweifellos insoweit Berechtigung, als es widersprüchliche Stellen gibt, die mal auf die Anerkennung schuldlosen Unrechts und dann auf das Gegenteil hinauslaufen. Bei der Notstandslehre wird zwischen der mangelnden Rechtswidrigkeit und der mangelnden Zurechenbarkeit rechtswidrigen Verhaltens differenziert 230 . Gleiches gilt in dem Fall, in dem ein Beamter sich irrigerweise zu einem hoheitlichen Eingriff berechtigt gehalten hat: die objektive Rechtswidrigkeit ist gegeben und es mag bei Entschuldbarkeit des Irrtums ein Schuldausschließungsgrund vorliegen 231 . Ferner hat das Schuldurteil gegenüber der Rechtswidrigkeit noch besondere „psychologische Voraussetzungen", was im Systematik-Aufsatz vertieft wird 2 3 2 . Ande226 Der Subjektivismus in der Lehre von der Rechtswidrigkeit, in: MschrKrimPsych 25 (1934), S. 182. Ebenso Der Aufbau der Verbrechenslehre, 1936, S. 19, 32, 33. 227 Vgl. etwa Hellmuth v. Weber, Zum Aufbau des Strafrechtssystems, 1935, S. 8 10 (Folglich sei das vorsätzliche Handeln aus dem Gebiet der Schuld herauszunehmen und zur Rechtswidrigkeit zu stellen). Jescheck, Aufbau und Stellung des bedingten Vorsatzes im Verbrechensbegriff, in: Existenz und Ordnung, Festschrift für Erik Wolf, 1962, S. 480; ders. Lehrbuch, 4. Aufl. 1988, § 24 II. 228 Welzel, Studien zum System des Strafrechts (1939), in: Abhandlungen, 1975, S. 129,147,148. Man kann auch sagen, daß die getrennte Bewertung des (psychischen) Zwecks und des (tatsächlich angewandten) Mittels der Unterscheidung Welzels vom Handlungs- und Erfolgsunrecht entspricht. Ähnlich Noll, Tatbestand und Rechtswidrigkeit, in: ZStW 77 (1965), S. 1, 9, allerdings ohne Dohna zu erwähnen. 229 Lampe, Ernst Joachim, Das personale Unrecht, 1967, S. 26. 230 Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 122, 123, 126. Ebenso Recht und Irrtum, 1925, S. 12, 13. 231 Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 135,136. 232 Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 70: das ethische Schuldmoment der Pflichtwidrigkeit falle mit der Rechtswidrigkeit zusammen.
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rerseits heißt es auch außerhalb der Habilitationsschrift, daß eine rechtswidrige Handlung notwendig gleichzeitig eine schuldhafte ist 2 3 3 . Rückschauend räumt Dohna die Mißverständlichkeit der Ausdrucksweise ein und wehrt sich aber entschieden gegen die Behauptung, er habe nur schuldhaftes Unrecht als Unrecht anerkannt. Vielmehr habe er nur auf die enge Berührung zwischen Rechtswidrigkeit und Schuld in der normativen Sphäre hingewiesen, womit die Einheitlichkeit des Wertungsmaßstabes bei der Unrichtigkeit und der Pflichtwidrigkeit betrachtet von zwei Seiten gemeint gewesen sei 234 . Der berechtigte Kern des Konfundierungsvorwurfes rührt nicht so sehr aus dem Normverständnis Dohnas her, sondern aus dem generellen subjektiven Rechtfertigungselement y ob der Täter die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen sorgfältig geprüft und seinen Willen gemäß der allgemeingültigen Maxime richtigen Verhaltens bestimmt habe. Danach schließt gewissermaßen ein Dolus bonus das Unrecht der Tat aus, während Vorsatz und Fahrlässigkeit noch gemäß der (damals) herkömmlichen Lehre als Schuldformen verstanden werden. Das klassische Dogma von der objektiven Unrechts- und der subjektiven Schuldseite wirkt sich auch bei Dohna aus, insofern er dieses subjektive Merkmal des pflichtmäßigen Ermessens deswegen eigentlich als Schuldmerkmal ansieht 235 . Bei der methodischen Würdigung wurde bereits gesagt, daß die Rechtssicherheit und die Prärogative des Gesetzgebers zur Poenalisierung allenfalls spezifizierte subjektive Rechtfertigungselemente nahelegen. Das pflichtgemäße Ermessen des Täters bedeutet nicht nur eine einseitige Betonung des „Handlungsunrechts", sondern es ist zugleich gesinnungsethischer Herkunft. Für einen ethischen Unrechtsbegriff, welcher auf die Reinheit der der Willensbestimmung zugrundegelegten Handlungsmaximen abstellt, mag es zutreffen, eine schuldhafte Gesinnung als Voraussetzung ethischen Unrechts zu verlangen. Das pflichtgemäße Ermessen harmoniert also nicht 2
33 Zur Systematik der Lehre vom Verbrechen, ZStW 27 (1907), S. 329 „Wenn rechtswidrig das Prädikat für das Subjekt Handlung bildet, dann ist diese rechtswidrige Handlung notwendig gleichzeitig eine schuldhafte". Die Elemente des Schuldbegriffs, in: GS 65 (1905), S. 313: „Denn es gibt keinen pflichtwidrigen Willen, dessen Wirkung, soweit sie überhaupt rechtlich von Bedeutung wird, nicht rechtswidrig wäre, und umgekehrt keinen rechtswidrigen Erfolg, dem nicht eine pflichtwidrige Willensbestimmung zum Grunde läge." Zum neuesten Stande der Schuldlehre, in: ZStW 32 (1911), S. 335: „Wer eine fremde bewegliche Sache beschädigt oder zerstört, um eine durch sie drohende Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt eben deshalb nicht widerrechtlich, weil das Ziel seines Strebens sozialethisch billigenswert, sein Wollen nicht pflichtwidrig ist. . . . Es fehlt an der Rechtswidrigkeit, weil es an der Schuld fehlt". 234 Besprechung Lehrbuch R. v. Hippel, 1930, in: ZStW (1931), S. 615; Besprechung Lehrbuch Mezger, 1931, ZStW (1932), S. 101; Besprechung Lehrbuch Liszt/Eb. Schmidt, ZStW (1932), S. 327; Der Subjektivismus in der Lehre von der Rechtswidrigkeit, in: MschrKrimPsych 25 (1934), S. 179, 180; Der Aufbau der Verbrechenslehre, 1936, S. 26, 32. 235 Gegen ein solches Verständnis M. E. Mayer, Lehrbuch, 1915, S. 186, 187.
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mit der ansonsten soziologischen Unrechtsauffassung Dohnas. Ausgehend von der Funktionsbestimmung der Strafrechtsnormen und von der interessenschützenden Aufgabe des S traf rechts hätte es vielmehr nahegelegen, das Unrecht nur bezogen auf das objektive Erfolgsunrecht zu subjektivieren, also nur einen vom Unrechtsbewußtsein abgetrennten Vorsatz vorzuverlagern. Der berechtigte Kern des Konfundierungsvorwurfes liegt somit darin, daß Dohna der Subjektivierung der Unrechtsbegründung wie des Unrechtsausschlusses keine scharfen Konturen verliehen hat 2 3 6 . Trotz der teils widersprüchlichen und mißverständlichen Ausdrucksweise erscheint es insgesamt nicht gerechtfertigt, Dohna als Subjektivisten zu bezeichnen, der Rechtswidrigkeit und Schuld identifiziert. Dagegen spricht sein Normverständnis, der Verbrechensaufbau im Systematik-Aufsatz und die Trennung zwischen Rechtfertigung und Entschuldigung anläßlich der Notstandslehre. Die Ausführungen Dohnas zum Notstand stehen beispielhaft für den oft übersehenen Umstand, daß die Zwecktheorie folgerichtig auf eine Güter- und Interessenabwägungstheorie hinausläuft. Außerdem ist zu zeigen, daß die Gedanken der Zwecktheorie in mehr oder weniger modifizierter Form an vielen Stellen der Rechtsordnung zur Bestimmung der Grenze zwischen Recht und Unrecht Verwendung finden. Die hermeneutische Untersuchung hatte ergeben, daß die Zwecktheorie nicht nur „formale", bei Rechtswidrigkeitsproblemen anzustellende Gedankengänge enthält, sondern daß sie zugleich sozialnützliche Erwägungen durch den ethisierenden Rückgriff auf den Verallgemeinerungsgedanken zu begrenzen versucht. Dem entspricht in dogmatischer Hinsicht der Umstand, daß die Zwecktheorie das einheitliche Rechtfertigungsprinzip enthält und daß in ihr für die Gewinnung der einzelnen Rechtfertigungsgründe die Verbindung mit der Güter- und Interessenabwägungstheorie bereits enthalten ist. Der Begriff des Zweckes trägt psychologischen Charakter. Die Korrelate des Zweckstrebens heißen Werte. Der Wert- oder Unwertcharakter wird einem Zweckstreben nach dem sprachlichen Herkommen und aufgrund bestimmter Erwägungen des Befürwortens oder Ablehnens zugeschrieben. Die Werte werden dadurch zugleich bestimmten realen Wertsubstraten zuge236
Auch heute noch sind der systematische Standort des Vorsatzes, der Grad der Subjektivierung des Unrechts und die Lehre von den subjektiven Rechtfertigungselementen umstritten; vgl. dazu z.B. Kaufmann, Armin, Zum Stande der Lehre vom personalen Unrecht, in: Festschrift für Hans Welzel, 1974, S. 393 - 414; Gallas, Wilhelm, Zur Struktur des strafrechtlichen Unrechtsbegriffs, in: Festschrift für Paul Bockelmann, 1979, S. 155 - 179; Jescheck, Lehrbuch, 4. Aufl. 1988, § 29; Lenckner, Theodor, Die Rechtfertigungsgründe und das Erfordernis pflichtgemäßer Prüfung, in: Festschrift für Hellmuth Mayer, 1966, S. 165 - 184; Frisch, Wolf gang, Grund- und Grenzprobleme des sog. subjektiven Rechtfertigungselements, in: Festschrift für Karl Lackner, 1987, S. 113 - 148.
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ordnet. Der Konfliktfall zweier unvereinbarer Zweckstrebungen wird von der entscheidenden, wertzuschreibenden Instanz dahin gelöst, daß dem einen verfolgten Wert vor dem anderen geringerwertigen Wert oder Unwert der Vorzug gegeben wird. Was sind nun die für diese Konfliktlösung inhaltlich ausschlaggebenden Erwägungen? Es sind im Bereich des menschlichen Zusammenlebens Erwägungen über die Sozialnützlichkeit und Generalisierbarkeit der gegenüberstehenden Zwecke, die ihrerseits wiederum auf vorgegebenen tradierten, historisch und kulturell unterschiedlich abgewandelten Basis Wertungen beruhen. Wird ein Zweck auf seine Berechtigung überprüft, werden ebenso die mit der Zweck Verwirklichung tangierten Werte, Interessen, gesellschaftlichen und individuellen Lebensgüter gegeneinander abgewogen. Der in der Zwecktheorie angelegte Übergang zur Güter- und Interessenabwägungstheorie läßt sich an den vorsätzlichen Begehungsdelikten beispielhaft verdeutlichen. Wird in den Fällen des Totschlags oder der beleidigenden Presseveröffentlichung nur das eigentliche Täterverhalten betrachtet, hat der Täter das im Tatbestand typischerweise als Unrecht geschilderte Geschehen verwirklicht. Diese Tathandlung kann als Mittel und das Handeln in Notwehr oder in Wahrnehmung berechtigter Interessen kann als Zweck bezeichnet werden. Dem tatbestandsmäßigen Unrecht wird ein höherwertiger Gesichtspunkt gegenübergestellt. Rechtfertigung bedeutet immer „die Bewertung eines Verhaltens in zwei Stufen... : zunächst wird dieses Verhalten in einer bestimmten Wertwidrigkeit gesehen, dann in seinem Zusammentreffen mit einer Wertverwirklichung, wobei sich ergibt, daß diese Wertverwirklichung die zunächst festgestellte Wertwidrigkeit in der Gesamtbewertung zurücktreten läßt" 2 3 7 . In dem weiteren Blickfeld kann die tatbestandsmäßige Unrechtstat als „rechtes Mittel" zur Verwirklichung des höherwertigen Gesichtspunktes, also etwa der Notwehr, der Wahrnehmung berechtigter Interessen usw. als Konkretionen des „rechten Zwecks", bezeichnet werden. Der Sache nach wird das Mittel im Verhältnis zum erstrebten Zweck in seinem Wert abgewogen. Bei den verschiedenen monistischen Rechtfertigungstheorien handelt es sich im Ausgangspunkt genaugenommen letztlich um sprachliche Variationen der Zwecktheorie. Sauer spricht vom Mehr-Nutzen-als-Schadens-Prinzip 238. Nach Roxin führen die Rechtfertigungsgründe einheitlich auf die kriminalpolitische Funktion der sozialen Konfliktlösung oder der sozial richtigen Regulierung 237 Eberhard Schmidhäuser, Zum Begrifff der Rechtfertigung im Strafrecht, in: Festschrift für Karl Lackner, 1987, S. 77. 238 Sauer, Grundlagen des Strafrechts, 1921, S. 286: Ein Verhalten ist rechtswidrig, „das nach seiner allgemeinen Tendenz dem Staate und seinen Gliedern mehr schadet als nützt". Dieses Prinzip ist aber erst anzuwenden, wenn der Gesetzgeber sich nicht klar zur Frage der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit äußert (S. 320, aber auch S. 368, 380, 388).
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von Interesse und Gegeninteresse zurück; die Ausgestaltung der einzelnen Rechtfertigungsgründe richtet sich dann nach den materialen Ordnungsprinzipien des Selbstschutzes, der Rechtsbewährung, der. Güterabwägung, der Persönlichkeitsautonomie und der Verhältnismäßigkeit 239 . Nach der monistischen Güterabwägungstheorie von Eberhard Schmidhäuser besteht das allgemeine Prinzip der Rechtfertigung darin, „daß der Täter, der das Rechtsgut tatbestandlich verletzt, einen in der konkreten Situation vorgehenden Gutsanspruch beachtet" 240 . Innerhalb des einheitlichen Prinzips wird die Rechtfertigung aus überindividueller Zweckhaftigkeit und der Rechtfertigung aus individueller Zweckverfolgung unterschieden, wobei es bei der zweiten Gruppe auf die subjektiven Rechtfertigungselemente und die Mittel-Zweck-Relation ankomme, „daß in dieser konkreten Situation zu diesem Zweck gerade dieses Mittel eingesetzt werden darf" 2 4 1 . Das Prinzip des überwiegenden Interesses bildet nach Rudolphi die Grundlage aller Rechtfertigungsgründe. Die Erlaubnissätze bestimmen die Rechtfertigungsvoraussetzungen danach, daß der Gefährlichkeitsunwert einer an sich verbotenen Handlung durch den Wert einer durch diese Handlung zugleich eröffneten Rettungschance ausgeglichen wird 2 4 2 . Dieses allgemeine Rechtfertigungsprinzip wird zur Gewinnung der einzelnen Rechtfertigungsgründe durch das Ineinandergreifen der Prinzipien der Erforderlichkeit, des Vorrangs staatlicher Zwangsmittel, der Interessenabwägung und der Verantwortung konkretisiert 243 . Die Fortschritte der neueren monistischen Auffassungen bestehen dann darin, daß dem Hinzutritt sachgebietsabhängiger, materialer Rechtfertigungsprinzipien größere Aufmerksamkeit zugewandt wird. Allerdings ist bei Dohna zu beachten, daß bereits das materialethische Vorverständnis der MenschZweck-Formel und das generalisierende, sozialnützliche Effektivitätsdenken 239 Roxin, Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, 2. Aufl. 1973, S. 15, 24 - 32; auf S. 26 FN 58 wird Stratenwerth - Die Prinzipien der Rechtfertigung, in: ZStW 68 (1956), S. 41 - 70 - für die Gewinnung einer materialen Systematik der Rechtfertigungsgründe als richtungsweisend bezeichnet. Stratenwerth entwickelt die Ordnungsprinzipien der Rechtfertigung getrennt für die Bereiche, ob die verletzten Rechtsgüter zur Autonomie des einzelnen oder der Allgemeinheit zugeordnet sind, und hält das Güterabwägungsprinzip für einen wesentlichen, aber nicht alleinigen Gesichtspunkt aller Rechtfertigung. Roxin, Verwerflichkeit und Sittenwidrigkeit als unrechtsbegründende Merkmale im Strafrecht (1964), in: Strafrechtliche Grundlagenprobleme, 1973, S. 192 - 199 zur inhaltlichen Konkretisierung des Prinzips der materiellen Rechtswidrigkeit bei der Nötigung. 240 Schmidhäuser, Strafrecht, 2. Aufl. 1975, S. 288 (9/13). 24 1 AaO. S. 290 (9/16) und Zitat auf S. 316 (9/48). Ders., Zum Begriff der Rechtfertigung im Strafrecht, in: Festschrift für Karl Lackner, 1987, S. 87 - 89: einheitlich ist der Begriff der Rechtfertigung selbst, pluralistisch sind allenfalls die Rechtfertigungsgründe. 242 Rechtfertigungsgründe im Strafrecht. Ein Beitrag zur Funktion, Struktur und den Prinzipien der Rechtfertigung, in: Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann, 1989, S. 381. 243 AaO. S. 389 - 397.
E. Dogmengeschichtliche Untersuchung der teleologischen Verbrechenslehre 199 über den Formalismus der Zwecktheorie hinausweist. Dieser Umstand ist es, der es rechtfertigt, D o h n a als A h n h e r r n der neueren monistischen Rechtfertigungstheorien anzusehen, die sich der materialen Konkretisierung der Einzelprinzipien zuwenden. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit ist nun auf die Verwendung der Zwecktheorie in der Gesetzgebung einzugehen. D a b e i k o m m t es nicht auf Einzelheiten an, sondern nur auf die Wiederkehr des Zweck-Mittel-Denkens. D i e Angemessenheitsklausel des rechtfertigenden Notstands i m §34 S . 2 StGB ist unter Berufung auf D o h n a als K o r r e k t i v der Güter- und Interessenabwägung verstanden w o r d e n 2 4 4 . D i e Verwerflichkeitsklausel des § 240 I I S t G B hat die Zwecktheorie D o h nas für die Nötigung zum Gesetz erhoben. Das spezielle Problem, ob die Fernziele von friedensengagierten Sitzblockierern zu berücksichtigen sind, findet in der Dohnaschen Lehre naturgemäß eine frühe Parallele, nämlich inwieweit es auf die subjektive Auffassung des Handelnden über die Angemessenheit des Mittels zur Erreichung eines rechten Zwecks a n k o m m t oder ob nicht vielmehr über die Z w e c k - M i t t e l - R e l a t i o n nur unter Mitberücksichtigung der handlungsnahen Ziele des Täters, also des Tatbestandsvorsatzes, v o m Standpunkt der Rechtsordnung objektiv wertend entschieden werden m u ß 2 4 5 . I n 244 Vgl. umfassend Lenckner, Der rechtfertigende Notstand. Zur Problematik der Notstandsregelung im Entwurf eines Strafgesetzbuchs (E 1962), 1965. Die Angemessenheitsklausel fand sich vorher im § 25 E ADStGB 1925 und im § 29 I E 1962, sie findet sich ferner im § 16 OWiG. Auch L K - Hans-Joaschim Hirsch, 10. Aufl., § 34 StGB, RN 3 mit Nachweisen, daß die Gesetzesmaterialien im § 34 S. 2 das Interessenabwägungsprinzip mit der Zwecktheorie überkreuzen wollten. Entgegen der herrschenden Meinung verneint Hirsch eine selbständige Bedeutung der Angemessenheitsklausel (aaO, RN 78-81). Als subjektives Rechtfertigungselement wird nur die Gefahrabwendungsabsicht verlangt; eine gewissenhafte oder pflichtgemäße Prüfung, ob die objektiven Notstandsvoraussetzungen vorliegen, wird nicht gefordert (so Hirsch, aaO, RN 77 mwN). 245 Vgl. nur die Kommentarliteratur mwN insbesondere zur Rechtsprechung; S/S Eser, 24. Aufl. 1991, § 240 StGB, RN 15 (Die Widerrechtlichkeit ergibt sich aus dem Verhältnis von Nötigungsmittel und Nötigungszweck; der Nötigungszweck werde alleine vom Willen des Täters bestimmt), RN 18 (Es geht um die sozialethische Mißbilligung der Zweck-Mittel-Relation.), RN 26 - 29 (Zwar darf der Nötigungszweck nicht einfach mit der unmittelbaren (faktischen) Nötigungsfolge gleichgesetzt werden, andererseits ist der für die Mittel-Zweck-Relation erhebliche Nötigungszweck nicht im Fernziel der Demonstration zu erblicken. In erster Linie ist die Art der Gewaltanwendung und deren unmittelbaren Ziel in Beziehung zu setzen). Ausführlich Karl Schäfer, L K , 10. Aufl., § 240 StGB RN 61 (Fernziel und Nahziel), RN 1 (Nachweise zur Entstehungsgeschichte). Roxin erwähnt zutreffend, daß der Gesetzgeber damit unmittelbar auf die ins Negative gewendete Zwecktheorie zurückgegriffen hat (Verwerflichkeit und Sittenwidrigkeit als unrechtsbegründende Merkmale im Strafrecht (1964), in: Strafrechtliche Grundlagenprobleme, 1973, S. 188). Um dem Gesetzlichkeits- und Bestimmtheitsgebot gerecht zu werden, stellt er dann sechs Ordnungsprinzipien zur Konkretisierung der materiellen Rechtswidrigkeit oder Sozialschädlichkeit auf (ebd., S.192 - 199).
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
dem speziellen Zusammenhang mit der Nötigung ist auch an die oben erörterte Möglichkeit einer politischen Instrumentalisierung der Zwecktheorie zu erinnern. Immerhin besteht die Gefahr, daß das geltende Tatstraf recht auf dem Umweg über die einseitige Berücksichtigung der Fernziele, also des pflichtgemäßen Ermessens, gewissermaßen in ein Gesinnungsstrafrecht umgewandelt wird. Die Körperverletzung ist nach § 226 a StGB rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung des Verletzten gegen die guten Sitten verstößt. „Ohne Einbeziehung des Tatzwecks läßt sich zumeist gar nicht sachgerecht beurteilen, ob der körperliche Eingriff (trotz der Einwilligung) sittenwidrig ist" 2 4 6 . Roxin verlangt zur Begründung der Strafbarkeit eine eindeutige Objektivierbarkeit des Sittenwidrigkeitsurteils 247 . Die Wahrnehmung berechtigter Interessen nach § 193 StGB wird von der h.M. als ein Fall der Güter- und Interessenabwägungstheorie angesehen. Die erste Voraussetzung sei das Vorliegen eines berechtigten Zwecks und zweitens müsse die Ehrverletzung dazu das angemessene Mittel sein 248 . Im Zivilrecht sei nur auf die Selbsthilfevorschriften (§§229, 230 BGB) und auf die vorsätzliche sittenwidrige Schädigung nach §826 BGB hingewiesen. Die Widerrechtlichkeit von Verletzungen des Persönlichkeitsrechts richte sich nach dem Prinzip der Güter- und Interessenabwägung. „Dabei muß die soziale oder persönliche Nützlichkeit der gefährdenden Handlung zur Wahrscheinlichkeit und Größe der erwarteten Nachteile in Beziehung gesetzt werden". Insbesondere sei ein vertretbares Verhältnis zwischen dem erstrebten Zweck des Schädigers und der Beeinträchtigung des Betroffenen erforderlich 2 4 9 . Das richterrechtliche Arbeitskampfrecht besteht weitgehend aus einer vielschichtig differenzierten und konkretisierten Relation des angemessenen Mittels zum rechten Zweck 2 5 0 . Im gesamten öffentlichen Recht braucht nur an die vielfältige Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, des Übermaßverbots und des pflichtgemäßen Ermessens erinnert zu werden 251 . 246 S/S - Stree, 23. Aufl. 1988, § 226 a R N 7. 247 Roxin, Verwerflichkeit und Sittenwidrigkeit als unrechtsbegründende Merkmale im Strafrecht (1964), in: Strafrechtliche Grundlagenprobleme, 1973, S. 200, dies wird für Verstümmelungen zu deliktischen Zwecken, bewußt lebensgefährlichen Schlägereien und für sadomasochistische Verletzungen bejaht. 248 S/S - Lenckner, 23. Aufl. 1988, § 193 R N 8 - 9a. 249 Vgl. nur Palandt, § 823 15) D). 250 Vgl. nur Schaub, Günter, Handbuch des Arbeitsrechts, 6. Aufl. 1987, § 193. 251 Vgl. nur die Nachweise bei Stern, Klaus, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1984, S. 861 - 867 (zum Übermaßverbot); Herzog, Roman, in: Maunz/Dürig/Herzog, Kommentar zum Grundgesetz, V I I . zu Art. 20,
E. Dogmengeschichtliche Untersuchung der teleologischen Verbrechenslehre 201
Diese weitgehende, natürlich nur zum allergeringsten Teil auf Dohna selbst zurückgehende Integration und sachgebietsabhängige Modifikation des sozialnützlichen, auf Generalisierungsfähigkeit bedachten Zweck-Mittel-Denkens in der positiven Rechtsordnung belegt noch einmal den überzeitlichen Gehalt der Lehre Dohnas, der ihr trotz vorhandener Mängel zukommt 2 5 2 . g) Die späteren Ergänzungen zur Zwecktheorie und Zusammenfassung zur dogmengeschichtlichen Bedeutung Dohna hat die Zwecktheorie im Systematik-Aufsatz, insbesondere in der Abhandlung Recht und Irrtum und im Aufbau der Verbrechenslehre allerdings in nicht gleichförmiger Art weiterentwickelt. Auch wenn eine (materielle) Rechtsgüterverletzung vorliegt und (formell) ein gesetzlicher Tatbestand erfüllt ist, ist die Rechtswidrigkeit grundsätzlich ausgeschlossen im Falle der Ausübung einer Pflicht, der Ausübung eines Rechts und im Falle der Einwilligung des Verletzten 253 . Darüber hinaus muß zur Ermittlung der Rechtswidrigkeit auf die Idee des Rechts zurückgegangen werden 254 . Da sich die Rechtfertigungsgründe tatbestandsmäßiger Handlungen „nur zum geringsten Teile" aus der geschriebenen Rechtsordnung ablesen lassen, gelte es, ein eigentliches System der Rechtfertigungsgründe zu entwerfen 255 . Im folgenden werden sechs Leitsätze aufgestellt: Die Erfüllung einer Rechtspflicht und die Ausübung eines Rechts sind niemals rechtswidrig 256 . „3. Von zwei kollidierenden Interessen darf das höherwertige auf Kosten des minderRN 71 - 77). Als gesetzliche Ausprägungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes seien z.B. die polizeirechtlichen Vorschriften zur Anwendung unmittelbaren Zwangs und zum Schußwaffengebrauch genannt (§§ 35, 39, 40 PolG BW). Vgl. zur Bedeutung des pflichtgemäßen Ermessens im Verwaltungsrecht nur die Kommentare zu § 40 VwVfG. Gegen ein pflichtgemäßes Ermessen bei der Feststellung der tatsächlichen Voraussetzungen eines hoheitlichen Eingriffsrechts und gegen den strafrechtlichen Rechtswidrigkeitsbegriff beim Handeln von Hoheitsträgern wendet sich Roxin (Der strafrechtliche Rechtswidrigkeitsbegriff beim Handeln von Amtsträgern eine überholte Konstruktion, in: Festschrift für Gerd Pfeiffer, 1988, S. 45 - 53 mwN). 252 Allgemein zum überzeitlichen Gehalt der Zwecktheorie und der ihr verwandten Lehren und Einzelausprägungen, Wieacker, Franz, Geschichtliche Wurzeln des Prinzips der verhältnismäßigen Rechtsanwendung, in: Festschrift für Robert Fischer, 1979, S. 867 - 881. 253 Zur Systematik der Lehre vom Verbrechen, in: ZStW 27 (1907), S. 345: einerseits Dienst- und Amtspflichten, Gehorsamspflicht gegenüber einem gesetzlichen Befehl, Berufspflichten und andererseits Recht der Selbsthilfe, der Notwehr, des Notstandes, Erziehungs- und Züchtigungsrecht. 254 Zur Systematik der Lehre vom Verbrechen, in: ZStW 27 (1907), S. 344. 255 Recht und Irrtum, 1925, S. 5 (Zitat), 8. 256 Recht und Irrtum, 1925, S. 9 - 11; letzteres ist aber im Hinblick auf § 226 BGB in dieser rigorosen (tautologischen) Allgemeinheit unzutreffend.
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
wertigen behauptet werden" 2 5 7 . „4. Eine Handlung, welche der Erhaltung eines Rechtsgutes dient, kann nicht zugleich der Norm widerstreiten, die dieses Rechtsgut zu schützen bestimmt ist" 2 5 8 . Diese vier Sätze, also auch das Interessenabwägungsprinzip, stellen sich als Spezialisierungen der Generalformel dar, nach der „5. Die Anwendung des angemessenen Mittels zur Erzielung eines von der Rechtsordnung anerkannten Zwecks" nicht rechtswidrig sein kann. Die Zweckformel wird dadurch „in eine subsidiäre Stellung zurückgedrängt" ; ihr verbleiben die zu pädagogischen Zwecken angewandten Züchtigungsmittel und die in Wahrnehmung berechtigter Interessen vorgenommenen Eingriffe 259 . Schließlich ist die Einwilligung des Verletzten zu nennen, soweit diese Einwilligung nicht gegen die guten Sitten verstößt 260 . Im Aufbau der Verbrechenslehre wird die Zwecktheorie wieder mehr in den Vordergrund gestellt 261 . Diese Ergänzungen bestätigen, daß eine wesentliche Bedeutung der Zwecktheorie in ihrer Verwendung als ethisierende und sozialutilitaristische Auslegungslehre des positiven Rechts zu suchen ist. Abschließend ist kurz die mehrfache dogmengeschichtliche Bedeutung zusammenzufassen. Mit dem natürlichen Handlungswillen, der kränkenden Form bei der Beleidigung und der wollüstigen Begierde bei der unzüchtigen Handlung hat Dohna subjektive Unrechtsbegründungselemente anerkannt. Das pflichtmäßige Ermessen des Täters bildet ebenso wie der Verteidigungswille bei der Notwehr ein subjektives Rechtfertigungselement. Trotz der Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Rechtswidrigkeit und Schuld sollte Dohna als ein maßgeblicher Wegweiser der Lehre von den subjektiven Unrechts- und Rechtfertigungselementen bezeichnet werden; in dieser Beziehung ist seine Bedeutung vielfach verkannt worden 262 . 257 Recht und Irrtum, 1925, S. 11 - 13. 258 Recht und Irrtum, 1925, S. 13, 14. Ebenso Vorsatz bei Landesverrat, in: DJZ 1925, Sp. 148. Mit Hilfe dieses Grundsatzes und weiteren Überlegungen zum normativen Schuldbegriff hatte Dohna nachgewiesen, daß es sich bei dem Magdeburger Fall, bei dem inzidenter der Reichspräsident Friedrich Ebert des Landesverrats im Zusammenhang mit dem Munitionsarbeiterstreik im Januar 1918 für schuldig befunden wurde, um ein krasses juristisches Fehlurteil handelt. Vgl. dazu die eingehende Untersuchung von Miltenberger, Michael, Der Vorwurf des Landesverrats gegen Reichspräsident Friedrich Ebert. Ein Stück deutscher Justizgeschichte, 1989, besonders S. 57 83. Den Überlegungen Dohnas zur fehlenden Pflichtwidrigkeit Eberts hat das Reichsgericht sachlich zugestimmt in RGSt 65, S. 422, 433. 259 Recht und Irrtum, 1925, S. 14. 260 Recht und Irrtum, 1925, S. 14 - 16. 261 Der Aufbau der Verbrechenslehre, 1936, S. 22, 23 (Es werden nur die beiden Gesichtspunkte der Erfüllung einer Pflicht und der Ausübung eines Rechts genannt.), S. 28. 262 Welzel, Studien zum System des Strafrechts, 1939, in: Abhandlungen, S. 134: die subjektiven Unrechtselemente haben von den zivilistischen Untersuchungen H. A . Fischers ihren Ausgangspunkt genommen; ebenso Sieverts, Rudolf, Beiträge zur Lehre von den subjektiven Unrechtselementen, 1934, S. 6 - 3 3 , S. 37 - 39 (Erst später habe sich Dohna zu dieser Lehre bekannt, nämlich zuerst in der Besprechung des Lehrbuchs
E. Dogmengeschichtliche Untersuchung der teleologischen Verbrechenslehre 203
Dagegen ist Dohna zutreffend als Pionier der Lehre von der materiellen Rechtswidrigkeit bezeichnet worden. Allerdings wurde nicht gebührend berücksichtigt, daß die Zwecktheorie folgerichtig auf eine Güter- und Interessenabwägungstheorie hinausläuft; diesen Übergang weiterdenkend bleibt die Aufgabe, die materialen Gesichtspunkte für die einzelnen Rechtfertigungsgründe herauszuarbeiten. Viele Interpreten machen es sich bei der Kritik zu leicht, wenn sie nur bei der Formel vom angemessenen Mittel zum rechten Zweck stehen bleiben. In hermeneutischer Hinsicht gilt es, der Limitierung sozialnützlicher Erwägungen durch ethische oder rechtsstaatliche Kriterien nachzugehen. Schließlich hat Dohna aufgrund seiner imperativen Strafnormauffassung den Weg in die Richtung der personalen Unrechtslehre Welzels gewiesen. 5. Die ethisierende Lehre von der Schuld: Die Pflichtwidrigkeit der Willensbestätigung als normatives Schuldelement a) Zielrichtung der Untersuchung, zum Sprachgebrauch Die frühe Schuldlehre Dohnas fällt in den Beginn des Zeitraums, der üblicherweise schlagwortartig durch die Ablösung der psychologischen durch die normative Schuldlehre charakterisiert wird. Daß hinter dieser grobmaschigen Kennzeichnung eine differenzierte und facettenreiche Dogmatik verborgen ist, hat Hans Achenbach in einer gründlichen Studie erarbeitet, auf die als Hintergrund unserer Untersuchung grundsätzlich verwiesen wird 2 6 3 . Der Darstellung der Lehre Dohnas folgt die Würdigung in rechtsphilosophischer und strafrechtsdogmatischer Hinsicht. Die Einzeluntersuchung beschäftigt sich insbesondere mit der (Dis-)Harmonie seiner Schuldlehre im Gesamtvon Mezger, in: ZStW 52 (1932), S.101, 110); Ernst Joachim Lampe, Das personale Unrecht, 1967, S. 31; Mezger, Lehrbuch, 2. Aufl. 1933, S. 168; Oehler, Dietrich, Das objektive Zweckmoment in der rechtswidrigen Handlung, 1959, S. 62; Baumann/Weber, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 9. Aufl. 1985, S. 281. Hegler meint in Frank Festgabe Bd. 1, 1930, S. 252f., daß er selbst wohl als erster vom Standpunkt der objektiven Rechtswidrigkeit subjektive Momente zur Begründung derselben herangezogen habe in ZStW 36 (1914), S. 31 ff.; Busch, Moderne Wandlungen der Verbrechenslehre, 1949, S. 5; auch Waider, Subjektive Rechtfertigungselemente, 1970, S. 4 erwähnt Beling, Nagler, H. A . Fischer, M. E. Mayer, Mezger; auch Roxin, Offene Tatbestände und Rechtspflichtmerkmale, 2. Aufl. 1970, S. 42. 263 Hans Achenbach, Historische und dogmatische Grundlagen der strafrechtssystematischen Schuldlehre, 1974, besonders S. 85 - 90 zur ursprünglichen Schuldlehre Dohnas im Abschnitt über die ethisierenden Theorien, weitere Vertreter M . E. Mayer und Friedrich Sturm. Vgl. ferner zur Dogmengeschichte: Berg, Otto, Der gegenwärtige Stand der Schuldlehre im Strafrecht, 1927; Wolf, Erik, Strafrechtliche Schuldlehre, 1928, S. 5 - 72, über Dohna besonders S. 62 - 65; Kaufmann, Arthur, Das Unrechtsbewußtsein in der Schuldlehre des Strafrechts, 1949; Weber, Heinz Peter, Die normative Schuldlehre, 1967, über Dohna S. 14 - 17, 26, 27.
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
werk. Dies betrifft einmal die Frage nach der Schuld des sog. Überzeugungsverbrechers. Ferner ist der individualethischen H e r k u n f t seiner Schuldlehre nachzugehen, die folglich nicht spezifisch strafunrechtsbezogen ist u n d die m i t dem spezialpräventiven Charakterschuldmodell nicht zusammenpaßt. Schließlich ist seine dogmengeschichtliche Bedeutung für die E n t w i c k l u n g der normativen Schuldlehre zu beurteilen. D o h n a hat sich nicht speziell zu den definitorischen Problemen des Schuldbegriffs geäußert; nur an zwei Stellen w i r d ohne nähere Erläuterung die formale Schuld dem (materialen) Wesen der Schuld gegenübergestellt 2 6 4 . Ferner ist er beiläufig davon ausgegangen, daß der strafrechtliche Schuldbegriff ausgehend v o n der deterministischen Auffassung zur menschlichen Willensfreiheit für die Strafbegründung und Strafzumessung einheitlich ist. D i e Gegenüberstellung v o n formeller
und materieller
Schuld w i r d hier par-
allel zur Unterscheidung v o n formeller Rechtswidrigkeit u n d materiellem U n r e c h t v e r s t a n d e n 2 6 5 . Jener Begriff drückt eine bloße Beziehung zwischen zwei Größen aus, enthält aber keine Festlegung der inhaltlichen Beschaffen-
264 Zur Systematik der Lehre vom Verbrechen, in: ZStW 27 (1907), S. 345; Zum neuesten Stand der Schuldlehre, in: ZStW 32 (1911), S. 326. 265 Mit diesem Begriffspaar werden aber häufig verschiedene Bedeutungen verknüpft. Vgl. etwa die Nachweise bei Achenbach, Schuldlehre, 1974, S. 2; Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, 4. Aufl. 1988, § 38 I I I . Beispielsweise Liszt, Lehrbuch seit der 14./15. Aufl. 1905, S. 157,158: Schuld im formellen Sinne ist „die Verantwortlichkeit des Täters für die von ihm begangene rechtswidrige Handlung"; sie hat die Schuld im materiellen Sinne zur notwendigen Voraussetzung, also „die aus der begangenen Tat erkennbare Mangelhaftigkeit der für das gesellschaftliche Zusammenleben im Staate erforderlichen sozialen Gesinnung." - Mittermaier, Kritische Beiträge zur Lehre von der Strafrechtsschuld, 1909, S. 14: „Schuld im formellen Sinne ist diejenige Erscheinung, die wir in gleicher Art bei jedem Verbrechen finden, Schuld materiell aber ist die Erscheinung, die inhaltlich verschieden den Unterschied zwischen den einzelnen konkreten Taten bezeichnet, und nach der sich die Strafe in ihrer individuellen Abstufung richtet." - Engisch, Untersuchungen über Vorsatz und Fahrlässigkeit im Strafrecht, 1930, S. 38, 39: Schuld im formellen Sinne bedeutet die Zusammenfassung von Vorsatz und Fahrlässigkeit als Inbegriffe von vorwurfsbegründenden Merkmalen, die durch Bestimmung des Gesetzgebers oder . . . nach Maßgabe ihrer Stellung im Strafrechtssatz durch die sozial-ethischen Anschauungen der Volksgenossen festgelegt sind; S. 40: Schuld im materiellen Sinne ist ein Postulat, das aus irgendwelchen moralischen Grundsätzen oder aus dem Wesen der Strafe abgeleitet wird. - Gallas versteht in ZStW 67 (1955), S. 45, 46 unter Schuld materiell die „Vorwerfbarkeit der Tat mit Rücksicht auf die darin betätigte rechtlich mißbilligte Gesinnung" oder den sich in der Tat aktualisierenden Gesinnungsunwert. Vgl. ferner Arthur Kaufmann, Das Unrechtsbewußtsein, 1949, S. 83: formell ist Schuld eine bestimmt geartete Beziehung zwischen Tat und Täter, welche die Verantwortlichkeit des Täters begründet; ders. Das Schuldprinzip, 2. Aufl. 1976, S. 129: „Material gibt es Schuld aber nur als sittliche Schuld: als freie, selbstverantwortliche Willensentscheidung gegen eine erkannte sittliche Pflicht", auch S.153, 178 - 183. Schmidhäuser, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1975, S. 364 - 368; ders. Über den axiologischen Schuldbegriff des Strafrechts: Die unrechtliche Tatgesinnung, in: Festschrift für Hans-Heinrich Jescheck, Bd. 1, 1985, S. 485 - 502.
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heit dieser Beziehung zwischen der rechtswidrigen Tat und der Täterpersönlichkeit; es wird das Entweder-Oder der Zurechnung bzw. des Verantwortlichmachens des Täters für seine rechtswidrige Tat ausgedrückt. Demgegenüber wird mit der materiellen Schuld das sachliche Substrat dieser Beziehung oder der Schuldsachverhalt bezeichnet, d.h. die unwerthafte Gesinnung bzw. innere Haltung des Täters selbst bezogen auf die rechtswidrige Tat. In neuerer Zeit findet sich zunehmend die Aufgliederung in Straßegründungs-, Strafzumessungsschuld und Schuldidee, wobei von vornherein das Bemühen aufgegeben wird, für diese Teilfragen eine einheitliche Schuldformel zu finden. Die beiden ersten Teillehren sind dem positiven Gesetz und dem Verfassungsrecht verpflichtet, während etwa rechtsphilosophische Dogmen wie die Willensschuld auf indeterministischer Grundlage in das Gebiet der Schuldidee verbannt werden 266 . b) Darstellung der Lehre Dohnas Seine 1905 veröffentlichte Antrittsvorlesung über „Die Elemente des Schuldbegriffs" widmet sich vorwiegend der Ablehnung der psychologischen Schuldlehre (namentlich derjenigen von Radbruch), der Analyse des ethischen Schuldmoments der Pflichtwidrigkeit sowie der Bedeutung des Bewußtseins dieser Pflichtwidrigkeit. Die konstruktiven Fragen der Schuldlehre werden 1907 im Systematik-Aufsatz vertieft. Der 1911 erschienene Aufsatz „Zum neuesten Stande der Schuldlehre" faßt nicht nur, wie Achenbach meint, die 1905 entwickelte Auffassung zusammen, sondern bietet eine nicht unbedeutende Modifizierung der ursprünglichen Fahrlässigkeitslehre und problematisiert speziell den Schuldcharakter der unbewußten Fahrlässigkeit 267 . Die Besinnung in rein kritischer Art auf den Inhalt des eigenen Bewußtseins, wenn wir von Schuld oder Verdienst sprechen, führt dazu, das psychologische und ethische Moment im Schuldbegriff auseinanderzuhalten 268. Der psychologischen Seite wendet Dohna die geringere Aufmerksamkeit zu. Beim Vorsatz und der bewußten Fahrlässigkeit ist im Gegensatz zur unbewußten Fahrlässigkeit eine psychische Beziehung des Täters zu seiner Tat, besonders zum Erfolg, gegeben. Der Eventualvorsatz wird von der bewußten Fahrlässigkeit durch die Billigung des Erfolges abgegrenzt, womit Dohna der Vermittlung Mittermaiers zwischen der Willens- und Vorstellungstheorie zustimmt 269 . 266 Achenbach, Schuldlehre, 1974, S. 2 - 5; S/S - Lenckner, 23. Aufl. 1988, Vorbem. §§ 13ff., RN 107- 112 mwN. 267 Achenbach, Schuldlehre, 1974, S. 85 FN 36. 268 Die Elemente des Schuldbegriffs, in: GS 65 (1905), S. 314; Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 68, 69; Zur Systematik der Lehre vom Verbrechen, in: ZStW 27 (1907), S. 336; Zum neuesten Stand der Schuldlehre, in: ZStW 32 (1911), S. 326, 336.
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Dohna konzentriert sich vielmehr auf das ethische Schuldmoment der Pflichtwidrigkeit und im Zusammenhang damit auf die Zurechnungsfähigkeit und das Bewußtsein des Täters, Unrecht zu tun. Die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens bildet innerhalb der Begriffe von Vorsatz und Fahrlässigkeit dasjenige gemeinsame Merkmal, unter dem erst von ihnen als Formen der Verschuldung gesprochen werden kann 2 7 0 . Das in der Schuld oder Zurechnung zum Ausdruck kommende Werturteil knüpft unmittelbar an die Willensbestimmung an und mißbilligt das Motiv des Täters, wobei Motiv und Zweck inhaltlich identisch sind 271 . Dohna meint damit, daß sich im Motiv eine Zweckvorstellung (der Gedanke an etwas zukünftig zu Bewirkendes) mit einer Gefühlsbetonung der Lust verbindet, kraft dessen das Motiv zum Erzeuger des Willens wird. „Einen Willen, dessen Motive Mißbilligung verdienen, nennen wir pflichtwidrig. Danach ist Schuld gleich pflichtwidrige Willensbetätigung" 272 .
Dementsprechend richtet sich die Strafzumessung nach dem Wert und der Intensität des wirksam gewordenen Motivs; während Überlegung, Rückfall und Gewohnheit zur Strafschärfung führt, wirkt sich der Affekt strafmildernd aus 273 . Die Pflichtwidrigkeit bildet in der Schuldlehre Dohnas durchgängig das maßgebliche normative Element, auch wenn sonst gewisse Modifizierungen festzustellen sind 274 . Das allgemeingültige Wesen dieser Pflichtwidrigkeit kann nur apriorischer und formaler Natur sein. Um den einheitlichen Schuldbegriff in gesicherter Methode festzulegen, ist nach der Bedingung zu fragen, unter der ein wie immer inhaltlich geartetes Wollen pflichtgemäß oder pflichtwidrig 269 Zum neuesten Stand der Schuldlehre, in: ZStW 32 (1911), S. 328 FN 11; Mittermaier, Kritische Beiträge zur Lehre von der Strafrechtsschuld, 1909, S. 48 - 52. Bereits im Manuskript, Der Kriminaldolus, 1900, S. 48 - 53, sprach sich Dohna für die Einwilligungstheorie aus (NL Dohna I, Nr. 20). 270 Die Elemente des Schuldbegriffs, in: GS 65 (1905), S. 314; Systematik, ZStW 27 (1907), S. 345: Der Vorsatzbegriff sei zunächst ethisch indifferent, aber jedes Delikt werde entweder mit rechtswidrigem Vorsatz oder Fahrlässigkeit begangen; S. 348: Die Pflichtwidrigkeit der Willensbestimmung bilde das genus proximum zu Vorsatz und Fahrlässigkeit. Sachlich übereinstimmend Finger, Bemerkungen zum Schuldbegriffe, in: GS 72 (1908), S. 251 FN1, 254, 264. 271 Die Elemente des Schuldbegriffs, in: GS 65 (1905), S. 311, 312. 272 Die Elemente des Schuldbegriffs, in: GS 65 (1905), S. 312. Manchmal heißt es gleichbedeutend „pflichtwidrige Willensbestimmung", aaO. S. 316 und in: Zur Systematik der Lehre vom Verbrechen, ZStW 27 (1907), S. 348. Einmal wird von der Schuld als antisozialer Gesinnung gesprochen (Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 68 FN 1). 273 Zur Systematik der Lehre vom Verbrechen, ZStW 27 (1907), S. 349; ders. Willensfreiheit und Verantwortlichkeit, 1907, S. 17, 18; Ders. Ein unausrottbares Mißverständnis, in: ZStW 66 (1954), S. 513, 514; vgl. M . E. Mayer, Lehrbuch, 1915, S. 496 499 (Das Motiv entlastet, der Charakter belastet). 274 Zum neuesten Stand der Schuldlehre, ZStW 32 (1911), S. 335; Vorsatz bei Landesverrat, DJZ 1925, Sp. 148; Der Aufbau der Verbrechenslehre, 1936, S. 31. Ebenso das Reichsgericht in RGSt 65, S. 422, 433.
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ist 2 7 5 . Eine solche formale Maxime bildet der aus dem Gebiete des Erkennens stammende Satz des Nichtwiderspruchs, der sich auf das menschliche Handeln übertragen läßt. Dohna verweist auf den kategorischen Imperativ Kants und erklärt: „ U n d es erscheint pflichtwidrig eine Willensbestimmung, welche sich nach dem eigenen Urteile des Handelnden nicht generalisieren l ä ß t . . . Ein Wollen, das dieser obersten, grundlegenden Norm für alles menschliche Tun und Lassen widerstreitet, nennen wir schuldhaft" 276 .
Im Hinblick auf die Differenzierung des psychologischen Elements liegt die Pflichtwidrigkeit der bewußten Schuld darin, daß der Täter trotz des Bewußtseins der Folgen seines Verhaltens handelt, während die Pflichtwidrigkeit im umgekehrten Falle gerade im Fehlen des Bewußtseins solcher Folgen besteht 277 . Die Voraussetzung nicht für vorsätzliches oder fahrlässiges, sondern für pflichtwidriges Verhalten bildet die Zurechnungsfähigkeit 278. Der Wille darf bei der Reaktion auf die Motive nicht beschränkt und gebunden sein durch eine krankhafte Disposition; „vernunftgemäß muß sich der Wille bestimmen können" 2 7 9 . Es wird dann einseitig auf die Einsichtsfähigkeit, also auf das Unterscheidungsvermögen zwischen richtig und unrichtig, abgestellt. „Zurechnungsfähig ist deshalb, wer die Unvernünftigkeit unsittlichen Handelns zu begreifen vermag, wer fähig ist, den Widerspruch zu erkennen, der in allem pflichtwidrigen Tun gelegen ist" 2 8 0 .
Die Pflichtwidrigkeit der Willensbestimmung setzt die Bekanntschaft des Täters mit seiner Verpflichtung voraus. Dohna verlangt für die Strafbarkeit zwar nicht die (juristische) Kenntnis des erfüllten Straftatbestandes, aber das (sozialethische) Bewußtsein der Pflichtwidrigkeit. Dem Täter muß die Einsicht in die fehlende Verallgemeinerungsfähigkeit seines Verhaltens im Zusammenleben innewohnen; er muß also den inneren Widerspruch begreifen, wonach 27
5 Die Elemente des Schuldbegriffs, GS 65 (1905), S. 314, 315. 6 Die Elemente des Schuldbegriffs, GS 65 (1905), S. 316. 277 Zum neuesten Stand der Schuldlehre, ZStW 32 (1911), S. 334. 278 Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 68 FN 1; Zum neuesten Stand der Schuldlehre, ZStW 32 (1911), S. 336: Ein Unzurechnungsfähiger kann zwar vorsätzlich oder fahrlässig, nicht aber pflichtwidrig und deshalb nicht schuldhaft handeln. 279 Die Elemente des Schuldbegriffs, GS 65 (1905), S. 319. 280 Die Elemente des Schuldbegriffs, in: GS 65 (1905), S. 319, 320 im Anschluß an Adolf Merkel, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, 1889 (fortgeführt von Moritz Liepmann, 1912), § 19; Stammler, Das Recht der Schuldverhältnisse, 1897, S. 15 - 21. Vgl. auch Kohlrausch, der die Zurechnungsfähigkeit auf das Bewußtsein von der Pflicht, anderen nicht schaden zu dürfen, bezieht; in: Die Schuld (Vorsatz, Fahrlässigkeit, Rechtsirrtum und Erfolgshaftung), in: Die Reform des Reichsstrafgesetzbuchs, hrsg. von Aschrott und Liszt, Bd. 1, 1910, S. 217. Sturm kritisiert die Vernachlässigung des Gefühls- und Willensvermögens (heute Steuerungsfähigkeit; Seelenzustand und Schuld, in: GS 74 (1909), S. 198, 199). 27
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
er selber die Berechtigung zur Vollführung der Tat für sich in Anspruch nimmt, aber allen anderen gegenüber bestreitet 281 . In diesem Zusammenhang erwähnt Dohna - im heutigen Sprachgebrauch den unvermeidbaren Verbotsirrtum als Schuldausschließungsgrund 282. In einem solchen Fall ist dem Täter in entschuldbarer Weise nicht bewußt, widersprüchlich im obigen Sinne zu handeln. Ein Beispiel bildet der nach seinem Heimatrecht bereits mehrfach verheiratete Mohammedaner, der auf deutschem Boden eine weitere Ehe eingeht, oder jene Bäuerin, die ihrer verlobten Tochter den Verkehr mit ihrem Bräutigam gestattet. Es handelt sich um Handlungsweisen, die sich nach der Ansicht der Täter ohne weiteres generalisieren lassen. In diesen Fällen ist der Befolgungsanspruch und die Stabilität der Rechtsordnung nicht beeinträchtigt 283 . Auch wenn dem Täter das Bewußtsein einer spezifischen verletzten Pflicht, etwa keine Doppelehe einzugehen oder (nach damaligem Strafrecht) die Kuppelei zu unterlassen, fehlt, kann die Unbekanntschaft mit dieser Pflicht selber auf Fahrlässigkeit beruhen. Vielmehr wird grundsätzlich für den Bereich der Fahrlässigkeit eine allgemeine Pflicht zur Sorgfalt und Aufmerksamkeit angenommen, deren Existenz jedermann bekannt ist. Die bewußte Verletzung dieser abstrakten Verpflichtung ist jedem fahrlässigen Verhalten immanent 284 . Die Ansicht, daß zur Bestrafung das Bewußtsein der Pflichtwidrigkeit immer erforderlich ist, hat Dohna im Systematik-Aufsatz beibehalten 285 . Die bisher wiedergegebene Lehre Dohnas stützt sich hauptsächlich auf seine Antrittsvorlesung. In seiner gesamten Schuldlehre bezeichnet Dohna 281
Die Elemente des Schuldbegriffs, in: GS 65 (1905), S. 322. Siehe bereits oben in der Arbeit über den Kriminaldolus von 1900 und näher in der re vidierten Lehre, 3. Teil, E., II. und I V . , b. Vgl. auch Tischler, Verbotsirrtum und Irrtum über normative Tatbestandsmerkmale. Dogmengeschichte eines Abgrenzungsproblems, 1984. Tischler sieht Dohna als Vorläufer der Schuldtheorie, beruft sich aber auf Dohnas Stellungnahme zu den „hochnormativen Tatbestandsmerkmalen" Beleidigung' und ,unzüchtige Handlung' (S. 55, 56; Dohna, Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 62, 63). 283 Die Elemente des Schuldbegriffs, in: GS 65 (1905), S. 323. 284 AaO. S. 323. Bekräftigt in: Zur Systematik der Lehre vom Verbrechen, ZStW 27 (1907), S. 349. Vgl. dazu die Modifizierung in: Zum neuesten Stand der Schuldlehre, ZStW 32 (1911), S. 336, 337. Die allgemeine Diligenzpflicht dürfte auf Paul Johann Anselm Feuerbach zurückgehen. Allerdings verwendet er diese nicht dazu, in allen Fällen ein heute sog. Unrechtsbewußtsein zu konstruieren; Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen peinlichen Rechts, 14. Aufl. 1847, hrsg. von Karl Joseph Anton Mittermaier, § 55, S. 102, auch § 58, S. 110. 285 ZStW 27 (1907), S. 348: Alle Schuld ist Willensschuld; diese ist beim Vorsatz durch den Inhalt des verbrecherischen Willens, bei der Fahrlässigkeit durch den Mangel der zur Erkenntnis der kriminellen Bedeutung des Tuns erforderlichen Willensanpassung gekennzeichnet. S. 349: Zur Schuld zurechenbar ist nur die Verletzung einer dem Täter bekannten Pflicht. Das Wesen der Pflichtwidrigkeit beruht in dem Widerspruch des Willens zur erkannten Pflicht. 282
E. Dogmengeschichtliche Untersuchung der teleologischen Verbrechenslehre 209
mit dem Wort „Schuld" nicht stets dasselbe. Meist wird seiner Intention entsprechend die Schuld auf das normative Element der Pflichtwidrigkeit beschränkt. Mal umfaßt die Schuld bzw. gleichbedeutend die Zurechnung auch die psychologischen Voraussetzungen dieses Merkmals 286 . Es ist dies die Unsicherheit, ob die „Schuld" als Komplexbegriff den ontologischen Schuldsachverhalt in seiner teils vorgegebenen, teils zugeschriebenen Unwerthaftigkeit bezeichnet oder ob die „Schuld" rein normativistisch als Verantwortungszuschreibung aufzufassen ist. Später werden die Wendungen Schuld im formalen Sinne und Wesen der Schuld gebraucht. Schuld im formalen Sinne ist „diejenige psychische Disposition des Täters, an welche das Zurechnungsurteil anknüpft. Die inhaltlichen Voraussetzungen des Schuldurteils bilden die Zurechnungsfähigkeit des Täters und die Zurechenbarkeit der T a t " 2 8 7 . In den nachfolgenden Bemerkungen kommt der Bezug strafrechtlicher Schuld auf die (straf-)rechtswidrige Tat nur noch schwach zum Ausdruck. „Es ist die Funktion des Schuldbegriffs, diejenigen subjektiven Voraussetzungen zu einer begrifflichen Einheit zusammenzufassen, welche die Zurechnung einer Tat ermöglichen, die es gerechtfertigt lassen, den Täter ihretwegen zur Verantwortung zu ziehen. Welche Voraussetzungen das sind, darüber gibt unser ethisches Empfinden Auskunft". . . . Schuld ist formal „jene psychische Disposition des Täters, welche seine Verantwortlichkeit vor dem Richterstuhl der Ethik begründet. Denn nicht, daß das Gesetz verantwortlich macht, sondern daß ein sittlicher Vorwurf begründet ist, macht das Wesen der Schuld aus" 2 8 8 .
Im Aufsatz über den neuesten Stand der Schuldlehre wendet sich Dohna gegen Kohlrausch, der den Vorsatz als einzige Schuldform anerkennt, und verteidigt den Schuldcharakter insbesondere der unbewußten Fahrlässigkeit, welcher der Strafrechtswissenschaft als etwas Hinzunehmendes vorgegeben 286 Diese Unklarheit zeigt sich daran, daß das Bewußtsein der Pflichtwidrigkeit'einmal als Merkmal der Schuld und dann als Schuldvoraussetzung genannt wird (Die Elemente des Schuldbegriffs, GS 65 (1905), S. 320, 322). Auch Die Rechtswidrigkeit, 1905, S. 68 FN 1. Dieselbe Ungenauigkeit zeigt sich ebenfalls in seinen späteren Äußerungen: Der Subjektivismus in der Lehre von der Rechtswidrigkeit, in: MschrKrimPsych 25 (1934), S. 183: „Zur ,Schuld' gehören die psychologischen Tatbestände der Zurechnungsfähigkeit und Zurechenbarkeit . . . . Zur Schuld aber gehört weiter das normative Element pflichtwidriger Willensbestimmung." Dann wird die ,Schuld' enger auf die normative Seite beschränkt, z.B. Besprechung Mezger, Lehrbuch, 1931, in: ZStW 52 (1932), S. 105. 287 Zur Systematik der Lehre vom Verbrechen, in: ZStW 27 (1907), S. 345. 288 Zum neuesten Stand der Schuldlehre, in: ZStW 32 (1911), S. 326. In FN 7 zustimmend zur Unterscheidung Mittermaiers zwischen formeller und materieller Schuld, Kritische Beiträge zur Lehre von der Strafrechtsschuld, 1909, S. 12, 13, 15, 16. Aber Mittermaier meint damit die Strafbegründungs- und die Strafzumessungsschuld. Nach Dohna bildet die Pflichtwidrigkeit den inneren Grund, der es rechtfertigt, jemandem sein Verhalten zum Vorwurf zu machen (aaO. S. 329, 335). Dann muß aber die Pflichtwidrigkeit eben nicht als formales Relationsurteil, sondern als materialer Schuldsachverhalt verstanden werden.
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ist 2 8 9 . Die Schuld in einem solchen Falle leugnen, „heißt alle tief im Volksbewußtsein wurzelnden ethischen Vorstellungen um einer doktrinären Formel auf den Kopf stellen"; eine Schulddefinition, die das Verhalten eines unbewußt fahrlässig handelnden Täters nicht mitumfaßt, muß notwendig falsch sein 290 . „Die Wissenschaft muß es vermeiden, in ihren Forderungen und Erkenntnissen zu geltenden Prinzipien" - gemeint sind die überkommenen Wertvorstellungen einschließlich des Schuldbegriffs - „in einen Gegensatz zu treten" 2 9 1 . Auf kritische Einwände hin scheint Dohna die früher vertretene allgemeine Diligenzpflicht aufzugeben. Dies würde die Aufgabe des Standpunkts bedeuten, daß die Strafbarkeit in jedem Falle die Bekanntschaft mit der verletzten deliktsspezifischen oder allgemeinen Pflicht (neminem laedere) erfordert. Jedoch wird die Meinungsänderung letztlich nicht auf das Unrechtsbewußtsein, sondern auf die Frage bezogen, warum das gleiche Maß an unbewußter Fahrlässigkeit je nach den herbeigeführten Folgen unterschiedliche oder gar keine Strafbarkeit zu Folge hat. „Wieso nun auch unbewußt fahrlässigem Tun der Makel des pflichtwidrigen sollte anhaften können, war bislang dunkel geblieben. Denn es erschien ausgemacht, daß einer Pflichtwidrigkeit nur der zu überführen sei, dem das Bewußtsein der verletzten Pflicht eigen ist. In dem Bestreben, Unversöhnliches zu versöhnen, hatte ich seinerzeit zu dem Auskunftsmittel gegriffen, eine allgemeine Pflicht zur Sorgfalt und Aufmerksamkeit zu proklamieren... Gegenüber den Einwendungen . . . räume ich bereitwillig diesen Posten. Ich erkenne an, daß (in der Verletzung dieser Pflicht) eine Erklärung für die nach dem Erfolge abgestufte Haftung nicht liegen kann, welche nach geltendem Rechte die kulpose Verletzung nach sich zieht" 2 9 2 .
Es geht um das Beispiel des rasenden Autofahrers, der in einer belebten Straße mal einen Menschen tötet, mal einen Hund verletzt und im dritten Fall keinen Schaden anrichtet. In Analogie zur Strafmilderung beim Fehlschlag des beabsichtigten Verbrechens versteht Dohna bei diesen fahrlässigen Verhaltensweisen das Nichteintreten der besonderen Folge als Strafmilderungsgrund.
289 Zum neuesten Stand der Schuldlehre, in: ZStW 32 (1911), S. 323. Kohlrausch, Die Schuld (Vorsatz, Fahrlässigkeit, Rechtsirrtum, Erfolgshaftung) in: Reform des StGB, 1910, Bd. 1, S. 197, 208, 209. 290 Zum neuesten Stand der Schuldlehre, in: ZStW 32 (1911), S. 326. 291 Zum neuesten Stand der Schuldlehre, in: ZStW 32 (1911), S. 338. 292 Zum neuesten Stand der Schuldlehre, in: ZStW 32 (1911), S. 336. 337. Achenbach, Schuldlehre, 1974, S. 86, unterläßt es, auf diese Modifizierung hinzuweisen. Kritisch gegen ein mit Hilfe einer allgemeinen Diligenzpflicht konstruiertes Bewußtsein der Pflichtwidrigkeit bei der Fahrlässigkeit, Sturm, Seelenzustand und Schuld, in: GS 74 (1909), S. 199, 200. Vgl. aus neuerer Zeit zur Frage des Schuldcharakters der unbewußten Fahrlässigkeit etwa Arthur Kaufmann, Das Schuldprinzip, 2. Aufl. 1976, S. 156 - 165, 223 - 240.
E. Dogmengeschichtliche Untersuchung der teleologischen Verbrechenslehre 211 „Tritt (im Beispielsfall des Autofahrers) der schwerste unter diesen schuldhaft außer acht gelassenen Erfolgen ein, so trifft den Täter die härteste unter den konkurrierend verwirkten Strafen nicht um des Erfolges, sondern um der Verschuldung willen. Bleibt dieser Erfolg dagegen aus, so mildert sich die an sich bereits verwirkte Strafe in ganz der gleichen Art, wie beim Fehlschlagen eines Verbrechensversuchs" 293 .
c) Rechtsphilosophische und strafrechtsdogmatische Würdigung, zur dogmengeschichtlichen Bedeutung Aus dem ethischen Charakter der von Dohna zum zentralen Schuldmerkmal erhobenen Pflichtwidrigkeit ergeben sich gleich mehrere Probleme. Wenn sich die Fähigkeit zur Generalisierung der Willensbetätigung nach dem eigenen Urteile des Täters bemessen soll, müßte konsequenterweise bei jedem politischen, religiösen oder sonstigen Überzeugungstäter die Schuld verneint werden. A n anderer Stelle hat Dohna gerade dies mit Rücksicht auf den vorrangigen und von der individuellen Anerkennung unabhängigen Geltungsanspruch der Rechtsordnung nicht getan. Obwohl Dohna davon spricht, die innere Widersprüchlichkeit der Tat müsse nach der individuellen Meinung des Täters beurteilt werden, entscheidet er doch von dem überindividuellen, objektiven Standpunkt der positiven Rechtsordnung 294 . Aber auch danach bleibt eine erhebliche Spannbreite denkbarer Wertungen übrig. In methodischer Hinsicht stellen sich dieselben Probleme wie bei der formalen Maxime in der Rechtswidrigkeitslehre, da beidesmal der Verallgemeinerungsgedanke Verwendung findet. Das Beispiel des Überzeugungstäters zeigt, daß die ethisierende Fassung der Pflichtwidrigkeit als Strafrechtsschuldmerkmal den wirklichen Sachverhalt zu verschleiern geeignet ist. Der Richter hat die Verallgemeinerungsfähigkeit der Tat und der zugrundeliegenden Willensbildung anhand der Verfassung und der Gesetze zu beurteilen. Will ein Richter die Schuld eines Straftäters, der sich etwa in der Weimarer Republik auf seine nationale Gesinnung oder heute auf zivilen Ungehorsam als Bürgerrecht beruft, 293 Zum neuesten Stand der Schuldlehre, in: ZStW 32 (1911), S. 338. 294 Verantwortung und Recht, in: Gesetz und Freiheit, hrsg. von Graf Hermann Keyserling, 1926, S. 79 - 84. Ebenso Dohnas Diskussionsbeitrag auf dem 34. Deutschen Juristentag in Köln, Verhandlungen Bd. 2, 1926, S. 405 - 408, zum Thema: „Empfiehlt sich die Aufnahme der im § 71 des neuen Strafgesetzentwurfs enthaltenen Bestimmung, inhalts deren an Stelle von Zuchthaus oder Gefängnis ,Einschließung' treten soll, wenn der Täter sich zu der Tat auf Grund seiner sittlichen, religiösen oder politischen Überzeugung für verpflichtet hielt?" (Insbesondere gegen den Vortrag von Gustav Radbruch, aaO., S. 354 - 373). Ebenso gegen den § 71 E 1925, Der innere Konnex von Freiheits- und Ehrenstrafen, in: MschrKrimPsych 17 (1926), S. 358, 359; Der Überzeugungsverbrecher. Radbruchs Vorschlag, in: Beilage zur Vossischen Zeitung, Berlin, 9. September 1926. Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 87, 88. Weiterführend etwa die gründliche Studie von Gödan, Jürgen Christoph, Die Rechtsfigur des Überzeugungstäters. Vorarbeiten zu einer rechtsstaatlichen Lehre vom Überzeugungstäter, 1975.
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
unmittelbar durch Rückgriff auf die Verallgemeinerungsmaxime entscheiden, dann läuft er Gefahr, die Pflichtwidrigkeit als hermeneutisches Kampfmittel zur Umwertung der bestehenden Rechtsordnung einzusetzen. Gewiß hat Dohna eine solche Absicht ferngelegen, wie sein rechtsstaatliches Vorverständnis und die wiederholte Forderung nach der strengen Gesetzesbindung des Richters zeigt. Nur darf nicht übersehen werden, daß er an mehreren Stellen seines Gesamtwerkes formalistische Ergebnisse geliefert hat, die je nach den Zwecken des Anwenders umfunktioniert werden können. Zu dieser Wertungsunsicherheit und Mißbrauchsmöglichkeit treten zwei weitere Mängel hinzu. Der Schuldbegriff ist einmal nicht spezifisch auf das strafrechtliche Unrecht bezogen, und er widerspricht der spezialpräventiven Strafzumessung. Dohnas Schuldbegriff erscheint als Ausschnitt der Schuld im Sinne der Tugendlehre 295. Die ethische Schuld umfaßt jede Gesinnung, die bewußt auf eine Unsittlichkeit, also auf eine dem kategorischen Imperativ widersprechende Willensbestimmung gerichtet ist. Es ist zwar zutreffend, daß ein Strafgesetzgeber, der sich wie derjenige von 1871 grundsätzlich zum Schuldstrafrecht bekennt, einen ethischen Schuldbegriff vorfindet. Aber Dohna hat nicht begründet, warum ein solcher Begriff von einer dem Gesetz verpflichteten strafrechtlichen Schuldlehre übernommen werden darf. Dies ist einmal zu erwarten, weil das Strafgesetzbuch in der Bildung der Straftatbestände nicht von Gesinnungs-, sondern grundsätzlich von Erfolgsunwerten ausgeht. Zum anderen ist es ungereimt, daß bei einem Schüler Stammlers, der zwischen Rechtslogik und Rechtsethik unterscheidet und von der Geltung gesetzlichen Rechts ohne alle Rücksicht auf die rechtsethische Richtigkeit ausgeht, in der strafrechtlichen Schuldlehre die Kantsche Trennung zwischen Moralität und Legalität wieder zusammenfließt. Mit dem ethischen Charakter des Schuldbegriffs hängt auch die postulierte allgemeine Diligenzpflicht zusammen. Die generelle, nicht situationsgebundene Pflicht, sorgfältig die Folgen seiner Handlungen zu bedenken, um dadurch Verletzungen anderer zu vermeiden, bedeutet nichts anderes als eine individualethische Maxime für das menschliche Zusammenleben. Schon ein geringfügiger Verstoß gegen dieses Gebot verstrickt das Gewissen in Schuld. Strafrechtsdogmatisch führt diese allgemeine Diligenzpflicht in dreifacher Hinsicht zu Ungereimtheiten. Sie bedeutet eine mit der soziologischen Strafrechtstheorie schwer zu vereinbarende Vernachlässigung des Erfolgsunrechts. Wenn Dohna bei einem gleichen Maß an unbewußter Fahrlässigkeitsschuld das Ausbleiben des besonderen deliktischen Erfolges als Strafmilderungsgrund auffaßt, wird dadurch konstruktiv die Gesinnungsschuld zum Straf295 Ähnlich sieht Achenbach, Schuldlehre, 1974, S. 90, im ethischen Charakter des normativen Schuldmoments verbunden mit der Wertungsunsicherheit den entscheidenden Mangel der Dohnaschen Schuldlehre.
E. Dogmengeschichtliche Untersuchung der teleologischen Verbrechenslehre 213
grund erhoben. Richtigerweise ist bei einem Tatstrafrecht nicht die Gesinnungsschuld der Anknüpfungspunkt strafrechtlicher Reaktion, sondern die vom verantwortlichen oder nicht verantwortlichen Täter begangene Unrechtstat. Erst darauf darf dann die strafrechtsdogmatische Schuldfrage bezogen werden. Zweitens hat Dohna den Umstand nicht problematisiert, daß das Bewußtsein der Pflichtwidrigkeit von ganz unterschiedlicher Beschaffenheit ist. Einmal handelt es sich um die bewußte Verletzung einer deliktsspezifischen Pflicht; der Täter wußte nach seinem kulturellen Verständnis, daß sein bestimmtes Tun verboten ist. In den Fällen der unbewußten Fahrlässigkeit und in den Fällen des heute sog. Verbotsirrtums, der zur Bestrafung wegen Fahrlässigkeit führt, fehlt es dagegen an einem deliktsspezifischen Unrechtsbewußtsein; das Bewußtsein der Pflichtwidrigkeit kann sich dann nur noch auf die ethische allgemeine Diligenzpflicht beziehen. Ausgehend von dem vorgegebenen Tatstrafrecht kann für die strafrechtliche Schuldlehre nur ein konkretes, im laienhaften Verständnis unrechtstatbestandsbezogenes Unrechtsbewußtsein in Frage kommen. Drittens enthält diese Diligenzpflicht wie auch die formalistische Pflichtwidrigkeit keine inhaltlichen Kriterien, um die Fahrlässigkeitshaftung zu begrenzen. Bei einem ethischen Schuldbegriff ist wie gezeigt die Verschuldensgrenze viel geringer als bei der strafrechtlichen Haftung; die Fragen, inwieweit die Fahrlässigkeitsmaßstäbe bereits in die Unrechtsprüfung gehören und wie diese zu konkretisieren sind, seien hier ausgeklammert. Es kommt hier nur auf das Prinzip an, daß die üblicherweise im Straf recht verwendeten Sorgfaltsmaßstäbe nicht so streng sind wie diejenigen einer rigiden Maximenethik. Ferner entfernt sich Dohna von dem Ausgangspunkt des geltenden Rechts, welches eben kein Delikt der Fahrlässigkeit, sondern nur fahrlässige Delikte kennt. Außerdem ist festzuhalten, daß der Gedanke der Pflichtwidrigkeit die leitenden Gründe für die Straffreiheit in den Fällen des entschuldigenden Notstandes nicht zu erklären vermag. In den bekannten Standardbeispielen ist vom Standpunkt der Rechtsordnung die Generalisierbarkeit der Tat bzw. der dazu führenden Willensbestimmung zu verneinen. Der aus dem Selbsterhaltungstrieb folgende machtvolle psychische Handlungsantrieb ändert im Karneades- oder Schiffsjungenfall nichts an der Pflichtwidrigkeit. Der Ansatz Dohnas, die Schuldlehre auf das eine bedingende normative Prinzip der Generalisierbarkeit zurückzuführen, führt hier nicht weiter. A n dieser Stelle suchen neuere funktionalistische Lehren die Schuld zu erklären, indem sie die Verantwortungszuschreibung mit Erwägungen der Strafzwecktheorie stützen 296 . Der Sache nach - nur darauf kann hier hingewiesen werden - setzen sie an dem wunden Punkt der Lehre Dohnas an: da die Schuldlehre dogmatisch auf 296 Jakobs, Günther, Schuld und Prävention, 1976; ferner die Nachweise etwa bei Hirsch, Hans-Joachim, Die Entwicklung der Strafrechtsdogmatik nach Welzel, in: Festschrift der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, 1988, S. 414 - 420.
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
die Unrechtslehre aufbaut und damit deren Unwertprinzip übernimmt, muß auf der Schuldebene ein weiteres Wertungsprinzip hinzukommen. Dohna geht zwar für die Strafbegründung und Strafzumessung von einem einheitlichen Schuldbegriff aus. In Wirklichkeit besteht ein erhebliches Spannungsverhältnis zwischen dem auf die ethische Gesinnungsschuld abstellenden Pflichtwidrigkeitsmodell und dem an der Gefährlichkeit und Behandlungsbedürftigkeit orientierten Charakterschuldmodell. Die nach spezialpräventiven Grundsätzen gewonnene Strafgröße muß keineswegs mit dem Grad der sittlichen Pflichtwidrigkeit übereinstimmen, wie das einfache Beispiel eines wiederholten Notdiebstahls eines verwahrlosten Jugendlichen zeigt. Die Wiederholungsgefahr ist eher hoch und damit besteht Anlaß für eine relativ hohe Präventionsstrafe. Aufgrund der widrigen Lebensumstände ist die bei der Tatbegehung zu überwindende Hemmschwelle, die von einer verinnerlichten sittlichen Gesinnung ausgehen kann, gering und dementsprechend auch das Maß der sittlichen Schuld. Das Gesinnungs- und das Gefährlichkeitsschuldmodell haben insofern eine Gemeinsamkeit, als der Bezug auf das Maß des Erfolgsunrechts der Tendenz nach gering ist. Die richtige Lösung wird darin zu suchen sein, daß die Strafzumessungsschuld unter Hinzutritt weiterer insbesondere strafzwecktheoretischer Erwägungen das Maß der materialen Strafbegründungsschuld übernimmt. Trotz dieser Ungereimtheiten, die im Verhältnis der ethisierenden, auf die Pflichtwidrigkeit abstellenden Willensschuld zu dem Tatstrafrecht und dem spezialpräventiven Strafzumessungsrecht bestehen, ist die Schuldlehre Dohnas in zweifacher Hinsicht bedeutsam. Dies gilt einmal für die normative Schuldlehre. Die häufig anzutreffende Einschätzung, daß diese Lehre von Reinhard Frank im Jahre 1907 begründet worden sei, ist in dieser Einseitigkeit wohl unrichtig 297 . Vielmehr haben mehrere Dogmatiker, darunter neben und schon vor Frank auch Dohna, dazu beigetragen. Außerdem ist Dohna für die Lehre von dem Unrechtsbewußtsein zu nennen. Soweit er das Unrechtsbewußtsein als laienhaftes Bewußtsein der
297 Grünhut, Methodische Grundlagen der heutigen Strafrechtswissenschaft, in: Festgabe für Reinhard Frank, Bd. 1, 1930, S. 6; Radbruch, Zur Systematik der Verbrechenslehre, in: Festgabe für Reinhard Frank, Bd. 1,1930, S. 167; Arthur Kaufmann, Das Unrechtsbewußtsein, 1949, S. 92; Heinrich Henkel, Zumutbarkeit und Unzumutbarkeit als regulatives Rechtsprinzip, in: Festschrift für Edmund Mezger, 1954, S. 249, 254; Roxin, Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, 2. Aufl. 1973, S. 12 FN 34; Maurach/ Zipf, Strafrecht Allgemeiner Teil, 6. Aufl. 1983, Teilband 1, S. 396; Jescheck, Lehrbuch, 4. Aufl. 1988, § 38 I I 3. Frank, Über den Aufbau des Schuldbegriffs, Festschrift Gießen, 1907. Er unterscheidet die Zurechnungsfähigkeit, Vorsatz und Fahrlässigkeit sowie die normale Beschaffenheit der begleitenden Umstände (S. 527 - 533, 529: „Schuld ist Vorwerfbarkeit"). Zutreffend, aber zurückhaltender, Achenbach, Schuldlehre, 1974, S. 101 - 104, 113, 171.
E. Dogmengeschichtliche Untersuchung der teleologischen Verbrechenslehre 215
deliktsspezifischen Pflichtwidrigkeit oder Kulturschädlichkeit aufgefaßt hat, ist dies richtungsweisend gewesen298. I V . Die re vidierte Verbrechenslehre: Objekt der Wertung (objektiver und subjektiver Tatbestand) und Wertung des Objekts (Rechtswidrigkeit und Schuld) 1. Einführung Wie der 1907 erschienene Systematik-Aufsatz das Grundgerüst der ursprünglichen Verbrechenslehre Dohnas enthalten hat, so gilt gleiches für den 1936 in der ersten Auflage erschienenen Aufbau der Verbrechenslehre als Eckstein der revidierten Lehre. Dabei handelt es sich um einen didaktisch vereinfachten Grundriß für Studierende, der eher bestrebt ist, fertige Ergebnisse zu liefern, während Dohna in den anderen Schriften, Aufsätzen und Rezensionen aus der Zeit zwischen 1922 und 1942 mehr um die Problembewältigung ringt. Um Überschneidungen mit der bisherigen Untersuchung möglichst zu vermeiden, werden unter Einbeziehung der anderen Beiträge der methodische Ansatz und bestimmte Einzelaspekte behandelt. Es sind dies der Handlungsbegriff, der systematische Standort der normativen Tatbestandsmerkmale und der Rechtfertigungsvoraussetzungen, die Trennung des Vorsatzes von der Schuld und dem potentiellen Unrechtsbewußtsein sowie die Unterscheidung des Tatumstands- vom Verbotsirrtum. Gemäß der dogmengeschichtlichen Anlage unserer Untersuchung geht es vor allem darum, den Grad der Eigenständigkeit und die Bedeutung Dohnas gegenüber den Südwestdeutschen einerseits und Welzel andererseits aufzuzeigen. 2. Der Verbrechensaufbau im Überblick und die beiden Definitionen des Verbrechens a) Dohna geht von dem Grundgedanken aus, daß es die Verbrechensdogmatik abstrahiert von den Besonderheiten der einzelnen Delikte mit einem physisch-psychischen Objekt, welches jeweils eine positive oder negative Größe haben kann, sowie mit der zweifachen Wertung dieses Objekts zu tun hat. Die aus dem Willensentschluß, der Willensbetätigung und dem Erfolg zusammengesetzte Handlung bildet den Kern des (objektiven) Tatbestandes, zu dem die Tatumstände hinzutreten 299 . Der vom potentiellen Unrechts298 Vgl. etwa Arthur Kaufmann, Das Unrechtsbewußtsein in der Schuldlehre des Strafrechts, 1949, S. 21 - 36, 142 - 147. 299 Der Aufbau der Verbrechenslehre, 1936, S. 5 - 9.
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
bewußtsein unterschiedene Vorsatz gehört zum subjektiven Tatbestand 300 . Das Wesen der Rechtswidrigkeit liegt grundsätzlich in der Wertung des objektiven Tatbestandes, das Wesen der Schuld in der Wertung des subjektiven Tatbestandes. Wenn sowohl im objektiven als auch im subjektiven Tatbestand eine positive Größe gegeben ist, ist die Rechtswidrigkeit als Widerspruch zur Gesamtrechtsordnung und die Schuld als pflichtwidrige Willensbestimmung indiziert 301 . In diesem Falle bedarf die Rechtfertigung bzw. Entschuldigung besonderer Begründung, wobei die sog. Zwecktheorie das zugrundeliegende Prinzip für diese Kategorie und der Gedanke der Unzumutbarkeit normgemäßen Handelns das Prinzip für jene Kategorie bildet 3 0 2 . Beim Fehlen einer Handlung ist die Rechtswidrigkeit der unechten Unterlassungsdelikte besonders zu begründen. Entsprechendes gilt für die Schuldhaftigkeit nichtvorsätzlicher, also fahrlässiger Handlungen durch den Nachweis der verletzten objektiven und subjektiven Sorgfaltspflicht 303 . Diese Gesamtstruktur läßt sich in einem Schaubild festhalten 304 . b) Dohna gibt zwei Definitionen des Verbrechens, die aber zwei unterschiedlichen Traditionen angehören. Der Satz „Unter (einem) Delikt (oder Verbrechen) verstehen wir die schuldhafte Normübertretung" geht wie seine frühere Bestimmung auf die Bindingsche Lehre zurück 305 . Der weitere Satz „Verbrechen ist tatbestandsmäßige, rechtswidrige, schuldhafte Handlung" steht in der Reihe der klassifikatorischen Liszt / Belingschen Systematik und ihrer modifiziert klassischen Nachfolger 306 . Gewiß soll hier der Verbrechensdefinition nicht zu große Bedeutung beigemessen werden. Auch mag es sein, daß der zweite Satz aus didaktischen Gründen eine Konzession an den herrschenden Sprachgebrauch darstellt. Immerhin entspricht die dargebotene Verbrechenslehre eher der ersten als der zweiten Definition. Dohna hat selbst zugegeben, daß jedenfalls das fahrlässige Unterlassungsdelikt keine Handlung mehr ist, so daß der Handlungsbegriff nicht als Systemoberbegriff fungiert 307 . Eine Handlung i.e.S., Vorsatz und Unrechtsbewußtsein können vorliegen oder auch fehlen. Andererseits bringt die erste Definition nicht genau zum Ausdruck, daß die Tatbestandsmäßigkeit immer gefordert wird. Jedenfalls zeigen die nicht ohne weiteres deckungsglei300
Der Aufbau der Verbrechenslehre, 1936, S. 14 - 16, 32. Besprechung Mezger, Lehrbuch des Strafrechts, 1931, in: ZStW 52 (1932), S. 105; Der Aufbau der Verbrechenslehre, 1936, S. 4, 19, 20, 23, 35. 302 Der Aufbau der Verbrechenslehre, 1936, S. 21, 23 - 29, 34, 37. 303 Der Aufbau der Verbrechenslehre, 1936, S. 29 - 31, 45 - 47. 304 Siehe sogleich. 305 Der Aufbau der Verbrechenslehre, 1936, S. 1. 306 Der Aufbau der Verbrechenslehre, 1936, S. 4. 307 Der Aufbau der Verbrechenslehre, 1936, S. 5. 301
subjektiver Tatbestand
Lehre von der Rechtswidrigkeit
Lehre von der Schuld
Wertung des Objekts (normative Verbrechenslehre)
wenn er das Vorhandensein elemente wie Verteidigungsunvermeidbarer Verbotsirr- negative Größe: von Tatumständen nicht wille etc. tum (vermeidbarer Verbotswenn Nichtvornahme einer kannte (§ 59 RStGB), Tatirrtum führt zur Milderung Handlung, kommt unechtes umstandsirrtum kann - wenn Fall eines unechten der Vorsatzstrafe; mögliches oder echtes UnterlassungsFahrlässigkeit übriglassen Unterlassungsdelikts, bedarf Unrechtsbewußtsein reicht delikt in Betracht Rechtswidrigkeit besonderer aus) Begründung: bei fehlenden Tatumständen Nachweis der verletzten - bei fehlendem Vorsatz bedarf Mangel am Tatbestand Pflicht, Garantenstellung Schuld besonderer Begründung, bei Fahrlässigkeit objektive und subjektive Begrenzung der verletzten Sorgfaltspflicht
- positive Größe: - positive Größe: - wenn positive Größe im Wesen der normativen Handlung zusammengesetzt Vorsätzlich handelt, wer objektiven Tatbestand, Schuldlehre: Schuld ist pflichtaus Willensentschluß, Wilüberzeugt ist, er werde den dann Rechtswidrigkeit unter widrige Willensbestimmung lensbetätigung und Erfolg Erfolg herbeiführen und die Berücksichtigung subjektiver . Kausalität im Sinne der begleitenden Tatumstände Unrechtselemente gegeben, ® ® Äquivalenztheorie; seien gegeben. es sei denn, daß ein Recht_ wenn vorsätzliche TatbeAdäquanztheorie bei den fertigungsgrund vorliegt: Standsverwirklichung gegeben, erfolgsqualifizierten - negative Größe: Erfüllung einer Rechtspflicht, dann schuldhaftes Handeln ; Delikten fehlender Vorsatz, wenn Ausübung eines Rechts, Unterlassung vorsätzlicher Tatumstände betreffend das Täter mit Erfolgseintritt Zwecktheorie zur ErmittHandlungen immer zumutbar, Subjekt, das Objekt, die nicht gerechnet hat (beim lung der materiellen Rechtses sei denn im Falle eines Mittel, die Begehungsweise Dolus Eventualis EinwilliWidrigkeit Entschuldigungsgrundes: z.B. u. ä. gungstheorie), subjektive Rechtfertigungsentschuldigender Notstand,
objektiver Tatbestand
Objekt der Wertung (Lehre vom Tatbestand)
E. Dogmengeschichtliche Untersuchung der teleologischen Verbrechenslehre 217
218
3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
chen Definitionen die Unsicherheit Dohnas, ob ein naturalistisch-positivistisches Merkmal (der Handlungs- oder Tatbestandsbegriff) oder ein normatives Merkmal den Ausgangspunkt bildet. Da Dohna die unterschiedliche sachliche Struktur des Wertungsgegenstandes betont, liegt es näher, die normativen Blickwinkel als einheitsstiftende Bezugspunkte aufzufassen 308. 3. Der Objekt-Wertungs-Dualismus Das Objekt-Wertungs-Schema führt in das weite Gebiet der methodischen Grundlagen der Verbrechensdogmatik. Es geht um das komplexe, mit einfachen Formeln nur annäherungsweise und unzureichend zu beschreibende Verhältnis zwischen Rechtsstoff und Rechtsidee 309 . Genauer gesagt handelt es sich bei der Inhaltsbestimmung der Grundkategorien Unrechtstatbestand, Rechtfertigung, Schuld wie auch aller Unterstrukturen darum, in welchem Maße die Ergebnisse durch die ontisch-soziale (Un-)Werthaftigkeit des Gegenstandes vorgezeichnet sind und inwieweit sie auf (Un-)Wertfestsetzungen des Gesetzgebers bzw. des Gesetzesinterpreten beruhen. Man wird die Verbrechenslehren nach Liszt / Beling danach gruppieren können, ob sie von einer strikt dualistischen und damit letztlich einseitig normativistischen oder einer vorrangig ontologischen oder einer vermittelnden Position ausgehen. Hier ist ohne Anspruch auf Vollständigkeit nur zu zeigen, daß der strikte und unhaltbare Dualismus Dohnas der Wirkungsweise wie der Sache nach für die methodische Grundlegung der Verbrechensdogmatik befruchtend gewesen ist. In einem vereinfachten Sinne dürfte es Allgemeingut geworden sein, den von einem Subjekt vollzogenen Beurteilungsakt von dem beurteilten Gegenstand und den ausschlaggebenden Beurteilungsgründen zu trennen. Aber damit ist die eigentliche Problematik noch nicht erreicht. Dohnas Gegenüberstellung des Objekts der Wertung und der Wertung des Objekts bleibt noch hinter dem entsprechenden Verständnis der Südwestdeutschen zurück. Dohna unterwirft die physisch-psychischen Gegebenheiten als rohe Tatsachen unmittelbar der nur geistig verstehbaren Wertung. Dabei ist 308
Der Aufbau der Verbrechenslehre, 1936, S. 5, 14. Vgl. allgemein die Rezensionen von Schaffstein, in: ZStW 57 (1937), S. 619 - 621 ( „ . . . besonders folgerichtiger und geschlossener Abriß der wichtigsten Arbeitsergebnisse der teleologischen Systematik der vergangenen 30 Jahre . . . " ) . Hellmuth v. Weber, in: MschrKrimBiol 28 (1937), S. 205 - 207. Mezger stellt Dohna als überholten Vertreter des (naturalistischen) Trennungsdenkens dar und befürwortet nunmehr die neue Ganzheitsbetrachtung; Die Straftat als Ganzes, in: ZStW 57 (1938), S. 677, 678. Dabei hatte sich Mezger zuvor selbst als Neukantianer verstanden, vgl. nur Sein und Sollen im Recht, 1920; ders. Vom Sinn der strafrechtlichen Tatbestände, in: Festschrift für Ludwig Traeger, 1926, S. 215 - 218, 226 - 230; ders. Vorwort zur 2. Aufl. des Lehrbuchs, 1933, S. X I X . 3 °9 Siehe dazu 2. Teil, V I . , 2. und 3. Teil, Ε . , 1.2.
E. Dogmengeschichtliche Untersuchung der teleologischen Verbrechenslehre 219
aber fraglich, wie im Falle eines vorsätzlichen Begehungsdelikts aus der bloßen Faktizität eine Präsumtion der Rechtswidrigkeit und Schuld abgeleitet werden kann. Dies würde in letzter Konsequenz einen extremen Normativismus bedeuten, der im Prinzip jedes faktisches Verhalten eines Menschen mit einem Unwerturteil versehen kann. Die Südwestdeutschen weisen insofern über Dohna hinaus, als sie die Strukturverschlungenheit von Wert- und Seinselementen betonen und aufgrund ihrer doppelten Begriffsbildungslehre den unüberbrückbaren Abstand zwischen Faktizität und Normativität zu verringern versuchen. Wert- und Seinselemente können nur begrifflich geschieden werden, bleiben aber in Wirklichkeit untrennbar verbunden 310 . Dem amorphen Stoff haftet eine von den Subjekten hinzugebrachte Wertbeziehung an. Die kulturelle Wirklichkeit ist bereits eine im gesellschaftlichen Zusammenleben durch Wertbeziehungen vorgeformte Wirklichkeit, die nun ihrerseits der strafrechtlichen und strafrechtswissenschaftlichen Formung und Wertbeziehung unterworfen wird 3 1 1 . Ob Dohna in der erfahrbaren Welt eine solche Strukturverschlungenheit angenommen hat, ist zweifelhaft. Es heißt zwar anläßlich der erkenntniskritischen Trennung von Form und Stoff, daß dem Bewußtsein in der Erscheinungswelt der geformte Stoff als unlösliche Einheit gegenübertritt 312 . Der Einfluß Stammlers legt jedoch eher die Deutung nahe, daß die Einheit des geformten Stoffs jeweils nur auf die Bereiche des Wollens und des Wahrnehmens bzw. der Wirklichkeit und der Werte bezogen werden; aber die einschlägigen Stellen leiden an einer erheblichen Unklarheit 313 . Jedenfalls bleibt das ungelöste und unlösbare Problem des strikten Dualismus, wie die von der Wirklichkeitswelt abgetrennte Werte weit wieder mit ihr verbunden werden kann. Dohnas Verbrechensdogmatik sucht die Wirklichkeit des Verbrechensfalles auf physisch-psychische Tatsachen zu reduzieren, die in dem objektiven und subjektiven Tatbestand zusammengefaßt werden. Wird eine solche Wirklichkeit unmittelbar mit den Rechtsnormen und Wertformeln (rechtes Mittel zum rechten Zweck, Pflichtwidrigkeit, Unzumutbarkeit) in Beziehung gesetzt, bleibt das Unbehagen, daß die inhaltlichen Gründe für die Bewertung letztlich ausschließlich von dem wertbeziehenden Subjekt gesetzt werden 314 . 310 Erik Wolf, Strafrechtliche Schuldlehre, 1928, S. 91, 92; ders. Die Typen der Tatbestandsmäßigkeit, in: Festschrift für Max Pappenheim, 1931, S. 11. 311 Zusammenfassend zu der auf Rickert, Windelband und Lask zurückgehenden Lehre: Erik Wolf, Strafrechtliche Schuldlehre, 1928, 73 - 123; Mittasch, Die Auswirkungen des wertbeziehenden Denkens in der Strafrechtssystematik, 1939, S. 8 - 11, 18 - 53. 312 Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 9. 313 Kernprobleme der Rechtsphilosophie, 1940, S. 20, 21; vgl. nur Stammler, Wirtschaft und Recht, 2. Aufl. 1906, S. 107 - 121; ders. Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1928, 56 - 59.
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
Sauer greift der Sache nach die frühen Ansätze Dohnas auf u n d schreibt: „Objekt und Wert sind reinlich zu scheiden, wenn die wissenschaftliche Forschung die Begriffe Unrecht, Schuld, Strafe klarzustellen unternimmt. Unrecht und Schuld . . . bedeuten an sich Werte, nicht auch wertbezogene Objekte". Diesen W e r t e n entspreche aber ein tatsächliches Substrat 3 1 5 . I m Verbrechensaufbau w i r d die W e r t u n g und das O b j e k t sowie zweitens das äußere (unrechte) Verhalten u n d die innere (schuldhafte) Gesinnung gegenübergestellt316. E r i k W o l f legt das Schema besonders i n der Schuldlehre inzident zugrunde u n d legt den Untersuchungsschwerpunkt auf die Wertungsseite u n d deren B e d i n g u n g e n 3 1 7 . D i e grundsätzliche Z u o r d n u n g , daß die Rechtswidrigkeit die W e r t u n g des objektiven Tatbestandes u n d die Schuld die W e r t u n g des subjektiven Tatbestandes bedeute, hat H e i n r i c h H e n k e l ü b e r n o m m e n 3 1 8 . Günter Spendel beruft sich auf D o h n a , wenn er das (aktuelle oder potentielle) Unrechtsbewußtsein neben dem Vorsatz zum subjektiven Tatbestand als dem Gegenstand der Schuldwertung r e c h n e t 3 1 9 . A u f f ä l l i g ist, daß Welzel sich i n seiner späteren Schuldlehre auf die Dohnasche Trennung berufen hat, o b w o h l er sonst der dualistischen neukantianischen Philosophie ablehnend gegenübersteht 3 2 0 . Betrachtet man die Gesamt314 Dohna sucht dies durch den Rückgriff auf die der Rechtsordnung vorgelagerte Kulturordnung zu vermeiden; da diese jedenfalls in den modernen Gesellschaften nie einheitlich und feststehend ist, bleibt dem wertenden Subjekt ein erheblicher Dezisionsbereich. 315 Sauer, Grundlagen des Strafrechts, 1921, S. 25. 316 Sauer, Grundlagen des Strafrechts, 1921, S. 208; auf S. 219 wird das Verbrechen definiert als „positivgesetzlich durch Tatbestandsmäßigkeit erkennbares schuldhaftes schweres Unrecht." 317 Erik Wolf, Strafrechtliche Schuldlehre, 1928, S. 124 - 179; ders. Krisis und Neubau der Strafrechtsreform, 1933, S. 38, 39. 318 Henkel, Zumutbarkeit und Unzumutbarkeit als regulatives Rechtsprinzip, in: Festschrift für Edmund Mezger, 1954, S. 282, 286 (er ordnet bei den Fahrlässigkeitsdelikten anders als Dohna die objektive Sorgfaltspflicht in den Unrechtsbereich ein), 289, 297. 319 Spendel, Das Unrechtsbewußtsein in der Verbrechenssystematik, in: Festschrift für Herbert Tröndle, 1989, S. 89, 93, 95, 98, 101,104. 320 Welzel, U m die finale Handlungslehre, 1949, S. 24: „ A u f dem Felde der Rechtswidrigkeit ist dieser fundamental-logische Unterschied zwischen Objekt der Wertung und Wertung des Objekts inzwischen anerkannt. . . . Diese Einsicht müssen wir auch für die Schuld vollziehen. Weil die Schuld die Bewertung des Vorsatzes ist, kann der Vorsatz nicht zugleich Teil dieser Wertung sein."; näher S. 25 - 29; Das neue Bild des Strafrechtssystems, 4. Aufl. 1961, S. 42: „Erst Dohna tat den entscheidenden Schritt . . . und trennte scharf zwischen . . . (Vorwerfbarkeit) und . . . (Vorsatz) und beschränkte den Schuldbegriff auf die Wertung des Objekts". Ebenso Lehrbuch, 11. Aufl. 1969, S. 140. Gegen den Neukantianismus aber: Kausalität und Handlung (1931), in: Abhandlungen, 1975, S. 17; Naturalismus und Wertphilosophie (1935), S. 29- 119; Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, 4. Aufl. 1962, S. 186 - 190.
E. Dogmengeschichtliche Untersuchung der teleologischen Verbrechenslehre 221 entwicklung seiner Lehre, zeigt sich eine gewisse uneinheitliche Stellungnahme zum Objekt-Wertungs-Schema. E i n m a l werden die Werte tief i m Ontischen verwurzelt und dann deutlich v o n der Seinssphäre abgegrenzt 3 2 1 . I m H i n b l i c k darauf haben K r i t i k e r Welzels sogar von einer rechtsphilosophischen Umorientierung gesprochen 3 2 2 . M i t der Objekt-Wertungs-Lehre
steht die
Frage i n engem Zusammenhang, wie frei der Gesetzgeber i n der Bewertung der sachlogisch vorgegebenen Strukturen ist u n d was aus der Nichtbeachtung dieser Strukturen für die Verbindlichkeit der getroffenen Regelung als Recht folgt. B e i der Finalstruktur der menschlichen H a n d l u n g w i r d eine relative B i n d u n g angenommen; wenn der Gesetzgeber die daraus abgeleiteten K o n sequenzen (personales U n r e c h t , Schuldtheorie, limitierte Akzessorietät der 321 Welzel, Kausalität und Handlung (1931), in: Abhandlungen, 1975, S. 9, 10: „Werturteile sind fundiert in Seinsurteilen, d.h: Werte setzen ein ontologisch allseitig bestimmtes Objekt voraus, das sie in einer bestimmten neuartigen (positiven oder negativen) Richtung hin charakterisieren. Nun kann nicht jedes Objekt Träger eines bestimmten Wertes sein, vielmehr setzt jeder Wert ein bestimmt geartetes Objekt voraus, gerade dessen Wert er ist, z.B. die sittlichen Werte die Person. So sind auch die Wertungen des Straf rechts (rechtmäßig - rechtswidrig; subjektiv gerechtfertigt - vorwerfbar) in einem bestimmt gearteten Sein fundiert, dessen Wertprädikate sie sind. Wenn darum die Strafrechtsordnung ihre Wertprädikate nicht an jedes reale Geschehen anknüpft, so müssen ontologische Unterschiede bestehen, aus denen diese verschiedene Behandlung folgt."; S. 17: „Nach unserer Auffassung gibt es . . . (entgegen Windelband - Rickert und Scheler - Hartmann) kein derartiges selbständiges Reich irreal geltender oder seiender Sinngebilde oder Sinnqualitäten. Vielmehr ist uns der Wert eine Bezogenheit des Gegenstands auf ein Ich, dem etwas ,wert' ist"; auch S. 18; ders., Über Wertungen im Strafrecht (1933), in: Abhandlungen, S. 25: „ . . . der Begriff ,Mord' (ist z. B.) . . . ein begrifflich-allgemeines Wertobjekt, bestehend aus 1. den ontologischen Momenten: vorsätzliche, mit Überlegung ausgeführte Tötung eines Menschen, und 2. den Objektswerten/,Wertungen': rechtswidrig und vorwerfbar. . . . Unter keinen Umständen darf man das ontologische Substrat mit dem Wert in irgendeiner Weise identifizieren. Der ontologisch bestimmte Gegenstand ist nur ,Träger' des Wertes, aber niemals der Wert selbst." Ders., Naturalismus und Wertphilosophie (1935), in: Abhandlungen, 1975, S. 84: „Zur Geschichte und zu einer echten Kulturwissenschaft kommen wir nur, wenn die Werte tief im Ontischen wurzeln und nicht als in sich ruhende/,geltende' irreale Sinngebilde am Sein nur äußerlich ,haften'. Dabei liegt die erste Seinsverwurzelung der Werte schon in ihrer Materie."; S. 85: „Ist es aber in Wahrheit nicht das Ontische in seinem ontischen Sosein selbst, das ,wertig' oder ,wert' ist? . . . die konkret klingenden Töne des Musikstücks selbst sind es doch, die uns in unserem tiefsten Mensch-Sein treffen und erregen: diese ontischen Merkmale gehören zur Materie des ,Wertes'; ohne sie wäre der ,Wert' nicht nur bloß nicht-realisiert, sondern überhaupt nicht (auch nicht im Irrealen, d.h. im Nicht-Ontischen) vorhanden. Die sog. obersten Werte, das ,Schöne', ,das' Gute, sind bloße abstrakte Wertbegriffe, abstrakte Wertwesenheiten, bei denen von der Fülle der ontischen Differenziertheiten abstrahiert ist. ... Die zweite, tiefere Seinsverwurzelung betrifft die Geltung der Werte. Nur die abstrakten Wertbegriffe . . . ,gelten' ,immer'; das konkrete Wertig-Sein ist zeitbedingt. . . . Die Werte (sind) nichts anderes als die in den emotionalen Akten des WertErfühlens erfaßbaren Bezogenheiten des ontischen Seins auf unser tiefstes Menschsein (gemeint ist neben der sinnlichen und der vitalen besonders die geistige Schicht) in seinem ganzen Umfange . . . " . 322 Roxin, Zur Kritik der finalen Handlungslehre (1962), in: Strafrechtliche Grundlagenprobleme, 1973, S. 98 - 100 mwN. Tischler, Verbotsirrtum und Irrtum über normative Tatbestandsmerkmale, 1984, S. 95 - 97.
222
3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
Teilnahme) nicht zieht, handelt es sich u m sachlich unvernünftiges, widersprüchliches R e c h t 3 2 3 . Dagegen ist die B i n d u n g an den sittlichen W e r t der menschlichen Person eine absolute ; eine damit unvereinbare hoheitliche Regelung ist Gewalt und kann nicht verbindliches Recht s e i n 3 2 4 . H i e r zeigt sich wiederum die Schwierigkeit, daß Welzel doch nicht u m h i n k o m m t , bestimmte Wertqualitäten als Immanenzen des ontischen Objekts auszugeben. N u r so w i r d eine abgestufte B i n d u n g des Gesetzgebers an sachlogisch vorgegebene Strukturen überhaupt denkbar. D a n n ist sein Rückgriff in der Schuldlehre auf die strikt dualistische Position Dohnas i m Gesamtgebäude Welzeis eher systemfremd. Dennoch ist die radikale Objekt-Wertungs-Lehre Dohnas von den Finalisten und anderen vor allem in der Schuldlehre u n d für die Abgrenzung des Tatumstands- v o m Verbotsirrtum übernommen w o r d e n 3 2 5 . 323 Welzel, Um die finale Handlungslehre, 1949, S. 10: Dem Gesetzgeber „sind die ontologischen Strukturen des Seins (insbesondere die Finalität der menschlichen Handlung) vorgegeben; er schafft sie nicht und darum kann er sie nicht ändern oder aufheben; frei ist er allein in der Wertung dieser Strukturen." Dagegen behauptet Roxin, Zur Kritik der finalen Handlungslehre, aaO, S. 82: „Was final ist, hängt allein von den Zwecksetzungen der Rechtsordnung ab". Welzel, Naturrecht und Rechtspositivismus (1953), in: Abhandlungen, 1975, S. 283 - 286, S. 286: Die sachlogischen Strukturen (gemeint sind die kategoriale Struktur der menschlichen Handlung und der Schuldbegriff mitsamt den genannten Konsequenzen) enthalten die materialen Bindungen des Gesetzgebers. Aber diese Bindung ist nur „relativ, d.h. ihre Nichtbeachtung macht die gesetzliche Regelung zwar sachwidrig, widerspruchsvoll, lückenhaft, aber nicht ungültig." Ebenso Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, 4. Aufl. 1962, S. 243, 244. 324 Welzel, Vom irrenden Gewissen, 1949, S. 27, 28; Naturrecht und Rechtspositivismus (1953), in: Abhandlungen, 1975, S. 286: Es gibt eine sachlogische Struktur, ein immanentes materiales Prinzip, welches kein staatlicher Befehl verletzen darf, ohne sofort ungültig und unverbindlich zu werden und den Rechtscharakter zu verlieren: „Das ist die sittliche Autonomie des Mitmenschen. Da die Person kraft ihrer sittlichen Autonomie einen von jeder Zweckerreichung unabhängigen Eigenwert erringt, ist sie von jeder anderen Person in diesem Eigenwert zu respektieren." Ebenso Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, 4. Aufl. 1962, S. 239, 240. 325 Niese, Finalität, Vorsatz und Fahrlässigkeit, 1951, S. 29: Beim Rechtswidrigkeitsurteil ist „der Gegenstand der Bewertung teils objektiv, teils subjektiv, nämlich die Handlung in ihrer finalen Struktur, beim Schuldurteil nur subjektiv, nämlich der innere Vorgang der Willensbildung, die Entscheidung des Täters zum Handeln". S. 33: Dohna habe mit Recht die ,Schuld' allein aus der normativen Bewertung der beiden an sich schuldindifferenten psychischen Befunde des Vorsatzes oder Nichtvorsatzes hergeleitet. Das vorhandene oder fehlende Unrechtsbewußtsein bilde nur einen weiteren selbständigen Gegenstand der Schuldbewertung. Auch S. 39. Maurach/Zipf, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 6. Aufl. 1983, Teilband 1, S. 168: Das Verbrechen bilde einen mehrschichtigen Begriff, einmal hinsichtlich der Wertung selbst (betreffend die Handlung, die Verbotenheit, die Strafbarkeit) und dann in Bezug auf das Wertungsobjekt (Tat, Täter, eigenes und freies Willenswerk); S. 321 (scharfe Trennung von Tatbewertung als tatbestandsmäßigem Unrecht und Täterbewertung als Zurechenbarkeit). Hellmuth v. Weber, Negative Tatbestandsmerkmale, in: Festschrift für Mezger, 1954, S. 190: Bei Tatumständen wie Rechtfertigungsgründen sind im Sinne Dohnas die (sachlichen) Merkmale von der Bewertung auseinanderzuhalten; auf beides kann sich der Irrtum beziehen. S. 191: „Mit dieser Unterscheidung zwischen dem Wissen um die Tatum-
E. Dogmengeschichtliche Untersuchung der teleologischen Verbrechenslehre 223 Die K r i t i k e r haben demgegenüber vielfach auf die Strukturverschlungenheit zwischen Sein und Sollen hingewiesen, was von uns aber als zu ungenau und präzisierungsbedürftig angesehen w i r d 3 2 6 . R o x i n wendet sich gleichermaßen gegen einseitig ontologische oder normativistische Positionen und vertritt eine Synthese der sinnerfassenden u n d zwecksetzenden M e t h o d e 3 2 7 . D a b e i w i r d der disparate Stoff durch die Einheit der Idee systematisch zusammengehalten 3 2 8 . A l s ideelle Maßstäbe oder normative teleologische L e i t l i n i e n sind den geläufigen Deliktskategorien der Handlung, des Unrechts und der Schuld die Gesichtspunkte der personalen Zurechenbarkeit, der materiellen Sozialwidrigkeit und der formellen Verbotenheit sowie der Verantwortlichkeit zuzuordnen 3 2 9 . Dies w i r d dahin fortentwickelt, daß dem Tatbestand, der Rechtswidrigkeit und der Schuld die k r i m i nalpolitischen Postulate des nullum-crimen-Satzes, der sozialrichtigen Interessenabwägung i n K o n f l i k t s i t u a t i o n e n u n d der Strafzwecklehre zugrundeliegen330. I n unserem Zusammenhang ist nur kritisch anzumerken, daß R o x i n letztlich doch einen einseitig normativistischen Standpunkt e i n n i m m t , bei dem von einem K e r n anschaulich-seinshafter Strukturelemente nichts mehr übrigbleibt. Betrachtet man Dohnas formalen Normativismus, Welzels regelmäßig nur relativ bindende sachlogische Strukturen u n d Roxins kriminalpolitische Leitlinien, dann drängt sich immer wieder die Frage auf, w o nur die Wertungs-
stände einer - objektiv gewertet - rechtswidrigen Handlung und dem Wissen um diese Wertung . . . ist das Prinzip bestimmt, das die Unterscheidung zwischen Tatbestandsund Verbotsirrtum nicht nur ermöglicht, sondern auch wegen ihrer sachlichen Bedeutung notwendig macht." Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, 4. Aufl. 1988, §39 I I , I I I , wo zwischen dem Gegenstand und dem Maßstab des Schuldurteils unterschieden wird. 326 Lange, Literaturbericht, ZStW 63 (1951), S. 472, 498; Eberhard Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale im Strafrecht, 1958, S. 35 - 40,151: „Wir erfahren Werte nur mit dem Sein verknüpft"; S. 152 FN 61 mwN.; Dietrich Oehler, Das objektive Zweckmoment in der rechtswidrigen Handlung, 1959, S. 52, 53; Arthur Kaufmann, Das Schuldprinzip, 2. Aufl. 1976, S. 179, 184 gegen den extremen Normativismus Dohnas mwN. 327 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 5. Aufl. 1990, S. 19 - 25. A n anderer Stelle heißt es aber, daß sich die strafrechtliche Systembildung ausschließlich von strafrechtlichen und kriminalpolitischen Zwecksetzungen leiten lassen dürfe (Strafrecht, 1992, S. 113, RN 23, 24, näher S. 123 - 133). 328 Roxin, Einige Bemerkungen zum Verhältnis von Rechtsidee und Rechtsstoff in der Systematik unseres Strafrechts, in: Gedächtnisschrift für Gustav Radbruch, 1968, S. 263. 329 Roxin, aaO., S. 262, 263. 330 Roxin, Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, 2. Aufl. 1973, S. 15, 16; ders. »Schuld' und Verantwortlichkeit' als strafrechtliche Systemkategorien, in: Festschrift für Heinrich Henkel, 1974, S. 171 („Man wird daher bei exakter Redeweise gut tun, zwischen dem Gegenstand der Wertung, dem ,Schuldtatbestand', der Wertung selbst, die man meist als ,Vorwerfbarkeit' bezeichnet, und dem Gegenstand mitsamt seinem Wertprädikat, der ,Schuld' oder noch genauer: der ,schuldhaften Tat', zu unterscheiden".), 181, 182.
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3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
strukturen selber ihre materialen Grenzen finden 331 . Ein (formales) nullumcrimen-Prinzip als Leitgedanke der Straftatbestände wird nur für sich genommen einem totalitären Staat und dessen Zielen nicht allzusehr im Wege stehen; es gilt, die rechtsstaatlichen Schranken zur Pönalisierung menschlichen Verhaltens in ein teleologisches Straftatbestands Verständnis zu integrieren 3 3 2 .
Die sozialrichtige Interessenregulierung in Konfliktsituationen und die Verantwortlichkeitszuschreibung nach den Erfordernissen der Strafzwecklehre sind Hülsen, die in unterschiedlichen Staatssystemen mit gegensätzlichem Inhalt ausgefüllt werden können. Vielmehr haben die Basiswertungen eines rechtsstaatlichen Strafrechts einen Ordnungsrahmen abzustecken, um einen möglichen rechtsstaatswidrigen Gebrauch solcher Formeln zu verhindern. Jedenfalls dürfte deutlich geworden sein, daß die Objekt-Wertungs-Lehre in fortzubildender Gestalt auch heute noch aktuell ist 3 3 3 . Zudem ist das Verhältnis zwischen dem Objekt und dessen Wertung in der Verbrechensdogmatik viel komplizierter und vielschichtiger, als es die Ansicht Dohnas nahelegt. 4. Annäherung an den finalen Handlungsbegriff? In seiner ursprünglichen Lehre hatte Dohna seinem eingeschränkt kausalen Handlungsbriff weder eine Grund- noch eine Grenzfunktion im Verbrechenssystem zugewiesen. Damit sind seine nunmehrigen Beiträge zum Handlungsbegriff zu vergleichen. Bei der Interpretation werden die Arbeiten Erik Wolfs, Hellmuth v. Webers und Welzels berücksichtigt. a) In der Besprechung des Lehrbuchs von Mezger wendet sich Dohna im Hinblick auf die Unterlassungsdelikte gegen dessen Meinung, die Handlung zum Oberbegriff des Verbrechens zu erheben 334 . Dem kausalen Handlungsbegriff wird jedoch zugestimmt und nunmehr eine Grenzfunktion zugesprochen: 331 Die (Straf-)Gerichte werden bei der Aufarbeitung der neueren ostdeutschen Geschichte Fälle zu entscheiden haben, in denen es die materialen Grenzen eines machtpositivistischen oder rein normativistischen Straf-„rechts" zu bestimmen gilt. Siehe oben 2. Teil, V I . 2. und 3. Teil, Ε . , 1.2. 332 A n anderer Stelle beschäftigt sich Roxin mit den rechtsstaatlichen Grundlagen und Begrenzungen des Strafrechts; etwa Sinn und Grenzen staatlicher Strafe (1966), in: Strafrechtliche Grundlagenprobleme, 1973, S. 12 - 24. Werden diese nicht in eine rein funktionalistische Verbrechensdogmatik integriert, bleibt das Bedenken des möglichen Mißbrauchs durch einen anderen Interpreten. 333 Man wird wohl jede dogmatische Streitfrage auf das komplexe und wechselseitige Verhältnis zwischen Ontologie und Normativismus in einem rechtsstaatlichen Strafrecht zurückführen können. Die Abgrenzung des Eventualvorsatzes von der bewußten Fahrlässigkeit und die Problematik des Rücktritts vom (beendeten oder unbeendeten) Versuch beispielsweise stellen die Wissenschaft vor die Aufgabe, die Gerichtspraxis daraufhin zu untersuchen, inwieweit hinter psychologischen oder kausalistischen Formulierungen sich berechtigterweise wertende, Kriminalverantwortung zuschreibende Erwägungen verbergen.
E. Dogmengeschichtliche Untersuchung der teleologischen Verbrechenslehre 225 „ U m so mehr gilt es anerkennen, daß . . . Mezger nur die kausale Beziehung von Wollen (im Sinne von Willkürlichkeit) und Tun der Lehre von der Handlung . . . zuweist. Erst diese Erkenntnis erschließt das Verständnis für die Möglichkeit eines fahrlässigen D e l i k t s . . . Was durch das Willenserfordernis angeschlossen werden soll, sind also lediglich die reflektorischen und die mechanisch erzwungenen Bewegungen" 3 3 5 .
Im Aufbau der Verbrechenslehre wird die Meinung, Handlung (im weiteren Sinne) sei wesentlich Willensverwirklichung, mit dem folgenden Schema verdeutlicht: Tätigkeit
ungewollt
Untätigkeit
gewollt
gewollt
l
Nichthandeln
Handeln (i.w.S.)
Tun
ungewollt
I
Unterlassen
Nichthandeln336
Bei der Handlung (im weiteren Sinne) kann der Wille auf körperliche Betätigung oder auf Vermeidung einer solchen gerichtet sein, so daß in diesem Sinne Tun und Unterlassen die beiden Erscheinungsformen der Handlung sind. Meist ist mit der Handlung (im engeren Sinne) nur der Fall der äußeren Willensmanifestation gemeint, so daß das Verbrechen in der Vornahme oder Nichtvornahme einer Handlung besteht. Die Tätigkeit wie die Untätigkeit muß sich auf einen menschlichen Willen als ihre Ursache zurückführen lassen ; dagegen wird der Willensinhalt dem Vorsatz zugewiesen337. Jedoch gibt es Verbrechen, bei denen keine Handlung vorliegt, auch wenn dies „Ausnahmeerscheinungen" sind 338 . Die Mutter, die sich im Schlafe umwälzt und das neben ihr liegende Kind erdrückt, bildet ein Beispiel für eine ungewollte Tätigkeit. Seit der zweiten Auflage fügt Dohna noch hinzu, daß sich die drei Handlungselemente nur bei den vorsätzlichen Erfolgsdelikten vereinigt finden, während sich alle fahrlässigen Delikte durch das Fehlen des Willensentschlusses (im Hinblick auf den deliktischen Erfolg) und die Unterlassungen durch das Fehlen der (erwarteten) Willensbetätigung auszeichnen339.
334
Mezger, Lehrbuch des Strafrechts, 1931, S. 94, 95; Dohna in: ZStW 52 (1932),
S. 99. 335 336 337 338 339
Dohna, in: ZStW 52 (1932), S. 99. Der Aufbau der Verbrechenslehre, Der Aufbau der Verbrechenslehre, Der Aufbau der Verbrechenslehre, Der Aufbau der Verbrechenslehre,
15 Escher
1936, S. 1936, S. 1936, S. 2. Aufl.
5,6. 5,15. 6. 1941, S. 6.
226
3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
In der Besprechung des Grundrisses von Welzel verneint Dohna die Möglichkeit, die Fahrlässigkeit mit einem Handlungsbegriff zu vereinbaren, der entscheidend auf die Ausübung menschlicher Zwecktätigkeit abstellt 340 . Vielmehr bietet er im Hinblick auf die Einbeziehung der Fahrlässigkeit die folgende Begriffsbestimmung: „Handlung im strafrechtlichen Sinne aber ist das gewertete Verhalten, das seinerseits intentional-kausalen oder rein intentionalen oder rein kausalen Charakter an sich tragen kann" 3 4 1 .
b) Die späte Handlungslehre Dohnas schwankt zwischen einem engeren und weiteren Begriff und zeigt ein nicht klar aufgelöstes Spannungsverhältnis von empirischen und normativen Elementen. Die Handlung wird auf der Objekt-Seite des Verbrechens behandelt und hat demnach deskriptiv zu sein. Der (enge) Handlungsbegriff umfaßt zunächst folgerichtig einen Ausschnitt aus einem empirischen Geschehen, nämlich das intentional-kausale Tun. Anläßlich der Besprechung Welzeis wird das fahrlässige Tun (rein kausal) und das vorsätzliche Unterlassen (rein intentional) in den (weiten) Begriff der Handlung als gewertetes Verhalten einbezogen. Nur im Hinblick auf die von der Rechtsordnung erwartete, aber tatsächlich nicht vorgenommene sorgfältige bzw. pflichtgemäße Handlung, also unter bestimmtem strafrechtlich-normativen Betracht, kann in diesen beiden Fällen von einer „Handlung" gesprochen werden. Das rein wertungsmäßig erfaßbare fahrlässige Unterlassungsdelikt wird jedoch aus diesem Handlungsbegriff ausgeschieden. Wird aber der engere Handlungsbegriff nicht allgemein auf die Struktur menschlichen „Handelns" überhaupt, sondern auf strafrechtlich relevante Sachverhalte bezogen, so wird auch dort eben durch die Fokussierung auf Strafunrechtstatbestände ein wertender Blickwinkel angelegt. Es zeigt sich, daß das Objekt-Wertungs-Schema nicht einmal beim Handlungsbegriff in der intendierten Radikalität durchgeführt werden kann. Dies im Auge behaltend ist der Vergleich darauf zu beschränken, ob bei Dohna von einer Annäherung an ein finalistisches Verständnis gesprochen werden kann 3 4 2 .
340 in: ZStW 60 (1941), S. 288, 289. 341 In: ZStW 60 (1941), S. 289. 342 Jescheck, Der strafrechtliche Handlungsbegriff in dogmengeschichtlicher Entwicklung, in: Festschrift für Eberhard Schmidt, 1961, S. 146: Welzel habe im Anschluß an Vorarbeiten von Dohna und anderen der finalen Handlungslehre die betont ontologische Wendung gegeben. Gallas, Zum gegenwärtigen Stand der Lehre vom Verbrechen, in: ZStW 76 (1955), S. 5 FN 9. Eberhard Schmidhäuser, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1975, S. 168, 169. Dagegen hat Welzel bei der Besprechung der weiteren vorhandenen Ansätze zur finalen Handlungslehre Dohna nicht erwähnt, in: Studien zum System des Strafrechts (1939), in: Abhandlungen, 1975, S. 125 - 129.
E. Dogmengeschichtliche Untersuchung der teleologischen Verbrechenslehre 227
Die Aufgliederung in Willensentschluß, Willensbetätigung und Erfolg findet sich vor allem bei Erik Wolf, der den juristisch-normativen Handlungsbegriff als Grundelement des allgemeinen Tatbestandsbegriffs ansieht 343 . Weber trennt aufgrund einer sprachlichen Analyse der vom Gesetzgeber zur Kennzeichnung des sozialschädlichen Verhaltens verwendeten Verben die kausalen von den finalen Tätigkeitsworten. Es stehen somit kausale und finale Handlungen gegenüber; bei den letzteren ist die vom tätigen Subjekt gegebene Richtung auf den Deliktserfolg entscheidend 344 . Bei Welzel bildet die Finalität der menschlichen Handlung eine ontische, sachlogisch vorgegebene und den Gesetzgeber relativ bindende Struktur 345 . Handlung ist die Ausübung menschlicher Zwecktätigkeit. Ob aber überhaupt von einem einheitlichen strafrechtlichen finalen Handlungsbegriff gesprochen werden kann, ist deshalb fraglich, weil sofort die Ausübung menschlicher Zwecktätigkeit (Vorsatz-Unrecht) von der zwecktätigen Vermeidbarkeit (Fahrlässigkeits-Unrecht) unterschieden wird 3 4 6 . Insgesamt kann bei Dohna nicht von einer Annäherung an einen finalen Handlungsbegriff gesprochen werden. Allerdings ist es auffallend, daß Welzel den zunächst allgemein-ontischen Begriff zwecks Berücksichtigung der Fahrlässigkeit normativ erweitert, um dann von der „Handlung" als Systemoberoder Grundbegriff der Verbrechenslehre sprechen zu können. Insofern besteht eine Parallele zu Dohna, als dieser sich genötigt sieht, den zunächst kausalen Handlungsbegriff zwecks Einbeziehung der vorsätzlichen Unterlassungsdelikte inzident zu normativieren. Der Differenzpunkt liegt darin, daß Welzel von einer ontologischen, die Erkenntnisse der neueren Psychologie verarbeitenden Grundlage ausgeht, während Dohna die Wirklichkeit durch Reduzierung auf kausal-naturalistischbegriffliche Vorgänge zu erfassen sucht 347 . Die drei Handlungselemente Willensentschluß, Willensbetätigung und Erfolg in kausaler Verbindung sind nur bei den vollendeten Begehungs- und Erfolgsdelikten gegeben. Bei den Tat343 Erik Wolf, Die Typen der Tatbestandsmäßigkeit, in: Festschrift für Max Pappenheim, 1931, S. 382, 383, 389 - 393, 427 (Schaubild); ders., Krisis und Neubau der Strafrechtsreform, 1933, S. 36. 344 v. Weber, Zum Aufbau des Strafrechtssystems, 1935, S. 8, 9: töten = den Tod verursachen; anders z.B. erjagen, verdächtigen, feilhalten. 345 Siehe oben die Nachweise in FN 321, 323, 324. 34 * Welzel, Kausalität und Handlung (1931), in: Abhandlungen, 1975, S. 20,21; Studien zum System des Strafrechts (1939), in: Abhandlungen, 1975, S. 129,130,143,176; U m die finale Handlungslehre, 1949, S. 7 - 9, 17, 18; Das neue Bild des Strafrechtssystems, 4. Aufl. 1961, S. 1 - 4; Lehrbuch, 11. Aufl. 1969, S. 33 - 37, 129 - 131. 347 Ähnlich auch Busch, Moderne Wandlungen der Verbrechenslehre, 1949, S. 9: bei Dohna stehen anders als bei Welzel die finalen und die kausalen Handlungen von Anfang an in ursprünglicher Selbständigkeit nebeneinander. Aber man beachte bei Welzel das sofortige Auseinanderfallen im Hinblick auf die Fahrlässigkeit.
15*
228
3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
und Unterlassungsdelikten fehlen einzelne Handlungselemente, so daß von einem einheitlich strukturierten Handlungsbegriff im Verbrechenssystem Dohnas weder im normativen noch im tatsächlichen Betracht gesprochen werden kann. Genau einen solchen Begriff erstrebte Welzel, aus dem dann erhebliche Konsequenzen für das Verbrechenssystem abzuleiten sind 348 . Die spätere Begriffsbestimmung Dohnas steht wegen des normativen Einschlags in der Nähe zu sozialen Handlungslehren 349 . 5. Tatbestand und Rechtswidrigkeit Was das Verhältnis zwischen Tatbestand und Rechtswidrigkeit sowie die Frage nach dem Standort der normativen Tatbestandsmerkmale und der Rechtfertigungsvoraussetzungen anbelangt, hat Dohna den damaligen Erkenntnis- und Meinungsstand nicht wesentlich gefördert. Diese Themen hat er zudem im engen Zusammenhang mit der Irrtumslehre behandelt, was hier aber auseinandergehalten werden soll. Es ist darauf einzugehen, was die Unterschiede zu seiner früheren Lehre sind, wie sich erneut der radikale Tatsachen-Wertungs-Dualismus als überspitzt und ungereimt erweist und wie sich Dohna von den führenden Vertretern der Südwestdeutschen und Welzel absetzt. a) Der Tatbestand beschreibt diejenigen Merkmale, die einen besonderen Deliktstypus konstituieren 350 . Die gesetzlichen Tatbestände sind dazu da, Recht und Unrecht in Zweifel ausschließender Weise abzugrenzen 351. Es ist unrichtig, die Tatbestands- in die Rechtswidrigkeitslehre einzubauen; vielmehr ist gerade die Verwirklichung des Deliktstatbestandes verboten, so daß folglich das Verbotensein unmöglich zum Tatbestand gehören kann. Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit stellen sich als zwei sich schneidende Kreise dar, deren gemeinsam bestrichene Fläche den Bereich strafbarer Handlungen umgrenzt 352 . Mit der Erfüllung des Tatbestandes hat jemand gegen die verbietende bzw. gebietende Norm verstoßen. Wenn solches Ver348 Welzel, Das neue Bild des Strafrechtssy stems, 4. Aufl. 1961, Vorwort S. I X - X I , zum psychologischen Hintergrund. Dohna ist dagegen der älteren rationalen Assoziations- oder Motivationspsychologie verhaftet, was sich besonders in seiner stark an Schopenhauer und Windelband anknüpfenden Lehre von der Willensfreiheit zeigt; siehe 3. Teil, B. 349 Vgl. z.B. Engisch, Der finale Handlungsbegriff, in: Festschrift für Kohlrausch, 1944, S. 161, 162. 350 Der Aufbau der Verbrechenslehre, 1936, S. 20, auch S. 4; Recht und Irrtum, 1925, S. 30. 351 Der Aufbau der Verbrechenslehre, 1936, S. 20. 352 Recht und Irrtum, 1925, S. 3, 17, 18; Der Aufbau der Verbrechenslehre, 1936, S. 22; Besprechung Mezger, Lehrbuch, 1931, in: ZStW 52 (1932), S. 101; Besprechung Liszt/Schmidt, Lehrbuch, 26. Aufl. 1932, in: ZStW 52 (1932), S. 327, 329; Ein neuer Grundriß des Strafrechts (Besprechung Welzel), in: ZStW 60 (1941), S. 292.
E. Dogmengeschichtliche Untersuchung der teleologischen Verbrechenslehre 229
halten trotzdem der Rechtswidrigkeit ermangeln soll, kann dies nur darin begründet sein, daß diese Norm im gegebenen Falle einer Gegennorm weicht, daß also ein besonderer Erlaubnissatz eingreift. Zwingende technische Rücksichten machen es dem Gesetzgeber unmöglich, die Gründe ausgeschlossener Rechtswidrigkeit in den Tatbestand einzuarbeiten. Der Strafgesetzgeber begnügt sich bei der tatbestandlichen Beschreibung mit dem möglichen Vorliegen der Rechtswidrigkeit 353 . Die Rechtfertigungsgründe lassen den Tatbestand völlig unberührt. Deren Voraussetzungen sind nicht negative Tatumstände, sondern negative Verbrechensmerkmale, insofern sie verhindern, daß eine tatbestandsmäßige Handlung deliktischen Charakter trägt 354 . Im menschlichen Zusammenleben gibt es zahlreiche Fälle wie Einsperrungen im Gefängnis und Tötungen im Krieg, die einen gesetzlichen Straftatbestand erfüllen und nicht rechtswidrig sind. Es bedeutet ein „scheinbar unausrottbares Mißverständnis", als ob mit der Bejahung der Tatbestandsmäßigkeit schon irgendwelche Mißbilligung der so qualifizierten Handlung verbunden wäre 355 . Der Gesetzgeber bietet bei Ausdrücken wie Beleidigung, unzüchtige Handlung, Unbescholtenheit lauter Hülsen dar, die erst durch die von uns hinzugebrachten Wertanschauungen mit Inhalt gefüllt werden 356 . Bei den normativen Tatbestandsmerkmalen handele es sich im Sinne M. E. Mayers um unechte Tatbestands- und echte Rechtswidrigkeitsmerkmale 357 . b) Dohna vertritt damit die von Beling begründete und von M. E. Mayer fortgeführte Lehre, nach welcher der Deliktstatbestand die ratio cognoscendi der Rechtswidrigkeit bildet 3 5 8 . Demgegenüber ist vielfach von den Südwestdeutschen die Auffassung von dem Unrechtstatbestand als ratio essendi der Rechtswidrigkeit vertreten worden 359 . Noch in seiner Habilitationsschrift hatte Dohna die nun übernommene Vorstellung von Verbotsnormen und entgegenstehenden besonderen Erlaubnisnormen bemängelt 360 . Vor dem Hintergrund seines radikalen Tatsachen353
Der Aufbau der Verbrechenslehre, 1936, S. 21,22; Recht und Irrtum, 1925, S. 4. Besprechung Mezger, Lehrbuch, 1931, in: ZStW 52 (1932), S. 109. 355 Ein neuer Grundriß des Strafrechts (Besprechung Welzel), in: ZStW 60 (1941), S. 292. 356 Recht und Irrtum, 1925, S. 7. 357 Recht und Irrtum, 1925, S. 31. Beispielsweise gehört die Pflicht zur Führung von Handelsbüchern nicht zu den Voraussetzungen der Tatbestandsmäßigkeit, sondern der Widerrechtlichkeit des Konkursdelikts (aaO, S. 30). Besprechung Mezger, Lehrbuch, 1931, in: ZStW 52 (1932), S. 108 FN 4. Μ . E. Mayer, Lehrbuch des Strafrechts, 1915, S.182 - 188. 358 Beling, Die Lehre vom Verbrechen, 1906, S. 1 - 4, llOff.; M . E. Mayer, Lehrbuch des Strafrechts, 1915, S. 179ff. 359 Vgl. nur Mezger, Vom Sinn der strafrechtlichen Tatbestände, in: Festschrift für Ludwig Traeger, 1926, S. 190,191,195. Weiterführend etwa Schweikert, Die Wandlungen der Tatbestandslehre seit Beling, 1957, S. 14 - 82. 3 *o Siehe 3. Teil, E . , I I I . , 4 . c). 354
230
3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
Wertungs-Dualismus ist es unverständlich, wie ein rein wertneutraler Tatbestand den Verbotsbereich soll abstecken und die Rechtswidrigkeit indizieren können 361 . Bemerkenswert ist, daß Welzel sich in seiner späteren Tatbestandslehre der grundsätzlichen Konzeption Belings, M. E. Mayers und Dohnas angenähert hat. Zunächst werden die sozial adäquaten Handlungen wie ζ. B. Tötungen im Krieg aus dem Bereich des Tatbestandes im Sinne des Unrechtstatbestandes ausgenommen362. Später wird die soziale Adäquanz als gewohnheitsrechtlicher Rechtfertigungsgrund in der Rechtswidrigkeitslehre abgehandelt 363 . 6. Die Trennung des Vorsatzes vom (aktuellen oder potentiellen) Unrechtsbewußtsein und die Scheidung des Tatumstands- vom Verbotsirrtum Bereits bei der dogmatischen Würdigung der Rechtswidrigkeitslehre Dohnas wurde das systematische Standortproblem des Vorsatzes angesprochen. Dabei ging es um die Frage, ob die Funktionsweise der Strafrechtsnormen die Vorverlagerung des Vorsatzes in die Unrechtslehre gebietet 364 . Hier interessiert die Bedeutung Dohnas für die Irrtumslehre als Kehrseite der Inhaltsbestimmung von Vorsatz und Unrechtsbewußtsein. Speziell handelt es sich darum, daß Dohna auf die Irrtumslehre Welzels einen nicht unerheblichen Einfluß gewonnen hat. Eine gründliche dogmengeschichtliche Aufarbeitung der Irrtumslehre findet sich etwa bei Georg Tischler, worauf hier als Hintergrund verwiesen wird 3 6 5 . In der früheren Lehre hatte sich Dohna nur eher beiläufig zur Irrtumslehre geäußert. In der Schuldlehre wurde für die Vorsatzstrafe der Dolus malus gefordert, also der das Bewußtsein der Pflichtwidrigkeit mitumfassende Vorsatz. Folglich fehlte es am Vorsatz bei der Nichtvoraussicht des Erfolges, der Unkenntnis von Tatumständen und bei fehlendem Unrechtsbewußtsein (error juris) 3 6 6 . Die Unkenntnis der Pflichtwidrigkeit oder des Verbotenseins kann dann Bestrafung wegen Fahrlässigkeit übriglassen. Die Notwendigkeit der Unterscheidung der Vorsatz- und der Schuldtheorie ergibt sich erst dann, wenn für die Vorsatzstrafe nicht unbedingt das aktuelle und deliktsspezifische 361 Dazu 3. Teil, E., I V . , 5. 362 Studien zum System des Strafrechts (1939), in: Abhandlungen zum Strafrecht und zur Rechtsphilosophie, 1975, S. 151, 152. 363 Vgl. nur Das neue Bild des Strafrechtssystems, 4. Aufl. 1961, S. 17, 20, 25, 26. 364 Oben I I I , 4. f.). 365 Verbotsirrtum und Irrtum über normative Tatbestandsmerkmale. Dogmengeschichte eines Abgrenzungsproblems. 1984. 366 Die Elemente des Schuldbegriffs, in: GS 65 (1905), S. 322, 323; Zur Systematik der Lehre vom Verbrechen, in: ZStW 27 (1907), S. 347, 348; Der Mangel am Tatbestand, 1910, S. 4, 5.
E. Dogmengeschichtliche Untersuchung der teleologischen Verbrechenslehre 231 Unrechtsbewußtsein gefordert w i r d ; dann w i r d die Abgrenzung insbesondere des Irrtums über „ n o r m a l e " und normative Tatumstandsmerkmale v o m Verbotsirrtum bedeutsam. Für den Fall der Rechtsblindheit oder Rechtsfeindschaft des Täters gelangt D o h n a dazu, trotz fehlenden aktuellen Pflichtwidrigkeitsbewußtseins wegen Vorsatzes zu strafen 3 6 7 . D a m i t w i r d die grundsätzliche Position zum Inhalt des Dolus malus eingeschränkt, so daß D o h n a ursprünglich eine eingeschränkte Vorsatztheorie vertreten h a t 3 6 8 . I n der revidierten Lehre k a m D o h n a aufgrund des Objekt-Wertungs-Schemas und normentheoretischer Überlegungen dazu, den Vorsatz als Bewertungsobjekt von der Schuld zu t r e n n e n 3 6 9 . D e r Vorsatz bezeichnet eine bestimmte psychische Beziehung des Täters zu seiner Tat ; das Beziehungsobjekt der Psyche ist der Tatbestand des Verbrechens 3 7 0 . A l s Eigenschaft der H a n d l u n g gehört der Vorsatz in die Lehre v o m Tatbestand und bedeutet die die H a n d l u n g begleitende Vorstellung der Verwirklichung der M e r k m a l e eines gesetzlichen Tatbestandes 3 7 1 . Erst i m Laufe der Zeit w i r d das potentielle Unrechtsbewußtsein deutlich v o m Tatbestandsvorsatz g e t r e n n t 3 7 2 . Dohnas richtungsweisende Leistung besteht darin, die Irrtumslehre m i t der Systematik der Verbrechenslehre zu verbinden. Das entscheidende Gegensatzpaar lautet nicht Tatsachen oder rechtliche Beziehungen, sondern Tatbe367
Die Elemente des Schuldbegriffs, in: GS 65 (1905), S. 323. Vgl. zum Sprachgebrauch nur Tischler, FN 365, S. 22 - 24 m.w. Ν. 369 Dohna selber beruft sich auf Paul Merkel, der den entscheidenden Schritt tat und den Vorsatz völlig von der Schuld löste; Besprechung von R. v. Hippel, Deutsches Strafrecht, Bd. 2, 1930, in: ZStW 51 (1931), S. 618; Besprechung von Mezger, Lehrbuch des Strafrechts, 1931, in: ZStW 52 (1932), S. 104; Paul Merkel, Schuld, Vorsatz, Fahrlässigkeit, Irrtum, in: JW 1924, S. 1677 und besonders JW 1925, S. 894, 895 (Der Begriff des Vorsatzes ist unabhängig von der Schuld zu bilden; er ist ethisch farblos.). 370 Recht und Irrtum, 1925, S. 17. 371 Besprechung von Mezger, Lehrbuch des Strafrechts, 1931, in: ZStW 52 (1932), S. 105; oder in anderer Formulierung: „Vorsätzlich handelt, wer davon überzeugt ist, er werde durch sein Handeln den Erfolg herbeiführen und die begleitenden Tatumstände seien gegeben"; Der Aufbau der Verbrechenslehre, 1936, S. 15. Im Hinblick auf das Objekt-Wertungs-Schema und wegen des über den Handlungswillen hinausgehenden Willensinhalts ist es eigentlich nicht richtig, daß der Vorsatz bei Dohna heimatlos geworden sei; so aber Welzel, Lehrbuch des Strafrechts, 11. Aufl. 1969, S. 140, und Kaufmann, Arthur, Das Schuldprinzip, 2. Aufl. 1976, S. 186; dagegen Spendel, Günter, Das Unrechtsbewußtsein in der Verbrechenssystematik, in: Festschrift für Herbert Tröndle, 1989, S. 101. 372 Noch 1922 ging Dohna vom Dolus malus aus, in: Die Rechtsprechung des Reichsgerichts und der Kommentar zum Strafgesetzbuch, in: MschrKrimPsych. Bd. 13 (1922), S. 227, 229. Anders Recht und Irrtum, 1925, S. 27; bekräftigt Besprechung Mezger, Lehrbuch des Strafrechts, 1931, in: ZStW 52 (1932), S. 106 FN 3. In dieselbe Richtung weist auch z.B. Robert v. Hippel, Das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit, in: Mitteilungen der I K V , Bd. 19 N.F., 1924, S. 29; Frank, Kommentar, 17. Aufl. 1926, §59 Anm. I I I , auch Anm. II. 368
232
3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
stand (Tatumstände, Verbotsmaterie) und Rechtswidrigkeit (Verbotensein) 373 . Folglich schließt der Tatumstandsirrtum den Tatbestandsvorsatz aus und es ist nur noch möglich, die Tat als fahrlässige oder gar nicht zu bestrafen; der Verbotsirrtum läßt dagegen den Vorsatz unberührt und führt im Falle der Unvermeidbarkeit zur Straffreiheit, dagegen im Falle der Vermeidbarkeit zu einer geminderten Schuld und Vorsatzstrafe 374. Dabei ist jeder Tatumstandsirrtum zugleich Verbotsirrtum „in dem Sinne, daß dem Täter das Bewußtsein mangelt, nicht handeln zu dürfen, wie er handelt; und nur deshalb kommt ihm überhaupt Beachtlichkeit z u " 3 7 5 . Es ergibt sich dann die Notwendigkeit und zugleich die im Hinblick auf die sog. normativen Tatbestandsmerkmale und die Rechtfertigungsvoraussetzungen nicht vollkommen lösbare Schwierigkeit, die beiden Irrtumsarten zu trennen. Da die gesetzgeberische Unterscheidung zwischen Merkmalen des Tatbestandes und den Voraussetzungen der Rechtswidrigkeit seiner Verwirklichung auf einer gewissen Willkür, ist „ohne Willkür . . . in unserer Frage nicht auszukommen. Deshalb ist auch der Theorie des Reichsgerichts gegenüber jede Überheblichkeit schlecht angebracht"; gewiß kann die reichsgerichtliche Differenzierung des strafrechtlichen und außerstrafrechtlichen Rechtsirrtums leicht kritisiert werden. Aber „offenbar war maßgebend die Erwägung, daß die Rechtsbeziehungen, die der Gesetzgeber zum Aufbau seiner Tatbestände verwertet, im allgemeinen anderen Rechtsgebieten entlehnt sind, während strafrechtlicher Charakter eben derjenigen Rechtsbeziehung zukommt, die es gerade auszuschalten galt: der Verbotenheit der Tat"376.
Die Schwierigkeit der Abgrenzung läßt sich beispielsweise an der Personenstandsfälschung veranschaulichen. Das Tatumstandsmerkmal „fälschen" bedeutet: „in unerlaubter Weise verändern. Einer vorsätzlichen Fälschung ist also immer nur derjenige schuldig, der sich bewußt gewesen ist, etwas Verbotenes zu tun. Und so verschlingen sich Tat- und Rechtsirrtum zu unlösbarer Einheit" 3 7 7 . „Der Irrtum über die Rechtswidrigkeit kann in dreierlei Gestalt auftreten: als eigentliche Unkenntnis des Verbots - als irrige Annahme des Bestehens eines von der 373 Recht und Irrtum, 1925, S. 17, 18, 20, 27; Der Aufbau der Verbrechenslehre, 1936, S. 41, 43. Ebenso die grundlegende Entscheidung BGHSt Bd. 2, S. 194,196,197. 374 Recht und Irrtum, 1925, S. 22, 23; Rechtswidrigkeit und Schuld nach der Reichstagsvorlage, in: Leipziger Zeitschrift für deutsches Recht, Bd. 21 (1927), Sp. 980, 981; Bemerkungen zum kommenden deutschen Strafrecht, in: MschrKrimPsych. Bd. 26 (1935), S. 99 - 101; Der Aufbau der Verbrechenslehre, 1936, S. 43. 375 Recht und Irrtum, 1925, S. 25, S. 26: „Tatirrtum ist Rechtsirrtum aus Unkenntnis von Tatumständen". Zustimmend Tiedemann, Klaus, Tatbestandsfunktionen im Nebenstrafrecht, 1969, S. 310, 311. 376 Recht und Irrtum, 1925, S. 26. Zustimmend Tiedemann, Tatbestandsfunktionen im Nebenstrafrecht, 1969, S. 295, 297. 377 Recht und Irrtum, 1925, S. 29, S. 20: Dennoch muß in allen Fällen, wo der Gesetzgeber rechtliche Beziehungen zum Aufbau seiner Tatbestände verwendet hat, die Unkenntnis dieser Beziehungen ex definitione Vorsatzausschluß bedeuten.
E. Dogmengeschichtliche Untersuchung der teleologischen Verbrechenslehre 233 Rechtsordnung nicht anerkannten Rechtfertigungsgrundes - als irrige Annahme eines Sachverhalts, der, wenn er wirklich vorläge, die Rechtswidrigkeit ausschließen würde" 3 7 8 .
Die Sonderstellung des sog. Erlaubnistatbestandsirrtums wird zwar eingeräumt, weil der Täter im Unterschied zu den beiden ersten Fallgruppen im Banne seines Irrtums etwas will, was das Gesetz gestattet. Aber gleichwohl soll dieser Irrtum nicht mit der Wirkung ausgestattet werden, den Vorsatz auszuschließen, da der Täter genau „weiß, was er tut, und nur nicht weiß, daß er das, was er tut, nicht tun darf" 3 7 9 . Damit zeigt sich Dohna als Vorläufer der sog. strengen Schuldtheorie. Im Jahre 1925 hatte Dohna zudem noch zugestanden, daß die Unterscheidung zwischen der Unkenntnis von Tatumständen und der irrigen Annahme eines rechtfertigenden Tatbestandes „eine gezwungene" ist. Dies ist jedoch dadurch möglich und zugleich erklärlich, daß der Gesetzgeber bei der Bildung seiner Tatbestände nicht jedesmal das Fehlen bestimmter Ausschließungsgründe der Rechtswidrigkeit in den besonderen Deliktstatbestand eingearbeitet und also nicht die Theorie der negativen Tatumstände anerkannt hat 3 8 0 . Im Rahmen unserer dogmengeschichtlichen Fragestellungen zur Verbrechensdogmatik Dohnas ineressiert hier nur die Feststellung, daß Welzel seiner Grundkonzeption nahesteht, zumal er sich auch sonst in seiner späteren Tatbestands- und Schuldlehre Dohna angenähert hat 3 8 1 . Als Kritikpunkt ist einmal anzubringen, daß Dohna keine inhaltlichen Kriterien für die Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums entwickelt hat. Dies entspricht jedoch der auch sonst anzutreffenden Überbetonung formaler, regulativer und wert ausfüllungsbedürftiger Kriterien. Es bleibt das Verdienst, die in den heutigen §§ 16, 17 StGB grundsätzlich übernommene Unterscheidung des Tatumstands- vom Verbotsirrtum wegen der Eingliederung in die Verbrechenssystematik wesentlich gefördert zu haben 382 . 378 Der Aufbau der Verbrechenslehre, 1936, S. 44; bereits Besprechung Mezger, Lehrbuch des Strafrechts, 1931, in: ZStW 52 (1932), S. 107. Dagegen vertritt die Entscheidung BGHSt Bd. 3, S. 106, 107 im Falle des Erlaubnistatbestandsirrtums die eingeschränkte Schuldtheorie. 379 Der Aufbau der Verbrechenslehre, 1936, S. 42, 44. 380 Recht und Irrtum, 1925, S. 28. 381 Welzel, Studien zum System des Strafrechts (1939), in: Abhandlungen zum Strafrecht und zur Rechtsphilosophie, 1975, S. 149 FN 47: Der Verbotsirrtum läßt den Vorsatz nach lebensrichtiger Betrachtung unberührt. Ders., Der Irrtum über die Rechtswidrigkeit des Handelns, ebenda S. 252 FN 5: „Die Disjunktion Tatbestand und Rechtswidrigkeit ist für die Irrtumslehre von fundamentaler Bedeutung." S. 252, 253: Beim Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes bleibt der Vorsatz bestehen. S. 256 FN 14: Die strenge Schuldtheorie werde „am konsequentesten" von Dohna vertreten. Ders. Das neue Bild des Strafrechtssystems, 4. Aufl. 1961, S. 67, 69; Ders. Lehrbuch, 11. Aufl. 1969, S. 159 - 173. 382 Vgl. nur Tischler, Verbotsirrtum und Irrtum über normative Tatbestandsmerkmale, 1984, S. 72, 73, 147, 148, 166 FN 9.
234
3. Teil: Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
V. Abschließende Einordnung in den dogmengeschichtlichen Zusammenhang Über den Einfluß Kants auf die Straf- und Zurechnungslehre Feuerbachs ist schon viel geschrieben worden. Dessen Theorie des psychologischen Zwangs, das Gesetzlichkeitsprinzip und das Erfordernis, daß die Bestrafung die Bekanntschaft des Täters mit dem verletzten Strafgesetz bei der Tatbegehung voraussetzt, ist vor dem Hintergrund der Trennung zwischen Legalität und Moralität und der Anerkennung der Menschqualität des Rechtsbrechers zu sehen 383 . Dohna steht zwar der Theorie psychologischen Zwangs kritisch gegenüber, da sie die Strafvollstreckung im Einzelfall nicht zu rechtfertigen vermag. Seine grundsätzlich strenge Auslegung des gesetzlichen Straftatbestandes und seine Ansicht, daß dem Täter zwar nicht mehr, wie ursprünglich gefordert, die Pflichtwidrigkeit bekannt sein müsse, sondern daß dem Täter die Erkenntnis des Verbotenseins seines Tuns möglich und zumutbar gewesen sein muß, haben im Prinzip denselben rechtsstaatlichen Hintergrund wie bei Feuerbach. Gewiß hat Feuerbach auf die gesamte spätere Entwicklung der Verbrechensdogmatik über Binding und Liszt eine erhebliche Nachwirkung ausgeübt, so daß man meinen könnte, dies müsse bei Dohna nicht noch einmal besonders werden. Jedoch besteht die Gemeinsamkeit, welche die Nennung Feuerbachs als Vergleichspunkt rechtfertigt, darin, daß auch Dohna in eigener Weise Kantsche Gedanken in der positiven Verbrechensdogmatik verarbeitet. Dohna fragt nach den Bedingungen der Möglichkeit der Erkenntnis der Straftatkategorien Rechtswidrigkeit und Schuld und gelangt dazu, auf das Verallgemeinerungsprinzip und eher beiläufig auf die Mensch-Zweck-Formel des kategorischen Imperativs zurückzugreifen. Die sog. Zwecktheorie gewinnt wegen der Unentbehrlichkeit des positiven Rechts für die Abgrenzung zwischen rechtswidrigen und rechtmäßigen Verwirklichungen straftatbestandsmäßig umschriebener Verhaltensweisen maßgeblich auch den Charakter einer ethisierenden sozialutilitaristischen Auslegungslehre. Was die Einordnung in die neuere Dogmengeschichte anbelangt, empfiehlt es sich, Dohnas Verbrechenslehre als relativ eigenständige Linie zwischen den Südwestdeutschen oder modifiziert Klassischen einerseits und Welzel andererseits aufzufassen. Hinsichtlich des philosophischen und methodischen Hintergrundes steht Dohna den Südwestdeutschen freilich näher als Welzel. Jedoch 383 Feuerbach, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen peinlichen Rechts, 14. Aufl. 1847, hrsg. von C. J. A . Mittermaier, S. 30 - 44, §§54, 55; Grünhut, Max, Anselm von Feuerbach und das Problem der strafrechtlichen Zurechnung, 1922, Nachdruck 1978, S. 1 - 30, 74 - 116; Naucke, Wolfgang, Kant und die psychologische Zwangstheorie Feuerbachs, 1962; Wolf, Erik, Große Rechtsdenker, 4. Aufl. 1963, S. 543 586; Kaufmann, Arthur, Paul Johann Anselm v. Feuerbach - Jurist des Kritizismus, in: Festschrift für Max Spindler, Bd. 3, 1984, S. 181 - 196.
E. Dogmengeschichtliche Untersuchung der teleologischen Verbrechenslehre 235
gelangt er aufgrund teleologischer und „soziokritizistischer" Erwägung der Straftatkategorien und gestützt auf ein auch imperatives Strafnormverständnis zu manchen Ergebnissen, wie sie auch die finalistisch-ontologische Schule als die eigenen proklamiert hat.
Vierter
Teil
Strafprozeß- und Gerichtsverfassungsrecht I. Themenbegrenzung und Hauptfragestellungen Dohna war sehr daran interessiert, das geltende Strafprozeß- und Gerichtsverfassungsrecht wissenschaftlich zu vertiefen, zumal zu seinen Lebzeiten das kriminalistische Interesse vorwiegend der Reform der Verbrechensfolgen und der Dogmatik des materiellen Strafrechts zugewandt war. Sein ganz auf Studierende zugeschnittenes Kurzlehrbuch beabsichtigte neben der Vermittlung des Gesetzesstoffes, Verständnis dafür zu wecken, daß die Ratio der strafprozessualen Rechtssätze „in erster Linie politische Färbung" trägt 1 . Die erstrebte Gesamtreform sollte ein soziales Zweckstrafrecht mit einem streng rechtsstaatlich liberalen Strafprozeß verbinden 2 . Die nachfolgende Untersuchung ist im Interesse des Zusammenhangs mit den anderen Hauptteilen eng auf das Werk Dohnas beschränkt und verzichtet deshalb weitgehend auf Sekundärliteratur. Die Erörterung seiner Auffassung eines grundsätzlich spezialpräventiv orientierten Verbrechensbekämpfungsrechts würde unvollständig bleiben, wenn nicht seine Reformvorstellungen für die Gerichtsverfassung und das Strafverfahren in Grundzügen behandelt werden. Dies läuft auf die Frage hinaus, ob die vorgesehene Gestaltung des Strafverfahrens geeignet ist, die mit der Erweiterung des richterlichen Ermessens, der Zurückdrängung des Tatschuldvergeltungsstrafrechts und der teilweisen außerordentlichen Verschärfung der Sanktionen verbundenen Gefahren auszugleichen. Im Hinblick auf die Auslegung des § 136 G V G (a.F.) behandelt Dohna die Frage nach der Bindung des Revisionsgerichts an frühere Entscheidungen im Falle einer Neukodifikation des einschlägigen Gesetzes. Seine differenzierende Lösung sollte angesichts der vielfach kasuistischen Methode in der Praxis für die Dogmengeschichte dieser Auslegungsfrage nicht in Vergessenheit geraten. 1 Das Strafverfahren, 1. Aufl. 1913, S. V I . Besprechungen des Grundrisses: Ebermayer, in: JW 1925, S. 2735, 2736 (2. Aufl. 1925); Hellwig, Albert, In: JW 1930, S. 2527,2528 (3. Aufl. 1929); Kern, Eduard, in: DJZ 1930, S. 504,505 (3. Aufl. 1929). 2 Redebeitrag, in: Verhandlungen des 35. Deutschen Juristentages im Jahre 1928, Bd. 2, S. 684.
II. Programm eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens
237
Dohna hat sich in mehreren Aufsätzen mit dem Verhältnis zwischen Amtsaufklärungspflicht und Beweisantragsrecht sowie mit dem Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung beschäftigt. Hier interessiert vor allem im Hinblick auf §24 der Vereinfachungsverordnung vom 1. September 1939 der methodische Aspekt der Gesetzesauslegung bei einer konfusen und widersprüchlichen Gesetzeslage. Einerseits stellt §24 W die Ablehnung eines Beweisantrages in das freie Ermessen des Gerichts, während andererseits die §§ 244 I, 245 I I StPO (a. F. vom 28. Juni 1935) und die Amtsaufklärungspflicht weiterhin insbesondere für erstinstanzliche Landgerichtsprozesse die Ablehnung von Beweisanträgen nur aus bestimmten Gründen vorsehen. Ein Mittel des vielgestaltigen Prozesses der Umwertung einer Rechtsordnung besteht darin, daß neue Anordnungen den Interpreten ermächtigen, das Gegenteil der bisherigen und formell in Kraft gebliebenen Regelungen anzunehmen. Wenn jede beliebige Entscheidung sich auf ein Gesetz bzw. eine Vereinfachungsverordnung stützen kann, ist das Gesetzeschaos zum System erhoben. A u f diesem Hintergrund ist das Bemühen Dohnas zu sehen, die neue Vorschrift restriktiv auszulegen. I I . Programm eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens und der zugehörigen Strafgerichtsverfassung Dohna hat seine Reformvorstellungen insbesondere während des Kaiserreichs und der Weimarer Republik vorgetragen. Es ist dies die Zeit verschiedener Reformentwürfe und einer wechselvollen, meist von den Zeitumständen bedingten Novellengesetzgebung3. Seine Grundkonzeption geht dahin, die Aufgabenteilung zwischen dem urteilenden Richter und dem ermittelnden sowie anklagenden Staatsanwalt streng durchzuführen, die als Parteiprozeß gestaltete Hauptverhandlung umfassender vorzubereiten und dem Angeklagten verbesserte Verteidigungsrechte schon im Vorverfahren zu gewähren. Nach 1933 hat sich Dohna nur zu bestimmten Einzelfragen geäußert. 1. Gegen die Berufung in Strafsachen, für einen modifizierten Parteiprozeß
Das Rechtsstaatsprinzip fordert ein justizförmiges Strafverfahren mit strenger Gesetzesbindung der staatlichen Rechtspflegeorgane und eine gesicherte Stellung des Beschuldigten und seines Verteidigers mit eigenen Verfahrensrechten. Das Ziel des Strafprozesses besteht darin, daß jeder Schuldige der verdienten Strafe zugeführt und jeder Unschuldiger vor unverdienter Strafe geschützt wird 4 . 3
Weiterführend Schmidt, Eberhard, Einführung in die Geschichte der deutschen Straf rechtpflege, 3. Aufl. 1964, Nachdruck 1983, §§339 - 342; Karl Schäfer, in: LöweRosenberg, Kommentar, 24. Aufl., Bd. 1, 1988, Einl. Kap. 3, RN 1 - 20; Einl. Kap. 4, RN 1 - 11 mwN.
238
4. Teil: Strafprozeß- und Gerichtsverfassungsrecht
a) Eine zentrale Frage war die wiederholt vom Reichstag geforderte Einführung der Berufung gegen alle erstinstanzlichen Urteile, was erhebliche Auswirkungen auf die Gestaltung der ersten Instanz, der höheren Gerichtsorganisation und auf das gesamte Strafverfahren von der Ermittlungsphase bis zur Hauptverhandlung gehabt hätte 5 . Dohna gehörte wiederholt zu den Wortführern gegen die erweiterte Einführung der Berufung und hielt diese nur in geringfügigen Sachen für angemessen, die vor dem Einzelrichter beim Amtsgericht verhandelt wurden. Nur dort müsse im Interesse des Angeklagten der unvermeidliche summarische Charakter durch die Möglichkeit einer zweiten Tatsachenverhandlung ausgeglichen werden 6 . Als Haupt argumente gegen die allgemeine Zulassung der Berufung in Strafsachen werden zunächst organisatorische und finanzielle Schwierigkeiten angeführt. Wenn die Berufung gegen die Strafkammerurteile zum Oberlandesgericht führt, wird abgesehen von der finanziellen Mehrbelastung wegen des großen Zeitverlustes die bedeutendste Errungenschaft des reformierten Strafprozesses, die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, preisgegeben. Die Bildung besonderer Berufungskammern innerhalb des Landgerichts würde der Bevölkerung schlechthin unverständlich erscheinen, weil mit einem Rechtsmittel der Gedanke der Anrufung eines höheren und zumindest dem Ansprüche nach besser qualifizierten Gerichts verbunden wird 7 . Wenn nun die Strafkammersachen den amtsgerichtlichen Schöffengerichten zugewiesen werden, stellt sich die prinzipielle Frage nach dem Wert der Berufung. Durch den weiteren Zeitablauf verschlechtert sich die Beweislage, die Zeugen können die ursprüngliche Erinnerung von den Assoziationen an die späteren Vernehmungen nicht mehr unterscheiden 8. Im Gegensatz zur Berufung, die das tatsächliche Geschehen noch einmal überprüfen soll, dient die Revision der Überprüfung der Richtigkeit der juristischen Subsumtion. Nur diese kann beliebig oft wiederholt werden und mit jeder Überprüfung versehen mit einer Begründungspflicht wächst die Garantie für die Richtigkeit und Überzeugungskraft der getroffenen Entscheidung9. Das mit der Zulassung der Berufung verbundene Verbot der reformatio in 4 Berufung in Strafsachen?, 1911, S. 8, 9. Genaugenommen ist der Satz dahin zu ergänzen, daß auch der nicht erwiesenermaßen Schuldige vor Bestrafung geschützt werden muß. 5 Siehe nur Karl Schäfer, in: Löwe-Rosenberg, 24. Aufl., Bd. 1, Einl. Kap. 4, R N 2, 3 mwN. 6 Bereits Aufbau der Strafgerichtsbarkeit, in: Die Reform des Strafprozesses, Bd. 10, 1906, S. 125, 126; Berufung in Strafsachen?, 1911, S. 5, 14; ebenso Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Strafgerichte, in: JW 1923, S. 337; Mit welchen Hauptzielen wird die Reform des Strafverfahrens in Aussicht zu nehmen sein? in: Verhandlungen des 35. Deutschen Juristentages im Jahre 1928, Bd. 1, S. 132 - 134; Das Strafprozeßrecht, 3. Aufl. 1929, S. 193 - 196 (FN 171 weiterführende Hinweise zum damaligen Diskussionsstand). 7 Berufung in Strafsachen?, 1911, S. 3 - 5, 13. 8 Berufung in Strafsachen?, 1911, S. 10. 9 Berufung in Strafsachen?, 1911, S. 9, 10.
II. Programm eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens
239
peius wird als unmoralisch bezeichnet, weil es dem Vertrauen in die Wahrhaftigkeit des ersten Richterspruchs abträglich ist. Es ist widersprüchlich, wenn der Richterspruch mit staatlicher Autorität ausgestattet ist und zugleich durch die Willkür individueller Laune eines Verbrechers mittels einer ohne jede Begründung eingelegten Berufung herabgewürdigt werden kann. Deshalb ist es notwendig, die Vorbereitung und Durchführung der Hauptverhandlung mit so vielen Kautelen auszustatten, daß eine höchstmögliche Garantie der Richtigkeit des Urteils erreicht und der Angeklagte vor Überraschungen durch verbesserte Verteidigungsmöglichkeiten geschützt wird 1 0 . Auf diese Weise wird sich die sogar schädliche Berufung gegen Strafkammerurteile als überflüssig erweisen und es kann zugleich das gestörte Vertrauen der Bevölkerung in die Strafjustiz wiederhergestellt werden 11 . b) Wie diese Verbesserung des Vorverfahrens und der Hauptverhandlung genauer aussehen soll, wird in dem frühen Aufsatz nur angedeutet: in dem notwendig inquisitorischen Vorverfahren müßte für eine verbesserte Unterrichtung des Angeklagten über den Gegenstand der Beschuldigung gesorgt sein, und es müßte ihm das Recht eingeräumt werden, einen Vortermin zu beantragen, in dem er Einwendungen und Beweisanregungen in mündlicher Verhandlung vorbringen kann. In der Hauptverhandlung soll der Anklagegrundsatz streng durchgeführt und die Aufgabe des Richters von ihm noch anhaftenden inquisitorischen Elementen befreit werden, wozu insbesondere die durch Aktenkenntnis bestehende Voreingenommenheit gehört 12 . Diese Vorschläge werden während der Weimarer Republik näher präzisiert. Die Staatsanwaltschaft soll von der Kunde des Verdachts bis zur Einreichung der Klageschrift das Ermittlungsverfahren nicht nur leiten, sondern auch regelmäßig selber anstellen, was aber auch eine verbesserte kriminalistische Ausbildung der Staatsanwälte und eine verbesserte Zusammenarbeit mit der Kriminalpolizei voraussetzt 13. Der Gesetzgeber soll der Staatsanwaltschaft alle Zwangsmittel in die Hand geben und dem Angeklagten das unentziehbare 10
Berufung in Strafsachen?, 1911, S. 6 - 8. Berufung in Strafsachen?, 1911, S. 6: „Dem Volke fehlt das Vertrauen zu seiner Justiz." Vgl. auch Dohna am 26. Januar 1921 im Reichstag, in: Verhandlungen des Reichstags, I. Wahlperiode, Bd. 347, S. 2129 (D) - 2132 (D): Nur bei bestimmten Teilen der Bevölkerung bestehe aufgrund unzutreffender Agitation kein Vertrauen in die Strafjustiz. Dohna nimmt die Justiz vor dem u.a. von Radbruch (Verhandlungen des Reichstages, Bd. 347, S. 2106 - 2113) erhobenen Vorwurf der Klassenjustiz und der parteipolitischen Ausrichtung in Schutz. Allerdings sei zuzugeben, daß unsere Richter „im Dienste ihres Berufes ein starkes Gefühl für die Notwendigkeiten der Staatsautorität und der Sicherheit der öffentlichen Ordnung sich angeeignet haben" (S. 2131 (A)). 12 Berufung in Strafsachen?, 1911, S. 11 - 13. 13 Mit welchen Hauptzielen wird die Reform des Strafverfahrens in Aussicht zu nehmen sein?, in: Verhandlungen des 35. Deutschen Juristentages im Jahre 1928, Bd. 1, S. 145, 146. 11
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4. Teil: Strafprozeß- und Gerichtsverfassungsrecht
Recht einräumen, alsbald eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Garantie für den Beschuldigten besteht dann gerade darin, daß der Richter über die Begründetheit der schon von einem anderen vollzogenen Maßnahme entscheidet, und nicht darin, daß der Richter selber diese Maßnahme anordnet und damit seiner richterlichen Stellung verlustig geht. Da die Staatsanwaltschaft schon bisher viele Zwangsrechte bei Gefahr im Verzuge ausüben darf und solche Gefahr regelmäßig vorliegen wird, wird damit zur Norm erhoben, was bereits der Wirklichkeit entspricht 14 . Der Beschuldigte muß ferner eine richterliche Entscheidung herbeiführen können, wenn er Maßnahmen der Staatsanwaltschaft, insbesondere im Falle der Zurückweisung eines Beweisantrages, beanstandet. Immer muß eine mündliche Eröffnung der Verdachtsmomente durch die Staatsanwaltschaft erfolgen. Damit dieser Termin und das unter Umständen nötige kontradiktorische Eröffnungsverfahren dem Beschuldigten wirksamen Schutz vor Überraschungen in der Hauptverhandlung bieten, soll er jederzeit Vertagung beantragen können, sobald dort Tatsachen und Beweismittel gegen ihn vorgebracht werden sollen, die ihm in jenen Vorterminen vorenthalten worden sind. Verstöße gegen diese prozessualen Schutzbestimmungen sollen zu absoluten Revisionsgründen erhoben werden. Diese Termine erübrigen in Strafkammersachen die Berufungsinstanz 15. Die richterliche Voruntersuchung ist vor allem deswegen zu beseitigen, weil sie als sachverhaltserforschende Tätigkeit mit der Funktion des Richters, unparteiisch über den Parteien zu stehen und deren Streit zu entscheiden, unvereinbar ist 16 . Auch der Eröffnungsbeschluß soll entfallen, da es die Position des Angeklagten entlastet, wenn er auf bloßes Betreiben des Anklägers vor Gericht gestellt wird, ohne daß ein Richterspruch seine präsumtive Schuld bestätigt hat. Das Zwischenverfahren ist damit so zu gestalten, daß bei positivem Ermittlungsergebnis Anklageerhebung durch Einreichung einer Klageschrift an das Gericht nebst Mitteilung des Inhalts an den Beschuldigten erfolgt. Wenn der Beschuldigte von seinem Recht, Einwendungen und Beweisanregungen zur Abwendung der Hauptverhandlung zu erheben, keinen Gebrauch macht und auch sonst keine rechtlichen Bedenken gegen die Fortsetzung des Verfahrens bestehen, so ordnet der Amtsrichter bzw. der Vorsitzende die Hauptverhandlung an. Andernfalls entscheidet das Gericht über die Anordnung der Hauptverhandlung durch Beschluß, „ohne sich über das Maß des Verdachts und die rechtliche Beurteilung auszulassen"17. 14 Mit welchen Hauptzielen wird die Reform des Strafverfahrens in Aussicht zu nehmen sein?, aaO, S. 141, 142; Die Stellung der Staatsanwaltschaft zu Gericht, Polizei und Regierung, in: Vorträge gehalten auf der Tagung der Vereinigung der Preußischen Staatsanwälte am 13. und 14. Oktober 1928, 1929, S. 43. 15 Mit welchen Hauptzielen wird die Reform des Strafverfahrens in Aussicht zu nehmen sein?, aaO, S. 143. 16 Mit welchen Hauptzielen wird die Reform des Strafverfahrens in Aussicht zu nehmen sein?, aaO, S. 138, 140; Die Stellung der Staatsanwaltschaft zu Gericht, Polizei und Regierung, aaO, S. 43.
II. Programm eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens
241
In der Hauptverhandlung ist durch Einhaltung einer klaren Funktionenteilung der Parteiprozeß zu verwirklichen. Es entspricht dem Wesen des Akkusationsprozesses, wenn die materielle Verhandlungsleitung von den formellen Befugnissen des Vorsitzenden abgetrennt wird, indem die Einführung des Beund Entlastungsmaterials den Parteien überlassen wird. Der Staatsanwalt vernehme den Angeklagten, die Aussagepersonen werden im Kreuzverhör vernommen und das Ergebnis wirke auf ein gänzlich unbefangenes Richterkollegium. Damit ist den Parteien die Entscheidung über den Umfang der Beweisaufnahme übertragen. Im Interesse des Schutzes des Gerichtes vor etwaigen Verschleppungstendenzen bedarf es keiner (weiteren) Beweisaufnahme, „wenn die zu beweisende Tatsache notorisch ist, wenn sich das Gericht von ihrer Wahrheit bereits überzeugt hat, und wenn es an ihrer Beweiserheblichkeit gebricht" 18 . Die richterliche Unbefangenheit ist in der Praxis vielfach nicht gegeben, weil die Vorsitzenden in der Hauptverhandlung ihre Aufgabe nur darin sehen, die häufig fragwürdigen Protokolle aus dem Vorverfahren zu reproduzieren, um dadurch die schon gewonnene Überzeugung von der Schuld des Angeklagten zu erhärten 19 . Der bisher gewährte Umfang der Erlaubnis zur Verlesung von Niederschriften des Vorverfahrens ist zu beschränken. Das im Entwurf 1920 vorgesehene Gebot, den Anklagten bei jeder Vernehmung darauf hinzuweisen, daß er zur Aussage nicht verpflichtet sei, und das Verbot, dem aussagebereiten Angeklagten in der Hauptverhandlung belastende Umstände vorzuhalten, sind als zu weitgehend abzulehnen, weil sie „die Überführung des Schuldigen ganz außerordentlich erschweren" 20. c) Der Aufbau der Strafgerichte geht von einer einheitlichen Schöffengerichtsverfassung aus. Nur für Übertretungen, den Erlaß von Strafbefehlen und zur Aburteilung im beschleunigten Verfahren käme der Einzelrichter beim Amtsgericht in Betracht; beim Amtsgericht sind kleine, beim Landgericht mittlere und große Schöffengerichte einzurichten 21 . Die von der EmmingerReform vom 4. Januar 1924 vorgesehene weitgehende Verlagerung der erstinstanzlichen Zuständigkeit an die Amtsgerichte wird abgelehnt, weil dort die in Fällen mittlerer und schwerer Kriminalität notwendige Sorgfalt und Gründlichkeit nicht garantiert sei 22 . 17 Mit welchen Hauptzielen wird die Reform des Strafverfahrens in Aussicht zu nehmen sein?, aaO, S. 144, 145. is Ebenda, S. 137,138. 19 Ebenda, S. 135,136. 20 Mit welchen Hauptzielen wird die Reform des Strafverfahrens in Aussicht zu nehmen sein?, aaO, S. 136. Vgl. auch Dohna, Redebeitrag, in: Die Entwürfe zu den neuen Strafprozeßgesetzen, Verhandlungsgegenstand der 16. Versammlung der deutschen Landesgruppe der I K V zu Glessen am 27. und 28. Mai 1920, S. 8: Es sei unnötig, den Angeklagten auf seine fehlende Aussagepflicht hinzuweisen. „Es genügt, daß er dazu nicht gezwungen werden kann". 21 Mit welchen Hauptzielen wird die Reform des Strafverfahrens in Aussicht zu nehmen sein?, aaO, näher S. 149 - 152.
16 Escher
242
4. Teil: Strafprozeß- und Gerichtsverfassungsrecht
d) D e r Gesetzgeber hat die Verteidigungsmöglichkeiten des Angeschuldigten zu verbessern, i n d e m die Voraussetzungen der Bestellung eines notwendigen Verteidigers erweitert werden u n d zwar schon während des V o r v e r fahrens. Z u d e m sind „ d i e Befugnisse des Verteidigers so weit zu bemessen und so wenig zu beschränken, wie es der überall zum R i c h t p u n k t dienende Untersuchungszweck irgend z u l ä ß t " 2 3 . I n einem späteren Aufsatz äußert sich D o h n a zur Frage der
gerichtlicher
Zwangsmaßnahmen gegenüber Verteidigern.
Zulässigkeit
Die Auslegung der
§§ 176 - 178 G V G ergibt eindeutig, daß eine Entfernung des Verteidigers aus dem Sitzungssaal aus Gründen der Sitzungspolizei unzulässig ist 2 4 . Schwieriger ist die Frage, ob eine Enthebung aus dem A m t e des Verteidigers zulässig ist, wenn sich gegen ihn der Verdacht erhebt, er mache sich der Begünstigung des Angeklagten schuldig. B e i der Grenzziehung zwischen Verteidigung und Begünstigung ist zu berücksichtigen, daß selbst die volle Überzeugung des Verteidigers von der Schuld seines K l i e n t e n diesen nicht daran hindert, dem Gericht wegen der Lückenhaftigkeit des Schuldbeweises die Freisprechung zu empfehlen. W e i l die Kenntnis des Verteidigers von der Schuld des Klienten den Verteidiger nicht zur Niederlegung seines A m t e s verpflichte und nicht einmal berechtige, darf seine Beistandsleistung i m Rahmen der Prozeßordnung auch dem Zweck dienen, den Unterstützten der Bestrafung zu entzieh e n 2 5 . Ohne diese Grenzziehung näher zu vertiefen, geht D o h n a davon aus, daß sich ein Verteidiger der Begünstigung schuldig machen kann. D i e Frage, ob sich ein Verteidiger strafbar gemacht hat, ist während des laufenden Verfahrens regelmäßig noch nicht entschieden, so daß fraglich ist, welches M a ß von Verdacht zur Amtsenthebung genügen soll und wer darüber zu entscheiden hat. Z w a r besteht die Gefahr der Überschätzung der Verdachtsmomente durch das Prozeßgericht, die aber w o h l nur durch eine weite Gewährung von Anfechtungsmöglichkeiten ausgeglichen werden kann. Soweit durch die 22 Mit welchen Hauptzielen wird die Reform des Strafverfahrens in Aussicht zu nehmen sein?, aaO, S. 131,132. Es wird ferner abgelehnt, daß die Staatsanwaltschaft einen weitgehenden Einfluß auf die Bestimmung des erstinstanzlichen und damit auch des Revisionsgerichts gewonnen hat; aaO, S. 150; Die Stellung der Staatsanwaltschaft zu Gericht, Polizei und Regierung, aaO, S. 42. Vgl. zur Emminger-Reform nur Kronecker, Zur Beurteilung der Verordnung vom 4. Januar 1924, in: ZStW 45 (1925), S. 421 - 451; Kronecker bezieht sich mehrfach auf einen Aufsatz Dohnas, der aber unter der angegebenen Fundstelle nicht ermittelt werden konnte (S. 421 FN 1: Dohna, Die Neuregelung der Strafjustiz, in: „ D . Allg. Z. 25.1."). Ferner Vormbaum, Thomas, Die lex Emminger vom 4. Januar 1924. Vorgeschichte. Inhalt und Auswirkungen. Ein Beitrag zur Deutschen Strafrechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts, 1988. 23 Mit welchen Hauptzielen wird die Reform des Strafverfahrens in Aussicht zu nehmen sein?, aaO, S. 147, 148. 24 Gerichtliche Zwangsmaßnahmen gegenüber Verteidigern, in: JW 1932, S. 3673, 3674 (FN 2 Nachweise zur Gegenansicht). 2 5 Ebenda, S. 3674.
II. Programm eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens
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Enthebung der Verteidiger in seiner Person betroffen wird, steht ihm die Beschwerde zu. Soweit dieselbe Maßnahme des Gerichts den Angeklagten in seiner Verteidigung beschränkt, ist eine diesbezügliche revisionsrechtliche Nachprüfung zuzulassen. Das Prozeß-, das Beschwerde- und das Revisionsgericht sollen für die zulässige Amtsenthebung einen solchen Verdachtsgrad verlangen, „der als hinreichend erachtet werden würde, um gegen den Verteidiger das Hauptverfahren wegen Begünstigung zu eröffnen" 26 . 2. Zum Wiederaufnahmeverfahren
Die Äußerungen Dohnas zum Wiederaufnahmeverfahren und inzidenter zur Bedeutung der materiellen Rechtskraft sind für die Grundzüge seiner Reformvorstellungen im Hinblick auf unsere Hauptfragestellung fast schon zu speziell. Dennoch sind sie hier auf ihre Vereinbarkeit mit dem Rechtsstaatsprinzip zu behandeln. a) Das Problem der nachträglichen Korrektur eines im ordentlichen Instanzenzug als endgültig erlassenen Urteils, womit an sich die Frage nach der inhaltlichen Richtigkeit des Urteilsspruchs für die Zukunft einer weiteren autorativen Überprüfung entzogen sein soll, erfordert einen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Prinzipien der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit. Es ist der Konflikt zu lösen, der zwischen dem Interesse des Staates an der Bestrafung eines zu Unrecht Freigesprochenen und dem Interesse des Freigesprochenen an dem Unterbleiben erneuter Strafverfolgung besteht 27 . Dohna beschäftigt sich einmal mit der Forderung, daß die Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten von dem positiven Nachweis seiner Unschuld abhängig gemacht werden soll. Zum anderen befürwortet er entgegen einigen Reformbestrebungen die Unterscheidung der Wiederaufnahme zugunsten von derjenigen zuungunsten des Angeklagten. Umstritten war insbesondere die Frage, ob auch die Wiederaufnahme zuungunsten des Angeklagten schon dann zugelassen werden soll, wenn neue Beweismittel und Tatsachen beigebracht werden, die eine (schärfere) Verurteilung zu begründen geeignet sind 28 .
26 Ebenda, S. 3675. Vgl. heute §§ 138a - d StPO. 27 Die Anfechtbarkeit rechtskräftiger Strafurteile, in: Deutsches Strafrecht, Bd. 3 (1936), S.17. 28 Ebenda, S. 16; Die Wiederaufnahme zuungunsten, in: Deutsches Strafrecht, Bd. 4 (1937), S. 201. Dohna wendet sich dort u.a. gegen Freisler, Deutsche Justiz, 1937, S. 730ff., und will damit seiner ursprünglichen Ansicht treu bleiben, Das Strafprozeßrecht, 3. Aufl. 1929, S. 210: Würde die Wiederaufnahme zuungunsten immer schon dann zugelassen, „wenn sich inzwischen das Belastungsmaterial genügend verdichtet hat, so würde von der Rechtskraft des freisprechenden Urteils nicht mehr allzuviel übrig bleiben". 16*
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4. Teil: Strafprozeß- und Gerichtsverfassungsrecht
Das Wiederaufnahmeverfahren zugunsten des Verurteilten sollte so gestaltet werden, daß der von einem Rechtsanwalt ausgearbeitete Antrag des Verurteilten und das beigebrachte Material zunächst einer Vorprüfung durch einen kommissarischen Richter unterzogen wird. Dieser erstattet dem Gericht über seine Ermittlungen einen Bericht, woraufhin dieses entweder den Antrag abweist oder das Hauptverfahren eröffnet. Die Abweisung setzt die Feststellung voraus, daß diejenigen für das Wiederaufnahmeverfahren angeführten Umstände einwandfrei nicht vorliegen. In Zweifelsfällen erfolgt der Eröffnungsbeschluß. In der Hauptverhandlung kommt es zur Aufhebung der früheren Entscheidung nur aufgrund des Nachweises, „daß der Angeklagte sich nicht oder doch nicht in dem Maße schuldig gemacht hat, in dem Verurteilung erfolgt war". „Dem Nachweise der Unschuld würde der Fall gleichzustellen sein, wo dem vorher erbrachten Schuldbeweise die Grundlage in dem Maße entzogen worden ist, daß gar kein Verdacht mehr übrig bleibt; der Fall etwa, wo Verurteilung auf die Aussage eines einzigen Zeugen hin erfolgt war und dieser Zeuge sich als Paranoiker oder Hysteriker entpuppt" 29 . Dohna wendet sich dagegen, die beiden Wiederaufnahmefälle völlig anzugleichen, also die Aufnahme zuungunsten des Betroffenen entsprechend § 359 Nr. 5 StPO schon aufgrund der Beibringung neuer Tatsachen und Beweismittel zuzulassen30. Allerdings ist er dazu bereit, eine Wiederaufnahme zuungunsten über die Tatsache eines nachträglichen Geständnisses des Freigesprochenen hinaus zuzulassen. „Wogegen der Freigesprochene (wie auch der Verurteilte) unter allen Umständen geschützt werden muß, ist die Sorge, daß es der Anklagebehörde jederzeit freistehen sollte, neu auftretendes Belastungsmaterial immer wieder von neuem zum Anlaß weiterer Ermittlungen zu nehmen, die ihn bis an sein Ende zum Objekt strafgerichtlicher Verfolgung stempeln".
Die Wiederaufnahme zuungunsten aufgrund neuer Tatsachen muß sich in zwei Punkten von derjenigen zugunsten unterscheiden. „Es muß sich um einen so überwältigenden Überführungsbeweis handeln, daß daraufhin unter verständigen Menschen ein Zweifel an der Schuld nicht mehr aufkommen kann". Die bloße Vermehrung des Belastungsmaterials durch neu aufgefundene Umstände derart, daß damit gerechnet werden kann, nunmehr die Richter von der Schuld des Angeklagten überzeugen zu können, dürfte nicht genügen. Außerdem darf der Betroffene erst dann in die Rolle des Angeschuldigten zurückversetzt werden, wenn das Gericht nach der Entdeckung und Überprüfung jenes novum den Beschluß gefaßt hat, das Verfahren wieder aufzunehmen, „so daß jetzt ohne Verzug in neuer Hauptverhandlung zur Verurteilung 29
Die (1936), S. 30 Die (1936), S.
Anfechtbarkeit rechtskräftiger Strafurteile, in: Deutsches Strafrecht, Bd. 3 21. Anfechtbarkeit rechtskräftiger Straf urteile, in: Deutsches Strafrecht, Bd. 3 22.
II. Programm eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens
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geschritten werden kann". Dieser Beschluß hebt zugleich das früher ergangene Urteil auf und „darf wieder nur bei völliger Evidenz der Schuld, also bei Spruchreife der neu zu treffenden Entscheidung ergehen". Die Anklagebehörde wäre bis dahin „ganz aus dem Spiel" zu lassen. „Ex officio judicis hätte die Annullierung des Urteils zu erfolgen. Und solange das nicht geschehen ist, sollten Untersuchungshandlungen (aller Strafverfolgungsbehörden) gegen den rechtskräftig Abgeurteilten schlechthin unzulässig sein" 31 . Das Prinzip der Urteilsrechtskraft muß die Wirkung haben, die Zulässigkeit weiterer Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zur Herbeiführung einer (schärferen) Verurteilung abzuschneiden32. Das Erfordernis einer verschiedenen Behandlung der Wiederaufnahme zugunsten und zuungunsten des Betroffenen hängt einmal mit den abweichenden Voraussetzungen der Verurteilung und der Freisprechung zusammen. Dementsprechend bedarf es zur Ingangsetzung eines neuen Verfahrens einmal der (möglichen) Entkräftung des vorher geführten Schuldbeweises, während es im anderen Falle darum geht, „das Manko auszugleichen, an dem die Verurteilung gescheitert war". Außerdem kann „nie und nirgends im Strafverfahren von einer Waffengleichheit der Parteien die Rede sein". Der vielleicht zu Unrecht Verurteilte wird sich selbst mit bescheidensten Mitteln um die Beibringung neuer Beweismittel bemühen. Wenn das Institut der Rechtskraft noch einen Sinn behalten soll, kann die mit ganz anderen kriminalistischen Möglichkeiten ausgestattete Anklagebehörde nicht für befugt gelten, einfach ihre Ermittlungen fortzusetzen, um den im ersten Verfahren mißlungenen Schuldbeweis doch noch zu erbringen 33 . b) Dohnas Vorschlag zur Regelung der Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten läuft letztlich doch darauf hinaus, daß ein positiver Nachweis der Unschuld verlangt wird, obwohl er an für sich großzügiger sein will. Die Formulierung, daß dem Nachweis der Unschuld die Entziehung der ganzen Verdachtsgrundlage gleichzusetzen sei, dürfte genau besehen tautologisch sein. Wenn dem Schuldbeweis dermaßen die Grundlage entzogen wird, daß von einem Verdacht nichts mehr übrig bleibt, ist eben positiv die Unschuld bewiesen. Die Erfolgsaussichten dieses außerordentlichen Rechtsbehelfs sind damit weitgehend eingeschränkt. Seine Lösung der Wiederaufnahme zuungunsten des Betroffenen kann nicht als rechtsstaatlich unbedenklich angesehen werden. Der angeführte Unterschied zwischen einer bloßen Vermehrung des Belastungsmaterials und einem überwältigenden Schuldbeweis dürfte ein mehr verbaler sein und in der Praxis doch ineinander übergehen. Da das Gericht nicht eigene Ermittlungen anstellen soll und da ein überwältigender Schuldbeweis aufgrund einer neuen 31 Ebenda, S. 23. Ebenda, S. 24; Die Wiederaufnahme zuungunsten, in: Deutsches Strafrecht, Bd. 4 (1937), S. 203. 33 Die Wiederaufnahme zuungunsten, in: Deutsches Strafrecht, Bd. 4 (1937), S. 202. 32
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4. Teil: Strafprozeß- und Gerichtsverfassungsrecht
Tatsache eben nicht von selbst dem Gericht bekannt zu werden pflegt, würde es in der Praxis eben doch darauf ankommen, daß die Staatsanwaltschaft ständig nach solchen Beweisen Ausschau hält. Erst wenn das Gericht in der von Dohna genannten Art entscheidet, erst dann steht fest, daß es einen solchen überwältigenden Schuldbeweis angenommen hat. Einer solchen Entscheidung geht notwendig ein Stadium voraus, in dem das Gericht diese Überzeugung von der Schuld noch nicht besitzt. Die Grundlagen dazu müssen letztlich doch dem Gericht extern geliefert werden, weil es selber mit keiner Art von Ermittlungsarbeit betraut ist. Vor dieser Entscheidung handelt es sich in jedem Falle nur um eine bloße Vermehrung des Belastungsmaterials. Somit gelangt Dohna doch wider seinen eigenen Beteuerungen dazu, im praktischen Ergebnis beide Arten des Wiederaufnahmeverfahrens anzugleichen. Abgesehen davon, daß der Aufnahmebeschluß die Verurteilung bereits beinhaltet, ist damit die Beendigungswirkung des Urteils im maßgeblichen Interesse des Betroffenen vollständig beseitigt. Allerdings ist Dohna zuzugeben, daß zumindest theoretisch Fälle denkbar sind, in denen ein Bedürfnis für die Wiederaufnahme zuungunsten des Freigesprochenen aufgrund bestimmter neuer Tatsachen anerkannt werden könnte. Beispielsweise nach der Freisprechung eines wegen Mordes Angeklagten meldet sich ein aus irgendwelchen Gründen bisher verborgen gebliebener Zeuge, der das Tatgeschehen beobachtet hat und eindeutig die Täterschaft des Freigesprochenen bekunden kann. Ein solcher Aufnahmegrund wäre immerhin spezifizierter als die generalklauselartige Formulierung Dohnas, welche ganz verschiedene Nova unter sich umfassen könnte. Es ist gerade diese unbestimmte Weite, welche tatsächlichen Umstände nun einen nachträglichen überwältigenden Überführungsbeweis darstellen können, die in rechtsstaatlicher Hinsicht bedenklich ist 34 . Ob in dem angeführten Beispiel nun de lege ferenda ein Wiederaufnahmegrund zu befürworten ist, kann hier nicht ausdiskutiert werden. 3. Fehlende Eignung seiner Reformvorschläge zur Eindämmung der Mißbrauchsgefahren des modernen Präventionsstrafrechts
Die vorgesehene Gestaltung des Strafverfahrens würde nicht in der Lage sein, die mit einem einseitigen Präventionsstrafrecht verbundenen rechtsstaatlichen Gefahren auszugleichen oder zu begrenzen. Dabei beschäftigt sich Dohna nicht einmal mit der Herkunft seiner und ähnlicher Vorstellungen, wieweit die Beweisaufnahme des anglo-amerikanischen Strafprozesses zu kopieren ist 35 .
34 Vgl. nur BVerfGE Bd. 2, S. 380, 403: Der Gesetzgeber dürfe nicht nach Belieben weitere Wiederaufnahmegründe zuungunsten des Betroffenen schaffen. 35 Vgl. nur Karl Schäfer, in: Löwe-Rosenberg, Kommentar, 24. Aufl. 1988, Bd. 1, Einl. Kap. 13, R N 10 - 19.
III. Die Bindung des Revisionsgerichts an frühere Entscheidungen
247
Wird die Bestimmung des Umfangs der Beweisaufnahme ganz den Parteien überlassen, ist keine Garantie vorhanden, daß auch wirklich alle für die spezialpräventive Strafzumessung gemäß dem Charakter und dem Milieu notwendigen Umstände in den Prozeß eingeführt werden. Dasselbe gilt bei einer Kombination von Parteiprozeß und Amtsaufklärungspflicht, bei welcher dem Richter ein eigenes Nachfragerecht eingeräumt wird. Auch die verbesserten Verteidigungsrechte, die wortlautstrenge und mit dem Gesetzesvorbehalt ernst machende Gesetzesauslegung bei belastenden Eingriffen in Verteidigerrechte und die Schöffengerichtsverfassung lassen die grundsätzlichen Bedenken gegen ein soziales Zweckstrafrecht im Sinne Dohnas im vollen Umfange bestehen: Es bleibt die Tendenz zu außerordentlicher Härte. Dem Gericht wird bei den Anknüpfungspunkten insbesondere für die unehrenhafte Gesinnung und den gefährlichen Charakter ein weitgehender, revisionsrichterlich kaum überprüfbarer Entscheidungsspielraum eingeräumt; die Kriterien für die Unehrenhaftigkeit der Gesinnung und die näheren Faktoren der spezialpräventiven Verbrechertypenlehre bleiben machtpolitisch instrumentalisierbar. I I I . Die Bindung des Revisionsgerichts an frühere Entscheidungen im Falle einer Neukodifikation Im Zusammenhang mit der erhofften Verabschiedung des neuen Strafgesetzbuches in den letzten Jahren der Weimarer Republik hat sich Dohna mit der Frage beschäftigt, ob und wenn ja, die höchstrichterliche Auslegung des alten Strafgesetzbuchs auch unter der Herrschaft des neuen Gesetzes ihre Geltung bewahren wird 3 6 . Es handelt bei der Auslegung des § 136 G V G darum, die Kriterien für die Identität der Rechtsfrage zu bestimmen, was bedeutsam wird, wenn ein Strafsenat von der Entscheidung eines anderen Strafsenats oder der vereinigten Strafsenate abweichen will und so die Einholung einer Entscheidung der vereinigten Strafsenate notwendig macht. Dohna hat sich zu der Frage in der Reichsgerichtsfestschrift 1929 und auf dem Lübecker Juristentag 1931 geäußert 37. 36 Die Stellung des Reichsgerichts zum neuen Strafgesetzbuch, in: Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben, Bd. 5, 1929, S. 30. 37 Im Nachlaß findet sich auch ein 18 Seiten umfassendes, maschinenschriftliches Referat zum Juristentag; N L Dohna I, Nr. 10. Warum es nicht gehalten wurde, ist nicht bekannt. Der Anhang enthält eine Materialsammlung und eine genaue Auflistung, für welche einzelnen Auslegungsprobleme Dohna im Sinne seiner vermittelnden Theorie eine Identität der Rechtsfrage annimmt. Die Ausführungen finden sich in verkürzter Form in seinem Diskussionsbeitrag wieder; Verhandlungen des 36. Deutschen Juristentages im Jahre 1931, Bd. 2, S. 200 - 204: Erste Sitzung der II. Abteilung für Strafrecht zum Thema: „Empfiehlt sich eine gesetzliche Regelung der Frage, ob und eventuell in welchem Umfange das Reichsgericht nach Inkrafttreten des neuen Strafgesetzbuchs an seine auf Grund des bisherigen Strafgesetzbuchs erlassenen Erkenntnisse gebunden und also bei etwaiger Abweichung zur Einholung einer Plenarentscheidung verpflichtet sein s o l l ? . . . " (S. 143-221).
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4. Teil: Strafprozeß- und Gerichtsverfassungsrecht
Der historische Anlaß seiner Ausführungen ist heute überholt. Dennoch dürfte seine vermittelnde Theorie, die in einigen Fällen trotz einer Neukodifikation der geregelten Materie eine Identität der Rechtsfrage annimmt und in anderen nicht, zumindest dogmengeschichtliches Interesse verdienen, da sie sich um grundsätzliche Leitlinien bemüht 38 . a) Die beiden gegensätzlichen Möglichkeiten zur Bestimmung der Identitätsmerkmale der Rechtsfrage bestehen darin, entscheidend auf die Einheit des Gesetzgebungsaktes oder die Gleichheit des Gesetzesinhalts abzustellen39. Dohna konstatiert in der Reichsgerichtsrechtsprechung in Zivilsachen ein Schwanken zwischen diesen beiden Möglichkeiten, die er die formale und die materiale Auffassung nennt 40 . Der rein formale Standpunkt lehnt die Identität der Rechtsfrage dann ab, wenn die Rechtsquellen, auf deren Boden die zu entscheidenden Rechtsfragen erwachsen sind, verschiedene sind. Folglich kann der Senat die Frage ohne Anrufung der vereinigten Senate anders als auf der Grundlage der alten Rechtsquelle entscheiden. Der rein materiale Standpunkt stellt bei der formalen Verschiedenheit der Rechtssätze, also im Falle verschiedener Normsetzungsakte, auf den Inhalt ab, ob die bisher angewandten Prinzipien sachlich als dem jetzt in Geltung stehenden Recht entsprechend zu erachten sind 41 . Gegen die formale Auffassung erhebt sich das Bedenken, daß viele Merkmale in ein neues Gesetz unverändert übernommen werden, so daß der inhaltlichen Rechtskontinuität insoweit auch die Justizkontinuität entsprechen sollte. Versucht man, die Identität der Rechtsfrage allein nach materiellen Gesichtspunkten zu bestimmen, so ergibt sich aber auch die Schwierigkeit, daß dieselben Gesetzesbegriffe in verschiedenen Gesetzen eine abweichende Bedeutung annehmen können. So besteht zwischen einer Rechtsfrage und der Rechtsquelle, aufgrund deren sie zu beantworten ist, ein enger Konnex. b) Der § 136 G V G muß von der Zweckbestimmung der Institution, aus der Funktion der Plenarerkenntnisse her interpretiert werden, welche in der einheitlichen Auslegung einer Norm zur Verwirklichung des Gesetzeswillens besteht. Wegen der Ungereimtheiten einer rein formalen oder rein materialen Betrachtung kommt es nicht darauf an, „ob die Frage die gleiche ist, sondern ob ihre Beantwortung eine verschiedene sein darf". Wenn ein Begriff in meh38 Vgl. nur weiterführend die Kommentare mit Rechtsprechungshinweisen, Schmidt, Eberhard, Lehrkommentar, Teil I I I , 1960, § 121 G V G R N 31 - 37; § 136 G V G R N 2; Löwe-Rosenberg, 21. Aufl. 1965, §121 G V G R N 24, b), e), f); §136 G V G R N 9; Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht, 1990 § 121 G V G R N 13; § 136 G V G R N 1,
2.
39
Die Stellung des Reichsgerichts zum neuen Strafgesetzbuch, aaO, S. 31. Ebenda, S. 32 - 38. Auf S. 38 äußert er den Verdacht, daß bei den Senaten des Reichsgerichts wegen des horror pieni „der Wunsch der Vater der Gedanken gewesen sein könnte". 41 Ebenda, S. 36. 40
III. Die Bindung des Revisionsgerichts an frühere Entscheidungen
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reren Rechtsquellen Verwendung findet, ist sorgfältig zu prüfen, ob es sich um dieselbe Rechtsfrage handelt. „Die Notwendigkeit, abweichende Beurteilungen verschiedener Senate vor das Plenum zu verweisen, besteht erst dann, wenn es sicher ist, daß darin ein Widerspruch liegt, der Beseitigung erheischt, weil sonst die Einheitlichkeit der Rechtsanwendung gefährdet wäre". Jedes Gesetzesmerkmal kann nur aus dem Sinn und Geist des ganzen Gesetzes erschlossen werden und kann deshalb in einem anderen Zusammenhange sehr wohl eine abweichende Deutung vertragen 42 . Damit wird dem jeweiligen Senat ein Ermessensspielraum eingeräumt, anhand welcher leitenden Sinnprinzipien er bei dem Wortlaut nach gleichen oder ähnlichen Merkmalen, die in verschiedenen Gesetzen vorkommen, eine Identität der Rechtsfrage annimmt oder nicht. Ein Wechsel der Gesetzgebung kann somit eine Veränderung von Rechtsfragen zur Folge haben und kann aber auch im Falle einer inhaltlichen Konstanz auch identische Rechtsfragen übriglassen. Der Wechsel der Gesetzgebung kann nun soweit gehen, daß er wie bei der geplanten Einführung des neuen Straf rechts als Zäsur zwei Epochen voneinander scheidet. „Das neue Gesetz will aus sich heraus begriffen und aus seinem eigenen Geiste ausgelegt werden", womit es nicht verträglich wäre, wenn die Senate des Reichsgerichts mit Fesseln beschwert würden, die aus einer Zeit stammen, „deren geistige Einstellung zu überwinden gerade das Ziel der Reform war" 4 3 . In einem solchen Fall soll das Reichsgericht dem neuen Gesetz ohne die Notwendigkeit der Anrufung des Plenums ungebunden gegenüberstehen. Die Ausgangsfrage, was aus dem zeitlichen Nacheinander zweier Gesetzgebungen auf demselben Gebiet für die Identität der zu entscheidenden Rechtsfragen im Sinne des § 136 G V G folgt, kann nicht einheitlich beantwortet werden: „Handelt es sich um eine bloße Neuredigierung eines sachlich nur unwesentlich veränderten Gesetzestextes, so wird eine weitgehende Identität auftauchender Rechtsfragen zu behaupten sein, während ein die Fundamente erfassender Wechsel der Rechtssatzung alle in seinem Bereiche auftauchenden Rechtsfragen in neue Beleuchtung r ü c k t , . . . Dann gibt es identische Rechtsfragen überhaupt nicht mehr, und jede Bindung an Entscheidungen aus der Vorzeit der neuen Gesetzgebung fällt dahin" 4 4 .
c) Die letztere Äußerung ist auf dem Juristentag 1931 teilweise modifiziert worden. Während der erste Aufsatz vorwiegend der Auslegung des § 136 G V G gewidmet ist, geht es 1931 neben der Fortführung der exegetischen Arbeit um die gesetzespolitische Frage, ob eine ausdrückliche gesetzliche Anordnung zu empfehlen ist, welche für die Neukodifikation des Strafgesetz42 43 44
Ebenda, S. 39. Ebenda, S. 41, 43. Ebenda, S. 42.
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4. Teil: Strafprozeß- und Gerichtsverfassungsrecht
buchs das Reichsgericht ausnahmslos von der Bindung an frühere Entscheidungen freistellt 45 . Dohna präzisiert seine frühere Auffassung für das neue Strafgesetzbuch dahin, daß zwei Gruppen zu unterscheiden sind, falls eine Bindung des Reichsgerichts an frühere Entscheidungen nicht ausdrücklich und insgesamt ausgeschlossen wird. Zunächst müßte die Vorfrage entschieden werden, ob eine Identität der Rechtsfrage gegeben ist, ob also das fragliche Merkmal im neuen Gesetz als Ausdruck einer neuen geistigen Einstellung aufzufassen ist. Viele Fragen sind im neuen Gesetz im offensichtlichen Gegensatz zur überkommenen Rechtsprechung geregelt worden wie beispielsweise die Bedeutung des Irrtums über das Verbotensein der Handlung oder die Begriffsbestimmung der Urkunde, so daß dort eine Bindung an frühere Entscheidungen wegen der fehlenden Identität der Rechtsfrage ausscheidet. Andererseits wird es, was etwa die Auslegung der Begriffe des Geldes, des Briefes, des Gewahrsams, des Gefangenen und des Personenstandes anbelangt, nicht möglich sein, die Identität der Rechtsfragen zu leugnen. Zu Zweifelsfragen geben schließlich diejenigen Wendungen Anlaß, welche unverändert oder nur in anderer Ausdrucksform aus dem alten in das neue Gesetz übernommen worden sind, „ohne daß daraus auf den (eindeutigen) Willen des Gesetzgebers geschlossen werden könnte, ihnen einen anderen Sinn zu verleihen" 46 . Dazu gehören auch Fragen, die im alten wie im neuen Recht keine eindeutige Antwort erfahren haben, wie etwa das Problem, ob eine in Rechte Dritter eingreifende Verteidigung unter dem Begriff des Notstandes zu subsumieren ist. Dohna entscheidet sich in diesen Fällen ebenfalls für ein Bestehen der Bindung an die frühere Rechtsprechung, falls nicht eine Norm erlassen wird, welche das Reichsgericht in jeder Hinsicht in der Auslegung des neuen Gesetzes von früheren Entscheidungen unabhängig in dem Sinne stellt, daß eine (erstmalige) Abweichung keine Plenarentscheidung erfordert 47 . Eine solche Norm wird aber als rechtspolitisch wünschenswert befürwortet. Zwar würden davon auch Merkmale umfaßt, welche sachlich unverändert geblieben sind. Entscheidend ist im Interesse der Rechtssicherheit und der ungehinderten Durchsetzung der (weltanschaulichen) Grundkonzeption des neuen Gesetzes, daß die Gefahr vermieden werde, das Reichsgericht werde sich, um einer Plenarentscheidung auszuweichen, weitgehend an die alten Entscheidungen für gebunden erachten 48 . In diesem Zusammenhang ist auch an das Gesetz vom 28. Juni 1935 zu erinnern, welches das Reichsgericht verpflichtet, bei der Auslegung der Gesetze 45
Verhandlungen des 36. Deutschen Juristentages im Jahre 1931, Bd. 2, S. 143. Diskussionsbeitrag auf dem 36. Deutschen Juristentag im Jahre 1931, Verhandlungen, Bd. 2, S. 201, 202. 47 Ebenda, S. 203, 204. 48 Ebenda, S. 200, 204. 46
IV. Das Verbot der vorweggenommenen Beweisürdigung
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dem Umbruch und der neuen Weltanschauung Rechnung zu tragen, und welches eine Abweichung von früheren Entscheidungen auch ohne Anrufung der vereinigten Senate ermöglichte 49 . Gewiß hat Dohna die spezifisch nationalsozialistische Umgestaltung des Strafrechts nicht gebilligt, aber auch hier zeigt sich in methodischer Hinsicht, daß die neuen Machthaber manches für ihre machtpolitischen Zwecke unter Zugrundelegung ihrer eigenen weltanschaulichen Topoi umfunktionieren konnten. Die vorgeschlagene Norm zur Freistellung der Bindung des Reichsgerichts an frühere Entscheidungen kann auch von totalitären, rechtsstaatsfeindlichen Machthabern als technisches Hilfsmittel der Umwertung einer Rechtsordnung verwendet werden. IV. Zum Verhältnis von Amtsaufklärungspflicht und Beweisantragsrecht - Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung und die Auslegung einer diffusen Gesetzeslage (1944) Das Beweisrecht als ein Kernstück des Strafprozesses hat zu Lebzeiten Dohnas in der Gesetzgebung, der Rechtsprechung und in den Entwürfen eine recht wechselvolle Entwicklung erfahren 50 . Dohna hat sich vor allem 1911 zum Umfang der Beweisaufnahme, 1929 zur Wahrunterstellung und 1944 zum Problem der vorweggenommenen Β e weis Würdigung geäußert. Insbesondere der letzte Aufsatz ist unter dem methodischen Gesichtspunkt der Umwertung einer Rechtsordnung zu betrachten. a) Dem Reichsgericht, welches zum §243 a.F. StPO Kriterien für die Ablehnung von Beweisanträgen entwickelt hat, wird grundsätzlich zugestimmt. Die im §244 I a. F. StPO statuierte Pflicht des Gerichts, alle präsenten Beweismittel zu verwerten, wird einschränkend so ausgelegt, daß auch präsente Beweismittel nur insoweit zu berücksichtigen sind, „als die durch sie zu beweisende Tatsache für die Entscheidung von Bedeutung ist" 5 1 . Der Umstand, daß die Erheblichkeit einer unter Beweis gestellten Tatsache zu verneinen ist, wenn es sich um einen für die Schuld oder Unschuld des Angeklagten völlig heterogenen Umstand handelt, ist nämlich keine Besonderheit der präsenten Beweismittel. De lege ferenda handelt es sich um die Frage, „welcher Grad von Beweiserheblichkeit einer Tatsache zukommen müsse, damit das Gericht verpflichtet sein solle, dieselbe auch bei Absenz des Beweismittels der Prüfung zu 49 RGBl. I, S. 844. 50 Vgl. nur Max Alsberg/Karl-Heinz Nüse, Der Beweisantrag im Strafprozeß, 5. Aufl. 1983, S. 1 - 10. 51 Der Umfang der Beweisaufnahme im Strafverfahren, in: DJZ 1911, Sp. 305, 306. Man kann daraus „die trostreiche Gewißheit entnehmen, daß auch dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes gegenüber die Vernunft sich immer wieder durchsetzt, wenn der Gesetzgeber unvernünftiges b e f i e h l t . . . " , in: Das Problem der vorweggenommenen Beweiswürdigung im Strafverfahren, in: Probleme der Strafrechtserneuerung, Eduard Kohlrausch zum 70. Geburtstag dargebracht, 1944, S. 322.
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4. Teil: Strafprozeß- und Gerichtsverfassungsrecht
unterziehen" 52 . Eine solche Regelung würde jedoch nur die Sanktionierung des geltenden Rechts bedeuten, wie es sich ohne gesetzliche Stütze in der Praxis ausgebildet hat. b) Diese richterliche Beweiserhebungspflicht setzt neben der Beweiserheblichkeit der Tatsache die Beweisbedürftigkeit voraus. Die Beweisbedürftigkeit kann nach der positiven Seite nicht abschließend festgelegt werden, da in der richterlichen Überzeugungsbildung notwendig ein subjektives Element enthalten ist. „Ob eine Tatsache noch weiteren Beweises bedarf, hat das Gericht nach freiem Ermessen zu entscheiden" 53 . Allerdings kann nach der negativen Seite gesagt werden, wann eine Tatsache nicht beweisbedürftig ist und wann ein entsprechender Beweisantrag abgelehnt werden darf. Dies trifft auf notorische und bereits erwiesene Tatsachen zu. Jedoch darf ein Beweisantrag niemals deshalb abgelehnt werden, weil das Gericht das Gegenteil der unter Beweis gestellten Tatsache für hinreichend erwiesen hält. Neben der Unzulässigkeit der Verwertung bestimmter Beweismittel besteht eine weitere Schranke der Beweiserhebungspflicht in der faktischen Unerreichbarkeit des Beweismittels. Ob ein Beweismittel zur Begründung der richterlichen Überzeugung geeignet ist, kann regelmäßig erst nach seiner Verwendung beurteilt werden. Nur ganz selten wird sich das Gegenteil im voraus mit Sicherheit erkennen lassen, so, wenn ein Blinder über Farben Auskunft geben soll. Dennoch würde ein Ablehnungsgrund der mangelnden Eignung zur Überzeugungsbildung ein unvermeidliches Ermessen eröffnen, wobei die sichere Grenzziehung fraglich ist, so daß mit der Reichstagskommission die Streichung dieses Ablehnungsgrundes befürwortet wird. Abgesehen von der Unerreichbarkeit lassen sich alle Ablehnungsgründe auf den Mangel der Beweiserheblichkeit und den Mangel der Beweisbedürftigkeit zurückführen 54 . c) Hatte Dohna früher die Ablehnung eines Beweisantrages im Wege der Wahrunter Stellung schlechthin verworfen, so anerkennt er nunmehr nur in einem engen Fall die Wahrunterstellung 55 . In Fortführung der obigen Systematik wird zunächst der logisch mögliche Bereich der Wahrunterstellung abgesteckt. Bei der Unerheblichkeit der Beweistatsache kommt eine Wahrunterstellung genauso wenig in Frage wie, wenn das Gericht von der Wahrheit einer erheblichen Tatsache bereits überzeugt ist. Innerhalb der beweiserheblichen und beweisbedürftigen Tatsachen scheidet eine Wahrunterstellung zu-
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Der Umfang der Beweisaufnahme im Strafverfahren, in: DJZ 1911, Sp. 306. 53 Ebenda, Sp. 307. 54 Ebenda, Sp. 307 - 309. Zur letzteren Gruppe gehört auch die Ablehnung eines jeden rationalen Zweckes entbehrenden Beweisantrages, der nur (objektiv) den Zweck haben kann, das Verfahren zu verschleppen. 55 Ablehnend noch Mit welchen Hauptzielen wird die Reform des Strafverfahrens in Aussicht zu nehmen sein?, in: Verhandlungen des 35. Deutschen Juristentages im Jahre 1928, Bd. 1, S. 138; ebenso Das Strafprozeßrecht, 3. Aufl. 1929, S. 172.
IV. Das Verbot der vorweggenommenen Beweisürdigung
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ungunsten des Angeklagten aus, da der Angeklagte ein Recht auf die Feststellung hat, ehe sie zu seinem Nachteil im Urteil verwertet wird. Eine Wahrunterstellung zugunsten des Angeklagten hat ebenfalls grundsätzlich auszuscheiden, da sie mit dem obersten Grundsatz des Strafprozeßrechtes, der Erforschung der materiellen Wahrheit, kollidiert 56 . Mit diesem Grundsatz hängt auch die freie und begründungspflichtige richterliche Beweiswürdigung zusammen. „Der Beweis der Schuld des Angeklagten ist geführt, wenn die Überzeugung des Gerichts von seiner Schuld begründet ist; und er bleibt solange geführt, bis jene Überzeugung erschüttert wird. Erschüttert aber wird sie regelmäßig erst durch den Beweis, nicht schon durch die bloße Behauptung einer mit der Schuld unverträglichen Tatsache".
Dies wird dahin ergänzt, daß das Gericht nach der Beweiserhebung sich zwar nicht von der Wahrheit der behaupteten, mit der Schuld unvereinbaren Tatsache überzeugen kann, aber doch zu einem non liquet gelangt. Auch in diesem Fall muß Freisprechung erfolgen. Wenn etwa der Angeklagte eine mit einem auf Indizien gestützten Schuldbeweise unvereinbare Tatsache unter Beweis stellt, muß unbedingt der Beweis erhoben werden. „Denn so wenig das Gericht den Angeklagten verurteilen darf, solange es an seiner Schuld zweifelt, ebenso wenig darf es ihn freisprechen, solange es keinen solchen Zweifel hegt" 5 7 . Ein Gericht darf also niemals eine vom Angeklagten vorgeschützte Tatsache, ohne sie auf ihre Wahrheit zu prüfen, als wahr unterstellen, um ihn daraufhin freizusprechen, wiewohl er möglicherweise schuldig ist. Eine Wahrunterstellung kommt somit nur dann in Betracht, wenn das Gericht sich von der Schuld des Angeklagten nicht überzeugen kann und geneigt ist, ihn freizusprechen. Hier verbietet es die Prozeßökonomie, über Tatsachen Beweis zu erheben, welche die Überzeugung von der Unschuld des Angeklagten zu begründen geeignet wären. Einen hierauf gerichteten Beweisantrag kann das Gericht ablehnen, indem es die Tatsache zugunsten des Angeklagten ohne von ihrer Wahrheit überzeugt zu sein als wahr behandelt, „weil es sich nicht in der Lage sieht, die Behauptung zu widerlegen, (also die Überzeugung von der Schuld zu gewinnen), und weil es, solange solche Widerlegung nicht erfolgt ist, nicht in der Lage ist, die Verurteilung des Angeklagten auf sein Gewissen zu nehmen" 58 . d) Der 1944 veröffentlichte Aufsatz zum Problem der vorgenommenen Beweiswürdigung geht ebenfalls, ohne dies ausdrücklich zu sagen, von der Übereinstimmung der richterlichen Aufklärungspflicht und dem Beweisantrags56
Die Wahrunterstellung im Strafprozeß, in: JW 1929, S. 1445. 57 Ebenda, S. 1446. 58 Ebenda, S. 1446.
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4. Teil: Strafprozeß- und Gerichtsverfassungsrecht
recht der Parteien aus 5 9 . Es geht u m die Analyse der Rechtslage nach dem Inkrafttreten des § 24 der Vereinfachungsverordnung v o m 1. September 1939, wonach das Gericht einen Beweisantrag ablehnen k a n n , „ w e n n es nach seinem freien Ermessen die E r h e b u n g des Beweises zur Erforschung der W a h r h e i t nicht für erforderlich h ä l t " 6 0 . D o h n a versucht eine harmonisierende Auslegung u n d w i l l zeigen, daß die bestehende materielle Rechtslage durch den § 24 V V nicht geändert worden ist, „daß nur die im § 245 I I (StPO) aufgeführten Gründe auch künftig zur Ablehnung eines Beweisantrages berechtigen... Immer und überall hat nur der eine Grundsatz zu gelten, daß jeder Beweis erhoben werden muß, von dem das Gericht gewissenhaftermaßen urteilen muß, daß er möglicherweise für die Bildung seiner Überzeugung Bedeutung gewinnen könnte, daß jeder Beweis abgelehnt werden darf und muß, dem solche Bedeutung mit Notwendigkeit abgeht" 61 . D i e Fortgeltung des § 244 I I StPO i n der Fassung v o m 28. Juni 1935, wonach das Gericht v o n A m t s wegen alles zu t u n hat, was zur Erforschung der Wahrheit notwendig ist, ist nach dem Erlaß des §24 W
unbestritten. W e n n n u n
eine Vorwegnahme des Beweisergebnisses m i t der Amtsaufklärungspflicht unvereinbar ist, so folgt daraus die Unzulässigkeit, den § 24 V V dahin zu interpretieren, daß er solche Vorwegnahme gestatte 6 2 . Zunächst ist eine Begriffsklärung erforderlich. „Eine Beweisantizipation liegt immer dann . . . vor, wenn von der Erhebung eines erhebbaren Beweises deshalb Abstand genommen wird, weil nicht zu erwarten stehe, daß sie ein brauchbares Ergebnis zeitigen werde. Die Ablehnung eines Beweisantrages beruht also nicht auf einer Vorwegnahme des Beweisergebnisses, wenn die Frage nach der Erheblichkeit der Beweisaufnahme sich unabhängig davon beantworten läßt, zu welchem Ergebnis sie führt" 6 3 . 59
In: Probleme der Strafrechtserneuerung, 1944, S. 320. Auffallend ist, daß Dohna dann de lege ferenda gerade auch im Hinblick auf die Einführung des Beweismaterials einen modifizierten Parteiprozeß fordert. Dabei hält er de lege lata einen über die Amtserhebungspflicht hinausgehenden und davon unabhängigen Beweiserhebungsanspruch der Parteien mit der Würde und dem Ansehen des Gerichts für unvereinbar. Vgl. weiterführend nur Alsberg/Nüse, Der Beweisantrag im Strafprozeß, 5. Aufl. 1983, S. 19 - 33 und S. 411 - 422. 60 Das Problem der vorweggenommenen Beweiswürdigung, in: Probleme der Strafrechtserneuerung, 1944, S. 319: „Ich stehe nicht an, diese Stellungnahme des Gesetzgebers für gesund und die Beseitigung bindender Parteianträge für einen bedeutsamen Fortschritt zu erklären". Es dürfte nicht zutreffen, diesen Satz als ausdrückliche Billigung des Wegfalls bindender Parteianträge zu verstehen; so aber Alsberg/Nüse, Der Beweisantrag im Strafprozeß, 5. Aufl. 1983, S. 8 FN 39. Vielmehr befürwortet Dohna die Beibehaltung eines Beweiserhebungsrechts der Parteien als Kehrseite der Amtspflicht (siehe dazu weiter im Text). 61 Ebenda, S. 323, auch S. 334. 62 Ebenda, S. 323. 63 Ebenda, S. 325.
IV. Das Verbot der vorweggenommenen Be weis
Würdigung
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Die erste Frage lautet nun, ob das Reichsgericht bei der Herausarbeitung der Gründe, welche die Ablehnung eines Beweisantrages rechtfertigen sollen und welche dann im §245 I I n.F. StPO gesetzlich sanktioniert wurden, Beweisantizipationen zugelassen hat und, wenn ja, in welchem Umfang 64 . Nachfolgend wird untersucht, welche Ablehnungsgründe mit dem grundsätzlichen Verbot der Beweisantizipation in Konflikt geraten können und wie dieser aufzulösen ist 65 . Die Ablehnung eines Beweisantrages, weil die zu beweisende Tatsache für die Entscheidung ohne Bedeutung sei, ist mit Verbot der Vorwegnahme des Beweisergebnisses vereinbar. Die Entscheidung, ob eine behauptete Tatsache überhaupt für die Bildung der Überzeugung von der Schuld oder Unschuld des Angeklagten bedeutsam sein kann oder nicht, kann unabhängig davon getroffen werden, ob sich diese Tatsache (vermutlich) wird erweisen lassen oder nicht 66 . Die Zulässigkeit des Ablehnungsgrundes der Unerreichbarkeit des Beweismittels hängt vielfach auch von der Bedeutung der Strafsache ab. In Bagatellsachen braucht das Gericht nicht den gleichen Aufwand an Nachforschungen zu betreiben wie in Kapitalsachen. Allerdings würde es auf einer unzulässigen Vorwegnahme des Beweisergebnisses beruhen, wenn die Herbeischaffung des Beweismittels deshalb abgelehnt würde, „weil doch nicht zu erwarten stehe, daß die Mühe sich lohnen werde, (weil) die Aufnahme des Beweises voraussichtlich doch zu einem negativen Ergebnis führen würde" 6 7 . Die Ablehnung des angebotenen Beweismittels als völlig ungeeignet ist „am gefährlichsten", weil am ehesten zur Vorwegnahme des Beweisergebnisses verlockend. Das Reichsgericht hat dieses aber ausnahmsweise beim Zeugenbeweis zugelassen, wenn aufgrund besonderer, in der Person des Zeugen liegender tatsächlicher Umstände schon vorher sein gänzlicher Unwert sicher beurteilt werden kann 68 . Dohna präzisiert dies auf eine enge Fallgruppe, wann eine Vorwegnahme des Beweisergebnisses wirklich für zulässig erachtet werden darf.
64 Ebenda, S. 324. 65 Ebenda, S. 325: In keinem Zusammenhang mit diesem Verbot stehen die Ablehnungsgründe der Unzulässigkeit der Beweiserhebung, der Offenkundigkeit der zu beweisenden Tatsache und des Bereits-Erwiesen-Seins. 66 Ebenda, S. 325, 326. Auch der einzig zulässige Fall der Wahrunterstellung kollidiert nicht mit diesem Verbot, weil die behauptete Tatsache als wahr behandelt werden darf, weil es auf ihren Beweis nicht mehr ankommt. 67 Ebenda, S. 326. Ist eine unter Beweis gestellte Tatsache beweiserheblich und -bedürftig und ist der Fall gravierend genug, um den mit der Beweisbeschaffung verbundenen Aufwand an Zeit, Geld und Arbeitskraft zu rechtfertigen, so würde „die Ablehnung wegen Unerreichbarkeit des Beweismittels gegen die richterliche Aufklärungspflicht verstoßen". Dies ist eine Stelle, aus der deutlich die Dohnasche Auffassung von der Übereinstimmung der Amtsaufklärungspflicht mit dem Beweisantragsrecht der Parteien gefolgert werden kann. 68 Ebenda, S. 327 - 329.
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4. Teil: Strafprozeß- und Gerichtsverfassungsrecht
„Wegen Untauglichkeit des angebotenen Beweises darf ein Beweisantrag nur dann zurückgewiesen werden, wenn die vorgenommene Bewertung sich nicht gründet auf die Zuverlässigkeit des bereits gewonnenen Beweisergebnisses, sondern auf die auf Erfahrung gestützte und gewissenhaft erwogene Erkenntnis, daß um der allgemeinen Eigenschaften des in Vorschlag gebrachten Beweismittels willen die Gewähr besteht, daß die Erhebung des Beweises auf die Begründung der richterlichen Überzeugung ohne allen Einfluß bleiben würde" 6 9 .
Auch nach dem Inkrafttreten des § 24 W ergeben sich die engen Grenzen der ausnahmsweise zulässigen Vorwegnahme des Beweisergebnisses aus dem § 244 I I n. F. StPO. Das Reichsgericht hat sich widersprüchlich dazu geäußert, welche Bedeutung dem § 24 V V überhaupt zukommen kann, insbesondere, ob die Ermessensentscheidung des Tatrichters (über die Bestimmung des Umfangs der Beweisaufnahme) nun der Kontrolle des Revisionsgerichts entzogen ist. Dohna spricht sich aber weiterhin für die Revisibilität des Ermessens aus, da es eben pflichtgebunden ist, und wiederholt seinen Standpunkt, daß sich keine vernünftigen Beweisanträge denken lassen, welche nicht zugleich schon aus dem Gesichtspunkt der Offizialmaxime zur Berücksichtigung nötigen 70 . Eine vereinfachte Regelung der Beweisaufnahme könnte sogar auf die gesetzliche Aufzählung der Ablehnungsgründe verzichten ; entscheidend ist die Amtsaufklärungspflicht; diese „bietet eine genügend feste Schranke gegen unzulässige Antizipationen des Beweisergebnisses, wenn dafür gesorgt ist, daß die Begründung der Ablehnung eines Beweisantrags in einer Weise erfolgt, die es dem Revisionsgericht ermöglicht, nachzuprüfen, ob das Gericht seiner Pflicht auch wirklich nachgekommen ist. . . . Einer Bestimmung im Sinne des heutigen § 24 W bedürfte es daneben nicht mehr" 7 1 .
Hier soll weniger Wert darauf gelegt werden, daß die Argumente gegen die Lehre von der Übereinstimmung der Amtsaufklärungspflicht mit dem Beweisantragsrecht der Parteien stärker zu erachten sind 72 . Vielmehr erscheinen die Ausführungen Dohnas als ein Versuch, die beliebige interpretative Weitläufigkeit des §24 V V einzuschränken. Der Wortlaut und die zeitbedingte Entstehungsgeschichte (1. September 1939!) des §24 W legen die Vermutung nahe, daß damit das Gericht gegenüber dem vorherigen Rechtszustand in der Ablehnung von Beweisanträgen (und deren Begründungsintensität) viel freier gestellt werden sollte. Auch wenn man nicht aus dem §245 I I ein garantiertes selbständiges Beweiserhebungsrecht der Parteien ableiten will, wie dies Dohna tut, so steht dazu § 24 W bei unbefangener Betrachtung in offensichtlichem Widerspruch, da die Aufzählung von bestimmten Ablehnungsgründen etwas grundverschiedenes ist als ein weites, unbestimmtes Ermessen. § 24 W 69
Ebenda, S. 330. ™ Ebenda, S. 333, 334. 71 Ebenda, S. 336. 72 Vgl. nur Alsberg/Nüse, Der Beweisantrag im Strafprozeß, 5. Aufl. 1983, S. 26 33 mwN.
IV. Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung
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läßt eine stark individualisierende, auf die Besonderheiten des Falles abstellende, allenfalls nur schwer revisible Argumentation des Richters zu, während die Subsumtion unter bestimmte Ablehnungsgründe auf generalisierende, revisible Kriterien hinweist. Bei § 24 V V darf der Richter sich, um in der Terminologie der kritischen Rechtstheorie zu sprechen, den fraglichen Obersatz selber aussuchen, ihn sogar ganz auf die Besonderheiten dos Falles hin formulieren. Es ist dies in methodischer Hinsicht das Phänomen, wie mit untergeordneten Ermächtigungen an den Richter höherrangige gesetzliche Regelungen mit einem höheren Grad an Rechtssicherheit, Berechenbarkeit, genereller Subsumtionsfähigkeit unterlaufen, ja in ihr Gegenteil verwandelt werden können. Gewiß ist es angreifbar, wenn Dohna meint, eine mißbräuchliche Ausweitung der vorweggenommenen Beweiswürdigung allein durch die begründungspflichtige und revisible Ablehnung von Beweisanträgen als Konkretisierung der Amtsaufklärungspflicht verhindern zu können. Gleichwohl sollte sein Bemühen anerkannt werden.
17 Escher
Zusammenfassung einiger Ergebnisse 1. Die Rechtsphilosophie Dohnas ist weitgehend von derjenigen Stammlers abhängig. Der erkenntniskritische Ansatz erreicht bei weitem nicht die Gedankentiefe der Transzendentalphilosophie Kants. Der Ausgangspunkt ist in Wirklichkeit psychologisch-subjektivistisch mit der Folge, daß die praktischen Ergebnisse der Lehre von dem richtigen Rechte maßgeblich Ausdruck sozialnützlichen Denkens sind. Die angeblich reine Formenwelt des Rechtsbegriffs und der Rechtsidee enthält bloße Hülsen, welche im Prinzip jeden zeitlich bedingten Inhalt aufzunehmen in der Lage sind. Deshalb kann die kritische Rechtstheorie beliebigen Mächten dienstbar gemacht werden: Sie kann den herrschenden Rechtspositivismus auf scheinbar idealistischer Grundlage unterstützen; sie kann auch gegen eine bestehende Rechtsordnung in revolutionärer Absicht eingesetzt werden. 2. Dohna modifiziert das Stammlersche Merkmal der Unverletzbarkeit durch das Kriterium der Errichtung einer allgemeinverbindlichen Ordnung, um das Recht von der Willkür als Nichtrecht zu unterscheiden. Zugleich soll die logische, besser tautologische Rechtfertigung des Rechtszwanges bei Stammler durch eine ethische, auf Kant zurückgreifende Interpretation ersetzt werden. Durch diese beiden Änderungen wird die strikte Trennung zwischen Rechtslogik und Rechtsethik hinfällig: Letztlich werden Willkür und Recht sowie sachlich richtiges und sachlich unrichtiges Recht durch dasselbe Kriterium in Gestalt des Verallgemeinerungsgedankens unterschieden. Dieses und der Widerspruch, daß Dohna einerseits dem Staat die schrankenlose Verfügungsgewalt über die menschliche Person einräumt und andererseits namentlich in der strafrechtlichen Rechtswidrigkeitslehre die Kantsche MenschZweck-Formel und das Verallgemeinerungsgebot in das positive Recht zu integrieren versucht, hätten ihn auf den Weg des deontologischen Rechtspositivismus verweisen müssen. 3. Die deontologische Rechtstheorie steht in der Traditionslinie des Kantschen Rechtsprinzips und der Radbruchschen Formel. Diese Ansicht besagt, daß jede positive Rechtsordnung, will sie überhaupt als rechtliche und nicht als gewalttätige gelten, auf die Einhaltung eines elementaren inhaltlichen und für jede Machtinstanz unverfügbaren Mindeststandards sowie auf die Gewährung allgemeiner Rechtssicherheit verpflichtet ist. Das gedankliche Zentrum dieses Mindeststandards besteht in der Mensch-Zweck-Formel. 4. Die Hauptleistung Dohnas liegt auf dem Gebiet der allgemeinen Verbrechensdogmatik. Seine Lehre liegt dogmengeschichtlich zwischen den „süd-
Zusammenfassung einiger Ergebnisse
259
westdeutschen" Neoklassikern und der ontologischen Welzelschule und bildet eine Vorläuferin der heutigen teleologischen Systeme. Jede Verbrechenslehre sieht sich vor das Problem gestellt, bei der Inhaltsbestimmung der allgemeinen Straftatkategorien zu unterscheiden, was auf der vorgegebenen Unwerthaftigkeit des Gegenstandes beruht und was auf die letztlich entscheidende U n w e r t zuschreibung durch das Gesetz bzw. durch den Gesetzesinterpreten zurückzuführen ist. U m der Möglichkeit eines unbegrenzten Normativismus bei der Dohnaschen Objekt-Wertungs-Lehre zu entgehen, w i r d es darauf ankommen, rechtsstaatliche Basiswertungen i n die allgemeine Verbrechensdogmatik zu integrieren. Dohnas Rechtswidrigkeitslehre n i m m t T e i l an dem überzeitlichen Gedanken der Verhältnismäßigkeit i m Recht und weist darauf hin, daß bei konkreten Zweifelsfragen nach der Rechtswidrigkeit straftatbestandsmäßigen Verhaltens Kriterien der Sozialschädlichkeit oder Strafwürdigkeit bedeutsam sind. Diese Kriterien sind aus dem Zusammenspiel von sozialer Nützlichkeit und Verallgemeinerung zu entwickeln. D i e richtig verstandene Zwecktheorie läuft auf eine Güter- und Interessenabwägungstheorie hinaus, von der aus sachgebietsabhängig die einzelnen Rechtfertigungsgründe zu erklären sind. E i n Mangel der Auffassung Dohnas besteht i n der Einbeziehung des generellen subjektiven Rechtfertigungselements des pflichtgemäßen Ermessens in die Rechtswidrigkeitsprüfung, was eine einseitige Überbetonung des ethischen, nicht spezifisch strafrechtlichen Handlungsunrechts bedeutet. E i n Mangel seiner Schuldlehre besteht darin, daß der Schuldsach verhalt und die maßgeblichen Schuldwertungsfaktoren nicht spezifisch auf das strafrechtliche Tatunrecht bezogen sind. Sein ethisierender Schuldbegriff harmoniert nicht mit der befürworteten spezialpräventiven Strafzumessung und Charakterschuldhaftung. D i e Rückführung der strafrechtlichen Irrtumslehre auf das Gegensatzpaar Tatumstände und Verbotensein ist richtungsweisend gewesen. 5. Das Mißbrauchs- u n d U m w e r t u n g s p r o b l e m k a n n bezogen auf sein Gesamtwerk nicht einheitlich beantwortet werden. B e s t i m m t e A s p e k t e bergen erhebliche Gefahren i m H i n b l i c k auf eine mögliche machtpolitische Instrumentalisierung je nach dem Vorverständnis und der Zweckgebung des Interpreten. Dies betrifft insbesondere den Formalismus der rechtsphilosophischen Lehre v o m richtigen Recht, die sittliche Rechtfertigung bzw. Verurteilung einer Revolution anhand wahrer Kulturinteressen, die Strafartbestimmung nach der (Un-)Ehrenhaftigkeit der Tätergesinnung und die unbestimmte Verurteilung gegen bestimmte gefährliche Tätergruppen. B e i einer restriktiven A n w e n d u n g der Zwecktheorie bestehen deutlich geringere Gefahren, falls ihre F u n k t i o n als ergänzende Auslegungslehre und das kantische wie sozialnützliche Vorverständnis Dohnas beachtet werden.
17*
Biographie im Überblick 29. Juni 1876
geboren in Potsdam, Georg Theobald Alexander Burggraf und Graf zu Dohna-Schlodien
1884 - 1895
Besuch der Gymnasien in Koblenz, Aachen, Hannover und Brandenburg
1895 - 1898
Rechtsstudium in Rom, Lausanne, Freiburg i.Br. und Berlin
29. Dezember 1898
Gerichtsreferendarprüfung in Berlin
1. Jan. - 30. Sept. 1899
Referendar im Justizdienst
1. Okt. 1899 - 30. Sept. 1900
Freiwilliger Militärdienst beim 1. Brandenburgischen Dragoner Regiment 2
l . O k t . 1900 - 30. Sept. 1902
Doktorand beim kriminalistischen Seminar von Franz v. Liszt in Berlin
13. Mai 1902
Rigorosum zusammen mit Gustav Radbruch; Dissertation über „Die Stellung der Buße im reichsrechtlichen System des Immaterialgüterschutzes"
1. Okt. 1902 - 30. Juni 1903
Referendar im Justizdienst
1. Juli 1903 - 23. Okt. 1904
Vorbereitung auf die Habilitation
24. Okt. 1904
Tag der Habilitation für die strafrechtlichen Fächer in Halle a.d. Saale, Habilitationsschrift über „Die Rechtswidrigkeit als allgemeingültiges Merkmal im Tatbestande strafbarer Handlungen", Antrittsvorlesung über „Die Elemente des Schuldbegriffs"
24. Okt. 1904 - 30. Sept. 1906 Privatdozent an der Universität Halle 1. Okt. 1906 - 9. Feb. 1913
außerordentlicher Professor an der Universität Königsberg
Herbst 1906 - Frühjahr 1909
wissenschaftlicher Begleiter des Prinzen August Wilhelm von Preußen in Bonn, Straßburg und Potsdam
10. Feb. 1913 - 31. März 1920 ordentlicher Professor an der Universität Königsberg 2. Aug. 1914 - 7. Jan. 1919
Kriegsteilnahme, letzter Dienstgrad: Rittmeister d. Res., Einsatz an der Westfront, Kriegsgerichtsrat in Litauen, zwischenzeitlich Rückkehr an die Universität, Leiter der Justizabteilung der Militärbezirksverwaltung Litauen-Süd, im Herbst 1918 Prorektor der Universität Dorpat
12. Nov. 1918
Mitglied im Justizausschuß des Arbeiter- und Soldatenrats Königsberg
19. Jan. 1919
Wahl zum Abgeordneten der Weimarer Nationalversammlung als Kandidat der DVP im Wahlkreis Königsberg
Biographie im Überblick
261
6. Feb. 1919-21. Mai 1920
Mitglied der Weimarer Nationalversammlung
bis zum 20. Feb. 1921
Mitglied des ersten Reichstags in der Fraktion der DVP
1. April 1920 - 31. Juli 1926
ordentlicher Professor an der Universität Heidelberg
1. Aug. 1926 - 25. Dez. 1944
ordentlicher Professor an der Universität Bonn
Okt. - Dez. 1931
Mitbegründer einer Oppositionsgruppe in der DVP
Mai 1932
Austritt aus der DVP
18. Sept. 1932 - Anfang 1933
Mitbegründer und 2. Vorsitzender des Deutschen Nationalvereins
25. Dez. 1944
verstorben in Bonn-Bad Godesberg
29.Juni 1947
Gedenkfeier veranstaltet durch die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Universität Bonn
Quellen- und Literaturverzeichnis Ein veröffentlichtes Gesamtverzeichnis der Schriften Dohnas existiert bisher noch nicht. Das im Anhang zu den 1959 neu aufgelegten „Kernproblemen der Rechtsphilosophie" von Erik Wolf zusammengestellte Verzeichnis der rechtsphilosophischen Schriften ist nicht ganz vollständig und enthält zum Teil Schriften, die hier in die Rubrik Strafrecht und Strafrechtsphilosophie eingeordnet worden sind. Der von Dohna selbst verfaßte Index Scriptorum seiner politischen und juristischen Beiträge, welcher sich im Nachlaß befindet, ist ziemlich unvollständig. Die grobe thematische Untergliederung der Schriften schließt keineswegs aus, daß viele Werke Dohnas zu mehreren Themenkreisen enge Bezüge aufweisen. Deshalb wurde auch auf eine weitere Uiitergliederung verzichtet.
I. Quellen und Archivalien 1. Der Nachlaß Dohnas (Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek Bonn) Es sind auch solche Werkstücke aufgenommen worden, die in dieser Abhandlung nicht näher erläutert wurden, die aber gegebenenfalls für andere Monographien von Interesse sein könnten. Nicht aufgeführt wurden reine Materialsammlungen. Soweit nichts anderes vermerkt ist, handelt es sich um maschinenschriftliche Werkstücke. a) Kasten Dohna I (Werkmanuskripte) : Nr.
1 Straf recht Allgemeiner Teil. Vorlesungsnotizen, nach 1933, 29 Seiten, davon 15 Seiten handschriftlich.
Nr.
2 Nulla poena sine lege bzw. die Zulassung der Analogie in Strafsachen. Vorlesungsnotizen, nach 1935, 24 Seiten.
Nr.
3 Zur Abgrenzung Zeuge und Sachverständiger. 6 Seiten.
Nr.
4 Zur Willensfreiheit. 12 Seiten (nicht identisch mit dem posthum veröffentlichten Aufsatz „Ein unausrottbares Mißverständnis" in ZStW 66 (1954), S.505 514).
Nr.
7 Zum Strafrechtsreformentwurf von 1925 a) Kritische Erörterungen zu den §§20 - 22 des Entwurfs (Notwehr, etc.), S . l - 10; b) Strafen und sichernde Maßnahmen, S. 11 - 34.
Nr.
9 Die Unzuchtsdelikte nach dem Strafgesetzentwurf. 26 Seiten.
Nr. 10 Teilweise unveröffentlichtes Referat zum Lübecker Juristentag 1931.18 Seiten: § 136 G V G und die Bindung des Reichsgerichts an frühere Entscheidungen bei einer Neukodifikation.
I. Quellen und Archivalien
263
Nr. 12 Die Vertiefung des Schuldgedankens im Strafrecht. Vortrag gehalten in der rechts- und staatswissenschaftlichen Vereinigung in Düsseldorf, 1933. 6 Seiten. Nr. 13 Sondervorlesung zum „Kownoer Schandurteil" am 22. Mai 1935. 12 Seiten. Deshalb wurde Dohna von Studenten des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes beim Gaustudentenführer des Gaues Köln/Aachen und bei der Geheimen Staatspolizei Köln angezeigt (Personalakte Dohnas der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität, Universitätsarchiv Bonn). Nr. 14 Zur Bekämpfung homosexueller Betätigungen. Nach 1933, 6 Seiten. Nr. 15 Politische Verbrechen. 46 Seiten handschriftlich. Nr. 19 Vorlesungsnotizen u.ä.: a) Die Lehre von der Strafe, S. 1 - 8, handschriftlich; b) Die Geschichte der Strafe, S. 9 - 18, handschriftlich; c) . . . d) Theorien zur Strafe, S. 27 - 32, handschriftlich; e) Aufgaben und Prinzipien der Strafzumessung bei der Realkonkurrenz, S. 33 - 38. Nr. 20 Der Kriminaldolus. Vermutlich von Franz von Liszt korrigierte Arbeit für das Kriminalistische Seminar, Berlin 1900, 93 Seiten handschriftlich. b) Kasten Dohna I I a (Allgemeine Korrespondenz, Α - Ζ) enthält u.a.: Briefe von Gerhard Anschütz, August Wilhelm Prinz von Preußen, Paul Bockelmann, Albert Brackmann, Gustav Radbruch, Eberhard Schmidt, Richard Thoma, Erik Wolf. c) Kasten Dohna I I b enthält u. a. : Abt. 1: Korrespondenz mit Verlagen. d) Kasten Dohna I l e (Familienbriefe) enthält u. a.: 1. 61 Briefe und 22 Karten an seine Eltern und seine beiden Schwestern. 1904 - ca. 1927. 2. 108 Briefe und 47 Karten an seine Frau. 1919 - ca. 1928. 3. 26 Briefe und 1 Karte von Elisabeth Gräfin zu Dohna meist an Alexander Graf zu Dohna. 1919 - 1927. e) Kasten Dohna I I I (Lebensdokumente) enthält u.a.: C. Nr. 3 Tagebuch vom 4. November 1918 bis zum 1. Februar 1919. C. Nr. 5 Werk Verzeichnisse Index scriptorum. C. Nr. 6 Nachrufe: -
Emil v. Beckerath, Grabrede am 30.12.1944, 3 Seiten;
— Privatdruck: „Gedenkfeier für Alexander Graf zu Dohna am 29. Juni 1947, veranstaltet durch die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Universität Bonn"; Reden von Emil v. Beckerath, Hellmuth v. Weber, Dr. Hubert Ciaessen; die Rede von H. v. Weber ist abgedruckt in: Heidelberger Strafrechtslehrer im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. v. Wilfried Küper, Heidelberg, 1986, S. 275 - 284;
264
Quellen- und Literaturverzeichnis
— Dagmar Gräfin Baudissin, Alexander Dohna - ein Lebensbild, Vortrag auf dem Familientag, 1965, 16 Seiten. — Max Grünhut, Alexander Graf zu Dohna (1876 - 1944) als Lehrer des Rechts, 1963, 3 Seiten. f) Kasten Dohna I V Politika enthält u.a.: — Nicht gehaltene Rede zur Krönungsfeier am 18. Januar 1918 in der Deutschen Gesellschaft, „Preußen und die neue Zeit", 8 Seiten. — Manuskript, Bürgertum und Proletariat, wohl 1919. — Rede zur Reichsgründungsfeier am 18. Januar 1921. — Rede zur Reichsgründungsfeier am 18. Januar 1922. — Referat „Zur Kritik an der bayerischen Denkschrift" (betreffend Änderung der Reichsverfassung zur Stärkung des föderalistischen Gedankens), nicht ganz vollständig, Mitte der 20er Jahre. — Manuskript Reich und Länder, 20er Jahre. — Manuskript zum „Freiheitsgesetz" vom 29. November 1929. — Niederschrift der Gründungsversammlung des „Deutschen Nationalvereins" am 18.September 1932 in Berlin; Dohna dabei zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. g) Kasten Dohna V Gutachten und Strafrechtsreform enthält u.a.: — Gutachten in dem Strafprozeß gegen den Hilfsprediger Helmut Kramer aus Mökkern (Kreis Jerichow I) wegen Vergehens gegen das Sammlungsgesetz und wegen Kanzelmißbrauchs; zum Urteil der großen Strafkammer des Landgerichts in Magdeburg vom 30.November und 1. Dezember 1937, 19 Seiten; daneben finden sich mehrere Abschriften von einschlägigen untergerichtlichen Urteilen. — Vortrag von Dohna am 9. Februar 1920, „Die Grundzüge der künftigen Strafprozeßreform", gehalten in der Deutschen Gesellschaft 1914.
2. Weitere Briefe Dohnas — Nachlaß Erik Wolf, Universitätsbibliothek Freiburg i. Br. — Nachlaß Gustav Radbruch, Universitätsbibliothek Heidelberg. — Nachlaß Albert Brackmann, Geheimes Staatsarchiv, Preußischer Kulturbesitz, Berlin. — Nachlaß Walter Goetz, C, 1, Nr. 15, 24 (Briefe vom 20.9. und 26.9.1931); C, 5, Nr. 5, 8, 12 (Briefe vom 6.2., 10.2., 18.2.1933), Bundesarchiv Koblenz. — Nachlaß Siegfried v. Kardorff, Bd. 9, Bl. 30 (Brief vom 8.12.1931), Bundesarchiv Koblenz.
II. Primärliteratur Dohnas
265
3. Zum politischen Wirken Dohnas (Materialien außerhalb des Nachlasses) Nachlaß Gustav Stresemann, Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Bonn; Fundstelle betreffend Sitzungen der Parteileitung der DVP während des Kapp-Putsches im März 1920: 3090 - 217 - 139532 bis 139571. Wahlaufruf der DVP vom 26. August 1930, Dohna auf Platz 23 des Reichswahlvorschlages, R 45/11, Bd. 32, S. 483 - 487, Bundesarchiv Koblenz. Unterlagen zu Dohnas Oppositionsgruppe in der DVP im Herbst 1931: FC 792 N ; FC 801 N ; R 45/11, Bd. 63, S. 121 - 129, Bundesarchiv Koblenz. Unterlagen zum Deutschen Nationalverein: R 45/11, Bd. 8, Bundesarchiv Koblenz.
4. Sonstiges Personalakten Dohna, Universitätsarchiv Bonn. Gutachten von Rudolf Stammler und August Finger zur Habilitationsschrift „Die Rechtswidrigkeit", 1904, Archiv der Martin-Luther-Universität Halle a. d. Saale. Zentrales Staatsarchiv Potsdam, RMdJ Nr. 13318 Bl. 90ff und Nr. 14200 Bl. 104ff (betreffend Deutscher Reichsverband für die geistige Bekämpfung des Bolschewismus).
I I . Primärliteratur von Graf zu Dohna 1. Rechtsphilosophie
a) Monographien Die Revolution als Rechtsbruch und Rechtsschöpfung, Heidelberg 1923, (zugleich Heidelberger Universitätsrede zur Reichsgründungsfeier am 18. Januar 1923). Kernprobleme der Rechtsphilosophie, (Philosophische Untersuchungen, Band 8), Berlin/Wien 1940; Neudruck: Darmstadt 1959 mit Nachwort von Erik Wolf.
b) Aufsätze Die Problemstellung der kritischen Rechtstheorie in ihrem Gegensatz zum Naturrecht und zur historischen Rechtsschule, in: Internationale Wochenschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik, Berlin 1907, Sp. 1199 - 1216. Über den Beruf der Gnade, in: Der Tag, 1907, Nr. 59, 23. Oktober 1907. Lebenshaltung und Lebensinhalt, in: Referate für den 22. kirchlich-sozialen Kongreß in Königsberg, Erlangen 1919, S. 76 - 102. Verantwortung und Recht, in: Gesetz und Freiheit, Veröffentlichung der Schule der Weisheit, hrsg. von Graf Hermann Keyserling, Darmstadt 1926, S. 69 - 84.
Quellen- und Literaturverzeichnis Rudolf Stammler, in: Kant-Studien, Bd. 31,1926, S. 1 - 26. Recht und Gerechtigkeit, in: Wir und die Welt, Heidelberg/Berlin/Magdeburg 1941, 3. Jg., S. 225 - 229.
c) Buchrezensionen Max Ernst Mayer, Rechtsnormen und Kulturnormen, Breslau 1903, in: Der Gerichtssaal, Bd. 63, 1904, S. 355 - 358. Jaques Stern, Rechtsphilosophie und Rechtswissenschaft, Berlin 1904; in: D L Z 1905, Sp. 748 - 749. Hermann Ulrich Kantorowicz, (Gnaeus Flavius), Der Kampf um die Rechtswissenschaft, Heidelberg 1906, in: Juristisches Literaturblatt, Bd. 18 (1906), S. 157 - 158. Max Salomon, Das Problem der Rechtsbegriffe, Heidelberg, 1907, in: D L Z 1908, Sp.1457 - 1458. A . Sturm, Die psychologische Grundlage des Rechts. Ein Beitrag zur allgemeinen Rechtslehre und zum Friedensrecht, Hannover 1910, in: MschrKrimPsych. Bd.7 (1910), S.380 - 381. Heinz Rogge, Methodologische Vorstudien zu einer Kritik des Rechts, Berlin 1911, in: D L Z 1912, Sp.2357. Richard Schmidt, Einführung in die Rechtswissenschaft, 2. Aufl. Leipzig 1923, in: Archiv für soziale Wissenschaft und soziale Politik, Bd. 52 (1924), S. 250 - 252. Rudolf Stammler, Rechtsphilosophische Abhandlungen und Vorträge, 2 Bände, Berlin 1925, in: D L Z 1925, Sp.2353 - 2356. Adolf Menzel, Kallikles. Eine Studie zur Geschichte der Lehre vom Rechte des Stärkeren, Wien 1922, in: Zeitschrift für Völkerrecht, Bd. 13 (1925), S. 126. Max Rümelin, Die Rechtssicherheit, Tübingen 1924, in: Zeitschrift für Staatswissenschaften, Bd. 79 (1925), S. 147 - 148. Heinrich Herrfahrdt, Revolution und Rechtswissenschaft. Untersuchungen über die juristische Erfaßbarkeit von Revolutionsvorgängen und ihre Bedeutung für die allgemeine Rechtslehre, Greifswald 1930, in: Kritische Vierteljahresschrift, Bd.24, 1931, S. 363 - 366. Karl Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, Heidelberg 1935, in: MschrKrim Psych. Bd. 26 (1936), S. 565 - 566. Walter Simon, Religion und Recht, 1936, in: Schmollers Jahrbuch, Bd. 60 (1936), S.144 - 116. Rudolf von Laun, Recht und Sittlichkeit, 3. Aufl. 1935, in: Schmollers Jahrbuch, Bd. 61 (1937), S. 116 - 119. Tuka Vojtesch, Die Rechtssysteme. Grundriß einer Rechtsphilosophie, Berlin/ Wien, 1940, in: Das Reich, Nr. 9, 1. März 1942.
II. Primärliteratur Dohnas
267
2. Strafrecht und Strafrechtsphilosophie
a) Monographien Die Stellung der Buße im reichsrechtlichen System des Immaterialgüterschutzes, Dissertation, Berlin 1902; zugleich: Abhandlungen des kriminalistischen Seminars an der Universität Berlin, N. F. Band 1, Heft 4, S. 410 - 467. Die Rechtswidrigkeit als allgemeingültiges Merkmal im Tatbestande strafbarer Handlungen, Ein Beitrag zur allgemeinen Verbrechenslehre, Halle a. d. Saale 1905. Willensfreiheit und Verantwortlichkeit, Heidelberg 1907; zugleich: MschrKrim Psych. Bd. 3 (1907), S. 513 - 534. Der Mangel am Tatbestand, Berlin 1910, Sonderabdruck aus der Festgabe für Karl Güterbock, 1910, S. 35 - 69 (Neudruck Aalen 1981). Recht und Irrtum, Zwei Kernprobleme der Verbrechenslehre, Mannheim/Berlin/ Leipzig 1925. Der Aufbau der Verbrechenslehre, Bonn 1936, Heft 36 der Bonner Rechtswissenschaftlichen Abhandlungen; 2. Aufl. 1941, 3. Aufl. 1947, 4. Aufl. 1950.
b) Aufsätze und Referate Zur Statistik der bedingten Begnadigung, in: MschrKrimPsych, Bd. 1 (1904), S. 52 55. Die Elemente des Schuldbegriffs, (Antrittsvorlesung in Halle a. d. S. am 24. Oktober 1904), GS 65, 1905, S. 304 - 324. Zur Statistik der bedingten Begnadigung, in: MschrKrimPsych. Bd. 2 (1905), S. 252 253. Beitrag zur Lehre von der adäquaten Verursachung, in: MschrKrimPsych. Bd. 2, 1905, S. 425 - 432. Die deutsche Anti-Duell-Liga, in: ZStW Bd. 26, 1906, S. 557 - 562. Zur Systematik der Lehre vom Verbrechen, in: ZStW Bd. 27, 1907, S. 329 - 349. Privatgenugtuung, in: Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts, Berlin 1908, Allgemeiner Teil, Band 1, S. 225 - 268. Der Kampf gegen den Modernismus im Strafrecht, in MschrKrimPsych. Bd. 5 1908, S. 65 - 71. Zusammentreffen mehrerer Strafgesetze und mehrerer strafbarer Handlungen, in: Die Reform des Reichsstrafgesetzbuchs, hrsg. von Paul Aschrott und Franz von Liszt, Berlin 1910, Bd. 1, S. 401 - 428. Zum neuesten Stande der Schuldlehre, in: ZStW Bd. 32, 1911, S. 323 - 338. Die legislative Behandlung von Notwehr und Notstand, in: ZStW Bd.33, 1912, S. 125 - 132. Die Entwürfe zu einem deutschen Strafgesetzbuch, in: JW 1921, S. 368 - 374.
Quellen- und Literaturverzeichnis Die Rechtsprechung des Reichsgerichts und der Kommentar zum Strafgesetzbuch, in: MschrKrimPsych., Bd. 13, 1922, S.225 - 234. Der Entwurf des Anpassungsgesetzes, in: DJZ 1922, S. 81 - 84. Der Münchner Hochverratsprozeß, in: DJZ 1924, S. 330 - 335. Der Fall Fechenbach, in: Juristische Gutachten zum Fall Fechenbach, hrsg. von Max Hirschberg, Tübingen 1924, S. 56 - 58. Die Sicherungsstrafe, in: ZStW Bd. 44, 1924, S. 39 - 56. Der Abbau der kurzfristigen Freiheitsstrafe, in: Badische Rechtspraxis, 1924, S. 82 - 83. Beziehungen und Begrenzungen von Strafrecht und Verwaltungsrecht, in: Verwaltungsarchiv, Bd. 30, 1925, S. 233 - 243. Vorsatz bei Landesverrat, in: DJZ 1925, S. 146 - 150. Die Beleidigung einer Genossenschaft, in: DJZ 1925, Sp. 1027 - 1029. Die Deutsche Strafrechtliche Gesellschaft, in: DJZ 1925, S. 1100 - 1102. Die reichsrechtliche Regelung der bedingten Strafaussetzung, in: Beiträge zur Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform, Festgabe zum 60. Geburtstag von Gustav Aschaffenburg, 1926, S. 82 - 86. Der neueste Strafgesetzentwurf im Lichte des richtigen Rechts, in: Festgabe für Rudolf Stammler zum 70. Geburtstag am 19. Februar 1926, Berlin und Leipzig 1926, S.255 - 280. Versuch, in: Reform des Strafrechts, Hrsg. Paul Aschrott und Franz von Liszt, Berlin 1926, S.93 - 101. Verjährung, in: Reform des Straf rechts, Hrsg. Paul Aschrott und Franz von Liszt, Berlin 1926, S. 205 - 210. Der innere Konnex von Freiheits- und Ehrenstrafen, in: MschrKrimPsych. Bd. 17, 1926, S. 352 - 359. Die Änderungen der Bestimmungen über den Zweikampf, in: DJZ 1926, S.884 -
886. Die studentische Schlägermensur im Lichte der Judikatur des Reichsgerichts, in: DJZ 1926, S. 1365 - 1368. Die Kriminalistentagung in Bonn, in: DJZ 1926, S. 1374 - 1377. Das richterliche Ermessen nach dem Amtlichen Entwuf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs, Referat, in: Mitteilungen der I K V N. F. Bd. 2, 21. Tagung der Dt. Landesgruppe zu Bonn vom 9. - 11. September 1926, Berlin und Leipzig 1927, S. 19 - 35. Rechtswidrigkeit und Schuld nach der Reichstagsvorlage, in: Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht, Bd. 21, 1927, S. 978 - 983. Die Systematik der Unrechtsfolgen, in: DJZ 1927, S. 1092 - 1093. Die diesjährige Tagung der Deutschen Landesgruppe der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung, in: DJZ 1927, S. 1329 - 1331.
II. Primärliteratur Dohnas
269
Die Individualisierung in der Strafrechtspflege, in: 98. Jahresbericht der RheinischWestfälischen Gefängnisgesellschaft auf das Jahr 1926, 1928, S. 26 - 37. Der Stand des Streits um die Strafrechtsreform, in: DJZ 1928, S. 43 - 47. Der Hochverrat im Strafrecht der Zukunft, in: Beiträge zur Strafrechtswissenschaft, Festgabe für Reinhard von Frank, Tübingen 1930, Bd. 2, S. 229 - 244. A u f dem Wege zum unbestimmten Strafurteil, in: ZStW Bd. 51, 1931, S. 449 - 455. Die Behandlung der Verbrechenskonkurrenz MschrKrimPsych., Bd.22, 1931, S.408 - 411.
im
künftigen
Strafrecht,
in:
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c) Rezensionsabhandlungen Alexander Hold v. Ferneck, Die Rechtswidrigkeit, Jena 1903, in: ZStW 24 (1904), S.53 - 68. Kritische Bemerkungen zu Robert von Hippel, Deutsches Strafrecht. Zweiter Band, Berlin 1930, in: ZStW 51 (1931), S. 611 - 624. Kritische Bemerkungen zu Edmund Mezger, Strafrecht, München 1931, in: ZStW 52 (1932), S. 96- 117. Ein neuer Grundriß des Strafrechts. Hans Welzel, Der Allgemeine Teil des deutschen Strafrechts in seinen Grundzügen, Berlin 1940, in: ZStW 60 (1941), S.287 296. Zwei neue Kommentare. Adolf Schönke, Kommentar zum Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, München 1942; und J. v. Olshausen, Kommentar zum Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, Berlin, 12. Aufl. 1942, in: ZStW 62 (1944), S.276 280 bzw. S. 280 - 287.
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277
Edmund Mezger, Deutsches Strafrecht. Ein Grundriß, Berlin 1938, in: MschrKrimBiol. Bd. 30 (1939) S. 347 - 349. Römischer Kongreß für Kriminologie, Heft 8 der Beiträge zur Rechtserneuerung, hrsg. von Roland Freisler und Franz Schlegelberger, Berlin 1939; in: ZStW 59 (1940) S. 685 - 687.
e) Urteilsbesprechungen Bay. ObLG, Urt. v. 20. Jan. 1921, in: JW 1921, S.899 1 - 900 (Die kleinen Ziffern bezeichnen die Nummer der besprochenen Entscheidungen.). RG, Urt. v. 13. Sept. 1921, §132 StGB, alternative Feststellung, in: JW 1921, S. 16031. RG, Urt. v. 25. April 1921 und v. 28. Mai 1921, § 2661 Nr. 2 StGB, zum Begriff des Bevollmächtigten, in: JW 1922, S. 35 1 . RG, Urt. v. 25. Nov. 1921, §7 Preis. Treib. V O , in: JW 1922, S. 7146. RG, Urt. v. 30. Mai 1922, § 108 StGB, Wahlfälschung, in: JW 1922, S. 14545 - 1455. RG, Urt. v. 13. Jan. 1922, §§267, 268 StGB, zum Urkundenbegriff, in: JW 1922, S. 15242 - 1525. RG, Urt. v. 9. Okt. 1922, § 114 StGB, Beamtennötigung, in: JW 1923, S. 8361 - 837. RG, Urt. v. 16. Mai 1924, § 113, 114 StGB, in: JW 1924, S. 172816 - 1729. RG, Urt. v. 27. Okt. 1924, § 163 StGB, in: JW 1925, S.794 5 . RG, Urt. v. 27.Nov. 1924, §§43, 49b StGB, §1 Rep. Sch. Ges., in: JW 1925, S. 9582 - 959. RG, Urt. v. 8. Sept. 1924, §157 I 2 StGB, Eidesnotstand, in: JW 1925, S.967 14 968. RG, Urt. v. 9. Dez. 1924, §§ 185,186 StGB, in: JW 1925, S. 972 22 - 973. RG, Urt. v. 4. Dez. 1924, Londoner Abkommen, in: JW 1925, S. 12967 - 1297. RG, Urt. v. 6. März 1925, § 332 StGB, in: JW 1925, S. 24706 - 2471. RG, Urt. v. 16. Okt. 1925, § 133 StGB, in: JW 1926, S. 117514 - 1176. RG, Urt. v. 5. Okt. 1925, §222 StGB, in: JW 1926, S. 119034 - 1191. RG, Urt. v. 26. März 1926, §§41, 184 StGB, in: JW 1926, S.2174 4 , 2175. RG, Urt. v. 31. Mai 1926, § 139 StGB, in: JW 1926, S. 21767, 2177. RG, Urt. v. 28. Okt. 1926, § 193 StGB, in: JW 1927, S. 902 16 . Bay. OLG, Urt. v. 22. Sept. 1926, §230 StGB, in: JW 1927, S. 9201. RG, Urt. v. 7. April 1927, §302a StGB, Notlage, in: JW 1927, S. 169526. RG, Urt. v. 5. April 1927, §§221, 223a StGB, in: JW 1927, S. 2575 10 . RG, Urt. v. 6. Okt. 1926, § 8 Nr. 1 Rep. Sch. Ges., in: JW 1928, S. 817 39 . RG, Urt. v. 23. Feb. 1928, §§350, 351 StGB, in: JW 1928, S.2094 21 - 2095.
Quellen- und Literaturverzeichnis O L G Dresden, Urt. v. 31. Jan. 1928, §§ 185,193, StGB, in: JW 1928, S. 22814. RG, Urt. v. 8. Sept. 1928, §212 StGB, in: JW 1928, S. 3250 21 . RG, Urt. v. 12. Juli 1928, §§350, 351 StGB, in: JW 1928, S.3250 22 - 3251. BayOLG, Urt. v. 4. Mai 1928, § 193 StGB, in: JW 1929, S. 10601 - 1061. RG, Urt. v. 15. Nov. 1928, § 108 StGB, in: JW 1929, S. 114521 - 1146. K G , Urt. v. 5. Nov. 1928, §§ 185, 186, 193 StGB, in: JW 1929, S. 12578 - 1258. BayOLG, Urt. v. 2. Nov. 1928, §53 StGB, in: JW 1929, S. 14812. RG, Urt. v. 15. April 1929, § 193 StGB, in: JW 1929, S. 2354 19 . RG, Urt. v. 12. April 1929, §239 StGB, in: JW 1929, S.2729 28 . RG, Urt. v. 21. Okt. 1929, § 306 Nr. 3 StGB, in: JW 1930, S. 835 28 - 836. O L G Dresden, Urt. v. 15. Jan. 1929, § 185 StGB, in: JW 1930, S. 946 10 - 947. RG, Urt. v. 4. Nov. 1929, § 114 StGB, in: JW 1930, S. 121322. RG, Urt. v. 11. Juni 1929, §§3 I, 4 I, 26 I Nr. 1 WeinG, §59 StGB, in: JW 1930, S. 160022 - 1601. O L G Dresden, Urt. v. 8. Okt. 1929, §193 StGB, §11 PresseG, in: JW 1930, S. 175715. RG, Urt. v. 5. Mai 1930, §§ 185,193 StGB, in: JW 1930, S. 2542 12 - 2543. KG, Urt. v. 17. Febr. 1930, § 193 StGB, in: JW 1930, S. 25806. RG, 22. Aug. 1930, §310, StGB, in: JW 1930, S. 3412 20 . RG, Urt. v. 29. Sept. 1930, §§ 193, 196, 200 StGB, in: JW 1931, S.201 10 - 202. RG, Urt. v. 7. Nov. 1930, § 166 StGB, in: JW 1931, S. 6595 - 660. RG, Urt. v. 25. Okt. 1930, Art. 30 WRVerf., §§185, 200 StGB, in: JW 1931, S.739 10 . RG, Urt. v. 17. Nov. 1930, § 163 StGB, in: JW 1931, S. 9359 - 936. RG, Urt. v. 18. Dez. 1930, §§211, 43 StGB, in: JW 1931, S. 939 13 - 940. RG, Urt. v. 15. Jan. 1931, § 193 StGB, in: JW 1931, S. 157231. RG, Urt. v. 29. Juli 1929, §351 StGB, in: JW 1931, S. 170514. RG, Urt. v. 19. Jan. 1931, §§348, 349, 351 StGB, in: JW 1931, S.2502 27 . RG, Urt. v. 8. Mai 1931, §213 StGB, in: JW 1931, S.2808 25 . K G , Urt. v. 4. Nov. 1931, §205 StGB, in: JW 1932, S.428 8 - 429. O L G Dresden, Urt. v. 3. Juni 1931 und v. 29. April 1931, § 193 StGB, in: JW 1932, S. 1408 30 ' 31 - 1409. RG, Urt. v. 3. Dez. 1931, §§73, 74 StGB, in: JW 1932, S. 15599. RG, Urt. v. 22. Dez. 1931, § 193 StGB, in: JW 1932, S. 174324 - 1744. RG, Urt. v. 28. Jan. 1932, §213 StGB, in: JW 1932, S.2719 15 - 2720. RG, Urt. v. 21. Jan 1932, § 193 StGB, in: JW 1932, S.2813 14 .
II. Primärliteratur Dohnas
279
RG, Urt. v. 5. Febr. 1932, §§267, 268, 43 StGB, in: JW 1932, S. 308535 - 3086. RG, Urt. v. 19. Nov. 1931, §§ 185, 196 StGB, in: JW 1932, S. 326715 - 3268. Bay. OLG, Urt. 15. Dez. 1932, Notverordnungsrecht, in: JW 1933, S. 4642. O L G Braunschweig, Beschl. v. 30. Sept. 1932, Notverordnungsrecht, in: JW 1933, S. 4672 - 468. RG, Urt. v. 11. Nov. 1932, § 193 StGB, in: JW 1933, S. 961 16 .
f) Zeitungsartikel Kriminalpolitische Randglossen zum Prozeß Dippold, in: Beilage der Allgemeinen Zeitung, München, 4. Dezember 1903, S. 443 - 445. Die Reform der Strafjustiz, in: Der Tag, Berlin, 25. Januar 1920. Die richterliche Strafzumessung, in: Beilage zur Deutschen Allgemeinen Zeitung, 20. Juli 1921. Resignierte Bekenntnisse zur Strafrechtsreform, in: Beilage zur Deutschen Allgemeinen Zeitung, 4. Oktober 1921. Der Überzeugungsverbrecher. Radbruchs Vorschlag, in: Beilage zur Vossischen Zeitung, Berlin, 9. September 1926. Der Schutz der Gesellschaft durch die Strafe. Bemerkungen zum neuesten Strafgesetzentwurf, in: Kölnische Zeitung, Nr. 499, 21. Juli 1927. Die Stellung des Richters zum Strafgesetz, in: Kölnische Zeitung, Nr. 546, 14. August 1927. Der Strafgesetzentwurf nach der ersten Lesung, in: Kölnische Zeitung: Der Schutz des Lebens, Nr. 307, 6. Juni 1930; Verletzung und Heilung, Nr. 318, 13. Juni 1930; Duell und Ehre, Nr. 342, 25. Juni 1930; Die Unzuchtsdelikte, Nr. 370, 9. Juli 1930; Die Vermögensdelikte, Nr. 426, 6. August 1930. Gesundes oder krankes Volk, in: Kölnische Zeitung, Nr. 498, 11. September 1932. Die Aufgaben der Gesetzgebung (zum §218 StGB), in: Kölner Tageblatt, Nr. 1, 1. Januar 1931. Die Macht des Richters. Ermessensfreiheit und Verantwortung, in: Das Reich, Deutsche Wochenzeitung, Berlin, 16. Februar 1941.
3. Strafprozeß- und Gerichtsverfassungsrecht
a) Abhandlungen und Studienbücher Berufung in Strafsachen?. Heidelberg 1911. Das Strafverfahren. Berlin l . A u f l . 1913; Das Strafprozeßrecht, 2. Aufl. 1925, 3. Aufl. 1929, mit Nachtrag 1932.
Quellen- und Literaturverzeichnis Übungen im Strafrecht und Strafprozeßrecht. Berlin 1. Aufl. 1921, 2. Aufl. 1925, 3. Aufl. 1929.
b) Aufsätze und Referate Aufbau der Strafgerichtsbarkeit. Sachliche Zuständigkeit. Gerichtsstand. Ablehnung von Gerichtspersonen, in: Reform des Strafprozesses, Bd. 10, Berlin 1906, S.123 - 145. Der Umfang der Beweisaufnahme im Strafverfahren, in: DJZ 1911, S. 305 - 309. Der Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Strafgerichte, in: JW 1923, S. 337 339. Der neueste Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Strafgerichte, in: JW 1923, S. 669 - 670. Mit welchen Hauptzielen wird die Reform des Strafverfahrens in Aussicht zu nehmen sein?, in: Gutachten zum 35. Deutschen Juristentag 1928 in Salzburg, in: Verhandlungen des Deutschen Juristentages Bd. 1, S. 129 - 154. Die Stellung der Staatsanwaltschaft zu Gericht, Polizei und Regierung, in: Vorträge gehalten auf der Tagung der Vereinigung der preußischen Staatsanwälte in Essen am 13./14. Oktober 1928, Berlin 1929, S. 41 - 46. Die Stellung des Reichsgerichts zum neuen Strafgesetzbuch, in: Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben, Bd. 5, Berlin 1929, S. 30 - 43. Die Wahrunterstellung im Strafprozeß, in: JW 1929, S. 1445 - 1446. V. O. des Reichspräsidenten über Maßnahmen auf dem Gebiete der Rechtspflege und Verwaltung v. 14. Juni 1932. Die neuen Eingriffe in die Strafrechtspflege, in: JW 1932, S. 2669 - 2672. Gerichtliche Zwangsmaßnahmen gegenüber Verteidigern, JW 1932, S. 3673 - 3675. Die Anfechtbarkeit rechtskräftiger Strafurteile, in: DStR, Bd. 3 (1936), S. 16 - 24. Die Wiederaufnahme zu Ungunsten, in: DStR, Bd. 4 (1937), S. 201 - 203. Die Problematik der Aufgaben des Revisionsgerichts in Theorie und Praxis, in: DStR, Bd. 7 (1940), S. 65 - 75. Das Problem der vorweggenommenen Beweiswürdigung im Strafverfahren, in: Probleme der Strafrechtserneuerung, Eduard Kohlrausch zum 70. Geburtstag dargebracht, Berlin 1944, S. 318 - 338.
c) Buchrezensionen Paul Winter, Rechtspflege, Richter und Publikum in Deutschland, Leipzig 1906, in: Juristisches Literaturblatt 18 (1906) S.236. Erich Woschauer, Das Rechtsgefühl des Volkes mit besonderer Berücksichtigung des schwurgerichtlichen Gedankens, Hannover 1912, in: Rheinische Zeitschrift, Bd. 5 (1913), S.270 - 271.
II. Primärliteratur Dohnas
281
Alfred Andrae, Der deutsche Strafvollzug und seine reichsrechtliche Regelung, Leipzig 1920, in: JW 1921, S. 17 - 18. Leopold Schäfer und Albert Hell wig, Straftilgungsgesetz und Strafregisterverordnung, Heidelberg 1926, in: JW 1926, S.2153. Eduard Kern, Der gesetzliche Richter, Berlin 1927, in: JW 1927, S. 750 - 751. Walter Menzel, Ausnahmegericht und „gesetzlicher Richter", Breslau 1925, in: JW 1927, S. 1624 - 1625. Max Rumpf, Anwalt und Amtsanwalt. Eine rechtswissenschaftliche und rechtssoziologische Untersuchung, Leipzig 1926, in: Schmollers Jahrbuch 52 (1928) S. 381 382. Eduard Kohlrausch / Hermann Mannheim, Strafprozeßrecht und Gerichtsverfassungsrecht mit Einleitung, Anmerkungen und Nebengesetzen, Berlin 22. Aufl. 1930; in: ZStW 51 (1931), S. 415, 416. Adolf Schönke, Beiträge zur Lehre vom Adhäsionsprozeß, Berlin 1935, in: MschrKrimPsych. 26 (1935) S. 561. Fritz Härtung und Emil Niethammer, Neues Strafverfahrensrecht, Zweiter Nachtrag zur 19. Aufl. des Löwe-Hellweg-Rosenbergschen Kommentars zur Strafprozeßordnung, Berlin 1940, in: MschrKrimBiol. 33 (1942) S. 36 - 37.
d) Urteilsbesprechungen RG, Urt. v. 13. Sept. 1921, Prozessuale Stellung der Geschworenen zur Wahrunterstellung, in: JW 1922, S. 1042. RG, Urt. v. 27. Sept. 1921, Fragerecht des Gerichts bei ungenügend substantiierten Beweisanträgen, in: JW 1922, S. 8135 - 814. Obergericht Danzig, Beschl. v. 3.Feb. 1922, §399 StPO, in: JW 1922, S.11441 1145. RG, Urt. v. 8. Juli 1924, Grenzen der Zulässigkeit der Einleitung neuer Strafverfahren gegen einen Ausgelieferten, in: JW 1924, S. 15477. RG, Urt. v. 22. Okt. 1926, §265 StPO, in: JW 1927, S. 394 26 - 395. RG, Urt. v. 31. Jan. 1927, §354 I StPO, in: JW 1927, S. 131612. RG, Urt. v. 11. Okt. 1926, §85, 244 StPO, in: JW 1927, S. 138035 - 1381. RG, Urt. v. 8. Aug. 1927, §252 StPO, in: JW 1927, S.2709 32 . RG, Urt. v. 20. Jan. 1930, § 140 StPO, in: JW 1930, S. 2563 30 . RG, Urt. v. 10. März 1930, §258 StPO, in: JW 1930, S. 2567 36 . O L G Darmstadt, Beschl. v. 15. Okt. 1931, Entschädigung wegen unschuldig erlittener Untersuchungshaft, in: JW 1932, S. 65 5 .
Quellen- und Literaturverzeichnis
e) Zeitungsartikel Zum Eingreifen der Staatsanwaltschaft im Prozeß Harden, in: Der Tag, Berlin, Nr. 16, 10. Januar 1908. Die Reform der Strafjustiz, in: Der Tag, Berlin, Nr. 21, 25. Januar 1920. Die Voruntersuchung (Zum Magdeburger Fall). Untersuchungsrichter und Kriminalpolizei, in: Frankfurter Zeitung, Nr. 679, 12. September 1926.
4. Verfassungsrecht und Verfassungspolitik
a) Aufsätze, Referate Die Beteiligung der Volksvertretung am Friedensschluß; in: DJZ 1917, S. 458 - 466. Die Erklärung des Ausnahmezustands; in: JW 1921, S. 1429 - 1430. Zulässigkeit und Form von Verfassungsänderungen ohne Änderung der Verfassungsurkunde, Referat zum 33. Deutschen Juristentag 1924 in Heidelberg, S.31 44. Bericht über die Verhandlungen des Deutschen Juristentags; in: JW 1924, S. 1809 1810. Die Änderung des Reichswahlgesetzes; in: Wille und Weg, 2. Jg. 1926, S. 9 - 12. Die Weimarer Reichsverfassung und die Krisis des Parlamentarismus; Vortrag auf der Tagung deutscher Hochschullehrer in Weimar 1927; in: Die Krisis des deutschen Parlamentarismus, Karlsruhe 1927, S.21 - 35. Art. 105. Ausnahmegerichte; in: Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, Kommentar zum zweiten Teil der Reichsverfassung, Hrsg. Hans Carl Nipperdey, Berlin 1929, S. 110 - 123. Art. 106. Militärgerichtsbarkeit; in: ebenda, S. 124 - 128. Das Werk von Weimar; in: Recht und Staat im neuen Deutschland, Vorlesungen gehalten in der Deutschen Vereinigung für Staatswissenschaftliche Fortbildung, Hrsg. Bernhard Harms, Berlin 1930, Bd. 1, S. 68 - 97. Die staatlichen Symbole und der Schutz der Republik ; in : Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Hrsg. Gerhard Anschütz und Richard Thoma, Tübingen 1930, Bd. 1, S. 200 - 208. Insbesondere: Redefreiheit, Immunität und Zeugnisverweigerungsrecht (der Abgeordneten); in: ebenda, S.439 - 449.
b) Rezensionen Friedrich Bieberstein, Freiherr Marshall von, Verantwortlichkeit und Gegenzeichnung bei Anordnungen des Obersten Kriegsherrn; in: Archiv für öffentliches Recht, Bd. 28 (1912), S. 154 - 160.
II. Primärliteratur Dohnas
283
Wilhelm Kahl goldener Doktorjubilar. Festgabe der juristischen Fakultät der Universität Berlin, Tübingen 1923, in: JW 1924, S. 21 - 23. Heinrich Triepel, Staatsrecht und Politik, Berlin 1927, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Bd. 84 (1928), S. 166 - 167. Otto Köllreuter, Der Deutsche Staat als Bundesstaat und als Parteienstaat, Tübingen 1927, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Bd. 84 (1928), S. 394. Leo Wittmayer, Demokratie und Parlamentarismus, Breslau 1928, in: Historische Zeitschrift, Bd. 139 (1929), S. 610 - 611. Max Alsberg, Wilhelm Kahl. Heft 1 der Schriftenreihe „Meister des Rechts", Berlin 1929, in: Reichsverwaltungsblatt, Bd. 50 (1929), S. 800. Gerhard Leibholz, Das Wesen der Repräsentation unter besonderer Berücksichtigung des Repräsentationssystems, Ein Beitrag zur allgemeinen Staats- und Verfassungslehre, Berlin 1929; in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Bd.46 (1930), S. 385 - 387. Bernhard Harms, Volk und Reich der Deutschen, Berlin 1929; in: DJZ 1930,1401. Eugen Schiffer, Sturm über Deutschland, Berlin 1932. Walther Vogel, Deutsche Reichsgliederung und Reichsreform in Vergangenheit und Gegenwart, Leipzig 1932. Hans Goldschmidt, Das Reich und Preußen im Kampf um die Führung, Berlin 1931; in: Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich, Bd. 56 (1932), S. 143 - 151. Wilhelm Ziegler, Die deutsche Nationalversammlung 1919 bis 1920 und ihr Verfassungswerk, Berlin 1932 in: Kölnische Zeitung, Nr. 42, Beilage zum 16. Oktober 1932. Carl Schmitt, Legalität und Legitimität, München 1932, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Bd. 94 (1933), S. 297 - 300.
c) Zeitungsartikel Staatsgerichtshof und Untersuchungsausschuß, in: Königsberger Allgemeine Zeitung, Nr. 469, 7. Oktober 1919. Demokratie und Staatsräson. Die Lehren von Thüringen, in: Kölnische Zeitung, Nr. 176, 30. März 1930. Die Reform des Wahlgesetzes, in: Kölnische Zeitung, Nr. 133, 8. März 1931. Kritik der Staatsrechtslehrer am Art. 48, Ergebnisse der achten Tagung der Staatsrechtslehrer, in: Kölnische Zeitung, Nr. 595, 31. Oktober 1931.
5. Allgemeine Politik
a) Aufsätze Parteipolitik oder Nationalpolitik?, in: Der Tag, 18. Juni 1916. Richtlinien einer Wahlrechtsreform, in: Der Tag, 18. August 1916.
Quellen- und Literaturverzeichnis Geschlossen nach innen - entschlossen nach außen, in: Der Tag, 15. September 1916. Die Reden im Herrenhause, in: Königsberger Allgemeine Zeitung, 21. März 1917. Preußens Erste Kammer, in: Königsberger Allgemeine Zeitung, 15. April 1917. Heer und Volk, in: Königsberger Allgemeine Zeitung, 12. Oktober 1917 (Angabe im Index scriptorum. Eine Ausgabe dieser Nummer konnte aber nicht ermittelt werden.). Der Einfluß des Wahlsystems auf die Parteitaktik, in: Königsberger Allgemeine Zeitung, 22. November 1918 (Angabe im Index scriptorum. Eine Ausgabe dieser Nummer konnte aber nicht ermittelt werden.). Freiheit und Staat, in: Der geistige Arbeiter, (Organ der Universität, des „Rats geistiger Arbeiter" und des Akademischen Hilfsbundes Königsberg). 1. Februar 1919. Das Gebot der Stunde, in: Hamburger Nachrichten, 5. Februar 1919. Vor der Entscheidung, in: Königsberger Allgemeine Zeitung, 25. April 1919. Dies ater, in: Königsberger Allgemeine Zeitung, 23. Juni 1919. Der letzte A k t , Königsberger Allgemeine Zeitung, 30. Juni 1919. Epilog zur Reichsverfassung, in: Deutsche Stimmen, 7. September 1919. Methoden der Opposition der Rechten, in: Mitteilungen der Deutschen Volkspartei, 15. Oktober 1919. Die Stellung der DVP zur politischen Lage; in: Königsberger Allgemeine Zeitung, Nr. 166, 9. April 1920. Nachklänge (zum 18. Januar 1922), in: Deutsche Presse-Korrespondenz, Nr.5, 2. Februar 1922. Recht in Not, Zur Tagung des 33. Deutschen Juristentags in Heidelberg vom 11. 13. September 1924; in: Badische Presse, Nr. 385, 12. September 1924. Liberalismus und Unitarismus, in: Wille und Weg, politische Halbmonatsschrift, hrsg. von Richard Bahr, Berlin 1. Jg. 1925, Nr. 13, S. 316 - 322. Der Münchner Dolchstoßprozeß, in: Wille und Weg, l.Jg. 1925, Nr. 17, S.418 423. Die Krisis der Demokratie, in: Wille und Weg, 2. Jg. 1926, Nr. 9, S. 200 - 204. Der drohende Riß. Eine Mahnung zur Besinnung, in: Wille und Weg, 2. Jg. 1926/ 1927, Nr. 19, S. 451 - 454. Epilog zum Fall Keudell, in: Wille und Weg, 2. Jg 1926/1927, Nr. 23, S. 544 - 547. Das Problem Preußen, in: Wille und Weg, 3. Jg. 1927, Nr. 10, S. 224 - 229. Staat, Kirche und Schule, in: Wille und Weg, 3. Jg. 1927, Nr. 12, S. 267 - 273. Justiznot und Justizreform, in: Wille und Weg, 3. Jg. 1927/1928, Nr. 23, S. 537 - 542. Die staatspolitische Aufgabe der Hochschulen. Ergebnis der Weimarer Tagung, in: Kölnische Zeitung, Nr. 593, 30. Oktober 1931. Das Bürgertum am Scheidewege. Klare Entscheidung. Trias der Mitte. Endlich Reichsreform, in: Blätter des Deutschlandbundes. 9. Januar 1932.
ΠΙ. Sekundärliteratur
285
— Der Sinn der Wahl; in: Kölnische Zeitung, Nr. 604, 4. November 1932.
b) Reden — Der Rhein, Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Grenze. Eine Gabe der Universität Heidelberg zur rheinischen Jahrtausendfeier. Vortrag am 19. Februar 1925. Heidelberg 1925. — Der 18. Januar und die deutsche Republik. Rede gehalten zur Feier der Reichsgründung am 18. Januar 1930. Bonn 1930 (Bonner akademische Reden Nr. 8).
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