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German Pages 493 [476] Year 2006
NEUE WEGE ZUM RECHT FESTGABE FÜR
MAX VOLLKOMMER ZUM 75. GEBURTSTAG heraus~;~e~;~eben
von
REINHARD GREGER IRMGARD GLEUSSNER JÖRN HEINEMANN
2006
oUs
Verlag Dr.OttoSchmidt
Köln
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel.: 02 21/9 37 38-01, Fax: 02 21/9 37 38-9 43 e-mail: [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 10: 3-504-06035-2 ISBN 13: 978-3-504-06035-0 # 2006 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Umschlaggestaltung: Jan P. Lichtenford, Mettmann Gesamtherstellung: Bercker, Kevelaer Printed in Germany
Geleitwort Der Titel dieser Schrift – „Neue Wege zum Recht“ – hat einen inhaltlichen und einen persönlichen Bezug. Er umreißt das Leitmotiv der Beiträge, neue Perspektiven der (zivilrechtlichen) Rechtsverfolgung aufzuzeigen, die sich aus den aktuellen, von Gesetzgebung, Rechtsprechung und Wissenschaft initiierten Umwälzungen unseres Justizwesens ergeben. Die Autoren der Beiträge aber fühlen sich nicht nur dieser Thematik, sei es als wissenschaftlich, sei es als praktisch tätige Juristen, verbunden, sondern zugleich der Persönlichkeit, der diese Festgabe aus Anlass des 75. Geburtstags gewidmet ist: Max Vollkommer, dessen berufliches Wirken – sowohl als Richter als auch als Hochschullehrer – stets darauf bedacht war und ist, dem „guten Recht“ zur Geltung zu verhelfen, nicht zuletzt durch das Bereiten und Beschreiten „neuer Wege“. Geboren am 23. 9. 1931 in Kaiserslautern, begann Max Vollkommer nach Schulzeit und Abitur 1951 zunächst ein naturwissenschaftliches Studium in Ingolstadt und München, bevor er an die Juristische Fakultät der LudwigMaximilians-Universität wechselte. Nachdem er 1956 die Erste Staatsprüfung mit großem Erfolg absolviert hatte, konnte er sich in den Jahren 1957/ 1958 an der Universität Oxford im Rahmen eines Stipendiums der Erforschung des englischen Gerichtsverfassungs- und Prozessrechts widmen. Zwischen 1958 und 1961 arbeitete er neben dem Referendardienst als Wissenschaftlicher Assistent Rudolf Pohles, bei dem er im Jahr 1960 promovierte. An die bestandene Zweite Juristische Staatsprüfung schloss sich 1962 ein Forschungsaufenthalt an der Harvard Law School in Cambridge/Mass. an. 1963 verließ Max Vollkommer die Universität und trat in den Justizdienst ein, der ihn bis in die Position eines Vorsitzenden Richters am Landgericht München I führte. Er blieb aber auch während seiner Richtertätigkeit stets der Wissenschaft verbunden, wovon seine in diesem Zeitraum erfolgreich abgeschlossene Habilitation Zeugnis ablegt. Mit seiner Berufung zum ordentlichen Professor an die Philipps-Universität Marburg kehrte Max Vollkommer 1973 endgültig in die Hochschullaufbahn zurück. Im Jahr 1980 folgte er dem Ruf an die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, deren Juristischer Fakultät er in den Jahren 1984 und 1985 als Dekan vorstand. Auch über seine Emeritierung im September 1999 hinaus blieb er der Erlanger Fakultät wie der gesamten Rechtswissenschaft verbunden, indem er weiterhin Vorlesungen abhielt, vor allem aber unablässig publizierte (was er auch nach wie vor voller Schaffenskraft tut). Verlag und Herausgeber haben von Beginn an diesen Band entsprechend dem Werdegang Max Vollkommers nicht allein als akademische Festschrift, sondern bewusst als Vademecum konzipiert, das sich über den üblichen Adressatenkreis hinaus an die gesamte Rechtspraxis, vor allem die forensisch V
Geleitwort
tätigen Berufsträger, also Richter und Rechtsanwälte, wendet. Der gesamte Justizapparat steht vor noch nicht abzusehenden Veränderungen. Die große ZPO-Reform von 2002 und die „kleinen“ Reformen in deren Gefolge, wie z.B. das Zustellungsreformgesetz, das Formvorschriftenanpassungsgesetz, das Justizmodernisierungs- und das Justizkommunikationsgesetz, sind kaum verarbeitet, man könnte auch sagen verkraftet, schon stehen mit der vollständigen Novellierung des FGG und der Großen Justizreform neue, noch größere Projekte auf der Agenda. Indem diese Schrift die derzeitigen Entwicklungen des Zivilprozessrechts einer Analyse unterzieht, will sie einerseits das Interesse des Jubilars wecken, andererseits den Bedürfnissen der Rechtspraxis dienen und auch dem Gesetzgeber eine kritische Hilfe für weitere Reformvorhaben sein. Die einzelnen Themen sind dabei entsprechend dem Ablauf eines typischen Zivilprozesses angeordnet worden, wobei als Ausgangspunkt die Vermeidung des Rechtsstreits und als Endpunkt der vermeidbare Regress gegen den Rechtsanwalt bei Verlust des Prozesses stehen. Darin eingebettet sind die vielfältigen neuen Fragen, die sich im Rahmen der Sachverhaltsaufklärung, der Formvorschriften, des Rechtsmittelsystems und der Rechtsdurchsetzung aufgetan haben. Auch die aus dem Zivilverfahrensrecht nicht mehr hinwegzudenkende europäische und internationale Rechtsentwicklung findet in diesem Zusammenhang Berücksichtigung. Sämtlichen der in dieser Festgabe behandelten Rechtsgebiete ist Max Vollkommer verbunden, er hat diese in seinen zahlreichen Büchern, Abhandlungen und Kommentierungen durchdrungen und stets um neue Wege bereichert. Schon mit seiner Dissertation über den materiellen und formellen Begriff der freiwilligen Gerichtsbarkeit im englischen Recht aus dem Jahr 1960 hat er sich frühzeitig der internationalen Rechtsentwicklung und -vergleichung zugewandt. In seiner Habilitationsschrift hat Max Vollkommer eine noch heute einzigartige Verteidigung des Zivilprozesses gegen einen rigiden Formalismus vorgelegt und die Rechtswissenschaft um das noch heute verwendete Begriffspaar „Formenstrenge und prozessuale Billigkeit“ (1971) bereichert. Auch sein Lehr- und Studienbuch zum Anwaltshaftungsrecht (1989, 2. Auflage 2003) hat eine systematische und richtungsweisende Neubearbeitung dieses bis dahin kaum beachteten Rechtsgebietes ermöglicht. Schließlich hat Max Vollkommer mit seiner Kommentierung im Jauernigschen Kommentar zum BGB (bis zur 10. Auflage 2003) und vor allem zur Zivilprozessordnung im Zöller (seit der 11. Auflage 1974) Maßstäbe gesetzt. Insbesondere der Zöller hat dem noch heute ungebrochenen und unermüdlichen Schaffensdrang Max Vollkommers seinen Stellenwert als Standardkommentar zur ZPO nicht unmaßgeblich zu verdanken. Seine Schüler, Mitarbeiter, Kollegen und Freunde haben seine analytische Schärfe, seinen präzisen Stil und seinen steten Einsatz für eine gerechte Justiz zu schätzen gelernt. Es ist ihm gelungen, diese „Freude am Recht“ (Grün, NJW 2001, 2866) an seine zahlreichen Wegbegleiter aus Wissenschaft und Praxis weiterzugeben. VI
Geleitwort
Die Herausgeber möchten an dieser Stelle dem Verlag, insbesondere Frau Dr. Stadlhofer-Wissinger als der federführenden Lektorin, für die vertrauensvolle Zusammenarbeit und den Autoren für ihre Beiträge danken und dieser Festgabe wünschen, dass sie den Lesern – dem verheißungsvollen Titel entsprechend – neue Wege zum Recht weisen möge. Den Jubilar beglückwünschen alle Beteiligten, Verlag, Herausgeber und Autoren, zu seinem 75. Geburtstag in der Hoffnung, dass er der Rechtswissenschaft auch weiterhin so aktiv verbunden bleiben werde. Erlangen/Nürnberg/Rehau, im Juli 2006 Reinhard Greger
Irmgard Gleußner
Jörn Heinemann
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Inhalt Seite
Geleitwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Der andere Weg REINHARD GREGER Autonome Konfliktlösung innerhalb und außerhalb des Prozesses .
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Der schnelle Weg zum Recht IRMGARD GLEUSSNER Prozessfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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HANS FRIEDHELM GAUL Tendenzen zur vorzeitigen Erlangung von Zahlungstiteln und einstweiliger Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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KURT HERGET „Kurz und Gut“ + „Recht und Billig“ – Das selbständige Beweisverfahren nach § 485 Abs. 2 ZPO als Alternative zur Klage? . . . . .
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DOROTHEA ASSMANN Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz . . . . . . . . . . . . . .
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Der Weg zurück EKKEHARD SCHUMANN Erledigungserklärung und Klagerücknahme nach Erledigung der Hauptsache – Immerwährende Reformgegenstände des ZPOGesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Zu den Quellen der Erkenntnis ROLF STÜRNER Die Informationsbeschaffung im Zivilprozess . . . . . . . . . . . . .
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PETER SCHLOSSER Verwertungsbeschränkungen bei Informationen, die im Rahmen eines Zivilprozesses erlangt wurden . . . . . . . . . . . . . . . . . .
217 IX
Inhalt Seite
HANS JOACHIM MUSIELAK Zur Sachverhaltsklärung im Zivilprozess – unter besonderer Berücksichtigung der in jüngerer Zeit geschaffenen gesetzlichen Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Verbindungswege PETER GOTTWALD Auswirkungen des elektronischen Rechtsverkehrs auf Parteivortrag und richterliche Sachbearbeitung im Zivilprozess . . . . . .
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WOLFRAM WALDNER Richterliche Kommunikation mit den Parteien im Spannungsfeld zwischen Verletzung des rechtlichen Gehörs und Befangenheitsablehnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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HANNS PRÜTTING Formenstrenge und prozessuale Billigkeit – einst und jetzt . . . . .
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MATHIAS ROHE Zur Neuorientierung des Zustellungsrechts . . . . . . . . . . . . . .
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Der Weg zum Recht als Marsch durch die Instanzen? HANS-JOACHIM HESSLER Fallstricke und Barrieren im neuen Berufungsverfahren . . . . . . .
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PETER GUMMER Die Revision – noch ein Weg zur Einzelfallgerechtigkeit? . . . . . .
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PETER PHILIPPI Anschlussrechtsmittel im Verbundverfahren . . . . . . . . . . . . .
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Vom Titel zur Erfüllung BURKHARD HESS/GREGOR VOLLKOMMER Die Reform der Sachaufklärung im deutschen Zwangsvollstreckungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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KURT STÖBER Forderungsnachweis für „privilegierte“ Zwangsvollstreckung . . . .
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Inhalt Seite
Über die Grenzen REINHOLD GEIMER Verbesserung der Rechtsverfolgung über die Grenze in der Europäischen Union – Einige Bemerkungen zum Europäischen Vollstreckungstitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Letzter Ausweg: Anwaltshaftung? HENDRIK SCHULTZKY Neue Anwaltspflichten durch die Kostenrechtsmodernisierung . . .
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JÖRN HEINEMANN Die Haftung des Rechtsanwalts bei Zusammentreffen von Anwaltsfehlern und Fehlentscheidungen des Gerichts . . . . . . . .
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Schriftenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Autorenverzeichnis
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Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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XI
Reinhard Greger
Autonome Konfliktlösung innerhalb und außerhalb des Prozesses Inhaltsübersicht I. Das iudicium als ultima ratio II. Innerprozessuale Wege zur Urteilsvermeidung 1. Eine Weichenstellung und ihre Folgen 2. Der Weg zum optimalen Prozessergebnis 3. Entkräftung möglicher Einwände
III. Außerprozessuale Wege zur Prozessvermeidung 1. Grundposition 2. Befund 3. Hindernisse und ihre Beseitigung 4. Vertragliche Konfliktprophylaxe IV. Zusammenfassung
I. Das iudicium als ultima ratio Bevor Max Vollkommer für das Einleitungskapitel des Zöllerschen ZPOKommentars verantwortlich zeichnete, stand dort zum Zweck des Zivilprozesses Folgendes zu lesen1: „Sein Ziel ist es, (vornehmlich) bürgerlichrechtliche Rechte oder Rechtsverhältnisse ... festzustellen oder zu gestalten ...“
Vollkommer erweiterte diese Beschreibung in der 13. Auflage von 1981 um den Satz2: „Indem der Zivilprozeß Rechte und Rechtspositionen der Parteien verwirklicht, dient er zugleich der Bewährung der objektiven Rechtsordnung, der Wiederherstellung des gestörten Rechtsfriedens und damit der Konfliktlösung ...“
und fügte in der 14. Auflage von 1984 hinzu3: „Neben der Gewährleistung der Streitentscheidung in jedem Fall ermöglicht und fördert der Zivilprozeß die einverständliche Konfliktlösung durch Mitwirkung und Mithilfe des Zivilrichters ...“
Heute liest sich die Passage wie folgt4: „Sein Ziel ist es, bei Scheitern einer vor allem zu versuchenden gütlichen Beilegung des Rechtsstreits unter Mitwirkung des Gerichts bürgerlichrechtliche Rechte oder Rechtsverhältnisse ... festzustellen oder zu gestalten ... Indem der Zivilprozess Rechte und Rechtspositionen der Parteien dem Streit entzieht und verwirklicht, dient er zu-
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Degenhardt in Zöller, ZPO, 11. Aufl. 1974, Einl. I 1. Einl. II 1. Einl. Rz. 39. Seit der 23. Aufl. 2002 (der sog. Reform-Auflage), Einl. Rz. 39. Hervorhebung der Änderungen durch mich.
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Reinhard Greger gleich der Bewährung der objektiven Rechtsordnung, der Wiederherstellung des gestörten Rechtsfriedens und damit der Konfliktlösung ... Neben der Gewährleistung der Streitentscheidung in jedem Fall ermöglicht und fördert der Zivilprozess die einverständliche Konfliktlösung durch Mitwirkung und Mithilfe des Zivilrichters ...“
Sehr schön veranschaulicht dieser Vergleich, wie sich die gütliche Streitbeilegung von einem Nebenprodukt unserer Zivilrechtsordnung zu ihrer vorrangigen Aufgabe entwickelt hat: Die richterliche Entscheidung ist zur ultima ratio geworden, die nur beim Scheitern von Einigungsbemühungen zum Tragen kommen soll. Aber mehr noch: Nicht nur das Urteil, sondern der Zivilprozess als solcher wird infolge des Vordringens konsensualer Verfahren zunehmend als subsidiäres Instrument zur Lösung von Rechtskonflikten betrachtet. Neben dem immer größer werdenden Dienstleistungsangebot von Ombudsleuten, Schlichtungsstellen und Mediatoren sowie positiven Äußerungen aus der Wissenschaft5 fördert die Rechtspolitik selbst diese Entwicklung ganz massiv. Die Förderung der konsensualen Streitbeilegung wurde zu einem Hauptziel der angestrebten „Großen Justizreform“ erklärt6. Und in der Begründung des Gesetzes zur Förderung der außergerichtlichen Streitbeilegung v. 15. 12. 1999 (BGBl. I, 2400) wird ausgeführt, dass durch die „Verlagerung der Konfliktregelung von den Gerichten auf alternative Streitschlichtungsstellen ... Konflikte rascher und kostengünstiger bereinigt werden“ können und dass konsensuale Lösungen „darüber hinaus in manchen Fallgestaltungen eher dauerhaften Rechtsfrieden stiften als eine gerichtliche Entscheidung“7.
Dass sich über 100 Jahre nach Inkrafttreten der Reichsjustizgesetze diese Bewegung plötzlich mit solcher Macht Bahn bricht, hat mehrere Ursachen. Eine maßgebliche Triebfeder ist zweifellos das politische Streben nach einem Abbau kostspieliger Staatsaufgaben. Hinzu kommt aber die – vor allem durch ausländische Vorbilder geförderte – Erkenntnis, dass das justizförmige Verfahren für viele Wirtschaftsstreitigkeiten und Alltagskonflikte nicht geeignet, jedenfalls aber zu schwerfällig und zu aufwändig ist. Reformansätze in früheren Jahrzehnten waren zu wenig fundiert; jetzt erst stehen Infra5 Vgl. nur Hager, Konflikt und Konsens, 2001; Breidenbach, Mediation, 1995; Prütting, Außergerichtliche Streitschlichtung, 2003; Stürner in Breidenbach/CoesterWaltjen/Heß/Nelle/Wolf, Konsensuale Streitbeilegung, 2001, S. 5 ff.; Gottwald in FS Ishikawa, 2001, S. 137 ff.; Wagner, Obligatorische Streitschlichtung im Zivilprozess: Kosten, Nutzen, Alternativen, JZ 1998, 836 ff.; Stadler, Außergerichtliche obligatorische Streitschlichtung – Chance oder Illusion, NJW 1998, 2479; Stickelbrock, Gütliche Streitbeilegung, JZ 2002, 633 ff.; Katzenmeier, Zivilprozeß und außergerichtliche Streitbeilegung, ZZP 115 (2002) 51 ff. 6 Beschlüsse der Konferenzen der Justizministerinnen und Justizminister v. 25. 11. 2004 und v. 29./30. 6. 2005 [http://www.zr1.jura.uni-erlangen.de/justizreform/grossejustizreform.html]. 7 BT-Drs. 14/980 S. 5. BGHZ 161, 145 = ZKM 2005, 137 (m. Anm. Greger) hat sich diese Sichtweise zu Eigen gemacht und mit ihr eine Nachholung des obligatorischen Schlichtungsverfahrens nach Klageerhebung ausgeschlossen.
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Autonome Konfliktlösung innerhalb und außerhalb des Prozesses
strukturen bereit, die in differenzierter und qualifizierter Weise Rechtsdienstleistungen auf konsensualer Basis anbieten und damit den Grundgedanken der Privatautonomie auch in die Konfliktlösung einbringen können. Der Gesetzgeber des ausgehenden 19. Jahrhunderts hat eben dieses versäumt. Er ließ sich von dem Gedanken leiten, zum Schutz der im BGB umfassend gewährten Privatautonomie die Anrufung der staatlichen Gerichte vorsehen zu wollen, bei denen der in der Verwirklichung seiner Rechte gehinderte Bürger – ganz dem damals favorisierten Gesellschaftsmodell des Liberalismus entsprechend – im freien Spiel der Kräfte, also wiederum autonom, seinem Selbstbestimmungsrecht zur Geltung verhelfen sollte. Nicht bedacht wurde, dass sich die Privatautonomie am besten bewährt, wenn der Bürger auch im Konfliktfall primär eine eigenverantwortliche Lösung sucht, statt eine staatliche Entscheidungsinstanz in Anspruch zu nehmen. Der Rechtsweg wurde als (komfortabel ausgebauter) Königsweg eingerichtet, nicht als Notweg für anders nicht lösbare Streitfälle. Mit erheblicher Verspätung und forciert durch die EU8 wird nun also das (in anderen Rechtsordnungen längst selbstverständliche) ultima ratio-Prinzip auch für unsere Ziviljustiz reklamiert. Das hierfür nötige Umdenken fällt freilich schwer, denn es trifft auf betonierte Strukturen und Verhaltensmuster. Erste Einbruchstellen sind allerdings zu verzeichnen; die staatlichen Haushaltsnöte und der internationale Druck werden dafür sorgen, dass die zivilrechtliche Konfliktbehandlung weiter entstaatlicht und primär der privaten Selbstregulation überantwortet wird. Diese Stärkung der autonomen Konfliktbehandlung ist zu begrüßen. Gegen sie bestehen keine grundlegenden Bedenken. Sie ist, wie dargelegt, konform mit dem Prinzip der Privatautonomie und entspricht damit auch der verfassungsrechtlichen Werteordnung (Art. 2 Abs. 1 GG)9. Dass die Privatautonomie hier nicht auf ein „unbestelltes Feld“ trifft, weil man sich – anders als bei der Vertragsfreiheit – seinen Partner nicht frei auswählen kann, mag ihr ein etwas anderes Aussehen verleihen, ändert aber an ihrer grundsätzlichen Geltung nichts. Allerdings findet sie ihre Schranke im Rechtsstaatsprinzip und im Freiheitsgrundrecht der anderen Konfliktpartei; es muss sichergestellt sein, dass die Konfliktlösung auf dem freien Willen aller Beteiligten basiert, schwächere Parteien geschützt werden und die Anrufung der staatlichen Gerichte stets möglich bleibt. Nachfolgend soll aufgezeigt werden, auf welche Weise die autonome Konfliktlösung bereits auf dem Boden des geltenden Rechts und unter Wahrung der vorstehenden Anforderungen intensiviert werden kann. Hierbei werden 8 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen, KOM (2004) 718 v. 22. 10. 2004, BR-Drs. 870/04, abgedr. in ZKM 2004, 149 f. 9 BVerfGE 89, 214 (231): „Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben“.
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Reinhard Greger
zwei Ansätze unterschieden: die innerprozessuale Erzielung konsensualer Lösungen (II) und die Prozessvermeidung durch außergerichtliche Verfahren (III).
II. Innerprozessuale Wege zur Urteilsvermeidung 1. Eine Weichenstellung und ihre Folgen Parteiautonomie im Zivilprozess ist keine Erfindung unserer Zeit. Dispositions- und Verhandlungsmaxime liegen der ZPO seit ihrem Erlass im Jahre 1877 zugrunde und gewähren den Parteien ein weitgehendes Selbstbestimmungsrecht im Prozess. Allerdings hatte der Gesetzgeber, dem bürgerlichliberalen Zeitgeist des ausgehenden 19. Jahrhunderts entsprechend, dabei vor allem den Kampf ums Recht, das freie Kräftemessen der Parteien vor dem streitentscheidenden Richter vor Augen10. Der konsensualen Beilegung des Rechtsstreits widmete er, weit hinter historischen Vorbildern zurückbleibend, nur eine äußerst schwache Regelung. § 268 CPO 1877 lautete wie folgt: „Das Gericht kann in jeder Lage des Rechtsstreits die gütliche Beilegung desselben oder einzelner Streitpunkte versuchen oder die Parteien zum Zwecke des Sühneversuchs vor einen beauftragten oder ersuchten Richter verweisen.“
Die Streitvermittlung durch den Richter war damit lediglich ermöglicht worden, gleichsam als Ausnahme von dem Normalfall der streitigen Entscheidung. Diese Weichenstellung hat die Kultur der Zivilrechtspflege in Deutschland bis in unsere Zeit geprägt. Die Institutionen der Rechtspflege stellten sich darauf ein, dass rechtliche Konflikte vor den Richter gebracht und dort im freien Spiel der Kräfte ausgefochten werden; die Prozesszahlen nahmen in den ersten Jahrzehnten nach Einführung der ZPO rapide zu und bewegen sich weiterhin auf einem im internationalen Vergleich sehr hohen Niveau11. Immer weitere Bevölkerungskreise verspürten das Bedürfnis, die Prozessführung finanziell abzusichern und verhalfen damit der Rechtsschutzversicherung in Deutschland zu einer beispiellosen Verbreitung12.
10 Katzenmeier, ZZP 115 (2002) 64; Strempel, Außergerichtliche Konfliktlösung, ZRP 1998, 319; Greger, Vom „Kampf ums Recht“ zum Zivilprozeß der Zukunft, JZ 1997, 1077 (jeweils mit Bezug auf v. Jhering, Der Kampf ums Recht, 1872). 11 Sie stiegen von ca. 1,3 Mio. im Jahr 1885 auf ca. 2,2 Mio. im Jahr 1900, ca. 3,2 Mio. im Jahr 1910 (nur 1. Instanz). Nach Verwerfungen durch Kriege und Wirtschaftskrisen sowie einem ständigen Anstieg in den letzten Jahrzehnten liegt die Vergleichszahl heute bei ca. 2,4 Mio. Zur historischen Entwicklung Röhl, Rechtssoziologie, 1987, S. 555 f.; zu den aktuellen Zahlen Statistisches Bundesamt, Justizstatistik der Zivilgerichte Fachserie 10. 12 Nach Röhl (Fn. 11) hatte schon 1984 fast die Hälfte der bundesdeutschen Haushalte eine Rechtsschutzversicherung. Im Jahr 2002 bestanden ca. 19,6 Mio. Verträ-
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Autonome Konfliktlösung innerhalb und außerhalb des Prozesses
Forderungen, den durch die Parteidominanz schwerfällig und ineffektiv gewordenen Zivilprozess durch ein obligatorisches Güteverfahren umzugestalten, wurden schon seit etwa 1900 immer lauter13, hatten jedoch angesichts der verfestigten Strukturen lange Zeit keine Chance auf Verwirklichung. Erst 192414 kam es aufgrund der immer massiver werdenden Missstände15 zu einer grundlegenden Neuorientierung: Für Prozesse vor dem Amtsgericht wurde ein obligatorisches Güteverfahren eingeführt16, und dem (damals nur vorbereitenden) Einzelrichter beim Landgericht wurde aufgegeben, zunächst die gütliche Beilegung des Rechtsstreits zu versuchen17. Ein grundlegender Wandel der Prozesskultur wurde dadurch nicht erreicht. Richter und Rechtsanwälte waren entweder nicht bereit oder nicht in der Lage, sich auf die neuen Verfahrensanforderungen einzustellen18. Immerhin konnte aber die im Zuge mehrerer Novellen19 zunehmend forcierte Prozessleitungsmacht des Richters offenbar bewirken, dass der Gütegedanke in der Rechtspflege Wurzeln fasst. Jedenfalls wurde mit ebendieser Begründung20 durch das Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit vom 12. 9. 195021 das ungeliebte Güteverfahren am Amtsgericht abgeschafft und durch die Regelung ersetzt, dass der Richter „in jeder Lage des Verfahrens auf die gütliche Beilegung des Rechtsstreits hinwirken soll“22. Die Vereinfachungsnovelle von 1976 führte sodann die Kann-Vorschrift für das Landgericht und die Soll-Vorschrift für das Amtsgericht in § 279 Abs. 1 ZPO zusammen, wonach das Gericht in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Beilegung „bedacht sein soll“. Dieser etwas eiertänzerisch anmutenden Behandlung des Gütegedankens in der Gesetzgebung setzte erst das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27. 7. 200123 ein Ende. Die Begründung des Regierungsentwurfs24 bekennt sich klar zu der Einsicht, dass „eine gütliche Einigung zwischen den Parteien ... dem Rechtsfrieden nachhaltiger [dient] als eine Streitentscheidung
13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24
ge und wurden Leistungen in Höhe von über 2 Mrd. Euro erbracht (Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, Statistisches Taschenbuch 2004, Tab. 43 und 52. Zur Entwicklung s. auch Hempfing/Traut, Rechtsschutzversicherung, 2. Aufl. 1993, Rz. 1 ff. Vgl. Levin, DJZ 1915, 870 ff. Durch die VO v. 13. 2. 1924, RGBl. I 1179 (sog. Emminger-Verordnung). Hierzu Stein/Jonas, ZPO, 14. Aufl. 1928, Einl. § 6 m.w.N. § 495a ZPO 1924. S. dazu Jansen, Die historische Entwicklung des Güteverfahrens in Deutschland, ZKM 2003, 24 (27 ff.). § 349 Abs. 1 S. 1 ZPO 1924. Vgl. Reichsjustizministerium, Entwurf einer ZPO, 1931, S. 315 f. Gesetz v. 1. 6. 1909 (RGBl 475); VO v. 13. 2. 1924 (RGBl. I 135); Gesetz v. 27. 10. 1933 (RGBl. I 780). BT-Drs. I/530 S. 20. BGBl. I 455. § 495 Abs. 2 ZPO 1950. BGBl. I, 1887. BT-Drs. 14/4722, S. 62.
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Reinhard Greger
durch Urteil“ und will durch eine der mündlichen Verhandlung vorgeschaltete Güteverhandlung die als unbefriedigend empfundene Vergleichsquote deutlich erhöhen. Nach § 278 Abs. 2 ZPO soll nur ausnahmsweise von dieser Güteverhandlung abgesehen werden können, die Parteien sollen grundsätzlich persönlich gehört werden. Außerdem wurde der Abschluss von Prozessvergleichen durch ein schriftliches Verfahren (anstelle der Beurkundung) erleichtert (§ 278 Abs. 6 ZPO). Bewirkt haben aber auch diese – durchaus einschneidenden – Maßnahmen nur wenig. Die Vergleichsquote hat sich leicht, wenn auch bei Weitem nicht in dem vom Gesetzgeber erhofften Ausmaß, erhöht25. Die Regelung über die obligatorische Güteverhandlung läuft dagegen weitgehend leer; von den meisten Richtern wird sie entweder gar nicht oder nur formal praktiziert26. Zur Begründung wird von Richterseite häufig auf die hohe Geschäftslast verwiesen, die keinen zeitlichen Spielraum für intensive Gütegespräche lasse. Aber nicht nur durch die Vorenthaltung der unabdingbaren personellen Verstärkung der ersten Instanz, sondern auch in organisatorischer Hinsicht hat die Justizverwaltung zum Scheitern dieses Reformvorhabens beigetragen. In den amtlichen Vordrucken27 wird dem Richter (ohne Alternative) die gleichzeitige Anberaumung von Güte- und mündlicher Verhandlung vorgegeben (die Güteverhandlung also zum bloßen Durchlaufstadium degradiert); geeignete Räumlichkeiten für ein erfolgversprechendes Setting, aber auch Qualifizierungsangebote in Verhandlungs- und Konfliktmanagement gibt es kaum. Nicht zuletzt ist die verständliche Abneigung der Anwälte gegenüber länger dauernden, nicht besonders vergüteten und gelegentlich die Prozessstrategie beeinträchtigenden Güteverhandlungen einem kooperativen Prozessklima nicht besonders zuträglich. Die ebenfalls mit der ZPO-Reform eingeführte Regelung des § 278 Abs. 5 S. 2 u. 3 ZPO, wonach das Gericht den Parteien eine außergerichtliche Schlichtung vorschlagen und für deren Dauer den Rechtsstreit ruhen lassen kann, wird aus ähnlichen Gründen (Kosten, Zeitverlust, mangelnde Vertrautheit mit alternativen Verfahren zur Konfliktbeilegung) fast überhaupt nicht praktiziert28. Zusammenfassend muss somit konstatiert werden, dass die mit der CPO von 1877 erfolgte Weichenstellung zum zwar parteiautonomen, aber adversatorisch geprägten Zivilprozess zu einer Verfestigung der Rechtspflege25 Bei den bayerischen Amtsgerichten z.B. von 12,4% im Jahre 2001 auf 15,8% im Jahre 2004 (BayJMBl 2002, 118; 2005, 86). In der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 14/ 4722, S. 62) wurde auf eine Vergleichsquote von 39,6% im Gütetermin nach § 54 ArbGG verwiesen. 26 Huber u. Selbherr, in: Verhandlungen des 65. Deutschen Juristentags, 2004, S. A 8 bzw. A 31; Greger, Die ZPO-Reform – 1000 Tage danach, JZ 2004, 805 (806). 27 S. Greger, JZ 2004, 805 (806). 28 Huber (Fn. 26), S. A 10; Greger, JZ 2004, 807.
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strukturen geführt hat, die einen Umstieg auf konsensuale Erledigungsformen äußerst erschwert. Dass er dennoch möglich ist, und zwar auch unter den gegebenen rechtlichen und tatsächlichen Bedingungen, soll nachstehend aufgezeigt werden. 2. Der Weg zum optimalen Prozessergebnis Das Ziel, möglichst alle für eine konsensuale Erledigung geeigneten Rechtsstreitigkeiten auch einer solchen zuzuführen, lässt sich nur erreichen, wenn das gerichtliche Verfahren flexibler, konfliktnäher ausgestaltet wird. In den derzeitigen, durch die ZPO und die Justizverwaltung vorgezeichneten Verfahrensabläufen herrschen Routine und Gleichförmigkeit. Die prozesseinleitende Wahl der Verfahrensart nach § 272 Abs. 2 ZPO muss vom Vorsitzenden aufgrund des einseitigen Vortrags in der Klageschrift getroffen werden, der die Besonderheiten des zu beurteilenden Rechtsfalles in der Regel noch nicht erkennen lässt. Die Entscheidung ergeht formblattmäßig; ob ein schriftliches Vorverfahren angeordnet oder gleich zum frühen ersten Termin geladen wird, ob eine Güteverhandlung durchzuführen ist, vorgeschaltet oder als gesonderter Termin, mit oder ohne Parteien, muss nahezu „blind“ beurteilt werden, wobei oft eingefahrene Gewohnheiten den Ausschlag geben. Fehlgriffe bei der Prozesseinleitung können jedoch für den ganzen Prozess fatale Folgen haben, indem sie Einigungschancen verschütten oder gar die Eskalation des Konflikts begünstigen. Vermeiden ließe sich dies z.B. durch folgende Verfahrensweise: (1) Mit der Klagezustellung wird ein schriftliches Vorverfahren nach § 276 ZPO angeordnet. Auf diese Weise können nach zwei Wochen bereits (durch unstreitiges Urteil ohne mündliche Verhandlung, § 331 Abs. 3, § 307 S. 2 ZPO) die Fälle ausgesondert werden, in denen der Beklagte sich nicht verteidigen will; dadurch wird Terminsaufwand für Gericht und Kläger(anwalt) vermieden. Zugleich werden beide Parteien mit einem ausführlichen Merkblatt über die Möglichkeit informiert, den Prozess zum Zwecke einer gütlichen Einigung ruhen zu lassen (§ 278 Abs. 5 S. 2, 3 ZPO)29. (2) Erledigt sich das Verfahren nicht unstreitig, kann der Richter aufgrund der Klageerwiderung (und einer etwaigen Replik) besser als bei der Klagezustellung beurteilen, ob eine Güteverhandlung Aussicht auf Erfolg hat. Wenn nicht, sollte er sogleich den Haupttermin nach § 272 Abs. 1 ZPO anberaumen, anderenfalls eine gesonderte Güteverhandlung nach § 278 Abs. 2 ZPO30. 29 Mit einer solchen Information über Alternativen zum Prozess wurden in den Niederlanden gute Erfahrungen gemacht; vgl. Kilian, Erprobung der gerichtsnahen Mediation – Erfahrungen mit Pilotprojekten in den Niederlanden, ZKM 2005, 186. 30 Die gleichzeitige Anberaumung einer anschließenden mündlichen Verhandlung (§ 279 Abs. 1 S. 1 ZPO) ergibt keinen Sinn: Mit einer Säumnis des Beklagten ist
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(3) Bei Anberaumung der Güteverhandlung bedarf es zunächst keiner vollständigen rechtlichen Durchdringung des Streitstoffs. Der Richter sollte sich nur ein Bild vom Sachverhalt machen und sein Augenmerk vor allem darauf richten, welche Parteiinteressen hinter dem Prozessvortrag stehen, wo die hauptsächlichen Konfliktpunkte liegen, welche Lösungsoptionen in Betracht kommen, welche Risiken die Durchführung des streitigen Verfahrens birgt, ob eine Einbeziehung weiteren Streitstoffs zum Zwecke einer Gesamtbereinigung, die Empfehlung eines Schiedsgutachtens, die Einholung von Expertenrat oder eine Mediation sinnvoll sein könnten, aber auch ob der Prozessstoff beschränkt oder ein schrittweises Vorgehen bei der Aufarbeitung verabredet werden könnte. Des Weiteren sollte überlegt werden, ob die Ladung einer oder beider Parteien, ggf. welcher Person31, zu veranlassen ist, ob Erkenntnismittel beigezogen werden sollen32, wie die telefonische Erreichbarkeit von Informanten oder Drittbetroffenen zu organisieren ist und in welchem Rahmen33 die Güteverhandlung durchgeführt werden sollte. Erfordert ein solches Verfahren einen größeren Aufwand an Zeit oder Organisation, kann es einem ersuchten oder beauftragten Richter übertragen werden (§ 278 Abs. 5 S. 1 ZPO)34. (4) Wenn die Güteverhandlung nicht zu einer Einigung führt, wird – ggf. aufgrund der dort gewonnenen Erkenntnisse oder Absprachen – ein umfassend vorbereiteter Haupttermin durchzuführen sein, sofern die Parteien sich nicht auf einen außergerichtlichen Schlichtungsversuch (§ 278 Abs. 5 S. 2, 3 ZPO) oder auf ein Schiedsgutachten zur Klärung einer entscheidungserheblichen Tatsachenfrage verständigen. Im Einzelfall kann auch eine vorterminliche Beweisaufnahme (§ 358a ZPO) sinnvoll sein. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse können u.U. den Boden für einen erneuten Gütetermin – anstelle des Haupttermins – bereiten.
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aufgrund seiner Verteidigungsanzeige nicht zu rechnen, und trotz der bejahten Aussicht auf einen Erfolg der Güteverhandlung bereits einen Haupttermin vorzubereiten, wäre widersprüchlich. Bei Unternehmen kann es je nach Sachlage sinnvoll sein, den unmittelbar mit der Sache befassten Mitarbeiter oder einen Entscheidungsträger des Leitungsbereichs zu laden. Nach §§ 142, 144, 273 ZPO. Sitzungssaal, Besprechungsraum, Richterzimmer. In Bausachen bewähren sich vielfach Ortstermine mit Beiziehung eines Sachverständigen. Optimal ist es, wenn hierfür eigene Dezernate mit besonders geschulten Richtern eingerichtet werden. Zu entsprechenden Modellversuchen s. Götz v. Olenhusen, Gerichtsmediation – Richterliche Konfliktvermittlung im Wandel, ZKM 2004, 104 ff.; Böttger/Hupfeld, Mediatoren im Dienste der Justiz, ZKM 2004, 155 ff.; Löer, Einbindung von Mediation in den Zivilprozess, ZKM 2005, 182 ff. u. 2006, 4 ff.; Greger, Die Verzahnung von Mediation und Gerichtsverfahren in Deutschland, ZKM 2003, 240 ff.; http://www.jura.uni-erlangen.de/aber/gueterichter.htm sowie die Übersicht unter http://bmj.bund.de/enid/p4.
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(5) In jedem Stadium sollte sich der Richter der Möglichkeit bewusst sein, durch einen schriftlichen Vergleichsvorschlag nach § 278 Abs. 6 ZPO weiteren Verfahrensaufwand, insbesondere eine mündliche Verhandlung, zu vermeiden. Derartige Vergleichsvorschläge haben erfahrungsgemäß eine große Erfolgsaussicht35, weil sie es dem Prozessbevollmächtigten ermöglichen, auf der Basis einer Äußerung des Gerichts Überzeugungsarbeit bei der eigenen Partei zu leisten, die durch das Erdienen einer „Terminsgebühr ohne Termin“ honoriert wird36. 3. Entkräftung möglicher Einwände a) Die vorstehend aufgezeigten Wege zu einer ökonomischen und konstruktiven Prozesserledigung sind selbstverständlich nicht generell gangbar, sondern nur dort, wo die Art des Konflikts und die Interessen der Parteien ein entsprechendes Vorgehen angezeigt erscheinen lassen. Entscheidend ist eine differenzierte Prozessleitung, jenseits von Formblattschematismus, Schriftsatzaustausch und Verhandlungsroutine. b) Es geht nicht darum, social engineering an die Stelle von Rechtsprechung zu setzen. Wo ein Richterspruch geboten erscheint, muss der Richter alles unternehmen, um möglichst rasch zu einem solchen zu gelangen, also etwa wenn ersichtlich rechtliche Zweifelsfragen zu klären sind, ein erhebliches Ungleichgewicht zwischen den Parteien besteht oder einer evident im Recht befindlichen Partei rasch zu einem Titel verholfen werden soll. Die richterliche Kunst besteht darin, die vergleichsgeeigneten Fälle herauszufiltern und einer autonomen Lösung zuzuführen – weil diese näher an den Interessen der Parteien ist und den erheblichen Aufwand eines streitigen Verfahrens vermeidet. c) Dem Verweis auf die jetzt schon hohe Vergleichsquote im Zivilprozess ist mit Vorbehalt zu begegnen. Es dürfen folgende Aspekte nicht übersehen werden: (1) Die Vergleichsquote schwankt von Richter zu Richter und von Spruchkörper zu Spruchkörper sehr stark; es lassen sich auch deutliche regionale Unterschiede feststellen37. Mit dem Postulat der Gleichheit vor dem Richter ist dies nicht vereinbar. Die Vorteile einer autonomen Konfliktlösung müssen für alle Rechtsuchenden erreichbar sein. Es ist nicht akzeptabel, dass manche Richter den gesetzlichen Auftrag zur gütlichen Streitbeilegung ernst nehmen und andere nicht.
35 Huber (Fn. 26) S. A 12 preist zu Recht die Vorzüge dieses Verfahrens als „Volltreffer“ der ZPO-Reform. 36 VV-RVG Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 in der Auslegung durch BGH, NJW 2006, 157; OLG Stuttgart JurBüro 2006, 21. 37 2003 betrug die Vergleichsquote bei den Amtsgerichten z.B. im Saarland 18,4%, in Bayern 15,5%, in Sachsen-Anhalt 10,7% und in Berlin 7,9% (Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, R 2.1, 2003, Tab. 2.1.2).
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Reinhard Greger (2) Nicht jeder im streitigen Verfahren protokollierte Vergleich kann als adäquate und (vor allem) autonome Konfliktlösung angesehen werden38. Prozessvergleiche werden von den Parteien häufig nicht als konsensualer Interessenausgleich, sondern als mehr oder weniger erzwungener Kompromiss empfunden. (3) Die Vergleichsquote ist in zweiter Instanz fast genauso hoch wie in der ersten39. Dies muss überraschen, da eine grundsätzlich vorhandene Einigungsbereitschaft auch ohne den erheblichen Aufwand zweier Gerichtsinstanzen zu einer einvernehmlichen Lösung hätte führen können. Ob der späte Vergleich auf Zermürbung durch die lange Verfahrensdauer, auf Kapitulation vor der Autorität des Berufungsgerichts oder darauf zurückzuführen ist, dass Einigungspotentiale in der ersten Instanz nicht ausgeschöpft wurden, spielt keine Rolle. In jedem Fall ist es für die Parteien ein unerfreuliches und dem Ansehen der Justiz nicht eben förderliches Ergebnis, wenn sie aus einem langen und kostspieligen Prozess ohne Urteil herausgehen.
All dies zeigt, dass die Bemühungen, autonome Konfliktlösungen in einem möglichst frühen Stadium der ersten Instanz herbeizuführen, noch deutlich verstärkt werden können. d) Der oft zu hörende Einwand, dass derartige Verfahrensweisen wegen der hohen Geschäftslast der erstinstanzlichen Richter nicht realisierbar sind, verwechselt Ursache und Wirkung. Die tatsächliche Belastung eines Richters drückt sich nicht allein in den „Nummern“ der Geschäftsstatistik aus, die auch jene Verfahren erfasst, die sich (fast) von selbst erledigen oder mit geringem Aufwand erledigen lassen. Sie wird vielmehr hauptsächlich durch die Prozesse erzeugt, in denen hoch streitig gekämpft wird, bereits in der ersten Instanz Akten von mehreren Hundert Seiten anfallen, ausufernde Beweisaufnahmen und wiederholte Verhandlungstermine durchzuführen sind, so dass es zu mehrjährigen Verfahrensdauern, nicht selten mit mehrfachem Berichterstatterwechsel, kommt40. Solche an der Grenze der Justiziabilität (oder der Rechtsvereitelung) anzusiedelnden Prozessmetastasen werden sich zwar nie ganz vermeiden lassen; durch frühzeitigen und gezielten Einsatz von Steuerungsinstrumenten kann die Eskalationsgefahr aber oft deutlich reduziert und damit ein die Justizressourcen immens belastendes Verfahren, manchmal sogar eine ganze Serie von Prozessen, vermieden werden41. Es kann sich also lohnen, eingefahrene Gleise zu verlassen und alternative Verhandlungsmethoden zu erproben. Der zunächst unter Umständen höhere Zeitaufwand zahlt sich vielfach aus – desgleichen eine Ausbildung in Verhandlungsmanagement (die in Wirtschaftsunternehmen längst selbstverständlich ist und es für Richter erst recht sein sollte).
38 Eingehend Wolf in FS Rechberger, 2005, S. 719 (723 ff.). 39 Sie betrug 2004 in Bayern bei dem Amtsgerichten 15,8%, bei den Landgerichten 2. Instanz 14,1% (BayJMBl 2005, 86, 92). 40 Vgl. zu solchen Fällen BVerfG, NJW 2001, 214. 41 Zu entsprechenden Erfahrungen vgl. meinen demnächst erscheinenden Evaluationsbericht zum Modellprojekt „Güterichter“ des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz.
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III. Außerprozessuale Wege zur Prozessvermeidung 1. Grundposition Wenn Parteien im gerichtlichen Verfahren eine einvernehmliche Lösung finden, drängt sich die Frage auf, weshalb es dieses Verfahrens überhaupt bedurfte. Aufgabe der Gerichte ist es, Recht zu sprechen, also rechtliche Konflikte durch eine an den Maßstäben von Recht und Gesetz orientierte Entscheidung zu bereinigen. Die Justizorganisation, die Qualifikation der Richter und die Regularien des Zivilprozesses sind auf diese Funktion ausgerichtet. Der hohe Verfahrens-, Zeit- und Personalaufwand, mit dem das justizförmige Verfahren verbunden ist, findet seine Rechtfertigung in der anspruchsvollen Aufgabe, mit staatlicher Gewalt über die privaten Rechte der Bürger zu entscheiden. So betrachtet stellt sich die auf eine einvernehmliche Lösung zielende Prozessführung als Fehlnutzung von Justizressourcen dar. Dass eine gütliche Lösung – auch noch im Prozess – grundsätzlich den Vorzug vor einem Richterspruch verdient, ändert daran nichts. Der Prozessvergleich dient der Korrektur eines Fehlgriffs bei der Verfahrenswahl. Eine solche Korrektur ist zu ermöglichen und anzustreben (s. oben II.); auch das Paradoxon, dass die Fehlnutzung kostenrechtlich noch honoriert wird42, findet darin seine Erklärung. Vorrangig aber gilt es, den Fehlgriff zu vermeiden. Die einvernehmliche Konfliktlösung ist originäre Aufgabe der Parteien selbst, die sich hierfür ihrer rechtlichen Vertreter oder professioneller Vermittler bedienen können. Erst wenn diese Bemühungen sich als erfolglos erweisen, ist die Aktivierung der Rechtsprechungsorgane zu vertreten. Wenn es dem Richter – kraft seiner Autorität, seiner juristischen Überzeugungskraft oder seiner neutralen Sachverhaltsermittlung – gelingt, die Parteien doch noch zu einer selbst verantworteten Lösung zu bringen, ist dies zu begrüßen – von vornherein anzustreben ist es nicht. 2. Befund Das in der vorstehend dargelegten Position wiederkehrende ultima ratioPrinzip funktioniert in der Praxis nicht. Wenn von 31 271 bei den bayerischen LG streitig verhandelten Zivilsachen 16 821 durch Vergleich in der ersten Instanz und 1313 durch Vergleich in der zweiten Instanz, insgesamt also 58% vergleichsweise erledigt werden43, deutet dies auf eine immense
42 GKG-KV Nr. 1211 Nr. 3 (1,0 statt 3,0 Gerichtsgebühren). 43 JMBl 2005, 90, 95. Außer Betracht bleiben die Verfahrensbeendigungen durch Versäumnisurteil, Anerkenntnisurteil, Klagerücknahme, Erledigung der Hauptsache, Ruhen u.ä. Da sie oft auch auf richterlichen Einigungsbemühungen beruhen, würden sie die Quote der unstreitigen Erledigungen noch erhöhen.
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Fehlnutzung der Justizressourcen hin. Es ist nicht vorstellbar, dass der größte Teil dieser Einigungen nicht auch ohne Inanspruchnahme der rechtsprechenden Gewalt hätte erzielt werden können. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass ein erheblicher Teil der Fälle vorschnell zu Gericht gebracht wird. Prozesskostenhilfe und Rechtsschutzversicherung, seit neuerer Zeit auch noch Prozessfinanzierer44, erleichtern die Klageerhebung, vorgeschaltete Formalitäten gibt es nur ansatzweise45, und wo es sie gibt, sind sie leicht zu übergehen46. Schon mit dem Ausfüllen eines einfachen Formulars (Mahnbescheidsantrag nach § 690 ZPO) wird der Weg zum Streitgericht vorgezeichnet. Die für die Zulässigkeit einer Klage erforderlichen Formalien sind für einen Anwalt leicht zu erfüllen; die materielle Prozessleitung besorgt nach § 139 ZPO das Gericht. Übersehen wird dabei häufig, dass das vorschnelle Beschreiten des Klageweges erhebliche Nachteile sowohl für die Allgemeinheit als auch für Parteien und Rechtsanwälte mit sich bringt: – die Allgemeinheit wird insbesondere belastet durch die Kosten eines im internationalen Vergleich sehr umfangreichen Justizapparats, durch die hohe Zahl von Prozessen im nicht kostendeckenden Streitwertbereich47, die erheblichen Aufwendungen für Prozesskostenhilfe48 sowie dadurch, dass die durch das Massengeschäft überlasteten Richter die rechtlich oder wirtschaftlich bedeutsamen, arbeitsintensiven Verfahren nicht mit der gebotenen Schnelligkeit und Gründlichkeit bearbeiten können (wodurch nicht nur individuelle Einbußen wie Zinsverluste und Transaktionskosten, sondern auch soziale Nachteile, z.B. durch Insolvenzen und Rechtsunsicherheit, entstehen); – die Parteien haben neben dem Prozesskostenrisiko die bereits erwähnten wirtschaftlichen Einbußen und die mit jeder Prozessführung verbundenen 44 Vgl. hierzu Gleußner, unten S. 25 ff. 45 Ganz anders z.B. das englische Recht, welches – mit beachtlichem Erfolg – von den Parteien weithin einen vorprozessualen Informationsaustausch durch pre actionprotocols verlangt und damit die Zahl außergerichtlicher Einigungen stark vermehrt hat. Vgl. dazu Goriely/Moorhead/Abrams, More Civil Justice? The Impact of the Woolf Reforms on Pre-action Behaviour, 2002. 46 So z.B. das in manchen Bundesländern für Bagatell-, Nachbarschafts- und Ehrschutzstreitigkeiten vorgeschriebene Schlichtungsverfahren nach § 15a EGZPO. Zu den Erfahrungen s. Röhl/Weiß, Die obligatorische Streitschlichtung in der Praxis, 2005, S. 277 ff.; Greger, Obligatorische Schlichtung – Erfahrungen und Zukunftsperspektiven, SchiedsVZ 2005, 76 ff. 47 Bei den bayerischen Amtsgerichten hatten 2004 57,8% der Zivilprozesse einen Streitwert unter 1500 Euro (1 Gebühr = 65 Euro), 16,6% gar einen solchen unter 300 Euro (1 Gebühr = 25 Euro). Selbst wenn wegen Erlasses eines Urteils 3 Gebühren anfallen, deckt dies die Personal- und Gemeinkosten nicht einmal ansatzweise. 48 Allein in Bayern beliefen sich die Aufwendungen in der Zivilgerichtsbarkeit im Jahr 2005 auf 54,3 Mio. Euro.
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Belastungen zeitlicher, oft auch psychischer oder nervlicher Art zu tragen; sie erreichen mit der Beurteilung ihres Konflikts unter rein rechtlichen Aspekten oft auch keine interessengerechte Lösung und keine Wiederherstellung unbelasteter Beziehungen zum Prozessgegner; – bei den Anwälten entstehen, insbesondere im unteren Streitwertbereich, wirtschaftliche Einbußen durch zeit- und arbeitsintensive Prozessmandate ohne adäquate Vergütung; verlorene Prozesse führen nicht selten zu Rufschäden und Regressansprüchen. Angesichts dieser Vielzahl von negativen Konsequenzen muss das in Deutschland festzustellende Ausmaß der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes verwundern – und dies umso mehr, als an Alternativen kein Mangel besteht. Es gibt staatlich anerkannte Gütestellen49, branchen- oder bereichsspezifische Schiedsstellen, Einigungsstellen bei den Kammern, Ombudstellen für Verbraucher, Schiedsgutachter und Sachverständigenkommissionen sowie hervorragend ausgebildete Mediatorinnen und Mediatoren. Auch bei den meisten Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten beschränkt sich die Kompetenz nicht auf das Anfertigen von Schriftsätzen, sondern besteht eine ausgeprägte Fähigkeit zum Verhandeln und Vermitteln; §§ 796a ff. ZPO tragen dem durch die Institutionalisierung eines vollstreckbaren Anwaltsvergleichs Rechnung, von dem aber nur ganz wenig Gebrauch gemacht wird. In einem erstaunlichen Widerspruch zu dieser Vernachlässigung der Prozessalternativen steht deren hohe Wertschätzung. So hat eine von der Universität Frankfurt (Oder) durchgeführte Umfrage bei deutschen Wirtschaftsunternehmen ergeben, dass das Gerichtsverfahren als das am wenigsten vorteilhafte Konfliktbeilegungsverfahren angesehen, jedoch am häufigsten eingesetzt wird, während es sich bei der Mediation genau umgekehrt verhält50. Auch in der Anwaltschaft besteht ein großes und deutlich zunehmendes Interesse an konsensualen Verfahren51; Anwälte und Parteien, die im Rahmen obligatorischer Güteverfahren oder gerichtsnaher Mediation Bekanntschaft mit diesen Verfahren gemacht haben, sind zum großen Teil von deren Vorzügen überzeugt und geben an, bei erneuten Konflikten von sich aus diesen Weg zu beschreiten52.
49 Vgl. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, § 15a EGZPO i.V.m. den Ausführungsgesetzen der Länder. 50 Gläßer/Kirchhoff, Konfliktbearbeitung deutscher Großunternehmen, ZKM 2005, 188 (191). Dazu auch Monßen, Mitteilungsblatt der AG Mediation im DAV 1/05, S. 13 f. 51 Vgl. meinen Abschlussbericht zur außergerichtlichen Streitbeilegung in Bayern, http://www.jura.uni-erlangen.de/aber (S. 95). 52 Vgl. Abschlussbericht zum Projekt Gerichtsnahe Mediation in Niedersachsen, 2005, S. 17, http://www.mediation-in-niedersachsen.de/Abschlussbericht.pdf; Zwischenbericht zur Evaluation des Modellversuchs Güterichter in Bayern, 2006, S. 12, http://www.jura.uni-erlangen.de/aber.
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Somit ergibt sich ein eigenartiger, widersprüchlicher Befund: Es bestehen Alternativen zum gerichtlichen Verfahren, die erhebliche Vorzüge aufweisen und durchwegs positiv beurteilt werden, aber sie werden nur in vergleichsweise geringem Umfang in Anspruch genommen. 3. Hindernisse und ihre Beseitigung Als Gründe für die Bevorzugung gerichtlicher Verfahren gegenüber den außergerichtlichen Methoden der Konfliktbeilegung kommen in Betracht: – die Gewöhnung an ein gut ausgebautes Justizangebot, – die relativ geringe Kostenschwelle, die durch Leistungen von dritter Seite weiter abgesenkt wird und die indirekten Kosten nicht deutlich macht, – die fehlende Information über alternative Angebote, die den Zugang erschwert und das Entstehen einer Vertrauensgrundlage hindert, – die Befürchtung, Rechtsverluste zu erleiden, – ein die forensische Anwaltstätigkeit bevorzugendes Vergütungssystem, – psychische Gegebenheiten bei manchen Parteien, die mit dem Gegner lieber streiten als gemeinsam nach Lösungen suchen wollen.
Auch wenn gewohnheits- oder persönlichkeitsbedingte Verhaltensmuster nur schwer zu beeinflussen sind, könnte doch schon auf der Grundlage des geltenden Rechts53 ein stärkerer Einsatz der außergerichtlichen Streitbeilegung erreicht werden. Die Institutionen der Rechtspflege (z.B. Justizministerien, Rechtsanwaltsund Notarkammern), Wirtschaftsverbände und gemeinnützige Organisationen müssten darauf hinwirken, dass die Angebote der außergerichtlichen Konfliktlösung ausgebaut, konsolidiert und besser bekannt gemacht werden54. Wo das Angebot noch Lücken aufweist (z.B. für Mietstreitigkeiten oder die Abwicklung von Schadensfällen in der Haftpflichtversicherung) sollten die beteiligten Verbände gemeinsame Schiedsstellen einrichten, die mit neutralen, sachkundigen Personen besetzt sind. Diese Institutionen können (und werden) die Anerkennung durch die Landesjustizverwaltung i.S.v. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO erhalten und dann auch vollstreckbare Vergleiche herbeiführen. Selbstverständlich muss die anwaltliche Vertretung der Beteiligten bei diesen Stellen gewährleistet sein, um den Beteiligten die
53 Überlegungen de lege ferenda, etwa in Richtung einer Ausweitung der obligatorischen Schlichtung, sollen hier außer Betracht bleiben. 54 In diese Richtung geht der Beschluss der Justizministerkonferenz vom 29./30. 6. 2005 (Fn. 6) zu TOP I.1 Nr. 2.2. Die Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern hat ein Mediationszentrum eingerichtet, das über Schlichtung und Mediation berät und entsprechende Angebote aufzeigt; s. http://www.muenchen.ihk.de [Recht & Fair Play]. Vorbildlich auch das Informationsangebot der Handelskammer Hamburg unter http://www.hk24.de [Recht und Fair Play].
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Furcht vor Rechtsverlusten zu nehmen; die Anwaltskosten müssen also ggf. erstattungsfähig sein. Die Rechtsschutzversicherungen müssten, wie in § 5 Abs. 1 lit. d ARB 94/ 2000 teilweise bereits vorgesehen, die Kosten außergerichtlicher Verfahren generell in ihren Leistungskatalog aufnehmen und sich verstärkt auf Leistungsfreiheit hinsichtlich der Prozesskosten berufen, wenn ein erkennbar aussichtsreicher Güteversuch nicht unternommen wurde55. Prozesskostenhilfe könnte in Fällen, in denen sich die Sachgerechtigkeit einer Schlichtung förmlich aufdrängt, wegen Mutwilligkeit der Klageerhebung i.S.v. § 114 ZPO verweigert werden56. Eine Schlüsselrolle kommt jedoch der Anwaltschaft zu. Ihre Angehörigen sind im Falle eines rechtlichen Konflikts oft die erste Anlaufstelle, ihre Beratung gibt in der Regel den Ausschlag, ob es zu einer streitigen Auseinandersetzung vor Gericht oder zu einer gütlichen Beilegung ohne die Belastungen eines Prozesses kommt. In dem Maße, in dem das Vorhandensein außergerichtlicher Streitbeilegungsverfahren ins allgemeine Bewusstsein dringt, werden sich Anwälte nach einem für den Mandanten unbefriedigend ausgegangenen Prozess bei der Abrechnung ihrer Vergütung der Frage ausgesetzt sehen, weshalb sie nicht über die sachgerechtere Möglichkeit eines Schlichtungsverfahrens aufgeklärt haben. Eine Haftung wegen mangelhafter Beratung kommt hier durchaus in Betracht57. Den Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten ist daher dringend zu raten, in Fällen, in denen eine außergerichtliche Streitbeilegung sinnvoll erscheinen kann, einen schriftlich dokumentierten Hinweis auf diese Alternative zu geben. Diese Hinweispflicht kollidiert auch keineswegs mit Eigeninteressen der Anwaltschaft. Seit Inkrafttreten des RVG wird die außergerichtliche Anwaltstätigkeit besser honoriert58, während beim Prozessmandat (insbesondere infolge Wegfalls der Beweisgebühr) Aufwand und Vergütung in ein deutliches Missverhältnis geraten können. Selbst wenn bereits Klageauftrag erteilt ist, kann es sich lohnen, in Besprechungen mit der Gegenseite nach einer einvernehmlichen Lösung zu suchen, weil auch dann die Terminsgebühr nach RVG-VV Nr. 3104 anfällt59, zuzüglich zur Verfahrensgebühr nach RVG-VV Nr. 3101 und der (gegenüber der Mitwirkung bei einem Prozessvergleich) erhöhten Einigungsgebühr nach RVG-VV Nr. 1000. 55 Unter Berufung auf § 17 Abs. 5 lit. c cc, Abs. 6 ARB 94/2000. S. dazu Schultzky, unten S. 419. 56 AG Bochum, ZKM 2003, 233; wegen Besonderheiten des konkreten Falles aufgehoben durch OLG Hamm, ZKM 2003, 232. S. dazu Mankowski, Ablehnung eines Mediationsangebots und Prozesskostenhilferecht, ZKM 2003, 197 ff. 57 Vgl. Schultzky, unten S. 418 ff. 58 Der Rahmen für die Geschäftsgebühr (RVG-VV Nr. 2300) wurde deutlich (bis zum 2,5fachen) erhöht, so dass umfangreiche Tätigkeiten des Anwalts im vorgerichtlichen Bereich entsprechend honoriert werden können. Die verdiente Geschäftsgebühr verbleibt ihm teilweise auch dann, wenn es trotz der Bemühungen zu einem Prozess kommt (RVG-VV Vorbem. 3 Abs. 4). 59 RVG-VV Vorbem. 3 Abs. 3.
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Bei der Begleitung in einem Mediationsverfahren bekommt der Anwalt bei entsprechender Vereinbarung seinen Zeitaufwand voll vergütet; die Anfertigung umfangreicher Schriftsätze entfällt. Auch der Mandant wird es zu schätzen wissen, dass er seinen finanziellen Aufwand beim Mediationsverfahren recht genau kalkulieren kann, während beim Prozess schon wegen der Möglichkeit von Rechtsmittelverfahren unübersehbare Kostenrisiken drohen. Er wird einer adäquaten Vergütungsvereinbarung für das Mediationsverfahren daher durchaus aufgeschlossen gegenüber stehen. Ein ganz entscheidender Beitrag zur Förderung der außergerichtlichen Streitbeilegung kann schließlich durch die Kautelarpraxis geleistet werden. Wenn bereits bei der Begründung einer Vertragsbeziehung Vorsorge für den Fall eines Konflikts getroffen und hierbei die Prozessvermeidung in den Vordergrund gerückt wird, ist es leichter, zu einer außergerichtlichen Lösung zu gelangen als wenn erst nach Entstehen des Konflikts die Einigung über ein solches Verfahren herbeigeführt werden muss. Oftmals ist dann die Beziehung zwischen den Parteien schon so belastet, die Kommunikation schon so erschwert, dass der Weg zum streitigen Gerichtsverfahren mit all seinen Nachteilen vorgezeichnet ist. In der konstruktiven Atmosphäre bei Vertragsabschluss sind dagegen beide Parteien am Zustandekommen der Rechtsbeziehung und an der Vermeidung von Konflikten interessiert, Vorschläge für Verhandlungs-, Schlichtungs- oder Mediationsklauseln daher gewissermaßen Selbstläufer. Erstaunlich oft unterbleibt jedoch auch in bedeutenden Wirtschaftsverträgen eine entsprechende Vorsorge; meist findet sich für den Fall von Streitigkeiten lediglich eine pauschale Gerichtsstandsklausel oder bestenfalls eine Schiedsabrede60. Wirkt bei Vertragsabschlüssen ein juristischer Berater mit, muss hierin ein Kunstfehler gesehen werden. Der vorbeugenden Konfliktregelung kommt heute die größte Bedeutung bei der Veränderung unserer Streitkultur zu. Auf sie soll daher abschließend ausführlicher eingegangen werden. 4. Vertragliche Konfliktprophylaxe a) Gestaltungsmöglichkeiten Die Parteien können sich verpflichten, im Falle von Meinungsverschiedenheiten oder Streitigkeiten in einer näher zu bestimmenden, den jeweiligen Gegebenheiten entsprechenden Art und Weise eine einvernehmliche Lösung zu suchen. So kann beispielsweise in Verträgen zwischen Wirtschaftsunternehmen – möglichst konkret – vereinbart werden, dass sich auf Aufforde60 Risse, Wirtschaftsmediation, 2003, § 3 Rz. 4. Ganz anders in den USA, wo immer mehr Unternehmen und Anwaltskanzleien freiwillige Selbstverpflichtungserklärungen zu außergerichtlicher Konfliktbeilegung, sog. pledges, abgeben; s. hierzu Zehle, Außergerichtliche Konfliktbeilegung kraft freiwilliger Selbstverpflichtungen, ZKM 2006, 22 ff.
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rung einer Seite führende Vertreter der Parteien innerhalb einer bestimmten Frist an einem bestimmten Ort zu Verhandlungen zu treffen haben61. Der Vorteil solcher Verhandlungsklauseln liegt darin, dass die häufig zu beobachtende Konflikteskalation durch Kommunikationsdefizite vermieden und das entstandene Problem in einem frühen Stadium auf die Ebene der Entscheidungsträger gehoben wird. Dies erleichtert interessenorientierte, konstruktive Lösungen und vermeidet den konsenshindernden Rückzug auf Rechtspositionen. Die Parteien können sich auch in einer Schlichtungsklausel verpflichten, einen etwaigen Konflikt vor einer Schiedsstelle, einem Schlichter oder Mediator zu verhandeln. Auch dabei sollte auf möglichst konkrete Vereinbarungen, z.B. hinsichtlich der Person des Mittlers oder der Verfahrensmodalitäten, hingewirkt werden62. Die Abrede führt, wie eine Schiedsklausel nach §§ 1029, 1032 ZPO, zur Abweisung einer abredewidrig erhobenen Klage als derzeit unzulässig63, sofern nicht der Kläger die Gegeneinrede der Arglist erheben kann64. Da es bei vielen Konflikten um Tatsachenfragen geht, etwa die Ordnungsmäßigkeit einer Leistung oder die Höhe der üblichen Vergütung, empfiehlt es sich, für solche Fälle eine Schiedsgutachtenabrede zu treffen65, da die neutrale, fachkundige Entscheidung der Tatsachenfrage oft zur gütlichen Beilegung des gesamten Konflikts führt. Wichtig sind auch hier genaue Abreden, insbesondere über die Bestimmung des Gutachters, die Kostentragung und einzuhaltende Fristen. Insbesondere bei bedeutsamen Wirtschaftsverträgen kommen auch gestaffelte Vereinbarungen, sog. Eskalationsklauseln, in Betracht, z.B. dass zunächst auf Management-Ebene zu verhandeln und beim Scheitern eine Mediation durchzuführen ist. Am Ende der Stufenleiter sollte eine Schiedsgerichtsklausel stehen66. Der Vorteil liegt darin, dass der Weg zum Zivilprozess endgültig versperrt ist, vor der aufwändigen und oftmals auch destruktiven
61 Näher zur Gestaltung solcher Vereinbarungen Hacke, Der ADR-Vertrag, 2001, S. 252 ff.; Schoen, Konfliktmanagementsysteme für Wirtschaftsunternehmen, 2003, S. 264 ff. 62 Einzelheiten bei Risse (Fn. 60), § 3 Rn. 3 ff.; Eidenmüller, Vertrags- und Verfahrensrecht der Wirtschaftsmediation, 2001, S. 8 ff.; Hacke (Fn. 61), S. 107 ff.; Schoen (Fn. 61), S. 266. 63 BGH, NJW 1984, 669. 64 BGH, NJW 1999, 647. 65 Näher Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl. 2005, Kap. 2; Gottwald in MünchKomm-BGB, 4. Aufl. 2003, § 317 Rz. 27 ff. und (zu den Grenzen der Verbindlichkeit) § 319 Rz. 14 ff. Insbesondere bei Wirtschaftsstreitigkeiten können auch unverbindliche Schiedsgutachten sinnvoll sein; s. Stubbe, Wirtschaftsmediation und Claim Management, BB 2001, 685 (690). 66 Beispiel einer Eskalationsklausel bei Risse (Fn. 60), § 3 Rz. 49.
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Einsetzung eines Schiedsgerichts aber zunächst autonome Lösungen zu versuchen sind. Bei komplexen Vertragsgegenständen, etwa im Anlagenbau, kann es angezeigt sein, von vornherein ein Expertengremium als Dispute Review Board mit der projektbegleitenden Krisenintervention zu betrauen67. Dieses (am besten aus Sachverständigen und Juristen gebildete) Gremium kann beim Auftreten von Problemen rasch und kompetent – je nach Vereinbarung – ein verbindliches Schiedsgutachten erstatten oder eine unverbindliche Empfehlung aussprechen; auch letztere hat faktisch eine erhebliche Bedeutung, weil sie die wahrscheinliche Beurteilung in einem späteren (Schieds-)Gerichtsverfahren erkennen lässt68. Verknüpfungen zwischen Expertise und juristischer Beurteilung lassen sich erzielen, indem das vorgenannte Procedere zu einer Adjudication ausgebaut wird69. In diesem Fall vereinbaren die Parteien, dass die Entscheidung des Board verbindlich wird, wenn sie nicht innerhalb einer bestimmten Frist in einem Schiedsgerichtsverfahren angefochten wird. Bei uns noch kaum bekannte, in den USA aber sehr bewährte Mittel der Prozessvermeidung sind Early Neutral Evaluation (ENE) und mini trial70. Grundidee hierbei ist, dass die Entscheidungsträger der Prozessparteien sich die Überzeugungskraft ihrer Rechtspositionen (und damit die Erfolgschancen eines Prozesses) vor dem Beschreiten des Rechtswegs vor Augen führen lassen und auf dieser Basis Vergleichs- oder Mediationsgespräche führen. Grundlage ist bei der ENE die Stellungnahme eines neutralen, angesehenen Juristen mit besonderem Fachwissen auf dem entscheidenden Gebiet, beim mini trial der eigene Eindruck aus einer simulierten Gerichtsverhandlung. All diese Instrumente, einschließlich aller erdenklicher Misch- und Sonderformen71, können natürlich auch nach Entstehen der Konfliktslage vereinbart werden; die vorbeugende Abrede beim Vertragsschluss erleichtert die dafür erforderliche Einigung aber sehr. b) Anwendungsbereich und Wirksamkeitserfordernisse Grundsätzlich können Konfliktbeilegungsklauseln für alle Streitigkeiten vereinbart werden, die einer vergleichsweisen Regelung zugänglich sind, 67 Vgl. dazu Risse (Fn. 60), § 15 Rz. 53 ff m.w.N., auch zu konkreten Fällen. 68 Risse (Fn. 60), § 3 Rz. 55; Schranke, NZBau 2002, 409 (410). 69 S. dazu Nicklisch, Aktuelle Entwicklungen der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit für Bau-, Anlagenbau- und Konsortialverträge, BB 2001, 789 (792 f.). In England ist dieses Verfahren für bestimmte Bauverträge gesetzlich vorgeschrieben; s. dazu Harbst, Adjudication – „Rough Justice“ in 28 Tagen, SchiedsVZ 2003, 68 ff. 70 Eingehend hierzu Risse (Fn. 60), § 15 Rz. 43 ff. 71 Zur Kombination von Wirtschaftsmediation und Schiedsgutachten s. Stubbe, BB 2001, 685 (690).
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Autonome Konfliktlösung innerhalb und außerhalb des Prozesses
Verhandlungsklauseln auch darüber hinaus. Soweit § 1030 Abs. 2 ZPO die Schiedsfähigkeit von Wohnungsmietstreitigkeiten ausschließt, findet dies seinen Grund im Ausschluss der staatlichen Gerichtsbarkeit; da es bei Schlichtungs- und Mediationsvereinbarungen zu einem solchen nicht kommt, ist die Vorschrift auf diese Abreden nicht analog anzuwenden72. Aus demselben Grund gilt das für Schiedsklauseln normierte Schriftformerfordernis (§ 1031 ZPO) nicht für Mediationsklauseln73, nach h.M. auch nicht für Schiedsgutachtenabreden74. Schlichtungsklauseln sind auch dann (formlos) wirksam, wenn sie von einem Unternehmer mit einem Verbraucher abgeschlossen werden; für eine analoge Anwendung des § 1031 Abs. 5 ZPO ist aus dem vorgenannten Grund kein Raum. Allerdings wäre eine Klausel nach § 138 BGB nichtig, die einem Verbraucher durch die Verpflichtung zum vorherigen Durchlaufen eines kostspieligen Mediationsverfahrens den Rechtsweg de facto endgültig abschneiden würde75. In Allgemeinen Geschäftsbedingungen können Schlichtungs-, Mediationsund Schiedsgutachtenklauseln nur wirksam vereinbart werden, wenn sie nicht unter den konkreten Gegebenheiten als überraschend i.S.v. § 305c Abs. 1 BGB oder unangemessen i.S.v. § 307 Abs. 1 BGB anzusehen sind76. Unproblematisch ist es, wenn in AGB dem Vertragspartner die Option auf ein Mediationsverfahren eingeräumt wird; dadurch wird der Vertragspartner zumindest veranlasst, sich im Konfliktfall Gedanken über diese Verfahrenswahl zu machen77. c) Wirkung und Durchsetzbarkeit Die hier zu behandelnden Abreden schließen den Rechtsweg nicht aus. Allerdings soll durch solche Klauseln, auch wenn sie dies nicht ausdrücklich besagen, eine Klage vor der erfolglosen Durchführung des Güteversuchs nicht zulässig sein. Der Beklagte kann daher einer vorzeitig erhobenen Klage eine dilatorische Einrede entgegenhalten, die zur Abweisung der Klage als derzeit unzulässig führt78. Zudem können gegen eine Partei, die ihre vertrag72 Risse (Fn. 60), § 3 Rz. 11. 73 Eidenmüller (Fn. 62), S. 11; für Schriftform aus Gründen des Übereilungsschutzes aber Risse (Fn. 60), § 3 Rz. 14. 74 BGH, NJW 1975, 1556; Vollkommer in Jauernig, BGB, 11. Aufl. 2004, § 317 Rz. 3; Voit in Musielak, ZPO, 4. Aufl. 2005, § 1029 Rz. 18; Gottwald in MünchKommBGB, § 317 Rz. 41; a.A. (ohne Begründung) Schwab/Walter (Fn. 65), Kap. 2 Rz. 6. 75 Risse (Fn. 60), § 3 Rz. 15 stützt hierauf eine analoge Anwendung des § 1031 Abs. 5 ZPO. 76 Vgl. zu Schiedsstellenklauseln BGHZ 101, 307 (318 ff.), zu Schiedsgutachtenklauseln BGHZ 115, 329. 77 Risse (Fn. 60), § 3 Rz. 19. 78 BGH, NJW 1977, 2263; Risse (Fn. 60), § 3 Rz. 22.
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lich übernommene Pflicht zu vorherigen Verhandlungen bzw. Schlichtungsgesprächen schuldhaft verletzt, Schadensersatzansprüche wegen Pflichtverletzung (§ 280 Abs. 1 BGB) erhoben werden; da aber keine Partei einen erfolgreichen Abschluss dieser Verhandlungen schuldet, sondern sie auch jederzeit abbrechen kann, wird der Nachweis eines kausalen Schadens freilich kaum möglich sein79.
IV. Zusammenfassung Die fremdbestimmte Konfliktlösung kraft Hoheitsakt muss ultima ratio sein. Autonome Lösungen liegen im Gemein- und im Parteiinteresse; sie sind daher in größtmöglichem Umfang anzustreben – und zwar nach Möglichkeit nicht erst im Prozess, sondern ohne Anrufung der Gerichte. Es besteht ein breites Spektrum an Verfahren zur autonomen Konfliktlösung. Die Institutionen der Rechtspflege, insbesondere die rechtsberatenden Berufe, müssen die Konfliktparteien beim Auffinden des im konkreten Fall sachgerechten Verfahrens unterstützen. Ein wichtiger Beitrag hierzu kann durch vertragliche Abreden geleistet werden. Wenn auch die rechtlichen Handhaben zur Herbeiführung einer autonomen Lösung sehr begrenzt sind und es im Hinblick auf die Freiwilligkeit konsensualer Lösungen auch sein müssen, stellen Mediations- oder Schlichtungsklauseln doch wenigstens sicher, dass die Parteien nicht vorschnell und unnötig in den Strudel einer gerichtlichen Auseinandersetzung geraten.
79 Ebenso Risse (Fn. 60), § 3 Rz. 25. Zur Vereinbarung einer Vertragsstrafe aaO Rz. 26.
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Prozessfinanzierung Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Prozessfinanzierer III. Prozedere 1. Ablauf einer Finanzierungsanfrage 2. Vertragsinhalt im Überblick IV. Wirtschaftliche Bedeutung V. Vertragsschluss 1. Vertrag mit Unternehmen 2. Vertrag mit Verbrauchern VI. Vertragstypen 1. Darlehen 2. Versicherungsvertrag 3. Forderungskauf/Factoring 4. Spiel, Wette 5. Gesellschaftsvertrag 6. Vertrag sui generis 7. Stellungnahme VII. Rechtsunwirksamkeit des Vertrages 1. Verstoß gegen das Verbot des Erfolgshonorars 2. Höhe der Erfolgsbeteiligung
3. Verstöße gegen das Rechtsberatungsgesetz 4. Verstoß gegen das Verbot der prozessualen Waffengleichheit VIII. Vertragsinhalt – Rechtskontrolle und Klauselkontrolle 1. Erklärungen des Anspruchsinhabers 2. Informationspflichten 3. Zusatzgebühr 4. Zustimmungsvorbehalte 5. Vergleichsschluss 6. Sicherungsabtretung 7. Geheimhaltung 8. Verschuldensmaßstab 9. Kündigung IX. Anwaltshaftung 1. Hinweispflicht 2. Belehrungspflichten 3. Fehlerhafte Prozessführung X. Resümee
I. Einleitung Nicht nur der Gesetzgeber hat in letzter Zeit neue Wege zum Recht beschritten1. Auch die Privatwirtschaft ist bemüht, neue Produkte auf dem „Marktplatz Recht“ zu platzieren. Die Angebote umfassen Anwalt-Hotlines2, neue Tarife der Rechtsschutzversicherer für Singles und Senioren3 sowie Rechtsschutz in Form telefonischer Erstberatung, ohne dass ein konkreter Rechtsstreit vorliegen muss4. Relativ neu auf dem Markt ist auch die
1 So etwa das Gesetz zur Einführung von Kapitalanleger-Musterverfahren (KapMuG – BGBl. I S. 2437); hierzu Möllers/Weichert, NJW 2005, 2737 ff. und Assmann in dieser Festgabe. 2 S. BGH, NJW 2003, 819. 3 „Rechtsschutz zum halben Preis“, Versicherungsmagazin 11/2005, S. 8. 4 Knospe, Versicherungswirtschaft 2005, 1615.
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Prozessfinanzierung. 1998 wurde das erste Unternehmen gegründet, das die Finanzierung von Prozessen gegen Erfolgsbeteiligung anbot5. Mittlerweile haben sich weitere Gründer etabliert. Schätzungen gehen von rund einem Dutzend Unternehmen aus6. Die Werbebotschaften der Finanzierungsgesellschaften gleichen einander: „Prozessieren ohne Kostenrisiko“, „Klagen ohne Prozesskostenrisiko“, „Recht ohne Risiko“ und „Gerechtigkeit ist keine Kostenfrage“. Die Grundidee der Prozessfinanzierung ist denkbar einfach: Gegen Vorfinanzierung der Verfahrenskosten sowie Übernahme des Prozesskostenrisikos im Unterliegensfall lässt sich der Finanzierer im Erfolgsfall einen Teil des erstrittenen Erlöses versprechen. Dieses Angebot soll eine „Lücke im Rechtsschutzsystem“ schließen7. So wird betont, dass weder staatliche Prozesskostenhilfe noch Rechtsschutzversicherung geeignet seien, lückenlosen Zugang zum Recht zu gewährleisten. Zutreffend ist, dass der Kläger zur gerichtlichen Durchsetzung eines Anspruchs Geld benötigt. Außerdem muss er bereit sein, im Unterliegensfall gem. § 91 ZPO sämtliche Verfahrenskosten (Gerichtskosten, eigene und gegnerische Anwaltskosten) zu tragen. Bei hohen Streitwerten kann das Kostenrisiko erheblich sein. Diese finanzielle Hürde decken Prozesskostenhilfe und Rechtsschutzversicherung nicht durchweg ab8. Für die Gewährung von Prozesskostenhilfe muss der Kläger „bedürftig“ sein; zudem ist er eventuell zur Rückzahlung in Raten verpflichtet9. Im Übrigen befreit die Prozesskostenhilfe nicht vollständig von der Kostenlast: Unterliegt der Kläger, muss er die gegnerischen Kosten tragen (§ 123 ZPO). Für Unternehmen, gleich in welcher Rechtsform, steht diese Hilfe aufgrund der Hürden des § 116 ZPO faktisch nicht zur Verfügung10. Auch eine private Vorsorge durch den Abschluss einer Rechtsschutzversicherung ist nicht für alle gerichtlichen Auseinandersetzungen möglich. So sind zahlreiche Streitigkeiten, wie Erbrecht, Baurecht oder Vertragsstreitigkeiten von Unternehmen vom Rechtsschutz ausgeschlossen (§ 3 ARB 2000). Zudem kann eine Rechtsschutzversicherung nicht erst aus Anlass eines konkreten Rechtsstreits abgeschlossen werden. Schließlich ist es dem Kläger in Deutschland – anders in den USA und England – nicht gestattet, sein Risiko dadurch zu minimieren, dass er mit seinem Anwalt auf Erfolgsbasis abrechnet. Das Geschäftsmodell der Prozessfinanzierung versucht, sich diese Nische nutzbar zu machen. 5 Die FORIS AG wurde bereits 1996 gegründet, trat aber erst 1998 mit dem Geschäftsfeld der Prozessfinanzierung in Erscheinung (siehe den Nachweis in Fn. 15). 6 Handelsblatt „Von den Gründerjahren zur Marktetablierung“ vom 1. 10. 2005 (www.handelsblatt.com/pshb?fn=tt&sfn=go&id=1128200); Frechen/Kochheim, NJW 2004, 1213 mit Verweis auf die Stiftung Warentest. 7 Hierzu Ströbel, BRAK-Mitt. 1999, 205 (206 f.). 8 Vgl. nur Dethloff, NJW 2000, 2225; Frechen/Kochheim, NJW 2004, 1213. 9 Vgl. Bauer, AnwBl. 2001, 538 (539) mit Beispielsfall. 10 Näher Bauer, AnwBl. 2001, 538 (540).
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Die wissenschaftliche Auseinandersetzung zum Thema „Prozessfinanzierung“ ist in vollem Gange. Zahlreiche Dissertationen befassen sich mit dem Thema11. Gerade anfänglich löste das Auftreten des ersten Prozessfinanzierers äußerst skeptische Reaktionen aus. So wurde die Aufforderung an den Gesetzgeber formuliert, die Prozessfinanzierung gesetzlich zu verbieten12. Veröffentlicht wurde auch der Hinweis, gegen Mitstreiter nach § 1 UWG wegen Fehlens der versicherungsrechtlichen Erlaubnis vorzugehen13. Von Seiten der Prozessfinanzierer erfolgten Gegenreaktionen durch Aufsätze und einstweilige Verfügungen14. Sogar zu einem Tatsachenroman des Mitgründers der ersten Prozessfinanzierungsgesellschaft hat es gereicht15. Mittlerweile liegen erste Urteile zum RBerG16, zur Umgehung von Erfolgshonoraren17 sowie zur Sittenwidrigkeit der Höhe der Erfolgsbeteiligung18 vor. Das Geschäft der Prozessfinanzierung betritt in Deutschland in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Neuland. Dieses „Geschäft mit dem Recht“ ist im Folgenden näher zu untersuchen.
II. Prozessfinanzierer Der Markt der Prozessfinanzierer ist ziemlich unübersichtlich. Vor allem ist er ein sehr dynamischer Markt. Im Jahr 1998 tauchte der erste Anbieter, die FORIS-AG19, auf, die bis heute damit wirbt, „der Erfinder der Prozessfinanzierung zu sein“20. Kurze Zeit später fanden sich die ersten „Nachahmer“. Auch einige Versicherungsgesellschaften haben reagiert und Töchter gegründet, die das Geschäft der Prozessfinanzierung als Ergänzung zur vorhande11 Maubach, Gewerbliche Prozessfinanzierung gegen Erfolgsbeteiligung, 2002; Nitzsche, Ausgewählte rechtliche und praktische Probleme der gewerblichen Prozessfinanzierung unter besonderer Berücksichtigung des Insolvenzrechts, 2002; Dimde, Rechtsschutzzugang und Prozessfinanzierung im Zivilprozess, 2003; Kochheim, Die gewerbliche Prozessfinanzierung, 2003; Rochon, Die erfolgshonorierte Prozessfinanzierung und ihre Auswirkung für den Rechtsanwalt, 2003; Jaskolla, Prozessfinanzierung gegen Erfolgsbeteiligung, 2004; Sturm, Zivilrechtliche, prozessuale und anwaltsrechtliche Probleme der gewerblichen Prozessfinanzierung, 2004. 12 Bruns, JZ 2000, 232 (241). 13 Fritzsche/Schmidt, NJW 1999, 2998 (3001). 14 Müller-Güldemeister/Rollmann, NJW 1999, 3540. 15 Müller-Güldemeister, Das Recht und sein Preis – Der Fall Foris, 2. Aufl. 2005. 16 LG Frankfurt, NJW-RR 2003, 426. 17 KG, MDR 2003, 599. 18 OLG München, NJW 2005, 832. 19 Die Aktie des einzig börsennotierten Unternehmens musste starke Kursverluste hinnehmen; so brach der Kurs der FORIS-Aktie von anfänglich 50 Euro ein – er dümpelt heute bei Werten unter 1 Euro (Handelsblatt v. 2. 11. 2005, www.handelsblatt.com/pshb?fn=tt&sfn=go&id=1131737). 20 www.foris.de/thema/999999/index.html; zu den historischen Vorläufern des Modells siehe Rochon (Fn. 11), S. 6 ff.
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nen Produktpalette betreiben21. Diverse weitere Gesellschaften tummeln sich derzeit auf dem Markt, wovon sich einige bereits wieder verabschiedet haben22. In den juristischen Fachblättern sind die Finanzierungsunternehmen wenig präsent: Nur fünf Gesellschaften bewerben dort ihr Produkt. Die Konditionen sind bezüglich Mindeststreitwert und Höhe der Erfolgsbeteiligung unterschiedlich. Finanziert werden grundsätzlich alle vermögensrechtlichen Streitigkeiten; manche Finanzierer setzen Schwerpunkte. Über das Medium Internet lässt sich mittlerweile noch am besten das Spektrum der tätigen Prozessfinanzierer ermitteln.
III. Prozedere 1. Ablauf einer Finanzierungsanfrage Bei den diversen Anbietern ist der Verfahrensablauf von der ersten Kontaktaufnahme bis zum Vertragsschluss weitgehend ähnlich gestaltet23. Bereits der erste Schritt erfordert eine professionelle Aufbereitung des Falls. So verlangt die Mehrzahl der Anbieter für eine erste Sichtung den Entwurf einer Klageschrift. Häufig wird zusätzlich eine Skizzierung des Sachverhalts auf einem vorgegebenen Fragebogen verlangt; hier sind insbesondere Auskünfte zu den zu erwartenden Einwendungen und Gegenansprüchen der Gegenseite zu geben. Manche Finanzierer verzichten allerdings auf die Vorlage eines Klageentwurfs und begnügen sich mit der Ausfüllung eines Online-Fragebogens direkt durch den Anspruchsinhaber. Nach Erhalt der geforderten Informationen prüft der Finanzierer, ob sich der Fall dem Grunde nach für eine Finanzierung durch sein Unternehmen eignet. Dies geschieht im Regelfall für den Anspruchsinhaber kostenlos. Erweist sich der Fall als grundsätzlich geeignet, wird ihm sodann ein vom Finanzierer noch nicht gegengezeichneter Prozessfinanzierungsvertrag zugesandt. Mit seiner Unterschrift gibt der Kunde ein verbindliches Vertragsangebot ab. An dieses Angebot ist er nach den Verlautbarungen im Finanzierungsvertrag in der Regel drei Wochen lang gebunden. Hierdurch soll verhindert werden, dass sich der Anspruchsinhaber allein deshalb an das Finanzierungsunternehmen wendet, um eine zweite, kostenlose juristische Fachmeinung zu erhalten24. Nach Eingang des Angebots erfolgt nun eine zweite Überprüfung des Sachverhalts. Die Erfolgsaussichten der Klage sowie die Bonität des Beklagten werden durch eigene oder externe Prüfer einer intensiven rechtlichen und tatsächlichen Prüfung unterzogen. Die hierdurch angefallenen Kosten werden von 21 Vgl. Rochon (Fn. 11), S. 37; ferner Maubach (Fn. 11), S. 26. 22 S. Kochheim (Fn. 11), S. 31 mit Fn. 9. 23 Zum Ablauf s. auch Frechen/Kochheim, NJW 2004, 1213 (1216); Jaskolla (Fn. 11), S. 9 ff. 24 S. Jaskolla (Fn. 11), S. 13.
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der Finanzierungsgesellschaft getragen. Fällt die Prüfung positiv aus, erfolgt als letzter Schritt die Annahme des Angebots durch den Finanzierer. 2. Vertragsinhalt im Überblick Die (seitenlangen) Prozessfinanzierungsverträge der verschiedenen Anbieter25 stimmen in ihren wesentlichen Regelungsgegenständen überein26. Hauptpflicht des Finanzierers ist die Übernahme sämtlicher Prozesskosten. Dies beinhaltet sowohl die Zahlung der erforderlichen Vorschüsse (Gerichtskosten §§ 65, 68 GKG, Anwaltskosten § 9 RVG, Kosten der Beweisaufnahme) als auch die Erstattung der Prozesskosten des Gegners im Unterliegensfall. Der Anspruchsinhaber wiederum verpflichtet sich, im Fall des Obsiegens eine Erfolgsbeteiligung aus dem Prozesserlös zu zahlen. Die Quote beträgt – je nach Anbieter – zwischen 20% und 50%. Zur Sicherung der vertraglichen Ansprüche wird die streitige Forderung an den Prozessfinanzierer abgetreten. Die Abtretung wird grundsätzlich nicht offen gelegt. Zur Prozessführung bleibt der Anspruchsinhaber verpflichtet. Während des Verfahrens muss er den Finanzierer fortlaufend informieren. Hierzu muss er seinen Rechtsanwalt von der Schweigepflicht entbinden. Dem Rechtsanwalt wird dieser Mehraufwand von manchen Finanzierern mit einer Zusatzgebühr entlohnt, sofern er diese mit seinem Mandanten vereinbart hat. Über die streitige Forderung darf der Anspruchsinhaber prozessual nicht mehr frei verfügen. So ist er zum Abschluss eines Vergleichs, eines Verzichts, einer Klagerücknahme sowie anderen Verfügungen nur mit Zustimmung des Prozessfinanzierers berechtigt. Will der Finanzierer einen vom Gericht oder Gegner angebotenen Vergleich abschließen, nicht aber der Kläger, kann der Kläger den Vertrag kündigen und den Finanzierer zu den Bedingungen des vorgeschlagenen Vergleichs auslösen. Der Prozessfinanzierer wiederum kann kündigen, wenn nach Vertragsschluss Umstände eingetreten sind, die zu einer anderen Bewertung des Prozessrisikos führen. Beispielhaft werden genannt: Wegfall von Beweismöglichkeiten, Vermögensverfall des Gegners, neue Tatsachen, etc. Der Kläger kann den Prozess dann auf eigenes Risiko weiterbetreiben. Die bis dahin angefallenen Kosten trägt der Finanzierer.
25 Einige Anbieter stellen ihre Musterverträge abrufbar auf ihrer Website zur Verfügung: z.B. D.A.S. Prozessfinanzierung AG www.das-prozessfinanzierung.de; First Pacific Risk Financing Ltd. www.prozess-finanzierungen.de; FORIS AG www. foris.de; Pro Concept GmbH www.pc-halle.de; ProzessGarant AG www.prozessgarant.de; Roland ProzessFinanz AG www.roland-prozessfinanz.de; AdvoFin Prozessfinanzierung AG www.advofin.at (für Österreich). Der Verfasserin lagen folgende weitere Musterverträge vor: ACIVO AG, Allianz Prozessfinanz GmbH; JURATEC AG sowie PROXX AG. 26 Näher Jaskolla (Fn. 11), S. 13 ff.; Nitzsche (Fn. 11), S. 10 ff.; ferner Dimde (Fn. 11), S. 159 ff.; Kochheim (Fn. 11), S. 35 ff.; Sturm (Fn. 11), S. 45 ff.; Frechen/Kochheim, NJW 2004, 1213 (1214).
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Beide Parteien verpflichten sich, über den Abschluss und Inhalt des Vertrags Stillschweigen zu bewahren.
IV. Wirtschaftliche Bedeutung Welche wirtschaftliche Bedeutung das Geschäftsfeld der Prozessfinanzierung hat, ist kaum zu beurteilen. Statistiken über die Anzahl finanzierter Prozesse existieren nicht. Prognostiziert wurde zunächst, dass ca. 15 000 bis 20 000 Verfahren pro Jahr allein wegen der Kostenrisiken nicht geführt werden27. Die Praxis zeigt jedoch ein etwas anderes Bild. Bei dem einzig börsennotierten Prozessfinanzierer am Markt, der FORIS AG, wurden zwischen 1998 und 2004 insgesamt 6000 Finanzierungsanfragen bearbeitet; lediglich zwischen 5% und 10% wurden positiv beschieden. Nach Angaben der Allianz Prozessfinanz GmbH wurden seit 2002 Fälle im Gesamtstreitwert von über 2 Milliarden geprüft; derzeit würden Prozesse mit einem Streitwert von insgesamt 150 Mio. Euro finanziert28. Positive Ergebnisse meldet die D.A.S. ProFi AG, die nach eigener Aussage schwarze Zahlen schreibt. Bei ihr wird jede dreizehnte Anfrage positiv beschieden29. Verändert hat sich im Lauf der Zeit der Kundenkreis. Wurden anfangs eher Privatpersonen umworben, nehmen heute vielfach Unternehmen die Prozessfinanzierung zur Schonung der Liquidität in Anspruch. Zu der befürchteten Prozesslawine ist es jedenfalls, wie das Zahlenmaterial zeigt, bislang nicht gekommen.
V. Vertragsschluss 1. Vertrag mit Unternehmen Für den Vertragsschluss gelten die §§ 145 ff. BGB. Mit Übersendung des von ihm unterzeichneten Prozessfinanzierungsvertrags gibt der Anspruchsinhaber ein bindendes Angebot gem. § 145 BGB ab. In den meisten Verträgen ist für das Angebot eine Bindungsdauer von drei30 Wochen vorgesehen. Dem Finanzierer wird damit eine Annahmefrist gem. § 148 BGB eingeräumt. Mit der Annahmeerklärung innerhalb der Frist kommt der Vertrag zustande. Nach Ablauf der Annahmefrist erlischt das Angebot endgültig (§ 146 BGB).
27 S. nur ACIVO AG www.acivo.com.ag.html. 28 Handelsblatt v. 1. 10. 2005 (Fn. 6); weiteres Zahlenmaterial bei Kochheim (Fn. 11), S. 51 f. 29 Nitzsche (Fn. 11), S. 9 in Fn. 17. 30 § 1 Ziff. 1.1. Finanzierungsvertrag der Allianz ProzessFinanz GmbH; Ziff. 2.3. Finanzierungsvertrag ACIVO AG (siehe aber Ziff. 12); Präambel Finanzierungsvertrag D.A.S. Prozessfinanzierung AG; Ziff. 2.1. Finanzierungsvertrag FORIS AG; Vorbemerkung Finanzierungsvertrag Roland ProzessFinanz AG.
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Entgegen mancher Vorgaben in den Finanzierungsverträgen sind weitere Handlungen des Anspruchsinhabers, wie Widerruf oder Kündigung des Angebots31, nicht erforderlich32. 2. Vertrag mit Verbrauchern Ist der Kunde des Finanzierungsunternehmens eine Privatperson, kann er die Bindungswirkung seines Angebots wieder beseitigen. Denn bei Beteiligung eines Verbrauchers (§ 13 BGB) sind die Vorschriften über Fernabsatzgeschäfte (§§ 312b – 312d BGB) zu beachten. Kennzeichnend für das Zustandekommen eines Prozessfinanzierungsvertrags ist der fehlende persönliche Kontakt der Vertragsparteien. Regelmäßig werden Annahme und Angebot per Postweg ausgetauscht. In diesem Fall steht dem Kunden nach § 312d Abs. 1 i.V.m. § 355 BGB ein Widerrufsrecht innerhalb einer Frist von zwei Wochen zu, sofern der Prozessfinanzierungsvertrag unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln (Briefe, Internet, E-Mail) geschlossen wurde33. Zu beachten ist, dass die Frist nur mit ordnungsgemäßer Belehrung über das Widerrufsrecht zu laufen beginnt (§ 355 Abs. 3 S. 3 BGB). Angesichts der Möglichkeit, den Finanzierungsvertrag zu widerrufen, verbleibt dem Finanzierer also das Risiko, die Kosten der Vorprüfung umsonst aufgewendet zu haben. In diesen Fällen gewährleistet auch die dreiwöchige Bindungsdauer keinen Schutz.
VI. Vertragstypen Mittlerweile besteht das Geschäftsmodell der Prozessfinanzierung seit über sieben Jahren. Nach wie vor ist jedoch die Einordnung des Prozessfinanzierungsvertrags in die Vertragstypen des BGB nicht zweifelsfrei geklärt. Die überwiegende Meinung nimmt ein Gesellschaftsverhältnis zwischen Finanzierer und Kläger an. Ob es sich tatsächlich um eine „Partnerschaft“ oder um ein bloßes Austauschverhältnis handelt, ist im Folgenden zu untersuchen. 1. Darlehen Schon die Verwendung des Begriffs „Prozessfinanzierung“ legt einen Darlehensvertrag nahe. Tatsächlich ist ein Hauptmerkmal des Vertrags seine Finanzierungsfunktion. Dem Kläger werden zunächst sämtliche Prozesskosten
31 Etwa Präambel Finanzierungsvertrag D.A.S Prozessfinanzierung AG; Ziff. 2.1 Finanzierungsvertrag FORIS AG; Präambel Roland ProzessFinanz AG. 32 Vgl. Kramer in MünchKomm, BGB, 4. Aufl. 2001, § 146 Rz. 3. 33 Eingehend Sturm (Fn. 11), S. 163 f., S. 171 ff. (teils noch zur alten Rechtslage).
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vorfinanziert. Das Merkmal der Kapitalbereitstellung auf Zeit liegt somit vor. Zudem wird die streitige Forderung zur Sicherheit an den Finanzierer abgetreten, was typisch für ein Kreditgeschäft ist. Die Ermittlung der Gegenleistung gestaltet sich dagegen schwieriger. Die Gegenleistung für die Verschaffung des Kapitals besteht jedenfalls nicht in einem festen Darlehenszins, sondern in einer prozentualen Beteiligung an der erstrittenen Summe. Deshalb wird von einigen Autoren die Ansicht vertreten, dass es sich bei dem Prozessfinanzierungsvertrag um ein partiarisches Darlehen handelt34. Ein partiarisches Darlehen ist dadurch gekennzeichnet, dass der Darlehensgeber statt eines festen Zinssatzes einen Anteil vom erwirtschafteten Gewinn erhält. Auch die Sicherungsabtretung kommt bei derartigen Rechtsverhältnissen vor. Die Qualifizierung als Darlehensvertrag passt allerdings nur für den Prozesserfolg. Nur in diesem Fall ist der Kläger zur Rückzahlung des verauslagten Kapitals verpflichtet. Im Fall des Prozessverlustes oder bei Uneinbringlichkeit der Forderung müssen die vorgeleisteten Prozesskosten dagegen nicht an den Finanzierer zurückbezahlt werden. Da die Rückzahlungspflicht also nicht ausnahmslos besteht, lehnt die überwiegende Ansicht im Schrifttum die Einordnung des Prozessfinanzierungsvertrags als Darlehen ab35. Auch das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen hat diese Rechtsauffassung bestätigt36. Konstitutives Merkmal des Darlehensvertrags sei nach § 488 Abs. 1 S. 2 BGB die unbedingte Rückerstattungspflicht des Darlehensnehmers37. Eine vom Eintritt eines ungewissen Ereignisses (Prozessausgang) abhängige Rückzahlungspflicht sei daher mit der Qualifikation als Darlehen unvereinbar. 2. Versicherungsvertrag Vereinzelt wird im Schrifttum die Rechtsauffassung vertreten, dass der Prozessfinanzierungsvertrag als Versicherungsvertrag einzuordnen ist38. Auf den
34 Bruns, JZ 2000, 237 (238); Rochon (Fn. 11), S. 68 ff.; ferner Ströbel, BRAK-Mitt. 1998, 263 (265). 35 Fritzsche/Schmidt, NJW 1999, 2998 f.; Dethloff, NJW 2000, 2225 (2226); Grunewald, AnwBl. 2001, 540 (541); Frechen/Kochheim, NJW 2004, 1213 (1214); Dimde (Fn. 11), S. 183 f.; Jaskolla (Fn. 11), S. 49 f.; Kochheim (Fn. 11), S. 57 ff.; Maubach (Fn. 11), S. 76 ff.; Nitzsche (Fn. 11), S. 14 f. 36 Vgl. Rollmann, BRAK-Mitt. 1999, 203 (204); Müller-Güldemeister (Fn. 15), S. 92 f. 37 Vgl. Frechen/Kochheim, NJW 2004, 1213 (1214); Kochheim (Fn. 11), S. 61; a.A. Rochon (Fn. 11), S. 70 ff., wonach die Rückzahlungspflicht nicht bedingt, sondern – unter Hinweis auf das alte Rechtsinstitut der Bodmerei – gegenständlich auf die Forderung beschränkt sei. Rochon verkennt, dass die Bodmerei das Recht des Schiffers regelte, eine fremde Sache zu verpfänden; bei Untergang des Schiffs erlosch nicht nur die dingliche Haftung, sondern auch die persönliche Haftung des Schiffers. Hier geht es um die Beteiligung an einer eigenen Forderung des Klägers. 38 Fritzsche/Schmidt, NJW 1999, 2998 (3000 ff.).
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ersten Blick erscheint auch diese Qualifizierung naheliegend. Denn die Übernahme des Prozesskostenrisikos zeigt eine gewisse Parallele zur Rechtsschutzversicherung. Auch das LVG Düsseldorf39 hatte im Jahr 1959 das Vorliegen einer Versicherung in einem ähnlich gelagerten Fall bejaht. Dort hatte ein „Unfallhelfer-Ring“ das Prozesskostenrisiko bei Klagen aus Straßenverkehrsunfällen für eine Erfolgsbeteiligung von 10% übernommen40. Würde es sich bei dem Prozessfinanzierungsvertrag um einen Versicherungsvertrag handeln, wäre für das Tätigwerden der Gesellschaften eine Erlaubnis des Bundesaufsichtsamts für Finanzdienstleistungen (BaFin) nach § 5 Abs. 1 VAG erforderlich. Mit dieser Problematik musste sich der erste Prozessfinanzierer im Jahr 1999 auseinandersetzen. Wenige Tage vor dem geplanten Börsengang wurde seitens des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen (BAV), das nunmehr in der BaFin aufgegangen ist, geprüft, ob das Prozessfinanzierungsgeschäft der Erlaubnispflicht unterliegt. Die Behörde verneinte dies mit dem Argument, dass kein Versicherungsgeschäft betrieben werde41. Wenngleich die Begründung in der Literatur kritisiert worden ist42, besteht bezüglich des Ergebnisses Einigkeit. Der Prozessfinanzierungsvertrag ist nach überwiegender Meinung im Schrifttum nicht als Versicherungsvertrag zu qualifizieren43, da es an wesentlichen, vertragstypischen Merkmalen fehle. Der Versicherungsvertrag ist gesetzlich nicht definiert. Nach Auffassung der Rechtsprechung ist vertragstypisch, dass „gegen Entgelt für den Fall eines ungewissen Ereignisses bestimmte Leistungen übernommen werden, wobei das übernommene Risiko auf eine Vielzahl durch die gleiche Gefahr bedrohter Personen verteilt wird und der Risikoübernahme eine auf dem Gesetz der großen Zahl beruhende Kalkulation zugrunde liegt“44. Zumindest das erste Merkmal ist erfüllt. Die Einstandspflicht des Finanzierers beruht auf einem ungewissen Ereignis, nämlich dem Unterliegen des Klägers im Prozess45. Nicht erfüllt sind jedoch die weiteren Voraussetzungen. Das Geschäft der Prozessfinanzierer ist nicht auf der Grundlage des Gesetzes der großen Zahl 39 40 41 42
LVG Düsseldorf, VerBAV 1959, 150 ff. Eingehend Rochon (Fn. 11), S. 23 ff. BAV, Beschlusskammer-Entscheidung v. 29. 4. 1999, VerBAV 1999, 167 (168). Insbesondere wurde das Argument des BAV, dass die Prozesskostenrisikoübernahme den Vertrag nicht präge, zu Recht heftig kritisiert: so Grunewald, BB 2000, 729 (730); Kochheim (Fn. 11), S. 75 ff. 43 Dethloff, NJW 2000, 2225 (2226 f.); Grunewald, BB 2000, 729 (730); Frechen/Kochheim, NJW 2004, 1213 (1214); Dimde (Fn. 11), S. 167 ff.; Jaskolla (Fn. 11), S. 36 ff.; Kochheim (Fn. 11), S. 70 ff.; Maubach (Fn. 11), S. 83 ff.; Rochon (Fn. 11), S. 55 ff. 44 BGH, NJW-RR 1988, 819 (820); BVerwG, NJW-RR 1987, 474. 45 Etwa Fritzsche/Schmidt, NJW 1999, 2998 (3000); Dethloff, NJW 2000, 2225 (2226); Dimde (Fn. 11), S. 168 f.; Jaskolla (Fn. 11), S. 38; Kochheim (Fn. 11), S. 74 f.; Maubach (Fn. 11), S. 85 f.
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kalkuliert. Das Argument der Gegenseite, deren Geschäftsidee beruhe auf der Auswertung statistischer Daten und umfasse planmäßig den Abschluss vieler Verträge46, vermag nicht zu überzeugen. Die Kalkulation basiert keineswegs auf dem Gesetz der großen Zahl, wenn man sich die Beteiligungsquoten der Finanzierer vor Augen hält47. Zudem erfolgt eine individuelle Risikoprüfung, die sich in der hohen Ablehnungsquote der Finanzierungsanfragen widerspiegelt48. Das Risiko wird während des gesamten Verfahrens fortlaufend überprüft. Anders als eine Rechtsschutzversicherung ist die Prozessfinanzierung auch als Einzelgeschäft denkbar49. Ebenso wenig ist das Merkmal der Entgeltlichkeit zu bejahen50. Den Kläger trifft keine Prämienzahlungspflicht. Gerade im Fall der Verwirklichung des Risikos bleibt er von den Kosten frei gestellt51. Der Mitgründer des ersten Finanzierers fand ein einfaches, aber nicht weniger überzeugendes Argument: „Im Gegensatz zu einer Bank oder Versicherung bringen wir unseren Vertragspartnern Geld, statt von ihnen etwas zu nehmen.“52 3. Forderungskauf/Factoring Manche Prozessfinanzierungsgesellschaften ordnen ihr Leistungsspektrum unter das Kaufrecht ein53. Auch das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen hat die Nähe zum Forderungskauf betont54. Aus Kundensicht wäre eine solche Betrachtung ebenfalls naheliegend: Der Prozessfinanzierer kauft dem Kläger einen Teil der streitigen Forderung gegen Übernahme des Prozessrisikos ab. Im Schrifttum wird die Einordnung des Prozessfinanzierungsvertrags als Kaufvertrag übereinstimmend abgelehnt55. Es fehle an ei46 Fritzsche/Schmidt, NJW 1999, 2998 (3000); Kochheim (Fn. 11), S. 80 ff; Maubach (Fn. 11), S. 87 ff. 47 S. auch Dimde (Fn. 11), S. 169; Nitzsche (Fn. 11), S. 20. 48 Zutreffend Grunewald, BB 2000, 729 (730); Nitzsche (Fn. 11), S. 20 f.; ferner Dimde (Fn. 11), S. 171; Jaskolla (Fn. 11), S. 42. 49 Vgl. Dimde (Fn. 11), S. 175. Der Mitvorstand und Mitgründer der FORIS AG Müller-Güldemeister hatte das Konzept bereits als Justiziar einer Hamburger Bank anhand eines Einzelfalls erprobt; hierzu Jaskolla (Fn. 11), S. 5. 50 Dethloff, NJW 2000, 2225 (2227); Frechen/Kochheim, NJW 2004, 1213 (1214); Dimde (Fn. 11), S. 172 f.; Jaskolla (Fn. 11), S. 38 ff.; Rochon (Fn. 11), S. 64 ff. 51 Fritzsche/Schmidt, NJW 1999, 2998 (3000); Müller-Güldemeister/Rollmann, NJW 1999, 3540; Kochheim (Fn. 11), S. 83 f.; Maubach (Fn. 11), S. 89 ff. 52 Müller-Güldemeister (Fn. 15), S. 95 (zum Verlauf der Prüfung aus persönlicher Sicht: S. 92–97). 53 So First Pacific Risk Financing Ltd. www.prozess-finnazierungen.de/abwicklung.htm („Ankauf des Anspruchs“); ferner JURATEC AG, die den Kauf der Forderung anbietet (www.juratec.net/Content/Rechtekauf). 54 BAV, VerBAV 1999, 167 (168). 55 Grunewald, BB 2000, 729 (730); Frechen/Kochheim, NJW 2004, 1213 (1214); Jaskolla (Fn. 11), S. 50 ff.; Kochheim (Fn. 11), S. 61 ff.; s. auch Fritzsche/Schmidt, NJW 1999, 2998 (2999) zum Factoring.
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nem Wesensmerkmal des Kaufvertrags. Kennzeichnend für den Kaufvertrag ist nach §§ 433 Abs. 1, 453 Abs. 1 BGB die Verpflichtung des Verkäufers, den Kaufgegenstand gegen Entgelt endgültig auf den Käufer zu übertragen. Bei der Prozessfinanzierung finde ein Wechsel der Inhaberschaft nicht statt56. Da die Forderung nur zu Sicherungszwecken übertragen werde, sei eine Vollübertragung gerade nicht gewollt57. Wegen seiner Finanzierungsfunktion wird darüber hinaus diskutiert, ob der Prozessfinanzierungsvertrag eine Variante des echten bzw. unechten Factoring ist. Gegenstand des Factoring ist die Vorfinanzierung offener Kundenforderungen eines Unternehmers durch einen Factor58. Der Factor lässt sich die Forderungen abtreten und schreibt den Gegenwert unter Abzug einer Provision dem Unternehmen gut. Der Vorteil besteht also in der verbesserten Liquidität des Unternehmens, das aber stets für den Bestand der Forderungen haftet. Beim echten Factoring trägt der Factor das Bonitätsrisiko, d.h. die Gefahr der Zahlungsunfähigkeit des Endkunden. Daher wird das echte Factoring als Rechtskauf qualifiziert. Beim unechten Factoring wird die Forderung im Fall der Zahlungsunfähigkeit beim Vertragspartner zurückbelastet. Das unechte Factoring wird daher überwiegend als Darlehen qualifiziert. Die Einordnung des Prozessfinanzierungsvertrags als Factoringvertrag wird übereinstimmend abgelehnt59. Echtes Factoring scheide schon deshalb aus, weil es an einer endgültigen Übertragung der Forderung auf den Factor fehle. Darüber hinaus hafte der Anspruchsinhaber im Gegensatz zum Factoring, wo der Kunde das Veritätsrisiko trage, nicht für den Bestand der Forderung60. Weiter wird angeführt, dass der Prozessfinanzierer im Unterschied zum Factor nur eine einzelne Forderung bevorschusse und diese auch nicht gesamt, sondern nur bezogen auf die Prozesskosten61.
56 Frechen/Kochheim, NJW 2004, 1213 (1214); Dimde (Fn. 11), S. 180. 57 Fritzsche/Schmidt, NJW 1999, 2998 (2999); Jaskolla (Fn. 11), S. 51; Kochheim (Fn. 11), S. 62; Maubach (Fn. 11), S. 71 f. Nicht stichhaltig ist das Argument von Grunewald, BB 2000,729 (730), bei normaler Vertragsabwicklung zeige die Rückübertragung der Forderung an den Kläger, dass ein Forderungskauf nicht gewollt sei. Bei planmäßiger Abwicklung (= Erfüllung) erlischt die Forderung; eine Rückübertragung findet nicht statt (zutr. Kochheim [Fn. 11], S. 63). 58 Näher Heinrichs in Palandt, BGB, 65. Aufl. 2006, § 398 Rz. 35 ff.; Stürner in Jauernig, BGB, 11. Aufl. 2004, § 398 Rz. 29 ff.; Brox/Walker, Besonderes Schuldrecht, 29. Aufl. 2004, § 7 Rz. 59 ff. 59 Etwa Dimde (Fn. 11), S. 177 ff.; Kochheim (Fn. 11), S. 64 ff.; Nitzsche (Fn. 11), S. 15 f. 60 Fritzsche/Schmidt, NJW 1999, 2998 (2999); Dimde (Fn. 11), S. 181; Jaskolla (Fn. 11), S. 55; Nitzsche (Fn. 11), S. 16. 61 Kochheim (Fn. 11), S. 65 f.
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4. Spiel, Wette Wegen der Abhängigkeit der Erfolgsbeteiligung vom Eintritt eines ungewissen Ereignisses (Prozessausgang) wird in der Tagespresse die Prozessfinanzierung als „intelligente Wette auf Prozesserfolge“ bezeichnet62. Im Schrifttum wird die Einordnung des Prozessfinanzierungsvertrags als Spekulationsgeschäft (§ 762 BGB) zu Recht verneint63. Ein Spielvertrag sei durch diametrale Erwartungshaltungen gekennzeichnet. Der Gewinn für die eine Seite bedeute zwangsläufig den Verlust für die andere Seite. Diese Situation liegt der Prozessfinanzierung gerade nicht zugrunde. Denn beide Parteien wollen den Prozess grundsätzlich gewinnen. 5. Gesellschaftsvertrag Der überwiegende Teil der Literatur qualifiziert den Prozessfinanzierungsvertrag als (Innen-)Gesellschaftsvertrag64. Diese Ansicht hat auch Zuspruch in der Rechtsprechung erfahren65. Die Einordnung der Geschäftsidee „Prozessfinanzierung“ als Gesellschaftsvertrag hat weitreichende Konsequenzen. So ist nach § 310 Abs. 4 S. 1 BGB eine AGB-Kontrolle von Gesellschaftsverträgen grundsätzlich ausgeschlossen. Das von Seiten der Prozessfinanzierer vorformulierte, umfangreiche Klauselwerk wäre damit einer gerichtlichen „Vertragsgerechtigkeits-Kontrolle“ weitgehend entzogen. Um diese Konsequenz zu vermeiden, gibt es allerdings Stimmen, die eine AGB-Kontrolle des Vertrags für zulässig erachten66. Maßgebend für die Einordnung des Prozessfinanzierungsvertrags als Gesellschaftsvertrag ist das Vorhandensein eines gemeinsamen Zwecks (§ 705 BGB). Dieses unverzichtbare Wesensmerkmal dient dazu, die Gesellschaft von den reinen Austauschverträgen abzugrenzen67. Unbestreitbar ist, dass sowohl Kläger als auch Prozessfinanzierer ein Interesse an einem erfolgreichen Prozessausgang haben. Dieses Interesse wird von den Befürwortern als ausreichend erachtet. Gemeinsamer Zweck sei die gerichtliche Durchset-
62 Hierzu Kochheim (Fn. 11), S. 68. 63 Dethloff, NJW 2000, 2225 (2227); Jaskolla (Fn. 11), S. 58 f.; Kochheim (Fn. 11), S. 68 ff.; Nitzsche (Fn. 11), S. 22 f.; Maubach (Fn. 11), S. 81 f. 64 So Dethloff, NJW 2000, 2225 (2227; andererseits wird die Erfolgsbeteiligung auf S. 2225 als „Gegenleistung“ für die Kostenübernahme bezeichnet); Frechen/Kochheim, NJW 2004, 1213 (1214); Dimde (Fn. 11), S. 186 ff.; Jaskolla (Fn. 11), S. 62 ff.; Maubach (Fn. 11), S. 95 ff.; Nitzsche (Fn. 11), S. 23 ff.; Sprau in Palandt, BGB, § 705 Rz. 42. 65 In diese Richtung LG Köln, NJW-RR 2003, 426, 427 (andererseits formuliert es auf S. 426: „die Gegenleistung für die Beklagte besteht darin ...“). 66 Dethloff, NJW 2000, 2225 (2228); Grunewald, AnwBl. 2001, 540 (543); ablehnend Jaskolla (Fn. 11), S. 138 ff. 67 Statt vieler Grunewald, Gesellschaftsrecht, 6. Aufl. 2005, 1.A Rz. 5.
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zung und Realisierung der dem Kläger zustehenden Forderung68. Der Beitrag des Klägers bestehe in der Einlage der Forderung, der Beitrag des Finanzierers in der Übernahme der Prozesskosten und des Prozesskostenrisikos69. Zahlreiche weitere Indizien sollen zudem für das Vorliegen eines Gesellschaftsvertrags sprechen. Verwiesen wird auf die Kontrollrechte, die typisch für das Bestehen einer Gesellschaft sind. Auch die weitreichenden Zustimmungserfordernisse bezüglich Klagerücknahme, Klageverzicht etc. seien Ausdruck des mitgliedschaftlichen Charakters, da es sich um Grundlagengeschäfte der Gesellschaft handle70. Schließlich wird auf eine Entscheidung des OLG Hamburg71 aus dem Jahr 1916 verwiesen, das bei einer finanziellen Beteiligung an den Rechtsverfolgungskosten eines anderen ein Gesellschaftsverhältnis bejaht hatte72. Dieser Standpunkt wird auch in der gesellschaftsrechtlichen Literatur geteilt73. Allerdings gibt es auch eine Reihe von Argumenten, die gegen die Einordnung des Prozessfinanzierungsvertrags als Gesellschaftsvertrag sprechen74. Eine Vielzahl der in den Finanzierungsverträgen enthaltenen Regelungen stimmt mit dem Leitbild der Gesellschaft bürgerlichen Rechts nicht überein. Die Gesellschaft ist durch die besonderen Treuepflichten der Gesellschafter gekennzeichnet. Diese bestehen insbesondere gegenüber der Gesellschaft selbst. Die Kündigungsmöglichkeiten des Finanzierers passen schlecht in dieses Bild. Die Möglichkeit, sich kurzfristig vom Vertrag zu lösen, ist einseitig zu dessen Gunsten geregelt75. Teils kann sich dieser „jederzeit“ oder „nach pflichtgemäßen Ermessen“ oder „aufgrund anderer Bewertung der Erfolgsaussichten“ vom Vertrag lösen. Die Verwirklichung des Gesellschaftszwecks wird auf diese Weise in das Ermessen des Finanzierers gestellt. Wenig gesellschaftsspezifisch ist auch die Einräumung von Sicher68 So Dethloff, NJW 2000, 2225 (2227); Grunewald, AnwBl. 2001, 540 (542); Frechen/ Kochheim, NJW 2004, 1213 (1214); Maubach (Fn. 11), S. 97; Nitzsche (Fn. 11), S. 23 f.; ausführlich Kochheim (Fn. 11), S. 93 ff. 69 Grunewald, AnwBl. 2001, 540 (542); Frechen/Kochheim, NJW 2004, 1213 (1215); Kochheim (Fn. 11), S. 98 ff. 70 Vgl. Kochheim (Fn. 11), S. 113; Grunewald, AnwBl. 2001, 540 (542); Dimde (Fn. 11), S. 189. 71 OLG Hamburg OLGZ 33 (1916), 119 f. Dem Urteil liegt ein spezifischer Sonderfall zugrunde. A hatte Geld an X verliehen, damit sich X an Geschäften seines Bruders beteiligen konnte. X versprach dafür, die Hälfte des Gewinns abzugeben. Der Bruder bestritt die Beteiligung von X. Um seinen hälftigen Gewinn zu realisieren, vereinbarte A mit X, den Bruder zu verklagen und die Hälfte der Prozesskosten zu tragen. 72 Etwa Frechen/Kochheim, NJW 2004, 1213 (1214); s. aber auch Rochon (Fn. 11), S. 82. 73 Ulmer in MünchKomm BGB, 4. Aufl. 2004, § 705 Rz. 144. 74 Ebenso Fritzsche/Schmidt, NJW 1999, 2998 (3001); Bruns, JZ 2000, 237 (238). 75 Zutreffend Rochon (Fn. 11), S. 87; Sturm (Fn. 11), S. 62 f.; dies räumt auch Jaskolla (Fn. 11), S. 70, ein; a.A. Maubach (Fn. 11), S. 101 f.
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heiten. So entspricht die Sicherungsabtretung der Forderung eher dem Bedürfnis eines Darlehensgebers als dem eines Gesellschafters76. Konträr ist auch das Recht zur Offenlegung der Sicherungsabtretung, wenn man sich den Charakter einer „stillen“ Gesellschaft vergegenwärtigt. Zudem widerspricht das Recht zur Prozessübernahme nach Offenlegung der Vorschrift des § 712 BGB, wonach die Geschäftsführung nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes und nur durch Mehrheitsbeschluss entzogen werden kann. Auch die intensiven Kontroll- und Mitspracherechte sind ein Indiz dafür, dass es dem Prozessfinanzierer ausschließlich um die Wahrung eigener Rechtspositionen geht. Besonders deutlich wird dies beim Thema „Vergleich“77. Macht das Gericht oder die Gegenseite einen Vergleichsvorschlag und hält der Finanzierer diesen für sachgerecht, der Kläger aber nicht, kann er den Vertrag kündigen und den Finanzierer zu den Bedingungen des vorgeschlagenen Vergleichs auslösen. Ein schneller Vergleich kommt vor allem dem Finanzierer zu gute, der durch die Zahlung der Gerichts- und Anwaltskosten seine Liquidität bindet. Daher kann selbst die Annahme eines schlechten Vergleichs durchaus in seinem Interesse liegen. Im umgekehrten Fall (der Kläger wünscht den Vergleich) bestehen solche Rechte nicht. Die gerichtliche Durchsetzung erweist sich also keineswegs als der gemeinsame Zweck der Vertragsparteien. Die Einordnung des Prozessfinanzierungsvertrags als Gesellschaftsvertrag scheidet daher aus. 6. Vertrag sui generis Vereinzelt wird die Auffassung vertreten, bei dem Prozessfinanzierungsvertrag handle es sich um einen Vertrag eigener Art mit Merkmalen eines partiarischen Rechtsverhältnisses, da die Vergütung des Finanzierers an den Gewinn gekoppelt sei78. Die Begründung ist denkbar knapp: „Ohne Not werde versucht, die Prozessfinanzierung einem bestimmten Vertragstyp zuzuordnen.“ Offen bleibt, wie ein sachgerechter Interessenausgleich erfolgen soll. Die „Skizzierung eines möglichen Leitbilds“ auf knapp zwei Seiten lässt viele Fragen offen. 7. Stellungnahme Richtet man den Blick einzig auf die Gewinnbeteiligung des Finanzierers, erscheint es nahezu zwingend, den Vertrag entweder als partiarisches Darlehen oder als stille Gesellschaft im Sinne eines „qualifizierten Kreditverhältnisses“ einzuordnen. Wird der Vertragspartner nicht nur am Gewinn, 76 Vgl. Sturm (Fn. 11), S. 63; a.A. Rochon (Fn. 11), S. 85. 77 Zutreffend Fritzsche/Schmidt, NJW 1999, 2998 (3001); Rochon (Fn. 11), S. 87 f.; a.A. Maubach (Fn. 11), S. 97 f. 78 Sturm (Fn. 11), S. 64 ff.
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sondern auch am Verlust beteiligt, schließt dies nach h.M. ein partiarisches Rechtsverhältnis aus79. Folglich bliebe nur die stille Gesellschaft übrig. Die Bedenken, die gegen ein Gesellschaftsverhältnis sprechen, wurden bereits aufgezeigt. Der Prozessfinanzierungsvertrag ist m.E. als ein gemischt-typischer Vertrag einzuordnen, bei dem kauf- und darlehensrechtliche Elemente dominieren. Mit dieser Einordnung würden auch die Schwierigkeiten verschwinden, die die h.M. von ihrem gesellschaftsrechtlichen Ausgangspunkt mit der Anwendung der AGB-Vorschriften (§§ 305 ff. BGB) hat. Der Wille der Parteien bezieht sich auf zwei Hauptpunkte: die prozentuale Beteiligung des Finanzierers am Prozesserlös und die Übernahme des Kostenrisikos. Diese Vorstellungen der Parteien könnten durch die Einordnung als Rechtskauf i.S.d. §§ 433 Abs. 1, 453 BGB (rechtlich) verwirklicht werden. Kaufgegenstand wäre der prozentuale Anteil an der streitgegenständlichen Forderung einschließlich ihrer Surrogate. Allerdings müsste sich das Pflichtenprogramm des Prozessfinanzierungsvertrags mit dem Pflichtenprogramm des Rechtskaufs decken. Beim Forderungskauf steht der Käufer grundsätzlich für den rechtlichen Bestand des Rechts ein80. Laut den Prozessfinanzierungsverträgen haftet der Anspruchsinhaber aber gerade nicht für den Bestand und die Werthaltigkeit der Forderung. Derartige Vereinbarungen wären immerhin beim Rechtskauf möglich. Denn die Haftung des Verkäufers für Rechtsmängel ist ganz oder teilweise abdingbar81. Zudem ist die Verkäuferhaftung stets ausgeschlossen, wenn der Käufer Kenntnis (§ 442 Abs. 1 BGB) vom Mangel des Rechts hat. Dies ist hier der Fall. Aufgrund der Finanzierungsanfrage ist offensichtlich, dass der Bestand der Forderung streitig ist. Dazu passt, dass der Anspruchsinhaber für die wahrheitsgemäßen Angaben über Inhalt und Umfang der Forderung haften soll. Bezüglich etwaiger Schadensersatzansprüche könnte sich der Anspruchsinhaber nicht auf einen Haftungsausschluss berufen, wenn er arglistig gehandelt hat (§ 444 BGB). Die weiteren Haftungsmodalitäten im Prozessfinanzierungsvertrag fallen ebenfalls unter das Pflichtenprogramm beim Rechtskauf: So soll der Kläger dafür haften, dass das verkaufte Recht übertragen werden kann (§ 399 BGB), keine Rechte Dritter (Verpfändung, Pfändung) bestehen und die Forderung nicht durch Aufrechnung erloschen ist. Eine Bestandsgarantie wird angesichts des anstehenden Gerichtsverfahrens wohl damit nicht verbunden sein. Der Kläger haftet schließlich auch dafür, dass die Forderung nicht nach Vertragsschluss durch Klagerücknahme oder -verzicht (prozessual) untergeht. Andererseits haftet der Anspruchsinhaber nicht für die Bonität des Drittschuldners; dies wiederum entspricht der üblichen Haftungsverteilung beim 79 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 67 II 1c bb; Stürner in Jauernig, BGB, § 705 Rz. 10. 80 Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, 7. Aufl. 2004, Rz. 1234. 81 Brox/Walker, Besonderes Schuldrecht, Rz. 31; Malzer in Hoeren/Martinek, SKK, Teil B § 435 Rz. 50.
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Rechtskauf82. Sämtliche Regelungsgegenstände des Prozessfinanzierungsvertrags im Zusammenhang mit der Forderung lassen sich somit unter den Rechtskauf subsumieren. Dass die Übertragung der Forderung im Finanzierungsvertrag zur „Sicherheit“ der vertraglichen Ansprüche erfolgt, steht dem hier vertretenen Ansatz nicht entgegen. Der Inhalt der Erklärung ist durch Auslegung zu ermitteln. Zunächst ist zu konstatieren, dass die Vollabtretung der Forderung rechtlich bedenklich ist. Da von vorneherein feststeht, dass der Finanzierer in der Regel maximal 30% der Forderung erhält, kommt eine anfängliche Übersicherung mit der Folge der Nichtigkeit der Abtretung (§ 138 BGB) in Betracht83. Zudem wird das Sicherungsbedürfnis des Finanzierers durch die Abtretung nicht befriedigt. Sein Interesse geht dahin, einen unmittelbaren Zahlungsanspruch im Fall des Prozessgewinns zu erhalten. So findet sich auch in den Vertragsbedingungen die (schuldrechtliche) Verpflichtung des Klägers, seinen Anwalt unwiderruflich anzuweisen, die Erfolgsbeteiligung direkt an den Finanzierer auszuzahlen. Durch die Sicherungsabtretung ist eine dingliche Beteiligung am Prozesserlös nicht zu erzielen. Dies zeigt folgende Überlegung: Bezahlt der Gegner die titulierte Forderung, erlischt diese durch Erfüllung (§ 362 BGB). Die Sicherungsabtretung würde ins Leere laufen84. Eine dingliche Beteiligung des Finanzierers an der Forderung ist nur durch eine Teilabtretung der Forderung realisierbar85, die unter der Bedingung tatsächlicher Gewinnrealisierung erfolgen müsste. Kann dem Kläger die Rolle eines Verkäufers zugeschrieben werden, ist hingegen die Rolle des Finanzierers als Käufer problematisch. Es stellt sich die Frage nach der Gegenleistung. Grundsätzlich besteht die Pflicht des Käufers, den Kaufpreis in Geld zu entrichten (§ 433 Abs. 2 BGB). Die Bezahlung der Prozesskostenvorschüsse könnte als solches Entgelt angesehen werden. Der Kaufpreis kann aber auch durch die Übernahme von Verbindlichkeiten entrichtet werden. Die Verpflichtung des Finanzierers, die gesamten Prozesskosten im Fall des Unterliegens zu zahlen, könnte daher als Gegenleistung für die Beteiligung am Prozesserlös verstanden werden. Komplizierter wird es im Fall des Obsiegens im Prozess. Die Pflicht zur Gegenleistung entfällt in diesem Fall. Die vom Finanzierer erbrachten Leistungen sind vom Kläger zurückzugewähren. Damit scheitert die Einordnung als reiner Kaufvertrag. Hier zeigt sich der darlehensrechtliche Charakter des Prozessfinanzierungsvertrags. Das befürchtete Risiko hat sich im Erfolgsfall
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Vgl. Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, Rz. 1237; Putzo in Palandt, BGB, § 453 Rz. 22. Allgemein Heinrichs in Palandt, BGB, § 138 Rz. 97. Ebenso Kochheim (Fn. 11), S. 213. Zu deren Zulässigkeit eingehend Roth in MünchKomm BGB, 4. Aufl. 2003, § 398 Rz. 63 ff.
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nicht verwirklicht. Demzufolge ist das Kapital zurückzugewähren. Mit der Qualifizierung als gemischter Vertrag mit vorwiegend kaufrechtlichen Elementen lassen sich etwaige Leistungsstörungen sachgerecht erfassen. Bei schuldhafter Verletzung von Nebenpflichten kommt eine Haftung aus § 280 Abs. 1 BGB in Betracht.
VII. Rechtsunwirksamkeit des Vertrages Im Zusammenhang mit dem Modell der Prozessfinanzierung werden im Wesentlichen vier Nichtigkeitsgründe diskutiert. Im Fokus stehen die vom Erfolg abhängige Honorierung, die Höhe der Beteiligung am Prozesserlös, die umfangreichen Mitwirkungsbefugnisse des Finanzierers sowie die einseitige Möglichkeit risikoloser Rechtsverfolgung für den Kläger. 1. Verstoß gegen das Verbot des Erfolgshonorars a) Finanzierungsunternehmen Anders als in den USA und England86 sind Erfolgshonorare in Deutschland nicht gestattet. Nach der Vorschrift des § 49b Abs. 2 BRAO ist es Rechtsanwälten ausdrücklich untersagt, ihre Vergütung vom Ausgang der Rechtssache abhängig zu machen oder sich einen Anteil am erstrittenen Prozesserlös (quota litis) versprechen zu lassen. Ein Verstoß führt nach § 134 BGB zur Nichtigkeit der Vereinbarung87. Fraglich ist, ob das Verbot der quota litis auch für Prozessfinanzierungsverträge zum Tragen kommt, da der Finanzierer im Erfolgsfall einen Teil des erstrittenen Betrags erhält. Nach einhelliger Ansicht verstößt die Vereinbarung einer Erfolgsbeteiligung zugunsten des Finanzierers jedenfalls dann nicht gegen das in § 49b Abs. 2 BRAO normierte Verbot, wenn prozessführender Anwalt und Finanzierer voneinander unabhängig sind88. Der Rechtsanwalt wird gerade nicht am Prozesserlös beteiligt. Er erhält seine Vergütung unabhängig vom Ausgang des Rechtsstreits. Der Finanzierer wiederum ist nicht Adressat des in § 49b Abs. 2 BRAO normierten Verbots89. Das Verbot wendet sich ausschließlich an die Rechtsanwalt-
86 Seit 1995 sind für bestimmte Fallgestaltungen in England anwaltliche Erfolgshonorare gestattet; um dem Kläger ein risikoloses Prozessieren zu ermöglichen, kann er für den Fall des Unterliegens eine Versicherung (after-the-event-insurance) abschließen, welche die gegnerischen Anwaltskosten abdeckt; hierzu eingehend Schepke, Das Erfolgshonorar des Rechtsanwalts, 1998, S. 21 ff. 87 Allg. Meinung, KG, BRAK-Mitt. 2003, 244; Dittmann in Henssler/Prütting, BRAO, 2. Aufl. 2004, § 49b Rz. 23; Dethloff, NJW 2000, 2225 (2227). 88 Vgl. Dethloff, NJW 2000, 2225 (2228); Grunewald, AnwBl. 2001, 540 (542); Frechen/Kochheim, NJW 2004, 1213 (1215). 89 Vgl. nur Frechen/Kochheim, NJW 2004, 1213 (1215).
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schaft und dient dem Schutz der anwaltlichen Unabhängigkeit als Organ der Rechtspflege90. Es soll verhindert werden, dass der Rechtsanwalt den Ausgang eines Mandats zu seiner eigenen wirtschaftlichen Angelegenheit macht91. Insbesondere soll auch die Gefahr unlauterer Prozessführung verhindert werden. Sind Rechtsanwälte und Finanzierer unabhängig, besteht diese Gefahr nicht. b) Finanzierungsunternehmen mit anwaltlicher Beteiligung Ist der prozessführende Rechtsanwalt an dem Finanzierungsunternehmen als Gesellschafter beteiligt, könnte eine Umgehung des § 49b BRAO vorliegen mit der Folge der Nichtigkeit des Vertrags92. Nachdem im Jahr 1999 ca. 3000 Rechtsanwälte als Aktionäre an der FORIS AG beteiligt waren93, wurde anfangs heftig diskutiert, ob diese Rechtsanwälte gegen das Verbot der quota litis verstoßen, wenn sie ein finanziertes Verfahren betreuten. Die Diskussion ist mittlerweile ausgestanden. Es entspricht heute allgemeiner Ansicht, dass die bloße Kapitalbeteiligung an einer Publikums-AG unproblematisch ist94. Schwieriger sind die Folgen der Gesellschafterstellung außerhalb einer Publikums-AG zu beurteilen. Dass sich Anwälte als Gründer versuchen und das Geschäft der Prozessfinanzierung in der Rechtsform der GmbH/kleinen AG betreiben, ist in der Praxis durchaus zu beobachten95. Teils wird die äußerst strikte Ansicht vertreten, dass das Verbot anwaltlicher Erfolgshonorare stets umgangen werde, wenn Rechtsanwälte Finanzierungsunternehmen gründen, um Prozesse ihrer eigenen Mandanten zu finanzieren96. Das KG hat eine Umgehung von § 49b BRAO angenommen, wenn das Unternehmen durch eine 90%ige Beteiligung des prozessführenden Anwalts beherrscht wird97. Andere sehen die Unzulässigkeit bei einer „mehrheitlichen Beteiligung“ oder bei einem „kleinen Anlegerkreis“98. Schließlich findet sich der Standpunkt, aus der Wertung des § 29 Abs. 2 WpÜG gehe hervor, dass eine Kontrolle von unter 30% unbedeutend sei99.
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So die Begründung des Regierungsentwurfs BT-Drs. 12/4993 S. 31. Vgl. Dittmann in Henssler/Prütting, BRAO, § 49 b Rz. 15. Kochheim, S. 167; Sturm (Fn. 11), S. 254. Rollmann, BRAK-Mitt. 1999, 203 (204). Grunewald, BB 2000, 729 (731); Dethloff, NJW 2000, 2225 (2228); Frechen/Kochheim, NJW 2004, 1213 (1215); Henssler, NJW 2005, 1537 (1540); Jaskolla (Fn. 11), S. 82; Kochheim (Fn. 11), S. 162; Maubach (Fn. 11), S. 164; Nitzsche (Fn. 11), S. 58. So der Sachverhalt von KG, MDR 2003, 599 f.; Henssler, NJW 2005, 1537 (1540). So Dethloff, NJW 2000, 2225 (2228); wohl auch Sturm (Fn. 11) S. 252 ff.; Bruns, JZ 2000, 232 (239). KG, MDR 2003, 599 f. So Sturm (Fn. 11), S. 119; Kochheim (Fn. 11), S. 165 f.; ferner Nitzsche (Fn. 11), S. 58 f.; Bruns, JZ 2000, 232 (236). Vgl. Henssler, NJW 2005, 1537 (1540).
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Angesichts der Schwierigkeit einer klaren Grenzziehung bleibt nur der Appell an die Anwaltschaft, das Geschäft der Prozessfinanzierung anderen zu überlassen100. 2. Höhe der Erfolgsbeteiligung Nicht nur die Beteiligung als solche, sondern auch die Höhe der Beteiligung weckt Bedenken. So wird diskutiert, ob der Prozessfinanzierungsvertrag angesichts der verlangten Quote sittenwidrig (§ 138 BGB) ist. Gerade die Beteiligungshöhe der Finanzierer war am Anfang ein wesentlicher Kritikpunkt an dem Geschäftsmodell. Bis Mai 2000 verlangten sämtliche Anbieter 50% des erstrittenen Erlöses. Mittlerweile hat sich der Preis durch den Wettbewerb etwas reguliert. Die meisten Anbieter haben ihre Quoten auf 20% bis 30% gesenkt. Andere Prozessfinanzierer scheuen sich hingegen nicht, einen 70%igen Anteil zu verlangen101. Die Frage, ob ein Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vorliegt, lässt sich angesichts des jungen Produkts „Prozessfinanzierung“ nicht leicht beantworten. Vereinzelt wurde die Meinung vertreten, die Vereinbarung einer 50%igen Erfolgsbeteiligung sei generell sittenwidrig102. Die überwiegende Ansicht im Schrifttum lehnt feste Grenzen ab und nimmt stattdessen eine Einzelfallbetrachtung vor103. Argumentiert wird, dass das vom Finanzierer übernommene Risiko im Einzelfall eine hohe Beteiligung rechtfertigen könne. Der „Wert“ der Gegenleistung sei individuell zu bestimmen (Streitwerthöhe, Verfahrensstand, teuere Gutachten, Rechtsverfolgung im Ausland)104. Dem ist sicherlich zuzustimmen. Das Problem der Ermittlung eines Missverhältnisses liegt u.a. darin, dass für das Produkt „Prozessfinanzierung“ noch kein Marktpreis besteht. Die Suche nach vergleichbaren Märkten gestaltet sich schwierig105. Zwar wird zu Recht darauf hingewiesen, dass der US-amerikanische Anwalt weitaus umfangreichere Leistungen für sein – regelmäßig auf ein Drittel begrenztes – Erfolgshonorar tätigt als die deutschen Finanzierungsgesellschaften106. Aufgrund der strukturellen Unterschiede der Prozessrechte lassen sich hieraus nur bedingte Aussagen für das deutsche Recht
100 So Maubach (Fn. 11), S. 165; Kochheim (Fn. 11), S. 240 f. 101 S. den Sachverhalt von KG, MDR 2003, 599 f. 102 So Bruns JZ 2000, 232 (236 f.); ferner Fritzsche/Schmidt, NJW 1999, 2998 (3002); Ströbel, BRAK-Mitt. 1998, 263 (265). 103 So Dethloff, NJW 2000, 2228 (2229); Jaskolla (Fn. 11), S. 124 ff.; Kochheim (Fn. 11), S. 197 ff.; Maubach (Fn. 11), S. 116 ff.; Nitzsche (Fn. 11), S. 63 ff.; Sturm (Fn. 11), S. 161 ff. (aufgrund der hohen Verluste gerechtfertigt); wohl auch Rochon (Fn. 11), S. 121 ff. 104 Dethloff, NJW 2000, 2228 (2229); Nitzsche (Fn. 11), S. 65. 105 Eingehend Jaskolla (Fn. 11), S. 114 ff.; ferner Sturm (Fn. 11), S. 135 ff. 106 Bruns, JZ 2000, 232 (236 f.).
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gewinnen107. Dem Anspruchsinhaber bleibt die Aufgabe zugewiesen, eine etwaige Sittenwidrigkeit der Quote gerichtlich feststellen zu lassen. Das KG hat entschieden, dass die Grenze zur Anstößigkeit jedenfalls dann überschritten ist, wenn die Beteiligung bei einem Streitwert von unter 200 000 DM mehr als 50% betrage, der prozessführende Rechtsanwalt zugleich am Finanzierungsunternehmen zu 90% beteiligt sei und er dem Fall „gute Erfolgsaussichten bescheinigt habe“108. Das OLG München hat eine 67%ige Erfolgsbeteiligung für bedenklich gehalten109. 3. Verstöße gegen das Rechtsberatungsgesetz Sämtliche Prozessfinanzierer erklären im Rahmen ihrer Internetpräsenz ausdrücklich, keine Rechtsberatung zu betreiben. Dies erfolgt mit gutem Grund. So bedarf die geschäftsmäßige Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten nach Art. 1 § 1 RBerG der behördlichen Erlaubnis. Andernfalls liegt eine unerlaubte Rechtsberatung vor. Trotz aller Lippenbekenntnisse sind in der Praxis manche Verstöße zu konstatieren. Ein unerlaubtes Tätigwerden hat zur Folge, dass der zugrunde liegende Vertrag nach § 134 BGB im Gesamten nichtig ist110. a) Vorprüfung der Erfolgsaussichten Diskutiert wird, ob mit der kostenlosen Vorprüfung der Erfolgsaussichten eine fremde Rechtsangelegenheit besorgt wird. Manche Prozessfinanzierer werben gerade damit, dass durch die Zu- bzw. Absage eine „seriöse Abschätzung des Falles“ möglich ist. Nach einhelliger Ansicht stellt diese Vorprüfung keine Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten dar111. Zu Recht wird der Vergleich mit den Rechtsschutzversicherungen gezogen. Dort entspricht es seit langem h.M., dass der Versicherer die Erfolgsaussichten der Klage ausschließlich im eigenen wirtschaftlichen Interesse prüft112. Allerdings sind Grenzfälle denkbar. So wenden sich manche Gesellschaften direkt an poten-
107 Zutreffend Kochheim (Fn. 11), S. 202; Jaskolla (Fn. 11), S. 119 f.; Sturm (Fn. 11), S. 143 ff. 108 KG, MDR 2003, 599 f. 109 OLG München, NJW 2005, 832 (833). 110 Vgl. BGH, NJW 1988, 561 (562); NJW 2000, 1333 (1335); NJW 2000, 1560 (1562). Die Nichtigkeit umfasst auch die erteilten Vollmachten (näher Weth in Henssler/ Prütting, RBerG, Rz. 71). 111 Näher Jaskolla (Fn. 11), S. 91 ff.; Kochheim (Fn. 11), S. 125 ff.; Maubach (Fn. 11), S. 48 ff.; Grunewald, AnwBl. 2001, 540 (543); Ströbel, BRAK-Mitt. 1998, 263 (264); ferner Nitzsche (Fn. 11), S. 67 ff. 112 Jaskolla (Fn. 11), S. 95; Grunewald, AnwBl. 2001, 540 (543); zur Rechtsschutzversicherung näher Lüth, Rechtsberatung durch den Rechtsschutzversicherer, 1997, S. 67 ff.
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tielle Kläger und bieten eine eingehende Prüfung an. Mitunter wird hierfür sogar ein Entgelt verlangt. Hier liegt ein Verstoß gegen das Rechtsberatungsgesetz vor113. Die (kostenpflichtige) Äußerung des Finanzierers gegenüber einem nicht anwaltlich vertretenen Anspruchsinhaber über die Chancen einer gerichtlichen Rechtsverfolgung stellt die Besorgung einer fremden Rechtsangelegenheit dar114. Ihm wird eine konkrete Entscheidungshilfe für die Frage der gerichtlichen Verfolgung seines Anspruchs gegeben. Der Zweck des Rechtsberatungsgesetzes ist es gerade, den Rechtsuchenden vor den Gefahren einer ungenügenden und nicht sachgerechten Beratung zu schützen115. b) Vertragliche Mitspracherechte Sämtliche Prozessfinanzierungsverträge sehen vor, dass der Anspruchsinhaber für die gerichtliche Durchsetzung der Forderung zuständig ist. Würde der Finanzierer aufgrund der Sicherungsabtretung selbst den Prozess führen, würde dies gegen Art. 1 § 1 RBerG verstoßen. Derzeit lässt sich ein Anbieter Vollmacht zur Beauftragung eines Rechtsanwalts geben, um „den Prozess im Namen des Anspruchsinhabers zu führen.“ Ein anderer Anbieter sieht das Recht vor, die Prozessführung zu einem späteren Zeitpunkt unter Beauftragung desselben Rechtsanwalts zu übernehmen. Hier besteht zweifellos die Gefahr einer Benachteiligung des Anspruchsinhabers aufgrund von Interessenkonflikten. Die überwiegende Zahl der Finanzierungsverträge verzichtet auf solche weitreichenden Befugnisse. Allerdings werden Verfügungen über die streitgegenständliche Forderung (z.B. Klagerücknahme, Verzicht, Vergleich) an die Zustimmung des Finanzierers geknüpft. Im Schrifttum wird die Ansicht vertreten, dass diese Mitwirkungshandlungen nicht gegen das RBerG verstoßen116. Argumentiert wird, dass der Finanzierer hierdurch seine eigenen Interessen, nämlich Gewinn zu erzielen, wahrnehme. Im Übrigen sei der Rechtsanwalt in seiner Mittlerfunktion gehalten, Anregungen rechtlich zu bewerten und falschen Rat zurückzuweisen117. Dieser Ansatz scheint zumindest bedenklich. Denn Zweck des Rechtsberatungsgesetzes ist es, Interessenkonflikte zu Lasten des Rechtsuchenden zu vermeiden. Diese Gefahr ließe sich bei einer „Mittlerfunktion“ nicht vermeiden.
113 Zutreffend Frechen/Kochheim, NJW 2004, 1213 (1215). 114 Vgl. Frechen/Kochheim, NJW 2004, 1213 (1215); Kochheim (Fn. 11), S. 128 f., 132 ff. 115 Etwa BGH, NJW 2000, 1560 (1562); Weth in Henssler/Prütting, RBerG, Einl. Rz. 5. 116 Grunewald, AnwBl. 2001, 540 (543); Kochheim (Fn. 11), S. 138 ff.; Nitzsche (Fn. 11), S. 76. 117 So Nitzsche (Fn. 11), S. 76.
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c) Tatsächliche Einflussnahme Bereits frühzeitig wurde seitens der Anwaltschaft die Befürchtung geäußert, die Finanzierer könnten versucht sein, auf das Prozessverhalten Einfluss zu nehmen. Die Praxis zeigt, dass einige Finanzierer tatsächlich aktiv an außergerichtlichen Vergleichsgesprächen teilnehmen und bestimmte Vorgehensweisen anraten118. In einem jüngst vom LG Köln entschiedenen Fall hatte sich ein Finanzierungsunternehmen per Schreiben direkt an den Anwalt der Gegenseite gewandt, um einen Termin für ein Vergleichsgespräch zu vereinbaren. Weder der Anspruchsinhaber noch dessen Singapurer Anwälte waren als Teilnehmer des Treffens vorgesehen. Das LG Köln verurteilte das Unternehmen wegen eines Verstoßes gegen Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG zur Unterlassung, da die Erörterung eines Vergleichsvorschlags über die Forderung des Anspruchsinhabers die Besorgung einer fremden Rechtsangelegenheit sei119. Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen. Die Übernahme von Vergleichsverhandlungen ist die Besorgung einer fremden Rechtsangelegenheit. Hier besteht für den Anspruchsinhaber die Gefahr, infolge von Interessenkonflikten Rechtsnachteile zu erleiden. Eine solche Handhabung der Prozessfinanzierung kann daher zur Gesamtnichtigkeit des Prozessfinanzierungsvertrags nach § 134 BGB führen120. d) Einziehung der Forderung nach Offenlegung In sämtlichen Finanzierungsverträgen ist die Sicherungsabtretung der Forderung vorgesehen. Die stille Zession soll dem Gegner jederzeit offen gelegt werden können und die Einziehungsbefugnis soll sodann auf den Finanzierer übergehen. Realisiert er die streitige Forderung, hat er dem Kläger dessen Erlösanteil auszukehren. Diese Vereinbarungen wecken im Hinblick auf das Rechtsberatungsgesetz Bedenken. Zwar ist die Einziehung einer zur Sicherheit abgetretenen Forderung grundsätzlich eine eigene Rechtsangelegenheit des Zessionars und demzufolge nicht erlaubnispflichtig121. Allerdings gilt dies nach h.M. nur, soweit die abgetretene Forderung den zu sichernden Anspruch nicht übersteigt. Da der zu sichernde Anspruch die prozentuale Beteiligung am Erlös ist (30%–50%), würde der Finanzierer bezüglich des Differenzbetrags eine fremde Rechtsangelegenheit besorgen122. 118 Vgl. Frechen/Kochheim, NJW 2004, 1213 (1215). So finden sich auch in Finanzierungsverträgen Klauseln, die Reisekosten der Mitarbeiter zu „Besprechungsterminen, Gerichtsterminen etc.“ für ansatzfähig deklarieren. 119 LG Köln, Urt. v. 4. 10. 2002 – 81 O 78/02 = NJW-RR 2003, 426 (der gesamte Sachverhalt nebst Tenor ist im Justizportal des Landes Nordrhein-Westfalen verfügbar; http:/www.justiz.nrw.de). 120 In diese Richtung LG Köln, NJW-RR 2003, 426 (s. Fn. 119). 121 Vgl. nur Weth in Henssler/Prütting, Art. 1 § 1 RBerG, Rz. 29. 122 So Jaskolla (Fn. 11), S. 110 f.; Kochheim (Fn. 11), S. 143 ff.; Maubach (Fn. 11), S. 139; a.A. Rochon (Fn. 11), S. 98 ff.
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e) Empfehlung eines Rechtsanwalts Die Mehrzahl der Finanzierer versichert ausdrücklich, dass der Prozess durch den Anwalt des Vertrauens geführt wird. Daher werden Finanzierungsanfragen im Regelfall nur von einem bereits anwaltlich vertretenen Anspruchsinhaber angenommen. Manche Finanzierer erklären sich in ihren Informationsmaterialien allerdings bereit, bei der Anwaltssuche zu helfen. Die allgemeine Empfehlung verschiedener Anwälte in einem Informationsprospekt stellt noch keine Rechtsbesorgung dar123. Wird ein besonderer, qualifizierter Anwalt empfohlen, um die Erfolgsaussichten weiter zu erhöhen, ist die Situation anders zu beurteilen. In diesen Fällen ist der Schutzzweck des RBerG tangiert124. Problematisch ist daher eine Klausel, wonach der Anspruchsinhaber bereits vorab sein Einverständnis zu einem Anwaltswechsel erklärt, wenn die Klage abgewiesen wird und ein Anwaltswechsel vom Finanzierer gewünscht wird. Teilweise wird die Zahlung von (Zwangsvollstreckungs-)Kosten davon abhängig gemacht, dass sich der Kläger mit dem Finanzierer über „die Person des Anwalts abstimmt“125. Dass hier die Gefahr von Interessenkollisionen besteht, ist kaum von der Hand zu weisen126. 4. Verstoß gegen das Gebot der prozessualen Waffengleichheit Durch den Prozessfinanzierungsvertrag ist es dem Kläger grundsätzlich möglich, ohne finanzielles Risiko zu klagen. Da ein Dritter für die Kosten des Rechtsstreits einsteht, stellt der Prozessverlust keine Gefahr für den Kläger dar. Der Beklagte wiederum kann sich nicht „mit gleichen Mitteln“ zur Wehr setzen, da nur dem Kläger das Modell der Prozessfinanzierung offen steht. Aufgrund dieser Konstellation wird vereinzelt der Standpunkt vertreten, der Prozessfinanzierungsvertrag verletze das Prinzip der prozessualen Waffengleichheit und sei gem. § 138 Abs. 1 BGB nichtig127. Die prozessökonomische und -psychologische Gleichgewichtslage werde empfindlich gestört und schaffe für den Beklagten einen faktischen Zwang, eine Rechtsschutzversicherung vorzuhalten. Die überwiegende Ansicht verneint demgegenüber einen Verstoß gegen das Gebot der prozessualen Waffengleichheit128. Zu Recht wird betont, dass der 123 Jaskolla (Fn. 11), S. 101. 124 Nach Jaskolla (Fn. 11), S. 101 f. gilt dies jedenfalls vor Abschluss des Finanzierungsvertrags. 125 Etwa Ziff. 3.1.i Finanzierungsvertrag FORIS AG; Ziff. 2.2.h Finanzierungsvertrag Allianz ProzessFinanz GmbH; Ziff. 3.1i) Finanzierungsvertrag JURATEC AG. 126 Das Recht auf freie Anwaltswahl (§ 3 Abs. 3 BRAO) kann nicht im Voraus vertraglich abbedungen werden; hierzu Koch in Henssler/Prütting, BRAO, § 3 Rz. 34. 127 So Bruns, JZ 2000, 232 (237 ff.). 128 Grunewald, AnwBl. 2001, 540 (543); Frechen/Kochheim, NJW 2004, 1213 (1215); Jaskolla (Fn. 11), S. 133 ff.; Kochheim (Fn. 11), S. 168 ff.; 171 ff.; Maubach (Fn. 11), S. 64 ff.; Sturm (Fn. 11), S. 85 ff.
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Beklagte in seiner prozessualen Rolle nicht schlechter gestellt wird. Das Prinzip der Prozesskostenerstattung bleibt auch im Finanzierungsfall gewahrt. Obsiegt der Beklagte, erhält er einen Kostenerstattungsanspruch gegen den Kläger (§ 91 ZPO). Ein Anspruch darauf, dass der Kläger persönlich bezahlt, besteht nicht. Der Grundsatz der Waffengleichheit soll letztlich gewährleisten, dass den Parteien die gleichen Rechte im Verfahren zukommen129. Ein bestehendes wirtschaftliches Ungleichgewicht kann damit nicht verhindert werden. Da Prozesse nicht selten gegen „wirtschaftlich Große“ finanziert werden, könnte man umgekehrt argumentieren, dass die Waffengleichheit durch das Geschäftsmodell der Prozessfinanzierung eher hergestellt wird130. Auch die Sorge, dass es in der Praxis zu einer Flut von Klagen kommt, ist nicht Realität geworden. Potentielle Beklagte müssen keineswegs befürchten, aufgrund dieser Geschäftsidee mit Belästigungsklagen überzogen zu werden. Zum einen wird ein Finanzierer schon aus eigenem Gewinninteresse keinen unsinnigen Prozess führen, was auch die Vielzahl der Absagen belegt131. Zum anderen gibt es für den Beklagten – anders als in den USA – keinen Vergleichsdruck. Während in den USA der Beklagte auch im Fall des Obsiegens seine (oft sehr hohen) Anwaltskosten alleine tragen muss, sichert die Vorschrift des § 91 ZPO den Beklagten in Deutschland gegen „belästigende, mutwillige“ Klagen ab132.
VIII. Vertragsinhalt – Rechtskontrolle und Klauselkontrolle Folgt man dem im Schrifttum vertretenen Standpunkt, führt die Qualifikation des Prozessfinanzierungsvertrags als Gesellschaftsvertrag wegen der Bereichsausnahme des § 310 Abs. 4 S. 1 BGB de lege lata zur Unanwendbarkeit der Bestimmungen über Allgemeine Geschäftsbedingungen133. Die einzelnen Klauseln können damit lediglich einer Rechtskontrolle (§§ 134, 138 BGB) unterzogen werden. Demgegenüber handelt es sich nach der hier vertretenen Ansicht um einen gemischten Vertrag mit überwiegend kaufrechtlichen Ele-
129 Eingehend Vollkommer, Der Grundsatz der Waffengleichheit im Zivilprozeß – eine neue Prozeßmaxime?, in FS Schwab, 1990, S. 503 ff. 130 Jaskolla (Fn. 11), S. 134 f.; Sturm (Fn. 11), S. 93 f.; s. auch Allianz (www.allianzprofi.de/anspruchinhaber/index.html) mit der Aussage: „Stellen Sie wirtschaftliche ,Waffengleichheit‘ mit Ihrem Anspruchsgegner her.“ 131 Vgl. Grunewald, AnwBl. 2001, 540 (543); Maubach (Fn. 11), S. 67. 132 Zutreffend Jaskolla (Fn. 11), S. 135 f.; a.A. unter Verkennung des englischen Recht Bruns, JZ 2000, 232 (237). 133 So Frechen/Kochheim, NJW 2004, 1213 (1216); Jaskolla (Fn. 11), S. 136 ff.; Kochheim (Fn. 11), S. 106 ff., 116; Nitzsche (Fn. 11), S. 66; a.A. Dethloff, NJW 2000, 2225 (2228); Grunewald, AnwBl. 2001, 540 (543); diff. Maubach (Fn. 11), S. 105 ff.
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menten. Eine Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff. BGB ist somit möglich134. Die folgende Untersuchung muss sich auf einzelne Klauseln beschränken. 1. Erklärungen des Anspruchsinhabers In nahezu allen Finanzierungsverträgen muss der Kläger versichern, dass er über die Ansprüche verfügungsbefugt ist, keine Gegenforderungen bestehen, alle Unterlagen vollständig sind und der Sachverhalt wahrheitsgemäß wiedergegeben wurde135. Ein Teil der Literatur sieht darin eine unangemessene Benachteiligung des Klägers. Die Klausel sei so zu verstehen, dass der Kläger den Prozessgewinn faktisch garantiere136. Dies verstoße angesichts des vertraglichen Leitbilds gegen § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Nach der Gegenmeinung ist die Klausel auslegungsfähig. Zweck der Klausel ist es, den Kläger dafür einstehen zu lassen, dass er weder bewusst noch grob fahrlässig falsche Angaben gemacht hat137. Eine Garantie für die prozessuale Durchsetzbarkeit der Forderung wird damit nicht gegeben. 2. Informationspflichten Anders als der unter Erfolgshonorar arbeitende Rechtsanwalt in den USA, der über den Prozessverlauf aufgrund eigener Beteiligung bestens informiert ist, ist der Prozessfinanzierer in Deutschland vom Geschehen ausgeschlossen. Der Prozess wird von dem Rechtsanwalt des Anspruchsinhabers geführt. Um das Informationsdefizit gering zu halten, sehen sämtliche Prozessfinanzierungsverträge zahlreiche Informationspflichten des Mandanten, wie fortlaufende Unterrichtung über den Prozessverlauf, Übersendung der wesentlichen Unterlagen etc. vor. Zu diesem Zweck verpflichtet sich der Mandant im Finanzierungsvertrag, seinen Anwalt von der Schweigepflicht zu entbinden138. Damit wird dem Anwalt die Informationsbeschaffung überantwortet. Dies ist rechtlich zulässig. Der Kläger hat es jederzeit in der Hand, seinen Rechtsanwalt von der Schweigepflicht zu entbinden139. Kraft seines
134 Ebenso Fritzsche/Schmidt, NJW 1999, 2998 (3002); Bruns, JZ 2000, 232 (238 f.). 135 Etwa Ziff. 1 Finanzierungsvertrag ACIVO AG; § 1 Finanzierungsvertrag D.A.S. Prozessfinanzierung AG; Ziff. 1 Finanzierungsvertrag FORIS AG; § 2 Finanzierungsvertrag Roland ProzessFinanz AG. 136 Grunewald, BB 2000, 729 (732 f.). 137 Maubach (Fn. 11), S. 140 ff.; im Ergebnis auch Jaskolla (Fn. 11), S. 140 f. 138 Ziff. 5.6 Finanzierungsvertrag Allianz ProzessFinanz GmbH; § 7 Ziff. 3d Finanzierungsvertrag D.A.S. Prozessfinanzierung AG; Ziff. 6.7. Finanzierungsvertrag FORIS AG; Ziff. 4.7. Finanzierungsvertrag JURATEC AG; Ziff. 4 Finanzierungsvertrag PROXX AG; § 3f Finanzierungsvertrag Roland ProzessFinanz AG. 139 Jaskolla (Fn. 11), S. 88; Maubach, (Fn. 11), S. 121 f.; ferner Kochheim (Fn. 11), S. 243 f.; allgemein Eylmann in Henssler/Prütting, BRAO, § 43a Rz. 59 ff. Bedenklich ist aber die Verpflichtung zur „unwiderruflichen“ Entbindung.
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Weisungsrechts kann der Kläger sodann die Informationsweitergabe durch den Rechtsanwalt veranlassen. Ein Verstoß gegen § 43a Abs. 2 BRAO ist diesbezüglich ausgeschlossen. 3. Zusatzgebühr Einige Anbieter vergüten dem Rechtsanwalt angesichts des Mehraufwands eine zusätzliche volle Gebühr nach RVG140. Diese Gebühr wurde etwas sarkastisch als „Fangprämie“ bezeichnet141. Sie ist trotz ihrer Anreizfunktion aber rechtlich unbedenklich142. Aufgrund der rechtlichen Ausgestaltung wird kein unmittelbarer Anspruch des Rechtsanwalts gegen den Finanzierer begründet143. Vielmehr muss der Anwalt mit dem Mandanten eine entsprechende schriftliche Honorarvereinbarung treffen (§ 4 Abs. 1 RVG). Nur dieser entscheidet über die Entstehung der Zusatzgebühr. Er bleibt im Außenverhältnis der Gebührenschuldner. Die Vereinbarung einer Zusatzgebühr ist auch sachgerecht. Sie ist der Höhe nach begrenzt und durch den Mehraufwand (Informationspflichten, Korrespondenz) gerechtfertigt. Zudem könnte der Rechtsanwalt den Vertragsschluss mit dem Finanzierer als selbstständige Angelegenheit in Rechnung stellen144. Im Erfolgsfall schmälert sich allerdings der „Gewinn“ des Klägers um eine weitere Position, da nicht nur die Quote des Finanzierers, sondern auch die Zusatzgebühr vorab vom Prozesserlös abzuziehen ist. Der Gegner kann nicht zur Erstattung dieser Zusatzgebühr verurteilt werden (§ 91 ZPO)145. 4. Zustimmungsvorbehalte Sämtliche Finanzierungsverträge enthalten Klauseln, wonach der Kläger prozessuale Verfügungen über die streitgegenständliche Forderung (Klagerücknahme, Verzicht, Vergleich etc.) nur mit Zustimmung des Finanzierers vornehmen darf146. Hierdurch wird die Prozessherrschaft des Klägers erheblich 140 Ziff. 2.2 (b) Finanzierungsvertrag AllianzProzessFinanz GmbH; § 3 Ziff. 4 Finanzierungsvertrag D.A.S. Prozessfinanzierung AG; Ziff. 3.1 (b) Finanzierungsvertrag FORIS AG; Ziff. 3.1 (b) Finanzierungsvertrag JURATEC AG; § 4 Ziff. c (2) Finanzierungsvertrag Roland ProzessFinanzAG. 141 Hierzu van Bühren, AnwBl. 2001, 537; Kochheim (Fn. 11), S. 226. 142 So Kochheim (Fn. 11), S. 226 ff.; Maubach (Fn. 11), S. 148 ff.; Jaskolla (Fn. 11), S. 82 ff.; ferner Nitzsche (Fn. 11), S. 79; Rochon (Fn. 11), S. 165 ff. 143 Hierzu eingehend Jaskolla (Fn. 11), S. 149 f. 144 Näher Sturm (Fn. 11), S. 220 ff.; Maubach (Fn. 11), S. 149 (zur Rechtslage nach BRAGO); ferner Jaskolla (Fn. 11), S. 157. 145 Allg. Meinung, Jaskolla (Fn. 11), S. 84; Kochheim (Fn. 11), S. 227. 146 Etwa Ziff. 6.3 Finanzierungsvertrag ACIVO AG; Ziff. 5.4. Finanzierungsvertrag Allianz ProzessFinanz GmbH; § 7 Ziff. 4 Finanzierungsvertrag D.A.S. Prozessfinanzierung AG; Ziff. 6.5. Finanzierungsvertrag FORIS AG; Ziff. 4.5. Finanzierungsvertrag JURATEC AG; § 3c) Finanzierungsvertrag Roland ProzessFinanz AG.
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eingeschränkt. Dies wird für zulässig erachtet. Der Verlust der uneingeschränkten Prozessherrschaft sei Ausdruck der materiellen Verfügungsmacht. Zudem sei die Klausel schon deshalb zulässig, weil Grundlagengeschäfte (= Verfügung über die Forderung) stets der Einstimmigkeit der Gesellschafter bedürfen147. Rechtlich bedenklich sind allerdings die angeordneten Sanktionen bei Verletzung der Zustimmungspflicht. Manche Verträge sehen vor, dass der Finanzierer so zu stellen ist, „als seien die streitigen Ansprüche in voller Höhe realisiert worden, es sei denn, er weist nach, dass der Erlös der Rechtsverfolgung ohne die vertragswidrige Verfügung geringer gewesen wäre“148. Bei dieser Klausel handelt es sich um eine Schadenspauschalierung. Nach § 309 Nr. 5 b BGB ist eine solche Pauschalierung nur zulässig, wenn der Schädiger den Nachweis eines geringeren Schadens erbringen darf. Diese Möglichkeit ist, wie soeben gezeigt, ausdrücklich vorgesehen. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass eine Schadenspauschale Streitigkeiten über die Höhe des Schadens im Detail vermeiden, nicht aber dem Verwender einen sicheren Gewinn zubilligen soll149. So ist eine Pauschale auch dann gem. § 309 Nr. 5 lit. a BGB unwirksam, „sofern sie nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge den zu erwartenden Schaden übersteigt“. Und gewöhnlich ist das Obsiegen im Prozess gerade nicht, wie auch die große Vergleichsbereitschaft der Finanzierer zeigt150. Gegen die Wirksamkeit der Klausel bestehen daher erhebliche Bedenken. 5. Vergleichsschluss Die Vertragsbedingungen nahezu aller Anbieter sehen vor, dass der Kläger zum Abschluss eines unwiderruflichen Vergleichs der Zustimmung des Finanzierers bedarf151. Möchte der Finanzierer einen vom Gericht oder Gegner angebotenen Vergleich abschließen, nicht aber der Kläger, kann der Kläger den Vertrag kündigen und den Finanzierer zu den Bedingungen des vorgeschlagenen Vergleichs auslösen152. Teilweise wird die Klausel für unbedenk-
147 So Kochheim (Fn. 11), S. 178; Maubach (Fn. 11), S. 125; ferner Frechen/Kochheim, NJW 2004, 1213 (1217). 148 So Ziff. 5.5 Finanzierungsvertrag Allianz ProzessFinanz GmbH; Ziff. 6.6 Finanzierungsvertrag FORIS AG; Ziff. 4.6 Finanzierungsvertrag JURATEC AG; § 3j) Finanzierungsvertrag Roland ProzessFinanz AG. 149 Maubach (Fn. 11), S. 128. 150 Maubach (Fn. 11), S. 129 f. 151 Ziff. 8.2 Finanzierungsvertrag ACIVO AG; Ziff. 7.2 Finanzierungsvertrag Allianz ProzessFinanz GmbH ;§ 7 Ziff. 4 Finanzierungsvertrag D.A.S. Prozessfinanzierung AG; Ziff. 6.5 und 8.1 Finanzierungsvertrag FORIS AG; § 3 Ziff. c) Finanzierungsvertrag Roland ProzessFinanz AG. 152 Etwa Ziff. 8.3 Finanzierungsvertrag FORIS AG (widersprüchlich aber Ziff. 6.6); § 5 Ziff. 5 Finanzierungsvertrag ProzessGarant AG; Ziff. 7.2 Finanzierungsvertrag Al-
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lich gehalten. Der Finanzierer müsse vor unsinniger Prozessführung des Klägers, der ohne jedes Kostenrisiko klage, geschützt werden153. Unverständlich ist aber, warum dem Kläger bei umgekehrter Interessenlage diese Chance versagt bleibt154. Zudem führt die Klausel zu einem faktischen Einigungszwang zu Lasten des Klägers155. Die Finanzierer wenden sich gerade an Kläger, die das finanzielle Risiko eines Prozesses nicht tragen wollen oder können. Dieser Personenkreis wird kaum in der Lage sein, eine Auslösesumme zu zahlen156. Will der Kläger die Zahlungslast vermeiden, muss er sich dem Wunsch des Finanzierers beugen. Rät der Rechtsanwalt aufgrund der Erfolgsaussichten zum „Weitermachen“, besteht für den Kläger die Gefahr, im Unterliegensfall nicht nur die eigenen und gegnerischen Prozesskosten, sondern zusätzlich die Vergleichskosten tragen zu müssen. Der Rechtsanwalt gerät wegen der Falschbeurteilung der Erfolgsaussichten in eine Haftungsfalle, der Kläger in eine „Schuldenfalle“. Vergegenwärtigt man sich das Leitbild der Prozessfinanzierung, ist ein Verstoß gegen § 305 c Abs. 1 BGB denkbar. Danach werden überraschende Klauseln nicht Vertragsinhalt. Dabei kommt es auf die Ungewöhnlichkeit der Klausel im Hinblick auf den Vertragstypus an157. „Klagen ohne Risiko“ lautet das Leitbild der Finanzierer. Dies spiegelt sich in den Informationsprospekten wieder. In dem angesprochenen Kundenkreis wird die Vorstellung geweckt, dass durch den Finanzierungsvertrag jedes finanzielle Risiko ausgeschlossen ist. Eine Klausel, die dem Kläger Zahlungspflichten unabhängig vom Prozessgewinn abverlangt, ist überraschend. Das Überraschungsmoment kann nur bei entsprechender Aufklärung entfallen. Ob der fett gedruckte Hinweis auf die Folgen des Vergleichsschlusses auf der ersten Seite des Vertrages158 dem zu entsprechen vermag, muss bezweifelt werden. Unabhängig davon wird die Klausel auch als eine nach § 309 Nr. 6 BGB unzulässige Vertragsstrafe angesehen159. Nach § 309 Nr. 6 BGB ist eine Bestimmung unwirksam, durch die dem Verwender eine Vertragsstrafe ver-
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lianz (widersprüchlich aber Ziff. 5.5.); § 5 Ziff. 5 Finanzierungsvertrag ProzessGarant AG; Ziff. 7.3 Finanzierungsvertrag JURATEC AG (widersprüchlich aber 4.6). Das Thema „Vergleich“ wird in zwei verschiedenen Regelungen mit unterschiedlichen Rechtsfolgen aufgegriffen; allein deshalb sind die Klauseln rechtlich bedenklich. Kochheim (Fn. 11), S. 182; Rollmann, BRAK-Mitt. 1999, 203 (205); im Ergebnis auch Rochon (Fn. 11), S. 144 f. So aber Ziff. 7.2 Finanzierungsvertrag Allianz ProzessFinanz GmbH. Maubach (Fn. 11), S. 131 spricht treffend von „blinder Gefolgschaft“. Kritisch etwa Jaskolla (Fn. 11), S. 21, 28 f. Näher zu den Fallgruppen Heinrichs in Palandt, BGB, § 305c Rz. 3 ff. So in der Präambel Finanzierungsvertrag Roland ProzessFinanz AG. Ströbel, BRAK-Mitt. 1998, 263 (264); Fritzsche/Schmidt, NJW 1999, 2998 (3002); widersprüchlich Maubach, (Fn. 11), S. 130 ff. (einerseits), S. 133 ff. (andererseits); a.A. Rochon, S. 145 (Schadenspauschalierung).
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sprochen wird für den Fall, dass sich der andere Vertragsteil vom Vertrag löst. Da der Kläger bei mangelnder Einigung über den Vergleichsschluss den Vertrag kündigen kann, gleichzeitig aber eine Ablösesumme zahlen muss, scheint die Vorschrift einschlägig. Wohl um dem Wortlaut zu entgehen, sehen manche Finanzierungsverträge ein Kündigungsrecht des Finanzierers vor160. Kennzeichen einer Vertragsstrafe ist es, „Druck“ auf den Schuldner zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit auszuüben161. Durch die Regelung soll der Kläger gehalten werden, seiner Pflicht „zur wirtschaftlichen Prozessführung“ nachzukommen, die aus Sicht des Finanzierers allein in der Annahme des Vergleichsangebots besteht. Diese einseitig zu Gunsten des Finanzierers formulierte „Ablöse-Klausel“ benachteiligt den Kläger unbillig und ist daher als unwirksam anzusehen. 6. Sicherungsabtretung Sämtliche Finanzierungsverträge der deutschen Anbieter sehen die Verpflichtung des Klägers vor, die streitige Forderung an den Finanzierer zur Sicherheit seiner Ansprüche auf Erfolgsbeteiligung abzutreten162. Die Abtretung soll gegenüber dem Drittschuldner nicht offen gelegt werden163. Der Kläger wird zur Einziehung der Forderung ermächtigt, zumeist mit der Beschränkung, die Forderung nur in der Weise einzuziehen, dass er Zahlung zu Händen seines Anwalts verlangt164. Materiellrechtlich handelt es sich bei der stillen Zession um eine Treuhandzession kombiniert mit einer Einziehungsermächtigung165. Prozessual hat die stille Sicherungszession zur Folge, dass der Kläger die Forderung im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft im eigenen Namen geltend machen kann166. Die fehlende Sachlegitimation des Klägers muss nicht offen gelegt werden. Der Kläger kann in rechtlich zuläs-
160 Etwa § 8 Finanzierungsvertrag D.A.S. AG; § 9 Ziff. b) Finanzierungsvertrag Roland ProzessFinanz AG. 161 Heinrichs in Palandt, BGB, § 276 Rz. 26. 162 Z.B. Ziff. 5.1 Finanzierungsvertrag ACIVO AG; Ziff. 4.1 Finanzierungsvertrag Allianz ProzessFinanz GmbH; § 6 Ziff. 1 Finanzierungsvertrag D.A.S. Prozessfinanzierung AG; Homepage der ExActor Forderungsmanagmentgesellschaft AG www.exactor.de; Ziff. 5.1 Finanzierungsvertrag FORIS AG; Ziff. J Finanzierungsvertrag Pro Concept GmbH; Ziff. 5 Finanzierungsvertrag PROXX AG; § 6 Finanzierungsvertrag Roland ProzessFinanz AG; Ziff. 5 Finanzierungsvertrag ProzessGarant AG. 163 Z.B. Ziff. 5.6 Finanzierungsvertrag ACIVO AG; Ziff. 5.5 Finanzierungsvertrag FORIS AG; Ziff. 5.6. Finanzierungsvertrag First Pacific Risk Management Ltd.; § 7a) Finanzierungsvertrag Roland ProzessFinanz AG. 164 Abtretungsvereinbarung ACIVO AG; Ziff. 5.5. Finanzierungsvertrag JURATEC AG. 165 Statt vieler Jaskolla (Fn. 11), S. 19. 166 Näher Vollkommer in Zöller, ZPO, 25. Aufl. 2005, Rz. 47, 51 vor § 50; s. auch BGH, NJW 1999, 2110 (2111); NJW 2001, 231; NJW 2002, 1568 (1569).
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siger Weise die streitige Forderung nach wie vor gerichtlich geltend machen167. Problematisch sind jedoch die Regelungen zur Offenlegung der Zession. Auf Verstöße gegen das Rechtsberatungsgesetz wurde in diesem Zusammenhang bereits aufmerksam gemacht. Auch in anderer Hinsicht sind die getroffenen Verwertungsregelungen bedenklich. In einigen Finanzierungsverträgen findet sich die Regelung, dass der Finanzierer die Abtretung jederzeit gegenüber dem Anspruchsgegner offen legen und die Einziehungsermächtigung jederzeit widerrufen kann168. Ab diesem Zeitpunkt könne der Prozess bzw. das Vollstreckungsverfahren vom Finanzierer übernommen werden169. Diese Vereinbarung ist unzulässig. Es entspricht völlig herrschender Meinung, dass dem Zessionar ein freier Widerruf der Einziehungsermächtigung nicht zusteht170. Eine in das Belieben des Finanzierers gestellte Offenlegung der Sicherungsabtretung ist demzufolge unzulässig171. Bei einer formularmäßigen Abtretung muss nach der Rechtsprechung des BGH zudem klar definiert sein, unter welchen Voraussetzungen der Zessionar berechtigt sein soll, dem Drittschuldner die Zession offen zu legen und Zahlung an sich zu verlangen172. In sämtlichen Finanzierungsverträgen fehlen derartige Verlautbarungen. Im Übrigen ist zu konstatieren, dass das Verwertungsrecht des Sicherungsnehmers stets die Fälligkeit der zu sichernden Forderung voraussetzt173. Laut den Regelungen in den Prozessfinanzierungsverträgen entsteht der Anspruch des Finanzierers erst mit der tatsächlichen Realisierung der Forderung, d.h. mit endgültigem Erlöszufluss an den Kläger. Die Klausel ist daher insgesamt unwirksam. 7. Geheimhaltung Sämtliche Finanzierungsverträge enthalten eine Geheimhaltungsklausel 174. Die Begründung wird gleich mitgeliefert. Das Bekanntwerden könne negative Auswirkungen auf das konkrete Prozessergebnis sowie auf das Ergebnis 167 Fritzsche/Schmidt, NJW 1999, 2998; Jaskolla (Fn. 11), S. 19 f.; Kochheim (Fn. 11), S. 212 f.; Nitzsche (Fn. 11), S. 10 mit Fn. 26. 168 So Ziff. 5.6 Finanzierungsvertrag FORIS AG; § 7 Ziff. d) Finanzierungsvertrag Roland ProzessFinanz AG. 169 Etwa Ziff. 5.7 Finanzierungsvertrag FORIS AG; § 7 Ziff. d) Finanzierungsvertrag Roland ProzessFinanz AG. 170 Allgemein Roth in MünchKomm BGB, § 398 Rz. 54 a.E. 171 Jaskolla (Fn. 11), S. 142 f. 172 BGH, NJW 1989, 2383 (2385); Heinrichs in Palandt, BGB, § 398 Rz. 22. 173 BGH, NJW-RR 1995, 1369; weitergehend Jaskolla (Fn. 11), S. 142 f.: bei Gefährdung des Sicherungszwecks. 174 Etwa Ziff. 10 Finanzierungsvertrag ACIVO AG; § 11 Ziff. 1 Finanzierungsvertrag D.A.S. Prozessfinanzierung AG; Ziff. 10.1 Finanzierungsvertrag FORIS AG; Ziff. 9 Finanzierungsvertrag JURATEC AG; Ziff. L Finanzierungsvertrag Pro Concept GmbH; § 11 Finanzierungsvertrag Roland ProzessFinanz AG.
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anderer finanzierter Prozesse haben. Im Schrifttum ist diese Begründung auf Unverständnis gestoßen175. Denn gerade im „Kampf David gegen Goliath“ könnte man aus der Tatsache, dass im Hintergrund ein finanzstarker, professioneller Partner steht, Vorteile ziehen176. Diese Sichtweise wird auch von Prozessfinanziererseite geteilt. So betonen einige Finanzierer in ihren Informationsmaterialien, dass die Offenlegung der Finanzierung den Gegner häufig zum Einlenken bewege177. Verständlich wird die Klausel, wenn man ihre historischen Wurzeln betrachtet. So wurde die Klausel von der FORIS AG kreiert, die als erster und einziger Finanzierer an der Börse notiert ist. Die Relikte dieser Ursprungsidee sind noch in den Begründungen mancher Finanzierungsverträge zu erkennen, wo es heißt, dass „sowohl der Abschluss dieses Vertrags als auch der Verlauf des finanzierten Prozesses Insidertatsachen im Sinne des Wertpapierhandelsgesetzes sein können“178. Einige Finanzierer haben diese Formulierung aufgenommen, obwohl sie selbst nicht börsennotiert sind. Dass eine unbesehene Klauselübernahme zu Unstimmigkeiten führen kann, zeigt das Beispiel AdvoFin. Nach österreichischem Recht ist statt einer Sicherungsabtretung nur die Verpfändung des Anspruchs möglich, die gegenüber dem Gegner publiziert werden muss. Dennoch wird an der Geheimhaltungsklausel festgehalten. 8. Verschuldensmaßstab In einigen Verträgen findet sich die Klausel, dass der Anspruchsinhaber verpflichtet ist, den Prozess mit der Sorgfalt eines „ordentlichen Kaufmanns“ zu führen179. Falls damit eine Erweiterung des Haftungsmaßstabes gewollt ist, wäre dies unzulässig180. Denn Haftungsverschärfungen durch AGB zu Lasten des Verbrauchers sind regelmäßig unwirksam181. Zum Teil wird diese Klausel so interpretiert, dass der Kläger seinen Pflichten durch die Auswahl eines offensichtlich nicht ungeeigneten Anwalts genügt182. Der Zweck der 175 Grunewald, BB 2000, 729 (733); ferner Jaskolla (Fn. 11), S. 24 f.; Dimde (Fn. 11), S. 164; Maubach (Fn. 11), S. 143. 176 Rollmann (Vorstand der FORIS AG), BRAK-Mitt. 1999, 203 (204). 177 ACIVO AG www.acivo.com/loesung.html; Allianz ProzessFinanz GmbH, Prospekt zur Prozessfinanzierung, S. 8; juragent AG www.preview.juragent.de/index.php?id=88&type=98&uid; s. auch Dimde (Fn. 11), S. 24 f. 178 Etwa Ziff. 10.1 Finanzierungsvertrag FORIS AG; unzutreffend Jaskolla (Fn. 11), S. 24 f., der offensichtlich von einer Vielzahl börsennotierter Finanzierer ausgeht. 179 S. Ziff. 6.1 Finanzierungsvertrag ACIVO AG; Ziff. 5.1 Finanzierungsvertrag Allianz ProzessFinanz GmbH; Ziff. 6.1 Finanzierungsvertrag FORIS AG; Ziff. 4.1 Finanzierungsvertrag JURATEC AG. 180 Ebenso im Ergebnis, aber mit unterschiedlicher Begründung Grunewald, BB 2000, 729 (733); Jaskolla (Fn. 11), S. 141 f.; Maubach (Fn. 11), S. 145 ff. 181 Heinrichs in Palandt, BGB, § 276 Rz. 25. 182 Grunewald, BB 2000, 729 (733); Kochheim (Fn. 11), S. 209 f.; ferner Maubach (Fn. 11), S. 146; a.A. Rochon (Fn. 11) S. 146 ff.
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Klausel ist nicht recht klar. Zweifel bei der Auslegung gehen hier zu Lasten des Verwenders (§ 305c Abs. 2 BGB). 9. Kündigung Die Kündigungsmöglichkeiten sind für die Parteien des Prozessfinanzierungsvertrags unterschiedlich gestaltet. Die meisten Prozessfinanzierer behalten sich vor, den Vertrag bei veränderter Sach- und Rechtslage (neue Beweislage, abweisendes Urteil, Vermögensverfall des Beklagten etc.), also im Fall einer Risikoerhöhung zu kündigen183. Der Kläger kann ebenfalls nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes kündigen, wobei eine Risikominderung (z.B. Prozesskostenhilfe) hiervon ausgeschlossen ist. Es besteht weitgehend Einigkeit, dass diese Regelungen weder gegen § 138 Abs. 1 BGB verstoßen noch eine unangemessene Benachteiligung enthalten184. Dem ist zuzustimmen. Da ausschließlich der Finanzierer das Verlustrisiko trägt, muss ihm ein Ausstieg bei veränderten Umständen möglich sein. Andere Autoren verweisen auf das Gesellschaftsrecht, wonach die Parteien es in der Hand haben, unterschiedliche Kündigungsmöglichkeiten zu gewähren185. Das wirtschaftliche Interesse der Finanzierer bei veränderter Situation „auszusteigen“, ist grundsätzlich anzuerkennen, zumal er die bis dahin angefallenen Kosten übernimmt186. Zweifel bestehen allerdings an der subjektiven Formulierung der Ausstiegsgründe, da die Prozessfinanzierer die Risikoerhöhung „nach freiem Ermessen“ beurteilen dürfen. Das Vorliegen besserer Konditionen rechtfertigt jedenfalls kein Ausstiegsrecht für den Kläger187.
IX. Anwaltshaftung Bereits frühzeitig wurde in der Anwaltschaft die Befürchtung geäußert, dass es durch die Einschaltung eines Prozessfinanzierungsunternehmens zu einer Vermehrung des Haftungsrisikos kommt. Fest steht, dass zwischen Rechts183 Ziff. 7.1, 7.2 Finanzierungsvertrag ACIVO AG; § 10 Ziff. 2 Finanzierungsvertrag AdvoFin Prozessfinanzierung AG; § 9 Ziff. 1 Finanzierungsvertrag D.A.S. Prozessfinanzierung AG; § 6 Ziff. 2 Finanzierungsvertrag ProzessGarant AG; § 8a) Finanzierungsvertrag Roland ProzessFinanz AG. 184 Frechen/Kochheim, NJW 2004, 1213 (1216); Kochheim (Fn. 11), S. 189 ff.; Maubach (Fn. 11), S. 135 ff.; Rochon (Fn. 11), S. 157; a.A. wohl Ströbel, BRAK-Mitt. 1999, 205 (206). 185 Jaskolla (Fn. 11), S. 144; ferner Maubach (Fn. 11), S. 135 ff. 186 Kritisch Jaskolla (Fn. 11), S. 28; Sturm (Fn. 11), S. 81: beide halten die Kostentragungsregelungen für unklar formuliert. Das OLG Hamm, Rpfleger 2000, 547 (549) hat auf die Gefahr einer Kostentragungspflicht des Klägers hingewiesen und aus diesem Grund den Antrag des Betreuers auf Prozessfinanzierung abschlägig beschieden. 187 Rochon (Fn. 11), S. 148.
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anwalt und Prozessfinanzierer kein Vertragsverhältnis existiert. Sämtliche Rechtspflichten bestehen ausschließlich im Rahmen des mit dem Mandanten geschlossenen Anwaltsvertrags. Ob sich aufgrund des Dreiecksverhältnisses Besonderheiten im Pflichtenkreis des Rechtsanwalts ergeben, ist im Folgenden zu erörtern. 1. Hinweispflicht Vorprozessual obliegt dem Rechtsanwalt die Aufklärung des vom Mandanten geschilderten Sachverhalts, dessen rechtlich korrekte Bewertung sowie die Beratung über das Prozessrisiko188. Kontrovers wird nun diskutiert, ob der Rechtsanwalt verpflichtet ist, seinen Mandanten auf das Modell der Prozessfinanzierung hinzuweisen. Nach einer verbreiteten Ansicht besteht für den Anwalt stets die Pflicht, auf die Möglichkeit der Prozessfinanzierung hinzuweisen189. Andernfalls mache er sich schadensersatzpflichtig. Teilweise wird der Anwalt sogar für verpflichtet gehalten, sich durch Internetrecherchen fortlaufend über die unterschiedlichen Konditionen der Prozessfinanzierer zu unterrichten und den Mandanten hierüber zu beraten190. Würde man dem folgen, hätten sich die Prozessfinanzierer ein kostenfreies Marketinginstrument über die Anwaltschaft erschlossen. Unter Berufung auf die Ähnlichkeit mit der Prozesskostenhilfe findet sich demgegenüber der Standpunkt, der Rechtsanwalt müsse nur „bei begründetem Anlass“ bzw. „in geeigneten Fällen“ auf die Möglichkeit der Prozessfinanzierung hinweisen191. Nach anderer Ansicht besteht demgegenüber keine allgemeine Hinweispflicht auf das Geschäftsmodell der Prozessfinanzierung192. Dem ist zuzustimmen. Solange die „Lücke im Rechtsschutzsystem“ nur bei hohen Streitwerten geschlossen wird, kann eine Aufklärungspflicht nicht mit der Parallele zur Prozesskostenhilfe begründet werden. Zudem ist der Anwalt nicht zur Aufklärung über die Kosten verpflichtet193. Daher besteht auch kein Grund, ungefragt über die Möglichkeit einer „Kostenvermeidung“ belehren zu müssen.
188 Vollkommer/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, 2. Aufl. 2003, Rz. 156 ff.; 185 ff; 253 ff., jeweils m.w.N. 189 Rollmann (Vorstand der FORIS AG), BRAK-Mitt. 1999, 203 (204); Bräuer (Assessorin bei der Allianz AG), AnwBl. 2001, 112 (113); s. auch van Bühren AnwBl. 2001, 537. 190 Bräuer, AnwBl. 2001, 112 (113); hiergegen Jaskolla (Fn. 11), S. 157; Maubach (Fn. 11), S. 155; Sturm (Fn. 11), S. 203. 191 Jaskolla (Fn. 11), S. 154 ff.; Maubach (Fn. 11), S. 154 f.; Nitzsche (Fn. 11), S. 91 f.; Sturm (Fn. 11), S. 181 ff., 208 f.; ähnl. Kochheim (Fn. 11), S. 218 f. 192 Ströbel, BRAK-Mitt. 1999, 205 (206); Rochon (Fn. 11), S. 168 ff. 193 Statt vieler Vollkommer/Heinemann (Fn. 188), Rz. 260 ff.; Kochheim (Fn. 11), S. 216.
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2. Belehrungspflichten Hat der Anwalt den Auftrag übernommen, einen geeigneten Prozessfinanzierer zu finden, sind verschiedene Beratungspflichten zu beachten. Unzweifelhaft ist der Mandant über die Grundsätze des Finanzierungsgeschäfts, wie Erlösverteilung, Kündigungsmöglichkeiten etc. aufzuklären194. Vor allem aber muss er auf die besonderen Risiken der Prozessfinanzierung hinweisen. Da dem Finanzierungsunternehmen zahlreiche Dokumente übermittelt werden, muss der Rechtsanwalt darüber belehren, dass dem Finanzierer weder ein Zeugnisverweigerungsrecht (§ 53 StPO) noch das Beschlagnahmeverbot (§ 97 StPO) zur Seite steht195. Schließlich muss er auch über die Folgen einer Insolvenz belehren. Angesichts des hohen Kapitalbedarfs der Unternehmen kann dieses Ereignis nicht ganz ausgeschlossen werden, wie auch die Praxis zeigt. Auch im Insolvenzfall bleibt der Mandant im Außenverhältnis Kostenschuldner. Es passiert im Ergebnis gerade das, was der Kläger durch die Prozessfinanzierung vermeiden wollte. Deshalb sollte der Rechtsanwalt auf die Einräumung von Sicherheiten (z.B. Bankbürgschaft) hinwirken196. Zudem ist zu berücksichtigen dass einige Finanzierer für vorläufig vollstreckbare Urteile Sicherheiten stellen. Alle aus der Zwangsvollstreckung erzielten Beträge müssen dann an den Finanzierer ausgezahlt werden197. Tritt nun der Insolvenzfall ein und obsiegt der Gegner, ist der Kläger im Außenverhältnis nach § 717 Abs. 2 ZPO schadensersatzpflichtig. Auch hier gilt es, durch Zahlung auf Treuhandkonten vorzubeugen. 3. Fehlerhafte Prozessführung Kontrovers wird derzeit diskutiert, welche rechtlichen Folgen sich im Rahmen eines finanzierten Prozesses bei einer Pflichtverletzung des Anwalts ergeben. Wird der Prozess aufgrund anwaltlicher Schlechtleistung verloren, ist der Anwalt zum Schadensersatz (Forderung, Kosten) verpflichtet. Der Umstand, dass ein Dritter Anspruch auf einen Teil der Forderung gehabt hätte, wird unterschiedlich bewertet. Vereinzelt wird ein Fall der Drittschadensliquidation angenommen198. Andere halten eine derartige Konstruktion für entbehrlich; der Kläger sei im Außenverhältnis stets zur Geltendmachung des gesamten Schadens berechtigt199. Andere befürworten einen Vertrag mit Schutzwirkung zu194 Vgl. Jaskolla (Fn. 11), S. 157; Kochheim (Fn. 11), S. 224. 195 Vgl. Kochheim (Fn. 11), S. 244; Nitzsche (Fn. 11), S. 88 f., Rochon (Fn. 11), S. 167; ferner Jaskolla (Fn. 11), S. 90. 196 Hierzu Jaskolla (Fn. 11), S. 158; Sturm (Fn. 11), S. 77 f.; ferner OLG Hamm, Rpfleger 2000, 547 (548), das einem Betreuer den Abschluss eines Finanzierungsvertrags wegen der drohenden Insolvenzgefahr des Unternehmens versagt hat. 197 Etwa Ziff. 5.5 Finanzierungsvertrag FORIS AG; § 7 Ziff. b) Finanzierungsvertrag Roland ProzessFinanz AG. 198 Dethloff, NJW 2000, 2225 (2229 f.); Jaskolla (Fn. 11), S. 181 ff. 199 Maubach (Fn. 11), S. 156 ff.; im Ergebnis wohl auch Sturm (Fn. 11), S. 209 ff.
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gunsten Dritter, so dass dem Finanzierer ein eigener Schadensersatzanspruch gegen den Rechtsanwalt zustehen würde200. Erfolgt die Erfolgsbeteiligung – wie hier angenommen – derart, dass ein prozentualer Anteil an der Forderung einschließlich etwaiger Schadensersatzansprüche abgetreten wird, sind sowohl Prozessfinanzierer als auch Kläger in der jeweiligen Forderungshöhe aktivlegimitiert. Ob durch die Verdoppelung der Gläubigerstellung eine Risikoerhöhung stattfindet, wird erst die Zukunft zeigen. Da die Finanzierer ihr Geschäft nicht ohne die Anwaltschaft betreiben können, ist zu vermuten, dass sich die Anwaltshaftungsprozesse, die von Finanziererseite angestrengt werden, in Grenzen halten. Aufgrund der Sicherungsabtretung ist der Prozessfinanzierer jedenfalls nicht zur Geltendmachung der gesamten Schadensforderung berechtigt; auf die Nichtigkeit der Klausel wurde bereits hingewiesen.
X. Resümee Da „der Prozess ein risikoträchtiges Unternehmen ist“, wie der Jubilar trefflich formuliert hat201, ist das Auftauchen der Prozessfinanzierer am Marktplatz Recht mit ihrem Angebot der Risikoübernahme sicherlich zu begrüßen. Für Kläger, die aufgrund hoher Streitwerte die gerichtliche Durchsetzung ihres Anspruchs wegen des Kostenrisikos scheuen, ist nunmehr ein weiterer Weg zur Herstellung materieller Gerechtigkeit eröffnet. Angesichts hoher Streitwerte scheint die Prozessfinanzierung auch für die Anwaltschaft im Hinblick auf das höhere Gebührenaufkommen nur vorteilhaft zu sein202. Schließlich wird seitens der Finanzierer auch die partnerschaftliche Zusammenarbeit betont203. Der Anwalt wird als „Teamplayer“ gesehen, der durch den Finanzierer eine kompetente Zweitmeinung erhalte. Liest man die Finanzierungsverträge, wird die anwaltliche Kompetenz jedoch eher eingeschränkt und kritisch beobachtet. Die umfangreichen Berichts- und Zustimmungspflichten lassen erkennen, dass die Finanzierer der Anwaltschaft im Hinblick auf deren Prozessführung nur bedingt vertrauen. Hierzu passt auch die von Finanziererseite geäußerte Befürchtung, dass „gute Rechtsanwälte“ ihre Prozesse alleine führen204. Umgekehrt ist das Misstrauen in der Anwaltschaft vor einer Bevormundung und vor dem Verlust anwaltlicher Unabhängigkeit groß. Ob sich der neue Weg der Prozessfinanzierung langfristig bewähren wird, hängt nicht zuletzt davon ab, inwieweit eine Vertragsgestaltung gefunden wird, die den Interessen aller Beteiligten gerecht wird. 200 Rochon (Fn. 11), S. 182 ff., 196 f. (unter Verkennung dieses Instituts); allgemein hierzu Vollkommer/Heinemann (Fn. 188), Rz. 102 ff. 201 Vollkommer, in seinem Vorwort zur 1. Auflage Anwaltshaftungsrecht, 1989. 202 Grunewald, AnwBl. 2001, 540 (541). 203 Vgl. die Aussagen des Vorstands der D.A.S. Profi AG, abgedruckt bei van Bühren, AnwBl. 2001, 537. 204 In diese Richtung Müller-Güldemeister (Fn. 15), S. 293.
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Tendenzen zur vorzeitigen Erlangung von Zahlungstiteln und einstweiliger Rechtsschutz*1 Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Entwicklungslinien des einstweiligen Rechtsschutzes 1. Zunehmende Verlagerung vom Sicherungs- ins Befriedigungsstadium 2. Das heute noch missverstandene sog. Verbot der Hauptsachenvorwegnahme 3. Zum sog. „Minus“-Charakter des einstweiligen Rechtsschutzes zur Hauptsache III. Summarischer Rechtsschutz nach dem Vorbild europäischer Nachbarländer? 1. Das französische Référé-Verfahren 2. Das Modell der „Storme“-Kommission 3. Das „summary judgment“ und „interim payment“ des englischen Rechts IV. Angleichungstendenzen im deutschen Recht 1. Die nur bedingt vergleichbare Ausgangslage 2. Mobilisierung des Teilurteils 3. Der Entwurf eines Forderungssicherungsgesetzes 2004/2006
V. Kritische Würdigung der bisherigen Entwicklung 1. Der Trend vom einstweiligen Rechtsschutz zum summarischen Zahlungstitel 2. Verhaltene Resonanz 3. Das Grundproblem der „Rechtsgewährung vor Rechtsbewährung“ 4. Die rechtsvergleichende Vordiskussion VI. Zum Entwurf eines Forderungssicherungsgesetzes 2004/2006 1. Abgrenzung zur einstweiligen Leistungsverfügung 2. Zur eigenartigen Abstufung des Beweismaßes 3. Gleichstellung mit dem vorläufig vollstreckbaren Urteil 4. Die Integrierung der vorläufigen Zahlungsanordnung in das Hauptsacheverfahren 5. Umfang der einstweiligen Zahlungsanordnung VII. Ergebnis VIII. Ausblick
* Die Wahl des Themas sucht die herausragende Leistung von Max Vollkommer vornehmlich als bewährtem Kommentator des „Zöller“ zu würdigen, der neben der grundlegenden Einleitung, den allgemeinen Vorschriften über Gerichte und Parteien, dem zentralen Abschnitt über Urteil und Rechtskraft, dem Mahnverfahren auch den gesamten Abschnitt über den Arrest und die einstweilige Verfügung mustergültig bearbeitet hat.
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Hans Friedhelm Gaul
I. Einleitung In jüngster Zeit wächst die Tendenz, Zahlungsgläubigern über das bisherige System des einstweiligen Rechtsschutzes hinaus nach dem Vorbild benachbarter europäischer Rechtsordnungen zu einem beschleunigten Rechtsschutz in summarischen Sonderverfahren zwecks frühzeitiger Erlangung eines Vollstreckungstitels zu verhelfen. Anlass dazu bietet namentlich die angespannte wirtschaftliche Lage der Werkunternehmer vornehmlich der Baubranche, die sich einer sinkenden Zahlungsmoral ihrer Auftraggeber ausgesetzt sehen und häufig erst nach langwierigen Bauprozessen und erheblichen Liquiditätseinbußen verspätet zu einem Titel kommen. Erstrebt wird aber überdies generell eine raschere und einfachere verfahrensrechtliche Durchsetzungsmöglichkeit für Geldforderungen als sie das bisherige deutsche Zivilprozessrecht bietet. Da man damit bewusst über das geltende Rechtsschutzsystem hinaus „neue“ Wege zur vorzeitigen Titelerlangung zu beschreiten sucht, erscheint es angezeigt, sich gleichsam in einer kritischen Zwischenbilanz auf die Bedeutung und das Leistungsvermögen des einstweiligen Rechtsschutzes zu besinnen, zumal sich auch innerhalb seiner Regelung in der praktischen Anwendung inzwischen eine gewisse Verschiebung der Grenzen zwischen Sicherung und einstweiliger Befriedigung zugunsten des Gläubigers vollzogen hat. Überdies hat die Reformgesetzgebung in wiederholten Schritten namentlich in Familienverfahren die einstweilige Verfügung zunehmend durch das Institut der „einstweiligen Anordnung“ ersetzt, wenngleich nicht vollständig verdrängt, so dass dort heute beide Instrumente des „einstweiligen Rechtsschutzes“ miteinander konkurrieren. Es gilt deshalb zugleich die Gesamtzusammenhänge in den Blick zu nehmen, so wie der Gesetzgeber nicht nur „Detaildenker“, sondern stets „Ganzheitsdenker“ sein muss, um Disharmonien oder gar Antinomien um der Einheit der Rechtsordnung willen zu vermeiden1.
II. Entwicklungslinien des einstweiligen Rechtsschutzes 1. Zunehmende Verlagerung vom Sicherungs- ins Befriedigungsstadium Im System des deutschen einstweiligen Rechtsschutzes ist der Arrest entgegen seiner ursprünglichen Bedeutung als herkömmliches klassisches Sicherungsmittel bei gefährdeter Rechtsverfolgung zunehmend in den Schatten des ihm nachgebildeten Parallelinstituts der einstweiligen Verfügung getreten. Entwicklungsgeschichtlich mag dies verwundern, ist die einstweilige Verfügung doch erst im 19. Jahrhundert aus dem Arrest als ursprünglich alle Anspruchsarten umfassenden Sicherungsmittel hervorgegangen2. Das erklärt 1 So Hugo Sinzheimer, Theorie der Gesetzgebung, Harlem, 1948, S. 70. 2 Zum geschichtlichen Ursprung des einstweiligen Rechtsschutzes und zur Vorläuferrolle des Arrestes s. schon knapp und treffend Leo Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozessrechts, 9. Aufl. 1961, § 211 I, § 214 I 1 pr.
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Vorzeitige Erlangung von Zahlungstiteln
auch, dass die ZPO die Regelung des Arrestverfahrens systematisch vorausschickt und sodann durch Verweisung weitgehend auf das Verfügungsverfahren für anwendbar erklärt3. Denn nach einigen partikularrechtlichen Vorbildern4 brachte erst die ZPO die klare systematische Unterscheidung zwischen den „neuen“ Rechtsinstituten des Arrestes und der einstweiligen Verfügung, und zwar ausgehend zunächst noch von ihrem übereinstimmenden Sicherungscharakter: So wie der Arrest zur Sicherung der Zwangsvollstreckung wegen einer Geldforderung dienen sollte (§ 916 ZPO), so die einstweilige Verfügung zur Sicherung eines Anspruchs auf Individualleistung (§ 935 ZPO)5. Dies gilt zumindest für die in § 935 ZPO geregelte sog. Sicherungsverfügung noch heute. Weniger klar war jedoch von Beginn an die Abgrenzung zur daneben vorgesehenen einstweiligen Verfügung zur Regelung eines einstweiligen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis, der sog. Regelungsverfügung (§ 940 ZPO). Trotz des auch ihr innewohnenden „provisorischen Charakters“ bot sie schon bald nach Inkrafttreten der ZPO der Judikatur6 und Literatur7 die gesetzliche Handhabe für die provisorische Zuerkennung auch von Geldleistungen zur Abwendung drohender Nachteile
3 Demgemäß konzentrierte sich die wissenschaftliche Behandlung zunächst ganz auf den Arrest, vgl. Adolf Wach, Der Arrestprozess in seiner geschichtlichen Entwicklung, I. Teil: Der italienische Arrestprozess, 1868; Guido Kisch, Der deutsche Arrestprozess, 1914; Hans Planitz, Grundlagen des deutschen Arrestprozesses, 1922. 4 So die Hannoversche Prozessordnung von 1847 in den §§ 188 ff., 205 f. und von 1850 in den §§ 508 ff., 519 f. sowie der von der CPO weitgehend übernommene Norddeutsche Entwurf von 1869 in den §§ 692, 729, 740. 5 S. dazu Motive bei Hahn, Die gesamten Materialien zur Civilprozessordnung, Bd. II 1. Abt., Berlin, 1880, S. 470. 6 RGZ 9, 334 ff.; RGZ 15, 377 ff.; RGZ 27, 429 ff.; RGZ 36, 390 ff.; RGZ 46, 354 ff.; RGZ 47, 72 ff.; – nach der Revisionssperre für Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutz seit 1910 (vgl. jetzt noch § 542 Abs. 2 S. 1 ZPO) fortgeführt von der BGH-Judikatur nur noch in obiter dicta, vgl. BGHZ 33, 105 (112); BGHZ 40, 367 (378 f.); BGH, NJW 1965, 915, findet sie heute ihren Niederschlag namentlich in der umfangreichen Instanzrechtsprechung; exemplarisch: OLG Köln, FamRZ 1983, 410 ff. m.w.N. 7 S. insbes. Hellwig/Oertmann, System des Deutschen Zivilprozessrechts, II. Teil, 1919, § 354, 2b; Stein/Juncker, Grundriss des Zivilprozessrechts und Konkursrechts, 3. Aufl. 1927, § 118 I; Goldschmidt, Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 1932, § 111 1b; – für die heutige Sicht grundlegend Schilken, Die Befriedigungsverfügung, 1976, S. 68 ff., 112 ff.; ansatzweise ebenso von § 940 ZPO ausgehend, aber mit abweichender Konzeption der „Leistungsverfügung“ als „Angriffsverfügung“ und „Eilentscheidung des offenen, interesseabwägenden Typs“ Leipold, Grundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes, 1971, S. 119 f.; ähnlich wie Schilken neuerdings Walker, Der einstweilige Rechtsschutz im Zivilprozess und im arbeitsgerichtlichen Verfahren, 1993, Rz. 84 ff., 99 ff., 130, 135; s. auch Rosenberg/Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, 11. Aufl. 1997, § 76 II 2 (S. 1013 ff.) m.w.N.; die Rechtsgrundlage letztlich offen lassend, aber in der Sache ebenso Vollkommer in Zöller, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 940 Rz. 1.
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aus Streitigkeiten, die an sich „zur Sicherung der Vollstreckung des Arrestes bedürfen“, wie auf Zahlung notwendiger „Unterhaltsbeiträge“8. Die schon dem gemeinen Recht bekannte „provisorische Verfügung auf Alimentationsleistung“ war, wie man heute weiß, der Urtyp und das Leitbild, aus dem sich später die sog. Befriedigungs- oder Leistungsverfügung entwickeln konnte, um zwecks Befriedigung elementarer Lebensbedürfnisse die durch die Dauer des ordentlichen Prozesses bedingte Gefährdung der Rechtsverwirklichung im Vorgriff auf die definitive Rechtsfindung im Hauptsacheprozess interimistisch zu überbrücken9. Während im Familienrecht die neuere Novellengesetzgebung die einstweilige Verfügung auf den „Notunterhalt“10 (mit besonderer Ausprägung in § 1615o BGB) zunehmend durch die bereits den regulären Unterhalt regelnde „einstweilige Anordnung“ partiell verdrängt hat – mit der Folge eines unkoordinierten Nebeneinanders beider Instrumente in diffuser Regelungsvielfalt (vgl. § 620 Nr. 4 und 6, § 620a Abs. 2, §§ 641d, 644 ZPO)11, erstreckt sich heute der Anwendungsbereich der sog. Befriedigungs- oder Leistungsverfügung auf Streitigkeiten aller Art, vornehmlich auf dem Gebiete des Wirtschafts- und Wettbewerbsrechts, des Arbeitsrechts, des Medienrechts oder der politischen Auseinandersetzung12. Gerichtet sein können sie nicht nur auf Geldleistungen wie Lohn- und Rentenzahlungen, Abschlagzahlungen auf eingeklagten Schadenersatz, sondern auch auf Unterlassungsgebote oder auf Vornahme von Handlungen, mithin auf alle Leistungen, die auch der regulären Zwangsvollstreckung zugänglich sind13. Hinzu treten auch hier sondergesetzlich geregelte Fälle von Leistungsverfügungen teils unter erleichterten Voraussetzungen (vgl.
8 So schon deutlich Richard Schmidt, Lehrbuch des deutschen Zivilprozessrechts, 2. Aufl. 1910, S. 590 (im Original ist der Hinweis auf den „Arrest“ hervorgehoben). – Zur Abgrenzung der einstweiligen Verfügung auf Geldleistung zum Arrest s. Gaul, Einstweilige Unterhaltsregelung zugunsten des unehelichen Kindes während der Aussetzung des Unterhaltsprozesses analog § 940 ZPO, § 1716 BGB (a.F.), FamRZ 1956, 157 (162). 9 S. dazu zuletzt eingehend Gaul, Die Entwicklung des einstweiligen Rechtsschutzes in Familien- und insbesondere in Unterhaltssachen, FamRZ 2003,1137 (1142, 1144 ff.) m.w.N.; zur historischen Entwicklung s. neuerdings insbes. auch Heinze, Die Leistungsverfügung, 50 Jahre BGH, FS aus der Wissenschaft, Bd. III, 2000, S. 569 ff. 10 Zur Verfassungsmäßigkeit der „unterschiedlichen Bemessung des vorläufig zuerkannten Unterhalts“ im Wege der einstweiligen Verfügung nach §§ 935, 940 ZPO auf den „Notunterhalt“ statt auf den „vollen Unterhalt“ im Wege der einstweiligen Anordnung nach §§ 620 ff. ZPO s. BVerfG (Ausschuss des 1. Senats), FamRZ 1980, 872 f. 11 S. dazu näher Gaul, FamRZ 2003, 1137 ff. 12 Zu den von der Leistungsverfügung erfassten einzelnen Rechtsgebieten umfassend Vollkommer in Zöller, § 940 Rz. 8. 13 S. dazu eingehend Schilken, Befriedigungsverfügung, S. 137 ff.; Rosenberg/Gaul/ Schilken, § 76 II 2e (S. 1015 ff.).
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§ 12 Abs. 2 UWG n.F., § 61 Abs. 6 S. 2 UrhG, §§ 41, 85 PatG, § 19 Abs. 3 MarkenG, § 11a GebrMG). 2. Das heute noch missverstandene sog. Verbot der Hauptsachenvorwegnahme Begünstigt wurde die Entwicklung der Befriedigungs- oder Leistungsverfügung – was meist verkannt wird – dadurch, dass das deutsche Recht entgegen noch immer verbreiteten Vorurteilen kein „Verbot einer Vorwegnahme der Hauptsache“ im Sinne eines „Befriedigungsverbots“ kennt, nach welchem sich der einstweilige Rechtsschutz strikt auf Maßnahmen der Sicherung beschränken müsste14. Vielmehr erschöpft sich das „Verbot der Hauptsachevorwegnahme“ in einem „Präjudizverbot“ nach französischem Vorbild (Art. 809 Abs. 1 S. 2 anc. C.proc.civ.)15. Dessen Aufnahme in das Gesetz erschien indes dem deutschen Gesetzgeber „entbehrlich“, weil es „nach dem Zweck der einstweiligen Verfügungen selbstverständlich“ sei, „dass durch dieselben weder die Entscheidung in der Hauptsache präjudiziert noch in dem materiellen Rechte der Parteien untereinander ... etwas geändert“ werde16. Das Präjudizverbot besagt nur, dass der Verfügungsrichter das Hauptsachegericht buchstäblich nicht „präjudizieren“, dass die Eilentscheidung der Hauptsacheentscheidung nicht bindend vorgreifen darf17. Klargestellt hatte die Reduzierung des sog. Hauptsachevorwegnahmeverbots auf das Präjudizverbot schon das Reichsgericht in seinem grundlegenden Urteil aus dem Jahre 188318 als damalige Revisionsinstanz auch im Verfahren des Arrestes und der einstweiligen Verfügung, während der Revisionszugang im einstweiligen Rechtsschutz schon seit der Novelle 1910 beseitigt ist (so heute noch § 542 Abs. 2 S. 1 ZPO). So treffend auch das Reichsgericht mit Hinweis auf den Art. 641 der bayr. PO (= Art. 809 anc. C.proc.civ.) das Präjudizverbot als – sich von selbst verstehende – „Einflusslosigkeit der einstweiligen Verfügung auf die Entscheidung der Hauptsache“ begriff, so konnte seine Interpretation der Motive zur CPO über das Verhältnis von Arrest und einstweiliger Verfügung doch nicht überzeugen. Aus zwei Stellen der Motive 14 Ein ausdrückliches „Befriedigungsverbot“ kennt etwa Griechenland in Art. 692 Abs. 4 grZPGB; s. dazu Panagiotis Kargados, Zur Verfassungsmäßigkeit von gesetzlichen Verboten einstweiligen Rechtsschutzes, inklusive eines generellen Ausschlusses der Hauptsachevorwegnahme, FS H. F. Gaul, 1997, 265 ff.; ferner Gaul, Wandlungen und Disharmonien im reformierten deutschen familienrechtlichen einstweiligen Rechtsschutz, FS P. Kargados, 2004, S. 903 ff. 15 Zum französischen „préjudice-Verbot“ s. auch Leipold, Grundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes, S. 77 f., 80 Anm. 67. 16 Vgl. Motive zur CPO bei Hahn, Materialien zur Civilprozessordnung, S. 478. 17 S. dazu zuletzt näher Gaul, FamRZ 2003, 1137 (1141 ff., 1143); ebenso schon Rosenberg/Gaul/Schilken, § 76 II 2 (S. 1010) und IV (S. 1023 f.). 18 RGZ 9, 334 (335 ff.).
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meinte es nämlich herleiten zu können, beide Institute verfolgten „nicht den gleichen Zweck“. Dort werde nur für den Arrest der Sicherungszweck betont: „Die Vollziehung des Arrestes muss an dem Punkte anhalten, an welchem die bloße Sicherung aufhören und die Befriedigung des Gläubigers beginnen würde“19. Demgegenüber heiße es zur einstweiligen Verfügung: „Die durch die einstweilige Verfügung abzuwendende Gefahr kann so mannigfach sein, dass die Mittel zur Abwehr ... überall bis zu den äußersten Grenzen der Zwangsvollstreckung gehen“ können20. Demgemäß könne die einstweilige Verfügung auch „auf eine wirkliche Befriedigung abzielen“21. Doch bezog sich der zuletzt zitierte Satz aus den Motiven nur auf den heutigen § 938 ZPO (= § 817 CPO), wonach „das Gericht nach freiem Ermessen“ bestimmt, welche aufgrund einer Sicherungsverfügung nach § 935 ZPO (= § 814 CPO) zu treffenden „Anordnungen zur Erreichung des Zweckes erforderlich sind“. Insoweit sollte der missverständlich weit gefasste Satz, es könnten die Mittel „überall bis zu den äußersten Grenzen der Zwangsvollstreckung gehen“, in Wahrheit nur die „Grenzen“ des vermeintlich „freien Ermessens“ in der Wahl der Mittel bezeichnen und die Sicherungsmaßnahmen auf das nach ihrem Zweck „erforderliche“ Maß beschränken – gemäß dem Prinzip des geringst möglichen Eingriffs22. An eine inhaltliche Erweiterung der tatbestandlichen Voraussetzungen der Sicherungsverfügung nach § 935 ZPO war dabei nicht gedacht und noch weniger an eine mit der Regelungsverfügung des § 940 ZPO zu erzielende Befriedigung23. Missverständlich sprach das Reichsgericht zudem von „einstweiligen Verfügungen, welche auf eine wirkliche Befriedigung abzielen“24, so wie auch heute noch in der Lehre ungenau von „auf sofortige Erfüllung des Anspruchs gerichtete einstweilige Verfügungen“ die Rede ist25. „Befriedigung“ aufgrund einstweiliger Verfügung kann selbstverständlich nicht Befriedigung im materiellrechtlichen Sinne bedeuten, denn darüber, ob „Erfüllung“ gemäß § 362 BGB eintritt, bestimmt allein das materielle Recht26. Es kann sich nur um
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Motive bei Hahn, Materialien zur Civilprozessordnung, S. 477. Motive bei Hahn, Materialien zur Civilprozessordnung, S. 478. RGZ 9, 334 (335). Vgl. dazu schon Gaul, FamRZ 1958, 157 Anm. 11 und S. 162 (Fn. 8) und zuletzt ausführlich in FamRZ 2003, 1137 (1143, 1145); dazu auch Schilken, Befriedigungsverfügung, S. 31 f. Vgl. dazu insbes. Schilken, Befriedigungsverfügung, S. 55, 68. RGZ 9, 334 (335). So Grunsky, Grundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes, JuS 1976, 276 (283, 284 Anm. 73); ebenso Grunsky in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2002, Überschrift vor Rz. 31 vor § 935. Vgl. Rosenberg/Gaul/Schilken, § 1 I 2 (S. 3 f.) und näher § 14 V 1 (S. 213 ff.); ebenso Kerwer, Die Erfüllung in der Zwangsvollstreckung, 1996, S. 114 ff., 22 ff.; ferner Gaul, Rechtsverwirklichung durch Zwangsvollstreckung aus rechtsgrundsätzlicher und rechtsdogmatischer Sicht, ZZP 112 (1999), 135 (150 f., 183 f.).
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eine „einstweilige Befriedigung“ im exekutorischen Sinne handeln, die noch unter dem Vorbehalt der endgültigen Entscheidung in der Hauptsache steht, wie namentlich die Schadensersatzpflicht des Antragsstellers aus § 945 ZPO zeigt, wenn sich die einstweilige Verfügung nachträglich als ungerechtfertigt erweist27. 3. Zum sog. „Minus“-Charakter des einstweiligen Rechtsschutzes zur Hauptsache Bedenkt man dies, so ist andererseits die heute noch verbreitete Ansicht nicht aufrechtzuerhalten, die Maßnahme des einstweiligen Rechtsschutzes müsse gegenüber der Rechtsfolge aus dem materiellen Recht stets ein „minus“ oder ein „aliud“ sein, sie dürfe sich „damit gar nicht decken, weil wegen der Vorläufigkeit der Anordnung irreparable Zustände nicht geschaffen werden“ dürften28. Es gelte eben nur, den status quo im Hinblick auf das noch durchzuführende Hauptsacheverfahren zu sichern. Nur für den Arrest gilt der „Minus“-Charakter gegenüber dem im Hauptsacheprozess verfolgten Anspruch uneingeschränkt, weil er ausschließlich der Sicherung der Zwangsvollstreckung (§ 916 Abs. 1 ZPO), niemals der Befriedigung des Gläubigers dient29. Allein auf den Arrestvollzug ist deshalb das in den Motiven formulierte „Befriedigungsverbot“ gemünzt30, denn er kann nur zum Arrestpfandrecht (§ 930 Abs. 1 ZPO) und zur Sicherungshypothek (§ 932 ZPO), nicht aber zur Verwertung mit Erlösauskehrung führen. Hingegen lässt sich die These, dass der einstweilige Rechtsschutz hinter dem Resultat des Hauptsacheprozesses und dem Vollstreckungserfolg zurückbleiben müsse, für die sog. Befriedigungs- oder Leistungsverfügung nicht durchhalten. Mag man dem noch bei der auf Unterhaltsleistung gerichteten einstweiligen Verfügung durch Beschränkung auf den nur befristet zu gewährenden „Notunterhalt“ graduell genügen, ist bei der heute wohl wichtigsten Erscheinungsform der Leistungsverfügung, der Unterlassungsverfügung etwa auf Untersagung bestimmter Wettbewerbshandlungen, die qualitative Vorwegnahme der Hauptsache selbst dann nicht zu leugnen, wenn sie nur befristet ergeht31. Hier decken sich fraglos die Folgen der Eilmaßnahme qualitativ mit dem Rechtsschutzziel
27 Vgl. Gaul, FamRZ 2003, 1137 (1143). 28 So durchgängig Baur, Studien zum einstweiligen Rechtsschutz, 1967, S. 49 f. und zusammenfassend S. 60; Baur/Stürner, Zwangsvollstreckungs-, Konkurs- und Vergleichsrecht, Bd. I, 12. Aufl. 1995, Rz. 53.12 und 53.20; ebenso Heinze in MünchKomm ZPO, 2. Aufl. 2001, vor § 916 Rz. 18 und 64; Vollkommer in Zöller, § 938 Rz. 3; s. dazu auch Walker, Einstweiliger Rechtsschutz, Rz. 67 m.w.N. 29 So schon sehr klar RGZ 153, 220 (223 f.); ebenso BGHZ 68, 289 (292); BGHZ 89, 82 (86); BGHZ 121, 100 (101). 30 Vgl. oben zu Fn. 19. 31 Vgl. Jauernig, Der zulässige Inhalt einstweiliger Verfügungen, ZZP 79 (1966), 320 (332).
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der Hauptsache, gleicht ihre „Befriedigungswirkung“ dem regulären Vollstreckungserfolg32.
III. Summarischer Rechtsschutz nach dem Vorbild europäischer Nachbarländer? 1. Das französische Référé-Verfahren Inzwischen ist die Entwicklung jedoch nicht bei der Ausdehnung des einstweiligen Rechtsschutzes durch Verlagerung des Schwerpunkts vom ursprünglichen Sicherungs- ins zunehmend einbezogene Befriedigungsstadium stehen geblieben. In den letzten Jahren zeichnet sich die Tendenz ab, die Fesseln des tatbestandlich ausgeformten deutschen einstweiligen Rechtsschutzsystems mehr oder weniger abzustreifen und nach dem Vorbild benachbarter europäischer Rechtsordnungen Zahlungsgläubigern zu einem beschleunigten Rechtsschutz unter erleichterten Voraussetzungen zu verhelfen. Eine besondere Faszination geht dabei vom französischen Référé-Verfahren in Gestalt des „référé-provision“ aus (Art. 809 Abs. 2, Art. 771 Nr. 3 NCPC), das sich heute geradezu zu einem „allgemeinen Schnellverfahren für jedwede Zahlungsansprüche“ entwickelt hat33. Demgegenüber ging dem historischen deutschen Gesetzgeber der ZPO das französische Vorbild mit seiner generalklauselartigen Regelung „in allen dringenden Fällen“ (Art. 806 anc. C.proc.civ.) noch zu weit; er entschied sich deshalb für eine tatbestandliche Aufgliederung der Verfügungsarten in Sicherungs- und Regelungsverfügungen (§§ 935, 940 ZPO)34. Die heutige große praktische Bedeutung des „référé-provision“ besteht darin, dass eine besondere Dringlichkeit für den Erlass der Zahlungsanordnung nicht verlangt wird, sondern nach Art. 809 Abs. 2 NCPC das Vorliegen eines nicht ernsthaft bestreitbaren Anspruchs („pas sérieusement contestable“) 32 Vgl. Rosenberg/Gaul/Schilken, § 74 I (S. 996), § 76 II 2 pr. (S. 1013); ebenso Walker, Einstweiliger Rechtsschutz, Rz. 111. 33 Vgl. dazu Anke Eilers, Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes im europäischen Zivilrechtsverkehr, 1991, S. 88 ff.; Gordon Weber, Die Verdrängung des Hauptsacheverfahrens durch den einstweiligen Rechtsschutz in Deutschland und Frankreich, Rechtstatsachenforschung, hrsg. vom BMJ, 1993, passim; Stürner, Einstweiliger Rechtsschutz auf Durchführung von Austauschverträgen, FS Zeuner, 1994, S. 513 (516 ff.); ders., Der einstweilige Rechtsschutz in Europa, FS Geiß, 2000, S. 199 (209 f.); Mossler, Beschleunigter Rechtsschutz für Zahlungsgläubiger in Europa, 2004, S. 133 ff., 189 ff. 34 Vgl. Protokolle zum Norddeutschen Entwurf einer CPO, Bd. 3, 1869, S. 1215, 1242; die Motive zur CPO bei Hahn, Materialien zur Civilprozessordnung, S. 477, sprachen deshalb nur von einer „Annäherung“ an das „Référé-Verfahren“ des französischen Rechts; zu den bestehenden „tiefgreifenden Unterschieden“ s. auch Leipold, Grundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes S. 76 ff. (80); Schilken, Befriedigungsverfügung, S. 75 f.
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genügt, wobei die Beweislast für die „ernsthafte Bestreitbarkeit“ beim Beklagten liegt. Das erleichtert die summarische Prognoseentscheidung des Référé-Richters in der Praxis beträchtlich und angesichts der Verlagerung der Beweislast vom Kläger auf den Beklagten in einem Maße, welches dem deutschen Recht fremd ist35. 2. Das Modell der „Storme“-Kommission Unter dem Eindruck des französischen Modells schlägt die „Storme-Kommission“ in ihrem Entwurf für ein europäisches Zivilprozessgesetzbuch (1994)36, ausgehend von Art. 24, 39 EuGVÜ (= Art. 31, 47 EuGVVO), in Art. 10.1.2. neben den auf Sicherung und auf eine vorläufige Regelung der tatsächlichen Verhältnisse zur Wahrung des status quo gerichteten Maßnahmen pauschal solche auf vorläufige Befriedigung eines jeden streitigen Anspruchs vor, sofern nur Anspruch und Gefahr im Verzug bei summarischer Prüfung wahrscheinlich erscheinen. Obwohl in dem Modellentwurf die aus dem deutschen Recht bekannten Typen des Arrestes (§ 916 ZPO) und der Sicherungswie Regelungsverfügung (§§ 935, 940 ZPO) sowie der Befriedigungsverfügung wiederzuerkennen sind, geht sein Spielraum doch darüber hinaus. Entsprechend dem in Frankreich recht großzügig gehandhabten „référé-provision“ des Art. 809 Abs. 2 NCPC ermöglicht er z.B. im Vorgriff auf die Hauptsache die Durchsetzung jeder gefährdeten Vertragserfüllung mittels Zahlungsanordnung bis zur vollen Höhe des streitigen Betrags. Gemessen an dem stärker tatbestandsgebundenen deutschen System des einstweiligen Rechtsschutzes sind denn auch die Vorschläge der Storme-Kommission aus deutscher Sicht eher kritisch aufgenommen worden, so mit der empfohlenen Einschränkung, dass eine die Hauptsache vorwegnehmende Zahlungsanordnung nur zulässig sein solle, wenn anders der Zweck der Maßnahme nicht erreicht werden kann37. Soweit schon grundsätzlich eingewandt wird, Maßnahmen mit „der Zielsetzung einer Vorwegnahme der Hauptsache“ passten nicht in das System des einstweiligen Rechtsschutzes, sie erforderten vielmehr eine „eigenständige Verfahrensart“38, wirkt indes noch das vermeintliche sog. „Hauptsachenvorwegnahmeverbot“ nach39, das dann aber einem summarischen Vorgriff auf die Hauptsache jeder Art entgegenstünde40. 35 S. dazu näher Mossler, Beschleunigter Rechtsschutz, S. 133 f. (141 ff., 154, 190 f.). 36 Text in französischer und englischer Fassung abgedruckt in ZZP 109 (1996), 345 ff. 37 Vgl. dazu insbes. Schilken, Die Vorschläge der Kommission für ein europäisches Zivilprozessgesetzbuch, ZZP 109 (1996), 315 (324 ff.) m.w.N.; Prütting, Die Strukturen des Zivilprozesses unter Reformdruck und europäische Konvergenz?, FS E. Schumann, 2001, S. 309 (310); zuletzt Mossler, Beschleunigter Rechtsschutz, S. 197 ff. 38 So Mossler, Beschleunigter Rechtsschutz, S. 198. 39 Vgl. dazu schon oben zu Fn. 14 ff., 17. 40 S. dazu noch unten zu Fn. 75.
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3. Das „summary judgment“ und „interim payment“ des englischen Rechts Neben einer Fortentwicklung des deutschen einstweiligen Rechtsschutzes im Sinne des französischen „référé-provision“ wird ebenso eine Vereinfachung und Beschleunigung durch ein summarisches Verfahren nach dem Vorbild der englischen Institute des „summary judgment“ und „interim payment“ diskutiert41. Das sog. summary judgment nach Part 24 der Civil Procedure Rules (1999) ermöglicht nach Ermessen des Gerichts in offensichtlichen Fällen eine schnelle Aburteilung über einen bestimmten Streitpunkt wie den Haftungsgrund und erreicht in Verbindung mit der gleichzeitigen Anordnung einer Abschlagszahlung auf die Schadenshöhe (interim payment order, Rule 25.6 bis 25.9 CPR) eine beschleunigte Befriedigung des Gläubigers. Das Verfahren ähnelt damit in seiner Funktion dem deutschen Grund- und Betragsurteil (§ 304 ZPO) mit dem wesentlichen Unterschied, dass diese jeweils im regulären Hauptprozess nach voller Entscheidungsreife ergehen. Vornehmlich ist die interim payment order aber ein Unterfall der mandatory injunctions des einstweiligen Rechtsschutzes in England und ergeht dann selbständig und unabhängig von der gerichtlichen Feststellung des Klagegrundes aufgrund einer Prognoseentscheidung des Master oder des district judge, falls er vom voraussichtlichen Obsiegen des Klägers in der Hauptsache mit überwiegender Wahrscheinlichkeit überzeugt ist42. Die interim payment order war schon vor ihrer Neuregelung in den Rules 25.6 bis 25.9 über ihre ursprüngliche Beschränkung auf Körperverletzungsprozesse hinaus seit 1980 auf alle Zahlungsklagen ausgeweitet worden, ohne eine besondere Dringlichkeit zu erfordern. Die selbstständige interim payment order ist daher vergleichbar der französischen „référé-provision“. Zwar ist der Ermessensspielraum des englischen Richters größer als der des französischen Richters, doch kann die payment order nur einen Teilbetrag („reasonable proportion“) zusprechen, während die französische Praxis eine „provision à 100%“ erlaubt43.
41 Vgl. Dieter Leipold/Adrian Zuckerman, Vereinfachung und Beschleunigung des Rechtsschutzes durch summarisches Verfahren, Verfahrensinstitute zur Prozessbeschleunigung im englischen Zivilprozess, Rechtstatsachenforschung, hrsg. vom BMJ, 1998 passim; Stürner, FS Geiß, S. 199 (210); Mossler, Beschleunigter Rechtsschutz, S. 155 ff., 191 f. 42 Vgl. dazu näher Leipold/Zuckerman, Vereinfachung und Beschleunigung, S. 30 f., 89 ff.; Mossler, Beschleunigter Rechtsschutz, S. 178 f. 43 Vgl. Mossler, Beschleunigter Rechtsschutz, S. 190 f., 204.
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IV. Angleichungstendenzen im deutschen Recht 1. Die nur bedingt vergleichbare Ausgangslage Wenn die zum Vergleich herangezogenen Instrumente eines vereinfachten und beschleunigten Rechtsschutzes in stärkerem Maße als der einstweilige Rechtsschutz im deutschen Recht bereits auf eine vorweggenommene Befriedigung aufgrund eines summarischen Verfahrens zielen, so hängt dies unverkennbar mit der Eigenart der betreffenden ausländischen Prozessrechtssysteme zusammen. So beruhen die genannten Institute des englischen Zivilprozesses auf dessen Gliederung in ein pre-trial-Verfahren (vorbereitendes Verfahren) und das trial (die mit dem judgment endende Hauptverhandlung) und der damit verbundenen oftmals langen Verfahrensdauer. Hier kann schon während des pre-trial-Verfahrens mit einer interim payment order eine Abschlagzahlung auf die Klageforderung bewirkt werden zur Vermeidung eines Rechtsverlustes durch Zeitablauf44. Ebenso dient in Frankreich der „référé-provision“ als Mittel der Effektivitätsverbesserung des Rechtsschutzes zum Ausgleich für die Nachteile des Rechtsuchenden infolge der überlangen Dauer des ordentlichen Prozesses. Sein „Siegeszug“ im Vorfeld der Klage wird gerade auf „das Versagen des ordentlichen Prozesses in Frankreich“ zurückgeführt, aber auch auf den großen Anreiz, den es durch die Verlagerung der Beweisführungslast auf den Beklagten für den Kläger bietet, der nach seiner so erreichten Befriedigung das Interesse an einer zügigen Fortführung des Prozesses verliert45. Demgegenüber ist die Lage der deutschen Ziviljustiz, gemessen an der Erledigungsdauer der Prozesse, bei aller Kritik an Einzelheiten im Allgemeinen keineswegs als dramatisch zu bezeichnen. Zwar ist das Problem der Prozessverschleppung und ihrer wirksamen Begegnung durch entsprechende Schutzvorkehrungen auch hierzulande notorisch präsent. Zivilprozesse werden in Deutschland aber überwiegend zügig abgeschlossen. Die durchschnittliche Erledigungsdauer in 1. Instanz beträgt etwa neun Monate46. Eine 44 Zum engen Zusammenhang des „interim payment“ mit dem pre-trial-Verfahren in England, um „den Verzögerungs- und Zermürbungsstrategien des Beklagten“ entgegenzuwirken, s. Leipold/Zuckerman, Vereinfachung und Beschleunigung, S. 19 f., 33, 53, 84 ff., 98; Mossler, Beschleunigter Rechtsschutz, S. 170 f., 172 f., 174. 45 So Mossler, Beschleunigter Rechtsschutz, S. 191, 195; ähnlich schon Weber, Verdrängung des Hauptsacheverfahrens, S. 88 f., 105, 119; auch Stürner, FS Geiß, S. 216, der die Bedeutung des Référé-Verfahrens als „faktisches Hauptsacheverfahren“ auch mit der „Qualität der Référé-Richter“ erklärt (Zuständigkeit des Präsidenten des Gerichts, das auch in der Hauptsache zuständig wäre – allerdings mit Delegationsmöglichkeit, s. Mossler, S. 136 f.). 46 So die Angaben zuletzt bei Mossler, Beschleunigter Rechtsschutz, S. 1; deutlich darunter noch die Angaben bei Prütting, FS Schumann, S. 309 (310): Erledigungsdauer bei Amtsgerichten 41/2, bei Landgerichten 61/2 Monate; weitere Angaben bei Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl. 2004, § 81 Rz. 1 Anm. 1.
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Ausnahme machen allerdings Prozesse, in welchen umfangreiche und komplexe Sachverhalte zu bewältigen sind wie Bauprozesse und Schadensersatzstreitigkeiten, die eine schwierige Beweiserhebung meist durch Sachverständigengutachten erfordern. Hier muss der Gläubiger und Geschädigte mitunter mehrere Jahre warten, bis er zu einem Vollstreckungstitel kommt. Insoweit bieten die Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes auch in Gestalt der eine besondere Notlage erfordernden Geldleistungsverfügungen sowohl umfänglich wie zeitlich nur eine begrenzte Abhilfe. 2. Mobilisierung des Teilurteils Die jüngste Diskussion gilt demgemäß auch weniger einem weiteren Ausbau der Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes als einer wirksameren Ausgestaltung der Mittel zur schnelleren Rechtsdurchsetzung bereits im Erkenntnisverfahren. Die Kritik richtet sich vornehmlich dagegen, dass die Praxis vom Institut des Teilurteils nach § 301 ZPO nur wenig Gebrauch macht, weil das Gesetz bei Vorliegen seiner Voraussetzungen (abgrenzbarer, entscheidungsreifer Teil des Streitstoffs unabhängig vom Schlussurteil) zwar seinen Erlass zur Regel macht (Abs. 1 S. 1), aber dennoch letztlich in das unüberprüfbare Ermessen des Gerichts stellt (Abs. 2). Ist ein teilbarer Anspruch nach Grund und Höhe streitig, so darf zur Vermeidung widersprüchlicher Entscheidungen ein Teilurteil zur Höhe nicht ohne gleichzeitiges Grundurteil ergehen (so jetzt ausdrücklich Abs. 1 S. 2)47. In jedem Falle ist jeweils Entscheidungsreife Voraussetzung. Eine „vorläufige“ Teilentscheidung im Sinne der angeführten ausländischen Rechtsordnungen, die mit dem Endurteil in derselben Instanz wieder korrigiert werden könnte48, kennt der deutsche Zivilprozess nicht. Damit erweist sich das Institut des Teilurteils nur sehr begrenzt als wirksames Mittel, dem Kläger frühzeitig zu einem Vollstreckungstitel zu verhelfen. 3. Der Entwurf eines Forderungssicherungsgesetzes 2004/2006 Der vom Bundesrat unter Zustimmung der Bundesregierung eingebrachte Entwurf eines Forderungssicherungsgesetzes (FoSiG) vom 14. 7. 200449, unverändert wieder eingebracht am 2. 2. 200650, schlägt deshalb – neben einer 47 Eingefügt durch Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen v. 30. 3. 2000 (BGBl. I S. 330) entsprechend der bisherigen BGH-Rechtsprechung; s. dazu Vollkommer in Zöller, § 301 Rz. 1 und 7a m.w.N.; auch Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 59 Rz. 20. 48 S. dazu Leipold/Zuckerman, Vereinfachung und Beschleunigung, S. 33 f., 54; Mossler, Beschleunigter Rechtsschutz, S. 5 ff., 12 f., 186. 49 Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung von Werkunternehmeransprüchen und zur verbesserten Durchsetzung von Forderungen (Forderungssicherungsgesetz – FoSiG), BT-Drs. 15/3594, S. 1 ff. 50 Entwurf eines Gesetzes (wie zu Fn. 49), BT-Drs. 16/511, S. 1 ff.
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Änderung der Vorschrift des § 301 ZPO über das Teilurteil (Streichung der Ermessensvorschrift des Abs. 2 und zulässige Ausnahmen vom Erlass des Teilurteils nur noch, falls der entscheidungsreife Teil „geringfügig“ oder der Rechtsstreit insgesamt absehbar „alsbald entscheidungsreif“ wird, Antragsrecht der Parteien nach Abs. 3, Fortführung des Rechtsstreits auch bei Rechtsmitteleinlegung gegen das Teilurteil nach Abs. 4) – als neues Rechtsinstitut die „vorläufige Zahlungsanordnung“ vor (§ 302a ZPO-E). Anlass zum Gesetzesentwurf bot zwar die Lage der Werkunternehmer vor allem der Baubranche, die sich angesichts der zunehmend schwindenden Zahlungsmoral der Auftraggeber Liquidationsschwierigkeiten oder gar einem erhöhten Insolvenzrisiko ausgesetzt sehen. Die erst durch das Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen vom 30. 3. 2000 (BGBl. I S. 330) vornehmlich in das materielle Werkvertragsrecht (§§ 632a, 641a, 648a BGB) eingefügten Gesetzesänderungen haben sich dafür schon als unzureichend und in Gestalt der „Fertigstellungsbescheinigung“ als urkundliches Beweismittel für den Urkundsprozess (§§ 592 ff. ZPO) geradezu als ungeeignet erwiesen. Doch soll jetzt durch die Einführung des Instituts der vorläufigen Zahlungsanordnung die Position der Geldgläubiger bei der Durchsetzung ihrer Forderungen – gleich aus welchem Rechtsgrund – allgemein verbessert werden51. Die geplante Neuregelung will allen Geldgläubigern schon vor Eintritt der Entscheidungsreife eine vorläufige Titulierung ihrer Zahlungsansprüche während des laufenden Hauptsacheverfahrens ermöglichen. Nach § 302a ZPO-E erlässt das Gericht auf Antrag des Klägers eine „vorläufige Zahlungsanordnung“, soweit für die Klage eine „hohe Erfolgsaussicht“ besteht (Abs. 1 Nr. 1) und die Anordnung nach Abwägung der beiderseitigen Interessen zur Abwendung der sich aus der voraussichtlichen Verfahrensdauer ergebenden „besonderen Nachteile für den Kläger gerechtfertigt ist“ (Abs. 1 Nr. 2). Anders als im Verfahren nach §§ 916 ff. ZPO bedarf es jedoch nicht der Darlegung einer klägerischen „Notlage“, dagegen stets der mündlichen Verhandlung (Abs. 2), um das rechtliche Gehör zu sichern52. Die Anordnung kann den gesamten oder auch nur einen Teil des Zahlungsanspruchs erfassen. Sie steht einem vorläufig vollstreckbaren Urteil gleich (Abs. 3) – bei verbleibender Abwendungsbefugnis des Beklagten nach § 712 ZPO53 – und tritt mit dem instanzbeendenden Endurteil außer Kraft (Abs. 6). Bei abweichendem Ergebnis trifft den Kläger für den Vollstreckungsschaden des Beklagten die Risikohaftung entsprechend § 717 Abs. 2 ZPO (Abs. 8). Damit soll die geplante „vorläufige Zahlungsanordnung“ nach § 302a ZPO-E in allgemeinen vermögensrechtlichen Streitigkeiten über Geldansprüche offenbar eine ähnliche Funktion übernehmen wie in Familiensachen die 51 Vgl. allgemeine Begründung zum Entw. eines FoSiG, BT-Drs. 15/3594, S. 1 = BTDrs. 16/511, S. 1. 52 Vgl. Begr. zu § 302a Entw., BT-Drs. 15/3594, S. 21 = BT-Drs. 16/511, S. 21 f. 53 Vgl. Begr. zu § 302a Entw., BT-Drs. 15/3594, S. 21 = BT-Drs. 16/511, S. 21.
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„einstweilige Anordnung“ über den Unterhalt nach § 620 Nr. 4 und 6, §§ 620a, 641d und 644 ZPO, die in ihrem Anwendungsbereich die einstweilige Leistungsverfügung auf den „Notunterhalt“ inzwischen weitgehend verdrängt hat54. Gewiss sollen Unterhaltsansprüche von § 302a ZPO-E ausgenommen und den Sonderregeln für Familiensachen vorbehalten bleiben55. Gleichwohl ist unter dem gemeinsamen Aspekt der „Hauptsachevorwegnahme“ kein klares, inhaltlich aufeinander abgestimmtes Regelungskonzept erkennbar. So ist das Verfahren der „vorläufigen Zahlungsanordnung“ nach § 302a ZPO-E ungleich stärker an den Kautelen des Hauptsacheverfahrens ausgerichtet als das wesentlich erleichterte Verfahren der „einstweiligen Anordnung“ auf den Unterhalt nach §§ 620a, 644 ZPO (freigestellte mündliche Verhandlung, genügende Glaubhaftmachung, nachholbares Gehör in Eilfällen, keine Risikohaftung für den Vollstreckungsschaden mit Ausnahme nur beim Nichtehelichenunterhalt, § 641g ZPO). Zudem kontrastiert das erleichterte Anordnungsverfahren trotz erweiterter Zugriffsmöglichkeiten auf den vollen Unterhalt wiederum merkwürdig zu den strengeren Maßstäben der Unterhaltsregelung im Wege der einstweiligen Verfügung nach §§ 940, 945 ZPO56.
V. Kritische Würdigung der bisherigen Entwicklung 1. Der Trend vom einstweiligen Rechtsschutz zum summarischen Zahlungstitel Insgesamt ist die jüngste Entwicklung gekennzeichnet durch eine zunehmende Abkehr von dem tradierten und im Grunde bewährten Sicherungssystem des einstweiligen Rechtsschutzes und einer Hinwendung zu einem beschleunigten Rechtsschutz schon im Erkenntnisstadium durch summarische Verfahren, die dem Geldgläubiger bereits im Vorgriff auf die Hauptsache zu einem „vorläufigen“ oder „einstweiligen“ Zahlungstitel über die Streitsumme verhelfen sollen. Der Orientierungswechsel setzte schon relativ früh ein mit der schrittweisen Ersetzung der einstweiligen Verfügung auf Unterhaltsleistung durch die „einstweilige Anordnung“ im Ehe- und Kindschaftsverfahren bis in die jüngste Novellengesetzgebung (vgl. zuletzt § 644 i.d.F. des Kindesunterhaltsgesetzes vom 1. 7. 1998) und erreicht jetzt vor
54 Vgl. dazu schon oben zu Fn. 9 ff. m.N. 55 Davon geht auch die Begr. zu § 302a ZPO-E, BT-Drs. 15/3594, S. 19 = BT-Drs. 16/ 511, S. 19, aus. 56 Nach BGHZ 143, 65 (73 ff.) = FamRZ 2000, 751 ff. = ZZP 113 (2000), 485 ff. m. krit. Anm. Berger – gegen OLG Hamburg als Vorinstanz – „enthalten die §§ 620 ff. ZPO eine geschlossene Sonderregelung für den einstweiligen Rechtsschutz in Ehesachen“, auf welche die §§ 641g, 945 ZPO über die Schadensersatzpflicht des unberechtigten Unterhaltsempfängers nicht analog anwendbar seien; dazu auch Vollkommer in Zöller, § 945 Rz. 5; dagegen kritisch Gaul, FamRZ 2003, 1137 (1153).
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dem Hintergrund einer europaweit zu beobachtenden Tendenz des Vordringens einer summarischen Rechtsschutzgewährung vor Abschluss des Hauptsacheprozesses seinen Höhepunkt in dem im Jahre 2004 erstmals in das Gesetzgebungsverfahren eingebrachten Entwurf eines Forderungssicherungsgesetzes57. 2. Verhaltene Resonanz In der ersten Lesung ist der Gesetzesentwurf vornehmlich unter Anzweiflung der Praktikabilität des neuen Rechtsinstituts der „vorläufigen Zahlungsanordnung“ auf heftige Kritik gestoßen58 und wurde anschließend in den Rechtsausschuss verwiesen. Eine breitere Diskussion hat er offenbar nicht ausgelöst. Immerhin beginnt die Praxis sich bereits auf das künftige Inkrafttreten eines Forderungssicherungsgesetzes einzustellen. So zieht der BGH im Urteil vom 27. 11. 200359 das geplante Forderungssicherungsgesetz schon wertend heran, um dem Architekten gegen den Auftraggeber aufgrund einer nach der HOAI nur in Teilen prüffähigen Rechnung einen Anspruch auf sofortige Abschlagzahlung zuzuerkennen. Das OLG Stuttgart weist im Urteil vom 25. 1. 200560 darauf hin, dass im einstweiligen Verfügungsverfahren auf Eintragung einer Bauhandwerkersicherungshypothek (§ 648 Abs. 1 S. 2 BGB, § 935 ZPO) eine Schätzung des Wertes der Unternehmerleistung durch das Gericht (§ 287 Abs. 2 ZPO) sich verbiete, „jedenfalls bevor das geplante Forderungssicherungsgesetz mit der Möglichkeit einer vorläufigen Zahlungsanordnung in Kraft“ trete, und selbst nach seinem Inkrafttreten sich „auf den Anwendungsbereich des Gesetzes beschränken“ würde. Trotz der zwischenzeitlich geäußerten Kritik wurde der Entwurf eines Forderungssicherungsgesetzes in der angelaufenen neuen Legislaturperiode am 2. 2. 2006 in unveränderter Fassung vom Bundesrat wiederum mit Zustimmung der Bundesregierung neu eingebracht61, so dass in absehbarer Zeit mit seinem Inkrafttreten zu rechnen ist. 3. Das Grundproblem der „Rechtsgewährung vor Rechtsbewährung“ Die inzwischen erreichte Regelungsvielfalt erweckt deshalb schon grundsätzliche Bedenken, weil ohne ein übergreifendes, systematisch abgestimm-
57 Vgl. oben zu Fn. 49. 58 Vgl. Brand/Schmalzl, Bericht aus Berlin, NJW-aktuell Heft 49/2004; Axel Kunze/ Jens Paulus, Die vorläufige Zahlungsanordnung – eine Totgeburt?, ZRP 2005, 44 ff. 59 BGH VII. ZS, Urt. v. 27. 11. 2003, BGHZ 157, 118 (130) = NJW-RR 2004, 445 (449) mit Hinweis auf BR-Drs. 902/02 und Bericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Verbesserung der Zahlungsmoral“ v. 3. 9. 2003. 60 OLG Stuttgart, Urt. v. 25. 1. 2005 – 6 U 175/04, BauR 2005, 605 (L). 61 Vgl. oben zu Fn. 50.
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tes Regelungskonzept für die konkurrierenden Eilverfahren unterschiedlichster Prägung zur Sicherung und vorzeitigen Durchsetzung von Geldansprüchen die Berechenbarkeit des Verfahrens Einbußen erleidet und das einheitliche Gesamtgefüge der Verfahrensordnung zu zerfallen droht. Je nach dem Ausmaß des Verzichts auf die Richtigkeitsgarantien des ordentlichen Prozesses wird überdies der Rechtsschutzgedanke selbst in Frage gestellt. Denn mit dem zunehmenden Streben nach einem beschleunigten, nur noch summarisch ausgestalteten Rechtsschutz droht das Gespür für das Grundproblem zu schwinden, dass hier „schon Recht gewährt wird, bevor sich das Recht im ordentlichen Prozess bewährt hat“62. Dieses Bewusstsein lag noch deutlich dem vom deutschen Gesetzgeber im 5. Abschnitt des 8. Buchs der ZPO geregelten Sicherungssystem des einstweiligen Rechtsschutzes zugrunde und bestimmte ebenso die behutsame Fortentwicklung der aus diesem System hervorgegangenen sog. Befriedigungs- oder Leistungsverfügung63. Unter dem heutigen Pragmatismus scheint man sich von derart grundsätzlichen Erwägungen kaum noch leiten zu lassen, vielleicht auch, weil der rechtsvergleichende Blick ins Ausland leicht zur Nachahmung verlockt und der Reiz der Beschreitung neuer Wege die Bindung an die eigene Rechtstradition vergessen lässt. 4. Die rechtsvergleichende Vordiskussion a) Anlass und Diskussionsansätze Obwohl die amtliche Begründung zum Entwurf eines Forderungssicherungsgesetzes auf jeden rechtsvergleichenden Hinweis verzichtet, ist er offenbar doch dem Vorbild der Institute des summary judgment und der interim payment order des englischen Rechts gefolgt. Dafür spricht auch die Vorarbeit von Leipold/Zuckerman, deren Vorschläge allerdings – ohne einen verfügbaren „empirisch nachweisbaren Befund“ – bemerkenswert vorsichtig formuliert sind64. Die Zweckmäßigkeit der Einführung einer vorläufigen Zahlungsanordnung entsprechend dem interim payment wird im Wesentlichen mit dem – zweifelhaften – Urteil des BGH vom 23. 1. 199665 belegt, das 62 Zu diesem Grundproblem s. schon Gaul, FamRZ 1958, 157 (158) und zuletzt FamRZ 2003, 1137 (1138); aus ausländischer Sicht Panagiotis Kargados, FS Gaul, S. 265 (270 f.). 63 S. dazu schon näher Gaul, FamRZ 2003, 1137 (1145 ff.). 64 Vgl. Leipold/Zuckerman, Vereinfachung und Beschleunigung, S. 37, insbes. S. 53 mit dem Hinweis, dass von einem Formulierungsvorschlag abgesehen werde, weil die Vorschläge noch möglichst anhand „empirisch nachweisbarer Befunde“ einer „weiteren Diskussion unter Beteiligung der Praxis“ bedürfen und deshalb eher als „Denkanstöße“ eine „offene und unvoreingenommenen Diskussion“ eröffnen sollten (S. 55). 65 BGH, Urt. v. 23. 1. 1996 – VI ZR 387/94, NJW 1996, 1478 = JZ 1996, 1188 (m. krit. Anm. Klaus Georg Müller).
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ein Teilurteil nach § 301 ZPO über die Zuerkennung eines Mindestschadens aufgrund einer Schadensschätzung nach § 287 ZPO und Beweisanordnung durch Sachverständigengutachten nur hinsichtlich des Restschadens für zulässig erklärt. Die in der Kritik an diesem Urteil66 allein für möglich gehaltene Abhilfe im Wege der Leistungsverfügung nach § 940 ZPO decke das Bedürfnis des Geschädigten auf vorläufige Abschlagszahlungen bis zur Entscheidungsreife des Schadensersatzprozesses nicht hinreichend ab. Eine in den Hauptsacheprozess integrierte vorläufige Verurteilung nach englischem Vorbild sei dafür eher geeignet und als Fortbildung des deutschen Rechts jedenfalls zur „Diskussion“ zu stellen67. Eine breitere öffentliche Diskussion des Vorschlags hat leider nicht stattgefunden. Immerhin gibt es beachtliche Stimmen, die wie Stürner68 vor der Entwicklung einstweiliger Verfahren „zum faktisch summarischen Hauptsacheverfahren“ warnen und deshalb vorrangig „auf eine zeitliche Straffung des Normalverfahrens setzen“, weil „auf Dauer bei einer Vermassung des faktisch endgültigen summarischen Verfahrens ein Qualitätsverfall der Rechtsprechung“ drohe. Die von Stürner betreute, 2004 erschienene rechtsvergleichende Studie von Mossler gelangt allerdings mit nur geringfügigen Abstrichen zu einem ganz ähnlichen Vorschlag wie der Entwurf eines Forderungssicherungsgesetzes, jedoch unter Beschränkung der anzuordnenden Abschlagzahlung auf einen „angemessenen Teil“ der eingeklagten Summe, um das Interesse des Klägers an zügiger Weiterverfolgung des Hauptsacheprozesses aufrechtzuerhalten69. b) Die zu einseitige Abwendung vom deutschen Rechtsschutzsystem aa) Das übersehene Vorbild der einstweiligen Anordnung nach §§ 620 ff. ZPO Auffällig ist, dass die Vorschläge zur Einführung einer vorläufigen Zahlungsanordnung nach englischem Vorbild die eigenen im deutschen Recht vorhandenen Rechtsinstitute nur unzureichend oder doch zu einseitig würdigen. Richtig ist, dass die bisherige ermessensabhängige Regelung des Teilurteils in § 301 ZPO den Bedürfnissen der Praxis nicht genügt und deshalb
66 K. G. Müller, JZ 1996, 1189 (1191 f.). 67 Vgl. Leipold/Zuckerman, Vereinfachung und Beschleunigung, S. 34 ff., sowie schon zu Fn. 64. 68 Stürner, FS Geiß, S. 199 (210, 216). 69 Vgl. Mossler, Beschleunigter Rechtsschutz, S. 199 ff. (203, 210 f.) mit einem formulierten „Modellvorschlag“ zur „Abschlagszahlung bei Rechtshängigkeit der Hauptsache“; der Vorschlag berücksichtigt neben der rechtsvergleichenden Auswertung des italienischen, französischen und englischen Rechts nur das Konzept der Storme-Kommission, hingegen noch nicht den Entwurf des Forderungssicherungsgesetzes.
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dringend der Reform bedarf, um bei unerlässlicher „Entscheidungsreife“ dem Kläger möglichst früh einen Zahlungstitel zu verschaffen. Unverständlich ist jedoch, dass man die bisherigen Erfahrungen mit der „einstweiligen Anordnung“ in Familien- und insbesondere in Unterhaltssachen gemäß §§ 620 ff. ZPO in die Überlegungen überhaupt nicht einbezogen hat, obwohl sie dort die gleiche Funktion erfüllt, die mit der vorläufigen Zahlungsanordnung in den normalen vermögensrechtlichen Streitigkeiten erreicht werden soll70. So bleiben die Abweichungen zu den Regeln des Verfahrens bei der einstweiligen Anordnung (vgl. §§ 620a ff. ZPO) völlig ungeklärt71. bb) Das verkannte sog. Verbot der Hauptsachevorwegnahme Auch was gegen die einstweilige Leistungsverfügung nach § 940 ZPO als Alternative zur favorisierten vorläufigen Zahlungsanordnung „neuer“ Prägung vorgebracht wird, wertet sie als wirksames Instrument des einstweiligen Rechtsschutzes zu einseitig ab. Der Hinweis, die einstweilige Leistungsverfügung werde in der Praxis wegen des (vermeintlichen) „Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache“ zu restriktiv gehandhabt72, mag zwar für einen Teil der Instanzrechtsprechung und Teile der Lehre zutreffen. Das jetzt auch in der amtlichen Begründung zum Entwurf des Forderungssicherungsgesetzes wie selbstverständlich zugrunde gelegte „Verbot der Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung“73 besteht aber – wie schon dargelegt (oben zu I. 2.) – dieser Art gar nicht74. Gäbe es ein solches wirklich, müsste es sich gegen jede der Hauptsache vorgreifende Entscheidung und erst recht gegen diejenigen richten, die bereits die reguläre Leistung in voller Höhe zuerkennen wie die „einstweiligen Anordnungen“ nach §§ 620 ff. ZPO oder die „vorläufige Zahlungsanordnung“ nach § 302a ZPO-E, weil sie schon die „volle Zugriffsmöglichkeit“ der normalen Zwangsvollstreckung nach §§ 803 ff. ZPO eröffnen75. Soweit gegen die einstweilige Verfügung „vor allem“ eingewandt wird, sie sei „immer nur vorläufig in dem Sinne, dass sie – neben den Rechtsbehelfen des Eilverfahrens – auch der entgegengesetzten Entscheidung in einem nachfolgenden Hauptsacheverfahren ausgesetzt“ sei, „der Zweck des summary 70 Vgl. die insoweit zutreffende Kritik an der Schrift von Mossler in der Rezension von Windel, ZZP 118 (2005), 511 (513). 71 Vgl. dazu schon oben zu Fn. 54 ff. und noch näher unten zu Fn. 108 ff. 72 So Leipold in Leipold/Zuckerman, Vereinfachung und Beschleunigung, S. 36, der aber selbst das vermeintliche Verbot in seiner Bedeutung als „äußerst zweifelhaft“ bezeichnet. 73 Vgl. Begr. zu § 302a ZPO-E, BT-Drs. 15/3594, S. 12 = BT-Drs 16/511, S. 12: „Aus der Sicherungsfunktion ergibt sich das grundsätzliche Verbot einer Vorwegnahme der Hauptsache“. 74 Vgl. dazu oben zu Fn. 14 ff. m.w.N. 75 Vgl. auch schon oben zu Fn. 38 ff.
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judgment, das ordentliche Verfahren rasch mit einem Urteil abzuschließen“, könne „damit nicht erreicht werden“76, ist dem nicht zu folgen. Denn einmal gehört diese „Vorläufigkeit“ zur Wesensart des einstweiligen Rechtsschutzes. Vor allem aber ist ein Endurteil ohne volle richterliche Überzeugung und Entscheidungsreife (§§ 286, 300 Abs. 1 ZPO) allein aufgrund eines summarischen Verfahrens dem deutschen Zivilprozess mit Recht fremd. Eine solche Lösung wird auch – soweit ersichtlich – nicht ernsthaft angestrebt77. cc) Der vermeintliche Vorrang des Schuldnerschutzes im deutschen Rechtsschutzsystem Schließlich wird gegen das deutsche System des einstweiligen Rechtsschutzes geltend gemacht, man habe sich „im Bereich der Geldleistungsverfügung für den primären Schutz des Antragsgegners entschieden“. Die von der Praxis zu ihrer Erlangung „aufgestellten Hürden“ mit an das Normalverfahren angenäherten „erhöhten Anforderungen“ stellten „sich in den Regelfällen als unüberwindbar dar“78. Überhaupt schützte „die Rechtsordnung in Deutschland vorwiegend den Schuldner“; es dominiere die Auffassung, „nach der den Interessen der Gläubiger durch die Gewährung von Verzugszinsen und bei Schäden, die durch die Dauer der Rechtsverwirklichung erwachsen, von Verzugsschadensersatz ausreichend Rechnung getragen werde“79. Damit wird von einer allzu einseitigen Sichtweise ausgegangen. c) Für mehr Ausgewogenheit aa) Der zivilrechtliche Schutz des Gläubigers gegen den Schuldnerverzug Richtig ist, dass schon das Zivilrecht mit der Regelung der Verzugs- und namentlich der Prozesszinsen (§§ 288 ff., 291 BGB) den Gläubiger – letzterenfalls auch verschuldensunabhängig – vor dem Entzug der Nutzung des Geldes infolge unpünktlicher Zahlung oder unnötiger Prozesseinlassung und -verzögerung seitens des Schuldners schützen will. Die betreffende Regelung ist neuerdings in Umsetzung der EG-Richtlinie 2000/3580 durch das Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen vom 20. 3. 2000 (BGBl. I 330) noch verschärft worden, um die Zahlungsmoral der Schuldner zu verbessern. 76 So Leipold in Leipold/Zuckerman, Vereinfachung und Beschleunigung, S. 21. 77 Auch von Leipold nicht, vgl. seinen Vorschlag, Vereinfachung und Beschleunigung, S. 36 f. 78 So Mossler, Beschleunigter Rechtsschutz, S. 3, 32. 79 So Mossler, Beschleunigter Rechtsschutz, S. 187. 80 EG-Richtlinie 2000/35 zur Bekämpfung des Zahlungsverzugs im Geschäftsverkehr v. 29. 6. 2000 (Abl. EG Nr. I. 200, S. 35).
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Durch Erhöhung des Zinssatzes auf 5 Prozentpunkte und im unternehmerischen Geschäftsverkehr auf 8 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz (§ 288 Abs. 1 S. 2, Abs. 2, § 291 S. 2 BGB) soll dem Schuldner der Anreiz genommen werden, sich statt durch Bankkredit durch Zahlungsverzug auf Kosten seines Gläubigers Kapital zu beschaffen. Zugleich soll der so dem Schuldner ungerechtfertigt zufließende Vorteil abgeschöpft und der dem Gläubiger typischerweise entstehende Schaden kompensiert werden81. bb) Der Schutz des Gläubigers durch Prozessbeschleunigung So richtig und wichtig dieser zivilrechtliche Schutz des Gläubigers gegen den Verzug des Schuldners ist, so wenig trifft die Ansicht zu, die deutsche Rechtsordnung begnüge sich mit diesem Schutz. Vielmehr sucht seit jeher gerade die Prozessordnung durch zunehmend verschärfte Regeln der Prozessförderung durch Gericht und Parteien auf eine Verfahrensbeschleunigung hinzuwirken, namentlich durch Vorschriften über die Zurückweisung verspäteten Vorbringens (§§ 282, 296 ZPO) oder auch Kostennachteile für Prozessverzögerung (§§ 95 ff., 344 ZPO, § 38 GKG) bis hin zu den drastischen Rechtsmittelbeschränkungen, zuletzt durch das ZPO-Reformgesetz 2001. Hinzuweisen ist nicht zuletzt auf das rigide Mahnverfahren (§§ 688 ff. ZPO), das gerade dem Geldgläubiger schnell und einfach bei maschineller Bearbeitung ohne die frühere Schlüssigkeitsprüfung zu einem Vollstreckungstitel verhelfen soll. Weniger effektiv hat sich bisher der Urkundenprozess (§§ 592 ff. ZPO) erwiesen, zumal er unter dem Vorbehalt der uneingeschränkten Rechtsverteidigung im Nachverfahren steht. Dies bestätigen die enttäuschenden Erfahrungen mit der erst im Jahre 2000 eingeführten „Fertigstellungsbescheinigung“ nach § 641a BGB, die über den Urkundenprozess dem Handwerker zu einem schnellen Zahlungstitel verhelfen sollte82. Der Entwurf des Forderungssicherungsgesetzes will jetzt die Vorschrift ersatzlos wieder streichen83 – gewiss ein Beleg eines übereilten Reformeifers84. Die Erfahrung lehrt allerdings, dass ein noch so perfekt gesetzlich ausgestaltetes Regelungssystem zur Prozessbeschleunigung letztlich nicht den erhofften Erfolg bringt, solange es nicht in der Praxis mit Leben erfüllt wird. Es hängt deshalb vor allem von den Prozessbeteiligten, dem Richter, den Parteien und ihren Anwälten ab, ob die gesetzlichen Beschleunigungsanweisungen genutzt und befolgt werden oder nur auf dem Papier des Gesetzblatts stehen85.
81 Zu den Erwägungsgründen s. auch Vollkommer in Jauernig, BGB, 10. Aufl. 2003, § 288 Rz. 1 mit Hinweis auf BT-Drs. 14/1246, S. 10 f. 82 Vgl. dazu schon oben vor Fn. 51. 83 Vgl. BT-Drs. 15/3594, S. 5, 16 f. = BT-Drs. 16/511, S. 16: „Das Institut der Fertigstellungsbescheinigung hat sich in der Praxis nicht bewährt“. 84 Vgl. dazu die Kritik von Kunze/Paulus, ZRP 2005, 44 ff. 85 Treffend Jauernig, Zivilprozessrecht, 27. Aufl. 2002, § 28 I.
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cc) Das Prinzip der Ausgewogenheit des einstweiligen Rechtsschutzes Nicht zutreffend ist schließlich der wiederum auf einer Verkennung des vermeintlichen Verbots der Hauptsachevorwegnahme beruhende Einwand, das deutsche System des einstweiligen Rechtsschutzes habe sich namentlich bei der Geldleistungsverfügung für einen „einseitigen Schutz des Antragsgegners entschieden“ und die Interessen des Gläubigers vernachlässigt86. Zunächst gilt es streng zwischen dem Verfahren auf Anordnung der einstweiligen Verfügung und dem ihrer Vollziehung zu unterscheiden. Bekanntlich hat die ZPO den einstweiligen Rechtsschutz unter der Zwecksetzung der „Sicherung der Zwangsvollstreckung“ (§§ 916, 935 ZPO) normiert und deshalb im 5. Abschnitt des 8. Buchs als der „Zwangsvollstreckung“ zugehörig geregelt und nicht als besonderes (summarisches) Erkenntnisverfahren, obwohl ihm ein solches notwendig zugrunde liegt. Demgemäß sind seine Sicherungsmittel auf die Mittel der zu sichernden Zwangsvollstreckung abgestimmt, deren Vorschriften auf ihre Vollziehung „entsprechend anzuwenden“ sind (§§ 928, 936 ZPO). So wie sich die ZPO bei der Auswahl der jeweils am vollstreckbaren Anspruch orientierten Vollstreckungsarten vom Prinzip der Wahrung des geringst möglichen Eingriffs hat leiten lassen, nach dem härtere Zwangsmittel nur eingreifen sollen, wenn schonendere Mittel versagen87, so auch bei der Art der Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes88. Das erklärt auch die strikte Unterscheidung zwischen Arrest zwecks Sicherung der Geldvollstreckung (§§ 916 ff. ZPO) und der einstweiligen Verfügung zur Sicherung der Individualvollstreckung (§§ 935 ff. ZPO). Denn die Unterscheidung folgt nicht nur formal systematischen Gründen, sondern ist Ausdruck der Angemessenheit der eingesetzten Mittel je nach „der Verschiedenheit der durch die Sicherung verfolgten Zwecke“89. Das für die Vollziehung geltende Prinzip des geringst möglichen Eingriffs rechtfertigt indes keineswegs den Schluss, es werde der Schuldner dadurch einseitig begünstigt. Vielmehr soll der primär im Gläubigerinteresse gewährleistete einstweilige Rechtsschutz, da seine Zwangsmittel notwendig in die Vermögens- und Individualsphäre des Schuldners eingreifen, als staatliches Eingriffsrecht unter Wahrung des verfolgten Zwecks auf das „erforderliche“ Maß beschränkt werden90. Vornehmlich ist aber schon das Anordnungsverfahren auf Erlass der einstweiligen Verfügung vom Gebot der Ausgewogenheit des einstweiligen Rechtsschutzes geprägt91. Gerade weil durch ihn „schon Recht gewährt wird, 86 87 88 89 90 91
So Mossler, Beschleunigter Rechtsschutz, S. 3, 32; s. schon oben zu Fn. 78. Vgl. dazu Rosenberg/Gaul/Schilken, § 9 I (S. 93 f.), IV 1 (S. 97) m.w.N. Vgl. schon die Nachw. oben zu Fn. 22. So die Motive bei Hahn, Materialien zur Civilprozessordnung, S. 470. Vgl. dazu Gaul, FamRZ 2003, 1137 (1145) zu Anm. 115. Zum Aspekt der „Ausgewogenheit“ des einstweiligen Rechtsschutzes s. insbes. Walker, Einstweiliger Rechtsschutz, Rz. 71; dazu auch Gaul, FamRZ 2003, 1137 (1149) zu Fn. 166.
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bevor sich das Recht im ordentlichen Prozess bewährt hat“92, muss der einstweilige Rechtsschutz ein ausgewogener Rechtsschutz sein. Das gilt namentlich für die Befriedigungsverfügung nach § 940 ZPO. Da es beim einstweiligen Rechtsschutz insgesamt um den Schutz subjektiver Rechte geht, setzt auch § 940 ZPO einen aus dem „Rechtsverhältnis“ fließenden Anspruch als sog. Verfügungsanspruch des Antragstellers voraus. Er ist der gleichen „Vorausprüfung“ auf seine Schlüssigkeit zu unterziehen wie der nach § 935 ZPO zu sichernde Anspruch93 und ebenso sind die anspruchsbegründenden Tatsachen glaubhaft zu machen (§§ 936, 920 Abs. 2 ZPO). Ferner setzt auch die Befriedigungsverfügung einen glaubhaft zu machenden Verfügungsgrund voraus, indem nach § 940 ZPO ihr Erlass „zur Abwendung wesentlicher Nachteile (oder zur Verhinderung drohender Gewalt) oder aus anderen Gründen nötig“ sein muss. Die „Notwendigkeit“ muss sich hier im Hinblick auf die zu überbrückende Zeitdauer des Hauptprozesses auf den alsbaldigen Erlass einer vollstreckbaren Leistungsverfügung beziehen, weil andernfalls ein endgültiger Rechtsverlust droht. „Nötig“ im Sinne von § 940 ZPO muss die Maßnahme im Hinblick auf die erstrebte Befriedigung – im Gegensatz zur bloßen Sicherung der späteren Anspruchsverwirklichung nach § 935 ZPO – nicht nur sein, um wesentliche Nachteile vom Antragsteller abzuwenden, sondern auch mit Rücksicht auf die Interessen des Antragsgegners, in dessen Rechts- und Vermögenssphäre bereits aktiv eingegriffen wird. Da es um die Wahrung und Einschränkung der Rechte auf beiden Seiten geht, ist eine Interessenabwägung erforderlich. Zwar ist die Befriedigungsverfügung ein primär an den Interessen des Antragstellers orientiertes Rechtsinstitut, um seiner Notlage abzuhelfen. Dies hat aber zur Kehrseite, dass nach einem Obsiegen des Antragsgegners im Hauptsacheprozess sein Schadensersatzanspruch aus § 945 ZPO kaum realisierbar sein wird, sein Nachteil dann also letztlich irreparabel sein würde. Das Risiko einer möglicherweise ungerechtfertigten irreparablen Eilentscheidung ist deshalb vor Erlass der Befriedigungsverfügung in die Abwägung einzubeziehen94. Wenn deshalb bei der Befriedigungsverfügung an die Glaubhaftmachung von Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund strenge Anforderungen zu stellen sind, so bleibt dafür doch Rechtsgrundlage der durch § 920 Abs. 2, §§ 936, 294 ZPO gesetzlich vorgegebene Maßstab. Anders als bei beweisbedürftigen Tatsachen für die Hauptsacheentscheidung ist nicht die volle richterliche 92 Vgl. oben zu Fn. 62. 93 Anders Leipold, Grundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes, S. 83 ff., der neben sog. „akzessorischen einstweiligen Verfügungen“ sog. „offen lassende Eilentscheidungen“ zulässt; dazu kritisch Gaul, FamRZ 2003, 1137 (1148) m.w.N. 94 Zur gebotenen Interessenabwägung s. insbes. Schilken, Befriedigungsverfügung, S. 126 ff., 129 ff.; Walker, Einstweiliger Rechtsschutz, Rz. 275 ff.; Gaul, FamRZ 2003, 1137 (1148).
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Überzeugung von der Wahrheit der Tatsachen (§ 286 ZPO) zu verlangen, sondern es genügt insoweit die überwiegende Wahrscheinlichkeit der glaubhaft zu machenden Tatsachen95. Der gegen die Tauglichkeit der Befriedigungsverfügung erhobene Einwand, die von der Praxis zu ihrer Erlangung „aufgestellten Hürden“ mit an den Normalprozess angenäherten Anforderungen seien regelmäßig „unüberwindbar“96, ist mithin überzogen. Der Vorwurf, man habe sich bei der Befriedigungsverfügung für einen „einseitigen Schutz des Antragsgegners entschieden“, ist unbegründet und verkennt das den einstweiligen Rechtsschutz beherrschende Gebot der Ausgewogenheit.
VI. Zum Entwurf eines Forderungssicherungsgesetzes 2004/2006 1. Abgrenzung zur einstweiligen Leistungsverfügung Erstrebt man einen summarischen vorläufigen Rechtsschutz nach englischem Vorbild, so lässt sich gegen die einstweilige Leistungsverfügung nur anführen, dass sie nach § 940 ZPO als Verfügungsgrund die „Notwendigkeit“ der „Abwendung wesentlicher Nachteile“ verlangt, während das englische interim payment – wesentlich großzügiger – keine Notlage des Klägers erfordert, sondern sich mit einer auf hoher Wahrscheinlichkeit gründenden Erfolgsprognose bezüglich des eingeklagten Geldanspruchs begnügt97. Auch für den Erlass einer „vorläufigen Zahlungsanordnung“ nach § 302a Abs. 1 ZPO-E bedarf es nicht der Darlegung einer klägerischen Notlage98, dagegen einer für das bisherige deutsche Recht eigenartigen zweistufigen Prüfung mit zudem abgestuftem Beweismaß! Für die Klage muss nach dem bisherigen Sach- und Streitstand eine „hohe Aussicht auf Erfolg“ bestehen (Abs. 1 Nr. 1), also eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit99. Hinsichtlich der zusätzlich abzuwägenden „beiderseitigen Interessen“, denen des Klägers an „Abwendung der besonderen Nachteile aus der voraussichtlichen Verfahrensdauer“ und den Belangen des Beklagten, „genügt die Glaubhaftmachung“ (Abs. 1 Nr. 2). 2. Zur eigenartigen Abstufung des Beweismaßes Damit erweist sich die „vorläufige Zahlungsanordnung“ nach § 302a ZPO-E als ein mixtum compositum zwischen dem englischen interim payment und
95 S. dazu insbes. Walker, Einstweiliger Rechtsschutz, Rz. 321 m.w.N.; ebenso Rosenberg/Gaul/Schilken, § 77 I 3 (S. 1028) zu Anm. 22 m.w.N.; auch Vollkommer in Zöller, § 920 Rz. 9: „Vollbeweis wäre mit dem Eilcharakter unvereinbar und darf daher nicht verlangt werden“. 96 Vgl. oben zu Fn. 78. 97 Vgl. Leipold/Zuckerman, Vereinfachung und Beschleunigung, S. 31, 93 f. 98 Vgl. schon oben zu Fn. 52 m.w.N. 99 Vgl. schon oben vor Fn. 52.
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der einstweiligen Leistungsverfügung nach § 940 ZPO. Hinsichtlich der an das Hauptsacheverfahren angelehnten Erfolgsprognose (Abs. 1 Nr. 1) gleicht sie dem interim payment, kann allerdings anders als dieses die volle Klagesumme erfassen. Bezüglich der „Interessenabwägung“ (Abs. 1 Nr. 2) entspricht sie wiederum der Leistungsverfügung, ohne indes eine besondere „Notlage“ zu verlangen. Auch im Beweismaß zeigt sich diese Zwiespältigkeit, und zwar erneut getrennt nach „Erfolgsmoment“ (Nr. 1) und „Zeitmoment“ der weiteren Verfahrensdauer (Nr. 2), wie die amtliche Begründung die beiden Voraussetzungen der Zahlungsanordnung zu bezeichnen pflegt100. a) Die „hohe Wahrscheinlichkeit“ für das „Erfolgsmoment“ Für das „Erfolgsmoment“ (Nr. 1) ist die geforderte „hohe Wahrscheinlichkeit“ dem englischen interim payment nachempfunden, welches das Gericht erlässt, wenn es vom voraussichtlichen Obsiegen des Klägers überzeugt („satisfied“) ist, und zwar mit dem im Zivilprozess im Unterschied zum Strafprozess weniger strengen Beweismaß und unter dem prognosebedingten Vorbehalt101. Eine genaue Übertragung in das deutsche Recht ist kaum möglich. Die amtliche Begründung meint dazu: „Anders als im einstweiligen Rechtsschutz nach den §§ 916 ff. ZPO orientiert sich das Verfahren der vorläufigen Zahlungsanordnung am Überzeugungsmaßstab des § 286 ZPO“ mit der Folge, dass „insbesondere eine Beweisführung durch eidesstattliche Versicherung ausgeschlossen“ ist102. Mit dem Hinweis auf den Überzeugungsmaßstab des § 286 ZPO wird indes das Beweismaß missverständlich überhöht. Vielmehr dürfte die „hohe Erfolgswahrscheinlichkeit“ im Sinne des § 302a Abs. 1 Nr. 1 ZPO-E zwischen dem von § 286 ZPO geforderten Vollbeweis und der Glaubhaftmachung gemäß § 294 ZPO einzustufen sein. Wenn in der amtlichen Begründung als Beispiel vornehmlich die Beweisführung mit einem „qualifizierten“ Privatgutachten genannt wird103, kann das nach den negativen Erfahrungen mit der selbst nach Ansicht des Entwurfs gescheiterten „Fertigstellungsbescheinigung“ des bisherigen § 641a BGB nicht überzeugen104, weil die Ausgangslage für die Beteiligten für die Beibringung eines solchen Gutachtens (und etwaiger Gegengutachten) hier wie dort die gleiche ist105.
100 Vgl. Begr. zu § 302a ZPO-E, BT-Drs. 15/3594, S. 13, 19 ff. = BT-Drs. 16/511, S. 19 ff. 101 Vgl. dazu Leipold/Zuckerman, Vereinfachung und Beschleunigung, S. 30 f., 36, 90 ff. 102 Vgl. Begr. zu § 302a ZPO-E, BT-Drs. 15/3594, S. 19 = BT-Drs. 16/511, S. 19. 103 Vgl. Begr. zu § 302a ZPO-E, BT-Drs. 15/3594, S. 19 f. = BT-Drs. 16/511, S. 19 f. 104 Vgl. oben zu Fn. 51 und Fn. 82 ff. 105 Vgl. dazu auch die Kritik von Kunze/Paulus, ZRP 2005, 44 (45).
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b) Die Glaubhaftmachung der abzuwägenden Umstände beim „Zeitmoment“ Für die das „Zeitmoment“ betreffenden Umstände (Nr. 2), die „besonderen Nachteile für den Kläger aus der voraussichtlichen Verfahrensdauer“ und die Belange des Beklagten genügt – wie für die abzuwägenden Interessen bei der Leistungsverfügung nach § 920 Abs. 2, § 936 ZPO – „die Glaubhaftmachung“ (§ 294 ZPO). Auch wenn es anders als im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes keiner darzulegenden „Notlage“ bedarf106, wird es dem Kläger auch unter den reduzierten Beweisanforderungen gegenüber Nr. 1 nicht leicht fallen, glaubhaft darzulegen, dass er gerade auf die noch ausstehenden Zahlungen des Beklagten angewiesen ist, zumal im Hinblick auf bereits erbrachte Vorleistungen oder gar auf noch höhere Außenstände bei weiteren Auftraggebern, die seine Liquidität in noch höherem Maße gefährden107. Denn der Entwurf stellt allein auf die „beiderseitigen Interessen“ im Verhältnis der Parteien untereinander ab, wie sie insbesondere im Vertragsverhältnis zwischen dem Werkunternehmer und seinem Auftraggeber bestehen, und nicht auf die gesamtwirtschaftlichen Verhältnisse, die für die finanziellen Schwierigkeiten des Unternehmens darüber hinaus bedeutsam sind. c) Ein Seitenblick auf das einstweilige Anordnungsverfahren nach §§ 620 ff. ZPO Hier vermisst man namentlich eine Abstimmung mit dem Verfahren der „einstweiligen Anordnung“ in Ehe- und insbesondere in Unterhaltssachen nach §§ 620 ff. ZPO. Insoweit besagt § 620a Abs. 2 S. 2 ZPO nur, dass „der Antragsteller die Voraussetzungen für die Anordnung glaubhaft machen soll“. Dasselbe gilt kraft Verweisung für einstweilige Anordnungen im Unterhaltsprozess (§ 644 S. 2 ZPO). Die betreffenden „Voraussetzungen“ werden allerdings im Gesetz nicht benannt. Nur für die einstweilige Anordnung auf den Nichtehelichenunterhalt während des Vaterschaftsprozesses sagt § 641d Abs. 2 S. 3 ZPO ausdrücklich, dass „der Anspruch und die Notwendigkeit einer einstweiligen Anordnung glaubhaft zu machen sind“, und enthält damit eine deutlich strengere Sonderregelung, die sich daraus erklärt, dass das Gesetz insoweit die Voraussetzungen der durch § 641d ZPO ersetzten bisher maßgebenden einstweiligen Unterhaltsverfügung nach § 940 ZPO übernommen und gleichsam „legalisiert“ hat108.
106 Vgl. Begr. zu § 302a ZPO-E, BT-Drs. 15/3594, S. 21 = BT-Drs. 16/511, S. 20 f. mit betonter Abgrenzung zur erforderlichen „Notlage“ bei der Leistungsverfügung nach § 940 ZPO. 107 Vgl. auch Kunze/Paulus, ZRP 2005, 44 (45). 108 Vgl. dazu Gaul, FamRZ 2003, 1137 (1151).
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Es ist schon bemerkenswert, dass nach der Fassung des § 620 Nr. 4 und 6 sowie des § 644 S. 1 ZPO dem Familienrichter die generalklauselartige Ermächtigung in die Hand gegeben wird: „Das Gericht kann im Wege der einstweiligen Anordnung den Unterhalt regeln“. Unter welchen Voraussetzungen dies zu geschehen hat, darüber schweigt das Gesetz samt Begründung. In der Praxis begnügt man sich mit einem – dem allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis für die Klageerhebung nach § 253 ZPO entsprechenden – sog. Regelungsbedürfnis, das weder eine akute Notlage noch eine besondere Eilbedürftigkeit verlangt109. Hinsichtlich der materiellen Rechtsgrundlage ist nach streitiger, aber zutreffender Ansicht das Gericht zwar an die Unterhaltsregeln des BGB gebunden, jedoch nur in summarischer Prüfung der dazu glaubhaft zu machenden Tatsachen110. Im Hauptsacheprozess kann sich also durchaus ergeben, dass es an der Bedürftigkeit des Berechtigten und der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten gefehlt hat und sich damit die einstweilige Anordnung als ungerechtfertigt erweist – ein Risiko, für das das Gesetz anders als bei § 641d ZPO mit dem § 641g ZPO entsprechend § 717 Abs. 2, § 945 ZPO merkwürdigerweise keine Risikohaftung vorsieht111. Deshalb wird für die inhaltlich wie zeitlich den normalen Unterhaltsbedarf erfassende einstweilige Anordnung nach § 644 ZPO aus der Praxis mit Recht vom Familienrichter „ein sorgfältiger Umgang mit dieser scharfen Waffe“ gefordert112. Gewiss kommt der blankettartigen und risikofreien Ausgestaltung des Verfahrens der einsteiligen Anordnung nach §§ 620 ff., 644 ZPO kein Vorbildcharakter zu, zumal sie zu der strengeren risikobelasteten Regelung der §§ 641d, 641g ZPO seltsam kontrastiert113. Eher sollten die Erwägungen zum Entwurf des Forderungssicherungsgesetzes umgekehrt zum erneuten Überdenken des unkoordinierten Nebeneinanders von Eilverfahren im Vorgriff auf das Hauptsacheverfahren führen. Dass Familiensachen und namentlich Unterhaltssachen leichter einstweilig zu regeln seien als sonstige vermögensrechtliche Zahlungsansprüche, lässt sich so generell kaum behaupten. Zwar sind Zahlungsansprüche aus komplexen Sachverhalten wie Bauprozessen das Leitbild der Planung, doch soll § 302a ZPO-E eine vorläufige Zahlungsanordnung „wegen einer Geldforderung“ gleich welcher Art ermöglichen, so dass eine Reduzierung auf das Beispiel nicht verfängt.
109 Vgl. Borth in Musielak, ZPO, 4. Aufl. 2005, § 620 Rz. 5, 6, 54, 70; Philippi in Zöller, § 620 Rz. 5, 48, 56; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl. 2005, § 620 Rz. 9. 110 Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 167 Rz. 2 m.w.N. 111 S. dazu schon kritisch Gaul, FamRZ 2003, 1137 (1152 f.). 112 So Miesen, Richters neue Rolle, FamRZ 1999, 1396 (1400) m.w.N.; auch Krause, Zur Dauerhaftigkeit von Anordnungen nach § 644 ZPO, FamRZ 2001, 464 ff. 113 Vgl. dazu näher Gaul, FamRZ 2003, 1137 (1151 ff.) auch schon oben zu Fn. 56 m.w.N.
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3. Gleichstellung mit dem vorläufig vollstreckbaren Urteil a) Die atypische Ausstattung der Zahlungsanordnung mit vorläufiger Vollstreckbarkeit Gemäß § 302 Abs. 3 ZPO-E steht die vorläufige Zahlungsanordnung einem für vorläufig vollstreckbar erklärten Endurteil gleich“. Da das „neue Rechtsinstitut“ als Maßnahme des „vorläufigen Rechtsschutzes“ vor Eintritt der Entscheidungsreife gedacht ist, das noch unter dem Vorbehalt einer abweichenden Hauptsacheentscheidung steht (Abs. 6), ist die Gleichstellung mit einem vorläufig vollstreckbaren Endurteil eher systemwidrig. Möglicherweise macht sich auch hier der Einfluss des ausländischen Vorbilds bemerkbar114 oder auch schlicht die systematische Einordnung als Annex zum Teilurteil nach § 301 ZPO. Dagegen begnügt sich das Gesetz bezüglich der einstweiligen Anordnungen in Familiensachen nach §§ 620 ff., 644 ZPO, die regelmäßig ebenso wie die vorläufige Zahlungsanordnung nach § 302a Abs. 7 ZPO-E nicht beschwerdefähig sind (§ 620c ZPO), mit ihrer Einordnung unter die Vollstreckungstitel nach § 794 Abs. 1 Nr. 3a ZPO, während wiederum die anfechtbare Unterhaltsanordnung nach § 641d ZPO als beschwerdefähiger Beschluss dem § 794 Abs. 1 Nr. 3 ZPO unterfällt. Indessen sind Arrest und einstweilige Verfügung ohne weiteres nach den Regeln der Zwangsvollstreckung vollziehbar (§§ 928, 936 ZPO). Es zeigt sich also hier gewiss eine übersteigerte Regelungsvielfalt. Da eine Aufnahme der vorläufigen Zahlungsanordnung in den Katalog der ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbaren Titel des § 708 ZPO nicht vorgesehen ist, ist gemäß § 709 ZPO davon auszugehen, dass der Gläubiger dem Schuldner grundsätzlich Sicherheit zu leisten hat115, sofern nicht die Ausnahmegründe des § 710 ZPO indiziert sind. Würden letztere nicht eingreifen, verlöre die vorläufige Zahlungsanordnung ihren Sinn. b) Risikohaftung Folgerichtig sieht § 302a Abs. 8 ZPO-E eine Schadensersatzpflicht des Klägers für den durch die Vollstreckung aus der vorläufigen Zahlungsanordnung verursachten Schaden mit erleichterter Geltendmachung durch Inzidentantrag entsprechend § 717 Abs. 2 S. 2 ZPO für den Fall einer abweichenden Endentscheidung vor. Diese Risikohaftung entspricht zugleich derjenigen aus §§ 945, 641g ZPO im Unterschied zu dem aus den Anordnungen der §§ 620 ff., 644 ZPO nur zivilrechtlich auszugleichenden Vollstreckungsscha-
114 So erfolgt die Vollstreckung aus der interim payment order gemäß den allgemeinen, für die Zahlungstitel geltenden Regeln, vgl. Mossler, Beschleunigter Rechtsschutz, S. 183, 204 f.; vorläufige Vollstreckbarkeit der einstweiligen Entscheidung sieht auch der Vorschlag der Storme-Kommission (Art. 10.8.2) vor. 115 Davon geht merkwürdigerweise auch kommentarlos die Begr. zu § 302a Abs. 7 ZPO-E, BT-Drs. 15/3594, S. 22 = BT-Drs. 16/511, S. 22 aus.
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den nach den schwachen Regeln des Bereicherungsrechts (§ 818 Abs. 3 und 4, §§ 819, 820 BGB)116. Insoweit weicht der Entwurf auch vom englischen Vorbild ab117. Die amtliche Begründung hält die Risikohaftung auch für geeignet, „den Kläger von einer Titulierung unberechtigter Forderungen abzuhalten“118. Vorsichtige Kläger könnten allerdings wegen des nie völlig auszuschließenden Risikos abweichender Endentscheidung von der Inanspruchnahme einer vorläufigen Zahlungsanordnung ganz absehen, umgekehrt hartnäckige Beklagte sich zum mutwilligen verfahrensverzögernden Verteidigungsvorbringen ermutigt sehen. c) Abwendungsbefugnis des Beklagten Von den anwendbaren Vorschriften der §§ 708 ff. ZPO über die vorläufige Vollstreckbarkeit nimmt § 302a Abs. 3 S. 2 ZPO-E nur § 713 ZPO über den Ausschluss von Schuldnerschutzanordnungen aus, so dass dem Schuldner stets die Abwendungsbefugnis aus § 712 ZPO verbleibt119. Leistet der Schuldner Sicherheit, so ist der Gläubiger zwar vor der Insolvenz des Schuldners geschützt, erhält aber kein Geld, das ihm gerade die vorläufige Zahlungsanordnung alsbald verschaffen sollte. Ist der Gläubiger Werkunternehmer, kann er die Stellung einer Sicherheit auch durch eine Bauhandwerkersicherheit nach § 648a BGB selbst noch nach Abnahme des Werkes verlangen120, ohne eine eigene Sicherheit stellen zu müssen. Im Hinblick darauf ist die Annahme der Begründung, die nochmals in § 712 Abs. 2 S. 1 ZPO beim Schutzantrag des Schuldners vorgesehene Interessenabwägung werde regelmäßig zugunsten des Gläubigers ausfallen und eine Vollstreckungsabwendung hindern121, wenig überzeugend. 4. Die Integrierung der vorläufigen Zahlungsanordnung in das Hauptsacheverfahren Entschließt man sich zur Einführung einer vorläufigen Zahlungsanordnung, so bietet sich allerdings eine Einbettung in das Hauptsacheverfahren an,
116 Vgl. dazu Gaul, FamRZ 2003, 1137 (1153). 117 Das englische Recht sieht keine besondere Schadensersatzpflicht vor; doch kann eine Haftungserklärung des Klägers („undertaking“) zur Voraussetzung für den Erlass der Anordnung gemacht werden, vgl. Leipold/Zuckerman, Vereinfachung und Beschleunigung, S. 33; Stürner, FS Geiß, S. 199 (216); Mossler, Beschleunigter Rechtsschutz, S. 185, 208. 118 Vgl. Begr. zu § 302a ZPO-E, BT-Drs. 15/3594, S. 22 = BT-Drs. 16/511, S. 22. 119 Vgl. Begr. zu § 302a ZPO-E, BT-Drs. 15/3594, S. 21 = BT-Drs. 16/511, S. 21; zur vom Gläubiger grundsätzlich nach § 709 ZPO dem Schuldner zu leistenden Sicherheit s. schon oben zu Fn. 115. 120 Vgl. dazu Kunze/Paulus, ZRP 2005, 44 (45 f.) m.w.N. 121 Vgl. Begr. zu § 302a ZPO-E, BT-Drs. 15/3594, S. 21 = BT-Drs. 16/511, S. 21.
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weil ihr Erlass dann inhaltlich wie zeitlich besser an den Erkenntnisstand des Hauptsachegerichts angepasst werden kann. Dafür sprechen jedoch nicht nur ausländische Vorbilder, auf die man sich dazu meist bezieht122, sondern auch die eigenen inländischen Erfahrungen mit den einstweiligen Anordnungen in Familien- und Unterhaltsverfahren. Denn die schrittweise Überführung der früher zu diesem Zweck dienenden Befriedigungsverfügung nach § 940 ZPO in das Rechtsinstitut der „einstweiligen Anordnung“ beruht auf denselben Erwägungen. Die Entwicklung setzt schon mit der Unterhaltsregelung durch die EheVO 1938 in § 627 ZPO a.F. ein, die sich seit dem Eherechtsreformgesetz 1976 in § 620 Nr. 4 und 6 ZPO wiederfindet, im Nichtehelichengesetz 1969 in § 641d ZPO zur entsprechenden Regelung des Kindesunterhalts und zuletzt mit dem Kindesunterhaltsgesetz 1998 in § 644 ZPO zur einstweiligen Anordnung für alle Arten von Unterhaltsklagen geführt hat123. Es kann jedoch – wie gezeigt124 – die weithin offene und zudem unkoordinierte Ausgestaltung der einstweiligen Anordnungsverfahren mit Ausnahme nur des noch stark an die Voraussetzungen des einstweiligen Rechtsschutzes angepassten Verfahrens nach § 641d ZPO kaum überzeugen. Auch im Übrigen weist das familiengerichtliche Anordnungsverfahren erhebliche Erleichterungen auf, zu welchen neben den bereits genannten125 auch die erleichterte Abänderbarkeit des Anordnungsbeschlusses nach Ermessen des Gerichts zählt (§§ 620b, 644 S. 2 ZPO) sowie die damit im Zusammenhang stehende grundsätzliche Unanfechtbarkeit des Beschlusses (§ 620c ZPO)126. Auch für die vorläufige Zahlungsanordnung ist sowohl Abänderbarkeit wie Unanfechtbarkeit vorgesehen (§ 302a Abs. 4 und 7 ZPO-E). Jedoch kann die Abänderung des Beschlusses nur bei „wesentlicher Änderung der Verhältnisse“ – wie bei § 120 Abs. 4, § 323 Abs. 1 ZPO – beantragt werden, um ständige Folgeanträge zu vermeiden127. Die Unanfechtbarkeit des Beschlusses wird damit begründet, dass eine Anfechtbarkeit „den Fortgang des Hauptsacheverfahrens verzögern könnte und somit kontraproduktiv“ wäre; sie sei auch vom Beklagten hinzunehmen, da ihm grundsätzlich Sicherheit zu leisten sei und der Schutzantrag aus § 712 ZPO verbleibe128. Indessen lassen sich für die Unanfechtbarkeit des Zahlungsbeschlusses letztlich die122 Vgl. Leipold/Zuckerman, Vereinfachung und Beschleunigung, S. 36; Stürner, FS Geiß, S. 199 (211); Mossler, Vereinfachung und Beschleunigung, S. 197. Für eine Eingliederung in das System des einstweiligen Rechtsschutzes nach französischem Muster dagegen der Vorschlag der Storme-Kommission (Art. 10.1.26). 123 Vgl. dazu näher Gaul, FamRZ 2003, 1137 f. (1151 ff.). 124 Vgl. schon oben zu Fn. 113. 125 Vgl. oben zu Fn. 56. 126 Nach BVerfG, NJW 1980, 386 ist die Regelung des § 620c ZPO nicht verfassungswidrig. 127 Vgl. Begr. zu § 302a ZPO-E, BT-Drs. 15/3594, S. 21 = BT-Drs. 16/511, S. 21. 128 Vgl. Begr. zu § 302a ZPO-E, BT-Drs. 15/3594, S. 22 = BT-Drs. 16/511, S. 22.
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selben Gründe anführen wie für die Unanfechtbarkeit der einstweiligen Anordnungen nach § 707 Abs. 2 S. 2, § 719 Abs. 1 S. 1 und § 769 Abs. 3 ZPO. Es sollte wegen der Einbettung des Anordnungsverfahrens in das Hauptsacheverfahren und der Abänderbarkeit des Anordnungsbeschlusses eine zeitraubende doppelspurige Befassung des Hauptsachegerichts und des Beschwerdegerichts mit der Eilentscheidung und namentlich eine „Präjudizierung“ der Hauptsacheentscheidung durch die höhere Instanz vermieden werden129. 5. Umfang der einstweiligen Zahlungsanordnung Nach § 302a Abs. 1 ZPO-E soll eine vorläufige Zahlungsanordnung unbegrenzt möglich sein. In der Begründung dazu heißt es ausdrücklich, sie könne „über den gesamten oder nur einen Teil des geltend gemachten Zahlungsanspruchs ergehen“130. Die volle Zuerkennung der Streitsumme birgt allerdings die Gefahr in sich, dass der vorläufig „befriedigte“ Kläger das Interesse an energischer Weiterverfolgung des Hauptsacheprozesses verliert, was bei Gewährung nur von Teilbeträgen kaum zu befürchten ist. So kann auch mit der interim payment order des englischen Rechts nur eine „reasonable proportion“ zugesprochen werden, während allerdings der französische „référé-provision“ die Forderung „à 100%“ erfassen kann und auch nach dem Storme-Vorschlag die einstweilige Maßnahme die Streitsumme „teilweise oder vollständig“ betreffen kann (Art. 10.1.2.b)131. Es ist bemerkenswert, dass die Stellungnahme der Bundesregierung trotz weiterhin grundsätzlicher Zustimmung zum Gesetzesentwurf des Bundesrats jetzt erstmals anlässlich der Wiedereinbringung des Entwurfs eines Forderungssicherungsgesetzes am 2. 2. 2006 zu § 302a ZPO-E den Vorbehalt enthält: „Ob (über die Gebührenbarriere gegen missbräuchliche Anträge hinaus) eine Einschränkung der Zulässigkeit der vorläufigen Zahlungsanordnung durch eine betragsmäßige Beschränkung angezeigt sein kann, mag im Verlauf des weiteren Gesetzgebungsverfahrens geprüft werden“132. Das zeigt immerhin, dass offenbar auch die Bundesregierung eine unbegrenzte vorläufige Zahlungsanordnung zumindest für problematisch hält.
129 Vgl. dazu Gaul, Das Rechtsbehelfsystem der Zwangsvollstreckung, ZZP 85 (1972), 251 (302) mit Hinweis auf die Motive bei Hahn, Materialien zur Civilprozessordnung, S. 427; Rosenberg/Gaul/Schilken, § 36 V 4 (S. 573) und § 40 XII 5 (S. 647 f.) m.w.N. 130 Vgl. Begr. zu § 302a ZPO-E, BT-Drs. 15/3594, S. 13, 19 = BT-Drs. 16/511, S. 13, 19. 131 Vgl. schon oben zu Fn. 43 und 69 m.w.N. 132 Vgl. Stellungnahme der Bundesregierung, BT-Drs. 16/511, S. 28 (29).
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VII. Ergebnis Das ursprünglich vornehmlich vom Sicherungscharakter geprägte System des deutschen einstweiligen Rechtsschutzes hat im Laufe seiner Entwicklung seinen Schwerpunkt zunehmend ins Befriedigungsstadium verlagert. Die noch heute verbreitete Vorstellung, der einstweilige Rechtsschutz erschöpfe sich in der Aufgabe, den status quo streitiger Rechtsverhältnisse für die Durchführung des Hauptsacheprozesses zu sichern, deckte von Beginn an den Anwendungsbereich der einstweiligen Verfügung nicht vollständig ab, weil sie von vornherein die Leistung des notwendigen Unterhaltsbedarfs einschloss, welche in der Folge zum Leitbild der heute fast alle Rechtsgebiete erfassenden Befriedigungs- oder Leistungsverfügung geworden ist. Ein noch immer missverstandenes sog. Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache hat es unter der Geltung der deutschen ZPO als vermeintliches Hindernis der Befriedigungsverfügung nie gegeben, weil es sich im Präjudizverbot erschöpft. Daher konnte sich die einstweilige Befriedigungsverfügung als durchaus legitimes Rechtsinstitut im System des einstweiligen Rechtsschutzes etablieren. Soweit in der rechtsvergleichenden Diskussion im Vorfeld des neuen Entwurfs eines Forderungssicherungsgesetzes 2004/2006 die Befriedigungs- oder Leistungsverfügung im Vergleich mit weitergreifenden ausländischen Vorbildern in eine Außenseiterrolle mit „Ausnahmecharakter“ verwiesen wurde, um sich Raum für eine ausfüllungsbedürftige „Rechtsschutzlücke“ zu verschaffen, ist diese Abwertung ungerechtfertigt. Namentlich lässt sich der Vorwurf, das deutsche Recht habe sich bei der Geldleistungsverfügung einseitig für den Schutz des Antragsgegners entschieden, nicht aufrechterhalten. Vielmehr sind ihre Voraussetzungen im Hinblick auf die gebotene Interessenabwägung vom Prinzip der Ausgewogenheit geprägt. Allenfalls mag man die von § 940 ZPO unerlässlich geforderte „Notlage“ des Antragstellers für zu streng halten. Soweit man den Grund für die Strenge im sog. Verbot der Hauptsachevorwegnahme sucht, ist dies verfehlt, weil bei Existenz eines solchen Verbotes dieses dem Vorgriff durch jedes summarische Eilverfahren auf die Hauptsache entgegenstünde und erst recht solchen, die wie die familiengerichtlichen einstweiligen Anordnungen nach §§ 620 ff., 644 ZPO oder jetzt die vorläufige Zahlungsanordnung nach § 302a ZPO-E die reguläre Geldleistung der Streitsache erfassen und ihr die volle Zugriffsmöglichkeit der normalen Zwangsvollstreckung eröffnen. Die vermeintliche Vorwegnahme der Hauptsache nimmt hier also ein noch größeres Ausmaß an, und zwar aufgrund eines summarischen Verfahrens, das in Familien- und Unterhaltssachen – abgesehen von der einstweiligen Regelung des Nichtehelichenunterhalts nach § 641d ZPO – wesentlich weniger förmlich ausgestaltet ist als der einstweilige Rechtsschutz nach §§ 916 ff. ZPO. Das damit verbundene erhöhte Fehlentscheidungsrisiko findet nicht einmal einen der Haftung des Begünstigten aus § 945 ZPO entsprechenden Ausgleich. 91
Hans Friedhelm Gaul
Die bereits vorhandene diffuse Regelungsvielfalt von provisorischen Instrumenten, die nach Voraussetzungen, Inhalt, Umfang und Folgen untereinander kaum verständliche Abweichungen aufweisen, wird mit dem zu erwartenden Inkrafttreten des Forderungssicherungsgesetzes in Gestalt der vorläufigen Zahlungsanordnung nach § 302a ZPO-E um eine weitere Variante vermehrt. Damit hat das unkoordinierte Nebeneinander von Eilmaßnahmen in der ZPO ein Stadium erreicht, das ein einheitliches aufeinander abgestimmtes Regelungskonzept nicht mehr erkennen lässt. Das erschwert der auf Eilrechtsschutz angewiesenen Partei nicht nur die Auswahl der angemessenen Maßnahme, sondern setzt wegen deren unterschiedlicher Ausgestaltung beide Parteien einem kaum berechenbaren Verfahrensrisiko aus, unter Beeinträchtigung der Chancengleichheit. Überdies ist die Unausgewogenheit der Eilverfahren untereinander dem Gesamtrechtsschutzsystem abträglich. Was speziell die vorläufige Zahlungsanordnung nach § 302a ZPO-E angeht, bietet sie gegenüber dem einstweiligen Rechtsschutz durch Leistungsverfügung zwar den Vorteil der Einpassung in das Hauptsacheverfahren, der bereits zur zunehmenden Ablösung der einstweiligen Verfügung durch die familienrechtlichen einstweiligen Anordnungen geführt hat. Ihre differenzierten Anforderungen übertreffen aber die aller Vorbilder und in der Summe selbst diejenigen der wegen ihrer Ausrichtung auf „Notfälle“ als zu eng empfundenen Leistungsverfügung. So muss nicht nur die Klage mit dem von der englischen „interim payment order“ übernommenen Beweismaß „hohe Aussicht auf Erfolg“ haben, sondern es muss der Kläger ähnlich wie im einstweiligen Rechtsschutz zusätzlich „besondere Nachteile“ glaubhaft machen, die ihm „aus der voraussichtlichen Verfahrensdauer“ drohen und die „nach Abwägung der beiderseitigen Interessen“ die vorläufige Zahlungsanordnung rechtfertigen. Während das „interim payment“ als ein Institut von hoher „Nützlichkeit“ bezeichnet wird, das „gut funktioniert“ (Zuckerman-Report), ist dies von der vorläufigen Zahlungsanordnung gemäß § 302a ZPO-E kaum zu erwarten. Die Zusammenfügung von Elementen des englischen wie des deutschen Rechts lässt die Regelung zu kompliziert erscheinen. Hinzu kommt die geforderte doppelte Interessenabwägung sowohl für die Sachentscheidung (Abs. 1 Nr. 2) als auch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit (Abs. 3 mit § 712 Abs. 2 ZPO). Indem der Kläger dem Beklagten grundsätzlich Sicherheit zu leisten hat und dem Beklagten die Abwendungsbefugnis verbleibt, wird dem regelmäßig auf Geld angewiesenen Kläger die Erlangung einer vorläufigen Zahlungsanordnung weiter erschwert. Als Werkunternehmer wird er sich dann eher für eine Bauhandwerkersicherheit nach § 648a BGB entscheiden, die ihm die Stellung einer eigenen Sicherheit erspart. Insgesamt liegen die Hürden für den Erlass einer vorläufigen Zahlungsanordnung derart hoch, dass ihr nach Inkrafttreten des Forderungssicherungsgesetzes die erwartete 92
Vorzeitige Erlangung von Zahlungstiteln
praktische Bedeutung neben dem künftig ohnehin leichter zu erlangenden Teilurteil nach § 301 ZPO n.F. kaum zuteil werden wird. Überdies wird die mögliche vorläufige Zuerkennung der vollen Streitsumme den negativen Nebeneffekt haben, dass der Kläger das Interesse an energischer Weiterbetreibung des Hauptsacheprozesses verliert.
VIII. Ausblick Wird § 302a ZPO-E zum Gesetz, wird die vorläufige Zahlungsanordnung künftig sowohl mit dem Teilurteil als auch mit den Eilmaßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes konkurrieren. Angesichts des geforderten qualifizierten Beweismaßes der „hohen Wahrscheinlichkeit“ der Erfolgsaussicht der Klage und der Schwierigkeit für den Kläger, „besondere Nachteile“ infolge der voraussichtlichen Prozessdauer glaubhaft zu machen sowie die erforderliche Sicherheitsleistung zu erbringen, wird er nicht selten gleich alles auf das baldige Erreichen der Schwelle der Entscheidungsreife nach §§ 286, 300 Abs. 1 ZPO setzen und das in Zukunft leichter zu erlangende Teilurteil nach § 301 ZPO n.F. anstreben. Zudem bleiben dem Kläger schon im Vorfeld des Prozesses uneingeschränkt die Mittel des einstweiligen Rechtsschutzes nach §§ 916 ff. ZPO. Befindet er sich in einer „Notlage“ und vermag er mit diesem Verfügungsgrund auch den Verfügungsanspruch glaubhaft zu machen, so kann er eine einstweilige Leistungsverfügung nach § 940 ZPO erwirken, um etwa Abschlagszahlungen auf Schadensersatz zu erhalten. Dasselbe gilt aber auch noch während des anhängig gewordenen Prozesses, da die vorläufige Zahlungsanordnung wegen der unterschiedlichen Voraussetzungen, teils strengerer, teils (scheinbar) erleichterter Art, die Leistungsverfügung nicht verdrängt. Insofern gilt anderes als im Verhältnis der einstweiligen Anordnungen nach §§ 620 ff., 644 ZPO zur einstweiligen Verfügung auf Unterhaltsleistung nach § 940 ZPO, die wegen ihrer einfacheren (im Falle des § 641d ZPO gleichen) Voraussetzungen in ihrem Anwendungsbereich als speziellere Regelung die Leistungsverfügung ausschließen. Ferner findet in Fällen besonderer Dringlichkeit, nämlich bei drohender Vereitelung oder wesentlicher Erschwerung der Zwangsvollstreckung, unabhängig von einer vorgesehenen vorläufigen Zahlungsanordnung der dingliche Arrest nach §§ 916, 917 ZPO sowohl vor wie während des Prozesses statt, etwa bei Verschiebung von Vermögenswerten ins Ausland oder bevorstehendem Wohnsitzwechsel, um sich dem Vollsteckungszugriff zu entziehen. Fast alle europäischen Rechtsordnungen, auch diejenigen, die wie Frankreich mit dem „référé-provision“ großzügige Anordnungen von Geldzahlungen vorsehen, kennen daneben den Arrest oder ähnliche Sicherungs93
Hans Friedhelm Gaul
mittel133. Der Arrest kommt namentlich in Betracht, wenn besondere Eile geboten ist und deshalb vorheriges Gehör des Gegners den Zweck der Sicherungsmaßnahme gefährden würde, also nur ein „einseitiges Verfahren“ unter Aufschub des Gehörs auf den Rechtsbehelf des Widerspruchs (§ 924 ZPO) sachgerecht erscheint. Schließlich bleibt als subsidiäres Sicherungsmittel der persönliche Arrest134 nach §§ 918, 933 ZPO, „wenn er (und nur er) erforderlich ist, um die gefährdete Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Schuldners zu sichern“, wie bei Fluchtgefahr des Schuldners. Entgegen noch heute anzutreffenden Missverständnissen hat er nichts mit der schon im 19. Jahrhundert abgeschafften „Schuldhaft“ zu tun, da er schon durch die ZPO als reiner „Sicherungsarrest“ von den Relikten eines „Exekutionsmittels“ zur Erzwingung von Geldleistungen bereinigt ist. Als solcher entspricht er auch durchaus dem Standard des Europäischen Konventionsrechts und namentlich dem Art. 1 des 4. Zusatzprotokolls zur EMRK, wonach „niemandem allein deshalb die Freiheit entzogen werden“ darf, „weil er nicht in der Lage ist, eine vertragliche Verpflichtung zu erfüllen“. Vom persönlichen Sicherungsarrest geht keinerlei „Erfüllungszwang“ aus, weil er – wie jede Art von Arrest – darauf beschränkt ist, das Vermögen des Schuldners dem Zugriff der Gläubiger zu erhalten und so den status quo zu sichern. Zwar ist der persönliche Sicherungsarrest dem romanischen Rechtskreis eher fremd. Doch verfügt England mit der „Mareva injunction“ (seit CPR 1999: „freezing injunction“) über ein weitaus extensiveres Instrument. Mit ihr kann gegen den Schuldner ein Verfügungsverbot („relief in personam“) verhängt werden, nicht nur, um die Verbringung inländischen Vermögens ins Ausland zu verhindern, sondern es kann sich namentlich in „Fremdenfällen“ auch auf das Auslandsvermögen erstrecken. Verstöße werden als „contempt of court“ drakonisch (mit Geldstrafe oder Haft) geahndet. Gegenüber diesem eher ausufernden englischen System weist der unter strengen Voraussetzungen in das primär dinglich geprägte Sicherungssystem eingebundene deutsche persönliche Arrest gewiss klarere Strukturen und Grenzen auf. Der persönliche Sicherungsarrest hat sich in der Praxis bis hin zur Sicherung der Steuerbeitreibung (§ 326 AO 1977) als wirksames Mittel gegen die Machenschaften der Vollstreckungsvereitelung durchaus bewährt. Angesichts der in den letzten Jahren zutage getretenen Missbräuche im Geschäftsgebahren unseriöser Anbieter auf dem Anlage- und Kapitalmarkt, verbunden mit 133 Vgl. dazu die Aufzählung der europäischen Länder mit Arrest-Regelung bei Stürner, FS Geiß, S. 119 f. in Anm. 2. 134 S. dazu eingehend Gaul, Zur Problematik des persönlichen Arrestes, FS Kostas Beys, Bd. I, 2003, S. 327 ff.; zur dortigen Rechtsprechungsanalyse (S. 368 ff.) s. als Beispiel eines persönlichen Arrestes jüngst noch OLG Düsseldorf, FamRZ 2006, 286 ff.
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Vorzeitige Erlangung von Zahlungstiteln
Wertvernichtung und grenzübergreifender Kapitalflucht großen Ausmaßes, dürfte das in ihm enthaltene Potential bisher noch nicht einmal ausgeschöpft sein. Ungeachtet der zu verzeichnenden zunehmenden Tendenz, dem Gläubiger bereits in summarischen Sonderverfahren im Vorgriff auf die definitive Hauptsacheentscheidung zu einem vorläufigen Zahlungstitel zu verhelfen und der damit einhergehenden Abgrenzungsschwierigkeiten, wird also künftig daneben das bewährte Sicherungssystem des einstweiligen Rechtsschutzes wie bisher seinen Zweck erfüllen.
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Kurt Herget
„Kurz und Gut“ + „Recht und Billig“ Das selbständige Beweisverfahren nach § 485 Abs. 2 ZPO als Alternative zur Klage?
Inhaltsübersicht I. Am Anfang ... II. Eine Gegenüberstellung III. Genaueres Hinsehen 1. Prozesskostenhilfe 2. „Rechtliches Interesse“ 3. Hinweispflicht 4. Beweismittel/Beweisthemen 5. Identität
6. Streitverkündung 7. Erledigterklärung IV. Alternativ: § 358a ZPO V. Werte und Kosten 1. Zuständigkeits-/Gebührenwert 2. Gerichtsgebühren 3. Anwaltsvergütung VI. Am Ende ...
I. Am Anfang ... steht die Erwartung des Gesetzgebers, Prozesse könnten vermieden werden: Mediation, Anrufung von Schiedsstellen, schiedsrichterliches Verfahren (§§ 1025 ff.1), obligatorische Streitschlichtung (§ 15a EGZPO), zuletzt noch im Gütetermin (§ 278 Abs. 2). Hier reiht sich das selbständige Beweisverfahren (im Folgenden: sBV) ein. Es löste 1991 das Beweissicherungsverfahren, das sich jetzt in § 485 Abs. 1 wieder findet, ab2 und brachte in § 485 Abs. 2 ein Verfahren mit dem Ziel (auch) der Prozessvermeidung. Neben die bis dahin nur möglichen einvernehmlichen und sichernden Beweisverfahren war das streitschlichtende getreten3. Ist das sBV aber wirklich dem Klageverfahren überlegen und geeignet, streitende Parteien zu einigen4? 1 §§ ohne Gesetzesangabe sind solche der ZPO. 2 Rechtspflege-VereinfachungsG v. 17. 12. 1990, BGBl. I 2847. 3 Zur Terminologie „selbständiges Beweisverfahren“ Huber in Musielak, ZPO, 4. Aufl. 2005, § 485 Rz. 1, 2. 4 Gebauer/Hembach/N. Schneider in Gebauer/Schneider, RVG, 2. Aufl. 2004, VV Vorb. 3 Rz 192 erläutern, das sBV habe in der Praxis seine Bedeutung weitgehend verloren! – Cuypers, MDR 2004, 314 (318, IV) empfiehlt dem Werkunternehmer, auf das Gutachterverfahren nach § 641a BGB auszuweichen. – Im EU-Raum wird das sBV sicherlich an Bedeutung verlieren, wenn es nicht als Maßnahme nach Art. 31
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Kurt Herget
II. Eine Gegenüberstellung sBV, ggf. nachfolgender Rechtsstreit
Rechtsstreit
Prozesskostenhilfe (s. III. 1.)
Kann bewilligt werden. Erfolgsaussichten bezogen auf den Antrag im sBV
Kann bewilligt werden. Erfolgsaussichten bezogen auf den Rechtsstreit
Zulässigkeit (s. III. 2.)
Allgemeine Prozessvoraussetzungen und zusätzlich ein „rechtliches Interesse“
Allgemeine Prozessvoraussetzungen5
Güteverfahren
Allenfalls nach § 278 Abs. 1, wenn vor dem Beweisbeschluss verhandelt wird, was praktisch nie vorkommt. Nach Vorliegen des Gutachtens: § 492 Abs. 3
Vor der ersten mündlichen Verhandlung obligatorisches Güteverfahren nach § 278 Abs. 2 ZPO mit der Möglichkeit der Streitbeendigung ohne Beweiserhebung. Nach Vorliegen des Gutachtens: § 279 Abs. 3, § 278 Abs. 1
Rechtshängigkeit
Nein6
Mit Zustellung
Ansprüche
I.d.R. Schadenersatz- und unbeschränkt Gewährleistungsansprüche
Verjährung des Anspruchs
Wird gehemmt, § 204 Nr. 7 BGB7
Wird gehemmt, § 204 Nr. 1 BGB
Verfahrensdauer
In die Beweiserhebung kann unmittelbar nach der Anhörung des Antragsgegners eingetreten werden
Der Sachverständigenbeweis kann nach § 358a S. 2 Nr. 4 erfolgen. Quasi ein vorgezogenes, aber nicht selbständiges Beweisverfahren mit dem Ziel der Verfahrensbeschleunigung8
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EuGVVO qualifiziert werden wird (so verneinend EuGH, JZ 2005, 1166 mit krit. Anm. Mankowski, JZ 2005, 1144, für das sBV auf Zeugenvernehmung nach niederländischem Recht; zum deutschen sBV in diesem Zusammenhang Mankowski, a.a.O., 1149 VII.). Hierzu Greger in Zöller, ZPO, 25. Aufl. 2005, vor § 253 Rz. 9, 14. Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl. 2005, § 486 Rz. 3. Schwenker, Anm. zu BGH, BGHReport 2005, 1550 führt sogar aus, die Vorstellung des Gesetzgebers, durch die sBV könnten langwierige Bauprozesse vermieden werden, habe sich kaum erfüllt. SBV seien nur deswegen so häufig, weil durch sie eine einfache und regelmäßig kostengünstige Möglichkeit geschaffen worden sei, die Verjährung von Mängelansprüchen zu hemmen. Stadler in Musielak, § 358a Rz. 1.
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Das selbständige Beweisverfahren sBV, ggf. nachfolgender Rechtsstreit
Rechtsstreit
Hinweispflicht (s. III. 3.)
Keine umfassende Hinweispflicht nach § 139, schon wegen der eingeschränkten Prüfungskompetenz
Hinweispflicht nach § 139, lediglich bei Nebenforderungen eingeschränkt (§ 139 Abs. 2 S. 1); wirkt fördernd und kann eine Einigung begünstigen
Beweisthemen (s. III. 4.)
Beschränkt auf den Katalog in § 485 Abs. 2 S. 1 Nr. 1–3: Zustand, Wert, Ursache, Aufwand
Keine Begrenzung auf bestimmte Beweisthemen
Beweismittel (s. III. 4.)
Nur SV-Beweis
Alle Beweismittel der ZPO, z.B. auch schriftliche Zeugenbefragung § 377 Abs. 3, § 358a S. 2 Nr. 3
Gegenanträge
Möglich9, aber nicht vorgeschrieben; kein Verspätungsrecht in einem nachfolgenden Rechtsstreit
Zur Verteidigung im Tatsächlichen notwendig; Folge: Umfassende Klärung; Verspätungsrecht anwendbar
Identität (s. III. 5.)
Voraussetzung für die Verwertbarkeit im nachfolgenden Rechtsstreit
Liegt ohnehin vor
Verwertbarkeit
Das Risiko trägt der Antragsteller; es besteht die Gefahr, aus Rechtsgründen nutzlos Beweis erhoben zu haben
Wegen der Schlüssigkeits-/ und Erheblichkeitsprüfung durch das Gericht, verbunden mit der Hinweispflicht, wird eine überflüssige Beweisaufnahme (i.d.R.) vermieden
Streitverkündung (s. III. 6.)
Möglich10
Möglich
Erledigterklärung (s. III. 7.)
Keine einseitige11
Ab Rechtshängigkeit auch einseitige möglich
91011
9 Herget, NJW-Sonderheft BayObLG, 2005, 44. 10 BGH, JZ 1998, 260 mit Anm. v. Gottwald und Malterer. 11 BGH, MDR 2004, 715. Die übereinstimmende Erledigterklärung mit einer Kostenentscheidung nach § 91a ist möglich (Huber in Musielak, § 494a Rz. 7; Herget in Zöller, § 494a Rz. 5; Reichold in Thomas/Putzo, § 494a Rz. 6; Pastor in Werner/ Pastor, Der Bauprozess, 11. Aufl. 2005, Die Sicherung bauvertraglicher Ansprüche, I. 8. c, Rz. 135 m.w.N.; str.).
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Kurt Herget sBV, ggf. nachfolgender Rechtsstreit
Rechtsstreit
Titulierung
Nur bei einem Vergleich; Ausnahme: Kostenentscheidungen (s. dort); fehlende Beteiligung des Antragsgegners am Verfahren bleibt folgenlos
Vergleich, Urteil, verfahrensbeendende Beschlüsse; wenn sich eine Partei am Verfahren nicht beteiligt: Versäumnisurteil
Kostenentscheidung
Nein, grundsätzlich erst im Hauptsacheverfahren12, auch keine Teilkostenentscheidung13; Ausnahmen: Bei Zurückweisung als unzulässig, Antragsrücknahme14 und nach § 494a Abs. 2, also immer nur zu Gunsten des Antragsgegners, sowie nach § 91a
Ja, von Amts wegen (§ 308 Abs. 2)
Klageerzwingung
§ 494a Abs. 1; Kostenfolge beim Unterlassen: § 494a Abs. 215
Entfällt
12131415
12 BGH, MDR 2004, 715 = BGHReport 2004, 854 = FamRZ 2004, 868 = BauR 2004, 1181 = NJW-RR 2004, 1005; auch wenn das Gutachten aus prozessualen Gründen nicht verwertet wird (BGH, JurBüro 2005, 40 = Rpfleger 2004, 588 = AGS 2004, 354 = BGHReport 2004, 1529 = MDR 2004, 1372 = BauR 2004, 1487). 13 Wenn nur Teile des Gegenstandes des sBV in das Hauptsacheverfahren gelangen (BGH, NJW 2005, 294 = MDR 2005, 296 = Rpfleger 2005, 113 = BauR 2005, 429 = BGHReport 2005, 198; BGHReport 2004, 1528 = BauR 2004, 1485 = MDR 2004, 1373). 14 Reichold in Thomas/Putzo, § 494a Rz. 6; Herget in Zöller, § 91 Rz. 13 „selbständiges Beweisverfahren“. 15 Die Regelung ist unvollkommen (Pastor in Werner/Pastor, I. 8. b, Rz. 128 mit Beispielen). – Cuypers, MDR 2004, 314 (316, II. 3) bezeichnet § 494a als Fehlkonstruktion. – Bei Veränderungen im Tatsächlichen während des laufenden Verfahrens bieten die Vorschriften über das sBV keine kostenrechtliche Lösung an (OLG Dresden, BauR 2005, 1671). – Auch ansonsten ist Lückenfüllung durch die Rechtsprechung notwendig, z.B. BGH, BGHReport 2005, 1550 = BauR 2005, 1799 = NJW-RR 2005, 1688: keine Anträge nach § 494a, wenn Ansprüche zur Aufrechnung gestellt werden, die sich auf Mängel beziehen, die Gegenstand des Beweisverfahrens waren.
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Das selbständige Beweisverfahren
III. Genaueres Hinsehen 1. Prozesskostenhilfe a) Im sBV kann Prozesskostenhilfe bewilligt werden16. Die Prüfung der Erfolgsaussichten bezieht sich dabei allein auf die Frage, ob der Antrag auf selbständige Beweiserhebung voraussichtlich Erfolg haben wird; es kommt nicht auf die Erfolgsaussichten eines später möglicherweise zu führenden Hauptsacheprozesses an17. Da nach ganz h.M. keine Schlüssigkeitsprüfung vorgenommen wird, wird der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, sofern er nicht wegen der subjektiven Voraussetzungen scheitert, i.d.R. Erfolg haben, denn der Antragsteller muss insbesondere nicht darlegen, warum er nicht stattdessen Klage erhebt18. b) Seit dem Inkrafttreten des RVG stellt sich aber unter Kostengesichtspunkten die Frage der Mutwilligkeit. aa) Nach der BRAGO konnten dem Rechtsanwalt vier Gebühren erwachsen: Prozess-, Erörterungs-/Verhandlungs-, Beweis- und Vergleichsgebühr (§§ 48, 31 Abs. 1, 23 Abs. 1 S. 3 BRAGO), jede in Höhe von 1,0. Kam es nicht zum Vergleich, konnten die im sBV und im Prozess gleichermaßen entstandenen Gebühren nicht doppelt verlangt werden19. Es blieb also bei 4,0 Gebühren, gleichgültig, ob es im sBV zu einer Einigung kam oder erst später im Rechtsstreit. Dies ist jetzt nicht mehr der Fall (s. unten V. 3.). Die Einigung im Rechtsstreit ist für die anwaltlich vertretene Partei kostengünstiger als die im sBV (höhere Vergleichsgebühr) und häufig auch als die im Rechtsstreit, dem ein sBV vorausgegangen ist (doppelter Anfall der Terminsgebühr). bb) Mutwilligkeit ist gegeben, wenn eine verständige, nicht hilfsbedürftige Partei ihre Rechte nicht in gleicher Weise verfolgen würde20; mutwillig handelt z.B., wer den kostspieligeren von zwei gleichwertigen prozessualen Wegen beschreitet21. Klage und sBV sind insoweit gleichwertig, als in beiden Verfahren Sachverständigenbeweis erhoben werden kann bzw. wird und in beiden (auch) eine gütliche Einigung (§§ 278 Abs. 1, 2, 279 Abs. 3) das Ziel ist. Das sBV ist ein Ausschnitt der Klage, ein Beweisteil, sozusagen ein „minus“, weil im Klageverfahren unter anderem auch alles möglich ist, was im sBV möglich ist. – Verschieden sind sie dagegen, als im Klageverfahren erst eine erfolgreiche 16 17 18 19
Philippi in Zöller, § 114 Rz. 2 m.w.N. S. auch § 48 Abs. 4 Nr. 3 RVG. OLG Celle, BauR 2004, 1659 = OLGR 2004, 449; OLG Hamm, BauR 2005, 1360. LG Stade, MDR 2004, 469. § 37 Nr. 3, § 13 Abs. 2 BRAGO; von Eicken in Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, BRAGO, 15. Aufl. 2002, § 37 Rz. 9e; OLG Zweibrücken, JurBüro 1994, 161. 20 LG Stade, MDR 2004, 469. 21 Philippi in Zöller, § 114 Rz. 34 mit Beispielen.
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Kurt Herget
Schlüssigkeitsprüfung den Weg in die Beweisaufnahme eröffnet, im sBV dies nach h.M. nicht vorausgesetzt wird (s.unten III. 2.). Daher ist zu entscheiden, ob einer bedürftigen Partei abverlangt werden kann, dass sie mehr als einen „Anfangsverdacht“ auf einen Anspruch darlegt, also mehr als von einer vermögenden Partei im sBV verlangt wird. Verneint man dies, sind die Wege nicht gleichwertig, Mutwilligkeit liegt dann trotz des möglicherweise kostspieligeren Weges grundsätzlich nicht vor. Das LG Stade22 führt hierzu aus: „Denn durch die Prozesskostenhilfe soll die Chancen- und Waffengleichheit der an einem Streitverhältnis beteiligten Parteien ermöglicht werden. Mit diesem Ziel wäre es nicht vereinbar, der bedürftigen Partei bei der Begründung des Antrages auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens mehr abzuverlangen als derjenigen Partei, die der Prozesskostenhilfe nicht bedarf.“
Dem ist zuzustimmen. Auch die bedürftige Partei kann sich mit dem für den Erfolg eines Antrags im sBV ausreichenden Vortrag begnügen, also mit einem Vortrag, der für die Bejahung der Erfolgsaussichten einer vergleichbaren Klage ungenügend wäre. Die prozessualen Wege sind somit nicht hinreichend gleichwertig. Nun kann man noch einwenden, auch eine vermögende Partei würde abwägen und einem teureren Verfahren lediglich dann den Vorzug geben, wenn es dafür einen Grund gibt, der den Kostennachteil überwiegt. Dann liegt es nahe, der bedürftigen Partei dies ebenso zuzumuten, diese Abwägung vorzunehmen und offen zu legen, warum sie sich nicht für eine Klage entschieden hat. Dabei würde vernachlässigt, dass sich die Frage, welche Kosten entstehen, erst im Nachhinein sicher feststellen lässt, denn das Gebührenrecht ist „Folgerecht“, und die konkrete Kostenlast ist nicht von vornherein erkennbar; zum anderen würde – und das ist entscheidend – ignoriert, dass solch eine vergleichende Kostenprognose nur bei gleichwertigen Verfahren in Betracht kommt. Im Ergebnis kann also der bedürftigen Partei weiter Prozesskostenhilfe für das sBV bewilligt werden, auch wenn, je nach dem zunächst nicht voraussehbaren Ausgang des Verfahrens, höhere Kosten anfallen können als im Klageverfahren. cc) Gestützt wird dieses Ergebnis durch den in der Vergangenheit bereits diskutierten, umgekehrten Fall, ob nämlich einer Prozesskostenhilfe-Partei zugemutet werden kann, anstatt sofort zu klagen, zunächst ein Vorverfahren, zu dem man sicher auch das sBV (s. § 493 Abs. 1) zählen muss, zu betreiben. Auch hier wird dies zutreffend verneint23. Es fehlt einfach an der Gleichwertigkeit der Verfahren, weshalb keine Reihenfolge vorgeschrieben werden kann, und weshalb die bedürftige Partei nicht darauf zu verweisen 22 LG Stade, MDR 2004, 469. 23 Fischer in Musielak, ZPO, § 114 Rz. 31 m.w.N.
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Das selbständige Beweisverfahren
ist, sie habe sofort Klage zu erheben und dürfe nicht in ein Vorverfahren ausweichen. c) Abwägung: Die Anforderungen an die Darlegungslast zur Gewährung von Prozesskostenhilfe sind im sBV geringer (Erfolgsaussichten des Antrags) als im Klageverfahren (Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung). Mutwilligkeit kann, auch hinsichtlich der Kosten, nach wie vor nur ausnahmsweise angenommen werden. 2. „Rechtliches Interesse“ a) § 485 Abs. 2 verlangt, anders als § 485 Abs. 1, kein Beweissicherungsbedürfnis. Der Zugang zu diesem Verfahren wird allein schon durch ein rechtliches Interesse an der zu treffenden Feststellung ermöglicht. Wann ein solches Interesse besteht, sagt das Gesetz nicht. In § 485 Abs. 2 S. 2 ist lediglich und nicht abschließend erklärt, ein rechtliches Interesse sei anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann, wobei diese Vermeidung auch in der Möglichkeit bestehen kann, dass der Antragsgegner nach einem für ihn ungünstigen Beweisergebnis von der Klageerhebung absieht. b) Entsprechend dieser gesetzgeberischen Vorgabe einer Streit schlichtenden, einen Prozess vermeidenden Beweiserhebung, ist die Rechtsprechung sehr großzügig bei der Annahme des rechtlichen Interesses. Es kommt grundsätzlich nicht auf die Erfolgsaussichten des späteren Rechtsstreits an24. Diese Auffassung kann sich auch auf § 487 stützen. Dort wird aufgelistet, was der Antrag alles enthalten muss. Die Darlegung der Erfolgsaussichten einer nachfolgenden Klage gehört nicht dazu25. c) Zwingend oder aus der Natur eines sBV heraus geboten ist das nicht. Das französische Beweisverfahren, das in etwa mit dem deutschen sBV vergleichbar ist26, verlangt z.B. ein berechtigtes (nicht: rechtliches) Interesse des Antragstellers, das nur dann vorliegt, wenn der vorgetragene Sachverhalt, als wahr unterstellt, den geltend gemachten Anspruch begründet. Das in den USA mögliche Verfahren der Early Neutral Evaluation27 erlaubt die Beurteilung des gesamten Streites, also auch hinsichtlich seiner Rechtsfragen. d) Der BGH hat die Rechtsprechung der Instanzgerichte in zwei Entscheidungen gebilligt. Im Jahre 1999 führte er aus28: 24 Z.B. OLG Köln, OLGR 1996, 23: Einrede der Verjährung. 25 OLG Düsseldorf, OLGR 2001, 25. 26 Endrös, Das französische Beweisverfahren: Ein beunruhigender Klassiker, http:// www.baumcie.com/all/artikel/beweisverf.html., 1.2. 27 Hilber, Alternative Konfliktbeilegung: Early Neutral Evaluation und das selbständige Beweisverfahren gemäß §§ 485 ff. ZPO, BB 2001, Beilage 2 zu Heft 16, Mediation und Recht, 22–30, 29 IV. 2. 28 MDR 2000, 224.
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Kurt Herget „Das Gericht ist an die Tatsachenbehauptungen des Antragstellers gebunden, es darf die Beweisbedürftigkeit und die Entscheidungserheblichkeit der behaupteten Tatsachen nicht überprüfen.“
2004 formuliert er dann29: „Der Begriff „des rechtlichen Interesses“ ist weit zu fassen. Insbesondere ist es dem Gericht grundsätzlich verwehrt, bereits im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens eine Schlüssigkeits- oder Erheblichkeitsprüfung vorzunehmen. Dementsprechend kann ein rechtliches Interesse dann verneint werden, wenn ein Rechtsverhältnis, ein möglicher Prozessgegner oder ein Anspruch nicht ersichtlich ist (Zöller/Herget, ZPO, 24. Aufl. 2004, § 485 Rz. 7a m.w.N.). Dabei kann es sich nur um völlig eindeutige Fälle handeln, in denen evident ist, dass der behauptete Anspruch keinesfalls bestehen kann ...“
e) Die Rechtsprechung der OLGe und die Literatur folgen dem, so dass von einer ganz h.M. gesprochen werden kann30. Die Ablehnung eines Beweisantrages ist daher seltene Ausnahme31. Das OLG Schleswig32 hat versucht, den Antrag mit der Begründung abzulehnen, eine Anspruchsgrundlage sei nach dem Vortrag des Antragstellers offensichtlich nicht gegeben. Der BGH33 hat diese Entscheidung aufgehoben, denn er stellt ja ab auf „völlig eindeutig“, „evident“ und „keinesfalls“ (s. unter c am Ende), nicht aber – wie das OLG – auf „offensichtlich“. f) Der Gesetzgeber hat in der Vergangenheit keinen Anlass gesehen, den im Rechtspflege-VereinfachungsG v. 17. 12. 1990 formulierten Gesetzestext des § 485 Abs. 2 zu ändern, was schon eine beachtliche „Überlebenszeit“ darstellt34. Die Praxis kann wohl damit leben. g) Für den Antragsteller ist dies dennoch nicht ohne Risiko. aa) Formulierungen wie „evident“ oder „offensichtlich“ sind so offen, dass die Beschlussfassung nicht vorhersehbar wird. Klar ist nur, es reicht ein Anfangsverdacht. Wie geht das Gericht dabei vor? Anstatt zu prüfen, ob ein Anspruch bestehen kann oder nicht, wird geprüft, ob evident kein Anspruch besteht. Eine Schlüssigkeitsprüfung ist das schon, wenngleich anderer Art. An die Stelle der Schlüssigkeitsprüfung tritt nämlich die Prüfung der „evidenten“ Unschlüssigkeit. Auch hierfür muss sich das Gericht mit allen in Frage kommenden Anspruchsgrundlagen befassen. bb) Würde das Gericht das rechtliche Interesse unter anderem mit einer Schlüssigkeitsprüfung feststellen, könnte ein entsprechender Hinweis an 29 30 31 32 33 34
BGHReport 2005, 41 = BauR 2004, 1975 = NJW 2004, 3488 = MDR 2005, 162. S. nur Pastor in Werner/Pastor, I. 3. c Rz. 34 ff. m.w.N. Z.B. OLG Karlsruhe, OLGR 1999, 240: „eindeutig“ eingetretene Verjährung. OLGR 2004, 435 = BauR 2004, 270. MDR 2005, 162. Durch das ZPO-RG v. 27. 7. 2001, BGBl. I 1887, wurden nur die §§ 490 Abs. 1, 494a Abs. 2 S. 2 abgeändert, ohne dass damit in die Konzeption des sBV eingegriffen wurde.
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den Antragsteller, nicht nur, wie von § 485 Abs. 2 beabsichtigt, einen Rechtsstreit, sondern auch schon die Durchführung des sBV vermeiden. Die Entlastung der Justiz wäre noch größer und die Belastung des Antragstellers mit Sachverständigen-Kosten entfiele. cc) Wenn es nur um die Beschaffung eines Beweises ginge, könnte man es der Partei überlassen, welchen Beweis sie für was benötigt. Hier geht es aber nicht zuletzt oder nebenbei um Streitschlichtung. Dem kommt die passive Rolle des Gerichts nicht entgegen; es entspricht auch nicht der sonstigen Vorstellung von der Beteiligung des Gerichts am Verfahren (§ 139). dd) Auch wenn der Sachverständige zu dem gewünschten Beweisergebnis kommt, wird sich ein Antragsgegner, der Verjährung, seine fehlende Passivlegitimation oder einen Haftungsausschluss geltend macht, kaum zu einem Vergleich veranlasst sehen. Das Ziel der Prozessvermeidung wird nicht erreicht, weil nur eine teilweise Klärung erfolgt. Geht der Streit nur um Tatsachen, kann, wo auch immer, nach der Beweiserhebung eine Einigung erzielt werden; das geht nicht nur im sBV. Streiten die Parteien aber (ernsthaft) auch um Rechtsfragen, kann die Beweiserhebung allein die Erwartung einer Einigung nur erfüllen, wenn sich die Rechtsfragen (zufällig) zugleich mit dem Beweisergebnis erledigen35. h) Die vom BGH erlaubte „eingeschränkte Prüfungskompetenz“ ist aber akzeptiert. Es steht nicht zu erwarten, dass sich hier Widerstand regen wird. Nach dem Willen des Gesetzgebers und nach dem Wortlaut des Gesetzes ist das auch richtig, weil sonst die Grenzen der zur Schlichtung führenden Beweiserhebung zum Rechtsstreit, der vermieden und nicht ersetzt werden soll, verwischt werden, das Verfahren mit Rechtsfragen befasst wird, sogar überfrachtet werden kann. i) Abwägung: Die zu unterlassende Schlüssigkeits- und Erheblichkeitsprüfung erleichtert zwar den Weg zum Rechtsschutzziel Beweisaufnahme, birgt aber das Risiko, eine aus Rechtsgründen überflüssige Beweisaufnahme zu veranlassen. Der Antragsteller sollte deshalb und gerade im eigenen Interesse ebenso wie bei der Klageerhebung auf die schlüssige Darlegung eines Anspruchs und auf die Beweisbedürftigkeit achten. Für den Rechtsanwalt des Antragstellers kann sich ein Unterlassen als Haftungsfalle erweisen, denn mit einer aufklärenden Unterstützung durch das Gericht darf er nicht rechnen, aus einem Schweigen des Gerichts kann er nichts folgern.
35 Kommt der SV zu dem Ergebnis, Mängel lägen nicht vor, kommt es darauf, ob ein Haftungsausschluss wirksam vereinbart ist, nicht mehr an; anders aber, wenn die Mängel festgestellt werden.
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3. Hinweispflicht Die Neufassung der Vorschrift über die materielle Prozessleitung (§ 139) durch das ZPO-RG 2002 bezweckte, das Gericht stärker als bisher in die Klärung des Streitstoffes einzuschalten36. Die Nichterteilung eines Hinweises ist seitdem Verfahrensfehler, und sie wird unterstellt, wenn es an der Dokumentation fehlt (§ 139 Abs. 4). Auch wenn § 139 im sBV anzuwenden ist, so hat das Gericht doch nur eine eingeschränkte Prüfungskompetenz. Unschlüssigkeit und Unsubstantiiertheit des Vorbringens bleiben grundsätzlich unbeachtlich. Wer aber nicht prüfen darf und deswegen nicht prüft, kann auch nicht hinweisen, insbesondere nicht die rechtliche Seite, wie von § 139 Abs. 1 gefordert, erörtern. Lediglich in dem Ausnahmefall, in dem keinerlei Anspruchsgrundlage denkbar ist, und in dem das Gericht deshalb beabsichtigt, den Antrag zurückzuweisen, ist ein Hinweis geboten (Verbot der Überraschungsentscheidung). Während im Rechtsstreit nun der Gütetermin (§ 278 Abs. 2) dem Rechtsgespräch und dem Versuch einer Einigung dient und der mündlichen Verhandlung vorgeschaltet ist, dient das einem Rechtsstreit vorangehende sBV ebenfalls der Prozessvermeidung, jedoch hier mit dem Mittel der Beweiserhebung. Das sBV hat also gleichsam als Gütebeweisverfahren die streitvermeidende Funktion eines Güteverhandlungstermins. Die in rechtlicher Hinsicht dabei trotz demnach vergleichbarer Zielsetzung und lediglich der Verschiedenheit des Mittels nahezu passive Rolle des Gerichts im sBV lässt sich mit der gesetzgeberischen Absicht der stärkeren Einbindung des Richters nicht in Einklang bringen. Sie entspricht nicht dem Leitbild37 des kurzen und schnellen Verfahrens durch Kooperation zwischen dem Gericht und den Parteien. Sie hindert die Streitschlichtung. Das ZPORG 2002 hat aber insoweit auf das sBV keinen direkten Einfluss genommen38. Abwägung: Die verordnete Zurückhaltung der Gerichte führt i.d.R. dazu, dass die Beweiserhebung einfach „abgearbeitet“ wird. Signalisieren die Parteien, nachdem das Gutachten dann vorliegt, nicht von sich aus Vergleichsbereitschaft, wird der Richter mangels verwertbarer Anhaltspunkte nicht von Amts wegen nach § 492 Abs. 3 terminieren, sondern mit der Wertfestsetzung (§ 63 Abs. 2 S. 1 GKG) das Verfahren abschließen. 4. Beweismittel/Beweisthemen a) Der Themenkatalog § 485 Abs. 2 S. 1 Nr. 1–3 wird als Einschränkung angesehen. Das stimmt insofern, als dadurch einzelne Beweisthemen ausge36 Greger in Zöller, § 139 Rz. 1. 37 Hierzu Henke, Die aufklärende Prozessleitung des Richters, JZ 2005, 1028. 38 Vgl. Fn. 34.
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nommen sind. Andererseits ist die Auflistung so weitgehend, dass Themen, die Gegenstand des schriftlichen Sachverständigenbeweises sein können, weit-, wenn nicht weitestgehend erfasst sind: Zustand einer Person oder Sache (Beschaffenheit und/oder Mängel, auch versteckte39), Verkehrswert, Minderwert40, Ursache eines Personen-, Sachschadens oder Sachmangels einschließlich der Feststellung quotenmäßiger Beteiligung41, Mangelbeseitigungskosten. Die Fälle, in denen ein Beweisthema nicht zugelassen wurde, sind daher auch recht selten42. b) Die Beweismittel sind allerdings auf die schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen reduziert, wobei auch die mündliche Erläuterung des Gutachtens zulässig ist43. Das ist ein Nachteil, wenn der Sachverständige Anknüpfungstatsachen benötigt, für deren Ermittlung andere Beweismittel erforderlich sind, oder wenn zusätzlich entscheidungserhebliche Punkte streitig sind, die nur mit anderen Beweismitteln aufgeklärt werden können. So hat der BGH44 für Arzthaftungssachen zwar das rechtliche Interesse bejaht, aber eingeräumt, dass sich „mit den möglichen tatsächlichen Feststellungen ein Arzthaftpflichtprozess häufig nicht entscheiden lassen wird“, weil Verschuldens- und Kausalitätsfragen nicht beantwortet werden. Die Beschränkung wirkt sich auch ungünstig aus auf zukünftige Herausforderungen. Z.B. verlangt die EU-Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (2004/48/EG) bei der Umsetzung unter anderem die Sicherstellung von Maßnahmen der Beweissicherung. Hierfür ist § 485 Abs. 2 regelmäßig ungeeignet, weil Beweis durch Augenschein ausgeschlossen ist45. Es ist aber zu beachten, dass der Gesetzgeber mit dem sBV eine Ausnahme vom Grundsatz der Beweisunmittelbarkeit (§ 355) konzipiert hat, der keine unbegrenzte Ausweitung verträgt, insbesondere nicht die vollständige Auslagerung der Beweisaufnahme eines möglicherweise folgenden Hauptsacheprozesses (§ 493 Abs. 1). Der Verfahrensablauf ist daher bewusst idealtypisch beschränkt auf „Antrag – schriftliche Begutachtung – Einigung“ und nur insoweit auch zu empfehlen. c) Abwägung: Die Beweisaufnahme im sBV kann nicht immer alles leisten wie es die Beweisaufnahme im Rechtsstreit kann. Die Beschränkung der Beweismittel ist ein Nachteil des sBV, der sich aber nur beseitigen ließe, 39 40 41 42
Huber in Musielak, § 485 Rz. 12. OLG Hamm, NZBau 2003, 37. Herget in Zöller, § 485 Rz. 9. OLG Düsseldorf, MDR1992, 807: Geräuschimmissionen; LG Berlin NJW-RR 1997, 585: ortsübliche Vergleichsmiete (h.M.; str., a.A. Herget in Zöller, § 485 Rz. 9). 43 BGH, BGHReport 2005, 1613. 44 MDR 2003, 590 = BGHReport 2003, 515 mit Anm. Weller; krit. Huber in Musielak, § 485 Rz. 14. 45 Ahrens, Gesetzgebungsvorschlag zur Beweisermittlung bei Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums, GRUR 2005, 837 (838, II. 2).
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wenn man den elementaren Grundsatz der Beweisunmittelbarkeit vollständig aufgeben würde. 5. Identität Die Frage der Identität spielt im Klageverfahren ohne vorausgegangenem sBV überhaupt keine Rolle; sie ist schlicht gegeben. Anders im sBV, wenn eine Klage folgt. Die Identität entscheidet dann darüber, – ob der hierzu aufgeforderte (§ 494a Abs. 1) Antragsteller Hauptsacheklage erhoben hat (falls nein: § 494a Abs. 2), – ob die Kosten des sBV Kosten des Rechtsstreits sind (§ 91; falls nein, müssen sie noch gesondert eingeklagt werden), – ob die Beweiserhebung im sBV einer Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht gleich steht (§ 493 Abs. 1). Die Identität muss sich auf die Parteien und die Gegenstände beziehen46. Abwägung: Der Antragsteller muss auf die Identität im nachfolgenden Rechtsstreit achten. Das ist eine potentielle Fehlerquelle, die beim Klageverfahren fehlt. Verneint das Gericht im Rechtsstreit die Identität, muss die Partei versuchen, das Gutachten wenigstens nach § 411a in den Prozess einzubeziehen47. Das ändert aber dann nichts daran, dass sie keine Hauptsacheklage erhoben hat, weshalb die daraus folgenden Nachteile trotz der Verwertung des Beweisergebnisses nicht verhindert werden können. 6. Streitverkündung a) Im sBV kann der Streit verkündet werden48. Darüber wird wohl nicht mehr ernsthaft gestritten49. Der BGH sieht zwar, dass eine ausdrückliche gesetzliche Regelung fehlt. Für die analoge Anwendung der §§ 66 ff. führt er aber zwingende Gründe an: – die Absicht der Prozessvermeidung, wenigstens der Verfahrenserleichterung und -beschleunigung, 46 Beispiele bei Pastor in Werner/Pastor, I. 8., Rz. 123 ff.; Herget in Zöller, § 91 Rz. 13 „Selbständiges Beweisverfahren“; Wolst in Musielak, § 91 Rz. 66. 47 Bei fehlender Identität kann sich für nach dem 1. 9. 2004 anhängig gewordene Verfahren die Verwertbarkeit aus § 411a ergeben! Die Vorschrift wurde eingefügt durch das 1. JuMoG v. 24. 8. 2004, BGBl. I 2198. Sie erlaubt es, eine schriftliche Begutachtung zu ersetzen durch die Verwertung eines gerichtlich bereits eingeholten Sachverständigengutachtens aus einem anderen Verfahren, und im Fall mangelnder Identität ist das sBV solch ein anderes Verfahren. 48 BGH, MDR 1997, 390 = NJW 1997, 859; OLG Düsseldorf, OLGR 2004, 378 = BauR 2004, 1657; OLG Nürnberg, OLGR 2003, 921; KG, NJW-RR 2000, 513. 49 Vollkommer in Zöller, § 66 Rz. 2a m.w.N.; Pastor in Werner/Pastor, I. 4. a cc, Rz. 46 ff.
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– Vermeidung mehrfacher Beweiserhebungen mit möglicherweise unterschiedlichen Ergebnissen, – Förderung der Aufklärung im Verfahren durch Beteiligung Dritter, – der Zweck der Streitverkündung, einem Dritten Einflussnahme durch Unterstützung einer Partei zu ermöglichen, der auch für das sBV gilt, – den Willen des Gesetzgebers. b) Cuyper50 beschreibt allerdings eindrucksvoll die Folgen der Zulassung einer Streitverkündung hinsichtlich der Antragsbefugnis, der Kosten des Streithelfers, der unterschiedlichen Beteiligung am Gesamtwert und der Ergänzungsanträge. Er spricht von ganzen „Bäumen“ von Streitverkündungen bis in das fünfte Glied, die das Verfahren unrettbar verkomplizieren. Der Antragsteller hat dabei i.d.R. keinen Anlass, den Streit zu verkünden. Er kann die in Frage kommenden Parteien insgesamt als Antragsgegner benennen. Verkündet der Antragsgegner den Streit, sind die zu erwartenden Schwierigkeiten kein Grund, die Zulässigkeit der Streitverkündung an sich zu verneinen. Sie liegen nicht im Wesen der Streitverkündung begründet, sondern in § 494a. Die sinnvolle und nützliche Beteiligung Dritter am und während des Verfahrens51 kann nicht in Frage gestellt werden, nur weil eine Vorschrift, die erst nach Abschluss der Beweiserhebung (und auch da nur möglicherweise) zur Anwendung kommt, unzureichend ist. c) Abwägung: Ob es zur Streitverkündung kommt, kann bei Antragstellung noch nicht abgesehen werden. Das mit einer Streitverkündung entstehende Kostenrisiko nach § 494a Abs. 2 muss der Antragsteller in Kauf nehmen. Die Situation ist insoweit vergleichbar mit der im Prozess, jedenfalls wenn man mit der h.M. die Kostenregelungen des Streitverfahrens (§§ 91 ff., 101) entsprechend auf das sBV überträgt. Die Möglichkeit einer Streitverkündung ist also kein Grund, den Weg über das sBV zu scheuen. Richtig ist aber, dass das Verfahren dadurch deutlich komplizierter werden kann. 7. Erledigterklärung Im Klageverfahren kann der Kläger ab Rechtshängigkeit und nach einem erledigenden Ereignis den Rechtsstreit für erledigt erklären. Schließt sich der Beklagte nicht an, hat das Gericht über den einseitigen Erledigungsantrag zu entscheiden. Im sBV ist das nicht möglich. Weder über § 91a Abs. 1, und zwar mangels Zustimmung des Antragsgegners, noch über eine entsprechende Anwendung 50 MDR 2004, 314 (316 III.). 51 Pastor in Werner/Pastor, I. 4. a) cc) Rz. 49 äußert die Hoffnung, es könnten in einem einzigen Beweisverfahren die behaupteten Mängel unter Einbeziehung aller denkbarer (Mit-)Verursacher festgestellt und damit letztlich bereits die Haftungsquoten der Beteiligten abschließend ermittelt werden.
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des § 494a Abs. 2 kann gegen den Antragsgegner über die Kosten entschieden werden. § 494a sieht nur die Belastung des Antragstellers, nicht die des Antragsgegners mit Verfahrenskosten vor. Der BGH sieht keine Gesetzeslücke52. Die einseitige Erledigterklärung sei vielmehr als Antragsrücknahme anzusehen53 mit der dem Antragsteller nachteiligen Kostenfolge in entsprechender Anwendung des § 269 Abs. 3 S. 2. Beseitigt der Antragsgegner festgestellte Mängel oder Mängel vor der Feststellung, besteht folgende Situation: a) Der Antragsteller kann nicht einseitig für erledigt erklären, wenn er nicht Gefahr laufen will, nach § 269 Abs. 3 S. 2 mit den Kosten belastet zu werden. b) Der Antragsgegner seinerseits kann nicht die Anträge nach § 494a Abs. 1, 2 stellen54. c) Ergeht – entgegen b) – eine gerichtliche Anordnung nach § 494a Abs. 155, muss der Antragsteller Feststellungsklage erheben56. Die reine Kostenklage ist keine Hauptsacheklage. d) Will der Antragsteller seine Kosten titulieren, ohne dass er zur Klage aufgefordert wurde, regt der BGH ebenfalls eine Feststellungsklage an57. Die Kostengrundentscheidung erfasst dann auch die Kosten des Beweisverfahrens. Der Antragsteller ist allerdings in seiner Wahl frei. Da er keine Hauptsacheklage i.S.d. § 494a Abs. 1 erheben muss, kann er auch ohne Rechtsnachteil die Kosten des Beweisverfahrens als Hauptsache einklagen. Im sBV kann der Antragsteller alleine jedenfalls nicht sachgerecht (schnell, einfach, billig) auf Veränderungen der Sachlage reagieren. Er muss klagen. Abwägung: Die Kostenregelung für das sBV ist unbefriedigend58, das Klageverfahren mit seinen allerdings auch nicht immer ganz einfachen Kostenentscheidungen ist hier überlegen.
52 MDR 2004, 715 = BGHReport 2004, 854 = FamRZ 2004, 868 = BauR 2004, 1181 = NJW-RR 2004, 1005. 53 BauR 2005, 133 = BGHReport 2005, 265 = MDR 2005, 227. 54 BGH, MDR 2003, 454 = BauR 2003, 575 = NZBau 2003, 216 = ZfBR 2003, 257. 55 Kein Rechtsmittel, § 567 Abs. 1. 56 BGH, MDR 2004, 1325 = NJW-RR 2004, 1580 = BGHReport 2004, 1522. 57 BGH (Fn. 52). 58 So auch Pastor in Werner/Pastor, I. 8. a, Rz. 123: „Die Behandlung der Kosten des selbständigen Beweisverfahrens ist – schon wegen der nur lückenhaften Regelung des § 494a ZPO – schwierig und in den Einzelheiten sehr umstritten.“ – Lenzen, BauR 2005, 303, für den Fall, dass der Werkunternehmer Antragsteller ist und auf sein Betreiben hin die Mängelfreiheit des Werks festgestellt wird.
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IV. Alternativ: § 358a ZPO Klage mit Beweiserhebung nach § 358a
sBV
~
~
Schriftliche Gewährung rechtlichen Gehörs
Gütetermin(§ 278 Abs.2) mit umfassendem Rechtsgespräch
~
~
Erlass eines Beweisbeschlusses, § 490 Abs. 1
Einigung (Es fall en keine Auslagen für eine Beweiserhebung an)
Erlass eines Beweisbeschlusses, § 358a S. 2
~ Beweiserhebung: nur schriftliches SVGutachten; Themen beschränkt auf den Katalog des § 485 Abs. 2
Beweiserhebung: Alle Beweismittel des § 358a S. 2, z.B. schriftliche Zeugenbefragung; Themen umfassend
~ Termin nach § 492 Abs. 3 mit dem Versuch der gütlichen Einigung
Einigung
l l
'\
Klageerhebung, ggf. erzwungen nach§ 494a Abs. 1
Termin zur Verhandlung über das Beweisergebnis (§ 279 Abs. 3), und über eine gütliche Einigung (§ 278 I)
Kostenbeschluss zu Lasten des Antragsstellers, § 494a Abs. 2
Einigung
Streitiges Verfahren (Urteil)
l
Klage (wie rechts mit Ausnahme des bereits erhobenen Sachverständigenbeweises)
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Abwägung: 1. Über den Antrag wird im sBV regelmäßig ohne mündliche Verhandlung entschieden (§§ 490, 128 Abs. 4)59; die Beweiserhebung erfolgt immer durch schriftliches Gutachten, also ohne Termin i.S.d. § 491. Danach, erst zum Ende des sBV, kann terminiert werden, entweder nach Antrag einer Partei auf Anhörung des Sachverständigen60 oder gemäß § 492 Abs. 3, eventuell verbunden mit einer Erläuterung des Gutachtens durch den Sachverständigen (§ 411 Abs. 3). – Die eingeschränkte Prüfungskompetenz führt dabei dazu, dass der Erlass des Beweisbeschlusses i.d.R. nicht aus Rechtsgründen verweigert werden darf. Nach durchgeführter Beweisaufnahme gilt das Verbot nicht mehr. Jetzt können die Parteien im Termin nach § 492 Abs. 3 erstmals erfahren, ob das Gericht z.B. einen Haftungsausschluss als wirksam vereinbart ansieht, also die Anspruchsgrundlage, wegen derer Beweis erhoben wurde, möglicherweise fehlt. – Die Gerichte könnten hier Abhilfe schaffen, indem sie bei Bedenken vor Erlass des Beschlusses mündlich verhandeln oder schriftlich Hinweise geben, ohne den Beschluss dann von der Befolgung des Hinweises abhängig zu machen. Dazu müsste das Gericht aber rein fürsorglich und – bezogen auf den zu erlassenden Beschluss sogar ohne Berechtigung – die Schlüssigkeit sowie die Entscheidungserheblichkeit und die Beweisbedürftigkeit prüfen. Auf solch ein Vorgehen kann sich der Antragsteller sicher nicht verlassen61. 2. Nachteil der Klage ist, dass es im Ermessen des Gerichts steht62, ob es nach § 358a verfährt. Durch entsprechende Anträge mit Hinweisen auf eine sich danach abzeichnende Möglichkeit der Einigung kann auf die pflichtgemäße Ermessensentscheidung aber stark Einfluss genommen werden.
V. Werte und Kosten 1. Zuständigkeits-/Gebührenwert a) Über die Zuständigkeit des Gerichts entscheidet der Hauptsachewert (abgesehen von den Fällen dringender Gefahr, § 486 Abs. 3, und denen der ausschließlichen Zuständigkeit) ohne Abschlag, denn der Antrag ist bei dem Gericht zu stellen, das nach dem Vortrag des Antragstellers zur Entscheidung in der Hauptsache berufen wäre (§ 486 Abs. 2 S. 1).
59 Pastor in Werner/Pastor, I. 6. a, Rz. 76. 60 BGH, BGHReport 2005, 1613. 61 Ulrich, Anm. zu BGH, BGHReport 2005, 1613 weist darauf hin, dass die Landesjustizverwaltungen bei der Berechnung der richterlichen Pensen die sBV nicht zählen, und er leitet daraus eine Neigung der Richter ab, gelegentlich „kurzen Prozess“ zu machen. 62 Stadler in Musielak, § 358a Rz. 6; Reichold in Thomas/Putzo, § 358a Rz. 1.
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b) Für den Streitwert (GKG)/Gegenstandswert (RVG) war die Festsetzung bislang streitig. Überwiegend wurde der Wert für das sBV als dem vorgezogenem Hauptsachebeweis ebenfalls mit dem Hauptsachewert angesetzt63, nach anderer Ansicht nur mit einem Bruchteil, i.d.R. dann mit 1/2. Das OLG Schleswig64 argumentiert hierfür mit der Selbständigkeit des Verfahrens, das aus sich heraus zu bewerten sei, und vergleicht es mit einer positiven Feststellungsklage. Höher als bei einer solchen Feststellungsklage, bei der nach gefestigter Rechtsprechung 80% des Hauptsachewertes angesetzt werden, könne bei einem Beweisverfahren mit gleichem Ziel jedenfalls nicht bewertet werden. Da sowohl für das Gericht als auch für die Rechtsanwälte die Gebühren/ Vergütung nach dem Wert berechnet werden, hängt von der Beantwortung dieser Frage ab, ob im sBV billiger prozessiert werden kann oder nicht. c) Der BGH65 hat sich der von ihm als herrschend bezeichneten Meinung angeschlossen: – Der Streitwert bemisst sich nach dem vollen mutmaßlichen Hauptsachewert. – Der vom Antragsteller bei Verfahrenseinleitung geschätzte Wert ist weder bindend noch maßgeblich. – Das Gericht setzt den Wert nach Vorliegen des Gutachtens fest, bezogen auf den Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung und dem Interesse des Antragstellers; bei nicht festgestellten Mängeln sind – fiktive – Mängelbeseitigungskosten zu schätzen. Entscheidend sei das Verwertungsgebot in § 493 Abs. 1, und dass das sBV bestimmt und geeignet ist, in einem zur Schaffung eines Titels geführten Verfahren verwendet zu werden. Durch die Gleichstellung mit einer Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht diene es nicht der Verfolgung eines geringeren Rechtsschutzzieles. d) Abwägung: Der (Gebühren-)Streitwert (GKG)/Gegenstandswert (RVG) ist kein Kostenargument für oder gegen das sBV. 2. Gerichtsgebühren Für das sBV fällt die Gebühr GKG-KostVerz. 1610 nach dem einfachen Tabellensatz an. Es handelt sich um eine Gebühr für das Verfahren im Allgemeinen. Sie ist unabhängig vom Ausgang des Verfahrens, fällt nicht weg und ermäßigt sich nicht. Wird ein Vergleich geschlossen, löst dies keine
63 Nachweise, auch zur a.A., bei Herget in Zöller, § 3 Rz. 16 „Selbständiges Beweisverfahren“; Heinrich in Musielak, § 3 Rz. 32 in Fn. 399. 64 MDR 2004, 229. 65 MDR 2005, 162 = BGHReport 2005, 41 = NJW 2004, 3488.
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weitere Gebühr aus, abgesehen von dem hier zu vernachlässigenden Fall eines Vergleichs, bei dem der Wert des Vergleichsgegenstandes den des Verfahrensgegenstandes überschreitet. Dann fällt zusätzlich eine Gebühr nach GKG-KostVerz. 1900 in Höhe von 0,25 des einfachen Tabellensatzes aus der Wertdifferenz an. Endet das sBV nicht mit einer gütlichen Einigung, muss, sofern das Ergebnis der Beweiserhebung dazu ermutigt, i.d.R. das Klageverfahren eingeleitet werden. Hierbei wird eine Gebühr nach GKG-KostVerz. 1210 in Höhe des dreifachen Tabellensatzes fällig. Sofern sich im Rechtsstreit dann doch noch eine Einigung findet, kann sich diese Gebühr auf den einfachen Tabellensatz reduzieren (GKG-KostVerz. 1211). Auf die bereits entstandene Gebühr GKGKostVerz. 1610 bleibt die Einigung ohne Einfluss. Die Kostenbelastung ist dann gleich hoch, wenn schon im sBV bzw. im Klageverfahren ein Vergleich geschlossen/eine Einigung erzielt wird, und wenn die Klage zurückgenommen bzw. im sBV keine Klage erhoben wird. sBV, ggf. dann Klage
Sofortige Klage
Negatives Beweisergebnis: Keine Klage bzw. Klagerücknahme
1,0 GKG-KostVerz. 1610
1,0 GKG-KostVerz. 1211 Nr. 1
Vergleich/Einigung
1,0 GKG-KostVerz. 1610
1,0 GKG-KostVerz. 1211 Nr. 3
Vergleich/Einigung erst im nachfolgenden Rechtsstreit
2,0 GKG-KostVerz. 1610: 1,0 GKG-KostVerz. 1211: 1,0
–
Urteil
–
3,0 GKG-KostVerz. 1210
Urteil im nachfolgenden Rechtsstreit
4,0 GKG-KostVerz. 1610: 1,0 GKG-KostVerz. 1210: 3,0
–
Abwägung: Mit einem sBV zu beginnen, verursacht entweder ebenso hohe Kosten wie oder sogar höhere Kosten als die unmittelbare Einleitung des Streitverfahrens. 3. Anwaltsvergütung SBV und Rechtsstreit sind gebührenrechtlich gleichgestellt. Dies ergibt sich daraus, dass das RVG keine besonderen Gebühren für das sBV vorsieht. Es greift daher der Auffangtatbestand RVG VV Vorbemerkung 3.1 (1), wonach die Gebühren des Teils 3 Abschnitt 1 in allen Verfahren entstehen, soweit in den folgenden Abschnitten dieses Teils keine besonderen Gebühren bestimmt sind. Da das sBV zudem in den Katalogen der §§ 16, 19 RVG nicht aufgeführt wird, ist zu schließen, dass es sich beim sBV und der Klage um 114
Das selbständige Beweisverfahren
jeweils selbständige Gebührenangelegenheiten handelt (anders noch § 37 Nr. 3 BRAGO). Der Rechtsanwalt erhält daher im sBV eine Verfahrensgebühr in Höhe von 1,3 (RVG-VV Nr. 3100) und eine Terminsgebühr in Höhe von 1,2 (RVG-VV Nr. 3104). Dabei ist zu beachten, dass die Verfahrensgebühr des selbständigen Beweisverfahrens angerechnet wird auf die Verfahrensgebühr des Rechtszuges, soweit der Gegenstand des selbständigen Beweisverfahrens auch Gegenstand eines Rechtsstreits ist oder wird [RVG Teil 3. Vorb. 3 (5)]. Die Terminsgebühr kann, wie im Rechtsstreit, außer durch die Wahrnehmung eines gerichtlichen Termins auch anfallen durch die Wahrnehmung eines von einem gerichtlich bestellten Sachverständigen anberaumten Termins oder die Mitwirkung an auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechungen ohne Beteiligung des Gerichts. Bedeutsam ist dies gerade in den sBV. Die Beschlussfassung (§ 490 Abs. 1) erfolgt i.d.R. ohne mündliche Verhandlung; erst nachdem das schriftliche Gutachten vorliegt, wird eine Terminierung in Betracht kommen (§ 492 Abs. 3). Hier kann die Terminsgebühr vorab durch Teilnahme am Termin des Sachverständigen verdient werden. Auch Besprechungen ohne Beteiligung des Gerichts sind grundsätzlich keine „Gebührenschinderei“, sondern vor dem Hintergrund der angestrebten Prozessvermeidung geradezu erwünscht66. Ungereimt bleibt, wie schon bei § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO, dass nur eine Besprechung (mündlich oder per Telefon) die Gebühr auslöst67, Schriftsätze, in welcher Form auch immer, nicht ausreichen, obwohl es doch auf die Qualität des Kontaktes, kaum auf die Form ankommt. Der Rechtsanwalt, der nicht zum Hörer greift, sondern, z.B. um Missverständnisse zu vermeiden, einen Schriftsatz formuliert, steht ohne Rechtfertigung schlechter da (und ist in der Versuchung, den sicheren Weg zu vermeiden bzw. zusätzlich noch ohne Not eine mündliche Besprechung zu arrangieren). Eine Beweisgebühr fällt nicht mehr an, weder im Rechtsstreit noch im sBV. Hinzu kommt aber im Fall der Einigung, die jetzt kein Vergleich mehr sein muss68, die Einigungsgebühr nach RVG-VV Nr. 1000 in Höhe von 1,5. Dies folgt aus RVG-VV Nr. 1003, wonach die Einigungsgebühr nur dann 1,0 beträgt, wenn ein anderes als ein selbständiges Beweisverfahren anhängig ist. 66 Müller-Rabe in Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 16. Aufl. 2004, VV Vorb. 3 Rz. 34 mit einem Zitat aus den Motiven, BT-Drs. 15/1971 S. 209: „Den Parteien wird durch den vorgeschlagenen erweiterten Anwendungsbereich der Terminsgebühr oft ein langwieriges und kostspieliges Verfahren erspart bleiben.“ 67 Müller-Rabe in Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert/Müller-Rabe, VV Vorb. 3 Rz. 87, 89. 68 Herget in Zöller, § 98 Rz. 7.
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Kurt Herget
N. Schneider69 kommt nach einer Reihe von Berechnungsbeispielen zu Recht zu dem Ergebnis, dass sich die Vergütung im sBV deutlich verbessert hat, und das, obwohl es keine gesonderte Beweisgebühr mehr gibt. Übersicht sBV, ggf. danach Klage
Sofortige Klage
Negatives Beweisergebnis für den Antragsteller bzw. Kläger: Kein Vergleich/ Einigung und keine Klageerhebung bzw. Rücknahme der Klage
2,5 Verfahrensgebühr: 1,3 Terminsgebühr: 1,2
2,5 Verfahrensgebühr: 1,3 Terminsgebühr: 1,2
Vergleich/Einigung
4,0 Verfahrensgebühr: 1,3 Terminsgebühr: 1,2 Einigungsgebühr: 1,5
3,5 Verfahrensgebühr: 1,3 Terminsgebühr: 1,2 Einigungsgebühr: 1,0
Vergleich/Einigung erst im nachfolgenden Rechtsstreit
4,7 Terminsgebühr im sBV: 1,270 Verfahrensgebühr: 1,3 Terminsgebühr: 1,2 Einigungsgebühr: 1,0
–
Urteil
–
2,5 Verfahrensgebühr: 1,3 Terminsgebühr: 1,2
Urteil im nachfolgenden Verfahren
3,7 Terminsgebühr im sBV: 1,271 Verfahrensgebühr: 1,3 Terminsgebühr: 1,2
–
7071
Abwägung: Mit einem sBV zu beginnen, verursacht entweder ebenso hohe Kosten wie oder sogar höhere Kosten als die unmittelbare Einleitung des Streitverfahrens72 oder die Klageerhebung nach vorausgegangenem sBV, in dem kein abschließendes Ergebnis erzielt wurde. 69 Die Vergütung im selbständigen Beweisverfahren nach dem RVG, ZAP F. 24, S. 865 ff. (876). 70 Fällt im sBV einmal keine Terminsgebühr an, dann entstehen nur die Gebühren wie im Klageverfahren. Der Rechtsanwalt, der auch im Prozess vertritt, hat im sBV sozusagen umsonst gearbeitet. Dies entspricht aber der Systematik des RVG, die Tätigkeit im Beweisaufnahmeverfahren nicht besonders zu vergüten, weder durch eine eigenständige Termins- noch durch eine Beweisgebühr. 71 S. Fn. 70. 72 Da die gerichtlichen Auslagen für die Beweiserhebung unabhängig davon sind, ob sie im sBV oder im Rechtsstreit anfallen, nur vom Beweisaufwand abhängen, zeigt sich aus den Gebühren-/Vergütungsvergleichen, dass es nicht mehr zulässig ist zu argumentieren, Sinn und Zweck des sBV sei es unter anderem, die Parteien zu einer Kosten sparenden Einigung zu bringen (so noch der BGH, MDR 2003, 590 [591]).
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Das selbständige Beweisverfahren
VI. Am Ende ... ist festzustellen, dass das sBV dann Sinn macht, wenn es 1. nur um Fragen im Tatsächlichen und 2. ausschließlich um solche aus dem Katalog des § 485 Abs. 2 geht, die 3. vollständig allein von einem Sachverständigen beantwortet werden können, und 4. die begründete Aussicht besteht, dass auch der Antragsgegner das Ergebnis akzeptieren wird, und der Streit sich – auf das Gutachten gestützt – abschließend erledigen lässt, insbesondere auch im Kostenpunkt. Ist das sBV aus Gründen, die in der Person des Antragsgegners liegen, nicht zu Ende zu führen, fehlt es an der Möglichkeit, zu dessen Lasten über die Kosten zu entscheiden, sofern sich der Antragsgegner einer Erledigungserklärung des Antragstellers nicht anschließt. Der Antragsteller muss dann klagen, gerade weil er ein sBV betrieben hat. Von den Kosten gesehen, ist der Weg über das sBV häufig teurer als das Klageverfahren, insbesondere, wenn sich im sBV noch keine Einigung erzielen lässt. Nach § 358a vorzugehen, ist eine sinnvolle Alternative; dies kann allerdings vom Kläger nur angeregt werden. Ein Entlastungseffekt für die Justiz ist mit dem sBV kaum verbunden, worüber die Aussicht auf die Vermeidung eines Rechtsstreits hinwegtäuschen kann. Einigen sich die Parteien nicht, dann muss ein Klageverfahren fortgesetzt bzw. im Falle des sBV noch eingeleitet werden. Kommt es nach Erhebung eines Sachverständigenbeweises hingegen zu einer Einigung der Parteien, dann wird, wenn sie im sBV erfolgt, zwar ein Rechtsstreit, wenn sie im Rechtsstreit erfolgt, aber ein sBV vermieden. In beiden Verfahren ist der Aufwand der Gerichte für die Beweiserhebung und die anschließenden Vergleichsverhandlungen, die das Verfahren beenden sollen, praktisch gleich, denn die selbständige Beweiserhebung steht einer Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht gleich (§ 493 Abs. 1), so dass die Wahl des Verfahrens nahezu beliebig ist; es ist lediglich die Prüfungskompetenz des Gerichts im Klageverfahren nicht eingeschränkt. Eine stärker aufklärende, aktivere gerichtliche Prozessleitung zum „rechtlichen Interesse“ als sie nach der BGH-Rechtsprechung geboten ist, ist im sBV wünschenswert, wenn auch im Hinblick auf den zu erlassenden Beschluss unerheblich. Dabei besteht zudem stets die Gefahr, das Verfahren zweckwidrig mit Rechtsfragen zu überfrachten.
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Dorothea Assmann
Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Das Musterverfahren 1. Voraussetzungen zur Durchführung eines Musterverfahrens a) Hauptsacheverfahren b) Musterfeststellungsantrag c) Vorlageverfahren 2. Durchführung des Musterverfahrens a) Zuständigkeit des OLG b) Bestimmung des Musterklägers c) Aussetzung gleichgerichteter Verfahren d) Rechtsstellung der Beigeladenen e) Allgemeine Verfahrensregeln f) Musterentscheid 3. Rechtsbeschwerde a) Beschwerdeberechtigte
b) Frist für Einlegung der Beschwerde, Beitritt und Beitrittsbegründung c) Parteien des Rechtsbeschwerdeverfahrens d) Gegenstand und Prüfungsumfang der Rechtsbeschwerde 4. Wirkung des Musterentscheids a) Innerprozessuale Bindungswirkung b) Rechtskraftwirkung c) Interventionswirkung gegenüber den Beigeladenen 5. Kostenentscheidung a) Kosten des ersten Rechtszuges b) Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens III. Fazit
I. Einleitung Der Ruf1 nach einem effektiven Rechtsschutz bei Massenschäden hat den Gesetzgeber erreicht. Dieser hat sich jedoch gescheut, eine allgemeine kol1 Der 64. Deutsche Juristentag 2002 befasste sich bereits mit dem Thema und empfahl zur Durchsetzung der Anlegerrechte die Einführung einer zivilprozessualen Anspruchsbündelung in Form einer bereichsspezifischen Gruppenklage, Beschluss 1.15 der Abteilung Wirtschaftsrecht des deutschen Juristentages in Berlin 2002; vgl. auch Fleischer, Gutachten F für den 64. Deutschen Juristentag, 2002, F 115 ff., F 142 These 8. Auch die Regierungskommission Corporate Governance sprach sich in Anlehnung an das gesellschaftsrechtliche Spruchverfahren für eine gemeinschaftliche Vertretung geschädigter Anleger bei bewusster oder grobfahrlässiger Falschinformation ohne Zwang des einzelnen Anlegers zum Anschluss an die Kollektivvertretung aus, Baums, Bericht der Regierungskommission Corporate Governance Rz. 190; zur Ablehnung dieses Modells Begründung zum Entwurf, BT-Drs. 15/5091, S. 15. Daneben gab es noch zahlreiche Vorschläge aus der Literatur, Haß, Die Gruppenklage, 1998, S. 337 ff.; Hopt/Baetge, Rechtsvergleichung und Reform des deutschen Rechts – Verbandsklage und Gruppenklage, in: Basedow/Hopt/Kötz/Baetge (Hrsg.), Die Bündelung gleichgerichteter Interessen im Prozess, 1999, S. 11 (47 ff.); Stadler, Bündelung von Verbraucherinteressen im Zivilprozess, in: Brönneke (Hrsg.), Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozessrecht, 2001, S. 1 (24 ff.).
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Dorothea Assmann
lektive Rechtsschutzregelung in der Zivilprozessordnung zu verankern. Stattdessen hat er als Pilotprojekt ein Musterverfahren für den Kapitalmarkt eingeführt, das auf fünf Jahre befristet ist2. Anlass für das KapitalanlegerMusterverfahrensgesetz (KapMuG) vom 16. 8. 2005, das am 1. 11. 2005 in Kraft getreten ist3, waren aktuelle Prospekthaftungsklagen4, insbesondere das beim Landgericht Frankfurt anhängige Telekom-Verfahren. Diese waren mit den in der Zivilprozessordnung angebotenen Instrumenten zur Durchsetzung gleichgerichteter Gläubigerinteressen – Streitgenossenschaft (§§ 59 ff. ZPO), Prozessverbindung (§ 147 ZPO)5, Aussetzung des Verfahrens (§ 148 ZPO)6 oder Musterprozessvereinbarungen7 – nicht hinreichend in den Griff zu bekommen8. Das Kapitalanleger-Musterverfahren soll nun Abhilfe schaffen und 2 Sollte sich das KapMuG bewähren, könnte die Grundidee in die ZPO übernommen werden, Zypries, Ein neuer Weg zur Bewältigung von Massenprozessen – Entwurf eines Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes, ZRP 2004, 177 (179). 3 BGBl. I S. 2437. 4 Siehe zu anderen bekannten Verfahren wegen Falschinformationen im grauen Markt Heß, Musterverfahren im Kapitalmarktrecht, ZIP 2005, 1713 (1715 Fn. 12 m.w.N.: „EM.TV“; „Comroad“; „Infomatec“). Dieser, S. 1715 m.w.N., weist auch auf Massenklagen in anderen Bereichen hin, wie z.B. Unfälle im Reiseverkehr, Produkthaftungsfälle oder Schrottimmobilien; vgl. auch die Beispiele bei Koch, Sammelklagen oder Musterverfahren – Verfahrensrechtliche Konzepte zur effizienten Abwicklung von Massenklagen, BRAK-Mitt. 2005, 159 (160). 5 Eine Verfahrensverbindung gem. § 147 ZPO zusammen mit einer Konzentration der gerichtlichen Zuständigkeit am Börsenplatz bzw. am Sitz der Zielgesellschaft als einzigen Gerichtsstand unter Einschränkung von Art. 5 Nr. 1 und Nr. 3 EuGVVO auf Regelungen nur der internationalen und nicht der örtlichen Zuständigkeit hält dagegen Plaßmeier, Brauchen wir ein Kapitalanleger-Musterverfahren? – Eine Inventur des KapMuG, NZG 2005, 609 (614 ff.), zur Bewältigung von Massenschäden am Kapitalmarkt für geeignet. 6 Eine Ergänzung der Aussetzungsvorschriften in Verbindung mit einer Zuständigkeitskonzentration im WpHG und im WpÜG zur Lösung des Problems schlagen Duve/Pfitzner, Braucht der Kapitalmarkt ein neues Gesetz für Massenverfahren? Der Entwurf eines Gesetzes über Musterverfahren in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten (KapMuG) auf dem Prüfstand, BB 2005, 673 (678 f.) vor, übersehen hierbei aber das Problem der fehlenden Bindungswirkung und der Kostentragungspflicht bezüglich der Sachverständigengutachten. 7 Vgl. dazu Baums (Fn. 1) Rz. 189; Heß/Michailidou, Das Gesetz über Musterverfahren zu Schadensersatzklagen von Kapitalanlegern, ZIP 2004, 1381 (1382), und Die kollektive Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen im Kapitalmarktrecht, WM 2003, 2318 (2323 f.), nennen zusätzlich noch die Klage von Verbraucherzentralen und -verbänden, die ihnen zu Einziehungszwecken abgetretene fremde Forderungen gem. Art. 1 § 3 Nr. 8 RBerG gebündelt geltend machen können, sowie die Möglichkeit, Schadensersatzansprüche in einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts zu „poolen“, wobei die GbR dann als Partei im Prozess auftritt; vgl. dazu auch Koch, BRAK-Mitt. 2005, 159 (161). 8 Zu den Problemen der Durchsetzung von Anlegeransprüchen Baums, Bericht der Regierungskommission Corporate Governance Rz. 188 f.; zu den Defiziten der herkömmlichen Bündelungsformen siehe die Begründung zum Entwurf, BT-Drs. 15/ 5091, S. 11 ff.
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Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz
durch Bündelung gleichgerichteter Ansprüche geschädigter Kapitalanleger eine effektive Rechtsdurchsetzung gewährleisten. Der Gesetzgeber hat aber nicht die im Ausland bereits bestehenden Gruppen- und Vertreterklagen9 übernommen, sondern es im Grundsatz bei dem im deutschen Zivilprozessrecht geltenden Prinzip des individualrechtlichen Rechtsschutzes belassen10. Die geschädigten Kapitalanleger müssen einzelne Rechtsstreite führen. Innerhalb der einzelnen Prozesse wird ein Musterverfahren11 dazwischen geschaltet12, in dem das Vorliegen oder Nichtvorliegen anspruchsbegründender oder anspruchsausschließender Voraussetzungen oder die Klärung von Rechtsfragen einheitlich und bindend für alle gleichgerichteten Prozesse festgestellt wird. Im Anschluss daran wird auf der Grundlage dieses Musterentscheids jeder einzelne Prozess gesondert entschieden. Im Folgenden soll das Musterverfahren dargestellt und auf prozessuale Probleme, die seine Anwendung in der Praxis aufwerfen könnte, eingegangen werden.
II. Das Musterverfahren Das KapMuG ist in drei Abschnitte gegliedert. Der erste regelt die Voraussetzungen zur Durchführung des Verfahrens, der zweite die Durchführung des Musterverfahrens und der dritte die Wirkung des Musterentscheids und die Kosten. 1. Voraussetzungen zur Durchführung eines Musterverfahrens Die Durchführung eines Musterverfahrens setzt zehn gleichgerichtete Musterfeststellungsanträge im Rahmen von rechtshängigen Hauptsacheverfahren und die Vorlage an das Oberlandesgericht durch das zuständige Prozessgericht voraus.
9 Class action in den Vereinigten Staaten, Group litigation im englischen Recht, Gruppenklage im japanischen Recht, die besondere Vertreterklage in Österreich und die besondere Vertreterklage in der Schweiz. Eine kurze Zusammenfassung dieser Rechtsschutzmöglichkeiten findet sich in der Begründung zum Gesetzesentwurf, BT-Drs. 15/5091, S. 15 f.; siehe auch Heß, Sammelklagen im Kapitalmarktrecht, AG 2003, 113 (115 ff.). 10 Dazu Scholz, Individualer oder kollektiver Rechtsschutz? Zum Verfassungsproblem der Zulassung von Sammel-, Gruppen- und Verbandsklagen, ZG 2003, 248. 11 Vorbild hierfür war das Musterverfahren gem. § 93a VwGO. 12 Dieses wird von den Individualverfahren abgekoppelt, Zypries, ZRP 2004, 177 (178).
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Dorothea Assmann
a) Hauptsacheverfahren aa) Erstinstanzliches Verfahren Das Musterverfahren kann nur in einem rechtshängigen erstinstanzlichen Verfahren13 auf Antrag der Parteien, nicht jedoch von Amts wegen eingeleitet werden (§ 1 KapMuG). Befindet sich der Rechtsstreit bereits in einer Rechtsmittelinstanz, ist ein Musterfeststellungsantrag nicht mehr möglich. Allerdings werden auch Verfahren in der Rechtsmittelinstanz ausgesetzt, wenn deren Entscheidung von der im Musterverfahren zu treffenden Feststellung oder zu klärenden Rechtsfrage abhängt (§ 7 KapMuG). Nach Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz kommt eine Verfahrensaussetzung nur noch in Betracht, wenn die Revision zugelassen worden ist14. bb) Gegenstand des Verfahrens Gegenstand des Verfahrens muss gem. § 1 Abs. 1 KapMuG ein Schadensersatzanspruch wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformation15, insbesondere nach § 44 BörsG, §§ 37b und 37c WpHG, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 331 HGB, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 264a StGB16 oder ein vertraglicher Erfüllungsanspruch sein, der auf einem Angebot nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz beruht17. Aus der Formulierung „Verfahren, in dem ein Schadensersatzanspruch ... oder ein Erfüllungsanspruch ... geltend gemacht wird“ ergibt sich, dass es sich um eine Leistungsklage handeln muss18. In § 1 Abs. 1 S. 3 KapMuG wird der Begriff öffentliche Kapitalmarkt-
13 Das Gesetz ist auch auf bereits vor seinem Inkrafttreten anhängige Prozesse, insbesondere auf das bereits seit Jahren laufende Telekom-Verfahren, anwendbar, vgl. Art. 9 Abs. 1 Gesetz zur Einführung von Kapitalanleger-Musterverfahren u. Begründung des Rechtsausschusses zu Art. 2a, BT-Drs. 15/5695, S. 25. 14 Reuschle, Ein neuer Weg zur Bündelung und Durchsetzung gleichgerichteter Ansprüche – Zum Entwurf eines Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes (KapMuG), WM 2004, 2334 (2336). 15 Siehe auch die von Schneider, Auf dem Weg zu Securities Class Actions in Deutschland? – Auswirkungen des KapMuG auf die Praxis kapitalmarktrechtlicher Streitigkeiten, BB 2005, 2249 genannten Beispiele. 16 Diese Ansprüche werden in der Gesetzesbegründung, BT-Drs. 15/5091, S. 20, angeführt. 17 Vgl. dazu Hecker, Der Regierungsentwurf zum Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) aus übernahmerechtlicher Sicht, ZBB 2004, 504 (505 ff.). 18 Vgl. Begründung in BT-Drs. 15/5091, S. 20; nach der Stellungnahme des Deutschen Aktieninstituts zu dem Referentenentwurf v. 3. 9. 2004, http://dai.de/internet/dai/ dai-2-0.nsf/dai_publikationen.htm, S. 3, ist die Feststellungsklage dadurch nicht zwingend ausgeschlossen.
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Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz
information in einem nicht19 abschließenden Katalog anhand von Regelbeispielen definiert. Dabei wird der Anwendungsbereich nicht auf Emittenten von Wertpapieren beschränkt, sondern auf Anbieter von sonstigen Vermögensanlagen, den sog. grauen Kapitalmarkt, erweitert20. cc) Ausschließlicher Gerichtsstand, sachliche Zuständigkeit Um eine Konzentration der Verfahren zu gewährleisten, ist ein neuer ausschließlicher Gerichtsstand mit § 32b in die ZPO eingefügt worden21. Danach ist für Klagen der in § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 KapMuG genannten Art ausschließlich das Gericht am Sitz des betroffenen inländischen Emittenten, inländischen Anbieters von sonstigen Vermögensanlagen oder der inländischen Zielgesellschaft zuständig. Dies gilt auch für Klagen gegen die Emissionsbegleiter, die Mitglieder des Verwaltungs- und Aufsichtsorgans, Bieter gem. § 2 Abs. 4 WpÜG sowie sonstige Prospektverantwortliche22. § 32b ZPO tritt an die Stelle des bisherigen § 48 BörsG sowie § 13 VerkaufsprospektG23. Mit § 32b Abs. 1 S. 2 ZPO soll zum Ausdruck gebracht werden, dass der ausschließliche Gerichtsstand im Hinblick auf höherrangiges EU-Recht nur Emittenten, Anbieter anderer Vermögensanlagen oder Zielgesellschaften mit Sitz in Deutschland betrifft. Deshalb enthält § 32b ZPO im Anwendungsbereich der EuGVVO nur eine Regelung der örtlichen Zuständigkeit, während er außerhalb dieses Anwendungsbereichs auch eine Regelung der internationalen Zuständigkeit trifft24. 19 Dies bemängelt das deutsche Aktieninstitut in seiner Stellungnahme zu dem Referentenentwurf v. 3. 9. 2004, http://dai.de/internet/dai/dai-2-0.nsf/dai_publikationen.htm, S. 3, ebenso BDI, DIHK und GDV in ihrer Stellungnahme zum Diskussionsentwurf v. 15. 6. 2004, http://www.bdi-online.de/ S. 4 u. 7. 20 Vgl. dazu Schneider, BB 2005, 2249 (2250). 21 Zu der Möglichkeit einer weiteren Kompetenzkonzentrierung aufgrund der Ermächtigungen in § 32b Abs. 2 ZPO und § 4 Abs. 5 KapMuG vgl. Möllers/Weichert, Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz, NJW 2005, 2737 (2739). 22 Vgl. Begründung zum Entwurf, BT-Drs. 15/5091, S. 33; Schneider, BB 2005, 2249 (2250); Heß/Michailidou, WM 2003, 2318 (2320), sprechen von einem dem deutschen Recht unbekannten Gerichtsstand der passiven Streitgenossenschaft; Duve/Pfitzner, BB 2005, 673 (676), sehen keinen sachlichen Grund für einen ausschließlichen Gerichtsstand am Sitz des Emittenten, wenn dieser nicht Partei des Rechtsstreits ist. 23 Gegen die Aufhebung dieser Vorschriften wenden sich Hein, Der ausschließliche Gerichtsstand für Kapitalanleger-Musterverfahren – eine Lex Anti-Americana?, RIW 2004, 602 (603), Duve/Pfitzner, BB 2005, 673 (676), Sessler, Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz – eine Stellungnahme aus anwaltlicher Sicht, WM 2004, 2344 (2346), und das Deutsche Aktieninstitut in seiner Stellungnahme zu dem Referentenentwurf v. 3. 9. 2004, http://dai.de/internet/dai/dai-2-0.nsf/dai_ publikationen.htm, S. 7. 24 Ausführlich Hein, RIW 2004, 602 (606 ff.: die Begründung zum Entwurf, BT-Drs. 15/5091, S. 34, bezieht sich nur auf das höherrangige EU-Recht); vgl. auch Reuschle, WM 2004, 2334 (2343); Schneider, BB 2005, 2249 (2251).
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Wird also ein deutscher Emittent außerhalb des Anwendungsbereichs der EuGVVO, des EuGVÜ oder des LugÜ nicht am ausschließlichen Gerichtsstand des § 32b ZPO verklagt, wird dem ausländischen Urteil die Anerkennung in Deutschland gem. § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO versagt werden25. Richtet sich eine Klage gegen ausländische Emittenten, ausländische Anbieter von Vermögensanlagen oder ausländische Zielgesellschaften, auf die die EuGVVO, das EuGVÜ oder das LugÜ Anwendung finden, besteht die Möglichkeit der internationalen Zuständigkeit eines deutschen Gerichtes und damit für ein Musterverfahren gem. Art. 5 Nr. 326, Art. 6 Nr. 127 oder Art. 15 bis 1728 EuGVVO. Außerhalb des Anwendungsbereichs der EuGVVO und des LugÜ kommt § 32 ZPO als Gerichtsstand in Betracht29. Ausschließlich sachlich zuständig ist für die in § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 KapMuG aufgeführten Klagen gem. § 71 Abs. 2 Nr. 3 GVG das Landgericht. b) Musterfeststellungsantrag aa) Antragsteller, Erklärungsempfänger Der Musterfeststellungsantrag30 ist bei dem Prozessgericht vom Kläger oder vom Beklagten zu stellen. Es handelt sich um einen Sachantrag31. Der Antrag kann bereits in der Klageschrift angebracht werden32, wenn er vom Kläger ausgeht, aber auch später, selbst wenn bereits eine Beweisaufnahme stattgefunden hat. Der Rechtsstreit darf nur noch nicht zur Entscheidung reif sein, denn dann ist der Musterfeststellungsantrag gem. § 1 Abs. 3 Nr. 1 KapMuG unzulässig. bb) Inhalt In dem Musterfeststellungsantrag müssen das Feststellungsziel und die öffentliche Kapitalmarktinformation angegeben werden. Unter dem Feststellungsziel ist nach der gesetzlichen Definition in § 1 Abs. 1 S. 1 KapMuG das
25 Kritisch Hein, RIW 2004, 602 (608), der sich aus diesem Grund gegen eine Regelung der internationalen Zuständigkeit ausspricht und eine alleinige Regelung der örtlichen Zuständigkeit fordert (609 f.); Heß, Der Regierungsentwurf für ein Kapitalanlegermusterverfahrensgesetz – eine kritische Bestandsaufnahme, WM 2004, 2329 (2332). 26 Vgl. dazu Hein, RIW 2004, 602 (604 f.). 27 Schneider, BB 2005, 2249 (2251). 28 Heß, WM 2004, 2329 (2332 m.w.N.). 29 Vgl. dazu das Beispiel von Schneider, BB 2005, 2249 (2251). 30 Legislatives Vorbild ist die Inzidentfeststellungsklage gem. § 256 Abs. 2 ZPO, Reuschle, WM 2004, 2334 (2335). 31 Reuschle, Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz, NZG 2004, 590 (591). 32 Vgl. auch Sessler, WM 2004, 2344 (2345): zumindest gleichzeitige Klageerhebung.
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Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz
Feststellungsbegehren bezüglich des Vorliegens oder Nichtvorliegens anspruchsbegründender oder anspruchsausschließender Voraussetzungen oder der Klärung einer Rechtsfrage zu verstehen33. Davon zu unterscheiden sind die einzelnen Streitpunkte. Dabei handelt es sich um die tatsächlichen und rechtlichen Umstände, die zur Begründung des Feststellungsziels angeführt werden müssen. In dem Antrag sind auch die Beweismittel zu bezeichnen, deren sich der Antragsteller bedienen will. § 1 Abs. 2 S. 2 KapMuG verlangt zum einen die Angabe aller Umstände und zum anderen auch der rechtlichen Umstände, die der Begründung des Feststellungszieles dienen. Hier stellt sich die Frage, ob in dem Musterfeststellungsantrag nicht enthaltene Streitpunkte später nachgeschoben werden können oder der Antragsteller damit präkludiert ist34. Da eine Erweiterung des Gegenstandes des Musterverfahrens um weitere Streitpunkte gem. § 13 KapMuG ausdrücklich gestattet ist, wenn dies das Prozessgericht für sachdienlich hält, ist eine Präklusion zu verneinen. Auch die erforderliche Angabe der rechtlichen Umstände ist ein Novum und widerspricht dem Grundsatz „da mihi facta dabo tibi ius“35. Dies könnte jedoch mit der durch das Musterverfahren möglichen Klärung von Rechtsfragen zusammenhängen. Außerdem hat der Antragsteller darzulegen, dass der Musterentscheid auch für andere gleich gelagerte Rechtsstreitigkeiten in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht Bedeutung erlangen kann. Hierfür ist nicht erforderlich, dass bereits andere Rechtsstreitigkeiten anhängig sind. Es genügt, dass durch die falsche Kapitalmarktinformation eine Vielzahl von Anlegern betroffen ist36. cc) Gegenstand Gegenstand des Musterfeststellungsantrages können sowohl tatsächliche Anspruchsvoraussetzungen als auch Rechtsfragen sein. Die Feststellung kann sich also anders als bei § 256 ZPO auf Vorfragen oder Elemente eines Rechtsverhältnisses oder einer Anspruchsgrundlage beziehen, wie z.B. die Notwendigkeit oder Richtigkeit einer Ad-Hoc-Meldung, die Pflichtverletzung des Emittenten und ihre Auswirkung auf das Marktgeschehen37. Von Bedeutung ist hierbei, dass die Haftungsnormen im Kapitalmarktrecht, insbesondere §§ 44 ff. BörsG in hohem Maße typisiert und standardisiert sind und damit einheitlich für alle Prozesse festgestellt werden können38. So kann die Feststellung der Fehlerhaftigkeit des Börsenprospektes, z.B. wegen
33 Vgl. hierzu die Stellungnahme des Bundesrates zum Regierungsentwurf in BT-Drs. 15/5091, S. 41. 34 Schneider, BB 2005, 2249 (2251). 35 Vgl. Schneider, BB 2005, 2249 (2251). 36 BT-Drs. 15/5091, S. 21. 37 Reuschle, WM 2004, 2334 (2335). 38 Vgl. dazu Heß, AG 2003, 113 (123).
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Fehlens wesentlicher Angaben oder Vermittlung eines unzutreffenden Gesamteindrucks, oder der Ersichtlichkeit der Mängel für den bilanzkundigen Durchschnittsanleger nur einheitlich erfolgen und richtet sich nicht nach den individuellen Verhältnissen des einzelnen Anlegers39. Dagegen bestimmen sich der individuelle Schaden, die Kausalität, soweit sie auf einem individuellen Verlauf basiert, und ein eventuelles Mitverschulden des Anlegers nach den jeweiligen Umständen jedes Einzelfalls. Diese Gegenstände sind deshalb nicht feststellungsfähig40. Die Klärung von Rechtsfragen wird vor allem relevant bei unbestimmten Rechtsbegriffen in den Tatbeständen der Anspruchs- bzw. Gegennormen. In der Begründung zum Entwurf41 werden als Beispiele angeführt die Bewertung, welche Anforderungen an einen verständigen Anleger i.S.d. § 13 Abs. 1 S. 2 WpHG in Bezug auf die Verwertung einer bestimmten Inhaberinformation zu stellen sind, welche berechtigten Interessen einen Aufschub der Veröffentlichung von Insiderinformationen rechtfertigen können oder welche Kennzahlen i.S.d. § 15 Abs. 1 Satz 5 WpHG im Geschäftsverkehr üblicherweise verwendet werden. Außerdem muss die Entscheidung des konkreten Rechtsstreits von der Feststellung dieser tatsächlichen oder rechtlichen Fragen abhängen. In einem Musterfeststellungsantrag können auch mehrere Feststellungsziele enthalten sein, soweit diesen derselbe Lebenssachverhalt zugrunde liegt. Dem widerspricht nicht, dass das KapMuG immer nur von dem Feststellungsziel in der Einzahl spricht. In der Begründung zu § 5 KapMuG des Gesetzesentwurfes wird klargestellt, dass durch § 5 KapMuG parallel laufende Musterverfahren aus prozessökonomischen Gründen verhindert werden sollen, auch bezüglich der Feststellung weiterer Anspruchsvoraussetzungen, und darauf verwiesen, dass deren Vorliegen nur durch eine Erweiterung des Gegenstands des laufenden Musterverfahrens gem. § 13 KapMuG42 festgestellt werden könnten43. Daraus lässt sich schließen, dass eine Konzentration auf ein Musterverfahren beabsichtigt war. Deshalb ist davon auszugehen, dass von vornherein bereits mehrere Feststellungsziele in einem Mus-
39 BT-Drs. 15/5091, S. 16. 40 Reuschle, NZG 2004, 590 (591); vgl. zur einheitlichen Feststellungsmöglichkeit anhand der §§ 44 ff. BörsG und weiterer Haftungstatbestände die Ausführungen von Heß/Michailidou, WM 2003, 2318 (2319); Reuschle WM 2004, 2334 (2335) m.w.N.; vgl. auch Möllers/Weichert, NJW 2005, 2737 (2738) zur Frage, welcher Gegenstand feststellungsfähig ist. 41 BT-Drs. 15/5091, S. 20. 42 Auch wenn eine diesbezügliche Erweiterung gem. § 13 Abs. 1 KapMuG, der lediglich eine Erweiterung bezüglich der Streitpunkte im Rahmen eines Feststellungsziels zulässt, nach der Gesetzesfassung nicht mehr möglich ist; vgl. dazu unten II 1c gg. 43 BT-Drs. 15/5091, S. 24.
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terfeststellungsantrag enthalten sein können. Hier ist in der Regel auch ein einheitliches Musterverfahren geboten. Zwei getrennte Musterfeststellungsanträge sind dagegen erforderlich, wenn die mehreren Feststellungsziele auf unterschiedlichen Lebenssachverhalten beruhen. In diesem Fall muss es dem OLG überlassen bleiben, ob es eine Verbindung der Musterverfahren im Einzelfall für sinnvoll erachtet. dd) Zulässigkeit Das Prozessgericht prüft anschließend die Zulässigkeit des Musterfeststellungsantrages. In § 1 Abs. 3 Nr. 1 bis 5 KapMuG sind die Umstände, die zur Unzulässigkeit eines Musterfeststellungsantrages führen, abschließend aufgeführt. Besteht bereits Entscheidungsreife, sei es dass die Unzulässigkeit oder die Unbegründetheit der Klage feststeht, dann wird dem betroffenen Kläger das Rechtsschutzbedürfnis an dem Musterverfahren abgesprochen (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 KapMuG). Die Unzulässigkeit kann sich auch aus dem Verdacht der Prozessverschleppung (§ 1 Abs. 3 Nr. 2 KapMuG) oder aus der Ungeeignetheit der bezeichneten Beweismittel (§ 1 Abs. 3 Nr. 3 KapMuG) oder daraus ergeben, dass die Darlegungen des Antragstellers den Antrag nicht rechtfertigen und damit nicht schlüssig sind (§ 1 Abs. 3 Nr. 4 KapMuG) oder die gestellte Rechtsfrage nicht klärungsbedürftig erscheint (§ 1 Abs. 3 Nr. 5 KapMuG). Aus § 1 Abs. 3 Nr. 5 i.V.m. Nr. 1 KapMuG geht hervor, dass ein Musterfeststellungsantrag trotz Entscheidungsreife des Prozesses in Bezug auf die Klärung einer Rechtsfrage möglich sein soll44. Liegt einer der aufgeführten Unzulässigkeitsgründe vor, weist das Prozessgericht den Musterfeststellungsantrag zurück (§ 1 Abs. 3 S. 2 KapMuG). Bei mehreren Feststellungszielen besteht auch die Möglichkeit, den Musterfeststellungsantrag teilweise zurückzuweisen, wenn nur ein Teil davon entscheidungserheblich ist. Das Prozessgericht hat vorher jedoch auf die Stellung eines geeigneten Musterfeststellungsantrages gem. § 139 Abs. 1 ZPO hinzuwirken45. Dagegen ist eine Teilabweisung bei nur einem Feststellungsziel kaum denkbar46. Gegen den zurückweisenden Beschluss ist die sofortige Beschwerde statthaft (§ 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO), da bezüglich des Musterfeststellungsantrages eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Allerdings ist dem Antragsgegner Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (§ 1 Abs. 2 S. 4 KapMuG). 44 BT-Drs. 15/5091, S. 21. 45 So zu Recht der Zivilverfahrensausschuss des Deutschen Anwaltsvereins, NZG 2005, 166 (167). 46 Wird die Feststellung des Vorliegens einer anspruchsbegründenden Voraussetzung begehrt, ist ein darin enthaltenes Minus kaum vorstellbar. Auch die Feststellung einer Rechtsfrage bezieht sich auf einen unbestimmten Rechtsbegriff, der kaum teilbar ist.
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Wird ein Musterfeststellungsantrag gestellt, obwohl bereits zehn gleichgerichtete Anträge im Klageregister innerhalb des Zeitrahmens (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG) bekannt gemacht worden sind, spricht dies nicht gegen seine Zulässigkeit, da § 2 Abs. 1 S. 6 KapMuG lediglich bestimmt, dass dieser Antrag nicht mehr bekannt gemacht werden muss. Allerdings hat er für das Musterverfahren keine Bedeutung mehr. Bis zum Erlass des Vorlagebeschlusses bleibt dessen Zulässigkeit in der Schwebe. Mit Erlass des Vorlagebeschlusses ist der Musterfeststellungsantrag für dieses Musterverfahren prozessual überholt, so dass er als unzulässig abzuweisen ist47. Für ein neues Musterverfahren greift die Sperrwirkung gem. § 5 KapMuG ein. Nach der Bekanntmachung des Musterverfahrens werden die Parallelprozesse gem. § 7 KapMuG ausgesetzt, so dass die Stellung eines Musterfeststellungsantrages sowieso nicht mehr möglich ist. Ist der Musterfeststellungsantrag zulässig, entscheidet das Prozessgericht durch Beschluss über die Bekanntmachung im Klageregister und damit inzident über die Zulässigkeit des Musterfeststellungsantrages. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 2 Abs. 1 S. 3 KapMuG). Daneben ist ein Zulassungsbeschluss nicht erforderlich48. ee) Bekanntmachung im Klageregister § 2 Abs. 1 S. 4 KapMuG nennt abschließend die im Klageregister bekannt zu machenden Angaben. Werden mehrere Musterfeststellungsanträge, deren Feststellungsziel den gleichen zugrunde liegenden Lebenssachverhalt betrifft, gestellt, werden diese in der Reihenfolge ihrer Bekanntmachung im Klageregister erfasst. Das gilt nicht mehr, wenn bereits insgesamt zehn gleichgerichtete Musterfeststellungsanträge im entscheidenden Zeitraum im Klageregister aufgeführt sind, da damit die Voraussetzungen für den Vorlagebeschluss gem. § 4 Abs. 1 S. 1 KapMuG erfüllt sind. Die weiteren Regelungen in § 2 KapMuG betreffen das Einsichtsrecht und datenschutzrechtliche Belange. § 2 Abs. 5 KapMuG regelt, wann die gespeicherten Daten zu löschen sind. Die Löschung des Musterentscheids nach rechtskräftigem Abschluss des Musterverfahrens ist nicht sinnvoll, da andere Verfahren zumindest über § 411a ZPO davon profitieren könnten, wenn gleichgerichtete Ansprüche noch nicht verjährt sind49. 47 Reuschle, WM 2004, 2334 (2337), geht von einer Erledigung des Musterfeststellungsantrages, der nach dem Anhängigwerden des Musterverfahrens gestellt wird, aus. 48 Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drs. 15/5695, S. 23. Der Anfechtungsausschluss umfasst auch die Zulassung des Musterfeststellungsantrages, zweifelnd aber Sessler, WM 2004, 2344 (2347). 49 Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme gefordert, dass der Musterentscheid von der Löschungsverpflichtung ausgenommen wird, BT-Drs. 15/5091, S. 43. Dies hat auch das Deutsche Aktieninstitut in seiner Stellungnahme zum Referenten-
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ff) Unterbrechung des Verfahrens Mit der Bekanntmachung des Musterfeststellungsantrages im Klageregister wird das Verfahren gem. § 3 KapMuG mit der Wirkung des § 249 ZPO unterbrochen50. Die Unterbrechung endet mit der Bekanntmachung des Musterverfahrens durch das OLG51 im Klageregister oder mit Zurückweisung des Musterfeststellungsantrages gem. § 4 Abs. 4 KapMuG, wenn im erforderlichen Zeitrahmen das Quorum nicht erreicht worden ist. Allerdings ist das Verfahren im ersten Fall sogleich gem. § 7 KapMuG auszusetzen52, im zweiten Fall fortzusetzen. c) Vorlageverfahren aa) Zuständigkeit Zuständig für den Vorlagebeschluss ist das Prozessgericht, bei dem der zeitlich erste Musterfeststellungsantrag gestellt wurde, wenn innerhalb von vier Monaten nach seiner Bekanntmachung in mindestens neun weiteren Verfahren bei demselben oder anderen Gerichten gleichgerichtete Musterfeststellungsanträge gestellt wurden (§ 4 Abs. 1 S. 1 KapMuG). Für die Zuständigkeit des Prozessgerichts bezüglich des Vorlagebeschlusses wird auf den Zeitpunkt der Antragstellung und nicht auf denjenigen der Bekanntmachung abgestellt. Die zeitliche Reihenfolge der bei den Prozessgerichten gestellten Musterfeststellungsanträge bestimmt sich jedoch nach der Reihenfolge im Klageregister (§ 4 Abs. 1 S. 3 KapMuG). Damit ist für die Zuständigkeit des Prozessgerichts doch nicht, wie in § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 KapMuG bestimmt, die Stellung des Antrags entscheidend53, sondern welcher Musterfeststellungsantrag zuerst im Klageregister bekannt gemacht worden ist. Welches Prozessgericht für den Vorlagebeschluss zuständig ist, ist jedenfalls für den
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entwurf v. 3. 9. 2004, http://dai.de/internet/dai/dai-2-0.nsf/dai_publikationen.htm, S. 4, bemängelt. Wegen der Unterbrechungswirkung des Bekanntmachungsbeschlusses hält Plaßmeier, NZG 2005, 609 (610 Fn. 16) gem. § 252 ZPO eine sofortige Beschwerde für möglich, obwohl § 2 Abs. 1 S. 3 dies ausdrücklich ausschließt. Reuschle, WM 2004, 2334 (2337), stellt auf die Anhängigkeit des Musterverfahrens ab. Dies ist erforderlich, weil der Aussetzungsbeschluss zugleich als Beiladung gilt (§ 8 Abs. 3 S. 2 KapMuG). Wollte man § 4 Abs. 1 Nr. 1 KapMuG den Vorrang einräumen, dann müsste entgegen § 2 Abs. 1 S. 4 KapMuG („nur“) im Klageregister auch der Zeitpunkt der Antragstellung angegeben werden, denn es kann durchaus vorkommen, dass das Prozessgericht, bei dem der erste Musterfeststellungsantrag gestellt worden ist, den Bekanntmachungsbeschluss später erlässt als ein anderes Gericht, bei dem ebenfalls, jedoch später, ein gleichgerichteter Antrag gestellt, dieser jedoch zeitlich früher im Klageregister bekannt gemacht worden ist.
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Gegenstand des Musterverfahrens ohne Bedeutung54, da es in jedem Fall die bekannt gemachten Musterfeststellungsanträge für den Inhalt des Vorlagebeschlusses zu beachten hat. bb) Zehn gleichgerichtete Musterfeststellungsanträge Erforderlich für einen Vorlagebeschluss sind zehn gleichgerichtete Musterfeststellungsanträge. Darunter sind nach der gesetzlichen Definition des § 2 Abs. 1 S. 5 KapMuG Anträge zu verstehen, deren Feststellungsziel den gleichen zugrunde liegenden Lebenssachverhalt betrifft. Der zugrunde liegende Lebenssachverhalt ist hier weit auszulegen. So sollen nach der Begründung des Regierungsentwurfs55 auch dann gleichgerichtete Musterfeststellungsanträge vorliegen, wenn die Richtigkeit eines Börsenprospektes von dem einen Anleger wegen einer unrichtigen Darstellung des Immobilienvermögens angegriffen wird, von einem anderen Anleger wegen der Risikobewertung, die auf der Darstellung des Immobilienvermögens beruht. Es handle sich hier um dasselbe Feststellungsziel, da die Unrichtigkeit des Prospektes auf einund derselben Pflichtverletzung – tatsächliche Angaben zum Komplex Immobilien – beruhe, lediglich die Streitpunkte seien verschieden. Der gleiche zugrunde liegende Lebenssachverhalt sei hier die Veröffentlichung des Prospektes, so dass verschiedene Angaben ein- und desselben Prospektes in der Regel einen einheitlichen Tatsachenkomplex bilden56. Bei einer unterschiedlichen Begründung desselben Feststellungsziels handle es sich lediglich um unterschiedliche Streitpunkte, nicht jedoch um unterschiedliche Streitgegenstände. Besteht lediglich Teilidentität, wenn z.B. fünf Musterfeststellungsanträge die Tatbestandsmerkmale a und b und fünf Musterfeststellungsanträge nur das Tatbestandsmerkmal a als Feststellungsziel enthalten, dann liegen zehn gleichgerichtete Musterfeststellungsanträge nur hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals a vor. Nur diesbezüglich ist das Quorum erreicht. Bei der erforderlichen Anzahl von Musterfeststellungsanträgen kann es keinen Unterschied machen, ob zehn Musterfeststellungsanträge in einem Verfahren von zehn Streitgenossen gestellt worden sind57, da es sich auch dann um zehn Prozessrechtsverhältnisse handelt, oder ob zehn Musterfeststellungsanträge in zehn verschiedenen Einzelklagen gestellt worden sind. Ein kontradiktorischer Musterfeststellungsantrag des Beklagten kann ebenfalls 54 Allerdings richtet sich danach die Zuständigkeit des OLG und die Bestimmung des Musterklägers (§ 8 Abs. 2 S. 1 KapMuG). 55 BT-Drs. 15/5091, S. 22. 56 Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drs. 15/5091, S. 49. 57 Es besteht die Möglichkeit, einen gemeinschaftlichen Schriftsatz einzureichen; vgl. auch Schneider, BB 2005, 2249 (2252), der hier von einem Musterfeststellungsantrag ausgeht.
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berücksichtigt werden, allerdings nicht, wenn bereits der Kläger desselben Prozesses einen Musterfeststellungsantrag gestellt hat. Dagegen kann ein Musterfeststellungsantrag, der von einem Prozesstreuhänder, an den zehn Individualansprüche abgetreten worden sind, in einem Verfahren gestellt wird, nur als ein Musterfeststellungsantrag gewertet werden58, da es sich lediglich um ein Prozessrechtsverhältnis handelt. Das bedeutet, dass nur bei subjektiver, nicht aber bei objektiver Klagenhäufung die Anträge, je nach der Anzahl der Streitgenossen, gezählt werden. Nicht entscheidend für die Gleichgerichtetheit der Musterfeststellungsanträge ist die Identität der Parteien, auch nicht der Beklagten, gegen die sich die Einzelverfahren richten59. Werden weitaus mehr als zehn gleichgerichtete Musterfeststellungsanträge nahezu gleichzeitig bei einem Prozessgericht gestellt60, kann das Gericht sich für die Bekanntmachung und damit für den Vorlagebeschluss diejenigen Musterfeststellungsanträge heraussuchen, die zur Begründung des Feststellungszieles unterschiedliche entscheidungserhebliche Streitpunkte anführen, so dass im Musterverfahren möglichst alle Streitpunkte behandelt werden61. Es wird aber auch umgekehrt von Anwaltsseite befürchtet, dass wesentliche Aspekte vergessen werden. Wie Richter Wösthoff im Telekomprozess aber richtig bemerkt: „Alle müssen bemüht sein, die richtigen Streitpunkte zu sammeln. Ein lückenhafter Musterbeschluss hilft auch mir wenig.“62 cc) Zeitfenster Die zehn gleichgerichteten Musterfeststellungsanträge müssen innerhalb des Zeitfensters gem. § 4 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG liegen. Der Beginn der VierMonatsfrist in § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 KapMuG richtet sich nach der Bekanntmachung des ersten Musterfeststellungsantrages, da erst dann die weiteren Kläger von der Möglichkeit eines Musterverfahrens Kenntnis erhalten. Für das Ende der Frist wird jedoch auf die Stellung der Anträge bei Gericht innerhalb der Viermonatsfrist abgestellt63. Dies ist auch sinnvoll, da eine Verzögerung der Bekanntmachung auf Seiten des Prozessgerichts keine Nachteile für die Parteien bringen kann. Dies könnte jedoch problematisch werden, wenn der entscheidende zehnte Musterfeststellungsantrag kurz vor Ablauf der Viermonatsfrist bei einem anderen Prozessgericht gestellt, aber 58 Schneider, BB 2005, 2249 (2252). 59 So auch Plaßmeier, NZG 2005, 609 (611). 60 So im Prozess gegen die Telekom, Die Welt v. 26. 11. 2005, http://www.welt.de/ data/2005/11/26/809060.html. 61 Sessler, WM 2004, 2344 (2347) befürchtet, dass das Prozessgericht wegen der Bindungswirkung des Vorlagebeschlusses und der fehlenden Anfechtbarkeit der Zulassung der Musterfeststellungsanträge zu großzügig mit der Zulassung verfahren werde, um sich erst einmal „Luft“ zu verschaffen. 62 Ch. Ebner, http://www.heise.de/newsticker/meldung/64865. 63 Auf Empfehlung des Rechtsausschusses geändert, BT-Drs. 15/5695, S. 23.
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erst nach Ablauf der Frist bekannt gemacht worden ist. Das für den Vorlagebeschluss zuständige Prozessgericht kann den entscheidenden Zeitpunkt nicht aus dem Klageregister ersehen, in dem lediglich der Zeitpunkt der Bekanntmachung angegeben wird. Zudem besteht die Möglichkeit, dass bezüglich eines rechtzeitig gestellten Musterfeststellungsantrages, der zurückgewiesen worden ist, eine Beschwerde eingelegt worden ist64. Ist diese begründet, wird der Musterfeststellungsantrag zugelassen und müsste berücksichtigt werden, auch wenn die Viermonatsfrist mittlerweile längst abgelaufen ist. Hinzu kommt, dass gem. § 4 Abs. 4 KapMuG das jeweilige Prozessgericht, das einen Musterfeststellungsantrag im Klageregister bekannt gemacht hat, beobachten muss, ob innerhalb von vier Monaten ab dieser Bekanntmachung und nicht derjenigen des ersten Musterfeststellungsantrages die für eine Vorlage erforderliche Anzahl von Anträgen erreicht worden ist. Ist dies nicht der Fall, ist der Musterfeststellungsantrag zurückzuweisen. § 4 Abs. 4 KapMuG ist aufgrund der Empfehlung des Rechtsausschusses dahingehend geändert worden, dass es genauso wie bei § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 KapMuG für den Fristablauf nicht auf die Eintragung in das Klageregister, sondern auf die Stellung des Antrags ankommt. Allerdings enthält die Ergänzung noch den Zusatz „bei dem Prozessgericht gestellt worden“. Aus der Begründung des Rechtsausschusses geht jedoch nur hervor, dass die nicht zu beeinflussende Bekanntmachung nicht entscheidend sein soll. Deshalb ist hier von einem Redaktionsversehen auszugehen65. Es kann nicht angehen, dass für die Zurückweisung nach § 4 Abs. 4 KapMuG entgegen § 4 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG gleichgerichtete Musterfeststellungsanträge bei anderen Gerichten nicht berücksichtigt werden und zehn gleichgerichtete Musterfeststellungsanträge bei demselben Prozessgericht in dieser Zeit eingegangen sein müssen66. Sind also innerhalb der Frist nicht genügend Anträge bei dem Prozessgericht oder einem anderen Gericht gestellt worden, ist der jeweilige Musterfeststellungsantrag von diesem Prozessgericht zurückzuweisen67 und das Verfahren von Amts wegen fortzusetzen. Gleichzeitig sind die im Klageregister gespeicherten Daten gem. § 2 Abs. 5 KapMuG zu löschen. Innerhalb der Viermonatsfrist gestellte Musterfeststellungsanträge, die aus den oben genannten Gründen erst nach Ablauf bekannt gemacht worden sind, könnten dann nicht mehr berücksichtigt werden. Allerdings beginnt quasi mit jedem neu bekannt gemachten Musterfeststellungsantrag eine neue Frist i.S.d. § 4 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG zu laufen, so dass
64 Darauf weist auch Schneider, BB 2005, 2249 (2252), hin. 65 So auch Plaßmeier, NZG 2005, 609 (611 Fn. 20). 66 Schneider, BB 2005, 2249 (2253), geht davon aus, dass hier mindestens zehn gleichgerichtete Anträge bei demselben Prozessgericht vorliegen müssen. 67 Möllers/Weichert, NJW 2005, 2737 (2739), sprechen hier von einer Zurückweisung als unbegründet. Dies würde aber eventuell einer erneuten Antragstellung, die möglich ist, widersprechen.
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der wegen Fristablaufs nach § 4 Abs. 4 KapMuG zurückgewiesene Musterfeststellungsantrag erneut gestellt und damit für den nun als ersten im Klageregister bekannt gemachten Musterfeststellungsantrag das erforderliche Quorum erreicht werden kann. In der Begründung zum Gesetzesentwurf wird hierfür folgendes Beispiel angeführt68: „Wird z.B. in einem Rechtsstreit gegen einen Emittenten mit Sitz in New York ein Musterfeststellungsantrag am 2. Februar 2004 beim Landgericht Stuttgart gestellt, dem sich fünf weitere Antragsteller am Landgericht München I am 1. März 2004 sowie drei weitere am LG Frankfurt am 1. April 2004 anschließen, so weist das LG Stuttgart den Musterfeststellungsantrag vom 2. Februar 2004 am 3. Juni 2004 zurück. Schließt sich nun ein weiterer Kläger den acht Antragstellern am 14. Juni 2004 an, steht es dem zurückgewiesenen Antragsteller frei, sofort einen neuen Musterfeststellungsantrag zu stellen und dadurch das Musterverfahren auszulösen. Den Vorlagebeschluss wird dann das LG München I zu fertigen haben, sofern der Antrag bis spätestens zum 1. Juli wieder im Klageregister eingetragen69 ist.“
Letztendlich bringt die Nichtberücksichtigung von Anträgen, die bereits vor Ablauf der Frist gestellt worden sind, also doch keinen Nachteil, weil jeder aufgrund § 4 Abs. 4 KapMuG zurückgewiesene Antrag erneut gestellt werden kann. dd) Vorlagebeschluss Sind die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 S. 1 KapMuG erfüllt, ist das zuständige Prozessgericht verpflichtet, einen Musterentscheid durch das übergeordnete Oberlandesgericht herbeizuführen. Hierzu erlässt es einen Vorlagebeschluss, in dem das Feststellungsziel, alle geltend gemachten entscheidungserheblichen Streitpunkte, die bezeichneten Beweismittel und eine knappe Darstellung des wesentlichen Inhalts der erhobenen Ansprüche sowie der dazu vorgebrachten Angriffs- und Verteidigungsmittel enthalten sind (§ 4 Abs. 2 KapMuG). Der Vorlagebeschluss ist unanfechtbar und für das OLG bindend (§ 4 Abs. 1 S. 2 KapMuG). Er kann auch später nicht einer Überprüfung unterzogen werden (vgl. §§ 15 Abs. 1 S. 3, 18 KapMuG). Das Prozessgericht macht den Erlass und das Datum des Vorlagebeschlusses im Klageregister bekannt (§ 4 Abs. 3 KapMuG). ee) Sperrwirkung Mit dem Erlass des Vorlagebeschlusses ist die Einleitung eines weiteren Musterverfahrens über dieselbe oder eine andere Anspruchsvoraussetzung in anderen Verfahren, die bereits anhängig sind oder bis zum Erlass des Musterentscheids anhängig werden und deren Entscheidung von den in dem Mus68 BT-Drs. 15/5091, S. 23. 69 Der Entwurf stellte noch auf den Zeitpunkt der Eintragung und nicht auf denjenigen der Antragstellung ab.
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terentscheid zu treffenden Feststellungen abhängt, nicht mehr zulässig (§ 5 KapMuG). Diese Sperrwirkung ist mit der Wirkung der Rechtshängigkeit gem. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO vergleichbar70, die allerdings nur bei Identität des Streitgegenstandes entgegensteht, während § 5 KapMuG auch ein Musterverfahren über eine andere Anspruchsvoraussetzung ausschließen soll. Dies ist äußerst bedenklich, da die Möglichkeit der Erweiterung des Musterverfahrens in Bezug auf weitere Anspruchsvoraussetzungen, auf die in der Begründung zum Entwurf verwiesen wird71, nach der Gesetz gewordenen Fassung nicht mehr besteht. Auf Empfehlung des Rechtsausschusses kann gem. § 13 Abs. 1 KapMuG nur noch die Feststellung weiterer Streitpunkte im Rahmen des Feststellungsziels des Musterverfahrens begehrt werden, nicht aber wie im Entwurf noch vorgesehen die Feststellung weiterer anspruchsbegründender oder anspruchsausschließender Voraussetzungen72. Allerdings scheint sich der Rechtsausschuss jedenfalls nach seiner Begründung dieser weitgehenden Einschränkung der Erweiterung nicht bewusst gewesen zu sein, wenn er nur die Formulierung des § 13 KapMuG an den legaldefinierten Begriffen Feststellungsziel und Streitpunkten ausrichten wollte73. Da den Beteiligten des Musterverfahrens die Möglichkeit gegeben werden muss, eine weitere Anspruchsvoraussetzung mit Breitenwirkung feststellen zu lassen, kann die Lösung des Problems nur über eine einschränkende Auslegung des § 5 KapMuG oder über eine ausdehnende Auslegung des § 13 Abs. 1 KapMuG74 erreicht werden. ff) Streitgegenstand Mit dem Vorlagebeschluss bestimmt das Prozessgericht den Streitgegenstand des Musterverfahrens. Allerdings ist ihm dieser durch die zehn gleichgerichteten Musterfeststellungsanträge vorgegeben, deren Feststellungsziel den gleichen zugrunde liegenden Lebenssachverhalt (vgl. § 2 Abs. 1 S. 5 KapMuG) betreffen muss75. Einen gewissen Einfluss hat das Prozessgericht jedoch bei der Auswahl der Musterfeststellungsanträge, wenn weitaus mehr als zehn Anträge bei ihm eingegangen sind76. Der Streitgegenstand richtet sich nach dem Feststellungsziel und dem diesem zugrunde liegenden Lebenssachverhalt, wobei die verschiedenen Streitpunkte lediglich unter70 71 72 73 74
Reuschle, WM 2004, 2334 (2338). BT-Drs. 15/5091, S. 24. Siehe dazu unten II 1c gg. BT-Drs. 15/5695, S. 24. Diesem Weg würde entgegenstehen, dass eine Erweiterung des Musterverfahrens um ein weiteres Feststellungsziel ohne das erforderliche Quorum möglich wäre. 75 Vgl. aber Heß, WM 2004, 2329 (Fn. 13), der von einer eingeschränkten Bindung des Gerichts gem. § 308 Abs. 1 ZPO bei der Formulierung des Vorlagebeschlusses ausgeht. 76 Siehe oben unter II 1c bb.
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schiedliche Begründungen desselben Feststellungsziels darstellen (vgl. § 1 Abs. 2 S. 2 KapMuG). Das Feststellungsziel muss deshalb zunächst die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens der gleichen Tatbestandsvoraussetzung, wie z.B. die Unrichtigkeit des Börsenprospektes, zum Gegenstand haben oder auf die Klärung der gleichen Rechtsfrage gerichtet sein und zudem auf demselben Lebenssachverhalt beruhen. Insoweit hat das Prozessgericht keinen Spielraum77. Inwieweit Streitgegenstandshäufungen möglich sind, hängt davon ab, ob in den zehn gleichgerichteten Musterfeststellungsanträgen mehrere Feststellungsziele enthalten sind, die denselben Lebenssachverhalt betreffen78. Dies bedeutet aber, dass sämtliche Musterfeststellungsanträge dieselben Feststellungsziele enthalten müssen, damit das erforderliche Quorum erreicht wird. Es genügt demnach nicht, wenn zehn Musterfeststellungsanträge die Feststellung derselben Tatbestandsvoraussetzung, aber nur fünf noch zusätzlich die Klärung einer Rechtsfrage begehren. Für das letztere Feststellungsziel wäre das Quorum nicht erreicht79. Dagegen ist es vorstellbar, dass in demselben Musterverfahren auch das gegenläufige Feststellungsziel des Beklagten, das auf die Feststellung einer anspruchsausschließenden Voraussetzung gerichtet ist, Gegenstand sein kann, wenn der Beklagte in genau denselben Einzelverfahren, deren Musterfeststellungsanträge zum Vorlagebeschluss geführt haben, jeweils einen gegenläufigen Musterfeststellungsantrag gestellt hat. gg) Erweiterung des Streitgegenstandes Eine Erweiterung des Gegenstandes des Musterverfahrens ist gem. § 13 Abs. 1 KapMuG möglich. Allerdings handelt es sich hierbei nicht um eine Erweiterung des Streitgegenstandes, da § 13 Abs. 1 KapMuG lediglich die Feststellung weiterer Streitpunkte im Rahmen des Feststellungsziels zulässt, wenn das Prozessgericht dies für sachdienlich erachtet. Da die Streitpunkte nur der Begründung dienen und in der Regel zu demselben Tatsa-
77 Unzutreffend ist deshalb die Annahme von Schneider, BB 2005, 2249 (2253), dass das Feststellungsziel des Vorlagebeschlusses von den Feststellungszielen der zugrunde liegenden einzelnen Musterfeststellungsanträge insoweit abweichen könnte, als diese lediglich die Feststellung einzelner Streitpunkte begehren, während das Prozessgericht dem OLG die Summe der Feststellungsziele der einzelnen Musterfeststellungsanträge vorlegt. Das Feststellungsziel muss sich auf ein Tatbestandsmerkmal oder eine Rechtsfrage beziehen (vgl. § 1 Abs. 1 S. 1 KapMuG), die Streitpunkte dienen nur der Begründung des Feststellungsziels. 78 Liegt den verschiedenen Feststellungszielen ein unterschiedlicher Lebenssachverhalt zugrunde, müssen zwei Musterfeststellungsanträge gestellt und damit auch zwei Vorlagebeschlüsse erlassen werden, siehe oben unter II 1b cc. 79 A.A. wohl Schneider, BB 2005, 2249 (2253).
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chenkomplex gehören, bleibt der Streitgegenstand derselbe80. Hier hat die Empfehlung des Rechtsausschusses eine erhebliche Veränderung gegenüber dem Regierungsentwurf gebracht81. Während dort noch eine tatsächliche Streitgegenstandserweiterung durch Erweiterung der Feststellung auf weitere Tatbestandsmerkmale möglich war82, wenn der Musterkläger oder Musterbeklagte oder mindestens zehn Beigeladene dies begehren und das OLG dies für sachdienlich erachtet, geht es jetzt nur um die Erweiterung der Streitpunkte, die der Begründung desselben Feststellungsziels dienen. Dass hier das Prozessgericht anstelle des OLG über die Sachdienlichkeit entscheidet, hängt damit zusammen, dass lediglich entscheidungserhebliche Streitpunkte im Vorlagebeschluss anzuführen sind, und nur das Prozessgericht dies für die Einzelverfahren beurteilen kann83. Wieso neben der Entscheidungserheblichkeit noch die Sachdienlichkeit gefordert wird, ist nicht einsichtig. Da es lediglich um die Erweiterung der Streitpunkte geht, ist ein Feststellungsbegehren von zehn Beigeladenen nicht erforderlich. Gesetzestechnisch handelt es sich um eine Erweiterung des Inhalts des Vorlagebeschlusses (§§ 13 Abs. 2, 4 Abs. 2 Nr. 2 KapMuG), so dass der Antrag bei dem vorlegenden Prozessgericht84 gestellt werden muss. Die Erweiterung des Vorlagebeschlusses durch das Prozessgericht ist wieder unanfechtbar und für das OLG bindend (§ 13 Abs. 2 KapMuG). Sie ist durch das OLG im Klageregister bekannt zu machen (§ 13 Abs. 3 KapMuG). 2. Durchführung des Musterverfahrens Nach Eingang des Vorlagebeschlusses bestimmt das OLG durch unanfechtbaren Beschluss den Musterkläger und macht dann gem. § 6 KapMuG im Klageregister die wesentlichen Angaben zum Musterverfahren, die Bezeichnung der Parteien, das Feststellungsziel, das Aktenzeichen des OLG und den Inhalt des Vorlagebeschlusses öffentlich bekannt.
80 Dies entspricht § 264 Nr. 1 ZPO, so dass es verwundert, dass dennoch die Sachdienlichkeit gefordert wird; allerdings finden die §§ 263 ff. ZPO keine Anwendung (Reuschle, WM 2004, 2334, 2340). 81 Dies verkennt Plaßmeier, NZG 2005, 609 (612). 82 Eine Erweiterung des Musterverfahrens sollte auch im Entwurf nicht möglich sein, wenn nur eine Rechtsfrage im Musterverfahren geklärt werden soll, weil es nur von dem Vorlagegericht bestimmt werden könne, welche Rechtsfrage klärungsbedürftig ist, Reuschle, WM 2004, 2334 (2340). 83 Dass dadurch das Verfahren zum Stillstand kommen kann, weil die Prozessakten zumindest teilweise an das Prozessgericht zurückgeschickt werden müssen und die Entscheidung des Prozessgerichts abgewartet werden muss, befürchtet Heß, ZIP 2005, 1713 (1716). 84 Ebenso Heß, ZIP 2005, 1713 (1716), der dies allerdings aus § 13 Abs. 1 und nicht wie hier aus § 13 Abs. 2 KapMuG schließt.
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a) Zuständigkeit des OLG Gem. § 118 GVG ist das OLG für die Verhandlung und Entscheidung über Musterverfahren nach dem KapMuG zuständig85. Dies ist nicht notwendig das OLG am Sitz des Emittenten bzw. der Zielgesellschaft, da für den ersten Musterfeststellungsantrag, der für die Zuständigkeit des den Musterentscheid einholenden Prozessgerichts und damit auch für die Zuständigkeit des diesem übergeordneten OLG maßgebend ist, nicht unbedingt § 32b ZPO Anwendung finden muss86. b) Bestimmung des Musterklägers Die Bestimmung des Musterklägers erfolgt von Amts wegen. Durch die richterliche Auswahl soll zwar die Gefahr eines „race to the courtroom“, die bei der Sammelklage in den USA besteht, verhindert werden87. Da die Auswahl auf die Kläger bei dem Gericht, das den Musterentscheid einholt, beschränkt ist88, besteht für die Anwälte dennoch die Möglichkeit durch schnelles Agieren zum Musterkläger ernannt zu werden, indem sie möglichst den ersten und möglichst viele, am besten zehn Musterfeststellungsanträge bei einem Prozessgericht stellen. Allerdings muss der Musterkläger nicht selbst einen Musterfeststellungsantrag gestellt haben89, auch sein Einverständnis ist nicht erforderlich. Maßgebend ist allein, dass die Entscheidung seines Einzelverfahrens von der im Musterverfahren zu treffenden Feststellung abhängt. Der Grund hierfür liegt darin, dass ein Musterkläger auch dann bestimmt werden muss, wenn der Beklagte das Musterverfahren veranlasst hat. Die Durchführung des Musterverfahrens darf dann nicht in der Hand der Kläger liegen90. Ansonsten hat das OLG bei der Auswahl des Musterklägers die Höhe des Anspruchs, soweit er Gegenstand des Muster85 Kritik an der Zuständigkeit des OLG üben Duve/Pfitzner, BB 2005, 673 (677); Heß/ Michailidou, ZIP 2004, 1381 (1384); ebenso Keller/Kolling, Das Gesetz zur Einführung von Kapitalanleger-Musterverfahren – Ein Überblick, BKR 2005, 399 (403). 86 Anders Heß, ZIP 2005, 1713 (1715). 87 Begründung zum Entwurf des KapMuG, BT-Drs. 15/5091, S. 25; Zypries, ZRP 2004, 177 (179); Duve/Pfitzner, BB 2005, 673 (677 f.), sehen die Gefahr eines „race to the register“ keineswegs gebannt. 88 Diese Beschränkung ist geboten, da kein Kläger gezwungen werden kann, einen Rechtsstreit an einem anderen Gerichtsort als dem von ihm zulässig gewählten, aktiv in der Rolle des Musterklägers durchzuführen, so Begründung zum Entwurf des KapMuG, BT-Drs. 15/5091, S. 25. 89 In der Praxis wird der Musterkläger wohl aus den Verfahren bei dem vorlegenden Prozessgericht, deren Musterfeststellungsanträge im Klageregister bekannt gemacht worden sind, ausgewählt werden, da er vor der Bekanntmachung des Musterverfahrens bestimmt werden muss (der Musterkläger ist bei dieser Bekanntmachung zu benennen) und das OLG von den weiteren Verfahren erst nach deren Aussetzung, die nach der Bekanntmachung erfolgt, erfährt (§ 7 KapMuG). 90 Begründung zum Entwurf des KapMuG, BT-Drs. 15/5091, S. 25.
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verfahrens ist, und eine Verständigung der Kläger auf einen Musterkläger zu berücksichtigen (§ 8 Abs. 2 S. 2 KapMuG). Eine Rücknahme des Musterfeststellungsantrages hat auf die Stellung als Musterkläger oder Musterbeklagter keinen Einfluss (§ 11 Abs. 1 KapMuG), da die Bestimmung zum Musterkläger auch keinen Musterfeststellungsantrag voraussetzt. Nimmt der Musterkläger allerdings seine Klage in der Hauptsache zurück, muss ein neuer Musterkläger vom Gericht bestimmt werden. Dasselbe gilt, wenn der Musterkläger seine Verfügungsbefugnis durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über sein Vermögen oder durch die Anordnung einer Nachlassverwaltung oder durch den Eintritt der Nacherbfolge oder wenn er seine Prozessfähigkeit verliert oder der gesetzliche Vertreter wegfällt und der Prozessbevollmächtigte des Musterklägers die Aussetzung des Musterverfahrens beantragt (§ 11 Abs. 2 KapMuG). Dadurch könnte auch die Stellung des ursprünglichen Musterbeklagten entfallen91, wenn der neu bestimmte Musterkläger einen anderen verklagt hat. Dies sollte das Gericht bei der Auswahl des neuen Musterklägers berücksichtigen. Eine Auswahl eines Musterbeklagten findet nicht statt. Dessen Stellung ergibt sich daraus, dass er Beklagter im Hauptsacheverfahren des Musterklägers ist92. Richtet sich der Rechtsstreit des Musterklägers gegen mehrere Beklagte, erlangen diese auch im Musterverfahren die Stellung von Streitgenossen93. Zudem kommt die Streitverkündung durch den Musterbeklagten gegenüber Dritten, die nicht Beteiligte des Musterverfahrens sind, in Betracht94. c) Aussetzung gleichgerichteter Verfahren Nach Bekanntmachung des Musterverfahrens im Klageregister durch das OLG setzen die Prozessgerichte die bei ihnen anhängigen oder im Laufe des Musterverfahrens anhängig werdenden Verfahren, deren Entscheidung von den Feststellungen bzw. der Klärung der Rechtsfrage im Musterverfahren abhängt, von Amts wegen durch Beschluss aus, unabhängig davon, ob ein 91 Er hat dann nur noch die Stellung eines Beigeladenen, wenn er in einem anderen Verfahren als dem des Musterklägers Beklagter ist. Ein Musterbeklagter, der in mehreren Verfahren Beklagter ist, hat in dem Musterverfahren eine Doppelstellung, da er aufgrund des Aussetzungsbeschlusses in den anderen Verfahren auch Beigeladener ist. Diese Stellung geht aber in derjenigen des Musterbeklagten auf, lebt jedoch wieder auf, sobald er diese Stellung verliert. 92 Eine Verkürzung des rechtlichen Gehörs auf der Beklagtenseite ist entgegen Plaßmeier, NZG 2005, 609 (612), nicht zu befürchten, da mit der Aussetzung der Parallelverfahren auch die Beklagten die Stellung von Beigeladenen erlangen (§ 8 Abs. 3 S. 1, 2 KapMuG). 93 Begründung zum Entwurf des KapMuG, BT-Drs. 15/5091, S. 25. 94 So zutreffend Schneider, BB 2005, 2249 (2254).
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Musterfeststellungsantrag gestellt worden ist oder nicht95. Dies gilt im Hinblick auf § 1 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 KapMuG nicht, wenn die Sache bereits entscheidungsreif ist, es sei denn es geht um eine Rechtsfrage (vgl. § 1 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 KapMuG) oder der Rechtsstreit gelangt in die Rechtsmittelinstanz96. Das bedeutet, dass die Prozessgerichte regelmäßig Einsicht in das Klageregister nehmen müssen. Der Aussetzungsbeschluss ist entgegen § 252 ZPO nicht anfechtbar (§ 7 Abs. 1 S. 4 KapMuG). Damit soll vermieden werden, dass Teile der im Musterverfahren zu klärenden Fragen bereits im Rahmen der Anfechtung des Aussetzungsbeschlusses ohne Beteiligung der anderen Kläger behandelt werden97. Allerdings sind die Parteien vor der Aussetzung anzuhören, wenn sie nicht darauf verzichtet haben (§ 7 Abs. 1 S. 3 KapMuG). Anschließend hat das Prozessgericht das OLG von der Aussetzung und der für die anteilige Kostentragung entscheidenden Höhe des Anspruchs zu unterrichten (§ 7 Abs. 2 KapMuG). Der Aussetzungsbeschluss gilt automatisch als Beiladung der Kläger und Beklagten der übrigen ausgesetzten Verfahren im Musterverfahren (§ 8 Abs. 3 S. 2 KapMuG). Das Prozessgericht hat die Beigeladenen mit dem Aussetzungsbeschluss darüber zu informieren, dass sie anteilig die Kosten des Musterverfahrens als Kosten des Prozessverfahrens zu tragen haben, wenn sie nicht die Klage innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Aussetzungsbeschlusses zurücknehmen (vgl. § 17 S. 4 KapMuG). Nur innerhalb dieses kurzen Zeitraums können sie sich der Kosten, nicht aber der Breitenwirkung des Musterentscheids (vgl. § 16 Abs. 1 S. 4 KapMuG) entziehen. Der Beklagte kann jedoch die Klagerücknahme verhindern, wenn bereits im Hauptsacheprozess mündlich verhandelt worden ist und er seine Zustimmung zur Klagerücknahme gem. § 269 Abs. 1 ZPO verweigert. Hat ein Prozessgericht ein bei ihm anhängiges Verfahren nicht ausgesetzt, obwohl die Voraussetzungen des § 7 KapMuG vorlagen, kann dies nicht zum Nachteil des Klägers gereichen. Fraglich ist, wie dann zu verfahren ist98. Die Bindungswirkung erfasst jedenfalls lediglich die Beigeladenen (§ 16 Abs. 1 KapMuG). Es ist allenfalls eine Anwendung des § 411a ZPO möglich99.
95 Heß/Michailidou, ZIP 2004, 1381 (1383 Fn. 35), sehen darin eine Einschränkung der Parteiherrschaft. 96 Begründung zum Entwurf des KapMuG, BT-Drs. 15/5091, S. 25. 97 Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drs. 15/5695, S. 24. 98 Darauf weisen bereits BDI, DIHK, GDV in ihrer Stellungnahme zum Diskussionsentwurf v. 15. 6. 2004, http://www.bdi-online.de/, S. 10 hin. 99 Vgl. die Stellungnahme des Deutschen Aktieninstituts zum Referentenentwurf v. 3. 9. 2004, http://dai.de/internet/dai/dai-2-0.nsf/dai_publikationen.htm, S. 5.
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d) Rechtsstellung der Beigeladenen Die Kläger und Beklagten der ausgesetzten Verfahren erlangen durch die zwingende Beiladung die Stellung von einfachen, nicht von streitgenössischen100 Nebenintervenienten. Die Regelung in § 12 KapMuG entspricht derjenigen des § 67 ZPO. Damit wird der Anspruch jeden Klägers oder Beklagten auf rechtliches Gehör gesichert101. Der Beigeladene muss den Rechtsstreit in der Lage annehmen, in der er sich befindet, d.h. dass er an alle bisher vorgenommenen Prozesshandlungen als auch deren Versäumnisse und an bereits erlangte Zwischenergebnisse des Verfahrens, also allgemein an den Verfahrensstand gebunden ist. Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie sonstige Prozesshandlungen kann er vornehmen, solange sie nicht mit den Handlungen der Hauptpartei in Widerspruch stehen. Untätigkeit oder Unterlassungen des Musterklägers hindern ihn nicht. Er kann im Gegenteil einen Beschluss wegen der Säumnis des Musterklägers durch sein Erscheinen verhindern oder Einspruch gegen einen solchen Beschluss einlegen, allerdings nicht wenn der Musterkläger ausdrücklich oder konkludent seinen entgegenstehenden Willen zum Ausdruck gebracht hat102. Der Beigeladene kann sogar Rechtsmittel gegen den Musterentscheid einlegen, selbst wenn der Musterkläger darauf verzichtet hat (§ 15 Abs. 1 S. 4, Abs. 4 KapMuG). Eine Klagerücknahme von Beigeladenen hat auf das Musterverfahren keine Auswirkung (§ 11 Abs. 2 S. 3 KapMuG). e) Allgemeine Verfahrensregeln Gem. § 9 Abs. 1 S. 1 KapMuG gelten für das Musterverfahren im Grundsatz die Vorschriften für das erstinstanzliche Verfahren vor den Landgerichten (§§ 253 ff. ZPO) entsprechend, soweit nichts Abweichendes bestimmt ist. Eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits ist in der Regel ausgeschlossen, da gem. § 14 Abs. 3 S. 2 KapMuG ein vergleichsweiser Abschluss des Verfahrens nur mit Zustimmung von allen Beteiligten möglich ist. § 278 ZPO findet deshalb keine Anwendung. Eine Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter ist nicht möglich, §§ 348–350 ZPO sind nicht anwendbar, ebenso nicht § 379 ZPO, so dass die Durchführung eines Musterverfahrens nicht von einem Auslagenvorschuss abhängig gemacht werden kann (vgl. § 17 Abs. 4 S. 1 GKG). Dies ist ein wesentlicher Vorteil des Musterverfahrens sowohl für den Musterkläger als auch für den Musterbeklagten, da hier immens hohe Sachverständigenkosten anfallen können103. Eine Erleichte100 Zu den Gründen der Ablehnung einer streitgenössischen Nebenintervention Reuschle, WM 2004, 2334 (2338). 101 Zypries, ZRP 2004, 177 (178 f.). 102 Begründung zum Entwurf des KapMuG, BT-Drs. 15/5091, S. 28. 103 Vgl. ausführlich zu den Gründen für den Verzicht auf einen Auslagenvorschuss, BT-Drs. 15/5091, S. 26.
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rung für das OLG liegt zum einen darin, dass es die Beigeladenen in den Beschlüssen nicht bezeichnen muss und die Zustellung von Terminsladungen an Beigeladene durch die öffentliche Bekanntmachung im Klageregister ersetzt werden kann. Die Ladungsfrist beträgt vier Wochen (§ 9 Abs. 2 KapMuG). Auch die Beigeladenen müssen deshalb das Klageregister regelmäßig einsehen. § 9 Abs. 3 und 4 KapMuG enthalten Ermächtigungen für die Bundesregierung und die Landesregierungen zur Führung elektronischer Akten. Zur Vorbereitung des Termins können die Beigeladenen zur Ergänzung des Schriftsatzes des Musterklägers oder Musterbeklagten aufgefordert und es kann ihnen eine Frist zur Erklärung über bestimmte Streitpunkte gesetzt werden (§ 10 S. 1 KapMuG). Die Schriftsätze der Beigeladenen werden nur dem Musterkläger und dem Musterbeklagten mitgeteilt, nicht aber den anderen Beigeladenen, während Schriftsätze des Musterklägers bzw. Musterbeklagten auf schriftliche Beantragung hin den Beigeladenen mitgeteilt werden (§ 10 S. 2 und 3 KapMuG). f) Musterentscheid Das Musterverfahren endet nach mündlicher Verhandlung mit einem Musterentscheid des OLG durch Beschluss. Ist der Musterkläger oder der Musterbeklagte säumig, kann ein Säumnisbeschluss entsprechend §§ 330, 331 ZPO ergehen, es sei denn, dass ein Beigeladener erschienen ist. Ist ein Beigeladener jedoch nicht oder nicht ordnungsgemäß zu dem Termin geladen worden, steht dem Säumnisbeschluss § 335 Abs. 1 Nr. 2 ZPO entgegen, da dann der Musterkläger bzw. der Musterbeklagte ebenfalls nicht als ordnungsgemäß geladen gilt104. Eine Zustellung des Beschlusses, in dem die Beigeladenen nicht im Rubrum bezeichnet werden müssen, erfolgt lediglich an den Musterkläger und den Musterbeklagten (vgl. § 317 Abs. 1 S. 1 ZPO), den Beigeladenen wird er nur formlos mitgeteilt. Zustellung und Mitteilung können auch durch öffentliche Bekanntmachung im Klageregister ersetzt werden (§ 14 Abs. 1 S. 4 KapMuG). Dies hätte den Vorteil, dass alle Beteiligten gleichzeitig von dem Beschluss Kenntnis erlangen könnten. In Abweichung zu § 308 Abs. 2 ZPO enthält der Beschluss keine Entscheidung über die Kosten. Da die Kosten des Musterverfahrens als Teil der Kosten des ausgesetzten Hauptverfahrens behandelt werden, entscheidet darüber das jeweilige Prozessgericht (§ 14 Abs. 2 KapMuG). Andere Beendigungsmöglichkeiten des Musterverfahrens, insbesondere eine beiderseitige Erledigung gem. § 91a ZPO oder ein Verzicht gem. § 306 ZPO kommen nicht in Betracht (§ 14 Abs. 3 S. 1 KapMuG)105. Der Musterkläger soll nicht zu Lasten der Beigeladenen über das Musterverfahren disponieren können. Stimmen aller104 BT-Drs. 15/5091, S. 25 f. 105 Darin sieht Heß, WM 2004, 2329 (2330), eine Einschränkung der Dispositionsmaxime.
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dings alle Beteiligten einem Vergleich zu, ist ein vergleichsweiser Abschluss des Musterverfahrens möglich (§ 14 Abs. 3 S. 2 KapMuG). Wie diese Zustimmung allerdings zu erlangen ist, ist nicht geregelt106. In § 14 Abs. 3 S. 1 KapMuG wird zwar die Möglichkeit eines Verzichts gem. § 306 ZPO, nicht aber die Möglichkeit eines Anerkenntnisses gem. § 307 ZPO ausgeschlossen. Ob aber ein Verzicht bzw. ein Anerkenntnis107 in einem Zwischenverfahren wie dem Musterverfahren überhaupt in Betracht kommen kann, ist zweifelhaft. Das Feststellungsziel ist entweder auf die Klärung von Tatsachen oder von Rechtsfragen gerichtet. Ein Verzicht oder ein Anerkenntnis können sich jedoch nur auf den geltend gemachten prozessualen Anspruch beziehen, nicht aber auf diesem zugrunde liegende tatsächliche bzw. rechtliche Behauptungen. Hinsichtlich der Tatsachenbehauptungen besteht lediglich die Möglichkeit eines Geständnisses gem. § 288 ZPO. Da dieselben Erwägungen, die den Gesetzgeber zu einem Ausschluss des Verzichts108 veranlasst haben, auch für den Ausschluss des Geständnisses sprechen, ist ein Geständnis des Musterklägers auszuschließen, auch wenn § 288 ZPO nicht in § 9 Abs. 1 S. 2 KapMuG genannt wird109. Dasselbe gilt für den Musterbeklagten, es sei denn, dass auf seiner Seite keine weiteren Beigeladenen stehen. Nur im letzten Fall kann der Musterbeklagte z.B. die Unrichtigkeit des Börsenprospektes zugestehen mit der Folge, dass das OLG daran gebunden ist und eine dementsprechende Feststellung treffen muss. Bezüglich Rechtsfragen haben die Parteien keine Möglichkeit, die Entscheidung des Gerichts zu beeinflussen. Es käme lediglich die Rücknahme des Musterfeststellungsantrages durch den Musterkläger in Betracht, die aber auf das Musterverfahren keinen Einfluss hat (§ 11 Abs. 2 KapMuG). Verzicht und Anerkenntnis sind demnach nur in den einzelnen Hauptsacheverfahren möglich. 3. Rechtsbeschwerde Gegen den Musterentscheid ist die Rechtsbeschwerde zum BGH statthaft (§ 15 Abs. 1 S. 1 KapMuG i.V.m. § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Die gem. § 574 Abs. 2 ZPO für die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde erforderliche grundsätzliche Bedeutung wird gem. § 15 Abs. 1 S. 2 KapMuG vermutet. Diese Vermutung ist deshalb erforderlich, weil ansonsten eine Richtigkeitskontrolle durch den BGH in den Fällen nicht möglich wäre, in denen lediglich
106 Diese Frage stellt Schneider, BB 2005, 2249 (2255). 107 Heß/Michailidou, WM 2003, 2318 (2321 f.), scheinen von der Möglichkeit auszugehen und plädieren für einen Ausschluss des Anerkenntnisses. 108 Der Verzicht ist aber nach der hier vertretenen Meinung nicht möglich. 109 Auf einen Ausschluss eines Geständnisses auf der Klägerseite hat bereits der Zivilverfahrensausschuss des Deutschen Anwaltvereins, NZG 2005, 166 (170), hingewiesen.
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eine einfachrechtliche Verfahrensrüge vorgebracht werden kann, denn bei der Prüfung der Zulassung gem. § 574 Abs. 2 ZPO werden ansonsten nur Verstöße gegen grundrechtsgleiches Verfahrensrecht berücksichtigt110. a) Beschwerdeberechtigte Beschwerdeberechtigt sind alle Beteiligten des Musterverfahrens (§ 15 Abs. 1 S. 4 KapMuG), also der Musterkläger, der Musterbeklagte und die Beigeladenen (§ 8 Abs. 1 KapMuG). b) Frist für Einlegung der Beschwerde, Beitritt und Beitrittsbegründung Die Beschwerdefrist von einem Monat (§ 575 Abs. 1 ZPO) richtet sich für alle Beteiligten nach der Zustellung des Beschlusses an den Musterkläger bzw. Musterbeklagten, für den Fall der öffentlichen Bekanntmachung nach dieser. Innerhalb dieser Frist ist die Beschwerde auch zu begründen (§ 575 Abs. 2 ZPO). Die Beschwer kann von den Beigeladenen, wenn sie selbst Rechtsmittel einlegen, mithilfe ihres Aussetzungsbeschlusses belegt werden111, da der Musterentscheid ihnen nicht zugestellt worden ist. Wird innerhalb der Frist eine zulässige Beschwerde eingelegt, ist dies den Beigeladenen (§ 15 Abs. 2 S. 1 KapMuG), wenn sie nicht vom Musterkläger oder Musterbeklagten eingelegt wurde, auch diesen mitzuteilen (§ 15 Abs. 4 S. 2 KapMuG). Die Beigeladenen werden nicht automatisch Beteiligte des Rechtsbeschwerdeverfahrens, sondern können binnen einer Notfrist von einem Monat ab Zustellung dieser Mitteilung dem Beschwerdeverfahren durch Schriftsatz beitreten, der innerhalb dieser Frist auch begründet werden muss, und erlangen erst dadurch wieder die Stellung einfacher Nebenintervenienten (§ 15 Abs. 2 S. 6 KapMuG). Die Begründungsfrist kann entsprechend § 551 Abs. 2 S. 5 und 6 ZPO unter den dort genannten Voraussetzungen verlängert werden. Unabhängig davon, ob die Beigeladenen dem Rechtsbeschwerdeverfahren beitreten oder nicht, wirkt der Musterentscheid auch für und gegen sie (§ 16 Abs. 3 KapMuG)112.
110 Vgl. dazu die Begründung zum Entwurf BT-Drs. 15/5091, S. 29, unter Hinweis auf BGH, NJW 2003, 1943 (1946). 111 Begründung zum Entwurf, BT-Drs. 15/5091, S. 29. 112 Dies wird von Möllers/Weichert, NJW 2005, 2737 (2740), unter Verweis auf den Zivilverfahrensausschuss des Deutschen Anwaltsvereins, NZG 2005, 166 (171), als unbillig empfunden, weil diese ohne Kostenrisiko von einer positiven Entscheidung profitieren würden.
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c) Parteien des Rechtsbeschwerdeverfahrens Legt der Musterkläger Rechtsbeschwerde ein, so hat er auch die Stellung des Musterbeschwerdeführers inne. Nimmt er jedoch seine Rechtsbeschwerde zurück, bestimmt das Beschwerdegericht einen Musterrechtsbeschwerdeführer aus dem Kreis der beigetretenen Beigeladenen, wenn diese nicht ebenfalls auf die Fortführung der Rechtsbeschwerde verzichten (§ 15 Abs. 3 KapMuG). Legt der Musterkläger keine Rechtsbeschwerde ein, wird zum Musterrechtsbeschwerdeführer derjenige Beigeladene bestimmt, der als erster das Rechtsmittel eingelegt hat. Die Musterrechtsbeschwerde richtet sich, unabhängig davon, wer als Musterrechtsbeschwerdeführer auftritt, immer gegen den Musterbeklagten. Geht die Rechtsbeschwerde vom Musterbeklagten aus, so ist der Musterkläger der Musterrechtsbeschwerdegegner, der sich gem. § 574 Abs. 4 S. 1 ZPO der Rechtsbeschwerde des Musterbeklagten anschließen kann113. § 15 Abs. 5 S. 2 KapMuG gewährt das Anschließungsrecht ferner den Beigeladenen. Es besteht aber auch die Möglichkeit, dass nicht der Musterbeklagte, sondern einer oder mehrere der Beigeladenen auf der Seite des Musterbeklagten Rechtsbeschwerde gegen den Musterbescheid erheben (vgl. § 15 Abs. 1 S. 4 KapMuG). In diesem Fall muss das Rechtsbeschwerdegericht entsprechend § 15 Abs. 4 S. 1 KapMuG den Beigeladenen, der als erster die Rechtsbeschwerde erhoben hat, als Musterbeschwerdeführer bestimmen. Eine diesbezügliche Regelung fehlt114. d) Gegenstand und Prüfungsumfang der Rechtsbeschwerde Die Rechtsbeschwerde kann nicht darauf gestützt werden, dass die Voraussetzungen für ein Musterverfahren gem. § 4 Abs. 1 S. 1 KapMuG nicht vorlagen (§ 15 Abs. 1 S. 2 KapMuG). Es kann also weder gerügt werden, dass das vorlegende Prozessgericht gem. § 4 Abs. 1 Nr. 1 KapMuG nicht zuständig gewesen sei, noch, dass das Quorum für ein Musterverfahren nicht erreicht sei. Im Rechtsbeschwerdeverfahren können auch einfachrechtliche Verfahrensrügen vorgebracht werden. Das Musterverfahren soll den Umfang der Richtigkeitskontrolle nicht beschränken115. Allerdings wird den Beteiligten hinsichtlich des Gegenstands des Musterverfahrens eine zweite Tatsacheninstanz genommen. Tatsachen können im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht neu festgestellt werden. Es wird lediglich eine rechtliche Kontrolle durch113 A.A. Plaßmeier NZG 2005, 609 (613), der übersieht, dass § 574 Abs. 4 S. 1 ZPO auf den Musterrechtsbeschwerdegegner direkt Anwendung findet. 114 Darauf weist auch Plaßmeier, NZG 2005, 609 (613), hin. 115 Begründung zum Entwurf, BT-Drs. 15/5091, S. 29.
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geführt. Fehler bei der Tatsachenfeststellung können nur mit der Verfahrensrüge geltend gemacht werden, der BGH müsste dann bei Begründetheit der Verfahrensrüge den Rechtsstreit an das OLG zurückverweisen116. 4. Wirkung des Musterentscheids Bei den Wirkungen des Musterentscheides sind zu unterscheiden die innerprozessuale Bindungswirkung, die Rechtskraftwirkung und die Interventionswirkung. a) Innerprozessuale Bindungswirkung § 16 Abs. 1 S. 1 KapMuG ordnet eine innerprozessuale Bindungswirkung an. Danach bindet der Musterentscheid alle Prozessgerichte, deren Entscheidung von der im Musterverfahren getroffenen Feststellung oder der zu klärenden Rechtsfrage abhängt. Die Bindungswirkung entspricht derjenigen des § 318 ZPO, da es sich um eine Zwischenentscheidung im laufenden Verfahren handelt, jedoch mit der Besonderheit, dass nicht das Prozessgericht selbst, sondern das OLG die Entscheidung getroffen hat. b) Rechtskraftwirkung Da der Gesetzgeber eine innerprozessuale Bindungswirkung für die Anerkennung nach der EuGVVO als nicht ausreichend angesehen hat117, ist noch eine materielle Rechtskraftwirkung in Satz 2 statuiert worden118. Danach entfaltet der Musterentscheid insoweit Rechtskraftwirkung, als über den Streitgegenstand des Musterverfahrens entschieden worden ist, wobei der Streitgegenstand des Musterverfahrens nicht mit demjenigen des Verfahrens vor dem Prozessgericht identisch ist119. Damit soll sichergestellt werden, dass der Musterentscheid im Anwendungsbereich der EuGVVO anerkannt wird und umgekehrt ausländische Urteile, die den Feststellungen widersprechen, im Inland nicht anerkannt werden120. Die Anerkennung des Musterentscheids nach der EuGVVO erlangt für den Fall Bedeutung, dass ein im Anwendungsbereich der EuGVVO wohnender Kapitalanleger einen deut116 Heß/Michailidou, ZIP 2004, 1381 (1384). 117 A.A. Heß, WM 2004, 2329 (2332 m.w.N.), unter Hinweis auf Art. 65 Abs. 2 EuGVVO. 118 Begründung zum Entwurf, BT-Drs. 15/5091, S. 30. 119 Begründung zum Entwurf, BT-Drs. 15/5091, S. 30. 120 Schneider, BB 2005, 2249 (2256); Reuschle, WM 2004, 2334 (2342 f.); vgl. aber Heß, WM 2004, 2329 (2332), der die Regelung der Rechtskraft in § 16 KapMuG und § 325a ZPO für systematisch verfehlt hält, weil die Anerkennung der Interventionswirkung gem. Art. 65 Abs. 2 S. 2 EuGVVO problemlos erreicht werden könne.
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schen Emittenten in Deutschland verklagt und Beteiligter des Musterverfahrens wird, allerdings im Laufe des Musterverfahrens seine Klage zurücknimmt und diese erneut bei einem Gericht seines Heimatstaates gem. Art. 5 Nr. 3 EuGVVO erhebt121. Das angerufene Gericht müsste dann das Verfahren im Hinblick auf das in Deutschland anhängige Musterverfahren wegen der Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen gem. Art. 28 EuGVVO aussetzen122, denn der Musterentscheid entfaltet gem. § 16 Abs. 1 S. 4 KapMuG auch Wirkung gegenüber den Beigeladenen, die ihre Klage in der Hauptsache zurückgenommen haben. Aus dieser Begründung zum Entwurf kann jedoch nicht geschlossen werden, dass die Rechtskraft des Musterentscheids lediglich auf Verfahren im Anwendungsbereich der EuGVVO begrenzt wird. Die Rechtskraft bewirkt deshalb auch, dass über denselben Streitgegenstand kein erneutes Musterverfahren von den vom Musterverfahren erfassten Beteiligten durchgeführt werden kann. Es handelt sich dabei um eine negative Zulässigkeitsvoraussetzung für ein Musterverfahren über denselben Streitgegenstand (entgegenstehende Rechtskraftwirkung), während die Sperrwirkung des § 5 KapMuG, der für die gem. § 7 KapMuG auszusetzenden Verfahren die Einleitung eines weiteren Musterverfahrens für unzulässig erklärt, der entgegenstehenden Rechtshängigkeit vergleichbar ist123. Allerdings ergreift die Rechtskraft nur die am Verfahren Beteiligten. Deshalb steht einem nach Abschluss eines Musterverfahrens von einem nicht gem. § 8 KapMuG Beteiligten neu angestrengten Musterverfahren die Rechtskraft nicht entgegen124.
121 Vgl. den Beispielsfall von Reuschle, WM 2004, 2334 (2342). 122 Heß, WM 2004, 2329 (2332) geht sogar noch weiter und fordert eine umgehende Aussetzung des Prozesses gem. Art. 28 EuGVVO auch dann, wenn mehrere Geschädigte den deutschen Emittenten zeitgleich in Deutschland und z.B. in Frankreich verklagen und das Musterverfahren in Deutschland eingeleitet wird. Dies halte ich für zu weitgehend, denn die Bindungswirkung betrifft nur die Beigeladenen (§ 16 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 KapMuG), der Kläger des ausländischen Prozesses wird aber von § 8 Abs. 3 KapMuG nicht erfasst. 123 Siehe dazu oben II 1c ee. 124 BT-Drs. 15/5091, S. 49; Schneider, BB 2005, 2249 (2256), spricht von einer faktischen erga-omnes Wirkung, da ein Anleger, wenn er nicht während des Laufes des Musterverfahrens seine Klage erhebt, danach wegen des Ablaufs der kenntnisabhängigen Verjährungsfrist – das Musterverfahren wird wohl ein Jahr dauern, wegen der Bekanntmachung im Klageregister ist Kenntnis gegeben – keine Chance zur Durchsetzung seines Anspruchs mehr hat. Einem im Ausland errungenen Urteil gegen einen deutschen Emittenten wird die Anerkennung gem. § 328 Abs. 1 Nr. 1, § 32b ZPO versagt werden. Gegen den Zwang zur Klageerhebung und der damit verbundenen Kostenlast sprechen sich Braun/Rotter, Der Diskussionsentwurf zum KapMuG – Verbesserter Anlegerschutz?, BKR 2004, 296 (299), aus und schlagen stattdessen eine verjährungsunterbrechende Anspruchsanmeldung vor.
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Daneben tritt noch eine Rechtskraftwirkung inter partes, also zwischen dem Musterkläger und dem Musterbeklagten125. Allerdings erfolgt bezüglich des Hauptsacheverfahrens zwischen Musterkläger und Musterbeklagten dann keine Erstreckung der Rechtskraftwirkung auf die Feststellung der zugrunde liegenden Streitpunkte, da diese von der Rechtskraft nicht erfasst werden126. § 16 Abs. 1 S. 3 KapMuG spricht nur von Beigeladenen. Ebenso findet § 16 Abs. 1 S. 4 KapMuG nach dem Gesetzeswortlaut nur bei der Klagerücknahme eines Beigeladenen Anwendung, so dass der Musterkläger sich durch eine Klagerücknahme in der Hauptsache der Rechtskraftwirkung des Musterentscheids entziehen könnte. c) Interventionswirkung gegenüber den Beigeladenen Gegenüber den Beigeladenen entfaltet der Musterentscheid zu ihren Gunsten und zu ihren Lasten Bindungswirkung127 nach dem Vorbild der Interventionswirkung des § 68 ZPO128. Das bedeutet, dass die Bindungswirkung sich nicht nur auf die Entscheidung über den Streitgegenstand, sondern auch auf deren Richtigkeit, also auf alle für die Entscheidung erheblichen Tatsachenfeststellungen und ihre rechtliche Beurteilung erstreckt129. Dies gilt auch bezüglich der Streitpunkte, die vom Beigeladenen selbst nicht ausdrücklich geltend gemacht worden sind (§ 16 Abs. 1 S. 3 KapMuG)130. Darin ist kein Verstoß gegen den Beibringungsgrundsatz zu sehen131, da es für das Musterverfahren, das Teil des einzelnen Verfahrens ist, genügt, wenn gemeinsame Tatsachen oder Beweismittel nur von einem Kläger vorgebracht werden132. Deshalb kann das Musterverfahren einem Individualverfahren, das aufgrund der dort vorgetragenen Streitpunkte unbegründet gewesen wäre, aufgrund von anderen im Musterverfahren positiv entschiedenen Streitpunkten zum
125 Vgl. Heß, ZIP 2005, 1713 (1716 Fn. 66). 126 Es ist jedoch nicht einzusehen, dass die Musterparteien anders behandelt werden als die Beigeladenen. 127 A.A. wohl Schneider, BB 2005, 2249 (2256), der bezüglich der subjektiven Reichweite der Rechtskraft auch die Beigeladenen nennt und nur hinsichtlich der sachlichen Reichweite die Rechtskraftwirkung für die Beigeladenen ablehnt und von Bindungswirkung spricht. 128 Die h.M. lässt bei § 68 ZPO die Interventionswirkung jedoch nur zu Lasten des Streithelfers eintreten, Vollkommer in Zöller, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 68 Rz. 6 m.w.N. 129 Zur Interventionswirkung Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl. 2004, § 50 Rz. 61. 130 In der Begründung des Rechtsausschusses, BT-Drs. 15/5695, S. 25, der diese Erweiterung empfohlen hat, wird von Rechtskrafterstreckung auf alle Beteiligten gesprochen. 131 So aber die Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drs. 15/5091, S. 42. 132 Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drs. 15/5091, S. 49.
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Erfolg verhelfen133. Die Interventionswirkung tritt selbst dann ein, wenn der Beigeladene seine Klage in der Hauptsache zurückgenommen hat, für den Fall, dass er die Klage erneut erhebt. Der Beigeladene kann sich dadurch der Bindungswirkung nicht entziehen, allerdings der Kostentragung, wenn er innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Aussetzungsbeschlusses seine Klage zurück nimmt (§ 17 S. 4 KapMuG). Die Beigeladenen können deshalb in ihren Rechtsstreiten grundsätzlich nicht behaupten, die Hauptpartei habe das Musterverfahren mangelhaft geführt. Dies gilt jedoch nur soweit, als sie selbst Einfluss auf das Musterverfahren nehmen konnten. Waren sie durch das bereits fortgeschrittene Musterverfahren zur Zeit ihrer Beiladung oder durch Erklärungen oder Handlungen der Hauptpartei verhindert, Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend zu machen, oder wurden Angriffs- und Verteidigungsmittel, die ihnen unbekannt waren, von der Hauptpartei absichtlich oder durch grobes Verschulden nicht geltend gemacht, tritt die Beiladungswirkung nicht ein (§ 16 Abs. 2 KapMuG). Faktisch wird der Musterentscheid dennoch Wirkungen entfalten134. § 325a ZPO soll gewährleisten, dass die ausländischen Gerichte diese Wirkungen des Musterentscheids anerkennen135. Die Bindungswirkung erstreckt sich nicht auf erst nach rechtskräftigem Abschluss des Musterverfahrens anhängig gemachte Verfahren, deren Entscheidung von der im Musterverfahren getroffenen Feststellung abhängt136. Es ist allenfalls eine Anwendung des § 411a ZPO möglich137, der jedoch eine identische Beweisfrage voraussetzt138. Mit der Einreichung des rechtskräftigen Musterentscheids durch eine der Parteien wird das in der Hauptsache ausgesetzte Verfahren wieder aufgenommen (§ 16 Abs. 1 S. 5 KapMuG). § 18 KapMuG stellt noch einmal klar, dass die Bindungswirkung des Musterentscheids auch nicht mit Rechtsmitteln gegen das Urteil des Hauptverfahrens aufgehoben werden kann. Im Berufungsverfahren kann nicht geltend gemacht werden, dass das OLG für den Musterentscheid nicht zuständig gewesen sei oder die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 S. 1 KapMuG für einen Musterentscheid nicht vorgelegen hätten. 133 134 135 136
Vgl. dazu das Beispiel von Schneider, BB 2005, 2249 (2255). Heß, ZIP 2005, 1713 (1716). Begründung zum Entwurf, BT-Drs. 15/5091, S. 34. Dies ist vielmehr die einzige Möglichkeit, sich der Wirkung des Musterentscheids zu entziehen, vgl. Heß, WM 2004, 2329 (2331). Wegen der kurzen Verjährungsfrist kapitalmarktrechtlicher Ansprüche spricht er von einer faktischen Einlassungslast für alle Geschädigten im Hinblick auf das Musterverfahren. 137 Vgl. die Stellungnahme des Deutschen Aktieninstituts zum Referentenentwurf v. 3. 9. 2004, http://dai.de/internet/dai/dai-2-0.nsf/dai_publikationen.htm, S. 5. 138 Darauf wird auch in der Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drs. 15/5091, S. 48, hingewiesen.
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5. Kostenentscheidung a) Kosten des ersten Rechtszuges Die dem Musterkläger und den auf seiner Seite Beigeladenen erwachsenen Kosten des erstinstanzlichen Musterverfahrens gelten als Teil der Kosten des ersten Rechtszugs des jeweiligen Prozessverfahrens, unabhängig davon, ob die Beigeladenen am Musterverfahren mitgewirkt haben oder nicht (§ 17 S. 1 KapMuG). Dasselbe gilt für den Musterbeklagten und die auf seiner Seite Beigeladenen (§ 17 S. 2 KapMuG). Die Anteile sind ins Verhältnis zu setzen, das zwischen dem von dem jeweiligen Kläger geltend gemachten Anspruch, soweit er Gegenstand des Musterverfahrens ist, zu den gesamten von dem Musterkläger und den Beigeladenen in den Prozessverfahren geltend gemachten Ansprüchen, soweit diese Gegenstand des Musterverfahrens sind, besteht (§ 17 S. 3 KapMuG)139. Damit haften der Musterkläger und die Beigeladenen nur anteilig, nicht als Gesamtschuldner140. Dasselbe gilt für den Musterbeklagten und die auf seiner Seite Beigeladenen. § 17 S. 3 KapMuG gilt auch für die Beklagtenseite141. Die Kosten, die durch erfolglose Angriffsund Verteidigungsmittel entstanden sind, können der Partei auferlegt werden, die sie geltend gemacht hat, auch wenn sie in der Hauptsache obsiegt (§ 96 ZPO). Diese Vorschrift kommt insbesondere dann zum Tragen, wenn eine der Parteien im Musterverfahren unterliegt und im jeweiligen Hauptsacheprozess aus anderen Gründen obsiegt. Dann fallen ihr die Kosten des Musterverfahrens dennoch anteilig an142. Kosten des Musterverfahrens sind insbesondere die Anwaltskosten143, die bei Wahrung eines Termins anfallen, es sei denn, dass bereits im Hauptsacheverfahren eine Terminsgebühr entstanden ist. Diese Regelung wird insbesondere in Bezug auf die Anwaltskosten des Musterklägers zu Recht als ungerecht empfunden, da dem Anwalt des Musterklägers erheblich mehr Mühe und Aufwand entstehen als den Anwälten der Beigeladenen, und auch sein Haftungsrisiko erhöht wird144. Trotz heftiger Kritik im Gesetzgebungs-
139 Plaßmeier, NZG 2005, 609 (613), sieht bei der Berechnung der Kostenanteile Schwierigkeiten. Dem ist wohl damit abzuhelfen, dass das OLG, das wegen § 7 Abs. 2 KapMuG allein den Überblick über die Höhe der gesamten im Musterverfahren geltend gemachten Ansprüche hat, diese den Prozessgerichten mitteilen muss. 140 Begründung zum Entwurf, BT-Drs. 15/5091, S. 32. 141 Dies sieht Schneider, BB 2005, 2249 (2257), anders und schlägt deshalb eine Haftung nach Kopfteilen analog § 101 Abs. 2, § 100 Abs. 1 ZPO vor und schließt auch eine gesamtschuldnerische Haftung nicht aus. 142 Begründung zum Entwurf, BT-Drs. 15/5091, S. 32. 143 Zu den kostenrechtlichen Änderungen vgl. Mock, KapMuG: Kostenrecht erneut geändert, RVG-Berater 2005, 172 ff. 144 Zur Kritik Braun/Rotter, BKR 2004, 296 (300 f.); Heß, ZIP 2005, 1713 (1719); Möllers/Weichert, NJW 2005, 2737 (2740); Schneider, BB 2005, 2249 (2258).
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verfahren ist es bei dieser Regelung geblieben. Gesonderte Gerichtsgebühren für das Musterverfahren werden nicht erhoben, da dieses als Teil des erstinstanzlichen Verfahrens angesehen wird. Die gerichtlichen Auslagen, wie z.B. die Sachverständigenvergütung werden nach Nr. 9019 GKG-KV den erstinstanzlichen Hauptsacheverfahren zugewiesen. b) Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens Dagegen wird im Rechtsbeschwerdeverfahren eine Kostenentscheidung getroffen. Die Kosten eines erfolglosen Rechtsbeschwerdeverfahrens des Musterklägers oder eines Beigeladenen werden nach dem Grad ihrer Beteiligung nur auf den Musterrechtsbeschwerdeführer und die dem Rechtsbeschwerdeverfahren beigetretenen Beigeladenen verteilt (§ 19 Abs. 1 KapMuG). Die Kosten einer vom Musterbeklagten oder einem auf seiner Seite Beigeladenen erfolgreich eingelegten Rechtsbeschwerde haben wiederum der Musterkläger und alle auf seiner Seite Beigeladenen nach dem Grad ihrer Beteiligung im erstinstanzlichen Musterverfahren zu tragen (§ 19 Abs. 2 KapMuG). § 92 ZPO findet bei teilweisem Obsiegen und Unterliegen entsprechende Anwendung. Bei einer Aufhebung des Musterbescheides und Zurückverweisung der Sache an das OLG zur erneuten Entscheidung trifft das OLG die Kostenentscheidung bezüglich des Rechtsbeschwerdeverfahrens nach billigem Ermessen (§ 19 Abs. 4 KapMuG).
III. Fazit Mit dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz wurde Neuland betreten. Dadurch kam es zu einigen Ungereimtheiten, die es noch zu beseitigen gilt. Die Entwurfsfassung hatte, obwohl sie dem Beklagten auch das Recht zur Stellung eines Musterfeststellungsantrages zubilligte, in vielen Fällen nur die Kläger, nicht jedoch die Beklagten berücksichtigt. Der Rechtsausschuss war zwar bemüht, auch die Beklagtenseite in das Gesetz einzubringen, übersah aber dennoch einige Stellen. Auch das Zusammenspiel von der Sperrwirkung des Vorlagebeschlusses für weitere Musterverfahren (§ 5 KapMuG) und der Möglichkeit der Erweiterung des Gegenstandes des Musterverfahrens (§ 13 KapMuG) funktioniert nach der Gesetzesfassung nicht mehr, nachdem auf Empfehlung des Rechtsausschusses eher unbeabsichtigt eine Beschränkung der Erweiterungsmöglichkeiten auf Streitpunkte im Rahmen des Feststellungszieles vorgenommen wurde. Damit können weitere Feststellungsziele nicht mehr Gegenstand des laufenden Musterverfahrens werden. Dies widerspricht dem in der Entwurfsbegründung zum Ausdruck gebrachten Gedanken der Konzentration auf möglichst ein Musterverfahren. Nicht gelungen ist auch die Vermengung von innerprozessualer Bindungs-, 150
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Rechtskraft- und Interventionswirkung, die zu einer Rechtsunsicherheit145 führt. Ob das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz trotz der aufgezeigten Probleme die angestrebten Ziele erfüllen wird146, bleibt abzuwarten. Das TelekomVerfahren wird jedenfalls der Prüfstein für die Praxistauglichkeit dieses Gesetzes sein.
145 Vgl. auch Heß, WM 2004, 2329 (2332). 146 Dazu BT-Drs. 15/5091, S. 1, 16 f. (ordnungspolitische Wirkung, effektiver Rechtsschutz, Justizentlastung, Standort Deutschland).
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Erledigungserklärung und Klagerücknahme nach Erledigung der Hauptsache Immerwährende Reformgegenstände des ZPO-Gesetzgebers
Inhaltsübersicht I. Die vom Gesetzgeber vernachlässigte Erledigung der Hauptsache II. Die heutige Regelung der beiderseitigen Erklärung (§ 91a ZPO) III. Die heutige Regelung der einseitigen Erledigungserklärung 1. Das Fehlen einer ausdrücklichen Grundvorschrift 2. Die Klagerücknahme bei „Wegfall des Klageanlasses“ vor Rechtshängigkeit 3. Änderungen durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz IV. Versuch einer gesetzlichen Regelung V. Praxishinweise 1. Form der Erledigungserklärung und des Beklagtenwiderspruchs
2. Vorteile und Gefahren der neuen Fiktion einer Einwilligung des Beklagten 3. Erledigungserklärung auch des Beklagten 4. Kostenfragen 5. Erledigungserklärung ex nunc 6. Zeitpunkt der Erledigung bei beiderseitiger Erklärung 7. Zeitpunkt der Erledigung bei einseitiger Erklärung 8. Die Umdeutung der privilegierten Klagerücknahme in eine beiderseitige Erledigungserklärung 9. Die Beschwerde gegen die Kostenermessensentscheidung VI. Schluss und Zusammenfassung
Max Vollkommer kommentiert im „Zöller“ seit langem1 auch § 91a ZPO. Seine Erläuterungen der beiderseitigen und der einseitigen Erklärung der Erledigung der Hauptsache haben die wissenschaftliche Diskussion dieses Prozessinstituts genauso belebt wie die Praxis beeinflusst. In herzlicher Verbundenheit mit Max Vollkommer und in Dankbarkeit für eine jahrzehntelange Freundschaft versucht der folgende Beitrag, die beständige Vernachlässigung dieses wichtigen Prozessinstituts durch den Gesetzgeber und die immer noch bestehenden gesetzlichen Mängel aufzuzeigen.
1 Max Vollkommer in Zöller, ZPO, seit der 12. Aufl. 1979, nachdem er in das Autorenteam bereits bei der 11. Aufl. 1974 eingetreten war; nunmehr 25. Aufl. 2005.
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I. Die vom Gesetzgeber vernachlässigte Erledigung der Hauptsache Trotz partieller Reformen – auch in den letzten Jahren – sind wesentliche Bereiche der Erklärung der Erledigung der Hauptsache und der Klagerücknahme wegen Wegfalls des Anlasses zur Klage in der ZPO nicht geregelt. Wie der Gesetzesvorschlag gegen Ende dieses Beitrags zeigt, bereitet eine gesetzliche Regelung dieser letztlich einheitlichen Materie jedoch keine Schwierigkeiten. 1. Das Fehlen einer Regelung in der CPO von 1877 Das bis heute vorhandene legislatorische Defizit2 bei der Erledigung der Hauptsache beruht mit Sicherheit auf dem Schweigen der Civilprozeßordnung für das Deutsche Reich vom 30. Januar 18773. Sie enthielt keine Regelung über die Erledigung der Hauptsache4. Im Schrifttum wurde dies zwar als Mangel erkannt5 und eine gesetzliche Regelung gefordert6. Gleichwohl 2 Vgl. z.B. Assmann, Die einseitige Erledigungserklärung, in Erlanger FS Karl Heinz Schwab, 1990, S. 179: „da der Gesetzgeber dem Ruf nach einer gesetzlichen Regelung nicht nachgekommen ist“, ähnlich S. 205; Vogeno, Die einseitige Erledigungserklärung im Zivilprozeß, 1996, S. 69 ff. betont ebenfalls die „Untätigkeit des Gesetzgebers“. Hingegen „drängt sich“ für Becker-Eberhard, Die Entwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Erledigung der Hauptsache im Zivilprozeß, in Festgabe 50 Jahre BGH, Band III, 2000, S. 273 (306) der Ruf nach dem Gesetzgeber „heute nicht mehr in dem Maße auf“ wie früher. Dies sagte Becker-Eberhard allerdings, bevor es zu den unten sub III.2 und 3 geschilderten Gesetzesänderungen kam. Zu ihnen inzwischen Becker-Eberhard, § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO – Die Neueröffnung der Debatte um die richtige Behandlung der einseitigen Erledigungserklärung, in FS Walter Gerhardt, 2004, S. 25 (z.B. S. 51). Gänzlich gegen einen Ruf nach dem Gesetzgeber ist Gerhard Lüke, Zur Erledigung der Hauptsache, in FS Friedrich Weber, 1975, S. 323 (335). 3 RGBl. 1877, 83. 4 Zur Rechtslage vor Inkrafttreten der CPO näher Göppinger, Die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache, 1958, S. 17 ff. (das Werk von Göppinger ist immer noch grundlegend); ferner Smid, Verfahren und Kriterien der Kostenentscheidung nach § 91a ZPO, ZZP 97 (1984) 245 (250 ff.) und El-Gayar, Die einseitige Erledigungserklärung des Klägers im Zivil-, Arbeits- und Verwaltungsprozeß, 1998, S. 13 ff. 5 In seinem Aufsatz „Die Erledigung des Klageanspruchs während des Prozesses“, ZZP 19 (1894) 262, schildert z.B. Gerson lebendig, wie in einem Prozess die Erledigung der Hauptsache erklärt wurde. Jetzt kommt es auf den Richter an: Doch „der Richter findet in den Materialien und Kommentaren zur Civilprozessordnung keine eingehende Auskunft.“ Sicher aus derselben Erkenntnis hatte Landsberg, Zwischen Einreichung und Zustellung der Klage, Gruchot 36 (1892) 236 (247) zwei Jahre zuvor vorgeschlagen, § 89 CPO (jetzt § 93 ZPO) zu ergänzen: „Hat der Beklagte durch sein Verhalten zur Erhebung der Klage Veranlassung gegeben, so fallen ihm die Prozeßkosten zur Last, wenn der Kläger den Anspruch sofort zurückzieht.“ 6 von Lang, Die wesentlichsten Mängel der Deutschen Reichs-Civil-Prozeß-Ordnung, 1894, S. 28 f.: „Auch für den Fall, wenn eine Klage nach ihrer Erhebung gegenstands-
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nahm sich die Novelle 18987 (BGB-Novelle genannt) nicht der Materie an, was insofern verständlich ist, als diese Reform von der Anpassung an das Inkrafttreten des BGB geprägt war und nicht vorrangig Mängel der CPO beseitigen wollte8. Immerhin benutzte nunmehr das Gesetz den Begriff der „Erledigung der Hauptsache“, um damit auszudrücken, dass ein Rechtsstreit durchaus noch – allerdings nur bezüglich der Prozesskosten – weiter anhängig bleibt, obwohl er sich in der Hauptsache erledigt hat9. So fand sich der Begriff im neuen zweiten Absatz des § 9910 und im neuen § 62811 ZPO, heute sind dies mit kleinen Änderungen § 99 Abs. 2 S. 1 und § 619 ZPO. Die Erledigung der Hauptsache ist daher weniger als die Erledigung des Rechtsstreits, die den gesamten Prozess betrifft (vgl. § 272 Abs. 1 ZPO12). 2. Die gesetzgeberische Untätigkeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts In den ersten drei Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts hielten die Rufe nach einer gesetzlichen Regelung der Erledigung der Hauptsache an. Mit unterschiedlichen Akzenten äußerten sich z.B. Jacobi13, Lazarus14, Ge-
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los wird“ ... „fehlt es an einer positiven Bestimmung, wer in diesem Falle“ ... „die Kosten zu tragen habe?“ ... „ist wünschenswert, daß dies auch positiv, im Gesetze selbst, ausgesprochen werde.“ Gesetz betreffend Änderungen der ZPO, RGBl. 1898, 256; Bekanntmachung der ZPO, RGBl. 1898, 410. Vgl. „Einleitung“ der Begründung der Entwürfe zur Änderung des GVG, der StPO und der CPO, bei Hahn/Mugdan, Die gesammten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, 8. Band, 1898, S. 78. de Boor, Zur Lehre vom Parteiwechsel und vom Parteibegriff, 1941, S. 119. Für diese Begriffsbildung heute noch z.B. Prütting/Weser, Die Erledigung des Rechtsstreits: nicht nur ein Kostenproblem, ZZP 116 (2003) 267 (270). Die Begründung nennt als Fall einer isolierten Kostenentscheidung u.a. die „durch nachträgliche Befriedigung des Klägers“ eingetretene Situation (Begründung [Fn. 8], S. 87). Der Begründung ist nicht zu entnehmen, auf welchem prozessualen Weg die Hauptsache zur Erledigung gekommen ist. Das entsprach der Praxis des Reichsgerichts, das in seinen ersten Judikaten ebenfalls nicht erkennen ließ, wie es bei einer Hauptsacheerledigung zur „Entbehrlichkeit einer Hauptsacheentscheidung kommt“ (Becker-Eberhard in BGH-Festgabe [Fn. 2], S. 274). Hier ist die Erledigung der Hauptsache klar: Stirbt ein Ehegatte, „so fällt damit das Rechtsverhältniß, das die Grundlage und den Gegenstand des Streites bildet, weg.“ (Begründung [Fn. 8], S. 123). Ferner: §§ 148, 296 Abs. 1 und 2, § 305a Abs. 1 S. 1, § 321 Abs. 4, §§ 443, 615, 621d S. 1, vgl. z.B. auch § 154 Abs. 1 [Erledigung des „Streits“], § 349 Abs. 1 S. 1 [Erledigung der „Sache“], § 431 Abs. 2 [Erledigung der „Klage“], § 571 Abs. 3 S. 2 ZPO [Erledigung des „Verfahrens“]. In der von Soergel in der Zeitschrift „Das Recht“ 1907, Sp. 1296 eingeführten Rubrik „Bausteine zur Gesetzesreform“, Sp. 1441 (1443: Vorschlag für einen zweiten Absatz des § 93 ZPO bei Erledigung der Klage nach Eingang und vor Rechtshängigkeit) – offenbar dem Vorschlag von Landsberg (Fn. 5) nachgebildet. Die Erledigung der Hauptsache im Zivilprozesse, Gruchot 52 (1908) 593 (608 f. § 11 de lege ferenda).
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org Emil Meyer15, Riedinger16 und Striemer17. Daneben erörterten vor allem zahlreiche Zeitschriftenaufsätze und Entscheidungsrezensionen die prozessualen Probleme der Erledigung der Hauptsache18; die Rechtsprechung zeigte ein verwirrendes Bild von Lösungen19. Besonders die Rechtspraxis stand immer wieder vor Schwierigkeiten20. Doch keine der nicht wenigen Reformnovellen21 dieser Zeit rührte die Materie an und griff die Vorschläge auf. Vor allem die bedeutende Verordnung über das Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vom 13. 2. 192422 (nach dem damaligen Reichsjustizminister Emminger-Verordnung genannt), die erhebliche Änderungen der ZPO enthielt, schwieg hierzu. 3. Die Regelung der einseitigen Erklärung im Mieterschutzgesetz seit 1926 Die erste reichsrechtliche Regelung brachte die Mieterschutzgesetzgebung23. Das gegenwärtige Schrifttum übersieht dies fast immer24. Bereits die Begrün15 Anm. JW 1929, 873 zu OLG Nürnberg ebenda Nr. 14: „Prozessual bestätigt das Urteil die tägliche Erfahrung, daß die sog. Erledigterklärung eine Quelle beständigen Streits ist, so daß für die künftige ZPO eine gesetzliche Regelung gefordert werden muß.“ 16 Kostenentscheidung bei Anerkenntnis und Erledigung der Hauptsache, JW 1933, 1750 sub I.: „Ein Kreuz für alle Beteiligten“ sowie sub III.: „Auch unsere Streitfrage und ihre große praktische Bedeutung waren dem Gesetzgeber bekannt. Trotzdem hat er es nicht für nötig gehalten, sie durch einen kurzen Zusatz zu § 93 zu klären.“ ... „eine gesetzliche Regelung“ ... „dringend erwünscht.“ 17 Anm. JW 1927, 2130 (2131) zu RG ebenda Nr. 29 sub III. 18 Z.B. Salinger, Die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache, Gruchot 47 (1903) 81 ff.; vgl. die Rubrik „Zeitschriftenaufsätze und Anmerkungen zu Entscheidungen“ bei Göppinger (Fn. 4), S. XVI bis XX. 19 Z.B. OLG Köln JW 1929, 3258 Nr. 11 mit zutr. Anm. Hein ebenda sowie die in Fn. 17 und 15 genannten Entscheidungen des RG und des OLG Nürnberg. 20 Salinger, Gruchot 47 (1903) 81: „Wie wohl in der Civilprozeßordnung von der Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache nur an einer Stelle, nämlich im § 628, die Rede ist,“ ... „so spielt diese Erledigung im Civilprozeßverfahren doch eine erhebliche Rolle. Sie bietet der Praxis nicht selten Schwierigkeiten und zwar einmal darum, weil die Frage, wann ein Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt zu erachten ist, nicht frei von Zweifeln ist, dann aber auch deshalb, weil die Natur und die Folge einer bezüglichen Parteierklärung oftmals zu Bedenken Anlaß gibt.“ Über eine Analogie zu dem soeben zitierten § 628 (heute § 619) ZPO beantwortete allerdings Gürten, Die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache ohne Urteil mit besonderer Berücksichtigung der Prozeßkostenpflicht, 1914, S. 8 ff., sämtliche Probleme der Erledigung der Hauptsache. 21 Näher Schumann in Stein/Jonas, ZPO, 20. Aufl., 1980, Einl. Rz. 114 ff. 22 RGBl. 1924 I, 135; Neubekanntmachung der ZPO, RGBl. 1924 I, 437. 23 Seit der Bekanntmachung zum Schutze der Mieter vom 26. 7. 1917, RGBl. 659 waren die Mieteinigungsämter befugt, auf Antrag des Mieters (vor allem) Kündigungen des Vermieters für unwirksam zu erklären. Wegen der Missstände auf diesem Gebiet übertrug das Gesetz über Mieterschutz und Mieteinigungsämter
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dung zum MSchG 1923 sprach die Situation an, dass ein Vermieter gegen den Mieter wegen dessen Zahlungsverzugs auf Aufhebung des Mietverhältnisses geklagt hatte und der Mieter während des Prozesses zahlt oder aufrechnet. Dann „erledigt sich“ ... „der Rechtsstreit in der Hauptsache; die Prozesskosten muss der Mieter tragen, da er, wenn die Erledigung nicht eingetreten wäre, in dem Rechtsstreit unterlegen sein würde“25. Die Erwartungen des Gesetzgebers, die Gerichte würden dementsprechend judizieren, erfüllten sich nicht. Ein Änderungsgesetz26 fügte deshalb – „zur Vermeidung von Zweifeln“27 – dem § 3 Abs. 3 MSchG einen zweiten Satz an: „Beantragt in diesen Fällen28 der Vermieter alsbald, den Rechtsstreit für erledigt zu erklären, so hat der Mieter die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.“29
Mit diesem Wortlaut30 galt die Vorschrift bis zur Aufhebung des MSchG in den Sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts31. Die zeitgenössische zivilprozessuale Literatur hat die Regelung nicht weiter beachtet32. Wahrscheinlich sah sie in ihr nur eine vorübergehende Norm des Wohnungsnotrechts, ohne zu erkennen, dass sie die erste gesetzliche Regelung der einseitigen Erledigungserklärung war. In seiner Kommentierung des MSchG
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vom 1. 6. 1923, RGBl. I, 353, die Aufgaben des Mieterschutzes der Ziviljustiz (hierzu die rechtsstaatlichen Aussagen in der Begründung zu dem Gesetz, Aktenstück 4185, Verh.-RT, I. WP, Anlagen StenBer., Bd. 372 [1924], S. 4521 [4531]; vgl. auch Emmerich in Staudinger, BGB, Neubearb. 2003, Rz. 1–10 vor § 535). Z.B. El-Gayar (Fn. 4), S. 18 bei Fn. 121. Anders zutr. Shen, Die Erledigung der Hauptsache als verfahrensrechtliches Institut zwischen Dispositionsmaxime und Kostenrecht, 2000, S. 13 Fn. 24: Damals sei die Erledigung der Hauptsache „eigentlich für den Mietaufhebungsprozess erstmals gesetzlich geregelt“ worden. Begründung (Fn. 23), S. 4537. Gesetz zur Abänderung des MSchG, RGBl. 1926 I, 317, Art. I Nr. 2d. Begründung, Verh.-RT, III. WP, Anlagen StenBer., Bd. 405 [1926], Nr. 1610, S. 5 (re. Sp.). Zahlung oder Aufrechnung des Mieters. Hierzu auch Göppinger (Fn. 4), S. 8, 13, 214 f., 219 [Fn. 22], 225 sowie Westermeier, Die Erledigung der Hauptsache im deutschen Verfahrensrecht, 2005, S. 19, 110 f. Sie weisen auf § 11 MSchG hin, der eine andere Art von Erledigungsentscheidungen betraf. Durch einen neuen zweiten Satz zeitweise zu Satz 3 geworden, vgl. Gesetz zur Änderung des MSchG, RGBl. 1928 I, 17 (19 sub 2). Z.B. Hermann Roquette: MSchG, 1956, § 3 Rz. 59; Emmerich (Fn. 23), Rz. 8 ff. vor § 535; vgl. Art. III Nr. 5 Gesetz über den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft und über ein soziales Miet- und Wohnrecht vom 23. 6. 1960, BGBl. I, 389 (396); Art. II Nr. 3, Art. III § 3 Abs. 2 Erstes Gesetz zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften vom 29. 7. 1963, BGBl. I, 505 (506 f.); Art. III Nr. 1, Art. IV § 7 Abs. 2 Zweites Gesetz zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften vom 17. 7. 1964, BGBl. I, 457 (461 f.). Z.B. Köst, Die Erledigung der Hauptsache, 1939; Seuffert/Walsmann, ZPO, 12. Aufl. 1932, § 91 Anm. 4; Sydow/Busch/Kantz/Triebel, ZPO, 22. Aufl. 1941, § 91 Anm. 1b.
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stellte dann Karl August Bettermann33 die Zusammenhänge zum Zivilprozessrecht her und begriff § 3 Abs. 3 S. 2 MSchG als Norm über die einseitige Erledigungserklärung; sie griff ein, falls mangels Zustimmung des Beklagten (des Mieters) eine beiderseitige Erledigungserklärung der Hauptsache nicht vorlag34. Für Bettermann war § 3 Abs. 3 S. 2 MSchG „nichts Neues oder Besonderes“; er „stellt nur die aus dem allgemeinen Prozessrecht sich ergebenden Rechtsfolgen dar“35. Tatsächlich kodifizierte § 3 Abs. 3 S. 2 MSchG die heute noch vorherrschende Trias der einseitigen Erledigungserklärung: Klageantrag des Klägers, Urteil auf Feststellung der Erledigung der Hauptsache sowie Kostentragung des Beklagten nach § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO36. 4. Der Reformentwurf von 1931 und die Novelle 1933 Im Wissen um die Regelung des § 3 Abs. 3 S. 2 MSchG wird der historische Betrachter erwarten, dass der Reformentwurf von 193137 die Gelegenheit genutzt hat, die partikulare Norm als Vorschrift in das allgemeine Zivilprozessrecht zu übernehmen. Doch der E 1931 erfüllt eine solche Erwartung leider nicht. Kein Geringerer als James Goldschmidt kritisierte dies deutlich38, ohne allerdings auf die bereits vorhandene Norm des § 3 Abs. 3 S. 2 MSchG hinzuweisen. Immerhin nahm der E 1931 dasselbe Thema auf, mit dem sich bereits Landsberg und Jacobi39 beschäftigt hatten (ohne sie allerdings zu erwähnen), und verankerte im § 9640 eine Kostenpflicht des Beklagten bei Erledigung vor Rechtshängigkeit. Die Begründung sprach von einer „einfachen, leicht zu handhabenden Regelung“41.
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Kommentar zum MSchG, 1950, § 3 Rz. 308 ff. Bettermann (Fn. 33) § 3 Rz. 309. Bettermann (Fn. 33) § 3 Rz. 309 a.E. Vgl. z.B. Pohle in Stein/Jonas, ZPO, 18. Aufl., 1. Nachtrag, 1958, § 91a Anm. I 1, § 268 Anm. VI. 2; zur heutigen Rechtslage z.B. Vollkommer in Zöller, § 91a Rz. 34, 47. Entwurf einer Zivilprozessordnung, veröffentlicht durch das Reichsjustizministerium, 1931. Der Entwurf einer Zivilprozessordnung, JW 1931, 2444 (2448 sub II. 3c): „Schon im vorhergehenden war Gelegenheit hervorzuheben, daß viele Streitfragen nicht entschieden sind. Ich erwähne noch:“ ... „Wie steht es mit der Kostenpflicht bei Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache?“ Auch Riedinger (Fn. 16 [sub III.), kritisiert den Entwurf. Vgl. oben Fn. 5 und 13. „Hat der Beklagte den Kläger vor Zustellung der Klage befriedigt, so sind ihm auf Antrag des Klägers gleichwohl unbeschadet der Vorschrift des § 94 Abs. 2 die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen, wenn er durch Leistungsverzug die Einreichung der Klageschrift veranlaßt hat.“ Der zitierte § 94 Abs. 2 E 1931 legt bei unzureichender Klageschrift die Kosten dem Kläger auf. Erläuterungen zum Entwurf einer neuen deutschen Zivilprozessordnung, Entwurf (Fn. 37), S. 294.
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Da das Reichsjustizministerium in diesem Reformentwurf untätig blieb, kann man schwerlich erwarten, es habe im Entwurf zur Novelle 1933 seine Meinung geändert. So sucht man im Gesetz zur Änderung des Verfahrens in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vom 27. Oktober 193342 und demzufolge in der Bekanntmachung der Neufassung der ZPO vom 8. November 193343 vergeblich nach einer Regelung der Erledigung der Hauptsache. Erstaunlich ist vor allem, dass das Gesetz weder § 3 Abs. 3 S. 2 MSchG auf das gesamte Zivilprozessrecht erstreckte, noch den Vorschlag des § 96 E 1931 aufgriff, dessen Praktikabilität außer Zweifel stand. 5. Erstmalige Regelung der beiderseitigen Erledigungserklärung in der 3. VereinfV Fast ein Jahrzehnt war wiederum vergangen, als wenigstens die beiderseitige (übereinstimmende) Erklärung der Erledigung der Hauptsache im deutschen Zivilprozessrecht geregelt wurde. Allerdings fand sie (noch) nicht Eingang in den Text der ZPO. § 4 Abs. 1 der Dritten Vereinfachungsverordnung vom 16. 5. 194244 sah vor45: „1Haben die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, so entscheidet das Gericht über die Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen. 2Die Entscheidung ergeht durch Beschluß und ist unanfechtbar.“46
Wie die Dritte Vereinfachungsverordnung zu Beginn angibt, erging sie „auf Grund“ des wenige Monate vorher verkündeten „Erlasses des Führers über die Vereinfachung der Rechtspflege“47. Unter dem Deckmantel des Begriffes 42 RGBl. 1933 I, 780. 43 RGBl. 1933 I, 821. 44 Verordnung zur weiteren Vereinfachung der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege und des Kostenrechts (3. VereinfV), RGBl. 1942 I, 333. – Für das österreichische Zivilprozessrecht sah § 12 Abs. 2 der 3. VereinfV vor, daß § 4 Abs. 1 „entsprechend anzuwenden“ ist, „wenn das Klagebegehren auf den Kostenersatz eingeschränkt wird“, hierzu Stagel, Vereinfachungen im Zivilprozeß. Zur 3. VereinfV, DJ 1942, 354. 45 Hierzu Jonas, Die Dritte Vereinfachungsverordnung vom 16. Mai 1942 (RGBl. I, 333), DR 1942, 997 (1002 f.); Staud, Vereinfachungen im Zivilprozeß. Zur 3. VereinfachungsV, DJ 1942, 351 f.; Jonas/Pohle, ZPO, 16. Aufl., 4. Nachtrag zu § 91 II und III, 1943; vgl. auch Smid (Fn. 4) ZZP 97 (1984) 266 ff. 46 Die offizielle rechtspolitische Diskussion der Jahre 1933 bis 1945 thematisierte die Erledigung der Hauptsache nicht. Der Ausschuss für bürgerliche Rechtspflege der Akademie für Deutsches Recht beschäftigte sich erst nach Erlass der 3. VereinfV kurz mit ihr („Darf bei dem billigen Ermessen berücksichtigt werden, daß es sich in heutiger Zeit um eine entbehrliche Klage gehandelt habe?“), Sitzung vom 1. Oktober 1942 vormittags, vgl. Schubert, Zivilprozeß und Gerichtsverfassung. Ausschüsse der Akademie für Deutsches Recht und „Ämter“ des Reichsjustizministeriums von 1934–1944, 1997, S. 259. 47 Vom 21. 3. 1942, RGBl. I, 139.
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der „Vereinfachung“ zielten die meisten (und spätere) Vorschriften auf den weiteren Abbau der verbliebenen Reste des Rechtsstaates, insbesondere des Zivilprozessrechts und des Schutzes privater Rechte48. Während der Herrschaft des Nationalsozialismus konnte die neue Norm über die beiderseitige Erklärung der Erledigung der Hauptsache keine praktische Bedeutung mehr erlangen. Denn § 1 der Ersten Kriegsmaßnahmeverordnung vom 12. Mai 194349 ordnete lapidar an: „Die Gerichte haben die Bearbeitung bürgerlicher Rechtssachen zurückzustellen, soweit deren Erledigung während des Krieges nicht dringlich ist.“ Damit waren die Zivilprozesse grundsätzlich für die weitere Dauer des Zweiten Weltkrieges ausgesetzt50. 6. Die Übernahme der Vorschrift der 3. VereinfV in den Text der ZPO a) Der neue § 91a ZPO als Regelung der beiderseitigen Erledigungserklärung Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches stellte sich von selbst die Frage, ob der nationalsozialistische Ursprung einer Weitergeltung des § 4 Abs. 1 der 3. VereinfV entgegenstand. Mit Recht sah man überwiegend51 in der Vorschrift als solcher52 weder eine nationalsozialistische noch eine kriegsbedingte Regelung, so dass die Zivilgerichte der drei Westzonen das Institut der beiderseitigen Erledigungserklärung der Hauptsache nach Kriegsende weiter anwandten53. Die Novelle 195054 fügte für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland einen neuen § 91a in die ZPO ein: „(1) 1Haben die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, so entscheidet das Gericht über die Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sachund Streitstandes nach billigem Ermessen. 2Die Entscheidung ergeht durch Beschluß. (2) 1Gegen die Entscheidung findet sofortige Beschwerde statt. 2Vor der Entscheidung ist der Gegner zu hören.“
48 Schumann in Stein/Jonas, ZPO, 20. Aufl., 1980, Einl. Rz. 142 m.w. Nachw. 49 RGBl. 1943 I, 290 mit DurchführungsVO (292 ff.). 50 Schönke, Zivilprozeßrecht, 2. Aufl. 1943, Nachtrag zu S. 242 sowie § 1 Abs. 1 DurchführungsVO (Fn. 49). 51 Vgl. Baumbach, ZPO, 18. Aufl. 1947, § 91 Anh. 3, VereinfV § 4 Vorbem. (S. 172) sowie Biederstein-Verlag, ZPO, Textausgabe, 28. Aufl. 1949, § 91 Fn. 2 (S. 25). 52 Nicht aber in der Unanfechtbarkeit des Kostenbeschlusses gemäß § 4 Abs. 1 S. 2 3. VereinfV. 53 Ähnlich in der sowjetischen Besatzungszone, vgl. Pohle in Stein/Jonas, ZPO, 19. Aufl., 1972, § 91a Vorbem. Die ZPO der DDR aus dem Jahre 1975 kannte keine Erledigung der Hauptsache. Die entsprechenden Probleme wurden über die Rücknahme der Klage (§ 30) und die Möglichkeit der Kostentragung des Verklagten (§ 175 Abs. 1) gelöst. 54 Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts vom 12. 9. 1950, BGBl. 455 (469 Art. 2 Nr. 11); Neubekanntmachung der ZPO, BGBl. 1950, 533 (541 f.).
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Wie der zweite Absatz zeigt, übernahm der Gesetzgeber von der Vorgängervorschrift nicht die ausnahmslose Unanfechtbarkeit des Kostenbeschlusses, da sie mit rechtsstaatlichen Vorstellungen unvereinbar ist55. Im Übrigen sah man keine Bedenken, die im Jahr 1942 entstandene Regelung über die beiderseitige Erklärung der Erledigung der Hauptsache in die ZPO zu übernehmen56. Seither ist wenigstens die beiderseitige Erledigungserklärung bundeseinheitlich in der ZPO geregelt. b) Die problematische Stellung der Vorschrift im Kostenrecht Nicht unproblematisch ist allerdings die Stellung der Vorschrift im Kostenrecht. Dass der Bundesgesetzgeber diesen Weg ging, hatte leider die in der britischen Besatzungszone am 27. 1. 194857 erlassene Verordnung vorgezeichnet, die die beiderseitige Erledigungserklärung in einem neuen § 91a ZPO erfasste58. Sicher hat der Ort einer Regelung für deren Anwendung nicht immer eine Bedeutung, wie denn beispielsweise der Prozessvergleich eine überragende Rolle im Prozess spielt, obwohl er nur gleichsam versteckt in einigen Vorschriften, z.B. in § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, erwähnt ist. Schon Rudolf Pohle kritisierte vorsichtig, „die Bedeutung dieser Vorschrift dürfte allerdings über den Kostenpunkt hinausgehen“59, um anschließend eine Reihe von wichtigen prozessualen Punkten zu nennen, die überhaupt nichts mit Kostenfragen zu tun haben. Richtigerweise hätte der Gesetzgeber die einseitige Erledigungserklärung im Zusammenhang und am Vorbild der Klagerücknahme (damals § 271, heute § 269 ZPO) regeln sollen. Dann hätte er für weitere Reformen – auf die später noch einzugehen ist – den richtigen Ausgangspunkt aufgezeigt.
55 Insoweit unzutreffend Steiner in Wieczorek, ZPO, 3. Aufl., 1994, § 91a Rz. 1, § 4 3. VereinfV sei „mit geringen Änderungen“ übernommen worden. Göppinger (Fn. 4), S. 175 bei Fn. 26 will im Gegenteil auch den Vereinfachungszweck des § 4 3. VereinfV nicht voll übernehmen. Zum Streit im Bundestag, die Begriffe „billiges Ermessen“ und „unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes“ zu streichen, Göppinger a.a.O. S. 172 f. 56 Begründung zum Entwurf der Novelle 1950, BT-Drs. I. WP, Nr. 530, Anlage Ia, S. 14 (zu Nr. 12). 57 Art. 2 Nr. 5 Verordnung des Präsidenten des Zentral-Justizamtes für die Britische Zone über die Änderung der Vorschriften auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege und des Kostenrechts, VOBl. BrZ 1948, 13 (14). 58 Amtliche Begründung zu den Verordnungen des ZJA, ZJBl. BrZ 1948, 32, 40 (44 zu Art. 2 Nr. 5). 59 Das neue einheitliche Zivilprozeßrecht, MDR 1950, 642 (643 sub 5).
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7. Das Ende der Regelung der einseitigen Erledigungserklärung des MSchG So richtig der Gesetzgeber handelte, als er § 4 Abs. 1 S. 1 der 3. VereinfV in die ZPO übernahm, so unverständlich ist es, dass er den (damals noch geltenden) § 3 Abs. 3 S. 2 MSchG nicht ebenfalls in die ZPO eingefügt hat, und zwar als allgemeine Norm über die einseitige Erledigungserklärung. Inzwischen hatte sich die Vorschrift über drei Jahrzehnte hindurch bewährt60. Die vorhandenen Dokumente lassen nicht erkennen, weshalb man im Jahr 1950 und in der Folgezeit diesen Weg nicht gegangen ist. Mit der Aufhebung des Mieterschutzgesetzes61 ist dann die dort enthaltene Regelung der einseitigen Erledigungserklärung der Hauptsache untergegangen. 8. Die offiziellen Reformarbeiten des vergangenen Jahrhunderts Die offiziellen Reformarbeiten in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts behandeln das Thema der Erledigung der Hauptsache nur am Rande. Der Bericht der Kommission zur Vorbereitung einer Reform der Zivilgerichtsbarkeit aus dem Jahre 196162 spricht lediglich die Situation an, dass der Beklagte erfüllt, nachdem die Klage eingereicht ist, aber bevor sie ihm zugestellt wurde; der Bericht empfiehlt die Übernahme des § 96 des Entwurfs 193163. Ohne den Vorgängerbericht sowie den Entwurf 1931 zu erwähnen, kommt der Bericht der Kommission für das Zivilprozessrecht aus dem Jahre 197764 inhaltlich zu demselben Vorschlag. Richtigerweise siedelt der Bericht das Problem bei der Klagerücknahme an65 und schlägt als Absatz 3a des § 271 (heute § 269 ZPO) vor66: „Hat der Beklagte durch sein Verhalten Anlaß zur Einreichung der Klage gegeben, so hat er die Kosten zu tragen, wenn der Anlaß vor Rechtshängigkeit weggefallen ist und
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Vgl. z.B. die Kommentierung von Bettermann (Fn. 33), § 3 Rz. 308 ff. Fn. 31. Herausgegeben vom Bundesjustizministerium, 1961, S. 266 f. Wortlaut in Fn. 40. Herausgegeben vom Bundesministerium der Justiz, 1977. Bericht (Fn. 64) S. 227. Bericht (Fn. 64) S. 306 (Anlage 3, Ziffer 5 [sub b]). Ähnliche Vorschläge unterbreiteten unter Hinweis auf den Bericht Becker-Eberhard, Grundlagen der Kostenerstattung bei der Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche, 1985, S. 308 und Peter Gottwald in seinem Gutachten zum 61. Deutschen Juristentag in Karlsruhe, 1996, S. A 26 f. (mit Hinweis auf weitere Vorschläge in Fn. 51). Den Vorschlag Gottwalds übernahm das ZPO-Reformgesetz (unten III 2) im Wesentlichen; er lautet: „Ist der Anlaß zur Einreichung der Klage vor Rechtshängigkeit weggefallen und wird daraufhin die Klage unverzüglich zurückgenommen, so entscheidet das Gericht über die Kosten unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß“. Eine Abstimmung über diesen Vorschlag fand auf dem 61. Deutschen Juristentag nicht statt.
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Erledigungserklärung und Klagerücknahme nach Erledigung der Hauptsache die Klage darauf sofort zurückgenommen wird. Das Gericht entscheidet hierüber auf Antrag durch Beschluß. Absatz 3 Satz 4 und 5 gilt entsprechend“ [Keine mündliche Verhandlung und Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde].
Bis der Gesetzgeber diesen Vorschlag übernahm, vergingen fast 25 Jahre67. Im Übrigen beschäftigt sich der Bericht nur mit der beiderseitigen Erledigungserklärung der Hauptsache und sieht keinen Anlass, § 91a ZPO grundlegend zu ändern68. Zwei vorgeschlagene kleinere Korrekturen hat der Gesetzgeber nicht aufgegriffen. So verwarf er die empfohlene Streichung von § 91a Abs. 2 S. 269 (heute § 91a Abs. 2 S. 3 ZPO); tatsächlich ist dieser Satz („Vor der Entscheidung über die Beschwerde ist der Gegner zu hören“) überflüssig, weil selbstverständlich. Auch der Vorschlag für eine Kostenregelung bei Teilerledigung70 fand keinen Eingang in die ZPO. Angesichts der Meinungsvielfalt in dieser Frage71 sollte gesetzlich geregelt sein72, wie Kostenmischentscheidungen lauten und wie die Anfechtung einfach durchzuführen ist73.
II. Die heutige Regelung der beiderseitigen Erklärung (§ 91a ZPO) 1. Keine Formerleichterungen bis zum Jahr 1990 Ungeachtet ihres sozusagen „falschen“ Standorts entwickelte sich die Vorschrift des § 91a ZPO in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts schnell zu einer wichtigen Norm über die einverständliche Prozessbeendigung74. Rechtsprechung und Lehre hatten eine Fülle von Problemen zu be-
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Näher unten Text nach Fn. 109. Bericht (Fn. 64), S. 226 f. Bericht (Fn. 64), S. 241 (Anlage 1, Ziffer 4). Bericht (Fn. 64), Begründung S. 227, Gesetzesvorschlag S. 305 (Anlage 3, Nr. 1): „Bei Teilerledigung findet die sofortige Beschwerde auch dann statt, wenn über die Kosten im Endurteil entschieden ist.“ Vgl. etwa Vollkommer in Zöller, § 91a Rz. 1 und 53 bis 57; Bork in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2004, § 91a Rz. 40 bis 42. Die Probleme der Kostenmischentscheidungen hier näher zu behandeln, ist leider nicht möglich. Die horizontale Teilerledigung (vgl. Gesetzesvorschlag bei Fn. 186) sollte geregelt werden, wenn man (näher unten bei Fn. 98 ff.) der Meinung ist, dass bei der Erledigungserklärung bereits ergangene Entscheidungen wie bei der Klagerücknahme automatisch wegfallen. Mit der horizontalen Teilerledigung kann der Kläger bestimmte Entscheidungen trotz der Automatik aufrechterhalten, vgl. Vollkommer in Zöller, § 91a Rz. 12 a.E., 53 [zur Terminologie] sowie 58 [Zwangsvollstreckung]; BGHZ 156, 335 (344 ff. sub I. 5b cc (1)–(2), 5c und 5d). Die vertikale Teilerledigung (nur ein Teil des Streitgegenstandes hat sich erledigt) bedarf keiner Regelung (vgl. Westermeier [Fn. 29], S. 92). Vgl. z.B. für das Jahr 2001 Statistisches Bundesamt, Rechtspflege – Gerichte und Staatsanwaltschaften 2001, Fachserie 10, Reihe 2, 2003, S. 42: Von 978 727 bei den
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antworten. Flexible Antworten fanden freilich nicht immer die höchstrichterliche Billigung. Jetzt rächte sich die falsche rechtstechnische Einordnung des Instituts. Während bereits Göppinger75 und ihm folgend Grunsky76 und Leipold77 in Analogie zur Klagerücknahme78 die Erklärung der Erledigung auch durch „Einreichung eines Schriftsatzes“ (§ 271 Abs. 2 S. 2, heute § 269 Abs. 2 S. 2 ZPO) zuließen, konnte sich die höchstrichterliche Rechtsprechung vom prozessualen Formalismus nicht befreien und verlangte zur Abgabe der Erledigungserklärung eine mündliche Verhandlung79. Genauso erging es der von Vollkommer80 und Leipold81 vertretenen Ansicht, der Beschluss nach § 91a Abs. 1 ZPO könne ohne mündliche Verhandlung ergehen; bei der Klagerücknahme sei sie doch ebenfalls nicht vorgeschrieben (§ 269 Abs. 3 S. 4 a.F.). Auch diese Analogie lehnte die Rechtsprechung ab82. 2. Die Formerleichterungen des Jahres 1990 a) Erklärung im Schriftsatz, Entscheidung ohne mündliche Verhandlung Es dauerte Jahrzehnte, bis sich der Gesetzgeber entschließen konnte, solcher Formenstrenge nicht mehr zu folgen und die Erklärung der Erledigung wie eine Klagerücknahme zu behandeln: Als erste Änderung seit dem Jahr 1950 erweiterte deshalb das Rechtspflegevereinfachungsgesetz vom 17. 12. 199083 die Vorschrift des § 91a Abs. 1 ZPO: Erstens gibt es in Satz 1 neben der Erklärung in der mündlichen Verhandlung diese Möglichkeit „durch Einreichung eines Schriftsatzes“. Zweitens stellt Satz 2 fest, dass der Beschluss auch „ohne mündliche Verhandlung ergehen“ kann.
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Amtsgerichten erledigten Verfahren mit Kostenentscheidung (ohne erledigte Familiensachen) endeten 36 434 mit einem Beschluss nach § 91a ZPO. S. 56: Von 245 797 bei den Landgerichten erledigten erstinstanzlichen Verfahren mit Kostenentscheidung endeten 5343 mit einem Beschluss nach § 91a ZPO. Die Zahlen für den Prozessvergleich lauten: 143 728 und 71 286. Fn. 4, 52 f. Grundlagen des Verfahrensrechts, 1. Aufl. 1970 und 2. Aufl. 1974, jeweils § 12 II 3 (S. 91 bzw. 107); ebenso z.B. LAG Hamm NJW 1972, 2063 f. (überzeugende Begründung), hierzu die zustimmende Anm. Walchshöfer NJW 1973, 294 f.; Ulmer, Die einseitige Erklärung der Erledigung der Hauptsache, 1961, S. 11; anders z.B. Vollkommer in Zöller, ZPO, 16. Aufl. 1990, § 91a Rz. 10. In Stein/Jonas, ZPO, 20. Aufl., 1977, § 91a Rz. 16. Bereits Staud (Fn. 45, S. 351 [unten]) hatte darauf hingewiesen, dass zwar die Klagerücknahme, nicht aber die neu eingeführte Erledigungserklärung schriftsätzlich abgegeben werden konnte. BGH, NJW 1968, 991 (992 sub I. 1) und NJW 1984, 1901 sub I. 1a; RGZ 171, 274 (276) zu § 3 3. VereinfV. (Fn. 76), § 91a Rz. 23. (Fn. 77), § 91a Rz. 28. Z.B. OLG Bamberg, NJW-RR 1986, 997 f.; BGHZ 21, 298 (300 obiter dictum). BGBl. I, 2847.
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b) Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle ohne Anwaltszwang Die dritte Änderung des § 91a ZPO durch das Rechtspflegevereinfachungsgesetz geht dankenswerterweise sogar über die Regelung der Klagerücknahme hinaus und lässt die Erklärung „zu Protokoll der Geschäftsstelle“ zu. Damit wird im Zusammenspiel mit § 78 Abs. 5 ZPO die Erledigungserklärung vom Anwaltszwang befreit, und dies sogar, wenn sie in der mündlichen Verhandlung abgegeben wird84. Die nur noch vereinzelt vertretene Gegenmeinung85 ist mit dem Zweck der Neuregelung unvereinbar. 3. Änderungen im Jahr 2001 a) Noch keine Fiktion der Zustimmung des Beklagten bei dessen Schweigen Während – wie soeben dargestellt – das Rechtspflegevereinfachungsgesetz den engen Zusammenhang zwischen der Klagerücknahme und der Erklärung der Erledigung der Hauptsache berücksichtigte, hatte der Gesetzgeber des ZPO-Reformgesetzes vom 27. 7. 200186 den weitgehenden Gleichlauf der Regelungen offensichtlich schon wieder vergessen; er fingierte nämlich in § 269 Abs. 2 S. 4 ZPO die Zustimmung des Beklagten bei dessen Schweigen auf eine Klagerücknahme, ohne jedoch eine entsprechende Regelung für die vergleichbare Situation in § 91a ZPO bei der Erledigungserklärung des Klägers einzuführen. Diese Unterlassung wäre vielleicht verständlich, wenn man die Ähnlichkeit zwischen Klagerücknahme und Erklärung der Erledigung nur schwer hätte erkennen können, so dass eine Einwilligungsfiktion bei der Erledigungserklärung als nicht naheliegend erschien. Doch mehr als zwei Jahrzehnte zuvor hatte der Gesetzgeber in der Beschleunigungsnovelle 197987 eine derartige Zustimmungsfiktion bei einer Erledigungserklärung der Hauptsache im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren eingeführt88, jedoch beim ZPO-Reformgesetz wieder aus den Augen verloren.
84 Überzeugend Lindacher, Der Prozeßvergleich, in Festgabe 50 Jahre BGH, Band III, 2000, S. 253 (268); ders. in MünchKomm ZPO, 2. Aufl., 2000, § 91a Rz. 35; OLG Schleswig, MDR 1999, 252 f.; Pape/Notthoff: Die Erledigung der Hauptsache im Zivilprozeß, JuS 1995, 912 (913 sub IV. 1). Der Ansicht jetzt in der 25. Aufl. zustimmend Vollkommer in Zöller, § 91a Rz. 10 und § 78 Rz. 47 sub c); anders 24. Aufl. 2004, § 91a Rz. 10. 85 Z.B. Wolst in Musielak, ZPO, 4. Aufl. 2005, § 91a Rz. 12. 86 BGBl. I, 1887. 87 Vom 23. 5. 1979, BGBl. I, 545. 88 § 83a Abs. 3 ArbGG: „1Hat der Antragssteller das Verfahren für erledigt erklärt, so sind die übrigen Beteiligten binnen einer vom Vorsitzenden zu bestimmenden Frist von mindestens zwei Wochen aufzufordern, mitzuteilen, ob sie der Erledigung zustimmen. 2Die Zustimmung gilt als erteilt, wenn sich der Beteiligte innerhalb der vom Vorsitzenden bestimmten Frist nicht äußert.“ Hierzu z.B. El-Gayar (Fn. 4), S. 152 ff. m.w.N.
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b) Bei § 91a ZPO: Nur klarstellende und redaktionelle Änderungen Das ZPO-Reformgesetz beschränkte sich beim § 91a ZPO vielmehr auf nur klarstellende und redaktionelle Änderungen: Es konnte den im Jahr 1990 eingefügten Satz 2 des ersten Absatzes von § 91a ZPO wieder beseitigen, weil es im § 128 Abs. 3 ZPO die Entscheidungen in Kostenfragen von der obligatorischen mündlichen Verhandlung ausnahm. Im Einklang mit der h.L. und Praxis89 fügte es auch90 bei § 91a die bislang ungeschriebene91 Voraussetzung ein, dass die Beschwerde gegen den Kostenbeschluss nur statthaft ist, wenn die Hauptsache ihrerseits rechtsmittelfähig gewesen wäre. 4. Nun doch seit 2004: Fiktion bei fehlendem Widerspruch des Beklagten Den dargestellten gestörten Gleichlauf der Regelungen von Klagerücknahme und Erledigungserklärung beseitigte endlich das Erste Gesetz zur Modernisierung der Justiz (1. JuMoG) vom 24. 8. 200492. Es führte in § 91a ZPO für die Erklärung der Erledigung der Hauptsache als Satz 2 von Abs. 1 eine Fiktionslösung ein. Ausdrücklich beschwört die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung die Ähnlichkeit mit der „Einwilligungsfiktion“, wie sie „durch die ZPO-Reform bereits in § 269 Abs. 2 S. 4 für die Klagerücknahme eingeführt worden ist“93. § 91a ZPO hat daher jetzt folgenden Wortlaut: (1) 1Haben die Parteien in der mündlichen Verhandlung oder durch Einreichung eines Schriftsatzes oder zu Protokoll der Geschäftsstelle den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, so entscheidet das Gericht über die Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen durch Beschluß. 2Dasselbe gilt, wenn der Beklagte der Erledigungserklärung des Klägers nicht innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen seit der Zustellung des Schriftsatzes widerspricht, wenn der Beklagte zuvor auf diese Folge hingewiesen worden ist. (2) 1Gegen die Entscheidung findet die sofortige Beschwerde statt. 2Dies gilt nicht, wenn der Streitwert der Hauptsache den in § 511 genannten Betrag nicht übersteigt. 3 Vor der Entscheidung über die Beschwerde ist der Gegner zu hören.“
Mit dieser Änderung durch das 1. JuMoG hat der Gesetzgeber die Vorschriften von § 91a und § 269 ZPO insoweit wieder einander angeglichen94. Fraglich ist allerdings, ob der Widerspruch des Beklagten (vgl. § 91a Abs. 1 S. 2 ZPO) in denselben drei Formen, wie sie seit dem Rechtspflegevereinfachungsgesetz bestehen95, abgegeben werden kann. Da die Zustimmung des 89 90 91 92 93
Z.B. Bork in Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl., 1993, § 91a Rz. 32. Ähnlich § 99 Abs. 2 S. 2, § 269 Abs. 5 S. 1 ZPO. Lindacher in MünchKomm ZPO, Aktualisierungsbd. 2002, § 91a Rz. 3. BGBl. 2004 I, 2198. BT-Drs. 15/1508, S. 17. Die noch ähnlichere Regelung des § 83a ArbGG (Fn. 88) wird nicht erwähnt. 94 Vgl. Vollkommer in Zöller, § 91a Rz. 10. 95 Vgl. oben nach Fn. 83.
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Beklagten in einer dieser drei Formen erklärt werden darf, muss dies genauso für deren Verweigerung gelten96; sonst müsste man z.B. die teilweise Zustimmung, die zugleich einen teilweisen Widerspruch darstellt, zwei verschiedenen Formen unterwerfen97. 5. Die immer noch vorhandene Lücke bei bereits ergangenen Entscheidungen Allerdings besteht in einem nicht unwichtigen Punkt nach dem Wortlaut der Vorschriften ein Unterschied: Während § 269 Abs. 3 S. 1 (2. Halbsatz) ZPO die automatische Wirkungslosigkeit von ergangenen nicht-rechtskräftigen Entscheidungen anordnet, fehlt eine solche Aussage in § 91a ZPO, obwohl die Prozesslage nach einer beiderseitigen Erledigungserklärung der Hauptsache nicht anders als bei einer wirksamen Klagerücknahme angesehen werden kann. Weshalb der Gesetzgeber weder im Rechtspflegevereinfachungsgesetz noch im Ersten Gesetz zur Modernisierung der Justiz trotz der dort vorgenommenen Übernahmen aus dem Bereich der Klagerücknahme nicht auch diese Lösung in den § 91a ZPO übertragen hat, ist unbekannt. Das Unterlassen könnte man als ein beredtes Schweigen des Gesetzgebers interpretieren und nunmehr die zwangsläufige Wirkungslosigkeit von ergangenen Entscheidungen nach beiderseitiger Erledigungserklärung der Hauptsache ablehnen, hatte doch z.B. Gerhard Lüke es als ein „unzutreffendes Ergebnis“ bezeichnet, die Unwirksamkeitsregelung bei der Klagerücknahme in § 91a ZPO zu übernehmen98. Gleichwohl liegt angesichts der derzeit – jedenfalls auf dem Gebiet des Zivilprozessrechts – dürftigen Gesetzgebungskunst die Vermutung nahe, dem Gesetzgeber sei die Regelungsbedürftigkeit dieses Problems entgangen. Die weiterhin bestehende Lücke wird – wie früher bei anderen Lücken des § 91a ZPO – durch eine Analogie zu § 269 Abs. 3 S. 1 und Abs. 4 ZPO geschlossen99. 96 Vgl. Bork in Stein/Jonas, § 91a Rz. 46 i.V.m. 17 f. 97 Da dies selbstverständlich ist, macht der Beitrag am Ende keinen Vorschlag für § 91a Abs. 1 S. 2 ZPO. Anderenfalls müsste dort ein Halbsatz angefügt werden: ... „für den Widerspruch gelten die Formen von Satz 1“. 98 G. Lüke (Fn. 2), S. 325; ebenso OLG Nürnberg, NJW 1967, 205 f.: § 91 a ZPO kenne keine „dem § 271 [heute § 269] Abs. 3 ZPO entsprechende Bestimmung, wonach im Fall der Klagerücknahme der Rechtsstreit als nicht anhängig geworden anzusehen ist.“ ... „Diese unterschiedliche Regelung ist kein Versehen. Sie entspricht dem verschiedenen rechtspolitischen Zweck von Klagerücknahme und Erledigungserklärung.“ (wird sodann näher dargelegt). Hierzu abl. Besprechung von Göppinger, ebenda S. 177 (178 f.). – Die Prozessfigur der horizontalen Teilerledigung (vgl. Fn. 73) greift jedoch die Bedenken des OLG Nürnberg auf und beschränkt den automatischen Wegfall ergangener Entscheidungen auf offenkundig gegenstandslose Richtersprüche. 99 So z.B. Vollkommer in Zöller, § 91a Rz. 12; Bork in Stein/Jonas, § 91a Rz. 24: „Analogie zur Klagerücknahme“; Westermeier (Fn. 29), S. 60 ff.; BGHZ 156, 335
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6. Das Fehlen einer Regelung bei misslungener beiderseitiger Erklärung Misslingt eine beiderseitige Erklärung der Erledigung, weil der Beklagte dem Kläger widerspricht, kommt es zum Verfahren über die einseitige Erklärung des Klägers (es sei denn, sie war nur für den Fall abgegeben, dass der Beklagte zustimmt100). Dass der Prozess jetzt mit dem Thema weitergeht, ob sich die Hauptsache tatsächlich erledigt hat, ist unbestritten; der Beitrag wird sich sogleich diesem Verfahren bei nur einseitiger Erledigungserklärung zuwenden. Vorher sei jedoch noch kurz festgehalten, dass eine prozessökonomische Regelung fehlt, die an das Misslingen der beiderseitigen Erledigungserklärung automatisch den Fortgang des Verfahrens als eines Prozesses wegen einer einseitigen Erklärung anordnet101. Insbesondere nach einer Klägererklärung im Schriftsatz oder zu Protokoll102 und einem entsprechenden Widerspruch des Beklagten erscheint es wenig sinnvoll, eine mündliche Verhandlung als notwendig anzusehen103 und sie deshalb nur zum Zweck anzuberaumen, damit der Kläger nunmehr die längst allen Prozessbeteiligten bekannte einseitige Erledigungserklärung (nach herrschender Meinung jetzt nicht mehr als Erklärung [Bewirkungshandlung104], sondern als Klageantrag [Erwirkungshandlung105]) abgibt. Selbstverständlich hat eine mündliche Verhandlung über die Frage stattzufinden, ob sich die Klage in der Hauptsache erledigt hat106.
III. Die heutige Regelung der einseitigen Erledigungserklärung 1. Das Fehlen einer ausdrücklichen Grundvorschrift Wie dargestellt, hat sich der Gesetzgeber der beiderseitigen Erklärung der Erledigung der Hauptsache angenommen – wenn auch zögerlich und nur
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(342 f. sub I. 5b). Schon früher z.B. Pohle, Die rechtliche Bedeutung der Erledigungserklärung nach deutschem Zivilprozeßrecht, in: Eranion für G. S. Maridakis, Band II, 1963, S. 427 (438 f.): „Analogieschluß“; LAG Hamm und Walchshöfer (jeweils Fn. 76). Hierzu Bork in Stein/Jonas, § 91a Rz. 18, 46. Hiervon geht der Vorschlag am Ende des Beitrages (§ 269a Abs. 3 S. 1 ZPO) aus; vgl. Fn. 192. Vgl. oben bei Fn. 83 ff. Z.B. Gierl in Hk-ZPO, 2006, § 91a Rz. 57. Vollkommer in Zöller, § 91a Rz. 9. Vollkommer in Zöller, § 91a Rz. 35. Wenn in der Praxis nach intensivem Schriftsatzwechsel über das Vorliegen einer Erledigung nur ein einziger Termin stattfindet, in dem der Kläger förmlich die Hauptsache für erledigt erklärt und man sodann darüber verhandelt, nehmen die Richter letztlich eine gesetzliche Regelung vorweg, die an die misslungene beiderseitige Erklärung automatisch einen Verfahrensfortgang über eine einseitige Erklärung anschließt.
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schrittweise sowie immer noch unvollkommen. Bei der einseitigen Erklärung der Erledigung der Hauptsache ist dies anders. Über sie gibt es, nachdem die Regelung des § 3 Abs. 3 S. 2 MSchG nicht übernommen wurde107, in der ZPO keine ausdrückliche Grundvorschrift. Diese Feststellung wäre ohne Gewicht, falls die ZPO anderweit eine allgemeine klare Antwort zur prozessualen Situation gäbe, wenn der Kläger erklärt, es habe sich die Hauptsache erledigt, und der Beklagte dieser Erklärung nicht zustimmt. Die Feststellung wäre ferner nicht besonders bedeutsam, wenn eine solche Verfahrenslage in der Praxis kaum vorkäme. Doch beides trifft leider nicht zu; denn es gibt weder eine allgemeine klare Antwort der ZPO noch sind derartige Situationen selten. Treffend hat dies Hans Putzo seinerzeit108 in zwei knappen Sätzen umschrieben: „Die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache“ ... „ist vom Gesetz unvollkommen geregelt. Sie kommt jedoch in der Praxis sehr oft vor, wird dabei uneinheitlich und nicht selten falsch behandelt.“
Diese Diagnose trifft auch heute zu109. Die Nichtregelung der einseitigen Erledigungserklärung stellt immer noch eine der bedeutsamsten Lücken der ZPO dar110. Die Lücke besteht darin, dass es keine Regelung für den Fall gibt, dass eine bislang erfolgreiche Klage während des Verfahrens111 ihre Zulässigkeit oder Begründetheit verloren hat. Nur für diese Situation fehlt es an einer Norm. Wenn hingegen die Klage von vornherein erfolglos war oder wenn die Klage trotz klägerischer Erledigungsanzeige erfolgreich ist, besteht überhaupt keine Lücke, weil diese Fälle abschließend bereits von der ZPO geregelt sind112.
107 Vgl. Text bei Fn. 61. 108 In Thomas/Putzo, ZPO, 1. Aufl. 1963, § 91a Anm. 1 a. Der Thomas/Putzo nannte erst in späteren Auflagen die jeweiligen Autoren, so Hans Putzo für § 91a (vgl. z.B. 21. Aufl., 1998). 109 So weiterhin Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl. 2005, § 91a Rz. 1. Ähnliche Klagelieder aus früherer Zeit finden sich oben in Fn. 15 und 20. Aus neuerer Zeit z.B. Pape/Notthoff (Fn. 84), 912: „Die Erledigung der Hauptsache ist in der ZPO nur sehr unvollkommen geregelt. Sie bereitet vielfältige Schwierigkeiten“ ...; El-Gayar (Fn. 4), S. 1 f.: Die Probleme der einseitigen Erledigungserklärung „gehören seit Jahrzehnten zu den umstrittensten des deutschen Prozeßrechts“. 110 Schumann, Die abredewidrige Erledigungserklärung, JuS 1966, 26 (27 bei Anm. 17); hierzu G. Lüke (Fn. 2), S. 324 Fn. 7; El-Gayar (Fn. 4), S. 188 ff. 111 Hier ist noch offen gelassen, ob „nach Rechtshängigkeit“ oder „nach Einreichen der Klageschrift“. 112 Schumann, Anm. AP § 91a ZPO sub IV. 1a (mit anschließenden weiteren Begründungen).
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2. Die Klagerücknahme bei „Wegfall des Klageanlasses“ vor Rechtshängigkeit a) ZPO-Reformgesetz 2001: Regelung nicht in § 91a, sondern in § 269 ZPO Es ist ein Lichtblick, dass der Gesetzgeber im ZPO-Reformgesetz vom 27. Juli 2001 wenigstens die einseitige Erklärung der Erledigung der Hauptsache vor Rechtshängigkeit erfasst hat. Für diesen Fall erlaubt das ZPOReformgesetz dem Kläger, das Verfahren zu beenden und führt eine Kostenermessensregelung entsprechend § 91a ZPO ein113. Allerdings bricht das ZPO-Reformgesetz in doppelter Weise mit der bisherigen gesetzgeberischen Tradition: Erstens siedelt es die Änderung nicht in § 91a ZPO an, wo man bisher die Erledigung der Hauptsache fand; es qualifiziert den Vorgang vielmehr als Klagerücknahme und verlegt ihn deshalb als neuen dritten Satz in den § 269 Abs. 3 ZPO. Ferner lässt das ZPO-Reformgesetz die bisherige gesetzliche Terminologie fallen und nennt die „Erledigung der Hauptsache“ statt dessen „Wegfall des Klageanlasses“114. Dass es sich hierbei um nichts anderes handelt, als um eine Erledigung der Hauptsache, ist offensichtlich115. b) Die begriffliche Begründung für Standort und Wortwahl Natürlich fragt man sich, weshalb der Gesetzgeber nicht einfach § 91a Abs. 1 ZPO um den einen kurzen Satz ergänzt hat116: „Dasselbe gilt, wenn der Kläger die Erledigung [unverzüglich117] erklärt, weil sich die Klage vor Rechtshängigkeit erledigt hat.“ Inhaltlich genau dasselbe führte das ZPOReformgesetz ein118, freilich in der Form der Klagerücknahme und mit neuer Terminologie. Die amtliche Begründung lässt schnell das begriffliche Missverständnis erkennen, das zu dieser Gesetzgebung führte. Weil Rechtsprechung und Lehre unter Erledigung der Hauptsache nicht Vorgänge „zwischen Einreichung und Zustellung der Klage, mithin vor Rechtshängigkeit“ verstehen119, sahen sich die Verfasser des ZPO-Reformgesetzes gehindert, 113 Zum richterlichen Ermessen bei der Kostenentscheidung gemäß § 91a ZPO grundlegend Stickelbrock, Inhalt und Grenzen richterlichen Ermessens im Zivilprozeß, 2002, S. 427–448. 114 „Ist der Anlaß zur Einreichung der Klage“ ... „weggefallen“ (§ 269 Abs. 3 S. 3 ZPO). 115 Zutr. nennt Foerste in Musielak, § 269 Rz. 13 die Regelung „Erledigung der Hauptsache“; vgl. auch Becker-Eberhard in FS Gerhardt (Fn. 2), S. 29 ff. 116 Zur Zeit des ZPO-Reformgesetzes bestand der erste Absatz von § 91a ZPO nur aus einem einzigen Satz. Heute müsste die Formulierung anders lauten. 117 Das vom ZPO-Reformgesetz aufgestellte Erfordernis der Unverzüglichkeit strich ersatzlos das 1. JuMoG (s. unten 3a). 118 Die Regelung „fingiert quasi eine Art übereinstimmende Erledigung i.S. von § 91a ZPO“, meint Münch, Die „neue“ ZPO (Teil I), DStR 2002, 85 (93 sub 4.4.2.). 119 Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses, BT-Drs. 14/4722, S. 81; auch abgedr. bei Rimmelspacher, Zi-
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das Problem einer Erledigung vor Rechtshängigkeit über das Prozessinstitut der Erledigungserklärung der Hauptsache zu lösen. Dabei hatten sie erkannt, dass ihr Vorschlag eine „Sachnähe zur Interessenlage nach beidseitiger Erledigterklärung der Hauptsache“120 aufwies. An der Rechtfertigung in der amtlichen Begründung mit dem Begriff der Erledigung ist einzig richtig, dass die herrschende Meinung ihn nur auf Vorgänge nach Rechtshängigkeit anwendet121. Im Übrigen ist die Rechtfertigung mehrfach unzutreffend. So hat sich die Rechtsprechung des BGH zur Erledigung der Hauptsache ohnehin nicht auf „die rein begriffliche Argumentation eingelassen“122 und ferner in den letzten zwei Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts innerprozessuale Lösungen zum Rückzug des Klägers ohne Kostenlast bei Erledigung vor Rechtshängigkeit entwickelt123, konsequenterweise ohne eine Diskussion um den „Begriff“ der Erledigung der Hauptsache124. Vor allem aber – dies ist der entscheidende Gesichtspunkt – ist kein Gesetzgeber an juristische Begriffsbildungen in Wissenschaft und Praxis gebunden, schon gar nicht, wenn frühere Reformvorschläge dies ebenfalls nicht getan haben. Bereits der im Jahre 1907 von Jacobi unterbreitete Vorschlag zu § 93 ZPO125 hatte keine Bedenken: „Erledigt der Rechtsstreit in der Hauptsache sich nach Eingang der Klage bei Gericht, so ist über die Kosten in dem nämlichen Verfahren zu entscheiden.“ Ohne den Begriff der Erledigung zu verwenden, zielte – wie
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vilprozessreform 2002, 2002, S. 146 und Hannich/Meyer-Seitz/Engers, ZPO-Reform, 2002, S. 248 f. Begründung (Fn. 119), S. 81; Rimmelspacher (Fn. 119), S. 145; Hannich/MeyerSeitz/Engers (Fn. 119), S. 248. Z.B. Vollkommer in Zöller, § 91a Rz. 3 und 6 m.w.N. Becker-Eberhard in Festgabe BGH (Fn. 2), S. 291. Becker-Eberhard (Fn. 122), S. 293 sowie 306 [1. Abs. a.E.]. So etwa BGH, WM 1981, 386 (387 f. sub III 3): War die Zahlungsklage von vornherein unbegründet, ist sie aber durch Verschulden des Beklagten erhoben worden, ist die Erledigungserklärung des Klägers nicht das richtige Verhalten. Vielmehr muss er seine Zahlungsklage auf den Feststellungsantrag umstellen, dass der Beklagte die Kosten des anhängigen Prozesses zu tragen hat. Ein etwaiger Erledigungsantrag ist entsprechend als Feststellungsbegehren auszulegen. Ähnlich BGHZ 79, 275 (280 sub 3b ee); BGH, NJW 1984, 1901 (1902 sub I. 2d), NJW 1994, 2895 (2896 sub 3 m.w.N.). Vgl. auch Vollkommer in Zöller, § 91a Rz. 41; Schumann, Der arbeitsrechtliche Drittschuldner ohne Auskunftspflicht und ohne Haftung? in: FS Georgios Th. Rammos, Band III, 1979, S. 820 (838). Krit. Grunsky, Grenzen des Gleichlaufs von Hauptsache und Kostenentscheidung, in: FS Karl Heinz Schwab, 1990, S. 165 (167 ff.). Ob derselbe Weg offensteht, wenn sich die Hauptsache nach Klageeinreichung erledigt hat, ist zweifelhaft: Dagegen Vollkommer, a.a.O. Rz. 29: „Vorrang der Erledigungserklärung“ sowie auch Rz. 42; dafür z.B. Frank O. Fischer, Ergänzung des § 91a ZPO durch Feststellungsklage auf Kostenerstattung, MDR 2002, 1097 ff.; Schur, Klagerücknahme bei Erledigung vor Rechtshängigkeit und materiellrechtlicher Kostenerstattungsanspruch, KTS 65 (2004), 373 (377 ff., 392 ff., 397). Vgl. Fn. 13.
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gezeigt126 – § 96 E 1931 in dieselbe Richtung. An diese Empfehlung knüpfte bekanntlich127 der Bericht der Kommission aus dem Jahre 1961 an, der befürwortete, § 96 des Entwurfs 1931 zu übernehmen. c) Schweigen der Begründung des ZPO-Reformgesetzes zu früheren Vorschlägen Keinen einzigen der drei soeben genannten Vorschläge erwähnt die Begründung der Bundesregierung zum ZPO-Reformgesetz128. In den Jahren davor war dies noch anders. Der Entwurf eines Gesetzes zur Straffung und Beschleunigung von Zivilverfahren der bayerischen Staatsregierung aus dem Jahre 1994129 und der Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Vereinfachung des zivilgerichtlichen Verfahrens und des Verfahrens der freiwilligen Gerichtsbarkeit aus dem Jahre 1996130 bezogen sich beim Vorschlag einer privilegierten Klagerücknahme131 ausdrücklich auf den Kommissionsvorschlag 1977132. Da es unvorstellbar ist, dass die früheren Reform-Vorschläge den Verfassern des ZPO-Reformentwurfs unbekannt waren, bleibt es rätselhaft, weshalb sie sie verschwiegen. Eine objektive Gesetzesbegründung hätte indessen die früheren Reformüberlegungen erwähnen und sich mit ihnen schon deshalb auseinandersetzen müssen, weil sie – wie berichtet – einen anderen Weg gingen. Schließlich waren zwei von ihnen – sowohl der E 1931 als auch der Kommissionsbericht 1961 – das Ergebnis eingehender Diskussionen der damaligen Spitzen aus Praxis und Wissenschaft des Zivilprozessrechts. Das Prozessinstitut der Erledigung der Hauptsache hätte es jedenfalls verdient, dass die amtliche Begründung des ZPO-Reformgesetzes die in der Vergangenheit entworfenen Lösungen dargestellt und sich mit ihnen auseinandergesetzt hätte133. Dann wäre allerdings offenbar geworden, auf welch schwachen begrifflichen Argumentationsfüßen die unter b) bereits kritisierte Be126 Text Fn. 40. 127 Vgl. oben Fn. 62. 128 Begründung (Fn. 119), S. 80 f.; Rimmelspacher (Fn. 119), 145 ff.; Hannich/MeyerSeitz/Engers (Fn. 119), 247 ff. Ebenso wenig werden die von Becker-Eberhard und Gottwald erarbeiteten Reformvorschläge (Fn. 66) erwähnt. Bei Gottwald ist dies, da der Entwurf seine Empfehlung zum Teil sogar wörtlich übernahm, besonders unverständlich. 129 BR-Drs. 332/94, Anlage, S. 20. 130 BT-Drs. 13/6398, Anlage 1, S. 25 [re. Sp.]. 131 BR-Drs., a.a.O., S. 1 [Ziffer 4a] und BT-Drs., a.a.O., S. 6 [Ziffer 13c)]. Beide Entwürfe sind nicht Gesetz geworden, vgl. Becker-Eberhard in Festgabe BGH (Fn. 2), S. 279. 132 Zu ihm Text bei Fn. 64 ff. 133 „Ein Meisterwerk gesetzgeberischen Reformeifers?“ fragen Deckenbrock/Dötsch, JuMoG – Aktuelle Änderungen bei der Klagerücknahme gem. § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO, MDR 2004, 1214 sub I.
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gründung stand, als sie meinte, die Erledigung vor Rechtshängigkeit sei keine Erledigung der Hauptsache, weil nach h.M. die Erledigung der Hauptsache nur eine Erledigung nach Rechtshängigkeit sei. Ein Gesetzgeber, der seine Wirkungsmacht in solcher Weise bereits an Begriffen enden lässt, engt seinen legislatorischen Spielraum naturgemäß sehr ein. Seine Antworten mögen dann begrifflich und konstruktiv stimmig sein. Damit ist jedoch keineswegs sichergestellt, dass dies interessengerechte und praktikable Lösungen sind134. d) Trotz unrichtiger Begründung richtige Lösung Wie häufig bedeutet eine unzutreffende Begründung nicht, dass die Lösung ebenfalls unrichtig ist. So ist es hier. Die einseitige Erledigungserklärung nicht im Kostenrecht, sondern bei der Klagerücknahme anzusiedeln, erweist sich nämlich als der richtige Weg. Aus der Sicht eines nicht von juristischen Begriffen oder prozessualen Konstruktionen beeinflussten Betrachters bedeutet die Erklärung des Klägers, die Hauptsache sei wegen der Zahlung des Beklagten erledigt, dass er die Sache nicht weiter betreiben will; er gibt also auf, nimmt Abstand, lässt die Sache fallen, hält nicht mehr am Prozess fest, rückt von ihm ab, zieht sich zurück usw. – wie immer man unjuristisch ausdrückt, dass der Kläger keinen Wert mehr darauf legt, die Hauptsache gerichtlich entscheiden zu lassen, nachdem sein Gegner die Leistung erbracht hat. Versucht jetzt der Prozessualist, diesen Vorgang der Nomenklatur der lex scripta anzunähern, so nennt er zunächst als vergleichbare einseitige Klägerhandlungen den Verzicht (§ 306 ZPO) und die Klagerücknahme (§ 269 ZPO)135. Sehr schnell wird er die Analogie zum Verzicht verwerfen; denn dieser führt zu einem Sachurteil136, während die Erklärung, die Haupt-
134 Nicht nur diese verunglückte Gesetzesbegründung erinnert an die Sätze Egon Schneiders: „Noch nie hat es seit der hundertjährigen Geltung der ZPO eine Novellierung gegeben, die so unehrlich, dilettantisch und praxisfeindlich ausgefallen ist wie die ZPO-Reform 2002. Man vergleiche damit beispielsweise, mit welcher Sorgfalt, Sachkunde und inneren Geschlossenheit die Vereinfachungsnovelle von 1976 ausgearbeitet worden ist.“ (Praxis der neuen ZPO, 2. Aufl. 2003, S. V). Ähnlich Häsemeyer, Beteiligtenverhalten im Zivilprozess, ZZP 118 (2005) 265: „flickschusterhafte positivrechtliche Regelung“ (267 sub [2]), „derzeitige normative Flickschusterei“ (286 sub c), „unsystematisch“ (270 vor IV.), „nicht durchdacht“ (285 oben), „systematischer Missgriff“ (287 oben) – sämtlich speziell zum Thema der derzeitigen gesetzlichen Vorschriften über die Erledigung der Hauptsache. Becker-Eberhardt in FS Gerhardt (Fn. 2), nennt den Novellengesetzgeber hinsichtlich der Erledigung der Hauptsache z.B. S. 37 „völlig ahnungslos“; s. auch S. 46 „ohne Problembewusstsein der Gesetzesverfasser“, S. 47 „Ahnungslosigkeit der Gesetzesverfasser“. 135 Vgl. z.B. Zabolitzky, Die Erledigung der Hauptsache, 1934, S. 21; Assmann (Fn. 2), S. 183; Vogeno (Fn. 2), S. 21. 136 Vollkommer in Zöller, Rz. 1 vor §§ 306, 307.
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sache habe sich erledigt, ganz im Gegenteil bedeutet, dass der Kläger eine Entscheidung in der Sache nicht mehr anstrebt137. Als verwandtes Prozessinstitut verbleibt daher nur die Klagerücknahme138. Dass sich das ZPO-Reformgesetz 2001 dafür entschied, die Erklärung der Erledigung der Hauptsache vor Rechtshängigkeit in § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO als Unterart der Klagerücknahme auszugestalten, ist daher durchaus sachgerecht gewesen139. e) Die Neuregelung erfasst auch Erledigungen vor dem Einreichen der Klage Da die Begründung zur Änderung des § 269 ZPO die früheren Reformvorschläge zur Erledigung der Hauptsache nicht erwähnt140, wird auf den ersten Blick nicht erkennbar, wie sehr die Neuregelung über die bisherige Reformdiskussion hinausgeht und welche Motive die Verfasser des ZPO-Reformgesetzes in diesem Punkt geleitet haben. Die offizielle Reformdiskussion141 und die Kontroversen in Wissenschaft und Praxis142 sahen stets im Vordergrund die Spanne zwischen dem Einreichen der Klage und der erst durch Zustellung an den Beklagten (§ 253 Abs. 1 ZPO) beginnenden Rechtshängigkeit (§ 261 Abs. 1 ZPO)143. Der Wortlaut der neuen Vorschrift ist zwar in 137 Außerdem könnte der Gegner bei einem Klageverzicht auf den Gedanken kommen, seine Leistung zu kondizieren, vgl. Schumann, Die materiellrechtsfreundliche Auslegung des Prozeßgesetzes, FS Karl Larenz zum 80. Geburtstag, 1983, S. 571 (598). 138 Vgl. Ulmer (Fn. 76), S. 37 ff. Ich widerspreche daher (aber nur insoweit) BeckerEberhard in FS Gerhardt (Fn. 2), z.B. S. 46, als er die Materie nicht bei der Klagerücknahme angesiedelt sehen will. Bei jeder Form der nicht-beiderseitigen Erledigungserklärung handelt es sich nicht nur um ein Kostenproblem (was übrigens Becker-Eberhard genauso sieht). Dies hat schon Pohle (Fn. 59) festgestellt. Eine Regelung im Bereich der Klagerücknahme ist deshalb sachnäher, vgl. unten den Vorschlag zu einem § 269a ZPO bei Fn. 187. 139 Dass damit der Gesetzgeber den Streit um den Begriff der Erledigung der Hauptsache „zugunsten der vom Bundesgerichtshof vertretenen Auffassung entschieden“ habe (so Westermeier [Fn. 29], S. 212), halte ich nicht für richtig. Erstens gibt es nunmehr für die einseitige Hauptsacheerledigung zwei Begriffe: Nach (mit) Klagezustellung (gesetzlich nicht geregelt) und vor (ohne) Klagezustellung (in § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO erfasst). Ferner geht es dem BGH nicht um eine begriffliche Ableitung (hierzu schon oben bei Fn. 122). 140 Vgl. Fn. 128. 141 So § 96 E 1931 (Wortlaut in Fn. 40); Bericht 1977 (Text nach Fn. 66); früher Jacobi (Fn. 13). 142 Umfassende Nachw. bei Becker-Eberhard, Grundlagen der Kostenerstattung bei der Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche, 1985, S. 264; hierzu die Besprechung von Vollkommer, AcP 187 (1987) 610 ff. – Ältere Untersuchungen über die „Erledigung vor Klagerhebung“, z.B. bei Weiß, Die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache, 1931, S. 56 ff. Auch die Vorschläge von Landsberg (Fn. 5) und Jacobi (Fn. 13) betrafen die Erledigung vor Zustellung, nach Einreichung der Klage. 143 Der Vorschlag von Reinelt, „Erledigung der Hauptsache“ vor Anhängigkeit?, NJW 1974, 344 ff., der Kläger könne bei jeder Erledigung vor Rechtshängigkeit die
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diesem Sinne verstanden worden144; doch verträgt er eine derartige Einschränkung nicht145: Es kommt nach dem Gesetzestext nur darauf an, dass (natürlich neben dem Vorliegen der Rücknahmeerklärung) die Hauptsache „vor Rechtshängigkeit weggefallen ist“146. Daher fallen Erledigungen vor dem Einreichen der Klage unter die Neuregelung147. Damit das Gericht die bei dieser privilegierten Klagerücknahme ermöglichte Ermessensentscheidung über die Kosten vornehmen darf, muss es also prüfen, ob der Kläger einen Anlass zur Klageeinreichung hatte und ob dieser Anlass vor Rechtshängigkeit weggefallen ist. Erst nachdem es eine solche Art der Erledigung der Hauptsache bejaht hat, darf es seine Ermessensentscheidung fällen. Hierbei fließt bei einer Erledigung vor der Einreichung auch der Gesichtspunkt ein, ob der Kläger die Erledigung kannte, als er das Verfahren begann. Es ist jedoch zumindest missverständlich, wenn gesagt wird, bei einer Erklärung der Erledigung der Hauptsache vor Klageeinreichung müsse das Erledigtsein „dem Kläger nicht erkennbar“ gewesen sein148. Dieser Gesichtspunkt bildet keine Voraussetzung für die Bejahung der Erledigung149 und für den Erlass der Kostenermessensentscheidung (für das „Ob“); er ist vielmehr erst bei der privilegierten Kostenentscheidung zu berücksichtigen150 (beim „Wie“).
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Hauptsache für erledigt erklären, blieb „vereinzelt“ (Becker-Eberhard [Fn. 142], S. 264). Z.B. Schilken, Zivilprozessrecht, 4. Aufl. 2002, Rz. 636 mit Fn. 24. Gottwald in Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl., 2004, § 128 Rz. 38, befürwortet allerdings eine analoge Anwendung. Die Begründung enthält keine klare Aussage, vgl. BT-Drs. (Fn. 119), S. 80 f. Foerste in Musielak, § 269 Rz. 13 Fn. 55, sieht in subtiler Hermeneutik in der Wendung der amtlichen Begründung „insbesondere dann nicht gegeben“ (BT-Drs., a.a.O., S. 81) einen Hinweis auf die Zulässigkeit der Berücksichtigung von Vorgängen auch vor dem Einreichen der Klageschrift. Ch. Wolf, Buchbesprechung, ZZP 116 (2003) 523 (524 bei Fn. 10) ist hingegen der richtigen Ansicht, die Begründung habe dies nicht im Auge gehabt. Richtig insoweit BGH, NJW 2004, 1530 sub II. 2b; OLG München, OLGR 2004, 218 f. sub II. 2b aa (1). Foerste (Fn. 115), § 269 Rz. 13 (allerdings gegen Ende der Randnummer dann doch von einer „Analogie“ sprechend); Greger in Zöller, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 269 Rz. 18d jeweils m.w. Nachw.; Knauer/Wolf, Zivilprozessuale und strafprozessuale Änderungen durch das Erste Justizmodernisierungsgesetz (Teil 1), NJW 2004, 2857 (2858 sub II. 2 a.E.). Die frühere Außenseiteransicht von Reinelt (Fn. 143) ist jetzt geltendes Recht geworden; es verwundert nicht, dass die Begründung (vgl. Fn. 128 und 145) diese Ansicht ebenfalls nicht erwähnt. So Foerste (Fn. 115), § 269 Rz. 13; ähnlich Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 128 Rz. 38: „Erledigung“, „aber ohne Kenntnis des Klägers“. Anders allerdings Schur (Fn. 124), S. 390 mit der „Konsequenz“ einer etwaigen Beweisaufnahme über die Kenntnis des Klägers, ebenso S. 394 Fn. 60 a.E. Unrichtig ist die Ansicht von Saenger in Hk-ZPO, 2006, § 269 Rz. 43, der Beschluss über die Kosten (§ 269 Abs. 4 ZPO) sei „deklaratorischer Natur“. Dies ist
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3. Änderungen durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz Bereits wenige Jahre später änderte das 1. JuMoG § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO. Derzeit lautet daher die Bestimmung: „Ist der Anlaß zur Einreichung der Klage vor Rechtshängigkeit weggefallen und wird die Klage daraufhin zurückgenommen, so bestimmt sich die Kostentragungspflicht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen; dies gilt auch, wenn die Klage nicht zugestellt wurde.“
a) Abkehr vom Gebot der Unverzüglichkeit der Klagerücknahme Wie schon angedeutet151, entfernte das 1. JuMoG das Erfordernis der Unverzüglichkeit der Klagerücknahme. Es reagierte damit auf die zum Teil heftige Kritik152. Gleichwohl ist der Änderungsgesetzgeber mit dem ersatzlosen Wegfall einer Zeitgrenze in das andere Extrem verfallen und hat das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Er hätte sich an dem jahrzehntelang geltenden § 3 Abs. 3 S. 2 MSchG anlehnen sollen, der eine „alsbaldige“ Erledigungserklärung forderte153. Jetzt ist es möglich, dass der Kläger nach der Erledigung seine Klage erst einmal auf einen materiellrechtlichen Kostenerstattungsanspruch ändert, um sich nach Rückkehr zu seinem ursprünglichen Antrag dann doch der privilegierten Klagerücknahme des § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO zu bedienen154. Ein solcher „zeitlich unbeschränkt möglicher“155 Weg sollte aber nicht eröffnet sein156. b) Die (neue) Klagerücknahme ohne Klagezustellung Eine große Bedeutung hat hingegen der dem dritten Satz des § 269 Abs. 3 ZPO hinzugefügte Halbsatz, dass das Gericht eine Ermessensentscheidung über die Kosten auch treffen darf, „wenn die Klage nicht zugestellt wurde“157. Die Gesetzesmaterialien sprechen zwar nur von einer „Klarstel-
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er sicher bei der Verfahrenslage nach § 269 Abs. 3 S. 1, 2 der Fall, niemals aber bei der vom Reformgesetzgeber bewusst als konstitutiv ausgestalteten Ermessensentscheidung nach § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO; hierzu grundlegend Stickelbrock (Fn. 113) zum vergleichbaren § 91a ZPO. Fn. 117. Vgl. z.B. Schneider (Fn. 134), S. 118 ff. Text oben bei Fn. 29. Näher Schur (Fn. 124), S. 394 f. Es kann sich hier nur um die Erledigung einer zugestellten Klage handeln. Deckenbrock/Dötsch, Kostenerstattung nach § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO bei Klagerücknahme ohne Zustellung, JurBüro 2003, 568 (573 sub 7.6). Hierzu deshalb unten der Gesetzesvorschlag bei Fn. 190. In der Gesetzesbegründung der Bundesregierung (Fn. 93) findet sich ein solcher Vorschlag nicht. Erst die Beschlussempfehlung und der Bericht des Rechtsausschusses (BT-Drs. 15/3482) enthalten den neuen Halbsatz des § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO (S. 3 Nr. 8 sub b) und eine Begründung (S. 16 sub 8).
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lung“158 und meinen offenkundig, dass es bereits ohne den neuen Halbsatz den Gerichten möglich gewesen wäre, diese Entscheidung zu treffen. Jedoch haben Rechtsprechung und Wissenschaft159 zutreffend weder dem durch das ZPO-Reformgesetz eingeführten § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO noch dessen amtlicher Begründung den Gedanken entnommen, es könne eine gar nicht erhobene Klage zurückgenommen werden. Erst der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages ist auf diesen Gedanken gekommen. c) Bedürfnis nach einer Erledigung auch ohne Klagezustellung Nachdem das ZPO-Reformgesetz in § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO die privilegierte Klagerücknahme mit Kostenermessensentscheidung für die Fälle der Erledigung vor Rechtshängigkeit geschaffen hatte, stand insbesondere die Anwaltschaft immer wieder vor der Frage, (lediglich) zur Begründung der Rechtshängigkeit (und um die privilegierte Kostenentscheidung zu ermöglichen) die Klage zustellen zu lassen, obwohl sich nach deren Einreichung die Hauptsache erledigt hatte. Die Frage war, ob die vor Rechtshängigkeit erledigte Klage zwecks Begründung der Rechtshängigkeit mit einer Zustellung ausgestattet werden sollte. Die Antwort auf diese Frage ist einfach: Eine erledigte Klage zuzustellen, hat keinerlei Sinn160. Im Gegenteil wird jeder Kläger bemüht sein, in einem solchen Fall eine Zustellung zu verhindern. Dann die privilegierte Kostenentscheidung zu unterlassen, weil es nicht zur Rechtshängigkeit gekommen ist, erscheint ebenfalls nicht sinnvoll; denn letztlich ist ein Kläger zu loben, der von der Zustellung der Klage Abstand nimmt. Ihn sogar schlechter zu stellen, lässt sich noch weniger rechtfertigen. Aus diesen Gründen ist es sicher notwendig, die privilegierte Kostenentscheidung auch ohne eine Zustellung der Klage zuzulassen, sofern sich die Hauptsache inzwischen erledigt hat. So kommt man zur Rechtsfigur der vor Rechtshängigkeit erledigten Klage ohne Klagezustellung. d) Die erste Fallgruppe: Erledigung mit Klagezustellung Die Notwendigkeit einer Gleichbehandlung der beiden Fallgruppen kann leider nicht dazu führen, dass sie prozessual ohne weiteres gleich zu behandeln sind. Denn zwischen beiden Fallgruppen verläuft die unübersehbare Grenze der Rechtshängigkeit:
158 BT-Drs. 15/3482, S. 16. „Das dürfte letztlich sogar über eine bloße ,Klarstellung‘ hinausgehen“, so zutreffend Deckenbrock/Dötsch (Fn. 133), 1214 sub II. 159 Nachweise in BT-Drs. 15/3482, S. 16; anders als die damals h.M. jedoch unter Hinweis auf den prozessökonomischen Charakter von § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO BGH NJW 2004, 1530 f. 160 Foerste in Musielak, § 269 Rz. 13: „sinnlos“.
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Bei der ersten Fallgruppe – der Erledigungserklärung mit (nach) Klagezustellung – besteht ein Prozessrechtsverhältnis zwischen dem Kläger und dem Beklagten. Der Kläger kann es entweder durch (normale) Klagerücknahme mit der für ihn ungünstigen Kostenfolge des § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO oder durch (privilegierte) Klagerücknahme mit der Kostenermessensentscheidung nach § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO beenden. Bei der normalen Rücknahme bedarf es keiner Einwilligung des Beklagten, da er sich in den hier zu betrachtenden Situationen zur Hauptsache noch nicht eingelassen haben wird (arg. § 269 Abs. 1 ZPO); die Prozessbeendigung tritt automatisch ohne jede Mitwirkung des Gerichts ein; sie ist Bewirkungshandlung161 mit der Kostenfolge des § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO. Die privilegierte Rücknahme erfordert hingegen eine Prüfung des Gerichts; auch sie ist zwar Bewirkungshandlung, deren Wirkung aber nur eintritt, falls das Gericht die Erledigung (den Wegfall des Anlasses zur Klageeinreichung) bejaht. Wenn dies der Fall ist, kommt es ebenfalls zur Prozessbeendigung, und eine privilegierte Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO ist möglich. Verneint das Gericht einen Wegfall des Anlasses (sei es, weil er niemals bestand; sei es, weil er nicht weggefallen ist), ist die privilegierte Rücknahme gescheitert und der Prozess bleibt weiter anhängig e) Die zweite Fallgruppe: Erledigung ohne Klagezustellung aa) Die unsinnige sprachliche Regelung des § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO Die soeben dargestellte Verfahrenslage soll gemäß dem zweiten Halbsatz des § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO ohne weiteres (und nicht nur entsprechend162) gelten, auch „wenn die Klage nicht zugestellt wurde.“ Bereits der Wortlaut zeigt, dass Unsinniges angeordnet ist163. Denn der erste Halbsatz nennt die Klagerücknahme als weitere (zweite) Voraussetzung für eine privilegierte Kostenentscheidung („und wird die Klage daraufhin zurückgenommen“). Wenn eine Klage nicht erhoben wurde, kann sie nicht zurückgenommen werden. Bei wörtlicher Interpretation ist es dem Kläger daher unmöglich, diese zweite Voraussetzung für die privilegierte Kostenentscheidung zu erfüllen.
161 Hierzu Goldschmidt, Der Prozeß als Rechtslage, 1925, S. 465 ff. 162 Das Wort „entsprechend“ (das mindestens gesetzestechnisch notwendig gewesen wäre) ist dem Gesetzgeber wohl deshalb nicht über die Lippen gekommen, weil er sonst seinen früheren Fehler eingestanden hätte, dass die alte Regelung (jetzt im ersten Halbsatz) eine Erledigung ohne Zustellung nicht ermöglichen konnte. 163 Zutreffend OLG Brandenburg, OLGR 2005, 559.
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bb) § 269 Abs. 3 S. 3 Halbs. 1 ZPO gilt bei Nichtzustellung nur „entsprechend“ Da gute Juristen schlechte Gesetzgeber nicht am Wort festhalten, wird man den ersten Halbsatz des § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO auf die hier behandelte Situation deshalb nur „entsprechend“ und in dem Sinne anwenden, dass die zweite Voraussetzung für die privilegierte Kostenentscheidung lautet: „sieht der Kläger [daraufhin164] von einer Zustellung der Klage ab“. cc) Information des bisher nicht beteiligten „Gegners“? Mit diesem Ergebnis sind jedoch die Probleme der Erledigungserklärung ohne Klagezustellung nicht beendet, jetzt beginnen sogar erst die eigentlichen inhaltlichen Schwierigkeiten. Da der zweite Halbsatz von § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO das Fehlen einer Zustellung an den „Gegner“165 geradezu voraussetzt, erhebt sich die zentrale Frage nach der Beteiligung dieses „Gegners“ an dem Verfahren über die privilegierte Kostenentscheidung. Sicherlich kann das Gericht von dessen Beteiligung absehen, wenn es – wie oben schon dargestellt – einen Wegfall des Anlasses ohne seine Stellungnahme verneint166. dd) Trotz „entgegenstehenden Wortlauts“ der ZPO hat der Gegner rechtliches Gehör In den meisten anderen Fällen wird man eine Anhörung des Gegners für erforderlich halten. Doch der Wortlaut der ZPO steht, wie der BGH festgestellt hat, „an sich entgegen“167. „An sich“ ist dies ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, der zur Nichtigkeit der Vorschrift führt und zur Vorlage an 164 „Daraufhin“ im ersten Halbsatz von § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO ist kein vom Gericht zu prüfendes Tatbestandsmerkmal, sondern ein überflüssiger Sprachschnörkel im zeitlichen Sinn von „dann“, „danach“, „nachfolgend“, keinesfalls aber in einer kausalen Bedeutung wie etwa „infolge“. Sonst müssten die Gerichte sogar Motivforschung betreiben und dürften die Vorschrift z.B. nicht anwenden, wenn der Kläger erst aufgrund eines richterlichen Hinweises (hierzu Schur [Fn. 124], S. 396) die Klage zurücknimmt. 165 Bereits der hier von mir verwendete Ausdruck „Gegner“ erscheint unangemessen. Diese Person steht bislang außerhalb des Verfahrens. Sie ist zwar ehemals intendierter Beklagter, ist aber mangels inzwischen erfolgter Zustellung prozessual Außenstehender geblieben. Treffend schon im Jahr 1892 Landsberg (Fn. 5), S. 237: „der Beklagte bleibt zunächst völlig unberührt oder – richtiger ausgedrückt – ist noch nicht vorhanden.“ 166 Anders als bei der Erledigung mit Klagezustellung, wo der Prozess weitergeht, bleibt es dann bei der Situation einer eingereichten, aber nicht zugestellten Klage. Ob jetzt noch zugestellt werden soll, bestimmt der Kläger. 167 BGH, NJW 2006, 775 (sub II. 2b): „Trotz des an sich entgegenstehenden Wortlauts“.
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das BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG verpflichtet168. Da der BGH diesen Weg nicht gegangen ist, muss man annehmen, dass offensichtlich eine verfassungskonforme Auslegung erlaubt, sich über den „an sich entgegenstehenden Wortlaut“ der ZPO hinwegzusetzen, und dazu zwingt, den Gegner zu hören169. Jetzt muss man sehen, dass mit ihm bisher kein Prozessrechtsverhältnis besteht, weil die Zustellung der Klage an ihn unterblieb (und weiterhin unterbleiben soll); er ist klassische Nicht-Partei170. Um ihn zu einem Verfahrensbeteiligten zu machen, ist eine förmliche Zustellung eines verfahrenseinleitenden Schriftsatzes an ihn notwendig171. Zweckmäßigerweise sind als verfahrenseinleitender Schriftsatz der Antrag des Klägers auf Kostenermessensentscheidung und als Anlagen die nicht zugestellte Klage und die Rücknahmeerklärung zuzustellen172. ee) § 269 Abs. 3 S. 3 Halbs. 2 ZPO erfordert eine mündliche Verhandlung Schon wegen Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK muss sodann eine mündliche Verhandlung stattfinden (es sei denn, beide Seiten sind mit einem schriftlichen Verfahren einverstanden, § 128 Abs. 2 S. 1 ZPO). § 128 Abs. 3 ZPO greift nicht ein, weil gegenüber dem Gegner nicht „nur noch“, sondern „nur“ entschieden wird. Aus § 269 Abs. 4 in Verbindung mit § 128 Abs. 4 ZPO auf die Entbehrlichkeit einer mündlichen Verhandlung zu schließen, hilft wegen Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK nicht weiter. Vielmehr muss sich das Gericht („können“ in § 128 Abs. 4 ZPO) für eine mündliche Verhandlung entscheiden173.
168 Anders BGH, a.a.O., ohne jede Begründung. Angesichts der seit fünfzig Jahren immer wieder fehlenden Sensibilität für grundrechtliche Fragen der ZPO (hierzu Schumann, Der Einfluß des Grundgesetzes auf die zivilprozessuale Rechtsprechung, in Festgabe 50 Jahre BGH, Band III, 2000, S. 1 (15 ff., vor allem 29 ff.) ist es nicht verwunderlich, daß der BGH auch hier die verfassungsrechtliche Dimension nicht erkannt hat. Vorbildlich hingegen insoweit OLG Brandenburg, OLGR 2005, 559. 169 Das ist ja wohl auch selbstverständlich, statt vieler Knauer/Wolf (Fn. 147), 2858 m. Nachw. in Fn. 18; vgl. ebenso z.B. BGH, ZfBR 2004, 373 sub III 2; OLG Düsseldorf, FPR 2004, 270 (271) und allgemein Leipold in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2005, Rz. 9–112 vor § 128. 170 Greger in Zöller, § 269 Rz. 18e. 171 Knauer/Wolf (Fn. 147), 2858. 172 Greger in Zöller, § 269 Rz. 18e; aus der Vielzahl der Vorschläge z.B. Schur (Fn. 124), S. 385 ff. sowie Deckenbrock/Dötsch (Fn. 155), 571 sub 3.4: Gleichzeitige Zustellung der Klage und der Rücknahme. 173 Vgl. Leipold in Stein/Jonas, § 128 Rz. 115 ff. – Hierzu auch unten Text zu Fn. 177.
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ff) Anwaltszwang für den Gegner auch bei Bagatellbeträgen bisher nicht beseitigt Da der Gesetzgeber es aus unbekannten Gründen unterlassen hat, wie bei § 91a Abs. 1 S. 1 ZPO174 eine Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle zuzulassen, muss nicht nur der Kläger als Antragsteller, sondern auch sein Antragsgegner durch einen Anwalt vertreten sein, soweit der Anwaltszwang gilt. Daran besteht angesichts der notwendigen mündlichen Verhandlung wegen § 78 Abs. 1 S. 1 ZPO kein Zweifel. Wenn also der Kläger bei einem Streitwert von z.B. Euro 6000 meint, der Gegner habe Anlass zu der inzwischen nicht weiter betriebenen und daher nicht zugestellten Klage gegeben, wird er einen Antrag nach § 269 Abs. 4 ZPO stellen, um einen Beschluss der Zivilkammer zu erhalten, dass der Gegner die ihm entstandenen Gerichtsund Anwaltsgebühren gemäß § 269 Abs. 3 S. 3 (Halbs. 2 i.V.m. Halbs. 1) ZPO zu erstatten hat. Eigens für dieses Kostenverfahren muss der Gegner einen Rechtsanwalt bestellen, selbst dann, wenn er dem Hinweis von Greger175 auf das Kostenverzeichnis gefolgt ist und mit dem Kläger eine privatschriftliche gerichts- und anwaltskostenmindernde Einigung nach Nr. 1211 Ziffer 1 (2. Variante) KV-GKG und Nr. 3101 Ziffer 2 VV-RVG abgeschlossen hat. Leider ist dieses Szenario kein Kathederbeispiel aus einem prozessfremden Elfenbeinturm; das ist erschreckende zivilprozessuale Wirklichkeit. gg) Bei der Kostenentscheidung gibt es keinen „bisherigen“ Sach- und Streitstand Auch beim Inhalt der gerichtlichen Kostenentscheidung zeigt sich, wie schlecht die Vorschrift formuliert ist. Nach § 269 Abs. 3 S. 3 Halbs. 1 ZPO bestimmt sich die Kostentragungspflicht nach billigem Ermessen „unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes“. Kraft der Verweisung im 2. Halbsatz soll diese Regelung auch für die nicht zugestellte Klage gelten. Doch in dieser Situation gibt es einen solchen „bisherigen“ Sach- und Streitstand überhaupt nicht, weil der „Gegner“ nicht einmal in ein Prozessrechtsverhältnis einbezogen ist und schon gar nicht gehört wurde. Die sonst bei der beiderseitigen Erledigungserklärung übliche Beschränkung auf das bisherige Prozessgeschehen176 ist daher unmöglich. Zutreffend setzt sich der BGH über den Gesetzestext hinweg und fordert, dass der „Tatsachenvortrag und die zu seiner Untermauerung angeführten Beweismittel“ des Gegners vom Gericht bei der Kostenermessensentscheidung zu berücksichtigen sind177.
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Vgl. oben Text bei Fn. 84 und 85. Greger in Zöller, § 269 Rz. 18e. Vgl. Vollkommer in Zöller, § 91a Rz. 26. BGH, NJW 2006, 775 (sub II. 2b); hierzu auch Schur (Fn. 124), S. 381 ff. Auch dies ist ein Grund, hierüber mündlich zu verhandeln, vgl. oben Text bei Fn. 173.
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f) Ergebnis: Die Regelung der Klagerücknahme ohne Klagezustellung ist verunglückt Insgesamt zeigt sich: Die vom 1. JuMoG eingeführte Regelung der Klagerücknahme ohne Klagezustellung ist verunglückt. Sie will zwei so grundlegend verschiedene prozessuale Situationen wie einerseits die Klagerücknahme mit Klagezustellung und andererseits die Klagerücknahme ohne Klagezustellung einheitlich regeln. Selbst wenn man bei der zweiten Fallgruppe den Hinweis auf das Fehlen eines Prozessrechtsverhältnisses wegen fehlender verfahrenseinleitender Zustellung als antiquiert oder begriffsjuristisch abtut178: Es ist nach dem heute geltenden rechtsstaatlichen deutschen Zivilprozessrecht ein fundamentaler Unterschied, ob sich ein Bürger in einem förmlich eingeleiteten und präzis geregelten gerichtlichen Verfahren befindet oder überhaupt nicht an dem Prozess beteiligt ist. Diesen grundlegenden Unterschied nicht beachtet zu haben, ist der schwere Fehler des 1. JuMoG. Dass weitere Ungereimtheiten und erhebliche Ungerechtigkeiten diese „Modernisierung“ begleiten, lässt an der Berufung des Gesetzgebers zur sinnvollen Regelung der Erledigung der Hauptsache zweifeln.
IV. Versuch einer gesetzlichen Regelung 1. Vorbemerkung Wer, wie geschehen, den Gesetzgeber kritisiert, sollte den Versuch wagen, eine gesetzliche Regelung zu formulieren, die die Materie der Erledigungserklärung der Hauptsache erfasst. Da frühere Vorschläge179 und Aufforderungen180 den Gesetzgeber nicht aus seiner Untätigkeit gerissen haben, gebe ich mich allerdings nicht der Illusion hin, er werde nunmehr tätig werden. So dient der Vorschlag vor allem zur Kontrolle der eigenen Gedanken. Der Vorschlag knüpft an die Worte Rudolf Pohles und Peter Gottwalds an, es sei „unnötig komplizierend“, die (einseitige) Erklärung des Klägers, es habe sich die Hauptsache erledigt, als einen Antrag anzusehen, bei Zustimmung des Beklagten aber zu sagen, dass „die Erklärung ihren Charakter als Antrag verliert“181 und es sei „schwer erklärbar, wenn die h.M. die Erklärung des Klägers je nach Reaktion des Beklagten als rücknahmeähnliche Bewirkungshandlung oder als Klageänderung behandelt.“182 Diese schwer erklärbare Kompliziertheit will der Vorschlag vermeiden. Aus der Sicht des Klä-
178 In diese Richtung geht der merkwürdige Ton von BGH, NJW 2004, 1530 (sub II. 2c). 179 Z.B. auch bei Göppinger (Fn. 4), S. 323–330. 180 Z.B. von Assmann (Fn. 2), S. 205. 181 Pohle (Fn. 99), S. 437 Fn. 17. 182 Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 130 Rz. 33.
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gers183 und im Anschluss an die Änderungen durch das ZPO-Reformgesetz empfiehlt sich daher für die einseitige Erledigungserklärung eine einheitliche Vorschrift in Gestalt eines neuen § 269a ZPO. Die Regelung der beiderseitigen Erledigungserklärung in § 91a ZPO bleibt erhalten und wird ergänzt. Da alle Erklärungen auch zu Protokoll der Geschäftsstelle abgegeben werden können, sind sie vom Anwaltszwang befreit. Dies gilt ebenso für die kostenmindernden „Einigungen der Parteien“ gemäß Nr. 1211 Ziffer 1 und 4 KVGKG und Nr. 3101 Ziffer 2, 3104 Abs. 3 VV-RVG184. Auf den Streit um die Rechtsnatur der Erledigungserklärung braucht der Vorschlag nicht einzugehen. 2. Vorschlag zur Erledigung der Hauptsache (a) Die Überschrift in § 91a ZPO wird geändert: „§ 91a ZPO Kosten bei beiderseitiger Erklärung der Erledigung der Hauptsache“.185 (b) § 91a ZPO erhält einen Absatz 3: „Mit der Unanfechtbarkeit des Beschlusses wird eine bereits ergangene, noch nicht rechtskräftige Entscheidung, ohne dass es ihrer ausdrücklichen Aufhebung bedarf, wirkungslos, soweit die Erledigungserklärung sie umfasst186.“
(c) § 269 Absatz 3 S. 3 ZPO wird gestrichen. (d) Nach § 269 wird § 269a ZPO eingefügt: „§ 269a ZPO Einseitige Erklärung der Erledigung der Hauptsache187 (1)188 1Erklärt der Kläger in der mündlichen Verhandlung oder durch Einreichung eines Schriftsatzes oder zu Protokoll der Geschäftsstelle die Hauptsache als vor Rechtshängigkeit erledigt, so entscheidet das Gericht über die Kosten durch Beschluss entspre183 Hierzu El Gayar (Fn. 4), S. 111, 198. 184 Inwieweit der Vorschlag zu Änderungen in den Verzeichnissen und in anderen Vorschriften führt, ist nicht ausgeführt. Auch Kostenmischentscheidungen sind nicht behandelt (vgl. Fn. 72). 185 Zur Form des Widerspruchs des Beklagten gemäß § 91a Abs. 1 S. 2 ZPO ist ein Vorschlag nicht erforderlich (näher Fn. 97). 186 Wegen der Möglichkeit von Teilerledigungserklärungen (Fn. 73) muss klargestellt sein, dass diejenigen Entscheidungen aufrechterhalten bleiben, die von der Erledigungserklärung „unberührt“ (BGHZ 156, 333 [346 sub I. 5b cc (1)]) sind. BGHZ 156, 333 (346 sub I. 5c) und OLG Hamburg, NJW-RR 1987, 1024 nehmen dies bei Ordnungsmittelverfahren in der Regel an; vgl. Fritzsche, Unterlassungsanspruch und Unterlassungsklage, 2000, S. 667 f. 187 Bei Übernahme der (verwirrenden) anderen Terminologie des ZPO-Reformgesetzes müsste der Begriff lauten: „Wegfall des Klageanlasses“; im Abs. 1 S. 1 a.E. müsste es heißen: „falls der Anlaß zur Einreichung der Klage vor Rechtshängigkeit weggefallen ist“. 188 Dieser Absatz tritt an die Stelle von § 269 Abs. 3 S. 3 Halbs. 1 ZPO. Ob wegen eines Vorrangs der Erledigungserklärung (o. Fn. 124) der Kläger den Weg des § 269a Abs. 1 oder 2 ZPO gehen muss, ist hier offengelassen (vgl. auch Greger in Zöller, § 269 Rz. 18c und d).
185
Ekkehard Schumann chend189 § 91a Absatz 1 Satz 1, falls sich die Hauptsache erledigt und der Kläger dies alsbald erklärt hat190. 2§ 91a Absatz 2 gilt entsprechend. (2)191 1Ist im Fall des Absatzes 1 die Klage zwar eingereicht, aber nicht zugestellt worden, kann der Kläger durch Einreichung eines Schriftsatzes oder zu Protokoll der Geschäftsstelle die Kostenentscheidung beantragen. 2Der Antrag ist dem Gegner mit der nicht zugestellten Klage sowie mit der Erledigungserklärung, soweit sie nicht im Antrag enthalten ist, zuzustellen. 3Der Gegner ist darauf hinzuweisen, dass Erklärungen auch zu Protokoll der Geschäftsstelle abgegeben werden können. 4Das Gericht entscheidet auf Grund mündlicher Verhandlung durch Beschluss. (3)192 1Widerspricht der Beklagte einer Erklärung des Klägers, dass sich die Hauptsache nach Rechtshängigkeit erledigt habe, so entscheidet das Gericht durch Urteil. 2Es stellt die Erledigung der Hauptsache fest, wenn nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit ein Ereignis eingetreten ist, durch das die Zulässigkeit oder die Begründetheit der Klage weggefallen ist. 3Ist dies nicht der Fall, weist das Gericht die Klage ab193. 4Über den ursprünglichen Klageantrag entscheidet es außerdem, wenn ihn der Kläger hilfsweise gestellt hat194.“
V. Praxishinweise Der Beitrag führt zu einer Reihe von Hinweisen und Anregungen für die prozessuale Praxis.
189 Es sollte eine nur entsprechende Anwendung angeordnet werden, weil es in den Fällen des § 269a Abs. 1 und 2 Situationen gibt, die keinen „bisherigen“ Sachund Streitstand kennen (vgl. Fn. 177). Andererseits erscheint es sinnvoll, auf § 91a Abs. 1 S. 1 ZPO allgemein zu verweisen, um einen Gleichlauf der Kostenentscheidungen zu erreichen. 190 Im Anschluss an das oben zu Fn. 153 ff. Gesagte. 191 Dieser Absatz tritt an die Stelle von § 269 Abs. 3 S. 3 Halbs. 2 ZPO. 192 Dieser Absatz regelt die einseitige Erklärung der Erledigung der Hauptsache nach Rechtshängigkeit. Die Regelung geht von einer Erledigungserklärung des Klägers aus, der der Beklagte nicht zugestimmt hat. Dies ist der Fall, wenn die Einwilligungsfiktion gemäß § 91a Abs. 1 S. 2 ZPO nicht eingreift oder der Beklagte ausdrücklich einer Erledigungserklärung des Klägers widerspricht. Das Verfahren wird in diesem Fall automatisch zum Prozess über die einseitige Erledigung der Hauptsache (ob darin eine Klageänderung liegt oder ob dies eine Sonderform der Klagerücknahme darstellt, muss der Gesetzgeber nicht entscheiden). Wegen dieser Automatik liegt nach nur schriftsätzlicher oder nur zu Protokoll erklärter einseitiger Erledigung ein Erledigungsprozess vor, ohne dass es einer mündlichen Verhandlung lediglich deshalb bedarf, um ihn beginnen zu lassen, vgl. Fn. 101. 193 War die Klage von vornherein unbegründet, will jedoch der Kläger die Kosten des laufenden Prozesses dem Beklagten aufbürden, muß er den Weg gehen, wie in Fn. 124 beschrieben. 194 Entsprechend der h.M., vgl. Vollkommer in Zöller, § 91a Rz. 35; Schumann (Fn. 112), Anm. sub II.; Westermeier (Fn. 29), S. 336 f.
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1. Form der Erledigungserklärung und des Beklagtenwiderspruchs a) Form der Erledigungs- und Zustimmungserklärung Da gemäß § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO die Erledigungserklärungen nicht nur in der mündlichen Verhandlung abgegeben werden dürfen, muss derjenige Rechtsanwalt, der eine Erledigung erklären will, die vereinfachten Formen der Einreichung eines Schriftsatzes195 oder zu Protokoll der Geschäftsstelle196 prüfen. Dabei darf nicht übersehen werden, dass auch im Anwaltsprozess kein Anwaltszwang197 für die Erledigungserklärung besteht, so dass z.B. die beklagte Partei der klägerischen Erklärung anwaltskostenmindernd selbst zustimmen kann – auf der Geschäftsstelle oder sogar im Termin. Als eine Erledigungserklärung ist auch die Zustimmung zur gegnerischen Erklärung anzusehen. b) Form des Beklagtenwiderspruchs Der im neuen198 zweiten Satz des § 91a Abs. 1 ZPO indirekt eingeführte „Widerspruch“ des Beklagten gegen eine Erledigungserklärung des Klägers kann ebenfalls in einer der soeben dargestellten drei Formen eingelegt werden199. 2. Vorteile und Gefahren der neuen Fiktion einer Einwilligung des Beklagten a) Überlegungen der Parteien Die in § 91a Abs. 1 S. 2 ZPO200 eingeführte Fiktion der Einwilligung (Zustimmung) des Beklagten zur klägerischen Erledigungserklärung kann kostenmäßig ebenfalls für die beklagte Seite günstig sein, etwa wenn sie vor dem noch nicht durchgeführten frühen ersten Termin die fällige Zahlung geleistet hat und sie offensichtlich die Kosten tragen wird; dann verschweigt sie sich einfach, und es kommt ohne mündliche Verhandlung201 zum Kostenbeschluss. Die Regelung über die Einwilligungsfiktion enthält allerdings auch Gefahren und Schwierigkeiten für den Beklagten. Nachdem schon früher bei der Klagerücknahme eine entsprechende Regelung eingeführt wurde202, ist der Anwaltschaft inzwischen auch bei § 91a ZPO bewusst, dass es
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S. oben II 2a. S. oben II 2b. Vereinzelte Gegenmeinung in Fn. 85. S. oben II 4. Nachweis in Fn. 96. S. oben II 4. S. oben II 2a. S. oben II 3a.
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unwiederbringlich für den Beklagten zu keinem Urteil mehr kommt, wenn die Frist versäumt wird203. Gefährlich ist die Kürze der Frist des § 91a Abs. 1 S. 2 ZPO von zwei Wochen. Sie nötigt den Anwalt bisweilen, vorsorglich zu „widersprechen“, weil es vielfach innerhalb dieses Zeitraums nicht möglich ist, vom Mandanten die erforderlichen Informationen zu erhalten. Ein solcher „Widerspruch“ hindert den Anwalt nicht, der klägerischen Erledigungserklärung später zuzustimmen; doch darf er nicht übersehen, dass eine Zustimmung nicht mehr möglich ist, sobald der Kläger im Sinne der herrschenden Klageänderungstheorie seine Klage auf Feststellung der Erledigung geändert hat. Keinesfalls ist dem Anwalt zum Schweigen zu raten, wenn er der Ansicht ist, dass nicht der Beklagte, sondern der Kläger den Anlass zur Klage gegeben hat (vgl. § 93 ZPO), etwa weil der Anspruch noch nicht fällig war. Dann muss er sich, um eine für den Beklagten günstige Kostenentscheidung gemäß § 91a Abs. 1 S. 1 ZPO zu erreichen, schriftsätzlich äußern, auch wenn er der Erledigungserklärung des Klägers zustimmt. b) Überlegungen des Gerichts Der Richter ist zwar nicht verpflichtet, die Möglichkeit der Einwilligungsfiktion zu nutzen, doch hat sich in der Gerichtspraxis die (formularmäßige) Belehrung über die Einwilligungsfiktion eingebürgert. Die Belehrung sollte allerdings nicht erfolgen, wenn sich der Beklagte noch nicht zur Hauptsache eingelassen hat, weil der Kläger bis zu diesem Zeitpunkt die Klage ohnehin zustimmungsfrei zurücknehmen darf. Unsicherheiten über die Belehrung scheint es bei der privilegierten Klagerücknahme gemäß § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO zu geben. Bei der im dortigen 2. Halbsatz geregelten „Klagezurücknahme vor Zustellung“ ist eine Einlassung des Beklagten selbstverständlich nicht denkbar. Anders ist es bei der im 1. Halbsatz erfassten Rücknahme: Die dortige Erledigung vor Rechtshängigkeit kann sich möglicherweise erst zeigen, nachdem sich der Beklagte zur Hauptsache eingelassen hat. Dann vermag sich der Kläger für die privilegierte Rücknahme gemäß § 269 Abs. 3 S. 3 Halbs. 1 ZPO zu entscheiden, um der (sonst automatischen) Kostentragungspflicht des § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO zu entgehen. Gleichwohl bleibt das Erfordernis der Einwilligung des Beklagten nach § 269 Abs. 1 ZPO bestehen. Daher ist das Gericht in diesen Fällen gehalten, die Belehrung über die Einwilligungsfiktion zu erteilen, um eine schnelle Beendigung des Rechtsstreits zu ermöglichen.
203 Immerhin besteht, da sie eine Notfrist ist, die Möglichkeit der Wiedereinsetzung (§ 233 ZPO).
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3. Erledigungserklärung auch des Beklagten Der Blick von der Zustimmung des Beklagten zur klägerischen Erklärung führt unvermeidlich zur Frage, ob der Beklagte ebenfalls die Erklärung der Erledigung der Hauptsache abzugeben vermag. Auch wenn die h.M. in Wissenschaft und Rechtsprechung verneint, dass er die Feststellung der Erledigung beantragen darf204, kann man jedem Beklagtenvertreter nur raten, einer weithin geübten prozessualen Praxis zu folgen und eine Erklärung205 der Erledigung (nicht aber einen Antrag auf Feststellung der Erledigung) möglichst schnell abzugeben, wenn er die Erledigung der Hauptsache erkannt hat. Damit kommt er in vielen Fällen der ohnehin gleichlautenden Erklärung des Gegners zuvor – prozesspsychologisch ungünstig ist dies keineswegs. Falls der Kläger eine Erledigung verneint, ist die Erklärung des Beklagten zwar unbeachtlich, aber sein Prozessbeendigungswille ist aus dem weiteren Verfahren genauso wenig atmosphärisch hinwegzudenken. 4. Kostenfragen Die beiderseitige Erledigungserklärung beendet die Rechtshängigkeit der Hauptsache, nicht aber der Kostenfrage206. Bei ihr müssen die Anwälte beachten, dass das neue Gerichtskostenrecht207 die Streitfrage208 beantwortet hat, ob sich bei § 91a ZPO die gerichtliche Verfahrensgebühr auf 1,0 mindert. Dies ist (nur) der Fall, wenn das Gericht bei beiderseitiger Erledigung der Hauptsache keine Kostenberechnung vorzunehmen hat209. Dementsprechend sind Einigungen über die Kosten, Übernahmeerklärungen oder der Verzicht auf eine gerichtliche Kostenentscheidung stets zu überdenken. Für eine solche gerichtskostenbezogene Einigung fällt für die Anwälte die Einigungsgebühr gemäß VV-RVG Nr. 1000 nach dem Wert der Kosten an, über die man sich geeinigt hat. Findet vor Abgabe der beiderseitigen Erklärung der Erledigung eine vertragsmäßige Verfahrensabsprache statt, ist der Streitwert der Hauptsache maßgeblich210. 204 Z.B. Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 130 Rz. 38 m. w. Nachw. Für ein Antragsrecht des Beklagten: Häsemeyer (Fn. 134), S. 267 bei dortiger Fn. 10, 291 ff.; Shen (Fn. 24), S. 83 ff. 205 Dass der Beklagte mit einer Erklärung der Erledigung der entsprechenden Anzeige des Klägers vorausgehen darf, betont zutr. Gottwald a.a.O. (Fn. 204). 206 Oben bei Fn. 9. 207 Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts (KostRMoG) vom 12. 5. 2004, BGBl. I, 717. 208 Vgl. (Interparlamentarischer) Fraktionsentwurf des KostRMoG BT-Drs. 15/1971, S. 23, Begründung zu Nr. 1211: S. 159 f., übernommen als Anlage 1 vom Regierungsentwurf BT-Drs. 15/2403. 209 KV-GKG 1211 Nr. 4; vgl. Dieter Meyer, GKG, 6. Aufl. 2004, KV 1211 Rz. 43 f. (S. 518 f.). 210 Vgl. von Eicken in Gerold/Schmidt, RVG, 16. Aufl., 2004, VV 1000 Rz. 68 f.
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5. Erledigungserklärung ex nunc Da bei der beiderseitigen Erledigungserklärung nach h.M. die Wirkungslosigkeit der bisher ergangenen Entscheidungen analog § 269 Abs. 3 S. 1 Halbs. 2 ZPO eintritt211, muss der Rechtsanwalt genau prüfen, ob solche Entscheidungen vorliegen und ob es wichtig ist, sie trotz der Erledigungserklärung aufrecht zu erhalten. Ist dies der Fall, gibt der Anwalt nur eine Erledigungserklärung ex nunc (horizontale Teilerledigungserklärung212) ab213. Insbesondere bei Unterlassungsverfügungen, gegen die der Gegner verstoßen hat, empfiehlt sich dieses Vorgehen214. 6. Zeitpunkt der Erledigung bei beiderseitiger Erklärung Nach wie vor spielt bei der beiderseitigen Erledigungserklärung der Hauptsache keine Rolle, wann die Erledigung eingetreten ist (das Gericht prüft nicht einmal, ob sich die Hauptsache wirklich erledigt hat). Wer daher die Erledigung erklärt, braucht sich zunächst nicht mit der Frage zu befassen, wann die Erledigung eingetreten ist215. Allerdings kann der Zeitpunkt der Erledigung für die Kostenentscheidung bedeutsam sein, so dass er zu thematisieren ist, z.B. falls der Beklagte erst unter dem Druck der Terminsladung gezahlt hat und damit feststeht, dass ihm die Kosten gemäß § 91a Abs. 1 S. 1 ZPO aufzuerlegen sind. 7. Zeitpunkt der Erledigung bei einseitiger Erklärung Kommt es mangels Zustimmung des Beklagten nicht zu einer beiderseitigen Erklärung, ist der Zeitpunkt der Erledigung deshalb beachtlich, weil die ZPO in Gestalt der privilegierten Klagerücknahme ein Sonderprogramm anbietet. a) Erledigung nach Rechtshängigkeit Hat sich die Hauptsache nach Zustellung der Klage erledigt, bleibt es beim üblichen Programm des Verfahrens über eine einseitige Erklärung der Erledigung der Hauptsache. Keinesfalls sollte eine Partei der Ansicht216 folgen, der
211 212 213 214
Nachw. in Fn. 99. Zum Begriff Fn. 73. Hierzu Fn. 73, 98 und 186. Weitere Hinweise bei Brehm in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2004, § 890 Rz. 29; vgl. auch Häsemeyer (Fn. 134), S. 293 sub (d). 215 Zur Umdeutung einer (einseitigen) privilegierten Klagerücknahme (§ 269 Abs. 3 S. 3 ZPO) in eine beiderseitige Erledigungserklärung (§ 91a Abs. 1 S. 1 ZPO) unten bei Fn. 249 f. 216 So z.B. Bonifacio, Klagerücknahme und Erledigungserklärung nach der Zivilprozessreform, MDR 2002, 499 f.
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Kläger könne auch in diesem Fall die Klage nach § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO zurücknehmen. Diese Ansicht ist bereits mit Text und Zweck des Gesetzes unvereinbar217 sowie vor allem verhängnisvoll. Geht nämlich ein Kläger bei einer Erledigung nach Rechtshängigkeit diesen Weg und nimmt die Klage zurück – Zustimmung des Beklagten, soweit überhaupt notwendig, unterstellt –, liegt eine („normale“) Prozesshandlung gemäß § 269 Abs. 2 ZPO vor; er hat also grundsätzlich sämtliche Kosten zu tragen (§ 269 Abs. 3 S. 2 ZPO). b) Erledigung vor Rechtshängigkeit Anders ist es bei einer Erledigung vor Zustellung der Klage. Da nach h.M. das soeben behandelte Verfahren der einseitigen Erledigungserklärung bei einem solchen Zeitpunkt der Erledigung nicht zur Verfügung steht, eröffnet die ZPO neuerdings in Gestalt der privilegierten Klagerücknahme nach § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO einen Sonderweg218. Hier müssen Gericht und Parteien eine Reihe von wichtigen Punkten beachten: (a) Die Neuregelung unterscheidet nicht mehr zwischen der Erledigung nach dem Einreichen, aber vor der Zustellung der Klage und der Erledigung vor dem Einreichen der Klage. Die ZPO kennt – als Gegensatz zur Erledigung nach Rechtshängigkeit (nach Zustellung der Klage) – nur noch die Erledigung vor Zustellung (vor Rechtshängigkeit), so dass insoweit der Zeitpunkt gleichgültig ist, wann sich die nicht zugestellte Klage erledigt hat219. (b) Das Gesetz verwendet statt des Ausdrucks „Erledigung der Hauptsache“ den Begriff „Wegfall des Klageanlasses“, ohne damit etwas anderes zu meinen220. (c) Falls sich die Hauptsache vor Zustellung der Klage erledigt hat, gewährt § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO jetzt dem Kläger eine Klagerücknahme mit dem Privileg, dass – wenn der Beklagte Anlass zur Klageeinreichung gegeben hat – diesem die Kosten auferlegt werden und die automatische Kostenpflicht des Klägers nach § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO entfällt. (d) Ob der Kläger die soeben dargestellte privilegierte Klagezurücknahme vorzunehmen hat, falls ihre Voraussetzungen vorliegen, lässt sich dem Gesetzestext nicht entnehmen. Vertritt man die These vom allgemeinen Vorrang der Erledigungserklärung221, dann muss der Kläger den Weg der privile-
217 Becker-Eberhard in FS Gerhardt (Fn. 2), S. 49 f.; Musielak, Neue Fragen im Zivilverfahrensrecht, JuS 2002, 1203 (1205 sub 2); Tegeder: Die Klagerücknahme als „einseitige Hauptsachenerledigungserklärung“, NJW 2003, 3327 f. (sub III). 218 Vgl. die eingehende Darstellung unter III 2 bis III 3a gg. 219 S. oben III 2e. 220 S. oben III 2a (bei Fn. 114 ff.). 221 So z.B. Vollkommer in Zöller, § 91a Rz. 29, vgl. auch schon Fn. 124 a.E.
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gierten Klagerücknahme (die inhaltlich eine Erledigungserklärung ist) gehen222; ihm steht nicht die Möglichkeit offen, den Prozess weiter zu führen und die durch das Verhalten des Beklagten entstandenen Kosten – etwa nach Änderung in eine Klage auf Feststellung der gegnerischen Kostenpflicht – geltend zu machen. Wer die genannte These ablehnt223, gibt dem Kläger die Wahl zwischen der privilegierten Klagezurücknahme und einem Fortführen des Prozesses mit geändertem Klageantrag224. (e) Das Gericht darf die Parteien nicht an der Formulierung ihrer Prozesshandlungen festhalten: Es ist möglich, eine Erledigungserklärung in eine Klagerücknahme umzudeuten225; daher kann eine solche Erledigungserklärung durchaus eine privilegierte Rücknahme der Klage darstellen. (f) Der Anwalt muss klären, ob seine Klage bereits dem Beklagten zugestellt worden ist oder noch nicht: (1) Bei erfolgter Zustellung ergeben sich keine weiteren Fragen. (2) Ist die Zustellung noch nicht durchgeführt worden, muss der Anwalt sie zu verhindern suchen. Dadurch vermeidet er Kosten, ohne dass für den Mandanten Nachteile entstehen. Denn die Klage darf privilegiert auch dann zurückgenommen werden, falls die Klage (noch) nicht zugestellt wurde (§ 269 Abs. 3 S. 3 Halbs. 2 ZPO). Dabei darf man sich nicht an der unsinnigen226 Formulierung einer „Zurücknahme der Klage vor Zustellung“ stoßen. Der Gesetzgeber meint: Abstandnehmen von der Zustellung der Klage. Daher entspräche es nicht dem gesetzgeberischen Willen, wenn der Anwalt die Zustellung der Klage betreibt, obwohl er die Erledigung der Hauptsache (Wegfall des Klageanlasses) erkannt hat. (g) Auch bei der privilegierten Klagerücknahme müssen die Anwälte der Parteien beachten, dass sich die gerichtliche Verfahrensgebühr auf 1,0 vermindert, allerdings nach dem neuen Kostenrecht nur dann227, wenn das Gericht keine Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO zu treffen hat228.
222 Konsequent Vollkommer in Zöller, § 91a Rz. 42 m.w. Nachw. 223 Z.B. Greger in Zöller, § 269 Rz. 18d mit 18c. 224 Im oben formulierten Vorschlag eines § 269a ZPO ist die Vorrangfrage offen gelassen, vgl. Fn. 188. 225 Schumann in Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl. 1996, § 269 Rz. 1. 226 S. oben III 3e aa bei Fn. 163 f. 227 Die frühere gerichtskostenmäßige Gleichbehandlung aller Klagerücknahmen hat das KostRMoG (Fn. 207) beseitigt. Während die „normale“ Klagerücknahme (mit der Kostenfolge nach § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO) weiterhin dem Ermäßigungstatbestand KV 1211 unterliegt, ist die privilegierte Klagerücknahme nach dem neuen Kostenrecht nur dann gerichtskostenmäßig „privilegiert“, wenn keine Kostenfolge nach § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO auszusprechen ist oder die oben genannte Einigung oder Übernahmeerklärung vorliegt (vgl. BT-Drs. 15/1971, S. 23, Begründung S. 160). 228 KV-GKG Gebühr 1211 Ziffer 1a.
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Auch hier229 sollte deshalb an Einigungen über die Kosten, Übernahmeerklärungen oder den Verzicht auf eine gerichtliche Kostenentscheidung gedacht werden230. Hinsichtlich der RVG-Einigungsgebühr gilt das Gesagte auch hier231. c) Sonderprobleme bei der „Klagerücknahme“ vor Zustellung Bei dieser „Klagerücknahme vor Zustellung“ ergeben sich mehrere Probleme. Das Hauptproblem bildet die Frage an das Gericht, wie zwischen dem Kläger und seinem Gegner ein Prozessrechtsverhältnis begründet wird232. Die richterliche Antwort lautet: Zustellung des Antrags auf Kostenermessensentscheidung an den Gegner, dem die Klageschrift als Anlage beigefügt ist233. Dass das Gericht dann Termin zur mündlichen Verhandlung über diesen Antrag ansetzen muss, ist selbstverständlich234. Den Streitgegenstand dieses Verfahrens bildet die Kostentragungspflicht des Gegners; der Streitwert richtet sich von jetzt an nicht nach dem Wert, den die Klage hatte, sondern nach der Höhe der entstandenen Kosten. Da der Gesetzgeber vergessen hat, Sonderregeln für dieses Verfahren einzuführen, muss sich der Beklagte durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, wenn Anwaltszwang herrscht235. Der Rechtsanwalt des Beklagten muss beachten, dass es in der Variante der „Klagerücknahme vor Zustellung“ bisher keine schriftsätzlichen Äußerungen seines Mandanten gibt und daher auch keinen „bisherigen“ Sach- und Streitstand; er muss sich jedenfalls äußern, falls er die Darstellung des Klägers in dessen Antrag auf Kostenermessenentscheidung für unzutreffend hält236. Durch die Nichtzustellung der eingereichten Klage tritt keine Kostenersparnis bei den Gerichtskosten ein237. Zwar soll die Klage nicht vor Zahlung der Verfahrensgebühr zugestellt werden (§ 12 Abs. 1 S. 1 GKG), aber fällig wird diese Gebühr nicht erst mit der Zustellung, sondern schon mit dem Einreichen der Klage (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 GKG). Um so mehr ist auf die schon angesprochenen Ermäßigungstatbestände des GKG zu achten238.
229 S. oben V 4 (bei Fn. 207 ff.). 230 Dass eine Klagerücknahme nur dann den Ermäßigungstatbestand KV 1211 erfüllt, wenn sie vor dem Schluss der letzten mündlichen Verhandlung erfolgt (vgl. Meyer [Fn. 209], KV 1211 Rz. 33 f. mit Fn. 42 und 55 ff. [S. 514 ff.]), sei der Vollständigkeit wegen betont. 231 S. oben V 4 (bei Fn. 210). 232 S. oben III 3e (bei Fn. 165 ff.). 233 Nachw. in Fn. 169 ff. 234 S. oben III 3e ee (bei Fn. 173). 235 S. oben III 3e ff (bei Fn. 174). 236 Vgl. die in Fn. 177 zitierte BGH-Entscheidung sowie den Text hierzu. 237 Meyer (Fn. 209), § 6 GKG Rz. 8. 238 S. oben V 7b (bei Fn. 228 ff.).
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d) Die gerichtliche Prüfung der Voraussetzungen der privilegierten Klagerücknahme Hat der Kläger die privilegierte Klagerücknahme gemäß § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO erklärt, muss das Gericht nachprüfen, ob sich tatsächlich die Hauptsache erledigt hat (ob der „Anlass zur Einreichung der Klage weggefallen“ ist)239. Inhaltlich handelt es sich um dieselbe Prüfung, die das Gericht bei einer einseitigen Erklärung der Erledigung der Hauptsache vornimmt. Nach den hierzu entwickelten Grundsätzen240 wird das Gericht daher vorgehen. Insoweit obwaltet kein richterliches Ermessen oder eine nur summarische, abgekürzte oder eingeschränkte Prüfung. Dies müssen sich alle Prozessbeteiligten immer wieder bewusst machen. Der Kläger darf nicht hoffen, zu der ihn privilegierenden Kostenentscheidung ohne Feststellung der ehemals bestehenden Zulässigkeit und Begründetheit seiner Klage zu kommen. Der Beklagte muss darauf bestehen, dass geprüft wird, ob das klägerische Begehren zulässig und begründet war, sowie gegebenenfalls in einem zusätzlichen Schriftsatz vortragen, weshalb dies nicht der Fall sei. Das Gericht hat dieser Prüfungspflicht zu genügen und darf sich ihr nicht in der Meinung entziehen, billiges Ermessen bestimme das Vorliegen des Wegfalls des Klageanlasses. Dasselbe gilt für die zweite Voraussetzung, dass die Erledigung vor Zustellung der Klage („vor Rechtshängigkeit“) eingetreten ist. (1) Liegen die genannten zwei Voraussetzungen für eine privilegierte Klagerücknahme vor, tritt die verfahrensbeendigende Folge dieser Bewirkungshandlung ein. Nunmehr hat das Gericht die Kostenermessensentscheidung zu treffen241. Die Entscheidung über die Kosten entspricht der Regelung des § 91a Abs. 1 S. 1 ZPO242. Nicht unerhebliche Unterschiede gibt es nur insofern, als es bei der Klagerücknahme vor Zustellung keinen „bisherigen“ Sach- und Streitstand gibt243. Hat der Beklagte Anlass zur Klage gegeben, wird ihn die Kostenlast treffen; wenn hingegen der Kläger ohne Anlass gegen den Beklagten vorgegangen ist, muss er die Kosten tragen. Das Gericht wird sich also an der Auslegung des § 93 ZPO orientieren244.
239 Becker-Eberhard in FS Gerhardt (Fn. 2), S. 29 ff., 35 ff., 42; Elzer, Einseitige Erledigterklärung vor Rechtshängigkeit nach dem ZPO-Reformgesetz, NJW 2002, 2006 (2008 bei Fn. 32 f.). 240 Vgl. Vollkommer in Zöller, § 91a Rz. 43 f. 241 Zum „Ob“ und zum „Wie“ der Kostenermessensentscheidung s. oben III 2e (bei Fn. 148 ff.). 242 Nachw. in Fn. 113. 243 Dazu schon oben V 7c (bei Fn. 236). 244 Vgl. die Verweisung auf die Kommentierung des § 93 bei Greger in Zöller, § 269 Rz. 18f.
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(2) Fehlt allerdings eine der beiden genannten Voraussetzungen, ist die privilegierte Klagerücknahme unbeachtlich. Bei der privilegierten Klagerücknahme nach Zustellung der Klage ist die Prozesslage nicht anders als bei einer aus anderen Gründen unwirksamen Klagerücknahme; insbesondere ist eine Art Zurückweisungsbeschluss nicht vorgesehen245 – ein richterlicher Hinweis erscheint freilich sinnvoll. Bei der privilegierten Klagerücknahme vor (und ohne) Zustellung der Klage ist eine Rückfrage beim Kläger, ob nunmehr zugestellt und terminiert werden soll, unvermeidlich. 8. Die Umdeutung der privilegierten Klagerücknahme in eine beiderseitige Erledigungserklärung Die im Rahmen des § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO behandelten Situationen führen den Praktiker zwangsläufig zur Frage, ob in beiden Fällen der privilegierten Klagerücknahme (nach oder ohne Zustellung der Klage) der Beklagte (der Gegner) das Verfahren auf den Weg des § 91a ZPO umzulenken vermag, indem er dem Vortrag des Klägers zustimmt. Hier darf man nicht vergessen, dass die privilegierte Klagerücknahme des § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO inhaltlich eine Erklärung der Erledigung der Hauptsache ist. Daher kann der Beklagte der privilegierten Zurücknahme wegen Erledigung vor Rechtshängigkeit zustimmen und damit eine beiderseitige Erklärung der Erledigung der Hauptsache gemäß § 91a Abs. 1 S. 1 ZPO herbeiführen. Damit schließt sich sozusagen der Kreis der prozessualen Möglichkeiten: Entweder erklärt der Kläger die Hauptsache für erledigt und der Beklagte stimmt zu oder der Kläger nimmt die Klage privilegiert zurück und der Beklagte ist damit einverstanden – auf beiden Wegen kommt es zur beiderseitigen Erledigungserklärung, ohne dass jetzt noch zu prüfen ist, ob und wann sich die Hauptsache erledigt hat246. Da der Beklagte die Zustimmung zu einer Erklärung des Klägers gemäß § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO in der vereinfachten Form der Einreichung eines Schriftsatzes oder zu Protokoll der Geschäftsstelle abgeben darf247, ist die Bestellung eines Anwalts nicht erforderlich. Dieser Weg erfordert ferner keine mündliche Verhandlung248. Es ist kaum anzunehmen, dass sich ein Gericht einem solchen Weg von der einseitigen privilegierten Klagerücknahme zur beiderseitigen Erklärung der Erledigung der Hauptsache verschließen wird; denn wie es eine Umdeutung der Erledigungserklärung in eine Klagerücknahme gibt249, kann umgekehrt eine Klagerücknahme in eine Erledigungserklärung umgedeutet werden, 245 246 247 248 249
Vgl. Schumann in Stein/Jonas, § 269 Rz. 17, 41, 43. S. oben V 6 (bei Fn. 215). S. oben V 1a (bei Fn. 195 bis 197). S. oben II 2a und V 2a (bei Fn. 83 und 201). Nachweis in Fn. 225.
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wenn sie den Voraussetzungen des § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO entspricht250. Hat ein Rechtsanwalt in dieser Hinsicht Bedenken, dann bietet sich an, die Hauptsache für erledigt zu erklären und gleichzeitig anzukündigen251, eine privilegierte Klagerücknahme vorzunehmen, falls es mangels Zustimmung des Beklagten nicht zu einer beiderseitigen Erklärung der Erledigung der Hauptsache kommt252. 9. Die Beschwerde gegen die Kostenermessensentscheidung Bei der Beschwerde gegen die Kostenermessensentscheidung nach Erledigung der Hauptsache muss der Anwalt zwei Hürden sehen: Erstens ist sowohl durch § 91a Abs. 2 S. 2 als auch durch § 269 Abs. 5 S. 1 ZPO jetzt klargestellt253, dass die sofortige Beschwerde unstatthaft ist, wenn der Streitwert der Hauptsache den Betrag von Euro 600,00 nicht übersteigt (vgl. § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Zweitens besteht nunmehr254 eine einheitliche Beschwerdesumme in Kostenfragen von mehr als Euro 200,00 (§ 567 Abs. 2 ZPO). Wenn die Parteien auf die Begründung der Kostenentscheidung verzichten, sollten Gericht und Anwälte klarstellen, ob damit auch auf die sofortige Beschwerde verzichtet wird; gegebenenfalls muss die Partei ausdrücklich erklären255, dass dies nicht gleichzeitig ein Rechtsmittelverzicht ist.
VI. Schluss und Zusammenfassung Der ZPO-Gesetzgeber hat das Institut der Erledigung der Hauptsache seit langem vernachlässigt. In der letzten Zeit hat er zwar einige Regelungen eingeführt. Sie sind zum Teil immer noch unvollständig, teilweise verunglückt. Die seit der Mitte des 20. Jahrhunderts in § 91a ZPO geregelte beiderseitige Erledigungserklärung der Hauptsache weist infolge der Änderungen in den letzten Jahrzehnten nur noch wenige, aber bedeutende Lücken auf. Eine klare Aussage über die Reichweite der Wirkungslosigkeit bereits ergangener 250 Allgemein hierzu Greger in Zöller, Rz. 25 vor § 128. 251 Eine bedingte privilegierte Klagerücknahme für den Fall fehlender Zustimmung des Beklagten zur Erledigungserklärung ist wegen der Bedingungsfeindlichkeit der Klagerücknahme unzulässig, vgl. Schumann (Fn. 225), § 269 Rz. 20. 252 Dieser Weg ist nur anzuraten, falls eine Erledigung vor Rechtshängigkeit vorliegt, da es nur dann eine privilegierte Klagezurücknahme gibt. 253 S. oben II 3b (bei Fn. 89 ff.). 254 Seit dem KostRMoG (Fn. 207), um den Beschwerdewert in Kostensachen an den Wert in § 66 Abs. 2 GKG anzupassen, vgl. BT-Drs. 15/1971, S. 123, Begründung zu Art. 4 Abs. 20 Nr. 5, S. 233. 255 Egon Schneider, Praxishinweise, in Zimmermann, ZPO, 7. Aufl., 2006, § 91a Rz. 30 Nr. 5.
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Entscheidungen gibt es nicht, obwohl der Kläger trotz der von ihm erklärten Erledigung ein starkes Interesse haben kann, dass Entscheidungen nicht gegenstandslos werden. Ebenfalls fehlen klare Vorschriften über den Fortgang nach misslungener beiderseitiger Erledigungserklärung und über die Kostenmischentscheidungen. Die einseitige Erledigungserklärung der Hauptsache ist weitgehend nicht normiert. Immerhin ist sie, soweit sie eine Erledigung vor Rechtshängigkeit (vor Zustellung der Klage) betrifft, jetzt in § 269 Abs. 3 S. 3 Halbs. 1 ZPO erfasst. Dieser Standort ist richtig, weil die einseitige Erledigungserklärung – bei allem Streit um die Rechtsnatur der Erledigungserklärung (mit der sich der Beitrag nicht beschäftigt) – von allen Prozesshandlungen die größte Ähnlichkeit mit der Klagerücknahme aufweist. Verfehlt ist freilich die Abkehr des neuen Gesetzestextes von der bisherigen Terminologie; der jetzt gewählte Ausdruck „Wegfall des Anlasses zur Einreichung der Klage“ meint nichts anderes, als was man seit Jahrzehnten als „Erledigung der Hauptsache“ beschreibt, nämlich dass der Erfolg des klägerischen Begehrens weggefallen ist. Ist dies nach Rechtshängigkeit der Fall, heißt es weiter „Erledigung der Hauptsache“. Geschieht genau dasselbe vor Rechtshängigkeit, spricht die ZPO jetzt vom „Wegfall des Anlasses zur Einreichung der Klage“. Angesichts der bekannt schweren Mängel der Reformgesetzgebung ist eine solche sprachliche Inkonsequenz nicht verwunderlich, gleichwohl zu bedauern. Der Gesetzgeber muss hier für sprachliche Ordnung sorgen. Eine inhaltliche Ordnung hat der Gesetzgeber hinsichtlich der verunglückten Regelung zu treffen, die seit dem 1. JuMoG in Gestalt von § 269 Abs. 3 S. 3 Halbs. 2 ZPO besteht. Hier ist, wie dargestellt, Unsinn angeordnet worden, weil der 1. Halbsatz tatbestandlich vom Kläger die Zurücknahme seiner zugestellten Klage fordert, der Tatbestand des 2. Halbsatzes jedoch das Gegenteil voraussetzt, dass nämlich diese Klage nicht zugestellt worden ist (und zweckmäßigerweise vom Kläger wegen seiner erfolgten Erledigungserklärung nicht zugestellt werden wird). Die Regelung des § 269 Abs. 3 S. 3 Halbs. 2 ZPO ist indessen nicht nur unsinnig, sie hat rechtsstaatliche Lücken, die schwer verständlich sind. Denn die Rechtsstellung des mangels Zustellung von dem Klagebegehren bislang nicht unterrichteten präsumtiven Gegners hat der Reformgesetzgeber vollständig zu regeln vergessen: Wie erfährt der Gegner von dem ihm bislang unbekannten Verfahren: Förmliche Zustellung oder einfacher Brief? Wie wird er belehrt? Was wird ihm mitgeteilt: Die Klageschrift (aber sie soll er doch nicht erhalten; denn sonst ist sie zugestellt) oder ein (welcher?) Schriftsatz des Klägers? Also die Klageschrift wenigstens als Anlage (sozusagen als Entwurf) beigelegt? Denn der Gegner sollte doch wohl wissen, was der Kläger begehrt hatte und was sich angeblich erledigt hat. Wie darf der Gegner sich äußern: schriftsätzlich, zu Protokoll oder – im Anwaltsprozess – nur durch einen Rechtsanwalt? Gibt es Fristen für die Einlassung des Gegners? Wenn ja: welche? Gibt es (wenn 197
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ja: welche?) Sanktionen, falls der Gegner sich nicht äußert? Wie entscheidet das Gericht: aufgrund notwendiger mündlicher Verhandlung? Wie endet dieses Verfahren: Beschluss oder Urteil? Dieser Katalog von Fragen zeigt, dass der Gesetzgeber die einseitige Erklärung der Erledigung der Hauptsache nunmehr endlich einer klaren Regelung zuführen muss. Jedenfalls ist die durch das 1. JuMoG eingeführte Erledigung ohne Zustellung der Klage an den Gegner (§ 269 Abs. 3 S. 3 Halbs. 2 ZPO) so zu regeln, dass sie als vorhersehbar und rechtsstaatlich angesehen werden kann256.
256 Stand: Frühjahr 2006. Meinen wissenschaftlichen Mitarbeitern, Frau Assessorin Petra Wech und Herrn Assessor Michael Schick, danke ich für Hilfe und Kritik auch bei diesem Beitrag.
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Die Informationsbeschaffung im Zivilprozess Inhaltsübersicht I. Der Ausgangspunkt der deutschen ZPO traditioneller Prägung 1. Die beiden Grundalternativen 2. Das „Selbsthilfemodell“ der alten ZPO a) Vorfeld des Prozesses b) Aufklärungsmittel im Prozess 3. Das Gerechtigkeitsideal des überkommenen „Selbsthilfemodells“ a) Beschränkter Zusammenhang mit den Idealen der Partei- und Richterverantwortung b) Materielle Wahrheit und Gerechtigkeit c) Ursprünge der Zurückhaltung gegenüber dem Ideal „materieller Wahrheit“ II. Die weitere Fortentwicklung der Informationsbeschaffung durch die Rechtsprechung 1. Kurze Charakterisierung 2. Dogmatische Verarbeitung III. Rechtsvergleichung und Rechtsharmonisierung 1. Reformen der europäischen Nachbarn 2. Die Furcht vor dem amerikanischen Modell 3. Information im Vorfeld des Prozesses: englische „pre-action protocols“ und „witness statements“
IV. Die deutschen Reformbemühungen 1. Vorprozessualer Bereich 2. Innerprozessuale Mitwirkungspflichten 3. Der Auslegungsstreit um die zweispurige Regelung 4. Weigerungsrechte V. Neue internationale Maßstäbe 1. Principles of Transnational Civil Procedure 2004 2. Bewegung innerhalb der EU VI. Verbleibende deutsche Defizite 1. Vorprozessuale Phase a) Kostensanktionierte Informationspflichten sowie Dokumentations- und Beweismittelerhaltungspflichten b) Materiellrechtliche Ansprüche und einstweilige Verfügungen c) Schriftliche Zeugenerklärungen 2. Innerprozessuale Aufklärung a) Beseitigung der inhaltlichen Zweispurigkeit b) Generalklausel zumutbarer Mitwirkung c) Parteianhörung und Parteivernehmung 3. Parteiöffentlichkeit und Geheimhaltung
I. Der Ausgangspunkt der deutschen ZPO traditioneller Prägung 1. Die beiden Grundalternativen Wer einen Prozess beginnt und damit zu rechnen hat, dass er zum Prozesssiege seine Behauptungen beweisen oder Beweise des Gegners entkräften muss, wird sich zunächst einmal auf Tatsachenmaterial und Beweismittel stützen, die seiner Kontrolle unterliegen. Oft wird er aber auf Tatsachen201
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material und Beweismittel angewiesen sein, die der Sphäre des Gegners oder Dritter zugehören. Man kann den Konflikt zwischen dem Aufklärungsinteresse der behauptungs- und beweisbelasteten Prozesspartei und dem Interesse des Prozessgegners oder Dritter, für ein Prozessverfahren nicht ihre Geschäfts- oder Privatsphäre öffnen zu müssen oder im Dienste fremder Interessen mit Lasten überzogen zu werden, grundsätzlich auf zweifache Weise lösen. Entweder man lässt den Prozessgegner und Dritte möglichst unbehelligt, verweist die Prozesspartei auf ihr eigenes Prozessmaterial („nemo tenetur se ipsum accusare“ oder „nemo tenetur edere contra se“) und belastet den Gegner oder Dritte nur ausnahmsweise. Oder aber man belastet beide im Ausgangspunkt voll und schafft nur Ausnahmen im Sinne von Weigerungsgründen. 2. Das „Selbsthilfemodell“ der alten ZPO Die deutsche Zivilprozessordnung neigt in ihrer ursprünglichen Gestalt, wie sie die Reichsjustizgesetze schufen, eher einer Lösung zu, die den Prozessgegner und Dritte möglichst wenig belastet1. a) Vorfeld des Prozesses Vor dem Prozess treffen die Gegenpartei oder Dritte nur wenige materiellrechtliche Informationsansprüche auf Auskunft, Urkundenvorlage oder Sachbesichtigung, die eine besondere Rechtsbeziehung voraussetzen2. Kostensanktionierte Informationspflichten der Gegenpartei gibt es nur in extremen Ausnahmefällen und ganz ansatzweise3. Vorprozessuale Beweiserhaltungspflichten erfahren im Rahmen vorsätzlicher Beweisvereitelung eine bloß rudimentäre Regelung4. b) Aufklärungsmittel im Prozess Im Verfahren muss sich die Gegenpartei zwar substantiiert erklären5 mit der Geständnisfiktion als Sanktion, die eidliche Wahrheitskontrolle existiert aber ursprünglich nur subsidiär und verstümmelt in Gestalt des zugeschobenen und zurückgeschobenen Eides6, erst später entschließt sich der Gesetz1 Dazu Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses, 1976, S. 380. 2 Dazu insbesondere §§ 666, 809, 810 BGB; zu weiteren verwandten Vorschriften Stürner, Aufklärungspflicht, S. 287 ff. 3 Insbesondere § 93 ZPO. 4 § 444 ZPO. 5 § 138 Abs. 2, 3 ZPO. 6 Zu diesem Teil der Prozessgeschichte Coester-Waltjen, ZZP 113 (2000), 269 ff.; Oberhammer, ZZP 113 (2000), 295 ff.; Polyzogopoulos, Parteianhörung und Parteivernehmung, 1976, S. 41 ff.; Stürner, FS Ishikawa, 2001, S. 529 ff.
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geber zur immer noch subsidiären Parteivernehmung als Form echter Wahrheitskontrolle. Die Pflicht des Gegners, Urkunden oder Augenscheinsgegenstände vorzulegen, verweist ganz überwiegend auf das materielle Recht7 oder bleibt völlig ungeregelt8, gegenüber Dritten verlangt das Gesetz sogar die Klage auf der Basis des materiellen Rechts, ohne eine prozessuale Sanktion festzusetzen9, wie sie für den passiven Gegner immerhin existiert10. Die Zeugnispflicht Dritter ist demgegenüber umfassend, allerdings auf mündliche Aussagen ohne Vorbereitungspflicht beschränkt11, schriftliche Aussagen gibt es nicht. Die Vorbereitung durch Anwälte schadet der Glaubwürdigkeit12. Wo das Gericht von Amts wegen Beweis erheben kann, bleibt die Frage offen, ob seine Befugnisse bei amtswegiger Beweisaufnahme weiter reichen als bei parteiwegiger Beweisaufnahme13. Immerhin erlegt das HGB Kaufleuten – nach französischem Muster praktisch in ganz Europa – die Pflicht auf, Handelsbücher auf gerichtliche Anordnung vorzulegen, und zwar ohne besondere qualifizierende materiellrechtliche Voraussetzungen14. 3. Das Gerechtigkeitsideal des überkommenen „Selbsthilfemodells“ a) Beschränkter Zusammenhang mit den Idealen der Partei- und Richterverantwortung Die Wahl der einen oder anderen Alternative und damit auch die Entscheidung für das „Selbsthilfemodell“ hat allenfalls mittelbar zu tun mit der Rollenverteilung zwischen Partei und Richter im Prozess und damit der Frage nach der Verteilung der Verantwortung für den Verfahrensgang zwischen den Parteien und dem Gericht. Sowohl bei Geltung des Beibringungsgrundsatzes als auch bei Geltung der Inquisitionsmaxime kann die nicht beweisbelastete Partei mehr oder weniger einbezogen sein. So erlegt etwa die Inquisitionsmaxime des Strafprozesses dem Beschuldigten bzw. Angeklagten gerade keine aktive Mitwirkungspflicht auf, deren Nichterfüllung sanktioniert wäre15; erst wenn die Beweise der Staatsanwaltschaft Entkräftigung verlangen, setzt eine breite Gegenbeweisführungslast des Angeklagten ein. Umgekehrt verlangt der angloamerikanische Zivilprozess mit seiner 7 8 9 10 11 12
§§ 422 ff. ZPO a.F. §§ 371 ff. ZPO a.F. §§ 428 ff. ZPO a.F. § 427 ZPO. §§ 373 ff. ZPO a.F. Zu diesem traditionellen Grundverständnis insbesondere Timmerbeil, Witness Coaching und Adversary System, 2004, S. 114 ff.; Murray/Stürner, German Civil Justice, 2004, S. 294 f. 13 Ausführlich bereits Stürner, Aufklärungspflicht, S. 67 ff. 14 §§ 45 ff. HGB a.F.; nunmehr §§ 258 ff. HGB 1985. 15 Dazu insbesondere §§ 136 Abs. 1 S. 2, 243 Abs. 4 S. 1 StPO; Roxin, Strafverfahrensrecht, 25. Aufl. 1998, S. 103 ff., 200 f.; BVerfGE 56, 37 ff.
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starken Parteimaxime der Gegenseite traditionell viel mehr Mitwirkung ab als der eher richterdominierte kontinentale Zivilprozess16. Es ist also nicht das Ideal der Partei- oder Richterverantwortung für die gerechte Entscheidung, das den Umfang der Mitwirkungspflichten bei der Informationsbeschaffung letztlich entscheidend bestimmt17. b) Materielle Wahrheit und Gerechtigkeit Ausschlaggebend ist vielmehr das Verhältnis zur materiellen Wahrheit. Je stärker die Gegenpartei oder Dritte einbezogen werden, desto eher nähert sich das Ergebnis der Tatsachenfeststellung der materiellen Wahrheit18; je kleiner der Kreis erlangbarer Beweismittel gezogen wird, desto größer ist der Abstand zur materiellen Wahrheit mit der Folge, dass sich das materielle Recht überhaupt nicht verwirklicht oder die Anwendung seiner Beweislastregeln seinen originären Inhalt teilweise verändert19. Das laienhafte Rechtsgefühl neigt eher dazu, Recht mit materieller Wahrheit zu verbinden, woraus sich die Nähe des angloamerikanischen Jury-Prozesses zur möglichst vollen Erfassung aller Beweismittel erklärt20. Der „gelehrte“ Jurist vermag dagegen deutlicher zu erkennen und zu akzeptieren, dass die Wahrheitsfindung im Interesse von Privatpersonen an den Freiheitsrechten anderer Mitbürger Grenzen finden könnte. Der deutsche Prozess hat diese Grenze ursprünglich zugunsten der Freiheit potentieller Prozessbeteiligter und zuungunsten der Wahrheit bestimmt. c) Ursprünge der Zurückhaltung gegenüber dem Ideal „materieller Wahrheit“ Woher seine Rigorosität in diesem Punkte kam, lässt sich letztlich nur vermuten. Wahrscheinlich war es der liberale Gegenschlag gegen die wohlfahrtsstaatlichen Tendenzen des Preußischen Prozesses21, der sich in dieser Form artikulierte und deshalb den Gedanken bürgerlicher prozessualer
16 Dazu Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, 3. Aufl. 1999, Ch. 7 (Discovery); deutschsprachiger Überblick bei Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 2003, S. 45 ff. (sub V 4); zum Vergleich Murray/Stürner, German Civil Justice, S. 239 ff. 17 A.A. insoweit wohl Leipold in Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl. 1993, § 138 Rz. 22; Arens, ZZP 96 (1983), 1 ff.; Lüke, Gedächtnisschrift Arens, 1993, 1 ff., S. 11 (13). 18 Stürner, Aufklärungspflicht, S. 29 ff., 31 ff., 48 ff. 19 Dazu Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl. 2004, § 115 VI, S. 791. 20 Zum Zusammenhang zwischen Laienrichtertum und materieller Wahrheit: Stürner, RabelsZ 69 (2005), 201 ff., 237 ff., 239. 21 Dazu insbesondere die Motive bei Hahn, Die gesamten Materialien zu den Reichsjustizgesetzen, Bd. 2/1, 2. Aufl. 1881, Neudruck 1983, S. 114.
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Selbsthilfe überbetonte. Vielleicht war auch die neu entdeckte freie Beweiswürdigung Anlass, jede neue Regelbildung für Parteimitwirkung mit Sanktionen möglichst zu vermeiden und jeder Partei Freiheit zu lassen, deren Ausübung freier richterlicher Würdigung unterlag22. Alles in allem war die Tendenz deutlich, den Parteien untereinander im Prozess möglichst nicht mehr Rechte zu gewähren als ohne Prozess, bei Dritten war es nur die Zeugnispflicht, die als „staatsbürgerliche“ Pflicht23 dem durchaus darwinistischen Ansatz des neuen Prozesses standhielt – im Gesamtbild eigentlich eher inkonsequent, nachdem es andere prozessuale Mitwirkungspflichten Dritter nicht gab.
II. Die weitere Fortentwicklung der Informationsbeschaffung durch die Rechtsprechung 1. Kurze Charakterisierung Die Rechtsprechung hat die gesetzliche Regelung der Informationsbeschaffung von ihrem Purismus befreit und auf – fast – allen Gebieten die Informationspflichten ausgedehnt. Ein geschlossenes System hat sie dabei allerdings nicht entwickelt, sondern eher einzelne Inseln richterrechtlichen Informationsinstrumentariums. Diese Entwicklung ist an anderer Stelle nachgezeichnet24, so dass kurze Stichworte genügen. Im Vorfeld des Prozesses schuf die Rechtsprechung im Rahmen von Sonderbeziehungen richterrechtliche Informationsansprüche, in recht breiter Form gegen den potentiellen Schuldner bzw. Beklagten25, eher singulär gegenüber Dritten26. Vorprozessuale kostensanktionierte Informationspflichten erfuhren nur vorsichtige und vereinzelte Erweiterung27. Deutlich ausgebaut hat die Rechtsprechung vorprozessuale Dokumentations- und Beweiserhaltungspflichten, deren fahrlässige Verletzung Sanktionen in Gestalt von Beweisnachteilen auf sich zieht28. Im
22 Dazu die Motive bei Hahn (Fn. 21), S. 275. 23 So wiederum die Motive bei Hahn (Fn. 21), S. 325 mit dem Versuch, die Widersprüchlichkeiten bei den Aufklärungspflichten Dritter sinnvoll zu begründen. 24 Ausführlicher Stürner, Aufklärungspflicht, S. 134 ff. m.w.N.; ferner neuerdings Rosenberg/Schwab/Gottwald (Fn. 19), § 108, S. 737 ff. 25 Beispielhaft BGHZ 95, 274 ff. („GEMA-Vermutung“); weitere Nachweise bei Palandt/Heinrichs, BGB, 64. Aufl. 2005, §§ 259–261, Rz. 8 ff.; zur weiten Auslegung des § 809 BGB bei Schutzrechtsverletzungen BGHZ 150, 377 ff. („Faxkarte“). 26 Beispielhaft BGHZ 125, 322 ff. („Cartier-Armreif“); BGH, NJW 1995, 1965 („Schwarze Liste“). 27 Dazu insbesondere Breyer, Kostensanktionierte Steuerung des Zivilprozesses, 2006, § 6 B II 2b und C II 1; ferner Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 270 f. 28 Zuletzt BGH, NJW 2004, 222 m.w.N.; Rosenberg/Schwab/Gottwald (Fn. 19), § 114 II 6, Rz. 20 ff. m.w.N.; Stürner, Aufklärungspflicht, § 10 IV und V, S. 156 ff., 162 ff. m.w.N.
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Prozess zeigte sich die Rechtsprechung geneigt, in Fällen nachvollziehbarer Unkenntnis der behauptungsbelasteten Partei der Gegenpartei auf plausible Allgemeinbehauptung eine Erklärungspflicht zu überbürden, die eine substantiierte Sachverhaltsdarstellung verlangt und Züge einer prozessualen Auskunftspflicht trägt29. Wo die Urfassung der ZPO zur Mitwirkung der Gegenpartei schweigt, hat sich – wie bereits angedeutet historisch nicht illegitim – die freie Beweiswürdigung aufklärungsfeindlicher Passivität als Einfallstor eines Mitwirkungszwangs erwiesen, der weitgehende Aufklärungspflichten gedanklich voraussetzt (Vorlage und Besichtigung beim Augenschein30, Identifikation von Zeugen31, Entbindung von beruflichen Geheimhaltungspflichten32, körperliche Untersuchung für medizinische Gutachten33 etc.). 2. Dogmatische Verarbeitung Der Streit um die dogmatische Verarbeitung dieser Entwicklung bewegte sich zwischen den beiden denkbaren Grundalternativen, die eingangs aufgezeigt sind. Wer das Aufklärungsinteresse der Prozesspartei und damit den bestmöglichen Zugriff auf die materielle Wahrheit grundsätzlich den unspezifizierten Freiheitsinteressen der Prozessbeteiligten vorzuziehen geneigt war, sah in der Entwicklung dieser Rechtsprechung die begrüßenswerte Tendenz zu einer grundsätzlichen prozessualen Aufklärungspflicht, die nur bei spezifischen Freiheitsinteressen von Prozessbeteiligten ausnahmsweise Einschränkungen erleiden sollte34. Wer hingegen am „Selbsthilfemodell“ der ZPO festzuhalten gewillt war, sah in der Entwicklung der Rechtsprechung eher die Bildung fallgruppenweiser Ausnahmetatbestände, die ihrerseits die fortgel29 Z.B. BGH, NJW-RR 2004, 989; NJW 1999, 1404 (1406); NJW 1990, 3151 (3152) und dazu Stürner, ZZP 104 (1991), 208 ff. (211); in gleicher Richtung, aber auf prozessualer Ebene bemerkenswert unpräzise BVerfG, NJW 2000, 1483. 30 Z.B. BGH LM Nr. 28 zu § 286 (B) ZPO. 31 BGH, NJW 1960, 821. 32 BGH, NJW 1972, 1131 f.; 1967, 2012. 33 RGZ 60, 147 = JW 1905, 201; BGH, VersR 1958, 768. 34 So der grundsätzliche Standpunkt von Stürner, Aufklärungspflicht, S. 29 ff., 85 ff.; zustimmend insbesondere Henckel, ZZP 92 (1979), 100; Schlosser, Zivilprozessrecht I, 2. Aufl., Rz. 426 ff.; ders., JZ 1991, 599; Koller, VersR 1990, 553 (558); Grunsky, Zivilprozessrecht, 12. Aufl. 2006, Rz. 43, S. 31 (im Gefolge von F. Baur, Zivilprozessrecht, 6. Aufl. 1989); AK-ZPO/E. Schmidt, 1987, § 138 Rz. 5; Stadler in Musielak, ZPO, 4. Aufl. 2005, § 138 Rz. 11; dies., Schutz des Unternehmensgeheimnisses im deutschen und US-amerikanischen Zivilprozess und im Rechtshilfeverfahren, 1989, S. 80 ff.; St. Lorenz, ZZP 111 (1998), 35 ff. (57); Katzenmeier, JZ 2002, 533 ff.; Lang, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses vor dem Hintergrund der europäischen Rechtsvereinheitlichung, 1999, S. 264 ff.; H. Roth, ZZP 109 (1996), 271 ff. (291 f.); ders., ZZP 113 (2000), 503 (506); Greger, JZ 1997, 1077 (1080); ders., JZ 2000, 842 (847); Waterstraat, ZZP 118 (2005), 459 ff.; Haedicke, FS Schricker 2005, S. 19 ff.; Wagner, ZEuP 2001, 467 f.; Greger in Zöller, ZPO, 25. Aufl. 2005, Vor § 284 Rz. 34d.
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tende Grundregel des „nemo tenetur se ipsum accusare“ durchbrachen oder modifizierten35. Die Rechtsprechung hat sich an dieser dogmatischen Diskussion substanziell kaum beteiligt, sondern weiterhin alte Formeln wiederholt und gleichzeitig neue aufklärungsfreundliche Fallgruppen produziert, ohne sich über Regel und Ausnahme so recht eigentlich Rechenschaft zu geben36.
III. Rechtsvergleichung und Rechtsharmonisierung Mit seinem überwiegenden Festhalten am Text der ursprünglichen ZPO und seiner durchaus unübersichtlichen Fallgruppenbildung hatte sich Deutschland mehr und mehr von der europäischen und internationalen Entwicklung abgekoppelt. 1. Reformen der europäischen Nachbarn Dies galt schon früh im Verhältnis zum französischen Nachbarn mit dem Nouveau Code de Procédure Civile 1976, bestätigte sich aber später immer stärker nach der spanischen und englischen Reform und zeigte sich selbst im Verhältnis zu Italien mit seinen sukzessiven Reformen37. All diese Prozessordnungen gestatten den mehr oder weniger vollen Zugriff auf Beweismittel des Gegners und Dritter, falls keine legitimen Weigerungsgründe vorliegen. Es ist deshalb kein Zufall, dass der EuGH im Jahre 1993 feststellte: „... le droit communautaire n'impose pas le respect du droit de ne pas témoigner contre soi-même dans une procédure civile“38. 2. Die Furcht vor dem amerikanischen Modell In der europäischen und insbesondere deutschen Diskussion hat die Furcht vor der pre-trial discovery U.S.-amerikanischer Prägung bei der Bestimmung des Umfangs der Sachaufklärung eine sehr große Rolle gespielt39. Sie war 35 So Leipold in Stein/Jonas, § 138 Rz. 22a ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald (Fn. 19), § 108 III 2, S. 740 ff.; Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, 1983, S. 137 ff.; G. Lüke, JuS 1986, 2 (3); ders., Gedächtnisschrift Arens, 1993, 1 ff. (11 ff.), 13; Arens, ZZP 96 (1983), 1 ff. 36 Insbesondere BGH, NJW 1990, 3151 ff.; zur Kritik Stürner, ZZP 104 (1991), 208 ff. 37 Zur rechtsvergleichenden Entwicklung insbesondere Schlosser, JZ 1991, 599 ff.; Wagner, ZEuP 2001, 467; Roth, ZZP 109 (1996), 271 ff. (291 f.); Lange, Aufklärungspflicht, 1999, passim; Stürner, FS Stoll, 2001, S. 691 ff. (699 f.) mit umfassenden Nachweisen; ders., RabelsZ 69 (2005), 201 ff. (233 f.) m.w.N. 38 EuGH, 10. 11. 1993 – C 60/92 – Dalloz 1994, 197 (Otto gegen Postbank). 39 Vgl. dazu etwa Gruber/Kießling, ZZP 116 (2003), 305 ff.; Zekoll/Bolt, NJW 2002, 3129 ff.; Leipold, FS Gerhard, 2004, S. 563 ff.; Stadler, FS Beys, Bd. 2, 2003, S. 1625 (1627); Trittmann/Leitzen, IPRax 2003, 7, 11 f.; Lüpke/Müller, NZI 2002, 588 ff.; Triebel/Zons, RIW 2002, Beilage 3 zu Heft 12, 26 ff.
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wohl auch der Grund, weshalb der 61. Deutsche Juristentag in Leipzig 1996 die Einführung einer allgemeinen Aufklärungspflicht zur Stärkung der 1. Instanz nicht befürwortet hat40. In der etwas diffusen Furcht vor einer Erweiterung der Aufklärungspflichten liegt aber ein grundlegender Irrtum: Es ist nicht oder doch weniger der Umfang der Aufklärungspflichten, der zum Exzess der Ausforschung führen kann („fishing expedition“), als vielmehr die allzu niedrige Anforderung an ihre Voraussetzungen, nämlich die Substantiierung der behaupteten Tatsache und die Individualisierung des Beweismittels. Während der kontinentale und letztlich auch der englische Prozess hier hohe Anforderungen stellen, hat der U.S.-amerikanische Prozess die Anforderungen so weit abgesenkt, dass es reicht, wenn das offen zu legende Tatsachen- oder Beweismaterial irgendetwas mit dem Streitfall zu tun hat („relevant to the case“). Es ist nicht die Erweiterung des Kanons der Aufklärungsmittel, die zur Ausforschung führt – das zeigt die Erfahrung der anderen reformierten kontinentalen Prozessordnungen –, sondern die allzu geringe Anforderung an den Beginn prozessualer Stoffsammlung41. 3. Information im Vorfeld des Prozesses: englische „pre-action protocols“ und „witness statements“ Der neue englische Prozess hat im Vorfeld des Prozesses einen weiteren Schritt getan. Er hat mit den „pre-action protocols“ kostensanktionierte Informationspflichten geschaffen, die zur Information über Tatsachen- und Beweismaterial bereits vor Verfahrensbeginn motivieren und somit prozessvermeidend und streitsparend wirken42. Zeugenaussagen können in Gestalt schriftlicher „witness statements“ schon vor dem Prozess ausgetauscht werden, was ebenfalls sehr klärend und heilsam desillusionierend wirken kann43.
IV. Die deutschen Reformbemühungen Die deutsche Reform des Jahres 2002 hat die Mittel prozessualer Informationsbeschaffung in bedeutsamer Weise vermehrt und verstärkt. Schon vorher hatte der Gesetzgeber allerdings Maßnahmen zur Verbesserung der Informationsbeschaffung in der ZPO getroffen, und auch im materiellen Recht zeigt sich kodifikatorische Bewegung.
40 So aber der Vorschlag von Gottwald, Gutachten 61. DJT 1996, S. A 15–21. 41 Dazu Stürner, RabelsZ 69 (2005), 201 ff. (234); insoweit im Ansatz gleich Leipold, FS Gerhard, S. 563 ff. (569 ff.). 42 Dazu Andrews, English Civil Procedure, 2003, Rz. 26.63 ff., m.w.N. 43 Dazu Zuckerman, Civil Procedure, 2003, Ch. 19, S. 600 ff.
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1. Vorprozessualer Bereich Im vorprozessualen Bereich sind auf einigen Feldern materiellrechtliche Informationsansprüche geschaffen worden. Dies gilt im Bereich der Umwelthaftung (§§ 8 ff. UmweltHG), des Arzneimittelrechts (§ 84a AMG) oder der Gentechnik (§ 35 GenTG) ebenso wie im Bereich der Produktpiraterie (§ 140b PatG, § 24b GebrMG, § 19 MarkenG, § 101a UrhG). Die Möglichkeit vorprozessualer Beweissicherung hat der Gesetzgeber ebenfalls erweitert (§§ 485 ff. ZPO 1990). 2. Innerprozessuale Mitwirkungspflichten Aber auch im laufenden Verfahren ist die deutliche Tendenz zur Stärkung der Aufklärungsmöglichkeiten sichtbar. Eingefügt wurden Vorschriften zur vorläufigen schriftlichen Zeugenaussage (§ 377 Abs. 3 ZPO 1990) und zur Pflicht des Zeugen, aussageerleichternde Urkunden mitzubringen (§ 378 ZPO 1990), die aber – eine etwas sophistische Regelung – nicht mit der Pflicht verwechselt werden darf, diese Urkunden tatsächlich vorzulegen44. Die Pflicht zur Vorlage von Urkunden und zur Gestattung der Besichtigung von Augenscheinsgegenständen ist zwar durch die Reform 2002 dann endgültig ein Stück vorwärts gebracht worden, weil nunmehr das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen – nach dem Wortlaut des Gesetzes ohne Rücksicht auf die materielle Rechtslage – die Vorlage von Urkunden oder Augenscheinsgegenständen in den Händen der Gegenpartei oder Dritter anordnen kann und gegenüber Dritten prozessuale Zwangsmittel geschaffen sind (§§ 142–144, 371 ZPO 2002). 3. Der Auslegungsstreit um die zweispurige Regelung Unglücklicherweise ließ aber der Gesetzgeber die alten Regeln zur beschränkten Vorlagepflicht bzw. Pflicht zur Duldung der Besichtigung bei parteiwegiger Beweisaufnahme neben den nach ihrem Wortlaut weiter reichenden neuen Regeln zur amtswegigen Beweisaufnahme einfach stehen (§§ 371, 422 ff. ZPO). Der nunmehr schwelende Auslegungskonflikt ist dadurch vorprogrammiert. Entweder man schränkt die §§ 142 ff. ZPO anhand der §§ 371, 422 ff. ZPO ein und kommt dann zur alten beschränkten Mitwirkungspflicht45. Oder man nimmt eine breitere amtswegige Informationsbeschaffungsmöglichkeit an mit dem merkwürdigen Ergebnis, dass die dadurch ausgelöste Mitwirkungspflicht der Parteien in einem richterlichen Ermessen liegt, für dessen sachgerechte Ausübung sinnvolle Maßstäbe nicht existieren, falls man nicht von einer grundsätzlichen Mitwirkungspflicht ausgeht, die nur bei legitimen Gegeninteressen Beschränkungen unterliegen
44 Sie wird nunmehr durch § 378 Abs. 1 S. 2, § 142 ZPO 2002 geregelt. 45 So wohl im Ergebnis zumindest teilweise Leipold, FS Gerhard, S. 563 ff. (580 ff.).
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soll46. Dem internationalen Trend entspricht sicherlich die aufklärungsfreundliche Auslegung47. 4. Weigerungsrechte Richtig erkannt hat die Reform die Notwendigkeit, Dritten bei jedweder Form der Informationsbeschaffung zeugengleiche Weigerungsrechte zu gewähren (§§ 142 Abs. 2 S. 1, 144 Abs. 2 S. 1 ZPO). Dies legt wiederum die Annahme einer vom materiellen Recht losgelösten breiten Mitwirkungspflicht nahe, weil diese Einschränkung beim bloßen Verweis auf das materielle Recht nicht nötig gewesen wäre. Die Sanktion gegen die Partei soll dagegen – durchaus ausreichend und konsequent – in der nachteiligen Würdigung liegen (§§ 371 Abs. 3, 427, 444 ZPO). Sie wird nur ausgeschlossen sein, wenn das Gegeninteresse der Prozesspartei diesen Prozessnachteil – oft die Prozessniederlage – nicht rechtfertigt, also nicht schon bei Vorliegen eines Weigerungsgrundes, der Dritte von der Mitwirkung befreit48.
V. Neue internationale Maßstäbe 1. Principles of Transnational Civil Procedure 2004 Das deutsche Gesamtsystem prozessualer Sachaufklärung hinkt nach wie vor der internationalen Entwicklung hinterher. Dies ist zunächst deutlich sichtbar, wenn man die von Unidroit und dem American Law Institute 2004 – übrigens unter deutscher Zustimmung – verabschiedeten „Principles of Transnational Civil Procedure“ als Maßstab anlegt49. Sie sehen in aller Deutlichkeit die Pflicht der Parteien und Dritter vor, Zugang zu allen relevanten Beweismitteln zu gewähren50. Der Schutz vor Ausforschung wird – entsprechend kontinentaleuropäischer Tradition – dadurch gewährleistet, dass substantiierter Tatsachenvortrag („fact pleading“) und Individualisierung des Beweismittels Aufklärungsvoraussetzungen sind51. Nur wenn eine Partei gute Gründe darlegen kann, dass ausreichende Substantiierung oder Individualisierung ausnahmsweise nicht möglich sind, kann das Gericht auf der Basis allgemein gehaltener Behauptungen einer Partei Aufklärung gleich-
46 So etwa – m.E. zutreffend – Stadler in Musielak, § 142 Rz. 7; dies., FS Beys, Bd. 2, 2003, S. 1626 ff., 1645. 47 Dass er für die Auslegung der deutschen ZPO unerheblich sei (Leipold in Stein/ Jonas, § 138 Rz. 23a), ist in dieser Allgemeinheit immer schwerer vertretbar. 48 Zu diesem Grundproblem schon Stürner, Aufklärungspflicht, S. 174 ff., 180 ff., 198 ff.; ders., RabelsZ 69 (2005), 201 ff. (242 ff.). 49 Ausführlich Stürner, RabelsZ 69 (2005), 201 ff. (341 ff.). 50 Principle 16. 51 Principles 11.3 Satz 1 und 16.2.
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wohl anordnen52. Sanktionen sind hauptsächlich unmittelbarer Zwang oder negative Würdigung53. Liegen traditionelle Weigerungsgründe vor, wie sie für Zeugen als Dritte typischerweise gelten, scheidet unmittelbarer Zwang aus; gegenüber Parteien hat das Gericht die Weigerungsgründe abzuwägen, wenn es über negative Würdigung entscheidet54. Einstweilige Maßnahmen im Vorfeld des Prozesses erfassen auch die zwangsweise Sicherung von Beweismitteln und ihr Auffinden55. Aufklärungsfeindliches vorprozessuales Verhalten kann kostenmäßig sanktioniert werden56. 2. Bewegung innerhalb der EU Innerhalb der Europäischen Union entsteht ebenfalls weiterer Druck zur Erweiterung oder großzügigen Handhabung von Aufklärungsmöglichkeiten. Es bahnt sich die deutliche Tendenz an, über Richtlinienrecht auf Spezialgebieten den Mitgliedstaaten der Union verstärkte prozessuale Aufklärungsmöglichkeiten abzufordern. Dies verdeutlicht die Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (Art. 6–8 RiL)57 ebenso wie das neue Grünbuch der Kommission zu Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts, das insbesondere Beweismöglichkeiten seine besondere Aufmerksamkeit schenkt58.
VI. Verbleibende deutsche Defizite Wenn man vor dem Hintergrund der geschilderten nationalen und internationalen Entwicklung den deutschen Prozess kritisch analysiert, so sind trotz der Bewegung der letzten zwei Jahrzehnte doch Defizite zu beobachten, deren Behebung durch Gesetzgebung oder Rechtsprechung wünschenswert und notwendig erscheint. 1. Vorprozessuale Phase a) Kostensanktionierte Informationspflichten sowie Dokumentations- und Beweismittelerhaltungspflichten Im vorprozessualen Bereich erscheint eine Verstärkung kostensanktionierter Informationspflichten nach englischem Vorbild erwägenswert. Sie wirken
52 53 54 55 56 57 58
Principle 11.3 Satz 2. Principle 17. Principle 18; dazu Stürner, RabelsZ 69 (2005), 201 ff. (241 ff.). Principle 8.1 mit Comment. Principles 17.3 und 25.2. Dazu ausführlich Haedicke, FS Schricker, 2005, S. 19 ff. KOM (2005) 672 endgültig vom 19. 12. 2005, sub 2.1.
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prozessvermeidend und streitbeschränkend59. Auch eine moderne Regelung vorprozessualer Dokumentationspflichten und Beweismittelerhaltungspflichten sollte den völlig überholten und allzu engen § 444 ZPO ablösen60. b) Materiellrechtliche Ansprüche und einstweilige Verfügungen Trotz des Ausbaus anspruchsbewehrter vorprozessualer Informationspflichten des materiellen Rechts bleiben Defizite, die sich vor allem bei gewerblichen Schutzrechten61 und in anderen Bereichen wirtschaftsrechtlicher Delikte (Wettbewerbsverletzung, Regelverletzungen im Bereich des Wertpapierhandels etc.) negativ auswirken können. Zwar führt die vorprozessuale Durchsetzung materiellrechtlicher Informationsansprüche oft zu einer Prozessverdopplung, die innerprozessuale Aufklärungspflichten ebenso vermeiden wie kostensanktionierte vorprozessuale Pflichten. Solche materiellrechtlichen Ansprüche können aber durch einstweilige Anordnungen gesichert werden, die den Zugriff auf Beweismittel erzwingen und Beweismittel erhalten (§ 938 ZPO); im Zusammenwirken mit einem Beweissicherungsantrag (§§ 485 ff. ZPO) lassen sie dann eine Sachverhaltsklärung zu, die eine sinnvolle Entscheidung über das „Ob“ und „Wie“ eines Verfahrens erst ermöglicht62. Man mag über die Voraussetzungen solcher Ansprüche streiten. Sie werden allerdings zur stumpfen Waffe, wenn man gegenüber Parteien oder Dritten die feststehende Rechtsverletzung zur Voraussetzung erklärt und sich nicht mit einer Plausibilität begnügt, die das entscheidende Gericht fallangepasst prüft63. c) Schriftliche Zeugenerklärungen Noch zur vorprozessualen Phase gehört auch die erweiterte Möglichkeit schriftlicher Zeugenerklärung64. Nach deutschem Verständnis kann sie der Richter im laufenden Verfahren verlangen (§ 377 Abs. 3 ZPO). Der Anwalt, der einen Zeugen um eine solche Erklärung bittet, handelt zwar – entgegen weit verbreiteter Ansicht – nicht standeswidrig65, läuft aber Gefahr, des „witness coaching“ verdächtigt zu werden und den Zeugen seiner Partei zu entwerten66. Die Skepsis gegenüber einer allzu frühen schriftlichen Festle59 Ebenso Greger, JZ 2000, 848 f.; ausführlich Breyer, Kostenorientierte Steuerung, § 12 B II 2; schon früher Stürner, Aufklärungspflicht, S. 273 ff. 60 Dazu Stürner, Aufklärungspflicht, S. 384. 61 Dazu Haedicke, FS Schricker, S. 19 ff., 28 ff., 31 f. 62 Zu dieser Problematik wiederum Haedicke, FS Schricker, S. 26 f. 63 In richtiger Richtung BGHZ 150, 377 ff. (384 ff.) („Faxkarte“). 64 Zum Umfang und Anwendungsbereich unter gegenwärtigem Recht insbesondere Stadler, ZZP 110 (1997), 137 f. 65 Ausführlich Timmerbeil, Witness Coaching und Adversary System, 2004, S. 119 ff. 66 Murray/Stürner, German Civil Justice, S. 294/295.
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gung des Zeugen unter Parteieinfluss ist in Deutschland sehr verbreitet, die Praxis selbst richterlicher Anordnung ist außerordentlich zurückhaltend. Ob dies der Realität der „Zeugensuche“ durch die Parteien gerecht wird, ist eine andere Frage, die heile Welt des jungfräulichen mündlichen Zeugnisses könnte sich auch als Trug und Schein erweisen. Vieles spricht dafür, die schriftliche Fixierung im Verfahrensvorfeld nach englischem Vorbild zuzulassen67, ihre Formalisierung zum Schutz vor unsachlicher Beeinflussung vorzunehmen und den Austausch anzuordnen. 2. Innerprozessuale Aufklärung Bei der innerprozessualen Aufklärung hat die Reform 2002 zwar einen wichtigen Schritt getan, sie ist aber allzu ängstlich auf halbem Wege stehen geblieben. a) Beseitigung der inhaltlichen Zweispurigkeit Bei der Regelung der Mitwirkungspflichten sollte die aus dieser Ängstlichkeit resultierende inhaltliche Zweispurigkeit beseitigt werden (§§ 142 ff.; 373 ff.; 422 ff. ZPO). Parteiwegige und amtswegige Aufklärungsanordnung müssen inhaltlich deckungsgleich sein68, weil im Streitfalle stets das Gericht auf Antrag entscheidet. Die Furcht vor Ausforschung erweist sich angesichts der Erfahrungen europäischer Nachbarn als völlig unbegründet, falls man – wie von der ZPO vorgesehen – an den Grundsätzen des substantiierten Parteivortrags und spezifizierten Beweisantritts festhält und nur in begründeten Ausnahmefällen Aufklärung über Allgemeinbehauptungen zulässt oder die Vorlage von Beweismittelgesamtheiten anordnet. b) Generalklausel zumutbarer Mitwirkung Nach französischem Vorbild sollte in die ZPO eine Generalklausel eingefügt werden, die den Parteien die nachteilssanktionierte Pflicht auferlegt, zumutbare Aufklärungsbeiträge zu leisten69. Damit hätte eine Vielzahl von Pflichten eine gesetzliche Grundlage, welche die Rechtsprechung in großer Unsicherheit bereits praktiziert: Erklärungslast über Tatsachen in der eigenen Sphäre, die der beweisbelastete Gegner nicht kennen kann; Pflicht zur Entbindung von Geheimhaltungspflichten; Pflicht zur medizinischen Untersuchung etc.
67 Dazu Principles of Transnational Civil Procedure, Principle 16.3, RabelsZ 69 (2005), 341 ff. (346); ferner Stürner, RabelsZ 69 (2005), 201 ff. (236). 68 Stadler in Musielak, § 142 Rz. 7. 69 Dazu Art. 10 Code Civil und Art. 11 Nouveau Code de Procédure Civile; gleich Gottwald, Gutachten 61. DJT 1996, S. A 15–21; schon früher Stürner, Aufklärungspflicht, S. 384.
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Rolf Stürner
c) Parteianhörung und Parteivernehmung Parteianhörung (§ 141 ZPO) und Parteivernehmung (§§ 445 ff. ZPO) sollten als Aufklärungsmittel harmonisiert werden. Die Subsidiarität der Parteivernehmung sollte man ebenso beseitigen wie die Beschränkung parteiwegiger Beweisaufnahme auf die Gegenpartei (§§ 445, 448 ZPO)70 – schon um den Anforderungen des EGMR in zuverlässiger Weise gerecht zu werden71. 3. Parteiöffentlichkeit und Geheimhaltung Ohne Zweifel ist die Parteiöffentlichkeit jeder Tatsachenerhebung (§ 357 ZPO) eine Grundfeste des rechtsstaatlichen Prozesses, sie ist von den Verfahrensgarantien des Art. 103 GG ebenso umfasst wie von Art. 6 Abs. 1 EMRK. Wo indessen persönliche Geheimhaltungsinteressen (z.B. medizinische Untersuchungen) oder geschäftliche Geheimhaltungsinteressen (z.B. Beweisaufnahmen über Produktionsverfahren, Kalkulationsschemata oder Kundennetze etc.) die parteiöffentliche Beweisaufnahme mit Dritten ausschließen (§§ 383, 384 ZPO) oder für die Partei unzumutbar erscheinen lassen, ist eine Abwägung nötig, die zur Geheimhaltung auch gegenüber der anderen Prozesspartei führen kann. Dies erscheint eigentlich völlig unproblematisch dort, wo der beweisbelasteten Partei der Zugriff auf die Beweismittel des Gegners oder Dritter erst ermöglicht wird, falls sie auf volle Kenntnisnahme verzichtet: Sie steht vor der Wahl, entweder gar keinen oder eingeschränkten Rechtsschutz zu erlangen, ihr Verzicht auf volle Parteiöffentlichkeit erscheint insoweit mit Art. 103 Abs. 1 GG oder Art. 6 Abs. 1 EMRK voll vereinbar72, die Diskussion über das „Geheimverfahren“ ist bei dieser Fallvariante eigentlich schwer nachvollziehbar73. Wo die beweisbelastete Partei zur eigenen Beweisführung dem Gegner teilweise Geheimhaltung zumuten will, um eigene Geheimnisse zu wahren, fällt die Abwägung ungleich schwerer. Immerhin hat das BVerfG auch in solchen Fällen eine Abwägungslösung für denkbar gehalten74. Der deutsche Gesetzgeber wäre gut
70 In diesem Sinne Coester-Waltjen, ZZP 113 (2000), 269 ff. (289 ff., 293). 71 EGMR, NJW 1995, 1413; dazu Schlosser, NJW 1995, 1404. 72 In diesem Sinne wohl als erster Stürner, Aufklärungspflicht, S. 223 ff.; ders., JZ 1985, 453; Schlosser, Zivilprozessrecht I, Rz. 430; Stadler, NJW 1989, 1202 ff.; heute wohl eher h.M.: Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 115 V 3, S. 800 m.w.N.; Wagner, ZZP 108 (1995), 193 (212 ff.). 73 Dies gegen BGHZ 116, 47 (58); zutreffend dagegen für den materiellrechtlichen Informationsanspruch BGHZ 150, 377 (387); a.A. aber auch z.B. Prütting/Weth, NJW 1993, 576; Prütting in MünchKomm ZPO, 2. Aufl. 2000, § 286 Rz. 11; Thomas/Putzo/Reichold, § 286 Rz. 6. 74 Dazu BVerfG, NJW 1994, 2347; BVerfGE 91, 176 ff. (181 ff.).
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beraten, wenn er nach dem Vorbild anderer Rechte75 ein „Geheimverfahren“ regeln würde, das z.B. volle Kenntnisnahme durch das Gericht und einen schweigepflichtigen Sachverständigen vorsieht, der Gegenpartei aber nur die Art der Beweiserhebung und ihre unverfänglichen Ergebnisse offen legt. Gerade im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes und des geistigen Eigentums trägt das beredte Schweigen des Gesetzgebers viel zur Verunsicherung der Gerichte bei, die dem Rechtsschutz Zuverlässigkeit und Schärfe nimmt.
75 Hierzu Stadler, Schutz des Unternehmensgeheimnisses, S. 222 ff., 254 ff.; Wagner, ZZP 108 (1995), 193 ff. (210 ff.).
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Verwertungsbeschränkungen bei Informationen, die im Rahmen eines Zivilprozesses erlangt wurden Inhaltsübersicht I. Einleitung: Ein Fall aus England als rechtsvergleichende Herausforderung II. Das englische Recht 1. Verwertungsbeschränkungen bei Informationen, die durch Druck der Justizautorität erlangt worden sind 2. Informationen, die dem Gericht und dem Gegner spontan unterbreitet wurden III. Das deutsche Recht 1. Möglichkeiten einer Ersatzlösung für Contempt of Court-Sanktionen zur Absicherung von Verwertungsbeschränkungen
2. Die Informationsbeschränkung durch Ausschöpfung gerichtlicher Ermessens- oder Beurteilungsspielräume IV. Beschränkung der Informationsverwertung im Verfahren der internationalen Rechtshilfe 1. Das englische Recht und das deutsche Gericht als Rechtshilfegericht 2. Das deutsche Recht und das englische Gericht als Rechtshilfegericht V. Gesamtergebnis der Studie
I. Einleitung: Ein Fall aus England als rechtsvergleichende Herausforderung Veröffentlichte Gerichtsentscheidungen zur internationalen Rechtshilfe sind selten, Fälle, die es mit Informationsbeschaffung zu tun haben, noch viel seltener als Fälle der Zustellung von Schriftstücken. Den ersten wirklich bedeutsamen Fall unter der EuBVO1 hatte ein englisches Gericht zu entscheiden2. Der Fall betraf eine „Beweisaufnahme“ in Deutschland, die ein deutscher Kläger vor einem englischen Gericht beantragt hatte. Deshalb mag ihm neben seiner rechtsdogmatischen Implikationen auch ein gewisser natürlicher Neugierdewert zu Eigen sein. Es ging um einen Patentrechtsfall. Der deutsche Kläger klagte in England gegen eine amerikanische Universität auf Nichtigerklärung eines englischen Patents, gestützt unter anderem auf das Fehlen eines Neuheitswerts der „Erfindung“. Zur Untermauerung dieser Rechtsfolge war behauptet worden, der
1 Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 v. 27. 6. 2001, ABl. EG L 174/1 v. 27. Juni 2001. 2 Dendron GmbH and other v. Regents of the University of California (Boston Scientific Ltd, Part 20 claimant) – [2004] EWHC 589 (Pat) – [2005] 1WLR 200.
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Direktor einer Freiburger Universitätsklinik habe das patentierte Verfahren schon vor dem Patentdatum angewandt. Das Rechtshilfeersuchen richtete sich an diesen Wissenschaftler, der auf diese Form seiner Mitwirkung im englischen Prozess Wert gelegt hatte, weil er nicht als Zeuge einer der beiden streitenden Parteien erscheinen wollte. Er wurde durch das Freiburger Amtsgericht vernommen, anscheinend so, wie in Deutschland generell sachverständige Zeugen vernommen werden. Ein ausführliches Protokoll über die Vernehmung existiert. Die Klägerin war freilich außer in England auch in patentrechtliche Zivilprozesse in Deutschland und den Niederlanden verwickelt. Außerdem hatte sie vor dem Europäischen Patentamt Widerspruch gegen das der amerikanischen Universität erteilte Patent eingelegt. Sie wünschte nun, das Protokoll über die Zeugenaussage des Freiburger Klinikdirektors in diesen Prozessen zu verwerten. In Deutschland wären ihr ganz gewiss beglaubigte Ablichtungen des Protokolls zur Verfügung gestellt worden, mit denen sie, wie man weiter spontan meinen möchte, nach Belieben hätte verfahren können. Nicht so in England! Schon bezüglich einer auf Nachbohren der Klägerin durch die Beklagte gemachten „disclosure“ heißt es in dem Urteil: „To date that disclosure has been treated as confidential and has only been made public to a limited number of people within an agreed confidentiality club“. Was das Ergebnis des Freiburger Rechtshilfeverfahrens anbelangt, so sagt der Richter im Tatbestand seiner Entscheidung wörtlich: „... Dendron wished to use the material it obtained from its various foreign evidence gathering exercises in the EPO and the Dutch and the German proceedings. Because there was a dispute between the parties as to whether Dendron is free to do that, Pumfrey J's order was made subject to an undertaking that the results of the examinations of Professor Schumacher ... pursuant to the Freiburg ... request should not be used for any other purpose than in these proceedings, subject to further order of the court. One of the purposes of this application is to relieve Dendron from that undertaking.“ Die Klägerin erhielt also das gewünschte Rechtshilfeersuchen nur nach Abgabe eines so genannten „undertaking“, die erlangte Information nur in dem anhängigen englischen Gerichtsverfahren zu nutzen3. In dem hier berichteten Urteil ging es um die Frage, ob der erstinstanzlich entscheidende Richter (namens Pumfrey) mit Recht ein solches „undertaking“ zur Vorbedingung für das Rechtshilfeersuchen gemacht hatte. In diesem Zusammenhang kam das englische Gericht auf eine Idee, die einem deutschen Interpreten der Europäischen Beweisaufnahmeverordnung (EuBVO) denkbar fern gelegen hätte. Das Gericht stellte auf den Anwendungsbereich 3 Das Institut ist durch den Verfasser näher vorgestellt worden in RIW 2001, 81 ff.
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dieser Verordnung ab, der vorsieht, dass sie sich nur auf Zivil- und Handelssachen beziehe und in Artikel 1 Abs. 2 hinzufügt, dass „um Beweisaufnahme nicht ersucht werden darf, wenn die Beweise nicht zur Verwendung in einem bereits eingeleiteten oder zu eröffnenden Gerichtsverfahren bestimmt sind“. Daraus leitet das Gericht als quasi selbstverständlich ab, dass die gewonnene Information nicht außerhalb eines zivilgerichtlichen Verfahrens, etwa auch nicht im Beschwerdeverfahren vor dem Europäischen Patentamt, verwandt werden dürfe. Sogar der Klägeranwalt hatte dies konzediert. Das Gericht ging jedoch einen Schritt weiter und sagte, die in einem Rechtshilfeweg nach der EuBVO erlangte Information dürfe auch nicht in einem anderen zivilgerichtlichen Verfahren verwertet werden, als in jenem, in dem es erlangt worden ist. In dieser seiner Haltung fühlt sich das Gericht dadurch bestätigt, dass es im Falle einer „disclosure“ in einem Verfahren ohne Auslandsbezug ein Verwertungsverbot des englischen Rechts dingfest machte. Dies alles macht den Fall als rechtsvergleichende Herausforderung interessant. Denn wieso sollte es in Deutschland (und anderen „civil-law“-Rechtsordnungen) nicht ein ähnliches Bedürfnis nach nur beschränkter Verwertbarkeit von Informationen geben, die man in einem Zivilprozess erlangt hatte? Offenbar ist im Vergleich zum deutschen Recht das englische ungleich stärker entwickelt, was die Abwägung der Rechte einer Prozesspartei auf die Informationsquellen einerseits und äußerst legitime Belange des Prozessgegners, oder auch Dritter, auf Wahrung ihrer Vertraulichkeitsinteressen andererseits anbelangt. Dieser Grundzug des englischen Rechts muss freilich zunächst etwas genauer herausgearbeitet werden (II). Sodann soll darüber nachgedacht werden, ob sich das deutsche Recht im Lichte dieser Elemente des englischen Rechts fortentwickeln lässt (III). Zum Schluss soll dann geprüft werden, ob es besondere Probleme gibt, wenn deutsche Gerichte im Rechtshilfeverfahren im Verhältnis zu England oder anderen Staaten mit einer ähnlich strukturierten Rechtsordnung eingebunden sind (IV).
II. Das englische Recht Sich den Inhalt des englischen Rechts zu der Frage zu erarbeiten, ob und gegebenenfalls in welchem Umfange von Informationen allgemein Gebrauch gemacht werden kann, die in einem Zivilverfahren erlangt worden sind, verlangt zunächst, sich von dem Begriff „Beweismittel“ frei zu machen. Das gilt gerade deshalb, weil in diesem Zusammenhang häufig die Begriffe „evidence“, „disclosure“, „witness examination“ und ähnliche erscheinen. In den Common Law Rechtsordnungen, die von der Information der Jury geprägt sind (virtuell auch noch immer die englische), gilt vieles als „Beweismittel“, was in Deutschland schlicht Tatsachenbehauptung ist. In Deutschland wird grundsätzlich der Indizienbeweis in der Form geführt, dass die indizkräftige Tatsache erst einmal behauptet werden muss. Beweis über sie 219
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muss nur erhoben werden, wenn sie bestritten wird. Wer im Besitze sensitiver Dokumente oder bildlicher Darstellungen ist, braucht häufig nur sein sich aus den Unterlagen ergebendes Detailwissen zu behaupten, um weiterzukommen. Denn bestreitet der Gegner es nicht, gilt es als zugestanden, eine Beweisaufnahme wird obsolet. Ein inhaltliches Bestreiten kann sich der zur Wahrhaftigkeit verpflichtete Gegner nicht leisten. Im Prozess des Common Law wird demgegenüber vielfach in den einleitenden Schriftsätzen nur der grobe Tatsachenrahmen, nicht aber werden Indizien als zu bestreitende Tatsachenbehauptungen eingeführt. Sie erscheinen nur als Mittel des Indizienbeweises. Daher geht es bei der Frage der Verwertungsbegrenzung von erlangten Informationen – in deutscher Begrifflichkeit ausgedrückt – auch um die Frage, ob von der Information durch Detailbehauptungen Gebrauch gemacht werden kann – in der Zuversicht, der Gegner könne es sich nicht leisten, ihre Richtigkeit zu bestreiten. Auf diesem Hintergrund lässt sich das englische Recht in drei Grundideen darstellen. Einmal besteht, auch ohne gerichtliche Anordnung, eine Verwertungsbeschränkung bei Informationsmaterial, das – um es provisorisch so auszudrücken – durch Druck der Justizautorität erlangt worden ist (1). Bei Informationsmaterial, das eine Prozesspartei „freiwillig“ offenbart hat, bedarf es einer besonderen gerichtlichen Anordnung, um eine Verwertungsbeschränkung zu erreichen (2). Schließlich hat der Richter auch nach Abschluss des Verfahrens eine Ermessensbefugnis, über die Verwertungsmöglichkeiten von solchen Informationen zu entscheiden, eine Befugnis, die in einen sehr weiten Ermessensrahmen eingebettet und im Rechtsmittelwege kontrollierbar ist (3).
1. Verwertungsbeschränkungen bei Informationen, die durch Druck der Justizautorität erlangt worden sind a) Die 1998 in Kraft gesetzten Civil Procedure Rules (CPR) behandeln Verwertungsbeschränkungen von Informationen, die in einem Zivilprozess erlangt worden sind, an zwei Stellen. Einmal geht es um Rule 31.22. Sie steht im Kapitel 31 über „Disclosure and Inspection of Documents“, einem Kapitel, das sich scharf vom nächstfolgenden Kapitel „Evidence“ abgrenzt. Es geht um das, was vor der mündlichen Verhandlung ermittelt werden kann, und was in Deutschland sein funktionales Gegenstück in dem hat, was der Richter vor der mündlichen Verhandlung an Aufklärungsarbeit leistet bzw. den Parteien abverlangt. Rule 31.22, die letzte im 31. Kapitel, lautet folgendermaßen: „Subsequent use of disclosed documents 31.22 – (1) A party to whom a document has been disclosed may use the document only for the purpose of the proceedings in which it is disclosed, except where – (a) the document has been read to or by the court, or referred to, at a hearing which has been held in public;
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Verwertungsbeschränkungen (b) the court gives permission; or (c) the party who disclosed the document and the person to whom the document belongs agree. (2) The court may make an order restricting or prohibiting the use of a document which has been disclosed, even where the document has been read to or by the court, or referred to, at a hearing which has been held in public. (3) An application for such an order may be made – (a) by a party; or (b) by any person to whom the document belongs.“
Es geht zum anderen um das 34. Kapitel. Es steht unter der Überschrift „Deposition and Court Attendance of Witnesses“. Der systematische Stellenwert dieses Kapitels ist nur auf dem Hintergrund dessen zu verstehen, dass in einem Gerichtsverfahren in einer Rechtsordnung des Common Law Zeugen normalerweise entweder Zeugen des Klägers oder des Beklagten sind, die freiwillig mitwirken. Kapitel 34 behandelt die Ausnahmesituation, dass Aussagepersonen rechtlich gezwungen werden, ihre Aussage zu machen, bei „depositions“ auch zugunsten der ihnen fern stehenden Partei. In diesem Zusammenhang sagen die bezeichneten rules unter der Überschrift „Restrictions on Subsequent Use of Deposition Taken for the Purpose of any Hearing Except Trial“: „34.12 – (1) Where the court orders a party to be examined about his or any other assets for the purpose of any hearing except the trial, the deposition may be used only for the purpose of the proceedings in which the order was made. (2) However, it may be used for some other purpose – (a) by the party who was examined; (b) if the party who was examined agrees; or (c) if the court gives permission.“
Bei Wahl des Begriffs „assets“ hat man an die Offenbarung von Vermögensverhältnissen des Zeugen selbst, aber auch dritter Personen, gedacht, eine Offenbarung, die etwa für die Zwangsvollstreckung nötig sein mag, aber nicht beliebig soll gebraucht werden dürfen. b) In dem Ausgangsfall dieser Studien hat der Richter sehr wohl gesehen, dass die Vernehmung eines auslandsansässigen Zeugen im Wege der internationalen Rechtshilfe wertungsmäßig einer „deposition“ oder „court attendance“ gleichsteht. Er musste sich also fragen, ob die Informationsverwertungsbeschränkung nur bezüglich der Vermögensverhältnisse von Personen gilt. Er kam zu dem Ergebnis, dass dafür kein Grund besteht und dass deshalb wohl 34.12. nur diesen speziellen Fall regelt, aber keinesfalls das „case law“ aus früherer Zeit abschaffen wollte. Er verließ sich daher auf eine Entscheidung der Chancery Division aus dem Jahre 19484, der er folgende kurze und bündige Regel entnahm:
4 Altersye v. Scott 1 AllE.R. 469.
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„All compulsory procedures for collecting information [are] subject to an implied obligation not to use the information for collateral purposes“. In dieser Entscheidung hatte der Richter sich geweigert, eine Anordnung zur Verwertungsbeschränkung zu machen, weil eine solche Verpflichtung ohnehin stillschweigend („implied“) übernommen worden sei. Der Richter sagte aber, dass er wieder angerufen werden könne, wenn es unter den Parteien Streit über Einzelfragen geben sollte. Im Dendron-Fall griff der dort entscheidende Richter auf diese Entscheidung zurück, um einerseits festzuhalten, dass die Protokolle über die Aussage des Freiburger Klinikdirektors nicht außerhalb des Ausgangsverfahrens frei verwertbar sind, aber auch um seine Befugnis daraus abzuleiten, nach pflichtgemäßem Ermessen über eine darüber hinaus gehende Verwertungserlaubnis zu befinden. Der Richter entschied schließlich, das Protokoll dürfe nicht vor dem Beschwerdeausschuss des Europäischen Patentamts benutzt werden, weil dort neues Vorbringen schon präkludiert war, wohl aber, dass das Material in den Zivilverfahren vor deutschen und niederländischen Gerichten verwertbar sei, wenngleich auch keinesfalls ganz allgemein. Ausdrücklich betont der Richter: „However, the permission to make such collateral use is limited to the German and Dutch proceedings“. c) In der englischen Rechtsprechung spielt in dem Gesamtkomplex der Verwertungsbeschränkungen ein sekundärer Gesichtspunkt eine Rolle, der vollständigkeitshalber kurz angedeutet werden soll, aber für den rechtsvergleichenden Ertrag der Vergegenwärtigung des englischen Rechts ohne Belang ist: die Ausnahme für Dokumente, die in der mündlichen Verhandlung verlesen wurden oder in Bezug genommen wurden. Man meint wohl, dann sei ohnehin jede Vertraulichkeit ganz obsolet geworden. Wie sich die Ausnahme bezüglich solcher Dokumente auswirkt, die in der mündlichen Verhandlung eine Rolle spielen, hat eine Grundsatzentscheidung des Court of Appeal näher festgelegt5. Für Deutschland ist die mündliche Verhandlung in Zivilsachen dermaßen denaturiert, dass es für Vertraulichkeitsbelange ohnehin keine Rolle spielen kann, ob auf ein Dokument in der mündlichen Verhandlung Bezug genommen wurde, was fast ausschließlich nur indirekt dadurch geschieht, dass auf früher gewechselte Schriftsätze Bezug genommen wird, die sich ihrerseits mit Dokumenten befassen. 2. Informationen, die dem Gericht und dem Gegner spontan unterbreitet wurden Ein deutscher Beobachter fragt sich unwillkürlich, warum es Verwertungsbeschränkungen nur bei Informationen gibt, die gewissermaßen widerwillig 5 Smithkline Beecham v. Biologicals SA v. Connaught Laboratories Inc. [1999] 4 AllE.R. 498.
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preisgegeben werden, weil das Gesetz oder eine richterliche Anordnung es so befiehlt. Ein solches Verständnis von „Disclosure of Documents“ schwingt in der rechtlichen Behandlung der Benutzungsmöglichkeiten von Dokumenten mit. In der schon genannten Grundsatzentscheidung des Court of Appeal6 ging es ebenfalls um Dokumente, die in einem Patentnichtigkeits- und Patentverletzungsverfahren eine Rolle spielten. Sie waren von einer Prozesspartei und einem ihrer Sachverständigen mehr oder weniger spontan in das Verfahren eingeführt worden. Diese Partei suchte hinterher eine Anordnung des Gerichts, wonach die Verwertung des Dokuments beschränkt werden sollte. Ihr Anwalt machte folgendes geltend: Die Verwertungsbeschränkung nach altem Recht sei daraus herzuleiten gewesen, dass „discovery was an interference with the right of privacy and therefore the invasion of that right should be limited to use of documents in the proceedings“. Sehr häufig, so vergegenwärtigt sich ein Jurist, der mit dem deutschen Zivilprozessrecht vertraut ist, meist die Situation, wird eine Prozesspartei die ihr nützliche Information schon im ureigensten Interesse kundtun, um ihr Prozessziel zu erreichen. Insoweit könnte sie aber genauso ein legitimes Anliegen haben, sicherzustellen, dass diese Information nicht außerhalb des anhängigen Verfahrens, vor allem nicht gegen sie, ausgenutzt wird. Das gilt natürlich für alle Dokumente oder elektronisch gespeicherte Daten, auf die sich eine Partei beruft und von denen sie schon in der Klageschrift oder einem anderen vorbereitenden Schriftsatz von sich aus Kopien oder Ausdrucke zur Verfügung stellt. Das englische Recht muss aber eine solche Unterscheidung nach Art der Motive der „disclosure“ nicht treffen. Am besten lässt sich dies für Informationen aufzeigen, die in Dokumenten enthalten sind. Die Regel über Verwertungsbeschränkungen7 gilt für alle „documents disclosed“. Dieser Begriff ist am Beginn des Kapitels 31, nämlich über Disclosure and Inspection of Documents, Rule 31.2, kurz und bündig definiert: „A party discloses a document by stating that the document exists or has existed.“ „Standard“ disclosure8 hat spontan zu geschehen: „Each party must make and serve on every other party a list of documents ...“. Damit wird also jedes Dokument, das in das Verfahren eingeführt wird – und sei es nur, indem seine Existenz offenbart wird – zu einem „disclosed document“. Ausdrücklich lehnte es der Court of Appeal in der Grundsatzentscheidung9 auch nach dem seit 1998 geltenden Recht ab, eine Unterscheidung danach 6 7 8 9
S. Smithkline Beecham (Fn. 5). Also Rule 31.22 CPR. Rule 31.10. S. Smithkline Beecham (Fn. 5).
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zu treffen, wie Dokumente oder der Hinweis auf ihre Existenz in das Verfahren eingeführt worden sind. Der das Urteil formulierende Richter sagt ausdrücklich: „... I reject [the] submission that that code perpetuated in all respects the distinction between documents disclosed in a list of documents and those that might be disclosed in another way ... No distinction is sought to be drawn between documents obtained from third parties and no limitation is placed on the way that the statement is made. In my view a reference by a party to a document in a witness statement is a statement that the document exists ...“
Zu großen Spannungen innerhalb des Gefüges der Regeln über die Informationsbeschaffung kann der weite „disclosure-Begriff“ kaum führen. Dokumente, von denen die Gegenpartei schon vor Prozessbeginn ein Exemplar oder eine Ablichtung besaß, kann sie natürlich frei verwerten. Viele der anderen in Dokumenten gespeicherten Informationen kann sie natürlich in dem Vertrauen verwerten, dass die andere Partei sich nicht lächerlich machen wird, indem sie die Verwertung verhindern will. Jedenfalls sind keine Klagen laut geworden, die englischen Gerichte würden mit unsinnigen Anträgen auf Genehmigung von Dokumentenverwertungen behelligt. Für den Fall anderer Informationsquellen als Dokumente liegen die Dinge noch weitgehend im Unklaren. Wie der Ausgangsfall zeigt, ist die Rule 34.12 viel zu eng, in dem sie nur Zeugenaussagen über die Vermögensverhältnisse von Personen anspricht. Der Ausgangsfall zeigt aber auch, dass die englischen Gerichte bei Bedarf entschlossen sind, insoweit die nötigen Erweiterungen vorzunehmen und dabei auf das vor 1998 entstandene „case law“ zurückzugreifen. Ganz generell muss daran erinnert werden, dass das englische Recht sehr viel sensibler als das deutsche ist, wenn es um das Anliegen geht, in und im Zusammenhang mit zivilgerichtlichen Verfahren Vertraulichkeitsbelange der Parteien zu respektieren. In einem international sehr viel Aufsehen erregenden Fall hat der Court of Appeal es abgelehnt, einer Partei zu gestatten, die Gründe einer Gerichtsentscheidung zu veröffentlichen, mit der der Antrag der Gegenpartei abgelehnt worden war, einen Schiedsspruch wegen „serious irregularities“ aufzuheben. Für deutsche Augen war es schon erstaunlich genug, dass sich die obsiegende Partei überhaupt genötigt sah, um eine Entscheidung der Gerichte darüber nachzusuchen10. Aus all diesen Gründen ist es nahe liegend, danach zu fragen, ob man dem nicht zu leugnenden Bedürfnis nach Vertraulichkeit von Informationen, die in einem deutschen Zivilprozess ausgetauscht worden sind, Rechnung tragen kann.
10 Department of Economics Policy and Development of the City of Moscow and the Government of Moscow v. Bankers Trust Company and Industrial Bank [2004] 3 WLR 533 = ZZPInt 2004, 343 ff.
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III. Das deutsche Recht Die Funktionstüchtigkeit des englischen Rechts in dem hier vorgestellten Bereich beruht darauf, dass die englischen Gerichte einschneidende Sanktionen wegen „contempt of court“ verhängen können. Jeder Verstoß gegen eine Verwertungsbeschränkung, insbesondere gegen eine diesbezügliche gerichtliche Anordnung, kann mit sehr spürbaren Strafen sanktioniert werden. Eine solche Befugnis haben die deutschen Gerichte bekanntlich nicht. Sie können sie sich aus verfassungsrechtlichen Gründen auch nicht im Wege der Rechtsfortbildung verschaffen. Wenn man den deutschen Gerichten die Möglichkeit einer Verwertungsbeschränkung zuerkennen will, so muss man sich nach einer in das deutsche Recht integrierbaren Ersatzlösung umsehen (1.). Auf der gefundenen Basis ist dann für die wichtigsten Fälle, in denen eine solche Verwertungsbeschränkung in Betracht kommt, die Lösung näher auszuführen (2.). 1. Möglichkeiten einer Ersatzlösung für Contempt of Court-Sanktionen zur Absicherung von Verwertungsbeschränkungen Das deutsche Recht kennt keine ex lege bestehende Befugnis eines Gerichts, eine bestimmte Verwertung einer Information, insbesondere eines Beweismittels, zu verbieten oder zu erlauben. Selbst strafrechtliche Vorschriften zum Geheimnisschutz wirken gegenüber dem Informationsbedarf in einem Zivilprozess kaum11. Eine solche Befugnis kann einem Gericht vermeintlich auch nicht durch Parteivereinbarung gegeben werden12. Zudem entsteht nur in Randbereichen der Ziviljustiz aus einseitigen Erklärungen von Verfahrensbeteiligten deren Verpflichtung, sie wie eine gerichtliche Entscheidung zu befolgen. Der plakativste Fall ist § 3 Nr. 2 KostO. Danach wird in der freiwilligen Gerichtsbarkeit zum Kostenschuldner eine Person, die sich gegenüber dem Gericht zur Kostenübernahme verpflichtet hat. Aber auch in der freiwilligen Gerichtsbarkeit sind solche Fälle sehr selten. Daher muss jeder Lösungsansatz für das deutsche Recht an Prozessvereinbarungen der Parteien anknüpfen. Dass die Parteien eine Vereinbarung über die Verwendungsbeschränkung von Informationsquellen bindend zustandebringen, kann die Rechtsordnung akzeptieren. Deshalb können auch Gerichte Entscheidungen davon abhängig machen, dass solche Vereinbarungen angeboten werden. Für Kindsentführungsfälle ist solches auch schon vorgeschlagen worden13. Im Einzelnen ist dazu folgendes zu erläutern:
11 Kiethe, JZ 2005, 1034 ff. 12 Nahezu allg.M.; s. statt aller Wagner, Prozessverträge, 1998, S. 598 ff. 13 Mäsch, FamRZ 2002, 1069 ff.
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Die moderne Form des Rechts der Prozessvereinbarungen ist von Gerhard Wagner14 auf den systematischen Punkt gebracht worden15. Prozessvereinbarungen sind „wirksam“, wenn eine Partei über Prozesshandlungen disponiert, über die sie dispositionsberechtigt ist. In der Rechtsprechung sind solche Vereinbarungen zwar meist in Bezug auf Beschränkung der Rechtsmittel16 anerkannt worden. Die Gerichte vermeiden generalisierende Aussagen. Jedoch ergibt sich aus keiner Entscheidung, dass der von Wagner herausgearbeitete Grundsatz der Vereinbarungsfreiheit über disponible Prozesshandlungen geleugnet werden soll. In einer Entscheidung aus dem Jahre 198217 hat der BGH sogar als generelle Prämisse festgehalten: „Wie die Rechtsprechung anerkennt, ist es den Prozessparteien nicht verwehrt, sich vertraglich zu einem bestimmten prozessualen Verhalten zu verpflichten, sofern dieses Verhalten möglich ist und weder gegen ein gesetzliches Verbot noch gegen die guten Sitten verstößt.“18 „Beweismittel“-Verträge werden nur unter dem Gesichtspunkt erörtert, ob die Parteien vereinbaren können, dass in einem gerichtlichen Verfahren von bestimmten Beweismitteln kein Gebrauch gemacht wird. Dass deren Zulässigkeit grundsätzliche Bedenken entgegenstehen könnten, wird heute, vor allem unter den Erfahrungen mit Mediationsvereinbarungen19, seit dem Erscheinen der Schrift von Wagner nicht mehr bestritten. In der Lehre zu der Wirkungsweise von Vereinbarungen über die Ausübung oder Nichtausübung prozessrechtlicher Dispositionsbefugnisse gibt es zwar Nuancenunterschiede. Man muss freilich bedenken, dass allein die Frage behandelt wird, wie das Gericht zu reagieren hat, bei dem eine vereinbarungswidrige Prozesshandlung vorgenommen wird. Es geht um die Frage, ob eine Einredeobliegenheit besteht oder nicht20. Aufgabe dieser Studie ist es aber nicht, in die Diskussion darüber einzugreifen. Meist wäre auch schon der Sinn einer Vereinbarung, die Verwertung einer Information zu beschränken, obsolet, wenn die Information in ein gerichtliches Verfahren eingeführt würde und der dortige Richter erst jetzt zu entscheiden hätte, ob die Information verwertbar ist oder nicht.
14 Prozessverträge, S. 86 ff. 15 Tendenziell zustimmend Greger in Zöller, 25. Aufl. 2005, vor § 128, Rz. 32; Lüke in MünchKomm ZPO, 2. Aufl. 2000, Einl., Rz. 285 – mit der zutreffenden Feststellung, dass die frühere gegenteilige Ansicht sich dem liberaleren Standpunkt weitgehend angenähert hat; Leipold in Stein/Jonas, 21. Aufl. 1997, vor § 284, Rz. 236. 16 S. etwa BGH, NJW 1986, 198; BGH, NJW 1958, 1397. 17 NJW 1982, 2072 (2073). 18 Ähnlich schon die Rechtsprechung in kurzen Bemerkungen aus früherer Zeit, etwa BGHZ 38, 254 = NJW 1963, 243. 19 S. dazu unten bei Fn. 25–28. 20 Dazu Wagner, Prozessverträge, S. 233 ff.
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Wichtig ist vielmehr, ob eine solche Vereinbarung effektiv zu sanktionieren ist. Für den Fall, dass sich eine Vereinbarung durch Erfüllungsklage oder Schadenersatzansprüche nicht effektiv sanktionieren lässt, stellt nicht nur das deutsche Recht die Vertragsstrafe zur Verfügung. Ist eine Vereinbarung, die Verwertung einer Information zu beschränken, zulässig, dann ist auch kein Grund ersichtlich, warum die Abmachung nicht mit einer Vertragsstrafe sanktionierbar sein sollte. Daraus ergibt sich für die nachfolgende Untersuchung eine Zweiteilung: Es geht einmal um die Fälle, in denen das Gericht, dem eine Information zur Verwertung angeboten wird, einen Ermessens- oder Beurteilungsspielraum nach Art einer Generalklausel hat. Dann kann es bei Erarbeitung seiner Entscheidungsgrundlagen legitimen Vertraulichkeitsbelangen Rechnung tragen, also Entscheidungen auch davon abhängig machen, dass die an der Offenlegung der Information interessierte Partei ein Angebot zu einer Vereinbarung über die Verwertungsbeschränkung macht (2.). Soweit freilich die Parteien ein legitimes Interesse daran haben, dass gar nicht erst der Versuch einer „anderweitigen“ Verwertung der Information gemacht wird, fragt sich, wie eine Vereinbarung, einschließlich eines Vertragsstrafeversprechens, aussehen soll, um zu den Ausnahmeerlaubnissen zu kommen, für deren Notwendigkeit die englischen Rechtsprechungsfälle ein beredter Beleg sind (3). 2. Die Informationsbeschränkung durch Ausschöpfung gerichtlicher Ermessens- oder Beurteilungsspielräume a) An einer peripheren Stelle der Ziviljustiz lässt sich schon in traditioneller Interpretation bei vorhandenen, ausdrücklichen gesetzlichen Regeln ansetzen. Ist jemand, um Informationen zu verwerten, die in einem Zivilprozess zutage getreten sind, auf Akteneinsicht angewiesen, so muss er ein „rechtliches Interesse“ glaubhaft machen (§ 299 ZPO). Das steht in merkwürdigem Gegensatz zum Prinzip der Öffentlichkeit der Verhandlung. Denn es ist schwer einzusehen, warum nicht Einsicht in das genommen werden kann, was Gegenstand der öffentlichen Verhandlung war. Die Einschränkungen, die das Prinzip der mündlichen Verhandlung im Zivilprozess erfahren haben, sind rein durch äußere Praktikabilitätserwägungen motiviert und gewiss nicht darauf zurückzuführen, dass man die Kontrolle der Verfahren durch die Öffentlichkeit einschränken wollte. Wie dem immer auch sei, manche wollen nach Eintritt der Rechtskraft selbst die ehemaligen Prozessparteien als „Dritte“ behandeln und ihnen ein rechtliches Interesse an Akteneinsicht abverlangen21. Soweit § 299 Abs. 1 ZPO nicht anwendbar ist, hat das Gericht 21 Wieczorek, ZPO, 2. Aufl. 1976, § 299 A I; E. Schneider, MDR 1984, 108 (109); Werner in FS Kim, 1995, 319; Greger in Zöller, § 299 Rz. 2; a.A. Prütting in MünchKomm ZPO, § 299 Rz. 8; Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 64. Aufl. 2006, § 299, Rz. 16; Leipold in Stein/Jonas, § 299, Rz. 17.
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ein Ermessen, ob es Akteneinsicht gewähren will oder nicht. Vernünftigerweise gibt man unter den heutigen technischen Verhältnissen einer Person, die ein rechtliches Interesse an der Akteneinsicht glaubhaft macht, auch die Befugnis, sich Kopien von Aktenbestandteilen machen zu lassen22. Bei Ausübung dieser Ermessensbefugnis kann und muss nicht nur ein Geheimhaltungsinteresse einer am Verfahren beteiligten Partei berücksichtigt werden. Der Richter kann die Erlaubnis zur Akteneinsicht zwar nicht effektiv von einer einseitigen Verpflichtungserklärung des Antragstellers abhängig machen, die Information nur zu dem Zweck zu gebrauchen, den er bei Geltendmachung seines rechtlichen Interesses genannt hat. Denn eine solche einseitige Verpflichtungserklärung wäre nicht sanktionierbar. Der Richter kann aber das Fehlen eines Rechtsinstituts des „Undertaking“ im deutschen Recht dadurch ausgleichen, dass er ankündigt, von seiner Ermessensbefugnis nur Gebrauch zu machen, wenn der Antragsteller jener Prozesspartei, der das Weitertragen der Information Nachteile bringen könnte und die sich deshalb gegen sie wehrt, ein Angebot des Inhalts macht, dass er die Information nur zu dem Zweck verwendet, auf den er sein rechtliches Interesse stützt und sich verpflichtet, eine von der verletzten Partei in einem bestimmten Rahmen festzusetzende Vertragsstrafe zu bezahlen, wenn er diese Verpflichtung nicht respektiert. Wenn die aus diesem Angebot Begünstigten es nicht annehmen, ist es deren Sache. Mehr als dass sie Gelegenheit zu einer solchen Vereinbarung haben, können sie nicht verlangen. Das Beispiel der begehrten Akteneinsicht mag für die Praxis unmittelbar nicht sehr relevant sein. Es konnte aber das Grundmodell einer verwertungsbeschränkenden Prozessvereinbarung als Voraussetzung für eine gerichtliche Ermessensentscheidung an diesem Beispiel sehr deutlich gemacht werden. Es lässt sich auch in komplizierteren Situationen einsetzen. b) Ein für die Praxis leicht denkbarer Fall ist eine Vorlageanordnung nach § 142 ZPO. Erörtert sei, um eine schrittweise Analyse zu ermöglichen, zunächst die reine Beweisfunktion von Dokumenten und anderen „Unterlagen“. Eine Partei oder eine dritte Person kann mit der Bekanntgabe eines Urkundeninhalts23 eine unkontrollierte Weiterverbreitung von Kopien befürchten. Man denke nur an einen in Deutschland geführten Prozess um Patentnichtigkeit oder Patentverletzung nach der Art der geschilderten englischen Verfahren. Auch in solchen Fällen kann der Richter seine Vorlageanordnung davon abhängig machen, dass der vorlagepflichtig werdenden Person ein Angebot etwa folgenden Inhalts gemacht wird: 22 H.M., OLG Celle, NJW 2004, 863f; Prütting in MünchKomm ZPO, § 299, Rz. 25; Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 299, Rz. 25; a.A., aber ohne Auseinandersetzung mit der Alternative, Greger in Zöller, § 299, Rz. 6. 23 Heute geht es so gut wie nie mehr um die Vorlage von Originaldokumenten, sondern praktisch nur um die Vorlage von Ablichtungen, deren Authentizität in den seltensten Fällen bezweifelt wird.
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1. Die vorlagepflichtige Person braucht nur eine einzige Kopie des Dokuments zu den Gerichtsakten einzureichen. 2. Der Antragsteller verpflichtet sich, keine weiteren Kopien zu fertigen (oder nur eine weitere Kopie zu den Akten seines Anwalts zu fertigen) und auf sein in § 299 ZPO begründetes Recht auf Anfertigung von weiteren Kopien und Auszügen zu verzichten; 3. dritten Personen keine Einsicht in die Kopie zu gewähren; 4. im Falle der Zuwiderhandlung eine Vertragsstrafe zu bezahlen. Auch eine zusätzliche persönliche Verpflichtung des Anwalts des Antragstellers, sich unter Verpfändung seiner beruflichen Integrität an keiner Bekanntgabe des Dokuments an Außenstehende zu beteiligen, ließe sich in Erwägung ziehen. c) Vertraulichkeitsbelange müssen sich im deutschen Recht nicht nur gegenüber dem Gebrauchmachen von „Beweismitteln“ durchsetzen. Vielmehr muss eine vertrauliche Information auch gegenüber dem Aufstellen entsprechender Prozessbehauptungen geschützt werden. Das hängt damit zusammen, dass im deutschen Recht die Abgrenzung von Tatsachenbehauptungen und Beweismitteln für bestrittene Tatsachenbehauptungen in einer sehr rigiden Form vorgenommen wird. Beweis ist auch im Indizienbereich nur nötig, wenn die indizierenden Tatsachen bestritten werden, was nicht wahrheitswidrig geschehen darf. Wenn der Inhalt eines Dokuments erst einmal bekannt ist, wird das Dokument in Original oder Ablichtung kaum noch als Beweismittel benötigt. Es reicht meist aus, dass der Inhalt des Dokuments detailliert behauptet wird – im Vertrauen darauf, der Gegner werde es nicht wagen, die Behauptung, von deren Richtigkeit er logischerweise überzeugt sein muss, zu bestreiten. Man kann mit Sicherheit annehmen, dass in der englischen Formel „to use a document“ auch die Wiedergabe des Dokumentsinhalts inbegriffen ist und ein undertaking, die „use“ zu unterlassen, auch diese Art des Gebrauchmachens meint. Auch dieses Problem lässt sich aber mit Prozessvereinbarungen lösen. Die Parteien können vereinbaren, Informationen, die sie in einem bestimmten Zusammenhang erlangt haben, nur für bestimmte Zwecke zu gebrauchen. Allerdings ist diese Situation bisher in der Literatur zum Zivilprozess oder gar in der Rechtsprechung zur ZPO nicht erörtert worden. Einig ist man sich jedoch heute, dass die Parteien vereinbaren können, dem Gericht nur bestimmte Tatsachen vorzutragen, deren Wahrheit nicht überprüft werden soll. Auch im Lichte der in § 138 Abs. 1 ZPO verankerten Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht ist die Wirksamkeit einer solchen Prozessvereinbarung heute anerkannt24. Gegenteilige Stellungnahmen etatistisch orientier-
24 Wagner, Prozessverträge, S. 621; Leipold in Stein/Jonas, § 138, Rz. 51; a.A. aber ohne Begründung Greger in Zöller, § 138 Rz. 5.
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ter Autoren aus früherer Zeit25 sind überholt. Entsprechendes muss aber auch gelten, wenn einvernehmlich dem Gericht bestimmte Tatsachen nicht vorgetragen werden sollen. Im Zusammenhang mit Mediationsvereinbarungen hat dies eine große Bedeutung erlangt, auch wenn dazu noch keine gerichtliche Entscheidung publiziert wurde. Über die Gültigkeit und prozessuale Wirksamkeit solcher Vereinbarungen ist man sich heute einig26. Auch wenn es noch zu kaum einer detaillierten Analyse gekommen ist, die sich dazu äußerte, wann welche Information von der Vereinbarung abgedeckt ist und wer wie darüber entscheidet, ob sie, weil nicht abgedeckt, verwertet werden kann27, lässt sich am Grundsatz nicht rütteln. Die Wirkungsweise einer solchen Vereinbarung ist dann die, dass ein Vortrag, der vereinbarungswidrig gemacht wird, vom Gericht nicht berücksichtigt werden kann, an das er adressiert ist. Wenn also ein Gericht eine Vorlageanordnung nach § 142 ZPO davon abhängig macht, dass eine Prozessvereinbarung über die Beschränkung der Verwertung einer Information angeboten wird, so ist sichergestellt, dass die Information in ein anderes gerichtliches Verfahren auch nicht durch Tatsachenbehauptungen eingeführt werden kann. Nicht sichergestellt ist die Beschränkung der Verwertung der Information in anderen Verfahren. Dazu muss die angebotene Prozessvereinbarung ein Vertragsstrafeversprechen enthalten. d) Die Erfahrungen aus dem englischen Recht zeigen freilich, dass es zu starr wäre, in einem bestimmten Zeitpunkt ein für alle Mal genau festzulegen, wann, und vor allem wann nicht, von einer Information Gebrauch gemacht werden darf. Das gilt zumal, weil sich die Beschränkung der Verwertung der Information gar nicht anders formulieren lässt als danach, dass außerhalb des Verfahrens – und vielleicht einzelner schon absehbarer Fälle – eine Verwertung generell nicht möglich sein soll. Die Dinge können sich so weiterentwickeln, dass später vernünftigerweise auch in einem anderen Zusammenhang die Information muss verwertet werden können. In England kann der Richter deshalb Genehmigungen in einem denkbar einfachen Verfahren erteilen. Nichts wäre praktischer, als wenn in Deutschland in der Vereinbarung zur Verwertungsbeschränkung ebenfalls der Richter ermächtigt werden könnte, nach seinem Ermessen oder in bestimmten, mehr oder weniger genau beschriebenen Fällen, solche Genehmigungen zu erteilen. Dem steht freilich der starre Grundsatz entgegen, dass ein deutsches Gericht
25 Nachweise bei Wagner, NJW 2001, 1398. 26 Eidenmüller, Vertrags- und Verfahrensrecht der Wirtschaftsmediation, 2001, S. 23 ff.; Markwart, Mediation im System außergerichtlicher Streitbeilegung dargestellt anhand von Patentstreitigkeiten, 2003, S. 143 ff.; Hartmann in Haft/Schlieffen, Handbuch Mediation, 2002, § 27 Rz. 32, 34; Wagner, NJW 2001, 1398; Leipold in Stein/Jonas, § 138 Rz. 5. 27 Der erste Versuch einer solchen Detailanalyse ist vom Verfasser dieses Beitrags gemacht worden in Liber Amicorum Takeshi Kojima, 2006, im Erscheinen.
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nicht durch Parteivereinbarung zu Handlungen ermächtigt werden kann, zu denen es nach dem Gesetz nicht befugt ist28. Insbesondere im Zusammenhang mit der Frage, ob in einem Wettbewerbsprozess die Parteien einen Vergleich schließen können, in dem das Gericht zur Festsetzung einer Vertragsstrafe ermächtigt wird, hat sich heute diese dogmatisch-etatistische Linie durchgesetzt29. Will man an diesem Grundsatz rigoros festhalten, so können die Parteien nur einen Schiedsgutachter vorsehen, der über Ausnahmegenehmigungen entscheidet. In der Mediation kann diese Rolle der Mediator übernehmen30. Bei Vereinbarung von Beschränkungen einer Informationsverwertung, die nicht dem Schutz einer Mediation dienen, ist es umständlich und kostspielig, ein Schiedsgutachtenverfahren einzuschalten. Deshalb sollte man über den dogmatischen Schatten springen und sich fragen, ob die Gründe, die allgemein gegen die Übertragung von praeterlegalen Gestaltungsbefugnissen auf ein Gericht ins Feld geführt werden, auch für vorliegenden Fall noch stimmen. Wie Wagner31 herausgearbeitet hat, ist der einzige Grund, der der privatautonomen Übertragung von praeterlegalen Befugnissen auf die Gerichte gegenüberstehen kann, das öffentliche Interesse am Einsatz knapper Justizressourcen. Diese mag man in der Tat als überstrapaziert empfinden, wenn Gerichte Vertragsstrafen originär festsetzen oder Rechtsverhältnisse unter komplizierten Voraussetzungen auflösen oder gar neu gestalten sollen. Nicht aber kann man von einer anerkennenswerten Überstrapazierung der knappen Justizressourcen sprechen, wenn den Gerichten leicht zu erbringende Annexleistungen zu Angelegenheiten übertragen werden, die entweder noch laufen oder (wie in aller Regel) erst kürzlich abgeschlossen wurden. Zudem werden auch Justizressourcen eingespart, wenn die Parteien dem Gericht einfach Annexentscheidungen zu einem – in aller Regel – komplexen Fall übertragen können. Es kann nämlich auf diese Weise ein ganz neues Zivilverfahren, entweder gerichtet auf Einverständniserklärung in die Verwertung oder auf Feststellung von Verwertungsmöglichkeiten wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage der alten Vereinbarung, vermieden werden. Schließlich zeigt die englische Praxis, dass man mit der Sanktionierung von undertakings keinesfalls in die Überstrapazierung von Justizressourcen gerät. Letztendlich verlangt auch die Europäische Menschenrechtskonvention von den Mitgliedsstaaten, ein handhabbares Verfahren zur Verfügung zu stellen, um die Verwertung erzwungener Informationen zu kanalisieren. Im Daten28 Wagner, Prozessverträge, S. 598 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl. 2004, § 115 Rz. 12; Grunewald, ZZP 101 (1988), 152. 29 BGH LM Nr. 3 zu § 317 BGB; BGH, BB 1978, 12 f; BAG, NJW 1981, 1799. Aus der Literatur statt aller Rieble in Staudinger, BGB, Neubearbeit. 2001, § 343 Rz. 99. 30 S. Schlosser (Fn. 27). 31 Prozessverträge, S. 598 ff.
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schutzrecht hat man längst erkannt, dass die Rechtspflicht zur Preisgabe, oder Duldung der Preisgabe, von Information durch Verwertungsverbote flankiert werden muss, was zwangsläufig zusätzliche Verwaltungs- und Justizressourcen bindet32.
IV. Beschränkung der Informationsverwertung im Verfahren der internationalen Rechtshilfe Auf die besondere Behandlung von Vertraulichkeitsbelangen in den Rechtsordnungen des common law kann ein deutsches Gericht sowohl als Rechtshilfegericht (1.) wie als Gericht stoßen, das Rechtshilfe beanspruchen will (2.). 1. Das englische Recht und das deutsche Gericht als Rechtshilfegericht Es sind leicht Situationen denkbar, in denen ein ausländisches Gericht, das um Rechtshilfe ersucht, Verwertungsbeschränkungen sichergestellt wissen will. Nahe liegt auf dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen, dass ein englisches Gericht sicherstellen will, die auf dem Rechtshilfeweg erlangte Information wenigstens zunächst auf den „confidentiality club“ zu beschränken. Da ein ausländisches Gericht mit dem deutschen Verfahrensrecht nicht vertraut zu sein pflegt, wird es gegebenenfalls die Sicherstellung der Vertraulichkeitsbelange in der Begrifflichkeit seines eigenen Rechts erbitten. So kann ein englisches Gericht leicht in Versuchung sein, darum zu ersuchen, sicherzustellen, dass die erhaltene Information nur für die Zwecke des Ausgangsverfahrens benutzt werden darf oder, spezifischer, dass die zur Beweisaufnahme in Deutschland zugezogenen Rechtsanwälte nur zugelassen werden, wenn sie ein „undertaking“ abgeben, die Verwertungsbeschränkung auf den „confidentiality club“ zu respektieren – nicht wissend, dass es die Figur eines mit Contempt of Court-Sanktionen bewehrten undertakings im deutschen Recht nicht gibt. Basis für die Bewältigung dieses Problems ist Art. 10 Abs. 3 EuBVO. Zwar muss ein Ersuchen auf dem Formblatt A niedergeschrieben sein, das in deutscher Sprache auszufüllen ist33. Die Zentralstelle nach Art. 3, die hoffentlich mit sprachkundigen Staatsbediensteten besetzt ist, hat nun dem englischen Gericht klar zu machen, was nach deutschem Recht möglich ist. Es handelt sich im Wesentlichen um folgendes: a) Nicht möglich ist eine Anordnung der Verwertungsbeschränkung oder auch nur der Entgegennahme eines undertaking, das mit Contempt of Court-Sanktionen bewehrt ist. Zwar schließt die sich aus Art. 10 Abs. 3 EuBVO ergebende Befugnis, nach dem Recht des ersuchenden Staates zu 32 Hierzu etwa §§ 4b, 14 Abs. 2, 28 Abs. 2 BDSG. 33 Art. 5; Erwägungsgrund 9.
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verfahren, seinem Sinne nach Verfahrensabläufe ein, die das deutsche Recht nicht kennt, etwa ein Wortprotokoll. Jedoch ist der Vorbehalt gemacht, dass das gewünschte Verfahren nicht „unvereinbar“ mit dem Recht des ersuchten Staates ist. Anordnungen und Zwangsbefugnisse auszuüben, für die es in Deutschland keine spezifische gesetzliche Grundlage gibt, ist aber in der Tat mit deutschem Recht unvereinbar34. b) Das Rechtshilfeverfahren ist ein vom ausländischen Hauptverfahren separiertes Verfahren. Es kennt keine „Parteien“ im technischen Sinn. Der für das deutsche Rechtshilfegericht maßgebende Antragsteller ist immer nur die ausländische Justizbehörde. Alle anderen Verfahrensbeteiligten, außer dem antragstellenden Gericht, sind daher „Dritte“ i.S.v. § 299 ZPO. Sie haben nur eine Aussicht auf Akteneinsicht, wenn sie ein rechtliches Interesse dartun können. Das Rechtshilfegericht kann zusagen, nicht ohne vorherige Konsultation des englischen Gerichts Akteneinsicht zu gewähren. Es kann auch seine Bereitschaft kundtun, Akteneinsicht nur zu gewähren, wenn die interessierte Person dem an der Verwendungsbeschränkung Interessierten ein mit einer Vertragsstrafe verbundenes Angebot macht, die aufgrund der Akteneinsicht erlangten Informationen nur zu einem bestimmten Zweck zu verwerten. c) Die am englischen Verfahren beteiligten Personen können mit Anordnungen der englischen Gerichte und undertakings gebunden werden, auch wenn sie nicht in England (beispielsweise etwa in Deutschland) Wohnsitz haben. Ein Sonderproblem entsteht bei der Einschaltung deutscher Rechtsanwälte. d) Diejenigen, die in einem Verfahren wie dem englischen Ausgangsverfahren Verfahrensbeteiligte sind oder sonst der Jurisdiktionsgewalt des englischen Gerichts unterliegen (wie solicitors und barristers), können vom Ausgangsgericht in die Pflicht genommen werden. Denn Verwertungsbeschränkungen des Ausgangsgerichts können auch Informationen erfassen, die im Wege der Rechtshilfe erlangt worden sind. Ein Sonderproblem stellen aber deutsche Rechtsanwälte dar, die von einer der Parteien des Ausgangsverfahrens im Rechtshilfeverfahren eingeschaltet worden sind. Bei Verfahren, die große wirtschaftliche Dimensionen annehmen, ist es leicht vorstellbar, dass eine Verfahrenspartei eigens für das Rechtshilfeverfahren Anwälte einschaltet, die mit der Rechtskultur des Rechtshilfegerichts vertraut sind. Sie in den „confidentiality club“ mit der Maßgabe einzubeziehen, dass Vertraulichkeitsverletzungen auch effektiv bewehrt sind, ist nicht einfach. Die Konstellation kann ja gerade so sein, dass ihr Mandant an der Wahrung der Verwertungsbeschränkung nicht interessiert ist und letztere augenzwinkernd zu dulden bereit ist. Wegen des Grundsatzes der freien Anwaltswahl (§ 3 Abs. 2 BRAO) kann einem solchen Anwalt von deutscher Seite aus keine 34 Rauscher/von Hein, Europäischer Zivilprozess, 2004, Art. 13 HBÜ Rz. 8; Ch. Berger, IPRax 2001, 525.
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Verpflichtung zur Verwertungsbeschränkung auferlegt werden. Wohl aber kann das englische Gericht das Ersuchen um Rechtshilfe davon abhängig machen, dass die an der Information interessierte Partei ein undertaking macht, ihren eventuell einzuschaltenden deutschen Anwalt nur im Rahmen des „confidentiality clubs“ von der Pflicht zur Wahrung der Vertraulichkeit zu entbinden. 2. Das deutsche Recht und das englische Gericht als Rechtshilfegericht Da das deutsche Recht traditionellerweise das Problem des Verwertungsschutzes von Informationen aus einem Zivilprozess nicht erkannt hat, ist es leicht vorstellbar, dass Rechtshilfeersuchen an ein englisches Gericht gerichtet werden, denen keinerlei Überlegungen zu Verwertungsbeschränkungen der erlangten Informationen vorausgegangen waren. Verfahrensparteien oder die durch das Ersuchen betroffenen Dritten können dann auf den Gedanken kommen, den Gesichtspunkt des Verwertungsschutzes im englischen Rechtshilfeverfahren ins Spiel zu bringen. Das englische Gericht verfährt bei Urkundenvorlage nach Rules 34.16– 34.24, die zwischen „Taking of Evidence – Member States of the EU“ und allgemein „Evidence for Foreign Courts“ unterscheiden. Dazu gibt es Practice Directions. Nirgendwo ist aber angedeutet, dass das Gebrauchmachen der so erlangten Information beschränkt sein könnte. Es spricht aber viel dafür, dass die englischen Gerichte so, wie in dem eingangs geschilderten Dendron-Fall der Richter aus der Formulierung des Anwendungsbereichs der EuBVO (s.o. I) geschlossen hatte, entscheiden, die Information dürfe ohne besondere Ausnahmegenehmigung nur für das Verfahren verwertet werden, für das Rechtshilfe erbeten wurde. Für Rechtshilfeverfahren zugunsten von Gerichten außerhalb der EU ist ausdrücklich bestimmt, dass der „Evidence (Proceedings in other Jurisdictions) Act 1975“ anwendbar ist, der in sec. 2 (3) auf das englische Recht der Beweisaufnahme, und damit auf dessen Schutz von Vertraulichkeitsbelangen, verweist. Es ist kein Grund ersichtlich, warum das in den EuBVO-Fällen nicht gelten sollte, da diese VO ausdrücklich (Art. 10 Abs. 2) auf das Recht des ersuchten Staates verweist. Da das Rechtshilfeverfahren unter der staatlichen Verantwortung des UK steht, können dessen Gerichte zur Durchsetzung einer solchen Verwertungsbeschränkung auch Anordnungen erlassen, die mit Contempt of Court-Sanktionen versehen sind.
V. Gesamtergebnis der Studie 1. Da, wo deutsche Gerichte einen Ermessens- oder Abwägungsspielraum haben, können sie einer Prozesspartei die Gewährung von Information auch unter der Voraussetzung abverlangen, dass die andere Partei ein mit Ver234
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tragsstrafe sanktioniertes Angebot macht, die Information nur zu bestimmten Zwecken, etwa beschränkt auf das vorliegende Verfahren, zu verwerten. Das gilt sowohl für die genaue Substantiierung von Tatsachen wie für Beweismittel. 2. Da in dem Augenblick, zu dem Information verlangt wird, nicht absehbar ist, zu welchen weiteren Zwecken die Information legitimerweise gebraucht werden wird, können die Parteien das Gericht durch Vereinbarung ermächtigen, Ausnahmen von der Beschränkung der Informationsverwendung zu gewähren. Die Gründe, die allgemein dafür angegeben werden, dass die Parteien die Gerichte nicht zu Arten von Handlungen ermächtigen können, die ihnen nicht schon ex lege zustehen, treffen auf diesen Fall nicht zu. 3. In deutsch-englischen Rechtshilfeverfahren können die dem englischen Recht eigenen Verwertungsbeschränkungen in folgender Weise berücksichtigt werden: a) Ist das deutsche Gericht Rechtshilfegericht, so kann es Akteneinsicht – auch durch die Parteien des Ausgangsverfahrens – von der Abgabe eines Angebots zur strafbewehrten Unterlassungsverpflichtung abhängig machen. Das sollte es immer tun, wenn das englische Gericht um Informationsverwertungsschutz nachsucht. Von den Parteien des Ausgangsverfahrens eingeschalteten deutschen Rechtsanwälten kann das deutsche Gericht allerdings keine Verpflichtung auferlegen. b) Ist das englische Gericht Rechtshilfegericht, so kann es die Gewährung der Rechtshilfe von entsprechenden „undertakings“ der an der Erlangung der Information interessierten Partei abhängig machen.
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Zur Sachverhaltsklärung im Zivilprozess unter besonderer Berücksichtigung der in jüngerer Zeit geschaffenen gesetzlichen Regelungen
Inhaltsübersicht I. Einleitende Bemerkungen II. Die neuen beweisrechtlichen Regelungen im Einzelnen 1. Die materielle Prozessleitung auf der Grundlage des § 139 ZPO 2. Aufklärungs- und Vorlagepflichten beim Urkunden- und Augenscheinsbeweis
3. Die Verwertung von gerichtlichen Sachverständigengutachten aus anderen Verfahren 4. Freibeweis mit Einverständnis der Parteien 5. Beweiskraft elektronischer Dokumente III. Wertende Zusammenfassung
Die Publikationen des Jubilars lassen deutlich erkennen, dass er in seiner wissenschaftlichen Arbeit der praktischen Umsetzbarkeit seiner Stellungnahmen und Vorschläge besondere Beachtung schenkt. Dabei haben ihn nicht zuletzt seine richterlichen Erfahrungen geleitet und ihn bestimmt, in den Bedürfnissen forensischer Tätigkeit einen wesentlichen Orientierungspunkt zu sehen. Auch die folgende Betrachtung der Rechtsentwicklung im Beweisrecht und der Rechtsgrundlagen, die in den letzten Jahren durch die verschiedenen Zivilprozessreformen für die richterliche Sachverhaltsklärung geschaffen worden sind, sollen in ihrem Schwerpunkt auf die Frage nach ihrer praktischen Eignung bezogen werden. Ich hoffe, auf diese Weise das Interesse des Jubilars an diesen Ausführungen zu wecken, die mit den besten Wünschen für den weiteren Lebensweg verbunden werden.
I. Einleitende Bemerkungen Ein besonderes Anliegen, das der Gesetzgeber durch das am 1. Januar 2002 in Kraft getretene Zivilprozessreformgesetz verfolgt, besteht darin, das Rechtsmittel der Berufung zu einem Instrument der Fehlerkontrolle und Fehlerbeseitigung umzugestalten1. Deshalb musste er folgerichtig darum bemüht 1 Solche Fehler können allerdings auch bei der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellung begangen werden und ein Eingreifen des Berufungsgerichts erforderlich sein lassen; vgl. BGH, NJW 2005, 1583; Manteuffel, Die erneute Tatsachenfeststellung
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sein, die Voraussetzungen für die Tatsachenklärung in der 1. Instanz zu verbessern. Allerdings fallen die dazu ergriffenen Maßnahmen letztlich recht zurückhaltend aus. Sie bestehen einmal in der Änderung des § 139 ZPO, durch die bezweckt ist, die materielle Prozessleitungs- und Hinweispflicht des Gerichts zu erweitern, und zum anderen in einer Ausdehnung der Aufklärungs- und Vorlagepflichten in den Bereichen des Urkunden- und Augenscheinsbeweises. Dass die vom Gesetzgeber angestrebte Qualitätsverbesserung des Zivilprozesses in dem wichtigen Bereich der Feststellung der entscheidungsrelevanten Tatsachen damit erreicht wird, muss bezweifelt werden. Zu dieser Einsicht scheint auch der Gesetzgeber gelangt zu sein, denn er hat in der Folgezeit weitere Ergänzungen des zivilprozessualen Beweisrechts vorgenommen. Dies geschah durch das Justizmodernisierungsgesetz vom 24. 8. 2004. Durch dieses Gesetz wurde zum einen § 284 ZPO dahingehend ergänzt, dass dem Richter gestattet wird, mit Einverständnis der Parteien „die Beweise in der ihm geeignet erscheinenden Art“ aufzunehmen, zum anderen wurde ein neuer § 411a in die ZPO eingefügt, der eine Rechtsgrundlage dafür bildet, ein gerichtlich eingeholtes Sachverständigengutachten aus einem anderen Verfahren als schriftliches Gutachten zu verwerten. Schließlich ist der Entwicklung im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien dadurch Rechnung getragen worden, dass der Beweis durch elektronische Urkunden in §§ 371a, 416a ZPO neu geregelt worden ist; beide Vorschriften sind mit Wirkung von 1. 4. 2005 durch das Justizkommunikationsgesetz in die ZPO eingefügt worden.
II. Die neuen beweisrechtlichen Regelungen im Einzelnen 1. Die materielle Prozessleitung auf der Grundlage des § 139 ZPO Richterliche Hinweis- und Aufklärungspflichten, die zugleich auch entsprechende Rechte des Richters bedeuten, berühren das sensible Thema des Verhältnisses von Parteiherrschaft und Richtermacht, das schon seit jeher kontrovers diskutiert wird2. Dass die Beibringung von Tatsachen in unserem Zivilprozessrecht die Aufgabe der Parteien bildet, lässt sich ebenso wenig in Zweifel ziehen, wie die Notwendigkeit, durch richterliche Hinweise den Parteien Hilfestellungen zu geben, damit sie diese Aufgabe sachgerecht zu
in der Berufung, NJW 2005, 2963. Dies ändert jedoch nichts daran, dass nach der gesetzlichen Konzeption das erstinstanzliche Gericht den entscheidungserheblichen Sachverhalt umfassend und zutreffend klären muss und das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung die im ersten Rechtszug festgestellten Tatsachen zu Grunde zu legen hat. 2 Vgl. dazu Heinze in FS Beys, 2003, Bd. I, S. 515.
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erfüllen vermögen. Ob die Neufassung des § 139 ZPO an dieser bewährten Arbeitsteilung substanziell gegenüber dem früheren Recht etwas geändert hat, wird unterschiedlich beurteilt3. Diese Meinungsverschiedenheiten werden wesentlich dadurch gefördert, dass zwischen den Ankündigungen des Gesetzgebers, die Transparenz richterlicher Entscheidungsfindung durch die stärkere Betonung der richterlichen Aufklärungs- und Hinweispflichten zu erhöhen4, und der schließlich Gesetz gewordenen Fassung des § 139 ZPO eine deutliche Divergenz festzustellen ist5. Aber auch wer in der Neufassung des § 139 ZPO eine Erweiterung richterlicher Befugnisse sieht, weist nicht dem Gericht die Aufgabe zu, die Sachverhaltsklärung selbst zu betreiben, sondern belässt es auch auf der Grundlage dieser Vorschrift dabei, dass die von den Parteien vorgetragenen Tatsachen den Bezugspunkt richterlicher Hinweise bilden6. Es wäre mit der Stellung des Richters und mit dem für ihn geltenden Neutralitätsgebot unvereinbar, selbstständig und unabhängig vom Vortrag der Parteien auf Grund anderer Erkenntnisquellen Tatsachen in den Prozess einzuführen und seiner Entscheidung zu Grunde zu legen; insbesondere ergibt sich ein solches Recht oder sogar eine solche Pflicht nicht aus § 139 ZPO7. Zu Recht hat der BGH darauf hingewiesen, dass der Richter im Rahmen seiner materiellen Prozessleitung das Verfügungsrecht der Parteien über das Streitverhältnis und deren alleinige Befugnis zur Beibringung des Prozessstoffes zu respektieren habe8. Es bleibt also auch nach der Neufassung des § 139 ZPO unverändert dabei, dass es entsprechend dem Verhandlungsgrundsatz Sache der Parteien ist, den streitentscheidenden Tatsachenstoff zu beschaffen9, und die Aufgabe des Richters darin besteht, durch Fragen und Hinweise auf die Klärung von Zweifeln und Widersprüchen hinzuwirken sowie Ergänzung anzuregen, um Unvollständigkeiten zu beseitigen10. 2. Aufklärungs- und Vorlagepflichten beim Urkunden- und Augenscheinsbeweis Bei einem Vergleich der Neufassung des § 142 ZPO mit der früheren Regelung fällt als erstes auf, dass sich die Anordnung einer Vorlegung von Urkunden und sonstigen Unterlagen nicht nur wie bisher an eine Partei rich-
3 Verneinend Prütting in FS Musielak, 2004, S. 397 (404, 410); Schaefer, NJW 2002, 849 (852); Stadler in Musielak, ZPO, 4. Aufl. 2005, § 139 Rz. 2; bejahend Reischl, Der Umfang der richterlichen Instruktionstätigkeit, ZZP 81 (2003), 108 ff., 116 f.; Greger in Zöller, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 139 Rz. 1. 4 Amtl. Begr. des ZPO-RG, BT-Drs. 14/4722, S. 60 (A III). 5 Prütting (Fn. 3) S. 403 f. 6 Vgl. Reischl (Fn. 3) S. 117; Greger (Fn. 3), Rz. 2. 7 Leipold in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2005, § 139 Rz. 39 m. Nachw. 8 BGH, NJW 2004, 163 (164). 9 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl. 2004, § 77 Rz. 12. 10 Greger (Fn. 3) Rz. 1; Stadler (Fn. 3), Rz. 7 f.
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ten kann, sondern auch an Dritte. Nach dem Wortlaut des neuen § 142 ZPO scheint dem Gericht auch die Befugnis eingeräumt zu sein, vom Gegner der behauptungs- und beweisbelasteten Partei die Vorlage der in ihrem Besitz befindlichen Urkunden zu verlangen. Denn Voraussetzung für eine solche Anordnung bildet nach diesem Wortlaut nur, dass es sich um Urkunden und Unterlagen handelt, „auf die sich eine Partei bezogen hat“. Dies wäre gegenüber dem früheren Recht eine weitere Ausdehnung der Vorlagepflicht. Denn zu § 142 ZPO a.F. ging die h.M. davon aus, dass der Gegner der behauptungsund beweisbelasteten Partei nur unter den Voraussetzungen der §§ 422, 423 ZPO a.F. vorlegungspflichtig war11, also wenn er selbst auf die in seinem Besitz befindlichen Urkunden Bezug nahm oder wenn sich aus den Vorschriften des bürgerlichen Rechts seine Herausgabe- oder Vorlagepflicht ergab. Die §§ 422, 423 ZPO hat der Gesetzgeber des Zivilprozessreformgesetzes jedoch unverändert gelassen. Es stellt sich deshalb die Frage, in welchem Verhältnis die in § 142 ZPO getroffene Regelung zu den Vorschriften über den Urkundenbeweis nach §§ 420 ff. ZPO steht. Diese Frage wird nicht einheitlich beantwortet. Während ein Teil des Schrifttums die Anordnungsbefugnis des Gerichts durch die §§ 420 ff. ZPO konkretisiert und damit auch eingeschränkt sieht12, wird überwiegend angenommen, dass unabhängig von der Behauptungs- und Beweisführungslast jeder Partei vom Gericht aufgegeben werden kann, die in ihrem Besitz befindlichen Urkunden vorzulegen13. Zur Begründung wird neben dem Hinweis auf den Wortlaut der Vorschrift der Zweck des § 142 ZPO angeführt, der darin bestehe, die Prozessleitungsbefugnis des Gerichts gemäß § 139 ZPO zu konkretisieren und der deshalb dem Gericht einen vom Urkundenbeweis unabhängigen Ermessensspielraum gewähre14. Will man die Stellung des Gerichts bei der Tatsachenklärung stärken, und dies erscheint als sachgerechte Konsequenz aus der veränderten Aufgabenstellung für die Eingangs- und Berufungsgerichte, dann sollte die Befugnis des Gerichts zur Anordnung einer Urkundenvorlage nicht durch die Regeln über die Behauptungs- und Beweislast eingeschränkt werden. Dies führt indes nicht dazu, dass im Rahmen des § 142 ZPO an die Stelle der Verhandlungsmaxime der Untersuchungsgrundsatz tritt. Denn es bleibt dabei, dass der zu klärende Tatsachenstoff von den Parteien beigebracht wer11 Peters in MünchKomm ZPO, 2. Aufl. 2000, § 142 Rz. 10; Leipold in Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl. 1994, § 142 Rz. 3, jeweils m. Nachw. 12 Leipold (Fn. 7) § 142 Rz. 21 f.; Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 64. Aufl. 2006, § 142 Rz. 6. 13 Gruber/Kießling, Die Vorlagepflichten der §§ 142 ff. ZPO nach der Reform 2002, ZZP 116 (2003), 305 (309 f.); Zekoll/Bolt, Die Pflicht zur Vorlage von Urkunden im Zivilprozess, NJW 2002, 3129 (3130); Stadler (Fn. 3), Rz. 4; Greger (Fn. 3), Rz. 2; Peters in MünchKomm ZPO, Aktualisierungsband 2002, § 142 Rz. 3; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl. 2005, § 142 Rz. 1; Zimmermann, ZPO, 6. Auflage 2002, § 142 Rz. 1. 14 Gruber/Kießling (Fn. 13).
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den muss15. Man wird darüber hinaus, um die Ausforschung der Gegenpartei zu verhindern, verlangen müssen, dass die Tatsachen, um deren Feststellung es mit Hilfe der vorzulegenden Urkunden geht, substantiiert vorgetragen werden und dass nicht etwa erst durch die Vorlage der Urkunden einer Partei die Möglichkeit zum substantiierten Tatsachenvortrag verschafft wird16. Eine wichtige Einschränkung ergibt sich jedoch für solche Tatsachen, die der behauptungsbelasteten Partei nicht bekannt sind und von ihr trotz aller ihr möglichen und zumutbaren Anstrengungen nicht geklärt werden können. Dann wird man es genügen lassen müssen, dass sich diese Partei auf pauschale Erklärungen beschränkt17. Lässt sich in einem solchen Fall eine Klärung durch Vorlage der sich im Besitz der Gegenpartei befindlichen Dokumente erreichen, dann hat das Gericht die Vorlage dieser Urkunden anzuordnen, um die entscheidungserheblichen Tatsachen feststellen zu können18. Insoweit gelten gleiche Regeln, wie sie vom BGH unter dem Begriff der sekundären Behauptungslast entwickelt worden sind, also auch die Ausnahme, dass von einer solchen Anordnung abzusehen ist, wenn eine Vorlage nicht zumutbar erscheint, wie dies z.B. bei der Offenbarung von Betriebsgeheimnissen zutrifft19. Nicht nur der festzustellende Tatsachenstoff muss im Regelfall konkret bezeichnet werden, sondern es muss auch die Urkunde oder die sonstige Unterlage so genau benannt werden, dass Gericht und Prozessgegner zu erkennen vermögen, welches Dokument gemeint ist und vorgelegt werden soll. Durch dieses Erfordernis können sich durchaus praktische Schwierigkeiten für die im Gesetz ausdrücklich genannte Voraussetzung einer Bezugnahme auf die vorzulegende Urkunde ergeben. Dennoch kann auf solche Angaben nicht verzichtet werden, weil sonst die Möglichkeit eröffnet wird, erst mit Hilfe einer gerichtlichen Anordnung nach Urkunden und Unterlagen zu forschen, deren Existenz man zwar vermutet, jedoch nicht genau kennt. Würde man aus § 142 ZPO die Befugnis des Gerichts ableiten, den Parteien oder Dritten die Vorlage nur allgemein bezeichneter und inhaltlich lediglich auf den Streitstoff bezogener Urkunden aufzugeben, dann näherte sich ein solches Verfahren ganz erheblich dem „pre-trial-discovery of documents-Verfahren“ des US-amerikanischen Zivilprozessrechts an, das dem vorherrschenden Rechtsverständnis in Deutschland widerspricht20 und gerade nicht 15 16 17 18
Stadler in FS Beys, 2003, Bd. II, S. 1625 (1639). Leipold (Fn. 7) § 142 Rz. 9. So auch Leipold in FS Gerhard, 2004, S. 563 (570). Stadler (Fn. 15) S. 1644 f., meint, das richterliche Ermessen, nach § 142 ZPO zu verfahren, werde in solchen Fällen stark eingeschränkt und reduziere sich vielfach auf Null; a.A. Leipold (Fn. 17), S. 574 f., jedoch mit der Einschränkung, dass für das gerichtliche Ermessen bei einem Antrag nach § 428 ZPO kein Raum sei. 19 Vgl. dazu Musielak in FG BGH, 2000, Bd. III, S. 193 (194 ff.) m. Nachw. 20 Die Bundesrepublik Deutschland hat gemäß Art. 23 des Haager Übereinkommens über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 18. 3.
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durch das Zivilprozessreformgesetz zugelassen werden sollte21. Zwar kann der Richter gemäß § 139 Abs. 1 S. 2 ZPO gehalten sein, den Gegner der beweisführungsbelasteten Partei nach dem Vorhandensein beweiserheblicher Urkunden zu fragen22, jedoch hat er dies mit der gebotenen Zurückhaltung und Neutralität zu tun. Keinesfalls ist es die Aufgabe des Zivilrichters, die Parteien bei der Suche nach beweisrelevanten Urkunden aktiv zu unterstützen oder sogar selbst nach solchen Dokumenten zu forschen23. Nicht zu folgen ist der Auffassung, dass die Anordnung der Urkundenvorlage nur dazu dienen könne, einen undeutlichen oder lückenhaften Tatsachenvortrag der Parteien klarzustellen und zu ergänzen24. Weder der Wortlaut noch die Entstehungsgeschichte der Norm sprechen für eine solche einschränkende Interpretation des § 142 ZPO. Vielmehr wollte der Gesetzgeber mit der Neufassung dieser Vorschrift die richterlichen Befugnisse bei der Sachaufklärung stärken und sie nicht etwa im Vergleich zum früheren Recht
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1970 erklärt, dass sie ein Rechtshilfeersuchen nicht erledigen werde, das ein Verfahren zum Gegenstand habe, das in den Ländern des „Common Law“ unter der Bezeichnung pre-trial discovery of documents bekannt sei. Vgl. dazu Musielak in MünchKomm ZPO (Fn. 11), § 363 Anh. I Art. 23 Rz. 2 ff. So ausdrücklich der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages (vgl. Bericht, BTDrs. 14/6036, S. 120 f.); vgl. dazu auch Leipold (Fn. 16), S. 565 f., mit dem zutreffenden Hinweis, dass es durchaus Befürworter einer solchen Erweiterung richterlicher Befugnisse unter den deutschen Prozessualisten gibt. Ob sich letztlich doch auf Grund des § 142 ZPO eine Rechtslage ergibt, die dem Discovery-Verfahren vergleichbar ist, wie Lüpke/Müller, NZI 2002, 588 (589), meinen, hängt entscheidend davon ab, welche Anforderungen man im Rahmen des § 142 ZPO an die Anordnung einer Urkundenvorlage stellt. Vgl. dazu auch Greger, Veränderungen und Entwicklungen des Beweisrechts im deutschen Zivilprozess, BRAK-Mitt. 2005, 150 (151). Hierauf verweist Stadler (Fn. 15), S. 1646. Den genannten Anforderungen, die nach der hier vertretenen Auffassung an eine richterliche Anordnung zur Urkundenvorlage zu stellen sind, genügt die Entscheidung des LG Ingolstadt, ZInsO 2002, 990. Der Beklagte hatte sich auf werterhöhende Leistungen seiner Vormieterin berufen, die er gegenüber der Klageforderung geltend machte. Der Beweis der Vornahme dieser Leistungen sollte durch Unterlagen geführt werden, die in einem vom Beklagten genau bezeichneten Ordner gefunden werden konnten. Nach Angaben des Beklagten befand sich dieser Ordner im Besitz des Insolvenzverwalters, der im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Vormieterin bestellt worden war. Das Gericht ordnete die Vorlage dieses Ordners an. Da wohl davon ausgegangen werden kann, dass der Beklagte angegeben hatte, um welche werterhöhende Leistungen es sich handelte, hat er sowohl die zu beweisenden Tatsachen substantiiert vorgetragen als auch die vorzulegenden Unterlagen genau genug bezeichnet. Dass er etwa noch die einzelnen Rechnungen über die Ausführung der einzelnen Arbeiten nennen musste, kann nicht verlangt werden. Kritisch gegenüber der Entscheidung des LG Ingolstadt dagegen Leipold (Fn. 17), S. 572 f.; Uhlenbruck, NZI 2002, 590. So aber Gruber/Kießling (Fn 13), S. 310 ff.
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einschränken, das auf der Grundlage des § 142 ZPO a.F. eine weitergehende Beweiserhebung gestattete25. Besondere Bedeutung kommt der durch die Neufassung des § 142 ZPO geschaffenen Pflicht Dritter zur Vorlage von Urkunden zu. In dieser Regelung ist durchaus eine bedeutsame Erweiterung der richterlichen Befugnisse bei der Tatsachenklärung zu sehen, die unabhängig von materiellrechtlichen Ansprüchen auf die Herausgabe und Vorlage von Urkunden bestehen26. Der Gesetzgeber hat durch die Bezugnahme auf die Vorschriften über die Zeugnisverweigerung einen deutlichen Hinweis auf die Ähnlichkeit dieser Vorlagepflicht mit der Pflicht eines Zeugen zur Aussage gegeben. Eine zusätzliche Einschränkung für diese Vorlagepflicht gegenüber der Zeugenpflicht besteht allerdings in dem Recht des Dritten, die Vorlage zu verweigern, wenn sie ihm nicht zumutbar ist. Zur Erläuterung des Begriffs der Zumutbarkeit wird in der Gesetzesbegründung27 lediglich auf die berechtigten Interessen des Dritten verwiesen, die zu berücksichtigen seien. Da jedoch die Vorschriften über das Zeugnisverweigerungsrecht bereits die berechtigten Interessen an einer Geheimhaltung des Urkundeninhalts schützen28, müssen andere Gründe für eine Unzumutbarkeit der Urkundenvorlage sprechen. In der Kommentarliteratur werden als solche Gründe tatsächliche Schwierigkeiten wie ein zu hoher Aufwand bei der Suche nach den Urkunden und Störungen des Geschäftsbetriebs durch die Weggabe benötigter Unterlagen genannt29. Der wohl in der Praxis wichtigste Fall einer Unzumutbarkeit, die Offenbarung von Betriebsgeheimnissen, ist bereits durch § 384 Nr. 3 ZPO erfasst, auf den in § 142 Abs. 2 S. 1 ZPO verwiesen wird30. Soll nicht die Pflicht Dritter zur Vorlage von Urkunden erheblich entwertet werden, muss ein strenger Maßstab bei Prüfung der Gründe angelegt werden, die ein Weigerungsrecht rechtfertigen sollen; dies gilt vor allem für die Berufung auf die Unzumutbarkeit einer Vorlage von Urkunden31. Insbesondere ist zu verlangen, dass der Dritte die für die Weigerung maßgebenden Umstände so genau und umfassend beschreibt, dass der Richter eine fun25 Hierauf verweist zu Recht Leipold (Fn. 17), S. 568. 26 Dies erschließt sich mit Deutlichkeit aus § 428 ZPO, der einer Partei das Recht einräumt, einen Antrag auf Anordnung gemäß § 142 ZPO zu stellen, ohne dass es insoweit auf das Bestehen eines materiellrechtlichen Anspruchs auf Vorlage ankommt; vgl. dazu die Amtliche Begründung des ZPO-RG, BT-Drs. 14/4722, S. 92 (zu Nr. 65). 27 BT-Drs. 14/4722, S. 79 (zu Nr. 21). 28 Greger (Fn. 3), Rz. 4a. 29 Stadler (Fn. 3), Rz. 8; Leipold (Fn. 7), § 142 Rz. 27; Greger (Fn. 3), Rz. 4a; Reichold (Fn. 13), Rz. 2. 30 Gruber/Kießling (Fn. 13), S. 327. 31 Zekoll/Bolt (Fn. 13), S. 3132, wollen die Berufung auf die Unzumutbarkeit nur ausnahmsweise als Weigerungsgrund anerkennen; auch Stadler (Fn. 3), Rz. 8 empfiehlt eine zurückhaltende Anwendung.
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dierte Entscheidung zu treffen vermag. Daran ändert nichts, dass gemäß § 386 Abs. 1 i.V.m. § 142 Abs. 2 S. 2 ZPO genügt, die Tatsachen, auf die sich die Weigerung stützt32, lediglich glaubhaft zu machen. Auch wenn dies bedeutet, dass ein geringeres Beweismaß für die Feststellung dieser Tatsachen ausreicht33, so ist doch in jedem Fall ein substantiierter Vortrag zu fordern, damit dem Richter eine Beurteilung möglich ist. De lege ferenda erscheint es erwägenswert, dem Richter die Befugnis einzuräumen, in Urkunden Einsicht zu nehmen, um feststellen zu können, ob die vorgetragenen Gründe die Weigerung rechtfertigen. Als Vorbild könnte insoweit das in cameraVerfahren des japanischen Zivilprozessrechts dienen. Danach kann das Gericht die Vorlage der Urkunde anordnen, um darüber befinden zu können, ob eine Ausnahme von der Vorlagepflicht besteht. In diesem Fall darf der Richter anderen Verfahrensbeteiligten keinen Einblick in die Urkunde gewähren (§ 223 Abs. 6 jZPO)34. Bei der Reaktion auf eine Weigerung, der Pflicht zur Vorlage einer Urkunde zu genügen, muss zwischen einer Partei und einem Dritten unterschieden werden. Kommt eine Partei der richterlichen Anordnung nicht nach, so stehen dem Gericht keine Zwangsmittel zur Verfügung. Vielmehr hat der Richter dieses Verhalten frei zu würdigen, wobei eine Orientierung an der Vorschrift des § 427 ZPO in Betracht kommt35. Zwar hat der Gesetzgeber anders als in Bezug auf Dritte keine Einschränkung hinsichtlich der Zumutbarkeit der Vorlage ausgesprochen, jedoch kann nicht unberücksichtigt bleiben, welche Gründe die Partei für ihre Weigerung nennt. So ist es durchaus anzuerkennen, dass der Gegner der beweisführungsbelasteten Partei sich weigert, Urkunden vorzulegen, die Geschäftsgeheimnisse enthalten36 oder die für seine Rechtsverteidigung im Prozess von Bedeutung sind37. Bei einer unberechtigten Weigerung eines Dritten, der richterlichen Anordnung zur Urkundenvorlage zu folgen, sind gemäß § 142 Abs. 2 S. 2 ZPO die Sanktionen des § 390 ZPO anwendbar, gegebenenfalls nach einem Zwischenstreit, in dem die Unrechtmäßigkeit der Weigerung festgestellt worden ist (§ 387 ZPO). Da das im Zwischenstreit ergehende Urteil mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden kann (§ 387 Abs. 3 ZPO), kann sich dadurch eine erhebliche zeitliche Verzögerung für die Urkundenvorlage auch in Fällen einer völlig grundlosen Weigerung ergeben. Dies muss aus rechts-
32 Insoweit kann zwischen Gründen, die von den Vorschriften über ein Zeugnisverweigerungsrecht erfasst werden und die, die für die Unzumutbarkeit geltend gemacht werden, kein Unterschied bestehen; so auch Peters (Fn. 12), Rz. 6. 33 Huber in Musielak (Fn. 3), § 294 Rz. 3. 34 Vgl. dazu Masumoto in FS Beys, 2003, Bd. II, S. 1009 (1019 ff.). 35 Greger (Fn. 3), Rz. 4; Stadler (Fn. 3), Rz. 7. 36 Zekoll/Bolt (Fn. 13), S. 3130 f.; Leipold (Fn. 7), § 142 Rz. 22. 37 Konrad, NJW 2004, 710 (712 f.).
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staatlichen Gründen hingenommen werden, schränkt aber die praktischen Vorteile der neuen Regelung nicht unerheblich ein38. In gleicher Weise wie die Pflicht zur Vorlage von Urkunden und Unterlagen in § 142 ZPO erweitert worden ist, hat der Gesetzgeber durch die Neufassung des § 144 ZPO die gerichtliche Befugnis zur Anordnung der Einnahme eines Augenscheins und zur Begutachtung durch Sachverständige ausgedehnt. Duldungs- und vorlegungspflichtig sind auch der Gegner der beweisführungsbelasteten Partei und Dritte. Hinsichtlich der Voraussetzungen, die das Gericht bei seiner Anordnung zu beachten hat, gelten die gleichen Erwägungen wie sie in Bezug auf § 142 ZPO dargestellt worden sind. Auch hinsichtlich der Weigerungsrechte und der Rechtsfolgen bei Nichtbefolgung der Anordnung kann auf die entsprechenden Ausführungen zur Urkundenvorlage verwiesen werden. Versucht man aus der Betrachtung der Änderungen und Erweiterungen, die durch das Zivilprozessreformgesetz hinsichtlich der Aufklärungs- und Vorlagepflichten beim Urkunden- und Augenscheinsbeweis geschaffen worden sind, ein Fazit hinsichtlich ihrer praktischen Bedeutung und Brauchbarkeit zu ziehen, dann ergibt sich ein zwiespältiges Urteil. Die Stärkung der richterlichen Befugnisse in diesem Bereich ist zu begrüßen, wenn auch zu bemängeln ist, dass der Gesetzgeber die insoweit geltenden Voraussetzungen nicht genau genug beschrieben hat. Der Meinungsstreit, der über die Pflicht des Gegners der beweisführungsbelasteten Partei zur Vorlage von Urkunden geführt wird, kann als Beleg für dieses gesetzgeberische Defizit gelten. Auch die Unbestimmtheit des Inhalts eines Weigerungsrechts Dritter zur Vorlegung und Duldung als Folge des wenig präzis erfassbaren Begriffs der Zumutbarkeit schränkt die Praktikabilität der neuen Bestimmungen ein. Es ist allerdings nicht zu verkennen, dass die Beurteilung durchaus davon abhängt, welchen Standpunkt man in der Frage einnimmt, ob die Rechte der Parteien im Interesse einer der Wahrheitsfindung dienenden Tatsachenklärung durch das Gericht eingeschränkt werden sollten. Wer dem amerikanischen discovery-Verfahren durchaus positive Aspekte im Hinblick auf eine Weiterentwicklung des deutschen Beweisrechts abgewinnt, wird in der Bewertung, aber auch in der Auslegung der §§ 142, 144 ZPO in ihrer neuen Fassung zu einem anderen Ergebnis gelangen als derjenige, der soweit wie möglich an der Parteiverantwortung im Beweisrecht festhalten möchte, wie sie im Beibringungsgrundsatz ihren Ausdruck findet.
38 Dies betonen auch Zekoll/Bolt (Fn. 13), S. 3133.
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3. Die Verwertung von gerichtlichen Sachverständigengutachten aus anderen Verfahren Das Erste Justizmodernisierungsgesetz hat mit Wirkung vom 1. September 2004 durch § 411a ZPO die Rechtsgrundlage dafür geschaffen, dass eine schriftliche Begutachtung durch die Verwertung eines gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachtens aus einem anderen Verfahren ersetzt werden kann. Zuvor konnte ein solches Sachverständigengutachten nur als Urkundenbeweis in das Verfahren eingeführt werden, wobei auf diesem Wege regelmäßig nur der Beweis dafür geführt werden konnte, dass die im Gutachten enthaltenen Erklärungen von den Sachverständigen abgegeben worden sind (§ 416 ZPO). In der amtlichen Begründung des Gesetzentwurfs39 wird darauf hingewiesen, dass wegen dieser eingeschränkten Beweiskraft des Urkundenbeweises in der Praxis häufig die Einholung eines weiteren gerichtlichen Sachverständigengutachtens erforderlich wurde. Dies hält der Gesetzgeber für einen vermeidbaren Mehraufwand, wenn es sich um Prozesse handelt, in denen der zu klärende Lebenssachverhalt im Wesentlichen der gleiche ist. Als Beispiele werden Mietprozesse gegen denselben Vermieter und Unfälle mit mehreren Geschädigten genannt. Der Zweck dieser Regelung soll also in einer Erleichterung und Beschleunigung des Verfahrens bestehen40. Um § 411a ZPO in die gesetzliche Regelung des Sachverständigenbeweises zu integrieren, muss die vom Gericht getroffene Anordnung, ein Gutachten aus einem anderen Prozess zu verwerten, als eine gemäß § 404 ZPO vorgenommene Ernennung des Verfassers dieses Gutachtens zum Sachverständigen in dem laufenden Prozess aufgefasst werden41. Es gelten somit die Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte der Parteien auf der Grundlage der Vorschriften über den Beweis für Sachverständige nach § 402 ff. ZPO42. Die Parteien haben ihre Einwendungen gegen das Gutachten innerhalb eines angemessenen Zeitraums, ggf. innerhalb einer ihnen dafür vom Gericht gesetzten Frist mitzuteilen (§ 411 Abs. 4 ZPO). Stellt eine Partei rechtzeitig einen Antrag auf Ladung des Sachverständigen zwecks Erläuterung des Gutachtens, dann hat das Gericht diesem Antrag grundsätzlich zu entsprechen43. Denn den Parteien steht gemäß §§ 397, 402 ZPO schon im Hinblick auf ihren Anspruch auf rechtliches Gehör das Recht zu, den Sachverständigen zu seinem schriftlichen Gutachten mündlich zu befragen44.
39 BT-Drs. 15/1508 S. 20. 40 Huber in Musielak (Fn. 3), § 411a Rz. 1. 41 Greger, Die Modernisierung des Zivilprozesses – eine Aktion mit ungeahnten Folgen, NJW-Sonderheft BayObLG 2005, 36 (40). 42 Darauf wird ausdrücklich in der Amtlichen Begründung (Fn. 39) verwiesen. 43 BGH, NJW 1998, 162; Huber (Fn. 40), Rz. 7, 9. 44 BGH, NJW 1998, 162 (163) m. Nachw.
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Es ist zu bezweifeln, dass dem Gesetzgeber mit der Vorschrift des § 411a ZPO ein wichtiger Fortschritt im Beweisrecht gelungen ist45. Eine wichtige Voraussetzung für die Verwendbarkeit eines Sachverständigengutachtens aus einem fremden Rechtsstreit bildet die Gleichheit der zu klärenden Sachverhalte in den beiden Verfahren. Diesem Erfordernis wird regelmäßig wohl nur in parallel geführten Rechtsstreitigkeiten entsprochen werden, die über gleiche Fragen geführt werden. Es ist jedoch nicht zu erwarten, dass sich die Parteien über einen bereits durch das Sachverständigengutachten im Parallelverfahren geklärten Punkt weiter streiten und dass deshalb eine Tatsachenfeststellung durch ein Sachverständigengutachten erforderlich wird. Nur wenn eine Partei die Meinung vertritt, das im anderen Verfahren erstattete Sachverständigengutachten sei nicht geeignet, die Beweisfrage im laufenden Prozess zu klären, wird sich die Notwendigkeit einer Beweiserhebung ergeben, die sich dann kaum befriedigend durch Beiziehung dieses Sachverständigengutachtens erledigen lässt. Setzt sich das Gericht über die Einwendungen und Zweifel der Partei hinweg46, dann wird es kaum gelingen, die Partei von der Richtigkeit dieses Vorgehens zu überzeugen; vielmehr wird sie regelmäßig alle ihr zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um sich gegen die Ergebnisse dieses Sachverständigengutachtens zu wehren. Dass dann aber die mit § 411a ZPO bezweckte Erleichterung und Beschleunigung des Prozesses erreicht werden kann, ist regelmäßig auszuschließen. 4. Freibeweis mit Einverständnis der Parteien Ebenfalls durch das Erste Justizmodernisierungsgesetz ist § 284 ZPO ergänzt worden, um dem Gericht mit Einverständnis den Parteien zu gestatten, die Beweise abweichend von den Strengbeweisregeln „in der ihm geeignet erscheinenden Art aufzunehmen.“ Bei dem auf diese Weise zugelassenen sog. Freibeweis ist der Richter nicht an die gesetzlichen Beweismittel und an die Förmlichkeiten des Beweisverfahrens gebunden. Er kann deshalb von Amts wegen die Erkenntnisquellen benutzen, die eine zuverlässige Beantwortung klärungsbedürftiger Fragen erwarten lässt. So ist die telefonische Befragung eines Zeugen oder Sachverständigen ebenso zulässig wie die Einholung von Auskünften per E-Mail. Der Gesetzgeber will durch diese Gesetzesänderung erreichen, Verfahrensabläufe zu vereinfachen und den Prozess zu beschleunigen47. Allerdings wird durch das Erfordernis eines Einverständnisses beider Parteien, das auch auf die einzelne Beweiserhebung beschränkt werden kann, 45 Dass § 411a ZPO viel Nutzen bringt, bezweifelt auch Greger (Fn. 41); ebenso Eichele in Hk-ZPO, 2006, § 411a Rz. 4. 46 Hierin sieht Greger (Fn. 21), S. 153 im Regelfall einen Verfahrensfehler. 47 Amtliche Begründung (Fn. 39), S. 18.
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eine durchaus nicht zu unterschätzende Hürde geschaffen, die sogar letztlich gegenüber dem früheren Recht eine Einschränkung richterlicher Befugnisse bedeutet. Denn nach der bisherigen herrschenden Auffassung und vor allem nach der Gerichtspraxis wurden im Freibeweisverfahren die allgemeinen Prozessvoraussetzungen, die Zulässigkeitsvoraussetzungen von Rechtsmitteln und sonstige von Amts wegen zu prüfenden prozessualen Tatsachen ermittelt48. Nachdem jedoch durch § 284 S. 2 ZPO der Freibeweis generell von einem Einverständnis der Parteien abhängig gemacht worden ist, gibt es keinen überzeugenden Grund, eine Ausnahme für die genannten verfahrensrechtlich relevanten Tatsachen zuzulassen49. Die nunmehr für den Freibeweis geltende Regelung mag man im Vergleich zur früheren Gerichtspraxis je nach dem dazu eingenommenen Standpunkt als einen Fortschritt oder als einen Rückschritt in der Rechtsentwicklung werten, dass damit ein Mittel der Vereinfachung und Beschleunigung des Prozesses geschaffen worden ist, wie dies der Gesetzgeber beabsichtigt hat, lässt sich indes kaum behaupten. 5. Beweiskraft elektronischer Dokumente Durch EG-Recht ist den Mitgliedstaaten aufgegeben worden, Hindernisse für die modernen Informationsdienste zu beseitigen. Zu diesem Zweck sollen einmal die materiellrechtlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten so angepasst werden, dass die elektronische Signatur der Unterschrift gleichgestellt ist, und zum anderen soll diese Form als Beweismittel in Gerichtsverfahren zugelassen werden50. Mit dem am 1. August 2001 in Kraft getretenen Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr hat der deutsche Gesetzgeber die entsprechenden Rechtsgrundlagen geschaffen. Die hier allein zu betrachtende beweisrechtliche Regelung wurde in § 292a ZPO getroffen. Diese Vorschrift sah eine Beweiserleichterung zu Gunsten einer in elektronischer Form dokumentierten Willenserklärung vor, und zwar dadurch, dass die für den Beweis des ersten Anscheins entwickelten Grundsätze für anwendbar erklärt wurden. Durch Gesetz über die Verwendung elektronischer Kommunikationsformen in der Justiz (Justizkommunikationsgesetz) vom 22. März 2005 ist diese Regelung in erweiterter Form als neuer § 371a in die ZPO eingefügt worden.
48 BGH, NJW-RR 1992, 1338 (1339); NJW 2000, 289 (290). 49 So auch Greger (Fn. 41) S. 39; Knauer/Wolf, Zivilprozessuale und strafprozessuale Änderungen durch das Erste Justizmodernisierungsgesetz, NJW 2004, 2857 (2862); a.A. ohne nähere Begründung Fölsch, ZPO – Änderungen durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz 2004, MDR 2004, 1029. 50 Vgl. Hähnchen, Das Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den moderneren Rechtsgeschäftsverkehr, NJW 2001, 2831.
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Durch die Einfügung dieser Vorschrift in den Sechsten Titel des Zweiten Buchs der ZPO wird verdeutlicht, dass elektronische Dokumente51 grundsätzlich dem Beweis durch Augenschein unterfallen. Die Beweiskraft solcher Dokumente richtet sich, sofern sie mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen sind, nach den Vorschriften über die Beweiskraft von Urkunden. Auffallend ist die vom Gesetzgeber gewählte Regelungstechnik für den Beweis der Echtheit einer in elektronischer Form hergestellten Erklärung. In § 371a Abs. 1 S. 2 ist wie bereits in dem fast wörtlich übernommenen § 292a ZPO52 festgelegt, dass „der Anschein der Echtheit einer in elektronischer Form vorliegenden Erklärung, der sich auf Grund der Prüfung nach dem Signaturgesetz ergibt, ... nur durch Tatsachen erschüttert werden (kann), die ernstliche Zweifel daran begründen, dass die Erklärung vom Signaturschlüssel-Inhaber abgegeben worden ist.“ Um den Sinn dieser Bestimmung richtig erfassen zu können, muss man sich den technischen Vorgang einer qualifizierten elektronischen Signatur vergegenwärtigen. Zum Signieren eines elektronischen Dokuments benötigt der Absender eine Chipkarte, die sog. Smartcard, die gegenüber einer vergleichbaren EC-Karte oder Kreditkarte einen höheren Kopierschutz aufweisen soll, und eine PIN-Nummer53. Die erforderliche Qualifizierung der Signatur verlangt die Erfüllung zusätzlicher Voraussetzungen, die in § 2 Nr. 3 SigG beschrieben werden. So muss die Signatur dem Signaturschlüssel-Inhaber zugeordnet sein, seine Identifizierung ermöglichen; außerdem muss sie auf einem zum Zeitpunkt ihrer Erzeugung gültigen qualifizierten Zertifikat beruhen und mit einer sicheren Signaturerstellungseinheit erzeugt werden. Qualifizierte Zertifikate sind nach § 2 Nr. 7 SigG nur solche, die von einem Zertifizierungsdiensteanbieter ausgestellt werden. Sichere Signaturerstellungseinheiten sind nach § 2 Nr. 10 SigG Software- oder Hardwareeinheiten zur Speicherung und Anwendung des jeweiligen Signaturschlüssels, die für qualifizierte elektronische Signaturen bestimmt sind und die zusätzlich noch Anforderungen erfüllen, die in verschiedenen in dieser Bestimmung bezeichneten Rechtsvorschriften genannt werden54. Werden die beschriebenen Anforderungen an eine qualifizierte Signatur erfüllt, so kann ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass der Signaturschlüssel-Inhaber das Dokument signiert und deshalb die Erklärung auch
51 Zum Begriff vgl. Berger, Beweisführung mit elektronischen Dokumenten, NJW 2005, 1016. 52 Der einzige bemerkenswerte Unterschied besteht darin, dass § 371a Abs. 1 S. 2 ZPO anders als § 292a ZPO nicht auf Willenserklärungen beschränkt ist, sondern Erklärungen schlechthin erfassen soll, also auch Wissenserklärungen wie z.B. Quittungen; vgl. die Begründung zum Entwurf des Justizkommunikationsgesetzes, BT-Drs. 15/4067, S. 34 (zu Nr. 29). 53 Hähnchen (Fn. 50), S. 2833. 54 Vgl. Roßnagel, NJW 2001, 1817 (1819 f.).
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von ihm abgegeben worden ist oder dass dies zumindest mit seinem Einverständnis geschah55. Dennoch meint der Gesetzgeber, dem Empfänger einer in elektronischer Form abgegebenen Erklärung müsse bei dem von ihm zu führenden Beweis der Echtheit der Signatur durch einen Anscheinsbeweis geholfen werden56. Um entscheiden zu können, ob diese Auffassung richtig ist, muss kurz auf Besonderheiten des Anscheinsbeweises eingegangen werden. Obwohl dieses Rechtsinstitut ständig in der Rechtsprechung angewendet wird, bestehen nach wie vor Meinungsverschiedenheiten darüber, was seinen eigentlichen Inhalt ausmacht57. Allerdings genügt es für die Beantwortung der hier zu entscheidenden Frage, den Kerngehalt des Anscheinsbeweises zu beschreiben, den der BGH58 wie folgt charakterisiert hat: „Beim Beweis des ersten Anscheins handelt es sich nicht um ein besonderes Beweismittel, sondern um den konsequenten Einsatz von Sätzen der allgemeinen Lebenserfahrung bei der Überzeugungsbildung im Rahmen der freien Beweiswürdigung gem. § 286 ZPO“. Bereits diese Definition reicht aus, um feststellen zu können, dass die Einschätzung des Gesetzgebers falsch ist, durch § 371a Abs. 1 S. 2 werde „dem Empfänger einer in elektronischer Form (§ 126a BGB) abgegebenen Erklärung durch eine gesetzliche Regelung der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zum Beweis des ersten Anscheins die Beweisführung erleichtert.“59 Wie dargelegt worden ist, sind die im Verfahren der Abgabe einer qualifizierten elektronischen Signatur durchzuführenden Maßnahmen ohne weiteres geeignet, die Feststellung zu treffen, dass die vom Signaturschlüssel-Inhaber signierte Erklärung auch von ihm stammt. Dementsprechend wird auch in der Begründung zu § 371a ZPO betont, dass der Nachweis der Echtheit der in dieser Form abgegebenen Erklärung grundsätzlich schon durch die Prüfung nach dem Signaturgesetz erbracht wird. Eine Hilfe beim Beweis der Echtheit der Erklärung ist deshalb nicht erforderlich. Vielmehr ist es Sache der Gegenpartei, also des Signaturschlüssel-Inhabers, Tatsachen vorzutragen, aus denen sich ergibt, dass er das Dokument nicht signiert hat und die Signierung auch nicht mit seinem Willen vorgenommen worden ist. Es geht also nicht um den Hauptbeweis der Echtheit, sondern um den insoweit zu führenden Gegenbeweis. Regelungsbedürftig ist bei dieser Sachlage nur die Beweislast. Sieht man einmal von der wenig geglückten Formulierung „Anschein der Echtheit“ ab, so wird 55 Die Möglichkeit, die Verwendung der Signaturkarte an Dritte zu delegieren, mag durchaus häufiger vorkommen, worauf Schemmann, Die Beweiswirkung elektronischer Signaturen und die Kodifizierung des Anscheinsbeweises in § 371a Abs. 1 S. 2 ZPO, ZZP 118 (2005), 161 (182), hinweist, ändert jedoch nichts daran, dass auch in einem solchen Fall die Erklärung dem Signaturschlüssel-Inhaber zuzurechnen ist, weil es sich dann regelmäßig um ein Vertretungsgeschäft handeln dürfte. 56 BT-Drs. 15/4067, S. 34. 57 Vgl. dazu Musielak (Fn. 19), S. 198 ff. 58 BGH, NJW 1998, 79 (80 f.). 59 BT-Drs. 15/4067, S. 34.
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dies durchaus zutreffend im Gesetz zum Ausdruck gebracht, wenn darin festgelegt wird, die Annahme der Echtheit könne nur durch Tatsachen erschüttert werden, die ernstliche Zweifel daran begründen, dass die Erklärung vom Signaturschlüssel-Inhaber abgegeben worden ist. Der Richter hat also regelmäßig davon auszugehen, dass eine qualifizierte elektronische Signatur von dem Signaturschlüssel-Inhaber stammt. Damit ist die Echtheit der Erklärung, die auf diese Weise signiert worden ist, festgestellt. Bestreitet der Signaturschlüssel-Inhaber die Echtheit, dann obliegt ihm dafür die Beweisführung; die Beweisführungslast und die objektive Beweislast trägt also er. Diese Auffassung stimmt im Grundsatz mit dem von Schemmann eingenommenen Standpunkt überein60. Auch Schemmann wendet sich gegen die „Etikettierung durch den Gesetzgeber“ und gelangt nach einer eingehenden Untersuchung zu dem Ergebnis, § 371a Abs. 1 S. 2 ZPO müsse als eine „erleichtert entkräftbare gesetzliche Vermutung“ verstanden werden. Gesetzliche Vermutungen regeln die Beweislast und unterscheiden sich von den Beweislastnormen dadurch, dass sie einen zweigliedrigen Tatbestand aufweisen: Neben dem mit den Beweislastnormen gemeinsamen Merkmal der Ungewissheit über Tatsachen, die sie betreffen, kommt bei ihnen noch ein Sachverhalt hinzu, von dessen Verwirklichung die Vermutungswirkung abhängt. Dieser zusätzliche Sachverhalt, die Vermutungsbasis, enthält Merkmale, die außerhalb des Tatbestandes liegen, auf den sich die Vermutung bezieht61. Diesen Anforderungen genügt § 371a Abs. 1 S. 2. ZPO und weist sich damit als eine gesetzliche Vermutung aus. Beweisthema und damit die vermutete Tatsache ist bei ihr die Echtheit der Erklärung. Die Vermutungsbasis wird durch den Tatbestand einer qualifizierten elektronischen Signatur geschaffen. Stellt der Richter ihre Existenz fest, dann wird die Echtheit der Erklärung vermutet. Damit ist eine Gleichstellung im Beweis der Echtheit mit einem öffentlichen Dokument hergestellt, für das die Vermutung der Echtheit gemäß § 437 ZPO gilt, wenn dieses Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist (§ 437 Abs. 2 S. 2 ZPO). Vermutungen sind grundsätzlich durch den Beweis des Gegenteils zu entkräften (§ 292 ZPO). Der Gesetzgeber kann jedoch das Beweismaß gegenüber dem Regelfall, bei dem ein sehr hoher Wahrscheinlichkeitsgrad erreicht werden muss, mindern62. Der in § 371a Abs. 1 S. 2 ZPO verwendete Begriff „ernstliche Zweifel“ spricht für eine solche Minderung der Beweisanforderungen, weil sie kaum ausreichen dürften, um einen sehr hohen Wahrscheinlichkeitsgrad für das Gegenteil der vermuteten Tatsache, der Echtheit der Erklärung, zu erzeugen. Letztlich ist jedoch eine solche Differenzierung zwischen dem Regelbeweismaß und dahinter zurückbleibenden Anforderun-
60 Schemmann (Fn. 55), S. 182. 61 Vgl. dazu Musielak, Die Grundlagen der Beweislast im Zivilprozess, 1975, S. 73 ff. 62 Prütting in MünchKomm ZPO (Fn. 11), § 286 Rz. 41.
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gen praktisch ohne große Bedeutung, weil sie weitgehend durch die richterliche Tatsachenwürdigung nivelliert wird. Behauptet z.B. der Signaturschlüssel-Inhaber, die Smartcard sei ihm abhanden gekommen und außerdem sei auch die PIN-Nr. ausgespäht worden, dann muss er dafür Tatsachen vortragen, die so plausibel sind, dass der Richter diesem Vortrag Glauben schenkt. Damit steht dann aber auch zugleich fest, dass die Signatur nicht von dem ursprünglichen Inhaber des Schlüssels stammen kann. Stets wird man also verlangen müssen, dass ein Sachverhalt vorgetragen und gegebenenfalls auch bewiesen wird, der mit hinreichender Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass es sich entgegen der vermuteten Echtheit um ein verfälschtes Dokument handelt. Dafür genügt es keinesfalls, dass der Signaturschlüssel-Inhaber überzeugend darzulegen vermag, dass er an einen Dritten Signaturschlüssel und PIN-Nr. weitergegeben hat63. Hinzukommen müssen in diesem Fall dann noch überzeugende Gründe für einen Missbrauch durch den Dritten. Zusammenfassend ist zu der Vorschrift des § 371a ZPO festzustellen, dass die gesetzestechnische Umsetzung der dem Gesetzgeber durch das EG-Recht aufgegebenen beweisrechtlichen Gleichstellung der elektronischen Signatur mit der Unterschrift nicht recht gelungen ist. Dies liegt daran, dass der Gesetzgeber durch falsche Vorstellungen über den Anscheinsbeweis fehlgeleitet worden ist. Inhaltlich ist diese Vorschrift nicht zu beanstanden. Sie entspricht insoweit den Anforderungen, die sich für das Zivilprozessrecht aus der technischen Entwicklung im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie ergeben. Dies gilt auch für die Vorschrift des § 416a ZPO, die dem Zweck dient, den mit einem Beglaubigungsvermerk versehenen Ausdruck eines elektronischen Dokuments gemäß § 371a Abs. 2 in seiner Beweiskraft der beglaubigten Abschrift einer öffentlichen Urkunde gleichzustellen. Diese Gleichstellung tritt sowohl im Hinblick auf die allgemeinen Beweisregeln nach §§ 415, 417, 418 ZPO als auch im Hinblick auf die speziellen Beweisregeln für gerichtliche Dokumente nach § 165 und § 314 ZPO ein64.
III. Wertende Zusammenfassung Versucht man ein Fazit aus der Betrachtung der verschiedenen neu in die ZPO eingefügten Regelungen zu ziehen, aus denen sich Wirkungen für die Tatsachenklärung im Zivilprozess ergeben, dann lässt sich feststellen: Durch § 139 ZPO wird lediglich eine Akzentverschiebung vorgenommen, die die richterliche Funktion bei der Sachverhaltsklärung betont, ohne sie
63 So aber Schemmann (Fn. 55), S. 174, 183. 64 BT-Drs. 15/4067, S. 35 (zu Nr. 32).
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jedoch substanziell zu verändern. Es bleibt nach wie vor dabei, dass es zu den Aufgaben der Parteien zählt, den streitentscheidenden Tatsachenstoff in den Prozess einzuführen, und dass sich der Richter darauf zu beschränken hat, Anregungen und Hinweise zur Klärung von Zweifeln, sowie zur Beseitigung von Lücken und Widersprüchen im Vortrag der Parteien zu geben. Eine wichtige Erweiterung richterlicher Befugnisse bei der Tatsachenklärung ist durch die Neufassung der §§ 142, 144 ZPO vollzogen worden. Unabhängig von entsprechenden Anträgen der Parteien kann der Richter sowohl dem Prozessgegner der beweisführungsbelasteten Partei als auch einem Dritten aufgeben, Urkunden und Augenscheinsobjekte vorzulegen. Damit wird dem Richter ein wichtiges Instrument an die Hand gegeben, im Rahmen seiner Prozessleitung auf die Klärung des streitigen Sachverhalts einzuwirken Allerdings ist diese Befugnis, die sich als konsequente Reaktion auf die veränderte Aufgabenstellung für die Eingangs- und die Berufungsgerichte darstellt, nicht unstreitig. Der Streit um die richtige Antwort auf die von der herrschenden Meinung verneinten Frage, ob sich für die richterliche Anordnung zur Vorlage von Urkunden Einschränkungen aus den §§ 422, 423 ZPO ableiten, hätte durchaus durch eine klarere Fassung des Gesetzes vermieden werden können. Ein Defizit in der Eindeutigkeit der gesetzlichen Anordnungen ist ebenfalls in Bezug auf die Voraussetzungen festzustellen, die ein Weigerungsrecht der nicht beweisführungsbelasteten Partei und eines Dritten begründen. Durch den unbestimmten Rechtsbegriff der Unzumutbarkeit, der allerdings nach dem Wortlaut des Gesetzes nur die Vorlagepflicht eines Dritten einschränkt, wird die Gefahr langwieriger Streitigkeiten hervorgerufen und damit die Praktikabilität der Regelung in Frage gestellt. Die Befürchtung, die §§ 142, 144 ZPO könnten als Mittel der Ausforschung im Sinne eines US-amerikanischen discovery-Verfahrens missbraucht werden, erscheint dagegen als unbegründet, wenn man die Vorlageanordnung davon abhängig macht, dass der durch die Urkunde oder das Augenscheinsobjekt zu klärende Tatsachenstoff von der beweisführungsbelasteten Partei so genau und umfassend vorgetragen wird, wie es ihr möglich ist. Außerdem ist zu verlangen, dass ein vorzulegendes Dokument oder Augenscheinsobjekt identifizierbar beschrieben und angegeben wird, aus welchen Gründen anzunehmen ist, dass sich der Vorlagepflichtige im Besitz des Objekts befindet. Die durch § 411a ZPO neu geschaffene Möglichkeit, die schriftliche Begutachtung durch die Verwertung eines gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachtens aus einem anderen Verfahren zu ersetzen, dürfte wohl kaum die Erwartungen des Gesetzgebers erfüllen, dass durch diese Regelung das Zivilprozessverfahren erleichtert und beschleunigt werden kann. Wird die für eine solche Verwertung eines fremden Sachverständigengutachtens selbstverständliche Voraussetzung, die Gleichheit der zu klärenden Sachverhalte, erfüllt, dann dürfte regelmäßig der Inhalt des Sachverständigengutachtens im laufenden Verfahren außer Streit sein. Nur wenn eine Partei die 253
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Meinung vertritt, die Beweisfrage im laufenden Prozess könne nicht durch das im anderen Rechtsstreit erstattete Sachverständigengutachten geklärt werden, kann sich die Prozesssituation ergeben, dass trotz dieses Gutachtens Tatsachen streitig sind, zu deren Klärung aus der Sicht des Gerichts das fremde Sachverständigengutachten beitragen kann. In einem solchen Fall dürfte dann jedoch die betroffene Partei alle ihr zur Verfügung stehenden rechtlichen Mittel ausschöpfen, um für sie nachteilige Schlussfolgerungen aus dem Gutachten zu verhindern. Dies lässt eher eine Verlängerung als eine Verkürzung des laufenden Rechtsstreits erwarten. Die Zulassung des Freibeweises durch § 284 S. 2 ZPO ist an das Einvernehmen beider Parteien gebunden. Damit wird eine hohe Hürde geschaffen, die nunmehr auch für den Bereich der von Amts wegen zu prüfenden Tatsachen gilt, für die nach herrschender Meinung zuvor der Freibeweis uneingeschränkt zulässig war. Deshalb kann in der neuen Regelung kein Mittel gefunden werden, das im Vergleich zum früheren Recht eine Beschleunigung und Vereinfachung des Verfahrens bewirken kann. § 371a ZPO regelt den Beweiswert privater und öffentlicher elektronischer Dokumente, die mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz versehen sind. Sie werden in ihrem Beweiswert Urkunden in Papierform gleichgestellt. Während für die Echtheit öffentlicher elektronischer Dokumente mit einer qualifizierten elektronischen Signatur die Vermutung der Echtheit gilt (§ 437 ZPO i.V.m. § 371a Abs. 2 S. 2 ZPO), soll nach Meinung des Gesetzgebers für die Echtheit einer entsprechenden privaten elektronischen Urkunde ein Anscheinsbeweis sprechen. Dieser Meinung ist jedoch nicht zu folgen, denn bei genauer Betrachtung zeigt sich, dass es sich auch insoweit um eine gesetzliche Vermutung handelt. Inhaltlich sind die für elektronische Dokumente in § 371a ZPO und in § 416a ZPO getroffenen Regelungen sachgerecht. Will man eine abschließende Antwort auf die eingangs gestellte Frage geben, ob die neu geschaffenen Regelungen einen Fortschritt im Beweisrecht bringen, dann gelangt man zu einem weitgehend negativen Ergebnis. Abgesehen von den in erster Linie technische Anforderungen erfüllenden Vorschriften über die Beweiskraft elektronischer Dokumente kann allenfalls noch den eine Vorlagepflicht begründenden §§ 142, 144 ZPO eine die Tatsachenklärung fördernde Wirkung zugestanden werden65. Dass aber die neuen Regelungen insgesamt geeignet sind, die Aufgabe des Richters zu erleichtern, eine erschöpfende und umfassende Tatsachenklärung in der ersten Instanz vorzunehmen, lässt sich nicht sagen. 65 Über die praktische Relevanz dieser Regelungen gehen allerdings die Auffassungen auseinander. So erklärt Schmude, Veränderungen und Entwicklungen des Beweisrechts im deutschen Zivilprozess, BRAK-Mitt. 2005, 155, 156 f., ihm sei kein Fall bekannt geworden, in dem nach §142 ZPO verfahren worden sei.
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Wesentlich mehr beunruhigen muss eine aus der Praxis vorgetragene Kritik an den Grundlagen des Beweisaufnahmeverfahrens. Nachdem das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz alle finanziellen Anreize für den Anwalt beseitigt habe, auf eine Beweisaufnahme zu dringen, führe dies tendenziell dazu, die Neigung des überlasteten Richters zu unterstützen, nach Möglichkeit auf eine Beweisaufnahme zu verzichten66. Selbst wenn man diese Meinungsäußerung als eine überzogene und nicht verallgemeinerungsfähige Einschätzung werten wollte, so wird damit doch ein Problem angesprochen, das ernst genommen werden muss. Sich Arbeit zu ersparen, ist ein Wunsch, der nur allzu menschlich ist und sicherlich auch den professionellen Prozessbeteiligten eigen sein dürfte. Wenn diese Neigung durch eine immer größer werdende Arbeitsbelastung der Richter und durch eine Regelung im Rechtsanwaltsvergütungsrecht gefördert wird, kann dies durchaus dazu führen, häufiger auf eine umfassende Tatsachenklärung zu verzichten und „kurzen Prozess“ zu machen. Dieser Tendenz durch geeignete Maßnahmen entgegen zu wirken, etwa durch eine erneute Änderung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes, die der erheblichen Arbeitsbelastung des Anwalts durch eine Beweisaufnahme und ihre Vorbereitung Rechnung trägt, dürfte wichtiger und förderlicher sein als eine zusätzliche Erweiterung richterlicher Befugnisse bei der Tatsachenklärung etwa durch Verzicht auf das Antragserfordernis beim Zeugenbeweis.
66 Schmude (Fn. 65), S. 157.
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Auswirkungen des elektronischen Rechtsverkehrs auf Parteivortrag und richterliche Sachbearbeitung im Zivilprozess Inhaltsübersicht I. Bessere Strukturierung des Parteivortrags II. Effizientere Stoffsammlung III. Schriftsatz- und Entscheidungsmuster IV. Verlaufsdiagramme und Angabe von Entscheidungsmöglichkeiten
V. Erschwerung des elektronischen Rechtsverkehrs durch qualifizierte elektronische Signatur VI. Einführung eines „E-Verfahrens“ VII. Schneller Zugriff auf Akten VIII. Formale Prozessleitung nur am Computer IX. Ergebnis
Elektronische Datenbanken können über „CD“ oder „online“ mehr juristische Fachinformationen denn je übermitteln. Der elektronische „Brief“- bzw. Nachrichtenverkehr verkürzt die Übermittlungszeiten schon im Inland, erst recht aber mit dem Ausland ganz beträchtlich auf ein Minimum. Beides hat erhebliche Vorteile und wird daher auch von Anwälten und Gerichten gerne genutzt. Die Frage ist aber, ob elektronische Medien über einen Zeitgewinn beim Austausch von Schriftsätzen und ihrer Zustellung hinaus andere Vorteile für die sachliche Arbeit bieten, ob insoweit alles beim Alten bleibt oder die Arbeit durch eine Flut von Informationen eher schwieriger wird. In seiner Habilitationsschrift über „Formenstrenge und prozessuale Billigkeit“ wollte Max Vollkommer den (partiellen) Formalismus der Rechtsprechung bei der Wahrung prozessualer Formen überwinden. Formfehler sollten aus Gründen effektiven Rechtsschutzes durch ein fristwahrendes Verbesserungsrecht geheilt werden1. Leider ist ihm die „Praxis“, aus der er selbst kam, nicht gefolgt. Bei den inzwischen möglichen elektronischen Schriftsätzen stellt sich erneut die Frage, ob die Form eine Art Selbstzweck ist2, Erleichterung für einzelne Beteiligte durch Mehrarbeit bei anderen erkauft wird oder ob die „elektronische Form“ dazu dient, die juristische Arbeit für alle Beteiligten rein pragmatisch zu erleichtern. Ich hoffe daher, dass die 1 M. Vollkommer, Formenstrenge und prozessuale Billigkeit, 1983, S. 419 ff. 2 Krit. zur Dominanz der elektronischen Form über den Inhalt der Verfahren N. Fischer, Überlegungen zu einem sozialen elektronischen Zivilprozess, KJ 2005, 152 (157).
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nachfolgenden pragmatischen Überlegungen auf das Interesse des verehrten Kollegen Max Vollkommer stoßen werden.
I. Bessere Strukturierung des Parteivortrags Betrachtet man den Zivilprozess als Datenverarbeitungssystem3, so müssen technische Anforderungen an eine elektronische Datenbeschaffung und -speicherung praktische Rückwirkungen haben. Auswirkungen auf die Art des Parteivortrags hätte es, wenn der Gesetzgeber die elektronische Form nicht nur als Medium für die Übermittlung beliebiger Schriftsätze frei gibt, sondern zugleich deren Strukturierung anordnet. Im Mahnverfahren muss sich die Partei der gesetzlich eingeführten Formulare bedienen (§ 703c Abs. 2 ZPO). Gleiches gilt im vereinfachten Verfahren über den Unterhalt Minderjähriger (§§ 645 ff. ZPO) und für die Erklärung der Partei über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei Anträgen auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (§ 117 Abs. 4 ZPO). Nach dem Vorbild der claim forms des englischen Rechts4, aber auch den court rules amerikanischer Gerichte könnte man Aufbau, Gliederung, Länge und sonstige Form von Anwaltsschriftsätzen im Detail vorschreiben. Möglich und notwendig wäre etwa insoweit eine strikte Trennung von nummerierten Tatsachenbehauptungen und nummerierten Rechtsausführungen5. Die Klageerwiderung müsste zu den gleichen Nummern Stellung nehmen wie die Klage. Sollte der Beklagte andere oder zusätzliche Argumente vorbringen, so müsste dies unter neuen Nummern erfolgen6. Der Kläger müsste hierauf in gleicher formaler Weise replizieren usw. Für Verfahren vor dem Europäischen Gericht erster Instanz sind solche detaillierte „Praktische Anweisungen für die Parteien“ bereits erlassen worden7. Ob der von der BundLänder-Kommission für Datenverarbeitung und Rationalisierung in der Jus3 Vgl. P. Gilles, Zivilgerichtsverfahren, Teletechnik und „E-Prozessrecht“, ZZP 118 (2005), 399 (408, 421 f.). 4 Vgl. Bender/Schwarz, Strukturierter Parteivortrag und elektronische Akte, CR 1994, 372 (373 – mit Beispiel S. 377); Schnelle/Bender, Der elektronisch gestützte Zivilprozess – Das „Neue Stuttgarter Modell“, DRiZ 1993, 97 (101); Gretemann, Die elektronische Akte als Voraussetzung eines EDV-Gesamtkonzepts für die Justiz, 1996, S. 143; N. Fischer, Justiz-Kommunikation, 2004, S. 54; M. Schwoerer, Die elektronische Justiz, 2005, S. 109 f. (Die neuen CPR 1998 kennen nominell keine „pleadings“ mehr.) 5 Auch wenn die tatsächlichen Behauptungen (partiell) von den Rechtsbehauptungen abhängig sind, lässt sich beides dennoch getrennt darstellen (a.A. N. Fischer [Fn. 4], S. 55). 6 Hendel, Der moderne Zivilprozess zwischen Mensch und Maschine – elektronische Akte, summarisches Verfahren und langfristigere Form des Zivilprozesses, JurPCWeb-Dok. 68/2002 Abs. 16. 7 ABl. EG Nr. L 87/48 v. 4. 4. 2002; vgl. Schwoerer (Fn. 4), S. 111.
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tiz bei der Ausarbeitung des „Grunddatensatzes Justiz“ für die sog. „XJustiz“ einen ähnlichen Weg gehen wird, ist derzeit nicht erkennbar8. Eine strengere formale Ordnung für Schriftsätze würde es jedenfalls nicht nur dem Gericht, sondern auch der Gegenpartei wesentlich erleichtern, das eigentliche Streitanliegen zu verstehen und darauf sachgerecht zu reagieren. Vorsichtige Versuche des Verfassers, verschärfte Formanforderungen zumindest für Rechtsmittelbegründungen zu initiieren9, sind vom Deutschen Juristentag aber nicht aufgegriffen worden. Es würde daher verwundern, wenn sie nun von den Anwälten aus Euphorie für die Einführung einer modernen Technik gut geheißen würden und alle Betroffenen ohne weiteres bereit wären, sich etwa den Strukturvorgaben des „XJustiz“-Schemas10 zu unterwerfen. Auch wenn solche Schriftsätze kürzer sein können, die Mehrarbeit zu ihrer Herstellung wiegt den Gewinn kaum auf11.
II. Effizientere Stoffsammlung Bei großen Verfahren, etwa dem Telekom-Prozess12, könnte es schon jetzt sinnvoll sein, wenn alle Schriftsätze elektronisch erfasst wären und einzelne Angaben oder Argumente durch Eingabe eines Suchbegriffs im Wege der Volltextrecherche aufgefunden werden könnten13. Ohne einen „strukturier8 Die bisher vorliegenden Schemata der „XJustiz: Elektronischer Rechtsverkehr mit XML“ (Stand: 20. 6. 2005) sowie „Organisatorische technische Leitlinien für den elektronischen Rechtsverkehr mit den Gerichten und Staatsanwaltschaften (OTLeit-ERV) (Stand 21. 4. 2005), Anlage 1: „Technische Rahmenvorgaben für den elektronischen Rechtsverkehr“ (Stand: 13. 5. 2005) und Anlage 2 (Leitfaden XJustiz) (Stand: 21. 4. 2005) (Abruf 17. 1. 2006) erfassen „Stammdaten“, damit ein Schriftstück elektronisch einer Akte zugeordnet und die Zustellung vorbereitet werden kann, gehen aber kaum darüber hinaus. Zur technischen Umsetzung s. Ebenhoch, Die Verwendung von XML für die strukturierte Informationsgestaltung von gerichtlichen Entscheidungen, JurPC Web-Dok. 110/2001. 9 Vgl. Gottwald, Empfehlen sich im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes Maßnahmen zur Vereinfachung, Vereinheitlichung und Beschränkung der Rechtsmittel und Rechtsbehelfe des Zivilverfahrensrechts?, Gutachten für den 61. Deutschen Juristentag, 1996, A 1, S. 38 f. 10 Vgl. Bacher, XJustiz – elektronischer Datenaustausch zwischen Gerichten und Verfahrensbeteiligten, JurPC Web-Dok. 160/2003, Abs. 5, 7 f. (trotz Überprüfung durch für Datenerfassung zuständigen Mitarbeiter geringerer Aufwand als bei manueller Erfassung); Schwoerer (Fn. 4), S. 112 ff. 11 A.A. Schnelle/Bender, DRiZ 1993, 97 (104). 12 Vgl. nur für die Angaben bei Duve/Pfitzner, Braucht der Kapitalmarkt ein neues Gesetz für Massenverfahren?, BB 2005, 673. 13 Vgl. Gretemann (Fn. 4), S. 67 ff.; Schwoerer (Fn. 4), S. 27; Bacher (Fn. 10), Abs. 2; auch Stadler, Der Zivilprozess und neue Formen der Informationstechnik, ZZP 111 (2002), 413 (423); Kodek, Der Zivilprozess und neue Formen der Informationstechnik, ZZP 111 (2002), 445 (456).
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ten Parteivortrag“, d.h. eine Formalisierung der Schriftsätze, kann der Sachverhalt aber darüber hinaus weder für Anwälte noch für das Gericht14 durch den Computer vorbereitend aufgearbeitet werden15. Aber selbst nach Einführung strukturierter Schriftsätze bleibt zweifelhaft, ob ein Rechenprogramm einen Aktenspiegel im Sinne der Relationstechnik erstellen kann und die Akte dem Richter oder dem Anwalt erst dann zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung oder weiterer Prozesshandlungen vorgelegt werden muss16. Dem stehen menschliches Ungenügen oder „offene“ Fälle mit notwendiger richterlicher Rechtsfortbildung entgegen. Darüber hinaus sind, von einfachen Fällen abgesehen, weder Sprache noch Rechtsnormen so eindeutig, dass der Computer das Vorgetragene bestenfalls formal zusammenstellen, nicht aber quasi einen Entscheidungsvorschlag erarbeiten könnte. Gleiches gilt vermutlich auch für die Idee, der Computer könne strittige Punkte in Zeugen- und Gegenzeugen-Aussagen synoptisch gegenüberstellen17. Vorstellbar erscheint, dass der Computer in einer „in hierarchische Baumstruktur“ gebrachten Akte hilft, bestimmte Textstellen aufzufinden18. Aber wer bringt die Akte in diese Struktur? Bei aller Begeisterung über Arbeitserleichterungen sollte nicht vergessen werden, dass die juristische Methodenlehre kein effektives Verfahren zur Rechtsfindung, sondern nur zur rationalen Begründung intuitiv gefundener Entscheidungen bereitstellt19. Selbst formale Vorbereitungen am Computer setzen aber voraus, dass die Schriftsätze „formal strukturiert“ sind. Auch dann bleiben Schwierigkeiten. Denn der Computer kann nur entweder gleiche Gliederungsnummern gegenüberstellen, oder den Text nach gewissen Stichwörtern erfassen und ordnen. Nur diese kann er aus vorbereitenden Schriftsätzen gegenüberstellen, sei es für Anwälte, sei es für Berichterstatter oder Vorsitzende oder die Beratung des Spruchkörpers20. Ob dies hinreicht, um alle streitigen Punkte zu erkennen und zu ordnen21, ist aber zweifelhaft. Bei der Arbeit mit juristischen Datenbanken bemerkt man schnell, dass dieselbe juristische Idee verbal völlig verschieden ausgedrückt und entsprechend unterschiedlich gespeichert werden kann. Dass es einen sachkundigen Textbearbeiter gibt, der Verknüpfungen („links“) zwischen allen sprachlichen Synonyma legt, ist 14 Vgl. Gretemann (Fn. 4), S. 15, 25; Hendel (Fn. 6), Abs. 15 ff. 15 Ebenso Kodek, ZZP 111 (2002), 445 (456), aber 480 (Formular als Prokrustes-Bett); krit. N. Fischer (Fn. 4), S. 55. 16 So Hendel (Fn. 6), Abs. 16, 17; vgl. auch Kodek, ZZP 111 (2002), 445 (457). 17 S. R. Bender/Schwarz, CR 1994, 372 (378). 18 So Schwoerer (Fn. 4), S. 116. 19 Vgl. Gottwald, Richterliche Entscheidung und rationale Argumentation, ZZP 98 (1985), 113 (117). 20 Vgl. Gretemann (Fn. 4), S. 65; Grotheer, elektronischer Rechtsverkehr und Schriftlichkeitsgebot – ein ungleiches Paar? in FS Ishikawa, 2001, S. 157 (163). 21 Vgl. Gretemann (Fn. 4), S. 66.
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keineswegs gesichert, bislang eher sogar unwahrscheinlich22. Noch schwieriger wird es mit Informationen aus anderen Rechtssystemen. Die Eingabe selbst aller in einem Wörterbuch vorgesehener Begriffe führt vielfach nicht weiter, weil das entsprechende Institut sprachlich anders ausgedrückt oder technisch abweichend gelöst wird. Mit der Feststellung der Inhaltsgleichheit unterschiedlich formulierter Ideen ist der Computer aber wohl auf absehbare Zeit überfordert. Sollen elektronische Schriftsätze und eine elektronische Akte also wirklich dazu führen, dass streitige Punkte zumindest in „Standardfällen“ schneller erkannt, herausgefiltert und bearbeitet werden können23, so kommt man um eine Formalisierung von Schriftsätzen nicht herum24.
III. Schriftsatz- und Entscheidungsmuster Eine solche Formalisierung oder „Modularisierung“ muss nicht benutzerunfreundlich oder rechtsschutzunfreundlich sein. In den siebziger und achtziger Jahren haben deutsche Juristen die deutsche „Freiheit“ beim Abfassen von Schriftsätzen gelobt und die Formularbücher in den USA und England als etwas unnötig Formales abgetan. Inzwischen haben Formularbücher mit ausgearbeiteten Schriftsatzmustern unter Hinweis auf die im Einzelfall zu beachtenden Probleme und Anpassungsmöglichkeiten auch in Deutschland Hochkonjunktur25. Kein Anwalt ist freilich verpflichtet, solche Muster zu beachten und seinen Schriftsatz daran auszurichten. Aber selbst der erfahrene Fachanwalt spart viel Zeit und Mühe, wenn er sich eines von einem Fachkenner ausgearbeiteten Schriftsatzmusters bedient. Auf diese Weise ist zusätzlich sichergestellt, dass er nicht aus Versehen Standardfragen übersieht oder wegen ihrer Selbstverständlichkeit vergisst. Bei der Konzeption solcher Schriftsatzmuster für Klage und Erwiderung und der Herausgabe der entsprechenden Handbücher könnte man noch stärker als bisher darauf achten, dass Klage und Erwiderung usw. computermäßig gegenübergestellt und ausgewertet werden können, damit für die beteiligten Anwälte und die bearbeitenden Richter Streitfragen schneller als bei völlig divergierenden Darstellungen ermittelt werden können. Ohne einen gewissen Übergang zu einer stärker formalen Schriftsatzordnung ist dieser Vorteil aber nicht realisierbar.
22 So auch R. Bender/Schwarz, CR 1994, 372 (374). 23 Vgl. Gretemann (Fn. 4), S. 66. 24 Schnelle/Bender, DRiZ 1993, 97 (107) verlangen, dass der Anwalt seine Schriftsätze mit „Signalzeichen“ markiert. 25 Vgl. nur Locher/Mes, Beck'sches Prozessformularbuch, 10. Aufl. 2005; F.-M. Goebel, Anwaltformulare Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 2005; Vorwerk, Das Prozessformularbuch, 8. Aufl. 2005.
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Für richterliche Entscheidungen gibt es schon seit vielen Jahren Musterformulare, die die Abfassung von Standardentscheidungen erleichtern. Die EDV erlaubt eine technisch einfache Abänderung und Ergänzung dieser Muster und gleichzeitig die Verwendung von Textbausteinen, um wiederholt auftretende Fragen wortgleich zu begründen. Solche Textbausteine erleichtern die Arbeit, erhöhen aber nicht unbedingt die Qualität von daraus erstellten Texten. Denn sie führen häufig zu unnötig langen Begründungen und verstärken die Gefahr, dass die Argumentation auf das konkrete Vorbringen der Parteien nur unzureichend eingeht.
IV. Verlaufsdiagramme und Angabe von Entscheidungsmöglichkeiten Selbstverständlich könnte man sich vorstellen, dass Richtern und Anwälten in Formularbüchern oder entsprechenden elektronischen Medien für bestimmte Situationen auch die daraus folgenden Handlungsmöglichkeiten angeboten werden26. Ob dies freilich zu einer besseren Strukturierung, Entformalisierung oder Beschleunigung des Verfahrens führen würde, erscheint zweifelhaft. Denn letztlich werden auf diese Weise nur die verschiedenen Handlungsvarianten, die ein guter Großkommentar in der Sache anbietet, in formelle Handlungsmöglichkeiten umgesetzt und elektronisch als Handlungsalternativen angezeigt. Wer aber öfter mit Großkommentaren arbeitet, sieht deutlich, dass die Breite der Lebenssachverhalte zu weitaus mehr Handlungsvarianten führt als ein einzelner Fall Anlass gibt. Es verhält sich insoweit nicht anders wie mit dem Ausfüllen des Formulars einer Steuererklärung. Ein Formular, das alle denkbaren Varianten erfassen muss, ist für den konkreten Einzelfall vielfach unnötig schwierig und verleitet nicht selten zu fehlerhaften Schlüssen, gerade auch dann, wenn ein Anwender auf bestimmte Rubriken keine Antwort weiß, weil sie mit seinem Fall aus seiner Sicht nichts zu tun haben.
V. Erschwerung des elektronischen Rechtsverkehrs durch qualifizierte elektronische Signatur Der Gesetzgeber setzt allerdings nicht auf Entformalisierung. Aus Angst vor einem Datenmissbrauch und vor Fälschungen verlangt er nämlich für die elektronische Kommunikation zwischen Anwälten und Gericht die Benutzung einer „qualifizierten elektronischen Signatur“ für jeden einzelnen Teilnehmer an dem System27. Auch wenn diese mittels vorab eingescannter 26 So Gretemann (Fn. 4), S. 55 („Dialogverfahren“). 27 Zu Recht krit. Benning, Elektronische Kommunikation mit der alten Dame Justitia, BB 2005, Heft 6, S. I.
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„Smart Card“ und PIN-Nummer28 einfach abgegeben werden kann, zwingt diese Art der „Post“-Versendung doch zur Veränderung der traditionellen Arbeitsverteilung zwischen Anwalt/Richter und Schreibkräften. Denn in dem neuen System kann ein Schriftsatz zwar wie bisher von der Sekretärin geschrieben werden. Anschließend muss ihn aber der unterschreibende Anwalt auf seinem PC selbst kontrollieren, korrigieren (oder zur Korrektur zurückgeben) und nach Fertigstellung selbst am PC elektronisch signieren29. Zur Sicherheit kann vor dem endgültigen elektronischen Absenden noch ein Kontrolllesen zwischengeschaltet werden. Aber nach der Signatur dürfen an ihm keinerlei Textveränderungen mehr vorgenommen werden, nicht einmal Kommata oder Rechtschreibfehler dürfen korrigiert werden, ohne dass das Schriftstück zurückgegeben und neu signiert werden müsste30. Angesichts des Zeitdrucks, unter dem Anwälte vielfach arbeiten, geht es zu weit, dass inhaltlich belanglose, rein formale Korrekturen die Notwendigkeit einer neuen Unterschrift auslösen. Ein Anwalt sollte darauf vertrauen dürfen, dass sein Personal handschriftliche Detailkorrekturen im Schriftsatz ausführt und den bereits auf der fehlerfreien Schlussseite unterschriebenen Schriftsatz absendet, ohne dass er die Korrekturen in jedem Fall überprüfen und erst dann unterschreiben dürfte. Alles andere führt zu einem Überperfektionismus und auch zu einer zeitlichen Verzögerung, weil der Anwalt nach Abschluss der Korrekturen vielfach zu einer erneuten Unterschrift nicht mehr zur Verfügung steht. Könnte die „qualifizierte elektronische Signatur“ nicht nur von dem Signaturinhaber persönlich, sondern auch von einer von ihm autorisierten Person (z.B. Bürovorstand oder Bürovorsteherin) angebracht werden, so wäre noch weniger als im traditionellen System von Schriftsätzen mit eigenhändigen Unterschriften gewährleistet, dass ein Schriftsatz tatsächlich von der Person erstellt wurde, unter deren Namen er abgesandt ist31. Ist dem aber so, so ist das System der „qualifizierten elektronischen Unterschrift“ unnötig schwierig und überflüssig. Es bleibt der Einwand, dass ein Dritter elektronisch übermittelte Schriftsätze „abfangen“ und deren Inhalt gefälscht weiterleiten kann. Dies ist nach dem Urteil von Experten technisch gewiss möglich. Allerdings spricht doch der weltweit ungestörte formlose Geschäftsverkehr mit Email dafür, dass solche „Attacken“ jedenfalls in Normalfällen nicht vorkommen und eine
28 Vgl. Grotheer in FS Ishikawa, S. 157, 162. 29 Vgl. Bundesgerichtshof Arbeitsgruppe Elektronischer Rechtsverkehr, Elektronischer Rechtsverkehr beim Bundesgerichtshof (Stand: September 2002) (aufgerufen 17. 1. 2006), Bacher\ERV\bgh_erv_info_2002-09-20.doc. 30 Vgl. Viefhues, Das Gesetz über die Verwendung elektronischer Kommunikationsformen in der Justiz, NJW 2005, 1009 (1012). 31 Krit. auch Stadler, ZZP 111 (2002), 413 (418 ff., 420).
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Fälschungsgefahr von Schriftsätzen in Zivilsachen realitätsfern ist32. Allenfalls in politisch oder wirtschaftlich brisanten Einzelfällen mag eine solche Gefahr bestehen. In solchen Extremfällen könnte aber aus Sicherheitsgründen auf die elektronische Übermittlung von Schriftsätzen entweder verzichtet oder deren Inhalt doch nur verschlüsselt versendet werden, so dass eine Zugriffsmöglichkeit nicht bestünde. Zumindest das prinzipielle Erfordernis der auf die Einzelperson bezogenen qualifizierten elektronischen Signatur erschwert die anwaltliche Arbeit, statt sie zu erleichtern.
VI. Einführung eines „E-Verfahrens“ Möglich wäre schließlich, für small claims ein stärker summarisches Verfahren (ähnlich dem small claims track der englischen Civil Procedure Rules)33 einzuführen und dieses als „E-Verfahren“ auszugestalten34. Die Entscheidung für ein summarisches Erkenntnisverfahren35 ist freilich unabhängig von seiner elektronischen Abwicklung. Ob eine „elektronische“ Vorbereitung einer mündlichen Verhandlung bei Beteiligung anwaltlich nicht vertretener Parteien (ohne technische Ausstattung und Kenntnisse) wirklich einen praktischen Nutzen bringt, erscheint zudem eher zweifelhaft36.
VII. Schneller Zugriff auf Akten Elektronisch geführte Akten sind (zumindest im Prinzip) jederzeit verfügbar37. Ihr Aufsuchen und elektronisches Aufschlagen kann jedenfalls dann schneller erfolgen, wenn die (Papier-)Akten dem bearbeitenden Anwalt oder
32 Ebenso N. Fischer (Fn. 4), S. 47; Krüger/Bütter, „Justitia goes online!“ – Elektronischer Rechtsverkehr im Zivilprozess, MDR 2003, 181 (186) (eher skurril); Hähnchen, NJW 2005, 2257 (2259) (verweist darauf, dass selbst die elektronische Steuererklärung (ELSTER) ohne jede elektronische Signatur abgegeben werden kann); Schwoerer (Fn. 4), S. 57 ff. 33 Vgl. A. Zuckerman, Civil Procedure, 2003, S. 430 ff. (N 11.36 ff.). 34 Hierfür wohl N. Fischer (Fn. 4), 2004, S. 56; ders., KJ 2005, 152 (160). 35 Vgl. Leipold/Zuckerman, Vereinfachung und Beschleunigung des Rechtsschutzes durch summarische Verfahren, 1998; I. Meier, Rechtsschutz im summarischen Verfahren als Alternative zum ordentlichen Zivilprozess im schweizerischen Recht, 1997; Blankenburg/Leipold/Wollschläger, Neue Methoden im Zivilverfahren, 1991. 36 Vgl. Hähnchen, Elektronische Akten bei Gericht – Chancen und Hindernisse, NJW 2005, 2257 (2259). Ob der Gesetzgeber auch für „Naturalparteien“ die elektronische Form für Schriftsätze zwingend vorschreiben könnte (so Schwoerer [Fn. 4], S. 94), erscheint zweifelhaft. 37 Vgl. Bacher (Fn. 10), Abs. 2. Freilich darf der Anwalt nicht direkt auf die elektronische Gerichtsakte zugreifen, s. sogleich im Text.
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Richter nicht vorliegen. Eine elektronische Akte bleibt auch beim Lesen und dem Ausdruck einzelner Texte unversehrt; eine Text„entnahme“ oder ein Wiedereinlegen an der falschen Stelle ist nicht ohne weiteres möglich. Erforderlich ist aber eine zuverlässige Datenaufnahme und Sicherung dagegen, dass aufgerufene Daten versehentlich (oder gar vorsätzlich) gelöscht oder in eine falsche Akte eingefügt werden. Die Einführung elektronischer Akten könnte für Anwälte auch die Akteneinsicht vereinfachen. Einsicht in die „Papierakte“ soll der Anwalt grundsätzlich an der Gerichtsstelle nehmen; ein Anspruch auf Übersendung an seine Kanzlei besteht nicht38. Doch werden die Akten in der Praxis zumeist übersandt, wenn keine Verlust- oder Manipulationsgefahr besteht39. Nach § 299 Abs. 1 ZPO werden Abschriften (Kopien) aus den Prozessakten nur durch die Geschäftsstelle erteilt. Aber bei einer Übersendung an die Kanzlei dürfte es selbstverständlich sein, dass die relevanten Teile dort „ruhiger, besser und kostengünstiger“40 kopiert werden. Bei einer elektronischen Akte kann der Vorsitzende (künftig) entsprechend nach pflichtgemäßem Ermessen den elektronischen Zugriff auf den Akteninhalt gestatten (§ 299 Abs. 3 S. 2 ZPO). Nach § 299 Abs. 3 S. 3 ZPO ist dabei sicherzustellen, dass „der Zugriff nur durch den Bevollmächtigten erfolgt“. Diese Regel ist nicht praktikabel41. Da selbst der Prozessbevollmächtigte nur nach richterlicher Verfügung auf die Akte zugreifen kann, erspart sie keineswegs Anfragen bei Gericht42. Würde man die Regel wörtlich nehmen, dürfte der Prozessbevollmächtigte die mit qualifizierter elektronischer Signatur übersandte Aktendatei nur persönlich öffnen und am Bildschirm unter Ausschluss von Mitarbeitern lesen. Einen Ausdruck dürfte er sich nicht selbst erstellen. Aber dies würde die Möglichkeit, den Akteninhalt zu verarbeiten, gegenüber der Übersendung eines Ausdrucks einschränken. Soweit ersichtlich wird deshalb zu Recht die Ansicht vertreten, analog § 174 Abs. 3 S. 3 ZPO dürfe auch eine gegen unbefugten Zugriff gesicherte elektronische Kopie (etwa auf einer CD) überlassen werden43. Warum sollte dann die elektronische Übermittlung unter Speicherung aller Daten des Akteninhalts mit der Möglichkeit, ihn bei Bedarf auch auszudrucken, unzulässig sein?
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Vgl. Saenger in Hk-ZPO, 2006, § 299 Rz. 7. Zimmermann, ZPO, 7. Aufl. 2005, § 299 Rz. 1. Saenger in Hk-ZPO, § 299 Rz. 7. Zu Recht krit. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 64. Aufl. 2006, § 299 Rz. 33 f. 42 So aber als Ziel Kodek, ZZP 111 (2002), 445 (455). 43 So Saenger in Hk-ZPO, § 299 Rz. 8.
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VIII. Formale Prozessleitung nur am Computer Prozessleitende Verfügungen des Gerichts werden derzeit zumeist auf schriftlichen Formularen getroffen. Eine Zeitersparnis für den Richter durch direkte Eingabe in den PC ist nicht ersichtlich. Zu einer Vereinfachung der Arbeitsabläufe führt sie nur, soweit diese Eingabe die Geschäftsstelle entlastet und etwa automatisch zur Ausfertigung von Ladungen, zum Ausdruck zuzustellender Schriftsätze usw. führt. Gewiss kann der Gesetzgeber „elektronische“ Verfügungen für Terminierung, Ladung, Äußerungsfristen etc. verbindlich vorschreiben und auch bisherige Tätigkeiten der Geschäftsstelle durch den Richter mit erledigen lassen44. Ob dies aber die Effektivität der Arbeit der Justiz insgesamt verbessert, erscheint zweifelhaft.
IX. Ergebnis Die Auswirkungen des elektronischen Rechtsverkehrs (Schriftsätze per Email, elektronische Gerichtsakten, elektronische Entscheidungen) auf den Parteivortrag und die eigentliche richterliche Sachbearbeitung werden daher eher marginal bleiben. Zum einen beruht die Rechtsfindung jedenfalls prinzipiell nicht auf einer streng logischen Operation. Zum anderen sind die Rechtsfälle, die vor Gericht kommen, meist (komplexe) Einzelfälle45, die sich in die bekannten Kategorien nicht ohne weiteres einordnen lassen. Beide Umstände setzen dem Ausbau der „XJustiz“ erhebliche Grenzen.
44 Vgl. Schwoerer (Fn. 4), S. 96 ff. (der sogar meint, die Justiz könne dem Richter Papier für Arbeitskopien aus der Akte verweigern); s. auch Höger, Richterarbeitsplatz 2000 – eine Perspektive, DRiZ 1993, 314. 45 So zu Recht Kodek ZZP 111 (2002), 445, 488.
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Richterliche Kommunikation mit den Parteien im Spannungsfeld zwischen Verletzung des rechtlichen Gehörs und Befangenheitsablehnung Inhaltsübersicht I. Das Schulbeispiel – Hinweis auf die Verjährungseinrede II. Einordnung des Problems 1. Unparteilichkeit, rechtliches Gehör und andere Maximen 2. Vergleichbare Fälle 3. Folgen unzulässiger Hinweise 4. Das Dilemma des § 139 ZPO III. Einzelne Prozesssituationen 1. Hinweis auf die Verjährungseinrede 2. Hinweis auf mangelnde Schlüssigkeit oder Substantiierung der Klage
3. Hinweis auf (weitere) Beweisbedürftigkeit 4. Hilfestellung des Gerichts bei der Antragsformulierung 5. Anregung einer Änderung des Prozessziels a) Klageänderung b) Antragsrücknahme 6. Hinweis auf richtiges Verhalten im Instanzenzug 7. Verhalten des Richters bei Säumnis einer Partei IV. Ergebnis
I. Das Schulbeispiel – Hinweis auf die Verjährungseinrede Jedes Lehrbuch und alle Kommentare1 behandeln den Fall: Der Kläger erhebt gegen den Beklagten eine Geldforderung wegen erbrachter Leistungen und bietet Beweis für deren Erbringung an. Der Beklagte verteidigt sich mit Gegenrechten, die er seinerseits unter Beweis stellt. Der Richter ist der Auffassung, die Klageforderung sei verjährt. Der Beklagte hat die Einrede der Verjährung aber nicht erhoben. Muss der Richter auf die Einrede hinweisen? Darf er es überhaupt, ohne sich der Besorgnis der Befangenheit auszusetzen? Die Fragen sind – wie nicht anders zu erwarten – lebhaft umstritten2. Allerdings gibt es – soweit ich sehe – vor der Vereinfachungsnovelle von 1976 nur Entscheidungen, die den Hinweis auf die Verjährungseinrede nicht für geboten erachtet haben3. Seitdem hat sich eine ganze Reihe von Gerichtsent1 Selbstverständlich auch der verehrte Jubilar in Zöller, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 42 Rz. 27. 2 Selbst innerhalb ein und desselben Kommentars; vgl. Vollkommer in Zöller, § 42 Rz. 27 einerseits und Greger ebenda, § 139 Rz. 17 andererseits. 3 Vgl. aus der älteren Rechtsprechung RG, Warn. 1907, 363; LG Fürth, JW 1931, 1851.
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scheidungen mit der Frage befasst und sie unterschiedlich beantwortet4. Der IV. Senat des BGH hat den Hinweis auf die Verjährung eines Teils der Klageforderung im Rahmen eines Vergleichsvorschlags für zulässig gehalten5, der V. Senat in schwer verständlicher Differenzierung einen (bereits vor Eingang der Klageerwiderung gegebenen und noch dazu falschen) Hinweis als für eine Ablehnung des Richters wegen Besorgnis der Befangenheit ausreichend angesehen6. In der Literatur hat sich das Problem geradezu zu einer Glaubensfrage entwickelt. So wird etwa behauptet, hier gehe es um das „Wesen eines Zivilprozesses und das Verhältnis von Richtermacht und Parteifreiheit“7. Und selbst die vermittelnde Meinung, der Richter müsse zwar keinen Hinweis erteilen, dürfe es aber, wird angefeindet8. Auch diese dritte Antwort9 ist freilich in ihrer praktischen Auswirkung keine „mittlere Lösung“, denn im konkreten Fall bleibt dem Richter nur, den Hinweis zu geben oder ihn zu unterlassen.
II. Einordnung des Problems 1. Unparteilichkeit, rechtliches Gehör und andere Maximen Der Fall steht im Spannungsfeld gleich mehrerer Prozessmaximen: Weist der Richter den Beklagten auf die mögliche Einrede hin, stellt sich die Frage nach seiner Unparteilichkeit, denn aller Voraussicht nach wird der Beklagte den Hinweis aufgreifen, die Verjährungseinrede erheben und damit die Abweisung der Klage erreichen. Der Richter riskiert aber weiter, vom Kläger wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt zu werden, ist doch mangelnde Unparteilichkeit gewissermaßen der klassische Ablehnungsgrund. Weist er 4 Aus der Instanzrechtsprechung: OLG Bremen, NJW 1979, 2215; OLG Köln, MDR 1979, 1027; LG Braunschweig, NdsRpfl. 1979, 146; LG Frankfurt, MDR 1980, 145; KG, NJW 2002, 1732; OLG Naumburg, OLGR 2002, 105; weitere Nachw. bei Vollkommer in Zöller, § 42 Rz. 27. 5 BGH, NJW 1998, 612. 6 BGH, MDR 2004, 167. 7 So Prütting in FS Musielak, 2004, S. 397 (399). 8 Stickelbrock, Inhalt und Grenzen richterlichen Ermessens im Zivilprozess, 2002, S. 326 f.; ihr folgend Prütting, FS Musielak, S. 397 (409 f.): Richterliches Ermessen würde die Neutralität des Gerichts gefährden. Die Gerichtspraxis geht unausgesprochen von einem solchen Spielraum aus, vgl. etwa OLG Köln, NJW-RR 1993, 1277 („selbst wenn § 139 ZPO es nicht unbedingt [!] geboten haben sollte“). 9 Der Vollständigkeit halber ist noch auf eine vierte, bisher vereinzelt gebliebene Auffassung hinzuweisen (Rensen, Richterlicher Hinweis auf Verjährung als Ablehnungsgrund, MDR 2004, 489 [491]): Der Hinweis auf die Verjährungseinrede sei unzulässig, rechtfertige aber nur dann die Besorgnis der Befangenheit, wenn sich das Gericht der Auffassung, er sei zulässig, nicht allgemein und ohne Ansehung der Person angeschlossen habe, sondern nur für den gerade zu entscheidenden Fall und aus nicht in der Sache liegenden Gründen.
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dagegen nicht auf die mögliche Verjährungseinrede hin, muss er sich fragen lassen, ob er dem Beklagten wirklich effektives rechtliches Gehör gewährt. Und auch dem sinnvollen Einsatz der knappen Ressource Recht wird die Unterlassung wenig gerecht10: Wenn nämlich die beiderseitigen Behauptungen beweisbedürftig sind, werden Zeit, Mühe und vor allem Kosten für einen Prozess aufgewendet, der schon im ersten Termin enden könnte. Die Unparteilichkeit des Richters und das Recht auf Gehör werden herkömmlich nicht als Gegensätze verstanden. Es wird sogar eine Wechselwirkung zwischen Unparteilichkeit und rechtlichem Gehör in der Weise behauptet, dass das Recht auf einen unparteiischen Richter dem Recht auf Gehör vorgelagert sei, seine effektive Geltung aber die Gewährung rechtlichen Gehörs voraussetze11. Das mag grundsätzlich zutreffen, nicht aber in der hier vorliegenden Fallgestaltung, in der einer der beiden Grundsätze zwangsläufig zurücktreten muss. 2. Vergleichbare Fälle Der Hinweis auf die Verjährungseinrede ist sicher das bekannteste Beispiel und zugleich besonders geeignet zu zeigen, wie die richterliche Kommunikation mit den Parteien im Spannungsfeld gleichrangiger zivilprozessualer Maximen steht. Es gibt jedoch eine ganze Anzahl weiterer Prozesssituationen, in denen der Richter vor eine vergleichbare Entscheidung gestellt ist. Sie können den Kläger und den Beklagten betreffen und sind auch außerhalb des ordentlichen Zivilprozesses denkbar. Hierher gehören der Hinweis, dass eine Klage unsubstantiiert oder unschlüssig sei, das Gericht eine Tatsache durch die bisherige Beweisaufnahme nicht als erwiesen ansieht und weiterer Beweisantritt erforderlich sei, ebenso wie die Anregung, den gestellten Antrag anders zu formulieren oder inhaltlich zu ändern, weitere Ansprüche, etwa eine Zinsforderung geltend zu machen, der Hinweis auf die Möglichkeit, zur Vermeidung nachteiliger Folgen (die sich aus dem Prozessrecht ebenso wie aus dem materiellen Recht ergeben können) einen Antrag oder ein Rechtsmittel zurückzunehmen oder – umgekehrt – ein Anschlussrechtsmittel einzulegen. In allen diesen Fällen muss sich der Richter fragen: Bin ich zu der Anregung berechtigt, ohne mich dem Vorwurf der Parteilichkeit auszusetzen? Bin ich zu der Anregung verpflichtet, weil ohne sie der Adressat kein effektives rechtliches Gehör im Verfahren erhalten würde?
10 Auf diesen Gesichtspunkt wird in der Diskussion erstaunlicherweise kaum jemals hingewiesen. 11 So G. Vollkommer, Der ablehnbare Richter, 2001, S. 40.
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3. Folgen unzulässiger Hinweise Und noch eine Besonderheit kennzeichnet alle aufgeworfenen Zweifelsfragen: Die Frage, ob der Richter zum Hinweis berechtigt ist, bleibt immer, die Frage, ob er zum Hinweis verpflichtet ist, meist bedeutungslos. Entscheidend ist nicht, welche Antwort „richtig“ ist, sondern wie sich der Richter konkret verhält. Am Beispiel der Verjährungseinrede wird das besonders deutlich: Gibt der Richter dem Beklagten einen entsprechenden Hinweis, so gewinnt dieser in jedem Fall den Prozess12. Selbst wenn der Kläger davon ausgehen kann, dass das Rechtsmittelgericht den Hinweis für unzulässig erachtet, ist es sinnlos, Berufung einzulegen. Nach Auffassung des BGH ist die Stellung eines Befangenheitsantrags die einzige Möglichkeit, einen unzulässigen Hinweis zu rügen; eine sachliche Prüfung, ob ein gegebener Hinweis zulässig war, wird nicht durchgeführt13. Aber selbst wenn dem nicht zu folgen sein sollte und der „Fehler“ gerügt werden kann: In der Berufungsinstanz oder auch nach Zurückverweisung wegen des „Fehlers“ wird der Beklagte wieder die Einrede der Verjährung erheben. Und die erfolgreiche Stellung eines Befangenheitsantrags könnte ebenfalls nur eine moralische Genugtuung für den Kläger bedeuten: Auch vor einem anderen Richter wird der Beklagte die Einrede erheben und der Kläger den Prozess verlieren. Unterbleibt umgekehrt der Hinweis auf die Verjährung, nimmt der Prozess seinen Fortgang. Kann der Kläger seine Leistungen, der Beklagte aber seine Gegenrechte nicht beweisen, wird er verurteilt. Erfährt er – beispielsweise von dem Anwalt, den er mit der Einlegung der Berufung beauftragt hat und der ebenso wie der Richter die Verjährung der Forderung erkennt – von dem unterbliebenen Hinweis, dann wird er sein Rechtsmittel nicht darauf stützen, der Richter habe seine Hinweispflicht verletzt, sondern die Verjährungseinrede erheben. Prozessentscheidend wird die Frage nur, wenn der Beklagte von der Verjährung erfährt, wenn es für die Erhebung der Einrede, nicht aber für eine Behauptung einer Verletzung des Verfahrensrechts zu spät ist, insbesondere also, wenn er in der Revisionsinstanz von ihr Kenntnis erlangt. War der Richter zum Hinweis verpflichtet, muss die Revision Erfolg haben, war er nicht verpflichtet (und zwar gleichviel, ob man wenigstens ein Recht zum Hinweis annimmt oder auch dieses verneint), bleibt sie erfolglos. 4. Das Dilemma des § 139 ZPO Bei den aufgeworfenen Fragen geht es um die Auslegung des § 139 ZPO, der in Absatz 1 die richterliche Frage-, Hinweis- und Fürsorgepflicht regelt und in Absatz 2 das Verbot der Überraschungsentscheidung festlegt, letzteres
12 Anders ist es natürlich, wenn – wie in BGH, MDR 2004, 167 – der Hinweis unrichtig gewesen sein sollte. 13 BGH, FamRZ 2006, 261 (262).
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erst seit dem ZPO-Reformgesetz, freilich ohne substantielle Änderung, da Absatz 2 bisher im Wesentlichen in § 278 Abs. 3 ZPO a.F. enthalten war. Die amtliche Überschrift lautet „Materielle Prozessleitung“, aber das ist wenig anschaulich. Sehr häufig wird daneben oder gar ausschließlich von der „richterlichen Aufklärungspflicht“ als Inhalt der Vorschrift gesprochen14, aber das ist irreführend, da der Richter im Zivilprozess dort, wo die Verhandlungsmaxime gilt, nichts aufzuklären hat. Ein wenig idealistisch ist die Vorstellung, es gehe um eine „Zusammenarbeit zwischen Parteien und Gericht“15 oder gar um eine „Arbeitsgemeinschaft“16. Denn selbst wenn die Hinweispflicht auch im Interesse einer rationellen, ressourcenschonenden Prozessführung besteht: In erster Linie geht es im kontradiktorischen Zivilprozess nach wie vor um den Kampf ums Recht; jede Partei will gewinnen. Die Kasuistik zu dem hier diskutierten Spannungsverhältnis hinterlässt mitunter einen etwas hilflosen Eindruck: Zur Begründung der Stattgabe von Befangenheitsanträgen, wenn also die Hilfestellung des Gerichts vermeintlich zu weit gegangen ist, wird die richterliche Unparteilichkeit in den Vordergrund gestellt, zur Begründung ihrer Ablehnung die richterliche Hinweispflicht. Da § 139 ZPO aber keine konkreten inhaltlichen Vorgaben macht, wie das Gericht die in dieser Vorschrift genannten Ziele zu erreichen hat, verschwimmen deren Grenzen, und die Ergebnisse sind in hohem Maße zufällig. Allerdings dürfte heute weitgehend Einigkeit darüber bestehen, dass die Rechte und Pflichten des Gerichts unabhängig davon sind, ob der Prozessgegner bereits zu der Frage, die Gegenstand des gerichtlichen Hinweises ist, vorgetragen hat17. Der Vortrag des Prozessgegners verhindert zwar meist (aber nicht in jedem Fall18) eine Überraschungsentscheidung, wenn das Gericht die Dinge ebenso sieht wie der Gegner. Mit ihm allein ist der des Hinweises bedürftigen Partei aber nicht geholfen. Für den Gegner ist es ja durchaus legitim, bestehende prozessuale Möglichkeiten der anderen Seite für sich zu behalten, um die Aussicht auf Prozessgewinn nicht zu gefährden. Das Gericht darf sich jedoch nicht darauf beschränken, auf einen
14 So etwa OLG Köln, NJW-RR 1993, 1277; Vollkommer, Rpfleger 1976, 393 und in Zöller, § 46 Rz. 26; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl. 2004, § 77 Rz. 16; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl. 2005, § 139 Rz. 3; Schilken, Zivilprozessrecht, 4. Aufl. 2002, Rz. 354 a.E.; Nowak, Richterliche Aufklärungspflicht und Befangenheit, 1991. 15 So Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 77 Rz. 5; ihm folgend Greger in Zöller, § 139 Rz. 1. 16 Rosenberg, Zivilprozessrecht, 9. Aufl. 1961, § 1 VI. 17 Greger in Zöller, § 139 Rz. 3; Rensen, Die richterliche Hinweispflicht, 2002, S. 224 ff.; OLG Köln, NJW-RR 1993, 1277; auch heute noch a.A. aber Rosenberg/ Schwab/Gottwald, § 77 Rz. 25, 30. 18 Vgl. unten bei Fn. 29 zum Hinweis auf die Unschlüssigkeit der Klage.
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Mangel hinzuweisen, sondern muss offen legen, wie er denn zu beheben wäre. Damit ist aber die Frage nicht beantwortet, was das Gericht zur Erfüllung seiner Pflichten aus § 139 ZPO tun muss und was es tun darf. Möglicherweise beruht das darauf, dass – wie schon zu § 139 und § 278 Abs. 3 ZPO a.F. – die Fälle der heutigen Absätze 1 und 2 nicht hinreichend auseinander gehalten werden19. Ich meine, dass es die Rationalität der Entscheidung fördern kann, wenn man das Handeln des Gerichts in der jeweiligen Prozesssituation einer zweistufigen Prüfung unterzieht. Zunächst ist zu fragen, ob ein gerichtlicher Hinweis erforderlich ist, der Partei zu effektivem rechtlichen Gehör zu verhelfen. Dieser Bereich dürfte sich im Wesentlichen mit dem Anwendungsbereich von § 139 Absatz 2 ZPO decken20. Ist diese Frage zu bejahen, ist ein Hinweis für das Gericht verpflichtend, seine Unterlassung in jedem Fall ein Verfahrensfehler, der ein Rechtsmittel oder – wenn kein solches gegeben ist – die Anhörungsrüge nach § 321a ZPO begründen kann. Ist diese Frage aber zu verneinen, so ist auf einer zweiten Stufe zu fragen, ob § 139 Absatz 1 ZPO als Rechtsgrundlage für die gerichtliche Tätigkeit oder den gerichtlichen Hinweis dienen kann. Ist diese zweite Frage zu bejahen, ist das Handeln des Richters zwar nicht zwingend geboten21, aber jedenfalls erlaubt, und rechtfertigt nicht seine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit. Die Brauchbarkeit dieses Ansatzes soll an einzelnen ausgewählten Prozesssituationen überprüft werden.
III. Einzelne Prozesssituationen 1. Hinweis auf die Verjährungseinrede Für den eingangs behandelten Beispielsfall ergibt sich: Der Hinweis auf die Möglichkeit, die Verjährungseinrede zu erheben, ist kein Gebot des rechtlichen Gehörs. Das folgt aus der Ausgestaltung der Verjährung als Leistungsverweigerungsrecht. Wer eine verjährte Forderung nicht erfüllen will, muss sich zunächst auf der Ebene des materiellen Rechts auf dieses Hindernis für die Rechtsdurchsetzung berufen. Es handelt sich demnach nicht um ein prozessuales Gestaltungsrecht, das von der Gewährleistung des rechtlichen Gehörs umfasst sein könnte. 19 So sieht etwa Schilken, Rz. 354, 358, auch in § 139 Abs. 1 ZPO ein unverzichtbares Mittel zur Sicherung des Anspruchs der Parteien auf rechtliches Gehör. 20 So wohl auch Greger in Zöller, § 139 Rz. 5: § 139 Abs. 2 „konkretisiere“ den Anspruch auf rechtliches Gehör; Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 139 Abs. 2 gewährleiste „einen speziellen Teilaspekt des Anspruchs auf rechtliches Gehör“. 21 Soweit auch bei einer Verletzung (nur) des § 139 Abs. 1 ZPO ein Verfahrensmangel bejaht wurde, lag in Wahrheit ein Fall des § 139 Abs. 2 ZPO vor; vgl. etwa BGH, MDR 2002, 1139.
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Das Ausbleiben von Hinweisen, die das rechtliche Gehör nicht fordert, kann deshalb auch nicht zu einer Überraschungsentscheidung i.S.d. § 139 Abs. 2 ZPO führen22. Daher ist das Gericht nicht verpflichtet, auf die Einrede der Verjährung hinzuweisen. Damit ist aber keineswegs gesagt, dass das Gericht zu dem Hinweis auf die seiner Meinung nach23 eingetretene Verjährung auch nicht berechtigt ist. Wenn der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen24, ist ihm der Grund, aus welchem er den Prozess gewinnt, regelmäßig gleichgültig. Es ist also nicht sachwidrig und als jedenfalls vertretbare Auslegung des inhaltlichen Anwendungsbereichs von § 139 Abs. 1 ZPO gedeckt, ihm einen Weg zum Prozesssieg aufzuzeigen, den er bisher nicht gesehen oder nicht beachtet hat. Es versteht sich, dass der Richter auf die Verjährung nur hinweisen, aber nicht einen Rat zur Erhebung der Einrede geben wird25. 2. Hinweis auf mangelnde Schlüssigkeit oder Substantiierung der Klage Bei umfangreichen und unübersichtlichen Sachverhalten kommt es nicht selten vor, dass der Kläger bei der Formulierung der Klageschrift sein Ziel so aus den Augen verloren hat, dass das Gericht seine Klage als unsubstantiiert oder unschlüssig ansieht. Noch häufiger ist es freilich, dass der Beklagte die Unschlüssigkeit der Klage mehr oder weniger routinemäßig rügt, so dass eine Prozesspartei aus der gegnerischen Rüge oft nicht ersehen kann, ob sie „ernst gemeint“ ist. Es dürfte heute kaum noch ein Zweifel daran bestehen, dass ein Gericht das rechtliche Gehör des Klägers verletzt, wenn es eine Klage ohne vorherigen Hinweis als unsubstantiiert26 oder unschlüssig abweist27. Das gilt – auch wenn der BGH in einer mit Recht heftig angegriffenen Entscheidung einmal 22 Insofern richtig BGH, MDR 2004, 167. 23 Der Hinweis auf die eingetretene Verjährung muss – wie BGH, MDR 2004, 167 zeigt –, nicht immer zutreffend sein. Auch Richter können eine Vorschrift über Hemmung oder Neubeginn der Verjährung übersehen. 24 Deshalb kann man BGH, MDR 2004, 167 im Ergebnis möglicherweise sogar folgen: Ein Hinweis auf die Verjährung, bevor der Beklagte die Klageerwiderung eingereicht und damit sein Prozessziel deutlich gemacht hat, ist auch nicht dadurch zu rechtfertigen, dass Hinweise „so früh wie möglich zu erteilen“ sind (§ 139 Abs. 4 ZPO), und kann aus der Sicht des Klägers tatsächlich auf mangelnde Unparteilichkeit des Richters schließen lassen. 25 Darauf weist Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 64. Aufl. 2005, § 42 Rz. 38 mit Recht hin. 26 Zur Pflicht, auf substantiierte Behauptungen hinzuwirken, vgl. insbesondere BGH, NJW 1999, 3716. 27 BVerfGE 84, 188 (190) und NJW 1994, 1274; BGH, NJW-RR 1997, 441; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1992, 1268; OLG Celle, MDR 1998, 3096; OLG Köln, NJW-RR 1998, 1686; OLG Bamberg, NJW-RR 1998, 1608; Frohn, JuS 1996, 243 (244); Schilken, Rz. 355.
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anders entschieden hat28 – auch im Anwaltsprozess und (wegen der mangelnden Warnfunktion einer solchen Rüge) auch dann, wenn der Gegner auf die seiner Meinung nach bestehende Unschlüssigkeit bereits hingewiesen hat29. Zu einem Hinweis auf Unschlüssigkeit oder mangelnde Substantiierung ist der Richter daher nicht nur berechtigt, sondern in jedem Fall verpflichtet. 3. Hinweis auf (weitere) Beweisbedürftigkeit Von der nun zu erörternden Prozesssituation können Kläger und Beklagter in gleicher Weise betroffen sein: Die Partei hat einen entscheidungserheblichen Umstand vorgetragen, aber entweder keinen Beweis dafür angeboten oder mit den angebotenen Beweismitteln den Beweis nach Überzeugung des angegangenen Gerichts nicht ausreichend geführt. Hier lässt sich nicht allgemein entscheiden, ob das rechtliche Gehör einen Hinweis auf die Notwendigkeit (weiteren) Beweises erfordert. Unstreitig gehört zum Recht auf Gehör auch das Recht, Beweise anzubieten30. Das ändert freilich nichts daran, dass die Beweisinitiative grundsätzlich Sache der Parteien ist. Deshalb wurde früher auch angenommen, eine Hinweispflicht könne nur bestehen, wenn gar kein Beweis angeboten wurde, denn § 139 Abs. 1 ZPO verlange nur das Hinwirken darauf, dass die Parteien „die Beweismittel bezeichnen“31. Das Gebot, effektives rechtliches Gehör zu gewähren, ist aber verletzt, wenn das Gericht einen dem Grunde nach bestehenden Anspruch abweist, ohne darauf hinzuweisen, dass zur Höhe nicht ausreichend vorgetragen wurde32 oder wenn unterbliebener Beweisauftritt erkennbar auf falscher Beurteilung der Rechtslage beruht33. Dagegen ergibt sich aus dem rechtlichen Gehör keine Pflicht für das Gericht, zu erkennen zu geben, welchen Sachverhalt es aufgrund der Beweisaufnahme als festgestellt ansieht34. Die Pflichten des Gerichts nach einfachem Recht gehen allerdings über das hinaus, was zur Gewährung rechtlichen Gehörs erforderlich ist. Positivrechtlich verlangt § 279 Abs. 3 ZPO jetzt die Erörterung des Beweisergebnisses mit den Parteien. Da es bei Beweisangeboten nicht um die Einführung neuer Ansprüche oder Einreden geht, sind die Grenzen der richterlichen
28 BGH, NJW 1984, 310 mit abl. Anm. von Deubner; sehr kritisch E. Schneider, NJW 1986, 971; vermittelnd Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 77 Rz. 17: Das Gericht werde „im Anwaltsprozess weniger Anlass haben, sein Fragerecht auszuüben“. 29 A.A. OLG Nürnberg, MDR 2000, 227, das sich bezeichnenderweise auf BGH, NJW 1984, 310 beruft. 30 Für alle BVerfGE 57, 250 (275 ff.). 31 RG, JW 1908, 684. 32 BGH, NJW 2002, 3317 (3320) für das einfache Zivilprozessrecht. 33 BGH, NJW 1998, 155 (156). 34 Für alle BVerfGE 84, 188 (190); BayVerfGH, NJW 1992, 1094.
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Hinweispflicht hier weit zu ziehen; das gilt insbesondere für den Hinweis auf möglichen Zeugenbeweis35, den das Gericht als einzige Beweisart nicht von Amts wegen erheben kann. Auch wenn bis heute vertreten wird, das Gericht müsse nicht zur Benennung weiterer Beweismittel auffordern, wenn es den Beweis mit den bisherigen nicht als geführt ansieht36, ist der Richter hierzu jedenfalls berechtigt, ohne sich dem Vorwurf der Befangenheit auszusetzen. Unklarheiten müssen stets beseitigt werden; so muss das Gericht erforderlichenfalls durch Fragen ermitteln, ob ein Beweisantritt aus falscher Beurteilung der Sach- und Rechtslage unterlassen wurde oder die Partei bewusst darauf verzichtet hat37. 4. Hilfestellung des Gerichts bei der Antragsformulierung Gerade in speziellen Rechtsmaterien, etwa dem Wettbewerbsrecht, können Laien, aber auch nicht spezialisierte Rechtsanwälte mit der zweckgerechten Formulierung des zu stellenden Antrags überfordert sein. Dass das Gericht dahin wirken soll, dass die Parteien sachdienliche Anträge stellen, sagt § 139 Abs. 1 ZPO ausdrücklich. Umfasst das aber auch das Recht oder gar die Pflicht, eine bestimmte Formulierung von Anträgen vorzuschlagen, etwa durch Erlass eines Hinweisbeschlusses mit einem Formulierungsvorschlag? Die Pflicht zur Gewährung effektiven rechtlichen Gehörs dürfte mit dem Hinweis darauf, dass die Fassung des gestellten Antrags zu Bedenken Anlass gibt, erfüllt sein. Der Richter ist nicht der Vormund der Partei, und die Gefahr ist nicht zu übersehen, dass bei der Formulierung eines sachdienlichen Antrags jedenfalls unterschwellig bereits die Vorstellung des Richters mitspielt, in welcher Fassung der Antrag Erfolg haben könnte. Zur Offenlegung seiner Rechtsauffassung ist der Richter aber durch das rechtliche Gehör nicht gezwungen38. Auch ist es nicht Aufgabe des Richters, der Partei den fehlenden oder auf dem betreffenden Rechtsgebiet unbewanderten Anwalt zu ersetzen. Es ist auch unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs hinnehmbar, dass der Partei ein Problem nur bewusst gemacht, die Lösung aber ihr selbst überlassen wird – und sei es durch Beauftragung eines Anwalts, der der Materie gewachsen ist. Dass der Richter nicht verpflichtet ist, eine bestimmte Formulierung von Anträgen vorzuschlagen, bedeutet aber nicht, dass er dazu nicht berechtigt wäre. Eine gerichtliche Einflussnahme auf die Antragsfassung des Klägers kann sinnvoll und geboten sein – übrigens auch durchaus im Interesse des Beklagten, der dann bereits in 1. Instanz weiß, woran er ist. Weist nämlich das Gericht die Klage wegen mangelhafter Antragsformulierung ab, wird der 35 36 37 38
Schilken, Rz. 356. OLG Hamm, OLGR 2003, 114 (116); zustimmend Greger in Zöller, § 139 Rz. 16. BGH, NJW 2002, 3317 (3320). Vgl. Waldner, Der Anspruch auf rechtliches Gehör, 2. Aufl. 2000, Rz. 213.
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Kläger spätestens aus der Urteilsbegründung ersehen, was er falsch gemacht hat, sein Berufungsanwalt womöglich den Fehler beheben und er doch noch obsiegen. Mit der Zurückhaltung der ersten Instanz bei der Ausübung der Hinweispflicht ist deshalb auch für den Beklagten bei dieser Fallgestaltung nichts gewonnen; er wird nur mit höheren Kosten belastet als denen, die ihm bei intensiverer Ausübung der Hinweispflicht zur Last gefallen wären. 5. Anregung einer Änderung des Prozessziels a) Klageänderung Von der Hilfestellung bei der Antragsformulierung zu unterscheiden ist die Frage nach dem Recht oder der Pflicht des Richters, eine Änderung des Prozessziels anzuregen. Diese Frage stellt sich vor allem dann, wenn der Kläger nicht erkennt, dass er mit dem ursprünglich gestellten Antrag sein Ziel nicht (mehr) erreichen kann, etwa dann, wenn er Herausgabe einer Sache begehrt, ohne fortdauernden Besitz des Beklagten darlegen oder gar beweisen zu können39. Muss oder darf der Richter hier anregen, der Kläger solle statt Herausgabe der Sache Schadensersatz verlangen? Ähnlich liegt der Fall, wenn eine Klage auf Vorschuss für Mängelbeseitigungskosten erhoben ist, die nur als Schadensersatzklage Erfolg haben kann40, oder eine Abänderungsklage (§ 323 ZPO) nur als Vollstreckungsgegenklage (§ 767 ZPO)41. Auch in dieser Fallgruppe dürfte feststehen, dass das rechtliche Gehör einen Hinweis nicht erfordert, liegt die Frage, was der Kläger verlangen kann, doch auf der Ebene des materiellen Rechts und damit „vor“ dem Schutzbereich des Grundrechts. Erst für die Durchsetzung des vom Kläger gewählten Anspruchs selbst steht das rechtliche Gehör zur Verfügung. Die Rechtsprechung hat zunächst auch die Notwendigkeit eines Hinweises nach § 139 Abs. 1 ZPO verneint42; heute wird allgemein angenommen, Hinweise seien jedenfalls dann43 geboten, wenn eine Klageänderung im Sinne der §§ 263, 264 ZPO sachdienlich sei44. Nicht von § 139 Abs. 1 ZPO gefor-
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Fall von BGHZ 7, 208 (211). Fall von BGH, NJW 1993, 597. Fall von BGH, FamRZ 2006, 261. BGHZ 7, 208 (211) und besonders pointiert OLG Frankfurt, NJW 1970, 1884: Das Gericht dürfe nicht durch seine Hinweise „erst den Boden zum Erfolg des Klägers bereiten“. 43 Ohne diese Voraussetzung BGH, FamRZ 2006, 261 (262). 44 BGH, NJW 1993, 597 (598); allgemein derartigen Hinweisen vorsichtig zuneigend („u.U.“) Schilken, Rz. 357; wohl auch Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 77 Rz. 22 (wo BGHZ 7, 211 als „zu eng“ bezeichnet wird); s. auch bereits BGHZ 3, 206 (213), wo ein Hinweis darauf für nötig gehalten wird, dass der Kläger sein Ziel mit der beantragten Grundbuchberichtigung nicht erreichen, sondern Rückauflassung verlangen muss.
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dert ist die Anregung der Stellung neuer, das Prozessziel erweiternder Anträge, etwa eines bisher nicht gestellten Zinsantrags45; das heißt freilich nicht, dass dem Gericht dergleichen verboten wäre. b) Antragsrücknahme Eine von dem Jubilar mit einer umfangreichen Anmerkung versehene Entscheidung des BVerfG aus dem Jahre 1976 zeigt, dass durch die richterliche Hinweispflicht in dem Fall, dass das Verfahrensziel für den Beteiligten nicht erreichbar ist, sogar der Hinweis gefordert sein kann, den Antrag zurückzunehmen46. Erkennt der Antragsteller bei der Teilungsversteigerung nicht, dass ein Festhalten an seinem Antrag dazu führt, dass er sein Eigentum praktisch ohne jede Gegenleistung verliert, muss der Rechtspfleger ihm dazu raten, seinen Antrag zurückzunehmen – auch wenn er dadurch die korrespondierende Chance des Bieters vereitelt, die Immobilie günstig zu ersteigern. Ob durch die Unterlassung eines solchen Hinweises das rechtliche Gehör verletzt ist47 oder vielmehr das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG48, bedarf hier keiner Vertiefung. Wichtiger und noch heute lesenswert sind die Ausführungen des Jubilars, mit denen er die Feststellung des BVerfG, die richterliche Unparteilichkeit sei „kein wertfreies Prinzip, sondern an den Grundwerten der Verfassung orientiert“, unterstützt hat: „Ist der Richter für die Erreichung des Prozeßzwecks, die Durchsetzung des wahren Rechts mitverantwortlich, so muß er handelnd eingreifen, wenn das Verfahren das Prozeßziel zu verfehlen droht. Der Richter darf nicht teilnahmslos zusehen, es nicht ,sehenden Auges‘ zulassen, wenn das ,gute Recht‘ der Partei im Räderwerk des Prozesses verstümmelt untergeht! Die der einen Partei erteilte prozessuale Fürsorge stellt keine Benachteiligung der anderen dar, denn in schutzwürdige Positionen des Gegners wird durch die gebotene Aufklärung niemals eingegriffen. Niemand hat eine schutzwürdige Aussicht darauf, einen Prozeß wegen der Unbeholfenheit seines Gegners oder seiner ,intellektuellen Unfähigkeit‘ zu gewinnen“49!
6. Hinweis auf richtiges Verhalten im Instanzenzug Besonders fehlerträchtig ist das Prozessverhalten von Parteien (oder ihrer auf diesem Gebiet nicht so versierten Anwälte) im Rechtsmittelzug. Dementsprechend müssen hier die Pflichten des Gerichts, sich davon zu überzeugen, dass die Beteiligten keine für sie ausschlaggebenden Gesichtspunkte 45 OLG Köln, MDR 1972, 779. 46 BVerfG, Rpfleger 1976, 389 mit krit. Anm. von Stöber und zust. Anm. von Vollkommer. 47 So die abweichende Meinung des Richters Geiger, Rpfleger 1976, 391. 48 So die Senatsmehrheit in BVerfG, Rpfleger 1976, 389. 49 Vollkommer, Rpfleger 1976, 393 (395).
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übersehen haben, besonders weit gehen. Leider zeigt sich in der Praxis genau der umgekehrte Befund. Aus Furcht vor einer Verletzung der Unparteilichkeit unterlassen die Gerichte sogar Hinweise, zu denen sie das rechtliche Gehör verpflichtet. So ist es etwa, wenn ein Beklagter, der in 1. Instanz infolge einer Hilfsaufrechnung obsiegt hat, das erstinstanzliche Urteil verteidigen will, und die 2. Instanz das Bestehen der Aufrechnungsforderung verneint50. Der Beklagte, der nicht selbst erkennt, dass er hier nur durch Anschlussberufung die Zurückweisung der Berufung erreichen kann, muss hierauf hingewiesen werden51. Das ergibt sich im Grunde bereits aus dem Wortlaut des § 139 Abs. 1 ZPO52: Sachdienliche Anträge sind solche, die die Partei stellen muss, um ihren Prozess zu gewinnen; das ist im vorliegenden Fall die Einlegung der Anschlussberufung. Darüber hinaus ist der Hinweis auf die Notwendigkeit der Anschlussberufung hier ein Gebot effektiven rechtlichen Gehörs, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob von Berufungsanwälten entsprechende Kenntnisse des Rechtsmittelrechts erwartet werden können53. Überlegungen, dem Gericht sei „ein Hinweis verwehrt, der ein erfolgreiches Ablehnungsgesuch gem. § 42 ZPO auslösen kann“54, liegen neben der Sache: Ist ein Hinweis erforderlich, um das rechtliche Gehör zu gewährleisten, kommt eine Befangenheit von vornherein nicht in Betracht, auch wenn der Hinweis letztlich für den Prozesserfolg oder -misserfolg ausschlaggebend ist. 7. Verhalten des Richters bei Säumnis einer Partei Das rechtliche Gehör fordert bekanntlich nicht, dass sich ein Verfahrensbeteiligter tatsächlich äußert, sondern lediglich die Gelegenheit zur Äußerung55. Deshalb ist ein nach den Regeln der ZPO (wozu auch die gewohnheitsrechtliche Wartefrist von 15 Minuten gehört56) ordnungsgemäß durchgeführtes Versäumnisverfahren kein Verstoß gegen das Recht auf Gehör57. Das bedeutet freilich nicht, dass sich ein Richter nicht nur – wozu er verpflichtet ist58 – bei entsprechender telefonischer Mitteilung über einen Ver-
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Fall von OLG Rostock, NJW-RR 2002, 576. Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 77 Rz. 27; Deubner, JuS 2002, 685 (686 f.). Darauf weist Deubner, JuS 2002, 685 (687) zutreffend hin. S. dazu oben bei Fn. 28. So OLG Rostock, NJW-RR 2002, 576. BVerfGE 3, 359 (365) und ständig; allg.M. BGH, MDR 1999, 178; VGH München, BayVBl. 1995, 664. BVerfGE 36, 298 (301). Für längeres Zuwarten vor dem Erlass eines technisch zweiten Versäumnisurteils OLG Rostock, MDR 1999, 626. 58 LG Zwickau, NJW-RR 2003, 576.
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spätungsgrund vor Ablauf der Wartefrist bemühen darf, die nicht pünktlich erschienene Partei an der Rechtsfindung zu beteiligen. Er darf vielmehr auch von sich aus tätig werden, beispielsweise vor Erlass des Versäumnisurteils im Büro des Rechtsanwalts telefonisch rückfragen59. Ob – wenn diese telefonische Rückfrage ergibt, dass der Angerufene versehentlich nicht erschienen ist – auch noch dessen telefonische „Beteiligung“ an der mündlichen Verhandlung akzeptabel ist, darüber kann man sicher streiten60; sie kommt ohnehin nur dort in Betracht, wo die §§ 330 ff. ZPO nicht gelten.
IV. Ergebnis Die Beispiele zeigen die Richtigkeit der von dem Jubilar schon immer vertretenen Meinung, dass nämlich die gebotene Unparteilichkeit des Richters nicht mit Passivität oder Gleichgültigkeit gegenüber der Rechtsverwirklichung im Prozess verwechselt werden darf61, oder, wie es das BVerfG ausgedrückt hat: Die richterliche Unparteilichkeit ist kein wertfreies Prinzip, sondern an den Grundrechten der Verfassung orientiert, insbesondere am Gebot sachgerechter Entscheidung im Rahmen der Gesetze unter dem Blickpunkt materialer Gerechtigkeit62. Es ist deshalb zumindest missverständlich, wenn gesagt wird, Rat und Empfehlung an eine Partei sei Parteinahme und daher unvereinbar mit der richterlichen Unparteilichkeit63. Sind die Beteiligten in gleicher Weise befähigt, ihre Interessen wahrzunehmen, besteht also bereits Waffengleichheit, darf der Richter selbstverständlich nicht einseitig eine Partei unterstützen und dadurch die bestehende Waffengleichheit in das Übergewicht einer Partei verkehren. Ist dagegen eine Partei nach ihrem Wissensstand oder nach ihrer Kenntnis des materiellen oder des Verfahrensrechts der anderen für den Richter ersichtlich unterlegen, so ist es die vornehmste Aufgabe des Richters, diese Waffengleichheit erst herzustellen. Den dafür nötigen Ausgleich unterschiedlicher Kenntnisse und Erfahrungen der Parteien ermöglicht § 139 ZPO64. Das kann auf schwierigen Rechtsgebieten (wie etwa der Immobiliarzwangsvollstreckung) oder bei einem entsprechenden intellektuellen Gefälle auch erfordern, die Stellung völlig neuer
59 LG Berlin, AnwBl. 1978, 419; Vollkommer in Zöller, § 42 Rz. 26. 60 OLG Köln, MDR 1996, 1180 mit abl. Anm. von E. Schneider hat darin in einer Wohnungseigentumssache keinen Grund zur Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit gesehen. 61 Vollkommer in Zöller, Vor § 41 Rz. 1. 62 BVerfG, Rpfleger 1976, 389 (391). 63 So aber Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters, 1980, S. 163. 64 Schilken, Rz. 354.
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Anträge anzuregen. Anders gewendet: Bei § 139 ZPO besteht gewissermaßen zwangsläufig die Möglichkeit einer Ungleichbehandlung, weil der konkrete Hinweis zugunsten des einen Beteiligten und zu Lasten seines Gegners wirkt. Gleichwohl kann die Ausübung der richterlichen Hinweispflicht schon deshalb keine die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigende Bevorzugung einer Partei sein, weil sie – bei entsprechender prozessualer Situation – in gleicher Weise jeder Partei zugute kommen kann. Es ist das Verdienst des Jubilars, auch auf diesen Umstand unermüdlich hingewiesen zu haben65.
65 Zuletzt in Zöller, § 42 Rz. 14.
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Formenstrenge und prozessuale Billigkeit – einst und jetzt Inhaltsübersicht I. Einführung II. Die grundlegenden Thesen von Vollkommer III. Die Grundlagen und die Fortentwicklung in der Rechtsprechung
IV. Der aktuelle Stand der Rechtsprechung V. Justitia goes online?
I. Einführung Die Frage nach Formenstrenge und prozessualer Billigkeit war das Thema der Habilitationsschrift von Max Vollkommer gewesen, die im Sommersemester 1971 der Juristischen Fakultät der Universität München vorgelegen hatte und die 1973 als Band 25 der Münchener Universitätsschriften im Buchhandel erschienen ist1. Der Titel war zugleich eine programmatische Aussage, die das wissenschaftliche Werk Max Vollkommers für prozedurale und materiale Gerechtigkeit jenseits von Formalismen über 35 Jahre hinweg geprägt hat. Diese Aussage hat auch heute noch ihre Berechtigung, was für Max Vollkommers wissenschaftliche Weitsicht und gegen die Fortentwicklung der Praxis spricht. Diese grundlegende Programmatik im Werk Max Vollkommers hat eine bestimmte historische Basis. Denn die deutsche Prozessualistik hatte im 19. Jahrhundert und im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts durch die Systematik ihrer wissenschaftlichen Arbeit weltweites Ansehen errungen. Ihre bemerkenswerte Ausstrahlung auf andere Rechtskulturen in der ganzen Welt (bis hin nach Japan, Korea und China) ist dafür ein weithin bekannter und deutlicher Beleg. Diese Entwicklung und internationale Ausstrahlung wurde allerdings durch die Zeit des Nationalsozialismus jäh unterbrochen. Deshalb musste nach dem 2. Weltkrieg ein Neuanfang gemacht werden. Man musste sich auf die Eigenarten und Leistungen deutscher Prozessualistik zurückbesinnen und sich zugleich den anderen Rechtskulturen und der internationalen Diskussion wiederum öffnen. Die Stärke deutscher Prozessualistik lag und liegt dabei in ihrer systematischen Kraft. Aufgabe der Nachkriegszeit war
1 Vollkommer, Max, Formenstrenge und prozessuale Billigkeit, dargestellt am Beispiel der prozessualen Schriftform – Zur Überwindung des Formformalismus in der Rechtsprechung, München 1973.
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es daher gewesen, im Prozessrecht die Leistungen der Interessenjurisprudenz mit der Systematik der Pandektistik zu versöhnen. Es ist deshalb alles andere als ein Zufall, dass in den 50er und 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts viele bedeutende Prozessualisten in Deutschland in ihren Habilitationsschriften Grundlagenarbeiten zu ganz zentralen Themen wie Parteilehre, Streitgegenstand und Rechtskraft vorgelegt haben. In diesen Kontext gehört auch die Arbeit von Max Vollkommer. Sie schließt den Kreis der dogmatischen Grundlagenuntersuchungen mit einer Thematik, die bis dahin (und seither) nicht selten vernachlässigt worden ist und reiht sich damit in die Zahl der großen deutschen prozessualen Habilitationsschriften ein.
II. Die grundlegenden Thesen von Vollkommer Die Überlegungen von Vollkommer nehmen Bezug auf die zwingenden Formvorschriften bei Prozesshandlungen der Parteien. In der Praxis steht dabei immer wieder die eigenhändige Unterschrift des Rechtsanwalts unter eine Rechtsmitteleinlegung oder eine Rechtsmittelbegründung im Vordergrund. Denn nach ständiger Rechtsprechung und der von der Rechtsprechung bestätigten aktuellen Gesetzeslage müssen Rechtsmitteleinlegungen und Rechtsmittelbegründungen als bestimmende Schriftsätze die eigenhändige Unterschrift der Person tragen, die für den Schriftsatz verantwortlich zeichnet (vgl. § 130 Nr. 6 ZPO i.V.m. § 253 Abs. 4 ZPO für die Klageschrift, i.V.m. § 519 Abs. 4, § 520 Abs. 5 ZPO für die Berufung und i.V.m. § 549 Abs. 2, § 551 Abs. 4 ZPO für die Revision). Die beiden Grundideen, auf denen die Vollkommerschen Überlegungen beruhen, lauten zum einen, dass Förmlichkeiten, so notwendig sie sein mögen, so wenig dem berechtigten Anliegen nach materieller Gerechtigkeit im Weg stehen dürfen und deshalb nicht zu einem reinen Formalismus verkommen sollten. Deshalb prüft er in dem entscheidenden 4. Kapitel seiner Untersuchung (S. 317 ff.) die verschiedenen Wege und Möglichkeiten, allzu große Formenstrenge zu überwinden oder zu vermeiden. Herkömmliche Ansätze hierfür sind die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (S. 318 ff.) sowie die (sehr begrenzten) Heilungsmöglichkeiten (S. 356 ff.), insbesondere durch Nichtrüge nach § 295 ZPO oder durch Nichtbeanstandung und gerichtliche Entscheidung. Es bleiben aber noch vielfältige Formverletzungen, für die Vollkommer eine Überwindung des allzu starken Formalismus verlangt. Er setzt insoweit bei einer Lockerung der Formanforderungen selbst an (S. 385 ff.) und unterzieht die zwingenden Formerfordernisse einer teleologischen Überprüfung dahin, ob „unter dem Gesichtspunkt der anderweitigen Erreichung des Formzwecks bereits vor Erlass einer gerichtlichen Entscheidung die Nichteinhaltung der Form unbeachtlich werden kann“ (S. 385). Dazu weist Vollkommer nach, dass der grundsätzliche Gedanke der Zweckerreichung auch bei bestimmenden Schriftsätzen im Prozess bedeutsam ist. Dies führt ihn zu der Feststellung, dass die 284
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Form auch dann als gewahrt anzusehen ist, wenn sich aus dem Schriftstück selbst und den zu berücksichtigenden weiteren urkundlichen Erklärungen die Person des Erklärenden und sein Wille, die Erklärung abzugeben und die Verantwortung für sie zu übernehmen, klar und deutlich, also zweifelsfrei ergibt (S. 393). Diese Anerkennung der Unschädlichkeit des Formmangels bei evidenter Zweckerreichung hat nach Vollkommer grundsätzliche Rückwirkungen für die Verletzungsfolgen von wesentlichen Formerfordernissen (S. 395). Vollkommer fasst dieses Ergebnis in die berühmt gewordene Kurzform, wonach auch wesentlichen Formerfordernissen nicht mehr die Bedeutung einer Wirkform, sondern nur noch die Bedeutung einer Zweckform zukommt. Damit ist gesichert, dass jedes Formerfordernis auch außerhalb gesetzlicher Heilungsvorschriften bei evidenter Zweckerreichung nicht mehr zwingendes Wirksamkeitserfordernis für die Gültigkeit der Prozesshandlung ist. Den Bedeutungsgrad der Vollkommerschen Thesen kann man allerdings nur dann vollständig erfassen, wenn man zusätzlich die zeitliche Komponente bedenkt. Während nämlich in der Rechtsprechung (soweit dies überhaupt in Betracht gezogen wird) für die Frage einer evidenten Zweckerreichung darauf abgestellt wird, dass nur solches Beweismaterial heranzuziehen ist, das zum Zeitpunkt des Ablaufs der jeweiligen prozessualen Handlungsfrist vorlag (also beispielsweise beim Ablauf der jeweiligen Rechtsmittelfrist), vertritt Vollkommer die Auffassung, dass eine solche scharfe zeitliche Zäsur zu einem neuen ungerechtfertigten Formalismus führe. In Wahrheit verbiete es nämlich die prozessuale Billigkeit dem Richter nicht, alle verwertbaren Beweismaterialien zur Kenntnis zu nehmen, die bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vorlägen. Hinzu komme, dass für die zu beweisende Tatsache (also die verantwortlich zeichnende Abgabe eines bestimmenden Schriftsatzes) bereits gewisse Hinweise vorlägen und diese zu einem späteren Zeitpunkt nur im Hinblick auf noch verbleibende Zweifel endgültig bewiesen würden (S. 459). Dies alles führt Vollkommer zu dem Ergebnis, dass dem Gericht bei der Verwertung seiner Erkenntnisquellen innerhalb der mündlichen Verhandlung keine zeitlichen Grenzen gezogen sind.
III. Die Grundlagen und die Fortentwicklung in der Rechtsprechung 1. Die Rechtsprechung hat im Grundsatz seit jeher die strenge Auffassung vertreten, wonach die Urschrift eines bestimmenden Schriftsatzes der eigenhändigen Unterschrift bedarf, die durch Faksimile-Stempel oder andere technische Hilfen nicht ersetzt werden kann2. Diese Rechtsprechung hat freilich 2 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl. 2004, § 65 II 2c; Heinemann, Neubestimmung der prozessualen Schriftform, 2002, S. 45 ff. jeweils mit umfassenden weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung.
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trotz des strikten Grundsatzes eine kaum zu überblickende Fülle von Ergänzungen, Änderungen und Ausnahmen erfahren. So ist beispielsweise eine Abkürzung des Namens als Unterschrift nicht zulässig3, dagegen ist die Unterzeichnung eines Schriftsatzes für eine andere Person, die nach Diktat verreist ist, wirksam4. 2. Diese Formenstrenge überrascht, wenn man die vielfältige Kritik in der Literatur näher betrachtet und insbesondere genauer prüft, auf welchen dogmatischen Grundlagen diese Rechtsprechung aufbaut5. 3. Besonders auffallend im Rahmen dieser Diskussion ist der Gesetzeswortlaut, der in § 130 Nr. 6 ZPO für die Unterschrift eine Sollvorschrift enthält und auf den in der Klageschrift § 253 Abs. 4 ZPO, in der Berufung § 519 Abs. 4, § 520 Abs. 5 ZPO sowie in der Revision § 549 Abs. 2, § 551 Abs. 4 ZPO ausdrücklich verweisen. Angesichts dieses Gesetzeswortlauts und der anerkannten Ausnahmen von der eigenhändigen Unterschrift bei der Rechtsmitteleinlegung durch Telegramm und durch Telefax läge es an sich nahe, die vielfach beschworene ständige Rechtsprechung schon des Reichsgerichts und später des BGH in Frage zu stellen. Diese Erwägungen könnten jedoch dahinstehen, falls der Gesetzgeber im Jahre 2001 mit der Neufassung des § 130 Nr. 6 ZPO die bisher herrschende Meinung bestätigt haben sollte. Dies macht jedenfalls Leipold in einem Umkehrschluss aus der Neuregelung geltend6. Da nämlich der Gesetzgeber ausdrücklich festgelegt habe, auf welche Weise bei einem Telefax das Erfordernis der Unterschrift zu wahren sei, soll damit zugleich die generelle Notwendigkeit der Unterzeichnung bestimmender Schriftsätze anerkannt und festgeschrieben worden sein. Freilich kann nicht zweifelhaft sein, dass auch heute der Gesetzestext des § 130 Nr. 6 ZPO weiterhin generell von einer Sollvorschrift ausgeht. Darüber hinaus gilt es zu bedenken, dass jede allzu strikte Formenstrenge letztlich auch den Gedanken des verfassungsrechtlich garantierten Justizgewährungsanspruchs berührt. Schon aus dieser Sicht ist eine übertrieben strenge Auslegung von Formvorschriften nicht unproblematisch. Gegen die Überlegungen von Leipold dürfte auch sprechen, dass die Bearbeiter des Gesetzentwurfs zu einer Auflockerung der Formenstrenge tendierten7. 4. Auch eine historische oder systematische Auslegung des § 130 Nr. 6 ZPO und der sonstigen Formvorschriften stützt die strenge Auffassung der Recht3 BGH, NJW 1997, 3380. 4 BGH, FamRZ 2003, 1175. 5 Zur Kritik an der Rechtsprechung umfassend die Untersuchung von Heinemann, Neubestimmung, S. 70 ff.; ferner Vollkommer, NJW 1970, 1051; Späth, VersR 1972, 24; E. Schneider, MDR 1979, 1; Schilken, Zivilprozessrecht, 4. Aufl. 2002, Rz. 214; Greger in Zöller, 25. Aufl. 2005, § 130 Rz. 21. 6 Leipold in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2005, § 130 Rz. 16 f. 7 Hannich/Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002 mit Zustellungsreformgesetz, 2002, § 130 Rz. 3.
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sprechung nicht. Vielmehr sind die Motive widersprüchlich und zweifellos nicht eindeutig8. 5. Besonders umstritten ist schließlich die Tragfähigkeit der teleologischen Auslegung des § 130 Nr. 6 ZPO. Hier macht die Rechtsprechung geltend, dass der Zweck der Unterzeichnung, die Verantwortung für den Inhalt eines Schriftsatzes zu übernehmen, das zwingende Formerfordernis notwendig erscheinen lasse. Demgegenüber haben bereits Vollkommer, ferner Greger und Heinemann dargetan, dass mit einer solchen Argumentation ein einseitiges Zurücktreten der materiellen Gerechtigkeit zugunsten von Formzwecken, die der Allgemeinheit oder dem Prozessgegner dienen, verbunden ist9. 6. Angesichts der für die herrschende Rechtsprechung offenkundig fehlenden gesetzlichen Legitimation bleibt zur Begründung der eigenhändigen Unterschrift bestimmender Schriftsätze nur noch der Gedanke des Gewohnheitsrechts. Ein solcher Ansatz verbietet sich allerdings nicht nur wegen der langjährigen und deutlichen Kritik an der Rechtsprechung, sondern auch wegen der auffallenden Schwankungen und Ausnahmen in der Rechtsprechung selbst10. Jedenfalls sind die Einzelheiten der Rechtsprechung sehr verwirrend und vielfältig und haben sich in eine kaum mehr überschaubare Kasuistik aufgelöst. Angesichts der Bemühungen des Gesetzgebers, durch das Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts vom 13. 7. 2001 für eine gewisse Klarheit im Bereich der Formvorschriften zu sorgen, hätte man sich in jüngster Zeit deutliche Auflockerungen und mehr Klarheit in der Rechtsprechung erhoffen dürfen. Diese Hoffnung ist allerdings enttäuscht worden.
IV. Der aktuelle Stand der Rechtsprechung Im Jahre 2005 hat der BGH in einer Fülle von Entscheidungen seine strengen Grundsätze teilweise geradezu überraschend und rückwärts gewendet bekräftigt und die Kasuistik in verschiedenen Bereichen weiterentwickelt. So hat der BGH im Urteil vom 10. 5. 2005 entschieden, dass eine in Computerschrift erfolgte Wiedergabe des Namens des Prozessbevollmächtigten unter einer als Computerfax übermittelten Berufungsbegründungsschrift keine ausreichende Unterschrift i.S.v. § 130 Nr. 6 ZPO darstelle11. Weiterhin hat der BGH in einem Beschluss vom 23. 6. 2005 festgestellt, dass die Blankounterschrift eines Rechtsanwalts unter einem bestimmenden Schriftsatz im Normalfalle nicht ausreiche. Eine Ausnahme könne nur dort bestehen, wo 8 Vgl. dazu statt Vieler Heinemann, Neubestimmung, S. 71 ff. 9 Vgl. Vollkommer, Formenstrenge, S. 299 f.; Greger in Zöller, § 130 Rz. 21 f.; Heinemann, Neubestimmung, S. 115 ff. 10 Vollkommer in FS Hagen, 1999, S. 72; Heinemann, Neubestimmung, S. 120. 11 BGH, NJW 2005, 2086.
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der Anwalt den Inhalt des Schriftsatzes vorher so eindeutig festgelegt habe, dass er dessen eigenverantwortliche Prüfung bestätigen könne12. In einem weiteren Beschluss vom 27. 9. 2005 hat der BGH die Anforderungen an die volle Unterschrift in der Weise präzisiert, dass zwar keine Lesbarkeit vorliegen müsse, dass aber an der Autorenschaft des Unterzeichners und der Absicht, eine volle Unterschrift zu leisten, kein Zweifel bestehen dürfe13. Schließlich hat der BGH mit Beschluss vom 22. 11. 2005 eine Berufungsbegründung, die vom einreichenden Rechtsanwalt ordnungsgemäß unterschrieben war, beanstandet, weil nach der Auffassung des Gerichts die Unterschrift ohne eigene Prüfung des Textes geleistet worden war14. Dies hat der BGH aus Indizien entnommen. Bei allen verwirrenden Einzelheiten zeigen diese Rechtsprechung und vor allem das Urteil des XI. Zivilsenats vom 10. 5. 2005 sehr deutlich, dass die Rechtsprechung mit großer Selbstverständlichkeit am Grundsatz der eigenhändigen und handschriftlichen Unterzeichnung bei bestimmenden Schriftsätzen festhält. Dabei wird vollkommen außer Betracht gelassen, dass der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 130 Nr. 6 ZPO durch das Formanpassungsgesetz vom 13. 7. 2001 zweifellos die Formerfordernisse einschränken wollte, die eindeutige Zulässigkeit des Telefax im Rechtsverkehr mit den Gerichten bestätigen wollte und speziell das Computerfax entsprechend der Rechtsprechung des GmS-OGB15 im Gesetzestext für zulässig erklären wollte. Es ist schon vielfach darauf hingewiesen worden, dass eine eingescannte Unterschrift im Rahmen des Computerfax keine eigenhändige Unterschrift darstellt, sondern nichts anders als eine moderne Form eines Faksimiles ist. Insgesamt erweckt die Rechtsprechung des Jahres 2005 den Eindruck, als wolle sie zum Diskussionsstand zurückkehren, den Vollkommer bereits im Jahre 1973 beschrieben hatte.
V. Justitia goes online? Die aktuelle Auseinandersetzung um die Formenstrenge bei der Unterzeichnung bestimmender Schriftsätze muss vor dem Hintergrund betrachtet werden, dass durch verschiedenste Initiativen derzeit der Versuch gemacht wird, den Zivilprozess auf einen elektronischen Rechtsverkehr umzustellen. So haben seit einiger Zeit Hamburg und Brandenburg bei ihren jeweiligen Finanzgerichten den Versuch gemacht, eine vollkommen papierlose Kommunikation in der Justiz zu erproben. Die Entwicklung dieses elektronischen 12 13 14 15
BGH, NJW 2005, 2709. BGH, NJW 2005, 3775. BGH, NJW-RR 2006, 342. GmS-OGB, NJW 2000, 2340.
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Rechtsverkehrs hat zuletzt die brandenburgische Justizministerin Blechinger näher beschrieben16. Auch der Gesetzgeber selbst hat bekanntlich mit dem Zustellungsreformgesetz vom 25. 6. 2001 und dem Justizkommunikationsgesetz vom 22. 3. 2005 deutliche Schritte in Richtung auf ein Verfahrensrecht mit Hilfe elektronischen Rechtsverkehrs gemacht. Besonders hervorzuheben sind hier die §§ 128a, 130 Nr. 6, 130a, 130b, 174 Abs. 3 und 4, 298, 298a Abs. 1 und Abs. 2, 299 Abs. 3, 299a, 317 Abs. 3 und Abs. 5, 371 Abs. 1 Satz 2, 371a, 416a, 696 Abs. 2, 758a Abs. 6, 829 Abs. 4, 1031 Abs. 5 ZPO. Bei näherer Betrachtung von Gesetzgebung, Rechtswissenschaft und Rechtspraxis zeigt sich insgesamt, dass die Bemühungen deutlich zunehmen, den Zivilprozess und darüber hinaus das gesamte deutsche Verfahrensrecht auf einen elektronischen Rechtsverkehr umzustellen. Dass dies auf Dauer ohne Aufgabe des Grundsatzes der eigenhändigen Unterschrift nicht möglich ist, erscheint evident. Auch die gesetzliche Regelung einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz hat das Grundproblem nicht gelöst. Insgesamt gesehen könnte die entstandene Diskrepanz kaum größer sein: Während die Rechtsprechung des BGH im Jahre 2005 an Grundsätze erinnert, die das Reichsgericht aufgestellt hat, wollen vielfältige Stimmen in der Literatur den gesamten Zivilprozess auf ein elektronisches Verfahren umstellen17. Die beschriebene Diskrepanz macht noch einmal deutlich, dass die Rechtsprechung schon vor 30 Jahren auf die wissenschaftliche Grundthese von Vollkommer hätte zurückgreifen sollen, um die Problematik der Formenstrenge bei bestimmenden Schriftsätzen abzumildern. Die Rechtspraxis hätte sich großen Aufwand und vielfältigen Ärger ersparen können. Da offenbar weder der Gesetzgeber noch der BGH die Kraft aufbringen, den überkommenen Formformalismus abzuschütteln, sollte dem BVerfG oder dem EGMR Gelegenheit gegeben werden, die darin liegende Erschwerung des Zugangs zum Recht zu beseitigen.
16 Blechinger, ZRP 2006, 56. 17 Vgl. zuletzt insbesondere Gilles, ZZP 118 (2005), 399 ff.; Krüger/Bütter, MDR 2003, 181; Blechinger, ZRP 2006, 56; Kodek, ZZP 111 (2002), 445; Stadler, ZZP 111 (2002), 413.
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Zur Neuorientierung des Zustellungsrechts Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Grundlagen des Zustellungsrechts 1. Beteiligte Interessen 2. Folgen von Verstößen gegen Zustellungsvorschriften III. Inländische Zustellung 1. Wesentliche Neuregelungen im Überblick 2. Einzelfragen
IV. Grenzüberschreitende Zustellung 1. Wesentliche Neuregelungen 2. Einzelfragen a) Übersetzungen b) Heilung von Verfahrensfehlern c) Zum Justizkonflikt mit den USA V. Schluss
I. Einleitung Wer für das Vorurteil, die Juristerei sei eine reichlich trockene Angelegenheit, Nahrung sucht, mag auf erste Besicht im Recht der Zustellung schnell fündig werden. Die einschlägigen Vorschriften wirken vorwiegend technisch und auch für moderne Gesetzgebung teilweise ungewöhnlich kleinteilig. All dies kann kaum der Grund dafür sein, weswegen der Jubilar, zu dessen Ehren dieser Band entstanden ist, sich in seinen so vielfältigen und grundlegenden Publikationen zum Verfahrensrecht auch dieser Materie angenommen hat1. Deshalb zögere auch ich als sein Nachfolger auf dem nunmehr für „Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung“ ausgewiesenen Erlanger Lehrstuhl nicht, zu Ehren meines hochgeschätzten Vorgängers einen Beitrag zu diesem Thema vorzulegen. Sowohl das Recht der innerstaatlichen wie auch das der grenzüberschreitenden Zustellung haben in der jüngsten Vergangenheit substantielle Neuregelungen erfahren. Das Zustellungsrecht wurde mit dem Gesetz zur Reform des Verfahrens bei Zustellungen im gerichtlichen Verfahren (ZustRG) vom 25. 6. 20012, in Kraft seit 1. 7. 2002 grundlegend neu geregelt. Spätere insgesamt kleinere Änderungen betreffen § 174 (Änderung der Abs. 1–3 und Anfügung von Abs. 4) sowie § 194 (Änderung der Abs. 1 und 2) durch das OLG-
1 Vollkommer, Verjährungsunterbrechung und „Bezeichnung“ des Anspruchs im Mahnbescheid, in Prütting/Rüssmann (Hrsg.), FS für Gerhard Lüke, 1997, S. 865 ff.; ders., Formenstrenge und prozessuale Billigkeit, 1973; ders., Formzwang und Formzweck im Prozessrecht, in FS Hagen, 1999, S. 49 ff. 2 BGBl. I, 1206.
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VertrÄndG vom 23. 7. 2002, die Neufassung des § 181 Abs. 1 ZPO durch das 1. JuMoG vom 24. 8. 2004, die Ergänzung in § 172 ZPO durch das AnhRügG vom 9. 12. 2004 sowie die Änderungen in §§ 166, 174, 176, 181, 182, 186, 187, 189, 190, 193 und 195 ZPO zur Umstellung auf elektronische Aktenbearbeitung durch das JKomG vom 22. 3. 2005; die sprachlichen Fehler im Zuge der letztgenannten Novelle wurden mittlerweile durch Neubekanntmachung des Texts der ZPO ausgeräumt. Die vorherigen wichtigen Novellen – zuletzt die Vereinfachungsnovelle vom 3. 12. 1976 mit Wirkung vom 1. 7. 1977 – hatten mit dem weitgehenden Übergang zum Amtsbetrieb, gewissen Erleichterungen der Zustellungen an Behörden, Anwälte und andere Organe der Rechtspflege sowie den erweiterten Möglichkeiten formloser Mitteilung hilfreich gewirkt. Dennoch blieb das Zustellungsrecht bis zur letzten grundlegenden Novelle systematisch seit Inkrafttreten der CPO (Civilprozeßordnung) zum 1. 10. 18793 annähernd unverändert und damit veraltet, vergleichsweise unübersichtlich und weit umständlicher als seinen Zwecken nach erforderlich4. Hier haben das ZustRG und die Folgereformen weitgehend Abhilfe geschaffen. Diese Neuerungen können auch dort wirken, wo Vorschriften zwar nach ihrem Wortlaut unverändert geblieben sind, wo aber wegen grundlegender Änderungen des Gesamtregelwerks eine zum Teil langjährige Rechtsanwendungspraxis neuer tragfähiger Begründungen oder aber einer Änderung bedarf. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass einige der nach Inkrafttreten der Novelle noch zum alten Recht ergangenen Entscheidungen auch zum novellierten Recht Stellung nehmen. Im Folgenden sollen aktuelle Fragestellungen aus beiden Bereichen die teilweise Neuorientierung des Zustellungsrechts beleuchten. Zunächst ist aber an die Grundkonstanten und Beurteilungsmaßstäbe des Zustellungsrechts zu erinnern, an denen sich jede Neuregelung auszurichten hat.
II. Grundlagen des Zustellungsrechts 1. Beteiligte Interessen Das Zustellungsrecht muss einen möglichst schonenden Ausgleich zwischen den konfligierenden Interessen der Beteiligten herstellen. Die Interessen des an der Zustellung Interessierten an wirksamem Rechtsschutz in angemessener Zeit (Justizgewährungsanspruch; vgl. Art. 19 Abs. 4 GG) sind ebenso zu wahren wie das Recht des Adressaten auf rechtliches Gehör5 3 In Helgoland zum 1. 4. 1891, VO v. 22. 3. 1891, RGBl. S. 21. 4 Vgl. nur die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 14/4554, S. 13. 5 BVerfGE 67, 208 (211) = NJW 1984, 2567 (2568); BVerfG, NJW 1988, 2361 m.w.N. u. NJW 1992, 224 (225); BayVerfGH, NJW 1994, 2280 (2281); BGH, NJW 1978, 1858; BGHZ 111, 1 (6 f.) = NJW 1990, 1666; BGHZ 118, 45 = NJW 1992, 2280 f.; BGH, WM 2003, 653 (654) = NJW 2003, 1530; OLG Nürnberg, NJW-RR 1998, 495 (496).
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(Art. 103 Abs. 1 GG; vgl. auch § 328 Abs. 1 Nr. 2 ZPO und viele weitere Vorschriften) und auf ein faires Verfahren. Der Zustellungsadressat muss deshalb angemessene Gelegenheit erhalten, vom Inhalt des zuzustellenden Schriftstücks Kenntnis zu nehmen6. Bei der grenzüberschreitenden Zustellung wurde eine gegenüber §§ 174 Abs. 2, 175 ZPO a.F. adressatenfreundlichere Regelung in § 184 ZPO n.F. geschaffen, die jedenfalls7 auch die zuvor geäußerten völker- und menschenrechtlichen Bedenken8 ausräumt. Werden dritte Personen (z.B. Vertreter gemäß § 171 ZPO) in den Zustellungsvorgang eingeschaltet, kommen hinsichtlich ihrer Legitimation auch Aspekte des Vertrauensschutzes zum Tragen9. Mit alledem wird zugleich Rechtssicherheit als wesentliches Element des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG) angestrebt10. Die Zustellung dient wie der größte Teil des Zivilverfahrensrechts der Durchsetzung materieller Rechtspositionen von Rechtssubjekten11. Soweit die eben skizzierten spezifischen Interessen bei der Zustellung gewahrt bleiben, ist die Durchsetzung des materiellen Rechts zu fördern und nicht zu behindern12. Deshalb führt nicht jede Verletzung von Zustellungsvorschriften zur Unwirksamkeit der Zustellung, was im Folgenden zu zeigen ist. 2. Folgen von Verstößen gegen Zustellungsvorschriften Jedenfalls aus der Sicht der Praxis ist es weniger bedeutsam, welche Voraussetzungen das Zustellungsrecht im Einzelnen aufstellt; entscheidend sind die Folgen einer Nichteinhaltung. In der Literatur werden immer wieder apodiktisch Voraussetzungen formuliert, z.B. im Hinblick auf Übersetzungen im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr (dazu unten IV.2.a), ohne sich dieser Frage zu widmen. Eine abstrakte Einteilung der Zustellungsvorschriften in solche mit größerer oder minderer Bedeutung wäre nicht hilfreich. Weiterführend ist alleine die Frage nach den angemessenen Rechtsfolgen, wenn eine Vorschrift nicht oder nicht hinreichend beachtet worden ist. Die Antwort hierauf ist, soweit keine eindeutige Regelung getroffen wurde, in Sinn und Zweck der jeweili6 BGH, NJW 1978, 1058 (1059); NJW-RR 2003, 208. 7 Auch die Vorgängernorm wurde nach h.M. für verfassungsgemäß gehalten, vgl. die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 14/4554, S. 23 unter Berufung auf BVerfG, NJW 1997, 1772. 8 Vgl. hierzu Fleischhauer, Die Inlandszustellung an Ausländer, 1996, 72 ff., 79 ff.; Stadler in FS BGH, 2000, S. 645 (652); Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 2003, Vorbem. zum HZÜ Rz. 1. 9 BGH, VersR 1986, 993 (994) und BGHZ 118, 312 (322) zum Prozessbevollmächtigten i.S.v. § 176 ZPO a.F. 10 Vgl. BT-Drs. 14/4554, S. 13 unter A.I. 11 RGZ 123, 204 (206). 12 RGZ 123, 204 (206).
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gen Vorschrift vor dem Hintergrund der von ihr geschützten Interessen zu suchen. Solche Folgen können Unwirksamkeit oder Wirksamkeit der Zustellung schlechthin sein; dazwischen angesiedelt ist die Minderung der Beweiskraft von Zustellungsdokumenten13. Soweit Vorschriften sicherstellen sollen, dass der Adressat die Möglichkeit zur inhaltlichen Kenntnisnahme des zuzustellenden Schriftstücks erhält, führen Zustellungsmängel jenseits einer Bagatellgrenze (hierzu sogleich im Folgenden) grundsätzlich zur prozessualen Unwirksamkeit der Zustellung. Andernfalls ließe sich das grundlegende Recht auf rechtliches Gehör nicht wirksam durchsetzen. Das Beweisinteresse zählt seit der Novelle zum 1. 7. 2002 nicht mehr zum Kernbestand des Zustellungsrechts14. Deshalb führen nun Verstöße gegen dieses – gewiss fortbestehende – Interesse nicht mehr zur Unwirksamkeit der Zustellung (vgl. unten III.2.). Dies ist bei der Heranziehung älterer Gerichtsentscheidungen zur Frage der Unwirksamkeit im konkreten Fall in Rechnung zu stellen; in nicht wenigen Fällen führte gerade der Verstoß gegen dieses Interesse zur Annahme der Unwirksamkeit. Auch hat sich die starke Formalisierung mit der zwingenden Beurkundung des Zustellvorgangs nach vormaligem Recht nicht bewährt. Deshalb hält das Gesetz nun unterschiedlich aufwendige Zustellungswege bereit, die allerdings auch in unterschiedlichem Maße dem Beweis zugänglich sind. Die Zustellungsurkunde als öffentliche Urkunde im Sinn von § 418 ZPO wird deshalb auch künftig Bedeutung behalten. Andere Vorschriften sollen ebenfalls die ordnungsgemäße Zustellung fördern, sind aber bei der Durchsetzung der verfolgten Interessen verzichtbar oder in ihrem Ziel auf anderem Wege zu erreichen. Beispiele hierfür sind der unterlassene Zustellungsnachweis für den Adressaten nach § 193 Abs. 3 oder § 195 Abs. 2 ZPO. Mängel hierbei können den Beweiswert der Zustellungsbeurkundung beeinträchtigen und Fristenläufe beeinflussen, aber nicht die Zustellung schlechthin unwirksam machen. Daneben kann die Verletzung solcher Vorschriften, die nur die Interessen des die Zustellung Betreibenden wahren sollen, nicht zur Unwirksamkeit der Zustellung führen. Generell gilt, dass die wirksame Zustellung vom Zustellenden nachgewiesen werden muss. Verbleiben Zweifel, so kann nicht von einer wirksamen Zustellung ausgegangen werden15. Es bestehen allerdings Heilungsmöglichkeiten. Wichtigste Norm ist die mit der Novelle von 2002 erweiterte Hei-
13 Vgl. z.B. BGH, NJW 1963, 1307 (1308); NJW 1981, 874 (875) m.w.N.; NJW-RR 1987, 1151; NJW 1992, 512; NJW 1990, 176 (177) m.w.N. (die Unwirksamkeitsfolge des vormaligen Zustellungsrechts wird von der Neuregelung ausgeschlossen; es verbleibt aber der beweisrechtliche Aspekt). 14 Vgl. die Gesetzesbegründung zu § 166 ZPO in BT-Drs. 14/4554, S. 15. 15 OLG Hamm, NJW-RR 1995, 223 (224); OLG Nürnberg, NJW-RR 1998, 495 (496).
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lungsvorschrift des § 189 ZPO. Hinzu tritt die Möglichkeit, eine Heilung durch Rügeverzicht (§ 295 ZPO) im Rahmen bestehender Verfügungsmacht16 zu bewirken. So kann im Wege des § 295 ZPO auf förmliche Zustellung schlechthin verzichtet werden17. Allerdings tritt Heilung durch Rügeverzicht oder rügeloses Einlassen nicht ein, soweit Vorschriften betroffen sind, die der Parteidisposition entzogen sind18. Dasselbe gilt für entsprechende Willenserklärungen des Adressaten betreffend die Zustellungsmodalitäten19.
III. Inländische Zustellung 1. Wesentliche Neuregelungen im Überblick Die Inlandszustellung wurde in weitem Umfang in der Systematik, aber auch in wesentlichen Inhalten neu geregelt20. Die inhaltlich überholte Systematik wurde mit der Umstellung von der praktisch wenig bedeutsamen Zustellung im Parteibetrieb auf die Zustellung im Amtsbetrieb als Regelfall (§ 166 Abs. 2 ZPO) den tatsächlichen Gegebenheiten angepasst. Die möglichen Zustellungs- und Informationswege wurden um unaufwendige und dem technischen Fortschritt folgende Verfahren ergänzt. Umständliche und fehleranfällige Formvorschriften wurden auf das notwendige Maß zurückgeführt. Der Kreis der Personen, die am Zustellvorgang beteiligt werden können, wurde gemäß den gewandelten sozialen Realitäten neu bestimmt, auch wurden die Folgen der Poststrukturreform berücksichtigt. Einige praktisch bedeutungslose Vorschriften wurden gestrichen. Die Möglichkeit der Heilung von Zustellungsmängeln wurde wesentlich erweitert. Die Regelung des § 270 Abs. 3 ZPO a.F. über die Fristwahrung durch Zustellung wurde mit § 167 ZPO in das Zustellungsrecht integriert. 2. Einzelfragen Charakteristisch für das novellierte Zustellungsrecht ist seine durchgehende Tendenz zur Vereinfachung (vgl. z.B. § 175 ZPO zur nun möglichen Zustellung durch Einschreiben mit Rückschein), zur erweiterten Heilung von Mängeln und zur Reaktion auf veränderte Lebensumstände (vgl. insbesondere § 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) und Kommunikationswege (vgl. insbesondere
16 BGHZ 23, 172 (175) = NJW 1957, 713 (714); BGH, NJW 1992, 2099 (2100). 17 OLG Zweibrücken, NJW-RR 1998, 429; Greger in Zöller, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 253 Rz. 26a, § 295 Rz. 6. 18 BGH, NJW 1994, 2295 (2296) zu Notfristen; Greger in Zöller, § 253 Rz. 26a. 19 BGH, NJW-RR 1993, 1083 m.w.N. 20 Ein Überblick über die wesentlichen Änderungen gegenüber der vorherigen Rechtslage findet sich in der Gesetzesbegründung in BT-Drs. 14/4554, S. 13–15 mit anschließender Begründung zu den einzelnen Vorschriften.
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§ 174 ZPO; § 186 Abs. 2 S. 1 2. Alt. ZPO – öffentliche Zustellung unter Nutzung der Homepage des Prozessgerichts21). In aller Vorsicht lässt sich sagen, dass auch die Rechtsprechung nach der Novellierung diese Tendenzen aufgreift und eine erkennbare Bereitschaft zeigt, auf unnötige aufwendige Formalitäten zu verzichten. So wird für den Nachweis der Ersatzzustellung nach §§ 180, 182 Abs. 2 Nr. 4 ZPO entgegen Stimmen in der Literatur zu Recht auf die Angabe verzichtet, in welche Empfangseinrichtung (Briefkasten oder ähnliche Einrichtung, ggf. mit näherer Bezeichnung) das Schriftstück eingelegt wurde22. Die in der Praxis höchst bedeutsame Zustellung gegen Empfangsbekenntnis (§ 174 ZPO) ist entgegen der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Vorläufernorm des § 212a ZPO nicht unwirksam, wenn das Empfangsbekenntnis keine Datumsangabe enthält23. Maßgeblicher Grund hierfür ist der Entfall des Beweisinteresses als konstitutives Element der Zustellung (vgl. oben II.2.); das Zustellungsdatum wird sich in der Regel z.B. anhand des Eingangsstempels bei Gericht konkretisieren lassen24. Die Unterschrift soll hingegen wohl weiterhin konstitutiv sein, weil andernfalls der notwendige Wille zur Mitwirkung an der Zustellung nicht erkennbar werde25. Allerdings sind auch insoweit gewisse überzeichnete Formalitäten auf ein im Gesamtsystem konsistentes Maß an Verlässlichkeit zurückzuführen. Die Unterschrift muss nach den bisherigen Maßstäben der Rechtsprechung handschriftlich und grundsätzlich mit vollem Namen erfolgen26. Ein Faksimile-Stempel27, der bloße Anfangsbuchstabe des Namens28 oder eine Paraphe ohne29 oder mit Zusatz des Namensstempels30 sollen nicht genügen. Nur die eigenhändige Unterschrift gewährleiste, dass die zustellungsrechtliche Funktion des Anwalts nicht auf dafür nicht vorgesehene Personen übertragen wird (z.B. Büropersonal oder außenstehende Dritte). Ein Schriftzug, der mangels individuellen Charakters des Schriftbildes die Identität des Unterzeichners nicht erkennen lässt, soll zur Unwirksamkeit der Zustellung führen31. So verhält es 21 Vgl. die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 15/4067, S. 32. 22 BGH, NJW 2006, 150 (151 f.) m.w.N. 23 BGH, FamRZ 2005, 1552 f. entgegen der in der Tat widersprüchlichen Gesetzesbegründung BT-Drs. 14/4554, S. 18; zur weitreichenden Beweiskraft einer vorhandenen Datumsangabe vgl. OVG Lüneburg, NJW 2005, 3802. 24 BGH, FamRZ 2005, 1552 (1553). 25 In diese Richtung BGH, FamRZ 2005, 1552 (1553) m.w.N. 26 BGH, VersR 1978, 763; VersR 1981, 61 (62); VersR 1985, 551; NJW-RR 1992, 1150 m.w.N. 27 BGH, NJW 1988, 838 f.; KG, NJW 1969, 57 (58). 28 BGH, VersR 1968, 1143; VersR 1974, 1223 f. 29 BGH, VersR 1981, 57; VersR 1983, 273 (274); VersR 1983, 402; NJW 1995, 533. 30 BGHZ 57, 160 = NJW 1972, 50 f. m.w.N. 31 BGH, NJW 1976, 2263 m.w.N.; VersR 1983, 402; NJW 1985, 1227; zu den Anforderungen vgl. auch BGH, NJW 1975, 1705 (1706); NJW 1987, 713; OLG Frankfurt, NJW 1993, 3079.
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sich bei bloßen Anfangsbuchstaben oder bei Handzeichen (Paraphen) ohne oder mit nicht handschriftlich beigefügtem Namen32. Hinreichende Individualität ist aber schon dann gegeben, wenn charakteristische Merkmale einer vollen Namensunterschrift vorhanden sind und die Nachahmung durch Dritte zumindest erschwert ist. Bedeutsam ist hierbei, ob der Unterzeichner üblicherweise in vergleichbarer Art unterzeichnet33. Dabei genügt es, wenn jemand, der den Namen und die Unterschriften des Unterzeichnenden kennt, den Namen aus dem Schriftbild herauslesen kann34. Die einschlägige Rechtsprechung ist insgesamt nicht über die Maßen konsistent und noch eher streng. Schwere Lesbarkeit alleine ist aber unschädlich, solange noch ein individueller Charakter erkennbar ist35. Jedenfalls seit der Reform vom 1. 7. 2002, nach der auch andere als schriftliche Empfangsbekenntnisse (elektronisches Dokument) ausreichen, ist Großzügigkeit bei der Anerkennung als Unterschrift angebracht: Die Fälschungsgefahr dürfte eher gering sein; andererseits werden die erforderlichen Unterschriften in einem täglichen Massenbetrieb geleistet und dementsprechend „abgeschliffen“36. Deshalb sprechen überwiegende Gründe insbesondere der inneren Konsistenz bei den unterschiedlichen Übermittlungswegen dafür, das Unterschriftserfordernis wie die Datierung als zwingende Wirksamkeitsvoraussetzung aufzugeben, solange die Authentizität der Person und ihrer Willensäußerung aus anderen Umständen hinreichend sicher abgeleitet werden kann37. Schließlich sollte bei Anwendung des § 189 ZPO z.B. auch der Zugang, z.B. einer Telekopie, für die Heilung ausreichen38, sofern keine Zweifel aus der Qualität der Kopie resultieren.
IV. Grenzüberschreitende Zustellung 1. Wesentliche Neuregelungen Im Bereich der grenzüberschreitenden Zustellung ist vor allem die Tendenz zur Vereinfachung der Zustellungswege und -modalitäten im Bereich der EU 32 BGHZ 57, 160 = NJW 1972, 50 f.; BGH, VersR 1981, 57; VersR 1983, 273 (274); VersR 1983, 402; NJW 1995, 533. 33 BGH, VersR 1983, 273 (274); VersR 1997, 988 (989) (zu §§ 130, 212a ZPO a.F.). 34 BGH, VersR 1978, 763 (zu § 212a a.F.); NJW 1987, 713 m.w.N.; NJW-RR 1992, 1150 (zu § 212a ZPO a.F.); OLG Frankfurt, NJW 1993, 3079 (zu § 191 Nr. 7 ZPO a.F.). 35 BGH, VersR 1983, 273 (274); OLG Frankfurt, NJW-RR 1995, 1422 f. m.w.N. 36 Vgl. auch Schneider, NJW 1998, 1844 ff. m.w.N.; jedenfalls gegen eine strenge Beurteilung BVerfG, NJW 1998, 1853. 37 Ebenso Greger in Zöller, § 130a Rz. 4, § 130a Rz. 21 f.; Heinemann, Neubestimmung der prozessualen Schriftform, 2002, S. 338 ff. und bereits Vollkommer, Formenstrenge und prozessuale Billigkeit, 1973, S. 301 ff. Hier darf von einer Erlanger Schule gesprochen werden, der sich der Verfasser gerne anschließt. 38 Angedeutet in OVG Hamburg, NVwZ 2005, 235 (236).
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erkennbar. Erleichterung bringt insbesondere die Möglichkeit, gemäß Art. 14 EuZVO (in Deutschland i.V.m. § 1068 ZPO; vgl. auch § 183 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) die Zustellung ohne Einschaltung weiterer Behörden auf dem Postweg durch Einschreiben mit Rückschein zu betreiben; vergleichsweise häufig wird in jüngster Zeit die Frage notwendiger Übersetzungen gerichtlich behandelt. Grundlegende Fragen des fair trial werden zudem in zustellungsrechtlichen Aspekten des US-amerikanisch-kontinentaleuropäischen Justizkonflikts aufgeworfen. Einzelheiten ergeben sich aus den jeweils einschlägigen internationalen, europäischen, bilateralen oder innerstaatlichen Rechtsgrundlagen. Die in der Praxis bedeutsamsten sind die EuZVO, das HZÜ und die jeweils einschlägigen bilateralen Abkommen. 2. Einzelfragen a) Übersetzungen (a) Grundfragen Ein sehr praxisrelevantes Problem der grenzüberschreitenden Zustellung liegt in der erforderlichen sprachlichen Zugänglichkeit zugestellter Dokumente. Anders als im inländischen Verkehr kann in der Regel nicht darauf vertraut werden, dass in ausländischen Empfangsstaaten, in denen eine andere Sprache als die des Übermittlungsstaats (Absendestaats) verbreitet ist, Dokumente in der Originalsprache auch hinreichend verstanden werden. Das Recht auf rechtliches Gehör erfordert deshalb nötigenfalls die Beifügung von Übersetzungen. Andererseits ist das Interesse des Betreibenden an möglichst schneller und kostengünstiger Verfahrensführung zu berücksichtigen. Der Teufel steckt wie so oft im Detail. Kommt es auf die Amtssprache(n) des Empfangsstaats an, genügen Dokumente in einer Sprache, die der Adressat bekanntermaßen oder mutmaßlich hinreichend versteht? Welche Qualität muss die Übersetzung aufweisen; genügt irgendeine Übersetzung, muss sie dem entgegengesetzt völlig fehlerfrei sein, oder lassen sich Zwischenstufen bilden? Welches sind die Folgen fehlender oder unzureichender Übersetzungen – wird die Zustellung dadurch schlechthin unwirksam, oder begnügt man sich mit einem Annahmeverweigerungsrecht? Müssen Hinweise auf solche Wirkungen erfolgen, und ggf. durch wen? Kann sich schließlich der Adressat ohne weiteres darauf zurückziehen, er habe ein zugestelltes Dokument nicht verstanden, oder muss er dies nicht auch in prüfbarer Form aktenkundig machen? Die generelle Forderung nach adressatengerechter Sprachwahl würde das Zustellungsrecht mit allzu subjektiven Momenten belasten; dann würde möglicherweise die Wirksamkeit der Zustellung von der mehr oder weniger adäquaten Sprachbeherrschung des Adressaten abhängen, welche der Betreibende oft nicht einmal beurteilen kann. Andererseits könnte sich dieses Problem auch bei Inlandszustellungen in gleicher Weise stellen – nicht alle 298
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im Inland ansässigen Adressaten sind des Deutschen hinreichend mächtig –, ohne dass in diesem Bereich die Sprachbeherrschung zustellungsrechtlich relevant würde (vgl. § 184 GVG)39. Auch die Übersetzung in die Amtssprache(n) des Empfangsstaats erscheint nicht in jedem Falle geboten40. Gerade Zustellungen in Empfangsstaaten mit mehreren Amtssprachen (z.B. die Schweiz) würden ansonsten unnötig belastet; unsinnig wäre z.B. die zwingende Übersetzung in eine Amtssprache des Empfangsstaats, wenn der Adressat nicht dessen Staatsangehöriger ist und die Sprache des Originalschriftstücks seine Muttersprache ist. Die Beifügung einer Übersetzung ist also nur dann erforderlich, wenn dies durch die jeweils einschlägigen internationalen oder nationalen Zustellungsvorschriften explizit vorgeschrieben wird. Grundsätzlich ist für die Frage, ob und in welche Zielsprache eine Übersetzung notwendig ist, auf die (ggf. normativ vermuteten) Sprachkenntnisse des jeweiligen Adressaten abzustellen. Wünschenswert ist insoweit die Entwicklung einiger weniger typischer Fallgruppen, um die Erleichterung des grenzüberschreitenden Zustellungsverkehrs nicht wieder ohne Not einzuschränken; die Praxis kann sich hier mit tatsächlichen Vermutungen behelfen. Zur Erleichterung für den Zustellenden sollte es bei der Zustellung an juristische Personen in jedem Falle ausreichen, die Amtssprache am statutarischen oder am tatsächlichen Sitz ausreichen zu lassen41. Bei Zustellungen an Unternehmen oder Organisationen genügt es aber auch, auf die Sprachkenntnisse des gesetzlichen42 oder des im Einzelfall benannten Vertreters abzustellen. Darüber hinaus ist m.E. zu berücksichtigen, ob erwartet werden darf, dass das Schriftstück in die Hände eines leitenden, im einschlägigen Bereich entscheidungsbefugten Repräsentanten gelangt, welcher der Sprache, in der das Schriftstück abgefasst ist, hinreichend mächtig ist43. Bei grenzüberschreitend tätigen Wirtschaftsunternehmen wird man Englischkenntnisse insoweit in der Regel voraussetzen dürfen44. Lehnt ein Adressat
39 § 183 ZPO trifft keine solche Regelung; § 184 ZPO regelt einen Fall der Inlandszustellung und ist hier schon gar nicht einschlägig. Eine Besserstellung von Ausländern durch entsprechende Anwendung von Art. 5 Abs. 3 HZÜ, Art. 55 Abs. 2 EuGVVO, Art. 48 Abs. 2 EuGVÜ/LugÜ ist nicht angezeigt; a.A. Koch in Schlosser (Hrsg.), Materielles Recht und Prozessrecht, 1992, S. 203 f; wie hier Geimer in Zöller, § 183 Rz. 25. 40 A.A. Bajons in Geimer (Hrsg.), FS Schütze, 1999, S. 49, 71 mit m.E. zu weitgehender Argumentation aus Souveränitätsgesichtspunkten. 41 Saarländisches OLG Urt. v. 11. 10. 2005 (Az. 4 U 399/04), abgerufen am 14. 12. 2005 unter http://www.jurisweb.de/jurisweb/cgi-bin/j2000cgi.sh m.w.N. 42 Saarländisches OLG (Fn. 41). 43 Vergleichbar für Art. 8 EuZVO Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, Art. 8 EuZVO Rz. 2; vgl. auch Saarländisches OLG (Fn. 41). 44 Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, Art. 8 EuZVO Rz. 2; a.A. Heiderhoff in Rauscher, Europäisches Zivilprozessrecht, 2004, Art. 8 EuZVO Rz. 5.
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die Entgegennahme eines Schriftstücks ab, obgleich er bzw. sein Vertreter die Sprache, in der es abgefasst ist, sehr gut beherrscht, so kann eine spätere Berufung auf eine mangelnde ordnungsgemäße Zustellung rechtsmissbräuchlich sein45. Umgekehrt wird man im Rechtsverkehr zwischen natürlichen Personen, insbesondere außerhalb wirtschaftsrechtlicher Streitigkeiten, Fremdsprachenkenntnisse nicht ohne weiteres vermuten können. Bei Streitigkeiten unter Beteiligung Angehöriger fremder Staaten mit Wohnsitz im Ausland dürfte deshalb eine Übersetzung in die vorgesehene(n) Zielsprache(n) grundsätzlich erforderlich sein46. Auch ein vorheriger längerer Aufenthalt des Betreffenden im Übermittlungsstaat lässt im Allgemeinen nicht die Vermutung zu, dass dieser die dort herrschende Sprache hinreichend erlernt hat; der nicht seltene Befund langjährig im Inland lebender Ausländer(innen) annähernd ohne Deutschkenntnisse mag als Beleg genügen. Für das Vorliegen entsprechender Sprachkompetenz kann indes beispielsweise dann eine tatsächliche Vermutung sprechen, wenn in der Sprache, in welcher das zuzustellende Schriftstück verfasst worden ist, bereits zuvor Korrespondenz mit dem Adressaten geführt wurde. (b) Anforderungen an die erforderliche Übersetzung; Umgang mit Übersetzungen im Übermittlungsstaat (Ursprungsstaat) Ist zum ausreichenden Verständnis durch den Adressaten eine Übersetzung erforderlich, so muss sie selbstverständlich grds. inhaltlich zutreffend sein. Nicht jeder Fehler kann aber zur Unwirksamkeit der Zustellung bzw. zu einem Annahmeverweigerungsrecht (nach Art. 8 EuZVO47, vgl. auch § 1070 ZPO) führen48. Solche Konsequenzen knüpfen sich nur an schwere, in nicht nur marginalen Bereichen sinnstörende Übersetzungsfehler49. Fraglich ist, ob der Adressat die rechtliche Möglichkeit hat, sich bereits gegen die weitere Ausführung der Zustellung zur Wehr zu setzen, wenn er eine fehlerbehaftete Übersetzung erhält. Der Senat des OLG Nürnberg, dem der Verfasser angehört, hatte darüber zu befinden, ob die zuständige Behörde des Empfangsstaats unter Berufung auf Übersetzungsmängel gleichsam prä45 Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, Art. 5 HZÜ Rz. 7; krit. Heiderhoff in Rauscher, Art. 8 EuZVO Rz. 6 f. 46 So für „Familienverfahren“ OLG Düsseldorf, FamRZ 2006, 130 (131). 47 Vgl. hierzu Saarländisches OLG (Fn. 41); sehr krit. zu dieser Norm Schütze, Deutsches Internationales Zivilprozessrecht unter Einschluss des Europäischen Zivilprozessrechts, 2. Aufl. 2005, Rz. 204. 48 Wohl a.A. ohne Begründung Kondring, Die Heilung von Zustellungsfehlern im internationalen Zivilrechtsverkehr, 1995, S. 180; G. Geimer, Die Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts, 1999, S. 88. 49 Vgl. Geimer in Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl. 2004, Art. 5 EuZVO Rz. 4 m.w.N.
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ventiv daran gehindert werden kann, dem Übermittlungsstaat die erfolgte Zustellung zu bescheinigen50. Gegenstand war eine formal ordnungsgemäße Übersetzung aus dem Türkischen ins Deutsche, die inhaltlich unverständliche Angaben zum Schuldgrund enthielt51. Gemäß den einschlägigen Normen (Art. 5 Abs. 1 HZÜ, § 3 AGHZÜ, Art. 9 Abs. 1, Art. 4 Abs. 2b des Deutsch-Türkischen Abkommens über den Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen vom 28. Mai 192952) war (als eine mögliche Variante) die von einem beeidigten Dolmetscher des ersuchenden Staates beglaubigte Übersetzung ins Deutsche nötig, die auch vorlag. Das alleine kann nach Sinn und Zweck des Zustellungsrechts allerdings nicht genügen. Bei einer offensichtlich unbrauchbaren (Schein-)Übersetzung ist dies evident. Darüber hinaus ist eine Mindestanforderung53 dahingehend zu formulieren, dass der Adressat die für ihn wesentlichen Informationen erhält, insbesondere wer ihn mit welchem Zweck (nicht notwendig: aufgrund welcher Rechtsnorm oder welcher Verpflichtung im Einzelnen bei einem personell zuordenbaren Schuldverhältnis) in Anspruch nimmt, um sich entsprechend verteidigen zu können. Fachterminologische Fehlgriffe z.B. bei juristischen Personen schaden nicht, wenn eindeutig bleibt, welche Partei gemeint ist54; alles weitere muss der Prüfung der Passivlegitimation im Prozess vorbehalten bleiben. Wollte man weitergehende Anforderungen stellen, so würde im Grunde stets eine inhaltliche Richtigkeitsprüfung durch die Ausführenden erforderlich, welche den grenzüberschreitenden Zustellungsbetrieb massiv und ohne Not belasten würde. Das gilt insbesondere dann, wenn bereits der Originaltext inhaltliche Unklarheiten aufweist, welche die Übersetzung nur nachvollzieht. Letztlich liefen weitergehende Anforderungen auf eine nicht vorgesehene Schlüssigkeitsprüfung schon bei der Zustellung hinaus, an der im Übrigen auch die eine oder andere inländische Klageschrift schon im Zustellungsvorgang scheitern müsste. Schon deshalb leuchtet es nicht ein, weswe50 OLG Nürnberg (4 VA 72/05), IPRax 2006, 38 m. insges. zust. Bespr. Wilske/Krapfl, ebenda, 10 ff. (der Beschluss ist nicht zur Gänze veröffentlicht); die Zuständigkeit ergibt sich aus §§ 23 ff. EGGVG. 51 Schon der türkische Originaltext war in Einzelheiten für mehrere türkische Muttersprachler mit juristischen Kenntnissen nicht sicher zu entschlüsseln. 52 Wilske/Krapfl, IPRax 2006, 11 weisen zu Recht darauf hin, dass das Verhältnis zwischen HZÜ und Deutsch-Türkischem Abkommen in der Praxis nicht deutlich geklärt ist. Da aber derartige Übereinkommen allesamt Vereinfachungszwecken dienen, ist es grds. angemessen, die jeweils zustellungsfreundlichsten Regelungen anzuwenden, wenn sich nicht aus dem spezielleren (bilateralen) Abkommen hinreichend deutlich ergibt, dass etwa aus Souveränitätsgesichtspunkten strengere Formen eingehalten werden müssen. 53 Der Senat hat sie nur „erwogen“, sie aber jedenfalls als noch gewahrt angesehen. Deutlicher in diese Richtung OLG Hamm (11 U 92/92), OLGR 1993, 161. 54 Auch insoweit besteht kein Anlass für größere Strenge als z.B. im Hinblick auf (inhaltlich hinreichend deutliche) Erklärungen der Anfechtung, des Widerrufs oder des Rücktritts mit unzutreffenden Fachbegriffen.
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gen eine weitergehende „Verständlichkeit“ nur bei grenzüberschreitenden Zustellungen zu fordern wäre55. Ist eine Übersetzung erforderlich, so muss sie ferner grundsätzlich vollständig sein56. Ein bloßes „summary“ reicht nicht aus, sofern dies nicht ausdrücklich für ausreichend erklärt wird57. Auch hier folgen nicht bei jedem Fehler Unwirksamkeit der Zustellung bzw. ein Annahmeverweigerungsrecht (nach der EuZVO). Anders ist dies jedoch, wenn die Übersetzung nicht nur marginal unvollständig ist, weil ansonsten der Adressat nicht beurteilen kann, ob im unübersetzten Teil für ihn Relevantes enthalten ist. (c) Folgen von Verstößen gegen die Anforderungen an sprachlich hinreichend zugängliche Dokumente Beispielhaft mögen die besonders praxisrelevanten Regelungen der EuZVO beleuchtet werden. Im Anwendungsbereich der EuZVO ist grds. keine Übersetzung erforderlich. Vielmehr schafft die EuZVO für den Rechtshilfeverkehr in Artt. 5, 8 eine flexible Lösung mit einer Kombination von eingeschränktem Übersetzungsbedarf mit Annahmeverweigerungsrecht bei Verstößen sowie Hinweispflichten an Adressaten und Betreibenden. Art. 8 Abs. 1 EuZVO58 sieht vor, dass der Adressat („Empfänger“) die Annahme des zuzustellenden Schriftstücks verweigern darf, wenn dieses in einer anderen als den folgenden Sprachen abgefasst ist: – der Amtssprache des Empfangsmitgliedstaats oder, wenn es im Empfangsmitgliedstaat mehrere Amtssprachen gibt, der Amtssprache oder einer der Amtssprachen des Ortes, an dem die Zustellung erfolgen soll, oder – einer Sprache des Übermittlungsstaats, die der Empfänger versteht. Der EuGH hat jüngst59 bekräftigt, dass das Fehlen einer erforderlichen Übersetzung die Zustellung nicht unwirksam macht. Stattdessen ist eine Heilung dadurch möglich, dass die erforderliche Übersetzung so schnell wie möglich übersandt wird. Eine feste Frist hierfür lässt sich nicht bestimmen, weil der Aufwand je nach Länge und Komplexität des Textes und Seltenheit der Zielsprache sehr unterschiedlich ausfallen kann. Zum Ausgleich der konfligierenden Interessen ist die doppelte Fristbestimmung in Art. 9 Abs. 1, 2 EuZVO sinngemäß heranzuziehen. Für den Absender gilt der Zeitpunkt der ursprünglichen Zustellung, wenn er die Übersetzung schnellstmöglich nachsendet60. Denkbar, aber in der Praxis wohl kaum nachzuweisen, sind
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So aber wohl Wilske/Krapfl, IPRax 2006, 13. Vgl. Geimer in Geimer/Schütze, Art. 5 Rz. 5. Vgl. Art. 5 Abs. 4 HZÜ. Vgl. auch § 31q ZRHO. EuGH Urt. v. 8. 11. 2005 (Leffler/Berlin Chemie AG), NJW 2006, 491 (492) Rz. 38. EuGH (Fn. 59) Rz. 66.
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Fälle des Missbrauchs, wenn der Absender sich über die bekannte Notwendigkeit der Übersetzung zunächst hinwegsetzt; dann sollte ihm im Ergebnis versagt werden, sich auf den früheren Zustellungstermin zu berufen61. Für den Adressaten ist der Zeitpunkt der Zustellung erst mit dem Erhalt der Übersetzung (nicht schon des unübersetzten oder zustellungsrechtlich mangelhaft übersetzten Dokuments) festzulegen, weil nur so gewährleistet ist, dass der Adressat das Dokument auch verstehen und seine Verteidigung entsprechend einrichten konnte62. Probleme kann schließlich auch das in Art. 8 EuZVO festgelegte Annahmeverweigerungsrecht aufwerfen. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EuZVO muss der Empfänger auf das Recht zur Annahmeverweigerung hingewiesen werden. § 1070 ZPO, welcher der Umsetzung der Norm dient, sieht für die Verweigerung eine ihrerseits mit Belehrungspflicht versehene Notfrist von 2 Wochen ab Zustellung vor; die Erklärung wird häufig gegenüber der Empfangsstelle erfolgen, sollte aber auch gegenüber der Übermittlungsstelle möglich sein63. Einzelheiten ergeben sich aus dem Recht des Empfangsmitgliedstaats, ansonsten aus der Auslegung des Art. 8 EuZVO64. Nach Sinn und Zweck der Norm muss gewährleistet sein, dass der Adressat eine bewusste Entscheidung über die Annahme oder ihre Verweigerung treffen kann. Bei Ausführung der Zustellung im Ausland sieht § 1070 ZPO im Anwendungsbereich der EuZVO eine Notfrist von zwei Wochen für die Erklärung der Annahmeverweigerung vor, auf die der Adressat ebenfalls hinzuweisen ist. Unterbleibt die Belehrung über das Recht zur Annahmeverweigerung bzw. die entsprechende Frist oder ist sie nicht nur marginal fehlerhaft, so kann dem Adressaten Wiedereinsetzung gemäß § 233 ZPO gewährt werden65. Das Saarländische OLG66 hat in einem obiter dictum angedeutet, dass angesichts der Regelung des § 1070 ZPO die fehlende Belehrung über das Annahmeverweigerungsrecht als solches nicht stets zur Unwirksamkeit der Zustellung führen muss. Jedoch kann m.E. eine inhaltliche Reaktion des Adressaten ohne Belehrung über ein bestehendes Annahmeverweigerungsrecht nicht immer als „Einlassen“ auf das Verfahren gedeutet werden. Die Frist des § 1070 ZPO allein wahrt das Interesse des Adressaten nicht ausreichend; so darf eine überobligatorische Reaktion z.B. aus (rechtlich unbegründeter) Furcht vor nachteiligen Folgen dem Adressaten nicht zum Nachteil gereichen. Aller61 Vergleichbar die Anm. Rösler/Siepmann, NJW 2006, 475 (477). 62 Vgl. EuGH (Fn. 59) Rz. 66 f. mit insoweit krit., darin aber nicht überzeugender Anm. Rösler/Siepmann, NJW 2006, 475 (477); zu weiteren Schutzmaßnahmen ebenda, Rz. 68 ff.; vgl. auch OLG Düsseldorf, FamRZ 2006, 130 (132) zur mangelnden Heilung bei fehlender Übersetzung. 63 So auch die Handhabung in Bayern gemäß Ergänzung des JMS v. 11. 11. 2003 und v. 21. 9. 2005 (Gz. 9340 – I-5636/2004) in Abschnitt 3.a ff. zu § 1070 ZPO. 64 Vgl. Geimer in Geimer/Schütze, Art. 8 Rz. 6. 65 OLG Düsseldorf, FamRZ 2006, 130 (132). 66 Saarländisches OLG (Fn. 41).
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dings wird mit der notwendigen Belehrung über die Nachfrist regelmäßig auch die Belehrung über das Annahmeverweigerungsrecht als solches verbunden sein. Die Belehrung muss allerdings auch effizient erfolgen. So reicht es nicht aus, wenn sie z.B. nur in mündlicher Form gegenüber einem zur Abholung bevollmächtigten Beschäftigten erteilt wird, welcher die Tragweite nicht ermessen kann67. Zur weitergehenden Heilung vgl. unten 2. Die EuZVO enthält keine Regelung der rechtlichen Folgen einer unrechtmäßigen Annahmeverweigerung. Insoweit ist davon auszugehen, dass nach international üblichen Rechtsgrundsätzen in diesem Falle die Zustellung als wirksam vollzogen gilt68, oder dass sich der Adressat – im Ergebnis identisch – nicht auf die mangelnde Zustellung berufen darf. Auch für den vergleichsweise unaufwendigen unmittelbaren Zustellungsverkehr sieht Art. 14 Abs. 1 EuZVO nicht zwingend eine Übersetzung vor (vgl. auch § 31f ZRHO)69. Im Übrigen sind die Vorschriften über die Beifügung einer Übersetzung bzw. das Annahmeverweigerungsrecht des Adressaten im Falle des Fehlens einer notwendigen Übersetzung sinngemäß anwendbar70. Auch gemäß § 31q Abs. 2, 3 ZRHO soll für die Zustellung in solchen Fällen Art. 8 EuZVO Anwendung finden. Danach kann die Zustellung in jeder Sprache erfolgen; jedoch steht dem Adressaten das in Art. 8 EuZVO festgelegte Annahmeverweigerungsrecht zu. b) Heilung von Verfahrensfehlern Eine Heilung von Fehlern bei der Zustellung ist in bestimmtem Umfang möglich. Explizit wird sie in Art. 18 Abs. 2 EuVuFVO71 geregelt. Werden die in Art. 13, 14 EuVuFVO genannten Voraussetzungen nicht eingehalten, so ist eine Heilung dieser Verfahrensmängel möglich, wenn durch das Verhalten des Schuldners im gerichtlichen Verfahren nachgewiesen ist, dass er das zuzustellende Schriftstück so rechtzeitig persönlich bekommen hat, dass er Vorkehrungen für seine Verteidigung treffen konnte.
67 Vgl. Schütze in Trunk/Knieper/Svetlanov (Hrsg.), FS Boguslawskij, 2004, S. 325 (333 f.). 68 So Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, Vorbemerkungen zur EuZVO; insoweit geht die Kritik von Rösler/Siepmann, NJW 2006, 475 (477) ins Leere. 69 Vgl. OLG Celle, NJW 2004, 2315 (zur Zustellung im Vereinigten Königreich). 70 So die Haltung der Kommission und des überwiegenden Schrifttums in Deutschland; vgl. Lindacher, ZZP 114 (2001), 179 (188); Jastrow, IPRax 2004, 11 (12) mit Fn. 10 und m.w.N.; a.A. Heß, NJW 2002, 2417 (2422 f.); Geimer in Geimer/Schütze, Art. 5 Rz. 6 m.w.N. auch zur a.A. in Fn. 9 sowie Art. 8 Rz. 10, Art. 14 Rz. 4 und 19 f. Vgl. auch OLG Celle, NJW 2004, 2315; OLG Düsseldorf, FamRZ 2006, 130 (132). 71 VO EG Nr. 805/2004 v. 21. 4. 2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen, ABlEU Nr. L 143 v. 30. 4. 2004, S. 15.
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Keine Heilung kann hingegen im Anwendungsbereich von internationalen und bilateralen Übereinkommen eintreten, soweit sie dies bewusst nicht vorsehen; auch § 189 ZPO wird insoweit verdrängt72. In dieser Weise ist nach herrschender Meinung Art. 15 Abs. 1 HZÜ auszulegen; die Norm soll nur eine vertragsgerechte Fortführung des Verfahrens im Urteilsstaat ohne Zustellungsnachweis ermöglichen, aber keine Heilung73. Hingegen kann die Übergabe des Schriftstücks an den annahmebereiten Adressaten – nicht an bloße Ersatzzustellungsempfänger – gemäß Art. 5 Abs. 2 HZÜ74 oder Artt. 2, 3 Abs. 2 HZPÜ die Heilung bewirken. Auch im Anwendungsbereich des deutsch-tunesischen Vertrags vom 19. 7. 1966 soll keine Heilung möglich sein; Art. 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 soll nur eine Norm zum Schutz des Beklagten darstellen, aber keine Heilung begründen können75. Einigkeit besteht hingegen darüber, dass eine Heilung durch rügeloses Einlassen i.S.v. § 295 ZPO76 oder auf Grundlage entsprechender Europäischer Normen77 oder Regelungen in internationalen oder bilateralen Übereinkommen oder im Hinblick auf ein späteres inländisches Anerkennungsverfahren durch anderweitige Erklärung des Einverständnisses mit der Entscheidung78 eintreten kann. Uneinigkeit besteht darüber, ob im Übrigen die Heilungsvorschrift des § 189 ZPO zur Anwendung kommen kann, wenn das Schriftstück beim Zustellungsadressaten ohne Einhaltung der vorgesehenen Formen zugegangen ist. Die Lösung hängt maßgeblich davon ab, ob und mit welchem Gewicht die Zustellung als Eingriff in die fremde Souveränität qualifiziert wird. Die Rechtsprechung lehnte bislang weitgehend eine Heilung ab79, während die 72 Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl. 2002, Rz. 619; krit. Linke, Internationales Zivilprozessrecht, 4. Aufl. 2006, Rz. 238. 73 BGHZ 120, 305 (311 ff.) = NJW 1993, 598 (600); BGHZ 141, 286 (303 f.) = NJW 1999, 3198 (3202 ff.); OLG Köln, RIW 1995, 683; OLG Hamm, RIW 1996, 156 f.; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, Rz. 619 und JZ 1993, 621 (622); Wenzel in MünchKomm ZPO, 2. Aufl. 2000, § 183 Rz. 2; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2005, § 199 Rz. 24; ders. in FS Gerhardt, 2004, S. 799, 805 f.; differenzierend Kondring, RIW 1996, 722 (725 f.); a.A. Gottwald in MünchKomm ZPO, § 328 Rz. 78; Linke in Schiemann/Gottwald (Hrsg.), Grundfragen der Gerichtsverfassung, 1999, S. 95 (121). 74 BGHZ 141, 286 (303); vgl. auch BGH, NJW 1991, 641 f. 75 Justizministerium Baden-Württemberg, FamRZ 2001, 1015 (1017) m. Anm. Gottwald, a.a.O. 76 BGHZ 98, 263 (269 f.); BGH, IPRspr. 1978 Nr. 152; Wenzel in MünchKomm ZPO, § 183 Rz. 2; Schmidt, IPRax 2004, 13 (20); Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, Rz. 618. 77 Vgl. etwa zu Art. 27 Nr. 2, Art. 34 Abs. 2 EuGVÜ OLG Köln, IPRax 1991, 114 m. Anm. Linke, a.a.O., 92 ff. 78 BGH, NJW 1990, 3090 (3091) zu § 328 Abs. 1 Nr. 2 ZPO. 79 BGHZ 58, 177 (179 f.); BGHZ 98, 263 (269 f.) obiter; BGHZ 120, 305 (311 ff.) = NJW 1993, 598 m.w.N.; BGHZ 141, 286 (303 f.) (fehlende Übersetzung); KG, FamRZ 1988, 641 (643); vgl. auch BGH, NJW 1989, 1154 (1155) m.w.N.; offengelassen in BGH, NJW 1990, 3090 (3091); a.A. (Zulassung der Heilung) BayObLGZ 1974, 471
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ganz herrschende Meinung in der Literatur sie zulässt80. Mit der Reform zum 1. 7. 2002 wurde die Heilungsregelung des § 189 ZPO n.F. gegenüber der Vorläuferregelung in § 187 ZPO a.F. erweitert. Insoweit bleibt abzuwarten, ob die höchstrichterliche und obergerichtliche Rechtsprechung, die zum engeren § 187 ZPO a.F. ergangen ist, schon wegen der Gesetzesänderung die Weiterungen des § 189 n.F. auch auf die grenzüberschreitende Zustellung übertragen wird. Meines Erachtens ist dies angezeigt. Zwar berührt die Zustellung entgegen manchen Stimmen in der Literatur die Souveränität der Empfangsstaaten in jedem Falle81. Den Souveränitätsinteressen kommt aber jedenfalls dann ein vergleichsweise geringeres Gewicht zu, wenn die Zustellung nicht unter bewusster Missachtung der fremden Souveränität betrieben wird. Umgekehrt sollten die legitimen Beteiligteninteressen im Zivilverfahren im Vordergrund stehen82. Auf welchem Weg das erforderliche rechtliche Gehör (des Adressaten) realisiert wird, ist demnach regelmäßig nachrangig83. In solchen Fällen muss daher auch die Heilung nach § 189 möglich sein. Die Heilung setzt m.E. bei der grenzüberschreitenden Zustellung allerdings neben den sonstigen Erfordernissen des § 189 auch voraus, dass der Adressat vom Inhalt des Schriftstücks aufgrund seiner Sprachkompetenz Kenntnis nehmen konnte (nicht notwendig: Kenntnis genommen hat; vgl. hierzu oben 1.a). c) Zum Justizkonflikt mit den USA Unstimmigkeiten im Zustellungsverkehr zwischen den USA und Deutschland haben Tradition; der Jubilar hat auch hierzu schon vor geraumer Zeit
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(477); BayObLGZ 1978, 132 (133); OLG Hamm, FamRZ 1988, 1292 (1293); FamRZ 2000, 898. Geimer in Zöller, § 183 Rz. 29; Wenzel in MünchKomm ZPO, § 183 Rz. 1; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, Rz. 618; Linke, Internationales Zivilprozessrecht, Rz. 238; Kondring, Die Heilung von Zustellungsfehlern, S. 184 ff. (204 f.); Roth in Stein/Jonas, § 187 Rz. 32 f.; ders. in FS Gerhardt, S. 799 ff.; G. Geimer, Internationales Zustellungsrecht, S. 285 f.; a.A. Stürner in FS Nagel, 1987, S. 446 (453 f.). Vgl. BVerfGE 91, 335 = NJW 1995, 649; BVerfGE 108, 239 (249) = NJW 2003, 2598 (2599); BGHZ 58, 177 (179); Siegrist, Hoheitsakte auf fremdem Staatsgebiet, 1987, 168 ff.; G. Geimer, Internationales Zustellungsrecht, S. 23, 129 f.; Geimer, IZPR Rz. 2075, modifizierend Rz. 2083; Schmidt, IPRax 2004, 13 m.w.N.; allgemeiner ausführlich Bischof, Die Zustellung im internationalen Rechtsverkehr in Ziviloder Handelssachen, 1997, S. 172 ff. m. zahlr. N. auch zur a.A.; krit. Linke, Internationales Zivilprozessrecht, Rz. 219 ff.; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, Rz. 589 ff.; Schlosser in FS Matscher, 1993, S. 387, 389. Vgl. Geimer in Zöller, § 183 Rz. 139 zu Sanktionen völkerrechtswidriger Zustellungen: „generell (sind) jede Prinzipienreiterei und jeder Justamentstandpunkt schädlich (...)“. Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, Rz. 618.
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Stellung genommen84. Rechtliches Spielfeld ist insoweit der Vorbehalt des einschlägigen Art. 13 HZÜ. Hierüber ist in Deutschland in den vergangenen Jahren insbesondere im Hinblick auf drei Institute ausländischer Rechtsordnungen gestritten worden: Einmal über die (verweigerte) Zustellung von Klagen auf punitive damages oder in Gestalt von Sammelklagen (class actions) mit exorbitanten Klagesummen85, zum anderen über die (verweigerte) Zustellung von sog. antisuit injunctions86. Der Vorbehalt des Art. 13 HZÜ ist grundsätzlich eng auszulegen (enger als der deutsche ordre public)87 und nur auf besonders gravierende Fälle anzuwenden88. Sinn und Zweck des HZÜ wie aller einschlägigen Übereinkommen ist die Vereinfachung und Beschleunigung der Zustellung. Dies dient letztlich auch der rechtzeitigen Kenntnisnahme durch den Adressaten. Deshalb darf grundsätzlich die innerstaatliche Rechtsordnung nicht zum Prüfungsmaßstab für die Zustellung gemacht werden89. Klagen in im Inland unbekannten Verfahrensarten müssen also grundsätzlich zugestellt werden90. Auch sind die Folgen des möglichen Entscheidungsergebnisses nicht zu berücksichtigen; diese Kontrolle ist ggf. dem Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren vorbehalten91. Mit Schlosser92 ist zu empfehlen, einen Hinweis darauf beizufügen, dass die Zustellung keine Verpflichtung des Adressaten auslöst, dem Inhalt des zugestellten Schriftstücks Folge zu leisten. Die Grenzen werden in Art. 13 HZÜ genannt: Ein Zustellungsersuchen 84 Vollkommer, Disharmonien und Spannungen im Rechtshilfeverkehr zwischen den USA und Deutschland (Zustellungen und Ladungen), ZZP 80 (1967), 248–263. 85 Vgl. zu diesem Rechtsinstitut und seinen problematischen Aspekten Merkt, Abwehr der Zustellung von „punitive damages“-Klagen, 1995; Heidenberger, RIW 1995, 705 ff.; Ady, Ersatzansprüche wegen immaterieller Einbußen, 2004, u.a. S. 42 ff., 133 ff., 150 ff., 160 ff., 169 f.; Rohe, Gründe und Grenzen deliktischer Haftung – die Ordnungsaufgaben des Deliktsrechts (einschließlich der Haftung ohne Verschulden) in rechtsvergleichender Betrachtung, AcP 201 (2001), 118 (131, bei Fn. 69); vgl. auch Schütze, Deutsches Internationales Zivilprozessrecht, Rz. 211 sowie Rz. 212 zu ordre public-widrigen anonymen Sammelklagen. 86 Die Zustellung solcher Prozessführungsverbote wird nach h.M. abgelehnt, vgl. OLG Düsseldorf, EuZW 1996, 351; Mansel, EuZW 1996, 351; Hau, IPRax 1997, 245 ff.; a.A. Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, Art. 13 HZÜ Rz. 2; G. Geimer, Internationales Zustellungsrecht, S. 78 ff. 87 Vgl. BVerfGE 91, 335 f. = NJW 1995, 649 ff.; OLG Frankfurt, OLGZ 1992, 89 (92) = RIW 1991, 417; OLG Düsseldorf, NJW 1992, 3110 (3111); WM 2003, 1587 (1588) m.w.N.; Rothe, RIW 2003, 859 (860 f.) m.w.N. zu den widerstreitenden Ansichten. 88 Vgl. BVerfGE 108, 238 ff. = NJW 2003, 2598 ff. = WM 2003, 1583; OLG Frankfurt, NJW-RR 2002, 357 f.; OLG Düsseldorf, WM 2003, 1587 (1588); Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, Art. 13 HZÜ Rz. 3. 89 Vgl. BVerfGE 108, 238 ff. = NJW 2003, 2598 = WM 2003, 1583. 90 BVerfGE 91, 335 ff. = NJW 1995, 649; BVerfGE 108, 238 (248) = NJW 2003, 2598 (2599); G. Geimer, Internationales Zustellungsrecht, Rz. 77. 91 Vgl. nur Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, Art. 13 HZÜ Rz. 5 m.w.N. 92 Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, Art. 13 HZÜ Rz. 6.
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kann abgelehnt werden, wenn der ersuchte Staat die Erledigung für geeignet hält, seine Hoheitsrechte93 oder seine Sicherheit zu gefährden (Art. 13 Abs. 1 HZÜ). Darin dürfte insgesamt eine stark eingeschränkte Form des ordre public international zu sehen sein94. Heftige Diskussionen hat die neuere einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts95 ausgelöst. Danach ist die Grenze des Art. 13 HZÜ dann erreicht, wenn ausländische Klageforderungen zumindest der Höhe nach offenkundig keine substantielle Grundlage haben und nur dazu dienen, durch öffentliche Gerichtsverfahren offensichtlich missbräuchlich Druck auf einen Marktteilnehmer auszuüben, um ihn gefügig zu machen96. Eine inhaltliche Parallelregelung findet das Gericht in Art. 40 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB97. Demnach können punitive damages bzw. entsprechenden class actions grundsätzlich Funktionen zukommen, welche eine rechtliche Durchsetzung auch in Deutschland erlauben98. Auch darf im Zustellungsverfahren grundsätzlich keine Schlüssigkeitsprüfung durchgeführt werden99. Insgesamt müssen die Gründe für eine Verzögerung/Ablehnung der Rechtshilfe durch den ersuchten Staat von erheblichem Gewicht sein100. So liegt es aber in den soeben genannten Fällen offensichtlich unbegründeter exorbitanter Forderungen mit unmittelbarem oder mittelbarem wirtschaftlichem Druckcharakter. Da es sich bei der Zustellung um einen Hoheitsakt handelt, kann sie selbst schon in solchen Fällen der grundsätzlich bestehenden Verpflichtung und Erlaubnis zur Rechtshilfe im Inland entgegenstehen101. Der Adressat kann sich zwar möglicherweise auch noch später im allfälligen Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren zur Wehr setzen. Dies schützt ihn jedoch nicht hinreichend vor einer Auslandsvollstreckung (vor allem im Gerichtsstaat) und vor dem möglichen Reputationsverlust102.
93 Krit. zur Formulierung des Tatbestandsmerkmals Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, Art. 13 HZÜ Rz. 2. 94 Überzeugend Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, Art. 13 HZÜ Rz. 3; vgl. auch Kronke, EuZW 1995, 221; Mansel, EuZW 1996, 335 (336). 95 BVerfGE 108, 238 (248) = NJW 2003, 2598 (2599), aufgehoben nach Rücknahme der Verfassungsbeschwerde und des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss v. 9. 11. 2005 (2 BvR 1198/03); anders noch die Vorinstanz OLG Düsseldorf, WM 2003, 1587 und frühere Entscheidungen wie OLG München, NJW 1989, 3102 m. insoweit skeptischer Anm. Greger, a.a.O., 3103; OLG München, WM 1992, 1465; differenziert schon OLG Frankfurt, OLGZ 1992, 89 (92) obiter. 96 BVerfGE 108, 238 (248) = NJW 2003, 2598 (2599). 97 Krit. hierzu Oberhammer, IPRax 2004, 40 (42). 98 Vgl. nur BVerfG, NJW 2004, 3552 (3553); BGHZ 118, 312 = NJW 1992, 3096 (zur Anerkennung nach § 328 ZPO) und BVerfGE 91, 335 (343) = NJW 1995, 649 (650). 99 Insoweit zutreffend OLG Düsseldorf, WM 2003, 1587 (1589). 100 BVerfG, NJW 2004, 3552 (3553). 101 BVerfGE 108, 238 (248) = NJW 2003, 2598 (2599). 102 Vgl. BVerfGE 108, 238 (249) = NJW 2003, 2598 (2599 f.).
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Dem ist entgegen der z.T. geäußerten Kritik103 bei der gebotenen engen Handhabung zuzustimmen104. Ergänzend ist zu bemerken, dass derartige missbräuchliche Klagen aus dem anglo-amerikanischen Rechtskreis wegen der u.U. äußerst aufwendigen Obliegenheiten in der Beweisführung einen zusätzlichen massiven Kostendruck verursachen können105, gegen den spätere Abhilfe nicht ausreicht. Gewiss kann auch durch inländische Verfahren Druck ausgeübt werden106; in den hier erörterten Fällen ist jedoch die offensichtliche Unbegründetheit in Verbindung mit dem besonders hohen Druckpotential das Anstößige. Zudem sind nach Kenntnis des Verfassers in den USA, nicht jedoch in reinen deutschen Inlandsfällen einschlägige Missbrauchslagen tatsächlich bekannt geworden, auch wenn keine Verfahrensordnung derartigen Missbrauch sicher ausschließen kann107. Auch kann der Umstand, dass der Adressat möglicherweise auch ohne Zustellung nach dem HZÜ mit Hilfe anderer im Gerichtsstaat möglichen Zustellungsformen in Anspruch genommen werden kann, kein Grund dafür sein, eine derartige Zustellung im Inland vorzunehmen. Das gilt nicht zuletzt im Hinblick auf nicht wenige Unternehmen, die wegen der unerträglichen Haftungsrisiken den US-Markt bewusst meiden und dies z.B. durch vertragliche Weiterveräußerungsverbote auf diesen Markt abzusichern suchen108. Demnach greift Art. 13 HZÜ auch dann ein, wenn derartige Klagen eine Dimension erreichen, welche die wirtschaftliche Existenz des Adressaten bedrohen109. Andererseits wird man nicht so weit gehen können, Urteile von US-Gerichten, deren Richter gewählt werden, wegen konzeptioneller Befangenheit schon nicht zuzustellen (bzw. deren Anerkennung und Vollstreckung zu verweigern)110. In ähnlicher Weise könnte man auch die Unabhängigkeit von Richtern anzweifeln, die eine Beförderung erhoffen. Zudem dürfte man, 103 Vgl. Zekoll, NJW 2003, 2885 ff.; Oberhammer, IPRax 2004, 40 (45) (nicht gänzlich ablehnend); Heß, JZ 2003, 926 (923) (vorwiegend aus rechtspolitischen Erwägungen); Geimer in Zöller, § 183 Rz. 116 ff. und schon Juenger/Reimann, NJW 1994, 3274 f.; Morisse, RIW 1995, 370 ff.; Stadler, JZ 1995, 718 ff. (zu BVerfGE 91, 335 ff. = NJW 1995, 649 = JZ 1995, 716); zuletzt Stürner, JZ 2006, 60 ff. 104 Wie hier auch Braun, ZIP 2003, 2225 (2229 ff.) und schon Greger, in Waldner/ Künzl (Hrsg.), Erlanger FS Schwab, 1990, S. 331 (336 ff.); in der Tendenz auch Rothe, RIW 2003, 859 (864); Mankowski, RIW 2004, 587 (595). 105 Vgl. nur Heß, JZ 2003, 923 (924). 106 Darauf verweist OLG Düsseldorf, WM 2003, 1587 (1589). 107 Deshalb kann auch Stürners (JZ 2006, 60 [63 ff.]) Kritik letztlich nicht überzeugen. 108 Hier greift das Argument der „Notwendigkeit zur Kampfbereitschaft“ (so Stürner, JZ 2006, 60 [66 f.]) bei Nutzung der Marktchancen in den USA erkennbar nicht. Aber auch bei Marktteilnehmern vor Ort möge der Kläger ggf. die örtliche Dependance in Anspruch nehmen, die sich dann in der Tat wird einlassen müssen. 109 Angedeutet in BVerfG, NJW 2004, 3552 (3553) = WM 2004, 1402 (im konkreten Fall verneint). 110 So aber Schütze in FS Boguslawskij, S. 332 f.
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wenn schon Urteile demokratisch gewählter Richter nicht anerkennungsfähig wären, erst recht Urteile solcher Gerichte nicht anerkennen, deren Unabhängigkeit innerhalb diktatorischer Systeme institutionell gefährdet ist. Dann aber käme der grenzüberschreitende Rechtsverkehr in erheblichem Umfang zum Erliegen.
V. Schluss Die Reformen der vergangenen Jahre haben das Zustellungsrecht in weitreichendem Umfang an die Erfordernisse einer effizienten und kostengünstigen Rechtsdurchsetzung angepasst, ohne die im Kern unveränderten Interessen der verschiedenen Beteiligten zu beeinträchtigen. Im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr bleiben freilich noch manche Unklarheiten; auch ist die Zustellung in vielen Fällen immer noch schwerfälliger, als es im Interesse der Beteiligten wünschenswert wäre. Hier ist der Normgeber, im Hinblick auf eine praktikable Fallgruppenbildung etwa zur Frage notwendiger Übersetzungen auch die Rechtsprechung, herausgefordert. Insoweit ist der Praxis zu empfehlen, vergleichsweise unaufwendige Übersetzungen im Zweifel eher beizufügen, bei drohendem Fristablauf und nicht geringem Übersetzungsaufwand hingegen möglichst die Zustellung nötigenfalls ohne Übersetzung in Gang zu bringen. Sinnvoll erscheint es, die konkreten Verhältnisse im Hinblick auf die Sprachenbeherrschung möglichst frühzeitig zu eruieren und zu dokumentieren. Auch in Fällen des Justizkonflikts sollte die Erleichterung des grenzüberschreitenden Rechtsverkehrs nicht vorschnell insularen Standpunkten geopfert werden. Andererseits gilt es, in Fällen nahe liegenden Missbrauchs nicht vor vermeintlichen Erfordernissen der Globalisierung zu kapitulieren. Festigkeit in rechtsstaatlichen Grundsätzen ist in vielerlei Hinsicht mehr gefordert denn je, gerade auch im Hinblick auf über die Maßen selbst- und machtbewusste Partner. Bei der inländischen Zustellung ist der erkennbare Vereinfachungszweck der letzten Novellen gebührend zu würdigen. Die Gelegenheit, alte Zöpfe abzuschneiden, ist besonders günstig. Wird sie ergriffen, so ist dies nicht zuletzt dem Jubilar zu verdanken, auf dessen langjährige Vorarbeiten sich vortrefflich bauen lässt.
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Fallstricke und Barrieren im neuen Berufungsverfahren Inhaltsübersicht I. Wer ist Berufungsinstanz oder die Gefahren des § 119 Abs. 1 Nr. 1 lit. b, c GVG? 1. Allgemeiner Gerichtsstand im Ausland 2. Anwendung ausländischen Rechts in der 1. Instanz II. Was muss die Berufungsschrift enthalten? 1. Formalia oder der Kampf um den eigenhändig unterschriebenen Schriftsatz 2. Inhaltliche Anforderungen an die Berufungsbegründung nach § 520 ZPO
III. Der Zurückweisungsbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO – Hürde vor der mündlichen Berufungsverhandlung 1. Wirkungsvoller Rechtsschutz 2. Klageerweiterung, Widerklage, Einreden und unstreitiger Sachvortrag im Verfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO IV. Die Tatsachengrundlage nach § 529 ZPO – hohe Barriere oder niedrige Schwelle?
Das deutsche Zivilprozessrecht ist erfolgreich und dennoch stete Quelle politischer Reformdiskussionen. Vor allem die Ordnung der Instanzenzüge ist immer wieder Gegenstand rechtspolitischer Überlegungen. Im Kern geht es stets um die Funktion der ersten Instanz, der Berufungsinstanz und der Revision. Tatsachenerfassung und Rechtsanwendung sind die Kernelemente des Zivilprozesses1. Können sie differenziert werden und kann der Focus der einzelnen Instanzen sich auf einen Teil konzentrieren? Werden Ressourcen unnötig verschwendet, die besser einzusetzen wären? Hängt davon der Zugang zur nächsthöheren Instanz ab? Wie sollte er geordnet werden? Diese Fragen sind im Ergebnis nicht rein rechtspolitischer Natur, sie wirken sich auf die praktische Arbeit von Gerichten und Anwaltschaft im alltäglichen Prozessgeschehen aus, weil mit Neuregelungen meist neue Hürden vor dem Zugang zu den höheren Instanzen aufgebaut und Fallstricke ausgelegt werden. Am 1. Januar 2002 ist das Zivilprozess-Reformgesetz in Kraft getreten. Das gesamte Dritte Buch der Zivilprozessordnung ist bei dieser Reform einer umfassenden Umgestaltung unterworfen worden. Berufung, Revision und Beschwerde haben eine neue Gestalt angenommen. Dennoch wird heute wieder um den Zugang und die Kontrolldichte der Rechtsmittelinstanzen 1 Heßler, Die Berufungsinstanz nach dem Zivilprozessreformgesetz von 2002 – Tatsachen- oder Rechtskontrollinstanz?, NJW-Sonderheft BayObLG, 2005, 47.
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gestritten, ohne dass die Reform von 2002 in der prozessualen Praxis bereits in allen ihren Auswirkungen abschließend ausgelotet wäre2. Besonders auf die Berufungsinstanz fällt wieder der Blick der Reformer: Soll der Zugang zur Berufungsinstanz durch Zulassung erschwert werden oder kann die Tatsachenerfassung vollständig in die erste Instanz verbannt werden? Ja, kann die gesamte, der Ziviljustiz gestellte Aufgabe gar in nur zwei Instanzen geleistet werden? Vielleicht täte es auch weiteren Reformüberlegungen gut, sich zunächst die Fallstricke und Barrieren des Berufungsverfahrens nach der Reform von 2002 vor Augen zu führen3. Nur eine Bewertung der täglichen Praxis in einer Gesamtschau des Systems könnte den Weg zu neuen Überlegungen ebnen. Gleichzeitig soll hier im Interesse der Praktikabilität der anwaltlichen und richterlichen Entscheidungsvorbereitung und -findung eine Analyse der Zivilprozessreform 2002 an ausgewählten Verfahrensschritten für die tägliche Arbeit versucht werden.
I. Wer ist Berufungsinstanz oder die Gefahren des § 119 Abs. 1 Nr. 1 lit. b, c GVG? Wer über Berufungen und Beschwerden gegen erstinstanzliche Zivilurteile zu entscheiden hat, ist durch das Zivilprozess-Reformgesetz im Wesentlichen unangetastet geblieben: Über die Berufungen gegen amtsgerichtliche Urteile entscheiden die Landgerichte. War das Landgericht Eingangsinstanz, sind die Oberlandesgerichte nächste Instanz. Neu ist, dass es gegen alle Berufungsurteile die (Zulassungs-)Revision zum Bundesgerichtshof gibt. Weitergehende Planungen zur Umgestaltung des Instanzenzuges wurden im Laufe der Reformdiskussion aufgegeben, so vor allem die alleinige Zuständigkeit der Oberlandesgerichte für alle zivilrechtlichen Berufungen und Beschwerden4. Von dieser Idee eines ersten Schrittes hin zu einem dreigliedrigen Gerichtsaufbau, die im familiengerichtlichen Verfahren nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 lit. a GVG schon lange verwirklicht ist, sind nur Reste übrig geblieben: Neben der Experimentierklausel des § 119 Abs. 3 bis 6 GVG, die keine praktische Umsetzung in den Ländern gefunden hat, wurde nur eine beschränkte Zuständigkeit des Oberlandesgerichts bei Berufungen und Beschwerden gegen amtsgerichtliche Urteile in Angelegenheiten mit Auslandsbezug Wirklichkeit.
2 Zum ZPO-ReformG s. Gottwald, Verh. des 65. DJT, Bd. I (Gutachten), A 107; Greger, Die ZPO-Reform – 1000 Tage danach, JZ 2004, 805. 3 Zu rechtstatsächlichen Erkenntnissen Netzer, DRiZ 2005, 173. 4 So noch der Regierungsentwurf BT-Drs. 14/4722; vgl. dazu Brand/Karpenstein, Die Berufungszuständigkeit der Oberlandesgerichte für Rechtsstreitigkeiten mit Auslandsberührung, NJW 2005, 1319.
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1. Allgemeiner Gerichtsstand im Ausland Nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 lit. b GVG gehören alle Berufungen und Beschwerden bei Streitigkeiten über Ansprüche, die von einer oder gegen eine Partei erhoben werden, die ihren allgemeinen Gerichtsstand im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit in erster Instanz außerhalb Deutschlands hat, vor die Oberlandesgerichte. Angesichts des zunehmenden internationalen Rechtsverkehrs bestehe ein Bedürfnis nach Rechtssicherheit, welches die obergerichtliche Rechtsprechung gewährleiste5. Dass zwischen allgemeinem Gerichtsstand im Ausland und der Anwendbarkeit ausländischen Rechts wegen der unterschiedlichen Anknüpfungen im Zivilprozessrecht und im IPR gar keine Konnexität besteht, wurde dabei wohl nicht beachtet6. Der Gesetzgeber hat hier aber im Ergebnis eine Falle aufgestellt, die angesichts durchaus streitiger Auslegung der neuen Vorschriften, sorgsam zu umgehen ist. Die Rechtsprechung zur Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungseinlegungsfrist ist eindeutig und gnadenlos: Wer beim Landgericht statt beim nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 lit. b GVG zuständigen Oberlandesgericht Berufung eingelegt hat, braucht nicht mit Wiedereinsetzung zu rechnen7. Auch ansonsten kann der Rechtsmittelführer nicht davon ausgehen, dass ein etwaiger Fehler gerichtsintern korrigiert wird. Das Gebot eines fairen Verfahrens erfordert es nicht, dass das angegangene Landgericht unmittelbar nach Eingang der Berufungsschrift seine Zuständigkeit prüft, um diesbezügliche Fehler zu heilen8. Eine Verweisung des Rechtsstreits nach Ablauf der Berufungseinlegungsfrist analog § 281 ZPO oder § 17a Abs. 2 GVG kommt nicht in Betracht9. Zuständigkeitsregeln sollen möglichst klar sein. Nach Ansicht des Gesetzgebers bietet das Kriterium des allgemeinen Gerichtsstandes eine solche hinreichende Bestimmtheit und Rechtsklarheit10. Die Fülle der aufgeworfenen Fragen lässt hieran zweifeln. Zunächst ist zu klären, ob die Frage der Begründung eines allgemeinen Gerichtsstands im Ausland nur nach inländischen Regeln zu beurteilen ist. Mit Hinweis auf die formale Abgrenzung von Zuständigkeiten wird dies bejaht11. Ob bei Eingreifen der EuGVVO die Frage 5 So auch Witschier in Musielak, 4. Aufl. 2005, § 119 GVG Rz. 19. 6 von Hein, Die funktionelle Zuständigkeit der Oberlandesgerichte in Auslandssachen (§ 119 Abs. 1 Nr. 1 lit. b GVG) in der praktischen Bewährung, IPRax 2004, 90. 7 BGH, NJW 2003, 1672; OLG Hamm, NJW 2005, 3649; OLG Köln, NJW-RR 2003, 283. 8 BGH, NJW 2005, 3776; OLG Frankfurt a. Main, NJW 2005, 2719: Eine Weiterleitung kann nur von einem Gericht erwartet werden, bei dem der Rechtsstreit ursprünglich anhängig war. 9 BGHZ 155, 46 = MDR, 2003, 1194; Gummer in Zöller, 25. Aufl. 2005, § 119 GVG Rz. 13. 10 BT-Drs. 14/6036, S. 118 f. 11 Unter Berufung auf BGH, NJW 2003, 1672 Gummer in Zöller, § 119 GVG Rz. 14; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 5. Aufl. 2005, Rz. 2627; Albers in
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des allgemeinen Gerichtsstandes nach deren Regeln zu bestimmen ist, ist umstritten12. Eine teleologische Reduktion auf die Fälle, in denen ausländisches Recht zur Anwendung kommt, hat der BGH im Interesse der Rechtssicherheit zutreffend verneint13. Bei mehreren Gerichtsständen reicht zur Begründung der Zuständigkeit des OLG einer im Ausland14, bei Streitgenossenschaft der ausländische Gerichtsstand eines der Streitgenossen15, wobei es aber darauf ankommt, wer Partei des Berufungsverfahrens ist16. Der allgemeine ausländische Gerichtsstand muss „im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit“ gegeben gewesen sein; auch die Frage der Rechtshängigkeit sei nach inländischen Kriterien zu bestimmen, woran man bei Anwendbarkeit des EuGVVO zweifeln kann17. Angesichts der Vielzahl der ungelösten Fragen hilft bisweilen nur doppelte Einlegung der Berufung18. Das Meistbegünstigungsprinzip rettet nur, wenn die Unsicherheit bei der Einlegung vom Ausgangsgericht verursacht war, der Berufungsführer auf Grund einer gerichtlichen Entscheidung auf die Zuständigkeit des angegangenen Gerichts vertrauen durfte19. 2. Anwendung ausländischen Rechts in der 1. Instanz Kaum weniger problematisch erweist sich die Berufungszuständigkeit des OLG, die aus § 119 Abs. 1 Nr. 1 lit. c GVG abzuleiten ist20. Einigkeit
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Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, 64. Aufl. 2006, § 119 GVG Rz. 9; nach BGH NZM 2005, 147 kommt es bei einer Gesellschaft ausländischen Rechts darauf an, wo die Verwaltung tatsächlich ausgeführt wird. So Hüßtege in Thomas/Putzo, 27. Aufl. 2005, § 119 GVG Rz. 8; von Hein, Die Berufungszuständigkeit der Oberlandesgerichte bei amtsgerichtlichen Entscheidungen mit Auslandsberührung (§ 119 I Nr. 1 lit. b, c GVG), ZZP 116 (2003), 335; Manfred Wolf in MünchKomm-ZPO, Aktualisierungsband, 2002, § 119 GVG Rz. 5; a.A. Gummer in Zöller, § 119 GVG Rz. 14; offen gelassen OLG Karlsruhe, IPRax 2004, 433. BGH, IPRax 2004, 113. OLG Karlsruhe (Fn. 12); von Hein, Anwendungsprobleme bei der Wohnsitzbestimmung im Rahmen des § 119 Abs. 1 Nr. 1 lit. b GVG, IPRax 2004, 418. BGH (Fn. 8). Hüßtege in Thomas/Putzo, § 119 GVG Rz. 8; Hedemann, Unklarheiten in § 119 I Nr. 1b GVG n.F., NJW 2002, 494. BGH (Fn. 7) mit Verweis auf §§ 253 Abs. 1, 261 Abs. 1, 2 ZPO; zweifelnd Brand/ Karpenstein, Berufungszuständigkeit (Fn. 4), 1320 mit Blick auf Art. 2 EuGVVO, was die Frage nach der Maßgeblichkeit von Anhängigkeit und Rechtshängigkeit aufwirft; folgerichtig verbleibt es bei einer Verlegung des allgemeinen Gerichtsstands ins Ausland nach Rechtshängigkeit bei der Berufungszuständigkeit des LG, so LG Berlin, NJW 2005, 3223. OLG Köln, NJW-RR 2003, 864; von Hein, Die funktionelle Zuständigkeit (Fn. 6), 96. Gummer/Heßler in Zöller, vor § 511 Rz. 30. Gummer in Zöller, § 119 GVG Rz. 16: Beide Tatbestandsmerkmale „Anwendung“ und „ausdrückliche Feststellung“ sind unscharf formuliert.
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herrscht – den Materialien folgend – in der Forderung nach restriktiver Auslegung der Vorschrift im Interesse der Rechtssicherheit. Bei den Details gehen die Meinungen auseinander. Ausländisches Recht ist nicht: Völkerrecht, primäres oder sekundäres Gemeinschaftsrecht, von Deutschland ratifiziertes Vertragsrecht, wohl aber nur im Ausland geltende Bestimmungen aus völkerrechtlichen Verträgen. Ob auch die Anwendung ausländischen IPRs, das zur Rückverweisung auf deutsches Recht führt, reicht, ist umstritten, wohl aber zu bejahen, weil auch IPR nationales Recht ist21. Die Fallgruppen lassen sich zwanglos weiterführen: Genügt die gesonderte Anknüpfung einer Vorfrage, während ansonsten deutsches Sachstatut regiert? Blickt man zusätzlich auf die Streitfragen, wann das Amtsgericht ausdrücklich ausländisches Recht angewandt hat, kann man dem Rechtsanwender nur zu außerordentlicher Sorgfalt raten. Die Amtsgerichte sollten die Anwendung des ausländischen Rechts in den Urteilsgründen klar ausführen, im Zweifel mag der Meistbegünstigungsgrundsatz helfen. Der herben Kritik an den Vorschriften kann man sich im Ergebnis nicht verschließen22, zumal die Geschäftsverteilung bei den Oberlandesgerichten häufig dazu führt, dass nicht die sachnächsten Senate zur Entscheidung berufen sind, so dass der Regelungssinn ohnehin in Frage zu stellen ist.
II. Was muss die Berufungsschrift enthalten? Ist das zuständige Berufungsgericht ermittelt, stellt sich die Frage, ob an Berufungsschrift und Berufungsbegründung nach der Reform erhöhte Anforderungen in Form und Inhalt zu stellen sind. 1. Formalia oder der Kampf um den eigenhändig unterschriebenen Schriftsatz Skurrile Züge nimmt gelegentlich die Rechtsprechung zur eigenhändigen Unterschrift der Rechtsmittelschrift und Rechtsmittelbegründungsschrift durch den anwaltlichen Vertreter des Rechtsmittelführers an23. Während die Rechtsprechung der Instanzgerichte in einem bisweilen als zäh zu empfindenden Prozess mühsam jede technische Neuerung nachvollzieht, mahnen die Verfassungsgerichte immer wieder einen auch technisch einfachen Zugang zu den Gerichten an24. Der Gesetzgeber versucht, mit der digitalen
21 Für die Zuständigkeit des OLG Brand/Karpenstein, Berufungszuständigkeit (Fn. 4), 1320; Gummer in Zöller, § 119 GVG, Rz. 16; eher zweifelnd Hüßtege in Thomas/ Putzo, § 119 GVG Rz. 15. 22 Brand/Karpenstein, Berufungszuständigkeit (Fn. 4), 1321, plädieren für Abschaffung. 23 Vgl. Gummer/Heßler in Zöller, § 519 Rz. 22 ff. 24 BVerfGE 69, 385; BVerfG, NJW 1987, 2067; 2002, 3534.
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Textverarbeitung und -übermittlung Schritt zu halten25. Übrig geblieben war zunächst die Frage der Einlegung oder Begründung des Rechtsmittels mit Hilfe des Computerfaxes, das im Rechner des Anwalts erstellt und sodann von dort auf das Faxgerät des Gerichts übermittelt wird. Hatte man sich seit der Entscheidung des Gemeinsamen Senats der Obersten Bundesgerichte schon sicher gefühlt, die eine gescannte Unterschrift oder die Ersetzung durch den Hinweis, dass wegen der gewählten technischen Form nicht unterschrieben werden könne, ausreichen ließ26, kann man die neueste Rechtsprechung des BGH27 zum Computerfax fast schon wieder als Rückfall in alte Zeiten ansehen. Die Berufungsbegründung enthielt in der jüngsten Entscheidung keine gescannte Unterschrift wie im Fall des Gemeinsamen Senats. Auf diese könne auch nicht verzichtet werden, so der BGH, weil man sonst den Wortlaut des in Kenntnis der Rechtsprechung geänderten § 130 Nr. 6 ZPO missachte28. Die Probleme, die sich die Rechtsprechung hier zu Lasten der Rechtsuchenden selbst schafft, werden auch nach Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs in § 130a ZPO bleiben, da die dort in einer Sollvorschrift vorgesehene elektronische Signatur immer noch ein Aschenputteldasein führt. Die Forderung nach Aufgabe des Erfordernisses der eigenhändigen Unterschrift in ihren Ausformungen durch die Rechtsprechung erscheint berechtigt, hält man sich den Zweck der Formvorschrift vor Augen – Rechtssicherheit und Verlässlichkeit der Eingabe bei Gericht29. Der Anwalt tut aber gut daran, sich gerade an die jüngsten Anforderungen zu halten – und sollte die Unterschrift einscannen, will er nicht an dieser zwar lästigen, aber einfach zu bewältigenden Hürde scheitern. 2. Inhaltliche Anforderungen an die Berufungsbegründung nach § 520 ZPO Die inhaltlichen Anforderungen an die Berufungsbegründung haben sich durch die Reform nicht erhöht. Angesichts der geänderten Funktion der Berufungsinstanz konnte man daran zunächst durchaus zweifeln30. § 520 Abs. 3 ZPO hat gegenüber dem alten Recht zwar die inhaltlichen Voraussetzungen präzisiert, aber keine Erhöhung der formalen Voraussetzungen bewirkt31. Es genügt also wie bisher, dass sich die Berufungsbegründung in ausreichender Weise mit den Berufungsgründen des § 520 Abs. 3 Nrn. 2 bis 4 25 Gesetz über die Verwendung elektronischer Kommunikationsformen in der Justiz (Justizkommunikationsgesetz) v. 22. 3. 2005, BGBl. I 837. 26 BGHZ 144, 160; so auch noch OLG Braunschweig, MDR 2005, 1018. 27 BGH, MDR 2005, 1182. 28 Greger in Zöller, § 130 Rz. 18. 29 Greger in Zöller, § 130 Rz. 21, 22 m.w.N. 30 Gummer/Heßler in Zöller, § 520 Rz. 27. 31 Dies war nach der Gesetzesbegründung auch nicht beabsichtigt: BT-Drs. 14/4722, S. 95; so auch Hannich/Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002 mit Zustellungsreformgesetz, 2002, Rz. 12; BGH, NJW 2003, 2531; NJW-RR 2003, 1130 = MDR 2003, 1130.
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ZPO auseinandersetzt32. Zur Erreichung der Zulässigkeit bedarf es keiner hohen Anstrengungen. Aber in der Praxis besteht auch hier Grund zur Vorsicht: Die eingelegte Berufung durchläuft jetzt obligatorisch die Prüfung nach § 522 ZPO. Wer die geringen Anforderungen an den Inhalt der Berufungsbegründung verfehlt, riskiert eine Verwerfung durch Beschluss nach § 522 Abs. 1 ZPO. Das ist nichts Neues. Wer inhaltlich mit seinen Angriffen nicht überzeugt, dessen Berufung wird durch unanfechtbaren Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Die materielle Prüfung, ob an die Zurückweisung durch Beschluss zu denken ist, wird vom Gericht in erster Linie an Hand der Berufungsbegründung vorgenommen, wenn auch gesondertes rechtliches Gehör durch Hinweis nach § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO vorgeschrieben ist33. Wer in der Begründung nicht ausreichend vorträgt und sich auf den Schriftsatz nach dem gerichtlichen Hinweis verlässt, begibt sich jedenfalls schon einmal psychologisch in die Hinterhand, steuert doch schon die Berufungsbegründung den Weg über § 522 Abs. 2 ZPO in die mündliche Verhandlung. Gefährlicher für den Berufungsführer ist allerdings die Präklusion nach §§ 530, 296 Abs. 1 und 4 ZPO: Gerne wird der Zusammenhang mit § 520 Abs. 3 Nr. 4 ZPO übersehen34. Wer die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel nicht bereits in der Berufungsbegründung vorträgt, riskiert, damit ausgeschlossen zu sein. Wer einen Mangel im Verfahren rügen will, der unter § 529 Abs. 2 ZPO fällt, muss dies auch in der Berufungsbegründung tun, wobei aber die Unterscheidung zwischen verzichtbaren und unverzichtbaren Verfahrensmängeln zu beachten ist35.
III. Der Zurückweisungsbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO – Hürde vor der mündlichen Berufungsverhandlung Das Berufungsverfahren gelangt nach der Reform von 2002 häufig nicht mehr in das Stadium der mündlichen Verhandlung. Die Berufungsgerichte können unbegründete Berufungen nach § 522 Abs. 2 ZPO durch unanfechtbaren, einstimmigen Beschluss zurückweisen. Von dieser Möglichkeit wird jedenfalls nicht selten Gebrauch gemacht36. Wer sich der Meinung an32 BGH, FamRZ 2005, 882: Jedenfalls muss dem Schriftsatz aber zu entnehmen sein, dass das Rechtsmittel durchgeführt werden soll. 33 Gummer/Heßler in Zöller, § 520 Rz. 27. 34 Rimmelspacher in MünchKomm-ZPO, Aktualisierungsband, § 530 Rz. 12. 35 Gummer/Heßler in Zöller, § 529 Rz. 13. 36 Die Oberlandesgerichte in Bayern haben 2004 in 13,5% der Fälle durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO erledigt. Dabei ist eine steigende Tendenz zu verzeichnen, vgl. BayJMBl 2005, 95. Debusmann, Die Beschlusszurückweisung nach § 522 Abs. 2 ZPO – „Kurzer Prozess“ in der Berufungsinstanz?, NJW-Sonderheft BayObLG 2005, 15, 16 spricht von unterschiedlicher Praxis, manche Gerichte erledigten bis zu 60% der Fälle durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO.
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schloss, diese Möglichkeit der Erledigung von Berufungen sei verfassungswidrig, ja jedenfalls bedenklich37, muss sich durch die Entscheidungen des BVerfG enttäuscht sehen. Weder verstoße es gegen das Recht auf gleichen Rechtsschutz, dass nur Verwerfungsbeschlüsse nach § 522 Abs. 1 ZPO anfechtbar seien38, noch sei ein Verstoß gegen den Grundsatz des gesetzlichen Richters gegeben39. 1. Wirkungsvoller Rechtsschutz Darüber, dass auch im Verfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO wirkungsvoller Rechtsschutz geleistet wird, der sich verfassungsrechtlich aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip ableitet, wacht das BVerfG allerdings. Das Recht auf wirkungsvollen Rechtsschutz kann nämlich verletzt sein, wenn das Berufungsgericht die Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO zu Unrecht annimmt, etwa das Fehlen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache fälschlich verneint40. Im entschiedenen Fall hatte das OLG auf eine in einer Presseerklärung angekündigte Entscheidung des II. Zivilsenats des BGH, in der eine zur bisher herrschenden Meinung angekündigte Abweichung in Aussicht gestellt wurde, nicht reagiert und sich weiter an die bisher herrschende Meinung gehalten. Für die praktische Rechtsanwendung bedeutet dies, dass einerseits die Berufungsgerichte die Kriterien der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO) und der Fortbildung des Rechts und der Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsordnung (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO) sorgfältig an Hand der dazu umfangreich ergangenen revisionsgerichtlichen Rechtsprechung zu prüfen haben41. Andererseits liegt hier die Chance des Berufungsführers, der in die mündliche Verhandlung gelangen will, deshalb über § 520 Abs. 3 ZPO hinaus dazu in der Berufungsbegründung vortragen sollte. 2. Klageerweiterung, Widerklage, Einreden und unstreitiger Sachvortrag im Verfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO Rechtsprechung zu Zweifelsfragen bei der Handhabung des § 522 Abs. 2 ZPO gelangt nur spärlich in die rechtswissenschaftliche Literatur. Das ist verständlich, sind doch die Entscheidungen unanfechtbar42 und liegt das Gewicht der schriftlich geäußerten rechtlichen Erwägungen des Gerichts häu37 Rimmelspacher in MünchKomm-ZPO, Aktualisierungsband, § 522 Rz. 33. 38 BVerfG, NJW 2005, 659. 39 BVerfG, NJW 2003, 281; Schellenberg, Berufungsverfahren – Der Zurückweisungsbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO in der gerichtlichen Praxis, MDR 2005, 610. 40 BVerfG, NJW 2005, 1931. 41 Gummer/Heßler in Zöller, § 522 Rz. 37, 38. 42 OLG Köln, MDR 2005, 1070: auch keine Gegenvorstellung gegen einen Beschluss nach § 522 Abs. 2.
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fig im Hinweis nach § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO, auf den im eigentlichen Beschluss verwiesen werden darf. Diese Hinweise finden aber nicht Eingang in die Fachzeitschriften. Das Ergebnis ist eine gewisse Orientierungslosigkeit bei der täglichen Arbeit. Jedenfalls setzt sich die Meinung durch, dass erst mit der Berufung erhobene Klageerweiterungen und Widerklagen eine Beschlusszurückweisung nicht hindern43. Der Berufungsführer könne nicht mit diesen prozessualen Instrumenten eine mündliche Verhandlung über seine Berufung erzwingen. Dies gilt außerdem für alle nach § 533 ZPO nicht zuzulassenden Änderungen im Prozessverhalten und darüber hinaus für nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassende Angriffs- und Verteidigungsmittel, wie die erstmalige Erhebung einer Einrede, wobei die Einzelheiten streitig sind44. Klageerweiterung und Widerklage werden mit der Zurückweisung der Berufung durch Beschluss wirkungslos, wie dies mit einer zunächst zulässigen Anschlussberufung nach § 524 Abs. 4 ZPO auch geschieht45. Noch schwieriger ist die Frage zu beantworten, wie die Rechtsprechung des BGH zur Berücksichtigung unstreitigen Sachvortrags unabhängig von den Grenzen des § 531 ZPO selbst dann, wenn eine Beweisaufnahme nötig wird46, sich auf das Verfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO übertragen lässt. Der BGH hatte sich auch in dieser Entscheidung zu Gunsten der „richtigen“ Tatsachengrundlage und zu Lasten der „Verfahrensökonomie“ entschieden. Die Übertragung der Rechtsprechung auf das Verfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO wird aber nicht ungeprüft vorgenommen werden dürfen. Eine Fürsorgepflicht des Gerichts besteht nicht nur für den Berufungsführer, der Berufungsgegner soll durch die Möglichkeit der Beschlusszurückweisung vor substanzlosen Berufungen geschützt, das erstinstanzliche Urteil rasch rechtskräftig werden47. Der bloße neue Vortrag allein wird nicht reichen, die Hürde der Beschlusszurückweisung zu überspringen; dies wird nur gelingen, wenn der Gegner im Rahmen des rechtlichen Gehörs nach § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO den neuen Vortrag ausdrücklich bestätigt, wobei zu beachten ist, dass eine Erklärungspflicht des Gegners nicht besteht48.
43 OLG Nürnberg, MDR 2003, 770; OLG Rostock, MDR 2003, 1195; OLG Frankfurt a. Main, NJW 2004, 165. 44 OLG Karlsruhe, MDR 2005, 412, wenn der der Erhebung der Einrede zu Grunde liegende Sachverhalt unstreitig ist und keiner Beweisaufnahme bedarf; OLG München, BauR 2004, 1982; Schenkel, Die erstmalige Erhebung der Verjährungseinrede in zweiter Instanz, MDR 2005, 726. 45 Gummer/Heßler in Zöller, § 522 Rz. 36; Schellenberg, Berufungsverfahren (Fn. 39), 613; Stackmann, Rechtsbehelfe im Zivilprozess, 2005, Rz. 199. 46 BGH, MDR 2005, 527. 47 Hannich/Meyer-Seitz, ZPO-Reform (Fn. 31), § 522 Rz. 2. 48 Rimmelspacher, Verspätet, aber zugestanden: Nova in der Berufungsinstanz, FS für Schlosser, 2005, 747, lässt sogar nur ein § 288 ZPO entsprechendes Geständnis gelten; Timme/Hülk, Anm. zu BGH, MDR 2005, 528; Schellenberg, Berufungsverfahren (Fn. 39), 612.
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IV. Die Tatsachengrundlage nach § 529 ZPO – hohe Barriere oder niedrige Schwelle? Kaum eine Bestimmung des neuen Berufungsrechts wirft so viele Zweifelsfragen auf, gibt so viel Anlass für Streit wie § 529 ZPO. Einige Entscheidungen des BGH haben zwar Aufklärung gebracht, wie die Vorschrift höchstrichterlich verstanden wird. Dies hat aber in der Praxis immer noch nicht zur nötigen Sicherheit geführt. Liegt es daran, dass mit der Reform – jedenfalls was die Bindung an die Sachverhaltsfeststellungen der ersten Instanz anbelangt – mehr versprochen wurde, als der Wortlaut der Vorschrift hergibt? Richtig, die vollständige Wiederholung der Verhandlung in der zweiten Instanz ist ausdrücklich abgeschafft worden. An die Stelle von § 525 ZPO a.F. trat eben § 529 ZPO, der in seiner Gesetz gewordenen Fassung offen die Züge des politischen Kompromisses trägt49. Der BGH hat sich in einer Reihe von Entscheidungen im Ergebnis jeweils gegen eine Bindung an die erstinstanzliche Tatsachenfeststellung ausgesprochen, die die Berufungsgerichte angenommen hatten. Die Messlatte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Tatsachen hat der BGH niedrig gehängt, die Rügepflicht nach § 529 Abs. 2 S. 1 ZPO nicht auf § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bezogen und damit eine Überprüfung des gesamten erstinstanzlichen Prozessstoffes von Amts wegen eröffnet50. Die Rechtsprechung des BGH hat schrittweise die Gewinnung des Zweifels an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Tatsachenrekonstruktion vom Vorliegen eines Verfahrensfehlers oder einer fehlerhaften Rechtsanwendung und der Notwendigkeit einer Rüge oder detaillierten Vortrags gelöst. Ausreichend sei etwa eine vom erstinstanzlichen Ergebnis abweichende Wertung eines Beweisergebnisses. Um diesen Zweifel zu hegen, genüge Parteivortrag in der ersten Instanz, jedenfalls müsse nicht nach § 520 Abs. 3 ZPO gerügt werden51. An die vertretbare Auslegung einer Individualvereinbarung der ersten Instanz sei das Berufungsgericht nicht gebunden, vielmehr habe die zweite Instanz eine eigene Auslegung vorzunehmen, die sie als Grundlage einer sachgerechten Entscheidung für geboten halte52. Und damit nicht genug: Nach der Ansicht des BGH kann nicht nur der erstinstanzliche Prozessstoff insgesamt Quelle für Zweifel nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO sein; ob das Berufungsgericht seine Kompetenzen bei der von der ersten Instanz abweichenden Sachverhaltrekonstruktion überschritten hat, stehe zudem einer Revisionsrüge nicht offen, weil § 529 Abs. 1 ZPO nicht vor der materiellen Wahrheit schützen solle53. 49 Heßler, Die Berufungsinstanz (Fn. 1), 47. 50 BGHZ 158, 269 = NJW 2004, 1876; BGHZ 158, 295 = 2152; BGHZ 159, 254 = NJW 2004, 2828 = BGHReport 2004, 1375 m. Anm. Heßler. 51 BGHZ 162, 313 = NJW 2005, 1583 = BGHReport 2005, 864 m. Anm. Heßler. 52 BGHZ 160, 83 = NJW 2004, 2751. 53 BGH, Fn. 51; Gummer/Heßler in Zöller, § 529 Rz. 15.
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Die Rechtsprechung des BGH, die sich auch auf Kammerbeschlüsse des BVerfG54 stützt, ist stark kritisiert worden: Lasse man die bloße Möglichkeit anderer Wertung genügen, um die Bindung an die erstinstanzlichen Feststellungen entfallen zu lassen, verfehle man den Zweck der ZPO-Reform, die eine Vorhersehbarkeit einer neuen Tatsachenrekonstruktion durch rechtliche Struktur an die Stelle des bisherigen freien Ermessens habe stellen wollen55. Die Unsicherheit, ob das Berufungsgericht in eine neue Sachverhaltserfassung eintritt oder nicht, wird vor allem durch die Abkoppelung des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO von der Rügepflicht des § 529 Abs. 2 S. 1 ZPO bewirkt56. Der Forderung, auch die Eröffnung der neuen Sachverhaltrekonstruktion nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO von einer Rüge abhängig zu machen, ist durch den BGH der Boden entzogen57. Daraus wird bereits der Schluss gezogen, das Berufungsgericht sei völlig frei, es könne neue Tatsachenfeststellungen „nach Belieben“ vornehmen58. Mit der Revision kann im Übrigen gerügt werden, dass eine erneute Sachverhaltserfassung hätte vorgenommen werden müssen, der Umfang des § 529 ZPO also vom Berufungsgericht verkannt worden sei59. Aber es ist zu bedenken: Der Berufungsführer muss nicht zu der Möglichkeit der neuen Sachverhaltsrekonstruktion nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO vortragen, er sollte es aber tun. Weckt er die Zweifel des Berufungsgerichts nicht, wird er über die Hürde des § 522 Abs. 2 ZPO nicht hinwegkommen. Fallstricke und Barrieren weist das neue Recht für den Rechtsanwender genug auf. Kennt man die Probleme, kann man vorsorgen. Muss man sich aber vor gut getarnten Fallen schützen, kann es beschwerlich werden. Das gilt vor allem für die immer noch wenig strukturierte Handhabung der neuen Sachverhaltserfassung in der Berufungsinstanz, vor allem in Verbindung mit der Zurückweisung der unbegründeten Berufung durch Beschluss. Ob die gegenwärtige Reformdiskussion zu einer Präzisierung des in der praktischen Anwendung wenig geglückten § 529 ZPO de lege ferenda führen wird, bleibt abzuwarten.
54 BVerfG, NJW 2003, 2524. 55 BT-Drs. 14/6036, 123; Rimmelspacher, Anm. zu BGH, JZ 2005, 1062. 56 Vollkommer, Anm. zu BGH, WuB VII A. § 529 ZPO 1.05; Heßler in BGHReport 2004, 1375. 57 Dazu kritisch Rimmelspacher (Fn. 55). 58 Manteuffel, Die erneute Tatsachenfeststellung in der Berufung, NJW 2005, 2963. 59 BGH, NJW 2004, 2828.
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Peter Gummer
Die Revision – noch ein Weg zur Einzelfallgerechtigkeit? Inhaltsübersicht 1. Vorbemerkung 2. Die Bedeutung des Rechtsmittels der Revision im System des Zivilprozesses 3. Grundsätzliche Änderungen durch das Zivilprozessreformgesetz
4. Zulassungsrevision 5. Zulassungspraxis des BGH zur Herstellung einer Einzelfallgerechtigkeit 6. Fazit
1. Vorbemerkung Max Vollkommer bin ich über Jahrzehnte durch gemeinsame Arbeit am „Zöller“1 verbunden. Diese war freilich nicht Anlass für unsere erste Begegnung. Als Referendar war ich im Jahr 1964 der 6. Zivilkammer des Landgerichts München I zur Ausbildung zugeteilt, die von dem damaligen Landgerichtsdirektor Dr. Heinz Thomas2 geleitet wurde. An dieser 6. Zivilkammer war der junge Landgerichtsrat Dr. Max Vollkommer als Richter tätig; er hat den Zivilprozess, dem er als Universitätslehrer über Jahrzehnte besonders verpflichtet war, auch aus unmittelbarer richterlicher Wirklichkeit erlebt und gestaltet, sowie – wie in meinem Fall – in der Praxis dem Juristennachwuchs nahegebracht. In Erinnerung hieran ist dieser Beitrag Max Vollkommer gewidmet. 2. Die Bedeutung des Rechtsmittels der Revision im System des Zivilprozesses Die Entscheidung durch zwar vom Staat bestellte, in ihrer Berufsausübung aber von der staatlichen Einflussnahme und Kontrolle freie, nur Recht und Gesetz unterworfene Richter ist Grundlage rechtsstaatlicher Rechtspflege (Art. 92, 97 GG). Wie überall, wo Freiheit und Unabhängigkeit walten, bedarf aber auch die richterliche Unabhängigkeit eines Gegengewichts, das den Versuchungen und Gefahren jeder Unabhängigkeit entgegen wirkt, Missbräuche verhindert und das System im Gleichgewicht hält. In unserem – wie in jedem – rechtsstaatlichen System findet die richterliche Unabhängigkeit
1 Zöller, Zivilprozessordnung, nunmehr 25. Aufl. 2005. 2 Er hatte gerade gemeinsam mit Putzo den erfolgreichen Kommentar Thomas/Putzo, ZPO, auf den Markt gebracht.
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ihr Gegengewicht in der Kontrolle der richterlichen Rechtsfindung im Instanzenzug. Die Möglichkeit, die Richtigkeit der richterlichen Entscheidung innerhalb der rechtsprechenden Gewalt – nämlich im Instanzenzug – überprüfen zu lassen, gehört daher ebenso wie die richterliche Unabhängigkeit zu den Grundlagen der Rechtspflege. Der Rechtszug muss nicht in jedem Einzelfall eröffnet sein, wohl aber gehört die grundsätzliche Möglichkeit, gegen eine richterliche Entscheidung Rechtsmittel einlegen zu können, zu den Essentialia rechtsstaatlicher Rechtspflege. Dies gilt ganz besonders für den Zivilprozess, dessen Aufgabe es ist, dem einzelnen Bürger innerhalb des staatlichen Gewaltmonopols die Durchsetzung seiner persönlichen Ansprüche gegenüber seinen Rechtspartnern zu ermöglichen. Wegen seiner Zuordnung zu dem privaten Rechtsverkehr der einzelnen Rechtsgenossen geht es im Zivilprozess im Kern immer um den Einzelfall und daher um die richtige (gerechte) Entscheidung. Der Zivilprozess der ZPO verfügt über ein differenziertes Rechtsmittelsystem. Dessen Ziel ist es, die Gleichmäßigkeit der Rechtsgewährung durch die unabhängig und weisungsfrei entscheidenden Richter in einem Gesamtsystem sicherzustellen, das sich aus einer Vielzahl von individuellen Einzelfällen zusammensetzt. Das Rechtsmittelsystem des Zivilprozesses muss daher schon vom Grundsatz her auf die Richtigkeitsüberprüfung im Einzelfall ausgerichtet sein. Die Festlegung von Grundsätzen für die Rechtsanwendung und die Rechtsfortbildung sind Folgen einer funktionierenden Zivilrechtspflege, nicht aber ihr unmittelbarer Gegenstand. Rechtmäßigkeit und Rechtssicherheit im zivilen Rechtsverkehr sind nur durch Einzelfallgerechtigkeit im Zivilprozess sicherzustellen. Diese ist daher notwendig auch das Ziel des Rechtsmittels der Revision. 3. Grundsätzliche Änderungen durch das Zivilprozessreformgesetz Die Ausrichtung des gesamten Rechtsmittelsystems des Zivilprozesses an dem Gebot der Einzelfallgerechtigkeit war grundsätzlich unbestritten, geriet aber insbesondere im Zuge der Ausweitung des Rechtsschutzes durch vermehrte Inanspruchnahme zunehmend in Konflikt mit dem Ressourcenproblem. Dieses wirkte sich in der bei einem Gericht gebündelten Revisionsinstanz besonders folgenschwer aus. Die deshalb notwendige Begrenzung der Anrufungsmöglichkeit wurde durch Streitwertgrenzen sichergestellt, die später durch die Möglichkeit einer vom Streitwert unabhängigen Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung3 ergänzt wurde.
3 § 546 Abs. 1 ZPO a.F.
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Das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27. 7. 20014 veränderte den Zugang zur Revisionsinstanz – und damit auch die Aufgabenzuweisung an den BGH – grundsätzlich. 4. Zulassungsrevision Aufgrund dieser Neuregelung findet die Revision nur statt, wenn sie das Berufungsgericht in dem Urteil oder das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung zugelassen hat (§ 543 Abs. 1 ZPO). Diese grundlegende Änderung im Zugang zur Revisionsinstanz ändert natürlich nichts am Ziel eines danach zulässigen Revisionsverfahrens; dieses bleibt die richtige Entscheidung des Einzelfalles. Die Hürde für die Partei, die im Berufungsverfahren unterlegen ist und die die Unrichtigkeit der Entscheidung geltend machen will, liegt darin, dass sie zunächst die Zulassung des Rechtsmittels erreichen muss. Diese setzt voraus (§ 543 Abs. 2 S. 1 ZPO), dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert. Das Interesse der unterlegenen Partei an der Nachprüfung der Richtigkeit der für ihren Einzelfall getroffenen Entscheidung genügt nicht; erforderlich für die Eröffnung des Revisionsverfahrens ist vielmehr, dass über das Ziel der Einzelfallgerechtigkeit hinaus ein besonderes, an allgemeinen Belangen orientiertes Interesse daran besteht, dass der Richterspruch des Berufungsgerichts in der Revision überprüft wird. Dabei liegt sowohl für den Zulassungsgrund „grundsätzliche Bedeutung“ (Musterverfahren) wie für den Zulassungsgrund „Rechtsfortbildung“ auf der Hand, dass der Gesichtspunkt der Richtigkeit der Entscheidung (Einzelfallgerechtigkeit) für sich keinen dieser Tatbestände erfüllt. Nur die dritte Zulassungsvariante des § 543 Abs. 2 S. 1ZPO – Erforderlichkeit einer Entscheidung des Revisionsgerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung – eröffnet interpretatorischen Spielraum in Richtung auf die Frage der Richtigkeit der Entscheidung nur für den Einzelfall. Der Zulassungsgrund zielt freilich zunächst auf die Fälle der Divergenz5. Divergenz in diesem Sinn liegt vor, wenn in der Entscheidung ein abstrakter Rechtssatz aufgestellt (oder zumindest zugrunde gelegt) wird, der einem entsprechenden Rechtssatz einer anderer Entscheidung eines höheren oder gleichrangigen Gerichts widerspricht6. Der Gesetzgeber hat aber in § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO bewusst eine unscharfe Formulierung gewählt, weil er die Revisionsinstanz nicht nur auf die „Divergenzrevision“ im klassischen Sinn
4 BGBl. I S. 1887. 5 Amtl. Begründung des ZPO-RG, BT-Drs. 14/4722 S. 67. 6 BT-Drs. 14/4722 S. 104; vgl. auch BGH, NJW 2003, 65; NJW 2003, 2319.
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festlegen wollte; es sollte die Möglichkeit offen gehalten werden, wegen materieller oder formeller Fehler bei der Anwendung oder Auslegung revisiblen Rechts – also im Interesse der Einzelfallgerechtigkeit – einzugreifen, wenn der Rechtsanwendungsfehler geeignet ist, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen7. Aus der Natur der Sache folgt, dass die Eröffnung der Revision für diese besonders gelagerten Rechtsfehler im Einzelfall in der Zulassungspraxis der Berufungsgerichte (§ 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) keine Bedeutung hat, da die Zulassung voraussetzt, dass der Rechtsfehler erkannt wird. Wäre dies der Fall, so hätte aber das Berufungsgericht anders entschieden. Die Eröffnung der Revision in einem solchen Fall muss über die Nichtzulassungsbeschwerde (§ 544 ZPO) erstritten werden. 5. Zulassungspraxis des BGH zur Herstellung einer Einzelfallgerechtigkeit Die vom Gesetzgeber bewusst eröffnete, allerdings nicht näher definierte Möglichkeit, die Revision „zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung“ auch als Mittel der Richtigkeitskontrolle im Einzelfall zu eröffnen, ist daher in die Hand des BGH gegeben. Er hat sie aufgegriffen. In der Entscheidungspraxis des BGH zur Nichtzulassungsbeschwerde (§ 544 ZPO) kommt dem Zulassungsgrund „Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung“ wesentliche Bedeutung zu. Nach nunmehr gut drei Jahren seit dem Inkrafttreten des Zivilprozessreformgesetzes am 1. 1. 2002 zeichnen sich in der Entscheidungspraxis des BGH die Grenzlinien und Konturen ab, in denen das Gericht über die Nichtzulassungsbeschwerde die Revision als Mittel zur Entscheidungskorrektur im Interesse der Einzelfallgerechtigkeit eröffnet sieht8. a) Von Anfang an wurde klar, dass der BGH auch nicht annäherungsweise zur Grenzlinie zurückkehren würde, die für die nach dem alten Recht vorgesehene Annahmeentscheidung (§ 554b ZPO a.F.) auf der Grundlage der Rechtsprechung des BVerfG9 gegolten hatte; danach durfte die Annahme der Revision nicht verweigert werden, wenn das Rechtsmittel wegen Rechtsfehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung im Einzelfall Erfolg haben würde. Der BGH stellte von Anfang an klar, dass die Zulassungshürde des § 543 ZPO mit der Berufung auf die Rechtsfehlerhaftigkeit der Entscheidung nur überwunden werden kann, wenn dem Rechtsfehler symptomatische Bedeutung zugemessen werden kann10. Eine Un-
7 BT-Drs. 14/4722 S. 104. 8 S. dazu auch Ball, Verhandlungen des 65. Deutschen Juristentages 2004, S. A 69, 72. 9 BVerfGE 54, 277. 10 BGH, NJW 2002, 2473; NJW 2003, 95.
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terscheidung nach dem Gewicht des Fehlers wurde abgelehnt; auch eine offensichtliche Fehlentscheidung in einem Einzelfall wurde als Zulassungsgrund für die Revision verworfen11. Hieran hat der BGH trotz reichlicher Kritik, insbesondere aus der Anwaltschaft am BGH12, festgehalten; in Anknüpfung an die Gesetzesbegründung13 sollte der für die Abgrenzung erforderliche Allgemeinbezug aus der Gefahr einer Nachahmung (Wiederholung des Fehlers) hergeleitet werden können14. Dieser Ansatz wurde zwar nicht formell aufgegeben, in der weiteren Rechtsprechung aber doch modifiziert. Es setzte sich zunehmend die Forderung durch, dass das Abgrenzungskriterium des für die Zulassung der Revision ausreichenden Rechtsfehlers aus der Rechtsordnung selbst hergeleitet werden muss; dadurch soll einigermaßen tragfähiger Boden erreicht werden15. b) Die Rechtsprechung des BGH hat sich dafür entschieden, die verfassungsrechtliche Relevanz des gerügten Fehlers als maßgebliches Kriterium für das Vorliegen eines Zulassungsgrundes zu werten. Diese Anforderung lag im Hinblick auf den Plenarbeschluss des BVerfG vom 30. 4. 200316 nahe, der bei einem Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs die Notwendigkeit postulierte, innerhalb des Rechtszugs die Möglichkeit der Korrektur zu eröffnen17. Die besondere Dimension eines im Verstoß gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs liegenden Rechtsfehlers liegt weder in einer Wiederholungs- noch in einer Nachahmungsgefahr; sie besteht vielmehr in der besonderen Qualität des Verstoßes, der sich aus der verfassungsrechtlichen Absicherung (Art. 103 Abs. 1 GG) ergibt. Nach diesem Ansatz ist es folgerichtig, bei Rechtsfehlern, die verfassungsmäßige Rechte einer Partei berühren, das Erfordernis zu bejahen, zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung sei die Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) geboten18. Dieser Ansatz beschränkt sich nicht auf den Grundsatz des rechtlichen Gehörs, mag der Verstoß gegen dieses Grundrecht in der Praxis auch besondere Bedeutung haben. Er gilt aber in gleicher Weise für alle weiteren verfassungsmäßigen Verfahrensrechte, insbesondere für die Garantie des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) und für das aus Art. 2 Abs. 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz19. Letzterem Ge11 BGHZ 151, 42 (46) = NJW 2002, 2473; BGHZ 151, 221 (226) = NJW 2002, 3029; Wenzel, NJW 2002, 3355. 12 v. Gierke/Seiler, JZ 2003, 403; Nasall, JZ 2003, 1345; Scheuch/Lindner, NJW 2003, 729; Büttner in: 65. DJT (Fn. 8) S. A 89, 98. 13 BT-Drs. 14/4722 S. 104. 14 BGHZ 154, 288 = NJW 2003, 1943; NJW 2004, 1960; krit. dazu Ball (Fn. 8) S. 81. 15 Ball (Fn. 8) S. 92 ff. 16 BVerfGE 107, 395 = NJW 2003, 1924. 17 S. dazu jetzt § 321a ZPO. 18 BGHZ 154, 288 = NJW 2003, 1943. 19 BGH, NJW 2003, 437, 1943 und 3205; NJW 2004, 367, 2222.
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sichtspunkt kommt insbesondere im Zusammenhang mit der Versagung der Wiedereinsetzung wegen versäumter Verfahrensfristen erhebliche praktische Bedeutung zu20. c) Diesen zu den Verfahrensgrundrechten entwickelten verfassungsrechtlichen Ansatz hat die Rechtsprechung – folgerichtig – auch bei der Beurteilung der Revisionstauglichkeit materiellrechtlicher Fehler übernommen. Dabei stellt der BGH21 auf das aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Willkürverbot ab. Nach der Rechtsprechung des BVerfG, auf das sich der BGH bezieht, begründet eine fehlerhafte Rechtsanwendung den Vorwurf verfassungswidriger (objektiver) Willkür dann, wenn das Ergebnis sachlich schlechthin unhaltbar ist, unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar erscheint und sich daher der Schluss aufdrängt, dass es auf sachfremden Erwägungen beruht22. In anderem Zusammenhang hat der BGH darauf abgestellt, dass in der angefochtenen Entscheidung geltendes Recht nicht zur Kenntnis genommen wird oder dass sich die Entscheidung soweit von den gesetzlichen Grundlagen entfernt, dass sie unter keinem Aspekt mehr vertretbar und evident fehlerhaft erscheint23. Im Gegensatz zu den Anforderungen bei Verstößen gegen Verfahrensgrundrechte liegt im Bereich der Inhaltskontrolle die Schwelle für die Öffnung der Revision für die Kontrolle auf Rechtsanwendungsfehler nach diesem Ansatz hoch. Immerhin ist aber festzustellen, dass das Rechtsmittel der Revision für eine inhaltliche Richtigkeitskontrolle nur im Einzelfall nicht gänzlich verschlossen ist. Der BGH entnimmt aus § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO die Kompetenz, im Wege der Zulassung der Revision ohne das Erfordernis zusätzlichen Allgemeinbezugs inhaltlich grob fehlerhafte, jedenfalls unerträgliche Urteile aufzuheben. Er hat es auch in der Hand, die Anforderungen hierbei so zu gestalten, dass ein effektiver Individualrechtsschutz auch im Revisionsrechtszug hinreichend gesichert wird. 6. Fazit Die ZPO-Reform des Jahres 2001 hat die Ausrichtung der Revision grundlegend verändert. Sie hat die Rechtsnatur der Revision als Rechtsmittel der Partei zur Durchsetzung ihrer zivilrechtlichen Ansprüche zwar unangetastet gelassen, die Aufgabenstellung des Revisionsgerichts aber auf die Durchsetzung und Sicherung des allgemeinen Interesses an der Klärung von Grundsatzfragen, der Rechtsfortbildung und der Sicherung der Rechtseinheit ver-
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BGH, NJW 2004, 367. BGH, NJW 2003, 1943; NJW 2005, 153. BGH, NJW 2005, 153. BGH, NJW 2003, 1943.
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engt. Die Rechtsprechung des BGH ist sich ersichtlich der Gefahr bewusst, die sich hieraus für das berechtigte Interesse der Partei ergibt, das sich in der Regel auf die richtige Entscheidung ihres Einzelfalls beschränkt. Diesem Interesse kann der BGH durch eine – vom Gesetzgeber auch gewollte – großzügige Handhabung der Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung in dem notwendigen Maß Rechnung tragen. Die bisherige Judikatur lässt erkennen, dass dies im Bereich der Verfahrenskontrolle gelingen wird. Für eine hinreichend effektive Inhaltskontrolle (Überprüfung der materiellen Rechtsanwendung mindestens auf grobe Fehlgriffe) ist mit der Eröffnung der Revision für die Fälle verfassungswidriger Willkür immerhin ein Ansatz erkennbar, der zu einem vertretbaren Gesamtergebnis führen könnte.
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Peter Philippi
Anschlussrechtsmittel im Verbundverfahren Inhaltsübersicht I. Verbund II. Anschlussrechtsmittel 1. Anschließung in Familiensachen, die bereits durch das Hauptrechtsmittel angefochten worden sind a) Zivilprozessuale Familiensachen b) Folgesachen aus dem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit
2. Anschließung in Familiensachen, die durch das Hauptrechtsmittel noch nicht angefochten worden sind a) Verbundentscheidungen b) Rechtsmittelgegner c) Anschließungsfrist d) Rücknahme, Verwerfung, Zurückweisung des Hauptrechtsmittels e) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
I. Verbund § 623 ZPO regelt den Verhandlungs- und Entscheidungsverbund zwischen Scheidungssachen und Folgesachen. Folgesachen sind andere Familiensachen als Ehesachen, in denen eine Entscheidung für den Scheidungsfall zu treffen ist. Nicht alle Familiensachen im Sinne des § 621 ZPO passen in den Verbund. § 623 ZPO gestattet es nur, folgende Sachen zusammen mit der Scheidung zu verhandeln: 1. die Familiensachen Güterrecht sowie Kindes- und Ehegattenunterhalt, bei denen für die Verhandlung und Entscheidung Zivilprozessrecht maßgeblich ist (so genannte zivilprozessuale Folgesachen; §§ 623 Abs. 1 S. 1, 621 Abs. 1 Nr. 5, 8, Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO), 2. Familiensachen, in denen sich das Verfahren nach den Vorschriften des FGG bestimmt1: a) der Antrag eines Ehegatten, ihm die elterliche Sorge ganz oder teilweise zu übertragen (§§ 623 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 621 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO, § 1671 Abs. 1 BGB), ferner das Amtsverfahren, das bei Gefährdung des Kindeswohls die gänzliche oder teilweise Übertragung der Sorge zum Ziel hat (§ 623 Abs. 3 ZPO, § 1666 BGB), b) der Umgang eines Ehegatten mit einem gemeinschaftlichen Kind, ferner der Umgang mit einem Stiefkind, mit dem der Ehegatte längere Zeit in 1 Siehe § 621a Abs. 1 S. 1 ZPO.
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häuslicher Gemeinschaft gelebt hat (§ 623 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO, § 1685 Abs. 2 BGB), c) die Herausgabe eines Kindes an den sorgeberechtigten Ehegatten (§§ 623 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, 621 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO), d) der Versorgungsausgleich (§§ 623 Abs. 1 S. 1, 621 Abs. 1 Nr. 6 ZPO), e) Regelungen nach der Verordnung über die Behandlung der Ehewohnung und des Hausrats (§§ 623 Abs. 1 S. 1, 621 Abs. 1 Nr. 7 ZPO), f) Verfahren, in denen ein Ehegatte die Stundung seiner Zugewinnausgleichsschuld verlangt oder die Übertragung von Vermögensgegenständen unter Anrechnung auf die Zugewinnausgleichsforderung begehrt (§§ 623 Abs. 1 S. 1, 621 Abs. 1 Nr. 9 ZPO, §§ 1382, 1383 BGB)2. Die Zusammenfassung aller Sachen zur gleichzeitigen Verhandlung und Entscheidung nennt man Verbund. Dieser ist keine Prozessverbindung im Sinne des § 147 ZPO. Trotz gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung bleiben die Verfahren selbständig3. Dafür spricht, dass für die einzelnen Sachen verschiedene Verfahrensordnungen (teils die ZPO, teils das FGG) gelten. Die Selbständigkeit ergibt sich ferner aus § 624 Abs. 4 ZPO, wonach vorbereitende Schriftsätze, Ausfertigungen oder Abschriften den am Verfahren beteiligten Dritten nur insoweit mitgeteilt werden, als das Schriftstück sie betrifft, und Entscheidungen an beschwerdeberechtigte Dritte nur zugestellt werden, soweit sie diese betreffen. Soweit in Folgesachen eine Entscheidung für den Fall der Scheidung zu treffen ist und von einem Ehegatten rechtzeitig begehrt wird, ist hierüber zusammen mit der Scheidungssache zu verhandeln und, sofern die Ehe geschieden wird, zu entscheiden (§ 623 Abs. 1 S. 1 ZPO). Die Entscheidung ergeht durch Urteil (§ 629 Abs. 1 ZPO). Gegen dieses kann Berufung, gegen das Berufungsurteil Revision eingelegt werden, soweit das OLG oder der BGH sie zugelassen haben (§ 543 Abs. 1 ZPO). Diese Rechtsmittel finden auch statt, soweit Entscheidungen in Folgesachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit zusammen mit zivilprozessualen Entscheidungen angefochten werden, zB wenn ein Ehegatte den Scheidungsausspruch und die Durchführung des Versorgungsausgleichs anficht4. Hiervon geht § 629a ZPO stillschweigend aus und regelt nur die Ausnahmen. Eine von diesen besteht darin, dass statt der Berufung die Beschwerde nach § 621e ZPO stattfindet, wenn aus dem Verbundurteil nur eine Folgesache aus dem Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit angefochten werden soll (§ 629a Abs. 2 S. 1 ZPO). 2 Da diese Angelegenheiten dem Rechtspfleger anvertraut (§ 3 Nr. 2a i.V.m. § 14 Abs. 1 Nr. 2 RPflG; §§ 1382 Abs. 5, 1383 Abs. 3 BGB) und deswegen zu Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit gemacht worden sind (§ 621a Abs. 1 S. 1 ZPO), gilt für sie ein anderes Verfahrensrecht als für güterrechtliche Zivilprozesse. 3 OLG Düsseldorf, JurBüro 1986, 299. 4 Arg. § 629a Abs. 2 S. 2 ZPO.
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II. Anschlussrechtsmittel Wenn ein Verbundurteil mit der Berufung oder der Beschwerde angefochten wird, kommt es nicht gerade häufig vor, dass ein Ehegatte oder ein anderer Beteiligter sich dem Rechtsmittel anschließt. Die Frage, ob eine Anschließung noch möglich ist oder ob die hierfür im § 629a Abs. 3 ZPO gesetzten Fristen bereits abgelaufen sind, entsteht aber stets, wenn ein geschiedener Ehegatte gemäß § 706 ZPO ein Zeugnis über die Rechtskraft des Scheidungsausspruchs beantragt, weil er wieder heiraten will. Nur aus diesem Grunde sind Anschlussrechtsmittel im Verbundverfahren praktisch außerordentlich bedeutsam. Für solche Anschlussrechtsmittel gelten unterschiedliche Regeln je nachdem, ob sie dieselbe Familiensache wie das Hauptrechtsmittel betreffen oder ob der Anschlussrechtsmittelführer eine Entscheidung aus dem Verbundurteil anficht, die durch das Hauptrechtsmittel nicht angefochten worden war. Wie der eindeutige Wortlaut des § 629a Abs. 3 ZPO ergibt, regelt diese Bestimmung nur den zuletzt genannten Fall. Ob das Hauptrechtsmittel und die Anschließung verschiedene Gegenstände betreffen, ist gelegentlich zweifelhaft. Betrifft das Hauptrechtsmittel den Ehegattenunterhalt, dann ist der Kindesunterhalt ein anderer Verfahrensgegenstand. Verschiedene Gegenstände sind auch Unterhaltsansprüche mehrerer Kinder, die Zuweisung der Ehewohnung und die Hausratsteilung, der Wertausgleich von Versorgungsanwartschaften und der schuldrechtliche Versorgungsausgleich5. Da bei der Sorgerechtsentscheidung die Geschwisterbindung zu berücksichtigen ist (so bis 1998 ausdrücklich § 1671 Abs. 2 BGB), handelt es sich bei der elterlichen Sorge für mehrere Kinder um einen einheitlichen Gegenstand6. Einheitliche Gegenstände sind auch Elementar- und Vorsorgeunterhalt (§ 1578 Abs. 2, 3 BGB) des Ehegatten7, die Übertragung und die Begründung von Rentenanwartschaften (§ 1587b Abs. 1, 2 BGB), der Zugewinnausgleich und die Anträge auf dessen Stundung oder auf Übernahme von Gegenständen unter Anrechnung auf den Ausgleich8.
5 BGH, FamRZ 1990, 606; Schlosser in Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl. 1993, § 629a Rz. 14; anders Finger im MünchKomm ZPO, 2. Aufl. 2001, § 629a Rz. 27. 6 OLG Schleswig, SchlHA 1980, 188; Finger (Fn. 5) § 621e Rz. 37; Sedemund-Treiber in Johannsen/Henrich, Eherecht, 4. Aufl. 2003, § 621e ZPO Rz. 16; anders OLG Frankfurt, FamRZ 1981, 813; BayObLG, DAVorm 1983, 377 (379); Schlosser (Fn. 5) § 629a Rz. 14. 7 Schlosser (Fn. 5) § 629a Rz. 14. 8 Anders Schlosser (Fn. 5) § 629a Rz. 14.
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1. Anschließung in Familiensachen, die bereits durch das Hauptrechtsmittel angefochten worden sind Soweit Anschließungen diese Sachen betreffen, sind statt des § 629a Abs. 3 ZPO die allgemeinen Bestimmungen der §§ 524, 554, 567 Abs. 3, 574 Abs. 4 ZPO anzuwenden. Diese Vorschriften gelten für Familiensachen, in denen nach Zivilprozessrecht verhandelt und entschieden wird (Scheidungs- und unterhalts- oder güterrechtliche Folgesachen). Wieweit sie auch für Folgesachen aus dem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit gelten, ist später zu untersuchen. a) Zivilprozessuale Familiensachen aa) Berufungsinstanz: Geht in einer Scheidungssache oder einer unterhaltsoder güterrechtlichen Folgesache eine Berufung bei dem hierfür zuständigen Oberlandesgericht9 ein, dann kann dessen Senat für Familiensachen oder sein Vorsitzender dem Berufungsbeklagten eine Frist zur Berufungserwiderung setzen (§ 521 Abs. 2 S. 1 ZPO). Wenn dies geschehen ist, kann sich der Berufungsbeklagte nur bis zum Ablauf dieser Frist der Berufung anschließen (§ 524 Abs. 2 S. 2 ZPO) und die Entscheidung in der Scheidungssache oder der Folgesache anfechten, soweit diese Gegenstand des Hauptrechtsmittels sind. Ist eine Unterhaltssache Gegenstand des Hauptrechtsmittels, so kann er sich zeitlich unbefristet anschließen, wenn die Anschließung künftig fällig werdenden Unterhalt betrifft (§ 524 Abs. 2 S. 3 ZPO). Wird dem Berufungsbeklagten keine Erwiderungsfrist gesetzt, dann kann er bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung über die Berufung Anschlussberufung einlegen10. Die Anschließung erfolgt durch Einreichung einer Berufungsanschlussschrift beim Oberlandesgericht (§ 524 Abs. 1 S. 2 ZPO), in der die Anschließung zu begründen ist (§ 524 Abs. 3 S. 1 ZPO). Sie verliert ihre Wirkung, wenn die Berufung zurückgenommen, verworfen oder gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückgewiesen wird (§ 524 Abs. 4 ZPO). bb) Revisionsinstanz: Wird in zivilprozessualen Familiensachen Revision bei dem hierfür zuständigen Bundesgerichtshof11 eingelegt, so kann sich der revisionsbeklagte Ehegatte der Revision anschließen (§ 554 Abs. 1 S. 1 ZPO). Die Anschließung erfolgt durch Einreichung einer Revisionsanschlussschrift beim Bundesgerichtshof (§ 554 Abs. 1 S. 2 ZPO), in der die Anschließung zu begründen ist (§ 554 Abs. 3 S. 1 ZPO). Sie muss bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung der Revisionsbegründung beim Bundesgerichtshof eingereicht werden (§ 554 Abs. 2 S. 2 ZPO). Sie verliert ihre Wirkung, wenn die 9 § 119 Abs. 1 Nr. 1 lit. a GVG. 10 Gummer/Heßler in Zöller, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 524 Rz. 10; Reichold in Thomas/ Putzo, ZPO, 27. Aufl. 2005, § 524 Rz. 10. 11 § 133 GVG.
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Revision zurückgenommen, verworfen oder gemäß § 552a ZPO durch Beschluss zurückgewiesen wird (§ 554 Abs. 4 ZPO). b) Folgesachen aus dem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit Weder die ZPO noch das FGG regeln die Frage, ob sich der Beschwerdegegner der Beschwerde anschließen kann, wenn gegen eine Folgesachenentscheidung aus dem Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit gemäß § 629a Abs. 2 ZPO ein Rechtsmittel eingelegt worden ist. aa) Zulässig ist die Anschlussbeschwerde in echten Streitsachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, d.h. in Verfahren, in denen das Familiengericht materiell rechtskräftig über private Rechte zwischen Beteiligten entscheidet, die einander als Gegner gegenüberstehen12, z.B. Versorgungsausgleichssachen13, Ehewohnungs- und Hausratssachen14 und Verfahren über Anträge auf Stundung des Zugewinnausgleichs oder auf Zuweisung von Vermögensgegenständen unter Anrechnung auf den Ausgleich15. Hier ist die Interessenlage des Beschwerdegegners ähnlich wie diejenige des Berufungsbeklagten, der in erster Instanz mit seinem Begehren teilweise unterlegen ist. Um zu verhindern, dass er die Entscheidung des Familiengerichts nur vorsorglich anficht, obwohl er eigentlich bereit ist, sie hinzunehmen, wird ihm gestattet, sich nach Ablauf der Beschwerdefrist dem Rechtsmittel des Gegners anzuschließen16. bb) Nicht zulässig ist die Anschlussbeschwerde in Fällen, in denen das Verbot der reformatio in peius (Verschlechterungsverbot) nicht gilt. Die Anschließung dient dazu, dieses Verbot zu mildern. Wo es nicht besteht, kann der Beschwerdegegner sein Ziel, zu seinen Gunsten die vom Beschwerdeführer angefochtene Entscheidung zu ändern, auch ohne Anschließung erreichen. Für eine Anschlussbeschwerde besteht dann kein Rechtsschutzbedürfnis17. Dies gilt z.B. für Verfahren zur Regelung der elterlichen Sorge, des
12 Schmidt in Keidel/Kuntze/Winkler, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 15. Aufl. 2003, § 12 Rz. 226. 13 BGHZ 85, 180 (188) = FamRZ 1983, 44 (46). 14 BGH, FamRZ 1979, 230 (231); anders OLG Zweibrücken, FamRZ 1993, 82 f. = NJW-RR 1993, 649 für das Hausratsverfahren m.w.N. In Hausratssachen darf dem Beschwerdeführer nichts entzogen werden, ohne dass ihm etwas Gleichwertiges zugeteilt wird (so Heintzmann in Soergel, BGB, 12. Aufl. 1987, § 14 HausratsVO Rz. 8; Müller-Gindullis in MünchKomm BGB, 4. Aufl. 2000, § 14 HausratsVO Rz. 6. 15 Sedemund-Treiber (Fn. 6) § 621e ZPO Rz. 30; Borth in Musielak, ZPO, 4. Aufl. 2005, § 621e Rz. 29. 16 BGHZ 86, 51 (54) = FamRZ 1983, 154 f. = NJW 1983, 578; BGHZ 92, 207 (210 f.) = FamRZ 1985, 59 (60) = NJW 1985, 968, st. Rspr.; Borth in Musielak (Fn. 15), § 621e Rz. 29. 17 Sedemund-Treiber (Fn. 6) § 621e Rz. 30a; Borth in Musielak (Fn. 15), § 621e Rz. 29; Philippi in Zöller (Fn. 10), § 621e Rz. 55.
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Umgangs eines Elternteils und der Herausgabe eines Kindes an den anderen Elternteil. Diese Verfahren sollen dem Wohl von Kindern dienen, die ihre Interessen nicht selbst ausreichend wahrnehmen können. Aus diesem Grunde weicht hier das Verschlechterungsverbot dem vorrangigen Grundsatz, dass auch für die Beschwerdeinstanz in erster Linie das Kindeswohl maßgeblich ist18. Eine Entscheidung zu Lasten des Beschwerdeführers hängt hier nicht davon ab, dass sich der Beschwerdegegner der Beschwerde angeschlossen hat. Wenn ein Versicherungs- oder Versorgungsträger Beschwerde gegen die Entscheidung über den Versorgungsausgleich eingelegt hat, muss das Beschwerdegericht die Entscheidung der Vorinstanz in jeder Richtung, auch entgegen dem Ziel der Beschwerde, so ändern, dass sie der materiellen Rechtslage entspricht. Durch eine solche Entscheidung wird die Position des Beschwerde führenden Versorgungsträgers nicht verschlechtert; denn die Frage, ob die Beschwerdeentscheidung zu einer finanziellen Mehrbelastung für ihn führt, lässt sich angesichts der ungewissen Lebensdauer der Ehegatten nicht beantworten19. Deshalb geht sein Interesse nur dahin, dass eine dem materiellen Recht entsprechende Entscheidung ergeht20. Hier gilt das Verschlechterungsverbot nicht. Infolgedessen können sich Ehegatten nicht an die Beschwerde des Versicherungs- oder Versorgungsträgers anschließen21. Eine Ausnahme hiervon gilt nur in dem Fall, dass ein Versorgungsträger seine Beschwerde zulässigerweise auf einen Teil der Entscheidung über den Versorgungsausgleich beschränkt. Der Ehegatte, zu dessen Ungunsten sich die Beschwerde auswirken würde, wenn sie Erfolg hätte, kann sich ihr anschließen, um den von der Beschwerde nicht erfassten Teil der Versorgungsausgleichsentscheidung anzufechten22. cc) Zur Anschließung ist wie im Zivilprozess (§§ 524 Abs. 1 S. 1, 554 Abs. 1, 567 Abs. 3 S. 1, 574 Abs. 4 S. 1 ZPO) nur der Rechtsmittelgegner befugt. Schließt sich ein Ehegatte der Beschwerde eines Dritten (z.B. des Rentenversicherungsträgers, des Jugendamtes, des Kindes oder des Vermieters) an, mit der dieser eine Folgesachenentscheidung angefochten hat, und verfolgt der Ehegatte mit der Anschließung dasselbe Ziel wie der Beschwerdeführer, so ist ihm dies unbenommen. Er kann den Beschwerdeführer unterstützen,
18 BGHZ 85, 180 (186) = FamRZ 1983, 44 (45) = NJW 1983, 173 (174); KG, FamRZ 1986, 1016 (1017). 19 BGH, FamRZ 1981, 132 (133) = NJW 1981, 1274 (1275); FamRZ 1984, 671 Nr. 358 = MDR 1985, 34; BGHZ 92, 5 (12) = FamRZ 1984, 990 (992); BGH, FamRZ 2003, 1738 (1740) = FPR 2004, 21 (23). 20 BGH, FamRZ 1990, 273 (275); st. Rspr. 21 BGH, FamRZ 1985, 59 = NJW 1985, 968; Sedemund-Treiber (Fn. 6) § 621e ZPO Rz. 30a; Schlosser (Fn. 5) § 629a Rz. 11; Hüßtege in Thomas/Putzo (Fn. 10) § 621e Rz. 8; Borth (Fn. 15) § 621e Rz. 30; Philippi (Fn. 17) § 621e Rz. 55. 22 OLG Celle, FamRZ 1985, 939 (940); OLG Frankfurt, FamRZ 1987, 954.
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eine Anschließung liegt hierin jedoch nicht23. Diese Situation ist z.B. gegeben, wenn das Familiengericht die Ehewohnung der Ehefrau zuweist, der Vermieter hiergegen Beschwerde einlegt und auch der Mann sich gegen die Zuweisung der Wohnung an die Frau wendet. Teilt das Familiengericht die Wohnung, begründet es für jeden Ehegatten ein neues Mietverhältnis und setzt die Mieten fest24, so kann der Vermieter Beschwerde mit dem Begehren einlegen, dass die Frau eine höhere Miete zahlen solle. Hier ist die Frau Beschwerdegegnerin und kann sich der Beschwerde mit dem Begehren anschließen, das Beschwerdegericht solle die Miete herabsetzen. Gegen den Mann richtet sich die Beschwerde des Vermieters nicht. Mangels Gegnerstellung kann er nicht im Wege der Anschließung verlangen, dass seine Miete herabgesetzt wird. dd) Eine Frist für die Anschließung sieht das Gesetz für das Beschwerdeverfahren in Folgesachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht vor. § 524 Abs. 2 S. 2 ZPO, der eine Frist für die Anschlussberufung setzt, ist nicht analog anzuwenden25. Dies wäre nur möglich, wenn darin, dass das Gesetz keine Anschließungsfrist vorsieht, eine Gesetzeslücke läge. An eine solche könnte man denken, wenn das Gesetz in allen anderen Fällen, in denen das Hauptrechtsmittel befristet ist, auch die Anschließung befristete. Das ist jedoch nicht der Fall, wie die Regelung des § 567 Abs. 3 ZPO für die sofortige Beschwerde zeigt. Auch hier sieht das Gesetz keine Anschließungsfrist vor26. Wird in Folgesachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit Rechtsbeschwerde beim Bundesgerichtshof eingelegt, so kann sich der Beschwerdegegner entsprechend § 554 Abs. 1 S. 1 ZPO der Rechtsbeschwerde anschließen. Die Anschließung erfolgt durch Einreichung einer Anschlussschrift beim Bundesgerichtshof (analog § 554 Abs. 1 S. 2 ZPO), in der die Anschließung zu begründen ist (analog § 554 Abs. 3 S. 1 ZPO). In der Rechtsbeschwerdeinstanz muss die Anschließungsschrift – anders als in der zweiten Instanz – bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung der Beschwerdebegründung eingereicht werden27. Hier sind die §§ 554 Abs. 2 S. 2, 574 Abs. 4 S. 1 ZPO analog anzuwenden. Darin, dass die Anschließungsfrist nicht gesetzlich geregelt ist, liegt eine unbeabsichtigte Gesetzeslücke. Diese kann durch den allgemeinen Rechtsgrundsatz geschlossen werden, der aus den §§ 554 Abs. 2 23 BGH, FamRZ 1982, 36 (38) = NJW 1982, 224 (226) = MDR 1982, 304 (305); FamRZ 1985, 59 (60) = MDR 1985, 217; FamRZ 1985, 267 (269) = NJW 1985, 2266 = MDR 1985, 829; FamRZ 1985, 799 (800). 24 § 5 Abs. 2 S. 2 HausratsVO. 25 Philippi, FPR 2002, 595; anders Sedemund-Treiber (Fn. 6) § 621e Rz. 29; Weber in Keidel/Kuntze/Winkler (Fn. 12) § 64 Rz. 44a; Philippi in Zöller (Fn. 10) § 621e Rz. 56. 26 Gummer in Zöller (Fn. 10) § 567 Rz. 61; Reichold in Thomas/Putzo (Fn. 10) § 567 Rz. 21; Albers in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 64. Aufl. 2006, § 567 Rz. 22. 27 So schon BGHZ 86, 51 (56) = FamRZ 1983, 154 (155) = NJW 1983, 578.
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S. 2, 574 Abs. 4 S. 1 ZPO zu entnehmen ist, dass in der dritten Instanz die Anschließung befristet ist, wo auch das Hauptrechtsmittel befristet ist. Mit der Anschließung an eine Rechtsbeschwerde kann nur eine Beschwer durch die Entscheidung des Oberlandesgerichts bekämpft werden. Ein Teil des Verfahrensgegenstandes, der mangels eines Rechtsmittels nicht in die zweite Instanz gelangt ist, kann nicht durch Anschließung in die dritte Instanz gebracht werden28. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen, verworfen oder analog § 552a ZPO durch Beschluss zurückgewiesen wird (entsprechend § 554 Abs. 4 ZPO). 2. Anschließung in Familiensachen, die durch das Hauptrechtsmittel noch nicht angefochten worden sind Eine solche Anschließung ermöglicht § 629a Abs. 3 ZPO. Die Bestimmung soll verhindern, dass sich Scheidungen durch Rechtsmittel in Folgesachen unzumutbar verzögern. Das ergibt ihre Entstehungsgeschichte am deutlichsten. Die ursprüngliche Fassung, die § 629a ZPO im ersten Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts vom 14. 6. 197629 erhalten hatte, sah keine Befristung der Anschließung vor. Dies führte dazu, dass ein Scheidungsausspruch auch dann nicht rechtskräftig wurde, wenn nur Entscheidungen in Folgesachen angefochten wurden; denn der Ehegatte, der Rechtsmittelgegner war, konnte bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung über die Berufung Anschlussberufung gegen die Scheidung einlegen. Waren nur Entscheidungen in Folgesachen aus dem Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit Gegenstand des Hauptrechtsmittels (der Beschwerde nach § 621e ZPO), so konnte sich der Rechtsmittelgegner anschließen und den Scheidungsausspruch anfechten, solange über die Beschwerde noch nicht entschieden war. Die hierdurch hervorgerufene Verzögerung der Rechtskraft des Scheidungsausspruchs wurde als unerträglich empfunden. Um sie zu verhindern, wurde durch das Gesetz zur Änderung unterhaltsrechtlicher, verfahrensrechtlicher und anderer Vorschriften vom 20. 2. 198630 § 629 Abs. 3 ZPO geschaffen. Er befristet die Anschließung nach dem Vorbild des § 554 Abs. 2 S. 2 ZPO, soweit sie andere Familiensachen als das Hauptrechtsmittel betrifft. Laufen alle Anschließungs- und Rechtsmittelerweiterungsfristen ab, ohne dass der Scheidungsausspruch angefochten wird, so wird dieser rechtskräftig, bevor über die Folgesachen entschieden wird31.
28 29 30 31
BGH, FamRZ 1983, 683 (684) = NJW 1983, 1858 = MDR 1983, 738. BGBl. 1976 I S. 1421. BGBl. 1986 I S. 301. Sedemund-Treiber (Fn. 6) § 629d ZPO Rz. 5; Borth (Fn. 15) § 629d Rz. 2; Philippi (Fn. 17) § 629a Rz. 37.
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a) Verbundentscheidungen § 629a Abs. 3 S. 1 ZPO bestimmt: Ist eine Verbundentscheidung teilweise durch Berufung, Beschwerde, Revision oder Rechtsbeschwerde angefochten worden, so kann eine Änderung von Teilen der einheitlichen Entscheidung, die eine andere Familiensache betreffen, nur noch bis zum Ablauf bestimmter Fristen beantragt werden. § 629a Abs. 3 S. 1 ZPO ist demnach nur anzuwenden, wenn eine Verbundentscheidung durch ein Rechtsmittel angefochten worden ist. Verbundentscheidungen sind 1. Scheidungsurteile, in denen auch über Folgesachen entschieden worden ist, 2. Entscheidungen eines Familiengerichts oder Oberlandesgerichts, in denen über mehrere Folgesachen zugleich entschieden wird (§ 628 S. 2 ZPO). Keine Verbundentscheidungen sind Teilentscheidungen im Verbundverfahren, durch die nur über einen Verfahrensgegenstand entschieden wird, nämlich die Vorwegentscheidung über elterliche Sorge (§ 627 ZPO) und die Vorabscheidung ohne Folgesachenentscheidungen (§ 628 S. 1 ZPO). b) Rechtsmittelgegner Zur Anschließung befugt ist der Rechtsmittelgegner (§§ 524 Abs. 1, 554 Abs. 1 ZPO). Für das Verbundverfahren bedeutet dies, dass sich jeder Ehegatte dem Rechtsmittel des anderen Ehegatten anschließen kann. Wenn sich das Hauptrechtsmittel nur gegen eine Folgesachenentscheidung richtet, kann mit der Anschließung der Scheidungsausspruch und jede andere Folgesachenentscheidung angefochten werden32. Schließt sich ein Ehegatte der Beschwerde eines Dritten (z.B. des Rentenversicherungsträgers, des Jugendamtes, des Kindes oder des Vermieters) an, mit der dieser eine Folgesachenentscheidung aus dem Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit angefochten hat, und beantragt der Anschließende nunmehr die Änderung einer anderen Folgesachenentscheidung oder die Abweisung des Scheidungsbegehrens, so ist schwer zu erkennen, in welchen Fällen sich Rechtsmittelführer und Anschließender als Gegner gegenüberstehen und wo dies nicht der Fall ist. Dies liegt daran, dass die im Zivilprozess stets klar erkennbare Gegnerstellung der Parteien für das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit untypisch ist. Waren an einem Zivilprozess in der ersten Instanz mehr als zwei Parteien beteiligt, dann darf sich in der zweiten Instanz nur der Berufungsbeklagte der Berufung anschließen, und seine Anschließung muss sich gegen den Berufungskläger richten33. Entsprechendes gilt im Verbundverfahren bei Beschwerden von Drittbeteiligten gegen Folgesachenentscheidungen aus dem Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Wenn sich ein Ehegatte einer sol32 BGH, FamRZ 1980, 233 Nr. 118 = NJW 1980, 702 = MDR 1980, 388 f.; FamRZ 1982, 36 (38) = NJW 1982, 224 (225) = MDR 1982, 304; BGHZ 85, 140 (144) = FamRZ 1982, 1198 = NJW 1983, 172; FamRZ 1982, 1203 = NJW 1983, 514. 33 BGH, ZZP 68 (1955) 51 (54) m.w.N.; AnwBl. 1989, 348; MDR 1992, 76 m.w.N.
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chen Beschwerde anschließt und seine Anschließung gegen den anderen Ehegatten richtet, hat dieser die für die Anschließung unerlässliche Gegnerstellung, wenn auch er die Beschwerde hätte einlegen können, die der Dritte eingelegt hat34. Uneingeschränkt gilt dies allerdings nur für die Anschließung an eine Beschwerde des Vermieters. Da für Beschwerden von Versorgungsträgern oder Jugendämtern das Verbot der Schlechterstellung des Beschwerdeführers nicht gilt35, können solche Rechtsmittel zu Lasten beider Ehegatten ausgehen. Infolgedessen können beide durch Anschließung andere im Verbund entschiedene Familiensachen anfechten36. Verfahrensbeteiligte Dritte sind zur Anschließung nur berechtigt, soweit sie Gegner des Hauptrechtsmittelführers sind37. Gegner ist z.B. das Jugendamt, wenn ein Ehegatte die Umgangsregelung anficht. Dann kann es sich anschließen, um die Regelung der elterlichen Sorge anzufechten. Mangels Gegnerstellung kann es sich aber nicht an eine Berufung wegen des Kindesunterhalts anschließen. Versorgungsträger sind nur Gegner, wenn ein Ehegatte oder ein anderer Versorgungsträger Beschwerde gegen die Regelung des Versorgungsausgleichs eingelegt hat. Schließt sich der zuerst erwähnte Versorgungsträger einer solchen Beschwerde an, so ist für diese Anschließung nicht § 629a Abs. 3 ZPO maßgeblich, weil sie nicht eine andere Familiensache als die Hauptbeschwerde betrifft. Mangels Gegnerstellung können sich Versorgungsträger nicht an Beschwerden des Jugendamtes wegen der elterlichen Sorge anschließen, um die Versorgungsausgleichsregelung anzufechten, und ebenso wenig können sich Jugendämter an Beschwerden der Versorgungsträger anschließen. Drittbeteiligte können sich auch nicht an Berufungen von Ehegatten gegen den Scheidungsausspruch anschließen38. Ebenso wenig können sie sich anschließen, um den Scheidungsausspruch anzufechten39. Der Hauptrechtsmittelführer kann sein Rechtsmittel in der Regel nicht um einen Verfahrensgegenstand (Scheidungsausspruch oder Folgesachenentscheidung) erweitern, den er bisher nicht angefochten hatte. Er kann sich aber einem Anschlussrechtsmittel anschließen. § 629a Abs. 3 ZPO gestattet eine Gegenanschließung40. Die frühere Rechtsprechung des Bundesgerichts-
34 OLG Hamm, FamRZ 1983, 1241 (1242). 35 Oben Fn. 18, 21. 36 Finger (Fn. 5) § 629a Rz. 23; Sedemund-Treiber (Fn. 6) § 629a Rz. 10; Schlosser (Fn. 5) § 629a Rz. 11. 37 OLG Köln, FamRZ 1988, 411; Schmitz, FamRZ 1987, 1101. 38 OLG Köln, FamRZ 1988, 411. 39 BGH, FamRZ 1998, 1024 f. = NJW 1998, 2679 = MDR 1998, 909 f. 40 Schlosser (Fn. 5) § 629a Rz. 15; Sedemund-Treiber (Fn. 6) § 629a Rz. 12; Borth (Fn. 15) § 629a Rz. 24; Philippi, FamRZ 1989, 1258.
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hofs41, die eine solche ebenso wie eine unzulässige Rechtsmittelerweiterung behandelte, lässt sich für das Verbundverfahren nicht aufrechterhalten42. c) Anschließungsfrist § 629a Abs. 3 S. 1, 2 ZPO regeln den Lauf der Anschließungsfrist nach dem Vorbild des § 554 Abs. 2 S. 2 ZPO, der die Anschlussrevision befristet. Die Frist, innerhalb derer ein Anschlussrechtsmittel eingelegt werden kann, beträgt einen Monat. Sie beginnt mit der Zustellung der Begründung des Hauptrechtsmittels (§ 629a Abs. 3 S. 1 ZPO). Von mehreren Zustellungen ist die letzte maßgeblich, wenn in Folgesachen aus dem Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit die Beschwerdebegründung mehreren Beteiligten zugestellt wird, wenn mehrere Hauptrechtsmittel eingelegt und deren Begründungen zugestellt werden43 oder wenn der Rechtsmittelführer innerhalb der Begründungsfrist eine weitere Rechtsmittelbegründung nachreicht und diese zugestellt wird44. In allen diesen Fällen beginnt die Frist erst mit der letzten Zustellung. Sie läuft auch, wenn die Rechtsmittelbegründung einem Beteiligten unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugeht (§ 189 ZPO). Solange sie auch nur einem Beteiligten noch nicht zugestellt worden ist, läuft die Frist nicht45. Das Oberlandesgericht kann die Anschließungsfrist nicht verlängern, weil das Gesetz dies nicht vorsieht (§ 224 Abs. 2 ZPO). § 629a Abs. 3 S. 2, 3 ZPO regeln die Fristen, die einzuhalten sind, wenn ein Anschlussrechtsmittel eingelegt worden ist und ein Ehegatte oder ein anderer Beteiligter (Vermieter, Versorgungsträger, Jugendamt) sich diesem Anschlussrechtsmittel anschließen will. Für den Ablauf der Frist gilt folgendes: Betrifft die erste Anschließung denselben Gegenstand wie das Hauptrechtsmittel, so verlängert sich hierdurch nicht die Frist für weitere Anschließungen, die andere Gegenstände betreffen46. Wird fristgerecht ein Anschlussrechtsmittel eingelegt, das einen anderen Verfahrensgegenstand betrifft als das Hauptrechtsmittel, so verlängert sich die Frist für weitere solche Anschließungen. Beispiel: Wird am 5. Januar die Berufung in der Folgesache Ehegattenunterhalt zugestellt und am 2. Februar die Anschlussberufung in der Folgesache Kindesunterhalt, so kann der Hauptberufungskläger die Folgesache Hausrat bis zum 5. März anfechten.
41 BGHZ 88, 360 (362); FamRZ 1986, 455. 42 OLG Frankfurt, FamRZ 1987, 959 f.; OLG Karlsruhe, FamRZ 1988, 412 m.w.N.; Sedemund-Treiber (Fn. 6) § 629a Rz. 12. 43 Bergerfurth, FamRZ 1986, 941; Schlosser (Fn. 5) § 629a Rz. 16; Finger (Fn. 5) § 629a Rz. 30. 44 So Gummer (Fn. 10) § 554 Rz. 4 für die Anschlussrevision. 45 BGH, FamRZ 1998, 1024 f. m.w.N. = NJW 1998, 2679 = MDR 1998, 909 f. 46 Bergerfurth, FamRZ 1986, 941.
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Dass diese Frist erst am 5. März abläuft, bedarf der Erläuterung. Die Frist für die zweite Anschließung beginnt nicht mit der Zustellung der ersten Anschließung. Sie läuft einen Monat nach der Frist für die erste Anschließung ab, die Frist für die dritte Anschließung einen Monat nach der Frist für die zweite Anschließung47. Die Fristen des § 629a ZPO können die Höchstfristen der §§ 517, 548, 621e Abs. 3 S. 2 ZPO überdauern. Auch nach Ablauf von sechs Monaten seit Verkündung des Verbundurteils können bisher unangefochtene Teile dieser Entscheidung noch angefochten werden, wenn die Anschließungsfristen noch nicht verstrichen sind. d) Rücknahme, Verwerfung, Zurückweisung des Hauptrechtsmittels Wird das Hauptrechtsmittel zurückgenommen, als unzulässig verworfen oder durch Beschluss zurückgewiesen (§§ 522 Abs. 2, 552a ZPO), so verlieren alle Anschließungen ihre Wirkung (§§ 524 Abs. 4, 554 Abs. 4 ZPO), und weitere Anschließungen sind nicht mehr möglich48. Wird ein Anschlussrechtsmittel im Sinne des § 629a Abs. 3 ZPO zurückgenommen oder als unzulässig verworfen, so verlieren alle Anschließungen ihre Wirkung, mit denen sich ein Ehegatte oder ein anderer Verfahrensbeteiligter an das zurückgenommene Anschlussrechtsmittel angeschlossen hat. e) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Verstreicht die einmonatige Berufungs- bzw. Beschwerdefrist, ohne dass ein Rechtsmittel gegen das Verbundurteil eingelegt wird, so wird das Urteil rechtskräftig. Wenn erst nach Eintritt der Rechtskraft ein Rechtsmittel eingelegt wird und dem Rechtsmittelführer Wiedereinsetzung erteilt wird, gelten die zuvor entwickelten Grundsätze über den Lauf der Anschließungsfrist. Diese beginnt auch hier erst mit der Zustellung der Rechtsmittelbegründung. Sie wird nicht bereits mit der Zusendung des Wiedereinsetzungsantrages in Lauf gesetzt. Versäumt ein Ehegatte oder ein anderer Beteiligter die Anschließungsfrist des § 629a Abs. 3 ZPO, so entsteht die Frage, ob ihm Wiedereinsetzung erteilt werden kann. Da Anschließungen in der Frist des § 629a Abs. 3 ZPO begründet werden müssen (analog den §§ 524 Abs. 3, 554 Abs. 3 ZPO), ähnelt die Anschließungsfrist sowohl einer Rechtsmittel- als auch einer Rechtsmittelbegründungsfrist. Werden diese Fristen versäumt, dann hat das Rechtsmittelgericht nach § 233 ZPO Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn der Rechtsmittelführer ohne sein Verschulden verhindert war, die Anschlie-
47 OLG Karlsruhe, FamRZ 1988, 412; Bergerfurth, FamRZ 1986, 941; Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl. 2004, § 166 Rz. 43. 48 BGH, FamRZ 1998, 1024 (1026) = MDR 1998, 909 f. = NJW 1998, 2679.
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ßungsfrist einzuhalten. Dies gilt sinngemäß auch für den Anschlussrechtsmittelführer49. Die Frage, ob dem Anschlussrechtsmittelführer Wiedereinsetzung zu gewähren ist, ist namentlich in den Fällen bedeutsam, in denen Tatsachen, die eine Anschließung rechtfertigen, erst nach Ablauf der Anschließungsfrist entstehen. Wenn z.B. der Ehemann im Verbundurteil zum Unterhalt für seine Frau verurteilt worden ist und nach Ablauf der Frist arbeitslos wird, wird er versuchen wollen, den Unterhalt herabzusetzen. Da er ohne sein Verschulden verhindert war, sein Herabsetzungsbegehren fristgerecht geltend zu machen, ist ihm nach § 233 ZPO Wiedereinsetzung zu gewähren50. Er muss aber die Zweiwochenfrist für den Wiedereinsetzungsantrag (§ 234 ZPO) einhalten. Wird ein Verbundurteil nur wegen der Ehescheidung oder der Unterhaltsregelung angefochten und ereignet sich nach Ablauf der Anschließungsfristen des § 629a Abs. 3 ZPO etwas, das im Kindesinteresse eine Änderung der Entscheidung in den Folgesachen elterliche Sorge, Umgang oder Herausgabe eines Kindes erfordert (§ 1696 BGB, § 18 FGG), so kann auch in diesen Fällen dem Anschlussrechtsmittelführer Wiedereinsetzung in die Anschließungsfrist erteilt werden, wenn er sich wegen dieser Folgesachen der Berufung anschließt51.
49 OLG Karlsruhe , FamRZ 1988, 412 (413); OLG Zweibrücken, FamRZ 2003, 1850 (1851); Sedemund-Treiber (Fn. 6) § 629a Rz. 14a; Bergerfurth/Roegner, Der Ehescheidungsprozess, 15. Aufl. 2006, Rz. 748. 50 Gerichte haben sich verschiedentlich mit dem vergleichbaren Problem befasst, ob die Berufung gegen ein Unterhaltsurteil erweitert werden kann, wenn sich die für die Unterhaltsbemessung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich ändern. In solchen Fällen sind sie von dem Grundsatz abgewichen, dass die Berufung nach Ablauf der Berufungsbegründungfrist nur dann erweitert werden kann, wenn sich die Erweiterung im Rahmen der fristgerecht vorgebrachten Anfechtungsgründe hält. Sie haben dem Berufungsführer die Erweiterung gestattet und ihn nicht auf eine spätere Abänderungsklage verwiesen (so OLG Hamburg, FamRZ 1984, 706 f.; OLG Koblenz, FamRZ 1988, 302 u. 1072 f. = NJW-RR 1988, 1478). 51 In einem solchen Fall hat der BGH (FamRZ 1986, 895 = NJW 1987, 1024 (1026)) ebenso wie die in der vorigen Fußnote zitierten Oberlandesgerichte eine Rechtsmittelerweiterung zugelassen.
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Die Reform der Sachaufklärung im deutschen Zwangsvollstreckungsrecht Inhaltsübersicht I. Die aktuelle Diskussion und der rechtspolitische Handlungsbedarf 1. Vollstreckungsrecht und Rechtspolitik 2. Defizite der aktuellen Gesetzeslage II. Die Vorschläge der Bund-LänderArbeitsgruppe 1. Vermögensauskunft zu Beginn des Vollstreckungsverfahrens 2. Die „Entkoppelung“ von Vermögensauskunft und Schuldnerverzeichnis
III. Weitere Reformschritte: Zentralisierung der Zwangsvollstreckung 1. Beibehaltung der dezentralen Struktur des Vollstreckungsbetriebs 2. Effizienzgewinne eines zentralen Vollstreckungssystems IV. Fazit
I. Die aktuelle Diskussion und der rechtspolitische Handlungsbedarf 1. Vollstreckungsrecht und Rechtspolitik Während die Reform des Rechtsmittelverfahrens und die „Verschlankung“ der Instanzenzüge die rechtspolitischen Diskussionen des letzten Jahrzehnts nachhaltig prägen1, steht das Zwangsvollstreckungsrecht weniger im Fokus des Gesetzgebers. Diese Situation war und ist keineswegs ungewöhnlich: Die Zwangsvollstreckung fristet in justizpolitischen Debatten häufig ein „Schattendasein“ – sie wird bisweilen sogar zum „Verschiebebahnhof“ rechtspolitischer Kompromisse2. Die fehlende Wahrnehmung der Zwangsvollstreckung ist freilich aus justizpolitischer Sicht gefährlich. Die Vollstreckung verwirklicht das Justizmonopol des Staates, ineffiziente Vollstreckungsstrukturen führen zu „privatem Faustrecht“ und individueller Forde-
1 Zur Europäischen Dimension der aktuellen Diskussion vgl. Hess, Effektiver Rechtsschutz vor staatlichen Gerichten aus deutscher und vergleichender Perspektive in Gottwald (Hrsg.), Effektivität des Rechtsschutzes, 2006, S. 121 ff. 2 Zur Kritik an der Übertragung der Kompetenz für die Eidesstattliche Versicherung auf die Gerichtsvollzieher in der 2. Zwangsvollstreckungsrechtsnovelle s. Behr, JurBüro 1998, 231; a.A. Seip, JurBüro 1998, 457.
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rungsdurchsetzung3, die in Kleinanzeigen unter „Russeninkasso“, „Schwarzen Schatten“ etc. auch in Deutschland kein unbekanntes Phänomen sind4. Vielleicht ändert sich jedoch die Wahrnehmung der Zwangsvollstreckung in naher Zukunft. Hierfür sprechen mehrere Faktoren. Zum einen ist eine „Vergemeinschaftung“ der nationalen Vollstreckungsrechte zu erwarten: Die EG-Kommission wird im Verlauf des Jahres 2006 ein Grünbuch zum europäischen Vollstreckungsrecht vorlegen. Erste Rechtsakte des Gemeinschaftsgesetzgebers schließen grenzüberschreitende Kontenpfändungen ein5. Auch im Inland wird inzwischen an einer grundsätzlichen Reform des Vollstreckungsrechts gearbeitet. Zur Vorbereitung weit reichender Vorschläge hat die Justizministerkonferenz zwei (parallele) Arbeitsgruppen eingesetzt. Zum einen soll – durchaus vor dem Hintergrund anstehender europäischer Reformen und in sachlichem Kontext zu den Diskussionen um einen „schlanken Staat“ – der berufliche Status des Gerichtsvollziehers neu geregelt werden. Dabei wird eine Überführung der Gerichtsvollzieher in den Status beliehener Freiberufler diskutiert6. Zunächst plant jedoch die Justizministerkonferenz eine Reform der Sachaufklärung im Zwangsvollstreckungsrecht7. Danach wird die Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung grundlegend neu konzipiert8. Dem Gerichtsvollzieher wird die Kompetenz zur Informationsgewinnung übertragen9. Nachdem die Herbstkonferenz 2005 der Justizministerinnen und -minister die Vorschläge der Arbeitsgruppe im Grundsatz gebilligt hat10, sollen die Vorschläge im Folgenden untersucht 3 Paulus, ZRP 2000, 296. 4 Edenfeld, JZ 1998, 645. 5 Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit und das anwendbare Recht in Unterhaltssachen, die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen und die Zusammenarbeit im Bereich der Unterhaltspflichten vom 15. 12. 2005, KOM (2005) 649 endg. Dazu demnächst Hess/Mack, IPRax 2007. 6 Ein diesbezüglicher Bericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Organisation des Gerichtsvollzieherwesens/Privatisierung“ wurde von der 76. Konferenz der Justizministerinnen und -minister am 29. und 30. 6. 2005 in Dortmund zustimmend zur Kenntnis genommen; derzeit wird ein Gesetzgebungsvorschlag ausgearbeitet. Es handelt sich um ein Projekt im Rahmen der „Großen Justizreform“. Der aus vier Teilen bestehende Zwischenbericht ist im Internet abrufbar unter: http:// www.mj.niedersachsen.de/master/C12398778_N12398283_L20_D0_I693.html. Aus der rechtspolitischen Diskussion: Däumichen, DGVZ 2005, 63; Roth/Karpenstein, ZVI 2004, 442–457. 7 Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung (Stand: 1. 1. 2006), verfügbar unter: www.2.justiz.bayern.de/Gesetzgebung. 8 Vgl. dazu auch Seip, DGVZ 2006, 1. 9 Dies entspricht der Rechtslage in vielen europäischen Nachbarländern, dazu näher unten II 1.b). 10 Beschlüsse der Herbstkonferenz vom November 2005, zugänglich unter http:// www.justiz.nrw.de/JM/justizpolitik/jumiko/beschluesse/2005/herbstkonferenz05/ index.php.
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werden. Wir hoffen sehr, dass diese Überlegungen auf das Interesse von Max Vollkommer stoßen, der als kritischer Beobachter und Kommentator die Justizpolitik der vergangenen Jahrzehnte – auch im Vollstreckungsrecht – aufmerksam verfolgt11. 2. Defizite der aktuellen Gesetzeslage Im deutschen Vollstreckungsrecht obliegt die Aufklärung der Vermögensverhältnisse des Schuldners primär dem Gläubiger. Dieser kann öffentliche Register einsehen; bei der Forderungspfändung Auskünfte vom Schuldner (§ 836 Abs. 3 ZPO) und vom Drittschuldner verlangen (§ 840 ZPO). Schließlich kann der Gläubiger – im Fall des Fehlschlages der Mobiliarvollstreckung – den Schuldner zwingen, seine Vermögensverhältnisse zu offenbaren (§§ 807, 899 ff. ZPO). Bei der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung kombiniert das deutsche Vollstreckungsrecht die Vermögensoffenbarung mit dem sog. Schuldnerverzeichnis. Jeder Schuldner, der seine Vermögensverhältnisse nach § 807 ZPO offen gelegt hat, wird in ein Verzeichnis eingetragen, das diesen Sachverhalt dokumentiert (§§ 915 ff. ZPO). Die Eintragung im Schuldnerverzeichnis bewirkt nach gängigem Sprachgebrauch den „bürgerlichen Tod“ des Schuldners, sprich den völligen Verlust seiner Kreditwürdigkeit. Angesichts dieser (harten) Sanktion platziert das deutsche Vollstreckungsrecht die Offenbarungserklärung des Schuldners an das „Ende“ der Zwangsvollstreckung. Sie dient primär als Druckmittel, um eine Zahlung von Seiten des Schuldners (zur Vermeidung der Sanktion) zu erzwingen und ist kein wirkliches Mittel der Sachaufklärung12. Das aktuelle System der „Sachaufklärung“ ist in vielfacher Hinsicht ineffizient: Es überträgt die Initiativlast vollständig auf den Gläubiger. Dieser hat in der Praxis häufig Schwierigkeiten, überhaupt den Wohnsitz des Schuldners zu ermitteln – das viel gepriesene, zuverlässige deutsche Melderegister erweist sich aufgrund seiner dezentralen Führung auf Gemeindeebene als ein gewaltiges Hemmnis. Hat der Gläubiger – im Zweifel mit Hilfe bekannter Auskunfteien – den Wohnsitz des Schuldners herausgefunden, kann er den Gerichtsvollzieher beauftragen. Dieser wird freilich nicht etwa effektive Mobiliarvollstreckungen beim Schuldner vornehmen – in der Wohnung ist im Zweifel wenig Verwertbares vorhanden. Zweck der Tätigkeit des Ge11 Vgl. Vollkommer in Zöller, ZPO, 25. Aufl. 2005, Einl. Rz. 2 ff.; ferner grundlegend ders., Zur Verfassungsmäßigkeit des Vollstreckungszugriffs, Rpfleger 1982, 1 ff.; Fortschritte auf dem Weg zur Verfahrensvereinheitlichung, in FS Klaus Obermayer, 1986, S. 143 ff.; Streit- und Zweifelsfragen bei der schrittweisen Einführung der Anhörungsrüge in den deutschen Zivilprozess, in FS Georgiades, 2005, S. 499 ff. 12 Allg. Ansicht vgl. etwa Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 7. Aufl. 2003, Rz. 1126; Schnigula, Das Offenbarungsverfahren – Darstellung und Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung, 2001, S. 97 ff.; Gaul, ZZP 108 (1995) 3 (8 ff.).
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richtsvollziehers ist die Erstellung der Fruchtlosigkeitsbescheinigung, die ihrerseits die Ladung des Schuldners zur Abgabe des Vermögensverzeichnisses einleiten soll. Auch die Vermögensauskunft enthält häufig wenige bzw. keine weiterführenden Informationen. Die Gläubiger helfen sich mit Verdachtspfändungen, um Kontenverbindungen des Schuldners zu ermitteln13 – haben sie den Zugriff auf das Konto, versuchen sie im Wege der Hilfspfändung die Kontoauszüge zu erlangen, um mögliche Drittschuldner zu ermitteln14. Der BGH hat allerdings erst kürzlich den Zugriff der Gläubiger auf die Kontoauszüge empfindlich erschwert. Der Anspruch des Kontoinhabers (Schuldners) auf Erteilung von Kontoauszügen und Rechnungsabschlüssen sei ein selbstständiger Anspruch aus dem Girovertrag, der bei einer Kontenpfändung nicht als Nebenanspruch mit der Hauptforderung (§§ 412, 401 BGB) mitgepfändet werden kann15. Dabei erscheint das zur Begründung angeführte Verbot der „Ausforschungspfändung“ problematisch. Ein Verbot der „Ausforschung“ gibt es im Erkenntnisverfahren16; ob es auch im Vollstreckungsverfahren gilt, bei dem das gesamte pfändbare Vermögen des Schuldners dem Gläubigerzugriff unterliegt, erscheint durchaus zweifelhaft. Nicht berührt von dieser Entscheidung bleiben freilich die prozessualen Auskunfts- und Herausgaberechte des Gläubigers aus § 836 Abs. 3 S. 1 ZPO. Dieser Herausgabeanspruch erfasst auch die dem Schuldner erteilten Kontoauszüge. Auf der Grundlage des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses kann dann aber auch die Pfändung und Überweisung der Ansprüche des Schuldners gegen seine Bank auf Erteilung der Kontoauszüge erfolgen (§§ 886, 836 Abs. 3 S. 2 ZPO)17. Die Beispiele verdeutlichen die prekäre Lage des Gläubigers. Dieser ist auf die Mitwirkung privater Anbieter nachhaltig angewiesen – dies „lohnt“ freilich nur bei werthaltigen Forderungen.
13 BGH, MDR 2004, 834: Danach ist ein Formularantrag eines Gläubigers, näher bezeichnete Ansprüche des Schuldners gegen nicht mehr als drei bestimmte Geldinstitute am Wohnort des Schuldners zu pfänden, grundsätzlich nicht rechtsmissbräuchlich. Vgl. dazu Hess, NJW 2004, 2350 (2352). 14 Vgl. BGH, WM 2003, 1891 m. Anm. G. Vollkommer, WuB VI E. § 829 ZPO 1.04; der BGH betont, dass bei der Forderungspfändung die zu pfändende Forderung bestimmt bezeichnet werden muss: BGH, MDR 2005, 1135. 15 BGH, MDR 2006, 220 f. 16 Greger in Zöller, vor § 284 Rz. 5. Ob am überkommenen Dogma des „Ausforschungsverbots“ festzuhalten ist, sei hier dahin gestellt, vgl. dagegen Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl. 2004, § 115 Rz. 18 ff. 17 Dieser Weg wurde von BGH, MDR 2006, 220 nicht erörtert; dazu näher G. Vollkommer, WuB VI E. § 829 ZPO 1.04 unter III. 2.
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II. Die Vorschläge der Bund-Länder-Arbeitsgruppe 1. Vermögensauskunft zu Beginn des Vollstreckungsverfahrens a) Regelung des Gesetzentwurfs Der vorliegende Gesetzentwurf18 verlagert die Informationsbeschaffung auf den Beginn der Zwangsvollstreckung, um dem Gläubiger die Wahl der Vollstreckungsart (und insbesondere die Ermittlung geeigneter Vollstreckungsgegenstände) zu erleichtern. Der Entwurf konzipiert eine zweispurige Informationsgewinnung: Primär ist der Schuldner verpflichtet, dem Gerichtsvollzieher Auskunft über seine Vermögensverhältnisse zu erteilen (§ 802c ZPO-E). Schlägt die Vermögensauskunft fehl, so kann der Gerichtsvollzieher von Dritten Auskünfte einholen (§ 802 ZPO-E). Nach der Neuregelung fordert der Gerichtsvollzieher zu Beginn der Vollstreckung den Schuldner auf, über seine Vermögensverhältnisse umfassende Auskünfte zu geben, insbesondere Vermögensverschiebungen an Dritte zu offenbaren (§ 802c ZPO-E). Die Vermögensauskunft19 erfolgt auf amtlichen Vordrucken, § 802f Abs. 2 ZPO-E.20 § 802f Abs. 1 S. 1 ZPO-E eröffnet dabei eine „Toleranzfrist“ von 14 Tagen, die den Schuldner zur freiwilligen Begleichung der Forderung anhalten soll. Erteilt der Schuldner keine (hinreichende) Vermögensauskunft, holt der Gerichtsvollzieher bei Dritten (öffentlichen und privaten Stellen), insbesondere aus nicht allgemein zugänglichen Datenbanken Auskünfte ein (§ 802l ZPO-E). Zur Auskunft sind insbesondere Sozialleistungsträger, Versicherungsunternehmen, Rentenversicherer, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und das Kfz-Zentralregister verpflichtet. Die ersuchten Stellen erteilen jeweils spezifische Auskünfte über Arbeitsverhältnisse, konkrete Bankverbindungen, Rentenansprüche, die Anschrift des Schuldners etc. Der Entwurf folgt dabei dem Modell des § 643 ZPO, der eine entsprechende Auskunftsbefugnis des Familiengerichts im Unterhaltsprozess statuiert21. Viel 18 S. oben Fn. 7. 19 Die neue Terminologie („Vermögensauskunft“), die (nicht nur) für juristische Laien besser verständlich ist, ersetzt den bisherigen Begriff der Eidesstattlichen Versicherung, § 807 ZPO, der zudem leicht mit der „Versicherung an Eides statt“ verwechselt wurde. 20 Die formularmäßige Offenlegung der Vermögensverhältnisse belastet den Schuldner nicht übermäßig. Denn er kann sich von ihr jederzeit durch die Zahlung seiner titulierten Verbindlichkeit befreien. 21 Allerdings übernimmt der Entwurf nicht vollumfänglich das Modell des § 643 ZPO: Es fehlt vor allem die Möglichkeit, bei den Finanzämtern Auskünfte einzuholen. Hier mag die Idee des „Steuergeheimnisses“ eine gewisse Rolle spielen – andererseits mediatisiert die Auskunft an den Gerichtsvollzieher (und nicht an den Gläubiger selbst) den Gläubiger vom Zugriff auf die Daten des Schuldners, so dass eine Auskunft auch aus Datenschutzgründen möglich erscheint. Auch wäre an eine bundesweite Grundbuchabfrage zu denken. Insgesamt scheint der Vorschlag zu sehr auf die Vollstreckung gegen natürliche Personen zugeschnitten zu sein.
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versprechend erscheinen die in § 802l Abs. 1 Nr. 3 und 4 ZPO-E vorgesehenen Auskunftsmöglichkeiten der Gerichtsvollzieher bei der BAFin und den zentralen Kfz-Registern. (Verborgene) Konten des Schuldners und das Kraftfahrzeug sind häufig die (letzten) substantiellen Vermögenswerte, die für eine Vollstreckung attraktiv sind22. b) Bewertung und Kritik Es ist zu erwarten, dass die neuen Auskunftsbefugnisse 23 des Gerichtsvollziehers nach § 802l ZPO-E die Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung maßgeblich effektuieren24. Die Übertragung der Ermittlungsbefugnisse auf die Vollstreckungsorgane entspricht auch der Rechtslage in vielen europäischen Nachbarländern25. Allerdings überzeugt die dem Entwurf zugrunde liegende „Hierarchie“ zwischen der vorgeschalteten direkten Auskunftserlangung vom Schuldner (§ 802c ZPO-E) und den nachfolgenden Auskunftsersuchen bei Dritten (§ 802l ZPO-E) nicht. Denn dadurch geht für den Gläubiger viel (kostbare) Zeit verloren. Nach der vorgeschlagenen Regelung fordert zunächst der Gerichtsvollzieher den Schuldner auf, binnen zwei Wochen zu zahlen oder die Vermögensauskunft zu erstellen (vgl. § 802f I ZPO-E). Diesen Vollstreckungsaufschub kann der Schuldner durchaus „kreativ“ zur Verschiebung von Vermögen nutzen – immerhin weiß er nun definitiv, dass die Vollstreckung unmittelbar droht. Damit entfaltet die Frist andere Wirkungen als die bisherige Regelung des § 807 Abs. 1 Nr. 4 ZPO, da sie dem Schuldner schon zu Beginn der Vollstreckung einen praktischen Vollstreckungsaufschub gewährt. Dies vermag rechtspolitisch nicht zu überzeugen, da der Überraschungseffekt des Vollstreckungszugriffs, den § 750 ZPO mit der Möglichkeit einer gleichzeitigen Zustellung des Vollstreckungstitels weiterhin eröffnet, ausgehöhlt wird. Allerdings lässt es der Entwurf weiterhin zu, dass der Gläubiger beim Gerichtsvollzieher sofort die Pfändung und Verwertung körperlicher Sachen beantragt (§ 802a Abs. 2 S. 2 ZPO-E), ohne zuvor die Vermögensauskunft des
22 Einzelheiten zur Pfändung des Kfz bei App, DAR 2000, 294 (296 ff.). 23 Dieser Begriff erscheint genauer als die in der Entwurfsüberschrift zu § 802 Abs. 1 ZPO-E verwendete Bezeichnung „Auskunftsrechte“. 24 Zur Rechtslage in Österreich vgl. Stellungnahme Hess für die Bund-Länder-Arbeitsgruppe Reform der Sachaufklärung vom 15. Juli 2004, S. 8 f. m.w.N. (nicht veröff.). 25 Rechtsvergleichende Informationen in der Study JAI A3/02/2002 on Making More Efficient the Enforcement of Judgments within the European Union, S. 39 ff., abrufbar unter: http://europa.eu.int/comm/justice_home/doc_centre/civil/studies/ doc/enforcement_judicial_decisions_180204_en.pdf und unter: http://www.ipr.uniheidelberg.de/studie/index.htm (dort finden sich auch 16 Länderberichte über die Vollstreckungsrechte der „alten“ EU-Mitgliedstaaten).
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Schuldners anzufordern26. Verläuft dieser Pfändungsversuch ergebnislos, ist der Schuldner zur sofortigen Abgabe der Vermögensauskunft verpflichtet (§ 807 Abs. 2 ZPO), kann jedoch – wie jetzt bei § 900 Abs. 2 S. 2 ZPO – der sofortigen Abgabe des Vermögensverzeichnisses widersprechen27. Eine Auskunft bei Dritten nach § 802I ZPO-E ist aber erst zulässig, wenn die Vermögensauskunft durch den Schuldner nicht in dem nach § 807 Abs. 2 ZPO-E i.V.m. § 802f ZPO-E neu zu bestimmenden Termin erteilt wird. Der Gläubiger muss sich danach zwischen dem (überkommenen) überraschenden Vollstreckungszugriff „aufs Geratewohl“ und einem „offenen“ Informationsbeschaffungsverfahren mit notwendiger Beteiligung des Schuldners entscheiden. Der Gesetzentwurf bleibt damit bei der Erschließung von neuen Informationsquellen für den Gläubiger auf halbem Wege stehen. Im Interesse des Gläubigers sollte eine sofortige Informationsbeschaffung bei Dritten nach § 802l ZPO-E möglich sein, ohne zuvor den Schuldner zur Vermögensauskunft aufgefordert (§ 802a Abs. 2 Nr. 2 ZPO-E) oder einen vergeblichen Vollstreckungsversuch unternommen zu haben28. Sieht man darin einen zu weitgehenden Eingriff in die Rechte des Schuldners, sollte eine sofortige Drittauskunft jedenfalls dann möglich sein, wenn der Gläubiger eine drohende Vermögensverschiebung (oder vergleichbare Aktionen des Schuldners) glaubhaft macht. Schließlich wäre die Einführung eines besonderen Anfechtungstatbestandes für Rechtshandlungen zu prüfen, die der Schuldner zwischen der (zuzustellenden, § 802f Abs. 4 ZPO-E) Aufforderung zur Abgabe der Vermögensauskunft und der späteren Vollstreckungsmaßnahme vornimmt. So kann der Gläubiger den „Überraschungseffekt“ der Vollstreckung für einen effektiven Zugriff auf das Schuldnervermögen nutzen. Nicht unbedenklich erscheint der Vorschlag (§ 802f Abs. 1 S. 2 ZPO-E), die Drittauskunft des Gerichtsvollziehers auf Vollstreckungsansprüche von mehr als 500,00 Euro zu begrenzen29. Diese Bagatellgrenze erscheint bei der Vollstreckung von titulierten privatrechtlichen Forderungen nicht sachgerecht30. Denn auch bei kleinen Forderungsbeträgen kann es sinnvoll und 26 Vgl. dazu auch die Begründung des Gesetzentwurfs zu § 807 ZPO-E. 27 In der Schweiz erzwingt Art. 91 SchKG (mit Straffolge) die Anwesenheit des Schuldners bei der Pfändung und die (anschließende) Erteilung der Vermögensauskunft. 28 In rechtsvergleichender Sicht ist die Einräumung einer zusätzlichen Frist ungewöhnlich. Das österreichische Recht ermöglicht beispielsweise dem Gläubiger, der über keine näheren Informationen über die Vermögenssituation des Schuldners verfügt, ein sofortiges Auskunftsrecht bei Dritten, das freilich das Vollstreckungsgericht ausübt, vgl. § 394a EO. 29 Diese Wertgrenze bezieht sich auf die „Hauptforderung“. Unklar bleibt, wie danach künftig fällig werdende (z.B. Unterhalts-)Ansprüche zu behandeln sind. 30 Die in der Entwurfsbegründung zur Begründung herangezogene Vorschrift des § 68 Abs. 1 S. 1 SGB X betrifft die Durchsetzung von öffentlich-rechtlichen Ansprüchen
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notwendig sein, bei der Vollstreckung auf mehrere Vermögensquellen zuzugreifen, die der Schuldner im Rahmen der Selbstanzeige häufig nicht offenbart31. Die vorgeschlagene Grenze erscheint auch im Hinblick auf die Zahlungsmoral bedenklich32. Im Übrigen ist es wenig wahrscheinlich, dass sog. Kleingläubiger extensiv von der Möglichkeit der Drittauskunft Gebrauch machen. Ein Kostentatbestand für die Fremdauskunft nach § 802a Abs. 2 Nr. 3 ZPO-E würde insofern als steuerndes Regulativ wirken33. Zugleich könnte der Aufwand bei den auskunftspflichtigen Stellen abgegolten werden. 2. Die „Entkoppelung“ von Vermögensauskunft und Schuldnerverzeichnis a) Regelung des Gesetzentwurfs Der Entwurf sieht weiter vor, dass die Vermögensauskunft des Schuldners vor allem der Informationsgewinnung für die Zwangsvollstreckung dient. Die Auskünfte sollen 12 Monate lang in einem zentralen Vermögensverzeichnis gespeichert werden, das nur dem Gerichtsvollzieher zugänglich ist (§ 802k ZPO-E) und das weitere Vollstreckungen erleichtert34. Die begrenzte Zugänglichkeit des Registers vermeidet den „Prangereffekt“ des aktuellen Schuldnerverzeichnisses (§ 915 ZPO)35. Sie steht zudem mit dem auch in anderen europäischen Ländern anzutreffenden Regelungsmuster in Einklang, den Vollstreckungsorganen privilegierten Zugang zu bestimmten, vermögensrelevanten Informationen über den Schuldner zu eröffnen36. Das bisherige Schuldnerverzeichnis bleibt nach dem Entwurf als allgemein zugängliches Register erhalten (§ 882h ZPO-E). Eine Eintragung im Schuldnerver-
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in Höhe von mindestens 600 Euro; im Gegensatz zu § 39 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StVG handelt es sich um die Durchsetzung von titulierten Forderungen. Auch ist nach § 39 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 StVG eine Auskunft dann möglich, wenn der Empfänger der Auskunft „ohne Kenntnis der Daten die Geltendmachung, Sicherung oder Vollstreckung des Rechtsanspruchs nicht in der Lage wäre“. Vgl. Hess, NJW 2004, 2350 (2352). Jedenfalls müsste der Kleingläubiger solche Informationen über vorhandene Forderungen des Schuldners erhalten, die der Gerichtsvollzieher anlässlich von anderen Vollstreckungsverfahren im Wege einer Auskunft nach § 802I ZPO-E gewonnen hat. § 802a Abs. 2 S. 2 ZPO-E ist so zu lesen, dass der Gläubiger den Vollstreckungsauftrag nicht nur auf einzelne in Satz 1 genannte Maßnahmen beschränken kann, sondern vor dem kostenrechtlichen Hintergrund auch in der Lage sein muss, den Gerichtsvollzieher auf einzelne Auskunftsquellen zu beschränken. Konsequenterweise sind aber auch die nach § 802l ZPO-E eingeholten Informationen in das Verzeichnis aufzunehmen; sie dienen der Überprüfung der Angaben des Schuldners und vermeiden unnötige Mehrfachabfragen bei den zur Auskunft verpflichteten Dritten. Dazu bereits Stellungnahme Hess (Fn. 24), S. 5 ff. So etwa Art. 91 II SchKG (Schweiz).
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zeichnis erfolgt, wenn der Schuldner seiner Pflicht zur Abgabe der Vermögensauskunft nicht nachkommt (§ 882c Abs. 1 Nr. 1 ZPO-E) oder wenn die Befriedigung des Gläubigers im Wege der Zwangsvollstreckung scheitert (vgl. im Einzelnen § 882c Abs. 1 Nr. 2 und 3 ZPO-E). b) Stellungnahme und Kritik Die vorgeschlagene Neuerung zur Entkoppelung von Vermögensauskunft und Schuldnerverzeichnis ist uneingeschränkt zu begrüßen37. Allerdings erscheint die vorgeschlagene Führung dieser Register als landesweite Datenbanken (§§ 802k Abs. 1, 882h Abs. 1 ZPO-E) nicht ausreichend. Angesichts der bundesweiten Mobilität der Schuldner muss eine entsprechende bundesweite Zugänglichkeit (z.B. über ein einheitliches Internetportal wie im Fall der Insolvenzbekanntmachung38) gewährleistet werden. Im Europäischen Justizraum sollte auch ausländischen Zwangsvollstreckungsorganen die Einsicht ermöglicht werden (zumindest im Wege der Amtshilfe)39; ausländische Vollstreckungsorgane haben ebenso wie ausländische Gläubiger einen Anspruch auf Abschriften nach §§ 802f Abs. 5, 802d S. 2 ZPO-E. Auch die Beibehaltung des Schuldnerverzeichnisses als allgemein zugängliches Register erscheint sachgerecht (§ 882h ZPO-E). Denn der Gläubiger muss vor der Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen die Möglichkeit haben, sich ohne Aufwand über die prinzipiellen Erfolgschancen einer Vollstreckung zu informieren (§ 882f ZPO-E)40. Bei einem allgemein zugänglichen Register könnte dann auch die Notwendigkeit einer Abgabe von „Abdrucken zum laufenden Bezug“ an interessierte Stellen entfallen (§ 882g ZPO-E), was einen wünschenswerten Verwaltungsabbau mit sich brächte. Mit der vorgeschlagenen Neukonzeption der Sachaufklärung folgt das deutsche Vollstreckungsrecht der Rechtsentwicklung in zahlreichen Nachbarstaaten. Es ist zu erwarten, dass der Europäische Gesetzgeber in absehbarer Zukunft ein europaweites Auskunftssystem (zumindest dem Grunde nach) schaffen wird. Ein im Dezember 2005 veröffentlichter Verordnungsentwurf der EG-Kommission für ein grenzüberschreitendes Verfahren zur Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen sieht ein derartiges Verfahren vor41. Es soll 37 So bereits Stellungnahme Hess (Fn. 24), S. 5. 38 Dieser Vorschlag entspricht strukturell der Regelung des § 9 InsO, einer Vorschrift, die sich in der Praxis bewährt. 39 Die Verpflichtung zur Einsichtsgewährung ergibt sich bereits heute aus Art. 10 EG, dazu Hess, Revue critique de droit international privé, 2003, S. 215 ff. 40 Insofern enthält der Entwurf am „versteckten Zwangscharakter“ des Schuldnerverzeichnisses fest. Die massive Sanktion hat sich jedoch als Druckmittel in der Zwangsvollstreckung bewährt. Deswegen erscheint die Beibehaltung (quasi als „ultima ratio“) zielführend. 41 KOM (2005) 649 endg.; Zusammenstellung der Europäischen Rechtsentwicklung bei Hess, ZSR 124 II (2005) 183 ff.; Walther, ZSR 124 II (2005) 301 ff.
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freilich nicht zwischen den Vollstreckungsorganen, sondern zwischen den jeweiligen Zentralstellen der Mitgliedstaaten eingerichtet werden. Auskunftsberechtigt soll der Unterhaltsgläubiger sein.
III. Weitere Reformschritte: Zentralisierung der Zwangsvollstreckung Auch wenn die Ansätze des Regelungsvorschlags beifallswert erscheinen, so sind die grundsätzlichen organisatorischen Regelungen im deutschen Vollstreckungsrecht noch verbesserungsbedürftig. Dies hängt mit der vorgesehenen Beibehaltung der „dezentralen Struktur“ des Vollstreckungsbetriebs zusammen, sprich dem Nebeneinander von Rechtspfleger und Gerichtsvollzieher als zentrale Vollstreckungsorgane. 1. Beibehaltung der dezentralen Struktur des Vollstreckungsbetriebs Der Gesetzentwurf überträgt die Kompetenz zur Informationsgewinnung dem Gerichtsvollzieher42. Die Neuregelung stärkt damit die Rechtsstellung des Gerichtsvollziehers als zentrales Vollstreckungsorgan (dies verdeutlicht auch die Neuregelung der §§ 754 ff. ZPO-E)43. Die neuen Ermittlungsbefugnisse des Gerichtsvollziehers werden die Effizienz der Mobiliarvollstreckung stärken: Künftig kann der Gerichtsvollzieher vor allem rasch das Kraftfahrzeug des Schuldners ermitteln und darauf zugreifen (§ 802l Abs. 1 Nr. 4 ZPO-E). Andererseits ist, wie auch die Arbeitsgruppe festhält44, die FahrnisVollstreckung in der Praxis wenig ertragreich45. Praktisch wichtig ist hingegen die Forderungspfändung, für die allerdings nicht der Gerichtsvollzieher, sondern der Rechtspfleger zuständig ist (§§ 828, 764 ZPO, § 20 Nr. 17 RPflG). Diesem eröffnet der Entwurf nicht die Befugnis, nach § 802l ZPO-E die notwendigen Informationen über Bankverbindungen, Arbeitsverhältnisse
42 Auch die Aufgabe, den Aufenthalt des Schuldners zu ermitteln (§ 755 ZPO-E), erscheint grundsätzlich sachgerecht. Sie muss freilich durch einen Gebührentatbestand abgestuft werden. Die Zuständigkeit des Gerichtsvollziehers bestimmt sich nach dem Ort, an dem die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll, vgl. die entsprechende Regelung in § 3 Abs. 2 AVAG. 43 Die Klarstellung in der Entwurfsbegründung zu § 753 ZPO-E, dass das Vollstreckungsverhältnis zwischen Gläubiger und Gerichtsvollzieher öffentlicher Natur ist, erscheint auch im Hinblick auf eine Übertragung der Zwangsvollstreckung auf die Gerichtsvollzieher als Beliehene sachgerecht. 44 Allgemeine Erläuterung des Regelungsvorschlags, S. 2. 45 Dies gilt bei der Pfändung von Kraftfahrzeugen nicht zuletzt wegen der Schuldnerschutzbestimmung des § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO, die zumindest bei Selbstständigen die Pfändung des Kraftfahrzeuges weitgehend ausschließt, App, DAR 2000, 294 (297).
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oder sonstige Vermögenswerte des Schuldners einzuholen. Vielmehr muss der Gläubiger zunächst über den Gerichtsvollzieher die entsprechenden Informationen einholen (§§ 802f Abs. 5, 802l Abs. 3 ZPO-E). Dann wird er die Informationen an den Rechtspfleger weiterleiten. Letztlich agiert der Gläubiger als „Briefträger“ zwischen Rechtspfleger und Gerichtsvollzieher. Die überkommenen Mehrbefassungen verschiedener Organe bei der Forderungspfändung (und die daraus resultierende Ineffizienz) würde die vorgeschlagene Gesetzeslösung sogar noch verschärfen. Zudem drohen Zeitverluste: Wegen der in § 802f Abs. 1 ZPO-E vorgesehenen Zwei-Wochenfrist muss zunächst der Gerichtsvollzieher den Schuldner kontaktieren. In der Praxis wird der Gläubiger mindestens drei bis vier Wochen Zeit verlieren, bis der Gerichtsvollzieher – nach dem Fehlschlagen der Vermögensauskunft – die entsprechenden Auskünfte über die Vermögensverhältnisse des Schuldners bei Dritten eingeholt hat (§ 802l ZPO-E). Diese (vom Gläubiger nicht kontrollierbare) Regelung erscheint im Hinblick auf das Prioritätsprinzip (§ 804 ZPO) durchaus problematisch46. Alternativ kann der Gläubiger eine Vorpfändung einleiten. Für diese ist zwar der Gerichtsvollzieher zuständig (§ 845 ZPO). Es fehlt jedoch noch an einer hinreichenden Abstimmung mit der neu geregelten Informationsbeschaffung. Denn §§ 754, 755, 802a Abs. 2 ZPO-E setzen die Präsentation des Titels voraus, während § 845 ZPO hierauf verzichtet47. Entschließt sich der Gläubiger („auf gut Glück“) dennoch zur Vorpfändung vor der Informationsgewinnung nach §§ 802c ff. ZPO-E, läuft er Gefahr, dass er – wegen der fristgebundenen Informationsgewinnung nach § 802f ZPO-E – die Monatsfrist des § 845 ZPO bis zur Pfändung nach §§ 828 ff. ZPO nicht wahren kann. Abhilfe könnte hier eine entsprechende Verpflichtung des Drittschuldners zur Auskunft über den Bestand der Forderung ermöglichen (§ 840 ZPO48). Eine Ausweitung des § 840 ZPO erscheint akzeptabel, wenn entsprechend dem österreichischen Regelungsmodell der Drittschuldner für die Abgabe der Erklärung entschädigt wird49.
46 Das österreichische Exekutionsrecht sieht das umgekehrte Verhältnis zwischen Vermögensauskunft und Drittauskunft vor: Nur wenn beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger keine Informationen über Bankverbindungen des Schuldners zu erlangen sind, wird das Offenbarungsverfahren durchgeführt (§ 47 Abs. 2 Nr. 2 EO), Rechberger/Oberhammer, Exekutionsrecht, 3. Aufl. 2002, Rz. 354. 47 Folglich lässt sich das neue Informationssystem für die Vorbereitung von Vorpfändungen nicht nutzen. 48 Nach herrschender Meinung löst die Vorpfändung die Verpflichtung des Drittschuldners zur Auskunft nach § 840 ZPO nicht aus, vgl. dazu etwa Stöber in Zöller, § 845 Rz. 6; Putzo in Thomas/Putzo, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 845 Rz. 10. 49 Dazu bereits Stellungnahme Hess (Fn. 24) S. 11 f. Der Entwurf hat sich mit der Drittschuldnererklärung nicht befasst.
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Man könnte erwägen, nicht dem Gerichtsvollzieher, sondern dem Gläubiger (bzw. dem Anwalt des Gläubigers als „Organ der Rechtspflege“) den erweiterten Zugang zu den vollstreckungsrelevanten Informationsquellen zu eröffnen. Jedoch erscheint ein solcher Zugriff aus Gründen des Daten- und des (allgemeinen) Schuldnerschutzes, aber auch wegen der damit einhergehenden Belastung Dritter, nicht verhältnismäßig. Bedenkenswert erscheint jedoch die Einräumung einer entsprechenden Informationsbefugnis an den Rechtspfleger, sofern dieser weiter für die Forderungspfändung zuständig sein sollte50. Daneben könnte überlegt werden, Pfändungs- und Überweisungsanträge künftig (auch) beim Gerichtsvollzieher zu stellen, die dieser um die erhaltenen Auskünfte ergänzt und dann an das Vollstreckungsgericht (Rechtspfleger) zur weiteren Sachbehandlung weiterleitet. Im Zuge der weiteren Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs erscheint dies auch technisch umsetzbar. Das Büro des Gerichtsvollziehers wäre dann nach außen hin die zentrale und koordinierende Anlaufstelle in allen vollstreckungsrechtlichen Angelegenheiten51. 2. Effizienzgewinne eines zentralen Vollstreckungssystems Die aufgezeigten Schwierigkeiten verdeutlichen die Vorteile eines zentralen Vollstreckungsmodells, d.h. die einheitliche Übertragung der Zuständigkeit für alle Formen der Geldvollstreckung an ein Vollstreckungsorgan52. Für das deutsche Vollstreckungsrecht bedeutet das die Übertragung der Forderungspfändung auf den Gerichtsvollzieher53. Vor dem Hintergrund der verbesserten Informationsbeschaffung erscheint die aktuelle Aufteilung von Mobiliarvollstreckung und Forderungspfändung in den §§ 803–882a ZPO zwischen Gerichtsvollziehern einerseits und Vollstreckungsgericht (Rechtspfleger) anderseits wenig prozessökonomisch. Rechtstatsächliche und -vergleichende Untersuchungen zeigen, dass eine einheitliche Organisation des Vollstre50 Eine solche Regelung zwingt zur Aufgabe des „Hierarchieverhältnisses“ zwischen Vermögensauskunft und Drittauskunft. Zur Einholung von Drittauskünften wären dann Gerichtsvollzieher und Rechtspfleger gleichermaßen befugt – es bestünde freilich die Gefahr der Einholung doppelter Auskünfte. Die Informationsbefugnis wäre in § 828a ZPO durch einen Verweis auf die § 802l ff. ZPO-E zu regeln. 51 Vor dem Hintergrund der zentralen Rolle des Gerichtsvollziehers braucht an der Vermittlerfunktion des Gerichts in § 753 II ZPO nicht länger festgehalten werden; andererseits wäre im Rahmen einer Beleihung der Gerichtsvollzieher deren „Bezirk“ zu erweitern, um einen „Wettbewerb“ unter ihnen herstellen zu können. 52 Zentrale Vollstreckungssysteme finden sich (mit unterschiedlicher Gerichts- und Behördenstruktur) in fast allen europäischen Nachbarländern, vgl. Stellungnahme Hess (Fn. 24) S. 10 f. 53 Die Alternative wäre die Übertragung der Vollstreckung von Geldforderungen auf das Vollstreckungsgericht (wie in Österreich) oder auf eine Vollstreckungsbehörde (wie in der Schweiz und in den skandinavischen Ländern). Mit dem „Bürokratieabbau“ in der Justiz hätte ein derartiges Modell freilich wenig gemein.
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ckungsbetriebs nachhaltige Effizienzsteigerungen bewirkt54. Dies gilt insbesondere für den raschen Zugriff auf Forderungen des Schuldners nach der Informationsgewinnung (die das allgemein zuständige Vollstreckungsorgan durchführt). Effizienzsteigerungen ergeben sich aber auch für die einvernehmliche Schuldenregulierung (§ 802b ZPO-E) sowie im Hinblick auf die Vereinfachung der (momentan überkomplizierten) Rechtsbehelfe im Vollstreckungsrecht. Auch im Sinne einer weiteren Entlastung der Justiz wäre eine Übertragung der Forderungspfändung auf die Gerichtsvollzieher (als beliehene Organe der Rechtspflege) durchaus erwägenswert. Die Übertragung der Forderungspfändung auf die Gerichtsvollzieher hat zudem zur Folge, dass die Aufgabe weiterhin von fachlich qualifizierten Justizorganen wahrgenommen wird55.
IV. Fazit Die Überlegungen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Übertragung der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung gehen in die richtige Richtung. Sie stellen zudem den Anschluss des deutschen Vollstreckungsrechts an entsprechende Entwicklungen in europäischen Nachbarländern sicher. Gleichzeitig werden jedoch weitere Strukturschwächen des deutschen Vollstreckungssystems deutlich: Die Zuständigkeitszersplitterung auf verschiedene Organe bedeutet für den Gläubiger Mehraufwand und Zeitverlust. Einsichtig ist die – allein „historisch erklärbare“ – Dezentralisierung des deutschen Vollstreckungsbetriebs nicht. Eine Übertragung der Forderungspfändung auf die Gerichtsvollzieher, bei gleichzeitiger Neuregelung des Berufsstatus als Beliehene, erscheint der nächste, rechtspolitisch gebotene Reformschritt56. Insgesamt gesehen steht der Umbau des deutschen Vollstreckungsrechts eher am Beginn, denn am Ende einer nachhaltigen Reformperiode.
54 Dies verdeutlicht die Rechtslage in den Nachbarstaaten: dazu Hess, Comparative Remarks on Enforcement Structures in Europe in: Andenas/Hess/Oberhammer, Enforcement Agency Practice in Europe, S. 26 ff. 55 Gegen die (bedenklichen) Überlegungen, die Forderungspfändung auf die Urkundsbeamten zu übertragen, vgl. die berechtigte Kritik von Wiedemann, NJW 2002, 3448. 56 Er würde zugleich Arbeitskapazität bei den Rechtspflegern zur Bearbeitung der Verbraucherinsolvenzverfahren freisetzen.
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Forderungsnachweis für „privilegierte“ Zwangsvollstreckung Inhaltsübersicht I. Formalisierung der Zwangsvollstreckung II. Privilegierte Zwangsvollstreckung bei bestimmten Titeln III. Prozessrechtlicher Aufwand als „Formalismus“ IV. Gegenstand der Geldvollstreckung V. Nur eingeschränkt zulässige Pfändung VI. Forderungsnachweis durch den Verkäufer bei Eigentumsvorbehalt 1. Sachpfändung durch den Gerichtsvollzieher 2. Anspruchspfändung durch das Vollstreckungsgericht VII. Arbeitsvergütung bei Bargeld- und Kontopfändung 1. Pfändung durch den Gerichtsvollzieher
2. Pfändung durch das Vollstreckungsgericht VIII. Vollstreckungs- und Erkenntnisverfahren IX. „Art des Gläubigeranspruchs“ in anderen Schutzvorschriften X. Unbegründete Vorbehalte 1. Interessenlage 2. Titelgrundlage nach Textinterpretation 3. Titel als Ermächtigungsgrundlage für die Zwangsvollstreckung 4. Keine Entscheidung über den titulierten Anspruch 5. Entstehungsgeschichte XI. Prüfung des Vollstreckungsgerichts für Pfändung nach § 850f Abs. 2 ZPO XII. Ergebnis
I. Formalisierung der Zwangsvollstreckung Das materielle Zivilrecht hängt ohne Rechtsdurchsetzung gewissermaßen in der Luft. Rechtsverwirklichung erfordert daher Feststellung des materiellen Zivilrechts im Erkenntnisverfahren und Durchsetzung im Vollstreckungsverfahren1. Das Bestehen des Anspruchs festzustellen ist Aufgabe des Prozessgerichts; der Durchsetzung gerichtlich festgestellter Gläubigerrechte dient die Zwangsvollstreckung2. In der Zwangsvollstreckung wird daher nicht mehr verhandelt und festgestellt, sondern gehandelt3. Folge dieser Trennung von Erkenntnis- und Zwangsvollstreckungsverfahren ist eine For1 Baumann, Zwangsvollstreckung, 1975, § 1 (S. 1). 2 Gaul, Rpfleger 1971, 1 und 5. 3 Gaul, Rpfleger 1971, 81 (85) unter Hinweis auf Rosenberg, Zivilprozessrecht, 9. Aufl., § 169 II 3a, § 182 I; auch BGHZ 109, 275 (280) = NJW 1990, 834, und BGHZ 152, 166 (171) = NJW 2003, 515.
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malisierung der Zwangsvollstreckung; das soll der Rechtssicherheit dienen und ein ebenso zügiges wie energisches Vollstreckungsverfahren gewährleisten4. Formalisiert ist die Zwangsvollstreckung nicht nur hinsichtlich ihrer Zugriffstatbestände5, sondern ebenso bezüglich ihrer Voraussetzungen. Grundlage des Vollstreckungshandelns ist daher ein Vollstreckungstitel (§§ 704, 794 ZPO). Doch kann man auch des Guten zu viel tun. Zur Überwindung des Formformalismus im Prozess hat der Jubilar mit seiner Habilitationsschrift einen herausragenden6 Beitrag geleistet. Dort liest man7, dass „der formstrenge Standpunkt ... nicht zu billigen (ist). Er muß überwunden werden“. Das müsste auch der Meinung widerfahren, die zu der vollstreckungsrechtlichen Frage vertreten wird, die dieser Beitrag beleuchten soll.
II. Privilegierte Zwangsvollstreckung bei bestimmten Titeln Begünstigt ist die Gläubigerforderung, wenn die Zwangsvollstreckung wegen einer Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung betrieben wird. Der Schuldner hat dann die Pfändung seines Arbeitseinkommens nach § 850f Abs. 2 ZPO umfassend hinzunehmen. Die Pfändungsgrenzen des § 850c ZPO sind diesem Gläubiger nicht gesetzt. Belassen werden kann dem Schuldner nur so viel, wie er für seinen notwendigen Unterhalt, der nach dem sozialhilferechtlich notwendigen Lebensbedarf bemessen wird8, und zur Erfüllung seiner laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten bedarf. Nun gibt der Gesetzeswortlaut aber keine Aussage dazu, ob im Erkenntnisoder im Vollstreckungsverfahren zu prüfen und die Bestimmung zu treffen ist, dass der Gläubigeranspruch aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung herrührt. Der BGH9 sieht den Wortlaut des § 850f Abs. 2 ZPO gleichwohl so, dass er es zulässt, ein „Betreiben der Zwangsvollstreckung“ nur dann anzunehmen, wenn sich der Anspruchsgrund der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung aus dem Titel zumindest im Wege der Auslegung ergibt. Entscheidend soll dafür die Aufgabenverteilung zwischen Prozess- und Vollstreckungsgericht sprechen. Durch die Interessenlage soll diese Auffassung gestützt werden. Schließlich soll sie schon durch die Entstehungsgeschichte bestätigt werden. Wenn in dem zu vollstreckenden Titel keine oder nur eine vertragliche Anspruchsgrundlage genannt ist, soll der 4 5 6 7 8
Stöber in Zöller, ZPO, 25. Aufl. 2005, vor § 704, Rz. 22. Gaul, Rpfleger 1971, 81 (91). Rechtsanwalt Dr. Ostler im Geleitwort zu dieser Schrift. Vollkommer, Formenstrenge und prozessuale Billigkeit, 1973, S. 377. BGH, FamRZ 2003, 1466 = NJW 2003, 2918, und FamRZ 2004, 620 = NJW-RR 2004, 506. 9 BGHZ 152, 166 (169). Zu diesem Beschluss Ahrens, NJW 2003, 1371, sowie Gaul in FS Gerhardt, 2004, S. 259, und DGVZ 2005, 113 (120).
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Gläubiger im Vollstreckungsverfahren nicht mehr nachweisen können, dass der titulierte Anspruch auch auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung beruht. Es soll mit Feststellungsklage dem Schuldner (selbst wenn gegen diesen ein rechtskräftiger Strafbefehl ergangen ist) erst einmal sachgerechte Verteidigung vor dem Prozessgericht ermöglicht werden.
III. Prozessrechtlicher Aufwand als „Formalismus“ Sieht man es so, dann kann die Frage nicht unbedacht bleiben, ob nicht des Guten zu viel in das Erkenntnisverfahren verlagert wird. Der Gläubiger, der eine Zahlungsklage erhebt, erstrebt Entscheidung über seinen Anspruch, damit dieser (erforderlichenfalls) im Vollstreckungsverfahren zwangsweise verwirklicht werden kann. Er erwartet ein effektives Verfahren und damit vor allem Rechtsschutz „in angemessener Zeit“10. Wenn der Schuldner Arbeitseinkommen (§ 850 ZPO) nicht hat, hat der Gläubiger kein (und schon gar kein „schützenswertes“) Interesse daran, dass im Erkenntnisverfahren auch noch darüber verhandelt und geprüft wird, ob etwa sein begründeter Kaufpreis- (§ 433 Abs. 2 BGB) oder Darlehensanspruch (§ 488 Abs. 1 BGB) ebenso als Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung geschuldet ist. Auf diesen rechtlichen Grund wird er seinen Anspruch daher erst gar nicht stützen. Will der Gläubiger gleichwohl auch den weiteren Anspruchsgrund der unerlaubten Handlung in das Urteil bringen (über den sich dann nicht nur vortrefflich, sondern ebenso zeit- und kostenaufwändig streiten lässt), dann kann der Schuldner, wenn der Rechtsstreit zur Endentscheidung reif ist11 (§ 300 ZPO), schon in Vermögensverfall geraten sein. Dem Gläubiger bleibt dann lediglich die Gewissheit, dass sich sein „qualifiziertes“ Zahlungsurteil wenigstens noch zur Durchführung eines Offenbarungsverfahrens nach erfolgloser oder aussichtsloser Zwangsvollstreckung eignet (§§ 807, 900 ff. ZPO). Nur hat er deshalb Rechtsschutz nicht begehrt und sich ein effektives Rechtsschutzverfahren etwas anders vorgestellt. Sieht der Gläubiger daher davon ab, den Schuldgrund der unerlaubten Handlung in die Verurteilung aufnehmen zu lassen, dann kann es ihm bei Zwangsvollstreckung zustoßen, dass der Schuldner pfändbares Vermögen und Einkünfte aus Gewerbebetrieb oder selbstständiger Arbeit, Kapitalvermögen und was es sonst noch gibt, gleich aus welchem Grund, nicht mehr
10 Dazu Vollkommer in Zöller, Einl., Rz. 49, 50. 11 Dafür muss, wenn das Klagebegehren auf verschiedene rechtliche Gründe gestützt ist und einer dem Kläger eine bessere Rechtsposition verleiht, z.B. in der Zwangsvollstreckung nach § 850f Abs. 2 ZPO, das Gericht klären, ob (auch) dieser dem Kläger zusteht. So will es jedenfalls das Schrifttum, z.B. Musielak in MünchKomm ZPO, 2. Aufl. 2000, § 300, Rz. 4; wohl auch Hartmann in Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann, ZPO, 64. Aufl. 2006, § 300, Rz. 10.
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hat. Verfügt er nun aber aus inzwischen aufgenommener nichtselbstständiger Erwerbstätigkeit über hinreichende Arbeitseinkünfte oder bezieht er jetzt eine „wie Arbeitseinkommen pfändbare“ laufende soziale Geldleistung (§ 54 Abs. 4 SGB I), dann soll dem Gläubiger der qualifizierte Vollstreckungszugriff nach § 850f Abs. 2 ZPO verwehrt sein. Man mag es sehen wie man will: Verkehrt kann es immer sein. Dabei würde das Mahnverfahren den kürzesten und auch billigsten Weg bieten, zu einem Vollstreckungstitel zu gelangen. Es ist dazu bestimmt, einfache, weil unbestrittene Verhältnisse einfach zu handhaben12. Hier besteht zudem, wie man vom BGH13 erfährt, für den Schuldner zur Einlegung des Widerspruchs keine Veranlassung, wenn er den geforderten Betrag – obschon aus einem anderen Rechtsgrund – jedenfalls im Ergebnis schuldet. Nur kann, vielleicht weil das zu einfach wäre, dann durch Vorlage eines Vollstreckungsbescheids eben der Nachweis einer Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung für privilegierte Vollstreckung nach § 850f Abs. 2 ZPO nicht geführt werden14. Dafür kann aber der Gläubiger, der auf dem kürzesten und billigsten Weg, eben im Mahnverfahren, rasch einen Vollstreckungstitel erlangt hat, den Nachweis des erstrebten Vollstreckungsprivilegs ja noch mit Feststellungsklage begehren15. Ob Mehrkosten dieses Zweitverfahrens zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig sind, wer sie somit zu tragen hat, erfährt man allerdings nicht. Recht effektiv ist dieser Weg zum Recht nicht gerade. Der Gläubiger, der mit einem im Bundesgebiet vollstreckbaren ausländischen Zahlungstitel Arbeitseinkommen seines Schuldners pfänden will, soll zudem nicht übersehen werden – was indes stets geschieht. Soll auch er für Zwangsvollstreckung im Inland zur Bemessung des dem Schuldner nach § 850f Abs. 2 ZPO pfandfrei zu belassenden Lebensbedarfs etwa noch mit „titelergänzender“ Feststellungsklage im Erkenntnisverfahren die Prüfungskompetenz des Gerichts des ausländischen Staates in Anspruch zu nehmen haben? Es ist jedenfalls so, wie zumeist: Ein so unverständliches Ergebnis ist eben auch nicht richtig.
12 BGHZ 150, 221 (225) = NJW 2002, 2794; Petermann, Rpfleger 1957, 395, unter Hinweis auf Motive 412. 13 BGH, NJW 2005, 1663 (1664 li. Sp.). Zu diesem Beschluss Gaul, NJW 2005, 2894. 14 BGH, NJW 2005, 1663. 15 BGHZ 152, 166 (171); BGH, NJW 2005, 1663. Zur Zulässigkeit der Feststellungsklage auch bereits BGHZ 109, 275 = NJW 1990, 834.
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IV. Gegenstand der Geldvollstreckung Für den vollstreckbaren Geldanspruch des Gläubigers haftet – wenn nicht schon der Titel ausnahmsweise eine Beschränkung bestimmt wie z.B. im Falle von §§ 781, 786a ZPO – das ganze Vermögen des Schuldners16. Dieses ist daher auch Gegenstand der Zwangsvollstreckung17. Fest steht damit das Vollstreckungsobjekt im Einzelfall bei Erlass des Titels noch nicht. Der Gläubiger kann wegen seiner Geldforderung körperliche Sachen seines Schuldners ebenso pfänden und verwerten lassen (§§ 808–827 ZPO) wie Forderungen und andere Vermögensrechte (§§ 828–863 ZPO). Gleichwohl darf nicht auf jeden Vermögensgegenstand zugegriffen werden18. Auch bei unbeschränktem materiellen Anspruch – wenn nicht der Titel von Anfang an den Vollstreckungszugriff beschränkt – bestimmt das Vollstreckungsverfahrensrecht Einschränkungen. Gesetzlich sind damit Vermögenswerte des Schuldners aus den verschiedenartigsten Gründen der Zwangsvollstreckung entzogen oder auch nur in eingeschränktem Umfang unterworfen; das kann auch zur Folge haben, dass eine Vollstreckungsmaßregel wieder aufzuheben ist19. Vorwiegend beruhen diese Bestimmungen auf der Erwägung, dass die staatliche Pflicht zur Vollstreckung nur so weit reicht, dass ein menschenwürdiges Leben des Schuldners nicht gefährdet wird20. Vielfach gewährleisten sie Zweckgebundenheit einer Forderung des Schuldnervermögens aus anderen Gründen. Als Schutzvorschriften sehen Pfändungsverbote vor, dass dem Schuldner die wichtigsten für den Lebensbedarf benötigten Gegenstände21 zu belassen sind (§ 811 ZPO) und Teile seines Arbeitseinkommens für den Lebensunterhalt22 zu verbleiben haben. Bei der Pfändung von Arbeitseinkommen findet der Schuldner Schutz zur Sicherung seines Lebensbedarfs in abgestufter Form. Grundsätzlich kann Einkommen nur gepfändet werden, wenn es die Freibeträge des § 850c ZPO übersteigt. In weiterem Umfang können Gläubiger bevorrechtigter Unterhaltsansprüche zugreifen. Weil sie in besonderem Maße bedürftig und vom Schuldner abhängig sind, sieht § 850d ZPO eine verschärfte Einkommenspfändung und damit eine weitergehende Beschränkung der dem Schuldner für seinen Lebensunterhalt verbleibenden Einkommensteile vor. In ähnlicher Weise schränkt § 850f Abs. 2 ZPO den Pfändungsschutz des Schuldners einer Forderung aus vorsätzlicher
16 Münzberg in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2002, vor § 704, Rz. 33; Stöber in Zöller, vor § 704, Rz. 18. 17 Münzberg in Stein/Jonas, vor § 803, Rz. 11. 18 Lüke in Wieczorek/Schütze, ZPO, 3. Aufl. 1999, § 803, Rz. 12. 19 Hierzu z.B. Münzberg in Stein/Jonas, vor § 704, Rz. 41. 20 Münzberg in Stein/Jonas, § 811, Rz. 1; Stöber in Zöller, § 811, Rz. 3. 21 Münzberg in Stein/Jonas, § 811, Rz. 1. 22 Stöber, Forderungspfändung, 14. Aufl. 2005, Rz. 872.
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unerlaubter Handlung ein; für sie hat der Schuldner bis zur Grenze seiner Leistungsfähigkeit einzustehen23. Diese Pfändungsbeschränkungen sind prozessrechtlicher Natur24; die Vollstreckungsorgane haben sie zu wahren und daher auch selbstständig zu prüfen; sie sind von Amts wegen zu beachten25. Das Prozessgericht ist mit ihnen nicht befasst. Daher hat der Zahlungstitel, dessen (vollstreckbare) Ausfertigung Grundlage der Geldvollstreckung ist, sie nicht festzustellen und Schutzvoraussetzungen auch nicht (notwendig) auszuweisen.
V. Nur eingeschränkt zulässige Pfändung Keine Regel ohne Ausnahme. Auch prozessrechtliche Pfändungsbeschränkungen aus Gründen der Zweckbindung können nicht ausnahmslos gelten. Es ist eine wegen ihres Verwendungszwecks unpfändbare Schuldnerforderung vielmehr pfändbar, wenn sie durch die Vollstreckungsmaßnahme ihrer Zweckbindung zugeführt wird26, im Einzelfall auch, wenn die Pfändung der Billigkeit entspricht. Solche Pfändungsmöglichkeiten bestimmen z.B. – § 850a Nr. 5 ZPO: Unpfändbare Heirats- und Geburtsbeihilfen sind bei Vollstreckung eines aus Anlass der Heirat oder Geburt entstandenen Anspruchs pfändbar. – § 76 EStG und § 54 Abs. 5 SGB I: Kindergeld kann (nur) wegen gesetzlicher Unterhaltsansprüche eines Kindes, das bei der Feststellung des Kindergeldes berücksichtigt ist, gepfändet werden. Für die Höhe des pfändbaren Betrags kommt es überdies darauf an, ob ein Zahl- oder Zählkind vollstreckt. – § 54 Abs. 3 Nr. 2a SGB I: Wohngeld unterliegt der Pfändung (nur) wegen eines Gläubigeranspruchs, der Gegenstand der §§ 5 und 6 des Wohngeldgesetzes (WoGG) ist. – § 850b Abs. 2 ZPO: Unpfändbare Renten und rentenähnliche Bezüge können gepfändet werden, wenn u.a. auch nach der Art des beizutreibenden Anspruchs die Pfändung der Billigkeit entspricht. Unpfändbarkeit einer Schuldnerforderung begründet ihr Verwendungszweck auch, wenn er sich auf materielles Recht gründet oder bei Anspruchsbegründung als Leistungsinhalt bestimmt ist27. Auch in diesen Fällen ist eine 23 Stöber, Forderungspfändung, Rz. 1190, und in Zöller, § 850f, Rz. 8. 24 Münzberg in Stein/Jonas, vor § 704, Rz. 41 mit 104, und § 811, Rz. 8; Schilken in MünchKomm ZPO, § 811, Rz. 8; Lüke in Wieczorek/Schütze, § 811, Rz. 13. 25 BGHZ 137, 193 (197) = NJW 1998, 1058; Münzberg in Stein/Jonas, § 811, Rz. 8; Lüke in Wieczorek/Schütze, § 811, Rz. 11; Stöber in Zöller, § 811, Rz. 9. 26 BGH, MDR 1978, 747 = Rpfleger 1978, 248. 27 BGH, Rpfleger 1978, 248; Stöber, Forderungspfändung, Rz. 14.
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zweckgebundene Forderung gleichwohl pfändbar, wenn sie durch die Vollstreckungsmaßnahme ihrem Verwendungszweck zugeführt wird. Beispiele28: Die Forderung aus der Versicherung einer unpfändbaren Sache kann (nur) an Gläubiger übertragen und damit (nur) von Gläubigern gepfändet29 werden, die dem Schuldner als Versicherungsnehmer andere Sachen zum Ersatz der zerstörten oder beschädigten Sache geliefert haben (§ 15 VVG mit § 851 Abs. 1 ZPO). Der Beihilfeanspruch eines Beamten ist (nur) für eine Gläubigerforderung pfändbar, die anlässlich der Krankheit oder des sonstigen Beihilfefalls als beihilfefähige Aufwendung entstanden ist30. Der wegen seiner treuhänderischen Zweckgebundenheit unpfändbare Prozesskostenvorschuss (§ 1360a BGB) ist für den Kostenanspruch des Prozessbevollmächtigten und des Gerichts pfändbar31. Als zweckgebundene Forderungen unpfändbare Baugelder können von Baugläubigern (auch Lieferanten von Baumaterial) gepfändet werden32. Für die Zulässigkeit der Pfändung kommt es in diesen Fällen auf den Schuldgrund oder Besonderheiten (Eigenarten) der Gläubigerforderung an. Gleichwohl ist nicht bestimmt, dass sich der Zweck (die Rechtsnatur) der Gläubigerforderung als Voraussetzung der Pfändung schon aus dem Vollstreckungstitel ergeben müsste. Das kann auch nicht gefordert oder angenommen werden. Schon der Feststellungsantrag, dass ein Kaufpreis- oder Darlehensanspruch aus Anlass der Heirat oder Geburt entstanden ist (Fall des § 850a Nr. 5 ZPO), würde sich nicht gerade als naheliegend und lebensnah erweisen. Feststellung bereits im Erkenntnisverfahren, dass Gläubiger des Unterhaltsanspruchs ein Kind ist, das später zur Zeit der Vollstreckung bei der Feststellung des Kindergeldes berücksichtigt ist und ob es dann Zahl- oder Zählkind ist, wird dem Prozessgericht nicht gelingen. Ob Feststellung im Urteil, dass die Gläubigerforderung Gegenstand der §§ 5 und 6 WoGG ist, nahe liegt, mag hier dahingestellt bleiben; es genügt die Erkenntnis, dass zutreffendenfalls das für so einfache und alltägliche Ansprüche bestimmte Mahnverfahren als der kürzeste und billigste Weg zum Vollstreckungstitel versagt wäre, weil der Nachweis durch Vorlage eines Vollstreckungsbescheids nicht geführt werden könnte (Abschn. III a.E.). Für die bedingte Pfändbarkeit nach § 850b Abs. 2 ZPO schließlich genügt es, auf den Taschengeldanspruch hinzuweisen. Ob er pfändbar ist, ist eine vollstreckungsrechtliche Frage33; daher gehört auch die Feststellung der für die Billigkeit der Pfändung erheblichen 28 29 30 31
Beispiele stellt auch BGH, NJW-RR 2005, 720 dar. Stöber, Forderungspfändung, Rz. 311. BGH, NJW-RR 2005, 720. BGHZ 94, 316 = FamRZ 1985, 802 = NJW 1985, 2263; Stöber, Forderungspfändung, Rz. 170 und 1012. 32 Stöber, Forderungspfändung, Rz. 80 m.w.N. 33 BGH, NJW 2004, 2450 (2451 li. Sp.).
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Tatsachen (wie schließlich auch noch der Umstände für die Entstehung der Gläubigerforderung34) nicht in das Erkenntnisverfahren. Folgerichtig verlangt selbst der BGH35 (zutreffend) auch nur, dass solche Tatsachen, zu denen vor allem die Art des beizutreibenden Anspruchs gehört, durch den darlegungsund beweispflichtigen Gläubiger vorzutragen sind, damit jedoch nicht, dass etwa privilegierte Ansprüche i.S. der §§ 850d, 850f Abs. 2 ZPO sich aus dem Titel (nur) deshalb zu ergeben haben, weil ihre Beitreibung der Billigkeit entsprechen kann. Das ist schon deshalb bemerkens- und beachtenswert, weil der (IXa-ZS des) BGH damit (für den Beschluss vom 19. 3. 2004, Fn. 34) die gerade einmal 18 Monate früher in dem Beschluss (des IX. ZS) vom 26. 9. 2002 (Fn. 9) ins Licht gerückte Aufgabenverteilung zwischen Prozess- und Vollstreckungsgericht schon wieder aus dem Auge verloren hatte, nach der allein durch das Prozessgericht darüber befunden und durch den Vollstreckungstitel festgelegt werden müsse, welche Rechte dem Gläubiger zustehen und durchsetzbar sind.
VI. Forderungsnachweis durch den Verkäufer bei Eigentumsvorbehalt 1. Sachpfändung durch den Gerichtsvollzieher Wenn der Verkäufer eine durch Eigentumsvorbehalt gesicherte Geldforderung vollstreckt, besteht Unpfändbarkeit der Sache, die § 811 Abs. 1 Nr. 1, 4, 5–7 ZPO bestimmt, nicht (§ 811 Abs. 2 Satz 1 ZPO)36. Zulassung „privilegierter“ Sachpfändung durch den Vorbehaltsverkäufer erfordert damit Prüfung der Gläubigerforderung. Dass diese Prüfung durch den Gerichtsvollzieher zu erfolgen hat, war für den Gesetzgeber selbstverständlich37; er bringt das auch in § 811 Abs. 2 Satz 2 ZPO für den Nachweis der Gläubigerforderung zum Ausdruck. Diese Regelung unterscheidet sich im Grundsatz nicht von der Bestimmung des § 850f Abs. 2 ZPO. Dort ist der Gläubiger einer Forderung privilegiert, die durch vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung entstanden ist, im Falle des § 811 Abs. 2 ZPO ist es der Gläubiger einer durch den Eigentumsvorbehalt gesicherten Kaufpreisforderung. In beiden Fällen ist für Zulassung der Pfändung, damit im Vollstreckungsverfahren38,
34 BGH, NJW 2004, 2450 (2452). 35 BGH (Fn. 34). 36 Zu § 811 Abs. 2 ZPO und zur Entstehungsgeschichte eingehend Münzberg, DGVZ 1998, 81. 37 Dazu näher Begründung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung zwangsvollstreckungsrechtlicher Vorschriften (2. Zwangsvollstreckungsnovelle), BT-Drs. 13/341, S. 24. 38 Dass dem Gerichtsvollzieher als Vollstreckungsorgan Prüfung eines vollstreckungsrechtlichen Pfändungserfordernisses obliegt, ist allgemeine Ansicht, so ins-
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der privilegierte Anspruchsgrund der Gläubigerforderung zu prüfen. Das gebietet Gleichstellung und Gleichbehandlung. Auch für privilegierte Pfändung des Arbeitseinkommens kann Forderungsnachweis nur durch Urteil daher nicht gefordert werden. Dass der Gläubiger auf Urkundennachweis (§ 416 ZPO) – nicht damit auf Nachweis nur durch den Vollstreckungstitel – beschränkt ist, bestimmt § 811 Abs. 2 Satz 2 ZPO nur für die Pfändung der körperlichen Sache durch den Gerichtsvollzieher (§ 808 Abs. 1 ZPO), nicht auch für die Geldvollstreckung in Forderungen, damit nicht auch für die Pfändung von Arbeitseinkommen. Diese Einschränkung auf den Urkundennachweis will der weitgehenden Formalisierung der Zwangsvollstreckung durch den Gerichtsvollzieher gerecht werden39. Das soll eine Vereinfachung und Beschleunigung dieses Vollstreckungsverfahrens bewirken, ohne den Schuldner oder die öffentlichen Interessen „im Ergebnis“ zu beeinträchtigen40. Für den Urkundennachweis ist natürlich – was ebenfalls in der Gesetzesbegründung dargestellt ist41 – in erster Linie an den zu vollstreckenden Titel zu denken. Wenn sich aus diesem der Eigentumsvorbehalt nicht ergibt, wie dies etwa beim Versäumnisurteil oder Vollstreckungsbescheid der Fall ist, kann der Eigentumsvorbehalt („beispielsweise“) auch mit Hilfe der Kaufvertragsurkunde nachgewiesen werden42. Damit ist schließlich auch die mit der Vollstreckungsklausel (§§ 724, 725 ZPO) versehene abgekürzte Ausfertigung des Urteils (§ 317 Abs. 2 Satz 2 ZPO) als Titelgrundlage der Geldvollstreckung43 nicht entwertet. 2. Anspruchspfändung durch das Vollstreckungsgericht Vollstreckungsrechtliches Prüfungserfordernis kann auch bei Forderungspfändung sein, ob der Gläubiger eine durch Eigentumsvorbehalt gesicherte Geldforderung aus dem Verkauf einer Sache vollstreckt. Das zeigt sich, wenn Pfändung einer Abzahlungssache durch den Gerichtsvollzieher nicht erfolgen kann, weil sie sich im Gewahrsam eines nicht zur Herausgabe bereiten (sonst § 809 ZPO) Dritten befindet. Der Vorbehaltsverkäufer kann dann wegen seiner Geldforderung die Zwangsvollstreckung durch Pfändung des Herausgabeanspruchs betreiben (§ 846 ZPO). Sie erfolgt durch Pfändungsbeschluss des Vollstreckungsgerichts (§ 846 mit § 829 ZPO). Diese Anspruchspfändung führt zur weiteren Zwangsvollstreckung in die heraus-
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besondere auch Münzberg, DGVZ 1998, 81 (84) und in Stein/Jonas, § 811 Rz. 76; Schuschke/Walker, Zwangsvollstreckung, 3. Aufl. 2002, § 811 Rz. 7; Becker in Musielak, ZPO, 4. Aufl. 2005, § 811 Rz. 30; Thomas/Putzo, zu § 811, Rz. 41; Lüke in Wieczorek/Schütze, ZPO, § 811 Rz. 63; Stöber in Zöller, § 811, Rz. 39. BT-Drs. 13/341, S. 26. Begründung BT-Drs. 13/341, S. 24. BT-Drs. 13/341, S. 24. Auch dies nach der Begründung BT-Drs. 13/341, S. 24. Stöber in Zöller, § 725, Rz. 2.
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zugebende Sache, damit zur Verwertung durch den Gerichtsvollzieher und Gläubigerbefriedigung aus dem Versteigerungserlös (§ 847 ZPO). Daher erfordert schon die Anspruchspfändung, dass die Sache der Pfändung unterworfen ist und damit im Wege der Zwangsvollstreckung durch den Gerichtsvollzieher verwertet werden kann. Ausgeschlossen ist die Anspruchspfändung somit, wenn die herauszugebende Sache nicht pfändbar ist44. Zulässig ist sie aber auch dann für Herausgabe einer nach § 811 Abs. 1 Nr. 1, 4, 5–7 ZPO unpfändbaren Sache, wenn der Verkäufer der durch Eigentumsvorbehalt gesicherten Geldforderung aus ihrem Verkauf vollstreckt (§ 811 Abs. 2 ZPO). Weil das Pfändungsverbot stets von Amts wegen zu beachten ist (Abschn. IV a.E.), ist somit für die Anspruchspfändung durch den Rechtspfleger des Vollstreckungsgerichts zu prüfen, ob der Gläubiger die durch Eigentumsvorbehalt gesicherte Kaufpreisforderung vollstreckt. Formalisierung der Zwangsvollstreckung gebietet nach Bestimmung des Gesetzgebers (§ 811 Abs. 2 Satz 2 ZPO) auch für diese Prüfung Urkundennachweis. In gleicher Weise obliegt die Prüfung, ob die Geldforderung des Gläubigers privilegiert vollstreckt werden kann, dem im Vollstreckungsverfahren zur Entscheidung über den Rechtsbehelf zuständigen Gericht, wenn die Maßnahme des Rechtspflegers mit Erinnerung oder Beschwerde angefochten wird. Es trifft daher einfach nicht zu, dass nach Beurteilung des Gesetzgebers für Anspruchs- und damit Forderungspfändung nach der Aufgabenverteilung zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren die Prüfung der Berechtigung zu erweiterter (privilegierter) Vollstreckungstätigkeit ausschließlich durch das Prozessgericht zu erfolgen hat und ein Anspruch für privilegierte Zwangsvollstreckung nur durch den Vollstreckungstitel nachgewiesen werden kann.
VII. Arbeitsvergütung bei Bargeld- und Kontopfändung 1. Pfändung durch den Gerichtsvollzieher Auch wenn der Gerichtsvollzieher vollstreckt, kann die Frage Bedeutung erlangen, ob der Gläubigeranspruch aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung herrührt. Bei einem Schuldner, der Arbeitseinkommen (§ 850 ZPO) bezieht, ist nach § 811 Abs. 1 Nr. 8 ZPO45 nämlich ein barer Geldbetrag in Höhe der nicht pfändbaren Einkünfte zeitanteilig unpfändbar. Dieses nicht pfändbare Arbeitseinkommen bestimmt sich nun aber einmal nicht nur nach § 850c ZPO, sondern bei Vollstreckung wegen eines Unterhaltsanspruchs nach § 850d ZPO und bei Vollstreckung wegen einer Forderung aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung nach § 850f Abs. 2 ZPO. 44 Ganz allgemeine Ansicht, s. nur (jeweils m.w.N.) Brehm in Stein/Jonas, § 847, Rz. 2; Stöber in Zöller, § 847, Rz. 1 und in Forderungspfändung, Rz. 2015. 45 Eine gleichartige Bestimmung trifft § 55 Abs. 4 SGB I.
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Nur in diesem Umfang kann daher auch § 811 Abs. 1 Nr. 8 ZPO die Existenz des Schuldners (zeitanteilig) sichern. Dass § 850f Abs. 2 ZPO erst gar nicht zu beachten sei46, kann daher nicht angenommen47 und schon gar nicht damit begründet werden, dass hier die „Überforderung des Gerichtsvollziehers“ auf der Hand liegt48, weil ihm „nicht zuzumuten ist, aus den Entscheidungsgründen des Titels festzustellen“, ob die Vollstreckung wegen einer so privilegierten Gläubigerforderung betrieben wird. Praktische Erschwernisse begründet ohnedies nicht die Feststellung, dass im Einzelfall der für das Existenzminimum des Schuldners bestimmte unpfändbare Bargeldanteil nach § 850f Abs. 2 ZPO zu bestimmen ist. Sie beginnen erst mit der Frage, wie es dem Gerichtsvollzieher möglich sein soll, den für den notwendigen Unterhalt des Schuldners und zur Erfüllung seiner laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten erforderlichen Freibetrag zu bestimmen. Dem soll hier jedoch nicht auch noch nachgegangen werden. 2. Pfändung durch das Vollstreckungsgericht a) Arbeitseinkommen wird heute nahezu ausnahmslos bargeldlos ausgezahlt. Der Anspruch auf Zahlung des Arbeitseinkommens ist demnach mit Gutschrift auf dem Schuldnerkonto erloschen. Gegen die Bank oder Sparkasse ist mit Kontogutschrift ein neuer, auf einem selbstständigen Rechtsgrund beruhender Anspruch auf Auszahlung des Kontoguthabens entstanden. Für dieses Kontoguthaben dauert der Pfändungsschutz nicht an, der für den Anspruch auf das bargeldlos geleistete Arbeitseinkommen bestanden hat49. Daher bestimmt § 850k ZPO50 den Schuldnerschutz bei Pfändung des Kontoguthabens eigenständig. Dessen Abs. 1 lehnt sich an § 811 Abs. 1 Nr. 8 ZPO an51. Nur ist Schuldnerschutz nicht schon bei Pfändung durch das Vollstreckungsorgan zu wahren; er wird erst danach und nur auf Schuldnerantrag dadurch gewährt, dass die nicht eingeschränkte Guthabenpfändung zeitanteilig wieder aufgehoben wird. Der demnach dem Schuldner für seinen Lebensbedarf zu überlassende Betrag bemisst sich zeitanteilig nach dem der Pfändung nicht unterworfenen Teil des bargeldlos ausgezahlten Arbeitseinkommens. Welcher Einkommensteil der Pfändung nicht unterworfen, sonach zeitanteilig pfandfrei zu geben ist, bestimmt sich aber nur bei Pfändung auf Antrag eines gewöhnlichen Gläubigers nach § 850c ZPO. Bei Pfändung auf Antrag eines Unterhaltsgläubigers sowie eines an46 Münzberg in Stein/Jonas, § 811, Rz. 62. In anderen ZPO-Kommentaren ist diese Frage nicht angesprochen. 47 Das schließt überdies die dem § 811 Abs. 1 Nr. 8 ZPO nachgebildete Regelung des § 850k Abs. 1 ZPO aus. Zu dieser Bestimmung nachf. unter 2. 48 So Christmann, DGVZ 1971, 6 (7; zu IV 1b). 49 Stöber, Forderungspfändung, Rz. 1281. 50 Eine gleichartige Bestimmung trifft § 55 Abs. 4 SGB I. 51 Begründung BT-Drs. 8/693, S. 49.
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deren privilegierten Gläubigers gelten diese Pfändungsbeschränkungen nicht52; was dem Schuldner in diesen Fällen zu belassen ist, regeln § 850d sowie § 850f Abs. 2 ZPO. b) Damit stellt sich die Frage, ob der Gläubiger auch (und nur) für die Entscheidung des Vollstreckungsgerichts über den Aufhebungsantrag des Schuldners den Anspruch aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung bereits im Erkenntnisverfahren geltend machen, dieser Anspruch damit bereits im Vollstreckungstitel genannt sein muss. Wenn das erforderlich wäre, der Titel aber keine oder nur eine vertragliche Anspruchsgrundlage nennt, müsste der Gläubiger gar noch Feststellungsklage erheben, um – wie es der BGH53 sieht – dem Schuldner eine sachgerechte Verteidigung gegen den Vorwurf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung vor dem Prozessgericht zu ermöglichen, oder es eben hinnehmen, dass sein Pfändungspfandrecht an der Kontoguthaben-Forderung in einem durch das Gesetz nicht vorgesehenen weiten Ausmaß aufgehoben wird. Das wäre ungewöhnlich und kurios, ist nach Vollstreckungsverfahrensrecht aber natürlich nicht der Fall. Die Pfändung der Guthabenforderung des Schuldners hat (nur) den auf Geldzahlung lautenden Schuldtitel, nicht aber Kennzeichnung eines Anspruchsgrundes in dieser Vollstreckungsgrundlage erfordert. Die mit diesem Vollstreckungstitel statthafte Zwangsvollstreckung hat Pfändung des gesamten Kontoguthabens ermöglicht. Diese hat keine Vollstreckungsbeschränkung behindert. Der Gläubiger hat somit durch die Pfändung ein Pfandrecht an dem gesamten Kontoguthaben ordnungsgemäß (fehlerfrei und damit nicht anfechtbar) erlangt (§ 804 Abs. 1 ZPO). Schutz zur Wahrung des für den Lebensbedarf des Schuldners nötigen Geldbetrags wird nur auf Antrag mit (teilweiser) Aufhebung dieser Pfändung gewährt. Über diesen Antrag auf Vollstreckungsschutz hat das Vollstreckungsgericht in einem besonderen Verfahren mit eigenem Rechtsmittelzug zu entscheiden; das Prozessgericht ist damit nicht befasst. Für das Schutzverfahren gelten damit die allgemeinen Verfahrensgrundsätze des Vollstreckungsverfahrensrechts. Es ist vom Beibringungsgrundsatz mit Darlegungs- und Beweislast der Verfahrensbeteiligten beherrscht. Das Gesetz verlangt für dieses Verfahren Nachweis durch Urkunden (§§ 415 ff. ZPO) – anders als im Falle des § 811 Abs. 2 ZPO nach dessen Satz 2 – weder für Tatsachen, die Schutz gebieten, noch für solche, die diesem Schutz entgegenstehen oder ihn einschränken,
52 Dass Bestimmung auch hier nach § 850d und § 850f (insbesondere dessen Abs. 2) ZPO zu treffen ist, ist nicht nur folgerichtig und selbstverständlich, sondern auch unstreitig; z.B. Schuschke/Walker, Zwangsvollstreckung, Rz. 8; Becker in Musielak, Rz. 8 (nennt nur § 850d ZPO); Brehm in Stein/Jonas, Rz. 13; Lüke in Wieczorek/Schütze, Rz. 11; Zimmermann/Schneider, ZPO, 7. Aufl. 2006, Rz. 2; Stöber in Zöller, Rz. 9, alle zu § 850k; Stöber, Forderungspfändung, Rz. 1290; Hornung, Rpfleger 1978, 353 (360). 53 BGHZ 152, 166 (171, 172).
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und damit auch nicht für Tatsachen, die den Schuldnerschutz auf den durch § 850f Abs. 2 ZPO bestimmten Umfang beschränken. Es trifft daher wiederum einfach nicht zu, dass die Aufgabenverteilung zwischen Prozess- und Vollstreckungsgericht ein schützenswertes Interesse des Schuldners auf Feststellung des privilegierten Anspruchsgrunds im Erkenntnisverfahren begründet und damit Prüfung durch das Vollstreckungsgericht ausschließt, ob der Gläubiger die Zwangsvollstreckung wegen einer Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung betreibt.
VIII. Vollstreckungs- und Erkenntnisverfahren Vermögenswerte des Schuldners sind aus den unterschiedlichsten Gründen nicht (oder nur beschränkt) pfändbar. Auch Pfändungsverbote gelten jedoch nicht ausnahmslos. Pfändbar ist ein Vermögenswert des Schuldners dennoch insbesondere, wenn – er wegen seines Verwendungszwecks unpfändbar ist, durch die Vollstreckung jedoch seinem Verwendungszweck zugeführt wird (z.B. § 850a Nr. 5 ZPO, § 54 Abs. 3 Nr. 2a SGB I; s. Abschn. V), – sich die Unpfändbarkeit nach den Umständen des Einzelfalls als unbillig erweist (§ 850b Abs. 2 ZPO), – schützenswerte Gläubigerinteressen umfassendere Einschränkung der verschuldensangemessenen Lebensführung des Schuldners gebieten und ihm daher nur die dafür notwendigsten Einkommensteile verbleiben können. Die Grenzen dieser Fallgruppen mögen fließend sein. Allen Fällen gemeinsam ist jedoch, dass das Vollstreckungsorgan zu prüfen und zu klären hat, ob Zugriff auf einen Vermögensgegenstand oder eine Forderung im Wege der Zwangsvollstreckung zulässig ist. Diese findet aus dem auf Geldzahlung lautenden Vollstreckungstitel statt (§ 704 ZPO). Das Prozessgericht entscheidet damit darüber, welche Rechte dem Gläubiger zustehen und durchsetzbar sind. Es hat sich im Erkenntnisverfahren jedoch nicht auch noch damit zu befassen, wie Gläubigerrechte durchsetzbar sind54. Der Durchsetzung festgestellter Gläubigeransprüche dient die Zwangsvollstreckung (Abschn. 1). Diese ist nach dem Grundsatz geregelt, dass dem Zugriff des Gläubigers einer Geldforderung das gesamte Vermögen des Schuldners unterliegt55. Einzelne Gegenstände der Zwangsvollstreckung bezeichnet der Vollstreckungstitel daher nicht; festgelegt wird der Vollstreckungsgegenstand erst durch Pfändung56 (§ 803 Abs. 1 ZPO). Dieser setzt das Vollstreckungsverfahrensrecht mit Pfändungsverboten und -beschränkungen Gren54 Das stellte BGHZ 152, 166 (170) zutreffend heraus. 55 Jonas/Pohle, Zwangsvollstreckungsnotrecht, 16. Aufl. 1954, S. 62. 56 Schilken in MünchKomm ZPO, § 803, Rz. 2.
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zen, die bei Zweckbindung ihre Grundlage auch im materiellen Recht haben können. Diese von Amts wegen zu wahren und damit zu prüfen, obliegt dem Vollstreckungsorgan. Das Prozessgericht ist im Erkenntnisverfahren mit der vollstreckungsrechtlichen Frage nicht befasst, ob und in welchem Umfang ein Gegenstand des Schuldnervermögens pfändbar ist. Folgerichtig sieht das Gesetz auch nirgends vor, dass die Rechtsnatur (Art) der Gläubigerforderung durch den Vollstreckungstitel ausgewiesen sein muss, wenn es auf sie für die Zulässigkeit der Pfändung und damit auch auf die nach § 850f Abs. 2 ZPO umfassendere Pfändbarkeit des Arbeitseinkommens des Schuldners ankommt.
IX. „Art des Gläubigeranspruchs“ in anderen Schutzvorschriften Bedeutung erlangt die Art der Gläubigerforderung auch, wenn die Zwangsvollstreckung auf Antrag des Schuldners nach Prüfung der Verhältnisse des Einzelfalls durch Anordnung des Vollstreckungsgerichts zeitweilig einzustellen ist. So hat Aussetzung der Pfandverwertung durch den Gerichtsvollzieher nach der Art der Schuld angemessen zu sein (§ 813b Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die einstweilige Einstellung einer Immobiliar-Zwangsversteigerung muss (auch) nach der Art der Schuld der Billigkeit entsprechen57. Zudem ist die Art der Gläubigerforderung für Vollstreckungsschutz nach der Generalklausel des § 765a ZPO stets zu würdigen58. Ob in diesen Fällen Vollstreckungsschutz zu gewähren oder zu versagen ist, ist eine vollstreckungsrechtliche Frage. Daher ist für die Entscheidung über einen Schutzantrag auch die Art der beizutreibenden Forderung vom Vollstreckungsgericht zu berücksichtigen, damit zu prüfen und festzustellen. Das Prozessgericht ist damit nicht befasst, das Vollstreckungsgericht sonach bei Entscheidung auch nicht darauf beschränkt, dass die Anspruchsgrundlage in dem zu vollstreckenden Titel genannt ist. Dass der Gläubiger allein für Berücksichtigung der Art der beizutreibenden Forderung in einem Schutzverfahren etwa auch noch Feststellungsklage erheben müsse, ist ohnedies nicht erwägenswert.
X. Unbegründete Vorbehalte 1. Interessenlage Nach dieser Aufgabenverteilung zwischen Prozess- und Vollstreckungsgericht kann die Interessenlage59 keine andere Beurteilung gebieten. Dem 57 Dazu Stöber, ZVG, 18. Aufl. 2006, § 30a, Rz. 3.3 lit. d. 58 Heßler in Musielak, Rz. 43; Münzberg in Stein/Jonas, Rz. 6 und 7; Stöber in Zöller, Rz. 10, alle zu § 765a; Jonas/Pohle, Zwangsvollstreckungsnotrecht, S. 37. 59 Entgegen BGHZ 152, 161 (171).
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Gläubiger kann es insbesondere nicht schon deshalb obliegen, im Erkenntnisverfahren neben dem Leistungsantrag die Feststellung des deliktischen Anspruchsgrundes zu begehren oder nachträglich Feststellungsklage zu erheben60, um dem Schuldner eine sachgerechte Verteidigung zu ermöglichen. Im Erkenntnisverfahren geht es um die Feststellung des (vollstreckbaren) Gläubigeranspruchs (Abschn. 1). Für dessen Vollstreckung und damit die Haftung des Schuldnervermögens ist es unerheblich, ob eine und welche anspruchsbegründende Rechtsnorm im Schuldtitel festgestellt ist. Gesetzliche Vollstreckungsbeschränkungen des Verfahrensrechts zum Schutz des Schuldners oder aus anderem Grund (Abschn. V) schmälern die Vollstreckbarkeit des Schuldtitels nicht. Aus Vollstreckungsschutzvorschriften können daher auch nachträglich Einwendungen gegen die Vollstreckung des durch das Urteil festgestellten Anspruchs nicht hergeleitet werden, die vor dem Prozessgericht geltend zu machen wären; das folgt aus § 767 ZPO. Vollstreckungsschutz, der kraft Gesetzes eintritt (z.B. §§ 811, 850 ff. ZPO), ist vom Vollstreckungsorgan von Amts wegen zu wahren. Vollstreckungsschutz im Einzelfall nach Prüfung der Verhältnisse zu gewähren (z.B. §§ 765a, 850i, 850k Abs. 1 ZPO) ist dem Vollstreckungsgericht aufgetragen. Bei Verstoß sind Einwendungen daher mit den Rechtsbehelfen des Zwangsvollstreckungsverfahrens geltend zu machen61, sonach mit Erinnerung nach § 766 ZPO und/oder sofortiger Beschwerde nach § 793 ZPO. Einwendung gegen die Zwangsvollstreckung, für die das Prozessgericht zuständig wäre (§ 767 ZPO), ist das Vorbringen, dass ein Gegenstand des Schuldnervermögens infolge eines Pfändungsverbots oder einer Pfändungsbeschränkung nicht oder nur eingeschränkt pfändbar ist, nicht. Schutzvorschriften des Vollstreckungsverfahrensrechts bieten daher keine Grundlage für die Aussage, dem Schuldner müsse zu ihrer Wahrung eine sachgerechte Verteidigung bereits im Erkenntnisverfahren vor dem Prozessgericht ermöglicht werden. 2. Titelgrundlage nach Textinterpretation Dies widerlegt zugleich die Erwägung, der Wortlaut des § 850f Abs. 2 ZPO lasse das Abstellen auf den „Titel“ nicht nur zu, sondern die systematische Textinterpretation gebiete das sogar. Gaul62 sieht das so, weil in § 850f Abs. 2 ZPO die in § 704 Abs. 1 (und § 794) ZPO vor die Klammer gezogene allgemeine Grundvoraussetzung jeder Zwangsvollstreckung, dass diese nur „aus“ dem vollstreckbaren Titel betrieben werden darf, mit hineinzulesen sei. Aber jeder Zahlungstitel, auch der Vollstreckungsbescheid, erlaubt
60 So aber BGH, NJW 2005, 1663 re. Sp. und 1664 li. Sp. 61 Stöber, Forderungspfändung, Rz. 751. 62 Gaul in FS Gerhardt S. 275; NJW 2005, 2894 (2895 li. Sp.) und DGVZ 2005, 113 (120).
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(wenn er selbst keine Einschränkung enthält) die Zwangsvollstreckung in das gesamte Schuldnervermögen. Mit einer nochmaligen Titelgrundlage auch noch für die Pfändung eines Einzelgegenstands des Schuldnervermögens wird daher nur verlangt, was schon Vollstreckungsgrundlage ist. 3. Titel als Ermächtigungsgrundlage für die Zwangsvollstreckung Die Erwägung, dass der Umfang der Eingriffsbefugnisse des Vollstreckungsorgans durch den Titel festgelegt wird, weil allein das Prozessgericht darüber zu befinden hat, welche Rechte dem Gläubiger zustehen und durchsetzbar sind63, führt in gleicher Weise nicht weiter wie die Aussage des BGH64, zum Nachweis der Berechtigung zu einem erweiterten Vollstreckungszugriff bedürfe es eines Titels. Schon durch § 850b Abs. 2 ZPO, der auch den Umfang der Durchsetzbarkeit des Gläubigeranspruchs regelt, wird diese verallgemeinernde Aussage widerlegt. Das zeigt aber auch beispielsweise § 850k Abs. 1 ZPO anschaulich. Das Kontoguthaben des Schuldners kann danach auf Grund eines Zahlungstitels (auch eines Vollstreckungsbescheids) ungehindert gepfändet werden. Nur auf Schuldnerantrag hat das Vollstreckungsgericht diese Pfändung teilweise wieder aufzuheben. Dass das Vollstreckungsgericht nach Einzelfallprüfung Vollstreckungsschutz zur Wahrung des Lebensbedarfs des Schuldners zu gewähren hat, hat sonach überhaupt nichts mit der Vollstreckbarkeit des Zahlungstitels und dem Umfang der Eingriffsbefugnisse des Vollstreckungsorgans zu tun. Daher kann auch der Aussage nicht zugestimmt werden, das Vollstreckungsgericht könne „sich nicht zum Vollstreckungszwang selbst ermächtigen“; „die Zubilligung einer eigenen materiellen Prüfungskompetenz des Vollstreckungsgerichts“ liefe aber darauf hinaus65. Das Vollstreckungsgericht ermächtigt sich nicht selbst zum Vollstreckungszwang, wenn es die (ordnungsgemäße) Kontopfändung auf Antrag nach § 850k Abs. 1 ZPO ohne Rücksicht auf die in § 850c ZPO für Pfändung des Arbeitseinkommens vorgesehenen Beschränkungen weitergehend aufhebt und dem Schuldner nur den nach § 850f Abs. 2 ZPO bemessenen notwendigen Lebensbedarf belässt. 4. Keine Entscheidung über den titulierten Anspruch Das Vollstreckungsgericht befasst sich66 auch nicht mit dem titulierten Anspruch, wenn es die Tatbestandsmerkmale eines Pfändungsverbots oder einer Pfändungsbeschränkung, die es von Amts wegen oder auf Antrag zu
63 BGHZ 152, 166 (170); Gaul in FS Gerhardt S. 277. 64 BGH, NJW 2005, 1663 (1664). 65 So Gaul in FS Gerhardt S. 277; NJW 2005, 2894 (2895 li. Sp.) sowie DGVZ 2005, 113 (120). 66 Entgegen Gaul in FS Gerhardt S. 280.
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wahren hat, überprüft und würdigt und sie dann als gegeben oder als nicht erfüllt erachtet. Unabhängig davon, ob der pfändbare Teil des Arbeitseinkommens nach § 850c oder nach § 850f Abs. 2 ZPO bemessen wird, bleiben Höhe und Umfang des nach dem Schuldtitel vollstreckbaren Anspruchs gleich; unverändert haftet dafür das ganze Schuldnervermögen (Abschn. IV). Nicht tragfähig ist es daher auch schon, die Prüfung von Normen des materiellen Rechts durch das Vollstreckungsorgan für Zulässigkeit seines Vollstreckungshandelns und damit zugleich die Entscheidung auch über materielles Recht im Rechtsbehelfsverfahren der Zwangsvollstreckung gleichzusetzen67 mit einer Entscheidung über den vom rechtlichen Bestand des (materiellen) Anspruchs unabhängigen vollstreckbaren Anspruch. 5. Entstehungsgeschichte Damit hilft letztlich auch die Entstehungsgeschichte nicht weiter. Dass einer Meinungsäußerung der Mehrheit (welcher größeren oder kleineren?) des Rechtsausschusses68 bei der damaligen Gesetzesberatung Bedeutung zukommen soll, obgleich sie Prüfung und Würdigung vollstreckungsrechtlicher Verfahrensgrundsätze nicht Rechnung trägt, wurde schon frühzeitig und fortwährend in Zweifel gezogen. In der Gesetzesfassung hat sie schließlich keinen Ausdruck gefunden. Sie hat durch zwischenzeitliche Bestimmungen, in denen der Gesetzgeber der Erkenntnis folgt, dass es allein um eine vollstreckungsrechtliche Frage geht, letztlich demnach mit Inkrafttreten des § 811 Abs. 2 und auch des § 850k Abs. 1 ZPO, überdies jede Bedeutung verloren.
XI. Prüfung des Vollstreckungsgerichts für Pfändung nach § 850f Abs. 2 ZPO Für Prüfung durch das Vollstreckungsgericht, ob bei Pfändung dem Schuldner für den Lebensunterhalt Teile seines Arbeitseinkommens nur in den Grenzen des § 850f Abs. 2 ZPO belassen werden können oder in einem weiteren Umfang nach § 850c ZPO verbleiben müssen, ist natürlich – wie das der Gesetzgeber schon für den Forderungsnachweis nach § 811 Abs. 2 Satz 2 ZPO sieht (Abschn. VI. 1) – in erster Linie an den Nachweis der Rechtsnatur der Gläubigerforderung durch den vollstreckbaren Titel zu denken. Wenn in ihm keine oder nur eine vertragliche Anspruchsgrundlage genannt ist, müssen jedoch die Grundsätze des Pfändungsverfahrens gelten.
67 Das klingt in den Gründen, die Gaul für die (alleinige) Prüfungskompetenz des Prozessgerichts darlegt, immer wieder an, so in FS Gerhardt S. 273, S. 274 (oben), S. 279 (vor III und III 1); NJW 2005, 2894 (2895 li. Sp. Abs. 2); aber auch BGHZ 152, 166 (170). 68 BT-Drs. III/768, S. 2, wiedergegeben in BGHZ 152, 166 (170).
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Für die Einkommenspfändung ohne Schuldneranhörung (§ 834 ZPO) hat demnach der Gläubiger die Tatsachen schlüssig vorzutragen69, die Pfändbarkeit der Schuldnerforderung ergeben70. Bei Pfändung von Arbeitseinkommen wegen eines Unterhaltsanspruchs (§ 850d ZPO) und wegen einer Gläubigerforderung aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung (§ 850f Abs. 2 ZPO) gebietet das auch schlüssigen Vortrag der Tatsachen, die Pfändung ohne die Beschränkungen des § 850c ZPO und damit Bestimmung des nach § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO71 oder nach § 850f Abs. 2 ZPO72 unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens ermöglichen. Das gilt ebenso für die Tatsachen, die ausweisen, dass die Zwangsvollstreckung wegen einer nach § 850f Abs. 2 ZPO privilegierten Gläubigerforderung betrieben wird. Glaubhaftmachung oder Beweis ist gesetzlich nicht gefordert; Nachweis etwa durch Strafurteil (Strafbefehl73) ist aber auf jeden Fall hinreichend. Bedenken, die Gaul74 dagegen vorbringt, weil nicht einmal das Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG als Mindestgarantie eines ordentlichen Erkenntnisverfahrens gewährleistet ist, sind nicht begründet. Sie beruhen auf der abzulehnenden Annahme (s. Abschn. X. 3, 4), es sei bei Pfändung über die materielle Frage der Haftung zu entscheiden. Sie enträtseln auch nicht, wie Gläubigerbefriedigung durch Einkommenspfändung dann praktisch noch möglich sein soll. Zwangsläufig müsste man mit solcher Erwägung nämlich ebenso fordern, dass die Voraussetzungen für Bemessung des notwendigen Unterhalts des Schuldners und seiner Angehörigen für den nach § 850f Abs. 2 (auch § 850d) ZPO zulässigen Umfang der Einkommenspfändung im ordentlichen Erkenntnisverfahren vor dem Prozessgericht als dem „gesetzlichen Richter“ i.S.d. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG geklärt und bindend festgestellt werden, und nicht in dem nicht kontradiktorisch ausgestalteten Verfahren gemäß § 850f Abs. 2 ZPO vor dem Rechtspfleger. Pfändung nach dem Tatsachenvortrag des Gläubigers gründet sich darauf, dass Zwangsvollstreckung sofortigen Zugriff erfordert, der eine vorherige Anhörung des Schuldners ausschließt75. Verweisung des Schuldners auf nachträgliche Anhörung, damit Wahrung
69 Davon zu unterscheiden ist die bloße Behauptung, der Anspruch ergebe sich (auch) aus einer vorsätzlich begangenen deliktischen Handlung. Das sieht BGH, NJW 2005, 1663 (1664 li. Sp.) richtig. 70 Stöber, Forderungspfändung, Rz. 485a m.w.N.; Brehm in Stein/Jonas, Rz. 37 zu § 829. 71 Stöber, Forderungspfändung, Rz. 1116; Becker in Musielak, Rz. 21; Schuschke/ Walker, Zwangsvollstreckung, Rz. 19; Lüke in Wieczorek/Schütze, Rz. 52; Zimmermann/Schneider, Rz. 11, alle zu § 850d. 72 Stöber, Forderungspfändung, Rz. 1194. 73 Wie im Falle von BGHZ 152, 166. 74 Gaul in FS Gerhardt S. 278; NJW 2005, 2894 (2895) und DGVZ 2005, 113 (121). 75 Schuschke/Walker, Zwangsvollstreckung, Allg. Vorbem. Rz. 10 (S. 9); Becker in Musielak, Rz. 15; Lüke in Wieczorek/Schütze, Rz. 42; Münzberg in Stein/Jonas, Rz. 74; Stöber in Zöller, Rz. 28, alle vor § 704.
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seiner Rechte mit Rechtsbehelf, ist daher geboten und verfassungsgemäß76. Rechtliches Gehör mit nachträglicher Anhörung gewährleisten dem Schuldner Erinnerung (§ 766 ZPO) und sofortige Beschwerde (§ 793 ZPO) gegen den Pfändungsbeschluss. In den Verfahren über diese Rechtsbehelfe ist dann der Gläubiger darlegungs- und beweispflichtig.
XII. Ergebnis Der Schuldnerschutz bei Einkommenspfändung ist vollstreckungsrechtlicher Natur. Wahrung der Pfändungsfreigrenzen für Arbeitseinkommen obliegt daher dem Vollstreckungsgericht. Das Prozessgericht ist damit im Erkenntnisverfahren nicht befasst. Nachweis, dass Pfändung des Arbeitseinkommens nach der Art der beizutreibenden Forderung gem. § 850f Abs. 2 ZPO erweitert zulässig, Schuldnerschutz somit eingeschränkt ist, ist daher nicht ausgeschlossen, wenn der zu vollstreckende Titel keine oder nur eine vertragliche Anspruchsgrundlage nennt. Auch bei Zwangsvollstreckung eines Vollstreckungsbescheids kann damit privilegierte Einkommenspfändung nach § 850f Abs. 2 ZPO erfolgen.
76 BVerfGE 57, 346 (358 f.) = NJW 1981, 2111 (2112) m.w.N.
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Verbesserung der Rechtsverfolgung über die Grenze in der Europäischen Union Einige Bemerkungen zum Europäischen Vollstreckungstitel*1
Inhaltsübersicht I. Right without Remedy: Die Universalität des subjektiven Rechts versus Eingeklemmtheit der staatlichen Justiz in die nationalen Grenzpfähle II. Europäischer Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen 1. Überblick 2. Ex parte-Bestätigungsverfahren im Ursprungsmitgliedstaat 3. Keine eigenständig europäische Vollstreckbarkeit des Europäischen Vollstreckungstitels 4. Zwangsvollstreckung außerhalb des Ursprungsmitgliedstaates
5. Sachlicher Anwendungsbereich 6. Unbestrittene Forderungen 7. Wahlrecht des Gläubigers – Verhältnis zum Exequaturverfahren nach Artt. 38 ff. EuGVVO 8. Anerkennung 9. Eingeschränkte Prüfung der internationalen Zuständigkeit im Bestätigungsverfahren III. Auf dem Weg zur Vereinheitlichung des Zustellungsrechts in Europa IV. Verhältnis zu Art. 34 Nr. 2 EuGVVO V. Heilung von Zustellungsmängeln
I. Right without Remedy: Die Universalität des subjektiven Rechts versus Eingeklemmtheit der staatlichen Justiz in die nationalen Grenzpfähle Aus der Sicht der Rechtsphilosophen ist das Recht idealiter keine nationale Veranstaltung: Es ist territorial nicht limitiert. Das subjektive Recht des Anspruchsinhabers endet nicht an den Grenzpfählen. Ganz anders ist aber – wie alle wissen – die Realität, die aus dem nationalen Geltungsgrund der Rechtsordnungen und vor allem des Kollisionsrechts resultiert. Noch rauer wird die Wirklichkeit, wenn man die Durchsetzung des subjektiven Rechts vor Gericht in den Blick nimmt. Auch wenn in concreto alle in Betracht kommenden IPR-Systeme im Ergebnis darin übereinstimmen, dass ein Anspruch besteht, ist noch lange nicht gesagt, dass dieser international durch-
* Diese Skizze widme ich Max Vollkommer, verbunden mit meinen herzlichsten Glückwünschen zum 75. Geburtstag. Schon Ende der fünfziger Jahre hatte ich den Vorzug, ihm im Seminar unseres Lehrers Rudolf Pohle zu begegnen. Seitdem bewundere ich seinen juristischen Genius und seine herausragende Persönlichkeit.
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setzbar ist. Denn trotz der zunehmenden Globalisierung und Internationalisierung aller Lebensverhältnisse gibt es keine überstaatliche Rechtspflege. Die Rechtsdurchsetzung ist nach wie vor in den Händen der nationalstaatlichen Justiz, d.h. sie wird von den einzelnen Staaten unterschiedlich organisiert. Deren Qualität und Effizienz ist daher von Land zu Land auch sehr verschieden1, ganz abgesehen von den in den einzelnen Staaten vorherrschenden „Rechtsklimaten“. Man denke z.B. an die erheblichen rechtskulturellen Unterschiede in den civil law- und den common law-Ländern2. Das überkommene (übersteigerte) klassische Souveränitätsverständnis der Staaten hat dazu geführt, dass man den Richterspruch als das „Endprodukt“ der justiziellen Tätigkeit nicht in erster Linie als friedenstiftenden Akt ansieht, der durchaus auch über die Grenze zu wirken geeignet ist, sondern als Hoheitsakt, dessen Wirkungen nach dem Territorialitätsprinzip prinzipiell auf den Hoheitsbereich des Gerichtsstaates beschränkt sind. Zu deren Erstreckung auf den Bereich eines anderen Staates bedarf es dessen Plazet. Dies ist der dogmatische Ansatz für das internationale Anerkennungsrecht: Die Wirkungen einer ausländischen Entscheidung werden im Inland nur dann anerkannt, wenn dies der Anerkennungsstaat so befiehlt bzw. anordnet. Aus der Perspektive des betroffenen Einzelnen ist eine solche territoriale Zerlegung und Fragmentierung seines (universell gedachten) subjektiven 1 Vgl. hierzu die Nachweise bei Gottwald (ed.), Effektivität des Rechtsschutzes vor staatlichen und privaten Gerichten, 2006. 2 In mancherlei Hinsicht kann auch das Verfahrensrecht über Sieg oder Niederlage und vor allem über die Kosten des Verfahrens entscheiden. Das US-Verfahrensrecht, das allerdings wiederum von Einzelstaat zu Einzelstaat und zum Teil auch von Bundesgericht zu Bundesgericht unterschiedlich ist, kennt die sogenannte discovery, eine im Wesentlichen private Beweisermittlung zwischen Klageerhebung und der mündlichen Verhandlung, hierzu z.B. Stürner, JZ 2006, 60 m.w.N. Beide Parteien können bspw. die Vorlage von allen Unterlagen, Datenträgern oder sonstigen Beweismitteln verlangen, die irgendwie beweiserheblich sein können. Geschäftsund Betriebsgeheimnisse können dabei nur in sehr begrenztem Umfang gewahrt werden. Die gegnerische Partei ist auch zur Beantwortung sog. interrogatories verpflichtet. Dabei handelt es sich meist um mehrere Hundert Einzelfragen enthaltende Fragebögen. Mitarbeiter der Unternehmen können zu einem privaten Kreuzverhör vorgeladen werden. Den Parteien steht das Recht des enter upon land zu, d.h. sie dürfen z.B. das Betriebsgelände des Gegners betreten und dieses nach irgendwie beweiserheblichen Gegenständen oder Informationen durchsuchen. Sinn der discovery ist an sich die Aufklärung des Sachverhalts und Vorbereitung des Prozesses. Da aber die Kosten der Bearbeitung der discovery-Anfragen dem Gegner, selbst wenn er gewinnt, nicht erstattet werden, wird die discovery von der Klägerseite meist auch als Druckmittel eingesetzt, um den Beklagten in einen Vergleich zu treiben. Außerdem werden durch die discovery Klagen ins Blaue möglich, da der Kläger hoffen kann, doch noch irgendetwas Belastendes finden zu können. Gerade wenn man außerdem weiß, dass nicht jede Rechtsordnung eine Kostenerstattung im Fall des Obsiegens kennt, wird klar, wie wichtig das Verfahrensrecht im Laufe eines Rechtsstreits auch für die Partei selbst und ihre Mitarbeiter sein kann.
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Rechtsverfolgung in der Europäischen Union
Rechts ein Horrorszenario. Im vermögensrechtlichen Bereich fungiert nämlich der erststaatliche Titel „ökonomisch gesehen als property right“, dessen Exklusivität „grenzüberschreitend erst durch Urteilsanerkennung hergestellt wird“3. Nicht anders ist es in nichtvermögensrechtlichen Gebieten: Wer im Staat A geschieden worden ist und wieder geheiratet hat, möchte nicht im Staat B als Bigamist behandelt werden, nur weil dort das Scheidungsurteil nicht anerkannt wird. Dass a right without a remedy nichts wert ist, liegt auf der Hand4. Ein Recht ohne reale Chance seiner Verwirklichung steht nur auf dem Papier. Die materiellen Rechte bedürfen des effektiven Rechtsschutzes. Notwendig ist also a right including a remedy. Es muss ein verfahrensrechtliches Instrumentarium vorhanden sein, das die materiellen Rechte im Ernstfall auch durchsetzt, und zwar nicht nur innerhalb eines konkreten nationalen Systems, sondern auch darüber hinaus idealiter universell. Mit der Verwirklichung dieser Axiome geht es aber nur sehr langsam voran. An der Spitze der Bewegung steht die Europäische Union, die ein weltweit bewundertes effizientes System geschaffen hat, das die Justizsysteme der Mitgliedstaaten miteinander vernetzt und aufeinander abstimmt. Es begann am 27. 9. 1968 mit der Unterzeichnung des Brüsseler Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen5. Der Inhalt dieses Übereinkommens wurde mit einigen Korrekturen und Verbesserungen in eine EG-Verordnung „umgegossen“. Denn der Vertrag von Amsterdam vom 2. 10. 19976 brachte einen „Säulenwechsel“: Die ursprünglich in Art. K des Vertrages über die Europäische Union vom 7. 2. 1992 (Maastrichter Vertrag)7 in der dritten Säule vereinbarte justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen wurde in die erste Säule transponiert. Bisher konnte dieser Komplex nur durch Übereinkommen der Mitgliedstaaten geregelt werden, nunmehr gibt Art. 61 lit. c i.V.m. Art. 65 EGV (künftig Art. III-269 EuVerfV) die Rechtsgrundlage zur einheitlichen Normierung als sekundäres Gemeinschaftsrecht8.
3 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 1995, 349, 742. 4 Denn „right is only a hypostasis of a prophecy – the imagination of a substance supporting the fact that the public force will be brought to bear upon those who do things said to contravene it“, Holmes 32 Harvard Law Review 42 (1918). 5 Für den Bereich der EFTA-Staaten besteht ein Parallelübereinkommen, das LuganoÜbereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16. 9. 1988 (LugÜ). Inhaltlich stimmt es im Wesentlichen mit dem EuGVÜ überein. 6 BGBl. 1998 II 387, in Kraft seit 1. 5. 1999, BGBl. 1999 II 296. 7 BGBl. 1992 II 1253. 8 Zur „Vergemeinschaftung“ des internationalen Zivilprozessrechts Geimer, IPRax 2002, 69; Heß, JZ 2000, 23; ders., JZ 2001, 573; Kohler in FS Geimer, 2002, S. 461, 465; Micklitz/Rott, EuZW 2001, 325.
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Reinhold Geimer
Art. 65 EGV ermächtigt die Europäische Gemeinschaft im Rahmen des schrittweisen Aufbaus eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (Art. 61 EGV) zum Erlass von Maßnahmen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen mit grenzüberschreitenden Bezügen, soweit sie für das Funktionieren des Binnenmarktes erforderlich sind. In Betracht kommen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen mit grenzüberschreitenden Bezügen nach Maßgabe des Art. 67 EGV die Verbesserung und Vereinfachung des Systems für die grenzüberschreitende Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke; die Zusammenarbeit bei der Erhebung von Beweismitteln; die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher und außergerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen; die Förderung der Vereinbarkeit der in den Mitgliedstaaten geltenden Kollisionsnormen und Vorschriften zur Vermeidung von Kompetenzkonflikten; die Beseitigung der Hindernisse für eine reibungslose Abwicklung von Zivilverfahren, erforderlichenfalls durch Förderung der in den Mitgliedstaaten geltenden zivilrechtlichen Verfahrensvorschriften. Daneben ist Art. 293 (bisher 220) EGV unberührt geblieben. Der Trend läuft aber in Richtung „Vergemeinschaftung“ der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen auf der Grundlage der Artt. 61 ff. EGV9. Derzeit sind bereits sechs wichtige Verordnungen erlassen10: (1) Verordnung (EG) Nr. 44/2001 vom 22. 12. 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Brüssel I)11, welche das Brüsseler Übereinkommen vom 27. 9. 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ) ersetzt; die Verordnung vom 22. 12. 2000 wird ergänzt und flankiert durch die (2) Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 vom 27. 11. 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 („Brüssel IIa“)12. Diese soll Art. 1 II lit. a EuGVVO auf dem Gebiet der Scheidung ergänzen.
9 Zu den Grenzen der hieraus fließenden Rechtsetzungsbefugnisse der Europäischen Gemeinschaft ausführlich Staudinger/Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, Neubearbeitung 2005, Vorbem zu Art. 1 EheGVO Rz. 12 ff. 10 Zu deren Auslegung Kropholler in FS 75 Jahre Max-Planck-Institut für Privatrecht, 2001, 583. Siehe auch Drappatz, Die Überführung des internationalen Zivilverfahrensrechts in eine Gemeinschaftskompetenz nach Art. 65 EGV, 2002 sowie Leisle, Dependenzen auf dem Weg vom EuGVÜ, über die EuGVVO, zur EuZPO, Diss. Konstanz 2002, S. 16 ff. 11 ABl. EG Nr. L 12 vom 16. 1. 2001, S. 1. 12 ABl. EU Nr. 338 vom 23. 12. 2003, S. 1. Diese ersetzt seit 1. 3. 2005 die Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstre-
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(3) Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten13. Diese brachte in Art. 14 den Durchbruch für die Post-Direktzustellung. Damit sind Ersuchen um Zustellungshilfe durch die Rechtshilfebehörden des Aufenthaltsstaates des Zustellungsadressaten in vielen Fällen überflüssig. Dies stellt einen ganz wichtigen Schritt für die Beschleunigung der Verfahren dar. Darüber hinaus will die Verordnung durch eine Palette von Maßnahmen den (wahlweise) nach wie vor zulässigen Rechtshilfeverkehr in der Europäischen Union beschleunigen. (4) Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 vom 29. 5. 2000 über Insolvenzverfahren14. (5) Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 vom 28. 5. 2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen15. (6) Verordnung (EG) Nr. 805/2004 vom 21. 4. 2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen16. Geplant sind weitere europäische Rechtsakte zur Ausfüllung der durch Art. 1 II EuGVVO gelassenen Lücken, so insbesondere für den Bereich des Ehegüterrechts und des Erbrechts17. Des Weiteren gibt es Spezialregelungen in anderen Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft, die vorrangig bzw. ergänzend anzuwenden sind, wie z.B. Artt. 93 ff. der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. 12. 1993 über die Gemeinschaftsmarke18. Eigenartigerweise nimmt die Verordnung (EG) Nr. 2100/94 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz vom 27. 7. 199419 in Artt. 101 ff. Bezug auf das LugÜ20. Merkwürdig ist auch, dass
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ckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten („Brüssel II“). ABl. EG Nr. L 160 vom 30. 6. 2000, S. 37. ABl. EG Nr. L 160 vom 30. 6. 2000, S. 1. ABl. EG Nr. L 174 vom 27. 6. 2001, S. 1. ABl. EU Nr. L 143 vom 30. 4. 2004, S. 15, ber. ABl. EU Nr. L 97/64. BT-Drs. 14/4591 S. 19 sowie die Nachweise bei Leisle (Fn. 10), S. 35 und Herweg, Die Vereinheitlichung des Internationalen Erbrechts im Europäischen Binnenmarkt, Diss. Konstanz 2003, 2004, sowie bei Rauscher/Staudinger, Europäisches Zivilprozessrecht, 2003, Einl. Brüssel I-VO Rz. 68. Siehe auch das von der Kommission vorgelegte „Grünbuch über alternative Verfahren zur Streitbeilegung im Zivilund Handelsrecht“, KOM (2002) 196 sowie den Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen, KOM (2002) 159 endg. = Ratsdok. 8465/02 = BR-Drs. 470/02. ABl. EG Nr. L 11 vom 14. 1. 1994, S. 1. Hierzu Leisle (Fn. 10) S. 41 sowie Nagel/ Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, 5. Aufl., 2002, § 3 Rz. 197. ABl. EG Nr. L 227 vom 1. 9. 1994. Hierzu Kohler in FS Everling, 1995, S. 651 (658 Fn. 20); kritisch Leisle (Fn. 10), S. 44, 120.
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Art. 79 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 vom 12. 12. 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster 21 auf das EuGVÜ verweist, obwohl dieses bereits durch die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 ersetzt worden war22. Zu erwähnen ist auch Art. 6 der Richtlinie (EG) Nr. 97/95 vom 16. 12. 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen23 (Pflicht zur Bereitstellung eines Forums im Empfangsstaat) sowie Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 2271/96 des Rates vom 22. 11. 1996 zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von in einem Drittland erlassenen Rechtsakten sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen24, der ein Anerkennungsverbot etabliert (aus Anlass des als „Helms Burton Act“ bekannten Cuban Liberty and Democratic Solidarity Act von 1996 sowie des Iran and Libya Sanctions Act von 1996)25. Geplant sind weiter die Einführung eines europäischen Mahnverfahrens und ein europäisches Rechtsinstrument zur grenzüberschreitenden Forderungspfändung in Europa. Damit einher geht die Vereinheitlichung des internationalen Schuldrechts (Rom I und II). Auch diese Maßnahmen werden die Möglichkeiten der Rechtsverfolgung in Europa transparenter und (hoffentlich) effizienter machen.
II. Europäischer Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen 1. Überblick Einen großen Sprung nach vorne auf dem Weg zu einem einheitlichen europäischen Justizraum und damit für die Verbesserung des transnationalen Rechtsschutzes macht die Verordnung (EG) Nr. 805/2004, deren Konzept im folgenden etwas näher vorgestellt werden soll. Sie wird das Brüssel I-Anerkennungsregime grundlegend verändern26. Langfristiges Ziel ist die Abschaffung des Exequaturs für alle Vollstreckungstitel. Begonnen hat man mit solchen, die unbestrittene Forderungen betreffen, und im Brüssel II-Bereich für Umgangsregelungen (Artt. 40 ff. EuEheVO). Die Abschaffung des Vollstreckbarerklärungsverfahrens bedeutet im Ergebnis das Entfallen der Versagungsgründe für die Anerkennung bzw. Voll-
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ABl. EG Nr. L 3 vom 5. 1. 2002. Jayme/Kohler, IPRax 2002, 461 (465). ABl. EG Nr. L 18 vom 21. 1. 1997, S. 1. ABl. EG Nr. L 309 vom 29. 11. 1996, S. 1. Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 5. Aufl., 2004, Rz. 245a, 537; Leisle (Fn. 10), S. 48. 26 Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl., 2004, A 1 – Einl. EuGVVO Rz. 1 ff.
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streckbarerklärung, wie sie in Artt. 34 und 35 EuGVVO bzw. in Artt. 22 ff. EuEheVO niedergelegt sind. Gegen dieses Konzept werden verfassungsrechtliche Argumente ins Feld geführt, weil der EG-Vertrag eine full faith and credit clause nach dem Vorbild der US-amerikanischen Verfassung nicht kennt. Es geht um die Frage, ob die Mitgliedstaaten ihre Bürger und Einwohner ohne jede Kontrolle im Anerkennungs- bzw. Vollstreckungsstadium fremden Richtern ausliefern dürfen. Dieses Argument hat prima vista zwar etwas für sich, es erweist sich aber bei nüchterner Betrachtungsweise letztendlich als nicht stichhaltig27. Jedenfalls in Deutschland erlaubt Art. 23 Abs. 1 GG den Souveränitätstransfer auf die Europäischen Gemeinschaften. Darüber hinaus ist die Verwirklichung des vereinten Europas ein Staatsziel, das in der Verfassung festgeschrieben ist. Ein solches Ziel kann man aber ohne (weitgehenden) Verzicht auf nationale Souveränität nicht erreichen. Und man kann es noch pointierter sagen: Ohne „Auslieferung“ der eigenen Bürger bzw. Bewohner an die Richter der anderen EU-Mitgliedstaaten lässt sich der einheitliche europäische Justizraum nicht schaffen. Dies bedeutet aber auch, dass die nationale Souveränität kein Schutzschild für die eigenen Bürger mehr sein kann. Mit anderen Worten: Es ist aus der Sicht der nationalen Verfassung nicht geboten, die eigenen Bürger vor unfairen Verfahren oder vor krassen Fehlurteilen der Richter aus den anderen Mitgliedstaaten durch eine ordre public-Kontrolle im Stadium der Anerkennung und Vollstreckung zu schützen28. 2. Ex parte-Bestätigungsverfahren im Ursprungsmitgliedstaat Die in den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 805/2004 fallenden auf Geldzahlung lautenden nationalen Vollstreckungstitel werden mittels Formular im Ursprungsmitgliedstaat (Art. 4 Nr. 4 i.V.m. Art. 2 Abs. 3) auf Antrag des Gläubigers als „europäischer Vollstreckungstitel“ bestätigt, sofern sie den Anforderungen der Verordnung entsprechen, Art. 6 Abs. 129. Sodann sind diese als Europäischer Vollstreckungstitel deklarierten nationalen Vollstreckungstitel in allen übrigen Mitgliedstaaten ohne vorheriges Vollstreckbarerklärungsverfahren (Artt. 38 ff. EuGVVO) zu vollstrecken. Der Gläubiger hat dem zuständigen Vollstreckungsorgan außerhalb des Ursprungsmitgliedstaats gemäß Art. 20 Abs. 2 lediglich vorzulegen:
27 R. Wagner, IPRax 2002, 75 (87). 28 Geimer in FS Németh, 2003, S. 233 (236). 29 Für die Abfassung der Bestätigung gelten Art. 9 Abs. 1, Art. 24 Abs. 1 und Art. 25 Abs. 1 i.V.m. den Formularen in den Anhängen I–III. Ausgestellt wird die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel in der Sprache, in der die gerichtliche Entscheidung, der gerichtliche Vergleich (Art. 24) bzw. die vollstreckbare öffentliche Urkunde (Art. 25) abgefasst ist, Art. 9 Abs. 2.
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a) den Vollstreckungstitel aus dem Ursprungsmitgliedstaat (gerichtliche Anerkenntnis- bzw. Säumnisentscheidung, gerichtlich bestätigten Vergleich, vollstreckbare öffentliche Urkunde) b) die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel c) ggf. eine Übersetzung (Art. 20 Abs. 2 lit. c). Das Vollstreckungsorgan im Vollstreckungsmitgliedstaat ist an die Bestätigung aus dem Ursprungsmitgliedstaat gebunden, auch wenn diese zu Unrecht erteilt worden ist, also die in der Verordnung (EG) Nr. 805/2004 hierfür vorgesehenen Voraussetzungen nicht gegeben sind, selbst dann, wenn die Verordnung gar nicht anwendbar war, Art. 21 Abs. 2. Die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel stellt für alle Rechtsanwendungsorgane in den anderen Mitgliedstaaten verbindlich fest, dass die bestätigte Entscheidung bzw. der bestätigte sonstige Vollstreckungstitel in den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 805/2004 fällt. Diese dürfen die Anerkennung (Art. 5) und Vollstreckung (Art. 20) nicht mit der Begründung verweigern, bei richtiger Rechtsanwendung hätte der betreffende Titel mithin gar nicht als europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden dürfen30. Der Schuldner hat nur die Möglichkeit den Widerruf der Bestätigung im Ursprungsmitgliedstaat zu beantragen (Art. 10 Abs. 1 lit. b)31. Der Antrag auf Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel ist an das Ursprungsgericht (Art. 4 Nr. 6) zu richten. Er kann „jederzeit“ gestellt werden, also z.B. bereits in der Klage- bzw. Antragsschrift. Wer für die Entscheidung zuständig ist, bestimmt das nationale Recht des jeweiligen Mitgliedstaats32. Sedes materiae ist in Deutschland § 1079 ZPO. Die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel erfolgt – wie die Vollstreckbarerklärung nach Art. 41 EuGVVO – in einem ex parte-Verfahren ohne Anhörung des Schuldners33. Dieser kann nur gemäß Art. 10 Abs. 1–3 Berichtigung bzw. Widerruf der Bestätigung beantragen, § 1080 Abs. 1 S. 1 ZPO34. Wurde der Antrag auf Bestätigung zurückgewiesen, so sieht die Verordnung (EG) Nr. 805/2004 keinen Rechtsbehelf gegen die Ablehnung vor, verbietet ihn aber auch nicht. In Deutschland gilt § 1080 Abs. 2 ZPO. Im Übrigen soll der Gläubiger „jederzeit“ seinen Antrag wiederholen dürfen35. Ob sich diese
30 Erwägungsgrund 18. 31 Rellermeyer, Rpfleger 2005, 389 (403); R. Wagner, IPRax 2005, 189 (199); Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 8. Aufl., 2005, EuVTVO (S. 556 ff.) Art. 5 Rz. 9. A.A. Jayme/Kohler, IPRax 2004, 486 Fn. 73. 32 R. Wagner, IPRax 2005, 189 (196). 33 Kropholler (Fn. 31) Art. 9 Rz. 5. 34 Kropholler (Fn. 31) Art. 9 Rz. 5; Stein, IPRax 2004, 181 (190); R. Wagner, IPRax 2005, 189 (197). 35 Kropholler (Fn. 31) Art. 9 Rz. 7; Stein, IPRax 2004, 181 (190 Fn. 62); R. Wagner, NJW 2005, 1157 (1159); ders., IPRax 2005, 189 (194).
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Ansicht – ohne jede Einschränkung – wird durchsetzen können, erscheint allerdings zweifelhaft. Rechtsbehelfe gegen die Bestätigung normiert die Verordnung (EG) Nr. 805/ 2004 abschließend, Art. 10 Abs. 4. Zulässig sind nur a) Berichtigung (Art. 10 Abs. 1 lit. a; § 1081 ZPO)36 und b) Widerruf (Art. 10 lit. b), wenn die Bestätigung „eindeutig“ zu Unrecht erteilt worden ist37. Als Widerrufsgrund kommt jeder Verstoß bzw. jede Nichtbeachtung der von der Verordnung (EG) Nr. 805/2004 aufgestellten Voraussetzungen für die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel in Betracht, z.B., wenn die Anwendungsvoraussetzungen der Verordnung (Artt. 1–4), die Voraussetzungen des Art. 6 oder die Mindeststandards für Säumnisentscheidungen (Artt. 12 ff.) nicht beachtet wurden. Allerdings muss ein „eindeutiger“ Verstoß vorliegen. Wie diese Kompromissformel auszulegen ist, ist die Preisfrage, welche der EuGH über kurz oder lang wird entscheiden müssen. Derzeit herrscht nur Rätselraten38. Eine Zwangsvollstreckung aufgrund des Europäischen Vollstreckungstitels außerhalb des Ursprungsmitgliedstaats trotz Berichtigungs- bzw. Widerrufsantrags ist gleichwohl weiterhin zulässig. Doch kann der Schuldner Aussetzung bzw. Beschränkung der Zwangsvollstreckung nach Art. 23 beantragen. 3. Keine eigenständig europäische Vollstreckbarkeit des Europäischen Vollstreckungstitels Der Umfang der Vollstreckbarkeit beurteilt sich nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaats. Durch die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel wird keine vom Recht des Ursprungsmitgliedstaats losgelöste „europäische Vollstreckbarkeit“ verliehen. Dies bedeutet: Die Aufhebung bzw. Einschränkung des Vollstreckungstitels im Ursprungsmitgliedstaat ist in allen Mitgliedstaaten ohne weiteres zu beachten, Art. 6 Abs. 2. Das Gleiche gilt für die (vorläufige) Einstellung oder Beschränkung der Zwangsvollstreckung im Ursprungsmitgliedstaat39. 4. Zwangsvollstreckung außerhalb des Ursprungsmitgliedstaates Aufgrund der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel im Ursprungsmitgliedstaat kann der Gläubiger in allen anderen Mitgliedstaaten 36 In Betracht kommen z.B. Schreibfehler bei der Übertragung des vollstreckbaren Inhalts der gerichtlichen Entscheidung, des gerichtlichen Vergleichs bzw. der vollstreckbaren öffentlichen Urkunde in die Bestätigung, Stein, IPRax 2004, 181 (190). 37 Hierzu Stein, IPRax 2004, 181 (190); ders., EuZW 2004, 679 (681). 38 Stadler, RIW 2004, 801 (808); Stein, IPRax 2004, 181 (190); R. Wagner, IPRax 2005, 189 (197). 39 Vgl. unten bei Fn. 42.
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die Zwangsvollstreckung betreiben, d.h. er kann sich direkt an die dortigen Vollstreckungsorgane wenden. Diese sind verpflichtet, nach Maßgabe ihres Zwangsvollstreckungsrechts tätig zu werden, Art. 20. Hierauf hat der Gläubiger kraft Gemeinschaftsrechts Anspruch. Er darf nicht diskriminiert werden, weil es sich aus der Sicht des Vollstreckungsmitgliedstaats um einen „fremden“ Vollstreckungstitel handelt, Art. 20 Abs. 1 S. 2. Andererseits sind die Vollstreckungsmitgliedstaaten nicht verpflichtet, Europäische Vollstreckungstitel besser zu stellen als die eigenen. Sieht das Recht des Ursprungsmitgliedstaats „schärfere“ bzw. „effizientere“ Vollstreckungsmethoden vor als das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats, so ist dies irrelevant. Letzterer muss nur die von seinem Recht vorgesehenen Vollstreckungsmittel zur Verfügung stellen. Dies ist vor allem von Bedeutung bei der Handlungs- und Unterlassungsvollstreckung. Das Vollstreckungsorgan im Vollstreckungsmitgliedstaat ist – wie bereits gesagt – an die Bestätigung aus dem Ursprungsmitgliedstaat gebunden, auch wenn diese zu Unrecht erteilt worden ist, also die in der Verordnung hierfür vorgesehenen Voraussetzungen nicht gegeben sind, selbst dann, wenn die Verordnung gar nicht anwendbar war, Art. 21 Abs. 240. Vor Beginn der Zwangsvollstreckung muss das Vollstreckungsorgan in dem jeweiligen anderen Mitgliedstaat lediglich das Vorliegen der in Art. 20 Abs. 2 genannten Urkunden prüfen. Auch nur vorläufig vollstreckbare (weil noch mit ordentlichen Rechtsmitteln bzw. Rechtsbehelfen anfechtbare) gerichtliche Entscheidungen können als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden. Nach Einlegung des Rechtsmittels bzw. Rechtsbehelfs im Ursprungsmitgliedstaat kann der Schuldner jedoch im Vollstreckungsmitgliedstaat nach Art. 23 die Aussetzung bzw. Beschränkung der Vollstreckung beantragen41. Die Aufhebung bzw. Einschränkung des Vollstreckungstitels im Ursprungsmitgliedstaat ist in allen Mitgliedstaaten ohne weiteres zu beachten42. Der zwar zulässige Antrag im Vollstreckungsmitgliedstaat auf Beschränkung bzw. Aussetzung der Zwangsvollstreckung (Art. 23) ist daher nicht notwendig, wenn Zwangsvollstreckung im Ursprungsmitgliedstaat nicht mehr zulässig bzw. dort sistiert ist43.
40 Oben bei Fn. 30. Dem Schuldner bleibt nur der Widerrufsantrag im Ursprungsmitgliedstaat (Art. 10 Abs. 1 lit. b), Rellermeyer, Rpfleger 2005, 389 (403); R. Wagner, IPRax 2005, 189 (199). 41 R. Wagner, IPRax 2005, 189 (198); Kropholler (Fn. 31) Rz. 4. A.A. Rauscher, Europäischer Vollstreckungstitel, 2004, Rz. 28, 181; ders., GPR 2003–2004, 292. Unter Art. 23 fallen nicht die Verfassungsbeschwerde zum BVerfG und die Menschenrechtsbeschwerde zum EGMR nach Art. 35 EMRK. 42 Vgl. oben sub 3 bei Fn. 39. 43 Stein, EuZW 2005, 679 (682); R. Wagner, IPRax 2005, 189 (198).
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Die Zwangsvollstreckung aufgrund des Europäischen Vollstreckungstitels außerhalb des Ursprungsmitgliedstaats erfolgt nach dem jeweiligen nationalen Vollstreckungsrecht, Art. 20 Abs. 1, § 1082 ZPO. Daher kommen insoweit auch die nationalen Rechtsbehelfe zum Zuge, in Deutschland §§ 766, 767, 771 ZPO44. 5. Sachlicher Anwendungsbereich Art. 1 Abs. 1 stimmt – trotz teilweise abweichender Formulierung – mit Art. 1 Abs. 1 EuGVVO überein. Das Gleiche gilt für Art. 1 Abs. 245. Allerdings ist der Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 805/2004 durch das Erfordernis der „unbestrittenen Forderung“ (Artt. 3, 4) gegenüber dem der EuGVVO eingeschränkt. Auch erfasst die Verordnung nicht alle unbestrittenen Forderungen, sondern nur Geldforderungen46 und zudem nur solche, die zahlenmäßig bestimmt sind47. Dies bedeutet im Einzelnen: Die Verordnung gilt nur für Forderungen auf Zahlung einer bestimmten Geldforderung, die fällig sind oder deren Fälligkeit in der gerichtlichen Entscheidung, dem gerichtlichen Vergleich oder der vollstreckbaren öffentlichen Urkunde angegeben ist, Art. 4 Nr. 2. Der Titel muss im Ursprungsmitgliedstaat vollstreckbar sein48. In den Anwendungsbereich der Verordnung fallen nicht nur gerichtliche Titel, die auf der Basis des Zuständigkeitsrechts des Gemeinschaftsrechts (Artt. 2, 5 ff. EuGVVO) ergangen sind, sondern auch solche auf der Basis des völkervertraglichen (Art. 67 EuGVVO) bzw. nationalen Zuständigkeitsrechts (Art. 4 Abs. 1 EuGVVO). Insofern stimmt die Vollstreckungspflicht der Verordnung (EG) Nr. 805/2004 mit dem Anwendungsbereich des Art. 38 EuGVVO überein. Auch im Stadium des Erkenntnisverfahrens bzw. der Errichtung des Titels sich als „reine Inlandsfälle“ darstellende Streitgegenstände (Maier in Erlangen klagt gegen Müller in Buxtehude) fallen unter die Verordnung (EG) Nr. 805/200449. Es spielt also keine Rolle, auf welche Zuständigkeitsnormen das Ursprungsgericht – zu Recht oder Unrecht – seine internationale Zuständigkeit gestützt hat. Auch ein sonst wie gearteter 44 Jayme/Kohler, IPRax 2005, 481 (486). A.A. Heß, IPRax 2004, 493. 45 Kropholler (Fn. 31) Einl. Rz. 9. 46 Erfasst werden nur Geldforderungen, nicht jedoch andere unbestrittene Forderungen, z.B. auf Lieferung von Sachen oder Wertpapieren. Titel auf Zahlung Zug um Zug mit Gegenleistung fallen nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung; denn es liegt insoweit kein uneingeschränkter Vollstreckungstitel vor, R. Wagner, IPRax 2005, 189 (192). 47 R. Wagner, IPRax 2005, 189 (190). 48 Dies wird gemäß Art. 6 Abs. 1 verbindlich auch für die Vollstreckungsorgane in den anderen Mitgliedstaaten bestätigt und kann in diesen daher nicht in Frage gestellt werden, vgl. oben bei Fn. 30. – Siehe auch unten Fn. 56. 49 R. Wagner, IPRax 2005, 189 (192).
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„Auslandsbezug“ ist nicht erforderlich. Die Verordnung kommt auch für (scheinbar) reine Inlandsfälle zur Anwendung, die erst später einen internationalen Bezug bekommen50. Wo der Schuldner und der Gläubiger wohnen bzw. sich gewöhnlich aufhalten, ist ohne Bedeutung. Auch wenn sie beide in einem Nichtmitgliedstaat domiziliert sind, kann die Verordnung (EG) Nr. 805/2004 zur Anwendung kommen. Für eine Bestätigung als europäischer Vollstreckungstitel kommen in Betracht: a) gerichtliche Entscheidungen (Art. 4 Nr. 1)51; b) gerichtliche Vergleiche (Artt. 3 I, 24); es genügt, dass diese von einem Gericht gebilligt wurden; nicht erforderlich ist – anders als nach Art. 58 EuGVVO – Vergleichsschluss vor Gericht52. Allerdings gilt Art. 24 nur für Vergleiche, die die Zahlung einer fälligen Geldsumme (Art. 4 Nr. 4) betreffen. Sofern der Vergleich auch andere Ansprüche vollstreckbar macht, kann insoweit eine Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel nicht erfolgen; möglich ist jedoch eine partielle Bestätigung hinsichtlich der Geldforderung, Art. 853. c) öffentliche vollstreckbare Urkunden (Art. 4 Nr. 3 lit. a)54. Der Begriff der öffentlichen Urkunde (Art. 4 Nr. 3) ist der gleiche wie in Art. 57 EuGVVO. Die Verordnung erfasst nur Vollstreckungstitel, Art. 6 Abs. 1 lit. a, Art. 24 Abs. 1, Art. 25 Abs. 155. Feststellende und gestaltende gerichtliche Entscheidungen können als Europäischer Vollstreckungstitel nicht bestätigt werden56, auch nicht hinsichtlich der Verurteilung zur Kostenerstattung. Voll50 Kropholler (Fn. 31) Art. 3 Rz. 1. 51 Der Begriff ist angelehnt an Art. 32 EuGVVO. Fraglich, ob hierunter auch Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes fallen. Dagegen R. Wagner, IPRax 2002, 89; Kropholler (Fn. 31) Art. 4 Rz. 2. 52 Leible/Lehmann, NotBZ 2004, 453 (456). Der Vergleich muss nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaates vollstreckbar sein. Der Anwendungsbereich des Art. 24 ist weiter als der des Art. 58 EuGVVO, weil er auch „von einem Gericht gebilligte“ Vergleiche umfasst. Daher soll auch der vom Gericht gemäß § 796a ZPO für vollstreckbar erklärte Anwaltsvergleich als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden können. Dagegen soll der vom Notar gemäß § 794c ZPO für vollstreckbar erklärte Anwaltsvergleich nach Art. 25 bestätigt werden können, Leible/Lehmann, NotBZ 2004, 453 (456); Rellermeyer, Rpfleger 2005, 389 (391); R. Wagner, IPRax 2005, 189 (190). 53 Leible/Lehmann, NotBZ 2004, 456. 54 Der Begriff ist identisch mit dem des Art. 57 EuGVVO in der Auslegung des EuGH 17. 6. 1999 – 260/97 – Unibank Slg. 1999 I 3715 Rz. 17 = IPRax 2000, 409 (Geimer 366). 55 Ob ein vollstreckbarer Titel vorliegt, ist nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaates zu beurteilen. 56 Bei komplexen Entscheidungen kann der vollstreckbare Teil als europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden, Art. 8.
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streckbare Kostenentscheidungen können als Europäischer Vollstreckungstitel nach Maßgabe von Art. 7 nur dann bestätigt werden, wenn auch die Entscheidung in der Hauptsache als eine solche bestätigt werden kann. Dies folgt aus der Formulierung „auch“. Aber nicht nur die Verurteilung zur Kostenerstattung in Feststellungs- und Gestaltungsurteilen kann nicht als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden, sondern auch eine solche in klageabweisenden Urteilen57. Es gilt das Prinzip der Akzessorietät des Kostenpunktes. Dagegen spricht zwar, dass die (deutschen) Kostenfestsetzungsbeschlüsse in Art. 4 Nr. 1 ohne jeden Vorbehalt erwähnt sind58. Doch hätte die isolierte Bestätigung des Kostenpunktes ohne die Hauptsache die eigenartige Konsequenz, dass die Wirkungen der Entscheidung in der Hauptsache nicht anzuerkennen sind, wenn ein Versagungsgrund nach Artt. 34–35 EuGVVO vorliegt, jedoch hinsichtlich der Kostenentscheidung unbeschränkte Anerkennungspflicht nach Art. 5 besteht, wenn die Entscheidung hinsichtlich des Kostenpunkts als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt wurde. 6. Unbestrittene Forderungen Die unbestrittenen Forderungen lassen sich in zwei Gruppen einteilen. Zur ersten gehören die Konstellationen, in denen der Schuldner aktiv bei der Schaffung des Vollstreckungstitels mitgewirkt hat, sei es, dass er seine Zahlungsverpflichtung im Gerichtsverfahren ausdrücklich anerkannt oder durch einen gerichtlich „gebilligten“ Vergleich akzeptiert oder in einer notariellen oder sonstigen öffentlichen vollstreckbaren Urkunde anerkannt hat. Zur zweiten Gruppe gehören die Fälle, in denen der Schuldner der Forderung im gerichtlichen Verfahren letztlich nicht widersprochen hat bzw. die Aufforderung des Gerichts, Stellung zu nehmen zu der Behauptung des Gläubigers, ihm stehe eine Forderung zu, nicht befolgt hat und deshalb anzunehmen ist, dass er keine Einwände gegen die Forderung hat bzw. keine geltend machen will. Hierher gehören auch die Fälle, in denen davon auszugehen ist, dass der Schuldner die Forderung nicht mehr bestreiten will, weil er zur Verhandlung nicht mehr erschienen ist und Versäumnisurteil gegen sich hat ergehen lassen, ohne dagegen Einspruch einzulegen. Das Gleiche gilt, wenn er sich gegen einen Mahn- oder Vollstreckungsbescheid nicht zur Wehr gesetzt hat. Dies bedeutet im Einzelnen: „Unbestrittene Forderung“ ist eine fällige Geldforderung (Art. 4 Nr. 2) nach Maßgabe von Art. 3 Abs. 1 S. 2. In Betracht kommen a) Titel, die mit Zustimmung des Schuldners errichtet worden sind, Art. 3 Abs. 1 S. 2 lit. a, d59; dies sind solche, die durch Anerkenntnis vor Gericht (ein Widerspruch im vorgerichtlichen Stadium ist irrelevant), durch Ver-
57 Kropholler (Fn. 31) Art. 7 Rz. 1, 3 und R. Wagner, IPRax 2005, 189 (196). 58 Vgl. auch Rauscher (Fn. 41) Rz. 46. 59 Stein, EuZW 2004, 679.
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gleich (Art. 24) oder durch öffentliche Urkunde (Art. 25) vom Schuldner ausdrücklich „akzeptiert“ worden sind; b) letztlich unbestritten gebliebene Forderungen, vor allem Säumnisentscheidungen, d.h. gerichtliche Entscheidungen, wenn der Schuldner im Erkenntnisverfahren nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaates zu keiner Zeit (Art. 3 Abs. 1 S. 2 lit. b) widersprochen hat oder nach anfänglichem Widerspruch gleichwohl säumig geworden ist (Art. 3 Abs. 1 S. 2 lit. c)60. Beispiel: Widerspruch gegen Mahnbescheid, jedoch Fernbleiben im weiteren Verfahren, sodass Versäumnisurteil ergeht. Anders ist es bei kontradiktorischem Urteil in erster Instanz und Versäumnisurteil gegen Berufungskläger61. Kein Widerspruch gegen die Forderung zu keiner Zeit des Verfahrens (lit. b) liegt vor, wenn der Beklagte im gerichtlichen Verfahren die Unzuständigkeit oder sonstige prozessuale Punkte rügt, ohne die Forderung zu bestreiten, es sei denn, er lässt sich hilfsweise zur Sache ein und bestreitet dabei die Forderung62. Weiterhin liegt kein Widerspruch im Sinne von lit. b vor, wenn der Schuldner – ohne die Forderung als solche in Abrede zu stellen – wegen Zahlungsschwierigkeiten um Stundung bzw. Ratenzahlung bittet63. Der Widerspruch muss den von der lex fori des Ursprungsmitgliedstaates vorgeschriebenen Modalitäten entsprechen. Besteht z.B. Anwaltszwang im gerichtlichen Verfahren, so genügt ein Widerspruch durch den (nicht postulationsfähigen) Schuldner nicht. Auch befindet die lex fori darüber, ob ein (verspäteter) Widerspruch doch noch als rechtzeitig gilt, vgl. z.B. § 694 Abs. 2 ZPO64. In Betracht kommen auch nicht mehr bestrittene Forderungen (c): Auch wenn der Schuldner im gerichtlichen Verfahren der Forderung widersprochen hatte, gilt die Forderung als (nunmehr) unbestritten, wenn der Schuldner zu einer Gerichtsverhandlung über die Forderung nicht mehr erschienen ist oder sich nicht ordnungsgemäß hat vertreten lassen, z.B. wenn er im Mahnverfahren zwar zunächst Widerspruch einlegt, sich aber am darauf folgenden Verfahren nicht mehr beteiligt, oder wenn er nach vorherigem Bestreiten am Folgetermin nicht teilnimmt65. Erfasst wird auch die Säumnis in der Rechtsmittelinstanz66. Irrelevant ist, ob die Säumnis vom Schuldner verschuldet ist67. 60 61 62 63 64 65 66 67
Stein, IPRax 2004, 181 (187). Rauscher (Fn. 41) Rz. 60; R. Wagner, IPRax 2005, 189 (193). Kropholler (Fn. 31) Art. 3 Rz. 5; Rauscher (Fn. 41) Rz. 55. Kropholler (Fn. 31) Art. 3 Rz. 5. Kropholler (Fn. 31) Art. 3 Rz. 7. Stein, IPRax 2004, 188. Rauscher (Fn. 41) Rz. 58; Kropholler (Fn. 31) Rz. 8. Stein, IPRax 2004, 188. Der Schuldner ist aber durch Art. 19 Abs. 1 geschützt, Kropholler (Fn. 31) Rz. 10.
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Voraussetzung ist jedoch stets, dass nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaats ein solches Verhalten als stillschweigendes Zugeständnis der Forderung oder des vom Gläubiger behaupteten Sachverhalts (so § 331 Abs. 1 S. 1 ZPO) anzusehen ist. Eine Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel ist daher nicht möglich, wenn die einmal bestrittene Forderung trotz des Nichterscheinens des Schuldners nach der lex fori weiterhin als bestritten gilt. Bei deutschen Versäumnisurteilen ist wie folgt zu differenzieren: Ergeht nach Einspruch des Schuldners wegen des Nichterscheinens ein zweites Versäumnisurteil (§ 345 ZPO), so gilt die Forderung trotz des Einspruchs als unbestritten, mit der Folge, dass ein Europäischer Vollstreckungstitel erteilt werden kann. Wird jedoch nach kontradiktorischem Urteil in erster Instanz in der Berufungsinstanz gegen den Schuldner (Berufungskläger) ein Versäumnisurteil gemäß § 539 Abs. 1 ZPO erlassen, so bleibt die Forderung weiterhin bestritten. Das Gleiche gilt bei Zurücknahme der Berufung und erst recht, wenn nach streitiger Verhandlung über einen Einspruch gegen ein Versäumnisurteil gemäß § 343 ZPO entschieden wird. Hier liegen die Tatbestandsvoraussetzungen der lit. c bereits deshalb nicht vor, weil das Nichterscheinen vor und nicht nach dem Widerspruch lag68. Die Verordnung erfasst auch Vollstreckungstitel, die noch mit ordentlichen Rechtsmitteln bzw. Rechtsbehelfen anfechtbar sind69. Unanfechtbarkeit ist mithin nicht Voraussetzung für die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel. Wurde aber ein Rechtsmittel bzw. Rechtsbehelf eingelegt, bevor die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel erfolgt ist, dann darf der Titel nicht mehr als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden, und zwar auch dann, wenn der Antrag auf Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel schon vor Einlegung des Rechtsbehelfs gestellt worden war. Entscheidend ist mithin die zeitliche Abfolge zwischen Erteilung der Bestätigung und Einleitung des Anfechtungsverfahrens nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaats70. Anders ist es jedoch bei umgekehrter Abfolge: Wurde ein Titel in seinem Ursprungsstaat als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt und erst danach angefochten, so bleibt die Bestätigung wirksam mit der Folge, dass in allen anderen Mitgliedstaaten vollstreckt werden kann. Die Entscheidung, die aufgrund des Rechtsmittels bzw. Rechtsbehelfs ergeht, kann wiederum als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden, auch wenn im Rechtsbehelfsverfahren streitig verhandelt wurde, Art. 12 Abs. 2. Beispiel:
68 Kropholler (Fn. 31) Art. 3 Rz. 9. 69 Vgl. Art. 23. 70 R. Wagner, NJW 2005, 1157 (1158); ders., IPRax 2005, 189 (193); Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl., 2005, Anh. § 1086 Art. 3 EuVTVO Rz. 2; Kropholler (Fn. 31) Art. 3 Rz. 14.
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Das Versäumnisurteil wurde als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt und erst dann wurde Einspruch eingelegt, Art. 3 Abs. 271. Möglich ist auch die Bestätigung einer Rechtsbehelfsentscheidung als Europäischer Vollstreckungstitel, obwohl es sich der Sache nach um eine Entscheidung über eine „nicht mehr unbestrittene Forderung“ handelt72. Wird die als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigte Entscheidung angefochten, so kann die neue aufgrund des Rechtsbehelfs ergehende Entscheidung wiederum als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden (Ersatzbestätigung, Art. 6 Abs. 3), sofern es um eine fällige Geldforderung i.S.v. Art. 3 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 4 Nr. 2 geht. Das „Unbestrittensein“ verliert die Forderung durch das (kontradiktorische) Rechtsbehelfsverfahren nicht, Erwägungsgrund Nr. 773. Die Ersatzbestätigung für die Rechtsbehelfsentscheidung ersetzt die erste Bestätigung, Anhang V sub B. 7. Wahlrecht des Gläubigers – Verhältnis zum Exequaturverfahren nach Artt. 38 ff. EuGVVO Dem Gläubiger bleibt die Wahl, ob er den im Ursprungsmitgliedstaat ergangenen bzw. errichteten Vollstreckungstitel als Europäischen Vollstreckungstitel bestätigen lassen will oder ob er ihn in den anderen Mitgliedstaaten nach Artt. 38 ff. EuGVVO für vollstreckbar erklären lassen will, Art. 27. Er kann sogar parallel beide Anträge stellen74. Allerdings entfällt das Rechtschutzbedürfnis für den Antrag nach Art. 38 EuGVVO, wenn die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel erfolgt ist. 8. Anerkennung Die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel bewirkt auch, dass die Anerkennung der anerkennungsfähigen Wirkungen des Vollstreckungstitels (Rechtskraft, Gestaltungswirkung etc.) in allen anderen Mitgliedstaaten nicht in Frage gestellt werden darf, Art. 5. Die Verordnung kennt aber keine Anerkennung von Titeln ohne Vollstreckbarkeit. Insofern besteht nach Art. 5 ein Junktim zwischen Anerkennung und Vollstreckbarkeit. Eine gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung zur Anerkennung (ohne jeden Vorbehalt) für nicht vollstreckbare Titel besteht nicht. Die Anerkennungspflicht begründet Art. 5 nur für Entscheidungen (Art. 4 Nr. 1). Nicht erfasst werden Vergleiche und öffentliche Urkunden; denn Art. 24 Abs. 2 und Art. 25 Abs. 2 betreffen nur die Vollstreckbarkeit. Dies ist 71 R. Wagner, IPRax 2005, 189 (193). 72 Stein, IPRax 2004, 187; Kropholler (Fn. 31) Art. 3 Rz. 12. 73 R. Wagner, IPRax 2005, 189 (193); Kropholler (Fn. 31) Art. 3 Rz. 12. A.A. Rauscher (Fn. 41) Rz. 76. 74 R. Wagner, IPRax 2005, 189 (190).
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auch systemgerecht, da Vergleiche und öffentliche Urkunden keine materielle Rechtskraft entfalten. Die Verordnung überlagert die Anerkennungsversagungsgründe der Artt. 34– 35 EuGVVO, vorbehaltlich Art. 21 Abs. 1 (Unvereinbarkeit mit einer früheren Entscheidung)75. Diese Vorschrift erfasst – wie Art. 34 Nr. 3 und Nr. 4 EuGVVO – auch noch anfechtbare Entscheidungen. Erforderlich ist jedoch Partei- und Streitgegenstandsidentität (Art. 21 Abs. 1 lit. a). Der Schuldner muss bereits im Erkenntnisverfahren im Ursprungsmitgliedstaat auf die entgegenstehende Rechtskraft der früheren Entscheidung bzw. – soweit diese noch nicht unanfechtbar ist – das Ergehen derselben aufgrund früherer Rechtshängigkeit hingewiesen haben76. Die Verweigerung der Zwangsvollstreckung erfolgt nicht von Amts wegen, sondern nur auf Antrag des Schuldners77. 9. Eingeschränkte Prüfung der internationalen Zuständigkeit im Bestätigungsverfahren Für Vergleiche (Art. 24) und öffentliche vollstreckbare Urkunden (Art. 25) gelten die Zuständigkeitsnormen der Artt. 2 ff. EuGVVO per definitionem nicht (keine Klage, kein Gericht). Daher kommt im Bestätigungsverfahren eine Prüfung der internationalen Zuständigkeit a priori nicht in Betracht. Das Gleiche gilt aber grundsätzlich auch für gerichtliche (Säumnis)Entscheidungen, selbst in Arbeitssachen (Artt. 18 ff. EuGVVO). Eine Ausnahme greift nach Art. 6 lit. b für Artt. 8–14 EuGVVO (Versicherungssachen) und Art. 22 EuGVVO (ausschließliche internationale Zuständigkeiten). Soweit Artt. 9 ff. EuGVVO auch die örtliche Zuständigkeit normieren, ist nach Sinn und Zweck der Vorschriften dieser Punkt im Bestätigungsverfahren nicht zu untersuchen. M.a.W.: Eine Verletzung der Vorschriften der EuGVVO über die örtliche Zuständigkeit steht der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel nicht entgegen. Im Übrigen kommt eine Zuständigkeitsprüfung nicht in Betracht, wenn der Beklagte (Schuldner) die Versicherung ist. Es soll nämlich nur der typischerweise Schwächere geschützt werden, also der Versicherungsnehmer, Versicherte und sonst wie Begünstigte78. Da in Versicherungssachen auch Art. 24 EuGVVO zur Anwendung
75 Dies gilt auch dann, wenn die Bestätigung eindeutig zu Unrecht erteilt worden ist, solange sie nicht nach Art. 10 Abs. 1 lit. b im Ursprungsmitgliedstaat widerrufen worden ist, Art. 21 Abs. 2. Der Schuldner kann jedoch gegen die Anerkennung die gleichen Einwendungen geltend machen wie gegen die Vollstreckung (Artt. 21, 22), R. Wagner, IPRax 2005, 189 (199). 76 R. Wagner, IPRax 2005, 189 (198). 77 Kropholler (Fn. 31) Art. 21 Rz. 2. 78 Geimer/Schütze (Fn. 26) A 1 – Art. 35 EuGVVO Rz. 16.
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kommt, kann trotz Nichtbeachtung der Artt. 12 ff. EuGVVO gegebenenfalls Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel erfolgen79. Für gegen Verbraucher ergangene Versäumnisentscheidungen (nicht für Anerkenntnisurteile) etabliert die Verordnung (EG) Nr. 805/2004 ein von Art. 35 Abs. 1 i.V.m. Artt. 15 ff. EuGVVO en detail abweichendes eigenständiges Schutzsystem: Ist der Schuldner Verbraucher, so können gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. d gegen ihn nur in seinem Wohnsitzstaat (Art. 16 Abs. 2, Art. 59 EuGVVO) ergangene Säumnisentscheidungen (Art. 3 Abs. 1 S. 2 lit. b, c) als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden. Der hier relevante Begriff der Verbrauchersachen ist weiter als der des Art. 15 EuGVVO, weil eine Beschränkung auf bestimmte Arten von Verträgen fehlt und auch keine Verbindung zum Wohnsitzstaat des Verbrauchers vorausgesetzt wird80. Die Verordnung hat mithin – abgesehen von dem Fall der Fehlentscheidung – für Vollstreckungstitel gegen den Verbraucher nur dann praktische Bedeutung, wenn gegen ihn außerhalb seines Wohnsitzstaats vollstreckt werden soll81. Da auch in Verbrauchersachen Art. 24 EuGVVO Anwendung findet, kann trotz Nichtbeachtung der Artt. 16 f. EuGVVO eine Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel erfolgen, wenn die Voraussetzungen des Art. 24 EuGVVO erfüllt sind82. Ist der Schuldner der Vertragspartner des Verbrauchers, so scheidet die (den Verbraucher begünstigende) Variante (lit. d) aus. Es gelten die allgemeinen Regeln (lit. a). Das Gleiche gilt für Titel gegen den Verbraucher, soweit dieser nicht unter Art. 3 Abs. 1 lit. b, c fällt; denn für ausdrücklich anerkannte Forderungen (Art. 3 Abs. 1 lit. a, d) gilt lit. d nicht, vgl. 1. Spiegelstrich83. Art. 6 Abs. 1 lit. d vermindert die Prozessführungslast des Verbrauchers. Er soll Gerichtsverfahren gegen sich außerhalb seines Wohnsitzstaats ignorieren können, um sich dann gegen die Vollstreckbarerklärung nach Art. 35 Abs. 1 EuGVVO zu wehren, wenn die Artt. 16–17 EuGVVO im Gerichtsstaat nicht beachtet worden sind84. Der Schutzmechanismus der Verordnung versagt jedoch, wenn im Ursprungsmitgliedstaat entgegen lit. d der gegen den Verbraucher erlassene Titel als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt worden ist.
79 Hüßtege in Thomas/Putzo (Fn. 70) Art. 6 Rz. 4; Kropholler (Fn. 31) Art. 6 Rz. 8. 80 R. Wagner, NJW 2005, 1157 (1159). 81 Kropholler (Fn. 31) Art. 6 Rz. 14; Stein, EuZW 2004, 679 (680); R. Wagner, IPRax 2005, 189 (194). 82 Vgl. auch Kropholler (Fn. 31) Art. 6 Rz. 15. 83 Kropholler (Fn. 31) Art. 6 Rz. 15. 84 Stein, IPRax 2004, 181 (188).
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III. Auf dem Weg zur Vereinheitlichung des Zustellungsrechts in Europa Die weitaus meisten Vollstreckungstitel, die in den Anwendungsbereich der neuen Verordnung fallen, sind dadurch gekennzeichnet, dass der Schuldner sich nicht auf das Verfahren eingelassen hat. Dabei geht man davon aus, dass der Schuldner sich hierzu absichtlich entschlossen hat, weil er die Forderung nicht bestreiten will oder kann. Dies setzt – vor allem aus der Perspektive der fair trial-Garantie des Art. 6 Abs. 1 EMRK – voraus, dass der Schuldner in der Lage war, in voller Kenntnis der Sachlage sein Verhalten frei zu bestimmen. Nur dann kann sein Fernbleiben vom Prozess als bewusstes Nichtbestreiten der gegen ihn erhobenen Forderung gewertet werden. Voraussetzung hierfür ist wiederum die (im Bestätigungsverfahren zu prüfende) korrekte und rechtzeitige Zustellung der Schriftstücke, durch die er über die gegen ihn geltend gemachte Forderung in Kenntnis gesetzt wird. Daher stellt die Verordnung erstmals einheitliche europäische Mindeststandards für die Zustellung auf. Nur wenn diese eingehalten sind (hierüber befindet wiederum das Gericht im Ursprungsstaat), ist der Wegfall des Vollstreckbarerklärungsverfahrens im Zweitstaat rechtsethisch zu rechtfertigen: Eine Säumnisentscheidung (Art. 3 Abs. 1 lit. b, d) darf nach Art. 6 Abs. 1 lit. c und Art. 12 nur dann als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden, wenn die in Artt. 13 ff. aufgestellten Mindestnormen eingehalten sind. M.a.W.: Soll eine Säumnisentscheidung als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden, muss dem Schuldner im Erkenntnisverfahren im Ursprungsmitgliedstaat rechtliches Gehör nach Maßgabe von Artt. 12 ff. gewährt worden sein85. Die Mitgliedstaaten haben es in der Hand, ob sie ihr nationales Recht diesen Mindeststandards anpassen. Damit können sie sicherstellen, dass die meisten Entscheidungen ihrer Gerichte als Europäische Vollstreckungstitel bestätigt werden können mit der Folge, dass sie in der ganzen Europäischen Union (mit Ausnahme Dänemarks) ohne vorheriges Exequaturverfahren vollstreckt werden können. Es wird also keine Vereinheitlichung des Zustellungsrechts in den Mitgliedstaaten mit der Brechstange angestrebt, sondern nur mit sanftem Druck. Die Mitgliedstaaten können auch auf ihrem antiquierten Zustellungsrecht beharren. Dann besteht aber keine Chance, dass die von ihren Gerichten erlassenen Entscheidungen den „Qualitätsstempel“ europäischer Vollstreckungstitel erhalten können, der zu einer Vollstreckung ohne Exequatur berechtigt. Artt. 12 ff. lassen mithin das nationale Zustellungsrecht und die Regeln der Europäischen Zustellungsverordnung86 unberührt, Art. 28. Sie enthalten 85 R. Wagner, IPRax 2005, 189 (194). 86 Oben bei Fn. 13.
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keine Befolgungsnormen, sondern „nur“ Beurteilungsnormen als Voraussetzungen für die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel87. Daher ist die Klage bzw. das sonstige verfahrenseinleitende Schriftstück nach der EuZustellVO bzw. nach dem jeweils im Gerichtsstaat geltenden Zustellungsrecht zuzustellen, auch wenn der Gläubiger bereits in der Klage bzw. bei Verfahrenseröffnung den Antrag auf Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel gestellt hat88. Die Mindestvorschriften der Artt. 12 ff. gelten nicht nur für die Übermittlung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks (Art. 13 Abs. 1), sondern auch für die Ladung (Art. 13 Abs. 2). In Artt. 13 ff. sind die aus europäischer Sicht zulässigen Zustellungsarten stipuliert. An die Spitze stellt Art. 13 Zustellungsvarianten, durch die gewährleistet werden soll, dass das verfahrenseinleitende Schriftstück den Schuldner persönlich erreicht hat. Davon zu unterscheiden sind Ersatzzustellungsformen nach Art. 14, bei denen zwar nicht sicher ist, dass das verfahrenseinleitende Schriftstück den Schuldner persönlich erreicht hat, bei denen dieses aber nachweislich in dessen Herrschaftsbereich gelangt ist. Hier obliegt es dem Schuldner dafür zu sorgen, dass er das Schriftstück auch tatsächlich erhält. Zwischen den Zustellungsformen der Art. 13 und Art. 14 besteht keine Hierarchie. Ersatzzustellung (Art. 14) ist ausreichend, ohne dass vorher eine Zustellung nach Art. 13 erfolglos versucht worden sein muss89. Die verschiedenen Zustellungsformen und -modalitäten sind „gleichberechtigt“ untereinander90. Es genügt für die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel, dass einer der dort genannten Zuständigkeitstatbestände erfüllt ist. Nicht erforderlich ist also, dass zunächst die „sicherere“ Zustellung nach Art. 1391 versucht worden sein muss. Vielmehr kann gleich nach Art. 14 verfahren werden. 87 Grund für diese Zurückhaltung des europäischen Gesetzgebers waren Zweifel für eine ausreichende Kompetenz zur Vereinheitlichung des Zustellungsrechts in den Mitgliedstaaten, Klippstein in Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2005, Kap. 31 Rz. 51; Leible/Lehmann, NotBZ 2004, 453 (454 Fn. 16); Stein, EuZW 2004, 679 (680). 88 R. Wagner, IPRax 2005, 189 (194). 89 Leible/Lehmann, NotBZ 2004, 453 (456 Fn. 45); Stein, EuZW 2004, 679 (680); R. Wagner, IPRax 2005, 189 (195). 90 Kropholler (EuVTVO, Fn. 31) Art. 14 Rz. 3. 91 In den Fällen des Art. 13 Abs. 1 lit. a, c, d) unterschreibt der Schuldner bzw. sein Vertreter die Empfangsbestätigung, während im Fall lit. b die zuständige Zustellperson das Zustellungsdokument unterzeichnet. Dies ist besonders bedeutsam bei Annahmeverweigerung des Schuldners. Die Empfangsbestätigungen sind nicht bloßes Beweismittel, sondern Teil des jeweiligen Zustellungstatbestandes. Ohne sie liegt keine Zustellung i.S.v. Art. 13 als Voraussetzung der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel vor, Rauscher (Fn. 41) Rz. 117; Kropholler (Fn. 31) Art. 13 Rz. 1. – Zustellung mit Empfangsbestätigung (lit. a): Beispiel: § 174 ZPO. Rücksendung der Empfangsbestätigung ist – anders als nach lit. c und d – nicht
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Fazit: Art. 13 erfasst die Zustellungen an den Schuldner selbst oder seinen Vertreter (Art. 15). In Kontrast hierzu stehen die Zustellungsformen des Art. 14, wo nach Erwägungsgrund 14 nur „ein hohes Maß an Wahrscheinlichkeit“ besteht, dass das zugestellte Schriftstück dem Empfänger zugegangen ist. Dabei handelt es sich um solche, die ohne Zustellungsnachweise i.S.v. Art. 13 auskommen. Hier ist das Schriftstück gleichwohl in den Herrschaftsbereich des Schuldners gelangt, so dass „es ihm obliegt, dafür zu sorgen, dass er das Schriftstück erhält.“92
erforderlich. Gleichwohl soll Entgegennahme eines einfachen Übergabe-Einschreibens nicht unter lit. a fallen, da postalische Zustellung (lit. c), Kropholler (Fn. 31) Rz. 3. – Zustellung mit Niederschrift der Zustellungsperson (lit. b): Die Verordnung sagt nicht, wann die Annahmeverweigerung berechtigt ist. Nicht erforderlich ist, dass die Zustellungsperson das Schriftstück am Ort der versuchten Zustellung zurücklässt, Rauscher (Fn. 41) Rz. 112; Kropholler (Fn. 31) Rz. 5. – Postalische Zustellung (lit. c): Beispiel: § 175 ZPO (Zustellung durch Einschreiben mit Rückschein). Einfaches Übergabe-Einschreiben genügt nicht, Rauscher (Fn. 41) Rz. 113; Kropholler (Fn. 31) Art. 13 Rz. 6. – Elektronische Zustellung (lit. d): Es genügt Empfangsbestätigung des Schuldners in elektronischer Form, Kropholler (Fn. 31) Art. 13 Rz. 7. 92 Es besteht also ein „hohes Maß an Wahrscheinlichkeit“, dass der Zustellungsadressat das Schriftstück erhalten hat. Ist dies ausnahmsweise doch nicht der Fall, kommt Art. 19 Abs. 1 lit. a zum Zuge, Kropholler, (Fn. 31) Rz. 1. Darüber hinaus stellt Art. 14 Abs. 2 klar, dass bei Unsicherheit über die richtige Anschrift des Schuldners alle in Art. 14 aufgeführten Formen der Zustellung nicht in Betracht kommen. Die in den jeweiligen nationalen Rechtsordnungen vorgesehenen Zustellungsfiktionen, wenn die Anschrift des Schuldners unbekannt ist (wie die öffentliche Zustellung nach § 185 ZPO) oder im Ausland liegt (remise au parquet der romanischen Rechtsordnungen, hierzu z.B. Linke, ERA Forum 2005, 205, 214), sind als Voraussetzung der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel ungeeignet, Kropholler (Fn. 31) Art. 14 Rz. 26. Die Zustellungstatbestände lit. a–lit. d erfordern eine Zustellungsbescheinigung (Art. 14 Abs. 3). Ohne sie ist die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel (Art. 6) nicht möglich. Die Zustellungen können anders nicht nachgewiesen werden, Kropholler (Fn. 31) Art. 14 Rz. 27; Rauscher (Fn. 41) Rz. 131. – Zustellung an Person in der Wohnung des Schuldners (lit. a): Erwägungsgrund Nr. 15 stellt klar, dass die in lit. a genannte Person annahmebereit sein muss. Bei Annahmeverweigerung scheitert die Zustellung nach lit. a anders als nach Art. 13 Abs. 1 lit. b, Kropholler (Fn. 31) Art. 14 Rz. 7. Der Begriff „Privatanschrift“ wurde statt „privater Wohnsitz“ gewählt, um klar zu stellen, dass er – losgelöst von den Wohnsitzbegriffen der nationalen Rechtsordnungen (Art. 59 EuGVVO) – für alle Mitgliedstaaten einheitlich autonom gemeinschaftsrechtlich – wie im Zweifel auch alle anderen von der Verordnung verwendeten Begriffe – auszulegen ist, Kropholler (Fn. 31) Art. 14 Rz. 8. Der Begriffskern dürfte mit dem des § 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO übereinstimmen. Jedoch ist nicht auszuschließen, dass der EuGH in Randbereichen die Abgrenzungen anders vornehmen wird. Die das Schriftstück annehmende Person muss nach dem Wortlaut der lit. a nicht erwachsen sein; die ratio legis verlangt aber, dass sie in concreto zur Weitergabe des Schriftstücks an den Schuldner geeignet sein muss. Die in der Literatur in Anlehnung an § 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO vorgeschlagene Faustregel, die Empfangs-
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Artt. 12 ff. (hierzu Erwägungsgründe Nr. 10 ff.) gelten nur für Säumnisentscheidungen (Art. 3 lit. b, c) und für Entscheidungen aufgrund eines Rechtsbehelfs (Art. 12 Abs. 2), nicht jedoch für die sonstigen Entscheidungen (Art. 3 lit. a, d). Sie sollen gewährleisten, dass der Beklagte im gerichtlichen Verfahren so rechtzeitig und in einer Weise über das gegen ihn eingeleitete Gerichtsverfahren mit Einschluss der Möglichkeit der aktiven Teil-
person müsse das 14. Lebensjahr vollendet haben, ist wohl zu pauschal. A.A. Kropholler (Fn. 31) Art. 14 Rz. 9. – Zustellung in den Geschäftsräumen des Schuldners (lit. b): Die Begriffe Selbständiger und juristische Person sind – losgelöst von den Begrifflichkeiten der nationalen Rechtsordnungen – für alle Mitgliedstaaten einheitlich auszulegen. Hierunter fallen teilrechtsfähige Gebilde wie nichtrechtsfähige Vereine, Gesellschaften bürgerlichen Rechts und Unternehmen jeder Rechtsform, soweit sie Geschäftsräume unterhalten. Ein Geschäftsraum kann sich auch in einer privaten Wohnung befinden. Beschäftigte Personen sind auch Auszubildende, Praktikanten und Familienangehörige, die ohne Bezahlung beim Schuldner mitarbeiten bzw. (vorübergehend) tätig sind, Kropholler (Fn. 31) Rz. 13. Das zuzustellende Schriftstück braucht keinen Bezug zum Geschäftsbetrieb des Schuldners zu haben. Auch Klagen aus der privaten Sphäre des Schuldners können nach lit. b zugestellt werden, Kropholler (Fn. 31) Art. 14 Rz. 14. – Zustellung durch Hinterlegung im Briefkasten (lit. c): Der Briefkasten muss sich in dem zurechenbaren privaten oder beruflichen bzw. geschäftlichen Umfeld des Schuldners befinden, also in der Regel in der Nähe der Wohnung oder des Geschäftsraums. Es genügt aber auch ein anderer vom Schuldner bestimmter Ort, z.B. von ihm eröffnetes Postfach oder eine sonstige von ihm angelegte oder auch nur geduldete Postsammel- bzw. Postablegestelle. Enger wohl Kropholler (Fn. 31) Art. 14 Rz. 16 unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte der Vorschrift. – Der Briefkasten muss nicht zur sicheren Aufbewahrung von Post geeignet sein. Damit trägt der Schuldner das Risiko des Abhandenkommens des ihm nach lit. c zugestellten Schriftstücks, wenn er „seine Briefkastenverhältnisse“ nachlässig organisiert bzw. duldet, z.B. wenn Dritte Zugriff auf den Briefkasten haben, Kropholler (Fn. 31) Rz. 17; Rauscher (Fn. 41) Rz. 125; Stadler RIW 2004, 806. Zustellung durch Hinterlegung beim Postamt oder bei den zuständigen Behörden (lit. d): Zuständige Behörden können auch Gerichte sein, vgl. § 181 ZPO. – Postalische Zustellung ohne Empfangsbescheinigung (lit. e): Hier finden alle relevanten Vorgänge im Ursprungsmitgliedstaat (Art. 4 Nr. 4) statt; eine Auslandszustellung ist nicht erforderlich. Die Anschrift kann sowohl die Privatanschrift i.S.v. lit. a wie auch die Geschäftsanschrift des Schuldners sein, Kropholler (Fn. 31) Rz. 22. – Elektronische Zustellung mit automatisch erstellter Sendebestätigung (lit. f): Anders als nach Art. 13 Abs. 1 lit. d ist eine Empfangsbestätigung des Schuldners nicht erforderlich. Bei Telefax genügt die automatische Sendebestätigung des Absendegeräts, bei E-Mail die Bestätigung des Ausgangsservers des Absender-Providers, Kropholler (Fn. 31) Art. 14 Rz. 24; Rauscher (Fn. 41) Rz. 128. – Für das Einverständnis des Schuldners wird eine Form nicht verlangt. Sie muss ausdrücklich und vorab erklärt sein, eine nachträgliche Zustimmung genügt nach lit. f nicht. Ein generelles Einverständnis ist ausreichend; nicht verlangt wird, dass der Schuldner speziell mit der Zustellung in dem Verfahren, das zu dem zu bestätigenden Titel geführt hat, einverstanden gewesen ist, Kropholler (Fn. 31) Art. 14 Rz. 25. Das Einverständnis kann jederzeit frei widerrufen werden.
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Rechtsverfolgung in der Europäischen Union
nahme bzw. der Folgen der Nichtteilnahme (Art. 17) unterrichtet worden ist, dass er seine Verteidigung vorbereiten konnte, Erwägungsgrund Nr. 1293. Zustellungsfiktionen (öffentliche Zustellung, § 185 ZPO; remise au parquet des romanischen Rechtskreises94) sind ungenügend, Erwägungsgrund Nr. 1395. Auch wenn die Mindeststandards der Artt. 13–17 nicht gewahrt sind, kann unter den Voraussetzungen des Art. 18 gleichwohl die betroffene gerichtliche Entscheidung als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden. Andererseits verlangt Art. 19 trotz Einhaltung der Mindeststandards der Artt. 13–14 ausnahmsweise eine „Überprüfung“ des Zustellungsvorgangs. Art. 14 kann die Wahrung des rechtlichen Gehörs des Schuldners nicht mit absoluter Sicherheit gewährleisten. Daher muss – als Voraussetzung für die Bestätigung einer gerichtlichen Säumnisentscheidung als Europäischer Vollstreckungstitel – das Recht des Ursprungsmitgliedstaates unter den Voraussetzungen des Art. 19 Abs. 1 eine „Überprüfung“, wie z.B. die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, vorsehen. Erst recht ist § 342 ZPO ausreichend96. Der Anwendungsbereich des Art. 19 ist – ebenso wie der der Artt. 13 und 14 – auf die Säumnisfälle des Art. 3 Abs. 1 lit. b, c beschränkt.
IV. Verhältnis zu Art. 34 Nr. 2 EuGVVO Auch wenn eine Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel nicht in Betracht kommt, weil die Mindeststandards der Artt. 12 ff. nicht eingehalten sind, kann dennoch eine Vollstreckbarerklärung in den anderen Mitgliedstaaten nach Artt. 38 ff. EuGVVO erfolgen. Zustellungsmängel können nur durch den Rechtsbehelf nach Art. 43 EuGVVO und nur in den Grenzen des Art. 34 Nr. 2 EuGVVO geltend gemacht werden, Art. 45 EuGVVO. Die Nichteinhaltung des Mindeststandards der Artt. 12 ff. führt also nicht automatisch zu einem Versagungsgrund i.S.v. Art. 34 Nr. 2 EuGVVO97. Auch bei ordnungsgemäßer Zustellung nach Artt. 13–14, aber bei Nichtbeachtung der in Artt. 16 f. aufgeführten Formalien für die Unterrichtung des Schuldners über die geltend gemachte Forderung und über die verfahrensrechtlichen Erfordernisse für das Bestreiten der Forderung98 kommt eine Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel nicht in Betracht. Dies zieht 93 94 95 96 97 98
R. Wagner, IPRax 2005, 189 (194). Hierzu Linke, ERA Forum 2005, 205 (214). Stein, IPRax 2004, 181 (188). Kropholler (Fn. 31) Art. 19 Rz. 4. R. Wagner, IPRax 2005, 189 (194). § 690 Abs. 1 Nr. 4 ZPO genügt den Anforderungen des Art. 16. Im Gegensatz zur Klageschrift muss der Anspruch nicht substantiiert, sondern nur individualisiert sein, Hüßtege in Thomas/Putzo (Fn. 70) Art. 16 Rz. 1.
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aber nicht automatisch die Versagung der Anerkennung bzw. Vollstreckbarerklärung nach Art. 34 Nr. 2 EuGVVO nach sich.
V. Heilung von Zustellungsmängeln Die Einhaltung der in Artt. 13 ff. aufgestellten Kautelen als Voraussetzung der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel ist kein Selbstzweck; sie dienen vielmehr dem Schutz des Schuldners in den Säumnisfällen des Art. 3 Abs. 1 lit. b, c: Er soll rechtzeitig und in einer Weise über das gegen ihn eingeleitete Verfahren und die Folgen seiner Nichtteilnahme informiert werden, dass er Vorkehrungen zu seiner Verteidigung treffen kann99. Wird dieser Zweck erreicht, so kann nach Maßgabe von Art. 18 die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel auch dann erfolgen, wenn die in Artt. 13 ff. aufgestellten Voraussetzungen nicht erfüllt sind100. Nach dem Vorbild des Art. 34 Nr. 2 EuGVVO werden Verfahrensmängel im Hinblick auf die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks (Artt. 13, 14, 15) und die Unterrichtung des Schuldners (Artt. 16, 17) geheilt, wenn der Schuldner statthafte Rechtsbehelfe gegen die Entscheidung nicht eingelegt hat, Art. 18 Abs. 1. Das Vorliegen der einzelnen Heilungsvoraussetzungen ist im Formblatt I sub 13 anzugeben. Voraussetzung ist allerdings die Zustellung der gerichtlichen Entscheidung in Übereinstimmung mit Artt. 13 oder 14; damit soll gewährleistet werden, dass der Schuldner die Entscheidung tatsächlich erhalten hat101. Des Weiteren werden Zustellungsmängel nach Artt. 13 und 14, nicht jedoch Defizite bei der Unterrichtung (Artt. 16, 17) nach Art. 18 Abs. 2 geheilt, wenn der Schuldner oder sein Vertreter (Art. 15) das zuzustellende Schriftstück tatsächlich erhalten hat, und zwar so rechtzeitig, dass er Vorkehrungen für seine Verteidigung treffen konnte. Der Nachweis hierfür kann durch das Verhalten des Schuldners im gerichtlichen Verfahren geführt werden. Bleibt der Schuldner passiv, d. h. nimmt er am gerichtlichen Verfahren nicht teil, so kommt Art. 18 Abs. 2 nicht zum Zuge. Die gegen ihn ergangene ex parte-Entscheidung (Versäumnisurteil) kann dann bei Nichtbeachtung der in Artt. 13 ff. aufgestellten Mindeststandards nicht als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden102.
99 100 101 102
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Erwägungsgrund Nr. 12. Kropholler (Fn. 31) Art. 18 Rz. 1. Kropholler (Fn. 31) Art. 18 Rz. 5. Rauscher (Fn. 41) Rz. 153; Kropholler (Fn. 31) Art. 18 Rz. 10.
Hendrik Schultzky
Neue Anwaltspflichten durch die Kostenrechtsmodernisierung Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Aufklärungspflicht des Rechtsanwalts über entstehende Kosten 1. Rechtslage vor Inkrafttreten des RVG 2. Die Neuregelung des § 49b Abs. 5 BRAO 3. Folgen einer Pflichtverletzung
III. Pflicht zur Wahl des kostengünstigsten Wegs 1. Umfang und Reichweite der Pflicht 2. Folgen der Pflichtverletzung 3. Einzelfälle a) Sofortiger Klageauftrag b) Versäumnis und Anerkenntnis im Zivilprozess c) Rechtsmittel zur Fristwahrung IV. Ergebnis
I. Einleitung Wie umfangreich die Pflichten des Rechtsanwalts bei der Bearbeitung eines Mandats sind, zeigt eindrucksvoll die Zusammenstellung von Max Vollkommer in dessen Werk „Anwaltshaftungsrecht“1. Vom Anwalt wird nicht nur Kenntnis der in- und ausländischen Gesetze und Rechtsprechung in allen Bereichen gefordert, sondern auch eine umfassende Aufklärung und Beratung des Mandanten. Der Pflichtenkreis unterliegt dabei beständigen Weiterungen durch die Rechtsprechung, so dass kritische Stimmen nicht ganz zu Unrecht von einem „selbst geschaffenen Pflichterfindungsrecht der Gerichte“ sprechen2. Auch die grundlegende Reform des Kostenrechts durch das KostRMoG3, die sowohl die Gerichtskosten (GKG) als auch die Anwaltsvergütung (RVG) und zahlreiche Nebengesetze betrifft, gibt Anlass, sich mit der Frage zu beschäftigen, ob durch diese Neuregelung neue Anforderungen an den Anwalt gestellt werden. Bisher wurde im Regelfall vom Rechtsanwalt nicht verlangt, seinen Mandanten über die mit seiner Beauftragung verbundenen Kosten aufzuklären. Dies erstaunt, denn die Kostenfrage ist für den Auftraggeber häufig von ganz 1 Vollkommer/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, 2. Aufl. 2003, Rz. 144 ff. 2 So Vollkommer/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, Rz. 146 m.w.N. zur Herkunft des Begriffs. 3 Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts (Kostenrechtsmodernisierungsgesetz) v. 5. 5. 2004, BGBl. I, S. 718.
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erheblicher, oft sogar entscheidender Bedeutung4. Gemäß § 49b Abs. 5 BRAO n.F. hat nun jedoch der Anwalt, wenn sich die zu erhebenden Gebühren nach dem Gegenstandswert richten, vor Übernahme des Auftrags darauf hinzuweisen. Welche Bedeutung diese Hinweispflicht hat und welche Konsequenzen sich aus einem Verstoß gegen sie ergeben, wird im Folgenden untersucht werden. Die Novellierung des Kostenrechts hat darüber hinaus tief in die Struktur der Anwalts- und Gerichtsgebühren eingegriffen. Im RVG und im GKG finden sich neue Gebührentatbestände sowie Veränderungen der Gebührenhöhen. Auch hierdurch ergeben sich neue Anforderungen für den Anwalt, weil er die seinem Mandanten entstehenden Kosten bei der Fallbearbeitung nicht außer Acht lassen darf. Die Pflicht, den kostengünstigsten Weg zu wählen, ist zwar gegenüber der sog. Kardinalpflicht des Rechtsanwalts zur Interessenwahrung und Rechtsbetreuung nachrangig, kann aber in bestimmten Fällen durchaus Bedeutung erlangen. Der Umfang der Pflicht soll deshalb hier unter besonderer Berücksichtigung der Neuregelungen durch das KostRMoG dargestellt werden.
II. Aufklärungspflicht des Rechtsanwalts über entstehende Kosten 1. Rechtslage vor Inkrafttreten des RVG Vor Inkrafttreten des RVG fehlte eine ausdrückliche gesetzliche Regelung, die den Rechtsanwalt verpflichtete, über die voraussichtlich entstehenden Kosten bei der Übernahme eines Mandats aufzuklären. Eine solche ergab sich weder aus der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGO) noch aus der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO). Auch die Berufsordnung verpflichtete den Rechtsanwalt nicht dazu. Die bisher einzige Ausnahme war die partielle Aufklärungspflicht des Rechtsanwalts für den Arbeitsgerichtsprozess in § 12a Abs. 1 S. 2 ArbGG, wonach der Rechtsanwalt vor Übernahme der Prozessvertretung darüber aufzuklären hat, dass eine Kostenerstattung nicht stattfindet. Eine Information über die Höhe der Gebühren sieht die Vorschrift jedoch nicht vor. Auch die allgemeinen Vorschriften des Bürgerlichen Rechts verlangten nicht, dass der Rechtsanwalt seinen Mandanten über seine Vergütung informiert. Der Anwaltsvertrag hat regelmäßig eine entgeltliche Geschäftsbesorgung mit Dienstvertragscharakter zum Gegenstand, auf die die Vorschriften der §§ 675, 611 ff. BGB anzuwenden sind. Zwar ist die Vergütung des 4 Der Einfluss lässt sich anhand eines sozialwissenschaftlichen Verhaltensmodells zeigen und auch näher spezifizieren; dazu Schultzky, Die Kosten der Berufung und Revision im Zivilprozess, 2003, S. 103 ff.
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Rechtsanwalts notwendiger Vertragsbestandteil, jedoch regelt § 612 Abs. 1, 2 BGB, dass sich die Vergütung bei Fehlen einer Vereinbarung nach der Gebührenordnung richtet. Es ist somit nicht erforderlich, dass der Rechtsanwalt seine Vergütung bekannt gibt und der Mandant diese akzeptiert. Es blieb nur der Rückgriff auf den Grundsatz von Treu und Glauben, aus dem sich eine Aufklärungspflicht über die entstehenden Kosten als (vor-) vertragliche Nebenpflicht ergeben konnte. Die Rechtsprechung hat eine solche Pflicht – anders als beim Arztvertrag über Wahlleistungen5 – abgelehnt und den Rechtsanwalt bisher grundsätzlich nicht für verpflichtet gehalten, den Mandanten ungefragt über die bei der Mandatsbearbeitung anfallenden Kosten aufzuklären6. Eine derartige Aufklärungspflicht bestehe nur dann, wenn im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, z.B. wenn der Mandant ersichtlich unrichtige Vorstellungen über die Höhe der Kosten hat oder wenn Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass dem Mandanten auf Antrag Beratungs- oder Prozesskostenhilfe gewährt werden kann7. Regelmäßig habe der Rechtsanwalt aber weder mitzuteilen, in welcher Höhe die Kosten entstehen noch wer diese zu tragen hat. Begründet wurde dies damit, dass kein Mandant davon ausgehen könne, dass der Anwalt unentgeltlich tätig werde, und die Vergütungshöhe durch die gesetzliche Regelung allgemein zugänglich sei8. 2. Die Neuregelung des § 49b Abs. 5 BRAO Der im Zuge der Neuregelung des Anwaltsvergütungsrechts eingefügte Abs. 5 des § 49b BRAO verlangt nun, dass, sofern sich die Gebühren nach dem Gegenstandswert richten, der Rechtsanwalt vor Übernahme des Auftrags darauf hinzuweisen hat. Mit dieser Vorschrift wollte der Gesetzgeber Überraschungen der Mandanten bei der Abrechnung verhindern9. Solche hätten sich in der Vergangenheit immer wieder bei hohen Gegenstandswerten ergeben. Der Mandant könne nach Erteilung des Hinweises durch Nachfragen nähere Aufklärung über die Kosten erreichen. Die Vorschrift ist in der Literatur umgehend auf heftige Kritik gestoßen. Diese betrifft zunächst handwerkliche Mängel. Es sei juristisch unsauber, von der Übernahme eines „Auftrags“ zu sprechen, denn der Begriff deute auf einen Auftrag i.S.d. § 662 BGB hin und verwirre den Rechtsanwender10. Wesentlich bedeutsamer für die hier anzustellenden Überlegungen ist je5 6 7 8 9 10
BGH, NJW 1983, 2630. BGH, NJW 1998, 3486 (3487); 1998, 136 (137). Dazu Vollkommer/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, Rz. 216 f. m.w.N. BGH, NJW 1998, 136. Entwurf des KostRMoG v. 11. 11. 2003, BT-Drs. 15/1971, S. 232. Lappe, Modernes Justizkostenrecht? – Kritisches zum Kostenrechtsmodernisierungsgesetz, NJW 2004, 2409.
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doch die Kritik am Sinn der Vorschrift. So betreffe der Überraschungseffekt „allenfalls einen winzigen Bereich“ der Mandate11. Die meisten Mandate würden statistisch ohnehin im unteren Bereich der Streitwerte liegen. Bei höheren Streitwerten fielen außerdem die Gebühren relativ gesehen geringer aus. Die grundsätzliche Ablehnung des § 49b BRAO ist jedoch unberechtigt. Die Behauptung, dass die Höhe der Anwaltskosten nur einen marginalen Teil der Mandanten überrasche, ist empirisch nicht haltbar. Nach einer repräsentativen Umfrage des Kölner Arbeitskreises für Rechtssoziologie im Jahr 1970 (der bisher einzigen umfassenden empirischen Untersuchung dieser Fragestellung) schätzen gerade einmal 16% der Befragten die Kosten eines Gerichtsverfahrens ungefähr richtig ein12. Da die Anwaltskosten einen erheblichen Teil der gesamten Verfahrenskosten ausmachen, lässt dieses Ergebnis auch auf den Informationsstand in der Bevölkerung über die Anwaltsgebühren schließen. Anhaltspunkte dafür, dass sich in den letzten Jahrzehnten die Situation grundlegend geändert hat, fehlen. Es besteht demnach tatsächlich auch heute noch ein erheblicher Aufklärungsbedarf potentieller Mandanten. Dem ist bei der Auslegung des § 49b Abs. 5 BRAO Rechnung zu tragen. Wohl auch durch die grundsätzliche Ablehnung begründet, wird die Regelung aber überwiegend sehr restriktiv ausgelegt. Ein pauschaler Hinweis, dass sich die Gebühren nach dem Gegenstandswert richten, wird für ausreichend gehalten13. Eine genauere Erklärung, was „Gegenstandswert“ bedeutet, sei nicht geboten. Dies widerspricht jedoch der Intention des Gesetzgebers. Der Mandant soll in die Lage versetzt werden, sich durch Nachfragen Kenntnis über das Kostenrisiko verschaffen zu können. Die beiläufige Erwähnung einer Floskel reicht dazu ebenso wenig wie ein Aushang in den Kanzleiräumen. Der Anwalt muss dafür Sorge tragen, dass der Mandant den Hinweis auch tatsächlich wahrnimmt. Erkennt der Anwalt, dass sein Gegenüber mit dem Begriff des „Gegenstandswerts“ nichts anfangen kann, ist er verpflichtet, den Terminus technicus zu erläutern14.
11 So Hartung, Die neue Aufklärungspflicht nach § 49b Abs. 5 BRAO – auch ein vergütungsrechtliches Problem?, MDR 2004, 1092. 12 Zitiert bei Kaupen, Bevölkerung und Rechtspflege in der Bundesrepublik, AnwBl. 1971, 63. Befragt wurden 1100 Bundesbürger, wie hoch sie die Kosten eines Zivilprozesses über 5000 DM einschätzen würden. Tatsächlich betrugen die Kosten etwa 1500 bis 2000 DM. Als „ungefähr richtige“ Einschätzung sollen hier alle Antworten gelten, die die Kosten auf mindestens 700 DM, also etwa 50% der tatsächlichen Kosten schätzten. 13 Hartung, MDR 2004, 1092 (1093). 14 In diese Richtung auch Hartmann, Hinweispflicht des Anwalts bezüglich Wertgebühren, NJW 2004, 2484; allgemein zur Art und Weise der Belehrung Vollkommer/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, Rz. 249 f.
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Nicht erforderlich ist nach dem eindeutigen Wortlaut des § 49b Abs. 5 BRAO, dass der Rechtsanwalt von sich aus Auskunft über die Höhe der Gebühren gibt, selbst wenn er konkrete Vorstellungen über die anfallenden Kosten hat15. Er muss auch nicht von sich aus den Gegenstandswert konkret bezeichnen. Betrifft das Verfahren die Kündigung eines Mietverhältnisses über Wohnraum, braucht der Anwalt beispielsweise nicht darauf hinzuweisen, dass sich der Wert nach der Bruttokaltmiete richtet. Das gilt selbst dann, wenn es um immaterielle Güter geht, und die Bemessung des Werts für den juristischen Laien kaum möglich ist, z.B. bei einem Streit um die elterliche Sorge oder wegen Ehrverletzungen. Auch eine Aufklärung über die Regeln der Kostentragung verlangt § 49b Abs. 5 BRAO nicht. Erst auf Nachfrage muss der Anwalt derartige Auskünfte erteilen. Hat er den Mandanten richtig belehrt, wird er aber mit solchen Fragen rechnen müssen16. Der Hinweis muss vor Abschluss des Anwaltsvertrags erfolgen. Ein aufgedruckter Hinweis auf dem Vollmachtsformular17 wird dem nicht gerecht. Probleme ergeben sich, wenn der Rechtsanwalt schriftlich beauftragt wird. Vor einer schriftlichen Annahme des Mandats hat er nach dem Wortlaut des § 49b Abs. 5 BRAO den Mandanten über die Gebührenbemessung zu informieren. Das Bestätigungsschreiben des Anwalts müsste dann so ausgestaltet sein, dass der Rechtsanwalt den erforderlichen Hinweis erteilt und zugleich eine Annahmeerklärung des Mandanten erbittet18. Bei der Beauftragung mit einer neuen Rechtsangelegenheit innerhalb eines Dauermandats kann diese Vorgehensweise dadurch vermieden werden, dass der Anwalt den Auftraggeber vor Erteilung des ersten Mandats auch hinsichtlich gleichgelagerter künftiger Angelegenheiten informiert19. Dem Sinn und Zweck des § 49b Abs. 5 BRAO ist dann Genüge getan. In anderen Fällen kann der Anwalt den Hinweis auch fernmündlich erteilen. Eine Dokumentation des Hinweises ist nicht vorgeschrieben. Zur Vermeidung einer Inanspruchnahme liegt es aber im eigenen Interesse des Rechtsanwalts, zumindest einen Vermerk zu fertigen. Der sicherste Weg für den Anwalt ist es aber, sich auf einem Formular die durchgeführte Belehrung unterschriftlich vom Mandanten bestätigen zu lassen20. 15 Insofern besteht Einigkeit in der Literatur; vgl. Hartung, MDR 2004, 1092 (1093); Hartmann, NJW 2004, 2484; Hansens, Die neue Hinweispflicht nach § 49b Abs. 5 BRAO, ZAP Fach 24, 885 (886). 16 Hansens, ZAP Fach 24, 885. 17 So der Vorschlag von Völtz, § 49b BRAO – eine vergessene Reform?, BRAK-Mitt. 2004, 103 (104), der offensichtlich von zahlreichen Kanzleien in die Praxis umgesetzt wurde. 18 Schweigen des nichtunternehmerischen Mandanten und die bloße Entgegennahme anwaltlicher Leistungen reichen nicht aus, vgl. Vollkommer/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, Rz. 43 a.E. 19 Ebenso Hansens, ZAP Fach 24, 885 (886). 20 Hansens, ZAP Fach 24, 885.
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Die Hinweispflicht besteht nach dem Wortlaut des § 49b Abs. 5 BRAO nicht bei Betragsrahmen- oder Festgebühren. Eine analoge Anwendung der Vorschrift ist nicht möglich, da es an einer Regelungslücke fehlt. Der Gesetzgeber hat die Hinweispflicht auf die Fälle beschränken wollen, in denen die Gebühren durch einen hohen Gegenstandswert überraschend hoch sind. Betragsrahmen- und Festgebühren orientieren sich darüber hinaus auch stärker am tatsächlichen Arbeitsaufwand des Rechtsanwalts, der für den Mandanten eher nachvollziehbar ist. In Strafsachen kennt der Mandant darüber hinaus die anfallenden Kosten meist dadurch, dass der Anwalt Zahlung eines Vorschusses oder den Abschluss einer Honorarvereinbarung verlangt. 3. Folgen einer Pflichtverletzung Die Hinweispflicht des § 49b Abs. 5 BRAO ist eine Berufspflicht des Rechtsanwalts, so dass ein Verstoß gegen sie berufsrechtliche Folgen nach sich ziehen kann21. Daneben kann der unterbliebene Hinweis aber auch Auswirkungen auf den Vergütungsanspruch des Anwalts haben. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung können Gebührenansprüche ganz oder teilweise entfallen, wenn der Rechtsanwalt den Mandanten nicht pflichtgemäß über die Höhe der entstehenden Gebühren belehrt hat22. Entsteht dem Mandanten hierdurch ein Schaden, kann er regelmäßig gegen die Gebührenforderung mit einem Schadensersatzanspruch aufrechnen. Seine Rechtsgrundlage findet der Gegenanspruch in § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2 BGB, da es sich bei der Hinweispflicht nach ihrem Sinn und Zweck um eine vorvertragliche Schutzpflicht zugunsten des Mandanten handelt23. Problematisch ist dabei die Bemessung des „Nichtbelehrungsschadens“. Der Schaden und dessen Kausalität sind nach allgemeinen Beweislastregeln vom Mandanten nachzuweisen, wobei auf den jeweiligen Einzelfall abzustellen ist24. Diesen Rechtsgrundsätzen widerspricht die von Fischer vorgeschlagene Konsequenz, dass der Rechtsanwalt bei einem Verstoß anstelle der Wertgebühr nur eine Betragsrahmengebühr verlangen könne25. Normierte Betragsrahmen fehlen darüber hinaus auch für viele Rechtsangelegenheiten, so dass die Lösung auch nicht praktikabel ist. Ebenso wenig kann auch davon aus21 Hierzu Hansens, ZAP Fach 24, 885 (887); Hartung, MDR 2004, 1092 (1093). 22 BGHZ 77, 27 = NJW 1980, 2128. 23 Hartmann, NJW 2004, 2484; Hartung, MDR 2004, 1092 (1094); Völtz, BRAK-Mitt. 2004, 103 (104); auch Hansens, ZAP Fach 24, 885, (888) (der allerdings die Anspruchsgrundlage in der culpa in contrahendo i.V.m. § 278 BGB sieht); generell ablehnend Fahrendorf in Rinsche, Die Haftung des Rechtsanwalts, 7. Aufl. 2005, Rz. 1463. 24 Vollkommer/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, Rz. 686 mit zahlreichen weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung. 25 Fischer, Die Rechtsanwaltsvergütung für die dienstvertragliche und arbeitsrechtliche (Erst-)Beratung, NZA 2004, 1185.
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gegangen werden, dass der Anwalt regelmäßig keinen Gebührenanspruch mehr hat, denn auch bei einem unterbliebenen Hinweis wird der Mandant nicht davon ausgehen können, dass der Anwalt ganz ohne Vergütung tätig wird26. Der Mandant muss vielmehr im Einzelfall nachweisen, dass er nicht wusste, dass sich die Gebühren nach dem Gegenstandswert richten, er bei einem entsprechenden Hinweis nähere Aufklärung über die Gebühren verlangt hätte und dann den Anwaltsvertrag aufgrund der Gebührenhöhe überhaupt nicht oder nicht mit der im RVG geregelten Vergütung abgeschlossen hätte. Notwendige Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch ist damit eine falsche Vorstellung des Mandanten über die Höhe der Vergütung. Diese wird sich insbesondere in Fällen nachweisen lassen, in denen aufgrund eines sehr hohen Gegenstandswerts die geforderte Vergütung eine Vergütung des Anwalts nach Arbeitsaufwand erheblich übersteigt27. Ein Schaden in Höhe der verlangten Vergütung ist dann entstanden, wenn der Mandant auf die Rechtsdurchsetzung ganz verzichtet oder sie ohne Anwalt durchgeführt hätte28. Eine Minderung der Vergütung im Wege der Aufrechnung kommt in Betracht, wenn sich der Mandant sonst eines günstigeren (insbesondere ausländischen) Anwalts bedient hätte. Hat der Mandant einen Schadensersatzanspruch, kann der Rechtsanwalt für bereits erbrachte Leistungen entgegen der Ansicht von Völtz keinen Ausgleich nach Bereicherungsrecht verlangen29. Dieses ist schon gar nicht anwendbar, weil keine rechtsgrundlose Leistung des Rechtsanwalts vorliegt. Außerdem stünde auch diesem Anspruch der Schadensersatzanspruch entgegen, der im Wege der Aufrechnung geltend gemacht werden könnte. Verstößt ein Rechtsanwalt gegen die Hinweispflicht des § 49b Abs. 5 BRAO, setzt er sich – entgegen der Ansicht Hartmanns – neben den aufgezeigten standes- und zivilrechtlichen Folgen nicht noch der Gefahr einer Strafverfolgung aus30. Eine Strafbarkeit wegen Betrugs scheidet schon deshalb aus, weil der Mandant keinen Vermögensschaden erleidet. Von ihm wird lediglich die gesetzlich vorgesehene Vergütung verlangt. Eine Vergütung, die über den Wert der Gegenleistung hinausgeht, kann der Anwalt ohnehin nicht fordern.
26 27 28 29 30
So zu Recht Völtz, BRAK-Mitt. 2004, 103 (104). So der Sachverhalt der Entscheidung BGHZ 77, 27. Ebenso Hansens, ZAP Fach 24, 885 (888). Völtz, BRAK-Mitt. 2004, 103 (104). Hartmann, Kostengesetze, 35. Aufl. 2005, Einl. RVG Rz. 18.
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III. Pflicht zur Wahl des kostengünstigsten Wegs 1. Umfang und Reichweite der Pflicht Keine klare Linie hat die Rechtsprechung bisher zu der Frage gefunden, ob und inwieweit der Rechtsanwalt die Verfahrenskosten bei der Wahrnehmung des Mandats zu berücksichtigen hat. Das OLG Köln geht davon aus, dass keine Pflicht besteht, den Mandanten ungefragt auf den kostengünstigsten Weg der Rechtsverfolgung aufmerksam zu machen und diesen dann auch zu beschreiten31. Der Rechtsanwalt sei grundsätzlich nur zu einer Beratung hinsichtlich des Prozessstoffes selbst verpflichtet. Die Argumentation des OLG Köln ähnelt der zur Aufklärungspflicht des Anwalts über das Kostenrisiko: Wenn der Anwalt nur auf konkrete Nachfrage die entstehenden Kosten benennen muss, so soll er auch nur dann den kostengünstigsten Weg aufzeigen müssen. Allerdings wird dabei ein grundlegender Unterschied verkannt. Geht es bei der Aufklärung über die Kosten lediglich um eine Information des Mandanten, betrifft die Wahl des kostengünstigsten Wegs die Art und Weise der Mandatsbearbeitung selbst. Auf eine solche Handlungspflicht stellt auch der BGH ab, wenn er – allerdings in einem Sonderfall und ohne nähere Ausführungen – den Rechtsanwalt für verpflichtet hält, im Interesse des Mandanten die Kosten eines Rechtsstreits möglichst gering zu halten32. Die Begründung liefert das OLG Koblenz, das im Ergebnis der höchstrichterlichen Entscheidung folgt: Aus dem Grundsatz von Treu und Glauben erwachse die Pflicht des Rechtsanwalts die Prozesskosten möglichst niedrig zu halten und zwischen mehreren zumutbaren und gleich sicheren Möglichkeiten die voraussichtlich billigere zu wählen33. Die Herleitung des OLG Koblenz erscheint tragfähig. Aufgabe des Geschäftsbesorgers, hier des Rechtsanwalts, ist es, das übertragene Geschäft sachkundig und sorgfältig wahrzunehmen34. Zu der Sachkunde gehört auch die Auswahl des richtigen Wegs zur Rechtsdurchsetzung. Der Anwalt hat also nach der materiellen Prüfung zu entscheiden, in welcher Weise er für seinen Mandanten dessen Rechte geltend machen wird. So obliegt es ihm, dem Mandanten zu raten, dass z.B. zunächst der Anspruch außergerichtlich geltend gemacht werden und nicht sofort Klage erhoben werden soll. Neben den rechtlichen Erfordernissen, z.B. einer drohenden Verjährung, hat er sich dabei auch von Zweckmäßigkeitserwägungen leiten zu lassen. Zu diesen 31 OLG Köln, NJW 1986, 725. 32 BGH, NJW-RR 2004, 489: In dem entschiedenen Fall der Honorarklage war der Mandant allerdings Verfahrensgegner des Rechtsanwalts. Macht eine Sozietät einen Honoraranspruch gegen den Mandanten geltend, soll eine Erhöhungsgebühr nach § 6 BRAGO (nun RVG-VV Nr. 1008) nicht anfallen (!). Die Aufgabe müsse durch ein Sozietätsmitglied erledigt werden. 33 OLG Koblenz, MDR 2001, 720. 34 Heermann in MünchKomm BGB, 4. Aufl. 2005, § 675 Rz. 13.
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gehört auch, seinem Mandanten nicht höhere Kosten als notwendig aufzubürden. Die Bedingungen der Rechtsschutzversicherer schreiben eine derartige Sachbehandlung sogar ausdrücklich vor: Zu den Obliegenheiten des Versicherungsnehmers gehöre es, unnötige Kosten der Rechtsdurchsetzung zu vermeiden (§ 15 Abs. 1 lit. d cc ARB 75; § 17 Abs. 5 lit. c ARB 94/2000), also von mehreren möglichen Wegen den kostengünstigsten zu wählen, soweit er mit Sicherheit zum gleichen Ziel führt35. Die Pflicht, den kostengünstigeren Weg zu wählen, besteht freilich nur dann, wenn die zur Wahl stehenden Alternativen jeweils gleichwertig sind. Als gleichwertig anzusehen ist beispielsweise ein kostengünstiger Gesamtvergleich mit mehreren Gläubigern anstelle von Einzelvergleichen36 oder die Berufungsrücknahme anstelle eines Vergleichs in der Berufungsinstanz, der inhaltlich dem erstinstanzlichen Urteil entspricht37. Dagegen fehlt es an der Gleichwertigkeit, wenn zur Kostenersparnis nur ein Teilbetrag einer Forderung eingeklagt wird. Auch kann vom Rechtsanwalt nicht verlangt werden, alle über einen „normalen“ Verfahrensablauf hinausgehenden prozesstaktischen oder sonstigen Möglichkeiten auszureizen, um seine Anwaltskosten für den Mandanten gering zu halten. Es muss ihm zugebilligt werden, die im RVG für eine bestimmte Tätigkeit vorgesehenen Gebühren auch tatsächlich zu erhalten. Eine sachlich ungerechtfertigte Verkürzung seiner eigenen Einnahmen kann ihm nicht zugemutet werden38. Der Rechtsanwalt hat zu prüfen, welche Kosten die jeweilige Vorgehensweise verursacht. Dabei hat er nicht nur die Anwalts-, sondern auch die Gerichtskosten und die Regeln der Kostentragung zu berücksichtigen39. Soweit er Anhaltspunkte dafür hat, dass der Gegner möglicherweise zahlungsunfähig ist, hat er zu beachten, dass dann auch ein titulierter Kostenerstattungsanspruch eventuell nicht durchsetzbar ist. 2. Folgen der Pflichtverletzung Verursacht der Anwalt vorsätzlich unnötige Kosten, so wird der Rechtsschutzversicherer gegenüber dem Mandanten vollständig von der Leistungspflicht befreit (§ 15 Abs. 2 ARB 75; § 17 Abs. 6 ARB 94/2000, jeweils i.V.m. § 166 Abs. 1 BGB). Vorsatz bedeutet nach allgemeinen Regeln, dass der An35 36 37 38
Bauer in Harbauer, Rechtsschutzversicherung, 7. Aufl. 2004, § 15 ARB 75 Rz. 21. OLG Karlsruhe, NJW-RR 1986, 1407. LG Saarbrücken, ZfSch 1986, 339. In diesem Sinne auch Fahrendorf in Rinsche, Haftung des Rechtsanwalts, Rz. 1488. 39 Auch die Rechtsschutzversicherer erlegen den Versicherungsnehmern auf, nicht nur eine Erhöhung, sondern auch alles zu vermeiden, was eine Erschwerung der Kostenerstattung durch die Gegenseite verursachen könnte, § 15 Abs. 1 lit. d cc a.E. ARB 75; § 17 Abs. 5c ARB 94/2000. Beispiele hierzu bei Bauer in Harbauer, Rechtsschutzversicherung, § 15 ARB 75, Rz. 24.
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walt die Kostenfolgen bei der gewählten Vorgehensweise erkannt und zumindest billigend in Kauf genommen hat, sowie Kenntnis davon, dass der Mandant rechtsschutzversichert war40. Vorsätzliches Handeln wird danach häufig in Betracht kommen; das OLG Karlsruhe vermutet es gar41. Aber auch bei grob fahrlässigem Verhalten besteht eine teilweise Leistungsfreiheit. Der Rechtsschutzversicherer ist dann nicht verpflichtet, die unnötig entstandenen Kosten zu zahlen42. Im Verhältnis des Anwalts zum Mandanten sind die jeweiligen Gebühren jedoch entstanden, wenn die entsprechenden Gebührentatbestände des RVG verwirklicht sind, so dass der Anwalt auch bei Leistungsfreiheit der Rechtsschutzversicherung zunächst einen Anspruch gegen ihn hat. Vorrangig vor der Feststellung etwaiger Schadenersatzansprüche durch die Verursachung unnötiger Kosten ist daher die Prüfung, ob tatsächlich der jeweilige Gebührentatbestand erfüllt ist. So fällt die Erhöhungsgebühr nach Nr. 1008 RVGVV bei Vertretung einer BGB-Gesellschaft nicht an, weil der Rechtsanwalt seit Anerkennung der Teilrechtsfähigkeit der GbR in der höchstrichterlichen Rechtsprechung regelmäßig nicht mehr eine Mehrheit von Gesellschaftern vertritt, sondern für die GbR als einen Auftraggeber tätig wird43. In diesem und ähnlichen Fällen geht es aber zumeist nicht um Kosten, die durch sachlich nicht gebotenes Tätigwerden entstanden sind. Es handelt sich vielmehr um Fälle, in denen der Anwalt eine ihm nach dem RVG nicht zustehende Vergütung geltend machen will. Steht fest, dass der Anwalt unnötig hohe Kosten verursacht hat, stellt dies eine Verletzung einer Nebenpflicht des Mandatsvertrags dar, die zu einem Schadensersatzanspruch des Mandanten gem. § 280 Abs. 1 BGB führt. Der Mandant kann diesen Anspruch im Wege der Aufrechnung gegenüber dem Gebührenanspruch geltend machen. Im Festsetzungsverfahren nach § 11 RVG begründet die Aufrechnung mit dem Schadensersatzanspruch außerdem einen nichtgebührenrechtlichen Einwand i.S.d. § 11 Abs. 5 RVG, der – soweit er vom Mandanten geltend gemacht wird – eine Vergütungsfestsetzung verhindert44. Dem Anwalt bleibt dann nur der Weg, eine Gebührenklage zu erheben, um einen Vollstreckungstitel hinsichtlich seiner Vergütung gegen seinen Mandanten zu bekommen. Im Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 103 ff. ZPO hat das Gericht neben der Verwirklichung der Gebührentatbestände auch die Erstattungsfähigkeit 40 Vgl. nur OLG Karlsruhe, NJW-RR 1986, 1407. 41 OLG Karlsruhe, NJW-RR 1986, 1407; die abweichende Regel des OLG Köln, r+s 1990, 419 betrifft dagegen den Fall der Verletzung der Abstimmungsobliegenheit. 42 Im Einzelnen Bauer in Harbauer, Rechtsschutzversicherung, § 15 ARB 75 Rz. 28 f., auch zur Beweislast. 43 BGH, NJW-RR 2004, 489; OLG Düsseldorf, NJW-RR 2002, 645. 44 OLG Koblenz, AnwBl. 1989, 679 = Rpfleger 1989, 477; Hartmann, Kostengesetze, § 11 RVG Rz. 67.
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der jeweiligen Kosten zu prüfen. Erstattungsfähig sind dabei nur notwendige Kosten i.S.d. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die „Notwendigkeit“ der Kosten fehlt immer dann, wenn der Anwalt eine Art der Rechtsverfolgung wählt, die kostengünstiger mit denselben Erfolgsaussichten hätte durchgeführt werden können. In der Rechtsprechung besteht daher weitgehende Einigkeit darüber, dass das Geltendmachen von auf einem einheitlichen Lebensvorgang beruhenden Ansprüchen gegen mehrere Personen oder auch von mehreren Ansprüchen gegen eine Person in getrennten Verfahren ungerechtfertigt erhöhte Kosten verursachen kann45. 3. Einzelfälle a) Sofortiger Klageauftrag Regelmäßig geht der gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen eine außergerichtliche Auseinandersetzung mit dem Gegner voraus. Wird ein Anwalt mit der Durchsetzung einer Forderung beauftragt, so wird er zunächst dem Gegner eine Zahlungsaufforderung oder ein Mahnschreiben übersenden. Dies wird in vielen Fällen schon deshalb geboten sein, um mögliche Kostennachteile im Falle eines Anerkenntnisses nach § 93 ZPO zu verhindern. Bei der außergerichtlichen und der möglicherweise folgenden gerichtlichen Tätigkeit handelt es sich um verschiedene Gebührenangelegenheiten, die auch unterschiedliche Gebühren auslösen. Für seine außergerichtliche Tätigkeit kann der Rechtsanwalt eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 RVG-VV (Mittelgebühr nach h.M. 1,346) verlangen, die die bisherige Geschäfts-, Besprechungs- und Beweisaufnahmegebühr des § 118 Abs. 1 BRAGO ersetzt. Für die gerichtliche Tätigkeit fallen die Verfahrens- und die Terminsgebühr nach dem 3. Teil des RVG-VV an. Die außergerichtlichen Gebühren werden dabei gem. Vorbemerkung 3 zum Teil 3 des RVG-VV zum Teil auf die gerichtlichen Gebühren angerechnet. In dieses vom RVG vorgesehene Gefüge kann der Rechtsanwalt eingreifen, in dem er sich sofort einen Klageauftrag von seinem Mandanten erteilen lässt, obwohl er vorhat, zunächst eine außergerichtliche Lösung zu finden. Zu einem solchen Vorgehen rät aus anwaltlicher Sicht Bonnen, denn der Anwalt könne so zu Mehreinnahmen gelangen47. Kommt es nämlich in diesem Fall zu einer Besprechung mit dem Gegner, kann die 1,2-fache Terminsgebühr nach Nr. 3104 RVG-VV anfallen, die nach der Vorbemerkung 3 45 KG, JurBüro 2002, 35 = AGS 2002, 237; OLG Koblenz, MDR 1987, 676 = VersR 1988, 252. 46 So ausdrücklich Gesetzentwurf, BT-Drs 15/1971, S. 207; vgl. nur AG Limburg, AGS 2005, 333; AG Aachen, Schaden-Praxis 2005, 284; AG Wetzlar, AGS 2005, 336; AG Köln, AGS 2005, 146; AG Wuppertal, JurBüro 2005, 363. 47 Bonnen, Terminsgebühr nach RVG – Gebührenanspruch auch im außergerichtlichen Verfahren, MDR 2005, 1084 (1085).
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Abs. 3 RVG-VV auch dann entsteht, wenn die Besprechung der Vermeidung des Gerichtsverfahrens dient – also durch die Besprechung eine klageweise Durchsetzung des Anspruchs verhindert werden soll48. Eine Besprechung setzt dabei keinen persönlichen Kontakt voraus. Vielmehr soll schon ein Telefongespräch genügen49. Die Terminsgebühr kann so auch schon entstehen, wenn der Rechtsstreit noch nicht anhängig ist; ausreichend und erforderlich ist, dass mit der Erteilung des Klageauftrags ein gerichtliches Verfahren beabsichtigt wird. Zusätzlich zu der Terminsgebühr fällt nach Ansicht Bonnens bei einem solchen Vorgehen die Geschäftsgebühr gem. Nr. 2400 RVG an, so dass der Anwalt allein für ein durchschnittliches außergerichtliches Verfahren 2,5 Gebühren verlangen könne50. Dies ist jedoch nicht folgerichtig: Wird der Anwalt mit der Klage beauftragt, betreibt er gerade kein außergerichtliches Geschäft i.S.d. Teils 2 des Vergütungsverzeichnisses, sondern ein gerichtliches. Die Zahlungsaufforderung ist dann eine die Klage vorbereitende Tätigkeit, die eine Verfahrensgebühr des 3. Teils des Vergütungsverzeichnisses auslöst: Erledigt sich der Streit durch die außergerichtliche Tätigkeit ist die Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 Nr. 1 RVG-VV eine 0,8-fache Gebühr, im Übrigen beträgt sie 1,3 nach Nr. 3100 RVG-VV51. Allein für das außergerichtliche Verfahren nach Klageauftrag können damit insgesamt 2,0 Gebühren anfallen. Es kann somit ein Gebührennachteil gegenüber dem Vorgehen aufgrund außergerichtlicher Vollmacht für den Mandanten entstehen, wenn der Anwalt vorgerichtlich den Anspruch durchsetzen kann oder es zu einer Einigung kommt. Aber auch für den Anwalt kann es nachteilig sein, wenn er sich sofort einen Klageauftrag erteilen lässt. Kommt es nämlich zu keiner außergerichtlichen Verfahrensbeendigung und erhebt er Klage, erhält er für sein Vorgehen insgesamt nur die Gebühren für das erstinstanzliche Verfahren, also die Verfahrens- und die Terminsgebühr. Ihm entgeht dann die Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 RVG-VV, die nur teilweise auf die Gebühren nach Teil 3 des Vergütungsverzeichnisses angerechnet wird. Das von Bonnen vorgeschlagene Vorgehen birgt daher sowohl für den Mandanten wie auch für den Anwalt ein Kostenrisiko. Das erhöhte Kostenrisiko für das außergerichtliche Verfahren ist für den Mandanten darüber hinaus unnötig. Es handelt es sich bei der Terminsgebühr nicht um eine Gebühr, die nach der Struktur des RVG regelmäßig für
48 Bisher einhellige Auffassung in der Literatur; vgl. nur Henke, Kann eine Terminsgebühr schon anfallen, bevor eine Klage anhängig ist?, AnwBl. 2004, 511 m.w.N. 49 OLG Koblenz, NJW-RR 2005, 1592 = MDR 2005, 1137; AG Schleiden, NJW-RR 2005, 1232. 50 Bonnen, MDR 2005, 1084 (1085). 51 So Enders, RVG für Anfänger, 13. Aufl. 2006, Rz. 1076; in diese Richtung auch Hartmann, Kostengesetze, Nr. 3104 RVG-VV Rz. 11, der ein Vorrangverhältnis der Termins- gegenüber der Geschäftsgebühr annimmt.
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eine Besprechung mit dem Gegner vor Klageerhebung vorgesehen ist, so dass ihre Versagung eine unangemessene Gebührenkürzung bedeuten würde. Vielmehr hat der Gesetzgeber mit der gegenüber der bisherigen Rechtslage deutlich erhöhten Geschäftsgebühr eine pauschale Abgeltung sämtlichen außergerichtlichen Tätigwerdens, auch von Besprechungen, beabsichtigt52. Es ist daher Aufgabe des Rechtsanwalts, den Willen seines Mandanten zu erforschen und sich einen entsprechenden Auftrag erteilen zu lassen: Beabsichtigt der Mandant, es zunächst noch einmal „im Guten“ zu versuchen und sich angesichts des drohenden Kostenrisikos eines Gerichtsverfahrens die Entscheidung zu klagen offen zu halten, wäre es pflichtwidrig, wenn der Rechtsanwalt sich sofort einen Klageauftrag erteilen lassen würde. Anders ist es, wenn ohne weitere Zwischenschritte eine Klageerhebung erfolgen soll. Das wird insbesondere dann der Fall sein, wenn die Verjährung des Anspruchs droht oder aufgrund eigener Bemühungen des Mandanten eine außergerichtliche Klärung aussichtslos erscheint, wobei zu berücksichtigen ist, dass einer anwaltlichen Zahlungsaufforderung höheres Gewicht beim Gegner zukommen kann53. b) Versäumnis und Anerkenntnis im Zivilprozess Wird ein Rechtsanwalt von seinem Mandaten beauftragt, sich gegen bereits vom Gegner vor dem Zivilgericht eingeklagte Ansprüche zur Wehr zu setzen und ergibt seine Prüfung der Sache, dass eine Rechtsverteidigung von vornherein keinerlei Aussicht auf Erfolg hat, muss er sich entscheiden, wie er nun prozessual reagiert: Entweder kann er den Anspruch gegenüber dem Gericht anerkennen oder er kann dem Mandanten raten, nichts weiter zu unternehmen und Versäumnisurteil gegen sich ergehen zu lassen. Eine derartige Entscheidung hat der Anwalt immer dann zu treffen, wenn nach sorgfältiger Prüfung der Sach- und Rechtslage das Bestehen des Anspruchs nicht zweifelhaft sein kann, Gegenrechte ausgeschlossen werden können, keine Chancen auf eine vergleichsweise Ermäßigung der Forderung bestehen und auch sonstige Vorteile wie das Hinausschieben der Zwangsvollstreckung nicht vorliegen54. Sowohl das Anerkenntnis wie auch die Säumnis führen zu einer gerichtlichen Entscheidung zu Lasten des eigenen Mandanten, dem durch das Anerkenntnis- bzw. Versäumnisurteil in beiden Fällen die Kosten des Verfahrens auferlegt werden. Beide Wege sind damit im Ergebnis gleichwertig55. 52 Gesetzentwurf, BT-Drs. 15/1971, S. 207. 53 Letzteres verkennt das AG Geldern, JurBüro 2005, 363 = AGS 2005, 319; ablehnend zu der Entscheidung Eulerich, Wehret den Anfängen: Kein Eingriff der Justiz in die Unabhängigkeit der freien Advokatur, NJW 2005, 3097. 54 OLG Schleswig, MDR 2003, 120. 55 Die Möglichkeit gegen das Versäumnisurteil Einspruch einlegen zu können, ist für diese Fragestellung nur theoretisch.
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Nach der BRAGO war dabei das Anerkenntnisurteil stets die günstigere Lösung, da hier gegenüber dem Versäumnisurteil nur eine statt drei Gerichtsgebühren (Nr. 1211, 1210 GKG-KV) und lediglich zusätzlich eine halbe Verhandlungsgebühr für den Beklagtenanwalt anfiel (§ 33 BRAGO)56. So entstanden bei 10 000 Euro Streitwert bei einem Versäumnisurteil Kosten in Höhe von 2043,80 Euro, bei einem Anerkenntnis dagegen Kosten in Höhe von 1933,68 Euro57. Mit der Einführung der Terminsgebühr gem. Nr. 3104 RVG-VV als Ersatz für die bisherige Verhandlungs- und Erörterungsgebühr hat sich dieses Verhältnis der Kosten zwischen Versäumnis- und Anerkenntnisurteil nun geändert. Erscheint der Beklagtenanwalt nicht zum Termin, fällt für ihn nur eine 1,3fache Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 RVG-VV neben der Auslagenpauschale und der Umsatzsteuer an. Für den Klägeranwalt entsteht zusätzlich zu diesen Kosten nur eine 0,5-fache Terminsgebühr gem. Nr. 3105 RVG-VV, der insoweit die Regelung des § 33 BRAGO übernimmt. Es fallen also insgesamt 3,1 Anwaltsgebühren an. Darüber hinaus hat der Beklagte wie bisher drei Gerichtsgebühren zu zahlen. Diese hat der Gesetzgeber nicht reduziert, da das Gericht mit der erforderlichen Prüfung der Schlüssigkeit eine Sachprüfung vorzunehmen hat. Bei 1000 Euro Streitwert ergeben sich so Kosten in Höhe von 517,06 Euro, bei 10 000 Euro 2382,06 Euro und bei 100 000 Euro 7483,38 Euro. Erkennt der Rechtsanwalt dagegen für seinen Mandanten den Anspruch an, entstehen für beide Prozessvertreter jeweils eine 1,3-fache Verfahrensgebühr gem. Nr. 3100 RVG-VV und eine volle 1,2-fache Terminsgebühr nach Nr. 3104 RVG-VV, so dass insgesamt fünf Anwaltsgebühren anfallen. Im Gegensatz zu § 33 BRAGO a.F. ist eine Reduzierung auf eine 0,5-fache Gebühr in Nr. 3105 RVG-VV nicht mehr vorgesehen. Damit soll nach dem Willen des Gesetzgebers der Tatsache Rechnung getragen werden, dass es schon bei gleichzeitiger Anwesenheit der Anwälte im Termin regelmäßig zu einem „Mehr an Tätigkeit“ kommt58. Der Erhöhung der Anwaltsgebühren steht weiterhin die reduzierte Gerichtsgebühr gem. Nr. 1211 GKG-VV gegenüber. Aber diese Gebührenersparnis kann die erhöhten Anwaltskosten nicht ausgleichen: Die vom Beklagten zu tragenden Verfahrenskosten betragen bei 1000 Euro Streitwert 594,40 Euro, bei 10 000 Euro Streitwert 3061,20 Euro und bei 100 000 Euro 8755,60 Euro. Die Kosten für ein Anerkenntnis-
56 Zu den Gebührentatbeständen im Einzelnen König, Anerkenntnis statt Säumnis – Nach dem RVG vielfach ein anwaltlicher Kunstfehler, NJW 2005, 1243. 57 Das Ergebnis gilt für alle Streitwerte. So kostete ein Versäumnisurteil bei 1000 Euro Streitwert 457,90 Euro gegenüber 397,20 Euro für ein Anerkenntnisurteil. Bei 100 000 Euro Streitwert lagen die Kosten bei 6541 Euro gegenüber 5614,32 Euro. 58 Gesetzentwurf, BT-Drs. 15/1971, S. 212; aus rechtspolitischer Sicht ablehnend zur Neuregelung Schroeder/Riechert, Nochmals: Anerkenntnis statt Säumnis? – Systemwidrige Auswirkungen des RVG auf die Prozesstaktik, NJW 2005, 2187 (2188).
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urteil liegen sogar regelmäßig dann über denen für ein Versäumnisurteil, wenn der Kläger nicht anwaltlich vertreten ist. Nur bei Streitwerten unter 600 Euro ist hier ein Anerkenntnisurteil günstiger, bei Streitwerten bis 900 Euro sind die Verfahrenskosten annähernd gleich. Damit ist es in fast allen Fällen teurer den Klageanspruch anzuerkennen, als zum Termin nicht zu erscheinen, mit der Folge, dass Versäumnisurteil ergeht. Das gilt sogar dann, wenn das Anerkenntnis außerhalb der mündlichen Verhandlung gem. § 307 S. 2 ZPO n.F. erklärt wird, denn auch hier soll nach Nr. 3104 Abs. 1 Ziff. 1 RVG-VV die volle Terminsgebühr anfallen59. Anders ist die Situation nur dann, wenn beide Parteivertreter bei dem Gerichtstermin anwesend sind, aber der Beklagtenvertreter sich nicht zur Sache einlässt, so dass aufgrund § 333 ZPO Versäumnisurteil ergeht. Nach der Vorbemerkung 3 Abs. 3 RVG-VV entsteht allein durch die Teilnahme am Termin die 1,2-fache Terminsgebühr, die sich wegen Nr. 3105 Abs. 3 RVG-VV auch nicht auf eine 0,5-fache Gebühr reduziert60. Wie schon oben dargestellt, lösen auch Gespräche mit dem Klägervertreter über die Verfahrensbeendigung die volle Terminsgebühr aus. Liegt die eingangs genannte Situation vor, fehlen also insbesondere sämtliche Chancen zu einer vergleichsweisen Beendigung des Rechtsstreits, hat der Anwalt seinem Mandanten aus den Gesichtspunkten des Kostenrechts regelmäßig zu raten, ein Versäumnisurteil gegen sich ergehen zu lassen. c) Rechtsmittel zur Fristwahrung Die Pflicht des Anwalts, den sichersten Weg zu wählen61, veranlasst diesen häufig, ein Rechtsmittel zur Fristwahrung einzulegen. In vielen Fällen ist ein solches Vorgehen geboten, weil der Mandant den Anwalt sehr kurzfristig vor Ablauf der Frist mit der Prüfung der Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels beauftragt hat, insbesondere dann, wenn in der Vorinstanz kein oder ein anderer Rechtsanwalt tätig war. Hier ist es dem Anwalt nicht möglich, die für eine Sachentscheidung notwendigen Informationen rechtzeitig zu erlangen. Eine Berufung oder Revision zur Fristwahrung wird aber auch dann eingelegt, wenn der Anwalt wegen Überlastung oder anderer Gründe trotz eigentlich ausreichender Frist nicht dazu gekommen ist, eine abschließende Entscheidung zu treffen. Wird die Berufung später zurückgenommen, weil sich ihre Durchführung als nicht zweckmäßig erweist, hat der Berufungsführer die Kosten zu tragen. Bisher waren diese Kosten – im Vergleich zu den Kosten erster Instanz – recht gering. Durch das KostRMoG sind die Gebühren für ein solches Vor59 LG Stuttgart, NJW 2005, 3152. 60 Darauf weisen zu Recht Schroeder/Riechert, NJW 2005, 2187 hin. 61 Von Vollkommer/Heinemann, Anwaltshaftung, Rz. 285 wird diese Pflicht sogar als „Leitbild“ und „Grundsatz“ für das Handeln des Rechtsanwalts bezeichnet.
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gehen erheblich gestiegen: Der Mandant wird gegenüber der alten Rechtslage mit um mehr als die Hälfte höheren Kosten belastet. Fiel nach der alten Rechtslage gem. Nr. 1221 GKG-KV bisher lediglich eine halbe Gerichtsgebühr an, ist es nun eine ganze Gebühr. Für seine eigene Tätigkeit erhält der Rechtsanwalt nun statt der bisherigen 13/10-Prozessgebühr eine 1,6-fache Verfahrensgebühr. Fast verdoppelt haben sich die nach h.M. erstattungsfähigen Kosten des gegnerischen Rechtsanwalts62. War bisher eine 13/20-Prozessgebühr erstattungsfähig, ist es nun eine 1,1-fache Gebühr nach Nr. 3201 RVG-VV. Die so entstehenden Kosten müssen den Rechtsanwalt zu besonderer Sorgfalt anhalten. Soweit möglich, muss er eine abschließende Entscheidung über die Durchführung des Rechtsmittels innerhalb der Berufungsfrist treffen. Hat er die Berufung eingelegt, kommt eine spätere Verringerung der Kosten durch eine Reduzierung des Antrags vor Berufungsrücknahme auf einen geringen Streitwert zumeist nicht in Betracht, da dies rechtsmissbräuchlich ist63. Nicht verlangt werden kann von ihm jedoch, die Kosten für die als aussichtslos erkannte Berufung durch „Kunstgriffe“ wie Säumnis nach Antragstellung zu drücken64. Dies würde eine ungerechtfertigte Verkürzung der dem Anwalt zustehenden Gebühren bedeuten.
IV. Ergebnis Die grundlegende Änderung des Kostenrechts durch das KostRMoG verlangt vom Rechtsanwalt kein völliges Umdenken bei der Mandatsbearbeitung. Neu ist lediglich die in § 49b Abs. 5 BRAO normierte Pflicht, den Mandanten auf die Art der Gebührenbemessung hinzuweisen. Darüber hinaus verlangen die strukturellen Änderungen des RVG und des GKG, dass der Anwalt sich die entstehenden Kosten bewusst macht und dadurch unnötige Kosten für seinen Mandanten verhindert. Verstößt er dagegen, kann er sich in beiden Fällen schadensersatzpflichtig machen.
62 Zur Frage der Erstattungsfähigkeit gem. § 91 ZPO BGH, NJW 2003, 756; ausführlich m.w.N. Schultzky, Kosten der Berufung und Revision, S. 92 f. 63 BGHZ 70, 365; weitere Nachweise auch zur Gegenansicht bei Schultzky, Kosten der Berufung und Revision, S. 66 ff. 64 Dazu Braunschneider, Die Berufung – Mehr, Weniger, Neues, Nichts, ProzRB 2004, 166 und 199.
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Die Haftung des Rechtsanwalts bei Zusammentreffen von Anwaltsfehlern und Fehlentscheidungen des Gerichts „Der Prozeß ist ein risikoträchtiges Unternehmen. Träger des Prozeßrisikos sind die Parteien, die den Rechtsschutz in Anspruch nehmen und denen gegenüber er in Anspruch genommen wird. Ein Schutz der Partei vor dem Prozeßrisiko durch eine Ausweitung der Haftpflicht ihres anwaltlichen Vertreters – und damit letztlich die Verlagerung des Prozeßrisikos auf den Anwalt – erscheint als der falsche Weg; richtigerweise muß es darum gehen, durch eine sachgemäße Bestimmung der prozessualen Sorgfalt und der Anforderungen an das prozessuale Handeln das Prozeßrisiko infolge von Form- und Fristversehen möglichst zu beschränken. Vor dem Regreß steht die sachadäquate Handhabung der prozessualen Form- und Fristordnung: Das gute Recht soll sich möglichst schon im Prozeß durchsetzen und nicht erst im Regreß!“ Max Vollkommer, Anwaltshaftungsrecht, 1989, S. VII f.
Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Der Ausgangspunkt: Das Urteil des BGH vom 17. 1. 2002 („Missverständlicher Vergleichstext“) III. Die Reaktion: Der Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG vom 12. 8. 2002 IV. Die Antwort: Das Urteil des BGH vom 13. 3. 2003 („Scheidung einer unwirksamen Ausländerehe“) V. Die Kritik: Die Lösungsvorschläge des Schrifttums 1. Hypothetischer Inzidentprozess 2. Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs 3. Vereinfachte Schutzzwecklehre
4. Gestörter Gesamtschuldnerausgleich 5. Zusammenfassung VI. Die Lösung: Die Schutzzwecklehre und das Prozessrisiko 1. Grundüberlegungen 2. Fallgruppen a) Vorprozessualer Fehler b) Prozessualer Fehler c) Verstoß gegen die Pflicht zur Verhütung von Fehlern des Gerichts 3. Anwendung auf den Fall des missverständlichen Vergleichstextes 4. Anwendung auf den Fall der unwirksamen Ausländerehe VII. Schluss
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I. Einleitung „Die Gerichte sind verfassungsrechtlich nicht legitimiert, den Rechtsanwälten auf dem Umweg über den Haftungsprozess auch die Verantwortung für die richtige Rechtsanwendung zu überbürden.“ – Mit diesem obiter dictum vom 12. 8. 20021, über das sogar die Tagespresse berichtete2, hat die 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG ein altbekanntes, aber bis heute wenig ergründetes „Kernproblem des Anwaltshaftungsrechts“3 schlagartig in den Blickpunkt des rechtswissenschaftlichen und rechtspraktischen Interesses gerückt. Noch heute, mehr als vier Jahre später, gilt die Thematik als aktuell4, namhafte Autoren haben sich ihrer angenommen5, ein klärender Spruch steht jedoch noch aus. Bereits im Jahr 1989 hat der Jubilar hierzu eine eigene, ausführlich begründete Stellungnahme geliefert6, so dass die hiermit vorgelegte Fortschreibung dieser Leitgedanken seine Aufmerksamkeit erwecken dürfte.
II. Der Ausgangspunkt: Das Urteil des BGH vom 17. 1. 20027 („Missverständlicher Vergleichstext“) Der verklagte Rechtsanwalt vertrat den Kläger in dessen Scheidungsverfahren. Im Verhandlungstermin vor dem Familiengericht wurde vor Erlass des Scheidungsurteils ein Vergleich zwischen den Eheleuten geschlossen, in dem sich der Kläger zur Zahlung von Unterhalt an seine Ehefrau und die beiden aus der Ehe hervorgegangenen Kinder verpflichtete. In den Vergleichstext wurde auf Vorschlag des Rechtsanwalts der Ehefrau eine Klausel aufgenommen, wonach „im Falle einer wesentlichen Veränderung der derzeitigen Einkommensverhältnisse, insbesondere auch bei einem Wechsel der Steuerklasse des Ehemanns, [...] eine Abänderung dieses Vergleichs möglich sein [soll], wobei die Abänderung unabhängig von diesem Vergleich nach der dann gegebenen Sach- und Rechtslage erfolgen soll“. Nachdem die Steuer1 BVerfG, NJW 2002, 2937 = MDR 2002, 1339 = JZ 2003, 419 = ZIP 2002, 1770 = EWiR 2003, 165 (Henssler/Müller) = FamRZ 2002, 1693 = BRAK-Mitt. 2002, 224 mit Anm. Grams = AnwBl. 2002, 655. 2 F.A.Z. vom 3. 9. 2002, S. 1 und vom 4. 9. 2002, S. 6. 3 So bereits Vollkommer, Anwaltshaftungsrecht, 1. Aufl. 1989, Rz. 384. 4 Fahrendorf in Rinsche/Fahrendorf/Terbille, Die Haftung des Rechtsanwalts, 7. Aufl. 2005, Rz. 788. 5 Von Medicus, Das Bundesverfassungsgericht und die Anwaltshaftung, AnwBl. 2004, 257, bis zu Zugehör, Anwaltsverschulden, Gerichtsfehler und Anwaltshaftung, NJW 2003, 3225. 6 Vollkommer (Fn. 3), Rz. 381 bis 389; Borgmann, Haftet der Anwalt für Fehler des Gerichts?, FS 12 Jahrzehnte Münchener Anwaltverein, S. 143. 7 BGH, NJW 2002, 1048 = MDR 2002, 547 = BGHReport 2002, 275 = FamRZ 2002, 878 = BRAK-Mitt. 2002, 117 = AnwBl. 2002, 429.
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klasse des Klägers von III in I geändert worden war, die geschiedene Ehefrau eine Herabsetzung der Unterhaltsbeträge jedoch abgelehnt hatte, erhob der Kläger, vertreten durch den Beklagten Abänderungsklage. Die Klage wurde mit der Begründung abgewiesen, das Nettoeinkommen des Klägers habe sich um weniger als 10% und damit nicht „wesentlich“ i.S. des § 323 Abs. 1 ZPO vermindert. Das Gericht unterließ die vom Beklagten zur Ermittlung des tatsächlich mit dem Vergleich Gewollten angebotene Zeugenvernehmung der Eheleute. Das Urteil wurde rechtskräftig. Auf den Hinweis des Beklagten, gegen das Urteil sei das Rechtsmittel der Berufung gegeben, erklärte der Kläger, er wolle die Sache auf sich beruhen lassen. Der BGH hat einen Schadensersatzanspruch des Klägers gegen seinen damaligen Rechtsanwalt dem Grunde nach bejaht. Nach Ansicht des BGH hat der Rechtsanwalt die ihm aus dem Anwaltsvertrag gegenüber dem Kläger obliegenden Pflichten in mehrfacher Hinsicht verletzt: zum einen im Scheidungsverfahren, weil er an der Abfassung des Prozessvergleichs mitgewirkt hatte und dabei nicht für eine richtige und vollständige Niederlegung des Willens seines Mandanten und für einen möglichst eindeutigen und nicht erst der Auslegung bedürftigen Wortlaut des Prozessvergleichs Sorge getragen hatte. Zum anderen aber auch im späteren Abänderungsprozess, weil er die ersichtlich fehlerhafte Anwendung von § 323 Abs. 1 ZPO durch das erkennende Gericht nicht verhindert hatte und weil er den Mandanten nicht über die Erfolgsaussichten einer Berufung gegen das fehlerhafte Urteil belehrt, sondern lediglich auf die Möglichkeit einer Rechtsmitteleinlegung hingewiesen hatte. Das Urteil ist äußert knapp begründet und berücksichtigt in keiner Weise das vom BGH festgestellte Fehlverhalten des Gerichts (nämlich die unterlassene Beweisaufnahme zur Ermittlung des wahren Vergleichsinhalts und die rechtsfehlerhafte Anwendung von § 323 Abs. 1 ZPO)8.
III. Die Reaktion: Der Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG vom 12. 8. 20029 Die gegen das Urteil des BGH vom verurteilten Rechtsanwalt eingelegte Verfassungsbeschwerde hat die 2. Kammer des Ersten Senats nicht zur Entscheidung angenommen, weil die weitere Begründung des BGH, der Rechtsanwalt „habe es pflichtwidrig unterlassen, den Kläger über die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels zu belehren, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist“. Der Rechtsanwalt hätte, zumal er die Fehlentscheidung des
8 Von Zugehör, NJW 2003, 3225 (3226), als das Bemühen um ein „schlankes“ Urteil gerechtfertigt. 9 BVerfG v. 12. 8. 2002 (Fn. 1).
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Gerichts mitverschuldet hatte, den Mandanten darauf hinweisen müssen, dass eine Korrektur des Fehlers im vorgesehenen Instanzenzug noch zu erreichen war. Trotzdem sah sich die Kammer veranlasst, dem BGH in deutlichen Worten aufzuzeigen, dass sie dessen Begründung im Übrigen für verfassungsrechtlich bedenklich hält. Nach Ansicht der Kammer „hätte sich dem BGH die Frage aufdrängen müssen, ob in die Berufsausübungsfreiheit eines Rechtsanwalts eingegriffen wird, wenn er für eine missverständliche Formulierung haftbar gemacht wird, obwohl sie bei fehlerfreiem Verhalten [prozessordnungsgemäße Beweisaufnahme] des Gerichts nicht zum Schadenseintritt geführt hätte“. Bedenklich sei außerdem, dass der BGH dem Rechtsanwalt vorgeworfen hat, den sich abzeichnenden Rechtsfehler des Gerichts nicht verhindert zu haben, denn „Rechtskenntnis und -anwendung sind vornehmlich Aufgabe der Gerichte. Fehler der Richter sind – soweit möglich – im Instanzenzug zu korrigieren“. Das obiter dictum der Kammer gipfelt schließlich in der provozierenden Aussage, wonach die Anwaltshaftung weder im Sinne eines Auffangtatbestandes eingreift, wenn Fehler der Gerichte im Instanzenzug nicht mehr zu korrigieren sind, noch die Rechtsanwälte ersatzweise für Fehler der Rechtsprechung haften, nur weil sie haftpflichtversichert sind. Zu diesem „Hinweis“, der nach Aussage der Richterin des Bundesverfassungsgerichts Jaeger „in gewisser Weise“ [...] ironisch gemeint gewesen war10, musste der BGH Stellung beziehen.
IV. Die Antwort: Das Urteil des BGH vom 13. 3. 200311 („Scheidung einer unwirksamen Ausländerehe“) Nachdem der BGH zunächst in einigen Entscheidungen eine Stellungnahme ablehnte12, nutzte der IX. Senat schließlich sein Urteil vom 13. 3. 2003 dazu, die Bedeutung des Kammerbeschlusses des BVerfG für seine künftige Rechtsprechung darzulegen. Dieser vom ehemaligen Senatsvorsitzenden Zugehör als „Wegweiser“ bezeichneten Entscheidung13 lag folgender Sachverhalt zugrunde.
10 R. Jaeger, Rechtsanwälte als Organ der Rechtspflege – Notwendig oder überflüssig? Bürde oder Schutz?, NJW 2004, 1 (5). 11 BGH, NJW-RR 2003, 850 = MDR 2003, 742 = FamRZ 2003, 838 = IPRax 2004, 438. 12 BGH (III. Senat), NJW-RR 2003, 202 (204); BGH (IX. Senat), NJW-RR 2003, 350. 13 Zugehör, NJW 2003, 3225 (3230); da der Aufsatz erst erhebliche Zeit nach dem Urteil vom 13. 3. 2003 erschienen ist (NJW vom 3. 11. 2003) und ausdrücklich auf dieses Bezug nimmt, ist die Behauptung von Mäsch (IPRax 2004, 421 [423]), die literarische Äußerung des ehemaligen Senatsmitglieds [sic!] Zugehör hätte dieses vorbereitet, unzutreffend.
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Der Kläger verlangt vom beklagten Rechtsanwalt Schadensersatz aufgrund des Vorwurfs fehlerhafter anwaltlicher Beratung. Der Kläger, damals griechischer Staatsangehöriger, ging 1962 vor einem griechisch-orthodoxen Geistlichen in H. die Ehe mit einer Griechin ein. Die Ermächtigung dieses Geistlichen gemäß § 15a EheG a.F. zeigte die griechische Regierung dem deutschen Auswärtigen Amt erst im Jahre 1964 an. 1989 trennte sich der Kläger, inzwischen Arzt und nur deutscher Staatsangehöriger, von der Frau. Er beauftragte den jetzt verklagten Rechtsanwalt mit der Interessenwahrnehmung ihr gegenüber. Der Beklagte erwirkte für den Kläger in Deutschland am 30. Juni 1992 ein Scheidungsurteil, mit dem zugleich der Versorgungsausgleich angeordnet wurde; im selben Termin vereinbarten die Geschiedenen Unterhaltszahlungen des Klägers an die Frau, die unterdessen neben der griechischen auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Später wurde erkannt, dass die Eheschließung im Jahre 1962 nicht mit § 15a EheG a.F. im Einklang stand. Der Kläger ist der Ansicht, dass er bei richtiger Beratung durch den Beklagten seiner Schein-Ehefrau nichts hätte zahlen müssen. Der BGH hat eine Schadensersatzpflicht des beklagten Rechtsanwalts dem Grunde nach für gegeben erachtet, weil dieser dem Kläger vorrangig zu einer Klage auf Feststellung des Nichtbestehens der Ehe – statt zu deren Scheidung – hätte raten müssen. „Der von der Vertragsverletzung des Beklagten ausgehende Zurechnungszusammenhang ist [...] nicht dadurch unterbrochen worden, dass das angerufene Familiengericht die Unwirksamkeit der Eheschließung ebenfalls übersehen hat. Denn der im Interesse des Klägers tätige Beklagte hatte vor allen anderen die Aufgabe, die seinem Mandanten günstigste Klage zu erheben. Mit der Wahl der Klageart übte er den entscheidenden Einfluss auf die weitere rechtliche Gestaltung aus, weil der deutsche Zivilprozess der Parteiherrschaft unterliegt. [...] Etwas anderes ist nach allgemeinen zivilrechtlichen Abwägungsgrundsätzen allenfalls anzunehmen, falls der Schadensbeitrag des Gerichts denjenigen des anwaltlichen Parteivertreters so weit überwiegt, dass dieser daneben ganz zurücktritt.“ Die weitere Begründung des BGH, es müsse darauf abgestellt werden, „ob die Verhaltensweise eines Beteiligten den Eintritt des Schadens in wesentlich höherem Maße wahrscheinlich gemacht habe“, ist dagegen in der Tat nur schwer verständlich14. Der BGH wird damit sicherlich nicht die dogmatisch verfehlte Ansicht vertreten wollen, ausschlaggebend sei, wer den wesentlichen Verschuldensbeitrag geleistet habe. Diese Frage spielt allenfalls im Rahmen des Innenausgleichs der Gesamtschuldner, der von § 254 BGB überlagert wird, eine Rolle15. Gemeint war wohl, ähnlich wie bei der Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs bei nacheinander fehlerhaft han-
14 Zutreffend Mäsch, IPRax 2004, 421 (423). 15 Mäsch, IPRax 2004, 421 (423); Medicus, AnwBl. 2004, 257 (259).
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delnden Rechtsanwälten16, dass eine Haftung des Rechtsanwalts dann ausscheidet, wenn ein Dritter (Rechtsanwalt oder Gericht) oder der Geschädigte selbst derart in völlig ungewöhnlicher und unsachgemäßer Weise in den schadensträchtigen Geschehensablauf eingreifen, dass der Schaden bei wertender Betrachtungsweise in keinem inneren Zusammenhang zu der Vertragsverletzung des Rechtsanwalts mehr steht, der Rechtsanwaltsfehler also nicht mehr adäquate Schadensursache sein konnte17.
V. Die Kritik: Die Lösungsvorschläge des Schrifttums Die vorstehenden Entscheidungen des BGH und des BVerfG haben naturgemäß zu einer Vielzahl von zustimmenden und ablehnenden Stellungnahmen des Schrifttums geführt18. Leider haben nur wenige Autoren versucht, die Problematik auf wissenschaftliche Art und Weise zu durchdringen und eine dogmatisch nachvollziehbare Lösung zu entwickeln. Oftmals beschränkten sich die Ausführungen auf die im anwaltlichen Schrifttum häufig anzutreffenden Meinungsäußerungen, die teilweise ins polemische abzugleiten drohen19. 1. Hypothetischer Inzidentprozess In zahlreichen Anmerkungen hat Mäsch betont, die „richtige Problemstellung“ sei es, den Blick darauf zu richten, wie das Prozessgericht (nicht das Regressgericht!) bei richtigem Vorgehen des Rechtsanwalts entschieden hätte20. Hätte das Prozessgericht auch ohne den Anwaltsfehler (also die un-
16 BGH, NJW 1993, 1179 (1180); 2002, 1117 (1120); ausführlich Vollkommer/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, 2. Aufl., Rz. 517 ff. 17 So bereits BGH, NJW-RR 1990, 1241 (1242). 18 Auf die Seite des BGH haben sich geschlagen: Knöfel, Anwaltshaftung und Verfassungsrecht, AnwBl. 2004, 76, Teschner, Regress nach Vergleichsreue – Anwaltshaftung für Richterfehler?, OLGReport 2004, K 33; Zugehör, NJW 2003, 3225; dem BVerfG pflichten dagegen, teils weniger, teils mehr, bei: Borgmann, FamRZ 2003, 844; dies., Die Rechtsprechung des BGH zum Anwaltshaftungsrecht in der Zeit von Mitte 2002 bis Ende 2004, NJW 2005, 22 (26); Henssler/Müller, EWiR 2003, 165; Huff, AnwBl. 2002, 700; O. Jaeger, AnwBl. 2002, 655; R. Jaeger, NJW 2004, 1; Jungk, Haftung des Rechtsanwalts für Fehler des Gerichts?, AnwBl. 2003, 104; dies., AnwBl. 2004, 375; Kirchberg, BRAK-Mitt. 2002, 202; Medicus, AnwBl. 2004, 257; sowohl den BGH als auch das BVerfG kritisierend: Mäsch, JZ 2003, 420; ders., IPRax 2004, 421. 19 Deshalb soll im Folgenden die Anmerkung von Knöfel, AnwBl. 2004, 76, der außerdem mit ersichtlichen Falschzitaten (S. 80 Fn. 90 und S. 81 Fn. 98) arbeitet, unberücksichtigt bleiben. 20 Mäsch, Eine Wende in der Rechtsprechung des BGH zur Anwaltshaftung, NJW 2001, 1547; ders., JZ 2003, 420; ders., IPRax 2004, 421.
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terlassene eindeutige Vergleichsformulierung, den unterlassenen Hinweis auf die höchstrichterliche Rechtsprechung oder die unterlassene richtige Antragstellung) in der Sache genauso wie bei Vorliegen der anwaltlichen Pflichtverletzung entschieden, so soll es an einer zum Schadensersatz verpflichtenden Schadensverursachung durch den Rechtsanwalt fehlen. Der Sache nach handelt es sich hierbei allerdings um ein Bestreiten des Schadenseintritts21, das aber in der Literatur oftmals irrig als „hypothetischer Kausalverlauf“ oder „rechtmäßiges Alternativverhalten“ apostrophiert wird22. Mäsch beruft sich dabei vornehmlich auf die Untersuchungen von Baur23 und Braun24, die sich weder im Schrifttum noch in der Rechtsprechung durchsetzen konnten25. Eine ausführliche Darlegung, warum der so genannten „natürlichen Betrachtungsweise“ nicht gefolgt werden kann, sondern die gefestigte Rechtsprechung des RG und des BGH Zustimmung verdient, wurde bereits an anderer Stelle geliefert26. Festgehalten werden muss jedoch, dass Mäsch die Relevanz der namentlich von Braun vertretenen „natürlichen Betrachtungsweise“ selbst verkennt, worauf Zugehör27 völlig zu Recht hingewiesen hat. Die unterschiedlichen Stellungnahmen wirken sich nämlich dann nicht weiter aus, wenn die hypothetische Entscheidung des Prozessgerichts nicht feststellbar ist oder mit der Entscheidung des Regressgerichts übereinstimmt; sie gewinnt nur Bedeutung, wenn im Einzelfall die hypothetische Vorprozess-Entscheidung feststeht und diese nach der Auffassung des Regressgerichts unrichtig ist28. Auch Braun hat betont, dass das Regressgericht aus praktischen Gründen zunächst davon ausgehen müsse, dass das frühere Gericht seiner Aufgabe entsprechend „richtig entschieden hätte“, das heißt so, wie das Regressgericht selbst entscheiden würde. Finden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass das Prozessgericht eine vom Regressgericht abweichende Entscheidung treffen wollte, so werde „der Schaden auf Grund der richtigen Entscheidung berechnet“29. Weder im Fall des missverständlichen Vergleichstextes noch im Fall der Scheidung der unwirksamen Ausländerehe sind irgendwelche Anhalts21 22 23 24
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Vollkommer/Heinemann (Fn. 16), Rz. 490, 492, 546. Fahrendorf (Fn. 4), Rz. 749; Vollkommer/Heinemann (Fn. 16), Rz. 487 f., 489 ff. Baur, Hypothetische Inzidentprozesse, FS für Karl Larenz, 1973, S. 1063. Braun, Zur schadensersatzrechtlichen Problematik des hypothetischen Inzidentprozesses bei Regreßklagen gegen den Anwalt, ZZP 96 (1983), 89; ders., JZ 1997, 259. RGZ 91, 164; 117, 287 (293); 142, 331 (333); 169, 353 (358 f.); BGHZ 36, 144 (154 f.); 72, 328 (330); 79, 223 (226); 113, 110; 124, 86 (96); Borgmann in Borgmann/Jungk/ Grams, Anwaltshaftung, 4. Aufl. 2005, Rz. V/99; Fahrendorf (Fn. 4), Rz. 855; Vollkommer/Heinemann (Fn. 16), Rz. 555; Zugehör, NJW 2003, 3225 (3231 f.). Vollkommer/Heinemann (Fn. 16), Rz. 555 ff. Zugehör, NJW 2003, 3225 (3232). Vollkommer/Heinemann (Fn. 17), Rz. 549. Braun, ZZP 96 (1983), 89, 108 f.
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punkte dafür vorhanden, wie das Vorprozessgericht bei richtigem Verhalten des Rechtsanwalts entschieden hätte30! Auch Mäsch kann nur mutmaßen, aber eben nicht positiv feststellen, dass sich das Familiengericht wohl nicht auf die vom BGH als „richtig“ eingestufte Vorgehensweise „eingelassen hätte“31. Im Vergleichstext-Fall unterstellt Mäsch ohne jeden Anhaltspunkt und kurzerhand, das Vorgericht hätte sich bewusst gegen die (aus seiner Sicht) falsche Auslegung des § 323 ZPO durch den BGH stellen wollen32. Eine prozessökonomisch natürlich völlig unsinnige Zeugenvernehmung der an den Fehlentscheidungen beteiligten Richter in den Regressprozessen hätte mit Sicherheit deren kleinlautes Eingeständnis mangelnder Kenntnisse des Prozessrechts und des internationalen Privatrechts zu Tage gefördert, nicht aber deren Absicht, gegen eine gefestigte und vom Großen Zivilsenat des BGH bestätigte Rechtsprechung opponieren zu wollen. Abgesehen von dieser entscheidenden Ungenauigkeit muss der Ansicht von Mäsch auch aus grundsätzlichen Erwägungen entgegengetreten werden. Es entspricht der ganz herrschenden Meinung, dass der Rechtsanwalt die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Richtschnur seiner Rechtsbeurteilung und -beratung machen muss33. Dementsprechend darf der Rechtsanwalt aber auch darauf vertrauen, dass die Gerichte diese höchstrichterliche Rechtsprechung beachten werden34. Würde sich die Auffassung von Mäsch tatsächlich durchsetzen, so dürfte sich der Anwalt auch nicht mehr an der höchstrichterlichen Rechtsprechung orientieren, er müsste vielmehr die Sondermeinung jedes von ihm angerufenen Gerichts, ja sogar jedes Einzelrichters zu ermitteln versuchen35. Denn nur dann kann der Rechtsanwalt sicher sein, bei einer Berücksichtigung der hypothetischen Inzidententscheidung der (aus Sicht von Mäsch) allein maßgeblichen Auffassung des Inzidentgerichts gefolgt zu sein. Damit würde der an den Rechtsanwalt und jeden Juristen anzulegende Maßstab der Rechtskenntnis überspannt werden36. So wie jedem Juristen zur Erlangung beider Staatsexamina allein die Kenntnis und Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung nur zum Vorteil, nicht aber zum Nachteil gereichen konnte, darf für den forensisch tätigen Rechtsanwalt nichts anderes gelten. Die von Mäsch als „Kehrtwende“ propagierte und wiederholt eingeforderte Berücksichtigung der hypothetischen Entscheidung des Prozessgerichts bleibt daher von der Rechtsprechung und Literatur jedenfalls dann zurecht
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Ebenso Zugehör, NJW 2003, 3225 (3232). Mäsch, IPRax 2004, 421 (422). Mäsch, JZ 2003, 419 (421 f.). Fahrendorf (Fn. 4), Rz. 484; Vollkommer/Heinemann (Fn. 16), Rz. 222 f. Fahrendorf (Fn. 4), Rz. 488; Vollkommer/Heinemann (Fn. 16), Rz. 215. Borgmann (Fn. 25), Rz. IV/52; Fahrendorf (Fn. 4), Rz. 857; Vollkommer/Heinemann (Fn. 16), Rz. 557. 36 Vollkommer/Heinemann (Fn. 16), Rz. 221, 557.
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als lebens- und praxisfern unbeachtet, wenn diese hypothetische Entscheidung überhaupt nicht feststellbar ist, was regelmäßig der Fall ist37. 2. Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs Am ausführlichsten und sorgfältigsten hat sich Zugehör mit der Problematik befasst38. Er kommt zu dem Ergebnis, dass der Rechtsanwalt für einen Fehler bei der Prozessführung grundsätzlich auch dann haftet, wenn zu dem Schaden zusätzlich ein Gerichtsfehler beigetragen hat, der auf dem Anwaltsfehler beruhte. Eine solche Haftung entfällt nur dann, „wenn das Gericht als Zweitschädiger unter Verletzung seiner verfahrensrechtlichen, im öffentlichen Interesse bestehenden Pflicht zur richtigen Rechtsanwendung in völlig ungewöhnlicher, unsachgemäßer und daher grober, schlechthin unvertretbarer Weise eine Schadensursache gesetzt hat, die die vorangegangene anwaltliche Pflichtverletzung mit Rücksicht auf Art, Gewicht und wechselseitige Abhängigkeit der Schadensbeiträge so sehr in den Hintergrund gerückt hat, dass bei wertender Betrachtungsweise nur der Gerichtsfehler als einzige, endgültige Schadensursache erscheint“39. Für den Geschädigten hat sich in einem solchen Ausnahmefall das sich aus § 839 Abs. 2 BGB ergebende allgemeine Prozessrisiko einer falschen Gerichtsentscheidung verwirklicht40. Diese Auffassung, die in ihrer Diktion den Ausführungen des BGH im Fall der unwirksamen Ausländerehe ähnelt, mit dieser aber nicht vollkommen übereinstimmt, wird in dieser oder leicht abgewandelter Form von einigen Autoren geteilt41. Der Sache nach handelt es sich hierbei um eine Einschränkung der Kausalitätslehre unter dem Gesichtspunkt der Adäquanz42, also um eine Begrenzung der Zurechnung auf solche Schadensfolgen, die nach dem Erfahrungswissen eines objektiven Beobachters zu erwarten waren, nicht jedoch, wie oftmals irrtümlich zu lesen, um eine Anwendung der Schutzzwecklehre43 oder der zu § 254 BGB entwickelten Regeln44. So eingängig diese Adäquanzformel ist, so wenig taugt sie zu einer sachgerechten Lösung der hier behandelten Problematik. Zum einen greift die Adäquanzformel überhaupt zu kurz, denn auch für „inadäquate“, also im 37 38 39 40 41
Zugehör, NJW 2003, 3225 (3232). Zugehör, NJW 2003, 3225. Zugehör, NJW 2003, 3225 (3232). Zugehör, NJW 2003, 3225 (3229). Etwa von Fahrendorf (Fn. 4), Rz. 429, 793, 800 und Teschner, OLGReport 2004, K 33, K 35. 42 Vollkommer/Heinemann (Fn. 16), Rz. 535; ebenso Mäsch, IPRax 2004, 421 (423). 43 Vgl. Zugehör (Fn. 5), NJW 2003, 3225 (3229); unklar Fahrendorf (Fn. 4), Rz. 793, 800. 44 So aber BGH, NJW-RR 2003, 850 = MDR 2003, 742 = FamRZ 2003, 838 = IPRax 2004, 438, was Mäsch, IPRax 2004, 421 (423), zu Recht als „dogmatisch kühne Schöpfung“ bezeichnet.
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Einzelfall nicht vorhersehbare Schäden, wird ausnahmsweise gehaftet, zum anderen führt sie bei der Anwaltshaftung zu geradezu wertungswidrigen Ergebnissen: je schwerer, ja krasser der gerichtliche Fehler, desto seltener die Haftung; gerade bei gröbstem Versagen des Gerichts müsste die Anwaltshaftung ausscheiden, obwohl doch in genau diesen Sachverhalten das Versagen des Gerichts offenkundig sein dürfte und der Anwalt zum Schutz seines Mandanten eingreifen müsste45. Schließlich kommen die einzelnen Autoren bei gleichen Sachverhaltskonstellationen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Im Fall des missverständlichen Vergleichstextes erachten Fahrendorf46 und Zugehör47 die unterlassene Beweisaufnahme des Familiengerichts zur Aufklärung des tatsächlich mit dem Vergleichstext Beabsichtigten als derart außergewöhnlich, dass eine Zurechnung der Schadensverursachung durch den Rechtsanwalt ausscheiden müsse. Teschner48 ist anderer Meinung und auch der BGH hat den Zurechnungszusammenhang nicht als „unterbrochen“ angesehen49. 3. Vereinfachte Schutzzwecklehre Einen tatsächlich an der Schutzzwecklehre ausgerichteten Lösungsvorschlag verfolgen diejenigen Stimmen in der Literatur, die die Ausführungen des BVerfG umzusetzen versuchen, wonach „Rechtskenntnis und -anwendung [...] vornehmlich Aufgabe der Gerichte“ sei. Unter Berufung auf zwei altbekannte Rechtssätze („iura novit curia“ sowie „da mihi facta dabo tibi ius“) glauben O. Jaeger50 und Jungk51 die Aufgabenkreise von Anwalt und Gericht in Sachvortrags- bzw. Rechtsanwendungspflicht einteilen zu können, so dass eine Anwaltshaftung grundsätzlich dann ausscheiden soll, wenn das Gericht das Recht falsch angewendet hat. Diese an und für sich im Gegensatz zur Adäquanzlehre den richtigen Lösungsweg beschreitende, weil auf normativen Überlegungen fußende Ansicht muss dennoch als vereinfachend bezeichnet werden, weil sie aus bloßen Rechtssätzen (denen keinerlei Gesetzeskraft zukommt!) den Kurzschluss zieht, der Rechtsanwalt habe Rechtsanwendungsfehler des Gerichts grundsätzlich nicht zu verantworten52. Unrichtig ist diese Auffassung im 45 Vollkommer/Heinemann (Fn. 16), Rz. 535; ebenso Borgmann (Fn. 24), Rz. V/77; Henssler/Müller, EWiR 2003, 165 (166); ähnlich Medicus, AnwBl. 2004, 257 (259). 46 Fahrendorf (Fn. 4), Rz. 793. 47 Zugehör, NJW 2003, 3225 (3230). 48 Teschner, OLGReport 2004, K 33, K 35. 49 BGH, NJW 2002, 1048 = MDR 2002, 547 = BGHReport 2002, 275 = FamRZ 2002, 878 = BRAK-Mitt. 2002, 117 = AnwBl. 2002, 429. 50 O. Jaeger, AnwBl. 2002, 655 (657). 51 Jungk, AnwBl. 2004, 375. 52 Ebenso Zugehör, NJW 2003, 3225 (3226) („Diese Trennung von gerichtlichen Verfahrenspflichten und Vertragspflichten eines Rechtsanwalts [...] ist zu grob [...].“);
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Ergebnis deshalb, weil der Rechtsanwalt vertraglich unzweifelhaft zur Rechtsprüfung verpflichtet ist und er nur bei einer vorhergehenden sorgfältigen Rechtsprüfung überhaupt in der Lage ist, das richtige prozessuale Vorgehen zu wählen und den rechtlich relevanten Sachverhalt im Gerichtsverfahren vorzutragen. So hat der Rechtsanwalt – bei offensichtlichen Rechtsanwendungsfehlern des Gerichts – nicht nur die allgemeine Berufspflicht, sondern die besondere Vertragspflicht, durch den Hinweis auf und die Wahrnehmung der Verfahrensrechte des Mandanten, diesen „vor Fehlentscheidungen durch Gerichte und Behörden zu bewahren“ (§ 1 Abs. 3 BORA)53. 4. Gestörter Gesamtschuldnerausgleich Ein weiterer, ebenfalls von Mäsch54 aufgeworfener und von Medicus55 weiter verfolgter Lösungsvorschlag will die Rechtsprechung zum so genannten „gestörten Gesamtschuldnerausgleich“ dahin fortführen, dass ein Schadensersatzanspruch des Mandanten gegen seinen Rechtsanwalt von vornherein um den Betrag zu kürzen sei, den der Anwalt ohne den gesetzlichen Haftungsausschluss (§ 839 Abs. 2 BGB) durch den Rückgriff nach § 426 BGB hätte verlangen können. Dieser Ansatz führt im Ergebnis – anders als die bisher genannten Lösungsmodelle – zu einer (scheinbar) flexibleren Schadensersatzpflicht des Rechtsanwalts. Der Schadensersatzanspruch des Mandanten wird gleichsam anteilig um den Gerichtsfehler, der als allgemeines Lebensrisiko vom Mandanten getragen werden muss, gekürzt, während die anderen Lösungsmodelle entweder von einer vollen oder von gar keiner Haftung des Rechtsanwalts ausgehen. So „geschmeidig“ der Lösungsweg über den „gestörten Gesamtschuldnerausgleich“ auch erscheint, so schwierig ist doch dessen Begründbarkeit in den vorliegenden Sachverhalten. Zum einen wird bezweifelt, ob die bisher zur teilweisen Haftungsfreistellung des (nicht privilegierten) Schädigers entwickelten Grundsätze auf eine Haftungsfreistellung wegen des Richterspruchprivilegs und der Subsidiarität der Amtshaftung übertragen werden können56. Außerdem setzt eine nach außen wirkende Haftungsprivilegierung voraus, dass gegenüber dem privilegierten Schädiger eine gesamtschuldnerische Haftung bestünde. Hierzu bemerkt Fahrendorf zu Recht57,
53 54 55 56 57
ähnlich Medicus, AnwBl. 2004, 257, 258 (260); Teschner, OLGReport 2004, K 33, K 34; Fahrendorf (Fn. 4), Rz. 424. Vollkommer/Heinemann (Fn. 16), Rz. 538; anders offenbar, jedoch ohne Begründung R. Jaeger, NJW 2004, 1 (3). Mäsch, JZ 2003, 419 (421); ders., IPRax 2004, 421 (422 f.). Medicus, AnwBl. 2004, 257 (259 f.); allgemein ders., Bürgerliches Recht, 19. Aufl. 2002, Rz. 933. In diese Richtung, allerdings ohne vertiefte Begründung, Zugehör, NJW 2003, 3225 (3232); zweifelnd auch Mäsch, IPRax 2004, 421 (422). Fahrendorf (Fn. 4), Rz. 798.
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dass § 839 Abs. 1 S. 2 BGB von einer subsidiären Haftung ausgeht, die allenfalls dann zur (gestörten) Gesamtschuld wird, wenn gegen den vorrangig zum Schadensersatz verpflichteten Rechtsanwalt keine Ersatzmöglichkeit besteht. Zum anderen stellt sich die nicht eben leicht zu beantwortende Frage, ob in jedem Fall einer gerichtlichen Fehlentscheidung gleichzeitig eine Amtspflichtverletzung liegt58. Schließlich erscheint zweifelhaft, ob § 839 Abs. 2 BGB grundsätzlich immer dann zu Lasten des geschädigten Mandanten und zugunsten des fehlerhaft handelnden Anwalts wirken soll, wenn ein mitwirkendes Fehlverhalten des Gerichts vorliegt59. Die Vorschrift, deren Bedeutung ja vor allem im öffentlichen Interesse liegt60, weist dem Mandanten nur das Risiko eines unter Verletzung einer Amtspflicht fehlerhaft ergangenen Urteils zu. Ob die Vorschrift darüber hinaus auch, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang den Rechtsanwalt entlasten kann und soll, wird im Rahmen der eigenen Lösung (unten IV.) erörtert. 5. Zusammenfassung Mit Ausnahme des von Mäsch vertretenen Lösungswegs über den hypothetischen Ausgang des Gerichtsverfahrens, der als rein akademisch und dogmatisch bezeichnet werden muss, sind alle anderen Ansichten (auch die des BGH und des BVerfG) bemüht, einen gerechten Ausgleich zwischen dem geschädigten Mandanten und den Verursachungsbeiträgen des Rechtsanwalts und des Gerichts zu finden. Im Einzelnen lassen sich folgende Bewertungen unterscheiden: Der BGH und die von Zugehör und Fahrendorf vertretene Lehre von der Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs (die, wie gezeigt, eigentlich eine Variante der Adäquanzlehre darstellt) wollen dem Mandanten den vollen Schadensersatzanspruch erhalten, weil er bei einem Verweis auf die Amtshaftung leer ausginge, obwohl nicht nur einer, sondern sogar zwei Schädiger vorhanden sind61. Dahinter steht also die Wertung, dem Mandanten einen Schadensersatzanspruch (zumindest) gegen seinen Rechtsanwalt zu geben, weil er sonst keinerlei oder nur einen gekürzten Ersatz erlangen würde62. Der vereinfachten Schutzzwecklehre liegt eine andere Wertung zugrunde: Gemäss ihrer (wie gezeigt zu schematischen) Aufgabenverteilung würde der Rechtsanwalt dann nicht haften, wenn das Gericht zusätzlich einen Rechts58 59 60 61
Insofern zweifelnd Mäsch, IPRax 2004, 421 (422 f.). Zweifelnd auch Fahrendorf (Fn. 4), Rz. 799. Medicus, AnwBl. 2004, 257 (261 f.). BGH, NJW-RR 2003, 850 = MDR 2003, 742 = FamRZ 2003, 838 = IPRax 2004, 438; Zugehör, NJW 2003, 3225 (3227); Fahrendorf (Fn. 4), Rz. 800. 62 Medicus, AnwBl. 2004, 257 (260).
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fehler begangen hat63. Der Rechtsanwalt soll (möglicherweise) nur dann haften, wenn er diesen Rechtsfehler durch einen Sachvortrags- oder Antragsfehler verursacht hatte. Damit ginge der Mandant immer dann leer aus, wenn das Richterspruchprivileg des § 839 Abs. 2 BGB eingreift, was regelmäßig der Fall ist. Dahinter steht somit die Wertung, dass der Mandant umfassend das Risiko falscher Rechtsanwendung durch das Gericht zu tragen hat. Es kommt ihm haftungsrechtlich nicht zugute, dass der von ihm beauftragte (und bezahlte) Rechtsanwalt ebenfalls einen Rechtsfehler begangen hat. Letztlich kommt das Richterspruchprivileg in diesen Konstellationen voll dem Rechtsanwalt zugute. Die Lehre vom gestörten Gesamtschuldnerausgleich will – wie bereits gezeigt – einen salomonischen Mittelweg finden. Sie gibt dem Mandanten nicht – wie die Adäquanzlehre oder die vereinfachte Schutzzwecklehre – entweder den vollen oder gar keinen Schadensersatzanspruch gegen den Rechtsanwalt („Alles-oder-nichts-Prinzip“), sondern einen um den Haftungsanteil des Gerichts gekürzten Schadensersatzanspruch. Dahinter steht die Wertung, dass der Mandant diese Anspruchskürzung (obwohl zwei Schädiger vorhanden sind!) hinnehmen muss, weil seine Interessen durch den gesetzlichen Haftungsausschluss des § 839 Abs. 2 BGB von vorneherein abgewertet sind64. Im Ergebnis kommt das Richterspruchprivileg dem Rechtsanwalt zwar nicht umfänglich, zumindest aber anteilig (entsprechend § 254 BGB) zu gute65.
VI. Die Lösung: Die Schutzzwecklehre und das Prozessrisiko Die Rechtsprechung des BGH und des BVerfG sowie die meisten Autoren des Schrifttums (Mäsch wiederum ausgenommen) versuchen aufgrund einer wertenden Betrachtung zu einer gerechten Haftungsverteilung bei einem Zusammentreffen eines Anwaltsfehlers und eines Gerichtsfehlers zu kommen. Richtiger Ausgangspunkt für eine normative Begrenzung der Anwaltshaftung kann daher auch nur eine wertende Betrachtungsweise sein, die sich am Schutzweck der durch den Anwalt verletzten Vertragspflicht und am Schutzzweck von § 839 Abs. 2 BGB zu orientieren hat66.
63 O. Jaeger, AnwBl. 2002, 655 (657); Jungk, AnwBl. 2004, 375; R. Jaeger, NJW 2004, 1 (3 f.); in diese Richtung tendiert wohl auch das BVerfG, NJW 2002, 2937 = MDR 2002, 1339 = JZ 2003, 419 = ZIP 2002, 1770 = EWiR 2003, 165 (Henssler/Müller) = FamRZ 2002, 1693 = BRAK-Mitt. 2002, 224 mit Anm. Grams = AnwBl. 2002, 655. 64 Medicus (Fn. 55), Rz. 933. 65 Medicus, AnwBl. 2004, 257 (260). 66 Grundlegend Vollkommer (Fn. 3), Rz. 385; nunmehr fortgeführt bei Vollkommer/ Heinemann (Fn. 16), Rz. 535; ebenso Borgmann (Fn. 6), S. 143; Fahrendorf (Fn. 4), Rz. 793.
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1. Grundüberlegungen Die vertraglichen Schutzpflichten gebieten dem Rechtsanwalt, den Mandanten möglichst umfassend und erschöpfend zu beraten. Er muss den ihm vorgetragenen Sachverhalt dahin prüfen, ob er geeignet ist, den vom Auftraggeber erstrebten Erfolg herbeizuführen. Dem Mandanten hat der Anwalt diejenigen Schritte zu empfehlen, die zu dem erstrebten Ziel führen können. Er muss den Auftraggeber vor Nachteilen bewahren, soweit solche voraussehbar und vermeidbar sind. Dazu hat der Anwalt seinem Mandanten den sichersten Weg vorzuschlagen und ihn über mögliche Risiken aufzuklären, damit der Mandant eine sachgerechte Entscheidung treffen kann; Zweifel und Bedenken, zu denen die Sachlage Anlass gibt, muss der Anwalt darlegen und mit seinem Auftraggeber erörtern67. Diese umfassenden Vertragspflichten zur Beratung, Belehrung, Aufklärung und Rechtsprüfung gelten selbstverständlich auch im Rahmen der Führung eines Gerichtsverfahrens68. Dabei obliegt dem Rechtsanwalt vorprozessual die sorgfältige Aufklärung des vom Mandanten geschilderten Sachverhalts, dessen korrekte rechtliche Beurteilung und schließlich die Beratung des Auftraggebers über das Prozessrisiko69. Im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens selbst hat der Rechtsanwalt in erster Linie für eine richtige Antragstellung zu sorgen sowie den dazu erforderlichen Sach- und Beweisvortrag zu liefern70. Es gehört aber auch – wie bereits ausgeführt – zu den allgemeinen Vertrags- und den besonderen Berufspflichten (§ 1 Abs. 3 BORA), dass der Rechtsanwalt Fehlentscheidungen des Gerichts entgegenwirken soll, vor allem durch die Wahrnehmung und Ausschöpfung der gesetzlichen Verfahrensrechte des Mandanten, aber auch durch die Darlegung der richtigen Rechtslage71. Dieser weitgespannte Aufgabenkreis des Rechtsanwalts überschneidet sich teilweise mit dem Pflichtenkreis des Gerichts, das mit seiner Bindung an Recht und Gesetz in eigener Verantwortung die richtige Entscheidung zu treffen hat. Auch das Gericht soll durch Hinweise auf eine korrekte Antragstellung und die Ergänzung oder Klarstellung des Sachverhalts hinwirken (§ 139 ZPO; § 86 Abs. 3 VwGO; § 76 Abs. 3 FGO; § 106 SGG). Es hat darüber hinaus teils die Möglichkeit (§ 141 ff. ZPO), im Amtsermittlungsverfahren (§ 616 ZPO; § 12 FGG; § 86 Abs. 1 VwGO; § 76 Abs. 1 FGO; § 103 SGG) sogar die Pflicht, den Sachverhalt aus eigener Initiative zu erforschen. Das Gericht muss für ein faires Verfahren sorgen72 und hat die Verfahrensrechte 67 68 69 70
Vgl. BGH, NJW 1994, 1211 (1212); Vollkommer/Heinemann (Fn. 16), Rz. 148. Vgl. Borgmann (Fn. 25), Rz. IV/105 ff. Vollkommer/Heinemann (Fn. 16), Rz. 156 ff.; 185 ff.; 253 ff. jeweils m.w.N. BGH, NJW-RR 1990, 1241 (1244); NJW 2000, 3560 (3561); Borgmann (Fn. 25), Rz. IV/106. 71 Vollkommer/Heinemann (Fn. 16), Rz. 294 ff. m.w.N. 72 Vollkommer, Der Anspruch der Parteien auf ein faires Verfahren im Zivilprozeß, in FS für Rudolf Bruns, 1978, S. 195 ff.
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aller Parteien einzuhalten, insbesondere das Grundrecht auf rechtliches Gehör zu gewähren (Art. 103 Abs. 1 GG). Angesichts dieser sich überschneidenden Aufgabenkreise von Rechtsanwalt und Gericht genügt es nicht, wie die vereinfachte Schutzzwecklehre meint, die Verletzung einer dem Gericht zugewiesenen Amtspflicht festzustellen, um eine Haftung des Rechtsanwalts entfallen zu lassen. Es muss vielmehr zusätzlich ermittelt werden, ob es nicht zur Vertragspflicht des Rechtsanwalts zählte, diese Amtspflichtverletzung des Gerichts zu verhindern oder ihr entgegenzuwirken. Umgekehrt wäre es ein ebensolcher Kurzschluss, aus der bloßen Verletzung einer anwaltlichen Vertragspflicht dessen Haftung zu folgern. Festgestellt werden muss außerdem, ob sich ausgerechnet dieser Anwaltsfehler auf die gerichtliche Fehlentscheidung ausgewirkt hat und ob der Rechtsanwalt nicht etwa ausreichende Maßnahmen ergriffen hatte, seinen Fehler im Laufe des Prozesses zu beheben. 2. Fallgruppen Diese Grundüberlegungen lassen sich am besten verdeutlichen, wenn man die möglichen Haftungskonstellationen in Fallgruppen darstellt73: a) Vorprozessualer Fehler Dem Anwalt unterläuft vorprozessual ein Fehler, der bei korrekter Entscheidung an sich folgenlos geblieben wäre, der aber seinerseits eine gerichtliche Fehlentscheidung zur Folge hat: Beispiele: Der Anwalt formuliert den Vertrag/Vergleich nicht klar genug im Sinne des vom Mandanten erklärten Auftrags (Formulierungsfehler), dadurch unterliegt das Gericht einem Auslegungsirrtum und kommt zum falschen Ergebnis74. Ein Rechtsanwalt, der einen langjährigen Leasingvertrag seines Mandanten beenden sollte, hatte die Anfechtung und den Rücktritt, nicht aber die Kündigung des Vertrags erklärt. Im Rechtsstreit hatte das Gericht die Anfechtung und den Rücktritt für unwirksam gehalten, diese Erklärungen aber nicht als ordentliche Kündigung des Vertrags ausgelegt75.
Hier liegt der Urteilsschaden unzweifelhaft im Schutzbereich der verletzten Vertragspflicht, denn die Entscheidung beruht auf einem menschlich-allzumenschlichen Auslegungsfehler des Gerichts, der gerade erst durch die mangelhafte Formulierung des Rechtsanwalts zustande gekommen ist. 73 So bereits Vollkommer (Fn. 3), Rz. 382; nunmehr fortgeführt bei Vollkommer/Heinemann (Fn. 16), Rz. 529 ff.; auch Schwab in AnwK-BGB, 1. Aufl. 2005, Rz. 54 bis 58 unterscheidet nach Fallgruppen, die allerdings wenig sinnvoll erscheinen, da die Kategorie „vom Anwalt herausgeforderter Rechtsirrtum des Gerichts“ nur schwer von der Kategorie „Gerichtsfehler als Folge von Anwaltsfehlern“ abzugrenzen ist. 74 Vgl. die Fallgestaltungen in BGH, NJW 1988, 200 (202); 2002, 1048. 75 Vgl. die Fallgestaltung in BGH, NJW 1996, 2648.
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Anders ist zu entscheiden, wenn der Fehler im oder vor dem Prozess durch geeignete Maßnahmen behoben wurde und das Gericht nunmehr die ihm ohne weiteres mögliche „richtige“ Entscheidung verfehlt. Es handelt sich hierbei um nichts anderes als die Erfüllung der dem Anwalt obliegenden Pflicht zur Verhütung gerichtlicher Fehlentscheidungen, die er selbst durch sein vorangegangenes pflichtwidriges Verhalten heraufbeschworen hat (hierzu sogleich unter c). Eine solche Fehlerkorrektur kann beispielsweise darin gesehen werden, dass der Rechtsanwalt die richtige Maßnahme nachträglich und rechtzeitig ergreift (z.B. einer unwirksamen Kündigung eine wirksame nachschiebt)76 oder spätestens im Prozess Maßnahmen ergreift, um den Fehler zu korrigieren (z.B. Beweise zur Auslegung des tatsächlich Gewollten anbietet)77. Ebenfalls nicht vom Schutzbereich der anwaltlichen Vertragspflicht ist ein Schaden umfasst, der ausschließlich auf einem Hinweis des Gerichts beruht, der in keiner Weise als durch den Anwaltsfehler „heraufbeschworen“ angesehen werden kann (z.B. wenn der Anwalt in einer Erbstreitigkeit zwar falsch beraten hatte, die zu einer Ausweitung des Schadens führende Zahlung des Mandanten jedoch auf einem Interessengegensatz beruhte, der erstmals durch die fehlerhafte Rechtsmeinung des Gerichts auftrat)78. b) Prozessualer Fehler Der Anwalt begeht bei der Prozessführung einen Fehler, der für die Fehlentscheidung bestimmend ist. Beispiele: Nach Erhebung einer „offenen“ (d.h. ausdrücklich so bezeichneten) Teilklage unterlässt der Anwalt vor Ablauf der Klagefrist die Klageerweiterung auf den vollen Betrag; nach den Umständen des Falles stellt allerdings die Berufung auf den Ablauf der Ausschlussfrist „unzulässige Rechtsausübung“ dar (§ 242 BGB). Das Gericht weist die nach Fristablauf erweiterte Klage (zu Unrecht) allein wegen der Fristversäumung ab; diese Entscheidung wäre bei rechtzeitiger Klageerweiterung nicht ergangen79. Der anwaltliche Prozessbevollmächtigte der Beklagten hatte Sachvortrag zur Höhe des eingeklagten Schadensersatzes zurückgehalten, weil er sich darauf verlassen hatte, das Gericht werde rechtzeitig einen Hinweis erteilen, bevor es über die Klage auch der Höhe nach entscheiden werde; ein solcher Hinweis war jedoch ausgeblieben80.
Auch hier liegt der durch das fehlerhafte Urteil entstandene Schaden sicherlich im Schutzbereich der vom Anwalt zu erfüllenden Vertragspflichten. Ebenso wie bei den vorprozessualen Versehen hat der Rechtsanwalt mit seiner fehlerhaften Prozessführung erst die Gefahrenlage geschaffen, die sich 76 77 78 79 80
Vgl. die Fallgestaltung Vgl. die Fallgestaltung Vgl. die Fallgestaltung Vgl. die Fallgestaltung Vgl. die Fallgestaltung
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in in in in in
BGH, NJW 1988, 486. BGH, NJW 2002, 1048. BGH, NJW 1997, 250. RGZ 152, 330. BGH, NJW-RR 1990, 1241.
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in dem falschen Gerichtsurteil manifestiert81. Dass das Gericht unabhängig entscheidet und die Entscheidung in eigener Verantwortung trifft, steht einer haftungsrechtlichen Zurechnung nicht entgegen, es handelt sich um den klassischen Fall psychisch vermittelter Kausalität82. Das Gericht wurde durch den prozessualen Fehler, die falsche „Weichenstellung“83 des Rechtsanwalts, geradezu „herausgefordert“, eine Fehlentscheidung zu treffen84. Auch hier muss anders entschieden werden, wenn der Anwalt versucht hat, seinen prozessualen Fehler zu bereinigen, wozu er gemäß der nunmehr aktivierten Fehlerverhinderungspflicht (siehe sogleich c) gehalten ist, das Gericht aber dennoch falsch entscheidet. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Rechtsanwalt die richtigen prozessualen Maßnahmen nachträglich und rechtzeitig ergreift (z.B. den falschen Antrag umstellt oder den fehlenden Sachverhalt vorträgt) oder Maßnahmen ergreift, die dem Gericht die richtigen Auslegung des tatsächlich prozessual Gewollten ermöglichen (z.B. durch einen Hinweis auf die höchstrichterliche Rechtsprechung). Ebenfalls nicht vom Anwalt zu verantworten, weil nicht mehr auf der Verletzung seiner Vertragspflichten beruhend, wäre eine gerichtliche Fehlentscheidung, die in keinem inneren Zusammenhang mit dem prozessualen Fehlverhalten des Anwalts steht. Denkbar wäre hier beispielsweise, dass der Anwalt im Einzelnen zwar unzureichend zur Sache vortragen hat, das Gericht aber von sich aus und von Amts wegen den weiteren Sachverhalt hätte erforschen müssen. Keinesfalls „höchst problematisch“ sind hingegen die Fälle, in denen der Anwalt auf einen richterlichen Hinweis gemäß § 139 ZPO hofft85. Es obliegt in erster Linie dem Rechtsanwalt, die richtigen prozessualen Maßnahmen zu ergreifen. Dann darf er auch auf ein ordnungsgemäßes Procedere des Gerichts vertrauen86. Er darf dagegen nicht ohne weiteres darauf vertrauen, dass das Gericht ihn auf von ihm verursachte prozessuale Fehler hinweist87. Anders dürfte es nur sein, wenn der Rechtsanwalt das Gericht konkret (nicht bloß allgemein, wie in anwaltlichen Schriftsätzen aber üblich) um einen richterlichen Hinweis zu seinem möglicherweise falschen Prozessvorgehen gebeten hat oder das Gericht einen solchen Hinweis zugesagt hat.
81 82 83 84 85 86
Ebenso Zugehör, NJW 2003, 3225 (3230). Vollkommer/Heinemann (Fn. 16), Rz. 483. Hohloch, JuS 2003, 921 (923). Vollkommer/Heinemann (Fn. 16), Rz. 481. So aber Jungk, AnwBl. 2003, 104 (105). Vollkommer/Heinemann (Fn. 16), Rz. 305; Henssler, Haftungsrisiken anwaltlicher Tätigkeit, JZ 1994, 178 (182). 87 Ebenso BGH, NJW-RR 1990, 1241.
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c) Verstoß gegen die Pflicht zur Verhütung von Fehlern des Gerichts Der Anwaltsfehler im Prozess besteht gerade darin, dass der Anwalt die gerichtliche Fehlentscheidung nicht verhindert hat. Beispiele: Das Gericht erlässt, vom Anwalt unbeanstandet, einen missverständlichen Beweisbeschluss (unklare Vorschussanordnung); nach fruchtlosem Fristablauf behandelt das Gericht ohne weitere Aufklärung die Partei als beweisfällig und weist die Klage durch ein Überraschungsurteil (§ 278 Abs. 3 ZPO) ab. Bei Klarstellung des Beweisbeschlusses wäre der Vorschuss einbezahlt, der angetretene Beweis erhoben und geführt, der Klage schließlich stattgegeben worden88. Das Gericht weist eine Unterhalts-Leistungsklage ab, weil richtigerweise eine Abänderungsklage hätte erhoben werden müssen; die Rechtsanwältin hat auf die nach ganz herrschender Rechtsprechung des BGH mögliche Umdeutung des Klageantrags nicht hingewiesen89.
Vor der Erörterung der Frage, ob der Fehler des Gerichts den Anwalt entlasten kann, steht bei dieser Fallgestaltung im Vordergrund, ob der Anwalt überhaupt eine Pflichtverletzung begangen hat. Da der Anwalt nicht allgemein zur Verhinderung von Gerichtsfehlern verpflichtet ist90, muss zunächst sorgfältig geprüft werden, ob den Rechtsanwalt überhaupt eine Fehlerverhütungspflicht trifft. Diese kann sich nach hier vertretener Ansicht aus drei Gründen ergeben: einmal aus einem vorangegangenen Fehlverhalten des Rechtsanwalts selbst, der erst durch sein eigenes Handeln die Gefahrenlage für eine Fehlentscheidung geschaffen hat (siehe oben a) und b)); zum anderen aus einer wirklich zweifelhaften Rechtslage und schließlich bei einer evident sich abzeichnenden Fehlentscheidung91. Besteht eine solche Fehlerverhinderungspflicht, so ist zu untersuchen, ob der Rechtsanwalt dieser Pflicht genügt hat. Ausreichend hierfür ist, dass der Rechtsanwalt das Gericht auf den fehlerhaften Rechtsstandpunkt mit Nachdruck hingewiesen hat. Der Rechtsanwalt kann dazu auf einschlägige Rechtsprechung und Literatur hinweisen und sollte dies auch, sofern sie ihm vorliegt. Dazu verpflichtet ist er jedoch keineswegs, es reicht völlig aus, auf die richtige Rechtsauffassung nachdrücklich hinzuweisen92. Im Fall der unterbliebenen Umdeutung der falschen Klageart war der Anwalt wegen seines falschen Klageantrags verpflichtet, das Gericht auf die Möglichkeit der Umdeutung des Antrags hinzuweisen. Es wäre dabei erforderlich, aber auch ausreichend gewesen, wenn der Rechtsanwalt das Gericht auf diesen falschen Standpunkt hingewiesen hätte. Eines ausdrücklichen Hinweises auf die BGH-Rechtsprechung hätte es daneben nicht bedurft.
88 Vgl. die Fallgestaltung in BGH, NJW 1988, 3013 = WM 1988, 987. 89 Vgl. die Fallgestaltung in BGH, NJW 1998, 2048. 90 In diese Richtung allerdings die bedenkliche Entscheidung BGH, NJW 1996, 2648 (2650). 91 Vollkommer/Heinemann (Fn. 16), Rz. 305. 92 Vollkommer/Heinemann (Fn. 16), Rz. 537.
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Damit verbleiben die Fälle, in denen der Anwalt zwar pflichtwidrig gehandelt hat, das Gericht aber bei richtigem Vorgehen gleichwohl richtig hätte entscheiden müssen. Hier ist zu unterscheiden. Wenn das Gericht falsch entscheidet, obwohl es den Prozess, „so wie er ihm vorliegt“, richtig entscheiden konnte und musste, so verwirklicht sich in der Entscheidung das allgemeine Prozessrisiko, das nicht über die Konstruktion der „Nichtverhinderung der Fehlentscheidung“ auf den Anwalt überwälzt werden darf; in diesen Fällen „verantwortet der Anwalt den aus dem Fehlurteil folgenden Schaden nicht“93. Anders ist dagegen zu entscheiden, wenn es deshalb zu einer Fehlentscheidung kommt, weil das Gericht wesentliche Verfahrensgarantien nicht einhält und der Anwalt es – auch – versäumt, für die Einhaltung eines rechtsstaatlichen Verfahrens zu sorgen94. Im Fall des „unklaren Beweisbeschlusses“ ist bereits fraglich, ob der Anwalt überhaupt verpflichtet war, den unklaren Beweisbeschluss klarstellen zu lassen. Dies lässt sich allenfalls aus der evidenten Zweideutigkeit des Beschlusses ableiten. Dennoch hätte das Gericht den Rechtsstreit richtig entscheiden können und müssen. Allerdings haben sich die Fehler des Gerichts so gehäuft (missverständliche Vorschussanordnung, keine amtswegige Klarstellung nach Fristablauf, keine Erörterung der prozessualen Lage, insbesondere der Beweislast, im Termin, Verstoß gegen die Aufklärungspflicht, Erlass einer Überraschungsentscheidung ohne Tatbestand und Gründe), dass die Partei hier keinen fairen Prozess mehr gehabt hat95. Aufgabe des Anwalts ist es aber, kraft seiner Schutzpflicht dafür zu sorgen, dass das Verfahren ordnungsgemäß abläuft (Verfahrenskontrolle); das hat er versäumt. Dabei geht es weniger um die unterlassene Herbeiführung einer Klarstellung des Beweisbeschlusses (worauf allein der BGH abstellt), sondern um die Sicherung eines geordneten Verfahrens. Der Entscheidung des BGH ist daher im Ergebnis zuzustimmen. Der zum Schadensersatz verurteilte Anwalt haftet hier auch nicht für die Fehlentscheidung des Gerichts, sondern ausschließlich dafür, dass er in seinem Aufgaben- und Verantwortungsbereich – hier: der Verfahrenskontrolle – versagt hat. 3. Anwendung auf den Fall des missverständlichen Vergleichstextes Die vorstehenden Grundsätze, angewendet auf den Fall der missverständlichen Formulierung des Vergleichstextes, ergeben folgendes: Der Anwalt hat
93 BGH, NJW 1988, 486. 94 Vollkommer/Heinemann (Fn. 16), Rz. 538. 95 Zutreffend weist Borgmann in ihrem Kurzkommentar darauf hin, dass das Urteil vom BVerfG wegen Verstoßes gegen das Willkürverbot hätte aufgehoben werden müssen (EWiR § 675 BGB 6/88, S. 573, 574); vgl. etwa den vergleichbaren Fall BVerfG 58, 163 = NJW 1982, 983: Behandlung des Klägers als beweisfällig wegen Nichtzahlung des Auslagenvorschusses, der aber dem Beklagten auferlegt war.
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zunächst einen vorprozessualen Fehler begangen, indem er im Verfahren über die Scheidung der Ehe an der Abfassung eines Vergleichs mitgewirkt hatte, der fehlerhaft, zumindest missverständlich war. Diese Pflichtverletzung wirkte sich aber nicht mehr auf das Fehlurteil im Folgeprozess aus, weil der Rechtsanwalt in diesem Verfahren geeignete prozessuale Maßnahmen ergriffen hatte, um eine Fehlentscheidung zu verhindern, indem er Beweis angeboten hatte, das mit dem Vergleichstext wirklich Gewollte, zu ermitteln. Da das Gericht dieses Beweisangebot fälschlicherweise übergangen hatte, lag das Fehlurteil nicht mehr im Schutzbereich der vom Anwalt verletzten Vertragspflicht96. Es hat sich das allgemeine Lebensrisiko eines Fehlurteils verwirklicht, das allein vom prozessführenden Mandanten zu tragen wäre. Der BGH hat dem Anwalt aber noch einen weiteren Fehler vorgeworfen, nämlich denjenigen, die Fehlentscheidung des Gerichts nicht verhindert zu haben. Wegen der vorausgehenden Beschlüsse des Gerichts war für den Rechtsanwalt ersichtlich, dass das Gericht von einer fehlerhaften Anwendung des § 323 ZPO auf Vergleiche ausging. Damit war – wie der BGH zu Recht annimmt – die Fehlerverhütungspflicht des Rechtsanwalts zunächst ausgelöst97. Dem mitgeteilten Sachverhalt lässt sich leider nicht abschließend entnehmen, wie der Rechtsanwalt hierauf reagiert hat. Es hätte jedenfalls genügt, wenn der Rechtsanwalt auf die gegenteilige Rechtsprechung des Großen Zivilsenats des BGH hingewiesen hätte, sei es durch Bezugnahme auf diese Entscheidung, sei es durch Hinweis auf eine Kommentarstelle, sei es durch bloße eigene Rechtsausführung ohne besondere Berufung auf andere Autoritäten98. Da der Rechtsanwalt aber anscheinend den offensichtlichen Rechtsirrtum des Gerichts entweder selbst gar nicht bemerkt oder darauf überhaupt nicht reagiert hatte, ist die Entscheidung des BGH in diesem Fall zu billigen. Hätte der Rechtsanwalt hingegen durch bloßen Hinweis auf die falsche Rechtsmeinung des Gerichts seiner Fehlerverhinderungspflicht genügt, so hätte sich im Fehlurteil ausschließlich das gemäß § 839 Abs. 2 BGB den Mandanten treffende Prozessrisiko verwirklicht. Keine weitergehende Pflichtverletzung, sondern vielmehr eine Hilfestellung für den Rechtsanwalt ist hingegen im Vorwurf der unterlassenen Beratung des Mandanten über die möglichen Erfolgsaussichten der Berufung zu erblicken. Der BGH räumt hierdurch dem Rechtsanwalt die Möglichkeit ein, die von ihm verletzte Fehlerverhinderungspflicht noch nachprozessual zu korrigieren, indem er den Mandanten auf die Aussichten, die Fehlentscheidung im Instanzenzug beseitigen zu können, hinweist. Hätte der Rechtsanwalt den Mandanten auf die Erfolgsaussichten der Berufung hingewiesen, so hätte sich zwar im verlorenen Prozess noch immer der Anwaltsfehler ausgewirkt. 96 Ebenso Fahrendorf (Fn. 4), Rz. 793; Zugehör, NJW 2003, 3225 (3230); a.A. Teschner, OLGReport 2004, K 33, K 35. 97 Vgl. Vollkommer/Heinemann (Fn. 16), Rz. 305. 98 Vgl. Vollkommer/Heinemann (Fn. 16), Rz. 537.
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Hätte der Mandant aber trotz des richtigen Hinweises keine Berufung eingelegt, so würde die Rechtskraft der fehlerhaften Entscheidung und damit der endgültige Schaden allein auf dem unsachgemäßen Verhalten des Mandanten beruhen99, der Zurechnungszusammenhang wäre hier also nicht wegen des Gerichtsfehlers, wohl aber wegen des Fehlverhaltens des Mandanten zu verneinen. 4. Anwendung auf den Fall der unwirksamen Ausländerehe Im Fall der unwirksamen Ausländerehe hat sich dagegen ein prozessualer Fehler des Rechtsanwalts auf die Fehlentscheidung des Gerichts ausgewirkt. Entgegen den kritischen Stimmen im Schrifttum100 hat der BGH zu Recht eine Haftung des Rechtsanwalts bejaht. Der Rechtsanwalt hat aus dem von ihm richtig ermittelten Sachverhalt die falsche rechtliche Würdigung gezogen. Da die Ehe seines Mandanten eine Nicht-Ehe war, hätte er keine Scheidungsklage erheben dürfen, sondern eine Feststellungsklage auf Nichtbestehen der Ehe. Durch die falsche Antragstellung hat der Rechtsanwalt die Fehlentscheidung des Gerichts entscheidend beeinflusst, das Gericht im Sinne der psychischen Kausalität regelrecht dazu herausgefordert, fehlerhaft die Scheidung der Ehe auszusprechen, anstatt die Klage abzuweisen101. Zwar hat das Gericht von Amts wegen zu prüfen, ob eine wirksame Ehe vorliegt102. Der Rechtsanwalt durfte aber allein deshalb nicht ohne weiteres darauf vertrauen, dass das Gericht ihn auf seinen fehlerhaften Antrag hinweisen würde, denn ebenso wenig wie eine allgemeine Fehlerverhinderungspflicht des Rechtsanwalts gegenüber dem Gericht besteht, ist das Gericht zur Verhinderung von Anwaltsfehlern verpflichtet103. Die Pflicht des Gerichts zur richtigen Rechtsausübung dient nicht der Entlastung des Rechtsanwalts von seiner Haftungspflicht gegenüber dem Mandanten, sondern soll allein dem Mandanten als Träger des Prozessrisikos zugute kommen104. Anders wäre es allenfalls dann gewesen, wenn der Rechtsanwalt um einen eindeutigen richterlichen Hinweis gebeten hätte, die Richtigkeit der Antragstellung positiv zu prüfen, wenn die Fehlerhaftigkeit des Klageantrags für das Gericht offensichtlich gewesen wäre oder auf einem eigenen fehlerhaften Hinweis des Gerichts beruht hätte. Da der Rechtsanwalt aber – was ihn also keineswegs zu entlasten vermag105 – die Fehlentscheidung des Gerichts 99 100 101 102 103 104
Vgl. Vollkommer/Heinemann (Fn. 16), Rz. 506. Borgmann, FamRZ 2003, 844; Jungk, AnwBl. 2004, 375. Ebenso Zugehör, NJW 2003, 3225 (3230); Hohloch, JuS 2003, 921 (923). Darauf weist Mäsch, IPRax 2004, 421 zu Recht hin. So aber offenbar Borgmann, FamRZ 2003, 844 (845). Wie umgekehrt die Rechtsprüfungspflicht des Rechtsanwalts das Gericht nicht der eigenen Rechtsprüfung entheben soll, vgl. Vollkommer/Heinemann (Fn. 16), Rz. 537. 105 So aber Borgmann, FamRZ 2003, 844 (845).
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sogar unbedingt106 erreichen wollte, verwirklichte sich in dem Urteilsschaden eben nicht nur das allgemeine Lebensrisiko einer gerichtlichen Fehlentscheidung. In dem von ihm bewusst durch seine fehlerhafte Antragstellung erwirkten Fehlurteil verwirklichte sich vielmehr genau jenes Risiko, vor dem der Rechtsanwalt seinen Mandanten gerade durch eine umfassende Rechtsprüfung, eine Belehrung über das Prozessrisiko und eine richtige Prozessführung bewahren kann und bewahren soll.
VII. Schluss Die vorstehende Untersuchung hat erwiesen, dass der BGH die Fälle, die Anlass und Folge des Kammerbeschlusses des BVerfG waren, im Ergebnis richtig beurteilt hat. In der Begründung kann der BGH freilich noch nicht vollständig überzeugen, denn die von ihm verwendete Adäquanzlehre führt zu nicht sachgerechten Resultaten. Den richtigen Lösungsweg kann allein eine an Sinn und Zweck orientierte Auffassung liefern, die den Schutzzweck der anwaltsvertraglichen Pflichten berücksichtigt. Eine allseits befriedigende Lösung bei Zusammentreffen von Anwalts- und Gerichtsversagen wird sich jedoch solange nicht finden, solange § 839 Abs. 2 BGB den Staat bei der Übernahme der Verantwortung für richterliche Fehlleistungen privilegiert. Die Berechtigung des Richterspruchprivilegs steht vorliegend indes nicht zur Debatte107 und muss als allgemeines Lebensrisiko dem Mandanten zugewiesen werden. Nur wenn sich die vom Anwalt vertraglich übernommenen Risiken durch sein Fehlverhalten im Prozess verwirklichen, ist er dem Mandanten zur Haftung verpflichtet. Dem Jubilar ist die ausführliche Darlegung dieses Standpunktes in seiner „Anwaltshaftung“ aus dem Jahr 1989 zu verdanken. Möge sich seine Hoffnung, dass diese Erkenntnis auch von der Literatur, vor allem aber von der Rechtsprechung fruchtbar aufgenommen werde, erfüllen.
106 Was durch eine Klage auf Feststellung des Nichtbestehens der Ehe, hilfsweise auf Scheidung der Ehe hätte vermieden werden können. 107 Vor allem Medicus, AnwBl. 2004, 257 (261 f.), hat jüngst einen Anstoß zu dieser Debatte geliefert.
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Schriftenverzeichnis I. Selbständige Schriften und mitverfasste Erläuterungswerke 1. Der materielle und formelle Begriff der freiwilligen Gerichtsbarkeit im englischen Recht – Eine prozessrechtsvergleichende Untersuchung – Münchener Dissertation 1960, maschinenschriftlich 267 S. (Auszug abgedr. in Rechtspflegerblatt 1964, S. 1). 2. Formenstrenge und prozessuale Billigkeit, Münchener Universitätsschriften, Reihe der Juristischen Fakultät, Band 25, München, Beck 1973. 3. Zöller, Zivilprozessordnung mit Gerichtsverfassungsgesetz und den Einführungsgesetzen usw. (Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln); bearbeitet (zuletzt) von Geimer, Greger, Gummer, Herget, Philippi, Stöber, Vollkommer. 11. Auflage 1974; 12. Auflage 1979; 13. Auflage 1981; 14. Auflage 1984; 15. Auflage 1987; 16. Auflage 1990; 17. Auflage 1991; 18. Auflage 1993; 19. Auflage 1995; 20. Auflage 1997; 21. Auflage 1999; 22. Auflage 2001; 23. Auflage 2002; 24. Auflage 2004; 25. Auflage 2005; 26. Auflage 2007. Zuletzt bearbeitete Teile (seit der 18. Auflage): Einl. I–VII, §§ 1, 10–90, 91a, 300–327, 329, 688–703d, 916–945. Beiheft zur 16. Auflage 1990: Zöller/Vollkommer, ZPO und GVG nach dem Einigungsvertrag mit der DDR vom 31. 8. 1990 – Einführungsrecht zur Inkraftsetzung. 4. Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch (Verlag C.H. Beck, München); erläutert von Jauernig, Schlechtriem, Stürner, Teichmann, Vollkommer. 1. Auflage 1979; 2. Auflage 1981; 3. Auflage 1984; 4. Auflage 1987; 5. Auflage 1990; 6. Auflage 1991; 7. Auflage 1994; 8. Auflage 1997; 9. Auflage 1999; 10. Auflage 2003. Von der 1. bis zur 9. Auflage bearbeitete Teile: §§ 241–248, 256–361, 433– 534, 598–610, 652–704, 759–811 BGB; in der 10. Auflage bearbeitete Teile: §§ 241–248, 256–304, 311–311c, 313–345 BGB. 5. Die Stellung des Anwalts im Zivilprozess, Köln 1984. 6. Anwaltshaftungsrecht, NJW-Schriftenreihe Band 50, München, 1. Auflage 1989. 2. Auflage, zusammen mit Jörn Heinemann, München 2003.
II. Beiträge zu Sammelwerken (Lexika, Festschriften, Gedächtnisschriften) 1. Lüke/Prütting (Hrsg.), Lexikon des Rechts – Zivilverfahrensrecht, 1. Auflage, Luchterhand 1989; Artikel: „Rechtsanwalt und Prozessvertretung“ 449
Schriftenverzeichnis
(S. 236–251); „Urkundenprozess“ (S. 321–330); „Verfahrensgrundsätze des Zivilprozesses“ (S. 337–355); „Zuständigkeit“ (S. 415–423). 2. Auflage, Luchterhand 1995; Artikel: „Rechtsanwalt und Prozessvertretung“ (S. 262–278); „Urkundenprozess“ (S. 335–365); „Verfahrensgrundsätze des Zivilprozesses“ (S. 373–392); „Zuständigkeit“ (S. 456–465). 2. Der Schutz des Käufers beim B-Geschäft des „finanzierten Abzahlungskaufs“, in: Festschrift für Karl Larenz, 1973, S. 703–716. 3. Der Anspruch der Parteien auf ein faires Verfahren im Zivilprozess, in: Gedächtnisschrift für Rudolf Bruns, 1980, S. 195–219. 4. Die Erleichterung der Wiedereinsetzung im Zivilprozess, in: Über Rechtsanwaltschaft, Gericht und Recht, Festschrift für Fritz Ostler, 1983, S. 97–142. 5. Das neue Maklerrecht – ein Vorbild für die Überarbeitung des Schuldrechts?, in: Festschrift für Karl Larenz, 1983, S. 665–703. 6. Richterpersönlichkeit und Persönlichkeitsrecht, in: Beiträge zum Schutz der Persönlichkeit und ihrer schöpferischen Leistungen, Festschrift für Heinrich Hubmann, 1985, S. 445–468. 7. Gewerkschaftszugehörigkeit und gewerkschaftliches Engagement von Berufsrichtern der Arbeitsgerichtsbarkeit, in: Recht und Rechtserkenntnis, Festschrift für Ernst Wolf, 1985, S. 659–669. 8. Fortschritte auf dem Weg zur Verfahrensvereinheitlichung, in: Rechtsstaat, Kirche, Sinnverantwortung, Festschrift für Klaus Obermayer 1986, S. 143–152. 9. Sind die „Schiedsgerichte“ der politischen Parteien nach dem Parteiengesetz echte Schiedsgerichte im Sinne der Zivilprozessordnung?, in: Beiträge zum Internationalen Verfahrensrecht und zur Schiedsgerichtsbarkeit, Festschrift für Heinrich Nagel, 1987, S. 474–502. 10. Zinsfreiheit und rechtliche Kontrolle der Zinshöhe, in: Der Zins in Recht, Wirtschaft und Ethik, Erlanger Forschungen, Reihe A, Band 47, 1989, S. 7–27. 11. Der Grundsatz der Waffengleichheit im Zivilprozess – eine neue Prozessmaxime?, in: Festschrift für Karl Heinz Schwab, 1990, S. 503–520. 12. Schlüssigkeitsprüfung und Rechtskraft – Gedanken zur Struktur des Mahnverfahrens, in: Erlanger Festschrift für Karl Heinz Schwab, 1990, S. 229–256. 13. Beweiserleichterung für den Mandanten bei Verletzung von Aufklärungsund Beratungspflichten durch den Anwalt?, in: Festschrift für Gottfried Baumgärtel, 1990, S. 585–601. 14. Zum Rückforderungsdurchgriff bei „verbundenen Geschäften“, in: Festschrift für Franz Merz, 1992, S. 595–610. 15. Die Neuregelung des Verhältnisses zwischen den Arbeitsgerichten und den ordentlichen Gerichten und ihre Auswirkungen, in: Arbeitsrecht in der Bewährung, Festschrift für Otto Rudolf Kissel, 1994, S. 1183–1204. 450
Schriftenverzeichnis
16. Keine Erstattung der Finanzierungskosten des Käufers bei Wandlung des verbundfinanzierten Kaufvertrages?, in: Festschrift für Wolfram Henckel, 1995, S. 893–901. 17. Verlust des Kündigungsrechtsschutzes des Arbeitnehmers bei Versäumung der Klagefrist durch Vertreterverschulden?, in: Arbeitsgesetzgebung und Arbeitsrechtsprechung, Festschrift für Eugen Stahlhacke, 1995, S. 599–616. 18. Verjährungsunterbrechung und „Bezeichnung“ des Anspruchs im Mahnbescheid, in: Verfahrensrecht am Ausgang des 20. Jahrhunderts, Festschrift für Gerhard Lüke, 1997, S. 865–895. 19. Zum „Streitgegenstand“ im Mahnverfahren, in: Zivilprozess und Praxis – Das Verfahrensrecht als Grundlage juristischer Tätigkeit, Festschrift für Egon Schneider, 1997, S. 231–247. 20. Neuere Tendenzen im Streit um die „geminderte“ Rechtskraft des Vollstreckungsbescheids, in: Festschrift für Hans Friedhelm Gaul, 1997, S. 759–777. 21. Zum Schutz der Persönlichkeit vor unbefugter Vermarktung durch die Medien, in: Freiheit und Eigentum, Festschrift für Walter Leisner, 1999, S. 599–614. 22. Umfassende Entscheidung über den prozessualen Anspruch im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung auch unter dem Gesichtspunkt der positiven Vertragsverletzung und des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen?, in: Festschrift für Erwin Deutsch, 1999, S. 385–404. 23. Formzwang und Formzweck im Prozessrecht, in: Festschrift für Horst Hagen, 1999, S. 49–72. 24. Streitgenössische Nebenintervention und Beiladungspflicht nach Art. 103 Abs. 1 GG, in: 50 Jahre Bundesgerichtshof – Festgabe aus der Wissenschaft, 2000, Band III, S. 127–145. 25. Komplexe Prozessführung zwischen Zivilprozess, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, zusammen mit Gregor Vollkommer, in: Zweite Erlanger Festschrift für Karl Heinz Schwab, 2000, S. 135–154. 26. Zur Einführung der Gehörsrüge in den Zivilprozess, in: Festschrift für Ekkehard Schumann, 2001, S. 507–534. Übersetzt ins Chinesische als Beitrag in Michael Stürner (Hrsg.), Collection of Classical Articles on German Civil Procedure, China University of Political Science and Law Press, Beijing 2005, S. 240–268. 27. Auswirkungen und Impulse des Transportrechtsreformgesetzes von 1998 auf das Prozessrecht, zusammen mit Gregor Vollkommer, in: Transport – Wirtschaft – Recht, Gedächtnisschrift für Johann Georg Helm, 2001, S. 365–379. 28. Empfiehlt sich ein (ggf. subsidiärer) allgemeiner oder besonderer Verbrauchergerichtsstand in der ZPO?, zusammen mit Gregor Vollkommer, in: Einheit und Vielfalt des Rechts, Festschrift für Reinhold Geimer, 2002, S. 1367–1391. 451
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29. Neues Kapitel im innerprozessualen Grundrechtsschutz, in: ZAP-Sonderheft für Dr. Egon Schneider zum 75. Geburtstag, 2002, S. 80–89. 30. Subsidiaritätsprinzip und allgemeines Prozessrecht – von der „Rechtswegerschöpfung“ zur Rechtswegerschließung, in: Bürgerliche Freiheit und Christliche Verantwortung, Festschrift für Christoph Link, 2003, S. 1003–1027. 31. Zum Fortbestand der früheren „außerordentlichen Rechtsbehelfe“, in: Festschrift für Kostas E. Beys, Athen 2003, Band II, S. 1697–1712. 32. Erste praktische Erfahrungen mit der Gehörsrüge gemäß § 321a ZPO, in: Festschrift für Hans-Joachim Musielak, 2004, S. 619–654. 33. Der Verbraucher als Wettbewerbshüter – Zur wettbewerbsrechtlichen Auslegung der §§ 241a, 661a BGB, in: Recht der Wirtschaft und Arbeit in Europa, Gedächtnisschrift für Wolfgang Blomeyer, 2004, S. 845–861. 34. Bundesverfassungsgericht, Justizgewährleistung durch das Grundgesetz, Verfahrensgrundrechte und Zivilprozess, speziell: Das Plenum des Bundesverfassungsgerichts als Ersatzgesetzgeber?, in: Festschrift für Walter Gerhardt, 2004, S. 1023–1041. 35. Rechtsschutz bei der erstmaligen Verletzung von Verfahrensgrundrechten in der Berufungs- und Beschwerdeinstanz im Licht des Plenarbeschlusses des BVerfG vom 30. 4. 2003, in: Grenzüberschreitungen – Beiträge zum Internationalen Verfahrensrecht und zur Schiedsgerichtsbarkeit, Festschrift für Peter Schlosser, 2005, S. 1009–1023. 36. Beschwerden wegen „greifbarer Gesetzwidrigkeit“ nach neuem Recht, in: NJW-Sonderheft Abschied zum Ende eines Gerichts – gewidmet dem letzten Präsidenten des aufgelösten Bayerischen Obersten Landesgerichts Peter Gummer, 2005, S. 64–70. 37. Streit- und Zweifelsfragen bei der schrittweisen Einführung der Anhörungsrüge in den deutschen Zivilprozess, in: Festschrift für Apostolos Georgiades, Athen, München, Bern 2005, S. 589–606.
III. Zeitschriftenaufsätze und kleinere Beiträge 1. Richter und Gerichte in England, in: Zeitschrift für Zivilprozess 73 (1960), S. 146 ff. 2. Begründet die Dreiwochenfrist des § 3 KSchG eine besondere Prozessvoraussetzung oder ist sie eine materiellrechtliche Frist? Ein Beitrag zur Lehre von den Klagefristen, in: Archiv für die civilistische Praxis 161 (1962), S. 332 ff. 3. Justice Frankfurter verlässt den Supreme Court, in: Juristische Blätter (Österreich) 85. Jahrg. (1963), S. 85. 4. Die Rechtsmittel zum US Supreme Court – Beispiele für eine Grundsatzrevision?, in: Juristen-Zeitung 1964, S. 152 ff. 452
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5. Der Master im englischen Verfahrensrecht. Ein Vorbild für die deutsche Justizreform?, in: Rechtspflegerblatt 1964, S. 49 ff. 6. Disharmonien und Spannungen im internationalen Rechtshilfeverkehr zwischen den USA und Deutschland (Zustellungen und Ladungen), in: Zeitschrift für Zivilprozess 30 (1967), S. 248 ff. 7. Keine teilweise Abtretbarkeit des durch Vormerkung gesicherten Auflassungsanspruchs, in: Rechtspfleger 1967, S. 401 f. 8. Die lange Dauer des Zivilprozesses und ihre Ursachen, in: Zeitschrift für Zivilprozess 81 (1968), S. 102 ff. 9. Richterwechsel nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung im Zivilprozess, in: Neue Juristische Wochenschrift 1968, S. 1309 ff. 10. Empfiehlt es sich, die Bekanntgabe der abweichenden Meinung des überstimmten Richters (dissenting opinion) in den deutschen Verfahrensordnungen zuzulassen?, in: Juristische Rundschau 1968, S. 241 ff. 11. Grundstücksparzellierung durch den Auflassungsempfänger und Sicherung der Parzellenerwerber durch Auflassungsvormerkungen, in: Rechtspfleger 1968, S. 337 ff. 12. Stillschweigender Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei abgelaufenen Rechtsmittelbegründungsfristen, in: Deutsche Richterzeitung 1969, S. 244 ff. 13. Die Rechtsstellung des vormerkungsgesicherten Parzellenerwerbers im „Zwischenstadium“ als Kreditunterlage, in: Rechtspfleger 1969, S. 402 ff. 14. Ist das Empfangsbekenntnis vom Zustellungsempfänger mit seinem vollen Namen zu unterschreiben?, in: Rechtspfleger 1972, S. 82. 15. Gerichtsstandsbegründung durch Allgemeine Geschäftsbedingungen und Formularverträge, in: Neue Juristische Wochenschrift 1973, S. 1591. 16. Führen Protokollierungsmängel stets zur unheilbaren Nichtigkeit des Prozessvergleichs?, in: Rechtspfleger 1973, S. 269. 17. Zur Rücknahme der Klage nach Rechtsmitteleinlegung, in: Rechtspfleger 1974, S. 89. 18. Die Gerichtsstandsbegründung durch den Parteiwillen nach der Zivilprozessnovelle 1974, in: Rechtspfleger 1974, S. 129. 19. Die Zuständigkeitsprüfung im Mahnverfahren. Erwiderung, in: Rechtspfleger 1974, S. 249. 20. Vorprozessuale Gerichtsstandsvereinbarungen im Verfahren vor den Arbeitsgerichten, in: Recht der Arbeit 1974, S. 206. 21. Die Verlängerbarkeit abgelaufener Rechtsmittelbegründungsfristen bei rechtzeitig gestelltem Antrag, in: Rechtspfleger 1974, S. 337. 22. Die Zuständigkeit des Rechtspflegers zur Verweisung des Rechtsstreits von Amts wegen nach Einspruch gegen den Vollstreckungsbefehl im Falle des § 700a der Zivilprozessordnung, in: Rechtspfleger 1975, S. 118. 23. Verweisung im Mahnverfahren nach Erlass des Zahlungsbefehls?, in: Rechtspfleger 1975, S. 161. 453
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24. Zur Form des Offenbarungsantrags gem. § 900 ZPO, in: Rechtspfleger 1975, S. 419. 25. Mahnverfahren bei Ansprüchen auf Zahlung von Miteigentümerbeiträgen nach dem Wohnungseigentumsgesetz?, in: Rechtspfleger 1976, S. 1. 26. Mahnverfahren und Gerichtsstandsvereinbarung – Zwei Jahre Erfahrungen mit der Gerichtsstandsnovelle“, in: Betriebsberater 1976, S. 613. 27. Zwei Jahre Rechtsprechung der Amtsgerichte zur vollkaufmännischen Prorogation in Mahnsachen und zur Mahnverfahrensprorogation, in: Rechtspfleger 1976, S. 164 ff. (Rechtsprechungsübersicht). 28. Erste Zweifelsfragen aus dem neuen Mahnverfahren, in: Rechtspfleger 1978, S. 82. 29. Der Einwendungsdurchgriff bei drittfinanzierten Rechtsgeschäften (zusammen mit Ernst-Gerald Koch), in: Jura 1980, S. 469–479. 30. Zum Rechtsschutz von Lizenzspielern und Lizenzvereinen durch staatliche Gerichte gegenüber der sog. Sportgerichtsbarkeit des Deutschen Fußball-Bundes, in: Recht der Arbeit 1982, S. 16–37. 31. Verfassungsmäßigkeit des Vollstreckungszugriffs, in: Rechtspfleger 1982, S. 1–9 = Juristische Arbeitsbläter 1982, S. 286–294. Übersetzt ins Japanische von Akira Ishikawa und Masahisa Deguchi, in Hogaku Kenkyn 1987, S. 72 ff. 32. Der verpasste Lottogewinn – Examensklausur Zivilrecht, in: Jura 1982, S. 546–549. 33. Zum Lizenzerteilungsstreit im Bundesligafußball, in: Neue Juristische Wochenschrift 1983, S. 726 f. 34. Die Konkurrenz des allgemeinen Leistungsstörungsrechts mit den Leitungsstörungsinstituten der besonderen Schuldvertragstypen, in: Archiv für civilistische Praxis 1983, S. 525–561. 35. Zur Höhe der Maklerprovision, in: Juristen-Zeitung 1985, S. 879–882. 36. Aktuelle Probleme der Kreditvermittlung, in: Finanzierung/Leasing/Factoring 1986, S. 98–106. 37. Verfahrensvielfalt oder einheitliches Prozessrecht?, in: Juristen-Zeitung 1987, S. 105–110. 38. Grenzen der Rückwirkung im Zivilprozess, in: Juristische Rundschau 1987, S. 225. 39. Zeitliche Grenzen der Zuständigkeitsbestimmung bei Streitgenossenschaft, in: Monatsschrift für Deutsches Recht 1987, S. 804. 40. Anlegerschutz bei der Publikumsreederei, Bindungswirkung von vertraglichen Schiedsklauseln und internationale Zuständigkeit bei Anlegerschädigung, in: Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts 1992, S. 207. 41. Unzulässige „Berichtigung“ des Rubrums, in: Monatsschrift für Deutsches Recht 1992, S. 642. 454
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42. Kein gemeinsamer Erfüllungsort bei Ortsgebundenheit der Werkleistung und Barzahlungsabrede, in: Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts 1993, S. 79. 43. Der praktische Fall – Bürgerliches Recht und Zivilprozessrecht: Der Streit um den rückständigen Unterhalt und seinen Ersatz, in: Juristische Schulung 1993, S. 931. 44. Anwaltliche Vertretung von Mitgliedsgenossenschaften durch den Verbandssyndikus des Genossenschaftsverbandes, in: Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen 43 (1993), S. 339–346. 45. Erstattung der Kosten des Verfügungsverfahrens nach Klageabweisung in der Hauptsache, in: Wertpapiermitteilungen 1994, S. 51–53. 46. Selbstablehnung eines Richters, in: Neue Juristische Wochenschrift 1994, S. 2007. 47. Kontra: Kostentragungspflicht des vollmachtslos Vertretenen nach Klagerücknahme – unabhängig von der Veranlassung, in: Monatsschrift für Deutsches Recht 1997, S. 1004. 48. Abschied von der parteierweiternden Widerklage?, zusammen mit Gregor Vollkommer, in: Wettbewerb in Recht und Praxis 2000, S. 1062–1068. 49. Aufrechnung nach Abstandnahme vom Urkundenprozess in der Berufungsinstanz, in: Neue Juristische Wochenschrift 2000, S. 1682–1686. 50. Titelgegenklage zur Abwehr der Zwangsvollstreckung aus einem Vollstreckungsbescheid über einen nicht individualisierten Anspruch, in: Rechtspfleger 2004, S. 336–337.
IV. Entscheidungsanmerkungen 1. Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 1. 8. 1959, AP Nr. 1 zu § 392 BGB – Zur Frage der Wirksamkeit einer Aufrechnungserklärung zwischen Arbeitgeber (Vermieter) und Arbeitnehmer gegenüber einem die Lohnforderung pfändenden Gläubiger. 2. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 2. 11. 1959, AP Nr. 7 zu § 91a ZPO – Aufnahme und Erledigungserklärung eines durch Konkurs unterbrochenen Rechtsstreites in der Revisionsinstanz. 3. Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 19. 4. 1960, AP Nr. 11 zu § 232 ZPO – Sorgfaltspflicht des Prozessbevollmächtigten nach Abschluss der Instanz, für die er bestellt war. 4. Landesarbeitsgericht Dortmund, Beschluss vom 16. 7. 1962, NJW 1963, 319 – Nachträgliche Klagezulassung im Kündigungsschutzprozess. 5. Landgericht Dortmund, Beschluss vom 20. 1. 1966, Rpfleger 1966, S. 337 (zusammen mit Hermann Riedel) – Zur Abberufung des Wohnungseigentümer/Verwalters aus wichtigem Grund. 6. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 2. 10. 1967, NJW 1968, S. 1092 – Verfahren bei Einlegung mehrerer Berufungen in der gleichen Sache. 455
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7. Oberverwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 21. 7. 1967, NJW 1968, 1845 – Zur Unzulässigkeit der Berufung bei verweigerter Sachantragsstellung. 8. Oberlandesgericht München, Urteil vom 5. 3. 1968, ZZP 82 (1969), S. 156 – Zur Möglichkeit der Verfahrensbeschleunigung und -konzentration. 9. Landgericht Essen, Urteil vom 13. 6. 1967, VersR 1968, S. 1001 – Zugang eines Schreibens bei Zustellung durch Niederlegung bei der Post. 10. Landgericht München II, Beschluss vom 16. 12. 1968, Rpfleger 1969, S. 426 – Teilweise Abtretung des Auflassungsanspruchs. 11. Bundesfinanzhof, Urteil vom 29. 7. 1969, JZ 1970, S. 256 ff. – Zum Formerfordernis bei Klageeinreichung. 12. Bundesfinanzhof, Beschluss vom 20. 2. 1970, JZ 1970, S. 655 – Zum Erfordernis handschriftlicher Unterzeichnung der Revisionsbegründung. 13. Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 20. 11. 1969, NJW 1970, S. 1051 – Berufungsbegründungsschrift ohne Unterschrift des Prozessbevollmächtigten. 14. Oberlandesgericht Frankfurt, Beschluss vom 28. 4. 1970, Rpfleger 1970, S. 354 – Streitwert der Auflassungsklage bei allein streitigen geringfügigen Gegenansprüchen. 15. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 1. 12. 1970, AP Nr. 3 zu § 345 ZPO – Versäumnisurteil bei erneuter Säumnis. 16. Oberlandesgericht Frankfurt, Urteil vom 16. 2. 1971, Rpfleger 1971, S. 229 – Zur Frage der Zulässigkeit der Berufung bei Eingang zu einem Zeitpunkt in dem der Unterzeichner nicht mehr amtlich bestellter Vertreter ist. 17. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21. 6. 1971, AP Nr. 13 zu § 315 BGB – Zur Frage der Rechtskrafterstreckung bei Teilklagen anhand eines Prozesses über einen Teilruhegeldanspruch eines früheren Arbeitnehmers. 18. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. 7. 1971, AP Nr. 25 zu § 519 ZPO – Formanforderungen an die Berufungsbegründung. 19. Bayer. Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 26. 10. 1971, Rpfleger 1972, S. 17 – Teilabtretung des schuldrechtlichen Eigentumsverschaffungsanspruchs. 20. Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 30. 5. 1972, AP Nr. 2 zu § 42 ZPO – Voraussetzung für die Richterablehnung und Besetzung des Gerichts bei der Entscheidung über die Ablehnung. 21. Oberlandesgericht Frankfurt, Beschluss vom 4. 10. 1972, Rpfleger 1973, S. 62 – Streitwert bei Auflassungsklage bei Geltendmachung geringfügiger Gegenansprüche. 22. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 9. 10. 1972, AP Nr. 62 zu § 233 ZPO – Überlassung der Fristenberechnung dem gut geschulten Personal, Rechtsreferendar als amtlich bestellter Vertreter. 23. Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 19. 1. 1973, AP Nr. 2 zu § 566 ZPO – Revision gegen ein sog. zweites Versäumnisurteil. 456
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24. Bundesgerichtshof, Urteil vom 5. 7. 1973, NJW 1973, S. 1973 – BlankoBeglaubigung von Urteilsabschrift. 25. Oberlandesgericht München, Urteil vom 17. 9. 1973, NJW 1974, S. 195 – Abschluss von Gerichtsstandsvereinbarung durch Stellvertreter. 26. Landgericht Frankfurt/M., Urteil vom 6. 2. 1974, Rpfleger 1974, S. 365 – Ausschließlicher Gerichtsstand für Abzahlungssachen auch für Bürgschaftsverpflichtungen. 27. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21. 3. 1974, Rpfleger 1974, S. 353 – Anforderungen an die Unterschrift des Anwalts. 28. Amtsgericht Wuppertal, Beschluss vom 3. 10. 1974, Rpfleger 1975, S. 31 – Voraussetzungen für Zuständigkeitsvereinbarung im Mahnverfahren. 29. Amtsgericht Hamburg, Beschluss vom 15. 8. 1974, BB 1974, S. 1316 – Gesetzlicher Erfüllungsort für die Rückzahlung des in den Geschäftsräumen der Bank ausbezahlten Barkredits. 30. Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 15. 8. 1974, AP Nr. 28 zu § 519 ZPO – Zur Frage der Wirksamkeit der Verlängerungsverfügung über eine Rechtsmittelbegründungsfrist. 31. Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 30. 1. 1975, AP Nr. 6 zu § 513 ZPO – Voraussetzungen der Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil. 32. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21. 2. 1975, Rpfleger 1975, S. 172 – Verweisung im vereinbarten Mahngerichtsstand. 33. Oberlandesgericht Frankfurt, Beschluss vom 14. 4. 1975, Rpfleger 1975, S. 307 – Zum Formerfordernis der Beschwerdeschrift gemäß FGG § 21 Abs. 2. 34. Bundesgerichtshof, Urteil vom 25. 6. 1975, Rpfleger 1975, S. 431 – Zur Frage der Möglichkeit einer Heilung von im ersten Rechtszug unentdeckt oder unbeanstandet gebliebenen Formmängeln – Heilbarkeit von Unterschriftsmängeln. 35. Bundesgerichtshof, Urteil vom 23. 1. 1975, ZZP 88, S. 334 – Wiedergabe der Richterunterschrift in der Ausfertigung eines abgekürzten Urteils. 36. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 5. 2. 1975, ZZP 89, S. 206 – Zur Frage der formgebundenen Antragsstellung auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn alle Tatsachen aktenkundig sind und die Berufungsschrift verspätet eingereicht worden ist. 37. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 14. 8. 1974, AP Nr. 3, zu § 13 KSchG 1969 – Zur Umdeutung einer fristlosen in eine ordentliche Kündigung nach Stattgabe der Kündigungsschutzklage durch Teilurteil. 38. Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 30. 1. 1975, AP Nr. 6 zu § 513 ZPO – Zu den Voraussetzungen der Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil. 39. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18. 12. 1975, Rpfleger 1976, S. 127 – Zu den Anforderungen an eine Unterschrift. 457
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40. Oberlandesgericht Koblenz, Beschluss vom 15. 10. 1975, Rpfleger 1976, S. 128 – Formanforderungen bei Einwendungen gegen Maßnahmen des Rechtspflegers. 41. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23. 1. 1976, Rpfleger 1976, S. 175 – Zur Bindungswirkung des nach Einspruch des Schuldners ergangenen Verweisungsbeschlusses nach ZPO §§ 700a und 696a. 42. Bundesgerichtshof, Urteil vom 12. 11. 1975, Rpfleger 1976, S. 208 – Verlängerung von prozessualen Fristen im Zivilprozess. 43. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15. 4. 1975 und Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 11. 2. 1976, Rpfleger 1976, S. 240 – Fernschriftliche Übermittlung von Rechtsbehelfen nach Ende der Dienstzeit. 44. Oberlandesgericht Stuttgart, Beschluss vom 20. 1. 1976, Rpfleger 1976, S. 258 – Protokollierungsmängel und ihre Behebung bei Prozessvergleich. 45. Bundesgerichtshof, Urteil vom 11. 2. 1976, Rpfleger 1976, S. 297 – Zur Frage welche Anforderungen an die Unterzeichnung des Beglaubigungsvermerks auf einer Abschrift zu stellen sind, damit die Zustellung wirksam ist. 46. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 24. 3. 1976, Rpfleger 1976, S. 393 – Anforderungen an die gerichtliche Verfahrensgestaltung bei drohender Verschleuderung von Grundstückseigentum in der Teilungsversteigerung. 47. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 1. 10. 1976, Rpfleger 1977, S. 58 – Verweisung nach Einspruch gegen Vollstreckungsbescheid. 48. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24. 11. 1976, Rpfleger 1977, S. 98 – Rechtsmittelanwalt lediglich für Verlustantrag und Kostenantrag? 49. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 26. 1. 1976, AB Nr. 1 zu § 4 KSchG 1969 – Zu den Formanforderungen an die Kündigungsschutzklage. 50. Oberlandesgericht Düsseldorf, Beschluss vom 15. 12. 1976, Rpfleger 1977, S. 143 – Gerichtsstandsbestimmung nach Abgabe bei passiver Streitgenossenschaft im Mahnverfahren. 51. Oberlandesgericht Düsseldorf, Beschluss vom 7. 11. 1977, Rpfleger 1978, S. 62 – Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts von Amts wegen. 52. Oberlandesgericht Zweibrücken, Beschluss vom 29. 1. 1976, Rpfleger 1978, S. 108 – Zur Aufklärungspflicht des Rechtspflegers und zur Sicherheitsleistung in Zwangsversteigerungsverfahren. 53. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 8. 12. 1977, Rpfleger 1978, S. 173 – Zur Frage des Anwaltszwangs beim BGH. 54. Oberlandesgericht Düsseldorf, Beschluss vom 14. 2. 1978, Rpfleger 1978, S. 184 – Zuständigkeitsbestimmung nach vorangegangenem Mahnverfahren gegen mehrere Antragsgegner. 55. Landgericht Duisburg, Beschluss vom 23. 1. 1978, Rpfleger 1978, S. 223 – Zur Frage des zuständigen Gerichts im Mahnverfahren gegen mehrere Antragsgegner. 458
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56. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10. 11. 1977, AP Nr. 24 zu § 794 ZPO – Zur Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Widerrufsfrist eines Prozessvergleichs. 57. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 7. 12. 1978, AP Nr. 43 zu § 518 ZPO – Formmängel der Berufungsschrift und deren Heilbarkeit. 58. Bundesgerichtshof, Urteil vom 7. 12. 1978, ZZP 94 (1981), S. 91 – Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil bei unzulässigem Vollstreckungsbefehl. 59. Oberlandesgericht München, Urteil vom 10. 7. 1979, NJW 1980, S. 1052 – Pflichten des Inhabers einer teilvalutierten Sicherungsgrundschuld in der Zwangsversteigerung. 60. Landesarbeitsgericht Hamm. Beschluss vom 23. 12. 1980, EzA § 61 ArbGG 1979 Nr. 4 – Zu Fragen der Streitwertfestsetzung im arbeitsgerichtlichen Verfahren. 61. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 9. 1. 1980, AP Nr. 19 zu § 613a BGB – Zur Frage, inwieweit auch die Fortführung eines Betriebes durch den Zwangsverwalter als Fall der Betriebsübernahme im Sinne des BGB § 613a anzusehen ist. 62. Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 16. 11. 1981, AP Nr. 1 zu § 76 ArbGG 1979 – Zur Frage ob in der Beantragung der Zulassung der Sprungrevision zugleich die Zustimmung zu deren Einlegung liegt. 63. Landgericht Frankfurt, Beschluss vom 10. 2. 1982, Rpfleger 1982, S. 295 – Zur Auslegung von ZPO § 701 S. 2. 64. Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 10. 3. 1982, EzA § 49 ArbGG Nr. 2 – Zum Umfang des Rechtsmittelausschlusses in ArbGG § 49 Abs. 3. 65. Landesarbeitsgericht Bremen, Beschluss vom 25. 10. 1982, EzA § 62 ArbGG Nr. 9 – Erleichterte Einstellung der Zwangsvollstreckung gem. ArbGG § 62 Abs. 1 S. 3 bei Gläubigerschaft eines vermögenslosen Ausländers. 66. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 2. 3. 1983, EzA § 64 ArbGG 1979 Nr. 12 – Bindung des Berufungsgerichts an die Streitwertfestsetzung. 67. Arbeitsgericht Frankfurt, Beschluss vom 11. 5. 1982 und Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 15. 3. 1984, EzA § 49 ArbGG 1979 Nr. 3 und 4 – Richterablehnung wegen politischer Meinungsäußerung, Parteizugehörigkeit oder Gewerkschaftszugehörigkeit. 68. Bundesgerichtshof, Urteil vom 22. 2. 1984, JZ 1984, S. 842 (zusammen mit Wolfgang Teske) – Fehlen einer „Typ-Prüfung“ beim Kauf eines Krans als Rechtsmangel. 69. Landesarbeitsgericht Bremen, Beschluss vom 21. 2. 1983, EzA § 62 ArbGG 1979 Nr. 10 – Zur Vollstreckung einer Verurteilung des Arbeitgebers zur Weiterbeschäftigung. 70. Landesarbeitsgericht Köln, Beschluss vom 7. 6. 1985, LAGE § 115 ZPO Nr. 12 – Gewährung von Prozesskostenhilfe für Arbeitsrechtsstreitigkeiten von doppelverdienenden Ehegatten in häuslicher Gemeinschaft. 459
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71. Oberlandesgericht Stuttgart, Urteil vom 28. 6. 1985, EWiR § 652 BGB 4/ 85, S. 863 – Zur Wirksamkeit einer formularmäßigen Aushandlungsklausel und Auslagenpauschale eines alleinbeauftragten Immobilienmaklers. 72. Oberlandesgericht München, Urteil vom 11. 10. 1985, NJW 1986, S. 264 – Zum Umfang der Interventionswirkung nach ZPO § 68 und zur Möglichkeit ein im Vorprozess eingeholtes Gutachten im Wege des Urkundenbeweises zu verwerten. 73. Landgericht Aachen, Beschluss vom 7. 11. 1985, MDR 1986, S. 240 – Zur Zuständigkeit des Amtsgerichts nach ZPO § 29a bei Mischmietverhältnissen. 74. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 26. 6. 1986, EWiR § 295 ZPO 1/86, S. 1039 – Zu den formalen Wirksamkeitserfordernissen einer Klageschrift und zu den Möglichkeiten einer Heilung entsprechender Mängel. 75. Oberlandesgericht Frankfurt, Beschluss vom 1. 9. 1986, EWiR § 938 ZPO 1/87, S. 411 – Zuständigkeit zur Festsetzung der Vergütung eines im einstweiligen Verfügungsverfahren bestellten Sequesters. 76. Oberlandesgericht Hamburg, Urteil vom 30. 9. 1986, EWiR § 652 BGB 8/87, S. 881 – Entstehung der Maklerprovision in den sog. Verflechtungsfällen. 77. Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 7. 9. 1982, ZfgG 1987, S. 255 – Zu den Grundbuchkosten bei korrekter und inkorrekter grundbuchmäßiger Behandlung von Genossenschaften. 78. Landesarbeitsgericht Hamm, Beschluss vom 7. 9. 1982, LAGE KSchG § 5 Nr. 22 – Prüfungs- und Entscheidungsumfang des Verfahrens der nachträglichen Zulassung der Kündigungsschutzklage. 79. Landesarbeitsgericht Hamm, Beschluss vom 19. 6. 1986, LAGE KSchG § 5 Nr. 24 – Anwendbarkeit der Grundsätze des Kündigungsschutzgesetzes auf Berufsausbildungsverhältnisse. 80. Bundesgerichtshof, Urteil vom 16. 12. 1987, EWiR § 696 ZPO 1/88, S. 311 – Zur Verjährungsunterbrechung durch Klageerweiterung im Mahnverfahren. 81. Landgericht Hamburg, Urteil vom 4. 11. 1987, EWiR § 652 BGB 3/88, 345 – Kein Vorliegen von „Vermitteln“ im Sinne einer Maklerleistung bei Abschluss eines Mietvertrages durch den Hausverwalter mit Abschlussvollmacht. 82. Bundesgerichtshof, Urteil vom 16. 12. 1987, Rpfleger 1988, S. 195 – Zur Verjährungsunterbrechung durch Klageerweiterungsschriftsätze im Mahnverfahren. 83. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 30. 11. 1987, EWiR § 42 ZPO 1/88, S. 619 – Zu personenbezogenen Spannungen zwischen Konkursverwalter und Konkursrichter als Befangenheitsgrund im Rahmen des Ablehnungsrechts des Konkursverwalters. 84. Kammergericht, Urteil vom 30. 10. 1987, NJW 1988, S. 3161 – Kann vor den ordentlichen Gerichten Klage auf Feststellung der Ungültigkeit von Wahlen des Ortsverbandes einer politischen Partei erhoben werden? 460
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85. Bundesgerichtshof, Urteil vom 10. 11. 1986, ZfgG 1988, S. 279 – Kann ein bei einem genossenschaftlichen Dachverband angestellter Syndikusanwalt eine einzelne Mietgliedsgenossenschaft im Prozess anwaltlich vertreten? 86. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27. 1. 1988, EzA § 4 n.F. KSchG Nr. 33 (zusammen mit Dietlind Weinland) – Zum Streitgegenstand bei mehreren Kündigungen. 87. Bundesgerichtshof, Urteil vom 20. 5. 1988, EWiR § 825 ZPO 1/88, S. 1035 (zusammen mit Dietlind Weinland) – Keine Übereignung im Wege der Mobiliarvollstreckung gepfändeter wesentlicher Bestandteile eines Grundstücks durch den Gerichtsvollzieher. 88. Bundesgerichtshof, Urteil vom 3. 2. 1989, EWiR § 528 BGB 1/89, S. 459 (zusammen mit Dietlind Weinland) – Rückforderungsanspruch des verarmten Schenkers gegen den weiterbeschenkten Dritten. 89. Bundesgerichtshof, Urteil vom 20. 9. 1988, EWiR § 340 ZPO 1/89, S. 619 (zusammen mit Dietlind Weinland) – Zu den Anforderungen an den Einspruch gegen ein Versäumnisurteil. 90. Bundesgerichtshof, Urteil vom 17. 3. 1989, EWiR § 313 BGB 1/89, S. 857 – Sicherungsfunktion der unwiderruflichen Auflassungsvollmacht. 91. Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil vom 3. 2. 1989, FamRZ 1989, S. 1208 (zusammen mit Christian Steindl) – Zu den prozessrechtlichen und materiellrechtlichen Folgen einer mangels schlüssiger Begründung rechtskräftig abgewiesenen Abänderungsklage. 92. Bundesgerichtshof, Urteil vom 3. 7. 1990, NJW 1991, S. 31 – Zur Sittenwidrigkeit bei der Ausnutzung eines nicht erschlichenen, materiell falschen Vollstreckungstitels – Zur Rechtskraft von Vollstreckungsbescheiden. 93. Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil vom 3. 5. 1990, EWiR § 209 BGB 1/ 90, S. 753 (zusammen mit Christian Steindl) – Zur Unterbrechungswirkung eines Mahnbescheids auch hinsichtlich der Scheckforderung. 94. Bundesgerichtshof, Urteil vom 11. 7. 1990, JZ 1991, S. 96 (zusammen mit Beate Grün) – Zur Anwendbarkeit von BGB § 656 auf Partnerschaftsvermittlungsverträge. 95. Oberlandesgericht Frankfurt, Urteil vom 31. 5. 1988, ZfgG 1990, S. 277 (zusammen mit Christian Steindl) – Zum Rechtsschutz des Genossen bei Ausschluss aus einer Genossenschaft – Klageart, zeitliche Begrenzung für die Klageerhebung, genossenschaftsinternes Rechtsmittelverfahren. 96. Bundesgerichtshof, Urteil vom 7. 6. 1990, EWiR § 78 ZPO 1/90, S. 1025 – Heilung von Verfahrensmängeln durch nachträgliche Genehmigung – hier bei Einreichung einer Klageschrift durch einen nicht postulationsfähigen Rechtsanwalt. 97. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 31. 5. 1989, AP Nr. 39 zu § 794 ZPO – Widerruf eines Prozessvergleichs. 461
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98. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 5. 7. 1990, EzA § 4 n.F. KSchG Nr. 39 – Anwendbarkeit der Klagefrist nach § 4 KSchG auf Berufsausbildungsverhältnisse. 99. Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 5. 7. 1990, EWiR § 519 ZPO 1/91, S. 307 – Zur Frage der Unterschriftleistung bei der Berufungsbegründung. 100. Bundesgerichtshof, Urteil vom 4. 7. 1990, EWiR § 652 BGB 1/91, S. 37 – Zum Provisionsanspruch des Maklers beim Grundstückserwerb seines Auftraggebers im Wege der Zwangsversteigerung. 101. Bundesgerichtshof, Urteil vom 25. 10. 1990, JZ 1991, S. 828 – Zur erweiternden Auslegung des ZPO § 513 Abs. 2 bei unzulässiger und unschlüssiger Klage. 102. Bundesgerichtshof, Urteil vom 12. 11. 1990, IPRax 1992, S. 207 – Anlegerschutz bei der Publikumsreederei, Bindungswirkung von vertraglichen Schiedsklauseln und internationale Zuständigkeit bei Anlegerschädigung. 103. Bundesgerichtshof, Urteil vom 27. 6. 1991, EWiR § 296 ZPO 1/91, S. 929 – Zur Zurückweisung verspäteten Vorbringens und zur Wirksamkeit einer nicht vom Vorsitzenden unterzeichneten Fristsetzungsverfügung im schriftlichen Vorverfahren. 104. Oberlandesgericht Frankfurt, Urteil vom 16. 11. 1990, EWiR § 766 BGB 1/91, S. 973 – Zur Formunwirksamkeit einer in Fernkopie übermittelten Bürgschaft (Telefaxbürgschaft). 105. Bundesgerichtshof, Urteil vom 28. 5. 1991, EWiR § 91a ZPO 1/91, S. 1135 – Zur Zulässigkeit der Klageerneuerung nach vorausgegangener übereinstimmend erklärter Hauptsacheerledigung. 106. Bundesgerichtshof, Urteil vom 25. 9. 1991, EWiR § 654 BGB 1/91, S. 1183 – Voraussetzungen für den Ausschluss des Provisionsanspruchs eines Nachweismaklers bei Treupflichtverletzung durch Konkurrenztätigkeit gegenüber dem Maklerkunden. 107. Bundesgerichtshof, Urteil vom 11. 10. 1991, EWiR § 463 BGB 1/92, S. 149 – Verkäufer und Vertreter im Haftungsprozess nach einem Vertragsabschluss beruhend auf unrichtigen Angaben des Vertreters. 108. Bundesgerichtshof, Urteil vom 5. 12. 1991, WuB IV A § 209 BGB 1.92 – Die Bedeutung des prozessualen Streitgegenstandes für die Unterbrechung der Verjährung. 109. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10. 12. 1991, AP Nr. 20 zu § 253 ZPO – Unzulässiger Feststellungsantrag. 110. Bundesgerichtshof, Urteil vom 19. 12. 1991, WuB IV A § 254 BGB 1.92 – Anwaltliche Fristenkontrolle bei rechtskundigem Mandanten. 111. Bundesgerichtshof, Urteil vom 19. 12. 1991, EWiR § 322 ZPO 2/92, S. 515 – Zum Umfang der Rechtskraft bei uneingeschränktem Klageantrag und Zug-um-Zug-Verurteilung. 112. Bundesgerichtshof, Urteil vom 12. 2. 1992, EWiR Art. 8 EV 1/92, S. 567 – Neue Bundesländer – Zur gesetzlichen Form der Berufungseinlegung 462
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nach dem 3. Oktober 1990, wenn die Berufungsfrist vor diesem Datum begonnen hat. 113. Bundesgerichtshof, Urteil vom 14. 5. 1992, WuB IV A § 826 BGB 6.92 (zusammen mit Beate Grün) – Zur Haftung des „räuberische Aktionäre“ beratenden Rechtsanwalts. 114. Bundesgerichtshof, Urteil vom 12. 3. 1992, WuB VII A § 696 ZPO 1.92 – Weiterbetreiben nach Stillstand des Mahnverfahrens. 115. Oberlandesgericht Schleswig, Urteil vom 4. 6. 1992, IPRax 1993, S. 79 – Kein gemeinsamer Erfüllungsort bei Werkvertrag trotz Ortsgebundenheit der Werkleistung und Barzahlungsabrede. 116. Oberlandesgericht Karlsruhe, Urteil vom 12. 12. 1991, EWiR § 51 ZPO 1/93, S. 411 (zusammen mit Irmgard Gleußner) – Sicherungsabtretung – Gewillkürte Prozessstandschaft. 117. Bundesgerichtshof, Urteil vom 19. 11. 1992, EWiR § 85 ZPO 13, S. 309 (zusammen mit Irmgard Gleußner) – Anwaltshaftung – Unkenntnis des Übergangsrechts zum Anwaltszwang in den neuen Ländern. 118. Bundesgerichtshof, Urteil vom 12. 11. 1992, EWiR § 945 ZPO 1/93, S. 512 (zusammen mit Irmgard Gleußner) – Zum Verjährungsbeginn des Schadensersatzanspruchs aus ZPO § 945. 119. Bundesgerichtshof, Urteil vom 22. 10. 1992, WuB VII A § 945 ZPO 1.93 – Zur Frage der Vollziehung einer Unterlassungsverfügung – Zum Ersatz des „Befolgungsschadens“. 120. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 26. 3. 1992, AP Nr. 7 zu § 48 ArbGG 1979 – Rechtsmittel gegen inkorrekte Rechtswegentscheidung. 121. Bundesgerichtshof, Urteil vom 8. 2. 1993, EWiR § 86 ZPO 1/93, S. 615 – Zur Frage des Fortwirkens der Prozessvollmacht – Zur vorschriftsmäßigen Vertretung nach Verlust der Prozessfähigkeit – Verlust der Prozessfähigkeit zwischen Vollmachterteilung und Klageerhebung. 122. Bundesgerichtshof, Urteil vom 29. 4. 1993, WuB IV A § 209 BGB 2.93 – Verjährungsrechtliche Problematik bei Vollstreckung aus Titel nach ZPO § 794 Abs. 1 Nr. 5 und hiergegen gerichteter Vollstreckungsgegenklage. 123. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 8. 6. 1993, EWiR § 48 ZPO 1/ 93, S. 929 – Rechtliches Gehör der Parteien bei Selbstablehnung eines Richters. 124. Bundesgerichtshof, Urteil vom 28. 1. 1993, JZ 1993, S. 1007 (zusammen mit Irmgard Gleußner) – Zur Formwirksamkeit einer mit Telefax übermittelten Bürgschaftserklärung. 125. Bundesgerichtshof, Urteil vom 1. 4. 1993, WuB VII A § 945 ZPO 1.94 – Kosten des Verfügungsverfahrens bei Klageabweisung in der Hauptsache und Reichweite des Begriffs „Vollziehungsschaden“. 126. Bundesgerichtshof, Urteil vom 8. 7. 1993, LM § 675 BGB Nr. 192 – Pflicht des Anwalts zur Sachverhaltsfeststellung und Beweissicherung (anwaltliche „Befundsicherungspflicht“). 463
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127. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16. 9. 1993, EWiR § 528 BGB 1/94, S. 235 – Tod des Schenkers – Auswirkungen auf den fortbestehenden Notbedarfsanspruch gegen den Beschenkten. 128. Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil vom 11. 3. 1993, WuB IV A § 211 BGB 1.94 – Verjährungsrechtliche Bedeutung einer Offenlegung und Sicherungsabtretung im Mahnverfahren. 129. Oberlandesgericht Stuttgart, Beschluss vom 8. 2. 1994, EWiR § 42 ZPO 1/94, S. 619 – Voraussetzungen für die Ablehnung von Handelsrichtern wegen Befangenheit. 130. Bundesgerichtshof – Vereinigte Große Senate – Beschluss vom 5. 5. 1994, EWiR § 21g GVG 1/94, S. 997 – Senatsinterne Geschäftsverteilung, Mitwirkungsgrundsätze, Überbesetzung von Spruchkörpern. 131. Bundesgerichtshof, Urteil vom 11. 7. 1994, EWiR § 511a ZPO 1/94, S. 1249 (zusammen mit Irmgard Gleußner) – Zur Änderung der für Klagen auf Auskunft maßgeblichen Bewertungsgrundsätze. 132. Bundesgerichtshof, Urteil vom 14. 10. 1994, WuB IV A § 133 BGB 1.95 – Rechtliche Qualifikation von Objektangaben beim Grundstückskauf und deren Überprüfung in der Revision. 133. Bundesgerichtshof, Urteil vom 15. 10. 1994, WuB VII A § 296 ZPO 1.95 – „Flucht in die Widerklage“ zur Verhinderung der Präklusion. 134. Bundesgerichtshof, Urteil vom 14. 3. 1995, EWiR § 445 ZPO 1/95, S. 621 (zusammen mit Lutz Schwaiger) – Erklärungen einer Partei im Rahmen der Parteivernehmung enthalten kein Geständnis. 135. Bundesgerichtshof, Urteil vom 20. 1. 1994, ZfgG 1995, S. 227 – Direkte Anwendbarkeit des RBerG Art. 1 § 3 Nr. 7 auf genossenschaftliche Rechtsbetreuungs-GmbH („Genossenschaftsprivileg“). 136. Bundesgerichtshof, Urteil vom 12. 10. 1995, EWiR § 263 ZPO 1/96, S. 39 – Parteierweiternde Widerklage – Klageänderung. 137. Landesarbeitsgericht Hamm, Beschluss vom 21. 12. 1995, MDR 1996, S. 1161 – Zurechnung von Vertreterverschulden bei der Wahrung der Frist für die Kündigungsschutzklage? 138. Bundesgerichtshof, Urteil vom 8. 2. 1996, EWiR § 295 ZPO 1/96, S. 429 – Mängel der Klageerhebung im Anwaltsprozess – Schriftsätzliche Bezugnahme auf Prozesskostenhilfegesuch eines beim Prozessgericht nicht zugelassenen Anwalts. 139. Bundesgerichtshof, Urteil vom 14. 6. 1995, JZ 1996, S. 633 (zusammen mit Lutz Schwaiger) – Zur Frage der Vererblichkeit des Rückforderungsanspruchs aus BGB § 528 Abs. 1. 140. Bundesgerichtshof, Urteil vom 12. 1. 1996, WuB VII A § 62 ZPO 1.96 – Notwendige Streitgenossenschaft bei Auflassungsklage gegen mehrere Grundstücksmiteigentümer – Unzulässigkeit eines Teilurteils. 141. Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 1. 2. 1996, FamRZ 1996, S. 1335 (zusammen mit Lutz Schwaiger) – Kostenentscheidung gegen den Vertreter des Klägers ohne Prozessvollmacht. 464
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142. Oberlandesgericht Köln, Beschluss vom 5. 7. 1996, MDR 1996, S. 1299 – Anwaltszwang für die Ablehnungsbeschwerde bei Ablehnung eines Richters im erstinstanzlichen Verfahren beim Landgericht? 143. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 10. 7. 1996, EWiR § 145 ZPO 1/96, S. 863 – Verfassungswidrigkeit der zur Unterschreitung der Revisionssumme vorgenommenen Verfahrensaufspaltung. 144. Bundesgerichtshof, Urteil vom 20. 10. 1995, WuB VII A § 325 ZPO 1.97 – Rechtskraftprobleme bei der Pfändung und Überweisung streitiger Forderungen. 145. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 31. 10. 1995, EzA § 72 ArbGG 1979 Nr. 20 (zusammen mit Lutz Schwaiger) – Zu den Anforderungen an die Revisionszulassung). 146. Bundesgerichtshof, Urteil vom 28. 11. 1996, WuB IV A § 675 BGB 1.97 (zusammen mit Christian Lisch) – Nachvertragliche Hinweispflichten eines Anwalts, insbesondere bei Unklarheit über die Beendigung des Mandats. 147. Landgericht München I, Urteil vom 22. 1. 1997, EWiR § 51 ZPO 1/97, S. 383 – Abmahnung von Wettbewerbsverstößen in gewillkürter Prozessstandschaft. 148. Bundesgerichtshof, Urteil vom 15. 5. 1997, EWiR § 72 ZPO 1/97, S. 815 – Streitverkündung in Käuferketten und weitere Streitverkündung nach § 72 Abs. 2. 149. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 1. 7. 1997, EWiR Art. 6 EMRK 1/98 (zusammen mit Christian Lisch) – Entschädigungsansprüche wegen überlanger Verfahrensdauer. 150. Bayer. Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 15. 7. 1997, EWiR § 36 ZPO 1/98, S. 141 – Gerichtszuständigkeit kraft Sachzusammenhangs – Bestimmung des zuständigen Gerichts nach ZPO § 36 Nr. 3. 151. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 23. 9. 1997, MDR 1998, S. 362 – Endet das Recht zur Ablehnung eines Richters mit der Beendigung der Instanz? 152. Oberlandesgericht Koblenz, Urteil vom 1. 4. 1998, EWiR § 50 ZPO 2/98, S. 475 (zusammen mit Gregor Vollkommer) – Passivprozess der GmbH in Liquidation – Zu den Auswirkungen der Vollbeendigung der GmbH nach Abschluss der Liquidation auf Parteifähigkeit und Prozessfähigkeit. 153. Bundesgerichtshof, Urteil vom 19. 3. 1998, EWiR § 183 ZPO 1/98, S. 573 (zusammen mit Gregor Vollkommer) – Ersatzzustellung an eine GmbH. 154. Bundesgerichtshof, Urteil vom 30. 6. 1998, EWiR § 826 BGB 2/98, S. 889 – Zur Rechtskraftdurchbrechung beim Vollstreckungsbescheid. 155. Bundesgerichtshof, Urteil vom 23. 4. 1998, WuB IV A § 211 BGB 1.99 (zusammen mit Kathrin Westner) – Ende der Verjährungsunterbrechung gemäß BGB § 211 Abs. 2 S. 1 bei Stillstand wegen Abwarten eines Musterprozesses. 465
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156. Bundesgerichtshof, Urteil vom 17. 9. 1998, EWiR § 21g GVG 1/99, S. 71 – Zur internen Geschäftsverteilung innerhalb des Spruchkörpers. 157. Bundesgerichtshof, Urteil vom 1. 4. 1998, JZ 1999, S. 522 (zusammen mit Gregor Vollkommer) – Zur Formbedürftigkeit einer Vollmacht zum Abschluss eines Ehevertrages. 158. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28. 9. 1998, WuB VII A § 69 ZPO 1.99 (zusammen mit Gregor Vollkommer) – Zur Stellung beitretender Aufsichtsratsmitglieder und Aktionäre als Nebenintervenienten und Auswirkungen auf Rechtsmittel. 159. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 28. 5. 1998, EzA § 72 ArbGG 1979 Nr. 22 (zusammen mit Kathrin Westner) – Beschränkte Zulassung der Revision. 160. Bundesgerichtshof, Urteil vom 19. 11. 1998, EWiR § 513 ZPO 1/99, S. 237 (zusammen mit Kathrin Westner) – Zum Verschulden des Rechtsanwalts im Rahmen des ZPO § 337. 161. Bundesgerichtshof, Urteil vom 10. 12. 1999, WuB IV A § 675 BGB 5.99 (zusammen mit Kathrin Westner) – Beweislastverteilung bei Regressansprüchen gegen einen Steuerberater wegen Verletzung von Aufklärungspflichten und Beratungspflichten. 162. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 7. 6. 1999, EWiR § 236 ZPO 1/99, S. 1085 – Wiedereinsetzungsverfahren wegen Versäumung der Rechtsmittelbegründungsfrist – Zur „nachzuholenden Prozesshandlung“ im Sinne des ZPO § 236 Abs. 2 S. 2. 163. Bundesgerichtshof, Urteil vom 11. 12. 1998, JZ 2000, S. 50 (zusammen mit Jörn Heinemann) – Zum Wiederverkaufsrecht speziell bei Verschlechterung der gekauften Sache. 164. Bundesgerichtshof, Urteil vom 26. 10. 1999, EWiR § 203 BGB 1/2000, S. 115 – Verjährung von Ansprüchen Kreispachtgeschädigter. 165. Bundesgerichtshof, Urteil vom 19. 10. 1999, WuB VII A § 530 ZPO 1.00 – Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Abstandnahme vom Urkundenprozess und der folgenden Verteidigung des Beklagten mit einer Aufrechnung. 166. Bayer. Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 20. 7. 2000, EWiR § 42 ZPO 1/2000, S. 937 – Ablehnung des Richters aufgrund von Verfahrensfehlern. 167. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15. 2. 2000, EWiR § 132 GVG 1/ 2000, S. 1017 – Die Grundsatzvorlage an den Großen Senat zur Sittenwidrigkeit von finanziell krass überfordernde Angehörigenbürgschaften. 168. Bundesgerichtshof, Urteil vom 27. 10. 1999, EWiR § 301 ZPO 1/2000, S. 1081 – Zum Teilurteil bei Anspruchsmehrheit und Aufrechnung bei Mehrheit von Klage- und Gegenforderungen, 169. Bundesgerichtshof, Urteil vom 2. 3. 2000, JZ 2000, S. 1163 (zusammen mit Jörn Heinemann) – Zum formularmäßigen Verzicht des Bürgen auf die ihm nach BGB § 776 zustehenden Rechte. 466
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170. Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Beschluss vom 27. 7. 2000, MDR 2001, S. 42 – Nachträgliche Zulassung einer Kündigungsschutzklage. 171. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25. 11. 1999, EWiR § 519 ZPO 1/ 2000, S. 1131 – Zu den Anforderungen an die Berufungsbegründung bei einer auf mehrere Gründe gestützten Klageabweisung. 172. Gemeinsamer Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 5. 4. 2000, WuB VII A § 130 ZPO 1.01 – Zur Wahrung der prozessualen Schriftform bei Computerfax mit eingescannter Unterschrift. 173. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20. 6. 2000, EWiR § 719 ZPO 1/01, S. 95 – Einstellung der Zwangsvollstreckung in der Revisionsinstanz. 174. Bundesgerichtshof, Urteil vom 13. 7. 2000, WuB VI E § 846 ZPO 1.01 – Zu Ansprüchen eines Beschuldigten aufgrund der Sicherstellung von Geldbeträgen und Sachen durch die Staatsanwaltschaft und zur Pfändbarkeit dieser Ansprüche. 175. Bundesgerichtshof, Urteil vom 28. 3. 2000, WuB VI E § 795 ZPO 1.01 – Zur hinreichenden Bestimmtheit des Zinsanspruchs bei einer vollstreckbaren notariellen Urkunde mit Verweis auf aus dem Grundbuch ersichtliche Umstände. 176. Oberlandesgericht Rostock, Urteil vom 28. 6. 2001, EWiR § 50 ZPO 1/ 02, S. 171 – Zum Verlust der Parteifähigkeit der beklagten GmbH während des Rechtsstreits. 177. Bundesgerichtshof, Vorlagebeschluss vom 31. 10. 2001, EWiR § 21e GVG 1/02, S. 211 – Zur geschäftsplanmäßigen Zuständigkeit der Zivilsenate des BGH bei einem Anspruch aus dem Telekommunikationsgesetz. 178. Bundesgerichtshof, Urteil vom 7. 11. 2001, MDR 2002, S. 412 – Aufrechnung – Zuständigkeit deutscher Gerichte bei internationalen Prozessen. 179. Bundesgerichtshof, Urteil vom 25. 4. 2001, EWiR § 528 BGB 1/02, S. 329 – Zur Vererblichkeit des Rückforderungsanspruchs des verarmten Schenkers. 180. Oberlandesgericht Brandenburg, Beschluss vom 14. 8. 2001, FamRZ 2002, S. 622 – Zum Umfang der Ermittlungspflichten des Familiengerichts in sorge- und umgangsrechtlichen Verfahren bei Vorliegen des Verdachts eines sexuellen Kindesmissbrauches. 181. Bundesgerichtshof, Urteil vom 28. 11. 2001, EWiR § 595 ZPO 1/02, S. 409 – Zur Zulässigkeit der Urkundenwiderklage im ordentlichen Verfahren. 182. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 7. 3. 2002, WuB VII A § 774 ZPO 1.02 – Zur Zulässigkeit von außerordentlichen Rechtsbehelfen nach der Zivilprozessreform. 183. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29. 5. 2002, WuB VII A § 774 ZPO 2.02 – Rechtsbeschwerde bei Verfristung einer beim unzuständigen Gericht eingereichten Rechtsmittelschrift in einem sog. „Weiterleitungsfall“. 467
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184. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14. 5. 2002, EWiR § 42 ZPO 1/03, S. 41 – Zur Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit bei ungünstiger Rechtsauffassung. 185. Oberlandesgericht München, Beschluss vom 10. 9. 2002, EWiR § 22 ZPO 1/03, S. 137 – Zum Gerichtsstand der Mitgliedschaft. 186. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 9. 7. 2002, EWiR § 81 ZPO 1/03, S. 293 – Zur Prozessvertretung durch einen Unterbevollmächtigten. 187. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 1. 10. 2003, WuB VII A § 544 ZPO 1.03 – Zur Darlegung der Zulassungsgründe für eine Revision und zur Nichtzulassungsbeschwerde bei der Verletzung von Verfahrensgrundrechten. 188. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16. 5. 2002, EzA Art. 101 GG Nr. 7 (zusammen mit Gregor Vollkommer) – Besetzung des Berufungsgerichts – gesetzlicher Richter. 189. Oberlandesgericht Zweibrücken, Beschluss vom 11. 4. 2003, ZfIR 2003, S. 1015 – Gerichtliche Zuständigkeit bei der Klage gegen die Vollstreckung aus einer umfassend erklärten Vollstreckungsunterwerfung in das persönliche Vermögen und ein Grundstück. 190. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29. 1. 2003, WuB VII A § 42 ZPO 1.04 – Zur Richterablehnung wegen Befangenheit – Vereinszugehörigkeit, Spruch- und Vortragstätigkeit als Ablehnungsgründe. 191. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20. 10. 2003, EWiR § 41 ZPO 1/04, S. 205 – Zur instanzüberschreitenden Richterehe als Ablehnungsgrund. 192. Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 1. 10. 2003, EWiR § 547 ZPO 1/04, S. 407 – Rechtsbehelf bei fehlenden Gründen der Entscheidung, FünfMonats-Frist. 193. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16. 9. 2003, BGH-Report 2004, S. 191 – Kompetenzkonflikt zwischen Einzelrichter und Senat des OLG. 194. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20. 10. 2003, BGH-Report 2004, S. 416 – Besetzung des OLG-Senats bei Beschwerde gegen die Entscheidung des Vorsitzenden der Kammer für Handelssachen. 195. Bundesgerichtshof, Urteil vom 5. 4. 2001, BGH-Report 2001, S. 615 – Zulässigkeit der Drittwiderklage gegen den Zedenten bei Klage des Zessionars. 196. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11. 8. 2004, FamRZ 2005, S. 194 – Ist die Berufung auch dann fristgerecht zu begründen, wenn das Berufungsgericht die Berufung vor Ablauf der Berufungsfrist als unzulässig verworfen hat? 197. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16. 9. 2003, EWiR § 543 ZPO 1/05, S. 141 – Zur Revisionszulassung unter dem Gesichtspunkt der Rechtsanwendungsgleichheit. 198. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 3. 3. 2004, WuB VII A § 93 ZPO 1.05 – Rechtszug in Kostensachen – Kostenprivilegierung bei „sofortigem“ Anerkenntnis. 468
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199. Bundesgerichtshof, Urteil vom 20. 1. 2004, WuB VII A § 322 ZPO 1.05 – Gegenforderungen bei „Saldoklage“ – Fragen zu Streitgegenstand und Rechtskraft. 200. Bundesgerichtshof, Urteil vom 12. 3. 2004, WuB VII A § 529 ZPO 1.05 – Zu den Voraussetzungen einer erneuten Tatsachenfeststellung durch das Berufungsgericht. 201. Amtsgericht Erding, Beschluss vom 5. 4. 2005, EWiR § 321a ZPO 1/05, S. 587 – Zur Anhörungsrüge bei Übergehen von Prozessstoff von zentraler Bedeutung. 202. Bundesgerichtshof, Urteil vom 3. 5. 2005, WuB VII A § 108 ZPO 2.05 – Zum Schicksal einer Prozessbürgschaft bei verdeckter Abtretung der Hauptforderung vor Rechtskraft des Urteils. 203. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22. 9. 2005, BGH-Report 2005, S. 1611 – Zum Umfang des die internationale Zuständigkeit begründenden Vermögens. 204. Bundesgerichtshof, Urteil vom 24. 11. 2005, BGH-Report 2006, S. 321 – Grundsätze zum Erlass eines Vorbehaltsurteils, insbesondere bei Aufrechnung mit Schadensersatzforderungen gegen Werklohnforderungen im Bauprozess. 205. Bundesgerichtshof, Urteil vom 23. 2. 2006, BGH-Report 2006, 743 – Streitgegenstand und Rechtskraft im markenrechtlichen Unterlassungsprozess.
V. Buchbesprechungen 1. Hans Friedhelm Gaul, Die Grundlagen des Wiederaufnahmerechts und die Ausdehnung der Wiederaufnahmegründe (1956), in: Rpfleger 1957, S. 392. 2. Stein/Jonas, ZPO, 19. Aufl., Lieferungen 5–13, in: Rpfleger 1968, S. 302 und 407; 1969, S. 106; 1970, S. 262; 1972, S. 75 und 468; 1973, S. 339; 1976, S. 446. 3. Klaus Hopt, Schadensersatz aus unberechtigter Verfahrenseinleitung (1968), Rpfleger 1969, S. 179. 4. Lothar Hirschberg, Das internationale Währungs- und Devisenrecht der Unterhaltsverbindlichkeiten (1968), in: Rpfleger 1968, S. 256. 5. Peter Schlosser, Einverständliches Parteihandeln im Zivilprozess (1968), in: Rpfleger 1969, S. 320. 6. Peter Geib, Die Pfandverstrickung (1969), in: Rpfleger 1970, S. 148. 7. Baumbach/Lauterbach, ZPO, 30. Aufl. (1970), in: JZ 1970, S. 428. 8. Hillach/Rohs, Handbuch des Streitwertes in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, 3. Aufl. (1970), in: Rpfleger 1970, S. 370. 9. Baumgärtel, Zivilprozessrecht – Grundlegende Entscheidungen mit Anmerkungen, 1971, in: Rpfleger 1972, S. 116. 469
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10. Kurt Stöber, Forderungspfändung, 3. Aufl. 1972, in: Rpfleger 1972, S. 191. 11. Ernst J. Cohn, Manual of German Law, 1968, in: AcP 171 (1971), S. 524. 12. Steiner/Riedel, Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung, 8. Aufl. 1973, Bd. I, in: NJW 1973, S. 2017; Bd. II, in: NJW 1976, S. 29; Bd. III, in: NJW 1976, S. 2204. 13. Felix Weyreuther, Revisionszulassung und Nichtzulassungsbeschwerde, 1971, in: JZ 1974, S. 110. 14. Klaus Müller, Der Sachverständige im gerichtlichen Verfahren, 1973, in: NJW 1974, S. 1233. 15. Rosenberg/Schwab, Zivilprozessrecht, 11. Aufl. 1974, in: NJW 1974, S. 1808. 16. Stöber/Zeller, Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen, 3. Aufl. 1974, in: NJW 1974, S. 1937. 17. Hein Kötz, Über den Stil höchstrichterlicher Entscheidungen, 1973, in: AcP 176 (1976), S. 256. 18. Kurt Stöber, Forderungspfändung, 4. Aufl. 1975, in: Rpfleger 1975, S. 231. 19. Bassenge/Herbst, Gesetz über die Angelegenheit der freiwilligen Gerichtsbarkeit, Rechtspflegergesetz, 2. Aufl. 1976, in: Rpfleger 1977, S. 231. 20. Löwe/von Westphalen/Trinkner, Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, 1977, in: Rpfleger 1977, S. 270. 21. Schlosser/Coester-Waltjen/Graba, Kommentar zum Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, 1977, in: Rpfleger 1977, S. 341. 22. Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Gesetz 1977, in: Rpfleger 1978, S. 75. 23. Kurt Stöber, Forderungspfändung, 5. Aufl. 1978, in: Rpfleger 1978, S. 345. 24. Dassler/Schiffhauer/Gerhardt, Gesetz über die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung, 11. Aufl. 1979, in: NJW 1978, S. 2384. 25. Norbert Reich, Verbraucherkredit, Rechtliche Probleme und Perspektiven, 1979, in: Rpfleger 1980, S. 205. 26. Rudolf Wassermann (Gesamthrsg.), Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Reihe Alternativkommentare, Band 3: Besonderes Schuldrecht, 1979, in: Rpfleger 1980, S. 406. 27. Zeller, Zwangsversteigerungsgesetz, 10. Aufl. 1979, in: NJW 1980, S. 335. 28. Bernhard Kunz, Erinnerung und Beschwerde, Tübingen 1980, in: Rpfleger 1981, S. 374. 29. Kurt Stöber, Forderungspfändung, 6. Aufl. 1981, Bielefeld, in: Rpfleger 1981, S. 457–459. 30. Bassenge/Herbst, Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, Rechtspflegergesetz, 3. Aufl. 1981, in: Rpfleger 1981, S. 415. 31. Bunte, Entscheidungssammlung zum AGB-Gesetz, Bd. I, 1982, in: Rpfleger 1982, S. 445. 32. Schütze, Internationales Zivilprozessrecht, 1980, und Nagel, Internationales Zivilprozessrecht, 1980, in: Rpfleger 1982, S. 124. 470
Schriftenverzeichnis
33. Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, 4. Aufl. 1982, in: Rpfleger 1983, S. 130. 34. Baumgärtel, Handbuch der Beweislast im Privatrecht, Bd. I, 1982, in: NJW 1983, S. 22. 35. Bunte, Entscheidungssammlung zum AGB-Gesetz, Bd. II, 1983, in: Rpfleger 1983, S. 417. 36. Stein, Die Inhaltskontrolle vorformulierter Verträge des allgemeinen Privatrechts, 1982, in: Rpfleger 1983, S. 417. 37. Löwe/v. Westphalen/Trinkner, AGBG, 2. Aufl., Bd. II, 1983, in: Rpfleger 1984, S. 78. 38. Kurt Stöber, Forderungspfändung, 7. Aufl. 1984, Bielefeld, in: Rpfleger 1984, S. 482. 39. Urs Scherrer, Rechtsfragen des organisierten Sportrechts in der Schweiz, Zürich 1982, in: RdA 1985, S. 182. 40. Eike Reschke (Hrsg.), Handbuch des Sportrechts, in: NJW 1985, S. 1690. 41. Nagel, Internationales Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 1984, in: Rpfleger 1985, S. 83. 42. Baumgärtel/Laumen/Strieder, Handbuch der Beweislast im Privatrecht, Bd. 2, 1985, in: NJW 1986, S. 174. 43. Bassenge/Herbst, Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und Rechtspflegergesetz, Kommentar, 4. Aufl. 1986, in: Rpfleger 1987, S. 342. 44. Baumgärtel/Hohmann/Ulrich, Handbuch der Beweislast im Privatrecht, Bd. 3: AGBG/UWG, 1987, in: NJW 1987, S. 2659. 45. Magoulas/Simon, Recht und Ökonomie beim Konsumentenschutz und Konsumentenkredit, 1985, in: MDR 1987, S. 613. 46. Ulmer/Brandner/Hensen, Kommentar zum Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, 5. Aufl. 1987, in: Rpfleger 1987, S. 266. 47. Ekkehard Becker-Eberhard, Grundlagen der Kostenerstattung bei der Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche, Schriften zum Deutschen und Europäischen Zivil-, Handels- und Prozessrecht, Band 105, 1985, in; AcP 187 (1987), S. 610–622. 48. Kurt Stöber, Forderungspfändung, 8. Aufl. 1987, in: Rpfleger 1987, S. 479. 49. Dieter Medicus, Probleme um das Schuldverhältnis, 1987, in: Rpfleger 1988, S. 287. 50. Dieter Dannreuther, Der Zivilprozess als Gegenstand der Rechtspolitik im Deutschen Reich 1871–1945, 1987, in: Jus Commune 1989, S. 555. 51. Oskar Hartwieg, Die Kunst des Sachvortrags im Zivilprozess, 1988, in: JZ 1989, S. 949. 52. Wolfgang Grunsky, Grundzüge des Zwangsvollstreckungs- und Konkursrechts, 4. Aufl. 1987, in: RdA 1990, S. 308. 53. Jörg Hanna, Anwaltliches Standesrecht im Konflikt mit zivilrechtlichen Ansprüchen des Mandanten, 1988, in: NJW 1989, S. 3146. 471
Schriftenverzeichnis
54. Christian Bereska, Minderheitenschutz durch Klage in Genossenschaften, 1990, in: Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen, 1991, S. 260. 55. Ulmer/Brandner/Hensen, Kommentar zum Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, 6. Aufl. 1990, in: Rpfleger 1991, S. 178. 56. Kurt Stöber, Forderungspfändung, 9. Aufl. 1990, in: Rpfleger 1991, S. 222. 57. Kurt Schellhammer, Zivilprozess, Gesetz – Praxis – Fälle. Ein Lehrbuch. 5. Aufl. 1992, in: FamRZ 1993, S. 526. 58. Kurt Stöber, Forderungspfändung, 10. Aufl. 1993, in: Rpfleger 1993, S. 379. 59. Gottfried Baumgärtel, Handbuch der Beweislast im Privatrecht, Band 1, 2. Aufl. 1991, in: MDR 6/1993, S. R16. 60. Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 4. Aufl. 1993, in: NJW 1994, S. 3086. 61. Eberhard Wieser, Arbeitsgerichtsverfahren – Eine systematische Darstellung, 1994, in: RdA 1996, S. 119. 62. Wieczorek/Schütze, Großkommentar ZPO, 3. Aufl., Band I/1 (1994), Band I/2 (1994), Band V (1995), in: MDR 5/1996, S. R16. 63. Kurt Stöber, Forderungspfändung, 11. Aufl. 1996, in: Rpfleger 1997, S. 43. 64. Richard Holzhammer, Österreichisches Insolvenzrecht, 5. Aufl. 1996, in: ZZP 111 (1998), S. 238. 65. Klaus Jürgen Dinstühler, Rechtsnachfolge und einstweiliger Rechtsschutz, 1995, in: FamRZ 1998, S. 1223. 66. Wieczorek/Schütze, Großkommentar ZPO, 3. Aufl., Band III/2 (1998), in: MDR 10/1999, S. R12. 67. Helmut Büttner, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, 2. Aufl. 1999, in: MDR 2/2000, S. R17.
VI. Glückwünsche, Nachrufe, Glossen 1. Armer Mann!, JZ 1969, S. 528. 2. Rudolf Bruns {, NJW 1979, S. 2189. 3. Jürgen Leue in memoriam, in: Datenverarbeitung und Persönlichkeitsschutz – Beiträge zu aktuellen Problemen des Datenschutzes in Recht und Praxis – (hrsg. von Max Vollkommer) Erlanger Forschungen Reihe A Geisteswissenschaften, Band 39, 1986, S. 11–13. 4. Schatten auf der Schnecke im Salat, in: Recht und Humor – Die Welt des Egon Schneider, Festschrift zum 65. Geburtstag, 1992, S. 59–72. 5. Meine ungeschriebenen „Briefe an einen jungen Juristen“, Beitrag zu der von Karl-Peter Winters gemeinsam mit Hermann Gruber herausgegebenen Buchplastik zum 65. Geburtstag von Dr. Hans-Martin Schmidt am 4. 8. 1994. 472
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6. Heinz Thomas zum 75. Geburtstag, NJW 1995, S. 1531. 7. Kurt Stöber zum 75. Geburtstag, NJW 2003, S. 2511. 8. Dr. Alfred Vinzl (1905–1983) – Unternehmer und Stifter – Zur Erinnerung aus Anlaß seines 100. Geburtstages, in: Stiftungen gestern und heute – Entlastung für öffentliche Kassen? (hrsg. von Helmut Neuhaus) Erlanger Forschungen. Reihe A Geisteswissenschaften, Band 110, 2006, S. 9–21.
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Autorenverzeichnis ASSMANN, DOROTHEA Prof. Dr., Universität Potsdam GAUL, HANS FRIEDHELM Prof. Dr. Dr. h.c., Universität Bonn GEIMER, REINHOLD Prof. Dr., Notar, München GLEUSSNER, IRMGARD Prof. Dr., FH Nürnberg GOTTWALD, PETER Prof. Dr. Dr. h.c., Universität Regensburg GREGER, REINHARD Prof. Dr., Universität Erlangen GUMMER, PETER Präsident des Bayerischen Obersten Landesgerichts a.D., München HEINEMANN, JÖRN Dr., Notar, Rehau HERGET, KURT Richter am Amtsgericht, Offenbach HESS, BURKHARD Prof. Dr., Universität Heidelberg HESSLER, HANS-JOACHIM Dr., Ministerialrat im Bayerischen Staatsministerium der Justiz, München MUSIELAK, HANS JOACHIM Prof. Dr., Universität Passau PHILIPPI, PETER Dr., Richter am Oberlandesgericht a.D., Hamburg PRÜTTING, HANNS Prof. Dr., Universität zu Köln ROHE, MATHIAS, M.A. Prof. Dr., Universität Erlangen, Richter am Oberlandesgericht, Nürnberg SCHLOSSER, PETER Prof. Dr., Universität München 475
Autorenverzeichnis
SCHULTZKY, HENDRIK Dr., Richter am Landgericht, Fürth SCHUMANN, EKKEHARD Prof. Dr. Dr. h.c., Universität Regensburg STÖBER, KURT Regierungsdirektor a.D., Rothenburg o.d.T. STÜRNER, ROLF Prof. Dr., Universität Freiburg VOLLKOMMER, GREGOR Dr., Regierungsdirektor im Bayerischen Staatsministerium der Justiz, München WALDNER, WOLFRAM, M.A. Dr., Notar, Bayreuth
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Stichwortverzeichnis
Ablehnung wegen Befangenheit; siehe Befangenheitsgründe Akteneinsicht 227 ff. Anhörungsrüge 274 Anschlussrechtsmittel – richterliche Hinweispflicht 279 f. – im Verbundverfahren 335 ff. Anwaltsgebühren; siehe Kosten Anwaltshaftung – außergerichtliche Streitbeilegung 17 f. – Fehlentscheidungen des Gerichts 427 ff. – Gebühren 412 ff. – kostengünstigster Weg 418 ff. – Prozessfinanzierung 56 ff. Aufklärungspflichten; siehe Beweis Außergerichtliche Konfliktlösung 15 ff. Befangenheitsgründe – allgemeine 271 – Anschlussberufung 280 – Antragsformulierung 277 f. – Antragsrücknahme 279 – Beweisbedürftigkeit 276 f. – Klageänderung 278 f. – mangelnde Schlüssigkeit 275 f. – Säumnis 280 f. – unzulässige Hinweise 272 – Verjährungseinrede 269 f., 274 f. Beiderseitige Erledigungserklärung – Anwaltszwang 167 – Einwilligungsfiktion 168 f., 187 f. – Form 166 f., 187 – Kosten 189 – Schweigen des Beklagten 167 ff., 188 – Umdeutung 195 f.
– Wirkung 169, 190 – Zeitpunkt 190 Berufungsgericht – ausländisches Recht 316 f. – Auslandswohnsitz 315 – Zulassung der Revision 314, 327 – Zuständigkeit 314 f. Berufungsschrift – eigenhändige Unterschrift 317 f. – inhaltliche Anforderungen 318 f. Berufungsverfahren – Bindung an die erstinstanzliche Tatsachenfeststellung 322 f. – Zurückweisungsbeschluss 319 f. Beschleunigung des Verfahrens 80 Beweis – amerikanisches Recht 207 f., 210 – von Amts wegen 209 – Anscheinsbeweis elektronischer Dokumente 250, 254 – Augenschein 245, 253 – Ausforschung 210, 213, 241 – elektronische Urkunde 238, 248 ff., 254 – europäische Prozessordnungen 207, 208 – Freibeweis 247 f., 254 – Geheimhaltungsinteresse 214 f., 228 f. – innerprozessuale Aufklärung 213 ff. – Parteivernehmung 214 – Sachverständigengutachten aus anderen Verfahren 246 ff., 253 f. – Verwertungsbeschränkungen; siehe dort – Vorlage von Augenscheinsobjekten 245, 253 – Vorlage von Urkunden 209, 228 f., 239 ff., 253 477
Stichwortverzeichnis
– vorprozessuale Informationsbeschaffung 209, 211 f. Einseitige Erledigungserklärung – Abgrenzung Klagerücknahme 172 ff., 179 ff. – Anwaltszwang 183 – des Beklagten 189 – vor Einreichung der Klage 176 f. – privilegierte Klagerücknahme 190 ff. – nach Rechtshängigkeit 190 f. – vor Rechtshängigkeit 172 ff., 191 ff. – Regelungslücke 170 f. – Wegfall des Klageanlasses 172 f. – Zeitpunkt 190 ff. Einstweiliger Rechtsschutz – Anordnungsverfahren 81 f. – Arrest 62 f., 66 f., 81, 87, 93 f. – Befriedigungsverfügung 64 ff., 76 – einstweilige Anordnung 64, 74 f., 78, 85 f., 89 – Geldleistungsverfügung 63 f., 79, 81 – Glaubhaftmachung 85 f. – interim payment 70, 76, 83 f., 90, 92 – Leistungsverfügung 64 f., 77, 83 f., 85, 93 – Référé-Verfahren 68 f., 71, 90 – Sicherungszweck 63, 66, 91 – summary judgement 70 f., 76, 78 f. – Verbot der Hauptsachevorwegnahme 65 ff., 78 f. – Vollziehung 81 Elektronischer Rechtsverkehr 259 ff., 288 f. – Aktenführung 266 f. – claim forms 260 – Finanzgerichte 288 f. – Gesetzgebung 289 – Prozessleitung 268 – qualifizierte elektronische Signatur 249 f., 264 f., 289 478
– Schriftsatzmuster 263 f. – Suchbegriff 261 f. – Zwangsvollstreckung 360 Erledigung der Hauptsache – beiderseitige Erledigungserklärung; siehe dort – einseitige Erledigungserklärung; siehe dort – Gesetzgebungshistorie 156 ff. – selbständiges Beweisverfahren 109 f. Europäischer Vollstreckungstitel 385 ff. – Anerkennung 400 f. – Antrag auf Bestätigung 392 f. – Bestätigungsverfahren 401 f., 403 – geeignete Titel 396 f. – Geldforderungen 391, 395 f. – Übersetzung 392 – Umfang 393 f. – unbestrittene Forderungen 397 ff. – Wahlrecht 400 – Widerruf 393 – Zustellung des Titels 403 ff. – Zustellungsmängel 407 f. Forderungssicherungsgesetz (FoSiG) 72 f., 75, 83 ff. Formanpassungsgesetz 288 Formenstrenge 283 ff. Große Justizreform 4 Güteverhandlung 8 ff. Gütliche Streitbeilegung 4 ff. – außerprozessuale Wege 8, 13 ff. – Early Neutral Evaluation 20 – Eskalationsklausel 19 – Mediationsklausel 21, 230 – mini trial 20 – obligatorische Güteverhandlung 8 f. – Prozessleitung 9 ff. – Schiedsgutachtenabrede 19 f. – Schlichtungsklausel 19 f.
Stichwortverzeichnis
– Vergleichsvorschlag, gerichtlicher 11 – Verhandlungsmanagement 12 – vertragliche Prophylaxe 18 ff. Hinweispflicht, richterliche 272 ff. – Befangenheitsgründe; siehe dort – materielle Prozessleitung 238 f., 273 – im selbständigen Beweisverfahren 106 – Zweistufenprüfung 274 Informationsbeschaffung; siehe Beweis, Zwangsvollstreckung Internationales Zivilprozessrecht; siehe Europäischer Vollstreckungstitel, Rechtshilfe, Zustellung, Zwangsvollstreckung Justizielle Zusammenarbeit 388 f. Justizkommunikationsgesetz (JKomG) 238, 248, 292 Justizmodernisierungsgesetz (1. JuMoG) 168, 178, 184, 197 f., 238, 246, 247, 292 Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG); siehe Musterverfahren Klagerücknahme bei Hauptsacheerledigung 172 ff., 178 f., 180 ff., 192 ff. Kosten – Anerkenntnis 423 f. – außergerichtliche Anwaltstätigkeit 17 – beiderseitige Erledigungserklärung 189 – Belehrung über 411 f. – Beweisaufnahme 255 – Musterverfahren 149 f. – Rechtsmittel zur Fristwahrung 425 f.
– selbständiges Beweisverfahren 113 ff. – sofortiger Klageauftrag 421 f. – Versäumnis 423 f. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz (KostRModG) 411 Mediation 15, 18 ff., 21 Musterverfahren – Antrag 124 ff. – ausschließlicher Gerichtsstand 123 f. – Aussetzung 138 f. – Beigeladene 140 – Durchführung 136 ff. – Gegenstand 122 f., 125 f. – Interventionswirkung 147 f. – Klageregister 128 f. – Kosten 149 f. – Musterentscheid 141 f., 145 f. – Musterkläger 137 f. – Rechtsbeschwerde 142 ff. – Rechtskraftwirkung 145 f. – Sperrwirkung 133 f. – Streitgegenstand 134 ff. – Unterbrechung des Verfahrens 129 – Unzulässigkeit 127 f. – Voraussetzungen 121 ff. – Vorlageverfahren 129 ff. Parteiöffentlichkeit 214 f. Privatautonomie 5 Prozessfinanzierung – Ablauf 28 f. – Anwaltshaftung 56 f. – Darlehen 31 f. – Factoring 34 f. – Fernabsatzgeschäft 31 – Geheimhaltungsklausel 54 f. – Gesellschaftsvertrag 36 f. – Informationspflichten 49 f. – Kündigung 56 – Rechtsberatungsgesetz 44 ff. – Sicherungsabtretung 46, 53 f. 479
Stichwortverzeichnis
– Sittenwidrigkeit 43 f. – Verbot der Erfolgshonorierung 41 ff. – Vergleichsschluss 51 f. – Versicherungsvertrag 32 f. – Vertragsinhalt 29 f. – Vertragstyp 31 ff. – Waffengleichheit, prozessuale 47 f. – Zusatzgebühr 50 – Zustimmungsvorbehalt 51 f. Prozesskostenhilfe – Rechtsschutzlücke 26 – selbständiges Beweisverfahren 101 f. – Vorrang der Schlichtung 17 Prozessvereinbarungen 229 ff. Rechtliches Gehör – Ablehnung wegen Befangenheit 270 f. – bei Erledigungserklärung 181 f. – europäischer Vollstreckungstitel 403 – im Musterverfahren 140 – bei Sachverständigenbeweis 246 – Zustellung 292 f., 298 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) 411 f. Rechtshilfe – Informationsverwertung bei internationaler 232 ff. Rechtsschutzversicherung – außergerichtliche Einigung 17 – Rechtsschutzlücke 26 Revision 325 ff.; siehe auch Zulassungsrevision Sachverständige; siehe Beweis Schiedsgutachtenabrede 19 ff. Schlichtungsklausel 19 ff. Schuldnerverzug 79 f. Selbständiges Beweisverfahren 97 ff. – Alternativen 111 f. – Anwaltsvergütung 114 ff. 480
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Beweismittel 106 f. Erledigterklärung 109 f. Gerichtsgebühren 114 Hinweispflicht 106 Identität bei Hauptsache 108 Prozesskostenhilfe 101 f. rechtliches Interesse 103 ff. Streitverkündung 108 f. Streitwert 113 Unterschied zum Klageverfahren 98 ff., 116
Teilurteil – Alternative zum vorläufigen Rechtsschutz 72 – Forderungssicherungsgesetz 72 f., 75 f., 83 ff. Unterschrift/Unterzeichung 284 ff. – Computerfax 287 f. – Empfangsbekenntnis 296 f. – Klageschrift 286 – Rechtsmitteleinlegung 286, 317 f. – Zweckerreichung 285 Urkundenvorlage; siehe Beweis Verbundverfahren 333 f. Vergleichsvorschlag, gerichtlicher 11 f. Vertraulichkeitsinteresse 214 f.; 227 ff. Verwertungsbeschränkungen – englisches Recht 219 f. – im internationalen Rechtshilfeverfahren 232 ff. – bei Prozessvereinbarungen 226 f., 228 ff. Vorlageanordnung; siehe Beweis Vorläufige Zahlungsanordnung 73 f., 75, 83 f., 87 ff., 92 f. – Abänderbarkeit 89 – Abwendungsbefugnis 88 – Risikohaftung 73, 87 f. – Umfang 90
Stichwortverzeichnis
– Voraussetzungen 73 – vorläufige Vollstreckbarkeit 87 f. Waffengleichheit – Ablehnung wegen Befangenheit 281 – Prozessfinanzierung 47 f. Wegfall des Klageanlasses 172 f. ZPO-Reformgesetz 80, 167, 172, 179, 237, 313, 327 Zulassungsrevision – grundsätzliche Bedeutung 327 – Rechtsfortbildung 327 – Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung 327, 328 ff. Zustellung – im Amtsbetrieb 295 – Annahmeverweigerung 302 f. – class action 306 ff. – europäischer Vollstreckungstitel 403 ff. – Gesetzgebung 291 f. – Heilung 294 f., 297, 304 ff., 408 – international 297 ff.; 403 ff. – Mängelfolgen 293 f., 302 f.
– punitive damages 306 ff. – Übersetzungen 298 ff. Zustellungsreformgesetz (ZustRG) 291 Zwangsvollstreckung – Arbeitseinkommen 372 ff. – Drittauskunft 353 ff. – eidesstattliche Versicherung 351 – europäischer Vollstreckungstitel 390 ff. – Forderungspfändung 358 f. – Formalisierung 363 f. – Geldvollstreckung 367 ff. – Gerichtsvollzieher 350, 351 f., 354, 358 f., 360 – Informationsbeschaffung 353 ff. – international 385 ff. – Schuldnerverzeichnis 351, 356 f. – aus unerlaubter Handlung 364 ff., 379 ff. – Verdachtspfändung 352 – Vermögensauskunft bei Verfahrensbeginn 353 f. – zentrales Vermögensverzeichnis 356 f. – Zentralisierung 358, 360 f.
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