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German Pages 637 [639] Year 2010
Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament · 2. Reihe Herausgeber / Editor Jörg Frey (Zürich) Mitherausgeber / Associate Editors Friedrich Avemarie (Marburg) Markus Bockmuehl (Oxford) Hans-Josef Klauck (Chicago, IL)
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Sönke Finnern
Narratologie und biblische Exegese The Wild Kingdom of Early Christian Literature Eine integrative Methode der Erzählanalyse und ihr Ertrag am Beispiel von Matthäus 28
Mohr Siebeck
Sönke Finnern, geboren 1976; Studium der Evangelischen Theologie in Gießen, Marburg und Kiel; 2004–2006 Promotionsstipendiat der Hanns-Seidel-Stiftung; 2006–2008 Projektmitarbeiter an der evangelisch-theologischen Fakultät der Universität München; seit 2008 Vikar in Württemberg; 2010 Promotion an der Universität München.
e-ISBN PDF 978-3-16-151628-3 ISBN 978-3-16-150381-8 ISSN 0340-9570 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 2. Reihe) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http:// dnb.d-nb.de abrufbar. © 2010 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und gebunden.
Vorwort Bei diesem Buch handelt es sich um die gekürzte Fassung meiner Doktorarbeit, die im Wintersemester 2009/2010 an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München eingereicht wurde. Die Entstehung der Arbeit wurde über zwei Jahre durch ein Stipendium der Hanns-Seidel-Stiftung gefördert. Vor dem Hintergrund des heutigen Auslegungspluralismus (vgl. Kap. 1) war die Arbeit ursprünglich als Vergleich zwischen historisch-kritischer Methode und einer exemplarischen „neuen“ Methode der Bibelauslegung angelegt, der narrativen Analyse. Der Vergleich sollte am konkreten Bibeltext erfolgen. Mit der Zeit stellte sich dieses Vorhaben als schwierig heraus: Zum einen wurde deutlich, dass die Praxis der „klassischen“ Exegese ganz anders und vielfältiger ist, als sie in historisch-kritischen Methodenlehren dargestellt wird. Viel Handlungswissen ist noch nicht expliziert (Kap. 4.2). Zum anderen gibt es nicht „die“ narrative Analyse in der Bibelwissenschaft, sondern sehr verschiedene exegetische Ansätze. Auch ein zusätzlicher Ausflug in die Wissenschafts- und Methodentheorie konnte nicht die nötige Klärung herbeiführen. Daher änderte sich der Ansatz dieser Studie grundlegend. Im Mittelpunkt steht nun der Versuch, ein neues, umfassendes Modell zur Analyse von Erzählungen zu entwerfen, das die existierenden narratologischen Theorien aus unterschiedlichen Disziplinen integriert, das aber auch auswählt, präzisiert und bestehende Lücken füllt. Eine Überraschung war, dass in den aktuellen Veröffentlichungen zur Narratologie die Möglichkeit angelegt ist, die historische Dimension von Erzähltexten einzubeziehen. Die sogenannte „kognitive Wende“ führt über strukturalistische Ansätze oder die Vorstellung eines rein textbezogenen „impliziten Lesers“ hinaus. Sie ermöglicht ein besseres Verständnis der Interpretationsvorgänge und allgemein der Interaktion von Rezipienten mit einer Erzählung. Zugleich bekommt die Autorintention wieder neues Gewicht. Das vorliegende narratologische Modell vermag nicht nur den historischen Aspekt von Bibeltexten zu berücksichtigen, sondern integriert auch (bis auf Linguistik und Rhetorik) viele andere, neuere Auslegungsansätze (Kap. 4.1). Im Laufe der Zeit ist dabei in mir die Überzeugung gewachsen, dass das Nachdenken über biblische Hermeneutik am ertragreichsten ist, wenn man
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Vorwort
konkrete Methodenschritte beschreibt und vergleicht. Mein persönlicher Blickwinkel ist derjenige eines Exegeten, aber es werden sicherlich auch andere Wissenschaften mit Gewinn auf dieses Buch zurückgreifen können. Nicht zuletzt bietet das hier vorgestellte narratologische Modell auch eine theoretische Fundierung und Vertiefung der Bibel- und Literaturdidaktik und der existierenden Auslegungspraxis in der Gemeinde. 1 Mein Dank gilt den vielen Menschen, die mich in den letzten Jahren kollegial und freundschaftlich begleitet haben. Prof. Dr. Jörg Frey in München (jetzt Zürich) hat mich als mein Doktorvater gefördert, ermutigt und mir immer den nötigen gedanklichen Freiraum gegeben. Er hat als Herausgeber auch die Aufnahme in die WUNT-Reihe ermöglicht. Für alles ein ganz herzliches Dankeschön! Bereichert wurde ich auch durch den Austausch mit anderen, sei es am Institut oder darüber hinaus, über methodologische und viele andere Themen. Besonders nennen möchte ich Dr. Michael Becker, Dr. Carsten Claußen, Dr. Daniel Graf, Dr. Anke Inselmann, PD Dr. Stefan Krauter, Prof. Dr. Enno Edzard Popkes, PD Dr. Miriam Rose, Tanja Schultheiß, Dr. Franz Tóth und Dr. Johannes Wischmeyer, von den Gästen am Institut Prof. Dr. Clare Rothschild und Prof. Dr. James Kelhoffer. Sehr anregend war der Austausch mit den Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaft neutestamentlicher Assistentinnen und Assistenten (AG-Ass), wo ich die methodentheoretischen Überlegungen zur Diskussion stellen konnte. Ich danke ebenso den Mitstipendiatinnen und -stipendiaten der Hanns-Seidel-Stiftung, mit denen sich so manches spannende interdisziplinäre Gespräch ergab. Vielen Dank auch an Frau König vom Verlag Mohr Siebeck für die professionelle Betreuung des Buches. Während meines ersten Jahres im Vikariat an der Stiftskirche in Backnang habe ich die Arbeit fertiggestellt. Hier bin ich über das herzliche Miteinander mit meinem Ausbildungspfarrer Thomas Mann, meiner Schulmentorin Silvia Schwaderer, den Vikarskolleginnen und -kollegen Florentine Arshadi, Stephan Bleiholder, Dr. Henrike Frey-Anthes und Christiane Sedlak sowie dem Kirchengemeinderat sehr dankbar. Ein bloßer Dank ist eigentlich zu wenig für meine Frau Dorothea. Sie hat mich ideell und beim Stellenregister ganz praktisch unterstützt. Wir freuen uns über unseren Jonathan, der vor kurzem geboren wurde. Meine Eltern haben mich ebenfalls gefördert, seit ich denken kann. Doch ganz besonders danken möchte ich Gott, der uns alle geschaffen hat, uns rettet und befähigt. Backnang, zu Ostern 2010
Sönke Finnern
1 Vgl. zum Verhältnis von Auslegungspraxis und Narratologie P OPLUTZ, Erzählte Welt, 140–144 und jetzt auch S TRUBE, Bibelverständnis, die den tatsächlichen Umgang mit einem biblischen Text unter anderem mit narrativen Analysen vergleicht.
Inhaltsverzeichnis Vorwort .................................................................................................. V Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen ........................................... XII
Kapitel 1: Einführung: Erzählungen im Methodenstreit .............. 1 Kapitel 2: Theorie und Methode der Erzählanalyse ................... 23 2.1 Narratologie in Exegese und Literaturwissenschaft .......................... 23 2.1.1 Was ist „Narratologie“? .......................................................... 27 2.1.2 Geschichte der Narratologie .................................................... 29 2.1.3 Entwicklungslinien der heutigen „postklassischen“ Narratologie ........................................................................... 33 2.1.3.1 Die kognitive Wende in der Narratologie ................................ 36 2.1.3.2 Die kulturelle/historische Wende in der Narratologie ................. 45 2.2 Kommunikation durch Erzählungen ................................................ 47 2.2.1 Die Erzählebenen .................................................................... 47 2.2.2 Fiktionalität und Faktualität von Erzählungen ......................... 56 2.2.2.1 Erzählungen zwischen Literatur- und Geschichtswissenschaft ...... 56 2.2.2.2 Fiktionssignale ................................................................. 63 2.2.2.3 Fiktionale Konzeption ......................................................... 70 2.2.3 Analyseaspekte einer Erzählung ............................................. 74 2.2.4 Methode der Analyse .............................................................. 76 2.3 Umweltanalyse ................................................................................ 78 2.3.1 Umwelt-Elemente ................................................................... 79 2.3.2 Umweltkonstellation ............................................................... 81 2.3.3 Umwelt und Handlung ............................................................ 82 2.3.4 Umweltdarstellung .................................................................. 83 2.3.5 Umweltrezeption .................................................................... 84 2.3.6 Umweltkonzeption .................................................................. 84 2.3.7 Methode der Analyse .............................................................. 85 2.4 Handlungsanalyse ............................................................................ 87 2.4.1 Handlungselemente ................................................................ 89 2.4.2 Wichtigkeit der Elemente ....................................................... 91
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Inhaltsverzeichnis
2.4.3 Handlungsdarstellung (zeitliche Aspekte) ............................... 93 2.4.4 Handlungsstrukturen und Handlungstypen .............................. 99 2.4.5 Handlungsverläufe ................................................................ 107 2.4.6 Handlungsstränge ................................................................. 116 2.4.7 Handlungsenden (Anfang und Schluss) ................................. 118 2.4.8 Methode der Analyse ............................................................ 122 Figurenanalyse .............................................................................. 125 2.5.1 Figurenbestand und Figurenkonfiguration ............................. 128 2.5.2 Figurenmerkmale .................................................................. 129 2.5.2.1 Arten von Figurenmerkmalen ............................................. 133 2.5.2.2 Konstellation von Figurenmerkmalen ................................... 143 2.5.2.3 Vergleich der Figurenmerkmale .......................................... 144 2.5.3 Figurenkonstellation ............................................................. 147 2.5.4 Figur und Handlung .............................................................. 148 2.5.5 Figurendarstellung ................................................................ 151 2.5.6 Figurenkonzeption ................................................................ 156 2.5.7 Methode der Analyse ............................................................ 162 Perspektivenanalyse ...................................................................... 164 2.6.1 Beteiligung ........................................................................... 167 2.6.2 Distanz ................................................................................. 168 2.6.3 Wahrnehmungszentrum und Innensicht ................................ 171 2.6.4 Erzähler ................................................................................ 175 2.6.5 Erzählerstandpunkt, Erzählkontext, Erzählabsicht ................. 179 2.6.6 Methode der Analyse ............................................................ 185 Rezeptionsanalyse ......................................................................... 186 2.7.1 Empathie .............................................................................. 193 2.7.2 Sympathie ............................................................................. 195 2.7.3 Realitätseffekt ...................................................................... 197 2.7.4 Spannung .............................................................................. 199 2.7.5 Rezeptionsemotionen ............................................................ 200 2.7.6 Intendierte Anwendungen ..................................................... 205 2.7.6.1 Direkte Anwendung .......................................................... 208 2.7.6.2 Indirekte Anwendung ........................................................ 210 2.7.6.3 Anwendungskonzeption ..................................................... 221 2.7.7 Intendierte Meinungs- und Verhaltensänderungen ................ 224 2.7.8 Methode der Analyse ............................................................ 243 Zur Darstellung der Ergebnisse ..................................................... 245
Inhaltsverzeichnis
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Kapitel 3: Praxis der Erzählanalyse: Matthäus 28,1–20 ........ 247 3.1 Applikationsformen der Narratologie am Beispiel des Matthäusevangeliums .................................................................... 247 3.1.1 Narratologischer Vergleich von Erzählungen ........................ 249 3.1.2 Narratologische Analyse der Erzähltechnik und Erzählelemente ..................................................................... 249 3.1.3 Narratologisch informierte Paraphrase .................................. 255 3.2 Erzählebenen und Fiktionalität ...................................................... 265 3.2.1 Erzählebenen ........................................................................ 265 3.2.2 Fiktionalität und Faktualität des Textes ................................ 270 3.3 Umweltanalyse .............................................................................. 273 3.3.1 Kognitive Vorstellung der Umwelt ....................................... 273 3.3.1.1 Das zeitliche Setting ......................................................... 275 3.3.1.2 Das räumliche Setting ...................................................... 276 3.3.1.3 Das soziale Setting ........................................................... 277 3.3.2 Umweltkonstellation ............................................................. 280 3.3.3 Umwelt und Handlung .......................................................... 282 3.3.4 Umweltdarstellung ............................................................... 284 3.3.5 Umweltrezeption .................................................................. 288 3.3.6 Umweltkonzeption ................................................................ 289 3.4 Handlungsanalyse .......................................................................... 290 3.4.1 Kognitive Vorstellung der Ereignisse ................................... 290 3.4.2 Wichtigkeit der Elemente ..................................................... 297 3.4.3 Handlungsdarstellung (zeitliche Aspekte) ............................. 299 3.4.4 Handlungsstrukturen und Handlungstypen ............................ 302 3.4.4.1 Handlungsstrukturen und Handlungsmuster ........................... 302 3.4.4.2 Handlungsschema und Fünferschema ................................... 304 3.4.4.3 Handlungstypen .............................................................. 308 3.4.5 Handlungsverläufe ................................................................ 308 3.4.5.1 Handlungserwartungen ..................................................... 308 3.4.5.2 Konflikte ....................................................................... 316 3.4.6 Handlungsstränge ................................................................. 320 3.4.7 Handlungsenden ................................................................... 322 3.5 Figurenanalyse .............................................................................. 325 3.5.1 Figurenbestand und Figurenkonfiguration ............................. 325 3.5.2 Figurenmerkmale .................................................................. 328 3.5.2.1 Die Figuren im Einzelnen .................................................. 329 3.5.2.2 Vergleich der Figuren ...................................................... 343 3.5.3 Figurenkonstellation ............................................................. 349 3.5.4 Figur und Handlung .............................................................. 351 3.5.4.1 Bedeutung der Figur für die Handlung ................................. 352 3.5.4.2 Funktion der Figuren in der Handlung ................................. 355
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Inhaltsverzeichnis
3.5.5 Figurendarstellung ................................................................ 357 3.5.6 Figurenkonzeption ................................................................ 362 3.6 Perspektivenanalyse ...................................................................... 365 3.6.1 Beteiligung ........................................................................... 365 3.6.2 Distanz ................................................................................. 367 3.6.3 Wahrnehmungszentrum und Innensicht ................................ 369 3.6.4 Erzähler ................................................................................ 372 3.6.5 Erzählerstandpunkt, Erzählkontext, Erzählabsicht ................. 378 3.6.5.1 Erzählerstandpunkt .......................................................... 378 3.6.5.2 Erzählkontext ................................................................. 390 3.6.5.3 Erzählabsicht ................................................................. 392 3.7 Rezeptionsanalyse ......................................................................... 392 3.7.1 Empathie .............................................................................. 393 3.7.2 Sympathie ............................................................................. 397 3.7.3 Realitätseffekt ...................................................................... 399 3.7.4 Spannung .............................................................................. 400 3.7.5 Rezeptionsemotionen ............................................................ 403 3.7.6 Intendierte Anwendungen ..................................................... 411 3.7.6.1 Direkte Anwendung .......................................................... 412 3.7.6.2 Indirekte Anwendung ........................................................ 415 3.7.6.3 Applikationskonzeption ..................................................... 429 3.7.7 Intendierte Meinungs- und Verhaltensänderungen ................ 429 3.7.7.1 Intendierte Überzeugungsänderungen .................................. 430 3.7.7.2 Intendierte Einstellungsänderungen ..................................... 431 3.7.7.3 Intendierte Verhaltensänderungen ....................................... 437
Kapitel 4: Auswertung .................................................................... 439 4.1 Ergebnisse ..................................................................................... 439 4.2 Die historisch-kritische Auslegung von Mt 28 im Vergleich .......... 447 4.2.1 Textkritik .............................................................................. 447 4.2.2 Form und Gattung ................................................................. 448 4.2.3 Mögliche Quellen und die matthäische Redaktion in Mt 28 .. 452 4.2.3.1 Quelle und Redaktion in V. 1–8 ........................................... 452 4.2.3.2 Tradition und Redaktion in V. 9f., 11–15 und 16–20 ................ 455 4.2.4 Fortlaufender Kommentar ..................................................... 461 4.2.5 Theologische Hauptgedanken ............................................... 475 4.3 Integration der Erzählanalyse in die Methoden der Exegese .......... 477 4.3.1 Historisch-kritische und narratologische Methode im Vergleich ......................................................................... 477 4.3.2 Integrative Übersicht über die exegetischen Methoden ......... 481 4.4 Ausblick ........................................................................................ 487
Inhaltsverzeichnis
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Literaturverzeichnis ............................................................................. 489 Stellenregister ...................................................................................... 571 Namenregister ...................................................................................... 582 Sachregister ......................................................................................... 600
Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen Abb. 1: Tab. 2: Tab. 3: Tab. 4: Abb. 5: Abb. 6: Tab. 7: Abb. 8: Abb. 9: Abb. 10: Tab. 11: Tab. 12: Abb. 13: Abb. 14: Tab. 15: Abb. 16: Abb. 17: Abb. 18: Abb. 19: Tab. 20: Abb. 21: Abb. 22: Abb. 23: Tab. 24: Abb. 25: Abb. 26: Tab. 27: Abb. 28: Tab. 29: Tab. 30: Tab. 31: Tab. 32: Abb. 33: Abb. 34: Tab. 35: Abb. 36: Abb. 37: Abb. 38:
Zuordnungen von „Synchronie“ und „Diachronie“ in der Exegese ................ 11 Verständnisse in der Debatte um „synchrone“ und „diachrone“ Exegese ...... 12 Terminologie in Exegese und Erzählforschung ............................................. 28 Klassische und postklassische Narratologie im Vergleich ............................. 36 Kommunikationsmodell nach S. Chatman .................................................... 48 Kognitives Modell der Erzählebenen ........................................................... 53 Übersicht über Fiktionssignale ..................................................................... 64 Verhältnis von Poetizität und Fiktionalität ................................................... 73 Aspekte einer Erzählung .............................................................................. 74 Systemtheoretischer Zugang zur Ontologie von Setting, Handlung und Figuren ................................................................................................. 75 Analyseaspekte bezüglich Umwelt, Handlung und Figuren einer Erzählung . 77 Geschichte (story), Handlung (plot) und ihre Bestandteile ............................ 90 Kerne und Satelliten einer Erzählung (nach Chatman) .................................. 92 Subjektive Anachronien durch temporär eröffnete Erzählebenen .................. 96 Formen der Erzählgeschwindigkeit .............................................................. 98 „Pyramide“ nach G. Freytag (modifiziert) .................................................. 103 Handlungstriade nach C. Bremond ............................................................. 105 Das semiotische Viereck (A.J. Greimas) .................................................... 107 Handlungsplan (plot map) nach M.-L. Ryan ............................................... 112 Konflikttypologie ...................................................................................... 115 Konfiguration von Handlungssträngen ....................................................... 117 Expositionalität des Erzählanfangs ............................................................ 119 Erklärungskategorien der Figurenmotivierung ............................................ 141 Figurenvergleichstabelle (direkte Form) ..................................................... 146 Aktantenmodell nach A.J. Greimas ............................................................ 150 Mögliche Handlungsrollen nach J. Eder ..................................................... 151 Charakterisierungsprofil (zum Erkennen von Darstellungstendenzen) ......... 156 Beteiligung des Erzählers am Geschehen ................................................... 167 Die fünf Submodi der Figurenrede ............................................................. 170 Auf das Figurenerleben bezogene Rezeptionsemotionen ............................ 202 Struktur einer übertragenen Bedeutung (= intendierten indirekten Anwendung) .............................................................................................. 214 Bekannte Bezeichnungen für Erzählungen nach Art ihrer Anwendung ........ 221 Drei-Komponenten-Modell der Einstellung ................................................ 227 Der Einfluss von Einstellungen auf das Verhalten ...................................... 237 Klassifikation von Erzählwirkungen auf Einstellungen und Überzeugungen 240 Übersicht über Zusammenhänge bei der Figurenrezeption .......................... 245 Umfassendes zeitliches Setting des MtEv .................................................. 280 Umfassendes räumliches Setting des MtEv (schematisch) .......................... 281
Abbildungsverzeichnis
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Abb. 39a: Lokalisierung der Figuren (Anfangszustand, vor 28,1) mit Wegestrukturen 283 Abb. 39b: Lokalisierung der Figuren (Endzustand, bei 28,20) .................................... 283 Tab. 40: Schauplätze und Zeitangaben des MtEv ..................................................... 286 Tab. 41: Handlungsmuster in Matthäus 28 ............................................................... 303 Abb. 42: „Glückskurve“ der Hauptfigur mit Wendepunkten ..................................... 306 Abb. 43: Mögliche und tatsächliche Handlungsverläufe in Matthäus 28 (plot map) ... 310 Tab. 44: Konflikte in Matthäus 28 ........................................................................... 317 Abb. 45: Handlungsstränge in Matthäus 28 .............................................................. 321 Tab. 46: Figurenkonfigurationen in Matthäus 28 ...................................................... 326 Tab. 47: Übersicht über die Figurenvergleichbarkeiten in Matthäus 28 .................... 348 Abb. 48: Figurenkonstellation in Matthäus 28 .......................................................... 349 Abb. 49: Aufmerksamkeit des Rezipienten für die Figuren in Mt 28 ......................... 354 Abb. 50: Mt 28,1ff. nach dem Aktantenmodell von Greimas ..................................... 355 Abb. 51: Mt 28,1ff. nach dem Handlungsrollenmodell von Eder ............................... 356 Abb. 52: Übersicht über Figurenbewertungen durch den Erzähler ............................. 382 Abb. 53: Perspektivenstruktur, hier: Figurenbewertungen ......................................... 383 Tab. 54: Werturteile, Normen und Werte des Erzählers in Mt 28 .............................. 384 Tab. 55: (Individuelle) Werturteile, Normen und Werte von Hohenpriestern und Wachen in Mt 28 ....................................................................................... 387 Abb. 56: Beispiel für ein individuelles Überzeugungssystem in Mt 28 ...................... 388 Abb. 57: Beispiel für unterschiedliche Überzeugungen in Mt 28 ............................... 389 Abb. 58: Empathie des Rezipienten mit den Figuren in Mt 28 .................................. 396 Abb. 59: Sympathie des Rezipienten zu den Figuren in Mt 28 .................................. 398 Abb. 60: Spannungskurve in Mt 28 .......................................................................... 401 Tab. 61: Verlaufsdiagramm der Rezeptionsemotionen in Mt 28 ............................... 408 Abb. 62: Verteilung der Rezeptionsemotionen über Mt 28,1–20 ............................... 410 Tab. 63: Mögliche indirekte Figurenapplikationen bezogen auf Jesus ...................... 416 Tab. 64: Mögliche indirekte Figurenapplikationen bezogen auf die Jünger ............... 418 Tab. 65: Mögliche indirekte Figurenapplikationen bezogen auf die Frauen .............. 422 Tab. 66: Mögliche indirekte Figurenapplikationen bezogen auf die Wachen ............. 423 Tab. 67: Mögliche indirekte Figurenapplikationen bezogen auf die Hohenpriester ... 424 Tab. 68: Mögliche indirekte Figurenapplikationen bezogen auf Juden in Mt 28,15 ... 425 Abb. 69: Stärkung und Schwächung von Normen durch Mt 28 ................................. 437 Tab. 70: Vergleich von historisch-kritischer und narratologischer Methode .............. 478 Tab. 71: Methoden der Exegese (Gesamtübersicht) .................................................. 482
Kapitel 1
Einführung: Erzählungen im Methodenstreit Die Bibel ist ein Buch voller Erzählungen. Sie handelt von Menschen, die leben, hoffen und fühlen, die streiten und taktieren, schwierige Situationen meistern oder an ihnen zerbrechen: Hirten, Priester und Könige, Heilige und Sünder, die auch immer wieder Erfahrungen mit Gott machen. Damalige und heutige Rezipienten malen sich die Geschehnisse aus, fühlen mit den Menschen in den Geschichten mit, sie werden in die Erzählung hineingezogen, sie empfinden Mitleid, freuen oder ärgern sich. Durch Geschichten werden Überzeugungen vermittelt und Werte geprägt. Manche Erzählungen können trösten, andere warnen, wieder andere einfach nur zum Nachdenken bringen. Wie dies genau geschieht und wie man dies bibelwissenschaftlich beschreiben kann, das ist Thema dieser Arbeit. Worum geht es? Gerade in den letzten Jahren hat auch die deutsche Exegese zunehmend die Erzähltheorie für sich entdeckt, um mit literaturwissenschaftlichen Methoden frische Perspektiven auf biblische Erzähltexte zu gewinnen. Die Fragen nach historischen und traditionsgeschichtlichen Hintergründen, nach Quellen und Bearbeitungen der biblischen Texte wurden in neuerer Zeit ergänzt durch sogenannte „synchrone“ Methoden, die ihren Blick auf den Text selbst, seine Interpretation und Wirkung richten. Die vorliegende Studie stellt nun ein neues, umfassendes Konzept für eine Methode zur Analyse von Erzählungen vor, das sich am heutigen interdisziplinären Stand der Forschung orientiert, und erprobt es am Beispiel des letzten Kapitels des Matthäusevangeliums. Dieses Konzept ist deutlich erschöpfender und detaillierter ausgearbeitet als bisherige bibelund literaturwissenschaftliche Gesamtentwürfe und wird in Kap. 2 beschrieben. Als Beispieltext wurde Matthäus 28 ausgewählt, der sich, wie Kap. 3 zeigen wird, sehr gut für fast alle Aspekte der narratologischen Analyse eignet. Jesu Auferstehung und sein Missionsauftrag an die Jünger sind zudem zwei zentrale Texte des Matthäusevangeliums und des christlichen Glaubens, wo es sich ganz besonders lohnt, neue Blickwinkel bezogen auf die Interpretation und Wirkung des Textes auszuprobieren. Bei der exemplarischen Anwendung wird Wert darauf gelegt, auch den Ertrag der jeweiligen Teilschritte der Erzählanalyse genauer auszuwerten und Perspektiven für weitere Forschungen aufzuzeigen.
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1. Einführung: Erzählungen im Methodenstreit
Weil die Erzähltheorie in der Exegese teilweise immer noch umstritten ist, möchte ich an dieser Stelle schon einige grundsätzliche Anfragen an die Verwendung narratologischer Analysemethoden in der Bibelwissenschaft vorwegnehmen:1 – „Die Kategorien sind an moderner Literatur entwickelt worden und lassen sich nicht ohne weiteres auf antike Texte übertragen.“ – Die Lösung besteht darin, zwischen Analyseaspekten und konkreten, historischen Phänomen zu unterscheiden. Die Beschreibungskategorien müssen allgemein genug sein und das Ergebnis darf durch sie nicht inhaltlich vorgegeben werden. Das wird in der vorliegenden Arbeit konsequent beachtet. Ein Analyseaspekt ist z.B. die Untersuchung der Figurenmerkmale; welche Merkmale eine Figur aber typischerweise hat (Stereotypen), mit welchen Mitteln sie meistens dargestellt wird, wie ein Rezipient implizite Merkmale erschließt und welche Figurenkonzeptionen in einer Epoche oder Gattung auftreten, ist dagegen historisch kontingent.2 – „Die Konzepte verwenden moderne Begrifflichkeiten, die antiken Autoren nicht bekannt sein konnten.“ – Das ist deswegen unproblematisch, weil die Narratologie nur die Kategorien zur Verfügung stellt, mit denen die Erzählstruktur, die Interpretation und Wirkung der Erzählung beschrieben werden kann (vgl. Nr. 1). Auch wenn man bisher in der Exegese nach der „Form und Gattung“ eines Textes fragt, dessen „Theologie“ herausarbeitet oder in einem Satz das „Subjekt“, einen „Aorist“ oder einen „Relativsatz“ identifiziert, handelt es sich meist um heutige Bezeichnungen, die der damalige Autor sicher nicht selbst verwendete. 3 In vielen Fällen war sich der Autor womöglich auch gar nicht der Kategorien, Strukturen und Wahrnehmungsformen bewusst, für die man inzwischen eine Bezeichnung gefunden hat. So ähnlich verhält es sich mit der Analyse von Konflikten, der Erzählgeschwindigkeit, der Analepsen oder der Figurencharakterisierung. Sie beschreiben Phänomene, die auch im biblischen Text vorkommen, aber – bis auf erste Gedanken von Aristoteles – in der damaligen Zeit noch nicht theoretisch reflektiert 1
Vgl. die Anfragen an die narrative Analyse bzw. Antworten darauf bei P OWELL, Narrative Criticism, 85–98; P OWELL, Bible, 16–19; OEMING, Biblische Hermeneutik, 70– 75; RHOADS, Narrative Criticism (1999); L EE, Luke’s Stories, 131–133; O EMING/PREGLA, New Literary Criticism, 20–23; Y AMASAKI , Watching, 5–8; PRAMANN, Point of View, 15–17. 2 Vgl. Kap. 2.1.3, Anm. 49 zu bisherigen Anwendungen auf antike Texte jenseits der Bibelwissenschaft und konkret z.B. Kap. 4.2.2 (Fazit) zur Unterscheidung von analytischen und synthetischen Gattungsbezeichnungen. 3 Zwar kann man hier auf die frühen griechischen Grammatiker verweisen, doch auch für die exegetische grammatischen Analyse verwendet man moderne Beschreibungskategorien und nicht diejenigen, die der Autor explizit gekannt haben könnte.
1. Einführung: Erzählungen im Methodenstreit
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wurden. Erzählungen „funktionieren“, auch ohne dass Sender und Empfänger genau wissen, wie dies geschieht. – „Die Konzepte entstammen der Romananalyse, beziehen sich also auf fiktionale Texte, nicht auf faktuale Erzählungen. Darf man die Bibel wie einen Roman behandeln?“ – Für die narratologische Analyse ist es gleichgültig, ob es sich um einen fiktionalen oder faktualen Text handelt. Entscheidend ist allein die Poetizität (Kap. 2.2.2, bes. 2.2.2.3). – „Aus theologisch-dogmatischer Sicht redet Gott durch das Wort der Bibel zum Menschen. Wie passt das zur Analyse der Erzählwirkung?“ – Dieser systematisch-theologische Gedanke sollte einen nicht davon abhalten, präziser danach zu fragen, was bei der Rezeption biblischer Texte geschieht. Grundsätzlich läuft der Rezeptionsvorgang beim Verstehen der Bibel sicherlich nicht anders ab als bei anderen „Medienangeboten“. Man kann also theologisch formulieren, dass der Heilige Geist sich dieser allgemein-menschlichen Rezeptionsprozesse bedient. Nur die Inhalte sind teilweise andere als bei profanen Texten, weil neben bestimmten Überzeugungen und Werten auch Vorstellungen von Gott geprägt werden. Es ist nun spannend, genauer zu wissen, wie dies passiert. Der Hintergrund dieser Arbeit ist die lebhafte exegetische Diskussion um „alte“ und „neue“ Methoden der Bibelauslegung, besonders die Frage nach der Integrationsfähigkeit von neuen Methoden in die bisherige historischkritische Methode. Daher soll auch gezeigt werden, wie dieses Konzept einer Erzähltheorie (beispielhaft für andere neuere Ansätze) mit dem klassischen Methodenkanon vermittelt werden kann (Kap. 4). Dabei erscheint es sinnvoll, zunächst einen Einblick in die aktuellen exegetischen Überlegungen zur Vereinbarkeit von Methoden zu geben, womit ich nun in die Arbeit einsteige (Kap. 1). Noch bis in die 1970-er Jahre hinein bestand in der wissenschaftlichen Exegese Konsens darüber, wie die Bibel auszulegen sei: Bei den historisch-kritischen Methodenschritten Text- und Literarkritik, Form- und Redaktionsgeschichte stand der historische („diachrone“) Aspekt des Textes im Mittelpunkt des Interesses, wodurch die Einheit und unmittelbare Vergleichbarkeit der Auslegung gewährleistet war. Inzwischen hat sich die exegetische Forschungssituation grundlegend geändert, seitdem sich die Bibelwissenschaft von den Literaturwissenschaften, der Linguistik und anderen Disziplinen anregen ließ. Es gibt heute narrative, rezeptionsästhetische, semiotische, pragmalinguistische, intertextuelle, feministische, tiefenpsychologische und viele andere Ansätze, die teilweise unverbunden neben den historisch-kritischen Methoden stehen. 4 4
Vgl. z.B. die verschiedenen Ansätze bei L UZ (Hg.), Zankapfel; A LKIER/BRUCKER (Hgg.), Methodendiskussion, wo die Vielfalt der Auslegungen betont wird. Siehe auch
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Dieser Auslegungspluralismus ist einerseits begrüßenswert, denn er wird der Tatsache gerecht, dass Menschen in der Praxis unterschiedlich an die Bibel herangehen, und ermöglicht eine Überprüfung von Selbstverständlichkeiten im exegetischen Ansatz. Andererseits wird er auch vielfach als schwerwiegendes Problem empfunden. 5 Denn zum einen ist die Vielzahl an „Zugängen“ unterschiedlicher theoretischer Provenienz selbst für Exegetinnen und Exegeten kaum noch zu überblicken und erschwert das Gespräch zwischen verschiedenen Ansätzen. Zum anderen fehlen gemeinsame Kriterien, um nicht angemessene Auslegungen auszuschließen. Die Frage nach dem Verhältnis der Methoden untereinander wird gestellt, seitdem neuere Ansätze in die Exegese Einzug hielten. Es mag hilfreich sein, die vorgeschlagenen Lösungsmodelle einmal zu klassifizieren. Da die Überlegungen und Bemerkungen zum Thema bisher sehr verstreut sind, kann diese Darstellung nicht erschöpfend sein. Es soll aber dennoch ein einigermaßen repräsentativer Eindruck der exegetischen Diskussion entstehen. Ich möchte diese Ansätze folgendermaßen einteilen: 1) die Abrams-Klassifizierung und ihre Varianten (Autor, Text, Leser), 2) das Textdimensionsmodell (literarisch, historisch, theologisch), 3) das Kommunikationsebenenmodell (historische Ebene, textinterne Ebenen), 4) die binäre Zustand-Prozess-Unterscheidung (Synchronie, Diachronie); daneben sind relevant: 5) die Reihenfolge in Methodenlehren, 6) der konkrete Vergleich von Methoden in der Praxis, 7) die Feststellung der Unvereinbarkeit von Methoden und 8) integrative Konzepte, v.a. auf der Basis der Linguistik. – Die Gliederung reicht also von einer einfachen Beiordnung/ Klassifizierung bis hin zu Gesamttheorien des Verstehens, in welche die Methoden neu eingeordnet werden sollen.
den programmatischen Artikel von C LINES, Possibilities, bes. 79: „There is no objective standard by which we can know whether one interpretation or other is right; we can only tell whether it has been accepted.“ THEISSEN, Methodenkonkurrenz, 137 hofft auf eine „polyvalente Exegese“, die die legitimen Interpretationsspielräume deutlich macht. 5 Vgl. bereits 1995 für die Exegese W ILCKENS, Schriftauslegung, 15: „Für die verwirrte Studentenschaft werden darum … neuerdings Methoden-Einführungen geschrieben, eine neue Gattung akademischer Literatur, deren plötzliches Entstehen Symptom einer verbreiteten Verunsicherung ist.“ Auch für die Literaturwissenschaft konstatiert JAHRAUS, Literaturtheorie, 11f., dass der Methodenpluralismus nur durch Einführungen, in denen die Methoden nebeneinander gestellt werden, bewältigt werden könne: „Einführungen in den Methodenkanon dienten und dienen daher nicht nur und nicht zuletzt der Orientierung in der Orientierungslosigkeit … Von einer Grundlagenkrise der Literaturwissenschaft kann insoweit gesprochen werden, als es ihr nicht mehr gelingt, sich als Gesamtformation von Wissenschaft in kompatiblen oder auch nur widerspruchsfreien Modellen ihres Gegenstandes und seiner wissenschaftlichen Bearbeitung zu versichern.“
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1) Die Abrams-Klassifizierung und ihre Varianten: Zuordnung der Methoden zu Autor, Text oder Leser Ein erster Weg besteht darin, alle vorhandenen Methoden in Kategorien einzuteilen. Sie werden heute gewöhnlich dem „Autor“, dem „Text“, dem „Leser“ und teilweise auch der „Sache“ zugeordnet. Prägend wurde hier die Klassifizierung von Literaturtheorien von M. Abrams (1953). Das ist umso bemerkenswerter, als vor 50 Jahren zahlreiche heutige Literaturtheorien noch gar nicht bekannt waren. Abrams unterscheidet: – mimetic theories (Theorien, die Literatur als Nachahmung ansehen), – pragmatic theories (Theorien, die die Wirkung von Literatur betonen), – expressive theories (Theorien, in denen die Literatur ein Ausfluss der Gedanken und Gefühle des Dichters ist) und – objective theories (Theorien, in denen das Kunstwerk unabhängig von äußeren Bezugspunkten betrachtet wird). 6 Die dazugehörigen Begriffe sind bei Abrams „universe“, „audience“, „artist“ und „text“.7 – Diese Klassifizierung hat sich in der Exegese durchgesetzt,8 oft auch in leicht abgewandelter Form: Man unterscheidet Autor, Text, Leser und Sache 9 bzw. intentio auctoris, intentio operis und intentio 6
ABRAMS, Mirror, 3–29. Vgl. A BRAMS, Glossary, 51f. ABRAMS, Mirror, 6. Aus der Art der Darstellung kann man schließen, dass die Einteilung wohl durch das Organonmodell von B ÜHLER, Sprachtheorie, 28 angeregt ist. Vgl. Jakobsons Erweiterung des Organonmodells zu sechs Kommunikationsfunktionen (referentiell, konativ, expressiv, poetisch, daneben phatisch und metalinguistisch; s. N ÖTH, Semiotik, 103–106). 8 Auf Abrams wird schon bei R HOADS, Narrative Criticism (1982), 426 Anm. 1 Bezug genommen, vgl. daneben auch B ARTON, Classifying; LONGMAN, Literary Approaches, 106; POWELL, Narrative Criticism, 11; S TIBBE, John as Storyteller, 198; schließlich SCHUNACK, Literaturkritische Interpretationsverfahren, 35f. – P OWELL, Narrative Criticism, 12 stellt heraus: „what biblical scholars usually call historical-critical methods are referential (mimetic) and author-centered (expressive) modes of literary criticism. The new literary criticism that has invaded biblical studies in recent years is actually an incursion of methods that draw on other types of literary criticism, namely, text-centered (objective) and reader-centered (pragmatic) approaches“. 9 Vgl. die Abbildung und deutsche Übertragung der Abrams-Klassifikation bei MAYORDOMO MARÍN, Anfang, 18. Ende der 1990-er wurde das Modell auch zunehmend in der deutschen Exegese bekannt. Dementsprechend ordnet O EMING, Hermeneutik, jede Methode einem der folgenden Bereiche zu: 1. den Autoren und ihren Welten, 2. den Texten und ihren Welten, 3. den Lesern und ihren Welten, oder 4. den Sachen und ihrer Welt (vgl. die Grafik auf S. 5 u. 176). Er betont stark die Notwendigkeit einer Methodenvielfalt (177). Ähnlich W ISCHMEYER, Hermeneutik, die die exegetischen Methoden unter den Überschriften „Historisches Verstehen“, „Rezeptionsgeschichtliches Verstehen“, „Sachliches Verstehen“ und „Textuelles Verstehen“ behandelt; s. auch die Kategorisierungen von Interpretationsansätzen bei H ARTMAN, Exegetes (situation, sender, text, reader); S CHMITZ, Prophetie, 16–18 (Leser, Text und Autor) sowie Z IMMERMANN, Spielraum, 12, der „sprachliche Annäherung“ (Text), „historische Annäherung“ (Autor) und 7
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lectoris10. Eine weitere Variante ist die Zuordnung der Methoden zum Kommunikationsmodell aus Sender, Nachricht und Empfänger. 11 Im englischen Sprachraum ist außerdem die ähnliche Unterscheidung „world in front of the text“ (Leser) – „world of/within the text“ (Text) – „world behind the text“ (Autor, historisch) gebräuchlich. 12 Auch in der Literaturwissenschaft wird vor allem dieses Konzept verwendet, um die Literaturtheorien zu systematisieren. 13 Fazit: Mit der Klassifizierung von Methoden zu drei oder vier Überbegriffen wird der Eindruck einer klaren Arbeitsteilung erweckt: Jede Methode ist entweder für „Autor“, „Text“, „Leser“ oder „Sache“ zuständig. Doch das Problem des Methodenpluralismus wird dadurch nur scheinbar gelöst, denn viele Methoden können gar nicht klar einem dieser Aspekte zugeordnet werden. Außerdem gibt es zwischen den Methoden zahlreiche Überschneidungen, beispielsweise zwischen semiotischer, rhetorischer, pragmatischer und narrativer Exegese. Die Klassifikation verstellt den Blick dafür, dass man die Fragestellungen und Analysekategorien wirklich detailliert anschauen muss, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Methoden zu finden. Daneben ist die Ausscheidung bestimmter Methoden in diesem Modell nicht möglich, alle erscheinen als gleichwertig („postmoderner“ Pluralismus). 14 Im Übrigen bleibt auch die Reihenfolge der „rezeptionsästhetische Annäherung“ (Leser) unterscheidet. Zimmermanns Fazit: „Betrachten wir die Bibelhermeneutik im Modell eines Kommunikationsvorgangs, gelingt es folglich, die unterschiedlichen Perspektiven und Annäherungen, wie sie sich innerhalb der Geschichte der Textauslegung zeigen, in ein Gesamtmodell zu integrieren“ (13). 10 Die „Trichotomie“ von den drei intentiones geht auf ECO, Grenzen, 35–39; ECO, Zwischen Autor, bes. 71–74 zurück. Im Anschluss an Eco z.B. U TZSCHNEIDER, Text – Leser – Autor, 229–237; A RENS, „Intentio textus“, bes. 198–202. 11 Vgl. z.B. JONKER, Plotting, 403–405. 12 Vgl. TATE, Biblical Interpretation; T ATE, Interpreting, 394; GREEN, Challenge, 6–9. 13 Vgl. z.B. WENZEL, Plädoyer, 65, der die literaturtheoretischen Ansätze den fünf(!) Bereichen „Autor“, „Text“, „Leser“, „Code“ und „Kontext“ zuordnet; R EINFANDT, Integrating Literary Theory, 55f. („reality“, reader, writer, text, literature); J AHRAUS, Literaturtheorie, 234–239 (Autor, Text, Leser, Kontext); F RICKE, Erkenntnistheoretische Grundlagen, 53 (Autor, Text, Leser, Sprache, andere Texte); S CHUTTE, Literaturinterpretation, 20–23 (auf Grundlage von Frickes „Modell der Modelle“; Tabelle mit Texttheorie, Erkenntnisinteresse, Verfahren, Leitbegriffen und Vertretern jeder Methode) sowie die Überblicksdarstellung von K ÖPPE/WINKO, Theorien und Methoden, 289–369: 1) textorientierte Theorien (Strukturalismus, Dekonstruktion), 2) autororientierte Theorien (Hermeneutik, Psychoanalyse), 3) leserorientierte Theorien (Rezeptionsästhetik, empirische Literaturwissenschaft, Cognitive Poetics), 4) kontextorientierte Theorien (Soziologie, Diskursanalyse, New Historicism, Feminismus, kulturwissenschaftliche Ansätze). Dagegen fügt SEXL, Einleitung, 27 die Literaturtheorien zu sechs deutlich anderen „Theoriebündeln“ zusammen. 14 S. explizit zu diesem Aspekt J ONKER, Plotting, 400f., der eine „multidimensionale“ Exegese bezogen auf Sender, Nachricht und Empfänger einer integrativen Exegese
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Anwendung der Methoden völlig unklar. Eine solche relativ einfache Klassifikation von Methoden ist also keine Lösung des Problems. 2) Das Textdimensionsmodell: Die Ausrichtung der Methoden auf den literarischen, theologischen oder historischen Aspekt des Textes Einen weiteren Ansatz zur Einordnung der Methoden könnte man „Textdimensionsmodell“ nennen. Hier geht man davon aus, dass der Text selbst verschiedene Aspekte besitze: eine literarische, theologische (inhaltliche) und geschichtliche Dimension.15 Allen drei Aspekten müsse Rechnung getragen werden, daher bräuchten die verschiedenen Methoden nicht als Widerspruch angesehen werden. Die historisch-kritischen Methoden seien besonders auf die geschichtliche Dimension ausgerichtet, neuere Auslegungsmethoden dagegen auf die literarische Seite des Textes. – Fazit: Diese Grundunterscheidungen sind durchaus sinnvoll (4.3.2), aber noch nicht genau genug, um die Methoden tatsächlich miteinander zu vermitteln. 3) Das Kommunikationsebenenmodell: Aufteilung der Methoden auf die Erzählebenen Manche Exegetinnen und Exegeten verwenden ein (älteres) Modell der Erzählebenen (vgl. 2.2.1), um die Vereinbarkeit von narrativer und historischer Exegese zu zeigen. Wahrscheinlich die erste Anwendung in der Exegese war der neutestamentliche Aufsatz von H.-J. Klauck (1982). 16 Dieses Konzept wurde später von M. Gielen ausgebaut (1998). 17 In der alttestamentlichen Exegese kam dieser Vorschlag noch einmal von B. Schmitz (2008).18 vorzieht, weil die verschiedenen Methoden unterschiedliche Voraussetzungen haben: „For example, if a narrative methodology serves as the basis into which certain aspects of a historical-critical methodology are integrated, the epistemological presuppositions of the last-mentioned methodology are negated in the process.“ S. ebd., 405: „each exegetical methodology is allowed to operate according to its own presuppositions and method(s).“ Daran anschließend S TEINS, Bindung Isaaks, 228–232; vgl. auch das Gleichnis von den Blinden und dem Elefanten bei M AYORDOMO MARÍN, Anfang, 11f. 15 MERKLEIN, Integrative Bibelauslegung?, 118–120: „Die Bibel begegnet als Text und muß daher mit textwissenschaftlichen Methoden ausgelegt werden … Die biblischen Texte sind geschichtlich verortet und müssen daher historisch analysiert werden … Die Auslegung muß den theologischen Anspruch biblischer Texte erschließen …“ (im Orig. fett; s. 122: „Wie die Verzahnung zu erfolgen hat, ist noch nicht abschließend geklärt“); vgl. SÖDING, Wege, 21–36; W EBER, Kanonische Psalterexegese, 92 mit Anm. 33. 16 KLAUCK, Rolle der Jünger, bes. 22–25 zum Übergang von der Textebene auf die historische Ebene. Er nimmt K AHRMANN/REISS/SCHLUCHTER, Erzähltextanalyse, 43–53 als Grundlage. 17 G IELEN, Konflikt; im Anschluss an Gielen auch B IELINSKI, Jesus, 39–44; ähnlich, aber unabhängig davon auch E NGEMANN, Homiletik, 267f. 18 SCHMITZ, Prophetie, bes. 9–16 (vgl. 58–108 zur Rolle des Autors im Kommunikationsmodell). Die neutestamentlichen Arbeiten von Klauck, Gielen und Bielinski sind
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Ausgangspunkt für die Vermittlung von narrativer und historischer Exegese ist hier die Unterscheidung von textinternen und textexternen Kommunikationsebenen. Vereinfacht gesagt, werden die erzählinternen Ebenen, d.h. die Ebene der erzählten Welt mit den Figuren (Kommunikationsniveau I) und die Ebene der Kommunikation von fiktivem Erzähler und fiktivem Adressaten (Niveau II), von narrativen Methoden untersucht, die Ebene von historischem Autor und historischen (Erst-)Lesern (Niveau III) dagegen von der historisch-kritischen Methode. 19 Fazit: Unbestreitbar existiert etwas „in“ der Erzählung und etwas außerhalb der Erzählung. Dieses Kommunikationsmodell wird in Kap. 2.2.1 aus kognitiver Sicht neu interpretiert, wonach es nur Autor und Rezipienten sowie ihre Vorstellungen und Wahrnehmungen von Erzählebenen gibt. Die Zuordnung von Narratologie und historisch-kritischer Methode muss daher anders bestimmt werden. 4) Die Zustand-Prozess-Unterscheidung („Diachronie“ vs. „Synchronie“) Exegetische Methoden werden oft in „synchrone“ und „diachrone“ Methoden unterteilt. Das führte zu einer sehr kontroversen, umfangreichen und unübersichtlichen Diskussion, wie sich Diachronie und Synchronie in der Exegese zueinander verhalten. Ohne die Auseinandersetzung genau nachzeichnen zu können, 20 möchte ich folgende Positionen unterscheiden: a) Synchronie vor Diachronie; b) Diachronie vor Synchronie; c) Diachronie und Synchronie; d) Synchronie mit Diachronie.
anscheinend unbekannt. Vgl. zu den Erzählebenen schon S CHMITZ, Fiktionalität, 141– 145; allerdings geht die Unterscheidung der Erzählinstanzen nicht auf Genette zurück, wie Schmitz sagt (142), sondern entsprechende Modelle werden dort kritisiert (G ENETTE, Erzählung, 285). 19 Hier nach GIELEN, Konflikt, 23. Vgl. 17: „Dieses Modell zeichnet sich durch eine explizite Unterscheidung zwischen textinternen Ebenen und textexternen Bereichen aus und ermöglicht auf diese Weise eine Integration des unverzichtbaren diachronen Aspekts in die Erzähltextanalyse“ (vgl. 15f.). Die Ebene der Kommunikation von abstraktem/ implizitem Autor und abstraktem/implizitem Leser wird bei G IELEN, Konflikt, 20–22 anders als noch bei Kahrmann/Reiß/Schluchter nicht von der Ebene des fiktiven Erzählers und fiktiven Adressaten getrennt. Auf der textexternen Ebene wird außerdem bei Klauck und Gielen sinnvollerweise nicht mehr zwischen dem realen Autor (in seiner Rolle als Autor) und dem historischen Autor (als Person) bzw. dem realen und historischen Leser differenziert (vgl. G IELEN, Konflikt, 19 Anm. 84). S CHMITZ, Prophetie, 10f. reduziert die Ebenen in ähnlicher Weise und kehrt die Nummerierung der Ebenen um. 20 Vgl. die umfangreiche Bibliografie zur Debatte um Synchronie/Diachronie allein bei GROENEWALD, Synchrony And/Or Diachrony, 50–53 (mit Schwerpunkt auf der südafrikanischen alttestamentlichen Exegese).
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a) „Primat der Synchronie vor der Diachronie“: Es werden mehrere Begründungen vorgebracht, warum die Analyse der Synchronie der Untersuchung der Diachronie vorangehen müsse: 1) Die synchrone Textstrukturanalyse kann die Inkohärenzen des Textes ausfindig machen, ist also eine Vorbedingung für die Literarkritik. 21 Daher könnte man die Synchronie auch als ersten Schritt in die Literarkritik integrieren. 2) Eine etwas andere Variante dieses Ansatzes meint, dass die „Spannungen“ und „Brüche“ im Text, die die Literarkritik auffindet, vorher auf eine möglicherweise bewusste Gestaltung untersucht werden müssen. 22 3) Die Synchronie hat auch deswegen Vorrang, weil man vom Sicheren (dem Text) zum weniger Sicheren (der Entstehungsgeschichte des Textes) voranschreiten muss. 23 – Unter Synchronie wird hier also entweder die (textimmanente) Auslegung des (End-)Textes, die literaturwissenschaftliche Interpretation oder die textlinguistische Kohärenzprüfung verstanden, unter Diachronie die Vorgeschichte des Textes. Eine Untervariante ist „Synchronie ohne Diachronie“, womit gemeint ist, dass man den Text verstehen könne, auch ohne die Textgeschichte zu kennen.24 Damit verwandt ist das Postulat, dass es in der Exegese vor allem um die Textauslegung selbst und nicht um die Vorgeschichte des Textes gehen sollte.25
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STENGER, Methodenlehre, 43: „Ansatzpunkt für diachronische Erklärungsversuche ist dabei immer ein Tatbestand, der sich synchronisch nicht erklären läßt. Die Reihenfolge von synchronischer und diachronischer Betrachtungsweise ist dabei nicht beliebig. … Die synchronischen Schritte gehen dabei den diachronischen voraus.“ Vgl. außerdem (in verschiedenen Variationen) T HEOBALD, Primat der Synchronie; B LUM, Komplexität, 27; EGGER, Nachfolge, 53; FRANKEMÖLLE, Heilige Schrift, 285f.; B ARTON, Historical Criticism, 9f.; KLUMBIES, Mythos, 29 (forschungsgeschichtlich); BLUM, „Synchronie“ in der Exegese, 27f. (mit dem Hinweis, dass geringe Kohärenz und die Existenz verschiedener Quellen nicht immer zusammenfallen). 22 „Spannungen“ und „Brüche“ können nicht nur als Indiz für Quellen, sondern in manchen Fällen auch als literarische Technik gedeutet werden (N ICKLAS, Literarkritik; vgl. NICKLAS, Ablösung, 88f.; indirekt auch D OHMEN, Zelt, 161f.). Diese Ambivalenz der Beobachtungen untersucht z.B. N AHKOLA, Double Narratives. 23 DOHMEN, Zelt, 152f. 24 Vgl. DOHMEN, Zelt, 162: „Eine synchrone Analyse muss nicht notwendigerweise um eine diachrone ergänzt werden, denn es kann ja durchaus genügen, den einen vorliegenden Text in seiner Aussage zu verstehen, ohne die Frage seiner Genese zu klären.“ Zustimmend H IEKE, Verstehen, 86; ähnlich R EICHERT, Offene Fragen, 1001 (vgl. aber der mögliche Einwand 1001f.). 25 S. FRANKEMÖLLE, Heilige Schrift, 285: Aufgrund des Interesses am historischen Geschehen wurde zu oft die Textauslegung vernachlässigt. – B LUM, „Synchronie“ in der Exegese, 25f. weist darauf hin, dass eigentliche Methoden zur Textinterpretation bisher kaum in exegetischen Methodenlehren vorkommen. Vgl. zu historisch-kritischen Methoden der Interpretation in dieser Arbeit Kap. 4.2.4 und die Methodensynopse 4.3.1.
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b) „Diachronie vor Synchronie“: Hinter dieser Verhältnisbestimmung steht der Gedanke, dass man zuerst den zu untersuchenden Text feststellen muss (vgl. Kap. 4.3.2: „Textbestimmung“). Es sind also zunächst die Textstufen (d.h. der Endtext und die Vorstufen ab der mündlichen Überlieferung) literarkritisch und überlieferungsgeschichtlich voneinander zu trennen; erst dann kann jede Textstufe einzeln (synchron) untersucht werden. 26 c) „Diachronie und Synchronie“: Inzwischen werden Diachronie und Synchronie oft auch einfach beigeordnet. Man sagt, die einen Methoden beschäftigen sich mit der Interpretation des Textes selbst (synchron), die historisch-kritischen Methoden mit der Vorgeschichte des Textes (diachron). Daher gibt es kein Zuordnungsproblem. 27 Bei einem anderen Verständnis, das Diachronie und Synchronie vermitteln kann, sind mit Synchronie die innertextlichen Bezüge gemeint, mit Diachronie die Bezüge jenseits des Textes.28 d) Schließlich ist die Variante „Synchronie mit Diachronie“ zu nennen. Hier wird Diachronie nicht als Ermittlung der Vorgeschichte des Textes (durch Literar- und Überlieferungskritik) verstanden, sondern grundsätzlich als historische Einbettung eines Textes: Die synchrone linguistische bzw. literaturwissenschaftliche Untersuchung eines Textes muss auch immer den historischen und kulturellen Kommunikationskontext und sprachlichen Code berücksichtigen. 29 26
STECK, Exegese, 22 könnte sich demnach linguistische Analysen bei jeder Textstufe vorstellen, weist allerdings darauf hin, dass sprachwissenschaftliche Ansätze nicht zeitneutral sind, und nimmt sie nicht in das Methodenbuch auf. Ähnlich R ICHTER, Exegese, 72; FOHRER/HOFFMANN u.a., Exegese, 58; dazu T ALSTRA, Eclipse, 9f. In neuerer Zeit BLUM, „Synchronie“ in der Exegese, 20, vgl. 22; R OSE, Theologie, 42f. („synchrone Diachronie“ als erster Schritt). 27 Vgl. EGGER, Methodenlehre, bes. 34–45 („Texte als Teil eines Kommunikationsgeschehens“, „Texte als Ergebnis von Rezeption und Überarbeitung“); F RANKEMÖLLE, Heilige Schrift, 285 (Vergleich: der einzelne Text ist ein „Standfoto“ in einem traditionsgeschichtlichen „Film“); P OWELL, Narrative Criticism, 9 („Apart from their common interest in the text, the two approaches do not overlap: the one may be regarded as dealing with a horizontal dimension of the text and the other as treating an intersecting vertical dimension“); M EISER, Exegese, 24; SCHNELLE, Exegese, 53: „Die Interpretation auf synchroner Ebene und die diachrone Analyse der Vorgeschichte des Textes müssen sich ergänzen, um Werden und Sosein des Textes gleichermaßen zu erfassen.“ Leider wird nicht ausgeführt, worin die Interdependenz besteht, auch die Grafik S. 54 hat kaum heuristischen Mehrwert. 28 So FRANKEMÖLLE, Matthäus II, 518. 29 Vgl. EGGER, Nachfolge, 52f. („eine adäquate semantische Analyse ist ohne die kritische Methode nicht möglich“); B LUM, Komplexität, 26f.; E GGER, Methodenlehre, 38; FRANKEMÖLLE, Heilige Schrift, 287.306f. (das MtEv sei „traditionsgesättigt“); B ARTON, Historical Criticism, 9f. („a literary reading should not be anachronistic“, sondern müsse den historischen Kontext berücksichtigen); DU PLESSIS, Applying, 356; BREYTENBACH, Exegese, 283; R EICHERT, Offene Fragen, 997f. („Die Auslegung soll die ursprüngliche
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Fazit: Dieser knappe Überblick über die Verhältnisbestimmungen von Diachronie und Synchronie in der Exegese zeigt, dass jede dieser Ansichten durchaus ihr Recht hat: Zunächst muss man den Text bestimmen, der ausgelegt werden soll. Dabei kann die „synchrone“ Prüfung der Textkohärenz vor bzw. als Bestandteil der Literarkritik helfen, um Quellen ausfindig zu machen. Jeder so ermittelte einheitliche Text kann dann synchron interpretiert werden. Bei der Auslegung muss wiederum die historische und kulturelle Dimension des Textes beachtet werden. Und wenn man den vorliegenden Endtext interpretieren möchte, kann die Auslegung auch vor der Literarkritik geschehen. In einer Grafik veranschaulicht (Abb. 1): „Synchronie“
(= Kohärenzprüfung) VOR (= Interpretation)
„Diachronie“ (= Literarkritik, Textgeschichte)
VOR „Synchronie“ (= Interpretation)
MIT
„Diachronie“ (= historisches Wissen)
Abb. 1: Zuordnungen von „Synchronie“ und „Diachronie“ in der Exegese
In der Exegese werden die Bezeichnungen inzwischen zunehmend kritisch gesehen: Zum einen ist die historisch-kritische Methode nicht durchgängig diachron und die neuen Methoden sind nicht durchgängig synchron. 30 Zum anderen können, wie schon deutlich wurde, „synchron“ und „diachron“ für ganz unterschiedliche Dinge stehen. 31
Mitteilungs- und Wirkabsicht des Textes bzw. Teiltextes erheben“, dabei müsse man auch das kulturelle Wissen in die Textanalyse einbeziehen); S EUL, Rettung, 24; DENNIS, Jesus’ Death, 5–8; B LUM, „Synchronie“ in der Exegese, 21; BECKING, No More Grapes, 37f. (man benötige das antike symbol system zur Interpretation); R OSE, Theologie, 43 („diachrone Synchronie“) u.v.a. 30 EGGER, Methodenlehre, 23f.; J ONKER, One Eye Closed, 59–61; vgl. THEISSEN, Wundergeschichten, 11–35 zur synchronen und diachronen Dimension der Formgeschichte. 31 Einige Klärungsvorschläge: U TZSCHNEIDER/NITSCHE, Arbeitsbuch, 20f. unterscheiden bei Synchronie die Auslegung von Texten allgemein und daneben speziell die (textimmanente) Auslegung des Endtextes (in Tab. 2: S1 und S2). B LUM, „Synchronie“ in der Exegese, möchte das Verständnis von Synchronie als textimmanenter, „achroner“ Endtextexegese (hier: S2) ausweiten auf Synchronie als „Relationsbegriff“. Dabei geht er auf die Synchronie zum Leser (23; hier: S8), die Textinterpretation (25f.; vgl. S1) und Kriterien für die Literarkritik ein (27f.; vgl. S3). H ARDMEIER, Textwelten I, 28f. stellt neben die objektorientierte Synchronie/Diachronie auch die synchrone und diachrone Rezeption, d.h. man könne den Text mit eigenem Vorverständnis oder mit früheren Vorstellungen lesen. – Bei der diachronen Rezeption diachroner Textvorstufen in deren „synchronem“, zeitgeschichtlichen Kontext ergibt sich so ein verwickeltes Ineinander von „Diachronie“ und „Synchronie“.
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In der Diskussion zum Thema begegnen mehrere Verständnisse: 32 Tab. 2: Verständnisse in der Debatte um „synchrone“ und „diachrone“ Exegese „synchrone“ Exegese S1. Textauslegung überhaupt S2. Auslegung speziell des Endtextes S3. textlinguistische Kohärenzprüfung S4. Auslegung mit Mitteln der Linguistik (Syntax, Semantik, Pragmatik u.a.) S5. Auslegung mit Mitteln der Literaturwissenschaft (Narratologie, Rezeptionsästhetik u.a.) S6. textimmanente Auslegung ohne historischen Kontext, mit Kohärenzpostulat S7. Ermittlung von Bezügen zu anderen Teilen des Textes S8. Auslegung im eigenen Verstehenskontext (synchron zu sich selbst)
„diachrone“ Exegese D1. Rekonstruktion der Textentstehung
D2. zum Verstehen notwendiges Vorwissen (Traditions-/Motivgeschichte) D3. Ermittlung von Bezügen außerhalb des Textes D4. Auslegung im historischen Kontext (diachron zu sich selbst)
Es erübrigt sich fast zu sagen, dass sich die Verwendung des Begriffspaars „Synchronie“ und „Diachronie“ stark von der ursprünglichen Verwendung bei Saussure entfernt hat. 33 Weil die Zuordnung einzelner Methoden zu Diachronie oder Synchronie zu oberflächlich ist und weder den alten noch den neuen Methoden in der Exegese gerecht wird, sollte man am besten nicht mehr mit den Begriffen arbeiten und präziser sagen, was im Einzelfall gemeint ist. Die Literaturwissenschaft kennt diese Diskussion so nicht. 5) Konkrete Abfolge in Methodenlehren Eine ganz konkrete, praktische Frage ist, wo man die „synchronen“ (hier: auf die Textinterpretation bezogenen) Methoden im historisch-kritischen 32 Manchmal wechselt das mit „Diachronie“ und „Synchronie“ Bezeichnete sogar in derselben Publikation. Vgl. z.B. P OLZIN, Literary and Historical Criticism, 101–104 (sieht die Lösung in einer „circular movement“ aus „literary analysis“ und „historical problems“, denn die Diachronie sei wichtig für die Synchronie [hier D2 und S1] und die Synchronie wichtig für die Diachronie [hier S1 und D1]); B REYTENBACH, Markusevangelium, 84f. („Synchronie“ steht dort für linguistische Analyse, für die Untersuchung der Textkohärenz, für die textimmanente Interpretation ohne geschichtlichen Kontext oder auch allgemein für die Interpretation des Textes im Gegensatz zur Textentstehung); H IEKE, Verstehen, 87 (die Interpretation solle der historisch-kritischen Analyse vorausgehen; kurz darauf: die Interpretation verwende die Ergebnisse der historisch-kritischen Analyse); auch bei B LUM, „Synchronie“ in der Exegese, bezeichnet die „Diachronie“ mal die Entstehungsgeschichte des Textes (20.25), mal das notwendige kulturelle Vorwissen zum Verständnis des Textes (21). 33 BLUM, „Synchronie“ in der Exegese, 16–18; vgl. SCHMITZ, Prophetie, 7.
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Methodenkanon einordnen soll. In exegetischen Methodenlehren gibt es vier unterschiedliche Stellen, an denen die „synchrone“ Textauslegung eingefügt wird: a) Schnelle, Kreuzer/Vieweger und Ebner/Heininger 34 passen die „Textanalyse“, „sprachliche Beschreibung“ bzw. „sprachliche Analyse“ zwischen Textkritik und Literarkritik in die Methodenfolge ein. Das Anliegen ist hier, zunächst die „innere Ordnung“ des Textes selbst zu beschreiben, bevor man zum synoptischen Vergleich/Literarkritik übergeht. 35 Das entspricht dem Paradigma „Synchronie (S1/S4/S5 bzw. S3) vor Diachronie (D1)“. Andere Ansätze wie sozialgeschichtliche Auslegung, feministische Exegese und tiefenpsychologische Interpretation werden bei Kreuzer/Vieweger in den Anhang gestellt – offenbar weil sie sich weniger klar einordnen lassen. b) Bei Fohrer/Hoffmann u.a. erfolgt die „sprachliche Analyse“ zwischen Literarkritik und Formkritik. Denn: „Die mit Hilfe der Literarkritik abgegrenzte einfache, erweiterte oder zusammengesetzte Einheit ist Gegenstand der weiteren Untersuchung.“ 36 Hier wird also der Gedanke „Diachronie (D1) vor Synchronie (S1/S4)“ umgesetzt. c) Söding und Utzschneider/Nitsche unterteilen ihre Methodenlehre grundsätzlich in Textinterpretation und Textgeschichte. Die Methoden der Textauslegung stehen direkt nach der Textkritik und umfassen die Bestimmung von Form und Gattung, Traditionen/Motiven u.a.; im Rahmen der Form-/Gattungsanalyse wird jeweils auch die Erzähltheorie 37 behandelt. Die textgenetischen Methoden findet man in beiden Büchern erst am Schluss.38 Auch hier ist „Synchronie (S1) vor Diachronie (D1)“ das leitende Paradigma. Gegenüber a) besteht der Unterschied darin, dass einige Elemente der historisch-kritischen Methode wie die neuere Formkritik und die Traditionskritik, die zum Verstehen des Textes selbst beitragen (hier: 34 SCHNELLE, Exegese, 55–63; KREUZER/VIEWEGER, Proseminar I, 49–55; EBNER/ HEININGER, Exegese, 57–130. 35 EBNER/HEININGER, Exegese, 57. 36 FOHRER/HOFFMANN u.a., Exegese, 58, vgl. 58–83. 37 SÖDING, Wege, 140–151; UTZSCHNEIDER/NITSCHE, Arbeitsbuch, 150–186. 38 SÖDING, Wege, 190–220; UTZSCHNEIDER/NITSCHE, Arbeitsbuch, 213–285. Bei S ÖDING/M ÜNCH, Methodenlehre, 86–106 wird dieses Prinzip nicht mehr durchgehalten und die Frage nach der Textgenese zwischen Gattungs- und Sachanalyse eingeordnet. Eine ähnliche Grundstruktur wie Söding und Utzschneider/Nitsche hat H IEKE, Psalm 80, der die linguistische Methode der Auslegung von H. Irsigler (IRSIGLER, Psalm 73) in der Praxis erprobt: Konstitution des Textes (Textkritik); Einzeltext (Textstruktur, Textsemantik, Textziel); Texttypik (Gattung/Textsorte und Traditionen); Textverankerung (historischer Kontext); Textgeschichte (Überlieferungskritik, Redaktionskritik); zusammenfassende Interpretation. Auch hier werden Motive und Traditionen als „geprägte Bedeutungssyndrome“ ganz selbstverständlich für die Textinterpretation verwendet, die Frage nach der Textgeschichte wird betont an das Ende der Untersuchung gestellt.
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„Diachronie“ im Sinn von D2 sowie die Formkritik als eigentlich „synchroner“ Aspekt), in die Textinterpretation integriert werden. 39 d) Meiser schließlich bringt einen kurzen Abschnitt zur „Erzählanalyse“ bei der Redaktionsgeschichte unter,40 also schon auf dem „Rückweg“ der textgenetischen Methodenschritte, 41 die ja oft als „U“ beschrieben werden.42 Dies kann man wohl als eine weitere Variante von „Diachronie (D1) vor Synchronie (S2!)“ ansehen. Dass die Redaktionsgeschichte als Schnittstelle dient, um die „synchronen“ Methoden mit der historisch-kritischen Methode zu verknüpfen, hat auch forschungsgeschichtliche Gründe: Über die Redaktionsgeschichte wurde in den 1970-er/80-er Jahren auch das Interesse am Endtext wieder stärker, nachdem die Exegese lange Zeit eher auf die geschichtlichen Hintergründe und Quellen des Textes ausgerichtet war. „Synchrone“ Methoden (S2) und Redaktionsgeschichte haben demnach die Beschäftigung mit dem Endtext gemeinsam. Fazit: Die Möglichkeiten a) und b) sind jeweils eine konsequente Umsetzung einer der Verhältnisbestimmungen von Diachronie und Synchronie. Dass die „Diachronie“ aber sowohl das historische Vorwissen zum Verständnis eines Textes umfasst als auch die Textgeschichte, wird von Söding und Utzschneider/Nitsche (c) am klarsten gesehen. Es ist daher weiterführend, wenn hier die Analyse von Gattungen und Traditionen in die eigentliche Textinterpretation aufgenommen wird. Zu d): Die Redaktionsgeschichte ist nur mittelbar mit der Textinterpretation verbunden. Durch die Beachtung der gestaltenden Arbeit des Redaktors kam zwar auch die Komposition und die Theologie des Endtextes in den Blick. 43 Allerdings sind Kompositionskritik und die Frage nach der Theologie des Autors nicht mit der Untersuchung der Quellenbearbeitung identisch, sondern ein zusätzlicher, neuer Schritt, der auch die aus den Quellen übernommenen Strukturierungen und Inhalte berücksichtigt.44 Insofern können die linguistischen und literaturwissenschaftlichen Methoden der Textauslegung eher mit der Kompositionskritik und der 39
Vgl. zu der Unterscheidung von texthistorischen Methoden (Literarkritik, Überlieferungsgeschichte und Redaktionsgeschichte) und den für die Interpretation relevanten Methoden (Formgeschichte, Traditionsgeschichte und historischer Ort) bereits die zwei Grafiken bei S TECK, Exegese, 17f. 40 MEISER, Exegese, 106–108; dazu E ISEN, Poetik, 29. 41 Vgl. zur Beschäftigung mit dem Endtext als Ausgangspunkt (vor der Literarkritik) vs. Endpunkt (als Redaktionsgeschichte) der Exegese auch G ROSS, Auslegung, 121–124. 42 STECK, Exegese, 17; UTZSCHNEIDER/NITSCHE, Arbeitsbuch, 275; SCHNELLE, Exegese, 54. 43 Instruktiv dazu D ONAHUE, Redaction Criticism, 29–34, der den forschungsgeschichtlichen Übergang von der Redaktionskritik im engeren Sinn (als „strict editorial criticism“ auf die Bearbeitung der Quellen bezogen) hin zur Kompositionskritik beschreibt. 44 Vgl. zu diesem Unterschied zwischen synchronen Methoden und Redaktionsgeschichte OPPEL, Heilsam erzählen, 123.
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theologischen Fragestellung verglichen werden als mit der Redaktionsgeschichte selbst. Die „Theologie“ der Erzählung entspricht in der Narratologie dem ideologischen Erzählerstandpunkt 45, die Kompositionskritik gehört zur Untersuchung der Textdarstellung (Kap. 4.3.1) 46. 6) Vergleichende Anwendung Eine weitere Möglichkeit, mit dem Methodenpluralismus umzugehen, besteht darin, mehrere „Zugänge“ auf denselben Text zu applizieren und die Ergebnisse zu vergleichen. Mit diesem Ansatz sind in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Bücher und Sammelbände in der Exegese 47, aber auch in der Literaturwissenschaft48 erschienen. In einigen Fällen beziehen sich die Beispielanalysen nicht auf denselben Text, aber es werden auch hier jeweils Leistungen und Grenzen jeder Methode aufgezeigt. 49 Manchmal werden speziell zwei Auslegungsweisen einander gegenübergestellt, z.B. patristische und historisch-kritische Exegese oder feministische und historisch-kritische Exegese. 50 Fazit: Die Einzelergebnisse der Studien, worin also jeweils Ähnlichkeiten und Unterschiede, Vor- und Nachteile der Methoden gesehen werden, können hier nicht wiedergegeben werden. Aber es drängt sich eine Beobachtung auf: Ein konkreter Vergleich von Methoden ist umso ertragreicher, je genauer die Methoden dargestellt werden und je klarer die Kriterien bei der Auswertung sind. Dabei stößt man auf das Problem, dass eine Methode oft nicht fest definiert ist und in verschiedenen Varianten existiert. Das ist auch der Grund, weswegen diese Arbeit, die ursprünglich als
45 S. auch MOORE, Literary Criticism, 56–68 (die Redaktionskritik als Theologie des Autors ist mit der Frage nach dem ideological point of view vergleichbar); vgl. 2.6.5. 46 Zu den geschichtlichen Beziehungen zwischen Kompositionskritik und Narrative Criticism vgl. M OORE, Literary Criticism, 4–13. Teilweise war/ist „narrative analysis“ in der Exegese weitgehend mit einer Kompositionsanalyse identisch. Der Blick in die Literaturwissenschaften zeigt jedoch, dass sich die Narratologie anders als exegetische Arbeiten kaum mit der Textgliederung beschäftigt (Kap. 2.4.1). 47 VOSS/HARSCH (Hgg.), Versuche (Joh 2,1–11); B OVON/ROUILLER (Hgg.), Exegesis (Gen 22/Lk 15); Zeitschrift „Neotestamentica“ 22/2 (1988) (Lk 12,35–48); B ERG, Wort wie Feuer (Gen 4,1–16/Mk 5,1–20); L UZ (Hg.), Zankapfel (Mk 6,30–44; dazu SCHELLONG, Eine Bibel); G RÜNWALDT/S CHROETER (Hgg.), Elia; W ISCHMEYER/BECKER (Hgg.), Text (1 Kor 15). Empirisch „Scriptura“ 78/3 (2001) (Lk 4); S CHRAMM, Alltagsexegesen (Mt 5,38–48; Mk 5,24b–34). 48 WELLBERY (Hg.), Positionen (zu Kleists „Erdbeben in Chili“); K AFITZ, Literaturtheorien (zu Fontanes „Irrungen, Wirrungen“ und H. Müllers „Bildbeschreibung“). 49 Z.B. ANDERSON/MOORE (Hgg.), Mark & Method; A RNOLDSHAINER KONFERENZ (Hg.), Buch Gottes; R UPPERT/KLAUCK (Hgg.), Interpretation der Bibel; S CHNELLE, Historisch-kritische Methode; O EMING, Hermeneutik. 50 Patristisch: METZDORF, Tempelaktion Jesu (Mk 11,15–19par; Joh 2,13–22); feministisch: STRUBE, Wegen dieses Wortes (Mk 7,24–30).
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„einfacher“ Methodenvergleich gedacht war, zunächst einen kohärenten Entwurf für eine Narratologie vorlegt (Kap. 2). 7) Die Unvereinbarkeit bestimmter Methoden Andere Autorinnen und Autoren weisen darauf hin, dass einige Methoden so unterschiedlich sind, dass sie nicht einfach ineinander integriert werden können.51 Zwei Beispiele: a) Bezogen auf die Textauslegung wird häufig Inkompatibilität festgestellt zwischen 1) historisch-kritischen Exegesen, die sich auf die Intention des Autors berufen und die annehmen, dass der historische Kontext zum Verstehen wichtig ist, 2) synchronen Exegesen, die rein textimmanent arbeiten, und manchmal auch 3) leserorientierten Exegesen, die glauben, dass Bedeutung erst beim Leser entsteht. 52 b) Eine Form von synchroner Exegese, die alle Inkohärenzen einebnet und wirklich alles mit einer Wirkung auf den Leser erklärt (Kohärenzpostulat), ist nicht mit der Literarkritik vereinbar, weil keine Spannungen im Text mehr beobachtet werden können, die auf Quellen hindeuten. 53 Dadurch wird eine Rekonstruktion der Entstehung des Textes methodisch unmöglich gemacht. Um mit diesen Unterschieden umzugehen, ist es ein erster, wichtiger Schritt, die Voraussetzungen der jeweiligen Methoden/Zugänge systema51 Vgl. SCHRÖTER, Zum gegenwärtigen Stand, 264f.: „… Dagegen wäre es wenig plausibel, Ansätze, die auf ein grundsätzliches Überdenken der Prozesse von Textproduktion und Textverstehen zielen, gewissermaßen additiv in ein Konzept integrieren zu wollen, das von anderen Voraussetzungen ausgegangen war. … Zur Diskussion steht vielmehr die Frage, wie sich Textverstehen überhaupt vollzieht und welchen Platz historisch-kritische Fragestellungen innerhalb dieses Prozesses einnehmen.“ Auch E ISEN, Poetik, 29 betont: „Narratologische Analyse besitzt ein eigenes methodologisches Instrumentarium, das in die herkömmlichen Methoden nicht einfach integrierbar ist. Sie hat sehr eigene Denkvoraussetzungen und eine eigenständige Tradition und Theoriebildung innerhalb der Literaturwissenschaft“. M ÜLLNER, Zeit, Raum, 18–24, bes. 19 beschreibt relativ plastisch die Unterschiede zwischen der (älteren) textimmanent konzipierten Narratologie und der historischen Kritik. Ähnlich zur Unvereinbarkeit von Methoden z.B. TALSTRA, Eclipse, 2f.; JONKER, Plotting, 400f.405; S TEINS, Bindung Isaaks, 228–232. 52 NOBLE, Synchronic and Diachronic Approaches, 133. So ist die Debatte um die Methoden auch eine Diskussion um die Bedeutung von Texten, z.B. C OMBRINK, Multiple meaning; PUNT, Priority of Readers. – Diese Arbeit zeigt, dass 1) und 3) integriert werden können und dass 2) illusorisch ist (Kap. 2.1.3.1). 53 Zu diesem Problem z.B. N OBLE, Synchronic and Diachronic Approaches, 134–137; N ICKLAS, Literarkritik; N AUMANN, Verhältnis, 58. Es gilt, die Extreme zu vermeiden: Einerseits können Wiederholungen wie in 1 Sam 24 und 26 eine literarische Technik sein, in bestimmten Fällen deuten sie aber auch auf (schlecht eingepasste, wörtlich übernommene) Quellen oder (bei ähnlichen Texten) auf eine unterschiedliche mündliche Traditionsentwicklung hin.
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tisch zu beschreiben und nach Kriterien geordnet 54 oder tabellarisch55 aufzulisten. Fazit: Ohne hier genau auf die Kommensurabilität konkreter Interpretationsmethoden eingehen zu können, möchte ich wenigstens knapp die verschiedenen Formen der (Un-)Vereinbarkeit von Methoden klassifizieren. Eine Methode als endliche Folge von Handlungsanweisungen mit einem bestimmten Zweck 56 hat zwei Arten von Voraussetzungen: – ein Modell der Wirklichkeit, bei Interpretationsmethoden insbesondere eine Text- und Verstehenstheorie 57; – das Interesse an einem Ziel, also an einer Entität innerhalb dieses Modells der Wirklichkeit,58 bei Interpretationsmethoden beispielsweise an der 54 BECKER, Was ein Text sein kann, 159: Die Referierenden sollten jeweils folgende Fragen beantworten: a) Interpret: „Wer ist der Interpret, und an welchen allgemeinen textwissenschaftlichen Kriterien orientiert er sich bei seiner Textauslegung?“ b) Autarkie: „Welchem literarischen ‚Kanon‘ wird der Text entnommen, und welchem wird er zugeordnet?“ c) Fiktionalität: „Auf welchen Referenzrahmen rekurriert und zielt der Text?“ d) „Wahrheit“ des Textes: „Welchen Beitrag leistet der Text zum Verstehen des Menschen und seiner Welt?“ Aus der Beantwortung dieser Fragestellungen ergab sich dann die Textdefinition. (Ähnliche Punkte findet man auch bei Systematisierungen von vergleichenden Auslegungen; s.o. Nr. 6.) Die Kurzbeschreibungen der Referierenden reichen von „Der Text ist eine verschriftlichte sprachliche Überlieferung“ (L. Schmidt, AT) über „Der Text enthält theologische Propositionen in einer strukturierten Form“ (F. Vouga, NT) zu „Der Text ist eine kohärente Zeichenfolge“ (M. Habermann, Linguistik). Am besten wäre es, die Vorannahmen möglichst methodenbezogen zu benennen, vgl. pointiert B LUM, Notwendigkeit, 13–23 zu impliziten Axiomen der Literarkritik. 55 Übersichtlich SCHUTTE, Literaturinterpretation, 22f. (Methode/„Ansatz“ – Text verstanden als … Erkenntnisinteresse – Verfahren – Leitbegriffe – bekannte Vertreter). 56 „Im allgemeinsten Sinne ist eine Methode ein mehr oder weniger genau beschreibbarer Weg (d.h. eine endliche Folge von mehr oder weniger konkreten Handlungsanweisungen oder strategischen Maximen) zur Realisierung eines bestimmten Zieles bzw. zur Lösung einer bestimmten Aufgabe“ (K AMITZ, Art. Methode/Methodologie, 429; vgl. L ORENZ , Art. Methode, 876). 57 „Die Anleitungen zu Analyse und Interpretation müssen der Eigenart und der Entstehungsgeschichte der zu untersuchenden Texte angemessen sein. So beruht eine Methodenlehre immer auf einer bestimmten Auffassung über den zu untersuchenden Text und die Elemente und Faktoren, die Entstehung, Eigenart und Wirkkraft des Textes beeinflussen. Eine solche umfassende Auffassung über den Text läßt sich in einem ganz allgemeinen Sinn als Texttheorie bezeichnen“ (E GGER, Methodenlehre, 27). Vgl. zur „Texttheorie“ neben Egger auch W ISCHMEYER/BECKER (Hgg.), Text; SÖDING, Wege, 21– 35, bes. 27; SCHNELLE, Exegese, 53f.; HARDMEIER, Texttheorie, bes. 13–153 (unter Rückgriff auf die Kommunikationstheorie von S.J. Schmidt) und die Aktualisierung seines Ansatzes in H ARDMEIER, Textwelten I–II. In der Literaturwissenschaft sind besonders zu nennen: S CHMIDT, Texttheorie, durch den der Begriff allgemein bekannt wurde; BREUER, Pragmatische Texttheorie, der aus seiner Texttheorie (24–136) eine Methode der pragmatischen Textanalyse entwirft (137–220); G REETHAM, Theories of the Text, wo verschiedene Inhalte einer Texttheorie diskutiert werden, sowie K AMMER/LÜDEKE (Hgg.), Theorie des Textes, die wichtige Quellentexte zusammenstellen.
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Intention des Autors, an Gottes Reden oder an der Deutung der eigenen Existenz.59 Daraus kann man ableiten, in welchen Fällen allgemein exegetische Methoden vereinbar sind oder nicht: a) Methoden sind vereinbar, wenn die zugrunde liegenden Theorien (hier: Text-/Verstehenstheorien) kombiniert 60 werden können. Es gibt zwei Formen theoretischer Vereinbarkeit: Entweder bietet der theoretische Rahmen der einen Methode zugleich eine Teiltheorie für die andere Methode oder beide Theorien sind Teil einer größeren, vielleicht noch unbekannten Gesamttheorie. b) Methoden sind integrierbar,61 wenn sie nicht nur theoretisch vereinbar sind, sondern auch ihre Ziele einander zugeordnet werden können. 62 Auch hier kann man zwei Arten von teleologischer Integrierbarkeit unterscheiden: Entweder verwendet eine Methode Ergebnisse einer anderen Methode oder beide Methoden können zusammen einem übergreifenden Ziel dienen. Exegetische Methoden können berechtigt koexistieren, solange sie wenigstens theoretisch vereinbar sind, auch wenn sie ganz unterschiedliche Ziele haben. Es besteht also die Herausforderung, eine Gesamttheorie des Textes und des Verstehens (allgemeiner: des Umgangs mit Texten) zu entwerfen, so dass die Integrierbarkeit oder wenigstens Vereinbarkeit 58
Diese zwei Aspekte sind für jede Methode konstitutiv: Wenn man von A nach B reisen möchte, braucht man einerseits eine Karte, die mögliche Wege aufzeigt, und andererseits ein Ziel auf dieser Karte. Eine solche Karte ist allgemein eine Theorie oder ein Theoriennetz (s. wissenschaftstheoretisch B ALZER, Wissenschaft, 48–133; K UIPERS, Structures, 317–341 zur Theorienstruktur; L AUDAN, Progress, 86–93; F RANK, Opake Strukturen, 32–40 zur Funktion des Theorierahmens). 59 Zu verschiedenen Interessen des Interpreten bereits BULTMANN, Problem, 227f.: Man kann nicht nur an der „Intention des Textes“ interessiert sein, sondern auch daran, vergangene Geschichte zu rekonstruieren; man kann mit psychologischem oder mit ästhetischem Interesse an den Text herantreten oder auch mit der „Frage nach dem menschlichen als dem eigenen Sein“ (s. 2.7.6.2 zur abstrakten Figurenapplikation, dort mit Beschränkung auf die Intention des Autors). In neuerer Zeit und ausführlicher CONRADIE, Interpretative Strategies, 429–433; er schlägt empirische Forschungen vor. 60 Zur Inkommensurabilität von Theorien vgl. auch K UHN, Struktur, 159–161; R USS, Wissenschaftstheorie, 113–122; L UEKEN, Inkommensurabilität; K HALIDI, Art. Incommensurability; S TEGMÜLLER, Probleme und Resultate, Bd. II/2, 139–152; stärker formallogisch: B ALZER, Inkommensurabilität; S ANKEY, Incommensurability Thesis; H OYNIN GEN -HUENE/S ANKEY (Hgg.), Incommensurability; P OLANSKI, Theorienreduktion. 61 Eigene Begriffe. 62 Nach CRAFFERT, Relationships, 48 reicht es aus, wenn die Methoden nur das gleiche Ziel haben: „Differing methods sharing the same aim of interpretation do the same kind of thing with a document; only they use different sets of academic jargon. From this perspective, such approaches are indeed complementary“. Das stimmt so nicht, weil auch die jeweiligen theoretischen Voraussetzungen zu unterschiedlich sein können.
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bestimmter Ansätze aufgezeigt werden kann. 63 Darum kümmert sich eine letzte Gruppe von Publikationen in der Exegese, bisher v.a. auf Basis der Linguistik (Nr. 8). 8) Die linguistische Einteilung der Methoden (Syntax, Semantik, Pragmatik) – ein integratives Modell? Vor allem in den 1970-er und 80-er Jahren wurde „die“ Linguistik von einigen Exegeten emphatisch als Grundlage für eine, wie sie meinten, wissenschaftliche Zusammenführung der exegetischen Methoden begrüßt.64 Tatsächlich bietet die allgemeine Unterteilung der Textanalyse in Syntax, Semantik und Pragmatik auch durchaus Raum für die historischkritischen Methoden (s.u.). Die damaligen linguistischen Ansätze wurden jedoch von den meisten Exegetinnen und Exegeten nur mit Zurückhaltung aufgenommen, weil sie eine teilweise sehr spezialisierte Terminologie erforderten, nach einer detaillierten, aufwändigen Beschreibung der sprachlichen Struktur des Textes einen eher geringen Ertrag für die Interpretation brachten und/oder sich als textimmanent und in Opposition zur historisch-kritischen Methode stehend verstanden. Dass die allgemeine linguistische Einteilung aber ein durchaus fruchtbares Konzept ist, zeigen z.B. die Methodenlehre von Egger und die Kurzdarstellung von Zimmer63 Vgl. KÖPPE/WINKO, Neuere Literaturtheorien, 17 (die sich gegen den „permissiven“ und den „skeptizistischen Relativismus“ wenden): „Möglicherweise zeigt eine gründlichere Untersuchung des Gegenstandsbereichs, dass die anscheinend einander widersprechenden Theorien (1) tatsächlich doch komplementär sind, oder (2) ineinander übersetzbar sind, d.h. einander nicht wirklich widersprechen, oder (3) doch argumentativ zurückgewiesen werden können.“ – In dieser Arbeit wird sich herausstellen, dass das kognitive Paradigma, das Frames/Skripts als zum Verstehen nötig ansieht, auch das historisch-kulturelle Vorwissen der historisch-kritischen Methode einbetten kann (Kap. 2.1.3). Narratologie und historisch-kritische Methode sind demnach sowohl vereinbar als auch integrierbar (vgl. auch 4.3.1). 64 Besonders SCHENK, Aufgaben; SCHENK, Wort Gottes; S CHENK, Kommentar (kritisch dazu z.B. F OHRER, Methoden und Moden, 253); daneben sind W. Richter, E. Güttgemanns, H. Schweizer u.a. zu nennen. Vgl. das Desiderat, das K. Kliesch 1982 in seinem linguistischen Anhang zu Zimmermanns Methodenlehre formuliert: „… Es geht vielmehr um eine Neuorientierung, um ein neues wissenschaftliches Paradigma, um ein neues Raster oder ein neues Koordinatensystem der gesamten neutestamentlichen Exegese aufgrund der modernen Sprachwissenschaft. Leider ist es beim derzeitigen Stand der Methodenreflexion noch nicht möglich, die Ansätze, Möglichkeiten und Ergebnisse moderner Sprachwissenschaft durchgehend zu berücksichtigen und Textkritik, Literarkritik, Formgeschichte und Redaktionsgeschichte in dem neuen Licht moderner Sprachwissenschaft darzustellen“ (Z IMMERMANN, Methodenlehre, 271). Zum damaligen Diskussionsstand s. die Bibliografie 267–270. S. auch S CHWEIZER, Biblische Texte; W ILLMES, Extreme Exegese; W ILLMES, Bibelauslegung; forschungsgeschichtlich S EIDL, Literaturwissenschaftliche Methode. Ausgelöst durch R ICHTER, Exegese, werden linguistische Methoden in der Exegese oft fälschlich als „literaturwissenschaftlich“ bezeichnet.
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mann zur Auslegung von Metaphern 65. (Syntax, Semantik und Pragmatik sind in dieser Arbeit unter 4.3.2 in die drei Punkte „Textgestaltung“, „Texterklärung/-bedeutung“ und „Textwirkung“ überführt.) Ich will exemplarisch auf zwei linguistisch orientierte Interpretationsentwürfe genauer eingehen, einen neutestamentlichen und einen alttestamentlichen. a) Der pragmatische bzw. pragmalinguistische Ansatz einiger katholischer Neutestamentler: 66 Nacheinander werden hier Syntax, Semantik und Pragmatik67 des Textes untersucht. Dabei kommt der Pragmatik eine besondere Bedeutung zu, weil ein Autor in einem bestimmten Kommunikationskontext immer etwas erreichen möchte und diese Absicht auch Syntax und Semantik beeinflusst. 68 Die historisch-kritische Methode wird umgedeutet (Frankemölle) 69 bzw. könne dazu dienen, „die ursprüngliche kommunikative Situation (zu) erarbeiten“. 70 Die pragmalinguistische Exegese beschäftige sich aber auch mit der heutigen Wirkung von Texten und ziele auf die „Erzeugung neuer Performanztexte“, d.h. von Auslegungen für neue Situationen.71 – Zwei einfache, aber wichtige Erkenntnisse stecken m.E. in diesem Ansatz: dass ein Autor mit seinem Text etwas bewirken 65 EGGER, Methodenlehre; Z IMMERMANN, Metapherntheorie, 130–132 schlägt zur Interpretation von Metaphern drei hilfreiche, genau explizierte Schritte aus syntaktischer, semantischer und pragmatischer Analyse vor. 66 FRANKEMÖLLE, Kommunikatives Handeln; FRANKEMÖLLE, Handlungsanweisungen; D ILLMANN, Autor; DILLMANN, Plädoyer; DILLMANN/GRILLI /MORA PAZ, Text; zu weiteren Vertretern des pragmatischen/-linguistischen Ansatzes vgl. ebd., 26 Anm. 59. 67 Die Syntax beschäftigt sich mit den Beziehungen zwischen den Wörtern in einem Satz, dem Umfang und der Kohäsion des Textes (D ILLMANN/GRILLI /MORA PAZ, Text, 38: „Text als Relationsgefüge“); die Semantik mit der Bedeutung der Wörter/Zeichen (47); die Pragmatik, die hier vor allem die Sprechakttheorie umfasst (52–54.65–67), mit der Beziehung zur Kommunikationssituation (54f.). 68 Zum Primat der Pragmatik s. z.B. FRANKEMÖLLE, Kommunikatives Handeln, 64 (Pragmatik „als Theorie umfassenden kommunikativen Handelns“). Mit bestimmten Wirkmitteln sollen Einstellungen verändert und Emotionen erregt werden (65). Vgl. auch D ILLMANN, Autor, 86f.; D ILLMANN/GRILLI /MORA PAZ, Text, 64. 69 Vgl. FRANKEMÖLLE, Kommunikatives Handeln, 62: Im pragmatischen Textmodell „kommen die bekannten methodischen Schritte der historisch-kritischen Methode zwar vor, aber in anderer Funktion“. Frankemölle beschreibt, wie dies geschehen kann: Die Inkohärenzen im Text (Literarkritik) und die Gestaltung des Textes (Formkritik) sind daraufhin zu befragen, welche Wirkung damit ausgelöst werden soll. Die Gattungskritik weist auf den „Sitz im Leben“ hin. Bei der Traditionskritik interessiert nicht die Geschichte der Tradition, sondern das vorausgesetzte Vorverständnis im auszulegenden Text. Die Redaktionskritik soll von der Frage ausgehen, wie der Autor von der Kommunikationssituation in seiner Wahl und Bearbeitung des Stoffes beeinflusst wird (65f., vgl. 69; Wiederabdruck bei FRANKEMÖLLE, Handlungsanweisungen, 26f.30). 70 D ILLMANN/GRILLI /MORA PAZ, Text, 71. Insgesamt ist der Anspruch zu hören: „Eine pragmalinguistische Exegese … verbindet die Ergebnisse historisch-kritischer Forschung mit einer leserorientierten Auslegung des Textes“ (ebd., 7, vgl. 30). 71 DILLMANN/GRILLI /MORA PAZ, Text, 71.
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möchte und dass die Textinterpretation in Syntax, Semantik und Pragmatik unterschieden werden kann. Allerdings ist die pragmalinguistische Exegese über die Dreiteilung hinaus wenig ausgearbeitet und auch das spezialisierte linguistische Instrumentarium wird kaum übernommen. Die Sprechakttheorie zur Beschreibung der Pragmatik ist nur bedingt hilfreich (vgl. Kap. 2.7 zur Rezeptionsanalyse). Wichtig ist, möglichst konkrete Analysemethoden bereitzustellen. Die Narratologie könnte diese Lücke (bei Erzähltexten) füllen. b) Wie die pragmatische/pragmalinguistische Exegese beruht auch der textpragmatische Ansatz des Alttestamentlers Chr. Hardmeier 72 auf dem Gedanken des „kommunikativen Handlungsspiels“ von S. J. Schmidt. 73 Hier wird die Einteilung in Syntax, Semantik und Pragmatik jedoch aufgebrochen74 und stattdessen die „Textur“ (das „Netzwerk von Sprachsignalen“75) des Textes betrachtet. Die Textur wird nach ihrer metakommunikativen, interaktiven, temporalen, lokalen, narrativen, argumentativen und thematischen Handlungskomponente 76 untersucht, außerdem werden die dazugehörigen sprachlichen Mittel und die Sequenzbildung berücksichtigt. Anklänge an die historisch-kritische Methode findet man kaum noch; „aus methodischen Gründen“ werde konsequent textimmanent vorgegangen, auch wenn man für „ein volles Sinnverstehen“ noch den textexternen Kontext einbeziehen müsse 77. – Es handelt sich um einen sehr eigenen Ansatz mit spezieller Terminologie, der hier nicht umfassend gewürdigt werden kann.78 Ich möchte nur zwei Probleme nennen: 1) Die historischkritische Methode wird nicht wirklich integriert, sondern faktisch ganz an den Rand gedrängt. 2) Die textimmanente Beschreibung von „Texturen“ zu Metakommunikation, Zeit, Raum, Leserbezug, Ereignissen usw. hat in vielen Fällen Entsprechungen in der Narratologie; das betont textinterne Vorgehen bei Hardmeier wird außerdem in dieser Arbeit durch einen kognitiven Ansatz ersetzt. 72
HARDMEIER, Texttheorie; D ERS., Textwelten I–II; H ARDMEIER/HUNZIKER-RODETexttheorie. 73 HARDMEIER, Textwelten I, 49–56 und II, 42–79; vgl. S CHMIDT, Texttheorie. 74 S. HARDMEIER, Textwelten I, 15–17 zur Kritik an der Trennung von Syntax, Semantik und Pragmatik. 75 HARDMEIER, Textwelten I, 80. 76 Zur „interaktiven Handlungskomponente“ gehören beispielsweise alle Elemente des Textes, die sich auf die Interaktion von Autor und Leser beziehen (H ARDMEIER, Textwelten I, 87); zur „metakommunikativen Handlungskomponente“ alle Elemente des Textes, die den Text selbst thematisieren (84); temporale und lokale Komponenten betreffen Zeit und Raum usw. 77 HARDMEIER, Textwelten I, 155f., vgl. 155–158 zu soziohistorischen Verhältnissen. 78 Vgl. auch die Auswertung bei J ONKER, Reflections, 89–94 und die weitere Anwendung bei WEISE, Segnen. WALD,
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9) Zusammenfassung Aus dieser forschungsgeschichtlichen Übersicht über bisherige exegetische Ansätze, in denen verschiedenen Auslegungsmethoden einander zugeordnet werden, gewinnt man mehrere erste Einsichten: a) Es kann nur vordergründig zufriedenstellen, die Auslegungsmethoden einfach zu klassifizieren, sei es nach Autor, Text, Leser und Sache oder nach „intentio auctoris“, „intentio lectoris“ und „intentio operis“ (Nr. 1). Das Textdimensionsmodell aus historischen, literarischen, theologischen Aspekten des Textes ist durchaus sinnvoll, aber zu allgemein (Nr. 2). b) Die Aufteilung der historischen und der textinternen Methoden auf eine erzählexterne und erzählinterne Kommunikationsebene ist so nicht möglich (Nr. 3); die Unterscheidung von Diachronie und Synchronie ist nicht brauchbar, sondern trägt eher zur Verwirrung bei (Nr. 4). c) Hilfreich dagegen ist es, konkrete Methodenfolgen zu formulieren (Nr. 5). Der Ansatz von Söding und Utzschneider/Nitsche, klarer zwischen Textinterpretation und der Frage nach der Textentstehung zu trennen, scheint weiterführend zu sein. d) Der Vergleich von Methoden in der Praxis kann sinnvoll sein, wenn man sich der jeweils verwendeten Methodenschritte tatsächlich bewusst ist und wenn der Vergleich systematisch durchgeführt wird (Nr. 6). Gerade bei manchen neueren Zugängen ist die Vorgehensweise oft noch nicht als Schritt-für-Schritt-Verfahren formuliert. e) Auch die Frage nach den Voraussetzungen von exegetischen Methoden, also ihrer Texttheorie und ihrem Ziel, ist wichtig und weiterführend (Nr. 7). Damit Interpretationsmethoden miteinander vereinbar sind, muss man sie wenigstens in eine gemeinsame Theorie des Verstehens einordnen können. Den biblischen Text als Kommunikationshandlung anzusehen, ist sicherlich ein Baustein dieser Theorie. Die zwei geschilderten, ihrem Anspruch nach integrativen exegetischen Ansätze aus linguistischer Perspektive sind aber methodisch noch unkonkret bzw. arbeiten faktisch doch „textimmanent“ (Nr. 8). Es wird sich zeigen, dass der cognitive turn in der Literaturwissenschaft eine solche Grundlage für eine gemeinsame Verstehenstheorie bietet. Von daher erhalten verschiedenste Interpretationsmethoden ihren Platz und können bezogen auf ihre Voraussetzungen neu bewertet werden (s. 4.1 Ergebnisse). Dennoch kann man methodische Vereinbarkeit und Integrierbarkeit nicht auf allgemeiner Ebene mit einfachen Zuordnungen („Text“, „Leser“, „Autor“) feststellen, sondern nur indem man die jeweiligen Herangehensweisen bis hin zu Teilschritten genau beschreibt. Auch für eine Integration von Narratologie und historisch-kritischer Methode (Kap. 4.3.1) führt kein Weg daran vorbei, möglichst konkrete Methodenschritte beider Ansätze zu benennen und diese zu vergleichen.
Kapitel 2
Theorie und Methode der Erzählanalyse 2.1 Narratologie in Exegese und Literaturwissenschaft Für eine Einordnung der narrativen Analyse in den exegetischen „Methodenkanon“ ist es notwendig zu bestimmen, was sie eigentlich ist, was sie umfasst und was nicht. Doch gerade in der Exegese gibt es noch recht unklare und heterogene Vorstellungen zur Analyse von Erzähltexten, was eine Eingrenzung auf bestimmte Modelle oder gar Methodenschritte (die bisher kaum existieren) sehr schwierig macht. Bei allen Unterschieden kann man jedoch sagen, dass die narrative Analyse von Erzähltexten der Bibel auf Theorien der Narratologie zurückgreift, einer Forschungsrichtung in den Literaturwissenschaften. Die exegetischen Untersuchungen, die mit narratologischen Modellen arbeiten, lassen sich nur wenig vergröbert in fünf Kategorien einteilen: a) In der angelsächsischen Exegese sehr verbreitet ist der sogenannte narrative criticism.1 Diese Bezeichnung begegnet ausschließlich innerhalb der Theologie und ist von D. Rhoads 1982 analog zu anderen exegetischen ‚criticisms‘ gebildet worden. 2 Das Referenzwerk für den Narrative Criti1 Vgl. RHOADS/DEWEY/MICHIE, Mark; CULPEPPER, Anatomy; P OWELL, Narrative Criticism; SKA, Fathers; MARGUERAT/BOURQUIN, Bible Stories; R ESSEGUIE, Narrative Criticism; sehr eigenständig F UNK, Poetics. S. auch die Kurzeinführungen von P OWELL, Narrative Criticism (1995); M ALBON, Narrative Criticism; E ISEN, Das Markusevangelium erzählt; G UNN, Narrative Criticism; Z UMSTEIN, Narratologische Lektüre; VAN A ARDE, Narratief-kritiese Eksegese; P OWELL, Literary Approaches, 44–65; konzise O SBORNE, Hermeneutical Spiral, 153–173. 2 RHOADS, Narrative Criticism (1982). – Zu Rhoads und seinen Nachfolgern vgl. MOORE, Literary Criticism, 3–13; P OWELL, Narrative Criticism, 1–6; BREYTENBACH, Markusevangelium, 78–82; M ERENLAHTI /HAKOLA, Reconceiving, 17–23 (vgl. MERENLAHTI , Poetics, 17–23); C ORNILS, Geist Gottes, 22–35; E ISEN, Poetik, 16–31. Der Narrative Criticism kann als eine Konkretisierung des umfassenderen „(New) Literary Criticism“ in der angelsächsischen Bibelwissenschaft angesehen werden, der in den 1970-er Jahren erstmals Ansätze der Literaturwissenschaft übernahm. (Literary criticism bedeutet hier „Literaturwissenschaft“ und ist nicht mit „Literarkritik“ zu verwechseln. Eine Übersetzung mit „Literaturkritik“ [u.a. S CHUNACK, Literaturkritische Interpretationsverfahren] ist zwar möglich, aber unpassend, weil damit im Deutschen die Bewertung von Literatur gemeint ist.) Der New Literary Criticism positionierte sich – dem New
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
cism ist die Einführung von S. Chatman, „Story and Discourse“ (1978), die verschiedene frühere Ansätze vereint. Neuere Entwicklungen innerhalb der Narratologie seit 1978 hat der Narrative Criticism so gut wie nicht aufgenommen.3 Es gibt kaum deutschsprachige Exegeten, die sich mit diesem Modell beschäftigen. b) Nur hierzulande gibt es dagegen die exegetische „Erzähltextanalyse“: Sie beruht auf der gleichnamigen Einführung von C. Kahrmann, G. Reiß und M. Schluchter von 1977. H.-J. Klauck hatte sie 1982 für die Exegese „entdeckt“.4 Seit Ende der 1990-er Jahre wurden inzwischen einige deutschsprachige Doktorarbeiten auf der Grundlage dieses Buches verfasst.5 Wichtig ist hier allerdings nur die Unterscheidung verschiedener Erzählebenen (Kap. 2.2.1), zu übrigen Aspekten einer Erzählung ist es ausgesprochen knapp und kaum anwendbar. c) In der deutschen Exegese sehr bekannt ist außerdem der Abschnitt zur „narrativen Analyse“ in der Methodenlehre von W. Egger, der einige frühe narratologische Modelle aus dem französischen Strukturalismus (bis 1970) für die Exegese fruchtbar macht, und zwar von V. Propp, C. Bremond und A.J. Greimas (s. dazu Kap. 2.4.4).6 E. Güttgemanns hatte schon in den 1970-ern auf die beginnende Narratologie aufmerksam gemacht, konnte sich aber aufgrund seines sehr formalistischen Zugangs
Criticism entsprechend (Kap. 2.1.2) – teilweise in scharfem Gegensatz zum historischen Arbeiten (BEARDSLEE, Literary Criticism; P ETERSEN, Literary Criticism [1978, recht polemisch]; D ETWEILER, After the New Criticism; PETERSEN, Literary Criticism [1980]; vgl. MCKNIGHT, Contours and Methods; C LINES/EXUM, New Literary Criticism [Einführung]; EISEN, Das Markusevangelium erzählt, 135f.). Dieses Lagerdenken, die Alternative zwischen vermeintlich rein ,textimmanenter‘ Literaturwissenschaft und historischkritischer Methode, ist auch bis in den heutigen Narrative Criticism hinein zu spüren. 3 Vgl. noch RESSEGUIE, Narrative Criticism (2005), der in vielen Untersuchungen vor allem die biblischen Beispiele mehrt, aber nicht die Theorie vertieft. Zu den wenigen Ausnahmen gehören C ULPEPPER, Anatomy; S KA, Fathers; MARGUERAT/BOURQUIN, Bible Stories, die einige weitere narratologische Arbeiten aufgreifen. Das Buch von Marguerat/Bourquin macht auch die französische bibelwissenschaftliche analyse narrative mit dem angelsächsischen Forschungsstand vertraut (S KA/SONNET/WÉNIN, L’analyse narrative; MARGUERAT [Hg.], La Bible en récits; FOCANT/WÉNIN [Hgg.], Analyse narrative et bible; BEAUDE, L’exégèse narratologique; RRENAB [Hg.], Regards croisés; Bibliographie du RRENAB). Z UMSTEIN, Narrative Analyse, hatte 1996 in der französischen Exegese noch weitgehend die frühen Ansätze von G. Genette und A.J. Greimas festgestellt. 4 KLAUCK, Erzählerische Rolle. 5 Vgl. GIELEN, Konflikt, 16–23 (Habil.); G NIESMER, Prozeß, 83–93 (detaillierte Grafik S. 92); KLEIN, Leseprozeß, 96–102; B IELINSKI, Jesus, 39–44; OKO, Who then is this?, 57f. (23–56 auch zum Narrative Criticism). 6 Vgl. neben EGGER, Methodenlehre, 119–133 auch E GGER, Nachfolge, bes. 8–48 (dazu FUCHS, Funktion und Prozedur); außerdem z.B. C ULLEY, Analyse alttestamentlicher Erzählungen; M CKNIGHT, Bible, 49–58.
2.1 Narratologie in Exegese und Literaturwissenschaft
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nicht durchsetzen.7 Der „Discours du récit“ von G. Genette (1972) ist beiden Exegeten noch nicht vertraut. d) Die alttestamentliche Exegese ist stark von den Einführungen in die narrative Analyse der hebräischen Bibel durch R. Alter (1981) und M. Sternberg (1985) geprägt. 8 Dort liegt der Schwerpunkt jedoch weniger auf narratologischer Theorie als auf konkreten Textanalysen. Alttestamentliche Untersuchungen haben noch meist keinen eigenen Zugang zur literaturwissenschaftlichen Narratologie gefunden. 9 e) Inzwischen sind auch exegetische Veröffentlichungen erschienen, die sich intensiver mit der aktuellen Narratologie auseinandersetzen: J. Vette (2005), A. Cornils (2006), U.E. Eisen (2006) und B. Schmitz (2008).10 Sehr detailliert ist zum einen die Habilitationsschrift von Ute Eisen zur Apos7 GÜTTGEMANNS, Einleitende Bemerkungen; G ÜTTGEMANNS, Narrative Analyse. Der deutschen Exegese wurde deswegen – und aufgrund ähnlicher Bemühungen von H. Schweizer (z.B. SCHWEIZER, Biblische Texte verstehen) – der Blick in Linguistik und Literaturwissenschaft offenbar bis in die 1990-er Jahre hinein weitgehend vergällt. 8 LONG, ‚New‘ Biblical Poetics; OEMING/PREGLA, New Literary Criticism (Forschungsüberblick); F REEDMAN, God, 7–41 (auch Vorstellung von Berlin und Bar-Efrat); VETTE, Samuel, 1f. und passim; BRITT, Robert Alter. Vgl. S TERNBERG, Poetics; A LTER, Art. Andere Autoren wie B ERLIN, Poetics, BAR-EFRAT, Bibel; SKA, Fathers; AMIT, Reading; UTZSCHNEIDER/NITSCHE, Arbeitsbuch, 150–186 werden weniger wahrgenommen. SCHMIDT/WEIDNER, Bibel als Literatur, bieten jetzt Auszüge aus den Veröffentlichungen von Alter, Sternberg, Berlin u.a. in deutscher Übersetzung. 9 Vgl. z.B. FOKKELMAN, Narrative Art and Poetry, 4 Bde.; H ARDMEIER, Prophetie, 23–86 (E. Gülich, U.M. Quasthoff; vgl. LUX, Jona, 57–65), in neuerer Zeit beispielsweise LOHFINK, Narrative Analyse (v.a. als Kompositionsanalyse verstanden, jedoch auch mit erzähltheoretischen Elementen); K LEIN, David (zitiert u.a. J.H. Petersen, bleibt aber oberflächlich); KRAUSS/KÜCHLER, Erzählungen der Bibel; H ARDMEIER, Erzähldiskurs, bes. 1–76 und H ARDMEIER, Textwelten I–II (dazu die Rezension von K ÖHLMOOS, Drei neue Bücher, 498, die auf G. Genette hinweist); SEYBOLD, Erzählen vom Erzählen; SEYBOLD, Poetik der erzählenden Literatur; W RAY BEAL, Deuteronomist’s Prophet. Weiterführend sind M ÜLLNER, Gewalt, bes. 45–68 (M. Bal u.a.); SCHMIDT, Zentrale Randfiguren, bes. 27–56 (M. Bal); DIECKMANN, Segen, 44–46 (knapper Fragenkatalog). R ICHTER, Exegese als Literaturwissenschaft (1971), weist noch keinen Bezug zur Narratologie auf (vgl. nur 141–143 zur Gattung „Erzählung“) und ist eher umgekehrt ein Versuch, die bekannten exegetischen Methodenschritte zu verallgemeinern. W. Richter und seine Schüler haben sich später vor allem linguistischen Studien zugewendet. 10 VETTE, Samuel; CORNILS, Geist Gottes; EISEN, Poetik; SCHMITZ, Prophetie. Vgl. auch die Kurzdarstellungen von M ÜLLNER, Zeit, Raum; LEINHÄUPL -W ILKE, Erzähltextanalyse, sowie TOLMIE, Narratology, und den Abschnitt „sprachliche Analyse“ in der Methodenlehre von EBNER/HEININGER, Exegese, 57–130 (M. Bal, S. Rimmon-Kenan, M. Martínez/M. Scheffel). SEUL, Rettung, kombiniert die Ansätze von A.J. Greimas und G. Genette; ROSE, Theologie, 31–34 und passim beschränkt sich weiterhin auf Genette. Bei früheren neutestamentlichen narratologischen Arbeiten wie W ASSERBERG, Israels Mitte; VON BENDEMANN , DOXA, war eine theoretische Fundierung erst in Ansätzen vorhanden (vgl. EISEN, Poetik, 30f.).
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
telgeschichte. Sie lehnt sich bei der Darstellung der Narratologie im Wesentlichen an das – sehr eklektische – Einführungswerk von M. Martínez und M. Scheffel (1999)11 an, ergänzt an vielen Stellen entsprechende Sekundärliteratur sowie einen Abschnitt zur Figurenanalyse. Die Berührungspunkte dieser narratologischen Theorie mit dem Narrative Criticism sind jedoch marginal. Zum anderen ist auch die alttestamentliche Habilitationsarbeit von Barbara Schmitz zu nennen, die kein übergreifendes Analysemodell für Erzählungen entwirft, sondern sich speziell der Frage nach dem Verhältnis von „Diachronie“ und „Synchronie“ widmet. Dazu erarbeitet sie ein Kommunikationsmodell und ein Konzept zur Analyse der Erzählstimme, bei denen sie sich ausführlich mit der Narratologie auseinandersetzt (vgl. hier die Abschnitte 2.2.1, 2.6.4, 2.6.5). Diese (mindestens) fünf verschiedenen Konzeptionen narrativer Analyse in der Bibelwissenschaft stellen die hier angestrebte Untersuchung vor ein Problem. Welchen der exegetischen Ansätze zur Erzähltextanalyse sollte man als Grundlage für den Vergleich verwenden? Der kurze Überblick führt zunächst zu drei wichtigen Beobachtungen: 1) Praktisch alle exegetischen Studien nehmen bis heute jeweils nur einen Bruchteil der eigentlichen narratologischen Theoriebildung wahr, was auch eine Ursache für die Divergenzen sein kann. 2) Die Darstellungen narrativer Analyse in der Exegese beziehen sich meist auf Forschungsstände zwischen 1970 und 1978 (bzw. 199912). In vielen Fällen ist das jeweilige literaturwissenschaftliche Referenzwerk der Exegese inzwischen gut 30 Jahre alt. 3) Zwischen angelsächsischer und deutscher, alt- und neutestamentlicher narrativer Analyse gibt es bis heute sehr wenig methodologischen Austausch. Aus diesen Gründen erscheint es lohnend, einen ausführlichen Blick in die aktuelle literaturwissenschaftliche Narratologie zu werfen. Die Narratologie befindet sich im Fluss, und gerade in den letzten Jahren entwickelt sich die Disziplin rasant. Man kann sie also nicht z.B. auf die französischen Strukturalisten der Jahre 1966–1972 oder auf einen der exegetischen Ansätze wie den Narrative Criticism beschränken, nur um etwas „Greifbares“ zu haben. Da es auch in der Narratologie bisher noch keine durchgehende Gesamtdarstellung der heutigen Forschung gibt, 13 führt m.E. kein 11
MARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie. Auch M ARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, beziehen sich größtenteils auf G ENETTE, Erzählung (1972). Der spätere Forschungsstand bis 1999 kommt in kurzen Abschnitten zum Ausdruck (123–134.149–153.160–168), jedoch nicht umfassend. 13 Allerdings gibt es verschiedene Einführungen, die m.E. entweder veraltet sind oder nur einen kleinen Ausschnitt der heutigen Diskussion abbilden. Dabei fehlt außerdem oft der Zusammenhang zwischen den Einzelaspekten und eine konkrete Methode der Analyse. Die Einführungen in chronologischer Reihenfolge: P FISTER, Drama; KAHRMANN/ REISS/SCHLUCHTER, Erzähltextanalyse; C HATMAN, Story; ASMUTH, Dramenanalyse; LUDWIG (Hg.), Romananalyse; R IMMON-KENAN, Narrative Fiction; B AL, Narratology; 12
2.1 Narratologie in Exegese und Literaturwissenschaft
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Weg daran vorbei, die existierenden narratologischen Modelle in einer neuen Weise enzyklopädisch aufzuarbeiten. Ich war bemüht, möglichst alle relevanten Ansätze wahrzunehmen und den jeweiligen Modellen gerecht zu werden; außerdem möchte ich bibel- und literaturwissenschaftlichen Leserinnen und Lesern eine Übersicht geben, die auch zum Weiterarbeiten genutzt werden kann. Wenn – wie fast immer – konkurrierende Modelle und Begriffsbezeichnungen vorhanden sind, werden sie in der Regel in den Fußnoten genannt. Die Vielzahl der Theorien macht eine kompakte Darstellung notwendig. Neu ist, dass die heutige narratologische Forschung erstmals umfassend im Zusammenhang dargestellt, jeweils eine Methode formuliert und die Analyseschritte einander zugeordnet werden. Der Schwerpunkt liegt auf der Entwicklung eines möglichst erschöpfenden Analyserasters, die theoretischen Erörterungen dagegen werden auf ein Minimum reduziert. Dabei musste ich eine Schneise schlagen, also die narratologischen Theorien und Terminologien zu einem Teilbereich sammeln und knapp bewerten 14, die Darstellung einzelner Analysekategorien in bestimmter Weise gewichten (z.B. die Perspektivenanalyse, die klassische Domäne deutscher Erzähltheorie, ist hier ein Aspekt neben anderen) und nicht zuletzt war ich darum bemüht, einige Modelle zu präzisieren. Die Narratologie ist kein fertiges Theoriegebäude, sondern eine sich schnell entwickelnde wissenschaftliche Disziplin. Das macht es so schwierig, aber auch so spannend, sich näher mit ihr zu beschäftigen. 2.1.1 Was ist „Narratologie“? Der Begriff „Narratologie“ wurde von T. Todorov 1969 in der „Grammaire du Décameron“ geprägt und dort als „Wissenschaft von der Erzählung“ definiert.15 Der Terminus wird bisweilen auch speziell für die französische, strukturalistische Beschäftigung mit Erzähltexten verwendet und der deutschen „Erzähltheorie“ gegenübergestellt. 16 Ich benutze aber beide AusdrüBAUER, Romantheorie; M ARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie; HERMAN/VERVAECK, Handbook; SCHNEIDER, Roman-Analyse; W ENZEL (Hg.), Erzähltextanalyse; B ODE, Roman; FLUDERNIK, Erzähltheorie; L EUBNER/SAUPE, Erzählungen; H ERMAN (Hg.), Cambridge Companion; L AHN/MEISTER, Erzähltextanalyse; N EUMANN/NÜNNING, Narrative Fiction; EHLERS, Studienbuch. Für den Einstieg hilfreich ist das umfassende Nachschlagewerk Routledge Encyclopedia of Narrative Theory. Angekündigt sind Darstellungen der Narratologie von SCHMID, Narratology (Mitte 2010); N ÜNNING/NÜNNING (Hgg.), Narrative Theory (Ende 2010); T ILL, Narratologie (Mitte 2011). 14 Die immer wieder verwendeten Bewertungskriterien sind: Erklärungskraft der Theorie, Angemessenheit, Reinheit der Kategorien sowie Einfachheit der Fachbegriffe. 15 TODOROV, Grammaire, 10: „cet ouvrage relève d’une science qui n’existe pas encore, disons la NARRATOLOGIE, la science du récit.“ Zu Todorov vgl. 2.4.4. 16 Vgl. NÜNNING/NÜNNING, Von der strukturalistischen Narratologie, 18f.; eine begriffliche Übersicht bieten CORNILS/SCHERNUS, Relationship (s. SCHERNUS, Verhältnis).
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
cke synonym, weil heutige Begriffsbildungen wie „feministische Narratologie“, „kognitive Narratologie“ oder „postklassische Narratologie“ (s.u.) ein allgemeineres, nicht auf den Strukturalismus beschränktes Verständnis voraussetzen, sondern einfach einen Gegenstandsbereich bezeichnen. Tatsächlich hat sich die Erzählforschung seit 1972 weiterentwickelt. Das hat zur Folge, dass man bei der Gegenüberstellung von historisch-kritischer Methode und narrativer Analyse auch bei letzterer nicht von immerwährenden, einheitlichen Denkvoraussetzungen ausgehen kann. Daher würde ein bloßer ideologiekritischer Vergleich von „historischem Denken“ und Strukturalismus das Vereinbarkeitsproblem nicht wirklich lösen. Bisher gingen viele Bezeichnungen recht durcheinander. Neben „narrativer Analyse“ und „Erzähltheorie“ konkurrieren mit „Narratologie“ auch die Begriffe „Erzählforschung“ oder „Erzähltextanalyse“. Zur Präzisierung soll ein kleines wissenschaftstheoretisches Schema vorgeschlagen werden: Tab. 3: Terminologie in Exegese und Erzählforschung wiss. Disziplin Theorie Methode Praxis
? (über die Exegese hinaus) ? historisch-kritische Methode historisch-kritische Auslegung
Erzählforschung, Narratologie Erzähltheorie, Narratologie ? Erzähltextanalyse, Erzählanalyse, narrative Analyse, narratologische Analyse 17
„Narratologie“ bezeichnet einerseits den Gegenstandsbereich, andererseits auch die Theoriebildung innerhalb dieser Disziplin. Davon ist die konkrete Analyse abzugrenzen, für die verschiedene Begriffe existieren. Interessanterweise gibt es noch keinen eigenen Ausdruck für die Methode der narrativen Analyse 18, was gerade im Vergleich mit der historisch-kritischen Methode deutlich wird. Auf der historisch-kritischen Seite dagegen gibt es keinen Begriff für die Theorie, außerdem fehlt eine ähnliche Querschnittsdisziplin, die sich z.B. mit den Kriterien für Literarkritik in den Philolo-
17 Die Bezeichnung „narratologische Analyse“ ist ein bedenkenswerter Vorschlag von EISEN, Poetik, 23. 18 Die Narratologie hat bisher kaum eine explizite Methode hervorgebracht. Entsprechende mögliche Fragestellungen werden offenbar erstmals 2004 bei W ENZEL (Hg.), Erzähltextanalyse, genannt (unter dem Stichwort „Toolkit“); erst langsam setzen sich die Listen mit Analysefragen durch. Das könnte mit dem unklaren Methodenverständnis und einer „latente(n) Methodenfeindlichkeit“ der Literaturwissenschaft zusammenhängen, vgl. WINKO, Art. Methode, bes. 581; W INKO, Art. Methodologie; s. die ähnlichen Bemerkungen von M AYORDOMO MARÍN, Anfang, 189 speziell zur Rezeptionsästhetik. Der exegetische Narrative Criticism ist dagegen eher um die Beschreibung der Methode bemüht, vgl. z.B. P OWELL, Narrative Criticism, 103–105.
2.1 Narratologie in Exegese und Literaturwissenschaft
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gien auseinandersetzen würde. Ist es möglich, dass die Fragezeichen jeweils auch einen „blinden Fleck“ in der Forschung andeuten? Wenn Narratologie die „Wissenschaft von der Erzählung“ ist, bleibt noch „Erzählung“ zu definieren. Auch wenn die Diskussion darüber noch nicht zum Abschluss gekommen ist 19, ist folgende Bestimmung sicher eine sinnvolle Arbeitshypothese: Eine Erzählung ist die Darstellung einer kausal verknüpften Folge von Ereignissen.20 Das umfasst auch die wissenschaftliche Beschäftigung mit Filmen, Theateraufführungen, Geschichtsschreibung, Alltagserzählungen, Comics oder Computerspielen – alles Gebiete, in welche die Konzepte der Narratologie seit einigen Jahren zunehmend hineinwirken. 2.1.2 Geschichte der Narratologie 21 Die Geschichte der Narratologie lässt sich grob in vier Phasen unterteilen:22 1) Anfänge (1910–1966), 2) klassischer Strukturalismus (1966– 1975/85), 3) Weiterführung und Niedergang (1980–1995), 4) postklassische Narratologie (seit 1995, Ansätze seit 1985). 1) Anfänge: Eigentlich müsste man für eine Geschichte der Erzähltheorie bis Aristoteles zurückgehen, doch das wäre eine Aufgabe für sich. 23 Für den literaturwissenschaftlichen Strukturalismus sollten insbesondere einige Arbeiten des russischen Formalismus wichtig werden, der u.a. die Handlungsfunktionen (V. Propp) und die Unterscheidung von ‚fabula‘ und 19
Vgl. den Überblick über verschiedene Begriffsbestimmungen von „Erzählung“ und die offenen Fragen bei R YAN, Art. Narrative, bes. 345–347. S. auch R YAN, Toward a definition, sowie die Fragenliste von P RINCE, Fourty-One Questions. 20 Vgl. die sehr überlegte Definition bei R ICHARDSON, Recent Concepts, 170: „narrative is a representation of a causally related series of events“. 21 Zur Geschichte der Narratologie allgemein vgl. O NEGA/GARCÍA L ANDA (Hgg.), Narratology, 12–41; G OEBEL, Stationen der Erzählforschung (sehr eigener Blick); D ARBY, Form and Context (trennt scharf zwischen der deutschen und der französischamerikanischen Forschung; vgl. dazu F LUDERNIK, History of Narratology. A Rejoinder; K INDT/MÜLLER, Narratology and Interpretation; D ARBY, Form and Context Revisited); HERMAN, Histories (I); F LUDERNIK, Histories (II) (hilfreich); SCHULZ, Model, 19–35; LAHN/MEISTER, Erzähltextanalyse, 19–34. Passend zum ahistorischen literaturwissenschaftlichen Strukturalismus setzt die Forschungsgeschichtsschreibung erst in den letzten Jahren ein. 22 Hier in Anlehnung an S CHÖNERT, Status, 138; ähnlich M EISTER, Narratology, 332– 341. NÜNNING/NÜNNING, Von der strukturalistischen Narratologie, 5–8 sehen drei Phasen (Anfänge, Strukturalismus, postklassische Narratologie), vgl. auch E ISEN, Poetik, 47f. – Bis Anfang der 1990-er sei die „Geschichte vom Aufstieg und Fall der Narratologie“ erzählt worden, inzwischen setzt sich die Erzählung von der Renaissance der Narratologie durch (F LUDERNIK, Histories [II], 36f.; ähnlich N ÜNNING, Towards a Cultural Narratology, 346–348; R IMMON-KENAN, Narrative Fiction, 2. Aufl., 134f.). 23 Vgl. EISEN, Poetik, 45f.
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
,sjužet‘ (B. Tomaševskij) einführte.24 Auch weitere Autoren des 20. Jahrhunderts spielen noch in der heutigen Narratologie eine Rolle, u.a. K. Friedemann, E. Auerbach, G. Müller, E. Lämmert, F.K. Stanzel25, im englischsprachigen Bereich E.M. Forster, P. Lubbock, N. Frye und W.C. Booth.26 Bis in die 1960-er Jahre hinein gab es in den Literaturwissenschaften eine andere Strömung, die die heutige Narratologiegeschichtsschreibung ausblendet, die aber stark in den exegetischen Narrative Criticism hineinwirkte.27 In den USA hatte sich der New Criticism 28 (ca. 1920–1960) konsequent von der historischen und psychologischen Interpretation abgewendet. Man glaubte, den Sinn eines Textes allein aus dem Text erheben zu können, und geißelte den „intentionalen Fehlschluss“ (intentional fallacy) sowie den „affektiven Fehlschluss“ (affective fallacy).29 Es sei unnötig und unmöglich, den psychischen Zustand eines Autors beim Abfassen des Gedichts zu ermitteln, ebenso sei die Leserwirkung zu subjektiv und unerheblich für die Interpretation. 30 Das Gedicht (und die Erzählung als Untergat24
PROPP, Morphologie; TOMAŠEVSKIJ, Theorie. Vgl. EISEN, Poetik, 47 mit Anm. 16 (Lit.); ausführlich jetzt SCHMID (Hg.), Russische Proto-Narratologie; S CHMID (Hg.), Slavische Erzähltheorie, darin u.a. S CHMID, „Fabel“ und „Sujet“, zu V. Šklovskij und B. Tomaševskij. 25 FRIEDEMANN, Rolle des Erzählers (1910); A UERBACH, Mimesis (1946); M ÜLLER, Erzählzeit und erzählte Zeit (1948); L ÄMMERT, Bauformen (1955); S TANZEL, Die typischen Erzählsituationen (1955, vgl. S TANZEL, Typische Formen; S TANZEL, Theorie; STANZEL, Unterwegs). 26 LUBBOCK, Craft (1921); F ORSTER, Aspects (1927); F RYE, Anatomy (1957); BOOTH, Rhetoric (1961). 27 Beim Narrative Criticism wird immer wieder der Einfluss des New Criticism betont, vgl. MOORE, Literary Criticism, 9–13 („entdeckt“ den Zusammenhang); P OWELL, Narrative Criticism, 4f.; M ALBON, Narrative Criticism, 24f.; O EMING/PREGLA, New Literary Criticism, 4f.; RESSEGUIE, Narrative Criticism, 21–25; E ISEN, Poetik, 25 Anm. 53. 28 Vgl. WEIMANN, „New Criticism“ (,Nekrolog‘; umfassend); H ALFMANN, Der amerikanische „New Criticism“; E AGLETON, Literaturtheorie, 59–71; P OLAND, Literary Criticism, 65–105; W ELLEK , History of Modern Criticism VI, 144–292 (verteidigend); BERMAN, Reception, 26–113; S PURLIN/F ISCHER (Hgg.), New Criticism (Texte und Rückblick); LITZ/MENAND/RAINEY (Hgg.), Cambridge History VII, 181–265; K ÖPPE/WINKO, Neuere Literaturtheorien, 39–46; U HLIG, Art. New Criticism; W ENZEL, Art. New Criticism; ELLIOTT/PAUL, Art. New Criticism; s. auch M AYORDOMO MARÍN, Anfang, 22f. 175–177; DEINES, Gerechtigkeit, 43f. 29 Vgl. WIMSATT, The Verbal Icon, mit den Aufsätzen W IMSATT/BEARDSLEY, The Intentional Fallacy (1946), und W IMSATT/BEARDSLEY, The Affective Fallacy (1946). 30 Vgl. WIMSATT/BEARDSLEY, The Affective Fallacy, 21: „The Intentional Fallacy is a confusion between the poem and its origins, a special case of what is known to philosophers as the Genetic Fallacy. It begins by trying to derive the standard of criticism from the psychological causes of the poem and ends in biography and relativism. The Affective Fallacy is a confusion between the poem and its results … It begins by trying to derive the standard of criticism from the psychological effects of the poem and ends in
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tung des Gedichts) wird im New Criticism dadurch zu einer autonomen, fast metaphysisch überhöhten Größe. 31 Mögliche Quellen und Vorstufen des literarischen Textes konnten hier nicht ins Blickfeld kommen. Die neue Methode der Auslegung bezeichnete man als Close Reading.32 In Deutschland fand der New Criticism nach dem zweiten Weltkrieg seine Entsprechung in der „werkimmanenten Interpretation“, die bis in die 60-er Jahre hinein die Lehrstühle beherrschte. 33 2) Klassischer Strukturalismus: Der literaturwissenschaftliche Strukturalismus34 knüpfte nicht direkt an den New Criticism oder die werkimmanente Interpretation an, konnte sich aber die allgemeine Einstellung zunutze machen.35 Der Strukturalismus war eigentlich in der Linguistik zu Hause;36 er gründet sich auf die Vorlesungsmitschriften von F. de Saussure,37 der Begriff wurde dann 1929 von R. Jakobson geprägt.38 Beeindruckt vom linguistischen Strukturalismus wendete C. Levi-Strauss diese Denkweise erfolgreich auf die Ethnologie an 39 und beeinflusste so auch die impressionism and relativism. … The outcome of either Fallacy … is that the poem itself, as an object of specifically critical judgment, tends to disappear.“ Aus heutiger Sicht muss man über die falschen Gegensätze fast schmunzeln. Vgl. zur Frage der Autorintention auch Kap. 2.2.1. 31 Vgl. EAGLETON, Literaturtheorie, 60 und passim. Eagleton formuliert oft sehr zugespitzt, ist aber dadurch gut lesbar. 32 Vgl. NÜNNING, Art. Close reading, der dort eine „theoretisch nur ansatzweise reflektierte Interpretationspraxis“ erkennt. 33 Vgl. RUSTERHOLZ, Formen ‚textimmanenter‘ Analyse; G RUBER, Werkimmanente Literaturwissenschaft; B ORGMEIER, Art. Werkimmanente Interpretation. 34 Zum literaturwissenschaftlichen Strukturalismus, der bisher zu wenig aufgearbeitet wurde, v.a. E AGLETON, Literaturtheorie, 71–109; B ERMAN, Reception, 114–170; SCHOLES, Structuralism; C ULLER, Structuralist Poetics; G ÜLICH/R AIBLE, Linguistische Textmodelle, 195–250; P AUKSTADT, Paradigmen, 195–220; PRINCE, Narratology (Cambridge History); T ITZMANN, Art. Strukturalismus; allgemeiner im linguistischen Kontext S CHIWY, Der französische Strukturalismus; J AMESON, Prison-House; F IETZ , Strukturalismus; JACKSON, Poverty of Structuralism; D OSSE, Geschichte des Strukturalismus I–II; A L BRECHT , Europäischer Strukturalismus, 206–215. 35 Vgl. bereits 1966 die Einschätzung von G ENETTE, Strukturalismus, 77f.: „In dieser Beziehung macht der Strukturalismus gemeinsame Sache mit der allgemeinen Bewegung nachlassender Wertschätzung gegenüber dem Positivismus, dem ‚Historismus‘ und der ‚biographistischen Illusion‘ … In gewisser Weise kann der Begriff ‚strukturale Analyse‘ als ein bloßes Äquivalent dessen angesehen werden, was die Amerikaner close reading nennen und was man in Europa … wohl immanente Interpretation nennen würde.“ In Frankreich stellte bekanntlich R. Barthes den „Tod des Autors“ fest und M. Foucault fragte kritisch: „Was ist ein Autor?“ (B ARTHES, Tod [1968]; F OUCAULT, Autor [1969]). 36 Einen guten Überblick gibt A LBRECHT, Europäischer Strukturalismus. 37 SAUSSURE, Cours (1916). 38 TITZMANN, Art. Strukturalismus, 537. 39 LÉVI -STRAUSS, Strukturale Anthropologie (urspr. 1958). Der Strukturalismus wurde später auf alle Kulturwissenschaften ausgedehnt und begegnet seit den 1970-er Jahren als
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
französische Literaturwissenschaft. 40 Als eigentliche Initialzündung für die Narratologie gilt dann die Zeitschrift Communications 8 (1966) mit mehreren wegweisenden Aufsätzen von R. Barthes, A. J. Greimas, C. Bremond, U. Eco, T. Todorov und G. Genette. Das immer wieder formulierte Anliegen des Strukturalismus war „wissenschaftliches“ Arbeiten. 41 Auch wenn man sich anders als der New Criticism nicht kämpferisch gegen die Autorintention äußerte, spielte der historische Kontext einer Erzählung faktisch keine Rolle, weil sich die Aufmerksamkeit in dieser Phase der Narratologie auf überindividuelle „Tiefenstrukturen“ v.a. in der Handlung (vgl. Kap. 2.4.4) richtete. 3) Weiterführung und Niedergang: Seit etwa Mitte der 1970-er Jahre verebbten die Veröffentlichungen der französischen Strukturalisten zur Erzähltheorie, vom Poststrukturalismus wurde die Narratologie kaum noch berührt. Die Narratologie entwickelte sich vor allem außerhalb Frankreichs weiter, Schwerpunkte waren (und sind) Nordamerika und Deutschland, daneben auch Großbritannien, die Niederlande und Israel. Die Handlungsmodelle von Propp, Bremond, Greimas u.a. wurden dort modifiziert und weitergeführt. Als brauchbar erwies sich der Strukturalismus v.a. für den Vergleich von Texten. 42 1978 leistete S. Chatman eine kritische Sichtung der Narratologie, er verknüpfte den französischen Strukturalismus mit früheren Ansätzen und systematisierte sie in neuer Weise; ihm folgten die einführenden Werke von S. Rimmon-Kenan und M. Bal.43 Ähnlich innovativ wie Chatman war im deutschen Sprachraum M. Pfister, der den Strukturalismus konsequent und umfassend auf die Dramenanalyse anwendete (1977)44. Bis gegen Anfang der 90-er Jahre wuchs jedoch das Unbehagen mit den sehr formalen Kategorisierungen, so dass man schon vom Ende der Narratologie sprach und nach neuen Wegen suchte, die sich dann in der „postklassischen Narratologie“ äußern sollten. Diese wird nun in einem eigenen Abschnitt behandelt. Semiotik, die den Anspruch hat, alle Zeichensysteme in einer Gesellschaft zu erfassen. Das Problem einer allumfassenden Semiotik besteht m.E. darin, dass sie andere, konkretere wissenschaftliche Disziplinen bloß auf oberflächliche Weise verdoppelt, vgl. z.B. VOLLI , Semiotik, 93–147 zur Analyse von Erzählungen. 40 Vgl. z.B. GENETTE, Strukturalismus, 71–77 zu Lévi-Strauss und Jakobson. 41 Schon TODOROV, Grammaire, 10 definierte die neu zu schaffende Narratologie ausdrücklich als „science du récit“. Ob dieser Selbstanspruch immer eingelöst wurde, sei dahingestellt. 42 Ein typisches Beispiel ist das monumentale Buch von D ORNER-BACHMANN, Erzählstruktur, die Gothic Novels untersucht und den Strukturalismus auf die Spitze treibt. 43 CHATMAN, Story (1978); RIMMON-KENAN, Narrative Fiction (1983); B AL, Narratology (1985). Eine Kurzdarstellung dieser Werke (inkl. G ENETTE, Erzählung) bietet EISEN, Poetik, 50–59 im Hinblick auf deren divergierende Grundunterscheidungen. 44 PFISTER, Drama.
2.1 Narratologie in Exegese und Literaturwissenschaft
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2.1.3 Entwicklungslinien der heutigen „postklassischen“ Narratologie Seit etwa Mitte der 1990-er ist wieder eine Renaissance, ja ein Boom der Narratologie zu beobachten. 45 Fast alle heute tätigen (und oft sehr produktiven) Narratologen sind sich darin einig, dass ihre Modelle über den klassischen Strukturalismus hinausgehen; zugleich fächern sich die Ansätze so weit auf, dass einige nur noch im Plural von „Narratologien“ sprechen. 46 Dabei werden die bisherigen narratologischen Kategorien nicht aufgegeben, sondern jeweils in eine bestimmte Richtung modifiziert oder neu gedeutet. Es ist also kein „Poststrukturalismus“ (ein Terminus, der ohnehin schon belegt ist), auch die häufige Bezeichnung „post-klassisch“ ist hier wohl nur ein Verlegenheitsbegriff. Im Einzelnen sind folgende Tendenzen festzustellen:47 – Intermedialität: Man betont, dass Konzepte der Narratologie in je spezifischer Form auf unterschiedliche Medien ausgeweitet werden können. 48 Narratologie kann mit den literarischen Erzählungen aller Zeiten und 45
Vgl. nur NÜNNING/NÜNNING, Von der strukturalistischen Narratologie, 1f. und das Vorwort ebd., iii: „Kaum ein Teilbereich der Literatur- und Kulturtheorie hat seit etwa einem Jahrzehnt einen ähnlichen Boom zu verzeichnen wie die Erzähltheorie.“ 46 Programmatisch H ERMAN (Hg.), Narratologies (1999); zum Thema außerdem F LUDERNIK, Beyond Structuralism; N ÜNNING, Towards a Cultural Narratology; N ÜNNING / NÜNNING, Von der strukturalistischen Narratologie; R IMMON-KENAN, Narrative Fiction, 2. Aufl., 134–149; N ÜNNING, Narratology or Narratologies?; S OMMER (Hg.), Beyond (Classical) Narratology; H ERMAN/VERVAECK, Handbook, 103–175 („Post-Classical Narratology“); PETRY, Post-klassische Erzähltheorie; F LUDERNIK/A LBER (Hgg.), Postclassical Narratology (ersch. 2010). 47 Vgl. die hilfreiche Übersicht bei N ÜNNING/NÜNNING, Von der strukturalistischen Narratologie, 10–13, die über 40 Forschungsrichtungen in der heutigen Narratologie in acht Kategorien auflisten. Die letzten drei dort genannten Punkte (linguistische Ansätze, philosophische Erzähltheorie, andere interdisziplinäre Erzähltheorien) werden hier weggelassen. Sie zeigen, dass die Narratologie zunehmend über disziplinäre Grenzen hinaus arbeitet. S. auch die ähnlichen Tabellen bei N ÜNNING, Towards a Cultural Narratology, 351f.; NÜNNING, Narratology or Narratologies?, 249–251; P ETRY, Post-klassische Erzähltheorie, 225; N EUMANN/NÜNNING, Narrative Fiction, 146f.; N ÜNNING, Surveying, 54f.; knapper S CHÖNERT, Status, 139. 48 Eine erste Einführung geben R YAN, Narrative Across Media; MEISTER, Narratology Beyond Literary Criticism; N ÜNNING/NÜNNING, Erzähltheorie transgenerisch; L EUBNER/ SAUPE, Erzählungen; M AHNE, Transmediale Erzähltheorie; L AHN/MEISTER, Erzähltextanalyse, 257–276; NEUMANN/NÜNNING, Narrative Fiction, 163–188; H EINEN/SOMMER (Hgg.), Narratology; K LEIN /MARTÍNEZ (Hgg.), Wirklichkeitserzählungen; H ÜHN/PIER u.a. (Hgg.), Handbook of Narratology, 212–281. Vgl. z.B. die neueren Arbeiten von KORTHALS, Drama und Erzählung; M UNY, Erzählperspektive im Drama; K ARGL, Wie Film erzählt; SCHÖNERT/HÜHN/STEIN, Lyrik und Narratologie; H UWILER, Erzähl-Ströme im Hörspiel; KRICHEL, Erzählerische Vermittlung im Comic; M EELBERG, New Sounds; MAHNE, Mediale Bedingungen; K OCHER, Pixelkaninchen; S CHÜWER, Wie Comics erzählen; BACKE, Erzählen im Computerspiel; VERSTRATEN, Film Narratology.
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
Kulturen umgehen,49 ebenso mit Film und Theater. Hinzu kommt neuerdings die Beschäftigung mit narrativen Interviews und der Geschichtswissenschaft, mit Comics, Lyrik, Hörspiel, bildender Kunst, Musik und Computerspielen. Der gattungsübergreifende Vergleich und der Austausch von Beschreibungskonzepten erweist sich als weiterführend. Die Narratologie will so einen Beitrag zur „Kulturwissenschaft“ leisten, als deren Teil die Literaturwissenschaften heute gerne angesehen werden.50 – Postmoderne Narratologie: Einige poststrukturalistisch beeinflusste Autoren51 hinterfragen die festen Kategorien der Narratologie und stellen heraus, dass Bedeutung variabel ist und sich erst aus dem Zusammenspiel von Texten ergibt (Intertextualität52). Dabei wird der Textbegriff erweitert und letztlich auch auf Autor und Leser ausgedehnt. Der Poststrukturalismus kann m.E. in den Cognitive Turn überführt werden, weil das Vorwissen der menschlichen Akteure dort genauer aufgeschlüsselt und außerdem beschrieben wird, bei welchem Vorverständnis welche Bedeutung entsteht. – Pragmatic Turn: Von der Narratologie wird zunehmend erkannt, dass eine Erzählung immer auch Teil der menschlichen Kommunikation ist – eine Tatsache, die die strukturalistische, scheinbar rein „textintern“ arbeitende Narratologie vollkommen ausgeblendet hatte. Methodologisch wird hier die linguistische Pragmatik ausgewertet, bisher ist man jedoch 49 Dass die Narratologie in spezifischer Anpassung auch auf antike Texte angewendet werden kann, braucht hier nicht weiter begründet werden, s. zuletzt E ISEN, Poetik, 45–47. Die narratologische Homerforschung hat besonders I.J.F. de Jong vorangetrieben, vgl. DE JONG, Narrators and Focalizers (Dissertation); R ICHARDSON, Homeric Narrator; SCHEIN, Narratology and Homeric Studies; DE JONG/SULLIVAN (Hgg.), Modern Critical Theory; DE JONG, Narratological Commentary; DE JONG/NÜNLIST/BOWIE (Hgg.), Studies I; LATACZ, Zur modernen Erzählforschung. Vgl. zu anderen antiken Autoren S CHULZ, Biographie des Ahmose; HOCK/CHANCE/PERKINS (Hgg.), Ancient Fiction; R ADICKE, Lucans poetische Technik; S TODDARD, Narrative Voice; G RETHLEIN/RENGAKOS (Hgg.), Narratology; medäivistisch H AFERLAND/MEYER (Hgg.), Historische Narratologie; noch recht oberflächlich bleibt S CHMITZ, Moderne Literaturtheorie, 55–75 (zu DE JONG, Narrators and Focalizers). 50 Vgl. SCHÖSSLER, Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft, und Kap. 2.1.3.2. 51 Vgl. G IBSON, Postmodern Theory of Narrative; C URRIE, Postmodern Narrative Theory; O’N EILL, Fictions of Discourse. Dazu H EINEN, Postmoderne und poststrukturalistische Narratologie. 52 Vgl. KRISTEVA, Bachtin; GENETTE, Palimpseste; daneben z.B. BROICH/PFISTER, Intertextualität; P LETT, Intertextuality; H OLTHUIS, Intertextualität; HELBIG, Intertextualität und Markierung; S TOCKER, Theorie der intertextuellen Lektüre; A LLEN, Intertextuality; BÖHN, Intertextualitätsanalyse; SCHEIDING, Intertextualität; für eine interdisziplinäre Übersicht vgl. SEILER/SÄNGER u.a., Art. Intertextualität. Eine narratologische Konkretisierung findet sich bei G YMNICH/NEUMANN/NÜNNING, Kulturelles Wissen und Intertextualität. Zur Kritik der Intertextualitätstheorie vgl. Kap. 2.1.3.1.
2.1 Narratologie in Exegese und Literaturwissenschaft
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kaum über eine Darstellung von Sprechakttheorie und Konversationsmaximen hinausgekommen. 53 – Cognitive Turn und empirische Rezeptionsforschung: Im Gefolge des Cognitive Turn versucht man die Prozesse der Textproduktion und v.a. der Textrezeption empirisch und kognitionspsychologisch zu beschreiben. Was im Poststrukturalismus ein bloßes „Dass“ geblieben ist (Variabilität von Bedeutungen) und wozu der Pragmatic Turn nur Fragmente beiträgt, wird in der empirischen Rezeptionsforschung tatsächlich umfassend untersucht. Dieser Ansatz ist in vielfacher Hinsicht weiterführend und soll unten ausführlicher beschrieben werden. – Cultural/Historical Turn: In die gleiche Richtung wie die pragmatische und kognitive Wende zielt die „kulturelle Wende“. Auch hier rückt der Erzählkontext wieder in den Mittelpunkt; man bleibt nicht bei der strukturalistischen Textbeschreibung stehen. Spezielle Ausprägungen des Cultural Turn sind die feministische Narratologie, die bereits Mitte der 1980-er Jahre einsetzte, 54 und die postkoloniale Erzähltheorie 55. Die „historische Wende“ kann auch als logische Folge des Cognitive Turn angesehen werden,56 da das jeweilige Vorwissen von Autor und Lesern immer kulturell und historisch bedingt ist. Der Cultural Turn ist für das Verhältnis von Narratologie und historisch-kritischer Methode von Bedeutung und wird unten daher ebenfalls genauer vorgestellt.
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COSTE, Narrative as Communication; PETREY, Speech Acts (dazu F LUDERNIK , Narratology in Context); S ELL (Hg.), Literary Pragmatics; P HELAN, Narrative as Rhetoric; KEARNS, Rhetorical Narratology; SELL, Literature as Communication; P ILKINGTON, Poetic Effects; MEY, When Voices Clash; vgl. auch S TRASEN, Pragmatische Narratologie. 54 Die feministische Narratologie lieferte einen wesentlichen Beitrag zur Aufsprengung des klassischen, textinternen Strukturalismus und zur Interpretation im kulturellen Kontext. Vgl. L ANSER, Toward a Feminist Narratology (grundlegend); L ANSER, Shifting the Paradigm; D IENGOTT, Narratology and Feminism (kritisch); W ARHOL, Gendered Interventions; L ANSER, Fictions of Authority, bes. 3–24; N ÜNNING, Gender and Narratology (betonte die Vereinbarkeit beider Richtungen); H OMANS, Feminist Fictions; LANSER, Sexing the Narrative; M EZEI (Hg.), Ambiguous Discourse; F LUDERNIK, Genderization; L ANSER, Sexing Narratology; A LLRATH, Survey; GUTENBERG, Mögliche Welten, bes. 153–425; A LLRATH/GYMNICH, Feministische Narratologie; N ÜNNING/N ÜNNING (Hgg.), Erzähltextanalyse und Gender Studies; A LLRATH, (En)gendering Unreliable Narration; P AGE, Literary and Lingustic Approaches; N ÜNNING, Art. Feministische Narratologie. 55 Vgl. z.B. GYMNICH, Linguistics and Narratology; B IRK/NEUMANN, Postkoloniale Erzähltheorie; R EHBERGER/STILZ, Postkoloniale Literaturtheorie; O ROSZ/SCHÖNERT, Narratologie interkulturell; K INDT/TELLER, Narratologie interkulturell; PRINCE, Postcolonial Narratology; G YMNICH, Writing Back; S OMMER, ,Contextualism‘ Revisited. 56 Vgl. ZERWECK, Cognitive Turn, 237–239.
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
Auch wenn die letzten vier Entwicklungstendenzen getrennt voneinander entstanden sind und noch nebeneinander laufen, sind sie m.E. miteinander vereinbar und fallen letztlich zusammen. A. Nünning stellt die wesentlichen Merkmale ‚der‘ postklassischen Narratologie in einem tabellarischen Vergleich dar (Tab. 4):57 Tab. 4: Klassische und postklassische Narratologie im Vergleich strukturalistische Narratologie
postklassische Narratologie
ahistorisch und synchron orientiert textzentriert in sich geschlossene, literaturwissenschaftliche Disziplin Interesse an universalistischen Gesetzmäßigkeiten von Erzähltexten formalistisches, deskriptives Paradigma Bevorzugung (reduktiver) binärer Oppositionen
historisch und diachron orientiert kontextorientiert interdisziplinäre Projekte Interesse an spezifischen Bedeutungen und Wirkungen in einzelnen Erzähltexten interpretatives, evaluatives Paradigma Bevorzugung einer ganzheitlichen kulturellen Interpretation
Obwohl sich die postklassische Narratologie immer wieder klar von der strukturalistischen Narratologie abgrenzt und die eigenen Neuerungen, also die Einbeziehung des Kontextes und das interdisziplinäre Arbeiten, betont, werden die strukturalistischen Modelle weiterhin verwendet und sogar noch ausgebaut.58 2.1.3.1 Die kognitive Wende in der Narratologie Seit Mitte der 1990-er Jahre hat der cognitive turn in Psychologie und Linguistik (ca. 1960–1990) auch die Narratologie erfasst und hier zu einer Neuorientierung geführt.59 Für die zuvor „textimmanente“ strukturalisti57
Nach PETRY, „Post-klassische“ Erzähltheorie, 230, der die verschiedenen Fassungen bei NÜNNING, Towards a Cultural Narratology, 358 (daran anschließend R IMMONKENAN, Narrative Fiction, 2. Aufl., 142); N ÜNNING/N ÜNNING, Von der strukturalistischen Narratologie, 24; N ÜNNING, Narratology or Narratologies?, 243f. zusammenkürzt. Vgl. jetzt auch NEUMANN/NÜNNING, Narrative Fiction, 145. 58 Dagegen sieht C HATMAN, Contextualist Narratology, noch 1990 einen scharfen Gegensatz zwischen den Strukturalisten und den (damaligen) „Kontextualisten“ und übt Kritik an den letzteren. Seine Befürchtung: „Contextualist emphasis on the priority of the act leads to a questioning of, if not an assault on, various hard-earned distinctions in narratology“ (310). Eine ähnliche Unvereinbarkeit konstatiert auch M CHALE, Ghosts, 64. Diese Auffassung wird von der großen Mehrheit der postklassischen Narratologen heute nicht mehr geteilt, vgl. die differenzierten Überlegungen bei A UMÜLLER, Kontroverse. 59 IBSCH, Cognitive Turn (Sammelrezension); G ERRIG, Experiencing; G ERRIG/A LL BRITTON, Construction; W INKO, Verstehen literarischer Texte; F LUDERNIK, Natural Narratology (JLS), bes. 104–106.122–127; F LUDERNIK, Natural Narratology, bes. 17–19.43–
2.1 Narratologie in Exegese und Literaturwissenschaft
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sche Narratologie war es eine wichtige Erkenntnis, dass reale Leser nicht einfach nur mit den Informationen einer Erzählung „gefüllt“ werden. Ein Leser ist zu Beginn der Lektüre kein unbeschriebenes Blatt – genau das hatten die Konstruktionen vom textinternen „impliziten Autor“ und „impliziten Leser“ aber vorausgesetzt. Nein: Reale Leser haben immer ein bestimmtes Vorwissen und kognitive Verstehensschemata. Ohne diese ist Verstehen gar nicht möglich. Ein Leser liest durch seine Inferenzprozesse „zwischen den Zeilen“. Wenn die Narratologie also wissen will, wie eine Erzählung tatsächlich funktioniert, wie sie Figuren darstellt, mit Vorurteilen spielt, Sympathien lenkt, für Spannung sorgt, darf sie die kognitiven Verstehensbedingungen nicht länger ausblenden. Diese Grunderkenntnis hat sich in der heutigen Narratologie weitestgehend durchgesetzt. Man versucht jetzt, die Kategorien der Erzähltheorie zunehmend auf die empirische Leserrezeption auszurichten und Forschungen zur Künstlichen Intelligenz, zur Kognitionspsychologie und kognitiven Linguistik für die Narratologie fruchtbar zu machen. Die Forschungen betreffen zwei Bereiche: zum einen die genauere Beschreibung der menschlichen Verstehensschemata, zum anderen die Modellierung des Verstehensprozesses. 60 52 (dazu FLUDERNIK, Natural Narratology [2003]); J AHN, Frames; HERMAN, Scripts (vgl. HERMAN, Story Logic, 85–113); EMMOTT, Narrative Comprehension; J AHN, Speak, friend; EDER, Dramaturgie; S CHNEIDER, Grundriß; H ERMAN, Narrative Theory (2001); VAN P EER /C HATMAN (Hgg.), New Perspectives; S EMINO/C ULPEPER (Hgg.), Cognitive Stylistics; ZERWECK, Cognitive Turn; S TOCKWELL, Cognitive Poetics; G AVINS/STEEN, Cognitive Poetics in Practice; H ACKENBERG, Filmverstehen; C HRISTMANN/SCHREIER, Kognitionspsychologie der Textverarbeitung (allgemeine Einführung); B ORTOLUSSI/ D IXON, Psychonarratology (dazu D IENGOTT, Some Problems; D IXON/BORTOLUSSI, Methods; vgl. DIXON/BORTOLUSSI, Prolegomena); E DER, Narratology; H ERMAN, Regrounding Narratology; H ERMAN (Hg.), Narrative Theory (2003); S TERNBERG, Universals (kritisch); J AHN, Foundational Issues; T OOLAN/WEBER, Introduction; Z UNSHINE, Why We Read Fiction; Z YMNER, Flaschenpost; STOCKWELL, Cognitive Poetics and Literary Theory; G AVINS, Text World Theory; H UBER/WINKO (Hgg.), Literatur und Kognition; STOCKWELL, Texture; SOMMER, Making Narrative Worlds; BRÔNE/VANDAELE (Hgg.), Cognitive Poetics; W ÓJCIK -LEESE, Cognitive Poetic Readings. – Anwendungen auf einzelne Teilbereiche bei S CHNEIDER, Grundriß, bes. 35–58 (Figurenrezeption, vgl. SCHNEIDER, Cognitive Theory); G EHRAU, Fernsehgenres, 135–191 (Gattungseinteilungen); BLUME, Fiktion und Weltwissen, 35–62 (Fiktionalitätstheorie); S CHNEIDER, Aufmerksamkeitserregende Merkmale, 21–49 (Steuerung von Aufmerksamkeit und Spannung); grundsätzlich R YAN, Possible Worlds, 48–60, bes. 51 („principle of minimal departure“). Vgl. auch knapp M ARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 149–151; F LUDERNIK, Histories (II), 48–51; NEUMANN/NÜNNING, Narrative Fiction, 156–159; K ÖPPE/WINKO, Theorien und Methoden, 332–336; K ÖPPE/WINKO, Neuere Literaturtheorien, 300–312; EHLERS, Studienbuch, bes. 98–101; HERMAN, Cognitive Narratology; Z ERWECK, Art. Kognitive Narratologie; M ÜLLER, Art. Script-Theorie; J AHN, Art. Cognitive Narratology. 60 Beides kann hier natürlich nur in äußerster Verkürzung dargestellt werden, zur Vertiefung vgl. die genannte Literatur. Sehr wahrscheinlich greift auch die Narratologie noch
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
a) Beschreibung des Vorwissens: Die menschlichen Verstehensschemata werden häufig in statische „Frames“ und dynamische „Skripts“ aufgeteilt.61 Die Frames bezeichnen demnach unser inhaltliches, semantisches Wissen: Wir haben eine bestimmte prototypische Vorstellung von einem Stuhl, einem Vogel, einer Wüste, einem Terroristen, einem Einwohner Bayerns (Prototypentheorie 62); bei einer Erwähnung im Text werden diese Vorstellungen aufgerufen und gegebenenfalls durch genauere Beschreibungen intensiviert oder modifiziert. Dieses Vorwissen, das emotional konnotiert sein kann, ist stark kulturabhängig und wird durch eigene lebensweltliche Erfahrung oder durch mediale Vermittlung aufgebaut. Auf diese Form des Vorwissens greift der Leser besonders beim Aufbau seines mentalen Modells von Umfeld und Figuren der Erzählung zurück. Die Skripts dagegen beschreiben das prozedurale Vorwissen, also welche Ereignisse uns in einer bestimmten Situation erwarten (situational script,63 nicht die neuesten Forschungen zur Verstehensmodellierung auf, da diese Fragen in sehr viele Disziplinen hineinreichen und heute von der Computerlinguistik bis zur Übersetzungswissenschaft aus unterschiedlichen Perspektiven angegangen werden. 61 Zu dieser Unterscheidung von frame und script z.B. HERMAN, Scripts, 1047 (HERMAN, Story Logic, 85); B LUME, Fiktion, 54; vgl. auch L INKE /N USSBAUMER/P ORTMANN, Linguistik, 236. Der Überbegriff ist „Schema“. – Die Terminologie stammt ursprünglich aus verschiedenen Ansätzen und geht u.a. auf den Gedächtnisforscher F. C. Bartlett (BARTLETT, Remembering, 197–214, bes. 199: „schema“), die KI-Forscher M. Minsky (MINSKY, Framework, 212: „frame“; vgl. M INSKY, Steps) sowie R. C. Schank und R. P. Abelson zurück (SCHANK/A BELSON, Scripts). Schanks erweiterte die Theorie später hin zu „memory organization packets“ (SCHANK, Dynamic Memory; vgl. die Forschungsübersicht bei KELLERMANN, Conversation MOP; dazu knapp F LUDERNIK, Natural Narratology, 17; SCHNEIDER, Aufmerksamkeitserregende Merkmale, 21–23). Vergleichbar mit der Schematheorie ist das ICM von G. Lakoff („Idealized Cognitive Model“; vgl. LAKOFF, Categories; L AKOFF, Women). Wichtig waren auch D. E. Rumelhart (RUMELHART, Notes; R UMELHART, Schemata), J. M. Mandler (M ANDLER, Stories) sowie Ch. Fillmore, der die Linguistik mit dem Schemakonzept vertraut machte (F ILLMORE, Topics, 81 und passim; FILLMORE, Frame Semantics). Die vier „Ebenen“ des Verstehensmodells bei FLUDERNIK, Natural Narratology, 43–52.371–375 (vgl. F LUDERNIK, Natural Narratology [JLS], 122–127), die u.a. das Wissen über Kommunikationssituationen einbeziehen, müssten durch weitere interdisziplinäre Forschung konkretisiert werden. Die vielzitierte Schematheorie neigt dazu, Banalitäten mit englischen Fachbegriffen zu versehen: Die Möglichkeiten, die ein Frame oder ein Skript bietet, heißen slots. Oft ist eine Möglichkeit die Standardvariante, der default-Wert. Was dann tatsächlich realisiert wird, bezeichnet man als filler. Vgl. jetzt umfassend ZIEM, Frames. 62 Zur heutigen Prototypensemantik vgl. L ÖBNER, Semantik, 259–299; A ITCHISON, Words in the Mind; K LEIBER, Prototypensemantik; D ÖRSCHNER, Lexikalische Strukturen; MANGASSER-WAHL, Prototypentheorie; M ANGASSER-WAHL (Hg.), Prototypentheorie. Materialreich ist auch K ONERDING, Frames, dessen Modell anders als die Prototypentheorie vor allem Abstrakta umfasst. Vgl. auch S TOCKWELL, Cognitive Poetics, 27–40. 63 Zu den drei Arten von Skripts (situational script, personal script, instrumental script) vgl. SCHANK/ABELSON, Scripts, 61–66.
2.1 Narratologie in Exegese und Literaturwissenschaft
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z.B. im Restaurant64, beim Zahnarzt) oder wie man etwas tut (instrumental script, z.B. Auto fahren, Texte interpretieren). Hinzu kommt das Weltwissen, wie sich eine Person mit gewissen Persönlichkeitsmerkmalen wohl in bestimmten Situationen verhält (personal script). Solche Skripts können erklären, wie der entsprechende Leser die Sätze eines Textes logisch miteinander verknüpft65 und warum er welche Ereignisse der Erzählung als nächstes erwartet. Die Skripts haben also wesentlichen Einfluss auf den Erwartungshorizont der Rezipienten, was sowohl für die Analyse möglicher Handlungsverläufe als auch für die Untersuchung von Spannung und Humor von Bedeutung ist. b) Beschreibung des Verstehensprozesses: Einfach gesagt, ist das Verstehen ein wechselseitiger Vorgang aus schemagestützten (top-down) und datengestützten (bottom-up) Prozessen.66 Es spielen also sowohl das Vorverständnis als auch Textmerkmale eine Rolle. Die eigentliche Herausforderung für die Rezeptionsforschung besteht darin, diese Abläufe genauer zu beschreiben, doch die Narratologie beschränkt sich erst einmal auf die Feststellung beider Richtungen. Dadurch wird einerseits ausgeschlossen, dass man den Text objektiv, so wie er „ist“, wahrnehmen könne, andererseits auch dem Irrtum begegnet, dass das Verstehen rein subjektiv sei (so tendenziell der radikale Konstruktivismus und postmoderne Strömungen67). Beim Textverstehen gibt es auch eine Sorte allgemeinerer Skripts:
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Zum Restaurant-Skript vgl. S CHANK/ABELSON, Scripts, 42–46. Man hat beispielsweise die beiden Sätze „Es regnet. Gib mir die Bibel!“ Probanden vorgelegt (V ATER, Textlinguistik, 40 [im Zusammenhang von Kohäsion/Kohärenz]; vgl. ANZ, Textwelten, 128). Die Teilnehmer konnten die zusammengewürfelten Sätze logisch verknüpfen, indem sie aus ihren Skripts eine passende Situation rekonstruierten: Der Sprecher will sich offenbar mit der Bibel vor dem Regen schützen oder die Bibel vor dem Regen verstecken. 66 Zu Top-down- und bottom-up-Prozessen V IEHOFF, Literarisches Verstehen, 9–15; SCHNEIDER, Grundriß, 37–39 (Lit.); SCHWARZ, Kognitive Linguistik, 190–196; vgl. MARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 150; THEIS, Biblische Texte, 70f. Die Habilitation des Praktischen Theologen J. Theis bietet innerhalb der Theologie die m.W. ausführlichste Theorie des Rezeptionsvorgangs (T HEIS, Biblische Texte, 21–114; mit Rückgriff v.a. auf die kognitive Psychologie). In ähnlicher Weise entwirft jetzt auch L ANG, Kunst, 56– 89, eine Verstehenstheorie, die auf entsprechende Studien zur Textlinguistik aufbaut und bezüglich der exegetischen Anwendbarkeit (47: „Wie konnte ein Römer die Apostelgeschichte lesen?“) eher wenig austrägt, weil sie – als allgemeine Verstehenstheorie – keine Kriterien für die eigentliche Textanalyse und für das Heranziehen von Parallelstellen enthält. 67 Zwar sehen sich auch Narratologen wie A. Nünning und M. Jahn als Konstruktivisten, weil sie auf den Anteil des Rezipienten am Verstehen aufmerksam machen (z.B. NÜNNING, Informationsübertragung, dort noch radikal; J AHN, Stanley Fish, 384). Doch der radikale Konstruktivismus (E. von Glasersfeld, H. von Foerster, H. Maturana, in der Literaturwissenschaft S.J. Schmidt) folgert daraus die Nichterkennbarkeit einer objekti65
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
Mit Hilfe konversationeller Präferenzregeln (R. Jackendoff)68 kann der Rezipient in der Kommunikationssituation erkennen, welche Verstehensstrategie er anwenden soll und ob Texte uneigentlich zu verstehen sind. 69 Es ist deutlich, dass die kognitive Narratologie hier gewissermaßen die klassischen hermeneutischen Begriffe der „Horizontverschmelzung“ bzw. der „hermeneutischen Spirale“ konkretisiert. 70 H.-G. Gadamer hatte zwar eine Mitwirkung des Lesers am Verstehen erkannt, aber diese Prozesse nicht genauer untersucht. Die von Gadamer angestoßene Rezeptions- (H.R. Jauß) und Wirkungsästhetik (W. Iser) und verwandte Ansätze haben diese Gedanken mit ihrer Betrachtung u.a. von Erwartungshorizont, Leerstellen und Leserlenkung ebenfalls weiter ausgearbeitet und könnten wohl in die kognitive Narratologie integriert werden. 71 Das für das Verstehen notwendige Vorwissen des Lesers wird dort nicht mit Frame und Skript, sondern mit anderen Begriffen bezeichnet. 72 Gewisse Ähnlichkeiten hat die kognitive Narratologie auch mit der deutschen „empirischen Literaturwissen-
ven Wirklichkeit, eine These mit langer philosophischer Tradition, die aber ein falsches Entweder-Oder voraussetzt und nicht mit der realen Lebenspraxis vereinbar ist. 68 Ausführlicher dazu J AHN, Frames, 446f.; JAHN, Speak, friend, 175f.; J AHN, Art. Cognitive Narratology, 69 mit Bezug auf J ACKENDOFF, Consciousness. 69 Dazu gehören wohl insbesondere die Konversationsmaximen (G RICE, Logik, 249f.; vgl. PRECHTL, Sprachphilosophie, 191–193; S TROHNER/BROSE, Kommunikation, 37f.), die mit Grice vergleichbaren Überlegungen von Habermas (H ABERMAS, Vorstudien, 110; HABERMAS, Theorie I, 149; vgl. B URKART/LANG, Theorie des kommunikativen Handelns) und Theorien aus der linguistischen Pragmatik wie das Schlussfolgerungsmodell (AKMAJIAN/DEMERS u.a., Linguistics, 352–366; vgl. VON SIEBENTHAL, Sprachwissenschaftliche Aspekte, 94–105). Weiterführend auch S CHENK, Medienwirkungsforschung, 276–333 (Formen von priming und framing bei der Kommunikation). 70 Vgl. GADAMER, Wahrheit, 311 („Horizontverschmelzung“). Auch der programmatische Aufsatz von W INKO, Verstehen literarischer Texte, arbeitet heraus, dass die klassische Hermeneutik und die empirische Rezeptionsforschung letztlich vereinbar seien. 71 Auf die Parallelen zu Jauß und Iser weisen auch M ARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 167; ZERWECK, Cognitive Turn, 220 hin. 72 Bei U. Eco ist es die „enzyklopädische Kompetenz“ (E CO, Lector, 15–30.94–106 und passim; vgl. dazu KÖHLMOOS, Auge Gottes, 35–37; speziell dem situational script entspricht wohl die „Szenographie“ bei E CO, Lector, 119f.), W. Iser redet vom „Textrepertoire“ (I SER, Akt, 87–143), H.R. Jauß vom „Erwartungshorizont“ (J AUSS, Ästhetische Erfahrung, 660–671; vgl. GEHRING, Schriftprinzip, 106–113; ERBELE-KÜSTER, Lesen, 20–22). Der frühe St. Fish setzt für den „informierten Leser“ ebenfalls verschiedene Kompetenzen voraus (F ISH, Is There a Text, 44–50). Vgl. zu den einzelnen Autoren und insgesamt M AYORDOMO MARÍN, Anfang, 43(Fish).46–51(Eco).62–65(Jauß).69f.79(Iser). 151–163. Vgl. auch Anm. 98 (S. 45) zur Berücksichtigung des kulturellen Kontexts in der Narratologie. – Es wäre eine eigene Aufgabe für eine Monografie, die noch relativ unscharfen Gedanken der Rezeptionsästhetik und weiterführende Modelle aus kognitiver Psychologie und Linguistik, KI-Forschung, kognitiver Narratologie, Medienwirkungsforschung und empirischer Literaturwissenschaft zusammenzuarbeiten.
2.1 Narratologie in Exegese und Literaturwissenschaft
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schaft“, besonders dem Ansatz von N. Groeben,73 der ebenfalls die Frame/Skript-Terminologie aufgreift, sie aber weiter ausbaut. 74 Die Existenz von Frames/Skripts außerhalb des Textes hat zahlreiche Folgen für die „postklassische“ narratologische Analyse einer Erzählung, die auch in den nächsten Abschnitten immer wieder begegnen werden: – Es gibt weder einen textinternen „impliziten Leser“ noch einen textinternen „impliziten Autor“, sondern nur eine Vorstellung der realen Leser vom Autor bzw. die Vorstellung, die der reale Autor von seinen Lesern hat (vgl. Kap. 2.2.1). – Die Frames ermöglichen ganz elementar das semantische Verstehen einzelner Wörter und Sätze, und mit Hilfe seiner Skripts kann der Rezipient beurteilen, ob er eine Folge von Ereignissen in einen kohärenten Zusammenhang bringen kann (was für eine Erzählung konstitutiv ist) 75. – Die Intertextualitätstheorie des Poststrukturalismus76 ist in Wirklichkeit eine textimmanente Verzerrung eines kognitiven Phänomens, nämlich 73 Zur empirischen Literaturwissenschaft vgl. M OSER, Empirische Theorien (gute Einführung); RUSCH, Modelle; SCHÖTTKER, Theorien, 552–554; B ARSCH, Art. Rezeptionsforschung; KÖPPE/WINKO, Theorien und Methoden, 328–332; S CHREIER, Textwirkungsforschung; GROEBEN, Methodologischer Aufriß; H AUPTMEIER/SCHMIDT, Einführung; BARSCH/RUSCH/VIEHOFF, Empirische Literaturwissenschaft; K OS, Theoretische Grundlage; innerhalb der Theologie L EINER, Psychologie und Exegese, 93–97. Wichtig sind die Werke von SCHMIDT, Grundriß; GROEBEN, Literaturpsychologie; G ROEBEN, Rezeptionsforschung; GROEBEN, Leserpsychologie I; GROEBEN/VORDERER, Leserpsychologie II; vgl. auch die Untersuchungen von R USCH/SCHMIDT, Voraussetzungssystem; M EUTSCH, Literatur verstehen; VORDERER/GROEBEN (Hgg.), Textanalyse; S CHRAM, Norm, und die Konferenzbände I BSCH (Hg.), Empirical Studies; R USCH (Hg.), Empirical Approaches. Die empirische Literaturwissenschaft ist an die soziologische Systemtheorie, strukturalistische Wissenschaftstheorie und linguistische Pragmatik (S.J. Schmidt) bzw. an die Psychologie (N. Groeben) angelehnt. V.a. Schmidt verwendet eine eher abstrakte Terminologie (zur Kritik vgl. S CHMIDT, Empirische Literaturwissenschaft in der Kritik; H ERDINA, Methodenprobleme, 11–97), Groeben ist moderater und seine empirische Erforschung des Textverstehens hilfreich. Viele heutige Studien zur empirischen Rezeptionsforschung v.a. im englischen Sprachraum sind jedoch nicht mit der empirischen Literaturwissenschaft verbunden, für einen Überblick vgl. jetzt M IALL, Literary Reading. 74 Vgl. GROEBEN, Leserpsychologie I, 47f.; H AUPTMEIER/SCHMIDT, Einführung, 90– 98; MEUTSCH, Literatur verstehen (ausführliche Studie); zusammenfassend M OSER, Empirische Theorien, 234–239. 75 Ob eine Ereignisfolge als Erzählung gelten kann, hängt also letztlich vom Erfahrungs-Skript des individuellen Lesers ab. Vgl. F LUDERNIK, Natural Narratology, 20–30; FLUDERNIK, Natural Narratology (JLS), 98.108–119 (experientiality als zentrales Kriterium); HERMAN, Scripts; HERMAN, Story Logic, 85–113. Die Sätze „The battle was over. The battle was imminent. The fight took place“ ergeben kaum eine Erzählung, „The battle was imminent. Then the fight took place. As a result, the battle was over“ dagegen schon (HERMAN, Introduction, 2). Vgl. die in Kap. 2.4.5 (S. 113) angegebenen Untersuchungen zur Narrativität (narrativity) bzw. Erzählbarkeit (tellability). 76 Vgl. oben Anm. 52 (S. 34).
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
dass die Vorstellungen und Erwartungen der Rezipienten zuvor von anderen Wahrnehmungen geprägt werden. Die Konzentration auf Text-zuText-Beziehungen führt zu historisch fragwürdigen Ergebnissen, wenn sich die Intertextualitätstheorie bei den Prägungen auf literarische Texte („Parallelen“) beschränkt oder auch „die“ Kultur undifferenziert als Textkategorie erfassen will, was oft der Fall ist. Weil schon der Begriff „Intertextualität“ suggeriert, dass Texte sich ohne fremdes Zutun gegenseitig auslegen würden, sollte man ganz von ihm Abstand nehmen. Man müsste die Suche nach möglichen Textbezügen, die für die intendierten Rezipienten verfügbar und erkennbar sind – diese Einschränkung ist nur im kognitiven Paradigma zu begründen –, wohl besser unter einem anderen Fachterminus fortführen. 77 – Die von der Rezeptionsästhetik beschriebenen „Leerstellen“ des Textes sind ebenfalls eigentlich kognitive Kategorien und beruhen auf den Frames und Skripts eines konkreten Rezipienten. Die Frames rufen inhaltliche Vorstellungen und Konnotationen beim Rezipienten hervor, wenn z.B. von Jesus oder dem Tempel die Rede ist. Aufgrund seiner Skripts stellt der Rezipient den Zusammenhang zwischen den Einzelereignissen her und erklärt sich die Handlungen der Figuren. Es gibt also zwei Arten von Leerstellen. 78 Ein großer Teil der herkömmlichen Textinterpretation besteht darin, diese Frames und Skripts explizit zu machen.79 Im Einzelnen: 77 Der Intertextualitätsbegriff beginnt inzwischen auch in der Exegese Fuß zu fassen, was sehr leicht zu einer Verengung des Denkens auf (bestimmte) Texte und Vernachlässigung des Kontexts führt. Allerdings werden bei der Suche nach Intertexten in der exegetischen Praxis unbewusst auch kognitive Kategorien berücksichtigt, z.B. bei den Kriterien für die Parallelenfindung von H AYS, Echoes, 29–32 oder bei der „moderaten Intertextualitätstheorie“ von PELLEGRINI, Elija, 123–145, die betont, dass der Textbezug „intendiert“ sein müsse. Vgl. zur Intertextualitätstheorie in der Exegese allgemein M AYORDOMO MARÍN, Anfang, 156–162; D IECKMANN, Segen, 54–75; MERZ , Fiktive Selbstauslegung; A LKIER/HAYS (Hgg.), Bibel im Dialog. Man muss sich auf das mögliche Vorwissen beschränken, das bei den Rezipienten intendiert ist (2.2.1); die Intertextualitätstheorie in ihrer ursprünglichen poststrukturalistischen Fassung ist also abzulehnen. In diesem Fall wird es allerdings für die kanonische Exegese schwierig, noch mit der „postmodernen“ Pluralisierung möglicher Lektüren infolge der Intertextualitätstheorie zu argumentieren (so jedoch u.a. S TEINS, Bindung Isaaks; H IEKE, Verstehen; STEINS, Bibelkanon; STEINS, Kanonisch lesen; B ALLHORN/STEINS [Hgg.], Bibelkanon). 78 S. auch MAYORDOMO MARÍN, Anfang, 79, der eine vierfache Unterscheidung zwischen „optischen Leerstellen“ (Ergänzung durch Frames), „narratologischen Leerstellen“, „thematischen Leerstellen“ und „affektiven/pragmatischen Leerstellen“ vorschlägt (die letzten drei werden durch Skripts ergänzt). I NGARDEN, Kunstwerk, 264f. hatte die Unbestimmtheitsstellen offenbar noch auf gegenständliche Größen beschränkt; sie entsprechen hier speziell den optischen Leerstellen. Wiederum etwas anders ist die Aufschlüsselung von U. Ecos „Enzyklopädie“ bei N ICKLAS, Leitfragen, 54–59. Vgl. Anm. 72 und 120. 79 Vgl. die Anwendung Kap. 3.
2.1 Narratologie in Exegese und Literaturwissenschaft
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– Die Frames beeinflussen die Vorstellung der erzählten Welt: Wenn die erzählte Welt mit ihren Orten, Gegenständen, Gesetzmäßigkeiten und ihrem Figurenbestand geschildert wird, greifen die Rezipienten auf ihre Frames zurück (vgl. 2.3.1). 80 Das gilt für eine Geschichtsdarstellung ebenso wie für einen historischen Roman, eine Fabel oder einen Science-Fiction-Film. Die Vorstellungen, die sich aufgrund des Vorwissens und der Schilderungen im Rezipienten aufbauen, können mit einer „kognitiven Karte“ visualisiert werden (2.3.2). 81 – Aufgrund ihrer Frames haben die Rezipienten schon bei der Ersterwähnung eine bestimmte Vorstellung von Figuren der Erzählung, auch die Figurenwahrnehmung wird von den Skripts beeinflusst (2.5.2). 82 Aus kognitiver Sicht funktioniert die Figurenrezeption nach demselben Muster wie die reale menschliche Personenwahrnehmung. Der Rezipient setzt sich dabei auch mit den inhaltlichen Standpunkten der Figuren auseinander.83 Es kann also nicht ausreichen, einfach eine formale Tabelle der explizit erwähnten Figurenmerkmale zu erstellen. 84 – Die Skripts beeinflussen die Erwartung des Rezipienten, was in der Geschichte als nächstes passieren wird. Anstatt (wie bisher üblich) nur tatsächliche Handlungsschemata zu klassifizieren, kann man jetzt einen „Handlungsplan“ zeichnen, der für jeden Punkt der Erzählung alle vom Durchschnittsrezipienten als möglich erachteten Handlungsverläufe („possible worlds“, vgl. 2.4.5) enthält. 85 – Manche Phänomene kommen erst durch den Cognitive Turn ins Blickfeld der Narratologie: Spannung kann nur dann entstehen, wenn der Leser Grund hat anzunehmen, dass die Erzählung in einem wichtigen 80
Die Frames/Skripts überschneiden sich wohl auch mit der linguistischen „Präsupposition“. 81 Vgl. RYAN, Narrative Cartography; R YAN, Cognitive Maps; EMMOTT, Constructing Social Space; STOCKWELL, Cognitive Poetics, 91–104. 82 GERRIG/A LLBRITTON, Construction; EMMOTT, Narrative Comprehension, 175–194; SCHNEIDER, Grundriß; SCHNEIDER, Cognitive Theory; C ULPEPER, Language (vgl. CULPEPER , Cognitive Stylistic Approach); P ALMER , Construction; B ORTOLUSSI/D IXON, Psychonarratology, 133–165; E DER, Narratology, 293–295; M ARGOLIN, Cognitive Science; PALMER, Fictional Minds; EDER, Figur im Film, 80–106.185–190 („Prozesse der Figurensynthese“, umfassend). 83 ZERWECK, Cognitive Turn, 231–235; S URKAMP, Perspektivenstruktur, 65–83. 84 So noch BAL, Narratology, 126–129. Falls einem diese Dinge zu selbstverständlich vorkommen: Für die Narratologie sind sie tatsächlich eine Neuerung. Vor dem Cognitive Turn war die Narratologie primär auf formale Klassifizierungen, weniger auf die inhaltliche Analyse bedacht. Zudem hatte sie Umwelt und Figuren bei der Untersuchung einer Erzählung häufig ganz weggelassen. Bei z.B. S TANZEL, Theorie; GENETTE, Erzählung; MARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, sucht man danach vergeblich. 85 Grundlegend R YAN, Possible Worlds. Vgl. auch B ORTOLUSSI/D IXON, Psychonarratology, 124–131.
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
Punkt möglicherweise nicht seinem Skript folgt. 86 Auch die neuere Theorie des Humors deutet eine Pointe als Wechsel eines Skripts, 87 ebenso erfordern manche Rätsel die Durchbrechung der gewöhnlichen Sehweise.88 Die Frames und Skripts beeinflussen insgesamt die Aufmerksamkeit des Lesers sowie seine Rezeptionsemotionen. 89 – Die kognitive Wende weist auf die Punktualität der Wahrnehmung einer Erzählung hin. Der Einsatz rhetorischer und stilistischer 90 Mittel wie Wiederholungen, Prolepsen 91, Parallelismen u.a. könnte differenziert auf seine kognitive Wirkung hin untersucht werden. Außerdem gewinnen jetzt die Handlungsanfänge und -schlüsse neu an Bedeutung, 92 weil der Leser diese besonders im Gedächtnis behält (2.4.7). – Ein wichtiger Anlass für die kognitive Wende war das Phänomen des unzuverlässigen Erzählens (2.6.4). Es kann nur gedeutet werden, wenn man die Frames und Skripts des realen Lesers mit einbezieht. 93 – Die konversationellen Skripts geben die Möglichkeit, Gattungen einzuordnen94, eine Erzählung als fiktional oder faktual zu bestimmen 95 (vgl. 86
Vgl. STRASEN, Beams falling. WENZEL, Struktur des Witzes; A TTARDO, Humorous Texts (vgl. A TTARDO, Cognitive Stylistics); M ÜLLER, Theorie der Pointe; K INDT, Zwei Kulturen; allgemein zum frame switch EMMOTT, Narrative Comprehension, 133–174. 88 Vgl. JAHN, Speak, friend, 180–182. 89 Grundlegend dazu SCHNEIDER, Aufmerksamkeitserregende Merkmale. 90 Rhetorik und Stilistik werden bisher kaum mit der narratologischen Analyse in Zusammenhang gebracht. B URKE, Cognition, scheint jetzt einer der ersten zu sein, der im Rahmen des Cognitive Turn auf eine Verbindung zur Stilistik hinweist; ähnlich der Gedanke von S HEN, Narratology and Stylistics. Im exegetischen Narrative Criticism werden rhetorische Kategorien bereits manchmal ergänzt (z.B. M ARGUERAT/BOURQUIN, Bible Stories, 102–120; R ESSEGUIE, Narrative Criticism, 41–86; vgl. die Beiordnung bei STAMPS, Rhetorical and Narratological Criticism). Auf Seiten der Rhetorik entwirft auch LAUSBERG, Rhetorik, §§ 1156–1242 eine systematische Erzähltheorie, basierend v.a. auf Aristoteles und É. Souriau; in eine ähnliche Richtung geht der Hinweis auf E.M. Forster bei PLETT, Rhetorische Textanalyse, 26. Eine umfassende Zuordnung müsste noch geleistet werden. Wahrscheinlich ist die Narratologie als eine gattungsspezifische Ausprägung der Rhetorik anzusehen (L AHN/MEISTER, Erzähltextanalyse, 188: „Erzähltexte sind ein Sonderfall der Redekunst“, vgl. 188–197). Was W ATSON/HAUSER, Rhetorical Criticism, 111 als Methode der rhetorischen Analyse beschreiben (u.a. „Analyze the invention, arrangement, and style. … Evaluate the rhetorical effectiveness …“), entspricht – an Erzähltexten konkretisiert – hier den Unterkapiteln 2.3–2.6 und 2.7. 91 Vgl. BRIDGEMAN, Thinking ahead. 92 Vgl. schon PERRY, Literary Dynamics, zum Primär- und Rezenzeffekt. 93 NÜNNING/SURKAMP/ZERWECK (Hgg.), Unreliable Narration; N ÜNNING, Reconceptualizing (1999); NÜNNING, Unreliable, compared to what?; Z ERWECK, Historicizing Unreliable Narration; N ÜNNING, Reconceptualizing (2005). 94 Dazu LÁSZLÓ/V IEHOFF, Literarische Gattungen; GEHRAU, Fernsehgenres. 95 Vgl. BLUME, Fiktion und Weltwissen. 87
2.1 Narratologie in Exegese und Literaturwissenschaft
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2.2.2) sowie uneigentliche Redeweise wie Metaphern 96 oder Ironie zu verstehen. – Nicht zuletzt bringt die kognitive Wende die Kategorie des Rezipienten (vgl. 2.7) in die Narratologie ein, die sich davor scheinbar(!) allein auf den Text konzentriert hatte. Empathie und Sympathie, Spannung, Rezeptionsemotionen und ideologische Beeinflussung sind daher seit neuestem auch Interessengebiete der Erzähltheorie. – Die kognitive Wende könnte es möglich machen, die vielen strukturalistischen Einzelbeobachtungen der Narratologie zu einem Ganzen zusammenzufügen,97 indem sie narratologische Kategorien (z.B. Prolepsen/Analepsen) einzeln und in bestimmten Konstellationen bezogen auf ihre jeweilige Rezeptionswirkung neu untersucht. Diese Verknüpfung ist allerdings noch Zukunft. 2.1.3.2 Die kulturelle/historische Wende in der Narratologie Erst seit wenigen Jahren wird auch der historische und kulturelle Kontext in der Narratologie mitbedacht. 98 Der neue cultural turn speist sich aus mehreren Entwicklungen in Narratologie und Literaturwissenschaft: Zum einen ist er eine logische Folge des cognitive turn, weil die kognitiven Frames und Skripts der Rezipienten historisch und kulturell variabel sind. 99
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Vgl. STOCKWELL, Cognitive Poetics, 105–119. Vgl. z.B. Pfisters ernüchternde Schlussbemerkung am Ende seines Buches (Drama, 382f.) zum Problem, dass die eigenen, detaillierten Strukturbeschreibungen und die konkrete Werkinterpretation noch weit auseinander liegen. 98 Vgl. BAL, Close Reading Today (s. auch das Nachwort zur 2. Aufl. von B AL, Narratology, 220–224; B AL, Kulturanalyse); N ÜNNING, Towards a Cultural Narratology; ERLL/ROGGENDORF, Kulturgeschichtliche Narratologie; F LUDERNIK, Diachronization; NÜNNING/NÜNNING (Hgg.), Konzepte der Kulturwissenschaften; N ÜNNING, Historiographic Metafiction; TONN, Cultural Studies; N ÜNNING/S OMMER (Hgg.), Kulturwissenschaftliche Literaturwissenschaft; G YMNICH/NEUMANN/NÜNNING (Hgg.), Kulturelles Wissen; SCHÖSSLER, Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft; H OMSCHEID, Interkontextualität; JAHRAUS, Text, Kontext, Kultur; J ANNIDIS/LAUER/WINKO, Radikal historisiert; BASSLER, Art. Skripte, kulturelle. Vgl. daneben T ITZMANN, Textanalyse, 263–330 (zum „kulturellen Wissen“); K RAH, Einführung, 213–283. 99 Vgl. u.a. SCHNEIDER, Grundriß, 56; SCHMID, Context and Cognition; S CHMID, Role of Context; zusammenfassend Z ERWECK, Cognitive Turn, 237–239, bes. 239: „Aus heutiger Perspektive erscheint die kognitive Narratologie als Vorläuferin einer kulturwissenschaftlichen Narratologie, die die historischen und kulturellen Bedingungen von narrativen Phänomenen und kognitiven frames erforscht und so auch der kulturellen und sozialen Bedeutung narrativer Texte gerecht wird.“ Ganz folgerichtig wird jetzt auch die kognitive und kulturwissenschaftliche Kategorie der „Erinnerung“ in die Narratologie eingeführt (vgl. N EUMANN, Erinnerung, mit dem Entwurf einer „erinnerungskulturellen Narratologie“; ERLL/NÜNNING [Hgg.], Gedächtniskonzepte; E RLL, Narratology). Auch PETTERSSON, Narratology, verknüpft Narratologie und „Hermeneutik“, indem er zeigt, 97
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
Daneben hatten auch feministische und postkoloniale Ansätze der Interpretation die klassische Narratologie darauf hingewiesen, dass man den Kontext nicht ausblenden dürfe; die noch junge pragmatische Narratologie betont ebenfalls, dass Literatur Teil eines Kommunikationsgeschehens sei. Zur zunehmenden Bewusstwerdung über den historischen Kontext einer Erzählung haben wohl außerdem der New Historicism, der sich als Gegenbewegung zum New Criticism versteht, 100 der weite Intertextualitätsbegriff („Kultur als Text“) des Poststrukturalismus 101 sowie das neue allgemeine Paradigma „Kulturwissenschaft“ beigetragen. 102 – Fazit: Die heutige Literaturtheorie ist wieder beim „Dass“ der Berücksichtigung des historischen Kontexts angelangt.103 Eine konkrete methodische Ausformulierung, wie der Kontext in die Interpretation einbezogen werden soll, steht allerdings noch aus.104 Hier müsste das Erfahrungswissen der literaturwissenschaftlichen (und exegetischen) Praktiker, die schon immer historisch interpretiert haben, für die entsprechende Theorie- und Methodenbildung explizit gemacht werden. dass man narratologische Kategorien verwenden und eine Erzählung zugleich im Kontext interpretieren kann. 100 Dazu NÜNNING, Narrative Form; Z APF, Kurze Geschichte, 230–240; S IMONIS, New Historicism; A UBERLEN, New Historicism; S CHÖSSLER, Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft, 79–100; K ÖPPE/WINKO, Theorien und Methoden, 354–357; K ÖPPE/W INKO, Neuere Literaturtheorien, 221–234; F ICHTE, Art. New Historicism; V OLKMANN, Art. New Historicism; T ELLE/N EUMEYER, Art. New Historicism; ausführlicher VEESER, New Historicism; B ASSLER (Hg.), New Historicism; B RANNIGAN, New Historicism, 1–128; G LAUSER/HEITMANN (Hgg.), Verhandlungen; B ASSLER, Kulturpoetische Funktion (weiterführend). Grundlegend sind die Werke von St. Greenblatt: GREENBLATT, Renaissance Self-Fashioning; G REENBLATT, Verhandlungen mit Shakespeare; G REENBLATT, Schmutzige Riten; vgl. P AYNE (Hg.), Greenblatt Reader; R OBSON, Stephen Greenblatt. 101 Vgl. HALLET, Intertextualität, bes. 57: „Kein Einzeltext kann, sofern er isoliert und nur für sich gelesen wird, wirklich verstanden werden, wenn die von ihm aufgerufenen Intertexte unbekannt und ungelesen bleiben. Texte verlangen also grundsätzlich nach Kontextualisierung.“ 102 FLUDERNIK, Diachronization, 332 sieht dagegen die Ausweitung der Narratologie auf faktuale Erzählungen sowie Forschungen zur Geschichte des Romans als Ursachen für die neue Diachronie. 103 Neben der Hinwendung zur historischen Interpretation von Einzeltexten erlaubt der Historical/Cultural Turn auch einen diachronen Blick auf narratologische Kategorien: A. Nünning und M. Fludernik schlagen vor, auch die Entwicklung von Gattungen, Handlungsstrukturen und von Erzähltechniken wie Fokalisierung, unzuverlässigem Erzählen, Stream of Consciousness u.a. zu erforschen (N ÜNNING, Towards a Cultural Narratology, 362; FLUDERNIK, Diachronization, 332–334). 104 In Bezug auf den New Historicism oder die Cultural Studies wird oft bemängelt, wie dort methodisch mit geschichtlichen Daten umgegangen wird (vgl. z.B. A UBERLEN, New Historicism, 106–108; ähnlich T ONN, Cultural Studies, 256f.). Auch die Narratologie bietet hierzu noch keine konkreteren Überlegungen an.
2.2 Kommunikation durch Erzählungen
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2.2 Kommunikation durch Erzählungen Eine Erzählung ist Teil der menschlichen Kommunikation: Zwischen einem Sender und einem Empfänger wird eine Nachricht ausgetauscht. Grundsätzlich gelten daher alle Gesetzmäßigkeiten, die Kommunikationstheorie und Semiotik beschreiben, auch für die Erzählung. Mit dem Cognitive Turn und dem Cultural Turn beginnt die Narratologie diese Gemeinsamkeiten jetzt ernsthafter zu berücksichtigen. Bei der Kommunikation durch Erzählungen gibt es jedoch auch gattungsspezifische Besonderheiten, die eigentlicher Gegenstand der Narratologie sind: Eine Erzählung besitzt oft mehrere Erzählebenen (2.2.1), und jede der Teilerzählungen umfasst die Aspekte Umwelt, Handlung, Figuren und Perspektive, welche die Rezeption in spezieller Weise beeinflussen (2.2.3). Während andere Formen der Kommunikation einen direkten inhaltlichen Bezug zur realen Welt voraussetzen, kann eine Erzählung mehr oder weniger fiktional sein (2.2.2). 2.2.1 Die Erzählebenen Eine Erzählung ist eine besonders komplexe Form der Kommunikation, weil sich hier die Kommunikations-/Erzählebenen vervielfachen können. In der deutschen und englischsprachigen Narratologie ist jeweils ein Modell besonders wirkmächtig geworden. Auch wenn sie oft „Kommunikationsmodell narrativer Texte“ genannt werden, handelt es sich nicht wirklich um ein Kommunikationsmodell 105, sondern um eine Übersicht über verschiedene Erzählebenen. 1) Das Modell von R. Fieguth (1973) kennt fünf verschiedene Kommunikationsniveaus: N 1 beinhalte die Kommunikation der Figuren; N 2 ist das Niveau von fiktivem Erzähler und fiktivem Zuhörer; auf N 3 liegen Subjekt und Empfänger des Werkganzen (entspricht implizitem Autor/implizitem Leser); das außertextliche Kommunikationsniveau N 4 beschreibt Autor und Leser in ihrer Rolle als Produzent und Adressat, N 5 dann Autor und Leser an sich ohne ihre kommunikative Rolle. 106 Es wurde der deut105
Für „echte“ Kommunikationsmodelle vgl. z.B. E CO, Role of the Reader, 14; ZERBST, Kommunikation, 44–50; S CHUTTE, Literaturinterpretation, 67.193; DE LANGEN, Kognitive und klinische Aspekte, 43f.47; B URKART, Kommunikationswissenschaft, 122; SCHENK, Medienwirkungsforschung, 15. 106 F IEGUTH, Rezeptionslenkung, bes. 186 (mit Rückgriff auf die polnische Erzähltheorie, vgl. B ARTOSZYŃSKI, Problem, 202f.); ebenfalls 1973 erschienen die Modelle von JANIK, Kommunikationsstruktur, 13 (nur drei Kommunikationsebenen: Autor – Leser; Erzähler – implizierter Leser; Personen im Text; hier liegen Erzähler und implizierter Leser also auf derselben Ebene) sowie S CHMID, Textaufbau, 20–30 (konkreter Autor, abstrakter Autor, Erzähler, Person, fiktiver Leser, abstrakter Leser, Adressat/Rezipient;
48
2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
schen Exegese über die Darstellung bei Kahrmann/Reiß/Schluchter vermittelt.107 2) Im englischsprachigen Bereich ist dagegen das Kommunikationsmodell von S. Chatman (1978) maßgeblich geworden, der sich dabei auf W. Booth stützte.108 Er unterscheidet drei Ebenen, wobei Erzähler und Erzähladressat nicht immer vorhanden seien (daher in Klammern) (Abb. 5). Das Modell von Chatman hat besonders im Narrative Criticism Beachtung gefunden.109 Narrative text Real author
Implied author
(Narrator)
(Narratee)
Implied reader
Real Reader
Abb. 5: Kommunikationsmodell nach S. Chatman
Beide Entwürfe haben jedoch ihre Schwierigkeiten. Zum einen werden verschiedene Kategorien vermischt, 110 zum anderen sind impliziter Autor und impliziter Leser fragwürdige Größen: ähnlich SCHMID, Rez. Janik). Im Anschluss an Fieguth – sowie an Schmid bei der Abbildung (45) – K AHRMANN/REISS/SCHLUCHTER, Erzähltextanalyse, 43–53; vgl. auch ZERBST, Kommunikation, 52; G OETSCH, Leserfiguren, 200f.; NÜNNING, Grundzüge, 22– 40, bes. 25f. (sehr differenziert); SCHUTTE, Literaturinterpretation, 151; S CHMID, Elemente, 47–112 (ausführliche Erläuterung seines Modells); L AHN/MEISTER, Erzähltextanalyse, 14; NEUMANN/NÜNNING, Narrative Fiction, 25–29 (ohne impliziten Autor und Leser); NÜNNING, Art. Kommunikationsmodell dramatischer, lyrischer und narrativer Texte. Bei LINK, Rezeptionsforschung, 25 fallen Niveau 4 und 5 zusammen (vgl. RAGUSE, Raum, 72–93); im Theater fehlt die Ebene von Erzähler und Erzähladressat (PFISTER, Drama, 20f.). Etwas seltsam ist es, wenn neuerdings eine sechste „Ebene“ aus „Fokalisierer“ und „impliziter Beobachter“ ergänzt wird (W ENZEL, Übergreifende Modelle, 6.10–14; bei O NEGA/GARCÍA L ANDA, Narratology, 10f. unter Auslassung von implizitem Autor und Leser), die m.E. aber nicht als Kommunikationsebene anzusehen ist, ganz abgesehen von den Schwierigkeiten mit einem personalen „Fokalisierer“ (Kap. 2.6.3). 107 Vgl. die Anm. 5 (S. 24) genannte Literatur sowie U TZSCHNEIDER/NITSCHE, Arbeitsbuch, 157–160; F ISCHER, Wege, 106–110; SCHMITZ , Fiktionalität, 141–145. 108 CHATMAN, Story, 151. Das Modell von Chatman wird z.B. aufgenommen bei R IMMON-KENAN, Narrative Fiction, 86–89; M ARTIN, Theories, 154 (zusätzlich mit „dramatized author“ u.a.); J AHN/NÜNNING, Survey, 285; F LUDERNIK, Erzähltheorie, 36f.; SHAW, Narrative Communication Diagram (ausführliche Besprechung). 109 Zu Chatmans Modell und dessen Einfluss auf die biblische Exegese vgl. M OORE, Literary Criticism, 46; T OVEY, Narrative Art, 44f.; SMITH, Lion, 22–24 mit Anm. 26; daneben POWELL, Narrative Criticism, 19; D ANOVE, End, 64; ANDERSON, Narrative Web, 27; KUPP, Matthew’s Emmanuel, 31; Y AMASAKI , John the Baptist, 35 u.a. Für eine exegetische Erweiterung des Kommunikationsmodells vgl. T OVEY, Narrative Art, 47–52; eine genauere Diskussion findet man auch bei E ISEN, Poetik, 63–72. 110 Im „Kommunikationsmodell“ werden einerseits die narrativen Ebenen dargestellt, andererseits werden auch weitere, ganz anders gelagerte Differenzierungen abgebildet,
2.2 Kommunikation durch Erzählungen
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1) Der implied author (eigentlich „implizierter Autor“) war nach W. Booth das „zweite Ich“ des Autors, das beim Schreiben entsteht und das der Leser unabhängig von Zusatzinformationen allein aus dem Text erkennen könne.111 Inzwischen hat sich die Erzähltheorie jedoch mehrheitlich vom impliziten Autor verabschiedet bzw. ihn neu konkretisiert. 112 Der implizite Autor ist weder ein Sammelbegriff für bestimmte Textstrategien bzw. die Textstruktur insgesamt 113 noch ein Sender innerhalb der literarischen Kommunikation und auch kein Subjekt „hinter“ dem Text, sondern das kognitive Modell des Lesers vom Autor – ähnlich dem mentalen Modell, das sich der Leser von Figuren der Erzählung macht. 114 Während wie zwischen dem Autor „an sich“ und „in seiner Rolle als Autor“ und zwischen der Autorrolle und dem impliziten Autor. Der reale Autor verhält sich zum impliziten Autor nicht so wie der implizite Autor zum Erzähler oder der Erzähler zu einer seiner Figuren. Das Problem begegnet spiegelbildlich auf der Leserseite. Vgl. den bekannten Ausruf von G. Genette zu den Modellen von Chatman, Schmid und anderen: „Schon eine Menge Leute für eine einzige Erzählung. Ockham steh mir bei!“ (GENETTE, Erzählung, 285). 111 BOOTH, Rhetoric, bes. 70–77.151.156–158.395f.478–480.511f.; vgl. C HATMAN, Story, 148f. Bei ECO, Lector, 76f. wird der „Modell-Autor“ uneinheitlich verwendet und zunächst als „Textstrategie“ angesehen, dann aber als der „hypothetische[] Autor, den [der Leser] aus eben den Daten der Textstrategie deduziert.“ Zu Ecos „Modell-Autor“, dem „abstrakten Autor“ von W. Schmid und ähnlichen Konzepten auch K INDT/MÜLLER, Implied Author, 123–136.143–148. 112 Kritisch gegenüber Booths Konzept des impliziten Autors sind beispielsweise R IMMON-KENAN, Narrative Fiction, 87–89; G ENETTE, Erzählung, 283–291 (= G ENETTE, Implizierter Autor); N ÜNNING, Deconstructing the Implied Author (vgl. schon N ÜNNING, Renaissance); NELLES, Frameworks, 12–21; K INDT/MÜLLER, Der implizite Autor; LANSER, (Im)plying the Author; H EINEN, Bild des Autors; K INDT/MÜLLER, Implied Author (neuere, umfassende Studie); HEINEN, Literarische Inszenierung, 32–48; NÜNNING, Art. Autor, impliziter. Booth dagegen verteidigte den impliziten Autor noch bis zu seinem Tod 2005 (vgl. B OOTH, Resurrection of the Implied Author); ähnlich auch CHATMAN, Coming to Terms, 74–89 („In Defense of the Implied Author“) und 90–108. In der Exegese wird die Kritik aufgenommen z.B. von M AYORDOMO MARÍN, Anfang, 80–97 (ausführlicher Exkurs; dort auch Lit. bis Mitte der 1990-er); G IELEN, Konflikt, 20– 22; DEINES, Gerechtigkeit, 53f.; VETTE, Samuel, 63–68.82; E ISEN, Poetik, 65f. mit Anm. 82; SCHMITZ, Prophetie, 68–72 (stattdessen redet sie von „Autorfiguration(en)“, vgl. 78– 100, bes. 95). Im Narrative Criticism ist der implied author offenbar noch unhinterfragt. 113 Vgl. zuletzt NÜNNING, Deconstructing the Implied Author, 110–114. 114 So der Vorschlag von HEINEN, Bild des Autors, 334–340 (vgl. 337: „Die Konstruktion eines Autorbildes kann man sich parallel zum Prozess der Figurenkonstruktion vorstellen“; sie verweist explizit auf die Erkenntnisse der kognitiven Narratologie); vgl. HEINEN, Literarische Inszenierung, 41–48; ähnlich J ANNIDIS, Zwischen Autor und Erzähler, 546–548 (knapp bereits G ENETTE, Erzählung, 286; vgl. M AYORDOMO MARÍN, Anfang, 94f.). KINDT/MÜLLER, Implied Author, 151–181 stellen die verschiedenen bisherigen Verständnisse dar (vgl. K INDT/MÜLLER, Der implizite Autor, 280–284), behandeln aber die Möglichkeit, den impliziten Autor als Rezeptionsgröße anzusehen, nur sehr knapp (152–155). Sie entscheiden sich stattdessen für den „hypothetischen Intentionalismus“, der jedoch gut in das kognitive Modell des Autors integriert werden könnte.
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
einerseits der implizite Autor als werkimmanente Größe an Plausibilität verliert, kehrt andererseits der reale, historische Autor seit einigen Jahren in die Literatur- und Erzähltheorie zurück: Der „Tod des Autors“ kann als überwunden angesehen werden. 115 2) Für den impliziten Leser gilt spiegelbildlich dasselbe. W. Iser hatte sein Konzept des impliziten Lesers bekanntlich in Entsprechung zu demjenigen des impliziten Autors entwickelt. 116 Er definiert den impliziten Leser als „Textstruktur, durch die der Empfänger immer schon vorgedacht ist“117, also ebenfalls als rein textinterne Größe. Andererseits wird der implizite Leser von ihm auch so anthropomorph gezeichnet, dass die Grenze zu realen Lesern verschwimmt, 118 doch sagt Iser nicht, nach welchem Vorbild er das Verhalten des impliziten Lesers modelliert. 119 Zudem wird von Iser übersehen, dass der Lektüreprozess nicht ohne kognitive Schemata funktioniert. Der Rezipient einer Erzählung braucht kulturelles und soziales Vorwissen zur Einordnung des Dargestellten, er kann genrespezifische Verstehensstrategien anwenden, er besitzt ein Lesegedächtnis und 115
Zur Bedeutung des Autors vgl. B URKE, Death and Return of the Author; K LEINAutorschaft (philosophisch); G INSBURG/R IMMON-KENAN, Is There a Life after Death?; JANNIDIS/L AUER u.a. (Hgg.), Rückkehr des Autors; N ÜNNING, Totgesagte leben länger; D ETERING (Hg.), Autorschaft; B ENNETT, Author; HEINEN, Literarische Inszenierung, bes. 1–63. Allgemein J ANNIDIS/L AUER u.a. (Hgg.), Theorie der Autorschaft (Textband). 116 Vgl. dazu KINDT/MÜLLER, Implied Author, 136f. und passim; WINKGENS, Art. Leser, impliziter, 419. 117 ISER, Akt, 61; vgl. I SER, Der implizite Leser, 9: der implizite Leser meine „den im Text vorgezeichneten Aktcharakter des Lesens und nicht eine Typologie möglicher Leser“. Für eine zusammenfassende Darstellung vgl. M AYORDOMO MARÍN, Anfang, 65–79; SCHULTE, Gleichnisse erleben, 46–126. Ähnlich textintern verstanden wird der „ModellLeser“ bei ECO, Lector, 61–82 (dazu M AYORDOMO MARÍN, Anfang, 46–51; PELLEGRINI , Elija, bes. 79–122; J ANNIDIS, Figur, 28–33), eine Textstrategie, die anders als bei Iser auch Vorwissen (Eco: „Enzyklopädie“) voraussetzt. 118 Aufschlussreich ist die konkrete rezeptionsästhetische Interpretation Isers (I SER, Der implizite Leser), wo es z.B. heißt: „Eine solche Überlagerung der Blickpunkte bleibt nicht ohne Rückwirkungen auf den Leser“ (25), dem Leser „wird … die Möglichkeit eröffnet, Christians Position … zu beurteilen“ (25), der Leser „findet sich … in der Ungewißheit des Pilgers wieder“ (28), er „wird … mit brennendem Interesse jene Handlungen verfolgen“ (28). (Vgl. dazu in dieser Arbeit die Punkte 2.7.1 Empathie, 2.7.2 Sympathie, 2.7.4 Spannung, 2.7.5 Rezeptionsemotionen.) Den größten Raum nehmen jedoch nicht die Beschreibungen des impliziten Lesers ein, sondern Beobachtungen zur Figurencharakterisierung oder Erzähldistanz (= Narratologie), Vermutungen über die puritanischen Leser Bunyans sowie Ausführungen zur calvinistischen Prädestinationslehre! 119 Vgl. KINDT/MÜLLER, Implied Author, 143: „He [Iser] repeatedly and explicitly distances his approach … from empirical studies of reading, but nowhere in his work does he specify what rules should be followed or what requirements have to be satisfied when determining the implied reader of a work.“ SCHMIDT,
2.2 Kommunikation durch Erzählungen
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zeigt Rezeptionsemotionen. 120 Isers undeutlicher „impliziter Leser“ kann also keine bloße Textstruktur sein. Mit dem Cognitive Turn ist m.E. die klassische rezeptionsästhetische Theorie am Ende. Die Impulse Isers können aber in zwei Richtungen konkretisiert werden: a) als Beschreibung und Prognose der realen Leserrezeption und b) als Beschreibung der Vorstellung, die ein Autor von seinen möglichen Lesern und ihren Reaktionen hat. a) Realer Rezipient: An dieser Stelle kommt die empirische Lese- und Rezeptionsforschung ins Spiel. Während Iser nur Vermutungen anstellt, wie ein Leser auf bestimmte Erzähltechniken und Inhalte reagiert (welchen Figuren er sich nahe fühlt, ob er Spannung empfindet usw.), gibt es heute zu diesen Fragen vielfach psychologische Untersuchungen. Die empirische Herangehensweise erlebt einen Boom – zu Recht, wie ich meine. 121 Diese Forschungen könnten in Zukunft wohl auch differenzierte Prognosen ermöglichen, wie einzelne Gruppen mit ihren kognitiven Schemata eine Erzählung rezipieren.122 b) Bild des Rezipienten: Den impliziten Leser selbst kann man in Entsprechung zum impliziten Autor neu definieren, nämlich als die Vorstellung, die ein Autor von seiner möglichen Leserschaft und ihren (gewünschten oder befürchteten) Reaktionen auf den Text hat. Der implizite
120 Vgl. SCHNEIDER, Grundriß, 82–87 (kulturelle und soziale Wissensbestände), 88–90 (literarische Wissensbestände) und 99–135 (Rezeptionsemotionen). In der Exegese wurde dies auch erkannt von D ARR, Character Building, 21 mit 176 Anm. 8 (Iser und Chatman hätten beide nicht genügend die kulturelle Bedingtheit des Lesers gesehen); D ARR, Narrator, 47f.; M AYORDOMO MARÍN, Anfang, 140 (Lit.). D ARR, Character Building, 22 beschreibt das nötige Vorwissen als „Extratext“: „The extratext is made up of all the skills and knowledge that readers of a particular culture are expected to possess in order to read competently: (1) language; (2) social norms and cultural scripts; (3) classical or canonical literature; (4) literary conventions (e.g., genres, type scenes, standard plots, stock characters) and reading rules (e.g., how to categorize, rank, and process various kinds of textual data); and (5) commonly-known historical and geographical facts.“ Vgl. ausführlich auch C ARTER, Matthew, 106–112; N ICKLAS, Leitfragen, 53–61; L ANG, Kunst, 80–86. Solche Frames und Skripts kann man im Anschluss an L INKE/NUSSBAUMER /P ORTMANN, Linguistik, 227 normalsprachlich am besten als „Weltwissen“ bezeichnen. 121 Vgl. innerhalb der Exegese z.B. L ATEGAN/ROUSSEAU, Reading Luke 12:35–48; JONKER, Bridging the Gap; C ONRADIE, Empirical Biblical Hermeneutics (und insgesamt Scriptura 78 [2001]); D IECKMANN, Empirische Bibelforschung; T HEIS, Biblische Texte; MEYER, Histories of Reading; Z IMMERMANN, (Be-)Deutung; S TRUBE, Den ‚garstig breiten Graben‘ überwinden; B ÜTTNER/SCHREINER, Ein Stück Gott II (darin u.a. B ÜTTNER/ SCHREINER, Kinder als Exeget/innen); G ABRIEL/EBNER u.a., Bibelverständnis; EBNER/ GABRIEL, Bibel; SCHRAMM, Alltagsexegesen; S TRUBE, Bibelverständnis. 122 Eine umfassende Darstellung auch der empirischen Rezeptionsforschung kann in dieser Arbeit nicht geleistet werden (vgl. die ähnliche Bemerkung bei M AYORDOMO MARÍN, Anfang, 27f.); in Kap. 2.7 sind jedoch einige Ergebnisse aufgegriffen.
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
Leser ist dann mit dem intendierten Leser 123 identisch.124 Dabei ist anzunehmen, dass der Autor aufgrund dieser Vorstellung den Inhalt der (literarischen) Mitteilung auswählt, ein bestimmtes Vorwissen bei den Lesern voraussetzt und auch seine Erzählstrategien auf die Adressaten zuschneidet.125 Daher müssen professionelle Interpreten möglichst die historischen 123 Zum Begriff WOLFF, Der intendierte Leser; vgl. seine These (166): „Nicht der Geschmack des Lesers bedingt in der Regel Form und Thematik des literarischen Werks, sondern die Leseridee, die sich im Geiste des Autors bildet.“ 124 Vgl. die Überlegungen bei D EINES, Gerechtigkeit, 58f. (Lit.). – Textbedeutung und Autorintention wurden bekanntlich seit dem New Criticism scharf voneinander getrennt (klassisch WIMSATT/BEARDSLEY, Intentional Fallacy), dabei wurde oft sogar die Möglichkeit und Notwendigkeit einer Bestimmung der Intention bestritten (vgl. 2.1.2). Einen neuen Zugang zum Problem gewinnt man über den Pragmatic Turn und Cognitive Turn: Bei der Alltagskommunikation richtet sich der Mensch natürlicherweise auf die Intention des Gesprächspartners aus; das wird in der Regel auch für den Spezialfall der Erzählung gelten. Allerdings gibt es bestimmte konventionalisierte Kommunikationssituationen, bei denen der Rezipient aufgrund seiner Skripts weiß, dass der Autor intendiert, dass man nicht seine Intention erraten müsse (z.B. bei vielen Gedichten und Formen postmoderner Kunst). Ähnliche kommunikative Skripts kommen auch bei der Deutung fiktionaler Erzählungen zum Einsatz (vgl. 2.2.2). Weiterführend zum Thema sind neben H IRSCH, Validity, auch D ANNEBERG/MÜLLER, Der intentionale Fehlschluß; B ÜHLER, Der hermeneutische Intentionalismus (vgl. B ÜHLER, Replik); D ICKIE/W ILSON, Der intentionalistische Fehlschluß; W INKO, Autor und Intention; D ANNEBERG, Autorkonstrukt; N ÜNNING, Totgesagte leben länger, 356f.383; B ÜHLER, Funktion der Autorintention; B ÜHLER, Plädoyer; S POERHASE, Hypothetischer Intentionalismus; SPOERHASE, Autorschaft und Interpretation; TEPE, Kognitive Hermeneutik; J ANNIDIS, Zur kommunikativen Intention; KÖPPE/WINKO, Neuere Literaturtheorien, 133–148; J ANNIDIS, Verstehen erklären?. Man bekommt den Eindruck, dass die Frage nach der Intention des Autors, der gemeinsame ‚Feind‘ vieler bisheriger literaturtheoretischer Ansätze, inzwischen wieder ins Blickfeld rückt. Vgl. neuerdings das Urteil von Spoerhase: „Seit dem späten 20. Jh. hat sich die intentionalistische Position aufgrund neuerer Arbeiten wieder konsolidiert“ (S POERHASE, Art. Autorenintention III, 65 [sic; der Fugenlaut -en- ist eine Vorgabe des LBH und nicht Spoerhases Terminologie]). M AYORDOMO MARÍN, Anfang, 170–187 war dagegen noch skeptisch gegenüber einer Orientierung an der Autorintention. 125 Der intendierte Rezipient entspricht dem „auktorialen Publikum“ bei R ABINOWITZ, Before Reading, 21, vgl. 21–46. Rabinowitz hatte ursprünglich neben dem tatsächlichen Publikum (actual audience) und dem auktorialen Publikum (authorial audience) auch von einem „narrativen Publikum“, das die Erzählung faktual verstehe, und „idealen narrativen Publikum“, das die Werte des möglicherweise unzuverlässigen Erzählers teile, gesprochen (R ABINOWITZ, Truth in Fiction; zum narrativen Publikum noch R ABINOWITZ, Before Reading, 93–104). Diese beiden zusätzlichen Rezeptionsgrößen sind in der Praxis kaum weiterführend, allerdings wurde gerade Rabinowitz’ vierfache Unterscheidung wirkmächtig. Für eine ausführlichere Diskussion vgl. J ANNIDIS, Figur, 31–33; exegetisch u.a. CARTER, Matthew, 4–8; M AYORDOMO MARÍN, Anfang, 38–40; C ARTER/HEIL, Matthew’s Parables, 9–14; D ANOVE, End, 66–75; TALBERT, Reading Luke-Acts, 15–18; SPENCER, Rhetorical Texture, 29–31; C ULPEPPER, Anatomy, 206–208; H ARSTINE, Moses, 31–37; WEIDEMANN, Tod Jesu, 65–67. In der Exegese wurde die authorial audience offenbar stärker rezipiert als in der Literaturwissenschaft, vielleicht weil die Bibelexege-
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Hintergründe des Autors kennen, um dessen Bild seiner Leserschaft zu rekonstruieren, und daher müssen sie auch nach dem vorausgesetzten Vorwissen forschen. Das klingt etwas kompliziert und führt oft nicht zu eindeutigen Ergebnissen, ist aber altbewährt. Mit diesem Verständnis könnte die Literaturtheorie auch wieder den Anschluss an die commonsense-Interpretationspraxis finden. Anstatt nun einfach den impliziten Autor und impliziten Leser aus Chatmans Diagramm zu entfernen, 126 möchte ich also ein anderes, kognitiv ausgerichtetes Modell vorschlagen (Abb. 6): Ebene 1
Sender „ich“ (Selbstbild aus Sicht des Autors) Bild des Erzählers 1 (= Autors)
Nachricht Erzählung1
2
Bild des Erzählers 2 (klass.: Erzähler127)
Erzählung2
3
Bild des Erzählers 3
Erzählung3 mit ggf. weiteren Ebenen
Empfänger Bild der wahrscheinlichen Rezipienten „ich“ (Selbstbild aus Sicht des Rezipienten) Bild des Rezipienten 2 (klass.: Erzähladressat) Bild des Rezipienten 3
Abb. 6: Kognitives Modell der Erzählebenen
Jede Form von Kommunikation hat zunächst die Grundstruktur „Sender“ – „Nachricht“ – „Empfänger“. Dabei hat der Sender eine bestimmte Vorstellung von seinem Empfänger, dessen Vorwissen und möglichen Reaktionen (= „intendierter Rezipient“, ehemals „impliziter Leser“) und versucht seine Nachricht so zu gestalten, dass die Rezeption aus seiner Sicht optimiert wird. Ebenso gewinnt bzw. erweitert der Empfänger seine Vorstellung se von der literaturwissenschaftlichen Infragestellung der Autorintention nie ganz erreicht worden ist. So hat sie einige Umwege vermieden. 126 So RIMMON-KENAN, Narrative Fiction, 89 (nur author, narrator, narratee, reader); NÜNNING, Funktionen, 325; E ISEN, Poetik, 68. HENTSCHEL, Diakonia, 191 entfernt nur den impliziten Autor; M AYORDOMO MARÍN, Anfang, 187 bringt beide Größen auf eine vertikale Achse, was m.E. eher verwirrt, ebenso wie die Grafik von D IECKMANN, Segen, 110 und die Umsortierung der Elemente bei S CHMITZ, Prophetie, 16 (vgl. 9–16.102.107). Bei HARTENSTEIN, Charakterisierung, 31–33 bleiben „implizite AutorInnen“ und „implizite LeserInnen“ noch ganz unangetastet, ähnlich bei ROSE, Theologie, 53–55, der die Kritik von Genette am impliziten Autor nennt, aber selbst an ihm festhält. 127 Dass man klassischerweise Autor und Erzähler grundlegend unterschieden hat, liegt daran, dass in vielen fiktionalen Erzählungen – jedoch nicht in allen – der Autor die Vorstellung einer eigenen Erzählerfigur schafft, die der Rezipient vom Bild des realen Autors unterscheiden kann (vgl. dazu unten und Kap. 2.2.2.2). Daher wird der herkömmliche „Erzähler“ hier der zweiten narrativen Ebene zugeordnet.
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
vom Sender, indem er die senderbezogenen Angaben und Andeutungen der Nachricht („Selbstoffenbarungsseite“ 128) mit seinen Frames und Skripts aufnimmt und seinem Vorwissen über den vermuteten Sender verknüpft (= „Bild des Autors“, ehemals „impliziter Autor“ 129). Diese Überlegungen betreffen die Kommunikation allgemein und sind keineswegs erzählspezifisch. Bei einer Erzählung ist die Lage allerdings komplizierter, weil die Figuren der Erzählung ihrerseits als Erzähler wirken können, eine Figur dieser Erzählung kann wiederum eine Geschichte erzählen usw. Auf diese Weise entstehen mehrere narrative Ebenen mit mehreren Erzählern, deren Perspektiven (Kap. 2.6) sich in komplexer Weise überlagern. Eine zweite Kommunikationsebene liegt beispielsweise vor, wenn der Jesus der Evangelien (Erzähler 2) zu seinen Jüngern (Rezipienten2) spricht; dort wo er seinerseits Geschichten erzählt, in denen Figuren etwas sagen, gibt es weitere narrativen Ebenen (Erzähler 3 – Rezipient3 usw.).130 Die Vorstellungen, die sich Autor und Rezipienten mithilfe ihres Vorverständnisses von den weiteren Erzählern und Rezipienten machen, können sich genauso wie im Fall der ersten narrativen Ebene unterscheiden. Das kognitive Modell der Erzählebenen veranschaulicht zudem, wie man das Verhältnis von „Autor“ und „Erzähler“ neu beschreiben könnte: Der Autor einer Erzählung ist zunächst immer selbst ein Erzähler. Bei einer wahren Biografie oder bei der Schilderung eines eigenen Erlebnisses ist dies in der Narratologie relativ unbestritten. Für eine fiktionale Erzählung dagegen sei es nach Genette konstitutiv, dass Erzähler und Autor nicht identisch sind (vgl. 2.2.2.2 Fiktionssignale). Tatsächlich konstruiert der Autor (als Erzähler) häufig wiederum eine Erzählerfigur, die in ihren Eigenschaften von ihm selbst abweicht. Wo aber Autor und Erzähler in (teilweise) fiktionalen Erzählungen nicht erkennbar auseinandertreten, ist es unsinnig, sie trotzdem pro forma zu unterscheiden, wie es Genette tut.131 Vielmehr sollte der Autor m.E. in allen Fällen selbst als Erzähler und die 128
Vgl. SCHULZ VON THUN, Miteinander reden I, 54–58.99–128. Das „Bild des Autors“ berücksichtigt jedoch, wie gesagt, anders als der „implizite Autor“ auch textexterne Rezeptionsprozesse und Wissensbestände. 130 Im Neuen Testament ist dies der Fall z.B. in Lk 15,27, wo der Knecht im Gleichnis spricht. Ein bekanntes literaturwissenschaftliches Beispiel für mehrere Erzählebenen ist die Erzählung Tausendundeine Nacht. 131 Für Genettes Theorie spricht die Gedankenfigur, dass sich der Autor eines fiktionalen Textes als jemand anderes ausgebe, für den die Erzählung wahr sei (vgl. Searles pretense theory; 2.2.2.1). Dagegen kann eingewendet werden, dass man für die Umkehrung des Wahrheitswerts keine eigene Erzählinstanz braucht und eher eine indirekte Kommunikationsstrategie vorliegt; außerdem ist, wie unten gezeigt wird, die Grenze zwischen fiktionalen und faktualen Erzählungen fließend. Ausführlich gegen Genettes Annahme argumentieren auch W ALSH, Who Is the Narrator?; B AREIS, Fiktionales Erzählen, 107–109 (vgl. die dort angegebene Literatur, 108 Anm. 317). Innerhalb der Mediävistik stellt neuerdings G LAUCH, Schwelle, bes. 77–105 die bisherige strenge Kontrastierung von Autor und (fiktionalem) Erzähler nachdrücklich in Frage. Bereits Hamburger hatte betont (H AMBURGER, Logik, 115): „Es gibt nur den erzählenden Dichter und sein 129
2.2 Kommunikation durch Erzählungen
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Konstruktion einer eigenen Erzählerfigur als Schaffung einer neuen narrativen Ebene angesehen werden. Erkennbar ist dies daran, dass es genauso auch fiktive Adressaten geben kann, zu denen die Erzählerfigur redet. Außerdem sind Fälle denkbar, wo der Autor nur fiktive Adressaten konstruiert, aber keine Erzählerfigur. Verfolgt man diesen Gedanken weiter, würde es bedeuten, dass bei den Erzählebenen in manchen Fällen eine Asymmetrie entsteht: Die Kommunikation wird asymmetrisch, wenn sie zur einen Seite mehr Kommunikationsebenen hat als zur anderen. Es gibt zwei Arten von Asymmetrien: a) Ein Autor spricht mit einer bewusst anderen Identität die Rezipienten seiner Zeit an. Dabei kann er die Fiktionskonventionen befolgen (Kap. 2.2.2) oder auch nicht (Täuschung). Die intendierten Rezipienten werden sich eine Vorstellung des Erzählers 2 machen, den der Autor ja als eigene, von sich verschiedene Erzählfigur konzipiert hat. Daneben aber werden sie die Erzählung noch auf der Ebene des Autors = Erzählers1 wahrnehmen, wenn sie die Fiktionssignale verstanden haben. Bekannte Beispiele für die erzählerseitig doppelbödige Kommunikation sind Pseudepigrafie 132 oder das unzuverlässige Erzählen (Kap. 2.6.4). 133 b) Auf der anderen Seite kann der Autor auch selbst zu fiktiven Adressaten sprechen, obwohl er sich eigentlich an die intendierten Rezipienten richtet. In diesem Fall machen sich die betreffenden Rezipienten zunächst eine Vorstellung von den fiktiven Adressaten; doch wenn sie entsprechende Fiktionssignale des Autors durchschauen, erkennen sie auf einer zweiten Ebene, dass eigentlich sie gemeint sind. Diese rezipientenseitig asymmetrische Kommunikation ist seltener.
Um die Erzählebenen eindeutig zu bezeichnen, genügt es sicherlich, sie einfach durchzunummerieren. 134 In der Narratologie ist bisher jedoch eine andere Terminologie verbreitet. Weil die Unterscheidung von Rahmenerzählung und Binnenerzählung135 (z.B. ein Gleichnis in den Evangelien) oft nicht ausreicht, hatte G. Genette für den Erzähler erster, zweiter, dritter, vierter Ebene usw. die Begriffe extradiegetischer, intradiegetischer, metadiegetischer, metametadiegetischer Erzähler usw. vorgeschlagen.136 GeErzählen. Und nur dann, wenn der erzählende Dichter wirklich einen Erzähler ‚schafft‘, … kann man von diesem als einem (fiktiven) … Erzähler sprechen.“ Nicht viel anders ist es mit der gebräuchlichen Differenzierung zwischen „Dichter“ und „lyrischem Ich“ bei Gedichten: Manchmal sind Dichter und lyrisches Ich ununterscheidbar. 132 ROSE, Theologie, 55 überträgt das Modell narrativer Kommunikation ebenfalls auf das Phänomen der Pseudepigrafie. Er identifiziert den von ihm so genannten „empirischen Autor 2“ (also z.B. der Paulus des Eph) mit dem „impliziten Autor“. 133 Für weitere Beispiele vgl. L ÖSCHNIGG, Fiktionale Autobiographie. 134 Vgl. SCHMID, Elemente, 83f., der die Bezeichnungen „primärer“, „sekundärer“, „tertiärer“ Erzähler vorschlägt; zustimmend L AHN/MEISTER, Erzähltextanalyse, 82f. 135 Zur klassischen Begrifflichkeit vgl. S TOCKER, Art. Rahmenerzählung. 136 GENETTE, Erzählung, 162–167, bes. 163. Diese Einteilung ist sehr bekannt, vgl. u.a. MARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 75–77; SEAGER, Stories within Stories; NELLES, Frameworks, 121–157; C OSTE/PIER, Narrative Levels; N ÜNNING, Art. Einbettung, narrative; in der Exegese E BNER/HEININGER, Exegese, 103; EISEN, Poetik, 76f. In modernen Erzählungen gibt es außerdem das Phänomen einer künstlerischen Verschränkung der Erzählebenen, das Genette narrative Metalepse nennt und verschiedene Formen, z.B. die einer mise en abyme, haben kann (GENETTE, Erzählung, 167–169; vgl. W OLF, Illusion, 356–372; M ARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 79f. mit Beispielen; L AHN/MEISTER, Erzähltextanalyse, 90–92; H ÄSNER, Metalepsen; M ALINA, Breaking the Frame; F LUDERNIK ,
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nettes Bezeichnungen wurden häufig – m.E. zu Recht – kritisiert; sie sind kontraintuitiv137, schwer zu merken und bringen keinen eigenen Ertrag. Es gibt also oft nicht nur „den“ Erzähler und „die“ Erzählung. Alle folgenden Ausführungen beziehen sich auf jeweils zwei benachbarte Erzählebenen. Z.B. in den Evangelien kann man die narratologische Analyse daher sowohl im Rahmen der Gleichnisauslegung als auch bezogen auf das gesamte Evangelium durchführen. 2.2.2 Fiktionalität und Faktualität von Erzählungen 138 2.2.2.1 Erzählungen zwischen Literatur- und Geschichtswissenschaft Für die narratologische Untersuchung einer Erzählung ist es unwichtig, wie stark sich die Erzählung an existierende Personen, real vorhandene Settings (Orte, Kulturen) oder historische Ereignisse anlehnt. Die Narratologie kann gleichermaßen Romane und Geschichtsdarstellungen untersuchen, weil jede Erzählung eine Umwelt, Handlungen und Figuren enthält und diese jeweils aus einer bestimmten Perspektive dargestellt werden. Scene Shift; GENETTE, Métalepse; WOLF, Metalepsis; P IER/SCHAEFFER (Hgg.), Métalepses; BAREIS, Fiktionales Erzählen, 201–214; P IER, Metalepsis). Die narrative Metalepse hat phantastischen Charakter und ist daher ein Fiktionssignal (2.2.2.2). – Innerhalb der Exegese möchte C ORNILS, Geist Gottes, 221–249 die Wir-Passagen der Apostelgeschichte als literarische Metalepsen verständlich machen. Doch von einer Metalepse kann nur gesprochen werden, wenn der Erzähler die ontologische Grenze zwischen Erzählung und Erzähltem überschreitet, z.B. wenn das erzählende Ich (nicht das erlebende Ich!) auf einmal Teil der fiktionalen Welt ist. Das ist in der Act nicht der Fall, auch in anderen biblischen Erzählungen nicht. Aus narratologischer Sicht kann man lediglich sagen, dass es sich bei der Act um eine streckenweise homodiegetische Erzählung (in der 1. Person) handelt. 137 Vgl. BAL, Narratologie, 35 (= B AL, Narrating, 247); BAL, Narrative Embedding, die „metadiegetisch“ durch „hypodiegetisch“ ersetzt, daran anschließend R IMMONKENAN, Narrative Fiction, 91f.; Genette verteidigt jedoch „metadiegetisch“ (Erzählung, 253f.). In Verbindung mit Genettes Kategorien zur Beteiligung des Erzählers am Erzählten (s.u. 2.6.1) ergeben sich außerdem abschreckende Wortkombinationen wie „extradiegetisch-heterodiegetischer Erzähler“ usw. (G ENETTE, Erzählung, 178; vgl. M ARTÍNEZ/ SCHEFFEL, Erzähltheorie, 81 und andere). 138 Die Literatur zu diesem Thema ist kaum noch überschaubar. Die „Frage nach dem Verhältnis von Historiographie und Literatur [ist] ein zentrales Problem der zeitgenössischen Literatur- und Kulturwissenschaft“ (N ÜNNING, Verbal Fictions?, 380). Wichtig sind die umfassenden Untersuchungen von Z IPFEL, Fiktion; BLUME, Fiktion und Weltwissen; BAREIS, Fiktionales Erzählen. Vgl. außerdem A NDEREGG, Fiktion und Kommunikation; L ANDWEHR, Text und Fiktion, 157–199; G ABRIEL, Fiktion und Wahrheit; HOOPS, Fiktionalität; SCHMIDT, Fictionality; W ILDEKAMP/VAN MONTFOORT/VAN RUISWIJK, Fictionality and Convention; R YAN, Fiction, Non-Factuals (vgl. R YAN, Possible Worlds, 13–47); HENRICH/ISER, Funktionen des Fiktiven (darin I SER, Akte des Fingierens; ANDEREGG, Das Fiktionale); C OHN, Fictional versus Historical Lives (= C OHN, Distinction, 18–37); COHN, Signposts (= COHN, Narratologische Kennzeichen; COHN,
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Außerdem hat die neuere literatur- und geschichtswissenschaftliche Forschung ergeben, dass sich fiktionale und faktuale Erzählungen nicht kategorial, sondern nur graduell unterscheiden: 139 a) Zum einen wurde von der neueren Literaturwissenschaft der Wirklichkeitsbezug fiktionaler Literatur „entdeckt“. Dieser Wirklichkeitsbezug hat mehrere Ebenen: Jede Erzählung muss zunächst faktuale Elemente enthalten, sonst könnte sie gar nicht verstanden werden. 140 Selbst bei einem sprechenden Fuchs wird Vorwissen vorausgesetzt, nämlich dass der Leser eine Vorstellung von einem Fuchs und von menschlicher Sprache hat. Häufig weisen die Figuren außerdem bestimmte Eigenschaften und Distinction, 109–131); G ENETTE, Pragmatic Status (= G ENETTE, Fiktion, 41–64); G ENETTE , Fictional Narrative (= G ENETTE, Fiktion, 65–94); HEMPFER, Fiktionstheorie; P FEIFFER, Fiktionstheorie; W OLFF, Fiktionalität, bes. 29–92; I SER, Fiktive und Imaginäre; ZELTER, Sinnhafte Fiktion; B ERTHOLD, Fiktion (historisch); L AMARQUE/OLSEN, Truth (philosophisch); S TANZEL, Historie; N ÜNNING, Von historischer Fiktion I, bes. 143–199; PETERSEN, Fiktionalität und Ästhetik (vgl. P ETERSEN, Fiktionalität als Redestatus; PETERSEN, Über Fiktionalität); D OLEŽEL, Heterocosmica, bes. 16–18; D OLEŽEL , Fictional and Historical Narrative; NÜNNING, Verbal Fictions? (vgl. N ÜNNING, How to Distinguish); LÖSCHNIGG, Narratological Categories; B AUM/SCHMIDT, Fakten und Fiktionen; SUTROP, Fiction and Imagination; N ICKEL-BACON/GROEBEN/SCHREIER, Fiktionssignale pragmatisch; F LUDERNIK, Fiction vs. Non-Fiction; F ULDA/TSCHOPP (Hgg.), Literatur und Geschichte; W ALSH, Fictionality and Mimesis; M ARTÍNEZ/SCHEFFEL, Narratology and Theory of Fiction; P IETRASS, Bild und Wirklichkeit; B ÄR/BERKES u.a. (Hgg.), Text und Wahrheit; S KALIN (Hg.), Fact and Fiction in Narrative; J ACOBY, Mögliche Leben; SCHEFFEL, Wer spricht?; B AREIS, Mimesis der Stimme; L ÖSCHNIGG, Fiktionale Autobiografie; KUTZER, In Wahrheit erfunden (theologische Aspekte); L EUBNER/SAUPE, Erzählungen, 89–115; R EICHER (Hg.), Fiktion, Wahrheit, Wirklichkeit (klassische Texte zur Fiktionstheorie von Searle, Currie u.a.); W EIDACHER, Fiktionale Texte; BUNIA, Faltungen, 29–172; MUNSLOW, Narrative and History; E SPOSITO, Fiktion; NEUMANN/NÜNNING, Narrative Fiction, 21–25; KÖPPE, Literatur und Erkenntnis, 24–49; K OCH/VOSS (Hgg.), „Es ist, als ob“; SCHAEFFER, Fictional vs. Factual Narration; G ERTKEN/KÖPPE, Fiktionalität; Z IPFEL, Autofiktion; G LAUCH, Schwelle, 137–197. Zu knapp bzw. veraltet sind Einführungen wie V OGT, Aspekte, 13–30; M ARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 9–19; B ODE, Roman, 42–67; SCHNEIDER, Literatur und Text, 12–14. Vgl. exegetisch G REEN, Bible; LUZ, Fiktivität; R AGUSE, Raum, 99–106; L EHNERT, Provokation, 70–77; HUMMEL, Factum et fictum (zu Act 27f.); K LEIN, David, 20–27; D EINES, Gerechtigkeit, 73–75; M ILIKOWSKY, Midrash as Fiction; EISEN, Poetik, 60–62; DU TOIT, Der abwesende Herr, 14–17; B ECKER, Markus-Evangelium, bes. 69f.; SCHMITZ, Fiktionalität. Der neue Band von KLEIN/M ARTÍNEZ (Hgg.), Wirklichkeitserzählungen, macht darauf aufmerksam, dass sich faktuale Erzählungen nicht auf die Geschichtsschreibung beschränken, sondern in verschiedensten Bereichen des Lebens begegnen (Recht, Medizin, Naturwissenschaft, Ökonomie, Politik u.a.). 139 Zur „Strukturidentität zwischen Geschichtsschreibung und Fiktion“ vgl. bereits R ICŒUR, Zeit I, 13. 140 Vgl. ZIPFEL, Fiktion, 82: „Geschichten, die in keiner Relation zu unserer Wirklichkeitskonzeption stehen, könnten wir weder erzählen noch verstehen, wir könnten sie uns nicht einmal vorstellen.“ Vgl. auch G ENETTE, Fiktion, 60; V OGT, Aspekte, 20f.
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
Verhaltensweisen auf, die man aus der Realität kennt, weswegen sich auch die Handlung auf nachvollziehbare Weise entwickelt – das ist die berühmte Mimesis (Nachahmung), die bereits Aristoteles als Kennzeichen der Dichtung hervorhebt.141 Darüber hinaus gibt es drittens oft weitere Realitätsbezüge, z.B. reale Orte und Jahreszahlen, bekannte Ereignisse oder Personennamen. Die Übergänge sind in jeder Hinsicht fließend. 142 Historisch-literarische Zwischenformen wie z.B. der historische Roman rücken erst seit einigen Jahren in das Blickfeld systematischer literaturwissenschaftlicher Forschung. Die ältere Fiktionstheorie hatte die Tatsache, dass fiktionale Texte auch faktuale Elemente haben können, noch fast völlig ausgeblendet.143 b) Zum anderen hat auch die Historiografie festgestellt, dass jede Geschichtsschreibung ihrerseits einen literarischen Aspekt besitzt. Grundlegend, wenngleich etwas zu pointiert, 144 waren besonders die Arbeiten von 141 Arist. Poet. 1451a–b: „Denn der Geschichtsschreiber (iJstorikov~) und der Dichter (poihthv~) … unterscheiden sich vielmehr dadurch, daß der eine das wirklich Geschehene mitteilt, der andere, was geschehen könnte. Daher ist Dichtung etwas Philosophischeres und Ernsthafteres (filosofwvtero~ kai; spoudaiovteron) als Geschichtsschreibung; denn die Dichtung teilt mehr das Allgemeine (ta; kaqovlou), die Geschichtsschreibung hingegen das Besondere (ta; kaqÆe{kaston) mit. Das Allgemeine besteht darin, daß ein Mensch von bestimmter Beschaffenheit nach der Wahrscheinlichkeit oder Notwendigkeit bestimmte Dinge sagt oder tut – eben hierauf zielt die Dichtung, obwohl sie den Personen Eigennamen gibt.“ Vom Dichter wird nach Aristoteles also ein Verständnis der allgemein-menschlichen Verhaltensweisen verlangt. Der Dichter kann zwar überlieferte Stoffe modifizieren (1451b), dennoch bleibt in dieser Hinsicht die Nachahmung der Wirklichkeit bestehen („Mimesis I“ bei R ICŒUR, Zeit I, 78; vgl. 54–104; „Mimesis II“ entspricht in der vorliegenden Darstellung den Abschnitten 2.3–2.6, „Mimesis III“ dem Abschnitt 2.7; mit Mimesis I–III arbeitet G NIESMER, Prozeß). 142 Vgl. nur NÜNNING, Verbal Fictions?, 370f.: Im historischen Roman können „bei den außertextuellen Referenzen variable Mischverhältnisse zwischen fiktiven und realen Entitäten bestehen. Dies gilt sowohl im Hinblick auf die Darstellung von Ereignissen als auch hinsichtlich der Beschreibung aller weiteren Konstituenten der Fiktionswelt. So zeichnen sich Romane vielfach dadurch aus, daß sich im Bereich des Personals fiktive Figuren und fiktionalisierte Darstellungen historischer Personen finden und daß die thematisierten Schauplätze ebenfalls teils rein fiktiv, teils referentialisierbar sind.“ 143 P. Blume erkennt in der älteren Fiktionsforschung (G. Gabriel, J. Anderegg, W. Iser, G. Genette u.a.) „eine gewisse Totalisierung sowohl des Fiktionsprinzips als auch des Autonomiegedankens“, weil die Literaturtheorie immer von der „Autonomie des Kunstwerks“ ausging; daher wurden nichtfiktionale Elemente in fiktionalen Texten lange Zeit gar nicht als existent wahrgenommen (B LUME, Fiktion und Weltwissen, 7; vgl. 16– 23). Im Gegensatz dazu stehe jedoch die literaturwissenschaftliche Praxis: „Es bleibt kaum ein Detail eines literarischen Werkes von Rang, das nach einigen Jahrzehnten der wissenschaftlichen Beschäftigung nicht auf etwa vorhandene Bezüge zur Realität abgeklopft worden wäre“ (ebd., 8). 144 Whites Urteil, dass dadurch auch die Geschichtsschreibung quasi zur Fiktion werde, ist aber deutlich überzogen. Vgl. zu dieser Kritik an White L ÜTZELER, Klio oder
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H. White.145 Eine Historiografin muss die als wirklich angesehenen Ereignisse und Sachverhalte zunächst einmal auswählen, in einen kausalen Erzählzusammenhang bringen („emplotment“) und z.B. über Motive der handelnden Personen mutmaßen (vgl. 2.5.2 Figurenmerkmale). Bei der genauen Bestimmung von Zusammenhängen, Erläuterung von Handlungen, Charakterisierung von Personen muss sie von ihrem historischen Weltwissen ausgehen, also – genau wie die Auslegerin, die eine Paraphrase einer Erzählung erstellt (Kap. 3.1.3) – „historische Phantasiearbeit“ betreiben.146 Das Ziel ist, dass sich die Rezipienten der faktualen Erzählung die Geschehnisse umfassend vorstellen können. Dabei hat ein historiografischer Erzähler immer auch eine bestimmte Perspektive (Kap. 2.6) und eine bestimmte Wirkungsabsicht (2.7). 147 Der genaue Schreibstil ist erst in neuerer Zeit konventionell beschränkt worden. 148 Der Grad der Explizität von Aktualisierungen auf die Zeit der Rezipienten hat abgenommen, die Kalliope?, 13f. und die in der folgenen Anm. angegebene Literatur. Allerdings hat White seine Thesen in neuerer Zeit deutlich überarbeitet. Vgl. dazu K ANSTEINER, Hayden White’s Critique, 284–290; N ÜNNING, Verbal Fictions?, 379. 145 WHITE, Metahistory; W HITE, Auch Klio dichtet. Einführend zu White M ARTÍ NEZ /S CHEFFEL, Erzähltheorie, 156–159; N ÜNNING, Verbal Fictions?, 354–363 und 364– 368 (Kritik); Z IPFEL, Fiktion, 172–179 (zu Whites undifferenzierter Gleichsetzung von Narrativität und Fiktionalität); D ERSCHKA, Hayden Whites Metahistory; SCHÖSSLER, Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft, 101–106; s. bereits R ICŒUR, Zeit I, 242– 254 und allgemein 137–345. Vgl. auch die Ausführungen zum Verhältnis von Literaturund Geschichtswissenschaft bei J AEGER, Erzähltheorie und Geschichtswissenschaft; SCHÖNERT, Status, 140–143 („Historiographie und Narratologie“); F ULDA, Geschichtswissenschaft; VOLKMANN, Art. Emplotment; NÜNNING, Art. Historiographie und Literatur; umfassender BERKHOFER, Beyond the Great Story; F ULDA, Wissenschaft aus Kunst; K IMMICH, Wirklichkeit als Konstruktion. Beispielanalysen sind R IGNEY, Rhetoric; CARRARD, Poetics; RÜTH, Erzählte Geschichte. – Die geschichtstheoretische Diskussion um H.V. White, A.C. Danto, F.R. Ankersmit, J. Rüsen u.a. wird auch in der Exegese zunehmend beachtet, z.B. S CHRÖTER, Jesus und die Anfänge; S CHRÖTER, Historizität; SCHRÖTER, Neutestamentliche Wissenschaft; SCHRÖTER, Konstruktion von Geschichte; BECKER (Hg.), Die antike Historiographie; Z IMMERMANN, Deuten, 319–327 und passim; BACKHAUS, Spielräume der Wahrheit; H ÄFNER, Konstruktion und Referenz. 146 Ähnlich wie die Geschichtsschreibung ist auch die Rekonstruktion z.B. eines Gebäudes anhand von Ausgrabungsdaten auf historisch geleitete Phantasie angewiesen, vgl. die Überlegungen bei S AMIDA, Virtuelle Archäologie: „Der gesamte Bildschirm muss ausgefüllt werden, selbst dann, wenn nur wenige Fakten zur Verfügung stehen“ (202). 147 Für eine gute Übersicht (notwendiger und optionaler) literarischer Elemente in der Historiografie vgl. F ULDA/MATUSCHEK, Literarische Formen, 200–209. 148 Vgl. NÜNNING, Verbal Fictions?, 356: „Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts galt die Historiographie bekanntlich selbst als ein Zweig der Literatur. Auch Geschichtsschreibung wurde an rhetorischen, stilistischen und künstlerischen Qualitäten sowie ihrem moralischen und didaktischen Nutzen gemessen. Erst mit dem Aufkommen positivistischer Geschichtsschreibung entwickelte sich eine klare funktionale Differenzierung zwischen Historiographie und Literatur“.
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
Hinweise auf Analogien in späterer Zeit (2.7.6) verschwinden aber auch in der Geschichtsschreibung nicht völlig. Heute sind es insbesondere populärwissenschaftliche und journalistische Formate, die die geschichtlichen Fakten „interessant“ darstellen (Reportagen, Dokumentarfilme 149 u.a.), die aber nicht weniger als faktuale Erzählung gelten können. Die Vorstellung, man würde bei einer geschichtlichen Erzählung einfach Fakten wiedergeben, „wie es wirklich gewesen“, ohne dass der Standpunkt des Autors oder eine ästhetische Wirkung auf den Leser eine Rolle spielen würde, ist illusorisch. Auch geschichtliche Darstellungen haben eine literarische Dimension. Diese Beobachtungen sind besonders wesentlich, weil die abendländische Denktradition und mit ihr die biblische Exegese durch einen scharfen Dualismus von Geschichtsschreibung und Dichtung geprägt ist. Schon seit Platon und Aristoteles wurde die Frage diskutiert, ob Erdichtetes nicht moralisch verwerflich ist. 150 Platons Ansicht setzte sich schließlich im christlichen Abendland durch: Eine sprachliche Äußerung, die – so meint man – keinen Bezug zur Wirklichkeit aufweist, könne nur als Lüge anzusehen sein und sei damit aus christlicher Sicht eine Sünde. Die antike Romantradition geriet so in Misskredit. 151 Das Erdichtete konnte im Mittelalter offiziell nur unter der Maßgabe der Historizität geschätzt werden; andernfalls musste es wenigstens klar als moralisch nützliche Dichtung erkennbar sein. Als der Roman im 17./18. Jh. aufkam, stieß er daher zunächst auf kirchlichen Widerstand, fand aber nun im aufstrebenden, lesenden Bürgertum seine Abnehmer.152 Im Unterschied zu früheren Märchen, Fabeln, Ritterromanen, in denen etwas Allgemein-Menschliches zum Ausdruck kam und bei denen der fiktionale Charakter noch leicht zu erkennen war, spielte die Erzählung nun – bei Cervantes’ Don Quijote (1605/15), Grimmelshausens 149
Zum heutigen Dokumentarfilm vgl. nur N ABER, Alles andere als nüchtern. Plat. rep. 595a–608b sieht die Dichtung als etwas Verwerfliches an, Aristoteles nicht. Vgl. einführend M ARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 11–13. 151 Prägend Augustinus, conf. I,13,20–I,17,27, der seine Beschäftigung mit Homer und Vergil im Nachhinein als nichtig empfindet. 152 Ausführlich dazu BERTHOLD, Fiktion. Der Calvinist Gotthard Heidegger trug in seiner polemischen Mythoscopia Romantica (1698) alle damaligen Vorwürfe gegen den Roman zusammen (B ERTHOLD, Fiktion, 2.59–67; auch KUNDERT, Ist Fiktion Lüge?). Vor allem wurde damals die zweifelhafte Moral und der kaum erkennbare Nutzen fiktionaler Erzählungen kritisiert (B ERTHOLD, Fiktion, 63). Andere Autoren wie Leibniz und Gundling konnten auf die Tradition der narrativen Exempel (z.B. Predigtexempel) verweisen, bei denen es gerade um eine höhere Wahrheit ging und die daher als nützlich angesehen wurden (vgl. B ERTHOLD, Fiktion, 62f.). Lutheraner und Katholiken standen der Literatur eher tolerant gegenüber, Calvinisten und Pietisten eher kritisch (B ERTHOLD, Fiktion, 67 Anm. 40). Noch in den 1770-er Jahren wurde die zunehmende „Lesesucht“ und „Lesewut“ des Publikums argwöhnisch beobachtet (B ERTHOLD, Fiktion, 179). 150
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Simplicissimus (1669) oder Defoes Robinson Crusoe (1719) – im Rahmen von bekannten, tatsächlich vorhandenen Ortsnamen und Zeitangaben. 153 Der Siegeszug des Romans war deswegen möglich, weil sich zu gleicher Zeit bei den Lesern eine „Medienkompetenz“ herausbildete: Sie lernten Konventionen kennen, mit denen sie differenziert urteilen konnten, in welcher Hinsicht Texte fiktional und wann sie faktual gemeint sind. 154 So wurde z.B. die fiktive Herausgeberschaft schnell ein typisches Element früher neuzeitlicher Romane und wurde von den Kundigen auch als Fiktionssignal erkannt.155 Diese „Fiktionssignale“ sind also historisch kontingent und sollen in Abschnitt 2.2.2.2 näher erörtert werden. Zunächst möchte ich noch einige notwendige Klärungen a) zur Definition von Fiktionalität, b) zu den Begriffen „fiktiv“, „fiktional“ und „literarisch“ sowie c) zum Wirklichkeitsbezug der Elemente einer Erzählung voranstellen. a) Definition: Eine Erzählung 156 kann als fiktional gelten, wenn 1) die genannten Personen, Orte oder Gegenstände (vgl. 2.3.1, 2.5.1) nicht (oder nicht mit diesen Eigenschaften) existieren oder existiert haben bzw. 2) einige Ereignisse (2.4.1) nicht wirklich (in dieser Weise, zu dieser Zeit) geschehen sind oder andere Ursachen als die geschilderten haben.157 b) Die Begriffe „fiktiv“ und „fiktional“ werden in der Literaturwissenschaft meist in der Weise unterschieden, dass sich „fiktiv“ auf Personen, 153
Vgl. zu den Neuerungen B ODE, Roman, 43–45 und insgesamt 35–52. Diese Gegenüberstellung ist natürlich sehr idealtypisch; zum Fiktionalitätskonzept in mittelalterlicher Literatur s. z.B. G LAUCH, Schwelle. 154 BERTHOLD, Fiktion, 123–137 und passim; vgl. auch W ILDEKAMP/VAN MONTFOORT/ VAN RUISWIJK, Fictionality and Convention, bes. 556; N ICKEL -BACON/G ROEBEN / SCHREIER, Fiktionssignale pragmatisch, 297–299; A PPEL, Realität durch Fiktionen, 189– 203. 155 Wer bestimmte Konventionen wie die Herausgeberfiktion im 18. Jh. (vgl. dazu LÖSCHNIGG, Fiktionale Autobiographie, 91–105) nicht kennt, wird eine Erzählung irrtümlicherweise als faktual auffassen. Ebenso müssen von der Bibelexegese die Konventionen von Geschichtsschreibung und Dichtung in der Antike berücksichtigt werden. 156 Fiktionale Äußerungen müssen sich natürlich nicht nur auf Erzählungen beziehen, diese sind aber ein paradigmatischer Fall (vgl. Z IPFEL, Fiktion, 56–58). Vgl. 314–322, wo Zipfel deutlich macht, dass Fiktionalität und Literatur nicht deckungsgleiche Begriffe sind. 157 HEMPFER, Fiktionstheorie, 120f. unterscheidet (definitorische) Fiktionsmerkmale, die den fiktionalen Charakter einer Erzählung eindeutig festlegen, und konkrete Fiktionssignale, die auf den möglichen fiktionalen Charakter nur hinweisen. Vgl. dazu Z IPFEL, Fiktion, 245f. Diese Unterscheidung steht im Kontext einer langen Diskussion, inwiefern manche literarischen Strategien nicht auch konstitutiv für Fiktion sein könnten (s.u.). Als einziges – definitorisches – Fiktionsmerkmal bleibt m.E. nur der Bezug einer Erzählung auf nicht-existente Objekte oder nicht geschehene Ereignisse übrig.
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
Orte, Zeitangaben, Ereignisse und Sachverhalte bezieht, „fiktional“ ist dagegen die Erzählung. 158 Wenn man einfach meint, dass Erzählungen mithilfe von erzähltechnischen Mitteln besonders auf die Rezeptionswirkung ausgerichtet sind, ohne deren Fiktionalitätsstatus anzusprechen, kann man sie als „literarisch“ bezeichnen. c) Beziehen sich fiktionale Erzählungen wirklich auf „nichts“, wenn die genannten Personen, Settings oder Ereignisse nicht in dieser Weise existier(t)en?159 Das Problem der Referenz sprachlicher Zeichen führte im Poststrukturalismus dazu, dass man meinte, die Kategorie der Referenz ganz ausklammern zu können. Aus der Sicht der kognitiven Narratologie (vgl. 2.1.3.1) kann man jedoch entgegnen, dass ein sprachliches oder nichtsprachliches Zeichen immer an ein vorhandenes kognitives Modell bzw. Schema eines Objekts oder Ereignisses anknüpft, 160 dem im Weltwissen der Rezipienten als einziger Unterschied die Eigenschaft „wirklich“ oder „fiktiv“ zugesprochen wird. 161 Von daher ist die poststrukturalistische Hauptannahme höchst fragwürdig. 162 158
L ANDWEHR, Text und Fiktion, 180: „Während ‚Fiktivität‘ definitionsgemäß den … Seinsmodus von Gegenständen und Sachverhalten bezeichnet, meint ‚Fiktionalität‘ den Bezug einer Äußerung … zu fiktiven (und nichtfiktiven) Konstituenten des Kommunikationsprozesses“. Ähnlich N ICKEL-BACON/GROEBEN/SCHREIER, Fiktionssignale pragmatisch, 270; WEIDACHER, Fiktionale Texte, 38f.; für eine ausführliche Erörterung dieser beiden Begriffe vgl. Z IPFEL, Fiktion, 14–19, bes. 19: Er verwendet „Fiktivität“ für das Dargestellte, „Fiktionalität“ als Eigenschaft des Erzähltextes. Oft werden beide Ebenen dennoch nicht klar getrennt. 159 Für die Narratologie nicht fruchtbar sind die oft angeführten philosophischen Fiktionstheorien, z.B. V AIHINGER, Philosophie des Als Ob (dazu C EYNOWA, Pragmatismus; WELS, Fiktion), die make-believe-Theorie von K. Walton (W ALTON, Mimesis as MakeBelieve; vgl. CURRIE, Nature of Fiction; B AREIS, Fiktionales Erzählen, 19–48; Z IPFEL, Fiktion, 214–227, s. auch Zipfels Konkretisierungsversuch bezogen auf Rezeptionsemotionen und Empathie, 252–261) oder J.R. Searles pretense theory (SEARLE, Der logische Status; dazu die ebenfalls lesenswerte Kritik bei Z IPFEL, Fiktion, 185–195). Vgl. den Sammelband von R EICHER, Fiktion, u.a. mit Auszügen aus Searle, Walton und Currie. Die neuere Arbeit von Bunia kennzeichnet die Fiktion metaphorisch als eine „Faltung“, da eine Faltung Unterschiedenheit und Identischsein vereine: „Fiktion ist eine Faltung, insofern es aufgrund von Eigenschaften eines Textes keinerlei zwingende Gründe gibt, ihn als fiktionalen oder als nicht-fiktionalen Text einzuordnen“ (B UNIA, Faltungen, 99, vgl. 98–173). Um konkrete Kriterien geht es ihm nicht. 160 Ausführlich dazu B LUME, Fiktion und Weltwissen, bes. 63–91. Vgl. die hilfreiche Beschreibung S. 80: „Unter nichtfiktionalen Elementen fiktionaler Texte sind all jene Textbausteine zu verstehen, die sich auf in der mentalen Enzyklopädie des Textproduzenten bereitliegende Konzepte stützen und deren Quelle entweder die eigene Erfahrungswelt oder selbst als nichtfiktional betrachtete Vermittlungsinstanzen sind.“ (im Orig. kursiv) Ähnlich ist auch das „principle of minimal departure“ von Ryan gemeint (R YAN, Fiction, Non-Factuals, 406; R YAN, Possible Worlds, 48–60; vgl. 2.4.5). 161 Einen fiktiven Text lesen bedeutet daher m.E. nicht, „sich selbst für die Zeit der Lektüre in einer gewissen Weise glauben zu machen, daß die erzählte Geschichte wahr
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2.2.2.2 Fiktionssignale Wie kann man konkret vorgehen, um fiktionale und faktuale Erzählungen zu unterscheiden? Anders gefragt: Welche Strategien wendet ein Rezipient an, um eine Erzählung als „wahr“ oder „ausgedacht“ einzuordnen, und welche Hinweise gibt ihm der Autor? Die Literaturwissenschaft beantwortet diese Frage mit einer Auflistung möglicher Fiktionssignale, bei denen es sich meist um fiktionstypische literarische Mittel handelt. 163 Ich möchte den Begriff „Fiktionssignal“ etwas weiter fassen und die Fiktionssignale im Anschluss an Zipfel in zwei Klassen aufteilen: in Fiktivitätssignale, die die Geschichtlichkeit von Objekten betreffen, und Fiktionalitätssignale, die auf der Ebene des Textes angesiedelt sind. 164 Die Fiktionalitätssignale können wiederum in direkte und indirekte Fiktionalitätssignale unterteilt werden (Tab. 7), je nachdem, ob sie explizit oder implizit vorhanden sind.165
ist“ (so Z IPFEL, Fiktion, 248 in Anlehnung an die make-believe-Theorie; vgl. 2.7.3 zum Realitätseffekt). Aufgrund des Cognitive Turn ist es auch unsinnig, dem „textimmanenten“ impliziten Leser zuzuschreiben, dass dieser den Text als faktual lesen würde, da ein solcher nicht existiert (vgl. 2.2.1; gegen Z IPFEL, Fiktion, 248, dort als „fiktiver Adressat“ bezeichnet). Z IPFEL, Fiktion, 73–76 betont als Bezugspunkt für Wirklichkeit die (subjektiv erfahrene) Alltagswirklichkeit und benennt auch die „Enzyklopädie“ von U. Eco, wertet sie aber nicht im Sinne des Cognitive Turn aus. – Die neuere filmwissenschaftliche Arbeit von P IETRASS, Bild und Wirklichkeit, widmet sich ebenfalls der Frage, wie die Rezipienten von Fernsehsendungen Realität und Fiktion unterscheiden können. Die Lösung findet die Autorin in ähnlicher Weise in einer „Rahmen-Analyse“ (30–32.57–76, mit engem Bezug auf G OFFMAN, Frame Analysis [1974]), ohne dass sie die ausführliche literaturwissenschaftliche Diskussion einbezieht. 162 Vgl. zur Kritik am Poststrukturalismus aus der Sicht der Fiktionstheorie Z IPFEL, Fiktion, 50–56. Sein treffendes Fazit (56): „Die Kategorie der Referenz in bezug auf sprachliche Phänomene grundsätzlich auszusparen und als unhaltbar zu kritisieren, kann man … als eine der größten kulturwissenschaftlichen Absurditäten des 20. Jahrhunderts bezeichnen.“ 163 Zu textinternen Fiktionssignalen vgl. C OHN, Signposts (= COHN, Narratologische Kennzeichen); N ÜNNING, Von historischer Fiktion I, 153–199; N ÜNNING, Verbal Fictions?, 368–377; Z IPFEL, Fiktion, 232–247; B AREIS, Fiktionales Erzählen, 69–86; EHLERS, Studienbuch, 102f.; N ÜNNING, Art. Fiktionssignale; G ORMAN, Art. Fiction, Theories of, 166f. – Die Idee, konkrete Symptome der Fiktion im Text zu beschreiben, stammt von K. Hamburger; jedoch kann das von ihr so genannte „epische Präteritum“ (HAMBURGER, Logik, 59–78; vgl. V OGT, Aspekte, 30; W OLFF, Fiktionalität, 34–38) kaum als klares Fiktionssignal angesehen werden. 164 Z IPFEL, Fiktion, 234. 165 Z IPFEL, Fiktion, 235. Direkte Fiktionalitätssignale setzen nach Zipfel die Fiktionalität des Textes notwendigerweise voraus, indirekte Fiktionalitätssignale nicht. Ich wähle hier eine andere Einteilung.
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
Fiktionssignale: – Fiktivitätssignale (textextern) * abweichendes historisches Wissen * Wahrscheinlichkeitskriterium * Zugänglichkeitskriterium – Fiktionalitätssignale (textintern) a) direkt (durch explizite Äußerungen) b) indirekt (durch Anlehnung an literarische und Abweichung von historiografischen Gattungskonventionen) * verschiedene Formen der literarischen Gestaltung * Nicht-Einhaltung historiografischer Konventionen Tab. 7: Übersicht über Fiktionssignale
1. Die Fiktivitätssignale werden von literaturwissenschaftlicher Seite bisher meist übersehen,166 offenbar weil es sich nicht um textimmanente Signale handelt. Tatsächlich wird ein Autor aber davon ausgehen, dass seine Rezipienten das Erzählte mit ihrem textexternen Wissen über die geschilderten Figuren oder Ereignisse vergleichen. Wenn der intendierte Rezipient in der Vorstellung des Autors das entsprechende Vorwissen besitzt, um die Fiktivität einzelner Figuren, Settings oder Handlungen festzustellen, bräuchte der Autor keine zusätzlichen expliziten oder impliziten literarischen Signale. Es gibt m.E. drei Arten textexterner Fiktivitätssignale: – Abweichungen vom historisch gesicherten Wissen. Zunächst ist zu prüfen, inwiefern die Geschichte mit einer als faktual anerkannten Erzählung bzw. faktualen Aussagen übereinstimmt: Weiß man, ob die Personen oder Gegenstände wirklich existiert haben? Sind die Ereignisse wirklich geschehen? Ein Rezipient wird in der Regel dazu nicht eigens nachforschen, sondern sein Weltwissen aktivieren. Weil die Beantwortung dieser Frage in manchen Punkten meist nicht ad hoc oder auch grundsätzlich nicht möglich ist, weil es keine andere Quelle gibt, wird intuitiv zum nächsten Schritt übergegangen: – Wahrscheinlichkeitskriterium. Dieser Punkt lässt sich unterteilen in a) die Möglichkeitsprüfung und b) die eigentliche Wahrscheinlichkeitsanalyse: a) Wenn die referenzierten Personen und Ereignisse dem Rezipienten ansonsten (in der Wirklichkeit) unbekannt sind, bleibt ihm immer noch die Wahl, sie als möglich oder nicht-möglich einzustufen. Es gibt – für ein jeweiliges Weltwissen – mögliche und nicht-mögliche Figuren (z.B. sprechende Tiere), Orte, Zeitpunkte, Zeiträume bzw. Zeitverhältnisse und Er166 Z IPFEL, Fiktion, 234: „Diese Fiktivitätssignale werden bei der literaturwissenschaftlichen Behandlung von Fiktionssignalen selten und wenn, dann oft nur unzureichend thematisiert.“ Selbst Zipfel beschränkt sich jedoch auf einen Aspekt, nämlich die (Un-)Möglichkeit von Personen und Orten (nur 235 Anm. 23 zur Wahrscheinlichkeit). Vgl. ansatzweise auch C OHN, Narratologische Kennzeichen, 107f.
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eignisse.167 Erzählungen, die solche nicht-möglichen Angaben enthalten, werden gewöhnlich der phantastischen Literatur zugeordnet (s.u.). Zur Unterscheidung von fiktionaler und faktualer Erzählung muss also untersucht werden, ob die intendierten Rezipienten bestimmte Angaben der Erzählung als nicht-möglich erkennen sollten. Dabei ist es wichtig zu wissen, ob der Autor und seine Rezipienten bestimmte Sachverhalte als wahr annahmen, selbst wenn wir sie heute nicht mehr so teilen würden. 168 – b) Selbst wenn eine Figur, ein Ort oder ein Ereignis theoretisch möglich ist, kann der Rezipient häufig ableiten, dass das Geschilderte kaum so existiert haben oder geschehen sein kann, z.B. bei Anachronismen in der Erzählung oder ungewöhnlichen kausalen Verknüpfungen. Auch hier ist natürlich das Weltwissen des intendierten Rezipienten maßgebend. – Zugänglichkeitskriterium. Drittens stellt sich für den Rezipienten die Frage: Konnte der Autor die Informationen überhaupt erlangen? Wenn der Autor mehr erzählt, als er historisch belegen und plausiblerweise wissen kann, ist dies ein eindeutiges Signal für Fiktionalität. Hier ist es entscheidend, was der intendierte Rezipient aus Sicht des Autors über ihn als Autor und seine Quellen weiß. Ist sich der Autor darüber unsicher, wählt er bestimmte, historisch kontingente Konventionen zur Differenzierung. Bei heutigen faktualen Erzählungen aus „zweiter Hand“ müssen alle Angaben dokumentarisch nachgewiesen oder ansonsten hypothetisch formuliert werden.169 In fiktionalen Erzählungen kann der Erzähler dagegen problemlos „allwissend“ (vgl. 2.6.4) sein, ohne Quellen anzugeben. Dazu zählen insbesondere die indikativisch berichtete Innensicht in Dritte (s.u.) und detaillierte Schilderungen von Dingen oder Ereignissen, die der Autor eigentlich nicht kennen kann (s.u. zur anschaulichen Detailfülle). 170 Diese Konventionen sind bei antiken Berichten anders ausgeprägt, müssten also noch historisch angepasst werden, um sie direkt auf die Exegese übertragen zu können. Bei manchen Erzählungen kommt man mit diesen drei Fiktivitätssignalen allerdings nicht weit: Viele fiktionale Erzählungen erscheinen dem intendierten Rezipienten realistisch; der Autor könnte häufig theoretisch die notwendigen Informationen erlangt haben; zudem fehlt dem Rezipien167
So definiert D OLEŽEL, Fictional and Historical Narrative, das Verhältnis von Fiktionalität und Faktualität mithilfe der possible-worlds-Theorie (vgl. 2.4.5). 168 Vgl. das mutual belief principle bei ZIPFEL, Fiktion, 87, der auf die „historische und kulturelle Bedingtheit und Variabilität dessen, was als Wirklichkeit aufgefaßt wird“, hinweist. 169 Vgl. NÜNNING, Verbal Fictions?, 376; L ÖSCHNIGG, Fiktionale Autobiographie, 60. 170 Vgl. Z IPFEL, Fiktion, 137: „Abweichungen im Bereich der Distanz betreffen eine das menschliche Erinnerungsvermögen übersteigende und nicht durch die Thematisierung von Erinnerungshilfen gerechtfertigte Detailfreudigkeit, insbesondere bei der Wiedergabe von Dialogen.“
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
ten oft das nötige externe historische Wissen über das Erzählte, um die Fiktionalität einer Erzählung zu erkennen. In solchen Fällen weist der Autor fast immer direkt oder indirekt mithilfe konventionalisierter Fiktionalitätssignale auf die grundsätzliche Fiktivität der Erzählelemente hin. Allein wenn der Autor sich bewusst nicht an diese Fiktionskonventionen hält, die er bei seinen intendierten Rezipienten als bekannt voraussetzen kann („Fiktionsvertrag“), nur dann kann ihm mit Recht der Vorwurf der Täuschung gemacht werden.171 Welche Fiktionalitätssignale ein Autor konkret einsetzt, ist historisch variabel und wäre eigene Untersuchungen wert. Im Folgenden sollen die an moderner Literatur erarbeiteten Fiktionalitätssignale vorgestellt werden; es könnte jedoch auch antike Pendants dazu geben. Die Kategorien haben also heuristischen Charakter. 2. Wenn nicht vorauszusetzen ist, dass der intendierte Leser die Fiktionalität eines Textes erkennen kann, müsste der Autor durch direkte Fiktionalitätssignale darauf hinweisen, dass es sich um eine fiktionale Erzählung handelt. Dementsprechend können paratextuelle Elemente wie Titel, Gattungsbezeichnung (z.B. „Roman“), Vorwort, Klappentext und – über den Paratext hinausgehend – der Erscheinungskontext ein Hinweis auf Fiktionalität/Faktualität einer Erzählung sein. 172 Zu solchen direkten Fiktionalitätssignalen gehören auch Äußerungen des Erzählers, mit denen er andeutet, dass er die Erzählung erfunden hat, wie „Ich stelle mir vor …“ oder gattungsspezifische Formeln wie „Es war einmal …“ 173 Ein direktes Fiktionalitätssignal ist außerdem die Metafiktion, wo der Erzähler z.B. durch Kommentare deutlich macht, dass es sich bei seiner Erzählung um einen fiktionalen Text handelt. 174 Allerdings könnte man dies alles auch fingie171
Auch bei der Diskussion um die Legitimität antiker Pseudepigrafie geht es letztlich darum, einen solchen „Fiktionsvertrag“ in seinen verschiedenen Formen historisch nachzuweisen. Damit der Täuschungsvorwurf nicht zutrifft, muss die Fiktionalität eines Textes für damalige intendierte Rezipienten erkennbar gewesen sein – aufgrund ihres vorausgesetzten Vorwissens, aufgrund konventioneller literarischer Merkmale usw. Vgl. dazu die hier zusammengestellten Kategorien von Fiktionssignalen. 172 Ausführlicher zu Paratexten als Fiktionalitätssignal N ÜNNING, Von historischer Fiktion I, 155–172; Z IPFEL, Fiktion, 241–243; B AREIS, Fiktionales Erzählen, 79–82; vgl. WOLF, Art. Paratext. Auch die Herausgeberschaft eines Textes kann seit Defoes Robinson Crusoe fingiert sein, ja ist schon fast als indirektes Fiktionalitätssignal konventionalisiert (vgl. Z IPFEL, Fiktion, 135f.246 zur Herausgeber-Fiktion). 173 Vgl. ZIPFEL, Fiktion, 237. 174 Die Metafiktion ist ein Spezialfall der Metanarration, wo ein Erzähler über seine (faktuale oder fiktionale) Erzählung nachdenkt, d.h. den eigenen Erzählakt thematisiert (vgl. BAREIS, Fiktionales Erzählen, 189–201; L AHN/MEISTER, Erzähltextanalyse, 166– 182). Bei der Metafiktion weist der Erzähler seine Erzählung explizit als fiktional aus. Zur Metafiktion vgl. u.a. E NGLER/MÜLLER (Hgg.), Historiographic Metafiction; NÜNNING, Von historischer Fiktion I–II; SCHEFFEL, Formen selbstreflexiven Erzählens; SPRENGER, Modernes Erzählen; F RANK, Narrative Gedankenspiele; F LUDERNIK, Meta-
2.2 Kommunikation durch Erzählungen
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ren, d.h. es stellt sich immer die Frage nach der Glaubwürdigkeit der paratextuellen Elemente und der Selbstkundgaben. 175 3. Bei den indirekten Fiktionalitätssignalen (Fiktionsindizien) handelt es sich im Grunde um gattungstypische Merkmale, an die sich der Autor anlehnt, um seinen Rezipienten die Unterscheidung zwischen fiktionaler und faktualer Erzählung zu ermöglichen. Hinweise auf die Fiktionalität einer Erzählung sind in der Regel a) eine hohe Poetizität und b) die NichtEinhaltung historiografischer Konventionen. a) Hohe Poetizität: Der Autor verwendet bestimmte literarische Mittel, um seine Erzählung spannend zu machen oder Empathie und Rezeptionsemotionen zu verstärken. Sie sind für (heutige) fiktionale Erzählungen typisch, aber zur Einordnung eines Textes als fiktional weder notwendig noch hinreichend.176 Zum einen sind auch fiktionale Texte ohne poetische Mittel denkbar, zum anderen könnten auch faktuale Erzählungen in dieser Weise interessant gestaltet sein, z.B. in journalistischen oder anderen populärwissenschaftlichen Darstellungen. Trotzdem sind folgende Merkmale gewöhnlich ein Hinweis auf den grundsätzlich fiktionalen Charakter einer Erzählung:177 – Metalepsen (vgl. 2.2.1).178 Hier wird die Trennung der narrativen Ebenen künstlerisch durchbrochen (z.B. spricht eine Figur aus der Erzählung direkt zum Leser), was heutigen Konventionen für Geschichtsschreibung widerspricht. – Innensicht in Dritte (vgl. 2.6.3). Für Cohn und Genette ist die Darstellung der Innenwelt ein zentrales Kriterium von Fiktionalität. 179 In fiktionalen Texten werden häufig auch innere Gefühle und Gedanken von Figuren narrative and Metafictional Commentary; S ETZKORN, Vom Erzählen erzählen; N ADJ, Fiktionale Metabiographie; B ÖLLING, History in the Making; H AUTHAL/NADJ u.a. (Hgg.), Metaisierung; Z UFELDE, Comment savoir?; WOLF, Art. Metafiktion; N ÜNNING, Art. Historiographische Metafiktion. 175 Vgl. Z IPFEL, Fiktion, 243f. Z.B. gibt es Fälle, wo Autoren ihre literarisch gestalteten, aber faktualen Erzählungen „Roman“ oder „nonfiction novel“ nennen. 176 Treffend LÖSCHNIGG, Fiktionale Autobiographie, 59: „Tatsächlich scheint die Annahme gerechtfertigt, dass die betreffende Formelemente in Fiktionstexten weit häufiger auftreten als in nicht-fiktionalen Texten. Sie stellen allerdings keine Kriterien dar, die eine definitive Unterscheidung zwischen Fiktion und Nicht-Fiktion erlauben.“ 177 Nach NÜNNING, Verbal Fictions?, 369 muss hier „die Gesamtheit jener Darstellungsverfahren, die als spezifisch ‚literarisch‘ gelten (wie rhetorische Figuren, Formen der Bewußtseinsdarstellung etc.)“, berücksichtigt werden. 178 Zu Metalepsen als Fiktionssignal vgl. G ORMAN, Art. Fiction, Theories of, 167; ausführlich BAREIS, Fiktionales Erzählen, 77.201–214; vgl. ebd. zur mise en abyme bei den Erzählebenen. 179 Vgl. COHN, Fictional versus Historical Lives, 25–28; C OHN, Signposts, 784–791; COHN, Narratologische Kennzeichen, 108–110; G ENETTE, Fictional Narrative, 761–763 (762: „fictional narrative alone can give us direct access to the subjectivity of the other“).
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
(jenseits des Ich-Erzählers) beschrieben, um die Empathie des Rezipienten zu verstärken. Dieses Kriterium ist jedoch nicht hinreichend: Die interne Fokalisierung fremder Figuren ist nur dann ein Fiktionalitätssignal, wenn die Innenwelt der Figuren nicht auch mit gewisser Wahrscheinlichkeit vom Erzähler erschlossen werden kann. Wenn ja, könnte sie auch auf eine interessante Gestaltung einer faktualen Erzählung zurückgehen. – Erkennbarer Unterschied von Autor und Erzähler. Ein sehr bekanntes Fiktionssignal ist die Unterscheidung zwischen Autor und Erzähler, die Cohn und Genette ebenfalls in die Fiktionalitätsdiskussion einführten. 180 Dass Autor und Erzähler auseinandertreten, ist oft (wie im Fall des unzuverlässigen Erzählers181) nur durch textexternes Wissen herauszufinden, indem man das eigene Vorwissen über den realen Autor und das geschilderte Bild des Erzählers vergleicht. 182 Allerdings ist es kurzschlüssig, die Trennung von Autor und Erzähler mit der Fiktionalität eines Textes gleichzusetzen, wie es Cohn und Genette tun. Die Einführung einer vom Autor verschiedenen Erzählergestalt ist zwar typisch für fiktionale Erzählungen, könnte aber auch in interessant gestalteten faktualen Texten vorkommen. Andererseits treten nicht bei allen fiktionalen Texten Erzähler und Autor auseinander (vgl. dazu 2.2.1 183). Dieses Merkmal ist also weder hinreichend noch notwendig für die Fiktionalität eines Textes, aber dennoch ein wichtiges Indiz. – Ein Beginn in medias res mit niedriger Expositionalität (Kap. 2.4.7), der den Rezipienten in die Erzählung hineinzieht. Dieses literarische Mittel könnte aber auch in journalistischen Darstellungen faktualer Geschichten verwendet werden.184 Dazu auch NÜNNING, Von historischer Fiktion I, 184–188; N ÜNNING, Verbal Fictions?, 375f.; Z IPFEL, Fiktion, 145f. 180 Vgl. COHN, Signposts, 791–800; C OHN, Narratologische Kennzeichen, 110–112; GENETTE, Fictional Narrative, 763–770. Vgl. zu Cohn bzw. Genette N ÜNNING, Von historischer Fiktion I, 179f.; N ÜNNING, Verbal Fictions?, 372f.; M ARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 83f.; L ÖSCHNIGG, Narratological Categories, 41–45; B AREIS, Mimesis der Stimme, 104–107 (zu Cohn); B UNIA, Faltungen, 93–98. In manchen Fällen ist die AutorErzähler-Unterscheidung für die Rezipienten schon an den Buchtiteln zu erkennen: Th. Mann, Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull; E.T.A. Hoffmann, Lebens-Ansichten des Katers Murr. 181 Zur Kritik am unzuverlässigen Erzähler als eindeutigem Fiktionalitätskriterium vgl. LÖSCHNIGG, Fiktionale Autobiographie, 66–69; B AREIS, Fiktionales Erzählen, 187f. (vgl. 78.172–188 zur Diskussion). Dagegen ordnen N ÜNNING, Von historischer Fiktion I, 184; FLUDERNIK, Fiction vs. Non-Fiction, 100; L ÖSCHNIGG, Narratological Categories, 43 das unzuverlässige Erzählen noch als hinreichendes Fiktionssignal ein. 182 Vgl. NICKEL-BACON/GROEBEN/SCHREIER, Fiktionssignale pragmatisch, 273. 183 S. auch BAREIS, Mimesis der Stimme, 107.111f.; B AREIS, Fiktionales Erzählen, 107–109. 184 Dazu NÜNNING, Verbal Fictions?, 369; Z IPFEL, Fiktion, 239.
2.2 Kommunikation durch Erzählungen
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– Eine hohe Anzahl an Anachronien185 (Kap. 2.4.3), die z.B. wichtige Informationen zurückhalten und so die Spannung erhöhen. Außerdem weisen historische Romane mehr Aussparungen, Zeitsprünge und Erzählpausen (für Erzählerkommentare) als Geschichtsdarstellungen auf. 186 – Eine anschauliche Detailfülle187, z.B. genaue Landschaftsbeschreibungen oder Charakterisierungen von Figuren, die zum Realitätseffekt (Kap. 2.7.3) beitragen. – Camera-Eye-Darstellung (Kap. 2.6.3)188. Der Erzähler beschreibt genau, was passiert, ohne Innensicht in die Figuren oder eigene Kommentare. Der Leser wird zum „Zuschauer“. – Häufige Verwendung von poetischer Sprache, von rhetorischen Figuren189 und besonders von Metaphern. – Schließlich ist auch das Vorkommen von autonomen inneren Monologen oder das Erzählen im Präsens (außer bei Reportagen) ein Hinweis auf die Fiktionalität eines Textes. 190 b) Andererseits fehlen die konventionellen, typischen Merkmale der Geschichtsschreibung: – In der heutigen Geschichtsschreibung ist der Erzähler ein verborgener Erzähler, da „die Präsenz und Individualität eines erzählenden Subjekts in historiographischen Werken … weitgehend verschleiert wird“. 191 In historischen Romanen kommentiert der Erzähler dagegen häufig das Geschehene und tritt so explizit in Erscheinung. – Moderne Geschichtsschreibung ist außerdem durch ausdrückliche Hinweise auf Quellen und wissenschaftliche Literatur gekennzeichnet, 192 auch wenn historische Romane dies nachbilden könnten. 193 185
NÜNNING, Von historischer Fiktion I, 190f.; Z IPFEL , Fiktion, 239. G ENETTE, Fictional Narrative, 757–760 vergleicht nur die Explizität von Anachronien in fiktionalen und faktualen Erzählungen und kann daher keine Unterschiede erkennen, ebenso wenig bei der Erzählgeschwindigkeit und Erzählfrequenz. 186 NÜNNING, Verbal Fictions?, 376. 187 Z IPFEL, Fiktion, 239–241. 188 Z IPFEL, Fiktion, 238 („externe Fokalisierung“ bei Genette). 189 NÜNNING, Verbal Fictions?, 369. 190 Vgl. ZIPFEL, Fiktion, 155–158.159–163. 191 NÜNNING, Verbal Fictions?, 374. 192 Vgl. NÜNNING, Verbal Fictions?, 371: „Seit der Verwissenschaftlichung der Geschichtsschreibung müssen außerdem sämtliche Prä- und Bezugstexte qua Konvention durch Anmerkungen und bibliographische Dokumentation explizit markiert sein.“ Die Geschichtsschreibung beziehe sich außerdem meist auf nicht-fiktionale Textsorten als Quellen. S. umfassend FULDA/TSCHOPP (Hgg.), Literatur und Geschichte. 193 Ein interessantes Beispiel ist die fingierte Biografie von W. Hildesheimer, Marbot, die formal wie eine historische Arbeit wirkt (es werden Zitate aus seinen Briefen und Aufzeichnungen angeführt, Einschätzungen seiner Zeitgenossen wiedergegeben, Porträts abgebildet), die sich aber auf eine fiktive Person bezieht. Zu Marbot vgl. COHN,
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
Insgesamt gilt, dass erst alle Aspekte (1.–3.) analysiert werden müssen, um zu einem ausgewogenen Gesamturteil zu kommen, da selbst scheinbar eindeutige Fiktionssignale irreführend sein können. 194 2.2.2.3 Fiktionale Konzeption Darüber hinaus gibt es auch Kategorien und Begriffe, um die Faktualität einer Erzählung im Einzelnen zu beschreiben. Zum einen kann man untersuchen, welche Entitäten und Ereignisse wie sehr an das faktuale Weltwissen des Rezipienten anknüpfen („Faktualitätskonfiguration“): 1) Arten faktualer Objekte bzw. Ereignisse in einer Erzählung. Ein faktualer Referenzbezug besteht entweder bei einzelnen Elementen der Umwelt (z.B. Setting in London oder im Jahr 1906), bei einzelnen Figuren (ein Roman über Heinrich VIII.) oder bei Eigenschaften und Handlungen der Figuren (z.B. M. Billers Esra).195 2) Ausmaß faktualer Aspekte innerhalb eines Objekts. Je nachdem, ob eine Entität real, verändert oder fiktiv ist, unterscheidet Zipfel zwischen immigrant objects, surrogate objects und native objects.196 Dabei zählen nur die native objects (nicht-reale Objekte) und die surrogate objects (pseudo-reale Objekte) zu den fiktiven Entitäten. Anstelle dieser sehr groben Dreiteilung wären noch weitere Differenzierungen möglich und notwendig, insbesondere aus strafrechtlicher Sicht. 197 Distinction, 79–95; Z IPFEL, Fiktion, 144f.246f.; J ACOBY, Mögliche Leben, 95f. Anm. 85f. 194 Vgl. ZIPFEL, Fiktion, 243. 195 Z IPFEL, Fiktion, 79–82 beschreibt nur fiktive Figuren, fiktive Orte und fiktive Zeit und übersieht, dass auch bzw. allein die Handlung fiktiv sein kann. Dies ist bei der kontrafaktischen Erzählung der Fall, die die Frage „Was wäre gewesen, wenn …?“ möglichst genau zu beantworten versucht (vgl. R ODIEK, Erfundene Vergangenheit; D OLEŽEL, Narratives of Counterfactual History; D ANNENBERG, Coincidence and Counterfactuality; WIDMANN, Kontrafaktische Geschichtsdarstellung). 196 Z IPFEL, Fiktion, 98 greift hier Anregungen von T. Parsons und T. Pavel auf. Er bezeichnet mit native objects rein fiktive Größen (aus Sicht des Cognitive Turn müsste man sagen, dass sie dennoch kategorial den Frames des Rezipienten, z.B. seinem Wissen über Personen, entsprechen), mit immigrant objects solche Entitäten, die „aus der Realität übernommen“ sind, und surrogate objects sind „der Realität entlehnte, jedoch signifikant abgewandelte Objekte“ (d.h. im Cognitive Turn: die auf die konkreten Frames des Rezipienten zurückgreifen, z.B. auf sein Wissen über New York, diese aber modifizieren). Für die englischen Begriffe schlägt er auch die deutschen Bezeichnungen nicht-reale, reale und pseudo-reale Objekte vor (102). 197 Vgl. zur Verwendung lebender Personen als Vorlage für surrogate objects Z IPFEL , Fiktion, 101f.: „Fiktive Geschichten über noch lebende Personen – insbesondere wenn diese Personen Protagonisten der Handlung wären – würden wohl deren Persönlichkeitsrechte in einem Maße verletzen, das auch mit der Aussage, daß die Geschichte ja nur Fiktion sei, nicht neutralisiert werden könnte.“ Hier müsste man weiter differenzieren, vgl. dazu z.B. die Kontroverse um M. Billers Roman Esra (dazu VON BECKER, Fiktion
2.2 Kommunikation durch Erzählungen
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3) Gewichtung faktualer Objekte bzw. Ereignisse. Außerdem kann analysiert werden, welche Bedeutung die faktualen Elemente für die Erzählung haben, ob sie also interpretatorisch relevant sind oder „nur“ dem Realitätseffekt dienen. Nach P. Blume entsteht der Eindruck einer motivierten Einbindung eines faktualen Objekts durch die Merkmale: „1. hoher Spezifikationsgrad, 2. explizite Aktivierung, 3. hoher Konventionalisierungsgrad, 4. globale Integriertheit“. 198 Während sich die obenstehenden Kategorien auf einzelne Objekte bzw. Ereignisse in einer Erzählung beziehen, kann auch die Erzählung insgesamt hinsichtlich ihrer Fiktionalität und Poetizität beschrieben werden. Dabei wird deutlich, dass Fiktionalität und Poetizität zwar häufig zusammen vorkommen (s.o. 2.2.2.2 zu indirekten Fiktionssignalen), aber dennoch zwei voneinander unabhängige Größen sind: a) Ausmaß der Fiktionalität. Viele Erzählungen sind – das wird in diesem Teilkapitel klar geworden sein – weder Geschichtsschreibung noch Märchen, sondern etwas „dazwischen“. Anstelle bisheriger allgemeiner Gattungsbezeichnungen 199 könnte daher eine Fiktionalitätsskala hilfreich sein,200 die hier fünf Stufen umfasst und weiter untergliedert werden kann. – Fiktionalitätsstufe 1: (Fast) alle Orte, Zeiten, Ereignisse, Personen sind wahrscheinlich (Geschichtsschreibung; z.B. Eusebius, Hist. eccl.). – Fiktionalitätsstufe 2: Viele Orte, Zeiten, Ereignisse, Personen sind wahrscheinlich/real; einige Ereignisse sind fiktiv oder Figuren haben bestimmte, nicht durch Quellen abgedeckte Eigenschaften (historischer Roman, fiktionale Biografie; z.B. kanonische Evangelien).
und Wirklichkeit). Aus rechtlichen Gründen findet man bei Romanen oder Filmen daher oft Zusätze wie „die Handlung ist frei erfunden“ oder „Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig“ (vgl. 2.7.6 zu Applikationsbereichen). 198 BLUME, Fiktion und Weltwissen, 136 (tabellarisch), vgl. ausführlich 128–137. 199 S. auch BLUME, Fiktion und Weltwissen, 90, der zwischen nichtfiktionaler, realistisch-fiktionaler und phantastisch-fiktionaler Erzählung unterscheidet, wobei der letzte Typ fiktionaler Erzählliteratur wiederum in kontrafaktisch-fiktional und phantastischfiktional im engeren Sinn untergliedert wird (144, vgl. die Fallbeispiele 145–218). Z IPFEL , Fiktion, benennt nur allgemein die Großgattungen „Realistik“ (107f.) und „Phantastik“ (109–113). Phantastische Literatur setzt Sachverhalte als gültig voraus, die vom intendierten Rezipienten als nicht möglich erachtet werden; dazu zählen z.B. sprechende Tiere in Fabeln, Geister in der Horrorliteratur, Aliens in Science-Fiction-Welten (112). Das MtEv kann man sicher nicht der phantastischen Literatur zurechnen, weil der Autor und die intendierten Rezipienten die Erscheinung von Engeln, die Wunder Jesu u.a. grundsätzlich für möglich halten. 200 Gegen eine „Fiktionsskala“ spricht sich allerdings Z IPFEL, Fiktion, 293f. aus: Anstatt die eine Erzählung als „fiktionaler“ als eine andere anzusehen, sei es besser, eine konkrete „Ermittlung der Fiktionskonfiguration“ als Teil der Textanalyse vorzunehmen. M.E. schließt dieses nicht jenes aus.
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
– Fiktionalitätsstufe 3: Einige Orte, Zeiten, Ereignisse, Personen sind wahrscheinlich/real; das meiste ist fiktiv („normaler“ Roman mit zeitgeschichtlichen Bezügen). – Fiktionalitätsstufe 4: Wenige Orte, Zeiten, Ereignisse, Personen sind real; fast alle sind fiktiv, aber aus Sicht des intendierten Rezipienten nicht unmöglich („normaler“ Roman ohne explizite Bezüge). – Fiktionalitätsstufe 5: (Fast) keine Orte, Zeiten, Ereignisse, Personen sind real; alle sind fiktiv und mindestens eine Entität 201 ist aus Sicht des intendierten Rezipienten unmöglich (Märchen; phantastischer Roman; z.B. J. Swifts Gullivers Reisen). b) Ausmaß der Poetizität/Literarizität 202. Erzählung enthalten unterschiedlich viele und verschieden wirksame literarische Elemente, die im Rahmen der narratologischen Analyse genauer untersucht werden. Analog zur Fiktionalitätsskala könnte man fünf Poetizitätsstufen unterscheiden: – Poetizitätsstufe 1: Nüchterne Schilderung, Listen und Datensammlungen; keine Elemente, die auf eine Rezeptionswirkung abzielen. – Poetizitätsstufe 2: Die Erzählung ist weitgehend sachlich, jedoch sind erste Ansätze einer interessanten Gestaltung erkennbar, die bewirken, dass der Rezipient die Schilderung gerne hört/liest, z.B. durch treffende Formulierungen, Anaphern oder genauere Beschreibungen der Figuren. – Poetizitätsstufe 3: Einerseits ist die Schilderung noch relativ sachlich, andererseits sind auch die poetischen Elemente zur Steigerung der Rezeptionswirkung unübersehbar, z.B. Wechsel von Bericht und Dialog, Schilderung von Gefühlen u.a. Die kanonischen Evangelien wären sicherlich hier einzuordnen. – Poetizitätsstufe 4: Die Erzählung wird aufgrund ihrer hohen Zahl an poetischen Merkmalen vor allem als literarisches Kunstwerk wahrgenommen, sie hat z.B. Strophenform oder enthält viele Metaphern. – Poetizitätsstufe 5: Die Erzählung ist z.B. durch zahlreiche Anachronien, Metalepsen oder Metanarration hoch poetisch gestaltet. Trotzdem könnte das Geschilderte faktual sein.
201 Vgl. Z IPFEL, Fiktion, 113: „Allerdings genügt als Bedingung, damit eine Geschichte als phantastisch anzusehen ist, daß einer der Fiktivitätsfaktoren aus dem Bereich des Möglichen herausfällt.“ 202 „Poetizität“ und „Literarizität“ werden hier gleichbedeutend gebraucht, d.h. Fiktionalität ist keine Bedingung für Literarizität. Damit kann sich das Forschungsfeld der Literaturwissenschaften auch auf literarische Aspekte faktualer Erzählungen ausdehnen. Vgl. zu beiden Begriffen auch W INKO, Suche nach der Weltformel.
2.2 Kommunikation durch Erzählungen
73
Abb. 8: Verhältnis von Poetizität und Fiktionalität 203 Fiktionalität der Erzählung
1
2
3
4
5
Poetizität der Erzählung
1 2 3 4 5
Die Poetizitätsstufen sind nicht mit der Fiktionalitätsskala verschränkt, sondern logisch unabhängig. Aus beiden Skalen ergibt sich eine Matrix, in deren Felder man verschiedene Erzählungen vergleichend eintragen kann, die sich z.B. für jede Epoche oder jeden Autor individuell verteilen 204 (Abb. 8). In der Regel wird es nur wenige Erzählungen mit geringer Fiktionalität und hoher Poetizität bzw. hoher Poetizität und geringer Fiktionalität geben. Bei Erzählungen der Poetizität 2–5 lohnt sich eine narratologische Analyse, bei Erzählungen der Fiktionalität 1–4 die historische Rückfrage nach der Faktualität einzelner Elemente. Nur wenn ein Text ganz wenige poetische Elemente enthält (wie z.B. bei Listen), wirkt eine narratologische Beschreibung der Erzählung und ihrer Wirkung überzogen. Auch die folgenden Ausführungen zur narratologischen Analyse können vielleicht veranschaulichen, dass das „Dass“ der Rezeptionswirkung (Kap. 2.7) davon unabhängig ist, ob und in welcher Weise man die Historizität einer Erzählung feststellt oder nicht. Selbst Geschichtsdarstellungen können spannend sein, für die Rezipienten interessante Analogien enthalten und auf ihre Einstellungen einwirken; auf der anderen Seite tritt ein Einstellungswandel häufig genauso auf, wenn der Rezipient Teile der erzählten Welt für fiktional hält. Inwiefern es genau die Empathie oder die Rezeptionsemotionen beeinflusst, wenn der Rezipient eine Geschichte als faktual einschätzt oder ihr besondere Autorität beimisst (wie bei Erzählungen aus dem biblischen Kanon), müsste allerdings noch empirisch erforscht werden.
203 In Anlehnung an Z IPFEL, Fiktion, 168, dort jedoch nur mit den binären Oppositionen real/fiktiv und faktual/fiktional. Zum Begriffspaar Fiktionalität und Poetizität (als mögliche Bestimmung von „Literatur“) vgl. ebd., 315–317. 204 Vgl. zur Methodik Stanzels bekannter Typenkreis (2.6), der Romane der Weltliteratur bezogen auf die Aspekte Beteiligung, Distanz und Innensicht räumlich anordnet.
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
2.2.3 Analyseaspekte einer Erzählung Zu den umstrittensten Themen der Narratologie gehört das Problem, nach welchen Aspekten eine Erzählung zu betrachten ist. Einigkeit besteht zwar darüber, dass man Inhalt („Was wird erzählt?“) und Form („Wie wird etwas erzählt?“) der Darstellung unterscheiden kann, doch gibt es darauf aufbauend die verschiedensten Begriffe und Einteilungen: S. Chatman trennt „story“ und „discourse“, M. Bal „fabula“, „story“ und „text“, G. Genette „histoire“, „récit“ und „narration“, K. Stierle „Geschehen“, „Geschichte“, „Text der Geschichte“ usw. Da bereits zahlreiche Begriffssynopsen erstellt wurden 205 und diese Diskussion m.E. unfruchtbar ist, sei an dieser Stelle nur auf die Literatur verwiesen. 206 Die folgende Darstellung soll – anders als bei Chatman, Rimmon-Kenan, Bal, Martínez/Scheffel u.a. – nicht primär nach diesen eher künstlichen Unterscheidungen gegliedert werden. Viel natürlicher erscheint eine andere Einteilung der Erzählanalyse, die zugleich alle zentralen Aspekte einer Erzählung erfasst und für alle medialen Formen der Erzählung gilt (Abb. 9). Dementsprechend werden im Fol-
Figuren Perspektive
Umwelt
Rezeption
Handlung Abb. 9: Aspekte einer Erzählung
205
Vgl. die tabellarischen Übersichten zur Terminologie verschiedener Autoren bei N ISCHIK, Einsträngigkeit, 47; K ORTE, Tiefen- und Oberflächenstrukturen, 347; F LUDERNIK, Fictions of Language, 62 (= B ODE, Roman, 85); O’N EILL, Fictions of Discourse, 21; MARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 26; B UCHHOLZ, Narrative Innovationen, 94; E ISEN, Poetik, 50; S CHMID, Erzähltextanalyse, 105 (vgl. S CHMID, „Fabel“ und „Sujet“, 34); knapper SKA, Fathers, 6. 206 Ausführlicher dazu SCHMID , Narrative Ebenen; S CHWARZE, Ebenen, 65–77; P IER, Semiotic Parameters (hilfreiche Überlegungen; story und discourse sei als Grundunterscheidung problematisch); W ENZEL, Übergreifende Modelle, 15–20; B ODE, Roman, 81– 96; SCHMID, Elemente, 223–272; SCHEFFEL, Narrative Constitution; exegetisch T OLMIE, Jesus’ Farewell, 22–28; MARGUERAT/BOURQUIN, Bible Stories, 18–29; E ISEN, Poetik, 49–59.62f. Vgl. auch C HATMAN, Deconstructing Narratology (wehrt sich gegen eine Umkehrung von story und discourse); SCHARDT, Narrative Verfahren, 50f.; S HEN, Defense and Challenge (dazu R ICHARDSON, Some Antinomies; S HEN, Temporal Antinomies).
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2.2 Kommunikation durch Erzählungen
genden nacheinander die Theorie und Methode der Umweltanalyse (2.3), Handlungsanalyse (2.4) und Figurenanalyse (2.5) vorgestellt, 207 wobei die discourse-Elemente Umweltdarstellung, Handlungsdarstellung und Figurencharakterisierung hier jeweils mit einfließen. Andere Elemente des „Wie“ des Erzählens betreffen nicht konkret Umwelt, Handlung oder Figuren, sondern primär das Verhältnis zwischen zwei Erzählebenen, also die Perspektive (2.6). Nicht zuletzt kann untersucht werden, wie die Erzählung auf den Rezipienten einwirkt (2.7). Eine wichtige Frage ist, wie die Analysekategorien „Umwelt“, „Handlung“, „Figuren“, „Perspektive“ und „Rezeption“ dann im Einzelnen ausdifferenziert werden können. Hierzu wären vielleicht Ansätze aus der analytischen Ontologie208, der Systemtheorie209 oder der Framesemantik210 interessant. Umwelt, Handlung und Figuren sind jeweils eine Entität bzw. ein „System“. In loser Anlehnung an Luhmann möchte ich einige Aspekte vorstellen, die man berücksichtigen muss, wenn man ein System beschreiben will (vgl. Abb. 10): andersartiges System, z.B. Handlung gleichartiges System, z.B. andere Figur
5 4
6
eigenes System, z.B. Figurenmerkmal
Umwelt System 1 3
2
t1
Umwelt System 7
t2
Abb. 10: Systemtheoretischer Zugang zur Ontologie von Setting, Handlung und Figuren 207 Diese Art der Gliederung ist v.a. im bibelwissenschaftlichen Narrative Criticism üblich (RHOADS/DEWEY/MICHIE, Mark; POWELL, Narrative Criticism; M ARGUERAT / BOURQUIN, Bible Stories u.a.; vgl. die sehr formale Klassifikation bei C HATMAN, Story, 19.26). In der literaturwissenschaftlichen Narratologie könnte sie sich bald ebenfalls durchsetzen, vgl. PFISTER, Drama (mit den Abschnitten: Informationsvergabe und sprachliche Kommunikation, Figur, Handlung, Raum und Zeit); W ENZEL (Hg.), Erzähltextanalyse (darin: Handlung, Figuren, Raum und Zeit, Erzählsituation und Erzählmodus, Spannung und ästhetische Illusion); N ÜNNING/NÜNNING (Hgg.), Erzähltextanalyse (mit Kapiteln u.a. zu Raum und Zeit, Handlung, Figuren, erzählerischer Vermittlung). 208 Vgl. RUNGGALDIER/KANZIAN, Grundprobleme, 115–167 zu konkreten Dingen, 168–182 zu Eigenschaften, 182–198 zu Ereignissen, 198–218 zu Sachverhalten. 209 Klassisch LUHMANN, Soziale Systeme. 210 KONERDING, Frames, 303–348 listet aus lexikalisch-enzyklopädischem Interesse nahezu sämtliche Fragen auf, die man bei verschiedenen Arten von Entitäten stellen kann: Gegenstand/Artefakt/Organismus (hier: Teil des Settings) (303–321); Person/Aktant und soziale Gruppe (322–334); Ereignis und Handlung (335–348).
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
Ein System (z.B. eine Figur) … 1 … ist gegenüber einer Umwelt abgegrenzt, d.h. definierbar; es gibt etwas, was nicht zum System gehört (z.B. Definition „Figur“) 2 … ist selbstreferenziell (eine Erzählung enthält z.B. ein System von Figuren; eine einzelne Figur umfasst ihrerseits ein System von Figurenmerkmalen) 3 … beinhaltet eine Relation von Entitäten/Elementen, d.h. ist in einer bestimmten Weise beschaffen (z.B. Figur – Figurenmerkmale) 4 … steht in einer bestimmten Relation zu anderen, gleichartigen Entitäten (z.B. Figur – andere Figuren: Figurenkonstellation) 5 … steht in einer bestimmten Relation zu andersartigen Entitäten (z.B. Bedeutung einer Figur für die Handlung, für den Rezipienten oder Art der Figurendarstellung) 6 … lässt sich im Vergleich mit anderen Systemen kategorisieren 7 … ist zeitlich variabel (z.B. Figurenmerkmale und Figurenkonstellationen können sich über die Erzählung hinweg verändern) Wenn man anstelle des Oberbegriffs „System“ bestimmte Figuren, Figurenmerkmale, Handlungsstränge, die Erzählung insgesamt, Erzählungen eines bestimmten Autors usw. einsetzt, ergeben sich daraus jeweils umfassende Beobachtungsperspektiven. Die in dieser Arbeit beschriebenen Analyseaspekte haben sich tatsächlich eher induktiv, nämlich als Synthese der bisherigen narratologischen Ansätze, ergeben und wurden nicht deduktiv entwickelt. Der systematische Überblick über die in Kap. 2.3, 2.4 und 2.5 behandelten Analysekategorien zeigt jedoch, dass sie vielfach miteinander korrespondieren und dass man sie auch deduktiv herleiten und begründen könnte (Tab. 11). Der Aufbau der Unterkapitel 2.6 (Perspektivenanalyse) und 2.7 (Rezeptionsanalyse) muss einer anderen Gliederung folgen, weil es sich bei der Perspektive und bei der Rezeption nicht um Seinsgrößen handelt. Die Gliederung wird dort am Anfang der jeweiligen Abschnitte begründet. 2.2.4 Methode der Analyse 1. Erzählebenen: Ermitteln Sie die verschiedenen Erzähler und ihre jeweilige Erzählung: Welche Textteile gehören zu welcher Kommunikationsebene? Wo befindet sich die Haupterzählebene? Wie viele Erzählebenen werden insgesamt eröffnet? Wird die konstitutive Trennung zwischen Kommunikationsebenen künstlerisch durchbrochen (Metalepse)? 2. Faktualität/Fiktionalität: a) Wägen Sie zur Bestimmung der Faktualität bzw. Fiktionalität der Erzählung die Fiktionssignale gegeneinander ab: – textexterne Fiktivitätssignale: Weicht das beim intendierten Rezipienten vorauszusetzende historische Wissen vom Geschilderten ab? Kann der Rezipient die beschriebenen Figuren und Ereignisse für möglich und wahr-
77
2.2 Kommunikation durch Erzählungen Tab. 11: Analyseaspekte bezüglich Umwelt, Handlung und Figuren einer Erzählung Analyseaspekt
Umwelt
Handlung
Figuren 211
Zusammensetzung/ einzelne Elemente der jeweiligen Entität 3 inhaltliches Verstehen der Elemente (Entität in Relation zum 2.7 Rezipienten) 5 Konstellation der Elemente 4
2.3.1 UmweltElemente
2.4.1 Handlungselemente
2.3.1 (Frames)
2.4.1 (Skripts)
2.5.1 Figurenbestand und Figurenkonfiguration 2.5.2 (Frames) Figurenmerkmale
2.3.2 Umweltkonstellation
2.5.3 Figurenkonstellation
Wichtigkeit der Elemente (für Fortgang der Handlung und für Rezipienten) 5
2.3.3 Umwelt und Handlung
2.4.4 Handlungsstrukturen, 2.4.6 Handlungsstränge 2.4.2 Wichtigkeit der Handlungselemente
Darstellung der Elemente (Entität in Relation zur 2.6 Perspektive) 5 Rezeption der Elemente (Entität in Relation zum 2.7 Rezipienten) 5
2.3.4 Umweltdarstellung
2.4.3 Handlungsdarstellung (zeitliche Aspekte)
2.5.5 Figurendarstellung
2.3.5 Umweltrezeption
2.4.5 Handlungsverläufe, 2.4.7 Handlungsenden
Empathie, Sympathie, figurenbezogene Emotionen (vollständig unter 2.7 behandelt)
2.3.6 Umweltkonzeption
2.4.4 Handlungstypen 2.5.6 Figurenkonzeption
Klassifizierung bzw. Typisierung der Entität 6
2.5.4 Wichtigkeit der Figuren (Figur und Handlung)
scheinlich halten? Weiß der intendierte Rezipient etwas darüber, ob dem Autor die nötigen Informationen zugänglich gewesen sein können? – textinterne Fiktionalitätssignale: Gibt es explizite Hinweise auf die Fiktionalität der Erzählung, z.B. in Paratexten oder aufgrund von geprägten Wendungen? Gibt es indirekte Hinweise auf die Fiktionalität der Er211
Aufgrund der Selbstreferenz von Systemen (2) kann man z.B. auch die einzelne Figur als „System“ betrachten und erhält so mögliche Analysekategorien für die Zusammensetzung einer Figur, d.h. die Figurenmerkmale: Dementsprechend könnten also die Aspekte Merkmalsbestand, Konstellation der Figurenmerkmale, Wichtigkeit bestimmter Figurenmerkmale, Reihenfolge und Art der Nennung von Figurenmerkmalen sowie Merkmalstypen (Aussehen, Charakter, Gefühle, Verhalten usw.) untersucht werden.
78
2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
zählung, durch verschiedene Formen typisch literarischer Gestaltung (Metalepsen, Innensicht in Dritte, Unterschied von Autor und Erzähler, Beginn in medias res, Anachronien, Detailfülle, poetische Sprache usw.) oder Nicht-Einhaltung historiografischer Konventionen? b) Analysieren Sie die fiktionale Konzeption der Erzählung: Beschreiben Sie die Faktualitätskonfiguration (Arten faktualer Objekte und Ereignisse in der Erzählung, Ausmaß faktualer Aspekte, Bedeutung der faktualen Objekte bzw. Ereignisse für die Erzählung). Wie hoch ist die Fiktionalität der Erzählung insgesamt (Fiktionalitätsstufen 1–5)? Wie hoch ist die Poetizität der Erzählung insgesamt (Poetizitätsstufen 1–5)? Wie verhalten sich Fiktionalität und Poetizität der Erzählung zueinander?
2.3 Umweltanalyse212 Jede Erzählung besitzt ein mehr oder weniger explizites Umfeld als Teil der „erzählten Welt“, in dem die Figuren ihre Handlungen ausführen. Die englischsprachige Narratologie kennt dafür den Begriff „setting“, in der deutschsprachigen Forschung werden Einzelaspekte des setting unter den 212
Literaturwissenschaftliche Einführungen: C HATMAN, Story, 138–145; B AL, Narratology, 132–142.214–217; P FISTER, Drama, 338–359.365–369; SCHWARZE, Ereignisse, 170–174; H ERMAN, Story Logic, 263–299; B UCHHOLZ, Narrative Innovationen, 86–91; HAUPT, Analyse des Raums; B ODE, Roman, 297–304; A NZ, Textwelten, 118–122; L AHN/ MEISTER, Erzähltextanalyse, 247–256; NEUMANN/NÜNNING, Narrative Fiction, 59–62; RYAN, Space; EHLERS, Studienbuch, 31–35.165–170; N ÜNNING, Art. Raum/Raumdarstellung; BUCHHOLZ/JAHN, Art. Space in Narrative. – Exegetische Einführungen: R HOADS/ DEWEY/M ICHIE, Mark, 63–72; M ALBON, Narrative Space; POWELL, Narrative Criticism, 69–83; MARGUERAT/BOURQUIN, Bible Stories, 77–84; R ESSEGUIE, Narrative Criticism, 87–120; T OLMIE, Narratology, 105–114; F ISCHER, Wege, 144f.; GÄRTNER-BRERETON, Space; SCHMITZ, Prophetie, 37–39. Wichtige Studien sind: B ACHELARD, Poetik; SAPPOK, Bedeutung des Raumes, bes. 10–60; RITTER (Hg.), Landschaft (darin bes. M AATJE, Versuch; MEYER, Raumgestaltung; VON H ILLEBRAND, Poetischer Raum); H OFFMANN, Raum (das opus magnum zum Thema); LOBSIEN, Landschaft in Texten; VAN BAAK, Place of Space; Z ORAN, Theory of Space; MARKUS, Point of View, 74–139; BRONFEN, Der literarische Raum; R ONEN, Space in Fiction; REICHEL, Der erzählte Raum; B ERGHAHN, Raumdarstellung; MAUSHAGEN , Text; B AUER /F OKKEMA (Hgg.), Space and Boundaries; J AHN, Raumkonzepte (cognitive maps im Mittelalter); WENZ, Raum, 98–134 (semiotisch); J ÄGER, Erzählte Räume; HESS-LÜTTICH/MÜLLER/VAN ZOEST (Hgg.), Signs & Space; FRENK (Hg.), Spatial Change; W ÜRZBACH, Erzählter Raum (Forschungsüberblick); M IDDEKE (Hg.), Zeit und Roman; W ÜRZBACH, Raumdarstellung; K ILIAN, Zeitdarstellung; W ÜRZBACH, Raumerfahrung; STÖRMER-CAYSA, Grundstrukturen, bes. 34–42; P ETROVA, Überlegungen; DENNERLEIN, Nutzen. Im Theater und Film ist das räumliche Setting natürlich sichtbar umgesetzt, vgl. K HOULOKI, Der filmische Raum; M IKOS, Film- und Fernsehanalyse, 231– 234. Ende 2009 ist die umfassende, den cognitive turn berücksichtigende Monografie von
2.3 Umweltanalyse
79
Stichwörtern „literarischer Raum“ und „erzählte Welt“ behandelt. Hier wird für setting die Übersetzung „Umwelt“ gewählt. 213 Die Umwelt einer Erzählung kann zum Beispiel Deutschland zwischen den Weltkriegen 214, der Schweizer Kurort Davos Anfang des 20. Jh. 215 oder eben Palästina zu Beginn des 1. Jh. n. Chr. sein; auch dort, wo das Setting nicht ausdrücklich erwähnt wird (wie in einem Witz oder einer Fabel), ist die Handlung der Figuren dennoch in bestimmte Gesetzmäßigkeiten eingebettet, die man untersuchen kann. Von der Umweltanalyse werden fiktionale und faktuale Erzählungen gleichermaßen erfasst. In der Narratologie spielt die Erzählumwelt insgesamt nur eine marginale Rolle 216 und wird m.E. wesentlich unterschätzt, ist aber seit neuestem im Rahmen des spatial turn wieder Gegenstand des Interesses. 217 2.3.1 Umwelt-Elemente Das Setting wird gewöhnlich in eine räumlich-gegenständliche, zeitliche und soziokulturelle Umwelt untergliedert.218 Es besteht also nicht nur aus dem erzählten Raum und den darin vorhandenen Objekten, sondern es
DENNERLEIN, Narratologie des Raumes, erschienen, die nicht mehr eingearbeitet werden konnte, aber wohl in ihrer Grundausrichtung diesen Abschnitt 2.3 kognitiv untermauert. 213 Andere Übertragungen mit „Schauplatz“ oder „Milieu“ erscheinen nicht umfassend genug. Die Übersetzung ist angelehnt an die „Umwelt des Neuen Testaments“, vgl. z.B. LOHSE, Umwelt. 214 VON P UFENDORF, Plancks (Biografie eines Sohnes von Max Planck). 215 Thomas Mann, Der Zauberberg. Vgl. dazu REIDEL-SCHREWE, Raumstruktur. 216 Vgl. die Beobachtung von W ÜRZBACH, Erzählter Raum, 2001, 105f. 217 Vgl. DÖRING/THIELMANN (Hgg.), Spatial Turn; B ACHMANN-MEDICK, Cultural Turns, 284–328; B ACHMANN-MEDICK, Art. Spatial turn. 218 Vgl. ABRAMS, Glossary, 294; daran anschließend P OWELL, Narrative Criticism, 70; MARGUERAT/BOURQUIN, Bible Stories, 79–84; ähnlich R ESSEGUIE, Narrative Criticism, 95–120.242. Sehr durchdacht ist die Definition bei B UCHHOLZ/JAHN, Art. Space in Narrative, 552: „At its most basic level, narrative space is the environment in which storyinternal characters move about and live. Narrative space is characterised by a complex of parameters: (1) by the boundaries that separate it from coordinate, superordinate, and subordinate spaces, (2) by the objects which it contains, (3) by the living conditions which it provides, and (4) by the temporal dimension to which it is bound.“ Bei der deutschen Entsprechung des „literarischen Raums“ fehlt dagegen die soziokulturelle und zeitliche Dimension (N ÜNNING, Art. Raum/Raumdarstellung, 536). Das erweiterte Verständnis basiert auf der Unterscheidung von physikalischem Raum und soziokulturellem Raum (WÜRZBACH, Erzählter Raum, 108 u.a.), wobei im physikalischen Raum Zeit und Raum untrennbar verbunden sind, vgl. der Chronotopos von M. Bachtin (BACHTIN, Formen der Zeit im Roman, bes. 7; B ACHTIN, Chronotopos; vgl. W EGNER, Zeit im Raum; R IFFATERRE, Chronotopes in Diegesis; A CZEL, Art. Chronotopos; B AUER, Romantheorie, 131–133; B ODE, Roman, 303f.; STÖRMER-CAYSA, Grundstrukturen, 1–4 und passim; zu dieser Frage s. auch Z ORAN, Theory of Space).
80
2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
umfasst auch zeitliche und kulturelle Aspekte. Man kann untersuchen, ob bestimmte Umwelt-Elemente in der Erzählung vorhanden sind: a) Räumliches Setting: Die räumlichen Angaben in einer Erzählung sind z.B. politischer (Judäa/Galiläa), topografischer (Stadt/Land, See/Land) oder architektonischer (innen/außen) Art. 219 Physikalisch-räumliche Vorstellungen können im Leser auf verschiedene Weise hervorgerufen werden: durch Ortsangaben, durch lokale Präpositionen und Adverbien, durch Adjektive, die die Gestalt und Anzahl von Dingen beschreiben, durch Positionsverben und Verben der Bewegung. 220 Der Raum enthält Objekte, also Figuren und Gegenstände (Requisiten 221). Es gibt ein engeres und ein weiteres räumliches Umfeld 222 bis hin zur Kosmologie 223, die von der Erzählung beschrieben und vorausgesetzt wird. b) Zeitliches Setting: Zum zeitlichen Setting gehören Angaben zur Tages- und Uhrzeit, Wochen- und Feiertage, Jahreszahlen oder auch nur sehr ungefähre Hinweise („danach“), die eine chronologische Orientierung des Lesers ermöglichen.224 Ebenso wie beim Raum gibt es ein engeres und weiteres zeitliches Umfeld. In neutestamentlichen Erzählungen kann man daher auch die Heilsgeschichte im Rahmen des zeitlichen Setting untersuchen.225 c) Soziokulturelles Setting: Die Figuren der Erzählung sind vielfältigen Lebensbedingungen unterworfen, die teilweise in der Erzählung genannt sein können oder auch aufgrund der räumlichen und zeitlichen Verortung impliziert werden. Dazu zählen beispielsweise politische und ökonomische Faktoren, soziale Gegensätze und Milieus, Bräuche, Normen und religiöse Vorstellungen.226
219 Zur Unterscheidung von geopolitical, topographical und architectural space vgl. MALBON, Narrative Space. 220 Ähnlich WENZ, Raum, 45. 221 Dazu PFISTER, Drama, 355–359. Wenn ein Gegenstand eine wichtige Funktion für die Erzählung hat, aber trotzdem kaum beschrieben wird, wird er MacGuffin genannt (CHATMAN, Story, 140; RESSEGUIE, Narrative Criticism, 88; ausführlich dazu F UXJÄGER, MacGuffin). Der Begriff geht auf A. Hitchcock zurück. 222 Vgl. RONEN, Space in Fiction, 425–428 („classification of frames according to a degree of immediacy“). 223 Dazu RHOADS/DEWEY/MICHIE, Mark, 64f. 224 Vgl. z.B. KRAH, Einführung, 290 für eine hilfreiche grafische Veranschaulichung des zeitlichen Settings am Beispiel von C.M. von Webers Oper Der Freischütz. 225 Auf Ricœurs Unterscheidung von „sterblicher“ und „monumentaler“ Zeit kann man sich dafür kaum berufen (R ICŒUR, Zeit II, 173–191, bes. 180; anders P OWELL , Narrative Criticism, 73f.; MARGUERAT/BOURQUIN, Bible Stories, 79), sie wird auch von der Narratologie nicht aufgegriffen. 226 Hierher gehören also alle Studien, die sozialwissenschaftliche, kulturanthropologische und ähnliche Ansätze auf Erzählungen anwenden.
2.3 Umweltanalyse
81
Analog zu den Überlegungen zur Wahrnehmung von Figurenmerkmalen (vgl. 2.5.2) könnte man den cognitive turn (2.1.3.1) auch beim Setting konkretisieren, was m.W. erst seit kurzem geschieht. 227 Dabei wird vorausgesetzt, dass ein Leser nicht wie eine tabula rasa ist und nur das explizit Genannte wahrnimmt, sondern es immer von seinem Vorwissen her deutet. Wenn eine Erzählung z.B. im viktorianischen England des 19. Jahrhunderts spielt, gibt es in der Regel Bezüge auf politische Verhältnisse, ökonomische Bedingungen, Topografie, Kleidung, Sitten, Gesellschaftsschichten usw. Nicht alles wird der Autor ausdrücklich erwähnen (‚Anschauungsraum‘), sondern einiges auch voraussetzen – Dinge, die vielleicht sogar grundlegend für das Verständnis sind. Wenn die Erzähladressaten Engländer des 19. Jahrhunderts sind, werden andere Wissensinhalte angenommen als bei heutigen deutschen Erzähladressaten. Im zweiten Fall brauchen Leser zusätzliches historisches und kulturell-sprachliches Vorwissen. Das fängt bei unbekannten Wörtern an und gilt umso mehr, je weiter die Erzählung zeitlich und kulturell von den Lesern entfernt ist.228 Insbesondere die Analyse des Settings setzt also historische Forschung voraus.229 Konkret sind Untersuchungen erforderlich, die innerhalb der historisch-kritischen Methode als „Traditions-“, „Religions-“ und „Sozialgeschichte“ bekannt sind. 2.3.2 Umweltkonstellation Die räumliche, zeitliche und soziokulturelle Umwelt enthält bestimmte Grenzen und Gegensätze, die die Erzählung mehr oder weniger prägen. Man kann diese mit Worten beschreiben oder aber – was in vielen Fällen hilfreich ist – zeichnen. „Kognitive Karten“ sind ein Trend in der Narratologie.230 Die Höllenkreise und Himmelssphären aus Dantes Göttli227
Vgl. jetzt DENNERLEIN, Nutzen, bes. 186–194 („der Raum der erzählten Welt als mentales Modell“); ausführlich: D ENNERLEIN, Narratologie des Raumes. 228 Für Exegeten ist dies kaum mehr als eine Plattitüde, doch die Narratologie thematisiert die historische und kulturelle Dimension einer Erzählung tatsächlich erst seit wenigen Jahren (vgl. 2.1.3 zur „postklassischen Narratologie“ und zum historical turn). Die Literatur, auf die sie sich bezieht, ist ja meistens zeitgenössisch. 229 Ähnlich POWELL, Narrative Criticism, 74f., vgl. seine Bemerkung zu Mk 5,9: „In the political setting assumed for Mark’s story, the term legion was used to refer to a military unit of the occupying Roman army“ (82). R HOADS, Narrative Criticism, 413 hatte noch, durch den New (Literary) Criticism geprägt, immer wieder die ‚Autonomie‘ der erzählten Welt betont (vgl. aber das Zugeständnis an das historische Vorwissen ebd.). 230 RYAN, Narrative Cartography; R YAN, Cognitive Maps; G AVINS, Art. Mental Mapping of Narrative. Dazu auch J AHN, Raumkonzepte, 11–21; B ACHMANN-MEDICK, Cultural Turns, 299f.; kritisch D ENNERLEIN, Nutzen, 189–191. Sie werden ansonsten v.a. in der Wahrnehmungsgeografie verwendet, vgl. K ITCHIN/F REUNDSCHUH (Hgg.), Cognitive Mapping; BARKOWSKY, Mental Representation (weiterführend). Vgl. nun auch P IATTI, Geographie der Literatur.
82
2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
cher Komödie hat man schon in der Renaissance visualisiert, und heute werden die Reisen von Don Quijote unter Einbezug des Weltwissens des Lesers auf einer Landkarte Spaniens eingezeichnet. 231 Dabei ist es unerheblich, ob es sich um eine faktuale oder fiktionale Erzählung handelt. Beim Vergleich der Settings von Erzählungen sind in derselben Epoche oft wiederkehrende Räume mit bestimmten Merkmalen und Funktionen zu beobachten, z.B. den idealisierenden locus amoenus232 in der antiken und mittelalterlichen Literatur und bildenden Kunst. Solche Motive kann man bei der Analyse ebenfalls benennen und klassifizieren. 2.3.3 Umwelt und Handlung Die Umwelt kann die Handlung der Erzählung in verschiedener Weise vorantreiben und beeinflussen (Raum als ‚Aktionsraum‘), 233 a) indem sie Grenzen vorgibt, b) indem sie Mittel zur Verfügung stellt. a) Das Setting einer Erzählung ist häufig in Form von Gegensätzen strukturiert: oben/unten, Haus/Wald, reich/arm, gebildet/ungebildet, feindlich/freundlich usw. 234 Die erzählte Welt beinhaltet also räumliche, soziale oder religiöse Grenzen, die mehr oder weniger unüberwindbar sind. 235 Solche Grenzen können daher zum einen die Handlung beschränken oder auch Konflikte (vgl. 2.4.5) provozieren. Die handlungsbeschränkende Funktion besteht darin, dass die Grenzen Wegestrukturen definieren und Figuren auf ein bestimmtes Umfeld festlegen 236, z.B. dass die Reichen reich und die Armen arm bleiben und beide Gruppen sich nur innerhalb ihrer Stadtviertel bewegen. Andererseits ergeben sich auch Konflikte, wenn diese Grenzen überschritten, die etablierte Ordnung also in Frage gestellt wird. Erst das ist nach J. Lotman ein „Ereignis“.237 Man kann be231
Diese Beispiele bei R YAN, Narrative Cartography, 340f.355f. Vgl. HASS, Locus amoenus. 233 Vgl. RESSEGUIE, Narrative Criticism, 87: „Setting is the background against which the narrative action takes place.“ 234 LOTMAN, Struktur, bes. 311–329.337. Lotman hat entgegen eines verbreiteten Missverständnisses nicht nur die räumlichen Strukturen im Blick, sondern alle textsemantischen Strukturen, die sich auch räumlich äußern können (312). 235 Vgl. auch FRANK, Art. Grenze/Grenzziehung. 236 Die Figuren kann man daher in Bezug auf ihre Mobilität bzw. Immobilität klassifizieren, vgl. H OFFMANN, Raum, 591–595, zu Wegestrukturen 590f. In der Theaterwissenschaft sind diese Aspekte schon stärker ausgearbeitet, vgl. B ALME, Art. Proxemik. 237 Ereignisse sind in diesem Sinn ein „revolutionäres Element“ (L OTMAN, Struktur, 334), wobei sich die Revolutionsmetapher auf jede „Versetzung einer Figur über die Grenze eines semantischen Feldes“ (332) bezieht. Zu Lotman vgl. M ARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 140–144; E ISEN, Boundary Transgression, 155–158; K RUSCHE, Zeigen, 26–29.111–144 (Anwendung auf Gedichte); B USSE, Analyse der Handlung, 41f.; E ISEN, Poetik, 127–131 (Lit.); KRAH, Einführung, 295–349 (gute Bsp.); H ÜHN, Event and Eventfulness (dort „event II“); S CHMID (Hg.), Russische Proto-Narratologie, 261–290 232
2.3 Umweltanalyse
83
obachten, dass die Bewegungen der Figuren dabei oft auf die Extrempunkte der semantischen Achse zulaufen. K. Renner hat Lotmans Raumsemantik daher durch eine „Extrempunktregel“ erweitert. 238 b) Die Umwelt stellt Gegenstände und Möglichkeiten zur Verfügung, die die Handlung vorantreiben oder hemmen. Das können Tatwerkzeuge sein, ein Streitobjekt oder umweltspezifische Lösungswege, wie die Hauptfigur ihr Ziel erreicht. 2.3.4 Umweltdarstellung Die Präsentation der Umwelt in der Erzählung kann auch formal nach verschiedenen Gesichtspunkten untersucht werden: a) Narrative Ebene der Umweltdarstellung: Die Umwelt wird entweder aus Sicht der Figuren oder direkt durch den Erzähler geschildert. Beim Drama differenziert man ähnlich zwischen der „Wortkulisse“, die die Figuren aufbauen, und den Bühnenanweisungen im Nebentext. 239 b) Intensität und Genauigkeit der Umweltdarstellung: Die Raumdarstellung kann einen breiten Raum einnehmen und die Beobachtungen sowie die Zeitangaben240 können sehr präzise sein, ohne dass dies eine Funktion für die Handlung hätte. Das trägt beim Leser zur ästhetischen Illusion (2.7.3 Realitätseffekt) bei. 241 Auch im Theater kann die Bühne mehr oder weniger ausgestaltet sein. 242 c) Gewichtung der Umweltmerkmale: Einige Aspekte der Umwelt (z.B. soziale Kontraste oder bestimmte Gegenstände) können durch häufige Erwähnung, hohe Intensität und Genauigkeit der Darstellung oder durch eine besondere Position in der Erzählung stärker betont werden als andere.
(mit Kommentar); H AUSCHILD, Lotmans Ereignisbegriff. Zu Lotmans besonderem Ereignis-Verständnis vgl. auch 2.4.1. – Dementsprechend kann man die Handlung danach einteilen, ob die Grenzüberschreitung erfolgreich ist (revolutionäre Erzählung), ob sie wieder rückgängig gemacht wird oder ob sie von vornherein scheitert (restitutive Erzählung) (MARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 142). 238 RENNER, Findling (formalistische Weiterführung, ersetzt „Raum“ durch „Menge“); RENNER, Zu den Brennpunkten; R ENNER, Die strukturalistische Erzähltextanalyse, 51– 53; RENNER, Grenze und Ereignis, bes. 375–377. Dazu auch E ISEN, Boundary Transgression, 158f.; EISEN, Poetik, 127.130f.; KRAH, Einführung, 303–306.324–326. 239 PFISTER, Drama, 351–353. 240 Zur unterschiedlichen Genauigkeit von Zeitangaben bei verschiedenen Schriftstellern vgl. MARSDEN, Analyse der Zeit, 104–106; s. auch P FISTER, Drama, 366f. 241 Antike Dichtung besitzt jedoch selten längere Beschreibungen, die dem Realitätseffekt dienen; m.E. haben auch die genaueren Schilderungen bei Josephus nicht dieselbe Funktion wie diejenigen heutiger Romane (gegen P OWELL , Narrative Criticism, 71f.). 242 Vgl. für das Theater P FISTER, Drama, 345–350. Ein bekanntes Beispiel für ein minimales Setting sind die „Dogma“-Filme Lars von Triers, z.B. Dogville.
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
d) Reihenfolge und Verknüpfung der einzelnen Settings: Die geschilderten Schauplätze können in einer bestimmten Abfolge zueinander stehen 243 und dabei additiv, kausal/final oder korrelativ zusammenhängen. 244 2.3.5 Umweltrezeption Während die Umwelt die Handlung der Figuren inhaltlich (aufgrund der Umweltkonstellation) beeinflusst, werden die Rezipienten sowohl durch den Inhalt als auch die Form der Umweltschilderung gelenkt. Dabei kann die Umweltdarstellung zum einen kulturell vorhandene Konnotationen abrufen oder neue Konnotationen schaffen, zum anderen kann sie eine Stimmung bei den Rezipienten evozieren: a) Bestimmte Räume besitzen – in einer jeweiligen Kultur und Epoche – oft eine symbolische Bedeutung, 245 was der Erzähler durch entsprechende Beschreibungen und durch Gegensätze verstärken kann. Im Einzelfall ist es jedoch nicht leicht herauszufinden, ob bzw. welche tiefere Bedeutung ein Setting hat. Beim Matthäusevangelium ist aber z.B. sehr deutlich, dass das Motiv des Berges (o[ro~) eine besondere Rolle spielt und auf den Berg Sinai rekurriert. Manchmal werden auch Figuren (oder ihre Stimmung) durch das Setting charakterisiert, in dem sie sich bewegen (Kap. 2.5.5). b) Die Schilderung eines Raums kann eine gewisse Stimmung beim Rezipienten erzeugen (‚gestimmter Raum‘). Der Raum ist düster oder geheimnisvoll, weit oder beklemmend, abwechslungsreich oder eintönig. 246 In ähnlicher Weise wird im Theater die Bühne entsprechend gestaltet und beleuchtet, um auf die Stimmung des Zuschauers zu wirken. Wenn man auch den Gottesdienst als Inszenierung mit handelnden Personen begreift, erfüllt der Kirchenraum diese Funktion. 2.3.6 Umweltkonzeption Der Versuch, die Umwelt einer Erzählung insgesamt zu charakterisieren, hat verschiedene Typologien hervorgebracht. Man kann die jeweilige Hauptfunktion des Settings in einer Erzählung benennen 247 oder allgemei243
Vgl. PFISTER, Drama, 342 (mit Beispielen). Dazu HOFFMANN, Raum, 595–602; H AUPT, Analyse des Raums, 78f. 245 Zu symbolischen Raumbedeutungen B ACHELARD, Poetik (psychoanalytisch); HOFFMANN, Raum, 267–444 (umfassend); R EICHEL, Der erzählte Raum; vgl. die Forschungsüberblicke bei WÜRZBACH, Erzählter Raum, 108–115; BODE, Roman, 299–303; exegetisch POWELL, Narrative Criticism, 73 (Zeit). P FISTER, Drama, 339–345.367f. spricht von ‚Semantisierung‘ von Raum und Zeit. 246 Dazu HOFFMANN, Raum, 55–79; C HATMAN, Story, 141–143. 247 Bekannt ist die Dreiteilung aus „gestimmtem Raum“ (wirkt durch seine Atmosphäre auf Figuren und Leser ein), „Aktionsraum“ (Raum dient zur Ausführung von Handlungen) und „Anschauungsraum“ (Raum schafft Verstehenshintergrund für den Leser). Prägend wurde H OFFMANN, Raum, 47f.55–108, der diese Aufgliederung des „gelebten 244
2.3 Umweltanalyse
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ne Gattungsbegriffe finden 248. Solche Klassifizierungen sind aber meist zu unscharf und zu heterogen und auch kaum für die konkrete Textanalyse geeignet. Analog zur Figurenkonzeption (vgl. 2.5.6) wäre es vielleicht sinnvoller, folgende Aspekte einzeln zu analysieren: a) (Umweltdynamik:) Die Umwelt kann statisch oder dynamisch sein, je nachdem, ob sie sich wenig oder stärker verändert. b) (Umweltkomplexität:) Je nach Anzahl und Verschiedenartigkeit der geschilderten Umweltmerkmale ist die Umwelt einfach oder komplex. c) (Umweltoffenheit:) Hier ist zu untersuchen, ob die Umwelt eher definiert oder mysteriös erscheint. d) (Umweltapplikabilität:) Schließlich kann man fragen, ob das Setting eher individuell-realistisch oder eher symbolisch ist. 2.3.7 Methode der Analyse 249 1. Umwelt-Elemente: Welche Bestandteile der Umwelt werden in der Erzählung genannt: Gibt es Angaben zur zeitlichen Einordnung, Angaben über Räume (Topographie, Architektur, Gegenstände), über politische, gesellschaftliche oder religiöse Verhältnisse („Anschauungsraum“)? Wie sehr ist die Erzählung insgesamt in ein örtliches, zeitliches, gesellschaftliches Umfeld eingebettet (kontextuell vs. überzeitlich)? In welchem geschichtlichen, lokalen und kulturellen Kontext spielt die Erzählung? Für welche Aspekte kann der Rezipient auf sein Weltwissen zurückgreifen, wo wird dieses ausdrücklich modifiziert („Prinzip der geringsten Abweichung“)? Was ist in dieser so beschriebenen Welt möglich, was nicht (z.B. sprechende Tiere)? Wie verhält sich die erzählte Welt zur realen Welt?
Raums“ von S TRÖKER, Philosophische Untersuchungen, 17–135 in die Literaturwissenschaft übernahm. Dazu ausführlich BRONFEN, Der literarische Raum, 76–109; H AUPT, Analyse des Raums, 69–77. Im englischsprachigen Bereich gibt es die etwas heterogene Einteilung des Settings in „utilitaristisch“ (alles hat eine Funktion für die Handlung), „symbolisch“ (Setting nimmt einen Konflikt oder Charakterzüge vorweg) und „realistisch“ (illusionistische Schilderung) (vgl. C HATMAN, Story, 143; P RINCE, Dictionary, 88f.). LORENZ, Raumstrukturen, unterscheidet „Transiträume“, „Schwellenräume“ und „Gesellschaftsräume“. S. jetzt außerdem die Raumkonzepte bei DENNERLEIN, Nutzen, 197–199. 248 Z.B. „kurioser Raum“, „phantastischer Raum“, „grotesker Raum“, „unheimlicher Raum“, „visionärer Raum“, „mythischer Raum“ (H OFFMANN, Raum, 109–266). Diese Einteilung geht deutlich über historische Einzelmotive wie den locus amoenus hinaus. Synthetische Gattungsbestimmungen sollten jedoch so konkret wie möglich sein. 249 Eine Methode der Umweltanalyse findet sich auch bei R HOADS/DEWEY/MICHIE, Mark, 151f.156; P OWELL, Narrative Criticism, 104f.; M ARGUERAT/BOURQUIN, Bible Stories, 152; RESSEGUIE, Narrative Criticism, 242; H AUPT, Analyse des Raums, 86f.; LAHN/MEISTER, Erzähltextanalyse, 252.256; E HLERS, Studienbuch, 46.
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
2. Umweltkonstellation: Skizzieren Sie anhand der räumlichen Angaben eine Landkarte der erzählten Welt (Weltbild). Zeichnen Sie einen Zeitstrahl, auf dem sie die zeitlichen Angaben einordnen (Geschichtsbild). Was ist an diesen kognitiven Karten auffällig? Welche Attribute werden den Umwelt-Elementen jeweils zugeschrieben (freundlich/feindlich usw.)? Welche Elemente gehören zusammen, wo gibt es Gegensätze? Ist das geschilderte Setting typisch für eine bestimmte Zeit (z.B. Motiv des locus amoenus)? 3. Umwelt und Handlung: Wie beeinflusst der Raum die Handlung der Figuren („Aktionsraum“)? Gibt es Grenzen (im weitesten Sinn), die überwunden werden müssen, z.B. gesellschaftliche, religiöse? Welche Bewegungen im Raum finden statt? Gibt es erkennbare Wegestrukturen? Wie groß ist die räumliche Distanz oder Nähe bestimmter Figuren? Wie entwickelt sich diese? Welche Figuren sind mobil/immobil? Haben bestimmte Gegenstände später eine Bedeutung für die Handlung (MacGuffins)? 4. Umweltdarstellung: Auf welche Weise wird die Umwelt dargestellt, durch den Erzähler oder in der Wahrnehmung einer Figur? In welcher Reihenfolge werden Aspekte der Umwelt beschrieben? Wie genau ist die Umwelt (Ort, Zeit, Gesellschaft etc.) dargestellt? Wie oft werden bestimmte Umweltmerkmale erwähnt? Wie oft taucht ein bestimmtes Setting auf? 5. Umweltrezeption: Haben einige Elemente der Umwelt auch eine symbolische Bedeutung (z.B. Wüste, Nacht)? Welche Stimmung ruft die Darstellung des Raums beim Rezipienten hervor („gestimmter Raum“)? 6. Umweltkonzeption: Beurteilen Sie die Umwelt insgesamt: Welche primäre Funktion hat die Umwelt für die Erzählung (gestimmter Raum, Anschauungsraum, Aktionsraum)? Ist die Welt uniregional oder pluriregional (z.B. doppelte Welt), homogen oder heterogen, stabil oder instabil? Ist die Welt in sich konsistent? Ist die Umwelt eher statisch oder dynamisch, einfach oder komplex, definiert oder mysteriös, realistisch oder symbolisch?
2.4 Handlungsanalyse
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2.4 Handlungsanalyse250 Für eine Erzählung ist die Handlung von kaum zu unterschätzender Bedeutung, bereits Aristoteles nennt sie „Grundlage“ und „Seele“ der Tragödie.251 Daher verwundert es nicht, dass die klassische Narratologie des französischen Strukturalismus ([Propp,] Bremond, Todorov, Barthes, Greimas) sich im Wesentlichen auf Aspekte der Handlungsanalyse konzentrierte. Doch diese frühen Modelle waren meist sehr abstrakt, mit Symbolsprache durchsetzt und auf wenige Untersuchungsaspekte begrenzt. In der literaturwissenschaftlichen Praxis dagegen „kommen traditionelle Textinterpretationen bei der Diskussion der Handlung oft kaum über eine Nacherzählung hinaus“ 252 – hier wiederum fehlt die theoretische und methodologische Vertiefung. Die Kluft zwischen Theoriebildung und Auslegungspraxis könnte vielleicht durch die neueste, stärker am Einzeltext und inhaltlich orientierte Narratologie etwas verringert werden. Eine kohärente Theorie und Methode der Handlungsanalyse bei Erzählungen steht jedoch noch aus.253 Ich will also eine knappe, aber relativ umfassende Übersicht
250 Literaturwissenschaftliche Einführungen (mit unterschiedlichen Schwerpunkten): SCHOLES/KELLOGG, Nature, 207–239; C ULLER, Structuralist Poetics, 205–224; P FISTER, Drama, 265–326.359–381; S CHWARZE, Ereignisse, 145–170; C HATMAN, Story, 43–95; R IMMON-KENAN, Narrative Fiction, 6–28; B AL, Narratology, 182–195; T OOLAN, Narrative, 15–37; M ARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 108–159; A SMUTH, Dramenanalyse, 135–160; BUSSE, Analyse der Handlung; L EUBNER/SAUPE, Erzählungen, 43–88; L AHN/ MEISTER, Erzähltextanalyse, 210–231; NEUMANN/NÜNNING, Narrative Fiction, 41–51; EHLERS, Studienbuch, 4–23; A BRAMS, Glossary, 233–237; D ANNENBERG, Art. Plot; ANTOR, Art. Plot; A SMUTH, Art. Handlung; M ARTÍNEZ, Art. Plot. Außerdem D IPPLE, Plot; DORNER-BACHMANN, Erzählstruktur; E GAN, What Is a Plot?; BROOKS, Reading for the Plot; B OCK, Analyse der Handlungsstrukturen; P AVEL, Poetics of Plot; R YAN, Possible Worlds; R ONEN, Paradigm Shift (= R ONEN, Possible Worlds, 144–174); D ANNENBERG , Entwicklung; G UTENBERG , Mögliche Welten, 25–152 (gute Übersicht); H ERMAN , Story Logic; MEISTER, Computing Action. – Exegetische Einführungen: B ERLIN, Poetics, 101–110; B AR-EFRAT, Bibel, 107–154; P OWELL, Narrative Criticism, 35–44; S KA, Fathers, 17–38; T OLMIE, Narratology, 63–85; M ARGUERAT/BOURQUIN, Bible Stories, 40– 57; VETTE, Samuel, 37–52.75–81; U TZSCHNEIDER/NITSCHE, Arbeitsbuch, 173–176; RESSEGUIE, Narrative Criticism, 197–240; P OPLUTZ, Erzählte Welt, 8–27 sowie M ATERA, Plot; POWELL, Plot and Subplots; C ARTER, Kernels; DANOVE, End. 251 Vgl. Arist. Poet. 1450a: ÆArch; me;n ou\n kai; oi|on yuch; oJ mu`qo~ th`~ tragw/diva~. – Zum muvqo~ bei Aristoteles s. ausführlicher R ICŒUR, Zeit I, 65–77; D ANOVE, End, 8–11; D IEFENBACH, Konflikt, 31–35. 252 BUSSE, Analyse der Handlung, 23. 253 So bietet das Standardlehrbuch von M ARTÍNEZ/SCHEFFEL zu Handlungsfragen nur verstreute Bemerkungen und auch die Einführung von D ANNENBERG, Entwicklung, ebenfalls kein durchgängiges Modell. Für einen historischen Überblick und eigene Forschungsimpulse vgl. G UTENBERG, Mögliche Welten; ein guter Einstieg ist der Artikel
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
über klassische und aktuelle Modelle der Handlungsanalyse geben, diese in einen systematischen Zusammenhang bringen und sie, soweit möglich, als anwendbare Methode formulieren. Zunächst einige Bemerkungen zu dem, was hier unter „Handlung“ verstanden wird. Im englischen Sprachraum, oft auch in der deutschen Narratologie, ist dafür der Begriff Plot gebräuchlich. Allerdings sorgen verschiedene Plot-Verständnisse für Verwirrung: 254 a) der ‚Plot‘ schildere eine kausale Folge von Ereignissen, im Gegensatz zur Story, welche die Ereignisse bloß aneinanderreiht (E.M. Forster);255 b) Story und Plot werden als Entsprechung zu ‚fabula‘ und ‚sjužet‘ des russischen Formalismus verwendet, womit Plot das ‚Wie‘ der Erzählung beschreibt; c) ,Plot‘ sei „story-as-discoursed“, also das ‚Was‘ der Erzählung in Form des ‚Wie‘ (S. Chatman);256 d) der Plot wird neben ‚characters‘ und ‚setting‘ als Bestandteil der Story angesehen, gehöre also zum ‚Was‘ der Erzählung. Weil die bisherige Grundunterscheidung der Erzähltheorie zwischen Inhalt und Form der Darstellung jedoch kaum zielführend ist (Kap. 2.2.3), scheinen mir die Alternativen zwischen b), c) und d) künstlich zu sein. Die Handlung ist neben dem Setting und den Figuren ein Hauptbestandteil der Erzählung (vgl. d); trotzdem gibt es Ereignisse in Erzählungen nie „an sich“, sondern immer nur in Form ihrer Darstellung (vgl. b, c). Das Auftreten von Anachronien (3.1.4.3), wahrscheinlich das wichtigste Argument für eine Differenzierung zwischen dargestellter und „eigentlicher“ Handlung, lässt sich inzwischen auch kognitiv erklären: Bei der ursprünglichen Ereignisvon BUSSE, Analyse der Handlung, der auch m.W. als erster innerhalb der Literaturwissenschaft eine knappe Methode („Toolkit“) der Handlungsanalyse beschreibt. 254 Vgl. ANTOR, Art. Plot; DANNENBERG, Entwicklung, 51f.; EISEN, Poetik, 125f.; auch VOLEK, „Fabel“ und „Sujet“. 255 Sehr bekannt ist die Definition von F ORSTER, Aspects, 87: „We have defined a story as a narrative of events arranged in their time-sequence. A plot is also a narrative of events, the emphasis falling on causality. ‚The king died and then the queen died‘, is a story. ‚The king died, and then the queen died of grief‘ is a plot.“ C HATMAN, Story, 45f. macht darauf aufmerksam, dass die Leser auch im ersten Fall einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Tod des Königs und dem Tod der Königin herstellen, selbst wenn die Beziehung zwischen den Ereignissen nicht explizit genannt ist. Außerdem liegt das Verständnis von „story“ als einer bloßen Aneinanderreihung von Ereignissen quer zur story-discourse-Terminologie (B USSE, Analyse der Handlung, 24f.). Forsters Definition sollte heute also nicht mehr unbesehen übernommen werden; vgl. aber M ARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 109f. 256 So CHATMAN, Story, 43, der sich auf die aristotelische Definition des mu`qo~ als suvnqesi~ tw`n pragmavtwn beruft (Arist. Poet. 1450a): „The events in a story are turned into a plot by its discourse, the modus of presentation. ... ‚Each arrangement produces a different plot, and a great many plots can be made from the same story.‘“ Die Definition des Plots bei G UTENBERG, Mögliche Welten, 92 als „Spannungsfeld“ zwischen Ereignissen und ihrer Darstellung geht in eine ähnliche Richtung, ist durch die Aufnahme der Terminologie der Possible-Worlds-Theorie aber sehr umständlich.
2.4 Handlungsanalyse
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folge handelt es sich um das mentale Modell der Handlung, das der Leser aufgrund seiner Skripts konstruiert. Auch bei dem Begriff „Figur“ streitet man nicht darum, ob er die bloße Darstellung einer Figur in der Erzählung bezeichnet (vgl. discourse bei Chatman) oder deren mentale Repräsentation (vgl. story bei Chatman). Die terminologischen Schwierigkeiten durchziehen fast alle Aspekte der Handlungsanalyse. Dennoch oder gerade deshalb muss versucht werden, eine Schneise zu schlagen, damit am Ende eine durchgängige Methode formuliert werden kann. Zunächst soll es um Begrifflichkeiten zu Elementen einer Handlung gehen (3.1.4.1), dann um die Klassifizierung wichtiger und unwichtiger Elemente (3.1.4.2), um zeitliche Aspekte der Handlungsdarstellung (3.1.4.3), um Handlungsstrukturen (3.1.4.4), Handlungsverläufe (3.1.4.5), Handlungsstränge (3.1.4.6) und schließlich um Handlungsenden (3.1.4.7). 2.4.1 Handlungselemente Die kleinste Einheit einer Handlung ist das Ereignis, z.B. „die Frauen kamen zum Grab“ oder „es geschah ein großes Erdbeben“ (vgl. Mt 28,1f.). Konstitutiv für ein Ereignis ist eine Zustandsveränderung 257. Ereignisse können danach klassifiziert werden, ob sie durch eine Figur intendiert sind oder nicht: So ist ein Ereignis entweder eine Aktion (action) oder ein Geschehnis (happening).258 Aktionen sind Denkakte, Sprechakte oder physische Akte einer Figur, alles übrige sind Geschehnisse. Im Einzelfall mag es allerdings schwierig sein, Aktionen und Geschehnisse voneinander zu unterscheiden. Eine etwas komplexere Ebene einer Handlung ist die Handlungsphase259, also eine zusammengehörige Folge von Ereignissen. Dabei werden die Ereignisse als dynamische Aussagen oft durch Beschreibungen, also
257 Diese eher formale Ereignisdefinition ist weit verbreitet. Daneben gibt es noch einen zweiten, engeren Ereignisbegriff, der sich auf ‚wirkliche‘ Ereignisse der Erzählung konzentriert und diese klassifiziert, z.B. bei Lotman (s. 2.3.3; 2.4.2; vgl. H ÜHN, Event and Eventfulness [„event I“ vs. „event II“]; SCHMID, Narrativity and Eventfulness; SCHMID, Elemente, 20–27). Weiterführend auch R ATHMANN, Ereignis. 258 CHATMAN, Story, 26.44. Für eine genauere Differenzierung vgl. D OLEŽEL, Heterocosmica, 57–61. – S CHWARZE, Ereignisse, 145f.; MARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 109; B USSE, Analyse der Handlung, 26; E HLERS, Studienbuch, 162f. übersetzen mit Handlung und Geschehnis/Geschehen, wobei es m.E. besser ist, für die Einzelhandlung einen anderen Begriff zu verwenden, um sie von der Gesamthandlung der Erzählung abzugrenzen. 259 PFISTER, Drama, 269. Er nennt die Begrifflichkeiten Handlungsphase – Handlungssequenz – Handlung, während MARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 108f. nach Ereignis – Geschehen – Geschichte unterteilen.
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
statische Aussagen260, angereichert und bilden mit diesen zusammen ein Geschehen261 oder – im Drama – die Szene. Statische Aussagen sind entweder Zustände oder Eigenschaften262, z.B. „eine widerliche Schwüle lag in den Gassen“ oder „die Gestalt des Engels war wie der Blitz“ (vgl. Mt 28,3). Tab. 12: Geschichte (story), Handlung (plot) und ihre Bestandteile Erzählabschnitt
dynamische und statische Aussagen zusammen
nur dynamische Aussagen
kleinste Einheit größere Einheit große Einheit ganze Einheit
Aussage Geschehen (Szene) Episode (Akt) Geschichte
Ereignis Handlungsphase Handlungssequenz Handlung
Mehrere Handlungsphasen zusammen ergeben eine Handlungssequenz. Die entsprechenden Szenen, die neben den dynamischen auch statische Aussagen enthalten, formen eine Sequenz oder Episode263. Zusammengehörige Szenen sind an Handlungs- und Geschehensinterferenzen zu erkennen oder an Überschneidungen der Figurenkonstellation. 264 Aus verschiedenen Handlungssequenzen ist schließlich die Handlung zusammengesetzt. Die entsprechenden Episoden ergeben ihrerseits die Geschichte. Wenn die Episoden nur locker miteinander verknüpft sind, liegt eine episodische Struktur 265 der Erzählung vor. 260 Hier in Anlehnung an C HATMAN, Story, 44: „process statements“ und „stasis statement“. Vgl. auch die Unterscheidung von dynamischen und statischen Motiven bei TOMAŠEVSKIJ, Theorie, 220; daran anschließend D OLEŽEL, Heterocosmica, 35 (mit weiteren Klassifizierungen); M ARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 109. Der Begriff „Motiv“ ist jedoch mehrdeutig und soll im Folgenden vermieden werden. Bei Martínez/Scheffel ergibt sich eine Inkonsistenz, weil sie Motive und Ereignisse gleichsetzen (108), aber Zustände und Eigenschaften (109) doch kaum als ‚Ereignisse‘ angesehen werden können. 261 Nach MARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 109; B USSE, Analyse der Handlung, 24. PFISTER, Drama, 270f. fasst unter „Geschehen“ offenbar speziell die statischen Aussagen der Geschichte. In der Exegese ist meist der dem Drama entlehnte Begriff „Szene“ statt „Geschehen“ gebräuchlich; dem will ich mich in dieser Arbeit anschließen. 262 Dazu MARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 109. 263 Dieser Begriff bei M ARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 110, die allerdings Episode und subplot gleichsetzen. Der subplot wird ansonsten eher als Nebenhandlung definiert (vgl. 2.4.6). Im Drama entspricht der Episode der „Akt“, vgl. die unglückliche Vermischung der Terminologie bei B AR-EFRAT, Bibel, 116–124. Eine andere Zuordnung bei ASMUTH, Art. Akt; ASMUTH, Art. Szene („Szene“ sei das dramatische Äquivalent zur Episode); hilfreich dazu aber M ARTÍNEZ, Art. Episode. 264 PFISTER, Drama, 289 und Kap. 2.4.6. 265 MARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 111.
2.4 Handlungsanalyse
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Diese Differenzierungen erlauben die Analyse eines Erzähltextes nach verschiedenen Kategorien: Man kann dessen Handlungsdichte messen, d.h. die Häufigkeit von Ereignissen im Verhältnis zum Gesamttext 266, ebenso die Verteilung der Ereignisse über den Gesamttext. Oder man könnte untersuchen, wo schnelle Szenenwechsel vorkommen (z.B. in Mt 28,9f.), was das Tempo der Erzählung fördert 267 und meistens die Aufmerksamkeit des Rezipienten erhöht. Exkurs: Textgliederung Biblische Exegetinnen und Exegeten mag es erstaunen, aber tatsächlich spielt die Frage der konkreten Textgliederung in der literaturwissenschaftlichen Narratologie kaum eine Rolle.268 Für diese Fragestellung sind eher entsprechende Arbeiten aus der Textlinguistik und speziell der Textsemantik heranzuziehen. 269 In der biblischen Exegese hat sich die Terminologie teilweise verschoben. Hier bezeichnet man mit „narrative analysis“ häufig auch eine bestimmte Form der Kompositionsanalyse bzw. Textstrukturanalyse, wobei die eigentlich narratologischen Theorieelemente nur am Rande auftauchen. 270 Wichtig für die Exegese wäre es, an dieser Stelle bewusst auf die Textlinguistik zurückzugreifen und die Forschungen zur Textkohärenz wahrzunehmen. 271
2.4.2 Wichtigkeit der Elemente Die Aussagen einer Erzählung werden auch hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Handlung unterteilt. Grundlegend ist zunächst R. Barthes’ Unter266 Vgl. GUTENBERG, Mögliche Welten, 108f., die für die Ereignisfrequenz allerdings nur die äußerlich beobachtbaren Ereignisse zählen will. Statistische Analysen dazu finden sich bei Y EVSEYEV, Measuring Narrativity. 267 PFISTER, Drama, 236. 268 Ausgenommen einige ältere Arbeiten, die von V. Propp und C. Bremond (s.u.) beeinflusst sind, z.B. die ‚move grammar‘ von P AVEL, Poetics, die sich aber nicht für eine differenzierte Textgliederung eignen. Ansonsten wird das Problem nur knapp bei der Abgrenzung von Handlungssträngen behandelt (Kap. 2.4.6). 269 Vgl. die Einführungen bei G ÜLICH/HEGER/RAIBLE, Linguistische Textanalyse, 73– 126; GÜLICH/RAIBLE, Linguistische Textmodelle; G ÜLICH, Ansätze, 241–255; VAN DIJK, Textwissenschaft; B EAUGRANDE/DRESSLER, Textlinguistik, 50–117 (grundlegend, aber technisch); R EED, Cohesiveness of Discourse; VON SIEBENTHAL, Sprachwissenschaftliche Aspekte, 117–127; S OWINSKI, Textlinguistik, 79–106.123f.; V ATER, Textlinguistik, 28– 119; BRINKER, Linguistische Textanalyse, 21–82 (empfehlenswert); H OEY, Textual Interaction; HEINEMANN/HEINEMANN, Textlinguistik, 61–104; ADAMZIK, Textlinguistik, 49– 60.139–144; S TEDE, Korpusgestützte Textanalyse, 19–29.131–188 u.a.; knappe Überlegungen auch bei P FISTER, Drama, 307–321; A SMUTH, Dramenanalyse, 39f. 270 Zum MtEv z.B. HEIL, Death; HEIL, Narrative Structure („seven narrative sandwiches“ in Mt 27,57–28,20); zum MkEv H UMPHREY, Narrative Structure; D ANOVE, End, 132ff. u.a. 271 Vgl. innerhalb der Exegese bereits B ECKER, Kohärenz; auch H ARDMEIER, Prophetie, 60–86 (vgl. WEISE, Segnen, 27–53); M LAKUZHYIL, Christocentric Structure, 87–135; knapper M ARGUERAT/BOURQUIN, Bible Stories, 30–39; S KA, Fathers, 1–3; mit sehr eigener Terminologie F UNK, Poetics, 163–185; einführend U TZSCHNEIDER/BECKER/GANSEL, Art. Kohärenz/Inkohärenz.
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
scheidung von Funktionen und Indizien272. Funktionen sind weitgehend dynamische Aussagen, Indizien meist statische Aussagen. Erzählungen kann man auch danach klassifizieren, ob sie eher Funktionen oder eher Indizien enthalten.273 Die Funktionen können ihrer Wichtigkeit nach in Kerne und Satelliten274 unterteilt werden. Kerne sind solche Aussagen, die Handlungsalternativen eröffnen und den Handlungsverlauf auf diese Weise beeinflussen. Satelliten dagegen sind für den eigentlichen Handlungsverlauf entbehrlich. Ihre Funktion ist, die Erzählung zu bereichern, die Kerne zu ergänzen und zu erläutern, Kerne vorzubereiten und auf sie zurückzuverweisen (s. Abb. 13).275 Kern mit Alternativen Anfang
Ende Satellit Satellit, vorausoder zurückweisend
Abb. 13: Kerne und Satelliten einer Erzählung (nach Chatman)
Die Indizien sind Sätze, die der Beschreibung z.B. von Räumen und Personen dienen. In Zusammenfassungen des Erzähltextes werden sie in der Regel weggelassen. Sie werden ebenfalls der Wichtigkeit nach untergliedert in eigentliche Indizien, die eine Bedeutung für die Erzählung besitzen, und Informationen, die nur für den Realitätseffekt (vgl. 2.7.3) wichtig sind.276 Aus dem Verhältnis von Kernen und Satelliten ergibt sich 272 BARTHES, Einführung, 111f.; daran anschließend S CHWARZE, Ereignisse, 150–153 (übersetzt mit „Indices“); B USSE, Analyse der Handlung, 28f. 273 BARTHES, Einführung, 112: „Manche Erzählungen sind hochgradig funktionell (etwa die Volksmärchen), andere wieder hochgradig indiziell (etwa der ‚psychologische‘ Roman)“. 274 Aus Barthes’ Unterscheidung von „Kern“ (noyau) und „Katalyse“ (catalyse) (BARTHES, Einführung, 112) machte C HATMAN, Story, 53–56 „kernels“ und „satellites“, was in dieser Form wirkmächtig wurde. Vgl. S CHWARZE, Ereignisse, 150–152; F IETZ, Strukturalismus, 155–160 (zu Barthes); T OOLAN, Narrative, 23–28; B USSE, Analyse der Handlung, 28–33; in der Exegese z.B. M ATERA, Plot; dazu C ARTER, Kernels. Kern und Satellit entsprechen dem verknüpften und freien Motiv bei TOMAŠEVSKIJ, Theorie, 219 („Motive, die nicht fortfallen können“ vs. „Motive, die man weglassen kann“); vgl. MARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 109; auch C HATMAN, Story, 55 Anm. 14. Bereits TOMAŠEVSKIJ, Theorie, 220 beobachtet: „Freie Motive sind normalerweise statisch, aber nicht jedes statische Motiv ist ein freies Motiv.“ 275 Vgl. CHATMAN, Story, 54, hier in der horizontalen Achse wie S CHWARZE, Ereignisse, 151. 276 BARTHES, Einführung, 114f. (dort „Informanten“); S CHWARZE, Ereignisse, 150. 152f.; BUSSE, Analyse der Handlung, 28f. Eigentliche Indices sind „Angabe von Charakterzügen und Gefühlen von Figuren, Landschafts- und Gebäudebeschreibungen, Be-
2.4 Handlungsanalyse
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schließlich die Handlungsintensität.277 Die Einteilung der Aussagen der Erzählung nach ihrer Wichtigkeit erweist sich als lohnend 278 – wohl weil man zuvor die Geschichte gründlich durchdacht haben muss. Genaue Kriterien für die vier Begriffe fehlen jedoch, die Zuordnung geschieht bisher intuitiv.279 2.4.3 Handlungsdarstellung (zeitliche Aspekte) Wenn eine Handlung erzählt wird, hat man es mit zwei Zeiten zu tun: der erzählten Zeit und der Erzählzeit. Die erzählte Zeit (story time) ist diejenige Zeit, die ein Ereignis innerhalb der Geschichte umfasst. Mit Erzählzeit (discourse time) ist diejenige Zeit gemeint, die benötigt wird, um das Ereignis zu erzählen. Die Begriffe zur Unterscheidung beider Größen wurden 1946 von G. Müller eingeführt280, und nur wenige Theorieelemente der Narratologie sind so allgemein anerkannt wie diese Differenzierung. G. Genette hat das Verhältnis von Erzählzeit und erzählter Zeit in drei Kategorien beschrieben: Ordnung, Dauer/Geschwindigkeit und Frequenz. 281 schreibung gesellschaftlicher und historischer Zustände“, Informationen „geben vor allem Sachinformationen und tragen zum Aufbau der Realitäts-Illusion der erzählerischen Wirklichkeit bei (z.B. Angaben zur Jahreszeit oder zum Wetter, auch zur Uhrzeit, sofern sie nicht handlungsrelevant ist; Nennung von Orten, Straßennamen, geographischen Details)“ (SCHWARZE, Ereignisse, 152). 277 Vgl. GUTENBERG, Mögliche Welten, 108. Die Ereignishaftigkeit (eventfulness) einer Handlung ergibt sich nach Gutenberg dann aus hoher Handlungsdichte und hoher Handlungsintensität. Wahrscheinlich sind dafür aber eher andere Faktoren wie das Maß der Abweichung vom script ausschlaggebend („Mann beißt Hund“); vgl. S CHMID, Narrativity and Eventfulness; S CHMID, Elemente, 20–27; H ÜHN, Functions and Forms; NEUMANN/NÜNNING, Narrative Fiction, 42f.; KRAH, Einführung, 320–322 zum „Ereignisrang“ sowie die verwandten Konzepte narrativity und tellability (2.4.5). Im Frühjahr 2010 wird mit HÜHN (Hg.), Eventfulness, eine Sammelband zum Thema erscheinen. 278 BUSSE, Analyse der Handlung, 30f. 279 Zum unklaren Verfahren der Bestimmung von Kernen und Satelliten vgl. C HATMAN , Story, 56 Anm. 16. Oft muss man die Erzählung zu Ende gelesen haben, um ein Ereignis als Kern identifizieren zu können. Das Problem benennen auch C ULLER, Structuralist Poetics, 219f.; S CHWARZE, Ereignisse, 152f.; P OWELL, Narrative Criticism, 36.44f.; TOOLAN, Narrative, 25–28; B USSE, Analyse der Handlung, 31. So identifiziert z.B. MATERA, Plot, 243–246 im MtEv sechs Kerne, die Wendepunkte der Erzählung seien: Mt 2,1; 4,12–17; 11,2–6; 16,13–28; 21,1–17; 28,16–20. Kreuzigung und Auferstehung sind bei ihm nur Satelliten (kritisch dazu P OWELL, Narrative Criticism, 44f.; CARTER, Kernels). 280 MÜLLER, Bedeutung der Zeit; M ÜLLER, Erzählzeit. Dazu G ENETTE, Erzählung, 21, vgl. auch VOGT, Aspekte, 99f.; R ICŒUR, Zeit II, 129–139. – P FISTER, Drama, 369 wendet diese Unterscheidung auf die Dramenanalyse an und spricht von (fiktiver) gespielter Zeit und (realer) Spielzeit. 281 So GENETTE, Erzählung, 21–114 (frz. 1972) und 205–218 (frz. 1983). Vgl. bereits die Differenzierungen bei E. Lämmert, einem Schüler Müllers (L ÄMMERT, Bauformen, 1. Aufl. 1955): 82–94 (Raffungsarten) und 95–194 (Rückwendungen und Vorausdeutun-
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
Die Darstellung dieser drei Punkte nimmt oft einen – m.E. unverhältnismäßig – großen Raum in narratologischen Einführungen ein. 282 An dieser Stelle werden die drei Punkte zur Handlungsanalyse gezogen, weil sich die Unterscheidungen vor allem auf die Erzählung von Ereignissen beziehen. Da sich „Erzählzeit“ und „erzählte Zeit“ vor allem auf eine Zeitdauer beziehen, sollen hier zusätzlich die Begriffe Erzählzeitpunkt und erzählter Zeitpunkt verwendet werden. Der Erzählzeitpunkt beginnt bei 0 und wird wie die Erzählzeitdauer näherungsweise 283 in Zeilen, Versen oder (Buch-) Seiten gemessen. 1. Reihenfolge der Handlungsdarstellung (Erzählordnung). Für die Reihenfolge der Darstellung von Ereignissen gibt es drei Möglichkeiten: Ereignisse werden entweder gemäß ihrer normalen (chrono)logischen Reihenfolge berichtet (Synchronie284) oder bestimmte Ereignisse sind zeitlich ganz losgelöst (Achronie285) oder die Reihenfolge der Darstellung ist verändert (Anachronie). Anachronien sind relativ häufig, sie steuern die Lesererwartungen 286 und gehören zu den Faktoren, die eine Erzählung spannend machen.287 Auf die Anachronien soll ausführlicher eingegangen gen). Genette erklärt nachträglich im Nouveau Discours (GENETTE, Erzählung, 210f.), dass er Lämmert in Grundzügen gekannt habe (vgl. Erzählung, 36), aber dass seine eigene Studie eher analytisch und nicht synthetisch sei. Mit Lämmert vergleichbar ist P ÜTZ, Zeit, 62–224, der verschiedene Formen von Vorgriff und Rückgriff im Drama beschreibt. 282 Genettes Unterscheidungen haben sich inzwischen durchgesetzt, vgl. S CHWARZE, Ereignisse, 158–170; C HATMAN, Story, 63–79; R IMMON-KENAN, Narrative Fiction, 43– 58; BAL, Narratology, 80–114; M ARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 30–47; T OOLAN, Narrative, 42–54; M ARSDEN, Analyse der Zeit, 90–104; B ODE, Roman, 97–118; L AHN/ MEISTER, Erzähltextanalyse, 138–151; NEUMANN/NÜNNING, Narrative Fiction, 66–76; EHLERS, Studienbuch, 37–40. In der Exegese vgl. C ULPEPPER, Anatomy, 53–75; SKA, Fathers, 7–15; POWELL, Narrative Criticism, 36–40; TOLMIE, Jesus’ Farewell, 145–165; TOLMIE, Narratology, 87–101; M ARGUERAT/BOURQUIN, Bible Stories, 85–100 (gut illustriert); VETTE, Samuel, 75–78; EBNER/HEININGER, Exegese, 79–81; E ISEN, Poetik, 100– 110. 283 Bereits GENETTE, Erzählung, 213 weist darauf hin, dass die Lektüredauer bei jedem Leser unterschiedlich ist. Er schlägt vor, „eine mittlere oder optimale Lektüredauer“ festzulegen oder diese einfach in Seiten zu messen. Entscheidend sei nicht die „Performanzgeschwindigkeit“, sondern die Erzählgeschwindigkeit. E CO, Six Walks, 54– 60 bestimmt die „gelesene Zeit“ als eine dritte Größe neben Erzählzeit und erzählter Zeit. 284 Vgl. MARGUERAT/BOURQUIN, Bible Stories, 89: „synchrony“. 285 S. dazu GENETTE, Erzählung, 54.57f.; SCHWARZE, Ereignisse, 165. Beispiele für Achronien sind in die Erzählung eingefügte Anekdoten, Exkurse oder Kommentare des Erzählers. Einige postmoderne Formen der Zeitdarstellung scheinen nicht in Genettes Kategorien zu passen, vgl. R ICHARDSON, Beyond Story; dazu M ARSDEN, Analyse der Zeit, 96. 286 Vgl. dazu BRIDGEMAN, Thinking ahead (aus Sicht des cognitive turn). 287 Zu Anachronien auch P LATZ-WAURY, Art. Sukzession, und der ordo artificialis in der Rhetorik (KNAPP, Art. Ordo artificialis/Ordo naturalis).
2.4 Handlungsanalyse
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werden, zumal die Differenzierungen von Genette in der Narratologie sehr verbreitet sind. Man könnte sie nach verschiedenen Aspekten klassifizieren: a) Zeitorientierung der Anachronie: Hinsichtlich des Zeitbezugs lassen sich die Anachronien aufteilen in Analepsen und Prolepsen.288 Um eine Analepse handelt es sich, wenn nachträglich bereits Geschehenes berichtet wird (retrospektive Anachronie), demgegenüber nimmt die Prolepse spätere Ereignisse vorweg (antizipative Anachronie). b) Erzählebene der Anachronie: Die Differenz von Erzählzeit und erzählter Zeit kann sich auf verschiedenen Ebenen wiederholen, wenn Figuren in der Erzählung ihrerseits ein Ereignis erzählen. Anachronien können objektiv und subjektiv berichtet werden, d.h. entweder als Rückschau oder Vorausschau des primären Erzählers (objektive Anachronien) oder als Retrospektion und Antizipation im Bewusstsein oder in den Worten einer Figur (subjektive Anachronien). 289 Durch objektive Anachronien wechselt der erzählte Zeitpunkt, durch subjektive Anachronien nicht. Außerdem können mehrere Ebenen der Figurenrede eröffnet werden, was die Zeitbezüge rasch komplex werden lässt. 290 Dann erscheint es hilfreich, von Anachronien 1. Ordnung, 2. Ordnung usw. zu sprechen. 291 Ein relativ einfaches Beispiel ist Mt 27,63, wo sich die Hohenpriester an Pilatus wenden:
288
GENETTE, Erzählung, 25. Dafür sind eine Vielzahl anderer Begriffe gebräuchlich, teilweise mit feineren Differenzierungen: für Analepse auch Rückwendung (retroversion), Rückblick (retrospection), Rückschritt, Rückgriff oder Rückblende (flashback); für Prolepse auch Vorauswendung, Vorausdeutung oder Vorausblende (flashforward) (vgl. SCHWARZE, Ereignisse, 162f.). 289 Zur Unterscheidung von subjektiver und objektiver Anachronie vgl. G ENETTE, Erzählung, 25. Im Anschluss an Genettes Bezeichnung narrativer Ebenen kann man stattdessen auch von „metadiegetischer“ und „diegetischer“ Anachronie sprechen, vgl. G ENETTE , Erzählung, 163 und 165 Anm. 44; D U TOIT, Prolepsis, 170. T OLMIE, Jesus’ Farewell, 151f. schlägt die Bezeichnung „eingebettete“ (statt subjektive) Anachronie vor. C I, Alternative, will die subjektiven Anachronien gar nicht als Anachronien gelten lassen, dagegen GENETTE, Reply. 290 Genette schlägt vor, die Ebenen der subjektiven Anachronien durch Klammern auszudrücken, im Fall von Mt 27,63 würde er schreiben: A3 (B2 [C1 {D4}]). Die Reihenfolge auf der Ebene der Geschichte bezeichnet er mit Großbuchstaben, die eigentliche chronologische Reihenfolge der Ereignisse mit Zahlen. Das wird sehr schnell verwirrend, vgl. das Beispiel bei GENETTE, Erzählung, 26–28. Eine grafische Visualisierung (s. oben) könnte dann hilfreich sein. Zum Problem auch B AL, Narratology, 86–89; wenn Zeitbezüge unklar bleiben, spricht sie von „chronologischer Homonymie“. 291 Vgl. GENETTE, Erzählung, 46 Anm. 84: „Prolepsen zweiten Grades“ und B AL, Narratology, 88: „second-degree retroversion“.
96
2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
Erzählzeit 1 erzählte Zeit 1 = Erzählzeit2 erzählte Zeit 2 = Erzählzeit3 erzählte Zeit 3 = Erzählzeit4 erzählte Zeit 4
Synchronie ... und sprachen: „Herr, Analepse 2. Ordnung wir haben uns daran erinnert, dass Analepse 3. Ordnung jener Betrüger gesagt hat, als er noch lebte: Prolepse 4. Ordnung ‚In drei Tagen werde ich auferstehen.‘“
Abb. 14: Subjektive Anachronien durch temporär eröffnete Erzählebenen
c) Reichweite der Anachronie: Die Reichweite ist die Länge des „Sprunges“ zwischen dem vorherigen und dem neuen erzählten Zeitpunkt. Sie wird in erzählter Zeit gemessen. Genette kennt zwei Arten von Reichweiten: Eine interne Anachronie bedeutet, dass Anfang und Ende der Erzählung zeitlich nicht überschritten werden; bei einer externen Anachronie werden die zeitlichen Grenzen der Erzählung gesprengt. 292 Eher selten sind gemischte Anachronien293, die extern beginnen und intern enden oder umgekehrt. d) Umfang der Anachronie: Auch die Länge des Einschubs, gemessen in erzählter Zeit, kann unterschiedlich sein. Wenn der Einschub bis an die ursprüngliche erzählte Zeit heranreicht oder von ihr ausgeht, spricht man von einer kompletten Anachronie, ansonsten von einer partiellen.294 e) Handlungsstrang der Anachronie: Eine interne Anachronie kann entweder auf denselben (Haupt-)Handlungsstrang verweisen oder auf den Handlungsstrang einer Nebenhandlung (Kap. 2.4.6). Ersteres ist eine homodiegetische interne Anachronie, letzteres eine heterodiegetische.295 f) Informationsgehalt der Anachronie: Homodiegetische Anachronien lassen sich unterteilen in kompletive Anachronien, die eine wesentliche Lücke 296 in der Handlung ausfüllen, und repetitive Anachronien, die be292
Nach GENETTE, Erzählung 32f.46. (D U TOIT, Prolepsis, 172 spricht hier von intradiegetischer und extradiegetischer Prolepse.) Genettes Unterscheidung von intern und extern wird problematisch, wenn die Geschichte in medias res beginnt: Müsste man eine Analepse, die nachträglich den ‚eigentlichen‘ Anfang der Geschichte erzählt, dann als extern bezeichnen? M.E. nicht, weil dabei die Einheit der Handlung gewahrt bleibt. Ähnliches gilt für den Schluss. Zu einigen Problemen bei Genettes Konzeption vgl. ADAMS, Order and Narrative. 293 Vgl. GENETTE, Erzählung, 32f.41. 294 GENETTE, Erzählung, 41f.; vgl. M ARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 35. 295 GENETTE, Erzählung, 33. 296 Diese Lücke ist eine Ellipse, wenn es sich um ein Ereignis handelt, und eine Paralipse, wenn es um ein Faktum geht (vgl. G ENETTE, Erzählung, 34). Eine Lücke ([informational] gap) sollte nicht mit einer Leerstelle (blank) verwechselt werden (dazu
2.4 Handlungsanalyse
97
reits Genanntes wiederholen und auf Ereignisse oder Fakten anspielen und sie ggf. neu interpretieren. 297 g) Deutlichkeit der Anachronie: Über Genette hinausgehend können explizite und oblique Anachronien unterschieden werden, also danach, ob sie mehr (Mk 9,31) oder weniger (Mk 2,20) deutlich zu erkennen sind. 298 h) Gewissheit von Prolepsen: Speziell bei Prolepsen gibt es zukunftsgewisse und zukunftsungewisse Vorausdeutungen.299 Zukunftsgewiss sind in der Bibel alle Prolepsen, die auf Gott zurückgeführt werden, z.B. im Munde seiner Propheten. – Darüber hinaus werden in der Literatur weitere Differenzierungen genannt, die aber in der Regel bereits Ergebnis der Analyse sind.300 2. Geschwindigkeit301 der Handlungsdarstellung (Erzählgeschwindigkeit). Ausgehend von G. Genette und E. Lämmert werden meist fünf ‚Grundformen der Erzählgeschwindigkeit‘ unterschieden: die Zeitraffung („summary“), die Ellipse („ellipsis“), die Szene/Zeitdeckung („scene“), die Zeitdehnung („stretch“) und die Pause („pause“). 302 Häufig werden diese fünf Begriffe in einer tabellarischen Übersicht dargestellt: 303 SKA, Fathers, 8f.13; GUTENBERG, Mögliche Welten, 113). Bei Lücken sind die fehlenden Informationen wichtig zum richtigen Verständnis der Erzählung, sie regen den Leser zu Hypothesen an und werden im Laufe der Erzählung mittels Analepse erklärt, z.B. im Detektivroman. Leerstellen dagegen bezeichnen grundsätzlich die Aspekte der Erzählung, die vom Leser mittels seiner frames und scripts beim Lektüreprozess ergänzt werden, z.B. das genaue Aussehen einer Figur (vgl. 2.1.3.1). 297 GENETTE, Erzählung, 34–41. 298 Vgl. DU TOIT, Prolepsis, 168f., der neben den Begriffen „explizite“ und „oblique“ auch die „implizite“ Prolepse vorschlägt. Die von ihm angeführten Beispiele für implizite Prolepsen sind jedoch entweder oblique oder keine wirklichen Prolepsen. K OENEN, Prolepsen, 458–473 gliedert seine Darstellung nach dem Kriterium der Deutlichkeit und nennt Beispiele für „andeutende“, „ansagende“ und „den Ausgang verratende“ Prolepsen. 299 Vgl. die Grundunterscheidung bei L ÄMMERT, Bauformen, 143–192; modifiziert bei ASMUTH, Dramenanalyse, 115–117.121f., dazu K OENEN, Prolepsen, 457f. DU TOIT, Prolepsis, 169 verwendet die Bezeichnungen „indikative“ und „prädiktive“ Prolepse. 300 So sind viele Begrifflichkeiten bei L ÄMMERT, Bauformen, nur bedingt für die Analyse brauchbar, weil sie sich auf unterschiedliche Aspekte beziehen. Sein Ziel ist es eher, typische Erzählmuster aufzuzeigen. Z.B. liefere der Rückschritt (112–122) Hintergrundinformationen meist zu Beginn einer neuen Szene, der Rückgriff (122–128) unterbreche den eigentlichen Handlungsverlauf nur kaum und der Rückblick (128–139) bezeichne die Gesamtdeutung des bisherigen Lebens. Ebenfalls als Synthese gedacht ist K OENEN, Prolepsen, 474–477, der die „dramatisierende“, „strukturierende“, „hermeneutische“ und „theologische“ Funktion alttestamentlicher Prolepsen beschreibt. 301 Zunächst hatte Genette noch von „Dauer“ gesprochen (Erzählung, 61–80), im Nouveau Discours verbessert er die Terminologie zu „Geschwindigkeit“ (Erzählung, 213). BAL, Narratology, 99–111 überschreibt diesen Abschnitt mit „rhythm“. 302 In Ansätzen bereits L ÄMMERT, Bauformen, 82f. („Aussparung“, „Zeitraffung“, „Zeitdehnung“, „Zeitdeckung“); P ÜTZ, Zeit, 50–61; prägend dann G ENETTE, Erzählung, 61–80 (noch ohne „Dehnung“) und C HATMAN, Story, 67–78; daran anschließend z.B.
98
2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
Tab. 15: Formen der Erzählgeschwindigkeit
Ellipse Raffung Szene Dehnung Pause
erzählte Zeit
Verhältnis
Erzählzeit
Geschehen läuft weiter Geschehen Geschehen Geschehen Geschehen steht still
n zu ø > (länger als) ≈ (gleich) < (kürzer als) ø zu n
Erzählung steht still Erzählung Erzählung Erzählung Erzählung läuft weiter
In fünf Stufen von der Ellipse 304 über die Raffung 305, Szene, Dehnung bis zur Pause306 verlangsamt sich die Erzählgeschwindigkeit. Eine echte Zeitdeckung (Isochronie307) gibt es in Erzählungen eigentlich nicht, höchstens innerhalb der Wiedergabe von Gesprächen. Das Erzähltempo wird in erzählter Zeit pro Erzählzeit gemessen, z.B. erzählte Minuten pro Buchseite.308 Jede Erzählung hat ihren spezifischen Wechsel von Geschwindigkeiten, den Rhythmus, und ein bestimmtes Geschwindigkeitsspektrum.309 3. Frequenz der Handlungsdarstellung 310 (Erzählfrequenz). Genette unterscheidet vier Arten der Erzählfrequenz: Die singulative Erzählung berichtet einmal, was einmal passiert ist; die repetitive Erzählung n-mal, was SCHWARZE, Ereignisse, 166–168; M ARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 39–44; E ISEN, Poetik, 100–104. Teilweise vergleichbar ist P FISTER, Drama, 369–374.378–381. 303 Vgl. GENETTE, Erzählung, 68 und in verschiedenen Varianten S CHWARZE, Ereignisse, 167; BAL, Narratology, 102; J AHN/NÜNNING, Survey, 296; MARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 44; M ARSDEN, Analyse der Zeit, 99; F LUDERNIK, Erzähltheorie, 45. 304 GENETTE, Erzählung, 76–78 unterscheidet bezüglich der Erkennbarkeit von Ellipsen explizite Ellipsen, die den verflossenen Zeitraum ausdrücklich angeben, implizite Ellipsen, die man aufgrund einer chronologischen Lücke erschließen kann, und hypothetische Ellipsen, die impliziert sind, sich aber in der Erzählung zeitlich nur schwer unterbringen lassen. Die Bezeichnungen bestimmte und unbestimmte Ellipse beziehen sich auf einen anderen Aspekt, die Genauigkeit der Zeitangabe. 305 LÄMMERT, Bauformen, 83f. kennt verschiedene Raffungsarten: sukzessive und iterativ-durative Raffung; die sukzessive Raffung wird wiederum in Sprungraffung und Schrittraffung unterteilt. Dazu auch V OGT, Aspekte, 109–113. In der biblischen Exegese bezeichnet das Summarium eine spezielle Form der Raffung (vgl. E ISEN, Poetik, 101f.). 306 Pausen werden zu Beschreibungen, Kommentaren oder Blockcharakterisierungen genutzt, insofern sind es Formen der Achronie; vgl. SCHWARZE, Ereignisse, 168. 307 GENETTE, Erzählung, 61f. Der Regelfall ist die „Anisochronie“. 308 MARGUERAT/BOURQUIN, Bible Stories, 87 geben einen Überblick über die Erzählgeschwindigkeiten der Act, indem sie Ausdrücke aus der Musik verwenden (Act 1–9: lento, Act 10–14: allegro, 15,1–24,26: adagio, 24,27: prestissimo usw.). Vgl. die Bemerkung bei GENETTE, Erzählung, 67. 309 Vgl. GENETTE, Erzählung, 62 (Rhythmus) und 66 (Geschwindigkeitsspektrum). 310 Dazu GENETTE, Erzählung, 81–114 und 217f., bes. 81–83; S CHWARZE, Ereignisse, 168–170; M ARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 45–47; M ARSDEN, Analyse der Zeit, 102f.; EISEN, Poetik, 108–110.
2.4 Handlungsanalyse
99
einmal passiert ist; die multi-singulative Form berichtet n-mal, was n-mal passiert ist,311 und die iterative Form einmal, was n-mal passiert ist. Die singulative Erzählung ist am häufigsten, die iterative Erzählung wird durch Ausdrücke wie „sonntags ging sie“ gekennzeichnet, und die repetitive (z.B. Act 9; 22; 26) dient oft dazu, ein Ereignis aus der Sicht verschiedener Figuren zu schildern. Es ist wichtig zu beobachten, an welchen Punkten der Erzählung welche Handlungsdarstellung überwiegt, welche Ereignisse repetitiv oder multi-singulativ wiedergegeben werden und wie ausführlich repetitive Erzähldarstellungen sind. Außerdem kann man repetitive Darstellungen miteinander vergleichen. 312 2.4.4 Handlungsstrukturen und Handlungstypen 313 Viele Ansätze der klassischen, strukturalistischen Narratologie (Propp als Vorläufer, Bremond, Lévi-Strauss, Todorov, Greimas; zu Barthes s.o.) suchen nach allgemeinen Strukturen in der Handlung. Zugleich ist die Kategorisierung von plot types möglicherweise „the most problematic area of narrative studies“, 314 nicht nur wegen der Vielzahl der Theorien, sondern auch wegen der (vermeintlichen) Unfruchtbarkeit für die Analyse eines konkreten Texts.315 Um zu zeigen, welche der Modelle in welcher Form verwendbar sind und wie sie aufeinander aufbauen könnten, soll dieser Abschnitt etwas ausführlicher sein. Ich will von der konkreten Ereignisfolge einer Erzählung ausgehen und mich erst dann allgemeineren Handlungsschemata und ‚Tiefenstrukturen‘ zuwenden. 316 311
Die multi-singulative Form sollte nicht auf die singulative reduziert werden (gegen MARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 45), da hier mehrere zusammengehörige Ereignisse vorliegen, die trotzdem nicht iterativ erzählt sind. Ein biblisches Beispiel wäre Num 7. BAL, Narratology, 113 fügt noch einen fünften Fall hinzu, bei dem sich n-mal wiederholende Ereignisse zwar mehrfach, aber nicht n-mal berichtet werden („varisingular“). 312 STERNBERG, Poetics, 365–440 beschäftigt sich ausführlich mit Formen der Redundanz im AT; dazu auch E ISEN, Poetik, 109. 313 Einführend dazu C HATMAN, Story, 84–95; S KA, Fathers, 19–33; D ANNENBERG, Art. Plot Types. 314 So das abschließende Urteil von C HATMAN, Story, 95. 315 Vgl. CHATMAN, Story, 93f. im Rückblick auf die referierten Handlungstypologien: „However, one cannot help feeling uneasy. General categories can be used not merely to explain plots, but to explain them away, to reduce their complexities to the simplicity of a preexistent formula“, und seine Anregungen 94f. 316 In der Narratologie wird häufig das Begriffspaar „Oberflächenstruktur“ (konkreter Text) und „Tiefenstruktur“ (allgemeines Schema) verwendet, z.B. R IMMON-KENAN, Narrative Fiction, 10–28; K ORTE, Tiefen- und Oberflächenstrukturen; D ANNENBERG, Entwicklung, 52; M ARTÍNEZ /SCHEFFEL, Erzähltheorie, 134 (distanziert); B USSE, Analyse der Handlung, 23f. und passim. Diese Metaphorik impliziert eine problematische Ontologie und Bewertung („unter“ der bloßen Textoberfläche zu graben, erscheint als wichtiger) und sollte durch das nüchterne „spezifische“ vs. „allgemeine Struktur“ ersetzt werden.
100
2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
1. Handlungsstruktur. Es ist keine spezifisch narratologische Erkenntnis, dass es Gruppen von Erzählungen (oder Szenen) gibt, die ähnliche Handlungsstrukturen aufweisen. 317 Daher kann man – noch relativ textnah – diese Gemeinsamkeiten durch event-labelling318 beschreiben und die entsprechenden Handlungsabschnitte zu Handlungsmustern zusammenordnen. Impulsgeber für die strukturalistische Narratologie wurde V. Propp, der aus einem Korpus russischer Zaubermärchen 31 darin vorkommende Handlungsfunktionen herausarbeitete 319, z.B. „I. Ein Familienmitglied verläßt das Haus für eine Zeit“, „II. Dem Helden wird ein Verbot erteilt“, „III. Das Verbot wird verletzt“320. Eine solche Handlungsfunktion fasst mehrere Sätze in einem Satz zusammen und abstrahiert dabei von konkreten Namen, Objekten oder Handlungsmitteln. Die Namen werden zu „Held“, „Familienmitglied“ oder „Gegenspieler“. Für Erzählungen nordamerikanischer Indianer war eine ähnliche Studie von A. Dundes321 weg317 Vgl. die (neuere) Formkritik als Teil der historisch-kritischen Methode, die aber nicht nur Erzähltexte betrachtet. 318 Dieser Begriff bei R IMMON-KENAN, Narrative Fiction, 13; vgl. auch G UTENBERG, Mögliche Welten, 33. Die genaue Vorgehensweise ist noch nicht genügend durchdacht, darum erscheint das labelling als relativ willkürlich. Warum sollen es gerade 31 Handlungsfunktionen sein, die laut Propp in russischen Zaubermärchen vorhanden sind? Ein erster Vorschlag für eine Methode findet sich bei B OCK, Analyse der Handlungsstrukturen, 71–90. 319 PROPP, Morphologie [1928], 31–66. Nach Propp kommen in den untersuchten Märchen zwar nicht alle 31 Funktionen gemeinsam vor, aber doch in derselben Reihenfolge. Letzteres gilt für andere Textkorpora wohl nicht unbedingt. – Propps Untersuchung wurde im Westen erst 30 Jahre später aufgrund der englischen Übersetzung (1958) wirksam. Zu Propp und dessen Einfluss vgl. BREMOND, Logique, 11–47 (= BREMOND, Erzählnachricht); G ÜLICH/RAIBLE, Linguistische Textmodelle, 195–202; C HATMAN, Story, 89–91; B OCK, Analyse der Handlungsstrukturen, 27–43; P AUKSTADT, Paradigmen, 195–206; R ICŒUR, Zeit II, 59–68; R IMMON-KENAN, Narrative Fiction, 20–22; GRAZZINI, Der strukturalistische Zirkel, 19–80; M ARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 137–139; TOOLAN, Narrative, 17–22 (mit Beispielen); B USSE, Analyse der Handlung, 38; weiterführend STEINER, Three Metaphors, bes. 79–88 (auch zu anderen Formalisten); T OPOROV, Few Remarks; G ILET, Vladimir Propp; BREYMAYER, Propp. In der Exegese z.B. B ARTHES, Kampf; GÜTTGEMANNS, Einleitende Bemerkungen, 10–15; E GGER, Nachfolge, 8–11; EGGER, Methodenlehre, 122; S KA, Fathers, 32f.; EBNER/HEININGER, Exegese, 71f.; M ILNE, Folktales and Fairy-Tales; M ILNE, Vladimir Propp. 320 PROPP, Morphologie, 31–33. Jede Handlungsfunktion bekommt eine Kurzdefinition wie „Zeitweilige Entfernung“ oder „Verbot“ sowie ein Symbol wie „a“, „b“, „A“, „Sch“, „↓“. Unterkategorien beschreibt Propp mit hochgestellten Zahlen: a 1, a2, a3. Eine solche Symbolsprache, die für jedes Textkorpus eigens entworfen wird, macht die Analyse von Handlungsmustern eher undurchsichtig, vgl. D ORNER-BACHMANN, Erzählstruktur, 447–648, bes. 554–558 (Symbole bei Propp).559–566 (Dorner-Bachmanns Symbole). 321 DUNDES, Morphology. Dundes führt Propps Handlungsfunktionen zu zehn Motivemen (motifems) zusammen, die meist paarweise geordnet sind, z.B. L (Lack; Mangel) und LL (Lack Liquidated; Beseitigung des Mangels). Zu Dundes vgl. BREMOND,
2.4 Handlungsanalyse
101
weisend. Weniger sinnvoll als Propps Ansatz erscheint die „narrative Grammatik“, mit der T. Todorov einst die „Narratologie“ als „Wissenschaft von der Erzählung“ begründete. 322 2. Handlungsschemata. Während die Handlungsmuster auch nur einzelne Handlungsphasen und Handlungssequenzen betreffen können, soll im Folgenden mit dem Begriff „Handlungsschema“ 323 ein gemeinsames Handlungsmuster auf der Ebene der gesamten Erzählung bezeichnet werden. Ein solches generelles Handlungsschema ist z.B. das Schema der „abenteuerlichen Suche“ mit den Funktionen „Auszug von zu Hause“, „Erfüllung einer Aufgabe in der Fremde“, „Rückkehr“. 324 Auch Sherlock-Holmes-Erzählungen oder James-Bond-Romane ähneln sich jeweils in ihrer Handlungsstruktur.325 Für die Narratologie öffnet sich an dieser Stelle ein
Logique, 59–80; G ÜLICH/RAIBLE, Linguistische Textmodelle, 107.201.205; P AUKSTADT, Paradigmen, 206–208; GÜTTGEMANNS, Einleitende Bemerkungen, 16–23; E GGER, Nachfolge, 11–15. – In Anlehnung an Propp und Dundes formuliert Güttgemanns Motifeme (mit „f“), die für alle Erzählungen, auch für Bibeltexte, gelten würden und von ihm logisch verknüpft werden, vgl. G ÜTTGEMANNS, Einleitende Bemerkungen, 26–37; zur Anwendung G ÜTTGEMANNS, Narrative Analyse (auch A LKIER, Hinrichtungen). Güttgemanns berücksichtigt nicht, dass die Erklärungskraft einer Theorie abnimmt, je allgemeiner ihre Analysebegriffe sind. Man kann die Rückkehr des verlorenen Sohns zwar mit ,Beseitigung des Mangels‘ etikettieren (Narrative Analyse, 63), doch das Besondere des Gleichnisses wird dabei nicht deutlich (vgl. E GGER, Nachfolge, 40 Anm. 117). Die Begriffspaare weisen aber indirekt auf Konflikte und Spannungsbögen hin. 322 TODOROV, Grammaire. Zum Begriff „Narratologie“ ebd., 10 und Kap. 2.1.1; zu Todorovs Modell vgl. BREMOND, Logique, 103–128; C ULLER, Structuralist Poetics, 214– 217; GÜLICH/RAIBLE, Linguistische Textmodelle, 219–233.245–250. Todorov reformuliert die Erzählungen des Decamerone in Form von Symbolen. Namen werden mit Großbuchstaben am Ende des Alphabets ausgedrückt (X,Y,Z), Attribute mit Großbuchstaben vom Anfang des Alphabets (A,B,C) und Prädikate mit Kleinbuchstaben (a,b,c) (Grammaire, 27–41). Darüber hinaus führt Todorov weitere Symbole ein; z.B. werden Kausalzusammenhänge durch einen Pfeil, zeitliche Beziehungen durch ein Plus und Inversionen durch ein Minus ausgedrückt. „Der König von Zypern ist nicht energisch“ wäre also „X–A“ (vgl. Grammaire, 61). Das Modell weist manche Anklänge an Prädikatenlogik und Textlinguistik auf, wird aber zu Recht kritisiert, weil Todorov nicht erklärt, wie er zu seiner Zusammenfassung der Erzählungen gelangt, und die bloße Formalisierung der Zusammenfassung nicht weiterhilft (C HATMAN, Story, 91f.; D ANOVE, End, 18–25; knapp GUTENBERG, Mögliche Welten, 32f.). 323 Vgl. MARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 135 mit einer Begriffsdefinition. 324 MARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 154 und insgesamt 153–155. Dieses Beispiel für ein Handlungsschema ist sehr allgemein und deswegen überkulturell. Daher erscheint es fragwürdig, die weite Verbreitung dieses Schemas historisch-anthropologisch aus der „Nahrungssuche“ (W. Burkert) heraus zu erklären, was Martínez/Scheffel unkritisch referieren. 325 Vgl. ECO, Role of the Reader, 156; D ANNENBERG, Entwicklung, 55f.; B USSE, Analyse der Handlung, 38f. Busse betont, dass Schemaliteratur nicht zwingend als minder-
102
2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
weites Forschungsgebiet: Interessant ist nicht nur das Herausarbeiten von Handlungsschemata (was unzählige Bezeichnungen mit sich bringt) oder deren Anordnung in Hierarchien; für die eigentliche Erzähltextanalyse sollten neben der Zuordnung eines Textes zu den Funktionen eines Handlungsschemas auch die jeweiligen Abweichungen vom Schema berücksichtigt werden. Je konkreter das Schema ist und je ähnlicher die Vergleichstexte, desto besser. Im Sinne des cultural turn in der Narratologie ist auch zu erörtern, warum ein Handlungsmuster oder -schema zu welcher Zeit vorkommt. Handlungsmuster sind kulturell determiniert. Daher findet die feministische Narratologie326 hier einen Ansatzpunkt: So enden Erzählungen mit Heldinnen bis ins 19. Jh. hinein fast immer mit der Heirat, anders als bei männlichen Hauptfiguren.327 Im spezifischen kulturellen und historischen Kontext kann man einzelne Handlungsschemata genauer untersuchen, z.B. verschiedene Fassungen des „mother/daughter plot“, des „tested woman plot“ oder des „coincidence plot“ 328. 3. Das Fünferschema. Prägend vor allem für die Dramentheorie wurde G. Freytag, der in seine bekannte Pyramidenskizze fünf Handlungsphasen einzeichnete.329 Das inzwischen 150 Jahre alte Modell ist deutlich von Aristoteles beeinflusst. 330 Freytag kennt „fünf Teile und drei Stellen“: Einleitung (a), Steigerung (b), Höhepunkt (c), Fall oder Umkehr (d), Katastrophe (e) sowie das erregende Moment (A), das tragische Moment (B)
wertig angesehen werden muss, weil es darauf ankommt, wie das Handlungsschema ausgefüllt wird (39f.). 326 Zur feministischen Plotanalyse vgl. D ANNENBERG, Entwicklung, 60–62; G UTENBERG , Mögliche Welten, 10–21. 327 DANNENBERG, Entwicklung, 61. 328 H IRSCH, Mother/Daughter Plot; B UELER, Tested Woman Plot; D ANNENBERG, Coincidence and Counterfactuality; vgl. D ANNENBERG, Coincidence Plot; D ANNENBERG, Poetics of Coincidence (ein Plot, bei dem Figuren erfahren, dass sie verwandt sind). 329 FREYTAG, Technik (1863!), 102–121, dort nur ein umgekehrtes „V“ mit fünf Punkten. Vgl. auch PFISTER, Drama, 318–321. Dieser klassischen, „geschlossenen Form“ des Dramas wird heute die „offene Form“ gegenübergestellt, die Zusammenhang und Intentionalität der Handlung nicht als notwendig ansieht (K LOTZ, Geschlossene und offene Form; dazu auch GEIGER/HAARMANN, Aspekte des Dramas, 127–136). 330 Vgl. Arist. Poet. 1455b: ÒEsti de; pavsh~ tragw/diva~ to; me;n devsi~ to; de; luvsi~: ... Levgw de; devsin me;n ei\nai th`n ajpÆ ajrch`~ mevcri touvtou tou` mevrou~ o} e[scatovn ejstin, ejx ou| metabaivnei eij~ eujtucivan h] eij~ ajtucivan, luvsin de; th;n ajpo; th`~ ajrch`~ th`~ metabavsew~ mevcri tevlou~. – Aristoteles unterscheidet also zwei Handlungsphasen und drei Handlungsmomente: die Knüpfung (des Knotens) (devsi~, vgl. plokhv 1456a), der vom Anfang (ajrchv) bis zum Übergang reicht (metavbasi~), und die Lösung (luvsi~), die sich vom Übergang bis zum Schluss (tevlo~) erstreckt. Der Übergang – Glück zu Unglück oder umgekehrt – kann dabei mit einer ajnagnwvrisi~ oder peripevteia oder beidem verbunden sein (1452a).
2.4 Handlungsanalyse Konflikt / Glück
103
c B
b
a A
d
C
e
Akte bzw. Episoden Abb.16: „Pyramide“ nach G. Freytag (modifiziert)
und das Moment der letzten Spannung (C) (Abb. 16).331 Die Pyramidenform soll andeuten, dass etwas anwächst und dann wieder zurückgeht. Hier ist Freytags Skizze leider nicht konsistent: Zum einen scheint er an die Intensität des Konflikts zu denken, die beim Höhepunkt am größten sei, 332 gleichzeitig ist mit der vertikalen Achse aber auch das „Glück“ der Haupt331
Ausführlich SKA, Fathers, 20–30; ganz ähnlich das ‚schéma quinaire‘ bei MARBible Stories, 42–48 und POPLUTZ, Erzählte Welt, 16–18, angelehnt an die detaillierten Überlegungen von L ARIVAILLE, L’analyse (morpho)logique. Wohl von Freytag beeinflusst ist B AR-EFRAT, Bibel, 124–146; vgl. auch L ONGACRE, Narrative Analysis, für eine Anwendung auf das MkEv. Die Narratologie scheint das Fünferschema nicht explizit aufzugreifen, dafür ist das Modell des Soziolinguisten W. Labov bekannt: 1. Abstract, 2. Orientation, 3. Complicating action, 4. Evaluation, 5. Result or resolution, 6. Coda (LABOV, Language in the Inner City, 354–396, bes. 363; L ABOV/WALETZKY, Narrative Analysis, 32–41), vgl. dazu M ARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 145–147; BERLIN, Poetics, 101–110; S KA, Fathers, 30f.; TOOLAN , Narrative, 148–159; F LEISCHMAN, Labovian Model; neuerdings E HLERS, Studienbuch, 10–19 (s. auch 141 zu Freytag); JAVORNICKÝ, Application of Labov’s Model; SCHOLZ/E ISENLAUER, Narrativität. Die Unterschiede zum klassischen Modell sind „abstract“, eine Art Titel, „evaluation“ als Wertung von Handlungen und „coda“, also der Schluss, der den Leser in seine eigene Welt zurückbringt. Labov vermengt hier Handlungs- mit Leseraspekten, auch lässt sich die Evaluation der Geschichte durch den Leser nicht an einem bestimmten Punkt der Erzählung verorten. Kritisch dazu D ORNER-BACHMANN, Erzählstruktur, 133f.; M ARTÍ NEZ /S CHEFFEL, Erzähltheorie, 147.149 werten es dagegen positiv, dass Labov auf die Pragmatik einer Erzählung aufmerksam machte. – Vergleichbar ist auch das semiotische Handlungsschema mit den vier Phasen ,Manipulation‘, ,Kompetenz‘, ,Performanz‘ und ,Sanktion‘. Die Schritte bezeichnen Etablierung, Vorbedingungen, Durchführung und Bewertung des erzählerischen Programms (vgl. S KA, Fathers, 31f.; OPPEL, Heilsam erzählen, 70–73). Was die Benennung von Handlungsphasen einer Erzählung mit diesen Begriffen erbringen soll, ist unklar; vgl. die Anwendung des „semiotic narrative programme“ bei M ARGUERAT/BOURQUIN, Bible Stories, 49–52 (inkl. „initial situation“ und „final situation“). K AHL, Miracle Stories, bes. 41–52; KAHL, Strukturale Erzähltheorie, unterteilt die untersuchten Texte in ähnlicher Weise in ‚Mangel‘, ,Vorbereitetheit‘, ,Handlung‘ und ,Sanktion‘. 332 Nach Freytag ist der „Höhenpunkt“ diejenige Stelle, wo „das Ergebnis des aufsteigenden Kampfes stark und entschieden heraustritt“ (F REYTAG, Technik, 113). GUERAT /B OURQUIN,
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
figur gemeint,333 da er speziell die Tragödie im Blick hat. Man sollte besser die ,Konfliktkurve‘ der Handlung und ‚Glückskurven‘ der Hauptfiguren voneinander trennen und diese wiederum von der Spannungskurve unterscheiden. Versteht man die Grafik als Glückskurve, erhält man bei der Komödie eine Art „V“-Form. 334 Die Begriffe „steigende Handlung“ und „fallende Handlung“ sind dagegen am besten auf die Konfliktkurve anzuwenden. Für die Analyse vieler Erzähltexte erweist sich Freytags Modell als recht lohnend, weil es nach den Momenten fragen lässt, wo innere und äußere Konflikte oder das Glück der Hauptfiguren am größten sind. Z.B. hat die Davidserzählung in 2 Sam 11–12 einen erkennbaren Wendepunkt. Neben der ,Kurvendiskussion‘ der Einzelerzählung ist es auch sinnvoll, Kurven verschiedener Texte miteinander zu vergleichen. Wollte man die Handlung entsprechend den Kurvenabschnitten immer in fünf Phasen einteilen, täte man ihr in manchen Fällen Gewalt an. Wichtiger als die Fünfzahl sind Freytags Analysekategorien. Für die Konfliktanalyse gibt es allerdings inzwischen genauere Modelle (2.4.5). 4. Handlungstypen. Daneben gibt es eine Vielzahl an Erzähltypologien, die sich auf ein oder wenige eher formale Kriterien stützen und nicht auf konkrete Handlungsmuster. In der Regel bringen sie nur eine terminologische Bereicherung und können kaum weiter ausgewertet werden. 335 a) Drei verschiedene Arten von Hauptfiguren (gut, schlecht, „dazwischen“) und zwei Arten von Handlungsverläufen (glücklich, unglücklich) ergeben sechs mögliche Handlungstypen. 336 b) Nach einem Modell von N. Frye gibt es vier mythoi: Komödie, Romanze, Tragödie und Ironie/Satire. Jede habe sechs Handlungsphasen. 337 c) Eine bekannte Einteilung von Handlungen ist auch diejenige von R. Crane, der ,plots of action‘, ,plots of character‘ und ,plots of thought‘ unterschied. Die Handlungsstruktur hänge davon ab, welches der drei Ele333 Indirekt fällt es auch Freytag auf, wenn er sagt, dass Höhepunkt und tragisches Moment zusammen eine „Doppelspitze“ bilden würden (FREYTAG, Technik, 116). 334 Dazu RESSEGUIE, Narrative Criticism, 204–208: Der comic plot sei ein „U-shaped plot“, der tragic plot ein „inverted U-shaped plot“. 335 Zu Plottypologien vgl. G UTENBERG, Mögliche Welten, 99–106. Im Gegensatz zur historisch-kulturell determinierten, induktiv gewonnenen Gattung ist der Typus eine deduktiv erschlossene, strukturelle Größe (105); allerdings lassen sich beide Aspekte oft nur schwer trennen. Weiterführend H EMPFER, Gattungstheorie; Z YMNER, Gattungstheorie; GYMNICH/NEUMANN/NÜNNING, Gattungstheorie. 336 Ausführlich CHATMAN, Story, 85; vier der Kombinationen auch bei Arist. Poet. 1452b–1453a. Bereits bei Aristoteles werden die Figuren kategorisiert nach ejpieikei`~ a[ndra~, mocqhrov~/sfovdra ponhrov~ und oJ metaxu; touvtwn, der wegen einer aJmartiva ins Unglück gerät. 337 FRYE, Anatomy, 158–239, bes. 162. Vgl. L ENTRICCHIA , After the New Criticism, 3–26; WHITE, Metahistory, 22–25; C HATMAN, Story, 87; MARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 157; C ULPEPPER, Anatomy, 83f.; S TIBBE, John as Storyteller, 121–147.
2.4 Handlungsanalyse
105
mente einer Handlung (Veränderung der Situation, des Charakters oder des Denkens des Protagonisten) als organisierendes Prinzip dient. 338 Diese Dreiteilung ist grundsätzlich hilfreich, aber recht ungenau. d) Vergleichbar ist die Unterscheidung von ,plot of action‘ und ,plot of knowledge‘ bzw. in einer anderen Terminologie ‚plot of resolution‘ und ‚plot of revelation‘. 339 Der Wendepunkt besteht dementsprechend in einer peripeteia, wo sich die Handlung umkehrt, oder einer anagnorisis, wo die Hauptfigur etwas Wichtiges erkennt. 340 5. Handlungslogisches Grundschema. Nach C. Bremond 341 besteht eine Erzählung aus Elementarsequenzen mit jeweils drei Stufen: Möglichkeit, Aktualisierung und Ergebnis. Er hatte an Propp kritisiert, dass bei dessen Analyse jede Funktion notwendig auf die vorige folgt, und mithilfe eines handlungslogischen Grundschemas betont, dass es jeweils auch eine Alternative gibt (s. Abb. 17): Aktualisierung Situation, die eine Möglichkeit eröffnet
Erfolg Misserfolg
Nicht-Aktualisierung Abb. 17: Handlungstriade nach C. Bremond 338
CRANE, The Concept of Plot, 620f. Dazu auch C HATMAN, Story, 87; SKA, Fathers, 19; DANNENBERG, Art. Plot, 436. Ähnlich M UIR, Structure, 7–61, der zwischen ,novel of action‘, ,novel of character‘ und ,dramatic novel‘ differenziert, je nachdem, ob die Erzählung eher auf Handlungen, eher auf Figuren oder auf beide ausgerichtet ist; vgl. UTZSCHNEIDER/NITSCHE, Arbeitsbuch, 176. – Relativ unklar und inkonsistent mit seinen anderen Einteilungen sind die vier Arten von Tragödien bei Arist. Poet. 1455b–1456a. 339 CHATMAN, Story, 48; SKA , Fathers, 18; MARGUERAT/BOURQUIN, Bible Stories, 56f.; vgl. STERNBERG, Poetics, 172–179. Auch hier gibt es natürlich nur selten eine Reinform. Biblische Erzählungen sind einerseits sehr stark handlungsorientiert (z.B. David besiegt Goliath), verbinden damit aber auch eine theologische Botschaft (vgl. SKA, Fathers, 19). 340 CHATMAN, Story, 85; SKA, Fathers, 27. Zu peripevteia (Peripetie) und ajnagnwvrisi~ (Wiedererkennung) vgl. Arist. Poet. 1452a–b. 341 BREMOND, Erzählnachricht, bes. 201 (urspr. Communications 1964 = BREMOND, Logique, 11–47, bes. 32); BREMOND, Logic (urspr. Communications 1966), bes. 388; BREMOND, Logique, 131ff. Zu Bremond auch C ULLER, Structuralist Poetics, 208–211; SCHEERER/WINKLER, Versuch (kritisch); GÜLICH/RAIBLE, Linguistische Textmodelle, 202–218.239–245; R ICŒUR, Zeit II, 68–75; L UDWIG, Figur, 132–134; F IETZ, Strukturalismus, 147–155; S PARMACHER, Narrativik, 111–141 (kritisch); R IMMON-KENAN, Narrative Fiction, 22–27; B AL, Narratology, 188–193; R ECKWITZ, Art. Bremond; in der Exegese EGGER, Nachfolge, 28–34; E GGER, Methodenlehre, 123f.131. – An Bremond erinnert auch die ‚move grammar‘ bei P AVEL, Poetics, der die Handlung einer Erzählung als eine Folge von ‚moves‘ beschreibt (im Sinne von Spielzügen einer Figur), die aus ‚problem‘, ,auxiliary‘ und ,solution‘ bestehen, wobei jedes Element wiederum ein ,move‘ sein kann.
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
Das Schema wird von Bremond in verschiedener Weise erweitert, z.B. klassifiziert er unterschiedliche Kombinationen von Elementarsequenzen, spezifiziert die Möglichkeit in Richtung auf Verbesserung oder Verschlechterung und gewinnt daraus einen „narrative cycle“. Bremond machte zwar auf logisch zusammengehörige Ereignisse und auf die Existenz von Handlungsalternativen aufmerksam, 342 doch ist das Modell nur bedingt für die Textanalyse verwendbar und nicht ausgereift. 343 Es kann heute durch den „Handlungsplan“ von M.-L. Ryan ersetzt werden (vgl. 2.4.5). 6. Gegensatzpaare. Weniger auf die Handlungsstruktur bedacht als auf die Hauptthemen der Erzählung sind zwei Ansätze von Lévi-Strauss und Greimas. C. Lévi-Strauss stellt aus dem Ödipus-Mythos vier Themenbereiche zusammen, indem er bestimmte Aussagen der Erzählung in vier Spalten nebeneinander sortiert. 344 Diese vier Mytheme bilden zwei miteinander korrelierbare Gegensatzpaare nach dem Muster A:B :: C:D. 345 Allerdings bleibt unklar, wie man die Mytheme, die die menschliche Existenz betreffen, herausarbeitet und warum man in Mythen gerade zwei Gegensatzpaare finden müsse. Etwas ausgefeilter ist das semiotische Viereck von A.J. Greimas (Abb. 18):346 Es ergeben sich zahllose Baumdiagramme (s. auch L AHN/MEISTER, Erzähltextanalyse, 227–229). 342 Für eine einfache Umsetzung vgl. E GGER, Methodenlehre, 131f. 343 GUTENBERG, Mögliche Welten, 32 weist auf die Begrenzheit der Handlungskonzeption hin: „Bremond scheint Handlung ausschließlich als intentionale, motivierte und zielgerichtete sowie äußerlich beobachtbare Veränderung zu begreifen. Sein Modell vermag mögliche Diskrepanzen zwischen Intentionen oder Motivationen der Figuren und der Wirksamkeit ihres Handelns nicht zu beschreiben“. Vgl. R IMMON-KENAN, Narrative Fiction, 135 Anm. 16. 344 LÉVI-STRAUSS, Strukturale Anthropologie, 234–240. Dazu auch C ULLER, Structuralist Poetics, 40–54; G RAZZINI , Der strukturalistische Zirkel, 81–166; P AUKSTADT, Paradigmen, 208–220; F IETZ , Strukturalismus, 116–127; Z IMMERMANN, Struktur; knapp RIMMON-KENAN, Narrative Fiction, 11; M ARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 144; BUSSE, Analyse der Handlung, 42f. 345 Im Ödipus-Mythos sind es angeblich die ,überbewerteten‘ vs. ,entwerteten Verwandschaftsbeziehungen‘ auf der einen Seite und ,Autochthonie‘ vs. ,Verneinung der Autochtonie des Menschen‘ auf der anderen Seite (L ÉVI -STRAUSS, Strukturale Anthropologie, 236f.). 346 GREIMAS, Du sens, 135–155.157–183, Grafik 137, vgl. 160 (= GREIMAS, On Meaning, 48–62.63–83); vgl. G REIMAS, Strukturale Semantik, 1–46. Greimas greift damit das logische Quadrat auf, das Aristoteles zugeschrieben wird, aber erst seit Apuleius (2. Jh. n.Chr.) bezeugt ist (M EISTER, Computing Action, 174f.). Zum semiotischen Viereck von Greimas (wörtlich „semiotisches Quadrat“, carré sémiotique) vgl. BREMOND, Logique, 81–102; S PARMACHER, Narrativik, 20, vgl. 12–73; R ICŒUR, Zeit II, 85f., vgl. 78–103; R IMMON-KENAN, Narrative Fiction, 12f.; S CHLEIFER, Greimas, bes. 1–43; KIM, Aktantenmodell, bes. 92–101; M EISTER, Computing Action, 174–179. In der Exegese z.B. PATTE/PATTE, Structural Exegesis, bes. 1–38; E GGER, Nachfolge, 19–25; E GGER,
2.4 Handlungsanalyse s1
107
s2 Beziehung zwischen Konträrem Beziehung zwischen Kontradiktorischem Beziehung der Implikation
s2
s1
Abb. 18: Das semiotische Viereck (A.J. Greimas)
Das Viereck setzt sich aus einem Oppositionspaar von zwei Semen (das Sem ist nach Greimas die kleinste Bedeutungseinheit) sowie der Verneinung des Gegensatzpaares zusammen. s1 kann zum Beispiel „Leben“ sein. Dann ist s2 „Tod“, s1 „Nicht-Leben“ und s2 „Nicht-Tod“. Zwischen diesen vier Begriffen gibt es Beziehungen der Kontrarietät, Kontradiktion und der Implikation. Im Rahmen der Erzähltextanalyse könnte man zunächst thematisch verwandte Wörter des Textes sortieren und sie dann zur Veranschaulichung den Ecken des Vierecks zuordnen. 347 Das semiotische Viereck kann auch Ereignisse, also Zustandsveränderungen, abbilden. 348 Das Modell ist in der Exegese relativ bekannt, wird aber in der heutigen Narratologie kaum noch erwähnt. Der Ansatz von Greimas besitzt große Ähnlichkeit mit der Raumsemantik von J. Lotman (Kap. 2.3.3), wo die semantischen Gegensätze und Transformationen in der Erzählung ebenfalls analysiert, jedoch nicht in ein logisches Quadrat gepresst werden. Daher wird in Kap. 3 nur die Raumsemantik von Lotman angewendet, nicht die Ansätze von Lévi-Strauss und Greimas. 2.4.5 Handlungsverläufe Seit einigen Jahren scheint sich in der Handlungsanalyse eine Umwälzung zu vollziehen. Während die ältere, formalistisch und strukturalistisch geprägte Handlungsanalyse (Propp, Bremond, Barthes, Todorov, LéviStrauss, Greimas) immer wieder kritisiert wurde und heute in narratologischen Einführungen – wenn überhaupt – ein mehr historisch begründetes Methodenlehre, 99f.109; P ATTE, Religious Dimensions, 73–102; T OLMIE, Jesus’ Farewell, 65–95; TOLMIE, Narratology, 67–82. Zu Implikation, Äquivalenz, Kontrarietät und Kontradiktion von Aussagen vgl. auch L ÖBNER, Semantik, 89–96; eine komplexe Weiterführung findet sich bei T ITZMANN, Strukturale Textanalyse, 104–179. 347 Vgl. EGGER, Methodenlehre, 96–100. 348 Dazu GREIMAS, Du sens, 164f. (= On Meaning, 68f.); EGGER, Nachfolge, 20f. und vor allem M EISTER, Computing Action, 179–197. Wenn z.B. Jesus Lazarus vom Tode auferweckt (Joh 11), gibt es einen Übergang von „Tod“ zu „Nicht-Tod“, der logisch „Leben“ impliziert. Nach Meister kann jedes Ereignis mit einem semiotischen Viereck ausgedrückt werden, z.B. besteht die Mini-Erzählung „The king died, and then the queen died of grief“ aus drei Transformationen: K (alive → dead), Q (not-sad → sad), Q (alive → dead) (186f., dort als komplexe Grafik). Für die normale Textanalyse ist das semiotische Viereck übergenau.
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
Nischendasein fristet349, waren lange keine alternativen Modelle für die Handlungsanalyse vorhanden. Vermutlich hatten diese Ansätze, welche die „Narratologie“ in den 1960-er Jahren konstituierten, eine Neubeschäftigung mit der Erzählhandlung auf längere Zeit blockiert. Die Handlungsanalyse geriet gegenüber anderen Bereichen wie der Fokalisierung in den Hintergrund.350 Dieser Befund beginnt sich in den letzten Jahren zu ändern. Als ein neues Modell für die Handlungsanalyse gilt die Theorie der möglichen Welten, die nun in verschiedener Hinsicht für Erzähltexte ausgebaut wird.351 Die philosophische ‚possible-worlds theory‘ war schon seit den 1970-er Jahren in der Literaturwissenschaft bekannt,352 doch erst die zuvor in der Softwarebranche tätige Narratologin M.-L. Ryan hatte ihr 1991 nach eigenen Vorarbeiten 353 mit einer ausgefeilteren Fassung zum Durchbruch verholfen.354 Grundlegend für diese Form der Handlungsanalyse ist die Einsicht, dass eine Erzählung eine „Welt“ entwirft, die fiktionale oder erzählte Welt.355 Nach Ryan gibt es jedoch nicht nur eine Welt, sondern neben der textuellen tatsächlichen Welt (textual actual world, TAW) auch 349
S. die entsprechenden Literaturangaben zu Propp, Bremond u.a., wo es sich meist um ältere Veröffentlichungen handelt. 350 So auch noch in aktuellen Einführungen wie M ARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie (108–159 nur verstreute Hinweise); F LUDERNIK, Erzähltheorie; E ISEN, Poetik; BODE, Roman u.a. Eine Ausnahme ist inzwischen B USSE, Analyse der Handlung. 351 Vgl. GUTENBERG, Mögliche Welten, 42–71 (gute Einführung); D ANNENBERG, Entwicklung, 62–65; R YAN, Possible Worlds in Recent Literary Theory; S URKAMP, Perspektivenstruktur, 53–60; S URKAMP, Perspektivenstruktur narrativer Texte; S URKAMP, Narratologie und possible-worlds theory; BUCHHOLZ, Narrative Innovationen, 97–102; RONEN, Possible Worlds; D OLEŽEL, Heterocosmica; M ARTIN, Poiesis; DANNENBERG, Ontological Plotting; BUSSE, Analyse der Handlung, 33–37; N EUMANN/NÜNNING, Narrative Fiction, 159–162; SPREE, Art. Mögliche Welten; R YAN, Art. Possible-worlds theory. 352 DOLEŽEL, Narrative Modalities, 9–12; P AVEL, Possible Worlds; v.a. E CO, Lector, 140–219. Der Ausdruck geht auf den Logiker S. Kripke zurück und letztlich auf G.W. Leibniz’ Diskussion der Theodizee. Zu Unterschieden zwischen philosophischer und literaturwissenschaftlicher Verwendung der Metapher vgl. R ONEN, Possible Worlds, bes. 47–75; zu literaturwissenschaftlicher Applikation bereits bei Leibniz und Chr. Wolff vgl. SPREE, Art. Mögliche Welten, 625. 353 RYAN, Modal Structure; RYAN, Embedded Narratives and the Structure of Plans; RYAN, Embedded Narratives and Tellability. 354 RYAN, Possible Worlds. 355 Zu erzählten Welten vgl. weiterführend E CO, Grenzen, 256–279; H ARWEG, Richardsons Pamela; M ARTÍNEZ-BONATI, Formal Ontology; C HINCA, Mögliche Welten, 316f.325–333; DOLEŽEL, Heterocosmica, 12–24 (dazu S LÁDEK/FOŘT, Prague School, bes. 334–342); P AVEL, Fictional Worlds; HERMAN, Story Logic, 13–17 („storyworld“); MARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 123–134. Neben möglicher vs. unmöglicher Welt gibt es u.a. die Unterscheidungen homogene und heterogene Welt, uniregionale und pluriregionale Welt, stabile und instabile Welt.
2.4 Handlungsanalyse
109
alternative möglichen Welten (alternative possible worlds, APW). 356 Eine solche mögliche Welt besteht aus möglichen Figuren, möglichen Zuständen und Attributen sowie möglichen Handlungen. 357 Um zu bestimmen, ob eine Welt von einer Referenzwelt (der textual reference world, TRW, 358 oder der actual world, AW) aus gesehen möglich ist, schlägt Ryan verschiedene Kriterien vor, z.B. physische Kompatibilität (gemeinsame Naturgesetze), taxonomische Kompatibilität (Existenz gleicher Spezies mit gleichen Eigenschaften) oder linguistische Kompatibilität (Sprache wird in beiden Welten verstanden).359 Diese Kompatibilitätskriterien könnte man auch zur Gattungsanalyse verwenden. 360 Innerhalb der Erzählung gibt es die Figurendomänen (character domains), die zusammen mit der Erzählerdomäne und der TAW das Erzähluniversum bilden.361 Jede Domäne (Erzählerwelt, Figurenwelten) ist ihrerseits aus drei Teilwelten (private worlds) zusammengesetzt: der K-Welt (Wissenswelt, knowledge world), der O-Welt (Pflichtenwelt, obligation world), der W-Welt (Wunschwelt, wish world). 362 Ryan kennt außerdem 356
RYAN, Possible Worlds, 16–24. In einigen modernen Erzählungen kommen auch mehrere tatsächliche Welten vor, z.B. wenn die Figur in eine ‚kontrafaktische‘ Parallelwelt reist oder mehrere Ausgänge der Handlung gleichberechtigt nebeneinander stehen (dazu DANNENBERG, Divergent Plot Patterns, 423–425; D ANNENBERG, Ontological Plotting, 169–183; das Plotverständnis braucht man m.E. deswegen nicht zu erweitern). 357 Nach DOLEŽEL, Narrative Modalities, 9. 358 Im Fall unzuverlässigen Erzählens müsse außerdem die ‚narratorial actual world‘ (NAW) von der TAW unterschieden werden (R YAN, Possible Worlds, 27 und passim). Daher ist der Kritikpunkt bei B USSE, Analyse der Handlung, 37 ungerechtfertigt. 359 RYAN, Possible Worlds, 31–47, bes. 32f.45f.; vgl. R YAN, Possible Worlds and Accessibility Relations; knapp G UTENBERG, Mögliche Welten, 45. Vgl. bereits E CO, Lector, 166–171 zur (Nicht-)Übereinstimmung von ‚Enzyklopädien‘. Allerdings gibt es natürlich nicht ‚das‘ heutige Weltbild, d.h. die AW ist nicht einheitlich und historisch variabel, was auch RYAN, Possible Worlds, 41 anmerkt. 360 RYAN, Possible Worlds, 33–39. 361 Vgl. die hilfreiche Übersicht bei G UTENBERG, Mögliche Welten, 50. 362 RYAN, Possible Worlds, 114–118; G UTENBERG, Mögliche Welten, 51–53. Vgl. bereits das modallogische Raster für mögliche Welten bei D OLEŽEL, Narrative Modalities, 6–9; hier nach D OLEŽEL, Heterocosmica, 114 (vgl. 114–128): Quantor Operator alethisch deontisch axiologisch epistemisch einige möglich erlaubt gut bekannt keiner unmöglich verboten böse unbekannt alle notwendig geboten indifferent geglaubt Bei Ryan entspricht das alethische Modalsystem dem Verhältnis von AW und TAW; die anderen Kategorien den Erzähler- und Figurendomänen, d.h. ihren Pflichten (deontisch), ihren Wünschen und Intentionen (hier: axiologisch) und ihrem Wissen (epistemisch) (RYAN, Possible Worlds, 111). In gewisser Weise mit dem Raster von Doležel verwandt sind auch die bekannten vier Modi von T ODOROV, Grammaire, 46–50; T ODOROV, Poetik,
110
2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
eine I-Welt (Intentionswelt, intention world), die aber wohl als Konkretisierung der W-Welt unter Berücksichtigung der K-Welt und O-Welt angesehen werden kann.363 Alle drei bzw. vier Welten können doppelt vorkommen, wenn die Domäne auch eine vorgetäuschte Welt (pretended world) produziert, ansonsten gibt es sie nur als authentische Welt (authentic world).364 Jede Domäne kann außerdem fiktionale Universen (F-universes)365 erzeugen, die eine Rezentrierung (recentering) erfordern, 366 z.B. wenn eine Figur eine Geschichte erzählt. An dieser Stelle ist es sinnvoll, diese neue Terminologie, die sich in der Narratologie zunehmend ausbreitet, kritisch zu hinterfragen. Sie ist nicht nur unnötig kompliziert und technisch, sondern für viele Sachverhalte existieren schon gebräuchliche Bezeichnungen. 367 Damit die inhaltlichen Neuerungen deutlicher herauskommen, soll das Modell von Ryan noch einmal normalsprachlich ausgedrückt werden: Die AW entspricht weitgehend den Begriffen ‚Weltbild‘ oder ,Weltanschauung‘, umfasst aber das gesamte Weltwissen eines heutigen Menschen, also nicht nur die im eigentlichen Sinn weltanschaulichen Aspekte. Die Erkenntnis, dass eine Figur bestimmtes (und bestimmbares) Wissen, bestimmte Pflichten, Wünsche und Intentionen hat (vgl. 2.5.2.1), ist für eine zuvor fast nur an formalen Aspekten der Erzählung interessierte Narratologie revolutionär. Dabei muss natürlich berücksichtigt werden, dass Figuren oder sogar der Erzähler Wissen oder Intentionen vortäuschen können und dass durch Figurenrede, Träume u.a. neue narrative Ebenen (Ryan: F-universes) eröffnet werden. Mit der konkreten Frage nach der Figurenwelt und ihrer Relationierung bereitete Ryan in der Narratologie den Boden für eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Erzähltext. 368 Aus heutiger Perspektive kann man 120–122, bei denen die Handlung „als virtuelle Möglichkeit“ existiere: Prädiktiv (Modus des Vorhersagens, betrifft Wahrscheinlichkeiten), Obligativ (gesellschaftliche Regel), Optativ (erstrebte Handlung) und Konditional (Modus des Bedingens). Obligativ und Optativ seien Willensmodi, Prädiktiv und Konditional hypothetische Modi. Prädiktiv und Konditional entsprechen wohl dem alethischen System, der Obligativ dem deontischen und der Optativ dem axiologischen System. Im Folgenden soll jedoch die Theorie von Ryan verwendet werden, die solche Unterscheidungen in einen größeren Rahmen stellt. 363 Bei RYAN, Possible Worlds, 123 nachgetragen; dazu G UTENBERG, Mögliche Welten, 52f. 364 Dazu RYAN, Possible Worlds, 118; vgl. B USSE, Analyse der Handlung, 37. 365 RYAN, Possible Worlds, 111.119 („F“ steht bei Ryan für „fantasy“). 366 Zur Übersicht vgl. die komplexe Grafik bei G UTENBERG, Mögliche Welten, 50; ebenso SURKAMP, Narratologie und possible-worlds theory, 170. 367 Vgl. die skeptische Aussage von R ONEN, Possible Worlds, 8: „it sometimes seems that in the literary arena possible worlds function as ‚modern‘ substitutes for more traditional concepts“. 368 Vgl. das Urteil von S URKAMP, Art. Possible-worlds theory: Die PWT „ermöglicht die Abkehr von rein textimmanenten, strukturalistischen Textanalysen, indem sie Kate-
2.4 Handlungsanalyse
111
den Ansatz von Ryan daher als eine erste Anwendung des cognitive turn auf die Handlungsanalyse ansehen. Wie werden nach Ryan das Wissen sowie die Wünsche, Pflichten und Intentionen einer Figur innerhalb der erzählten Welt bestimmt? Erzählte Welten sind ja nicht ‚wirklich‘ und können im Grunde nicht vollständig erzählt werden. Neben den expliziten Aussagen gibt es auch implizite Aussagen sowie Leerstellen. 369 Die Leerstellen werden vom realen Leser entsprechend seines jeweiligen Weltwissens ausgefüllt – und dieses Weltwissen kann auch nicht bei der Interpretation fiktionaler Texte ausgeblendet werden. Bei dem eindeutig fiktionalen Satz „Babar, der König der Elefanten, ging in ein Restaurant“ ist es laut Ryan plausibel, daraus für die erzählte Welt zu schließen, dass Babar hungrig ist und in ein Restaurant geht, um zu essen.370 Andere Interpretationen wären falsch (!), sofern sie nicht anderweitig im Text angedeutet sind. 371 Dies nennt Ryan etwas unglücklich das „Prinzip der geringsten Abweichung“, 372 womit eigentlich nur gemeint ist, dass das Weltwissen (in der Terminologie des cognitive turn: die frames und scripts) des Lesers der Maßstab der Interpretation sein muss. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Anwendung des Weltwissens durch andere Aussagen im Text oder durch die Gattung beeinflusst werden kann.373 Im Sinne des cultural/historical turn wäre zu ergänzen, dass nicht jeder Leser das gleiche Weltwissen besitzt und dass das Weltwissen zuvor historisch-philologisch aufbereitet werden müsste (vgl. dazu 2.1.3.1 und 2.1.3.2). Der historische Aspekt stand für die Narratologie bis in die 1990gorien zur semantischen Beschreibung narrativer Modalitäten bereitstellt. Durch die Einbeziehung des Wirklichkeitsbezugs und des Inhaltsaspekts literar[ischer] Texte legt die PWT darüber hinaus die Grundlage für eine lit[eratur]theoretische Neuorientierung bezüglich Fragen der Referenz, Ontologie und Repräsentation“; ähnlich S URKAMP, Narratologie und possible-worlds theory, 180. Vgl. auch D ANNENBERG, Entwicklung, 62f. 369 DOLEŽEL, Heterocosmica, 169–184; zur Unvollständigkeit fiktionaler Welten und Entitäten auch R ONEN, Possible Worlds, 108–143. 370 RYAN, Possible Worlds, 52. Aus streng strukturalistischer Perspektive hatte man Schlussfolgerungen innerhalb der erzählten Welt aufgrund ihres fiktionalen Charakters abgelehnt, weswegen die klassische Narratologie wohl auch vor inhaltlicher Arbeit zurückschreckte. Vgl. das unterhaltsame Beispiel aus Don Quijote bei RYAN, ebd. (Quijote als ‚Textfundamentalist‘); ansatzweise M ARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 123–125. 371 Vgl. dazu RYAN, Art. Possible-worlds theory, 447. 372 RYAN, Possible Worlds, 48–60, bes. 51 („principle of minimal departure“); vgl. RYAN, Fiction, Non-Factuals; R YAN, Art. Possible-worlds theory, 447; ähnlich ist das „reality principle“ der Fiktionstheorie (dazu K ÖPPE, Literatur und Erkenntnis, 68–74). Ryans Postulat einer eigenen, quasi-autonomen ‚textual reference world‘, an der die TAW gemessen wird (vgl. die Kritik von G UTENBERG, Mögliche Welten, 54f.), ist für diese Theorie nicht nötig, da sie – wie hier – auch kognitiv begründet werden kann. 373 Vgl. RYAN, Possible Worlds, 54–57 („minimal departure and intertextuality“).
112
2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
er hinein nicht im Vordergrund (auch bei Ryan noch nicht), da sie meist mit moderner Literatur arbeitet und sie sich lange Zeit nur auf formale Aspekte von Erzählungen konzentrierte. Nachdem Wissen und Intentionen der Figuren bestimmt sind, kann man einen „Handlungsplan“ zeichnen (vgl. Abb. 19)374. Die Kreise sind Kerne der Erzählung, sie werden bei Ryan nummeriert und jeweils in einer Legende erläutert. Bei einem Handlungskern gibt es mehrere Möglichkeiten, B
7
A 1
9 A
A 2
B
B
8
3
B
11
virtuelle Ereignisse 5
4 A 10
tatsächliche (berichtete) Handlungskerne
12
6
13 A
14
Abb. 19: Handlungsplan (plot map) nach M.-L. Ryan
Wissen von Figur A bzw. B Intention von Figur A bzw. B suggerierte mögliche Ereignisse
bestimmte Ereignisse sind dabei wahrscheinlicher als andere. 375 Die Aktualisierung einer der Möglichkeiten geschieht nach Ryan dadurch, dass eine der Figuren einen aktiven oder passiven move376 durchführt, also einen 374
Hier in modifizierter Fassung, vgl. R YAN, Embedded Narratives and Tellability, 334.337–340 und R YAN, Possible Worlds, 157.158–161 (Rabe und Fuchs; Aschenputtel); DANNENBERG, Entwicklung, 64; D ANNENBERG, Story and Character Patterning, 86.91 (Sense and Sensibility; Mansfield Park); BUSSE, Analyse der Handlung, 34. Zur besseren Übersichtlichkeit wurden nur die virtuellen Ereignisse bei Kern 4 eingezeichnet. 375 Vgl. die Handlungstriade von C. Bremond (Kap. 2.4.4). – Die Analyse der Handlungsverläufe ist in einer besonderen Weise bei interaktiven Erzählungen (Computerspiele, Romane mit mehreren Schlüssen, Improvisationstheater) relevant; vgl. für Computerspiele RYAN, Narrative as Virtual Reality; L EUBNER/SAUPE, Erzählungen, 263–268. 376 RYAN, Possible Worlds, 130–134; ähnlich bereits E CO, Role of the Reader, 155– 161; vgl. DANNENBERG, Entwicklung, 53.55. Während grundsätzlich jedes Ereignis zu einer Zustandsveränderung in der erzählten Welt führt (R YAN, Possible Worlds, 124– 128), sind moves speziell die intentionalen Aktionen oder Nicht-Aktionen einer Figur bei Handlungskernen. – Um Züge zu beurteilen, muss man sechs Zustände betrachten: 1) die aktuelle Situation, 2) die von einer Figur gewünschte(n) Situation(en), 3) die möglichen Zustände, die nach Meinung der Figur ohne ihr Handeln eintreten werden (z.B. Züge anderer Figuren), und deren jeweilige Wahrscheinlichkeit, 4) die möglichen Zustände, die nach Meinung der Figur jeweils aufgrund einer eigenen Handlung eintreten werden, und deren Wahrscheinlichkeit, 5) die Zustände, die aus Sicht der Textwelt eintreten können, und deren Wahrscheinlichkeit, 6) die Situation, die dann tatsächlich eintritt (hier erweitert gegenüber R YAN, Possible Worlds, 130–134, dort in aktive und passive moves aufgegliedert). Je gravierender sich der Unterschied zwischen den Zuständen aus Sicht der Figur darstellt und je unwahrscheinlicher die gewünschte Situation trotz eines move ist, desto größer ist das Risiko des Spielzugs. Ein hohes Handlungsrisiko beeinflusst die
2.4 Handlungsanalyse
113
Spielzug. Die Figuren streben danach, ihre Intentionen umzusetzen, wollen ihre Konflikte lösen, geraten aber durch Geschehnisse oder eigene und fremde Aktionen möglicherweise in neue Konflikte. Der Handlungsplan fungiert hier als Spielplan, auf dem die Figuren ihre Züge ausführen. Mithilfe des Handlungsplans kann man auch die Erwartungen des Lesers sowie deren Erfüllung oder Enttäuschung beschreiben. 377 Für eine Analyse der Erwartungen müsste möglichst genau ermittelt werden, welche Wahrscheinlichkeit der Leser jedem möglichen zukünftigen Handlungsverlauf anhand seines Wissens über die Figuren und Umstände an einem bestimmten Punkt der Erzählung beimisst. 378 Ryan stellt heraus, dass erst dann eine erzählenswerte Handlung entsteht, wenn Wissen, Pflichten, Wünsche und Intentionen der Text- und Figurenwelten nicht in Übereinstimmung sind. Diese fehlende Übereinstimmung wird als Konflikt (im weitesten Sinn) definiert. Je größer die Unterschiede sind und je mehr Konflikte eine Erzählung enthält, desto höher ist die Erzählbarkeit (tellability) der Geschichte. 379 Die Handlung Spannung des Lesers, besonders bei ‚nahen‘ Figuren (Kap. 2.7.1). Zur Präzisierung des jeweiligen Handlungsrisikos könnten Forschungen aus der Spieltheorie (z.B. RIECK, Spieltheorie; HOLLER/ILLING , Spieltheorie; F UDENBERG/TIROLE, Game Theory) herangezogen werden und die Narratologie an einem wichtigen Punkt bereichern. 377 Ähnlich ECO, Lector, 145–148. Auch P OWELL, Narrative Criticism, 44 thematisiert das Nachdenken des Lesers über die Spielzüge der Figuren: „We wonder what we would have done if we had been in the character’s place: How would we have resolved the conflict and what might have happened as a result?“ 378 Von der Lesererwartung zu unterscheiden ist die Frage nach der kausalen Verknüpfung der Ereignisse, da fehlende Informationen nachgeliefert werden können und dann ursprünglich unerwartete Ereignisse trotzdem kausal verbunden scheinen. Zur kausalen Verknüpfung vgl. P OWELL, Narrative Criticism, 40: „Causal relationships between events may be subdivided into categories of possibility, probability, and contingency. ...“ Im ersten Fall macht das frühere Ereignis das spätere möglich, im zweiten wahrscheinlich, und nur im dritten Fall kann man von Verursachung sprechen. 379 Dazu RYAN, Possible Worlds, 148–162; G UTENBERG, Mögliche Welten, 86–88; DANNENBERG, Entwicklung, 65; B ARONI, Tellability; R YAN, Art. Tellability; kritisch zum Konzept (m.E. zu Unrecht) C HATMAN, Contextualist Narratology, 320–326. – Mit der Erzählbarkeit eng verwandt ist das hybride Konzept der Narrativität, die auch als ein Maß gilt, wie sehr etwas als Erzählung angesehen werden kann. (M.E. ist die Narrativität aber nicht zur Definition von „Erzählung“ [2.1.1] geeignet, weil sie keine formale, sondern eine rezipientenorientierte Mischkategorie ist.) Eine lebensnahe, ereignisreiche, außergewöhnliche, verständliche, pointierte und wohlgeformte Erzählung besitzt eine hohe Narrativität (PRINCE, Revisiting Narrativity; S TURGESS, Narrativity; PRINCE, Narrativehood, 23: „narratability“; besonders G UTENBERG, Mögliche Welten, 77–88; vgl. jetzt die Übersicht über die verschiedenen Verständnisse bei A BBOTT, Narrativity). Diese vagen Überlegungen zur ‚Interessantheit‘ einer Erzählung sind noch nicht ausgereift genug, um sie hier aufzugreifen und als Methode zu formulieren. P RINCE, Revisiting Narrativity, 50 hofft auf empirische Studien und meint: „it seems to me that further study of narrativity constitutes perhaps the most significant task of narratology today“. Vgl.
114
2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
einer Erzählung besteht demnach wesentlich in der Entstehung und Auflösung verschiedener Konflikte, von denen sie ihre Dynamik erhält. 380 Auf Ryan aufbauend, bietet die heutige Narratologie die Theorie für eine genauere Konfliktanalyse: a) Für eine Konflikttypologie 381 kann die Unterscheidung von Wissenswelt, Pflichtenwelt und Wunschwelt der Figuren als Grundlage dienen (s. Tab. 20). b) Konfliktverlauf: Während der Erzählung kann sich die Konfliktkonstellation ändern. In Erzählungen gehen verschiedene Konflikte ineinander über, oft bedeutet die Auflösung des einen Konflikts die Schaffung eines neuen, z.B. beim Ödipusmythos. 382 c) Wichtigkeit des Konflikts: Hinsichtlich der Bedeutung des Konflikts für die Handlung kann man die Konflikte einer Erzählung häufig in einen Hauptkonflikt und Nebenkonflikte einteilen, wobei die Konflikte verschiedenen Konflikttypen angehören können. d) Kenntnis des Konflikts: Je nachdem, ob der Figur ein Konflikt bewusst ist, in dem sie steht, unterscheidet Ryan objektive und subjektive Konflikte383. Ein objektiver Konflikt liegt vor, wenn es einen Konflikt gibt und die Figur ihn erkennt; ein subjektiver Konflikt liegt vor, wenn kein weiterführend, doch nicht spezifisch narratologisch, VON HEYDEBRAND/WINKO, Wertung; WORTHMANN, Literarische Wertungen. 380 Der Konflikt entspricht dem Zustand der Instabilität im „homöostatischen narrativen Zyklus“: 1. Zustand der Stabilität, 2. Destabilisierung, 3. Zustand der Instabilität, 4. Stabilisierung, 5. Zustand der Stabilität, usw. (K OCH, Biology of the Theatre, 75; dazu BUSSE, Analyse der Handlung, 40f.; vgl. NEUMANN/NÜNNING, Narrative Fiction, 47 zum Vierphasenmodell von C. Bremond). Kochs Modell zeigt zwar eine gemeinsame Struktur in verschiedenen Wissenschaften auf, aber für die Textanalyse sollte die jeweils konkretere Theorie verwendet werden. Vergleichbar ist K AFALENOS, Functions after Propp, die zwischen den equilibrium-Zuständen am Anfang und am Ende mehrere Teilschritte erkennt. – Sehr verwandt mit der Konfliktanalyse ist auch J. Lotmans Theorie der Grenzüberschreitung (L OTMAN, Struktur, 329–347; vgl. 2.3.3), wonach die Figur einer ‚Grenze‘ (im weitesten Sinn) gegenübersteht. Diese Grenze erzeugt einen Konflikt. 381 RYAN, Possible Worlds, 121f.; D ANNENBERG, Entwicklung, 64; G UTENBERG, Mögliche Welten, 65–68; E HLERS, Studienbuch, 12; hier weitgehend nach B USSE, Analyse der Handlung, 36. Nicht auf Ryan basierend, aber durchdacht ist A SMUTH, Dramenanalyse, 141–149; wiederum deutlich anders E DER, Figur im Film, 448–455. Eine etwas einfachere, auf Evangelientexte bezogene Einteilung findet sich bei R ESSEGUIE, Narrative Criticism, 201f. (conflicts with other characters, with nature, with the supernatural, with society, within the desires and values u.a.); vgl. auch POWELL, Narrative Criticism, 42– 44. Zu weiteren Konflikttypologien und Stufen eines Konflikts vgl. D OLEŽEL, Heterocosmica, 105–110. 382 Vgl. dazu RYAN, Possible Worlds, 123. 383 RYAN, Possible Worlds, 122f. Zu weiteren Konfliktbezeichnungen (echter, naheliegender, verlagerter, falsch zugeordneter, latenter, falscher Konflikt) vgl. G UTENBERG, Mögliche Welten, 67f. im Anschluss an D EUTSCH, Konfliktregelung, 19–22.
115
2.4 Handlungsanalyse Tab. 20: Konflikttypologie Grundkategorie
Konflikttyp
Bezeichnung384
Erklärung, Beispiele385
1. Konflikt zwischen Textwelt und Figurenwelt
K1 Konflikt zwischen Textwelt und Wünschen einer Figur K2 Konflikt zwischen Textwelt und den Pflichten einer Figur K3 Konflikt zwischen Textwelt und dem Wissen einer Figur
unerfüllter Wunsch
Figur möchte etwas erreichen (z.B. social quest, spiritual quest) Figur muss etwas erreichen (z.B. lonesome hero plot)
2. Konflikt K4 Konflikt einer Figur zwischen zwischen Pflichten und zwei Welten Wünschen einer Figur K5 Konflikt einer Figur zwischen Wissen und Wünschen 3. Konflikt innerhalb einer Figurenwelt
K6 Konflikt innerhalb der Wunschwelt der Figur K7 Konflikt innerhalb der Pflichtenwelt der Figur
4. Konflikt K8 Konflikt zwischen zwischen Welt von Figur A und den Welten Figur B zweier Figuren
unerfüllte Pflicht fehlendes Wissen
Figur irrt sich (Tragödie), Figur weiß etwas nicht (Kriminalgeschichte, Mystery, Bildungsroman), Figur täuscht sich (Komödie, Spionagegeschichte)
Moralkonflikt
Figur will etwas, was sie nicht darf (z.B. courtship plot: Liebesheirat vs. Konvenienzehe)
Realitätskonflikt
Figur wünscht sich etwas, obwohl sie etwas anderes für wahr hält
Wunschkonflikt Gewissenskonflikt
Figur hat widersprüchliche Wünsche Figur unterliegt widersprüchlichen Pflichten
Parteienkonflikt
Figur hat andere Figuren als Widersacher (z.B. MutterTochter-Plot)
384 Eigene Vorschläge. Gebräuchlich sind bisher die Begriffspaare äußerer Konflikt (hier K8) vs. innerer Konflikt (hier K4–K7) sowie Urteilskonflikt (eine Person muss sich zwischen zwei Wertobjekten entscheiden, hier K4–K7) vs. Parteienkonflikt (zwei Parteien streiten sich um ein Wertobjekt, hier K8), vgl. A SMUTH, Dramenanalyse, 142–144. Die narratologischen Überlegungen zur Beschreibung von (fiktionalen) Konflikten befinden sich noch im Anfangsstadium, könnten aber auf eine breite sozialwissenschaftliche Forschung zurückgreifen: DEUTSCH, Konfliktregelung; B ERKEL, Konflikttraining; R EGNET , Konflikte; G LASL, Konfliktmanagement; B ONACKER, Konflikttheorien. 385 Diese ‚Beispiele‘ sind vorsichtiger als die These von R YAN, Possible Worlds, 120: „Each type of conflict generates specific narrative themes, and a typology of narrative conflicts leads toward a typology of plots“. Für eine sinnvolle Handlungstypologie wären Konflikte nicht das einzige Kriterium, vgl. z.B. G UTENBERG, Mögliche Welten, 220f.
116
2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
Konflikt vorhanden ist, aber die Figur einen sieht. Man könnte den unerkannten Konflikt ergänzen, bei dem es einen Konflikt gibt, aber die Figur keinen sieht (darin liegt wiederum ein Konflikt). e) Die Anzahl und die Intensität der Konflikte verleihen der Erzählung eine mehr oder weniger große Konflikthaftigkeit.386 Zusammenfassend könnte man eine Konfliktkurve zeichnen387, allerdings sind bisher noch keine Kriterien für die Intensität literarischer Konflikte formuliert. 2.4.6 Handlungsstränge388 Manche Erzählungen haben keine einheitliche, durchgängige Handlung, sondern beinhalten mehrere Handlungsstränge (story lines). Zwar sind in fast jeder Erzählung bestimmte Szenen und Episoden weniger stark miteinander verknüpft als mit anderen, doch wird man erst bei einer sehr losen Verknüpfung von verschiedenen Handlungs,strängen‘ sprechen. Der Wechsel zwischen Handlungssträngen dient dazu, durch Abwechslung zu unterhalten, die Spannung zu intensivieren, etwas zu erläutern, Themen zu verstärken und zu verallgemeinern. 389 Für die Bestimmung der ‚Verknüpfungsstärke‘390 zwischen zwei Szenen oder Episoden haben sich einige Kriterien 391 herausgebildet, die man unterschiedlich gewichten und weiter differenzieren müsste: kausaler Handlungszusammenhang; Übereinstimmung bei den beteiligten Figuren, besonders bei Hauptfiguren; Übereinstimmungen bei Ort, Zeit und Gegenständen; Übereinstimmung in thematischen Bezügen; gleiche Erzählperspektive und Erzähltechnik. Je geringer die Verknüpfungsstärke zwischen Szenen oder Episoden ist (z.B. bei einem Wechsel des gesamten Figurenbestands), desto eher handelt es sich um einen eigenen Handlungsstrang. Bei nicht ganz so geringer Verknüpfungsstärke (z.B. fehlendem Handlungszusammenhang, aber denselben Figuren) könnte man von einem neu-
386
Zur Bezeichnung vgl. G UTENBERG, Mögliche Welten, 109. Vgl. in Ansätzen die Pyramide von G. Freytag (2.4.4). 388 Dazu LÄMMERT, Bauformen, 43–67; P FISTER, Drama, 286–294; G UTENBERG, Mögliche Welten, 143–146; B USSE, Analyse der Handlung, 43–48; knapp auch S CHWARZE , Ereignisse, 165; R IMMON-KENAN , Narrative Fiction, 16.23; D ANNENBERG , Entwicklung, 53; BAUER, Romantheorie, 150. Grundlegend zum Thema ist die inzwischen etwas ältere Untersuchung von N ISCHIK, Einsträngigkeit, die auch sehr um eine klare Terminologie bemüht ist (19–63). Zu biblischen Beispielen für miteinander verwobene Handlungsstränge vgl. SKA, Fathers, 11f. 389 Ausführlich PFISTER, Drama, 290–294; N ISCHIK, Einsträngigkeit, 176–185 (acht Funktionen); B USSE, Analyse der Handlung, 47f. 390 Eigener Begriff. 391 PFISTER, Drama, 289f. („Verknüpfungstechniken“); N ISCHIK, Einsträngigkeit, 66– 96; SCHWARZE, Ereignisse, 165. 387
117
2.4 Handlungsanalyse
en Handlungsfaden392 sprechen. Diejenigen Stellen der Handlung, an denen Handlungsstränge oder Handlungsfäden miteinander verknüpft werden, heißen dann Knotenpunkte.393 Darüber hinaus sind weitere Differenzierungen möglich: a) Hinsichtlich der Bedeutung der Handlungsstränge werden Haupthandlungen (main plots) und Nebenhandlungen (subplots) unterschieden. Als erste Differenzierungskriterien könnte man die jeweilige Erzählzeitdauer oder die erkennbare Funktionalisierung eines Handlungsstrangs heranziehen.394 Eine Nebenhandlung hat oft eine eigene Exposition und/ oder einen eigenen Schluss. b) Mögliche Schemata von Handlungssträngen sind Verkettung (enchainment), Einbettung (embedding) und Alternation395, was den Mustern ABC, ABA oder ABAB entspricht. 396 Wichtigkeit des Handlungsstrangs A
1
7
2 3
B
8
4 5
C
Kerne der Haupthandlung A Kerne der Nebenhandlungen B, C Knotenpunkt
6 Handlungsverlauf
Abb. 21: Konfiguration von Handlungssträngen
c) Auch die Handlung insgesamt wird je nach Konfiguration der Handlungsstränge unterschiedlich bezeichnet. Wenn es nur eine Haupthandlung gibt, spricht man von einer einsträngigen Handlung, ansonsten heißt sie mehrsträngig (multiple plot). Eine episodische Handlung liegt vor, wenn mehrere Handlungsstränge aneinandergereiht sind. 397 Die genaue Strangkonfiguration lässt sich grafisch darstellen (vgl. Abb. 21).398 392
Etwas undeutlich LÄMMERT, Bauformen, 44; vgl. N ISCHIK, Einsträngigkeit, 29f.60. Angelehnt an B AUER, Romantheorie, 150 (dort als Übersetzung des diffusen „plot point“, vgl. 152). Nach dieser Definition sind „Knotenpunkte“ nicht einfach wichtige Abschnitte der Handlung und auch nicht mit „Kernen“ zu verwechseln (den Stellen der Handlung, an denen sich Alternativen eröffnen; vgl. aber E GGER, Methodenlehre, 123). 394 PFISTER, Drama, 286f.; vgl. auch N ISCHIK, Einsträngigkeit, 57.60 („Haupt- und Nebenstrang“) und für den Film E DER, Dramaturgie, 43–45. 395 Vgl. NISCHIK, Einsträngigkeit, 167–175; R IMMON-KENAN, Narrative Fiction, 23; DANNENBERG, Entwicklung, 53; G UTENBERG, Mögliche Welten, 145f. Ähnlich auch MARGUERAT/BOURQUIN, Bible Stories, 52–55. 396 Handlungsstränge und Handlungsfäden beziehen sich hier auf dieselbe narrative Ebene, z.B. des primären Erzählers. Bei Eröffnung zusätzlicher narrativer Ebenen durch Figurenrede kann es zu weiteren Formen der Verschachtelung von ‚diegetischen‘ und ‚metadiegetischen‘ Handlungssträngen kommen. 397 BUSSE, Analyse der Handlung, 47; vgl. M ARGUERAT/BOURQUIN, Bible Stories, 55f.; SKA, Fathers, 17f. für ,episodic plot‘ vs. ,unified plot‘; ähnlich die Unterscheidung 393
118
2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
2.4.7 Handlungsenden (Anfang und Schluss) Anfang und Schluss haben eine besondere Bedeutung für eine Erzählung. Der menschliche Rezipient behält einen Erzählbeginn besonders gut im Gedächtnis und deutet auch die nachfolgende Geschichte im Licht seiner ersten Eindrücke. Ähnlich intensiv bleibt dem Rezipienten der Schluss der Erzählung in Erinnerung, der das Wahrgenommene dann abschließend interpretiert. Die Gedächtnisforschung spricht hier von seriellen Positionseffekten, und zwar einerseits vom Primäreffekt („primacy effect“), andererseits vom Rezenzeffekt („recency effect“) – Begriffe, die teilweise von der Narratologie aufgegriffen wurden. 399 Wie genau dieser Effekt zusammengesetzt ist und welche textuellen Faktoren ihn beeinflussen, ist auf narratologischer Seite noch nicht genügend erforscht. 1. Beim Erzählanfang400 werden drei Aspekte untersucht: sein Einsatzpunkt, seine Expositionalität und seine informative Funktion. von parataktischer und hypotaktischer Erzählstruktur (S KA, Fathers, 12); wertend dazu bereits Arist. Poet. 1451b, der die ejpeisodiwvdei~ muvqoi als die schlechtesten bezeichnet, weil sie unzusammenhängend seien. Erzählungen mit episodischer Handlung können gut abschnittsweise gelesen werden, z.B. Gullivers Reisen. Auch die vier Evangelien weisen eine weitgehend episodische Handlung auf (vgl. P OWELL, Narrative Criticism, 40), Mt 28 ist dagegen eher nicht episodisch. 398 Für sieben Kombinationsmöglichkeiten vgl. die Abbildung bei B USSE, Analyse der Handlung, 45. 399 Vgl. PERRY, Literary Dynamics, bes. 53–58 (grundlegend); S TERNBERG, Expositional Modes, 93–97; R IMMON-KENAN, Narrative Fiction, 120f.; zusammenfassend G UTENBERG , Mögliche Welten, 110f.; KRINGS, Analyse des Erzählanfangs, 163; P ARSONS, Reading a Beginning, 18–21; R ESSEGUIE, Revelation Unsealed, 26; P OPLUTZ, Erzählte Welt, 32f. HARNISCH, Gleichniserzählungen, 40f. meint dasselbe mit dem „Toppgewicht“ und „Achtergewicht“ eines Gleichnisses. Insgesamt ist die Analyse von Erzählanfang und -schluss noch ein Randthema in der Narratologie. Zum primacy effect bei Figuren GRABES , Wie aus Sätzen Personen werden, 414f.418–420 (1967!). Innerhalb der Kognitiven Psychologie vgl. z.B. C ASTRO, Art. Primacy and Recency Effects; E YSENCK, Psychology, 294. Es geht dort meist um das Behalten von Items in einer Liste. Ein Spezialfall ist das semantische Priming, vgl. D IETRICH, Psycholinguistik, 26. 400 Dazu SCHWARZE, Ereignisse, 160f.; KRINGS, Analyse von Erzählanfang, 164–171; EHLERS, Studienbuch, 142–144. Außerdem M ILLER (Hg.), Romananfänge; S AID, Beginnings; BROMBERT, Opening Signals; E RLEBACH, Romaneingang; N UTTALL , Openings; RETSCH, Paratext, 137–190; B ESSIÈRE (Hg.), Commencements; C HILDS, Reading Fiction; R ICHARDSON (Hg.), Narrative Dynamics, 249–271 (mit Abschnitten aus Said und Nuttall); vgl. jetzt auch H ARTMANN, Aller Anfang. Literaturüberblicke zu Erzählanfang und -schluss: BENNETT, Beginning and Ending; P HELAN, Beginnings and Endings; D RIEHORST/SCHLICHT, Textuale Grenzsignale; besonders H AUBRICHS, Kleine Bibliographie. – In der biblischen Exegese vgl. den Semeia-Band 52 „How Gospels Begin“ (darin bes. SMITH, Narrative Beginnings; P ARSONS, Reading a Beginning; P ARSONS, Bibliography; MALBON, Ending at the Beginning); M AYORDOMO MARÍN, Anfang, 203–205; E ISEN, Poetik, 141f.
119
2.4 Handlungsanalyse
a) Der „Einsatzpunkt“ des Erzählanfangs. Gewöhnlich unterteilt man den Erzählanfang danach, an welcher Stelle in der Geschichte die Erzählung einsetzt. Klassisch ist hier die dreifache Unterscheidung der Erzählanfänge ab ovo, in medias res oder in ultimas res, je nachdem, ob die Erzählung mit dem Anfang, in der Mitte oder gegen Ende der erzählten Handlung beginnt. Außerhalb der eigentlichen Geschichte steht das Vorwort.401 Eine solche Einteilung setzt voraus, dass die Erzählung eine einheitliche, geschlossene Handlung enthält. 402 b) Die Expositionalität eines Erzählanfangs. Unter Expositionalität versteht man das Maß, in welchem die für das Verständnis der Erzählung nötigen Informationen gleich zu Anfang mitgeteilt werden. Nach H. Bonheim kann eine Erzählung auf verschiedene Weisen beginnen, wobei die Expositionalität jeweils geringer ist (Abb. 22):403
statischer Erzählmodus
dynamischer Erzählmodus
Kommentar
im Präsens im Präteritum
Beschreibung
en bloc; raumbezogen verstreut; figurenbezogen
Bericht
zusammenfassend szenisch
Rede
mit referenzialisierten Pronomen mit referenzlosen Pronomen
hoch
Expositionalität
niedrig
Abb. 22: Expositionalität des Erzählanfangs 401
SCHWARZE, Ereignisse, 160; vgl. N EUMANN/NÜNNING, Narrative Fiction, 49–51; für Beispiele und eine Problematisierung des Modells (der Begriff in medias res wird z.T. auch für eine niedrige Expositionalität verwendet) s. K RINGS, Analyse des Erzählanfangs, 164–168. Ausführlich auch S TERNBERG, Expositional Modes, bes. 35–55; ERLEBACH, Romaneingang, 41f.45–77; R ÜHL, Art. Medias-in-res. 402 Zur Einheit der Handlung vgl. klassisch Arist. Poet. 1450b: „Wir haben festgestellt, daß die Tragödie die Nachahmung einer in sich geschlossenen und ganzen Handlung ist … Ein Ganzes ist, was Anfang, Mitte und Ende hat. Ein Anfang ist, was selbst nicht mit Notwendigkeit auf etwas anderes folgt, nach dem jedoch natürlicherweise etwas anderes eintritt oder entsteht. Ein Ende ist umgekehrt, was selbst natürlicherweise auf etwas anderes folgt, und zwar notwendigerweise oder in der Regel, während nach ihm nichts anderes mehr eintritt. …“ 403 Vgl. BONHEIM, Narrative Modes, 91–117, bes. 117; hier nach K RINGS, Analyse von Erzählanfang, 168–171. Die Unterteilung in Kommentar, Beschreibung usw. wird von Bonheim recht ausführlich erörtert (vgl. 18–90, bes. 18–36 zum ‚mode chopping‘), müsste aber hinsichtlich der Expositionalität noch genauer beschrieben werden. Eine andere formale Einteilung findet sich bei SMITH, Narrative Beginnings (preface, dramatic prologue, incipit und ,virtual preface‘). Vergleichbar mit Bonheim ist H ARWEG, Pronomina, 152–172 (dazu z.B. STANZEL, Theorie, 217f.; F LUDERNIK, Erzähltheorie, 55–57; KORTE, Schlußgebung, 36), der in einer eigenwilligen Anwendung der Terminologie von K. L. Pike zwischen „etischen“ und „emischen“ Textanfängen unterscheidet. Ein etischer
120
2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
Moderne Romane haben häufig eine niedrigere Expositionalität als ältere Erzählungen. Hier ist der Leser zunächst orientierungslos, weil er das Gesagte nicht einordnen kann, doch wird dadurch eine kurzfristige Mikrospannung aufgebaut und möglicherweise auch die Leserdistanz verringert. c) Die informative Funktion des Erzählanfangs. Außerdem könnte man auch inhaltlich untersuchen, welche Elemente der Erzählung wie eingeführt werden und ob bestimmte Orte, Figuren, Ereignisse und Themen durch die Anfangsstellung betont werden. 404 Hier wäre weitere Forschung zur Präzisierung der Analyse notwendig. 2. Erzählschlüsse405 sind ebenfalls in verschiedener Hinsicht beschreibbar: nach ihrer Geschlossenheit, ihrer Form, ihrem Inhalt, ihrer Erwartbarkeit und Leserwirkung. a) Geschlossenheit des Endes: Zur Kategorisierung von Erzählschlüssen verwendet man klassischerweise die Unterscheidung geschlossenes vs. offenes Ende.406 Bei genauerem Hinsehen handelt es sich nicht um zwei Alternativen, sondern um eine Skala, bei der das Maß an Geschlossenheit (closure) einer Erzählung von Kohärenz und Vollständigkeit der Handlung sowie der Stabilität des Endzustands abhängig ist. 407 Eine hohe closure Textanfang ist nach Harweg „sprachextern“ dominiert und u.a. durch referenzlose Pronomina gekennzeichnet, das entspräche also niedriger Expositionalität. 404 Angelehnt an MALBON, Ending at the Beginning, 178–181. 405 Dazu ABBOTT, Art. Closure; S URKAMP, Art. Schlussgebung, Techniken der; LÄMMERT, Bauformen, 154–163 (als Desiderat); R ICŒUR, Zeit II, 35–44; SCHWARZE, Ereignisse, 160f.; A BBOTT, Introduction, 52–60; G UTENBERG, Mögliche Welten, 111f.; KRINGS, Analyse von Erzählanfang, 171–178. Ausführlich K ERMODE, Sense (philosophisch); RICHTER, Fable’s End; WELSH (Hg.), Narrative Endings; K ORTE, Schlußgebung; BONHEIM, Narrative Modes, 118–164; M ILLER, Narrative; TORGOVNICK, Closure; GERLACH, Toward the End; B ECK , Romanenden (eine Sammlung); R ICHARDSON (Hg.), Narrative Dynamics, 272–328 (mit Abschnitten aus Miller u.a.); KRINGS, Typologie (wichtig); HASUBEK, Finis coronat opus; H AARKÖTTER, Nicht-endende Enden. Für die Lyrik vgl. SMITH, Poetic Closure; im Film C HRISTEN, Das Ende im Spielfilm; C HRISTEN, Happy Endings; auf antike Literatur angewendet R OBERTS/FOWLER/DUNN (Hgg.), Classical Closure; in der biblischen Exegese vgl. C ROUCH, Death and Closure, bes. 25–38. 406 S. z.B. SCHWARZE, Ereignisse, 160f. Ausgehend von Arist. Poet. 1450b galt das geschlossene Ende bis in das 19. Jh. hinein als Ideal. – Zum offenen Schluss und literaturwissenschaftlich ausgerichtet vgl. zu Mk 16 P ETERSEN, When is the End; BOOMERSHINE/B ARTHOLOMEW, Narrative Technique; M AGNESS, Sense and Absence; MERK LEIN, Mk 16,1–8; D ANOVE, End, 203–222; H ESTER , Dramatic Inclusion; H ECKEL , Evangelium, 48–51; B ÖHM, Wo Markus aufhörte; F OCANT, Finale Suspendue; zu Lk 24 PUIG I TÀRRECH, Finale de Luc; zu Joh 20–21 S EVRIN, Deux finales; zu Act 28 L EHNERT, Provokation, 262–272; E ISEN, Poetik, 203–205; vergleichend A LETTI, Finales des récits évangéliques. 407 Zur closure SMITH, Poetic Closure, bes. 2.36 (klassisch); T ORGOVNICK, Closure; KORTE, Schlußgebung, 6.35 (bei ihr mit „Abschlusswirkung“ übersetzt); C ROUCH, Death and Closure, 25f.; vgl. B ONHEIM, Narrative Modes, 134. Differenzierend mit zahlreichen
2.4 Handlungsanalyse
121
wird z.B. durch den Tod der Hauptfigur erreicht. Mt 28 ist dann aufgrund der Auferstehung Jesu und der externen Analepse in Mt 28,16–20 als ein eher offenes Ende anzusehen. b) Form des Endes: Form und Inhalt der Schlussgebung könnten jeweils genauer beschrieben werden, was letztlich auch dazu dient, die Höhe der closure zu bestimmen.408 Bezüglich der Form ist zu prüfen, ob und welche sprachlichen Parallelen zwischen Anfang und Ende der Erzählung existieren; es kann der mögliche Wechsel der Erzähldauer, der Fokalisierung, des Erzählmodus oder des Stils untersucht werden, welcher die Schlusssequenz vom übrigen Text (Residualtext) abgrenzt (z.B. Zeitraffung oder ‚Panoramablick‘), und besonders auch die rhetorische Gestaltung des Schlusssatzes. c) Inhalt des Endes: Bezogen auf die inhaltlichen Aspekte des Erzählschlusses kann man analysieren, welches Schicksal den Hauptfiguren widerfährt (glückliches409 vs. trauriges Ende) und ob dieses Schicksal stabil ist, ob und wie der Grundkonflikt gelöst wird, ob es einen Erkenntnisgewinn oder eine Pointe gibt und welche Parallelen von Anfang und Ende bei der Handlung, den Figuren oder dem Setting zu beobachten sind. d) Erwartbarkeit des Endes: Der Rezipient besitzt aufgrund gattungsspezifischen Vorwissens und seiner bisherigen Lektüre eine mehr oder weniger bestimmte Erwartung, wie die Erzählung ausgeht. In diesem Sinn kann man ein erwartetes und ein überraschendes Ende unterscheiden.410 Beispielen auch H ASUBEK, Finis coronat opus, bes. 143–248. Interessant ist die Studie von KORTE, Schlußgebung, die durch historisch-systematische Beobachtung verschiedene Gestaltungsmittel identifiziert, welche vermutlich zu einer hohen oder niedrigen closure beitragen (explizite Kennzeichnungen, bes. im 18./19. Jh.; Tod/Heirat – im 19. Jh. enden 70% der englischsprachigen und 50% der deutschsprachigen Romane mit einer Heirat [86]; Erreichen der Erzählgegenwart u.a.). Allerdings erhärtet sie ihre Thesen über die Abschlusswirkung nicht durch empirische Rezeptionsforschung. Hilfreich wäre es hier, zwischen der closure (Geschlossenheit) des Textes und dem Eindruck, der aufgrund der Geschlossenheit beim Leser entsteht, zu unterscheiden. Die Größe „Geschlossenheit“ ist mit der Expositionalität vergleichbar, beide bezeichnen jeweils die „Vermitteltheit“ (vgl. DRIEHORST/SCHLICHT, Textuale Grenzsignale, 259–262) von Anfang und Schluss. 408 Die hier unter „Form“ und „Inhalt“ beschriebenen Analysekategorien sind angelehnt an KRINGS, Typologie, 23–45; überarbeitet bei K RINGS, Analyse von Erzählanfang, 172–177, dort in Geschichte, Tiefendiskurs und Oberflächendiskurs bzw. story- und discourse-Ebene gegliedert. K RINGS, Typologie, liefert im Wesentlichen eine statistische Analyse von 170 Erzählschlüssen englischsprachiger Kurzgeschichten. Sie bestimmt den Anteil der Schlussmerkmale (z.B. 50 % rhetorische Figur, 44,4 % Wechsel der Erzähldauer, 38,1 % geschlossen durch das Schicksal der Hauptfiguren; vgl. 195) sowie auffällige Merkmalshäufungen (48–52) und differenziert auch nach Epochen. Ihre Kategorien könnte man sicher ebenso für die genaue Untersuchung eines Einzeltextes verwenden. 409 Vgl. die narrative Dimension des Happy Ends bei C HRISTEN, Happy Endings, 192. 410 SCHWARZE, Ereignisse, 161. In Wirklichkeit handelt es sich auch hier wie bei der closure nicht um zwei Alternativen, sondern um verschiedene Grade der Erwartbarkeit.
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
Kommt das Ende aber inhaltlich zu überraschend, wirkt es konstruiert und unglaubwürdig.411 Erzähltechnisch gesehen ist es für das MtEv daher sinnvoll, dass der sonst nichts ahnende Rezipient durch die Auferstehungsansagen Jesu auf den Matthäusschluss vorbereitet wird. e) Rezeptionswirkung des Endes: Die Art des Schlusses entscheidet über die Rezeptionswirkung. Ein eher geschlossenes Ende befriedigt den Rezipienten und gibt ihm am Ende ein – meist gutes – Gefühl (affektiv), weil der Konflikt gelöst ist; ein eher offenes Ende regt ihn zum Weiterdenken und ggf. zum Handeln an (kognitiv-behaviorale Wirkung). Auch die finalen Rezeptionsemotionen lassen sich kategorisieren (als glücklich412 bzw. traurig empfundenes Ende).413 2.4.8 Methode der Analyse 414 1. Handlungselemente: Aus welchen Einzelereignissen ist die Handlung zusammengesetzt? Wo liegen dynamische Aussagen (Ereignisse), wo statische Aussagen (Beschreibungen) vor? Wie handlungsbetont ist die Erzählung in ihrem Verlauf (Handlungsdichte)? Welche Handlungsphasen und Handlungssequenzen lassen sich abgrenzen? – Sammeln Sie die Skripts, die zur Vorstellung der Handlung nötig sind. D.h. stellen Sie zunächst die entsprechenden Fragen: Wie geschieht etwas? Was geschieht wonach? Was geschieht dazwischen? Was geschieht warum? Beantworten Sie diese Fragen anschließend historisch. 2. Wichtigkeit der Handlungselemente: Welches sind die wichtigsten Ereignisse (Handlungs‘kerne‘), welche die ‚Satelliten‘? Wie hoch ist der Anteil der Kerne (Handlungsintensität)? Wo kommen außerdem handlungsrelevante Indizien vor? Fassen Sie die Handlung anhand der Kernereignisse zusammen.
Zum überraschenden Ende vgl. weiterführend W ENZEL, Struktur des Witzes; M ÜLLER, Theorie der Pointe. 411 CHRISTEN, Happy Endings, 193. 412 Vgl. die Zuschauerdimension des Happy Ends bei C HRISTEN, Happy Endings, 192. Nach Christen müssen für ein Happy End sowohl die Hauptfiguren als auch der Zuschauer das Ende als glücklich bewerten. Das Verhältnis zwischen dem Schicksal sympathischer oder unsympathischer Hauptfiguren (glücklich/unglücklich) und der Emotion des Rezipienten (glücklich/unglücklich) kann jedoch verschiedene Konstellationen annehmen und durch erzähltechnische Mittel beeinflusst werden. Bisher existiert für all das nur der unscharfe Terminus „Happy End“. 413 Zur Analyse der Rezeptionsemotionen vgl. genauer Kap. 2.7.5. 414 Eine Methode der Handlungsanalyse bzw. erste Ansätze dazu bieten auch P OWELL , Narrative Criticism, 103f.; M ARGUERAT/BOURQUIN, Bible Stories, 151; U TZSCHNEIDER/ N ITSCHE, Arbeitsbuch, 184f.; R HOADS/DEWEY/MICHIE, Mark, 156f.; BUSSE, Analyse der Handlung, 49; R ESSEGUIE, Narrative Criticism, 243f.; L AHN/MEISTER, Erzähltextanalyse, 230f.; EHLERS, Studienbuch, 46.
2.4 Handlungsanalyse
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3. Handlungsdarstellung:415 a) Reihenfolge: Wo liegen Analepsen, wo liegen Prolepsen vor? Sind die Anachronien objektiv/subjektiv, intern/extern/gemischt, komplett/partiell, homodiegetisch/heterodiegetisch, kompletiv/repetitiv bzw. explizit/oblique? Wie zukunftsgewiss sind die Prolepsen? Welche Funktion haben die Analepsen und Prolepsen für die Erzählung? b) Geschwindigkeit: Wie hoch die Erzählgeschwindigkeit (Ellipse, Zeitraffung, Szene, Zeitdehnung, Pause) und wie verändert sie sich im Lauf der Erzählung? c) Frequenz: Werden bestimmte Abschnitte der Handlung mehrfach, z.B. aus verschiedener Perspektive, wiedergegeben (singulative, repetitive, multi-singulative oder iterative Erzählung)? Welche Ereignisse werden ausführlich erzählt, welche knapp, welche werden nur angedeutet oder gar nicht berichtet? 4. Handlungsmuster und Handlungsstrukturen: a) Fassen Sie mehrere Ereignisse jeweils zu einer Handlungsfunktion zusammen, ggf. im Vergleich mit verwandten Texten. Lässt sich in der Abfolge der Handlungsfunktionen ein bestimmtes Schema erkennen? Wie ist das Handlungsschema kulturell und historisch einzuordnen? Weicht diese Handlung vom typischen Handlungsmuster ab? b) Wie lässt sich die Handlung in die fünf Phasen Einleitung, Steigerung, Höhepunkt, Fall/Umkehr und Katastrophe/Schluss unterteilen? Bestimmen Sie das erregende Moment, das tragische Moment und das Moment der letzten Spannung. Weist die Handlung eine besondere (z.B. symmetrische) Struktur auf? c) Was ist das Hauptthema der Handlung: Verändert sich im Laufe der Handlung primär die äußere Situation, das Wissen oder der Charakter der Figur(en)? Werden dadurch die Hauptkonflikte gelöst? An welcher Stelle findet der Umschwung statt? Worin genau besteht die Peripetie (Veränderung der äußeren Situation) oder die Anagnorisis (Hauptfigur erkennt etwas Wichtiges)?416 5. Handlungsverläufe:417 Untersuchen Sie nacheinander die Handlungskerne der Erzählung, bei denen die Erzählung in unterschiedliche Richtungen weiterlaufen könnte. Zeichnen Sie dazu einen Handlungsplan, der auch alternative und von den Figuren intendierte Handlungsverläufe enthält (ähnlich einem Spielbrett, für jedes Ereignis einen Kreis). Bestimmen Sie dann zu jedem Handlungskern, welche weiteren Handlungsverläufe der Rezipient angesichts seines bisherigen Wissens über die Figuren und die Umwelt für wie wahrscheinlich hält. Kann der Rezipient erraten, was als nächstes geschieht? Wie hoch ist seiner Meinung nach das Handlungsrisi415 Vgl. die Methode bei M ARSDEN, Analyse der Zeit, 109f.; S CHUTTE, Literaturinterpretation, 147. 416 Vgl. zu c) die Fragen bei R ESSEGUIE, Narrative Criticism, 243f. 417 Vgl. ansatzweise die Liste mit Fragestellungen bei G UTENBERG, Mögliche Welten, 68f. zur Anwendung der Possible-Worlds-Theorie.
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
ko einer Figur? Werden die jeweiligen Erwartungen des Rezipienten durch den weiteren Handlungsverlauf bestätigt oder zunichte gemacht? Insgesamt: Welche Figur bestimmt den Handlungsverlauf, direkt oder indirekt? Wo finden intendierte und tatsächliche Handlungsverläufe wieder zusammen, d.h. geschieht nach Umwegen doch das Ereignis, das sich eine Figur wünscht? 6. Konflikte:418 Wie ,erzählbar‘ ist die Handlung, d.h. werden Konflikte geschaffen und aufgelöst? Welcher Art sind die Konflikte der Erzählung (Konflikt zwischen Textwelt und Figurenwelt [Wünsche, Pflicht oder Wissen], zwischen zwei Welten einer Figur [Wünsche vs. Pflicht, Wissen vs. Pflicht], innerhalb einer Figurenwelt, zwischen den Welten zweier Figuren)? Ist der Figur ihr Konflikt bewusst (objektiver, subjektiver, unerkannter Konflikt)? Durch welche Ereignisse entstehen und enden die Konflikte? Wie ist der Konfliktverlauf, wie ändert sich die Konfliktkonstellation? Welches sind die Hauptkonflikte, welches die Nebenkonflikte? An welcher Stelle der Handlung sind die Konflikte am stärksten? 7. Handlungsstränge: Gibt es unterschiedliche Handlungsstränge mit verschiedenen Orten oder Figuren? Welchen Handlungssträngen und -fäden sind die einzelnen Szenen zuzuordnen? Erfüllen die Handlungsstränge verschiedene Funktionen? Welcher Handlungsstrang konstituiert die Haupthandlung, welche gehören zur Nebenhandlung? Auf welche Weise und wie stark sind die Szenen miteinander verknüpft? Nach welchem Schema folgen die Handlungsstränge aufeinander (Verkettung, Einbettung, Alternation)? Ist die Handlung insgesamt also einsträngig, mehrsträngig oder episodisch? 8. Handlungsenden: Beschreiben Sie Techniken und Funktion des Erzählanfangs und des Erzählschlusses. 419 a) Erzählanfang: Untersuchen Sie Form und Inhalt des Erzählanfangs. Werden bestimmte Inhalte durch die Anfangsstellung betont (primacy effect)? Wie hoch ist die Expositionalität der Erzählung, d.h. wird der Rezipient mitten ins Geschehen geworfen oder langsam eingeführt? Beginnt die Erzählung ab ovo, in medias res oder in ultimas res, bezogen auf die erzählte Handlung? b) Erzählschluss: Untersuchen Sie Form und Inhalt der Schlussgebung. Inwiefern geschieht die Schlussgebung auf der Ebene der story (Schicksal der Hauptfiguren, Lösung des Grundkonflikts, Erkenntnisgewinn, Pointe, Parallelen von Anfang und Ende) oder des discourse (Parallelen von Anfang und Ende, Markierung der Schlusssequenz durch Wechsel der Erzähldauer, der Perspektive oder des Stils, Hervorhebung des Schlusssatzes)? Werden bestimmte Inhalte durch die Schlussstellung betont (recency effect)? Wie hoch ist die Geschlossenheit (closure) der Erzählung? Prüfen Sie, ob das geschlossene 418 419
Eine knappe Methode auch bei R HOADS/DEWEY/MICHIE, Mark, 152.157. Vgl. die Methode bei K RINGS, Analyse von Erzählanfang, 178f.
2.5 Figurenanalyse
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Ende (Lösung der Konflikte) den Rezipienten zufriedenstellt bzw. das offene Ende den Rezipienten zum Weiterdenken anregt. Ist das Ende erwartet, überraschend oder unglaubwürdig? Was sind die finalen Rezeptionsemotionen?
2.5 Figurenanalyse420 Zu einer Erzählung gehören immer Figuren421, die handeln oder an denen etwas geschieht. Solche Figuren müssen nicht unbedingt Menschen sein: Auch Tiere und Fabelwesen, personifizierte Gegenstände oder andere Entitäten (Gott, Heiliger Geist, Engel, Satan u.a.) 422 können in einer Erzählung als Figuren auftreten.423 Dabei sind Figuren nicht notwendig als Einzelpersonen zu verstehen, oft kommen auch Figurengruppen424 vor. 420 Literaturwissenschaftliche Einführungen: S CHOLES/KELLOGG, Nature, 160–206; PFISTER, Drama, 220–264; K AHRMANN/REISS/SCHLUCHTER, Erzähltextanalyse, 142–151; ASMUTH, Dramenanalyse, 85–101; L UDWIG, Figur; CHATMAN, Story, 107–138; R IMMONKENAN, Narrative Fiction, 29–42.59–70; B AL, Narratology, 114–132.195–208; S CHNEIDER , Roman-Analyse, 17–21; B ACHORZ, Analyse der Figuren; B ODE, Roman, 123–142; LEUBNER/SAUPE, Erzählungen, 56–59.62f.; ANZ, Textwelten, 122–126; M ARGOLIN, Character; LAHN/MEISTER, Erzähltextanalyse, 232–247; N EUMANN/NÜNNING, Narrative Fiction, 51–57; H ALLET, Literary Figures; JANNIDIS, Character; E HLERS, Studienbuch, 24– 31.154–159; M ARGOLIN, Art. Character. Ausführlicher KOCH, Literarische Menschendarstellung; SCHNEIDER, Grundriß, 5–170; C ULPEPER, Language; JANNIDIS, Figur; EDER, Figur im Film (grundlegend); H EIDBRINK/LESCHKE (Hgg.), Formen der Figur (ersch. 2010); EDER/JANNIDIS/SCHNEIDER (Hgg.), Characters (ersch. 2010). Weitere Lit. bei EISEN, Poetik, 131f. Anm. 334. – Exegetische Einführungen: A LTER, Art, 114–130; BERLIN, Poetics, 23–42; STERNBERG, Poetics, 321–341 (Proleptic Portraits); BAREFRAT, Bibel, 57–106; S KA, Fathers, 83–94; P OWELL, Narrative Criticism, 51–67; MAL BON (Hg.), Characterization; RHOADS/S YREENI (Hgg.), Characterization; T OLMIE, Narratology, 39–62; M ARGUERAT/BOURQUIN, Bible Stories, 58–76; R ESSEGUIE, Narrative Criticism, 121–165; M ÜLLER, Prophet, 22–24 und 25–48 (Antike); E BNER/HEININGER, Exegese, 75–78 (Aktanten) und 86–90 (Charakterisierung); E ISEN, Poetik, 131–139; VETTE, Samuel, 26–37.68–74; C ORNILS, Geist Gottes, 53–76; POPLUTZ, Erzählte Welt, 60–74; B ENNEMA, Theory of Character. 421 Engl. character, frz. personnage. Im Deutschen ist der Begriff „Figur“ passender als „Charakter“ (vgl. dazu P FISTER, Drama, 221) und heute allgemein gebräuchlich. 422 Die himmlischen Figuren werden bei der Figurenanalyse der Evangelien oft zu Unrecht vernachlässigt, so z.B. bei K INGSBURY, Matthew as Story, 11–28. In Mt 28,2–7 tritt beispielsweise ein Engel auf. 423 Eine Figur ist diejenige „textuelle Einheit“, der innerhalb der erzählten Welt die Merkmale ‚lebendig‘, ‚aktionsfähig‘ und ggf. ‚kommunikationsfähig‘, ‚bewusstseinsfähig‘ und ,anthropomorph‘ zukommen (vgl. C ORNILS, Geist Gottes, 66). Diese Merkmale lassen sich wiederum auf einen einzigen Punkt reduzieren: Anhand von Beispielen zeigt JANNIDIS, Figur, 110–120, dass für die Kategorie „Figur“ die Möglichkeit intentionalen
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
Obwohl eine Erzählung nicht ohne Figuren auskommt und obwohl sich Romananalysen tatsächlich oft mit der Charakterisierung von Figuren beschäftigen, spielte in der Erzähltheorie die Untersuchung der Figuren lange eine untergeordnete Rolle. 425 Selbst das verbreitete Standardwerk von MARTÍNEZ/SCHEFFEL, Einführung in die Erzähltheorie, hat bisher keinen Abschnitt zur Figurenanalyse. Dies hängt mit der strukturalistischen Erzähltheorie zusammen, die eine Erzählung vor allem von der erzählten Handlung her betrachtet. Die handelnden Figuren werden hier zwar auf ihre Funktion für die Handlung hin analysiert, sind aber kein eigener Untersuchungsgegenstand. In der exegetischen Variante, dem Narrative Criticism, gehörte die Figurenanalyse dagegen von Anfang an zum methodischen Standardrepertoire. 426 Inzwischen scheint der klassische Streit, ob in einer Erzählung die Figur oder die Handlung am wichtigsten sei, weitgehend beigelegt: Die Analyse der Figuren wird zunehmend auch Gegenstand der literaturwissenschaftlichen Narratologie. 427 In einem ähnlich unfruchtbaren Gegensatz steckt das Figurenverständnis. Hier stehen sich das „mimetische“ oder realistische Figurenkonzept und die semiotische, strukturalistische Figurenauffassung gegenüber. Von Seiten der (strukturalistischen) Narratologie wurde oft gegen ein realistisches Figurenverständnis polemisiert, das die Figuren einer Erzählung wie reale Personen behandle und über nicht genannte Eigenschaften, Gefühle und Verhaltensweisen spekuliere; Figuren seien nichts weiter als bloße Textstrukturen.428 In verschiedenen Veröffentlichungen deutet sich aber Handelns eine besondere Rolle spielt. Diese Figur muss nicht unbedingt als handelnd dargestellt sein, sondern es ist ausreichend, „daß die Figur aufgrund ihrer Merkmale einer Klasse von Wesen zugeordnet wird, die im kulturellen Wissen als prinzipiell handlungsfähig angesehen werden“ (120). Vgl. auch E DER, Figur im Film, 63f. und die Übersicht 244 („Arten fiktiver Wesen“). 424 Vgl. PFISTER, Drama, 225; E ISEN, Poetik, 133. In den Evangelien können „das Volk“ oder „die Pharisäer“ daher als eine Figur behandelt werden. Wenn Einzelfiguren aus einer Gruppe heraustreten (Kranke aus dem Volk, die Jesus heilt; Nikodemus in Joh 3), unterstützen oder kontrastieren sie die Merkmale der Figurengruppe. Zu Besonderheiten bei der Analyse von Figurengruppen vgl. P OPLUTZ, Erzählte Welt, 131–135. 425 S. dazu LUDWIG, Figur, 106; CULPEPPER, Anatomy, 101; B ACHORZ, Analyse der Figuren, 51; E ISEN, Poetik, 131f.; P OPLUTZ, Erzählte Welt, 60 und besonders J ANNIDIS, Figur, 1–5. 426 Dies ist v.a. dem Abschnitt bei C HATMAN, Story, 107–138 geschuldet, der den angelsächsischen Narrative Criticism maßgeblich beeinflusste. Chatman argumentiert in einer forschungsgeschichtlichen Auseinandersetzung mit strukturalistischen Positionen für eine eigenständige Untersuchung der Figuren (111–119). Als exegetische Multiplikatoren wirkten dann besonders K INGSBURY, Matthew as Story, 9–28; R HOADS/DEWEY/M ICHIE, Mark, 98–136 [2. Aufl.]; C ULPEPPER, Anatomy, 101–148. 427 S. zuletzt JANNIDIS, Figur; EDER, Figur im Film. 428 Vgl. PFISTER, Drama, 221; so führe die Frage, wie sich Hamlet an der Stelle Othellos verhalten würde, „zur unkontrollierbaren Spekulation“. Zu diesem Problem auch
2.5 Figurenanalyse
127
eine Lösung an. Es wird vermittelnd festgehalten, dass die Figuren weder zur Ebene der geschichtlichen Wirklichkeit gehören (so der Vorwurf gegenüber dem realistischen Figurenverständnis) noch zur bloßen Textoberfläche (so das strukturalistische Figurenverständnis), sondern zur erzählten Welt.429 Die hier eingeführte dritte Größe der „erzählten Welt“ lässt sich im Sinne des Cognitive Turn (Kap. 2.1.3.1) genauer deuten: Die erzählte Welt existiert im Bewusstsein des Rezipienten, daher sind die Figuren als Teil der erzählten Welt dementsprechend „mentale Modelle“ (R. Schneider, F. Jannidis).430 Um ein solches „mentales Modell“ einer Figur zu konkretisieren, ergänzt der Leser die Figureninformationen im Text durch sein Weltwissen431 und sein Wissen über die erzählte Welt. 432 Dieser kogBACHORZ, Analyse der Figuren, 52–54; E ISEN, Poetik, 132f.; C ORNILS, Geist Gottes, 54– 58; historisch LUDWIG, Figur, 126–130 („Psychologismus und Apsychologismus in der Figurenbehandlung“); E DER, Figur im Film, 48f. u. 34 Anm. 25. 429 JANNIDIS, Figur, 169–177, der sich auf Überlegungen von U. Margolin stützt (s. zuletzt M ARGOLIN, Art. Character). Vgl. C ORNILS, Geist Gottes, 54–58 und bereits R IMMON-KENAN , Narrative Fiction, 33. Grundlegend ist hier die Dreiteilung discourse – story – history. Dementsprechend könnte eine Figur mindestens auf drei Ebenen untersucht werden: auf der Ebene der Darstellung (vgl. 2.5.5), als mentales Modell (rezeptionsbezogen, also ebenso die Schlussfolgerungen und Assoziationen des Rezipienten einschließend, vgl. 2.5.2) und zuletzt ggf. historisch (vgl. 2.2.2.2). Vgl. auch die Einteilungen von SYREENI, Peter, 112–116; S YREENI, Characterization, Ideology and History, 172–180 (character – symbol – person); von literaturwissenschaftlicher Seite ähnlich bereits PHELAN, Reading People, 1–14 (mimetic – thematic – synthetic; dazu J ANNIDIS, Figur, 228f.). Eine andere, vierfache Unterscheidung stellt E DER, Figur im Film, 122–143 vor (fiktives Wesen – Symbol – Symptom – Artefakt). Während die Figurendimension „fiktives Wesen“ die Figurenmerkmale und Figurenkonstellation betrifft (2.5.2, 2.5.3) und die „Artefakt“-Dimension die Figurendarstellung und Figurenkonzeption (2.5.5, 2.5.6), werden unter „Symbol“ und „Symptom“ auch Aspekte der Figurenrezeption (2.7) behandelt. 430 Dagegen sieht E DER, Figur im Film, 68f. eine Figur nicht nur als eine mentale Größe an, weil die Vorstellung einer Figur nicht die Figur selbst ist. Er betont die Intersubjektivität von Figurenvorstellungen und bezeichnet Figuren dementsprechend als „kommunikative Artefakte“, d.h. „abstrakte Gegenstände, die durch kommunikatives Handeln erschaffen werden und so zum Teil einer objektiven sozialen Wirklichkeit werden – ähnlich wie Zahlen, Gesetze, Theorien oder Geld.“ Er verweist zudem auf die „Welt 3“ nach K. Popper. Das ist philosophisch interessant, für die Analyse machen die Artefakt-Theorie bzw. Drei-Welten-Theorie jedoch keinen inhaltlichen Unterschied. 431 So weist z.B. HARTENSTEIN, Charakterisierung, 14.302 am Beispiel des JohEv nach, dass es (spezielles!) Vorwissen des Lesers über Figuren wie Petrus voraussetzt. 432 Sehr erhellend SCHNEIDER, Grundriß, 37–98 und im Anschluss daran J ANNIDIS, Figur, 177–185; B ACHORZ, Analyse der Figuren, 61–65. Ähnlich, aber weniger ausgefeilt auch CULPEPER, Language, bes. 35. Zur Konstruktivität von Figurenmerkmalen allgemein vgl. eindrücklich B ODE, Roman, 123f. – EDER, Figur im Film, 172 macht den Unterschied gegenüber bisherigen Auffassungen deutlich: „Diese rezeptionsbezogene Betrachtung der Figur weicht deutlich von textzentrierten Ansätzen aus der Literaturwissenschaft ab. Strukturalistische Theorien betrachten Figuren als Bündel stabiler Eigen-
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
nitive Vorgang wird Figurensynthese433 genannt. Man kann wohl davon ausgehen, dass sich auch ein Autor solcher Inferenzprozesse intuitiv bewusst ist.434 Ein realer Leser bleibt nicht bei den Strukturen der Textoberfläche stehen, sondern macht sich oft weiterführende Gedanken über die Figuren und ihre Motivierung. Daher ist es berechtigt, analog zur Personenwahrnehmung 435 z.B. bei bestimmten Handlungsweisen auch auf Meinungen oder Charaktermerkmale zu schließen, die nicht explizit genannt sind.436 Dies wird hier im Punkt 2.5.2 (Figurenmerkmale) und sowie im Abschnitt zur Analyse der Rezeption (Kap. 2.7) systematisch umgesetzt. Die Figurenanalyse gewinnt dadurch gegenüber der herkömmlichen strukturalistischen Auffassung an Tiefe. Die folgenden Beschreibungsaspekte sind eine Synthese aus den häufig lückenhaften Darstellungen der genannten narratologischen Veröffentlichungen. Abgesehen von der einflussreichen strukturalistischen Figurenanalyse bei Pfister fehlte bisher eine aktuelle Standard-Theorie, wie man die Figuren einer Erzählung beschreibt. Neuerdings ist das Grundlagenwerk von J. Eder, Die Figur im Film (2008), erschienen, das viele der hier beschriebenen Analysekategorien ausführlich behandelt und filmwissenschaftlich vertieft. 2.5.1 Figurenbestand und Figurenkonfiguration In jeder Szene gibt es einen bestimmten Figurenbestand.437 Dazu können auch die Figuren der besprochenen Welt gerechnet werden, weil auch Äußerungen anderer Figuren den Leser in der Meinung über eine Figur beeinflussen.438 Z.B. in Mt 28,1–8 kommt Jesus nur in der Rede des Engels vor, und dennoch ist es eine wichtige Szene für die Jesusfigur. schaften, die man beim Lesen oder Film-Sehen sozusagen nacheinander aufsammelt … Im Gegensatz dazu ist das Figurenmodell eher einem Gemälde vergleichbar, das sobald wie möglich in vollständiger Skizze entworfen und dann aus- und umgearbeitet wird.“ 433 Vgl. EDER, Figur im Film, 165 zum Begriff. 434 Vgl. SCHNEIDER, Grundriß, 154 mit Anm. 159; J ANNIDIS , Figur, 184. 435 Zur Untersuchung von Inferenzen bei der Personenwahrnehmung vgl. z.B. H ERKNER , Sozialpsychologie, 277–313; F ISCHER/W ISWEDE, Sozialpsychologie, 285–308 („Attributionstheorie“). 436 Gewisse Vorsicht ist angebracht, wenn Strukturvoraussetzungen der fiktionalen Welt nicht dem Wissen des Lesers über die aktuale Welt entsprechen (vgl. J ANNIDIS, Figur, 184). Dies kann besonders bei modernen Autoren vorkommen. Doch auch bei biblischen Erzählungen muss das Weltwissen des Rezipienten nicht mit unserem identisch sein, sondern sollte historisch (z.B. Weltbild, Psychologie) ermittelt werden. 437 Zum Figurenbestand vgl. P FISTER, Drama, 225f.; C ORNILS, Geist Gottes, 66f. 438 PFISTER, Drama, 226 rechnet die reinen backstage characters, die nur erwähnt werden und nie auftreten, nicht zum Figurenbestand, offenbar weil im Theater besonders das körperlich anwesende Personal im Blick ist. Diese Beschränkung leuchtet nicht ein. Auch die Figur des Godot in Becketts Warten auf Godot ist sinnvoll zu analysieren.
2.5 Figurenanalyse
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Oft sind in einer Szene nicht alle Figuren der Erzählung (= Figurenensemble439) anwesend, sondern nur eine Auswahl. Diesen Aspekt bezeichnet man als Figurenkonfiguration, d.h. „die Teilmenge des Personals, die jeweils zu einem bestimmten Punkt des Textverlaufs auf der Bühne präsent ist“.440 Für jede Art der Konfiguration sind Spezialbegriffe denkbar. 441 2.5.2 Figurenmerkmale 442 Die Rezipienten bilden mentale Modelle der Figuren443 in ähnlicher Weise, wie sie andere Personen im Alltag wahrnehmen. 444 Die Figurenmerkmale (character traits) setzen sich dabei aus den expliziten und impliziten Zuschreibungen des Rezipienten zu einer Figur zusammen. Eder betont: „Ein wesentlicher Reiz des Film-Sehens [und der Rezeption von Erzählungen überhaupt, SF] besteht darin, die Persönlichkeit der Figuren zu erschließen und ihr Innenleben nachzuvollziehen. Wir verbinden mit dem Äußeren fiktiver Personen einen bestimmten Charakter; führen ihr Verhalten auf mentale Beweggründe zurück; versuchen ihre Weltsicht zu begreifen; setzen uns mit ihren Emotionen, Motiven, inneren Konflikten, Grenzsituationen, Identitätskrisen oder psychischen Anomalien auseinander.“ 445
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LUDWIG, Figur, 142. PFISTER, Drama, 235. Vgl. E DER, Figur im Film, 464–466 mit Anm. 26. 441 PFISTER, Drama, 235–240 bietet eine Einführung in die Terminologie der Konfiguration. „Null-Konfiguration“: niemand ist auf der Bühne; „Ensemble-Konfiguration“: alle beteiligten Figuren sind auf der Bühne. „Konkomitante Figuren“: zwei Figuren treten immer zusammen auf; „alternative Figuren“: zwei Figuren treten nie zusammen auf. Darüber hinaus könne man die durchschnittliche Konfigurationsdichte eines Stücks berechnen und repetitive Konfigurationen untersuchen. Vgl. auch C ORNILS, Geist Gottes, 74–76 zur Konfiguration und Figuration (N. Elias). 442 Dieser m.E. sehr wichtige Punkt fehlt in vielen narratologischen Einführungen, sofern sie überhaupt die Figuren einer Erzählung analysieren. Bis heute prägend für die Figurenanalyse ist P FISTER, Drama, mit den Abschnitten: Personal und Figurenkonstellation (225–235), Figurenkonfiguration (235–240), Figurenkonzeption (241–250), Figurencharakterisierung (250–264). Vgl. die Darstellungen bei L UDWIG, Figur, bes. 141–144; BACHORZ, Analyse der Figuren; BODE, Roman, 123–142. 443 Vgl. SCHNEIDER, Grundriß, 37–98; E DER, Figur im Film, 169–173 zur Struktur des mentalen Modells. – Die Fähigkeit, angemessene mentale Modelle von Figuren/anderen Personen aufzubauen, ist bei Kindern noch nicht voll ausgebildet, vgl. S ILBEREISEN/AHNERT , Soziale Kognition, und SCHULTE, Gleichnisse erleben, 142–153 zur Entwicklung der Fähigkeit zur Perspektivenübernahme. 444 Dies entfaltet E DER, Figur im Film, 191f. sehr einleuchtend, wobei er auch die Unterschiede sieht (220–228): a) die Erzählung ist Kommunikation, d.h. die dargestellten Inhalte sind bewusst konzipiert und ausgewählt; b) es gibt besondere, typische Wahrnehmungssituationen (im Fall der Bibel: Bibelarbeit, persönliche Lektüre, Predigt) und Spezifika der medialen Vermittlung (Text, Film, Bilderserie, Spiel); c) der Rezipient hat ggf. Vorwissen über den Erzähler und das Erzählte, z.B. narrations- und medienspezifische Wissensbestände. 445 EDER, Figur im Film, 281. 440
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
Im Rahmen einer narrativen Analyse, die die Funktionsweise der Erzählung wirklich erfassen möchte, muss also untersucht werden, welche Gefühle, Motive oder Charaktereigenschaften der intendierte Rezipient bei den Figuren aufgrund seiner Wahrnehmungsdispositionen erschließen kann. Mit welchen Methoden könnte die kognitive Narratologie hierbei vorgehen? a) Zur Beschreibung der typischen Inferenzprozesse sind besonders Konzepte aus der Sozialpsychologie zur sozialen Wahrnehmung relevant.446 Die Forschungen zur sozialen Kognition deuten u.a. darauf hin, dass ein Rezipient andere Menschen (Figuren) mithilfe von Alltagstheorien wahrnimmt. Diese Alltagstheorien bestimmen die Art und Weise, wie z.B. von einem Verhalten auf die Gefühle oder den Charakter eines Menschen geschlossen wird.447 Alltagstheorien sind zu einem großen Teil überzeitlich, weil sie allgemeine menschliche Erfahrung widerspiegeln, haben aber auch historische und kulturelle Anteile. 448 Solche Alltagstheorien werden mit psychologischen Methoden im Rahmen der Kognitionsforschung empirisch untersucht (vgl. unten das Beispiel zur Figurenmotivation, 2.5.2.1, Nr. 12). b) Neben den Alltagstheorien können auch wissenschaftliche Theorien vom Menschen – mit aller Vorsicht – berücksichtigt werden, weil sie Beschreibungskategorien zur Verfügung stellen, mit denen der mögliche 446
Vgl. EDER, Figur im Film, 193. Eder nennt auch weitere „Labels“, unter denen man psychologische Untersuchungen zu dieser Frage finden kann: „Neben social cognition und social perception ist die Rede von social categorization, person perception, impression formation, folk psychology, attribution theory, mind reading oder Theory of Mind, von Alltagspsychologie und (impliziter) Persönlichkeitstheorie“ (193 Anm. 40). 447 Vgl. EDER, Figur im Film, 194: „Die mentalen Dispositionen, mit denen wir die Welt und andere Menschen erfassen, fügen sich zu impliziten ‚Alltagstheorien‘, die sich in Aussagen und Verhaltensweisen manifestieren und die man daraus rekonstruieren kann. … Die meisten ihrer Annahmen sind vorbewusst, ihre Schlüsse probabilistisch. … Solche naiven ‚Theorien‘ betreffen den gesamten Bereich physischer, psychischer und sozialer Eigenschaften, man könnte also von einer Alltagsphysik, Alltagsbiologie, Alltagssoziologie und Alltagspsychologie sprechen.“ Zu unkonkret bezogen auf die Inferenzprozesse von Rezipienten sind dagegen das principle of minimal departure (M.-L. Ryan; vgl. 2.4.5), das reality principle (dazu KÖPPE, Literatur und Erkenntnis, 68–72) oder Köppes Ansatz (ebd., 72–89). 448 Zu den kulturabhängigen Alltagstheorien gehören u.a. bestimmte Personenschemata, besonders grundsätzliche Menschenbilder: „Jedes Menschenbild [d.h. christlich, darwinistisch, marxistisch, psychoanalytisch usw.] favorisiert unterschiedliche Verhaltenserklärungen, Werte und Probleme, betont bestimmte Aspekte des Mensch-Seins und blendet andere aus. Dadurch werden der Umgang mit Menschen und die Entwicklung von Figurenmodellen mental vorstrukturiert“ (E DER, Figur im Film, 196, vgl. 194f.). Man muss also berücksichtigen, welches Menschenbild die Erzählung beim Rezipienten voraussetzt, und kann auch untersuchen, welches sie transportiert.
2.5 Figurenanalyse
131
Inhalt der sozialen Kognition systematisch erfasst und dargestellt werden kann (z.B. die Gruppierung von Charaktermerkmalen mittels der Big Five, 2.5.2.1, Nr. 2; die Klassifizierung von Bedürfnissen nach Maslow, 2.5.2.1, Nr. 11). Außerdem gibt es auch hier einige Forschungen, die Inferenzprozesse bei der Wahrnehmung untersuchen. Entsprechende Bezugstheorien sind beispielsweise (zu den Kategorien s.u.): 449 – – – – – – – – – –
Identität: philosophische und psychologische Identitätstheorien Charakterzüge: Persönlichkeitstheorien Meinungen: Theorien des Einstellungswandels Erleben: Wahrnehmungspsychologie, Wirkungsforschung Gefühle: Emotionstheorien Verhaltensweisen: psychologische Verhaltenstheorien, Soziologie, Ethnologie, Kommunikationstheorien und -psychologie u.a. sozialer Kontext: Konflikttheorien (vgl. 2.4.5), Theorien der Gruppendynamik u.a. Wissen: Soziologie, Ethnologie, Kommunikationstheorien u.a. Pflichten: Soziologie, Ethnologie Wünsche und Intentionen: Theorie der Motivation
Bei diesen modernen Theorien gilt wie für andere narratologische Konzepte auch: Interkulturell und überzeitlich anwendbar sind die allgemeinen Beschreibungskategorien, nicht die inhaltliche Füllung. Man kann also z.B. danach fragen, wie der Rezipient die „Verhaltensweisen“ (eine Analysekategorie!) der Figuren erklären soll, aber man darf dem intendierten Rezipienten eines biblischen Textes keine psychoanalytische Deutung unterstellen, die ihm noch nicht bewusst gewesen sein kann. 450 Wie sich unten bei der Rekonstruktion einzelner Merkmalsarten zeigen wird, bleiben dem intendierten Rezipienten häufig mehrere Möglichkeiten, z.B. von Verhaltensweisen auf Gefühle oder Charaktereigenschaften zu schließen.451 Außerdem haben wir heute oft nicht mehr die nötigen historischen Kontextinformationen, um genau zu bestimmen, welche Dispositionen (Weltwissen u.a.) ein Autor bei seinen Rezipienten voraussetzte. Den-
449
EDER, Figur im Film, 33: „Da Figuren den Bereich der Menschendarstellung umfassen, kommen hier sämtliche Wissenschaften vom Menschen als Bezugspunkte in Betracht.“ 450 Am Beispiel psychologischer Auslegung nennt E DER, Figur im Film, 246f. und 282–284 vier mögliche Herangehensweisen: 1) Man kann entweder die persönliche Alltagspsychologie unreflektiert zur Interpretation verwenden, wie es bisher häufig geschieht („die Figur verhält sich so, weil …“); 2) man kann wissenschaftliche Rekonstruktionen der Alltagspsychologie einbeziehen; 3) man kann aktuelle wissenschaftliche Theorien anwenden; 4) man kann psychologische Konzepte zur Zeit des Autors rekonstruieren. – M.E. ist eine vorsichtige Verknüpfung von 2)–4) der richtige Weg. 451 „Besonders Schlüsse auf psychische und soziale Eigenschaften sind meist vorläufig, kontextabhängig, ambivalent und probabilistisch“ (E DER, Figur im Film, 179; vgl. 182f.).
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
noch kann in vielen Fällen das vom Rezipienten zu bildende Figurenmodell ansatzweise dargestellt werden. Bei der Rekonstruktion des Figurenmodells des Rezipienten ist es wichtig, sich im Klaren zu sein, was man untersucht: das aktuelle Modell der Figur, das der Rezipient bei der unvollständigen Figurensynthese hat, oder das abschließende Modell der Figur am Erzählende, das im Langzeitgedächtnis abgespeichert wird. 452 Außerdem ist zu berücksichtigen, ob man das abschließende Modell der Erstrezeption oder das „reflektierte Modell“, das durch Mehrfachrezeption entsteht, untersuchen will. 453 Es gibt also drei Arten der Rekonstruktion von Figurenmodellen. Bei der Untersuchung von Mt 28 soll die Analyse dem reflektierten Figurenmodell des Rezipienten gelten, weil der Autor intendierte, dass das MtEv mehrfach gelesen/gehört wird. Wenn man jedoch das Figurenmodell der Erstrezeption beschreiben möchte, sind verschiedene Wahrnehmungsfehler einzubeziehen. Darunter versteht man wahrnehmungsverzerrende Effekte, die vor allem bei der (aufmerksamen) Erstrezeption auftreten, die aber bei wiederholter Aufnahme der Erzählung durch den intendierten Rezipienten korrigiert oder abgemildert werden können. Auf folgende Effekte sollte geachtet werden:454 – der „Kategorisierungseffekt“:455 Hat der Rezipient eine Figur erst einmal einer bestimmten Kategorie (im weitesten Sinn) zugeordnet, neigt er dazu, sie auch bei widersprüchlichen Signalen in dieser Kategorie zu belassen; der „erste Eindruck zählt“ und sorgt in der Folge für inattentional blindness456. Neben diesem aufmerksamkeitsschwächenden gibt es auch einen aufmerksamkeitsstärkenden Aspekt des Kategorisierungseffekts: Der Rezipient, der die Figur einer Kategorie zugeordnet hat (z.B. dass Rick im Film Casablanca für die USA stehe), „wird daraufhin seine Aufmerksamkeit bei der Wahrnehmung und Modellbildung verstärkt auf 452 EDER, Figur im Film, 171 (dort außerdem das „integrierte Modell“), vgl. 234: „Bei der Analyse kann man sowohl das abschließende Figurenmodell als auch den Prozess seiner schrittweisen Entwicklung untersuchen, die Figurensynthese.“ 453 Vgl. EDER, Figur im Film, 117 zur „Elaboration der Figur“ durch Nachdenken und Analyse. 454 Es handelt sich hier um eine Auswahl, angelehnt an EDER, Figur im Film, 212f. 455 Eigene Bezeichnung; Eder bezieht sich eher auf die Theorie der kognitiven Dissonanz: „Ist erst einmal ein Figurenmodell gebildet, versuchen die Zuschauer, bei ihrer Einschätzung zu bleiben und bei neuen, widersprüchlichen Informationen Dissonanzen aufzulösen, indem das Modell partiell modifiziert wird bzw. unpassende Informationen ignoriert oder umgedeutet werden“ (Figur im Film, 213). Vgl. auch 2.1.3.1 zu top-downund bottom-up-Prozessen und EDER, Figur im Film, 198f. zur Kategorienbildung. 456 Vgl. EDER, Figur im Film, 87 unter Hinweis auf Filmexperimente zur „Unaufmerksamkeitsblindheit“.
2.5 Figurenanalyse
133
passende körperliche, psychische und soziale Merkmale richten.“ 457 Der Erzähler kann beide Aspekte berücksichtigen und für seine Erzähltechnik ausnutzen. Ob diese Art der Aufmerksamkeitssteuerung in neutestamentlichen Erzählungen intentional eingesetzt ist, müsste noch untersucht werden. – Damit verwandt ist der Primär- und Rezenzeffekt, d.h. dass die ersten und letzten Angaben zur Figur besonders gut im Gedächtnis bleiben. 458 Der Autor des MtEv war sich dieses Effektes vermutlich bewusst, da der Anfang und Schluss des MtEv besonders programmatisch gestaltet sind. – Halo-Effekt: In der Wahrnehmung des Rezipienten überstrahlt eine Eigenschaft der Figur (z.B. bestimmter Charakter, bestimmte Emotion) andere Eigenschaften, so dass diese gar nicht mehr richtig wahrgenommen werden.459 Der Erzähler kann auch diesen Effekt einsetzen. In neutestamentlichen Erzählungen ist er wahrscheinlich noch nicht bewusst verwendet. 2.5.2.1 Arten von Figurenmerkmalen Bei der narratologischen Beschreibung von Figuren stehen bislang meist die psychologischen Merkmale, also deren Charakterzüge, im Vordergrund, die als character traits in der Regel mit „den“ Figurenmerkmalen gleichgesetzt wurden. 460 Neben den Charakterzügen gibt es jedoch faktisch auch andere Typen von Figurenmerkmalen. 461 So erfasst das neuere Modell von J. Eder insgesamt drei Merkmalsbereiche anthropomorpher Figuren: Körperlichkeit, Psyche und Sozialität. 462 Die vierte Eigenschaftsdimension ist das Verhalten.463 Die mentalen Prozesse (Psyche) untergliedern sich bei 457
EDER, Figur im Film, 139. Vgl. EDER, Figur im Film, 213 sowie 2.4.7 zu den Handlungsenden. 459 Eder erwähnt den Halo-Effekt zwar, vermengt ihn aber mit dem Figurenverstehen mithilfe von Typen (top-down) und sieht in ihm eine Art „Verstehenshilfe“ für den Rezipienten (EDER, Figur im Film, 212f.392; z.B. Prototyp des schönen und intelligenten Menschen). Wesentlich für den Halo-Effekt ist aber der Aspekt des „Überstrahlens“. 460 Prägend war C HATMAN, Story, 120–123, der character traits rein psychologisch versteht. Die Engführung kommt wahrscheinlich daher, dass im Englischen „character“ sowohl die Figur als auch deren Charakter bezeichnet. Zur Kritik an Chatmans Psychologisierung der Figurenmerkmale s. J ANNIDIS, Figur, 160–163. 461 Exegetisch EISEN, Poetik, 135; P OPLUTZ, Erzählte Welt, 69–71. Vgl. auch P ALMER , Fictional Minds, 87–247 u.a. zu Denken, Gefühlen und Motiven von Figuren und deren Zusammenhang; daneben S URKAMP, Perspektivenstruktur; Z UNSHINE, Why We Read Fiction. 462 EDER, Figur im Film, 36.235, zur Begründung bes. 175f. 463 Vgl. EDER, Figur im Film, 173–179, s. auch 234f. – Vgl. andere Einteilungen wie die loci a persona in der antiken Rhetorik z.B. bei Quint. Inst. or. 5,10,24–30: nomen, sexus, aetas, educatio, patria, habitus corporis, animi natura u.a. (angewendet bei LAHN/MEISTER, Erzähltextanalyse, 64f.; ausführlich dazu K OCH, Literarische Menschen458
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
Eder wiederum in Wahrnehmungen, Kognitionen, Emotionen und Motivationen,464 deren Analyse der eigentlichen Persönlichkeitscharakterisierung vorangestellt wird.465 Dies wird verbunden mit der Unterscheidung von Wissen, Pflichten, Wünschen und Intentionen aus der possible worlds theory (Kap. 2.4.5). Daraus ergeben sich folgende Analysekategorien: 466 – 1) Identität: Was unterscheidet die Figur grundsätzlich von anderen Figuren? – 2) Charakterzüge: Welche Charaktereigenschaften hat die Figur? – 3) Meinungen/Standpunkt: Was meint die Figur zu bestimmten Dingen? Was ist das Weltbild einer Figur? – 4) Erleben: Was nimmt die Figur wahr? – 5) Gefühle: Was fühlt die Figur (in einer bestimmten Situation)? – 6) Verhaltensweisen: Wie verhält sich die Figur (in einer bestimmten Situation)? – 7) äußere Attribute: Wie sieht die Figur aus? – 8) sozialer Kontext: In welchem sozialen Kontext befindet sich die Figur? – 9) Wissen: Was weiß die Figur? – 10) Pflichten: Was muss die Figur (im gesellschaftlichen Kontext)? – 11) Wünsche/Bedürfnisse/Motive (nicht aktualisierte Motive): Was wünscht sich die Figur? – 12) Intentionen/Motivationen (aktualisierte Motive): Was will die Figur? Was treibt die Figuren zu einer Handlung? Die Kategorien im Einzelnen: 1) Analyse der Figurenidentität: Hierzu gehören alle Aspekte, durch die der Rezipient erfasst, was die Figur von anderen grundsätzlich unterscheidet. Zur Identität einer Figur tragen insbesondere ihre sozialen Rollen, ihr Name, ihre Charakterzüge und ihre Verhaltensweisen bei; sie ist jedoch darstellung, 16–20: „Thematologien der Menschendarstellung“). Die hier vorausgesetzte Anthropologie spiegelt sich ebenso in den klassischen Unterscheidungen von Intellekt und Emotion, Seele und Körper, Sein und Tun. Intellekt und Emotion gehören zur Seele, Seele und Körper zum Sein (vgl. dazu zusammenfassend K OCH, Literarische Menschendarstellung, 278). Übrig bleiben die Kategorien „Meinung“ (Intellekt), „Gefühl“ (Emotion), „äußere Attribute“ (Körper), „Verhaltensweisen“ (Tun). 464 EDER, Figur im Film, 204.285.300. 465 EDER, Figur im Film, 299 (drei Schritte). 466 Die Reihenfolge der Analysekategorien ist grundsätzlich austauschbar, auch wenn es bestimmte „Hauptrichtungen des Schließens“ gibt: „vom Körper auf die Psyche, von äußeren Aktionen auf innere Beweggründe, von flüchtigen mentalen Vorgängen auf Persönlichkeitsdispositionen und von äußeren Interaktionen auf soziale Positionen“ (EDER, Figur im Film, 179, vgl. 236; vgl. Grafik 8 auf S. 179). Die Identität der Figur steht nur aus logischen Gründen am Anfang.
2.5 Figurenanalyse
135
eine eigene, die Figur definierende Größe. 467 – Aus exegetischer Sicht ist es interessant zu sehen, dass sich die neutestamentlich-theologische Untersuchung der „Christologie“ (des MtEv, MkEv usw.) weitgehend auf die Identität der Jesusfigur konzentriert, ihre Meinungen, ihre Persönlichkeit oder Gefühle im Erzählverlauf dagegen ausblendet. Figurenbezogene Aspekte neutestamentlicher Theologie wie Christologie, Gotteslehre, Pneumatologie, Angelologie und Dämonologie können also als Teil der narrativen Figurenanalyse aufgefasst werden. 2) Analyse der Figurenpersönlichkeit: Die Persönlichkeit einer Figur hat eine wichtige Bedeutung für die Erzählung und steht oft auch im Mittelpunkt des Rezeptionsinteresses. Charakterzüge werden dabei selten direkt vom Erzähler genannt, sondern müssen meist aus bestimmten Verhaltensweisen, aus direkter Rede oder Analogien erschlossen werden. Bei der narrativen Analyse geht es darum, zu rekonstruieren, welche Charakterzüge der intendierte Rezipient den Figuren zuschreiben würde, wenn er sie versprachlicht. Um die Psyche einer Person zu beschreiben, gibt es verschiedenste Ansätze und Konzepte. Es ist weitaus einfacher und unumstrittener, ihr Äußeres oder ihre sozialen Beziehungen zu analysieren. 468 Ich möchte folgendes Vorgehen vorschlagen: a) Zuschreibung von (möglichst historischen) Charaktermerkmalen: Die Charakterzüge einer Figur werden vom Rezipienten mithilfe der Alltagspsychologie erschlossen, besonders aus dem körperlichen (Mimik, Gestik, Proxemik) und sprachlichen Verhalten der Figuren (Sprachstil, bevorzugte Themen u.a.; im Theater und Film auch die Stimme). Weitere Hinweise ergeben sich aus ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe sowie ihren äußerlichen Attributen (Kleidung, Frisur, Physiognomie). 469 Auch bestimmte, vom Autor gestaltete Analogien zu anderen Figuren oder zur Umwelt (s. 2.5.5 Figurendarstellung) 470 können die Figur charakterisieren. Im Englischen hat man die Wahl aus mehreren Tausend Adjektiven, um solche Charakterzüge zu beschreiben. 471 Die Charakterzüge haben ihrer-
467 Identität wird hier in einem sehr engen Sinn verstanden; die sozialen Rollen, Charaktermerkmale, Wissen der Figur usw. werden durch eigene Kategorien erfasst. Zur Präzisierung dieses Analyseaspekts könnten Identitätstheorien hilfreich sein. 468 Vgl. EDER, Figur im Film, 248. 469 EDER, Figur im Film, 258–262.262–265.257–260. 470 EDER, Figur im Film, 266f. 471 Chatman beruft sich auf eine Studie, die knapp 18 000 englischsprachige Bezeichnungen von Charakterzügen zusammengetragen hat (C HATMAN, Story, 121–125, bes. 125 Anm. 38; vgl. auch E DER, Figur im Film, 173). Dabei weist er zu Recht darauf hin, dass auch die Benennung von Charakterzügen und deren Systematisierung mit kulturellweltanschaulichen Voraussetzungen erfolgt (123f.).
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
seits Auswirkungen auf Wahrnehmungsdispositionen, kognitive Dispositionen, motivationale Dispositionen und Gefühlsdispositionen der Figur. 472 Der Autor kann verschiedene Strategien wählen, um einige Persönlichkeitseigenschaften stärker, andere schwächer hervortreten zu lassen. 473 Bei der Bestimmung der Wahrnehmung der Persönlichkeit durch den intendierten Rezipienten sind ggf. auch weitere wahrnehmungspsychologische Effekte zu berücksichtigen, die der Autor geahnt haben kann und mit denen er möglicherweise arbeitet: Halo-Effekt, Primär- und Rezenzeffekt oder die Vermeidung kognitiver Dissonanz (s.o.). b) Zuordnung zu Persönlichkeitstypen: Wenn eine Persönlichkeitstheorie auf verschiedene Erzählungen anwendbar sein soll, ist es wichtig, dass die Charakterzüge nur nach Kategorien geordnet, die konkreten Beschreibungsbegriffe und Erklärungsmuster aber nicht von der Theorie vorgegeben werden. Die Persönlichkeitspsychologie bietet Persönlichkeitsinventare an, in welche die oben ermittelten Charakterzüge eingeordnet werden können, z.B. die „Big Five“: 1. emotionale Stabilität („cool“ – reizbar), 2. Extraversion (Anregung suchend – passiv), 3. Liebenswürdigkeit (zugewandt – selbstbezogen), 4. Gewissenhaftigkeit (diszipliniert – unzuverlässig), 5. Offenheit für neue Erfahrungen (kreativ – konventionell). 474 In einem anderen Modell werden Eigenschaftsbeschreibungen in Fähigkeiten, Temperament, Motivation (Handlungseigenschaften, Bewertungseigenschaften) und selbstbezogene Dispositionen gegliedert. 475 Außerdem kann der Rezipient die Charaktermerkmale nach ihrer Wichtigkeit in Kardinaleigenschaften, die zum Persönlichkeitskern gehören, und Nebeneigenschaften unterteilen.476 Inhaltlich vorgeprägte Persönlichkeitsmodelle wie diejenige der Psychoanalyse (Ich/Es/Über-Ich, oral/anal/phallisch usw.) können dagegen nur dann zum Einsatz kommen, wenn der Autor dieses Wissen bei seinen Rezipienten voraussetzt. 472
EDER, Figur im Film, 209. Vgl. zu Tendenzen bei der Eigenschaftsattribution insgesamt E DER, Figur im Film, 216–218. Eder nennt verschiedene Kriterien: „Handlungen stimulieren … besonders dann den Schluss auf Charakterzüge, wenn sie ohne Zwang stattfinden, eindeutig interpretierbar sind und von Standarderwartungen abweichen. … eine Eigenschaftszuschreibung [liegt] dann nahe, wenn ähnliches Verhalten bei verschiedenen Auslösern auftritt (niedrige Distinktheit), sich in verschiedenen Umständen wiederholt (hohe Konsistenz) und wenn Andere sich in vergleichbaren Situationen anders verhalten (niedriger Konsens)“ (217, vgl. 270). 474 EDER, Figur im Film, 294f. (hier jeweils mit Eigenschaftsbeispielen, die zu dieser Kategorie gehören). Man hat diese fünf Dimensionen semantisch gewonnen, indem verwandte Eigenschaftsbezeichnungen zu immer größeren Gruppen zusammengefasst wurden (294 Anm. 114). Eder stellt außerdem das Modell der 16 Persönlichkeitsfaktoren dar (302f.). 475 EDER, Figur im Film, 296.303. 476 Vgl. EDER, Figur im Film, 210. 473
2.5 Figurenanalyse
137
3) Analyse der Figurenstandpunkte: Jede Figur hat bestimmte Meinungen über Dinge und über andere Figuren sowie eine bestimmte Weltanschauung, in die diese Meinungen eingebettet sind. 477 Die Meinung erfährt der Rezipient entweder in direkter Rede oder er kann sie aus Verhaltensweisen und Gefühlen erschließen. Die Weltanschauung ist in Präsuppositionen zu diesen Meinungen und in der erzählten Welt vorhanden, die der intendierte Rezipient durch sein Weltwissen ergänzt. Meinungen und Weltanschauung einer Figur müssen nicht mit denjenigen des (zuverlässigen) Erzählers übereinstimmen. Der Rezipient soll sich dementsprechend in Zustimmung oder Ablehnung mit den Anschauungen der Figuren auseinandersetzen. 4) Analyse der Figurenerlebnisse: Zum Erleben einer Figur gehören alle Arten von Sinneswahrnehmungen und deren kognitive Verarbeitung. In der Regel kann der intendierte Rezipient anhand der expliziten Situationsschilderung sowie anhand seiner Handlungsskripts erschließen, was eine Figur äußerlich erlebt, und anhand der Charaktermerkmale feststellen, in welcher Weise sie diese Erlebnisse tatsächlich wahrnimmt. Im Kontext von Mt 28 ist beispielsweise interessant, ob der intendierte Rezipient schließen kann, dass die Wächter das Auftreten des Engels tatsächlich als Auferstehung Jesu deuten. Allerdings: Je größer die Empathie des Rezipienten zu einer Figur ist, desto eher stellt sich der Rezipient auch die Frage, was die Figur erlebt – bei den Soldaten in Mt 28 ist die Empathie eher gering. Genauere Modelle, um das Erleben einer Figur aus Sicht des Rezipienten zu beschreiben, müssten noch entwickelt werden. 5) Analyse der Figurenemotionen: Die Gefühle einer Figur werden vom Rezipienten oft unbewusst mitgedacht. Sie sind in klassischer wie in neuerer Literatur nur selten explizit genannt (vgl. Jesu Mitleid in Mt 9,36: ejsplagcnivsqh) und werden meistens mithilfe der Alltagspsychologie aus den Charakterzügen, Meinungen, dem Verhalten und der Situation der Figur478 sowie im Film bzw. Theater auch aus der Mimik, Gestik und Kör-
477 In der Narratologie spielt der Standpunkt einer Figur bisher kaum eine Rolle, höchstens indirekt bei der Figurenkonstellation oder im Rahmen des Erzählerstandpunktes. Vgl. die neuere Forschung zur „Perspektivenstruktur“ (2.6.5; z.B. S URKAMP, Perspektivenstruktur) und Uspenskijs evaluative point of view. 478 Ausführlich WINKO, Kodierte Gefühle, 69–109 (Emotionsforschung) sowie 110– 150 zu verschiedenen Möglichkeiten, wie Emotionen der Figuren bzw. des Erzählers/lyrischen Ichs explizit oder implizit dargestellt werden können. Innerhalb der Exegese hat A. Inselmann jüngst ihren Ansatz einer „textpsychologischen Auslegung“ vorgestellt, der v.a. die Rezeption von Figurenemotionen analysiert (I NSELMANN, Freude). SILBEREISEN/A HNERT, Soziale Kognition, 598 bezeichnen diesen Vorgang als „emotionale Perspektivenübernahme“, d.h. „das Verstehen von Emotionen aufgrund der Lage des anderen“.
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
perhaltung479 erschlossen. Aufgabe der Narratologie ist es, das Bild der Figurenemotionen, das im Rezipienten entsteht, nachzuzeichnen. Auch hier sind wie bei der Analyse der Figurenpersönlichkeit zahlreiche Typologien und Klassifizierungen von Emotionen, Emotionskonstellationen und -dynamiken möglich. Während es an dieser Stelle darum geht, welche Emotionen der Rezipient einer Figur zuschreibt, ist andererseits zu berücksichtigen, dass ein Rezipient auch selbst Emotionen empfindet, die oft nicht mit den Gefühlen einer Figur übereinstimmen (vgl. 2.7.5 Rezeptionsemotionen). 6) Analyse des Figurenverhaltens: Daneben können auch Verhaltensweisen zu den Figurenmerkmalen zählen. 480 „Verhaltensweise“ meint hier den figurbezogenen Aspekt einer Handlung, nicht die Handlung selbst. In diesem Sinn hat eine Handlung häufig zwei Seiten: Dass die Hohenpriester den Soldaten Geld für ihre Lüge geben, ist eine Verhaltensweise, dass die Soldaten das Geld annehmen, auch (Mt 28,12.15). Verhaltensweisen einer Figur lassen sich systematisieren, und anhand von Charakterzügen, Meinungen und Gefühlen bildet der Rezipient Erwartungen, wie die Figur in einer bestimmten (zukünftigen) Situation handeln könnte (vgl. 2.4.5). 481 7) Analyse des Figurenäußeren: Die äußeren Attribute betreffen das Aussehen der Figur, ihre Kleidung, ihr Alter, ihr Geschlecht und weitere von außen sichtbare Merkmale. 482 Anders als im Alten Testament werden im Neuen Testament nur selten äußere Merkmale von Figuren genannt. Der intendierte Rezipient greift dann vor allem auf sein Weltwissen zurück, um sich die Figuren äußerlich vorzustellen, und zieht Schlüsse aus dem sozialen Kontext, den Charakterzügen und Verhaltensweisen. 8) Analyse des sozialen Kontexts: Viele Figuren werden in einen gesellschaftlichen Kontext eingezeichnet, z.B. als Fischer, Wanderprediger, Pharisäer, Zöllner, Sohn, Mutter. Kategorien zur Beschreibung der sozia479 Vgl. EDER, Figur im Film, 259f. mit dem Hinweis auf Forschungsergebnisse, dass „die mimischen Ausdrücke für bestimmte Basis- oder Primäremotionen, etwa Freude, Trauer, Wut, Überraschung, interkulturell verständlich sind“; zu Gestik und Körperhaltung 260–262. 480 Dazu EDER, Figur im Film, 248–271. – C HATMAN, Story, 121–123 versteht einen Charakterzug (trait) „as a great system of interdependent habits“; vgl. auch S KA, Fathers, 85f. Allerdings muss das Verhalten logisch von der Persönlichkeit getrennt werden. 481 Daher ist es nicht völlig unsinnig zu fragen, „wie Hamlet sich an der Stelle Othellos und Othello an der Stelle Hamlets verhalten würde“, wogegen P FISTER, Drama, 221 polemisiert. Allerdings sollte man der intendierten Rezeption folgen, d.h. nur korrespondierende Figuren miteinander vergleichen (vgl. 2.5.2.3 zum Figurenvergleich). 482 Vgl. EDER, Figur im Film, 248–271. – Innerhalb des Narrative Criticism ist das Äußerliche noch keine eigene Merkmalskategorie. Nur E ISEN, Poetik, 135 zählt neben den Charakterzügen „Fragen nach dem Alter, dem Geschlecht, dem sozialen Status, der äußeren Erscheinung oder anderen besonderen Kennzeichen der Figur“ zu den Figurenmerkmalen.
2.5 Figurenanalyse
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len Eingebundenheit einer Figur können die Soziologie und Sozialpsychologie liefern, z.B. lassen sich soziales Handeln der Figur (Interaktion und soziale Beziehungen), ihre Zugehörigkeit zu sozialen Systemen (Gruppen), soziale Position in der jeweiligen Gruppe (Rollen und Status) und gemeinsame Repräsentationen der Gruppe (Sprache, Werte, Normen) untersuchen.483 Die sozialen Beziehungen der dargestellten Figuren untereinander werden in Kap. 2.5.3 (Figurenkonstellation) ausführlich behandelt. 9) Analyse des Figurenwissens: Der intendierte Rezipient kann das Wissen der Figur erschließen, indem er darauf achtet, was sie selbst an Kenntnissen äußert, was ihr Verhalten implizit voraussetzt und was der Erzähler oder andere Figuren über ihr Wissen sagen. Daneben kann der Rezipient erwarten, dass eine Figur das allgemeine Weltwissen der Zeit und Kultur besitzt, in der sie lebt – besonders, wenn sie als aufmerksam, intelligent und interessiert dargestellt wird. Allerdings existiert m.W. in der Narratologie noch keine genaue Methode, um Wissensbestände von Figuren zu erfassen und zu beschreiben. 10) Analyse der Figurenpflichten: Zu den Pflichten einer Figur gehören a) die Werte und Normen der Gesellschaft, in der die Figur lebt, b) konkrete Beauftragungen durch andere Figuren sowie c) Selbstverpflichtungen und innere Normen, denen die Figur folgt. Es ist also zu rekonstruieren, inwiefern und wie stark der intendierte Rezipient diese Pflichtenkonstellation wahrnimmt, durch die viele Konflikte einer Erzählung gedeutet werden können (vgl. 2.4.5). Das individuelle Verhalten der Figuren angesichts ihrer Pflichten beeinflusst auch die moralische Beurteilung durch den Rezipienten (Kap. 2.7.2). 11) Analyse der Figurenwünsche:484 Die Wünsche einer Figur kann der Rezipient aus den Charakterzügen, Meinungen, Verhaltensweisen, Gefühlen und dem Erleben der Figur mithilfe seiner Alltagspsychologie und seinem Weltwissen erschließen, sofern die Wünsche nicht explizit genannt sind. Bei den Wünschen bzw. Bedürfnissen der Figur handelt es sich im Gegensatz zu den Figurenintentionen um (noch) nicht aktualisierte Motive. Allgemeine Motive sind von der konkreten Motivation/Intention zu unterscheiden: Eine Figur kann z.B. den Wunsch nach Anerkennung haben, diesen Wunsch aber in einer bestimmten Situation zurückstellen. Nur einige dieser Wünsche fließen tatsächlich in die Figurenintention ein. Um Motive der Figuren in der Wahrnehmung des Rezipienten umfassend zu erkennen und zu klassifizieren, können z.B. die acht BedürfnisGruppen der Maslowschen Bedürfnispyramide als „flexible Heuristik“ 483
Vgl. EDER, Figur im Film, 271–281. Hier ergeben sich also Überschneidungen mit der sozialgeschichtlichen Exegese (vgl. 2.3 Umweltanalyse: „soziales Setting“). 484 Vgl. zu Figurenwünschen und Figurenintentionen E DER, Figur im Film, 428–463 (Analyse der Motivierung).
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
eingesetzt werden: körperliche Bedürfnisse, Bedürfnis nach Sicherheit, Bedürfnis nach sozialen Bindungen, Bedürfnis nach Anerkennung, kognitive Bedürfnisse, ästhetische Bedürfnisse, Bedürfnisse nach Selbstverwirklichung und Bedürfnisse nach Transzendenz. 485 Neben den Bedürfnissen als selbstbezogenen Motiven gibt es auch altruistische Motive, wo Figuren Liebe, Hilfe oder Vertrauen geben wollen. 486 Das (dauerhafte) Motivationssystem einer Figur kann grafisch dargestellt werden. 487 Es lassen sich auch Erzählungen bestimmter Epochen und Gattungen danach klassifizieren, nach welcher Art von Bedürfnissen die Figuren hauptsächlich streben.488 12) Analyse der Figurenintentionen: Die Intention/Motivation kann als „Schnittstelle zwischen Figur und Handlung“ 489 angesehen werden. Dadurch dass die Figuren bestimmte Motive zu aktualisieren versuchen, 490 entstehen die Konflikte der Erzählung, die den Handlungsverlauf bestimmen (vgl. 2.4.5 zu den „Spielzügen“ der Figuren und zur Konfliktanalyse). Bei der narratologischen Analyse der Figurenintention geht es also um die Ziele, die eine Figur – in der Wahrnehmung des intendierten Rezipienten – in einer bestimmten Situation und mit bestimmten Handlungen verfolgt. Die Intentionen werden selten explizit genannt, sondern müssen oft indirekt aus dem Figurenverhalten erschlossen werden. 491 Um das Verhalten einer Figur zu deuten,492 kann der Rezipient aus mehreren Arten von Erklärungen auswählen, die teilweise auch gleichzeitig plausibel sind: 493 485
EDER, Figur im Film, 440f. EDER, Figur im Film, 442. 487 Vgl. für ein Beispiel E DER, Figur im Film, 456f. 488 Vgl. die eindrückliche Liste bei E DER, Figur im Film, 441f. 489 EDER, Figur im Film, 428. 490 Mit der Motivation von Personen beschäftigt sich vor allem die Motivationspsychologie, aber auch die Persönlichkeitspsychologie und pädagogische Psychologie. Motivation bezeichnet die Handlungsbereitschaft eines Menschen, während Motive die subjektiven Gründe für Motivation sind. Handlungsbereitschaft entsteht, wenn ein Wunsch hohen Wert hat und bei einer entsprechenden Handlung erreicht werden kann (Erwartungs-mal-Wert-Modell, Formel V = E x W). Vgl. weiterführend K UHL, Motivation; HECKHAUSEN/HECKHAUSEN (Hgg.), Motivation; R HEINBERG, Motivation. Es wäre sinnvoll, diese Forschungen genauer für die Analyse der Figurenmotivation auszuwerten. 491 Auch in der Exegese wird teilweise gesehen, dass „die offene Konstruktion biblischer Figuren den Lesern erlaubt, sogar von ihnen verlangt, dass sie sich Gedanken machen, Inferenzen ziehen, psychologisieren, wenn sie wissen wollen, was diese Figuren antreibt“ (V ETTE, Samuel, 29; Übersetzung von Gunn/Fewell). Eine Theorie, wie man diese Inferenzen nachvollziehen kann, fehlte in der Exegese bisher. 492 In Mt 28 könnte sich der Rezipient z.B. fragen: Warum kommen die (männlichen) Jünger nicht zum Grab? Warum gehen die Wachen zu den Hohenpriestern? Warum lassen die Hohenpriester eine konkurrierende Version der Geschichte verbreiten? 493 Nach EDER, Figur im Film, 430f., vgl. 427. Diese Kategorien sind sicher allgemein genug, um sie auf Erzählungen aller Zeiten und Kulturen beziehen zu können. Die diege486
141
2.5 Figurenanalyse A) – – – – – B) – – – –
diegetische Erklärung: 1) die Figur handelt frei aufgrund eigener Abwägung und Überlegung (bewusst); 2) die Figur wird von anderen zu einem Verhalten gezwungen (zwanghaft); 3) die Figur wird vorbewusst von ihren Gefühlen oder Instinkten gesteuert oder psychischen Störungen beeinflusst (instinktiv); 4) die Figur folgt einem Verhaltensmuster, ohne darüber nachzudenken (habitualisiert); 5) zu bedenken ist: Nichtmenschliche Figuren können unerwartete Verhaltensweisen zeigen. dramaturgische/außerdiegetische Erklärung: 1) die Figur erfüllt bestimmte Genre-Vorgaben; 2) die Figur „muss“ so handeln, weil sie einem bestimmten Stereotyp entspricht; 3) das Verhalten der Figur soll bestimmte Reaktionen beim Rezipienten hervorrufen; 4) die Figur handelt so, weil sie sich auf ein reales oder intertextuelles Vorbild bezieht.
Faktisch stehen in den meisten Fällen die diegetischen Erklärungen im Vordergrund, in aller Regel wird der Rezipient auch ein intentionales Verhalten der Figur annehmen. Doch in welcher Weise genau soll der Rezipient auf die Intention einer Figur schließen? F. Jannidis greift dazu auf ein Modell aus der Alltagspsychologie (folk psychology) zurück494, das hier in erweiterter Form wiedergegeben wird (Abb. 23): Gründe
Kausalgeschichte
mentaler Zustand
Rezeption [subjektiv]
Intention
Bewertung der Situation [rational]
intentionales Verhalten
ermöglichende Faktoren
Abb. 23: Erklärungskategorien der Figurenmotivierung
Der intendierte Rezipient einer Erzählung wird versuchen, die Frage nach dem „Warum“ des geschilderten Verhaltens mit diesen Faktoren in Verbindung zu bringen. „Vollständig“ erklärt ist ein Verhalten, wenn zu allen Punkten begründete Mutmaßungen angestellt werden können. 495 In der Regel kommt den figurenbezogenen Faktoren (mentaler Zustand 496, Betische Erklärung entspricht weitgehend der „kausalen Motivierung“, die außerdiegetische Erklärung der „kompositorischen Motivierung“ bei M ARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 111.114. 494 JANNIDIS, Figur, 190–192; vgl. auch E DER, Figur im Film, 214f.435. 495 Vgl. die Beispiele bei E DER, Figur im Film, 215. 496 Der Aspekt „mentaler Zustand“ umfasst z.B. Bedürfnisse, Triebe, Instinkte, Gefühle; für den Versuch einer genauen Aufschlüsselung vgl. E DER, Figur im Film, 434–437. S. außerdem psychologische Theorien zur Kausalattribution, die beschreiben, wie Mei-
142
2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
wertung der Situation, Intention) aus Sicht des Rezipienten ein größeres Gewicht zu als der Situation (Gründe, ermöglichende Faktoren). 497 Oft bleibt am Ende eine gewisse Mehrdeutigkeit bestehen, es gibt für den Rezipienten also mehrere mögliche Erklärungen. 498 Welche Deutungsstrategien der Rezipient wählt, warum z.B. eine Figur Böses getan hat, sind wesentlich für die Bewertung einer Figur durch den Rezipienten (Kap. 2.7.2 Sympathie).499 Bei biblischen Erzählungen ist es außerdem wichtig, wie Gott als Figur wahrgenommen wird. In der bisherigen Narratologie wird üblicherweise (auf der Ebene der erzählten Welt) zwischen kausaler und finaler Motivierung unterschieden.500 Die finale Motivierung komme nur in solchen Erzählungen vor, in denen göttliche Instanzen die Geschicke der Figuren bestimmen – wie denjenigen der Bibel. „Der Handlungsverlauf ist hier von Beginn an festgelegt, selbst scheinbare Zufälle enthüllen sich als Fügungen göttlicher Allmacht.“501 Alle scheinbar offenen Handlungsoptionen der Figuren werden wiederum von Gottes Intention(en) umschlossen. M.E. handelt es sich bei letzterer ebenfalls um kausale (d.h. diegetische) Motivierung, weil Gott wie andere Figuren wahrgenommen wird. So liegt es
nungen über Kausalbeziehungen gebildet werden, u.a. über die Verhaltensweisen von Personen (E FFLER, Kausalerklärungen; H ERKNER, Sozialpsychologie, 281–298; F INCHAM/H EWSTONE, Attributionstheorie; z.B. die „Theorie des vernünftigen Handelns“ von Fishbein/Ajzen und deren Überarbeitungen bei H ERKNER, Sozialpsychologie, 215–221 [Grafiken S. 217, 220]). Der durchschnittliche intendierte Rezipient besitzt jedoch kein detailliertes psychologisches Modell, es sei denn, es wird erkennbar vom Autor vorausgesetzt. 497 Nach EDER, Figur im Film, 216 ist in psychologischen Studien zu beobachten, dass „Menschen allgemein dazu [neigen], das Verhalten anderer auf die Persönlichkeit zurückzuführen und diese im Verhältnis zur Situation überzubewerten.“ Vgl. der fundamental attribution error bei GERRIG/A LLBRITTON, Construction, 381–384. 498 Vgl. EDER, Figur im Film, 439. 499 Wenn ein Rezipient beispielsweise den Verrat des Judas dadurch erklärt, dass Judas in seinen Erwartungen enttäuscht gewesen ist oder Jesus zum Handeln herausfordern wollte, gewinnt er Verständnis für Judas und sein tragisches Schicksal. Beim intendierten Rezipienten des MtEv soll dies offenbar nicht der Fall sein, da die Erklärungsstrategie wesentlich von der Erzählperspektive abhängt und Judas extern fokalisiert wird: „Je mehr eine Handlung aus der Außenperspektive eines unbeteiligten Beobachters gezeigt wird, desto stärker ist die Neigung, den Handelnden verantwortlich zu machen. Nähert sich die Perspektive der subjektiven Situationswahrnehmung des Handelnden, steigt die Bereitschaft, die situativen Umstände zu berücksichtigen“ (E DER, Figur im Film, 216). 500 Vgl. MARTÍNEZ, Doppelte Welten, bes. 13–36; M ARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 111–114; J ANNIDIS, Figur, 223–229. 501 MARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 111. M ARTÍNEZ, Doppelte Welten, zeigt das Ineinandergreifen beider Motivierungen u.a. an Goethes Wahlverwandschaften und Thomas Manns Tod in Venedig.
2.5 Figurenanalyse
143
dem Rezipienten nicht fern, seine Erklärungskategorien der Figurenmotivierung auch auf die göttliche Figur anzuwenden. 502 Im Anschluss an die Einzelanalyse lassen sich die Figurenintentionen einer Figur bzw. der Erzählung insgesamt klassifizieren, z.B. hinsichtlich ihrer Reflektiertheit, ihrer Intensität, ihrer Variabilität, ihrer Konflikthaftigkeit sowie ihrer Selbst-, Fremd- oder Gruppenbezogenheit. 503 2.5.2.2 Konstellation von Figurenmerkmalen Nachdem alle Figurenmerkmale inhaltlich erfasst sind, müssen noch deren Querbeziehungen zueinander bestimmt und die Merkmale gewichtet werden. Denn das mentale Figurenmodell des Rezipienten, das rekonstruiert werden soll, besteht nicht nur aus der Summe einzelner Merkmale, sondern kann als komplexes System aufgefasst werden, 504 bei denen die Merkmale eine bestimmte Merkmalskonstellation bilden. Leider existieren m.W. noch keine genauen narratologischen Studien, wie man diese Konstellation in einer angemessenen und praktikablen Weise beschreiben kann (vgl. dagegen 2.5.3 zur Figurenkonstellation). Eine sinnvolle Unterscheidung ist wohl die Differenzierung in Hauptmerkmal(e) und Nebenmerkmale. Um die Hauptmerkmale herauszufinden, lassen sich zwei Kriterien verwenden: Hauptmerkmale sind diejenigen Merkmale, die die größte Aufmerksamkeit des Rezipienten bekommen und/oder integrierenden Charakter haben, d.h. verschiedene Figurenmerkmale „logisch“ verknüpfen können. a) Aufmerksamkeit für die Merkmale: Hauptmerkmale sind tendenziell solche Merkmale, die häufig genannt sind (vgl. 2.5.5), durch perspektivische Mittel in den Vordergrund rücken (2.6), mit starken Emotionen des Rezipienten einhergehen (2.7.5) oder eine hohe Applikabilität besitzen (2.7.6).505 502
Aufgrund des Allmachtskonzepts müsste jedes Ereignis einer solchen Erzählung indirekt ein intentionales Verhalten Gottes wiederspiegeln. Z.B. warum lässt Gott Jesus sterben? Warum lässt er gerade Frauen die ersten Zeugen der Auferstehung Jesu sein? Warum lässt er zu, dass die Auferstehungsbotschaft Jesu weitgehend abgelehnt wird? Dabei werden im Rezipienten genau die Erklärungskategorien für intentionale Handlungen aktiviert. Die göttliche Figur ist in den Evangelien sehr offen und komplex, weswegen sich der Rezipient gerade mit der Figur Gottes auseinandersetzt. Das wird in bisherigen narrativen Analysen der Evangelien häufig übersehen. – Aus theologischer Sicht kann man Gott natürlich nicht als „Figur“ ansehen; hier geht es um die Perspektive des menschlichen Verstehensprozesses, wenn Gott in einer Erzählung vorkommt. 503 EDER, Figur im Film, 427. 504 Vgl. EDER, Figur im Film, 218 über die „allgemeine Grundstruktur des Figurenmodells“: „Es ist ein hierarchisch strukturiertes System von Vorstellungen über physische, psychische und soziale Eigenschaften, Beziehungen und Verhaltensweisen des fiktiven Wesens.“ 505 Vgl. EDER, Figur im Film, 183: „… Dabei spielt die Art der Charakterisierung eine zentrale Rolle: von wem, wann, wo, wie oft, wie lange und wie intensiv gezeigt, gesagt
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
b) Logische Struktur der Merkmale: Ähnliche Eigenschaften oder solche, die sich aus Sicht von Alltagstheorien auseinander ergeben, können oft einem Hauptmerkmal zugeordnet werden. Diese ähnlichen bzw. verbundenen Figurenmerkmale bilden durch Kategorienbildung ein „elementares Relationsmuster“; sogar die Kategorien können ihrerseits zueinander in Beziehung gesetzt werden. 506 Auch Eder beobachtet: „Oft gruppieren sich verschiedene Eigenschaften um eine Art Persönlichkeitskern.“ 507 2.5.2.3 Vergleich der Figurenmerkmale Die Figuren können hinsichtlich ihrer Figurenmerkmale miteinander verglichen werden.508 Vergleiche von Figuren sind in drei Richtungen möglich: – zwischen der Figur und einer weiteren in der Erzählung dargestellten Figur (erzählinterner Vergleich);509 – zwischen der Figur und einer dem Rezipienten aus anderen Erzählungen bekannten Figur (erzählexterner Vergleich);510 – zwischen der Figur und einem realen Vorbild (historischer Vergleich). Für die narratologische Analyse sind natürlich nicht alle denkbaren Vergleichsfiguren heranzuziehen, so interessant sie auch sein mögen. Wichtig ist, dass der intendierte Rezipient die Parallelisierung oder Kontrastierung erkennen können muss. Man kann die Faustregel formulieren: Die Veroder suggeriert wurde, dass die Figur eine bestimmte Eigenschaft hat. Doch auch mentale Voraussetzungen der Zuschauer beeinflussen die Erfassung und Gewichtung der Eigenschaften. Eine hohe Auffälligkeit besitzen vor allem Merkmale, die mit starken Werten und Emotionen verknüpft sind, etwa Schönheit und Kraft, Charakter und Moral, soziale Gruppen und Rollen oder die zentralen Motive einer Figur, die sie mit der Handlung verbinden und eine wesentliche Grundlage für das Erschließen von Themen und die emotionale Anteilnahme bilden.“ 506 So CORNILS, Geist Gottes, 69f. mit Bezug auf Überlegungen von B. Hrushovski. 507 EDER, Figur im Film, 184. 508 Die Gegenüberstellung von Figurenmerkmalen ist oft am aufschlussreichsten und wird darum hier als eigener Unterpunkt behandelt. Daneben ist auch ein Vergleich der Figuren möglich z.B. hinsichtlich ihrer Figurendarstellung (2.5.5), ihrer Figurenkonzeption (2.5.6), der Aufmerksamkeit, die sie vom Rezipienten bekommen (Haupt-/ Nebenfigur) (2.5.4), der Empathie des Rezipienten (2.7.1), ihrer Bewertung (2.7.2), ihrer Applikabilität (2.7.6) und der Perspektive auf sie (2.6). Vgl. dazu die Übersicht bei EDER, Figur im Film, 506f. und bes. 509. 509 Z.B. CULPEPPER, Anatomy, 145–148 kommt durch erzählinterne Figurenvergleiche zu interessanten Ergebnissen: Die Figuren des JohEv würden jeweils eine bestimmte Haltung zu Jesus verkörpern. Culpepper vergleicht beispielsweise Nikodemus und die Samariterin am Brunnen (136) sowie den Lahmen am Teich Betesda und den Blindgeborenen (139). 510 Es kann sich dabei auch um dieselbe Figur handeln, vgl. C ULPEPPER, Anatomy, 132 (Johannes der Täufer im JohEv im Vergleich mit dem MkEv).
2.5 Figurenanalyse
145
gleichbarkeit ist umso eher gegeben, je größer die „Erinnerungsnähe“ und je höher die Parallelität der Vergleichsfigur ist. Zu diesen beiden Aspekten im Einzelnen: a) die „Erinnerungsnähe“511 der Vergleichsfigur aus Sicht des intendierten Rezipienten: Zur Erinnerungsnähe trägt eine zeitliche Koinzidenz bei (Auftreten der Vergleichsfigur in derselben oder benachbarten Szene) oder eine allgemeine Bekanntheit oder Wichtigkeit der Vergleichsfigur (z.B. bei der mosaischen Zeichnung Jesu im MtEv). b) die Parallelität der Vergleichsfigur: Hohe oder niedrige Parallelität ergibt sich aus dem relativen Anteil an Parallelen und deren Gewichtung aus Sicht des Rezipienten. Man kann situative Parallelen (ähnliches Figurenerleben; beide Figuren sind z.B. in einer Gefahr) und übrige Merkmalsparallelen (ähnliche Persönlichkeit, ähnliche Gefühle usw.) 512 unterscheiden. Parallelisierung und Kontrastierung vergleichbarer 513 Figuren entsteht dadurch, dass die Aufmerksamkeit des Rezipienten entweder auf die Ähnlichkeiten oder auf die Unterschiede zwischen zwei Figuren(gruppen) gelenkt wird. Die Aufmerksamkeitslenkung kann durch verschiedene Strategien erfolgen. Anhand von Ähnlichkeiten werden Figuren vom Rezipienten gruppiert, aufgrund von Unterschieden werden sie isoliert. Ähnliche Figuren sind Parallelfiguren; wo eher Gegensätze im Vordergrund stehen, werden sie als Kontrastfiguren bezeichnet (vgl. 2.5.3).514 Wie kann man die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Figuren nun am besten erfassen? Bisher ist in der Narratologie, noch durch die Merkmalssemantik beeinflusst, eine recht starre Form des Figurenvergleichs verbreitet. Demnach wird gewöhnlich eine Tabelle angefertigt, in der die Figuren in Spalten und die möglichen Merkmale in Zeilen aufgetragen werden. In der Tabelle bedeutet ein „+“, dass ein Merkmal vorhanden ist, ein „–“ die Negation eines Merkmals und ein „?“, dass das Merk511
Die umgangssprachlich so bezeichnete „Erinnerungsnähe“ entspricht der Salienz in der Psychologie (kognitive Verfügbarkeit von Inhalten), die dort sehr differenziert erforscht wird. Es wäre lohnend, diese Untersuchungen auf die Erinnerung an Vergleichsfiguren (und allgemein auf die Einbeziehung von Hintergrundwissen) anzuwenden. 512 Die Merkmalsparallelen können z.B. Charakterzüge, Meinungen, Emotionen, (Erleben,) Verhaltensweisen, körperliche Eigenschaften und den sozialen Status der Figuren betreffen, also sämtliche Arten von Figurenmerkmalen. Bei Jesu Darstellung im Tempel (Lk 2,22–40) ist es beispielsweise das Alter, das Maria und Jesus auf der einen Seite und Simeon und Hanna auf der anderen Seite unterscheidet (s. auch 2.3.3 zur Raumsemantik Lotmans). Vgl. die genaueren Differenzierungen zur Applikation in Kap. 2.7.6, die strukturell ähnlich funktioniert wie der Figurenvergleich, jedoch meist auf die Gegenwart des intendierten Rezipienten bezogen ist und auch Setting und Handlung erfasst. 513 Auch die Kontrastierung setzt ja eine gewisse Parallelität der Figuren und Erinnerungsnähe voraus. 514 Vgl. zur Terminologie E DER, Figur im Film, 482f.
146
2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
mal bei dieser Figur nicht genannt ist. 515 Diese Vorgehensweise wirkt sehr technisch. Eine bessere Möglichkeit ist, die verschiedenen Klassen von Figurenmerkmalen – ggf. mit Untergliederungen – als Zeilen zu verwenden und in die Felder jeweils die dazugehörigen Merkmale der Figur zu schreiben, etwa so (Tab. 24):516 Tab. 24: Figurenvergleichstabelle (direkte Form) Figur A
Figur B
Figur C
Persönlichkeit Emotionen soziales Umfeld ...
Der kognitive Wende folgend, können als Merkmale nicht nur explizite Beschreibungen eingetragen werden, sondern auch vom Rezipienten indirekt erschließbare Eigenschaften der Figuren (z.B. Charakterzüge, Gefühle), vgl. die Ergebnisse aus 2.5.2.1. Anschließend können die Arten von Parallelen und das Ausmaß der Parallelen zwischen einzelnen Figuren bestimmt werden (die Parallelität), dann ist die Erinnerungsnähe zwischen den Figuren zu untersuchen und ob der Rezipient sie eher als Parallelfiguren oder eher als Kontrastfiguren wahrnimmt. Zum Schluss kann erörtert werden, welche Funktion die Parallelisierung oder Kontrastierung bestimmter Figuren erfüllt. 517 In manchen Fällen bietet sich auch eine dritte Tabellenform an: Weil ein Figurenmerkmal bei Figuren oft in unterschiedlichem Ausmaß vorhanden ist, z.B. bei den Merkmalsoppositionen warmherzig – kühl, arm – reich, alt – jung, kann die Tabelle auch aus entsprechenden semantischen Achsen bestehen, in welche die Figurennamen jeweils eher links oder eher rechts eingetragen werden, je nach ihrer Nähe zu einer bestimmten Eigenschaft.518 Ein Nachteil dieser Darstellung ist, dass Figuren statisch erschei515
„Charakterzüge kann man in Form von Merkmallisten, für deren Ausgestaltung die strukturalistische Erzähltheorie bestimmte Muster entwickelt hat, zuordnen“ (B ACHORZ, Analyse der Figuren, 59). Zu entsprechenden Beispieltabellen vgl. B AL, Narratology, 126–129; TOOLAN, Narrative, 86–88.94–97; P FISTER, Drama, 231; KOCH, Literarische Menschendarstellung, 208–210 (inkl. theoretischer Hintergründe). Ähnlich, in allgemeinsemantischer Anwendung, auch E GGER, Methodenlehre, 116f. 516 Andere Fassung der Tabelle bei E DER, Figur im Film, 479, vgl. 509 (Nr. 4). 517 Die unterschiedlichen Merkmale, die bei der Gegenüberstellung der Figuren deutlich werden, „dienen verschiedenen Zwecken, darunter der Charakterisierung einzelner Figuren; der Erzeugung von Konfliktpotentialen; der Abwechslung, Spannung, Neugierde; der Zuordnung von Werten; der Lenkung emotionaler Anteilnahme und der Verdeutlichung von Themen“ (E DER, Figur im Film, 484). 518 Vgl. den Vorschlag von E DER, Figur im Film, 479–482 mit Beispiel (481).
2.5 Figurenanalyse
147
nen.519 Für viele biblische Erzählungen ist diese Tabelle, die Eder für Filmfiguren vorschlägt, allerdings zu differenziert. Alle Figurenmerkmale bilden ein Eigenschaftsspektrum der Erzählung. Man kann z.B. bestimmen, welche Arten von Figurenmerkmalen am häufigsten genannt werden, ob Männer oder Frauen in der Mehrzahl und an der Handlung beteiligt sind, usw. Oft kommt man hier zu signifikanten Ergebnissen, gerade auch in Verknüpfung mit anderen Analyseaspekten wie Figurenkonzeption, Perspektive und Empathie. 520 2.5.3 Figurenkonstellation 521 Im Abschnitt Figurenbestand und Figurenkonfiguration (2.5.1) werden die in einer Szene bzw. der Erzählung auftretenden Figuren zunächst grundsätzlich erfasst. Dann wird mit den Figurenmerkmalen die Figur selbst beschrieben (2.5.2). Nun kommt mit der Figurenkonstellation das Verhältnis der Figuren untereinander in den Blick, so wie der Rezipient es wahrnimmt.522 Auch hier sind bestimmte Muster zu erkennen, die man je eigens benennen kann. Die Figurenkonstellation ergibt sich aus der Sympathie/Antipathie der Figuren zueinander bzw. aus der Art der Darstellung. Einige einfache Strukturen sind: – Kontrastpaare (z.B. reicher Mann und armer Lazarus in Lk 16,19–31) 523 – Korrespondenzpaare (z.B. Pilatus und Herodes in Lk 23,1–12) – Dreieckskonstellationen/„dramatisches Dreieck“ 524 (in Gleichniserzählungen im NT besonders häufig, z.B. der Vater und seine zwei Söhne in Lk 15,11–32)
519
EDER, Figur im Film, 482 gibt zu den Merkmalsoppositionen zu bedenken: „Je vielschichtiger die Figuren sind, desto größer werden die Probleme, sie in derartige Schemata einzuordnen. … Wenn man auf solche Probleme achtet [Veränderung der Figuren u.a.], können die Modelle bei der Analyse jedoch eine große Hilfe sein.“ 520 EDER, Figur im Film, 473f., vgl. 308f.510 zur gesellschaftlichen Problematik und EDER, Figur im Film, 183f. zu kulturellen Tabus. 521 Vgl. BACHORZ, Analyse der Figuren, 56f. und insbesondere P FISTER, Drama, 227– 235, der mit Figurenkonstellation die Interaktionsstruktur der Figuren bezeichnet, d.h. die positive, negative oder neutrale Haltung der Figuren zueinander und deren Veränderung. Vgl. auch weiterführend P OLHEIM, Die dramatische Konfiguration, und die Überlegungen zum Soziogramm (H ÖHN/SEIDEL, Soziogramm) als der empirischen Entsprechung zur Figurenkonstellation. Aktuell ist E DER, Figur im Film, 464–520, wo „Figurenkonstellation“ teilweise sehr umfassend verstanden wird (vgl. 509), dort bes. 500–503. 522 EDER, Figur im Film, 464 deutet zu Recht auch die Figurenkonstellation als kognitive Rezeptionsgröße: „Die Zuschauer bilden in jeder Phase des Films ein Situationsmodell, das – unter anderem – Modelle der beteiligten Figuren und ihrer Beziehungen umfasst.“ 523 Der Kontrast kann sich auf verschiedenste Typen von Oppositionen (bei gleichzeitigen Gemeinsamkeiten) beziehen; vgl. die Übersicht bei E DER, Figur im Film, 475.
148
2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
Durch die Technik der Gegenüberstellung ist ein Vergleich der Figuren möglich (2.5.2.3). Wenn Figuren vor allem dazu dienen, die Charakterzüge einer anderen Figur hervorzuheben, nennt man sie Kontrastfiguren525. Figurenkonstellationen können sich im Lauf der Erzählung verändern. 2.5.4 Figur und Handlung 1. Bedeutung der Figur für die Handlung der Erzählung bzw. der Szene. Eine Figur lässt sich auch nach ihrer Wichtigkeit für die Handlung terminologisch differenzieren. In Anlehnung an bestehende (stark divergierende) Begrifflichkeiten möchte ich folgende Einteilung vorschlagen: Wenn die Figur eine zentrale Rolle für den Handlungsverlauf spielt, ist es eine Hauptfigur (Protagonist, Held526); ist sie weniger wichtig, eine Nebenfigur („minor character“, „secondary character“). Eine Hilfsfigur527 (hier als Übersetzung von „ficelle character“ 528, „functionary“, „agent“ 529) kann als eine spezielle Form der Nebenfigur angesehen werden; sie ist allein dazu da, die Handlung voranzutreiben. Die Schaufigur („card“) erweckt dagegen durch ungewöhnliche charakterliche oder äußere Merkmale Interesse, hat aber keine Funktion für die Handlung. 530 Wenn Figuren nur wie im Vorübergehen genannt sind und passiv am Geschehen teilnehmen, können sie als Randfiguren531 („walk-ons“532, „crowd“, „chorus“ 533) auch zum Setting gerechnet werden. Ähnliches gilt für eine Hintergrundfigur, über die nur 524 Zum „dramatischen Dreieck“ H ARNISCH, Gleichniserzählungen, 73–84 (vgl. 29– 32); knapp EBNER/HEININGER, Exegese, 76. Der Begriff „dramatisches Dreieck“ wurde von G. Sellin geprägt und ist m.W. nur in der Gleichnisexegese gebräuchlich. 525 Hier nach EDER, Figur im Film, 483; vgl. auch S KA, Fathers, 85 (contrast-figure). Im englischen Sprachraum begegnen sie meist als foil character (ABRAMS, Glossary, 234; RESSEGUIE, Narrative Criticism, 124f.). 526 Für Differenzierungen vgl. E DER, Figur im Film, 470f.: Ein Protagonist „ist der wesentliche Motor in der Kausalkette der Handlung“, muss aber nicht zwingend mit der Hauptfigur zusammenfallen. Die Bezeichnungen „Held“ und „Antiheld“ betonen eher den moralischen Aspekt. 527 PFISTER, Drama, 227. 528 Der Begriff ficelle wurde von Henry James geprägt und bezeichnet eine Figur, „whose main reason for existence is to give the reader in dramatic form the kind of help he needs if he is to grasp the story“ (B OOTH, Rhetoric, 102). Vgl. PRINCE, Dictionary, 30; CULPEPPER, Anatomy, 104; JANNIDIS, Figur, 89. 529 Der agent wurde von BERLIN, Poetics, 23 in die Diskussion eingeführt als eine Figur, die ohne Charakterisierung sei, sondern nur eine Funktion für die Handlung besitze. Vgl. SKA, Fathers, 87; MARGUERAT/BOURQUIN, Bible Stories, 60. 530 EDER, Figur im Film, 471 (deutsche Bezeichnung SF). 531 Begriff bei BODE, Roman, 127. 532 Der walk-on character ist recht bekannt, vgl. C HATMAN, Story, 139; M ARGUERAT/ BOURQUIN, Bible Stories, 60; R ESSEGUIE, Narrative Criticism, 125. 533 SKA, Fathers, 87.
2.5 Figurenanalyse
149
gesprochen wird, die aber nicht selber auftritt. 534 Kommt eine Figur nur in einer Szene vor (z.B. ein Kranker, den Jesus heilt), ist es eine Episodenfigur535. Die fehlende Methode zur Unterscheidung von wichtigen und weniger wichtigen Figuren ist ein Problem, das immer wieder benannt wird. 536 Die neuere, kognitiv ausgerichtete Arbeit von J. Eder macht den Vorschlag, sich an der Aufmerksamkeit zu orientieren, welche die Figuren „vom Publikum jeweils bekommen (sollten).“ Die Aufmerksamkeit, die die Rezipienten einer Figur zuteil werden lassen, wird durch folgende Aspekte positiv beeinflusst: – – – – – – – – – –
„das Star Image der Darstellerin, 537 die filmischen Techniken der Betonung der Figur …, die Häufigkeit, Dauer und Dichte ihrer Darstellung, die Ungewöhnlichkeit und Normabweichung der Figur, ihre kausale Involviertheit in die Handlung (Handlungsfunktionalität), ihr Potential, bedeutsame Entscheidungen zu treffen, den Fokus, den andere Figuren auf sie haben, die Perspektivierung des Geschehens durch die Figur, die symbolische und symptomatische Relevanz der Figur,[sic] und die emotionale Anteilnahme der Zuschauer an ihr.“ 538
Das „Aufmerksamkeitszentrum“ bezogen auf Haupt- und Nebenfiguren (vgl. Kap. 2.6.3 zum Wahrnehmungszentrum) ist zwar bei den meisten Erzählungen stabil, kann sich aber über die Erzählung hinweg auch verschieben. So wird z.B. Paulus erst in Act 13–28 zur Hauptfigur der Apostelgeschichte. 2. Die Funktion der Figur in der Handlung. Figuren nehmen in jeder geschilderten Handlung jeweils eine bestimmte Funktion ein. V. Propp hatte 1928 anhand russischer Zaubermärchen 31 typische Handlungselemente und sieben Handlungskreise formuliert, 539 die der französische
534 PFISTER, Drama, 225f. Die Hintergrundfigur bei E ISEN, Poetik, 133 entspricht hier der Randfigur. 535 PFISTER, Drama, 227. 536 Vgl. aus exegetischer Sicht S KA, Fathers, 86. PFISTER, Drama, 227 schlägt hier noch ein streng numerisches Vorgehen vor, nämlich „daß man für jede Figur nach der Zahl der aktualisierten Korrespondenz- und Kontrastbezüge zu anderen Figuren und nach der Zahl der triadischen Handlungsschritte fragt, in denen sie als aktives, handelndes Subjekt erscheint“. Ohne eine Gewichtung der Bezüge und Handlungsschritte ist das Ergebnis aber recht einseitig. 537 Dieser Punkt fällt bei literarischen Figuren natürlich weg. 538 EDER, Figur im Film, 468f. 539 PROPP, Morphologie, 31–66 (31 Handlungsfunktionen) und 79f.: 1. Gegenspieler, 2. Schenker, 3. Helfer, 4. Zarentochter (gesuchte Gestalt) und ihr Vater, 5. Sender, 6. Held, 7. falscher Held. Zu einer kritischen Auseinandersetzung mit Propp vgl. G RAZZINI,
150
2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
Strukturalismus in den 1960er Jahren rezipierte. A.J. Greimas verdichtete sie zu insgesamt sechs „aktantiellen Kategorien“ 540: – Subjekt und Objekt; – Adressant (Sender) und Adressat (Empfänger); – Adjuvant (Helfer) und Opponent (Gegner).
Dieses relativ bekannte Aktantenmodell von Greimas wird meist visualisiert zusammengefasst (Abb. 25):541 Sender
Objekt
Empfänger
Helfer
Subjekt
Widersacher
Abb. 25: Aktantenmodell nach A.J. Greimas
In einer neutestamentlichen Heilungsszene wie in Mk 2,1–12 kann man die Handlungsfunktionen so verteilen: Der Gichtbrüchige („Subjekt“) sucht Heilung („Objekt“). Jesus „sendet“ dem Gichtbrüchigen („Empfänger“) Heilung. Der Gichtbrüchige hat „Helfer“ und „Widersacher“, wobei es eigentlich Jesu Widersacher sind. Jesus und der Kranke kommen also tatsächlich jeweils an zwei Stellen im Aktantenmodell vor. Schon das Beispiel zeigt, dass das Aktantenmodell nicht schematisch angewendet werden kann und nur eine begrenzte Aussagekraft hat. Besser ist m.E. das Handlungsrollenmodell von J. Eder (Abb. 26): Der strukturalistische Zirkel, 19–80; K IM, Aktantenmodell, 25–32 u. passim. Ausführlicher zu Propps Handlungsfunktionen Kap. 2.4.4. 540 GREIMAS, Strukturale Semantik, 159f. (zu Propp und Souriau) und 161–165. Ein Aktant ist allerdings nicht immer mit einer Figur der Erzählung identifizierbar. Eine Figur gehört zur Textoberfläche, Greimas’ Interesse dagegen ist auf die „Tiefenstruktur“ von Texten gerichtet. Greimas hat das Aktantenmodell später weiter überarbeitet. Zu den Aktanten im Kontext von Greimas’ Denken vgl. K IM, Aktantenmodell; SCHLEIFER, Greimas, 87–110; J ANNIDIS, Figur, 101 mit Anm. 30; für eine ausführliche Besprechung des Modells s. auch HERMAN, Story Logic, 115–133. 541 GREIMAS, Strukturale Semantik, 165. Wieder abgedruckt z.B. bei E GGER, Methodenlehre, 125; S KA, Fathers, 92; TOLMIE, Jesus’ Farewell, 120; E ISEN, Poetik, 135; CORNILS, Geist Gottes, 63. Zu anderen Veranschaulichungen vgl. B ACHORZ, Analyse der Figuren, 55; S TIBBE, John as Storyteller, 36; M ARGUERAT/BOURQUIN, Bible Stories, 63. Vgl. auch LUDWIG, Figur, 134–136; B AL, Narratology, 197–207; B AUER, Romantheorie, 153f.; JANNIDIS, Figur, 100f. Im angelsächsischen Narrative Criticism scheint das Modell von Greimas weniger aufgegriffen worden zu sein, vielleicht wegen der strukturalistischen Position, die eine Figur allein von der Handlung her versteht (s. die kritischen Bemerkungen bei C HATMAN, Story, 112). In der späteren Narratologie werden z.T. Anpassungen vorgenommen. BAL, Narratology, 198 ersetzt den „Sender“ bei Greimas durch
151
2.5 Figurenanalyse
Auslöser
Entscheider
Empfänger
(destinateur, herald, impact character)
(deus ex machina, Situationsmächtiger)
(destinataire)
Protagonist
Zielobjekt
Antagonist
(sujet, hero)
z.B. romantic interest
(opposant, shadow)
Helfer d. Protagonisten 1. Sidekick 2. Mentor (guardian)
Helfer d. Antagonisten 1. Handlanger 2. Schwellenwächter 3. Contagonist
Abb. 26: Mögliche Handlungsrollen nach J. Eder 542
Eder betont, dass keineswegs zwingend alle Handlungsrollen ausgefüllt werden müssen und dass eine Figur auch in mehreren Handlungsrollen auftreten kann.543 Das Modell bietet aber eine flexible, brauchbare Heuristik, um zu überlegen, welche Funktion eine bestimmte Figur in der Handlung erfüllt. Erzählungen insgesamt könnte man auch danach klassifizieren, welche Rollenkonstellationen im Vordergrund stehen (Ein-Protagonist-Erzählungen, Zwei-Protagonisten-Erzählungen usw. 544), und deren Verteilung auf bestimmte Epochen und Gattungen analysieren. 2.5.5 Figurendarstellung Die Konstruktion der Figuren durch die Erzählung nennt man Charakterisierung. Man kann hier verschiedene Analysekategorien aufstellen: 545 den Begriff „Macht“ (power), B ACHORZ, Analyse der Figuren, 55 dagegen durch die Kategorie „Schiedsrichter“. Zu weiteren Modellen neben Propp und Greimas s. N ÖTH, Semiotik, 407; B AL, Narratology, 219; E DER, Figur im Film, 487–492. 542 EDER, Figur im Film, 493, vgl. 493f. zu genaueren Erläuterungen. Der „Sidekick“ ist ein Begleiter des Protagonisten, der „Schwellenwächter“ verstellt den Zugang zum Ziel, der „Contagonist“ verführt den Protagonisten oder lenkt ihn ab. 543 EDER, Figur im Film, 492: „Es handelt sich um ein prototypisches Modell, das möglichst viele Handlungsrollen aufführt, ohne zu beanspruchen, dass sie alle ausgefüllt sein müssen. Wie bei den zuvor skizzierten Modellen – deren Termini in Klammern mit aufgeführt sind – gilt, dass eine Figur mehrere Rollen übernehmen kann und eine Rolle durch mehrere Figuren, durch Kollektive oder Abstrakta besetzt werden kann.“ 544 Vgl. für Bezeichnungen und Beispiele E DER, Figur im Film, 496–500. 545 Hier in Anlehnung an K OCH, Literarische Menschendarstellung, 127: Interpretationsanstrengung, Distribution, Quantität, Frequenz. Ein ausführlicheres Analyseraster bietet JANNIDIS, Figur, 220f. (Dauer, Menge, Häufigkeit, Ordnung, Dichte, Informations-
152
2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
1. Offensichtlichkeit der Charakterisierung. Am häufigsten wird nach der „Interpretationsanstrengung“ unterteilt und direkte (explizite) Charakterisierung und indirekte (implizite) Charakterisierung voneinander unterschieden.546 Die direkte Charakterisierung, bei der ein Figurenmerkmal explizit genannt wird, ist in den biblischen Schriften eher selten (vgl. jedoch die Charakterisierung des Engels in Mt 28,3). Bei der indirekten Charakterisierung müssen die Figurenmerkmale aus Handlungen, Reden 547 oder verschiedenen Formen von Analogien erschlossen werden: 548 a) Figurenmerkmale lassen sich aus den Handlungen der Figur ermitteln und auch daraus, was die Figuren nicht tun, insbesondere im Kontrast mit anderen Figuren. So kommen z.B. nicht die elf Jünger zum Grab, was man erwarten könnte, sondern nur die Frauen (Mt 28,1). Bei der Kreuzigungsszene war es ähnlich. Der intendierte Rezipient wird daraus folgern, dass die Jünger enttäuscht, ängstlich und illoyal gegenüber Jesus sind. b) Darüber hinaus lassen sich Figurenmerkmale erkennen an dem, was die Figur sagt und wie sie etwas sagt (Figurenredestil 549). Ein innerer Monolog (z.B. beim Gleichnis vom reichen Kornbauern, Lk 12,17–19) erfüllt kontext und Figurenkontext der Informationen über eine Figur). Vgl. auch E DER, Figur im Film, 360–365 (Art des Zeichensystems, Direktheit, Erzählinstanz, Zuverlässigkeit, Modus, Dauer, Menge, Häufigkeit, Dichte, Ordnung, Kontext, Kohärenz). 546 Vgl. dazu RIMMON-KENAN, Narrative Fiction, 59f.; K OCH, Literarische Menschendarstellung, 124–128. Diese Unterscheidung wird u.a. bei EBNER/HEININGER, Exegese, 87–89; B ACHORZ, Analyse der Figuren, 60f. und P OPLUTZ, Erzählte Welt, 68–71 aufgegriffen. Zahlreiche biblische Beispiele für direkte und indirekte Charakterisierung finden sich bei BAR-EFRAT, Bibel, 58–106. Kritisch zu „direkt“ vs. „indirekt“ B ODE, Roman, 138f., der die Bezeichnungen für kontraintuitiv hält. 547 Die antike Charakterzeichnung (hjqopoii?a) geschieht meist indirekt durch Worte und Taten, was auch theoretisch reflektiert wird (Arist. Poet. 1454a: ÓExei de; h\qo~ men eja;n ... poih`/ fanero;n oJ lovgo~ h] hJ pra`xi~ proaivresivn tina; Quint. Inst. or. 9,2,58). Das h[qo~ bezeichnet bei Aristoteles „eine Summe von Eigenschaften und Haltungen eines Menschen“ und umfasst ajrethv, frovnhsi~, eu[noia und manchmal auch die diavnoia. Vgl. dazu M ÜLLER, Prophet, 25–31. Auch die Synkrisis, der Vergleich von Figuren, ist in der griechisch-römischen Antike weit verbreitet (M ÜLLER, Prophet, 49–58). Das rechtfertigt die Kategorie „Analogie“ (s.u.). – Zu Figurenverständnis und Personenbeschreibung in der Antike vgl. auch L UDWIG, Figur, 107–112; K OCH, Literarische Menschendarstellung, 13–24; CORNILS, Geist Gottes, 37–53. 548 Zum Folgenden s. R IMMON-KENAN, Narrative Fiction, 59–67; im Anschluss daran und mit hilfreichen biblischen Beispielen E BNER/HEININGER, Exegese, 86–90. Eine etwas andere Einteilung findet sich bei N IERAGDEN, Figurendarstellung, 31–92 (Rede, Report, Deskription, Kommentar mit weiterer Aufschlüsselung; vgl. Grafik, 91f.), die sich an H. Bonheims Erzählmodi orientiert (vgl. B ONHEIM, Narrative Modes, 18–36). Im Theater und im Film gibt es weitere Faktoren der Charakterisierung wie die Wahl des Schauspielers, musikalische Begleitung usw. (E DER, Figur im Film, 330, vgl. 330–351). 549 Vgl. dazu PFISTER, Drama, 178f.; KOCH, Literarische Menschendarstellung, 188– 197.
2.5 Figurenanalyse
153
dieselbe Funktion. Auch andere Figuren können sich über eine Figur äußern und diese charakterisieren, wobei man vorsichtig sein muss, wenn es Hinweise auf Unglaubwürdigkeit gibt (s.u. Nr. 6). c) Figurenmerkmale lassen sich auch aus verschiedenen Arten von „Analogien“ erschließen: So kann die geschilderte Landschaft bzw. der Raum den Gemütszustand einer Figur widerspiegeln 550 oder man erhält Hinweise aufgrund des Namens einer Figur 551. Für biblische Erzählungen besonders wichtig ist der Vergleich von Figuren (Synkrisis). Es kann korrespondierende Figuren entweder innerhalb (interne Analogie) oder außerhalb der Erzählung (externe Analogie)552 geben, die als foil characters bestimmte Aspekte einer Figur hervorheben sollen (s.o. 2.5.2.3 zum Vergleich der Figuren).553 In die Kategorie ‚externe Analogie‘ fällt beispielsweise die Beobachtung, dass das MtEv an vielen Stellen Jesus und Mose miteinander in Beziehung setzt 554. 2. Erzählinstanz der Charakterisierung. Hier unterscheidet man auktoriale und figurale Charakterisierung 555, d.h. Figurenmerkmale können entweder vom Erzähler oder den Figuren genannt oder angedeutet werden. Sowohl der Erzählerkommentar als auch die Figurenrede können unzuverlässig sein. Die auktoriale vs. figurale Charakterisierung entspricht der allgemeinen Unterscheidung von telling und showing als den zwei Grundtechniken der Darstellung in einer Erzählung. 556 Deren Präzisierung durch
550 R IMMON-KENAN, Narrative Fiction, 69f. In biblischen Erzählungen spielt dies kaum eine Rolle. 551 Die Charakterisierung einer Figur durch Namensgebung ist im Alten Testament häufig anzutreffen, z.B. Nabal (= „töricht“, 1 Sam 25,25). Vgl. auch S KA, Fathers, 88. 552 So die sinnvolle Unterscheidung bei EBNER/HEININGER, Exegese, 89f. 553 Für ein alttestamentliches Beispiel vgl. V ETTE, Samuel, bes. 31: „Wie ich ... darlegen werde, gewinnt gerade die Schilderung Sauls durch Vergleiche innerhalb der jeweiligen Figurenkonfigurationen durch Kontrast und Analogie immens an Tiefe“. 554 Vgl. ALLISON, New Moses. 555 Vgl. die oberste Analysekategorie in der Grafik bei P FISTER, Drama, 252, die von EISEN, Poetik, 137 gekürzt übernommen wird, ohne sie auf literarische Texte anzupassen. Dies geschieht unter Aufgabe der Hierarchisierung bei L UDWIG, Figur, 143f. Weiterführend dazu K OCH, Literarische Menschendarstellung, 163–171. Eigentlich sollte man genauer von „narratorialer Charakterisierung“ sprechen und nicht von „auktorialer Charakterisierung“, da der Erzähler der jeweils behandelten Erzählebene gemeint ist; vgl. NEUMANN/NÜNNING, Narrative Fiction, 55f. 556 Dies in Anlehnung an B OOTH, Rhetoric, 3–20. Vgl. C HATMAN, Story, 32; RABINOWITZ, Art. Showing vs. Telling; P OWELL, Narrative Criticism, 52f.; R ESSEGUIE, Narrative Criticism, 126f. (bereits mit Differenzierungen) u.a. Kritisch zur Möglichkeit des showing in Erzählungen G ENETTE, Erzählung, 116f.; BODE, Roman, 133f. Bereits Platon hatte ähnlich zwischen dihvghsi~ (ein Dichter erzählt ein Geschehen) und mivmhsi~ (der Dichter gibt das Gesagte wieder) unterschieden (rep. 392c–394b; vgl. GENETTE, Erzählung, 116).
154
2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
zahlreiche Zwischenformen wie z.B. indirekte Rede 557 ist auch auf die Charakterisierung anwendbar. 3. Distribution der Charakterisierung. Für verschiedene Distributionsmuster von Charakterisierungen können Benennungen eingeführt werden. Mit Blockcharakterisierung 558 wird das Phänomen bezeichnet, wenn Figurenmerkmale gesammelt dargestellt werden. Dies geschieht oft beim ersten Auftreten einer Figur (z.B. Act 10,1f.). 559 Hier können bestimmte Eigenschaften genannt sein, die erst im Lauf der Erzählung wichtig werden (proleptic epithet), z.B. die Behaarung Esaus (Gen 25,25; 27,11). 560 Biblisch relevant sind auch „Strategien der Informationsverdoppelung“ 561: Dieselbe Information wird mehrfach aus unterschiedlicher Perspektive, z.B. vom Erzähler und dann von den Figuren, wiedergegeben. 562 Beobachtet werden kann auch eine szenische Charakterisierung biblischer Figuren, d.h. dass Figurenmerkmale nacheinander in einzelnen Szenen dargestellt werden, ohne dass die Entwicklung der Figuren zwischen den Szenen explizit geschildert wird. 563 4. Quantität der Charakterisierung: Dies betrifft die Länge des Textes, die für explizite (oder implizite) Hinweise auf die Merkmale einer Figur gebraucht wird. Eine ausführlichere Charakterisierung wird in der Regel auch zu einer detaillierten, mehrdimensionalen und individuellen Figur führen. 5. Frequenz der Charakterisierung: Figurenmerkmale können häufig erwähnt werden, wodurch sie ein besonderes Gewicht bekommen, und dabei als Leitmotive fungieren. Oder sie sind nur einmalig geschildert. 557 Eine genauere Aufschlüsselung der Zwischenebenen zwischen narrativem Modus (= telling) und dramatischem Modus (= showing) findet sich bei S CHWARZE, Ereignisse, 176–188; J AHN/NÜNNING, Survey, 294f.; MARTÍNEZ/S CHEFFEL, Erzähltheorie, 49–63; QUINKERTZ, Analyse des Erzählmodus. Vgl. auch Kap. 2.6.2. 558 E ISEN, Poetik, 136. So begegnet im lk Werk das Muster „New Character Narrative“ mit sechs Untertypen (EISEN, Poetik, 138, die eine Studie von Dickerson referiert). Wenn die Charakterisierung innerhalb einer Erzählung Aspekte des literarischen Porträts aufweist, kann man von einem „Situationsporträt“ sprechen. Vgl. zur Abgrenzung K OCH, Literarische Menschendarstellung, 57–63. 559 Die charakterisierende Vorstellung einer Figur am Anfang kommt der kognitiven Modellbildung des Rezipienten entgegen (s. 2.7.4 zum primacy effect). Vgl. EDER, Figur im Film, 366: „Bei den meisten Figuren geschieht ein wesentlicher Teil der Modellbildung bereits in den ersten Sekunden oder Minuten ihrer Darstellung … Spätere Veränderungen des Figurenmodells erfordern Zeit, Aufmerksamkeit und narrativen Aufwand.“ Zu Möglichkeiten der Distribution von Figureninformationen vgl. insgesamt 366–370. 560 Vgl. dazu STERNBERG, Poetics, 337–339; V ETTE, Samuel, 28. 561 Vgl. VETTE, Samuel, 33–37. 562 Z.B. die Ablehnung Nabots, Ahab seinen Weinberg zu geben (1 Kön 21,3–6) oder die Schilderung des Damaskuserlebnisses (Act 9,1–19; 22,6–16; 26,12–18). 563 SKA, Fathers, 85.
2.5 Figurenanalyse
155
6. Zuverlässigkeit der Charakterisierung. Jede Zuschreibung von Figurenmerkmalen zu einer Figur geschieht entweder direkt durch den Erzähler (auktorial) oder aus der Perspektive von Figuren der erzählten Welt (figural). Besonders die Figurenreden sind mit Vorsicht zu lesen: 564 Eine Figur kann auch die Unwahrheit über eine andere Figur sagen und denken; in diesem Fall wird nur die Figur selbst charakterisiert. So scheinen die Hohenpriester in Mt 27,64 ernsthaft zu glauben, dass die Jünger den Leichnam stehlen könnten, was jedoch durch den Fortgang der Erzählung widerlegt wird. Diese Erwähnung stellt die Haltung der Hohenpriester heraus und lenkt die Aufmerksamkeit des Rezipienten auf das Kommende, ist aber keine Fremdcharakterisierung. Besonders in modernen Romanen kann auch der Erzähler unzuverlässig sein 565, im NT ist diese literarische Technik nicht verwendet 566. In manchen Fällen kann es sinnvoll sein, das Was (Kap. 2.5.2) und das Wie (Kap. 2.5.5) der Figurendarstellung miteinander in Beziehung zu setzen, um ein genaueres Profil der Erzähltechnik zu erhalten. Zur Erzähltechnik gehört, dass bestimmte Merkmale einer Figur oft auf spezifische Weise dargestellt werden. Bei einer anderen Figur, einer anderen Erzählung oder einem anderen Erzähler kann dieses Charakterisierungsprofil signifikant abweichen. Hilfreich ist hier eine tabellarische Übersicht (vgl. Tab. 27). In den Feldern der Tabelle kann entweder das bloße Vorhandensein einer Konstellation vermerkt oder ein Verweis auf entsprechende Abschnitte der Erzählung bzw. ein Forschungshinweis auf eine genaue Analyse dieser Stellen untergebracht werden. 564
Dass man vorsichtig sein muss, unbedacht auf die Figurenmerkmale zu schließen, wird fast immer betont. R. Alter hat dafür eine Skala der Zuverlässigkeit von Charakterisierungen vorgeschlagen (A LTER, Art, 116f.; vgl. R ESSEGUIE, Narrative Criticism, 130– 132). Es sind verschiedene Kriterien denkbar: 1) Widerspricht die Charakterisierung dem tatsächlich Geschilderten oder dem, was aus dem Verhalten der Figur erschlossen werden kann? 2) Passt diese Charakterisierung zu den übrigen sicheren Figurenmerkmalen? 3) Stammt die Charakterisierung von einem zuverlässigen Erzähler? 4) Würde es bei einem Figurenkommentar zu den Eigenschaften der Figur passen, dass sie in dieser Situation absichtlich oder unabsichtlich die Unwahrheit über sich bzw. über die andere Figur sagt? 565 Zum unzuverlässigen Erzähler (unreliable narrator), bei dem der Erzähler nicht unbedingt den Standpunkt des Autors vertritt, s.u. 2.6.4. Davon zu unterscheiden sind Fehler/Inkonsistenzen in der Erzählung, z.B. wenn Sancho Pansa in Cervantes’ Don Quijote der Esel geraubt wird, er ihn später wieder zurückerhält, er aber trotzdem in den Kapiteln dazwischen auf dem Esel reitet (M ARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 104–107). 566 Ein ähnliches Phänomen ist aber dennoch zu beobachten. Bei einem unreliable narrator imaginiert der wahre Autor eine mehr oder weniger explizit erwähnte Reflektorfigur, schiebt also eine zusätzliche Erzählebene ein, und schreibt die Erzählung aus der Perspektive dieser Figur. Pseudepigrafie funktioniert auf dieselbe Weise, vgl. Kap. 2.2.1.
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
Tab. 27: Charakterisierungsprofil (zum Erkennen von Darstellungstendenzen) Figur A Art des Figurenmerkmals↓ Identität Charakter Meinungen …
Art der Darstellung, hier: Offensichtlichkeit der Charakterisierung direkt indirekt indirekt indirekt (Erzähler) (Handlung) (eigene Rede) (fremde Rede)
Analogien
2.5.6 Figurenkonzeption 567 Klassischerweise wird seit E. Forster (1927) zwischen „runden“ und „flachen“ Figuren in einer Erzählung unterschieden. 568 Ein round character ist eine Figur, die komplex gezeichnet ist und viele unterschiedliche Charakterzüge besitzt; ein flat character eine typisierte Figur mit wenigen Charakterzügen.569 Zwischen beiden Polen könnte man natürlich zahlreiche Zwischenstufen beschreiben. In den Evangelien ist Jesus als der Protagonist eine sehr „runde“ Figur 570; die Hohenpriester sind dagegen recht „flach“ gezeichnet. Über diese weit verbreitete Unterscheidung hinaus wurden verschiedene Differenzierungen vorgenommen. 571 Bekannt ist die vierfache Aufschlüsselung der Figurenkonzeption bei M. Pfister: statisch – dynamisch, eindimensional – mehrdimensional (Personifikation – Typ – Individuum), geschlossen – offen und transpsychologisch – psychologisch. 572 Das Modell 567 Der Begriff „Figurenkonzeption“ wurde von P FISTER, Drama, 240–250 eingeführt; vgl. BACHORZ, Analyse der Figuren, 57–60; B ODE, Roman, 123–132. Bei R IMMONKENAN, Narrative Fiction, 40; C ORNILS, Geist Gottes, 70f. erscheint Forster dagegen unter der Überschrift „Figuren-Klassifikationen“. 568 FORSTER, Aspects, 73–81. Diese Unterscheidung ist auch im exegetischen Narrative Criticism weit verbreitet, so z.B. S KA, Fathers, 84f.; MARGUERAT/BOURQUIN, Bible Stories, 60f.; R ESSEGUIE, Narrative Criticism, 123; E ISEN, Poetik, 134. 569 So erläutern es C HATMAN, Story, 132 und daran anschließend viele exegetische Einführungen. Forsters Abgrenzungskriterium ist eher die Überraschung des Lesers: „The test of a round character is whether it is capable of surprising in a convincing way. If it never surprises, it is flat“ (F ORSTER, Aspects, 81). 570 RHOADS, Narrative Criticism, 418 hält Jesus bei Mk allerdings für weniger „rund“ als die Jünger, weil sich dessen Charakterzüge nicht widersprechen oder verändern. 571 Eine hilfreiche Übersicht über die Differenzierungsvorschläge seit Forster bietet JANNIDIS, Figur, 86–98. Innerhalb der alttestamentlichen Exegese prägte B ERLIN, Poetics, 23 die alternativen Bezeichnungen full-fledged character und type (letzteres im Sinne des stock character, s.u.). 572 PFISTER, Drama, 241–250. Vgl. dazu auch L UDWIG, Figur, 143; B ACHORZ, Analyse der Figuren, 58f. Zu ähnlichen Modellen vgl. R IMMON-KENAN, Narrative Fiction, 41f.; CORNILS, Geist Gottes, 71 (J. Ewen); P FISTER, Drama, 241 (B. Beckermann).
2.5 Figurenanalyse
157
von J. Eder ist inzwischen wohl am stärksten ausgereift. 573 Dennoch: Manche von Eders Kontrastpaaren sind inhaltlich ähnlich, andere müssen differenziert werden, wieder andere haben nicht analytischen, sondern synthetischen Charakter. Daher werden Eders Kategorien zur Beschreibung der Figurenkonzeption im Folgenden überarbeitet dargestellt. – Veränderung der Figur: statisch – dynamisch.574 Die Merkmale einer statischen Figur575 verändern sich über die gesamte Erzählung nicht. Zwar wird sie in der Erzählung sukzessive vorgestellt, das Wissen des Lesers erweitert sich; doch anders als bei einer dynamischen Figur gibt es keine Entwicklung der Figur selbst. 576 Im Fall einer dynamischen Figur kann man im Einzelnen beschreiben, welche Figurenmerkmale sich verändern,577 die Dynamiken klassifizieren (körperliche vs. psychische Veränderung) und historisch kontingente Typen der Figurendynamik herausarbeiten.578 – Detailliertheit der Figur: knapp – detailliert. Hier geht es um die Zahl der Merkmale, die der Rezipient bei einer Figur erschließen kann. Wenn bei Figuren nur wenige Eigenschaften erkennbar sind, handelt es sich um knappe Figuren; haben sie viele Eigenschaften (unabhängig davon, ob sie einem Typ entsprechen und ob sie mehrere Eigenschaftsbereiche abdecken), sind es detaillierte Figuren.579 573 Eder benennt folgende Gegensatzpaare von „Artefakt-Eigenschaften“: 1. typisiert – individualisiert; 2. realistisch – nicht-/unrealistisch; 3. komplex – einfach; 4. kohärent – inkohärent; 5. flach – rund; 6. statisch – dynamisch; 7. transparent – opak; 8. geschlossen – offen; 9. symbolisch – nicht exemplifizierend; 10. psychologisch – transpsychologisch (EDER, Figur im Film, 375–399; vgl. ähnliche Zusammenstellungen bezogen auf Figurenmerkmale 239–242 und 373f.). Die spezifische Konstellation dieser Aspekte ist nach Eder die Figurenkonzeption (399). 574 Diese Unterscheidung auch bei S KA, Fathers, 83f.; RESSEGUIE, Narrative Criticism, 125f.; EDER, Figur im Film, 393f. 575 Innerhalb der Exegese ist dafür auch block character gebräuchlich, vgl. MARGUERAT /B OURQUIN, Bible Stories, 61; E ISEN, Poetik, 134 Anm. 347. Man sollte besser beim Begriff „statische Figur“ bleiben. 576 Nicht zur eigentlichen Figurendynamik zählen m.E. wechselnde Figurenkonstellationen, flüchtige Zustände der Figur, Brüche in der Figurendarstellung und Änderungen der empathischen Distanz des Rezipienten zur Figur (anders E DER, Figur im Film, 310f.). 577 Statisch sind zumeist die Charakterzüge, eher dynamisch sind Meinungen, Verhaltensweisen und Gefühle. Vgl. B AR-EFRAT, Bibel, 70, der unveränderliche Charaktereigenschaften und momentane Stimmungen voneinander differenziert; ähnlich M ARGOLIN, Art. Character, 56; s. auch die Beispiele für stabile und flüchtige Eigenschaften von Figuren bei EDER, Figur im Film, 176f., die in allen drei Eigenschaftsdimensionen (Körperlichkeit, Psyche, Sozialität) auftreten können. 578 Neben unterschiedlichen Arten der Figurenverwandlung kann man auch verschiedene Rhythmen der Verwandlung und Faktoren der Veränderung klassifizieren (EDER, Figur im Film, 315). 579 Eigene Bezeichnungen.
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
– Dimensionalität der Figur: eindimensional – mehrdimensional.580 Die Merkmale einer Figur können einen oder mehrere Merkmalsbereiche abdecken. Wenn z.B. eine Figur nur hinsichtlich ihrer sozialen Rolle in den Blick kommt, aber ihr Charakter oder Verhalten nicht deutlich werden, ist sie eindimensional. Derselbe Eindruck von Eindimensionalität wird allerdings auch erzeugt, wenn eine bestimmte Art von Merkmalen der Figur so im Vordergrund steht, dass andere Merkmale verblassen. 581 – Konventionalität der Figur: typisch – individuell. Die Figurenkonzeption kann man außerdem als Kontinuum zwischen Typisierung und Individualisierung beschreiben. Nach Eder werden „Figuren entweder mehr einem Typus, einer Kategorie zugeordnet und als Mitglieder einer Gruppe wahrgenommen oder mehr als Individuum mit unverwechselbaren Eigenschaften verstanden.“ 582 Figuren, die einem bekannten Typus entsprechen, sind leichter verständlich und erfordern weniger kognitive Anstrengungen. Figuren, die spezifische Merkmale besitzen, wirken dagegen interessanter.583 Figuren mit beiden Aspekten bezeichnet Eder als „individualisierte Typen“. Nebenfiguren sind häufiger typisiert als Hauptfiguren. Durch Stereotypen in einer Erzählung werden oft Vorurteile gegenüber Figurengruppen z.B. bestimmter Nationalität, Rasse oder bestimmten Geschlechts gefestigt. 584 580 Bei EDER, Figur im Film, 392f. wird dieser Aspekt mit dem Begriffspaar „flach – rund“ vermengt. Der flat character bei Forster wird zwar häufig mit „eindimensionale Figur“ übersetzt, doch sollten Eindimensionalität, die – wie Eder selbst sagt – „direkt auf das Kriterium der vorhandenen Eigenschaftsdimensionen verweist“ (392), und das umfassendere Konzept der Flachheit voneinander unterschieden werden. 581 Vgl. EDER, Figur im Film, 183: „Besonders auffällige Eigenschaften können die Aufmerksamkeit von subtileren Details abziehen. Selbst wenn eine Figur mit einer Vielfalt von Merkmalen ausgestattet ist, kann sie dann eindimensional wirken.“ Vgl. den Abschnitt 2.5.2.2 zu Hauptmerkmalen. 582 EDER, Figur im Film, 229, vgl. die klassische, früher oft wertend gebrauchte Unterscheidung von Charakter und Typus (JANNIDIS, Figur, 102f.; POPLUTZ, Erzählte Welt, 72f.; NÜNNING, Art. Charakter und Typ). – Ein Typ kann als Repräsentant einer Gruppe angesehen werden, die häufig mit kulturellen Stereotypen belegt ist (der Unternehmer, der Ostfriese, der Katholik; vgl. B ODE, Roman, 128f.). In ähnlicher Weise hat der stock character kulturell determinierte Charakterzüge oder Aufgaben, z.B. die böse Stiefmutter; der Weihnachtsmann, der Geschenke bringt. Vgl. A BRAMS, Glossary, 306f.; RESSEGUIE , Narrative Criticism, 124. Eine weitere Kategorie definierter Figuren ist die allegorische Personifikation (vgl. PFISTER, Drama, 244), wie z.B. in Bunyans Pilgerreise. Die Erzählung kann den Rezipienten mit seinem Weltwissen auch überraschen, indem etwa ein böser Weihnachtsmann auftritt; vgl. dazu B AL, Narratology, 119–121 (dort = referential character). Weiterführend ist SCHNEIDER, Grundriß, 142–163, der aus kognitiver Sicht die Kategorisierung von Figuren während des Leseprozesses beschreibt. 583 EDER, Figur im Film, 230, vgl. insgesamt 228–232.375–381. 584 S. EDER, Figur im Film, 200f.379f. Z.B. tauchen Araber in westlichen Filmen meist stereotyp als Schurke/Terrorist, Scheich, unterdrückte Frau, Altägypter oder Paläs-
2.5 Figurenanalyse
159
– Transparenz der Figur: geschlossen/transparent – offen/mysteriös.585 Dieser Aspekt betrifft die Verstehbarkeit einer Figur. Eine Figur wirkt transparent, wenn die Figurencharakterisierung keine zentralen Lücken aufweist. Dadurch wird dem Rezipienten „ein angenehmes Gefühl der Orientierungsfähigkeit und Situationsmächtigkeit vermittelt“. 586 Mysteriöse Figuren fordern dagegen zum Nachdenken heraus. In diesem Fall bleibt es offen, warum eine Figur in der genannten Weise gehandelt hat, häufig auch über die Erzählung hinaus. Der Rezipient kann die logischen Lücken nur schwer mithilfe seiner Alltagspsychologie oder seinem Wissen über die erzählte Welt füllen. Die Figur wirkt fragmentiert.587 Im MtEv wird z.B. der Verrat des Judas (26,14–16) nicht wirklich erklärt. Man kann bei einer Erzählung auch im Einzelnen bestimmen, an welchen Stellen bzw. bei welchen Arten von Figurenmerkmalen die Verstehenslücken typischerweise auftreten, wo und inwiefern sie wieder geschlossen werden und wie stark der Rezipient auf diese Lücken aufmerksam wird oder nicht. 588 – Realismus der Figur: realistisch – nicht-/unrealistisch. Figuren können mehr oder weniger an der Alltagserfahrung der intendierten Rezipienten und dem, was von ihnen für möglich gehalten wird, orientiert sein (vgl. 2.2.2.2). Sie sind entweder (versehentlich) unrealistisch, wenn einige Eigenschaften nicht zur Persönlichkeit, sozialen Rolle oder Körperlichkeit der Figur passen, oder (bewusst) nichtrealistisch konzipiert, wenn sie Fähigkeiten besitzen, die aus Sicht der Rezipienten nicht möglich sind, oder wenn sie stilisiert, artifiziell oder abstrahiert dargestellt werden. Realistisch wirken Figuren, die detailliert ausgearbeitet und mehrdimensional sind, sowohl gute als auch schlechte Eigenschaften haben, deren Psyche, Gefühle und Verhalten kohärent sind und mit Erfahrungen der Rezipienten korrespondieren. 589 – Kohärenz der Figur: kohärent – inkohärent. Die erzählten und erschließbaren Eigenschaften von Figuren sollen im Allgemeinen konsistent (miteinander vereinbar) und kohärent (zusammenhängend) sein. tinenser auf (201). Im Alten Testament werden z.B. die kanaanäischen Völker einförmig dargestellt, im JohEv die „Juden“. Eine solche Stereotypisierung der „Anderen“ durch eine bestimmte Gruppe wird u.a. im Rahmen der Cultural Studies untersucht. 585 Vgl. die verwandten Begriffspaare bei E DER, Figur im Film, 394: transparent – opak; geschlossen – offen; ganz – fragmentarisch. 586 EDER, Figur im Film, 395. 587 Vgl. EDER, Figur im Film, 211: „… Manche Filme zielen allerdings gerade darauf, der Figur ein Identitätszentrum zu verweigern, konsistente Strukturen im Figurenmodell zu unterlaufen und durch lückenhafte oder widersprüchliche Informationen den Eindruck von Fragmentierung und Ambivalenz zu erzeugen.“ 588 Vgl. EDER, Figur im Film, 183f. 589 EDER, Figur im Film, 382–389.
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
Nicht selten ist eine Figur jedoch inkohärent. Dabei gibt es verschiedene Arten von Widersprüchen im Eigenschaftssystem der Figur: logisch, physisch, psychologisch, sozial oder zeitlich. Z.B. handelt eine Figur in einer bestimmten Situation völlig anders, als man es aufgrund ihrer Persönlichkeit erwarten könnte. Ob im konkreten Fall ein echter psychologischer Widerspruch vorliegt, ist oft nicht eindeutig zu klären. Inkohärente Figuren wirken unrealistisch oder artifiziell. 590 – Applikabilität der Figur: übertragbar/transpsychologisch – spezifisch/ psychologisch.591 Diese Unterscheidung betrifft die Frage, wie stark eine Figur die Eigenschaften einer anderen Entität aus der Wirklichkeit der Rezipienten verkörpert. Solche Bezüge können zwei Formen haben: a) die Personifikation: die geschilderten Merkmale einer Figur zeigen die Eigenschaften einer abstrakten Größe, z.B. der griechische Kriegsgott Ares, Herr „Weltklug“ in Bunyans Pilgerreise oder „der Tod“ als eigene Figur; b) die Exemplifikation: Es werden Eigenschaften von bestimmten Menschen dargestellt, die auch in der Realität der Rezipienten existieren. Der Rezipient kann sich selbst oder andere Personen mehr oder weniger stark mit einzelnen Figuren identifizieren (vgl. 2.7.6). Oft werden in einer Erzählung auch die Auswirkungen einer bestimmten (moralischen) Eigenschaft illustriert. Es ist kaum möglich, dass eine Figur nicht exemplifizierend ist; doch kann man durchaus unterschiedliche Grade der Exemplifikation feststellen. Eine spezifische Figur interessiert eher als Individuum; transpsychologische Figuren sind zugleich Repräsentanten eines Aspekts des menschlichen Daseins. 592 Im Drama wird der Übertragungshinweis oft von der Figur übernommen (wobei die Fiktion durchbrochen wird; daher „transpsychologisch“) 593, in der 590 EDER, Figur im Film, 390–392, vgl. 184. Daneben kann in bestimmten Fällen auch die Figurendarstellung inkohärent wirken (392). 591 Vgl. EDER, Figur im Film, 395–397: symbolisch/allegorisch/emblematisch/exemplifizierend – nicht exemplifizierend; psychologisch – transpsychologisch. 592 Vgl. 2.7.6 zu Applikationen. – Viele Figuren sind tatsächlich transpsychologisch angelegt, z.B. Shen-Te/Shui-Ta in Brechts Der gute Mensch von Sezuan, die die Problematik moralisch guten Lebens in einer ungerechten Welt verkörpert. In Schillers Dramen können einige Figuren ihre Verfallenheit an die Leidenschaften genau analysieren; hier geht es weniger um eine plausible Figurendarstellung, sondern um Darstellung der „Tiefe der Menschheit“. Auch die biblischen Erzähler und Tradenten haben immer wieder das Allgemein-Menschliche im Blick (Adam und Eva, Kain und Abel usw.), dominant ist speziell das Figurenmerkmal Glauben vs. Unglauben (z.B. Abraham; die Könige von Israel und Juda; die Jünger Jesu; die Figuren der Apostelgeschichte). Vgl. mit Blick auf neutestamentliche Gleichnisse H ARNISCH, Gleichniserzählungen, 32–35. 593 Die von PFISTER, Drama, 248f. eingeführte Terminologie „psychologisch“ – „transpsychologisch“ geht von diesem Spezialfall aus, nämlich dass die Figur selbst einen Applikationshinweis geben muss. Aus Sicht der kognitiven Narratologie ist für die Applikabilität einer Figur kein expliziter Verweis notwendig.
2.5 Figurenanalyse
161
epischen Literatur eher vom Erzähler. Aber auch wo keine expliziten Hinweise gegeben werden, wird wahrscheinlich überkulturell damit gerechnet, dass der Rezipient die Übertragbarkeit bestimmter Figurenmerkmale erkennt und Identifikationsprozesse stattfinden. Zwischen Gleichnissen und „Nicht-Gleichnissen“ gibt es tatsächlich nur einen graduellen Unterschied. Daneben sind noch weitere Bezeichnungen für die Darstellungskonzeption der Figuren gebräuchlich. Dabei handelt es sich allerdings – diese Unterscheidung wird bei Eder nicht gemacht – um synthetische Eigenschaftspaare, die mehrere der obengenannten Aspekte vereinen. Dazu gehören: – Komplexität der Figur: einfach – komplex. Wenn Figuren nur wenige Eigenschaften aufweisen oder einem Typ entsprechen, werden sie als einfach bezeichnet. Wenn sie dagegen viele Eigenschaften haben und nicht nur einen bekannten Typ wiedergeben, also detailliert und individuell sind, können sie als komplex angesehen werden.594 – Interessantheit der Figur: flach – rund. Flache Figuren haben wenige Eigenschaften, wenige Dimensionen, sind typisch und vorhersehbar. Runde Figuren sind komplex, haben viele Dimensionen, sind individuell, überraschend, doch trotzdem konsistent und realistisch. 595 Bei genauerem Hinsehen auf diese Umschreibungen Eders zeigt sich, dass mit dem Begriffspaar „flach“ – „rund“ keine analytische Eigenschaft, sondern eher die „Interessantheit“ einer Figur gemeint ist. Jede Epoche und Gattung stellt eigene Anforderungen an bestimmte Figuren und tendiert zu einer spezifischen Figurenkonzeption. In heutigen Mainstream-Erzählungen wird allgemein von Figuren gefordert, dass sie individuell, nicht typisch sind und dass sie vielfältig, mehrdimensional, dynamisch und transparent wirken. Ihre Handlungen sollen motiviert erscheinen, es soll eine Identität erkennbar werden, die Persönlichkeit soll konsistent sein und der Rezipient soll sich mit den Figuren identifizieren können.596 Die genannten Eigenschaftspaare können also – abhängig vom jeweils gültigen Geschmack – von Autoren zum Entwerfen von Figuren und von Literatur-/Theater-/Filmkritikern zu deren Bewertung herangezogen werden. Wichtig ist, biblischen Figurenkonzeptionen nicht an unseren Kriterien für eine „gute“ Figur zu messen, sondern sie im Kontext damaliger literarischer Ansprüche zu bewerten. 594 EDER, Figur im Film, 389f. Er benennt mögliche Rezeptionswirkungen komplexer Figuren: „Die Komplexität einer Figur kann das Zuschauerinteresse steigern, kann aber auch Frustration auslösen oder den Gang der Erzählung unnötig aufhalten“ (390). 595 Vgl. EDER, Figur im Film, 392f. Runde Figuren mit interessanten Eigenschaften, die aber keine sonstige Funktion für die Handlung haben, heißen auch nuanciert (ebd.). 596 EDER, Figur im Film, 401–405. Für Independent-Filme oder postmoderne Erzählungen sind dagegen andere Figurenkonzeptionen typisch (405–415).
162
2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
Je nachdem, welcher Aspekt einer Figur besonders betont ist, kann man insgesamt fünf Arten von Figuren unterscheiden: 597 – diegetische Figuren: die Figuren selbst stehen im Vordergrund; der Rezipient bildet einfach ein kognitives Figurenmodell mit den Figurenmerkmalen (2.5.2) (Standardfall); – artifizielle Figuren: die Darstellungsweise (2.5.5) soll am meisten Aufmerksamkeit erregen; – symbolische Figuren: die Figuren werden primär aus transpsychologischem Interesse dargestellt und stehen eigentlich für etwas anderes (vgl. 2.7.6 Applikationsbereiche); – symptomatische Figuren: die Figuren müssen primär im Realitätskontext gedeutet werden; ihre Historizität ist wichtig (vgl. Kap. 2.2.2.2 zur Faktualitätsprüfung); – performative Figuren: die Figuren sollen v.a. starke Rezeptionswirkungen hervorrufen (Kap. 2.7). 2.5.7 Methode der Analyse Die entsprechende Methode der Figurenanalyse untersucht, welche Figurenvorstellungen beim Rezipienten hervorgerufen werden sollen und mit welchen Mitteln der Erzähler seine Figuren charakterisiert: 598 1. Figurenbestand und Figurenkonfiguration: Welche Figuren kommen in der Erzählung insgesamt vor? Welche Figuren treten in den Szenen häufig oder nie zusammen auf (konkomitante/alternative Figuren)? In welchen Szenen gibt es dieselbe Figurenkonfiguration? Sortieren Sie die Figuren bei der Darstellung nach passenden Kriterien: Hauptfiguren und Nebenfiguren (s.u.), Einzelfiguren und Figurengruppen, menschliche und nichtmenschliche Figuren, Figuren der Rahmen- und Binnenerzählung. 2. Figurenmerkmale: Rekonstruieren Sie die Figurenmerkmale jeder Figur, wie sie der intendierte Rezipient wahrnimmt: Identität, Persönlichkeit, Standpunkte, Erlebnisse, Emotionen, Verhaltensweisen, äußerliche Aspekte, sozialer Kontext, Wissen, Pflichten, Wünsche und Intentionen. a) Beschreiben Sie die Figurenidentität, also das, was die Figur von anderen definitorisch unterscheidet. b) Charakterisieren Sie die Persönlichkeit der 597
EDER, Figur im Film, 144f. (ohne „performative“ Figuren). Wenn zwei dieser Aspekte gleichermaßen betont werden, bezeichnet Eder eine Figur als hybrid, z.B. die diegetisch-artifiziellen Figuren im postmodernen Film (412). 598 Methoden zur Analyse der Figuren finden sich bei B ACHORZ, Analyse der Figuren, 66f.; LAHN/MEISTER, Erzähltextanalyse, 246; E HLERS, Studienbuch, 46; P OWELL, Narrative Criticism, 104; M ARGUERAT/BOURQUIN, Bible Stories, 151f.; R HOADS/DEWEY/M ICHIE, Mark, 152.157f.; R ESSEGUIE, Narrative Criticism, 242f. und A LETTI, Construction du personnage Jésus, 41f. Sehr umfassend ist jetzt EDER, Figur im Film, 317–321.370– 372.424f.461–463.517–520.559f.644–646.704–706.764f. Eder schlägt auch eine tabellarische Übersicht zur Ergebnissicherung vor (vgl. 509).
2.5 Figurenanalyse
163
Figur, indem Sie die expliziten Angaben verknüpfen mit dem, was der intendierte Rezipient mithilfe seiner Alltagspsychologie erschließen kann. Ordnen Sie die Charaktereigenschaften Persönlichkeitsinventaren zu und bestimmen Sie einen Persönlichkeitskern. c) Analysieren Sie die Meinungen und die Weltanschauung der Figur. d) Benennen Sie die Figurenerlebnisse, so wie der Rezipient sie erschließen kann. e) Rekonstruieren Sie, welche Emotionen der Rezipient der Figur zuschreiben soll. f) Beschreiben Sie das Verhalten der Figur. g) Erörtern Sie, wie sich der intendierte Rezipient die Figur äußerlich vorstellen kann. h) Analysieren Sie den sozialen Kontext, in dem die Figur aus Sicht des Rezipienten lebt. i) Erörtern Sie, welches Figurenwissen der Rezipient der Figur zuschreiben kann. j) Benennen Sie die Pflichten der Figur und beschreiben Sie die Pflichtenkonstellation. k) Charakterisieren Sie die Figurenwünsche und klassifizieren Sie die Motive. l) Rekonstruieren Sie mithilfe alltagspsychologischer Modelle, welche Absichten der intendierte Rezipient bei den (menschlichen und göttlichen) Figuren vermuten kann. Wie ist das Verhalten der Figuren insgesamt zu erklären: Welche Gründe, Rezeption der Gründe, Gedanken, Bewertung der Situation, Intention und ermöglichende Faktoren stecken dahinter? Allgemein: Welche Kenntnisse/Vorurteile hat der Rezipient über die Figuren aufgrund seines Weltwissens? Wie wird dieses Vorwissen durch die Erzählung bestätigt, korrigiert oder erweitert? Konstellation der Merkmale: Worin besteht das Hauptmerkmal, welches sind die Nebenmerkmale? D.h. welche Merkmale bekommen mehr Aufmerksamkeit als andere und welche Merkmale fassen mehrere geschilderte Eigenschaften zusammen? Wie lässt sich die Merkmalskonstellation insgesamt beschreiben? Vergleich der Figuren: Handelt es sich bei dem Vergleich einer Figur mit einer anderen Figur um einen erzählinternen, erzählexternen oder historischen Vergleich? Wie stark ist die Erinnerungsnähe aus Sicht des intendierten Rezipienten? Wie groß ist die Parallelität und worin besteht sie? Dies kann man auch tabellarisch darstellen. Wie hoch ist die Vergleichbarkeit insgesamt? Welche der vergleichbaren Figuren werden parallelisiert, welche kontrastiert? Tragen Sie die Merkmale aller Figuren der Erzählung in eine Tabelle ein. Welches Eigenschaftsspektrum ergibt sich insgesamt? 3. Figurenkonstellation: Welche Figurenkonstellation ergibt sich aus dem Text? Lässt sich eine Figur einer bestimmten Gruppe zuordnen? Gibt es eine Hierarchie zwischen den Figuren? Zwischen welchen Figuren liegt Antipathie, Sympathie oder eine neutrale Einstellung vor? Wo gibt es (aufgrund von Ähnlichkeiten, Sympathien oder Konflikten zwischen Figuren) Kontrastpaare, Korrespondenzpaare, ein dramatisches Dreieck? Stellen Sie das Verhältnis der Figuren zueinander grafisch dar. Ist die Figuren-
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
konstellation in dieser Szene typisch für die Erzählung? Wie ändert sich die Figurenkonstellation im Laufe der Erzählung? 4. Figur und Handlung: a) Unterteilen Sie die Figuren hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Handlung bzw. der Aufmerksamkeit, die sie von den Rezipienten bekommen (Hauptfigur, Nebenfigur, Hilfsfigur, Randfigur, Hintergrundfigur, Episodenfigur), und begründen Sie Ihre Entscheidung. Bestimmen Sie die Bedeutung der Figur für die Erzählung insgesamt. An welchen Punkten ist sie wichtig für den Fortgang der Handlung? b) Bestimmen Sie die Funktion der Figuren in der Handlung bzw. Szene. Verwenden Sie dazu das Modell der Handlungsrollen nach J. Eder. Kann jede Figur eindeutig einer der Rollen zugewiesen werden? 5. Figurendarstellung: Mit welchen Mitteln werden die Figuren hauptsächlich charakterisiert: direkt (Beschreibung des Erzählers) oder indirekt (Handlungen, Reden, Analogien durch Setting, Namensgebung, erzählinterne und erzählexterne korrespondierende Figuren)? Liegt eher auktoriale oder figurale Charakterisierung vor? Wie ist die Charakterisierung über den Text verteilt (z.B. Blockcharakterisierung)? Wie ausführlich ist die Charakterisierung? Werden bestimmte Merkmale häufiger genannt? Ist die Charakterisierung der Figur glaubwürdig? Gibt es ein auffälliges Charakterisierungsprofil bei dieser Figur? 6. Figurenkonzeption: Beurteilen Sie die Figur abschließend: Ist die Figur statisch oder dynamisch, knapp oder detailliert, eindimensional oder mehrdimensional, typisch oder individuell, transparent oder mysteriös, realistisch oder nicht-/unrealistisch, kohärent oder inkohärent, übertragbar oder spezifisch? Kurz: Ist sie einfach oder komplex, flach oder rund?
2.6 Perspektivenanalyse Die Untersuchung von Umwelt, Handlung und Figuren (2.3–2.5) bezieht sich vor allem auf die inhaltlichen Aspekte einer Erzählung. Daneben gibt es aber auch eine Reihe von Analysekategorien, die beschreiben, in welcher Weise der Erzähler am Geschehen Anteil nimmt. Die Narratologie hat dafür bereits viele und manchmal konkurrierende Modelle erarbeitet. Sie sollen hier unter dem Oberbegriff „Perspektive“ 599 dargestellt werden, als Entsprechung zum englischen point of view. 599
Zum synonymen Gebrauch von Point of View und Perspektive vgl. z.B. N IEDERFokalisation; SCHMID , Elemente, 113; N IEDERHOFF, Perspective/Point of View, 384; exegetisch PETERSEN, Perspektive (Übersetzung von PETERSEN, Point of View). Der Begriff „Perspektive“ wird im Anschluss an P FISTER, Drama, 90–103; N ÜNNING, Grundzüge, 64–83 jedoch auch speziell für den inhaltlichen Standpunkt von Figuren und ErHOFF,
2.6 Perspektivenanalyse
165
Die klassische Definition des Point of View als „relation in which the narrator stands to the story“ (P. Lubbock)600 wird für gewöhnlich kritisiert, weil der Begriff zu ungenau sei bzw. verschiedene Aspekte vermenge. 601 Wenn man ihn aber entsprechend ausdifferenziert, ist er ein äußerst passender Terminus für eine bestimmte Klasse von Beobachtungen. Ohne die verschiedenen Differenzierungsvorschläge im Einzelnen diskutieren zu können,602 denke ich, dass sich aus den Vorschlägen drei grundlegende Aspekte der Beziehung des Erzählers zum Erzählten herausarbeiten lassen: zähler verwendet (vgl. SURKAMP, Perspektivenstruktur, bes. 1–52; S URKAMP, Art. Perspective). Vgl. außerdem die hilfreichen Erörterungen zum Perspektivbegriff und zu den verschiedenen Arten von Perspektiven bei E DER, Figur im Film, 579–599; exegetisch jetzt ausführlich Y AMASAKI , Watching; PRAMANN, Point of View (bes. 9: Point of View sei ein „Dachbegriff“). 600 LUBBOCK, Craft, 251. Für weitere frühe Ansätze vgl. auch F RIEDMAN, Point of View, 1160–1168; L ÄMMERT, Bauformen, 70–73; S CHOLES/KELLOGG, Nature, 240–282; YAMASAKI, Watching, 11–28. 601 Vgl. z.B. NÜNNING, Point of View, 251. Oft wird im Anschluss an G ENETTE, Erzählung, 132 gesagt, dass der Point of View (nur?) zwei Konzepte vermische, nämlich die Fragen „wer spricht?“ und „wer sieht?“ (B AL, Narratology, 143; R IMMON-KENAN, Narrative Fiction, 71f.; N ÜNNING, Point of View, 249). Vgl. dazu N IEDERHOFF, Fokalisation, 3f., der den Oberbegriff dennoch beibehält. 602 Die Terminologie zum Point of View ist sehr uneinheitlich, die bekanntesten Aufschlüsselungen sind: G ENETTE, Erzählung, 115–188 (zwei Kategorien: „Stimme“ und „Modus“, letztere bestehend aus „Distanz“ und „Fokalisierung“); C HATMAN, Story, 151– 158, bes. 151f. („perceptual point of view“, d.h. Sicht im wörtlichen Sinn, lokal; „conceptual point of view“, d.h. Sichtweise und Weltanschauung; „interest point of view“, d.h. inhaltliche Position); FRIEDMAN, Point of View (acht Typen, z.B. „editorial omniscience“, „neutral omniscience“, „,I‘ as witness“, „,I‘ as protagonist“ u.a.); U SPENSKIJ, Poetik, bes. 17–116 (1. „Standpunkte auf der Ebene der Ideologie“, d.h. welche Ansichten der Erzähler und die Figuren haben; 2. „Standpunkte auf der Ebene der Phraseologie“, d.h. wie Erzähler und Figuren formulieren; 3. „Standpunkt auf der Ebene der Raum-Zeit-Charakteristik“, d.h. wo der Erzähler und die Figuren zu verorten sind; 4. „Standpunkt auf der Ebene der Psychologie“, d.h. was der Erzähler über sich und über das Innenleben der Figur erkennen lässt). – Zu Uspenskij vgl. M ARKUS, Point of view, 34–36 (Forschungsbericht); L INTVELT, Essai, 167–176; S CHMID, Ebenen; SCHMID, Elemente, 120–125; FREY, Eschatologie II, 161; modifizierend L ANSER, Narrative Act, 184– 222; RIMMON-KENAN, Narrative Fiction, 77–82; SCHMID, Elemente, 125–149; S CHNEIDER , Roman-Analyse, 59–61; auch Y AMASAKI , Watching, 152–187 arbeitet das Konzept von Uspenskij weiter aus. Im Narrative Criticism wird Uspenskijs Unterscheidung von ideological, phraseological, spatial/temporal und psychological point of view recht häufig verwendet (P ETERSEN, Point of View, 106–118 [= Perspektive, 79–90]; C ULPEPPER, Anatomy, 21–34; K INGSBURY, Matthew as Story, 33–37; K UPP, Matthew’s Emmanuel, 33–48; R ESSEGUIE, Revelation Unsealed, 32–47; R ESSEGUIE, Strange Gospel; RESSEGUIE, Narrative Criticism, 169–196; Y AMASAKI , Watching, 30–34, vgl. den Forschungsüberblick ebd., 68–151), einige beschreiben jedoch nur den evaluative point of view (RHOADS/DEWEY/MICHIE, Mark, 43–45; P OWELL, Narrative Criticism, 23–25). – Für das Point-of-View-Verständnis der deutschsprachigen Narratologie war dagegen
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
– (Beteiligung:) der Erzähler kann in unterschiedlichem Ausmaß selbst Teil des Geschehens sein, z.B. als Ich-Erzähler oder Er-Erzähler, innerhalb oder außerhalb der Erzählung (2.6.1) 603; – (Modus:) der Erzähler blickt in verschiedener Weise in die Figuren hinein, und zwar a) mithilfe sprachlicher Mittel (Distanz, 2.6.2) 604 und b) indem er mehr oder weniger vom Innenleben der Figur berichtet (Fokalisierung, 2.6.3)605; – (Standpunkt:) der Erzähler hat einen räumlich-zeitlichen Standort 606 und ein Geschlecht (2.6.4) und ebenso einen inhaltlichen Standpunkt (Meinungen, Werte und Normen), der sich mit den Standpunkten der Figuren vergleichen lässt (2.6.5) 607. Die Punkte „Beteiligung“ und „Modus“ betreffen den formalen Aspekt, der „Standpunkt“ den inhaltlichen Aspekt der Perspektive. Die Analysekategorien zur Perspektive werden dadurch zusammengehalten, dass sich alle auf einen Erzähler jenseits der eigentlichen Erzählung (bestehend aus Umwelt, Handlung und Figuren) beziehen, also das Verhältnis zwischen zwei Erzählebenen beschreiben. Daher ist es notwendig, vorher die Erzählebenen der Erzählung differenziert zu haben (Kap. 2.2.1). STANZEL, Theorie, 68–239 sehr prägend. Nach ihm gliedert sich die „Erzählsituation“ in „Person“, „Perspektive“ und „Modus“. Diese drei Aspekte werden von ihm in einem bekannten „Typenkreis“ dargestellt (Faltblatt am Ende des Buches; wieder abgedruckt z.B. bei BODE, Roman, 146f.; FLUDERNIK, Erzähltheorie, 105), der in der Folgezeit vielfach diskutiert und verbessert wurde, besonders von C OHN, Encirclement (vgl. WIEGMANN, Typologie; BROICH, Neutrale Erzählsituation; S TANZEL , Low-Structuralist; PETERSEN, Erzählsysteme, 157–161.172f.; B REUER , Typenkreise; s. auch G ENETTE, Erzählung, 268–272; V OGT, Aspekte, 41–94; J AHN, Narratologie, 38–42; M ARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 89–95; S TRASEN, Analyse der Erzählsituation, 113–120.126–130; SCHERNUS, Von Typenkreisen; HERMAN /V ERVAECK , Handbook, 33–39; B AUER , Romantheorie, 86–92; B ODE, Roman, 143–206; F LUDERNIK, Erzähltheorie, 103–113; NEUMANN/NÜNNING, Narrative Fiction, 82–92; E HLERS, Studienbuch, 55–61.67–69.71). In der Exegese wird das Modell von Stanzel kaum angewendet, vgl. nur T OVEY, Narrative Art, 52–68; YAMASAKI, Watching, 38–40; T ASCHNER, Mosereden, 47–56; PRAMANN, Point of View, 80–86. – Einen anderen Ansatz bieten jetzt M EISTER/SCHÖNERT, DNS of Mediacy, die in ihrem „Dynamic Narrative System“ die Perspektive in „perception“, „reflection“ und „mediation“ untergliedern und diesen drei Größen das in der EDV gebräuchliche Schema aus „Eingabe – Verarbeitung – Ausgabe“ zugrunde legen. 603 Eine solche Dreiteilung der Erzählperspektive vermag ältere Point-of-ViewAufgliederungen recht gut zu integrieren. Dieser Punkt entspricht der „Person“ bei Stanzel und einem Aspekt der „Stimme“ bei Genette. 604 Vgl. „phraseologischer Standpunkt“ (Uspenskij); „Distanz“ (Genette); „Modus“ (Stanzel). 605 Vgl. „psychologischer Standpunkt“ (Uspenskij); „Fokalisierung“ (Genette); „Perspektive“ (Stanzel). 606 Vgl. „Standpunkt auf der Ebene der Raum-Zeit-Charakteristik“ (Uspenskij). 607 Vgl. „Standpunkt auf der Ebene der Ideologie“ (Uspenskij); „Perspektive“ (Nünning); „subjective point of view“ (Lanser).
2.6 Perspektivenanalyse
167
2.6.1 Beteiligung Erzählungen können sich darin unterscheiden, inwiefern der Erzähler selbst Teil des Geschehens ist oder nicht. Man kann auch empirisch feststellen, dass sich dies deutlich auf die Rezeption der Erzählung auswirkt. 608 Nachdem längere Zeit nur die binäre Opposition von Ich-Erzähler und ErErzähler609 bzw. homodiegetischer und heterodiegetischer Erzählung 610 gebräuchlich war, verwendet man für diese Analysekategorie heute eher eine Skala:611 1. Hauptfigur 2. eine der Hauptfiguren 3. Nebenfigur 4. beteiligter Beobachter 5. unbeteiligter Beobachter 6. unbeteiligter Erzähler
Ich-Erzähler
Er-Erzähler
Abb. 28: Beteiligung des Erzählers am Geschehen
Die beiden Alternativen ‚Erzählung in der ersten Person‘ 612 und ,Erzählung in der dritten Person‘ können also weiter konkretisiert werden. 613 Theore608 Vgl. die interessanten Untersuchungen von L UDWIG /F AULSTICH (Hgg.), Erzählperspektive empirisch; G ERRIG, Perspective. 609 STANZEL, Theorie, 109–148; vgl. D OLEŽEL, Typologie des Erzählers; PETERSEN, Erzählsysteme, 53–65. Stanzel thematisiert im Rahmen des Typenkreises auch Mischformen. GENETTE, Erzählung, 174f. hält die Rede von ‚Erzählung in der ersten bzw. dritten Person‘ für ungenau, weil ein Erzähler immer „Ich“ ist und auch in der Rahmenerzählung als „Ich“ auftreten kann, ohne aber Teil der Erzählung zu sein. 610 GENETTE, Erzählung, 175. Wenn der Erzähler dagegen die Hauptfigur ist, liegt nach Genette der Spezialfall der autodiegetischen Erzählung vor (176). Später hat Genette eingeräumt, dass es zwischen homodiegetischer und heterodiegetischer Erzählung Abstufungen gibt (G ENETTE, Erzählung, 261f.). Dazu auch B ODE, Roman, 209–211. 611 Nach LANSER, Narrative Act, 160; vgl. J AHN/NÜNNING , Survey, 293; N ÜNNING, Funktionen, 329; M ARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 82; L AHN/MEISTER, Erzähltextanalyse, 69f. In der Apostelgeschichte kommen alle diese Beteiligungsgrade vor (E ISEN, Poetik, 80). 612 Es ist auch die erste Person Plural möglich, s. M ARGOLIN, Telling Our Story; R ICHARDSON, Plural Focalization. Vgl. die „Wir“-Passagen der Act, jedoch wählt Lk dort keine kollektive Perspektive, sondern schreibt wie in Act 1,1 als einzelner Autor. 613 Erzählungen, die den Erzähladressaten mittels „Du“ als eine Figur in das Geschehen einbetten (auch als Selbstanrede des Erzählers), sind ein modernes Phänomen, jedenfalls in literarischen Texten. Vgl. dazu F LUDERNIK, Second Person Fiction; F LUDERNIK (Hg.), Second-Person Narrative. Analog zum „erzählenden Ich“ und „erlebenden Ich“ muss man hier das „erlebende Du“ auf der Ebene der erzählten Welt und das „rezipierende Du“ auf der Kommunikationsebene unterscheiden. In jedem Fall bleibt der Erzähler selbst ein Er- bzw. Ich-Erzähler, also ein unbeteiligter oder beteiligter Erzähler. Die DuErzählung ist also keine Alternative zur Er-/Ich-Erzählung. Einen umfassenden Überblick gibt neuerdings PETERSEN, Erzählformen; vgl. auch E HLERS, Studienbuch, 49–55.
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
tisch ist die Frage nach der grammatischen Person sogar unabhängig von der Involviertheit des Erzählers in das Geschehen. So ist der Fall denkbar, dass ein Erzähler von sich in der dritten Person erzählt und erst nachher offenbart (wird), dass er mit einer Figur identisch sei. Z.B. im Epilog Joh 21,24f. identifiziert der unbekannte Ich-Erzähler (vgl. 19,35; 20,30f.) den Lieblingsjünger als Erzähler der Binnenerzählung(en) bzw. einer Vorfassung der Erzählung, der dort in der dritten Person von sich reden würde. 614 2.6.2 Distanz Außerdem kann der Erzähler die sprachlich-stilistische Distanz 615 variieren, mit der er die Figuren beschreibt. Bereits Platon hatte zwei Grundformen der Darstellung unterschieden: dihvg hsi~, das berichtende Erzählen, bei dem der Erzähler selbst redet, und mivmhsi~, die ‚Nachahmung‘ von Gesprächen, wo der Erzähler so tut, als wäre er jemand anders. 616 Diese Differenzierung von Bericht und Rede wurde im 20. Jahrhundert als telling vs. showing bekannt,617 wobei das direkte „Zeigen“ oft höher bewertet 614 Vgl. Joh 21,24: ou|tov~ ejstin oJ maqhth;~ … oJ gravya~ tau`ta. Offen bleibt hier, worauf tau`ta genau zu beziehen ist: auf eine vom Ich-Erzähler überarbeitete Quelle oder auf eine wirkliche Binnenerzählung. 615 Diese Kategorie gehört zu den langjährigen Schwerpunkten der Narratologie, doch ihre Bezeichnung ist uneinheitlich. Stanzel nennt sie „Modus“, Genette „Distanz“, Quinkertz „Erzählmodus“. Literaturwissenschaftliche Einführungen: G ENETTE, Erzählung, 116–132.221–234; C HATMAN, Story, 161–195; L EECH/SHORT, Style in Fiction, 318–351; SCHWARZE, Ereignisse, 174–188; S TANZEL, Theorie, 247–255.279–285 (erlebte Rede) sowie 268–271.286–290 (innerer Monolog); R IMMON-KENAN, Narrative Fiction, 106– 116; VOGT, Aspekte, 142–193; T OOLAN, Narrative, 116–142; M ARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 47–63; B UCHHOLZ, Narrative Innovationen, 78–83; Q UINKERTZ, Analyse des Erzählmodus; HERMAN/VERVAECK, Handbook, 23–30.91–100; SCHMID, Elemente, 151–156.177–221; L AHN/MEISTER, Erzähltextanalyse, 116–129; N EUMANN/NÜNNING, Narrative Fiction, 105–121; E HLERS, Studienbuch, 83–89; MCHALE, Speech Representation; FLUDERNIK, Art. Speech Representation; P ALMER, Art. Thought Representation. Grundlegend sind die Studien von C OHN, Transparent Minds (dazu MCHALE, Islands; LUCIUS, 20 Jahre); P ASCAL, Dual Voice; MCHALE, Free Indirect Discourse (vgl. R IMMON-KENAN , Narrative Fiction, 109f.); B ONHEIM, Narrative Modes; B ANFIELD, Unspeakable Sentences; EHRLICH, Point of View (dazu J AHN, Contextualizing); N ISCHIK, Mentalstilistik, 147–154; F LUDERNIK, Fictions of Language, bes. 311 (mit Zwischenformen); PALMER, Fictional Minds, 53–86. In der Exegese ist die Analysekategorie auch bekannt, vgl. FUNK, Poetics, 133–161; S KA, Fathers, 76–78; POWELL, Characterization, 164f.; MARGUERAT/BOURQUIN, Bible Stories, 69–71; E ISEN, Poetik, 110–121; PRAMANN, Point of View, 191–222. 616 Plat. rep. 392c–394b. 617 Zur Geschichte dieser Unterscheidung vgl. B ONHEIM, Narrative Modes, 1–8; R IMMON-KENAN, Narrative Fiction, 106–108; M ARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 47f. Vgl. auch BOOTH, Rhetoric, 3–20; C HATMAN, Story, 32; RABINOWITZ, Art. Showing vs. Telling; POWELL, Narrative Criticism, 52f.; R ESSEGUIE, Narrative Criticism, 126f. (be-
2.6 Perspektivenanalyse
169
wurde.618 Dadurch wollte man eine „objektive Darstellungsweise“ erreichen619 und so die ästhetische Illusion erhöhen. 620 In den letzten Jahrzehnten hat die Narratologie das Gegensatzpaar jedoch ausdifferenziert und verschiedene Zwischenformen beschrieben, z. B. die „erlebte Rede“, bei der einerseits die Figuren reden, andererseits auch der Erzähler. Es ergibt sich untenstehende Tabelle (vgl. Tab. 29). Neben der grundsätzlichen Unterscheidung der Darstellung von Worten und der Darstellung von Gedanken ist vor allem die Zwischenzone der „transponierten Rede“ bemerkenswert: Indirekte Rede und freie indirekte Rede schildern die Figurenrede zwar wörtlich, jedoch aus der Sicht des Erzählers, also in der Regel in dritter Person und in der Vergangenheitsform, was besonders bei der erlebten Rede deutlich wird. Bei der „freien“ Darstellungsweise fehlt jeweils die Einleitungsformel. Im Neuen Testament ist die direkte Rede am weitaus häufigsten, aber es kommen auch Gesprächsberichte und verschiedene andere Submodi der Figurenrede vor.621 Diese Differenzierungen können dazu verwendet werden, die Erzähltechnik verschiedener Autoren zu profilieren (z.B. die Verwendung des inneren Monologs in lukanischen Gleichnissen 622) und historische Entwicklungen der Erzähltechnik zu beschreiben. 623 Der Grundgedanke von G. Genette war es dann, diese Unterscheidungen in der Kategorie der sprachlichen ‚Distanz‘ zu erfassen. 624 Ein Gesprächsbericht wahrt eine hohe Distanz, ein innerer Monolog dagegen zeigt nur geringe Distanz, fördert also die Empathie (2.7.1) des Rezipienten gegenüber der Figur. Es ist bemerkenswert, dass in der matthäischen Passionsgeschichte der distanzschaffende Gesprächsbericht nie bei Jesus oder den Jüngern, häufig aber bei den Hohenpriestern verwendet wird. 625 In die
reits mit Differenzierungen) u.a. Kritisch zur Möglichkeit des „reinen“ Zeigens in Erzählungen GENETTE, Erzählung, 116f.; B ODE, Roman, 133f. 618 Viel zitiert ist hier L UBBOCK, Craft, 62; Kritik an dieser Wertung übt B OOTH, Rhetoric, 24–28. Dieser angebliche Vorrang des showing wird inzwischen weniger stark betont. Selbst im Drama kann es vorteilhaft sein, wenn man bestimmte Ausschnitte der Handlung nicht unmittelbar szenisch („offene Handlung“), sondern narrativ darstellt („verdeckte Handlung“); vgl. P FISTER, Drama, 276–278. 619 MARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 48. 620 Zur ästhetischen Illusion vgl. 2.7.4 (Realitätseffekt). 621 Vgl. die Beispielsammlung v.a. aus Lk-Act bei E ISEN, Poetik, 113–121. 622 SELLEW, Interior Monologue; vgl. N IEHOFF, Biblical Characters. 623 COHN, Transparent Minds, verwendet ihre Kategorien auch dazu, um die Entwicklung der entsprechenden Erzähltechnik diachron zu beschreiben. 624 GENETTE, Erzählung, 115f. 625 Gesprächsberichte in Mt 26,4.59; 27,1.7.12.20; 28,12 (Hohenpriester und Älteste); Mt 27,44 (Räuber); Mt 27,58 (Josef/Pilatus); Mt 28,11 (Soldaten); indirekte Rede: Mt 27,64; indirektes Gedankenzitat: Mt 27,18.63; ansonsten direkte Rede.
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
Kategorie der sprachlichen Distanz fällt dann außerdem eine Verwendung des Mentalstils626 durch den Erzähler. Tab. 29: Die fünf Submodi der Figurenrede 627 Darstellung von Rede Gesprächsbericht (= Redebericht) Erzählte Rede Maria sprach mit Petra über ihr weiteres Vorgehen.
Darstellung von Gedanken Gedankenbericht (= Bewusstseinsbericht628) Maria dachte über ihr weiteres Vorgehen nach.629
hohe Distanz
indirekte Rede indirektes Gedankenzitat Maria sagte, sie wisse nicht, Maria überlegte, was sie tun sollte. Transponierte was sie tun solle. Rede freie indirekte Rede freies indirektes GedankenSie wisse aber nicht, was sie zitat (= erlebte Rede630) Was sollte sie bloß tun? tun solle.
Zitierte Rede
626
direkte Rede Sie sagte zu ihr: „Ich weiß nicht, was ich tun soll.“
direktes Gedankenzitat Sie dachte: „Was soll ich jetzt tun?“
freie direkte Rede (= autonome direkte Rede) Ich weiß nicht, was ich tun soll.
freies direktes Gedankenzitat (= innerer Monolog, Bewusstseinsstrom 631) Was soll ich jetzt tun?
geringe Distanz
Der Mentalstil kommt v.a. in moderner Literatur vor und bezieht sich auf das Phänomen, dass ein Erzähler eine Figur mit den Ausdrücken beschreibt, die die Figur verwenden würde. Grundlegend zum Mentalstil N ISCHIK, Mentalstilistik; N ISCHIK, Mind Style Analysis; vgl. N ISCHIK, Art. Mentalstil; Q UINKERTZ, Analyse des Erzählmodus, 150. Bereits Stanzel spricht von der „Ansteckung der Erzählersprache durch die Figurensprache“ (STANZEL, Theorie, 248–250). Vgl. auch PETERSEN, Erzählsysteme, 81–86. 627 Ähnlich JAHN/NÜNNING, Survey, 294f.; MARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 62; QUINKERTZ, Analyse des Erzählmodus, 152.154; E ISEN, Poetik, 121. 628 Etwas allgemeiner ist der Ausdruck „Bewusstseinsbericht“ (psycho-narration): COHN, Transparent Minds, 21–57; vgl. Q UINKERTZ, Analyse des Erzählmodus, 159. Der Terminus soll darauf hinweisen, dass oft nicht nur Gedanken, sondern auch Gefühle und Wahrnehmungen dargestellt werden. 629 Beispiele zur Gedankenrede nach J AHN/NÜNNING, Survey, 295; QUINKERTZ, Analyse des Erzählmodus, 154. 630 Vgl. zur Forschungsgeschichte S TANZEL, Erlebte Rede; weiterführend S TEINBERG, Erlebte Rede; NEUSE, Geschichte der erlebten Rede; G ATHER, Formen referierter Rede; KULLMANN (Hg.), Erlebte Rede; S ALVATO, Polyphones Erzählen. Cohn bevorzugt dafür den Begriff „erzählter Monolog“: COHN, Transparent Minds, 99–140, bes. 109f.; vgl. bereits COHN, Narrated Monologue. 631 Zum stream of consciousness, der den inneren Monolog radikalisiert, vgl. M ÜLLER, Art. Bewusstseinsstrom; H UMPHREY, Stream; FRIEDMAN, Stream; CHATMAN , Story,
2.6 Perspektivenanalyse
171
Etwas völlig anderes ist dagegen die Frage nach dem Realitätseffekt (Kap. 2.7.3), zu dem bei der Erzählung von Ereignissen auch andere Faktoren wie das Erzähltempo oder eine mehr oder weniger detaillierte Darstellung der Umwelt beitragen. Die Narratologie rechnet diesen seit Genette fälschlich auch der Kategorie der Distanz zu. 632 Sprachliche Distanz beeinflusst den Realitätseffekt, sie ist aber nicht mit ihm gleichzusetzen. 2.6.3 Wahrnehmungszentrum und Innensicht 633 Wenn der Erzähler das Innenleben einer Figur (Wissen, Gefühle, Motive, Erleben) mehr oder weniger genau beschreibt, spricht man von Fokalisie186–194; zur Frage der Abgrenzung vgl. S TOCKER, Art. Innerer Monolog; SCHWARZE, Ereignisse, 187; V OGT, Aspekte, 179–192; VOGT, Grundlagen, 304f. Der Begriff geht auf den Psychologen William James zurück, die Technik wurde besonders durch James Joyces Roman Ulysses bekannt. 632 GENETTE, Erzählung, 117–120.222f.; daran anschließend M ARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 49–51; E ISEN, Poetik, 111–113; Q UINKERTZ, Analyse des Erzählmodus, 148–151. 633 Literaturwissenschaftliche Einführungen zur Fokalisierung: R IMMON-KENAN, Narrative Fiction, 71–85; TOOLAN, Narrative, 59–63; CHATMAN, Coming to Terms, 139–160 (zu ‚slant‘ und ,filter‘; Chatman verwirft hier das Konzept der Fokalisierung, vgl. CHATMAN, Story, 151–158, wo er bei allgemeineren Bemerkungen bleibt); M ARTÍNEZ/ SCHEFFEL, Erzähltheorie, 63–67; B UCHHOLZ, Narrative Innovationen, 72–77; S TRASEN, Analyse der Erzählsituation, 120–125; B ODE, Roman, 215–222; SCHMID, Elemente, 115– 119; FLUDERNIK, Erzähltheorie, 48f.116f.; L AHN/MEISTER, Erzähltextanalyse, 107–110; NEUMANN/NÜNNING, Narrative Fiction, 31f.95–98; E HLERS, Studienbuch, 71–83; STOCKER , Art. Perspektive; W OLF, Art. Fokalisierung; J AHN, Art. Focalization. – Wichtig sind hier die Beiträge von F RIEDMAN, Point of View; S TANZEL, Theorie, 149–239; G ENETTE , Erzählung, 132–149.235–244; B AL, Narratologie, 19–58 (= B AL, Narrating); B AL, Narrative Embedding; B AL, Laughing Mice; B AL, Narratology, 142–161; BERENDSEN, Teller and Observer; K ABLITZ, Erzählperspektive; N ÜNNING, Grundzüge, 53–60; NÜNNING, Point of view; N ELLES, Focalization; F ÜGER, Stimmbrüche; O’N EILL, Fictions of Discourse, 83–106; JAHN, Windows; NELLES, Frameworks, 75–98; J AHN, More Aspects; VAN PEER/CHATMAN (Hgg.), New Perspectives (u.a. PRINCE, Point of View; P HELAN, Why Narrators Can Be Focalizers; S HEN, Breaking Conventional Barriers); N ELLES, Animal Focalization; F LUDERNIK, New Wine; NIEDERHOFF, Fokalisation; N IERAGDEN, Focalization; K ABLITZ, Realism; BROMAN, Narratological Focalization Models; S KALIN, Focalization; R IVARA, Plea; HERMAN/VERVAECK, Focalization; HERMAN/VERVAECK, Handbook, 70–79; J AHN, Focalization; N IEDERHOFF, Focalization; M ARGOLIN, Focalization; JESCH/STEIN, Perspectivization. Im Film und im Theater funktioniert die Fokalisierung naturgemäß anders, vgl. C ARROLL, Point-of-View Editing; M UNY, Erzählperspektive im Drama, 87–150; E DER, Figur im Film, 604–628; W EIDLE, Organizing; SCHLICKERS, Focalization. – Exegetische Einführungen: S KA, Fathers, 65–76; T OLMIE, Jesus’ Farewell, 170–180; TOLMIE, Narratology, 29–38; M ARGUERAT/BOURQUIN, Bible Stories, 71–75; EBNER/HEININGER, Exegese, 81–86; E ISEN, Poetik, 121–125; HENTSCHEL, Diakonia, 190–194; S CHMITZ , Prophetie, 43–50; P RAMANN, Point of View, 95– 152. Der angelsächsische Narrative Criticism dagegen hat Genettes Konzept noch nicht wahrgenommen, wahrscheinlich weil es bei Chatman fehlt. Vgl. aber FUNK, Poetics, 22f.
172
2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
rung634. Dieser Aspekt der Erzählperspektive wurde ursprünglich von G. Genette herausgearbeitet und ist seitdem in der Narratologie vielfach dargestellt, diskutiert und modifiziert worden. Genettes Vorschlag war noch in mancher Hinsicht ungenügend, 635 zudem wurde er oft falsch verstanden.636 Im Folgenden soll versucht werden, die verwirrende Terminologie zu ordnen. Aus heutiger Sicht könnte man sagen, dass die Fokalisierung eigentlich aus zwei Teilaspekten besteht, wie besonders die Diskussion zwischen Genette und Bal zeigt. Unabhängig von der Person des Erzählers („Wer 63–74.99–132, der den Fokalisierungsbegriff in anderer Weise aufnimmt; neuerdings RESSEGUIE, Narrative Criticism, 170 Anm. 12; Y AMASAKI, Watching, 34f.82–84. 634 Genettes Terminus focalisation wird im Deutschen unterschiedlich übersetzt: meistens mit „Fokalisierung“, seltener auch „Fokalisation“ (N IEDERHOFF, Fokalisation). Davon abzugrenzen sei die „Fokus(s)ierung“ (S TANZEL, Theorie, 153). 635 GENETTE, Erzählung, 134 formuliert ein Dreierschema aus Nullfokalisierung (Erzähler sagt mehr, als die Figur weiß), interner Fokalisierung (Erzähler sagt nicht mehr, als die Figur weiß) und externer Fokalisierung (Erzähler sagt weniger, als die Figur weiß), wobei er auf Unterscheidungen von P OUILLON, Temps, 74–114 (vgl. T ODOROV, Kategorien, 282f.) zurückgreift. Die Dreiteilung wird von vielen Narratologen wiedergegeben (MARTÍNEZ/SCHEFFEL , Erzähltheorie, 64 u.a.) und sieht schön aus, leitet aber fehl, da besonders die unklare Nullfokalisierung verschiedene Aspekte vermengt: einzelne Figur und gesamte Erzählung, Innenleben der Figur und äußere Fakten, die Beschreibung und das Wissen des Erzählers; vgl. außerdem die Kritikpunkte bei S CHMID, Elemente, 117f.; LAHN/MEISTER, Erzähltextanalyse, 110. – Bekannt ist auch die Modifikation von Genettes Modell durch B AL, Narratology, 142–161, die zwei Arten von „Fokalisatoren“ unterscheidet, nämlich den erzählexternen external focalizor [sic] und erzählinternen character-bound focalizor (148; bei EBNER/HEININGER, Exegese, 83 wird dafür das Kontrastpaar auktoriale/aktoriale Fokalisierung verwendet, wohl in Anlehnung an M ARTÍ NEZ /S CHEFFEL, Erzähltheorie, 64f.94f.; allerdings fokalisiert nicht nur der Autor, sondern alle Erzähler). Auch diese Zweiteilung scheint noch undifferenziert. Lobend zu Bal äußert sich NÜNNING, Point of View, 258–262 und N ÜNNING, Grundzüge, 53–56; kritisch BRONZWAER, Mieke Bal’s Concept; NELLES, Focalization, 372–377; N IEDERHOFF, Fokalisation, 17–20; SCHMID, Elemente, 118f.; PRAMANN, Point of View, 102–115; Anwendung bei HENTSCHEL, Diakonia, 191–193. Schließt man sich diesem Zweierschema an, wird die externe Fokalisierung bei Genette als eine spezielle Form der Außen- oder der Innenperspektive, nämlich als camera-eye-Technik, angesehen oder auch gar nicht zugeordnet (vgl. die Überlegungen bei S TANZEL, Theorie, 153 [vgl. 160.294–299 zum camera eye]; WOLF, Art. Fokalisierung; S TRASEN, Analyse der Erzählsituation, 123f.). Man sieht: Die Terminologie zur Fokalisierung ist bisher sehr uneinheitlich, einen Konsens gibt es noch nicht. 636 Genette denkt bei der Fokalisierung an die Informationsvergabe durch den Erzähler, Bal und andere Autoren dagegen reinterpretieren die Fokalisierung unbewusst als Perspektive einer Figur bzw. des Erzählers. Daher erklärt Bal neben dem Erzähler auch Figuren zu focalizers, was bei Genette nicht denkbar ist (G ENETTE, Erzählung, 241; forschungsgeschichtlich erhellend dazu N IEDERHOFF, Fokalisation, 16–20; vgl. die Differenzierung bei JESCH/STEIN, Perspectivization, bes. 62–68); dieses Missverständnis auch bei EBNER/HEININGER, Exegese, 83f.; EISEN, Poetik, 123.
2.6 Perspektivenanalyse
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spricht?“) kann zum einen das Innenleben der einen Figur stärker dargestellt sein als das einer anderen (Innensicht), zum anderen können aber auch bestimmte Figuren in ihrer Wahrnehmung „begleitet“ werden („Wer nimmt wahr?“637, Wahrnehmungszentrum). In vielen Erzählungen stimmen die ausführliche Darstellung des Innenlebens und die Wahrnehmungsperspektive überein; oft konzentrieren sich beide Aspekte in der Hauptfigur. Im Extremfall kann jedoch ein Ich-Erzähler alles in der Wahrnehmung einer zweiten Figur erzählen und dabei ausführlich das Innenleben einer dritten Figur darstellen. Auf welcher Figur ruht dann die Aufmerksamkeit des Rezipienten: auf dem Erzähler, auf der fokalisierenden Figur oder auf der fokalisierten Figur? Sicherlich auf allen dreien – je in bestimmter Weise. Man erkennt, dass in einer Erzählung neben dem Erzähler noch zwei weitere perspektivische Zentren vorkommen können. Auch wenn beide Aspekte schon bei Genette angelegt sind, hat Genette eher den ersten Punkt betont (Fokalisierung auf eine Figur; hier „Innensicht“), Bal den zweiten (Fokalisierung durch eine Figur; hier „Wahrnehmungszentrum“).638 Im ersten Fall entsteht das Perspektivzentrum aus einer Asymmetrie der Informationsvergabe über verschiedene Figuren, im anderen Fall besteht das Fokalisationszentrum in einer konkreten, vom Erzähler begleiteten Figur, die oft als „Fokalisator“ 639 bezeichnet wird. Die Funktion des Fokalisators kann auch mit den Metaphern vom „Raumfilter“ oder der „Erzählerkamera“ verdeutlicht werden. 640 Beide Perspektivzentren treten auch im Neuen Testament auseinander. Z.B. im MtEv wird fast durchgängig Jesus als „Fokalisator“ begleitet – sogar der Tod Johannes des 637 Die beiden Fragen bei G ENETTE, Erzählung, 132; vgl. die Korrektur 235. N ELLES, Frameworks, 95f. differenziert die Fokalisierung dementsprechend nach allen fünf Formen der Wahrnehmung. 638 Klärend und weiterführend E DER, Figur im Film, 595–599, der u.a. die Perspektive auf Figuren und mit Figuren unterscheidet. Vgl. auch die zwei Punkte bei B ARTHEL, Empathie, 61f. („Präsentation von Innensichten“ und „Raumfiltertechnik“/„Erzählerkamera“). Barthel untersucht das mittelalterliche Heldenepos Willehalm dementsprechend getrennt nach „Raumfilter“ und „Quantitative(r) Distribution der Innensichten“ (ebd., 86–93). Bei DENNERLEIN, Nutzen, 196 begegnet das Wahrnehmungszentrum unter dem Begriff „Wanderung“ (im Gegensatz zur „Karte“). 639 Vgl. BAL, Narratology, 148: focalizer, übersetzt mit „Fokalisator“ (K OCH, Literarische Menschendarstellung, 184f.), „Fokalisierer“ (N IEDERHOFF, Fokalisation, 17) oder „Fokalfigur“ (S TOCKER, Art. Perspektive, 56). Bei anderen Autoren heißt sie auch „Reflektorfigur“ (S TANZEL, Theorie, 16 u.ö.), „centre of consciousness“, „refractor“, „filter“, „SELF“ (JAHN, Art. Focalization, 174) oder „Perspektivzentrum“ (W OLF, Art. Fokalisierung, 211). 640 Vgl. BARTHEL, Empathie, 61. – Weil es Erzählungen ohne Wahrnehmungszentrum nicht geben kann, sind Erzählungen in diesem Sinn immer und an jeder Stelle fokalisiert. Versteht man Fokalisierung dagegen als Innensicht, kann die Fokalisierung fehlen (s.u. zu „unfokalisierter Erzählung“).
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
Täufers (Mt 14,1–12) wird in der Wahrnehmung Jesu geschildert (V. 13) –, doch das Innensichtzentrum liegt eher bei den Jüngern, deren Gefühle und Erlebnisse stärker im Mittelpunkt stehen als diejenigen ihres Herrn. Wie könnte man nun diese beiden Punkte im Einzelnen analysieren? 1. Innensicht: a) Das Maß der Einsicht in das Innenleben einer bestimmten Figur kann man mit dem Gegensatzpaar „Innenperspektive“ vs. „Außenperspektive“ (interne/externe Fokalisierung) beschreiben. Eine Innenperspektive ist zu erkennen an Verben, die Gedanken, Gefühle oder Wahrnehmungen der Figuren ausdrücken. Die Frage nach interner und externer Fokalisierung ist zunächst nur auf die einzelne Figur bezogen. 641 b) Davon zu unterscheiden ist die Gleichmäßigkeit der Innensicht: Wenn der Erzähler in das Innenleben aller Figuren gleichermaßen Einblick gibt, die Erzählung also keinen perspektivischen Schwerpunkt hat, ist sie unfokalisiert (nullfokalisiert), ansonsten ist sie mehr oder weniger intensiv fokalisiert642 und besitzt ein Innensichtzentrum. Die so verstandene Nullfokalisierung darf nicht verwechselt werden mit einem „allwissenden Erzähler“, der zwar eine totale Innenperspektive besitzt, aber sie nicht notwendigerweise gleichmäßig vermittelt. 643 Nullfokalisierung liegt also vor, wenn alle Figuren extern oder alle Figuren in gleichem Ausmaß intern fokalisiert sind, und ist keine dritte Option neben externer und interner Fokalisierung.644 c) Variabilität der Fokalisierung: Es ist möglich, dass sich das Innensichtzentrum innerhalb derselben Erzählung ändert, sich verlagert, stärker oder schwächer wird. Demgemäß unterteilt man statische und variable Fokalisierung, wobei es sich eigentlich um zwei Enden einer Skala handelt.645 Z.B. das Gleichnis in Lk 15,11–32 ist zunächst intensiv auf den 641 Schöne alttestamentliche Beispiele für eine Innensicht der Erzähler in die Gedanken Gottes und anderer Figuren gibt BAR-EFRAT, Bibel, 29–33. 642 Dasselbe meint das Gegensatzpaar Aperspektivismus/Perspektivismus (S TANZEL, Theorie, 165–169). Eine echte Nullfokalisierung gibt es eigentlich nicht, vgl. W OLF, Art. Fokalisierung, 211. 643 So aber z.B. STANZEL, Theorie, 153; S TRASEN, Analyse der Erzählsituation, 121.123. Zum Problem des ‚allwissenden Erzählers‘ s.u. Kap. 2.6.5. 644 Genette selbst definiert die Nullfokalisierung unterschiedlich. Nach G ENETTE, Erzählung, 134 (vgl. 241) sind die Begriffe „unfokalisiert“ und „Nullfokalisierung“ austauschbar, was auch die erste Silbe „Null-“ andeutet. Ich schließe mich diesem Verständnis von „Nullfokalisierung“ an und nicht dem (bekannteren) Dreierschema aus externer, interner und Nullfokalisierung bezogen auf das Erzählerwissen (134). 645 GENETTE, Erzählung, 134f. Für statische Fokalisierung sind auch die Begriffe „feste“ bzw. „fixierte“ Fokalisierung gebräuchlich; die von Genette vorgeschlagene multiple Fokalisierung ist ein Spezialfall der variablen (kritisch N ÜNNING, Point of View, 261f.). Bei variabler Fokalisierung lässt sich oft ein Schwerpunkt bestimmen: Eine Erzählung ist dann z.B. dominant extern fokalisiert (M ARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 66f.). – Nach GENETTE, Erzählung, 138–140.236 gibt es auch das Phänomen, dass ein Fokalisierungs-
2.6 Perspektivenanalyse
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verlorenen Sohn fokalisiert, auch dessen Gedanken werden dargestellt, anschließend (V. 25–32) weniger stark auf den älteren Sohn. Hier liegt also variable Fokalisierung vor, das Gleichnis insgesamt ist fokalisiert. 2. Wahrnehmungszentrum/Raumfilter: Hier geht es darum, welche Figur durch den Erzähler „begleitet“ wird. Es ist – bildlich gesprochen – der Ort, an dem die Kamera steht. Das Wahrnehmungszentrum ist also eine momentane Größe im Rezeptionsprozess, so wie auch die Stärke der Innensicht an einen bestimmten Zeitpunkt geknüpft ist. Im Gleichnis vom Verlorenen Sohn wechselt das Wahrnehmungszentrum in Lk 15,25 vom jüngeren zum älteren Sohn; Wahrnehmungszentrum und Innensicht laufen hier parallel. Eigene Analysekategorien zur genaueren Beschreibung des Wahrnehmungszentrums sind bisher noch nicht eingeführt worden. Es wäre natürlich ein Fehler, wenn sich die Analyse der Fokalisierung einer Erzählung bloß auf die Etikettierung mit Begriffen beschränkt (wie es leider häufig geschieht). Dies ist zwar für die vergleichende Klassifizierung von Erzählungen sinnvoll, aber kaum für die Einzeluntersuchung. Wichtiger ist es hier, genau nachzuvollziehen, welche Figuren mit welchen Ansichten, Gefühlen und Schicksalen der Erzähler in den Fokus nimmt und welche weniger stark im Blickfeld sind. Die Fokalisierung, also das Wahrnehmungszentrum und die Innensicht in einzelne Figuren, ist einer der wesentlichen Faktoren, die die Figurenrezeption beeinflussen (2.7.1). 2.6.4 Erzähler646 Neben Beteiligung, Distanz und Innensicht, die die Relation zwischen zwei Erzählebenen beschreiben, gibt es in der Narratologie weitere Analysekategorien, die eher den jeweiligen Erzähler selbst betreffen: sein raumzeitlicher Standort, persönliche Attribute, Erkennbarkeit, erzählerische Fertigkeiten und sein Wissensstand. Beim Erzähler handelt es sich keinesfalls nur um eine Textstruktur, 647 sondern um eine kognitive Größe, die vom code nicht konsequent umgesetzt ist. Genette nennt dies „Alteration“ und kennt zwei Alterationstypen: Paralipse (wenn trotz interner Fokalisierung wichtige Gedanken der Figur verschwiegen werden) und Paralepse (wenn trotz externer Fokalisierung eine Figur punktuell in ihrem Denken beschrieben wird). Im Extremfall kommen widersprüchliche Fokalisierungen gleichzeitig vor, dann spricht Genette von „Polymodalität“ (149). 646 Literaturwissenschaftliche Einführungen: N ÜNNING, Grundzüge, 43–52.84–124; NÜNNING, Funktionen; HERMAN/VERVAECK, Handbook, 80–91; SCHMID, Elemente, 72– 83; LAHN/MEISTER, Erzähltextanalyse, 61–66; M ARGOLIN, Narrator; W OLF, Art. Erzähler, und die zu den einzelnen Punkten angegebene Literatur. – Exegetische Einführungen: FUNK, Poetics, 29f.33f.; POWELL, Narrative Criticism, 25–27; S KA, Fathers, 44–46; TOLMIE, Jesus’ Farewell, 49–51; T OLMIE, Narratology, 15f.19–27; ausführlich E ISEN, Poetik, 72–76.80–99; SCHMITZ, Prophetie, 21–42. 647 NÜNNING, Funktionen, 324 Anm. 2 spricht statt von „Erzähler“ von „Erzählinstanz“, vgl. SCHEFFEL, Wer spricht?, 95 u.a. Auch in der Exegese ersetzen E ISEN, Poetik,
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
Rezipienten analog zu Figuren aufgebaut wird. So wie bei der Figurensynthese (2.5.2) entwickelt der Rezipient auch eine Vorstellung vom Erzähler, selbst wenn dieser weitgehend verdeckt bleibt. Daher kann er genauso wie eine Figur untersucht werden und hat z.B. ein Geschlecht. 648 Das Bild des Erzählers der ersten narrativen Ebene ist, wie bereits dargelegt, zugleich das Bild des Autors (vgl. 2.2.1), das der intendierte Rezipient gegebenenfalls mit seinem erzählexternen Wissen über den Autor verknüpfen kann. a) Raumzeitlicher Standort des Erzählers: aa) Der zeitliche Standpunkt649 des Erzählers ist entweder später, d.h. nach dem Erzählten (so in den meisten Erzählungen), gleichzeitig (z.B. bei Liveberichten) oder früher (z.B. bei Vorhersagen). Dies schlägt sich in den hauptsächlich verwendeten Zeitformen nieder, also Präteritum, Präsens oder Futur. 650 Neben der 72f.; SCHMITZ, Prophetie, 21–24 neuerdings im Anschluss an Nünning den klassischen Begriff durch „Erzählstimme“, um anthropomorphe und geschlechtsspezifische Assoziationen zu vermeiden. SCHMITZ, Prophetie, 22 bringt diese strukturalistische Auffassung vom Erzähler auf den Punkt: „Statt jedoch eine reale Person zu sein, ist der ‚Erzähler‘ … eine Metapher zur Beschreibung eines textuellen Phänomens.“ Doch ebenso wie bei dem alten Streit zwischen realistischem und strukturalistischem Figurenverständnis, der in der Forschung inzwischen als überwunden angesehen werden kann (Kap. 2.5), führt der kognitive Ansatz vom Bild des Erzählers, das im intendierten Rezipienten entstehen soll, aus dieser falschen Alternative heraus (vgl. 2.2.1). 648 Mit „Erzähler“ bezeichne ich hier gleichermaßen männliche und weibliche Erzähler. Natürlich könnte man mit gleichem Recht das „umfassende Femininum“ verwenden, das PRAMANN, Point of View, 10 Anm. 3 einführt, die in ihrer Untersuchung daher konsequent von der „markinischen Erzählerin“ spricht. Faktisch ist es natürlich unwahrscheinlich, dass man den primären Erzähler des MkEv tatsächlich als Frau wahrnehmen soll, aber das behauptet Pramann auch nicht. 649 Dazu GENETTE, Erzählung 153–162; C HATMAN, Story, 79–84; M ARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 69–75 (mit Beispielen für früheres, gleichzeitiges und späteres Erzählen); MARGOLIN, Shifted Temporal Perspective; M IDDEKE (Hg.), Zeit und Roman (dort mehrere Aufsätze); MARSDEN, Analyse der Zeit, 106–108; B ODE, Roman, 118–122; LAHN/MEISTER, Erzähltextanalyse, 92–96; klassisch H AMBURGER, Episches Präteritum (bekannte, aber problematische These, „daß das Präteritum der epischen oder erzählenden Dichtung keine Vergangenheitsausssage [sic] bedeutet“ [60]); H AMBURGER, Logik, bes. 59–78; WEINRICH, Tempus. Hilfreich besonders bei komplizierten zeitlichen Verwicklungen sind die Unterscheidungen zwischen narrator-NOW und character-NOW (CHATMAN, Story, 81) und speziell beim Ich-Erzähler zwischen erzählendem Ich und erlebendem Ich (STANZEL, Theorie, 271f.). 650 Im Griechischen sind für die spätere Erzählung dementsprechend die augmentierten Formen von Aorist und Imperfekt sowie Perfekt und Plusquamperfekt charakteristisch, daneben auch Phänomene wie das historische Präsens (zum historischen Präsens und dessen Leserwirkung s. FREY, Eschatologie II, 81–85). – Manchmal wird nicht beachtet, dass der zeitlichen Standpunkt des sekundären Erzählers und der zeitliche Standpunkt des Autors auseinandertreten können, so ist z.B. Orwells Roman Nineteen EightyFour, obwohl schon 1949 geschrieben, im Präteritum gehalten. Vgl. M ARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 70 (gegen H. Weinrich).
2.6 Perspektivenanalyse
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zeitlichen Grundorientierung könnte man auch genauer untersuchen, ob es zeitliche Angaben gibt, wie groß der zeitliche Abstand ist und welche möglichen Auswirkungen dies hat. – bb) Der räumliche Standpunkt des Erzählers kann in manchen Fällen ebenfalls bestimmt werden, z.B. anhand expliziter Angaben oder (als Ausschlussverfahren) aufgrund topographischer Ungenauigkeiten. b) Person des Erzählers: Die Geschlechtszugehörigkeit des Erzählers 651 ist an dieser Stelle nur eine mögliche Fragestellung neben anderen. Die Erzählung gibt vielleicht auch Indizien auf sein Alter, seine soziale Herkunft oder Aspekte seiner Persönlichkeit. 652 Insgesamt können sämtliche Analysekategorien der Figur (Kap. 2.5) ebenso auf den Erzähler (und den Autor als Erzähler 1. Ebene) angewendet werden, weil der Rezipient sich auch eine Vorstellung vom Erzähler macht, und zwar umso mehr, je erkennbarer (s.u.) der Erzähler ist. Im Neuen Testament lässt sich dies vor allem bei den Paulusbriefen untersuchen, die aber keine Erzählungen im eigentlichen Sinn sind. c) Erkennbarkeit des Erzählers: Um das Ausmaß zu bezeichnen, wie sehr der Erzähler überhaupt in Erscheinung tritt, wird gewöhnlich das Begriffspaar expliziter Erzähler (overt narrator) und verborgener Erzähler (covert narrator) verwendet. Im Grunde handelt es sich auch hier um eine Skala: Der Grad der Explizität hängt davon ab, ob ein Autor den Erzähler über sich als „ich“ reden lässt, ob direkte Informationen über den Erzähler vorhanden sind und ob es Kommentare, Wertungen oder Anreden des Adressaten gibt.653 Beispielsweise ist der Erzähler des LkEv deutlich expliziter (vgl. den Prolog Lk 1,1–4) als der des MtEv. Einen völlig verborgenen Erzähler kann es nicht geben, da selbst in der Auswahl des Erzählstoffs eine Wertung liegt. Je verborgener der Erzähler bleibt, desto eher 651
Dazu NÜNNING, Funktionen, 330f.; E ISEN, Poetik, 88f. Anm. 180f. (Lit.); SCHMITZ, Prophetie, 34 (Lit.). Hier liegt ein zentrales Forschungsfeld der feministischen Narratologie. Selbst wenn der Erzähler nicht explizit männlich oder weiblich gezeichnet ist, könne ihm doch aufgrund der Art seines Erzählens ein bestimmtes Gender zugeordnet werden. Damit widersprechen Nünning, Eisen und Schmitz m.E. ihrem eigenen Konzept einer abstrakten, geschlechtsneutralen „Erzählinstanz“ bzw. „Erzählstimme“. 652 Sofern es sich um die erste narrative Ebene handelt, der Autor also mit dem Erzähler identisch ist (Kap. 2.2.1), stehen oft weitergehende Informationen über den Erzähler zur Verfügung. Dann können an dieser Stelle auch Aspekte der biografischen, soziokulturellen, technologischen oder psychologischen „Ursachenforschung“, also der Untersuchung des Autors und der Produktionsbedingungen, in die narrative Analyse integriert werden (vgl. E DER, Figur im Film, 541–548: „Figuren als Symptome“, dort zu individuellen und sozialen Ursachen der Figurengestaltung). 653 Vgl. CHATMAN, Story, 196–253; R IMMON-KENAN, Narrative Fiction, 96–100; NÜNNING, Grundzüge, 50–53.84–123; N ÜNNING, Funktionen, 329f.334–341; E ISEN, Poetik, 80–87, jeweils mit genauerer Diskussion der Kriterien. Klassisch F RIEDEMANN, Rolle des Erzählers, 1–32; Beispiele bei B AR-EFRAT, Bibel, 33–56.
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
wird der Leser die Existenz eines perspektivischen Erzählers vergessen und die Geschichte auf den ersten Blick als „objektiver“ empfinden. 654 d) Erzählerische Fertigkeiten des Erzählers: Außerdem könnte man untersuchen, wie realistisch der Erzähler die Umwelt zeichnet, wie abwechslungsreich die Handlung ist, wie differenziert die Figuren beschrieben werden oder welche Techniken der Erzählperspektive er einsetzt. Achtung: Die Fertigkeiten des Autors können weit größer sein als die der sekundären oder tertiären Erzähler, die er erzählen lässt. 655 e) Wissensstand des Erzählers: Oft wird angenommen, der Erzähler verfüge frei über seine erzählte Welt, er sei – in geradezu göttlicher Weise – allwissend, omnitemporal und omnipräsent. 656 Das mag nur theoretisch für den Autor gelten, der eine vollständig fiktionale Welt neu entwirft. Faktisch aber muss jede erzählte Welt an die reale Welt anknüpfen, d.h. der Autor muss Dinge aus unserer realen Welt referenzierend voraussetzen, die er nicht vollständig kennt (daher werden gute Schriftsteller zunächst recherchieren). Wenn es schon keinen ‚allwissenden Autor‘ gibt,657 so gilt dies noch weniger für einen ,allwissenden Erzähler‘. Denn sowohl ein ErErzähler als auch ein Ich-Erzähler kann so gezeichnet werden, dass er in den Augen des Rezipienten nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit sieht, problematische Bewertungen vornimmt und Dinge falsch, irreführend, unklar oder mit eigenem Vorbehalt 658 berichtet. Dies ist das Phänomen des unzuverlässigen Erzählers, bei dem der Autor bewusst eine eigene Erzählerfigur mit geringerem Wissen (und vielleicht auch sonst einer anderen Identität) konzipiert. 659 In diesem Fall findet der Rezipient Widersprüche 654 Um das Objektivitätsempfinden zu stärken, wird manchmal die Formulierung „die Bibel sagt“ gewählt und wenig von individuellen Autoren gesprochen. Dass sich im LkEv der Erzähler (= Autor) jedoch personal zu erkennen gibt, veranlasst den Leser bzw. Hörer eher zu kritischen Rückfragen, was aber offenbar von Lk in Kauf genommen wird. 655 Vgl. zu diesem Punkt SCHMID, Elemente, 73. 656 Vgl. z.B. NÜNNING, Funktionen, 327f.; E ISEN, Poetik, 77f. (mit Bsp. aus Lk-Act); anschaulich BAR-EFRAT, Bibel, 26–28. Das gelte jedenfalls bei heterodiegetischen Erzählern. Sehr erhellend aber F ÜGER, Das Nichtwissen des Erzählers. 657 Der Autor ist m.E. allmächtig, aber nicht allwissend. Vgl. dazu die Diskussion von CULLER, Omniscience; OLSON, Who Thinks This Book?; C ULLER, Knowing or Creating? 658 Vgl. HERMAN, Hypothetical Focalization; HERMAN, Story Logic, 301–330 (mit anderem Fokalisierungsverständnis). 659 Zum unreliable narrator vgl. grundlegend B OOTH, Rhetoric, 158f.; zur Einführung MARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 100–104; L AHN/MEISTER, Erzähltextanalyse, 182– 187; NEUMANN/NÜNNING, Narrative Fiction, 98–102; S CHMITZ, Prophetie, 28–34; PRAMANN, Point of View, 187–190. Ein Beispiel ist der Ich-Erzähler Serenus Zeitblom in Thomas Manns Roman Doktor Faustus. Ausführlich zu diesem vieldiskutierten Problem: NÜNNING/SURKAMP/ZERWECK (Hgg.), Unreliable Narration; N ÜNNING, Reconceptualizing (1999); C OHN, Discordant Narration; Z ERWECK, Historicising Unreliable Narration; OLSON, Reconsidering Unreliability; A LLRATH, (En)gendering Unreliable Narration;
2.6 Perspektivenanalyse
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zwischen der (im Kontext der realen Welt interpretierten!) erzählten Welt und der Darstellung und Meinung des Erzählers. Während der Erzähler bestimmte Dinge nicht zu wissen scheint, 660 kann man auf der anderen Seite jedoch auch untersuchen, inwiefern der Erzähler mehr weiß als einzelne seiner Figuren. 2.6.5 Erzählerstandpunkt, Erzählkontext, Erzählabsicht Erst seit wenigen Jahren beschäftigt sich die Narratologie wieder intensiver mit der Tatsache, dass der Erzähler jeder narrativen Ebene einen inhaltlichen Standpunkt hat und etwas mit der Erzählung vermitteln will. Weil das Bewusstsein dafür wächst, soll dieser Analyseschritt hier (sehr knapp) ergänzt werden. Die narratologischen Überlegungen hierzu sind allerdings noch rudimentär, ganz im Gegensatz zu denjenigen der historisch-kritischen Methode. Der strukturalistische Ansatz der klassischen Narratologie hat offenbar entsprechende weiterführende Gedanken behindert.661 Wichtig sind nun die neueren Forschungen von A. Nünning und seiner Mitarbeiter zur „Perspektivenstruktur“, die das Verhältnis zwischen dem Standpunkt des Erzählers und den Standpunkten der Figuren behandeln, wobei der Schwerpunkt weiterhin eher auf strukturalistischen Klassifizierungen liegt. 662 Die frühen Impulse von W. Booth und B. L IPTAY u.a. (Hgg.), Was stimmt denn jetzt?; HELBIG (Hg.), Camera doesn’t lie; D’ HOKER /M ARTENS (Hgg.), Narrative Unreliability; M ENHARD, Conflicting Reports; KAUL/ PALMIER/SKRANDIES (Hgg.), Erzählen im Film; N ÜNNING , Art. Reliability. 660 Vgl. die Beobachtung von P OWELL, Narrative Criticism, 26: „In the synoptic Gospels at least, the narrators’ perceptions are limited spatially and temporally to the earthly realm. Descriptions of heaven and hell are offered only by characters in the stories, never by the narrators themselves.“ 661 Wer die Einführungen in die Narratologie durchblättert, wird kaum fündig. Vgl. nur knapp CHATMAN, Story, 241–243; VON GRAEVENITZ , Erzähler, 81, zur literarischen Kommunikation allgemein ebd., 41–64; s. auch G ENETTE, Erzählung, 183–186 (Typologie von Erzählfunktionen). Manchmal gibt es Überlegungen zu den Erzähladressaten (s.u.). 662 Vgl. NÜNNING, Grundzüge, 64–83.90–116 (grundlegend); N ÜNNING/NÜNNING , Multiperspektivität [LWU]; NÜNNING/NÜNNING (Hgg.), Multiperspektivisches Erzählen (darin diverse Aufsätze, u.a. N ÜNNING/NÜNNING, Erzählperspektive); N ÜNNING, Perspective Structure; S URKAMP, Perspektivenstruktur (umfassend); N EUMANN/NÜNNING, Narrative Fiction, 57–59; S URKAMP, Art. Perspektivenstruktur; N ÜNNING/NÜNNING, Art. Multiperspektivität. Impulsgeber für Nünning war P FISTER, Drama, 90–103. Vgl. zu Nünning auch BODE, Roman, 249–261; die Perspektivenstruktur ist nach seiner Einschätzung „ein begrifflich-analytischer Durchbruch, dessen volle Bedeutung noch gar nicht ganz erkannt worden ist“ (255). M. E. weist sie tatsächlich in eine gute Richtung, da sie eine inhaltliche Beschäftigung mit den einzelnen Standpunkten verlangt; vgl. den parallelen Paradigmenwechsel hin zum Inhalt der Erzählung bei R YAN, Possible Worlds, 114–118, die die Zusammensetzung von „Erzählerdomäne“ und „Figurendomänen“ (Wissen, Pflichten, Wünsche, Intentionen) beschreibt (Kap. 2.4.5).
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
Uspenskij663 bleiben in der narratologischen Theoriebildung bislang weitgehend unberücksichtigt. Die noch eher verstreuten Untersuchungen zum Thema werden im Folgenden so geordnet (und teilweise vertieft), dass sie auf die Beschreibung der Erzählabsicht hinführen. 1) Standpunkt des Erzählers: Die Überzeugungen, Normen und Werte des Erzählers werden auf verschiedene Weise gegenüber dem Erzähladressaten zum Ausdruck gebracht. Aus narratologischer Sicht ist bisher klar: Der Erzähler kann die divergierenden Meinungen, Wünsche und Intentionen der Figuren u.a. mit den perspektivischen Mitteln Beteiligung, Distanz und Innensicht (2.6.1–2.6.3) hierarchisieren. Außerdem kann der Erzähler bestimmte Figurenmerkmale (Überzeugungen, Charakterzüge, Verhaltensweisen u.a.) positiv oder negativ darstellen, entweder durch explizite eigene Kommentare und generalisierende Reflexionen, 664 durch Kommentare anderer Figuren oder durch das Schicksal 665, das eine Figur ereilt (wenn z.B. eine Figur für ihr Verhalten bestraft wird). Aufgabe der Analyse des Erzählerstandpunktes sollte es sein, 1) den Standpunkt des Erzählers herauszuarbeiten und 2) zu beschreiben, wie er seinen Standpunkt mit den speziellen Mitteln, die eine Erzählung bietet, zum Ausdruck bringt. Der evaluative Standpunkt des Erzählers beeinflusst den Einstellungswandel des intendierten Rezipienten (2.7.7). Doch wie man nun genau bei der Untersuchung vorgehen könnte, ist bislang schwer zu beantworten.666 663
Immer noch lesenswert dazu B OOTH, Rhetoric, 67–86.137–147.155–160.169–209 und passim. Vgl. den „Standpunkt auf der Ebene der Ideologie“ bei U SPENSKIJ, Poetik, 17–25. Auch unter Neutestamentlern ist der „evaluative point of view“ bekannt, vgl. RHOADS/DEWEY/MICHIE, Mark, 43–45; POWELL, Narrative Criticism, 23–25; R ESSEGUIE, Narrative Criticism, 172f. Zur Ideologie (von Erzählungen) vgl. außerdem S OWARKA, Ideologiehaftigkeit; E AGLETON, Ideology; H AWKES, Ideology; S TRASEN, Art. Ideologie; HERMAN/VERVAECK, Ideology. 664 Für eine ausführliche Untersuchung der expliziten Erzählerkommentare des MkEv vgl. PRAMANN, Point of View, 54–63.269–298. 665 REINHARDT, Art. Poetische Gerechtigkeit (Lit.); vgl. W OLF, Chance in Fiction, bes. 185f. mit einem Vorschlag für eine Methode, um den Standpunkt des Erzählers mit dem Schicksal der Figuren zu korrelieren. 666 Im Einzelnen ist noch unklar, welche Faktoren den übergreifenden Standpunkt wie beeinflussen. N ÜNNING/NÜNNING, Multiperspektivität [LWU], 76f. zählen zu den vielen dort aufgezählten offenen Forschungsthemen auch „die Gretchenfrage, wie sich das Werte- und Normensystem eines literarischen Textes ermitteln läßt.“ Vgl. dazu die auch den Rezeptionsprozess berücksichtigenden ersten Überlegungen bei S URKAMP, Perspektivenstruktur, 65–83 und ihre Anwendungen 131–286, daneben das mittelalterliche Beispiel bei B ARTHEL, Empathie, 42–52, die Hinweise bei S CHMITZ, Prophetie, 39–41.50– 58, die Analyse von Werten in Computerspielen bei T HON, Perspective, 291–297 sowie das Beschreibungsraster für die Wertestruktur bei E DER, Figur im Film, 504f. Weiterführend ist auch der linguistische Zugang bei H UNSTON/THOMPSON (Hgg.), Evaluation in
2.6 Perspektivenanalyse
181
Die Analysekriterien bei Nünning sind insgesamt eher auf eine formale Beschreibung der Perspektivenstruktur ausgerichtet: Kriterien sind die Anzahl (monoperspektivisch/polyperspektivisch), der Grad an Heterogenität (homogen/heterogen), die Explizität (explizit/wenig explizit) sowie die Zuverlässigkeit der Standpunkte (zuverlässig/unzuverlässig) von Figuren und Erzähler.667 Ein weiterer Punkt betrifft die Integrativität der Perspektiven, d.h. die Frage, ob ein bestimmter Standpunkt andere dominiert oder alle Standpunkte bis zum Schluss gleichberechtigt nebeneinander stehen bleiben (geschlossene/offene Perspektivenstruktur). Integrationssteigernd wirkt beispielsweise eine Gruppierung der Figuren um Normrepräsentanten oder eine starke Präsenz des Erzählers. 668 Weil die Narratologie bei der analytischen Beschreibung des Erzählerstandpunkts noch vergleichsweise am Anfang steht, möchte ich einen etwas genaueren, eigenen Untersuchungsansatz vorstellen. Zunächst kann der Erzählerstandpunkt (= die vom intendierten Rezipienten wahrgenommene Meinung des Erzählers) in zwei Teildimensionen unterteilt werden: den axiologischen und den alethischen Standpunkt. 669 a) der axiologische oder evaluative Standpunkt („gut“ – „schlecht“). Es lassen sich verschiedene Bereiche unterscheiden, auf die sich der axiologische Standpunkt erstrecken kann: 1) Werturteile über Figuren und andere Entitäten der Erzählung, 2) Werturteile über Merkmale, 3) Werturteile über Entitäten außerhalb der erzählten Welt, insbesondere über den Erzähler, die Erzählung und den Rezipienten. Am häufigsten sind dabei Werturteile über Figuren, für die meist das bloße Vorhandensein eines bestimmten Merkmals ausreicht, das mit einer Bewertung verbunden ist. So kennzeichnen die Hohenpriester mit der bloßen Nennung der Verhaltensweise „die Jünger haben ihn gestohlen“ (Mt 28,13) die Jünger als negativ, weil Diebstahl aufgrund allgemeiner sozialer Normen etwas Schlechtes ist. Mehr braucht es nicht, um zu betonen, dass die Jünger böse seien. Diese Einbeziehung von außertextlichem Wissen und von WahrnehmungsscheText. Eine Methode könnte man außerdem aus bestehenden Untersuchungen gewinnen, z.B. aus CLASSEN, Vorbilder – Werte – Normen, der die Wertestruktur homerischer Epen untersucht. 667 Vgl. NÜNNING/NÜNNING, Multiperspektivität [LWU], 385; weiterführend S URKAMP , Perspektivenstruktur, 84–112. 668 NÜNNING/NÜNNING, Multiperspektivität [LWU], 59–64; vgl. S URKAMP, Perspektivenstruktur, 115–122. 669 Eine Meinung kann in Einstellungen (Evaluation) und Überzeugungen (Ideologie) bestehen. Diese Unterscheidung entspricht weitgehend dem „praktischen Wissen“ (= axiologischer Standpunkt) und dem „theoretischen Wissen“ (= alethischer Standpunkt) bei KÖPPE, Literatur und Erkenntnis, 50–156 und 157–204. Er definiert z.B. praktisches Wissen als wertende, handlungsbezogene Einstellung (168). Bei Köppe geht es v.a. um eine philosophische Begründung, dass Literatur eine Quelle von Erkenntnis sein kann.
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
mata ist in der Narratologie erst seit dem cognitive turn möglich. Explizite Bewertungen des Erzählers, wie sie die klassische Narratologie vorschlägt, sind dagegen eher selten, auch Sanktionierungen eines Verhaltens durch Glück/Unglück der Figur kommen nicht überall vor. Und perspektivische Mittel beeinflussen eher die Empathie des Rezipienten (Kap. 2.7.1) als die wahrgenommene Bewertung einer Figur durch den Erzähler. Um die impliziten Bewertungen der Figuren nachvollziehen zu können, müssen die Normen und Werte bestimmt werden, die der Erzähler voraussetzt. Ein Wert ist eine Zielvorstellung; Werte sind daher nicht mit Entitäten identisch (z.B. „Freunde“, „Geld“, „Weisheit“), sondern beschreiben einen idealen Zustand („Freunde haben“, „reich sein“; „weise sein“). Eine Norm ist eine Verhaltensvorschrift, eine Methode, mit der dieses Ziel erreicht werden soll; die einzelnen Normen (z.B. „treu sein“) können wiederum als Werte für untergeordnete Normen dienen. Ein Werturteil beschreibt dann eine konkrete Entität bezogen auf eine Norm. Beispielsweise ist „sicheres Eigentum haben“ ein Wert, die daraus abgeleitete Norm ist das Verbot von Diebstahl, „die Jünger haben den Leichnam gestohlen“ ist ein Werturteil. Der Erzähler kann auch Normen oder Werte explizit erwähnen (in Mt 28 z.B. die Norm, alle Völker zu Jüngern zu machen), in den meisten Fällen werden aber nur Werturteile ausgesprochen. Normen und Werte können wiederum klassifiziert werden, z.B. in äußere und innere Werte; persönliche, soziale und religiöse Werte; materielle und immaterielle Werte; Muss-Normen, Soll-Normen und Kann-Normen. Werturteile, Normen und Werte bilden zusammen die Wertestruktur der Erzählung. Die soziologische, ethnologische und sozialpsychologische Forschung müsste hier noch genauer auf eine Theorie und Methode zur Ermittlung von (kulturellen) Werte- und Normensystemen durchgesehen werden. 670 Die Beschreibung von Werturteilen, Werten und Normen in der Erzählung bereitet zugleich die Analyse des intendierten Einstellungswandels (Kap. 3.7.7) vor. Weil der Rezipient Einstellungen sowohl zu Entitäten (Werturteile) als auch zu Merkmalen (Normen) besitzt, kann der Erzähler in zwei Richtungen arbeiten: Entweder er verwendet die Einstellung zu bestimmten Merkmalen, um die Einstellung des Rezipienten zu einer Entität (z.B. einer Figur) zu prägen, wie in den meisten Fällen (deduktive Bewertungsrichtung: Merkmal → Entität),671 oder die Einstellung zu einer Entität dient dazu, um die Einstellung zu einem Merkmal zu beeinflussen 670
Vgl. z.B. OPP, Entstehung sozialer Normen; T HOMAS, Sozialpsychologie I, 72–80; HECHTER/OPP (Hgg.), Social Norms; F ISCHER/WISWEDE, Sozialpsychologie, 543–552; SCHÄFERS, Soziales Handeln (vgl. 32 zu „Muss-Normen“, „Soll-Normen“ und „KannNormen“); deutlich anders GROHMANN/VOGEL u.a., Art. Normativität/Norm. 671 Vgl. auch KÖPPE, Literatur und Erkenntnis, 142–151 („Literatur und Anmutungsqualitäten“) u.a. zu bewertenden Adjektiven mit der Funktion eines Werturteils.
2.6 Perspektivenanalyse
183
(induktive Bewertungsrichtung: Entität → Merkmal). Wenn also eine sympathische Figur etwas tut, was der Rezipient eigentlich ablehnt, kann dies auf lange Sicht umgekehrt auch seine Normen beeinflussen. 672 Auch dieser deduktive Einfluss von Entitätsdarstellungen auf Normen wird in der Narratologie bisher vernachlässigt. b) der alethische oder ideologische Standpunkt („wahr“ – „falsch“). Hier geht es um die inhaltlichen Überzeugungen, die der intendierte Rezipient beim Erzähler erkennt, d.h. das Bild des Erzählers von der Wirklichkeit. Zu den Überzeugungen gehören sämtliche Aussagen über Ereignisse und Sachverhalte (Figurenmerkmale, Settings), die der Erzähler der jeweiligen narrativen Ebene als wahr oder falsch, wahrscheinlich oder unwahrscheinlich ansieht (vgl. 2.2.2.2). 673 Überzeugungen können unterteilt werden in: 1) Überzeugungen über erzählinterne Sachverhalte (Figuren und andere Entitäten), 2) Überzeugungen über erzählexterne Sachverhalte, z.B. bezogen auf den Erzähler selbst, auf die Erzählung oder auf den Rezipienten. Wenn man die Überzeugungen des Erzählers miteinander in Beziehung setzt, ergibt sich das individuelle Überzeugungssystem. 2) Erzählkontext: Der Erzähler äußert diese Standpunkte innerhalb einer bestimmten Kommunikationssituation, also des Erzählkontextes. Der Erzählkontext kann explizit beschrieben sein (z.B. Mt 13,1f. bei der Gleichnisrede) oder muss indirekt erschlossen werden (bei der Erzählung des MtEv insgesamt). Der Erzählkontext wird von der Erzähltheorie m.W. noch völlig vernachlässigt. Nur die Erzähladressaten werden kurz thematisiert; Beschreibungskriterien sind hier der Grad der Explizität des Erzähladressaten (overt/covert narratee) oder seine Involvierung in das Geschehen.674 In der konkreten Analyse sollten auch, soweit verfügbar, Informationen über seine Person (Alter, Geschlecht, soziale Herkunft usw.) und seine Vorverständnisse zusammengetragen werden. 3) Erzählabsicht: Die Erzählabsicht ist die dritte Größe in der Erzählkommunikation, sie ergibt sich aus Erzählerstandpunkt und Erzählkontext. Auf jeder Erzählebene (d.h. auch für die reale Kommunikationssituation 672 Wenn z.B. sehr sympathische Figuren (oder reale Rollenvorbilder) immer wieder persönliche über soziale Normen stellen, Besitz sehr hoch schätzen und Steuern hinterziehen, kann es sein, dass sich die negative Bewertung von Steuerflucht relativiert. Durch Gewaltdarstellungen oder durch makellos schöne Schauspieler im Fernsehen werden ebenfalls bestimmte Normen abgeschwächt oder verstärkt. 673 S. KÖPPE, Literatur und Erkenntnis, 152: „Eine Überzeugung ist die kleinste identifizierbare Einheit der mentalen Repräsentation eines Sachverhalts, deren Gehalt … angegeben und beurteilt werden kann“ (im Orig. z.T. kursiv). 674 Vgl. GENETTE, Erzählung, 186–188; C HATMAN, Story, 253–262; R IMMON-KENAN, Narrative Fiction, 103–105; G OETSCH, Leserfiguren (= GOETSCH, Reader Figures); MARTÍNEZ /S CHEFFEL, Erzähltheorie, 84–87; E ISEN, Poetik, 90–95; L AHN/M EISTER , Erzähltextanalyse, 96f.; S EIBEL, Art. Leser, fiktiver.
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
zwischen Autor und Rezipienten) hat die jeweilige Erzählung eine bestimmte Funktion. Die Narratologie kennt dafür eine knappe formale Typologie: Die (Binnen-)Erzählung treibt die jeweiligen Rezipienten entweder zu einer Handlung an (aktionale Funktion), sie soll ihnen erklären, wie es zu etwas kam (explikative Funktion), oder sie steht thematisch in einer Ähnlichkeits- oder Kontrastbeziehung zur Situation (thematische Funktion).675 Allerdings wird noch nicht untersucht, wie man diese Erzählfunktion auf methodische Weise inhaltlich erfasst. Innerhalb der strukturalistischen Narratologie war die Erzählabsicht kaum im Blickfeld; erst in den letzten Jahren wird der pragmatische Aspekt von Erzählungen im Rahmen der postklassischen Narratologie neu erkannt. 676 Erste Ansätze finden sich allenfalls im Rahmen der empirischen Rezeptionsforschung. 677 In Kap. 2.7 wird die Erzählabsicht ausführlich behandelt, besonders in Kap. 2.7.6 (Intendierte Anwendungen; vgl. explikative Funktion, thematische Funktion) und 2.7.7 (Einstellungswandel; vgl. aktionale Funktion). Im Grunde geht der gesamte Abschnitt 2.7 in dieser Arbeit über die herkömmliche Narratologie hinaus.
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Hier nach R IMMON-KENAN, Narrative Fiction, 92; ähnlich S KA, Fathers, 48–53; MARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 77–79. Eine andere Typologie hat G ENETTE, Erzählung, 183–186 (narrative Funktion, Regiefunktion, Kommunikationsfunktion, Beglaubigungsfunktion, ideologische Funktion); vgl. T OLMIE, Narratology, 21–23; E HLERS, Studienbuch, 65f. Allgemeinere Überlegungen bei B OOTH, Rhetoric, 89–116. 676 Vgl. PHELAN, Narrative as Rhetoric, der in seinen Aufsätzen die pragmatische Dimension von Erzählungen wie eine Neuentdeckung betont. S. auch K EARNS, Rhetorical Narratology; S ELL, Literature as Communication, und den Forschungsüberblick bei STRASEN, Pragmatische Narratologie (u.a. mit Einführung in die „moderne Pragmatik“: die Sprechakttheorie von Austin und Searle und die Konversationsmaximen von Grice). Nach Strasen könne die postklassische, pragmatische Narratologie die Einzelergebnisse der strukturalistischen Untersuchung zusammenfügen: „Pragmatische Analyse verzichtet nicht auf das klassische narratologische Instrumentarium. Die mit seiner Hilfe ermittelten Strukturen bilden gleichsam die semantische Basis der Analyse, auf deren Grundlagen erst Aussagen über die kommunikative Funktion bestimmter sprachlicher Strukturen möglich werden“ (186). Dem kann man nur zustimmen (vgl. hier z.B. 2.7.1 zu Empathiefaktoren). Auch der Ansatz der kognitiven Narratologie bei J AHN, Frames; JAHN, Speak, Friend, hat pragmatische Implikationen. Insgesamt bleibt die Narratologie an diesem Punkt bisher aber noch unkonkret; gerade aus exegetischer Sicht ist das sehr auffällig. 677 Empirische Rezeptionsforschung (klassisch L UDWIG/F AULSTICH [Hgg.], Erzählperspektive empirisch) könnte die Daten dafür liefern, welche Strukturmerkmale und Inhalte der Erzählung in welchem Zusammenspiel den Leser in welchem Kontext wie beeinflussen. Dann ließe sich auch die Streuung der Rezeptionswirkung genauer vorhersagen. Diese tatsächliche kommunikative Reaktion ist anschließend, wenn möglich, mit der Autorintention (qualitatives Interview der Autorinnen und Autoren) abzugleichen, um auch die Ermittlung der Autorintention besser zu modellieren.
2.6 Perspektivenanalyse
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2.6.6 Methode der Analyse 678 Untersuchen Sie für jeweils zwei benachbarte Erzählebenen, besonders für die äußeren: 1. Beteiligung: Wie sehr ist der Erzähler an der Handlung beteiligt? Steht er ganz außen vor oder steht er im Mittelpunkt der Erzählung? Handelt es sich also um einen unbeteiligten Erzähler (Er-Erzähler), unbeteiligten Beobachter, beteiligten Beobachter, eine Nebenfigur, eine der Hauptfiguren oder um die Hauptfigur (Ich-Erzähler)? 2. Distanz: In welchen Abschnitten wird die Erzählung eher im narrativen bzw. eher im dramatischen Modus erzählt (telling/showing)? Mit welcher Unmittelbarkeit wird die Figurenrede jeweils dargestellt ([knapper] Gesprächsbericht, indirekte Rede, erlebte Rede, direkte Rede, freie direkte Rede; bei Gedanken: Gedankenbericht, indirektes Gedankenzitat, erlebte Rede, direktes Gedankenzitat, freies direktes Gedankenzitat bzw. innerer Monolog/Bewusstseinsstrom)? Wie ausgeprägt ist der Mentalstil, d.h. redet der Erzähler so wie die Figuren? Gibt es Unterschiede zwischen Figuren? Verändert sich die Distanz? 3. Wahrnehmungszentrum und Innensicht:679 a) Innensicht: Wie genau kennt und berichtet der Erzähler jeweils die Wahrnehmung, Wissen, Gefühle, Intentionen einer Figur (Außenperspektive vs. Innenperspektive)? Wie gleichmäßig ist die Innensicht (aperspektivische/perspektivische Erzählung)? Wie verändert sich die Innensicht (statische/variable Fokalisierung)? b) Wahrnehmungszentrum: Welche Figur wird in ihrer Wahrnehmung begleitet („Fokalisator“)? 4. Erzähler: a) Welche Hinweise auf eine zeitliche und örtliche Differenz zwischen dem Erzähler und seiner jeweiligen Erzählung gibt es im Text? Wie groß ist sie? Welche Bedeutung hat diese Differenz für das Erzählen (z.B. ungenaue Erinnerung)? b) Was kann man erschließen: Ist der Erzähler männlich oder weiblich? Zu welcher Kultur und Gruppe gehört er? Welche anderen Attribute gibt er explizit oder implizit von sich preis? c) Insgesamt: Wie explizit sagt der Erzähler etwas über sich (expliziter/verborgener Erzähler)? d) Welche erzählerischen Fähigkeiten hat der Erzähler (Techniken der Perspektive, der Figurendarstellung u.a.)? e) Was weiß der Erzähler, was weiß er nicht? Ist der Erzähler unzuverlässig? 678
Teilmethoden zur Perspektivenanalyse gibt es auch bei M ARGUERAT/BOURQUIN, Bible Stories, 153; U TZSCHNEIDER/NITSCHE, Arbeitsbuch, 185; RHOADS/DEWEY/MICHIE, Mark, 154f.158f.; S TRASEN, Analyse der Erzählsituation, 140; Q UINKERTZ, Analyse des Erzählmodus, 161; R ESSEGUIE, Narrative Criticism, 243; L AHN/MEISTER, Erzähltextanalyse, 99 (Erzähler), 115f. (allgemein), 132 (sprachliche Distanz) und 186f. (unzuverlässiger Erzähler) sowie bei EHLERS, Studienbuch, 118f. 679 Für ein ausführliches ‚task sheet‘ zur Analyse der Fokalisierung vgl. jetzt J AHN, Focalization, 105–107.
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
5. Erzählerstandpunkt, Erzählkontext, Erzählabsicht: a) Erzählerstandpunkt: Wie bewertet der Erzähler Figuren, Settings und Merkmale (axiologischer Standpunkt)? Welche Normen und Werte sind für diese (impliziten) Werturteile anzunehmen? Wovon ist der Erzähler überzeugt, wovon nicht (alethischer Standpunkt)? Wie verhält sich der Standpunkt des Erzählers zu denjenigen der Figuren (Perspektivenstruktur)? b) Erzählkontext: In welchem Kontext wird erzählt? Was kann man über die Erzähladressaten und ihre Vorverständnisse herausfinden? Wie explizit wird etwas über die Erzähladressaten gesagt (overt/covert narratee)? c) Erzählabsicht: 680 Welche pragmatische Funktion hat die Erzählung in diesem Erzählkontext (aktionale, explikative, thematische Funktion)? Bei Binnenerzählungen: Wird geschildert, ob der Erzähler sein Ziel erreicht?
2.7 Rezeptionsanalyse Es fehlt noch ein wichtiger Aspekt einer Erzählung, dessen systematische Untersuchung großen Gewinn verspricht, der aber oft vernachlässigt wird. Bei der Analyse von Umwelt, Handlung und Figuren (2.3–2.5) beschäftigt man sich inhaltlich mit den Grundbestandteilen einer Erzählung, bei der Analyse der Perspektive (2.6) mit dem Verhältnis zwischen der Geschichte und dem jeweiligen Erzähler. In diesem Abschnitt geht es nun um den Einfluss der Erzählung auf den intendierten Rezipienten, d.h. um die kurzfristige und langfristige Wirkung der Erzählung auf den Leser, Hörer oder Zuschauer.681 Jede Erzählung hat auch einen pragmatischen Aspekt, sie ist ja Teil eines Kommunikationsgeschehens. Der Erzähler z.B. eines Gleichnisses oder des gesamten MtEv möchte etwas bei den Adressaten erreichen. In der Exegese sind zur Beschreibung der intendierten Rezeptionswirkung bisher vor allem drei methodische Zugänge bekannt: a) die Rezeptionsästhetik, b) die linguistische Pragmatik und c) die historische Frage nach den Adressaten. Alle drei Ansätze sind jedoch m.E. für diesen Zweck wenig geeignet, weil sie faktisch keine passenden Analysekategorien und Kriterien anbieten: a) Der Bereich der Rezeption wird innerhalb der Literaturtheorie häufig unter dem Begriff „Rezeptionsästhetik“ bzw. „Wirkungsästhetik“ behan-
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Die Erzählabsicht wird in Kap. 2.7 hinsichtlich ihrer kurzfristigen und langfristigen Wirkungen noch detaillierter aufgeschlüsselt. 681 Das Wissen darüber, dass man mit Erzählungen auch Einfluss nehmen kann, ist nicht neu und kann auch beim Autor des MtEv vorausgesetzt werden. Die Wirkung von Tragödien und Reden wurde bereits in der Antike thematisiert (vgl. nur M AYORDOMO MARÍN, Anfang, 120–131 bes. zu Aristoteles und Quintilian).
2.7 Rezeptionsanalyse
187
delt682 oder fällt auch allgemein in die philosophische Kategorie der „Ästhetik“683. Methodisch wird dabei insbesondere auf Terminologien von Iser, Jauß und Eco zurückgegriffen. Diese (klassische) Rezeptionsästhetik hat, wie bereits in vorigen Kapiteln gezeigt wurde, mehrere Probleme: Sie geht von einem textimmanenten „impliziten Leser“ aus, bei dem das benötigte Vorwissen und die typischen Verstehensprozesse bei der Lektüre nicht berücksichtigt werden und der deshalb durch das kognitive Konzept des intendierten Rezipienten ersetzt werden sollte (Kap. 2.2.1, vgl. auch 2.1.3.1). Neben dieser zweifelhaften theoretischen Grundannahme fehlen in der bisherigen Rezeptionsästhetik auch konkrete Analysekategorien zur Beschreibung der Entstehung von Vorstellungen sowie der Wirkung von Erzählungen. So erfordert die Rede von „Leerstellen“ eigentlich die genaue Rekonstruktion kognitiver Inferenzprozesse (der Rezipient schließt z.B. auf nicht explizit erwähnte Ereignisse oder auf Gefühle von Figuren). Diese Aspekte wurden bereits in Kap. 2.3.1, 2.4.5 und 2.5.2 vertieft, ohne auf die Rezeptionsästhetik zurückgreifen zu können. Auch für die eigentliche Beschreibung der Rezeptionswirkung, d.h. der Rezeptionsemotionen, intendierten Anwendungen usw., erhält man keine Hilfe von Seiten dieser Theorie. Tatsächlich ist die Rezeptionsästhetik in den Literaturwissenschaften bereits seit den 1980-er Jahren auf dem Rückzug und wurde auf verschiedenen Gebieten durch andere, konkretere Ansätze ersetzt. 684 Innerhalb der Exegese wird die rezeptionsästhetische Theorie von Iser, Jauß u.a. dagegen überhaupt erst seit Mitte der 1990-er Jahre in breiter Front wahrgenommen (Mayordomo, Lehnert u.a.)685 und gilt bis heute als ein wichtiger Ansatz 682
Vgl. z.B. RICHTER, Wirkungsästhetik; J AHRAUS, Literaturtheorie, 290–306; K ÖPPE/ WINKO, Neuere Literaturtheorien, 85–96. – Grundlegend zur „Rezeptionsästhetik“: I SER, Der implizite Leser; I SER, Akt; JAUSS, Ästhetische Erfahrung; F ISH, Is There a Text; ECO, Lector; vgl. außerdem W ARNING (Hg.), Rezeptionsästhetik; T OMPKINS (Hg.), Reader-Response Criticism; geschichtlich K IMMICH/STIEGLER (Hgg.), Rezeption. 683 Vgl. zur Verwendung des Überbegriffs in der Exegese z.B. U TZSCHNEIDER, Theologische Ästhetik; F ISCHER, Kunst des Bibellesens. 684 Vgl. dazu KÖPPE/WINKO, Neuere Literaturtheorien, 85: „Seit den 1980er Jahren verliert die Rezeptionsästhetik als eigene Forschungsrichtung an Einfluss. Die Untersuchung der Beziehungen von Text und Leser werden allerdings von anderen theoretischen Ansätzen aufgenommen und ansatzspezifisch reformuliert bzw. präzisiert“. Köppe/Winko nennen die empirische Rezeptionsforschung, die Cognitive Poetics, die Empirische Literaturwissenschaft, die Literatursemiotik und Forschungen zur produktiven Rezeption. Vgl. HAMILTON/SCHNEIDER, From Iser to Turner; FRIEDRICH, Rezeptionsästhetik, bes. 616–619 und die Ausführungen in Kap. 2.1.3.1 zur kognitiven Wende. Studien dieser Forschungsrichtungen sind (in Auswahl) bereits in diese Arbeit integriert. 685 Exegetische Einführungen: F REY, Der implizite Leser; N ISSLMÜLLER, Rezeptionsästhetik; M AYORDOMO MARÍN, Anfang; LEHNERT, Provokation; ERBELE-KÜSTER, Lesen; SCHULTE, Gleichnisse erleben.
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
„literaturwissenschaftlicher Exegese“. Unter Verwendung der grundsätzlichen Kategorie „Leser“ oder „Rezipient“ geht es in der exegetischen Praxis dann auch vor allem um eine klassische historische Rekonstruktion des vorausgesetzten Vorwissens (vgl. die Analyse von Mt-Kommentaren, s. Kap. 3.1.3) und nur selten um literaturwissenschaftliche Kategorien; insbesondere fehlt eine genaue Beschreibung z.B. von Faktoren für Empathie, von Spannungsverläufen, von Rezeptionsemotionen oder von möglichen Anwendungen. Es zeigt sich außerdem, dass eine rezeptionsorientierte Exegese nur in Verbindung mit einer vorherigen Analyse der Erzählstruktur Sinn macht.686 b) Auch die linguistische „Pragmatik“ bietet keine ausgearbeiteten Modelle zur Rezeption von Erzählungen an. Die klassischen Inhalte der Pragmatik sind die Sprechakttheorie von Austin und Searle, die Theorie der konversationellen Implikatur von Grice sowie die Analyse von deiktischen Ausdrücken und Präsuppositionen. 687 Diese speziellen Theorien sind nur bedingt auf Erzählungen anwendbar. 688 Wenn in der Bibelwissenschaft von „pragmatischer“ oder „pragmalinguistischer Exegese“ die Rede ist, 689 dann ist damit kein konkretes methodisches Instrumentarium gemeint, sondern nur eine stärkere Beachtung des Kommunikationskontextes. Die in einigen alttestamentlichen Arbeiten aufgegriffene Textpragmatik (ein Arbeitsfeld der Textlinguistik) liefert zwar einige interessante Impulse, 690 ist jedoch wie die Theorie der Pragmatik kaum zur Beschreibung der Wirkung von Erzählungen geeignet. Das Problem spiegelt sich auch in der Literaturwissenschaft, wo die „pragmatische Narratologie“ (vgl. 2.1.3 zu Entwick686 So werden einige Aspekte zur Beschreibung der Erzählstruktur auch in der rezeptionsästhetischen Methode bei MAYORDOMO MARÍN, Anfang, 191–195 unvermittelt ergänzt. Die Rezeptionsästhetik hängt, sobald man sie anwendet, ohne eine vorherige Beschreibung der Textphänomene in der Luft. Vgl. das Urteil von M OORE, Literary Criticism, 73: „Indeed, reader-oriented gospel studies generally seem specialized extensions of narrative criticism.“ 687 LEVINSON, Pragmatik; M EY, Pragmatics; M EIBAUER, Pragmatik; E RNST, Pragmalinguistik; vgl. auch L INKE/NUSSBAUMER/PORTMANN, Studienbuch Linguistik, 169–202; PRECHTL, Sprachphilosophie, 187–197. 688 Die Rezeptionswirkung entspricht dem „perlokutionären Akt“ in der Sprechakttheorie; vgl. dazu aus exegetischer Sicht P ALACHUVATTIL , The one, 32–40. S. auch WELKEHOLTMANN, Kommunikation (sprechakttheoretische Klassifizierung von Dialogen). 689 Dazu z.B. FRANKEMÖLLE, Kommunikatives Handeln (vgl. F RANKEMÖLLE, Biblische Handlungsanweisungen, 11–49); L ENTZEN-DEIS, Passionsbericht; D ILLMANN, Autor; DILLMANN, Plädoyer; D ILLMANN/GRILLI /MORA PAZ, Text. Vgl. außerdem Kap. 1, Nr. 8 (S. 20) und Kap. 3, Anm. 23 (S. 253f.). 690 Die textpragmatische Exegese arbeitet u.a. mit dem Begriff „Kommunikatives Handlungsspiel“ von S.J. Schmidt (s.o. Kap. 2.1.3.1 zur Empirischen Literaturwissenschaft). Vgl. SCHWEIZER, Biblische Texte verstehen, 78–117; H ARDMEIER, Textwelten I– II; WEISE, Segnen; JONKER, Reflections und Kap. 1, Nr. 8.
2.7 Rezeptionsanalyse
189
lungslinien der heutigen Narratologie) neuerdings mit diesen linguistischen Ansätzen arbeiten möchte, aber bisher nur die Entdeckung betont, dass Erzählungen einen pragmatischen Aspekt haben. 691 c) Nicht zuletzt greift auch die historisch-kritische Beschreibung der Adressaten zu kurz. Oft wird dabei ausschließlich die Identität der Adressaten und ihre historische und soziale Situation thematisiert (im Fall des MtEv z.B. die Frage nach „der“ mt Gemeinde), nur manchmal geht es um ihre Wissensbestände und Überzeugungen. Dagegen werden das emotionale Erleben der Rezipienten beim Lesen oder Hören der Erzählung, die Anwendungsmöglichkeiten des Textes und der durch die Erzählung hervorgerufene Einstellungswandel nicht systematisch untersucht. Dafür fehlen auf historisch-kritischer Seite die passenden Methoden. Dieser Überblick sollte zunächst die Aporien der bisherigen Exegese bezogen auf die Rezeptionsanalyse aufzeigen. 692 Wie aber kann man stattdessen vorgehen? Leider wurde die Rezeption auch innerhalb der Narratologie bislang noch nicht umfassend aufgearbeitet. Seit kurzem rückt der Rezipient allerdings im Rahmen des cognitive turn stark in das Blickfeld der Narratologie; einige Veröffentlichungen erfassen daher nicht nur die Bildung von kognitiven Vorstellungsinhalten, sondern genauso andere Teilaspekte der Rezeptionswirkung. 693 Dadurch gewinnt auch die Empirische Literaturwissenschaft (vgl. 2.1.3.1) bzw. allgemein die empirische Rezeptionsforschung zunehmend an Akzeptanz und Einfluss. Trotzdem ist die Forschung noch sehr fragmentarisch und disparat. 694 Darum soll hier, ähnlich wie schon an anderen Stellen, in aller Kürze ein eigener Gesamtentwurf vorgestellt werden. Es soll versucht werden, alle relevanten Analyseaspekte zu erfassen, die die intendierte Wirkung einer Erzählung auf den Rezipienten betreffen. Über die Literaturwissenschaft hinaus kann für verschiedene Teilthemen auch auf die Medienwirkungsforschung695 und die Sozialpsychologie mit Gewinn zurückgegriffen 691
S.o. Anm. 676 (Seite 184). Für nicht-narrative Texte wie z.B. für die Paulusbriefe ist außerdem die rhetorische Exegese (rhetorical criticism) verbreitet. Inzwischen geht sie teilweise über die Identifizierung bestimmter Argumentations- und Stilfiguren hinaus und widmet sich beispielsweise auch den Rezeptionsemotionen ( DESILVA, Strategic Arousal; s.u.). 693 Vgl. u.a. KOCH, Literarische Menschendarstellung, 232–239; S CHNEIDER, Grundriß; SCHNEIDER, Cognitive Theory; S CHNEIDER, Rezeptionstheorien; C ULPEPER, Language; OHLER/NIEDING, Kognitive Filmpsychologie; B ORTOLUSSI/D IXON, Psychonarratology; JANNIDIS, Figur; bereits G RABES, Wie aus Sätzen Personen werden; G ROEBEN/VORDERER, Leserpsychologie II, 191–343. 694 So bemängelt auch das „Handbuch Literaturwissenschaft“ (2007) das bisherige „Fehlen einer umfassenden Theorie des Involvement“ (S CHNEIDER, Literatur und Text, 14, der dort Aspekte der ästhetischen Illusion und der Empathie benennt). 695 Dazu z.B. SCHENK, Medienwirkungsforschung; B ONFADELLI , Medienwirkungsforschung I; JÄCKEL, Medienwirkungen; W ÜNSCH, Unterhaltungserleben. 692
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
werden, für die Frage nach intendierten Anwendungen auch auf die exegetische Gleichnisforschung. In Entsprechung zu Horaz’ berühmter Sentenz „Aut prodesse volunt aut delectare poetae“ 696 bzw. zu Aristoteles’ Überlegung, dass e[leo~ und fovbo~ aufgrund der Tragödie eine kavqarsi~ bewirken,697 möchte ich kurzfristige und langfristige Rezeptionswirkungen unterscheiden: 1. Kurzfristige, rezeptionsbegleitende Wirkungen einer Erzählung (delectare, e[leo~ und fovbo~): – Empathie (2.7.1) – Sympathie (2.7.2) – Realitätseffekt/Immersion (2.7.3) – Spannung (2.7.4) – Rezeptionsemotionen (2.7.5) 2. Langfristige Wirkungen einer Erzählung (prodesse, kavqarsi~): – Intendierte Anwendungen (2.7.6) – Intendierte Meinungs- und Verhaltensänderungen (2.7.7)
All diese Aspekte können genau aufgeschlüsselt werden, wie im Folgenden zu zeigen sein wird. Empathie und Sympathie beziehen sich auf die Figuren einer Erzählung, die Spannung meist auf den Handlungsverlauf, der Realitätseffekt kann Setting, Handlung und Figuren gleichermaßen betreffen, die Rezeptionsemotionen schließlich richten sich meist primär auf Figuren. Langfristige Wirkungen entstehen dadurch, dass mehr oder weniger bewusst ein Einstellungswandel zu bestimmten Dingen, Themen oder Personen stattfindet und dass der Rezipient Parallelen zwischen dem Geschilderten und seinem eigenen Leben oder Umfeld erkennt. Es kann nicht garantiert werden, dass diese Einteilung von Rezeptionswirkungen vollständig ist, aber sie ist wohl eine gute Arbeitsgrundlage. Vor der eigentlichen Bestimmung der intendierten Rezeptionswirkung müssen noch zwei Dinge untersucht werden: 1) das Rezeptionsinteresse und 2) die Spezifika des Rezeptionsmediums. 1) Die intendierten Rezipienten besitzen ein bestimmtes Rezeptionsinteresse, eine „Lesemotivation“. Es gibt neben dem intendierten Vorwissen auch eine intendierte affektive Haltung, d.h. eine intendierte Einstellung, die auch die konkrete Rezeption beeinflusst. Im Fall des MtEv wird es die Schilderung des Lebens Jesu sein, welches das MtEv für die Rezipienten 696
Hor. Ars poet. 333: „Die Dichter wollen entweder nützen oder unterhalten.“ Vgl. die berühmte Definition der Tragödie bei Arist. Poet. 1449b. – Die an Cicero angelehnten augustinischen officia oratoris (Aug. doctr. christ. IV,96) ließen sich wohl ebenfalls auf Erzählungen beziehen, indem delectare den Rezeptionsemotionen zugeordnet werden kann, docere eher dem angestrebten Einstellungswandel und movere beiden Aspekten (vgl. auch die Systematisierung bei U EDING/S TEINBRINK, Rhetorik, 278–283). Zur noch ausstehenden Einbeziehung der Rhetorik in die Narratologie vgl. 2.1.3.1. 697
2.7 Rezeptionsanalyse
191
interessant macht. Um das Rezeptionsinteresse zu untersuchen, stehen verschiedene Modelle zur Verfügung, die hier nicht genauer thematisiert werden können.698 So unterscheidet z.B. J. Phelan drei Arten von Rezeptionstätigkeiten:699 a) mimetische Rezeption, d.h. der Schwerpunkt liegt auf der Beurteilung der Figuren (vgl. 2.7.2 Sympathie/Antipathie) und dem Verspüren von Emotionen (vgl. 2.7.5 Rezeptionsemotionen), 700 b) thematische Rezeption, d.h. der Rezipient hat v.a. Interesse an Themen, die durch die Erzählung aufgeworfen werden (vgl. 2.7.6 Applikation und 2.7.7 Einstellungswandel), c) synthetische Rezeption, d.h. der Rezipient reagiert auf die Erzählung als Kunstwerk (vgl. 2.7.5 zu ästhetischen Rezeptionsemotionen); diese Art von Gratifikation steht auch beim wissenschaftlichen Umgang mit dem Bibeltext im Vordergrund. 701 Jede Rezeption hat natürlich immer auch einen individuellen Aspekt, 702 doch geht es bei der Exegese um die intendierten überindividuellen Anteile 698
Vgl. GROEBEN/VORDERER, Leserpsychologie II, 1–190 zur „Lesemotivation“; BONFADELLI , Medienwirkungsforschung I, 167–207 zu Faktoren der Medienzuwendung (Uses-and-gratifications-Ansatz, Formen der Bedürfnisbefriedigung); ausführlich auch SUCKFÜLL, Rezeptionsmodalitäten, 20–49; S CHENK, Medienwirkungsforschung, 194f. (mood management) und 681–757; SCHWEIGER, Mediennutzung; vgl. außerdem S CHNEIDER , Sozialgeschichte des Lesens. Aus psychologischer Sicht kann man konkret und empirisch fragen: Was bewegt Menschen dazu, privat oder in Gruppen in der Bibel zu lesen? Welche Voreinstellungen haben sie gegenüber bestimmten Erzählungen? Welche Texte werden aus welchen Gründen für die Lektüre gewählt? Dies führt deutlich über hermeneutische Konzepte wie z.B. Stuhlmachers „Hermeneutik des Einverständnisses“ hinaus (STUHLMACHER, Verstehen, 222–225), der einfach eine „unbefangene Offenheit und kritische Sympathie für die Texte“ (224) einfordert. 699 Vgl. PHELAN, Rhetoric/Ethics, 210f.; s. auch NEUMANN/NÜNNING, Narrative Fiction, 151. KEEN, Empathy and the Novel, x verwendet die Unterscheidung „empathetic reading“ und „analytical reading“. 700 Didaktische Methoden wie das Rollenspiel bzw. Bibliodrama unterstützen besonders dieses Rezeptionsinteresse und dienen insbesondere dazu, die Empathie des Rezipienten zu einer Figur zu erhöhen. Vgl. S TÜHLMEYER, Veränderungen (umfassend). Ähnliches gilt für eine anschauliche narrative Predigt oder eine Bibelverfilmung. 701 Empathie, Spannung, Realitätseffekt, Einstellungswandel usw. werden nur bei der normalen Rezeption auftreten, kaum noch bei einem beruflichen Interpreten. Wer biblische und literarische Texte, Filme, Theateraufführungen oder Musik nüchtern analysiert, anstatt sie „normal“ auf sich wirken zu lassen, rezipiert sie daher (in der Regel) entgegen der Autorintention. Trotzdem ist es wichtig, die Mechanismen der Rezeption auch bei Bibeltexten zu verstehen, um bestimmte Wirkungen auf andere bewusst abzuschwächen oder zu verstärken. – Dass es neben der „normalen“ Rezeption auch die analytische Rezeption gibt, darauf machen F OWLER, Who Is ‚the Reader‘; M AYORDOMO MARÍN, Anfang, 162f. aufmerksam. 702 Dazu BOMMERT/WEICH/DIRKSMEIER, Rezipientenpersönlichkeit und Medienwirkung; BOMMERT/DIRKSMEYER/KLEYBÖCKER, Differentielle Medienrezeption.
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
der Rezeption, die der historische Autor plausiblerweise im Blick haben konnte.703 2) Das Rezeptionsmedium: Eine wichtige Anfrage an die Rezeptionsästhetik und viele exegetische Adaptionen ist die Frage, ob es sich bei den „Leser/innen“ wirklich immer um Leser handelt. 704 Die Erzählung kann auch für eine Gruppe von Hörern verlesen werden; das war gerade bei biblischen Erzählungen lange Zeit sicherlich die primäre Rezeptionsform. Weil man nicht für jedes Gemeindeglied ein Buch hatte und auch nicht jeder lesen konnte, wird auch der Autor des MtEv – trotz Mk 13,14par (oJ ajnaginwvskwn noeivt w) – eher Hörer als Leser vor Augen gehabt haben. Da die Gesetzmäßigkeiten des Hörens anders sind als die des Lesens, z.B. bestimmte Stilmittel besser zur Geltung kommen, andere dagegen weniger stark wahrnehmbar sind, könnte man untersuchen, inwieweit das MtEv speziell für das Zuhören konzipiert ist. 705 Wahrscheinlich kann man das MtEv jedoch nicht klar dem „Redestil“ oder dem „Schreibstil“ zuordnen. In dieser Arbeit wird die Diskussion dadurch umgangen, dass allgemein von „Rezipient“ gesprochen wird und dass die Spezifika des Rezeptionsmediums vernachlässigt werden. Der Schwerpunkt liegt eher auf einer medienübergreifenden Theorie der Erzählung. 706 703
Vgl. Kap. 2.2.1 zum intendierten vs. realen Rezipienten. E DER, Figur im Film, 113–116 unterscheidet empirische Rezeption, intendierte Rezeption und ideale Rezeption. Die ideale Rezeption liege dann vor, wenn einerseits die Intention der Produzenten voll erreicht ist als auch die Gratifikation (z.B. durch ein schönes Gefühl oder neue Gedanken) für die Rezipienten maximiert ist (vgl. 74f.). Eders Beispiele zeigen aber, dass auch die ideale Rezeption letztlich an die intendierte Rezeption gebunden ist: Nur dann, wenn der Produzent intendiert, dass die Rezipienten ein Höchstmaß an Gratifikation erreichen sollen, dürfen die Rezipienten mit der Erzählung anders umgehen (im Sinne eines produktiven Missverständnisses) und nicht der inhaltlichen Intention des Produzenten folgen. Vgl. zur Intention bei der Rezeption von Kunst oben Seite 52, Anm. 124. 704 Vgl. dazu MOORE, Literary Criticism, 84–88; F REY, Der implizite Leser, 275f.; STANTON, Literary Criticism, 73–76; ANDERSON, Narrative Web, 218–225; SMITH, Lion, 30–33; YAMASAKI, John the Baptist, 37–42.47f.; M AYORDOMO MARÍN, Anfang, 166– 170; DEINES, Gerechtigkeit, 75–90 (ausführlich); R OSE, Theologie, 50f. Auch U PTON, Hearing Mark’s Endings, argumentiert, dass antike Texte zum lauten Vorlesen konzipiert waren. Wichtige Studien sind O NG, Oralität; KELBER, Written Gospel; vgl. allgemein MÜLLER-OBERHÄUSER, Art. Mündlichkeit. Bereits R HOADS, Narrative Criticism, 425 hatte die selbstkritische Frage gestellt: „Should we not speak of ,hearers‘ … rather than readers?“, ohne dass dies im Narrative Criticism korrigiert worden wäre. 705 Diese Erkenntnis wird in interessanter Weise umgesetzt bei S COTT/DEAN, Sound Map, die am Beispiel der Bergpredigt zeigen, welche Wörter ähnlich klingen oder in welcher Weise der Text Hilfen beim Hören bietet. Vgl. aus literaturwissenschaftlicher Sicht CUDDY-KEANE, Modernist Soundscapes; M EYER-KALKUS, Vorlesbarkeit. Insgesamt liegt dieses Forschungsfeld jedoch noch brach. 706 Viele dieser narratologischen Überlegungen können ja auch über Erzähltexte hinaus angewendet werden, mit jeweiliger Anpassung der Methode. Die Rede vom „inten-
2.7 Rezeptionsanalyse
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2.7.1 Empathie Die Frage nach Voraussetzungen, Entstehung, Veränderung und Messung von Empathie ist eigentlich ein Themenfeld der Psychologie; erst seit kurzem werden entsprechende Forschungen auch in der Literaturwissenschaft aufgenommen und auf die Rezeption von Erzählungen bezogen. 707 Mit „Empathie“ ist gemeint, dass sich der Rezipient einer Figur kognitiv und emotional „nahe“ fühlt und sich verstärkt in sie hineindenkt, also z.B. auf ihre Gefühle schließt708. Der Begriff wird gleichbedeutend mit „Einfühlung“ gebraucht.709 In sogenannten „Spiegelneuronen“ glaubt man neuerdings eine physiologische Basis für Empathie gefunden zu haben. 710 Die Empathie für eine Figur ist von der Sympathie zu unterscheiden (s.u.). Die empathische Distanz des Rezipienten zu einer Figur kann auf verschiedene Weise gesteuert werden: 711 Sie wird nicht nur durch hohe Innensicht beeinflusst (2.6.3) 712, sondern auch durch die Beteiligung des Erzähdierten Rezipienten“ ist geeignet, um sowohl die visuelle Form von Erzählungen (Buch, Gemälde, Comic), die akustische (Lesung, Hörspiel) und die audiovisuelle Form (Film, Drama, Computerspiel) zu erfassen. Zur Transmedialität der Narratologie vgl. 2.1.3. 707 Grundlegend und aktuell zum Thema sind die Studien von K EEN, Empathy; BARTHEL , Empathie, die viele neue Impulse in die Diskussion einbringen. Eine umfassende Monografie von Dietmar Till ist in Planung. Vgl. außerdem W AHL, Empathie und Text; Z ILLMANN, Mechanisms; WULFF, Empathie; W ULFF, Das empathische Feld; M ELLMANN, Emotionalisierung, 115–124; S TOCKWELL, Texture and Identification; K EEN, Theory; SMITH, Empathie; BRUUN VAAGE, Empathie; CURTIS, Erweiterte Empathie; A NZ, Emotional Turn?; C OOKE, ,Unprofitable Excursions‘; K ÖPPE, Literatur und Erkenntnis, 174 Anm. 403 (Lit.); daneben M IKOS, Film- und Fernsehanalyse, 174–184; exegetisch ERLEMANN, Gleichnisauslegung, 133–136; Y AMASAKI, Watching, 60–64 (mit Bezug auf eine linguistische Studie); S CHULTE, Gleichnisse erleben, 142–153 (mit entwicklungspsychologischem Schwerpunkt). B OOTH, Rhetoric, 155–159 führt auch die Distanz von Erzähler und implizitem Autor, von Erzähler und Figuren, von Erzähler und Leser, von implizitem Autor und Leser als Analysekategorien ein: „In any reading experience there is an implied dialogue among author, narrator, the other characters, and the reader. Each of the four can range, in relation to each of the others, from identification to complete opposition, on any axis of value, moral, intellectual, aesthetic, and even physical“ (155). 708 Vgl. 2.5.2.1 zu den entsprechenden Inferenzprozessen bei der Figurensynthese. 709 KEEN, Theory, 209; KEEN, Empathy, 39. 710 Vgl. nur LAUER, Spiegelneuronen (sie seien der Grund für das „Vergnügen an der Nachahmung“ in der Literatur, 152); R IZZOLATTI /S INIGAGLIA, Empathie und Spiegelneurone; ZABOURA, Das empathische Gehirn. 711 Vgl. EDER, Figur im Film, 630–644.676–681, der Voraussetzungen und Dimensionen der Empathie weiter auffächert, dort mit etwas anderem Verständnis von „Empathie“ (ähnlich EDER, Imaginative Nähe; E DER, Ways of Being Close). Die verschiedenen Faktoren für Empathie erörtern auch K EEN, Theory, 214–220; K EEN, Empathy, 92–99; BARTHEL, Empathie, 52–82 (sehr ausführlich; Übersicht S. 82). 712 BOOTH, Rhetoric, 245–249 machte als einer der ersten Autoren die „inside views“ für die Empathie verantwortlich (bei ihm noch mit Sympathie gleichgesetzt). Vgl. auch SKA, Fathers, 91; SMITH, Lion, 57; MÜLLNER, Gewalt, 67; KEEN, Theory, 219f.; BAR-
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
lers am Geschehen (2.6.1) 713, durch eine geringe sprachliche Distanz bei der Wiedergabe von Gesprächen (2.6.2) 714, durch den Ort des Wahrnehmungszentrums (2.6.3), durch häufige Präsenz der Figur (2.5.1), durch deren Bedeutung für die Handlung (2.5.4), durch die Zahl der Figurenmerkmale (2.5.2), durch die Offenheit und Komplexität der Figur (2.5.6)715, durch positive Erzählerkommentare (2.6.5), durch Zugehörigkeit zu einer bekannten Figurengruppe (2.5.3) und nicht zuletzt durch Ähnlichkeiten zu Problemen und Lebenssituationen 716 der (intendierten) Rezipienten (2.7.6). Man könnte also von „fernen Figuren“ und „nahen Figuren“ sprechen, wobei sich die Distanz verschiedener Figuren zum Rezipienten während der Erzählung laufend verändert. Wie genau die einzelnen Faktoren unter welchen Bedingungen die Empathie beeinflussen, ist noch unklar. Empathie zu bestimmten Figuren kann jedoch empirisch mit verschiedenen Verfahren physiologisch gemessen und mit standardisierten Fragebögen ermittelt werden. 717 Möglicherweise trägt die Empathie mit Figuren, die einem Rezipienten ursprünglich fremd waren, dazu bei, dessen Einfühlungsvermögen insgesamt zu erhöhen. 718 Neben der Analyse der Empathiefaktoren und der Empathiestärke zu einzelnen Figuren kann man außerdem verschiedene Arten von Empathie klassifizieren 719 und Empathiekonstellationen beschreiben. 720
THEL ,
Empathie, bes. 54–56.59f. Mit Bezug auf empirische Leseforschung J ANNIDIS, Figur, 232–234, allerdings sei dieser Effekt nicht so stark, wie man vermuten könnte (ebd., Anm. 71). 713 KEEN, Theory, 220; vgl. die Studie von L UDWIG/F AULSTICH (Hgg.), Erzählperspektive empirisch. 714 KEEN, Theory, 219f. 715 Allerdings kann auch bei flachen Figuren die Empathie groß sein, vgl. K EEN, Theory, 218. 716 So kommen Jugendbüchern häufig jugendliche Helden als Identifikationsfiguren vor; christliche Rezipienten können sich besonders gut in die Jünger in den Evangelien einfühlen. Daneben hängt die Distanz auch vom individuellen Leser ab, so wird ein stotternder Leser vielleicht anders auf eine stotternde Figur reagieren (vgl. B OOTH, Rhetoric, 155; ähnlich M ARGUERAT/BOURQUIN, Bible Stories, 65 inkl. Abb.). Sehr differenziert dazu K EEN, Theory, 214–219; vgl. K EEN, Empathy, 93–96. 717 Vgl. zu psychologischen Verfahren KEEN, Theory, 210f.; K EEN, Empathy, 12–16. 718 Dass Rezipienten von Erzählungen wichtige soziale Kompetenzen erwerben, gilt als Gemeinplatz in der Literaturwissenschaft; doch ob der Konsum von Erzählungen auch empirisch zu höherer Empathiefähigkeit und damit zu sozialerem Verhalten führt, ist umstritten (K EEN, Empathy, 16–26.105–109). Allerdings hätten Romanautoren signifikant höhere Werte beim „Interpersonal Reactivity Index“, einer verbreiteten psychologischen Skala zur Messung von Empathie (K EEN, Theory, 221; K EEN, Empathy, 126f.). 719 Vgl. KEEN, Theory, 224, die die vom Autor intendierte, „stategische Empathie“ wiederum in bounded, ambassadorial und broadcast strategic empathy unterteilt. Vgl. auch WULFF, Das empathische Feld, zu weiteren Differenzierungen, z.B. positiver und
2.7 Rezeptionsanalyse
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Teilweise wird für die Analysekategorie der Empathie/Rezeptionsdistanz auch der Begriff „Identifikation“ verwendet, der aber an dieser Stelle zu unscharf ist721 und unten (2.7.6.2) neu präzisiert wird. So nennt z.B. H.R. Jauß fünf verschiedene Arten von Identifikation: assoziativ, admirativ, sympathetisch, kathartisch und ironisch 722, die für die Analyse wenig brauchbar sind, weil sie unterschiedliche Aspekte vermengen. 723 2.7.2 Sympathie724 Während die empathische Distanz ein Maß für die kognitive Auseinandersetzung des Rezipienten mit einer Figur ist, geht es bei der Sympathie um negativer Empathie (111), verschiedenen empathischen Strategien (112) oder Empathisierungsstilen (116). 720 Fruchtbar ist auch der Vergleich der Empathielenkung z.B. in verschiedenen Fassungen derselben Erzählung, wie sie B ARTHEL, Empathie, bei drei mittelalterlichen Bearbeitungen des Willehalm-Stoffes vorführt (vgl. die abschließende Tabelle, 279). Das könnte man auf die synoptischen Evangelien übertragen. 721 Zur notwendigen Ersetzung des sehr schillernden und vielschichtigen Begriffs „Identifikation“ durch „Empathie“ vgl. S CHNEIDER, Grundriß, 103–106 (Lit.). „Identifikation“ kommt dann zustande, wenn eine Figur als nah dargestellt wird und manche Lebenssituationen des Rezipienten ähnlich sind (vgl. 2.7.6.2; s. weiterführend A NDRINGA , Wandel; SCHRAM, Norm, 130–179; C HRISTMANN/S CHREIER, Kognitionspsychologie, 275f.; VAN HOLT/GROEBEN, Emotionales Erleben, 121–125; A LLESCH, Art. Identifikation; exegetisch SNYMAN, Narrative Rationality). – Eine terminologische Klärung wäre auch für die Exegese wichtig. M.A. Powell beispielsweise vermengt in dem Dreierschema empathy – sympathy – antipathy zwei Kategorien und nimmt zudem selbstverständlich an, dass große Nähe auch zur Identifikation führt (P OWELL, Narrative Criticism, 56f.; daran anschließend M ARGUERAT/BOURQUIN, Bible Stories, 68f.). Dies ist gerade in den Evangelien nicht zwingend der Fall. So hat der Rezipient des MtEv große Empathie für die Jesusfigur, wird sich aber nicht mit ihr identifizieren (es sei denn durch „admirative Identifikation“ nach Jauß), sondern eher mit den Jüngern, die ihm in ihren Eigenschaften näher sind. Vgl. dazu mit Blick auf das MkEv SMITH, Lion, 58. 722 JAUSS, Ästhetische Erfahrung, 244–292. Vgl. auch G ROEBEN/VORDERER, Leserpsychologie II, 210–214 (kritisch); R AGUSE, Raum, 95f.; SCHNEIDER, Grundriß, 103; JANNIDIS, Figur, 230; BARTHEL, Empathie, 9f. (kritisch); außerdem die Übersicht bei MAYORDOMO MARÍN, Anfang, 59 (vgl. 165f.) und die Anwendung bei H ECKEL, Evangelium, 41–44. 723 Die assoziative Identifikation bei Jauß entspricht der Empathie im eigentlichen Sinn; die admirative Identifikation einer sehr positiven Bewertung der Figur durch den Erzähler (2.6.5), die sympathetische, kathartische und ironische Identifikation bestimmten Rezeptionsemotionen (2.7.5). 724 Vgl. dazu HABICHT/SCHABERT, Sympathielenkung (darin bes. C LEMEN, Überlegungen; PFISTER, Theorie; SCHABERT, Sympathy); F INKE , Erzählsituationen, 54–59 (mit Anwendung); S CHULZ -BUSCHHAUS, Charles Bovary; N ÜNNING, Grundzüge, 103–107; NÜNNING/NÜNNING, Art. Sympathielenkung; E DER, Figur im Film, 669–673; B ARTHEL, Empathie, bes. 39–41.66–72. Die Sympathielenkung gilt als noch sehr wenig erforscht (NÜNNING/NÜNNING, Multiperspektivität [LWU], 76), setzt sich aber m.E. nur aus den beiden Faktoren Empathie und Erzählerstandpunkt/Rezipientenstandpunkt zusammen.
196
2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
das „Einverständnis“ mit einer Figur. Auch wenn Empathie oft zu Sympathie führt,725 sind Verstehenkönnen und Bewertung durch den Rezipienten unterschiedliche Aspekte. 726 Sympathie und Antipathie gegenüber einer Figur werden durch zwei Faktoren bestimmt. Die empathische Nähe zur Figur beeinflusst die Intensität der Sympathie/Antipathie, die Bewertung der Figur durch den Erzähler (und damit durch den intendierten Rezipienten; vgl. 2.6.5 zum Erzählerstandpunkt) wirkt ebenfalls auf die Intensität und daneben auf deren Ausrichtung. Eine solche Bewertung geschieht entweder direkt durch einen Erzählerkommentar oder indirekt durch andere Figuren 727, durch den Ausgang der Handlung, durch die Zugehörigkeit zu einem negativ bzw. positiv konnotierten Typus und nicht zuletzt durch bestimmte Figurenmerkmale und Verhaltensweisen.728 Bei der Erfassung möglicher indirekter Bewertungen muss der kulturelle Kontext des Erzählers berücksichtigt werden, der ein bestimmtes Wertesystem voraussetzt, sofern er ihm nicht explizit widerspricht.729 Wie schon bei der empathischen Distanz kann und muss man die Bewertung einer Figur durch reale Rezipienten von derjenigen des intendier725 So die Feststellung von S TANZEL, Theorie, 173f.: „Je mehr ein Leser über die innersten Beweggründe für das Verhalten eines Charakters erfährt, desto größer wird seine Bereitschaft sein, für das jeweilige Verhalten dieses Charakters Verständnis, Nachsicht, Toleranz usw. zu hegen.“ 726 Vgl. die Überlegungen bei M IKOS, Film- und Fernsehanalyse, 178f.; KEEN, Theory, 208f.; KEEN, Empathy, 4–6; B ARTHEL, Empathie, 39 („während Empathie unabhängig davon funktioniert, ob das Gegenüber geschätztes Vorbild oder gehasstes Feindbild ist, verlangt Sympathie zusätzlich Wertschätzung, also eine positive Einstellung zum Gegenüber“). „Sympathie“ ist außerdem von der Rezeptionsemotion „Mitleid“ abzugrenzen (BARTHEL, Empathie, 40f.; engl. sympathy = Mitgefühl). 727 Weiterführend dazu aus psychologischer Sicht die Kongruitätstheorie von Osgood/ Tannenbaum (H ERKNER, Sozialpsychologie, 260–264), nach der sich die Einstellungen zum Sender und zum Gesagten in bestimmter Weise gegenseitig beeinflussen. 728 Ähnlich JANNIDIS, Figur, 234f. und SCHNEIDER, Grundriß, 116–127, bes. 125f. – Zum Ineinandergreifen von positiven und negativen Bewertungen, wenn also eine Stimulusperson durch mehrere Adjektive beschrieben wird, gibt es in der Sozialpsychologie detailliertere Forschungen (H ERKNER, Sozialpsychologie, 181–185.319–329). 729 Dies ist ein sehr wichtiger Punkt, bei dem die historische Analyse notwendig einfließt. BARTHEL, Empathie, 42–52 bezeichnet die Übereinstimmung der Eigenschaften der Figur mit dem Wertehorizont als „entscheidende(n) Faktor der Wertschätzung“. EDER, Figur im Film, 270 bemerkt außerdem: „Dieselbe Handlung wird auch nach Alter, Geschlecht und sozialer Rolle der Handelnden unterschiedlich gewertet …: Männer, die bei Gefahr die Flucht ergreifen, werden negativer beurteilt als Frauen; Ärzte, die keine Hilfe leisten, ernten mehr Missbilligung als Ungeschulte.“ Zu beachten ist: Das geltende Moralsystem kann auch durch Sympathielenkung infrage gestellt werden und Menschen mit Schwächen sind unter Umständen sympathischer als Heilige, vgl. dazu die Differenzierungen ebd., 670f.
2.7 Rezeptionsanalyse
197
ten Rezipienten unterscheiden. Vielleicht findet eine Minderheit heutiger Rezipienten des MtEv die Pharisäer sympathisch, Petrus dagegen unsympathisch. Das könnte durch empirische Rezeptionsforschung festgestellt werden. Außerdem muss sich bei Kindern die Fähigkeit zum moralischen Urteil erst entwickeln. 730 Für die Narratologie ist jedoch nur der intendierte Rezipient von Interesse. 2.7.3 Realitätseffekt731 Unter dem „Realitätseffekt“ versteht man das Phänomen, dass ein Rezipient häufig ganz in die Erzählung „eintaucht“, sein Bewusstsein also nicht mehr auf seine Umwelt, sondern auf das Geschehen in der Erzählung gerichtet ist. Die Intensität der ästhetischen Illusion kann allerdings a) je nach Erzählung unterschiedlich sein und b) auf verschiedene Weise durchbrochen werden: a) Die Stärke des Realitätseffekts 732 hängt ab von einer geringen sprachlich-stilistischen Distanz zu den Figuren (2.6.2), der Innensicht (2.6.3), dem Fehlen von Erzählerkommentaren (verborgener Erzähler; 2.6.4), ei730
Prägend waren hier die Studien von Piaget und Kohlberg, vgl. weiterführend C ONMoralerziehung. S. auch S CHULTE, Gleichnisse erleben, 154–166, die die abweichenden Figurenbewertungen von Kindern bei Gleichnissen wie Mt 20,1–16 oder Lk 15,11–32 beschreibt. 731 Grundlegend dazu WOLF, Illusion; aus psychologischer Sicht H ACKENBRUCH, Wirklichkeitstransfer; daneben der Sammelband B URWICK/PAPE (Hgg.), Aesthetic Illusion. Vgl. auch F RIEDEMANN, Rolle des Erzählers, 1–32.79–91 (bereits 1910!); B OOTH, Rhetoric, 40–60; B AUER/SANDER, Analyse von Illusionsbildung; V OSS, Konstitution; WOLF, Aesthetic Illusion; W OLF, Illusion (Aesthetic); knapp Q UINKERTZ, Analyse des Erzählmodus, 142; S UCKFÜLL, Rezeptionsmodalitäten, 187–190. Im Folgenden werden „ästhetische Illusion“ und „Realitätseffekt“ nicht differenziert, s. aber die beiden Artikel WOLF, Art. Illusion, ästhetische; R ECKWITZ, Art. Realismus-Effekt. Letzterer Begriff wurde von R. Barthes geprägt (effet du réel), allerdings bisher meistens im Zusammenhang mit der Gesprächsdistanz (vgl. 2.6.2) verwendet (G ENETTE, Erzählung, 117.222f.; CHATMAN, Story, 143–145; R IMMON-KENAN, Narrative Fiction, 108; M ARTÍNEZ/SCHEFFEL, Erzähltheorie, 49–51.117). Die ästhetische Illusion ist vergleichbar mit der Metapher von P. Ricœur, man „bewohne“ die Welt des Textes (R ICŒUR, Philosophische Hermeneutik, 32; vgl. dazu D IECKMANN, Segen, 128f.). In entsprechenden Forschungen zu Filmen und Computerspielen wird dieses Phänomen unter dem Begriff „Immersion“ behandelt (vgl. dazu M IKOS, Film- und Fernsehanalyse, 184f.; THON, Immersion revisited; EDER, Figur im Film, 105; VOSS, Fiktionale Immersion); vgl. außerdem verschiedene Untersuchungen zum „Flow“, zur „Transportation“ und zum „Präsenzgefühl“ (A PPEL, Realität durch Fiktionen, 102–109). 732 Zu den Faktoren im Einzelnen vgl. W OLF, Illusion, 115–207; B AUER/SANDER, Analyse von Illusionsbildung, 201–214 (Prinzip der anschaulichen Welthaftigkeit, der Mediumsadäquatheit, der Sinnzentriertheit, der perspektivischen Präsentation, der Interessantheit); knapp auch GENETTE, Erzählung, 222–224. Zur „unauffälligen“ Darstellungsweise im Film vgl. E DER, Figur im Film, 346f. RAD,
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
nem zeitdeckenden Erzählen (2.4.3) und der Anzahl der für die Handlung unwichtigen, realistischen Detailinformationen (2.4.2). Allerdings müsste der Einfluss dieser Faktoren noch durch empirische Studien belegt und konkretisiert werden. Dadurch dass im Film naturgemäß viele Detailinformationen vorkommen und diese auch über dieselben Sinne gegeben werden (Auge und Ohr), wie sie in der Realität vorkommen, ist hier der Realitätseffekt naturgemäß größer als bei Literatur. Daher können Filme bezogen auf Empathie, Spannung, Rezeptionsemotionen und Einstellungswandel wahrscheinlich auch stärker wirken als Erzähltexte. Das wäre empirisch zu überprüfen. Wenn man die Frage nach dem Realitätseffekt auf die Exegese anwendet, kann man z.B. erkennen, dass das JohEv die Rezipienten an vielen Stellen stärker in die erzählte Welt hineinzieht als die synoptischen Evangelien, weil über weite Strecken zeitdeckend erzählt wird (Wiedergabe von langen Gesprächen mit einzelnen Figuren) und auch immer wieder überraschende Details wie der Fang von 153 großen Fischen (Joh 21,11) erwähnt werden. Die Nennung solcher Details mag dadurch sicher nicht vollständig erklärt sein,733 aber die Rezeptionswirkung wird dadurch in einer bestimmten Weise gelenkt. b) In vielen modernen und postmodernen Erzählungen wird die ästhetische Illusion bewusst durchbrochen. Der Rezipient soll dadurch auf die „Gemachtheit“ der Erzählung gestoßen werden – ein bekanntes Beispiel ist das epische Theater Brechts. 734 Mittel der Illusionsstörung sind z.B. Metalepsen (vgl. 2.2.1), explizite Metanarration (2.2.2.2), eine langweilige Gestaltung der erzählten Welt oder unzureichende Markierung von Perspektivenwechseln.735 Bei der Illusionsstörung sind vor allem ästhetische Emotionen (2.7.5) beabsichtigt, 736 daneben wird beim Rezipienten auch das Bewusstsein für die Kommunikationsmittel geschärft. Wahrscheinlich steht in der Postmoderne außerdem die Furcht vor der rhetorischen Kraft einer Erzählung im Hintergrund. Der bewusste Einsatz illusionsstörender Mittel war in der Antike wohl noch nicht verbreitet und ist auch bei biblischen Texte nicht zu vermuten.
733
Es wurden in der Auslegungsgeschichte viele symbolische Deutungen der Zahl 153 vorgetragen, aber ohne eindeutiges Ergebnis. N ICKLAS, 153 große Fische, erörtert auch insgesamt das Phänomen, dass das JohEv stellenweise sehr detaillierte Angaben enthält. 734 Zu Filmbeispielen vgl. auch E DER, Figur im Film, 350f. 735 Vgl. WOLF, Illusion, 208–474; zusammenfassend B AUER/SANDER, Analyse von Illusionsbildung, 214–221. 736 Vgl. EDER, Figur im Film, 409 zum postmodernen Kino, das sich durch dekonstruktive Erzählverfahren und Intertextualität auszeichne: „… das Erkennen der Künstlichkeit und das Wiedererkennen der Anspielungen macht sogar einen Großteil des Vergnügens aus.“
2.7 Rezeptionsanalyse
199
2.7.4 Spannung737 Obwohl reale Leser eine Geschichte häufig daran messen, ob sie spannend ist, hat sich die Narratologie lange Zeit kaum mit diesem Thema beschäftigt.738 Zu einem hohen Spannungspotenzial 739 tragen verschiedene Faktoren bei, deren Zusammenwirken noch nicht ausreichend erforscht ist: 740 eine große Nähe und Sympathie zu den beteiligten Figuren (2.7.1–2.7.2), offene Fragen, Limitierung der offenen Fragen auf möglichst nur zwei Alternativen, Anzahl und Intensität der Informationen über die Alternativen741, die Bewertung der möglichen Auswirkungen, geringe Wahrscheinlichkeit des erhofften Geschehens (2.4.5) 742, eine hohe Applikabilität 737
Die Spannungsanalyse erlebt seit einigen Jahren einen Aufschwung: V ORDERER/W ULFF/F RIEDRICHSEN (Hgg.), Suspense; F UCHS, Dramatische Spannung; B ORGMEI ER/WENZEL (Hgg.), Spannung; J UNKERJÜRGEN, Spannung; F ILL , Prinzip Spannung; WENZEL, Analyse der Spannung; B ARONI, Tension narrative; A CKERMANN/MOSERKROISS (Hgg.), Gespannte Erwartungen; M ELLMANN, Vorschlag; ENGEL, Spannung; IRSIGLER/J ÜRGENSEN/L ANGER (Hgg.), Zwischen Text und Leser. Zum älteren Stand vgl. ANZ, Art. Spannung; RABKIN, Narrative Suspense; P ÜTZ, Zeit, 11–17. Auf Filme bezogen bei SCHULZE, Spannung; SCHNEIDER, Aufmerksamkeitserregende Merkmale, 95– 103; MIKOS, Film- und Fernsehanalyse, 142–146. Zur Behandlung der Spannung in narratologischen Einführungen vgl. S CHWARZE, Ereignisse, 164; CHATMAN, Story, 59– 62; LAHN/MEISTER, Erzähltextanalyse, 161–163; NEUMANN/NÜNNING, Narrative Fiction, 76–79; bereits P FISTER, Drama, 141–148. In der Bibelwissenschaft wird die Spannungsanalyse bisher wenig berücksichtigt, vgl. sehr knapp B ERGER, Exegese, 98; jetzt auch POPLUTZ, Erzählte Welt, 27–31. Die Gestaltung der Spannung eines Gottesdienstes analog zu Theater und Film ist auch das Leitinteresse der „Dramaturgischen Homiletik“ von M. Nicol, vgl. N ICOL, Einander ins Bild setzen, bes. 75–101; N ICOL/DEEG, Im Wechselschritt, bes. 26–35, wobei „Spannung“ sehr unscharf verwendet wird und leider nur FILL , Prinzip Spannung, bekannt ist. 738 WENZEL, Analyse der Spannung, 181. 739 Der Begriff „Spannung“ ist bekanntlich mehrdeutig und wird in der Erzähltextanalyse als suspense und nicht als tension (i.S.v. Widersprüchen) verstanden (W ENZEL, Analyse der Spannung, 181). Hier bezeichnet „Spannung“ die Anspannung aller (auch realen) Rezipienten, „Spannungspotenzial“ speziell die Spannung des intendierten Rezipienten. Vgl. zu dieser Unterscheidung P FISTER, Drama, 142, der jedoch textimmanent denkt und mit letzterem die spannungsauslösenden Textphänomene selbst meint. 740 In der empirischen Wirkungsforschung wird die Spannung von Rezipienten häufig anhand der Herzfrequenz und der Leitfähigkeit der Haut gemessen, was tatsächlich zu signifikanten Ergebnissen führt. In der aktuellen Aktivierungsforschung werden die Methoden jedoch weiter differenziert (A BEL/STÜRMER, Aristoteles im Test, 17f.). Für empirische Untersuchungen vgl. z.B. SCHNEIDER, Aufmerksamkeitserregende Merkmale, oder auch DIJKSTRA/Z WAAN u.a., Character and Reader Emotions, die die Gefühlsstärke von Figuren und die erlebte Spannung der Leser statistisch korrelieren. 741 So fördern insbesondere die drei Ankündigungen von Leiden und Auferstehung (Mt 16,21–23; 17,22f.; 20,17–19) die Spannung bezogen auf den Ausgang der Erzählung. 742 Zu Leserdistanz, Offenheit, Limitierung, Informationsvergabe, Risiko und Wahrscheinlichkeit ähnlich WENZEL, Analyse der Spannung, 182f. sowie P FISTER, Drama,
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
(2.7.6)743 und bestimmte Themenkreise der Erzählung 744. Grundlage für Spannung ist die „partielle Informiertheit“ 745 über Handlungen (bereits Geschehenes oder später Geschehendes) oder Figuren (bei unklaren Verhaltensweisen). Die an mehreren Punkten der Erzählung festgestellte Spannungshöhe lässt sich in verschiedener Weise klassifizieren. Sehr verbreitet ist bisher die Einteilung in zwei Spannungsarten und zwei Spannungslängen: a) Die Forschung unterscheidet gewöhnlich zwei Arten von Spannung: die (kognitive) Rätselspannung sowie die (affektive) Konflikt- und Bedrohungsspannung, die sich auch überlagern können. 746 Im MtEv liegt klar eine Konfliktspannung vor, da die Handlung von zunehmenden Auseinandersetzungen geprägt ist, auf den Tod Jesu, das vermeintliche Ende des Helden, hinausläuft und mit einer Überraschung („surprise“ 747) endet. b) Unterschiedlich ist auch die Länge der Spannungsbögen, die in verschiedener Intensität ineinandergreifen. Die Mikrospannung (Detailspannung) wird vielleicht schon am Ende einer Szene aufgelöst, die Makrospannung (Finalspannung) durchzieht den größten Teil der Erzählung. 748 2.7.5 Rezeptionsemotionen 749 Rezeptionsemotionen als kurzfristige Wirkung auf den Leser beschränken sich nicht nur auf das bekannte Gefühlspaar „Mitleid“ und „Furcht“. 750 In 144–147 über „Parameter der Spannungsintensität“. Da die Spannung ein komplexes Phänomen ist, sei ihre Höhe mathematisch nur schwer zu berechnen und müsse sich auf konkrete Rezeptionserfahrungen stützen (148). 743 Nach POPLUTZ, Erzählte Welt, 31 trägt die Beobachtung, dass die Erzählung mit der „eigenen lebensgeschichtlichen Situation korreliert“, zusätzlich zur Spannung bei. Allerdings könnte dieser Aspekt in den Einflussfaktor Empathie integriert werden. 744 Vgl. WENZEL, Analyse der Spannung, 184 zum „thrill“ aufgrund biologisch fundierter Triebstrukturen (crimen – fructus – sexus; s. K OCH, Biology of Literary Response, 153–159). Wohl daher handeln viele Erzählungen von Liebe und Tod. 745 PFISTER, Drama, 142f. – Besonders Kinder langweilen sich schnell, wenn sie eine biblische Geschichte schon häufig gehört haben; sie sind, so glauben sie, „voll informiert“. Darum ist es notwendig, immer neue Aspekte z.B. bei der Handlung oder Figuren herauszuarbeiten und Leerstellen anders zu füllen. 746 Dazu WENZEL, Analyse der Spannung, 186–195. Wenzel nimmt für beide Spannungsschemata ein Fünfphasenmodell an (z.B. bei der Konfliktspannung: 1. Vordisponierungsphase, 2. Erweckung von Anteilnahme, 3. changing fortunes, 4. Retardierung, 5. Entscheidung), wobei die Phasen ineinandergreifen können. Diese beiden Spannungsarten heißen auch „Wie-Spannung“ und „Was-Spannung“. Vergleichbar ist J UNKERJÜRGEN, Spannung, 61–72 zu mystery und suspense. 747 JUNKERJÜRGEN, Spannung, 72–74. 748 Vgl. PFISTER, Drama, 143.147; W ENZEL, Analyse der Spannung, 182. 749 Vgl. den Titel des Abschnitts bei SCHNEIDER, Grundriß, 99–135. 750 S. LUSERKE, Art. Furcht und Mitleid. Die bekannten Begriffe finden sich in der Definition der Tragödie bei Arist. Poet. 1449b: ÒEstin ou\n tragw/diva mivmhsi~ pravxew~
2.7 Rezeptionsanalyse
201
der Psychologie gibt es eine breite Forschung zur Struktur und zu Entstehungsbedingungen von Emotionen. 751 Auch in der Literatur- und Filmwissenschaft rückt die Frage nach den Gefühlen von Rezipienten seit wenigen Jahren mit einer Flut von Veröffentlichungen 752 in den Blick, so dass man spoudaiva~ kai; teleiva~ … diÆ ejlevou kai; fovbou peraivnousa th;n tw`n toiouvtwn paqhmavtwn kavqarsin. Die Deutung der Katharsis bewegt sich zwischen einem moralischen (Reinigung/Verwandlung der Affekte; G.E. Lessing) und einem psychologischen Verständnis (Entladung von Affekten; J. Bernays); vgl. Z ELLE, Art. Katharsis (Lit.); A LBERT, Art. Katharsis, bes. 36; L USERKE (Hg.), Die Aristotelische Katharsis. In seiner Rhetorik schildert Aristoteles anders als in der Dramentheorie ausführlich verschiedene Emotionen, die durch Kommunikationsinhalte und -formen hervorgerufen werden können (bes. Arist. Rhet. I,1–11, 1377b–1388b). Auch Quintilian beschreibt in der Rhetorik (Inst. or.) die Erregung von Emotionen durch Figuren und durch rhetorische Mittel (dazu TILL, Text, Kommunikation und Affekt); vgl. insgesamt die Affektenlehre in der klassischen Rhetorik (W ISSE/SCHMIDT u.a., Art. Affektenlehre). Es wäre sicher lohnend, die Forschungen in der Rhetorik bezogen auf Rezeptionsemotionen genauer zu sichten. 751 Vgl. z.B. MEES, Struktur der Emotionen; P OWER/DALGLEISH, Cognition and Emotion; OTTO/EULER/MANDL, Emotionspsychologie. – Ich verwende „Gefühl“, „Affekt“ und „Emotion“ im Folgenden undifferenziert (genauer dazu E DER, Figur im Film, 650f.). Nach EDER, Wege der Gefühle, 227 (vgl. EDER, Noch einmal, 101–103; EDER, Analysing Affective Reactions, 276) muss man bei den Affekten drei Gruppen unterscheiden: „1. Empfindungen wie Schwindel, Übelkeit, Hunger, 2. Stimmungen wie unbestimmte Traurigkeit oder Euphorie und 3. Emotionen wie Furcht vor etwas oder Liebe zu jemand.“ Emotionen sind nach Eder auf etwas Konkretes gerichtet und haben einen kognitiven Aspekt; Stimmungen sind ohne Objektbezug und langfristiger; Empfindungen wiederum sind unmittelbarer als Stimmungen und Emotionen. 752 Vgl. besonders BARTSCH/HÜBNER, Emotionale Kommunikation; GRAU/KEIL (Hgg.), Mediale Emotionen; B RÜTSCH/HEDIGER u.a. (Hgg.), Kinogefühle; MELLMANN, Emotionalisierung; S CHLIMBACH, Emotionen; B ARTSCH/EDER/FAHLENBRACH (Hgg.), Audiovisuelle Emotionen; S CHICK/EBBRECHT (Hgg.), Emotion; daneben auch B OOTH, Rhetoric, 119–136; P LATZ, Beeinflussung, 38–63; O ATLEY, Taxonomy of Emotions; TAN, Film-Induced Affect; A LFES, Literatur, bes. 132–141; K EITEL, Von den Gefühlen; NEILL, Fiktion und Emotionen (fiktionstheoretisch); E DER, Noch einmal; W INKO, Kodierte Gefühle, bes. 34–64 (Forschungsgeschichte zu Textelementen, die Emotionen hervorrufen können, ansonsten richtet sich ihr Fokus eher auf die möglichen Formen der Emotionsdarstellung; vgl. 2.5.2.1 zu Figurenemotionen); S CHWARZ-FRIESEL, Sprache und Emotion, 210–233; B ARTSCH (Hg.), Medien und Emotionen (= SPIEL 2/2003, darin u.a. EDER, Analysing Affective Reactions); TRÖHLER/HEDIGER, Ohne Gefühl; EDER, Wege der Gefühle; E DER, Affektlenkung; EDER/KEIL, Netzwerkmodell; M IALL, Literary Reading, 47–87; VAN HOLT/GROEBEN, Emotionales Erleben; A BEL/STÜRMER, Aristoteles im Test; ABEL/STÜRMER, Vergnügen; ANZ, Emotional Turn?; A NZ, Kulturtechniken der Emotionalisierung; A NZ, Tod im Text (Heft 3/2007 der Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes: „Literatur und Emotion“); E DER, Drei Thesen; Journal of Literary Theory 1/2 (2007) („Special Issue: Emotions“, darin bes. E MING, Emotionen; FEAGIN , Emotions; FRIES, Kodierung; H OGAN, Brain in Love; MELLMANN, Biologische Ansätze; M IALL , Feeling); SCHENK, Medienwirkungsforschung, 194–244; E DER, Gefühle im Widerstreit; B ARTSCH, Emotionale Gratifikationen; E DER, Filmfiguren; EDER, Figur im Film, 647–706 („emotionale Anteilnahme“, umfasst auch Empathie und Sympathie/
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
wohl zu Recht von einem „emotional turn“ sprechen kann. 753 Obwohl jeder Mensch auf eine Erzählung etwas anders reagiert, 754 kann man dennoch auch grundsätzlich gemeinsame Emotionen feststellen; viele dieser Emotionen sind vom Autor bzw. Produzenten intendiert. Dazu setzt der Produzent der Erzählung verschiedene literarische (bzw. zeichnerische, filmische) Mittel ein. Ich möchte die möglichen Rezeptionsemotionen in drei Kategorien unterteilen: – figurenbezogene Emotionen; – nicht-figurenbezogene Emotionen; – ästhetische Emotionen.
a) Figurenbezogene Gefühle sind die bekanntesten emotionalen Reaktionen von Rezipienten. R. Schneider hat mit Bezug auf lesepsychologische Studien ein Schema vorgestellt 755, das hier in tabellarischer Form wiedergegeben und um die Rezeption unsympathischer Figuren ergänzt wird: Tab. 30: Auf das Figurenerleben bezogene Rezeptionsemotionen Situation der Figur abgeschlossen erwartet
pos. Ausgang neg. Ausgang pos. Ausgang neg. Ausgang
bei Sympathie zur Figur
bei Antipathie zur Figur
Freude/Erleichterung Mitleid756/Enttäuschung757 Hoffnung Furcht
(Ärger) (Schadenfreude) (Furcht) (Hoffnung)
Antipathie); SCHIEWER, Kognitive Emotionstheorien; KOŠENINA, Art. Rührung; W INKO, Art. Emotion. Immer wieder wird T AN, Emotion, referiert, der den Film als emotion machine bezeichnete; vgl. auch B ULLERJAHN, Wirkung von Filmmusik. 2010 soll die Habilitation von Jens Eder zu „Film und Gefühl“ erscheinen. – Wo das Thema Rezeptionsemotionen in der Exegese bisher aufgegriffen wurde, wie im Plädoyer von M AYORDOMO M ARÍN, Anfang, 163–166 oder den Ausführungen von B ALDERMANN, Der leidenschaftliche Gott, blieb es meist unkonkret; vgl. aber BERGER, Hermeneutik, 179–190; neuerdings DESILVA, Strategic Arousal (Anwendung auf die Apk); I NSELMANN, Freude (Anwendung auf Lk). 753 Vgl. ANZ, Emotional Turn?; T ILL, Text, Kommunikation und Affekt (Untertitel). 754 Die individuelle emotionale Vorprägung des Einzelnen erwähnen z.B. D IECKMANN, Segen, 121f.; E DER, Figur im Film, 655. 755 SCHNEIDER, Grundriß, 111–116. Vgl. A NZ, Kulturtechniken der Emotionalisierung, 232f. mit Bezug auf Aristoteles und weiteren Spezifizierungen. 756 Zu verschiedenen Klassifizierungen von Mitleid vgl. ausführlich B ARTHEL, Empathie, 33–39; s. auch MELLMANN, Emotionalisierung, 124–134, die neben dem Mitleid die Rührung als eigenen „Kapitulationsrespons“ abgrenzt. 757 „Erleichterung“ und „Enttäuschung“ treten jeweils im Anschluss an die vorherigen Erwartungen „Furcht“ und „Hoffnung“ auf. Enttäuschung kann bei Lesern Ärger hervorrufen und wirkt stark aufmerksamkeitslenkend (S CHNEIDER, Grundriß, 114). Wenn die Erzählung eine als äußerst sympathisch wahrgenommene Figur enthält, kann auch allein
2.7 Rezeptionsanalyse
203
Die Rezeptionsforschung unterscheidet abgeschlossene und erwartete Situationen. Diese können jeweils einen positiven oder negativen Ausgang haben. Je nach Sympathie oder Antipathie werden die Figuren und ihre Situationen mit unterschiedlichen Emotionen begleitet. Die Stärke der Emotionen wird zum einen von der Höhe der Spannung bestimmt und zum anderen von der empathischen Distanz zu den jeweiligen Figuren. 758 Unsympathische Figuren sind meist nicht besonders nahe, daher werden die figurenbezogenen Emotionen auch nicht so ausgeprägt sein wie bei nahen sympathischen Figuren (darum hier eingeklammert). Unabhängig von Sympathie oder Antipathie zu einer Figur ist die Heiterkeit des Rezipienten, die durch Komik, also bestimmte Figurenmerkmale, Verhaltensweisen oder Situationen, hervorgerufen werden kann, wenn sie nicht durch zu hohe Spannung überlagert wird. 759 Daneben gibt es weitere figurenbezogene Emotionen, die nicht direkt mit Handlungserwartungen zu tun haben.760 b) Darüber hinaus treten bei einigen Textgattungen und besonders im Film auch nicht-figurenbezogene Rezeptionsemotionen auf (perzeptuelle Affekte)761, doch in den biblischen Erzähltexten kann man diese aber weitgehend außer Acht lassen. durch das Ende der Erzählung ein Trennungsschmerz über deren „Verlust“ auftreten, weswegen der Rezipient die wiederholte Lektüre sucht (vgl. M ELLMANN, Emotionalisierung, 141). Dieser Trennungsschmerz wird im MtEv bewusst vermieden (28,20: „ich bin bei euch [den Lesern] alle Tage …“). 758 Zur Bedeutung der empathischen Distanz vgl. die empirischen Studien A NDRIN GA , Effects of ‚Narrative Distance‘; DE W IED/Z ILLMANN/ORDMAN, Role of Empathic Distress. Für individuelle Faktoren vgl. auch E DER, Figur im Film, 662. 759 Die Komik von Figuren wird innerhalb der Narratologie m.W. noch nicht eigens beachtet. Auch hier müssten die Textelemente und Faktoren genauer untersucht werden, die bei empirischen Lesern zur Erheiterung beitragen. Hilfreich sind die Ausführungen bei HORN, Das Komische; VON AHNEN, Das Komische (u.a. zur „komischen Katharsis“); M IKOS, Film- und Fernsehanalyse, 147–151; vgl. M ÜLLER, Art. Komik und Komiktheorien; KABLITZ, Art. Komik; PROFITLICH/STUCKE, Art. Komische Person. – In der Bibel ist Komik keineswegs selten und wird in der Exegese meist unter dem Stichwort „irony“ behandelt, vgl. C AMERY-HOGGATT, Irony; DUKE, Irony; HESTER, Dramatic Inclusion; WEAVER, Power; auch BERDER, Quelques Traits d’Humour. 760 Vgl. die weiterführenden Übersichten bei E DER, Figur im Film, 659, 662 und besonders 685f. Im Grunde haben auch die Empathie selbst sowie die Bewertung von Figuren (Sympathie/Antipathie) emotionale Aspekte (vgl. E DER, Figur im Film, 666). MELLMANN, Emotionalisierung, 143–155 erörtert außerdem die „Bewunderung“ als emotionale Disposition. 761 Vgl. die These von A NZ, Kulturtechniken der Emotionalisierung, 231: „Szenarien, die in der Lebenswelt der Autoren und ihrer Adressaten bestimmte Emotionen hervorrufen, evozieren ähnliche Emotionen auch dann, wenn sie durch ihre literarische Simulation von Lesern imaginiert werden“ (im Orig. kursiv; ausführlich dazu M ELLMANN, Literatur als emotionale Attrappe). – S CHNEIDER, Grundriß, 114f. nennt Genres und Szenen,
204
2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
c) Wohl auf einer anderen Ebene liegen schließlich die ästhetischen Emotionen,762 z.B. die Freude darüber, Korrespondenzen im Text erkannt zu haben.763 Die ästhetischen Emotionen spielen für den Autor des MtEv eine nicht unbedeutende Rolle (beispielsweise bei den mt Erfüllungszitaten oder bei Ähnlichkeiten von Figuren). Auch das Erkennen von Applikationen (vgl. 2.7.6) oder narrativen Strategien (vgl. 2.3–2.7) kann ästhetische und weitere Folge-Emotionen auslösen. 764 Literarische Mittel, um Emotionen hervorzurufen, sind äußerst vielfältig. 765 Nachdem man an jedem Punkt der Erzählung die figurenbezogenen Emotionen, perzeptuelle Affekte und die ästhetischen Emotionen analysiert hat, kann man auch die Arten von Emotionswirkungen bei verschiedenen Geschichten miteinander vergleichen und Klassifikationen finden, um Erzählungen hinsichtlich ihrer Rezeptionsemotionen präziser einzuteilen (die Unterscheidung von „Tragödie“ und „Komödie“ stützt sich ja auch auf andere Kriterien). Außerdem ist anzunehmen, dass in Erzählungen bestimmter Autoren und Epochen jeweils gewisse Konstellationen von Rezeptionsemotionen auftreten. Etwas schwieriger wird es sein, die Emoderen Rezeptionsemotionen nicht figurenzentriert sind: Horror- und Katastrophenfilme, erotische Szenen, Tanz- und Gesangsszenen in Filmmusicals; in der Literatur Gruselgeschichten, Sensations- und Abenteuerromane. Er betont, dass die dabei empfundenen Gefühle „allenfalls ein oberflächliches Interesse für die Auswirkung der Situation auf die Figur“ voraussetzen: „In vielen Fällen wird der Erregungszustand an sich (ob in positiver oder negativer Ausprägung) als angenehm empfunden.“ S. M ELLMANN, Emotionalisierung, 231–263 zum Auslösereiz des „Erhabenen“ (Sternenhimmel, Gott u.a.), der durch das Gefühl der Unendlichkeit ein kognitiv zu bewältigendes Kampf-/Fluchtprogramm auslöst, der aber durch das kognitive Coping eine Gratifikation bewirkt (vgl. die bekannte Bestimmung des „Heiligen“ als mysterium tremendum et fascinosum bei OTTO, Das Heilige). Auch z.B. eine schöne Landschaftsbeschreibung oder Landschaftsaufnahme (2.3.5) ruft bereits als solche Gefühle hervor. Diese perzeptuellen Affekte (vgl. E DER, Figur im Film, 97) sind im Film naturgemäß stärker und werden in verschiedenen Veröffentlichungen untersucht, z.B. C ANTOR, Children’s Fright Reactions. 762 Vgl. auch VAN HOLT/GROEBEN, Emotionales Erleben, 120f. E DER, Wege der Gefühle, 228 bezeichnet diese als „Artefaktaffekte“ und stellt sie den „Fiktionsaffekten“ gegenüber. 763 Vgl. dazu SCHNEIDER, Grundriß, 127–132, bes. 130: „Rezipienten scheinen grundsätzlich dazu zu neigen, das Erkennen von Korrespondenzen inhaltlicher und stilistischer Art mit positiven Gefühlen zu verbinden“. Damit verbunden ist Vergnügen bei einem kohärenten Text als auch Ärger über einen inkohärenten Text. Schneider nimmt Bezug auf die psychologischen Theorien zur Neugier von B ERLYNE, Konflikt, sowie Ergebnisse der empirischen Literaturwissenschaft (G ROEBEN/VORDERER, Leserpsychologie II). Bei EDER, Figur im Film, 100 heißen diese auf die Gestaltung des Werkes oder der Figur bezogenen Gefühle reflexive Emotionen. 764 Vgl. nur Mk 12,12 (Reaktion der Zuhörer auf das Gleichnis von den bösen Weingärtnern). Dass Emotionen nicht nur unmittelbar auf das kognitive Modell der Figur bezogen sein können, betont auch E DER, Figur im Film, 576.656.693f.704, vgl. 333. 765 Vgl. die Übersicht bei SCHIEWER, Sprache und Emotion, 356.358.
2.7 Rezeptionsanalyse
205
tionalität einer Erzählung insgesamt zu bestimmen, d.h. ein Maß dafür zu finden, wie stark eine Erzählung Emotionen hervorruft. Hier ist noch viel Forschung nötig. Es wäre jedoch höchst aufschlussreich, wenn man die Emotionalität verschiedener Erzählungen miteinander vergleichen könnte. 2.7.6 Intendierte Anwendungen Viele Erzählungen sind in einer bestimmten Weise für die Situation der intendierten Rezipienten transparent. Leser, Hörer oder Zuschauer lernen beispielsweise etwas über Sachverhalte oder über andere Personengruppen, die sie auch in ihrem eigenen Umfeld kennen („so sind die also!“), oder sie entdecken, dass eine Figur in einer Hinsicht so ähnlich ist wie sie („so bin ich ja auch!“). Im Folgenden soll deutlich werden, dass die Frage nach den legitimen „Anwendungsmöglichkeiten“ einer Geschichte nicht erst eine Sache der Predigtvorbereitung, sondern in Wirklichkeit eine genuine Aufgabe der Exegese ist, die zu oft vernachlässigt wird. Genauso wie die intendierte Empathie und die beabsichtigten Rezeptionsemotionen kann die Bibelwissenschaft auch die intendierten Anwendungen im historischen Kontext systematisch erforschen. Dass es intendierte Anwendungen gibt, ist bei Binnenerzählungen mit explizitem Erzählkontext unmittelbar einleuchtend, z.B. beim Gleichnis vom barmherzigen Samariter, das Jesus mit der Anrede an den Schriftgelehrten beschließt: „So geh hin und tu desgleichen!“ (Lk 10,25–37). Sehr anschaulich ist es auch bei Nathan und David, wo der Prophet Nathan ein negatives Verhalten erzählt, sich David über den Mann im Gleichnis aufregen lässt und am Ende sagt: „Du bist der Mann“ (2 Sam 12,7). Dieses Schema der Identifikation begegnet (ggf. in abgeschwächter Form) auch bei vielen anderen Erzählungen, die nicht explizit als Gleichnis bezeichnet werden. 766 Gerade die Evangelisten haben ihre Geschichten vielfach transparent für ihre intendierten Rezipienten erzählt. Besonders im JohEv werden immer wieder historische Ebene (Gegenwart der Jünger) und applikative Ebene (Gegenwart der Rezipienten) ineinander geblendet; ebenso ist auch das MtEv treffend als „inklusive Geschichte“ bezeichnet worden, also als eine Erzählung, in der sich die Adressaten wiederfinden können. 767 Die intendierte Applikation wird m.W. bisher kaum methodisch untersucht, weder in der herkömmlichen Bibelauslegung noch in der literaturwissenschaftlichen Narratologie. Zwar werden historische Anwendungs766
Vgl. MARGUERAT/BOURQUIN, Bible Stories, 147: „The parable of Nathan and its effect on David are a good metaphor for reading.“ Auch B ERGER, Hermeneutik, 169–178 sieht in der Gleichnisauslegung ein Modell für die (heutige) Applikation. S. außerdem die Forschungsübersicht zur Rezeptionswirkung von Gleichnissen bei Z IMMERMANN, Gleichnishermeneutik, bes. 32–51. 767 Vgl. HOWELL, Inclusive Story; L UZ, Matthäus I, 36f.; P OPLUTZ, Erzählte Welt, 31.
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
möglichkeiten in der Auslegungspraxis häufig thematisiert, doch eine Theorie und Methode zur Analyse der intendierten Anwendung scheint noch zu fehlen.768 Zugleich wird in der Praxis nicht immer zwischen damals intendierter und heute möglicher Anwendung unterschieden, was die Frage nach der Applikation überhaupt wissenschaftlich verdächtig macht.769 Doch im Zusammenhang mit einer umfassenden Untersuchung der Rezeptionslenkung wie Figurendarstellung, Erzählperspektive, Empathie und Rezeptionsemotionen (vgl. 2.6 und 2.7 insgesamt, daneben besonders 2.5.2) kann man auch die vom Autor intendierten Anwendungen klarer in den Blick nehmen. Anschließend könnte die Rezeptionsgeschichte von Bibeltexten und ebenso die heutige Rezeptionswirkung systematisch mit der intendierten Rezeption in allen ihren Aspekten verglichen werden. Um die intendierte Anwendung von Bibeltexten zu beschreiben, sind Forschungen zu Gleichnis, Analogie und Metapher weiterführend (s.u.), die auf alle Erzählungen ausgeweitet werden können, aber ebenso Theorien zur homiletischen Applikation, die auf die damalige Anwendung eingegrenzt werden müssen.770 Von literaturwissenschaftlicher Seite gibt es einige Studien zur Frage der Identifikation771; medienwissenschaftlich ist 768 So behandeln exegetische Methodenlehren den Aspekt der Anwendung kaum und wenn ja, dann selten auf historischer Ebene. Vgl. F OHRER/HOFFMANN u.a., Exegese, 161–179 („Theologische Kritik“); B ERGER, Exegese, 91–127.242–246 („Historische Rezeptionskritik“; vom Ansatz her richtig); S CHNELLE, Exegese, 171–208 („Hermeneutik“); EGGER, Methodenlehre, 209–222 („Aktualisierung von Texten“: u.a. zur Berücksichtigung der Wirkungsgeschichte, vierfachem Schriftsinn, psychologischer Auslegung); OSBORNE, Hermeneutical Spiral, 318–365 („Contextualization“, „The Sermon“); F ISCHER, Wege, 155–172 („Die Bibel in der pastoralen Praxis“); D REYTZA /H ILBRANDS u.a., Studium, 165f. („Die bleibende Bedeutung des AT“). 769 Auch viele literaturwissenschaftliche Auslegungen sind implizit für heutige Rezipienten aneignend (vgl. die Kritik von T EPE, Kognitive Hermeneutik, 14f.) – denn auch der Leser wissenschaftlicher Literatur möchte wissen, warum die untersuchte Erzählung für ihn „aktuell“ ist. P. Tepe geht es nun darum, „die Unterscheidung zwischen einem wissenschaftlichen (kognitiven), einem nichtwissenschaftlichen (aneignenden) und einem pseudowissenschaftlichen (projektiv-aneignenden) Textumgang zu etablieren“ (18, vgl. 97–142). Das Ideal eines streng wissenschaftlichen Umgangs mit einem Text muss aber nicht – wie Tepe annimmt – dazu führen, dass die Frage der Applikation ganz aus der wissenschaftlichen Betrachtung ausgeklammert wird. Das soll dieses Teilkapitel zeigen. 770 Innerhalb der Homiletik existieren einige Ansätze zur Theorie der Applikation; hilfreich ist z.B. E NGEMANN, Homiletik, 271–276.287–289 („Analogie-Modell“), vgl. 368–372. In eine ähnliche Richtung weisen außerdem Untersuchungen zur allegorischen und typologischen Bibelauslegung (H ALL, Art. Typologie; WEIGL/N IELSEN u.a., Art. Typos) sowie zu medienübergreifenden „Strukturanalogien“ (H ASTETTER, Horch!; vgl. PREUSS, Das Alte Testament), die hier nicht ausführlich ausgewertet werden können. Vgl. zum Diskussionshorizont auch K ÖHLMOOS/NEUMANN u.a., Art. Applikation. 771 Zur Identifikation des Rezipienten mit Figuren vgl. knapp M AURER, Formen des Lesens, 489–491; O ATLEY, Taxonomy of Emotions (kognitiv); SCHNEIDER, Roman-Ana-
2.7 Rezeptionsanalyse
207
die Theorie des Involvement relevant, die jedoch beim Aspekt der Applikation noch nicht sehr ausgearbeitet ist. 772 Applikation wird im Folgenden als ein kognitiver Vorgang verstanden, bei dem eine Entität oder eine Relation in der Erzählung mit einer Entität bzw. Relation in der (aus Sicht des Rezipienten) realen Welt verglichen wird. Diese Bezugsgröße oder -relation kann also z.B. ein Sachverhalt, ein Ereignis, ein Verhalten, eine Charaktereigenschaft oder eine Person selbst sein. Identifikation ist dabei ein Spezialfall der Applikation, bei dem der Vergleich eine Übereinstimmung dieser beiden Entitäten oder Relationen ergibt, z.B. von Personen oder Sachverhalten. Diese sehr weite Definition von „Applikation“ impliziert, dass alle Formen von Anwendung strukturell grundsätzlich gleich ablaufen. Dabei ist es egal, was der Inhalt dieses Vergleiches ist und ob es sich dabei um eine intendierte Applikation handelt oder nicht (= „Allegorese“773). Dadurch ist es möglich, sehr unterschiedliche Auslegungstheorien, z.B. allegorische, psychologische oder existenziale Interpretationen, unter demselben Oberbegriff zu betrachten und in die Überlegungen zu integrieren. Ich möchte als Grundkategorien eine „direkte Anwendung“ und eine „indirekte Anwendung“ voneinander unterscheiden. 774 Die direkte Anwendung setzt voraus, dass eine Entität oder Relation in der Erzählung auch in der Realität des intendierten Rezipienten existiert, z.B. eine Aussage über lyse, 25f.50f.67–69. Schneider kritisiert die bisherige Narrativik nach Stanzel und Genette scharf, weil diese nicht berücksichtige, dass die „Praxis der episch-literarischen Kommunikation … ganz überwiegend auf identifikatorischer Lektüre beruht“ (68). 772 Die Theorie des Involvement versteht darunter die „Menge der Verbindungen …, die ein Individuum zwischen dem Inhalt eines Medienangebots und seinem eigenen Leben herstellt“ (S UCKFÜLL, Rezeptionsmodalitäten, 83, vgl. 83–109). In anderen Studien und teilweise auch bei Suckfüll wird Involvement jedoch sehr unterschiedlich verstanden. Dieses Konzept umfasst auch Aspekte von Empathie, Sympathie, Rezeptionsemotionen und besonders den Einstellungswandel, die hier eigenen Unterkapiteln zugeordnet werden. Suckfüll selbst ersetzt Involvement durch ihr Konzept der Rezeptionsmodalitäten; dabei entsprechen die von ihr formulierten und anschließend empirisch überprüften Modalitäten (136–138) weitgehend der vorliegenden Arbeit („Ideensuche“ und „Identifikation“ = Applikation; „Präsenz“ = Realitätseffekt; „Kommotion“ = Rezeptionsemotionen; „Narration“ = Umwelt-, Handlungs- und Figurenanalyse, „Spiel“ = Handlungsverläufe; hinzu kommt noch die historische Rückfrage nach der „Produktion“). 773 Ich verstehe unter „Allegorese“ alle Formen nicht-intendierter Anwendung. In der Literatur ist damit entweder neutral die Deutung einer Allegorie gemeint (so H ARNISCH, Gleichniserzählungen, 43), teilweise aber auch die nicht-intendierte Applikation (so wiederum H ARNISCH, Gleichniserzählungen, 55). Ausführlich K LAUCK, Allegorie und Allegorese. 774 Auch KUIKEN/M IALL/S IKORA, Forms of Self-Implication, unterscheiden zwei Formen, wie sich der Leser im Text wiederfindet: „A is like B“ und „A is B“ (171), schlüsseln dies aber anders auf. S. außerdem Z IPFEL, Fiktion, 261–277, bes. 267–270 zur Trennung von Denotation und Exemplifikation (mit Bezug auf Nelson Goodman).
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
einen Sachverhalt oder eine Personengruppe (der Rezipient des MtEv erfährt etwas über Gott oder „die Juden“ seiner Zeit). Etwas in der Geschichte hat also direkt mit seinem Leben zu tun. Mit indirekter Anwendung ist gemeint, dass der Rezipient den Bezug zu seinem Leben und zu seiner Umwelt über eine Vergleichskategorie, ein tertium comparationis, herstellt, z.B. über das Verhalten einer Figur (David muss sich in 2 Sam 12 mit dem reichen Mann vergleichen, der dem armen Mann das einzige Schaf wegnimmt). Die Terminologie im Überblick: direkte Anwendung auch: denotative Applikation auch: wörtliche Auslegung
indirekte Anwendung auch: substitutive Applikation auch: übertragene Auslegung
2.7.6.1 Direkte Anwendung Bei dieser Form der Anwendung, der denotativen Applikation, werden direkte Aussagen über existierende Orte, Personen, Ereignisse und Sachverhalte getroffen. Die Aussage über die erzählte Welt ist also zugleich eine Angabe über die reale Welt, weil es die betreffende Entität oder Relation auch in der Wirklichkeit des Rezipienten gibt. Daher ist kein „Umweg“ über ein Tertium Comparationis erforderlich. 775 Es spielt keine Rolle, ob diese Aussage als glaubwürdig dargestellt wird oder nicht, ob es sich dabei um eine Feststellung oder um eine Aufforderung handelt. Die direkte Anwendung kann sich auf folgende Fälle beziehen: – Setting: Der Rezipient erfährt etwas über einen Ort, eine Kultur oder eine Zeitepoche. Für viele Rezipienten ist dieser Aspekt ein Grund dafür, dass sie beispielsweise zu historischen Romanen greifen oder einen Dokumentarfilm ansehen. Viele Erzählungen spielen in fremden Ländern und geben örtliche Gegebenheiten wieder; auch das MtEv bezieht sich grundsätzlich auf das geografische Setting Palästinas. – Ereignisse: Der Rezipient erfährt etwas über historische, gegenwärtige oder zukünftige Ereignisse, die etwas mit ihm zu tun haben. Dazu zählen z.B. die Ätiologie für die Vielfalt der Sprachen in Gen 11,1–9, der Auszug aus Ägypten oder die Genealogie in 1 Chr 1–9 aus Sicht damaliger intendierter Rezipienten (historisches Wissen) oder auch die Ankündigung der Wiederkunft des Menschensohnes (Mt 24,29f.). – Sachverhalte: Der Rezipient erfährt allgemein gültige Sachverhalte. Durch die Lektüre von Thomas Manns Doktor Faustus vertieft der intendierte Rezipient auch ganz nebenbei sein musikalisches Wissen, mit dem Zauberberg sein medizinisches. Ob es die Dialoge des Sokrates sind oder die Bergpredigt Jesu: In fast jeder Erzählung werden durch 775
In der christlichen Tradition entspricht diese Applikationsart dem klassischen sensus literalis bzw. der „wörtlichen“ Auslegung.
2.7 Rezeptionsanalyse
209
den Erzähler und durch Figuren auch Sachaussagen geäußert, die ebenfalls in der Welt des Rezipienten gelten oder gelten sollen. Die Erzählung führt zur Erweiterung des allgemeinen Welt- und Orientierungswissens (über konkrete Orte und Ereignisse hinaus). – Personen: Der Rezipient erfährt etwas über (auch in seiner Welt existierende) Personen und Personengruppen. Im Roman Elmer Gantry von Sinclair Lewis sind die Kirchenleiter alle moralisch korrupt – diese Schilderung kann das Urteil der Rezipienten über Pastoren in ihrer realen Welt (bekräftigend) beeinflussen, was von Lewis durchaus intendiert war.776 In ähnlicher Weise wird eine Vorstellung von „den Juden“ bei Rezipienten des MtEv geformt. Der Name der Person oder Personengruppe kann chiffriert sein; wenn aber sonst eine Identifikation mit realen Personen(gruppen) intendiert ist, so handelt es sich um diese Form der direkten Anwendung. Ein anderes Beispiel: Aus dem MtEv lernt der Rezipient etwas über Gott und den Auferstandenen, die auch in seiner Welt noch existieren und ansprechbar sind. Das MtEv malt dem Rezipienten vor Augen, wie Gott ist bzw. wie Jesus ist – ihre Charakterzüge, ihre Meinungen und Verhaltensweisen (s.u. 3.5.2.1) –, wobei auch die intendierten Inferenzprozesse des Rezipienten für das Figurenmodell berücksichtigt werden müssen. Dass die Gottesvorstellung des Rezipienten durch das MtEv weiter geprägt wird, beruht größtenteils auf der direkten Anwendung. Wo solche Dinge in einer Erzählung auftauchen, haben sie unmittelbar etwas mit dem Leben des Rezipienten zu tun; sie werden daher unter Umständen seine Einstellungen zu real existierenden Personen oder Überzeugungen verändern (vgl. 2.7.7 zur Frage, wie dies genau geschieht). Es ist vielleicht ungewöhnlich, alle diese Dinge unter „Anwendung“ zu fassen, aber tatsächlich können dies alles Aspekte sein, die das Denken und Leben des Rezipienten beeinflussen. Wie aber ermittelt man nun die intendierte direkte Anwendung? Anders als bei der übertragenen Anwendung ist die Methode hier noch relativ klar: Alle Aussagen, bei denen der Rezipient annehmen muss, dass sie der Autor als faktual ansieht (2.2.2.2), und die sich in irgendeiner Form auf das Leben des Rezipienten beziehen, sind direkte Anwendungen (direkte Kommunikationsstrategie). Diese Kriterien setzen ein Verständnis des Weltwissens und der Situation des intendierten Rezipienten voraus. 776
Lewis’ Romane setzen sich jeweils mit einem Bereich der damaligen amerikanischen Gesellschaft (1910-er bis 1930-er Jahre) auseinander und üben harte Gesellschaftskritik. Seine Hauptfiguren „werden explizit als Stellvertreter realexistierender Gruppen ausgewiesen und gewähren Einblicke im Sinne einer enthüllenden Bestandsaufnahme des ausgewählten sozialen Bereichs“ (W OLFF, Fiktionalität, 305). – Im Fall von Elmer Gantry protestierten die amerikanischen Kirchen massiv gegen den Roman.
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
2.7.6.2 Indirekte Anwendung Neben der denotativen Anwendung, bei der direkt etwas über die Realität der Rezipienten ausgesagt wird, gibt es zahlreiche Formen indirekter Anwendung, bei denen etwas im Text stellvertretend für etwas anderes in der Realität steht. Beide Applikationsebenen können auch miteinander verbunden werden. Die indirekte Anwendung ist besonders wichtig z.B. bei Fabeln und Gleichnissen, bei Identifikationsprozessen mit Figuren oder bei der Frage nach den „Lehren“, die man aus einer Geschichte ziehen kann. Formal läuft die indirekte Anwendung immer gleich ab. Die möglichen Arten der indirekten Anwendung sind: 1) Applikation einer Figur: Am bedeutendsten und auch am vielfältigsten ist die Figurenapplikation. 777 Sie kann entweder konkret-persönlich (auf den intendierten Rezipienten selbst gerichtet), konkret-fremd (auf eine Person oder Gruppe im Umfeld des Rezipienten bezogen) oder abstrakt sein (als Aussage über den Menschen allgemein). Die Anwendung ist entweder zukünftiger Anspruch an den Rezipienten bzw. sein Umfeld, wie im Gleichnis vom barmherzigen Samariter, oder Beschreibung eines gegenwärtigen Zustandes, wie bei Nathan und David. Wenn ein Merkmal einer Figur in ähnlicher Weise auch in der Welt des Rezipienten auftritt/auftreten soll, kann man von positiver Applikation sprechen; wenn dieses gerade nicht auftreten soll, von negativer Anwendung. Bei der persönlichen, fremden und abstrakten Figurenanwendung ist die gegenwärtige und positive Applikation wahrscheinlich jeweils am häufigsten. Je nach Anzahl der zu vergleichenden Figurenmerkmale (der tertia comparationis) können außerdem punktuelle und ausgedehnte Applikation unterschieden werden. – a) konkret-persönlich: Bei der persönlichen Figurenapplikation soll der Rezipient Merkmale einer Figur (oder des Erzählers) mit sich selbst vergleichen („So bin ich ja auch“), also deren Charakterzüge, Meinungen, Erleben, Gefühle, sozialer Kontext, Wissen, Pflichten, Motive, 777 Nach EDER, Figur im Film, 102f. kann die Figur „Eigenschaften exemplifizieren oder Ideen repräsentieren; Tugenden oder Laster verkörpern; Metaphern transportieren; als Zeichen oder Symbol für etwas fungieren; als Allegorie oder Personifikation dienen oder allgemeine Themen vermitteln.“ Auch an anderer Stelle führt Eder diese Anwendungsvielfalt vor Augen (562): „Wenn wir glauben, dass Figuren uns ähneln, können wir hoffen, durch sie etwas über uns selbst zu erfahren, Fehler und Schwächen zu erkennen, Lösungswege zu finden. Gleichen sie Bekannten, können sie uns Einblicke in deren Verhalten, Wünschen, Fühlen, Denken verschaffen. Als positive Vorbilder, abschreckende Beispiele oder Objekte distanzierter Analyse orientieren Figuren uns über soziale Verhaltensweisen und ihre Folgen. Sie ermöglichen es, die Welt aus fremden Perspektiven wahrzunehmen, imaginäre Möglichkeiten durchzuspielen und sie risikofrei auszutesten.“ Vgl. ebd., 459 sowie 529–541 zu indirekten Bedeutungen von Figuren; M ARGUERAT /B OURQUIN, Bible Stories, 66. In der Exegese sollte dabei die Situation des Erzähladressaten, nicht die Lebenslage heutiger Rezipienten im Blick sein.
2.7 Rezeptionsanalyse
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Intentionen oder besonders deren Verhaltensweisen. Voraussetzung für die persönliche Figurenapplikation ist, dass eine gewisse Empathie zu einer Figur aufgebaut wurde (vgl. 2.7.1). Der Autor kann dann davon ausgehen, dass der Rezipient automatisch – also auch ohne explizite Hinweise – all diejenigen Figurenmerkmale mit sich selbst vergleicht, die narrativ in den Vordergrund gestellt werden oder die aus anderen Gründen im Zentrum seiner Aufmerksamkeit stehen. Wenn die intendierte Gegenüberstellung an solchen Punkten eine Ähnlichkeit ergibt, liegt „Identifikation“ vor. 778 Identifikation ist also fast immer partiell; man könnte darum verschiedene Grundkategorien wie körperliche, soziale oder psychische Identifikation unterscheiden. 779 Eine wichtige Form der persönlichen Figurenapplikation ist das positive oder negative (Verhaltens-)Vorbild einer Figur.780 Psychologische Forschungen weisen nach, dass das Beobachtungslernen (auch: Nachahmungslernen, Lernen am Modell) nicht nur durch reale Vorbilder, sondern fast ebenso gut durch Medienangebote möglich ist – mit all ihren positiven und negativen Auswirkungen.781 Die verschiedenen Formen der persönlichen Figurenapplikation werden außerdem in der Exempelforschung untersucht, die hier nicht ausführlich eingearbeitet werden kann. 782 778
Hier im Sinne von „sich mit etwas identifizieren“, die fremde Figurenapplikation folgt dem Schema „etwas mit etwas identifizieren“. Wenn man den unscharfen Begriff „Identifikation“ in der Narratologie beibehalten möchte, sollte man ihn, wie hier, der Applikation zuordnen und nicht der Empathie (2.7.1). – Zur Frage der Identifikation vgl. auch EDER, Figur im Film, 599–601, bes. 600: „Zuschauer identifizieren sich mit einer Figur, wenn sie sich in mindestens einer relevanten Hinsicht vorstellen, sich in der Situation des fiktiven Wesens zu befinden oder dessen Eigenschaften zu haben“ (im Orig. kursiv). Vgl. ebd., 200; s. auch D ORMEYER, Gleichnisse, 430–432; homiletisch z.B. E NGEMANN, Homiletik, 271–280.287–289 („Das Analogie-Modell“). 779 EDER, Figur im Film, 600. 780 Dies entspricht klassisch dem sensus moralis. 781 Grundlegend B ANDURA, Lernen am Modell; B ANDURA, Sozial-kognitive Lerntheorie. Vgl. außerdem aus psychologisch-pädagogischer Sicht W EBER, Fallbasiertes Lernen; daneben ZILLMANN, Exemplification Theory; Z ILLMANN/BROSIUS, Exemplification in Communication; S UCKFÜLL, Rezeptionsmodalitäten, 175–184 (zur „Identitätsarbeit“, d.h. zur parasozialen Interaktion und zur sozialen Lerntheorie Banduras); philosophisch THÜRNAU, Gedichtete Versionen, bes. 89–135 (zur Exemplifikation bei N. Goodman); s. auch EDER, Figur im Film, 569–571; N EUMANN/NÜNNING/PETTERSSON (Hgg.), Narrative and Identity; H ALLET, Literary Figures, bes. 208–214. 782 Das Exempel hat von der Antike (z.B. den Facta et dicta memorabilia des Valerius Maximus) bis zur Neuzeit eine breite Tradition und wird v.a. in der Rhetorik und Mediävistik untersucht. Diese Arbeiten könnten auch in der Exegese zu weiteren Differenzierungen beitragen. Vgl. zur Theorie des Exempels S TIERLE, Geschichte als Exemplum; BREMOND/LE GOFF/SCHMITT, L’„Exemplum“; VON MOOS, Geschichte als Topik; H AUG/ WACHINGER (Hgg.), Exempel; E NGLER/MÜLLER (Hgg.), Exempla; MENZEL, Predigt und Geschichte; C HAPLIN, Livy’s Exemplary History; S CHÜRER, Exemplum; R ICKLIN (Hg.),
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
– b) konkret-fremd: Aus den Figurenmerkmalen der Erzählung soll der Rezipient auf Eigenschaften einer anderen Person in seiner Umgebung schließen („So ist auch Herr Müller“). So können z.B. im Gleichnis vom verlorenen Sohn mehrere der geschilderten Eigenschaften des Vaters auf Gott übertragen werden. 783 Die Hauptfigur Rick Blaine im Film Casablanca steht eigentlich für die USA. 784 Ein weiteres nicht-biblisches Beispiel ist der Text Caligula des Historikers L. Quidde von 1896. Der Autor beschreibt vordergründig das Leben Caligulas (= direkte Applikation), aber hintergründig finden sich viele kritische Anspielungen auf Wilhelm II., die von Zeitgenossen auch erkannt wurden. 785 – c) abstrakt: In diesem Fall sollen bestimmte Verhaltensweisen von Figuren für allgemein-menschliche Verhaltensweisen stehen („So ist der Mensch“).786 Natürlich können auch explizite Sachaussagen über Menschen bzw. Typen von Menschen gemacht werden (s.o. zur direkten Anwendung), aber häufig werden diese Erkenntnisse indirekt am Einzelbeispiel vermittelt. 787 Diese Art der Figurenapplikation kommt besonders oft bei Fabeln vor, aber nicht nur dort. Viele Erzählungen wollen auch zur Vertiefung der „Menschenkenntnis“ 788 beitragen. Zur Untersuchung dieses Teilaspekts gibt es einige exegetisch-homiletische Exempla docent; Y AO, Exempelgebrauch; VON MOOS, Rhetorik, 45–126; W ASHOF, Bibel auf der Bühne; R UCHATZ/W ILLER/PETHES (Hgg.), Beispiel; D ICKE, Art. Exempel. 783 Vgl. HULTGREN, Interpreting, 637f. zur Darstellung Gottes in neutestamentlichen Gleichnissen. 784 EDER, Figur im Film, 555f. 785 Vgl. RÖSCH, Clavis Scientiae, 4f. 786 Bei der Figurenkonzeption (vgl. 2.5.6) spricht man in diesem Fall von „transpsychologischen Figuren“. 787 Bei KÖPPE/WINKO, Neuere Literaturtheorien, 314–317 begegnet dieser Aspekt unter den Überschriften „anthropologisches Wissen in Literatur“ und „Literatur als Anthropologie“. S. auch K ÖPPE, Literatur und Erkenntnis, 133–142, bes. 134f.: „Aussagen über allgemeinmenschliche Sachverhalte haben … Gesetzmäßigkeiten zum Gegenstand, denen das menschliche Leben unterliegt. Als solche haben sie die logische Form von generellen probabilistischen Konditionalen: Eine Gesetzmäßigkeit besagt, dass mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit Sachverhalt X eintritt, wenn bestimmte Ausgangsbedingungen Y vorliegen.“ Ein Beispiel ist das sprichwörtliche „Liebe macht blind“. Schon für Aristoteles war es das Merkmal von Dichtung, das Allgemeine mitteilen zu wollen (Arist. Poet. 1451a–b): „Das Allgemeine besteht darin, daß ein Mensch von bestimmter Beschaffenheit nach der Wahrscheinlichkeit oder Notwendigkeit bestimmte Dinge sagt oder tut – eben hierauf zielt die Dichtung, obwohl sie den Personen Eigennamen gibt.“ 788 Vgl. dazu neuerdings G ÜNTHER, Menschen, 11–36 im Anschluss an A. Adler. Zur Selbsterkenntnis dient die existenziale, „lebensstilorientierte“ Applikation im Anschluss an ausgewählte Bibeltexte (Applikationsfragen zu Petrus 91f.; zu Paulus 114f.; zum besessenen Gerasener 127; zu Maria Magdalena 146), bei der Verhalten und Motive biblischer Figuren mit den eigenen verglichen werden. Persönliche und abstrakte Figurenapplikation gehen hier ineinander über, die historische Intention ist weniger wichtig.
2.7 Rezeptionsanalyse
213
Ansätze wie die existenziale Interpretation und die (tiefen)psychologische Auslegung, die auf grundsätzliche Parallelen in der menschlichen Existenz zwischen den Figuren der Erzählung und den Rezipienten aufmerksam machen.789 Diese Ansätze können dann zur Anwendung kommen, wenn die abstrakte Figurenapplikation in dieser Form(!) vom Autor beabsichtigt ist, also bei einigen modernen Erzählungen. Für biblische Erzähltexte müsste dagegen noch untersucht werden, wo und in welcher Weise die Darstellungen von Figuren auf den Erwerb von Menschenkenntnis angelegt sind; ein Beispiel ist sicherlich der Sündenfall (Gen 3). 2) Applikation des Settings: Ein Setting kann für ein anderes, konkretes Setting stehen oder (abstrakter) als Symbol für eine Eigenschaft dienen, z.B. bei der Schilderung des neuen Jerusalems in Apk 21f., das ein Bild für die himmlische Herrlichkeit ist. Diese Form der Anwendung kommt vergleichsweise selten vor. 3) Applikation von Ereignissen: Bei der Ereignis-Applikation soll der Rezipient entweder ein Ereignis in der Erzählung mit einem anderen Ereignis in seinem Umfeld vergleichen (konkret: „So ist Ereignis X“ → „So ist Ereignis Y“) oder aus den geschilderten Ereignissen zu allgemeinen geschichtsphilosophischen Schlussfolgerungen gelangen (abstrakt: „So ist Ereignis X“ → „So ist Geschichte“). Auch dieser Fall der „reinen“ Ereignis-Applikation tritt selten auf. Geschehnisse wie der Durchzug durchs Schilfmeer (Ex 14) oder die Hiobsbotschaften (Hi 1,13–19) sind zwar grundsätzlich transparent für ähnliche Ereignisse im Leben des Rezipienten, aber der Vergleichspunkt ist hier das Erleben der Figuren, nicht das Ereignis an sich. Nach dieser ersten systematischen Übersicht über mögliche indirekte Applikationen ist nun methodisch danach zu fragen, wie man feststellt, dass eine bestimmte indirekte Anwendung (z.B. eine Form der Figurenapplikation) vom Autor intendiert ist. D.h. wie geht man vor, wenn man zunächst noch nicht weiß, ob sich eine Figur, ein Ereignis oder ein Setting in der Erzählung auf die Realität des Erzähladressaten bezieht? Hier sind besonders Forschungen zum Gleichnis und zur Metapher weiterführend, die die logische Struktur einer übertragenen Bedeutung beschreiben und Überlegungen zu Applikationssignalen anstellen. 790 789
Vgl. für einen ersten Einblick BERG, Wort wie Feuer, 94–118.139–168; F REY, Eugen Drewermann; P RATSCHER, Tiefenpsychologie und Textauslegung (Lit.); VOLKMANN, Art. Archetypentheorie. Die stark auf ein bestimmtes psychologisches (bzw. für die existenziale Interpretation: philosophisches) Modell zugeschnittene abstrakte Figurenanwendung wird hier vermengt mit der konkret-persönlichen Figurenapplikation und heutigen Anwendungsmöglichkeiten. 790 Die Forschung zur Metapher ist auch innerhalb der Bibelwissenschaft bekannt, vgl. nur VON GEMÜNDEN, Vegetationsmetaphorik; Z IMMERMANN, Metapherntheorie; Z IM-
214
2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
Um indirekte Applikationen feststellen zu können, ist es wichtig, zunächst ihren grundsätzlichen Aufbau zu klären und die entsprechende Terminologie festzulegen. Übertragene Bedeutungen haben allgemein folgende Struktur: „A ist wie B bezogen auf den Vergleichspunkt c, weil A die Eigenschaft a und B die Eigenschaft b hat.“ Oft gibt es mehrere Vergleichspunkte c791, wie die folgende Metapher zeigt: Tab. 31: Struktur einer übertragenen Bedeutung (= intendierten indirekten Anwendung) Beispiel: „Ihr seid das Salz der Erde.“ (Mt 5,13) Jünger792 (B)
Vergleichspunkte
Salz (A)
Funktion (c1)
würzt (a1)
verbreiten das Evangelium auf der Erde (b 1)
Menge (c2)
wenig (a2)
sind wenige (b 2)
Bedeutung (c3)
lebenswichtig (a 3)
verbreiten Botschaft des Lebens (b 3)
...
Entität A ist das Salz und damit das Bildfeld. Entität B sind die Zuhörer der Bergpredigt, insbesondere die Jünger, und damit das Sachfeld.793 Der Rezipient muss sein Weltwissen einsetzen, um Verknüpfungen zwischen beiden Entitäten herstellen zu können. Er denkt vielleicht an die Funktion,
MERMANN (Hg.), Bildersprache verstehen; Z IMMERMANN, Geschlechtermetaphorik; M AYER , Sprache der Einheit, 92–124; Z IMMERMANN , Christologie; WEISS, Figurative Language; FOKKELMAN/Z IMMERMANN u.a., Art. Metapher. Vgl. K URZ, Metapher; C OENEN, Fabel; COENEN, Analogie; ITKONEN, Analogy; KOHL, Metapher; S KIRL/SCHWARZ-FRIESEL, Metapher; C ZERNIN/E DER (Hgg.), Zur Metapher; eher historisch R OLF, Metaphertheorien; LAU, Metaphertheorien der Antike; H AVERKAMP, Metapher. – E DER, Figur im
Film, 98f. weist dagegen auf andere Disziplinen hin, die sich mit übertragenen Bedeutungen und uneigentlichem Verstehen beschäftigen: „Symbol“ (Medienwissenschaft), „Makroproposition“ (empirische Diskursforschung) bzw. „metaphorisches Denken“ (Kognitionswissenschaft). S. daneben auch das Schlussfolgerungsmodell aus der linguistischen Pragmatik bei A KMAJIAN/DEMERS u.a., Linguistics, 352–366. 791 Jülicher hatte noch behauptet, dass es im Gleichnis genau ein tertium comparationis geben müsse (JÜLICHER, Gleichnisreden I, 106). In Wirklichkeit lassen sich oft viele Vergleichspunkte feststellen. Jülicher hat aber insofern recht, als diese Vergleichspunkte bei neutestamentlichen Gleichnissen in der Regel auf eine Pointe, einen Hauptgedanken, zulaufen. Vgl. dazu ERLEMANN, Gleichnisauslegung, 183.185f.; B ANSCHBACH EGGEN, Gleichnis, 3.35f. 792 Der intendierte Rezipient soll sich außerdem seinerseits mit den Jüngern vergleichen; man kann also von einer doppelten indirekten Anwendung sprechen. 793 Demnach gibt es zu jedem „Bildtext“ (Mt 13,3–8) auch einen „Sachtext“ (explizit z.B. Mt 13,19–23). Die Terminologie „Bildhälfte“ vs. „Sachhälfte“ stammt von Jülicher; die Bezeichnungen problematisiert B ANSCHBACH EGGEN, Gleichnis, 92 Anm. 297. Man könnte auch allgemeiner von „Applikand“ vs. „Applikat“ sprechen.
2.7 Rezeptionsanalyse
215
Menge und Bedeutung von Salz und Jüngern (tertia comparationis). Die Vergleichspunkte entsprechen jeweils bestimmten Sachaussagen auf der Bildhälfte und Sachhälfte (prima comparationis und secunda comparationis).794 Diese Struktur gibt schon die Methode zur Auslegung bildlicher Rede vor: Man muss zunächst feststellen, ob sich eine Entität der Erzählung auf eine Bezugsgröße in der Realität des Rezipienten bezieht (B), anschließend sind die möglichen Vergleichspunkte (c 1 … cn) zu bestimmen, dann müssen für diese tertia comparationis jeweils Aussagen des Sachtextes formuliert werden (b1 … bn). Manchmal ist auf der Sachseite eine Schwerpunktaussage (z.B. Pointe) vorhanden. Die indirekte Anwendung besteht also vollständig aus vier Schritten 795, die in vielen Fällen vom Rezipienten ohne ausführliches Nachdenken durchlaufen werden: 1) Bestimmung der Bezugsgrößen. Man muss in der Wirklichkeit des jeweiligen Erzähladressaten Bereiche finden, mit denen etwas in der Erzählung verglichen werden soll. Sehr häufig handelt es sich, wie gesagt, um eine Figur der Erzählung und den Erzähladressaten selbst (persönliche Figurenapplikation). Der Schriftgelehrte in Lk 10,36f. wird u.a. mit dem Samariter der Binnenerzählung konfrontiert (zweite narrative Ebene), der Rezipient des MtEv in Mt 14,30 mit dem ins Meer sinkenden Petrus (erste Erzählebene); die Jünger und der Rezipient des MtEv sollen das Senfkorn in Mt 13,31 mit dem Himmelreich vergleichen, das für ihn unmittelbare Bedeutung hat (erste und zweite Erzählebene). Hinweise auf die intendierte Bezugsgröße findet man oft im narrativen Rahmen, aber nicht immer. 2) Erkennen der tertia comparationis (Vergleichspunkte). Hierbei handelt es sich um Eigenschaften, die zwischen den beiden Vergleichsgrößen gemeinsam oder auffällig unterschiedlich sind, z.B. ein Verhalten oder eine Emotion. Die Handlungsweise des Samariters bezieht sich auf ein vom Schriftgelehrten gewünschtes Verhalten, der Zweifel des Petrus auf dem Wasser auf einen möglichen Charakterzug des intendierten Rezipienten; das Wachsen des Senfkorns korrespondiert mit dem „Wachsen“ des Reiches Gottes. Welche tertia comparationis vom Autor genau gemeint sind, ist manchmal schwer zu entscheiden, wenn er sie nicht explizit nennt. Ein Hinweis ist der Schwerpunkt bei der Darstellung der Ausgangsgröße in der Erzählung. 794
Manchmal fallen primum, secundum und tertium comparationis zusammen, z.B. in dem Vergleich: „Seid klug wie die Schlangen“ (Mt 10,16; a = Schlangen sind „klug“, b = Rezipienten sollen „klug“ sein, c = Klugheit); allerdings kann man jeweils unterschiedlich konkretisieren, wie sich diese Klugheit äußert. 795 Vgl. ausführlich zu methodischen Schritten der Gleichnisinterpretation E RLEMANN, Gleichnisauslegung, 179–207 (mit etwas anderer Einteilung). In eine ähnliche Richtung gehen die Leitfragen bei Z IMMERMANN, Metapherntheorie, 130–132, die auch weitere Aspekte metaphorischer Redeweise erfassen.
216
2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
3) Bestimmung der secunda comparationis und Formulierung eines Sachtextes. Der Schriftgelehrte soll Menschen, die in Not geraten, helfen; der Rezipient des MtEv soll nicht „kleingläubig“ sein (14,31: levg ei aujt w`/, ÆOligovpiste); das Reich Gottes breitet sich aus. Auch dieser Schritt ist in einigen Fällen nicht trivial und muss methodisch durchdacht sein. 4) Benennung der Hauptaussage (der „Pointe“). Falls es mehrere tertia comparationis in einem Erzählabschnitt gibt, dann ist es sinnvoll, aus dem Sachtext abschließend noch einmal die Hauptaussage herauszuarbeiten. Bei vielen Erzählungen ist die „Moral von der Geschichte“ nur indirekt zu erkennen, z.B. anhand des Höhepunkts (vgl. 2.4.4) der Erzählung. Für eine genauere Methode möchte ich auf die Applikationssignale (d.h. Referenzsignale und Transfersignale), die dem Rezipienten Hinweise auf die intendierte Anwendung geben, etwas näher eingehen. Die intendierte Anwendung ist in allen interpretierenden Wissenschaften ein Thema und wird in der Auslegungspraxis oft sehr zutreffend rekonstruiert. In der Theorie handelt es sich um ein fast unüberschaubares Gebiet, das von der Patristik (Forschungen zur Allegorese) über die Linguistik und Kommunikationswissenschaft bis hin zur Lernpsychologie reicht. Um den Rahmen nicht zu sprengen, sollen die wichtigen Schritte hier allein auf der neutestamentlichen Gleichnisforschung beruhend dargestellt werden. 1) Wie erkennt der Rezipient die (Existenz einer) Bezugsgröße? Um sicherzustellen, dass der Rezipient eine Entität der Erzählung in einer übertragenen Weise auf etwas in der Welt des Erzähladressaten bezieht, muss der Autor Erinnerungsnähe und Parallelität (s. 2.5.2.3 Figurenvergleich) voraussetzen können oder sie durch zusätzliche Hinweise schaffen: a) Der Autor setzt Erinnerungsnähe voraus: Dies betrifft v.a. die persönliche Figurenapplikation, die aus anthropologischen Gründen immer „mitschwingt“ und durch die gezielte Darstellung einer Figur aktiviert wird. Es braucht nur eine Parallelität aufzutreten, die sowohl von der Figur der Erzählung als auch von der Lebenslage des Erzähladressaten abhängt. Zusätzliche Applikationssignale sind nicht notwendig. 796 Deswegen muss man die Situation des intendierten Rezipienten und sein Umfeld dahingehend überprüfen, ob der Autor bestimmte Figuren bewusst ähnlich oder kontrastierend darstellt – ein Methodenschritt, der für die historischkritische Exegese nicht neu ist. 797 796
Die Verwendung von Applikationssignalen kann allerdings die Aufmerksamkeit für die indirekte Anwendung verstärken. So hat z.B. die Geschichtsschreibung bis in die Neuzeit hinein explizit auf Analogien zu Geschehnissen in der Zeit des Lesers verwiesen. 797 Dies schlägt eine Brücke zu vielen exegetischen Studien, die Schilderungen oder Aufforderungen im Text zur Situation der Adressaten in Beziehung setzen. Vgl. methodisch z.B. BERGER, Die impliziten Gegner.
2.7 Rezeptionsanalyse
217
b) Im anderen Fall braucht der Rezipient klare Referenzsignale,798 da er sonst nicht erkennen kann, ob der Autor tatsächlich auf etwas in seinem Umfeld anspielt oder die vorhandene Ähnlichkeit nicht nur zufällig ist: 799 aa) Erzählexterne Referenzsignale:800 Am einfachsten ist es, wenn der Erzähler ausdrücklich sagt, auf was sich eine Entität in der Erzählung bezieht, z.B. bei der Einleitungsformel neutestamentlicher Reich-GottesGleichnisse801, bei identifizierenden Satzanfängen wie „ihr seid …“, bei erklärenden Zusätzen wie „Du bist der Mann!“ oder einer abschließenden Formulierung der Moral. Hierbei handelt es sich um konkrete Referenzsignale, die die Bezugsgrößen im Erzählkontext nennen. In Gen 41,1–7; Dan 2,31–35 geht aus dem Kontext hervor, dass die betreffende Erzählung ein Traum ist, der „gedeutet“ (= appliziert) werden muss. Auch Aufforderungen wie „Wer Ohren hat, der höre!“ können unspezifisch auf eine „hintergründige“ Botschaft aufmerksam machen. 802 Es sind Aufmerksamkeitsmarker und damit ein allgemeines Referenzsignal. bb) Erzählinterne Referenzsignale: a) explizit: Ein explizites internes Referenzsignal ist eher selten und hat immer den Charakter einer Metalepse, z.B. wenn eine Figur den Rezipienten aus der Erzählung heraus direkt anspricht. b) implizit: Der Autor kann auch dadurch Hinweise geben, dass er einer bestimmten konventionalisierten Form übertragener Rede folgt oder die Gattungserwartungen von „einsinnigen“ Erzählungen gerade nicht einhält, z.B. indem die Erzählung eine unerwartete Wendung nimmt oder die Handlung für sich genommen unlogisch ist. 803 Hierbei handelt es sich 798
ZYMNER, Uneigentlichkeit, 87–96 unterschied als erster explizite und implizite „Transfersignale“; vgl. M ASSA, Verstehensbedingungen, 224–231.360f.; Z IMMERMANN, Gleichnisse Jesu, 27.35f.; L AHN/MEISTER, Erzähltextanalyse, 55. Ich möchte hier mit MÜNCH, Form und Referenz, 441 von „Referenzsignal“ sprechen; der Begriff „Transfersignal“ wird für Hinweise auf einzelne tertia comparationis reserviert. Vgl. außerdem die Übersicht über Fiktionssignale (2.2.2.2). 799 Manchmal werden Referenzsignale auch nachträglich eingefügt und die Erzählungen so an bestimmte Anwendungen angepasst (in der neutestamentlichen Gleichnisforschung spricht man hier bekanntlich von „Allegorisierung“). 800 MÜNCH, Form und Referenz, 441f.; ERLEMANN, Gleichnisauslegung, 199–204 zu „Verzahnungen mit dem Kontext“. Auch H ARNISCH, Gleichniserzählungen, 53f. macht auf die Bedeutung der Redesituation bzw. des (literarischen) Kontextes als Referenzsignal aufmerksam. 801 Mt 13,24.31.33.44.47 („das Himmelreich gleicht …“). Es ist jedoch nicht der Aspekt der Formelhaftigkeit, sondern der Inhalt der Formel, der auf die Applikation hinweist. S. auch MÜNCH, Gleichnisse Jesu, 129–160.249–290; M ÜNCH, Form und Referenz, 443–459 zu Einleitungen und Schlüssen bei mt bzw. synoptischen Gleichnissen. 802 Vgl. z.B. Mt 13,9; ThEv 65,8; dazu H ARNISCH, Gleichniserzählungen, 54. 803 SCHULTE, Gleichnisse erleben, 26; M ÜNCH, Form und Referenz, 442. Vgl. zu erzählinternen (impliziten) Referenzsignalen H ARNISCH, Gleichniserzählungen, 44–49.54 und 142–144 (Beispiel).
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
aber nur um ein allgemeines Referenzsignal; der Rezipient weiß noch nicht, worauf er Bezug nehmen soll. Möglich sind auch Hinweise durch relativ konventionalisierte, „erinnerungsnahe“ Metaphern, die dem intendierten Rezipienten bekannt sind, 804 z.B. Gott als „Hirte“ und das Volk als „Schafe“ (Lk 15,4–6). Die vermutete Bezugsgröße sollte von den Relationen her gut in den Bildtext passen und dem „Erzählgefälle“ entsprechen. Insgesamt kommt den erzählexternen Referenzsignalen aber wahrscheinlich eine größere Bedeutung zu als den internen; auch das Gleichnis vom verlorenen Schaf muss noch von Jesus erklärt werden (Lk 15,7). 2) Wie erkennt der Rezipient, welche tertia comparationis beabsichtigt sind?805 Wenn die intendierte Bezugsgröße hypothetisch festgestellt ist, müssen die dazugehörigen Vergleichspunkte genau bestimmt werden; möglicherweise ergibt sich durch den genaueren Blick auch eine neue Bezugsgröße. Je nachdem, wie punktuell oder ausgedehnt die Applikation ist, findet man ein oder mehrere tertia. Selten intendiert sind mehrere punktuelle Applikationen zu verschiedenen Bezugsgrößen (d.h. dass ein Stichwort genügt, um bestimmte Assoziationen herzustellen) – dies wäre die klassische Form der allegorischen Auslegung. Wie also kann man unter den möglichen Vergleichspunkten die intendierten Vergleichsgrößen herausfinden? Zentral sind hier, wie schon beim Figurenvergleich (2.5.2.3), die beiden Grundkriterien Erinnerungsnähe und Parallelität: a) Die Erinnerungsnähe kann vom Autor einfach vorausgesetzt sein, z.B. weil er an feste, vorhandene Konnotationen anknüpfen kann 806 oder weil ein bestimmtes Verhalten beim Rezipienten vorliegt, an das sich der Rezipient ohne weitere Hinweise erinnert. Im anderen Fall muss er die Erinnerungsnähe durch implizite und explizite Transfersignale herstellen, indem er die von ihm intendierten tertia mit unterschiedlichen Strategien in die Aufmerksamkeit des Rezipienten rückt. Tertia comparationis sind daher häufig bei den Hauptakteuren, Schlüsselbegriffen, der Basisopposition und außergewöhnlichen Schilderungen zu finden („Erzählgefälle“). 807 Dadurch, dass man das Vorwissen des Rezipienten rekonstruiert, lassen sich auch Anspielungen und sonstige Verweise besser erkennen. 804
Vgl. MÜNCH, Form und Referenz, 441; ERLEMANN, Gleichnisauslegung, 190–195. Vgl. zum Problem auch Z YMNER, Uneigentlichkeit, 96–100 („Parabelsemantik“); COENEN, Analogie, 105–108 (mehrstellige Analogien) und bes. 130–165 („Das Bildfeld als Interpretationsmittel“). 806 Ausführlich auch hier ERLEMANN, Gleichnisauslegung, 190–195 („Rekonstruktion der Sprachkonventionen“). 807 Vgl. ERLEMANN, Gleichnisauslegung, 186–188 („Bestimmung referenzieller Bildelemente“) und 180–183. 805
2.7 Rezeptionsanalyse
219
b) Außerdem ist die Parallelität zwischen Ursprungs- und Bezugsgröße bei den „erinnerungsnahen“ Entitäten, Merkmalen und Relationen 808 zu prüfen, indem man die Erzählung durchsieht und jeweils die konkrete Aussage oder Beschreibung der Bildhälfte mit einer möglichen Entsprechung im Sachtext (s.u. 3) vergleicht. Es kommt vor, dass eine bestimmte konventionelle Metapher in diesem Kontext eine andere Bedeutung hat. Auf der anderen Seite können aber auch sekundäre Parallelisierungen auftreten, die nicht beabsichtigt sind und bei denen der Vergleich „hinkt“. So ist im Gleichnis vom Sauerteig die Frau wohl nicht mit Gott zu identifizieren (das wäre eine „kühne Metapher“), 809 im Gleichnis vom Senfkorn die Vögel nicht mit den Völkern 810 und das Wasser, in das Petrus versinkt, nicht mit der inneren Unruhe, die man aufgrund des Zweifels erlebt. 3) Was ist damit gemeint? (secunda comparationis mit Sachtext) Nur selten ist der Sachtext mit den secunda comparationis explizit vorhanden, so wie bei der Deutung des Gleichnisses vom Sämann, bei Traumdeutungen oder bei der „Moral von der Geschichte“ am Ende einer Fabel. Bei der Formulierung des Sachtextes aus dem Bildtext werden Gegenstände (Personen, Dinge, Abstrakta) durch andere Gegenstände ersetzt, während deren Relationen und Eigenschaften entweder gleich bleiben (bei positiver Applikation) oder entgegengesetzt sind (bei negativer Applikation). 811 808 Intendierte Entitäten oder Relationen, also z.B. Substantive und Verben, müssen nicht wirklich identisch, sondern können auch ähnlich oder entgegengesetzt sein (s. COENEN, Analogie, 149–154 zu exempla contraria). D.h. es gilt nicht immer a n = bn = cn (s.o. zur Struktur übertragener Bedeutung). B ANSCHBACH EGGEN, Gleichnis, 227 spricht dagegen undifferenziert von der Übernahme von Relationen, die bei ihr so allgemein formuliert werden, dass sie sowohl auf den Bildtext wie auf den Sachtext passen, z.B. „Ein Mensch verteilt Samen an die Erde“ (vgl. Mk 4,26b) → „Jesus verteilt das Wort Gottes an die Menschen“ (ebd., 230; kursiv SF). Um diese Relationen zu finden, muss sie das Gleichnis bereits ausreichend zusammengefasst haben, solange bis eine Relation im Bildtext einer Relation im Sachtext entspricht (vgl. 152–157.166–171.177–179). S. auch 141f. zum Problem der unterschiedlichen Paraphrasen. 809 Strukturell müsste die Frau aufgrund des bekannten Wissens über das Reich Gottes eigentlich mit Gott bzw. Jesus identifiziert werden, aber die „Frau“ als Bild für Gott bzw. Jesus ist keine geprägte Metapher und die Identifizierung wird vom Autor auch nicht verstärkt (vgl. ERLEMANN, Gleichnisauslegung, 186). Erlemann betont: „Die Interpretation hat sich strikt am Hauptvergleichspunkt zu orientieren (hier: Vorgang der Durchsäuerung). Auf wen die Frau verweist, ist von dort aus abzuleiten.“ 810 ERLEMANN, Gleichnisauslegung, 207. Im Gegensatz dazu verlangt das „Öl“ in Mt 25,1–13 laut Erlemann geradezu nach einer Entsprechung (ebd., 191), nämlich als Bild für Geduld (194). 811 Vgl. BANSCHBACH EGGEN, Gleichnis, 111f.: „Der Sachtext wird erstellt, indem die Relationen aus dem Bildtext in den Sachtext übernommen werden und die Elemente, die im Bildtext durch diese Relationen verknüpft sind, durch Elemente ersetzt werden, die
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2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
Dabei sollten nur Relationen und Eigenschaften im Sachtext ausgedrückt werden, die intendierte tertia comparationis sind, und nur solche Gegenstände des Sachfeldes genommen werden, die ebenfalls intendiert sind (s.o. zum Problem der sekundären Parallelisierung). Eine wichtige Frage ist die nach der Konkretionstiefe:812 Der Schriftgelehrte soll genauso handeln wie der barmherzige Samariter (Lk 10,37: „So geh hin und tu desgleichen!“) – aber soll er nur helfen, wenn er jemanden halbtot am Straßenrand liegen sieht? Soll er, wenn er einmal in diese Situation geraten sollte, dem Wirt auch zwei Silbergroschen geben? Sicherlich ist allgemeiner gemeint, dass der Schriftgelehrte (und der Rezipient des LkEv) Menschen helfen soll, bei denen er sieht, dass sie in Not sind. Das ist daran zu erkennen, dass die Eingangsfrage (V. 29) auf dieser mittleren Konkretionsebene gestellt war. Was Nächstenliebe im Einzelfall genau heißt, bleibt dabei offen. 4) Pointe/Hauptaussage Bei Erzählungen mit indirekter Applikation ist häufig eine SchwerpunktStrukturanalogie vorhanden. Die Methode der Herausarbeitung dieser Schwerpunktanalogie ist noch nicht wissenschaftlich nachvollzogen. Mögliche Kriterien sind die Aufmerksamkeit des Rezipienten (daher findet sich die Hauptaussage oft am Höhepunkt der Geschichte oder in der Basisopposition) oder die Anzahl der semantischen Bezüge in der Erzählung. 813 Das Hauptthema einer Erzählung ist oft – oder immer? – identisch mit der Schwerpunktanalogie (oder dem Schwerpunktgegensatz), z.B. bei der Sturmstillung „Vertrauen zu Jesus“ oder beim Gleichnis vom barmherzigen Samariter „Nächstenliebe“. 814 der Sache angehören.“ Diese Vorgehensweise legt sie bei der systematischen Untersuchung von verschiedenen Gleichnisauslegungen zugrunde (121–192). Nach B ANSCHBACH EGGEN, Gleichnis, 95 sei die „Auslegung“ eines Gleichnisses identisch mit der Erschließung der Sachhälfte und Formulierung eines Sachtextes. Faktisch handelt es sich bei der Frage nach der intendierten indirekten Applikation aber nur um einen kleinen Teilaspekt der Auslegung, auch bei dieser Erzählgattung. Man sollte hier besser von „Deutung“ sprechen. Jedenfalls könnte die neutestamentliche Gleichnisforschung über die Narratologie auf eine breitere methodische Basis gestellt werden. 812 Vgl. ERLEMANN, Gleichnisauslegung, 207: „Der Abstraktionsgrad kann variieren“. 813 ERLEMANN, Gleichnisauslegung, 183 unterscheidet zwischen bildinterner und bildübergreifender Pointe. Die bildinterne Pointe ist „die“ Hauptaussage der Erzählung, z.B. die semantische Basisopposition (klein/groß beim Gleichnis vom Senfkorn; vgl. 182–184). Die bildübergreifende Pointe dagegen „verzahnt“ die Bezugsgröße mit der Hauptaussage, hier die Ausbreitung des Himmelreiches (ebd., 206f.). Vgl. zur Bestimmung des inhaltlichen Schwerpunkts (= der Pointe) auch B ANSCHBACH EGGEN, Gleichnis, 215–221.230–237. 814 Vgl. zur Thematik von Erzählungen L AHN/MEISTER, Erzähltextanalyse, 204–210 (mit weiteren Beispielen).
221
2.7 Rezeptionsanalyse
2.7.6.3 Anwendungskonzeption Für Einteilung im Zusammenhang mit Applikationskonzeptionen gibt es bereits zahlreiche Begriffe, die nicht unumstritten sind. Gebräuchlich sind besonders „Gleichnis“ (im engeren Sinn), „Parabel“, „Beispielerzählung“,815 „Exemplum“, „Fabel“, „Allegorie“, daneben für kürzere, nichterzählende Formen auch „Bildwort“, „Metapher“ und „Vergleich“. Exemplarisch seien hier die terminologischen Abgrenzungen von Erlemann als Tabelle dargestellt:816 Tab. 32: Bekannte Bezeichnungen für Erzählungen nach Art ihrer Anwendung (Erzähl)gattung
Analytische Merkmale Bezugsgröße tertium comp.
Länge
Zeitform
nicht genannt nicht genannt
lang (Erzählung) lang (Erzählung)
3. Beispielerzählung 4. Exemplum
nicht genannt Erzähl adressat818 Erzähladressat Verhalten 819
lang (Erzählung)
präsentisch Vergangenheit817 Vergangenheit
5. Vergleich820 vgl. Bildwort821 vgl. Metapher vgl. Chiffre822
genannt
1. Gleichnis 2. Parabel
genannt nicht genannt
genannt nicht genannt nicht genannt nicht genannt
mittlere Länge (nicht dramatisch) kurz und erweitert mittel (Satz) kurz (Ausdruck) kurz (Ausdruck)
815 „Gleichnis“, „Parabel“ und „Beispielerzählung“ nach A. Jülicher; zusätzlich führte R. Bultmann die Kategorie „Bildwort“ ein. S. dazu H ARNISCH, Gleichniserzählungen, 66– 108 (Kritik an der Beispielerzählung als eigener Kategorie); Z IMMERMANN, Parabeln, 384–392 (Kritik an allen Kategorien). 816 Vgl. ERLEMANN, Gleichnisauslegung, 63–85.177f.; s. auch die Tabellen (74.82f.). 817 ERLEMANN, Gleichnisauslegung, 79f. unterscheidet mit E. Rau „Gleichnis“ und „Parabel“ anhand der verwendeten Zeitform; H ARNISCH, Gleichniserzählungen, 71 dagegen betont bei Parabeln deren Handlungsorientierung im Gegensatz zu Gleichnissen. 818 ERLEMANN, Gleichnisauslegung, 81f. redet nicht explizit von „Erzähladressat“. 819 So ERLEMANN, Gleichnisauslegung, 64. 820 „Seid klug wie die Schlangen“ ist also ein Vergleich. Daneben gibt es die imperativische Form des Vergleichs, die vergleichende Mahnrede (s.o. zur zukünftigen und gegenwärtigen Applikation). 821 Ein Bildwort ist z.B. das Bild von Splitter und Balken im Auge (Mt 7,3–5). Vgl. ERLEMANN, Gleichnisauslegung, 70. 822 Eine Chiffre ist z.B. Apk 13,18. Auch bei „Synekdoche“, „Metonymie“ und „Symbol“ sind Bezugsgröße und Vergleichspunkt nicht genannt (E RLEMANN, Gleichnisauslegung, 71–73).
222
2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
Die Tabelle zeigt, dass sich die Bezeichnungen teilweise überschneiden und vielfach unklar definiert sind. Für Parabeln ist demnach der Aspekt einer ausgeprägten, einmaligen Handlung konstitutiv; Gleichnisse haben keine eigentliche Handlung, sondern bieten eine Beschreibung im Präsens; bei Beispielerzählungen sind die Figuren auf den Erzähladressaten bezogen, bei Exempla speziell auf dessen Verhalten. Darum plädiert R. Zimmermann neuerdings dafür, die klassischen Gattungsbezeichnungen der neutestamentlichen Formkritik einzuebnen und alle längeren Formen als „Parabeln“ anzusehen – die Gattungszuschreibungen der damaligen Formkritik seien zu willkürlich und divergent. 823 Ich möchte dennoch einige Unterscheidungen treffen und sie als Definitionen verstanden wissen. Es sind keine synthetischen Klassifizierungen, bei denen bestimmte Gruppen von Erzählungen abgegrenzt und umfassend beschrieben werden, sondern analytische Kategorien, die sich jeweils auf das Vorhandensein oder die Abwesenheit bzw. die konkrete Ausformung eines Merkmals beziehen. Eine einzelne Erzählung kann mehreren dieser analytischen Kategorien angehören. Das Raster dieser Zuordnungen bildet die Anwendungskonzeption.824 1) Einteilung von Erzählungen nach Art der Applikationsform: – Eine Erzählung, die hauptsächlich direkt, also denotativ angewendet werden soll, kann beschreibende Erzählung genannt werden. Dies ist in den Evangelien z.B. bei Darstellungen Jesu der Fall. – Eine Erzählung, bei der die indirekte Anwendung im Vordergrund steht, soll doppelbödige oder doppelsinnige825 Erzählung heißen.826 Sie hat folgende Unterformen: a) Eine Erzählung, bei der die konkret-persönliche Figurenapplikation am wichtigsten ist, kann als Beispielerzählung bezeichnet werden. 823
Z IMMERMANN, Parabeln; vgl. Z IMMERMANN, Gleichnisse Jesu, 17–23. Vgl. Kap. 2.5.6 zur Figurenkonzeption. 825 Falls sogar zwei oder mehr Bezugsgrößen gleichzeitig intendiert sind, könnte man auch von „dreisinnigen“, „viersinnigen“ usw. Erzählungen sprechen. – Um eine „Allegorie“ handelt es sich dagegen, wenn sich einzelne Elemente der Erzählung in demselben Sinnabschnitt auf jeweils unterschiedliche Bezugsgrößen beziehen sollen. Anders als KLAUCK, Allegorie und Allegorese; B ANSCHBACH EGGEN, Gleichnis; ERLEMANN, Allegorie, möchte ich „Allegorie“ also tatsächlich als eine denkbare Form von Erzählung ansehen, und zwar als eine solche, wo die Methode allegorischer Interpretation vom Autor intendiert ist. Das wird beispielsweise bei einigen Formen der gegenständlichen, erzählenden Malerei der Fall sein. 826 Diese Beschreibung entspricht den beiden definierenden Kriterien der Parabel bei Z IMMERMANN, Gleichnisse Jesu, 25–28; Z IMMERMANN, Parabeln, 409–419, nämlich „Narrativität“ und „Metaphorizität“. Allerdings beschränkt sich für Zimmermann die Gattungsbezeichnung „Parabel“ auf realistisch-fiktionale Erzählungen (s. dazu 2.2.2.3 und BLUME, Fiktion und Weltwissen, 90). 824
2.7 Rezeptionsanalyse
223
Falls der Vergleichspunkt im Verhalten der Figur liegt, handelt es sich um ein Exempel.827 Das Exempel ist also eine wichtige Unterkategorie der Beispielerzählung. b) Eine Erzählung, in der bestimmte Figuren für konkrete, fremde Personen in der Wirklichkeit des Rezipienten stehen, soll alterapplikative Erzählung genannt werden. c) Eine Erzählung, die abstrakt angewendet werden soll, ist eine symbolische Erzählung. Je nachdem, ob sich die Abstraktion auf das Setting, Ereignisse oder Figuren bezieht, kann man von raumsymbolischer, zeitsymbolischer, geschichtssymbolischer oder figurensymbolischer Erzählung sprechen. 2) Einteilung von Erzählungen nach der Explizität der Nennung von Bezugsgröße und Vergleichspunkten: – Eine Erzählung mit indirekter Anwendung, die die Bezugsgröße explizit nennt, heißt offen doppelsinnige Erzählung; ist sie es nicht, ist es eine verdeckt doppelsinnige Erzählung. – Eine Erzählung, bei der alle tertia comparationis explizit benannt und von Nicht-Vergleichspunkten unterschieden sind, heißt klare doppelsinnige Erzählung, ansonsten unklare doppelsinnige Erzählung. Bei genauerer Betrachtung müsste man hier eigentlich eine Skala formulieren. 3) Einteilung von Erzählungen nach dem Ausmaß der Applikation: – Wenn der (direkte und indirekte) intendierte Bezug auf die Wirklichkeit des Rezipienten verglichen mit der Länge der Erzählung sehr intensiv und dicht ist, soll eine Geschichte stark applikative Erzählung genannt werden (z.B. eine Fabel); im anderen Fall ist es eine schwach applikative Erzählung (z.B. eine nüchterne Geschichtsdarstellung). Auch hier müsste – analog zur „Emotionalität“ – noch genauer untersucht werden, wie man ein Maß für die Applikativität 828 einer Erzählung finden könnte. Dass es hier Unterschiede gibt, kann sicher nicht bestritten werden. Mit diesen analytischen Termini nicht zu verwechseln sind synthetische (Gattungs-)Kategorien, die anhand mehrerer analytischer Eigenschaftska827 Klassischerweise (nach Jülicher) gelten nur die vier Abschnitte Lk 10,30–35; 12,16–21; 16,19–31; 18,10–14 als Beispielerzählung, wo sich die Gesprächspartner Jesu jeweils mit einer Figur im Gleichnis identifizieren sollen; s. auch T UCKER, Example Stories. Kritisch dazu H ARNISCH, Gleichniserzählungen, 84–97; Z IMMERMANN, Parabeln, 391–395 (Lit.). Nach der hier genannten Definition ist aber z.B. auch die Verleugnung des Petrus (Mt 26,69–75) ein Exempel, weil den Rezipienten dort demonstriert wird, wie man sich nicht verhalten sollte. 828 „Applikativität“ bezeichnet hier die Dichte und Intensität applikativer Elemente in einer Erzählung. Dieser Begriff muss von „Applikabilität“ unterschieden werden, womit eher die Frage gemeint ist, ob eine Erzählung einen direkten oder indirekten Bezug zum intendierten Rezipienten aufweist („ja“/„nein“).
224
2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
tegorien beschrieben und als historische Größen induktiv ermittelt werden. Bei solchen Gattungen gibt es manchmal konstitutive Merkmale, manchmal nur „Familienähnlichkeiten“. Aber es erscheint durchaus sinnvoll, in einer bestimmten Epoche oder einem Korpus häufig vorkommende, ähnliche Applikationskonzeptionen zu Gruppen zusammenzufassen. Die Gattungsdiskussion in der Gleichnisforschung müsste diese Unterscheidungen stärker berücksichtigen. 2.7.7 Intendierte Meinungs- und Verhaltensänderungen In Kap. 2.6.5 (Erzählerstandpunkt) und 2.7.6 (intendierte Anwendungen) wurden die Bereiche ermittelt, in denen Meinungs- oder Verhaltensänderungen beim Rezipienten geschehen sollen. Allerdings kann auch genauer analysiert werden, wie stark diese langfristige Wirkung jeweils ist bzw. sein soll und welche erzähltechnischen Mittel zur Meinungsänderung eingesetzt werden. Dass Erzählungen zum Guten oder Schlechten auf die Rezipienten einwirken können, ist seit jeher unbestritten. Schon Platon meinte, dass man Erzählungen, in denen Ungerechte glücklich und Gerechte unglücklich seien, verbieten müsse, weil er einen negativen Einfluss auf das gesellschaftliche Zusammenleben befürchtete. 829 Als im 18. Jh. die Romane aufkamen, wurde ihre moralische Qualität angezweifelt; heute befürchtet man negative Auswirkungen durchs Fernsehen oder durch Computerspiele.830 Auch im 21. Jh. unterliegen manche Medienprodukte dem Jugendschutzgesetz oder kommen auf den Index. 831 Weil biblische Geschichten besonders wirkungsmächtig waren und sind, ist es gerade hier angebracht, den durch biblische Erzählungen hervorgerufenen Meinungswandel systematisch zu untersuchen – in theoretischer Prognose und empirischer Praxis. Leider liegen noch viel zu wenige Studien dazu vor. 832 Auch in der 829
Plat. rep. 392a–b; vgl. dazu A PPEL, Realität durch Fiktionen, 9. Vgl. aktuell z.B. J ÜRGS, Seichtgebiete; K ISSLER, Dummgeglotzt. 831 „In der Spruchpraxis der Bundesprüfstelle werden vor allem Medienprodukte aufgrund von Gewaltdarstellungen, der Verherrlichung der NS-Ideologie, der Anstiftung zum Rassenhass und der Darstellung ‚sexualethisch desorientierender‘ Inhalte beanstandet. Computerspiele werden etwa dann indiziert, wenn Verletzungs- und Tötungsvorgänge zusätzlich zynisch oder vermeintlich komisch kommentiert werden …“ (A PPEL, Realität durch Fiktionen, 24). 832 Dass biblische Texte eine solche „pragmatische“ Dimension besitzen, wurde in der Exegese bereits vielfach festgestellt (z.B. L EINER, Psychologie und Exegese, 306f.; ERLEMANN, Gleichnisauslegung, 145–150.211f. oder T HOMASSET, Personnages Bibliques, bes. 84–93, von Ricœur herkommend). In der Literaturwissenschaft gibt es im Zusammenhang mit der Perspektivenstruktur (2.6.5) das Stichwort der Perspektivenübernahme. Allerdings wurden bisher weder in der Exegese noch in der Literaturwissenschaft (s. nächste Anm.) ausreichend differenzierte Analysekategorien entwickelt. 830
2.7 Rezeptionsanalyse
225
neuesten, postklassischen Narratologie ist man nach der Zeit des Strukturalismus gerade erst wieder beim „Dass“ des „ethischen“ Aspekts von Literatur angekommen833 (ethical turn834; vgl. 2.1.3.2 zum cultural turn). Wichtig ist jedoch, genauer zu klären, wie ein solcher Meinungswandel geschieht, um die vom Autor intendierte Einstellungs- und Überzeugungsänderung methodisch rekonstruieren zu können. Mögliche Kategorien zur Beschreibung des Meinungswandels aufgrund von Erzählungen liefern Untersuchungen aus der Sozialpsychologie, der Persuasionsforschung, der Medienwirkungsforschung 835 und der Medienpsychologie836. Die neuere medienwissenschaftliche Studie von Markus Appel, „Realität durch Fiktionen“ (2005), wendet einige dieser Erkenntnisse auf die Wirkung fiktionaler Erzählungen an;837 sie wird daher im Folgenden häufiger zitiert. 833 Ein wichtiger Vorläufer war B OOTH, Rhetoric, 377–398 (z.B. 379: „works in which this effect [d.h. inside views (that) build sympathy even for the most vicious character] is used have often led to moral confusion“; R ICHTER, Keeping Company, 140 berichtet, Booth sei für dieses Kapitel oft kritisiert worden); weiter ausgeführt in B OOTH, Company, der für manche Erzählungen eine „ethische Kritik“ (ethical criticism) fordert. Vgl. zur Diskussion um Booths Thesen B OOTH, Banning Ethical Criticism; P OSNER, Against Ethical Criticism; R ICHTER, Keeping Company; H ALE, Fiction as Restriction; SHAW, Making Readers; A NTOR, Art. Ethical criticism (Lit.). Dieser Ansatz vermischt Aspekte der narrativen Gestaltung, des Erzählerstandpunkts, der intendierten und tatsächlichen Rezeptionswirkung und der Bewertung der Erzählung. S. außerdem die neueren Veröffentlichungen von D AVIS/WOMACK (Hgg.), Mapping the Ethical Turn; K OTTE, Ethical Dimensions; P HELAN, Living to Tell; PHELAN, Rhetoric/ethics; ERLL/GRABES/ NÜNNING (Hgg.), Ethics in Culture, die sich auf dieses Gebiet vortasten. Leider fehlt immer noch eine genauere methodische Klärung. Dem entspricht das (philosophische) Forschungsfeld der „narrativen Ethik“, vgl. N EWTON, Narrative Ethics; M IETH (Hg.), Erzählen und Moral; J OISTEN (Hg.), Narrative Ethik; R ICHTER, Das narrative Urteil; HOFHEINZ/MATHWIG/ZEINDLER (Hgg.), Ethik und Erzählung; Ö HLSCHLÄGER (Hg.), Narration und Ethik; s. auch R ATH (Hg.), Medienethik. Die pädagogische Diskussion ist teilweise konkreter: L ADENTHIN, Erziehung durch Literatur?; C ONRAD, Moralerziehung (zu Ch. Taylor); L IND, Moral ist lehrbar (Arbeitshilfe für Lehrer, enthält Dilemmageschichten nach L. Kohlberg). K ANZOG, Erzählstrategie, 120–193 untersucht u.a. am Beispiel von Kindersendungen im Rundfunk, wie Kindern Werte und Normen durch Geschichten vermittelt werden. 834 MÜLLER, Ethical Narratology, 117; KORTHALS A LTES, Art. Ethical Turn. 835 Vgl. KUNCZIK/Z IPFEL, Publizistik, 294–308 (zur Persuasionsforschung); ausführlich SCHENK, Medienwirkungsforschung; B ONFADELLI , Medienwirkungsforschung I. 836 Vgl. z.B. WINTERHOFF-SPURK, Medienpsychologie; BENTE/MANGOLD/VORDERER, Lehrbuch; S IX/G LEICH/GIMMLER (Hgg.), Kommunikationspsychologie; B ATINIC/A PPEL (Hgg.), Medienpsychologie; K RÄMER/SCHWAN u.a. (Hgg.), Medienpsychologie. 837 Vgl. andere erste Übertragungen der Persuasionsforschung auf Literatur bei GREEN/STRANGE/BROCK, Narrative Impact; G REEN/GARST/BROCK, Power of Fiction; GERRIG/R APP, Psychological Processes; E ISENHUT, Überzeugen. Auch für die Medienwissenschaft konstatiert A PPEL, Realität durch Fiktionen, 10 eine disparate Forschungslage und dass nur wenige empirische Studien vorliegen würden. Intensiver wurde bislang
226
2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
Ich möchte die Darstellung in sechs Abschnitte gliedern: 1) Komponenten der Rezeptionswirkung 2) Die für Erzählungen relevanten Vor-Einstellungen und Vor-Überzeugungen sowie ihre Messung bzw. Rekonstruktion 3) Faktoren der Meinungsbeeinflussung (intendiert und nicht intendiert) 4) Der Verlauf des Meinungswandels (intendiert und nicht intendiert) 5) Indirekte Wirkungen des Meinungswandels (hier: Verhalten) 6) Die Persuasionskonzeption
Während Abschnitt 1 die Grundkategorien der Analyse vorstellt, sind 2–5 methodische Hilfen zur Rekonstruktion des jeweiligen Einstellungswandels. Abschnitt 6 versucht, die Terminologien für die langfristige Erzählwirkung zu ordnen. 1) Komponenten der Rezeptionswirkung Um zu beschreiben, was äußere Stimuli bei einem Rezipienten bewirken, werden in der Sozialpsychologie und Medienwirkungsforschung die Begriffe „Einstellung“ und „Einstellungswandel“ verwendet. 838 Dabei wird die Einstellung meist in drei Komponenten aufgeteilt (Abb. 33):839
nur untersucht, inwiefern Medienrezeption das Aggressionsverhalten beeinflusst (vgl. GRIMM, Fernsehgewalt; K UNCZIK/Z IPFEL, Gewalt und Medien; O TTO, Aggressive Medien; SCHENK, Medienwirkungsforschung, 215–244; dies ließe sich auf gewalthaltige Darstellungen in biblischen Erzählungen übertragen, z.B. Ri 19; 2 Kön 9,30–37). 838 Ausführlich zu Einstellungsänderungen vgl. die Abschnitte in SozialpsychologieLehrbüchern: B OHNER, Einstellungen; H ERKNER, Sozialpsychologie, 179–273; F ISCHER/ WISWEDE, Sozialpsychologie, 219–284; G ÜTTLER, Sozialpsychologie; A RONSON/WIL SON/A KERT , Sozialpsychologie, 228–267; B IERHOFF/F REY (Hgg.), Sozialpsychologie, bes. 404–422. Es wäre m.E. lohnend, diese Forschungen hinsichtlich der Rezeption von Erzählungen näher auszuwerten. Vgl. in Ansätzen G ROEBEN/VORDERER, Leserpsychologie II, 245–253, die vor allem die Forschungsdesiderate benennen. 839 ROSENBERG/HOVLAND, Cognitive, Affective, and Behavioral Components, 3; hier nach THOMAS, Sozialpsychologie I, 135 (die intervenierenden Variablen dort gestrichelt umrahmt); vgl. S CHENK, Medienwirkungsforschung, 38. Diese sozialpsychologisch begründete Einteilung der Rezeptionswirkungen lässt sich auch aus der in Kap. 2.5.2 vorgestellten Anthropologie der Figuren ableiten. Die Identität des Rezipienten, seine Charakterzüge, äußeren Attribute, sein sozialer Kontext und seine Pflichten lassen sich durch das Erlebnis der Medienrezeption allerdings nicht unmittelbar beeinflussen. Übrig bleiben Meinungen, Gefühle und Verhaltensweisen, indirekt auch Wissen, Wünsche und Intentionen des Rezipienten. Eine Dreiteilung der Leserwirkung haben ebenfalls, aber ohne Begründung, M OORE, Literary Criticism, 98; M AYORDOMO MARÍN, Anfang, 165 (kognitiv, affektiv, pragmatisch).
227
2.7 Rezeptionsanalyse Messbare unabhängige Variablen
Reize (Personen, soziale Gruppen, Situationen, Handlungen u.a.)
Intervenierende Variablen
Einstellung
Messbare abhängige Variablen
Affekt
Reaktionen des autonomen Nervensystems. Verbale Äußerungen über Gefühle
Kognition
Wahrnehmungsurteile. Verbal geäußerte Meinungen
Verhalten
Offen zutage tretendes Verhalten. Auskünfte über eigenes Verhalten
Abb. 33: Drei-Komponenten-Modell der Einstellung
In einem anderen Modell wird der Aspekt „Kognition“ genauer differenziert und der Einstellungswandel in Veränderungen im emotionalen Bereich, Veränderungen im Wissen, Meinungsänderungen und Verhaltensänderungen unterteilt.840 Bei diesem sehr weiten Verständnis von „Einstellung“ umfasst die Einstellung des Rezipienten also auch den Bereich der Rezeptionsemotionen (2.7.5), ja schon die Wahrnehmung von Setting, Ereignissen und Figuren (2.3–2.5), und nicht nur die eigentlichen Meinungs- und Verhaltensreaktionen. Diese ersten beiden Aspekte möchte ich im Folgenden ausklammern, weil sie schon angesprochen wurden. Übrig bleiben als Wirkungen einer Erzählung die Meinungs- und Verhaltensänderung. Allerdings – und hier muss das Modell von Rosenberg/Hovland ebenfalls präzisiert werden – ist nur die Meinungsänderung eine unmittelbare Folge. Neue Verhaltensweisen sind ihrerseits das Resultat von Meinungsänderungen, wenn bestimmte Bedingungen vorliegen (s.u. Nr. 5). Weitere indirekte Auswirkungen auf die Charakterzüge des Rezipienten, seinen sozialen Kontext, sein Äußeres, seine Identität, Pflichten, Wünsche und Intentionen sind möglich und sollten bei einer detaillierten Analyse nicht vernachlässigt werden. Wie diese anderen Rezipientenmerkmale genau ineinander greifen, muss an dieser Stelle offen bleiben, weil die gegenseitigen Beeinflussungen vermutlich sehr komplex sind. Die Meinung des Rezipienten sollte für die Analyse weiter aufgeschlüsselt werden (vgl. dazu auch Kap. 2.6.5): Meinungen sind m.E. in einen axiologischen Standpunkt („gut“ – „böse“) und alethischen Standpunkt („wahr“ – „falsch“) zu unterteilen. Einen Menschen kann man als moralisch „gut“ ansehen, dagegen nicht als „wahr“; ein Sachverhalt kann als 840
Vgl. dazu das „Grundmodell der Wirkungsforschung“ (nach Hovland/Janis) bei SCHENK, Medienwirkungsforschung, 81 (vgl. insgesamt 77–138). Hier wird auch ein Grundraster dafür entworfen, wie bestimmte Kommunikationsstimuli und Prädispositionen beim Rezipienten zusammentreffen müssen.
228
2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
„wahr“ betrachtet werden, ohne dass man ihn axiologisch bewertet. Es gibt also zwei Arten von Meinungen. Den axiologischen Standpunkt nenne ich „Einstellungen“ (im engeren Sinn), den alethischen Standpunkt „Überzeugungen“. In der psychologischen Literatur wird eher nicht in dieser Weise differenziert.841 Die Änderung von Einstellungen (im engeren Sinn) und Überzeugungen kann sich auf folgende Arten von Objekten beziehen: a) Wie in Kap. 2.6.5 beschrieben, kann man bei Einstellungen („gut“ – „böse“) einerseits Einstellungen zu Entitäten, andererseits Einstellungen zu Merkmalen unterscheiden. Ich möchte außerdem Entitäten in der Erzählung und Entitäten außerhalb der Erzählung differenzieren. So ergibt sich eine dreifache Untergliederung: – Einstellungen zu Entitäten der Erzählung (Setting, Figuren, allgemeine Sachverhalte): In diese Kategorie gehört also beispielsweise die Frage, wie der Rezipient die beiden Frauen in Mt 28,1–10 bewertet, die zum Grab kommen und den Engel und den Auferstandenen sehen. Ebenso kann man an dieser Stelle untersuchen, wie der intendierte Rezipient die elf Jünger in der Erzählung vorher und nachher beurteilt. Für den Rezipienten selbst haben solche Einstellungen nur mittelbare Relevanz (vgl. 2.7.6). – Einstellungen zu erzählexternen Entitäten: Solche Einstellungen sind diejenigen des Rezipienten zu sich selbst („Selbstwertgefühl“), zu konkreten anderen Menschen, zum Erzähler sowie zur Erzählung. Ein Beispiel: Wenn der intendierte Rezipient, der sich mit den Jüngern identifiziert, wahrnimmt, wie Jesus mit den geflohenen und zweifelnden Jüngern umgeht (Mt 28,18–20), fühlt er sich auch selbst aufgewertet und durch die Beistandszusage Jesu gestärkt. – Einstellungen zu Merkmalen: Hiermit ist die Bewertung einer Eigenschaft (z.B. einer Überzeugung), eines Gefühls, eines Erlebens oder einer Verhaltensweise gemeint, unabhängig von einem bestimmten Einzelfall. Durch die von Jesus aufgestellte Norm in Mt 28,19 wird z.B. die Heidenmission als richtig qualifiziert. Hierher gehört auch die Frage, wie der intendierte Rezipient allgemein zu Frauen eingestellt ist (d.h. zur Eigenschaft „Frau sein“) und ob Jesu Umgang mit den Frauen in Mt 28,10 auch seine Einstellung zu Frauen insgesamt oder zu Frauen, die in der Kirche Dienst tun, verändern kann/soll. – Ein großer Teil der „pragmatischen“ Wirkung einer Erzählung geschieht mittels Einstellungsänderungen zu erzählexternen Entitäten und zu Merkmalen.
841
Zum unklaren Verhältnis von Einstellung und Meinung vgl. auch S CHENK, Medienwirkungsforschung, 36f. Bei A PPEL, Realität durch Fiktionen, werden Überzeugungen, also „Wissensbestände …, die eine Person für zutreffend hält“ (48), mit dem kognitiven Aspekt von Einstellungen gleichgesetzt (51f.).
2.7 Rezeptionsanalyse
229
b) Überzeugungen beziehen sich immer auf das Vorhandensein eines Sachverhalts, d.h. ob eine Entität ein Merkmal aufweist oder nicht. 842 In dem Satz: „Vor dem Grab lag ein großer Stein“ ist der Stein ein Teil des Settings mit den Merkmalen „groß“ und „vor dem Grab liegend“. Bei der Aussage „einige Juden zur Zeit des Rezipienten glauben an einen Leichendiebstahl durch die Jünger“ wird mit „einige … Rezipienten“ die Entität benannt und „glauben … Jünger“ ist das Figurenmerkmal (hier wiederum eine Meinung). Auch hier ist es sinnvoll, wenigstens zwei Arten von Überzeugungen zu unterscheiden: Überzeugungen über Merkmale erzählinterner Entitäten und solche über Merkmale erzählexterner Entitäten. Erzählintern sind Überzeugungen über das Setting, über Figuren und über andere genannte Sachverhalte; erzählextern sind Überzeugungen des Rezipienten über sich selbst (Selbstbild), über andere Menschen, über allgemeine Sachverhalte, über den Erzähler und über die Erzählung. Nur letztere sind für den Rezipienten wirklich langfristig relevant. Natürlich kann es zwischen beiden Arten Überschneidungen geben (2.7.6). 2) Die für Erzählungen relevanten Vor-Einstellungen und Vor-Überzeugungen sowie ihre Messung bzw. Rekonstruktion Zunächst sollten die vom Autor beim Rezipienten vorausgesetzten Einstellungen, Überzeugungen und anderen Merkmale, die für die Rezeption der Erzählung relevant sind, nach Kategorien geordnet aufgelistet werden. Wichtig ist: Es geht nicht um die Meinungen des Autors selbst (vgl. 2.6.5 bezogen auf den primären Erzähler), sondern um die Meinungen und ggf. auch Verhaltensweisen, die der Autor bei seinem intendierten Rezipienten vermutet.843 Zur Erstellung dieser Liste kann man vom Erzählerstandpunkt ausgehen und überlegen, ob die jeweilige Meinung mit dem Rezipienten geteilt wird, ob der Rezipient zu dieser Meinung bewegt werden soll oder ob ein Meinungsunterschied keine Rolle spielt. Will der Autor den Rezipienten also in einer Meinung bestärken oder ihn davon abbringen, ihn zu einem Verhalten auffordern oder ihn davor warnen? Ein Hinweis darauf, dass der vom Autor imaginierte Rezipient eine andere Meinung besitzt, ist vor 842
Vgl. zur Begründung und Vertiefung die Prädikatenlogik, z.B. R UPPEN, Formale Logik, 155–226 (dort Unterteilung in „Name“ und „Prädikat“). 843 Vgl. zu den vorherigen Dispositionen des Rezipienten S CHENK, Medienwirkungsforschung, 138–181 („Konsistenztheoretische Ansätze des Einstellungswandels“). E RLEMANN, Gleichnisauslegung, 173 spricht vorausgesetzte Grundüberzeugungen des intendierten Rezipienten an, lehnt eine genaue Beschäftigung damit aber seltsamerweise ab: „Nach der mk. Parabeltheorie ist gerade die existenzielle Bereitschaft zur Nachfolge die Voraussetzung dafür, die Gleichnisse zu verstehen. Dieser Aspekt kann freilich nicht Gegenstand historischer Analyse sein.“ M.E. muss er Gegenstand historischer Analyse sein, wenn man den vom Autor intendierten Rezipienten umfassend beschreiben will.
230
2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
allem die Intensität der Darstellung und die Außergewöhnlichkeit eines Standpunkts, z.B. wenn besondere Standpunkte durch mehrfache Wiederholung, unterschiedliche Perspektiven von Figuren, die Endposition einer Meinung in der Erzählung oder die Explizität eines Kommentars betont werden. Im konkreten Fall kann es jedoch schwierig sein, diese vorausgesetzten Meinungen und Verhaltensweisen zu rekonstruieren: Soll z.B. die „mt Gemeinde“ (= der intendierte Rezipient) erst noch zur Völkermission aufgefordert werden oder dient Mt 28,16–20 zur Legitimierung der bisherigen Praxis? Solche Fragen können oft nur durch erzählexternes Weltwissen beantwortet werden; erzähltechnische Mittel sind jedoch Indizien in die eine oder andere Richtung. Wenn genug erzählinterne oder erzählexterne Informationen über den intendierten Rezipienten vorhanden sind, könnte man auch versuchen, die Intensität einer Meinung genauer zu rekonstruieren, z.B. zur Identität Jesu oder zum Ereignis der Auferstehung. Um Faktoren für eine „feste Meinung“ – man kann auch sagen: einen „festen Glauben“ – zu benennen, bietet sich als methodisches Konzept die Einstellungsstärke an.844 Eine Einstellung besitzt genau dann eine hohe Einstellungsstärke, wenn sie dauerhaft („durability“) und einflussreich („impactfulness“) ist, d.h. sich als unveränderlich und resistent erweist und zudem Wahrnehmungen und Verhalten beeinflusst. 845 Diese Einstellungsstärke besteht aus folgenden Einstellungsdimensionen, anhand deren sie gemessen werden kann: 846 – 1) Extremität: Entfernung vom Nullpunkt der Likert-Skala (bei Fragebögen); kann positiv oder negativ sein; – 2) Wichtigkeit: Ausmaß der Beschäftigung mit dem Einstellungsobjekt; – 3) Relevanz: Einschätzung, wie große Konsequenzen ein Einstellungsobjekt für das eigene Leben hat („ego-involvement“); 847 – 4) Zugänglichkeit: Leichtigkeit der Bewertung (erkennbar an der Zeit, die zwischen der Präsentation eines Einstellungsobjekts und dessen Bewertung vergeht); – 5) Wissen: Ausmaß des Wissens über ein Einstellungsobjekt;
844
Zur Einstellungsstärke (attitude strength) bzw. Überzeugungsstärke vgl. A PPEL , Realität durch Fiktionen, 53–61. 845 APPEL, Realität durch Fiktionen, 54. 846 APPEL, Realität durch Fiktionen, 58f.: „Alle in Wegener et al. (1995) aufgeführten Merkmale starker Einstellungen haben sich in der Vergangenheit als Prädiktoren für die Stabilität oder den Einfluss von Einstellungen empirisch bewährt“. Appel bezieht sich auf WEGENER/DOWNING u.a., Measures. Das weitere Merkmal „Elaboration“ wurde oben weggelassen, weil es m.E. Wichtigkeit, Relevanz und Wissen vereint. 847 Das „ego-involvement“ bedeutet, dass eine Person das Einstellungsobjekt mit ihrer Identität verknüpft. „Versuche, diese wichtigen Einstellungen zu ändern, führen zu Anspannung und negativen Affekten, da gleichzeitig die eigene Identität in Gefahr scheint“ (APPEL, Realität durch Fiktionen, 54). Daher wird z.B. Gotteslästerung von Christen als unangebracht empfunden und auch Glaubenszweifel betreffen den ganzen Menschen.
2.7 Rezeptionsanalyse
231
– 6) strukturelle Übereinstimmung: Übereinstimmung mit anderen Einstellungen und Konsistenz der Komponenten innerhalb der Einstellung („embeddedness“); 848 – 7) Ambivalenz: Ausmaß, wie sehr verschiedene positive und negative Aussagen bezogen auf das Einstellungsobjekt divergieren; – 8) Gewissheit: Ausmaß, wie sicher eine Person sich ihrer Einstellung ist.
Bis auf Extremität und Zugänglichkeit der Einstellung können alle Punkte bei einer empirischen Untersuchung durch je eine Skala auf einem Fragebogen abgefragt werden. Wie sich herausstellte, haben die Gewissheit und die Zugänglichkeit den größten Einfluss auf die Einstellungsstärke. 849 Diese genauen Modelle könnten vor allem für die „empirische Exegese“ fruchtbar gemacht werden. Bei der historischen Rekonstruktion von Einstellungsstärken kann man wohl insbesondere die strukturelle Übereinstimmung, die Wichtigkeit, die Relevanz oder auch die persönliche Gewissheit (vgl. Röm 8,38: „Denn ich bin gewiss …“) einer Meinung untersuchen. Der Aspekt der Wichtigkeit hängt neben persönlichen Faktoren vom vorherigen Agenda-Setting ab,850 d.h. wie sehr der Rezipient vorher mit der Fragestellung konfrontiert worden ist. Inhaltlich normierend auf die Einstellung wirkt ja im allgemeinen die Gruppe, an der sich der Rezipient orientiert. In unserem Fall wird der intendierte Rezipient beispielsweise dem Ereignis der Auferstehung Christi in Mt 28, das in der „mt Gemeinde“ sicherlich wiederholter Inhalt von Kommunikationsprozessen war, größte Bedeutung beimessen. 3) Faktoren der Meinungsbeeinflussung (intendiert und nicht intendiert) Als nächstes muss gefragt werden, was den Meinungswandel des Rezipienten konkret beeinflussen kann und wie ein Autor speziell durch eine Erzählung dazu beiträgt. Zum Erwerb von Einstellungen und Überzeugungen gibt es viele unterschiedliche Teiltheorien, z.B. folgende: – klassische Konditionierung: Bestimmte Reize (in Erzählungen z.B. Verhaltensweisen von Figuren) werden verknüpft mit Situationen, in denen etwas Angenehmes oder Unangenehmes passiert. – operante Konditionierung: Bestimmte Merkmale des Lernenden (hier z.B. Reaktionen des Rezipienten) werden belohnt oder bestraft. 848
Wenn eine Einstellung in andere, gleichartige Überzeugungen und Werte eingebunden ist, könnte eine Einstellungsänderung in einem Punkt (zur Vermeidung kognitiver Dissonanz) eine Kettenreaktion auslösen. Das geschieht zwar manchmal, ist aber insgesamt weniger wahrscheinlich als bei relativ isolierten Einstellungen. Vgl. dazu A PPEL, Realität durch Fiktionen, 54f. 849 APPEL, Realität durch Fiktionen, 59. Zum Einfluss der Gewissheit auch S CHREIER, Belief Change, 327. 850 Vgl. zur verbreiteten Agenda-Setting-Theorie sowie zur Schweigespirale S CHENK, Medienwirkungsforschung, 433–577; B ONFADELLI , Medienwirkungsforschung I, 156– 161.237–248.
232
2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
– Modell-Lernen: Der Sender (hier auch: die Figuren der Erzählung) weist bestimmte Eigenschaften oder Verhaltensweisen auf, die der Rezipient durch das Lernen am Vorbild übernimmt. – Persuasion durch Kommunikation: Es werden durch Argumente Überzeugungen und Einstellungen weitergegeben.851
Für Kommunikationskontexte, bei denen der Sender nicht auf Reaktionen des Rezipienten reagieren kann, sind nur die klassische Konditionierung, das Modell-Lernen und die Persuasion relevant. Diese drei Wege greifen bei Erzählungen allerdings stark ineinander. Einstellungen zu Merkmalen (also Normen) werden beispielsweise gestärkt, indem sie von vertrauenswürdigen Figuren explizit formuliert werden (hier: klassische Konditionierung, Persuasion) oder indem sympathische Figuren bestimmte Eigenschaften oder Verhaltensweisen haben (Modell-Lernen). Nun kommt man mit diesen sehr unterschiedlichen Teiltheorien bezogen auf Erzählungen noch nicht sehr weit. Markus Appel hat nun in seiner Arbeit vorgeschlagen, die Einflussfaktoren in Anlehnung an das verbreitete Elaborations-Wahrscheinlichkeitsmodell der Einstellungsänderung (auch: Elaboration-Likelihood-Modell, ELM) von Petty/Cacioppo zu bestimmen, das von der Persuasionsforschung, also eher von argumentativen Texten herkommt, doch auch auf Erzählungen angewendet werden kann. 852 Nach dieser Theorie sind zwei Verarbeitungsmodi zu unterscheiden: a) die systematische Prüfung von Begründungen und b) eine unsystematische, eher unbewusste Beeinflussung des Rezipienten. Je geringer die Motivation und Fähigkeit zur systematischen Prüfung von Argumenten ist, desto eher wird der Rezipient durch die peripheren Hinweisreize gesteuert. 853 Ein 851 Vgl. die verschiedenen Modelle zu Einstellungsänderungen bei B OHNER, Einstellungen, 277–282; F ISCHER/WISWEDE, Sozialpsychologie, 235–237. 852 PETTY/CACIOPPO, Communication; hier nach A PPEL, Realität durch Fiktionen, 68– 74. Vgl. auch G ROEBEN/VORDERER, Leserpsychologie II, 324–332; HERKNER, Sozialpsychologie, 240–244; F ISCHER/WISWEDE, Sozialpsychologie, 321–325; B OHNER, Einstellungen, 282–291; B ONFADELLI, Medienwirkungsforschung I, 119–121; S CHENK, Medienwirkungsforschung, 259–272. Zu empirischen Befunden, welche Faktoren zur Überzeugungsänderung beitragen, auch G ROEBEN/VORDERER, Leserpsychologie II, 289–305 (Sender-, Empfänger-, Botschafts- und Situationsvariablen); D RINKMANN/GROEBEN, Metaanalysen; S UCKFÜLL, Rezeptionsmodalitäten, 98–103; A PPEL, Realität durch Fiktionen, 85–100; S CHREIER, Belief Change, 322–333 (Lit.). Das Verhältnis dieser Faktoren ist noch nicht abschließend geklärt. 853 Dieses Modell der Persuasionsforschung müsste mit Theorien aus anderen Bereichen, z.B. der pädagogischen Psychologie, abgeglichen werden. In ähnlicher Weise benennt beispielsweise A. Bandura einzelne Aufmerksamkeitsfaktoren, Behaltensfaktoren, Reproduktionsfaktoren und Motivationsfaktoren, die nach seiner Beobachtung sozial-kognitives Lernen positiv beeinflussen. S. B ANDURA, Lernen am Modell; B ANDURA, Sozial-kognitive Lerntheorie; zusammenfassend B ONFADELLI , Medienwirkungsforschung I, 128f.; vgl. insgesamt G ROEBEN/VORDERER, Leserpsychologie II, 254–272; B ONFADELLI , Medienwirkungsforschung, 127–130; W ELLHÖFER, Gruppendynamik, 115f.
2.7 Rezeptionsanalyse
233
Spezifikum der Kommunikationsgattung „Erzählung“ ist dabei, dass sie viele solcher peripherer Hinweisreize liefert, die Faktoren der unbewussten Beeinflussung also in der Regel den Schwerpunkt bilden. a) Eine systematische Prüfung der Argumente erfolgt, wenn die Motivation und die Fähigkeit dazu beim Rezipienten vorhanden ist: a) Motivation – Die Motivation, sich gedanklich mit der Botschaft auseinanderzusetzen, wird durch die angenommene persönliche Relevanz beeinflusst. Diese Annahme wird durch Vorverständnisse geprägt und kann sich bei der Rezeption verändern. Eine Botschaft hat persönliche Relevanz, wenn sie entweder den Rezipienten selbst, allgemeine Wertvorstellungen oder eine soziale Referenzgruppe des Rezipienten betrifft. – Die persönliche Motivation wird auch dadurch beeinflusst, dass die Gesellschaft ein Thema (zeitweise) für wichtig hält (Agenda-Setting durch die Medien). – Außerdem wird die Motivation zur systematischen Verarbeitung dadurch erhöht, dass mehr als eine Quelle angegeben ist, Fragen genannt und erwartungskonträre Elemente geschildert werden. – Zur persönlichen Motivation trägt schließlich auch eine individuelle, eher übergreifende Persönlichkeitsvariable bei, das „Bedürfnis nach Kognition“ (Need for Cognition, NfC), d.h. die „Tendenz …, in Situationen, die kognitive Anstrengung erfordern, Engagement zu entwickeln und Freude zu verspüren“. Menschen mit hohem NfC wägen demnach unter gleichen Bedingungen die Argumente stärker ab als andere.854 b) Fähigkeit – Die Fähigkeit des Rezipienten, den Kommunikationsinhalt systematisch zu verarbeiten, beeinflussen mehrere Faktoren: die Abwesenheit von Nebentätigkeiten, eine äußerliche Klarheit der Botschaft und gegebenenfalls das mehrfache Wiederholen der Nachricht. Letzteres ist in Printmedien (wie z.B. einem Bibeltext) besonders gut möglich. Außerdem spielt die persönliche Medienkompetenz 855 eine Rolle.
Angewendet auf das MtEv bedeutet dies, dass man rekonstruieren müsste, bei welchen Themen der intendierte Rezipient wahrscheinlich hohe Motivation verspürt, sich damit zu beschäftigen. In Mt 28 wird es besonders die Tatsächlichkeit der Auferstehung Jesu sein, die den Rezipienten argumentativ bewegt und die Mt mit verschiedenen Strategien unterstreicht. Den persönlichen Anteil (NfC) kann man vernachlässigen, wenn es sich nicht um eine empirische Studie zur Bibelrezeption handelt.
854
APPEL, Realität durch Fiktionen, 70f. Vgl. APPEL, Realität durch Fiktionen, bes. 201. Zur Medienkompetenz gehören die Teilkompetenzen Medialitätsbewusstsein, Anwendung medienspezifischer Rezeptionsmuster, medienbezogene Genussfähigkeit, medienbezogene Kritikfähigkeit, bewusste Selektion/Kombination von Mediennutzung, produktive Partizipationsmuster und gelingende Anschlusskommunikation (A PPEL, Realität durch Fiktionen, bes. 190–195). 855
234
2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
b) „periphere Hinweisreize“, d.h. „alle Indikatoren, die sich nicht auf die Qualität der Argumente beziehen“: 856 – Expertentum/Glaubwürdigkeit/Autorität des Senders: Das angenommene „Expertentum des Kommunikators“ bzw. allgemein seine Glaubwürdigkeit und Autorität ist ein Faktor, der die Überzeugungskraft positiv beeinflusst. 857 Daher werden in der Werbung gerne bekannte Persönlichkeiten als Werbeträger genommen. Im kirchlichen Kontext liegt eine ähnliche Persuasionsverstärkung vor, wenn Rezipienten von der Autorität der Bibel überzeugt sind. 858 – Freundlichkeit des Senders: Auch die wahrgenommene „Liebenswürdigkeit oder die Ähnlichkeit des Kommunikators mit der eigenen Person“ trägt zum Einstellungswandel bei.859 In der Literaturwissenschaft wurde schon in ähnlicher Weise die Empathie 860 oder die Sympathie861 zu einer Figur als notwendige Bedingung für die Perspektivenübernahme ausgemacht. – Ausführlichkeit der Darstellung: Die Textlänge und die bloße Anzahl der Argumente erhöhen ebenfalls die Überzeugungskraft. 862 Je häufiger z.B. ein Stereotyp dargestellt wird, desto eher dringt es in der Regel ein. – Die ästhetische Schönheit des Dargestellten, z.B. gute Formulierungen, beeinflusst die Überzeugungskraft positiv. 863 – Situativer Stress bei der Kommunikation intensiviert die Überzeugungswirkung, solange der Stress nicht zu groß wird. – Ablenkungen fördern ebenfalls die Überzeugungswirkung. Sie müssen allerdings die zu vermittelnde Botschaft unterstützen und dürfen nicht zu stark werden. 856
Vgl. APPEL, Realität durch Fiktionen, 72. Vgl. auch HERKNER, Sozialpsychologie, 230f. (als glaubwürdig eingeschätzte ‚Sender‘ beeinflussen Versuchspersonen stärker). 858 Vgl. allgemein zum Thema W EGMANN, Art. Autorität, literarische. 859 APPEL, Realität durch Fiktionen, 68. 860 „Die Distanz des Lesers zu den Figuren ist nach Ansicht Booths entscheidend dafür, ob und in welchem Maße die von den Figuren in einem Erzähltext verkörperten Normen und Wertvorstellungen dem Leser mit Erfolg suggeriert werden. Für Booth sind die entscheidenden erzähltechnischen Faktoren, die die ästhetische Distanz regulieren, Umfang und Tiefe der ‚inside views‘.“ (K OCH, Literarische Menschendarstellung, 177; differenziert B OOTH, Rhetoric, 243–266). A PPEL, Realität durch Fiktionen, 126 (vgl. 132) macht in ähnlicher Weise ein „emotional involviertes Rezeptionserleben“ als wichtigen Faktor aus, wobei er auf den Realitätseffekt („Transportation“) und die Spannung der Erzählung hinweist, jedoch die Empathie zu Figuren nicht eigens berücksichtigt. S CHREIER, Belief Change, fasst den aktuellen empirischen Forschungsstand zusammen und stellt zum Abschluss ebenfalls fest, dass die „transportation“ (R.J. Gerrig) stark zum Einstellungswandel beiträgt (bes. 333). In den bisherigen empirischen rezeptionspsychologischen Studien wird noch nicht genauer – wie in der vorliegenden Arbeit – zwischen Empathie, Sympathie/Antipathie, Realitätseffekt, Spannung, Rezeptionsemotionen und Applikativität (2.7.1–2.7.6) differenziert. 861 SCHNEIDER, Grundriß, 116–121 (Sympathie als Bedingung der „Perspektivenübernahme“). 862 Vgl. auch APPEL, Realität durch Fiktionen, 41: „… Im Hinblick auf die Medienrezeption bedeutet dies, dass eine möglichst tiefe und reichhaltige Repräsentation zu einem längerfristigen Behalten führt“. 863 Eigene Ergänzung. 857
2.7 Rezeptionsanalyse
235
– Das Modell-Lernen ist möglicherweise eher erfolgreich, wenn der Rezipient die Figuren und ihr Verhalten für real (d.h. historisch) hält; aber es ist auch bei fiktiven Figuren möglich. – Die Höhe der persönlichen Applikativität (das Involvement; s. 2.7.6.3) ist ebenfalls ein wichtiger Faktor, jedoch nicht der einzige. Daher korreliert das Involvement nicht linear mit Überzeugungsänderungen. 864
Auch wenn bei den intendierten Rezipienten der biblischen Erzählungen die Motivation und Fähigkeit zur systematischen Verarbeitung nicht unterschätzt werden sollte, kann man bei der Frage danach, wie stark eine bestimmte Einstellung beeinflusst werden soll, vornehmlich auf die peripheren Hinweisreize achten. Wahrscheinlich ist der Einstellungswandel durch Erzählungen noch weitaus komplexer, weil dem Erzähler verschiedenste erzähltechnische Mittel zur Verfügung stehen. Eine genaue Erörterung würde den Rahmen dieses Teilkapitels sprengen und ist auch deswegen nicht möglich, weil differenziertere empirische Untersuchungen zum Meinungswandel durch Erzählungen, die die narratologische Theoriebildung berücksichtigen, einfach noch fehlen. 4) Der Verlauf des Meinungswandels (intendiert und nicht intendiert) Untersuchungen bezogen auf das ELM haben gezeigt, dass Einstellungen und Überzeugungen, die auf dem systematischen Weg gewonnen wurden, langfristiger und stabiler sind als bei peripherer Persuasion. Elaborierte Einstellungen werden eher in die übrigen Überzeugungen eingepasst; das Nachdenken fördert ihre Salienz (Verfügbarkeit), so dass sie im konkreten Fall leichter aktiviert werden; außerdem steigert es ihre Gewissheit. 865 Die Meinungsänderung kann sich nach der Rezeption der Erzählung über die Zeit hinweg nicht nur abschwächen, sondern auch verstärken oder umkehren. Dazu tragen verschiedene (oft persönliche) Faktoren bei. Sehr bekannt ist hier besonders der sogenannte Sleeper-Effekt.866 Während die Einstellungsänderung bei sehr positiv bewerteten Sendern im Laufe der Zeit zurückgeht (forgetting-effect), nimmt die Einstellungsänderung bei neutralen oder negativen Sendern in manchen Fällen mit der Zeit eher zu. Wahrscheinlich liegt es daran, dass Inhalt und Quelle in der Erinnerung dissoziiert werden. Für die Bestimmung der Intention des Autors können jedoch nur diejenigen Standard-Effekte angenommen werden, die er auch (unbewusst) kennt. Biblische Autoren haben diesen Effekt sicher noch nicht einkalkuliert. 864
Vgl. dazu SUCKFÜLL, Rezeptionsmodalitäten, 98–103 („Involvement als Elaborati-
on“).
865
APPEL, Realität durch Fiktionen, 73f. (vgl. die Faktoren der Einstellungsstärke). Zum Sleeper-Effekt vgl. HERKNER, Sozialpsychologie, 231–234; A PPEL, Realität durch Fiktionen, 78–85; SCHENK, Medienwirkungsforschung, 104–109; SCHREIER, Belief Change, 326.332. 866
236
2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
Der Rezipient hat, wie unter Punkt 1) erwähnt, auch eine bestimmte Einstellung gegenüber dem Produzenten und gegenüber der Erzählung, nicht nur gegenüber den Figuren. Eine langfristige Wirkung kann also sein, dass er der Erzählung später mit Wertschätzung begegnet (also z.B. eine Geschichte seine Lieblingsgeschichte wird oder er die Bibel schätzen lernt – oder umgekehrte Reaktionen). 867 So entsteht (als ein Faktor neben anderen) ein persönlicher oder gruppenbezogener literarischer Kanon mit „Lieblingsgeschichten“. 868 Eine positive Einstellung ergibt sich, wenn der Rezipient Gratifikationen erlebt. 869 Dieser Aspekt ist bei historischen Untersuchungen zur biblischen Kanonbildung vielleicht noch zu sehr vernachlässigt worden. Die langfristige Nutzung eines bestimmten Medienangebotes, z.B. des Hörens/Lesens biblischer Texte, führt außerdem zu einem Kultivierungsdifferenzial, weil andere Menschen nicht in derselben Weise geprägt werden wie die Rezipienten des Medienangebotes. 870 5) Indirekte Wirkungen des Meinungswandels (hier: Verhalten) Eine Veränderung in Überzeugungen und Einstellungen des Rezipienten kann sich auf verschiedenste Bereiche auswirken: auf seine Wünsche und Intentionen, auf seinen sozialen Kontext (er schließt sich einer anderen Gruppe an), auf seine wahrgenommene Pflichten, auf sein Äußeres, auf seine Identität und wahrscheinlich sogar in Ansätzen auf seinen Charakter.871 Doch der wichtigste Bereich indirekter Wirkungen von Erzählungen ist die Verhaltensänderung.872 Eine zunächst ernüchternde Beobachtung ist, dass Einstellungen und damit korrespondierende Verhaltensweisen nicht immer zusammenkom-
867
Vgl. OLIVER, Wertschätzung als Publikumsreaktion (am Beispiel des Films). Vgl. im Zusammenhang mit Kanonbildung S AUL/SCHMIDT (Hgg.), Literarische Wertung; s. auch VON HEYDEBRAND/WINKO, Wertung; WORTHMANN, Literarische Wertungen; GELFERT, Was ist gute Literatur?; W INKO, Art. Wertung, ästhetische/literarische. 869 Vgl. zum Uses-and-Gratifications-Ansatz B ONFADELLI , Medienwirkungsforschung I, 168–181; s. auch die Einführung von Kap. 2.7 zur Rezeptionsmotivation. 870 Diese Aspekte sind mit Blick aufs Fernsehen erforscht worden, lassen sich aber auch auf die Rezeption biblischer Texte anwenden. Vgl. zur Wissenskluft-Perspektive und zur Kultivierungsanalyse SCHENK, Medienwirkungsforschung, 578–647; B ONFADELLI , Medienwirkungsforschung I, 252–269; s. auch A PPEL, Realität durch Fiktionen, 135– 187. 871 Das haben auch MARGUERAT/BOURQUIN, Bible Stories, 148 im Blick, die jedoch sehr allgemein formulieren: „the text offers the readers a possibility of changing their personal plot: in a word, it offers them the possibility of becoming someone else.“ 872 S. ausführlich dazu HERKNER, Sozialpsychologie, 212–229; F ISCHER/WISWEDE, Sozialpsychologie, 260–270; B OHNER, Einstellungen, 300–313. 868
237
2.7 Rezeptionsanalyse
men. Man kann das eine glauben, aber sich doch ganz anders verhalten. 873 Ob der von Mt intendierte judenchristliche Rezipient also (nur) von der Richtigkeit der Heidenmission überzeugt ist oder ob dies sein Verhalten beeinflusst, sind zwei unterschiedliche Dinge. Um festzustellen, ob der intendierte Rezipient auch ein bestimmtes Verhalten an den Tag legen kann/soll (und nicht nur eine Einstellung geändert werden soll), müssen auch dessen Dispositionen im weitesten Sinn beachtet werden, also z.B. seine Charakterzüge, bereits vorhandene Pflichten und Bedürfnisse. An dieser Stelle könnte das alltagspsychologische Modell zur Figurenmotivation weiterhelfen, das für unsere Zwecke leicht abgewandelt wird (Abb. 34):874 Gründe
Kausalgeschichte
mentaler Zustand
Rezeption [subjektiv]
Intention
Einstellung/ Überzeugung [rational]
intentionales Verhalten
ermöglichende Faktoren
Abb. 34: Der Einfluss von Einstellungen auf das Verhalten
Neu ist an diesem Modell gegenüber 2.5.2.1 Nr. 12, dass die Bewertung des „mentalen Zustands“ durch Einstellungen/Überzeugungen, die aus der Erzählung gewonnen wurden, konkretisiert wird. Hier wird deutlich, dass die Rezeption a) durch Schaffung von Emotionen z.B. Motive aktualisiert und Motivationen schafft („mentaler Zustand“), dass sie b) direkt neue Einstellungen und Überzeugungen bewirkt (s.o.) und dass sie c) über eine neue Wahrnehmung des Rezipienten von sich selbst oder der Umwelt dessen „Könnenszuversicht“ 875 stärken kann („ermöglichende Faktoren“). Bei genauerem Hinsehen ist auch das eine noch relativ einfache kausale Kette; in Wirklichkeit wird die Entstehung von Verhalten viel komplexer sein. 873 Vgl. HERKNER, Sozialpsychologie, 211: „Es zeigte sich jedoch in zahlreichen Experimenten, daß der Zusammenhang zwischen Einstellungen und Verhalten nicht sehr eng ist.“ 874 Modifiziert nach J ANNIDIS, Figur, 190–192. Vgl. 2.5.2.1 Nr. 12 (Figurenintentionen) und die dort genannte Literatur. Der „mentale Zustand“ entspricht hier den persönlichen Wünschen/Motiven des Rezipienten bzw. der „subjektiven Norm“ in der theory of reasoned action von Fishbein/Ajzen (H ERKNER, Sozialpsychologie, 217); die „ermöglichenden Faktoren“ sind grob vergleichbar mit der „subjektiven Verhaltenskontrolle“ in der revidierten theory of planned behavior von Ajzen bzw. mit der Effizienzerwartung bei Bandura (HERKNER, Sozialpsychologie, 220f.). 875 Dieser Aspekt ist ein zentrales Anliegen von P LATZ, Beeinflussung, der an viktorianischen Romanen nachweist, dass der Eindruck des eigenen „Tunkönnens“ (die „Könnenszuversicht“) wichtig ist für das „Tunwollen“ (62f.82.107 und passim) und dass die Romane dieser Epoche beides im Blick haben.
238
2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
Doch für unsere Zwecke ist dieses Modell ausreichend, da ja nur die implizite Alltagstheorie des Erzählers nachempfunden werden muss. Ein Beispiel: Mt erzählt, dass der auferstandene Jesus den elf Jüngern den Auftrag zur Heidenmission gibt, und will, dass der intendierte Rezipient diesen Auftrag indirekt auf sich selbst anwendet. Der Rezipient ist also nun überzeugt von seiner Pflicht („ich soll das tun“). Was aber ist mit: – dem eigenen Wunsch („ich möchte das tun“); – der Einstellung zu diesem Verhalten („es ist gut, das zu tun“); – dem Überzeugtsein von seiner Fähigkeit („ich kann das tun“)? Tatsächlich sorgt Mt durch andere Elemente der Erzählung dafür, dass diese Bedingungen eintreten: – er motiviert den intendierten Rezipienten, indem der Auferstandene selbst den Auftrag gibt; – Mt führt dem Rezipienten mehrfach Heiden vor Augen, die sich an Jesus wenden und von Jesus für ihren Glauben gelobt werden (Mt 8,5–13; 15,21–28; vgl. 2,1–12); dadurch werden negative Einstellungen gegenüber den Heiden abgebaut; – der allmächtige Jesus, Herr über den Himmel und die ganze Erde, sichert den Jüngern (und dem Rezipienten) seinen Beistand bei der Erfüllung des Auftrags zu (28,18.20). Das ist ein Indiz dafür, dass auch Mt eine solche implizite „Alltagstheorie der Motivation“ besitzt. Umgekehrt kann man schließen, dass Mt diese Aufforderung äußerst wichtig ist. Denn er unternimmt alles ihm erzählerisch Mögliche, um dem Rezipienten den sehr konkret ausformulierten Auftrag zur Heidenmission attraktiv, plausibel und realistisch erscheinen zu lassen. 6) Die Persuasionskonzeption Wenn man die Intention eines Autors in der Exegese alltagssprachlich zusammenfasst, redet man beispielsweise davon, dass der Autor seine Adressaten mit der Erzählung „tröstet“, einen Zustand „legitimiert“ oder „erklärt“ oder die Adressaten vor Gegnern oder einem Verhalten „warnt“. Damit ist etwas angesprochen, was man Persuasionskonzeption nennen kann: Diese perlokutionären Verben beschreiben jeweils eine Klasse von Sprechakten, bei denen bestimmte Arten von Einstellungen des intendierten Rezipienten in einer bestimmten Weise beeinflusst werden (sollen). Für die Analyse ist es hilfreich, die logisch denkbaren Arten von Persuasionen zu kennen, um ihr Vorhandensein in der konkreten Erzählung zu überprüfen. Um die möglichen Einstellungs-, Überzeugungs- und Verhaltensänderungen zu klassifizieren, können die Art der Änderung und der Bereich der Änderung miteinander korreliert werden. Die Grundkategorien für die Änderungsbereiche wurden schon unter Nr. 1) vorgestellt: Einstellungen
2.7 Rezeptionsanalyse
239
zu erzählinternen Entitäten, zu erzählexternen Entitäten und zu Merkmalen; Überzeugungen über erzählinterne und erzählexterne Sachverhalte. Hinzu kommen Verhaltensweisen. Die Veränderungsarten könnte man in folgende sechs bzw. elf Bereiche unterteilen:876 1. Bekräftigung: Eine positive oder negative Einstellung, Überzeugung oder ein Verhalten wird bestätigt und dadurch „extremer“. a) Eine positive Einstellung, Überzeugung, Verhaltensweise wird noch positiver. b) Eine negative Einstellung, Überzeugung, Verhaltensweise wird noch negativer. 2. Abschwächung: Die vorher vorhandene positive oder negative Einstellung, Überzeugung oder das Verhalten wird geringer. a) Eine positive Einstellung, Überzeugung, Verhaltensweise wird geringer. b) Eine negative Einstellung, Überzeugung, Verhaltensweise wird geringer. 3. Neutralisierung: Die vorher vorhandene Einstellung, Überzeugung oder das Verhalten wird auf „Null“ gesetzt: a) vom Positiven ins Neutrale; b) vom Negativen ins Neutrale. 4. Umkehrung: Die vorher vorhandene Einstellung oder Überzeugung wird in ihr Gegenteil verändert. Ähnliches ist auch bei Verhaltensweisen denkbar: a) vom Positiven ins Negative; b) vom Negativen ins Positive. 5. Neubildung: Es war vorher keine dezidierte Einstellung, Überzeugung oder kein Verhalten vorhanden. Die Meinung oder Verhaltensweise entsteht erst später. a) Neubildung einer positiven Einstellung, Überzeugung, Verhaltensweise; b) Neubildung einer negativen Einstellung, Überzeugung, Verhaltensweise. 6. keine Wirkung: Die Einstellung, Überzeugung bzw. das Verhalten ändert sich nicht.
Eine positive Persuasion liegt vor bei 1a, 2b, 3b, 4b und 5a; eine negative Persuasion bei 1b, 2a, 3a, 4a und 5b. Unter negativem Verhalten könnte man das Gegenteil des erwünschten Verhaltens verstehen. Für die Korrelierung soll vereinfachend nur positive und negative Persuasion betrachtet werden. Auch in der Exegese, Homiletik und Literaturwissenschaft sind Klassifizierungen von Persuasionswirkungen bekannt. 877 876 Vgl. die Typologie potenzieller Rezeptionswirkungen in ihrer Wiedergabe bei SCHENK, Medienwirkungsforschung, 136 („keine Wirkung“, „Abschwächung“, „Umkehrung“, „Bekräftigung“, „Neubildung“); auch GROEBEN/VORDERER, Leserpsychologie II, 243f. gliedern Einstellungsveränderungen in Verstärkung, Schwächung, Neutralisierung und Umkehrung, die Einstellungsneubildung unterteilen sie in Konformität und Nonkonformität; vgl. SCHRAM, Norm, 12; BONFADELLI, Medienwirkungsforschung I, 101f. 877 So unterscheidet z.B. E NGEMANN, Homiletik, 277–280 (kreatorische,) konfirmierende und konfrontierende Funktionen von Bibeltexten. In Entsprechung dazu differenziert er zwischen „politischer“ und „seelsorgerlicher“ Predigt (382–397). Aus exegetischer Sicht vgl. BERGER, Exegese, 111–127 zu einigen Teilaspekten der konfirmierenden Wirkung (Legitimation, Apologetik, Ätiologie u.a.). Zu Gleichnissen Jesu z.B. E RLEMANN, Eschatologisch-kritische Funktion, 284, der sechs pragmatische Funktionen benennt: „Plausibilisierung umstrittener Inhalte“, „Erzeugung einer neuen Wirklichkeitssicht“, „Motivation zur Verhaltens- und Einstellungsänderung“, daneben auch die
240
2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
Die folgende Übersicht über mögliche langfristige Rezeptionswirkungen ist sicher nicht vollständig und erfasst auch nicht synthetische Begriffe für perlokutionäre Sprechakte, die kombinierte Wirkungen beschreiben (z.B. „warnen“ = von einem drohenden Unheil überzeugen, Angst/Sorge hervorrufen und zu einem Verhalten motivieren). Die Tabelle soll aber einen Eindruck davon vermitteln, was ein Erzähler mit Geschichten alles bei den Erzähladressaten bewirken kann (Tab. 35): Tab. 35: Klassifikation von Erzählwirkungen auf Einstellungen und Überzeugungen Bereich
positive Persuasion 878
negative Persuasion879
1) Einstellungen zu erzählinternen Entitäten Setting (eine Landschaft, soziale Ordnung), z.B. – Bereich „Ästhetik“ – Bereich „Gerechtigkeit“
von der Schönheit der Landschaft überzeugen; von der Gerechtigkeit der Gesellschaft überzeugen
von der Hässlichkeit der Landschaft überzeugen; von der Ungerechtigkeit der Gesellschaft überzeugen
Figuren
Sympathie wecken/förAntipathie wecken/fördern, dern, Antipathie begrenzen Sympathie verringern
2) Einstellungen zu erzählexternen Entitäten a) der Rezipient selbst, beispielsweise: – Bereich „Selbstwert“/ „Selbstverachtung“ – Bereich „Gelassenheit“/ „Angst“ – Bereich „Hoffnung“/ „Sorge“ – Bereich „Schuld“ – Persönlichkeitszüge, Verhalten u.a.
allgemein: „therapieren“880, heilen
allgemein: „krank machen“
Selbstwertgefühl stärken (Wertschätzung geben) trösten, ermutigen
Selbstwertgefühl schwächen
Hoffnung wecken/ bestärken881, ermutigen Schuldgefühle lindern (z.B. durch Vergebung) rechtfertigen
Sorge wecken/verstärken
Angst verstärken (warnen)
Schuldgefühle hervorrufen/ fördern von deren Schlechtigkeit überzeugen
gleichnisspezifischen Funktionen: „Illustration der basileiva Gottes“, „Darstellung und Begründung der Zuwendung Gottes zu den Marginalisierten“, „Deutung und Begründung des Verhaltens Jesu“. In der Literaturwissenschaft gibt es die ähnliche Diskussion um „Funktionen der Literatur“: Man könne individuelle, kollektiv-soziale und ästhetischformale Funktionen unterscheiden; zu den individuellen Funktionen gehörten „vor allem kognitive und moralische, emotive, therapeutische und unterhaltende Funktionen“ (so JANNIDIS/L AUER/WINKO, Radikal historisiert, 24 als Teil ihres Plädoyers „für einen pragmatischen Literaturbegriff“). 878 Vgl. die „konfirmierende Funktion“ bei E NGEMANN, Homiletik, 277–280. 879 Vgl. die „konfrontierende Funktion“ ebd. 880 Vgl. KÄHLER, Jesu Gleichnisse (als Therapie); HEIDBRINK, Filmtherapie. 881 Mt 5,3–10.
241
2.7 Rezeptionsanalyse
Bereich
positive Persuasion 878
negative Persuasion879
b) andere Menschen (auch Gott, Jesus), beispielsweise:
Sympathie wecken/ fördern, Antipathie begrenzen
Antipathie wecken/fördern, Sympathie verringern
– Bereich „Vertrauenswürdigkeit“
– Persönlichkeitszüge, Verhalten u.a. c) Sachverhalte/Zustände, z.B. soziale Ordnung
Vertrauen/Glauben Misstrauen/Unglauben herfördern, Misstrauen/ vorrufen/verstärken, VerUnglauben abbauen trauen/Glauben schwächen (Gott: fides qua creditur) rechtfertigen, motivieren von deren Schlechtigkeit überzeugen legitimieren, begründen
diskreditieren, kritisieren
von der Gerechtigkeit der Gesellschaft überzeugen
von der Ungerechtigkeit der Gesellschaft überzeugen
d) Erzähler
sich legitimieren
sich diskreditieren
e) Erzählung
Akzeptanz steigern, Ablehnung verringern
Ablehnung fördern, Akzeptanz verringern
– konkret, z.B. Bereich „Gerechtigkeit“
3) Einstellungen zu Merkmalen – Identität von der Vorbildlichkeit (z.B. „Jünger Jesu sein“) einer Identität überzeugen – Charakterzüge von der Vorbildlichkeit (z.B. Fleiß) einer Eigenschaft überzeugen – Einstellungen und Über- Zustimmung herbeiführen, zeugungen (z.B. KomAblehnung schwächen munismus, Tempolimit) – Erleben (z.B. Krankheit) allgemein: positive Lebenseinstellung stärken – Gefühle (z.B. Zorn, negative Einstellung zum Zweifel) Gefühl schwächen – Verhaltensweisen legitimieren, motivieren (z.B. beten, rauchen) – Pflichten (z.B. Pünktvon einer Pflicht überlichkeit) zeugen – Wünsche Wunsch hervorrufen, (z.B. Reichtum) verstärken – Normkonflikt zwischen von der Höherwertigkeit Merkmalen eines Merkmals überzeugen
von der Schlechtigkeit einer Identität überzeugen von der Schlechtigkeit einer Eigenschaft überzeugen für Ablehnung sorgen, Zustimmung verringern allgemein: negative Lebenseinstellung fördern negative Einstellung zum Gefühl stärken von deren Schlechtigkeit überzeugen von der Schlechtigkeit einer Pflicht überzeugen Wunsch schwächen von der Minderwertigkeit eines Merkmals überzeugen
4) Überzeugungen über erzählinterne Sachverhalte allgemein:
Wissen über die erzählte Welt vermitteln
Wissen über die erzählte Welt in Frage stellen
242
2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
Bereich
positive Persuasion 878
negative Persuasion879
5) Überzeugungen über erzählexterne Sachverhalte allgemein: Beispiele: – Menschenkenntnis – Wahrnehmung anderer Menschen – Kenntnis von Verhaltensweisen in bestimmten Situationen (= Methoden) – Erleben des Rezipienten (gegenwärtig) – Erleben des Rezipienten (zukünftig)
überzeugen, Überzeugung stärken (theologisch: fides quae creditur) lehren, wie Menschen sind („soziales Wissen“) Stereotypen (Wahrnehmungsmuster) schaffen lehren, wie man sich in Situationen verhalten kann („Methodenwissen“) Situation/äußere Welt verstehbar machen („Orientierungswissen“) eine Überzeugung über die Zukunft vermitteln
eine Überzeugung in Frage stellen, von einer Überzeugung abbringen eine Überzeugung über Menschen in Frage stellen Stereotypen auflösen oder differenzieren Methodenwissen in Frage stellen
von einer Situationsdeutung abbringen eine Überzeugung über die Zukunft in Frage stellen
Die Bezeichnungen in der Tabelle sind analytisch gemeint. Eine synthetische Persuasionskonzeption liegt demnach z.B. vor, wenn eine Erzählung/Erzählabschnitt a) den Rezipienten in Angst versetzt, b) den Erzähler legitimiert und c) Misstrauen gegenüber anderen realen Personen sät. Auch für häufig vorkommende synthetische Persuasionskonzeptionen könnte man Bezeichnungen einführen. Wenn sich Persuasionskonzeptionen über eine Erzählung hinweg in typischer Weise verändern (z.B. erst wird Gottes Gericht angekündigt, dann Heil verheißen), kann man von einem Persuasionsmuster sprechen. Möglicherweise ist es sinnvoll, auch die Wirkung auf Verhaltensweisen in das Persuasionsmuster einzubeziehen. Außerdem könnte man die intendierte Persuasionswirkung mit dem Erzählerstandpunkt vergleichen. In der Regel wird die beabsichtigte Wirkung darin bestehen, dass der Rezipient den Erzählerstandpunkt annimmt (totale Wirkung) oder sich in seinen Einstellungen und Überzeugungen wenigstens auf ihn zubewegt (anziehende Wirkung); selten ist intendiert, dass sich der Rezipient vom Erzählerstandpunkt entfernt (abstoßende Wirkung). Wenn überhaupt keine Wirkung angestrebt wäre 882, würde der Erzähler auch nicht kommunizieren. Noch völlig in der Zukunft liegt der Gedanke, die (intendierte und tatsächliche) Beeinflussungsstärke einer Erzählung zu bestimmen, weil Krite882
Bei jeder Kommunikation ist eine Wirkung beabsichtigt, auch wenn sich der Sender dieser Intention nicht bewusst wird – ein recht häufiger Fall. Selbst der Small Talk, wo man über „Belangloses“ ins Gespräch kommt, dient dem Knüpfen von Beziehungen, d.h. es soll eine positive Einstellung zum Sender aufgebaut bzw. vertieft werden.
2.7 Rezeptionsanalyse
243
rien dafür erst empirisch ermittelt werden müssten. Zusammen mit den übrigen Kategorien Empathiehaftigkeit, Sympathiehaftigkeit, Immersionsstärke, Spannungshaftigkeit, Emotionalität und Applikativität ergäbe sich so ein Gesamtmaß für die Performativität einer Erzählung. 2.7.8 Methode der Analyse 883 1. Empathie: Wie „nah“ sind dem Rezipienten bestimmte Figuren, wie intensiv setzt er sich mit einer Figur auseinander? Nähe entsteht durch dramatischen Modus, Unmittelbarkeit bei Figurenrede, Ich-Erzähler, Innensicht, häufige Präsenz der Figur, große Bedeutung für die Handlung, viele Figurenmerkmale, Offenheit und Komplexität der Figur, Erzählerkommentare, Zugehörigkeit zu einer bekannten Figurengruppe und Ähnlichkeit zu Problemen und Lebenssituationen des Rezipienten (inkl. individueller Faktoren). 2. Sympathie und Antipathie: Wie bewertet der Rezipient bestimmte Figuren? Wie wahrscheinlich ist es, dass er ausgehend von seinem Weltwissen die Bewertung des Erzählers übernimmt? Die Bewertung geschieht durch Erzählerkommentare, indirekt dann auch durch andere Figuren, durch den Ausgang der Handlung, durch die Freundschaft/Feindschaft zu anderen Figuren, durch die Zugehörigkeit zu einem negativen Typus und durch bestimmte Figurenmerkmale und Verhaltensweisen, die im Wertesystem des Erzählers negativ konnotiert sind. 3. Realitätseffekt: a) Wie hoch ist der Realitätseffekt in einem bestimmten Abschnitt der Erzählung? Zum Realitätseffekt tragen bei: eine geringe Distanz zu den Figuren, hohe Innensicht, fehlende Erzählerkommentare, zeitdeckendes Erzählen und realistische Detailinformationen. b) Gibt es auch illusionsstörende Faktoren? Sind diese Illusionsstörungen bewusst eingesetzt? 4. Spannung:884 Wo existieren Spannungsbögen, d.h. wo sind dem Rezipienten Konflikte bekannt, deren Auflösung er noch nicht weiß? Wie intensiv ist die Spannung? Die Intensität wird beeinflusst durch große Nähe und Sympathie zu den beteiligten Figuren, durch offene Fragen, Limitie883 Erste Ansätze zu einer Methode zur Analyse der Leserrezeption gibt es innerhalb der Narratologie/narratologischen Exegese bereits bei M ARGUERAT/BOURQUIN, Bible Stories, 153; RESSEGUIE, Narrative Criticism, 244; P OWELL, Narrative Criticism, 104f.; RHOADS/DEWEY/MICHIE, Mark, 153.158f.; L AHN/MEISTER, Erzähltextanalyse, 165. Vgl. außerdem M AYORDOMO MARÍN, Anfang, 191–195 (v.a. als Rekonstruktion der möglichen Erstrezeption); LEINER, Psychologie und Exegese, 308f. (zu Identifikation, Rezeptionsemotionen und Einstellungswandel); E RLEMANN, Gleichnisauslegung, 207–212 (kognitive und emotionale Steuerung) sowie die Gedanken zur historischen Rezeptionskritik bei BERGER, Exegese, 94–107. 884 Eine Methode der Spannungsanalyse bietet auch W ENZEL, Analyse der Spannung, 195.
244
2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
rung der offenen Fragen auf möglichst nur zwei existenzielle Alternativen, Anzahl und Intensität der Informationen über die Alternativen u.a. Wo überlagern sich Spannungsbögen, wo ist die Spannungskurve am höchsten? Besteht die Spannung in einer (kognitiven) Rätselspannung oder einer (affektiven) Konflikt- und Bedrohungsspannung? Wie weit reicht die Länge der Spannungsbögen: Mikrospannung (Detailspannung) vs. Makrospannung (Finalspannung)? 5. Rezeptionsemotionen: a) figurenbezogene Rezeptionsemotionen: Verfolgen Sie die Emotionen nach, die ein Rezipient gegenüber einer Figur empfindet: aa) Wenn dem Rezipienten die Figur sympathisch ist, fühlt er Hoffnung und Freude/Erleichterung bei erwartetem bzw. eingetretenem Glück der Figur, Furcht und Mitleid/Enttäuschung bei erwartetem bzw. eingetretenem Unglück. bb) Wenn ihm die Figur unsympathisch ist, empfindet er Furcht und Ärger bei erwartetem bzw. eingetretenem Glück der Figur, Hoffnung und Schadenfreude bei erwartetem bzw. eingetretenem Unglück. Die Intensität der Emotionen hängt jeweils von der Empathie und der Spannung ab. b) figurenunabhängige Rezeptionsemotionen: Wecken einige Schilderungen von Umwelt, Figuren oder Ereignissen Schaudern, Lust, Freude oder Heiterkeit? Erregt das Vorhandensein von Kohärenz oder Inkohärenz ästhetische Emotionen? 6. Intendierte Anwendungen: a) direkte Anwendung: Welche Elemente der Erzählung gibt es auch in der Wirklichkeit des Rezipienten? b) indirekte Anwendung: Kann man Elemente der Erzählung indirekt auf den Rezipienten und sein Umfeld beziehen? Bezieht sich die indirekte Anwendung auf das Setting, Ereignisse oder Figuren? Liegt eine konkret-persönliche, konkret-fremde oder abstrakte Figurenapplikation vor? Handelt es sich um eine zukünftige oder gegenwärtige, eine positive oder negative, eine punktuelle oder ausgedehnte Applikation? Wie allgemein oder speziell ist die Konkretionstiefe der Applikation? Für die Bestimmung von Bezugsgrößen, tertia comparationis, secunda comparationis und Hauptaussage kann man sich an der Methodik der Gleichnisauslegung orientieren. c) Wie lässt sich die Erzählung bezogen auf ihre Anwendungskonzeption einordnen (beschreibende Erzählung, doppelsinnige Erzählung, Beispielgeschichte, Exempel, alterapplikative Erzählung, symbolische Erzählung; offen/verdeckt doppelsinnig; klar/unklar doppelsinnig; stark/schwach applikativ)? 7. Intendierte Meinungs- und Verhaltensänderungen: Welche Voreinstellungen und Vorüberzeugungen besitzt der Rezipient? Wie stark sind diese? Welche Einstellungen und Überzeugungen werden durch die Erzählung verändert? Welche Faktoren tragen jeweils zum Meinungswandel bei? Wird die Erzählung eher reflektierend verarbeitet oder stehen periphere Hinweisreize im Vordergrund? Wie langfristig ist der Meinungswandel? Welche Faktoren tragen dazu bei, dass der Rezipient tatsächlich das inten-
2.8 Zur Darstellung der Ergebnisse
245
dierte Verhalten zeigt? Wie lässt sich die Persuasionskonfiguration an einer bestimmten Stelle beschreiben? Gibt es ein Persuasionsmuster in der Erzählung? Abschließend: Wie hängen die verschiedenen intendierten Rezeptionswirkungen miteinander zusammen? Was die Figuren angeht, so könnte man versuchen, die Rezeptionsreaktionen auf jede einzelne Figur in das folgende, vergleichsweise einfache Schema einzuordnen (Abb. 36):885
Wahrnehmung einer Figur
Rezeptions- langfristige emotionen Wirkung
Empathie
Bewertung
nahe Figur
Sympathie zur Figur
Freude, Mitleid; Hoffnung, Furcht
Übernahme von Werten, Verhalten
Antipathie zur Figur
Ärger, Schadenfreude; Furcht, Hoffnung
Festigung in Werten, Verhalten
ferne Figur
Abb. 36: Übersicht über Zusammenhänge bei der Figurenrezeption
2.8 Zur Darstellung der Ergebnisse Angesichts dieser vielen Analyseaspekte ist die kritische Rückfrage angebracht, ob am Ende einer narrativen Analyse auch ein gut lesbarer Text mit Ergebnissen stehen kann. Ja – aber erst in einem zweiten Schritt. Analysen sind eher nüchterne wissenschaftliche Vorgänge, bei denen eine Fragestellung nach der anderen abgearbeitet wird. Bei Analysen geht es, mit Augustinus gesprochen, um den modus inveniendi:886 Hier werden „Daten“ gesammelt, die sich im Einzelfall als wichtig oder auch weniger wichtig herausstellen können. Eine Analyse hat also den Charakter einer Fundgrube. Die Resultate von Analysen können übersichtlich gegliedert z.B. in einer Internet-Datenbank niedergelegt werden. Eine andere Frage ist, wie man anschließend mit diesen Ergebnissen umgeht. Die Resultate einer narrativen Untersuchung kann man in vielfäl885
Stark modifizierte Fassung des Flussdiagramms bei SCHNEIDER, Grundriß, 111, das auf D. Zillmann zurückgeht (vgl. Z ILLMANN, Mechanisms, 46). S. auch APPEL, Realität durch Fiktionen, 111. 886 Vgl. Aug. doctr. christ. I,1 zum modus inveniendi und modus proferendi. Man kann die Zweiteilung auch in der inventio und dispositio/elocutio der Rhetorik wiederfinden.
246
2. Theorie und Methode der Erzählanalyse
tiger Weise aufnehmen, auswerten und weiterführend verwenden (vgl. 3.1): für einfache Zusammenfassungen der Analyseerträge, für Erzähltextvergleiche, für Bibelkommentare bis hin zu Predigtbausteinen für verschiedene Zielgruppen in unterschiedlichen Situationen. Wichtig ist nur, sich dabei auch über die Methode der Darstellung, den modus proferendi, Gedanken zu machen. Leider gibt es in der Exegese bisher kaum echte methodische Überlegungen zu der Frage, wie man Analysen besser darstellt, um sie angenehmer lesbar zu machen. 887 Zwischen einer präzisen Analyse und einem flüssigen, spannenden Text besteht häufig eine zu große Kluft. Auf der Suche nach einem Mittelweg sind viele exegetische Arbeiten daher in ihrer Durchführung wenig transparent, so ausführlich der Theorieteil auch sein mag – das gilt gerade auch für narratologische Exegesen.888 Mein Plädoyer ist nicht, sich zwischen einem von beiden Extremen zu entscheiden oder einen Mittelweg zu finden, sondern Letzteres methodisch reflektiert auf Ersterem zu gründen. Hier besteht m.E. noch viel Forschungsbedarf bezogen auf das konkrete Verfassen von Auslegungen, Bibelkommentaren oder Predigtmeditationen: Wie entsteht ein solcher neuer Text? In dieser Arbeit stehen allerdings die Analysen selbst im Mittelpunkt, um die hier vorgestellten narratologischen Analysekategorien besser bewerten zu können.889 Das macht Kap. 3 manchmal etwas technisch, ist aber vom Hauptziel der Arbeit her notwendig.
887
Vgl. sehr knapp zum Unterschied von Analyse und Darstellung U TZSCHNEIDER/ N ITSCHE, Arbeitsbuch, 304f. (dort bezogen auf das Schreiben einer Proseminararbeit). 888 Vgl. als ein Beispiel die uneinheitliche narratologische Anwendung von EISEN, Poetik: Der Grundaufbau entspricht der Vers-für-Vers-Erklärung eines Kommentars. Dabei kommen nur teilweise solche narratologische Analysen vor, deren Methodik die Autorin zuvor im Theoriekapitel vorgestellt hat (insbesondere zur Erzählgeschwindigkeit und zur Verteilung von direkter und indirekter Rede). Immer wieder gibt es auch andere Erörterungen, die zwar vom Text veranlasst und durchaus sinnvoll, aber nicht narratologisch sind (144: Bedeutung der 40 Tage; 149–151: Bedeutung der Apokatastasis der Basileia u.a.). Hier ist die flüssig zu lesende Anwendung sowohl von ihrer Gliederung wie von ihren Inhalten her nur lose mit der theoretischen Grundlegung verbunden. 889 Natürlich impliziert schon das Aufschreiben der Analyse eine Methode der Darstellung, allerdings ist diese Darstellung viel enger an der Methode der Analyse orientiert. Im anderen Fall geht es darum, die Ergebnisse methodisch kontrolliert für ein bestimmtes Publikum neu zu formulieren.
Kapitel 3
Praxis der Erzählanalyse: Matthäus 28,1–20 In Kapitel 2 wurde eine umfassende Methode zur Auslegung von Erzähltexten vorgestellt, die sowohl in der biblischen Exegese als auch in verschiedenen Literaturwissenschaften angewendet werden könnte. In diesem Kapitel sollen anhand von Matthäus 28 konkrete Anwendungsmöglichkeiten einer solchen Analyse beschrieben (3.1) und die Leistungen und Grenzen der einzelnen Analysekategorien an diesem Beispieltext deutlich werden (3.2–3.7). Die Untersuchung richtet sich nach den oben beschriebenen Fragestellungen zu Erzählebenen (3.2), Umweltanalyse (3.3), Handlungsanalyse (3.4), Figurenanalyse (3.5), Perspektivenanalyse (3.6) und Rezeptionsanalyse (3.7). Am Ende jeder praktischen Umsetzung steht ein Abschnitt zur „Bewertung der Methode“, wo jeweils die theoretische Einordnung, biblische Anwendbarkeit und möglicher Ertrag der Fragestellung sowie verbliebene Unklarheiten in der Methode benannt werden.
3.1 Applikationsformen der Narratologie am Beispiel des Matthäusevangeliums Die in Kapitel 2 vorgestellten Analysekategorien der Narratologie lassen sich grundsätzlich auf drei Arten in die Praxis umsetzen: 1. Narratologischer Vergleich von Erzählungen: Die Kategorien können dazu verwendet werden, um Aspekte der Erzähltechnik bei verschiedenen Autoren zu vergleichen. 2. Narratologische Analyse der Erzähltechnik und narratologisch begründete Interpretation: Hier geht es um die detaillierte narratologische Untersuchung einer einzigen Erzählung, auf Form, Inhalt und Wirkung der Erzählung bezogen. Es sind zwei Untertypen denkbar: a) Man kann eine einzelne Analysekategorie durch die gesamte Erzählung hindurch verfolgen, z.B. das Setting, den Handlungsverlauf oder die Charakterisierung einer Figur (so besonders der Narrative Criticism). b) Man wendet möglichst viele Analysekategorien nacheinander auf einen Teiltext an, um die Erzähltechniken in diesem Abschnitt, die erzählte Welt (als intendiertes mentales Modell) und deren Rezeptionswirkung zu verstehen. Das soll in diesem Kapitel versucht werden.
248
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
3. Narratologisch informierte Paraphrase 1: Die Analysekategorien könnten eingesetzt werden, um die Erstellung von erläuternden Nacherzählungen stärker wissenschaftlich zu fundieren. Solche Paraphrasen sind ihrerseits auf bestimmte Rezipienten ausgerichtet und sollen ihnen die vom Autor vorausgesetzten Frames und Skripts erklären. Sie sind gegebenenfalls so gestaltet, dass Spannung, Rezeptionsemotionen und Einstellungswandel in spezifischer Weise auch bei den eigenen Rezipienten auftreten. Es gibt also zwei Arten von Nacherzählungen, die sich allerdings nur graduell unterscheiden: a) diejenigen, die das vom Autor vorausgesetzte Vorwissen (Sprache und Vorstellungen) für heutige Leser einfach erläutern und erörtern. Hier handelt es sich um den versweisen „Erklärungs“-Abschnitt in klassischen exegetischen Kommentarwerken, dessen Vorgehensweise m.E. bisher zu wenig methodisch durchdacht ist. b) diejenigen, die das vorausgesetzte Vorwissen nur knapp erörtern, aber bei ihren Rezipienten vor allem Spannung, Empathie, Rezeptionsemotionen, einen Einstellungswandel usw. verstärken 2 wollen. Dies ist der Fall z.B. bei narrativen Predigten, Kindergottesdiensten, Theaterinszenierungen, musikalischen und literarischen Umsetzungen, Verfilmungen und geistlichen Schriftlesungen. Gerade hier, wo sich Exegese und Praktische Theologie überschneiden, kann die Narratologie sinnvoll eingesetzt werden, und zwar sowohl bei der Formulierung als auch bei der Analyse der Nacherzählungen. Ich möchte diese Möglichkeiten der Applikation kurz erläutern und dabei beschreiben, ob sie schon auf das Matthäusevangelium insgesamt und speziell auf Matthäus 28 angewendet wurden. Dabei soll besondere Aufmerksamkeit darauf gerichtet werden, wie in der literaturwissenschaftlich ausgerichteten Exegese bisher tatsächlich vorgegangen wird.3 1 „Paraphrase“ wird hier im weitesten Sinn verstanden als Kommentar, Predigt über einen Text, Umformulierung eines Textes usw. in unterschiedlichen Medien. 2 Eine Paraphrase dient vor allem der Verstärkung eines oder mehrerer Aspekte. Dies kann im Einklang mit oder entgegen der Autorintention geschehen, wobei der zweite Fall begründet werden sollte (z.B. wenn man Mt 28 so nacherzählen würde, dass die Predigthörer mehrheitlich Empathie für die Hohenpriester und nicht für die trauernden und überraschten Frauen empfinden). 3 Für eine (chronologische) Darstellung einiger narrativer Auslegungen des Matthäusevangeliums vgl. auch B AUER/POWELL, Introduction, 6–13; G IELEN, Konflikt, 13f.; DEINES, Gerechtigkeit, 41–66. Vgl. die Einschätzung der Forschungssituation (1993) bei STANTON, Literary Criticism, 55: „Since 1984 … perhaps as many as half the scholarly books and articles published in English on Matthew have been written from literary perspectives.“ Die deutschsprachige Exegese hat in ihrem Interesse für literaturwissenschaftliche Ansätze seit den 1990-ern deutlich aufgeholt und erreicht inzwischen wohl einen ähnlichen hohen Prozentsatz an „synchronen“ Studien. – Die im Folgenden am Beispiel des MtEv vorgestellten bisherigen Umsetzungen narratologischer bzw. (Teil-
3.1 Applikationsformen der Narratologie
249
3.1.1 Narratologischer Vergleich von Erzählungen Die Narratologie kann dazu verwendet werden, um vergleichende Studien zur Erzähltechnik durchzuführen, also z.B. Handlungsstrukturen oder Fokalisierungstechniken bei verschiedenen Autoren und in unterschiedlichen Epochen zu untersuchen. In der Literaturwissenschaft werden narratologische Kategorien bisher fast nur zu diesem Zweck eingesetzt – anscheinend ganz erfolgreich. 4 Die Exegese dagegen hat sich einem narratologischen Vergleich von biblischen Erzähltechniken untereinander und mit denjenigen anderer antiker Schriften noch kaum gewidmet, auch das Matthäusevangelium ist in dieser Hinsicht offenbar noch unbearbeitet. 3.1.2 Narratologische Analyse der Erzähltechnik und Erzählelemente Daneben gibt es auch die Möglichkeit der detaillierten narratologischen Analyse einer einzelnen Erzählung, und zwar je nach gewähltem Schwerpunkt a) als Anwendung einer erzähltheoretischen Kategorie auf die Gesamterzählung, b) als Anwendung möglichst vieler Kategorien auf einen Erzählabschnitt. Auch bei diesen Formen der Analyse geht es nicht primär darum, den Text zu verstehen oder verständlich zu machen (s. dazu 3.1.3), sondern die vom Autor verwendete Erzähltechnik zu untersuchen. a) Zum einen kann man eine oder wenige der in Kap. 2 genannten Fragestellungen auf die Erzählung insgesamt anwenden. Hierzu gibt es einige narratologische Gesamtuntersuchungen zum Matthäusevangelium, die in der Tradition des Narrative Criticism stehen. 5 Am bekanntesten sind siaspekte erfassender) „rezeptionsästhetischer“, „rhetorischer“, „pragmalinguistischer“ oder „semiotischer“ Exegese sind im Wesentlichen repräsentativ für deren Anwendungen auch bei anderen biblischen Büchern. 4 Die Literaturwissenschaften innerhalb der Germanistik, Anglistik oder Romanistik haben ein viel größeres Textkorpus als die Exegese zu bearbeiten und sind wohl deswegen stärker an vergleichenden Klassifizierungen interessiert. Um einige neuere Beispiele zu nennen: KRINGS, Typologie, verwendet die von ihr aufgestellten Beschreibungsmerkmale für Erzählschlüsse dazu, um die Enden von 170 Kurzgeschichten in ihrer historischen Entwicklung statistisch zu vergleichen. G UTENBERG, Mögliche Welten, untersucht mögliche Arten von Plots im englischen Frauenromanen im historischen Kontext und findet verschiedene Plottypen; bei den Einzelanalysen weist sie dann im Rahmen einer Nacherzählung des Romans das jeweilige Plotmuster nach. Dazu verwendet sie die Begriffe von M.-L. Ryan wie „TAW“, „W-Welt“, „Rezentrierung“ oder „F-Universen“ (so z.B. 245), wobei es für diese Terminologie auch bessere, alltägliche Bezeichnungen gäbe (Kap. 2.4.5). B UCHHOLZ, Narrative Innovationen, beschreibt in ihrer Doktorarbeit die erzähltechnischen Neuerungen in britischen Kurzgeschichten Anfang des 20. Jahrhunderts (plotbezogene Experimente, Zurücktreten der Erzählinstanz, innovative Fokalisierungsstrategien). Die knappen Paraphrasen jeder Kurzgeschichte dienen – wie bei Gutenberg – jeweils als Beispielfall für eine bestimmte Innovation, die offenbar gut im Raster der Narratologie ausgedrückt werden kann. 5 Für eine Kurzeinführung s. P OWELL, Narrative-Critical Understanding of Matthew.
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
cherlich die Publikationen von J. D. Kingsbury, der in den 1980-ern die Methode des Narrative Criticism (Kap. 2.1) als erster auf das MtEv übertrug und Handlung, Figuren, Setting und Perspektive des Evangeliums zunächst sehr skizzenhaft beschrieb.6 Einige Jahre später folgten die ähnlich konzipierten Arbeiten von D. B. Howell7, J. C. Anderson8 und W. Carter9. Daneben gibt es weitere narratologische Veröffentlichungen, meist kürzere Aufsätze, die einen Aspekt der matthäischen Erzähltechnik analysieren. Sie widmen sich vor allem einzelnen Figuren des Matthäusevangeliums, 10 aber auch dessen Handlungsverlauf 11, dessen Setting 12 oder dessen Rezep6
KINGSBURY, Matthew as Story, bes. 3–30.33–37. HOWELL, Inclusive Story. Er hat die Handlung (93–160), die Perspektive (161–203) und den impliziten Leser (205–248) im Blick. 8 ANDERSON, Narrative Web. Sie analysiert die Perspektive (unter dem Stichwort „Rhetoric“, 53–74), die Figuren (78–132) und die Handlung des MtEv (133–191). Der Fokus liegt dabei auf den wörtlichen Wiederholungen im MtEv und deren Wirkung auf den impliziten Leser (vgl. 44), wobei die Schwerpunktsetzung die Studie wertvoll macht (vgl. ANDERSON, Double and Triple Stories). 9 CARTER, Matthew. Nach Ausführungen zur mt Redaktion und Gemeinde, die dem Anschluss heutiger Leserinnen und Leser an die „authorial audience“ dienen (15–102), werden übersichtlich die benötigten Lesekompetenzen geschildert (103–115) und erst dann die Perspektive (119–148), die Handlung (149–175), das Setting (176–188) und die Figuren (189–256). Das Buch ist von seinem Aufbau her gut durchdacht. 10 KINGSBURY, Figure of Jesus (dazu HILL, Figure of Jesus; KINGSBURY, Figure of Jesus [Rejoinder]); EDWARDS, Uncertain Faith (Jünger); KINGSBURY, Developing Conflict (zu jüdischen Autoritäten im MtEv); K INGSBURY, Reflections (Pharisäer und Sadduzäer); BURNETT, Characterization and Christology (= B URNETT, Undecidability); B LACK, Depth of Characterization (u.a. Gott und der Teufel); L INCOLN, Story (Jünger als Lehrer); HEIL, Narrative Roles (Frauen); BAUER, Major Characters; EDWARDS, Characterization (Jünger); KINGSBURY, Rhetoric; P OWELL, Characterization; D ONALDSON, Guiding Readers (Jünger); WEAVER, Power (u.a. Pilatus und Herodes Antipas); E DWARDS, Narrative Portrait (Jünger); D AVIES, Stereotyping the Other (Pharisäer); S YREENI, Peter as Character; MATTILA, Naming the Nameless (Frauen); M ATTILA , Citizens (Frauen, Petrus, Jünger); BROWN, Disciples (Jünger in Mt 16,21–20,28); C OUSLAND, Crowds (vgl. COUSLAND, Choral Crowds); O LMSTEAD, Matthew’s Trilogy (jüdische Autoritäten, Heiden); L UZ, Narratologische Randfiguren; D ORMEYER, Rollen (Jünger, Volk und Gegner); WEAVER, Roman Characters; BRANDEN, Satanic Conflict, 43–83 (Teufel); C ALLON, Pilate the Villain; GERBER, Construction des Mages; C UVILLIER, Personnage de Judas; P OPLUTZ, Erzählte Welt, 56–100 (Randfiguren) und 101–139 (Volk, Jünger und Gegner). 11 POWELL, Plot and Subplots (Differenzierung von Handlungssträngen); K INGSBURY, Plot; KINGSBURY, Cross; HUMPHRIES-BROOKS, Spatial Form; S MITH, Matthew 28:16–20; BRANDEN, Satanic Conflict, 85–127; G IELEN, Blick zurück; P OPLUTZ, Erzählte Welt, 32– 56 und besonders WEBER, Plot. Vgl. zu den Handlungsenden auch MILER, Entre titre, und SONNET, Généalogie. 12 Vgl. Z ANGENBERG, Pharisees („Matthew’s Map of Galilee“); außerdem die kulturanthropologisch orientierten Arbeiten von N EYREY, Honor and Shame; L AWRENCE, Ethnography, die einen Teil des kulturellen Settings behandeln. Ansonsten wurde die matthäische erzählte Welt noch nicht systematisch aus narratologischer Sicht untersucht. 7
3.1 Applikationsformen der Narratologie
251
tionswirkung 13. Viele dieser Publikationen leiden jedoch darunter, dass die verwendete Methode wenig ausgearbeitet ist und das MtEv jeweils nur mit groben Strichen nachgezeichnet wird. Von einigen Ausnahmen abgesehen, die erzähltechnische Mittel im MtEv detaillierter untersuchen, 14 steht die narratologische Exegese daher im Grunde noch am Anfang. 15 Unter dem Label des Narrative Criticism begegnet auch eine zusammenfassende Nacherzählung des MtEv (vgl. 3.1.3), deren Erstellung nicht methodisch begründet wird.16 Ebenso gibt es einige kompositionskritische Untersuchungen, die zwar die Bezeichnung „narrativ“ tragen, aber nicht auf Aspekte der Erzähltheorie zurückgreifen und zudem problematisch sind, weil 13
WEAVER, Missionary Discourse, behandelt in ihrer Dissertation bei Kingsbury neben Mt 9,35–11,1 auch ausführlich die ‚pre-information‘ des impliziten Lesers bis 9,34 und die Perspektive des impliziten Lesers bis 28,20 in Form einer Nacherzählung. C ARTER /HEIL, Matthew’s Parables, untersuchen die matthäischen Gleichnisse in Bezug auf ihre Publikumswirkung, bieten aber faktisch eine oberflächliche Exegese (z.B. 46–48: „the audience observes … the audience hears … the audience learns … the audience recalls“). Y AMASAKI , John the Baptist, beschreibt die Darstellung Johannes des Täufers im MtEv und präsentiert dazu den audience-oriented criticism als seine Synthese aus Narrative Criticism (Chatman), rezeptionsästhetischen Ansätzen (Iser, Fish) sowie der Orientierung am Hörer statt am Leser (47f., vgl. zum Begriff schon C ARTER, Matthew, 276f.). BARNET, Righteous, entwickelt M. Bachtins Gedanken zum Verhältnis von Autor und Hauptfigur („author and hero“) dahingehend weiter, dass Leser auf die Darstellung der Figuren im MtEv reagieren (29–58), und führt die jeweilige Leserwirkung am Beispiel von Jesus, den Jüngern, den Bittstellern und den Pharisäern vor. Dabei kommen Aspekte der Empathie, Identifikation und Werteübernahme zur Sprache, ohne dass Barnet sie so benennt (vgl. dazu in dieser Arbeit Kap. 2.7). M ETZNER, Rückzug Jesu, analysiert die Leserrezeption am Beispiel des Rückzugs von Hauptfiguren im MtEv. Vgl. außerdem die wichtige Studie von M AYORDOMO MARÍN, Anfang. 14 Z.B. BLACK, Depth of Characterization (zur „Flachheit“ unterschiedlicher Figuren); WEAVER, Power (ironische Darstellung von Herodes dem Großen, Herodes Antipas sowie Pilatus bei Mt); L UZ, Narratologische Randfiguren (Vergleich der entsprechenden Figurendarstellungen bei Mt und Mk); B ROWN, Direct Engagement (untersucht, wie Mt bei den Reden Jesu eine größere Unmittelbarkeit zum Leser erreicht); P OPLUTZ, Erzählte Welt (Einbeziehung auch neuerer narratologischer Theorien). 15 Vgl. das passende Schlusswort bei K INGSBURY, Rhetoric, 377: „Narrative-critical study of Matthew’s Gospel is yet in its infancy.“ 16 Für eine Paraphrase des MtEv vgl. K INGSBURY, Matthew as Story, 43–93; s. auch K INGSBURY, Developing Conflict. Die Handlungsbeschreibung dehnte Kingsbury auch auf andere Evangelien aus, vgl. K INGSBURY, Conflict in Mark; K INGSBURY, Conflict in Luke. Eine kurze, erläuternde Nacherzählung des MtEv wie Kingsbury bieten auch E DWARDS, Matthew’s Story (z.B. 93: „The narrator tells us … The narrator stresses … the narrator says … the narrator here adds“), C ASALINI, Vangelo di Matteo (z.B. 99: „Il narratore commenta che … il narratore fa comprendere che …“), sowie L UZ, Jesusgeschichte (er will sich an Kingsbury und Edwards orientieren, vgl. das Vorwort ebd., 7 und die Besprechung bei C ARTER, Narrative/Literary Approaches, 4–9). Luz erwähnt im Unterschied zu Kingsbury immer wieder die mögliche Wirkung auf Leserinnen und Leser, wendet aber sonst keine narratologischen Kategorien an.
252
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
die Kriterien für die Strukturierung im Dunkeln bleiben. 17 Ein klareres Verständnis von Narratologie könnte der Exegese dazu verhelfen, solche Publikationen etwas schärfer von der eigentlichen narratologischen Analyse zu unterscheiden und auch den Narrative Criticism selbst zu präzisieren. b) Zweitens kann man einen Abschnitt der Erzählung in Bezug auf mehrere erzähltheoretische Kategorien untersuchen. Bei der umfassenden erzähltheoretischen Analyse einer Perikope besteht eher die Möglichkeit, das Ineinanderspielen der Erzähltechniken in diesem Abschnitt zu verstehen. Bisher ist diese Anwendungsform der Narratologie allerdings weder in der Literaturwissenschaft noch in der Exegese besonders verbreitet. Interessant ist der neuere Vorschlag des Anglisten V. Schulz (2005), der ein integratives Modell zur narratologischen Analyse formuliert und es an mehreren kürzeren Texten vorführt.18 In der Matthäusexegese wurde bis jetzt keine solche umfassende Analyse eines Einzeltextes vorgenommen, auch wenn sich die o.g. Untersuchungen zu Aspekten der matthäischen Erzähltechnik teilweise auf bestimmte Texte beschränken. Ich möchte am Beispiel von Mt 28 diese Form der Applikation vorführen, weil sie – im Gegensatz zur narratologischen Gesamtuntersuchung – am besten mit der klassischen Exegese verglichen werden kann, die meistens auf die Auslegung eines (Teil-)Textes ausgerichtet ist. Einzelne narratologische Aspekte speziell 17 Keine eigentlich narratologischen Arbeiten sind C OMBRINK, Structure (Mt 1,1– 4,17: „setting“; 4,18–25,46: „complication“; 26,1–28,20: „resolution“) und B AUER, Structure (Dissertation bei Kingsbury; er unterstützt dessen Einteilung 1,1–4,16; 4,17– 16,20; 16,21–28,20; vgl. K INGSBURY, Matthew. Structure, bes. 1–37). Auch M ATERA, Plot, und C ARTER, Kernels, (vgl. CARTER, Matthew, 149–175) verstehen die Handlungskerne von Chatman (Kap. 2.4.2) derart, dass sie bei ihrer Gliederung des MtEv in „narrative blocks“ faktisch eine Kompositionsanalyse durchführen. H EIL, Death (vgl. HEIL, Narrative Structure) findet in ähnlicher Weise in Mt 26–28 lauter „narrative sandwiches“, die m.E. in keiner Weise fundiert sind; im Wesentlichen gibt auch er eine Nacherzählung des Textes. Wie in Kap. 2.4.1 angedeutet, hat die Narratologie keine Methoden der Textgliederung entwickelt (vgl. immerhin die Beschreibung von Handlungssträngen 2.4.6 und die frühen Überlegungen zu Handlungsstrukturen 2.4.4). Man müsste also eher die Textlinguistik heranziehen, vgl. in diesem Sinn H ELLHOLM, Gliederungsmerkmale. 18 Bei SCHULZ, Model, 177–293 wird dessen narratologisches Analyseraster an mehreren Kurzgeschichten demonstriert. Die Anwendungen des Fünferschemas (vgl. hier 2.4.4), die Analyse der Figurenkonstellation (vgl. 2.5.3), der Motiveme (vgl. 2.4.4) u.a. bleiben aber weitgehend technisch und in der Strukturbeschreibung verhaftet, da historische und kognitive Aspekte noch nicht bewusst aufgenommen werden. Dennoch endet die Analyse bei der historischen Autorintention (Tiefenstruktur-Ebene I: „thematic idea“). – Von der Grundidee her ist das Buch aber m.E. weiterführend, denn die Literaturwissenschaft verwendete die Narratologie faktisch bisher vor allem für den Vergleich von Erzähltechniken (s.o. 3.1.1). So geht es auch bei den Anwendungsbeispielen von FLUDERNIK, Erzähltheorie, 160–167 nur um die sachgemäße Applikation von Begriffen wie „auktorialer Erzähler“, „interner Fokalisierung“ oder „innerer Monolog“ auf einen exemplarischen Text und nicht um eine zusammenhängende Einzelanalyse.
3.1 Applikationsformen der Narratologie
253
von Mt 28 erfassen bisher die Arbeiten von P. H. Lai (1974)19, K. H. Reeves (1993)20, M. Gielen (1998)21, N. Di Bianco (2000)22, M. Grilli (2002)23, 19
LAI , Sinn-Erzeugung (= LAI, Production du sens). Lai untersucht Mt 27,57–28,20 mit Hilfe des semiotischen Vierecks von A.J. Greimas, indem er erlaubte und verbotene, vorgeschriebene und nicht vorgeschriebene Weitergaben einer Botschaft in diesem Text sortiert (5–8). Außerdem werden Oppositionen beispielsweise zwischen den Jüngern und Hohenpriestern sowie Transformationsprozesse z.B. beim Grab (geschlossen → offen) festgestellt. Dieser Aufsatz (frz. 1973) ist noch typisch für die frühe Narratologie; er ist extrem formalistisch und liefert wenig neue Ergebnisse. Vgl. M ARIN, Frauen am Grabe, 67 (frz. 1971) mit einer Anwendung des Aktantenmodells auf Mt 28. 20 REEVES, Resurrection Narrative. Er behandelt die Struktur von Mt 27,55–28,20 (9– 22) und die darin genannten Figuren (23–40) und bietet dann einen fortlaufenden Versfür-Vers-Kommentar (41–82) und schließlich eine thematische Zusammenfassung (Konflikte, erfüllte Prophetie, Mission im MtEv; 83–94). Narratologisch beeinflusst ist vor allem Reeves’ Beschreibung der Figuren. – B LOEM, Ostererzählung (1987), kommt dagegen noch ganz ohne narratologische Theorie aus, ebenso D ENAUX, Matthew’s Story (2002) (vgl. aber 136 zum Aktantenmodell). Die schwedische „narrativt perspektiv“ auf Mt 28,16–20 von B YRSKOG, Slutet gott (1997), bleibt trotz der Erwähnung Chatmans oberflächlich. BURNETT, Meaning of Doubt (2004), ist entgegen des Untertitels ebenfalls kein „narrative-critical reading“; es geht hier um die Übersetzung von oiJ dev und distavzein. 21 GIELEN, Konflikt. Sie untersucht jeden Text auf drei Kommunikationsniveaus: „erzählte Welt“, „fiktiver Erzähler/fiktiver Adressat“ und „realer Autor/realer Leser“, so auch die Szene in Mt 28,11–15 (Konflikt, 398–404). Im Absatz zur „erzählten Welt“ werden jeweils Ort und Zeitpunkt der Szene genannt, die Figuren der erzählten und der besprochenen Welt aufgeführt und kurz die Figurenkonstellation beschrieben (z.B. 393, 398, vgl. 19). Auf dem nächsten Kommunikationsniveau folgt die Nacherzählung des Textes, die an einen klassischen Kommentar erinnert, jedoch kursorischer ist. Das besondere narratologische Element besteht darin, dass hier ein „fiktiver Erzähler“ erwähnt wird, der z.B. „die Aufmerksamkeit lenkt“, „keinerlei Zweifel duldet“, „urteilt“, eine Aussage „herausstellt“, auf eine andere „zurückverweist“ oder sie „anklingen lässt“ (vgl. 398–400; s. auch unten Kap. 3.1.3). Das letzte Kommunikationsniveau steht für die „diachrone Analyse“ mit der Scheidung von Tradition und Redaktion (z.B. 395–397, 402). Dieser Ansatz, Narratologie und historisch-kritische Methode zu verknüpfen, wird m.E. beiden Methoden nicht gerecht (Kap. 1, Nr. 3); außerdem beruht deren Zuordnung auf einem Missverständnis der Erzählebenen (vgl. 2.2.1). 22 D I B IANCO, Strategia narrativa, möchte den Narrative Criticism der italienischen Exegese vorstellen und behandelt am Beispiel von Mt 27,31b–28,10 die Perspektive (53– 59), die Figuren (59–65), Raum und Zeit (65–70) und den impliziten Leser (70–74), bleibt jedoch sehr knapp. 23 GRILLI , Testament („pragmalinguistische Exegese“). Dieser Aufsatz enthält in drei Abschnitten eine syntaktische, semantische und pragmatische Analyse von Mt 28,16–20. Die syntaktische Analyse stellt den Text strukturiert dar, weist auf Subjektwechsel hin und benennt Pronomina, Konjunktionen und Partizipien (80f.); die semantische Analyse entspricht der erklärenden Paraphrase des Kommentars (82–90): Es wird z.B. die Bedeutung von „Galiläa“ und „Berg“ bei Mt beschrieben (82f.), auf die Parallele von V. 18b zu Dan 7,13f. (85) aufmerksam gemacht oder auf den redaktionellen Charakter von kai; ijdouv hingewiesen (89). Die pragmatische Analyse (90–103) stellt heraus, dass sich die
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
G. Claudel (2005)24 und neuerdings M.A. Powell (2009)25, doch haben die Studien in narratologischer Hinsicht jeweils bestimmte Defizite. Wenn man die Forschung zu Mt 28 insgesamt überblickt, so fällt auf, dass die Publikationen mit methodischen Suchbewegungen die redaktionsgeschichtlichen und formkritischen Arbeiten zum Text inzwischen vollständig abgelöst haben. Letztere sind fast alle in der Zeit zwischen 1960–1985 erschienen.26
Leser mit den Zwölf identifizieren würden (91f.); außerdem werden die theologischen Aussagen (Mission, Taufe, Halten der Gebote, Beistand) im Rahmen des MtEv behandelt. – An diesem Aufsatz ist gut zu erkennen, wie unter der Bezeichnung „pragmalinguistische Exegese“ in den drei Abschnitten letztlich die alten Inhalte begegnen. Man könnte die linguistische Kategorie „Syntax“ in einem umfassenden Sinn als das „Wie“ der Darstellung begreifen (vgl. 2.3–2.6), die Kategorie „Semantik“ als den inhaltlichen Aspekt der Darstellung (vgl. die mit dem Cognitive Turn zusammenhängenden Kategorien, 2.1.3.1) und die „Pragmatik“ von Erzählungen entspricht dem Rezeptionsaspekt (2.7). Die sprechakttheoretische Aufteilung in „meaning“, „force“ und „effect“ (so die Untergliederung bei P ALACHUVATTIL , The one) ist ähnlich zuzuordnen. 24 C LAUDEL, Recherche. Er möchte den „Modelljünger“ (disciple modèle) in Mt 27,62–28,20 analog zum Modell-Leser von U. Eco beschreiben. Faktisch wird der Abschnitt mit einigen Erklärungen nacherzählt (80–86), daneben werden philologische Probleme in Mt 28,9 und Mt 28,17 (86–90) sowie der Zweifel bei Mt behandelt (91–94). Dass die Rezeptionsästhetik in der Praxis zu einer herkömmlichen Exegese führt, ist kein Zufall (vgl. unten 3.1.3 zu M. Mayordomo Marín). 25 POWELL, Literary Approaches, 73–81. Auch seine knappe Beispielexegese, die den Narrative Criticism vorführen soll, ähnelt inhaltlich einem klassischen Kommentar, weil die Frage nach dem Vorwissen des „impliziten Lesers“ bestimmend ist. – Neu zu Mt 28 erschienen ist auch der Aufsatz von P OPLUTZ, Verunsicherter Glaube (2009), der mir nicht mehr rechtzeitig zugänglich war, um ihn noch einarbeiten zu können. 26 Vgl. die klassischen Studien zu Mt 28 (in Auswahl) von TRILLING, Israel (1959); BORNKAMM/BARTH/HELD, Überlieferung (1960); S TRECKER, Weg (1962); B ORNKAMM, Auferstandene (1964); P ESCH, Ausführungsformel (1966/67); NEIRYNCK, Femmes (1968/69); M ALINA, Structure (1970/71); F ULLER, Formation (1971); F RANKEMÖLLE, Jahwebund (1972); BROER, Urgemeinde (1972); KRATZ, Auferweckung (1973); L ANGE, Erscheinen (1973); H UBBARD, Matthean Redaction (1974); K INGSBURY, Composition (1974); A LSUP, Appearance Stories (1975); MEIER, Questions (1977, zusammenfassend); SCHABERG, Father (1982); FRIEDRICH, Struktur (1983); O SBORNE, Resurrection Narratives (1984); zuletzt D AVIES/A LLISON, Texts (1992); L ÜDEMANN, Auferstehung (1994); HECKEL, Evangelium, 62–80 (1999) sowie die entsprechenden Abschnitte zu Quellen und Gattung in den Mt-Kommentaren. S. dazu S TANTON, Redaction Criticism (1993), bes. 23: „In the last decade or so, however, enthusiasm for this method of gospel criticism has waned. Scholarly study of Matthew has been part of this general pattern. Are we reaching the end of the redaction critical era?“ Heutige Arbeiten zu Mt, z.B. DEINES, Gerechtigkeit; KONRADT, Israel; auch FOSTER, Community, behandeln zwar weiter Fragen der mt Theologie und Gemeinde, sind aber nicht mehr primär auf neue redaktions- und formkritische Erkenntnisse ausgerichtet. M.E. könnte eine Präzisierung beider Methoden wieder eine Renaissance einleiten.
3.1 Applikationsformen der Narratologie
255
3.1.3 Narratologisch informierte Paraphrase Schließlich können narratologische Kategorien auch dazu verwendet werden, um erläuternde Nacherzählungen z.B. in Kommentaren und Predigten zu erstellen und zu analysieren. Ich möchte zunächst auf wissenschaftliche Kommentare eingehen, dann auf andere Arten von Paraphrasen. 1) Nacherzählungen in Form exegetischer Kommentare. Manche neueren Kommentare, die narratologische Kategorien in ihrem ErklärungsAbschnitt thematisieren, begehen den Fehler einer metabasis eis allo genos. Die Vers-für-Vers-Exegese eines Kommentars dient ja dazu, dem heutigen Leser die Frames und Skripts zur Verfügung zu stellen, die der intendierte Rezipient gehabt haben kann; daher sind Bemerkungen zur Sprache, zu Zitaten und Anspielungen, zu im Text erwähnten Realia oder zum traditionsgeschichtlichen Verstehenshintergrund hier an der richtigen Stelle.27 Diese Punkte können innerhalb der Nacherzählung mehr oder weniger genau erörtert werden. Auf der anderen Seite sollte man die Untersuchung der Erzähltechnik konsequent aus der Nacherzählung ausklammern, so wie die Analyse der Überlieferung (Textkritik), möglichen Quellen (Literarkritik/Redaktionsgeschichte) und der Struktur bzw. Form und Gattung des Textes (Formkritik) in der Regel ebenfalls ausgegliedert wird. Wenn die Analyse der Erzähltechnik in den fortlaufenden Kommentar eingebracht wird, kann sie nicht systematisch geschehen und verlangt vom Leser einen ständigen Wechsel der Beobachtungsebenen. Wie wird die Narratologie nun konkret in heutigen Kommentaren aufgenommen? Besonders H. Frankemölle formuliert seine erklärende Vers-für-VersExegese sehr konsequent in Hinsicht darauf, was ein Leser bei der Lektüre erkennen könne. Dabei ist zu beobachten, dass das Gesagte inhaltlich nicht von klassischen Kommentierungen abweicht, allerdings umständlicher formuliert wird.28 Rezeptionsemotionen, Spannung oder Empathie sind hier nicht im Blick, auch nicht die übrigen narratologischen Beschreibungskategorien. Die großen Matthäuskommentare von U. Luz und W. D. Davies/D. C. Allison beziehen den Leser ebenfalls ein, ohne dass dadurch Neues gesagt 27
Vgl. ZENGER, Essentials, 228: „Jeder Verfasser … setzt viel Ungesagtes voraus, das man wissen muß, wenn man ihn verstehen will. Aufgabe des Kommentars ist es, diese Voraussetzungen zu liefern und diese Lücken zu schließen“, ähnlich 217. 28 FRANKEMÖLLE, Matthäus II, 520f.: „Als auffälligen Zug der Erzählung dürfte der Leser wahrnehmen können, daß … die Frauen jedoch keineswegs [wie die Wächter] reagieren … Die zusichernde Bestätigung in [Mt 28,7] … ist, wie ein aufmerksamer Leser feststellen kann, eine Rekapitulation des Wortes Jesu aus 26,32. … Der bibelkundige Leser vor allem des deuteronomistischen Werkes kann wahrnehmen, daß hier wie dort eine analoge Konzeption der Treue Gottes bzw. ‚Jesu‘ … vorliegt“ u.v.a. F RANKEMÖLLE, Matthäus I, 37–52 gibt eine kurze Erläuterung seines rezeptionsästhetischen Ansatzes, vgl. auch FRANKEMÖLLE, Evangelium und Wirkungsgeschichte, 74–76.
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
wird. Luz spricht im Abschnitt „Erklärung“ häufig von dem Vorwissen der „Leser/innen“ – das meist auf die bisherige Lektüre des MtEv beschränkt wird – sowie den vom Autor intendierten Reaktionen der „Leser/innen“. 29 Der „Erzähler“ wird bei Luz gleichbedeutend mit „Matthäus“ gebraucht. 30 Andere narratologische Kategorien kommen jedoch so gut wie nicht vor. 31 Davies/Allison nehmen in einigen Nebenbemerkungen auf das Vorwissen des Lesers Bezug, das sie sich wie Luz als ausschließlich durch das Matthäusevangelium generiert vorstellen. 32 Der Vollständigkeit halber sind zwei weitere Werke zu Mt 28 zu nennen: Der Kommentar aus der Reihe „Readings“ von M. Davies gebraucht auffällig oft den Ausdruck „the narrative“, 33 W. Carter redet mehrfach von „scene“,34 ohne dass sich für beide Autoren daraus besondere narratologische Fragestellungen ergeben. 29
Vgl. beispielsweise L UZ, Matthäus IV, 402 (zu Mt 28,2): „Die Leser/innen erinnern sich an 27,51“; 421–423, bes. 421 (zu Mt 28,11): „Der Erzähler wendet sich wieder den Gegnern Jesu zu … Daß die römischen Wächter … zu den Hohenpriestern gehen, ist für die Leser/innen nicht erstaunlich … Woran sollen die Leser/innen bei ‚alles, was geschehen war‘ denken?“. Ohne dies konsequent umzusetzen, ergänzt er jedoch in einer Stelle, dass „die Enzyklopädie der impliziten Leser/innen“ neben der vorherigen Lektüre auch „durch die griechische Bibel bestimmt“ sei (430). Luz reflektiert seine Einbeziehung der Leser knapp (L UZ, Matthäus I, 106f.). Auch die tatsächlichen Reaktionen von Rezipienten finden bekanntlich in der EKK-Reihe Erwähnung; die Reaktionen werden hier im Rahmen der Rezeptionsgeschichte historisch dargestellt und nicht empirisch erhoben. 30 Vgl. LUZ, Matthäus IV, 403: „Aber ihm [Matthäus] liegt nichts daran, die Auferstehung zu beschreiben. … Darum berichtet der Erzähler auch in V 3 nichts vom Auferstandenen, sondern lediglich, wie der Engel aussieht“; 404: „Auch hier formuliert der Erzähler bewußt im Anklang an biblische Gotteserscheinungen“; 405: „Zum Schluß wendet sich der Erzähler wieder den Frauen zu“; 418 (zu Mt 28,9f.): „Der Erzähler verweilt auch sonst nicht bei Details.“ 31 In unserem Abschnitt zu Mt 28 vgl. L UZ, Matthäus IV, 417: „Die Erzählperspektive wechselt wieder: Nicht mehr die Frauen, sondern Jesus steht im Mittelpunkt“. Hier wird der Begriff der Perspektive jedoch nicht im üblichen Sinn verwendet. 32 DAVIES/A LLISON, Matthew III, 667 (zu Mt 28,7): „The reader remembers the prophecy of 26.32“, 671 (zu Mt 28,13): „The reader of course knows that the guards were not sleeping“, 683 u.a. Insgesamt taucht die Kategorie des Lesers aber nur selten auf. 33 DAVIES, Matthew, 203–206: „The narrative does nothing to hide the extraordinary novelty … the narrative distinguishes resurrection from resuscitation … The narrative notes their immediate obedience … The narrative gives no indication of the resurrected Jesus’ appearance … The narrative concludes by noting … The narrative takes for granted that …“. Auf den Leser gibt es kurze Hinweise: „Readers are not told exactly what the soldiers reported“ (205) u.a. – Davies vermeidet im Gegensatz zu anderen Kommentatoren die Erwähnung eines aktiven Subjekts, das an der Gestaltung des Textes beteiligt wäre, wie „Matthäus“, „Erzähler“ oder „Autor“. 34 C ARTER, Matthew and the Margins, 544f.548f. u.a. Einmal spricht er von den Frauen als „marginal characters“ (547). Ein nur scheinbar narratologisches Element in seinem Kommentar ist die Einteilung des MtEv in „six narrative blocks“.
3.1 Applikationsformen der Narratologie
257
Der fortlaufende rezeptionsästhetische Kommentar von M. Mayordomo Marín bezieht sich zwar auf Mt 1–2, ist in unserem Zusammenhang jedoch trotzdem instruktiv.35 Hier führt die reflektierte Anwendung der Leserkategorie dazu, dass die von Mt vorausgesetzten 36 Frames und Skripts sehr genau beschrieben werden, genauer als in den meisten anderen Kommentaren. Mayordomo Maríns Text enthält daher – ganz klassisch – ausführliche sprachliche, formgeschichtliche und traditionsgeschichtliche Erörterungen. Das macht den Kommentar sehr erhellend und lehrreich, obwohl die jeweiligen Erklärungen dann nicht gleichmäßig umgesetzt werden. 37 Problematisch ist jedoch auch hier die Vermischung zwischen Erläuterung des Textes und Erklärung der Erzähltechnik bzw. Leserwirkung. Durch den ständigen Wechsel zwischen den verschiedenen Betrachtungsebenen wird der Kommentar schwer lesbar. Durch diese Übersicht mag deutlich geworden sein, dass es nicht gut funktioniert, die Analyse der Erzähltechnik in einen Vers-für-VersKommentar integrieren zu wollen. Das hängt mit dem Zweck der erläuternden Paraphrase zusammen, die ihren Rezipienten vom Autor vorausgesetzte, aber ihnen unbekannte Frames und Skripts des Ursprungstextes erklärt und ggf. ihrerseits für Spannung und Rezeptionsemotionen sorgt, aber dies nicht inmitten der Paraphrase thematisiert. 35 MAYORDOMO MARÍN, Anfang, 203–365. Die Arbeit gibt die bis heute beste Übersicht zu rezeptionsästhetischen Ansätzen und deren möglicher Anwendung. Vgl. jedoch Kap. 2.1.3.1, 2.2.1 und 2.7 zur Schwierigkeit einer textimmanent verstandenen Rezeptionsästhetik („impliziter Leser“) und ihrer notwendigen Konkretisierung durch die Rezeptionsforschung. 36 Dort allerdings als „hypothetische Erstrezeption“ beschrieben, weil Mayordomo Marín die Erkennbarkeit und Relevanz der intentio auctoris noch grundsätzlich im Sinne des New Criticism bezweifelt (M AYORDOMO MARÍN, Anfang, 170–187; vgl. dazu aber Kap. 2.2.1). Bei der praktischen Umsetzung ist der Unterschied jedoch marginal. 37 Am Beispiel der Auslegung von Mt 1,1: Mayordomo Marín erläutert zunächst die Erwartung antiker Rezipienten bezüglich Titelüberschriften (206–208) und beschreibt, inwiefern Mt 1,1 als Titel fungiert (212–214, 216). Hier geht es also um das moderne Skript „Ein Text muss einen Titel haben.“ Als zweiter Punkt wird die Bedeutung von bivblo~ und gevnesi~ (208f.) sowie der Bezug von bivblo~ genevsew~ auf die alttestamentliche Toledotformel (210f.) erörtert. Damit wird dem Rezipienten ein Frame zum Verstehen des Textes mitgegeben, nämlich der sprachliche und traditionsgeschichtliche Hintergrund des Ausdrucks. Inkonsequenterweise behandelt Mayordomo Marín dann die matthäische Attribuierung Jesu als Messias, Davidssohn und Abrahamssohn nur noch am Rande (214–216). Das für damalige Juden und Judenchristen mögliche Deutungsspektrum vor dem alttestamentlichen Vorstellungshintergrund wird anders als bei bivblo~ genevsew~ nicht ernsthaft erörtert, vielleicht wegen der Fülle des Materials. Mayordomo Marín behauptet stattdessen, dass ein Leser des MtEv zu Beginn noch nicht wissen könne, was Mt damit meint (jemand, der den späteren mt Text hier hineinlese, sei ein „textueller Geisterfahrer“ [215]). Damit unterläuft er den sonst oft gut umgesetzten Anspruch des Kommentars, die „Enzyklopädie“ (U. Eco) des Erstlesers zu rekonstruieren.
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
Positiv gesprochen, könnten wissenschaftliche Kommentare in Exegese und Literaturwissenschaft also so vorgehen: Die Analyse der Erzähltechnik/Rhetorik ist ebenso wie Fragen der Textkritik oder der Quellenkritik in einen eigenen Abschnitt auszugliedern, und in der Vers-für-Vers-Auslegung sind dann nur die sprachlichen, formgeschichtlichen, traditionsgeschichtlichen usw. Aspekte zu behandeln (alles, was ein heutiger Leser zum Verständnis der erzählten Welt braucht), ohne dass noch explizit der Erzähler oder Leser erwähnt werden muss. 38 Eine Trennung von Analyse und Kommentar dient vor allem der besseren Lesbarkeit und größeren Nachvollziehbarkeit und ist daher auch nicht dogmatisch zu sehen. Es ist ebenso denkbar, dass kürzere Bemerkungen zur Textkritik oder Erzähltechnik in den Kommentartext eingeschoben werden oder ihn in den Fußnoten begleiten.39 Inwiefern kann die Narratologie aber helfen, die erläuternden Paraphrasen zu erstellen und zu analysieren? a) Der Kommentar als reflektierte Nacherzählung: Die narrative Analyse zeigt, wie die Erzählung von ihrer Struktur her „funktioniert“ und auf ihre Rezipienten einwirkt. Der Kommentar als Nacherzählung nimmt dann erzähltechnische Modifikationen vor. Man kann bei der Paraphrase die rhetorischen Strukturen der Ursprungserzählung bewusster unterstützen und verstärken, sie abschwächen oder ihnen widersprechen. Das gilt besonders für viele kürzere Kommentare, bei denen die erklärende Nacherzählung im Vordergrund steht und nicht als Ausgangspunkt für längere Exkurse dient. Das Schreiben des Vers-für-Vers-Kommentars geschieht bisher relativ unmethodisch; in der Exegese gibt es (anders als in der Praktischen Theologie) zu wenig Bewusstsein dafür, dass Kommentare den Gesetzen der Rhetorik unterliegen. 40 Kommentare müssen nicht nur den Text, 38
S. dazu der Vorschlag für eine umfassende philologische Methode der Auslegung, Kap. 4.3.2. 39 Daneben gibt es auch Kommentartypen, die völlig auf die Paraphrase verzichten und die Erklärungen mitsamt den Analysen als Fußnoten direkt an den Ursprungstext bzw. die Übersetzung anfügen. So ist es in den meisten philologischen Editionen üblich; in der Exegese begegnet diese Darstellungsform beispielsweise bei der Kommentarreihe „Neue Echter Bibel“ und bereits seit der Antike im Glossenkommentar (dazu F ROEHLICH, Bibelkommentare, bes. 474f.491). Die Form der nacherzählenden Vers-für-Vers-Auslegung steht dagegen der Predigttradition nahe, wobei die appellativen Elemente in neuerer Zeit zurückgedrängt wurden. L OHFINK, Kommentar, 6–8 möchte nur die fortlaufende, nicht-appellative Paraphrase als Kommentar bezeichnen und moniert (4): „Oft bieten Kommentare nichts anderes als eine Anhäufung von Einzelfakten. … Struktural gesehen liegt bei derartigen Kommentaren … gar nicht die Gattung des Kommentars, sondern die Gattung der Liste vor, zu der ja bekanntlich auch Telefonbücher gehören.“ Solche „Kommentare“ können natürlich nicht narratologisch untersucht werden. 40 Sehr erhellend dazu B OHREN, Kummer, der sich mit Mitteln der Predigtanalyse zu EKK-Kommentaren von U. Wilckens und E. Schweizer äußert.
3.1 Applikationsformen der Narratologie
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sondern ebenso ernsthaft auch den jeweils intendierten Leserkreis im Blick haben.41 b) Beantwortung realer Fragen (speziell zur erzählten Welt): Weil Kommentare jeweils für ein bestimmtes Publikum geschrieben sind, sollen sie möglichst diejenigen Fragen beantworten, die bei ihrem Leserkreis beim Lesen des Textes entstehen. Kommentare stehen aber in einer bestimmten akademischen Denktradition und damit Frage-Tradition. Sehr wahrscheinlich unterscheiden sich die Fragen, die ein „einfaches“ Gemeindeglied und damit auch die Pfarrerin oder der Lehrer hat, an manchen Punkten von dem, was ein Bibelkommentar erklärt, selbst ein populärwissenschaftlicher. Die Narratologie kann hier helfen und systematisch diejenigen Fragen herausarbeiten, die bezogen auf die erzählte Welt bei Rezipienten auftauchen können (s. dazu beispielsweise Kap. 3.3.1, 3.4.1, 3.5.2). Sofern die finanziellen Mittel vorhanden sind, kann man sie noch umfassender durch empirische Rezeptionsforschung ermitteln. 42 c) Jede Nacherzählung impliziert eine Stellungnahme: Die Narratologie hat nicht zuletzt eine ideologiekritische Funktion. Man kann mit ihrer Hilfe die rhetorische Struktur der Ursprungserzählung analysieren: Wie arbeitet der Autor genau, um Spannung, Rezeptionsemotionen und einen Einstellungswandel bei seinen intendierten Rezipienten hervorzurufen? Die Frage nach der Erzähltechnik deckt diese Mechanismen auf. Wenn man dann nicht nur einzelne Aspekte der Erzählung wie z.B. die Textüberlieferung, mögliche Quellen oder deren narrative Struktur analysiert, sondern den Text auslegt, d.h. eine eigene, erläuternde Nacherzählung verfasst, muss 41 Vgl. ZENGER, Essentials, 228: „Der Kommentar muß das Weltwissen seiner intendierten Leser kennen und so in seinem Kommentar mitreflektieren, daß die von ihm geforderte Umkodierung und Paraphrasierung des Textes für seinen Leserkreis gelingt.“ S. auch STOCK, Überlegungen, 83f.; allgemeiner M AYORDOMO MARÍN, Anfang, 390f.: Eine Interpretation müsse nicht nur textadäquat, sondern auch situationsadäquat sein. Für die Praktische Theologie ist das eine alte Erkenntnis, vgl. klassisch L ANGE, Theorie. Weiterführend bezogen auf die Methodologie der Kommentierung ist neuerdings auch der interdisziplinär angelegte Lexikoneintrag W ISCHMEYER/SAMELY u.a., Art. Kommentar. 42 Vgl. dazu auch SCHÖTTLER, Rezeptionsästhetik, 27–30 mit einer Liste von Leerstellen in Gen 32,23–33, die allerdings nicht systematisch hergeleitet oder empirisch erhoben werden, und besonders D IECKMANN, Empirische Bibelforschung (vgl. DIECKMANN, Segen), der die Reaktionen von Schülern und Studierenden auf die Verse von Gen 12,10–20 geordnet auswertet. Dazu verwendet er die Methode des „Lauten Denkens“ (T RABASSO/ SUH, Verstehen): Die Probanden werden einzeln interviewt, sie bekommen nacheinander kurze Abschnitte der Erzählung auf einem Kärtchen ausgehändigt und sollen jeweils spontan sagen, was ihnen dazu einfällt. Die Resultate betreffen z.B. Erwartungen über den Fortgang der Handlung (Kap. 2.4.5) sowie Empathie und Bewertung der Figuren (Kap. 2.7.1, 2.7.2). Übertragen auf die Homiletik könnte man Probanden jeweils Abschnitte eines Predigtvideos vorspielen, um zu überprüfen, in welcher Hinsicht eine Predigt wirklich „offen“ ist.
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
man auch selbst Position beziehen. Denn die Nacherzählung wirkt ihrerseits mit bestimmten narrativen Strukturen auf die eigenen Rezipienten ein und kann daher ebenfalls ideologiekritisch bewertet werden. Wer die vom Autor vorausgesetzten Frames und Skripts dann nur erklärend einfügt, unterstützt die von der Erzählung vermittelten Einstellungen und beeinflusst seine Rezipienten in diese Richtung. Keine kritische Stellungnahme ist daher auch eine Stellungnahme. 43 Beispielsweise könnte eine unkritische Auslegung des Matthäusevangeliums dazu führen, dass dessen „antipharisäische“ und „antijüdische“ Einstellung im nichtjüdischen Umfeld einen latent vorhandenen Antisemitismus fördert. 44 Durch Erzählungen werden Klischees vermittelt, Machtstrukturen (z.B. zwischen Männern und Frauen) zementiert oder Rassismus gefördert. 45 Auf der anderen Seite können 43 Daher ist es fraglich, ob man überhaupt „wissenschaftliche Exegese“ und „engagierte Exegese“ einander gegenüberstellen kann, was die Bibelwissenschaft tut, um sich von betont „subjektiven“, also feministischen, befreiungstheologischen oder heute postkolonialen Auslegungen abzugrenzen (vgl. T HEISSEN, Methodenkonkurrenz, 127–129). Selbst die herkömmliche Exegese ist auf ihre Weise vielfach „engagiert“, vgl. dazu K IEFFER, Text, 212 Anm. 3: „Wieviel ‚Engagement‘, wieviel ‚subjektives‘ Urteilen ist zugelassen, ohne daß der Kommentar als ‚unwissenschaftlich‘ erklärt wird? Die meisten ‚wissenschaftlichen‘ Kommentare verraten an manchen Stellen sehr eigenmächtige Urteile. … Wie steht es dann mit Kommentaren vom Typ E. Käsemann, An die Römer?“ M.E. kann ein Kommentar nicht nicht-engagiert sein, anders als die Einzelanalysen. Wichtig ist nur, dass Inhalt und Methode des Kommunizierten dem aktuellen Stand der Forschung entsprechen und den Rezipienten die Möglichkeit der Überprüfung gegeben wird, dass die Nacherzählung auf diese Weise entstanden ist. Das macht einen Vers-für-VersKommentar und andere Paraphrasen wie die Predigt wissenschaftlich fundiert, unabhängig davon, ob sie inhaltlich auf ein Publikum mit wenig Vorwissen zugeschnitten werden oder bewusst auf eine Rezeptionswirkung abzielen. 44 Darum betonen viele Kommentatoren zu Recht, dass der „Antijudaismus“ des MtEv auf einer innerjüdischen Auseinandersetzung der matthäischen judenchristlichen Gemeinde mit den übrigen Juden beruht und nicht als Legitimation für heutigen Antijudaismus oder Antisemitismus dienen kann. Dass Exegetinnen und Exegeten speziell für dieses interpretationsethische Problem zunehmend sensibel sind, zeigt sich an neueren Publikationen, z.B. FREYNE, Vilifying the Other; R USSELL, Antisemitism; B ROER, Antijudaismus; LUZ, Antijudaismus; W EISS, Kirche und Judentum; F ORNBERG, Deicide and Genocide; L UZ, Übersetzung der matthäischen „Antijudaismen“; F RANKEMÖLLE, Antijudaismus; LEVINE, Anti-Judaism; F RANKEMÖLLE, Neue Lektüre; WEISS, Noch einmal; DOBBELER, Wurzeln; SALDARINI, Reading Matthew without Anti-Semitism; E TTL, Warum so heftig, Matthäus?; HARTENSTEIN, Überlegungen; H AMILTON, His blood be upon us; wirkungsgeschichtlich KAMPLING, Blut Christi; KELLER, Blutruf (Mt 27,25). 45 So berichtet B OOTH, Company, 3 von einem Schlüsselerlebnis. Ein Kollege Booths, ein schwarzer Literaturwissenschaftler, hatte sich eines Tages geweigert, Mark Twains Roman Huckleberry Finn weiterhin mit seinen Studenten zu behandeln: „… it’s not the word ‚nigger‘ I’m objecting to, it’s the whole range of assumptions about slavery and its consequences … That book is just bad education, and the fact that it’s so cleverly written makes it even more troublesome to me“. Booth hatte diese (scheinbare) Verletzung aka-
3.1 Applikationsformen der Narratologie
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Erzählungen auch einen sehr positiven Einfluss auf ihre Rezipienten haben (Kap. 2.7.7). Eine wissenschaftlich fundierte Nacherzählung muss beides berücksichtigen; ihr sollte daher unbedingt eine narrative Analyse vorangehen, die die Strukturen der erzählten Welt und ihre Wirkungen aufdeckt.46 Indem den Rezipienten der Paraphrase auch die narrative Analyse der Ursprungserzählung explizit mitgeteilt wird, werden sie selbst mündig gegenüber dem Einfluss der Erzählung, können aber ebenso die Paraphrase auf ihre Wirkung hin prüfen und mit der intendierten Wirkung der Ursprungserzählung vergleichen. 2) Nacherzählungen jenseits exegetischer Kommentare. Die drei genannten Punkte gelten umso mehr für erläuternde Nacherzählungen, die einen größeren Wert auf die emotionale und behaviorale Wirkung bei ihren Rezipienten legen und daher teilweise mehrere Sinne ansprechen. Solche Formen der Paraphrase sind narrative Predigten, Theaterinszenierungen und Rollenspiele, Bibelverfilmungen, Bibelcomics und -hörspiele, Kinderbibeln, musikalische und literarische Umsetzungen, Gemälde, geistliche Schriftlesungen sowie – historisch betrachtet – die Midraschim, Targumim und manche neutestamentlichen Apokryphen. All diesen Nacherzählungen ist eine narrative Struktur gemeinsam, für deren Erstellung, Analyse und Vergleich die Narratologie angewendet werden könnte. 47 Weil gerade die Evangelien auf Verkündigung hin angelegt sind, 48 ist es auch theologisch
demischer Objektivität zuerst nicht verstanden, trug aber später zur Propagierung des „ethical criticism“ (vgl. 2.7.7) bei. Innerhalb der Exegese vertrat als wohl als erste SCHÜSSLER FIORENZA, Ethics (1988), die Forderung, dass neben die „ethics of historical reading“, d.h. die Verantwortung gegenüber dem Text, eine „ethics of accountability“ treten müsse, d.h. die Verantwortung gegenüber den heutigen Rezipienten (14f.). 46 Daher werden bereits in einigen Arbeiten Narratologie und feministische Exegese erfolgreich miteinander verknüpft, z.B. bei M ÜLLNER, Gewalt, bes. 32–39.62–68; MÜLLNER, Handwerkszeug; C HENEY, She Can Read; M ATTILA, Citizens; S CHMIDT, Zentrale Randfiguren; EDER, Frauen und Männer. Dabei wird nicht nur Negatives, sondern auch Positives hervorgehoben. Die feministische Exegese bezieht sich allerdings nur auf eine einzige semantische Achse der Erzählung (Mann/Frau), und auch die Evaluationskriterien müssten stärker durchdacht werden (zur Einführung vgl. N OLLER, Feministische Hermeneutik). Eine genaue Methode für eine umfassende Bewertung der Wirkung (vgl. 2.7) von Erzählungen fehlt bislang. Für eine ideologiekritische Anwendung der Narratologie außerhalb der feministischen Exegese vgl. N ICKLAS, Ablösung (zur typisierten Darstellung von „Juden“ im JohEv). 47 Vgl. Seite 33 (Kap. 2, Anm. 48) zur Transmedialität der Narratologie (Lit.). 48 Ausführlich dazu DEINES, Gerechtigkeit, 84–90. Daher kann man die Kirche – im Einklang mit dem historischen Jesus, der ebenfalls narrativ verkündigte – mit Recht als „Erzählgemeinschaft“ verstehen (vgl. das Grundanliegen der „narrativen Theologie“ von J.B. Metz u.a., die jedoch zu allgemein bleibt und keine analytischen Methoden entwickelt; s. WEINRICH, Narrative Theologie; METZ, Kleine Apologie des Erzählens; dazu WENZEL, Narrativität; C ORNILS, Geist Gottes, 3–22; M AUZ, Theology and Narration,
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
zutiefst sinnvoll, ihre Paraphrasierungen systematischer zu verfassen und zu analysieren. Bisher wurde die Narratologie schon zur Untersuchung narrativer Predigten eingesetzt, 49 doch stehen die Anwendungen hier noch ganz am Anfang. Die Narratologie kann also dabei helfen, auch solche Nacherzählungen zu schreiben bzw. zu inszenieren, die die Rezipienten stärker im Blick haben und einen größtmöglichen positiven Einfluss ausüben. Von Versfür-Vers-Kommentaren, die ebenfalls nicht ohne Engagement auskommen, sind diese Paraphrasen nur graduell zu unterscheiden und nicht per se weniger wissenschaftlich fundiert. 50 Im Gegenteil, deren Erstellung ist anspruchsvoller, denn unter Beibehaltung der adäquaten Texterklärung muss die auf die Rezipienten zugeschnittene Rhetorik verstärkt werden. Im Fall einer narrativen Predigt wird die Textauslegung also durch spannungs- und identifikationsfördernde Elemente, Veranschaulichungen oder Beispielgeschichten ergänzt.51 Die „natürliche“ Wirkung der Ursprungserzählung (theologisch: Hebr 4,12; 2 Tim 3,16f.) wird auf diese Weise für heutige Rezipienten intensiviert. 52 Die Narratologie ist daher in allen Anwendungssowie der Präzisierungsversuch von F UCHS, Konkretionen, der die Narratologie leider übersieht). 49 Vgl. MEINHARD, Ideologie, die narrative Predigten zu Joh 4,1–42 vergleicht. Sie greift auf die Narratologie von M. Bal zurück und analysiert u.a. Erzähl-/Predigtstimme vs. Figurenrede (107–116), „Fokalisator“ (116–120; zur Problematik vgl. Kap. 2.6.3), Akteure und Ereignisse (120–127), Erzählzeit/erzählte Zeit (129–133) und Figuren (166– 182); für eine zusammenfassende Methode vgl. 192–194. Auch Exempel bzw. Exempelsammlungen, die in Predigten verwendet werden, könnte man in den Fokus nehmen (GRUBMÜLLER, Art. Predigtmärlein). Noch nicht allzu sehr von der Narratologie beeinflusst sind pädagogische Methodenlehren zum Erzählen von Geschichten, vgl. O EHLMANN, Einfach erzählen; NEIDHART/E GGENBERGER , Erzählbuch zur Bibel I–III, bes. I, 15–113; M ELCHER, Kindern biblische Geschichten erzählen (empirisch); s. auch W ELZ, Kinderpredigt. 50 Vgl. oben Anm. 43 (Seite 260). In der Praxis fehlt jedoch oft das Wissen und die Zeit für eine präzise Ausarbeitung. Doch gibt es in der Kirche eigentlich kein Ressourcenproblem, man müsste nur die Arbeitsteilung von Exegese und Praktischer Theologie sowie Praktikern untereinander konsequent koordinieren. 51 Vgl. daneben auch didaktische Methoden wie das Schreiben eines Briefes aus Sicht einer Figur, der „Bibliolog“ (P OHL-PATALONG, Bibliolog) oder allgemein das Rollenspiel bzw. Bibliodrama, die dazu dienen, die Empathie des Rezipienten zu einer Figur zu erhöhen und in die Erzählung „einzutauchen“ (empirisch S TÜHLMEYER, Veränderungen). Für verschiedene Konzepte vgl. B ERG, Wort wie Feuer; LEHNEN, Interaktionale Bibelauslegung. 52 Eine interessante Parallele ist hier die pietistische Hermeneutik: Nach der Affektenlehre von A. H. Francke soll man die Bibel so lesen, dass die „heiligen Affekte“ der biblischen Autoren, die in der Liebe gegründet sind, zu eigenen Affekten werden und die natürlichen Affekte zurückdrängen. Man kann auch sagen: Der vom Heiligen Geist geleitete Leser soll die Empathie, Sympathie, Spannung, Rezeptionsemotionen und Meinungsänderung in einer Weise nachvollziehen, wie es vom Autor intendiert ist (und nach
3.1 Applikationsformen der Narratologie
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feldern wichtig, wo man sich darüber Gedanken macht, wie – theologisch gesprochen – die biblische Botschaft ihre Wirkung entfalten kann. Auch bei dieser Form der Nacherzählung ist das Bewusstsein für Interpretationsethik sehr wichtig; man kann und muss möglichen negativen Wirkungen der Ursprungserzählung (angesichts des Vorverständnisses heutiger Rezipienten) widersprechen und sie korrigieren. Eine Predigt, Predigtmeditation oder Gemeindeauslegung muss also einerseits eine wissenschaftlich fundierte, auf die Rezipienten zugeschnittene Textauslegung bieten, andererseits soll die Paraphrase einen positiven Einfluss auf die Rezipienten ausüben. Ich möchte kurz einige ganz unterschiedliche Beispiele zu Mt 28 vorstellen, wie dies bisher tatsächlich am Bibeltext umgesetzt wird: M. Luther bietet in einer Bibelauslegung zu Mt 28 53 eine eher nüchterne Exegese, er macht sprachliche Anmerkungen 54 oder äußert sich zu Leerstellen im Handlungsverlauf, 55 was insgesamt an einen klassischen Vers-
Francke ist nur der christlich vorgeprägte Leser aufgrund seiner Einstellung dazu fähig; für die pietistische hermeneutica sacra wird also faktisch mit einem allgemeinen Verstehensprinzip argumentiert). Zur Affektenlehre Franckes vgl. P ESCHKE, Studien II, 97–110; knapp HUIZING, Homo legens, 53f.; zuletzt T ILLMANN, Hermeneutik, 28–34. Tillmann resümiert, dass „paradoxerweise gerade der biblizistische Pietismus einen entscheidenden Impuls zur ästhetischen Betrachtung der Bibel [gibt], die implizit die Singularität der Heiligen Schrift nivelliert, indem Bibel und profane Literatur unter der Perspektive ihrer jeweiligen rhetorisch-psychologischen Mittel und der durch sie ausgelösten Leseraffekte vergleichbar werden“ (34). Inhaltlich hinter Francke zurück bleibt das allgemeine Plädoyer von Stuhlmacher, man müsse biblische Texte ejk pivstew~ eij~ pivstin auslegen (STUHLMACHER, Aus Glauben zum Glauben, 141f.; vgl. ähnlich Dei Verbum 12: „die Heilige Schrift [ist] in demselben Geist, in dem sie geschrieben wurde, auch zu lesen und auszulegen“); ebenso verkürzt und nur auf heilige Schriften bezogen C OMBRINK, Rhetoric, 103: „One can read the text for information, or for transformation.“ 53 LUTHER, Evangelien-Auslegung V, 296–302 (Predigt vom 14.3.1525; lateinischdeutscher Text: WA 17/I, 86–101). 54 Der Text enthält einige philologische Erklärungen, z.B. ebd., 296: „,Am Abend des Feiertags‘ [Mt 28,1; ojye; de; sabbavtwn] – es lautet seltsam in unserem Deutsch, daß Christus am Abend auferstanden sei, da doch alle Evangelisten sagen, daß er morgens mit Sonnenaufgang als die rechte Sonne auferstanden sei. … Es ist hebräische Weise, zu reden. Aber er [Matthäus] legt sich selber aus, indem er spricht, am Abend ‚der anbricht am Morgen‘. Das nennt er ‚Abend‘. … Nach hebräischer Weise wird die Zeit so gerechnet, wie 1.Mos.1 geschrieben steht …“. 55 Z.B. ebd., 297: „,Der Engel des Herrn kam vom Himmel herab‘ (Mt 28,2). Das ist in der Frühe geschehen, da der Tag anbrach, zwischen dem Aufgang der Sonne und Anbruch des Tags ist Christus auferstanden, das Erdbeben geschehen und der Engel vom Himmel gekommen und hat den Stein weggewälzt, aber da war Christus schon hinweg. Als das Erdbeben geschah, ist sein Leib herausgefahren. Als er weg war, ist der Engel gekommen.“ Rezipienten des Textes von Mt 28 stellen sich vielleicht die Frage, ob der Engel das Grab deswegen öffnet, damit der Auferstandene herauskommen kann. Luther
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
für-Vers-Kommentar erinnert. Der Gemeindekommentar von F. Rienecker dagegen bemüht sich um eine stärkere Emotionalisierung, weil er seine Leserinnen und Leser so mit in die Erzählung hineinnehmen möchte. 56 I. Spieckermann vereint in ihrer Predigtmeditation beide Aspekte. Sie erweitert ihre Paraphrase durch redaktions- und traditionsgeschichtliche Bemerkungen,57 versucht aber auch Empathie für Maria Magdalena zu wecken 58 und benennt mögliche Strukturparallelen zwischen Hoffnungen und Handlungen der Figuren (Maria, Jesus) und denen der Predigtrezipienten 59. Die Ansprachen von E. Drewermann schließlich sind flüssig zu lesen, können aber – wie viele heutige Predigten „über“ einen Bibeltext – nicht wirklich als erklärende Paraphrase angesehen werden. 60 Bei sorgfältiger Umsetzung eines narratologischen Konzepts wäre das wohl kaum passiert. Fazit: Die Narratologie hat einen überaus breiten Anwendungsbereich. Sie kann zum Vergleich von Erzählungen eingesetzt werden (3.1.1), zur genauen narratologischen Analyse einzelner Erzählungen (3.1.2) und nicht verneint das ganz klar. Vgl. zu diesem Problem auch D AVIES/A LLISON, Matthew III, 665; LUZ, Matthäus IV, 402f.408. 56 R IENECKER, Matthäus, 371–379 (Reihe: Wuppertaler Studienbibel) hilft seinen Leserinnen und Lesern dazu, über das Kommen des Engels zu jubeln (372 [zu Mt 28,2–4]: „Die Macht des Himmels triumphiert über die Macht der Erde ... Ein staatliches Siegel und ein militärisches Aufgebot sind Gott gegenüber Lächerlichkeiten“), mit den Frauen zu staunen (373 [zu Mt 28,6]: „Sprachlos, fassungslos, völlig verwirrt vor Schrecken und Angst, andererseits voll Jubel und Freude, so sind die Frauen gepackt und gebannt“) oder die Wachen zu verachten (374 [zu Mt 28,15]: „Aber für Geld gibt man auch seine Berufsehre preis und lügt und spricht nach, was befohlen wird. Welch ein Tiefstand!“). M.E. wäre das Wissen um Narratologie eine wesentliche Voraussetzung für eine reflektierte „erweckliche“, geistliche Auslegung. Rienecker verzichtet zugunsten der Emotionalisierung jedoch auf solide Hintergrundinformationen. 57 SPIECKERMANN, Ostersonntag – 4.4.1999, bes. 200f. und die Fußnoten. 58 Ebd., 201: „Stehen wir mit Maria von Magdala am leeren Grab, mit unseren verlorenen Träumen, unserer begrabenen Hoffnung, unserer vagabundierenden Sehnsucht nach heilem, befreitem, ganzem Leben. Da wird es plötzlich still. …“; vgl. 199. Sie regt die Predigenden außerdem durch Beschreibung einer Filmszene an, sich vorzustellen, wie man selbst dem auferstandenen Jesus entgegenläuft (204). 59 Z.B. Aufbruch ins Leben; Jesus wartet im Alltag; das leere Grab = Vergangenheit, Galiläa = Alltag (ebd., 202). Vgl. Kap. 3.7.6.2 zu intendierten Anwendungen. 60 DREWERMANN, Matthäus III, 269–305 (zu Mt 28,1–15 und 16–20). Der Bibeltext dient hier im Wesentlichen nur dazu, bestimmte Stichworte zu liefern. Außerdem bietet Drewermann seinen Hörern als Verstehenshorizont für den mt Text Parallelen aus der indischen und ägyptischen Religionsgeschichte an, sagt aber nichts zum jüdischen Vorstellungshintergrund. Drewermanns Einfluss erklärt sich aus einer sehr suggestiven Sprache und dem ständigen Bezug auf die menschliche Existenz, z.B. 270: „die äußere Apologetik verinnerlicht sich … zu einem schon wieder neuen großartigen Bild: Das Leben läßt sich, selbst in versiegelten Gräbern, nicht einsperren; die Hoffnung läßt sich mit keiner Wachmannschaft unter Arrest stellen; das, was Menschen sind, läßt sich endgültig nicht totmachen.“ Für eine umfassende Kritik vgl. F REY, Eugen Drewermann.
3.2 Erzählebenen und Fiktionalität
265
zuletzt auch zum Erstellen und zur Untersuchung von Paraphrasen wie Kommentaren oder Predigten (3.1.3). Zugleich wurde in einem Forschungsüberblick beschrieben, inwiefern literaturwissenschaftliche Fragestellungen und Erkenntnisse bereits in der Matthäusexegese aufgegriffen wurden. Insgesamt hat der Überblick über bisherige literaturwissenschaftlich orientierte Studien zum MtEv gezeigt, dass bisher nur wenige Arbeiten existieren, die wirklich als narratologisch angesehen werden können. Und auch dann wird eher das MtEv insgesamt kursorisch in den Blick genommen. Außerdem war zu beobachten, dass die rezeptionsästhetische Frage nach dem Vorwissen des Lesers in der Praxis zu ganz traditionellen Exegesen führt. Daneben wurden auch aktuelle Kommentare zum MtEv untersucht, die nach eigenem Verständnis literaturwissenschaftlich beeinflusst sind. Im konkreten Kommentartext geht dieser Einfluss aber kaum über bestimmte Stichworte wie „the narrative“ oder „die Leser/innen“ hinaus. Was die Narratologie zur Matthäusforschung tatsächlich beitragen kann – und was nicht –, soll nun exemplarisch am Beispiel von Mt 28 erörtert werden. Dabei soll möglichst die gesamte Fülle der Analyseaspekte aus Kap. 2 zur Anwendung kommen. Weil es letztlich um eine Überprüfung der jeweils verwendeten Methoden geht („Bewertung der Methode“), steht nicht so sehr die konkrete, umfassende exegetische Diskussion im Vordergrund; Matthäusforscherinnen und -forscher mögen dies verzeihen. Außerdem ist diese Umsetzung einer narratologischen Exegese auch so ausführlich, dass sie nur selten in dieser Vollständigkeit und Detailliertheit praktiziert werden kann. Hier möchte ich noch einmal betonen: Das vorliegende Praxis-Kapitel zielt darauf ab, die Möglichkeiten auszuloten, die sich durch narratologische Konzepte ergeben – und nimmt niemanden in die Pflicht, narratologische Untersuchungen in dieser Detailliertheit durchführen zu müssen.
3.2 Erzählebenen und Fiktionalität 3.2.1 Erzählebenen Für eine übersichtliche Darstellung der Kommunikationsebenen bietet es sich an, die eingebetteten Erzählebenen (K1, K2, K3) jeweils etwas nach rechts einzurücken.61 Der Text von Mt 28 wird in (eigener) deutscher Übersetzung wiedergegeben: 61
Eine solche Darstellung ist vereinzelt schon in der Exegese üblich, vgl. L UX, Jona, 67–72; W EISE, Segnen, 71.82f. u.ö.
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
K1 K2 K3 Matthäus 28,1–7:62 1 Doch nach dem Sabbat,63 als der erste Tag der Woche anbrach, kamen Maria aus Magdala und die andere Maria, um nach dem Grab zu sehen. 2 Und siehe, es geschah ein großes Erdbeben; denn der Engel des Herrn stieg vom Himmel herab und kam hinzu, rollte den Stein weg und setzte sich auf ihn. 3 Es war aber seine Gestalt wie ein Blitz und sein Kleid weiß wie Schnee. 4 Vor Furcht aber vor ihm erbebten die Wächter und wurden wie tot. 5 Der Engel aber antwortete den Frauen: „Ihr sollt euch nicht fürchten, denn ich weiß, dass ihr Jesus, der gekreuzigt wurde, sucht; 6 er ist nicht hier, denn er ist auferstanden, wie er gesagt hat. 7 Kommt (und) seht den Ort, wo er gelegen hat. Und geht schnell und sagt seinen Jüngern: ‚Er ist von den Toten auferstanden und siehe, er geht euch voran nach Galiläa, dort werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt.‘“ Matthäus 28,8–10: 8 Und sie gingen schnell von der Gruft weg mit Furcht und großer Freude und liefen, um (es) seinen Jüngern zu verkünden. 9 Und siehe, Jesus begegnete ihnen und sagte: Seid gegrüßt. [Freut euch.] Sie aber traten heran und fassten seine Füße und fielen vor ihm nieder. 10 Daraufhin sagte Jesus zu ihnen: „Fürchtet euch nicht; geht hin und verkündet meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa weggehen sollen, und dort werden sie mich sehen.“ Matthäus 28,11–15: Als sie aber wanderten, da gingen einige von der Wache in die Stadt und verkündeten den Hohenpriestern alles, was geschehen war. 12 Und nachdem sie mit den Ältesten zusammengekommen waren und Rat gehalten hatten, gaben sie den Soldaten eine beträchtliche Summe Geld 13 und sagten: 11
62 Zwar hat die Narratologie keine eigene Methode zur Abgrenzung von Szenen entwickelt (vgl. Kap. 2.4.1). Die vorliegende, einfache Einteilung in vier Szenen wird aber indirekt durch die Ausführungen unter 3.4.4.1 (Handlungsstrukturen) und 3.4.6 (Handlungsstränge) begründet. 63 Vgl. dazu Kap. 4.2.4 (Seite 462–464).
3.2 Erzählebenen und Fiktionalität
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K1
K2 K3 „Sagt: ‚Seine Jünger sind bei Nacht gekommen und haben ihn gestohlen, als wir schliefen.‘ 14 Und wenn dies bei dem Statthalter gehört wird, werden wir ihn überzeugen und euch werden wir sorgenfrei machen.“ 15 Sie aber nahmen das Geld und taten, wie sie gelehrt worden waren. Und diese Rede breitete sich aus bei [den] Juden bis zum heutigen Tag. Matthäus 28,16–20: Die elf Jünger aber gingen nach Galiläa auf den Berg, wohin Jesus sie befohlen hatte, 17 und als sie ihn erblickten, fielen sie nieder; sie64 zweifelten aber. 18 Und Jesus trat heran und redete zu ihnen: „Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf der Erde. 19 Geht darum hin und macht zu Jüngern alle Völker 65, indem ihr sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes tauft 20 und sie alles beachten lehrt, was ich euch befohlen habe; und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Zeit.“ 16
Die Narratologie diskutiert zwar um die Benennung verschiedener Erzählebenen (vgl. 2.2.1), bietet aber noch keine Methode an, wie man diese Ebenen voneinander trennt. Den Beginn einer neuen Kommunikationsebene kann man im Allgemeinen leicht an Verben des Sagens sowie an einem Wechsel der Pronomina erkennen, in heutigen Texten natürlich auch an der Zeichensetzung. Im Text von Mt 28 liegt jedoch ein weniger offensichtlicher Fall vor: Wie weit geht der Inhalt dessen, was die Frauen den Jüngern sagen sollen (V. 7)?66 Es gibt hier drei Möglichkeiten, für die unterschiedliche Argumentationen ins Feld geführt werden. a) „Und geht schnell und sagt seinen Jüngern: ‚Er ist von den Toten auferstanden.‘ Und siehe, er geht euch voran nach Galiläa, dort werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt.“ In dieser Version kündigt der Engel auch den Frauen an, dass sie den Auf64 Andere Übersetzung: „einige aber zweifelten“. Vgl. ausführlicher zu diesem Problem GRAYSTON, Translation; M CKAY, Use; VAN DER HORST, Once More; N EIRYNCK, TIS ESTIN, 33–36; REEVES, They worshipped him, 344–348. 65 Andere Übersetzung: „alle Heiden“. M.E. denkt Mt bei den e[qnh in V. 19 zwar vor allem an die Heiden, schließt aber Juden nicht kategorisch aus. Die Übersetzung dieser Stelle hängt auch damit zusammen, wie man die heilsgeschichtliche Vorstellung des MtEv rekonstruiert. Vgl. z.B. H ARE/HARRINGTON, Make Disciples; M EIER, Nations or Gentiles?; VON DOBBELER, Restitution Israels; F RANKEMÖLLE, Sendung, vs. WILK, Eingliederung. 66 Viele Kommentatoren äußern sich nicht zu diesem Problem und lassen ihre Entscheidung auch nicht in der Übersetzung erkennen, da oft – wohl durch den typografischen Einfluss der Bibelübersetzungen – gar keine Anführungsstriche gesetzt werden.
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
erstandenen in Galiläa sehen würden; die Botschaft an die Jünger dagegen beschränkt sich auf die Auferstehungsnachricht. 67 Dafür scheint zu sprechen, dass kai; ijdouv einen gedanklichen Neuansatz andeutet und dass die Nachricht sonst zu sehr den ähnlichen V. 10 vorwegnähme. Dagegen spricht der tatsächliche Erzählverlauf, nämlich dass die Frauen Jesus nicht in Galiläa begegnen, sondern bereits auf dem Weg 68, dass bei der Wiederholung der Botschaft in V. 10 nur die Jünger gemeint sind (o[yontai) und dass in Galiläa explizit nur die elf Jünger (e{ndeka maqhtaiv) Jesus sehen. Auch die Erscheinungsankündigung in 26,32 hatte Jesus im Kreis der Zwölf gesprochen (vgl. 26,20). Diese Deutung passt also nicht zur matthäischen Erzählung. 69 b) „Und geht schnell und sagt seinen Jüngern: ‚Er ist von den Toten auferstanden und siehe, er geht euch voran nach Galiläa, dort werdet ihr ihn sehen.‘ Siehe, ich habe es euch gesagt.“70 Hier ist die Ankündigung, Jesus in Galiläa zu treffen, noch an die Jünger gerichtet. Der Nachsatz ijdou; ei\pon uJmi`n wendet sich dann bekräftigend den Frauen zu, die die Botschaft überbringen sollen. Diese Deutung hat den Vorteil, dass sie erzählerisch mit dem übrigen Text vereinbar ist. Dafür spricht auch, dass ijdouv ohne Konjunktion wohl einen schärferen Einschnitt markiert als kai; ijdouv bzw. ein mit einem Partizipialsatz verbundenes ijdouv (vgl. auch V. 2.9.11.20). Andererseits ist der Nachsatz nur schwer zu deuten. Er könnte sich auf die alttestamentliche Botenformel hwhy µaun] „[dies ist das] Wort Jahwes“ oder auf andere Bekräftigungen wie yTir]B'Di hwhy ynia} („ich, Jahwe, habe gesprochen“; Num 14,35; Hes 5,15.17 u.a.) beziehen. 71 Trotzdem bleibt ijdou; ei\pon uJmi`n als Formulierung ungewöhnlich und (bis auf Mt 24,25) 72 ohne direkte Parallele. c) „Und geht schnell und sagt seinen Jüngern: ‚Er ist von den Toten auferstanden und siehe, er geht euch voran nach Galiläa, dort werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt.‘“73 In diesem Fall soll auch die Botschaft ijdou; ei\pon uJmi`n den Jüngern weitergegeben werden. Für diese Deutung kann man zunächst grundsätzlich argumentieren, dass (aus Sicht des Rezipienten) eine wörtliche Rede so lange andauert, bis der Rezipient durch ein klares Textsignal auf deren Ende hingewiesen wird. Auch z.B. in der wörtlichen Rede in Mt 26,45f. wird durch ijdouv kein wirklicher Einschnitt hergestellt. Auf der anderen Seite macht der Nachsatz, wenn er an die Jünger gerichtet ist, keinen Sinn: Die 67
Dies wird z.B. von N OLLAND, Matthew, 1240.1250f. und F IEDLER, Matthäusevangelium, 424f. vertreten. Auch H AGNER, Matthew II, 870 vermutet, dass die nach kai; ijdouv folgenden Worte „are probably equally addressed to the women“. 68 F IEDLER, Matthäusevangelium, 425 Anm. 176 wirft Matthäus hier eine Inkonsistenz vor, anstatt die eigene Interpretation zu überdenken: „Mt hat sich offenbar nicht daran gestoßen, dass die Frauen gleich anschließend eine Begegnung mit dem Auferstandenen in Jerusalem haben.“ Wenn es alternative Deutungen gibt, die ein kohärentes Verständnis des Textes ermöglichen, sollte man nicht vorschnell Spannungen identifizieren. 69 In der Parallele Mk 16,7 ist in ähnlicher Weise unklar, ob auch die Frauen Jesus in Galiläa sehen werden, weil o{ti eine direkte oder indirekte Rede einleiten könnte. Nach der Lutherübersetzung wird dort nur den Jüngern angekündigt, dass sie Jesus in Galiläa sehen würden (im Einklang mit Mk 14,20.28), die Einheitsübersetzung dagegen bezieht auch die Frauen ein. Die Lutherübersetzung entspricht eher dem markinischen Kontext. 70 So z.B. LUZ, Matthäus IV, 395; FRANCE, Gospel of Matthew, 1096.1101. 71 Vgl. dazu BODE, Easter Morning, 54; L UZ, Matthäus IV, 405 Anm. 68; F RANCE, Gospel of Matthew, 1101. 72 Hinweis auf Mt 24,25 bei L UZ, Matthäus IV, 405 Anm. 68. 73 So z.B. CARTER, Matthew and the Margins, 546 (ohne Begründung); wahrscheinlich auch SAND, Matthäus, 582.
3.2 Erzählebenen und Fiktionalität
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matthäische Formulierung dient anders als Mk 16,7 (kaqw;~ ei\pen uJmi`n; vgl. Mk 14,28) offenbar nicht dazu, explizit auf Mt 26,32 zu verweisen, 74 denn hier spricht ein Engel in der ersten Person und nicht Jesus. Der Ausdruck ist dann eher (wie ijdou; proeivrhka uJmi`n in Mt 24,25) als eine metakommunikative Bekräftigung der unmittelbar vorhergehenden Sätze anzusehen. Wäre diese wörtlich an die Jünger gerichtet, müsste der Engel über sich in der dritten Person sprechen: „Siehe, ein Engel hat es euch (den Jüngern) gesagt.“ Weil hier aber offensichtlich ein Wechsel der Person vorliegt, ist diese Lösung unwahrscheinlicher als Möglichkeit b).75
Damit solche Fragen zur Abgrenzung von Kommunikationsebenen in Zukunft etwas systematischer und umfassender 76 behandelt werden, müsste aus den Argumentationsschemata eine Methode rekonstruiert werden. Ein erster Vorschlag, der noch verfeinert werden sollte, kann so aussehen: 1) Nennen Sie die verschiedenen Deutungsmöglichkeiten und stellen Sie jeweils Pround Kontra-Argumente dar. 2) Als Entscheidungskriterien dienen folgende Punkte mit absteigendem Gewicht: – Typografie: Wird der Wechsel der Kommunikationsebene bzw. der redenden Figur klar typografisch markiert? (Im neutestamentlichen Text nicht.) – Personenwechsel: Gibt es einen Änderung der grammatischen Person, die nicht innerhalb derselben Kommunikationsebene erklärbar ist? (Hier ist es bei ei\pon der Fall, daher wurde c) abgelehnt.) – Kontextkohärenz: Ist die Textdeutung, die sich durch die Zuordnung zu den Kommunikationsebenen ergibt, sinnvoll in den Kontext einzuordnen? (Hier: Die Frauen sind nicht in Galiläa dabei, daher wurde a) ausgeschlossen. b) macht Sinn, weil sich der Nachsatz an die Botenformel anlehnen könnte. c) ist nur mit der markinischen, nicht aber der matthäischen Formulierung vereinbar.) – Segmentierungsmarker: An welchen Stellen liegen sprachlich oder inhaltlich größere Einschnitte vor? (Im Beispiel oben handelt es sich um die Argumente zu ijdouv bei a), b) und c).) – „Ebenenträgheit“: Im Normalfall geht eine Kommunikationsebene so lange weiter, bis der Autor Hinweise auf einen Ebenenwechsel gibt (Argument für c)).
Bewertung der Methode: (1/3)77 Die Unterscheidung von Erzählebenen ist eine wesentliche Voraussetzung für alle weiteren narrativen Analyse74 LUZ, Matthäus IV, 405: „Der Engel unterstreicht mit einem gegenüber Markus geänderten Schlußsätzchen nicht mehr die Ankündigung Jesu, nach Galiläa zu gehen, sondern seine ganze, mit göttlicher Autorität gesprochene Botschaft.“ 75 Vgl. FRANCE, Gospel of Matthew, 1096 Anm. 9: Wenn ijdou; ei\pon uJmi`n zur Botschaft an die Jünger gezählt würde, „the first-person singular verb reads awkwardly on that understanding as the preceding words have made no mention of the angel.“ 76 Natürlich wird dies nicht in Kommentaren geschehen, sondern in speziellen exegetischen Untersuchungen zum Text, auf welche die Kommentare dann verweisen könnten. Dasselbe gilt für genaue textkritische, sprachliche, traditionsgeschichtliche u.a. Analysen. 77 Fragen zur Methodenkritik: (1) Wie ist die Methode einzuordnen? (2) Ist die Methode anwendbar? (3) Was „bringt“ die Methode? (4) Wie gut ist die Methode bisher ausgearbeitet? – Diese Fragen liegen auch allen weiteren Methodenbewertungen zugrunde.
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
schritte, da sie jeweils eine Erzählebene bzw. das Verhältnis zwischen Erzählebenen untersuchen. (2) Die Methode ist auf alle Texte anwendbar. (4) Problematisch ist, dass die Narratologie nur die Kategorie „Erzählebenen“ benennt, aber noch keine eigentliche Methode zur Unterscheidung der Ebenen ausgearbeitet hat. Daher wurde die Methode hier etwas konkretisiert. Die Erzählebenen der Narratologie sind außerdem allgemeiner als Kommunikationsebenen anzusehen, da sprachliche Äußerungen auch nicht narrativ sein können. 3.2.2 Fiktionalität und Faktualität des Textes 1. Fiktionssignale: Bei den Fiktionssignalen geht es um die Frage, ob Mt beabsichtigte, dass die Rezipienten seine Erzählung (hier: Mt 28,1–20) auf der primären Erzählebene als fiktional wahrnehmen. Auch wenn die Antwort „nein“ bereits naheliegt, ist die mt Erzählung auf mögliche (konventionalisierte) Fiktionssignale zu prüfen. Diese Frage nach Fiktionalitätssignalen setzt natürlich voraus, (1) dass ein Autor grundsätzlich die Unterscheidung zwischen „wahrer“ und „falscher“ Erzählung kennt und (2) dass der Autor sich bewusst ist, dass er seine Rezipienten durch Fiktionssignale darauf hinweisen muss, wenn er etwas Fingiertes erzählt. 78 78
Für den Autor des MtEv ist Mt 28,13 das beste Argument dafür, dass bei ihm beide Voraussetzungen vorliegen. Mt ist sich auch sonst der Möglichkeit von Lüge und Betrug sehr wohl bewusst: Vgl. 5,12 yeudovmenoi; 7,15; 24,11.24 yeudoprofhvtai, 24,24 yeudovcristoi (vgl. 24,5); 15,19; 19,18; 26,59f. yeudomarturiva (und Derivate). Außerdem plana`n (22,29; 24,4f.11.24); vgl. in unserem Kontext oJ plavno~, hJ plavnh (27,63f.). Indem Mt Figuren zu unzuverlässigen Erzählern macht, setzt er die Kompetenz voraus, dass der Rezipient diese Aussagen als unzuverlässig erkennen kann. Der intendierte Rezipient vermag sogar zu differenzieren zwischen dem, was die Figuren innerhalb der erzählten Welt sagen wollen, und dem, was sie sensu pleniore tatsächlich aussagen (27,29.40; vgl. die hermeneutische Kompetenz des Rezipienten bei den mt Schriftzitaten). – Dies muss deswegen ausgeführt werden, weil für Mt die Prämisse (1) bestritten wird, besonders pointiert bei L UZ, Fiktivität; jetzt wieder L UZ, Geschichte und Wahrheit. LUZ, Fiktivität, behauptet, Matthäus habe „kein Bewußtsein für das Problem der Fiktivität“ (174, im Orig. kursiv; vgl. L UZ, Geschichte und Wahrheit, 207) besessen. So übernimmt Mt auch mythische Inhalte von Mk (176f.); hinzu kommen redaktionell gebildete Szenen, die teilweise historisch unwahrscheinlich sind, allerdings nicht mythisch (156–159), und die Umordnung des Stoffes (159–162); auch die Transparenz für die Zeit der Adressaten entspreche nicht dem Wesen von Geschichtsschreibung. Außerdem könne man nicht erkennen, dass Mt mit antiker Geschichtsschreibung auf der einen Seite noch mit Tragödien und Romanen auf der anderen Seite vertraut war (174f.); Mt fehle also das Gattungsbewusstsein. – Die Argumente, die Luz anführt, sprechen nicht dagegen, dass Mt auch selbst den „fiktionalen“ Charakter seiner redaktionellen Komposition von Szenen erkannte (so auch L UZ , Geschichte und Wahrheit, 198–200). Insofern kann Mt durchaus ein Bewusstsein für Faktualität und Fiktionalität zugesprochen werden. Luz’ These ist also etwas ungenau. Eigentlich geht es hier um mehrere Dinge, die klar getrennt werden müssten: a) dass Mt Wahres und Unwahres grundsätzlich nicht unterscheiden
3.2 Erzählebenen und Fiktionalität
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a) Zunächst sind die textexternen Fiktivitätssignale zu bestimmen. Abweichungen vom eigenen historischen Wissen kann der intendierte Rezipient wohl nicht feststellen. Er kennt sehr wahrscheinlich die Praxis der Taufe mit der „prototrinitarischen“ Formel (28,19) und weiß ganz allgemein von der Auferstehung Christi, möglicherweise kennt er auch das konkurrierende Gerücht vom Leichendiebstahl (V. 15). Was die Möglichkeitsprüfung und Wahrscheinlichkeitsanalyse angeht, so weist für den intendierten Rezipienten ebenfalls nichts darauf hin, dass Mt eine fiktive Geschichte erzählen wollte. Dass ein Engel auftritt und dass Jesus aufersteht, werden die Christen in den mt Gemeinden nicht für unmöglich gehalten haben. Bezogen auf das Zugänglichkeitskriterium wird der Rezipient davon ausgehen, dass Mt über christliche Quellen an die Informationen aus V. 1–10 und 16–20 gelangt sein kann. Nur V. 11–15 ist quellenmäßig problematisch, denn es müsste jemand von den Hohenpriestern und Ältesten oder von den Wachen diese Verschwörung später offengelegt haben; dass Mt die Entstehung dieses Gerüchts nur aufgrund eigener Mutmaßungen rekonstruiert hätte, soll der Rezipient ganz sicher nicht denken. Mt möchte die Hohenpriester und Ältesten gerade diskreditieren und die alternative Botschaft in V. 13 als Lüge entlarven. Darum ist es unwahrscheinlich, dass die Polemik gegen die Hohenpriester auch als bloße Polemik erkennbar sein sollte. Dem Rezipienten scheint es nicht unmöglich, dass Mt tatsächlich an diese Hintergrundinformationen gelangt sein könnte. Mt weist also nicht durch textexterne Fiktivitätssignale auf eine Fiktionalität seiner Erzählung hin. b) Textinterne Fiktionalitätssignale: Auch über die Fiktionalitätssignale kann der intendierte Rezipient keinen fiktionalen Charakter der Erzählung erkennen. Paratextuelle Elemente, mit denen der Autor die Glaubwürdigkeit von Mt 28 schwächt, sind nicht vorhanden; Mt bietet auch keine hohe Innensicht und führt für das MtEv insgesamt keine fiktionale, unzuverlässige Erzählerfigur ein. Ob Mt bewusst von damaligen Konventionen faktualer Erzählungen (gab es diese?) abweicht, damit ein damaliger Rezipient die Erzählung als fiktional einordnen soll, ist eher fraglich; ebenso ist nicht erkennbar, dass Mt auf besondere Fiktionalitätssignale in der Antike zurückgreift. Spezielle Forschungen zu solchen historischen Fiktionalitätskönne (das ist widerlegt); b) die konkreten Inhalte, die Mt selbst als faktual oder fiktional einordnet, c) die Konvention, was man an fiktionalen Inhalten bzw. Gestaltungselementen einfügen „darf“, um noch vom intendierten Rezipienten als faktuale Erzählung aufgefasst werden zu können – denn Elemente von Imagination, Korrelationsbildung, deutender Stoffauswahl, Wahrscheinlichkeitsbeurteilung und Komposition gibt es in jeder faktualen Erzählung, d) die Bewusstheit und Wahrnehmung der speziellen Gattung „Geschichtsschreibung“. Bezogen auf Faktualitätskonventionen haben andere antike Autoren die Grenzen sicher enger gezogen; aber es wäre seltsam, wenn Mt sein Werk von den Erzähladressaten insgesamt als fiktional verstanden wissen wollte.
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
signalen sind noch ein Desiderat. – Sowohl die Bedeutung des Inhalts für die christlichen Gemeinden wie auch die Überprüfung der Fiktionalitätssignale weisen darauf hin, dass Mt die Erzählung in Mt 28 „ernst“, also faktual, meint. Ob der von Mt imaginierte Rezipient allerdings eine feste Gattung „Geschichtsschreibung“ kennen kann und ob Mt sein Evangelium in diese Gattung eingeordnet wissen möchte, ist noch eine zweite Frage. Zum Vergleich können beide Schritte noch einmal mit der sekundären Erzählung der Hohenpriester durchgeführt werden (V. 13): Der zuverlässige, primäre Erzähler hatte dem Rezipienten schon von der Auferstehung Jesu berichtet; das ist in sein Weltwissen übergegangen. Dadurch, dass die unsympathischen, unzuverlässigen Hohenpriester nun etwas anderes behaupten, erkennt der Rezipient, dass V. 13 fiktional gemeint ist (vgl. 27,64). Hier verwendet Mt also das Fiktivitätssignal der „Abweichung vom historischen Wissen“. 2. Fiktionale Konzeption der Erzählung: Die Faktualitätskonfiguration, d.h. Arten, Ausmaß und Anteil faktualer Elemente in einer Erzählung, kann hier übersprungen werden, weil bis auf V. 13 alle Aussagen in Mt 28 faktual gemeint sind. (Ob sie wirklich faktual sind, ist Gegenstand einer Historizitätsprüfung, nicht der Narratologie.) Das MtEv lässt sich wahrscheinlich der Fiktionalitätsstufe 2 zuordnen („Viele Orte, Zeiten, Ereignisse, Personen sind wahrscheinlich/real; einige Ereignisse sind fiktiv oder Figuren haben bestimmte, nicht durch Quellen abgedeckte Eigenschaften“) sowie der Poetizitätsstufe 3 („Einerseits ist die Schilderung noch relativ sachlich, andererseits sind auch die poetischen Elemente zur Steigerung der Rezeptionswirkung unübersehbar, z.B. Wechsel von Bericht und Dialog, Schilderung von Gefühlen u.a.“; vgl. Kap. 2.2.2.3). Bewertung der Methode: Die Untersuchung einer Erzählebene bezogen auf Fiktionssignale und ihre fiktionale Konzeption schlägt die Brücke zur klassischen Frage nach der Historizität der Geschichte. Methodische Ähnlichkeiten gibt es besonders bei den textexternen Fiktivitätssignalen. Im Gegensatz zur Historizitätsprüfung aufgrund heutigen Wissens und heutiger Denkvoraussetzungen geht es bei den Fiktionssignalen allerdings um die Intention des Autors, also darum, ob die Erzählung faktual oder fiktional gemeint war. – Am Beispiel von Mt 28 trägt die Methode nicht viel aus, weil der Text hinsichtlich seiner Intention eindeutig faktual gemeint ist. Die Fiktionssignale könnte man allerdings gut auf die Diskussion um antike Pseudepigrafie anwenden, um zu prüfen, inwieweit z.B. ein deuteropaulinischer Brief oder eine pseudonyme Apokalypse als solche erkennbar sein sollten. Voraussetzungen sind weitere Forschungen zu antiken Fiktionalitätssignalen und den Grenzen der (festen?) Gattung „Geschichtsschreibung“. Moderne literarische Mittel, die heute für fiktionale Texte typisch sind (wie Metalepsen, ein Beginn in medias res oder Anachronien zur Er-
3.3 Umweltanalyse
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zeugung von Spannung), lassen sich im MtEv jedenfalls nicht nachweisen. Die Zuordnung einer Erzählung zu einer Fiktionalitäts- und Poetizitätsstufe lohnt sich erst dann, wenn man diese Stufen weiter ausdifferenziert und man verschiedene Erzählungen miteinander vergleicht. Eine wichtige Erkenntnis besteht aber schon darin, dass Fiktionalität und Poetizität einer Erzählung logisch unabhängige Größen sind. – Die Fiktionssignale sind in Kap. 2.2.2.3 bereits relativ ausführlich ausgearbeitet; sie müssten „nur“ noch auf die Bedingungen antiker Literatur zugeschnitten werden. Die fiktionale Konzeption der Erzählung könnte sowohl auf die intendierte Fiktionalität (wie hier) als auch auf die tatsächliche Fiktionalität bezogen werden.
3.3 Umweltanalyse Die Umweltanalyse von Mt 28,1–20 richtet sich nach der in Kap. 2.3 beschriebenen Methode. 3.3.1 Kognitive Vorstellung der Umwelt Das Setting kann auf verschiedene Weise beschrieben werden. Entweder man zählt die expliziten Nennungen einfach auf, was bisher häufig gemacht wird;79 in Mt 28 sind die Ortsangaben also „Grab“, „Weg“, „Jerusalem“ und „Galiläa“, die Zeit von V. 1–15 der „erste Tag der Woche“. Solche Listen entsprechen der Vorgehensweise der klassischen Narratologie, sind aber besonders bei kurzen Texten nur wenig ergiebig. Oder man nimmt die kognitive Wende in der Narratologie (vgl. 2.1.3.1) ernst; das würde bedeuten, dass man untersucht, in welcher Weise sich die Rezipienten die Erzählung gemäß der Autorintention inhaltlich vorstellen und ausmalen können, in diesem Fall also das Setting. Das Ziel dieses Methodenschritts ist eine systematische, umfassende Beschreibung der Frames und 79 Z.B. GIELEN, Konflikt, 393 (zu Mt 27,62–66); 398 (zu Mt 28,11–15). K INGSBURY, Matthew as Story, 28–30 untersucht die Umwelt des MtEv, indem er bibelkundlich diejenigen Stellen aufzählt, wo „Galiläa“, „Jerusalem“, „Wüste“, „Synagoge“, „Tempel“ usw. erwähnt werden. Ähnlich, nur etwas ausführlicher, ist CARTER, Matthew, 176–188. Z.B. zum „Berg“ im MtEv schreibt Carter (179): „In Matthew the mountain is a place of testing, authoritative revelation, and meeting with God.“ Anschließend werden die Belegstellen paraphrasiert (179f.). Z ANGENBERG, Pharisees, beschränkt sich auf die matthäische Darstellung Galiläas. Insgesamt gibt es zum MtEv noch keine umfassenden Untersuchungen des Settings. Am ausführlichsten ist M ALBON, Narrative Space, zum MkEv; vgl. auch TASCHL-ERBER, Erkenntnisschritte (Wegstrukturen in Joh 20); E ISEN, Boundary Transgression (Act); E ISEN, Poetik, 161–168.183–187 (Act); R ESSEGUIE, Revelation Unsealed, 70–102 (Apk).
274
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
Skripts, die der intendierte Rezipient zur Verfügung haben und anwenden muss oder kann.80 Es geht also darum, das gesamte Vorwissen zu sammeln, das für ein Eintauchen in die Welt der Erzählung angemessen verwendbar ist (die „Enzyklopädie“ nach U. Eco). Das „neue“ Vorgehen hat zwei Vorteile: Zum einen wird damit eine Brücke geschlagen zur Erstellung von textgemäßen Paraphrasen und zur Bibeldidaktik (3.1.3), zum anderen könnte an diesem Punkt die historisch-kulturelle Interpretation in die Narratologie integriert werden (vgl. 2.1.3.2). Wie kann eine Anwendung der kognitiven Narratologie praktisch aussehen? Zunächst sollten – bezogen auf das Setting, später auf die Handlung und die Figuren – systematisch alle Fragen („Leerstellen“) aufgelistet werden, die beim Rezipienten zu einer Erzählung entstehen könnten. 81 Dabei ist im Rahmen der Narratologie darauf zu achten, nur analytische Fragen zu verwenden, die nicht bereits ein Skript implizieren. 82 Anschließend müssten die zur Beantwortung der Fragen verwendbaren Frames und Skripts, soweit möglich, anhand von allgemein-sprachlichen, sozialgeschichtlichen oder traditionsgeschichtlichen Erörterungen aufgearbeitet werden. Dafür bietet die Narratologie keine konkreten Methoden mehr an. Daher wird dieser zweite Arbeitsschritt in diesem Kapitel auch nicht umgesetzt; vgl. aber Kap. 4.2 zur bisherigen historisch-kritischen Auslegung 80
S. auch Seite 40, 42, 51 Anm. 72, 78, 120 („Enzyklopädie“, „Leerstellen“ u.ä.). Vgl. auch die Liste von Leserfragen zu Gen 32,23–33 bei S CHÖTTLER, Rezeptionsästhetik, 27–30, die Überlegungen bei N ICKLAS, Leitfragen, bes. 53–59 und weiterführend die empirische Rezeptionsforschung (hier Seite 259 Anm. 42), der „Bibliolog“ (hier Seite 262 Anm. 51), die Phantasiearbeit in der Pädagogik (N EIDHART/EGGENBERGER, Erzählbuch zur Bibel I, 37–45) und historische Vorformen der Phantasiearbeit z.B. in den ignatianischen Exerzitien (vgl. VON LOYOLA, Geistliche Übungen, 69 zu den „fünf Sinnen“ bei der Bibelauslegung oder 55 zur Meditation über die Hölle). 82 Viele Fragen realer Rezipienten sind tatsächlich keine analytischen (wie oben), sondern synthetische Fragen, die bereits die Anwendung bestimmter heutiger Frames und Skripts auf die „Leerstellen“ der Erzählung voraussetzen. Vgl. die Liste von Schülerfragen bei NEIDHARD/EGGENBERGER, Erzählbuch zur Bibel I, 41: „Sind die Leute von Johannes dem Täufer in den Kleidern getauft worden? Haben sie dabei nie Wasser geschluckt? Woran hat Paulus im Traum den Mazedonier, der ihn herüberrief, erkannt? Wieso haben die Römer Paulus sofort geglaubt, wenn er sich als römischer Bürger ausgab? Hatte er einen Ausweis bei sich? …“ Nur zwei der Fragen sind analytisch. Synthetische Fragen sind diejenigen zum Ausweis des Paulus, zu den Kleidern und zum Wasserschlucken, die die Skripts voraussetzen: „wer ins Ausland reist, muss einen Ausweis mitnehmen“, „man geht nicht mit Kleidern ins Wasser“ und „wenn man von einem anderen untergetaucht wird, könnte man Wasser verschlucken; das ist gemein“. Für exegetische Paraphrasen, z.B. in Kommentaren, ist es allerdings wichtig, auch die möglichen Missverständnisse der jeweiligen (direkten und indirekten) Rezipienten zu kennen, die aufgrund ihrer Anwendung unangemessener Skripts entstehen. Daher bleibt eine systematische, gruppenspezifische empirische Bibelforschung (vgl. Anm. 42) unverzichtbar, weil man ohne den Blick in die Alltagsexegese nur analytische Fragen auflisten kann. 81
3.3 Umweltanalyse
275
von Mt 28. Allerdings bleibt festzuhalten, dass sich die Narratologie an dieser Stelle für die historische Forschung öffnen kann. 3.3.1.1 Das zeitliche Setting Die analytischen Fragen zum zeitlichen Setting können unterteilt werden in Verständnisfragen zu vorhandenen Angaben (a) sowie in Fragen zur chronologischen Einordnung der Ereignisse (b, c). a) Zeitliche Bestimmungen sind in Mt 28 explizit und implizit gegeben: Mt 28,1ff. geschieht „ojye; de; sabbavtwn, als es zum ersten Tag der Woche hin dämmerte“ (V. 1); daneben wird gesagt, dass die Wachen in die Stadt gehen, während die Frauen auf dem Weg sind (V. 11). Der Autor schreibt aus der Perspektive der shvmeron hjmevra (V. 15), im Munde Jesu ist außerdem die suntevleia tou` aijwvno~ (V. 20) genannt. Von den Figuren erwähnte Vorgänge wie hjg evrqh (V. 6), kaqw;~ ei\pen (V. 6), ejdovqh (V. 18) oder eja;n ajkousqh/` (V. 14) könnten von der Erzähllogik her ebenfalls zeitlich zugeordnet werden. Daraus ergeben sich folgende sprachliche und historisch-kulturelle „Was“-Fragen zu den vorhandenen zeitlichen Bestimmungen: – – – – –
1. Was ist der „Sabbat“? 2. Was bedeutet „ojye; de; sabbavtwn“? 3. Hat der „erste Tag“ eine besondere Bedeutung? 4. Was ist die „Woche“? 5. Wie hat man sich die Dämmerung vorzustellen? Handelt es sich bei ejpifwvskein um die Morgen- oder Abenddämmerung? – 6. Was ist das „Ende der Zeit“?
b) Eine andere Gruppe von Fragen versucht, die einzelnen Ereignisse mehr oder weniger genau chronologisch einzuordnen („Wann?“): – 7. Wann ungefähr finden die Szenen in Mt 28,1–20 jeweils statt? – 8. Wann findet die Auferstehung Jesu statt (hjgevrqh), vor oder nach dem Wegrollen des Steins? (V. 6) – 9. Wann hat Jesus die Auferstehung vorausgesagt (kaqw;~ ei\pen)? (V. 6) – 10. Wann wurde Jesus alle Macht gegeben (ejdovqh), zum Zeitpunkt der Auferstehung oder danach? (V. 18) – 11. Wann ist der „heutige Tag“? (V. 15) Wann schreibt der Autor? – 12. Wann ist das „Ende der Zeit“ nach jüdischer/matthäischer Vorstellung zu erwarten? (V. 20)
c) Eine letzte Gruppe von Fragen kann sich auf die Zeitdauer der Ereignisse beziehen („Wie lange?“). Relevant sind davon vielleicht: – 13. Wie lange gehen die Frauen zum Grab? – 14. Wie lange gehen die Jünger nach Galiläa?
Eine solche Liste erfasst sämtliche analytischen Fragen zu Mt 28, die in Bezug auf das zeitliche Setting gestellt werden können. Die meisten dieser
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
sprachlichen und erzähllogischen Fragen sind keineswegs trivial. 83 Indem Nacherzählungen z.B. in Kommentaren die passenden Frames und Skripts zu diesen Fragen bereitstellen, helfen sie den heutigen Rezipienten, sich das zeitliche Setting besser vorstellen zu können. Leider werden in heutigen Kommentaren nur einige dieser Fragen (v.a. 2, 5 und 9) beantwortet. 84 3.3.1.2 Das räumliche Setting Ziel dieses Analyseschrittes ist es zu beschreiben, wie sich der intendierte Rezipient, der über das entsprechende Weltwissen verfügt, die räumliche Umwelt der Erzählung ausmalen würde und was er dabei assoziiert. Weil die Narratologie hier methodisch bisher an ihre Grenzen stößt, sollen wenigstens – wie beim zeitlichen Setting – die analytischen Fragen („Leerstellen“) zur räumlichen Umwelt gesammelt werden. Die Fragen betreffen die genaue Vorstellung von expliziten räumlichen Angaben (a) und die wahrscheinliche Lokalisierung von Orten und Figuren (b). a) Die vier Szenen von Mt 28 spielen sich an unterschiedlichen Orten ab: am Grab, auf dem Weg, in der Stadt (Jerusalem) und in Galiläa. Als weitere lokale Angaben werden nur noch der Berg als galiläischer Schauplatz (V. 16) sowie Himmel und Erde (V. 18, vgl. 2) genannt. Auch das Erdbeben (V. 2) kann als ein räumliches Phänomen angesehen werden. Daraus ergeben sich folgende Fragen zu den örtlichen Angaben („Wie kann man sich … vorstellen?“)85: – 15. Wie kann man sich das Grab und seine Umgebung ausmalen? Wie sieht ein Felsgrab aus? – 16. Wie kann man sich das Erdbeben vorstellen? Wird durch das Erdbeben etwas zerstört?86 Was bedeutet das Erdbeben vor jüdischem Vorstellungshintergrund? – 17. Wie soll man sich den Himmel vorstellen, aus dem der Engel kommt? Wie stellt Matthäus sich die Erde im Gegenüber zum Himmel vor? – 18. Wie sieht die Stadt Jerusalem damals aus (Grundriß, Architektur, Bevölkerung u.a.)? – 19. Wie kann man sich Galiläa vorstellen? – 20. Wie sieht der Berg in Galiläa aus (Höhe, Vegetation u.a.)? 83 Fragen 1, 3, 4, 6, 10, 12 erfordern kulturelles und traditionsgeschichtliches Wissen; Fragen 2 und 5 machen eine ausführliche linguistische Untersuchung nötig; bei Frage 9 kann man auf Mt 26,32 verweisen; Frage 11 bezieht sich auf den Zeitpunkt der Abfassung des MtEv usw. 84 M.E. ist es ein großes Problem, dass Beobachtungen und Erörterungen in Bibelkommentaren bis jetzt eher nach dem Zufalls- bzw. Traditionsprinzip aufgenommen werden. Eine Systematisierung der zu beantwortenden Fragen im Rahmen einer vorherigen narrativen Analyse – wie hier – könnte diesem Missstand abhelfen. 85 Vgl. die „optischen Leerstellen“ bei M AYORDOMO MARÍN, Anfang, 79 (vgl. Kap. 2, Anm. 78; Seite 42). 86 Vgl. die Antwort von G NILKA, Matthäusevangelium II, 493: „Das Beben ist ein rein theophanes Element. Es bewirkt weder die Öffnung noch die Zerstörung des Grabes.“
3.3 Umweltanalyse
277
b) Fragen zur Lokalisierung der Orte und der Figuren, soweit letztere nicht explizit verortet werden („Wo?“): – 21. Wo in der Nähe Jerusalems befindet sich das Grab ungefähr? – 22. Wo liegt Jerusalem, wo liegt Galiläa? – 23. Wo liegt der Berg in Galiläa? Denkt Matthäus überhaupt an einen bestimmten Berg? – 24. Wo befindet sich der „Himmel“? 87 – 25. Wo befindet sich Jesus nach der Auferstehung? – 26. Wohin verschwinden der Engel und Jesus jeweils nach V. 7, 10 und 20? – 27. Wo befinden sich die Frauen bei der Ankunft des Engels (V. 2–4)? – 28. Wo halten sich die Jünger in V. 1–15 auf? – 29. Wo befinden sich die Frauen in V. 16–20?
Viele diese Fragen zum räumlichen Setting können mit kulturellem und historischem Wissen beantwortet werden, bei anderen kann man nur Vermutungen anstellen.88 3.3.1.3 Das soziale Setting Das Setting hat darüber hinaus auch soziokulturelle Aspekte im weitesten Sinn, also politisch, sozial, religiös, technologisch. In Mt 28,1–20 wird das soziokulturelle Setting nie direkt beschrieben (anders z.B. Mk 7,3f.), jedoch an verschiedenen Stellen vorausgesetzt. Die für Mt 28 relevanten soziokulturellen Frames und Skripts kann man wohl am besten systematisch herausfinden, wenn man Fragen zum Verhalten der Figuren stellt. Das für die Erzählung anzunehmende soziale Setting beeinflusst oder kontrastiert die vorhandenen Figurenkonstellationen (a) und Verhaltensweisen der Figuren (b).89 a) Fragen zur kulturellen Einordnung von Figurenkonstellationen (vgl. 3.5.2) („Was beeinflusst das Verhältnis der Figuren?“):
87
Vgl. Frage 17, die ebenfalls die matthäische Kosmologie betrifft. Fragen 15–26 können mithilfe von Wissen über Realia, Kultur und matthäische Theologie angegangen werden; Fragen 27–29 sind auf Vermutungen zur Erzähllogik angewiesen, die aber auch nicht völlig willkürlich sind. Ein Beispiel zu Frage 27: GNILKA, Matthäusevangelium II, 494 nimmt hier an, dass die Frauen in V. 2–4 nicht zugegen waren: Der Engel sitzt als Verkünder der Osterbotschaft auf dem Stein und „erwartet … gleichsam die beiden Frauen, die sich dem Grab nähern.“ Ähnlich W ATERS, Mt 28:1–6, der dies zum Anlass nimmt, um die Übereinstimmung mit den übrigen Evangelien zu betonen. Für einen Rezipienten, der die anderen Evangelien nicht kennt, muss der matthäische Text jedoch so erscheinen, als ob die Frauen (V. 1) dieses mit ijdouv eingeleitete Geschehen (V. 2) miterleben, anders als in Mk 16,4f.; Lk 24,2–4. 89 Dabei sind Überschneidungen mit anderen Analyseschritten unvermeidlich, weil das individuelle und das sozial erwartbare Verhalten verglichen werden müssen. Kulturelle Anteile haben auch die Skripts zum Verstehen von Handlungen (3.4.1) und die Frames zum Verstehen von Figuren (3.5.2). 88
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
– 30. Wie ist das Verhältnis zwischen den Frauen und Jesus zu beschreiben? Welches Verhältnis könnte man auf dem soziokulturellen Hintergrund erwarten? – 31. Wie ist das Verhältnis zwischen Jesus und den Jüngern auf dem soziokulturellen Hintergrund zu beschreiben? Wie sind dann die Verhaltensweisen Jesu bzw. der Jünger einzuordnen? – 32. Wie ist das Verhältnis zwischen den beiden Marias und den (übrigen) Jüngern zu beschreiben? Sind die Reaktionen und Verhaltensweisen auf dem sozialen Hintergrund erwartbar? – 33. Welches (rechtliche) Verhältnis haben die Soldaten und die Hohenpriester zueinander? Handeln sie so, wie man es soziokulturell erwarten könnte? – 34. Wie stehen die Hohenpriester und der römische Statthalter bei Matthäus zueinander? Entspricht ihr Verhalten den damals üblichen kulturellen und politischen Verhältnissen?
Diese Fragen können helfen, Machtverhältnisse und soziale Gegensätze zu klären, soweit sie von der Erzählung vorausgesetzt oder von ihr konterkariert werden.90 b) Fragen zu (expliziten) Verhaltensweisen von Figuren könnten ebenfalls mit kulturellen Gegebenheiten beantwortet werden, sofern deren Verhaltensweisen nicht bloß individuell-psychologische Ursachen haben; allerdings ist eine Differenzierung zwischen kulturellen und individuellen Bedingungen selten von vornherein möglich 91 („Warum?“): – 35. Warum kommen die Frauen zum Grab? – 36. Warum kommen gerade die Frauen zum Grab und nicht die (männlichen) Jünger? – 37. Warum kommen die Frauen nach dem Sabbat? – 38. Warum gehen die Frauen zum Grab? – 39. Warum setzt sich der Engel auf den Stein? – 40. Warum spricht der Engel mit den Frauen? – 41. Warum grüßt der Auferstandene mit „Caivrete“? – 42. Warum fassen die Frauen Jesu Füße und fallen vor ihm nieder?
90
Vgl. die kulturanthropologischen Arbeiten zum MtEv von N EYREY, Honor and Shame; L AWRENCE, Ethnography. 91 Macht eine Figur etwas, weil sie es will oder weil es so üblich ist oder aus beiden Gründen? Das kann oft erst bei näherem Hinsehen entschieden werden. – Zwei Beispiele: Frage 39 könnte zufriedenstellend damit beantwortet werden, dass sich der Engel nach getanem Werk auf dem Stein ausruhen will. Zugleich sind möglicherweise kulturelle Konnotationen angesprochen, dass der Engel auf dem Stein wie auf einem Thron sitze (vgl. die Interpretation von D AVIES/A LLISON, Matthew III, 665: „The angel sits upon the stone (cf. Gos. Pet. 13.55) – an elevated posture of triumph“; N OLLAND, Matthew, 1247 verweist dazu auf die Parallelen[?] in Mt 21,7; 23,22). Oder Frage 35: Mt lässt gegenüber Mk interessanterweise die Salbungsabsicht aus, eine Auslassung, die der Rezipient des MtEv aber nicht erkennen muss. Neben dem individuell-psychologischen Motiv der Frauen, das Grab aus Trauer zu besuchen, könnte man dann auch die Sitte vermuten, dass ein Grab damals bis zum dritten Tag kontrolliert wurde, um festzustellen, dass der Gestorbene wirklich tot ist (vgl. L ONGSTAFF, Women; Kap. 4.2.4, Seite 265).
3.3 Umweltanalyse
279
– 43. Warum gehen die Soldaten zu den Hohenpriestern, um die Ereignisse zu melden? – 44. Warum beraten sich die Hohenpriester mit den Ältesten? – 45. Warum sind die Soldaten dennoch dem Statthalter rechenschaftspflichtig? – 46. Warum sollen/dürfen die Jünger zu allen Völkern gehen? – 47. Warum befiehlt Jesus, dass die Jünger auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes taufen sollen?
Bewertung der Methode: Indem die Bestandteile des Setting nicht – wie in der klassischen Narratologie – einfach nur genannt, sondern inhaltlich beschrieben werden, fließen viele Aspekte der historischen Textauslegung mit in die narrative Analyse ein. Die kognitive Narratologie stellt die Frage: „Wie sollte sich der intendierte Rezipient das Setting, die Handlung und die Figuren der Erzählung aufgrund seines Weltwissens vorstellen?“ Dazu muss man das sprachliche, kulturelle, religiöse, textuelle und alltagspragmatische Wissen erforschen, das dem Rezipienten in Bezug auf die Aspekte der Erzählung verfügbar sein sollte. Im Grunde waren auch herkömmliche Teilmethoden wie Religions- oder Traditionsgeschichte schon immer am kognitiven Paradigma ausgerichtet, sofern sie nicht einfach „Parallelen“ aufzählen, sondern konkret den wahrscheinlichen Verstehenshintergrund beschreiben wollten. Die kognitive Narratologie stellt diese bisherigen Methodenschritte jedoch in einen anderen Zusammenhang, indem sie systematisch nach allen Frames und Skripts fragt, die die inhaltlichen und erzähllogischen „Leerstellen“ der Erzählung ausfüllen können. Das macht auch Beobachtungen möglich, die bisher vielleicht in Bibelkommentaren übersehen worden sind. Problematisch bei der in 3.3.1.1–3.3.1.3 vorgesehenen Anordnung nach erzähltheoretischen Kategorien (zeitliches, räumliches, soziales Setting) ist, dass die historischen Antworten noch recht unverbunden nebeneinander stehen. Sie könnten in dieser Form zwar auch Teil der narrativen Analyse sein, müssten dann aber in einer erklärenden Nacherzählung, z.B. einem fortlaufenden Kommentar, auf ein bestimmtes Publikum zugeschnitten und zusammenfassend dargestellt werden. Die Methode ist in allen Punkten gut anwendbar. Naturgemäß werden nicht alle offenen Fragen zur Erzählung beantwortet, aber dennoch kann der Interpretationsspielraum meist historisch eingegrenzt werden. – Der Ertrag der Methode besteht darin, dass sie systematisch diejenigen Vorstellungen und Assoziationen ermittelt, die bei kompetenten Rezipienten bei der Wahrnehmung der Erzählung aufgerufen werden (können). Sie ist daher eine wesentliche Voraussetzung für eine historisch verantwortete, textgemäße Paraphrase (vgl. 3.1.3). – Für die Suche nach den Frames und Skripts, die der intendierte Rezipient zur Verfügung hat, wurde von der Narratologie noch keine Methode entwickelt. 92 Oben wurde jedoch eine 92
Vgl. 2.1.3.2 zu bisherigen, problematischen Umsetzungen des cultural turn.
280
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
Möglichkeit vorgestellt, wie man gezielt alle zu erklärenden „Leerstellen“ einer Erzählung erfassen kann (hier bezogen auf das Setting, vgl. zur Handlung und zu den Figuren Kap. 3.4.1 und 3.5.1). Um diese Fragen dann zu beantworten, helfen zu einem großen Teil die bisher üblichen Methodenschritte der Traditionsgeschichte, Sozialgeschichte, historischen Psychologie oder sprachlichen Beschreibung weiter. 93 3.3.2 Umweltkonstellation Die matthäische Erzählung spannt mit ihrer Schilderung der zeitlichen und räumlichen Umwelt einen bestimmten semantischen Raum auf. Um zu beschreiben, wie die erzählte Welt konstituiert ist, sollen zwei kognitive Karten zum zeitlichen (a) und zum räumlichen Setting (b) skizziert werden. a) Das MtEv erzählt – im Wesentlichen linear – die Zeit zwischen Abraham und der Auferstehung Jesu, wobei die Zeit Jesu im Vordergrund steht und sich die Erzählgeschwindigkeit (Kap. 3.4.3) bis zur Auferstehung zunehmend verlangsamt (Abb. 37). In zwei Prolepsen am Ende des MtEv
Erzählzeit Mt 1,1 (ajrch; tou` oujranou` ÆAbraavm kai; th`~ gh`~)
ejdovqh moi pa`sa ejxousiva ejn oujranw/` kai; ejpi; (th`~) gh`~ meqÆ uJmw`n eimi pavsa~ ta;~ hvmevra~ Mt 28,6
Mt 1,6
Mt 1,18
Dauivd
gevnesi~ hjgevrqh ÆIhsou`~ Cristov~
Zeit der Erzählung
shvmeron hJmevra Zeit des Erzählers
suntevleia tou` aijwvno~
Abb. 37: Umfassendes zeitliches Setting des MtEv
wird auf die Zeit des Erzählers hingewiesen (28,15) sowie das „Ende der Zeit“ angesprochen (28,20). Die Macht des Auferstandenen umfasst räumliche und zeitliche Kategorien (V. 18.20), wobei die Formulierung „Himmel und Erde“ sehr wahrscheinlich Gen 1,1 LXX widerspiegelt. 94 So ergeben sich für das MtEv die Konturen eines Geschichtsbildes, das vom Anfang bis zum Ende des Äons reicht, aus dem Matthäus einen zentralen Ausschnitt erzählt und für dessen restliche Zeit (zugleich seine Zeit und diejenige seiner Adressaten) er die allumfassende Herrschaft des Auferstandenen erkennen kann. b) Die im MtEv genannten Orte lassen sich ebenfalls auf einer kognitiven Karte skizzieren. Bei einer räumlichen Cognitive Map muss es sich 93 Sinnvoll ist m.E. jedoch eine bessere Ausformulierung einiger „klassischer“ Teilmethoden und vielleicht eine Neuorganisation, vgl. 4.2 und 4.3. 94 Vgl. PENNINGTON, Heaven and Earth, 211–216, bes. 215 („inclusio“).
3.3 Umweltanalyse
281
nicht zwingend um eine exakte topografische Karte handeln, 95 sondern es geht darum, wie sich die intendierten Adressaten die räumliche Konstellation mit ihrem Weltwissen vorstellen können. 96 Weil die Adressaten wahrscheinlich in Syrien lebten und eine präzise Landkarte Palästinas für das 1. Jh. n.Chr. ohnehin unangemessen wäre, soll nur eine schematische räumliche Zuordnung vorgenommen werden (Abb. 38):97 Tyrus und Sidon
Cäsarea Philippi Galiläa – Kapernaum – Chorazin und Betsaida – Genezareth – Magadan/Magdala – Nazareth – Galiläisches Meer Gadara Jericho Jerusalem und Umgebung – Tempel – Palast des Hohenpriesters – Prätorium des Pilatus – Golgatha – Grab – Ölberg, Garten Gethsemane, Betfage – Betanien – Bethlehem
Ägypten Abb. 38: Umfassendes räumliches Setting des MtEv (schematisch)
In diese Skizze wurden die Ortsnamen des MtEv grob nach ihrer räumlichen Lage eingetragen. 98 Dabei ist leicht zu erkennen, dass sich das räumliche Setting des MtEv auf Galiläa und Jerusalem und deren Umgebung konzentriert (Kap. 3.3.4). Diese Gebiete konkretisiert Matthäus mit weiteren Ortsnennungen. Galiläa und Jerusalem werden von Mt zugleich mit bestimmten Konnotationen versehen (Kap. 3.3.5) und als ein Kontrastpaar 95
Vgl. aber die topografische Karte bei M ALBON, Narrative Space, 16, auf der sie die im MkEv genannten Orte einzeichnet. 96 Auch in der Wahrnehmungsgeografie (Kap. 2, Anm. 230; Seite 81) handelt es sich bei den Cognitive Maps nicht um tatsächliche Landkarten, sondern man untersucht, wie Menschen ihre räumliche Umgebung aus dem Gedächtnis und freihändig skizzieren. 97 Zu den genannten Ortsnamen vgl. Tabelle 40 (Kap. 3.3.4; Seite 286f.). 98 Dennoch lassen sich bei der Darstellung moderne Denkkategorien kaum vermeiden. In diesem Fall ist Norden oben auf der Seite.
282
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
aufgebaut, was sich auch in den beiden Schlusszenen von Mt 28,11–15 (Jerusalem) und 28,16–20 (Galiläa) äußert. Bewertung der Methode: Das Zeichnen von kognitiven Karten ist bei vielen Erzählungen ein gutes Mittel, um einen Teil des vorausgesetzten Weltwissens bezogen auf das Setting zu visualisieren. Im Fall des räumlichen Settings gibt es bereits ausreichend Kartenmaterial zur Bibel, das heutigen Rezipienten bei ihrer räumlichen Vorstellung der geschilderten Ereignisse hilft.99 Allerdings kann es nur in den wenigsten Fällen als kognitive Karte gelten, weil dabei zu sehr vom heutigen, umfassenden topografischen Wissen ausgegangen wird. – Kognitive Karten sind vor allem beim zeitlichen und räumlichen Setting anwendbar, für andere, z.B. kulturelle Konstellationen fehlen definierte Symbole und Darstellungsweisen. – Die Methode zum Zeichnen der cognitive maps kann sich bei modernen Erzählungen meistens an konventionellen Darstellungsformen wie einem Zeitstrahl oder topografischen Karten orientieren. Dabei muss man jedoch berücksichtigen, welche Formen der Vorstellung der Autor bei den Rezipienten voraussetzen kann. Daher ist bei der Anwendung kognitiver Karten auf biblische Erzählungen eher Vorsicht geboten, weil man die damalige Rezeption nicht mehr empirisch untersuchen kann und die Schematisierungen für heutige Leser auch heutige Denkmuster voraussetzen. 3.3.3 Umwelt und Handlung Innerhalb dieser erzählten Welt mit ihrer zeitlichen, räumlichen und soziokulturellen Dimension bewegen sich die Figuren in einer bestimmten Weise. Bevor man Grenzüberschreitungen ausmachen kann, erscheint es sinnvoll, zunächst die Wegestrukturen in Mt 28 abzubilden. 100 Tatsächlich sind in Mt 28 sehr viele Figurenbewegungen zu beobachten. 101 In zwei Skizzen soll deutlich werden, wo sich die Figuren vor Mt 28,1 und nach 28,20 aufhalten (Abb. 39a–b). Hierbei tauchen manche der Fragen aus Kap. 3.3.1.2 wieder auf, z.B. wo sich die Frauen zu Beginn von 28,1 aufhalten oder auf welchen Ort Jesus nach der Auferstehung festgelegt werden kann.
99
Z.B. Tübinger Bibelatlas, Herders Großer Bibelatlas oder die Karten in den Umschlagseiten der Lutherbibel. Populärwissenschaftlich ist J ENKINS, Karten zur Bibel, der konsequent die Bewegungen in biblischen Erzählungen veranschaulicht. 100 Vgl. STIBBE, John as Storyteller, 102 (grafische Veranschaulichung von Joh 10). 101 Vgl. die erstaunlich vielen Verben der Bewegung: h\lqen (V. 1), katabav~, proselqwvn, ajpekuvlisen und ejkavqhto (V. 2), hjgevrqh (V. 6f.), poreuqei`sai und proavgei (V. 7), ajpelqou`sai und e[dramon (V. 8), uJphvnthsen, proselqou`sai, ejkravthsan und prosekuvnhsan (V. 9), uJpavgete und ajpevlqwsin (V. 10), poreuomevnwn und ejlqovnte~ (V. 11), sunacqevnte~ (V. 12), ejlqovnte~ und e[kleyan (V. 13), ejporeuvqhsan (V. 16), prosekuvnhsan (V. 17), proselqwvn (V. 18) und poreuqevnte~ (V. 19).
283
3.3 Umweltanalyse Himmel Gott Engel Erde Jerusalem Hohepriester Frauen? Jünger?
Grab Jesus Wachen
Galiläa
Abb. 39a: Lokalisierung der Figuren (Anfangszustand, vor 28,1) mit Wegestrukturen
In Mt 28 gibt es drei Orte: das Grab, Jerusalem und Galiläa (der Weg zwischen dem Grab und Jerusalem kann hier vernachlässigt werden). Zusätzlich wird zweimal auf das Gegenüber von Himmel und Erde Bezug genommen (V. 2.18). Die Frauen gehen zum Grab, dann zu den Jüngern; die Wachen laufen zu den Hohenpriestern, die Jünger nach Galiläa. Ein Engel steigt vom Himmel herab und wahrscheinlich auch wieder herauf (gestrichelter Pfeil); ähnlich ist es auch bei den Erscheinungen des Auferstandenen, den man sich aus matthäischer Sicht wohl am besten im Himmel vorstellen kann (Abb. 39b). Himmel Gott, Engel Jesus Erde Jerusalem Hohepriester Wachen Frauen?
Grab
Galiläa Jünger
Abb. 39b: Lokalisierung der Figuren (Endzustand, bei 28,20)
Mobilität und Distanz der Figuren: Am Ende des Kapitels haben sich fast alle Figuren von ihrem Platz bewegt. Nur die Hohenpriester sind in Mt 28 immobil. Am Grab befindet sich niemand mehr, die Distanz zwischen Gott und Jesus ist aufgehoben. Weil die Jünger nach Galiläa gewandert, die Frauen aber möglicherweise in Jerusalem geblieben sind, hat sich deren räumlicher Abstand vergrößert. In Mt 28 sind zwei Grenzüberschreitungen von Figuren festzustellen, also zwei „Ereignisse“ im Sinne J. Lotmans. In der Welt des Matthäusevangeliums ist die Grenze zwischen Himmel und Erde zuvor nur von Seiten des Himmels durchlässig gewesen (Engel konnten auf der Erde erscheinen, aber irdische Figuren nicht in den Himmel aufsteigen). Jesus überwindet jedoch die Grenze zwischen Himmel und Erde mit der Auferstehung; insofern kann man von einer „revolutionären Erzählung“ sprechen, weil die Grenzüberschreitung langfristig erfolgreich ist. Daneben
284
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
wird angedeutet, dass die Jünger die Grenze zwischen Israel und den Völkern übertreten werden (Mt 28,19) – eine Grenze, die in Mt 10,5 noch explizit definiert worden war. Bewertung der Methode: Der Versuch, die Wegestrukturen und „semantischen“ Grenzüberschreitungen in einer Erzählung zu beschreiben, beruht auf der Beobachtung, dass sich Figuren im Raum bewegen. Daher ist dieser Analyseaspekt grundsätzlich legitim. Die Methode ist überall dort anwendbar, wo Figuren – wie in Mt 28 – mobil sind. Eine solche Analyse kann bei vielen Erzählungen sinnvoll sein, die komplexe und auffällige Wegestrukturen aufweisen. Bei unserem Text ist es kaum der Fall, so dass man auf die Analyse hier auch hätte verzichten können. Dennoch ist es interessant zu sehen, dass bis auf die Hohenpriester und Gott sämtliche Figuren räumlich beweglich sind. Die beiden Grenzüberschreitungen in Mt 28 sind identisch mit den Hauptthemen in diesem Kapitel, der Auferstehung Jesu und der Ankündigung der Heidenmission. Wahrscheinlich besteht das Thema, das „Erzählenswerte“ eines Erzähltextes häufig gerade in den erfolgreichen oder nicht erfolgreichen Grenzüberschreitungen der Figuren. – Die Methode zur Analyse der Wegestrukturen ist wohl präzise genug ausgearbeitet. Möglicherweise könnte man noch einheitliche Symbole für die schematische Darstellung finden. 3.3.4 Umweltdarstellung a) Darstellungsebene: Die Umwelt wird vor allem durch den Erzähler berichtet (V. 1.2.8.11.15.16), doch auch die wörtlichen Reden nehmen darauf Bezug (V. 6: das Grab; 7.10: Galiläa; 13: Nacht; 18: Himmel und Erde; 20: Ende der Zeit). Es gibt keine Auffälligkeiten bei der Verteilung auf die Erzählebenen, weder der Erzähler noch die Figuren stellen das Setting ausführlich dar. b) Genauigkeit: Die Zeit- und Ortsangaben in Mt 28 bleiben eher vage, entsprechen darin aber dem übrigen Matthäusevangelium. Die Szenerie wird kaum ausgeführt, offenbar liegt auf ihr kein Schwerpunkt. 102 Auch die übrigen Evangelien unterscheiden sich an diesem Punkt nur wenig vom MtEv (anders dagegen die Act, besonders Act 27) und schildern die Umwelt auch nicht detailliert. Während vielen heutige Erzählungen durch genaue Umweltbeschreibungen einen Realitätseffekt hervorrufen, stehen im MtEv andere Aspekte der Erzählung im Vordergrund. c) Gewichtung: Das wichtigste Setting in Mt 28 ist das „Grab“. Zum einen wird es vergleichsweise genau beschrieben: Es liegt ein Stein vor der Öffnung des Felsgrabes (vgl. 27,60), Wachen stehen davor, später ist der 102 Vgl. CARTER, Matthew, 176: „The explicit mention of a setting causes the audience to consider its importance. … The author does not seem to assume that the audience has or needs a detailed knowledge of the geography of Galilee or Judea.“
3.3 Umweltanalyse
285
Stein beiseite gerollt und der Engel sitzt darauf. Zudem kommt das Setting „Grab“ sonst nur in Mt 27,52f. vor, 103 ist bei Mt also weitgehend für die Auferstehung Jesu reserviert, die einen Wendepunkt im Handlungsverlauf des MtEv darstellt (Kap. 3.4.4). Erst an zweiter Stelle ist „Galiläa“ zu nennen. Die Ortsangabe „Galiläa“ taucht in Mt 28 am häufigsten auf (V. 7.10.16), durch die Prolepsen (Kap. 3.4.3) sind auch die ersten beiden Szenen auf Galiläa hin ausgerichtet. Galiläa wird durch die Erwähnung eines „Berges“ näherbestimmt (V. 16), der Schauplatz wird aber nicht so genau beschrieben wie das Grab. Der nächstwichtige Ort in Mt 28 ist „die Stadt“, also Jerusalem (V. 11, vgl. 21,18; 26,18). Dort spielt die Nebenhandlung (Kap. 3.4.6). Durch die prominente Rolle, die das Grab in Mt 28 einnimmt, rückt der Gegensatz zwischen Jerusalem und Galiläa, den das MtEv zuvor aufgebaut hat,104 scheinbar in den Hintergrund. Dennoch integriert der Autor des MtEv den Kontrast auch hier, indem er verschweigt, wo sich die Jünger befinden (nach der Erzähllogik wahrscheinlich ebenfalls in Jerusalem oder Umgebung). Auf diese Weise gehen vom Grab nur zwei unterschiedliche Hauptbewegungen aus; die eine Bewegung führt nach Jerusalem, die andere (indirekt) nach Galiläa. Von den genannten Ortsangaben abhängig ist schließlich das Setting des „Weges“ (vgl. V. 8f.), das aus dem MtEv sehr gut bekannt ist, weil in vielen Szenen der irdische Jesus bei seinen Reisen Menschen begegnet (z.B. 20,29–34). Unter den zeitlichen Bestimmungen in Mt 28 ist nur ojye; de; … mivan sabbavt wn von Bedeutung,105 da poreuomevnwn de; aujt w`n (V. 11) sehr unkonkret und die Angabe hJ suntevleia tou` aiw`no~ (V. 20) nicht Teil des Settings ist. Die Reihenfolge der Umweltelemente bei Matthäus ist regelmäßig. Mit Beginn einer neuen Szene folgen die Angaben zur lokalen und temporalen Einordnung jeweils gleich im ersten Vers (Ort: V. 1.8.11.16; Zeit: V. 1.11). Während bei modernen Erzählungen manchmal erst im Laufe einer Szene deutlich gemacht wird, wo und wann sich die Ereignisse abspielen,
103 Die Erwähnungen in Mt 23,37.39 stehen in wörtlicher Rede; die Besessenen von Gadara kommen zwar aus den mnhmeiva (Mt 8,28), doch wird dieser Schauplatz nicht näher geschildert. Auch Mt 14,12 diff. Mk 6,29 erwähnt das Grab Johannes des Täufers nicht explizit (qavptein noch in Mt 8,21f.). Ganz anders ist es in Joh 11 (Auferweckung des Lazarus), wo das Setting „Grab“ bereits vorher ausführlich vorkommt. 104 Vgl. Absatz d) unten sowie Kap. 3.3.2. – S. auch C ARTER, Matthew, 177: „The audience knows Galilee and Jerusalem to be two important locations because they provide the general settings for much of the story.“ 105 Vgl. zum savbbaton (im Sinne von „Sabbat“) noch Mt 12,1–14; Mt 24,20 (diff. Mk 13,18; dazu DAVIES/A LLISON, Matthew III, 349f.). Die Zeitangabe, dass Jesus am Sabbat in der Synagoge lehrte, wird von Mt entfernt und offenbar bei den Hörern vorausgesetzt: Mt 13,54 diff. Mk 6,2 (vgl. Mk 1,21; Lk 4,16.31).
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
ist die matthäische Erzählweise an diesem Punkt sehr unauffällig. 106 Daher kann daraus keine besondere Gewichtung eines der Settings abgeleitet werden. d) Abfolge und Verknüpfung der Settings: Mt 28,1–8; 28,9f. und 28,11– 20 stehen in einem kausalen Verhältnis zueinander, weil die Settings aufeinander aufbauen, Mt 28,11–15 und Mt 28,16–20 sind untereinander korrelativ verknüpft. Die Reihenfolge der vier Settings in Mt 28 ist noch wenig aussagekräftig, daher sollen die Schauplätze des gesamten MtEv in den Blick genommen werden. Dabei hat sich eine tabellarische Darstellung bewährt (Tab. 40).107 Tab. 40: Schauplätze und Zeitangaben des MtEv Ort Bethlehem (2,1) Ägypten (2,14) Nazareth (2,23) Wüste von Judäa (3,1) Wüste, Tempel, Berg (4,1.5.8) Galiläa (4,12) Berg (in Galiläa) (5,1) Kapernaum (8,5) auf dem See (8,23f.) Gebiet der Gadarener (8,28) seine Stadt (= Kapernaum) (9,1) Kornfeld (12,1) Synagoge (12,9) See (13,1) Synagoge in der Vaterstadt (= Kapernaum) (13,54) beim Tetrarchen Herodes (14,1) einsame Gegend (14,13) Berg (14,23) See (14,24f.) Genezareth (14,34) Tyrus und Sidon (15,21) Berg am Galiläischen Meer (15,29) Gebiet von Magadan (15,39) Gegend von Cäsarea Philippi (16,13) ein hoher Berg (17,1) Galiläa (17,22) Kapernaum (17,24)
Zeit zur Zeit des Königs Herodes (2,1) nach dem Tod des Herodes (2,19)
Sabbat (12,1) Sabbat (12,10) an demselben Tage (13,1) als Jesus diese Gleichnisse vollendet hatte (13,53) zu der Zeit (14,1) als Jesus das hörte (14,13) alsbald (14,22) in der vierten Nachtwache (14,25)
106 Vgl. allein in der Passionsgeschichte Mt 26,1f.3.6.14.17.20.30.36.47.57.69; 27,1. 11.19.27.32f.57.62 für Orts- und Zeitangaben am Anfang einer Szene. 107 Vgl. MALBON, Narrative Space, 21 (im MkEv erwähnte Ortsnamen, nicht nur die Settings) und 16 (Karte); E ISEN, Poetik, 163 (zu Act, nach L. Alexander). An dieser Stelle werden in einer zweiten Spalte auch die Zeitangaben ergänzt.
3.3 Umweltanalyse Ort Judäa jenseits des Jordans (19,1) auf dem Weg nach Jerusalem (20,17) zwischen Jericho und Jerusalem (20,29) in der Nähe Jerusalems, in Betfage am Ölberg (21,1) Tempel (in Jerusalem) (21,10.12) Betanien (21,17) auf dem Weg in die Stadt (= Jerusalem) (21,18) Tempel (in Jerusalem) (21,23)
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Zeit zu derselben Stunde (18,1)
über Nacht (21,17) am Morgen (21,18)
an demselben Tage (22,23) außerhalb des Tempels (24,1) Ölberg (24,3) zwei Tage vor dem Passa (26,2) Betanien, im Haus Simons des Aussätzigen (26,6)
in der Stadt (= Jerusalem) (26,18) Ölberg (26,30) Garten mit Namen Gethsemane (26,36) Palast des Hohenpriesters Kaiphas (26,57f.) im Hof (26,69) vor Pilatus (27,2.11) Golgatha (27,33) Grab von Josef aus Arimathäa (27,57.60) vor Pilatus (27,62) Grab (28,1)
am ersten Tag der ungesäuerten Brote (26,17) am Abend (26,20)
am Morgen (27,1) am Abend (27,57) am nächsten Tag, der auf den Rüsttag folgt (26,62) der erste Tag der Woche, nach dem Sabbat (28,1)
(auf dem Weg) (28,8) in der Stadt (= Jerusalem) (28,11) Berg in Galiläa (28,16)
Bei dieser Übersicht über die matthäischen Orts- und Zeitangaben ist gut zu sehen, dass sich der größte Teil der Erzählung in zwei Gegenden abspielt: Galiläa und Umgebung (4,12–18,35) sowie Jerusalem und Umgebung (21,1–28,15). Innerhalb dieser Gebiete variieren die Settings mehrfach, Ortsnamen wechseln sich auch mit topografischen Angaben (Berg, See) ab; es lassen sich keine klaren chiastischen oder alternierenden Strukturen bei den Schauplätzen erkennen. Die Settings können im Einzelnen also kaum zur Strukturierung des MtEv dienen. Allerdings ist es sicher nicht zufällig, dass die Handlung des MtEv gerade in Cäsarea Philippi (16,13), neben Tyrus und Sidon (15,21) der nördlichste Schauplatz, eine
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
Wendung nimmt: Ab hier zieht Jesus sich nicht mehr vor seinen Gegnern zurück (ajnecwvrhsen, vgl. Mt 4,12; 12,15; 14,13; 15,21) 108, sondern beginnt, sein Leiden anzukündigen (16,21) und nach Jerusalem zu reisen (Kap. 3.4.4). Insgesamt bleiben die Ortsangaben des MtEv oft im Ungefähren, die Zeitangaben sind noch mehr in der Schwebe und nur in Jerusalem etwas genauer (26,2.17.62; 28,1). Bewertung der Methoden a)–d): Die Analyse der Darstellungsebene, Genauigkeit, Gewichtung und Abfolge der einzelnen Settings kann bestimmte Auffälligkeiten bei der Erzähltechnik bezogen auf die Erzählumwelt wahrnehmen. – Die Fragestellungen sind grundsätzlich anwendbar. – Sie tragen vor allem bei solchen Erzählungen etwas aus, wo die Umwelt eine prominentere Rolle spielt, wo Landschaftsbeschreibungen vorkommen oder wo die Topografie bzw. gesellschaftliche Gegensätze die Handlung ganz wesentlich bestimmen. Das Ergebnis für das MtEv ist begrenzt, weil der Autor keine ausgefeilten Darstellungstechniken anwendet und das Setting in Mt 28 eher im Hintergrund steht. Bezogen auf das MtEv insgesamt konnte durch diese Methoden der Gegensatz Galiläa – Jerusalem erfasst werden. – Die Methoden zur Analyse sind nur zum Teil ausreichend ausgearbeitet. Die Darstellungsebene des Settings lässt sich recht einfach dem Erzähler oder den Figuren zuordnen, für die Beschreibung der Genauigkeit des dargestellten Settings wären dagegen eine Skala und präzise Kriterien sinnvoll. Die Gewichtung der einzelnen Umwelt-Elemente kann im Einzelfall schwierig sein; Kriterien hierfür sind häufige Erwähnung, Ausführlichkeit der Darstellung und eine besondere Position in der Erzählung. Die abschließende Analyse der Abfolge und Verknüpfung der Settings erwies sich als problemlos. 3.3.5 Umweltrezeption a) Symbolik: Im Text von Mt 28 kann man davon ausgehen, dass insbesondere Galiläa und der Berg eine Symbolik besitzen, d.h. Frames aufrufen, die nicht direkt mit der Vorstellung der Landschaft oder eines Berges in Verbindung stehen. Aus kognitiver Sicht ist der Unterschied zwischen gegenstandsbezogenen Vorstellungsinhalten, traditionsgeschichtlich geprägten Begriffen, narrativ generierten Gedankenverknüpfungen und Metaphern allerdings sehr fließend. Daher müsste der symbolische Gebrauch von „Galiläa“ und „Berg“ im MtEv gemeinsam mit den übrigen Frames bereits in Kap. 3.3.1.2 (räumliches Setting) behandelt werden. b) Stimmung: Eigentlich könnte man die Handlung in eine intensive, emotionale Atmosphäre einbetten und dies auch für Nacherzählungen nutzen. Man braucht sich nur die von Matthäus geschilderten Situationen tat108
Ausführlich dazu METZNER, Rückzug Jesu.
3.3 Umweltanalyse
289
sächlich vor Augen zu führen: Das Grab in der Morgendämmerung – ein furchterregendes Erdbeben und eine Lichtgestalt, bei der gestandene Soldaten wie tot umfallen – das unheimliche leere Grab – die ratlose Hektik in Jerusalem – die Einsamkeit und Weite des Berges. Matthäus selbst arbeitet die Stimmung in den Szenen in keiner Weise erzählerisch aus (abgesehen von einem formelhaften „fürchtet euch nicht“, V. 5.10). Die Erzeugung von Stimmung durch eine detaillierte Schilderung der Umwelt scheint insgesamt noch nicht zum erzähltechnischen Repertoire der Evangelisten zu gehören. Heutigen Lesern könnte diese eher nüchterne Erzählweise ungewohnt geworden sein, was die angemessene Rezeption der Evangelien behindert.109 Die Rezipienten sind daher gefordert, ihre Vorstellungskraft aktiv zu benutzen und sich in die Umwelt hineinzudenken. Insgesamt kann man die Stimmung in V. 1–10 wohl als „mysteriös“ kennzeichnen, V. 16– 20 erweckt den Eindruck von Universalität und Weite. Bewertung der Methode b): Die Analyse, inwiefern die Schilderung der Umwelt beim Rezipienten eine Grundstimmung auslöst, hat eine Parallele in der Untersuchung der (zumeist) figurenbezogenen Rezeptionsemotionen (vgl. 3.7.5). – Grundsätzlich ist diese Fragestellung auf biblische Texte anwendbar. Allerdings ist die Stimmung des Settings in biblischen Texten nur bei genauerem Hinsehen, d.h. bei der kognitiven Rekonstruktion der erzählten Welt, zu bemerken. Nacherzählungen könnten diese Ergebnisse aufnehmen und sie weiter ausarbeiten, weil sie den Realitätseffekt und wohl auch die Empathie mit den Figuren verstärkt. Insofern hat diese Untersuchung größere praktische Relevanz. – Um die Stimmung einer Umweltschilderung methodisch zu erfassen, müssen verschiedenste Aspekte berücksichtigt werden. Eine Methode ist noch nicht ausgearbeitet. 3.3.6 Umweltkonzeption Da die Umwelt nicht auf explizite Weise Stimmung erzeugt („gestimmter Raum“) und auch sonst nicht genau beschrieben wird („Anschauungsraum“), kann man sie eindeutig dem dritten Typ, dem „Aktionsraum“, zuordnen. Sie ist vor allem wegen ihrer Bedeutung für die Handlung wichtig. a) Umweltdynamik: Insgesamt ist das Setting im MtEv eindeutig statisch; es verändert sich nicht, nur die Schauplätze der Handlung ändern 109
Moderne Rezipienten sind solche Erzählungen wohl deswegen kaum noch gewohnt, weil heutige Erzählungen im Film und auch in vielen Romanen durch ihre medialen und erzähltechnischen Möglichkeiten eine intensive Stimmung erzeugen. M.E. wird dabei die Fähigkeit, die eigene Vorstellungskraft zu aktivieren, nicht ausreichend ausgebildet. Vielleicht werden deshalb Erzählungen in ihrer „nackten“ biblischen Sprachgestalt oft nicht mehr als fesselnd erlebt? Umso wichtiger scheinen heute Übungen zur Phantasiearbeit (vgl. S. 274 Anm. 81) und wissenschaftlich verantwortete, emotionalisierende Paraphrasen des Bibeltextes zu sein (Kap. 3.1.3).
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
sich. Auch die sozialen und religiösen Gegensätze, z.B. zwischen dem Volk und den Herrschaftseliten oder zwischen den Jüngern und den Hohenpriestern, werden nicht überwunden, sondern bestehen fort. b) Umweltkomplexität: Weil nur wenige Elemente der Umwelt direkt geschildert werden, ist sie einfach und nicht sehr differenziert. Von einer komplexen Umwelt kann man im MtEv eindeutig nicht sprechen. c) Umweltoffenheit: Das Setting ist grundsätzlich eher definiert als mysteriös. Die intendierten Rezipienten können die Orts- und Zeitangaben mithilfe ihrer Frames und Skripts sinnvoll einordnen. Wohl alle Ortsnamen beziehen sich auf real vorhandene Orte. d) Umweltapplikabilität: Die Umwelt ist weitgehend realistisch, auch wenn einige Umwelt-Elemente im MtEv mit Konnotationen versehen werden, vor allem der „Berg“ und „Galiläa“. Eine allgemeine psychologische Deutung der Settings ist daher kaum intendiert. Bewertung der Methode: Die Analyse der Umweltkonzeption dient dazu, die Erzähltechniken bei der Umweltschilderung zusammenfassend zu charakterisieren. Eine Anwendung bereitet keine Probleme. Für Mt 28 erbringt sie jedoch wenig Ergebnisse, weil Matthäus (wie andere antike Autoren) erzähltechnisch nicht primär mit dem Setting arbeitet. Methodisch ist die Untersuchung der Umweltkonzeption aber grundsätzlich hinreichend ausgereift.
3.4 Handlungsanalyse Die Handlungsanalyse von Mt 28,1–20 richtet sich nach der in Kap. 2.4 beschriebenen Methode. 3.4.1 Kognitive Vorstellung der Ereignisse Ähnlich wie beim Setting (Kap. 3.3.1) sollten auch die möglichen offenen Fragen des Rezipienten zur Handlung (Vorstellung von Ereignissen) zusammengetragen werden, um die von Mt vorausgesetzten historischen Skripts systematisch zu ermitteln. Weil es im MtEv deutlich mehr Handlungs-Elemente als Umwelt-Elemente gibt, ist es zunächst sinnvoll, in einer eigenen Übersicht alle in Mt 28 erwähnten Ereignisse aufzulisten, aus denen sich die Handlung zusammensetzt. 110 Die Ereignisse sind im Folgenden nummeriert, die statischen Aussagen dagegen nicht nummeriert und kursiv gedruckt. Dieser Text ist relativ komplex, weil hier mehrere narrative Ebenen und Imperative vorkommen, die nicht gut in das einfache Schema „dynamische vs. statische Aussagen“ einzuordnen sind. Aus 110
Vgl. dazu SCHWARZE, Ereignisse, 151 (Liste mit Kernen).
3.4 Handlungsanalyse
291
Platzgründen wurden in Klammern zusätzlich auch die Wichtigkeit der Elemente (Kern, Satellit, Information, Indiz; vgl. 3.4.2) sowie die hier vorkommenden Anachronien (vgl. 3.4.3) aufgenommen, die später genauer analysiert werden: NEUE HANDLUNGSSEQUENZ: neuer Schauplatz, neue Figur (der Engel) 1. Die beiden Frauen gehen zum Grab (V. 1). (Kern) Zeitangabe: Nach dem Sabbat, als es zum ersten Tag der Woche hin dämmert. Eigenschaft: Die beiden Frauen wollen das Grab sehen. (Information) 2. Es geschieht ein starkes Erdbeben (V. 2a). (Satellit) 3. Der Engel des Herrn steigt vom Himmel herab (V. 2). (Satellit) 4. Der Engel des Herrn kommt hinzu (V. 2). (Satellit) 5. Der Engel des Herrn rollt den Stein weg (V. 2). (Kern) 6. Der Engel des Herrn setzt sich auf den Stein (V. 2). (Satellit) Eigenschaft: Die Gestalt des Engels ist wie ein Blitz (V. 3). (Information) Eigenschaft: Das Kleid des Engels ist weiß wie Schnee (V. 3). (Information) 7. Die Wächter zittern (V. 4a). (Satellit) 8. Die Wächter werden wie tot (V. 4b). (Satellit) 9. Der Engel redet mit den Frauen (V. 5–7). (Kern) Imperativ: Fürchtet euch nicht. Eigenschaft: Ihr sucht Jesus. (Information) Eigenschaft: Ich weiß, dass ihr Jesus sucht. (Information) 9.1 Jesus wurde gekreuzigt. (Satellit) (Analepse, subjektiv, intern, partiell, homodiegetisch, repetitiv, explizit) Zustand: Jesus ist nicht hier. (eigentliches Indiz) 9.2 Jesus ist auferstanden. (Kern) (Analepse, subjektiv, intern, komplett, homodiegetisch, kompletiv, oblique111) 9.3 Jesus hat seine Auferstehung angekündigt. (Satellit) (Analepse, subjektiv, intern, partiell, homodiegetisch, repetitiv, explizit) Imperativ: Los, schaut den Ort an, wo er gelegen hat. Imperativ: Geht schnell. Imperativ: Sagt seinen Jüngern: 9.i4.1 Jesus ist auferstanden. (Satellit) (Analepse, subjektiv, intern, komplett, homodiegetisch, repetitiv, oblique) 9.i4.2 Jesus geht euch voran nach Galiläa. (Satellit) 9.i4.3 Ihr werdet ihn dort sehen. (Kern) (Prolepse, subjektiv, intern, partiell, homodiegetisch, repetitiv, explizit, zukunftsgewiss) 9.4 Ich habe es euch gesagt.112 (Satellit) (Analepse, subjektiv, intern, komplett, homodiegetisch, repetitiv, explizit) 111 Oblique Analepse: Die Aussage „Jesus ist auferstanden“ nimmt auf ein früheres Ereignis Bezug, das nicht direkt genannt ist. Man kann nicht erkennen, wann die Auferstehung genau geschehen sein soll: In dem Augenblick, als der Engel den Stein wegrollt (Ereignis 5)? Oder schon vor bzw. nach dem Erdbeben (Ereignis 2)? Der genaue Hergang der Auferstehung bleibt so in der Schwebe. Der Erzähler Matthäus erwähnt die Auferstehung Jesu auch nur im Munde des Engels, er selbst enthält sich scheinbar jeder Deutung der Ereignisse. 112 Nur 9.i.3 gehört m.E. noch zur zweiten narrativen Ebene, der Botschaft der Frauen an die Jünger. Vgl. 3.2.1 zu Erzählebenen.
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
NEUE HANDLUNGSSEQUENZ: neuer Schauplatz, neue Figur (Jesus); weniger starker Einschnitt 10. Die Frauen laufen von der Gruft weg (V. 8). (Satellit113) Eigenschaft: Die Frauen wollen die Botschaft den Jüngern verkünden. (eigentl. Indiz) 11. Jesus begegnet den Frauen (V. 9). (Kern) 12. Jesus grüßt die Frauen (V. 9). (Satellit) Imperativ: Freut euch. 13. Die Frauen treten heran (V. 9). (Satellit) 14. Die Frauen fassen Jesu Füße (V. 9). (Satellit) 15. Die Frauen fallen vor Jesus nieder (V. 9). (Satellit) 16. Jesus redet mit den Frauen (V. 10). (Kern) Imperativ: Fürchtet euch nicht. Imperativ: Geht hin. Imperativ: Verkündet meinen Brüdern, (Imperativ) dass sie nach Galiläa gehen sollen. 16.1 Sie werden mich in Galiläa sehen. (Satellit) (Prolepse, subjektiv, intern, partiell, homodiegetisch, repetitiv, explizit, zukunftsgewiss) NEUE HANDLUNGSSEQUENZ: neuer Schauplatz, neue Figuren; mittelstarker Einschnitt 17. Einige Wächter gehen in die Stadt (V. 11). (Satellit) Zeitangabe: Während die Frauen laufen. (Analepse, objektiv, intern, komplett, heterodiegetisch, repetitiv, explizit) 18. Einige Wächter verkünden den Hohenpriestern alles, was passiert ist. (Kern) 18.1 Es ist etwas passiert. (Satellit) (Analepse, objektiv, intern, partiell, homodiegetisch, repetitiv, oblique114) 19. Die Hohenpriester treffen sich mit den Ältesten (V. 12). (Satellit) 20. Die Hohenpriester halten Rat mit den Ältesten. (Satellit) 21. Die Hohenpriester geben den Soldaten viel Geld. (Satellit) 22. Die Hohenpriester reden mit den Soldaten (V. 13–14). (Kern) Imperativ: Sagt:
113 Nimmt man das gemeinsamen Handlungsschema der Szenen als Kriterium, muss Ereignis 10 (V. 8) als Beginn der Szene V. 8–10 angesehen werden (s. 3.4.4.1); andererseits ist Ereignis 10 ein Satellit zu Ereignis 9, nämlich eine direkte Reaktion darauf, so dass aufgrund der Handlungslogik dagegen V. 1–8 als zusammengehörig angesehen werden können (3.4.5.1). Das NTG 27 wählt dementsprechend die Einteilung V. 1–7, 8–10; die Einheitsübersetzung dagegen bevorzugt die Aufgliederung in V. 1–8 und 9–10. 114 Oblique Analepse: Für den Rezipienten ist nicht sofort zu erkennen, worauf sich diese Aussage bezieht. Innerhalb der Logik der Erzählung können die Wächter nur die Ereignisse Nr. 2–8 mitbekommen haben und nicht alles, was der Rezipient des Textes wahrgenommen hat. Andererseits wurden vom Erzähler zwei Ereignisse ausgelassen, nämlich dass die Wachen später, als die Frauen und auch der Engel das Grab verlassen hatten, wieder zu Bewusstsein kamen und bemerkten, dass der Leichnam verschwunden war (zu erschließen aus V. 13). Für eine faire Beurteilung der Figuren durch den Rezipienten wäre es wichtig gewesen zu erfahren, was genau die Wachen den Hohenpriestern berichtet und ob die Wachen den Engel wirklich als Engel erkannt haben. Doch durch den knappen Gesprächsbericht (vgl. 3.6.2) wird vermieden, dass die Rezipienten Verständnis für die Position der Hohenpriester entwickeln; sie werden ihnen eher eine böswillige Verdrehung der vom Erzähler und dem Engel verbürgten Tatsachen unterstellen.
3.4 Handlungsanalyse
293
22.i1.1 Jesu Jünger sind bei Nacht gekommen. (Satellit) (keine Analepse115) 22.i1.2 Wir haben geschlafen. (Satellit) 22.i1.3 Die Jünger haben den Leichnam gestohlen. (Kern) 22.1 Diese Nachricht könnte vom Statthalter gehört werden. (Satellit) (Prolepse, subjektiv, extern, partiell, homodiegetisch, kompletiv, explizit, zukunftsungewiss) 22.2 Dann werden wir ihn ‚überzeugen‘. (Satellit) (Prolepse, s.o.) 22.3 Euch werden wir sorgenfrei machen. (Satellit) (Prolepse, s.o.) 23. Die Wächter nehmen das Geld (V. 15). (Satellit) 24. Die Wächter tun, wie sie gelehrt worden sind (V. 15). (Kern) 25. Die Rede breitet sich aus bei den Juden (V. 15). (Kern) (Prolepse, objektiv, gemischt, komplett, homodiegetisch, kompletiv, explizit, zukunftsgewiss) Zeitangabe: bis zum heutigen Tag. NEUE HANDLUNGSSEQUENZ: neuer Schauplatz, neue Figuren; relativ starker Einschnitt 26. Die Jünger gehen nach Galiläa auf den Berg (V. 16). (Kern) 26.1 Auf diesen Berg hatte Jesus ihnen zu gehen befohlen. (Analepse, objektiv, intern, partiell, homodiegetisch, kompletiv 116, explizit) 27. Die Jünger sehen Jesus (V. 17). (Kern) 28. Die Jünger fallen nieder (V. 17). (Satellit) 29. Die Jünger zweifeln (V. 17). (Satellit) 30. Jesus tritt heran (V. 18). (Satellit) 31. Jesus redet mit den Jüngern (V. 18–20). (Kern) 31.1 Mir wurde alle Macht im Himmel und auf Erden gegeben. (eigentliches Indiz) (Analepse, subjektiv, intern, komplett, homodiegetisch, kompletiv, oblique 117) 31.i1 Imperativ: Geht hin und macht zu Jüngern alle Völker, indem ihr sie auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes tauft und sie alles beachten lehrt, was ich euch befohlen habe. 31.i1.1 Ich habe euch etwas befohlen. (Satellit) (Analepse, subjektiv, intern, partiell, homodiegetisch, repetitiv 118, explizit) Zustand: Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Zeit. (eigentliches Indiz) (Prolepse, subjektiv, gemischt, komplett, homodiegetisch, kompletiv 119, explizit, zukunftsgewiss) 115 Die hier geschilderte Ereignissequenz ist Bestandteil einer anderen möglichen Welt, sie lässt sich nicht mit der Textwelt vereinbaren (vgl. 3.4.5 zu Handlungsverläufen). Man kann darum nicht wirklich von einer Analepse sprechen. 116 Der Rezipient wird an dieser Stelle von der Erwähnung des Berges überrascht, daher ist die kompletive Analepse im Relativsatz notwendig: Jesus hatte vorher nicht nur von Galiläa (V. 10), sondern von einem bestimmten Berg gesprochen. In Genettes Terminologie handelt es sich um eine Paralipse (ein Faktum wird nachgetragen). 117 Oblique Analepse: Für die Rezipienten ist es nicht einfach zu entscheiden, wie sie diese Analepse zeitlich einordnen sollen, denn bereits in Mt 11,27 redet Jesus in der Vergangenheitsform, dass dem Sohn alles vom Vater übergeben worden sei. Geschah die Machtübergabe bzw. Machtteilgabe also bereits zur Zeit des irdischen Wirkens Jesu (oder etwa noch davor)? Andererseits kann Mt 11,27 wie 18,20 (vgl. 28,20) aus der Perspektive des Auferstandenen gesprochen sein, eine Doppelbödigkeit, die für die Rezipienten zu erkennen sein könnte. 118 Repetitive Analepse: Die Rezipienten sollen hier wohl vor allem an die großen Reden Jesu denken (Mt 5–7; 10; 13; 18; 24–25), der genaue Bezug bleibt aber unklar.
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
Zunächst einmal kann das Verhältnis von dynamischen und statischen Aussagen in diesem Text beschrieben werden. Die Handlung der HauptErzählebene in Mt 28 ist insgesamt aus 31 expliziten Ereignissen zusammengesetzt, d.h. dynamischen Aussagen, die Zustandsveränderungen bezeichnen. Alle diese Ereignisse sind Aktionen, also von den an der Erzählung beteiligten Figuren intentional herbeigeführt. 120 Es gibt nur vier statische Aussagen 121, die Geschichte ist daher stark ereignisorientiert und hat eine hohe Handlungsdichte (31:35 = 88,6%). Allerdings tragen die längeren Redeabschnitte (V. 5b–7.9a.10.13f.18b–20) zu einer Entlastung der Handlung bei und sorgen für Abwechslung, so dass der Rezipient nicht überfordert oder gelangweilt wird. Innerhalb der Redeteile kommen neben statischen122 auch weitere dynamische Aussagen vor, welche die diegetische Handlung wiederholen, ergänzen oder ihr widersprechen (V. 13). Bewertung der Methode: Weil für die Handlungsanalyse speziell die Ereignisse als Zustandsveränderungen interessant sind, muss man sie zuerst aus der Erzählung herausarbeiten. Ein Erzähltext ist oft eine Mischung aus dynamischen und statischen Aussagen. – Auch auf biblische Erzählungen kann man diese Unterscheidung grundsätzlich anwenden. Allerdings bleibt das Phänomen zusätzlicher narrativer Ebenen in der bisherigen Methode unberücksichtigt; insbesondere ist unklar, wie man die Imperative einordnen soll, die weder statische noch dynamische Aussagen sind. Es ist wahrscheinlich hilfreich, sie als einzelne Sprechakte anzusehen und damit als Aktionen einer Figur. Dann müsste man das ‚Rede-Ereignis‘ auf diegetischer Ebene (z.B. Ereignis Nr. 9) in mehrere Einzelereignisse aufteilen. Insgesamt scheint die Differenzierung von statischen und dynamischen Aussagen in der Narratologie noch nicht genügend reflektiert worden zu sein. – Das Herausarbeiten der Ereignisse aus dem Text ist nicht nur wichtig für alle folgenden Schritte der Handlungsanalyse. Zusätzlich ist auch die Handlungsdichte ein Aspekt der Erzähltechnik, der die Aufmerksamkeit des Rezipienten in einer (noch unbestimmten) Weise beeinflusst. 119 Vgl. bereits Mt 1,23 (Immanuel) und 18,20 (da bin ich mitten unter ihnen), die Mt 28,20 vorausgreifen. Die Prolepse hier ist nicht repetitiv, sondern kompletiv, weil sie die vorigen Verse konkretisiert. 120 Auch das Erdbeben (Ereignis Nr. 2) hat implizit Gott als Urheber. Und an der Ausbreitung der Anti-Botschaft (Nr. 25) sind sowohl die Soldaten als auch ‚die‘ Juden beteiligt. 121 V. 1: Die beiden Frauen wollen das Grab sehen, V. 3: Gestalt und Kleidung des Engels (2x), V. 8: Die Frauen wollen die Botschaft den Jüngern verkünden. In V. 1 und V. 8 handelt es sich syntaktisch um finale Infinitive, die man zwar auch als Aussagen über ein zukünftiges Ereignis ansehen könnte, aber in diesem Kontext wohl eher statische Aussagen über den inneren Zustand der Frauen sind. 122 Statische Aussagen in wörtlicher Rede: V. 5: Ihr sucht Jesus, V. 6: Er ist nicht hier, V. 20: Ich bin bei euch alle Tage. Bei V. 6 und V. 20 handelt es sich jeweils um Zustände und nicht um Eigenschaftszuschreibungen.
3.4 Handlungsanalyse
295
Nachdem die Ereignisse im Text benannt sind, können nun – analog zum Setting (3.3.1) – die offenen Fragen („Leerstellen“) in Bezug auf die Handlung gesammelt werden. Diese Fragen beantwortet der Rezipient mithilfe seiner Skripts, also seinem Wissen darüber, wie bestimmte Vorgänge typischerweise ablaufen. Auf diese Weise kann man die Punkte benennen, an denen traditions-, religions- und sozialgeschichtliches Vorwissen einfließen muss. Denn Skripts haben immer historische und kulturelle Aspekte, die von Matthäus vorausgesetzt werden und die ein heutiger Rezipient kennen muss (während man sein eigenes Vorverständnis, seine eigenen Skripts an diesen Stellen „narkotisieren“ 123 sollte). Man gelangt zu diesen Fragen, indem man zunächst die Vorstellung von explizit genannten Ereignissen untersucht (a), anschließend diejenigen von impliziten Ereignissen (b). a) Vorstellung von explizit genannten Ereignissen („Wie geschieht etwas?“):124 – 48. Wie kann man sich das Begräbnis Jesu durch Josef von Arimathäa genau vorstellen? Welche Begräbnissitten kannte Matthäus? (Voraussetzung, vgl. 27,59f.) – 49. Wie kann man es sich vorstellen, dass ein Engel vom Himmel herabkommt? Wie bewegt sich ein Engel? (Ereignis 3–4) 125 – 50. Auf welche Weise wirkt der Engel auf den Stein ein, um ihn wegzurollen? (Ereignis 5) – 51. In welcher Haltung setzt sich der Engel auf den Stein? (Ereignis 6) 126 – 52. Was bedeutet es, dass die die Wächter „erbeben“? (Ereignis 7) – 53. Was soll man assoziieren, wenn es heißt, dass die Wächter „wie tot“ werden? (Ereignis 8) – 54. Inwiefern „antwortet“ der Engel den Frauen? Kann man vermuten, wie der Engel spricht (Sprache, Tonfall u.a.)? (Ereignis 9) – 55. Wie ging die Auferstehung Jesu vor sich? (Ereignis 9.2) 127 – 56. In welcher Weise hat Jesus seine Auferstehung angekündigt? (Ereignis 9.3) – 57. Inwiefern geht Jesus nach Galiläa voran? (Ereignis 9.i4.2) – 58. Was heißt es, dass die Jünger Jesus „sehen“ werden? (Ereignis 9.i4.3) 123
Vgl. zum Begriff NICKLAS, Leitfragen, 53. Folgende Ereignisse wurden nicht in die Liste aufgenommen, weil sie weitgehend selbsterklärend sind: „die Frauen gehen zum Grab“ (Ereignis 1), „die Frauen laufen weg“ (Ereignis 10), „Jesus wurde gekreuzigt“ (Ereignis 9.1, vgl. die genaue Schilderung in Mt 27,32–56); „die Frauen treten heran“ (Ereignis 13); „einige Wächter gehen in die Stadt“ (Ereignis 17); „die Wächter nehmen das Geld“ (Ereignis 23). Ereignis 2 (das Erdbeben) wurde schon als Frage 16 in Kap. 3.3.1.2 (räumliches Setting) behandelt, in ähnlicher Weise der Gruß des Auferstandenen mit Caivrete (Ereignis 12) als Frage 41 zum soziokulturellen Setting. 125 Vgl. Frage 17 zum räumlichen Setting, die aber nicht mit dieser Frage identisch ist. 126 Vgl. Frage 39 zum sozialen Setting, wo eher der kulturgeschichtliche Horizont erfragt wird. 127 Vgl. die Fragen 8 und 25, wo es speziell um zeitliche und räumliche Aspekte der Auferstehung geht. 124
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
– 59. Was assoziiert man bei „siehe, ich habe es euch gesagt“? (Ereignis 9.4) – 60. Wie „begegnet“ Jesus den Frauen? (Ereignis 11) – 61. Wie verehren die Frauen Jesus genau, fassen sie zuerst seine Füße und fallen dann nieder? Was ist proskunei`n? Was bedeutet das Fassen der Füße? Was bedeutet das Niederfallen? (Ereignis 14–15) – 62. In welcher Weise redet der Auferstandene mit den Frauen? (Ereignis 16) – 63. Auf welche Weise erstatten die Wächter Bericht? (Ereignis 18) – 64. Was erzählen die Wächter den Hohenpriestern genau? (Ereignis 18.1) – 65. Wie treffen sich die Hohenpriester mit den Ältesten? Wie läuft eine solche Besprechung ab? (Ereignisse 19–20) – 66. Wie hat man sich die Bestechung vorzustellen? Wo wird sonst von Bestechungen berichtet? (Ereignis 21) – 67. Wie reden die Hohenpriester mit den Soldaten? (Ereignis 22) – 68. Wie sind die Jünger bei Nacht gekommen? (Ereignis 22.i1.1) – 69. Wie haben die Wachen geschlafen? Werden anderswo schlafende Wachen beschrieben? (Ereignis 22.i1.2) – 70. Wie genau könnten die Jünger den Leichnam gestohlen haben? (Ereignis 22.i1.3) – 71. Auf welchen Wegen könnte die Nachricht zum Statthalter gelangen? (Ereignis 22.1) – 72. Wie soll Pilatus „überzeugt“ werden? (Ereignis 22.2) – 73. In welcher Hinsicht sollen die Soldaten „sorgenfrei“ werden? (Ereignis 22.3) – 74. Wie verbreiten die Wachen die Anti-Botschaft konkret? (Ereignis 24–25) – 75. Wie gehen die Jünger nach Galiläa? (Ereignis 26) – 76. In welcher Weise/wann hatte Jesus von einem „Berg“ in Galiläa gesprochen? (Ereignis 26.1) – 77. In welcher Weise „sehen“ die Jünger den Auferstandenen? (Ereignis 27) – 78. Was bedeutet es, dass die Jünger niederfallen? (Ereignis 28, vgl. Frage Nr. 60) – 79. Inwiefern „zweifeln“ die Jünger? (Ereignis 29) – 80. Inwiefern tritt der Auferstandene heran? (Ereignis 30) – 81. Wie redet Jesus mit den Jüngern? (Ereignis 31) – 82. Wie wurde Jesus alle Macht übertragen? Was bedeutet dies? (Ereignis 31.1) – 83. Wie stellt es sich Mt vor, dass die Jünger alle Völker zu Jüngern machen sollen? (Imperativ 31.i1) – 84. Wie sollten/konnten sich die intendierten Rezipienten die Taufe vorstellen? Was wussten sie darüber? (Imperativ 31.i1) – 85. Wie, mit welchen Methoden sollen die Jünger die Getauften unterrichten? (Imperativ 31.i1) – 86. Was sollen die Jünger die Getauften halten lehren? Was ist mit „alles, was ich euch befohlen habe“ genau gemeint? (Ereignis 31.i1.1)
b) Vorstellung von impliziten Ereignissen („Welches Ereignis wird nicht erwähnt, könnte aber vorausgesetzt sein?“, d.h. Fragen zur Erzähllogik): – 87. Wie haben sich die Frauen verhalten, so dass der Engel erkennt, dass sie sich fürchten? – 88. Gehen die Frauen nach der Rede des Engels (V. 5–7) tatsächlich ins Grab und überzeugen sich, dass es leer ist? Was sehen die Frauen im Grab? – 89. Berichten die Frauen den Jüngern dann auch wirklich von der Auferstehung Jesu?
3.4 Handlungsanalyse
297
– 90. Woher wissen die Jünger von dem Berg (vgl. Frage 76)? – 91. Hatte der Auferstandene auch einen Zeitpunkt festgelegt? Oder mussten die Jünger auf die Erscheinung warten?
Bewertung der Methode: Die Fragen zur kognitiven Vorstellung der Handlung haben eine ähnliche Funktion wie diejenigen zum Setting: Indem die Bestandteile der Handlung nicht einfach nur genannt, sondern inhaltlich beschrieben werden, könnten auch Aspekte der historischen Textauslegung mit in die narrative Analyse einfließen (vgl. 3.3.1). – Die Methode ist auf alle biblischen Erzähltexte anwendbar. Weil jede Erzählung Ereignisse enthält, kann man immer auch Fragen zum inhaltlichen Verständnis der Handlung stellen. Der Ertrag dieser Fragen besteht – wie beim Setting – darin, dass sie indirekt, aber systematisch auf die Vorstellungen und Assoziationen verweisen, die bei kompetenten Rezipienten bei der Wahrnehmung der Erzählung aufgerufen werden (können). Die Antworten auf die Fragen zur Handlung sind dann – zusammen mit denjenigen zum Setting und zu den Figuren – eine wesentliche Voraussetzung für eine historisch verantwortete, textgemäße Paraphrase (vgl. 3.1.3). – Die zu erklärenden „Leerstellen“ bezogen auf die Handlung sind relativ gut und methodisch klar zu erfassen, weil sich die meisten Fragen an den geschilderten Ereignissen orientieren können. Nur die Fragen nach den impliziten Ereignissen sind bisher kaum auf methodische Weise erschließbar. Um diese Fragen dann konkret zu beantworten und die Skripts zum inhaltlichen Verständnis der Handlung bereitzustellen, dazu müssen die bisher üblichen Methodenschritte der Traditionsgeschichte, Sozialgeschichte, sprachlichen Untersuchung usw. angewendet werden (vgl. 4.2). 3.4.2 Wichtigkeit der Elemente Die Ereignisse und Beschreibungen werden nach Kernen und Satelliten, Indizien und Informationen unterteilt (vgl. die Zuordnung in der Übersicht in 3.4.1).128 Um praktisch zu prüfen, welche Elemente der Erzählung entbehrlich sind und welche nicht, sind Zusammenfassungen gut geeignet. Zusammenfassung: ‚Zwei Frauen mit Namen Maria gehen zum Grab Jesu. Ein Engel erscheint, rollt den Stein vom Grab, erschreckt die Wächter und sagt zu den Frauen, dass das Grab leer 129 und Jesus auferstanden sei. Er beauftragt sie, den Jüngern zu sagen, dass Jesus auferstanden sei und sie ihn in Galiläa sehen würden. Auf dem Weg begegnet der Auferstandene selbst den Frauen und bekräftigt den Auftrag. Währenddessen gehen einige 128 Analog zu Haupt- und Nebenfigur, Haupt- und Nebenkonflikt, Haupt- und Nebenhandlung könnte man statt von „Kern“ und „Satellit“ auch eingängiger von Haupt- und Nebenereignis sprechen. Weil die von Barthes bzw. Chatman eingeführte Terminologie jedoch sehr verbreitet ist, will ich sie hier zunächst beibehalten. 129 Implizit aus V. 6 „er ist nicht hier“, vgl. V. 13 „seine Jünger haben ihn gestohlen“.
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
Wächter zu den Hohenpriestern und berichten ihnen, was sie erlebt haben. Die Hohenpriester bestechen die Wächter und beauftragen sie zu sagen, dass die Jünger Jesu den Leichnam gestohlen hätten. Die Wächter sind gehorsam und ihre Botschaft verbreitet sich. Die Jünger dagegen gehen nach Galiläa. Dort begegnet ihnen Jesus, befiehlt ihnen, alle Völker zu Jüngern zu machen, und sagt ihnen seinen Beistand zu.‘ – Diese Zusammenfassung enthält alle Kerne der Erzählung. 130 Kurzzusammenfassung: ‚Zwei Frauen besuchen das Grab Jesu. Dort verkündet ihnen ein Engel, dass Jesus auferstanden sei. Die Grabwächter dagegen werden von den Hohenpriestern beauftragt zu verkünden, dass Jesus von seinen Jüngern gestohlen worden sei. Der Auferstandene begegnet schließlich seinen Anhängern und befiehlt ihnen, alle Völker zu Jüngern zu machen.‘ – Hier sind nur einige Kerne aufgegriffen, die wohl die wichtigsten darstellen.131 Beurteilung der Methode: Die Frage nach den wichtigsten Elementen einer Handlung ist grundsätzlich legitim, da wir z.B. bei Erzählzusammenfassungen bestimmte Ereignisse benennen, andere nicht. Problematisch ist aber die Durchführung. „Kern“ und „Satellit“ lassen sich nicht scharf voneinander trennen, dementsprechend ist auch die Handlungsintensität (der Anteil der Kerne) schwer zu bestimmen. Indizien und Informationen sind ebenfalls nicht klar zu trennen und wohl nicht auf statische Aussagen beschränkt.132 Der Ertrag der Methode ist m.E. nicht allzu groß. Man kann die ermittelten Handlungskerne immerhin für die Analyse des Handlungsschemas und des Handlungsverlaufs verwenden. Die herkömmlichen binären Unterscheidungen von Chatman und Barthes sind zu simpel und müssten weiter überarbeitet werden. Außerdem können Zusammenfassungen zwar intuitiv und weitgehend konsensfähig, aber bisher kaum methodisch nachvollziehbar erstellt werden, weil hier wahrscheinlich viele verschiedene Aspekte des Textverständnisses mit hineinspielen.
130
Vgl. die Ereignisse 1, (3,) 5, (8,) 9 (mit einzelnen Sprechakten), 11, 16, (17,) 18, (21,) 22 (mit Sprechakten), 24, 25, 26, 27, 31 (mit Sprechakten). Die Ereignisse in Klammern sind in der Übersicht oben als Satelliten geführt, weil sie nur vorbereitenden Charakter haben. In der Zusammenfassung treten sie jedoch zum besseren Verständnis mit auf. Statische Aussagen, Indizien und Informationen fallen in der Zusammenfassung ganz weg. Wörtliche Rede und Anachronien wurden aufgelöst. 131 Vgl. die Ereignisse 1, 9 (mit Sprechakt), 22 (mit Sprechakt), 27, 31 (mit Sprechakt). 132 Vgl. „Mir ist gegeben alle Gewalt …“ und „was ich euch befohlen habe“ (V. 18.20), die hier als eigentliches Indiz bzw. Information eingeordnet wurden, weil sie (auf metadiegetischer Ebene!) nicht einem Kern zugeordnet sind und darum auch keine Satelliten sein können. Der Imperativ „Macht zu Jüngern alle Völker“ (V. 19) ist nur auf diegetischer Ebene als Kern anzusehen.
3.4 Handlungsanalyse
299
3.4.3 Handlungsdarstellung (zeitliche Aspekte) 1. Erzählordnung:133 Auf der diegetischen Erzählebene werden die Ereignisse durchgehend chronologisch berichtet, abgesehen von Ereignissen Nr. 17–23, die sich nach V. 11 zeitlich teilweise mit Nr. 10–16 überschneiden (und 24–25 wohl mit Nr. 26–31). Genauere Zeitangaben für eine zeitliche Zuordnung der Ereignisse in Mt 28 neben V. 1.11 fehlen jedoch. Fast alle anachronischen Aussagen befinden sich in wörtlicher Rede 134 und beinahe alle Ereignisse in wörtlicher Rede sind Anachronien (mit Ausnahme von V. 7: „Jesus geht euch voran nach Galiläa“). Bis auf die drei Ereignisse umfassende Prolepse in V. 14 bestehen die Anachronien in diesem Text jeweils aus einem einzigen Ereignis, sind also sehr knapp. Es gibt zehn Analepsen und fünf Prolepsen. Nur zwei von ihnen sind gemischt (die Prolepsen in V. 15b und 20b 135), d.h. sie verweisen auch auf eine Zeit nach Ende der Erzählung, eine ist möglicherweise extern (V. 14). Bei partiellen und kompletten Anachronien ist kein Schwerpunkt feststellbar, sie wechseln sich nahezu regelmäßig ab, wobei diese Kategorie eigentlich nur bei längeren Anachronien sinnvoll ist. Nur eine Anachronie (V. 11a) ist heterodiegetisch, wenn man V. 11–15 und V. 1–10.16–20 als zwei Handlungsstränge wertet. Es kommen neben neun repetitiven Anachronien erstaunlich viele kompletive Anachronien vor, d.h. die meist in wörtlicher Rede berichteten Ereignisse füllen erzählerische Lücken aus. 133 Um Anachronien zu beschreiben, kann man auch auf andere Weise vorgehen als oben dargestellt. Einige Beispiele aus der Literatur: a) Es werden eine oder mehrere Kriterien (z.B. Zeitorientierung, Deutlichkeit) ausgewählt, nacheinander alle dazugehörigen Anachronien aufgelistet oder die entsprechenden Stellen ausführlich nacherzählt. Ähnliche Anachronien werden dabei in Gruppen zusammengefasst (z.B. Andeutungen durch Namen, Träume, vorangestellte Episoden). Am Ende steht ein Resümee, wie die Anachronien in der Erzählung verwendet werden. Dies ist wohl die häufigste Form des Umgangs mit Anachronien, vgl. G ENETTE, Erzählung, 26–58 (zu Prousts Recherche); KOENEN, Prolepsen, bes. 459–477 (Beispiele aus dem gesamten AT); DU TOIT, Prolepsis (MkEv). – b) Die Anachronien der Erzählung werden ohne Differenzierungen tabellarisch aufgelistet (PETERSEN, Zeitebenen, 104f.) und der Text (mit Schwerpunkt auf den Anachronien) abschnittsweise nacherzählt. – c) Außerdem können Anachronien dargestellt werden, indem man die erzählte Reihenfolge mit Großbuchstaben versieht, die Reihenfolge der Geschichte mit Zahlen (z.B. „A4 – B5 – C3 – D2 – E1“ für die ersten Verse der Ilias; so G ENETTE, Erzählung, 24). In einer ausführliche Variante können die Sätze der Erzählung in zwei Tabellenspalten untereinander geschrieben werden, links in der Reihenfolge der Erzählung und rechts in der chronologischen Reihenfolge der Ereignisse (MARSDEN, Analyse der Zeit, 94). Eine wiederum andere Notierung der Anachronien findet man bei F UNK, Poetics, 187–206. 134 Ausnahmen: V. 15 „breitete sich aus bis zum heutigen Tag“ (Prolepse), V. 16 „Berg, auf den Jesus sie befohlen hatte“ (Analepse). 135 In Mt 28,20b fungiert interessanterweise keine Ereignisaussage, sondern eine Zustandsbeschreibung als Prolepse.
300
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
Besonders augenfällig ist dies in V. 6 (er ist auferstanden) und V. 16 (nachträgliche Erwähnung des Berges). Rätselhaft sind die drei bzw. vier obliquen Anachronien (V. 6: „er ist auferstanden“, vgl. V. 7a; V. 11: „was passiert ist“; V. 18: „mir ist gegeben alle Gewalt“), über deren zeitliche Einordnung der Rezipient nachdenken muss. Speziell bei den Prolepsen kommen sowohl zukunftsgewisse (im Mund des Engels und Jesu) als auch zukunftsungewisse Prolepsen (im Mund der Hohenpriester) vor. Die Prolepse des Erzählers in V. 15b ist qua Erzähler zukunftsgewiss, die Prolepsen im Mund des Engels und Jesu (V. 7b.10b, vgl. 6a) können ebenfalls als zukunftsgewiss gelten, weil der Erzähler sie als zuverlässige Figuren etabliert hat und deren Prolepsen auch bisher in Erfüllung gingen. Daher hat auch die Zusage Jesu in Mt 28,20 zukunftsgewissen Charakter. Bewertung der Methode: Es ist eine wichtige Beobachtung, dass Handlungselemente in unterschiedlicher Abfolge dargestellt werden können. Die jeweilige Reihenfolge der Informationsvergabe ist Teil der Erzähltechnik und beeinflusst den Leser in bestimmter Weise mit. – Genettes binäre Terminologien sind grundsätzlich auch auf biblische Erzähltexte anwendbar. Auch wenn hier kaum längere Anachronien zum Einsatz kommen, kann man in einem weiteren Sinn die häufig vorkommenden „Ein-Satz-Anachronien“ untersuchen. – Insgesamt scheint der Ertrag der Differenzierungen eher gering zu sein. Ob sich Anachronien auf andere Handlungsstränge beziehen (homo-/heterodiegetisch), über die Erzählung hinausreichen (intern/extern) und bis zum erzählten Zeitpunkt gehen oder nicht (komplett/partiell), ist zwar interessant, kann aber oft nicht weiter ausgewertet werden. Wo also liegt das Problem? Eigentlich sind Anachronien in verschiedenster Form sehr relevant für die Rezeptionswirkung, 136 aber Genettes Kategorien sind nicht darauf ausgerichtet, dieses Verhältnis zu erfassen, sondern genügen sich selbst. Diese rein formalen Klassifikationen führen in eine methodische Sackgasse, weil keine weiteren Analyseschritte auf sie aufbauen können. M.E. werden sie in der heutigen Narratologie deutlich überbewertet. 136 Beispiele: Manche Anachronien können spannungserzeugend wirken, weil sie dem Rezipienten ein relevantes Ereignis oder eine Teilinformation vorenthalten; bestimmte Anachronien erzeugen Konflikte und treiben die Handlung voran, weil eine Figur mehr oder weniger weiß als andere oder der Erzähler; einige Anachronien stärken die Erinnerung des Rezipienten, sofern sie Ereignisse wiederholen (repetitiv); eine Untergruppe dieser Anachronien kann auch langweilen; andere repetitive Anachronien zeigen die Haltung unterschiedlicher Figuren zu einem Ereignis; wieder andere Anachronien verstören den Rezipienten oder sorgen für Spannung, weil ihr Bezugspunkt nicht klar ist (oblique). Um diese Aspekte einzubeziehen, müsste das System zur Beschreibung von Anachronien grundsätzlich überarbeitet werden. In eine gute Richtung weisen die Unterscheidungen subjektiv/objektiv, repetitiv/kompletiv und explizit/oblique sowie bei Prolepsen gewiss/ ungewiss.
3.4 Handlungsanalyse
301
2. Erzählgeschwindigkeit.137 In Mt 28,1–7 verlangsamt sich das Erzähltempo mehr und mehr: V. 1 erwähnt knapp, dass die Frauen zum Grab gehen (schnelle Zeitraffung), V. 2–4 beschreibt die Ereignisse minutiöser (mäßige Zeitraffung) und die wörtliche Rede des Engels in V. 5–7 führt schließlich zur Zeitdeckung. Eine ähnliche Drosselung der Geschwindigkeit ist jeweils in V. 8–10 und V. 16–20 zu beobachten. Die Verlangsamung der Erzählgeschwindigkeit und die Schlussstellung der Reden unterstreichen die Wichtigkeit, die der Erzähler der Botschaft des Engels und Jesu offenbar beimisst. Das Handlungsschema der Epiphaniegeschichte (s.u.) spiegelt sich hier auch in einem bestimmten Erzählrhythmus. In V. 11–15 liegt dagegen eine relativ gleichmäßige Zeitraffung vor, unterbrochen durch eine zeitdeckende, wörtliche Rede (V. 13f.) und beendet mit einer beschleunigten Zeitraffung in V. 15b. Diese Verse haben ein anderes Geschwindigkeitsmuster als die anderen Abschnitte. Hier steht die Anweisung der Hohenpriester an die Soldaten nicht so stark im Vordergrund wie die Botschaften Jesu und des Engels, auf die V. 1–7.8–10.16–20 zulaufen, darum ist sie auch für den Rezipienten weniger einprägsam. Bewertung der Methode: Die Wahl der Erzählgeschwindigkeit beeinflusst die Intensität der Informationsvergabe und ist ebenfalls ein wichtiger Aspekt der Erzähltechnik. Obwohl es kein absolutes Maß für die Erzählgeschwindigkeit gibt, sind Geschwindigkeitsunterschiede recht gut feststellbar, auch in biblischen Texten. – Wie alle Aspekte der Erzähltechnik kann die Erzählgeschwindigkeit in zwei Richtungen ausgewertet werden: a) Man kann das erzähltechnische Profil mit demjenigen anderer Erzählungen oder Handlungsabschnitte vergleichen; b) man kann empirisch überprüfen bzw. Prognosen abgeben, wie dieses Profil die Aufmerksamkeit des Rezipienten beeinflusst. Langsam erzählte Passagen sind in der Regel besonders wichtig und prägen sich dem Rezipienten besser ein. Variationen der Erzählgeschwindigkeit zeigen also, auf welchen Aspekten der Erzählung der Schwerpunkt liegt. – Die Methode ist gut ausgearbeitet. 3. Hinsichtlich der Erzählfrequenz fällt vor allem die Doppelung der Szenen von V. 5–7 und 8–10 ins Auge. Beide weisen auf V. 16 hin. Das Ereignis Nr. 27 (‚die Jünger sehen Jesus in Galiläa‘) wird mehrfach und aus verschiedenen Perspektiven erwähnt, zum Schluss durch den Autor selbst. Weil Matthäus keinen unzuverlässigen Erzähler konzipiert hat, ergibt sich daraus eine Klimax der Zuverlässigkeit: Die Erscheinung vor den elf Jüngern wird zunächst durch einen Engel, durch Jesus und dann vom Autor-Erzähler selbst verbürgt. Auch die Auferstehung wurde dem 137
Im Folgenden wird die Erzählgeschwindigkeit im Fließtext beschrieben. Man kann sie daneben auch in tabellarischer Form darstellen (M ARGUERAT/BOURQUIN, Bible Stories, 87), eine Grafik zeichnen (so J AHN/NÜNNING, Survey, 296) oder alle Ellipsen, Raffungen, Szenen usw. der Erzählung nacheinander auflisten (vgl. E ISEN, Poetik, 102f.).
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
Rezipienten bereits dreimal angekündigt (Mt 16,21–23; 17,22f.; 20,17–19) und hier bei der Erfüllung wird nun noch explizit auf die Ankündigung hingewiesen (V. 6), damit auch der flüchtigste Rezipient den Zusammenhang erkennt. Durch die Wiederholungen rücken Auferstehung und Erscheinung Jesu vor den Jüngern noch stärker in den Vordergrund. Nicht zuletzt rekurriert auch die Handlungssequenz V. 11–15 deutlich auf 27,62– 66. Dass dieser Handlungsstrang mit den Hohenpriestern und deren Verdacht auf Leichenraub zwei Teile hat, gibt ihm ein besonderes Gewicht. Von der narrativen Logik her wäre statt 27,62–66 eine kurze Bemerkung ausreichend gewesen, dass Wachen vor das Grab bestellt wurden. So aber wird dem Rezipienten der Konflikt zwischen wahrer und falscher Interpretation der Ereignisse vor Augen geführt, und auch die Verstocktheit der Hohenpriester in V. 12–14 kommt für den Rezipienten nicht überraschend. Bewertung der Methode: Wie bei der Erzählgeschwindigkeit kann auch die Analyse der Erzählfrequenz aufzeigen, welche Bestandteile der Erzählung besonders intensiv auf den Rezipienten einwirken. 3.4.4 Handlungsstrukturen und Handlungstypen In diesem Abschnitt werden die konkreten Handlungsstrukturen der Szenen in Mt 28 herausgearbeitet und allgemeineren Handlungsmustern (3.4.4.1) zugeordnet. Anschließend wird das klassische Fünferschema auf das gesamte MtEv angewendet (3.4.4.2) und die Handlung nach Handlungstypen klassifiziert (3.4.4.3). 3.4.4.1 Handlungsstrukturen und Handlungsmuster Die Handlungsfunktionen kann man durch „event-labelling“ beschreiben, wobei die konkreten Ereignisse durch Allgemeinbegriffe ersetzt werden (vgl. 2.4.4). Auch die Figurennamen werden bezogen auf ihre Rolle in der Erzählung abstrahiert, z.B. die Hohenpriester in Mt 28,11–15 entsprechen den „Gegenspielern“: 1. Die Gegenspieler erfahren von der Situation (Ereignisse 17–18; V. 11). 2. Die Gegenspieler beratschlagen sich (Ereignisse 19–20; V. 12a). 3. Die Gegenspieler führen ihren Plan, der gegen die Helden gerichtet ist, aus (Ereignisse 21–22; V. 12b–14). 4. Die Gegenspieler haben Erfolg (Ereignisse 23–25; V. 15).
Man könnte diese vier Handlungsfunktionen, die analog zu Propps Handlungsfunktionen gebildet wurden, abschließend einem hypothetischen Handlungsmuster „erfolgreicher Zug des Gegenspielers“ zuordnen, das so oder so ähnlich in vielen Erzählungen begegnet. 138 138
Z.B. Gen 37,18–28; Ri 16,5–21; Hi 1,9–2,10; Act 6,8–8,3; Apk 13. Die Erfolge der Gegenspieler sind in biblischen Erzählungen jedoch m.W. immer vorläufig.
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3.4 Handlungsanalyse
Die drei übrigen Szenen in Mt 28 weisen fast identische Handlungsstrukturen auf, daher sollen diese tabellarisch dargestellt werden (Tab. 41): Tab. 41: Handlungsmuster in Matthäus 28 Handlungsfunktion
Mt 28,1–7
Mt 28,8–10
Mt 28,16–20
I. Helden gehen an einen anderen Ort II. Helden sehen Erscheinung III. Helden reagieren auf die Erscheinung IV. Helden erhalten eine Information
Frauen gehen zum Grab (V. 1) Engel erscheint (V. 2f.) – (Wachen werden wie tot, V. 4) Engel verkündet Auferstehung Jesu (V. 5f.) Engel beauftragt die Frauen (V. 7)
Frauen laufen weiter (V. 8) Jesus erscheint (V. 9a) Frauen treten zu Jesus und ehren ihn (V. 9b) –
Jünger gehen zum Berg in Galiläa (V. 16) Jesus erscheint (V. 17a) Jünger fallen nieder und zweifeln (V. 17b)
V. Helden erhalten einen Auftrag
Mir ist gegeben alle Gewalt … ich bin bei euch … (V. 18b.20b) Jesus beauftragt Jesus beauftragt die die Frauen (V. 10) Jünger (V. 19–20a)
Die Handlungsstrukturen der Szenen V. 1–7, 8–10 und 16–20 sind aus je vier bis fünf Handlungsfunktionen zusammengesetzt, die einander sehr ähneln. Wenn man es genau nimmt, ergibt sich daraus das gemeinsame Handlungsmuster „Auftrag für den Helden mit Ortswechsel und Epiphanie“. Weil aber die Elemente der Epiphanie und des Ortswechsels nicht für den weiteren Handlungsverlauf relevant sind, könnte man es zu „Auftrag für den Helden“ verkürzen. Aus formkritischer Perspektive würde man hier entweder von „Epiphaniegeschichte“ oder (bei V. 16–20) tatsächlich auch von „Beauftragungserzählung“ sprechen (vgl. 4.2.2). Bewertung der Methode: Jede Erzählung besitzt bestimmte Handlungsstrukturen, die sie mit anderen Erzählungen gemeinsam hat. Daher ist es legitim, auf der Ebene von Ereignissen, Handlungsphasen und Handlungssequenzen solche Handlungsmuster zu erkennen und zu beschreiben. Handlungsmuster und Gattung sind zu unterscheiden. Im Gegensatz zur Form- und Gattungskritik werden bei den Handlungsfunktionen Propps nur die Ereignisse betrachtet, andererseits wird nach der Rolle der beteiligten Figuren in der Erzählung differenziert. Gattungen im klassischen Sinn können mehrere, auch sehr heterogene Definitionsmerkmale aufweisen. Bei den Handlungsmustern zählt allein die Funktion in der Handlung. Hier stehen diejenigen Elemente im Vordergrund, die frühere Handlungen abschließen oder spätere Handlungen auslösen können, hier z.B. der Auftrag; der Umstand der Epiphanie ist von vornherein irrelevant. 139 – Die Methode 139
Gattung und Handlungsmuster sind nur im Ausnahmefall identisch; die Handlungsmuster sind analytische Größen, die sich nach einem gemeinsamen Merkmal defi-
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
zur Beschreibung der Handlungsmuster ist auf alle Erzählungen anwendbar. Durch die Beschreibung von Handlungsmustern kann der Ablauf der Erzählung schnell in den Blick genommen und mit demjenigen anderer Erzählungen verglichen werden. Insgesamt besteht jedoch die Gefahr, dass nach der Herausarbeitung eines allgemeinen Handlungsmusters die individuelle Ausprägung der Handlungsstruktur „übersehen“ wird. 140 Hier spielen auch weitere Ähnlichkeiten jenseits der Handlungsstruktur sowie historische Aspekte eine Rolle. Daher ist zu überlegen, ob nicht doch die klassischen Gattungen mit ihren heterogenen Kriterien dem cognitive turn am ehesten entsprechen und die Handlungsmuster zu eindimensional sind. Das Handlungsmuster kann relativ klar benannt werden, daher ist die Methode hinreichend ausgearbeitet. 3.4.4.2 Handlungsschema und Fünferschema Ein Handlungsschema wird hier als dasjenige Handlungsmuster verstanden, das sich auf die gesamte Erzählung bezieht. Weil die Evangelien formal die „Erlebnisse eines Helden“ beschreiben, könnte man daher allgemein die Vorbereitung des Helden, die Erlebnisse und die Beschreibung des Endzustands unterscheiden und die drei Phasen entsprechenden Textabschnitten zuordnen. 141 Allerdings führt dieser Weg – die Suche nach immer abstrakteren „Tiefenstrukturen“ – m.E. in eine Sackgasse: Je globaler das Handlungsmuster ist, desto weniger Aussagekraft besitzt es. 142 Unter den bisher vorgeschlagenen Schablonen für Handlungsschemata scheint das an Aristoteles angelehnte Fünferschema von G. Freytag aus dem 19. Jahrhundert noch am ertragreichsten zu sein. Nach Freytag hat das (klassische) Drama „fünf Teile und drei Stellen“: eine Einleitung (a), das erregende Moment (A), Steigerung (b), Höhepunkt (c), das tragische Moment (B), Fall oder Umkehr (d), das Moment der letzten Spannung (C) sowie die Katastrophe (e). Es ist nun zu prüfen, inwiefern dieses Schema auch auf das MtEv angewendet werden kann und ob nieren (hier die Funktion der Elemente für die Handlung), Gattungen dagegen sind synthetische Größen, bei denen Texte aufgrund von häufig vorkommenden Ähnlichkeiten zusammengeordnet wurden. Vgl. Kap. 2, Anm. 335; Seite 104. 140 Vgl. das Spannungsverhältnis von (individueller) Form und (allgemeiner) Gattung in der Formkritik. 141 Vgl. Kap. 2, Anm. 331 (Seite 103) zum semiotischen Handlungsschema (Manipulation, Kompetenz, Performanz und Sanktion) und zur bekannten soziolinguistischen Gliederung von Erzählungen (1. Abstract, 2. Orientation, 3. Complicating action, 4. Evaluation, 5. Result or resolution, 6. Coda). 142 Alternativ könnte man die Handlungsmuster über mehrere Hierarchieebenen hinweg beschreiben, entsprechend zu detaillierten Textgliederungen in Kommentaren. Auf diese Weise finden sowohl die vergröberten als auch die lokalen, abschnittsbezogenen Handlungsmuster ihren Platz. Eine Anwendung führt aber an dieser Stelle zu weit.
3.4 Handlungsanalyse
305
die Handlung des MtEv wirklich in diese fünf Abschnitte und drei „Momente“ eingeteilt werden muss. Relativ leicht ist das „tragische Moment“ im MtEv zu bestimmen. Es ist der Zeitpunkt, wo Jesus mit den Leidensankündigungen beginnt (Mt 16,21: ajpo; tovt e h[rxato; vgl. Mk 8,31).143 Mt unterscheidet – wie Mk – klar zwei Abschnitte im Wirken Jesu, den des Aufstiegs und den des Leidens. Im Gegensatz zur klassischen Tragödie ist der „Fall“ allerdings nicht auf eine aJmartiva des Helden zurückzuführen. Während für Aristoteles der Held der Tragödie zwischen einem moralisch integren (ejpieikei`~ a[ndre~) und einem völlig bösen (sfovdra ponhrov~) Menschen stehen muss (oJ metaxu; touvt wn), ist Jesus ohne Fehler. Insofern ist der Auslöser für die fallende Handlung ein Problem. Mt und Mk ersetzen die aJmartiva daher an dieser Stelle in innovativer Weise durch eine ajnagnwvrisi~-Szene, die nach Aristoteles ebenfalls eine metavb asi~ markieren kann.144 Nicht Jesus nimmt hier an Einsicht zu, sondern die Jünger erkennen, dass er der Christus ist (Mt 16,13–20). Jesus entscheidet sich aufgrund dessen für eine Wende in der Handlung; er ist anders als der Held der Tragödie seinem Schicksal nicht ausgeliefert. Diese Zusammenstellung ist wahrscheinlich nicht zufällig. Mt und Mk verwenden offenbar das antike Schema der Tragödie, wandeln es aber bei ihrer Darstellung des Lebens Jesu signifikant ab. Schwieriger ist es, das „erregende Moment“ und das „Moment der letzten Spannung“ im MtEv festzustellen, die auch noch nicht in der Tragödientheorie des Aristoteles benannt sind. Der Beginn des öffentlichen Wirkens Jesu wird von Mt eher unspektakulär eingeführt (Mt 4,12–17), zudem wird die Vorgeschichte gegenüber Mk verlängert. Der Konflikt mit den jüdischen Autoritäten spitzt sich erst mit der Zeit zu und löst nicht die Handlungen Jesu aus. Es gibt also kein echtes „erregendes Moment“ in der mt Erzählung. Jesus wird nicht durch einen äußeren Impuls in Bewegung 143 Ein weiterer Hinweis auf diese Zäsur bei 16,21 ist die auffällige Verwendung des Verbs ajnacwrei`n im MtEv. METZNER, Rückzug Jesu, zeigt detailliert, wie sich Jesus bis Kap. 16 mehrmals vor seinen Verfolgern zurückzieht; erst ab 16,21 geht Jesus zielstrebig nach Jerusalem. Der profilierteste Vertreter dieses Einschnitts ist J.D. Kingsbury, der sich für seine Gliederung des MtEv zusätzlich auf die Formulierung ajpo; tovte h[rxato oJ ÆIhsou`~ stützt, die auch im Kontext des Beginns des Wirkens Jesu in Mt 4,17 begegnet. Daher seien die Hauptabschnitte des MtEv 1,1–4,16; 4,17–16,20 und 16,21–28,20 (vgl. K INGSBURY, Matthew. Structure, 1–37; K INGSBURY, Matthew as Story, 43–93; B AUER, Structure, sowie S. 252 Anm. 17). M.E. wird bei Kingsbury dieses eine sprachliche Signal jedoch überbewertet, auch wenn Mt es in 4,17 und 16,21 durchaus bewusst eingesetzt haben kann. Die Formulierung in Mt 4,17 charakterisiert eher den gesamten vorherigen Abschnitt 4,12–17 und führt keine neue Szene ein. L UZ, Matthäus I, 25 gibt außerdem zu bedenken, dass „formelhafte Satzanfänge wie z.B. 4,17 und 16,21 [im MtEv] keineswegs selten“ sind; vgl. dazu die Übersichten bei A NDERSON, Narrative Web, 226–242. 144 Zu Aristoteles in diesem Zusammenhang vgl. Seite 102–105 (Kap. 2, Anm. 330, 336, 340).
306
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
versetzt, sondern handelt aus sich heraus. 145 Ein „Moment der letzten Spannung“ kann dagegen eher identifiziert werden. Zwar erscheint es von 16,21 an grundsätzlich klar, dass Jesus der „Katastrophe“, also Kreuzigung und Tod, entgegengeht. Wahrscheinlich fungiert aber die Szene im Garten Gethsemane (Mt 26,36–46) als ein retardierendes Moment, wo das Leiden bis zur letzten Konsequenz noch einmal in Frage gestellt wird. Gegenüber dem Schema der Tragödie fällt allerdings auf, dass sich nach der Kreuzigung und Grablegung die Erzählung noch einmal wendet. Wer als antiker Rezipient mit dem Ablauf einer Tragödie vertraut war, dem wird dieser Aspekt ganz besonders auffallen. Mit Kap. 28 findet ein weiterer Schicksalsumschwung für den Helden statt, eine peripevt eia. Wenn man die freytagsche Zeichnung als „Glückskurve“ versteht, ergibt sich also für das MtEv ein deutlich anderes Schema (Abb. 42): „Glück“ der Hauptfigur Mt 16,13ff. ajnagnwvrisi~ (der Jünger)
„Christus!“
perip. Mt 16,21ff.
Kombination aus: – „Tragödie“ und „Komödie“ – „plot of knowledge“ und „plot of action“
Leiden peripevteia Mt 28,1ff. Handlungsverlauf Abb. 42: „Glückskurve“ der Hauptfigur mit Wendepunkten
Der erste Teil der Handlung des MtEv reicht demnach bis 16,20, wobei die Christuserkenntnis der Jünger (16,13–20) den Höhepunkt bildet. Die ajnagnwvrisi~ leitet die erste peripevt eia im Leben Jesu ein (16,21), wo dann der zweite Teil der Handlung beginnt. Mit Tod und Grablegung ist das Leiden Jesu und damit die Passionsgeschichte beendet; die Auferstehung ist dann als zweite peripevt eia anzusehen. Wenn man das MtEv also nach seiner Schilderung des Lebens Jesu gliedern wollte, sind Mt 16,21 und 28,1 klar die wesentlichen Einschnitte. 146 Bezogen auf das Schicksal 145
Auch wenn die Taufe durch Johannes den Täufer heute meist als Schlüsselerlebnis Jesu und damit als „erregendes Moment“ gedeutet wird, wird sie in Mt 3,13–17 nicht explizit als Ursache für das spätere Wirken Jesu dargestellt. Über die Aufgabe und den Status Jesu besteht im MtEv von Anfang an kein Zweifel (Mt 1,1.16f.20–23 usw.). 146 Der Beginn des öffentlichen Wirkens Jesu (Mt 4,12–17) kann natürlich ebenfalls als Einschnitt genommen werden; für Jesus bei Mt, dessen Auftrag von Anfang an klar
3.4 Handlungsanalyse
307
der Hauptfigur kombiniert das MtEv dabei, bildlich gesprochen, das „umgekehrte V“ der Tragödie mit dem „V“ der Komödie. 147 Die ajnagnwvrisi~ der Jünger kennzeichnet einen „plot of knowledge“, die zwei Peripetien einen „plot of action“.148 In 16,21 treten der „plot of action“ und der „plot of knowledge“ dabei scheinbar auseinander; dass Jesus als der Christus dem Leiden entgegen gehen muss, stellt sich für die Jünger (und für die Rezipienten) zunächst als Widerspruch dar, der sich erst mit der Auferstehung auflöst (vgl. 16,21–17,9). Bewertung der Methode: Das Handlungsschema von Freytag ist gattungsspezifisch für die Tragödie und daher eng mit der „Glückskurve“ der Hauptfigur verwoben. Die Anwendung von Freytags Tragödienschema auf die Evangelien konnte auf einige Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Handlungsstruktur zwischen Evangelien und klassischer Tragödie aufmerksam machen. Auch einige wichtige Aspekte der mt Theologie und der Gliederung des MtEv konnten in diesem Zusammenhang grob thematisiert werden. Wirklich neue Erkenntnisse gibt es jedoch kaum. – Methodisch bleibt vieles unklar: Es steht mit dem freytagschen Modell zwar eine abstrakte Handlungsschablone zur Verfügung, mit der man eine Erzählung vergleichen kann,149 doch wie dies geschehen soll, ist bisher nicht ausgearbeitet. Die Suche nach grundlegenden Wendepunkten in der Erzählung oder nach dem erregendem Moment und dem Moment der letzten Spanist, stellt dies aber keine peripevteia dar. – Zu den Möglichkeiten einer Gliederung: Es sind immer verschiedene Kriterien denkbar, nach denen man eine kompositionskritische Analyse durchführen könnte, nicht nur nach dem einen Aspekt der Handlungsstruktur (vgl. dazu die Liste der mt Gliederungsmittel bei L UZ, Matthäus I, 27–32). Die wichtigste alternative Gliederungsform sei kurz genannt: Das MtEv besitzt fünf größere, deutlich abgrenzbare Redeabschnitte, diese werden jeweils durch kai; ejgevneto o{te ejtevlesen oJ ÆIhsou`~ [variierend: tou;~ lovgou~ touvtou~] abgeschlossen (Mt 7,28; 11,1 diatavsswn toi`~ dwvdeka maqhtai`~ aujtou`; 13,53 ta;~ parabola;~ tauvta~; 19,1; 26,1 pavnta~ tou;~ lovgou~ touvtou~). Daraus ergibt sich eine Gliederung in elf Abschnitte: Mt 1–4 (Erzählung), 5–7 (Rede), 8–9 (Erzählung), 10 (Rede), 11–12 (Erzählung), 13 (Rede), 14–17 (Erzählung), 18 (Rede), 19–23 (Erzählung), 24–25 (Rede), 26–28 (Erzählung). Vgl. klassisch dazu BACON, Five Books (er stellt spekulativ jeweils einen Rede- und Erzählabschnitt zusammen); zusammenfassend D AVIES/A LLISON, Matthew I, 59.61 (Lit.); L UZ, Matthäus I, 23f.37–39 (Lit.). Auch wenn man die fünf Reden nicht bestimmten Büchern und Abschnitten der Tora zuweisen kann, ist die Fünfzahl jedoch augenfällig. 147 Im MkEv ist die zweite Peripetie der Auferstehung bekanntlich nur angedeutet (Mk 16,1–8); das MkEv folgt daher viel eindeutiger dem Schema der Tragödie. 148 In ähnlicher Weise spricht P OPLUTZ, Erzählte Welt, 41.43 bezogen auf das MtEv zugleich von einem enthüllenden und einem auflösenden Plot. Der Schwerpunkt ihrer Ausführungen liegt auf dem sukzessiven Charakter der ajnagnwvrisi~ bzw. peripevteia (zur Gleichsetzung mit Aristoteles’ Kategorien vgl. 41 Anm. 181), doch weist sie ebenfalls auf die Bedeutung von 16,21 hin (44). 149 Willkürlicher wird es bei einzelnen Textabschnitten, so glaubt z.B. P ASALA, „Drama“ of the Messiah, das Schema der Tragödie in Mt 8–9 nachweisen zu können.
308
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
nung kann nur sehr intuitiv geschehen, solange keine Kriterien dafür benannt werden. 3.4.4.3 Handlungstypen Weil die Handlungstypen im Gegensatz zu einer Gattung rein analytische Größen sind, ist der Ertrag außer allgemeinen Klassifizierungen äußerst gering. Chatmans Vorschlag ist, die Handlung nach der moralischen Qualität der Hauptfiguren (gut/schlecht/„dazwischen“) und ihrem Ergehen einzuteilen (gutes/schlechtes Ende). Hier handelt es sich um eine gute Hauptfigur (Jesus), die ein gutes Ende erlebt (Auferstehung). Aber es ist leicht zu sehen, dass diese Kategorien nicht wirklich passen. Auch mit Fryes speziellen Definitionen von „Komödie“, „Romanze“, „Tragödie“ und „Satire“ kann man bei den Evangelien nicht viel anfangen. 150 Nur die – eigentlich sehr schematische – Klassifizierung der Handlung als „plot of action“ oder „plot of knowledge“ kann man zum Anlass nehmen, um beide Aspekte in der Erzählung, die Handlungsstruktur (vgl. 3.4) und den Wissenszuwachs von Figuren (vgl. 3.5.2), genau zu untersuchen. 151 Die übrigen unter 2.4.4 vorgestellten Modelle von Lévi-Strauss und Greimas entsprechen im Wesentlichen demjenigen Lotmans (3.3.3) und werden darum hier übersprungen. Das handlungslogische Grundschema von Bremond wird durch den Handlungsplan von Ryan deutlich überboten (vgl. das Folgende, 3.4.5). 3.4.5 Handlungsverläufe Die Untersuchung der Handlungsverläufe gliedert sich in die Analyse der Handlungserwartungen (3.4.5.1) und die Konfliktanalyse (3.4.5.2). 3.4.5.1 Handlungserwartungen 152 Das Ziel dieses Methodenschritts ist, zu analysieren, in welcher Weise der intendierte Rezipient mit der Handlung „mitfiebert“, wo er von bestimmten Ereignissen überrascht wird und wo nicht. Zur Erstellung eines Hand150 CULPEPPER, Anatomy, ordnet die Evangelien als „Romanzen“ im Sinne N. Fryes ein, die die Abenteuer, den Abschlusskampf und dann ein Lob des Helden beinhalten, beschließt dann aber seine Ausführungen mit: „The classification of John, or any of the gospels, as ‚romance‘ has only limited value, however“ (84). 151 Für die ähnliche Kategorisierung der Erzählhandlung als „plot of action“, „plot of character“ oder „plot of thought“ (R. Crane) gilt Entsprechendes. 152 Eine der wenigen bisherigen narrativ-exegetischen Untersuchungen, die an mehreren Punkten der Erzählung nach den Lesererwartungen fragen, ist M ERKLEIN, Mk 16,1–8. Er schreibt z.B.: „Daß die Frauen zum Grab ‚kommen‘, entspricht der Erwartung, die der Leser seit 15,47 hegt“ (212), „Wie die Geschichte sich weiterentwickeln wird, ist für den Leser an dieser Stelle [am Ende von Mk 16,4] nicht absehbar“ (215), „Vor dem Hintergrund, daß die Frauen den Anblick des Jünglings eine ganze Weile ausgehalten und seine
3.4 Handlungsanalyse
309
lungsplans untersucht man an jedem Punkt der Erzählung die Handlungsmöglichkeiten, die sich aus Sicht des Rezipienten ergeben, die konkreten Handlungserwartungen, die der Rezipient hat,153 das Handlungsrisiko der Figuren, wie der Rezipient es jeweils einschätzt, sowie die Erfüllung oder Enttäuschung der Erwartungen des Rezipienten durch den weiteren Handlungsverlauf.154 Ein schwieriges Problem ist, die Punkte der Erzählung zu benennen, an denen sich wirklich relevante Handlungsalternativen ergeben. Tatsächlich könnte man zu fast jedem Ereignis Alternativereignisse benennen, die in irgendeiner Weise möglich sind. 155 Bei Mt 28 jedenfalls ist es tatsächlich sinnvoll, nur die Kernereignisse zu betrachten (vgl. 3.4.2). Auch wenn „Kerne“ bisher nur intuitiv feststellbar sind, erst im Nachhinein identifiziert werden können und die Definition eines Kerns zwischen „wichtiges Ereignis“ und „Ereignis, an dem sich Alternativen eröffnen“ schwankt, müssen sie doch als Grundlage genommen werden. Auf einer plot map kann man dabei die virtuellen und tatsächlichen Handlungsverläufe skizzieren (Abb. 43). Anders als von M.-L. Ryan vorgeschlagen, werden das Ereigniswissen und die Intentionen der Figuren in diesem Beispiel nicht ergänzt, weil der Handlungsplan zu Mt 28 ohnehin komplex genug ist. Nur die unmittelbar folgenden virtuellen Ereignisse und die tatsächlichen Handlungsverläufe werden berücksichtigt. Links im Kästchen steht jeweils die Nummern des Kernereignisses und der dazugehörigen Satelliten (vgl. 3.4.1). Botschaft bis zum Ende angehört haben, wird der Leser über die plötzliche Flucht [V. 8] und ihre Motivation überrascht sein“ (222). Die Analyse wird jedoch nicht systematisch durchgeführt. Daneben untersucht Merklein nicht nur Erwartungen bezogen auf die Handlung, sondern auch bei der Erwähnung von Figuren (221, zur Nennung des Petrus in Mk 16,7). 153 Es liegt zwar nahe, für die Handlungserwartungen des Rezipienten den Begriff „Erwartungshorizont“ zu verwenden, doch würde das nur zur terminologischen Verwirrung beitragen: Bei Jauß meint der „Erwartungshorizont“ das Weltbild und Vorwissen eines Menschen (vgl. Kap. 2, Anm. 72; Seite 40), im allgemeinen Sprachgebrauch ist der Begriff wiederum anders geprägt (als eine Liste mit Antworten, die Schüler bei einer Klassenarbeit dem Inhalt nach geben sollen). Daher schlage ich für das vorliegende Phänomen stattdessen die Bezeichnung „Handlungserwartungsspektrum“ vor. 154 Diese Rekonstruktion bezieht sich – das sei noch einmal in Erinnerung gerufen – auf den intendierten Rezipienten, den Matthäus im Sinn hat, mitsamt seinem Wissen, seinen Erwartungen und Reaktionen. Es wäre jedoch immer interessant, vergleichende empirische Studien durchzuführen: Menschen, die den weiteren Verlauf der Geschichte nicht kennen, aber die Skripts zur Verfügung gestellt bekommen, sollen vermuten, wie die Erzählung jeweils weitergeht, und anschließend darüber urteilen, ob sie die tatsächliche Fortsetzung als plausibel empfinden. 155 Z.B. in V. 4: Anstatt dass die Wachen „wie tot werden“, könnten sie auch vor Angst weglaufen oder sich verstecken. Hier würden die Alternativen den weiteren Handlungsverlauf allerdings nicht wesentlich verändern. Mt 28,4 wurde oben (Kap. 3.4.2) als Satellitenereignis eingestuft.
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
Jünger stehlen den Leichnam
Mt 27,66 1 Frauen kommen zum Grab
Wachen werden bestraft
Juden glauben Auferstehung Jesu nicht
Jesu Auferstehung Engel rollt den 5 Stein weg 2–4 6–8
Jesus kommt aus dem geöffneten Grab
9
10
Frauen gehen ins Grab
Engel redet 17
18 9.2
Engel verkündet Auferstehung
Wachen melden Geschehnisse 19– 20
21 9.i4.3
Engel beauftragt die Frauen
keine Beauftragung
Wachen sollen schweigen
weitere Maßnahmen gegen Auferstehungsbotschaft 22.i1.1–2 Wachen sollen er22.i1.3 zählen, Jünger hätten 22.1–3 Jesus gestohlen
Engel steigt zum Himmel auf 11
Jesus begegnet den Frauen 23
16
25 26 27
28–29
30
31
31.i1
V. 18b–20
Jünger gehen nach Galiläa Jesus erscheint
Jesus spricht zu den Jüngern Jesus beauftragt Jünger: Völkermission
Wachen gehorchen
24
Jesus beauftragt die Frauen
Jünger sollen verhört werden
Grab soll untersucht werden
Frauen überbringen Nachricht den Jüngern
12– 15
Hohepriester antworten
Gegen-Erzählung verbreitet sich
Jesus erscheint nicht
Wachen gehorchen nicht
Gegen-Erzählung wird nicht geglaubt oder vergessen
Jesus sagt nichts Jesus sagt etwas anderes
möglicher Verlauf erwarteter Verlauf tatsächlicher Verlauf starke Überraschung
Abb. 43: Mögliche und tatsächliche Handlungsverläufe in Matthäus 28 (plot map)
3.4 Handlungsanalyse
311
Die Analyse kann außerdem im Fließtext erfolgen, um das Handlungserwartungsspektrum des intendierten Rezipienten und dessen Reaktion auf den tatsächlichen Handlungsverlauf etwas genauer zu begründen. Ich will exemplarisch nur auf das erste Ereignis eingehen, „Maria … und die andere Maria kamen“ (Kern, V. 1). a) Handlungsmöglichkeiten bei V. 1: Die Handlungsmöglichkeiten zu Beginn von Mt 28,1 sind grundsätzlich vielfältig, weil schon vorher viele Akteure am Geschehen beteiligt waren: die Wächter, die Hohenpriester, Jesus, die Frauen, die Jünger, Josef von Arimathäa, Pilatus. Jeder bzw. jede Gruppe könnte einen nächsten Spielzug (move) ausführen. Matthäus kanalisiert die Erwartungen an dieser Stelle jedoch sehr stark, indem er dem Rezipienten zuvor zwei alternative Handlungsrichtungen vorgeschlagen hatte: In 27,63 wird der Rezipient an die Worte Jesu erinnert, er werde nach drei Tagen auferstehen; die Hohenpriester dagegen suggerieren dem Rezipienten einen anderen Handlungsverlauf, dass nämlich die Jünger kommen und den Leichnam stehlen würden (27,64). Es gibt also viele latente Handlungsmöglichkeiten, aber nur zwei explizite. Der Rezipient kann aufgrund seines Text- und Weltwissens die beiden alternativen Ereignisse zu ganzen Handlungsverläufen „fortspinnen“: Falls Jesus aufersteht, würden die Wachen bestraft werden und die Hohenpriester sprachlos sein, aber wohl nicht zu Jüngern werden. Jesus würde wahrscheinlich den Jüngern in Galiläa erscheinen (26,32). Und falls die Jünger den Leichnam stehlen, würde den Wachen Bestrafung und den Jüngern ggf. Verfolgung drohen. b) Vorrangige Handlungserwartung bei 28,1: Matthäus hatte durch seine Figurencharakterisierungen dafür gesorgt, dass der Rezipient Jesus deutlich mehr vertraut als den Hohenpriestern (vgl. 3.5.2.1, 3.7.2). Daher wird der Rezipient an dieser Stelle klar die Auferstehung Jesu erwarten. c) Handlungsrisiko bei 28,1: Bei jedem möglichen Handlungsverlauf haben die beteiligten Figuren ein bestimmtes, prognostizierbares Handlungsrisiko. Die Figuren, die sich der Rezipient vorstellt, agieren dabei aufgrund ihrer eigenen Einschätzung des Handlungsrisikos. Weil die Risikoanalyse unter Einbezug aller vorhandenen „Mitspieler“ und Handlungsmöglichkeiten sehr komplex werden kann, soll die Erörterung hier auf die beiden expliziten Handlungsalternativen in Mt 27,63f. (Auferstehung/ Diebstahl) beschränkt bleiben: Jesus selbst würde bei der Auferstehung kein persönliches Risiko eingehen, da er an diesem Punkt der Erzählung jeder Gefährdung enthoben ist. Die Jünger haben dagegen ein hohes Risiko, dass ihr mutmaßlicher Plan vereitelt wird und sie für den Leichendiebstahl ihres Anführers verfolgt und bestraft werden; dieses Risiko wird durch die Aufstellung der Wache zusätzlich erhöht. Der Rezipient muss für seine Handlungsprognose außerdem berücksichtigen, wie risikofreudig oder risikoavers eine Figur(engruppe) bei ihren moves ist. In diesem Fall
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
sind die Jünger bei der Festnahme Jesu geflohen (26,56; vgl. V. 69–75), was sie als risikoavers ausweist. Daher wird der Rezipient ebenso nach dem Vergleich der Handlungsrisiken die Auferstehung Jesu für wahrscheinlicher halten. d) Enttäuschung/Erfüllung der Handlungserwartungen: Was geschieht dann in Mt 28,1 tatsächlich? Die Frauen, die schon bei der Kreuzigung und Grablegung anwesend waren (27,56.61), treten wieder in Aktion und kommen zum Grab. Dieses Ereignis ist für den Rezipienten durchaus akzeptabel und entspricht einer latenten Handlungsmöglichkeit, aber nicht seiner konkreten Handlungserwartung. Ob die Frauen den Leichnam stehlen wollen oder Zeugen der Auferstehung werden, ist an diesem Punkt der Erzählung weiterhin offen. Es handelt sich um ein retardierendes, aber zugleich vorbereitendes Ereignis, weil es zu beiden Handlungsalternativen gehören könnte. Mit dem Zusatz qewrh`sai to;n tavfon lenkt Mt die Handlungserwartung jedoch in der Weise, dass der Rezipient im Folgenden eher die Auferstehung und keinen Diebstahl antizipiert. Der Rezipient ist in seiner Handlungserwartung weder enttäuscht noch endgültig bestätigt, sondern am Ende von V. 1 überaus gespannt, was weiter passieren wird. Wenn man diese Handlungserwartungsanalyse für den gesamten Erzählabschnitt durchführt, kommt man zu folgenden Ergebnissen: a) Der Erzählverlauf ist an fast allen Stellen in sich logisch, weil er weitgehend den Skripts folgt, die für den intendierten Rezipienten verfügbar waren. Andererseits gibt es auch einige Überraschungen im Handlungsverlauf. Es sind folgende Fälle zu beobachten 156: – Typ 1: Klare Bestätigung der Erwartung. D.h. der Rezipient hat genau eine Handlungserwartung, diese wird voll erfüllt (Ereignisse 9.2, 16, 21). – Typ 2: Bestätigung. Erfüllung der Erwartung, aber es werden mehrere Verläufe erwogen. D.h. der Rezipient erwartet die Handlung A, hält aber auch B für möglich; A geschieht (Ereignisse 5, 22.i1.3, 24, 25, 27, 31). – Typ 3: Uneindeutigkeit. Mehrere Handlungen werden erwogen, doch der Rezipient kann keine klare Erwartung bilden; es geschieht dann eine der erwogenen Handlungsmöglichkeiten (Ereignis 9.i4.3). – Typ 4: Leichte Überraschung. Es geschieht das Erwogene, aber nicht das vorrangig Erwartete (Ereignis 9). – Typ 5: Überraschung. Es geschieht etwas Unerwartetes, das der Rezipient auch nicht in Erwägung gezogen hat. Dennoch ist es erzähllogisch möglich (Ereignisse 1, 18 und 26, d.h. die Erzählanfänge der Szenen in V. 1.11.16; außerdem 31.i1). – Typ 6: Provokante Überraschung. Es geschieht etwas Unerwartetes, das nicht erwogen wurde und auch kaum zur Erzähllogik passt (Ereignis 156
Mögliche Erwartungs-Erfüllungs-Konstellationen, nach der Intensität der Handlungsüberraschung geordnet.
3.4 Handlungsanalyse
313
11, möglicherweise auch 31.i1). Weil die Ereignisfolge für den Rezipienten plausibel sein muss, sind diese Ereignisse ein „Stolperstein“ und regen zu weiterem Nachdenken an. Wichtig für eine Erzählung ist die Variation. Würde man eine Erzählung nur mit Ereignissen vom Typ 1 erzählen, würde also immer genau das eintreten, was der Rezipient aufgrund seines Vorwissens erwartet, dann ist die tellability gering. Der Handlungsverlauf wäre für den Rezipienten langweilig, wenn keine echten Handlungsalternativen oder Überraschungen vorkommen. Der Erzähltext von Mt 28 wechselt ebenfalls bestätigende und überraschende Handlungsverläufe ab und „dosiert“ dabei eher zurückhaltend. Handlungsverläufe werden dort bestätigt, wo kulturelle (besonders alttestamentliche) oder allgemein-pragmatische Skripts abgerufen werden können; größere Überraschungen fallen dagegen mit einem Neueinsatz einer Szene zusammen oder können durch das bewusste Umschwenken von narrativ plausiblen Skripts auf das Weltwissen der Rezipienten (Mt 28,18–20) erklärt werden. Anschließend kann es in manchen Fällen sinnvoll sein, auch einen Blick auf den Verlauf der Handlungsüberraschungsintensität 157 zu werfen. Erwartete und unerwartete Kernereignisse in Mt 28 verteilen sich so: 5 (Ereignis 1) 2 (Ereignis 5) 4 (Ereignis 9) 1 (Ereignis 9.2) 3 (Ereignis 9.i4.3) 6 (Ereign. 11) 1 (Ereignis 16) 5 (Ereignis 18) 1 (Ereignis 21) 2 (Ereignis 22.i1.3) 2 (Ereignis 24) 2 (Ereignis 25) 5 (Ereignis 26) 2 (Ereignis 27) 2 (Ereignis 31) 5–6 (Ereignis 31.i1) Eher unerwartete Ereignisse geschehen v.a. am Anfang, tauchen aber auch zum Schluss des Kapitels noch auf (Ereignisse 26, 31.i1). Insgesamt liegt die Überraschungsintensität von Mt 28 wohl im mittleren Bereich, doch für ein genaues Urteil wären erzähltechnische Vergleichsuntersuchungen mit anderen antiken Erzähltexten nötig. b) Eine andere wichtige Beobachtung ist, dass Mt erzähltechnisch meist sehr ökonomisch vorgeht. In Mt 28 setzt er mehrfach handlungslogisch notwendige Ereignisse als geschehen voraus, ohne sie direkt zu schildern: die Auferstehung Jesu (V. 2), dass die Soldaten nach einiger Zeit aufwachen (V. 11) und dass die Frauen den Jüngern von der Auferstehung erzählt haben (V. 16). 157
Des weiteren könnte man hier eine Handlungsüberraschungskurve zeichnen und die Stufen auf der y-Achse eintragen, aber diese ist bei nur einem Kapitel sicher zu überdimensioniert. Bei einer korrespondierenden empirischen Untersuchung würde man wohl eine ähnliche, aber gegenläufige Handlungsprognosekurve anfertigen (Anteil der erfolgreichen Prognosen auf der y-Achse; 0 %: niemand konnte das nächste Kernereignis erahnen, 100 %: jeder Proband hat das nächste Kernereignis voraussagen können).
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
Andere Ereignisse sind zwar nicht erzähllogisch notwendig, aber von Mt wohl ebenfalls impliziert, z.B. dass die Frauen ins Grab hineinschauen (V. 6), dass der Engel wieder zum Himmel hinaufsteigt (V. 8) und dass Jesus nach der Erscheinung vor den Frauen wieder verschwindet (V. 10). c) Die Analyse, inwiefern die Handlung häufig der Intention einer bestimmten Figur folgt und inwiefern nicht, bringt bei Mt 28 nur ein sehr dürftiges Ergebnis. Die meisten Kerne folgen der Intention Jesu bzw. des Engels (5, 9, 9.2, 9.i4.3, 11, 16, 26, 27, 31, 31.i1). Die Kernereignisse (18,) 21, 22.i1.3, 24 und 25 richten sich dagegen nach der Intention der Hohenpriester. Nur den „ersten Schritt“, Ereignis 1, machen die Frauen ohne direkten Auftrag. Insgesamt bestimmen der Auferstandene und die Hohenpriester den Handlungsverlauf, wobei der auferstandene Jesus deutlich mehr Einfluss auf die Handlungsschritte hat. – Diese Art von Analyse ist für Figuren konzipiert, die eine begrenzte Macht haben, in der Erzählung miteinander konkurrieren und Spielzüge durchführen. Wenn der Auferstandene aber in Mt 28,18 sagt, dass ihm „alle Macht“ gegeben sei, durchbricht er dieses „gleichberechtigte“ Miteinander. Zu Ende gedacht, müssten Gott bzw. der Auferstandene dann auch die Handlungsschritte der Hohenpriester beeinflussen. Bei der Passion Jesu geht Mt – wie Mk – davon aus, dass die Hohenpriester letztlich der Intention Gottes folgen (Mt 16,21: dei`, das göttliche „Muss“), aber ob ihr Widerstand gegen die Auferstehungsbotschaft auch dem Plan Gottes entspricht, sagt Mt nicht explizit. Die alleinige Analyse der handlungsbezogenen Machtverteilung greift im MtEv also theologisch zu kurz. d) Die Frage, inwiefern intendierte und tatsächliche Handlungsverläufe am Ende (wieder) zusammenfinden, überschneidet sich in Mt 28 mit der obigen. Für das MtEv insgesamt kann man grob festhalten, dass Jesus trotz seines „Umwegs“ über das Kreuz zum (intendierten) Ziel gelangt. Dieser Analyseschritt ist wahrscheinlich eher für komödienartige Erzählungen mit vielfachen Verwechslungen und Umwegen ertragreich. Bewertung der Methode: Die Untersuchung der möglichen Handlungsverläufe, die dem Rezipienten jeweils suggeriert werden, ist ein recht wichtiger Bestandteil der Handlungsanalyse. Sie berücksichtigt, dass Handlungen nicht bloß festgefügte Schemata sind (s.o. 3.4.4), sondern dynamisch auf den Rezipienten einwirken. Im Gegensatz zu Bremonds handlungslogischem Grundschema sind die virtuellen Ereignisse dabei nicht nur Verneinungen der tatsächlichen („Nicht-Aktualisierung“), sondern echte, aufgrund der Skripts des Rezipienten erwartete Handlungsalternativen. Außerdem wird hier nach stärker und weniger stark erwarteten Handlungsmöglichkeiten differenziert und das Handlungsrisiko für die Figuren bei der Entscheidung berücksichtigt. Das stellt eine deutliche Präzisierung gegenüber früheren Modellen dar. Auf diese Weise ergeben sich außerdem
3.4 Handlungsanalyse
315
Verbindungen zur Konflikt-, Spannungs- und Überraschungsanalyse. Und wenn das Vorkommen einer Handlungsüberraschung ungewöhnlich oder deplatziert im Vergleich zur sonst verwendeten Erzähltechnik erscheint, ist dies zudem ein Hinweis auf ungenau eingepasste Quellen (Literarkritik!). Auch die mt Handlungsverläufe sind in dieser Weise dynamisch. Besonders an der Alternative zwischen dem Leichendiebstahl und der Auferstehung Jesu, die Mt dem Rezipienten in 27,62–66 sehr betont vor Augen führt, wird deutlich, dass sich Mt sogar – jedenfalls im Ansatz – bewusst war, dass ein Erzähler gut mit den Handlungserwartungen des Rezipienten umgehen muss. Selbst wenn Mt nur sehr unbewusst so erzählen würde, kommt dieser Aspekt der Erzähltechnik dennoch zum Einsatz und kann dementsprechend untersucht werden. Der Ertrag dieser Analyse ist gemischt. Wenn es darum geht, die Handlungslogik einer Erzählung genau zu beschreiben, ist dieses Verfahren bestens geeignet. Eine Risikoanalyse dagegen ist in unserem Fall überdimensioniert, weil die Intentionen und Optionen der beteiligten Figuren in Mt 28 einigermaßen überschaubar bleiben. Andere Fragestellungen wie diejenigen zur Überraschungsintensität sind wenig ertragreich, weil Mt hier kaum vom gewöhnlichen Maß abweicht und unauffällig bleibt. Die Methode könnte an manchen Stellen noch etwas besser ausgearbeitet werden. Die Kernereignisse, an denen die Analyse hängt, lassen sich nicht ganz eindeutig bestimmen, aber das erwies sich bei diesem Text nicht als grundsätzliches Problem. Eine wichtigere Frage ist, wie man bei jeder Handlungsalternative die Erwartungen des von Mt imaginierten Rezipienten möglichst genau abschätzen kann. Die in narrativen Kommentaren vorkommende Wendung „der Leser erwartet, dass …“ sollte jeweils mit einer Begründung verbunden werden. Auch die oben vorgestellten Analyseschritte sind nur ein Versuch in diese Richtung. Der Handlungsplan, der die Analyse zusammenfassen soll, wird relativ schnell unübersichtlich. 158 Sinnvoll wären also Regeln zum Aufstellen eines Handlungsplans, nicht dessen vollständige Ablehnung. Interessant ist, dass sich die Erwartungserfüllung und Überraschung von Rezipienten in Bezug auf die Handlung auch gut empirisch überprüfen lässt. 159 Allerdings sollte man mit zu schnellen Schlussfolgerungen bezogen auf die vorliegende Analyse vorsichtig sein, da heutige Rezipienten nicht unbedingt dieselben Skripts haben wie der intendierte Rezipient, den Mt sich zu seiner Zeit vorstellte. 158
Vgl. BUSSE, Analyse der Handlung, 35: „Problematischer ist aber die Tatsache, dass ein solches grafisches Modell bei komplexen Handlungen schnell zu kompliziert und zu unübersichtlich geraten kann …“. 159 Der Test ist einfach: Man muss die Probanden bis zu einem bestimmten Punkt lesen lassen, anschließend sollen sie die Erzählung weitererzählen. Die Untersuchung kann man nur mit solchen Menschen durchführen, die das MtEv nicht wirklich kennen.
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
3.4.5.2 Konflikte Nach M.-L. Ryan lebt eine Handlung davon, dass in ihr ungelöste Konflikte vorkommen.160 Je mehr Konflikte auftreten, desto größer ist die tellability der Erzählung. Daher scheint es lohnenswert, auch die Konflikte in Mt 28 genauer zu untersuchen. In Tab. 44 wird eine Übersicht über die in diesem Kapitel vorkommenden Konflikte gegeben. a) Konflikttypen: In Mt 28 gibt es vier Arten von Konflikten, nämlich Parteienkonflikte, „unerfüllte Pflicht“, „fehlendes Wissen“ und bei den Hohenpriestern auch einen Realitätskonflikt. Die übrigen Konflikttypen „unerfüllter Wunsch“, Wunschkonflikt, Moralkonflikt und Gewissenskonflikt sind wahrscheinlich in Erzählungen des 19./20. Jh. häufiger, die stärker das Innenleben eines Menschen schildern. 161 Trotzdem kommen sie ebenfalls im MtEv vor.162 b) Konfliktverlauf: Die Konfliktkonstellation aus insgesamt 13 Konflikten in Mt 28 ist vergleichsweise komplex, die Konstellationen ändern sich in rascher Folge (vermutlich schneller als in vielen modernen Erzählungen und als im übrigen MtEv). Globale Konflikte im MtEv sind die Parteienkonflikte zwischen Jesus und den jüdischen Autoritäten sowie zwischen Jesus und den Jüngern, die sich auch bis Kap. 28 fortsetzen. Nur der Konflikt zwischen Jesus und den Jüngern wird aufgelöst (Mt 28,10.16–20), 163 der Gegensatz zu den Hohenpriestern164 wird dagegen in 28,11–15 noch 160 Vgl. 2.4.5. Im MtEv sind die Konflikte sogar sehr prominent, weil es sich häufig um Konflikte zwischen Figuren, also Parteienkonflikte, handelt. Zwei zentrale, durchgängige Parteienkonflikte (Jesus vs. jüdische Autoritäten, Jesus vs. Jünger) werden bereits von K INGSBURY, Matthew as Story, 3–9.43–93 (3: „The element of conflict is central to the plot of Matthew“); R EEVES, Resurrection Narrative, 83–89 und P OWELL, Plot and Subplots, 196–203 erkannt und grob nachgezeichnet; vgl. L UZ, Matthäus I, 36 und jetzt auch POPLUTZ, Erzählte Welt, 48–53. Die Nacherzählungen von E DWARDS, Matthew’s Story, und L UZ, Jesusgeschichte, widmen sich dagegen kaum den Konflikten. 161 Hier wäre der Vergleich von Erzählungen hinsichtlich der verwendeten Konflikttypen vermutlich lohnenswert. 162 Beispiele: „unerfüllter Wunsch“ (Mt 2,2.8.13.16 usw.), Wunschkonflikt (Mt 5,11– 16; 19,22, vgl. 6,24), Moralkonflikt (Mt 4,2; 5,27–32.38–48 usw.) und Gewissenskonflikt (Mt 1,19). 163 Auch K INGSBURY, Matthew as Story, betont in seiner Darstellung mehrfach, dass mit 28,16–20 der Konflikt zwischen Jesus und den Jüngern schließlich aufgelöst sei. Hier würden die Jünger die Sicht Jesu übernehmen, „according to which suffering sonship is a call to suffering discipleship, or to servanthood“ (90, vgl. 91f.). Er zeichnet im MtEv nur die beiden globalen Konflikte nach. 164 Mt ist der einzige Evangelist, der auch nach der Auferstehung noch einen Parteienkonflikt schildert. Bei Lk und Joh erhalten die Auferstehungserzählungen ihre Spannung dagegen durch verschiedene Typen des inneren Konflikts, besonders dem Unglauben und der Unwissenheit der Jünger (Lk 24,11.16.41; Joh 20,9.14.24–29), die ebenfalls ein Hindernis für die Auferstehungsbotschaft sind.
317
3.4 Handlungsanalyse
Auftrag Jesu
Erscheinung Jesu
Wachen in Jersualem
Erscheinung Jesu
Auftrag des Engels
Botschaft des Engels
„fürchtet euch nicht“
Auftreten des Engels
Tab. 44: Konflikte in Matthäus 28
1. Jesus ist gestorben (unerfüllte Pflicht) 2. Jesus/Jünger vs. Hohepriester (Parteienkonflikt) 3. Konflikt Engel – Wächter (Parteienkonflikt) 4. Konflikt Engel – Frauen (Parteienkonflikt) 5. Frauen wissen Auferstehung nicht (fehlendes Wissen) 6. Hohepriester wissen Auferstehung nicht (fehlendes W.) 7. Hohepriester wünschen Auferstehung weiterhin nicht (Realitätskonflikt) 8. Juden wissen Auferstehung nicht (fehlendes Wissen) 9. Jünger wissen Auferstehung nicht (fehlendes Wissen) 10. Jesus soll in Galiläa erscheinen (unerfüllte Pflicht) 11. Frauen sollen Jüngern Bescheid sagen (unerfüllte P.) 12. Jesus vs. Jünger (Parteienkonflikt) 13. Jünger sollen taufen und lehren (unerfüllte Pflicht)
verstärkt.165 Der dritte Konflikt zu Beginn von Kap. 28 ist schließlich die uneingelöste Zusage Jesu, dass er wieder auferstehen werde („unerfüllte Pflicht“). Würde das MtEv bei Mt 27,61 enden, wären noch drei wichtige 165 Der Rezipient verliert dadurch auch die letzte Hoffnung auf eine Versöhnung zwischen den Hohenpriestern/Juden und Jesus/den Jüngern jenseits des Erzählschlusses. Andererseits erwähnt Mt gerade explizit, dass dies „bis zum heutigen Tag“ (V. 15), d.h.
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
Konflikte offen, was erzähltechnisch ungewöhnlich ist. 166 Mit dem Auftreten des Engels in 28,2 werden dann sogar mehrere Konflikte neu geschaffen, nämlich Parteienkonflikte mit den Wächtern und den Frauen und, sofern man um diesen Zeitpunkt die Auferstehung Jesu ansetzen kann, ebenso das noch fehlende Wissen über die Auferstehung bei verschiedenen Figurengruppen. Das schafft beim Rezipienten eine starke Aufmerksamkeit und vielschichtige Erwartungshaltung. Die Parteienkonflikte werden sehr zügig (V. 5) bzw. bei den Wächtern implizit (V. 11) wieder bereinigt. Dass Jesus seine Ankündigung der Auferstehung tatsächlich eingelöst hat, wird gestaffelt deutlich gemacht: vom Auftreten des Engels über dessen Botschaft an die Frauen bis hin zur Erscheinung Jesu (in der Grafik durch eine gestrichelte Linie angedeutet). Die Frauen, die Hohenpriester und schließlich auch die Jünger erfahren von der Auferstehung Jesu, die übrige jüdische Bevölkerung nicht. Die Hohenpriester geraten dadurch in einen Realitätskonflikt, weil etwas geschehen ist, was sie weiter beharrlich abstreiten (Konflikt zwischen Wunsch und Wissen). Dass der Engel die Frauen beauftragt, den Jüngern die Auferstehung Jesu mitzuteilen und daran erinnert (vgl. Mt 26,32), dass Jesus ihnen in Galiläa erscheinen werde, führt zu weiteren Konflikten des Typs „unerfüllte Pflicht“ – der Rezipient wartet also hier auf eine Einlösung der Pflicht durch die Figuren. Dabei kann man nur implizit erkennen, dass die Frauen den Jüngern Bescheid gegeben haben, weil die Jünger in V. 16ff. tatsächlich nach Galiläa gehen. So ergibt sich für Mt 28 ein stark verwobenes Ineinander aus der devsi~ und luvsi~ von größeren und kleineren Konflikten (vgl. Tab. 44). Interessanterweise wird mit Mt 28,19f. noch ein neuer, zentraler Konflikt begründet, wo die Jünger einen umfassenden Auftrag erhalten, dessen Erfüllung offen bleibt (vgl. 3.4.7 zum offenen Schluss). c) Wichtigkeit der Konflikte: Ebenso wie z.B. bei Umwelt-Elementen, Ereignissen und Figuren kann man auch bei Konflikten davon sprechen, dass einige Konflikte bedeutender als andere für die Erzählung sind. Der Hauptkonflikt in Mt 28 besteht sicherlich im Parteienkonflikt zwischen Jesus und den jüdischen Autoritäten, da er sich im gesamten MtEv abzeichnet, den Handlungsverlauf des MtEv wesentlich prägt und auch hier im Gegensatz der Szenen Mt 28,11–15 und 28,16–20 zum Ausdruck kommt. Ein weiterer wichtiger Konflikt liegt im Tod der Hauptfigur, die ihre Auferstehung angekündigt hat („unerfüllte Pflicht“) und ohne die die Erzählung kaum weitergehen könnte; wegen der Schlussstellung bedeutsam ist auch der Konflikt, der durch die universale Aufgabe für die Jünger bis zu seiner Zeit, gelte. Möglicherweise hat dann auch Mt die Perspektive, dass sich „bis zum Ende der Zeit“ (V. 20) die Konfrontationsstellung noch ändern kann. 166 Außerdem wäre die Erwähnung der Frauen in 27,56.61 ohne 28,1ff. eine überflüssige Information, die einem Schluss bei 27,61 entgegensteht.
3.4 Handlungsanalyse
319
entsteht. Die Hauptkonflikte sind in Tab. 44 etwas dicker gezeichnet als die anderen Konflikte. Bei den übrigen Konflikten handelt es sich um Nebenkonflikte, die hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Erzählung auch noch differenziert werden könnten, aber eine genaue Diskussion würde hier den Rahmen sprengen. Insgesamt ist problematisch, dass bisher keine wirklichen Kriterien zur Unterscheidung von Haupt- und Nebenkonflikten formuliert wurden. Die oben verwendeten Argumente betreffen jedenfalls die Bedeutung des Konflikts in der übrigen Erzählung, die Strukturierung der Szenen, die Wichtigkeit des Konflikts für die Hauptfigur, die besondere Stellung am Erzählschluss und die Globalität des Konflikts. d) Konfliktkenntnis: Die meisten der 13 Konflikte sind objektiv, d.h. die beteiligten Figuren wissen um ihren Konflikt. Beim Konflikttyp „fehlendes Wissen“ (Nr. 5, 6, 8 und 9) liegt jeweils ein unerkannter Konflikt vor, 167 daher forschen die Figuren nicht aktiv nach, um ihren Mangel an Wissen über die Auferstehung Jesu aufzuheben, obwohl dieses Wissen für sie bedeutsam ist. Subjektive, also nur scheinbare Konflikte gibt es keine. e) Konflikthaftigkeit: Weil es bisher schwer ist, die Intensität literarischer Konflikte einzuschätzen, soll an dieser Stelle auf eine Konfliktkurve verzichtet werden. Sicherlich reicht es nicht, die Konflikte nur zu addieren. Eine Konfliktkurve müsste beschreiben, wie stark der Rezipient an einem Punkt der Erzählung die Konflikte insgesamt empfindet, und könnte analog zur Spannungskurve (3.7.3) wahrscheinlich mit empirischen Methoden geeicht werden. Bewertung der Methode: Die Konfliktanalyse ist ein wichtiger Bestandteil der Handlungsanalyse, weil eine Handlung ihre Dynamik ganz wesentlich aus den geschilderten Konflikten bezieht. Die Methode kann auch auf biblische Texte wie das MtEv angewendet werden. Dass Erzählhandlungen Konflikte enthalten, ist nicht auf moderne Erzählungen beschränkt. – Am Beispieltext Mt 28 erwies sich die Konfliktanalyse als sehr ertragreich. Auf diese Weise kann man gut nachvollziehen, wo aus Sicht des Rezipienten Spannung entsteht und wo sie aufgelöst wird. Über die Konfliktanalyse können alle Problemtypen benannt werden, die eine Erzählung „in Bewegung“ setzen und spannend halten können. Dabei wird ein erweitertes Konfliktverständnis vorausgesetzt, das mehr als nur den Parteienkonflikt umfasst. – Während die Konflikttypologie wahrscheinlich vollständig ist und auch der Konfliktverlauf problemlos nachgezeichnet werden kann, sind andere Teilmethoden der Konfliktanalyse bisher noch zu unkonkret. Das betrifft besonders die Bestimmung der Wichtigkeit eines Konflikts und die zusammenfassende Analyse der Konflikthaftigkeit. 167 Dieser Konflikttyp und unerkannte Konflikte müssen nicht notwendig identisch sein. Es gibt Fälle, in denen eine Figur weiß, dass sie zu wenig weiß, z.B. ein Kommissar im Kriminalfilm.
320
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
3.4.6 Handlungsstränge In Mt 28 (bzw. Mt 27,62ff.) begegnet eine Abfolge von Szenen, deren Ineinandergreifen in Kommentaren bisher oft nur metaphorisch als „Sandwich“ oder „Diptychon“ beschrieben wird. 168 Was kann man aus Sicht der narrativen Analyse dazu sagen? Zunächst ist zu beobachten, dass die Szenen in 27,62–66; 28,1–7.8– 10.11–15.16–20 unterschiedlich stark miteinander verbunden sind. Da sie jeweils an einem anderen Ort stattfinden, resultiert die unterschiedliche Verknüpfungsstärke vor allem aus den Figurenwechseln. In 28,1–7 sind die Frauen die Hauptfiguren, ebenso in 8–10; nur die anderen beteiligten Figuren wechseln. Daher ist dieser Einschnitt am geringsten. In 27,62–66 und 28,11–15 stehen dagegen die Hohenpriester als Hauptakteure im Mittelpunkt; Verbindungen zu den übrigen Szenen ergeben sich durch die Wachen sowie die Erwähnung Jesu und der Jünger. Insgesamt liegt durch die anderen Hauptfiguren ein starker Einschnitt gegenüber den benachbarten Szenen vor. Zusätzlich sind Mt 28,1–7.8–10.16–20 einerseits und 27,62– 66; 28,11–15 andererseits bezogen auf ihr Handlungsmuster unterschiedlich strukturiert (Kap. 3.4.4.1). Das Geschehen 28,16–20 ist durch die Ankündigungen in V. 7 und 10 an die Szenen 28,1–7.8–10 angebunden, auch wenn die Frauen hier nicht mehr auftauchen, sondern Jesus (durch den Übergang V. 8–10) wieder zur Hauptfigur wird. Alle Szenen weisen aber grundsätzlich einen Handlungszusammenhang und eine weitgehend chronologische Abfolge auf; nur Anfang und Ende von 28,11–15 fallen zeitlich aus dem Rahmen.169
168
Z.B. NOLLAND, Matthew, 1243: „Matthew has a simple threefold structure for the final section of the Gospel dealing with the resurrection of Jesus: an explanation of the falsely put Jewish view (28:11–15) is sandwiched between the two parts of Matthew’s outline of the Christian understanding of what actually took place (vv. 1–10, 16–20).“ Eine andere Zuordnung nimmt G NILKA, Matthäusevangelium II, 485 (vgl. 497) vor: „Die Perikope [d.h. 27,62–66], die als Sonderüberlieferung des Mt von der Sicherung des Grabes Jesu mit Siegel und Wache erzählt, gehört mit 28,11–15 zusammen. Beide Perikopen rahmen wie ein Diptychon die Geschichte von der Entdeckung des leeren Grabes (28,1– 10), in die freilich die Überlieferung von der Wache auch hineingreift und diese nicht unbeträchtlich verändert (28,4).“ Vgl. umfassend für Mt 26–28 das spekulative System von „narrative sandwiches“ bei H EIL, Death; HEIL, Narrative Structure. 169 Natürlich könnte man bei der Untersuchung der Handlungsstränge auch weiter vorne ansetzen. Manche Studien von Mt 28 beginnen schon bei 27,55, weil dort die Frauen zum ersten Mal auftreten (HEIL, Death; HEIL, Narrative Structure; R EEVES, Resurrection Narrative; WEREN, Disciples, 150–153), oder bei 27,57, weil die Erwähnung der Frauen noch zur Kreuzigungsszene gehört und andererseits 27,57–61 und 27,62–66 strukturell ähnlich sind (L AI, Sinn-Erzeugung; G IBLIN, Correlations; B LOEM, Ostererzählung; DENAUX, Matthew’s Story). Deutlich ist jedenfalls, dass der Autor 28,1ff. stark mit dem vorangegangenen Kontext verknüpft.
3.4 Handlungsanalyse
A B
3
1 2
6
4 5
Handlungsverlauf
321
Kerne der Haupthandlung A: 1: Kerne bis Mt 27,61 3: Kerne in Mt 28,1–7 (= Knotenpunkt für Abschnitte 2 und 5) 4: Kerne in Mt 28,8–10 6: Kerne in Mt 28,16–20 Kerne der Nebenhandlung B: 2: Kerne in Mt 27,62–66 5: Kerne in Mt 28,11–15
Abb. 45: Handlungsstränge in Matthäus 28
Aufgrund dieses Befundes, besonders wegen der abweichenden Hauptfiguren und des anderen Handlungsmusters, kann man die Szenen 27,62– 66 und 28,11–15 am besten als temporäre Nebenhandlung einordnen. 28,1–10 und 16–20 gehören zur Haupthandlung, da auch sonst im MtEv in fast allen Szenen Jesus die zentrale Figur ist und eine Erzählung üblicherweise mit der Haupthandlung (V. 20) und nicht mit der Nebenhandlung (V. 15) endet. Die beiden Abschnitte der Nebenhandlung sind auf die Grabesszene V. 1–7 als Knotenpunkt hingeordnet und gehen von ihr aus (Abb. 45).170 Dadurch wird die Grabesszene zusätzlich in den Mittelpunkt gerückt. Eine solche Technik der temporären Nebenhandlung begegnet im MtEv relativ häufig – die Nebenhandlungen sind temporär, weil sie jeweils nur kurze Abschnitte des MtEv umrahmen oder einleiten und nicht untereinander als ein Handlungsstrang verbunden sind. 171 Für das matthäische Handlungsstrangschema gibt es noch keinen passenden Begriff, die Bezeichnungen „Einbettung“ oder „Alternation“ sind hierfür zu ungenau. Man könnte metaphorisch von „Nebenhandlungsflügeln“ sprechen. Die Strangkonfiguration des MtEv ist dann insgesamt als temporär mehrsträngige Handlung zu bezeichnen.172 170 Daher ist GNILKA, Matthäusevangelium II, 485, der in 27,62–66; 28,11–15 das „Diptychon“ sieht, anders als Nolland im Recht (vgl. oben Anm. 168). 171 Nebenhandlungen im MtEv sind: Mt 2,1–8.16–18 (Herodes; die Szenen rahmen den Besuch der mavgoi bei dem Jesuskind); 3,1–12 und 14,1–12 (Johannes der Täufer; Szenen bereiten die Taufe und den Rückzug Jesu vor); 26,14–16; 27,3–10 (Verrat und Tod des Judas rahmen die Gefangennahme Jesu, vgl. 26,49). Alleinstehende Nebenhandlungen sind 26,69–75 (Verleugnung des Petrus, vgl. die Verankerung in der Haupthandlung bei 26,34.58) sowie 26,3–5 mit dem Plan der Hohenpriester und Ältesten, der die Passionsgeschichte einleitet. 172 Innerhalb der bisherigen narratologischen Exegese wurden Haupt- und Nebenhandlungen des MtEv m.W. noch nicht untersucht. P OWELL, Plot and Subplots, 198–203 verwendet die entsprechenden englischen Fachbegriffe in einem völlig anderen Sinn. Die Haupthandlung (main plot) des MtEv sei „God’s plan and Satan’s challenge“, die Nebenhandlungen (subplots) seien „Jesus and the religious leaders“ sowie „Jesus and the disciples“ (vgl. dazu 3.4.5.2). Die Handlung des MtEv sei also nicht auf eine einzige story line reduzierbar (199). Auch G IELEN, Konflikt, 398 spricht von einem „Erzählfaden
322
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
Bewertung der Methode: Dass manche Erzählungen mehrere Handlungsstränge besitzen, die zusammen- oder auseinandergeführt werden können, ist auch im MtEv zu beobachten. Mit der Analyse der Handlungsstränge kann ein Aspekt der biblischen Erzähltechnik beschrieben werden, der bisher sehr wenig Aufmerksamkeit erfahren hat. Die Analyse von Handlungssträngen ist vor allem dann notwendig, wenn ein Autor die Handlungsstränge stark ineinander verknotet. Das ist bei Mt zwar nicht der Fall; dennoch lässt sich die in Mt 27,62–66; 28,11–15 beschriebene Nebenhandlung gut als solche veranschaulichen. Die Methode zur Analyse ist soweit ausgearbeitet, dass sie problemlos einzusetzen ist. Allerdings müssten für typische Handlungsstrangschemata und Strangkonfigurationen noch genauere Klassifikationsmöglichkeiten vorhanden sein. 3.4.7 Handlungsenden Erzählanfänge und Erzählschlüsse haben eine besondere Bedeutung, weil sie den Rezipienten besonders im Gedächtnis bleiben. An dieser Stelle kann der Text von Mt 28 in seiner Eigenschaft als Erzählschluss untersucht werden. a) Geschlossenheit (closure): Handelt es sich bei Mt eher um ein geschlossenes oder um ein offenes Ende? Zur Offenheit des Schlusses tragen verschiedene Faktoren bei. Zum einen ist der Endzustand nicht wirklich stabil, weil die Hauptfigur nicht im Grab bleibt, sondern in Mt 28 wieder aufersteht und die Erzählung eigentlich weitergehen könnte. Man erfährt also nicht, was weiter mit der Hauptfigur passiert und ob später mit weiteren Erscheinungen Jesu zu rechnen ist (Act 1,3.9 antwortet dann bekanntlich mit „nein“). Daneben bleiben zwei wichtige Konflikte ungelöst: Die Interpretationen der Hohenpriester und diejenige der Jünger bzw. des Erzählers bezüglich der Auferstehung liegen im Widerstreit; es ist unsicher, welche sich durchsetzt (Parteienkonflikt). Außerdem bekommen die Jünger in den letzten Versen einen umfassenden Auftrag, dessen Erfüllung ebenfalls nicht mehr geschildert ist („unerfüllte Pflicht“). Andere Aspekte des Erzählschlusses deuten eher auf dessen Geschlossenheit hin. Spätere Erscheinungen Jesu werden im MtEv nicht angedeutet, sondern die Ankündigungen (26,32; 28,7.10) laufen alle auf die Erscheinung in Galiläa hinaus, die schließlich in 28,16–20 geschildert wird. Weil das MtEv konsequent eine irdische Perspektive einnimmt und keine Vorgänge im Himmel beschreibt, ist mit dieser Erscheinung eine Art Endpunkt im erzählbaren Leben Jesu erreicht. Auch die ungelösten Konflikte sind des Konflikts zwischen Jesus und den religiösen und politischen Autoritäten seines Volkes“. Was bei Powell und Gielen als Handlungsstrang angesehen wird, ist eher eine thematische Linie bzw. eine wiederkehrende Figuren- und Konfliktkonstellation.
3.4 Handlungsanalyse
323
kein starkes Argument für die Offenheit des Schlusses: Der Parteienkonflikt zwischen den Hohenpriestern und Jüngern ist stabil und insofern berechenbar, da nach Mt beide Lager vorerst bestehen bleiben (V. 15.20). Auch der Konflikt der „unerfüllten Pflicht“ in Mt 28,16–20 wird dadurch gemildert, dass Jesus seinen Beistand verspricht und der Erfolg aus Sicht der intendierten Rezipienten daher wahrscheinlich ist. Außerdem endet das MtEv mit einem Blick in die Ferne, der eine klare Abschlusswirkung erzeugt (vierfaches pa`~, lokale und zeitliche Universalität). Fazit: Einerseits gibt es offene Konflikte, die über das Ende des MtEv hinaus bestehen bleiben, andererseits ist ihr Ausgang einigermaßen vorhersehbar. Außerdem sprechen die mehrfache Ankündigung der Erscheinung in Galiläa (26,32; 28,7.10) sowie die sprachliche Gestaltung und der zusammenfassende Inhalt von Mt 28,16–20 für einen abschließenden Charakter dieser Szene. Daher handelt es sich beim Matthäusschluss – anders als z.B. im MkEv – eher um ein geschlossenes Ende. b) Form des Endes: Ein außergewöhnlicher Wechsel der Erzähldauer, der Fokalisierung oder der Distanz ist nicht zu beobachten. Allerdings gibt es eine sprachliche Parallele zwischen Anfang und Schluss, nämlich zwischen „Immanuel“/meqÆ hJmw`n oJ qeov~ (1,23) und ejvg w; meqÆ uJmw`n eijmi (28,20). Die Schlussrede mit einem Imperativ und drei davon abhängigen Partizipien, gerahmt von zwei Bekräftigungen des Auferstandenen, macht einen rhetorisch intensiven Eindruck. Als stilistische Besonderheit kann gewertet werden, dass der Schlusssatz passenderweise mit dem Ausdruck suntevleia tou` aijwvno~ endet. Formal ist der Schluss also leicht auffällig gestaltet, aber nicht sehr stark. c) Inhalt des Endes: Bei Figuren, Handlung und Setting sind kaum Entsprechungen zum Erzählanfang festzustellen. 173 Mit der Erwähnung Galiläas, des Berges, der e[qnh und der Lehre sind allerdings wichtige Themen des MtEv angeschnitten. Das distavzein der Jünger, die Taufe und der Heilige Geist begegnen ebenfalls, aber seltener im MtEv. Mit der Auferstehung erlebt die Hauptfigur ein „Happy End“, der Schluss läuft aber nicht auf eine Pointe oder Überraschung hinaus. Deutlich ist nur die offene Christologie in Mt 28,18.20, die jedoch schon im übrigen MtEv vorbereitet wurde. Inhaltlich kann man also davon sprechen, dass der Matthäusschluss viele Aspekte der mt Theologie noch einmal zusammenfassend aufnimmt.
173
Man könnte höchstens das Auftreten eines Engels bei der Empfängnis Jesu (Mt 1,20) und bei der Auferstehung Jesu (Mt 28,2) anführen, wobei der Engel in Mt 1,20 nur im Traum (formelhaft: katÆ o[nar) erscheint und Mt 28,2 noch nicht wirklich zur Schlusssequenz gehört. Der Bezugspunkt von Mt 28,16, das Galilaiva tw`n ejqnw`n in 4,15, ist dagegen nicht mehr Teil des Erzählanfangs. Das gemeinsame prosekuvnhsan in Mt 2,11; 28,17 ist zu unspezifisch.
324
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
d) Erwartbarkeit des Endes: Die Auferstehung Jesu selbst ist trotz ihres ungewöhnlichen Charakters für die Rezipienten erwartbar, weil sie im MtEv vielfach angekündigt wird (Mt 12,40; 16,21; 17,9.23; 20,19; 26,32; 27,64). Käme ein solcher Schluss zu überraschend, würde er für einen Rezipienten konstruiert und unglaubwürdig wirken; daher sind die Ankündigungen erzähltechnisch notwendig. Wenn die Rezipienten Gattungskenntnisse der Tragödie besitzen, erwarten sie einfach den Tod der Hauptfigur, aber nicht die Auferstehung. Die genauen Schilderungen sind für die Rezipienten schwerer vorherzusehen: Denkbar, aber nicht klar erwartet sind das Eingreifen von Engeln in die Erzählung und die Reaktion der Hohenpriester auf die Auferstehung. Der Auftrag zur Heidenmission kommt relativ unerwartet, weil die Signale im MtEv diesbezüglich über das MtEv verteilt sind, ebenso die Aufforderung zu taufen und insbesondere die „trinitarische“ Formel. (Daher geht man mit Recht davon aus, dass die intendierten Rezipienten mit dieser Praxis vertraut waren.) e) Rezeptionswirkung des Endes: Der Matthäusschluss hat vor allem einen geschlossenen Charakter. Daher stehen wohl die finalen Rezeptionsemotionen im Vordergrund: Ein Rezipient, der gegenüber Jesus und den Jüngern Sympathie empfunden hat, ist am Ende froh, weil es diesen Figuren gut geht und der Parteienkonflikt zwischen Jesus und den Jüngern aufgelöst ist (Mt 28,10; 28,18–20). Auch ästhetische Emotionen aufgrund des stilistisch und inhaltlich hervorgehobenen Matthäusschlusses sind möglich. Durch die nicht aufgelösten Konflikte, besonders durch den Unglauben der Hohenpriester und den Auftrag an die Jünger, bleibt der Schluss aber auch leicht offen. Daher wird der Rezipient nicht nur emotional berührt, sondern auch zum Nachdenken sowie zum Handeln angeregt, sofern er sich in seiner Situation mit den Jüngern identifiziert (vgl. 3.7.6.2). Ergebnis: Mt war sich der besonderen Rezeptionswirkung des Erzählschlusses offenbar bewusst und hat ihn daher überlegt gestaltet. Das Ende hat einen eher abschließenden als offenen Charakter, es wird stilistisch hervorgehoben und enthält sowohl zahlreiche inhaltliche Bezüge auf das übrige MtEv als auch ein Ausblick auf die den Rezipienten bekannte Praxis; es weckt positive Rezeptionsemotionen und regt die intendierten Rezipienten zum Handeln an, die sich mit den Jüngern identifizieren. Durch die Schlussstellung bekommen der Missionsauftrag und insbesondere die Beistandszusage „ich bin bei euch alle Tage“ ein besonderes Gewicht. Wenn man die Schlussverse bisher metaphorisch als „Schlüssel“ zum Verständnis des Matthäusevangeliums beschrieben hat, 174 sind letztlich diese narratologischen Beobachtungen gemeint. Bewertung der Methode: Eine eigene Analyse des Erzählanfangs und des Erzählschlusses ist sinnvoll, weil Anfang und Schluss einer Erzählung 174
Klassisch MICHEL, Abschluß, 21: „Schlüssel zum Verständnis des ganzen Buches“.
3.5 Figurenanalyse
325
von Rezipienten besonders intensiv wahrgenommen werden. Daher verwenden nicht nur heutige Erzähler viel Mühe auf die Formulierung der Handlungsenden. Offenbar hat bereits Mt seinen Erzählschluss sorgfältig gestaltet. Die hier vorgestellte Methode zur Analyse des Erzählschlusses kann einige der von Mt verwendeten Erzähltechniken genauer beschreiben. Sie kann bestimmen, inwiefern ein Erzählschluss offen oder geschlossen ist, und auch verschiedene Aspekte der Schlussgestaltung, die Erwartbarkeit und die Rezeptionswirkung des Endes benennen. Wenn man die Erzähltechnik des Mt darüber hinaus mit derjenigen anderer (antiker) Autoren vergleichen würde, wären weitere Erkenntnisse möglich. Ein Problem besteht darin, dass die Methode bisher nur sehr vage ausgearbeitet wurde. Das betrifft zum einen die closure, die man als Rezeptionsgröße verstehen muss und die nur schwer zu fassen ist. Bisher ist unklar, wie stark welche Phänomene wirklich zum Eindruck der Geschlossenheit einer Erzählung beitragen, wie stark also dementsprechend die verschiedenen Beobachtungen gewichtet werden müssen. Für Form, Inhalt, Erwartbarkeit und Rezeptionswirkung des Endes sollte ebenfalls noch ein präziseres Beschreibungsschema entwickelt werden.
3.5 Figurenanalyse Die Figurenanalyse von Mt 28,1–20 richtet sich nach der in Kap. 2.5 beschriebenen Methode. Auffällig ist, dass auch bisher die meisten narratologischen Studien zu Mt in irgendeiner Form Figurenanalysen sind (3.1.2). 3.5.1 Figurenbestand und Figurenkonfiguration Für einen ersten Überblick über die in einer Szene oder der gesamten Erzählung vorkommenden Figuren wird gewöhnlich eine Liste oder Tabelle angefertigt (vgl. 3.3.1, 3.4.1 zu Umwelt- und Handlungselementen). Möchte man die Figurenkonfigurationen aller Szenen darstellen, erweist sich eine Tabelle als hilfreich, 175 bei dem Figurenbestand einer einzelnen Szene genügt dagegen eine kurze Liste. 176 175 Bereits LUDWIG, Figur, 142 schlägt vor, man könne „in narrativen Texten die Verteilung der Figuren auf die einzelnen Handlungssequenzen tabellieren“; vgl. auch P FISTER, Drama, 237.239. Für eine grafische Umsetzung s. für das MtEv D ORMEYER, Rollen, 110–113; für das MkEv D ORMEYER, Markusevangelium (2005), 212–214 (geordnet nach Sympathie gegenüber Jesus); für die Act C ORNILS, Geist Gottes, 82–86 (Szenen mit dem Begriff pneu`ma; Cornils’ Arbeit ist noch nicht kognitiv auf die Figurenvorstellung ausgerichtet, sondern sortiert nach Benennungen, so dass Stellen mit „Heiliger Geist“ und „der Geist“ usw. völlig getrennt untersucht werden). 176 So machen es GIELEN, Konflikt, 393 u.a.; C ULPEPPER, Anatomy, 106 u.a.
326
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
Im Folgenden sollen die Figurenkonfigurationen der vier Szenen Mt 28,1–7.8–10.11–15.16–20 abgebildet werden (Tab. 46). Dabei bedeutet ein „x“, dass die Figur in der Szene auftritt. Ist es in Klammern gesetzt, dann kommt die Figur in der besprochenen Welt der Szene vor. Tab. 46: Figurenkonfigurationen in Matthäus 28 Figuren
bekannt?
Mt 28,1–7
V. 8–10
V. 11–15
V. 16–20
Jesus Jünger Frauen Engel Wache Hohepriester Älteste Pilatus Juden
ja ja ja ja ja ja ja ja ja, auch real ja, auch real177 ja ja
(x) (x) x x x
x (x) x
(x) (x)
x x
alle
3 (+ 2)
Völker Gott Heiliger Geist Anzahl der Figuren(gruppen)
x (tine~) x x (x) x (x) (x) (x) 2 (+ 1)
4 (+ 3)
2 (+ 3)
Sämtliche Figuren und Figurengruppen aus Mt 28 sind dem Rezipienten bereits bekannt und müssen ihm nicht erst vorgestellt werden. Die Wache war allerdings erst kurz vorher in 27,65f. eingeführt worden; die Bezeichnung für diese Figurengruppe ist bei Mt auch am flexibelsten (koustwdiva 27,65f.; 28,11; oiJ throu`nte~ 28,4; stratiwvtai 28,12). Episodenfiguren(gruppen) sind nicht nur die Wächter, sondern auch die Frauen (seit 27,55) und Pilatus (seit 27,2). Möglicherweise kann man auch den Engel als Episodenfigur bezeichnen, sofern der Rezipient ihn nicht mit dem Engel in Mt 1–2 identifiziert. Interessant ist, dass die Jünger in Mt 27,62– 28,15 zwar nicht direkt auftreten, aber durch Erwähnungen in den wörtlichen Reden jeweils in Erinnerung gerufen werden. Eine ähnliche Kontinuität ist bei Jesus zu beobachten. Dadurch, dass über ihn auch in den Szenen, wo er fehlt, gesprochen wird, bleibt die Handlung des MtEv auf ihn ausgerichtet. 177
ÆIoudai`oi und ta; e[qnh sind einerseits im MtEv genannt, müssen aber nach Mt 28,15.19 den intendierten Rezipienten auch jenseits des Textes bekannt sein.
3.5 Figurenanalyse
327
Wirklich auffällige Figurenkonfigurationen gibt es in diesen Szenen nicht, keine Ensemble-Konfiguration oder ähnliches. Ein bestimmtes Muster beim Wechsel der Konfigurationen ist auch nicht zu erkennen. Am meisten Figuren kommen in V. 11–15, am wenigsten in V. 8–10 vor. Die insgesamt fünf Einzelfiguren sind gegenüber den sieben kollektiven Figurengruppen in der Minderheit. Nur Jesus, der Engel, Pilatus, Gott und der Heilige Geist sind keine Figurengruppe. Als konkomitante Figuren begegnen Jesus und die Frauen bzw. Jesus und die Jünger sowie die Hohenpriester und Ältesten. Vor 28,16–20 waren Jesus und die Jünger zuletzt in Gethsemane gemeinsam aufgetreten (26,36–56), die szenische Distanz 178 dieser Figurenkonfiguration ist also relativ groß. Alternative Figuren in Mt 28 sind Jesus/die Jünger/die Frauen/der Engel auf der einen Seite und die Hohenpriester/Ältesten/Pilatus/„Juden“ auf der anderen Seite, was ja einen Haupt-Parteienkonflikt des MtEv (vgl. 3.4.5.2) widerspiegelt. Bewertung der Methode: Eine Auflistung der an der Erzählung beteiligten Figuren ist grundsätzlich legitim und für eine Übersicht sinnvoll. Weitere Listen und Tabellen sind jedoch kaum erhellend, wenn es in einer Erzählung keine Auffälligkeiten in der Figurenkonfiguration gibt. Das wäre nur der Fall, wenn z.B. die Auftritte von Figuren symmetrisch oder nach anderen Mustern gestaltet sind. 179 Auch die Untersuchung der Verteilung von Einzelfiguren und Figurengruppen oder alternativen und konkomitanten Figuren führt nur selten wirklich weiter. Bei Mt 28 ist die Analyse kaum ertragreich, hätte aber auch nicht von vornherein übersprungen werden können. – Die Methode ist vergleichsweise gut ausgearbeitet und recht einfach, weil es sich um eine Strukturbeschreibung handelt. Der Figurenbestand und die Figurenkonfigurationen lassen sich oft eindeutig bestimmen und benennen. 180 Problematisch ist, dass Pfister nicht bespricht, inwiefern auch Figuren der besprochenen Welt in die Figurenkonfiguration einbezogen werden könnten. Unklarheiten können auch auftreten, wenn dieselben Figuren unter unterschiedlichen Bezeichnungen erwähnt werden, hier z.B. maqhtaiv und oiJ ajdelfoiv mou (V. 10) oder oJ ÆIhsou`~ und oJ uiJov~ (V. 19). In Zweifelsfällen müsste man zunächst argumentativ darlegen, inwiefern der intendierte Rezipient die Benennungen aufgrund seines Vorwissens auf dieselbe Figur beziehen würde. Explizite Entscheidungskriterien dafür fehlen bisher, jedenfalls innerhalb der Narratologie. 178
Zur szenischen Distanz und deren Messung vgl. P FISTER, Drama, 237. Vgl. dazu PFISTER, Drama, 235–240. 180 Die möglichen Benennungsvorschläge von Pfister wie repetitive Konfiguration, Ensemble-Konfiguration usw. sind erst im Ansatz systematisch ausgearbeitet. Figurenkonfigurationen können viele weitere Muster bilden. Eine Vermehrung der Bezeichnungen ist allerdings nur sinnvoll, wenn ein bestimmtes Schema auch bewusst erzähltechnisch eingesetzt wird. 179
328
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
3.5.2 Figurenmerkmale Nachdem festgestellt wurde, welche Figuren in welcher Szene vorkommen, kann der vielleicht wichtigste Schritt der Figurenanalyse durchgeführt werden, die Beschreibung der kognitiven Figurenwahrnehmung. Wenn man sich nicht damit begnügen möchte, eine Figur formal zu klassifizieren, muss sie auch inhaltlich-semantisch beschrieben werden. Zu bestimmten Figuren des MtEv wie Jesus, den Jüngern und den jüdischen Autoritäten existieren bereits ausführliche narratologische sowie „klassische“ Studien. Dabei hat man sich meistens auf die Benennung von Charakterzügen und Fragen der Identität von Figuren konzentriert oder einfach deren Verhaltensweisen nacherzählt; darüber hinaus kommen in der Paraphrase eines Vers-für-Vers-Kommentars manchmal auch die impliziten Gefühle und Motive von Figuren zur Sprache, jedoch ohne dass der Kommentator die Methode seiner Inferenzen offenlegt. In exegetischen Studien zum MtEv sind vier Vorgehensweisen zu erkennen, wie Figuren beschrieben werden. Jede dieser Darstellungsmethoden hat bestimmte Schwächen: 1) Einfache Liste mit Charaktermerkmalen: Im Narrative Criticism werden häufig die Charakterzüge der Figur aufgezählt, wobei die zusammenfassenden Adjektive jeweils durch Nennung der entsprechenden Bibelstellen „belegt“ werden.181 Dieses Vorgehen ist am wenigsten ausgereift. Zum einen werden nur Charakterzüge erfasst, zum anderen erläutern die Autoren nicht, wie sie diese character traits methodisch ermittelt haben. 2) Indirekte Figurenbeschreibung über die Liste der Darstellungsarten: Andere wählen ebenfalls einen systematischen Zugang zur Figurenbeschreibung, untergliedern aber nach der Darstellungsart. Es wird also z.B. nacheinander beschrieben, was die Figur sagt, was sie tut, was der Erzähler über die Figur berichtet, was andere Figuren über die Figur sagen und was sich aus bestimmten Analogien ergibt. 182 Hier analysiert man nur den Befund und rekonstruiert nicht die kognitive Vorstellung der Figur. Ungüns181
So SMITH, Lion, 61f.: „Jesus is authoritative ... Jesus is wise and shrewd ... Jesus is resolute … Jesus’ humanity“. Auch K INGSBURY, Matthew as Story, 11–13 beschreibt die Charakterisierung Jesu im MtEv auf diese Weise: „In relation to his mission, Jesus is ‚saving‘ … In relation to God, Jesus is ‚perfect‘ ... In relation to himself, Jesus possesses ‚integrity‘ …“, woraufhin jeweils Bibelstellen zitiert werden. Dieses Vorgehen findet sich ausführlicher z.B. bei KINGSBURY, Developing Conflict, 58–64 (Charakterzüge jüdischer Führer im MtEv). Zwischen solchen Beschreibungen und historisch-theologischen Untersuchungen zur Christologie des MtEv liegen – auch qualitativ – Welten. 182 Vgl. BROWN, Disciples, 55–58 (tabellarische Darstellung); auch P OWELL, Characterization, untersucht getrennt nach „direct phraseology“ und „indirect phraseology“. Eine bessere, stärker inhaltliche Sortierung wählt C ARTER, Matthew, 191–206 (Bezeichnungen Jesu; außerdem knapp: seine Worte und Taten, Vergleich mit anderen Figuren, Jesu Wissen, Motive und Gefühle).
3.5 Figurenanalyse
329
tig ist auch die Wahl der Systematik, da z.B. Motive einer Figur sowohl durch deren Verhalten als auch durch Figurenrede erschließbar sind. 3) Nacherzählung von Szenen mit der Figur: Daneben kann man eine Figur auch erzählerisch darstellen, also paraphrasieren, was eine Figur im Laufe der Erzählung tut und erlebt. Hin und wieder werden Inferenzen vorgenommen, z.B. auf Charaktereigenschaften, Motive oder Gefühle der Figur. Das kann mehr oder weniger durchdacht geschehen, wird aber im Narrative Criticism und in Paraphrasen bisheriger Kommentare nicht reflektiert.183 4) Exegetischer Kommentar zu Szenen mit der Figur: Bei genaueren Untersuchungen zu einer Figur werden auch sämtliche Szenen, in denen diese Figur vorkommt, nacheinander ausführlich kommentiert. 184 Die Kommentierung ist dabei relativ „klassisch“ und umfasst nahezu alle exegetischen Aspekte. Dabei wird methodisch selten erklärt, was von diesen Ausführungen eigentlich zur Beschreibung der Figur beiträgt. Keine dieser Vorgehensweisen ist grundsätzlich falsch, auch wenn sie deutlich überarbeitet werden müssten. Die ersten beiden Vorgehensweisen sind eher systematisch orientiert und auf das abschließende bzw. reflektierte Figurenmodell ausgerichtet. Die Nacherzählung und der fortlaufende exegetische Kommentar beziehen sich dagegen eher auf das aktuelle Figurenmodell, das der Rezipient während der Figurensynthese bildet. Die folgenden Ausführungen sollen beispielhaft darstellen, wie man das reflektierte Figurenmodell im Sinne von Kap. 2.5.2 analytisch beschreiben kann. In Entsprechung dazu müsste eine Rekonstruktion des aktuellen Figurenmodells die Ereignisse figurbezogen nacherzählen und in jeder Situation – soweit sinnvoll – die Meinungen und Weltanschauung, die Gefühle, Verhaltensweisen, äußeren Attribute der Figur usw. sowie die Veränderung von Figurenmerkmalen (alles bezogen auf die Wahrnehmung des Rezipienten) beschreiben. In jedem Fall soll deutlich werden, wie die Inferenzen des intendierten Rezipienten nachvollzogen wurden. 3.5.2.1 Die Figuren im Einzelnen Grundsätzlich lässt sich eine figurenorientierte 185 und eine szenenorientierte186 Untersuchung unterscheiden, d.h. dass man entweder eine Figur 183
Vgl. in dieser Weise B AUER, Major Characters, 357–361 (zu Jesus im MtEv). Recht ausgefeilt ist POPLUTZ , Erzählte Welt, 80–98, kursorischer dagegen 103–131. 184 So z.B. SYREENI, Peter as Character; BROWN, Disciples, 59–93; O LMSTEAD, Matthew’s Trilogy, 50–67; P ARAMBI, Discipleship, 57–208; B RANDEN, Satanic Conflict, 43– 83. 185 Eine figurenorientierte Darstellung haben z.B. – in unterschiedlicher Ausführlichkeit – KINGSBURY, Matthew as Story, 11–28; R HOADS/DEWEY/MICHIE, Mark, 103–136; CULPEPPER, Anatomy, 105–148.
330
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
durch die gesamte Erzählung verfolgt oder alle Figuren einer Szene analysiert.187 In unserem Fall handelt es sich um eine szenenorientierte Darstellung, weil sie auf einen Erzählausschnitt beschränkt ist, dafür aber verschiedene Figuren erfasst. In Mt 28 findet man folgende Figuren(gruppen): 1. Jesus 2. Jünger 3. Frauen 4. Engel
5. Wachen 6. Hohepriester 7. Älteste 8. Pilatus
9. Juden 10. Völker 11. Gott 12. Heiliger Geist
Der intendierte Rezipient hat dabei natürlich Vorverständnisse bezogen auf einzelne Figuren, sowohl aus seinem allgemeinen Weltwissen als auch durch die Rezeption von Mt 1–27 und 28. Weil genau zwölf Figuren bzw. Figurengruppen in Mt 28 auftauchen, gibt es auch zwölf historisch zu untersuchende Frames. Die Grundfrage zu den Frames lautet: „Was kann der intendierte Rezipient über die Figur wissen?“ – – – – – – – – – – – –
92. Wer ist Jesus? Was kann der intendierte Rezipient über Jesus wissen? 93. Wer sind die Jünger? Was kann der Rezipient über die Jünger wissen? 94. Wer sind Maria von Magdala und Maria, die Mutter des Jakobus und Josef? 95. Was ist ein Engel? Was kann der Rezipient im Voraus über „Engel“ wissen? 96. Was kann der Rezipient über die Wachen wissen? 97. Was kann der Rezipient über die Hohenpriester wissen? 98. Was kann der Rezipient über die Ältesten wissen? 99. Was kann der Rezipient über Pilatus wissen? 100. Was kann der Rezipient über „Juden“ wissen? 101. Was kann der Rezipient über die Völker wissen? 102. Was kann der Rezipient über Gott wissen? 103. Was kann der Rezipient über den Heiligen Geist wissen?
Dieses Vorwissen müsste eigentlich in eigenen Voruntersuchungen erörtert werden. Weil der Schwerpunkt dieser Arbeit auf der Methode der Narratologie liegt, möchte ich nur auf deren Notwendigkeit hinweisen. Das Vorwissen des intendierten Rezipienten fließt dann in jeden einzelnen Analyseaspekt des Figurenmodells ein. Die Analyseaspekte sind (vgl. Kap. 2.5.2): a) Identität: Was unterscheidet die Figur grundsätzlich von anderen Figuren? b) Charakterzüge: Welche Charaktereigenschaften hat die Figur? c) Meinungen/Figurenstandpunkt: Was meint die Figur zu bestimmten Dingen? Was ist das Weltbild einer Figur? 186 EISEN, Poetik, integriert die Figurencharakterisierungen in ihre Textkommentierung, z.B. 155f. zur Funktion von Engeln im LkEv/Act; 170f. zu Petrus im lk Doppelwerk; 189–193 zu Paulus in Act. Für Mt 27,55–28,20 vgl. auch bereits R EEVES, Resurrection Narrative, 23–40. 187 Zu den beiden Möglichkeiten vgl. R HOADS/DEWEY/MICHIE, Mark, 151–153.154– 159, die die narratologische Analyse der Gesamterzählung und die Auslegung eines einzelnen Textstücks mit zwei verschiedenen Methoden beschreiben.
3.5 Figurenanalyse
331
d) Erleben: Was nimmt die Figur wahr? e) Gefühle: Was fühlt die Figur (in einer bestimmten Situation)? f) Verhaltensweisen: Wie verhält sich die Figur (in einer bestimmten Situation)? g) äußere Attribute: Wie sieht eine Figur aus? h) sozialer Kontext: In welchem sozialen Kontext befindet sich die Figur? i) Wissen: Was weiß die Figur? j) Pflichten: Was muss die Figur (im gesellschaftlichen Kontext)? k) Wünsche: Was wünscht sich die Figur? l) Intentionen: Was will die Figur? Was treibt die Figuren zu einer Handlung?
Da diese Arbeit, wie gesagt, vor allem ein methodologisches Ziel hat, steht die Vielfalt der anzuwendenden Fragestellungen im Vordergrund. Daher können die einzelnen Teilanalysen z.B. zur Identität oder zu Charakterzügen einer Figur nur ansatzweise umgesetzt werden. Exemplarisch wird die Methode der kognitiven Figurenanalyse an der Darstellung des auferstandenen Jesus und der Jünger in Mt 28 vorgeführt. 1. Der auferstandene Jesus188 a) Identität:189 Die Frage nach der Identität erfasst wesentliche Aspekte der bisherigen Christologie. 190 Jesus ist in Mt 28 für den intendierten Rezipienten bereits Gottes Sohn, Messias, Davids Sohn, „Herr“ und Menschensohn, dies hat er durch das MtEv begriffen und vielleicht schon vorher geglaubt. Der Auferstandene ist grundsätzlich „derselbe“ wie der Irdische, jetzt nur in offensichtlicherer Weise. Die Anrede „fürchtet euch nicht“ (28,10) erinnert den Rezipienten an die Epiphanie eines göttlichen Wesens (vgl. V. 5).191 Mt 28,9–10 betont noch insgesamt die irdische Existenzweise Jesu („begegnete“, nicht „erschien“; der herkömmliche Gruß; Frauen fassen Jesu Füße), während Mt 28,18–20 das Wesen Jesu schließlich offen enthüllt: Hier ist ganz explizit von der – vom Vater gegebenen – Allmacht 188
Vgl. narratologisch zu Jesus im MtEv: K INGSBURY, Figure of Jesus; HOWELL, Inclusive Story, 218–229; B URNETT, Characterization and Christology (= B URNETT, Undecidability); B AUER, Major Characters, 357–361; REEVES, Resurrection Narrative, 23–25; POWELL, Characterization; C ARTER, Matthew, 189–228; B ARNET, Righteous, 59–77. 189 Zur Bestimmung der Identität sind die zwei Aspekte Kontinuität und Relationalität (Beziehung oder Abgrenzung zu anderen Entitäten) wichtig. Hier kann nur ganz knapp auf die Identität Jesu eingegangen werden, die ja sehr zentral für das MtEv ist. 190 Vgl. CARTER, Matthew, 191–201. Weiterführend, aber nicht speziell narratologisch sind HAHN, Christologische Hoheitstitel; L UZ, Thetische Skizze; REPSCHINSKI, For he will save; zu Jesus als Sohn Davids: NOVAKOVIC, Messiah; CHAE, Jesus; BAXTER, Healing; W ILLITTS, Messianic Shepherd-King; zum Gottessohn: DE KRUIJF, Sohn; G ATHERCOLE, Preexistent Son; zum Menschensohn: G EIST, Menschensohn; M ÜLLER, Ausdruck „Menschensohn“, 104–123; Jesus als Lehrender: B YRSKOG, Jesus the Only Teacher; Y IEH , One Teacher; heilsgeschichtliche Aspekte: D EINES, Gerechtigkeit; KONRADT, Israel. 191 So LUZ, Matthäus IV, 418: „,Fürchtet euch nicht‘ … deutet … indirekt eine christologische Dimension an: Die Begegnung mit dem Auferstandenen ist nicht eine Begegnung mit irgendeinem Menschen, sondern eine Begegnung mit einem göttlichen Wesen.“
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
Jesu die Rede (ejdovqh moi pa`sa ejxousiva ejn oujranw/` kai ejpi; gh`~). Neben dieser umfassenden räumlichen Gewalt steht seine zeitlich faktisch unbegrenzte Zuwendung zu den Jüngern (pavsa~ ta;~ hJmevra~ e{w~ th`~ sunteleiva~ tou` aijwvno~). b) Charakterzüge: Bei Jesus wird der intendierte Rezipient keine psychologischen Schwächen wahrnehmen können, erst recht nicht, wenn er als Auferstandener den menschlichen Grundbedingungen enthoben ist. Bestimmte Charakterzüge Jesu sind auch in Mt 28 zu erkennen: Er sucht nicht das sichtbare Wunder, sondern will freien Glauben, da er nicht vor den Augen von Zeugen aufersteht, nicht die Hohenpriester durch seine Erscheinung mit Gewalt überzeugt und die Verbreitung einer falschen Botschaft duldet. Der Auferstandene kümmert sich um die Frauen und seine Jünger – er lässt sie nicht im Stich, sondern ist treu, auch wenn sie untreu sind. Er tut, was er sagt, das zeigt auch seine Auferstehung, die er vorher angekündigt hatte. Außerdem nimmt er gerade Frauen, die sonst nicht viel galten, in den Dienst, um die Auferstehungsbotschaft zu bezeugen. All dies ist konsistent mit der Charakterisierung Jesu in Mt 1–27. Wirklich neue Persönlichkeitszüge erfährt der Rezipient in Mt 28 dafür nicht. So wie der irdische Jesus die Menschen in ihrer Schwachheit gesehen und ihnen geholfen hat, so empfindet auch der Auferstandene offenbar Mitleid mit den Jüngern, die ihn verlassen haben und die nun wie Schafe ohne Hirten sind (vgl. 9,36). Er gibt seinen Jüngern neue Verantwortung und ermutigt sie durch eine Beistandszusage. Eine umfassende Rekonstruktion des Charakters Jesu im MtEv würde sicherlich interessante Ergebnisse bringen. c) Meinungen: Der Standpunkt des auferstandenen Jesus wird vor allem in den Schlussversen sehr deutlich (V. 18–20). Der Auferstandene legt Wert darauf, dass sich seine Lehre unter allen Völkern ausbreitet. Die Jünger (maqhtaiv) sollen wiederum andere zu ihren Jüngern machen (maqhteuvsate), indem sie hingehen, andere Menschen taufen und sie die Gebote Jesu lehren. Auf die Osterbotschaft weist er implizit in V. 18 und 20 und durch sein Erscheinen hin. Wie aber steht Jesus zu den anderen biblischen Figuren? Die Jünger nimmt er offenbar wieder als „Brüder“ an. Er weiß, dass sie seine neue Existenz als Auferstandener erst noch begreifen müssen (V. 18) und dass sie Ermutigung brauchen (V. 20). Auch den Frauen gegenüber kommt seine Wertschätzung zum Ausdruck. Er erscheint ihnen in V. 9f. wohl nicht deswegen, weil sie noch unschlüssig sind, sondern damit sie sich einfach über die Begegnung freuen. d) Erlebnisse: Der Auferstandene hat keine Erlebnisse von der Art, dass sie etwas in ihm auslösen. Weil menschliche Begrenzungen aufgehoben sind und weil die Innensicht auch schon in den irdischen Jesus nicht ausgeprägt war, liegt es dem Rezipienten wahrscheinlich fern zu denken, dass Jesus z.B. seine Kreuzigung noch verarbeiten müsse.
3.5 Figurenanalyse
333
e) Gefühle: Nur selten schildert Mt explizit die Gefühle Jesu, z.B. sein Mitleid mit den Menschen (Mt 9,36) oder seine Angst und Traurigkeit in Gethsemane (Mt 26,37f.). An anderer Stelle kann der Rezipient sie aber aus seinen Taten (Mt 4,23f.: Mitleid mit den Kranken) und Worten (Mt 23: Ärger über die Pharisäer und Schriftgelehrten) erschließen. Welche Gefühle könnte der intendierte Rezipient aufgrund seiner Skripts Jesus in diesem Kapitel zuschreiben? Freut sich der Auferstandene über die Auferstehung? Hasst Jesus die Hohenpriester, wie die Alltagserfahrung nahelegt, oder liebt er seine Feinde, seinem eigenen Anspruch gemäß? Das wären Fragen, die sich ein Rezipient zwar stellen könnte, die aber abseits der Rezeptionslenkung liegen. Es handelt sich schließlich um den Auferstandenen. f) Verhaltensweisen: Die zentrale „Tat“ in Mt 28 ist die Auferstehung Jesu. Der Rezipient wird jedoch, anders als bei den meisten Verhaltensweisen, nicht auf bestimmte Motive des Akteurs schließen, weil er sich vorstellt, dass Jesus eher passiv und Gott eher aktiv an der Auferstehung beteiligt war.192 Die Absichtserklärung, die Jünger in Galiläa wiedertreffen zu wollen, wie sie durch den Engel (V. 7) und durch Jesus selbst verkündet (V. 10) wird, führt der Rezipient dagegen stärker auf die unmittelbare Entscheidung des Auferstandenen zurück. Mehrere Aspekte im Verhalten des Auferstandenen sind für den Rezipienten bemerkenswert: Er möchte die Jünger wiedersehen, obwohl sie ihn verlassen haben. Hat er ihnen etwa vergeben, wie ajdelfoiv in V. 10 andeutet? Außerdem erscheint Jesus als erstes den beiden Frauen, nicht seinem ursprünglich engsten Jüngerkreis. Der Rezipient denkt vielleicht daran, dass im MtEv häufig gerade Randfiguren als Glaubensvorbilder erscheinen, nicht die Jünger (s.u. zu Charakterzügen der Jünger). Der Auferstandene erscheint den Jüngern nicht einfach, sondern fordert sie auf, zu einem Treffpunkt zu gehen. Dies zeigt, dass Jesus auch von ihnen nun „Schritte des Glaubens“ erwartet, auch wenn dieser Gedanke für den Rezipienten sicher nicht im Vordergrund steht. Zudem möchte der Auferstandene sie in Galiläa wiedersehen. Der intendierte Rezipient deutet dies gewiss nicht als Sehnsucht nach der alten Heimat, sondern spätestens ab V. 15 als geeigneten Fluchtort (vgl. Mt 4,12) und als passenden Ausgangspunkt für die Völkermission (vgl. Mt 4,15: „Galiläa der Heiden“). Jesus „geht“ nach Galiläa – aus Sicht von Mt vielleicht ein tatsächliches Gehen, da auch für den Engel ein „Reiseweg“ geschildert wird (V. 2). Wichtig ist für den Rezipienten auch der Inhalt des Auftrags Jesu (V. 18–20), über den er ausführlich nachdenkt. Weil eine genauere Untersuchung der einzelnen Sprechakte aus Sicht des Rezipienten unseren Rah192 Mehrfach setzt Mt eine Abhängigkeit des Sohns vom Vater voraus, z.B. Mt 3,16f.; 11,25–27; 17,5; 24,36; 26,39.42; hier 28,18: ejdovqh. Daher führt der Rezipient auch die Auferstehung eher auf Gottes Heilsplan zurück als auf Jesu freie Entscheidung.
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
men sprengt, sei nur ein Punkt genannt: Jesus bekundet seinen Willen, dass Menschen im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes getauft werden sollen. Diese Praxis der Taufe kennt der intendierte Rezipient offenbar aus seinem eigenen Umfeld; innerhalb des MtEv käme diese Aussage sonst zu unvermittelt. 193 Bei weiterem Nachdenken muss sich der Rezipient vor allem darüber wundern, was Jesus nicht macht, wenn er doch pa`sa ejxousiva ejn oujranw/` kai; ejpi; gh`~ besitzt (V. 18): Er überzeugt nicht die Hohenpriester und Ältesten von seiner Auferstehung, obwohl er ihnen auch erscheinen könnte (s.u. „Können“). Auch das könnte von Mt intendiert sein und auf den Charakter Jesu bzw. den Charakter Gottes schließen lassen. g) Äußere Attribute: Über das Aussehen des Auferstandenen wird nichts explizit gesagt, obwohl der Rezipient wohl gerne etwas darüber erfahren würde und aufgrund von Mt 17,2 und 28,3 sogar eine solche Äußerung erwarten kann.194 Der Rezipient wird aber vermutlich von sich aus schließen, dass der Auferstandene ähnlich leuchtet wie bei der Verklärung bzw. wie der Engel. Mt sagt auch nichts über die Nägelmale an Händen und Füßen (vgl. Lk 24,39f.; Joh 20,20.25), dennoch ist es für den Rezipienten plausibel, sich diese vorzustellen. Während Lk und Joh sich darin einig sind, dass der Auferstandene für die Jünger nicht gut zu erkennen ist – d.h. dass sein äußeres Erscheinungsbild sich geändert haben muss, oder soll damit die völlige Überraschung der Jünger ausgedrückt werden? –, setzt MtEv dies nicht voraus. h) Sozialer Kontext: Die Frage nach dem sozialen Umfeld ist auf den ersten Blick für den Auferstandenen unpassend. Der auferstandene Jesus scheint allen irdischen Kontexten enthoben, von niemandem geprägt und von keinen Umständen abhängig zu sein. Dennoch ist Jesus offenbar bleibend mit seinen Jüngern verbunden (V. 20: „ich bin bei euch alle Tage“), wobei Mt vielfältige Hinweise gibt, wie der intendierte Rezipient dieses Mitsein Jesu (18,20) konkret fassen kann. 195 Der soziale Kontext entspricht 193
Narrativ-exegetische Ansätze, die einen textimmanenten Leser annehmen, z.B. EDWARDS, Narrative Portrait, 135 bleiben bei der bloßen Beobachtung stehen: „Jesus’ emphasis on baptism is also relatively new for the T-CR [text-connoted reader]. The word … has not appeared in the narrative world since the framework.“ Hier wird beispielhaft deutlich, dass Rezeptionsmodelle ohne die Einbeziehung textexternen Wissens eine Engführung sind. Vgl. ebd., 9 zum text-connoted reader; ähnlich EDWARDS, Characterization, 1307: „The implied reader, by definition, puts together elements of the narrative world from the beginning of the narrative, and not from sources beyond it.“ 194 Das belegen auch die vielen Bemerkungen in Kommentaren, dass Mt nichts zum Äußeren des Auferstandenen sage; vgl. nur D AVIES, Matthew, 204: „The narrative gives no indication of the resurrected Jesus’ appearance“; L UZ, Matthäus IV, 417: „Über sein [Jesu] Aussehen als Auferstandener verliert der Erzähler kein Wort“; s. ebd., 438. 195 Vgl. dazu auch LUZ, Matthäus IV, 456.
3.5 Figurenanalyse
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bei dem Auferstandenen vor allem aber der Näherbestimmung seiner Gottessohnschaft. In Mt 28,19 wird der uiJov~ in eine Reihe zwischen dem Vater und dem Heiligen Geist eingeordnet, was zeigt, dass dem Rezipienten christologische Überlegungen vertraut sind, die über das MtEv (auch über Mt 3,16f.) hinausgehen. i) Wissen/Können: Der auferstandene Jesus leitet seinen Auftrag ein mit der umfassenden Aussage: ejdovqh moi pa`sa ejxousiva ejn oujranw/` kai ejpi; gh`~. Das ejdovqh zeigt zwei Aspekte: Dass diese Macht von Gott, dem Vater, kommt und dass Jesus diese Macht vor einem bestimmten Zeitpunkt noch nicht hatte. Der Rezipient kann aus dem Zusammenhang schließen, dass dieser Zeitpunkt erst mit der Auferstehung eingetreten ist. Mt 11,27 (pavnta moi paredovqh) könnte dem entgegenstehen, aber der Rezipient wird sich kaum noch daran erinnern. Zur umfassenden Macht gehört sicherlich auch umfassendes Wissen. In Mt 24,36 erfährt der Rezipient zwar, dass es Dinge gibt, die Jesus nicht weiß. Aber wahrscheinlich bezieht sich das noch auf die irdische Existenz Jesu, eine Zeit, in der ihm noch nicht „alle Macht gegeben“ worden ist. Noch weitere Fragen drängen sich dem Rezipienten auf: Wenn dem Auferstandenen alles möglich ist, warum glauben die Hohenpriester dann nicht? Und warum lehrt er dann nicht selbst weiter, sondern beauftragt seine unzuverlässigen Jünger? Dies kann der Rezipient entweder mit dem göttlichen „Muss“ (dei`) beantworten oder mit dem Hinweis auf den Persönlichkeitszug Jesu, sich nicht gewaltsam durchzusetzen und andere zu ermächtigen. Die Macht Jesu (ejxousiva, vgl. 7,29; 8,9 [indirekt]; 9,6.8; 10,1; 21,23–27) kommt gerade in dem Auftrag an die Jünger zum Ausdruck. Fragen der Art, wie es genau sein kann, dass eine solche Macht vom Vater an den Sohn weitergegeben wird, stellt sich der Rezipient eher nicht. j) Pflichten: Der irdische Jesus unterlag der göttlichen Pflicht (16,21; 26,54: dei`), am Kreuz zu sterben. Als Auferstandener ist er jedoch weniger in der Rolle des Pflichterfüllenden, sondern des Beauftragenden. k) Wünsche: Jesus hätte vielleicht gewollt, dass seine Jünger bei ihm bleiben und nicht fliehen, so wie er sich wünschte, nicht sterben zu müssen (Mt 26,39.42.44). In Mt 28 möchte er seinen Jüngern wieder begegnen und will bewirken, dass sie neuen Mut fassen. Er will das Heil für alle Menschen, das sich im Halten seiner Gebote ausdrückt. l) Intentionen: Viele Intentionen, die den Verhaltensweisen des Auferstandenen zugrunde liegen könnten, wurden schon genannt. Er kündigt sein Erscheinen vor den Jüngern in Galiläa aus bestimmten Gründen zunächst an (s.o. „Verhaltensweisen“). Dass der Auferstandene nicht die Hohenpriester überzeugt und seine unzuverlässigen Jünger beauftragt, beantwortet der Rezipient eher mit einem Persönlichkeitszug Jesu (vgl. „Charakterzüge“, „Wissen“).
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
Fazit: An der Hauptfigur Jesus sind dem intendierten Rezipienten recht viele Arten von Figurenmerkmalen wichtig. Herausragende Bedeutung hat immer wieder die Frage nach der Identität Jesu, die auch noch zum Schluss in 28,18–20 zum Ausdruck kommt. Daneben spielen auch die Charakterzüge Jesu für den Rezipienten eine große Rolle. Mt stellt sich wahrscheinlich einen gläubigen Christen vor, der durch das MtEv genauer erfahren soll, wer Jesus ist und wie Jesus ist. Dazu achtet der Rezipient auch darauf, was Jesus tut (und sagt), was er kann und will. Das Äußere des Auferstandenen ist für ihn ebenfalls interessant. Man kann Jesus in Mt 28 also vor allem als Identitäts- und Charakterfigur, aber auch als Meinungsfigur, Tatfigur, äußerliche, soziale, fähige und intentionale Figur beschreiben. Der Rezipient nimmt Jesus sehr umfassend und vielseitig wahr. Mögliche Erlebnisse und Gefühle des Auferstandenen sind für den Rezipienten dagegen nicht relevant, anders als bei den Frauen oder den Jüngern. 2. Jünger Die Jünger im MtEv wurden schon vergleichsweise häufig (narratologisch) beschrieben.196 Hier möchte ich jedoch systematisch nach den Fragestellungen vorgehen und mich außerdem auf Mt 28 konzentrieren. a) Identität: Wenn Mt von den Jüngern Jesu spricht, denkt er in der Regel an die „Zwölf“ (Mt 10,1–4), 197 auch in Mt 28 bezeichnen beide Begriffe dieselbe Gruppe (28,8.16). Dennoch werden dem Rezipienten zweimal erkennbar andere Figuren als „Jünger“ vorgestellt (Schriftgelehrter: 13,52, vgl. 8,19; Josef von Arimathäa: 27,57). Möglicherweise ist die auffällige Verwendung des Verbs maqhteuvein gerade an diesen beiden Stellen ein Hinweis auf die spätere Ausweitung des Jüngerkreises (28,19). Andere Figuren verhalten sich wie Jünger Jesu, ja sogar noch vorbildlicher (Mt 8,5– 13; 15,21–28; 26,6–13), werden jedoch nicht explizit als „Jünger(innen)“ bezeichnet, auch die Frauen in Mt 28 nicht. 198 b) Charakterzüge: Die Jünger dienen im MtEv vielfach als Beispiel für Unverständnis und Kleinglauben, während Randfiguren wie z.B. der Hauptmann von Kapernaum, die Kanaanäerin oder die Frau, die Jesus salbt, klar positiv gezeichnet und von Jesus gelobt werden. Die Jünger sind als Sünder von Jesus gerufen (9,13), sie sind kleingläubig (8,26; 14,31; 196
Vgl. neben LUZ, Jünger, aus narratologischer Sicht EDWARDS, Uncertain Faith; WILKINS, Concept of Disciple; L INCOLN, Story; HOWELL, Inclusive Story, 229–236; BAUER, Major Characters, 361–363; E DWARDS, Characterization; R EEVES, Resurrection Narrative, 37–39; POWELL, Characterization, 169–171; C ARTER, Matthew, 242–256; EDWARDS, Narrative Portrait; M ATTILA, Citizens, 169–180; BROWN, Disciples; BARNET, Righteous, 78–95; P OPLUTZ, Erzählte Welt, 76f.109–114.121–125. 197 Ausführlicher dazu P OPLUTZ, Erzählte Welt, 111f. 198 Vgl. zu solchen „jüngertypischen Figuren“ POPLUTZ, Erzählte Welt, 113.
3.5 Figurenanalyse
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17,20; 21,21), können nicht verstehen (13,36 [vgl. aber 13,11.51]; 15,15f.; 16,7–12.22f.; 21,20), sind ungnädig mit anderen (18,21; 19,13; 26,8f.) und machthungrig (20,21f.). Jesus muss sie jeweils korrigieren. Daher kommt ihre Flucht, der Verrat des Judas und die Verleugnung des Petrus für den Rezipienten nicht wirklich überraschend. Nun, als sie von der Auferstehung hören, kommen die Jünger tatsächlich nach Galiläa, um sich mit Jesus zu treffen – ein Anzeichen für ihre erneute Nachfolgebereitschaft. Der intendierte Rezipient kann annehmen, dass die Jünger an ihren Fehlern gereift sind. Hat sich ihr Charakter verändert? Offenbar nicht. Mt will wahrscheinlich bewusst die Erwartung des Rezipienten durchbrechen, als er deutlich macht: Selbst, als sie den Auferstandenen sehen, zweifeln die Jünger noch (28,17) und zeigen so ihren Kleinglauben. Trotzdem vertraut Jesus, der die Schwachen und die Sünder in seine Nachfolge ruft (Mt 9,12f.), ihnen die Völkermission an. c) Meinungen: Die Jünger haben offenbar nicht mit der Auferstehung Jesu gerechnet. Jesus sagt seinen Jüngern die Auferstehung im MtEv zwar vielfach voraus (Mt 16,21; 17,9.23; 20,19; 26,32; indirekt 12,40), doch tatsächlich reagieren die Jünger immer nur auf die Leidensankündigung, nie auf die damit verbundene Auferstehungsansage. Mit dieser Erzähltechnik erreicht Mt einerseits, dass der Rezipient selbst die Auferstehung erwartet, und andererseits, dass der Rezipient bemerkt, dass die Jünger die beiläufigen Auferstehungsankündigungen gar nicht wahrnehmen. Sonst hätten sie bei ihnen noch viel mehr Aufmerksamkeit erregen müssen als die Leidensankündigung. Ironischerweise erinnern sich (ejmnhvsqhmen) nur die Hohenpriester und Pharisäer an die Auferstehungsansage Jesu (27,63), aber nicht die Jünger, die auch an diesem Punkt versagen. In ihrem Verhalten, insbesondere ihrer Flucht und ihrer Verleugnung, deutet nichts auf eine Auferstehungshoffnung hin. Auch als die Frauen ihnen von der Botschaft des Engels und ihrer Begegnung mit Jesus berichten, sind sie wohl noch nicht völlig von der Auferstehung überzeugt, denn selbst bei der Erscheinung des Auferstandenen in Galiläa zweifeln sie noch. d) Erlebnisse: Nach ihrer Flucht in Mt 26,56 und bis auf Petrus in 26,58 bekommen die Jünger die Geschehnisse um Jesus nur vom Hörensagen mit. Der Rezipient kann davon ausgehen, dass ihnen Menschen relativ zeitnah von der Verurteilung und vom Tod Jesu berichten, weil sie sich offenbar noch in der Nähe Jerusalems aufhalten (26,75; 28,8). So wie in 28,8 dienen vielleicht auch vorher die Frauen als Informantinnen, auf deren Augenzeugenschaft Mt mehrfach hinweist (27,55f.61). Dem Rezipienten, der sich in Mt 27 noch fragt, wohin die Jünger verschwunden sind, bietet sich diese Deutung an, als er in 27,55f. endlich wieder Menschen entdeckt, die den Jüngern verbunden sind. Aus 28,16 kann der Rezipient schließen, dass die die Jünger von der Auferstehung Jesu erfahren haben –
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
wohl durch die Frauen – und dass sie auch den genauen Treffpunkt wissen. Damit setzt Mt beim Rezipienten die Kenntnis der Konvention voraus, dass Gesprächsinhalte wie in V. 7.10 selektiv wiedergegeben werden können. Eine zentrale Frage des Rezipienten ist nun, wie die Jünger wohl die Erscheinung Jesu erleben und wie sie sie einordnen. 199 Aus dem proskunei`n der Jünger (vgl. die Reaktion der Frauen in V. 9) lässt sich schlussfolgern, dass sie Jesus wiedererkennen. Zugleich stellt sich der Rezipient das Äußere des Auferstandenen wie bei der Verklärung (17,2) und wie beim Engel (28,3) wahrscheinlich als überwältigend vor. Wie bei der Verklärung sind die Jünger vor allem Erlebende. Der Rezipient könnte nun aufgrund seiner Welterfahrung Angst oder Scham bei den Jüngern vermuten und distavzein als „zögern“ deuten. Noch eher wird er aber an die Charakterisierung der Jünger als „Kleingläubige“ und Nicht-Verstehende denken, die Mt dem Rezipienten vielfach eingeprägt hat; auch bei der Verklärung ist Unverständnis, nicht Furcht, die erste Reaktion (17,4). Daher ist – der Deutung des intendierten Rezipienten entsprechend – distavzein eher mit „zweifeln“ zu übersetzen. e) Gefühle: Nach der Verhaftung Jesu empfinden die Jünger sicherlich große Furcht. Sie sind enttäuscht, dass Jesus verhaftet wird, und werden mutlos, als sie hören, dass er zum Tode verurteilt und gekreuzigt wird. Ihre Hoffnungslosigkeit ist nach dem Tod Jesu grenzenlos: Der, auf den sie jahrelang ihre Hoffnung gesetzt haben, ist gestorben. Petrus weint (26,75 e[klausen pikrw`~), wahrscheinlich nicht nur über das eigene Versagen, sondern auch über den Verlust seiner Hoffnung. Der Rezipient kann sich in die Jünger näherungsweise einfühlen. Wenn man davon ausgeht, dass die Jünger im Umfeld Jerusalems geblieben sind, so heißt dies nicht, dass sie noch Hoffnung hatten. Als sie von den Frauen erfahren, dass das Grab leer sei und dass der Engel gesagt habe, dass Jesus auferstanden sei, kann der Rezipient erwarten, dass sie sich über die Auferstehung Jesu freuen. Dennoch haben sie vielleicht an der Aussage der Frauen gezweifelt (vgl. noch 28,17). Außerdem sind die Jünger gewiss erleichtert darüber, dass Jesus sie, wenn es denn stimmt, als „Brüder“ angesprochen hat. Deswegen sind sie aus der Sicht des Rezipienten eher mutig nach Galiläa gegangen, trotz 199
Daher äußern sich auch einige Kommentare zu diesem Problem. H AGNER, Matthew II, 885 vermutet: „It is natural to believe that the eleven disciples would have been in a state of hesitation and indecision. Too much had happened too fast for them to be able to assimilate it. … they were in a state of uncertainty about what the recent events meant and what might happen next.“ F RANCE, Gospel of Matthew, 1111f. sucht ähnliche Gründe für das distavzein (Zögern) der Jünger: Die Jünger seien wohl weniger verunsichert, ob es wirklich Jesus ist, sondern wissen wahrscheinlich nicht, wie sie auf ihn reagieren sollen, zumal sie ihn in Gethsemane im Stich gelassen haben. „The conflicting instincts to worship the risen Jesus and to avoid a potentially embarrassing encounter make very human sense in this context“. Vgl. auch B LOMBERG, Matthew, 430.
3.5 Figurenanalyse
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der beschämenden Begegnung mit dem Herrn, den sie verlassen haben. Welche Gefühle könnte der Missionsauftrag dann in ihnen ausgelöst haben? Sein Weltwissen legt dem Rezipienten nahe, dass die Jünger wohl einerseits erschrocken sind über den gewaltigen Auftrag, andererseits erstaunt über das große Vertrauen ihres Herrn in sie. Über die Beistandszusage in 28,20 freuen sich die Jünger sicherlich. 200 Wahrscheinlich soll der Rezipient auch hier (vgl. V. 7.10 mit V. 16) davon ausgehen, dass es sich nur um eine Zusammenfassung eines Gesprächs handelt, weil weder die verbale und emotionale Reaktion der Jünger auf den Auftrag noch das Verschwinden Jesu explizit geschildert wird. f) Verhaltensweisen: Für die Verhaltensweisen eines maqhthv~ allgemein kann der intendierte Rezipient auf sein Weltwissen zurückgreifen. Er kennt vielleicht Vorformen des rabbinischen Schulbetriebs, alttestamentliche Prophetenjünger oder hat von griechischen Philosophenschulen gehört; 201 vor allem aber erlebt er in seinem eigenen frühchristlichen Umfeld, was Jüngersein bedeutet. Für einen maqhthv~ ziemt es sich nicht zu fliehen, wenn sein Lehrer verhaftet wird; von ihm wird Loyalität erwartet. Daher ist es für den Rezipienten enttäuschend zu sehen, dass die Jünger Jesu ihn bei seiner Verhaftung verlassen. Diese Jünger befolgen nun doch die Anweisung des Engels bzw. des Auferstandenen, die ihnen die Frauen mitgeteilt haben, und reisen nach Galiläa zum vereinbarten Treffpunkt. Als Jesus ihnen erscheint, fallen sie ehrerbietend nieder. Sie entschuldigen sich jedoch nicht gleich bei Jesus, wie der Rezipient erwarten könnte, sondern machen etwas anderes: oiJ de; ejdivstasan (V. 17). Mit oiJ dev will Mt die Jünger wahrscheinlich nicht in zwei Teilgruppen differenzieren („einige aber“), sondern es sind wohl alle Jünger gemeint („sie aber“). 202 Das Verb distavzein wird der intendierte Rezipient eher im Sinne von „zweifeln“ verstehen und nicht primär als „zögern“, weil das MtEv mehrfach den Kleinglauben der Jünger hervorgehoben hat (s.o. „Charakterzüge“). Der Rezipient ist über ihr Verhalten nicht zu sehr überrascht. Den Jüngern, die ihn verlassen haben, verspricht Jesus nun: „ich bin bei euch“ (V. ejg w; meqÆ uJmw`n eijmi) – und zwar für immer. Mt rechnet damit, dass dem Rezipienten noch das Verhalten der Jünger bewusst ist und dass er diesen Kontrast erkennt: Jünger des Auferstandenen zu sein, bedeutet nicht, dass ein Jünger immer bei seinem Herrn ist, sondern dass der Herr immer bei den Jüngern ist. Mt macht deutlich: Jüngerschaft funktioniert seit der Auferstehung anders, weil der Rezipient Jesus nicht mehr sichtbar nachfolgen kann. 200 So auch HAGNER, Matthew II, 888: „The commission of the disciples is followed by a promise that must have cheered the hearts of those to whom so much responsibility was being given.“ 201 Vgl. WILKINS, Concept of Disciple, 11–125 (allgemein) und 126–172 (bei Mt). 202 Vgl. S. 267 Anm. 64 für weiterführende Literatur zu diesem Übersetzungsproblem.
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
g) Äußere Attribute: Zum Figurenmodell des intendierten Rezipienten gehört auch seine Vorstellung davon, wie die Jünger aussehen. Deren Kleidung rekonstruiert er aus den Kleidungsgewohnheiten seines eigenen sozialen Umfelds, ihr individuelles Aussehen bleibt ihm sicher unklar. Das Äußere ist von Mt allerdings nicht betont. h) Sozialer Kontext: Der Rezipient hat (sozialgeschichtliches) Weltwissen darüber, was ein Jünger macht und wie er sich zu seinem Lehrer verhält. Dieses fließt in sein Figurenmodell ein. Wichtig ist für Mt, dass alle Jünger Jesu – auch die späteren – untereinander „Brüder“ sind (28,10). 203 Diese Metapher, so weiß der Rezipient, impliziert besondere Verhaltensweisen der Zuwendung, des Füreinander-Einstehens und der Vergebung. i) Wissen/Können: Ihre möglichen Meinungen und Erlebnisse bezogen auf die Auferstehung wurden schon erwähnt. Das „Können“ der Jünger ist besonders bei V. 16–20 im Zentrum der Aufmerksamkeit. Einen kurzen Moment muss der Rezipient überlegen, ob die Jünger, die Jesus verlassen haben, den Befehl in Mt 28,19 überhaupt erfüllen können. Diese Bedenken werden einerseits durch die Beistandszusage in V. 20b zerstreut. Außerdem ist für den von Mt gedachten Rezipienten klar, dass dieses Häuflein von nur elf Jüngern204 nicht selbst alle Völker zu Jüngern machen kann. In seinem Umfeld kennt er andere Christen, die diesen Auftrag umsetzen. Die Aufforderung an diese Elf ist – so weiß der Rezipient – transparent für alle späteren Jünger, die durch sie zu Jüngern werden. j) Pflichten: In Mt 28 spielen drei Pflichten der Jünger eine Rolle – die erste wird nicht beachtet, die zweite wird erfüllt, die dritte bleibt offen. Die Zwölf wären als maqhtaiv verpflichtet gewesen, Jesus treu zu bleiben. Stattdessen sind sie geflohen und nun bei der Auferstehung nicht dabei. In V. 7.10 werden sie aufgefordert, nach Galiläa zu gehen, was sie dann auch tun. Zum Schluss erhalten sie den umfassenden Auftrag der Völkermission, der auch zur Zeit des Mt noch andauert. Ob die Jünger ihn umsetzen, hängt nicht mehr nur von ihnen selbst ab, sondern auch vom Rezipienten des MtEv. k) Wünsche: Die Flucht der Jünger zeigt ihr Bedürfnis nach körperlicher Unversehrtheit, das deutlich größer ist als der Wunsch, bei Jesus zu bleiben. Sie wollen auch nicht, dass Jesus stirbt (eindrücklich 16,22; vgl. 17,23). Diese Sorge um das Überleben, anstatt in Nöten auf Gott zu vertrauen und in Verfolgungen standhaft zu bleiben, wird im MtEv vielfach angesprochen oder vorausgesetzt (5,11f.; 6,11.25–34; 10,16–39; 15,32; 203 Mt 23,8; daneben Mt 5,22–24; 5,47; 7,3–5 (dort jeweils transparent für den späteren christlichen Gebrauch); 12,49f.; 18,15; 18,21.35 (wohl nicht konkret der Bruder des Petrus; s. V. 35); 25,40; in 12,50 auch „Schwester“ und „Mutter“, vgl. implizit 19,29. 204 In Mt 28,16 ist die Zahlenangabe e{ndeka wohl bewusst eingefügt, um den Kontrast zu pavnta ta; e[qnh (V. 19) deutlich zu machen.
3.5 Figurenanalyse
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16,24f.; 24,1–28) und als „Kleinglaube“ gekennzeichnet (6,30). Die Jünger wollen „groß“ bzw. die „ersten“ sein (18,1; 20,20–27; 23,11), suchen also nach Anerkennung, werden aber im MtEv gerade nicht als positive Glaubensvorbilder gezeichnet. Der Rezipient wird sie zwar tatsächlich als „groß“ und die „ersten“ würdigen, weil Jesus ihnen den Missionsauftrag anvertraut; trotzdem beugt Mt einer Überhöhung vor. Die Auferstehung hätten die Jünger sicherlich gewünscht, aber sie haben nicht darauf gehofft (s.o. „Meinungen“). l) Intentionen: Mit ihrer Flucht wollen sich die Jünger eindeutig in Sicherheit bringen, die mögliche Enttäuschung über die Verhaftung Jesu ist bei dieser spontanen Reaktion wohl nicht als primäre Ursache anzusehen. Der Rezipient macht sich vielleicht auch darüber Gedanken, mit welchen Absichten die Jünger nach Galiläa gehen. Er kann erwarten, dass sie sich entschuldigen wollen, oder vermuten, dass sie sich von Jesu Auferstehung überzeugen möchten. Nach Mt 28,18–20 kann der Rezipient davon ausgehen, dass die Jünger den Missionsauftrag des Auferstandenen auch umsetzen, weil er mit ihren eigenen Intentionen zusammenfällt. Sie sind – wie der intendierte Rezipient – wohl so von den Erfahrungen mit Jesus und seiner Lehre beeindruckt, dass sie auch selbst die Gebote Jesu an alle Menschen weitergeben wollen. Fazit: Die Jünger sind Erlebens- und Emotionsfiguren, aber auch Charakterfiguren. Der Rezipient fragt sich, wie die Jünger wohl auf die Auferstehung Jesu reagieren. Er fühlt sehr stark mit den Jüngern mit, ihrer Scham und ihrer Freude. Durch die Empathie werden auch andere Arten von Figurenmerkmalen wichtig, z.B. das Wissen und Können der Jünger, ihr Charakter, ihre Meinungen, ihre Verhaltensweisen, ihre Wünsche und Intentionen. Nicht relevant für den Rezipienten ist das äußere Erscheinungsbild der Jünger. Bewertung der Methode: Wenn man versucht, eine Person oder literarische Figur systematisch zu erfassen, kann man – nach dieser Methode – deren Identität, Persönlichkeit, Meinungen, Erlebnisse, Gefühle, Verhaltensweisen, Äußeres, Lebenskontext, Wissen und Können, Pflichten, Wünsche und Intentionen beschreiben. Diese Aspekte sind wahrscheinlich nicht vollständig und durch keine allgemeine anthropologische Theorie gedeckt. Allerdings hat diese Methode zahlreiche Vorteile: a) Sie ist umfassender als die bisherige Figurenanalyse mit ihrer Konzentration auf Charakterzüge. Durch die systematische Herangehensweise kann ein sehr viel vollständigeres Bild der Figuren rekonstruiert werden, wie es bei einem genauen Nachdenken entsteht. Auch die Darstellung der zwei Frauen in Mt 28, des Engels, der Wachen und der Hohenpriester, die hier übersprungen wurde, könnte nun ausführlicher analysiert werden als
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
im Narrative Criticism.205 Das gilt ebenso für die Gottesvorstellung des MtEv (vgl. 3.7.6.1), die von der narrativen Exegese noch übersehen wurde. b) Bestimmte Arten von bisherigen Textbeobachtungen werden methodisiert. So enthalten die paraphrasierenden Abschnitte in exegetischen Kommentaren vielfach Bemerkungen, mit denen sich die Kommentatoren in die biblischen Figuren hineindenken und ihren Lesern so das Erleben und Verhalten der Figuren verständlich machen. 206 Hier kommen also schon verschiedene Figurenmerkmale und nicht nur die Charakterzüge in den Blick. In Kommentaren geschieht dies allerdings nicht methodisch. Daher kann es sein, dass der intendierte Rezipient (und oft auch der „normale“ Bibelleser, der im Kommentar nach Antworten sucht) bestimmte Probleme mit dem Figurenmodell hat, die vielen Exegeten nicht auffallen. Dazu gehören z.B. die Fragen, warum Jesus nicht den Hohenpriestern erscheint und sie einfach überzeugt (vgl. oben zu Verhaltensweisen Jesu), warum nur „einige“ der Soldaten zu den Hohenpriestern gehen oder warum die Hohenpriester so gegen Jesus eingestellt sind. Allerdings ist auch die obenstehende Untersuchung nicht vollständig, sondern bei jedem Figurenmerkmal nur beispielhaft und relativ oberflächlich. Das systematische Vorgehen ist dabei ein wichtiger, erster Schritt. Nacherzählungen, Figurenbeschreibungen oder Predigten über biblische Figuren könnten solche Ergebnisse verwenden und sie je nach Verwendungszweck neu sortieren. c) Durch die Konzentration auf das Figurenmodell des intendierten Rezipienten werden auch bisherige, viel diskutierte Fragestellungen in einen neuen Zusammenhang gestellt. Z.B. Studien zur Christologie des MtEv beschränken sich auf die Frage nach der Identität Jesu, insbesondere auf die Hoheitstitel, während andere Aspekte des Figurenmodells und die Inferenzprozesse, die beim Rezipienten zwischen Verhaltensweisen, Persönlichkeitszügen und Identität stattfinden, bisher kaum gesehen werden. 205 Zu den Frauen im MtEv vgl. aus narratologischer Sicht bisher nur MATTILA, Naming the Nameless; M ATTILA, Citizens, 56–141. W AINWRIGHT, Reading, 288–318 macht v.a. redaktionsgeschichtliche Bemerkungen; die Beiträge in L EVINE (Hg.), Feminist Companion to Matthew, widmen sich nicht gezielt der Charakterisierung weiblicher Figuren im MtEv. Auch die Untersuchung von P ARAMBI , Discipleship, enthält eher eine klassische Exegese der entsprechenden Textabschnitte mit dem Ergebnis (212): „Jesus had an estimation of the worth and validity of woman“. Zu Engeln im MtEv gibt es m.W. noch keine ausführliche narratologische Studie, vgl. knapp REEVES, Resurrection Narrative, 39f. Zu römischen Soldaten im MtEv vgl. R EEVES, Resurrection Narrative, 29f.; WEAVER, Roman Characters, 109–111.122–124. Nur die Charakterisierung jüdischer Autoritäten im MtEv hat größere Beachtung erfahren: VAN TILBORG, Jewish Leaders; K INGSBURY, Developing Conflict; H OWELL, Inclusive Story, 236–242; B AUER, Major Characters, 364–366; REEVES, Resurrection Narrative, 25–29; ANDERSON, Narrative Web, 97–126 (ausführlich); C ARTER, Matthew, 229–241; O LMSTEAD, Matthew’s Trilogy, 50–67; BARNET, Righteous, 115–134; P OPLUTZ, Erzählte Welt, 114f.125–128. 206 Vgl. z.B. die Anmerkung bei den „Erlebnissen“ der Jünger (S. 338 Anm. 199).
3.5 Figurenanalyse
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Auch viele klassische exegetische Probleme wie die Übersetzung von distavzein in Mt 28,17 (s.o. zu den Jüngern) oder der e[qnh hängen wesentlich davon ab, wie man die Figurenwahrnehmung durch den intendierten Rezipienten rekonstruiert. Das von Mt intendierte Figurenmodell kann als Kriterium dafür dienen, welche Argumente bei figurenbezogenen exegetischen Problemen gültig sind. d) Für das Figurenmodell des intendierten Rezipienten muss immer wieder nach dessen Vorwissen (Enzyklopädie) gefragt werden. Auf diese Weise lassen sich historische (z.B. religions-, traditions-, form- oder sozialgeschichtliche) Forschungen sinnvoll einbeziehen (vgl. 2.1.3.2), anders als beim Konstrukt des textimmanenten „impliziten Lesers“ früherer narrativer Ansätze. e) Nicht zuletzt können die einzelnen, vom Rezipienten wahrgenommenen Figurenmerkmale gut mit der intendierten Empathie, Sympathie, Emotion, Applikation und Einstellung des Rezipienten (Kap. 3.7) vermittelt werden. Der Rezipient hat vielleicht ähnliche Gefühle wie die Jünger, kennt ähnliche Erlebnisse und wird ermahnt oder getröstet, indem er sich beständig – vom Erzähler gesteuert – mit den Figuren vergleicht. Die intendierte Reaktion auf die Figuren kann nur bestimmt werden, wenn das Figurenmodell insgesamt rekonstruiert wurde. Die Methode ist sehr gut auf das MtEv anwendbar und wahrscheinlich für alle biblischen Erzähltexte interessant. Bei der Ausarbeitung der Methode ist aber noch viel zu tun. Zwar wurden im Theorieteil zwölf Teilaspekte eines Figurenmodells genannt und einige typische Inferenzprozesse und Wahrnehmungsfehler bei der Rezeption grob dargestellt. Trotzdem müsste noch genauer geklärt werden, wie ein Rezipient die Identität, Persönlichkeitszüge, Gefühle usw. von Figuren erschließt und wahrnimmt. Außerdem ist stärker zu berücksichtigen, dass Wahrnehmungsmuster, je konkreter sie beschrieben werden, nicht allgemein gelten, sondern historisch und kulturell bedingt sind. 207 Die hypothetische intendierte Figurenwahrnehmung könnte mit Untersuchungen zur empirischen Figurenwahrnehmung in verschiedenen Kontexten verglichen werden. Auch auf diese Weise kann man die Analysekategorien und die Beschreibungen der Inferenzprozesse präzisieren. 3.5.2.2 Vergleich der Figuren Für die Vergleichbarkeit von Figuren aus Sicht des Rezipienten muss darauf geachtet werden, dass eine hohe Erinnerungsnähe und hohe Parallelität besteht. Als vergleichbar erweisen sich in Mt 28 insbesondere Jesus, die 207 Bei der Rekonstruktion der vom antiken Rezipienten erkennbaren Figurenemotionen müssten z.B. antike Emotionstheorien einbezogen werden, s. genauer I NSELMANN, Freude.
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
Jünger, Frauen, Wachen und Hohenpriester. Aufgrund der Menge der notwendigen Figurenvergleiche kann die jeweilige Gegenüberstellung nur sehr knapp und nicht mit einer Figurenvergleichstabelle geschehen. 1) Jesus: Der auferstandene Jesus in Mt 28 ist mit der Figur des Mose, den Heiligen in Mt 27,52–54 und den Hohenpriestern vergleichbar, d.h. auf diese Figurenparallelen (Zeichen: ||) soll der intendierte Rezipient in unserem Abschnitt aufmerksam werden: – Jesus || Mose: Wie schon überzeugend nachgewiesen wurde, ist Jesus im MtEv deutlich als „neuer Mose“ 208 gezeichnet. Das MtEv hat z.B. fünf Redekomplexe, analog zu den fünf Büchern Mose; Jesus hält seine erste Rede auf einen Berg, wo er die mosaischen Gesetze neu auslegt (5,17–48); bei der Verklärung tauchen Mose und Elia auf, wobei Johannes der Täufer als der „neue Elia“ vorgestellt wird und Gott zu den Jüngern sagt, dass sie der Lehre Jesu folgen sollen (ajkouvete aujtou`; 17,5). Wenn man zudem die Bedeutung des Mose für den intendierten Rezipienten berücksichtigt, wird durch die verschiedenen Hinweise des Mt eine große Erinnerungsnähe zu Mose aufgebaut, so dass der Rezipient in Mt 28 sogar geringe Parallelen zwischen Jesus und Mose bemerken kann. 209 Auch hier lehrt Jesus wieder auf einem Berg (28,16); wie bei Mose am Ende des Pentateuch (Dtn 34) geht auch die mt Erzählung auf einem Berg zu Ende und es werden Nachfolger eingesetzt (dort Josua = ÆIhsou`~, hier die Jünger). Dort geht die Bewegung der Figuren von außen nach innen (nach Kanaan hinein), hier von innen nach außen (von Israel weg). Die Vergleichbarkeit ist also insgesamt sehr hoch und die Parallele in Mt 28,16–20 wohl ebenfalls intendiert. – Jesus || Heilige in Mt 27: Die Auferstehung Jesu ist von ähnlichen Zeichen begleitet wie die Auferstehung der Heiligen in Mt 27,52–54. Es geschieht ein Erdbeben, die Gräber werden geöffnet, die Heiligen erscheinen den Menschen, römische Soldaten erschrecken. Man kann bei Jesus und den Heiligen am ehesten von Parallelfiguren sprechen. Für den Rezipienten wird dadurch die Erwartungshaltung bezogen auf die Auferstehung Jesu geprägt. Mt scheint dieser Figurenvergleich wichtig zu sein, denn er unterbricht hier ausnahmsweise sogar seine chronologische Erzählfolge und wird – wahrscheinlich unfreiwillig – zeitlich ungenau, um die Priorität der Auferstehung Jesu zu wahren (meta; th;n e[g ersin aujtou`). – Jesus || Hohepriester: In V. 11–15 und 16–20 werden zwar vor allem die Jünger und einige Wachen miteinander parallelisiert (s.u.), indirekt 208
Ausführlich dazu ALLISON, New Moses. Vgl. bezogen auf Mt 28,16–20 D AVIES/A LLISON, Matthew III, 680: „Readers are to exercise their scripturally informed imaginations and set the end of Jesus beside the end of Moses.“ Wenn man konkrete Parallelen mit bestimmten Formulierungen angeben will, muss natürlich immer auch die Erinnerungsnähe aus Sicht des Rezipienten nachgewiesen werden. 209
3.5 Figurenanalyse
345
aber auch Jesus und die Hohenpriester. Sie sind die Anweisenden in beiden Szenen; die Hohenpriester überzeugen die Soldaten mit Geld, Jesus die Jünger durch seine bloße Erscheinung und Autorität. Der Rezipient ist auf einen Vergleich von Jesus und den Hohenpriestern bereits eingestellt, weil diese Figuren im MtEv die Haupt-Gegenspieler sind (vgl. 3.4.5.2 Konflikte). Durch die Parallelen und die starke Erinnerungsnähe besteht eine sehr große Vergleichbarkeit. 2) Jünger: Der intendierte Rezipient soll die Jünger mit Jesus, den Frauen sowie den Wachen, die nach Jerusalem gehen, vergleichen. – Jünger || Jesus: Das Jüngerschaftsverhältnis und was es bedeutet, ein Jünger Jesu zu sein, ist ein Themenschwerpunkt des MtEv. Darum besteht auch in Mt 28 eine starke Erinnerungsnähe zwischen diesen Figuren. Der Rezipient vergleicht fortwährend die Eigenschaften der Jünger mit denen ihres Herrn. In Mt 28 werden die Figuren, wie an vielen anderen Stellen, deutlich kontrastiert: Die Jünger haben Jesus verlassen, dennoch bezeichnet Jesus sie als „Brüder“ (V. 10). Seine Jünger zweifeln bei der Begegnung mit dem Auferstandenen, er aber sagt ihnen sein Mitsein zu (V. 17– 20). Diese Kontraste stellen vor allem die Charakterzüge Jesu heraus. Im Vergleich mit dem Auferstandenen muss dem Rezipienten aber auch das Versagen der Jünger umso deutlicher auffallen. Die Vergleichbarkeit dieser Figuren ist sehr hoch. – Jünger || Frauen: Zu der Erwartungshaltung des Rezipienten s.u. Die Untreue der Jünger wird durch die Kontrastierung mit den Frauen noch besonders hervorgehoben. – Jünger || Wachen: Durch die zwei benachbarten Szenen V. 11–15 und V. 16–20 besteht eine hohe Erinnerungsnähe. Die Parallelität ist ebenfalls recht groß. Diejenigen Wachen, die in die Stadt gehen, bekommen einen Auftrag von den Hohenpriestern, die Auferstehung zu leugnen; die Jünger dagegen werden vom Auferstandenen beauftragt, Menschen zu taufen und zu lehren. Die Wachen werden von den Hohenpriestern „gelehrt“ (ejdidavcqhsan), die Jünger von Jesus. Die Soldaten machen es, weil sie Geld bekommen, die Jünger tun es aus eigener Überzeugung. Die Botschaft (oJ lovgo~) der Wachen erreicht die Juden, die Botschaft der Jünger ist an die Völker gerichtet. Jünger und Wachen sind also starke Kontrastfiguren. Indirekt werden dadurch auch Jesus und die Hohenpriester sowie die e[qnh und ÆIoudaivoi kontrastiert. 3) Frauen: Erzählexterne Vergleichsfiguren, die intendiert sind, gibt es bei den Frauen wahrscheinlich nicht. Eine interessante Parallele wären z.B. die vier Aussätzigen in 2 Kön 7,3–11, die als Benachteiligte eine positive Entdeckung machen und wo es darum geht, ob sie diese „gute Botschaft“ (hr;coB]) verkünden sollen. Die Erinnerungsnähe ist jedoch äußerst gering. Erzählintern sollen Maria von Magdala und die andere Maria aber mit den
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
Jüngern, mit den Wachen und mit den Hohenpriestern verglichen werden. Zu Jesus und zum Engel besteht nur eine geringe Parallelität. – Frauen || Jünger: Nach 26,75 erwartet der Rezipient, wieder von den elf Jüngern zu hören. Stattdessen erfährt er von Frauen, die ebenfalls „Jesus aus Galiläa nachgefolgt sind“ und die bei der Kreuzigung, Grablegung und im Rahmen der Auferstehung dabei sind (27,55f.61; 28,1). Die Parallelität zu den Jüngern ist augenfällig, durch die Erwartungshaltung des Rezipienten ist die Erinnerungsnähe ebenfalls sehr hoch. Dem Rezipienten drängt sich ein Vergleich geradezu auf. Die Frauen tun, was die Jünger hätten tun sollen; sie sind ein Beispiel der Treue gegenüber Jesus, weil nur sie am Grab bleiben.210 – Frauen || Wächter: Sehr deutlich werden die Frauen und die Wächter in Mt 28 miteinander parallelisiert, besonders in ihrem Erleben und Verhalten. Beide Figurengruppen versammeln sich am Grab Jesu, sehen den Engel, fürchten sich (V. 4.8), verlassen das Grab, um zu erzählen, was passiert ist (V. 8.11), werden angewiesen, was sie sagen sollen (V. 7.10.13– 14), und erfüllen den Auftrag. Der einzige Unterschied: Die Frauen erzählen die Wahrheit, die Wächter, die zu den Hohenpriestern gehen, verkünden am Ende eine Lüge. 211 Die ansonsten starke Parallelisierung erhöht den Kontrast in diesem einen, für Mt offenbar entscheidenden Punkt. Der Rezipient nimmt Frauen und Wächter also eher als Kontrastfiguren wahr. Er wird besonders im Gedächtnis behalten, dass die Botschaft der Frauen richtig ist, und sich gegenüber alternativen Interpretationen des leeren Grabes abgrenzen. – Frauen || Hohepriester: Durch die Zeitangaben zu Beginn zweier benachbarter Szenen werden die Frauen (28,1) den Hohenpriestern und Pharisäern (27,62f.) gegenübergestellt, die beide etwas unternehmen; die einen am Sabbat, die Frauen jedoch nach dem Sabbat. Letztere werden dadurch aus Sicht des Rezipienten (der offenbar weiterhin den Sabbat einhält; Mt 24,20) als gesetzestreu gekennzeichnet, ganz im Gegensatz zu den Hohenpriestern. 4) Engel: Der Engel wird vom Rezipienten kaum mit anderen Figuren verglichen. Die militärische Stärke der Wachen wird durch den Engel konterkariert, der Auferstandene bestätigt seine Botschaft. 5) Wachen: Es gibt zwei erzählinterne Vergleichsfigurengruppen mehrere Szenen entfernt. Darüber hinaus werden die Soldaten besonders mit den Frauen verglichen, punktuell auch mit dem Auferstandenen. 210 Vgl. auch REEVES, Resurrection Narrative, 34: „The women serve as foils for the disciples and play important roles that the disciples should have played.“ Im MtEv werden Nebenfiguren häufig als Kontrastfiguren für die Jünger verwendet (s.o. zu Charakterzügen der Jünger). 211 Vgl. die Beobachtung bei DAVIES/A LLISON, Matthew III, 659.
3.5 Figurenanalyse
347
– Einige Wachen || Heilige in Mt 27: Beide Figurengruppen sind nur wenige Szenen voneinander entfernt, es besteht also noch eine mittlere Erinnerungsnähe. Ihr Verhalten wird durch ähnliche Formulierungen beschrieben: ejlqovnte~ eij~ th;n povlin (28,11) und eijsh`lqon eij~ th;n aJgivan povlin (27,53; „heilige Stadt“ analog zu den „Heiligen“). Die Heiligen kommen nach Jesu Auferstehung (meta; th;n e[g ersin aujtou`) aus ihrem Grab nach Jerusalem und zeigen sich vielen Menschen; einige Wachen gehen vom Grab Jesu zu den Hohenpriestern nach Jerusalem und verkünden ihre Erlebnisse. Es ist also möglich, dass der Rezipient bei der Beschreibung der Wachen, die nach Jerusalem gehen, auch kontrastierend an die Heiligen in Mt 27 denken soll. Allerdings ist diese Parallele nicht sehr stark, die Erinnerungsnähe nicht groß, die Vergleichbarkeit für den Rezipienten also kaum vorhanden oder gering. – Wächter am Grab || Wächter am Kreuz: Sehr viel klarer ist die Vergleichbarkeit dagegen bei den beiden Wächtergruppen gegeben, weil die Parallelisierung sehr deutlich ist. Beide Male handelt es sich um römische Soldaten, es geschieht jeweils ein Erdbeben und eine Auferstehung, beide Gruppen erschrecken. Dort sehen der Hauptmann und die Wachen ta; genovmena (27,54), auch hier berichten die Wachen a{panta ta; genovmena (28,11). Dadurch, dass die Wachen beim Kreuz Jesus als „Gottes Sohn“ bekennen, wirken die anderen Wachen, die zu den Hohenpriestern gehen und eine Lüge über die Auferstehung verbreiten, umso schuldiger. – Wachen || Frauen: Auch die Kontrastierung mit dem Verhalten der Frauen (zu den Parallelen s.o.) hat die Funktion, die Wachen, die die Antibotschaft verbreiten, als lügnerisch erscheinen zu lassen. – Wachen || Jünger: Sehr auffällig ist außerdem die Kontrastierung der Wachen in V. 11–15 mit den Jüngern (s.o.). Anders als die Jünger nehmen sie Geld; sie sind nicht von Jesus, sondern von den Hohenpriestern abhängig und verbreiten im Gegensatz zu den Jüngern eine falsche Nachricht. – Wachen || Jesus: Dem Rezipienten, der die Auferstehung Jesu von den Toten erwartet, wird in V. 4 eine Formulierung im Verhalten der Wachen auffallen: ejg enhvqhsan wJ~ nekroiv. Während Jesus aufersteht, werden die Wachen „wie tot“. Durch diesen (punktuellen) Kontrast wird das Erschrockensein der Wachen betont. Umgekehrt wird der Auferstandene nicht mit den Wachen kontrastiert. 6) Hohepriester: Die Hohenpriester sind mit Jesus, an einer Stelle auch mit den Frauen vergleichbar (s.o. zu Jesus und den Frauen). Die Hohenpriester als Gegenspieler Jesu bezahlen die Soldaten dafür, die Botschaft vom Leichendiebstahl unter den Juden zu verbreiten; Jesus dagegen erscheint seinen Jüngern und gibt ihnen den Auftrag, alle Völker zu lehren. Während die Frauen gesetzestreu sind (28,1), gehen die Hohenpriester am Sabbat offenbar ihrem Tagesgeschäft nach (27,62).
348
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
Die Ergebnisse eines solchen Figurenvergleichs kann man in verschiedener Weise auswerten, inhaltlich oder formal. Eine Art der formalen Zusammenstellung ist die „Vergleichbarkeitsmatrix“. Dabei sollen bedeuten: 0 = keine Vergleichbarkeit; x = Vergleichbarkeit vorhanden, d.h. der Rezipient soll die Figuren miteinander vergleichen; xx = sehr hohe Vergleichbarkeit (Tab. 47). Tab. 47: Übersicht über die Figurenvergleichbarkeiten in Matthäus 28 Vergleich von a ↓ mit b → Jesus Jünger Frauen Wachen Hohepriester
externe Figur
Jesus
Jünger
Frauen
Wachen
Hohepriester und Älteste
xx, x 0 0 x 0
/ xx 0 x xx
xx / xx xx 0
0 xx / xx x
0 xx xx / 0
xx 0 x 0 /
Als erstes fällt auf, dass Mt bei einer großen Zahl von Figuren in Mt 28 beabsichtigt, dass der Rezipient sie mit anderen Figuren vergleicht. An den mehrfach bewusst parallelen Beschreibungen wird deutlich, dass es sich bei Mt um eine bevorzugte Erzähltechnik handelt. Es wäre aufschlussreich, die Zahl und Intensität der Figurenvergleichbarkeiten mit anderen Erzählungen in Beziehung zu setzen. Mt arbeitet in diesem Kapitel und wahrscheinlich auch sonst eher mit Kontrastfiguren, kaum mit Parallelfiguren. In den meisten Fällen kontrastieren sich die Figuren gegenseitig. Es gibt aber auch asymmetrische Vergleichbarkeit, so wird das Verhalten der Wachen („sie wurden wie tot“) vom Rezipienten mit demjenigen des Auferstandenen verglichen, aber nicht umgekehrt. Insgesamt kann man außerdem Vergleichsschemata benennen, wenn diese auffällig sind. Hier liegt z.B. ein „kaskadierendes“ Vergleichsschema vor: Der Rezipient vergleicht vor allem Jesus und die Jünger, die Jünger und die Frauen, die Frauen und die Wachen. Durch V. 11–15 kommen dabei noch zusätzliche Kontrastierungen ins Spiel, die das Vergleichsschema erweitern. Bewertung der Methode: Der Figurenvergleich ist ein sehr wichtiger Bestandteil der narratologischen Analyse. Man kann den Vergleich auch zu den einzelnen Figuren ziehen, hier sollte er jedoch extra behandelt werden, um die Methode und deren Ertrag besser darstellen zu können. – Mt arbeitet sehr viel und sehr bewusst mit bestimmten Charakterisierungen und Kontrastierungen, wie besonders die Figurenvergleiche Jesus || Mose, Jesus || Heilige in Mt 27, Jünger || Frauen, Wachen || Jünger zeigen. Daher ist der Figurenvergleich im Fall des MtEv auch sehr ergiebig. – Die Methode ist zufriedenstellend ausgearbeitet, kann aber noch durch neue Analyseaspekte erweitert werden. Die Vergleichsschemata sind vor allem dann inte-
349
3.5 Figurenanalyse
ressant, wenn in unterschiedlichen Erzählungen Auffälligkeiten auftreten, z.B. immer bestimmte Vergleichsschemata verwendet werden. Das wäre genauer zu untersuchen. Wenn man feststellen will, wie Ähnlichkeiten von Figuren in verschiedenen Erzählungen qualitativ verteilt sind, kann man auch Ähnlichkeitsklassen einführen. Bei der Analyse einer einzelnen Erzählung ist so etwas sicher kaum ertragreich. 3.5.3 Figurenkonstellation Während die Figurenkonfiguration sich auf den Auftritt von Figuren in einer Szene bezieht, wird bei der Figurenkonstellation konkret das Verhältnis der beteiligten Figuren zueinander beschrieben. Man untersucht, inwiefern die Figuren Antipathie/Sympathie füreinander empfinden oder auch vom Erzähler analog oder kontrastiv beschrieben werden (vgl. dazu bereits oben, 3.5.2.2). Die Figurenkonstellation wird gewöhnlich als Grafik dargestellt. Dafür sind verschiedene Konventionen gebräuchlich. Asmuth schlägt z.B. vor: „Ein einfacher Strich bedeutet eine nicht oder wenig gestörte Beziehung, ein Pfeil eine einseitig erstrebte, |—| eine gestörte bzw. gegnerische, – – – eine … vorwiegend darstellerische (z.B. kontrastive) Beziehung.“212 Wenn man diese Darstellungsmethode auf Mt 28 anwendet, ergibt sich folgendes Diagramm (Abb. 48): Maria aus Magdala und die andere Maria
Jesus (* Konflikt wird aufgelöst)
*
Jünger
Engel
Wächter
Hohepriester Älteste
Abb. 48: Figurenkonstellation in Matthäus 28
212
ASMUTH, Dramenanalyse, 97, dort anhand von Lessings Emilia Galotti illustriert; andere Beispiele bei KRAH, Einführung, 361–364 (L. Perutz, St. Petri-Schnee, und A. Stifter, Brigitta). Für ein einfaches biblisches Beispiel vgl. auch E BNER/HEININGER, Exegese, 76 („dramatisches Dreieck“). – Wenn die konkreten Namen der beteiligten Figuren durch bestimmte Analyseaspekte (Wichtigkeit für die Handlung, moralische Qualität, Sympathie des Rezipienten u.a.) ersetzen werden, gewinnt man bestimmte Typen von (Teil-)Figurenkonstellationen, die wiederum benannt werden können. H ARNISCH, Gleichniserzählungen, 80–82 bringt z.B. die Macht einer Figur sowie die Wichtigkeit einer Figur für die Handlung in die Klassifikation ein und erhält auf diese Weise drei Arten von Dreieckskonstellationen („Typ Ia“, „Ib“, „II“). Die beteiligten Figuren heißen dann bei Harnisch „Handlungssouverän“ (HS), „dramatische Hauptfigur“ (dHF) und „dramatische
350
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
Maria aus Magdala und die „andere“ Maria in Mt 28,1ff. bilden zusammen eine Figurengruppe. Sie werden nicht weiter ausdifferenziert, sondern handeln in allen Szenen gemeinsam (vgl. 27,56.61). Anders als die Jünger zeigen sie ihre Loyalität zu Jesus, indem sie noch bei der Kreuzigung und Grablegung in der Nähe des Sterbenden und Toten bleiben. Dennoch haben sie auch zu den Jüngern weiterhin ein ungetrübtes Verhältnis, wie sich aus 28,7f.10.16 erschließen lässt. Auch gegenüber dem Engel entsteht kein Konflikt (V. 5: „ihr sollt euch nicht fürchten“). Mit den Wächtern treffen sie nicht explizit zusammen, doch haben die Figurengruppen in Mt 28 eine ähnliche Funktion in der Handlung: Beiden erscheint der Engel und beide sagen weiter, was sie gesehen und gehört haben (vgl. oben, 3.5.2.2). Insofern sind die Frauen und die Wächter ein Korrespondenzpaar. Die Beziehung der Jünger zu Jesus ist durch ihre Flucht in Gethsemane und die Verleugnung des Petrus empfindlich gestört (vgl. die Konfliktanalyse, 3.4.5.2). Jesus sucht seinerseits den Kontakt und stellt im Laufe von Mt 28 die Beziehung wieder her (Mt 28,10.16–20). Die Jünger stehen wie Jesus in klarer Opposition zu den Hohenpriestern. 213 Bereits vorher im MtEv waren die Hohenpriester und Ältesten eindeutig die Gegenspieler Jesu (z.B. Mt 16,21; 26,3f.; 27,1f.). Auch die Jünger Jesu stoßen bei ihnen darum nicht auf Sympathie, sondern werden von den Hohenpriestern ebenfalls als potenzielle Betrüger angesehen (27,64: ejscavt h plavnh). Die Kluft zwischen beiden Figurengruppen vertieft sich noch dadurch, dass die Hohenpriester nun die Jünger diffamieren, eine falsche Botschaft verbreiten lassen und ihrerseits die Bevölkerung betrügen (28,15). Die Grabwächter schließlich haben zu den Hohenpriestern ein ungebrochenes Verhältnis. Sie bewachen auf Befehl der Hohenpriester das Grab (27,66), melden das Vorgefallene (28,11) und verkünden, was ihnen aufgetragen wird, obwohl sie wissen müssen, dass es eine Lüge ist (V. 15). Dafür werden sie von den Hohenpriestern unter der Hand bezahlt sowie in Schutz genommen (V. 14f.). Zum Engel können die Wachen dagegen keine positive Beziehung aufbauen (V. 4). Sie und die Jünger begegnen sich zwar nicht, sind aber vom Erzähler als Kontrastpaar konzipiert (s.o. 3.5.2.2). Die Wachen dienen hier als Kontrastfigur, als foil character, für die Jünger. Insgesamt betrachtet, enthält die Figurenkonstellation drei Dreieckskonstellationen mit je einem „Handlungssouverän“, nämlich Engel – Frauen/Wächter, Jesus – Frauen/Jünger sowie Hohepriester – Älteste/Wächter. Nebenfigur“ (dNF). Harnisch veranschaulicht damit ein tatsächlich häufig vorkommendes Muster von Figurenkonstellationen in neutestamentlichen Gleichnissen. Analog dazu müsste man auch bei anderen Erzählungen vorgehen und Figurenkonstellationen, die in bestimmten Textkorpora häufig auftreten, zu Typen zusammenfassen. 213 Vgl. die Beobachtung von GNILKA, Matthäusevangelium II, 498.
3.5 Figurenanalyse
351
Anders als in neutestamentlichen Gleichnissen sind diese Dreieckskonstellationen durch die Vielzahl der beteiligten Figuren nicht allzu sichtbar. Bewertung der Methode: Wenn in einer Erzählung mehrere Figuren vorkommen, stehen sie in einem bestimmten Verhältnis zueinander. Im Rahmen der Figurenkonstellation kann es untersucht und visualisiert werden. Die bisherige Figurenkonstellation konzentriert sich dabei auf Antipathie/Sympathie der Figuren sowie auf Parallelisierungen von Figuren durch den Erzähler, es sind aber z.B. auch Symbole für Verwandtschaftsbeziehungen, Machtverhältnisse, Verhaltensweisen oder Zugehörigkeiten zu Gruppen denkbar. Die Anwendung auf Mt 28 erwies sich als problemlos. Zum Ertrag der Methode: Der Vorteil der Grafik ist, dass man auch komplexe Figurenkonstellationen in einer Erzählung auf einen Blick darstellen kann. Gerade bei Romanen oder Theaterstücken kann man so schnell erkennen, wer zu wem wie steht. Bei Mt 28 hält sich der zusätzliche Nutzen allerdings in Grenzen, weil die Sympathie/Antipathie-Beziehungen der Episodenfiguren (Wächter, Engel, Frauen) untereinander nicht für die Gesamterzählung relevant sind und sich die Beziehung zwischen Jesus/den Jüngern und den jüdischen Autoritäten nicht wirklich verändert. Asmuths Symbolik ist eher auf die Veranschaulichung von unübersichtlichen Beziehungsfragen und Liebesaffären ausgerichtet. Ein grundsätzlicher Nachteil einer grafischen Darstellung ist, dass Veränderungen der Konstellation und bestimmte Feinheiten, z.B. welcher Art die Beziehung genau ist, nicht gut erfasst werden können. Diese müssten im kommentierenden Fließtext beschrieben werden. Die Analyse der Figurenkonstellation ist bisher wenig methodisch ausformuliert. Es wäre eine systematische Ausarbeitung wünschenswert, welche Aspekte der Beziehung zwischen (nicht nur literarischen) Figuren visualisiert werden können 214, wie die dargestellten Ergebnisse zuvor begründet und welche Symbole wofür am passendsten verwendet werden. Schon eine Vereinheitlichung der für solche Skizzen gebrauchten Zeichen (Mengen, Pfeile, räumliche Anordnung u.a.) wäre verdienstvoll. 3.5.4 Figur und Handlung Diese Beziehung zwischen Figur und Handlung kann in Bezug auf zwei Teilaspekte untersucht werden: die Wichtigkeit einer Figur für die Handlung und ihre Funktion in der Handlung. 214
Nach EDER, Figur im Film, 466f. gehört zur Analyse der Figurenkonstellation die umfassende Beschreibung der Sozialbeziehungen von Figuren, daneben die „Ähnlichkeiten und Kontraste in ihrer Körperlichkeit, Psyche und Sozialität“ und damit zusammenhängende Wertrelationen sowie Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Figurenkonzeption („Artefakt-Beziehungen“). Außerdem kann man unterschiedliche Erzählebenen und Aufmerksamkeitshierarchien (Haupt-, Nebenfigur) in die Analyse einbeziehen.
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
3.5.4.1 Bedeutung der Figur für die Handlung In der Literaturwissenschaft wird eine Figur manchmal als „Hauptfigur“, „Nebenfigur“, „Hilfsfigur“, „Randfigur“, „Hintergrundfigur“ oder „Episodenfigur“ beschrieben. Diesen Bezeichnungen ist gemeinsam, dass sie jeweils die Wichtigkeit der Figur für die Handlung betreffen; auch bei der Einordnung als „Hintergrundfigur“ und „Episodenfigur“ ist dieser Aspekt implizit vorhanden. Mit Bezug auf Mt 28 kann also gefragt werden: Welche Figuren sind in diesem Text besonders wichtig, welche sind weniger wichtig? Um nicht nur intuitiv zu antworten, muss versucht werden, die Einordnung als „Hauptfigur“, „Nebenfigur“ usw. methodisch kontrolliert vorzunehmen. Dabei sollen die Kriterien von Eder ausprobiert werden: – – – – – – – – –
„die filmischen Techniken der Betonung der Figur …, die Häufigkeit, Dauer und Dichte ihrer Darstellung, die Ungewöhnlichkeit und Normabweichung der Figur, ihre kausale Involviertheit in die Handlung (Handlungsfunktionalität), ihr Potential, bedeutsame Entscheidungen zu treffen, den Fokus, den andere Figuren auf sie haben, die Perspektivierung des Geschehens durch die Figur, die symbolische und symptomatische Relevanz der Figur,[sic] und die emotionale Anteilnahme der Zuschauer an ihr.“ 215
Nacheinander sollen Jesus, die Jünger, die Frauen, der Engel usw. untersucht werden. Eine ausführliche Analyse ist auch hier nicht möglich. 1) Jesus ist ohne Zweifel die Hauptfigur des MtEv, weil er in fast jeder Szene auftaucht und das MtEv dessen Leben von der Geburt bis zur Auferstehung schildert.216 Jesus bestimmt den Handlungsverlauf wesentlich mit, auch als er im Wissen seines bevorstehenden Leidens nach Jerusalem geht. Viele Figuren sind in ihrem Verhältnis zu Jesus beschrieben, ein wichtiges Thema des MtEv ist die Meinung der Figuren über ihn. Außerdem besitzt er eine hohe „symptomatische Relevanz“ für das Leben des intendierten Rezipienten. Die Empathie und Sympathie des Rezipienten für Jesus ist ebenfalls hoch. Auch in Mt 28 steht der Auferstandene im Zentrum der Erzählung; selbst in Mt 28,1–7 und 11–15, wo nur in der besprochenen Welt auf ihn Bezug genommen wird, geht es letztlich um Jesus. 2) Die Jünger sind im MtEv zwar weniger zentral als Jesus, aber dennoch wäre es unangemessen, sie als Nebenfiguren zu bezeichnen. Über weite Strecken des MtEv spielen sie als Haupt-Gesprächspartner Jesu, als Mitwirkende und Miterlebende eine wichtige Rolle (vgl. besonders Mt 10; 14; 16–20; 24–26). Sie sind also vergleichsweise häufig dargestellt. Die Jünger verhalten sich nicht so, wie man es von Jüngern erwarten könnte, sondern sie verstehen häufig nicht oder zweifeln. Auch das erhöht die 215 216
EDER, Figur im Film, 468f. Vgl. auch POPLUTZ, Erzählte Welt, 74 mit Anm. 85.
3.5 Figurenanalyse
353
Aufmerksamkeit des Rezipienten. Weil sich der intendierte Rezipient als maqhthv~ so wie die Jünger des MtEv versteht (anders kann die Schlussstellung von Mt 28,18–20 kaum erklärt werden), ist deren symbolische Relevanz und die Empathie des Rezipienten für sie enorm hoch. Insgesamt bekommen sie wahrscheinlich fast so viel Aufmerksamkeit wie Jesus selbst. Die Jünger können also als Hauptfigurengruppe angesehen werden. 3) Die Frauen, Maria von Magdala und die „andere Maria“, stehen nicht wirklich im Mittelpunkt der Erzählung. Sie sind größtenteils Wahrnehmende und reagieren auf die Erscheinungen genau so, wie der Rezipient es von ihnen erwartet. Zwar empfindet der Rezipient Empathie und sie besitzen eine gewisse Handlungsfunktionalität, allerdings wird ihr individuelles Handeln nicht von Mt betont. Der Rezipient ist wahrscheinlich – so ärgerlich das heute sein mag – nicht primär an ihnen interessiert, sondern mehr an Jesus und den Jüngern, auf deren Begegnung die Handlung auch ausgerichtet ist (V. 7.10). Wir müssen sie also als Nebenfiguren einordnen. Da sie wohl nur in Mt 27,56.61; 28,1–11 auftauchen, handelt es sich außerdem um Episodenfiguren. 4) Der Engel: In Mt 28,2–7 scheint der Engel im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen. Von ihm, seinem Aussehen und Handeln, ist in diesem Abschnitt am meisten die Rede. Könnte man also sagen, dass es sich beim Engel wenigstens in dieser Szene um eine Hauptfigur handelt? Nein, denn es verwirrt terminologisch und macht m.E. wenig Sinn, auch auf einzelne Szenen begrenzt von „Hauptfiguren“ zu sprechen (bei größeren Erzählabschnitten wie Paulus in Act 13–28 ist es etwas anderes). Außerdem gilt in Mt 28 das Interesse des Rezipienten trotz der breiten Darstellung des Engels eigentlich dem Auferstandenen. Der Rezipient denkt daneben auch weiterhin an die Jünger, die Jesus verlassen haben. Diese Figuren haben den Rezipienten schon über das ganze MtEv begleitet, der Engel erst ab Mt 28,2. Man kann sicherlich grundsätzlich festhalten, dass Episodenfiguren, die in einer Erzählung nur punktuell auftreten, selten Hauptfiguren sind. Verschiedene Kriterien für eine Hauptfigur treffen auch nicht auf den Engel zu: Seine Darstellung entspricht einem „typischen“ Engel und ist nicht auffällig. Er ist zwar kausal involviert, aber er trifft keine eigenen Entscheidungen. Die Empathie des Rezipienten gegenüber dem Engel ist eher gering, das Geschehen ist nicht aus seiner Perspektive geschildert, außerdem hat er keine symptomatische Relevanz. Daher muss er als Nebenfigur angesehen werden, und zwar als eine bestimmte Art von Nebenfigur: Der Engel ist einerseits eine Schaufigur, weil er durch sein Aussehen beeindruckt, andererseits auch eine Hilfsfigur, weil sein Tun und seine Botschaft die Handlung vorantreibt. 5) Die Wachen am Grab sind eine Episodenfigurengruppe, weil sie erst ab 27,65 genannt werden. Sie verhalten sich nicht in typischer Weise, erre-
354
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
gen also Aufmerksamkeit. Außerdem sind sie für die Handlung relevant, da einige von ihnen zu den Hohenpriestern gehen und am Ende eine falsche Botschaft verkünden. Der Rezipient hat andererseits kaum Empathie gegenüber den Wachen. Die Wachen sind also Nebenfiguren von mittlerer Bedeutung und bringen als Hilfsfiguren 217 die Handlung voran. 6) Die Hohenpriester (und Ältesten) sind in Mt 28,11–15 die relativen „Hauptfiguren“, die Wachen die „Nebenfiguren“, weil die Hohenpriester größere Macht besitzen als die Soldaten. Außerdem wird der Befehl der Hohenpriester in direkter Rede wiedergegeben (V. 13f.), die Rede der Wächter dagegen nur als Gesprächsbericht (V. 11). Von entscheidender Bedeutung ist aber, dass die Hohenpriester dem Rezipienten seit Mt 16,21 immer wieder begegnen und Gegenspieler des Protagonisten sind. Außerdem fallen sie dem Rezipienten auf, weil ihr Verhalten nicht dem entspricht, was der Rezipient von Hohenpriestern erwarten könnte; sie sind in die Handlung involviert und haben auch das „Potential, bedeutsame Entscheidungen zu treffen“, weil sie schließlich Jesu Kreuzigung erwirken. Insofern haben sie tatsächlich einen besonderen Status. Um Hauptfiguren zu sein, sind sie andererseits zu wenig fokussiert; der Rezipient empfindet kaum Empathie für sie und sie kommen vergleichsweise zu selten vor. Man könnte sie daher am besten als sehr wichtige Nebenfiguren einordnen. 7) Gott (der Vater) wird in Mt 28 zwar nur in V. 19 explizit genannt, doch muss er neben Jesus als eine weitere zentrale Hauptfigur des MtEv angesehen werden. Der Rezipient ist stark an den Eigenschaften Gottes interessiert (zur Begründung vgl. 3.5.6 zur Figurenkonzeption; 3.7.6.1 zur direkten Anwendung). Es ist Gottes Heilswille, dass Jesus den Leidensweg geht; auf ihn, den „Vater“, nimmt Jesus immer wieder Bezug. Zu den übrigen Figuren: Pilatus ist eine Nebenfigur, in ähnlicher Weise wie die Frauen und die Wachen. Die „Völker“ sind, bis auf ihre konkreten Repräsentanten im MtEv, eine Hintergrundfigurengruppe, ebenso die „Juden“. Der Heilige Geist könnte als Nebenfigur angesehen werden, falls der Rezipient ihn wirklich eigenständig, also unabhängig von Gottes Eigenschaften wahrnimmt. Wenn man die bisherigen Ergebnisse zusammenfasst und die Figuren in Mt 28 nach der Aufmerksamkeit des Rezipienten für sie sortiert, erhält man m.E. diese Reihenfolge (Abb. 49): wichtig
unwichtig
Jesus und Gott: zentrale Hauptfiguren Jünger: weniger zentrale Hauptfiguren Hohepriester: wichtige Nebenfiguren Frauen, Wachen, Pilatus: Nebenfiguren, Episodenfiguren, Hilfsfiguren Engel: weniger wichtige Nebenfigur, Episodenfigur, Hilfsfigur, Schaufigur
Abb. 49: Aufmerksamkeit des Rezipienten für die Figuren in Mt 28 217
Vgl. auch REEVES, Resurrection Narrative, 29 („ficelles“).
3.5 Figurenanalyse
355
Bewertung der Methode: In jeder Erzählung stehen einige Figuren stärker im Mittelpunkt als andere. Daher ist es interessant zu untersuchen, welche Figuren der Erzähler eher in den Vordergrund rückt und welche er im Hintergrund belässt. Je nach Wichtigkeit und Funktion für die Handlung wird die Figur in bestimmter Weise bezeichnet. Die entsprechenden Fragestellungen sind auch auf biblische Erzählungen sinnvoll anzuwenden. Was hat man konkret damit gewonnen, wenn die Figuren als mehr oder weniger zentrale Hauptfiguren, Nebenfiguren, Hilfsfiguren usw. identifiziert werden? Zum einen ist die begründete Kategorisierung schon selbst wertvoll, weil sie ein wichtiges Phänomen beschreibt. Außerdem lösen diejenigen Figuren, die eher im Mittelpunkt stehen, in der Regel auch stärkere Gefühle aus, sie sorgen für Spannung und Einstellungswandel und ihre Anwendungsmöglichkeiten sind größer (vgl. 3.7). Weil zwischen Haupt- und Nebenfiguren nur graduelle Unterschiede bestehen, galt es lange als schwierig, klare Kriterien anzugeben. In dieser Beispieluntersuchung hat es sich als sehr weiterführend erwiesen, die Aufmerksamkeit des Rezipienten als grundsätzliches Kriterium zu verwenden und dann mit den Faktoren zu argumentieren, die die Aufmerksamkeit für die Figuren beeinflussen. Die Methode ist daher inzwischen relativ gut ausgearbeitet. Definitorische Probleme bestehen aber bei der Frage, inwiefern man auch Figuren, die in kürzeren Erzählabschnitten sehr wichtig sind, als (episodische) „Hauptfiguren“ bezeichnen kann. 3.5.4.2 Funktion der Figuren in der Handlung Um die Handlungsfunktionen der Figuren in Mt 28 zu beschreiben, sollen das Aktantenmodell von Greimas und das Handlungsrollenmodell von Eder vergleichend angewendet werden. Wenn man die Figuren in Mt 28 auf das Aktantenmodell verteilt, erhält man folgendes Ergebnis (Abb. 50): Gott Spender
Engel Helfer
Auferstehung Objekt
Jesus Subjekt
Frauen/Jünger Empfänger
Wächter/Hohepriester Widersacher
Abb. 50: Mt 28,1ff. nach dem Aktantenmodell von Greimas 218 218 Ähnlich schon M ARIN, Frauen am Grabe, 67. DENAUX, Matthew’s Story, 136 ordnet dagegen die Frauen und Jünger als „Helfer“ ein, Engel und Jesus als „Subjekt“, dafür ist das „Objekt“ neben dem „Leben“ auch die Botschaft der Auferstehung. Die Empfänger seien dann die Juden und die Heiden. Die Zuordnung von Denaux kann man am ehesten als Visualisierung der Handlungsfunktionen von Mt 28,16–20 verstehen, wobei zu fragen ist, ob hier nicht eher auch der Engel und Jesus die Botschaft von der Auferstehung „spenden“.
356
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
In Mt 28 gibt es als „Objekt“ keinen wichtigen Gegenstand, sondern ein zentrales Geschehen, die Auferstehung. Die Auferstehung wird von Jesus erfolgreich „erstrebt“. Er ist das (aus Sicht des Rezipienten) bedeutendste Subjekt in diesem Erzählabschnitt, dem wiederum andere Figuren zugeordnet sind. Bezogen auf die Auferstehung hat er tatsächlich Helfer und Widersacher – die Figuren in Mt 28 lassen sich hier leicht wiedererkennen. Die Frauen und die Jünger sind keine „Helfer“ der Auferstehung Jesu, sondern klar die Empfänger der Osterbotschaft. Im Grunde ist es Gott, der die Auferstehung ermöglicht, was der Rezipient aus seinem Vorwissen erschließen kann (vgl. ejdovqh in V. 18). Die übrigen Figuren aus Mt 28 kann man ebenfalls dem Geschehen der Auferstehung zuordnen: die Ältesten und Pilatus, der sich „überzeugen“ lässt, zu den Widersachern; Juden und Völker als Empfänger; der Heilige Geist vielleicht zu Gott als „Spender“. Im Handlungsrollenmodell sieht das Schema etwas anders aus: Auslöser
Entscheider
Empfänger
–
Gott
Frauen, Jünger
Protagonist
Zielobjekt
Antagonisten
Jesus
Auferstehung
jüdische Autoritäten
Helfer d. Protagonisten
Helfer d. Antagonisten
1. Engel
1. Pilatus 2. Wächter
Abb. 51: Mt 28,1ff. nach dem Handlungsrollenmodell von Eder
Das Zielobjekt ist hier ebenfalls die Auferstehung; doch in diesem Modell ist klarer, dass es sich bei Jesus um den Protagonisten handelt und bei den Hohenpriestern um die Antagonisten. Nicht nur der Protagonist, sondern auch dessen Widersacher haben Helfer. Eders Modell ist symmetrischer. Engel und Wächter rücken dabei auf eine andere Ebene, was im Fall von Mt 28 sehr passend erscheint. Der „Sender“ wird zum „Entscheider“, wodurch Gottes Funktion bei der Auferstehung nicht besser, aber auch nicht schlechter beschrieben wird. Die Frauen und Jünger sind weiterhin die „Empfänger“ der Auferstehung. Allein die Position der auslösenden Figur ist m.E. nicht besetzt.
3.5 Figurenanalyse
357
Bewertung der Methode: Aktantenmodell bzw. Handlungsrollenmodell haben gewisse Ähnlichkeiten mit der Figurenkonstellation und können vielleicht als deren Spezialfall angesehen werden. Bei diesen beiden Modellen geht es um eine konkrete Szene mit einem klaren „Streitobjekt“, die Figurenkonstellation dagegen soll meistens die ganze Erzählung abbilden und enthält (in ihrer Reinform) keine Gegenstände oder Ereignisse. Während die Beschreibung der Figurenkonstellation offen ist für verschiedene Beziehungen der Figuren untereinander, nennen Aktantenmodell und Handlungsrollenmodell festgelegte Positionen, die Figuren bezogen auf ein bestimmtes Objekt oder Geschehen einnehmen können. – Bei Mt 28 gelingt die Zuordnung der Figuren problemlos, wahrscheinlich auch in vielen anderen Fällen. Das Handlungsrollenmodell eignet sich besonders gut, wenn ein Parteienkonflikt (s.o. 3.4.5.2) im Mittelpunkt der Handlung steht, wo es also Protagonisten und Antagonisten gibt. – Der Erkenntnisgewinn ist nicht übermäßig groß. Man erfährt im Grunde nichts Neues über die Figuren, auch für Vergleiche in der Erzähltechnik sind die Modelle kaum geeignet, weil sie zu allgemein sind. Eders Modell kann aber als hilfreiche grafische Übersicht eingesetzt werden, wenn man verdeutlichen möchte, wie Figuren zu einem bestimmten Gegenstand oder Geschehen stehen. – Die Methoden sind aufgrund der festen, auszufüllenden Schemata sehr klar. Im Einzelfall kann die Zuordnung der Figuren zu Handlungsfunktionen umstritten sein, so dass Kriterien dafür formuliert werden müssten. 3.5.5 Figurendarstellung Mit den bisherigen Teilmethoden, allen voran Kap. 3.5.2, kann man untersuchen, wie die Figuren vom Rezipienten inhaltlich aufgenommen werden, also welches Figurenmodell der intendierte Rezipient jeweils bildet. Bei der Figurendarstellung geht es nun um die Erzähltechnik, d.h. mit welchen Mitteln der Erzähler die differenzierte Wahrnehmung der Figurenmerkmale erreichen will. Zur Analyse der Figurencharakterisierung sollen die in der Narratologie weithin bekannten Kategorien wie Offensichtlichkeit, Erzählinstanz oder Distribution (2.5.5) angewendet und überprüft werden: – 1. Offensichtlichkeit der Charakterisierung: Werden die Figuren direkt (explizite Nennung des Figurenmerkmals durch den Erzähler) oder indirekt (durch Handlungen, eigene Rede, fremde Figurenrede oder Analogien) charakterisiert? – 2. Erzählinstanz der Charakterisierung: Geschieht sie auktorial oder figural? – 3. Distribution der Charakterisierung: Gibt es dabei Auffälligkeiten? – 4. Quantität der Charakterisierung: Wieviel Raum nimmt die direkte oder indirekte Beschreibung der Figuren in der Erzählung ein? – 5. Frequenz der Charakterisierung: Wie häufig werden bestimmte Figurenmerkmale erwähnt? – 6. Zuverlässigkeit der Charakterisierung: Sind die Beschreibungen innerhalb der erzählten Welt wahr?
358
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
Die Analysekategorien sollen anhand von Jesus und den Jüngern exemplarisch vorgestellt werden. Die anderen Figuren in Mt 28 werden hier übersprungen. Auch die Erstellung von Charakterisierungsprofilen muss aus Platzgründen unterbleiben. Es wird sich herausstellen, dass diese Fragestellungen durch den cognitive turn enorm an Komplexität gewinnen, was noch weitere methodische Klärungen notwendig macht (s. Beurteilung der Methode). a) Jesus: Der Auferstandene wird vergleichsweise ausführlich charakterisiert. Sein Verhalten (auch Sprechverhalten) wird von der auktorialen Erzählinstanz direkt geschildert (V. 9f.18–20), indirekt werden sein Verhalten, seine Identität, seine Macht, seine Meinungen u.a. (V. 5–7.9f.18– 20) auch durch fremde und eigene Figurenrede (figurale Erzählinstanzen) beschrieben. Zur indirekten Charakterisierung tragen außerdem die Parallelisierung bzw. Kontrastierung mit anderen Figuren (Mose, Heilige in Mt 27, Hohepriester; dazu 3.5.2.2) sowie andere Inferenzprozesse (V. 3.4.13. 16) bei. Die Darstellung des Auferstandenen ist unterschiedlich intensiv und über Mt 28 verteilt (V. 1–4.8 wenig offensichtlich; V. 5–7.9f. stark; V. 11–15 indirekt durch den Vergleich mit den Hohenpriestern; V. 16f. etwas intensiver; V. 18–20 wieder sehr dicht). Explizite Charakterisierungen liegen in V. 5–7.9f.18–20 vor, also in acht von 20 Versen. Wie ist es aber mit der Charakterisierungsfrequenz einzelner Merkmale? Besonders das Figurenmerkmal der Auferstehung prägt sich dem Rezipienten sehr stark ein: Es wird mehrfach wiederholt (V. 6.7), dem Rezipienten vor Augen geführt (V. 9.17) und indirekt daran erinnert (V. 4.13). Nicht zuletzt ist der Rezipient mehrfach narrativ auf die Auferstehung vorbereitet worden; außerdem fördern auch sein Weltwissen, dass Menschen sonst nicht vom Tod auferstehen, sowie seine Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinde, in der die Auferstehungsbotschaft bekannt ist, die Aufmerksamkeit für das Figurenmerkmal „Auferstehung“. Fast alle Aussagen über Jesus sind innerhalb der erzählten Welt zuverlässig. Aus dem in Figurenrede geschilderten Leichendiebstahl (V. 13) muss der Rezipient schlussfolgern, dass Jesus nicht auferstanden sei; diese indirekte Charakterisierung Jesu ist für ihn allerdings nicht glaubwürdig. b) Jünger: Direkt im eigentlichen Sinn wird nur das Gehen der Jünger nach Galiläa, ihr Niederfallen und Zweifeln berichtet (V. 16f.), und zwar durch die auktoriale Erzählinstanz. Eher indirekt ist ihre explizite Charakterisierung durch fremde Figurenrede; so werden ihr Wissen (V. 7.10), ihre Pflichten (V. 7.10.19f.), ihr erneuertes Verhältnis zu Jesus („Brüder“, V. 10) und ihre – falsche – Tat durch andere Figuren erzählt (V. 13). Noch indirekter sind diejenigen Figurenmerkmale, die der Rezipient aus ihrem Verhalten (z.B. ihr Erleben aus V. 16, ihre Charakterzüge aus V. 17) und aus Analogien, d.h. ihrer Kontrastierung mit Jesus, den Frauen und den
3.5 Figurenanalyse
359
Wachen (vgl. 3.5.2.2), erschließt. Bezogen auf die Distribution der Charakterisierung über die Erzählung lässt sich ein bestimmtes Verteilungsmuster erkennen. Zuerst werden die Jünger indirekt durch Figurenreden charakterisiert, einmal proleptisch wahr (sie werden ihn in Galiläa sehen), dann analeptisch unwahr (sie haben den Leichnam gestohlen); doch erst zum Schluss erzählt Mt selbst ihr Verhalten. Dadurch wird die Aufmerksamkeit auf die Erzählerrede (V. 16f.) gelenkt. Die explizite Charakterisierung der Jünger umfasst V. 7.10.13.16f.19f., also sieben von 20 Versen. Es gibt einige Figurenmerkmale, die durch Bezug auf Vorwissen, Erwähnungen und intendierte Schlussfolgerungen mehrfach aktualisiert werden. Dazu gehört der Charakterzug der Untreue, die dem Rezipienten schon in 26,21–25.33–35.40.43.45.46–50.56.69–75 (vgl. auch die falsch verstandene Treue V. 51–53) massiv nahegebracht wurde und die in Mt 28 durch die Kontrastierung mit den Frauen, durch den Auftrag an die Frauen, die abwesenden Jünger zu informieren, durch ihre Bezeichnung als „Brüder“ (V. 10) und die Erwähnung ihres immer noch vorhandenen Zweifels (V. 17) hervorgehoben wird. Bis auf die Charakterisierung als Grabräuber (V. 13) sind alle Figureninformationen über die Jünger zuverlässig. Ausgehend von Mt 28 kann ein Ausblick auf die von Mt bevorzugten Darstellungsformen bei der Figurencharakterisierung gewagt werden – unter der Voraussetzung, dass die Erzähltechnik in diesem Abschnitt grundsätzlich der des gesamten Evangeliums entspricht: – Abgesehen von der Beschreibung des Verhaltens der Figuren geschieht die Figurencharakterisierung im MtEv nur selten direkt durch den Erzähler (V. 3: Aussehen des Engels, V. 4: Gefühl der Wachen, V. 8: Gefühle der Frauen, V. 17: Meinung der Jünger), fast immer dagegen indirekt, nämlich durch fremde Figurenrede, relativ oft durch Vergleichsfiguren und in den meisten Fällen über intendierte Schlussfolgerungen des Rezipienten. Je weniger offensichtlich die Charakterisierung geschieht, desto leichter hat man sie bisher übersehen. Warum hält sich Mt so mit direkter Charakterisierung zurück? Weil er insgesamt nur wenig in Erscheinung treten will oder weil diese Zurückhaltung einer Erzählkonvention bei antiken Erzählungen entspricht? Es wäre weiterführend, dies genauer zu untersuchen und mit anderen Texten zu vergleichen. – Das Verhältnis von narratorialer und figuraler Charakterisierung im MtEv lässt sich hier nicht eindeutig bestimmen; auffällig ist jedoch die häufige Beschreibung von Figuren durch Figuren. – Die Figurendarstellung geschieht entweder sehr verteilt (Gott, Jesus, Wachen), recht konzentriert (Engel, Frauen) oder auch nach einem erkennbaren Muster (wie bei den Jüngern in Mt 28). Es gibt also sehr unterschiedliche Distributionsarten, wobei in Mt 28 keine Tendenz feststellbar ist.
360
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
– Die Quantität und die Dichte der Charakterisierungen ist im MtEv sehr hoch, wahrscheinlich höher als in anderen Erzählungen. Häufig beeinflusst ein einziger Vers das Figurenmodell mehrerer Figuren. Offenbar „funktioniert“ die mt Erzählung im Wesentlichen über die Figurenrezeption, weniger über das Setting und nur zum Teil über die Handlung. – Wenn man auch die von Mt intendierten Inferenzprozesse des Rezipienten berücksichtigt (z.B. Betonung bestimmter Figurenmerkmale durch Kontrastfiguren und Schlussfolgerungen von Verhaltensweisen auf weitere Merkmale), wird auf viele Figureneigenschaften mehrfach aufmerksam gemacht. Die Charakterisierungsfrequenz bei bestimmten Merkmalen ist wohl – wie die Dichte an Figureninformationen insgesamt – im MtEv vergleichsweise hoch. Genaueres lässt sich erst nach der Kontrastierung des MtEv mit anderen Erzählungen sagen. – Es gibt im MtEv keinen unzuverlässigen Erzähler (auf der ersten narrativen Ebene), wohl aber unzuverlässige Figurenrede, jedoch immer nur punktuell.219 Man müsste auch hier prüfen, inwieweit dies antiker Konvention entspricht. Bewertung der Methode: Die Frage danach, auf welche Weise Figuren in einer Erzählung dargestellt werden, und die dazugehörigen Differenzierungen sind im Allgemeinen gut auf das MtEv und andere biblische Erzähltexte anwendbar. Wie andere Methoden dient sie der Analyse der mt Erzähltechnik, hier bezogen auf die Figuren. Die Beschreibung der Figurendarstellung ist vor allem dann interessant, wenn man Auffälligkeiten bei der Erzähltechnik herausarbeiten kann. Dazu ist allerdings in der Regel ein Vergleich mit anderen Erzähltexten erforderlich. Daneben liefert die Methode weitere Ergebnisse: Distribution, Quantität und Frequenz der Figurencharakterisierung beeinflussen – neben vorhandenen Frames, Skripts und Inferenzregeln als weiteren Faktoren – die Aufmerksamkeit des Rezipienten für bestimmte Figurenmerkmale. Die Untersuchung, wie stark ein Figurenmerkmal in den Aufmerksamkeitsfokus des Rezipienten gelangt, ist sehr aufschlussreich (s.o. zur Untreue der Jünger); die Gewichtung einzelner Merkmale wirkt sich auch auf das Figurenmodell des Rezipienten aus. Die in Kap. 2.5.5 beschriebenen Differenzierungen enthalten allerdings viele methodische Probleme, weil sie den cognitive turn noch nicht be219 Unzuverlässige Figurenrede bezogen auf Eigen- oder Fremdcharakterisierungen findet sich bei Herodes (2,8: er gibt vor, das Kind anbeten zu wollen), dem Teufel (4,6: er sagt, dass Jesus sich gefahrlos von der Tempelzinne stürzen könne), den Schriftgelehrten (9,3), den Pharisäern (9,34; 12,24), Herodes Antipas (14,2), den Jüngern (14,26), dem Volk (indirekt 16,14), den falschen Christussen (24,5; vgl. 24,26), Petrus (26,33.35.70. 72.74), den falschen Zeugen (26,61; allerdings dort im Doppelsinn) und den Hohenpriestern (26,65; 28,13).
3.5 Figurenanalyse
361
rücksichtigen: a) Die Unterscheidung von indirekter und direkter Charakterisierung stammt aus einer Zeit, in der nur die Charakterzüge als Figurenmerkmal galten. Wenn der Erzähler beispielsweise sagt, dass die Wachen „erbeben“, so ist dies m.E. ebenfalls eine direkte Charakterisierung, und zwar der Verhaltensweise. Indirekte Charakterisierung geschieht nicht nur durch ein analoges Setting, durch Kontrast- und Parallelfiguren, sondern durch alle Arten von Inferenzprozessen durch den Rezipienten; umgekehrt ist die direkte Nennung eines Figurenmerkmals durch eine andere Figur eigentlich keine indirekte Charakterisierung. Vielleicht ist es daher hilfreich, das Begriffspaar „direkte“ vs. „indirekte“ Charakterisierung durch explizite und implizite Charakterisierung zu ersetzen. Die explizite Charakterisierung soll auch die Beschreibungen von Verhaltensweisen durch den Erzähler sowie die von Figuren explizit erwähnten Figurenmerkmale erfassen; alles, was der Rezipient erst durch Schlussfolgerungen erkennt, gehört dann zur impliziten Charakterisierung. b) Auktoriale und figurale Charakterisierung lassen sich zwar klar den Erzählebenen zuordnen, doch jede figurale Charakterisierung ist immer auch eine Charakterisierung durch die Erzähler der höheren Erzählebenen. Das Ineinander der Standpunkte wird zum Problem, wenn der Erzähler z.B. stark wertet oder unzuverlässig ist. Insgesamt ist die Verteilung der Charakterisierung auf Erzähler- oder Figurenrede bei biblischen Erzählungen wahrscheinlich auch wenig signifikant.220 c) Die Quantität der Charakterisierung lässt sich nur schwer bestimmen. Dieser Analyseaspekt ist eigentlich so gedacht, dass die Anzahl der Sätze/Verse, in denen Informationen über eine Figur „vorkommen“, bzw. deren Anteil an der Gesamterzählung bestimmt und mit dem Raum, den die Charakterisierung bei anderen Figuren einnimmt, verglichen wird. Eine Angabe einzelner Versen, in denen die Figur anscheinend charakterisiert wird, muss allerdings auch die verschieden große Offensichtlichkeit der Charakterisierung berücksichtigen. Soll man neben den expliziten auch die impliziten Charakterisierungen einbeziehen? Wenn ja, soll man letztere abgestuft gewichten? Oben wurden implizite Beschreibungen, bei denen der Rezipient mit Schlussfolgerungen arbeiten muss, vorerst nicht dazugezählt. d) Dieselbe Problematik gilt entsprechend auch für die Analyse der Distribution von Figurencharakterisierungen. Kann man z.B. bei den Frauen in 28,1.5–10 von „Blockcharakterisierung“ reden, wenn ein bestimmtes 220 Vgl. CORNILS, Geist Gottes, 87–92, die die Verteilung der Nennungen von pneu`ma und verschiedener pneu`ma-Ausdrücke auf Erzähler- und Figurenrede untersucht. Der Ertrag ist m.E. gering. Ein grundlegendes Problem dieser narratologischen Untersuchung ist außerdem, dass Cornils nicht kognitiv (also semantisch) arbeitet, sondern z.B. die Nennungen „Heiliger Geist“ und „der Geist“ unterscheidet, selbst wenn dieselbe Figur gemeint ist. So werden diejenigen Stellen, wo explizit (to;) pneu`ma (to;) a{gion steht (92– 122), und „andere Pneuma-Formen“ (122–144) statistisch getrennt untersucht.
362
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
Figurenmerkmal wie die Treue der Frauen schon vorher bekannt ist und auch noch später kontrastierend anklingt? Vielleicht kann die Distribution auch nach Charakterisierungsarten getrennt untersucht werden, z.B. indem man differenziert, in welchen Versen bekannte Frames/Skripts verwendet werden, wo eher explizit charakterisiert wird und wo beabsichtigte Inferenzprozesse im Vordergrund stehen. e) Auch die Untersuchung der Darstellungsfrequenz macht nur Sinn, wenn man die Inferenzprozesse einbezieht. Figurenmerkmale werden nicht nur durch Erwähnungen, sondern auch durch Bezug auf Vorwissen und intendierte Schlussfolgerungen oft mehrfach aktualisiert (s.o. zur Untreue der Jünger). Offen ist aber, wie man die Frequenz der Charakterisierung konkret bestimmen soll und ob es auch Abstufungen zwischen expliziter und impliziter Charakterisierung geben müsste. f) Es gibt außerdem weitere Analysekategorien, die hier nicht aufgenommen worden sind. 221 3.5.6 Figurenkonzeption Die Figurenkonzeptionen des MtEv sind bislang kaum differenziert beschrieben worden, abgesehen vom einfachen Gesamturteil: „die Figur x ist flach bzw. rund“.222 Für eine genauere Betrachtung der Figurenkonzeption müssen, wie Kap. 2.5.6 zeigt, eigentlich verschiedene Aspekte untersucht werden: – – – – – – – –
Veränderung der Figur: statisch – dynamisch Detailliertheit der Figur: knapp – detailliert Dimensionalität der Figur: eindimensional – mehrdimensional Konventionalität der Figur: typisch – individuell Transparenz der Figur: geschlossen/transparent – offen/mysteriös Realismus der Figur: realistisch – nicht-/unrealistisch Kohärenz der Figur: kohärent – inkohärent Applikabilität der Figur: übertragbar/transpsychologisch – spezifisch/psychologisch Synthetische Beurteilungen – Komplexität der Figur: einfach – komplex – Interessantheit der Figur: flach – rund
Im Folgenden sollen beispielhaft Jesus und die Jünger in Mt 28 anhand dieser Kriterien beschrieben werden. Leider kann die Untersuchung wegen der Vielzahl der Aspekte auch hier nur sehr oberflächlich bleiben. Im Grunde setzt jede dieser Einordnungen die Formulierung von definierten Zwischenstufen voraus (z.B. klar statisch – eher statisch – statisch und dynamisch – eher dynamisch – klar dynamisch) und erfordert eine genaue Analyse aller Stellen im MtEv, denen der Rezipient etwas über die Figur 221
JANNIDIS, Figur, 220f.; EDER, Figur im Film, 360–365 (s. Seite 151f. Anm. 545). So untersucht z.B. B LACK, Depth of Characterization, verschiedene Figuren des MtEv und ordnet sie jeweils als round oder flat ein. 222
3.5 Figurenanalyse
363
entnehmen kann. Aber weil es hier ja primär darum geht, den Erkenntnisgewinn abzuschätzen, der durch die Frage nach der Figurenkonzeption entsteht, können wir es bei diesen knappen Eindrücken belassen. a) Jesus: Bei Jesus handelt es sich um eine dynamische Figur, wenn man berücksichtigt, dass es eine Zeit vor dem öffentlichen Wirken gab (vgl. 3,13–4,11) und dass ihm erst als Auferstandener pa`sa ejxousiva gegeben wurde. Ansonsten ist jedoch keine innere Entwicklung zu bemerken, seine Charakterzüge scheinen sich nicht zu verändern. Jesus wird sehr ausführlich dargestellt. Die Figur Jesu ist ausgesprochen vieldimensional, besonderes Interesse hat der Rezipient an seiner Identität und seinen Charakterzügen. Seine Charakterisierung folgt keinem typischen, vorher bekannten Muster, sondern unterläuft gerade bisherige Messiaserwartungen. Für den Rezipienten, der den Heilsplan Gottes kennt, ist Jesus eine weitgehend transparente Figur, für die Jünger dagegen (die vieles nicht verstehen, was Jesus sagt) ist er mysteriöser. Jesus wird aus Sicht des Rezipienten realistisch beschrieben, selbst wenn er auf dem Wasser geht, verklärt wird oder aufersteht. In seinem außergewöhnlichen Verhalten drückt sich seine besondere Identität aus. Der Rezipient soll Jesus als realistische und kohärente Figur wahrnehmen. Jesus interessiert ihn als konkrete Person, es ist eine spezifische und keine transpsychologische Figur. Insgesamt kann man den mt Jesus eindeutig als komplexe (d.h. detaillierte und individuelle) und runde Figur ansehen. b) Jünger: Die Figurengruppe der Jünger nimmt einen großen Raum im MtEv ein. Sie sind eher statisch als dynamisch, ihre Charakterzüge und Verhaltensweisen ändern sich nicht wesentlich; allerdings bedeutet vielleicht die Flucht der Jünger einen Bruch in ihrem Nachfolge-Verhalten. Sie sind vergleichsweise detailliert beschrieben und deutlich mehrdimensional. Der Rezipient ist an ihren Persönlichkeitszügen, Emotionen und Erlebnissen interessiert, aber auch an ihrem Verhalten und Wissen, ihren Meinungen, Wünschen und Intentionen (s.o. zu den Jüngern). Die Jünger entsprechen in ihrem Verhalten im Grunde nicht der Konvention, sondern sind gerade untypisch geschildert, weil sie Jesus oft nicht verstehen und am Ende sogar fliehen. Ihr Verhalten und ihre Charakterzüge sind weitgehend transparent. Mysteriös könnte für den Rezipienten allenfalls ihr ständiges Missverstehen sein, doch dies ist von Mt sicher nicht beabsichtigt. Die Jünger sollen realistisch und kohärent wirken. Sie sind von Mt stark übertragbar bzw. transpsychologisch gezeichnet. Das wird sichtbar an der betonten Verwendung von maqhthv~ im MtEv sowie an der realistischen Beschreibung der Jünger als Nicht-Verstehende und Zweifelnde, denen Randfiguren als Vorbilder im Glauben gegenübergestellt werden. Insgesamt gesehen, sind die Jünger im MtEv recht komplex und rund, aber vielleicht nicht ganz so rund wie die Figur Jesu.
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
Im Überblick auch über die anderen Figurenkonzeptionen in Mt 28 zeigt sich, dass in diesem Kapitel die eher komplexen und runden Figuren überwiegen. Als tendenziell flach können die beiden Frauen und der Engel angesehen werden. Dynamisch sind die Wachen und die Hohenpriester, im Grunde auch Jesus; die Frauen und die Jünger machen dagegen einen eher statischen Eindruck, klar statisch sind Gott und der Engel. Gott, Jesus und die Jünger besitzen viele Figurenmerkmale, während die Hohenpriester nicht ganz so detailliert gezeichnet sind. Weniger Figurenmerkmale haben die Wachen und die Frauen, noch weniger der Engel. Was die unterschiedlichen Eigenschaftsdimensionen angeht, so ist Jesus ausgesprochen vieldimensional. Danach folgen die Jünger und Gott mit einer immer noch deutlichen Mehrdimensionalität, dann die Hohenpriester, außerdem die Frauen und die Wachen. Der Engel ist relativ eindimensional. Wenn man die Figuren nach ihrer Konventionalität sortiert, stehen die Frauen und der Engel an erster Stelle. Sie verhalten sich ganz und gar konventionell, wie der Rezipient es von ihnen erwarten kann. Die Darstellung Gottes entspricht nur teilweise frühjüdischen Vorstellungen; auch Jesus, die Wachen und die Jünger durchbrechen übliche Erwartungen. Die Hohenpriester sind von ihren Charakterzügen her hochgradig untypisch. Bezogen auf die Figurentransparenz sind die Frauen und die Engel ebenfalls am durchschaubarsten, größtenteils transparent sind die Jünger und die Hohenpriester, etwas weniger transparent die Wachen und Jesus, eher mysteriös ist Gott. Insgesamt überwiegen transparente Figuren. Sämtliche Figuren sind realistisch und kohärent konzipiert. Die Figurenmerkmale besonders der Jünger, aber auch der Wachen und der Hohenpriester sollen vom Rezipienten auf seine Situation übertragen werden. Wichtig für die indirekte Applikation ist außerdem die Treue der Frauen, nicht übertragbar sind dagegen die Eigenschaften des Auferstandenen in Mt 28, die Merkmale des Engels und Gottes. Hieran wird deutlich: Es gibt nicht nur eine matthäische oder biblische Figurenkonzeption. Zwar hängen Unveränderlichkeit, Knappheit, Eindimensionalität, Konventionalität und Transparenz einer Figur zusammen, aber es sind allein bei den Figuren in Mt 28 zahlreiche Mischformen zu beobachten. Beispielsweise können auch detaillierte Figuren wie Gott statisch sein, und nicht jede transparente Figur ist eindimensional. Bewertung der Methode: Die differenzierte Beschreibung der Figurenkonzeption ist eine deutliche Erweiterung der binären Bezeichnung einer Figur als flat oder round character. Welchen Sinn hat es, wenn eine bestimmte Figur als mehr oder weniger mehrdimensional, individuell, realistisch oder übertragbar eingeordnet wird? Zum einen gewinnt man einen klareren Blick auf die Gestaltung der Figur. Man kann Figurenkonzeptionen miteinander vergleichen und Auffälligkeiten erkennen. Dadurch lassen sich Figurenkonzeptionen beschreiben, die für eine bestimmte Epoche, ei-
3.6 Perspektivenanalyse
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ne Gattung oder einen Autor charakteristisch sind. Daneben kann man eine Figurenkonzeption danach bewerten, ob sie den Kriterien für eine „gut“ gestaltete Figur zu einer bestimmten Zeit entspricht. Zum anderen können die Bezüge zwischen der Konzeption einer Figur und ihrer Rezeptionswirkung weiter überprüft werden. In der Regel wird ein Rezipient z.B. eine mehrdimensionale Figur aufmerksamer wahrnehmen. Zur Ausarbeitung der Methode: Die alte Unterscheidung von „flach“ und „rund“ und selbst die vier Analyseaspekte von Pfister waren durch ihre Ungenauigkeit recht unbefriedigend. Die neue, an Eder angelehnte Methode zur Analyse der Figurenkonzeption ist vergleichsweise gut ausgearbeitet, aber die genauen Kriterien, wann eine Figur wirklich typisch oder mehrdimensional ist, müssten an verschiedenen Beispielen „geeicht“ werden. Erst dann könnten auch Figurenkonzeptionen in verschiedenen Erzählungen verglichen werden; erst dann könnte man klarer beurteilen, inwiefern (bestimmte) biblische Figuren mehr oder weniger ausgefeilt dargestellt sind als andere.
3.6 Perspektivenanalyse Die Perspektivenanalyse von Mt 28,1–20 richtet sich nach der in Kap. 2.6 beschriebenen Methode. 3.6.1 Beteiligung Der Erzähler in Mt 28 wie auch im übrigen MtEv ist eindeutig ein unbeteiligter Erzähler,223 d.h. der intendierte Rezipient kann nicht erkennen, dass der Erzähler als Figur in der Erzählung vorkommt. 224 Weil der Standpunkt 223
Auch „Er-Erzähler“ (Stanzel), „heterodiegetischer Erzähler“ (Genette). Der Rezipient hat keinerlei Anhaltspunkte dafür anzunehmen, dass der Autor sich selbst z.B. als der Zöllner Matthäus (9,9; 10,3) verstanden wissen wollte. Es kann allerdings Fälle geben, in denen der Autor seine Verbundenheit mit der Erzählung nicht explizit kenntlich machen muss, weil der Rezipient textexternes Vorwissen darüber besitzt, dass der Autor mit einer Figur identisch ist und sich in der 3. Person beschreibt. Bei den Evangelien kommt dies offenbar nicht vor, auch wenn Autor und Adressaten sich teilweise persönlich kennen. Aufschlussreich ist besonders der Vergleich mit Joh 21,24f.: Hier spricht ein Ich-Erzähler, der seinen intendierten Rezipienten anscheinend bekannt ist und der behauptet, dass der Lieblingsjünger die Erzählung bezeugt und aufgeschrieben habe (ou|tov~ ejstin oJ maqhth;~ oJ marturw`n peri; touvtwn kai; oJ gravya~ tau`ta). Das tau`ta („diese Dinge“) kann sich nicht auf 1,1–21,23 insgesamt beziehen, weil auch in 19,35; 20,30f. der Ich-Erzähler zu den Adressaten spricht. Der Lieblingsjünger ist hier also nicht der Erzähler einer Binnenerzählung 1,1–21,23, der von sich in der 3. Person redet, sondern wohl eher als ein Gewährsmann dargestellt. Auch im lk Doppelwerk scheinen Autor und intendierter Rezipient sich offensichtlich zu kennen (Lk 1,1–4; Act 1,1). M.E. han224
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
und andere Eigenschaften des Erzählers offenbar mit denen des historischen Autors übereinstimmen und kein unzuverlässiger Erzähler konstruiert wird, können Erzähler und Autor gleichgesetzt werden (vgl. 3.6.4, 3.6.5, 3.2.1). Der unbeteiligte Erzähler des MtEv ist insgesamt kaum sichtbar (s.u. 3.6.4) und hält sich mit expliziten Kommentaren zurück. Ein IchErzähler würde dagegen die Aufmerksamkeit des Rezipienten automatisch auf sich ziehen, dadurch aber auch vom eigentlichen Geschehen ablenken. Dass dies für die Gattung „Evangelium“ nicht sehr angemessen ist, haben vielleicht schon die Evangelisten so empfunden, abgesehen von der Frage nach der Authentizität, die diese Erzählweise hervorruft. An dieser Stelle ist ein Vergleich mit dem Petrusevangelium aufschlussreich, das die Geschehnisse in Mt 27f. (und Parallelen) aus der Perspektive eines Ich-Erzählers (als beteiligter Beobachter) berichtet. 225 Der Erzähler stellt sich explizit als Petrus vor, geht also (anders als im JohEv und im lk Doppelwerk; s. Anm.) nicht davon aus, dass seine Identität dem Adressaten bekannt ist (hJmei`c de; oiJ dwvdeka maqhtaiv … ejgw; de; Sivmwn Pevtroc delt es sich hier um eine echte Kommunikationssituation. Dass vom Autor ein fiktiver Ich-Erzähler und ein fiktiver Erzähladressat aufgebaut („Theophilus“ symbolisch verstanden; jemand stilisiert sich als Paulusbegleiter u.a.) und so eine zusätzliche narrative Ebene eröffnet wird, ist unwahrscheinlich, weil die Act kaum präskriptiven Charakter wie die Paulusbriefe hat, die Wir-Passagen nicht sehr prominent sind und so unvermittelt einsetzen, dass sie am besten durch „echtes“ Vorwissen und eine reale Kommunikationssituation erklärbar sind. Es ist zwar auch denkbar, dass allein die Abschnitte mit den Reiseberichten in der Ich-Form eine neue Erzählebene eröffnen, doch müssten die Binnenerzählungen durch eine Figur eingeleitet oder die Ebenenwechsel für den Rezipienten anders erkennbar gemacht werden – das ist ein Grundgesetz der Kommunikation. Daneben fällt die Erklärung als Metalepse ebenfalls aus (vgl. dazu S. 56 Anm. 136). Den Erzähler des lk Doppelwerks kann man also abschnittsweise als beteiligten Beobachter einordnen, ansonsten wie im MtEv und JohEv als unbeteiligten Erzähler. 225 Die Änderung der Erzählbeteiligung von der Er- zur Ich-Erzählung im EvPetr ist Teil einer umfassenden Paraphrasierung des Evangelienberichts mit dem Zweck, die Rezeptionswirkung zu intensivieren: 1) Der Autor des EvPetr expliziert Frames/Skripts seinem eigenen Weltwissen entsprechend (z.B. 8,32f.: die Wachen rollen den Stein vor den Grabeingang und schlagen ein Zelt auf) und fügt zusätzliche Einzelheiten hinzu (z.B. 8,31: „Petronius“ als der Name des verantwortlichen Centurio), um die Immersion des Rezipienten in die Geschichte zu erhöhen (3.7.4 Realitätseffekt). 2) Damit verbunden ist eine Vergrößerung der Empathie (3.7.1) für die Figuren, deren Erleben und Intentionen viel ausdrücklicher als im MtEv geschildert werden (z.B. 9,35–37; 12,50–52). 3) Auch die Rezeptionsemotionen (3.7.5) werden – vielleicht auf etwas platte Weise – verstärkt, indem die Emotionen der Figuren explizit und wiederholt berichtet (z.B. das Klagen und Weinen des Ich-Erzählers) und indem Inhalte, die Staunen hervorrufen sollen, ergänzt werden (10,39–42: die drei Männer, die aus dem Grab herauskommen). Durch diese Veränderungen verliert die Geschichte in der Fassung des EvPetr an Anwendungsintensität (vgl. 3.7.6). Insgesamt legt das EvPetr den Schwerpunkt auf kurzfristige Rezeptionswirkungen (Empathie, Realitätseffekt, Rezeptionsemotionen), das MtEv eher auf den Anteil langfristiger Wirkungen (Anwendung, Einstellungswandel).
3.6 Perspektivenanalyse
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kai; ÆAndrevac oJ ajdelfovc mou …; EvPetr 14,59f.; vgl. 7,26f.). Der reale Autor konzipiert hier den sekundären Erzähler „Petrus“, eröffnet also eine zusätzliche Erzählebene. Vermutlich soll der intendierte Rezipient den Autor tatsächlich mit Petrus identifizieren, weil eindeutige Fiktionssignale (Kap. 2.2.2) fehlen. Weil der Verfasser vor allem um eine hohe Rezeptionswirkung bemüht ist und eigene theologische Schwerpunktsetzungen (z.B. 4,10; 5,19) dagegen eher marginal erscheinen, kann das EvPetr als eine erbauliche Paraphrase der biblischen Texte gelten. Die damit verbundene „fromme Täuschung“ (pia fraus) bleibt jedoch ein Problem. Bewertung der Methode: Zur Analyse der Erzählperspektive gehört auch die Frage danach, wie sehr der Erzähler selbst Teil der Geschichte ist. Dabei muss die alte Unterscheidung „Er-Erzähler“ vs. „Ich-Erzähler“ zugunsten einer differenzierten Skala aufgegeben werden. – Die Anwendung zeigte, dass die bloße Kategorisierung des Erzählers als „beteiligter Beobachter“ usw. noch keinen besonderen Erkenntniszuwachs verspricht; erst im Vergleich mit anderen Erzählungen erhält diese Einordnung ihr Profil. In Verbindung mit anderen Beobachtungen zur Erzähltechnik führt sie auch zu wichtigen einleitungswissenschaftlichen Fragen und kann u.a. neue Gesichtspunkte in die Diskussion um die Entstehung und den Zweck neutestamentlicher Apokryphen einbringen. – Die Methode ist zufriedenstellend ausgearbeitet; die Zuordnung fällt leicht und scheint relativ eindeutig zu sein. Manchmal kann der Rezipient jedoch nur durch sein Vorwissen entscheiden, ob der Autor/primäre Erzähler als Figur vorkommt, nämlich wenn dieser von sich in der dritten Person spricht. 226 Ein anderes Problem erfordert eine Verfeinerung der Methode: So wie eine Hauptfigur manchmal nicht in allen Abschnitten der Erzählung als Hauptfigur gelten kann, so braucht auch ein Erzähler nicht überall „unbeteiligter Beobachter“ usw. zu sein, sondern die Beteiligung kann wechseln (so beim primären Erzähler des lk Doppelwerks). Diese Dynamik in der Beteiligung wird terminologisch bisher nicht erfasst. 3.6.2 Distanz Zur Untersuchung der Erzähldistanz bei der Wiedergabe von Gesprächen und Gedanken soll das gesamte MtEv zugrunde gelegt werden, um eine breitere Datenbasis zu haben: Die deutliche Mehrheit aller Gespräche im MtEv wird mit direkter Rede ausgedrückt, davon hat Jesus den größten Redeanteil. Vereinzelt kommen auch direkte Gedankenzitate vor. 227 Am 226 Es wäre interessant zu untersuchen, wie weit dies in antiken Texten verbreitet ist (z.B. Caesars de bello Gallico). Auch bei den Synoptikern spricht Jesus in der dritten Person vom „Menschensohn“, meint aber sich (z.B. Mt 17,22f.). 227 Direkte Gedankenzitate: Mt 9,3 (einige); 12,44 (unreiner Geist); 16,7 (Jünger); 21,37 (Weingärtner); 24,48 (böser Knecht).
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
zweithäufigsten ist im MtEv das klare Gegenstück zur direkten Rede, der Gesprächsbericht. Der Redebericht wird auffallend oft bei den Gegenspielern Jesu verwendet, vor allem in der Passionsgeschichte, jedoch nicht ausschließlich bei ihnen.228 Nur manchmal dienen Gesprächsberichte wie in 28,11 zur Einleitung einer Szene, gefolgt von einer Antwort in direkter Rede.229 Im MtEv gibt es außerdem einige Gedankenberichte, die jedoch nicht immer klar als solche abzugrenzen sind. 230 Indirekte Rede begegnet eindeutig wohl nur in Mt 16,21; 24,20; 27,64; vgl. die indirekten Gedankenzitate in Mt 27,18.63. Bis auf die modernen Wiedergabeformen der freien (in)direkten Rede und des freien (in)direkten Gedankenzitats (erlebte Rede, innerer Monolog) kommen also alle Arten von Erzähldistanzen im MtEv vor. Bewertung der Methode: Die Erzähldistanz bei der Wiedergabe von Gesprächen und Gedanken ist zusammen mit der Innensicht (Kap. 3.6.3) und der Wertung einer Figur durch den Erzähler (3.6.5.1) ein Aspekt der figurenbezogenen Erzählperspektive und beeinflusst die Empathie des Rezipienten für einzelne Figuren (3.7.1). – Die Methode ist gut auf das MtEv anwendbar; man kann tatsächlich verschiedene Distanzen feststellen. Offenbar steuert auch der Autor des MtEv bewusst, was er genauer erzählt und was er weniger genau erzählt, wo er also direkte Rede oder aber Gesprächsberichte einsetzt. In Mt 28,11 ist dies sehr deutlich erkennbar. Der Rezipient soll sich nicht zu sehr in die Wachen und Hohenpriester hineindenken, während der Auferstandene nur in direkter Rede zu Wort kommt. – Zum einen hilft die Methode zur Analyse der Erzähldistanz, das erzähltechnische Profil des Autors zu beschreiben. Dazu kann man im Einzelnen die Verteilung unterschiedlicher Gesprächsdistanz auf einzelne Figuren, auf die narrativen Ebenen, auf Handlungsstränge oder auf den Verlauf der Erzählung untersuchen und ggf. charakteristische, oft intentionale Muster feststellen. Zum anderen sind die Beobachtungen wichtig, um die Rezepti228 Gesprächsberichte: Mt 2,4.7 (Herodes); 2,12.22 (Traum von Gott); 3,6 (Menschen aus Jerusalem); 4,23; 9,35 (Jesus predigt; vgl. 11,1); 7,9 (ein Sohn; vgl. 7,7.11); 8,16; 10,1.8; 12,16; 15,10 (Jesus); 8,33f. (Schweinehirten und Gadarener); 9,26 (Nachricht; vgl. 9,31); 9,33; 12,22; 15,31 (Stumme reden); 12,14; 22,15 (Pharisäer); 12,41f. (Leute von Ninive, Königin vom Süden); 14,1.9 (Tetrarch Herodes – Bericht und Befehl); 14,12f. (Jünger Johannes des Täufers); 14,19 (Jesus dankt, vgl. 15,36); 15,31 (Volk); 16,1 (Pharisäer und Sadduzäer); 17,3 (Mose und Elia); 19,13 (Jünger); 22,15 (Pharisäer); 25,19 (der Herr); 26,4.59; 27,1.7.12.20; 28,12 (Hohenpriester und Älteste); 27,44 (Räuber); 27,58 (Josef/Pilatus); 28,11 (Soldaten). – Im Einzelfall ist es manchmal schwierig zu entscheiden, wann die Beschreibung einer Redehandlung als Gesprächsbericht angesehen werden kann. 229 Vgl. noch Mt 14,1; 17,3; 19,13; 25,19. Ansonsten haben die Gesprächsberichte im MtEv sehr unterschiedliche Funktionen. 230 Gedankenberichte: Mt 1,19f. (Josef); indirekt auch 21,45f. u.a.
3.6 Perspektivenanalyse
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onslenkung genauer nachvollziehen zu können, besonders die Empathiesteuerung. Bei der konkreten Anwendung auf das MtEv haben sich zahlreiche Fragen ergeben, die eine genauere Ausarbeitung der Methode erfordern: a) Die direkte Rede im MtEv ist oft sehr knapp und in dieser Kürze nicht realistisch, so dass der Rezipient sie ebenfalls als eine Art Zusammenfassung/Gesprächsbericht ansehen muss. Gekürzte wörtliche Rede ist in diesem Konzept bisher nicht vorgesehen. b) Es ist zu berücksichtigen, dass die Erzähldistanz für jede narrative Ebene einzeln untersucht werden muss, so kann z.B. in direkter Rede wiederum eine direkte Rede und darin ein Gesprächsbericht vorkommen (Mt 15,8). Solche Konstellationen sind noch kaum systematisch beschrieben. c) Außerdem gibt es Mischformen wie Gesprächsberichte, welche die direkte Rede zusammenfassend einleiten oder abschließen (11,20f.; 13,3.34; 16,22). d) Problematisch ist auch die Abgrenzung von Gesprächs- oder Gedankenberichten. Ab wann lässt sich etwas als Gesprächsbericht ansehen, und wo ist es eher nur ein Verb oder ein Substantiv, das eine Sprechhandlung bezeichnet? Zum einen gibt es Aussagen, die sich beschreibend (15,11), auffordernd (5,44) oder verbietend (6,2) auf einen Sprechakt beziehen, ihn aber nicht in die Handlung einbetten.231 Zum anderen ist nicht geklärt, ob auch das Erzählen bewussten Schweigens als Gesprächsbericht eingeordnet werden kann (15,23). 3.6.3 Wahrnehmungszentrum und Innensicht Die Fokalisierung hat, wie in Kap. 2.6.3 geschildert, eigentlich zwei Aspekte, die sich im Fall des MtEv auf unterschiedliche Figuren verteilen. Genettes Frage „Wer nimmt wahr?“ und Bals Suche nach dem focalizer beziehen sich auf die Vorstellung, dass der Erzähler und damit der Rezipient eine bestimmte Figur in ihrer Wahrnehmung begleitet. Etwas anderes ist dagegen die Frage, wie sehr der Erzähler „innere“ Figurenmerkmale 232 berichtet bzw. durch Schlussfolgerungen implizit in eine Figur hineinschauen lässt. Bei der Fokalisierung im ersten Sinn („Wahrnehmungszentrum“) kann man die Handlung entlanggehen und überprüfen, wer die Ereignisse erlebt; die zweite Art von Fokalisierung („Innensicht“) betrifft jede Figur einzeln, nämlich die Intensität, mit der ihr Inneres dargestellt wird. Dabei können das Maß der Innensicht (extern fokalisiert – intern fokalisiert), die Gleichmäßigkeit der Innensicht (fokalisiert – unfokalisiert) und die Variabilität der Fokalisierung (statisch – dynamisch) beschrieben werden. Aus praktischen Gründen wird zuerst die Innensicht untersucht, dann das Wahrnehmungszentrum. 231
Vgl. außerdem Mt 7,7; 10,11f.19; 12,37. Zu den Figurenmerkmalen, die sich auf die Innensicht beziehen, zählen wohl: Charakterzüge, Meinungen, Erleben, Gefühle, Wissen/Können, Wünsche und Intentionen. 232
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1. a) Intensität der Innensicht: In Mt 28 werden tatsächlich einige Figuren eher „von außen“, andere Figuren eher „von innen“ betrachtet. Sehr äußerlich ist der Engel, dessen Charakterzüge, Meinungen, Gefühle und Erleben für den Rezipienten keine große Rolle spielen. Auch der Auferstandene ist nicht von seinen Emotionen und Reaktionen her geschildert, 233 sondern eher von außen als Beauftragender. Ein wenig intensiver ist die Innensicht bei den Hohenpriestern, deren Gefühle und Meinungen über den Bericht der Wachen zwar nicht explizit genannt werden, deren Dilemma der Rezipient aber aus V. 12 (sumbouvlion labovnte~) erschließen kann. Bezogen auf die Frauen, die Wachen und die Jünger hat der Erzähler dagegen eine eher stärker ausgeprägte Innenperspektive. Er berichtet ausdrücklich von der Furcht der Wächter, der Freude der Frauen und dem Zweifeln der Jünger (28,4.8.17). Auch anhand ihrer Verhaltensreaktionen kann sich der Rezipient ausmalen, was in den Figuren gerade vorgeht (vgl. 3.5.2.1 zu induktiven Schlussfolgerungen). Absolut gesehen, ist die Innensicht aber auch hier nicht intensiv ausgearbeitet. Der Rezipient muss sich, wie es für die synoptischen Evangelien typisch ist, mit wenigen Hinweisen zum Inneren der Figuren begnügen. Mt hätte noch viel genauer schildern können, was die Frauen, Wachen oder Jünger gerade erfahren, fühlen und denken (so z.B. das EvPetr; s.o. 3.6.1). Die Geschichte „funktioniert“ also auch ohne tiefe Innensicht; sie ist im Interesse einer hohen Handlungsdichte äußerst ökonomisch erzählt. b) Gleichmäßigkeit der Innensicht: Durch die unterschiedlich starken Innensichten ist Mt 28 insgesamt leicht fokalisiert, und zwar auf die Frauen, die Wachen und die elf Jünger. An anderen Stellen des MtEv ist eine Fokalisierung deutlicher vorhanden, doch hier verteilt sich die Innensicht auf mehrere Figurengruppen. Außerdem ist für den Rezipienten auch das Auftreten und Reden Jesu sowie in Mt 28,11–15 die Reaktion der Hohenpriester interessant, was die Fokalisierung auf Frauen, Soldaten und Jünger zusätzlich relativiert. c) Variabilität der Innensicht: Die Jünger sind in Mt 28 neben Jesus (und Gott) die einzigen handlungstragenden Figuren, die im MtEv bereits vorher ausführlich dargestellt wurden. Eine kursorische Durchsicht des MtEv legt die Vermutung nahe, dass sich die Stärke der Innensicht in die Jünger nicht erkennbar ändert, sondern es sind bei der Jüngerdarstellung an verschiedensten Stellen knappe Hinweise bzw. Indizien auf die Gefühlsund Gedankenwelt der Jünger vorhanden. 234 Das könnte jedoch im Einzel233 Anders dagegen z.B. in Getsemane, wo man eine vergleichsweise starke Innensicht erhält und dadurch mit Jesus „mitleidet“ (Mt 26,36–46). 234 Innensicht in die Jünger: Mt 4,20.22; 8,25f.; 13,10.16f.; 14,26.28–33; 15,33; 16,5– 23; 17,1–13.16f.19f.23; 18,1.21; 19,10.13.25.27; 20,21f.24; 21,20; 26,8f.14–16.21–25. 33–35.40.43.48f.51.69–75; 27,3–5; 28,17.
3.6 Perspektivenanalyse
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nen untersucht werden. Möglicherweise gibt es bezogen auf Jesus jedoch Variationen in der Innensicht. Während Jesus sonst eher extern fokalisiert wird, ragt besonders die Schilderung des inneren Ringens Jesu in Gethsemane heraus (26,36–46). Insgesamt kann man für das MtEv aber wohl am ehesten von einer statischen Fokalisierung ausgehen. 2. Wahrnehmungszentrum:235 Was das Wahrnehmungszentrum angeht, könnte man das MtEv allgemein in drei Abschnitte unterteilen: a) In Mt 1– 3 dienen verschiedene Figuren als Fokalisatoren; b) in Mt 4–25 ist Jesus durchgängig das Wahrnehmungszentrum; c) in Mt 26–28 sind daneben auch verstärkt die Perspektiven anderer Figuren(gruppen) geschildert. – a) Die Genealogie in Mt 1,1–17 ist gar nicht durch eine Figur fokalisiert, dagegen teilt 1,18–25; 2,13–15.19–23 den Blick Josefs. Mt 2,1–12 ist aus der Perspektive der mavgoi erzählt und in 3,1–17 wird Johannes der Täufer begleitet. b) In Mt 4,1–26,2 (bzw. schon ab 3,13) wird durchgängig das Erleben und Verhalten Jesu geschildert. Alle diese Geschehnisse könnten inhaltlich also von Jesus berichtet werden. Auch die einzige Ausnahme Mt 14,1–12 ist in der Weise integriert, dass Jesus vom Tod Johannes des Täufers hört und darauf reagiert. Für eine Reihe von Szenen dienen zusätzlich auch die/einzelne Jünger oder die Allgemeinheit als Wahrnehmungsinstanzen.236 c) In Mt 26,3–28,20 sind Jesus und die Jünger weitgehend die Fokalisatoren, doch gibt es mehrere Szenen, die nicht in deren Wahrnehmungsbereich liegen: der Tötungsbeschluss der Hohenpriester und Ältesten (26,3–5), der Verrat des Judas (26,14–16.48) 237, sein Tod und die Reaktion der Hohenpriester darauf (27,3–7). Ausschließlich durch Jesus und nicht durch die Jünger fokalisiert ist 26,39–44, wo die drei Jünger nicht mitbekommen können, was Jesus betet. In 26,57–68(!).69–75 wird dagegen Petrus zur (alleinigen) Wahrnehmungsinstanz. Ab Mt 27,51 wechselt die „Erzählerkamera“ sehr schnell. In diesem Vers wird ein kurzer Blick in den Tempel geworfen. Danach werden nacheinander verschiedene Figuren vom Erzähler begleitet: In 27,52–54 die Wachen am Kreuz, in 27,57–60 Josef von Arimathäa, in 27,62–66 die Hohenpriester, in 28,1–10 die Frau235 YAMASAKI, Watching, 157f. behandelt diesen Aspekt unter der Überschrift „Degree to Which a Character Is Followed“ und wählt als Beispiel auch das MtEv. 236 Folgende Wahrnehmungszentren sind zu beobachten: Mt 4,1–11 nur Jesus; 4,12– 17 Jesus und die Allgemeinheit; 4,18–22 Jesus, Petrus, Andreas und Zebedäussöhne; 4,23–8,1 Jesus, Jünger und die Allgemeinheit; 8,2–13,58 Jesus und Jünger; 14,1–12 Tetrarch Herodes und indirekt Jesus; 14,13–36 Jesus und Jünger; 15,1–11 Jesus, Pharisäer und Schriftgelehrte; 15,12–16,28 Jesus und Jünger; 17,1–9 Jesus, Petrus und Zebedäussöhne; 17,10–21,22 Jesus und Jünger (17,24–27 nur Jesus und Petrus; 20,20–24 nur Jesus und Zebedäussöhne); 21,23–22,46 Jesus und Gegner Jesu (nacheinander Hohepriester und Ältesten, Pharisäer, Sadduzäer und Schriftgelehrten); 23,1–26,2 Jesus und Jünger. 237 Dass Judas zu den Hohenpriestern geht, kann hier natürlich nur der Erzähler wissen; Jesus und die Jünger erfahren das höchstens im Nachhinein (26,50).
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en, in V. 11–15 die Wachen am Grab und in V. 16–20 die Jünger. – Im Überblick über das gesamte MtEv erhalten wir ein interessantes Ergebnis: Mit dem Beginn der Passionsgeschichte löst der Erzähler Mt das Wahrnehmungszentrum langsam von der Person Jesu, erst für kürzere Abschnitte, dann für immer längere. In Mt 28 ist dann keine der Szenen mehr durch Jesus fokalisiert. Das Wahrnehmungszentrum geht auf die Nachfolger (und Gegner) Jesu über. Außerdem ist das Wahrnehmungszentrum ab 27,51 bemerkenswert variabel, weil es jeweils innerhalb weniger Verse wechselt. Bewertung der Methode: Neben der Beteiligung des Erzählers am Geschehen (3.6.1) und der sprachlichen Distanz (3.6.2) ist die Fokalisierung der dritte Aspekt der perspektivischen Vermittlung von Figuren. Dabei hat es sich gezeigt, dass man die Frage nach der Fokalisierung sinnvoll in zwei Teilfragen nach „Innensicht“ und „Wahrnehmungszentrum“ untergliedern kann. – Beide Fragestellungen sind gut auf das MtEv anwendbar. Tatsächlich sind hier auch auffällige Verteilungen der Innensicht und Übergänge beim Wahrnehmungszentrum zu beobachten. Ein Vergleich mit anderen antiken Texten, z.B. dem MkEv und LkEv, könnte die Ergebnisse profilieren. Zusammen mit den anderen Analyseaspekten des point of view erweist sich die Frage nach der Innensicht und dem Wahrnehmungszentrum als sehr hilfreich, um die Empathie abzuschätzen, also wie stark der Rezipient in das Erleben der Figuren involviert wird (vgl. 3.7.1). Methodisch bleiben noch mehrere Probleme ungeklärt: a) Die Kriterien für hohe oder niedrige Innensicht sind nicht klar festgelegt. Soll man sich nur auf die Anzahl der expliziten Figurenbeschreibungen bezüglich Charakterzügen, Meinungen, Erleben, Gefühlen, Wissen/Können, Wünschen und Intentionen stützen, oder muss man sie nicht eher qualifizieren? Wie sollen ausdrückliche und implizit erschließbare Figurenmerkmale abgestuft werden? Forschungen zum besseren Verständnis der Perspektivierung durch Innensicht sind hier wünschenswert. b) Außerdem bleibt offen, wie man die Stärke der Gleichmäßigkeit der Innensicht bestimmen kann. Zwischen den beiden Polen „Fokalisierung“ und „Nullfokalisierung“ müsste eigentlich eine Skala formuliert werden. c) Es stellte sich heraus, dass nicht alle Teile der Erzählung in dieser Weise untersucht werden können. Erzählerkommentare wie z.B. die Genealogie in Mt 1,1–17 oder Reflexionszitate passen nicht in die Kategorie der Innensicht oder des (figurengebundenen) Wahrnehmungszentrums. 3.6.4 Erzähler Auch dieser Untersuchungsaspekt, die Beschreibung des Erzählers, gilt eigentlich für jeden Erzähler der unterschiedlichen narrativen Ebenen (vgl. 2.2.1). In Mt 28 sind z.B. der Engel und Jesus sekundäre Erzähler. Diese wurden bereits im Rahmen der Figurenanalyse charakterisiert (3.5.2.1),
3.6 Perspektivenanalyse
373
außerdem ist der Erzählkontext jeweils klar erkennbar. Im Folgenden soll es besonders um den primären Erzähler des MtEv gehen, d.h. den Autor, der den Text des gesamten Evangeliums geschrieben hat. Hier besteht die Schwierigkeit, dass der Erzähler sehr verborgen ist, also weder über sich noch über den Zeitpunkt der Abfassung viel erkennen lässt (s.u.), weswegen mögliches Vorwissen des intendierten Rezipienten über ihn besonders wichtig wird. a) Räumlicher und zeitlicher Standort: Wie man diesen Standort des Erzählers ermittelt, dafür gibt es in der Narratologie bisher keine Methode außer die Einteilung in „früheres“, „gleichzeitiges“ und „späteres“ Erzählen. Bei den Binnenerzählungen des MtEv, wo die Figuren als sekundäre Erzähler fungieren, ist deren Standort oft leicht anzugeben. Der Engel am Grab (28,5–7) deutet die Gegenwart, zeigt in die Vergangenheit und weist voraus in die Zukunft. Der Auferstandenen in Galiläa bezieht sich ebenfalls auf Geschehnisse aller Zeitstufen, er richtet den Blick von der Vergangenheit (ejdovqh) über die Zukunft (maqhteuvsate) in die Gegenwart (ejg w; meqÆ uJmw`n eijmi) (V. 18–20). Beim primären Erzähler, dem Autor, handelt es sich dagegen durchgängig um späteres Erzählen. In Mt 28 kommt dabei fast immer der Aorist zum Einsatz. Zum Zeitpunkt gibt es wenige innertextliche Hinweise: Im „Heute“ (shvmeron) des Erzählers heißt das Begräbnisfeld für Fremde in Jerusalem offenbar „Blutacker“ und manche Juden glauben an einen Leichendiebstahl durch die Jünger (27,8; 28,15). Diese Informationen sind sehr dürftig, sie können aber durch textexternes Wissen und Schlussfolgerungen ergänzt werden. Um den raumzeitlichen Standort (das „Setting“, vgl. Kap. 3.3) des primären Erzählers genauer zu beschreiben, kann die Narratologie – wieder einmal – nicht ohne historische Forschung auskommen. Als grundsätzliche Entscheidungskriterien für die zeitliche Einordnung einer Erzählung können gelten: A. Explizite und implizite Angaben zur Datierung (innerhalb oder außerhalb der Erzählung), die kritisch überprüft werden müssen; B. Voraussetzung bestimmten, historisch entstandenen Vorwissens (Bezug auf historische Ereignisse, technische Errungenschaften, Namen von Orten usw.); C. die Wahrscheinlichkeit bestimmter Inhalte und Formen (z.B. Hauptaussagen, Vokabular, Gattungen) zu einer bestimmten Zeit; D. Abhängigkeitsverhältnisse mit anderen, datierbaren Texten/Erzählungen (verwendete Quellen, spätere Zitierungen) 238
Weil es in dieser Arbeit um Impulse der Narratologie für die Exegese geht, braucht die Datierung des MtEv hier nicht erörtert zu werden. Im Allgemeinen wird das MtEv zwischen 80–100 n.Chr. eingeordnet, u.a. wegen 238
Zusammengefasst nach FOHRER/HOFFMANN u.a., Exegese, 148f.; STECK, Exegese, 151 („Bestimmung des historischen Ortes“).
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seines Bezugs auf das MkEv einerseits (Kriterium D), seiner Verwendung in der Didache und durch Ignatius von Antiochien andererseits (Kriterium D) und wegen indirekter Anklänge an die Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 n.Chr. (21,41; 22,7; 23,38; 24,2) (Kriterium B). Für die räumliche Einordnung einer Erzählung können analoge Kriterien formuliert werden: A. Explizite und implizite Angaben zur Lokalisierung (innerhalb oder außerhalb der Erzählung), die kritisch überprüft werden müssen; B. Voraussetzung bestimmten, nur lokal vorhandenen Vorwissens (Bezug auf historische Ereignisse, technische Errungenschaften, Ortsnamen usw.); C. die Wahrscheinlichkeit bestimmter Inhalte und Formen an einem bestimmten Ort; D. Abhängigkeitsverhältnisse mit anderen, lokalisierbaren Texten.
Meist wird das MtEv im syrischen Raum, besonders in der Gegend um Antiochien, verortet.239 Dafür sprechen u.a. die Bezüge auf das MtEv in der Didache und bei Ignatius von Antiochien (Kriterium D). b) Person des Erzählers: Wie bei der Rezeption von Figuren entsteht beim intendierten Rezipienten auch ein mehr oder weniger konkretes Bild des primären Erzählers, d.h. des Autors. Entsprechend zu den Figurenmerkmalen können also nacheinander seine Identität, seine Charakterzüge, seine Meinungen, sein Erleben und Verhalten, seine Gefühle, seine äußeren Attribute, sein sozialer Kontext, sein Wissen/Können, seine Pflichten, Wünsche und Intentionen erörtert werden. Um einem Missverständnis vorzubeugen: Genau wie bei der Wahrnehmung der Figuren wird hier danach gefragt, welche Vorstellung vom Autor beim Rezipienten aufgebaut wird, nicht wie/wer der Autor wirklich ist. Daher müssen historische Überlegungen, wer der Autor war, immer zusätzlich durch das „Sieb“ der Verfügbarkeit und Erinnerungsnähe gehen, d.h. es muss berücksichtigt werden, welche dieser Informationen auch dem intendierten Rezipienten zugänglich gewesen sein kann. Die Wahrnehmung geschieht auf Basis dieses Vorverständnisses. Tatsächlich rechnet ein Autor häufig damit, dass die Rezipienten bereits bestimmte Dinge über ihn wissen, weil sie ihn z.B. persönlich kennen (vgl. Lk 1,3 im Gegensatz zu EvPetr 14,59f.). Während die Narratologie dafür bisher keine Kriterien formuliert hat, ist die Frage nach dem Verfasser ein Schwerpunkt der „klassischen“ historischen Forschung. Die Narratologie kann diese Ergebnisse aufnehmen, bezieht sie aber auf die Vorstellung des intendierten Rezipienten und weist zugleich über die bisherige Beschränkung auf die Identität, Meinungen und Intentionen 240 des Verfassers hinaus. Aus Platzgründen kann jeder dieser Aspekte hier nur angedeutet werden. 239
Vgl. nur KONRADT, Israel, 388 Anm. 45 (Lit.); daneben Einleitungen ins Neue Testament und Kommentare zum MtEv. 240 Klassische exegetische Untersuchungsthemen sind „Verfasser“, „Theologie“ und „Intention“ einer neutestamentlichen Schrift.
3.6 Perspektivenanalyse
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– Identität: Der primäre Erzähler spricht nicht explizit darüber, wer er ist. Der intendierte Rezipient nimmt jedoch wahr, dass er die griechische Sprache beherrscht und dass es sich offenbar um einen Judenchristen 241 handelt. Dafür sprechen die inhaltlichen Schwerpunkte des MtEv: die große Zahl an Erfüllungszitaten, die wiederholte Frage nach dem Umgang mit dem Gesetz, die Zeichnung Jesu als neuer Mose, das Halten des Sabbats (24,20), die starke Polemik gegen Pharisäer u.a. Der Erzähler des MtEv ist höchstwahrscheinlich ein Mann. 242 Die Frage nach der Identität des Verfassers gehört eigentlich zur neutestamentlichen Einleitungswissenschaft; jedoch gibt es auch dort m.W. keine umfassende explizite Methode, um die Eigenschaften eines Autors zu beschreiben und die jeweiligen Argumente zu gewichten. Beim MtEv kann man die kritische Frage stellen, ob die Identität des primären Erzählers des MtEv überhaupt für den intendierten Rezipienten wichtig ist, da der Autor so stark hinter die Erzählung zurücktritt (s.u.: „verborgener Erzähler“). – Charakterzüge: Diese Fragestellung ist legitim, doch im Fall des MtEv ist es schwer, aus dem Schreibverhalten oder seinen Meinungen genauer auf die Charakterzüge des Autors zu schließen. Bei den Paulusbriefen kommt man zu besseren Ergebnissen als im MtEv. – Meinungen: Vgl. dazu unten 3.6.5.1 zum Erzählerstandpunkt. – Erleben: Wenn das Erleben nicht direkt geschildert wird, kann der Rezipient manchmal indirekt prägende Erlebnisse des Autors aus der Erzählung heraus erkennen, weil sie sein Erzählverhalten in einer bestimmten Weise beeinflussen. Es ist z.B. bemerkenswert, dass Mt so stark gegen die Pharisäer polemisiert (Mt 23). Beruht diese Abwehr auf persönlichen Erfahrungen? Vermutlich teilt der intendierte Rezipient dieses Vorwissen mit dem Autor, sonst würde die Thematik keine so große Rolle spielen. – Gefühle: Die Gefühle des Erzählers beim Schreiben sind im Allgemeinen schwierig zu bestimmen, weil der Erzähler wenig sichtbar ist. An 241
So auch die Mehrheitsmeinung in der Exegese; vgl. exemplarisch D AVIES/A LLI Matthew I, 7–58. 242 Es ist zum einen eine Tatsache, dass die meisten antiken Autoren Männer waren, zum anderen lässt sich eine männliche Perspektive auch recht gut im MtEv nachweisen. Mt 1,18–25; 2,13–15.19–23 wird durch Josef fokalisiert, nicht – wie die Geschehnisse im LkEv – durch Maria. Haupt-Identifikationsfiguren für den Rezipienten sind die (männlichen) Jünger, nicht die weiblichen Figuren, die nur in einzelnen Szenen auftauchen und den Jüngern häufig als positive Beispiele gegenübergestellt werden. Auch in Mt 28 hat der Autor ein nur beiläufiges Interesse an den Frauen am Grab. Sie dienen als Vorbilder der Treue und als Boten; das eigentliche Augenmerk gilt jedoch weiterhin den männlichen Jüngern. Das schließt nicht aus, dass an der mündlichen Überlieferung der Quellen, die der Autor auswählte und verwendete, nicht auch Frauen beteiligt waren. So bieten insbesondere die Überlieferungsabschnitte Mt 8,14f.; 9,20–22.25; 2,49f.; 15,21–28; 20,20; 24,41; 25,1–13; 26,6–13 Identifikationsmöglichkeiten für Jüngerinnen.
SON,
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
einzelnen Punkten der Erzählung, z.B. bei starken Wertungen wie in Mt 23, kann der Rezipient aufgrund seiner Skripts aber Ärger, Frustration oder Freude beim Autor erschließen. – Verhaltensweisen: Das Verhalten des Mt betrifft sein Schreibverhalten und ist uns unmittelbar zugänglich, sowohl inhaltlich (thematisch) als auch formal (verwendete Erzähltechniken, Gattungen usw.). Die meisten Analyseaspekte der Narratologie widmen sich in diesem Sinn eigentlich dem „Verhalten“ des Erzählers, also seinen Sprechakten. – Äußeres: Der Rezipient kann das Äußere des Autors (Alter, Aussehen, Kleidung) in keiner Weise aus der Erzählung erschließen. – Sozialer Kontext: Allerdings nimmt der intendierte Rezipient einige Beziehungen wahr, in denen der Autor lebt. Dazu gehört insbesondere seine Identität als Judenchrist (s.o.). – Wissen/Können: Vgl. dazu unten Nr. d) und e). – Pflichten: Inwiefern der Autor aus Sicht des Rezipienten bestimmten Pflichten unterliegt, z.B. wichtige Überlieferungsstücke nicht zu vergessen, ist heute schwierig zu rekonstruieren. – Die Wünsche des Autors kann der Rezipient teilweise aus dessen Verhalten und Intentionen ableiten. Er kann z.B. annehmen, dass Mt sich im Einklang mit 28,19 wünscht, dass pavnta ta; e[qnh Jünger Jesu werden, weswegen er auch die Lehre Jesu darstellt, die Rezipienten vom Kleinglauben abbringen und im Glauben vergewissern will. Der Wunsch, dass sich der Glaube an den Auferstandenen auch unter den Juden verbreitet, scheint dagegen nicht (mehr) prominent zu sein (vgl. 28,15 mit V. 16.19). – Intentionen: Vgl. bezogen auf die Erzählung Kap. 3.7. Die Frage nach den Intentionen des Verfassers ist bereits ein wichtiger Teil der bisherigen Exegese, sie kann aber durch die narratologische Beschreibung der Rezeptionswirkung (Empathie, Spannung, Rezeptionsemotionen, intendierte Applikationen u.a.) präzisiert werden. c) Erkennbarkeit: Mt ist ein relativ verborgener Erzähler. Er ist klar der Handlung enthoben und unbeteiligt (vgl. 3.6.1). Ein beteiligter Erzähler oder ein narrativer Rahmen hätte die Aufmerksamkeit des Rezipienten stärker auf den Autor gelenkt, was der Absicht des Mt offenbar zuwiderläuft.243 So steht das Geschehen selbst im Mittelpunkt. Nur bei Erzählerkommentaren, d.h. der Genealogie in Mt 1,1–17, den Erfüllungszitaten 244 243 Wenn in diesem Abschnitt genauer nach der Vorstellung vom Erzähler beim Rezipienten gefragt wird, so geschieht dies immer unter der Voraussetzung, dass sich der intendierte Rezipient auch für den Erzähler interessiert. Das ist im MtEv deswegen der Fall, weil der primäre Erzähler die für den Rezipienten wichtigen Aussagen verbürgt und durch eigene Kommentare ansatzweise in Erscheinung tritt. 244 S. die Reflexionszitate Mt 1,22f.; 2,15.17f.23; 3,3; 4,14–16; 8,17; 12,17–21; 13,35; 21,4f.; 27,9f. Vgl. auch Mt 13,14f.; 15,7–9; 21,16.42; 26,54.56 im Munde Jesu.
3.6 Perspektivenanalyse
377
und zwei Verweisen auf das „Heute“ (27,8; 28,15), leuchtet die Person des judenchristlichen, schriftkundigen Autors hindurch. d) Erzählerische Fertigkeiten: Der Erzähler und Autor Mt hat ein breites Spektrum an erzählerischen Möglichkeiten, um die beabsichtigte Wirkung beim Rezipienten zu erreichen. Er arbeitet u.a. sehr stark mit Figurenvergleichen (3.5.2.2), kann Gesprächsberichte und direkte Rede bewusst variieren (3.6.2), setzt unzuverlässige Figurenrede ein (3.5.5) und kann die Empathie und Sympathie des Rezipienten zu Figuren ohne explizite Kommentare steuern (3.7.1, 3.7.2). Eine umfassende Beurteilung dieser Erzähltechniken im Vergleich mit anderen antiken Autoren wäre lohnenswert. e) Wissensstand: Bezogen auf die geschilderte Handlung weiß der Erzähler mehr als alle seine (menschlichen) Figuren, was beispielsweise an dem wechselnden Wahrnehmungszentrum zu erkennen ist (3.6.3). Allerdings ist der jeweilige Wissensstand im Verhältnis zu einzelnen Figuren schwierig zu bestimmen – der Erzähler sagt ja, was er weiß, und trotzdem kann er mehr wissen, als er sagt. Auf der anderen Seite handelt es sich auch nicht um einen „allwissenden“ Erzähler; sein Wissen stößt z.B. bei dem Zeitpunkt der Wiederkunft Jesu an seine Grenze (24,36). Wenn man den Wissensstand des Erzählers aus Sicht des Rezipienten inhaltlich rekonstruieren möchte, könnte man ihn in drei Bereiche untergliedern: 1) sein Wissen von Ereignissen (z.B. im Leben Jesu), 2) sein Wissen über allgemeine Sachverhalte (z.B. theologische Aussagen), 3) sein Wissen über die tatsächliche Kommunikationssituation. Eine Historizitätsprüfung und eine Theologie des MtEv könnten an dieser Stelle einfließen, müssten aber auf die mögliche Wahrnehmung des intendierten Rezipienten fokussiert werden. Weil diese Untersuchungen sehr umfangreich sind und in der Narratologie keine Methode dafür ausgearbeitet ist, möchte ich diesen Punkt überspringen. Bewertung der Methode: Die differenzierte Analyse der Wahrnehmung des (primären) Erzählers, des Autors, durch den Rezipienten ist ein sehr weites Feld und weist methodisch über die Narratologie hinaus. Insbesondere beim raumzeitlichen Standort des Erzählers, seiner Identität, seinem (biografischen) Erleben und seinem Wissensstand ergeben sich Überschneidungen zur herkömmlichen historischen Frage nach dem Verfasser. Für die narrative Analyse darf jedoch nur dasjenige externe Weltwissen über den Verfasser einbezogen werden, das auch dem intendierten Rezipienten zur Verfügung stand. Weil vor allem die Vielfalt der möglichen Analysekategorien gezeigt werden sollte, musste die Anwendung auf das MtEv verkürzt werden. – Die Anwendung verschiedener Beschreibungskategorien bezogen auf die Wahrnehmung des Autors durch den Rezipienten bewahrt einerseits vor Engführungen z.B. auf die Datierung der Erzählung
378
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
und die Identität des Verfassers. Daneben wird auch berücksichtigt, dass nicht der historische Autor, sondern die Vorstellung vom Erzähler, die sich beim Rezipienten bilden soll, für die Interpretation (= die Beschreibung der intendierten Rezeption) maßgeblich ist. – Die Methode zur Beschreibung des Erzählerbildes ist innerhalb der Narratologie erst im Ansatz ausgearbeitet. Für die Rekonstruktion der Kommunikationssituation können die Entscheidungskriterien der historischen Forschung verwendet werden. 3.6.5 Erzählerstandpunkt, Erzählkontext, Erzählabsicht Am ausführlichsten soll hier der Standpunkt des Erzählers in Mt 28 analysiert werden, weil die entsprechende Methode vergleichsweise gut ausgearbeitet wurde und die Beschreibung des Erzählerstandpunkts eine wichtige Voraussetzung für die Analyse der intendierten Meinungs- und Verhaltensänderung ist (vgl. 3.7.7). Der Erzählkontext ist eigentlich nur mit historischen Methoden zu rekonstruieren und wird daher an dieser Stelle nur am Rand behandelt; die Erzählabsicht wird in Kap. 3.7 genauer beschrieben. 3.6.5.1 Erzählerstandpunkt Wie unter 2.6.5 beschrieben, kann der Erzählerstandpunkt (= die vom intendierten Rezipienten wahrgenommene Meinung des Erzählers) in einen axiologischen und einen alethischen Standpunkt unterteilt werden, also in Einstellungen und Überzeugungen. Für den axiologischen Standpunkt müssen Werturteile, Normen und Werte untersucht werden, bezogen auf den alethischen Standpunkt das Bild von Wirklichkeit. 1) axiologischer Standpunkt (Einstellungen): Hier ist zu prüfen, wie der Erzähler die Figuren bewertet; möglich sind aber auch Werturteile des Erzählers über sich und die Erzählung, den Rezipienten und – auf dem Weg indirekter Applikation (3.7.6.2) – über andere Menschen. Werturteile über den Erzähler selbst, über die Erzählung oder den Rezipienten kann man in Mt 28 nur sehr indirekt erkennen. Daher möchte ich mich im Folgenden auf die Werturteile über Figuren konzentrieren. Werturteile über eine Entität geschehen aufgrund des Vorhandenseins oder Nichtvorhandenseins von bestimmten Merkmalen, die mit Bewertungen versehen sind. Dabei sind Normen wünschenswerte (Verhaltens-) Merkmale, Werte deren Begründung. Wenn man eine Figur aufgrund ihrer Übereinstimmung mit Normen beurteilt, soll von der deduktiven Bewertungsrichtung gesprochen werden. Im Gegenzug können durch bestimmte Strategien jedoch auch Merkmale von Figuren (z.B. Charaktereigenschaften, Verhaltensweisen, Intentionen) mit neuen Bewertungen versehen werden (induktive Bewertungsrichtung), d.h. die Bewertung der Figur be-
3.6 Perspektivenanalyse
379
stimmt die Bewertung des Merkmals, nicht umgekehrt. 245 Diese gegenläufigen Bewertungsrichtungen in einer Erzählung können wohl am besten anhand einer Tabelle mit Werturteilen, Normen und Werten sichtbar gemacht werden. Zunächst aber zu den Werturteilen über Figuren. 1. Jesus: Jesus, der Christus und „Sohn Gottes“ (besonders 16,16), ist aus Sicht des primären Erzählers eindeutig gut – auffällig ist der programmatische Figurenkommentar Gottes zu Beginn des Auftretens Jesu (3,17): ou|tov~ ejstin oJ uiJov~ mou oJ ajgaphtov~, ejn w|/ eujdovkhsa. Auch bei den Ereignissen der Auferstehung in Mt 28 stellen sich der Engel und implizit auch Gott auf die Seite Jesu. Daneben tut Jesus vieles, was Erzähler und Rezipient positiv bewerten können: Er hält sein Versprechen, dass er auferstehen wird (V. 6); er lässt die Frauen und die Jünger nicht in ihrer Ungewissheit allein, sondern erscheint ihnen (V. 9.17–20); seine Worte stimmen mit denen des Engels überein (V. 7.10); er geht freundlich mit den Frauen um (V. 9f.); er vergibt den Jüngern (V. 10) und sagt ihnen seinen Beistand zu (V. 20). Der intendierte Rezipient muss sogar davon ausgehen, dass Jesus bei allem, was dieser sagt oder tut, keinesfalls in ein schlechtes Licht gerückt werden soll. Selbst wenn Jesus etwas macht, was den Rezipienten zunächst irritiert, z.B. dass er sehr rabiat gegenüber Händlern im Tempel vorgeht (21,12), soll dies eher die Einstellung zu bestimmten Verhaltensweisen ändern als zu Jesus selbst. Jesus dient im MtEv als absolutes positives Vorbild; er zeigt also nicht nur durch seine Meinungen, sondern ausnahmslos durch sein gesamtes Verhalten, was „gute“ Verhaltensweisen sind. 2. Jünger: Die Jünger werden ambivalent geschildert, teilweise als gut, teilweise als schlecht. Weil sie Nachfolger Jesu sind, stehen sie zwar grundsätzlich auf der „guten“ Seite, doch die Flucht der Jünger und ihr Zweifeln muss als negativ erscheinen. (Auch ambivalente Figuren wie die Jünger können dem Rezipienten trotzdem sehr sympathisch sein, weil der Rezipient äußerst hohe Empathie für sie empfindet, s.u. 3.7.1, 3.7.2.) 3. Frauen: Die Frauen werden vom Erzähler implizit als gut bewertet, weil sie Jesus gegenüber loyal sind. Einen positiven Figurenkommentar kann man darin sehen, dass der Auferstandene ihnen zuerst und zwar mit den Worten „Fürchtet euch nicht“ begegnet (V. 9f.). 246 Ihr Verhalten, bei der Kreuzigung nur „von ferne“ zuzuschauen (27,55), ist sicher nicht als Kritik des Mt gemeint, sondern durch die Plausibilität der Szene bedingt. 245
Wenn z.B. eine Hauptfigur in einem heutigen Film raucht, kann sie dadurch negativ erscheinen – als gestresst, unkonzentriert usw. (deduktiv: Bewertung des Merkmals → Bewertung der Figur); wenn sie dagegen als sympathische Hauptfigur genussvoll raucht, wird das Rauchen selbst positiver beurteilt (induktiv: Bewertung der Figur → Bewertung des Merkmals). In einigen Fällen sind beide Bewertungsrichtungen intendiert, manchmal auch gar keine Schlussfolgerung. 246 Vgl. GNILKA, Matthäusevangelium II, 495: „Die Protophanie vor den Frauen zeichnet diese in außerordentlicher Weise aus.“
380
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
4. Engel: Der Engel erscheint auch moralisch in strahlendem Licht. Er ist gut, wie der Rezipient es von einem a[ggelo~ kurivou erwartet (V. 2). Er wird weder vom Erzähler noch von den guten Figuren kritisiert; außerdem handelt er aus Sicht des Rezipienten seinem Auftrag gemäß. 5. Wachen: Dass die Soldaten ihrem Auftrag gemäß das Grab bewachen, kann ihnen vom Erzähler nicht zum Vorwurf gemacht werden. Aber dennoch sind sie dadurch implizit mit den Hohenpriestern „verbündet“, so dass deren negative Bewertung auch auf die Wachen ausstrahlt. Zu einem negativen Urteil gegenüber den Wachen trägt auch bei, dass sie ein „Hindernis“ für die Auferstehung darstellen. Wirklich böse handeln aber nur einige Wachen, die den Hohenpriestern berichten und aus Geldgier eine falsche Nachricht verbreiten, die gegen die Botschaft von der Auferstehung gerichtet ist.247 6. Hohepriester und Älteste: Abgesehen von ihrer Gegnerschaft zu Jesus sind die Hohenpriester auch deswegen böse, weil sie eigentlich von der Auferstehung wissen (28,11), aber dennoch eine Falschnachricht verbreiten lassen. Die stark negative Bewertung wurde vom Erzähler schon in Mt 1–27 vorbereitet: Während die Hohenpriester zusammen mit den Schriftgelehrten in Mt 2,4 noch richtig erkennen, dass der Messias in Bethlehem geboren werden würde, sind sie ab 16,21 (wo sie das zweite Mal im MtEv erwähnt werden) nur noch negativ konnotiert. In der ersten und in der dritten Leidensankündigung Jesu begegnen sie unter den Personengruppen, die Jesus Leid und schließlich den Tod zufügen, an erster Stelle (16,21; 20,18). Die Passion Jesu in Mt 26–28 wird durch den Bericht der Tötungsabsicht durch die Hohenpriester und Ältesten eingeleitet (26,3f.). 7. Pilatus: Besonders die Schuldfrage ist für Mt sehr wichtig, deswegen gibt er dem Rezipienten viele explizite Hinweise. Pilatus wird als jemand gezeichnet, der zwar die nominelle Verantwortung hat, der aber nicht persönlich gegen Jesus und seine Jünger eingestellt ist und nur aufgrund des äußeren Drucks Jesus verurteilen muss. Pilatus weiß, dass Jesus unschuldig ist und dass die Hohenpriester Jesus nur „aus Neid“ (dia; fqovnon) beseitigen lassen wollen (27,18). Darum versucht er es mit mehreren Strategien, um Jesus freizulassen: 1) Ihm ist bekannt, dass Jesus beim Volk beliebt ist und dass vor allem die Hohenpriester gegen ihn eingestellt sind. Wenn er nun das Volk vor die Wahl stellen würde, entweder Jesus oder den berüchtigten Gefangenen (devsmion ejpivshmon) Barabbas freizulassen, würde sich das Volk sicher für Jesus entscheiden. Dieser Plan schlägt fehl, weil die 247
Den Erzählerstandpunkt bezogen auf die Wachen am Grab behandelt auch W EARoman Characters, 122–124 ausführlich, aber etwas einseitig aus „anti-imperialistischer“ Sicht (124: „Clearly Matthew’s narrative rhetoric offers no commendation for this Roman guard … Instead there is only unrelenting mockery of these powerful Roman occupiers“).
VER ,
3.6 Perspektivenanalyse
381
Hohenpriester und Ältesten auf das Volk Einfluss nehmen (V. 20). 2) Pilatus fragt noch einmal nach, was dann mit Jesus geschehen soll. 3) Er äußert seine eigene Meinung, dass Jesus unschuldig ist (V. 23, vgl. 18f.). 4) Pilatus macht dem Volk zeichenhaft bewusst, dass Jesus unschuldig ist und dass das Volk nun die Verantwortung für Jesu Tod übernehmen muss (V. 24f.). Die Szene in 27,24f. entspricht dem Erzählerstandpunkt: Pilatus merkt, dass keine seiner Maßnahmen geholfen hat (oujde;n wjfelei`), obwohl er Jesus eigentlich freilassen möchte; das Volk (laov~) nimmt die Schuld auf sich. Der Statthalter wirkt insgesamt sehr passiv, fast wie eine Marionette, weil er den Bitten, die an ihn herangetragen werden, immer nur nachgibt: dem Drängen der Hohenpriester (27,65; indirekt 27,11–14), dem Geschrei des Volkes (27,22–24), aber auch der Bitte des Josef von Arimathäa (27,58).248 Wenn man die Rezeptionslenkung betrachtet, soll der Rezipient des MtEv offenbar tatsächlich von der Unschuld des Pilatus überzeugt werden und nicht so sehr auf dessen Passivität achten – Pilatus konnte eben nichts dagegen machen (27,24: oujde;n wjfelei`). Der Rezipient muss also annehmen, dass der Erzähler ein eher positives Bild von Pilatus besitzt. Auch in 28,14 steht eher der Korruptionsversuch der Hohenpriester und nicht die mögliche Korruptheit des Statthalters im Vordergrund, da Pilatus nicht namentlich genannt wird. Dennoch könnte hier das leicht positive Urteil über Pilatus etwas getrübt werden. 8. Juden: Die Bewertung der ÆIoudaivoi im MtEv ist ambivalent, doch tendenziell negativ. Einerseits weiß der Rezipient, dass der Erzähler ein Judenchrist ist und in vielem weiterhin jüdisch denkt (3.6.4). Außerdem ist das MtEv von seinen Verstehensvoraussetzungen her an Judenchristen gerichtet (3.6.5.2), die meisten Figuren im MtEv sind Juden, von denen viele Jesus nachfolgen. Dennoch ist im MtEv eine beginnende terminologische Differenzierung zu beobachten, die die ÆIoudaivoi und oJ laov~ zwar als Ziel der Sendung Jesu ansieht, sie aber aktiv – anders als oiJ o[cloi – meistens im negativen Zusammenhang begegnen lässt. Das Volk ist „verstockt“ und gegen Jesus eingestellt, dabei jedoch auch von den Hohenpriestern verführt (z.B. 13,15; 27,25; vgl. 3.7.1). Die negative Darstellung soll die Selbstwahrnehmung des Rezipienten, Jude zu sein, schwächen (vgl. 3.7.7).
248 Diesen Aspekt betont W EAVER, Power, 191–195. Die Frage ist nur, ob der Rezipient „Pilate the powerless puppet“ (194) auch so wahrnehmen soll; das würde Pilatus entlasten und somit der offensichtlichen mt Intention zuwiderlaufen. Man müsste schon sehr starke Anzeichen finden, die nahelegen, dass genau diese gegenteilige Rezeptionsstrategie beabsichtigt(!) ist. Die Argumente für die Schuld des Pilatus z.B. bei D AVIES/A LLI SON, Matthew III, 590f.; WEAVER , Roman Characters, 119 und ausführlich bei C ALLON, Pilate the Villain, überzeugen m.E. nicht. Es handelt sich eher um eine heutige, kritische Lesart. Ein negatives Vorverständnis vom historischen Pilatus (C ALLON, Pilate the Villain, 64) ist bei den Rezipienten wohl nicht zwingend vorauszusetzen.
382
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
9. Völker: Anders als die ÆIoudaivoi werden die e[qnh vom judenchristlichen Erzähler leicht positiv bewertet – ein interessantes Phänomen. Verschiedene einzelne Angehörige der e[qnh zeigen ein Verhalten, das Erzähler und Rezipient als gut ansehen (2,1f.10–12; 8,8f.; 15,22.25.27). Außerdem berichtet Mt von positiven Kommentaren Jesu über Nichtjuden (8,10f.13; 15,28). Andererseits sind diese Episoden relativ verstreut, auch machen hier in V. 15 einige römische Soldaten gemeinsame Sache mit den Hohenpriestern. Außerdem weiß der Rezipient, dass diese positive Bewertung auf einem Hintergrund geschieht, wo Nichtjuden noch als „die anderen“ erscheinen. Dies ist an 5,47; 6,7 zu erkennen, wo sehr deutlich Vorurteile über „die“ e[qnh wiedergegeben werden. Mt 28 verschiebt allerdings die wahrgenommene Bewertung weiter zum Guten. Dadurch, dass die e[qnh hier in 28,19 zu Adressaten der Botschaft Jesu werden, erscheinen sie klar in positivem Licht. 10. Gott und der Heilige Geist: Beide Figuren sind im MtEv absolut gut; hier können Erzähler und intendierter Rezipient auf eine gemeinsame Voreinstellung zurückgreifen. Ein negatives Werturteil über den Heiligen Geist ist für den Erzähler sogar explizit ein Tabu (12,31f.). Zu Gott im MtEv vgl. knapp 3.7.6.1. Weil Gott wie Jesus ein absolutes positives Vorbild ist, muss alles, was er will und tut – auch dass er z.B. den Kreuzestod Jesu in Kauf nimmt –, vom Erzähler positiv bewertet sein. Ergebnis: Viele Figuren bei Mt und auch an dieser Stelle im MtEv erscheinen eindeutig als „gut“ oder „böse“. Die Jünger sind eher ambivalent beschrieben, Pilatus und die Heiden eher positiv, die Juden werden eher negativ eingeordnet. Einen Überblick über die vom Rezipienten wahrgenommenen Figurenbewertungen durch den Erzähler könnte man in folgender Weise gestalten (Abb. 52): Gut ejpieikhv~ Jesus Frauen Engel Gott Heiliger Geist
Ambivalent oJ metaxu; touvtwn Jünger Wachen
→
Böse sfovdra ponhrov~249 Hohepriester Wachen (einige)
Pilatus Älteste Heiden
Juden
Abb. 52: Übersicht über Figurenbewertungen durch den Erzähler 249 Einteilung nach Arist. Poet. 1452b–1453a. Vgl. Poet. 1448a, wo Aristoteles die historischen Vorbilder der Figuren und den Rezipienten miteinander vergleicht und beschreibt, dass die nachgeahmten Handelnden entweder besser, genauso gut wie wir oder schlechter seien (h[toi beltivona~ h] kaqÆ hJma`~ h] ceivrona~). Im Anschluss an Aristoteles schlägt Jannidis die Beschreibungskategorie „Figurengröße“ vor: „Ist die Figur ,besser‘ (in welcher Hinsicht auch immer) als der Leser, gleicht ihm[sic] oder ist sie schlechter?“ (JANNIDIS, Figur, 243, vgl. 235).
383
3.6 Perspektivenanalyse
Außerdem können die Figurenbewertungen hinsichtlich ihrer Perspektivenstruktur untersucht werden, indem auch die Meinungen der Figuren übereinander einbezogen werden. Wie bei der Figurenkonstellation (3.5.3) bietet sich hier eine grafische Darstellungsweise an (Abb. 53): gut
Frauen
ambivalent (V. 17: ejdivstasan)
gut (V. 10: oiJ ajdelfoiv mou)
Jesus gut (V. 10: mh; fobei`sqe)
Erzähler
gut (Treue)
schlecht (27,63: oJ plavno~)
schlecht (Lüge)
Jünger
schlecht (V. 13: e[kleyan)
Hohepriester
Abb. 53: Perspektivenstruktur, hier: Figurenbewertungen
Weil Jesus außerordentlich gut ist, hat er neben dem Erzähler die Funktion einer zusätzlichen Bewertungsinstanz (hier gestrichelt umrahmt). Seine positive Meinung über die Frauen zeigt indirekt die Meinung des Erzählers über die Frauen (gestrichelter Pfeil). Die Einstellung Jesu und die Einstellung des Erzählers zu den Jüngern unterscheiden sich; dies ist schon ein Hinweis auf eine intendierte Meinungsänderung 250. Neben Jesus fungieren auch die Hohenpriester als Meinungsgeber. Interessant ist, dass sich Jesus hier nur positiv über andere äußert, die Hohenpriester nur negativ. Wenn man die terminologischen Vorschläge Nünnings auf diese Perspektivenstruktur anwendet, könnte man von einer eher polyperspektivischen und eher heterogenen Bewertungsstruktur sprechen, mit nur teilweise expliziten und zuverlässigen Figurenstandpunkten. Insgesamt fällt auf, dass Mt seine eigenen Werturteile über Figuren eher wenig durch explizite Erzählerkommentare und fremde Figurenkommentare zum Ausdruck bringt, sondern meistens Verhaltensweisen von Figuren beschreibt, bei denen der Rezipient aufgrund gemeinsam geteilter Bewertungsmuster annehmen muss, dass der Autor diese Verhaltensweisen positiv oder negativ bewertet. Auch der Ausgang der Handlung dient nicht zur Wertung eines Verhaltens: Weder die Lüge der Hohenpriester noch die Untreue der Jünger wird dadurch sanktioniert, dass die Figuren ins Unglück stürzen.251 250
Hier geschieht eine Aufwertung des Selbstbildes des Rezipienten durch das kommunizierte Fremdbild Jesu (Kap. 3.7.7): Der intendierte Rezipient weiß, dass er wie die Jünger zum Zweifeln neigt, doch Jesus begegnet den Jüngern und damit auch ihm mit Wertschätzung. 251 In Mt 28 wird niemand für sein Verhalten bestraft, auch die „Bösen“ nicht. Selbst beim Tod des Judas in 27,3–5 geht Mt nur auf die Schrifterfüllung ein, hält sich jedoch
384
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
Hinter jeder Bewertung durch den Erzähler (d.h. jedem Werturteil) stecken Vorstellungen von idealen Figurenmerkmalen (Normen) und deren Begründungen (Werte). Man kann also danach fragen, welche Normen eine Figur jeweils erfüllt oder bricht, so dass es zu diesem Werturteil durch den Erzähler kommt. Diese Normen müssen auch mit Blick auf den intendierten Einstellungswandel (3.7.7) herausgearbeitet werden, da in vielen Fällen nicht nur die Einstellungen zu Figuren, sondern auch die zugrunde liegenden Normen und Werte verstärkt oder relativiert werden (induktive Bewertung). Die Normen und Werte „hinter“ den Werturteilen in Mt 28 kann man am übersichtlichsten in einer Tabelle darstellen (Tab. 54)252: Tab. 54: Werturteile, Normen und Werte des Erzählers in Mt 28 Nr.
Werturteile
a) Verhaltensnormen 254 1 (das Handeln nach oder entgegen dieser Norm ist in Mt 28 nicht beschrieben)
2
3
Norm 253 („man muss …“)
Jünger: alle Völker zu Jüngern machen, sie taufen und sie die Gebote Jesu halten lehren (S3) + Engel: er ist auferstanden (V. 6) Jünger: die Bot+ Frauen: liefen, um es den Jüngern zu verschaft von der künden (V. 8) Auferstehung Jesu – Hohepriester veranlassen die Botschaft vom verbreiten (expliLeichenraub zit V. 7) (S3) – einige Wachen verbreiten die Antibotschaft – Wachen wurden „wie tot“ (V. 4) lebendig sein 255 (S2) + Jesus ist auferstanden (V. 6)
Wert
alle Menschen sollen Jünger Jesu sein
1. die Wahrheit sagen oder 2. Jünger Jesu sein das Leben
zurück zu sagen, dass Gott ihn für seinen Verrat gestraft habe. Anders Lk, der sehr viel stärker Gottes unmittelbar strafendes Eingreifen betont, vgl. Act 5,1–11 (Hananias und Saphira), 12,23 (Herodes Antipas) oder 13,11 (Barjesus), s. Act 28,4f. 252 Kursiv gedruckt sind explizite Werturteile, Normen oder Werte; bei den Werturteilen bedeutet „+“, dass die Norm (des Erzählers) von einer Figur erfüllt wird, „–“ heißt, dass die Norm nicht erfüllt wird. – Auch die beim Rezipienten stattfindende Normveränderung (Kap. 3.7.7) ist schon in dieser Tabelle eingetragen: „R“ bedeutet die Relativierung einer Norm; „K“ steht für keine Wirkung auf die Norm (es gibt nur Auswirkungen auf die Bewertung einer Figur) und „S“ für die Stärkung einer Norm, unterteilt in „S3“ (sehr deutliche Stärkung), „S2“ (mittlere Stärkung) und „S1“ (leichte Verstärkung). 253 Wenn nicht anders angegeben, gilt die Norm für alle Menschen. 254 Damit hängen Charakternormen, Meinungsnormen und Intentionsnormen zusammen. Sie werden hier gemeinsam im Rahmen der Verhaltensnormen behandelt, weil sie unmittelbar auf das Verhalten einwirken.
385
3.6 Perspektivenanalyse Nr.
Werturteile
4
+ die Frauen sehen nach dem Grab (V. 1), sie suchen Jesus (V. 5) + Gott lässt die Frauen nicht vergeblich suchen, sondern schickt einen Engel + Jesus erscheint den Frauen (V. 9) + Jesus ist bei seinen Jüngern (V. 20) – Jünger hatten Jesus verlassen – Jünger zweifeln (V. 17) + Engel verkündet die Auferstehung und zeigt den Frauen das leere Grab + Engel: „er ist auferstanden, wie er gesagt hat“; „er wird hingehen nach Galiläa“ + Jesus: „in Galiläa werden sie mich sehen“ + Frauen verkünden es den Jüngern + Wachen verkünden es den Hohenpriestern – Hohepriester befehlen die Verkündigung einer Antibotschaft – Wachen verkünden eine Antibotschaft + die Wachen erzitterten vor Furcht (V. 4) + die Frauen gingen weg mit Furcht und Freude (V. 8) + „mir ist gegeben alle Gewalt“ (V. 18) – Hohepriester lassen eine falsche Botschaft verbreiten + die Frauen fielen vor Jesus nieder (V. 9) – die Jünger fielen vor Jesus nieder, sie zweifelten aber (V. 17) + nach dem Sabbat (V. 1) – die Hohenpriester gehen am Sabbat zu Pilatus (27,62) – Jünger hätten den Leichnam gestohlen (V. 13) (unzuverlässig) + der Engel des Herrn kam vom Himmel + der Engel verkündet die Auferstehung + Frauen liefen eilends los (auf das Wort des Engels hin)
5
6
7
8
9 10
11
+ einige Wachen berichten den Hohenpriestern, was passiert ist (V. 11) – Wachen hätten im Dienst geschlafen (V. 13) (unzuverlässig) + sie taten, wie sie gelehrt worden waren 255
Norm 253 („man muss …“) seinen Freunden beistehen (S2)
Wert
die Wahrheit sagen, „nicht falsch Zeugnis reden“ (S2)
Gottes Gebote halten
Gottes Handeln (Auferstehung) anerkennen (S2)
Ehrfurcht vor Gott
Jesus Ehre erweisen (S1)
Ehrfurcht vor Gott
den Sabbat halten (S1)
Gottes Gebote halten
nicht stehlen (K)
Eigentum
Gott gehorchen (K)
Gehorsam
menschlichen Vorgesetzten gehorchen (R)256
Gehorsam
treu sein
Hier handelt es sich um eine Soll-Norm. Vgl. explizit zu diesem Normenkonflikt Act 5,29 („Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“). 256
386 Nr.
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28) Werturteile
b) Gefühlsnormen 12 – die Wachen erzitterten vor Furcht (V. 4) – sie gingen weg mit Furcht und Freude (V. 2–5, 8) c) Normen bezogen auf äußere Attribute 13 + die Gestalt des Engels war wie der Blitz, sein Gewand weiß wie Schnee (V. 3)
d) Wissensnormen 14 – Gerede unter Juden (V. 15) e) Normen bezogen auf den sozialen Kontext 15 (– Flucht der Jünger) + die Frauen kamen zum Grab (V. 1, vgl. 27,55f.61) + Jesus erscheint den Frauen (V. 9) + die Frauen ergreifen Jesu Füße (V. 9) + die Jünger gehen auf den Berg, um Jesus wiederzusehen (V. 16) + Jesus erscheint den Jüngern (V. 17) + „ich bin bei euch alle Tage …“ (V. 20)
Norm 253 („man muss …“)
Wert
sich nicht fürchten Mut (explizit V. 5.10) (S1) eine beeindruckende Erscheinung besitzen257 (K)
äußerer Glanz
von der Auferstehung wissen (S2)
die Wahrheit glauben
in der Nähe Jesu sein (S2)
Nähe
Bei den meisten Normen, auf die Mt 28 sich bezieht, handelt es sich um Verhaltensnormen, z.B. die Wahrheit zu sagen, den Sabbat zu halten oder den Freunden beizustehen. Man kann allerdings auch Normen feststellen, die sich auf andere Arten von Figurenmerkmalen wie Gefühle, äußere Attribute, Wissen und den sozialen Kontext beziehen. Die zugrunde liegenden Werte sind mehrheitlich soziale bzw. religiöse Werte. In einigen Fällen weichen die Normen von Figuren jedoch von den Normen des Erzählers ab. Das in Mt 28 zum Ausdruck kommende Wertesystem der Hohenpriester und der Wachen ist in Tab. 55 dargestellt. Bei den Hohenpriestern und den Wachen in Mt 28 lässt sich kein religiöser Wert erkennen. Sie handeln nach persönlichen Normen, die übrigens alle vom Erzähler relativiert werden (3.7.7). Möglicherweise unterliegen auch die Wachen, die von den Hohenpriestern weggehen, einem Moralkonflikt, weil sie sich das Geld und die Abwehr von Bestrafung wünschen (Wunsch = persönliche Norm), sich aber andererseits der Pflicht bewusst sind, die Wahrheit zu sagen (Pflicht = soziale Norm). 258 257 258
Dies ist eine Kann-Norm. Da der Konflikt nicht klar zu erschließen ist, wurde er in Kap. 3.4.5.2 ausgelassen.
387
3.6 Perspektivenanalyse
Tab. 55: (Individuelle) Werturteile, Normen und Werte von Hohenpriestern und Wachen in Mt 28 Nr.
Handlungen gemäß Werturteilen
Norm
16
+ Hohepriester sehen ihre Autorität durch die Nachricht von der Auferstehung gefährdet (vgl. 27,18) + „wir wollen dafür sorgen, dass ihr sicher seid“ (V. 14) + die Wachen taten, wie sie gelehrt worden waren (V. 15) (+ Flucht der Jünger) + Hohepriester gaben den Wachen viel Geld + Wachen nahmen das Geld (V. 15) (+ Pilatus wird sich „überzeugen“ lassen)
die Macht behal- Macht/ ten (R) Anerkennung
17
18
Wert
nicht bestraft werden (R)
Sicherheit
Geld besitzen (R)
Eigentum
Die Behandlung von Normenkonflikten 259 führt zu der Frage, ob sich in diesem Kapitel eine Normen- oder Wertehierarchie erkennen lässt. Es handelt sich ja in fast in allen Fällen um Mussnormen, nur einmal um Sollnormen („lebendig sein“) und nur einmal um Kann-Normen („eine beeindruckende Erscheinung besitzen“). Wenn man die Beobachtung einbezieht, dass manche Normen vom Erzähler abgeschwächt werden, sind diese eher unten in der Hierarchie zu platzieren. Dies sind die persönlichen Normen „Macht haben“, „Geld besitzen“ und „nicht bestraft werden“ sowie die soziale Norm „menschlichen Vorgesetzten gehorchen“. Aus der Sicht des Erzählers müssten sich die Wachen eigentlich zur Wahrheit bekennen, anstatt Geld für eine falsche Botschaft zu nehmen. Auch müssten sie „Gott mehr gehorchen als den Menschen“. Anscheinend stehen in Mt 28 die sozialen über den persönlichen und die religiösen über den sozialen Werten. 2) alethischer Standpunkt (Überzeugungen): Alle dargestellten und vom intendierten Rezipienten erschlossenen Ereignisse und Sachverhalte können bereits als „Überzeugungen“ des Erzählers gelten: „die beiden Frauen gingen zum Grab“, „die beiden Frauen gingen nach dem Sabbat zum Grab“, „die beiden Frauen sahen (wahrscheinlich) das Kommen des Engels“, „die Gestalt des Engels war wie der Blitz“ usw. Ich möchte hier nur beispielhaft einige Überzeugungen herausgreifen – die deswegen wichtig sind, weil sie applikative Überzeugungen sind (vgl. unten 3.7.6): – „Jesus ist auferstanden.“ – „Jesus hat alle Macht.“ – „Jesus ist für immer bei seinen Jüngern.“ 259
Man kann zwar allgemein von einem „Normenkonflikt“ sprechen, doch die in Kap. 2.4.5 eingeführte Konflikttypologie scheint mir genauer zu sein. Zum Normenkonflikt vgl. z.B. HONECKER, Theologische Ethik, 234–245; juristisch H ECKMANN, Geltungskraft, 142f.
388
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
Nun ist eine Liste mit Überzeugungen noch relativ banal. Um das individuelle Überzeugungssystem des Erzählers zu rekonstruieren, muss man die (zuverlässigen) Ereignisse und Sachverhalte – auch die impliziten und applikativen – miteinander in bestimmter Weise verknüpfen. Es gibt explikative, chronologische und logische Beziehungen, die u.a. von der Textsemantik genauer beschrieben werden. 260 Bei thematisch orientierten Kommunikationsinhalten wie den paulinischen Briefen muss dieser Punkt sehr viel genauer behandelt werden. Hier kann ein knappes Beispiel mit Schwerpunkt auf einigen Figurenmerkmalen Jesu genügen (Abb. 56):261 Jesus ist auferstanden.
Gegensatz
Explikation: Frauen kamen zum Grab. → Ein Engel ist erschienen. → Das Grab war leer. → Jesus ist den Frauen und den Jüngern erschienen.
Grund Jesus ist für immer bei seinen Jüngern.
Menschen bestreiten die Auferstehung.
Widerspruch? Grund Jesus hat alle Macht.
Abb. 56: Beispiel für ein individuelles Überzeugungssystem in Mt 28
Über das individuelle Überzeugungssystem einer Figur oder des Erzählers hinaus, wo man um die Reduzierung von Dissonanzen bemüht ist, treffen im Alltag und auch in Erzählungen natürlich verschiedene Überzeugungssysteme aufeinander. Die Gesamtheit dieser (oft stärker widersprüchlichen) Überzeugungen soll kollektive Überzeugungsstruktur 262 genannt werden. Die Übereinstimmungen und Unterschiede bei Überzeugungen sind am besten als Mengen darstellbar. Anhand von Mt 28 könnte dies so aussehen, wie es Abb. 57 zeigt. Besonders bei unübersichtlichen Verhältnissen von Überzeugungen bei Figuren und Erzähler ist diese Form der Darstellung möglicherweise sinnvoll. Für den Erzähler des MtEv ist klar, dass die unterschiedlichen, von ihm berichteten Überzeugungen nicht alle gleichwertig sind – die Perspektivenstruktur ist eindeutig geschlossen. Der Erzähler stellt sich auf die Seite Jesu und teilt seine Überzeugungen. Die gegenteilige Aussage der Hohenpriester wertet Mt mit verschiedenen Strategien ab: a) Das Auftreten des Engels und die Erscheinungen Jesu werden vom Erzähler selbst berichtet, 260
Vgl. nur VON SIEBENTHAL, Sprachwissenschaftliche Aspekte, 124–127. Das Kästchen steht hier für eine Explikation, der kleine Pfeil für eine chronologische Folge, die größeren Pfeile für logische Beziehungen zwischen den Überzeugungen. 262 Vgl. der sehr weite Begriff der Perspektivenstruktur, der hier bezogen auf Überzeugungen konkretisiert wird. 261
389
3.6 Perspektivenanalyse
Jesus wurde gekreuzigt
Jesus ist auferstanden
Jesus begegnete den Jüngern in Galiläa
Jesus wurde gestohlen
Überzeugungen der Jünger (= des Erzählers) Überzeugungen der Hohenpriester Überzeugungen von Juden (V. 15)
Abb. 57: Beispiel für unterschiedliche Überzeugungen in Mt 28
b) die Hohenpriester werden als unzuverlässig dargestellt, c) daneben spielen aufmerksamkeitslenkende Faktoren eine Rolle: Die explizit erwähnten Ereignisse um die Auferstehung haben mehr Raum, die Auferstehung in der Version des Erzählers wird zuerst geschildert, die Empathie zu Hohenpriestern ist gering, der Spannungshöhepunkt war schon bei V. 6 vorüber und nicht zuletzt wurde der Rezipient bezogen auf seine Handlungserwartungen auf die Antibotschaft vorbereitet (27,64). Bewertung der Methode: Die inhaltliche Beschreibung des Erzählerstandpunkts bezogen auf Einstellungen und Überzeugungen ist eine wichtige Voraussetzung für die intendierte Meinungsänderung des Rezipienten (3.7.7). Gewisse Ähnlichkeiten bestehen zur Analyse von Sympathie/Antipathie des Rezipienten gegenüber den Figuren (3.7.2); dort geht es jedoch um die Einstellungen des Rezipienten, hier um die Einstellungen des Erzählers, auch über Figuren hinaus. Die Behandlung der „Theologie“ eines biblischen Erzähltextes ist wohl identisch mit der Beschreibung des individuellen Überzeugungssystems des Erzählers. Die Methode konnte gut auf das MtEv angewendet werden und erwies sich als äußerst ertragreich. Es wurde deutlich, dass auch Mt 28 stark durch implizite Normen geprägt ist. Vor allem aufgrund dieser Normen werden die Figuren bewertet, nicht durch explizite Erzählerkommentare oder die Sanktionierung von Verhaltensweisen. Interessant ist auch, wie gerade in Mt 28 unterschiedliche Einstellungen und Überzeugungen der Figuren aufeinandertreffen. Die Analyse von Werturteilen, Normen und Werten steht methodisch auf relativ festem Grund. Allerdings scheint die Abgrenzung zwischen Normen und Werten manchmal schwierig zu sein. Für eine noch genauere methodische Behandlung von Wertestrukturen und Normenkonflikten würde sich wahrscheinlich der Blick in entsprechende Fachrichtungen lohnen (Soziologie, Jura, Psychologie, Kulturwissenschaften). Auch zur Beschreibung des Überzeugungssystems und der Überzeugungsstruktur fehlt noch eine präzise Methode.
390
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
3.6.5.2 Erzählkontext Zur Kommunikationssituation gehören beispielsweise soziale Voraussetzungen, gemeinsam geteiltes Vorwissen sowie natürlich der Erzähler und die Adressaten. Alle Aspekte der Kommunikationssituation fließen aus kognitiver Sicht jedoch in nur zwei Größen ein: die Vorstellung vom Rezipienten, die der Autor besitzt, und die Vorstellung vom Autor beim intendierten Rezipienten. Das Bild des (primären) Erzählers wurde in Kap. 3.6.4 behandelt; hier geht es also nun um den intendierten Rezipienten. Der intendierte Rezipient ist zugleich der primäre Erzähladressat, d.h. Adressat der ersten narrativen Ebene. Wenn man den Erzähladressaten (narratee) strukturalistisch beschreibt, geht die Klassifizierung sehr schnell: Der Erzähladressat ist „verdeckt“ (covert narratee), weil aus dem MtEv selbst wenig explizit über den Erzähladressaten hervorgeht. Es handelt sich um einen unbeteiligten Erzähladressaten, der nicht durch ein „Du“ in die Erzählung eingebunden und auch nicht mit einer Figur identisch ist. 263 Aus inhaltlicher Sicht, wenn man den cognitive turn ernst nimmt, ist viel mehr über den Erzähladressaten zu sagen. Es kann also umfassend nach der Vorstellung des Autors von seinen Rezipienten gefragt werden. Hier sollen einige Schlaglichter genügen. – Identität: An der männlichen Perspektive des MtEv ist zu erkennen, dass die Adressaten, an die Mt dachte, Männer waren. 264 Bezogen auf das Vorwissen265 sind außerdem klar judenchristliche Rezipienten im Blick, die schon eine Identitätsabgrenzung durchlaufen haben 266 und aufgeschlossen sind gegenüber der Völkermission. 267 Ähnlich wie bei den beiden Frauen am Grab werden die Heiden(christen) vom Erzähler eher „von außen“ betrachtet und als Vorbild für die eigentlichen Identifikationsfiguren, die Jünger, verwendet. Die Empathielenkung des MtEv führt zu den „Heiden“ 263
Vgl. Kap. 2.6.1 für Grade der Beteiligung des Erzählers. Die männliche Perspektive kommt z.B. in Mt 1,19–25 zum Ausdruck (Fokalisierung auf Josef und nicht auf Maria; Mt 1,24f.: Josef als Vorbild von Glauben, Gehorsam und Keuschheit). Auch in 2,13–15 und 2,19–23 steht Josef im Mittelpunkt und nur er empfängt Weisungen von Gott (ganz anders dagegen Lk 1,26–56; 2,16.19.34.48.51). Man könnte auch Mt 5,28–32 (Ehebruch), die Anrede Gottes als „Vater“ oder die vorwiegend männlichen Figuren in Gleichnissen anführen. 265 Man denke nur an die Erfüllungszitate, die Mt bei heidenchristlichen Adressaten sicher nicht eingefügt hätte. Auch der Vergleich mit den Heiden in Mt 5,47; 6,7 funktioniert auf der Ebene der primären Erzähladressaten nur, wenn es sich um judenchristliche Rezipienten handelt. 266 S. die vielzitierten Argumente wie die Formulierung „in ihren Synagogen“; Mt 17,24–27; die Polemik gegen Pharisäer, bes. Mt 23. 267 Vgl. zu Publikationen zur „matthäischen Gemeinde“ zusammenfassend K ONRADT, Israel, 379–391 (Lit.). 264
3.6 Perspektivenanalyse
391
hin und geht nicht von ihnen aus. Heidenchristen sind eine (noch) fremde Minderheit, die aber wertgeschätzt werden soll. – Charakterzüge: Die von Mt angenommenen Persönlichkeitszüge der Erzähladressaten können nur über die intendierte Applikation (3.7.6) und durch Umkehrschluss herausgefunden werden. Ein Beispiel: In 28,17 dienen die zweifelnden Jünger als Identifikationsangebot für den Rezipienten. Offenbar setzt Mt voraus, dass auch der Rezipient manchmal mit eigenen Zweifeln umgehen muss und daher Stärkung im Glauben benötigt. – Erleben: Mögliche frühere/spätere Erlebnisse der intendierten Rezipienten können auf dieselbe Weise rekonstruiert werden wie die Charakterzüge. Wenn z.B. Mt 28,13–15 für die Gegenwart des Rezipienten eine Hilfe sein soll, dann denkt Mt hier anscheinend daran, dass seine Rezipienten schon einmal mit Widerstand gegen die Botschaft von der Auferstehung konfrontiert waren oder ihn in Zukunft erfahren müssen. Das unmittelbare Erleben bei der Rezeption des Textes wird in Kap. 3.7 behandelt. – Gefühle: Da Gefühle eine flüchtige Größe sind, sind frühere und spätere Gefühle des Rezipienten für den Autor nicht relevant. Vgl. Kap. 3.7.5 zu den Gefühlen bei der Rezeption. – Meinungen/Verhaltensweisen: Vorausgesetzte und intendierte Meinungen und Verhaltensweisen werden unter 3.7.7 behandelt. – Äußere Attribute: Das Äußere des Rezipienten ist weder erkennbar noch relevant. – Sozialer Kontext: Wie bei den Charakterzügen und beim Erleben des Rezipienten kann auch sein sozialer Kontext über die intendierten Anwendungen durch Umkehrschluss rekonstruiert werden. Da sich der Rezipient offensichtlich mit den Jüngern identifizieren soll, liegt es nahe, dass er sich bereits als Teil einer Gemeinschaft von Jesusnachfolgern versteht. Auch Passagen im MtEv zum Umgang mit dem „Bruder“ passen in dieses Bild (Mt 18,21.35; 23,8–10). Falls 23,3 direkt appliziert werden soll, hat der Rezipient möglicherweise noch Kontakt mit Pharisäern. – Wissen: In aller Regel hat der Autor einer Erzählung einen Rezipienten vor Augen, der seine Erzählung ‚vollständig‘ versteht. D.h. der intendierte Rezipient besitzt alle nötigen Frames und Skripts, um ein kohärentes Verständnis der Erzählung im Sinne des Autors herzustellen und z.B. auch Anspielungen zu erkennen. Eine Rekonstruktion des Vorwissens, das allein in Mt 28 vorausgesetzt wird, könnte sehr umfangreich ausfallen. 268 Das schließt Frames von den Settings und Figuren ebenso ein wie Skripts 268 Vgl. zur Bestimmung des Vorwissens des Lesers die Methode bei M AYORDOMO MARÍN, Anfang, 193f. Auch CULPEPPER, Anatomy, 205–227 kann mithilfe des Rückschlusses erstaunlich gut bestimmen, welche Figuren den Lesern des JohEv vorher bekannt sind, welche Sprachen die Leser sprechen, welche Orte sie kennen, welche Ereignisse ihnen vertraut sind und wie gut sie über das Judentum Bescheid wissen.
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
von den beschriebenen Handlungen (s. die Fragen zu Frames/Skripts unter 3.3.1, 3.4.1, 3.5.2.1), aber beispielsweise auch die Fähigkeiten, von Verhaltensweisen auf Intentionen und Charakterzüge zu schließen oder dargestellte Verhaltensweisen anhand von Normen bewerten zu können. Außerdem hat der Autor eine Vorstellung davon, welche Wissensinhalte der Rezipient durch die Erzählung neu kennenlernt hat. Dies ist allerdings methodisch nur schwer zu rekonstruieren, anders als das Vorwissen. – Pflichten, Wünsche und Intentionen: Die vorherigen und intendierten sozialen und persönlichen Normen sowie alten und neuen Absichten des Rezipienten werden im Rahmen der intendierten Meinungs- und Verhaltensänderungen (3.7.7) beschrieben. Bewertung der Methode: Die Narratologie nach dem cognitive turn ermöglicht eine umfassende Beschreibung der Erzähladressaten. Zum einen wird auf diese Weise nicht mehr nur die Identität der Adressaten behandelt, sondern man fragt auch nach ihren Frames/Skripts, ihre Einstellungen, ihre Normen, ihre Charakterzügen oder Erlebnissen. Außerdem sind durch die narratologischen Kategorien genauere Beobachtungen möglich und mehr Argumente vorhanden: Der Hinweis auf vorausgesetzte Voreinstellungen und Vorüberzeugungen, auf perspektivische Mittel, Empathielenkungen, intendierte Identifikationen u.a. kann zu besser begründeten, oft sogar recht eindeutigen Aussagen über die Adressaten führen. Hier scheint eine Stärke der narratologischen Analyse zu liegen. – Es müsste allerdings noch eine integrative Methode zur Untersuchung der Adressaten geschaffen werden, die diesen narratologischen Ansatz bei den Grundkategorien und -kriterien mit der historischen Analyse im Detail vermittelt. 3.6.5.3 Erzählabsicht Auf der primären Erzählebene hat die Erzählung v.a. eine aktionale Funktion und fordert zur Handlung auf. Daneben gibt es auch stellenweise eine explikative Funktion von Erzählelementen (z.B. zu erklären, warum Juden an einen Leichendiebstahl glauben [Mt 28,15] – vgl. „Ätiologie“). Insgesamt wird die beabsichtigte Erzählwirkung sehr viel genauer unter 3.7.5– 3.7.7 behandelt.
3.7 Rezeptionsanalyse Die Rezeptionsanalyse von Mt 28,1–20 richtet sich nach der in Kap. 2.7 beschriebenen Methode und umfasst die Untersuchung der Empathie, der Sympathie, der Spannung, des Realitätseffekts, der Rezeptionsemotionen, der intendierten Anwendungen sowie der intendierten Meinungs- und Verhaltensänderungen.
3.7 Rezeptionsanalyse
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3.7.1 Empathie Als erstes kann analysiert werden, wie der Autor die Empathie des Rezipienten zu einzelnen Figuren lenkt. Dies ist die Voraussetzung für andere Analysepunkte wie die Stärke der Sympathie, die Höhe der Spannung oder die Intensität der Rezeptionsemotionen. Faktoren für hohe Empathie sind u.a. eine große Innensicht, eine geringe sprachliche Distanz, das häufige Auftreten der Figur und eine besondere Bedeutung für die Handlung, eine komplexe, vielfältige Darstellung und nicht zuletzt Ähnlichkeiten zu Eigenschaften bzw. Situationen des intendierten Rezipienten (2.7.1). Weil hier nur Mt 28 im Blick ist, muss berücksichtigt werden, dass sich die Empathie zu einer Figur von Szene zu Szene unterscheiden kann und die Empathie für jeden Erzählabschnitt einzeln untersucht werden muss, dass aber andererseits in Mt 1–27 schon unterschiedlich starke Empathie zu den Figuren aufgebaut wurde. Bei der Untersuchung der Empathie kann man von zwei Standpunkten ausgehen: entweder man nimmt jeweils das Verhältnis zwischen dem Rezipienten und einer einzelnen Figur in den Fokus (figurenorientierte Darstellung) oder man orientiert sich am Verlauf der Erzählung und hat dabei jeweils alle Figuren im Blickfeld (verlaufsorientierte Darstellung). a) figurenorientierte Empathiedarstellung: Dabei werden nacheinander die Empathiefaktoren für eine einzelne Figur geprüft, anschließend wird die Stärke der Empathie abgeschätzt. Der Nachteil ist, dass die Empathiedynamik dabei leicht eingeebnet wird. Dennoch möchte ich aus Gründen der Einfachheit hier so vorgehen. b) verlaufsorientierte Empathiedarstellung: Hier wird vom Augenblick der Rezeption ausgegangen. In jedem Moment der Erzählung steht der Rezipient in einer bestimmten empathischen Distanz zu den (vorher oder jetzt gerade) genannten Figuren. Dabei könnte es eine Hilfe sein, die Empathie des Rezipienten zu den Figuren analog zur Figurenkonstellation grafisch darzustellen, wobei der räumliche Abstand zum Rezipienten „nahe“ und „ferne“ Figuren kennzeichnet. Der Vorteil der verlaufsorientierten Empathieanalyse und -darstellung ist, dass die empathischen Bewegungen des Rezipienten zu den Figuren hin und von ihnen weg so besser wahrgenommen werden können. Auch gibt es Wechselwirkungen in der Empathie zu einzelnen Figuren, besonders bei denjenigen, die als zusammengehörig angesehen werden (z.B. Petrus und die Jünger). Auf der anderen Seite sind diese Überlegungen wohl deutlich komplexer und unsicherer. Wenn im Folgenden die empathische Distanz zu einzelnen Figuren in Mt 28 figurenorientiert beschrieben wird, so kann es nur dazu dienen, um einen ersten Eindruck von einer möglichen Empathieanalyse zu bekommen. Für eine bessere Rekonstruktion der Einfühlung in die Figuren müsste das Zusammenspiel der Empathievoraussetzungen, „Empathiespeiche-
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
rung“ (aus Mt 1–27) und Empathielenkungen noch genauer erforscht werden. 1) Die Empathie zum auferstandenen Jesus wird durch die Bedeutung Jesu für die Handlung und dessen sehr positive Darstellung in der Erzählung gefördert. Außerdem ist Jesus im MtEv fast durchgängig das Wahrnehmungszentrum und in den meisten Szenen präsent, seine Worte werden in direkter Rede wiedergegeben. Auf der anderen Seite hat Jesus – und hier besonders der Auferstandene – nicht mit denselben Problemen zu kämpfen wie die intendierten Rezipienten (28,18). Deswegen ist die Empathie zwar hoch, aber nicht sehr hoch; in Mt 28 nimmt sie tendenziell sogar ab. 2) Jünger: Die Innensicht in die Jünger ist im MtEv stärker als die innere Darstellung Jesu (vgl. hier 28,17). Dafür stehen sie nicht ganz so stark im Mittelpunkt der Handlung wie ihr Lehrer, auch wenn sie in vielen Szenen zusammen mit ihm auftreten. Sie sind nicht immer positiv gezeichnet, sondern schwanken zwischen Glauben und Zweifel bzw. Unverständnis. Allerdings schildert Mt sie so, dass sie bezogen auf ihre Situation, ihre Meinungen und Gefühle ein starkes Identifikationspotential für den intendierten Rezipienten besitzen. Daher ist die Empathie des Rezipienten zu den Jüngern wahrscheinlich höher als für Jesus. 3) Frauen: Der Rezipient erhält auch eine recht hohe Innensicht in Maria von Magdala und die „andere“ Maria; es stehen besonders deren Gefühle und Intentionen im Mittelpunkt (V. 1.5.8). Wörtliche Rede der Frauen wird nicht berichtet. In 28,1–10 sind sie das Wahrnehmungszentrum und werden sehr positiv geschildert. Mt 27,55 ermöglicht die Identifikation des Rezipienten mit den Frauen, die anders als die Jünger nur als Episodenfiguren auftreten. Die Empathie zu ihnen ist recht hoch, aber etwas weniger intensiv als bei den (männlichen) Jüngern, zu denen der Rezipient schon längerfristig eine empathische Beziehung aufbauen konnte. 4) Engel: Die Empathie zum himmlischen Boten ist eher gering. Es ist kaum Innensicht vorhanden, der Engel wird vom Rezipienten eher von außen betrachtet (vgl. V. 3 – durch die Frauen fokalisiert). Sein Auftreten und Reden hat kaum Ähnlichkeiten zum Leben des Rezipienten. Für eine wenigstens geringe Empathie spricht, dass er als Episodenfigur in diesem Abschnitt für die Handlung wichtig ist, dass der Rezipient ihm positiv gegenüber eingestellt ist und dass seine Aussagen in wörtlicher Rede wiedergegeben werden. 5) Wachen: Für die Wachen hat der Rezipient eine etwas geringere Empathie als für die Frauen. Sowohl die Wachen als auch die Frauen sind Episodenfiguren, deren Gefühle und Reaktionen auf Erlebtes geschildert werden (Innensicht). In 28,11–15 fungieren sie sogar als Wahrnehmungszentrum. Andererseits kann sich der Rezipient mit den Wachen deutlich weniger identifizieren, weil sie nicht vom Engel angesprochen werden und
3.7 Rezeptionsanalyse
395
nicht zum Kreis der Nachfolger Jesu gehören. Außerdem handelt ein Teil von ihnen in einer Weise, die der Rezipient verurteilen muss (V. 15). 6) Hohepriester und Älteste: Die Hohenpriester sind (als Antagonisten Jesu) zwar wichtig für die Handlung, aber durch deren stark negative Bewertung und andere perspektivische Mittel kann kaum Empathie zu den Hohenpriestern entstehen: Ihre Rede wird oft als Gesprächsbericht wiedergegeben, ihre Gefühle spielen kaum eine Rolle; ihre Meinungen interessieren nur in ihrer Funktion, die Handlung voranzutreiben. Auch kann sich der intendierte Rezipient in seiner Situation kaum mit den Hohenpriestern identifizieren, die ihre geistliche Autorität in Frage gestellt sehen. Mt hat die Geschichte perspektivisch sicherlich bewusst so erzählt, dass beim Rezipienten nahezu keine Empathie zu den Hohenpriestern aufkommen kann. 7) Pilatus: In Mt 27,11–26 wird die Empathie mit Pilatus u.a. durch hohe Innensicht recht stark gefördert, die dazu dient, dem Rezipienten seinen inneren Konflikt und seine Entscheidung plausibel zu machen. Pilatus wird im Vergleich zu den Hohenpriestern deutlich positiver gezeichnet. Selbst seine Frau bekommt einen Traum von Gott, er selbst will Jesus eigentlich freigeben (27,24). Dennoch wirkt er politisch schwach und trifft eine falsche Entscheidung. Hier in Mt 28,14 wird Pilatus nur kurz im Zusammenhang mit einer möglichen Bestechung erwähnt. Diese Nennung kann eine Erinnerung an die frühere Empathie hervorrufen, jedoch wird sie sehr vage bleiben. 8) Gott, der Vater: In Mt 28,19 wird der „Vater“ erwähnt. Im MtEv kann kaum Empathie mit Gott entstehen, weil die Innensicht fehlt und Gott noch weniger den menschlichen Bedingungen unterworfen ist als Jesus. 269 Auf der anderen Seite ist das Handeln (Verhalten) Gottes sehr für die Geschehnisse bedeutsam, ohne dass dies explizit ausgesprochen würde (vgl. 28,2.18). 9) Juden: Fast alle Figuren, die im Mittelpunkt der Handlung stehen, gehören dem jüdischen Volk an. Diese Figurengruppe wird kollektiv meist neutral oder positiv beschrieben (Jesus ist „König der Juden“, 2,2.6; 21,5; 27,11.29.37.42; ihnen gilt der Auftrag Jesu in 1,21; 9,36; 10,6; 15,24); die Volksmenge hört Jesu Rede und wird von ihm geheilt (4,25; 8,1; 9,8.33; 11,7; 12,15; 14,5.14; 15,30; 19,2; 21,8f.; 23,1 u.a.). Das Volk wird eigentlich von den Hohenpriestern und Ältesten betrogen (27,20.64; hier 28,15). Problematische Eigenschaften des Volkes sind seine Unverständigkeit (ähnlich wie bei den Jüngern) und seine Verführbarkeit (vgl. die Untreue der Jünger). Zu diesem differenzierten, keineswegs nur negativen Bild passt die merkwürdige Auslassung des Artikels in para; ÆIoudaivoi~ in Mt 28,15 – nicht alle Juden glauben der Antibotschaft der dafür bezahlten Wachen. Außerdem muss berücksichtigt werden, dass das MtEv primär für 269
Für die Empathielenkung bezogen auf den Heiligen Geist (V. 19) gilt Ähnliches.
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
judenchristliche Rezipienten geschrieben ist 270, die sich mit jüdischen Figuren identifizieren. Im MtEv ist die Empathie mit der jüdischen Volksmenge daher vergleichsweise hoch, hier in Mt 28,15 durch die knappe negative Erwähnung jedoch nur von mittlerer Intensität. 10) Völker: Angehörige der Figurengruppe der e[qnh wie die Magier aus dem Osten (Mt 2,1–12), der Hauptmann von Kapernaum (8,5–13), die kanaanäische Frau (15,21–28), Pilatus (27,11–26) oder der Hauptmann am Kreuz (27,54) dienen teilweise als Wahrnehmungszentrum (2,1–12; 27,54) oder werden mit Innensicht dargestellt (8,10; 15,28; 27,18) und positiv von Jesus kommentiert (8,10–13; 15,28). Außerdem bekommen sie meist Passagen mit eigener wörtlicher Rede. Andererseits handelt es sich jeweils nur um Episodenfiguren, zu denen keine längerfristige Empathie aufgebaut werden kann. Bemerkenswert ist, dass der Autor verschiedene nichtjüdische Figuren an mehreren Stellen des MtEv erwähnt. Wahrscheinlich rechnet Mt damit, dass sich die Empathie zu der einen heidnischen Figurengruppe auf spätere Angehörige der Gruppe übertragen kann. Wichtig für die Empathie ist außerdem, ob sich der Rezipient selbst mit den Heiden identifizieren soll. Diese Frage kann eher verneint werden, weil der intendierte Rezipient, für den das MtEv geschrieben wurde, jüdischer Herkunft ist (vgl. 3.6.5.2). Insgesamt wird in Mt 28,19 beim Rezipienten nur leichte Empathie aufkommen. Wenn man nun die Figuren in Mt 28 hinsichtlich der Empathie des intendierten Rezipienten ordnet, ergibt sich folgende Übersicht (Abb. 58): hohe Empathie
niedrige Empathie
Jünger: sehr hohe Empathie Frauen: hohe Empathie Jesus: eher hohe Empathie Juden: mittlere Empathie Engel, Wachen, Pilatus, Völker: etwas Empathie Hohepriester, Gott der Vater, Hl. Geist: kaum Empathie
Abb. 58: Empathie des Rezipienten mit den Figuren in Mt 28
Bewertung der Methode: Die Frage nach der Empathie des Rezipienten zu einzelnen Figuren bündelt viele vorherige Analyseaspekte zur Erzählperspektive, nimmt aber auch die Untersuchung von Identifikationsmöglichkeiten vorweg (vgl. 3.7.6). Es handelt sich um eine Analysekategorie, die sich rein auf die intendierte Rezeptionswirkung bezieht. Die Empathieanalyse lässt sich gut auf das MtEv anwenden. Teilweise wird Mt die Verteilung der Empathie durch perspektivische Mittel bewusst gesteuert ha270 Dazu Kap. 3.6.5.2. Vgl. das benötigte Vorwissen, die vorausgesetzten Konfliktsituationen (17,24–27; 23,3; 24,20) und die Außenperspektive auf die Heiden z.B. in Mt 5,47; 6,7.
3.7 Rezeptionsanalyse
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ben, teilweise sicher nur unbewusst. Die Anwendung brachte auch sichtbaren Ertrag. Es wurde u.a. deutlich, dass jedenfalls nach der Intention des Autors eine größere Empathie mit den Juden in Mt 28,15 als mit den Heiden in Mt 28,19 besteht. – Was die Ausarbeitung der Methode angeht, so sind noch weitere Forschungen nötig. Man kann zwar einzelne Faktoren für Empathie benennen, weiß aber nicht, ob diese vollständig sind und welches Gewicht einem einzelnen Faktor zukommt. Daher ist es im Einzelfall schwierig, die Empathie zu einer Figur mit derjenigen zu einer anderen Figur zu vergleichen, obwohl man davon ausgehen kann, dass die Empathie unterschiedlich groß ist. Es wäre sinnvoll, den Einfluss von „gespeicherter Empathie“, individuellen Voraussetzungen und verschiedenen perspektivischen Mitteln auf die Empathie durch empirische Rezeptionsforschung zu überprüfen. Außerdem könnten häufig vorkommende Empathiekonstellationen und -dynamiken untersucht und benannt werden. 3.7.2 Sympathie Bei diesem Analyseschritt wird herausgearbeitet, welche Figuren dem Rezipienten eher sympathisch sind und welche nicht. 271 Dazu sind zwei Faktoren von Bedeutung: die Empathie des Rezipienten zur Figur sowie der Rezipientenstandpunkt, der meistens mit dem Erzählerstandpunkt identisch ist (vgl. 3.6.5.1 zum Werturteil über die Figuren). Weil beide Punkte schon behandelt wurden, müssen sie hier nur noch in Beziehung gesetzt werden. 1) Jesus: Der auferstandene Jesus erfährt eine eher hohe Empathie des Rezipienten, jedoch nicht so ausgeprägt wie bei den Jüngern. Auf der anderen Seite wird er äußerst positiv vom Erzähler und auch vom intendierten Rezipienten bewertet. Insgesamt ergibt sich eine sehr hohe Sympathie. 2) Jünger: Der Rezipient hat eine sehr hohe Empathie mit den Jüngern, mit denen er sich identifizieren kann; allerdings verhalten sie sich nicht immer vorbildlich. Die Sympathie des Rezipienten zu ihnen ist wohl fast so hoch wie diejenige zu Jesus. 3) Frauen: Die relativ hohe Empathie für die Frauen und ihre deutlich positive Darstellung in Mt 27f. lässt eine große Sympathie des Rezipienten für sie vermuten, die ähnlich ausgeprägt ist wie gegenüber den Jüngern. 4) Engel: Die geringe Empathie mit dem Engel wird durch dessen klar positive Eigenschaften aufgewogen, so dass sich wohl eine Sympathie mittlerer Höhe ergibt. 5) Wachen: Der intendierte Rezipient hat etwas Empathie mit den Soldaten, deren Reaktionen geschildert werden; genauer wird anschließend aber nur der Teil der Wachen beschrieben, der schlecht handelt. Ihnen gegenüber empfindet der Rezipient eher Antipathie. 271
Welche Figuren sich in der Wahrnehmung des Rezipienten untereinander sympathisch sind, wurde schon bei der Figurenkonstellation angedeutet (Kap. 3.5.3).
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
6) Hohepriester und Älteste: Bei diesen Figuren lässt Mt so gut wie keine Empathie aufkommen und verbindet sie mit einer deutlich negativen Darstellung. Der Rezipient ist demnach hochgradig abgestoßen von der Figurengruppe der Hohenpriester; er traut ihnen auch in 28,11–15 zu, dass sie die Wahrheit verbiegen, um ihre Ansichten durchzusetzen. 7) Pilatus: Für Pilatus ist auch noch in Mt 28 etwas Empathie vorhanden; seine in Mt 27,11–26 eher positive Darstellung lässt auf leichte Sympathie schließen, die aber hier in 28,14 geschwächt wird. 8) Gott, der Vater (und der Heilige Geist): Noch weniger als beim Engel kann der Rezipient Empathie zu Gott und dem Heiligen Geist entwickeln. Weil sie aber (kognitiv) sehr positiv bewertet werden, entsteht wohl eine mittlere Sympathie. 9) Juden: Die mittlere Empathie für die Juden und deren ambivalente Darstellung lassen eine insgesamt mittelstark ausgeprägte Sympathie vermuten. 10) Völker: Für die e[qnh empfindet der judenchristliche Rezipient des MtEv etwas Empathie. Da einzelne Vertreter dieser Figurengruppe außerdem eher positiv gezeichnet sind, kann damit wahrscheinlich eine mittlere Sympathie erzeugt werden. Wenn man die Figuren in Mt 28 nun auf einer Sympathieskala anordnet, ergibt sich folgendes Bild (Abb. 59): sympathisch
unsympathisch
Jesus: sehr sympathisch Jünger, Frauen: deutlich sympathisch Engel, Juden, Völker, Gott, Hl. Geist: eher sympathisch Pilatus: etwas sympathisch Wachen: eher unsympathisch Hohepriester: stark unsympathisch
Abb. 59: Sympathie des Rezipienten zu den Figuren in Mt 28
Das Sympathiespektrum in Mt 28 ist sehr weit und umfasst sowohl eine ausgeprägte Sympathie zu Figuren wie auch eine klare Antipathie. Bezogen auf die Sympathieverteilung gibt es nicht nur die Extreme, sondern auch eine Kumulation im Bereich leichter Sympathie. Dass die meisten Figuren eher sympathisch, aber auch nicht zu sympathisch sind, ist wahrscheinlich typisch für viele Erzählungen. Was die Sympathiedynamik angeht, so sind in Mt 28 – außer vielleicht bei Pilatus – keine deutlichen Sympathieveränderungen zu beobachten. Bewertung der Methode: Die Untersuchung von intendierter Sympathie und Antipathie zu den Figuren bildet im Bereich der Rezeptionswirkung eine wichtige Schnittstelle: Sie baut auf der Analyse von Empathie und Erzählerstandpunkt auf und ist Voraussetzung für die Beschreibung der figurenbezogenen Rezeptionsemotionen. Bei dieser Beispielanwendung
3.7 Rezeptionsanalyse
399
dürfte außerdem deutlich geworden sein, dass Empathie und Sympathie nicht einfach gleichgesetzt werden können. – Die Sympathieanalyse lässt sich beim MtEv gut umsetzen. Auch biblische Autoren werden, sicher mehr unbewusst als bewusst, mit Effekten von Sympathie und Antipathie gearbeitet haben, um ihre Erzählabsicht zu verwirklichen. Gerade bei biblischen Figuren, die ja oft eine außerordentliche Wirkung entfaltet haben, ist es wichtig, die tatsächliche Sympathiewirkung mit der rekonstruierten intendierten Sympathie zu vergleichen. – Die Analyse von Sympathie und Antipathie zu Figuren trägt dazu bei, die Erzählabsicht zu erhellen. Außerdem ist es schon an sich wertvoll, wenn man feststellen kann, wie der Erzähler die Sympathie des Rezipienten zu den Figuren verteilen möchte. Die Untersuchung von Sympathiespektrum, Sympathieverteilung und Sympathiedynamik ist nur im Vergleich mit anderen Erzählungen aussagekräftig. – Methodisch ist unklar, in welcher Weise genau Empathieanalyse und Figurenbewertung durch den Erzähler miteinander in Beziehung gesetzt werden sollen. Auch um zu überprüfen, ob weitere Faktoren mit hineinspielen, sind empirische Studien zur Entstehung von Sympathie/Antipathie notwendig. 3.7.3 Realitätseffekt Ein anderer Aspekt der Rezeptionswirkung ist die Stärke der Immersion in die Erzählung. Zu einem völligen „Eintauchen“ des Rezipienten in die Geschichte tragen wohl eine geringe sprachliche Distanz (wörtliche Rede), eine hohe Innensicht, ein verborgener Erzähler, zeitdeckendes Erzählen und realistische Detailinformationen bei. Wenn man diese Faktoren an Mt 28 prüft, so ergibt sich ein Realitätseffekt mittlerer Höhe: Wörtliche Rede ist sehr häufig vorhanden, und zwar in V. 5–7, 9f., 13f. und 18–20; andererseits gibt es auch nur Gesprächsberichte (V. 11.15; vgl. 3.6.2). An einigen Stellen liegt Innensicht vor, die sich besonders auf die Emotionen von Figuren bezieht (V. 4.8.17; vgl. 3.6.3). Es gibt keine expliziten Erzählerkommentare, die die ästhetische Illusion stören; der primäre Erzähler gibt sich hier wie auch sonst im MtEv nicht zu erkennen (3.6.1, 3.6.4). Zeitdeckendes Erzählen ist nur teilweise gegeben und eigentlich nur bei der wörtlichen Rede vorhanden. Die Erzählgeschwindigkeit variiert mehrfach innerhalb weniger Verse; Ellipsen, Raffungen und Szenen wechseln sich ab (3.4.3). Einerseits wird der Realitätseffekt also durch die wörtliche Rede und den verborgenen Erzähler gefördert, andererseits kann er sich durch die wenig intensive Innensicht und die häufige Zeitraffung nicht sehr stark entwickeln. Realistische Detailinformationen, ein wahrscheinlich sehr wichtiger Faktor für die ästhetische Illusion, werden außerdem nur in V. 3 gegeben (Aussehen des Engels). Vieles von dem, was in Mt 28 genannt wird, ist für die Erzähllogik
400
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
unmittelbar notwendig. Die Details fehlen: Es wird z.B. nicht erklärt, wo genau das Grab lag; es bleibt unklar, wohin die Frauen eigentlich gingen, als sie die Jünger aufsuchen wollten; es wird auch nicht gesagt, was für ein Berg in Galiläa gemeint ist. 272 Bewertung der Methode: Der Realitätseffekt, der die Immersion des Rezipienten in die Erzählung beschreibt, ist ein wichtiger Aspekt der Rezeptionswirkung. Das Verhältnis zur Spannung (s.u.) ist noch weitgehend ungeklärt, aber sicherlich sind diese beiden psychologischen Wirkungen nicht identisch. – Die Analyse des Realitätseffekts ließ sich auf das MtEv anwenden. Für eine wirkliche Einschätzung dieses Effekts wäre es aber notwendig, ihn noch mit anderen Erzählungen zu vergleichen (z.B. dem JohEv). Im MtEv selbst variiert er wohl nicht sehr stark, der Autor hat ihn sehr wahrscheinlich auch nicht bewusst gestaltet. – Es ging an dieser Stelle erst einmal darum, überhaupt zu zeigen, dass man den Realitätseffekt einer Erzählung anhand bestimmter Faktoren abschätzen kann. Methodisch sind dringend Verfeinerungen nötig. Die Merkmale einer Erzählung, die bei einer bestimmten Disposition des Rezipienten zum Realitätseffekt beitragen, könnten durch empirische psychologische Forschungen genauer erarbeitet werden. 3.7.4 Spannung Eine hohe Spannung beruht auf einer großen Empathie und Sympathie zu Figuren und einer partiellen Informiertheit des Rezipienten. Die Spannung wird durch möglichst wenige, aber explizit dargestellte Handlungsalternativen, ein hohes Risiko für die handelnde Figur (geringe Wahrscheinlichkeit, große persönliche Auswirkungen), eine hohe Applikabilität und bestimmte Themenkreise begünstigt (Kap. 2.7.4). Für die Beschreibung der Rätselspannung ist vor allem die vorherige Analyse der Handlungserwartungen (3.4.5.1), für die Untersuchung der Konflikt- und Bedrohungsspannung die Erforschung der Konflikte (3.4.5.2) relevant. Allerdings lassen sich beide Arten von Spannung nur schwer in zwei unterschiedliche Spannungskurven aufteilen, weil die Rätselspannung mit der Konfliktspannung zusammenhängt. Bezogen auf Mt 28 kann man nebenstehende Spannungskurve feststellen (Abb. 60). In Mt 28,1 ist die Spannung bereits sehr hoch, weil der Rezipient einerseits die Auferstehung Jesu erwartet (vgl. 3.4.5.1), andererseits aber auch die Alternative genannt wird, dass die Jünger den Leichnam stehlen könnten. Weil das Geschehen der Auferstehung eher unwahrscheinlich, das Thema Tod/Leben unmittelbar existenziell ist und weil die Handlungserwartungen auf zwei Alternativen beschränkt werden, ist die 272
Obwohl wenig Detailinformationen gegeben werden, möchte der Autor seine Geschichte als faktuale Erzählung verstanden wissen, vgl. 3.2.2.
401
3.7 Rezeptionsanalyse Höhe der Spannung
1
„einige der Wachen …“
„er ist auferstanden“
5
Abb. 60: Spannungskurve in Mt 28
8
10
„aber die elf Jünger“
15
20 Vers
Spannung im MtEv in diesen Versen (V. 1–5) am größten (Spannungshöhepunkt). Das gilt auch, obwohl der intendierte Rezipient aufgrund seiner externen Vorkenntnisse bereits von der Auferstehung Jesu weiß. Tod und Auferstehung der sehr sympathischen Hauptfigur können kaum noch in ihrer Dramatik übertroffen werden. Der Gang der Frauen zum Grab in V. 4 lässt im Grunde noch beide Alternativen offen und weckt die Erwartung, dass bald etwas passiert. Das Erscheinen des Engels deutet zwar die Auferstehung bereits an, macht den Rezipienten aber nur noch gespannter, ob sie in dieser Erzählung wirklich geschieht und wie die Auferstehung nun vor sich gehen wird. Daher steigt die Spannung leicht an. Die Beschreibung des Engels in V. 3 lässt die Ereignisse plastischer werden (vgl. 3.7.3 Realitätseffekt), dient aber auch als retardierendes Moment. In V. 4 wird der „Kampf“ zwischen Engel und Wachen schnell zugunsten des Engels entschieden,273 so dass die Spannung minimal abfällt. Als der Engel dann ansetzt, zu den Frauen zu reden, ist die Spannung am höchsten. Bei V. 6 findet man den größten Spannungsabfall in diesem Abschnitt. Der – aus Sicht des Rezipienten glaubwürdige – Engel verkündet, dass Jesus auferstanden und nicht mehr im Grab zu finden sei. Durch den Auftrag des Engels an die Frauen, den Jüngern die Erscheinung Jesu in Galiläa anzukündigen, werden zwei Konflikte der Art „unerfüllte Pflicht“ eröffnet bzw. erneuert und Handlungserwartungen geweckt: Der Rezipient überlegt, in welcher Weise die Frauen nun den Jüngern Bescheid sagen, und wird daran erinnert, dass Jesus ja nach der Auferstehung in Galiläa erscheinen wollte (26,32). Daher ist wieder ein leichter Anstieg der Spannung zu vermuten. 273 Der Grundkonflikt zwischen Engel und Soldaten bleibt jedoch aufgrund unterschiedlicher Interessen auch noch bis V. 11 bestehen, solange sie beieinander sind (s. Konfliktanalyse); nur die unmittelbare Auseinandersetzung ist vorbei.
402
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
In V. 8 folgen die Frauen dem Auftrag des Engels. Die gerade vorher aufgebaute Spannung fällt daher etwas ab, außerdem wird dem Rezipienten der weitere Handlungsverlauf klarer. V. 8 bildet so das Ende eines kleinen Spannungsbogens (Mikrospannung) und wird darum in manchen Bibelausgaben zu V. 1–7 gerechnet. In V. 9 erscheint Jesus dann überraschenderweise selbst. Diesbezüglich konnte keine Spannung beim Rezipienten entstehen, er ist einfach nur überrascht (vgl. 3.4.5.1). Spannungssteigernd wirkt die Tatsache, dass nun offen ist, wie Jesus mit den Frauen umgeht und was er ihnen zu sagen hat. Auf der anderen Seite ist nun klar, dass Jesus tatsächlich auferstanden ist; dies wirkt der Spannungserhöhung leicht entgegen. Dass Jesus in V. 10 „nur“ die Botschaft an die Frauen erneuert, lässt die Spannung dann etwas stärker absinken. Ein neuer Spannungsbogen wird in V. 11 dadurch eröffnet, dass einige der Wachen zu den Hohenpriestern gehen und ihnen von ihren Erlebnissen berichten. Hier liegt eine temporäre Nebenhandlung vor (vgl. 3.4.6). Die Spannung steigt, weil der Rezipient erfahren möchte, wie die Hohenpriester reagieren. Sie müssen sich zuerst beratschlagen (V. 12) – ein retardierendes Moment. Als sie in V. 13 die Wachen beauftragen, die Botschaft vom Leichendiebstahl zu verbreiten, wird der Parteienkonflikt zwischen den Hohenpriestern und Jesus bzw. den Jüngern verstärkt. Hier ist die Spannung innerhalb des Spannungsbogens am größten. Der Rezipient kann sich fragen: Was werden die Wachen tun? Haben sie Erfolg? Wie wird der Auferstandene reagieren? Die ersten beiden Fragen werden in den folgenden Versen beantwortet, wodurch die Spannung wieder absinkt (V. 14f.). Mit V. 16 beginnt ein neuer Spannungsbogen. Gleich zu Anfang wird dem Rezipienten mitgeteilt, dass die Jünger von der Auferstehung erfahren haben und deshalb nach Galiläa gehen. Eine eigene Erzählpassage, in der die Frauen die Nachricht überbringen, wurde ausgespart. Dass die Jünger jetzt tatsächlich von der Auferstehung wissen, lässt die Spannung absinken. Andererseits wird nun unmittelbar die Erwartung der Begegnung der Jünger mit Jesus geweckt – ein Ereignis, das für den Rezipienten sehr bedeutsam ist, weil er für die Jünger am meisten Empathie empfindet und sich mit ihnen identifiziert. Die Spannung am Ende von V. 16 ist daher wohl etwas höher als bei V. 10, weil in V. 16 anders als dort die Begegnung der Jünger mit Jesus anscheinend direkt bevorsteht. Tatsächlich erscheint Jesus; die Jünger reagieren mit Verehrung, aber auch Zweifel (V. 17). Der Rezipient weiß, dass Jesus mit ihnen noch eine „offene Rechnung“ hat, und ist noch mehr gespannt, was Jesus tun wird. Als erstes betont Jesus dann seine Macht (V. 18). Die Spannung steigt weiter. Durch den überraschenden Auftrag in V. 19 wird deutlich, wie Jesus reagiert; die Spannung könnte sinken, wenn dadurch nicht ein neuer Konflikt für die Jünger eröffnet würde (unerfüllte Pflicht). V. 20 lässt den Rezipienten trotz
3.7 Rezeptionsanalyse
403
seiner sprachlichen Form, die einen abschließenden Charakter hat, mit diesem wahrgenommenen Konflikt zurück. Auch bezogen auf die Spannung handelt es sich um einen offenen Schluss (vgl. 3.4.7). Insgesamt sind in diesem Abschnitt drei Spannungsbögen festzustellen, und zwar in Entsprechung zu den Szenen 28,1–10 (1–8.9f.), 11–15 und 16–20. Die letzten beiden Spannungsbögen sind „runder“ als der erste, wo besonders V. 9f. aus dem Rahmen fällt. Die Spannung geht an keiner Stelle vollständig zurück, weil der Grundkonflikt zwischen Jesus/den Jüngern und den Hohenpriestern nicht gelöst wird und weil sich in V. 19f. mit dem Missionsauftrag ein neuer Konflikt abzeichnet. Es gibt – bis auf den genannten Grundkonflikt und die Frage, wie Jesus mit seinen Jüngern umgehen wird – wenig Makrospannung, 274 dafür aber viele Mikrospannungen, die für eine abschnittsorientierte Rezeption geeignet sind. Das korrespondiert mit der für die Evangelien typischen episodischen Handlung, obwohl der Handlungsverlauf hier stärker als anderswo aufeinander aufbaut. Bewertung der Methode: Durch die Spannungsanalyse wird deutlich, wie hoch die Aktivierung des von Mt intendierten Rezipienten an einer bestimmten Stelle der Erzählung sein könnte. Man kann z.B. erkennen, wo Langeweile aufkommt oder wo sich der Rezipient ärgern würde, wenn man die Erzählung an dieser Stelle abbräche. Dabei ist die Untersuchung der Spannung, wie sich herausstellte, eng mit der Analyse der Handlungserwartungen und der Konflikte verknüpft (vgl. 3.4.5). – Die Spannungsanalyse ist auch bei biblischen Texte wie dem MtEv möglich und auch in ihrer Differenziertheit durchaus anwendbar. Spannungsfördernde und spannungslösende Textelemente werden von biblischen Autoren jedoch sicher nur unbewusst eingesetzt. – Methodologisch bleiben einige Unklarheiten. Die Höhe der Spannung lässt sich wohl nur schwer absolut feststellen, so dass die Spannungskurve keine Skala besitzt. Dennoch ist eine Spannungskurve der Art, wie sie oben dargestellt wurde, m.E. sinnvoll und näherungsweise zutreffend. Wie unter 2.7.4 angedeutet, sind vor allem noch weitere Forschungen zum Verhältnis der Spannungsfaktoren nötig. 3.7.5 Rezeptionsemotionen Die intendierten Rezeptionsemotionen können entweder als Verlaufsdiagramm dargestellt oder nach der Form der Gefühlsreaktion oder nach der Art der Ursache 275 sortiert werden. Ich möchte die vom Autor beabsichtig274
Anders ist es z.B. bei Erzählungen, die am Anfang einen Grundkonflikt darstellen und mit einem Happy End schließen („sie lebten alle Tage glücklich und zufrieden …“; im Kriminalroman wird der Täter gefasst). 275 Dasselbe Gefühl „Furcht“ kann z.B. aufgrund einer antizipierten Bedrohung der sympathischen Figur (hier 1.a), durch das Auftreten einer äußerlich erschreckenden Figur (hier 1.b) oder durch ein furchterregendes Setting (hier 2.) ausgelöst werden.
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
ten Rezeptionsgefühle zunächst geordnet nach Ursachekategorien darstellen, weil sie anhand ähnlicher Kriterien begründet werden können (Einteilung in figurenbezogene Emotionen, nicht-figurenbezogene Emotionen und ästhetische Emotionen). Die Gefühle, auf die der Autor beim Rezipienten jeweils abzielt, werden anschließend in einem Verlaufsdiagramm zusammengefasst. Dann folgt eine Übersicht über die Verteilung der Emotionen in Mt 28 und deren allgemeine Einschätzung. 1) Figurenbezogene Emotionen: Am häufigsten sind figurenbezogene Gefühle im Zusammenhang mit Handlungserwartungen (a). Daneben treten in Mt 28 auch figurenbezogene Gefühle auf, die nicht direkt mit Handlungserwartungen zu tun haben (b). Unten sind diese beiden Kategorien von Gefühlsreaktionen mit den Buchstaben „H“ und „F“ bezeichnet. a) Figurenbezogene Emotionen im Kontext der Handlungserwartungen („H“, vgl. 3.4.5.1): Je nach erwarteter oder abgeschlossener Situation, positivem oder negativem Ausgang, Sympathie oder Antipathie zur Figur sind hier die Emotionen Freude/Erleichterung, Mitleid/Enttäuschung, Hoffnung, Furcht, Ärger und Schadenfreude möglich (vgl. 2.7.5). Zu Beginn von 28,1 hegt der intendierte Rezipient starke Hoffnungen, dass bald die Auferstehung Jesu berichtet wird. Zugleich wirkt noch die Enttäuschung nach, dass Jesus gekreuzigt worden ist und dass die Jünger geflohen sind. In V. 2 kann der Autor davon ausgehen, dass der Rezipient über das Erscheinen des Engels erleichtert ist. Später in V. 4 empfindet der Rezipient Schadenfreude über das große Erschrecken der Wachen. Diese Freude wird relativ intensiv sein, weil der Rezipient aus seinem Alltag militärische Macht kennt und in dieser Erzählung erlebt, dass Gottes Kraft sie überwindet. Über den Zuspruch des Engels an die Frauen mh; fobei`sqe uJmei`~ (V. 5) kann auch der Rezipient erleichtert sein – es macht den Eindruck, als würden diese Worte zugleich dem Rezipienten gesagt. Mt rechnet offenbar damit, dass auch der Rezipient über das Auftreten des Engels etwas erschrocken ist. Dass der Engel dann endlich die Auferstehung Jesu verkündet (V. 6), ruft beim intendierten Rezipienten Erleichterung und vor allem Freude hervor. Jesus hat eine hohe Sympathie des Rezipienten, außerdem ist der Umschwung im Schicksal der sympathischen Hauptfigur vom „Unglück“ zum „Glück“ sehr groß; daher kann der Autor Freude als natürliche Reaktion erwarten. Die emotionale Reaktion auf V. 7 ist von Erleichterung geprägt: Erleichterung über den Auftrag, den Jüngern von der Auferstehung zu berichten, und Erleichterung über die Ankündigung der Erscheinung in Galiläa. Hier werden die positiven „sozialen“ Auswirkungen der Auferstehung Jesu deutlich. Zugleich wird im Rezipienten die Hoffnung geweckt, das Wiedersehen mit den Jüngern bald erzählt zu bekommen.
3.7 Rezeptionsanalyse
405
In V. 8 steht noch einmal die Freude im Vordergrund. Dadurch, dass die Freude der beiden Frauen explizit erwähnt wird und die Frauen dem Rezipienten empathisch nah sind, wird dem Rezipienten die „große Freude“ zum wiederholten Mal nahegelegt. Als in V. 9 Jesus dann den Frauen überraschend erscheint, reagiert der Rezipient sicherlich ebenfalls mit Freude über seine erste Wiederbegegnung mit der Figur seit der Kreuzigung. Über den Zuspruch „Fürchtet euch nicht“, die Wiederholung des Auftrags und besonders darüber, dass Jesus die Jünger wieder annimmt und sie als „Brüder“ bezeichnet (V. 10), empfindet der Rezipient große Erleichterung. Mt rechnet beim Rezipienten wohl mit der Erwartung, dass Jesus die Jünger wegen ihrer Untreue tadeln würde; daher fügt er an dieser Stelle bewusst ajdelfoiv ein. Die Hoffnung auf die Erscheinung vor den Jüngern wird durch die zweite Ankündigung erneuert. Dass in V. 11 dann einige der Wachen zu den Hohenpriestern gehen, könnte beim intendierten Rezipienten zunächst Enttäuschung auslösen, weil er nach der großen Schadenfreude bei V. 4 sowie der Freude und Erleichterung in V. 5–10 mit Jesus und den Jüngern gehofft hatte, dass ihre Gegenspieler jetzt Ruhe geben. Diese in V. 4–10 gewonnene emotionale Disposition lässt den Rezipienten wahrscheinlich sogar die Hoffnung wagen, dass die Hohenpriester aufgrund des Augenzeugenberichts der Wachen zum Schweigen gebracht oder gar überzeugt werden. Dass Mt beim Rezipienten mit dieser Hoffnung rechnet, darauf könnte V. 12a ein Hinweis sein, wo der Rezipient tatsächlich zur Schadenfreude über die Ratlosigkeit der Hohenpriester eingeladen wird. Umso größer ist der Ärger über die dann geschilderte Reaktion der Hohenpriester (V. 12b–14). Der Rezipient muss sich über das Geldangebot ärgern, das er moralisch verurteilt, über die offensichtliche Lüge (V. 13) und über den umsichtigen Plan, Pilatus gegebenenfalls zu beschwichtigen (V. 14). Besonders der Ärger über die dreiste Antibotschaft (sicher auch mit Mitleid für die Jünger gekoppelt) wird den Rezipienten bewegen, weil er gerade zuvor das Gegenteil vom primären Erzähler erfahren und dessen Version emotional stark positiv miterlebt hat.276 Innerhalb weniger Verse durchlebt der Rezipient ein Wechselbad der Gefühle. Es ist eine interessante Frage, warum Mt durch seine Schilderungen in V. 12–15 so stark den Ärger des Rezipienten hervorruft, nachdem er ihn kurz zuvor zur Freude angeleitet hat. Wird die Freude nicht durch den anschließenden Ärger geschwächt? Es kann sein, dass Mt mit diesem Ärger beabsichtigt, beim Rezipienten die „Solidarität“ mit den Jüngern zu vergrößern und die Abneigung zu den Hohenpriestern zu verstärken. Dieser Ärger wird dadurch vertieft, dass auch die Wachen dem Angebot der Hohenpriester zustimmen und und sich die Wahrheit 276
Vgl. LUZ, Matthäus IV, 422: „Die christlichen Leser werden über das Lügengewebe der Hohenpriester und Ältesten empört gewesen sein.“
406
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
über die Auferstehung, über die sich der Rezipient gefreut hat, nicht durchsetzen kann (V. 15). Damit die Erzählung nicht mit dem Ärger des Rezipienten endet (was aller Erfahrung nach negative Auswirkungen auf die Einstellung eines Rezipienten zur Erzählung hat), lässt Mt den intendierten Rezipienten in V. 16 wieder eine emotionale Umorientierung erleben. Es wird wieder die Freude von V. 4–10 aufgerufen und durch weitere Schilderungen vertieft. Dadurch wird der starke Ärger in V. 12–15 sozusagen in intensive Freude „eingebettet“ und von der Freude überlagert. Beim Rezipienten kommt Freude auf, weil die Jünger von der Auferstehung erfahren haben und nach Galiläa gehen, und Hoffnung, weil er nun erwarten kann, dass Jesus auch den Jüngern erscheint. Der Rezipient ist daher erleichtert über die Erscheinung Jesu kurz darauf (V. 17), er ist enttäuscht über den immer noch bestehenden Zweifel der Jünger und fürchtet deswegen erneut, dass Jesus sie für ihre Untreue tadeln oder bestrafen könnte. Diese Furcht löst sich in Erleichterung auf, als Jesus den Jüngern „nur“ einen Befehl gibt, sie sogar mit diesem verantwortungsvollen Auftrag wertschätzt; doch zugleich ist damit eine neue Furcht verbunden, diesen enormen Auftrag der Völkermission nicht umsetzen zu können. Der intendiert Rezipient fürchtet sich nicht nur aufgrund seiner Empathie für die Jünger, sondern bezogen auf sich selbst, weil er sich mit den Jüngern identifiziert und den Befehl auch an sich adressiert weiß.277 Daher ist diese Furcht sehr existenziell und relativ ausgeprägt. Darauf antwortet der Schlussvers des MtEv, aus dem der Rezipient große Hoffnung schöpfen kann: „Ich bin bei euch“ (V. 20). Der letzte Satz des MtEv, der aufgrund des Rezenzeffekts rezeptionspsychologisch besonders wichtig ist (vgl. 3.4.7), wirkt vielleicht auch deswegen so stark, weil der Rezipient vorher intensiven Ärger über die Hohenpriester als exemplarische Feinde der Botschaft von der Auferstehung (V. 13) und Furcht wegen des eigenen Unvermögens empfunden hat (V. 17.19). Das gibt diesem Hoffnungsgefühl eine besondere emotionale Tiefe. Zudem hat der letzte Satz wahrscheinlich einen (bewusst) doppelten Sinn. So wie Mt mit „alles, was ich euch geboten habe“ eigentlich auf das MtEv selbst verweist, so könnte er auch mit dem Schlusssatz „ich bin bei euch alle Tage“ auf seine Erzählung rekurrieren: Der Rezipient erlebt diese empathische Nähe zu Jesus ja (auch) in der Bibellektüre bzw. Bibelrezeption. Jesus begegnet ihm „im Wort“.278 b) Figurenbezogene Emotionen unabhängig von Handlungserwartungen („F“): An einigen Stellen in Mt 28 treten auch figurenbezogene Rezepti277
Das ist also eine Rezeptionsemotion, die bereits die intendierte indirekte Anwendung voraussetzt (vgl. 3.7.6). 278 Insofern konkretisiert die Rezeptionsanalyse einen klassischen, vor allem protestantischen Topos der christlichen Theologie.
3.7 Rezeptionsanalyse
407
onsgefühle auf, die nicht direkt mit Handlungserwartungen zu tun haben. Darunter fallen das Staunen über die Erscheinung des Engels (V. 3) und auch eine leichte Furcht vor dessen strahlendem Äußeren. Gleich im nächsten Vers beabsichtigt Mt noch eine andere Emotion: Heiterkeit. Während der Gedanke, dass bewaffnete Soldaten vor einem Engel erschrecken, schon an sich komisch ist, weil gewohnte Skripts durchbrochen werden, unterstützt Mt das Entstehen von Heiterkeit mit Anspielungen in seinen Formulierungen, nämlich dass die Wächter „erbeben“ (vgl. das Erdbeben) und „wie tot“ werden (vgl. Jesus). 279 Der Rezipient soll offenbar schmunzeln.280 In V. 9 ist beim intendierten Rezipienten außerdem ein Anflug von Furcht angesichts der ersten Erscheinung nach der Auferstehung zu vermuten (vgl. die ehrfurchtsvolle Reaktion der Frauen), in V. 18 ein Staunen über die universale Macht des Auferstandenen, in V. 20 ein Staunen über dessen Beistand. 2) Nicht-figurenbezogene (perzeptuelle) Emotionen („P“): Nicht nur Figuren, sondern auch Ereignisse oder Settings können Emotionen auslösen. Als intendierte Reaktion auf Mt 28 kann man tatsächlich auch einige perzeptuelle Emotionen vermuten. So kann die bloße Erwähnung eines „gewaltigen Erdbebens“ Emotionen auslösen, sofern die Vorstellung des Rezipienten dadurch angeregt wird (V. 2). Das Erdbeben fürchtet der Rezipient wohl nicht sehr stark, weil es nicht plastisch beschrieben wird, sondern er staunt eher über das Geschehen im Zusammenhang mit dem Auftreten des Engels. Eine ähnliche Mischung aus Staunen und Furcht kann man auch bei der Verkündung der Auferstehung (V. 6) annehmen – die Furcht auch des Rezipienten wird in V. 8 explizit angesprochen. Nicht zuletzt muss ein Rezipient, der einer jüdischen Sekte im 1. Jh. n.Chr. angehört, in V. 19 über den Gedanken staunen, dass einmal Menschen aus allen Völkern Nachfolger Jesu sein könnten. Dieses Staunen ist recht in279 Vgl. HAGNER, Matthew II, 870: „In the context of the proclaimed resurrection of Jesus, the description of the guards as ,like dead men‘ takes on an almost comical aspect.“ In mittelalterlichen Osterspielen wird diese Wirkung der Heiterkeit – eigentlich ganz im Sinne des Mt – weiter ausgebaut, indem die „Ritter“ zunächst großspurig auftreten, dann aber vor dem Grab sofort einschlafen (L UZ, Matthäus IV, 394). 280 Hier begegnet die in der Bibel wahrscheinlich häufigste Variante des Komischen: die ironische Darstellung einer Figur (s. Kap. 2, Anm. 759; S. 203 [Lit.]). Zur erfolgreichen Ironie gehört die gefühlte Überlegenheit des Sprechers und Rezipienten, die oft den realen Machtverhältnissen entgegengesetzt ist. Positive Gefühle beim Rezipienten mittels Ironie beruhen darauf, dass er sich der betreffenden Figur in irgendeiner Weise voraus fühlt, wenn z.B. die Jünger etwas noch nicht verstehen (z.B. Mt 17,4), der Rezipient aber schon. Das Selbstvertrauen des Rezipienten wird dadurch gestärkt. Hier in Mt 28 fühlt sich der Rezipient ebenbürtig mit den Frauen, den Jüngern, den Juden und den Völkern; er weiß sich dem Engel, Jesus, Gott und dem Heiligen Geist unterlegen, dagegen den Wachen, den Hohenpriestern, den Ältesten und Pilatus überlegen. Nur bei den Figuren der letzten Gruppe wäre in Mt 28 also eine ironische Darstellung möglich.
408
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
tensiv und nachhaltig, nicht nur wegen der relativen Schlussstellung von V. 19, sondern auch wegen der Größe der Vision. 3) Ästhetische Rezeptionsemotionen („Ä“): Ästhetische Emotionen beziehen sich auf die Art der Darstellung, z.B. entsteht Freude beim Rezipienten auch durch das Erkennen von Korrespondenzen. Hier sind zum einen die Figurenvergleiche zu nennen, die Mt den Rezipienten vornehmen lässt und die bereits behandelt wurden (3.5.2.2). In V. 4 wird die Heiterkeit unterstützt durch die ästhetische Freude, die aufgrund der Anspielungen „sie erbebten“ und „sie wurden wie tot“ entsteht. Und in V. 19 kann sich der Rezipient darüber freuen, dass er die ihm bekannte Taufformel im Munde des Auferstandenen wiederentdeckt. Ärger z.B. wegen einer sehr überraschenden Fortführung der Handlung (V. 9f.) ist sicher nicht von Mt beabsichtigt. – Bei der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Struktur und Erzähltechnik von Mt 28 treten ästhetische Emotionen noch stärker auf. Ein Verlaufsdiagramm für Rezeptionsemotionen kann die Erörterungen dann zusammenfassen und Vers für Vers auflisten, welche Emotionen jeweils ausgelöst werden sollen. Am Beispiel von Mt 28 könnte ein solches Diagramm so aussehen (Tab. 61):281 Tab. 61: Verlaufsdiagramm der Rezeptionsemotionen in Mt 28 Vers positive Gefühle
negative Gefühle
1
Hoffnung auf Auferstehung Jesu (H)
2
(Enttäuschung über die Kreuzigung und über die Untreue der Jünger) (H) (Furcht aufgrund des Erdbebens) (P)
Staunen über das Erdbeben (P) Erleichterung über Erscheinen des Engels (H) Staunen über den Engel (F) (Furcht aufgrund des Engels) (F) Freude über das Erschrecken der Wachen (H) Heiterkeit über die Beschreibungen „sie erbebten“ und „sie wurden wie tot“ (F) Erleichterung über den Zuspruch des Engels an die Frauen: „ihr braucht euch nicht zu fürchten“ (H) Erleichterung, Staunen und starke Freude (Furcht angesichts des außergewöhnwegen der Verkündung der Auferstehung lichen Geschehens) (P) (H, P) Erleichterung über den Auftrag, den Jüngern davon zu berichten (H)
3 4
5
6
7
281
Dabei bedeuten H: figurenbezogene Rezeptionsemotion im Kontext einer Handlungserwartung, F: andere figurenbezogene Rezeptionsemotion, P: perzeptuelle Rezeptionsemotion und Ä: ästhetische Rezeptionsemotion. In Klammern stehen weniger starke Emotionen; besonders intensive Emotionen sind kursiv gedruckt.
3.7 Rezeptionsanalyse Vers positive Gefühle Erleichterung über die Ankündigung der Erscheinung Jesu (H) Hoffnung auf die Erscheinung Jesu (H) 8 Freude über die Auferstehungsbotschaft (zusammen mit den Frauen) (H) 9 Freude über die Erscheinung Jesu (H) 10
11
12 13
14 15
16
17
18 19
20
Erleichterung über den Zuspruch „Fürchtet euch nicht“, über die Wiederholung des Auftrags und dass Jesus die Jünger als „Brüder“ bezeichnet (H) Hoffnung auf die erneute Erscheinung (H) Hoffnung, dass die Hohenpriester sprachlos sind und nicht mehr gegen Jesus agieren (H) Schadenfreude über die Ratlosigkeit der Hohenpriester (V. 12a) (H)
409
negative Gefühle (Furcht vor dem, was Jesus seinen Jüngern sagen wird) (H) (Furcht angesichts der Auferstehungsbotschaft) (P) (Furcht angesichts der Erscheinung Jesu) (F)
Enttäuschung, dass einige Wachen zu den Hohenpriestern gehen (H)
Ärger über das Geldangebot der Hohenpriester (V. 12b) (H) Ärger über die Lüge der Hohenpriester (H) (Mitleid für die Jünger) (H) Ärger über den umsichtigen Plan der Hohenpriester (H) (Hoffnung, dass die Menschen ihnen nicht Ärger über die Zustimmung der Waglauben; V. 15a) (H) chen (H) Enttäuschung, dass sich die Wahrheit nicht durchsetzt (V. 15b) (H) Freude, dass die Jünger nach Galiläa gehen (H) Hoffnung, dass Jesus erscheint (H) Erleichterung über das Erscheinen Jesu (H)
(Enttäuschung über den Zweifel der Jünger) (H) Furcht, dass Jesus mit den Jüngern ins Gericht geht (trotz V. 10) (H)
Staunen über die Eigenschaften des Auferstandenen (F) Erleichterung, dass Jesus ihnen einen Auf- Furcht, diesen Auftrag selbst(!) nicht trag gibt (H) umsetzen zu können (H) Freude darüber, den wohl bekannten Auftrag wiederzuerkennen (Ä) Staunen über den universalen Auftrag (P) Freude über die Beistandszusage Jesu (H) Staunen über den Beistand Jesu (F) Hoffnung, dass eines Tages alle Menschen die Gebote Jesu halten werden (H)
410
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
Wie kann man das emotionale Profil des Abschnittes insgesamt beschreiben? Zum einen fällt auf, dass positive Gefühle überwiegen und auch den emotionalen „Schlussakkord“ prägen. Wahrscheinlich ist der letzte Emotionseindruck des Rezipienten am Ende von V. 20 eine Mischung aus großer Freude, etwas Ärger, beträchtlichem Staunen und fester Hoffnung. Die Emotionalität ist sehr hoch. Mt stellt sich einen Rezipienten vor, der starke Emotionen empfindet; konventioneller ausgedrückt: Mt will starke Emotionen auslösen. Außerdem ist bemerkenswert, dass nur 20 Verse eine solche enorme emotionale Dynamik enthalten – die durch das Thema Tod/Auferstehung, die große, auch erzählexterne Sympathie zur Hauptfigur Jesus, den Aufbau von Empathie in Mt 1–27, für die Gegenwart transparente Identifikationsfiguren und klare Gegner möglich wird. Innerhalb weniger Verse wechseln die Emotionen von großer Freude zu großem Ärger und umgekehrt. Mt 28 übertrifft, das kann man sicherlich schon jetzt sagen, hinsichtlich seiner emotionalen Dynamik viele andere literarische Erzählungen und ist auch im Vergleich zum übrigen MtEv ein emotionaler Höhepunkt.282 Die Dynamik der Gefühle lässt sich noch übersichtlicher in einer Verteilungsmatrix abbilden (Tab. 62), wobei die Angaben aus der Tabelle oben stammen: Tab. 62: Verteilung der Rezeptionsemotionen über Mt 28,1–20 Gefühl
Vers 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
Freude Erleichterung Hoffnung Staunen Heiterkeit Mitleid Enttäuschung Furcht Ärger
An der Verteilungsmatrix in Tab. 62 wird auf einen Blick deutlich, dass in Mt 28 mehrfach sehr starke Emotionen auftreten (dunkel) und dass V. 11– 15 hinsichtlich der emotionalen Wirkung einen Kontrapunkt bilden. Heiterkeit und Mitleid kommen jeweils nur an einer Stelle vor, Freude, Erleichterung, Hoffnung, Staunen, Furcht und Ärger dagegen relativ oft. 282
Zur Erinnerung: Diese Rekonstruktion bezieht sich auf den intendierten christlichen Rezipienten des 1. Jh. n.Chr. und nicht auf konkrete heutige Rezipienten.
3.7 Rezeptionsanalyse
411
Bewertung der Methode: Die genauere Untersuchung der Emotionen, die im Laufe einer Erzählung hervorgerufen werden sollen, gehört zur Analyse der Rezeptionswirkung dazu und ist viel zu lange vernachlässigt worden. In der Narratologie hängt dies mit dem Strukturalismus und der Autonomieästhetik früherer Jahrzehnte zusammen. Erst mit dem Ernstnehmen des cognitive turn, der den intendierten Rezipienten als mentales Modell des Autors ansieht, das dessen Schreibprozess in jeder Hinsicht beeinflusst, ist auch die Frage nach beabsichtigten Rezeptionsemotionen wieder theoretisch „erlaubt“. – Es wurden konkrete Methoden zur Analyse der Rezeptionsemotionen vorgestellt, die sich als anwendbar und sehr ertragreich erwiesen. Gerade in Mt 28 spielen die Emotionen eine wichtige Rolle für die vom Autor beabsichtigte Wirkung. Die Anwendung hat auch gezeigt, wie sehr die Gestaltung des Textes von den kognitiven und emotionalen Dispositionen abhängt, die Mt beim Rezipienten vermutet; z.B. kann der letzte Satz des MtEv als Antwort auf Befürchtungen des Rezipienten verstanden werden. – Es wäre sehr lohnend, diese Methoden der Analyse zu verfeinern, weitere Emotionen aufzunehmen und Kriterien zu überprüfen, an denen man erkennen kann, dass eine bestimmte Emotion beabsichtigt ist. Auch das Nachwirken von Emotionen über den unmittelbaren Vers hinaus wird in diesem Modell kaum berücksichtigt. 3.7.6 Intendierte Anwendungen Mt wollte den Bericht von der Auferstehung so erzählen, dass die Auferstehung Jesu auch den intendierten Rezipienten etwas „angeht“, für ihn etwas „bedeutet“. Luther drückt diesen Gedanken so aus: „… der größere Teil der Leute hört die Auferstehung Christi an wie eine Geschichte vom Türken und sie ist ihnen wie ein Bild an der Wand. Es muß aber etwas Besseres sein, wie wir singen in dem Gesang ‚des solln wir alle froh sein, Christ will unser Trost sein‘. Man soll sie so ansehen, daß sie unser ist und mich und dich angeht.“ 283
In der Exegese muss man sich natürlich auf die vom Autor intendierten Applikationsmöglichkeiten beschränken. Es soll also konkret untersucht werden, was dazu beiträgt, dass Mt 28 für die Erzähladressaten des 1. Jh. n.Chr. bedeutsam ist. Die Methode dazu wurde in Kap. 2.7.6 dargestellt.
283
LUTHER, Evangelien-Auslegung V, 352 (Predigt vom 28.3.1529); dazu L UZ, Matthäus IV, 413. Auch bezogen auf den intendierten Rezipienten betont L UZ, Matthäus I, 36f.: „Sie [die matthäische Gemeinde] liest also die matthäische Jesusgeschichte nicht nur als vergangene Geschichte, sondern als eine ‚inklusive Geschichte‘, welche ihre eigenen Erfahrungen einschließt. Sie ist, ähnlich wie die johanneische Jesusgeschichte, ein ‚two-level-drama‘, in dem die vergangene Geschichte Jesu zugleich die Geschichte und Gegenwartssituation der Gemeinde darstellt und verstehbar macht“ (im Orig. kursiv). Vgl. den Titel von HOWELL, Inclusive Story.
412
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
3.7.6.1 Direkte Anwendung Zur direkten Anwendung gehören zunächst unmittelbare, wahre Aussagen über das Setting, Ereignisse, Sachverhalte und Personen in Vergangenheit und Gegenwart. Mt will die Erzählung in Mt 28 grundsätzlich als faktual verstanden wissen, nur die Figurenrede in V. 13 wird als unzuverlässig eingeordnet (vgl. 3.2.2). Dieser Analyseaspekt bezieht sich auf das erzählinterne Überzeugungssystem (vgl. 2.6.5, 3.6.5.1) des Mt. 1) Setting: Der Rezipient kann aus Mt 28 nichts über ein Setting lernen. Dass Felsgräber mit einem Stein verschlossen werden (V. 2, vgl. 27,60) und dass es in Galiläa Berge gibt, ist ihm sicherlich schon vorher bekannt. Mt kommt es ganz klar nicht darauf an, über eine fremde Kultur oder fremde Gegend zu informieren (anders z.B. Hes 40–48). 2) Ereignisse: Obwohl der intendierte, judenchristliche Rezipient sehr wahrscheinlich bereits allgemein von der Auferstehung Jesu gehört hat, erfährt er im MtEv genauere Umstände: dass das Grab bewacht worden ist, dass ein Engel erschienen ist, dass Maria von Magdala und eine andere Maria dabei waren, dass sie dem Auferstandenen selbst begegnet sind, dass sogar ungläubige Wachen die Auferstehung bezeugen, dass das Gerücht vom Leichendiebstahl auf eine Lüge der Hohenpriester zurückgeht, dass auch die Jünger Jesus gesehen haben und dass der Auftrag zur Heidenmission und zur Taufe vom Auferstandenen stammt. Mt möchte damit die Tatsächlichkeit der Auferstehung demonstrieren 284 und so gegen Argumente von außen (V. 13) und Zweifel von innen (V. 17) vorgehen. 3) Sachverhalte: Zu dieser Kategorie gehören Vorstellungen und Vorstellungskomplexe, die über konkrete Settings, Ereignisse oder Personen hinausgehen. Hier sind die allgemeinen Sachverhalte nicht abstrahierendtheoretisch formuliert (wie z.B. in Mt 5,3–10), sondern jeweils an konkreten Figuren festgemacht. So vermittelt Mt 28 anhand der Geschehnisse um Jesus auch eine „Theologie der Auferstehung“ in nuce: die Auferstehung ist leiblich, von Gott bewirkt, geschieht in Kraft, stiftet Gemeinschaft mit anderen.285 Der Rezipient erfährt also indirekt, wie auch er auferstehen wird; diese konkretere Vorstellung, am Beispiel vor Augen geführt, gibt ihm Hoffnung. Das mentale Skript von Auferstehung kann man daher auch unter der indirekten Applikation einordnen, weil Jesus als „Vorbild“ für den Rezipienten aufersteht. Ebenso zeigen die Anweisungen an die elf 284 Vgl. LUZ, Matthäus IV, 394: „Durch das versiegelte Grab und durch das Eingreifen des Engels, das nicht nur die Frauen, sondern auch die ungläubigen Wächter bezeugen, kommt die Auferstehung in die Nähe eines eindeutigen, unbezweifelbaren Tatbestands“. 285 Vgl. DAVIES, Matthew, 209: „The Matthaean narrative … has made clear that resurrection involved personal post-mortem survival through bodily transformation for an immortal individual existence, brought about by the Creator God in vindication of Jesus’ fidelity.“
3.7 Rezeptionsanalyse
413
Jünger und ihr Verhältnis zu Jesus, was Jüngersein bedeutet und wie sich Jünger zu verhalten haben („Ekklesiologie“ und „Ethik“ des Abschnitts). Doch auch dieser Punkt gehört eigentlich zur indirekten Anwendung (s.u.). 4) Personen: Von den Figuren haben die Jünger und die Frauen für den Rezipienten nicht direkt eine Bedeutung, weil er sie sehr wahrscheinlich nicht (mehr) real kennt. Daher können die im Laufe der Rezeption des MtEv erweiterten Figurenmodelle sein Verhalten zu ihnen auch nicht beeinflussen. Sehr wichtig für den intendierten Rezipienten sind aber die Figurenmerkmale Gottes und die Figurenmerkmale Jesu 286. Er erhofft sich Antworten auf die Fragen: Wer/wie ist Gott? Und wer/wie ist Jesus? Die entsprechenden Vorstellungen, die sich beim Rezipienten bilden, wurden auch schon bei der Analyse der Figurenmerkmale rekonstruiert, jedenfalls die Wahrnehmung des Auferstandenen (3.5.2.1). Ich möchte darum jetzt näher auf das kognitive Modell von Gott, dem Vater, in Mt 28 eingehen. Die (Figuren-)Vorstellung von Gott ist für den Rezipienten hoch relevant, auch wenn Gott im MtEv nur selten direkt als Akteur auftritt. 287 Dessen Charakterzüge, Verhalten, Meinungen, Wünsche und Intentionen sind dem Rezipienten deswegen wichtig, weil davon abhängt, wie sich Gott auch gegenüber dem Rezipienten verhält. Ein großer Teil der Reden Jesu beschäftigt sich daher mit den Fragen, wie Gott gegenüber den Menschen eingestellt ist und was Gott von den Menschen möchte. Insgesamt vermittelt das MtEv ein vertrauensvolles Gottesbild; sehr häufig wird Gott als „Vater (im Himmel)“ bezeichnet. Indirekt kann der Rezipient auch aus dem Verhalten und Charakterzügen des Gottessohnes auf Gott selbst schließen. Zur Identität Gottes macht Mt keine genauen Angaben, doch das Gottesbild des Rezipienten wird sicherlich vom jüdischen Vorstellungshintergrund her aufgebaut. In Mt 28 werden dem Rezipienten indirekt mehrere Verhaltensweisen Gottes geschildert: Gott lässt ein gewaltiges Erdbeben geschehen; er schickt einen hell strahlenden Engel, der den Stein beiseiterollt und den Frauen die Auferstehung verkündet; er hat Jesus auferweckt; er lässt es zu, dass die Hohenpriester gegen die Auferstehung und gegen die Jünger agieren; er hat Jesus alle Gewalt anvertraut. Aus diesen (teilweise implizit) berichteten Verhaltensweisen kann der Rezipient mit seinen Skripts vor allem Charakterzüge, Meinungen und Intentionen Gottes erschließen. 286
Vgl. KEENER, Matthew, 716: „the narrative teaches about Jesus’ identity“ (im Orig. fett). 287 Die Gottesvorstellung, die beim intendierten Rezipienten des MtEv aufgebaut wird, hat man bisher auffällig vernachlässigt. Vgl. aus narratologischer Sicht bisher nur sehr knapp BLACK, Depth of Characterization, 612f., der dafür argumentiert, Gott überhaupt in die Analyse der Figuren einzubeziehen. Zu Einzelaspekten der mt Figur „Gott“ gibt es verschiedene, nicht narratologische Studien, besonders zur Anrede Gottes als „Vater“ (CHILTON, God as „Father“; SHEFFIELD, Father).
414
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
a) Der Rezipient erfährt etwas über Gottes Charakterzüge: Schon die im MtEv sehr häufige metaphorische Bezeichnung Gottes als ein „Vater“ (hier V. 19) impliziert bestimmte Charakterzüge, z.B. seine Güte, seine Fürsorge und seine Verbundenheit mit den Menschen. Was aber könnte der Rezipient aus den Verhaltensweisen Gottes in Mt 28 ableiten? Dass Gott ein Erdbeben bewirkt, lässt beim Rezipienten die Frage entstehen, ob Gott jedes Erdbeben schickt und ob er damit immer eine Intention verfolgt. Der hell strahlende Engel verweist auf die Macht 288 und Heiligkeit Gottes. Anhand der Nachricht des Boten an Maria von Magdala und an die „andere“ Maria sieht der Rezipient, dass für Gott trotz seiner Macht und Heiligkeit einzelne Menschen wichtig sind – auch Frauen. 289 Auch in dem, was Gott in Mt 28 zulässt bzw. nicht tut, kommt (angesichts seines Könnens) Gottes Charakter zum Ausdruck. So sorgt er nicht selbst dafür, dass alle Menschen der Botschaft von der Auferstehung glauben – er lässt ihnen Freiheit –, und ermächtigt Jesus bzw. Jesus die Jünger. Obwohl er um die Schwachheit der Menschen weiß, vertraut er ihnen einen großen Auftrag an. b) Der Rezipient lernt Gottes Meinungen kennen: Gottes Einstellungen sind von vornherein normativ, seine Überzeugungen wahr. Gottes Überzeugungssystem umfasst sicherlich auch dasjenige des Erzählers (s.o. 3.6.5.1). Seine Einstellungen zu Merkmalen (d.h. seine Normen und Werte), insbesondere zu den Verhaltensweisen der Menschen in Mt 28, werden mit denen Jesu und des Erzählers übereinstimmen: Gott lehnt Lüge, Untreue, Diebstahl oder den Bruch des Sabbats 290 sicherlich genauso ab wie der Erzähler; dagegen findet Gehorsam und Ehrfurcht gegenüber Gott auch seine Zustimmung. Gottes Einstellungen zu Entitäten, also hier zu den konkreten Figuren, sind schwieriger zu beurteilen: Lehnt er die Hohenpriester insgesamt ab? Wie denkt er über die Wachen, die die Lüge verbreiten? Anhand der Diskrepanz zwischen der Einstellung des Erzählers und der Einstellung Jesu zu den Jüngern (vgl. 3.6.5.1) ist zu vermuten, dass Gott insgesamt besser über die Menschen qua Mensch denkt als der Erzähler bzw. intendierte Rezipient und bei seinen Einstellungen klarer zwischen Person und Verhalten trennt. Das jedoch ist kein Aussageschwerpunkt des Erzählers und geht für den Rezipienten nur sehr undeutlich aus Mt 28 hervor. c) An manchen Punkten kann der Rezipient auch erschließen, was Gott mit seinen Verhaltensweisen intendiert. Wichtigster Aspekt seiner Intenti288
KEENER, Matthew, 700: „the narrative reveals God’s power“ (im Orig. fett). Vgl. KEENER, Matthew, 702: „the narrative shows that God is selective in his revelation“ (im Orig. fett). 290 Vgl. Mt 28,1 mit 27,62; eindeutig 24,20. In Mt 12,1–8.9–14 wird ein Normenkonflikt geschildert, an dessen Ende eine Normenhierarchie formuliert wird; das bedeutet nicht, dass die Norm, den Sabbat zu halten, für Mt aufgehoben ist. 289
3.7 Rezeptionsanalyse
415
on ist sein Heilsplan für die Menschen, wie ihn das MtEv entfaltet. Tod und Auferweckung Jesu entsprechen diesem Heilsplan Gottes für die Menschen (16,21–23; 26,39.42; vgl. 26,28 eij~ a[fesin aJmartiw`n; bereits 1,21). Ebenso wird der Rezipient auch 28,18–20 letztlich auf die Intention Gottes zurückführen und sich am Ende von 28,20 die Frage stellen, ob auch die Juden einmal die christliche Verkündigung annehmen werden. 291 Bewertung der Methode: Die Methoden der direkten und indirekten Anwendung können zusammen evaluiert werden, vgl. 3.7.6.2. 3.7.6.2 Indirekte Anwendung Wie unter 2.7.6.2 beschrieben, handelt es sich um eine indirekte Anwendung, wenn der Rezipient dabei einen Vergleich vornehmen soll („A ist wie B“). Auf das Setting oder rein auf Ereignisse bezogene, beabsichtigte indirekte Anwendungen gibt es in Mt 28 offenbar nicht. Große Bedeutung für unseren Abschnitt haben dagegen die figurenbezogenen Applikationen. Intendiert sind hier, wie sich zeigen wird, meistens konkret-persönliche Anwendungen, in manchen Fällen auch die konkret-fremde und symbolische Figurenapplikation. Die indirekte Figurenapplikation ist grundsätzlich mit allen Figuren in Mt 28 möglich: Jesus, den Jüngern, den Frauen, dem Engel, den Wachen, den Hohenpriestern und Ältesten, Pilatus, den Juden, den Völkern, Gott bzw. dem Heiligen Geist und, auf einer anderen Kommunikationsebene, dem Erzähler. Diese Figuren und ihre Merkmale können systematisch nacheinander durchgegangen werden, doch auch hier will ich mich auf einige Figuren als Beispiele beschränken. Die Methode besteht aus zwei Grundfragen, die zwei methodischen Schritten entsprechen: a) Inwiefern könnte die Figur für den intendierten Rezipienten ein positives oder negatives „Vorbild“ sein? b) Was davon ist tatsächlich von Mt intendiert? Zunächst werden also denkbare Anwendungen zusammengetragen, anschließend wird erörtert, ob auch Mt schon an diese Anwendung gedacht haben kann. Um herauszufinden, welcher Vergleich intendiert ist, helfen die unter 2.7.6.2 (Nr. 2) angegebenen, aus der Gleichnisdeutung gewonnenen Kriterien weiter: Erinnerungsnähe und Parallelität. Falls eine Erinnerungsnähe nicht von vornherein besteht (hier 291
„Darf“ man hinter Ereignissen eine Intention Gottes vermuten? N EIDHART/EGGENErzählbuch zur Bibel I, 43f. fordern, bei der Nacherzählung biblischer Geschichten darauf zu verzichten, bei Gott (psychologische) Motivationen anzunehmen, wie z.B. Gottes Zorn, die Absicht zu bestrafen, zu belohnen oder zu versuchen. Dies wird mit dem Bilderverbot und der Unerklärbarkeit Gottes begründet und führe zu einer fragwürdigen Gottesvorstellung. Diese Argumente sind wichtig für die heutige Verkündigung, aber gelten nicht für die Exegese. Bei der Exegese geht es zunächst darum, wie sich der Rezipient des MtEv Gottes Intentionen vorstellen soll, nicht um eine Bewertung dessen.
BERGER ,
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
kann sie in den meisten Fällen vorausgesetzt werden), kann der Autor sie durch implizite und explizite Transfersignale erhöhen oder klar herstellen. Die Untersuchung der Parallelität fragt außerdem nach auffälligen Ähnlichkeiten im Leben des Rezipienten. 1) Jesus. Dass sich der Rezipient mit Jesus vergleicht, dafür spricht die sehr große Sympathie und eher hohe Empathie des Rezipienten zu Jesus (vgl. 3.7.1, 3.7.2). Mit den Eigenschaften und Verhaltensweisen Jesu setzt sich der Rezipient also verhältnismäßig intensiv auseinander. Ohnehin werden Merkmale einer Figur beim Rezeptionsprozess automatisch bewertet und daraufhin überprüft, inwiefern die Figur ein positives oder negatives Vorbild sein kann. Doch vorherige Empathie und Bewertungsgefühle können die Aufmerksamkeit für Ähnlichkeiten und Unterschiede vergrößern. Ich möchte zunächst mögliche intendierte Vergleichspunkte in einer Tabelle darstellen (Tab. 63) und sie anschließend sichten: 292 Tab. 63: Mögliche indirekte Figurenapplikationen bezogen auf Jesus Nr. Vergleichspunkte 1 Auferstehung 2 3 4
5 6 7
Jesus wird auferweckt
intendierter Rezipient/andere **wird am Ende der Zeit auferweckt (Z) (P/S) Auferstehung als wird aufgrund seiner wird für Treue durch AuferweBelohnung für Treue Treue zu Gott auferweckt ckung belohnt das „neue“ Leben wird von Gott vom Tod wird von Gott vom geistlichen Tod zum Leben geführt zum Leben geführt293 Befreiung wird aus dem Grab befreit wird durch Gott von etwas befreit („Angststein“ oder „Sorgenstein“294) Widerstand gegen wird gegen Widerstand wird zum Widerstand aufgeforUnterdrückung auferweckt dert295 christliche Gemein- will den „Brüdern“ ersoll Gemeinschaft mit anderen schaft scheinen Jüngern suchen Freiheit zum Unerscheint nicht den soll Menschen die Freiheit zum glauben/Widerstand Hohenpriestern Unglauben/Widerstand lassen
292 Vgl. zum Aufbau der Tabelle S. 214 [Kap. 2.7.6.2] Tab. 31 („Struktur einer übertragenen Bedeutung“). Hier ist auch schon das Ergebnis der späteren Abwägungen eingetragen, wie sehr eine Anwendung von Mt beabsichtigt sein könnte (kein Asterisk = nicht intendiert; * = intendiert; ** = deutlich intendiert; *** = sehr stark intendiert). – Abkürzungen der Applikationsart: G = gegenwärtig, Z = zukünftig; P = konkret-persönlich, F = konkret-fremd, S = symbolisch. 293 S. die paulinische Theologie (Röm 6,4; 2 Kor 5,17; Gal 2,19f.); vgl. Eph 2,5f. 294 Vgl. zu dieser Deutung im kirchlichen Liedgut L UZ, Matthäus IV, 413. Menschen können sich durch Sorgen und Angst wie gefangen fühlen. Angst || Stein ist eine sekundäre Parallelisierung, s. zu diesem Phänomen Seite 219 (Kap. 2.7.6.2 Nr. 2). 295 Vgl. zu modernen, revolutionären Applikationen der Auferstehung GNILKA, Matthäusevangelium II, 496 (Aufstehen gegen Unterdrücker und für Gerechtigkeit).
3.7 Rezeptionsanalyse Nr. Vergleichspunkte 8 Vergebung/Umgang mit den „Brüdern“ 9 Besitz von Macht 10 Ermutigung 11 Delegation von Aufgaben
Jesus vergibt den Jüngern ihre Untreue Können: hat alle Macht ermutigt die Jünger gibt Vision, genauen Auftrag und Unterstützung
12 gemeinsame Intention/Norm
will, dass alle Menschen seine Jünger sind
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intendierter Rezipient/andere *soll den Geschwistern vergeben (G/Z) *hat keine Macht (G/Z) (P/S) soll andere Jünger ermutigen soll andere Jünger zum Jüngermachen befähigen (V. 20a rekursiv verstanden) *soll sich wünschen, dass alle Menschen Jünger Jesu sind (G/Z)
Welche der tertia comparationis könnten hier intendiert sein? Zu 1: Der intendierte Rezipient hat durch seinen jüdischen Hintergrund eine Vorstellung von individueller Auferstehung (daher muss ihm die Haltung der Sadduzäer erklärt werden; Mt 22,23). Daher liegt es ihm sehr nahe, bei Jesu Auferstehung an die eigene Auferstehung zu denken (Kriterium: Erinnerungsnähe). In exegetischen Kommentaren wiedergegebene Applikationen wie (teilweise) Nr. 2–7 sind sicher nicht von Mt beabsichtigt. Wenn etwas nicht von Mt intendiert ist, kann der Text zwar zur Illustration dieser Aussage dienen, aber nicht als biblischer Beleg für das Vorhandensein einer Überzeugung oder Einstellung. Nr. 7 kann deswegen nicht intendiert sein, weil die Erzähladressaten noch selbst zu den Marginalisierten gehören. Zu 8: Der gnädige Umgang Jesu mit den Jüngern muss dem Rezipienten auffallen, weil er erwartet, dass die Untreue der Jünger von Jesus bestraft wird.296 Stattdessen bezeichnet er sie als „Brüder“ (V. 10). Daher wird der Rezipient verstärkt über die Vergebung Jesu nachdenken. Weil Mt dies schon vielfach (6,12; 7,3–5; 18,15.21f.; vgl. 5,24.44) thematisiert hat, liegt es für den Rezipienten nahe, sich dabei an das eigene Vergeben zu erinnern. Zu 9: Der universale Missionsauftrag ruft beim Rezipienten das Gefühl von Furcht hervor (Kap. 3.7.5). Dem Gespür für die eigene Ohnmacht wird hier durch die Vollmachtsaussage Jesu begegnet. Nr. 10 „Ermutigung“ bezieht sich auf eine zu allgemeine Konkretionsebene, als dass der Rezipient an das eigene Ermutigen denken sollte. Er kann seine Geschwister nicht in ähnlicher Weise durch eine Beistandszusage stärken. Auch Nr. 11 „Delegation“ ist eher nicht intendiert. Am Ende fühlt sich der Rezipient mit Jesus in Übereinstimmung, weil er genau wie der Auferstandene wünscht, dass alle Menschen zu Jüngern Jesu werden (12). Bei diesen vier intendierten Vergleichspunkten ist kein klares Schwergewicht oder oder eine thematische Gruppierung festzustellen. Es gibt bei diesem Vergleich zwischen Jesus und dem intendierten Rezipienten also keine „Pointe“. 296
So beobachtet z.B. auch HAGNER, Matthew II, 886: „He [Jesus] does not rebuke them for their disloyalty or doubt.“
418
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
2) Die Jünger. Der intendierte Rezipient soll sich im MtEv vor allem mit den Jüngern identifizieren, was u.a. an der auffälligen Verwendung des Begriffs maqhthv~ zu sehen ist.297 Basis der Identifikation ist von vornherein eine ähnliche Identität als Nachfolger Jesu. Auch über die Rezeptionslenkung trägt Mt dazu bei, dass der Rezipient den Jüngern gegenüber eine sehr hohe Empathie und eine deutliche Sympathie empfindet (Kap. 3.7.1, 3.7.2). Daher ist zu erwarten, dass die Jünger auch in Mt 28 in ihren Charakterzügen, ihrem Verhalten und Erleben an vielen Punkten „transparent“ für den intendierten Rezipienten sein sollen. Die Frage ist nun: In welcher Weise genau? In der Tab. 64 werden zunächst die möglichen Applikationen aufgeführt; anschließend werden sie diskutiert. Tab. 64: Mögliche indirekte Figurenapplikationen bezogen auf die Jünger Nr. Vergleichspunkte die Jünger 1 Vergebung durch erfahren Vergebung für Jesus ihre Flucht 2 Vergebung geht hören, dass Jesus sie als den „Werken“ Brüder bezeichnet und voraus sie auffordert, nach Galiläa zu kommen 3 Freiheit zum haben die Freiheit, nicht Unglauben nach Galiläa zu gehen 4 Vertrauen auf das glauben der Botschaft Zeugnis anderer der Frauen und begegnen dem Auferstandenen
5 6
Zweifel Zweifel und Glauben 7 Ermutigung durch Jesus 8 Wertschätzung durch Jesus 9 Indienstnahme durch Jesus selbst 10 Auftrag, in die gesamte Welt zu gehen
zweifeln fallen nieder, zweifeln aber werden von Jesus ermutigt werden von Jesus wertgeschätzt werden von Jesus zu etwas beauftragt sollen zu allen Völkern gehen
11 Wertschätzung von Heiden
sollen die Heiden wertschätzen
intendierter Rezipient/andere *erfährt Vergebung von Jesus (G) wird erst im Kontext der Vergebungszusage zu Taten ermuntert
hat die Freiheit, nicht zu glauben (auch andere) *macht die Erfahrung, dass die Botschaft anderer Jünger (hier: MtEv) zuverlässig ist, und „begegnet“ Jesus (G) andere: wagen den ersten Schritt im Glauben nicht *kennt eigene Zweifel (G, P/S) **kennt das Schwanken zwischen Glauben und Zweifel (G, P/S) *wird von Jesus ermutigt (G) *wird von Jesus wertgeschätzt (G) *wird von Jesus persönlich in den Dienst genommen (G) ***soll zu allen Völkern (bzw. zu einem davon) gehen (G/Z) **andere: sind zu Völkern gegangen (G) *andere: sind gegen Heidenmission (G) *soll die Heiden wertschätzen (G/Z) *andere: sind gegen Heiden (G)
297 So z.B. POPLUTZ, Erzählte Welt, 53f.110, vgl. ebd., 124f.: „Gerade die Vielschichtigkeit zwischen aufrichtigem Versuch und kläglichem Scheitern macht sie [die Jünger] zu idealen Identifikationsfiguren.“
3.7 Rezeptionsanalyse Nr. Vergleichspunkte die Jünger 12 Versöhnung zwi- sollen die fremden Völschen Völkern ker wertschätzen 13 Mut zu Neuem sollen in neue Situationen aufbrechen 14 Auftrag zur Taufe sollen Menschen (d.h. (mit Taufformel) alle e[qnh) taufen
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intendierter Rezipient/andere soll sich für Versöhnung zwischen den Völkern einsetzen soll Neues wagen
**soll Menschen taufen (G/Z) andere: taufen Menschen nicht (mit dieser Taufformel) 15 Auftrag zum sollen Menschen alle **soll Menschen alle Gebote Jesu halten Halten-Lehren Gebote Jesu (im MtEv) lehren (G/Z) aller Gebote Jesu halten lehren andere: lehren nur die Gebote Jesu andere: lehren nicht alle Gebote Jesu h. *andere: lehren andere Gebote halten (als diejenigen im MtEv) (G) 16 Reihenfolge von werden aufgefordert, tauft die Menschen zuerst und unterweist Taufe und Lehre Menschen zu taufen und sie anschließend sie halten zu lehren andere: lehren schon vor der Taufe 17 Beistand Jesu erfahren den Beistand J. ***erfährt den Beistand Jesu (G)
Tatsächlich sind die meisten denkbaren Vergleichspunkte hier von Mt intendiert oder sogar stark intendiert. Zu 1: Dass Jesus den Jüngern vergibt (V. 10) und sie nicht tadelt, ist für den Rezipienten so auffällig, dass er in Empathie für die Jünger Erleichterung verspürt. Am Verhalten zu den Jüngern erkennt der Rezipient zugleich auch, wie Jesus sich zu ihm, dem erzählexternen Jünger, im Fall von Schuld verhält. Nr. 2 und 3 sind zwar dogmatisch interessant, aber Mt gibt keine Hinweise, dass ihm diese Aspekte wichtig sind. Zu 4: Für den Rezipienten ist es nicht sicher, ob die Jünger tatsächlich den Frauen glauben und nach Galiläa gehen werden. Die anschließend positive Erfahrung der Jünger bestärkt auch den Rezipienten darin, dem Zeugnis anderer zu vertrauen. Nicht intendiert ist dagegen der Tadel von Menschen im Umfeld des Rezipienten, die solches Vertrauen nicht aufbringen können. Zu 5 und 6: Mt spricht in V. 17 offenbar sehr bewusst das distavzein der Jünger an (so wie an anderen Stellen auch deren ojligopistiva). Dem Rezipienten soll sicherlich auch der Zusammenhang mit dem verehrenden proskunei`n auffallen: das Schwanken zwischen Glauben und Zweifel ist ihm wohl selbst bekannt. Wenn ein Rezipient nur das bloße Zweifeln auf sich bezieht, entspricht dies auch noch der mt Intention. Neben der konkret-persönlichen Anwendung hat dieser Gegenwartsbezug auch Aspekte einer symbolischen Figurenapplikation, weil Mt indirekt – sehr realistisch – voraussetzt, dass Glauben und Zweifel zum Menschsein (und damit auch zum Jüngersein) dazugehören. Der Rezipient lernt dadurch, mit eigenem Zweifel umzugehen: „Wenn sogar die elf Jünger zweifeln, obwohl sie Jesus sehen, dann ist es menschlich, falls ich auch einmal zweifle.“ Die Jünger erleben Ermutigung, Wertschätzung und Indienstnahme durch Jesus – und mit ihnen der Rezipient (7–9).
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
Zu 10: Dass der Auftrag zur Völkermission indirekt auch an die Erzähladressaten des MtEv gerichtet ist, wird erzähltechnisch besonders durch die Schlussstellung des Befehls im MtEv deutlich, außerdem durch die Parallele zwischen maqhtaiv und maqhteuvsate sowie durch das rekursive mt Ausbreitungskonzept, dass Jesu Jünger andere Menschen zu Jüngern machen, die ihrerseits auch diesen Missionsauftrag Jesu befolgen (V. 20a). 298 Daneben kann Mt voraussetzen, dass sich der Rezipient mit den Jüngern identifiziert und die Taufformel wiedererkennt. Die von Mt intendierte konkret-persönliche Applikation an diesem Punkt könnte also kaum deutlicher gemacht werden, wenn man vermeiden will, den Rezipienten explizit anzusprechen. Nr. 10 hat außerdem Neben-Anwendungen, die sich auf zwei andere Gruppen von Menschen neben dem Rezipienten bezieht, denn dieser Auftrag dient auch klar der Legitimation einer bisherigen Praxis. Zum einen haben einige Nachfolger Jesu bereits Menschen aus anderen Völkern für den christlichen Glauben gewonnen – der Rezipient wird sicherlich an mehrere Fälle denken. Zum anderen sind dem Rezipienten offenbar auch Judenchristen bekannt, die die Heidenmission noch ablehnen. Diesen kann hier mit dem Befehl des Auferstandenen begegnet werden. Damit hängt Nr. 11 zusammen, wonach Mt durch Schilderungen des MtEv und hier durch den klaren Auftrag Jesu die Wertschätzung des Rezipienten gegenüber Heiden vergrößern möchte. Die beiden nächsten Applikationsvorschläge Nr. 12 und 13 sind eher eine moderne Entschärfung des Missionsbefehls, entsprechen aber nicht der mt Intention, weil Mt das Gehen zu den Völkern sehr konkret beschreibt. Zu 15/16: Der Missionsbefehl wird durch zwei grundlegende TeilAnweisungen spezifiziert. Das intentionale Gewicht der Partizipialsätze ist sehr hoch, aber im Vergleich zum Imperativ maqhteuvsate wohl etwas geringer, weil nun der grundsätzliche Auftrag erklärt wird. Bezogen auf den Taufbefehl ist es möglich, dass sich Mt dabei auch gegen Christen richtet, die nicht diese Taufformel verwenden, doch einen Anhaltspunkt dafür gibt 298
„Deutlich ist durch seine herausgehobene Stellung am Schluß des Evangeliums, daß Jesu Missionsbefehl für die Gemeinde eine fundamentale Bedeutung hat. Matthäus meint wirklich, daß die Kirche grundsätzlich und fundamental missionarisch ist, und er stellt sich ihre Mission sehr konkret als ein ‚Gehen‘ zu allen Völkern vor“ (L UZ, Matthäus IV, 447). (Wie man ethisch damit umgeht, dass die Kirche heute aus einer Machtposition heraus agiert, ist ein anderer Aspekt.) Ähnlich H AGNER, Matthew II, 889; KEENER, Matthew, 718 u.v.a. – Anders (in Entsprechung zur katholischen Tradition, aber nicht zur mt Intention) D AVIES, Matthew, 204f.: „The women were not commissioned in the manner in which the disciples would be (28.19–20), but their role represents the part to be played by every follower of Jesus, whereas the disciples’ role represents the part to be played by missionary leaders.“ Mt betont jedoch die Rekursivität des maqhteuvein: Nach Mt sollen die elf Jünger (V. 16) alle Völker zu Jüngern machen (V. 19), die dann alles tun, was die elf Jünger tun (V. 20).
3.7 Rezeptionsanalyse
421
es nicht. Bei didavskonte~ threi`n pavnta ist vorstellbar, dass Mt hier gegen Menschen vorgeht, die nur die Gebote lehren, aber nicht darauf achten, dass sie gehalten werden (vgl. das Auftreten von yeudoprofhvt ai und die Betonung des Tuns Mt 7,15–27) 299, oder dass er andere Christen im Blick hat, die nicht alle Gebote Jesu lehren. Beides ist schwer nachzuweisen. Auf jeden Fall ist der Rezipient aber von Menschen umgeben, die andere Gebote (halten) lehren als diejenigen, die Mt in den Redekomplexen übersichtlich zusammengefasst hat 300 – Juden und sicher auch manche Christen. Von solchen Lehren soll sich der Rezipient abgrenzen. 301 Zu 16: Gegen eine Taufkatechese richtet sich Mt sicherlich nicht. Mt betont eher das Wesen von Jüngerschaft als „lebenslanges Lernen“, wo nicht nur Informationen mitgeteilt werden, sondern das auch Auswirkungen auf Einstellungen und Verhaltensweisen hat (auch die gesamte Erzählkonzeption des MtEv ist ja auf solche langfristigen Wirkungen ausgerichtet; s. 3.7.7). Auf der Reihenfolge von Taufen und Halten-Lehren liegt hier kein Gewicht. Zu 17: Weil der intendierte Rezipient angesichts der Größe des universalen Auftrag und seiner eigenen Ohnmacht verunsichert ist, gilt die Zusage Jesu „ich bin bei euch alle Tage“ gerade auch ihm. Der Beistand Gottes in Jesus als dem Immanuel (1,23) ist ein „Grundton“ des MtEv. 302 Zudem weist pavsa~ ta;~ hJmevra~ e{w~ th`~ sunteleiva~ tou` aijwvno~ explizit über den erzählten Zeitpunkt hinaus. Dass diese Zusage den Schlusssatz des MtEv bildet, sichert ihr zusätzlich besondere Aufmerksamkeit. Der Gegenwartsbezug zum intendierten Rezipienten wird also auch hier äußerst deutlich. 303 Was ist die „Pointe“ bzw. das Schwergewicht diese Vergleichs? Im Mittelpunkt steht gewiss der mehrteilige Missionsauftrag und die Beistandszusage Jesu, die sowohl an die Jünger der erzählten Welt als auch an den erzählexternen Rezipienten gerichtet sind. 3) Aus Platzgründen werden nun bei den Frauen und den dann folgenden Figuren nur noch die Tabellen mit möglichen Applikationen abgedruckt. Die eingehende Diskussion kann unterbleiben, weil sie bei den vorangegangenen Beispielen bereits vorgeführt wurde.
299
So z.B. BORNKAMM, Auferstandene, 179–183; F RIEDRICH, Struktur, 177. Auch LUZ, Matthäus IV, 455 merkt an, dass das MtEv ja selbst die Gebote Jesu enthält: „Man könnte von einer ,Selbstkanonisierung‘ in nuce sprechen.“ 301 Nach LUZ, Matthäus IV, 455f. wurde dieser Aspekt besonders stark von reformatorischen Auslegern gesehen. 302 Ausführlicher dazu L UZ, Matthäus IV, 456. 303 Vgl. HAGNER, Matthew II, 889 über die Beistandszusage in 28,20: „The evangelist here not only writes history but provides a promise having relevance to his own contemporaries“. Man kann wohl davon ausgehen, dass fast alles, was Mt schreibt, aus seiner Sicht für die Rezipienten relevant ist. 300
422
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
Tab. 65: Mögliche indirekte Figurenapplikationen bezogen auf die Frauen Nr. Vergleichspunkte304 die Frauen 1 Treue sind treu und werden dafür belohnt 2 keine Angst vor der Engel sagt ihnen: „fürchtet Gott haben euch nicht“; auch Jesus sagt ihnen: „fürchtet euch nicht“ 3 Verlassen alter erkennen, dass Jesus nicht tot ist Denkmuster (auf Jesus bezogen)
intendierter Rezipient/andere **soll treu sein (G/Z) andere: sind nicht treu **soll sich nicht vor Gott ängstigen (G/Z) andere: haben Angst *soll seine alten, falschen Denkmuster bezogen auf Jesus/Gott ablegen (G/Z) andere: haben falsche Denkmuster bzw. wissen nicht, dass Jesus lebt 4 Furcht und Freude empfinden Furcht und große kennt das Schwanken zwiFreude schen Furcht und Freude 5 Freude über die empfinden große Freude **soll sich über die AufersteAuferstehung hung Jesu freuen (G/Z) 6 Reaktion auf Gottes empfinden große Freude soll sich über Gottes Handeln gutes Handeln in seinem Leben freuen 7 Begegnung mit begegnen Jesus überraschend „begegnet“ Jesus mitten im Jesus Leben/Alltag 8 Verehrung Jesu treten zu Jesus und fallen nieder *soll Jesus verehren (G/Z) 9 Wertschätzung werden als Frauen/Benachteiligte *soll wie Jesus auch Fraudurch Jesus als von Jesus wertgeschätzt en/sozial Benachteiligte wertBenachteiligter schätzen (G) 10 Indienstnahme werden als Frauen/Benachteiligte *soll akzeptieren, dass auch durch Jesus als von Jesus in den Dienst genomFrauen305/Benachteiligte306 von Jesus in den Dienst geBenachteiligter men nommen werden (G/Z) 11 Gehorsam sind dem Auftrag gehorsam *soll gehorsam sein (G/Z) 12 Begegnung mit verkünden den Jüngern, wo sie sagt Menschen, wie sie Jesus Jesus ermöglichen Jesus treffen können begegnen können 304
LUZ, Matthäus IV, 414 zählt verschiedene Applikationen aus der Rezeptionsgeschichte auf: „Die Leser/innen sollen sich mit den Frauen identifizieren. Für Luther stellen sie das gute Gewissen dar, das noch im Irrtum befangen ist. Für Calvin sind sie Beispiele dafür, daß Gott diejenigen erwählt, die töricht und schwach sind vor der Welt (1Kor 1,27). Musculus ist nicht der einzige, der sie ambivalent sieht: Lobenswert ist ihre Liebe zu Christus, zu tadeln ist, daß sich diese Liebe auf den Toten richtete und daß auch sie die Worte Christi, mit denen er seine Auferstehung angekündigt hatte, vergessen haben. Alle diese Aussagen bieten Identifikationsmöglichkeiten für Leser/innen und Predigthörer/innen.“ Vgl. hier Nr. 1, 3, 8/9. 305 GNILKA, Matthäusevangelium II, 496: „So ist die Darstellung der Erscheinung vor den Frauen als Protophanie nicht zuletzt ein Plädoyer für die Frau in der Jüngerschaft und in der Kirche gegen männliche Selbstherrlichkeit.“ Mit dem „ist“ scheint Gnilka anzudeuten, dass er dies für eine mt Intention hält. 306 KEENER, Matthew, 698: „the narrative demonstrates that those of whom society thinks the least are often those whom God sends with his message“ (im Orig. fett).
3.7 Rezeptionsanalyse
423
Insgesamt lassen sich bei der indirekten Figurenanwendung, die Mt beabsichtigt, drei Schwerpunkte erkennen. Ein Schwerpunkt liegt auf der loyalen Haltung der Frauen zu Jesus, ein anderer auf ihren Emotionen (Angst und Freude), ein dritter auf ihrer Indienstnahme durch Jesus, obwohl sie in der Gesellschaft (und ebenso im MtEv bis 27,55) marginalisiert werden. 4) Die Empathie zu den Wachen ist recht gering, sie sind dem Rezipienten außerdem eher unsympathisch. Doch die Ablehnung ihnen gegenüber könnte gerade ein Indiz dafür sein, dass Mt sie vielleicht in manchen Punkten als negatives Vorbild für den Rezipienten darstellen wollte (Tab. 66): Tab. 66: Mögliche indirekte Figurenapplikationen bezogen auf die Wachen Nr. Vergleichspunkte 1 Furcht 2 (böswillige) Bewachung von Menschen 3 Feindliche Allianzen 4
Korruptheit
5
Lüge über die Auferstehung Lüge Normenkonflikt Besitz – Wahrheit Normenkonflikt Sicherheit – Wahrheit
die Wachen fürchten sich bewachen den Toten gehen zu den Hohenpriestern nehmen Geld an
verbreiten eine Lüge über die Auferstehung 6 verbreiten eine Lüge 7 sehen Geld als wichtiger an als Wahrheit 8 sehen persönliche Sicherheit wichtiger an als die Wahrheit 9 Wirkung einer Erzäh- verbreiten eine Erzählung (Einstellung zu lung, die andere anderen) schlecht macht 10 Wirkung einer Erzäh- verbreiten eine Erzählung auf den Rezipi- lung ohne positive enten Botschaft
intendierter Rezipient/andere braucht sich nicht zu fürchten andere: wollen andere Menschen im Tode halten307 andere: ehemals Unbeteiligte verbünden sich mit Feinden des Glaubens *soll kein Geld annehmen 308 (G/Z) andere: nehmen Geld an *andere: verbreiten eine Lüge über die Auferstehung (G) *soll andere nicht belügen (G/Z) *soll Geld nicht über die Wahrheit stellen (G/Z) *soll persönliche Sicherheit nicht über die Wahrheit stellen309 (G/Z) soll keine Gerüchte verbreiten, in denen andere Menschen schlecht wegkommen soll Erzählungen weitergeben, die Hoffnung vermitteln, die helfen und trösten
Die intendierten Vergleichspunkte bei den Wachen konzentrieren sich deutlich in einer einzigen Pointe: der Lügenhaftigkeit der Wachen, die für Geld und Sicherheit eine falsche Botschaft über die Auferstehung verbreiten und damit ein negatives Vorbild für den Rezipienten abgeben. 307
Vgl. GNILKA, Matthäusevangelium II, 493f.: „Sie [die Soldaten] werden überwunden als Wächter des Todes, die sich mit Stein und Siegel gegen das Leben sträuben.“ 308 Vgl. LUZ, Matthäus IV, 426: „In den [älteren] Auslegungen [von Mt 28,11–15] dominieren paränetische Töne, Warnungen vor Geldgier und Warnungen davor, das der Kirche gespendete Geld betrügerisch zu verwenden.“ S. die Hohenpriester zu Letzterem. 309 Vgl. zu diesem Normenkonflikt besonders Mt 10,16–39.
424
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
5) Die Hohenpriester betrachtet der intendierte Rezipient mit starker Antipathie. Daher wird er auf ihre negativen Verhaltensweisen stark emotional reagieren und sich von ihnen abgrenzen (auch das ist eine Form des intendierten Vergleichs). Im Einzelnen (Tab. 67): Tab. 67: Mögliche indirekte Figurenapplikationen bezogen auf die Hohenpriester Nr. Vergleichspunkte 1 Unglaube bezogen auf Auferstehung
2
Voreingenommenheit
3
Normkonflikt: Macht – Wahrheit
4
6
Mächtige lassen das Volk „verdummen“ Widerstand gegen die Botschaft von der Auferstehung Korruption
7
Veruntreuung
8
Doppelmoral
5
die Hohenpriester wollen die Wahrheit der Auferstehung nicht akzeptieren, obwohl sie von ihr wissen beharren auf der vorgefassten Meinung310
intendierter Rezipient/andere **soll der Wahrheit der Auferstehung glauben (G/Z) andere: (Theologen) glauben der Wahrheit der Auferstehung nicht soll sich nicht von einer vorgefassten Meinung leiten lassen andere: sind starr in ihrer Meinung stellen den Machterhalt über *soll das Streben nach bzw. die die Wahrheit Erhaltung von Macht nicht über die Wahrheit stellen (G/Z) lassen eine Lüge verbreiten, andere: Mächtige sorgen für die um die eigene Autorität Verdummung des Volkes, um an nicht zu gefährden der Macht zu bleiben beraten sich und stellen **andere: gehen aktiv gegen die einen „komplexen“ Plan auf Botschaft von der Auferstehung bzw. gegen Christen vor (G) bestechen andere *soll nicht bestechen (G/Z) *andere: bestechen Menschen zu ihrem Vorteil (G) verwenden die verwalteten soll Geld nicht veruntreuen Gelder zur Bestechung andere: sind untreu mit dem, was ihnen anvertraut wurde verhalten sich als religiöse *soll nicht andere lehren und selbst Autoritäten nicht nach Got- verwerflich werden (G/Z) tes Geboten *andere: sind heuchlerisch311 (G)
Insgesamt gesehen, hat diese Figurenapplikation zwei Schwerpunkte: Zum einen dienen die Hohenpriester als Prototyp für Menschen, die ähnlich negativ handeln, so dass der Rezipient seine Welt besser „verstehen“ lernt. Zum anderen dienen sie auch als negatives Vorbild für den Rezipienten, wobei über die antipathische „Abstoßungskraft“ dessen positive Einstellung zu bestimmten Normen sowie seine Überzeugung von der Auferstehung gestärkt werden. 310
Vgl. HAGNER, Matthew II, 863: „That Jesus could rise from the dead they [the Jewish authorities] wrongly rule out a priori. And when they have no explanation for what happened to the body of Jesus, ironically they invent the very lie they attempted to protect against“. 311 Vgl. die Anklage Mt 23,3–5, die offenbar auch für den Rezipienten in seiner Zeit Bedeutung haben muss.
3.7 Rezeptionsanalyse
425
6) Für die Juden in Mt 28,15 hat der judenchristliche Rezipient mittlere Empathie; sie sind ihm eher sympathisch. Mögliche Vergleichspunkte könnten hier sein (Tab. 68): Tab. 68: Mögliche indirekte Figurenapplikationen bezogen auf Juden in Mt 28,15 Nr. Vergleichspunkte 1 Unwissenheit bezogen auf die Auferstehung Jesu 2 Unwissenheit allgemein 3 vom Glauben abgehalten werden
4
von der Wahrheit abgehalten werden
5
Verbreitung eines Gerüchts Streben nach Wahrheit
6
(manche) Juden intendierter Rezipient/andere wissen nicht, dass Jesus *weiß von Jesu Auferstehung (G) tatsächlich auferstanden ist **andere: wissen nicht, dass Jesus tatsächlich auferstanden ist (G) wissen etwas nicht, was andere: wissen etwas Wichtiges wichtig für sie ist nicht werden von den Hohensoll sich nicht vom Glauben abpriestern und Wachen im bringen lassen Unglauben gelassen *andere: werden im Unglauben gelassen (G) werden von der Wahrheit soll sich nicht von der Wahrheit abgehalten abbringen lassen andere: werden in Unwissenheit gelassen verbreiten dieses Gerücht soll kein Gerücht verbreiten weiter andere: verbreiten Gerüchte fragen nicht nach der *soll den Dingen auf den Grund Wahrheit gehen (G/Z)
Die Pointe dieser vor allem konkret-fremden Figurenanwendungen besteht in der Unwissenheit von Menschen, die von anderen in diesem Zustand gelassen werden. 7) Die fremden Völker, die in V. 19 erwähnt werden, erfahren vom judenchristlichen Rezipienten nur geringe Empathie. An dieser Stelle weist wenig darauf hin, dass sich der intendierte Rezipient mit ihnen identifizieren soll. Die Taufe könnte ihn zwar an das eigene Getauft-Werden erinnern; allerdings liegt der Identifikations-Schwerpunkt auf den taufenden Jüngern, nicht auf den Getauften. Eine indirekte Figurenapplikation ist hier also nicht intendiert. 8) Gott, der Vater, und der Heilige Geist, zu denen fast keine Empathie besteht, kann der Rezipient ebenfalls nur schwer mit sich vergleichen. Zwar sind Meinungen und Verhalten Gottes auch für ihn maßgeblich, aber diese werden in Mt 28 kaum explizit geschildert, sondern sind über die Verhaltensweisen Jesu vermittelt. Dass Gott Jesus auferweckt, könnte für den Rezipienten beispielsweise bedeuten, dass er andere aus dem „geistlichen Schlaf“ aufwecken solle, 312 doch gibt Mt keinen Anhaltspunkt für eine solche Applikation. 312
Zum geistlichen Schlaf vgl. Röm 13,11; 1 Thess 5,6; s. auch Eph 5,14.
426
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
9) Der intendierte Rezipient kann sich auch durch Metareflexion über die Erzählung mit dem Erzähler selbst vergleichen. So könnte sich auch der Erzähler als Vorbild für Verkündigung, Trost und Glaubensstärkung darstellen wollen. Das ist im MtEv nicht der Fall. Die Empathie für den primären Erzähler ist sehr gering, weil Mt weitgehend verborgen bleibt. Im Rückblick können noch einmal alle intendierten indirekten Anwendungen zusammengetragen werden, um mögliche Tendenzen der Applikation festzustellen. Zunächst die konkret-persönlichen Figurenanwendungen in Mt 28:313 ***soll zu allen Völkern (bzw. zu einem davon) gehen (G/Z) ***erfährt den Beistand Jesu (G) **wird am Ende der Zeit auferweckt (Z) (P/S) **kennt das Schwanken zwischen Glauben und Zweifel (G, P/S) **soll Menschen taufen (G/Z) **soll Menschen alle Gebote Jesu halten lehren (G/Z) **soll treu sein (G/Z) **soll sich nicht vor Gott ängstigen (G/Z) **soll sich über die Auferstehung Jesu freuen (G/Z) **soll der Wahrheit der Auferstehung glauben (G/Z) *soll den Geschwistern vergeben (G/Z) *hat keine Macht (G/Z) (P/S) *soll sich wünschen, dass alle Menschen Jünger Jesu sind (G/Z) *erfährt Vergebung von Jesus (G) *macht die Erfahrung, dass die Botschaft anderer Jünger (hier: MtEv) zuverlässig ist, und „begegnet“ Jesus (G) *kennt eigene Zweifel (G, P/S) *wird von Jesus ermutigt (G) *wird von Jesus wertgeschätzt (G) *wird von Jesus persönlich in den Dienst genommen (G) *soll die Heiden wertschätzen (G/Z) *soll seine alten, falschen Denkmuster bezogen auf Jesus/Gott ablegen (G/Z) *soll Jesus verehren (G/Z) *soll wie Jesus auch Frauen/sozial Benachteiligte wertschätzen (G) *soll akzeptieren, dass auch Frauen/Benachteiligte von Jesus in den Dienst genommen werden (G/Z) *soll gehorsam sein (G/Z) *soll kein Geld annehmen (G/Z) *soll andere nicht belügen (G/Z) *soll Geld nicht über die Wahrheit stellen (G/Z) *soll persönliche Sicherheit nicht über die Wahrheit stellen (G/Z) *soll das Streben nach/die Erhaltung von Macht nicht über die Wahrheit stellen (G/Z) *soll nicht bestechen (G/Z) *soll nicht andere lehren und selbst verwerflich werden (G/Z) *weiß von Jesu Auferstehung (G) *soll den Dingen auf den Grund gehen (G/Z) 313
Zu den Abkürzungen vgl. oben S. 416 Anm. 292.
3.7 Rezeptionsanalyse
427
Intendierte konkret-persönliche Figurenapplikationen sind in Mt 28 äußerst häufig. In manchen Fällen handelt es sich um eine gegenwärtige Anwendung („G“), die den Zustand des Rezipienten deutet, oft aber auch um eine Aufforderung zu einem Charakterzug, einer Meinung oder einem Verhalten (zukünftige Anwendung, „Z“). Neben der konkret-persönlichen Anwendungsebene gibt es auch an vier Stellen eine symbolische Anwendung (daher „P/S“), wo zugleich allgemeinere Aussagen über die Existenz des Menschen getroffen werden: seine Auferweckung, seine Machtlosigkeit, sein Zweifeln bzw. sein Schwanken zwischen Glauben und Zweifel. Es wäre sicher möglich, aufgrund des Befunds noch weitere Klassifizierungen einzuführen, sie dürfen aber nicht zum Selbstzweck werden. Mithilfe der intendierten konkret-fremden Figurenapplikationen in Mt 28 entsteht ein bestimmtes Bild über Verhaltensweisen und Meinungen von Gruppen im Umfeld des intendierten Rezipienten. Hier kommen nur gegenwärtige Applikationen vor: **andere: sind zu allen Völkern gegangen (G) **andere: gehen aktiv gegen die Botschaft von der Auferstehung bzw. gegen Christen vor (G) **andere: wissen nicht, dass Jesus tatsächlich auferstanden ist (G) *andere: sind gegen Heidenmission (G) *andere: sind gegen Heiden (G) *andere: lehren andere Gebote halten (als diejenigen im MtEv) (G) *andere: verbreiten eine Lüge über die Auferstehung (G) *andere: bestechen Menschen zu ihrem Vorteil (G) *andere: sind heuchlerisch (G) *andere: werden im Unglauben gelassen (G)
Wenn man diese beiden Listen mit den intendierten Rezeptionsemotionen sowie den Normen aus dem Erzählerstandpunkt vergleicht, ergeben sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede, die bei der Analyse der intendierten Meinungs- und Verhaltensänderung (s.u. 3.7.7) diskutiert werden. Bewertung der Methode: Bei der Analyse der intendierten direkten und indirekten Anwendung einer Erzählung wird systematisch untersucht, inwiefern ein Erzähler seine Geschichte auf die Gegenwart des Erzähladressaten bezieht. Jede einzelne narrative Ebene kann auf diese Weise erforscht werden; in diesem Beispiel wurde nur die primäre Erzählebene untersucht. Viele dieser Beobachtungen begegnen auch in exegetischen Kommentaren, werden meist aber eher „zufällig“ gemacht und nicht immer klar auf die historisch intendierten Rezipienten bezogen. Dieser Analyseaspekt erwies sich als enorm wichtig für das Verständnis des MtEv. Dass die intendierten Anwendungen hier – auf einer Linie mit intendierter Empathie, Sympathie, Immersion, Spannung, Rezeptionsemotion stehend – vollkommen in das Konzept einer kognitiv orientierten narrativen Analyse passen, schlägt eine weitere Brücke zur bisherigen Exege-
428
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
se. Die Frage nach intendierten Bezügen auf die Wirklichkeit des Rezipienten hat ja in der Bibelauslegung Tradition. Gerade bei dieser Fragestellung könnten auch Literatur-, Theater- oder Filmwissenschaft von der Exegese lernen. Innerhalb der Theologie könnten im Übrigen z.B. auch Predigtmeditationen von der systematischen Auflistung der intendierten direkten und indirekten Anwendungen profitieren. Wer dann über diesen Abschnitt predigen möchte, kann sich einen oder mehrere Punkte aus den direkten und indirekten Anwendungen heraussuchen – je nachdem, was davon die Zuhörenden brauchen – und diese mit Beispielen und Konkretisierungen ausarbeiten. Dann ist die Predigtanwendung auf jeden Fall durch die Intention des Textes gedeckt und der Predigttext dient nicht nur als Illustration der Gedanken der Predigenden 314. Die Methode der direkten Anwendung ist relativ klar. Sie fragt nach Überzeugungen bezogen auf das Setting, Ereignisse, Sachverhalte und Personen, die sowohl in der erzählten Welt als wahr gelten wie auch in der Realität des Rezipienten. Allerdings könnte es Streit- und Grenzfälle geben, mit deren Hilfe man die Methode präzisieren kann. Die Methode der indirekten Anwendung wurde hier scheinbar ausführlich am Praxisbeispiel demonstriert, doch eine gründliche Diskussion jedes einzelnen Gegenwartsbezugs konnte leider nicht erfolgen. Dazu sollten auch die Grundkriterien „Erinnerungsnähe“ und „Parallelität“ bezogen auf intendierte Anwendungen weiter konkretisiert werden. Im Einzelfall sind vielleicht noch denkbare Applikationen zu ergänzen. Außerdem kann irritieren, dass nach diesem Modell so viele Gegenwartsbezüge als von Mt beabsichtigt ausgewiesen sind. Hier möchte ich nur auf eine Alltagsbeobachtung hinweisen: Der Mensch hat bei fast jeder Handlung und Teilhandlung eine Intention, also eine Absicht, mit der er etwas tut, aber oft wird er sich dieser Absicht nicht selbst bewusst. Beispielsweise sagt man einen Satz, ohne allzu genau an die „vier Seiten einer Nachricht“ zu denken. 315 Dennoch kann man im Nachhinein bestätigen, dass auch eine unbewusste Intention auf der Selbstoffenbarungsseite oder auf der Appellseite vorlag. 316 So ähnlich müsste es beim Schreibprozess sein. 317 314
Wenn eine direkte oder indirekte Applikation nicht vom Autor beabsichtigt ist, wird die biblische Erzählung nicht ausgelegt, sondern als „Predigtmärlein“ für eine vorher feststehende Wahrheit oder Alltagsbeobachtung verwendet. 315 SCHULZ VON THUN, Miteinander reden I. 316 Die kognitiv orientierte Narratologie versucht daher, die verschiedenen Inferenzprozesse bei der Kommunikation explizit zu machen und sie systematisch zu berücksichtigen. Jede Wissenschaftlerin und jeder Wissenschaftler, die bzw. der die Bedeutung eines Artefakts untersucht, nimmt ja (bisher meistens implizit) diese Inferenzprozesse vor. Das Ergebnis von Inferenzen ist eine Interpretation. 317 Darum würde es sich lohnen, die psychologische Schreib(prozess)forschung weiter voranzutreiben. Zur Lit. s. Seite 460 Anm. 61 (Kap. 4.2.3.2).
3.7 Rezeptionsanalyse
429
3.7.6.3 Applikationskonzeption Nach den Definitionen in Kap. 2.7.6.3 handelt es sich bei dem Erzählabschnitt in Mt 28 um eine eher doppelsinnige Erzählung, weil die indirekte Anwendung gegenüber der direkten deutlich dominiert. Man kann auch von einer Beispielerzählung bzw. einem Exempel sprechen, weil sich der Rezipient vielfach mit Verhaltensweisen von Figuren vergleicht. Mt 28 ist außerdem zu einem geringen Anteil eine alterapplikative Erzählung. Insgesamt ist der Erzählabschnitt offenbar eine Mischform, so dass man nicht eindeutig sagen kann, Mt 28 sei „nur“ doppelsinnig, „nur“ ein Exempel oder „nur“ eine alterapplikative Erzählung. Daneben kann man die Erzählung als verdeckt doppelsinnige Erzählung beschreiben, weil der Gegenwartsbezug des Berichteten bis auf V. 15 und 20 nicht explizit zur Sprache kommt. Dennoch ist dieser Bezug von V. 1 bis V. 20 durchgehend präsent. Mit der verdeckten Doppelsinnigkeit hängt zusammen, dass es sich auch um eine unklare doppelsinnige Erzählung handelt, d.h. die Vergleichspunkte sind nicht ausdrücklich genannt und müssen mittels Erinnerungsnähe und Parallelität herausgefunden werden. Insgesamt liegt aber eine stark applikative Erzählung vor. Bewertung der Methode: Die Beschreibung der Anwendungskonzeption kann dazu dienen, die Erzählung bezogen auf ihre Applikation mit anderen Erzählungen zu vergleichen. Ohne einen Vergleich (wie hier) bleibt es eine Zuordnungsübung von Begriffen ohne echten Erkenntnisgewinn. Außerdem ist nicht klar, ob diese Applikationskonzeption in genau gleicher Weise für Mt 1–27 zutrifft oder ob z.B. die Applikativität dort stellenweise vielleicht niedriger ist. – Es fällt auf, dass die Bezeichnungen „doppelsinnige Erzählung“, „Exempel“ usw. eigentlich nur graduelle Begriffe sind. Möglicherweise müsste man eine Skala formulieren (vgl. 2.6.1 am Beispiel der Beteiligung des Erzählers). Auch die Höhe der Applikativität einer Erzählung ist schwer zu begründen. Mögliche Kriterien sind sicherlich die Zahl der intendierten Gegenwartsbezüge, die jeweilige Stärke der Intention und die existenzielle Bedeutung für den Rezipienten in seiner Situation. 3.7.7 Intendierte Meinungs- und Verhaltensänderungen Neben den eher flüchtigen Effekten der Rezeption wie das Empfinden von Empathie, Spannung, Immersion und verschiedenen Rezeptionsemotionen kann es auch langfristige Wirkungen auf den Rezipienten geben. Diese langfristigen Wirkungen auf Merkmale des Rezipienten (Identität, Charakterzüge, Gefühlsdispositionen, sozialer Kontext usw.) sind immer über eine Meinungsbeeinflussung vermittelt, 318 also über eine Änderung bezogen 318
Unabhängig vom Meinungswandel sind jedoch auch langfristige Wirkungen von Erzählungen möglich, die eher grundsätzliche Rezeptionskompetenzen betreffen, z.B. die
430
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
auf Überzeugungen und/oder Einstellungen. Die wichtigste Folgegröße ist das Verhalten. Nacheinander sollen also die beabsichtigten Überzeugungs-, Einstellungs- und Verhaltensänderungen erörtert werden (3.7.7.1–3.7.7.3). Dieser Analyseaspekt entspricht weitgehend dem, was herkömmlich als die „Intention des Textes“319 bezeichnet wird. Die Bereiche, in denen die Einstellungen, Überzeugungen und Verhaltensweisen des intendierten Rezipienten beeinflusst werden, wurden bereits unter 3.6.5.1 und 3.7.6 ermittelt. Hier geht es um die genauere Analyse der vom Autor beabsichtigten langfristigen Wirkungen anhand von zwei Grundfragen: a) Auf welche Weise und wie stark soll sich die Einstellung/ Überzeugung/Verhaltensweise jeweils ändern? b) Welche der in dieser Arbeit in Kap. 3.2.1–3.7.5 untersuchten erzählerischen Mittel setzt Mt dazu jeweils ein? 3.7.7.1 Intendierte Überzeugungsänderungen Die alethischen Überzeugungen beziehen sich anders als die axiologisch orientierten Einstellungen auf Meinungen darüber, was „der Fall ist“. Es kann eine positive oder negative Überzeugung bezogen auf einen Sachverhalt geben (wahr/falsch); außerdem wird jede Überzeugung mit einer bestimmten Überzeugungsstärke vertreten. 1) Überzeugungsänderungen bezogen auf Merkmale erzählinterner Entitäten. Hier geht es insbesondere um die Überzeugungen, die der Rezipient vorher und nachher über die geschilderten Figuren hat, z.B. sein Bild von Jesus oder den Jüngern. Grundsätzlich kann man sämtliche Figurenmerkmale und deren gedankliche Verknüpfungen (s. 3.5.2.1) als Überzeugungen ansehen. Hier soll beispielhaft nur ein Sachverhalt herausgegriffen werden: die Auferstehung Jesu. Nach 3.7.6.2 besteht eine der Intentionen des Autors darin: Der Rezipient **soll der Wahrheit der Auferstehung glauben (gegenwärtig/zukünftig).
Wie sehr der intendierte Rezipient bereits vorher von der Auferstehung Jesu überzeugt ist, lässt sich aus dem MtEv heraus nur schwer erkennen. Es ist anzunehmen, dass Mt Erzähladressaten im Blick hat, die sich bereits als Jünger Jesu verstehen und wenigstens grundsätzlich von dessen AuferFähigkeit, Inhalte besser zu erfassen und schneller zu lesen. Der Erwerb von solchen Dispositionen wird hier nicht berücksichtigt. 319 Vgl. z.B. die Bemerkungen zur „Erhebung der Intention eines Textes“ bei F OHRER/ HOFFMANN u.a., Exegese, 157–160. Sie geben einige Beispiele für Intentionen und nennen biblische Texte, mit denen zur Umkehr aufgefordert, Unheil angekündigt, eine Ätiologie erzählt oder ein fremder Kult abgelehnt wird. – Allerdings gehören zur Intention des Autors auch die kurzfristigen Effekte in Kap. 3.7.1–3.7.5, die in der Exegese nur selten gesehen werden. Außerdem sollte man das textimmanente Paradigma verlassen und nicht mehr von der „Intention des Textes“ sprechen.
3.7 Rezeptionsanalyse
431
stehung gehört haben. Mt möchte in diesem Fall zur Glaubensvergewisserung beitragen (+ → ++). Hierbei kommen verschiedene erzählerische Mittel zum Einsatz: Die Auferstehung wird vom sympathischen, glaubwürdigen Jesus mehrfach angekündigt; der Rezipient hat die Passion und Kreuzigung Jesu empathisch mitverfolgt und wünscht sich, dass die Geschichte nicht mit der Grablegung endet; die Ereignisse um die Auferstehung werden mit dem Rezipienten vertrauten theophanen Elementen geschildert; die Auferstehung wird durch den Erzähler, den Engel und durch den auferstandenen Jesus selbst bestätigt; die Gegner der Auferstehung werden als voreingenommen, lügnerisch, bestechlich bzw. belogen diskreditiert; und nicht zuletzt betont Mt die Auferstehung als Grundlage für das tröstende Mit-Sein Jesu und für Identität und Auftrag der christlichen Gemeinde. 2) Überzeugungsänderungen bei Merkmalen erzählexterner Entitäten. Bezogen auf Personen(gruppen) in der Gegenwart des Rezipienten werden vor allem Einstellungen verändert (s.u.), jedoch kaum bestimmte Überzeugungen über deren Eigenschaften. Dennoch sind an dieser Stelle zwei Punkte zu nennen, die die Überzeugungen des Rezipienten über sich selbst betreffen. Der Rezipient 1. **wird am Ende der Zeit auferweckt (Z = zukünftig) (P/S = persönlich/allgemein) 2. *weiß von Jesu Auferstehung (G = gegenwärtig)
Zu 1: Mt setzt beim intendierten Rezipienten bereits eine Vorstellung von persönlicher Auferstehung voraus (vgl. 22,23). Durch die Schilderung der Auferstehung Jesu wird er aber weiter in der Überzeugung bestärkt, selbst am Ende der Zeit auferweckt zu werden (+ → ++). Hier geschieht also Glaubensvergewisserung. Zu 2: Außerdem wird der Rezipient in Mt 28 erneut auf den Unterschied gestoßen, dass er von Jesu Auferstehung weiß, andere Menschen dagegen nicht (vgl. z.B. auch 16,22f.). Damit verstärkt Mt indirekt ein soziales Abgrenzungskriterium, einen neuen „boundary marker“ (+ → ++). Insgesamt werden durch Mt 28 also beim Rezipienten schon vorhandene Überzeugungen bekräftigt. Diese Überzeugungsverstärkung geschieht hier in zwei Richtungen: als Vergewisserung nach innen und als Abgrenzung nach außen. 3.7.7.2 Intendierte Einstellungsänderungen Die vom Autor bewusst oder unbewusst angestrebten Einstellungsänderungen können sich entweder auf Entitäten der erzählten Welt, auf Entitäten außerhalb der erzählten Welt oder auf Merkmale beziehen (2.7.7 Nr. 1): 1) Einstellungen zu Entitäten der erzählten Welt. Bei den Entitäten in Mt 28 muss man vor allem die Figuren in den Blick nehmen. Die intendierte Einstellung zu ihnen und deren Intensität wurde schon unter 3.6.5.1 (Erzählerstandpunkt) und 3.7.2 (Sympathie/Antipathie) besprochen. Hier
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3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
geht es nun um die Änderung des axiologischen Standpunktes und die Mittel, die diese Änderung herbeiführen. – Jesus: s.u. 2.b) – Jünger: Man kann nur schwer aus dem Text heraus feststellen, ob Mt bei den Erzähladressaten eine hohe Wertschätzung der elf Apostel voraussetzt. Dafür ist Mt 16,18f. ein möglicher Hinweis. Falls man davon ausgehen kann, ist es interessant, dass Mt diese herausragende Bedeutung der Apostel (besonders des Petrus) für die Erzähladressaten 320 nivelliert, indem er oft ihr Unverständnis und ihren Unglauben hervorhebt (++ → +). Damit rückt er sie zugleich näher an das Leben der Rezipienten heran. Dass eine Identifikation der Rezipienten mit den Aposteln häufig intendiert ist, drückt sich darin aus, dass Mt die Apostel meistens allgemein als Jünger bezeichnet, oder auch darin, dass 16,19 auf alle Christen ausgeweitet wird (18,18). Die sehr hohe Empathie und die deutliche Sympathie für die Jünger (Kap. 3.7.1–2) muss also auf dem Hintergrund gesehen werden, dass eine Bewunderung der Apostel als (unerreichbare) Vorbilder wohl eher geschwächt werden soll. Möglicherweise geht Mt davon aus, dass eine stark admirative, „hagiografische“ Erzählung nicht so wirksam ist wie eine lebensnahe Applikativität, die den Rezipienten entlastet, ermutigt und in Bewegung setzt. – Frauen: Die Einstellung zu den Frauen in der Erzählung, die als Jüngerinnen Jesu vorgestellt werden (27,55f.), wird weiter positiv verändert, indem ihre Treue zu Jesus und das Gespräch des Auferstandenen mit ihnen geschildert wird (+ → ++). – Eine sehr positive Einstellung zum Engel ist sicherlich auch vorher vorhanden und wird durch Mt 28 nicht verändert. – Wachen: Die eher negative Haltung zu den römischen Wachsoldaten wird weiter zum Negativen beeinflusst, als einige Soldaten zu den Hohenpriestern gehen und sich auf die Verbreitung der Antibotschaft einlassen (– → – –). – Hohepriester: Bei 28,1 kann Mt bereits von einer ablehnenden Einstellung des Rezipienten zu den Hohenpriestern ausgehen. Diese wird nun zusätzlich ins Negative verstärkt, weil die Hohenpriester weiterhin negativ besetzte Figurenmerkmale aufweisen: Sie sind gegen Jesus und die Jünger eingestellt, lehnen die Botschaft von der Auferstehung ab und lassen trotz besseren Wissens eine Lüge verbreiten (– → – –). – Welche Einstellung gegenüber Pilatus bei den Erzähladressaten vorausgesetzt wird, ist nur schwer zu ermitteln. Bei judenchristlichen Adressaten kann man davon ausgehen, dass Pilatus als Repräsentant der römischen Herrschaft eher negativ gesehen wird. In Mt 27,11–26 versucht Mt allerdings, Verständnis für dessen Handeln zu wecken. Die Einstel320
S. dazu nur HENGEL, Der unterschätzte Petrus, bes. 45–58.
3.7 Rezeptionsanalyse
433
lung des Rezipienten zu Pilatus soll sich daher wahrscheinlich zum Positiven verändern (– → +); eine Einstellung, der Mt 28,14 nur ansatzweise entgegensteht. – Juden, Heiden, Gott/Hl. Geist: s.u. 2.b) Fazit: In manchen Fällen ließ sich nicht klar sagen, wie stark die intendierte Einstellungsänderung ist, weil für die Ermittlung der vorherigen Einstellungen der Erzähladressaten eine möglichst präzise historische Rekonstruktion und Auswertung von Texthinweisen notwendig sind. Hier konnte nur kursorisch darauf eingegangen werden. Der erste Eindruck zeigt, dass in Mt 28 viele Arten von Einstellungsveränderungen zu erzählinternen Entitäten vorkommen. Von Mt werden sowohl positive (Frauen) als auch negative Einstellungen (Wachen, Hohepriester) verstärkt, zu positive Haltungen geschwächt (Jünger), Einstellungen umgekehrt (Pilatus) oder auch nicht verändert (Engel). Am intensivsten ist in Mt 28 wohl die Einstellungsänderung gegenüber den Frauen und den Hohenpriestern. 2) Einstellungen zu Entitäten außerhalb der erzählten Welt. Im Vergleich zu Entitäten, die für den Rezipienten nur innerhalb der Erzählung vorkommen (s.o.), sind die Einstellungen zu erzählexternen Entitäten noch bedeutsamer. Nach Kap. 2.7.7 Nr. 1 kann an dieser Stelle untersucht werden, ob und in welcher Weise sich die Einstellung des Rezipienten a) zu sich selbst, b) zu anderen Menschen/Entitäten, c) zum Erzähler oder d) zur Erzählung ändern soll. – c) und d) stehen in Mt 28 nicht im Vordergrund und können daher übersprungen werden. a) Einstellung zu des Rezipienten zu sich selbst. Hier wird untersucht, wie sich der intendierte Rezipient vor und nach der Rezeption bewertet. Dies ist ein wichtiger Aspekt der existenziellen Dimension der Erzählung, denn die Antworten auf die Fragen „Wie bin ich?“ und „Wie sehen andere (und Gott) mich?“ sind zentral für jeden Menschen. In Mt 28 sind folgende intendierte Applikationen auf den Rezipienten selbst bezogen (s. 3.7.6.2): 1. ***erfährt den Beistand Jesu (G) 2. **kennt das Schwanken zwischen Glauben und Zweifel (G, P/S) 3. *hat keine Macht (G/Z) (P/S) 4. *erfährt Vergebung von Jesus (G) 5. *kennt eigene Zweifel (G, P/S) 6. *wird von Jesus ermutigt (G) 7. *wird von Jesus wertgeschätzt (G) 8. *wird von Jesus persönlich in den Dienst genommen (G)
Es wäre sicherlich lohnend, die intendierten Wirkungen im Einzelnen aufzuschlüsseln. Dazu müsste noch weiter auf entsprechende psychologische Kategorien eingegangen werden. Auf den ersten Blick ergibt sich aber folgende Einteilung: Nr. 2, 4 und 5 helfen bei möglichen Schuldgefühlen, Nr. 6–8 stärken das Selbstwertgefühl und Nr. 2–8 fördern die Selbstannahme. Das abschließende ejg w; meqÆ uJmw`n eijmi pavsa~ ta;~ hJmevra~ im Munde des
434
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
Auferstandenen in V. 20 soll den Rezipienten in seiner Sorge und Angst um die eigene Zukunft ermutigen (Nr. 1). Ein negatives Selbstbild wird in Mt 28 an keiner Stelle gefördert. Die Erzählung soll insgesamt also heilend und „therapeutisch“ wirken (vgl. 2.7.7 Nr. 6). b) Einstellungen zu anderen. Hier geht es – anders als bei rein erzählinternen Figuren – um Personen im Umfeld des Rezipienten, die er als handelnd wahrnimmt und die für ihn Bedeutung haben (darunter Gott und der auferstandene Jesus, aber auch „Brüder“ und Gegner). 1. Jesus, Gott, Heiliger Geist: Die sehr positive Einstellung gegenüber Jesus wird weiter verstärkt, weil Jesus im MtEv durchgängig als gut erscheint. Durch die starke Empathie des Rezipienten für die Jünger, die Jesus bei seinen Wanderungen begleiten, entsteht bei der Rezeption außerdem ein Gefühl der Vertrautheit und Nähe zu Jesus, das sicherlich auch intendiert ist. Auf diese Weise wird Glauben (im Sinne von Vertrauen) gefördert.321 Zwei Aspekte werden in Mt 28 hervorgehoben: Der Rezipient von Mt 28 *soll seine alten, falschen Denkmuster bezogen auf Jesus/Gott ablegen (G/Z) *soll Jesus verehren (G/Z)
Die Frauen und die Jünger werden durch Jesu Auferstehung positiv überrascht. Dadurch wird beim Rezipienten von Mt 28 indirekt das Bewusstsein dafür geschärft, dass Jesus anders sein kann, als er ihn sich vorstellt. Allerdings ist die Verstärkung dieser Einstellung, die auch die eigene Erkenntnisfähigkeit betrifft, nicht sehr im Vordergrund. Außerdem zeigt Mt am Beispiel der Frauen, dass sich der Glaube in einer verehrenden Haltung gegenüber Jesus äußert. Offenbar ist die intendierte Wirkung von Mt 28 bezogen auf die Einstellung des Rezipienten zu Jesus/Gott komplexer, als dass nur eine positive Einstellung verstärkt werden soll. 2. Juden und Heiden: Der vom Autor imaginierte Rezipient ist offensichtlich Judenchrist und blickt „von außen“ auf die Heiden (3.6.5.2). Es ist daher eine eher negative, neutrale oder höchstens leicht positive Einstellung gegenüber den e[qnh zu vermuten. Diese wird von Mt zum Positiven hin verstärkt (–/0 → +), denn der Rezipient *soll die Heiden wertschätzen (G/Z)
Gleichzeitig ist Mt bemüht, die Identifikation der judenchristlichen Adressaten mit anderen Juden zu verringern (27,25; 28,15). Die Selbstwahrneh321
„Glaube“ ist natürlich ein vielschichtiges Phänomen und besteht sowohl aus Überzeugungen wie aus Einstellungen bezogen auf Gott/Jesus. Hier ist speziell die positive Einstellung gemeint; und eine positive Darstellung Gottes/Jesu sowie gefühlte Nähe und angenehme Begleitemotionen sind mutmaßliche Faktoren, die dazu beitragen. Genauere religionspsychologische Untersuchungen zur Entstehung von Glauben sind noch ein Desiderat.
3.7 Rezeptionsanalyse
435
mung des Rezipienten, sich noch als Jude anzusehen und zu bezeichnen, wird dadurch geschwächt. 3. Frauen und sozial Benachteiligte: Der intendierte Rezipient ist anscheinend männlich (vgl. 3.6.5.2) und betrachtet daher die Frauen ähnlich wie die Heiden „von außen“. Dabei wird ihm der Umgang Jesu mit ihnen auffallen. Er *soll wie Jesus auch Frauen/sozial Benachteiligte wertschätzen (G) *soll akzeptieren, dass auch Frauen/Benachteiligte von Jesus in den Dienst genommen werden (G/Z)
Inwiefern diese Wertschätzung für Frauen und andere Benachteiligte bereits in der „mt Gemeinde“ Wirklichkeit war und ihnen dort alle „Ämter“ offenstanden, geht aus dem mt Kontext nicht hervor und müsste historisch rekonstruiert werden, was aufgrund der Quellenlage jedoch schwierig ist. Auf jeden Fall wird, wenn man der Intention von Mt 28 folgt, eine positive Einstellung zu den weniger angesehenen Gruppen der Gesellschaft gefördert (–/0 → +). 4. Mitchristen: Über die indirekte konkret-fremde Figurenapplikation soll sich der Rezipient auch an weitere (Gruppen von) Menschen seiner eigenen Gegenwart erinnern: **andere: sind zu allen Völkern gegangen (G) *andere: sind gegen Heidenmission (G) *andere: sind gegen Heiden (G) *andere: lehren andere Gebote halten (als diejenigen im MtEv) (G)
Der intendierte Rezipient denkt zum einen an christliche Missionare, die den Befehl Jesu, zu allen Völkern zu gehen, bereits umsetzen. Seine Haltung zu ihnen wird deutlich positiv verstärkt (–/0/+ → ++). Zum anderen gibt es offenbar judenchristliche „Gegner“, die keinen Sinn für Heidenmission zeigen, und wohl auch andere christliche „Gegner“, die von den im MtEv berichteten Geboten Jesu abweichen. Der Rezipient wird indirekt darin bestärkt, sich von ihnen abzugrenzen (–/0/+ → –). 5. Nichtchristen: Viel stärker als die Abgrenzung zu anderen Gruppen von Christen wird bei Mt die Grenze zu Nichtchristen etabliert (– → – –). Die Hohenpriester und römischen Wachsoldaten stehen für jüdische und pagane „Gegner“, die sich aktiv gegen den christlichen Glauben einsetzen. Sie werden von Mt klar negativ gezeichnet, die Hohenpriester noch mehr als die römischen Wachen: **andere: gehen aktiv gegen die Botschaft von der Auferstehung bzw. gegen Christen vor (G) *andere: verbreiten eine Lüge über die Auferstehung (G)
Eine dritte, nichtchristliche Gruppe von Menschen ist eher unwissend und passiv in Bezug auf den christlichen Glauben. Auch von ihnen grenzt sich
436
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
der intendierte Rezipient, der von der Auferstehung weiß, innerlich ab (0 → –): **andere: wissen nicht, dass Jesus tatsächlich auferstanden ist (G) *andere: werden im Unglauben gelassen (G)
6. Daneben gibt es weitere Menschen, an die der Rezipient denken könnte, die sich aber nicht bestimmten Gruppen zuordnen lassen, sondern eher negative Merkmale aufweisen (s.u. Einstellungen zu Merkmalen): *andere: bestechen Menschen zu ihrem Vorteil (G) *andere: sind heuchlerisch (G)
Fazit: Durch Mt 28 wird der Glaube an Jesus Christus gestärkt, eine positive Einstellung zu Heiden und Frauen gefördert und christliche Heidenmissionare werden legitimiert. Ansonsten wird die Umwelt des Rezipienten vor allem in Abgrenzung wahrgenommen. Der Rezipient soll sich von bestimmten Gruppen distanzieren, insbesondere von Menschen, die aktiv gegen den christlichen Glauben vorgehen, aber auch von Juden, einigen anderen Christen und von Unwissenden. 3) Einstellungen zu Merkmalen (= Normen und Werte). Der intendierte Rezipient soll nicht nur seine Einstellung zu konkreten – erzählinternen und erzählexternen – Entitäten verändern, sondern auch bestimmte Eigenschaften als gut oder als schlecht ansehen. Oft wird ein Rezipient gerade durch diese impliziten Normen stark geprägt. Auf Eigenschaften beziehen sich mehrere Aspekte der indirekten Figurenapplikation in Kap. 3.7.6.2: **soll treu sein (G/Z) **soll sich nicht vor Gott ängstigen (G/Z) *soll sich wünschen, dass alle Menschen Jünger Jesu sind (G/Z) *macht die Erfahrung, dass die Botschaft anderer Jünger (hier: MtEv) zuverlässig ist, und „begegnet“ Jesus (G)
Der Rezipient wird also am positiven Beispiel der Frauen in seiner Bereitschaft gestärkt, auch selbst loyal zu Jesus zu sein. Zweimal wird er indirekt aufgefordert, sich nicht zu fürchten. Wie Jesus soll er sich wünschen, dass alle Menschen zu Jüngern werden; und implizit erfährt er, dass es erstrebenswert ist, von der Auferstehung zu wissen und Jesus zu begegnen. Umfassender sind diese Punkte bei den Werten und Normen Kap. 3.6.5.1 aufgeführt.322 Wenn man sie nach intendierter Verstärkung und Relativierung ordnet, erhält man folgende Übersicht (Abb. 69):
322
Vgl. S. 384–387, Tab. 54/55.
437
3.7 Rezeptionsanalyse – Jünger: (man muss) alle Völker zu Jüngern machen, sie taufen und die Gebote Jesu halten lehren (sehr betont und explizit) – Jünger: die Botschaft von der Auferstehung Jesu verbreiten (ausdrücklich V. 7) – lebendig sein – treu sein, den Freunden beistehen – die Wahrheit sagen, „nicht falsch Zeugnis reden“ – Gottes Handeln (Auferstehung) anerkennen – von der Auferstehung wissen – in der Nähe Jesu sein – Jesus Ehre erweisen – den Sabbat halten – sich nicht fürchten (explizit V. 5.10) – eine beeindruckende Erscheinung besitzen – nicht stehlen – Gott gehorchen – menschlichen Vorgesetzten gehorchen – die Macht behalten – nicht bestraft werden – Geld besitzen
intensive, explizite Verstärkung
Stärkung
klare Verstärkung
intendierte Normveränderungen in Mt 28
leichte Verstärkung keine Änderung
Relativierung Schwächung
Abb. 69: Stärkung und Schwächung von Normen durch Mt 28
Exemplarisch soll hier „die Wahrheit sagen“ herausgegriffen werden. Diese Norm wird in Mt 28 klar verstärkt, weil der Unterschied zwischen den vom Erzähler berichteten Geschehnissen und der Version der Hohenpriester deutlich erkennbar ist und sich der Rezipient über die Antibotschaft der Hohenpriester ärgert, also emotional involviert ist. – Bei einer detaillierten Analyse müsste für jeden Punkt einzeln begründet werden, warum eine Norm in dieser Intensität und mit welchen Mitteln sie gestärkt oder geschwächt wird. An dieser Stelle soll vor allem grundsätzlich demonstriert werden, dass es möglich und sinnvoll ist, die vom Erzähler beabsichtigten Normveränderungen zu beschreiben. 3.7.7.3 Intendierte Verhaltensänderungen 323 Die vom Autor gewünschten Verhaltensweisen entsprechen den indirekten konkret-persönlichen Figurenapplikationen, die sich auf Handlungen des Rezipienten beziehen. Was Mt an Verhaltensweisen bewirken möchte, ist also schon unter 3.7.6.2 erarbeitet worden und soll nur noch kurz tabellarisch aufgelistet werden. 323 Dass beim Rezipienten von Mt 28 auch Verhaltensänderungen angestrebt sind, wird in Kommentaren noch kaum explizit berücksichtigt. L UZ, Matthäus IV, 414 benennt Lob und Dank für die Auferstehung Christi als eine (Verhaltens-)Intention des Mt.
438
3. Praxis der Erzählanalyse (Matthäus 28)
Der Rezipient 1. ***soll zu allen Völkern (bzw. zu einem davon) gehen (gegenwärtig/zukünftig) 2. **soll Menschen taufen (G/Z) 3. **soll Menschen alle Gebote Jesu halten lehren (G/Z) 4. **soll sich über die Auferstehung Jesu freuen (G/Z) 5. *soll den Geschwistern vergeben (G/Z) 6. *soll gehorsam sein (G/Z) 7. *soll kein Geld annehmen (G/Z) 8. *soll andere nicht belügen (G/Z) 9. *soll Geld nicht über die Wahrheit stellen (G/Z) 10. *soll persönliche Sicherheit nicht über die Wahrheit stellen (G/Z) 11. *soll das Streben nach bzw. die Erhaltung von Macht nicht über die Wahrheit stellen (G/Z) 12. *soll nicht bestechen (G/Z) 13. *soll nicht andere lehren und selbst verwerflich werden (G/Z) 14. *soll den Dingen auf den Grund gehen (G/Z)
Es ist sehr schwer zu sagen, ob der von Mt imaginierte Rezipient sich in manchen Punkten nicht in dieser Weise verhält und daher erst dazu motiviert werden muss. Daher kann auch die intendierte Verhaltensänderung kaum rekonstruiert werden. Immerhin wurde unter 3.7.7.2 Nr. 2a) deutlich, dass durch Mt 28 auch das Selbstbewusstsein und die „Könnenszuversicht“ des Rezipienten gestärkt wird, so dass die Motivation steigt, entsprechend dem Missionsauftrag des Auferstandenen zu handeln. Bewertung der Methode: Die Analyse der intendierten Meinungs- und Verhaltensänderungen untersucht die vom Autor beabsichtigten langfristigen Wirkungen, konkretisiert also die Frage nach „der“ Intention des Textes. Besonders enge Beziehungen bestehen zur Analyse des Erzählerstandpunkts (vgl. 3.6.5.1) und zur Beschreibung der intendierten Gegenwartsbezüge (3.7.6); dabei nimmt dieser Methodenschritt speziell die beabsichtigten Veränderungen beim Rezipienten in den Blick. – Eine Schwierigkeit der Anwendung auf biblische Texte besteht darin, dass im Fall der Evangelien die bei den Adressaten vorausgesetzten Meinungen und Verhaltensweisen nur im Ansatz rekonstruierbar sind. Grundsätzlich bietet diese Methode mit ihren unterschiedlichen Kategorien der Überzeugungs-, Einstellungs- und Verhaltensänderung aber ein hilfreiches Gerüst, um die möglichen Intentionen eines Autors genauer und umfassender zu beschreiben. Zudem können die rekonstruierten intendierten Wirkungen detailliert von der Erzähltechnik, dem Erzählerstandpunkt und den intendierten Applikationen her begründet werden.
Kapitel 4
Auswertung 4.1 Ergebnisse Wer wissenschaftlich mit Erzählungen in ihren unterschiedlichen Formen zu tun hat, braucht Analysekategorien, mit denen die Erzählungen betrachtet und beurteilt werden. Solche Kategorien sind in den letzten Jahrzehnten vor allem im literaturwissenschaftlichen Zweig der Anglistik, Germanistik, Romanistik und Slavistik entwickelt worden, aber auch in Theater-, Filmund Medienwissenschaften, in der Linguistik, Psychologie, Soziologie, Pädagogik, Philosophie und Exegese. Erzählungen gibt es in verschiedensten medialen Erscheinungsformen: als Text, als Film, als Theaterstück, als Hörspiel, als Bildergeschichte, als Alltagserzählung, als Computerspiel oder als gegenständliche Kunst; 1 Erzählungen findet man in allen Zeiten und Kulturen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie ein Grundgerüst aus Setting, Figuren und Ereignissen, eine Erzählperspektive und eine Rezeptionswirkung besitzen, die auf ähnliche Weise analysiert werden können. Narratologische Theorien dienen dazu, die Wahrnehmung einer Erzählung als Erzählung zu schärfen. Weil die Bibel zu einem großen Teil aus Erzähltexten besteht, ist es unverzichtbar, dass auch Exegetinnen und Exegeten mit narratologischen Kategorien vertraut sind. Eine Herausforderung dieser Arbeit war, dass es nicht die Narratologie im Sinne eines bestimmten Theoriemodells gibt, zumal der Begriff für diese Querschnittsdisziplin auch noch relativ neu ist 2 und sie ihre integrierende Funktion bezogen auf die Methodik erst jetzt mit zunehmender Bekanntheit auszuüben beginnt. Bei genauerem Hinsehen bemerkt man viele einzelne, oft einander widersprechende Analyseansätze mit unterschiedlichen Terminologien. Wie sich außerdem gezeigt hat, sind manche Aspekte einer Erzählung wie die intendierte Rezeptionswirkung noch kaum methodisch durchdrungen oder sie werden in unterschiedlichen Disziplinen behandelt, die wenig Notiz voneinander nehmen. Auch aktuelle Einführungen in die Narratologie und neuere Lexikonprojekte lindern diesen
1 2
Vgl. S. 33 Anm. 48 (Kap. 2.1.3) zur Transmedialität der Narratologie. Vgl. Kap. 2.1.1.
440
4. Auswertung
Missstand nur.3 Um weiter an der Plausibilisierung der Narratologie als einer neuen, systematischen Querschnittsdisziplin mitzuwirken, war es notwendig, die aktuelle Forschung bezogen auf verschiedene Aspekte einer Erzählung zu sichten, die leistungsfähigsten Analysemodelle auszuwählen, sie in einen kohärenten Zusammenhang zu bringen und, wo nötig, zu korrigieren und durch eigene Vorschläge zu ergänzen. Abweichende und vergleichbare Konzepte wurden in den Fußnoten dokumentiert. Ein besonderes Anliegen dieser Arbeit ist, dass sie auch als „Handbuch für narratologische Bibelauslegung“ genutzt werden könnte. Sie soll eine praktisch anwendbare Methodenlehre präsentieren, die man zu Rate ziehen kann, wenn man einen biblischen Erzähltext vor sich liegen hat oder sich mit einer anderen Form von Erzählung auseinandersetzt. Dazu wurde bei allen Ausführungen auf eine anwendbare Theorie geachtet; es sollten also konkrete Kategorien und Kriterien angeboten werden, mit denen man etwas am Text „machen“ kann. In Kapitel 3 wurden diese Fragestellungen beispielhaft auf Matthäus 28 angewendet und ihr tatsächlicher Ertrag einzeln ausgewertet und reflektiert. Die Narratologie als Theorie der Erzählung behandelt ein sehr weites Gebiet, das verschiedenste Teilthemen umfasst. Daher wird zu jedem Teilaspekt die relevante Forschungsliteratur angegeben, die gerade in den exegetischen Fächern eher unbekannt sein dürfte, aber sicher auch für die Literaturwissenschaften und andere Disziplinen als aktuelle Übersicht nützlich ist. Die Literatur wird zwar immer in aller Kürze ausgewertet und teilweise vertieft, soll aber auch zur Weiterarbeit an einzelnen Themen ermuntern. An vielen Stellen wird außerdem auf offene Fragen und Forschungsdesiderate aufmerksam gemacht. Sicherlich gibt es noch Ansätze zur Beschreibung von Erzählungen, die hier vergessen wurden. Doch vermutlich können sie in dieses relativ umfassende Analysemodell eingeordnet werden. Das allgemeine Fazit könnte also lauten: Durch dieses neue Konzept der Erzählanalyse, das in ausführlicher Auseinandersetzung mit der aktuellen Forschung entwickelt wurde, soll dazu beigetragen werden, die Narratologie als Querschnittsdisziplin für die Methodik der Analyse von Erzählungen zu etablieren. Daneben soll auch noch eine Übersicht über die konkreten methodischen Ergebnisse und Neuerungen dieser Arbeit gegeben werden: (1) Der Exegese ist noch weitgehend unbekannt, dass die heutige Narratologie seit etwa Mitte der 1990-er Jahre den Strukturalismus größtenteils hinter sich gelassen hat. Vor allem die „kognitive Narratologie“ 3
S. zuletzt LAHN/MEISTER, Erzähltextanalyse; E HLERS, Studienbuch; NEUMANN/ NÜNNING, Narrative Fiction, sowie die Nachschlagewerke MLLK, RLW und RENT.
4.1 Ergebnisse
441
führte zu einem theoretischen Durchbruch (Kap. 2.1.3.1). Dieser Ansatz wurde hier in den verschiedensten Teilbereichen narratologischer Analyse konsequent umgesetzt. (2) Aus exegetischer Sicht ist außerdem neu, dass mit dem Cognitive Turn die alte Forderung der Literaturtheorie, rein textimmanent vorzugehen (Stichworte: New Criticism, Tod des Autors, Autonomieästhetik), für viele Narratologinnen und Narratologen unplausibel geworden ist. Damit sollten auch die Rezeptionsästhetik und poststrukturalistische Ansätze durch präzisere kognitive Konzepte ersetzt werden (s.u. Nr. 30). Die postmoderne Praxis, in einer Literaturtheorie oder biblischen Hermeneutik Rezeptionsästhetik, Poststrukturalismus u.a. als gleichberechtigte Interpretationsansätze nebeneinander darzustellen, muss daher verlassen werden. (3) Die Beschreibung von kognitiven Rezeptionsprozessen wahrt die Balance zwischen Objektivismus und radikalem Konstruktivismus/Pluralismus (Kap. 2.1.3.1 Abschn. b). Es gibt Interpretationen, die besser sind als andere, weil sie vom Verfasser intendiert sind. (4) Impliziter Autor und impliziter Leser sind keine Struktur im Text, sondern mentale Modelle, nämlich das „Bild des Rezipienten vom Autor“ und die „Vorstellung des Autors vom Adressaten“ (Kap. 2.2.1). Anstatt vom impliziten Leser wird in dieser Arbeit daher konsequent vom intendierten Rezipienten gesprochen. (5) Das kognitive Modell des Rezipienten, das ein Erzähler besitzt, beeinflusst ganz wesentlich die Gestaltung der Erzählung. Der primäre Erzähler (Autor) stellt sich beim Schreiben einen Rezipienten mit Charakterzügen, Meinungen, Gefühlen, Verhaltensweisen, einem sozialen Kontext, einem Vorwissen, Pflichten, Wünschen, Intentionen u.a. vor (3.6.5.2). Alle Textinterpretation ist auf dieses mentale Modell zu beziehen. (6) Vor allem: Der Erzähler rechnet mit der Fähigkeit des Rezipienten, Schlussfolgerungen zu ziehen, also „zwischen den Zeilen“ lesen zu können. Das betrifft beispielsweise alltagspsychologische Inferenzen von geschilderten Verhaltensweisen auf die Intentionen einer Figur (2.5.2.1), dessen Fähigkeit zum Erkennen von Fiktionssignalen (2.2.2.2), von Anspielungen auf andere Figuren (2.5.2.3) oder von Korrespondenzen zum eigenen Leben (2.7.6.2). Außerdem glaubt ein Erzähler aufgrund seines alltagspsychologischen Wissens, dass er durch bestimmte „Reize“, die seine Erzählung setzt, auch bestimmte Reaktionen beim Rezipienten auslösen kann (2.7, 3.7). All diese vom Autor intendierten Prozesse können näherungsweise rekonstruiert werden. Gegenüber früheren Ansätzen werkimmanenter Interpretation ist das ein völlig anderes Paradigma. (7) Das kognitive Modell vom Erzähler ist keine unpersönliche „Erzählinstanz“ oder „Erzählstimme“, sondern dem Erzähler werden (wie einer Figur auch) Charakterzüge, Meinungen, Gefühle, Erlebnisse, Verhaltens-
442
4. Auswertung
weisen, ein sozialer Kontext, Wünsche oder Intentionen zugeschrieben. Diese Vorstellung vom Erzähler, die beim intendierten Rezipienten entstehen soll, kann man umfassend untersuchen (2.6.4, 3.6.4). (8) Erzähler und Autor treten in fiktionalen Erzählungen nicht immer auseinander, wie die strukturalistische Narratologie annahm, sondern können auch identisch sein (der Autor als primärer Erzähler; 2.2.1). (9) Es wird ein neues Modell der Kommunikationsebenen vorgeschlagen, das an die Erkenntnisse aus (4)–(8) angepasst ist (2.2.1). (10) Das Verhältnis von faktualen und fiktionalen Erzählungen (also z.B. von Historiografie und Literatur) wird genauer geklärt, indem danach gefragt wird, woran der intendierte Rezipient die Fiktionalität einer Erzählung oder einzelner Elemente erkennen kann. Dabei wird eine Methode zum Erkennen von Fiktionalität anhand von Fiktionssignalen entworfen (2.2.2.2), die auch die erzählexternen Fiktivitätssignale berücksichtigt. (11) Die Matrix aus Poetizität und Fiktionalität einer Erzählung (2.2.2.3) macht deutlich, dass es sich um logisch voneinander unabhängige Größen und nicht, wie man vermuten könnte, um zwei Enden einer Skala handelt. Alle hier vorgestellten Analysekategorien wie die Darstellung von Figuren, die Erzählperspektive, indirekte Applikationen u.a. können daher auch bezogen auf Geschichtsschreibung und die zahlreichen Zwischenformen zwischen fiktionalen und faktualen Erzählungen angewendet werden. Allgemein gilt: Je höher die Poetizität einer Erzählung ist, desto größer ist der Ertrag der narratologischen Untersuchung. (12) Der cognitive turn liefert die theoretische Begründung dafür, warum der kulturelle und historische Kontext in die Interpretation einbezogen werden muss (2.1.3.2). (13) Die Arbeit hat gezeigt, dass die Zahl der analytischen Verständnisfragen (S. 274 Anm. 81/82), die man z.B. in Bibelkommentaren erklärend beantworten kann, begrenzt ist – im Fall von Mt 28 auf etwas über 100 Fragen (3.3.1, 3.4.1, 3.5.2). Diese Fragen („Leerstellen“ im umfassenden Sinn) müssen mit den historisch-kulturellen Frames/Skripts, die der Autor beim intendierten Rezipienten voraussetzt, beantwortet werden. 4 Die systematische Auflistung dieser Fragen kann außerdem helfen, Kommentare so zu schreiben, dass alle wichtigen Verständnisfragen der direkten und indirekten Rezipienten des Kommentars berücksichtigt werden (vgl. 4.2.4). (14) Für das häufig vernachlässigte räumliche, zeitliche und soziale Setting wird ein kognitives Analysemodell vorgelegt. Es geht nicht nur darum, was explizit beschrieben wird, sondern wie sich der intendierte Rezipient die räumliche und zeitliche Umgebung vorstellt („kognitive Karte“) (2.3, 3.3). 4
Vgl. 3.1.1 a) zur rezeptionsästhetischen Studie von M AYORDOMO MARÍN, Anfang.
4.1 Ergebnisse
443
(15) Die Analyse der Handlung, mit der sich bereits die strukturalistische Narratologie und Semiotik beschäftigte, wird hier ebenfalls um die kognitive Perspektive erweitert: Auf einem „Spielplan“ kann man visualisieren, welche Züge der Figuren der intendierte Rezipient jeweils als nächstes erwartet und wo der Rezipient in seinen Handlungserwartungen bestätigt oder überrascht wird (2.4.5). In diesem Abschnitt wird ein Modell aus der jüngeren Narratologie modifizierend aufgegriffen und vom cognitive turn her neu gedeutet. (16) Wesentlich für den Handlungsverlauf einer Erzählung sind die geschilderten Konflikte. Es wird daher eine erweiterte Tabelle zur Analyse von Konflikten vorgestellt (2.4.5). (17) Nur für die Exegese neu sind genauere Methoden zur Analyse von Handlungssträngen (2.4.6) sowie zur Beschreibung des Erzählanfangs und Erzählschlusses (2.4.7). (18) Bei der Figurenanalyse ist der kognitive Paradigmenwechsel wohl besonders auffällig. Während die strukturalistische Narratologie einfach nur explizit genannte Figurenmerkmale auflistete, wird hier das umfassende Bild der Figur rekonstruiert, das im Rezipienten entsteht. Zu diesem Thema ist vor kurzem eine umfangreiche filmwissenschaftliche Arbeit erschienen, deren Ergebnisse hier weiter systematisiert, überarbeitet und außerdem in der exegetischen Praxis erprobt werden. Zur Beschreibung des mentalen Modells einer Figur, das der intendierte Rezipient besitzt, wurden zwölf Kategorien vorgeschlagen: Identität, Charakterzüge, Meinungen, Erleben, Gefühle, Verhaltensweisen, äußere Attribute, sozialer Kontext, Wissen, Pflichten, Wünsche und Intentionen. Mit unterschiedlichen Methoden kann man rekonstruieren, wie das Figurenmodell entsteht und wie der Rezipient mithilfe seiner historisch-kulturellen(!) Frames/Skripts von den genannten Figurenmerkmalen auf andere, implizite Merkmale schließt. Tatsächlich ist an vielen Stellen nachweisbar, dass auch der Autor des MtEv solche Inferenzprozesse voraussetzt, die zur alltäglichen Kommunikation gehören (2.5.2.1, 3.5.2.1). (19) Weil der intendierte Rezipient auch von nichtmenschlichen Größen wie Gott, dem Heiligen Geist und dem Engel ein Figurenmodell bildet, können sie ebenfalls in die kognitive Figurenanalyse einbezogen werden. Im Narrative Criticism wurden sie noch meistens übersehen. Die narratologischen Beobachtungen beschränken sich hier natürlich auf die menschlichen Vorgänge der (Text-)Wahrnehmung. (20) Für das Erkennen von vergleichbaren Figuren wurden zwei Grundkriterien herausgearbeitet: „Erinnerungsnähe“ und „Parallelität“. Sie müssen jeweils weiter konkretisiert werden, bilden aber eine gute Basis für Figurenvergleiche (2.5.2.3, 3.5.2.2) und für das Herausfinden von intendierten erzählinternen und erzählexternen Bezügen allgemein.
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4. Auswertung
(21) Auch die Methode zur Beschreibung der Figurenkonzeption geht jetzt deutlich über die frühere Unterscheidung von „flachen“ und „runden“ Figuren hinaus (2.5.6). (22) Die Erzählperspektive ist eine klassische Domäne der Erzähltheorie. Hier bestand die Herausforderung neben der bloßen Literaturmenge vor allem darin, die bisherigen, äußerst verschiedenen Konzepte zu sichten, zu bewerten und daraus eine kohärente Analysemethode zu gestalten (2.6). Unter anderem wird die sehr bekannte Frage nach der Fokalisierung nun in die Untersuchung von Wahrnehmungszentrum und Innensicht aufgeteilt (2.6.3). (23) Der intendierte Rezipient nimmt in allem, was der Erzähler berichtet, auch bestimmte Einstellungen und Überzeugungen des Erzählers wahr: den Erzählerstandpunkt, der in verschiedener Hinsicht auf die Meinungen des Rezipienten einwirken kann. Narratologische Forschungen dazu gibt es bislang kaum. Daher wird hier eine ausführliche Methode zu dessen Analyse entwickelt (verschiedene Arten von Einstellungen, Wertestruktur, Überzeugungssystem u.a.) und am Beispiel von Mt 28 angewendet (2.6.5, 3.6.5). (24) Die Wirkung von Erzählungen wird in der bisherigen Narratologie noch nicht systematisch behandelt. Abschnitt 2.7 musste daher vollständig neu konzipiert werden. (25) Zu den Themen Empathie, Sympathie, Realitätseffekt, Spannung und Rezeptionsemotionen existieren Spezialstudien, die hier zusammengetragen und ausgewertet werden (2.7.1–2.7.5). (26) Erzählungen haben sehr häufig (implizite) Bezüge zur Lebenswelt der intendierten Rezipienten. Um diese intendierten Applikationen zu bestimmen, wird ausgehend von der Gleichnistheorie eine Methode entworfen, die für alle Formen von Erzählungen verwendbar ist. Sie könnte auch für die Homiletik fruchtbar gemacht werden (2.7.6, 3.7.6). (28) Auch für die Beschreibung der intendierten Meinungs- und Verhaltensänderungen durch Erzählungen wird erstmals eine genauere Methode vorgestellt (2.7.7). Hier wird das aufgeschlüsselt, was man klassisch die „Intention des Textes“ nennt, wobei man zur Intention des Autors eigentlich auch schon die beabsichtigten Wahrnehmungen (2.3.1, 2.4.1, 2.5.2, 2.6.5 u.a.) und intendierten kurzfristigen Wirkungen (2.7.1–2.7.5) zählen müsste. (29) Die Anwendung in Kapitel 3 zeigt, dass viele dieser Kategorien gut auf das MtEv anwendbar sind. Die neuen Fragestellungen führen sowohl zu neuen Arten von Ergebnissen und können außerdem auch bisherige Überlegungen zur Intention des Autors durch die genaue Untersuchung der Rezeptionslenkung untermauern bzw. korrigieren.
4.1 Ergebnisse
445
(30) Bei der Ausformulierung dieses Konzepts stellte sich heraus, dass viele neuere (und ältere) „Zugänge“ zur Bibel faktisch jeweils Teilaspekte der kognitiv ausgerichteten Erzählanalyse erfassen. Daher können sie in die Erzählanalyse integriert werden: – Die sozialgeschichtliche Exegese kann zur inhaltlichen Beschreibung einiger Skripts/Frames eingesetzt werden, die vom Autor vorausgesetzt sind. Dies ist dann der Fall, wenn Skripts/Frames des intendierten Rezipienten eine gesellschaftliche Dimension haben, also besonders bei den Frames zum soziokulturellen Setting (2.3.1). – Die kulturanthropologische Exegese macht in ähnlicher Weise wie die sozialgeschichtliche Exegese die kulturelle Bedingungen explizit, unter denen eine Erzählung entsteht (2.3.1). Teilweise werden Normen und Werte thematisiert (2.6.5). Theoretische und methodische Einseitigkeiten müssten dabei noch überwunden werden. – Die historisch-psychologische Exegese findet man in der Bestimmung der Figurenmerkmale wieder (2.5.2), teilweise berücksichtigt sie auch Rezeptionsemotionen (2.7.5) und Applikationsbereiche (2.7.6). – Die feministische, befreiungstheologische und postkoloniale Exegese und andere „engagierte“ Lektüreformen könnten sehr weitgehend auf die Methoden der narrativen Analyse zurückgreifen, die ja die poetischrhetorische Struktur der Erzählung sichtbar machen (vgl. S. 261 Anm. 46). Neben der Analyse erfolgt als letzter Schritt nur noch eine Bewertung des Erzählerstandpunktes und der Rezeptionswirkung. – Die semiotische Exegese arbeitet mit meist älteren Teilkonzepten der Narratologie (Greimas, Eco u.a.) und geht an verschiedenen Stellen (2.4.4 Handlungsstrukturen; 2.5.4 Nr. 2 Aktantenmodell) wohl vollständig in die narrative Analyse auf. 5 – Die intertextuelle Exegese basiert auf fragwürdigen poststrukturalistischen Annahmen und muss durch eine „moderate“ Intertextualitätstheorie ersetzt werden, bei der die Bezüge intendiert sind (vgl. S. 34 Anm. 52; S. 42 Anm. 77 und 2.1.3.2). Auch das Bedeutungsspektrum einer zufälligen, nicht intendierten Zusammenstellung von Texten bzw. Zeichen kann über die Rekonstruktion kognitiver Frames/Skripts und Inferenzen beschrieben werden. – Die rezeptionsästhetische Exegese kann als Vorläuferin der systematischeren Rezeptionsanalyse angesehen werden (S. 40, 42, 50f., bes. 186– 188). – Die (text)pragmatische bzw. pragmalinguistische Exegese legt ihren Schwerpunkt in ähnlicher Weise darauf, was ein Text in einem bestimmten Kontext mit den Rezipienten „macht“ (vgl. Kap. 1, Nr. 8; 2.1.3 Pragmatic Turn; S. 184 Anm. 676, 188f. und 253f. Anm. 23). Die 5
Vgl. auch S. 32 Anm. 39.
446
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4. Auswertung
hier vorgestellte Rezeptionsanalyse bietet dafür am Beispiel von Erzählungen konkretere Analysekategorien und Methoden an als die linguistische Pragmatik (2.7). Die empirische Exegese kann auf sämtliche Kategorien der Narratologie zurückgreifen, besonders auf diejenigen der Rezeptionsanalyse und auf die kognitiven Fragen zu Setting, Handlung und Figuren (2.3.1, 2.4.1, 2.5.2). Umgekehrt kann sie helfen, das narratologische Analysemodell weiter zu präzisieren. Eigentlich nur eine besondere Form der empirischen Exegese ist die wirkungsgeschichtliche Exegese. Der einzige Unterschied liegt in der Form der Datenerhebung. Bei historischen Rezeptionsvorgängen können natürlich keine direkten Beobachtungen in durchdachter experimenteller Umgebung gemacht werden, sondern man muss auf vorhandene Quellen zurückgreifen. Viele wirkungsgeschichtliche Reaktionen, z.B. die Rezeptionsemotionen oder vorgenommenen Applikationen, können jetzt systematisch in narratologischen Kategorien erfasst werden. Die Gleichnisexegese beschäftigt sich mit einer speziellen Form von Erzählungen. Hier wurden besonders Konzepte zur Bestimmung der intendierten Applikation entwickelt (2.7.6). Die existenziale Interpretation ist auf Ähnlichkeiten im Erleben und Verhalten zwischen den Figuren und heutigen Rezipienten ausgerichtet; auch im Vergleich dazu ist die hier vorgestellte Applikationsanalyse weitaus umfassender und außerdem reflektierter, weil sie speziell nach den vom Autor intendierten Anwendungen fragt. Die geistliche Auslegung und narrative Predigt (3.1.3) paraphrasiert die Welt des Textes (vgl. 2.3.1 Umweltelemente, 2.4.1 Handlungselemente, 2.5.1–2.5.2 Figurenmerkmale), dabei macht sie (intendierte) Anwendungen explizit (2.7.6) und konzentriert sich auf eine Verstärkung der Rezeptionsemotionen (2.7.5) und der Einstellungs- und Überzeugungsänderungen (2.7.7). Die genaue Erzählanalyse kann an diesen Punkten jeweils auf die Intention des Autors hinweisen. Die verschiedenen Konzepte der Erzähltextanalyse/der narrativen Analyse/des Narrative Criticism, die in der Exegese verbreitet sind, gehören ohnehin zur hier vorgestellten narratologischen Analyse.
Nur die rhetorisch-stilistische (S. 44 Anm. 90) und linguistische Exegese (S. 91 Anm. 269) behandeln zusätzliche Aspekte des Textes, die nicht in diesem Konzept der Narratologie erfasst sind. Daneben gibt es natürlich noch die „klassischen“ historisch-kritischen Methoden der Interpretation, die jetzt zum besseren Vergleich etwas ausführlicher an unserem Text Matthäus 28 dargestellt werden. Die Art der Ergebnisse soll Aufschluss darüber geben, inwiefern die „klassische“ und die narratologische Exegese integrierbar oder wenigstens vereinbar sind.
4.2 Historisch-kritische Auslegung im Vergleich
447
4.2 Die historisch-kritische Auslegung von Mt 28 im Vergleich In diesem Abschnitt kann es nicht darum gehen, neue oder präzisere Ergebnisse bezogen auf die historisch-kritische Interpretation von Mt 28 hervorzubringen. Hier soll nur an Beispielen reflektiert werden, wie man tatsächlich anhand von „klassischen“ Methoden mit dem Bibeltext umgeht, damit die Narratologie besser in den bisherigen Methodenkanon eingepasst werden kann. Dazu möchte ich mich vor allem auf die exegetischen Kommentare zu Mt 28 stützen und in Einzelfällen auch Spezialstudien berücksichtigen. Eine wirkliche Diskussion jedes einzelnen Problems würde deutlich mehr Raum erfordern. Dennoch sollen wenige ausgewählte Probleme ausführlicher behandelt werden, damit die jeweils verwendete Methode etwas klarer wird. Auf Methodenlehren kann man sich hier nur teilweise verlassen, weil auch manche „klassischen“ exegetischen Arbeitsschritte noch latent sind, also noch nicht von den bekannten historisch-kritischen Methodenlehren erfasst und genauer durchdacht wurden (vgl. bes. Kap. 4.2.4 und 4.3.2). Der Darstellung in vielen Kommentaren folgend, sollen nacheinander 1) die handschriftliche Überlieferung beurteilt (Textkritik), 2) die Form des Textes herausgearbeitet (Formkritik), 3) die möglichen Quellen und der mt Umgang mit ihnen rekonstruiert (Literarkritik und Redaktionsgeschichte), 4) eine Vers-für-Vers-Erklärung gegeben (Traditionsgeschichte u.a.) 5) und die theologischen Hauptgedanken zusammengefasst werden. 4.2.1 Textkritik In den Versen von Mt 28 gibt es etwa 30 Stellen, wo die griechische Textausgabe des Nestle-Aland (hier: NA 27) nennenswerte Abweichungen in der handschriftlichen Überlieferung des Textes wiedergibt. Ich wähle relativ willkürlich zwei Stellen aus, bei denen für die textkritische Entscheidung verschiedene Kriterien notwendig sind. Die Art des verwendeten Arguments steht am Ende jedes Absatzes noch einmal in Klammern. „+“ bedeutet, dass dieses Kriterium als Argument für eine Lesart eingesetzt wird, „–“ das Gegenteil. (a) dev in V. 1 wird von einigen Handschriften (L 33 1241 1424 u.a.) ausgelassen. Weil dev immer einen gedanklichen Neuansatz kennzeichnet (so bei Zeitangaben im mt Kontext 27,57 ojyiva~ de; genomevnh~; 27,62 th/` de; ejpauvrion), wird es durch die Auslassung der Partikel möglich, ojye; sabbavt wn noch an die vorige Aussage anzuhängen („sie versiegelten den Stein spät am Sabbat“) und so die schwer verständliche doppelte Zeitangabe in 28,1 aufzulösen. Aufgrund der relativ schwachen äußeren Bezeugung, der sekundären Erklärbarkeit der Lesart und der sprachlichen Paral-
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4. Auswertung
lele zu 27,57.62 muss die Auslassung eindeutig als sekundär angesehen werden. (Güte der Handschriften+, mt Sprachgebrauch und Kontext+, lectio difficilior+) (b) Das Fehlen des Artikels tav vor dem „Geld“ in V. 15 bei a* B* W 0234 pc ist schwierig zu beurteilen. Während eine nachträgliche Auslassung des Artikels kaum erklärt werden könnte, mag eine spätere Einfügung als Anpassung an den Kontext und den mt Sprachgebrauch zu sehen sein. Das entspricht auch der Korrekturtendenz in a und B. Durch den Artikel wird ein Rückbezug auf das bereits in V. 12 erwähnte Geld hergestellt (ähnlich bei (ta;) triavkonta ajrguvria in Mt 26,15; 27,3–9). Daher gehörte tav wahrscheinlich nicht in den ursprünglichen Evangelientext. 6 (Güte der Handschriften+, mt Sprachgebrauch und Kontext–, lectio difficilior+, lectio brevior+) Fazit: Die Methode der Textkritik ist sehr gut ausgearbeitet, fast alle Kriterien sind bereits methodisch beschrieben. Dass man auch mit dem Sprachgebrauch des Autors argumentieren kann, gehört nicht zu den bekannteren Kriterien, weil dieses Argument unter bestimmten Bedingungen für oder (als Motiv für Angleichung) gegen eine Lesart sprechen könnte. Für eine differenzierte Beurteilung der äußeren Kriterien, also der Bewertung der jeweiligen Güte einer Handschrift in diesem Abschnitt des Manuskripts, ist natürlich Expertenwissen erforderlich. – Die Stellung der Textkritik vor den eigentlichen Methoden der Auslegung ist unbestritten, auch wenn sich ein besseres Verständnis des Textes in einigen Fällen wiederum auf die Bewertung einer Lesart auswirkt. Die Textkritik ist mit der Narratologie vereinbar, aber nicht integrierbar, weil sie ein ganz anderes Ziel verfolgt: den auszulegenden Text zunächst im Wortlaut zu bestimmen. 4.2.2 Form und Gattung Hier geht es darum, die Form des Textes zu beschreiben und ihn anhand seiner Form einer Gattung zuzuordnen. In der älteren Formgeschichte wurde das Vorliegen einer Gattung bekanntlich sehr direkt mit einem überlieferungskritischen Urteil verknüpft; inzwischen steht jedoch die Form- und Gattungsbestimmung im Vordergrund. Ich möchte kurz die historischkritische Forschung zu Mt 28 wiedergeben und dann die Ergebnisse mit den narratologischen Einsichten vermitteln. a) Mt 28,1–8: Der Auferstehungstext wird als „Angelophanie“ eingeordnet. Eine Angelophanie besteht meist aus folgenden Elementen: 1. Erscheinung des Engels (V. 2–3), 2. Reaktion der Furcht (V. 5), 3. auszurichtende Botschaft (V. 5–7), 4. Antwort des Empfängers (fehlt hier, vgl. aber V. 8), 5. das beglaubigende Zeichen (hier: V. 6 das leere Grab). 7 Die Gat6 7
So auch NA26, aber gegen NA 27. Vgl. GNILKA, Matthäusevangelium II, 490f.; s. z.B. Gen 22,11–18; Num 22,31–35.
4.2 Historisch-kritische Auslegung im Vergleich
449
tung der Angelophanie wird in spezifischer Form aufgenommen: Das Motiv des Erdbebens stammt aus der Theophanie, auch die Erwähnung von Wächtern bzw. Gegenspielern ist nicht typisch für eine Angelophanie. 8 b) Mt 28,9–10: Diese beiden Verse werden als „Christophanie“ bzw. als Sendungsgeschichte klassifiziert. Eine Christophanie enthält zumeist folgende Elemente: 1. Erscheinung Christi (V. 9a), 2. Reaktion der Betroffenen (V. 9b), 3. Christus gibt sich zu erkennen (hier nicht eigens erwähnt), 4. Christus erteilt einen Auftrag (V. 10). 9 Andere zählen V. 9f. zur Gattung der „Sendungsgeschichten“. Als Sendungsgeschichte erzählt der Abschnitt „1. das Auftreten und den Gruß Jesu, 2. die Reaktion der beiden Frauen und 3. den Auftrag Jesu an sie.“10 Eine Entscheidung zwischen beiden Gattungen ist schwierig und hängt von der Definition der Gattung ab. c) Mt 26,62–66; 28,2–4.11–15. Diese drei Textabschnitte zusammen werden als „Befreiungswunder“ oder auch als „apologetische Ostergeschichte“ eingestuft: Ein Befreiungswunder habe u.a. die Elemente „Wächter“, „Sicherungsmotiv“ und „Engel des Herrn“ (vgl. noch Act 5,23; 12,5f.; 16,23).11 Die Befreiung geschieht im MtEv dadurch, dass der Engel den Stein beiseite rollt. 12 Nur: Die „Auferweckung als Befreiung“ (Kratz) ist gar nicht als solche zu sehen. Daher wird Mt 27,62–66; 28,11–15 von anderen eher als „apologetische Ostergeschichte“ beschrieben, 13 wobei gefragt werden kann, ob es sich bei dieser Bezeichnung um eine eigenständige Gattung mit fester Struktur handelt. d) Mt 28,16–20:14 Formgeschichtlich kann man zum einen den Gesamttext V. 16–20 betrachten, zum anderen nur den Redeabschnitt des Auferstandenen in V. 18b–20. Der gesamte Text V. 16–20 wird in der Forschung entweder als „Erscheinungsgeschichte“ oder als „Beauftragungsgeschichte“ klassifiziert. Für die Existenz der Gattung „Erscheinungsgeschichte“ spricht vor allem, dass Erscheinungen schon im Alten Testament häufig berichtet werden. Auch wenn das „Sehen“ in V. 17 nur beiläufig erwähnt 8
Vgl. wertend G NILKA, Matthäusevangelium II, 491: „Freilich muß man sagen, daß durch die Einfügung der Wächterepisode die Gattung ein wenig verdorben wurde.“ 9 GNILKA, Matthäusevangelium II, 491; vgl. Mt 28,16–20; Lk 24,13–35.36–49; Joh 20,11–18.19–23.24–29; 21,1–23 sowie die zusammenfassende Darstellung in Mk 16,9– 15; ähnliche Elemente begegnen auch bei der lk Schilderung des Damaskuserlebnisses Act 9,3–6; 22,6–10; 26,12–18. 10 LUZ, Matthäus IV, 416. 11 KRATZ, Auferweckung, 73; dagegen GNILKA, Matthäusevangelium II, 492 Anm. 10. 12 Dazu KRATZ, Auferweckung, 76–81 („Auferstehung als Befreiung vom Tod“). 13 Vgl. KREMER, Osterevangelien, 73: „eine apologetische Tendenzgeschichte im Stil haggadisch-apokalyptischer Literatur“ (im Orig. kursiv); sich daran anschließend G NILKA , Matthäusevangelium II, 486. 14 Vgl. die Übersichten über die Gattungsdiskussion zu Mt 28,16–20 bei S CHIEBER, Konzentrik, 291–301; M EIER, Questions, 416–424; FRIEDRICH, Struktur; GNILKA, Matthäusevangelium II, 502–504; L UZ, Matthäus IV, 432f.
450
4. Auswertung
ist15, bereitet der Kontext diese Einordnung durchaus vor (V. 7: ejkei` aujto;n o[yesqe; V. 10: kajkei` me o[yontai). Hubbard rückt dagegen den Auftrag des Auferstandenen in den Mittelpunkt und ordnet den Text speziell als „Beauftragungsgeschichte“ ein. Die Elemente einer solchen Beauftragungserzählung seien: a) Einleitung (introduction); b) Konfrontation; c) Reaktion; d) Beauftragung (commission); e) Protest; f) Bekräftigung (reassurance); g) Schluss. 16 Insgesamt muss es hier wohl keinen Widerspruch geben: Es ist eine Erscheinungsgeschichte mit Beauftragung. Wie aber ist das Herrenwort Mt 28,18b–20 einzuordnen? Neben verschiedenen Einzelvorschlägen 17 schälen sich in der Diskussion vor allem zwei Alternativen heraus: 1) Matthäus habe V. 18–20 nach einem dreiteiligen altorientalisch-biblischen „Thronbesteigungsritual“ gebildet. 18 Diese Gattung bestehe aus einer Folge von drei Elementen: a) Erhöhung, b) Präsentation und c) Inthronisation, was auch in Phil 2,5–11 begegne. In Mt 28,18–20 sei also „die Einsetzung Jesu in die Menschensohn-Würde geschildert“19. Diese Theorie hat allerdings gewisse Probleme. 20 – 2) Der Text gehört zur Gattung des „Bundesformulars“ wie auch 2 Chr 36,23, dem letzten Satz der hebräischen Bibel: a) Präambel (V. 16f.), b) Vorgeschichte mit Machtübertragung (V. 18), c) Grundsatzerklärung (V. 19a), d) Einzelbestimmungen (V. 19b–20a), e) Segen, d.h. Verheißung der Gegenwart Christi (V. 20b).21 Wenn ein solches Bundesformular zugrunde läge,
15
BORNKAMM, Auferstandene, 171f. ist daher gegen die Einordnung als Erscheinungsgeschichte. 16 HUBBARD, Matthean Redaction, 33. Vgl. Gen 11,28–30 mit 12,1–4; Ex 3,1–4,16; Num 22,22–35; Ri 4,4–10; 1 Sam 3,1–4,1; 1 Chr 22,1–16; Jer 1,1–10; Hes 1,1–3,15 u.a. (33–67). Der Gattungsbegriff „Berufungsgeschichte“ („call“) ist nach Hubbard zu eng, um diese Abschnitte angemessen zu charakterisieren. Er verwendet daher den breiteren Begriff „Beauftragungen“ („commissionings“), denn eine Beauftragung könne auch geschehen, wenn jemand bereits im Dienste Gottes oder eines Menschen steht (25f.). – Kritisch dazu MEIER, Questions, 422–424. 17 Vgl. dazu die Liste bei L UZ, Matthäus IV, 433 und sein Fazit: „Fast alle scheiterten daran, daß es für die betreffende ‚Gattung‘ keine Parallelen gibt oder daß die Merkmale der betreffenden ‚Gattung‘ zu unklar sind.“ 18 So z.B. MICHEL, Abschluß, 22; B ORNKAMM, Auferstandene, 174 (es sei von Mt modifiziert worden); weitere Vertreter bei L UZ, Matthäus IV, 433. 19 MICHEL, Abschluß, 22. 20 Vgl. nur LUZ, Matthäus IV, 433: „Aber die Inthronisation ist in V 18b bereits vorausgesetzt, der Missionsauftrag ist keine Präsentation, und eine Akklamation gibt es nicht“; FRIEDRICH, Struktur, 140–151 argumentiert ausführlich, dass es das dreistufige Krönungsritual in dieser Form gar nicht gegeben habe (150). 21 FRANKEMÖLLE, Jahwebund, 50–61, bes. 60 (mit Bezug auf K. Baltzer); ähnlich MALINA, Structure, 88–96; Kritik an dieser These z.B. von M EIER, Questions, 418–420; FRIEDRICH, Struktur, 151–160; GNILKA, Matthäusevangelium II, 503.
4.2 Historisch-kritische Auslegung im Vergleich
451
wäre es allerdings stark von Mt modifiziert worden. Die Frage nach der Gattung besonders von V. 18b–20 bleibt also noch ein Rätsel. 22 Fazit: Die Gattungsbestimmungen bei Mt 28,1–8.9f.11–15.16–20 haben sich in vielen Fällen als schwierig erwiesen. Auch wenn die exegetische Diskussion zur Form- und Gattungsanalyse seit den 1970/80-er Jahren, als die letzten(!) größeren formkritischen Beiträge zu Mt 28 erschienen, weitergegangen ist, erscheinen noch verschiedene methodische Präzisierungen notwendig: Wie allgemein darf eine Gattung formuliert sein? Wann darf ein Text noch einer Gattung zugeordnet werden? Was kann überhaupt als Gattung gelten? usw. Immerhin sind die Methoden zur Analyse der Form und der Zuordnung zu einer Gattung bereits grundsätzlich ausgearbeitet und Bestandteil vieler Methodenlehren. 23 Ich möchte hier nur einige Anmerkungen aus der Sicht der Narratologie machen: Kognitiv gesprochen, sind Gattungen ein „Frame“ (2.1.3.1) und daher für das intendierte Verständnis wichtig. Allerdings muss es sich um solche Gattungen handeln, deren (unbewusste) Kenntnis der Autor beim intendierten Rezipienten voraussetzt. Auf diese Weise kann der Autor seinen Text durch die Anlehnung an eine Gattung mit einer bestimmten Konnotation „aufladen“, weil er weiß, dass der Rezipient die Gattung (unbewusst) erkennt und dabei der entsprechende Verstehens-Frame aktiviert wird. 24 Gattungen sind also historische Größen; dabei kommt es nicht darauf an, dass sie von antiken Autoren theoretisch reflektiert oder konkret benannt wurden, sondern darauf, dass Signale bezogen auf die Form des Textes ein bestimmtes Vorverständnis aktivieren. Im Text von Mt 28 sind wahrscheinlich die Epiphanien in V. 1–8, 9f. und 16–20 eine Gattung in diesem Sinn: Weil ein Rezipient aufgrund seines Vorwissens weiß, was bei Erscheinungen göttlicher Wesen passiert (die Erscheinung, das Erschrecken der Menschen, eine Botschaft des göttlichen Wesens), bildet er konkrete Handlungserwartungen (3.4.5.1), die sich wiederum auf seine Spannung, Überraschung und Rezeptionsemotionen auswirken. Mt 28,11–15 gehört dagegen keiner speziellen Gattung an. Nicht immer wird ein konkreter Gattungsframe aktiviert, oft reicht für den Rezipienten der allgemeine Frame „Erzählung“ aus, dazu der Frame „faktual“ bzw. „fiktional“. Gattungen müssen daher auch nicht zwingend aus einem Ablauf von Hand22 Vgl. MEIER, Questions, 424: „And so we reach the rather negative conclusion that no form-critical category yet proposed fits Matt 28:16–20“; vgl. L UZ, Matthäus IV, 433 zu V. 18b–20: „… möchte ich hier formal von einem mt ‚Unikat‘ sprechen und auf eine Gattungsbestimmung verzichten.“ 23 Z.B. EGGER, Methodenlehre, 146–158; EBNER/HEININGER, Exegese, 179–235. 24 Man müsste Forschungen einbeziehen, woran/wie ein Rezipient Gattungen erkennt und wann Probanden einen Gattungsframe aktivieren. So lassen sich vielleicht auch die Prozesse und die Auswirkungen für das Textverständnis besser nachvollziehen, die vorliegen, wenn Gattungen weit gedehnt oder in bestimmter Weise gemischt werden.
452
4. Auswertung
lungs-Elementen bestehen, wie in manchen Gattungsbestimmungen vorausgesetzt wird. Bei diesen kognitiv ausgerichteten Gattungseinteilungen kann man von synthetischen Gattungen sprechen. Die analytischen Gattungsbezeichnungen,25 die in der Exegese überwiegen, haben erstaunliche Ähnlichkeit mit der narratologischen Bestimmung von Handlungsstrukturen (vgl. 2.4.4, 3.4.4.1) und unterliegen den gleichen Anfragen (event-labelling, Frage nach der Allgemeingültigkeit). Weitere Gemeinsamkeiten ergeben sich mit dem Aktantenmodell bzw. Handlungsrollenmodell (3.5.4.2), wenn man z.B. ein „Befreiungswunder“ nicht von seinem Ablauf her, sondern bezogen auf seine Entitäten betrachtet (Protagonist wird festgehalten – Gegenspieler – Mittel des Gegenspielers – Helfer des Protagonisten). Allgemein kann man also sagen: Form- und Gattungskritik und Narratologie sind ineinander integrierbar, weil beide im Rahmen der Textinterpretation die Existenz von kognitiven Frames (synthetische Gattungen) bzw. im Rahmen der Textanalyse das Vorliegen von bestimmten Handlungsstrukturen (analytische Gattungen) untersuchen. Die kognitive Narratologie bietet dabei eine theoretische Grundlage, um Form- und Gattungskritik weiter zu präzisieren. 4.2.3 Mögliche Quellen und die matthäische Redaktion in Mt 28 Die Diskussion um mögliche mündliche oder schriftliche Quellen hinter Mt 28,1–20 lässt sich in vier Textstücke aufteilen: – V. 1–8, die mit der mk Vorlage zu vergleichen sind; – V. 9f., bei denen die Beziehung zu Joh 20,11–18 erörtert werden muss; – V. 11–15, die die Frage nach dem Verhältnis zum EvPetr aufwerfen; – V. 16–20, wo mögliche Quellen und Traditionen aus dem Text selbst erschlossen werden müssen. 4.2.3.1 Quelle und Redaktion in V. 1–8 Mt 28,1–8 geht offenbar ganz weitgehend auf Mk 16,1–8 zurück. 26 Allerdings macht V. 1 den Eindruck, nicht nur der mt Redaktion von Mk 16,1–2 zu entstammen (ojyev und ejpifwvskein sind außergewöhnlich); außerdem sind mehrere minor agreements von Mt und Lk gegen Mk zu beobachten. 27 Die Ad-hoc-Hypothese einer deuteromarkinischen Vorlage (womöglich in 25
Vgl. zu dieser Unterscheidung auch Kap. 2.7.6.3. Analytische Gattungsbezeichnungen werden definitorisch festgelegt und beziehen sich auf das Vorhandensein eines einzigen, bestimmten Merkmals, z.B. das Vorliegen einer Struktur (bei Erzähltexten). 26 Die Zweiquellentheorie wird an dieser Stelle vorausgesetzt. 27 Zu den minor agreements in diesem Text vgl. LUZ, Matthäus IV, 399f.; G OULDER, Mark XIV. 1–8 u.a.
4.2 Historisch-kritische Auslegung im Vergleich
453
unterschiedlichen Fassungen für Mt und Lk) 28, der die minor agreements und z.B. auch die Auslassung von kai; tw/` Pevtrw/ zugeschoben werden könnten, halte ich für schwierig. Wie auch immer: Falls es wirklich eine deuteromarkinische Redaktion des MkEv gegeben haben sollte, die von Mt und Lk verwendet wurde, betrifft sie hier nur wenige Stellen und ändert am Folgenden nicht viel. Zentral zum redaktionsgeschichtlichen Arbeitsschritt gehört es, möglichst einleuchtende Erklärungen für die Textveränderungen zu finden (hier: Mt 28,1–8 gegenüber Mk 16,1–8). 29 Ich will zwei signifikante Stellen herausgreifen: eine „Verunklarung“ des mk Textes (a) und eine theologische Verdeutlichung (b). (a) Matthäus kombiniert zunächst die beiden chronologischen Angaben in Mk 16,1.2. Während Mk sehr nachvollziehbar schildert, dass die Frauen am Abend des Sabbat wohlriechende Öle gekauft hätten und am darauffolgenden Morgen sehr früh zum Grab gegangen seien, werden nur die beiden Zeitangaben von Mt aufgegriffen und so komprimiert, dass sie den Exegeten seit vielen Jahrhunderten Schwierigkeiten bereiten (zur Übersetzung s.u.). Kai; diagenomevnou tou` sabbavt ou (Mk 16,1) wird bei Mt zu ojye; tw`n sabbavt wn, und livan prwiÖ th/` mia/` tw`n sabbavtwn (Mk 16,2) wird verändert zu th`/ ejpifwskouvsh/ eij~ mivan sabbavt wn30. Die mt Redaktion will aus heutiger Sicht nur teilweise einleuchten. Da Mt die Salbungsabsicht ausließ, konnte er auch den Kauf der wohlriechenden Öle weglassen. Wie aber kommt es zu der Umformulierung bei den Zeitangaben? Interessanterweise sind ojyev („spät“) und ejpifwvskein („aufleuchten“) matthäische Hapaxlegomena, die Neuformulierung ist daher sprachlich nicht mt. Auch bei Lk kommt ejpifwvskein vor – zwar an anderer Stelle (23,54), aber ebenfalls als Hapaxlegomenon. Es ist schwierig, den Befund zu deuten. Möglicherweise ist diese Textänderung weniger durch mt Redaktion motiviert als durch eine andere Quelle, die Mt vorlag. 31 28
NOLLAND, Matthew, 1243f. denkt offenbar an eine urmarkinische Fassung. Für eine genauere Beschreibung und Erklärung der mt Bearbeitung von Mk 16,1–8 vgl. auch NEIRYNCK, Femmes, 273–281; F ULLER, Formation, 75–77; K RATZ, Auferweckung, 64–69; A LSUP, Appearance Stories, 108–111; P ERRIN, Resurrection Narratives, 45–47; HENDRICKX, Resurrection Narratives, 29–34; H OFFMANN, Zeichen, 436–438; NOLLAND, Matthew, 1243–1250; L UZ, Matthäus IV, 397–399; GNILKA, Matthäusevangelium II, 491–493 (v.a. beschreibend); H AGNER, Matthew II, 867f.; D AVIES/A LLISON, Matthew III, 660 (dort zunächst nur beschreibend). 30 So auch LUZ, Matthäus IV, 397 Anm. 13; N OLLAND , Matthew, 1244: „both of Mark’s time expressions seem to have influenced Matthew here“. 31 WINGER, Women, kommt in seiner Untersuchung der Zeitangaben von Mt 28,1 zu dem Schluss (288): „Our discussion of Matthew’s temporal clauses also tells us that Matthew has a source here independent of Mark. This source will presumably not have been limited to the temporal clauses, for temporal clauses do not float in the air …“. 29
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4. Auswertung
(b) In V. 6 stellt Mt die beiden Teilsätze aus Mk 16,6 um. 32 Durch die Umstellung erreicht Mt, dass die fast lapidar erscheinende Auferstehungsansage hjg evrqh aus Mk deutlicher betont wird, indem er sie ans Ende rückt und durch die Einfügung der begründenden Ausdrücke gavr und kaqw;~ ei\pen verstärkt. Diese Intensivierung der Auferstehungsansage passt mit dem matthäischen Einschub von hjg evrqh ajpo; tw`n nekrw`n in V. 7 zusammen. Den Ausdruck kaqw;~ ei\pen (uJmi`n) hat Mt sich offenbar aus Mk 16,7 entliehen. Mk bezieht ihn auf die Ansage Jesu, nach der Auferstehung nach Galiläa zu gehen (Mk 14,28), Mt dagegen unterstreicht damit allgemein die Auferstehungsankündigungen in seinem Evangelium (Mt 12,40 und 16,4; 16,21; 17,23; 20,19; 26,32; vgl. 27,63f. und indirekt 27,52). Insgesamt stehen alle Textänderungen im Dienst der Verstärkung der Auferstehungsbotschaft. Fazit: Die redaktionsgeschichtliche Methode aus Textvergleich und Diskussion der Textänderungen ist recht gut ausgearbeitet. Bezogen auf die Methode müsste über eine Aufstellung möglicher Typen von Textänderungen hinaus33 m.E. auch genauer über die Inferenzprozesse nachgedacht werden, mit denen man als Exeget die Motive für die Textänderungen beim Autor erschließt (so gibt es z.B. für das Weglassen der Salbungsabsicht bei Mk durch Mt eine Fülle von Erklärungen). Andernfalls wäre die Redaktionsgeschichte dem Vorwurf ausgesetzt, „alles“ erklären zu können. Um die Position der Redaktionsgeschichte im Methodenkanon zu klären, ist noch die Frage wichtig, wann die redaktionsgeschichtliche Beobachtung der Textänderungen eine Auswirkung für die Bedeutung des Textes hat: 1) Nach dem kognitiven Paradigma (2.1.3.1) ist der Sinn eines Textes das, was der intendierte Rezipient mithilfe seiner Frames/Skripts und seiner Wahrnehmung des Textes konstruieren soll. Für die eigentliche Texterklärung (s.u.) ist die Redaktionsgeschichte also dann relevant, wenn der Autor davon ausgeht, dass der intendierte Rezipient diese Textänderungen als solche wahrnimmt. Dort wo der Autor für seinen Rezipienten erkennbar auf Quellentexte anspielt, geht die Redaktionsgeschichte vollständig in die Intertextualitätsforschung auf, kann also in die kognitive narratologische Textinterpretation integriert werden. 2) Wo diese verwendeten Quellentexte für den intendierten Rezipienten aber nicht von Belang sind, spielen sie auch für die Interpretation keine Rolle. In diesem Fall ist der Umgang des Autors mit seinen Quellen nur für die Rekonstruktion der Textgenese und ggf. der Persönlichkeit des Au32
Lk 24,6 (oujk e[stin w|de, ajlla; hjgevrqh) hat hier dieselbe Reihenfolge wie Mt. Vgl. EvPetr 13,56, wo der Hinweis auf das leere Grab (i[dete to;n tovpon e[nqa e[keito o{ti oujk e[stin) durch ein zweifaches ajnevsth kai; ajphvlqen gerahmt wird. 33 Vgl. immer noch Z IMMERMANN, Methodenlehre, 226–234.
4.2 Historisch-kritische Auslegung im Vergleich
455
tors34 von Interesse. Aufgrund des unterschiedlichen Erkenntnisziels der Methoden sind Redaktionsgeschichte und Narratologie dann zwar vereinbar, aber nicht integrierbar. In unserem Fall scheint Mt nicht vorauszusetzen, dass der intendierte Rezipient das MkEv kennt und dessen Wortlaut so sehr im Ohr hat, dass er es an dieser Stelle mit der mt Version der Jesusgeschichte vergleichen kann.35 Ein angenommenes Wissen um mehrere Evangelien würde Mt 28,20a entgegenstehen, das sich wohl nur auf das MtEv mit seinen Redekompositionen bezieht. Die Ergebnisse der Redaktionsgeschichte haben bei Mt 28 also keine Bedeutung für die Textinterpretation, d.h. für die Rekonstruktion der intendierten Wahrnehmung durch den Rezipienten. 4.2.3.2 Tradition und Redaktion in V. 9f., 11–15 und 16–20 Während in Mt 28,1–8 der Schwerpunkt auf der redaktionsgeschichtlichen Methode liegt, kreist die Diskussion bei V. 9f., 11–15 und 16–20 eher um die literar- bzw. überlieferungskritische Frage nach schriftlichen Quellen oder mündlichen Traditionen. Redaktionsgeschichtliches Arbeiten findet hier kaum statt, weil die Scheidung von Quelle/Tradition und Redaktion jenseits der mk Vorlage (die in V. 1–8 auch nur auf Basis der „einfachen“ Zweiquellentheorie geschah) so schwierig ist. a) Mt 28,9f.: In diesem kurzen, zwei Verse umfassenden Abschnitt steht man vor der Frage, ob er aus einer mündlichen Tradition kommt oder ganz von Matthäus gestaltet ist. Während viele Exegeten die beiden Verse auf eine vormatthäische Tradition zurückführen, die auch in Joh 20,11–18 begegne 36, weisen andere sie der matthäischen Redaktion zu 37. – Für eine mt 34
Auch wenn der Bezug auf die Quelle nicht vom Autor intendiert ist, so ist die Redaktionsgeschichte immer noch indirekt zum Verständnis der Kommunikationssituation relevant: Die beobachtete Redaktionstätigkeit gibt (über unsere heutigen psychologischen Inferenzprozesse) einen Einblick in Charakterzüge, Meinungen und Gefühle des historischen Autors. Diese Rekonstruktion wird oft dem entsprechen, wie der Autor als primärer Erzähler vom Rezipienten wahrgenommen werden möchte (hier: Mt verstärkt redaktionell die Auferstehungsbotschaft des Engels gegenüber Mk; das stimmt mit der ermittelten Überzeugung des Erzählerstandpunkts überein, vgl. 3.6.5.1). 35 Vgl. zu dieser Perspektive auch F RANKEMÖLLE, Heilige Schrift, 286. 36 FULLER, Formation, 78; CRAIG, Assessing, 249–256; KÜHSCHELM, Angelophanie, 561–565; GNILKA, Matthäusevangelium II, 492f. (bei Joh sei diese Tradition wahrscheinlich besser erhalten); D AVIES/ALLISON, Matthew III, 668; L UZ, Matthäus IV, 417; NOLLAND, Matthew, 1243. 37 NEIRYNCK, Femmes, 281–296 (289: „Ainsi, à l’examen des versets 9 et 10, l’impression générale se confirme: le récit du tombeau vide de Matt. xxviii ne présuppose d’autre narration que celle de Marc“); N EIRYNCK, Note (gegen neuere Arbeiten, die Mt 28,9f. für traditionell halten); A LSUP, Appearance Stories, 108–114; W ALTER, Schilderung, 415f.; KREMER, Osterevangelien, 74.76. – Einen Überblick über die Lösungsvorschläge mit längeren Listen von jeweiligen Vertretern gibt K ÜHSCHELM, Angelophanie,
456
4. Auswertung
Redaktion spricht, dass in Mt 28,9f. viele typisch matthäische Vokabeln vorliegen.38 Außerdem bestehen enge Verbindungen zu V. 5–8 und V. 17. Falls Mt eine schriftliche Quelle neben Mk kannte, muss er sie also mindestens sprachlich stark bearbeitet haben. Nach Neirynck ist Mk 16,6f. die alleinige Vorlage auch für Mt 28,9f. 39, Mt hätte also redaktionell (ohne Rückhalt durch weitere Quellen) die Angelophanie zur Christophanie umgestaltet. Andere argumentieren aufgrund von inhaltlichen Ähnlichkeiten, dass Mt hier eine ältere Tradition wiedergibt, die auch in Joh 20,11–18 begegnet.40 Dieses Argument setzt allerdings eine Unabhängigkeit des JohEv von den synoptischen Evangelien voraus. Trotz des fehlenden Beleges für eine mögliche vormatthäische Tradition und trotz der matthäischen Sprache und der redaktionellen Einbindung von Mt 28,9f. können wir jedoch aufgrund allgemeiner Überlegungen vermuten, dass es sich bei der Erscheinung des Auferstandenen vor Maria Magdalena um eine alte (wenigstens mündliche) Tradition handelt, die Mt kannte. 41 b) Mt 28,11–15: Auch bei diesem Text zeichnet sich kein literarkritischer bzw. überlieferungskritischer Konsens der Forschung ab. Ein Teil der Exegeten hält Mt 28,11–15 für redaktionell, 42 denn Mt 28,11–15 enthält auffällig viele mt Formulierungen 43 und nur wenige unmatthäische 557–561. Ältere Vertreter beider Positionen finden sich außerdem bei N EIRYNCK, Femmes, 290 mit Anm. 2–4. 38 Vgl. die Aufzählungen bei D AVIES/A LLISON, Matthew III, 668 Anm. 34; LUZ, Matthäus IV, 417 Anm. 5. 39 NEIRYNCK, Femmes, 288f.; auf S. 289–295 weist er dann die mögliche gemeinsame Tradition hinter Joh 20 und Mt 28 als hypothetisch zurück. 40 DAVIES/A LLISON, Matthew III, 668f.; vgl. L UZ, Matthäus IV, 417. Auch der sekundäre Markusschluss 16,9–11 enthält die Tradition der Erscheinung gegenüber Maria Magdalena. Mk 16,9–11 könnte unabhängig sein vom MtEv und JohEv, aber m.E. ist es wahrscheinlicher, dass 16,9–11 teilweise aus Mt 28 und Lk 8,2; 24,9–11 gebildet ist. DAVIES/A LLISON, Matthew III, 668 zeigen sich diesbezüglich unschlüssig. 41 Argumente für eine Ersterscheinung vor Maria Magdalena sind: Sie wird in den kanonischen Listen der weiblichen Nachfolger Jesu als erste genannt; sie besaß ein besonderes Ansehen unter Christen; die spätere Zurückdrängung der Tradition ist plausibel, weil die Erscheinung vor einer Frau Anstoß erregt haben könnte (vgl. H ENGEL, Maria Magdalena, 251.255; zu Letzterem L UZ, Matthäus IV, 417). Bezogen auf die Glaubwürdigkeit von Frauen hat V AHRENHORST, Se non è vero, 286 allerdings darauf hingewiesen, dass die Quellen die damals eingeschränkte Zeugnisfähigkeit nur vor Gericht erkennen lassen: „Daß man Frauen auch außerhalb des Gerichtshofes für unglaubwürdig hielt, geht aus den Quellen nicht hervor – sie legen vielmehr das Gegenteil nahe“ (im Orig. kursiv). 42 Vgl. LUZ, Matthäus IV, 389–392.420f.; ähnlich (mit dem Hinweis auf die mt Formulierungen) BROER, Urgemeinde, 60–78; P ESCH, Ausführungsformel 2. Teil, 91–95; GOLLINGER, Lehre, 359. 43 Vgl. DAVIES/A LLISON, Matthew III, 670; L UZ, Matthäus IV, 420f. für eine detaillierte Aufstellung. Für 27,62–66 lassen sich ähnliche Beobachtungen machen (L UZ, Matthäus IV, 390 mit Anm. 10).
4.2 Historisch-kritische Auslegung im Vergleich
457
Ausdrücke: a{pa~, iJkanov~, stratiwvt h~, ajmevrimno~ und ÆIoudai`o~. Andere argumentieren eher formgeschichtlich damit, dass man Mt 27,62–66; (28,2–4) und 28,11–15 auch als eigenständige Erzählung ansehen könnte, und zwar als „Wächtergeschichte“. 44 Oft wird auch 28,2–4 zu dieser Wächtergeschichte gerechnet. 45 Die Wächtergeschichte hätte also von der Beauftragung der Wächter, deren Furcht bei der Herabkunft des Engels und ihrer Bestechung durch die Hohenpriester gehandelt. Matthäus habe diese Tradition dann mit der markinischen Erzählung vom leeren Grab verknüpft.46 Teilweise wird die Existenz dieser Wächtergeschichte auch mit dem EvPetr begründet, wo ebenfalls Wachen auftreten. Dabei wird die Annahme einer vormatthäischen Tradition jedoch nur gestützt, wenn man voraussetzt, dass das MtEv und EvPetr auf eine gemeinsame Tradition zurückgehen (die das EvPetr womöglich sogar besser bewahrt hat). Wahrscheinlicher ist wohl, dass das EvPetr wegen seiner erzählerischen Dramatisierungsabsicht (Ich-Erzähler, vgl. 3.6.1; Verstärkung der Rezeptionsemotionen) und seiner wörtlichen Anklänge an alle Evangelien die kanonischen Evangelien gekannt hat, womöglich nicht schriftlich, sondern aus „der mündlichen Weitergabe der evangeliaren Erzählungen“ 47. Auch wenn eine schriftliche Wächtergeschichte als Quelle nur schwer belegbar ist, kann man auch hier allgemeine Überlegungen anführen. Es ist plausibel, dass schon die christliche Apologetik, wenigstens zur innergemeindlichen Selbstvergewisserung, eine Art Wächtergeschichte eingeführt hat, so dass sie der Autor des MtEv nicht erst beim Schreiben des Evangeliums ‚erfinden‘ musste.48 Mt 28,11–15 ist also ebenso wie 27,62–66 und 28,2–4 wahrscheinlich im Kern eine vormatthäische Überlieferung.
44 BROWN, Death II, 1301–1305; D AVIES/A LLISON, Matthew III, 645 (Mt 27,62–66; 28,2–4.11–15 sei eine „coherent, self-contained story“, vgl. 659f.670); G NILKA, Matthäusevangelium II, 486f.498; K REMER, Osterevangelien, 75f.; WEREN, Disciples. Vorsichtig äußert sich P AUL, „Untypische“ Texte, 108f. („Gestaltung der Episoden aus (mündlich) umlaufenden Traditionselementen“). 45 WALTER, Schilderung, 416–425 argumentiert ausführlich dafür, Mt 28,2–4 einzubeziehen. Vgl. außerdem G RASS, Ostergeschehen, 26; BARTSCH, Passions- und Ostergeschichten, 88f.; K RATZ, Auferweckung, 72–74; D AVIES/ALLISON, Matthew III, 645. LÜDEMANN, Auferstehung, 158–162, führt neben dem EvPetr auch AscJes 3,13–18 als möglichen Hinweis auf eine Quelle hinter Mt 28,2–4 an. 46 Vgl. DAVIES/A LLISON, Matthew III, 659f. 47 So GNILKA, Matthäusevangelium II, 486f. 48 So auch GNILKA, Matthäusevangelium II, 486: „Die Auseinandersetzung mit dem Gerücht vom Leichendiebstahl ist auch bei Justin, dial. 108,2, nachzuweisen, so daß es verständlich ist, wenn sich volkstümlich-naive Erzählungen bildeten, die sich dem Gerücht entgegenstellten.“ Auch L UZ, Matthäus IV, der Mt 28,62–66; 28,2–4.11–15 eigentlich als redaktionell einordnet und eine im Wortlaut festgelegte „Wächtergeschichte“ ablehnt, vermutet die Existenz einer mündlichen Tradition (391).
458
4. Auswertung
c) Mt 28,16–20: Hier hat die exegetische Forschung ebenfalls noch keinen Konsens finden können, wieviel am „Missionsbefehl“ von Matthäus selbst stammt und was er bereits in schriftlicher oder mündlicher Tradition vorfand. Grundsätzlich lassen sich drei Positionen unterscheiden: 1. Der Abschnitt Mt 28,16–20 ist vollständig redaktionell. Demnach sind weder die einleitende Erzählung noch das Auftragswort vormatthäisch überliefert worden, sondern Matthäus hat den Text unter Aufnahme alttestamentlichen Traditionsgutes eigenständig komponiert. 49 Die Vertreter dieser Position verweisen vor allem darauf, dass es sich in diesem Abschnitt geradezu um ein Konzentrat matthäischen Vokabulars und matthäischer Theologie handle.50 2. Drei Sprüche (die Vollmachtsaussage, die trinitarische Taufformel und die Beistandsverheißung) waren schon vor Mt überliefert. Ohne dass der hohe Anteil an matthäischer Redaktion bestritten wird, arbeiten andere Publikationen51 zusätzlich heraus, dass die drei Aussagen in V. 18b, 19b und 20b im Gegensatz zum übrigen Text nur wenig typisch matthäisches Material enthielten.52 Aber waren diese Sprüche schon vor Matthäus ein Ganzes? Nach Strecker hätten sie schon in der Gemeindetradition als „dreigliedriges Offenbarungswort“ bestanden, das Teil der Taufliturgie (vgl. V. 19b) war. Denn die Taufformel in 19b hätte nie als einzelnes Logion überliefert worden sein können, ebenso setzten V. 18b sowie der unkonkrete Ausspruch V. 20b einen Kontext voraus. 53 Bornkamm glaubt jedoch, dass erst Matthäus sie zusammengestellt habe: 54 Es gebe keine Pa49
Vgl. die umfangreiche Monografie von L ANGE, Erscheinen, bes. 488–491 (Mt 28,18b–20 sei eine „Neuauflage“ von Mt 11,27); K INGSBURY, Composition, 575–579; GUNDRY, Matthew, 593–597. Kritik daran übt besonders M EIER, Questions, 407–416. 50 Ausführlichere sprachlich-statistische Analysen der Wörter in Mt 28,16–20 finden sich bei KINGSBURY, Composition, 575–579; FRIEDRICH, Struktur, 174–176 und besonders bei LANGE, Erscheinen. 51 MICHEL, Abschluß, 20; STRECKER, Weg, 209f.; BARTH, Gesetzesverständnis, 123– 128; BORNKAMM, Auferstandene, 173; Z UMSTEIN, Matthieu 28:16–20, 16–18; MEIER, Questions, 411; H AHN, Sendungsauftrag, 32f.; skeptisch F RIEDRICH, Struktur, 171–173. 52 In der Vollmachtsaussage werde die ejxousiva Jesu auf den ganzen Kosmos erweitert, wie es sonst nur in der vor- bzw. außermatthäischen Tradition in Mt 11,27; Joh 3,35 und Dan 7,14 LXX bezeugt sei. Auch die Gegenüberstellung oujranov~ – gh` könne bereits als vormatthäisch gelten. Die Taufformel wiederum sei sonst ohne Parallelen im MtEv. Außerdem sei es wahrscheinlicher, dass sie der liturgischen Tradition der mt Gemeinde entstammt, anstatt erst mithilfe des MtEv dort eingeführt worden zu sein (S TRECKER, Weg, 209f.; vgl. auch MEIER, Questions, 410). Die Beistandsverheißung schließlich besitzt eine Parallele in 18,20, was sie ebenfalls als Tradition ausweise (vgl. B ORNKAMM, Auferstandene, 173). 53 STRECKER, Weg, 210. 54 Vgl. BORNKAMM, Auferstandene, 173; s. auch M ICHEL, Abschluß, 20; B ARTH, Gesetzesverständnis, 124 Anm. 3.
4.2 Historisch-kritische Auslegung im Vergleich
459
rallelen zum gesamten Aussagenkomplex V. 18–20, und auch sonst füge Matthäus verschiedene Sprüche zu größeren Kompositionen zusammen. 3. Die Geschichte wurde in ihren Grundzügen schon vor Mt erzählt. Von anderen Exegeten wird eine (schriftliche oder mündliche) vormatthäische Tradition als Grundlage des Matthäustextes vermutet. 55 Die Beobachtung, dass der Abschnitt viel matthäisches Redaktionsgut enthält (vgl. 1), in einigen Teilen dagegen weniger (vgl. 2), wird dabei durch weitere redaktionelle sowie durch formgeschichtliche Argumente ergänzt. Auch die Rahmenerzählung enthalte vormatthäisches Material. 56 Die Geschichte weise außerdem strukturelle Ähnlichkeiten zu Mk 16,14–20(!); Lk 24,36–49; Joh 20,19–23 auf. Es habe also entweder eine einfache UrBeauftragungserzählung („primitive proto-commissioning narrative“) 57 zugrunde gelegen oder eine nicht näher spezifizierbare mündliche Erscheinungsgeschichte58. Die mt Stileigenheiten in V. 16–18a werden dadurch erklärt, dass Mt diesen Teil der Geschichte „reduziert“ habe. 59 Fazit: Das tatsächliche Vorgehen bei der Literar- und Überlieferungskritik an den drei Beispielen von Mt 28,9f.11–15.16–20 macht methodisch einen desolaten Eindruck: Einige Exegeten zählen jeweils nur das mt Vokabular auf und sagen dann, es sei mt Redaktion, ohne weiter nach Vorstufen zu fragen. Andere argumentieren formgeschichtlich und finden dann – fast automatisch – eine Tradition, sei es eine Wächtergeschichte oder Berufungserzählung. Wo diese Tradition im Wortlaut rekonstruiert wird, scheint man anzunehmen, dass es sich um eine schriftliche Quelle neben Mk handelte. Nur wenige, meist neuere Zusammenfassungen vermögen 55 STROBEL, Berg, 133 (meint, dass Mt und Lk auf einen verlorenen Markusschluss zurückgriffen); H UBBARD, Matthean Redaction, 122f.; M EIER, Questions, 415f.; SCHABERG , Father, 321; G NILKA, Matthäusevangelium II, 505; D AVIES/A LLISON, Matthew III, 678. DAVIES/A LLISON, Texts, 95 argumentieren für ein ursprüngliches Auftragswort Jesu, das durch Dan 7,13f. reinterpretiert und schließlich mit der Mose/Josua-Tradition (Dtn 31,14f.23; Jos 1,1–9) angereichert wurde. 56 Ou| ejtavxato sei unmatthäisch, denn tavssw ist mt Hapaxlegomenon und ou| wird nur noch in Mt 2,9 und 18,20 verwendet, dort jedoch mit der Bedeutung „wo“ und nicht „wohin“ (DAVIES/A LLISON, Matthew III, 681). Außerdem ist in Mt 28,7.10 noch kein Berg erwähnt (M EIER, Questions, 409; vgl. auch L UZ, Matthäus IV, 431). Auch das beiläufige kai; ijdovnte~ aujtovn in V. 17 stehe in gewisser Spannung zur Betonung des Sehens Jesu in V. 7.10 (MEIER, Questions, 409). Dass Mt die Erscheinung des Auferstandenen auf einem Berg lokalisiert, sei ein beliebtes frühchristliches Motiv und nicht spezifisch matthäisch (LUZ, Matthäus IV, 432). 57 HUBBARD, Matthean Redaction, 122f. bietet sogar eine Rekonstruktion dieser UrBeauftragungserzählung im Wortlaut; D AVIES/A LLISON, Matthew III, 678 schließen sich weitgehend an. 58 LUZ, Matthäus IV, 431f. Die Erscheinungsgeschichte sei nicht mehr zu rekonstruieren, weil Mt besonders das Schlusswort Jesu sehr eigenständig formuliert habe. 59 GNILKA, Matthäusevangelium II, 505.
460
4. Auswertung
beide Argumentationsweisen zu verbinden und sehen trotz mt Sprache dennoch eine mündliche Tradition im Hintergrund. 60 Etwas weiterführend ist es auch, allgemeiner nach der historischen Plausibilität einer mündlichen Überlieferung zu fragen. Die hier verwendeten Kriterien für eine vormatthäische Quelle oder Tradition sind bekannt: wenig mt Vokabular (das entspräche einer weitgehend wörtlichen Aufnahme der Quelle), geringe Kohärenz gegenüber dem Kontext (als Hinweis auf eine nicht angepasste Quelle), wenig mt Theologie, das tatsächliche Auffinden der möglichen Vorlage und der Nachweis einer gemeinsamen Tradition anhand von anderen Belegen. Typische Probleme sind aber, dass die möglichen Argumente für und gegen eine These nicht vollständig wahrgenommen werden (weil die Kriterien nicht systematisch abgearbeitet werden) und dass die hier gebrauchten Kriterien überhaupt ein sehr einfaches Bild des Schreibprozesses 61 und der Schreibsituation voraussetzen. So wie in der vorliegenden Arbeit der Narrative Criticism, der sich seit etwa 30 Jahren methodisch kaum weiterentwickelt hat, durch die aktuelle Narratologie vertieft worden ist, so müsste man sich – das ist mein Plädoyer – auch noch einmal ganz neu den Methoden der Literar- und Überlieferungskritik zuwenden. Zum einen ist die methodische Reflexion 62 weiterzuführen, indem man sie im Gespräch mit anderen Fachrichtungen als interdisziplinäre Methoden konzipiert (vgl. die Narratologie) und außerdem empirisch überprüft. Zum anderen muss die Methode auch so formuliert werden, dass sie praktikabel ist und in der Exegese gerne in dieser Differenziertheit angewendet wird. Es ist bezeichnend, dass die großen literar- und überlieferungskritischen sowie redaktionsgeschichtlichen Studien zu Mt 28 im Wesentlichen zwischen 1960 und 1985 erschienen sind und die Forschung danach abbricht. Wie verhalten sich diese Methoden zur Narratologie? Literarkritik und Überlieferungskritik/-geschichte haben insgesamt ein anderes Ziel als die 60
Vgl. z.B. LUZ, Matthäus IV, 431f. bei V. 16–20 oder P AUL, „Untypische“ Texte, 108f. bei V. 11–15. 61 Vgl. dazu die Beiträge der psychologischen Schreibforschung und der linguistischen Textproduktionsforschung: A NTOS/KRINGS (Hgg.), Textproduktion; JECHLE, Kommunikatives Schreiben; KRINGS/ANTOS (Hgg.), Textproduktion (1992); W INTER, Metakognition; G ÜNTHER, Texte planen; KELLOGG, Psychology of Writing; WROBEL, Schreiben als Handlung; B AURMANN/WEINGARTEN (Hgg.), Schreiben; S CHINDLER, Adressatenorientierung; H OFER, Blicke auf das Schreiben. 62 Vergleichsweise ausführlich z.B. S TECK, Exegese, 46–75; K RISPENZ, Literarkritik; BLUM, Notwendigkeit, 13–23; O SWALD, Moderne Literarkritik; KRISPENZ, Doppelte Frage; literaturwissenschaftlich B AUMANN, Art. Quellen- und Einflussforschung. Fehlende Textkohärenz kann auch narratologisch festgestellt werden und liegt z.B. vor, wenn Bileam stark unterschiedlich charakterisiert wird (vgl. S ALS, Bileam, 175).
4.2 Historisch-kritische Auslegung im Vergleich
461
Narratologie: Die genannten historisch-kritischen Methoden sind eher historisch an den schriftlichen und mündlichen Quellen des Textes interessiert, weit jenseits dessen, was für die eigentliche Interpretation des (End-) Textes von Bedeutung ist. Im Gegensatz dazu bietet die Narratologie Methoden zur Textinterpretation, Textanalyse und Beschreibung der Textwirkung an. Die Methoden sind also vereinbar, aber nicht integrierbar. 4.2.4 Fortlaufender Kommentar Wichtiger Bestandteil einer Exegese ist die Vers-für-Vers-Erklärung. Im Gegensatz zu den Gesamtanalysen (z.B. der Textstruktur, der Form oder der Quellen des Textes) geht es hier darum, heutigen Leserinnen und Lesern das nötige Vorwissen zur Verfügung zu stellen, das zum Verstehen des Textes notwendig ist. In der Sprache des cognitive turn: Der fortlaufende Kommentar soll die (historisch-kulturellen) Frames und Skripts explizieren, die vom Autor beim intendierten Rezipienten vorausgesetzt werden und mit denen der Rezipient den Text „verarbeiten“ soll. 63 Wie in Kap. 3.1.3 dargelegt wurde, kann die Narratologie systematisch zusammenstellen, an welchen Stellen des Textes solche Frames/Skripts vorkommen, denn bei Settings ergeben sich andere Arten von Leerstellen als bei Ereignissen und Figuren. In Kap. 3.3.1, 3.4.1 und 3.5.2 wurden dafür jeweils Fragen formuliert. Doch die eigentlichen Antworten darauf kann nur die historisch-kritische Texterklärung geben. 64 Ich möchte daher so vorgehen: Bei jedem Vers werden zuerst die möglichen Verstehensfragen aufgelistet, die sich aus Kap. 3 ergeben haben. Anschließend wird untersucht, ob und in welcher Weise die exegetischen Kommentare darauf antworten. 65 Dabei werden vorrangig die größeren Kommentarwerke von Luz, Davies/Allison und Gnilka herangezogen. Weil es hier darum geht, die narratologische Analyse und historisch-kritische Auslegung methodisch zu vermitteln, sollen die Ergebnisse beispielhaft aus der Exegese der ersten drei Verse von Mt 28 abgeleitet werden. Für die weitere historisch-kritische Interpretation des Textes sei auf die Kommentare selbst verwiesen. 63
Natürlich ist auch das Erkennen einer bestimmten Textgattung mit einem Verstehensframe verbunden; hier sind aber nun eher einzelne Wörter und Ausdrücke im Blick. 64 Nur bei den Figuren aus Mt 28 wurden in Kap. 3.5.2 auch schon die intendierten Inferenzprozesse diskutiert; die historische Tiefenschärfe könnte diese Ausführungen noch präzisieren. 65 Jede Beobachtung am Text kann ja als Antwort auf eine Frage angesehen werden. Andere Arten von Beobachtungen zur mt Redaktion, zur Struktur des Textes und zur Erzähltechnik (oder gar zur Textkritik), die Kommentare auch manchmal in die Vers-fürVers-Erklärung integrieren, wurden schon in Kap. 4.2.1–4.2.3 bzw. Kap. 3 behandelt. Hier soll es allein um solche Beobachtungen gehen, die zum inhaltlichen Verstehen des Textes beitragen.
462
4. Auswertung
Bei der Auflistung der Verstehensfragen bedeuten „SZ“ zeitliches Setting, „SR“ räumliches Setting, „SG“ gesellschaftliches Setting, „H“ Handlung und „F“ Figuren. Dahinter steht dann die Nummer der Frage aus Kapitel 3. Die jeweilige Art der Antwort auf diese Frage ist so abgekürzt: „S“ allgemein-sprachliche Erklärung, „T“ traditions-/motiv-/religionsgeschichtliche Erklärung, „E“ Erklärung anhand der Erzählung (des MtEv) selbst. Formal sind die Erklärungen nicht in eine Paraphrase des Textes eingebettet, die ja schon vielfach eigene Inferenzprozesse z.B. zum Verhalten der Figuren voraussetzt und ihrerseits eine Erzählung ist (3.1.3). Stattdessen bleiben die Einzelbeobachtungen wie in einem Scholienkommentar voneinander getrennt, um sie besser auf ihre Methode hin untersuchen zu können. V. 1 ÆOye; de; sabbavtwn, th`/ ejpifwskouvsh/ eij~ mivan sabbavtwn h\lqen Mariva hJ Magdalhnh; kai; hJ a[llh Mariva qewrh`sai to;n tavfon. Mögliche Fragen nach Frames/Skripts, die zu diesem Vers beantwortet werden können, sind: SZ 1. Was ist der „Sabbat“? / SZ 2. Was bedeutet „ojye; de; sabbavtwn“? / SZ 3. Hat der „erste Tag“ eine besondere Bedeutung? / SZ 4. Was ist die „Woche“? / SZ 5. Wie hat man sich die Dämmerung vorzustellen? Handelt es sich bei ejpifwvskein um die Morgenoder Abenddämmerung? / SZ 7. Wann ungefähr finden die Szenen in Mt 28,1–20 jeweils statt? / F 94. Wer sind Maria von Magdala und Maria, die Mutter des Jakobus und Josef? / SZ 13. Wie lange gehen die Frauen zum Grab? / SG 35. Warum kommen die Frauen zum Grab? / SG 36. Warum kommen gerade die Frauen zum Grab und nicht die (männlichen) Jünger? / SG 30. Wie ist das Verhältnis zwischen den Frauen und Jesus zu beschreiben? Welches Verhältnis könnte man auf dem soziokulturellen Hintergrund erwarten? / SG 37. Warum kommen die Frauen nach dem Sabbat? / SG 38. Warum gehen die Frauen zum Grab? / SR 21. Wo in der Nähe Jerusalems befindet sich das Grab ungefähr? / H 48. Wie kann man sich das Begräbnis Jesu durch Josef von Arimathäa genau vorstellen? Welche Begräbnissitten kannte Matthäus? (Voraussetzung, vgl. 27,59f.)
(a) (SZ 2) S Ein philologisch immer wieder diskutiertes Problem 66 ist die Bedeutung von ojye; de; sabbavt wn in Mt 28,1, nach der die Frauen „spät am Sabbat, als der erste Tag der Woche aufleuchtete“ zum Grab gingen. Die Frage nach dem Verständnis dieser Formulierung soll exemplarisch etwas ausführlicher diskutiert werden; die exegetische Behandlung der umstrittenen Übersetzungen von oiJ dev (V. 17) und e[qnh (V. 19) ist methodisch ähnlich. Bei diesem Problem in V. 1 müssen besonders das schwierige Verhältnis der Zeitangaben und die Bedeutung von ojyev geklärt werden: 1) Die doppelte Zeitangabe ojye; de; sabbavtwn, th/` ejpifwskouvsh/ eij~ mivan sabbavtwn könnte dadurch aufgelöst werden, indem man die erste Zeitangabe noch in den vorigen
66 Vgl. dazu KRATZ, Auferweckung, 62–64; KREMER, Osterevangelien, 61; DAVIES/ A LLISON, Matthew III, 663f; L UZ, Matthäus IV, 401; N OLLAND, Matthew, 1245f. sowie die Aufsätze von WINGER, Women; BOYARIN, Sabbath.
4.2 Historisch-kritische Auslegung im Vergleich
463
Satz 27,66 einrechnet („sie versiegelten das Grab spät am Sabbat“). 67 Weil aber dev einen gedanklichen Neuansatz kennzeichnet und textkritisch ursprünglich ist (s.o. Kap. 4.2.1), muss diese Lösung ausscheiden. 2) Eine redaktionsgeschichtliche Erklärung kann darauf verweisen, dass die problematischen mt Zeitangaben jeweils korrekte Umformulierungen der beiden chronologischen Angaben in Mk 16,1 sind. Mt habe diagenomevnou tou` sabbavtou in ojye; de; sabbavtwn umformuliert, sich aber dann doch entschieden, den Kauf der Öle auszulassen. Er ging sogleich zur Umschreibung der zweiten Zeitangabe über, vergaß jedoch, das alte ojye; de; sabbavtwn aus dem Text zu tilgen.68 So kam es zu den beiden widersprüchlichen Zeitangaben. Diese Hypothese ist sehr elegant und m.E. diskussionswürdig; dagegen spricht allerdings die sonst relativ ausgefeilte mt Redaktion und Komposition. 3) Beide Zeitangaben beziehen sich vielleicht schon auf den Samstagnachmittag und die Abenddämmerung. 69 Einige Argumente sprechen für diese Hypothese. Das Adverb ojyev bedeutet eigentlich „spät“ 70. Eine Übersetzung als „spät am Sabbat“ oder – unwahrscheinlicher – „spät in der Woche“ 71 müsste nach jüdischem Verständnis daher auf den Samstagnachmittag verweisen. ejpifwvskein könnte an dieser Stelle ebenso die Abenddämmerung bezeichnen (so eindeutig Lk 23,54; EvPetr 2,5). 72 Hat Mt also die Auferstehung auf den Samstagabend datieren wollen? Das wäre kaum mit 28,13 vereinbar, wonach das fragliche Ereignis des Verschwindens des Leichnams bei Nacht geschehen sein soll. Außerdem passt eine gerade einbrechende Dunkelheit nicht zur Erzähllogik, weil die 67
Vgl. die bei NA 27 angebotene alternative Interpunktion. GARDNER-SMITH, ÆEPIFWSKEIN, 180; vgl. die Besprechung bei B OYARIN, Sabbath, 679. 69 So WINGER, Women (ausführlich); G UNDRY, Matthew, 585f.; SAND, Matthäus, 581; F IEDLER, Matthäusevangelium, 424. 70 Vgl. Gen 24,11; Ex 30,8; Jes 5,11; Jer 2,23 LXX; Mk 11,19; 13,35. Der Gen. bei ojyev ist ein Gen. partitivus (B LASS/DEBRUNNER/REHKOPF, Grammatik, §164,4 mit Anm. 8). Ähnlich MartPol 7,1 peri; deivpnou w{ran … kai; ojye; th`~ w{ra~. 71 In Mt 28,1a heißt savbatton wahrscheinlich „Sabbat“, im zweiten Halbvers dagegen „Woche“. Der Pl. savbbata in der Bedeutung „Sabbat“ ist gängige Praxis bei Festnamen (BLASS/DEBRUNNER/REHKOPF, Grammatik, §141,3 mit Anm. 7); bei den Synoptikern kommt insbesondere der Dat. Pl. toi`~ savbbasin vor (Mt 12,1–12; Mk 1,21; 2,23f.; 3,2.4; Lk 4,31; 6,2; 13,10). savbbata im Pl. auch für „Woche“ könnte eine „irrige Wiedergabe des aram. Status emphaticus at;B]v'“ sein (BLASS/DEBRUNNER/REHKOPF, Grammatik, §141 Anm. 7 mit Bezug auf J. Jeremias). Zur hebräisch geprägten Formulierung miva sabbavtwn/sabbavtou vgl. Mk 16,2; Lk 24,1; Joh 20,1.19; Act 20,7; 1 Kor 16,2 und B LASS/DEBRUNNER/R EHKOPF, Grammatik, §247 Anm. 1–3 mit weiteren Beispielen. Der klassische Ausdruck prwvth sabbavtou begegnet nur im sekundären Markusschluss 16,9. 72 In den wenigen Belegen, die vom NT unabhängig sind, bezeichnen ejpifwvskein und diafwvskein die Morgendämmerung (vgl. L UZ, Matthäus IV, 401). Die Morgendämmerung ist offenbar in EvPetr 9,34 und wohl auch 9,35 gemeint. Zu ejpifwvskein im Sinne von Abenddämmerung vgl. TURNER, Note (EvPetr); B URKITT, ÆEPIFWSKEIN; BOYARIN, Sabbath; WINGER, Women. – In der Diskussion sollte stärker berücksichtigt werden, dass ejpifwvskein eine Variante von ejpifauvskein ist (Eph 5,14 oJ Cristov~; LXX Hi 25,5 hJ selhvnh; 31,26 oJ hJlio~; 41,10 to; fevggo~), in Angleichung an fw`~ (vgl. auch BLASS/DEBRUNNER/R EHKOPF, Grammatik, § 101 Anm. 84). Vgl. diafauvskein LXX Gen 44,3; Ri 19,26 (diafwvskein Cod. Vaticanus); Ri 16,2 (Cod. Vat.); 1 Sam 14,36 (diafwvskein Cod. Alex.); 2 Sam 2,32; Jdt 14,2. 68
464
4. Auswertung
Frauen das Grab sehen wollen (V. 1: qewrh`sai to;n tavfon).73 Beide Zeitangaben werden sich eher auf den Sonntagmorgen beziehen, zumal auch die mt Quelle Mk 16,2 sowie Lk 24,1; Joh 20,1 und EvPetr 12,50 in dieser Datierung übereinstimmen. 74 4) Eine andere Möglichkeit ist daher, dass Mt hier nicht die jüdische Zeiteinteilung voraussetzte, sondern – „Romanorum more“ – die auf den Sabbat folgende Nacht noch zum Sabbat hinzurechnete.75 Das würde auch mit der Angabe in Mt 26,17 zusammenstimmen, wo Mt den Tag der ungesäuerten Brote schon tagsüber beginnen lässt. Die Angabe „spät am Sabbat“ ist daher nicht problematisch, wenn Mt den Sabbat erst mit der Morgendämmerung zu Ende gehen lässt. Luz folgert: „Ist das richtig, so ist Mt kein sehr traditionsbewußter Jude gewesen.“ 76 Dagegen ist jedoch einzuwenden, dass gerade Mt dem jüdischen Denken sehr verbunden ist, auch Mt 26,17 könnte einfach eine sprachliche Ungenauigkeit sein. Man beachte auch die indirekte Kritik des Mt an dieser Stelle: Während die Hohenpriester und Pharisäer sich am Sabbat politisch betätigen (V. 62ff.) und auch zum Grab gehen (V. 66: poreuqevnte~), bleiben die Frauen am Sabbat offenbar zu Hause (implizit in 27,61 und 28,1; vgl. Lk 23,56). Darum wäre es inkonsequent, wenn sie „spät am Sabbat“ losgehen. 5) Für ojyev könnten schließlich seltenere Gebrauchsweisen angenommen werden. Das Adverb wird sehr selten komparativisch verwendet („später“) oder – wie wahrscheinlich an dieser Stelle – als Präposition mit Gen. mit der Bedeutung „nach“. 77 Die zweite Zeitangabe schien Mt möglicherweise als Präzisierung notwendig, um das missverständliche ojyev zu deuten. Allgemein könnte auch mit einer zeitweise etwas ungenauen Ausdrucksweise seitens des Mt gerechnet werden. 78 Diese Lösung ist m.E. die wahrscheinlichste.
(b) (SZ 3) T Die chronologische Einordnung der Auferstehung zu Beginn des ersten Tages der Woche passt zu jüdischen apokalyptischen Vorstellungen, denen zufolge nach sieben Tagen oder sieben Jahrwochen Gottes Reich anbricht.79 Ob Mt mit der ungewöhnlichen Zeitangabe diesen traditionsgeschichtlichen Bezug intendiert, ist unklar. (c) (SZ 5) T/E Mt könnte mit ejpifwvskein auf die Metaphorik von Finsternis und Tod bzw. Licht und Leben anspielen, wie sie auch im Jesajazitat in Mt 4,16 zum Ausdruck kommt (… toi`~ kaqhmevnoi~ ejn cwvra/ kai; skia`/ 73
Vgl. DAVIES/A LLISON, Matthew III, 663. In EvPetr 9,35–11,49 geschieht die Auferstehung freilich bereits in der Nacht, noch vor der Ankunft der Frauen (9,35 th/` de; nukti; h|/ ejpevfwsken hJ kuriakhv). 75 So KRATZ, Auferweckung, 63f.; L UZ, Matthäus IV, 401. – Auch das EvPetr hat ein geteiltes Zeitempfinden. Die jüdische Perspektive zeigt sich in EvPetr 2,5, wo der Sabbat mit der Abenddämmerung anbricht (savbbaton ejpifwvskei); die griechische Perspektive dagegen in 9,34, wo der Sabbat erst in der Morgenfrühe heraufdämmert (prwi?a~ de; ejpifwvskonto~ tou` sabbavtou) (vgl. KRATZ, Auferweckung, 63). 76 LUZ, Matthäus IV, 401 Anm. 41. 77 Belege bei B AUER/A LAND, Wörterbuch, 1216; vgl. auch L UZ, Matthäus IV, 401 Anm. 40. Mit ähnlichem Resultat („nach Ausgang des Sabbats“) leitet B ILLERBECK, Kommentar I, 1051–1053 den Ausdruck ojye; sabbavtwn vom rabbinischen tB;v' yaex;/m ab. 78 Das ist m.E. auch bei den ‚Drehern‘ in 27,66 und 28,9 sowie in 28,17 der Fall (27,66: hjsfalivsanto to;n tavfon sfragivsante~ to;n livqon meta; th`~ koustwdiva~; 28,9: ejkravthsan aujtou` tou;~ povda~ kai; prosekuvnhsan aujtw/`; 28,17: ojJ dev für „sie aber“). 79 Vgl. z.B. Dan 9,24–27; weitere Belege bei D AVIES/A LLISON, Matthew III, 664. Von christlicher Seite wurde der erste Tag dann als Tag der neuen Schöpfung gedeutet. 74
4.2 Historisch-kritische Auslegung im Vergleich
465
qanavtou fw`~ ajnevt eilen aujtoi`~).80 Allerdings sind Erinnerungsnähe und Parallelität hier eher gering. (d) (F 94) (Identität:) E Es handelt sich um dieselben Marias, die vorher schon bei der Kreuzigung und der Grablegung dabei gewesen sind (27,56.61).81 (Anzahl:) T Mt erwähnt zwei Frauen; damit will er vielleicht auf Dtn 19,15 anspielen, dass zwei oder mehr Zeugen erforderlich seien. 82 Dieser Gedanke steht für Mt hier wohl kaum im Hintergrund, und in Dtn 19,15 geht es eigentlich um die Anklage wegen eines Verbrechens. (e) (SG 35) (Intention der Frauen:) Die Frauen kommen zum Grab Jesu, um danach zu „sehen“. Was könnten sie dort genau wollen? Diese Leerstelle wird in Kommentaren häufig beachtet: 1) Sie gehen zum Grab, weil es (T) die Sitte gegeben habe, ein Grab „bis zum dritten Tag“ zu besuchen. Erst am dritten Tag könne der Verstorbene als tot gelten. Diese Deutung von Longstaff wird zwar oft zustimmend zitiert, 83 kann hier in Mt 28,1 jedoch kaum vorausgesetzt werden. 84 2) Sie gehen zum Grab, weil sie (E) die Auferstehung erwarten und dabei zuschauen wollen. 85 Dass die Frauen mit der Auferstehung rechnen, hat allerdings keinen Anhaltspunkt im Text. 3) Sie gehen zum Grab, um dort zu beten oder um zu trauern (E vgl. Mt 27,61; T vgl. Joh 11,31 als Ausdruck dieser Sitte). 86 Diese Lösung ist wohl am plausibelsten. (f) (SG 37) E Es ist bezeichnend, dass die Frauen erst nach dem Sabbat kommen, um zu trauern, während die Hohenpriester am Sabbat unbekümmert ihrem „Tagesgeschäft“ nachgehen (27,62). Hieran wird deutlich, wie sehr Mt noch den Sabbat voraussetzt. Daher könnte auch der Zeitpunkt der
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NOLLAND, Matthew, 1246. HAGNER, Matthew II, 868; L UZ, Matthäus IV, 400. 82 Vgl. SCHLATTER, Matthäus, 793: „Die zusammenstimmende Aussage zweier hat Festigkeit.“ DAVIES/A LLISON, Matthew III, 669 verweisen bei V. 9f. auf die Notwendigkeit mehrerer Zeugen nach Dtn 19,15 (dort: der Engel und Jesus selbst). 83 LONGSTAFF, Women, 281, der dies mit mSem 8,1 begründet: „It is the third day and they come, as the law requires, for the final inspection to ensure that Jesus is really dead“ (vgl. der Hinweis von B ILLERBECK, Kommentar I, 1048). Dann könnte Joh 11,17.39 auch in diese Richtung weisen: Lazarus liegt seit vier Tagen im Grab. Ähnlich z.B. G NILKA, Matthäusevangelium II, 493; F IEDLER, Matthäusevangelium, 424; vorsichtig D AVIES/A L LISON, Matthew III, 664; fragend L UZ, Matthäus IV, 400 Anm. 31. 84 Abgesehen von der Frage nach der tatsächlichen Allgemeingültigkeit von mSem 8,1 und der Übertragung dieser Praxis bereits auf das 1. Jh. n.Chr. muss man hier den mt Kontext bedenken: Die Frauen waren selbst Zeugen des Kreuzestodes und des Begräbnisses Jesu, müssen sich also nicht erst noch von seinem Tod überzeugen (vgl. F RANCE, Gospel of Matthew, 1099 Anm. 24). 85 Gegen diese Deutung von W. Carter FRANCE, Gospel of Matthew, 1099 Anm. 24. 86 HAGNER, Matthew II, 869. N OLLAND, Matthew, 1246 kann die Existenz dieses Skripts mit Joh 11,31 belegen. 81
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4. Auswertung
Auferstehung am ersten Tag der Woche für Mt bedeutsam sein: Selbst Gott ruht am Sabbat und handelt erst am Sonntag. 87 (g) (SZ 1, SZ 4, SZ 7, SZ 13, SG 30, SG 36, SG 38, SR 21 und H 48) Ein größerer Teil der analytischen Verständnisfragen zu V. 1 wird in den heutigen wissenschaftlichen Kommentaren nicht berücksichtigt, obwohl eine Antwort auf diese Fragen möglich und für die realen Leserinnen und Leser sicher auch teilweise von Interesse wäre. Durch die bisherige Forschungs- und Kommentierungstradition bedingt, werden eben auch nur bestimmte Fragen zum Text beantwortet. V. 2 kai; ijdou; seismo;~ ejg evn eto mevga~: a[ggelo~ ga;r kurivou kataba;~ ejx oujranou` kai; proselqw;n ajpekuvlisen to;n livqon kai; ejkavqhto ejpavnw aujtou`. Folgende Frames/Skripts können im fortlaufenden Kommentar erklärt werden: SR 15. Wie kann man sich das Grab und seine Umgebung ausmalen? Wie sieht ein Felsgrab aus? / SR 16. Wie kann man sich das Erdbeben vorstellen? Wird durch das Erdbeben etwas zerstört? Was bedeutet das Erdbeben auf dem jüdischen Vorstellungshintergrund? / F 95. Was ist ein Engel? Was kann der Rezipient im Voraus über „Engel“ wissen? / H 49. Wie kann man es sich vorstellen, dass ein Engel vom Himmel herabkommt? Wie bewegt sich ein Engel? / SR 17. Wie soll man sich den Himmel vorstellen, aus dem der Engel kommt? Wie stellt Matthäus sich die Erde im Gegenüber zum Himmel vor? / SR 24. Wo befindet sich der „Himmel“? / H 50. Auf welche Weise wirkt der Engel auf den Stein ein, um ihn wegzurollen? / SZ 8. Wann findet die Auferstehung Jesu statt (hjgevrqh), vor oder nach dem Wegrollen des Steins? / H 51. In welcher Haltung setzt sich der Engel auf den Stein? / SG 39. Warum setzt sich der Engel auf den Stein? / SR 27. Wo befinden sich die Frauen bei der Ankunft des Engels?
(a) (SR 16) Die Angelophanie wird durch ein „großes Erdbeben“ (seismo;~ mevga~) eingeleitet. Das Erdbeben weckt dabei eschatologische Assoziationen: E Nach Mt 24,7 sind Erdbeben Zeichen der letzten Zeit, und bereits beim Tod Christi gibt es ein Erdbeben, das die Auferstehung der Heiligen einleitet (27,52f.). 88 T Die Verknüpfung von Erdbeben und Eschatologie entspricht daneben dem frühjüdischen Vorstellungshintergrund; auch der Zusammenhang mit Epiphanien muss bekannt sein (vgl. das begründende a[ggelo~ ga;r kurivou).89 Indem sowohl der Tod als auch die
87 In diesem Sinn wohl N OLLAND, Matthew, 1247: „While all was quiet while the sabbath day was respected, God is now once again powerfully on the move.“ 88 Das Erdbeben in 27,52–54 soll wohl nicht mit demjenigen in 28,2 identifiziert werden (vgl. die Reaktion des Centurios am Kreuz, V. 54). – Außer in Mt 24,7; 27,54; 28,2 begegnet seismov~ bei Mt nur noch als seismo;~ mevga~ für den Sturm im Rahmen der Sturmstillungsperikope (Mt 8,24). Der Verweis hierauf und auf ejseivsqh in Mt 21,10 (DAVIES/A LLISON, Matthew, 664) trägt für die Bedeutung an dieser Stelle nichts aus. 89 Dazu DAVIES/A LLISON, Matthew III, 664f., vgl. 632 (Belege). S. auch Sach 14,4f. und die Erdbeben in Apk 6,12; 8,5; 11,13.19; 16,18, die teilweise durch Engel verursacht
4.2 Historisch-kritische Auslegung im Vergleich
467
Auferstehung Christi jeweils von Erdbeben begleitet werden, wird die besondere, eschatologische Bedeutung beider Ereignisse hervorgehoben. (b) (F 95) Ein Engel tritt auf. E Es ist sicher kein Zufall, dass bei Mt einerseits die Geburtsgeschichte von einem Engel eingeleitet wird (1,20), andererseits nun auch die Auferstehung Jesu. 90 Das verknüpft diese beiden Geschehnisse miteinander und gibt ihnen zusätzlich Gewicht. 91 (Identität:) Dass Mt an beiden Stellen denselben Engel meinen könnte, ist unwahrscheinlich, da er – anders als Lk 1,19.26 – keine Namen nennt und auch keinen bestimmten Artikel verwendet. 92 (äußere Attribute:) Der Engel wird hier in Mt 28 als ein sehr körperliches Wesen dargestellt. 93 (c) (H 49) E Das Kommen des Engels im Kontext der Auferstehung könnte vielleicht an die Aussendung der Engel durch den Menschensohn erinnern, die die Auserwählten sammeln (Mt 24,31). Der Bezug ist unsicher, weil dort nicht explizit an Verstorbene gedacht ist (anders 1 Kor 15,52). T Die grundsätzliche Vorstellung, dass ein Engel „vom Himmel“ kommt, ist durchaus gängig, u.a. Dan 4,10. 94 T Im Hintergrund könnte außerdem die verbreitete jüdische Auffassung stehen, dass der Gerechte von Engeln in den Himmel geführt wird. 95 Das wird hier allerdings nicht geschildert. (d) (H 50) Der Engel tritt in Aktion. E Das große Erdbeben korrespondiert mit dem großen Stein (27,60); doch rollt der Stein nicht durch das Erdbeben beiseite, wie man es aufgrund von 27,52 erwarten könnte, sondern wird hier durch den Engel weggewälzt, 96 vielleicht sogar nur mit eisind. Vgl. LUZ, Matthäus IV, 402 („auf dem Hintergrund biblischer Theophanievorstellungen zu deuten“). 90 Interessant ist, dass Jesus in der Passionsgeschichte auf die „mehr als zwölf Legionen Engel“ (pleivw dwvdeka legiw`na~ ajggevllwn; Mt 26,53) verzichtet. Bei Geburt und Auferstehung reicht schon ein einziger. (Lk 24,4; Joh 20,12; EvPetr 9,36 brauchen zwei.) 91 LUZ, Matthäus IV, 402 erinnert an das Eingreifen Gottes bei der Taufe Jesu (Mt 3,16f.). Insgesamt berichtet Mt (anders Lk) eher wenige Geschehnisse vom Himmel her. 92 Vgl. FRANCE, Gospel of Matthew, 1099f.; implizit auch L UZ, Matthäus IV, 402. Anders F IEDLER, Matthäusevangelium, 424, der eine Identität mit dem Engel in 1,20; 2,13.19 voraussetzt; D AVIES/A LLISON, Matthew III, 665 halten das für möglich und beobachten, dass auch der Engel in 1,20 „fürchte dich nicht“ sagt. Allerdings ist Mt 1,20 mh; fobhqh`/~ paralabei`n Maria;m th;n gunai`kav sou anders als Mt 28,5 nicht auf die Angelophanie als solche bezogen, da der Engel nur im Traum begegnet. 93 FRANCE, Gospel of Matthew, 1100: „the angel is presented as robustly physical, rolling a huge stone, sitting on it, and visible not just to the women but also to the guards.“ 94 Belege bei SCHLATTER, Matthäus, 793. 95 Vgl. DAVIES/A LLISON, Matthew III, 665 mit Anm. 23. Vgl. EvPetr 9,35–10,42. 96 Vgl. GNILKA, Matthäusevangelium II, 493: „Das Beben ist ein rein theophanes Element. Es bewirkt weder die Öffnung noch die Zerstörung des Grabes“; ähnlich FRANKEMÖLLE, Matthäus II, 519; F RANCE, Gospel of Matthew, 1099. Ungenau dagegen DAVIES/A LLISON, Matthew III, 664: „The ‚great earthquake‘ moves the ,great stone‘“.
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4. Auswertung
ner Hand.97 E Vom Stein war vorher häufiger die Rede gewesen: Menschen hatten ihn vor das Grab gerollt (27,60: proskulivein) und versiegelt (27,66: sfragivzein), ein Engel wälzt ihn wieder weg (ajpokulivein).98 (e) (SZ 8) Eine wichtige, stark diskutierte Leerstelle ist, ob die Auferstehung Jesu (unsichtbar) mit dem Wegrollen des Steins stattfindet oder ob sie schon vorher – durch den Stein hindurch – geschehen ist. Im zweiten Fall dient das Wegwälzen nur dazu, damit die Frauen in das leere Grab sehen können. Welche dieser beiden Inferenzen entspricht der mt Intention? E 1) Für die erste Lösung 99 spricht, dass sich Mt die Auferstehung körperlich vorstellt, denn der Leichnam war nicht mehr da; das Grab müsste also für die körperliche Auferstehung geöffnet werden. Auch die Frauen können später Jesu Füße umfassen (V. 9) und der Engel sagt, Jesus werde nach Galiläa „vorausgehen“ (V. 7). 2) Für die zweite Lösung 100 spricht, dass die Frauen nicht sehen, wie der Auferstandene aus dem Grab herauskommt.101 Außerdem geschehen auch sonst im MtEv die Erdbeben und Epiphanien erst nach den bedeutenden Ereignissen. 102 Jesus hat zudem etwas Unkörperliches: Die Begegnungen mit Jesus wecken Assoziationen zu Epiphanien, daneben betont Jesus seine universale Macht und Präsenz. T Daher kann der Auferstandene auch geschlossene Türen durchdringen und trotzdem körperlich anfassbar sein, wenn man die integrierende Vorstellung in Joh 20,26f. auch hier voraussetzen darf. – Die zweite Lösung ist also wahrscheinlicher, sofern sich Mt überhaupt genauere Gedanken zu diesem Problem gemacht hat. NOLLAND, Matthew, 1247 bietet eine integrative Lösung an: Der Engel habe das Erdbeben ausgelöst, um den Stein beiseite zu rollen („the angel shakes the earth to roll the stone“). 97 In dieser Weise dramatisierend K EENER, Matthew, 701. Er verweist auf Gen 29,8.10, wo Jakob einen Stein vom Brunnen wälzt und dadurch seine Stärke demonstriert. Vgl. die Parallelen zum Wegwälzen von Steinen bei D AVIES/A LLISON, Matthew III, 665. Das hat nichts mit der mt Intention zu tun. 98 Vgl. DAVIES/A LLISON, Matthew III, 665. 99 GUNDRY, Matthew, 587 (mit Verweis auf 27,51–54, wo das Erdbeben und die Auferstehung der Heiligen auch parallel gehen): „we are probably meant to understand that Jesus’ resurrection occurs with the present earthquake and that the angel’s rolling away the stone has the purpose of letting him out of the tomb (though he remains unobserved for the time being).“ Auch für G NILKA, Matthäusevangelium II, 486.494 spielt sich die Auferstehung offenbar gleichzeitig mit dem Erdbeben und der Angelophanie, aber auf einer himmlischen „Erzählebene“ ab. 100 DAVIES/A LLISON, Matthew III, 665; vgl. L UZ, Matthäus IV, 403 (der Engel wälzt den Stein weg, damit die Frauen ins Grab schauen können). Luz zeigt, dass diese Auslegung bis zum Mittelalter nahezu Konsens war (ebd., 408). So auch F IEDLER, Matthäusevangelium, 424 Anm. 174; ähnlich F RANCE, Gospel of Matthew, 1098 mit Anm. 18. 101 Anders EvPetr 9,37–10,42. 102 Vgl. 1,20 im Anschluss an die Zeugung Jesu; die Himmelsstimme 3,16f. nach der Taufe und 17,5 nach der Verklärung Jesu; das Erdbeben 27,52–54 nach dem Tod Jesu.
4.2 Historisch-kritische Auslegung im Vergleich
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(f) (SG 39) Der Engel setzt sich dann auf den weggerollten Stein: E Die erhöhte Sitzposition (vgl. EvPetr 13,55) ist Ausdruck des Triumphs. 103 E Die Formulierung ejkavqhto ejpavnw kommt auch in Mt 21,7 (Jesus setzt sich auf die Eselin) und 23,22 (Gott, der auf dem Thron sitzt) vor. 104 Allerdings bleibt fraglich, ob Mt mithilfe dieser parallelen Formulierungen etwas aussagen wollte. T Dass der Engel, auf dem Stein sitzend, die Osterbotschaft verkündet, lässt ihn wie ein Lehrer erscheinen (vgl. 23,2). 105 (g) (SR 27) Offenbar sind die Frauen bereits bei der Ankunft des Engels am Grab anwesend. E Dies wird von Mt durch die Nennung der Frauen in V. 1 und das darauffolgende kai; ijdouv angedeutet106, zumal vorausgesetzt wird, dass die Frauen den Jüngern später von der Auferstehung berichten können (vgl. V. 7). (h) Die Verständnisfragen SR 15, SR 17, SR 24 und H 51 werden von aktuellen Kommentaren nicht berücksichtigt (s.o. zu V. 1). V. 3 h\n de; hJ eijdeva aujtou` wJ~ ajstraph; kai; to; e[n duma aujtou` leuko;n wJ~ ciwvn. F 95. Was ist ein Engel? Was kann der Rezipient im Voraus über „Engel“ wissen?
F 95: T Das geschilderte Aussehen des Engels entspricht ganz und gar dem Vorverständnis (Frame) des Rezipienten: – T Der erste Teil des Verses nimmt eine Beschreibung des himmlischen Wesens in Dan 10,6 auf. 107 Daher ist wohl auch hier bei der Gestalt (eijdeva) des Engels konkret an dessen Gesicht gedacht. Der Vergleich mit dem „Blitz“ (ajstraphv)108 ist ein Ausdruck für die enorme Helligkeit des Engels. E Auf die Vorstellung, dass himmlische Gestalten (wie die Sonne) leuchten, weist auch Mt 13,43 109; 17,2110. 103 HAGNER, Matthew II, 869; D AVIES/A LLISON, Matthew III, 665; F IEDLER, Matthäusevangelium, 424. 104 Vgl. NOLLAND, Matthew, 1247: „In each case he [Matthew] intends a place of prominence, reflecting significance.“ Diese Konnotation in Mt 28,2 lässt sich jedoch keinesfalls aus der bloßen Formulierung „sitzen auf“ ableiten. 105 LUZ, Matthäus IV, 402 Anm. 45 (mit Bezug auf die Auslegungsgeschichte). Ähnlich GNILKA, Matthäusevangelium II, 494: Der Engel „beginnt, jetzt eine neue Rolle zu übernehmen, die des Verkünders der Osterbotschaft.“ 106 DAVIES/A LLISON, Matthew III, 665; L UZ, Matthäus IV, 402 Anm. 42. Anders GNILKA, Matthäusevangelium II, 494 (der Engel erwartet das Kommen der Frauen). 107 Dan 10,6 LXX: to; provswpon aujtou` wJsei; o{rasi~ ajstraph`~. Auf diese Stelle verweisen u.a. HAGNER, Matthew II, 869; D AVIES/A LLISON, Matthew III, 666; LUZ, Matthäus IV, 403. 108 Die ajstraphv als Phänomen könnte für Mt ebenfalls göttliche oder eschatologische Konnotationen besitzen, vgl. die Schilderung der Parusie des Menschensohns (24,27; vgl. Lk 17,24). 109 Mt 13,43: „die Gerechten werden leuchten wie die Sonne in ihres Vaters Reich“. Vgl. der Hinweis von HAGNER, Matthew II, 869.
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4. Auswertung
– Die Kleidung des Engels war weiß wie Schnee. 111 T Das entspricht der üblichen Schilderung bei Engelerscheinungen: Engel werden typischerweise als weiß oder hell gekleidet angesehen. 112 T Darüber hinaus soll die genaue Formulierung wohl einen bestimmten alttestamentlichen Vers vergegenwärtigen (Dan 7,9 Theod.: to; e[nduma aujtou` wJsei; ciw;n leukovn; vgl. Dan 7,9 LXX e[cwn peribolh;n wJsei; ciovna). Wichtig ist auch der Kontext dieses Schriftbezugs: In Dan 7,9 wird eigentlich Gott beschrieben113; Dan 7,9–14 handelt davon, dass dem „Menschensohn“ von Gott universale Macht über alle Völker gegeben wird, eine Macht, die ewig ist (vgl. Mt 28,18–20). Insgesamt wird durch die starken Bezüge die Kontinuität zu traditionellen Vorstellungen deutlich; der Anklang an Dan 7,9 hat die Funktion eines indirekten Schriftbeweises. Im strahlenden Aussehen des Engels drückt sich aus, dass der Engel als Teil der himmlischen Welt und in der Kraft Gottes handelt,114 dass er gut und rein ist.115 An dieser Stelle können wir abbrechen. Für die Auslegung von V. 4–20 könnte man die angegebenen Kommentare nachschlagen, auf die auch hier Bezug genommen wurde. Wichtig ist für diese Arbeit besonders die methodische Auswertung. Fazit: In die Vers-für-Vers-Erklärung fließt ein, was in exegetischen Methodenlehren unter den Stichwörtern „Traditionsgeschichte“ 116, „Mo110 Auf den ersten Blick scheint das Aussehen des Engels an die mt Beschreibung des verklärten Jesus erinnern zu sollen (Mt 17,2: kai; e[lamyen to; provswpon aujtou` wJ~ oJ h{lio~, ta; de; iJmavtia aujtou` ejgevneto leuka; wJ~ to; fw`~). Vgl. NOLLAND, Matthew, 1247: „he [Mt] must have a connection in mind“. Vermutlich will sich Mt aber nicht direkt auf 17,2 beziehen (warum soll der Engel an Jesus bei der Verklärung erinnern?), sondern beide Formulierungen speisen sich aus derselben Tradition. 111 Mk 16,5 formuliert vergleichsweise nüchtern: ei\don neanivskon … peribeblhmevnon stolh;n leukhvn („mit einem langen weißen Gewand bekleidet“). Auch EvPetr 9,36 erwähnt nur einen „großen Lichtglanz“ der zwei Männer aus dem Himmel. 112 Belege bei D AVIES/A LLISON, Matthew III, 666 Anm. 26; vgl. außerdem K EENER, Matthew, 700f., der auch weiße Kleider bei Priestern, Gläubigen, Philosophen, Konvertiten u.a. beschreibt; s. auch H AGNER, Matthew II, 869 für allgemeine Fundstellen (Act 1,10; Apk 3,5; 4,4 u.a.). – Falls sich der Rezipient die Frauen schwarz gekleidet vorstellt (vgl. KEENER, Matthew, 701 Anm. 291 für schwarze Kleidung als Zeichen der Trauer), dann bildet der strahlende Engel einen Kontrast. 113 Vgl. der Hinweis von G UNDRY, Matthew, 587: „Daniel’s phrase appears in a description of the Ancient of Days“, was auch auf die Göttlichkeit Jesu weiterverweise. 114 Zu Letzterem NOLLAND, Matthew, 1248. 115 KEENER, Matthew, 701: „white could signify good and black evil“. Dass die Farbe „weiß“ außerdem für Reinheit stehen kann, vgl. dazu Jes 1,18; Apk 7,14. 116 STECK, Exegese, 126–149 („Traditionsgeschichte“); B ERGER, Exegese, 160–201 („Überlieferungskritik“, d.h. Traditions- und Religionsgeschichte; linguistisch 137–159); FENSKE, Arbeitsbuch, 30.91f. („semantische Analyse“) und 41–43.113–121 („Tradi-
4.2 Historisch-kritische Auslegung im Vergleich
471
tivgeschichte“117 oder „Religionsgeschichte“ 118 oder auch unter anderen Begriffen bekannt ist,119 aber sich alles auf denselben Aspekt bezieht: das eigentliche Verständnis des Textes, also die vorausgesetzten kognitiven Schemata und intendierten Schlussfolgerungen. Während die übrigen historisch-kritischen Methodenschritte – die Textkritik, Textgeschichte (Literarkritik, Überlieferungskritik, Redaktionsgeschichte) und die Beschreibung von Form und Gattung des Textes – jeweils recht eindeutig abzugrenzen sind, herrscht an dieser Stelle größerer Klärungsbedarf. Geprägte Traditionen und Motive sowie Realia erfassen noch nicht alles, was im intendierten Rezipienten an Vorstellungen entsteht. Hilfreich wäre eine interdisziplinäre Methode zur Bestimmung der Semantik von Ausdrücken im jeweiligen Kontext. Leider bleibt die linguistische Semantik noch zu sehr im Grundsätzlichen, als dass sie konkret sagt, wie man kognitive Schemata und Inferenzprozesse z.B. bei der Figurensynthese rekonstruiert.120 Wie die exemplarische Vers-für-Vers-Erklärung deutlich gemacht hat, kann die Narratologie Verstehensfragen zum Text auflisten, sie aber nicht selbst beantworten. 121 Eine Ausnahme sind die Ausführungen zur Bildung tionsgeschichte“), vgl. 122–140; NEUDORFER/SCHNABEL (Hgg.), Studium I, 231–244 („Traditionsgeschichte“), vgl. 155–230; K REUZER/VIEWEGER u.a., Proseminar I, 88–95 („Traditionskritik“, „Motivkritik“, „Traditionsgeschichte“); U TZSCHNEIDER/NITSCHE, Arbeitsbuch, 187–212 („Traditionskritik und -geschichte“); B ECKER, Exegese, 115–128 („Traditionsgeschichte“); EBNER/HEININGER, Exegese, 237–276 („Zeitgeschichte, Traditionskritik, Religionsgeschichte“). 117 SCHNELLE, Exegese, 134–138 („Begriffs- und Motivgeschichte“); S ÖDING, Wege, 173–190 („Motivanalyse“); S ÖDING/MÜNCH, Methodenlehre, 109–115 („Sachanalyse“, d.h. Realien) und 115–127 („Motivanalyse“). 118 BERGER, Exegese, 187–201; H AACKER, Wissenschaft, 68–73; SCHNELLE, Exegese, 139–148; L ÜHRMANN, Auslegung, 48–58. 119 R ICHTER, Exegese, 174–190 („der ,Inhalt‘“); A DAM/KAISER u.a., Einführung, 55– 65 („semantische Exegese“, „Sacherklärung“); FOHRER/HOFFMANN u.a., Exegese, 102– 119 („geprägte Bedeutungssyndrome“, vgl. „Einzelauslegung“, bes. 153–155; linguistisch 58–83); MEISER, Exegese, 67–83 („Einzelexegese“). Vgl. auch O SBORNE, Hermeneutical Spiral, 64–92 („Semantics“) und 127–147 („Historical & Cultural Backgrounds“); K LEIN/B LOMBERG/HUBBARD, Biblical Interpretation, 155–199 („word meanings“, Modell konzentrischer Kontexte); G UTHRIE/DUVALL, Biblical Greek Exegesis, 129–135 („Word and Concept Analysis“); B LACK/D OCKERY, Interpreting, 188–208 („Background Studies“). Vgl. auch vorbildliche Wortstudien in der exegetischen Praxis. 120 Vgl. nur SCHWARZ, Kognitive Linguistik, bes. 187 (Forschungsdesiderate). 121 An dieser Stelle bestehen ähnliche Verknüpfungen zur historisch-kritischen Methode wie bei der Rezeptionsästhetik, die auf die Enzyklopädie des Lesers und auf Leerstellen des Textes aufmerksam macht. Vgl. M AYORDOMO MARÍN, Anfang, 162: „In diesem Sinne kann eine rezeptionskritische Evangelienauslegung viele Einsichten der traditionellen Form-, Motiv-, Religions- und Redaktionsgeschichte zur Minderung der Kompetenzdifferenz zwischen modernen Leser/innen und Erst-Rezipierenden neu ver-
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4. Auswertung
des mentalen Modells von Figuren (Kap. 2.5.2), die allerdings mit historischen Skripts gefüllt werden müssen. Manche dieser Fragen werden in den Kommentaren tatsächlich aufgegriffen (in V. 1: SZ 2, SZ 5, F 94, SG 35, SG 37), andere nicht. Ich vermute, dass es mit der Narratologie möglich sein könnte, auch bisher übersehene Fragestellungen zu behandeln (vgl. Kap. 3.1.3 Nr. 1.b) und alle inhaltlichen Erklärungen zu einem Text nach Verstehensfragen geordnet zu sammeln. 122 Weil die Vers-für-Vers-Exegese in der „offiziellen“ historisch-kritischen Methode fehlt, soll knapp rekonstruiert werden, wie man methodisch zu einer solchen fortlaufenden Kommentierung des Textes gelangt. Es gibt in dem genannten Beispiel für einen Vers-für-Vers-Kommentar drei Arten von Erörterungen: 1) Klärung von Bedeutungen, 2) Klärung von konkreten Bezügen auf andere Texte, 3) Klärung von Schlussfolgerungsprozessen. 1) Klärung von Bedeutungen (Bezüge zu Vorstellungsinhalten): a) In manchen Fällen handelt es sich um ein vorrangig sprachliches Problem, das diskutiert wird, hier also ojye; de; sabbavt wn oder in V. 17 oiJ dev. In Methodenlehren wird nicht dargestellt, wie man mit diesem Problemtyp umgeht, obwohl dies in der Praxis ein wichtiges Element einer historischkritischen Auslegung ist. Die Beschreibung der historisch-kritischen Methode ist also unvollständig. Wie bei jeder Argumentation müssen sämtliche Lösungsvorschläge aufgelistet und jeweils Pro- und Kontra-Argumente aufgeführt werden. Die Kriterien für sprachliche Erörterungen sind sehr unterschiedlich: Bei ojye; de; sabbavt wn wird beispielsweise mit Fehlern beim Redigieren, seltenem Wortgebrauch, einem anderen traditionsgeschichtlichen Hintergrund oder ungenauer Ausdrucksweise argumentiert. Diese Kriterien wären weiter zu systematisieren. 123 b) Oft werden allgemeine Vorstellungshintergründe erläutert, d.h. es wird ein Frame oder Skript genannt, das beim intendierten Rezipienten durch die im Text erwähnte Entität oder Handlung direkt aufgerufen wird. Das entspricht der herkömmlichen Traditions- bzw. Religionsgeschichte. 124 Dieser Fall liegt hier vor bei V. 1 Abs. b (denkt der Rezipient bei miva sabbavt wn an den Anbruch des Reiches Gottes?), V. 1 Abs. c (ist ejpifwvskein konnotiert mit „Leben“ bzw. „Auferstehung“?), V. 1 Abs. d (denkt der Rezipient bei den zwei Auferstehungszeuginnen an Dtn 19,15?), V. 2 werten.“ S. ebd., 190: Die Rezeptionskritik „kann alte Fakten aus einer anderen Perspektive beleuchten, aber sie wird in der Regel keine neuen Fakten produzieren.“ 122 Diese Zusammenführung der Erklärungen wäre eher ein Fall für eine InternetDatenbank; ein zweiter Schritt ist es dann, daraus gekürzte Kommentierungen herzustellen, s. Kap. 2.8. 123 Vgl. z.B. die bekannten Kriterien bei der Textkritik, die in Kap. 2.2.2.2 genannten Fiktionssignale oder die Kriterien für den Wechsel von Erzählebenen in Kap. 3.2.1. 124 Dazu für die alttestamentliche Exegese K RÜGER, Überlegungen, der die Traditionsgeschichte neuerdings auch im Rahmen von kognitiven Frames und Skripts deutet.
4.2 Historisch-kritische Auslegung im Vergleich
473
Abs. a (das Erdbeben wird mit eschatologischen Geschehnissen und/oder Epiphanien assoziiert), V. 2 Abs. c (dass Engel „vom Himmel“ kommen, ist bekannt) usw. Dabei ist bei der Theoriebildung der historisch-kritischen Methode zu wenig im Blick, dass auch der Text selbst solche Vorstellungshintergründe schaffen oder sie verstärken kann; es wird nämlich für bestimmte Frames/Skripts häufig auf die mt Erzählung selbst verwiesen (hier V. 2 Abs. a zu Mt 24,7; 27,52f.; V. 2 Abs. c zu 24,31; V. 3 zu Mt 13,43; 17,2 usw.). Grundkriterien für einen bestimmten Vorstellungshintergrund sind Erinnerungsnähe und Parallelität. Daher kann man hinter einige genannte traditions- und religionsgeschichtlichen Verweisstellen ein Fragezeichen setzen. Einige Autoren wie Schlatter, Keener oder Davies/ Allison sammeln außerdem möglichst viele „Parallelstellen“, die ähnliche Ausdrücke oder Gedanken enthalten, z.B. Fundstellen in antiken Texten, wo Steine weggewälzt werden 125. Aus kognitiver Sicht trägt dies nicht zur eigentlichen Auslegung des Textes bei, weil man daraus kein Verstehensschema ableiten kann, das beim Rezipienten vorausgesetzt wird. c) Beschreibung von Realia: Eine Beschreibung oder Abbildung von Felsgräbern oder römischen Wachsoldaten bietet keiner der verwendeten Kommentare. 2) Klärung von konkreten Bezügen zu anderen Texten: Von allgemeinen Bezügen auf Vorstellungen sind konkrete Verweise auf bestimmte Texte zu unterscheiden. Hier soll der Rezipient an Inhalte denken, die an einer bestimmten anderen Stelle über die Entität oder Handlung ausgesagt wurden. Es gibt sowohl vergleichende als auch (identifizierende) anaphorische Bezüge, auf die in Kommentaren hingewiesen wird. a) Explizite Benennung von vergleichenden Bezügen: Heutige Rezipienten wissen sicherlich nicht mehr sofort, dass bei der Schilderung des Engels in Mt 28,3b wörtlich Dan 7,9 zitiert wird und damit auch der Kontext anklingt. Daher muss ein Kommentar diesen Frame ansprechen. Außerdem wird in Kommentaren bei 28,4 auf 27,54 aufmerksam gemacht, bei dem seivein der Wachen in V. 4 an den seismov~ in V. 2 usw. b) Benennung des Bezugs von identifizierenden anaphorischen Ausdrücken, vgl. V. 1 Abs. d: die „andere“ Maria; V. 2 Abs. b: der Engel, V. 2 Abs. d: der Stein. In Kommentaren bleibt manchmal unklar, ob mit der Angabe von Parallelstellen ein konkreter Bezug (hier Nr. 2) oder ein traditionsgeschichtlicher Hintergrund (vgl. Nr. 1) oder noch etwas anderes gemeint ist, vgl. die Verweise der Kommentare bei V. 2 Abs. a auf Mt 8,24; 21,10 (seismov~/ seivein stehen dort in anderem Zusammenhang), bei V. 3 auf 17,2 (Verklärung Jesu) oder die fragliche Deutung des ejkavqhto ejpavnw (V. 2 Abs. f) als 125
DAVIES/A LLISON, Matthew III, 665.
474
4. Auswertung
bedeutungsvoller Akt wie in Mt 21,7; 23,22.126 Auch intendierte Textbezüge können begründet werden, indem man die Erinnerungsnähe vergleicht und die Parallelität analysiert. 127 Außerdem muss man überlegen, wie dies die Wahrnehmung des vorliegenden Textes beeinflusst: Soll das Erkennen des Bezugs an sich schon ästhetische Emotionen auslösen? Welche Vorstellungsinhalte werden dadurch auf den vorliegenden Kontext übertragen? – Ein entsprechender Methodenschritt für die Ermittlung konkreter Textbezüge ist noch nicht Teil der historisch-kritischen Methode. 3) Klärung von intendierten Schlussfolgerungen (aufgrund von Bezügen zu Vorstellungsinhalten und Äußerungen): Die Exegese beschäftigt sich auch mit zusätzlichen Inferenzen, die der Rezipient aufgrund seiner Frames/Skripts vornimmt, also mit den „Leerstellen“ im engeren Sinn. Hierzu gehört die Behandlung der Fragen, wann die Auferstehung Jesu aus der Sicht des intendierten Rezipienten genau stattfand (V. 2 Abs. e), mit welcher Absicht die Frauen zum Grab gingen (V. 1 Abs. d) und wo sich die Frauen bei der Ankunft des Engels befinden (V. 1 Abs. g). Argumente kommen aus dem sprachlichen Bereich (an die Nennung der Frauen schließt sich kai; ijdouv in V. 2 an) und durch traditionsgeschichtliche Hinweise auf eine Vorstellung (Frame) oder eine typische Handlungsweise (Skript). Longstaffs Verweis auf den Brauch, ein Grab bis zum dritten Tag zu besuchen, bei Mt 28,1 ist also ein Hinweis auf ein kulturelles Skript. – Wie diese Rekonstruktion der Schlussfolgerungen genau vor sich geht, wird in der historisch-kritischen Methode, wie gesagt, noch nicht erörtert. Das Verhältnis von Vers-für-Vers-Erklärung, historisch-kritischer Methode und Narratologie ist also relativ komplex: – Die Vers-für-Vers-Erklärung umfasst mehrere Arten von Beobachtungen, die bisher nicht in einer historisch-kritischen Methodenlehre beschrieben worden sind (Argumentation bei sprachlichen Problemen; Methode der Ermittlung von Textbezügen; Inferenzziehung bei „Leerstellen“). Von den historisch-kritischen Methoden fließen die Religions-, Traditionsund Sozialgeschichte in den fortlaufenden Kommentar ein. – Die Narratologie kann ihrerseits einige Teilaspekte einbringen. Sie liefert zum einen den theoretischen Rahmen für die Vers-für-VersErklärung: Es geht hier um die Rekonstruktion der Wahrnehmung des intendierten Rezipienten für heutige Kommentarleser. Mit ihrer Hilfe können auch sämtliche analytischen Fragen des Rezipienten bezogen auf Setting, Handlung und Figuren zusammengestellt werden, die ein Kommentar beantworten kann. Doch die Antworten auf diese Fragen können nur zum Teil narratologisch ermittelt werden (Inferenzziehung bei „Leerstellen“, 126 Vgl. die Systematisierung von „Word-Study Fallacies“ bei C ARSON, Exegetical Fallacies, 27–64. 127 Vgl. auch die Kriterien zur Bestimmung von Bezügen bei H AYS, Echoes, 29–32.
4.2 Historisch-kritische Auslegung im Vergleich
475
besonders im Rahmen der Figurenanalyse); oft sind die Traditions-, Religions- oder Sozialgeschichte oder andere, bisher noch nicht explizierte Methoden gefragt. Weil ein fortlaufender Kommentar diese Textbeobachtungen oft selbst erzählerisch in eine Paraphrase einbettet, kann außerdem die neue Paraphrase narratologisch kontrolliert erstellt werden (vgl. 3.1.3). 4.2.5 Theologische Hauptgedanken Als letztes soll noch die theologische Zusammenfassung aufgegriffen werden, die in manchen Kommentaren 128 und auch in Methodenlehren129 den Abschluss der historisch-kritischen Auslegung bildet. Methodisch wird dieser Schritt (anders als Text-, Literar-, Redaktions-, Formkritik) bislang eher am Rande behandelt, auch wenn das Herausarbeiten der Theologie eines Bibeltextes eigentlich als ein Zielpunkt der Auslegung gilt. Weil dieser methodische Schritt nicht genau beschrieben ist, geht die theologische Zusammenfassung manchmal in eine bloße Paraphrase des Textes oder eine Predigtmeditation (die heute mögliche Anwendungen benennt) über. Exemplarisch will ich drei theologische Hauptgedanken besonders in Mt 28,1–4 in eigener Zusammenfassung nennen: 130 a) Die eschatologische Dimension der Auferstehung Jesu: Matthäus bezieht das von ihm in V. 2–4 erzählte Geschehen auf die Auferstehung Jesu, auch wenn er sie hier noch nicht explizit (vgl. V. 6) erwähnt. Die Art und Weise der Schilderung zeigt zugleich die matthäische Akzentuierung der Auferstehung. Matthäus zeichnet die Auferstehung deutlich in einen eschatologischen Rahmen ein, indem er an die Zeichen erinnert, die den Anbruch des Reiches Gottes in der letzten Zeit begleiten sollen. Mögliche eschatologische Elemente sind (neben der Auferstehung als solcher): das Erdbeben, das nach Matthäus auch der Wiederkunft Christi vorausgeht (Mt 24,7); das Auftreten des Engels, der vom Himmel kommt wie der Menschensohn (Mt 26,64; 24,30; vgl. 16,27f.) und der sich auf den Stein setzt (vgl. EvPetr 13,55), so wie Christus sich auf den Thron setzt (Mt 26,64); 128
Zu Mt 28 vgl. SAND, Matthäus, 583.592.597f.; G NILKA, Matthäusevangelium II, 495–497.500f.511f.; H AGNER, Matthew II, 874f.877f.889 („Explanation“); D AVIES/A LLI SON, Matthew III, 673.687–689 („Concluding Observations“); L UZ, Matthäus IV, 414– 416.426f.458f. („Zusammenfassung und heutiger Sinn“). 129 Vgl. nur MEURER, Einführung, 96f.; KREUZER/VIEWEGER u.a., Proseminar I, 106f.; MEISER, Exegese, 109f.; UTZSCHNEIDER/NITSCHE, Arbeitsbuch, 288; am ausführlichsten noch SÖDING, Wege, 269–272 (vgl. S ÖDING/MÜNCH, Methodenlehre, 145f.). Immer noch gültig ist die Bemerkung bei E RNST/L INDEMANN, Bibelexegese im Umbruch, 459, dass es kaum methodische Anleitungen gebe, wie man von der Einzelanalyse zur Gesamtinterpretation gelangt (Stuhlmacher zitierend). 130 Würde man auf Mt 28 insgesamt eingehen, müsste man natürlich auch die Fragen nach der Haltung des Mt zu Frauen, dem mt Heilsuniversalismus und Jüngerverständnis, der mt Christologie, Ekklesiologie und Ethik behandeln.
476
4. Auswertung
die Gestalt des Engels, die mit einem Blitz verglichen wird, nach Mt 24,27 ein Merkmal für das Kommen des Menschensohns; der wörtliche Bezug auf Dan 7,9, wo dem „Menschensohn“ alle Gewalt gegeben wird; dann das Erdbeben und die Auferstehung der Heiligen, die nach der Auferstehung Jesu ebenfalls aus den Gräbern kommen und in die Heilige Stadt gehen (Mt 27,52f.); außerdem die Auferstehung am Ende des siebten Tages (Mt 28,1).131 b) Beweisbarkeit oder Unerschließbarkeit der Auferstehung? 132 Einerseits zeigt Mt eine starke apologetische Tendenz und versucht sehr stark, die Evidenz der Auferstehung deutlich zu machen. Er betont die Angelophanie, die die Frauen direkt miterleben und die sich vor dem Grab abspielt, die Bewachung des Grabes und die Absurdität des Gerüchts vom Leichenraub. Auch der Auferstandene selbst begegnet den Frauen noch vor dem Grab. – Andererseits schildert er dennoch die Auferstehung Jesu nicht direkt. Sie muss durch den Engel auf dem Stein gedeutet werden. Erst das Petrusevangelium beschreibt sinnenfällig, wie der Auferstandene, die Himmel überragend, von zwei Männern gestützt aus dem Grab herauskommt (10,39f.). Interessanterweise kommen die römischen Soldaten am Kreuz zum Glauben, als sie das Erdbeben sehen (27,54); andere Soldaten bei der Auferstehung jedoch nicht (28,4.11–15). Die Kontrastierung ist sicher von Mt intendiert; darf man daraus vielleicht folgern, dass Mt für den Glauben der Jünger mehr auf den Gekreuzigten als auf den Auferstandenen verweisen wollte? Das würde auch zur matthäischen Redaktion von Mk 16,6 passen, wo Mt „den Gekreuzigten suchen“ eigens hervorhebt und für die urchristliche Bekenntnisrede transparent macht. Auch in Mt 28,17 ist der Auferstandene jedenfalls nicht eindeutig und ruft Zweifel hervor. c) Engel bei Matthäus: Im Vergleich mit dem MkEv spielen die Engel eine wichtige Rolle für Mt. 133 Er „kann“ daher gar nicht anders, als den verhüllenden markinischen Bericht des neanivskon im Grab (Mk 16,5) zu einer offenen Angelophanie auszubauen. Wie das Leben des irdischen Je131
Nach DAVIES/A LLISON, Matthew III, 673 präfiguriert der mt Jesus in seinem eigenen Leben das Ende der Welt: „When the Messiah enters into suffering and death and then is raised to new life amidst signs and wonders, he plays out in his own life the eschatological scenario. The end of Jesus is the end of the world in miniature.“ 132 Vgl. (wertend) G NILKA, Matthäusevangelium II, 494: „Obwohl Mt das leere Grab überbetont, bleibt das Kerygma unerläßlich. Das Verhältnis des leeren Grabes zum Kerygma ist das des beglaubigenden Zeichens. Sachlich geht das Kerygma dem leeren Grab voraus. Auch bei Mt ist diese Ordnung noch gewahrt, insofern er darauf verzichtete, die Auferstehung zu schildern.“ S. auch L UZ, Matthäus IV, 415f.; F IEDLER, Matthäusevangelium, 425. 133 Mt 1,20.24; 2,13.19 (nur hier viermal a[ggelo~ kurivou wie 28,2); 4,6.11(par Mk); 11,10; 13,39.41.49; 16,27; 18,10; 22,30; 24,31.36; 25,31.41; 26,53; 28,2.5; bei Mk dagegen nur sechs Belege.
4.3 Integration der Erzählanalyse
477
sus von einem Engel im Traum angekündigt wird (1,20), so wird auch Jesu neue Existenz als der Auferstandene durch einen Engel Gottes, diesmal vor aller Augen, eingeleitet (28,2). Fazit: Eine theologische Zusammenfassung ist sehr lohnenswert und könnte auch die Brücke zur Biblischen und Systematischen Theologie schlagen. Auch wenn die theoretische Reflexion darüber erst ansatzweise in exegetischen Methodenlehren vorhanden ist, existiert die Frage nach theologischen Hauptgedanken wenigstens in der Auslegungspraxis und soll daher an dieser Stelle zur historisch-kritischen Methode gerechnet werden. Die theologische Auswertung entspricht in der Narratologie der Beschreibung des Erzählerstandpunkts (und hier speziell den Überzeugungen des Erzählers, vgl. 2.6.5; 3.6.5). Wie bei der historisch-kritischen Methode steht eine methodische Ausformulierung hier ebenfalls noch ganz am Anfang.
4.3 Integration der Erzählanalyse in die Methoden der Exegese In Kap. 4.2 wurde die historisch-kritische Auslegung von Mt 28 im Vergleich vorgestellt. Durch die Orientierung an der Auslegungspraxis zeigte sich, dass auch manche Methodenschritte der historisch-kritischen Methode überdacht und ergänzt werden müssen. Unter Berücksichtigung dieser Ergebnisse soll nun eine „Methodensynopse“ erstellt und der Versuch unternommen werden, die „alte“ Auslegung und die „neue“ narratologische Methode miteinander zu verknüpfen. Die Arbeit mündet in den Vorschlag für eine integrative Methodenfolge in textwissenschaftlichen Methodenlehren. 4.3.1 Historisch-kritische und narratologische Methode im Vergleich In einer Methodensynopse können die erarbeiteten Methodenschritte der Narratologie (Kap. 2) und die erörterten Teilmethoden der historisch-kritischen Auslegung (4.2) nun einander gegenübergestellt werden (Tab. 70):
478
4. Auswertung
Tab. 70: Vergleich von historisch-kritischer und narratologischer Methode historisch-kritische Methode
narratologische Methode (gattungsspezifisch)
A) Textbestimmung (niedere Kritik) – Textkritik (4.2.1) (– Übersetzung) B) Textgeschichte (höhere Kritik) – Literarkritik (schriftliche Quellen) (4.2.3) – Überlieferungskritik (mündliche Quellen) – Redaktionsgeschichte (Umgang des Autors mit den Quellen) (4.2.3) C) Textinterpretation (Ziel: die intendierte Textwahrnehmung beschreiben, d.h. das vorausgesetzte Vorwissen und angenommene Inferenzen rekonstruieren) 1) Intendierte Wahrnehmung der Erzählung insgesamt – Erzählebenen (2.2.1) – Fiktionalität/Faktualität (2.2.2) – synthetische Formkritik (4.2.2)134 – alle Erzähler/Erzählsituationen (– Historischer Ort: Verfasser und – primäre(r) Erzähler/Erzählsituation Adressaten) (2.6.4, 2.6.5; 3.6.4, 3.6.5.2) 2) Intendierte Wahrnehmung einzelner Ausdrücke Kategorien (3.3.1, 3.4.1, 3.5.2; s. Kap. 2) Methoden (4.2.4) – Vorstellung des Settings (räumlich, – Klärung sprachlicher Probleme zeitlich, soziokulturell) (3.3.1) – Traditions-/Religions-/Motivge– Vorstellung der Handlung (3.4.1) schichte135 – Realia, Sozialgeschichte – Vorstellung von Figuren (Figuren– Wahrnehmung von Bezügen merkmale) (2.5.2, 3.5.2) (– weiterführend: Linguistik) 3) Intendierte Wahrnehmung der Zusammenhänge – Umweltkonstellation (2.3.2) – Umwelt und Handlung (2.3.3) – Handlungsverläufe (2.4.5) – Konflikte (2.4.5) (Beschreibung – Vergleich von Figuren (2.5.2.3) der Auslegungs– Figurenkonstellation (2.5.3) geschichte umfasst – Hauptfigur/Nebenfigur, Handlungsrollen insgesamt Nr. 2–5) (2.5.4)
134 135
D.h. die Rekonstruktion der Wahrnehmung von Form und Gattung. Ziel der Methoden ist, den Inhalt einer Vorstellung in diesem Kontext zu ermitteln.
4.3 Integration der Erzählanalyse
479
historisch-kritische Methode
narratologische Methode (gattungsspezifisch) 4) Intendierte Wahrnehmung des Erzählerstandpunkts (primärer) Erzählerstandpunkt (2.6.5) – Einstellungen – „Theologie“ der Erzählung – Überzeugungen 5) Intendierte Wahrnehmung der Gegenwartsbezüge (– Historischer Ort) Anwendungen (2.7.6) D) Erzähltechnik/Rhetorik (zum Erreichen der Erzählintention) – allgemein: fiktionale Konzeption (2.2.2.3) – Umweltdarstellung (2.3.4), Umweltrezeption (2.3.5), Umweltkonzeption (2.3.6) – Wichtigkeit der Handlungselemente (2.4.2), Handlungsdarstellung (zeitliche Aspekte) (2.4.3), Handlungsstränge (2.4.6) – analytische Formkritik (4.2.2) – Handlungsstrukturen (2.4.4) (– zur Analyse der Textkohärenz vgl. die Textlinguistik) – Anfang und Schluss der Erzählung (2.4.7) – Figurenbestand und Figurenkonfiguration (2.5.1), Figurendarstellung (2.5.5), Figurenkonzeption (2.5.6) – Beteiligung (2.6.1) – Distanz (2.6.2) – Wahrnehmungszentrum, Innensicht (2.6.3) (– rhetorische/stilistische Mittel) E) Erzählintention/kommunikative Intention bezogen auf: (Beschreibung – Empathie (2.7.1), Sympathie (2.7.2), der WirkungsRealitätseffekt (2.7.3), Spannung (2.7.4), geschichte) Rezeptionsemotionen (2.7.5) „Intention des Textes“ – Meinungs- und Verhaltensänderungen (2.7.7)
Textbestimmung (A) und Textgeschichte (B) lassen sich gut von den übrigen Methodenschritten abgrenzen. Falls der intendierte Rezipient einige verarbeitete Quellen kennt, ist die Redaktionsgeschichte auch für die Textinterpretation (hier: C.2 Wahrnehmung von externen Bezügen) relevant. Ein erster großer Block an Methoden (C) kann der eigentlichen Rekonstruktion des intendierten Textverstehens zugerechnet werden. Hier ist es
480
4. Auswertung
sinnvoll, zwischen fünf Teilbereichen zu unterscheiden, die jeweils ein eigenes Gepräge haben, aber trotzdem miteinander verknüpft sind. Der erste Bereich ist die Rezeption der Erzählung insgesamt: Hier geht es darum, welche Erzählebenen der intendierte Rezipient erkennt, ob er sie jeweils als fiktional oder faktual bestimmt, welcher Gattung er die Erzählung oder Erzählabschnitte zuordnen soll, wie er die Erzähler und Erzählsituationen der narrativen Ebenen und besonders natürlich den primären Erzähler (Autor) und dessen Erzählsituation wahrnimmt. Die historische Frage nach der Kommunikationssituation, nach Verfasser und Adressaten, muss also durch die Frage ergänzt werden, welche dieser Informationen für den intendierten Rezipienten zugänglich und relevant sind. Erst dann gelangt man auf die Ebene der Textinterpretation. Der zweite Bereich betrifft die intendierte Wahrnehmung einzelner Ausdrücke und Entitäten. Wie bereits erwähnt, kann die Narratologie hier nur Kategorien zur Verfügung stellen und den theoretischen Rahmen liefern. Denn die konkrete Wahrnehmung von Setting, Handlung und Figuren geschieht mit Hilfe von historisch-kulturellen Verstehensschemata, die von der historisch-kritischen Methode rekonstruiert werden können (vgl. 4.2.4 für weiterführende Überlegungen). Ein weiterer Teilbereich sind die verschiedenen Zusammenhänge zwischen Figuren, Setting und Ereignissen, also die Strukturierung der wahrgenommenen, erzählten Welt. Die historisch-kritische Auslegung macht bislang eher vereinzelt auf vergleichbare Figuren aufmerksam, kann dies aber nicht in ihre Methodenschritte integrieren. Wahrscheinlich eine eigene Kategorie ist dann der Erzählerstandpunkt, also das, was der Rezipient an Einstellungen und Überzeugungen des Erzählers wahrnimmt. Die „Theologie“ der Erzählung (2.6.5, 3.6.5.1, 4.2.5) hat seine Entsprechung in den (alethischen) Überzeugungen des Erzählers, figurenbezogene Loci wie Christologie, Gotteslehre, Pneumatologie auch in der intendierten Figurenwahrnehmung. Insgesamt ist die Analyse des Erzählerstandpunkts umfassender als die bisherige Konzentration auf bestimmte theologische Aussagen. Der letzte Teilbereich ist das beabsichtigte Erkennen von Gegenwartsbezügen. Hier ergänzen sich beide Methoden. Für den allgemeinen Methodenschritt kann zunächst auf die (in dieser Arbeit dargestellte) Narratologie zurückgegriffen werden. Die vom Autor imaginierte Situation des Rezipienten wird jedoch oft durch zusätzliche historische Informationen erhellt (z.B. bei der Identifizierung von „Gegnern“). Der nächste Block an Methoden (D) fragt danach, mit welchen Mitteln etwas dargestellt ist. Narratologisch entspricht dies der Dimension des discourse (vgl. 2.2.3); man kann auch von Erzähltechnik oder Rhetorik sprechen. Weil die erzähltechnischen Mittel einen starken Einfluss auf die
4.3 Integration der Erzählanalyse
481
kommunikative Intention haben, ist es sinnvoll, diese Meta-Ebene auf die Erzählung erst nach der Rekonstruktion des Textverstehens zu betrachten und vor die Wirkungsanalyse (E) zu setzen. Fast alle Methoden in diesem Methodenblock werden von der Narratologie eingebracht. Wie in Kap. 2.4.4 und 4.2.2 beschrieben, ergibt sich hier nur eine einzige Überschneidung, nämlich zwischen der narratologischen Benennung von Handlungsstrukturen und der analytischen Formkritik. Beide Methoden sind so ähnlich, dass man sich nicht zwischen einer von beiden entscheiden muss. Die letzte Kategorie an Methoden untersucht die intendierten Wirkungen auf den Rezipienten, die über die kognitive Wahrnehmung hinausgehen. Von historisch-kritischer Seite spricht man auch von der Intention des Autors bzw. Intention des Textes, kann dafür aber keine Methode anbieten. Die Narratologie kann diese intendierten Wirkungen dagegen sehr genau aufschlüsseln und sie mit ihrer Rekonstruktion der Wahrnehmung der erzählten Welt und ihrer Analyse der Erzähltechniken begründen. Das ist gegenüber bisherigen exegetischen Methoden ein großer Gewinn. Zusammenfassend kann man sagen, dass die historisch-kritische Methode und die Narratologie an manchen Punkten integrierbar, an anderen Stellen wenigstens vereinbar sind: Teilweise haben die Teilmethoden unterschiedliche, aber nicht einander ausschließende Ziele – einige historisch-kritischen Methoden sind auf die Textbestimmung und Textgeschichte ausgerichtet, einige narratologische Methoden auf die Rekonstruktion der erzählten Welt, auf die verwendete Erzähltechnik und die Erzählintention (Vereinbarkeit). Dort, wo historisch-kritische Methoden und Narratologie dagegen jeweils dasselbe Erkenntnisziel verfolgen (in Tab. 70 durch einen vermittelnden Pfeil ausgedrückt), können sie – auf der theoretischen Grundlage der kognitiven Narratologie – ineinander integriert werden. 4.3.2 Integrative Übersicht über die exegetischen Methoden Jetzt ist es möglich, die beiden Methoden zusammenzuführen und sie in einen allgemeineren Kontext einzuordnen. Die Exegese beschäftigt sich bekanntlich nicht nur mit Textauslegung, sondern auch mit geschichtlichen Fragen und mit theologischen Themen über den Einzeltext hinaus (s. Kap. 1.2 zur historischen, literarischen und theologischen Dimension des Bibeltextes). Außerdem sind die Paraphrasierung von Texten (z.B. beim Schreiben einer Bibelkommentars) und die Textbewertung (z.B. bei theologischer Kritik) häufige Tätigkeiten innerhalb der Bibelwissenschaft, die zu wenig in die methodische Selbstreflexion einbezogen werden, wie die Beobachtungen aus 3.1.3 gezeigt haben. Es ergeben sich daher zehn Bereiche der Exegese, deren jeweilige Methoden in einen Methodenkanon aufgenommen werden können. Zum Teil sind diese Arbeitsschritte schon ausdrücklich formuliert worden, teilweise noch nicht (Tab. 71).
482
4. Auswertung
Tab. 71: Methoden der Exegese (Gesamtübersicht) Kategorie Grundfrage Interesse an der Geschichte 1) Geschichte Was ist wirklich geschehen?
Methode
Interesse am Text (allgemein: an einem kulturellen Artefakt) 2) Textbestimmung Welcher Text soll ausgelegt werden?
philologische Methode(n) textbestimmende Methode
historische Methode
→ Textkritik, ggf. Literarkritik
3) Textgeschichte
Wie ist der Text entstanden?
texthistorische Methode
→ Literarkritik, Überlieferungskritik, Redaktionsgeschichte
4) Texterklärung/ Textauslegung
Was muss man wissen, um einen Text Interpretationsmethode wie der intendierte Rezipient zu verstehen? a) Allgemeines zur Erzählung → Entstehungskontext, Erzählebenen
b) Einzelerklärungen → Realia, Traditionsgeschichte, Figuren- und Handlungsvorstellungen
c) Die erzählte Welt (story) → Umweltkonstellationen, Handlungsverläufe, Figurenkonstellationen u.a.
d) Der Standpunkt des Autors → Einstellungen und Überzeugungen
e) Gegenwartsbezüge → direkte und indirekte Anwendungen
5) Textgestaltung/ Textstruktur 6) Textwirkung
7) Textbewertung
Wie ist ein Text gestaltet? → Erzähltechnik (discourse), Rhetorik
Welche Wirkung soll der Text erzielen? Welche Wirkung hat der Text empirisch? → Rezeptionsanalyse Inwiefern ist der Text gut oder schlecht?
darstellungsanalytische Methode rezeptionsanalytische Methode Evaluationsmethode
→ historische, ästhetische und theologische Kritik, ideologiekritische Ansätze
8) Textdarstellung
Erstellung eines neuen Textes
Darstellungsmethode
→ Synthese der analytischen Schritte
Interesse an Themen/kognitiven Konzepten 9) ThemenWie hat sich die mit einem Begriff/ geschichte Thema verbundene Vorstellungswelt verändert? 10) Thema Welches kognitive Konzept eines bestimmten Themenfeldes vertritt der Autor? (z.B. „Erwählung“)
thematische Methode(n) themengeschichtliche Methode thematische Methode
4.3 Integration der Erzählanalyse
483
Mein Vorschlag ist, die exegetischen Methoden grundsätzlich in historische Methoden, philologische Methoden und thematische Methoden zu unterteilen, je nach Grundausrichtung der jeweiligen Haupt-Arbeitsschritte. Das entspricht den „Dimensionen“ des Bibeltextes und ebenso den exegetischen Arbeitsschwerpunkten. Unbestreitbar hängen die Methoden miteinander zusammen: Ein Text kann zusammen mit anderen Arten von Zeugnissen als Quelle für eine historische Frage dienen, und für die Textauslegung ist umgekehrt der historische Hintergrund wichtig. Genauso kann man ein biblisch-theologisches Thema nicht ohne genaue Auslegung der relevanten Passagen erarbeiten. Dennoch unterscheiden sich die HauptMethodenschritte; die jeweils anderen Methoden sind hier im Einzelfall als Teilschritte („bedingte Submethoden“) eingebettet. Mit dem allgemeineren Begriff der „philologischen Methode(n)“ soll die Notwendigkeit ausgedrückt werden, die verwendeten Methoden der Textanalyse in einen größeren, interdisziplinären Zusammenhang zu stellen. Eine Integration der Narratologie ist nur ein Schritt auf diesem Weg. Die Bezeichnung „historisch-kritische Methode“ ist weitgehend auf die Exegese beschränkt136 und begrifflich unscharf, denn „historisch“ und „kritisch“ sind viele Arten von kulturwissenschaftlichen Methoden. Die philologische Methode enthält die aus Kap. 4.3.1 bekannten Bereiche Textbestimmung, Textgeschichte, Texterklärung, Textgestaltung und Textwirkung (Nr. 2–6). Dazu ist nicht mehr viel zu sagen. Die Texterklärung entspricht aus linguistischer Sicht der „Semantik“, die Textgestaltung der „Syntax“ (im weitesten Sinn) und die Textwirkung der „Pragmatik“. Die Untersuchung der Textgestaltung enthält die discourse-Aspekte der Narratologie (vgl. 2.2.3), die Texterklärung den Untersuchungsaspekt der story. Die Grundgliederung ist gattungsübergreifend. Allerdings sind bei 4a–e im Fall von Erzählungen die konkreten Methoden der Narratologie einzusetzen, bei Reden und Briefen dagegen andere. Auf die hier zusätzlich eingefügten Methodenschritte „Geschichte“, „Textbewertung“, „Textdarstellung“, „Themengeschichte“ und „Thema“ soll noch etwas genauer eingegangen werden. a) „Geschichte“ als Ziel der historischen Methode: Hier geht es darum, vergangene Ereignisse und Zustände (soziale Strukturen, Lokalitäten, Merkmale u.a.) rekonstruierend zu beschreiben. Obwohl die exegetische Praxis auch das historische Arbeiten umfasst, begegnet die Darstellung und 136
In der Geschichtswissenschaft spricht man eher von der „historischen Methode“; in der Editionswissenschaft gibt es Regeln zum Erstellen von „historisch-kritischen (Werk-) Ausgaben“, die einen Schwerpunkt auf die Textkritik und die Darstellungsweise legen. Nach meiner Beobachtung erscheint der Terminus „historisch-kritische Methode“ in Nachbardisziplinen nur dann, wenn die Verflechtung mit der Theologie sehr eng ist, z.B. teilweise in der Religionswissenschaft.
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4. Auswertung
Reflexion der historischen Forschungsmethode(n) über die Textgeschichte hinaus bisher eher selten in exegetischen Methodenlehren. 137 Hier könnte man sich konkret auf die Methoden des historischen Urteilens konzentrieren,138 von denen die Kriterien der historischen Jesusforschung nur ein Spezialfall sind. b) Die Textbewertung: Die Methode der Bewertung von kulturellen Artefakten kann man evaluative Methode nennen. Während andere Wissenschaften ausgehend von der Praxis der Literatur-, Theater- und Filmkritik bereits ausführliche Bewertungsmethoden entwickelt haben, 139 sind diese in der Exegese noch weitgehend unbekannt. Das heißt nicht, dass die Bibel in der Theologie nicht Gegenstand von Bewertungen wäre, denn zwischen den Zeilen oder auch ganz offen kommt immer wieder Wertschätzung von bzw. Kritik an biblischen Texten zum Ausdruck. 140 Für Rezensionen wissenschaftlicher Arbeiten wird in der Exegese ebenfalls (implizit) eine Methode der Textbewertung verwendet. Außerdem gehören das ideologiekritische Anliegen der feministischen, befreiungstheologischen und postkolonialen Exegese in diese Kategorie. 141 Die Methode der Textevaluation besteht aus drei Teilaspekten: – die ästhetische Bewertung (schön – hässlich): Diese Form von Bewertung bezieht sich auf die literarische Qualität des Textes, wenn eine poetische Absicht vorhanden ist. Der Text ist zunächst an ähnlichen Werken derselben Zeit zu messen und erst in einem zweiten Schritt interkulturell und überzeitlich. Bei Erzählungen gibt die Narratologie zahlreiche Analysewerkzeuge für die ästhetische Bewertung zur Hand. Man kann z.B. die
137
EGGER, Methodenlehre, 195–203; SÖDING, Wege, 275–294; vgl. S ÖDING/MÜNCH, Methodenlehre, 147–155. 138 Vgl. z.B. MARKSCHIES, Kirchengeschichte, 102–132. 139 Vgl. nur WINKO, Wertungen; VON HEYDEBRAND/WINKO, Wertung; WINKO, Literarische Wertung; W ORTHMANN, Literarische Wertungen; W INKO, Textbewertung. Diese Methoden müssten noch mit der philosophisch geprägten Medienethik verknüpft werden. 140 Auch die Textbewertung ist ein (unsystematischer) Teil klassischer Kommentare. Nur einige Beispiele zu Mt 28: Luz übt zum einen theologische Kritik, dass Mt die Auferstehung durch die Einfügung der Wächter quasi objektiv und beweisbar machen wolle: „… Verständnis des Handelns Gottes am Menschen, das so eindeutig und unabweisbar ist, daß für eine Möglichkeit, darauf mit Unglauben zu reagieren, kein Raum mehr bleibt. So gewinnt zum Schluß die Auferstehung Jesu … eine Evidenz, welche die Unverfügbarkeit des Handelns Gottes zu zerstören droht“ (L UZ, Matthäus IV, 427). An anderer Stelle kritisiert er auch die Erzähltechnik, dass Mt bei seiner Schilderung des Plans der Hohenpriester (Mt 28,13f.) „ziemlich dick aufträgt“ (422). Ein positives Votum zu Mt 28,16–20 findet man bei FRANKEMÖLLE, Heilige Schrift, 291: „Matthäus hat – auch gemäß antiker Regeln – seine Schlußperikope besonders sorgfältig gestaltet und zu einem raffinierten ‚Meisterstück‘ der Formulierung und des Inhalts gemacht.“ 141 Vgl. S. 261 Anm. 46.
4.3 Integration der Erzählanalyse
485
Schlüssigkeit der Handlung für den Rezipienten, die Figurenkonzeption, den Spannungsverlauf oder die Emotionalität des Textes beurteilen. – die ideologische Bewertung (gut – böse): Hier geht es zum einen um die inhaltlichen Standpunkte, die in der Erzählung vertreten werden, besonders um den Standpunkt des primären Erzählers 142. Davon muss unterschieden werden, was der Autor beim Rezipienten bewirken will (Intention) und was zu verschiedenen Zeiten tatsächlich an Emotionen und Einstellungsänderungen ausgelöst wird (Wirkung). Feministische und theologische Kritik ist hier einzuordnen. – die historische Bewertung (wahr – falsch): An dieser Stelle wird die historische Qualität des Textes erfasst. Anders als bei der Frage nach der Geschichte steht hier weiterhin der Text im Mittelpunkt; im Gegensatz zur Wahrnehmung von Fiktionalität/Faktualität (vgl. 2.2.2) geht es hier um die tatsächliche Historizität des im Text erzählten Geschehens. Diese Art von Bewertung setzt voraus, dass auch eine Historizitätsabsicht vorhanden ist. c) Die Textdarstellung: Exegese ist immer mit eigener Textproduktion verbunden und meistens in Form von Metatextualität 143 auf den Prätext (die Bibel) bezogen. In dieser Methodenkategorie sollte also beispielsweise reflektiert werden, wie der eigene Kommentartext entsteht (Kap. 3.1.3): Was möchte man den heutigen Rezipienten vermitteln; welche Aspekte des Textes sollen hervorgehoben werden; was sollen die Rezipienten wissen, vielleicht sogar fühlen und tun? Die eigene Textdarstellung greift auf alle vorherigen Methoden, auch die Textbewertung, zurück. 144 Außerdem kann 142
Vgl. zum Umgang des Exegeten mit dem „Reden des Textes von Gott“ auch FOHRER/HOFFMANN u.a., Exegese, 161–179; die theologische Theoriebildung spricht auch von „Sachkritik“ (vgl. B ORMANN/PETZOLDT, Art. Sache/Sachkritik), doch wurde diese nicht methodisch ausformuliert. 143 GENETTE, Palimpseste, 13. 144 Die Interpretationsethik hat daher mehrere Komponenten, textbezogene und hörerbezogene. Vgl. zu diesem immer noch vernachlässigten Thema S CHÜSSLER FIORENZA, Ethics; FOWL, Ethics; BOTHA, Ethics; CLINES, Metacommentating Amos; N IELSEN, Verantwortlicher Umgang, 48–50; P ATTE, Ethics; ADAM, Twisting to Destruction; SCHÜSSLER FIORENZA, Rhetorical Half-Turn; CRAFFERT, Reading and Divine Sanction; P ATTE , Ethical Questions; DEIST, Inside a Commentary (jede Bibelauslegung vertrete eine ideologische Perspektive und muss darüber reflektieren); M AYORDOMO MARÍN, Anfang, 390– 392; FUCHS, Kriterien gegen den Mißbrauch der Bibel; P UNT, New Testament Interpretation, 128–145; SUNDBERG, Social Effect; SCHÜSSLER FIORENZA, Unterscheidung der Geister; CONRADIE/JONKER, Determining Relative Adequacy, 452–454 (sieben Kriterien); SCHERB, Philosophisch-theologische Hermeneutik (sieben Interpretationsmaximen); GORMAN, Commenting on Commentary; A LKIER, Ethik der Interpretation; A LKIER, Fremdes Verstehen; A LKIER, Neutestamentliche Wissenschaft, 352–354; S CHÜSSLER F IORENZA, Wissenschaftsrhetorik (Forderung, die Interpretationsethik als eigenes Forschungsfeld aufzubauen, mit einem Konzept 294f.); T HEISSEN, Exegese und Wahrheit; RÄISÄNEN, Matthäus und die Hölle; R EINMUTH, Kanon. Vgl. außerdem Forschungen zur Ideologiekritik, die sich sowohl auf den Text (s.o.) als auch auf die Interpretation des
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4. Auswertung
mit dieser Methode historisch oder empirisch untersucht werden, wie ein Text in Rezensionen, Midraschim, Apokryphen, modernen Bearbeitungen und anderen Medien neu dargestellt wird, indem man die erzählte Welt, Erzähltechnik und Erzählwirkung miteinander vergleicht. d) Die Themengeschichte: Diese Methode befasst sich nicht vorrangig mit der Auslegung eines bestimmten Textes, sondern mit der Untersuchung der historischen Entwicklung eines Begriffs oder einer Tradition. 145 Es gibt zwei Unterformen, die miteinander zusammenhängen: – Orientierung am Begriff: Wie hat sich die mit einem Begriff verbundene Vorstellungswelt verändert? (Semasiologie; vgl. Begriffsgeschichte) – Orientierung an der Vorstellung: Wie hat sich die begriffliche Erfassung eines Themenbereichs verändert? (Onomasiologie; vgl. die Stoff- und Motivgeschichte in der Literaturwissenschaft und die Thematologie in der Komparatistik) Was hier mit „Themengeschichte“ bezeichnet ist, entspricht also der Traditionsgeschichte in der klassischen historisch-kritischen Methode, wo sie oft im Rahmen der Textinterpretation behandelt wird. Da es jedoch einen Konflikt gibt zwischen der umfassenden Behandlung einer Vorstellung und der Frage nach der konkreten Bedeutung in einem vorliegenden Text, sollte man die Traditions-/Themengeschichte einem eigenen Interessenbereich neben der Textauslegung zuordnen, auf dessen Ergebnisse die Interpretation dann von Fall zu Fall zurückgreift. Ein methodischer Austausch mit Linguistik, Literaturwissenschaft und Komparatistik wäre auch hier wünschenswert. e) Die Erarbeitung eines Themas: Ein letztes großes Tätigkeitsfeld der Exegese sind Studien zu bestimmten theologischen Themen, die mehrere Texte (desselben Autors) bezogen auf eine inhaltliche Fragestellung untersuchen. Methodisch und inhaltlich ist die Exegese hier der Systematischen Theologie am nächsten. Man analysiert also ein gedankliches Konzept aus einem Textkorpus, z.B. die Christologie in Mt 28, Erwählung bei Paulus, der Fremde im Alten Testament oder auch Glaube und Liebe bei Thomas Textes beziehen können (einführend S ALS/SCHOLZ u.a., Art. Ideologie/Ideologiekritik). Für Ideologie in der Predigt vgl. M EINHARD, Ideologie, 208–303; philosophisch S CHÖNHERR-MANN, Hermeneutik als Ethik (darin bes. R IEDEL, Norm; A BEL, Interpretationsethik; SCHÖNHERR-MANN, Ethik des Verstehens); literaturwissenschaftlich B OOTH, Company (vgl. auch S. 225 Anm. 834 und S. 260f. Anm. 43–45). 145 Vgl., aus jeweils unterschiedlicher Perspektive, B LANK, Prinzipien; FRITZ, Historische Semantik; KELLER/K IRSCHBAUM, Bedeutungswandel; GRZEGA, Bezeichnungswandel; GUMBRECHT, Begriffsgeschichte; C ORBINEAU -HOFFMANN, Komparatistik, 121–136; JANNIDIS, Art. Begriffsgeschichte; L UBKOLL, Art. Stoff- und Motivgeschichte/Thematologie; WERLEN, Stoff- und Motivanalyse; L UBKOLL, Thematologie; vgl. jetzt aus der Sicht des cognitive turn SCARINZI , Das literarische Thema; SCARINZI , Thematics. Als ein exegetisches Beispiel vgl. nur FREY-ANTHES, Unheilsmächte.
4.4 Ausblick
487
von Aquin. Trotz der vielen differenzierten Studien in der Praxis hat man eine entsprechende theologisch-thematische Methode noch nicht in den Methodenkanon integriert. Notwendig sind Reflexionen darüber, wie man über Arbeitsschritte herausfinden und beschreiben kann, welches mentale Modell ein Autor von einem bestimmten Themenfeld besitzt. Gerade für die Erarbeitung einer Theologie des Neuen Testaments sind solche methodischen Fragen besonders relevant. 146 Insgesamt ist deutlich geworden, dass auch eine bloße Zusammenführung von historisch-kritischer Methode und Narratologie die bibelwissenschaftliche Praxis noch nicht annähernd beschreibt. Mit diesem Überblick über exegetische Arbeitsschritte, wie sie tatsächlich vorkommen, sollte eine mögliche textwissenschaftliche Methodenlehre wenigstens knapp umrissen werden.
4.4 Ausblick Die Narratologie als Wissenschaft von der Erzählung ist eine relativ junge Querschnittsdisziplin, die sich seit einigen Jahren mit hoher Geschwindigkeit weiterentwickelt. Ein wichtiger Impuls dazu war die kognitive Wende, also die Abkehr vom „textimmanenten“ Strukturalismus und die Neuausrichtung auf die Wahrnehmung von Rezipienten, ihre kognitiven Schemata und Inferenzprozesse. Daraus ergeben sich zahlreiche methodische Innovationen für die Auslegung von Erzählungen, die in dieser Arbeit zusammengefasst, vertieft und erstmals in einen zusammenhängenden Entwurf überführt werden. Die Exegese von Matthäus 28 wird vor allem um die Möglichkeit zur genaueren Rekonstruktion der erzählten Welt, um Analysekriterien zur Erzähltechnik und um die detaillierte Untersuchung der intendierten Erzählwirkung bereichert. Weil biblische Texte zu einem großen Teil Erzähltexte sind, sollte sich auch die Exegese mit narratologischen Methoden auseinandersetzen und sich selbst am interdisziplinären Gespräch beteiligen (vgl. 4.1 Ergebnisse). Wichtig ist auch, dass sich dieser kognitive narratologische Entwurf mit der historisch-kritischen Methode zusammendenken lässt. Die interpretativen Anteilen der historisch-kritischen Methode werden in einen kognitiven Deutungsrahmen eingeordnet. Außerdem können verschiedene neuere Ansätze u.a. aus dem Bereich der Rezeptionsästhetik, Semiotik und Pragmatik in die Narratologie integriert werden – dadurch wird der Methodenpluralismus, das unverbundene Nebeneinander von „Zugängen“ (vgl. Kap. 1), deutlich reduziert. 146
S. einführend FREY, Problem.
488
4. Auswertung
An vielen Stellen dieser Arbeit wurde schon auf Forschungsdesiderate hingewiesen. Zum einen ist es notwendig, die einzelnen Teilmethoden der Narratologie weiter zu erproben und zu präzisieren. Außerdem muss der Zusammenhang von Erzähltechniken und bestimmten Erzählwirkungen weiter erforscht werden. Zum anderen sind auch die alten Methoden der historisch-kritischen Exegese nach Textgeschichte und Textauslegung zu trennen und letztere im kognitiven Paradigma weiterzuführen. Daneben müssen weitere exegetische Tätigkeiten explizit ausformuliert und in den Methodenkanon integriert werden. Dazu wurden hier Anregungen gegeben. Ein erweiterter Methodenkanon bedeutet dabei nicht, dass der/die Einzelne nun mehr Arbeit hätte und dass jede Exegese hunderte Seiten umfassen müsse. Sondern es geht weiterhin darum, in aller Freiheit die relevanten Methoden auszuwählen, die für das eigene Forschungsinteresse wichtig sind – nun eben aus einem größeren „Werkzeugkoffer“. Erzählungen sind universal. Innerhalb der Theologie könnten daher auch praktisch-theologische Fächer wie die Bibeldidaktik, 147 Homiletik und Liturgik die Narratologie weiter auswerten. Erzählungen spielen für die Pädagogik eine große Rolle: Wenn man in Nacherzählungen andere Perspektiven wählt, durch Bibliodrama Empathie für die Figuren fördert oder mit impliziten Werten zur moralischen Erziehung beiträgt, so kann dies mit den in dieser Arbeit vorgestellten Kategorien genauer beschrieben werden. In der Homiletik sucht man seit kurzem in der Filmwissenschaft nach neuen Impulsen für die „Dramaturgie“ der Predigt 148. Das, was eine Predigt und einen Film miteinander verbindet, behandelt allerdings gerade die Narratologie. Die Erzählanalyse kann auch das genauere Nachdenken über narrative Predigten und Predigtexempel fördern. Predigten insgesamt könnten stärker unter dem Aspekt der intendierten und tatsächlichen Wirkung betrachtet werden (vgl. 2.7. Rezeptionsanalyse). Und dass die Gottesdiensttheorie heutzutage stark auf die Theaterwissenschaft zurückgreift149, kommt nicht von ungefähr – schließlich gibt es auch hier „Bühne“ und Zuschauer, Akteure, Spannung, Emotionen und Bewegung im Raum. Ein Bezug auf die Narratologie kann daher auch die Liturgik in einen noch größeren Kontext stellen. Die möglichen Anwendungen einer interdisziplinären Narratologie sind damit wohl erst ansatzweise erfasst. Man darf auf weitere Entwicklungen in der Erzählanalyse und ihre Applikationen gespannt sein. Genauere Methoden sind kein Selbstzweck, sondern, wie ihr Name sagt (mevq-odo~), nur der Weg zu einem Ziel, hier: dem umfassenden Verstehen der biblischen Texte und ihrer Auslegung. 147
Zu Narratologie und Bibeldidaktik vgl. auch P OPLUTZ, Erzählte Welt, 140–144. NICOL, Einander ins Bild setzen; N ICOL/DEEG, Im Wechselschritt. 149 ROTH, Theatralität; P LÜSS, Gottesdienst. 148
Literaturverzeichnis Die hier verwendeten Abkürzungen richten sich nach S. Schwertner, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin/New York 21994. Für literaturwissenschaftliche Lexika, Zeitschriften und Reihen werden folgende Abkürzungen gebraucht: DVjs = Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte EJES = European Journal of English Studies ELCH = Studies in English Literary and Cultural History JLT = Journal of Literary Theory LiLi = Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik LWU = Literatur in Wissenschaft und Unterricht MLLK = NÜNNING, A. (Hg.), Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe, Stuttgart/Weimar 42008 RENT = HERMAN, D./JAHN, M./RYAN, M.-L. (Hgg.), Routledge Encyclopedia of Narrative Theory, London/New York 2005 RGL = Reihe Germanistische Linguistik RLW = WEIMAR, K./FRICKE, H. u.a. (Hgg.), Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, 3 Bde., Berlin/New York 1997/2000/2003 SPIEL = Siegener Periodicum zur Internationalen Empirischen Literaturwissenschaft Außerdem bedeuten: HBS = Herders biblische Studien LBH = WISCHMEYER, O. (Hg.), Lexikon der Bibelhermeneutik. Begriffe – Methoden – Theorien – Konzepte, Berlin/New York 2009 NET = Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie ZNT = Zeitschrift für Neues Testament
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15 208 450 259 15 448 463 154 468 259 302 217 463
450 213 463
Numeri 14,35 22,22–35
450 463 16 153
2. Samuel 2,32 11–12 12,7
21,3–6
463 104 205, 208, 210
7,3–11 9,30–37
Jeremia
459
450 463 302
154
2. Könige
465, 472 459 344
Richter 4,4–10 16,2 16,5–21
3,1–4,1 14,36 24; 26 25,25
Jesaja
Josua 1,1–9
1. Samuel
268 448, 450
Deuteronomium 19,15 31,14f.23 34
226 463
1. Könige
Exodus 3,1–4,16 14 30,8
19 19,26
1,18 5,11
1,1–10 2,23
345 226
470 463
450 463
Ezechiel 1,1–3,15 5,15.17 40–48
450 268 412
Sacharja 14,4f.
466
572
Stellenregister
Hiob 1,9–2,10 1,13–19 25,5; 31,26 41,10
7,14 9,24–27 10,6
302 213 463 463
1. Chronik 1–9 22,1–16
Daniel 2,31–35 4,10 7,9
458f. 464 469
217 467 470, 473, 476
208 450
2. Chronik 36,23
450
2. Neues Testament Matthäus 1–2 1–3 1–27 1,1 1,1–17 1,6 1,16f. 1,18 1,18–25 1,19f. 1,19–25 1,20 1,20–23 1,21 1,22f. 1,23 1,24f. 2,1 2,1f. 2,1–8 2,1–12 2,2 2,4 2,6 2,7 2,8 2,9 2,10–12 2,11 2,12 2,13 2,13–15
257 371 330, 332, 393f., 410, 429 257, 280, 306 371f., 376 280 306 280 371, 375 316, 368 390 467f., 476f. 306 395, 415 376 294, 323, 421 390, 476 93 382 321 238, 371, 396 316, 395 368, 380 395 368 316, 360 459 382 323 368 316, 467, 476 371, 375, 390
2,15 2,16 2,16–18 2,17f. 2,19 2,19–23 2,22 2,23 2,49f. 3,1–12 3,1–17 3,3 3,6 3,13–17 3,13–4,11 3,16f. 3,17 4,1–11 4,6 4,10 4,11 4,12 4,12–17 4,12–18,35 4,14–16 4,15 4,16 4,17 4,20.22 4,23 4,23f. 4,23–8,1 4,25 5–7 5,3–10
376 316 321 376 467, 476 371, 375, 390 368 376 375 321 371 376 368 306 363 333, 335, 467f. 379 371 360, 476 367 476 288, 333 93, 305f., 371 287 376 323, 333 464 305 370 368 333 371 395 293 240, 412
573
Stellenregister 5,11f. 5,11–16 5,12 5,13 5,17–48 5,19 5,22–24 5,24 5,28–32 5,38–48 5,44 5,47 6,2 6,7 6,11 6,12 6,24 6,25–34 6,30 7,3–5 7,7 7,9 7,11 7,15 7,15–27 7,26f. 7,28 7,29 8–9 8,1 8,5–13 8,8f. 8,9 8,10f. 8,10–13 8,13 8,14f. 8,16 8,17 8,19 8,21f. 8,24 8,25f. 8,26 8,28 8,33f. 9,3 9,6 9,8 9,9
340 316 270 214 344 367 340 417 390 15 369, 417 340, 382, 390, 396 369 382, 390, 396 340 417 316 340 341 221, 340, 417 368f. 368 368 270 421 367 307 335 307 395 238, 336, 396 382 335 382, 396 396 382 375 368 376 336 285 466, 473 370 336 285 368 360, 367 335 335, 395 365
9,12f. 9,20–22.25 9,26 9,31 9,33 9,34 9,35 9,35–11,1 9,36 10 10,1 10,1–4 10,3 10,5 10,6 10,8 10,11f. 10,14 10,16 10,16–39 10,19 11,1 11,2–6 11,7 11,10 11,20f. 11,25–27 11,27 12,1–4 12,1–8 12,1–12 12,1–14 12,9–14 12,14 12,15 12,16 12,17–21 12,22 12,24 12,31f. 12,37 12,40 12,41f. 12,44 12,49f. 13 13,1f. 13,3 13,3–8 13,9
336f. 375 368 368 368, 395 360 368 251 137, 332f., 395 293 335, 368 336 365 284 395 368 369 352 215 340, 423 369 307, 368 93 395 476 369 333 293, 335, 458 450 414 463 285 414 368 288, 395 368 376 368 360 382 369 324, 337, 454 368 367 340 293 183 369 214 217
574 13,10 13,11 13,14f. 13,15 13,16f. 13,19–23 13,24 13,31 13,33 13,34 13,35 13,36 13,39.41 13,43 13,44.47 13,49 13,51 13,52 13,53 13,54 14,1 14,1–12 14,1–13 14,2 14,5 14,9 14,12 14,12f. 14,13 14,13–36 14,14 14,19 14,26 14,28–33 14,30 14,31 15,1–11 15,7–9 15,8 15,10 15,11 15,12–16,28 15,15f. 15,19 15,21 15,21–28 15,22 15,23 15,24 15,25.27
Stellenregister 370 337 376 381 370 214 217 215, 217 217 369 376 337 476 469, 473 217 476 337 336 307 285 368 321, 371 174 360 395 368 285 368 288 371 395 368 360, 370 370 215 216, 336 371 376 369 368 369 371 337 270 287f. 238, 336, 375, 396 382 369 395 382
15,28 15,30 15,31 15,32 15,33 15,36 16–20 16,1 16,4 16,5–23 16,7 16,7–12 16,13 16,13–20 16,13–28 16,14 16,16 16,18f. 16,20 16,21
382, 396 395 368 340 370 368 352 368 454 370 367 337 287 305f. 93 360 379 432 306 288, 305–307, 314, 324, 335, 337, 350, 354, 368, 380, 454 16,21–23 199, 302, 415 16,21–17,9 307 16,22f. 337, 340, 369, 431 16,24f. 341 16,27f. 475f. 16,39.42.44.54 335 17,1–9 371 17,1–20 370 17,2 334, 338, 469f., 473 17,3 368 17,4 338, 407 17,5 333, 344, 468 17,9 324, 337 17,10–21,22 371 17,20 337 17,22f. 199, 302 17,23 324, 337, 340, 370, 454 17,24–27 371, 390 18 293 18,1 341, 370 18,10 476 18,15 340, 417 18,18 432 18,20 293f., 459 18,21 337, 340, 370, 391 18,21f. 417 18,35 340, 391
Stellenregister 19,1 19,2 19,10 19,13 19,18 19,22 19,22f. 19,25.27 19,29 20,17–19 20,18 20,19 20,20 20,20–24 20,20–27 20,21f. 20,24 20,29–34 21,1–17 21,1–28,15 21,4f. 21,5 21,7 21,8f. 21,10 21,12 21,16 21,18 21,20 21,21 21,23–27 21,23–22,46 21,37 21,41 21,42 21,45f. 22,7 22,15 22,23 22,29 22,30 23 23,1 23,1–26,2 23,2 23,3 23,3–5 23,8 23,8–10 23,11
307 395 370 337, 368, 370 270 316 367 370 340 199, 302 380 324, 337, 454 375 371 341 337, 370 370 285 93 287 376 395 278, 469, 474 395 466, 473 379 376 285 337, 370 337 335 371 367 374 376 368 374 368 417, 431 270 476 333, 375, 390 395 371 469 391, 396 424 340 391 341
23,22 23,37 23,38 23,39 24–25 24–26 24,1–28 24,2 24,4f. 24,5 24,7 24,11 24,20 24,24 24,25 24,26 24,27 24,29f. 24,30 24,31 24,36 24,41 24,48 25,1–13 25,19 25,31 25,40 25,41 26–28 26,1 26,1–3 26,2 26,3f. 26,3–5 26,4 26,6 26,6–13 26,8f. 26,14 26,14–16 26,15 26,17 26,18 26,20 26,21–25 26,28 26,30 26,32
575 278, 469, 474 285 374 285 293 352 341 374 270 360 466, 473, 475 270 285, 346, 368, 396, 414 270 268f. 360 469, 476 208 475 467, 473, 476 333, 335, 377, 476 375 367 219, 375 368 476 340 476 371, 380 307 286 288 350, 380 321, 371 169, 368 286 336, 375 337, 370 286 159, 321, 370f. 448 286, 288, 464 285 268, 286 359, 370 415 286 268f., 276, 311, 318, 322–324, 337, 401, 454
576 26,33 26,33–35 26,34 26,35 26,36 26,36–46 26,36–56 26,37f. 26,39 26,39–44 26,40 26,42 26,43 26,45–50 26,47 26,48 26,48f. 26,49 26,50 26,51 26,51–53 26,53 26,54 26,55f. 26,56 26,57 26,57–68 26,58 26,59 26,59f. 26,61 26,62 26,62–66 26,64 26,65 26,69 26,69–75 26,70.72.74 26,75 27–28 27,1 27,1f. 27,2 27,3–5 27,3–7 27,3–9 27,3–10 27,7 27,8
Stellenregister 360 359, 370 321 360 286 306, 370f. 327 333 333, 415 371 359, 370 333, 415 359, 370 359 286 371 370 321 371 370 359 467, 476 376 346 312, 337, 359, 376 286 371 321, 337 169, 368 270 346, 360 288 449 475 360 286 223, 312, 321, 359, 370f. 360 337f., 346 366 169, 286, 368 350 326 370, 383 371 448 321 169, 368 373, 377
27,9f. 27,11 27,11–14 27,11–26 27,12 27,15 27,18 27,19 27,20 27,22–25 27,24 27,24–27 27,25 27,27 27,29 27,32f. 27,32–56 27,37 27,40 27,42 27,44 27,51 27,52 27,52f. 27,52–54 27,55 27,55f. 27,55–28,20 27,56 27,57 27,57–61 27,57–28,20 27,58 27,59f. 27,60 27,61 27,62 27,62f. 27,62–66
27,63 27,63f. 27,64
376, 465 286, 395 381 395f., 398, 432 169, 368 326 169, 380, 396 286 169, 368, 381, 395 381 395 396 434 286 270, 395 286 295 395 270 395 169, 368 371f. 467 285 344, 347, 371, 396, 466, 468, 473, 476 320, 326, 379, 394, 423 337, 432 330 312, 318, 350, 353, 465 286, 320, 336, 447f. 320, 371 91 169, 368, 381 295 284, 412, 467f. 312, 317f., 350, 353, 464f. 286, 347, 414, 447f., 465 346 273, 302, 315, 320– 322, 371, 449, 457, 464 95f., 169, 337 270, 311, 454 155, 169, 272, 324, 350, 368, 389, 395
Stellenregister 27,65 27,65f. 27,66 28 28,1
28,1ff. 28,1–5 28,1–6 28,1–7 28,1–8 28,1–10 28,1–11 28,1–20 28,2
28,2–4 28,2–7 28,3 28,4
28,4–10 28,4–20 28,5
28,5–7 28,5–10 28,6
28,7
353, 381 326 350f., 464, 468 137, 182, 233, 266f., 291–293, 305, 310 152, 263, 283–285, 288, 299, 301, 306, 311f., 346, 361, 394, 400, 404, 414, 432, 447, 462–466, 469, 472, 474 318 358, 401, 476 475 301, 303, 320f., 326, 352 128, 286, 448, 453 289, 299, 321, 371, 394 353 391, 402f., 429, 451f., 455 263, 268, 276, 283f., 313, 318, 323, 333, 353, 380, 395, 404, 407, 412, 448, 466, 469, 472, 477 264, 277, 301, 449, 457, 473 353 90, 152, 294, 334, 338, 394, 399, 407 309, 320, 346, 350, 358f., 370, 399, 404, 408 406 470 289, 294, 318, 331, 350, 394, 404, 448, 467 294, 301, 358, 373, 399, 448 361 264, 275, 280, 284, 294, 300, 302, 314, 358, 379, 389, 401, 404, 407, 448, 454 267–269, 277, 284f., 300, 322f., 333, 338– 340, 346, 353, 358f.,
28,7f. 28,8
28,8f. 28,8–10 28,9 28,9f.
28,10
28,11
28,11–15
28,12 28,13
28,13f. 28,14 28,15
28,16
577 379, 404, 450, 459, 468f. 350 284f., 294, 314, 336f., 346, 358f., 370, 394, 399, 407, 448 285 301, 303, 320, 326f. 268, 294, 338, 379, 407, 449, 464, 468 91, 286, 331f., 358, 379, 399, 408, 449, 456, 459 228, 268, 277, 284, 289, 293f., 300, 314, 316, 322–324, 327, 331, 333, 338–340, 345f., 350, 353f., 359, 379, 417, 419, 449, 459 169, 268, 275, 285, 299f., 313, 318, 326, 346f., 350, 354, 368, 380, 399, 401 273, 282, 286, 299, 301f., 316, 318, 320– 322, 326f., 344f., 347f., 352, 354, 358, 370, 372, 394, 398, 406, 410, 423, 449, 456f., 459f., 476 138, 169, 326, 368, 448 181, 270–272, 284, 292f., 359f., 406, 412, 463 294, 346, 354, 391, 399, 484 275, 299, 381, 395, 398, 433 138, 264, 271, 275, 280, 284, 299f., 317, 321, 323, 326, 350, 373, 376f., 382, 391, 395–397, 399, 406, 425, 429, 434, 448 276f., 285, 289, 300, 313, 323, 336f., 339f., 344, 350, 358, 376, 406
578 28,16f. 28,16–20
28,17
28,17–20 28,18
28,18–20
28,19
28,19f. 28,20
Stellenregister 358f. 93, 121, 230, 282, 286, 299, 301, 303, 316, 318, 320–323, 326f., 340, 344f., 350, 355, 372, 449f., 458, 484 267, 323, 337–339, 343f., 359, 370, 391, 394, 399, 406, 412, 419, 449, 462, 464, 472, 476 345, 379, 459 238, 275f., 280, 283f., 298, 300, 314, 323, 333f., 356, 394f., 407 228, 294, 313, 324, 331–333, 336, 341, 353, 358, 373, 399, 415, 449 228, 267, 271, 284, 298, 326f., 335f., 340, 354, 359, 376, 382, 395–397, 406–408, 414, 425, 462 318 238, 268, 275, 277, 280, 283, 285, 289, 293f., 298–300, 323, 334, 339f., 379, 406f., 410, 415, 421, 429, 434
Markus 1,21 2,1–12 2,20 2,23f. 4,26 5,1–20 5,24–34 6,2 6,29 6,30–44 7,3f. 7,24–30 8,31 9,31 11,15–19 11,19
285, 463 150 97 463 219 15 15 285 285 15 277 15 305 97 15 463
12,12 13,14 13,18 13,35 14,20 14,28 16,1 16,1–8 16,2 16,4f. 16,5 16,6 16,6f. 16,7 16,9 16,9–11 16,9–15 16,14–20
204 192 285 463 268 268f., 454 463 307–309, 452f. 463f. 277 470, 476 454, 476 456 268f., 454 463 456 449 459
Lukas 1,1–4 1,3 1,19 1,26 1,26–56 2,16 2,19 2,22–40 2,34 2,48 2,51 4 4,16 4,31 6,2 8,2 10,25–37 12,16–21 12,17–19 12,35–48 13,10 15 15,4–7 15,11–32 15,27 16,19–31 17,24 18,10–14
177, 365 374 467 467 390 390 390 145 390 390 390 15 285 285, 463 463 456 205, 210, 215, 220, 223 223 152 15 463 15 218 147, 174f., 212 54 147, 223 469 223
579
Stellenregister 23,1–12 23,54 23,56 24,1 24,2–4 24,4 24,6 24,9–11 24,11 24,13–35 24,16 24,36–49 24,39f. 24,41
147 453, 463 464 463f. 277 467 454 456 316 449 316 449, 459 334 316
Johannes 2,1–11.13–22 3,35 4 10 11 11,17.31.39 19,35 20 20,1 20,9 20,11–18 20,12 20,14 20,19 20,19–23 20,20 20,24–29 20,25 20,26f. 20,30f. 21,11 21,24f.
15 458 262 282 285 465 168, 365 273 463f. 316 449, 452, 455f. 467 316 463 449, 459 334 316, 449 334 468 168, 365 198 168, 365
Apostelgeschichte allg. 1,1 1,3.9 1,10 5,1–11 5,23 5,29 6,8–8,3 9,1–19
98, 246, 273 167, 365 322 470 384 449 385 302 99, 154, 449
10,1f. 12,5f. 12,23 13–28 13,11 16,23 20,7 22,6–16 26,12–18 27 28,4f.
154 449 384 149, 353 384 449 463 99, 154, 449 99, 154, 449 284 384
Römer 6,4 8,38 13,11
416 231 425
1. Korinther 1,27 15 15,52 16,2
422 15 467 463
2. Korinther 5,17
416
Galater 2,19f.
416
Epheser 2,5f. 5,14
416 425, 463
Philipper 2,5–11
450
1. Thessalonicher 5,6
425
2. Timotheus 3,16f.
262
Hebräer 4,12
262
580
Stellenregister
Apokalypse allg. 3,5; 4,4 6,12 7,14
8,5; 11,13.19 13 13,18 16,18 21f.
273 470 466 470
466 302 221 466 213
3. Weitere antike Literatur Aristoteles Poetica 1448a 1449b 1450a 1450b 1451a–b 1451b 1452a 1452a–b 1452b–1453a 1454a 1455b 1455b–1456a 1456a
382 190, 200f. 87f. 119f. 58, 212 118 102 105 104, 382 152 102 105 102
10,39–42 12,50 12,50–52 13,55 13,56 14,59f.
Evangelium Thomae 65,8
217
Himmelfahrt Jesajas 3,13–18
457
Q. Horatius Flaccus Ars poetica 333
Rhetorica
366 464 366 278, 469, 475 454 367, 374
190
I,1–11 (1377b– 1388b) 201
Judit
Augustinus Confessiones
Martyrium Polycarpi
I,13,20–I,17,27 60 De doctrina christiana I,1 IV,96
245 190
Evangelium Petri 2,5 8,31–33 9,34 9,35 9,35–37 9,35–10,42 9,36 9,49 10,36
463f. 366 463f. 463 366 467f. 470 464 467
14,2
7,1
463
463
Platon Politeia 392a–b 392c–394b 595a–608b
224 153, 168 60
Quintilianus, M. Fabius Institutio oratoria 9,2,58 5,10,24–30
152 133
Semaḥot 8,1
465
581
Stellenregister
4. Beispiele für Erzählungen Austen, Jane Mansfield Park Sense and Sensibility Beckett, Samuel Warten auf Godot Biller, Maxim Esra Boccaccio, Giovanni Il Decamerone Brecht, Bertolt Der gute Mensch von Sezuan Brunhoff, Jean de L’Histoire de Babar Bunyan, John The Pilgrim’s Progress Cervantes, Miguel de Don Quijote
Curtiz, Michael Casablanca
112 112
Goethe, Johann Wolfgang von Wahlverwandtschaften 142 Grimmelshausen, H.J.Chr. von Simplicissimus 61
128 Hildesheimer, Wolfgang Marbot
69f.
Hoffmann, E.T.A. Lebens-Ansichten des Katers Murr
68
Kleist, Heinrich von Erdbeben in Chili
15
Lewis, Sinclair Elmer Gantry
209
Mann, Thomas Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull Dr. Faustus Tod in Venedig Der Zauberberg
68 178, 208 142 79, 208
Orwell, George Nineteen Eighty-four
176
299
70
101 198 160
111
50, 158, 160
60, 82, 111, 155
132, 212
Dante Alighieri Divina Commedia
81f.
Proust, Marcel A la recherche du temps perdu
Defoe, Daniel Robinson Crusoe
61, 66
Quidde, Ludwig Caligula
212
Doyle, Arthur Conan Sherlock Holmes
101
Shakespeare, William Hamlet Othello
126, 138 126, 138
Eschenbach, Wolfram von Willehalm 173, 195
Tausendundeine Nacht
54
Fleming, Ian James Bond
101
Trier, Lars von Dogville
83
Fontane, Theodor Irrungen, Wirrungen
15
Weber, Carl Maria von Der Freischütz
80
Namenregister Abbott, H.P. 113, 120 Abel, G. 486 Abel, J. 199, 201 Abelson, R.P. 38f. Abrams, M.H. 5, 79, 87, 148, 158 Ackermann, K. 199 Aczel, R. 79 Adam, A.K.M. 485 Adam, G. 471 Adams, J.-K. 96 Adamzik, K. 91 Adler, A. 212 Ahnen, H. von 203 Ahnert, L. 129, 137 Aitchison, J. 38 Akert, R.M. 226 Akmajian, A. 40, 214 Aland, K. 464 Alber, J. 33 Albert, K. 201 Albrecht, J. 31 Aletti, J.-N. 120, 162 Alexander, L. 286 Alfes, H.F. 201 Alkier, St. 3, 42, 101, 485 Allbritton, D.W. 36, 43, 142 Allen, G. 34 Allesch, Chr. 195 Allison, D.C., Jr. 153, 254–256, 264, 278, 285, 307, 344, 346, 375, 381, 453, 455–457, 459, 461f., 464–470, 473, 475f. Allrath, G. 35, 178 Alsup, J.E. 254, 453, 455 Alter, R. 25, 125, 155 Amit, Y. 25 Anderegg, J. 56, 58 Anderson, J. Capel 15, 48, 192, 250, 305, 342 Andringa, E. 195, 203
Ankersmit, F.R. 59 Antor, H. 87f., 225 Antos, G. 460 Anz, Th. 39, 78, 125, 193, 199, 201– 203 Appel, M. 61, 197, 224f., 228, 230– 236, 245 Arens, E. 6 Arnoldshainer Konferenz 15 Aronson, E. 226 Asmuth, B. 26, 87, 90f., 97, 114f., 125, 349 Attardo, S. 44 Auberlen, E. 46 Auerbach, E. 30 Aumüller, M. 36 Austin, J.L. 184, 188 Bachelard, G. 78, 84 Bachmann-Medick, D. 79, 81 Bachorz, St. 125–127, 129, 146f., 150– 152, 156, 162 Bachtin, M.M. 79, 251 Backe, H.J. 33 Backhaus, K. 59 Bacon, B.W. 307 Bal, M. 25f., 32, 43, 45, 56, 74, 78, 87, 94f., 97–99, 105, 125, 146, 150f., 158, 165, 171–173, 262 Baldermann, I. 202 Ballhorn, E. 42 Balme, Chr. 82 Baltzer, K. 450 Balzer, W. 18 Bandura, A. 211, 232 Banfield, A. 168 Banschbach Eggen, R. 214, 219f., 222 Bär, K. 57 Bar-Efrat, Sh. 25, 87, 90, 103, 125, 152, 157, 174, 177f.
Namenregister Bareis, J.A. 54, 56f., 62f., 66–68 Barkowsky, Th. 81 Barnet, J.A. 251, 331, 336, 342 Baroni, R. 113, 199 Barsch, A. 41 Barth, G. 254, 458 Barthel, V. 173, 180, 193–196, 202 Barthes, R. 31f., 92, 99f., 107, 197, 297f. Bartholomew, G.L. 120 Bartlett, F.C. 38 Barton, J. 5, 9f. Bartoszyński, K. 47 Bartsch, A. 201 Bartsch, H.-W. 457 Baßler, M. 45f. Batinic, B. 225 Bauer, A. 197f. Bauer, D.R. 248, 250, 252, 305, 329, 331, 336, 342 Bauer, M. 27, 79, 116f., 150, 166 Bauer, R. 78 Bauer, W. 464 Baum, A. 57 Baumann, U. 460 Baurmann, J. 460 Baxter, W.S. 331 Beardslee, W.A. 24 Beardsley, M.C. 30, 52 Beaude, P.M. 24 Beaugrande, R.-A. de 91 Beck, H. 120 Becker, B. von 70 Becker, E.-M. 15, 17, 57, 59, 91 Becker, U. 471 Beckermann, B. 156 Becking, B. 11 Bendemann, R. von 25 Bennema, C. 125 Bennett, A. 50 Bennett, J.R. 118 Bente, G. 225 Berder, M. 203 Berendsen, M. 171 Berg, H.K. 15, 213, 262 Berger, K. 199, 202, 205f., 216, 239, 243, 470f. Berghahn, D. 78 Berkel, K. 115 Berkes, K. 57
583
Berkhofer, R.F., Jr. 59 Berlin, A. 25, 87, 103, 125, 148, 156 Berlyne, D.E. 204 Berman, A. 30f. Bernays, J. 201 Berthold, Chr. 57, 60f. Bessière, J. 118 Bielinski, K. 7, 24 Bierhoff, H.-W. 226 Billerbeck, P. 464f. Birk, H. 35 Black, C.C. 250f., 362, 413 Black, D.A. 471 Blank, A. 486 Blass, F. 463 Bloem, H. 253, 320 Blomberg, C.L. 338, 471 Blum, E. 9–12, 17 Blume, P. 37f., 44, 56, 58, 62, 71, 222 Bock, I. 87, 100 Bode, Chr. 27, 57, 61, 74, 78f., 84, 94, 108, 125, 127, 129, 148, 152f., 156, 158, 166f., 169, 171, 176, 179, 268 Böhm, M. 120 Böhn, A. 34 Bohner, G. 226, 232, 236 Bohren, R. 258 Bölling, G. 67 Bommert, H. 191 Bonacker, Th. 115 Bonfadelli, H. 189, 191, 225, 231f., 236, 239 Bonheim, H. 119f., 152, 168 Boomershine, Th.E. 120 Booth, W.C. 30, 48f., 148, 153, 168f., 178–180, 184, 193f., 197, 201, 225, 234, 260, 486 Borgmeier, R. 31, 199 Bormann, L. 485 Bornkamm, G. 254, 421, 450, 458 Bortolussi, M. 37, 43, 189 Botha, J. 485 Bourquin, Y. 23f., 44, 74f., 78–80, 85, 87, 91, 94, 98, 103, 105, 117, 122, 125, 148, 150, 156f., 162, 168, 171, 185, 194f., 205, 210, 236, 243, 301 Bovon, F. 15 Bowie, A. 34 Boyarin, D. 462f. Branden, R.Ch. 250, 329
584
Namenregister
Brannigan, J. 46 Bremond, C. 24, 32, 91, 99–101, 105– 107, 112, 114, 211, 308 Breuer, D. 17 Breuer, H. 166 Breymayer, R. 100 Breytenbach, C. 10, 12, 23 Bridgeman, T. 44, 94 Brinker, K. 91 Britt, B. 25 Brock, T.C. 225 Broer, I. 254, 260, 456 Broich, U. 34, 166 Broman, E. 171 Brombert, V. 118 Brône, G. 37 Bronfen, E. 78, 85 Bronzwaer, W.J.M. 172 Brooks, P. 87 Brose, R. 40 Brosius, H.-B. 211 Brown, J.K. 250f., 328f., 336 Brown, R.E. 457 Brucker, R. 3 Brütsch, M. 201 Bruun Vaage, M. 193 Buchholz, S. 74, 78f., 108, 168, 171, 249 Bueler, L.E. 102 Bühler, A. 52 Bühler, K. 5 Bullerjahn, C. 202 Bultmann, R. 18, 221 Bunia, R. 57, 62, 68 Burkart, R. 40, 47 Burke, M. 44 Burke, S. 50 Burkert, W. 101 Burkitt, F.C. 463 Burnett, F.W. 250, 253, 331 Burwick, F. 197 Busse, J.-Ph. 82, 87–90, 92f., 99–101, 106, 108–110, 112, 114, 116–118, 122, 315 Büttner, G. 51 Byrskog, S. 253, 331 Cacioppo, J.T. 232 Callon, C. 250, 381 Camery-Hoggatt, J. 203
Cantor, J. 204 Carrard, Ph. 59 Carroll, N. 171 Carson, D.A. 474 Carter, W. 51f., 87, 92f., 250–252, 256, 268, 273, 284f., 328, 331, 336, 342, 465 Casalini, N. 251 Castro, C.A. 118 Ceynowa, K. 62 Chae, Y.S. 331 Chance, J.B. 34 Chaplin, J.D. 211 Chatman, S. 24, 26, 32, 36f., 48f., 53, 74f., 78, 80, 84f., 87–90, 92–94, 97, 99–101, 104f., 113, 125f., 133, 135, 138, 148, 150, 153, 156, 165, 168, 170f., 176f., 179, 183, 197, 199, 251–253, 297f., 308 Cheney, E. 261 Childs, P. 118 Chilton, B. 413 Chinca, M. 108 Christen, Th. 120–122 Christmann, U. 37, 195 Ci, J. 95 Classen, C.J. 181 Claudel, G. 254 Clemen, W. 195 Clines, D.J.A. 4, 24, 485 Coenen, H.-G. 214, 218f. Cohn, D. 56, 63f., 67–69, 166, 168– 170, 178 Combrink, H.J.B. 16, 252, 263 Conrad, J. 197, 225 Conradie, E.M. 18, 51, 485 Cooke, S. 193 Corbineau-Hoffmann, A. 486 Cornils, A. 23, 25, 27, 56, 125, 127– 129, 144, 150, 152, 156, 261, 325, 361 Coste, D. 35, 55 Cousland, J.R.C. 250 Craffert, P.F. 18, 485 Craig, W.L. 455 Crane, R.S. 104f., 308 Crouch, W.B. 120 Cuddy-Keane, M. 192 Culler, J. 31, 87, 93, 101, 105f., 178 Culley, R.C. 24
Namenregister Culpeper, J. 37, 43, 125, 127, 189 Culpepper, R.A. 23f., 52, 94, 104, 126, 144, 148, 165, 308, 325, 329, 391 Currie, G. 57, 62 Currie, M. 34 Curtis, R. 193 Cuvillier, É. 250 Czernin, F.J. 214 Dalgleish, T. 201 Danneberg, L. 52 Dannenberg, H.P. 70, 87f., 99, 101f., 105, 108f., 111–114, 116f. Danove, P.L. 48, 52, 87, 91, 101, 120 Danto, A.C. 59 Darby, D. 29 Darr, J.A. 51 Davies, M. 256, 334, 412, 420 Davies, W.D. 250, 254–256, 264, 278, 285, 307, 344, 346, 375, 381, 453, 455–457, 459, 461f., 464–470, 473, 475f. Davis, T.F. 225 Dean, M.E. 192 Debrunner, A. 463 Deeg, A. 199, 488 Deines, R. 30, 49, 52, 57, 192, 248, 254, 261, 331 Deist, F. 485 de Kruijf, Th.C. 331 Demers, R.A. 40, 214 Denaux, A. 253, 320, 355 Dennerlein, K. 78f., 81, 85, 173 Dennis, J.A. 11 Derschka, H.R. 59 deSilva, D.A. 189, 202 Detering, H. 50 Detweiler, R. 24 Deutsch, M. 114f. Dewey, J. 23, 75, 78, 80, 85, 122, 124, 126, 162, 165, 180, 185, 243, 329f. D’hoker, E. 179 Di Bianco, N. 253 Dicke, G. 212 Dickie, G. 52 Dieckmann, D. 25, 42, 51, 53, 197, 202, 259 Diefenbach, M. 87 Diengott, N. 35, 37 Dietrich, R. 118
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Dijkstra, K. 199 Dillmann, R. 20, 188 Dipple, E. 87 Dirksmeier, Chr. 191 Dixon, P. 37, 43, 189 Dobbeler, A. von 260, 267 Dockery, D.S. 471 Dohmen, Chr. 9 Doležel, L. 57, 65, 70, 89f., 108f., 111, 114, 167 Donahue, J.R., Jr. 14 Donaldson, T.L. 250 Döring, J. 79 Dormeyer, D. 211, 250, 325 Dorner-Bachmann, H. 32, 87, 100, 103 Dörschner, N. 38 Dosse, F. 31 Downing, J. 230 Dressler, W.U. 91 Drewermann, E. 264 Dreytza, M. 206 Driehorst, G. 118, 121 Drinkmann, A. 232 Duke, P. 203 Dundes, A. 100 Du Plessis, I.J. 10 Du Toit, D.S. 57, 95–97, 299 Dunn, F.M. 120 Duvall, J.S. 471 Eagleton, T. 30f., 180 Ebbrecht, T. 201 Ebner, M. 13, 25, 51, 55, 94, 100, 125, 148, 152f., 171f., 349, 451, 471 Eco, U. 6, 32, 40, 42, 47, 49f., 63, 94, 101, 108f., 112f., 187, 254, 257, 274 Eder, J. 37, 43, 114, 117, 125–136, 138–152, 154, 157–162, 165, 171, 173, 177, 180, 192f., 195–198, 201– 204, 210–212, 214, 351f., 355–357, 362, 365 Eder, S. 261 Eder, Th. 214 Edwards, R.A. 250f., 316, 334, 336 Effler, M. 142 Egan, K. 87 Eggenberger, H. 262, 274, 415 Egger, W. 9–11, 17, 20, 24, 100f., 105– 107, 117, 146, 150, 206, 451, 484
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Namenregister
Ehlers, S. 27, 37, 63, 78, 85, 87, 89, 94, 103, 114, 118, 122, 125, 162, 166– 168, 171, 184f., 440 Ehrlich, S. 168 Eisen, U.E. 14, 16, 23–26, 28–30, 32, 34, 48f., 53, 55, 57, 74, 82f., 88, 94, 98f., 108, 118, 120, 125–127, 133, 138, 149f., 153f., 156f., 167–172, 175, 177f., 183, 246, 273, 286, 301, 330 Eisenhut, J.J. 225 Eisenlauer, V. 103 Elias, N. 129 Elliott, M. 30 Eming, J. 201 Emmott, C. 37, 43f. Engel, P. 199 Engemann, W. 7, 206, 211, 239f. Engler, B. 66, 211 Erbele-Küster, D. 40, 187 Erlebach, P. 118f. Erlemann, K. 193, 214f.f., 218–222, 224, 229, 239, 243 Erll, A. 45, 225 Ernst, J. 475 Ernst, P. 188 Esposito, E. 57 Ettl, C. 260 Euler, H.A. 201 Ewen, J. 156 Exum, J.C. 24 Eysenck, M.W. 118 Fahlenbrach, K. 201 Faulstich, W. 167, 184, 194 Feagin, S.L. 201 Fenske, W. 470 Fichte, J.O. 46 Fiedler, P. 268, 463, 465, 467–469, 476 Fieguth, R. 47 Fietz, L. 31, 92, 105f. Fill, A. 199 Fillmore, Ch.J. 38 Fincham, F. 142 Finke, B. 195 Fischer, G. 48, 78, 206 Fischer, L. 128, 182, 226, 232, 236 Fischer, M. 30 Fischer, R. 187 Fish, St.E. 40, 187, 251
Fleischman, S. 103 Fludernik, M. 27, 29, 33, 35–38, 41, 45f., 48, 55, 57, 66, 68, 74, 98, 108, 119, 166–168, 171, 252 Focant, C. 24, 120 Foerster, H. von 39 Fohrer, G. 10, 13, 19, 206, 373, 430, 471, 485 Fokkelman, J.P. 25, 214 Fokkema, D. 78 Fornberg, T. 260 Forster, E.M. 30, 44, 88, 156, 158 Fořt, B. 108 Foster, P. 254 Foucault, M. 31 Fowl, St.E. 485 Fowler, D. 120 Fowler, R.M. 191 France, R.T. 268f., 338, 465, 467f. Francke, A.H. 262f. Frank, D. 66 Frank, E.H. 18 Frank, M.C. 82 Frankemölle, H. 9f., 20, 188, 254f., 260, 267, 450, 455, 467, 484 Freedman, A.D. 25 Frenk, J. 78 Freundschuh, S. 81 Frey, D. 226 Frey, J. 165, 176, 187, 192, 213, 264, 487 Frey-Anthes, H. 486 Freyne, S. 260 Freytag, G. 102–104, 116, 304, 306f. Fricke, H. 6 Friedemann, K. 30, 177, 197 Friedman, M.J. 170 Friedman, N. 165, 171 Friedrich, G. 254, 421, 449f., 458 Friedrich, H.-E. 187 Friedrichsen, M. 199 Fries, N. 201 Fritz, G. 486 Froehlich, K. 258 Frye, N. 30, 104, 308 Fuchs, A. 199 Fuchs, F. 262 Fuchs, O. 24, 485 Fudenberg, D. 113 Füger, W. 171, 178
Namenregister Fulda, D. 57, 59, 69 Fuller, R.H. 254, 453, 455 Funk, R.W. 23, 91, 168, 171, 175, 299 Fuxjäger, A. 80 Gabriel, G. 56, 58 Gabriel, K. 51 Gadamer, H.-G. 40 Gansel, Chr. 91 García Landa, J.Á. 29, 48 Gardner-Smith, P. 463 Garst, J. 225 Gärtner-Brereton, L. 78 Gather, A. 170 Gathercole, S.J. 331 Gavins, J. 37, 81 Gehrau, V. 37, 44 Gehring, H.-U. 40 Geiger, H. 102 Geist, H. 331 Gelfert, H.-D. 236 Gemünden, P. von 213 Genette, G. 8, 24–26, 31f., 34, 43, 49, 53–58, 67–69, 74, 93–98, 153, 165– 169, 171–176, 179, 183f., 197, 207, 293, 299f., 365, 485 Gerber, D. 250 Gerlach, J. 120 Gerrig, R.J. 36, 43, 142, 167, 225, 234 Gertken, J. 57 Giblin, Ch.H. 320 Gibson, A. 34 Gielen, M. 7f., 24, 49, 248, 250, 253, 273, 321f., 325 Gilet, P. 100 Gimmler, R. 225 Ginsburg, R. 50 Glasersfeld, E. von 39 Glasl, F. 115 Glauch, S. 54, 57, 61 Glauser, J. 46 Gleich, U. 225 Gniesmer, D.F. 24, 58 Gnilka, J. 276f., 320f., 350, 379, 416, 422f., 448–450, 453, 455, 457, 459, 461, 465, 467–469, 475f. Goebel, E. 29 Goetsch, P. 48, 183 Goffman, E. 63 Gollinger, H. 456
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Goodman, N. 207, 211 Gorman, D. 63, 67 Gorman, F.H., Jr. 485 Goulder, M.D. 452 Grabes, H. 118, 189, 225 Graevenitz, G. von 179 Graß, H. 457 Grau, O. 201 Grayston, K. 267 Grazzini, S. 100, 106, 149 Green, G. 57 Green, J.B. 6 Green, M.C. 225 Greenblatt, St. 46 Greetham, D.C. 17 Greimas, A.J. 24f., 32, 99, 106f., 150f., 253, 308, 355 Grethlein, J. 34 Grice, H.P. 40, 184, 188 Grilli, M. 20, 188, 253 Grimm, J. 226 Groeben, N. 41, 57, 61f., 68, 189, 191, 195, 201, 204, 226, 232, 239 Groenewald, A. 8 Grohmann, M. 182 Groß, W. 14 Gruber, B. 31 Grubmüller, K. 262 Grünwaldt, K. 15 Grzega, J. 486 Gülich, E. 25, 31, 91, 100f., 105 Gumbrecht, H.U. 486 Gundry, R.H. 458, 463, 468, 470 Gunn, D.M. 23 Günther, M. 212 Günther, U. 460 Gutenberg, A. 35, 87f., 91, 93, 97, 100–102, 104, 106, 108–111, 113– 118, 120, 123, 249 Guthrie, G.H. 471 Güttgemanns, E. 19, 24f., 100f. Güttler, P.O. 226 Gymnich 34f., 45, 104 Haacker 471 Haarkötter, H.M. 120 Haarmann, H. 102 Habermann, M. 17 Habermas, J. 40 Habicht, W. 195
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Namenregister
Hackenberg, A. 37 Hackenbruch, T. 197 Haferland, H. 34 Häfner, G. 59 Hagner, D.A. 268, 338f., 407, 417, 420f., 424, 453, 465, 469f., 475 Hahn, F. 331, 458 Hakola, R. 23 Hale, D.J. 225 Halfmann, U. 30 Hall, St.G. 206 Hallet, W. 46, 125, 211 Hamburger, K. 54f., 63, 176 Hamilton, C.A. 187 Hamilton, C.S. 260 Hardmeier, Chr. 11, 17, 21, 25, 91, 188 Hare, D.R.A. 267 Harnisch, W. 118, 148, 160, 207, 217, 221, 223, 349f. Harrington, D.J. 267 Harsch, H. 15 Harstine, St. 52 Hartenstein, J. 53, 127, 260 Hartman, L. 5 Hartmann, B. 118 Harweg, R. 108, 119f. Häsner, B. 55 Haß, P. 82 Hastetter, M. 206 Hasubek, P. 120f. Haubrichs, W. 118 Haug, W. 211 Haupt, B. 78, 84f. Hauptmeier, H. 41 Hauschild, Chr. 83 Hauser, A.J. 44 Hauthal, J. 67 Haverkamp, A. 214 Hawkes, D. 180 Hays, R.B. 42, 474 Hechter, M. 182 Heckel, Th.K. 120, 195, 254 Heckhausen, H. 140 Heckhausen, J. 140 Heckmann, D. 387 Hediger, V. 201 Heger, K. 91 Heidbrink, H. 125, 240 Heidegger, G. 60 Heil, J.P. 52, 91, 250–252, 320
Heinemann, M. 91 Heinemann, W. 91 Heinen, S. 33f., 49f. Heininger, B. 13, 25, 55, 94, 100, 125, 148, 152f., 171f., 349, 451, 471 Heitmann, A. 46 Helbig, J. 34, 179 Held, H.J. 254 Hellholm, D. 252 Hempfer, K.W. 57, 61, 104 Hendrickx, H. 453 Hengel, M. 432, 456 Henrich, D. 56 Hentschel, A. 53, 171f. Herdina, Ph. 41 Herkner, W. 128, 142, 196, 226, 232, 234–237 Herman, D. 27, 29, 33, 37f., 41, 78, 87, 108, 150, 178 Herman, L. 27, 33, 166, 168, 171, 175, 180 Hess-Lüttich, E.W.B. 78 Hester, J.D. 120, 203 Hewstone, M. 142 Heydebrand, R. von 114, 236, 484 Hieke, Th. 9, 12f., 42 Hilbrands, W. 206 Hill, D. 250 Hillebrand, B. von 78 Hirsch, E.D., Jr. 52 Hirsch, M. 102 Hitchcock, A. 80 Hock, R.F. 34 Hoey, M. 91 Hofer, Chr. 460 Hoffmann, G. 78, 82, 84f. Hoffmann, H.W. 10, 13, 206, 373, 430, 471, 485 Hoffmann, P. 453 Hofheinz, M. 225 Hogan, P. Colm 201 Höhn, E. 147 Holler, M.J. 113 Holthuis, S. 34 Homans, M. 35 Homscheid, Th. 45 Honecker, M. 387 Hoops, W. 56 Horn, A. 203 Hovland, C.I. 226f.
Namenregister Howell, D.B. 205, 250, 331, 336, 342, 411 Hoyningen-Huene, P. 18 Hrushovski, B. 144 Hubbard, B.J. 254, 450, 459 Hubbard, R.L., Jr. 471 Huber, M. 37 Hübner, S. 201 Hühn, P. 33, 82, 89, 93 Huizing, K. 263 Hultgren, A.J. 212 Hummel, A. 57 Humphrey, R. 170 Humphrey, R.L. 91 Humphries-Brooks, St. 250 Hunston, S. 180 Hunziker-Rodewald, R. 21 Huwiler, E. 33 Ibsch, E. 36, 41 Illing, G. 113 Ingarden, R. 42 Inselmann, A. 137, 202, 343 Irsigler, H. 13 Irsigler, I. 199 Iser, W. 40, 50, 56–58, 187, 251 Itkonen, E. 214 Jäckel, M. 189 Jackendoff, R. 40 Jackson, L. 31 Jacoby, N. 57, 70 Jaeger, St. 59 Jäger, D. 78 Jahn, B. 78, 81 Jahn, M. 37, 39f., 44, 48, 78f., 98, 154, 166–168, 170f., 173, 184f., 301 Jahraus, O. 4, 6, 45, 187 Jakobson, R. 5, 31 James, H. 148 James, W. 171 Jameson, F. 31 Janik, D. 47 Jannidis, F. 45, 49f., 52, 125–128, 133, 141f., 148, 150f., 156, 158, 189, 194–196, 237, 240, 362, 382, 486 Jauß, H.R. 40, 187, 195, 309 Javornický, D. 103 Jechle, Th. 460 Jenkins, S. 282
589
Jeremias, J. 463 Jesch, T. 171f. Joisten, K. 225 Jong, I.J.F. de 34 Jonker, L.C. 6f., 11, 16, 21, 51, 188, 485 Jülicher, A. 214, 221, 223 Junkerjürgen, R. 199f. Jürgensen, Chr. 199 Jürgs, M. 224 Kablitz, A. 171, 203 Kafalenos, E. 114 Kafitz, D. 15 Kahl, W. 103 Kähler, Chr. 240 Kahrmann, C. 7, 24, 26, 48, 125 Kaiser, O. 471 Kamitz, R. 17 Kammer, S. 17 Kampling, R. 260 Kansteiner, W. 59 Kanzian, Chr. 75 Kanzog, K. 225 Kargl, R. 33 Käsemann, E. 260 Kaul, S. 179 Kearns, M. 35, 184 Keen, S. 191, 193f., 196 Keener, C.S. 413f., 420, 422, 468, 470 Keil, A. 201 Keitel, E. 201 Kelber, W. 192 Keller, R. 486 Keller, Z. 260 Kellermann, K. 38 Kellogg, R. 87, 125, 165 Kellogg, R.Th. 460 Kermode, F. 120 Khalidi, M.A. 18 Khouloki, R. 78 Kieffer, R. 260 Kilian, E. 78 Kim, T. 106, 150 Kimmich, D. 59, 187 Kindt, T. 29, 35, 44, 49f. Kingsbury, J.D. 125f., 165, 250–252, 254, 273, 305, 316, 328f., 331, 342, 458 Kirschbaum, I. 486
590
Namenregister
Kissler, A. 224 Kitchin, R. 81 Klauck, H.-J. 7, 15, 24, 207, 222 Kleiber, G. 38 Klein, Chr. 33, 57 Klein, J. 25, 57 Klein, R.A. 24 Klein, W.W. 471 Kleinschmidt, E. 50 Kleyböcker, R. 191 Kliesch, K. 19 Klotz, V. 102 Klumbies, P.-G. 9 Knapp, F.P. 94 Koch, G. 57 Koch, Th. 125, 133f., 146, 151–154, 173, 189, 234 Koch, W.A. 114, 200 Kocher, M. 33 Koenen, K. 97, 299 Kohl, K. 214 Kohlberg, L. 197, 225 Köhlmoos, M. 25, 40, 206 Konerding, K.-P. 38, 75 Konradt, M. 254, 331, 374, 390 Köppe, T. 6, 19, 30, 37, 41, 46, 52, 57, 111, 130, 181–183, 187, 193, 212 Korte, B. 74, 99, 119–121 Korthals, H. 33 Korthals Altes, L. 225 Kos, D. 41 Košenina, A. 202 Kotte, Chr. 225 Krah, H. 45, 80, 82f., 93, 349 Krämer, N.C. 225 Kratz, R. 254, 449, 453, 457, 462, 464 Krauss, H. 25 Kremer, J. 449, 455, 457, 462 Kreuzer, S. 13, 471, 475 Krichel, M. 33 Krings, C. 118–121, 124, 249 Krings, H.P. 460 Kripke, S. 108 Krispenz, J. 460 Kristeva, J. 34 Krüger, Th. 472 Krusche, D. 82 Küchler, M. 25 Kuhl, J. 140 Kuhn, Th.S. 18
Kühschelm, R. 455 Kuiken, D. 207 Kuipers, Th.A.F. 18 Kullmann, D. 170 Kunczik, M. 225f. Kundert, U. 60 Kupp, D.D. 48, 165 Kurz, G. 214 Kutzer, M. 57 Labov, W. 103 Ladenthin, V. 225 Lahn, S. 27, 29, 33, 44, 48, 55, 66, 78, 85, 87, 94, 106, 122, 125, 133, 162, 167f., 171f., 175f., 178, 183, 185, 199, 217, 220, 243, 440 Lai, P.H. 253, 320 Lakoff, G. 38 Lamarque, P. 57 Lämmert, E. 30, 93f., 97f., 116f., 120, 165 Landwehr, J. 56, 62 Lang, A. 40 Lang, M. 39, 51 Lange, E. 259 Lange, J. 254, 458 Langen, E.G. de 47 Langer, D. 199 Lanser, S.S. 35, 49, 165–167 Larivaille, P. 103 László, J. 44 Latacz, J. 34 Lategan, B.C. 51 Lau, D. 214 Laudan, L. 18 Lauer, G. 45, 50, 193, 240 Lausberg, H. 44 Lawrence, L.J. 250, 278 Lee, D. 2 Leech, G.N. 168 Le Goff, J. 211 Lehnen, J. 262 Lehnert, V. 57, 120, 187 Leibniz, G.W. 108 Leiner, M. 41, 224, 243 Leinhäupl-Wilke, A. 25 Lentricchia, F. 104 Lentzen-Dies, F. 188 Leschke, R. 125 Lessing, G.E. 201
Namenregister Leubner, M. 27, 33, 57, 87, 112, 125 Lévi-Strauss, C. 31, 99, 106f., 308 Levine, A.-J. 260, 342 Levinson, St.C. 188 Lincoln, A.T. 250, 336 Lind, G. 225 Lindemann, A. 475 Link, H. 48 Linke, A. 38, 51, 188 Lintvelt, J. 165 Liptay, F. 179 Litz, A.W. 30 Löbner, S. 38, 107 Lobsien, E. 78 Lohfink, G. 25, 258 Lohse, E. 79 Long, B.O. 25 Longacre, R.E. 103 Longman, T. 5 Longstaff, Th.R.W. 278, 465 Lorenz, K. 17 Lorenz, K.T. 85 Löschnigg, M. 55, 57, 61, 65, 67f. Lotman, J.M. 82f., 89, 107, 114, 145, 283, 308 Loyola, I. von 274 Lubbock, P. 30, 165, 169 Lubkoll, Chr. 486 Lucius, F.J. 168 Lüdeke, R. 17 Lüdemann, G. 254, 457 Ludwig, H.-W. 26, 105, 125–127, 129, 150, 152f., 156, 167, 184, 194, 325 Lueken, G.-L. 18 Luhmann, N. 75 Lührmann, D. 471 Luserke, M. 200f. Luther, M. 263, 411 Lützeler, P.M. 58 Lux, R. 25, 265 Luz, U. 3, 15, 57, 205, 250f., 255f., 260, 264, 268–270, 305, 307, 316, 331, 334, 336, 405, 407, 411f., 416, 420–423, 437, 449–453, 455–457, 459, 461–465, 467–469, 475f., 484 Maatje, F.C. 78 Magness, J.L. 120 Mahne, N. 33 Malbon, E. Struthers 23, 30, 78, 80, 118, 120, 125, 273, 281, 286
591
Malina, B.J. 254, 450 Malina, D. 55 Mandl, H. 201 Mandler, J.M. 38 Mangasser-Wahl, M. 38 Mangold, R. 225 Margolin, U. 43, 125, 127, 157, 167, 171, 175f. Marguerat, D. 23f., 44, 74f., 78–80, 85, 87, 91, 94, 98, 103, 105, 117, 122, 125, 148, 150, 156f., 162, 168, 171, 185, 194f., 205, 210, 236, 243, 301 Marin, L. 253, 355 Markschies, Chr. 484 Markus, M. 78, 165 Marsden, P.H. 83, 94, 98, 123, 176, 299 Martens, G. 179 Martin, Th.L. 108 Martin, W. 48 Martínez, M. 25–27, 33, 37, 39f., 43, 55–57, 59f., 68, 74, 82f., 87–90, 92, 94, 96, 98–101, 103f., 106, 108, 111, 126, 141f., 154f., 166–172, 174, 176, 178, 183f., 197 Martínez-Bonati, F. 108 Massa, D. 217 Matera, F.J. 87, 92f., 252 Mathwig, F. 225 Mattila, T. 250, 261, 336, 342 Maturana, H. 39 Matuschek, St. 59 Maurer, K. 206 Maushagen, A. 78 Mauz, A. 261 Mayer, A.C. 214 Mayordomo Marín, M. 5, 7, 28, 30, 40, 42, 49–53, 118, 186–188, 191f., 195, 202, 226, 243, 251, 254, 257, 259, 276, 391, 442, 471, 485 McHale, B. 36, 168 McKay, K.L. 267 McKnight, E.V. 24 Meelberg, V. 33 Mees, U. 201 Meibauer, J. 188 Meier, J.P. 254, 267, 449–451, 458f. Meinhard, I. 262, 486 Meiser, M. 10, 14, 471, 475
592
Namenregister
Meister, J.Chr. 27, 29, 33, 44, 48, 55, 66, 78, 85, 87, 94, 106f., 122, 125, 133, 162, 166–168, 171f., 175f., 178, 183, 185, 199, 217, 220, 243, 440 Melcher, K. 262 Mellmann, K. 193, 199, 201–204 Menand, L. 30 Menhard, F. 179 Menzel, M. 211 Merenlahti, P. 23 Merklein, H. 7, 120, 308f. Merz, A. 42 Metz, J.B. 261 Metzdorf, Chr. 15 Metzner, R. 251, 288, 305 Meurer, Th. 475 Meutsch, D. 41 Mey, J.L. 35, 188 Meyer, H. 78 Meyer, M. 34 Meyer, W.H. 51 Meyer-Kalkus, R. 192 Mezei, K. 35 Miall, D.S. 41, 201, 207 Michel, O. 324, 450, 458 Michie, D. 23, 75, 78, 80, 85, 122, 124, 126, 162, 165, 180, 185, 243, 329f. Middeke, M. 78, 176 Mieth, D. 225 Mikos, L. 78, 193, 196f., 199, 203 Miler, J. 250 Milikowsky, Ch. 57 Miller, D.A. 120 Miller, N. 118 Milne, P.J. 100 Minsky, M. 38 Mlakuzhyil, G. 91 Moore, St.D. 15, 23, 30, 48, 188, 192, 226 Moos, P. von 211f. Mora Paz, C. 20, 188 Moser, S. 41 Moser-Kroiss, J. 199 Muir, E. 105 Müller, B. 203 Müller, Chr.G. 125, 152 Müller, G. 30, 93 Müller, H.-H. 29, 49f., 52 Müller, J.E. 78
Müller, K. 66, 211 Müller, M. 331 Müller, R. 37, 44, 122 Müller, W.G. 170, 225 Müller-Oberhäuser, G. 192 Müllner, I. 16, 25, 193, 261 Münch, Chr. 13, 217f., 471, 475, 484 Munslow, A. 57 Muny, E. 33, 171 Naber, Chr. 60 Nadj, J. 67 Nahkola, A. 9 Naumann, Th. 16 Neidhart, W. 262, 274, 415 Neill, A. 201 Neirynck, F. 254, 267, 453, 455f. Nelles, W. 49, 55, 171–173 Neudorfer, H.-W. 471 Neumann, B. 27, 33–37, 45, 48, 57, 78, 87, 93f., 104, 108, 114, 119, 125, 153, 166, 168, 171, 178f., 191, 199, 211, 440 Neumann, K. 206 Neumeyer, H. 46 Neuse, W. 170 Newton, A.Z. 225 Neyrey, J.H. 250, 278 Nickel-Bacon, I. 57, 61f., 68 Nicklas, T. 9, 16, 42, 51, 198, 261, 274, 295 Nicol, M. 199, 488 Niederhoff, B. 164f., 171–173 Nieding, G. 189 Niehoff, M. 169 Nielsen, H.K. 206 Nielsen, K. 485 Nieragden, G. 152, 171 Nischik, R.M. 74, 116f., 168, 170 Nitsche, St.A. 11, 13f., 25, 48, 87, 105, 122, 185, 246, 471, 475 Nißlmüller, Th. 187 Noble, P.R. 16 Nolland, J. 268, 278, 320, 453, 455, 462, 465f., 468–470 Noller, A. 261 Nöth, W. 5, 151 Novakovic, L. 331 Nussbaumer, M. 38, 51, 188 Nünlist, R. 34
Namenregister Nünning, A. 27, 29, 31, 33–37, 39, 44– 46, 48–50, 52f., 55–59, 63, 65–69, 75, 78f., 87, 93f., 98, 104, 108, 114, 119, 125, 153f., 158, 164–168, 170– 172, 174–181, 191, 195, 199, 211, 225, 301, 440 Nünning, V. 27, 29, 33, 35f., 45, 75, 179–181, 195 Nuttall, A.D. 118 Oatley, K. 201, 206 Oehlmann, Chr.G. 262 Oeming, M. 2, 5, 15, 25, 30 Ohler, P. 189 Öhlschläger, C. 225 Oko, O.I. 24 Oliver, M.B. 236 Olmstead, W.G. 250, 329, 342 Olsen, St.H. 57 Olson, B.K. 178 Olson, G. 178 Onega, S. 29, 48 O’Neill, P. 34, 74, 171 Ong, W. 192 Opp, K.-D. 182 Oppel, D. 14, 103 Ordman, V. 203 Orosz, M. 35 Osborne, G.R. 23, 206, 254, 471 Oswald, W. 460 Otto, I. 226 Otto, J.H. 201 Otto, R. 204 Page, R.E. 35 Palachuvattil, M. 188, 254 Palmer, A. 43, 133, 168 Palmier, J.-P. 179 Pape, W. 197 Parambi, B. 329, 342 Parsons, M.C. 118 Parsons, T. 70 Pasala, S. 307 Pascal, R. 168 Patte, A. 106 Patte, D. 106f., 485 Paukstadt, B. 31, 100f., 106 Paul, D.J. 457, 460 Paul, H. 30 Pavel, Th.G. 70, 87, 91, 105, 108
593
Payne, M. 46 Pellegrini, S. 42, 50 Pennington, J.T. 280 Perkins, J. 34 Perrin, N. 453 Perry, M. 44, 118 Pesch, R. 254, 456 Peschke, E. 263 Petersen, J.H. 25, 57, 166f., 170 Petersen, N.R. 24, 120, 164f., 299 Pethes, N. 212 Petrey, S. 35 Petrova, A. 78 Petry, M. 33, 36 Pettersson, B. 45, 211 Petty, R.E. 232 Petzoldt, M. 485 Pfeiffer, K.L. 57 Pfister, M. 26, 32, 34, 45, 48, 75, 78, 80, 83f., 87, 89–91, 93, 98, 116f., 125f., 128f., 138, 146–149, 152f., 156, 158, 160, 164, 169, 179, 195, 199f., 325, 327, 365 Phelan, J. 35, 118, 127, 171, 184, 191, 225 Piaget, J. 197 Piatti, M. 81 Pier, J. 33, 55f., 74 Pietraß, M. 57, 63 Pike, K.L. 119 Pilkington, A. 35 Platz, N.H. 201, 237 Platz-Waury, E. 94 Plett, H.F. 34, 44 Plüss, D. 488 Pohl-Patalong, U. 262 Poland, L. 30 Polanski, M. 18 Polheim, K.K. 147 Polzin, R.M. 12 Poplutz, U. VI, 87, 103, 118, 125f., 133, 152, 158, 199f., 205, 250f., 254, 307, 316, 329, 336, 342, 352, 418, 488 Popper, K. 127 Portmann, P.R. 38, 51, 188 Posner, R.A. 225 Pouillon, J. 172 Powell, M.A. 2, 5, 10, 23, 28, 30, 48, 75, 78–81, 83–85, 87, 93f., 113f.,
594
Namenregister
118, 122, 125, 153, 162, 165, 168, 175, 179f., 195, 243, 248–250, 254, 316, 321f., 328, 331, 336 Power, M.J. 201 Pramann, S. 2, 165f., 168, 171f., 176, 178, 180 Pratscher, W. 213 Prechtl, P. 40, 188 Pregla, A.-R. 2, 25, 30 Preuß, H.D. 206 Prince, G. 29, 31, 35, 85, 113, 148, 171 Profitlich, U. 203 Propp, V. 24, 29f., 91, 99f., 107, 149– 151, 302 Pufendorf, A. von 79 Puig i Tàrrech, A. 120 Punt, J. 16, 485 Pütz, P. 94, 97, 199 Quasthoff, U.M. 25 Quinkertz, U. 154, 168, 170f., 185, 197 Rabinowitz, P.J. 52, 153, 168 Rabkin, E.S. 199 Radicke, J. 34 Raguse, H. 48, 57, 195 Raible, W. 31, 91, 100f., 105 Rainey, L. 30 Räisänen, H. 485 Rapp, D.N. 225 Rath, M. 225 Rathmann, Th. 89 Rau, E. 221 Reckwitz, E. 105, 197 Reed, J.T. 91 Reeves, K.H. 253, 267, 316, 320, 330f., 336, 342, 346, 354 Regnet, E. 115 Rehberger, K. 35 Rehkopf, F. 463 Reichel, N. 78, 84 Reicher, M.E. 57, 62 Reichert, A. 9f. Reidel-Schrewe, U. 79 Reinfandt, Chr. 6 Reinhardt, H. 180 Reinmuth, E. 485 Reiß, G. 7, 24, 26, 48, 125 Rengakos, A. 34 Renner, K.N. 83
Repschinski, B. 331 Resseguie, J.L. 23f., 30, 44, 78–80, 82, 85, 87, 104, 114, 118, 122f., 125, 148, 153, 155–158, 162, 165, 168, 172, 180, 185, 243, 273 Retsch, A. 118 Rheinberg, F. 140 Rhoads, D. 2, 5, 23, 75, 78, 80f., 85, 122, 124–126, 156, 162, 165, 180, 185, 192, 243, 329f. Richardson, B. 29, 74, 94, 118, 120, 167 Richardson, S.D. 34 Richter, D.H. 120, 225 Richter, M(atthias) 187 Richter, M(ichael) 225 Richter, W. 10, 19, 25, 471 Ricklin, Th. 211 Ricœur, P. 57–59, 80, 87, 93, 100, 105f., 120, 197, 224 Rieck, Chr. 113 Riedel, M. 486 Rienecker, F. 264 Riffaterre, M. 79 Rigney, A. 59 Rimmon-Kenan, Sh. 25f., 29, 32f., 36, 48–50, 53, 56, 74, 87, 94, 99f., 105f., 116–118, 125, 127, 152f., 156, 165, 168, 171, 177, 183f., 197 Ritter, A. 78 Rivara, R. 171 Rizzolatti, G. 193 Roberts, D.H. 120 Robson, M. 46 Rodiek, Chr. 70 Roggendorf, S. 45 Rolf, E. 214 Ronen, R. 78, 80, 87, 108, 110f. Rösch, G.M. 212 Rose, Chr. 10f., 25, 53, 55, 192 Rosenberg, M.J. 226f. Roth, U. 488 Rouiller, G. 15 Rousseau, J. 51 RRENAB 24 Ruchatz, J. 212 Rühl, M. 119 Rumelhart, D.E. 38 Runggaldier, E. 75 Ruppen, P. 229
Namenregister Ruppert, L. 15 Rusch, G. 41 Rüsen, J. 59 Russ, H.G. 18 Russell, E.A. 260 Rusterholz, P. 31 Rüth, A. 59 Ryan, M.-L. 29, 33, 37, 43, 56, 62, 78, 81f., 87, 106–112, 113–115, 130, 179, 249, 308f., 316 Said, E. 118 Saldarini, A.J. 260 Sals, U. 460, 486 Salvato, L. 170 Samely, A. 259 Samida, St. 59 Sand, A. 268, 463, 475 Sander, C. 197f. Sänger, D. 34 Sankey, H. 18 Sappok, Chr. 78 Saul, N. 236 Saupe, A. 27, 33, 57, 87, 112, 125 Saussure, F. de 31 Scarinzi, A. 486 Schaberg, J. 254, 459 Schabert, I. 195 Schaeffer, J.-M. 56f. Schäfers, B. 182 Schank, R.C. 38f. Schardt, R. 74 Scheerer, Th.M. 105 Scheffel, M. 25–27, 37, 39f., 43, 55– 57, 59f., 66, 68, 74, 82f., 87–90, 92, 94, 96, 98–101, 103f., 106, 108, 111, 126, 141f., 154f., 166–172, 174– 176, 178, 183f., 197 Scheiding, O. 34 Schein, S.L. 34 Schellong, D. 15 Schenk, M. 40, 47, 189, 191, 201, 225– 229, 231f., 235f., 239 Schenk, W. 19 Scherb, J.L. 485 Schernus, W. 27, 166 Schick, Th. 201 Schieber, H. 449 Schiewer, G.L. 202, 204 Schindler, K. 460
595
Schiwy, G. 31 Schlatter, A. 465, 467 Schleifer, R. 106, 150 Schlicht, K. 118, 121 Schlickers, S. 171 Schlimbach, I. 201 Schluchter, M. 7, 24, 26, 48, 125 Schmid, H.-J. 45 Schmid, W. 27, 30, 47–49, 55, 74, 82, 89, 93, 164f., 168, 171f., 175, 178 Schmidt, J. 201 Schmidt, L. 17 Schmidt, R. 236 Schmidt, S.J. 17, 21, 39, 41, 56f., 188 Schmidt, U. 25, 261 Schmitt, J.-C. 211 Schmitz, B. 5, 7f., 12, 25f., 48f., 53, 57, 78, 171, 175–178, 180 Schmitz, Th.A. 34 Schnabel, E.J. 471 Schneider, I. 37f., 44, 199 Schneider, J. 27, 57, 125, 165, 189, 191, 206f. Schneider, R. 37, 39, 43, 45, 51, 125, 127–129, 158, 187, 189, 195f., 200, 202–204, 234, 245 Schnelle, U. 10, 13–15, 17, 206, 471 Scholes, R.E. 31, 87, 125, 165 Scholz, St. 103, 486 Schönert, J. 29, 33, 35, 59, 166 Schönherr-Mann, H.-M. 486 Schößler, F. 34, 45f., 59 Schöttker, D. 41 Schöttler, H.-G. 259, 274 Schram, D.H. 41, 195, 239 Schramm, Chr. 15, 51 Schreier, M. 37, 41, 57, 61f., 68, 195, 231f., 234f. Schreiner, M. 51 Schroeter, H. 15 Schröter, J. 16, 59 Schulte, St. 50, 129, 187, 193, 197, 217 Schulz, R. 34 Schulz, V. 29, 252 Schulz-Buschhaus, U. 195 Schulz von Thun, F. 54, 428 Schulze, A.-K. 199 Schunack, G. 5, 23 Schürer, M. 211 Schüssler Fiorenza, E. 261, 485
596
Namenregister
Schutte, J. 6, 17, 47f., 123 Schüwer, M. 33 Schwan, St. 225 Schwarz(-Friesel), M. 39, 201, 214, 471 Schwarze, H.-W. 74, 78, 87, 89, 92–95, 98, 116, 118–121, 154, 168, 171, 199, 290 Schweiger, W. 191 Schweizer, E. 258 Schweizer, H. 19, 25, 188 Scott, B.B. 192 Seager, D.L. 55 Searle, J.R. 54, 62, 184, 188 Seibel, K. 183 Seidel, G. 147 Seidl, Th. 19 Seiler, St. 34 Sell, R.D. 35, 184 Sellew, Ph. 169 Sellin, G. 148 Semino, E. 37 Setzkorn, S. 67 Seul, P. 11, 25 Sevrin, J.M. 120 Sexl, M. 6 Seybold, K. 25 Shaw, H.E. 48, 225 Sheffield, J. 413 Shen, D. 44, 74, 171 Short, M.H. 168 Siebenthal, H. von 40, 91, 388 Sikora, Sh. 207 Silbereisen, R.K. 129, 137 Simonis, A. 46 Sinigaglia, C. 193 Six, U. 225 Ska, J.-L. 23–25, 74, 87, 91, 94, 97, 99f., 103, 105, 116–118, 125, 138, 148–150, 153f., 156, 168, 171, 175, 184, 193 Skalin, L.-Å. 57, 171 Skirl, H. 214 Šklovskij, V. 30 Skrandies, T. 179 Sládek, O. 108 Smith, B. Herrnstein 120 Smith, D.E. 118f. Smith, M. 193 Smith, R.H. 250
Smith, St.H. 48, 192f., 195, 328 Snyman, G. 195 Söding, Th. 7, 13, 17, 471, 475, 484 Sommer, R. 33, 35, 37, 45 Sonnet, J.-P. 24, 250 Souriau, É. 44, 150 Sowarka, B.H. 180 Sowinski, B. 91 Sparmacher, A. 105f. Spencer, P.E. 52 Spieckermann, I. 264 Spoerhase, C. 52 Spree, A. 108 Sprenger, M. 66 Spurlin, W.J. 30 Stamps, D.L. 44 Stanton, G.N. 192, 248, 254 Stanzel, F.K. 30, 43, 57, 73, 119, 166– 168, 170–174, 176, 196, 207, 365 Steck, O.H. 10, 14, 373, 460, 470 Stede, M. 91 Steen, G. 37 Stegmüller, W. 18 Stein, M. 33, 171f. Steinberg, G. 170 Steinbrink, B. 190 Steiner, P. 100 Steins, G. 7, 16, 42 Stenger, W. 9 Sternberg, M. 25, 37, 99, 105, 118f., 125, 154 Stibbe, M.W.G. 5, 104, 150, 282 Stiegler, B. 187 Stierle, K. 74, 211 Stilz, G. 35 Stock, A. 259 Stocker, P. 34, 55, 171, 173 Stockwell, P. 37f., 43, 45, 193 Stoddard, K. 34 Störmer-Caysa, U. 78f. Strange, J.J. 225 Strasen, S. 35, 44, 166, 171f., 174, 180, 184f. Strecker, G. 254, 458 Strobel, A. 459 Strohner, H. 40 Ströker, E. 85 Strube, S.A. VI, 15, 51 Stucke, F. 203 Stuhlmacher, P. 191, 263, 475
Namenregister
597
Stühlmeyer, Th. 191, 262 Sturgess, Ph.J.M. 113 Stürmer, R. 199, 201 Suckfüll, M. 191, 197, 207, 211, 232, 235 Suh, S. 259 Sullivan, J.P. 34 Sundberg, W. 485 Surkamp, C. 43f., 108, 110f., 120, 133, 137, 165, 178–181 Sutrop, M. 57 Syreeni, K. 125, 127, 250, 329
Tröhler, M. 201 Tschopp, S.S. 57, 69 Tucker, J.T. 223 Turner, C.H. 463
Talbert, Ch.H. 52 Talstra, E. 10, 16 Tan, E.S. 201f. Taschl-Erber, A. 273 Taschner, J. 166 Tate, W.R. 6 Taylor, Ch. 225 Telle, T. 46 Teller, K. 35 Tepe, P. 52, 206 Theis, J. 39, 51 Theißen, G. 4, 11, 260, 485 Theobald, M. 9 Thielmann, T. 79 Thomas, A. 182, 226 Thomasset, A. 224 Thompson, G. 180 Thon, J.-N. 180, 197 Thürnau, D. 211 Till, D. 27, 193, 202 Tillmann, Th. 263 Tirole, J. 113 Titzmann, M. 31, 45, 107 Todorov, T. 27, 32, 99, 101, 107, 109f., 172 Tolmie, D.F. 25, 74, 78, 87, 94f., 107, 125, 150, 171, 175, 184 Tomaševskij, B.V. 30, 90, 92 Tompkins, J.P. 187 Tonn, H. 45f. Toolan, M.J. 37, 87, 92–94, 100, 103, 146, 168, 171 Toporov, V.N. 100 Torgovnick, M. 120 Tovey, D. 48, 166 Trabasso, T. 259 Trilling, W. 254
Vahrenhorst, M. 456 Vaihinger, H. 62 van Aarde, A.G. 23 van Baak, J.J. 78 Vandaele, J. 37 van der Horst, P.W. 267 van Dijk, T.A. 91 van Holt, N. 195, 201, 204 van Montfoort, I. 56, 61 van Peer, W. 37, 171 van Ruiswijk, W. 56, 61 van Tilborg, S. 342 van Zoest, A. 78 Vater, H. 39, 91 Veeser, H.A. 46 Verstraten, P.W.J. 33 Vervaeck, B. 27, 33, 166, 168, 171, 175, 180 Vette, J. 25, 49, 87, 94, 125, 140, 153f. Viehoff, R. 39, 41, 44 Vieweger, D. 13, 471, 475 Vogel, M. 182 Vogt, J. 57, 63, 93, 98, 166, 168, 171 Volek, E. 88 Volkmann, L. 46, 59, 213 Volli, U. 32 Vorderer, P. 41, 189, 191, 195, 199, 204, 225f., 232, 239 Voss, Chr. 57, 197 Voss, G. 15 Vouga, F. 17
Ueding, G. 190 Uhlig, C. 30 Upton, B.G. 192 Uspenskij, B.A. 137, 165f., 180 Utzschneider, H. 6, 11, 13f., 25, 48, 87, 91, 105, 122, 185, 187, 246, 471, 475
Wachinger, B. 211 Wahl, H. 193 Wainwright, E.M. 342 Waletzky, J. 103 Walsh, R. 54, 57
598 Walter, N. 455, 457 Walton, K.L. 62 Warhol, R.R. 35 Warning, R. 187 Washof, W. 212 Wasserberg, G. 25 Waters, K.L. 277 Watson, D.F. 44 Weaver, D.J. 203, 250f., 342, 380f. Weber, B. 7 Weber, G. 211 Weber, J.J. 37 Weber, K. 250 Wegener, D.T. 230 Wegmann, N. 234 Wegner, M. 79 Weich, K.W. 191 Weidacher, G.E. 57, 62 Weidemann, H.-U. 52 Weidle, R. 171 Weidner, D. 25 Weigl, M. 206 Weimann, R. 30 Weingarten, R. 460 Weinrich, H. 176, 261 Weise, U. 21, 91, 188, 265 Weiss, A.L. 214 Weiß, H.-F. 260 Welke-Holtmann, S. 188 Wellbery, D.E. 15 Wellek, R. 30 Wellhöfer, P.R. 232 Wels, A. 62 Welsh, A. 120 Welz, St. 262 Wénin, A. 24 Wenz, K. 78, 80 Wenzel, K. 261 Wenzel, P. 6, 27f., 30, 44, 48, 74f., 122, 199f., 243 Weren, W.J.C. 320, 457 Werlen, H.-J. 486 White, H.V. 58f., 104 Widmann, A.M. 70 Wied, M. de 203 Wiegmann, H. 166 Wilckens, U. 4, 258 Wildekamp, A. 56, 61 Wilk, F. 267 Wilkins, M.J. 336, 339
Namenregister Willer, St. 212 Willitts, J. 331 Willmes, B. 19 Wilson, T.D. 226 Wilson, W.K. 52 Wimsatt, W.K., Jr. 30, 52 Winger, J.M. 453, 462f. Winkgens, M. 50 Winkler, M. 105 Winko, S. 6, 19, 28, 30, 36f., 40f., 45f., 52, 72, 114, 137, 187, 201f., 212, 236, 240, 484 Winter, A. 460 Winterhoff-Spurk, P. 225 Wischmeyer, O. 5, 15, 17 Wischmeyer, W. 259 Wisse, J. 201 Wiswede, G. 128, 182, 226, 232, 236 Wójcic-Leese, E. 37 Wolf, W. 55f., 66f., 171–175, 180, 197f. Wolff, Chr. 108 Wolff, E. 52 Wolff, M.-L. 57, 63, 209 Womack, K. 225 Worthmann, F. 114, 236, 484 Wray Beal, L.M. 25 Wrobel, A. 460 Wulff, H.J. 193f., 199 Wünsch, C. 189 Würzbach, N. 78f., 84 Yamasaki, G. 2, 48, 165f., 172, 192f., 251, 371 Yao, Sh.-J. 212 Yevseyev, V. 91 Yieh, J.Y.-H. 331 Zaboura, N. 193 Zangenberg, J. 250, 273 Zapf, H. 46 Zeindler, M. 225 Zelle, C. 201 Zelter, J. 57 Zenger, E. 255, 259 Zerbst, R. 47f. Zerweck, B. 35, 37, 40, 43–45, 178 Ziem, A. 38 Zillmann, D. 193, 203, 211, 245 Zimmermann, H. 19, 454
Namenregister Zimmermann, R. 5f., 20, 51, 59, 106, 205, 213–215, 217, 221–223 Zipfel, A. 225f. Zipfel, F. 56f., 59, 61–73, 207 Zoran, G. 78f.
Zufelde, S. 67 Zumstein, J. 23f., 458 Zunshine, L. 37, 133 Zwaan, R.A. 199 Zymner, R. 37, 104, 217f.
599
Sachregister ab ovo-Erzählanfang 119 Abrams-Klassifizierung 5–7 Abschlusswirkung 120f. Achronie (Erzählreihenfolge) 94, 98 Adressaten s. Erzähladressat affective fallacy s. fallacy Affektenlehre (Rhetorik) 201 Affektenlehre, pietistische (A.H. Francke) 262f. Agenda-Setting-Theorie 231, 233 Akt 90 Aktantenmodell (A.J. Greimas) 150, 253, 355, 357, 445, 452 Aktion 89, 112, 294 Aktionsraum 82, 84 Aktualisierung s. Anwendung Aktualisierung (Handlung) 105 alethisch 109f., 183, 227f. alethischer Standpunkt s. Überzeugungen Allegorie/Allegorese/Allegorisierung/ allegorische Auslegung 207, 217f., 221f., 428 Alltagserzählungen s. Wirklichkeitserzählungen Alltagsexegese s. empirische Exegese Alltagspsychologie 130f., 135, 137, 139, 141, 159, 237f., 441 Alltagstheorien 130, 144 Anachronie 69, 72, 88, 94–97, 299f. – antizipative/retrospektive 95 – diegetische/metadiegetische 95 – eingebettete 95 – erster, zweiter Ordnung 95f. – explizite/oblique 97 – externe/interne/gemischte 96 – homo-/heterodiegetische 96 – intra-/extradiegetische 96 – kompletive/repetitive 96f. – komplette/partielle 96
– objektive/subjektive 95f. Anagnorisis (ajnagnwvrisi~) 102, 105, 305–307 Analepse 45, 95–97, 121, 291–293, 299f. Analogie (vgl. Anwendung) 60, 135, 152f., 206, 211, 220 analyse narrative (frz.) 24 Analyse vs. Darstellung 245f., 255, 257f., 260f., 482, 485 analytische Ontologie s. Ontologie analytische vs. synthetische Kategorien 94, 104, 157, 161, 222–224, 240, 242, 274, 303f., 308, 452, 478f. Anapher (rhetorische Figur) 72 Anderen, die 159 Anfang einer Erzählung s. Handlung, Anfang Angelologie 135 Angelophanie 448, 456, 466–470 Angst (vgl. Furcht) 240 Anisochronie 98 Anschauungsraum 81, 84 Antagonist s. Figur, Antagonist Anthropologie der Figur 133f., 226 anthropologisches Wissen 212 Antijudaismus/-semitismus 260 Antipathie s. Sympathie antizipative Anachronie s. Prolepse Anwendung/Applikation/Rezipientenbezug 59, 73, 145, 160f., 190f., 199f., 204, 205–224, 264, 343, 411–429, 441, 444, 446 – Anwendungskonzeption 221–224, 429 – Applikabilität 199f., 223 – Applikand/Applikat 214 – Applikationsform 222 – Applikationssignale 213, 216–220 – Applikativität 223, 234f., 243, 429
Sachregister – – – – –
ausgedehnte s.u. punktuelle Definition von 207 denotative/substitutive 208 direkte 207–209, 212, 412–415 doppelte (auf zwei Erzählebenen) 214 – Figurenapplikation 210–213, 215f., 415–427 – als Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung 205f. – gegenwärtige/zukünftige 210, 221, 416, 426f. – indirekte 210–220, 415–428 – intendierte 206, 213, insges. 205–224 – als kognitiver Vorgang 207 – konkret-persönliche/konkret-fremde/ abstrakte 210–213, 416, 426f. – Konkretionstiefe 220 – nicht-intendierte (Allegorese) 206f. – positive/negative 210, 219 – punktuelle/ausgedehnte 210, 218 Apokryphen, neutestamentliche 261, 367, 486 Apologetik 239–241 Applikation s. Anwendung Archetypentheorie s. Psychologie, tiefenpsychologische Interpretation Ärger 202, 204, 245, 404–410 Argumente/argumentative Texte 232– 235 Artefaktdimension/-eigenschaften 127, 157, 204 Artificial Intelligence s. Künstliche Intelligenz Ästhetik (vgl. Poetizität) 187 ästhetische Emotionen (vgl. Rezeptionsemotionen) 202, 204, 408f. ästhetische Illusion s. Realitätseffekt Ätiologie 208, 239, 242, 392 Attributionstheorie (Sozialpsychologie) 128, 130, 136, 141f. audience-oriented criticism 251 Auferstehung Christi 93, 96, 121f., 137, 143, 199, 230f., 233, 310–315, 331–341, 400–402, 411–413, 430f., 463–468, 475f. Aufmerksamkeit des Rezipienten 44, 91, 132f., 143f., 149, 155, 158, 202, 211, 216f., 220, 232–235, 352–355, 360, 366
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auktoriales Publikum (authorial audience) 52, 250 Auslegungspraxis (vgl. Predigt) VI, 46, 58, 206, 216, 246, 248–265, 447–477, 487 Aussagen, dynamische/statische 90, 290, 294 Außenperspektive 174 Aussparung s. Ellipse Autobiografie s. Biografie Autonomie des Kunstwerks s. „textimmanente“ Interpretation; Autorintention bei Rezeption von Kunst Autor (vgl. Erzähler) – abstrakter 47, 49 – allwissender 178 – Autor, Text und Leser s. AbramsKlassifizierung – Autor, Theologie s. Theologie des Autors – Autorfiguration 49 – Autorintention (vgl. Fehlschluss, intentionaler) V, 16, 18, 32, 52f., 183f., 191, 205f., 242, 248, 257, 262, 272f., 428, 441, 444, 454f., 479, insges. 186–245, 392–438 – Autorintention bei Rezeption von Kunst 52, 192 – Bild des Rezipienten vom Autor 49, 53f., 441 – und/als Erzähler 54f., 68, 442 – impliziter/implizierter (implied author) 41, 48–50, 53, 55, 441 – kognitives Modell 49, 53, 441 – Modell-Autor 49 – Persönlichkeit (vgl. Erzähler) 454 – realer/konkreter/empirischer/historischer 41, 47f., 50, 192 – Selbstbild 53 – als Textstrategie 49 Autorität, biblische/literarische (vgl. Kanon) 73, 234 axiologisch 109f., 181f., 227f. axiologischer Standpunkt s. Einstellungen backstage character s. Figur, Hintergrundfigur Beauftragungsgeschichte 449f., 459 Bedeutsamkeit s. Anwendung
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Sachregister
Bedürfnisbefriedigung 191 Bedürfnispyramide (Maslow) 131, 139f. Bedrohungsspannung s. Spannung Beeinflussungsstärke 242 befreiungstheologische Exegese s. Narratologie, postkoloniale Befreiungswunder 449, 452 Beispielerzählung 221–223, 429 Beobachtungslernen 211 Bericht 119, 152, 168 Beschreibung/beschreibende Aussagen (vgl. Charakterisierung) 89f., 119, 152 besprochene Welt 128, 326f. Bewegung – der Figuren 82f. – Verben der 80 Bewertung s. Figuren, Bewertung; Methoden, Bewertung; Textbewertung Bewunderung 195, 203 Bewusstseinsstrom (stream of consciousness) 46, 170f. Bezugsgröße (Gleichnis) 215–219, 221–223 Bibelauslegung s. Exegese Bibeldidaktik (vgl. Pädagogik; Kinder) 488 Bibelkommentar s. Kommentar Bibelverständnis s. empirische Exegese; Rezeption Bibliodrama/Bibliolog 261f., 274, 488 Biblische Theologie (vgl. Thema) 477, 487 Big Five (Persönlichkeitspsychologie) 131, 136 Bileam 460 Bildhälfte/-feld/-text (Gleichnis) 214f. Bildungsroman 115 Bildwort 221 Binnenerzählung 55, 168, 184, 205, 215 Biografie (fiktionale) 54, 69, 71, 79 block character (statische Figur) 157 Blockcharakterisierung 98, 154, 361 bottom-up-Verstehen 39, 132 boundary marker (vgl. Kultivierungsdifferenzial) 431 Brief 177 Bühne (Theater) 83f., 488
Bundesformular (Gattung) 450 Camera-Eye-Darstellung 69, 172 character s. Figur, Charakterzüge character-NOW (S. Chatman) 176 Charakter/Typus-Unterscheidung 158 Charakterisierung (Erzähler) s. Erzähler, Charakterisierung Charakterisierung (Figur) 50, 77, 127, 129, 151–156, 328, 357–362 – auktoriale/narratoriale/figurale 153– 155, 361 – Charakterisierungsprofil 155f. – direkte/indirekte 152, 361 – explizite/implizite 152, 361 – methodische Probleme 360–362 – szenische 154 – Zuverlässigkeitsskala 155 Chiffre 221 Christologie 135, 328, 331, 342 Christophanie 449, 456 Chronotopos (M. Bachtin) 79 Close Reading 31 closure s. Geschlossenheit (Erzählende) Cognitive Poetics s. Wende, kognitive cognitive turn s. Wende, kognitive Comic 33, 193, 261, 439 Computerspiel 33, 112, 180, 193, 197, 224, 439 Contagonist s. Figur, Contagonist Coping (Psychologie) 204 Cultural Studies s. Kulturwissenschaft cultural turn s. Wende, kulturelle Dämonologie 135 deduktiv s. induktiv default value (Schematheorie) 38 Dehnung s. Zeitdehnung Deixis/deiktische Ausdrücke 188 delectare (Rezeptionswirkung) 190 Denotation (N. Goodman) 207 deontisch 109f. Detailfülle 69, 198, 399f. Detektivroman 97, 115, 319 deus ex machina 151 Deutung vs. Auslegung 220 Diachronie s. Synchronie/Diachronie Diegesis (dihvghsi~) 168 diegetisch/außerdiegetisch 141 Dilemmageschichte 225
Sachregister discourse s. story/discourse dispositio (Rhetorik) 245 Dissonanz, kognitive 132, 136, 231 Distanz – bei der Wiedergabe von Gesprächen s. Erzähldistanz – des Rezipienten zu Figuren s. Empathie docere (Rezeptionswirkung) 190 Dokumentarfilm 60, 208 Doppelung (vgl. Spannung [tension]) s. Verdoppelung; Erzählung, iterative Drama/Dramenanalyse 32f., 82f., 93f., 102–104, 128f., 156, 160, 169, 171, 193, 199–201, 248, 349, 351 – geschlossene/offene Form 102, 119 dramatisches Dreieck 147f., 349 dramaturgische Homiletik s. Homiletik, dramaturgische Drei-Welten-Theorie (K. Popper) 127 Du-Erzählung 167 Dynamic Narrative System (DNS) 166 dynamische Motive/Aussagen s. Aussagen, dynamische effet du réel s. Realitätseffekt ego-involvement (Psychologie) 230 Eigenschaft (vgl. Figurenmerkmale) 90 Eigenschaftsspektrum 147 Einfühlung s. Empathie Einfühlungsvermögen 194 Einsatzpunkt (Erzählanfang) 119 Einstellungen (vgl. Erzählerstandpunkt; Figuren, Meinungen; Perspektivenstruktur; Werte) – Drei-Komponenten-Modell (Affekt, Kognition, Verhalten) 226f. – Einstellungsdimensionen 230 – Einstellungsstärke (attitude strength) 230f. – Einstellungswandel 73, 182f., 190f., 198, 207, 209, 224–243, 248, 343, 429–438, 444 – Elaborations-Wahrscheinlichkeitsmodell (elaboration likelihood model; ELM) 232–235 – im engeren Sinn: axiologischer Standpunkt 228, 378 – zu erzählexternen/erzählinternen Entitäten und zu Merkmalen 228
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– Vor-Einstellungen 229–231, 432–437 – im weiteren Sinn 227f. Ellipse (erzählte Zeit) 69, 96–98 – explizite/implizite/hypothetische 98 – bestimmte/unbestimmte 98 elocutio (Rhetorik) 245 emischer Textanfang (Harweg) 119 emotional turn s. Wende, emotionale Emotionalisierung 261–264, 366f., 446 Emotionen s. Erzähler, Gefühle; Figuren, Gefühle; Rezeptionsemotionen Empathie 50, 68, 73, 120, 129, 137, 169, 182, 189f., 193–195, 196, 203, 207, 211, 234, 245, 248, 251, 259, 262, 264, 343, 352–354, 372, 393– 397, 406, 444 – Empathiedynamik 393, 397 – Empathiefähigkeit 194 Empfänger s. Leser; Rezipient; Kommunikation; Aktantenmodell Empfindungen 201 empirische Fragestellung – empirische Exegese 51, 231, 233, 259, 262, 274, 446 – empirische Literaturwissenschaft (als theoretisches Programm) 40f., 187, 189, 204 – empirische Rezeptionsforschung 35, 37, 39–41, 51, 121, 131, 184, 187, 189, 191, 194, 197–199, 202–204, 206, 224, 230–237, 259, 262, 274, 309, 313, 315, 319, 397, 399f., 446, 451, 460, 488 emplotment 59 Ende einer Erzählung s. Handlung, Schluss Endtext 9–12, 14, 461 Engel 125, 228, 342, 349f., 353, 380, 394, 397, 443, 469f., 476f. Enttäuschung 202, 404–410 Enzyklopädie (U. Eco) s. Vorwissen Epiphanie 451 episches Präteritum 63, 176 episches Theater 198 Episode 90, 116 epistemisch 109 Er-Erzähler s. Erzähler, Er-Erzähler Ereignis (J. Lotman) 82f., 89 Ereignis (Zustandsveränderung) 89f., 112, 208, 212, 290–297, 309–313
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Sachregister
– Ereignisfrequenz s. Handlungsdichte – Ereignishaftigkeit 93 – kausale Verknüpfung von 113 – mögliches 112 – retardierendes 312 – virtuelles 112 Erfüllungszitate 204, 372, 376 Ergehen der Figuren s. Figur, Figurenschicksal Erhabene, das 204 Erinnerung/Gedächtnis(forschung)/Behalten (vgl. Aufmerksamkeit; Lesegedächtnis) 45, 118, 232, 235 – Erinnerungsnähe 145f., 216, 218f., 343–347, 415f., 428, 443, 473f. erlebendes Ich 56, 167, 176 erlebte Rede s. Rede, erlebte Erleichterung 202, 404–410 Erregung/Anspannung (Rezeptionsemotion) 204, 230 Erscheinungsgeschichte (Gattung) 449, 459 Erscheinungskontext 66 Erwartungen s. Handlungserwartungen Erwartungs-mal-Wert-Modell (Psychologie) 140 Erwartungshorizont (H.R. Jauß) 39f., 309 Erzählabsicht s. Erzähler, Intention Erzähladressat (= intendierter Rezipient) 48, 53–55, 183, 209f., 215f., 221f., 225f., 229–231, 366, 390–392, 411 – Geschlecht 390 – Identität 183, 189, 390f. – Inferenzen s. Inferenzprozesse – historischer 189 – offener/verborgener (overt/covert narratee) 183, 390 – Wirkung s. Rezeption/Rezipient – Wissen s. Vorwissen Erzählbarkeit (tellability) 41, 93, 113, 313 Erzähldauer s. Erzählzeit; Erzählgeschwindigkeit Erzähldistanz 50, 165f., 168–171, 194, 197, 367–369 Erzählebenen s. Kommunikationsebenen erzählendes Ich 56, 167, 176
Erzähler (vgl. Autor; Figur) 26, 48, 53– 56, 175–184, 256, 441, 454f. – allwissender 65, 178 – Autor als primärer Erzähler 54f., 68, 373f., 442 – Beteiligung 166–168, 193, 365–367 – Charakter 177, 441, 454f. – Er-Erzähler 166f., 365–367 – erzählerische Fertigkeiten 178, 377 – Erzählerkamera (Perspektive) 173 – Erzählerkommentar 94, 98, 119, 152f., 180, 194, 196f., 372, 377 – Erzählerstandpunkt (Einstellungen und Überzeugungen) 179–183, 229, 242, 378–389, 444, 455, 477, 480, 485 – expliziter (overt narrator) 177, 181 – extra/intra/meta/hypo/homo/heterodiegetischer s. Erzählung – Ich-Erzähler (vgl. erzählendes/erlebendes Ich) 166f., 365–367 – Identität 375 – Intention 183f., 186–245, 392–438 – Gefühle 137, 375f., 441, 455 – Geschlecht 176f., 375 – Meinungen s.o. Erzählerstandpunkt – als mentales Modell 49, 53f., 176, 374, 378, 442 – primärer, sekundärer, tertiärer 55, 372f. – Standort, räumlich-zeitlicher 166, 176f., 373f. – Standpunkt, evaluativer/ideologischer s.o. Erzählerstandpunkt – als Textstruktur 176f., 441 – unzuverlässiger (unreliable narrator) 44, 46, 55, 68, 109, 153, 155, 178f., 270–272, 301, 360f., 366, 377, 385 – verborgener (covert narrator) 69, 177, 197, 373, 376f. – Verhältnis zum Erzählten 165f. – Wissen 178f., 377 Erzählfaden s. Handlungsfaden Erzählfrequenz 69, 93, 98f., 301f. Erzählgefälle 218 Erzählgeschwindigkeit/-dauer/-tempo 69, 91, 93, 97f., 121, 171, 301 – Geschwindigkeitsmuster 301 – Geschwindigkeitsspektrum 98 Erzählinstanz (vgl. Erzähler) 175, 177
Sachregister Erzählkontext (vgl. Kontext, historischer/kultureller) 183, 205, 217, 390– 392, 455 – historische Datierung 373f. Erzähllogik 275–277, 279, 285, 296, 312–314, 399 Erzählmodus (vgl. telling/showing; Erzähldistanz; Fokalisierung; Modus) – narrativer/dramatischer 154 – statischer/dynamischer 119, 152 Erzählordnung 93–97, 299 Erzählpause s. Pause Erzählperspektive s. Perspektive Erzählsituation (F.K. Stanzel) 166 Erzählstimme (vgl. Erzähler) 176f. erzählte Welt 43, 78, 108–111, 127, 179, 208, 247, 259 – alternative mögliche Welt (APW) 109 – authentische/vorgetäuschte Welt 110 – Erzählerdomäne/-welt 109, 179 – Figurendomäne/-welt 109, 179 – homogene/heterogene Welt 86, 108 – Intentionswelt (I-Welt) 110 – mögliche/unmögliche Welt 64f., 108 – narratoriale tatsächliche Welt (NAW) 109 – Pflichtenwelt (O-Welt) 109, 114f. – stabile/instabile Welt 86, 108 – textuelle Referenzwelt (TRW) 109, 111 – textuelle tatsächliche Welt (TAW) 108, 111, 249 – uniregionale/pluriregionale Welt 86, 108 – Wissenswelt (K-Welt) 109, 114f. – Wunschwelt (W-Welt) 109, 114f., 249 erzählte Zeit(dauer) 93f. Erzähltechnik (vgl. story/discourseUnterscheidung; Perspektivenanalyse) 46, 51, 62, 116, 122, 133, 155, 169, 224, 230, 234f., 247, 249–255, 257f., 299–302, 315, 348, 357–360, 365– 392, 479–481 Erzähltempo s. Erzählgeschwindigkeit erzählter Zeitpunkt 94 Erzähltextanalyse s. Narratologie Erzähltheorie s. Narratologie
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Erzählung – alterapplikative 223, 429 – Analyseaspekte 74–76 – Anfang/Schluss s. Handlung s.v. – Applikation/Bedeutsamkeit einer s. Anwendung – Beeinflussungsstärke einer 242f. – beschreibende 222 – Definition von 29 – doppelsinnige/-bödige 222, 429 – Emotionalität einer 204f., 243, 410 – episodische 90 – in der ersten/dritten/zweiten Person 167f. – extradiegetische 55 – faktuale (vgl. Geschichtsschreibung) 44, 46, 54f., 56–73, 79, 235, 442 – fiktionale 44, 54f., 56–73, 79, 222, 442 – fokalisierte/unfokalisierte 174 – Form und Inhalt s. story/discourseUnterscheidung – frühere/gleichzeitige/spätere 176f. – Funktion, aktionale/explikative/thematische 184, 392 – heterodiegetische 167, 178 – homodiegetische 56, 167 – hypodiegetische 56 – interaktive 112 – intradiegetische 55 – iterative 99 – klare/unklare doppelsinnige 223 – konfrontierende/konfirmierende 240 – Konstituierung 41 – kontrafaktische 70f., 109 – Länge einer 221 – literarische 62, 72 – metadiegetische 55f. – multi-singulative 99 – offen/verdeckt doppelsinnige 223, 429 – Poetizität einer s. dort – postmoderne 109, 161, 198 – realistische/phantastische 56, 64f., 71f., 222 – repetitive 98 – restitutive 83 – revolutionäre 82f. – singulative 98 – stark/schwach applikative 223
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Sachregister
– als Stimulus/Reiz (Psychologie) 226f., 231 – symbolische 223 – Wertschätzung einer 236, 241 Erzähluniversum 109 Erzählzeit(dauer) 93f. Erzählzeitpunkt 94 Ethik der Erzählung/Auslegung (vgl. Interpretationsethik; Ideologiekritik; Werte) – ethical criticism (W. Booth) 225, 260f. – ethical turn s. Wende, ethische – Medienethik 225 – narrative (Philosophie) 225 Ethnologie (vgl. kulturanthropologische Interpretation) 100, 106, 131, 182, 250 etischer Textanfang (Harweg) 119f. Evaluation s. Figuren, Bewertung; Methoden, Bewertung; Textbewertung evaluative point of view/evaluativer Standpunkt (vgl. Erzählerstandpunkt) 103, 137, 165, 180–183 event-labelling 100, 302, 452 eventfulness s. Ereignishaftigkeit Exegese s. historisch-kritische Methode; „synchrone“ Exegese; literaturwissenschaftliche Exegese Exempel/Exempelforschung 211f., 221–223, 262, 429 – Exemplifikation 160, 207, 210f. – exemplum contrarium 219 – Predigtexempel s. Predigt Exerzitien, ignatianische 274 existenziale Interpretation 18, 207, 212f., 446 experientiality (M. Fludernik) 41 Expositionalität, niedrige/hohe 68, 118–120 extradiegetisch s. Erzählung, extradiegetische Extratext 51 Extrempunktregel (K. Renner) 83 Fabel (Gattung) 43, 60, 71, 79, 125, 210, 212, 219, 221, 223 fabula (B. Tomaševskij) 29f., 88 fabula, story, text (M. Bal) 74
faktuale Erzählung s. Erzählung, faktuale faktuale Objekte/Ereignisse 70f. Faktualitätskonfiguration 70f. Familienähnlichkeit (Semantik) 224 Fehler in der Erzählung/im Film 155 Fehlschluss – affektiver (affective fallacy) 30f. – genetischer (genetic fallacy) 30 – intentionaler (intentional fallacy) 30f. – semantischer (word-study fallacy) 474 feministische Exegese 15, 260f., 445 feministische Narratologie s. Narratologie, feministische Fernsehen/Fernsehanalyse s. Filmanalyse; Medienwirkungsforschung fides qua/quae creditur 241f. Figur, literarische (character) 125–164, 325–365 – abschließendes mentales Modell 132, 329 – aktuelles mentales Modell 132, 329 – als Antagonist 100, 150f., 355f. – Applikation s. Anwendung – artifizielle 160, 162 – äußere Attribute 134, 334, 340 – Bewertung (vgl. Sympathie) 104, 139, 142, 180–183, 196f., 209, 245, 259, 379–383, 389, 432f. – Charakterzüge (character; character traits) 133–136, 210, 241, 328f., 332, 336f. – als Contagonist 151 – Definition 125f. – detaillierte 154, 157, 364 – diegetische 162 – Dispositionen 136 – dynamische 156f., 364 – eindimensionale 156, 158, 364 – einfache 157, 161 – Erleben 131, 134, 137, 202, 210, 241, 332, 337f. – Emotionen s.u. Gefühle – Entwicklung der 154, 157 – als Empfänger 150f., 355f. – Episodenfigur 149, 353–355 – ferne 194, 203, 245 – Figurenbestand 77, 128, 325f. – figurenbezogene Emotionen 202f.
Sachregister – Figurencharakterisierung/-darstellung s. Charakterisierung – Figurenensemble 129 – Figurengruppe 125f., 158, 327 – Figurenkommentar 155, 180, 196 – Figurenkonfiguration 77, 129, 325– 327 – Figurenkonstellation 76, 129, 147f., 252, 277f., 322, 349–351, 357 – Figurenkonzeption 77, 129, 156–162, 444 – Figurenmerkmale 76, 129–147, 157– 160, 181f., 196, 203, 210–212, 241, 328–349 – Figurenpersönlichkeit s.o. Charakterzüge – Figurenrede 168–170 – Figurenrezeption s. Figurenwahrnehmung; Rezeption – Figurenschicksal 103f., 121f., 180, 182, 199, 202f., 305–307, 383f., 404– 406 – Figurenstandpunkt s.u. Meinungen – Figurenvergleich 135, 144–147, 343– 349 – Figurenwahrnehmung/-synthese 43, 127f., 130–143, 193, 245, 325, 328– 331, 343 – flache (flat character) 156–158, 161, 194, 362–365, 444 – fragmentierte 159 – Gedankenwiedergabe 168–170 – Gefühle 131, 134, 137f., 210, 241, 328f., 333, 338f. – Geschlecht 138, 147, 158 – geschlossene 156f., 159 – gute/ambivalente/böse 382 – und Handlung 77, 126, 351–357 – Handlungsmöglichkeit 105f. – Handlungsrisiko s. Handlung – Handlungsrolle 150f. – Hauptfigur 102, 104, 121f., 148f., 158, 194, 251, 351–355 – Hauptmerkmal(e) 136, 143 – als Helfer 150f., 355f. – Hilfsfigur (ficelle character) 148, 353–355 – Hintergrundfigur (backstage character) 128, 148f., 354 – hybride 162
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– Identität 131, 134f., 241, 328, 331, 336 – individuelle 154, 156–158, 364 – inkohärente 160 – Intention 106, 110, 112f., 125f., 131, 134, 140–143, 211, 314, 335, 341, 465 – knappe 157, 364 – kohärente 157, 159f., 364 – komische (vgl. Humor) 203 – komplexe 157, 161, 194, 363f. – konkomitante 129, 327 – Kontrastfigur 145f., 148, 153, 344– 348, 350 – konventionelle s. Typ/Typus – mehrdimensionale 154, 156, 158 – Meinungen (Einstellungen und Überzeugungen) 43, 131, 134, 137, 155, 179, 210, 241, 332, 337 – als mentales Modell 127, 129, 132, 143, 147, 325, 328–331, 443 – moralische Bewertung s.o. Bewertung – Motiv/Motivation 106, 134, 139–143, 212, 328f. – mysteriöse 159, 364 – nahe 194, 203, 245 – Name 134, 153 – Nebenfigur 148f., 158, 351–355 – Nebenmerkmale 136, 143 – nichtmenschliche 125, 443 – nichtrealistische 159 – nuancierte 161 – offene 156f., 159, 194 – opake 157, 159 – Parallelfigur 145f., 344–348 – performative 162 – Pflichten 109f., 113–115, 131, 134, 139, 210, 241, 335, 340 – als Protagonist 100, 102, 104, 148, 151, 356 – psychologische 156f., 160f. – Randfigur (walk-on character) 148 – realistische 157, 159, 364 – reflektiertes mentales Modell 132, 329 – Rolle in der Handlung s.o. Handlungsrolle – runde (round character) 156–158, 161, 362–365, 444
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Sachregister
– Schaufigur (card) 148, 353f. – Schicksal s.o. Figurenschicksal – sozialer Kontext 131, 134, 138f., 210, 334f., 340 – Sprachstil/Redestil 135, 152 – Standpunkt s.o. Meinungen – statische 156f., 364 – symbolische 157, 162 – Sympathie/Antipathie untereinander 349–351 – sympathische/unsympathische 183, 195–197, 203 – symptomatische 162 – als Textstruktur 126f. – transparente 157, 159, 364, 416–425 – transpsychologische 156f., 160f., 212, 364, 416–425 – Typ/Typus 133, 141, 156–158, 161, 196 – unrealistische 157, 159f. – Veränderung s.o. Entwicklung – Vergleich s.o. Figurenvergleich – Verhalten 131, 134, 138, 140–142, 181, 196, 211f., 241, 278f., 328, 333f., 339 – als Vorbild 210f., 232, 379, 415 – wahrnehmungsverzerrende Effekte 132f., 136 – Wichtigkeit der 77 – Wissen 109f., 112–115, 131, 134, 139, 210, 335, 340 – Wünsche 109f., 114–115, 131, 134, 139f., 241, 335, 340f. Fiktionalität – Definition 61 – fiktionale Erzählung s. Erzählung, fiktionale – fiktionale Konzeption 70–73, 272 – Fiktionalitätssignale 63f., 66–69 – Fiktionalitätsskala 71–73 – Fiktionskonventionen 55, 61, 63–70 – Fiktionssignale 55f., 61, 63–70, 270– 272, 367, 442 – Fiktionstheorie 62 – Fiktionsvertrag 66 – und Literatur 61 Fiktivität 61f. – Fiktivitätssignale 63–65 filler (Schematheorie) 38
Film/Filmanalyse (vgl. Medienwirkungsforschung) 33, 63, 80, 121f., 128–163, 171, 193, 197f., 199, 201– 204, 224–226, 248, 261, 264 Filmkritik s. Literaturkritik flache Figur s. Figur, flache Flow (Psychologie) 197 foil character s. Figur, Kontrastfigur Fokalisierung/Fokalisation (vgl. Wahrnehmungszentrum; Innensicht) 46, 108, 165f., 171–175, 369–372, 444 – auktoriale/aktoriale 172 – externe/interne 68f., 142, 172, 174, 370f. – Fokalisierer/Fokalisator/Fokalfigur (focalizer) 48, 172, 369, 371f. – Nullfokalisierung 172, 174, 372 – statische/variable/multiple 174f., 371 – zwei Teilaspekte: Innensicht und Wahrnehmungszentrum 172f., 369 folk psychology s. Alltagspsychologie forgetting-effect s. Vergessen Form und Gattung (vgl. historischkritische Methode, Formgeschichte) 13, 99–105, 303, 448–452 Form und Inhalt s. story/discourseUnterscheidung Formalismus, russischer s. Narratologie, russische Formgeschichte s. historisch-kritische Methode, Formgeschichte Frames/Skripts, historisch-kulturelle (vgl. Vorwissen) 19, 38–45, 51, 54, 70, 75, 77, 80, 97, 111, 248, 255, 257, 260, 273f., 276f., 279, 362, 391f., 442f., 445, 451, 454, 461f., 472–474 – Frames (statisch) 38, 42, 330 – Skripts (dynamisch) 38, 42, 290, 295–297, 312–315 – frame switch 44 – framing 40 Frauen, die zwei (in Mt 28; vgl. Maria Magdalena) 228, 342, 345f., 348– 350, 353, 379, 394, 397, 421–423, 432, 465 – Glaubwürdigkeit 456 Freude/Vergnügen 202, 204, 245, 404– 410 full-fledged character 156
Sachregister fundamental attribution error (Psychologie) 142 Furcht (fovbo~) als Rezeptionsemotion 200–202, 204, 245, 403–410 Gattung/Gattungstheorie (vgl. Formgeschichte) 37, 44, 46, 50, 64, 66f., 71, 85, 104, 109, 111, 122, 140, 151, 161, 204, 217, 221–224, 303f., 308, 448– 452 – analytische vs. synthetische 104, 222–224, 303f., 451f. – Entwicklung 46 – als Verstehens-Frame 44, 451f. Gedächtnis s. Erinnerung Gedicht (Erzählung in Strophenform) 30f., 33, 55, 72, 82, 120 Gefühle s. Erzähler, Gefühle; Figuren, Gefühle; Rezeptionsemotionen Gegensätze in der Erzählung 82, 106f. Gegenspieler s. Antagonist Gegenwartsbezug s. Anwendung Gegner (des intendierten Rezipienten) s. Rezeption, Gegner geistliche Auslegung (vgl. Hermeneutik, pietistische) 248, 261, 264, 274, 366f., 446 gelesene Zeit 94 Gemeinde, matthäische (vgl. Kontext, historischer; Erzähladressat) 189, 230f., 390–392 Genealogie 208 genetic fallacy s. Fehlschluss, genetischer Geschehen 89f. Geschehen, Geschichte, Text der Geschichte (K.-H. Stierle) 74 Geschehnis (happening) 89, 213 Geschichte (Erzählung) 90 Geschichtsbild 86 Geschichtsschreibung (vgl. Schreiben) 56–62, 69–73, 216, 270–272, 442 – literarische Aspekte 58–60, 72f., 442 Geschlossenheit des Erzählschlusses (closure) 120f., 322f., 325 Geschwindigkeit s. Erzählgeschwindigkeit; Bewegung der Figuren Gesellschaftskritik 209, 240f. Gesellschaftsschichten 81f. gespielte Zeit (Drama) 93
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Gestik 135 gestimmter Raum 84 Gewalt in Erzählungen 183, 204, 224, 226, 485 Glaube (vgl. Zweifel; fides quae/qua creditur) 230, 241f., 336–339, 431, 434 – fester 230 Glaubwürdigkeit (vgl. Autorität) 234 Gleichnis/Gleichnisforschung 147f., 160f., 169, 174f., 183, 186, 190, 193, 197, 204–206, 210, 212, 214–224, 229, 239f., 349f., 444, 446 Glück der Figuren s. Figur, Figurenschicksal Gott – als Figur 125, 142f., 208f., 212, 218f., 241, 342, 354, 382, 395, 398, 413–415, 425, 434, 443 – Gottes Wort s. Wort Gottes – Gottesdienst (als Inszenierung) 84, 199, 248, 488 – Gotteslästerung 230 – Gotteslehre 135, 413–415 Gratifikation (Psychologie) s. Usesand-Gratifications-Ansatz Grenze (Setting) 82, 114, 282–284 Halo-Effekt 133, 136 Hamartia (aJmartiva) 104 Handlung 87–125, 290–325, 443 – Anfang 44, 96, 117, 118–120 – Einheit der 119 – einsträngige/mehrsträngige 117, 321 – enthüllende/auflösende 307 – episodische 117f. – Fünferschema (G. Freytag) 102–104, 252, 304–308 – Funktionen 92 – Handlungsalternativen 92, 105f., 112f., 199, 309–312, 314 – Handlungsdarstellung 77, 93–99, 299–302 – Handlungsdichte 91, 93, 294 – Handlungselemente 77, 89–91 – Handlungselemente, Wichtigkeit der 77, 91–93, 297f. – Handlungserwartungen 43, 94, 113, 121f., 138, 199, 202f., 259, 308–315, 400–407, 443, 451
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Sachregister
– Handlungserwartungsspektrum 309 – Handlungsfaden 117, 321 – Handlungsfunktion (V. Propp) 100, 149, 302 – Handlungsintensität 93, 298 – Handlungskern (kernel) 92f., 112, 291–293, 297f., 309f., 321 – Handlungsknoten s.u. Knotenpunkt – Handlungsphase 89f. – Handlungsplan (plot map) 43, 106, 112f., 309f. – Handlungsrisiko 112f., 199, 309, 311 – Handlungsrollenmodell (J. Eder) 150f., 355–357, 452 – Handlungsschema 43, 101f., 292, 304 – Handlungssequenz 89f., 291–293 – Handlungsstrang (story line) 77, 91, 116f., 320–322, 443 – Handlungsstrukturen/-muster 46, 77, 99–101, 302–304, 445, 452 – Handlungstriade (C. Bremond) 105f., 112 – Handlungstypen 77, 99, 104f., 308 – Handlungsverlauf 43, 77, 92, 102– 106, 107–113, 140, 142, 207, 308– 319 – Handlungsüberraschung (vgl. Rezeption, Überraschung) 312f., 315, 323f., 451 – Haupthandlung (main plot) 117, 321 – Indizien/Indices 92, 291–293, 297f. – Informationen 92, 291, 297f. – Knotenpunkt (plot point) 117, 321 – Nebenhandlung (subplot) 90, 117, 321 – Satelliten der Erzählung 92f., 291– 293, 297f. – Schluss 44, 96, 117, 120–122, 322– 325 – Spielzug (move) 105, 112f., 140, 207, 311, 314, 443 – steigende/fallende 104 – verdeckte/offene 169 – Wendepunkt (metavbasi~) 102, 105, 304–307 Happy End 121f., 323, 403 Haupt-/Neben– Haupt-/Nebenereignis 297 – Haupt-/Nebenfigur s. Figur – Haupt-/Nebenhandlung s. Handlung
– Haupt-/Nebenkonflikt 114, 319 – Haupt-/Nebenmerkmale s. Figur Hauptgedanke/-aussage 214f., 220 Heiden 238, 267 Heilige, das 204 Heiliger Geist – als Figur 125, 354, 382, 443 – und Bibelrezeption 3, 262f. Heilsgeschichte 80 Heiterkeit (vgl. Humor) 203, 404–410 Held s. Protagonist Herausgeberfiktion 61 hermeneutica sacra 263 Hermeneutik – des Einverständnisses 191 – hermeneutische Spirale 40 – als spezielle literaturtheoretische Richtung 40, 45 – pietistische s. Pietismus heterodiegetisch s. Erzählung, heterodiegetische Himmel 81, 280 histoire, récit, narration (Genette) 74 Historismus 60 Historiografie s. Geschichtsschreibung historisch-kritische Methode(n) 1–22, 179, 189, 447–487 – Abbruch der Forschung (ca. 1985) 254, 451, 460 – Antworten auf analytische Verständnisfragen 273–275, 277, 279f., 442, 461f., 466, 469, 471f., 474f. – Bezeichnung ungeeignet 483 – Formgeschichte/-kritik (vgl. Gattung) 222, 254f., 257f., 303, 447–452, 459, 478f., 481 – historischer Ort (vgl. Erzählkontext) 373f. – Interpretation s. Kommentar – Literarkritik 9–13, 255, 258, 315, 447, 452f., 455–461 – Motivgeschichte s.u. Traditionsgeschichte – Notwendigkeit der Präzisierung 254, 451f., 459f., 472–474, 477 – als Querschnittsdisziplin 28f. – Redaktionsgeschichte/-kritik 14f., 254f., 264, 447, 452–455, 463 – Textkritik 255, 258, 447f. – Theologie s. Theologie des Autors
Sachregister – Traditionsgeschichte/-kritik 13, 81, 255, 257f., 264, 274, 280, 297, 447, 462–475, 486 – Überlieferungsgeschichte/-kritik 10, 455–461 – Unvollständigkeit/Widerspruch von Theorie und Praxis s. Methoden, latente historische Rückfrage/Historizitätsprüfung 272, 483–485 historische Wende s. Wende, historische historischer Kontext s. Kontext historisches Präsens s. Präsens Hoffnung 202, 240, 245, 404–410 Hohepriester (als Figurengruppe) 95f., 138, 155f., 169, 181, 248, 342, 347– 350, 354, 380, 395, 398, 424, 432 Höhepunkt der Erzählung 103f. Hölle 81, 274, 485 Homiletik s. Predigt homodiegetisch s. Erzählung, homodiegetische Hörer vs. Leser 192, 251 Horizontverschmelzung 40 Horrorliteratur/-film 71, 204 Hörspiel 33, 193, 261, 439 Humor (vgl. Heiterkeit; Ironie) 44, 79, 122, 203 hypodiegetisch s. Erzählung, hypodiegetische hypothetischer Intentionalismus s. Intentionalismus, hypothetischer Ich s. Autor, Selbstbild; Leser, Selbstbild; Erzähler, Ich-Erzähler; erlebendes Ich; erzählendes Ich; lyrisches Ich; Identitätstheorie Idealized Cognitive Model (ICM) 38 Identifikation/(sich) identifizieren (vgl. Anwendung, indirekte) 160, 195, 205–207, 211, 219, 251, 418 – assoziative/admirative/sympathetische/kathartische/ironische 195 – Identifikationsfigur 194 Identität/Identitätstheorie 131, 135, 230 ideological point of view/ideologischer Standpunkt (vgl. Erzählerstandpunkt) 15, 165f., 180, 183
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Ideologiekritik (vgl. Narratologie, feministische/postkoloniale) 180, 198, 209, 259–261, 484–486 Illusion, ästhetische s. Realitätseffekt Illusionsstörung 198 Immersion 190, 197, 400 immigrant objects (reale Objekte) 70 Implikatur, konversationelle 188 impliziter Autor s. Autor, impliziter impliziter Beobachter 48 impliziter Leser s. Leser, impliziter in medias res (Erzählanfang) 68, 96, 119 in ultimas res (Erzählanfang) 119 inattentional blindness s. Unaufmerksamkeitsblindheit indirekte Rede s. Rede, indirekte Individuum s. Figur, individuelle; Rezeption, individuelle Aspekte Indizien (Handlung) s. Handlung Indizierung von Literatur/Film 70f., 224 induktive/deduktive Bewertungsrichtung 182f., 378f. Inferenzprozesse (beim Verstehen; vgl. Leerstelle) 37–45, 59, 128–131, 134– 143, 187, 193, 200, 209, 328f., 343, 360–362, 428, 441, 443, 454f., 461, 468, 474, 487 Informationen/Informanten (Handlung) s. Handlung Informiertheit, partielle 200 „inklusive“ Geschichte (vgl. Anwendung) 205, 411 Inkonsistenzen in der Erzählung s. Fehler Innenperspektive 174 Innensicht (inside views) 67f., 173– 175, 193, 196f., 234, 369–372, 444 – Innensichtzentrum 174 innerer Monolog s. Rede instrumental script 38f. Integrierbarkeit von Methoden s. Methoden, Integrierbarkeit Intention – des Autors s. Autorintention – des Erzählers s. Erzähler, Intention – einer Figur s. Figur, Intention – Intention bei der Rezeption von Kunst 52, 192
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Sachregister
– intentional fallacy s. Fehlschluss, intentionaler – Intentionalismus (hypothetischer) 49, 52 – des Rezipienten s. Rezeptionsinteresse Interessantheit – einer Erzählung 113 – einer Figur 161 Interesse s. Rezeptionsinteresse, Usesand-Gratifications-Ansatz Intermedialität s. Narratologie, Interdisziplinarität Interpersonal Reactivity Index (Empathie) 194 Interpretation, (Text-) (vgl. Kommentar) 20, 247f., 255–264, 441, 454f., 461– 475, 478f., 482 – Einordnung in Methodenlehren 12– 14 – fehlt in Methodenlehren 9, 472 – Interpretationsethik 258–264, 485f. – Interpretationsinteresse s. Rezeptionsinteresse – Interpretationspraxis s. Auslegungspraxis Intertextualität/intertextuelle Exegese 34, 41f., 46, 445 – nur intendierte Bezüge 42, 445, 473f. intradiegetisch s. Erzählung, intradiegetische inventio (Rhetorik) 245 Involvement (vgl. Anwendung) 189, 207, 230, 235 Ironie (vgl. Humor) 45, 104, 203, 407 Isochronie (Zeitdeckung) 98, 198 Jesus (als Figur) 42, 54, 128, 135, 149, 156, 173f., 190, 195, 209, 218f., 228, 230, 238, 241, 331–336, 344f., 348– 350, 352, 358, 363, 379, 394, 397, 416f., 434 Jesus, historischer 261, 484 journalistisches Erzählen 60, 67f. Judas (als Figur) 142, 159, 250, 337 Juden (als Figurengruppe; vgl. Antijudaismus) 159, 208f., 229, 267, 381, 395f., 398, 425, 434 Jugendliteratur 194 Jugendschutz 224
Jünger (als Figurengruppe) 54, 152, 155, 169, 174, 181f., 194f., 214f., 228f., 238, 241, 336–341, 345, 348– 350, 352f., 358f., 363, 379, 394, 397, 418–421, 432 Kanon, biblischer/literarischer 73, 236 kanonische Exegese 42 Karte, kognitive 43, 81f., 280–282, 442 Katalyse s. Handlung, Satellit Kategorisierung 76 (s. auch Gattung) Kategorisierungseffekt 132f. Katharsis 201, 203 Kausalattribution (Figur) 141f. kausale Verknüpfung von Ereignissen s. Ereignis Kern s. Handlung, Handlungskern Kinder – Kinderbibel 261 – Kindergottesdienst/-predigt 248 – Kindertheologie s. empirische Exegese – Moralerziehung 225 – Wahrnehmung von K.n 129, 193f., 197, 200, 204, 259, 262, 274 Kirchenraum 84 Klappentext 66 Kleidung 81, 135, 138 Kognitionspsychologie s. Psychologie kognitive Dissonanz s. Dissonanz kognitive Karte s. Karte, kognitive kognitive Linguistik s. Linguistik, kognitive kognitive Wende s. Wende, kognitive kognitiver Ansatz 21 Kohäsion/Kohärenz s. Textzusammenhang Komik s. Humor Kommentar – des Erzählers s. Erzählerkommentar – der Figuren s. Figurenkommentar – Methode der wissenschaftlichen Kommentierung 255–264 – populärwissenschaftliche Formen des Kommentars (vgl. Predigt) 259, 263f., 485f. – Vollständigkeit/Beachtung realer Verständnisfragen 259, 274, 276, 279, 342, 442, 461f., 466, 469, 471f., 474f.
Sachregister – wissenschaftlicher Textkommentar (vgl. Interpretation; Neudarstellung; Schreiben) 246, 248, 255–264, 328f., 342, 427, 461–475, 481, 485f. Kommunikation 47 – doppelbödige 55 – Funktionen (Jakobson) 5 Kommunikationsebenen (vgl. Binnenerzählung) 24, 47–56, 110, 155, 183f., 253, 265–270 – Asymmetrie der Ebenen 55 – als Modell zur Vereinbarkeit der Methoden 7f. – Verhältnis der Ebenen 166ff. Kommunikationsmodell(e) narrativer Texte 47f., 53, 442 Kommunikationssituation s. Erzählkontext Kommunikationsstrategie, direkte 209 Kommunikationstheorie/-wissenschaft 47, 131, 216 kommunikatives Handlungsspiel 21, 188 Komödie 104, 115, 204, 308 Kompetenz, enzyklopädische s. Vorwissen Kompositionskritik/-analyse 14f., 25, 91, 251f., 255, 265–267 Konditionierung, klassische/operante (Psychologie) 231f. Konflikt 82, 103f., 113–116, 131, 139f., 199f., 316–319, 327, 357, 400– 403, 443 – Konflikthaftigkeit 116, 319 – Konfliktkonstellation 114, 317, 322 – Konfliktkurve 103f., 116, 319 – Konfliktspannung s. Spannung – Konflikttypen 114–116, 316 Kongruitätstheorie (Psychologie) 196 Könnenszuversicht 237 Konstruktivismus, radikaler 39f., 441 Konstruktivität von Geschichte 59f. Kontext – historischer/kultureller (vgl. Wende, historische/kulturelle) 16, 21, 35, 40, 45f., 130f., 186, 189, 196, 205, 208f., 216f., 274, 277, 343 – textlicher (vgl. Textzusammenhang) 217 Kontextualisierung s. Anwendung
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kontrafaktische Erzählung s. Erzählung, kontrafaktische Kontrastierung 144–146, 344–348 Konversationsmaximen 35, 40, 184 Kosmologie 80, 277 Kriminalroman/-film s. Detektivroman Kritik s. historisch-kritische Methode; Textbewertung Kultivierungsdifferenzial (Medienpsychologie) 236 kulturanthropologische Interpretation (vgl. Ethnologie) 80, 250, 278, 445 Kulturwissenschaft (vgl. Wende, kulturelle) 34, 45f., 159 Künstliche Intelligenz 37f., 40 Langeweile s. Spannung (suspense) Lautes Denken (Methode) 259 Leerstelle (vgl. Inferenzprozesse) 40, 42, 96f., 111, 187, 274, 279f., 295, 297, 442, 461, 468, 474 Legitimation/Rechtfertigung 238–241 Lernen am Modell (A. Bandura) 211, 232, 235 Lesedauer 94 Lesegedächtnis 50 Lesemotivation (vgl. Rezeptionsinteresse) 190f. Lesen zwischen den Zeilen s. Inferenzprozesse Leser (vgl. Rezipient; Rezeptionsästhetik; Hörer) 192 – abstrakter 47 – auktoriales Publikum (authorial audience) 52, 250 – Bild des Autors vom Rezipienten 51– 53 – empirischer/realer 41, 44, 48, 51, 192 – Erwartungen s. Handlungserwartungen – fiktiver 47, 183 – idealer 192 – impliziter V, 41, 47f., 50f., 53, 63, 187, 250f., 254–257, 334, 343, 441 – informierter 40 – intendierter 52f., 192f. – Modell-Leser 50, 254 – Selbstbild 53, 229 – als tabula rasa (s. Vorwissen) 37, 81 Leserdistanz s. Empathie
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Sachregister
Lesererwartungen s. Handlungserwartungen; Typen Leserlenkung 40 Lesung 192f. Liebe (als Thema) 200 Lieblingsjünger (JohEv) 168 Lied s. Gedicht; Musik Linguistik 19–21, 25, 216 – noch ausstehende Vermittlung mit der Narratologie V, 91, 446 – kognitive 37, 40 – Pragmatik s. dort – Semantik s. dort – Soziolinguistik 103, 304 – sprachliche Analyse 13, 25 – Textlinguistik 39, 91, 101, 188 – Verwechslung mit Literaturwissenschaft 19 Literalsinn s. sensus literalis Literarizität s. Poetizität Literarkritik s. historisch-kritische Methode, Literarkritik Literaturkritik 23, 161, 236, 484 Literaturtheorien s. Methoden, Pluralismus literaturwissenschaftliche Exegese (vgl. Narratologie) 23–26, 248–257, 265 – Abbruch historisch-kritischer Methoden s. historisch-kritische Methode – hoher Anteil an exegetischen Publikationen 248f. – methodisch wenig ausgearbeitet 251f. – Narrative Criticism s. dort – Untersuchung eines Einzeltextes 252 Liturgik s. Gottesdienst Livebericht 176 locus amoenus 82, 85 logisches Quadrat 106f. Lösung der Handlung (luvsi~) 102 Lücke 96f. lyrisches Ich 55, 137 MacGuffin 80 make-believe-Theorie 62f. Malerei/bildende Kunst 33f., 81f., 193, 261, 439 Märchen 71f., 92, 100, 149 Maria Magdalena (vgl. Frauen) 212, 456
Matthäus/Matthäusevangelium (MtEv) – Adressaten 390–392 – Alltagspsychologie des Mt 238 – Autor s. (primärer) Erzähler – Erfüllungszitate s. dort – erzählerische Fertigkeiten 377 – Figuren/-analyse 250, 325–365 – Fiktivitätsbewusstsein 270f. – Handlungsanalyse 250, 290–325 – intendierte Wahrnehmung des Autors 374–378 – matthäische Gemeinde s. Gemeinde, matthäische – Matthäuskommentare 255–257 – Perspektivenanalyse 250, 365–392 – Rezeptionswirkung 251f., 392–438 – Sprachstil 452f., 456–460 – Struktur/Komposition 251f., 305– 307, 320f. – Theologie (vgl. Gotteslehre, Christologie, Pneumatologie) 254, 323, 389, 460, 475–477 – Umwelt/Setting 250, 273–290 meaning, force, effect (Sprechakttheorie) 254 Mediävistik s. mittelalterliche Literatur/Kunst Medien – Intermedialität der Narratologie s. Narratologie, Interdisziplinarität – Medienethik 484 – Medienkompetenz 61, 233 – Medienpsychologie s. Psychologie – Medienwirkungsforschung 40, 189, 191, 193f., 225–239 – Medienwissenschaft 225 – Rezeptionsmedium 192 Meinung/Standpunkt (vgl. Einstellungen, Überzeugungen) s. Erzählerstandpunkt; Figuren, Meinungen Meinungswandel s. Einstellungswandel Memory Organization Packets 38 Menschenbild 130 Menschenkenntnis (vgl. Mimesis) 212f., 242 mental mapping s. Karte, kognitive Mentalstil 170 metadiegetisch s. Erzählung, metadiegetische Metafiktion 66f.
Sachregister Metalepse, narrative 55f., 67, 72, 198, 217, 366 Metanarration/Metaisierung/Metabiografie 66f., 72, 198 Metapher/Metapherntheorie (vgl. Gleichnis) 20, 45, 69, 72, 206, 213f., 215, 221 – geprägte/kühne 219 Metatextualität 485 Methoden – Bewertung (Leistungen und Grenzen) 15, 269, insges. 247–438, 447–477 – Definition 17 – exegetische Methodenlehren 12–15 – historisch-kritische s. dort – Integrierbarkeit vs. Vereinbarkeit 18, 446, 448, 452, 454f., 461, 481 – latente (implizites Handlungswissen) V, 447, 472–474, 477, 482–487 – Methodenkritik 269 – Methodensynopse 477–479 – Methodentheorie 16–18 – der Narratologie s. Narratologie, Methoden – Pluralismus 3–7, 15, 441, 487 – Rekonstruktion/Explizierung von Handlungswissen (vgl. Auslegungspraxis) V, 269, 472–474 – Unvereinbarkeit 16 – Varianz 15, 23–27 – Vereinbarkeit s. Integrierbarkeit – vergleichende Anwendung V, 15f. Midrasch 261, 486 Mikrospannung s. Spannung Milieu 79f. Mimesis (Nachahmung) 58, 119, 168, 193, 211f. Mimik 135 minor agreements 452f. mise en abyme 55, 67 Mission, Völker-/Heiden- 228, 230, 237f. Missverständnis, produktives 192 Mitleid/Mitgefühl (sympathy; e[leo~) 196, 200–202, 245, 404–410 mittelalterliche Literatur/Kunst 34, 60, 81f., 195, 211f. Mobilität von Figuren 82 Modallogik 109 Modell-Autor s. Autor, Modell-Autor
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Modelljünger 254 Modell-Lernen s. Lernen am Modell Modell-Leser s. Leser, Modell-Leser Modus s. Erzählmodus Modus (G. Genette) 165 Modus (F.K. Stanzel) 166, 168–170 modus inveniendi/proferendi 245f. mögliche Welt s. Possible-WorldsTheorie Möglichkeit des Erzählten 64f. (s. auch Phantastik) Moment, erregendes/tragisches s. Handlung, Fünferschema Monolog s. Rede monumentale Zeit 80 mood management (Psychologie) 191 Moral – Moral der Geschichte (vgl. Einstellungswandel) 216f., 220 – moralische(s) Bewertung/Urteil (vgl. Figur, Bewertung; Sympathie; Werte) 196f. – moralische Nützlichkeit (vgl. Werte) 60, 224 – moralischer Sinn s. sensus moralis Motiv (Literatur) 486 Motiv (B. Tomaševskij) 90, 92 Motiv/Motivation s. Figur, Motiv Motivem/Motifem 100f., 252 Motivgeschichte s. historisch-kritische Methode, Traditionsgeschichte Motivierung, kausale/finale/kompositorische 141f. move s. Handlung, Spielzug move grammar (Th.G. Pavel) 91, 105 movere (Rezeptionswirkung) 190 multidimensionale Exegese 6f. Mündlichkeit 192 Musik 33, 98, 202, 248, 261 mutual belief principle 65 mysterium tremendum et fascinosum 204 Mythem (C. Lévi-Strauss) 106 Nachahmung s. Mimesis; Lernen am Modell Nacherzählung s. Neudarstellung Nachricht s. Erzählung; Kommunikation narkotisieren, das eigene Skript 295
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Sachregister
narratee s. Erzähladressat Narrative Criticism 23f., 26, 30, 48, 126, 138, 150, 165, 171, 192, 247, 249–255, 328–331, 342, 443, 446, 460 narrative Ebenen s. Kommunikationsebenen narrative Ethik 225 narrative Exegese s. literaturwissenschaftliche Exegese narrative Grammatik (T. Todorov) 101 narrative Theologie (J.B. Metz) 261f. narrativer Zyklus (narrative cycle) 106, 114 Narrativität (narrativity) 41, 91, 93, 113, 222 Narratologie – antiker Text und moderne Analysebegriffe 2f., 34, 131, 192, 343 – Anwendung auf Geschichtsschreibung 58–60, 72f. – Definition 27 – deutschsprachige 24, 27, 29–32, 47f., 125–164 – Einführungen in die 26f. – englischsprachige 23f., 29–32, 48, 104f., 108–113, 167–175 – erinnerungskulturelle 45 – vs. Erzähltheorie 27f. – ethische (vgl. Wende, ethische) 225 – feministische 35, 46, 102, 177, 261, 445, 484 – französische 24, 27, 29, 31f., 93–99, 101, 105–107, 150, 167–175 – Geschichte der 29–36 – grundsätzliche Anfragen 2f. – vs. historisch-kritische Methode V, 1–22, 447–487 – Interdisziplinarität und Intermedialität 29, 33f., 192f., 261, 439, 488 – kognitive s. Wende, kognitive – kulturwissenschaftliche 45 – Methodenbewusstsein 28 – polnische 47 – postklassische 33–36, 41, 184, 225 – postklassische vs. strukturalistische 36, 45 – postkoloniale 35, 46, 260, 445, 484 – postmoderne 34
– pragmatische 34f., 46, 184, 188f., 240 – Querschnittsdisziplin 28f., 439f., 487 – russische 29f., 82f., 88, 90, 100, 149f. – strukturalistische s. Strukturalismus – viele Einzeltheorien 26f., 45, 87f., 439f., 444 narrator s. Erzähler narrator-NOW (S. Chatman) 176 native objects (nicht-reale Objekte) 70 Neben- s. Haupt-/NebenNeed for Cognition (Psychologie) 233 Neudarstellung einer Erzählung 191, 248, 255–264, 366f., 462, 475, 485f. – Ausführlichkeit der 234 – Nacherzählung anstelle genauer Analyse 87, 251 – „Paraphrase“-Verständnis 248 – Verarbeitung von Analyseergebnissen 245f., 472 Neugier 204 New Character Narrative 154 New Criticism 23f., 30f., 46, 52, 81, 441 New Historicism 46 New Literary Criticism 23f., 81 Normen 139, 180–183, 228, 232, 234, 241, 378–387, 436f. – Normenkonflikt 241, 387 Nullfokalisierung s. Fokalisierung Oberflächenstruktur der Erzählung 99 officia oratoris 190 ökonomisches Setting 80f. Ontologie, analytische 75 Opposition, semantische (vgl. Raumsemantik) 106f., 218, 220 ordo artificialis (Rhetorik) 94 Organonmodell 5 Orientierungswissen 209, 240 Ortsangaben 80 Pädagogik s. Kinder; Psychologie; Lernen am Modell; empirische Rezeptionsforschung Panoramablick 121 Parabel (vgl. Gleichnis) 221f. Paradigmenwechsel s. Wende Paralepse (G. Genette) 175
Sachregister Paralipse (G. Genette) 96, 175, 293 Parallelisierung 144–146, 344–348, 351 – sekundäre 219, 416 Parallelität (bei Figurenvergleichen, traditionsgeschichtlichen Bezügen oder der Anwendung) 145f., 216, 218f., 343–348, 415f., 428, 443, 473f. Paraphrase s. Neudarstellung Paratext/paratextuelle Elemente 66 patristische Exegese (vgl. Rezeptionsgeschichte) 15 Paulus 177, 212 Pause (erzählte Zeit) 69, 97f. Performativität 243 Peripetie (peripevteia) 102, 105, 306f. periphere Hinweisreize 232–235 Person (F.K. Stanzel) 166 Person, reale 70, 209 personal script 38f. Personenwahrnehmung 43, 128–130 Personifikation 156, 158, 160, 210 Persönlichkeitsinventar 136 Persönlichkeitskern 136, 144 Persönlichkeitsrecht 70 Persönlichkeitstheorie s. Psychologie, Persönlichkeitstheorie Perspektive 59, 164–186, 365–392, 444 – i.S. von Meinung/Standpunkt 164f. – als Oberbegriff 164f. – Perspektivenstruktur (Meinungen von Erzähler und Figuren) 137, 164f., 179–181, 224, 383, 388 – Perspektivenübernahme s. Empathie; Einstellungswandel – Synonym zu point of view 164f. Persuasion – Beeinflussungsstärke 242 – Persuasionsforschung 225, 230–236 – Persuasionskonzeption s. Rezeption – Persuasionsmuster 242 – positive/negative 239–242 perzeptuelle Affekte 203f. Petrus 212, 223 Petrusevangelium 366f., 457 Phantasiearbeit, historische/persönliche/ pädagogische 59, 274, 289 Phantastik/phantastische Literatur 56, 64f., 71f.
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Philosophie und Narratologie 62, 108f., 127, 187, 213, 225 phraseological point of view (Uspenskij) 165f. pia fraus s. Täuschung Pietismus/pietistische Hermeneutik (vgl. geistliche Auslegung) 191, 262– 264 Pilatus (als Figur) 354, 380f., 395, 398, 432f. Pneumatologie 135 plot map s. Handlungsplan plot types s. Handlungstypen Plot, Verständnisse von 88 Pluralismus der Methoden s. Methoden poetische Gerechtigkeit s. Figur, Figurenschicksal Poetizität/ästhetische Schönheit 67–69, 72f., 234, 442 point of view s. Perspektive Pointe (Gleichnis) 121f., 214–216, 220 – bildinterne/bildübergreifende 220 Pointe (Humor) 44, 121f. politisches Setting 80f. Polymodalität (G. Genette) 175 Porträt, literarisches 154 Positionseffekte, serielle 118 Possible-Worlds-Theorie (vgl. erzählte Welt) 43, 88, 108–113, 123, 134 postkoloniale Narratologie/Exegese s. Narratologie, postkoloniale Postmoderne s. Erzählung, postmoderne Poststrukturalismus 32–35, 41f., 46, 62f., 441, 445 Prädikatenlogik 101, 229 Präferenzregeln, konversationelle 40 Pragmatic Turn s. Wende, pragmatische Pragmatik 20f., 34f., 40, 184, 186, 188f., 214, 224, 228, 254, 446, 487 pragmatische/pragmalinguistische Exegese 20, 188, 249, 253f., 445 Praktische Theologie s. Predigt; Gottesdienst; Pädagogik Präsens, Erzählen im/historisches 69, 176 Präsenzgefühl 197 Präsupposition 43, 137, 188 Präteritum s. episches Präteritum
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Sachregister
Praxis s. Auslegungspraxis Predigt/Predigttheorie 199, 205f., 211– 213, 239f., 246, 248, 258f., 261–264, 342, 428, 444, 446, 488 – dramaturgische Homiletik (M. Nicol) 199, 488 – narrative 248, 261f., 446, 488 – Predigtexempel/-märlein 211f., 262, 428, 488 – Predigtmeditation 428 – wissenschaftlich fundierte 260, 262 pretense theory (J. Searle) 54, 62 Primäreffekt (primacy effect) 44, 118, 133, 136, 154 Primat der Synchronie s. Synchronie/ Diachronie priming, semantisches 40, 118 primum comparationis 215 principle of minimal departure (M.-L. Ryan) 62, 85, 111, 130 prodesse (Rezeptionswirkung) 190 Produktion s. Schreiben Prognose s. Rezeptionsprognose Prolepse 44f., 95–97, 291–293, 299f. – indikative/prädiktive 97 – zukunfts(un)gewisse 97, 300 proleptic epithet 154 Pronomen 119f. Protagonist s. Figur, Protagonist Prototypensemantik s. Semantik Proxemik 82, 135 Pseudepigrafie 55, 66, 155, 272 psycho-narration (D. Cohn) 170 psychological point of view (Uspenskij) 165f. Psychologie – Alltagspsychologie s. dort – Emotionspsychologie 199, 204 – Entwicklungspsychologie (vgl. Kinder) 193, 197 – Kognitionspsychologie/kognitive Psychologie 37, 40f., 118, 130–143, 145, 202–204, 211, 216 – Medienpsychologie (vgl. Medienwirkungsforschung) 191, 193f., 225–236 – Motivationspsychologie 131, 140 – pädagogische Psychologie s. Lernen am Modell; Moralerziehung – Persönlichkeitstheorie/-psychologie 130f., 133–143, 233
– Persuasionsforschung s. dort – psychoanalytische/tiefenpsychologische Interpretation 84, 130f., 136, 213 – psychologische Interpretation 13, 127, 131, 137, 206f., 280, 445 – Sozialpsychologie 128, 130–142, 182, 189, 193, 196, 211, 225–227, 232–237 Punktualität der Wahrnehmung 44 Quellenangabe 65, 69 Raffung s. Zeitraffung Rahmenerzählung 55 Rassismus 260 Rätsel 44 Rätselspannung s. Spannung Raum, literarischer/erzählter 78f. – Raumfilter (Perspektive) 173, 175 – Raumkonzepte 84f. – räumliche Wende s. Wende, räuml. – Raumsemantik (J. Lotman) 82f., 107, 145 Realistik/realistische Literatur 71 Realitätseffekt (effet du réel)/ästhetische Illusion 69, 71, 83, 92f., 169, 171, 189f., 197f., 207, 234, 399f., 444 Realitätsprinzip (reality principle) 111, 130 recency effect s. Rezenzeffekt Recht s. Indizierung von Literatur/Film Redaktionsgeschichte s. historischkritische Methode, Redaktionsgesch. Rede (vgl. Figur, Sprachstil) 119, 152, 168–170, 186 – Bewusstseinsstrom s. dort – erlebte/transponierte/erzählte/zitierte 169f. – erzählter/innerer Monolog 69, 169f. – (freie) (in)direkte 154, 169f., 367– 369 – Rede-/Gedanken-/Bewusstseinsbericht 169f., 368f. – Redestil (vgl. Stil) 192 referential character 158 Referenz von Sprache 62f., 70, 111, 441 Referenzsignal 216–218 Reflektorfigur 155
Sachregister Relativismus (vgl. Methodenpluralismus) 19, 30f. Religionsgeschichte s. historisch-kritische Methode, Traditionsgeschichte Religionspädagogik s. Pädagogik Reportage 60, 69 Requisiten 80 Residualtext 121 revolutionäre Erzählung s. Erzählung, revolutionäre Rezentrierung (M.-L. Ryan) 110, 249 Rezenzeffekt (recency effect) 44, 118, 133, 136, 406 Rezeption/Rezipient (vgl. Leser; Hörer; Erzähladressat) 45, 186–245, 392– 438 – Applikation s. Anwendung – Aufmerksamkeit s. dort – Bild des Autors vom Rezipienten 51– 53, 441 – Dispositionen (s. Vorwissen; Inferenzprozesse; Einstellungen) 237 – Einstellungen s. dort – Empathie zu Figuren s. Empathie – empathische Rezeption 191 – empirische/heutige Rezeption s. empirische Fragestellung – empirischer/realer Rezipient 41, 44, 48, 51, 196, 199 – Erwartungen s. Handlungserwartungen – Gegner des Rezipienten/Autors 216, 427, 435f., 480 – individuelle Aspekte der 191, 194, 197, 202f., 233 – Inferenzen s. Inferenzprozesse – intendierter Rezipient (vgl. Wende, kognitive; Erzähladressat) 52f., 187, 196f., 199, 209, 309, 330, 334, 343, 441f. – kurzfristige/langfristige Wirkung 190, 366 – Meinungen s. Einstellungswandel – mimetische/thematische/synthetische Rezeption 191 – Persuasionskonzeption 238–242 – Punktualität s. dort – reale Fragen 259, 274, 275–277, 442, 474
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– Rezeptionsästhetik 16, 40, 42, 50f., 186–188, 192, 249, 254–257, 259, 265, 441, 445, 471f., 487 – Rezeptionsdistanz s. Empathie – Rezeptionsemotionen 44, 50f., 73, 122, 138, 189–191, 198, 200–205, 207, 230, 234, 245, 248, 289, 324, 343, 403–411, 444, 451 – Rezeptionsgeschichte/Wirkungsgeschichte 206, 256, 407, 416, 422f., 446, 486 – Rezeptionsinteresse 18, 135, 190– 192, 233, 236 – Rezeptionsmedium 192 – Rezeptionsmodalitäten 207 – Rezeptionsmotivation 232f., 237 – Rezeptionsprognose 51, 184, 224, 301, 309, 313 – Rezeptionssignale s. Applikationssignal; Fiktionssignal; Referenzsignal; Transfersignal – Rezeptionswirkung 20, 45, 73, 122, 131, 161, 186–245, 247, 366, 444, 461 – Rezipient s. Leser – Rezipientenbezug der Erzählung s. Anwendung – Selbstbild des Rezipienten 433f. – soziale Kompetenz des Rezipienten 194 – Sympathie/Antipathie 50, 142, 183, 190f., 193, 195–197, 199, 202f., 207, 234, 240f., 245, 343, 397–399, 444 – Überraschung (vgl. Handlungsüberraschung) 156, 200, 312f., 315, 323f., 451 – Übersicht 190 – Überzeugungen/Ü.sänderung s. dort – Verhalten/V.sänderung 227, 236– 238, 245, 437f. – Vertrauen (s. Autorität) 234, 241 – Wissen s. Vorwissen – wissenschaftliche Rezeption 191, 408 Rhetorik/rhetorische Analyse (rhetorical criticism) 44, 94, 133, 186, 189, 198, 201, 211, 245, 249, 258f., 262, 446 – noch ausstehende Vermittlung mit der Narratologie V, 44, 190, 446 – rhetorische Figur 67, 69, 72, 121, 189
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Sachregister
Rhythmus (Erzählgeschwindigkeit) 97f. Risiko s. Handlung, Handlungsrisiko Rollenspiel s. Bibliodrama Roman – Geschichte des 46, 60f. – historischer 58, 69–71, 208 – psychologischer 92 Romanze (N. Frye) 104, 308 Rückwendung/-blick 93, 95, 97 Rührung 202 runde Figur s. Figur, runde Sachaussagen/Sachverhalte 208f., 228f., 241f., 412f. Sachhälfte/-feld/-text (Gleichnis) 214f. Sachkritik 485 Salienz (Psychologie) 145, 235 Satan 125 Satire (N. Frye) 104, 308 Schadenfreude 202, 245, 404f., 409 Schauplatz 79 Schemaliteratur 101f. Schematheorie 38f. (s. auch Frames/ Skripts) Schicksal der Figuren s. Figur, Figurenschicksal Schluss einer Erzählung s. Handlung, Schluss Schlussfolgerungsmodell 40, 214 Schlusssatz/-sequenz 121 Schmerz (Rezeptionsemotion) 203 Schreiben/(Text-)Produktion 207, 258f. – Schreibprozessforschung 428, 460 – Schreibstil (vgl. Stil; Matthäus, Sprachstil) 192 Schweigespirale 231 Science Fiction 43, 71 scripts s. Frames/Skripts secundum comparationis 215f., 219f. sekundäre Parallelisierung 219f. Selbst-Implikation (Anwendung) 207 Selbstkenntnis 210f. Selbstoffenbarungsseite einer Nachricht 54 selbstreferenziell 76f. Selbstwertgefühl 228, 240 Sem (A.J. Greimas) 107 Semantik 20, 254, 471, 474 – Framesemantik 75 – lexikalische 75
– – – –
Merkmalssemantik 145f. Prototypensemantik 38 semantisches Feld 82 semantische Opposition s. Opposition, semantische – Semasiologie/Onomasiologie 486 – Textsemantik 91, 388 Semiotik/semiotische Exegese 32, 47, 103, 106f., 150, 187, 249, 304, 443, 445, 487 – semiotisches Handlungsschema 103 – semiotisches Quadrat/Viereck 106f., 253 Sender s. Autor; Kommunikation Sendungsgeschichte 449 sensus literalis (vgl. Autorintention; Anwendung, direkte) 208 sensus moralis 211 Sequenz s. Handlungssequenz Setting s. Umwelt Signale s. Rezeptionssignale Sitten/Bräuche 80f. situational script 38–40 Situationsdeutung 242 Situationsporträt 154 showing s. telling/showing sjužet (B. Tomaševskij) 30, 88 Skripts s. Frames/Skripts Sleeper-Effekt (Psychologie) 235 slot (Schematheorie) 38 Sorge 240 sozialgeschichtliche Interpretation 13, 80f., 138f., 274, 280, 297, 445 Sozialpsychologie s. Psychologie Soziogramm 147 Soziolinguistik s. Linguistik Soziologie (vgl. Systemtheorie) 131, 139, 182 Spannung (suspense) 43f., 50, 69, 73, 94, 103f., 113, 190, 198, 199f., 203, 234, 248, 315, 400–403, 444, 451 – Final-/Detailspannung 200 – Konflikt-/Bedrohungs-/Rätselspannung 200, 400 – Makro-/Mikrospannung 120, 200, 403 – Spannungsbogen 401–403 – Spannungshaftigkeit 243 – Spannungskurve 104, 317, 401 – Spannungspotenzial 199
Sachregister Spannung als Inkohärenz (tension; vgl. Literarkritik) 199 – als literarische Technik 9, 16 spatial/temporal point of view (Uspenskij) 165f. spatial turn s. Wende, räumliche Spiegelneuronen 193 Spieltheorie 113 Spielzeit (Dramenanalyse) 93 Spielzug (move) s. Handlung, Spielzug Sprache, Wiedergabe von 168–170 Sprechakttheorie 20f., 35, 184, 188, 238, 240, 254 stabiler Zustand 114, 120 Standpunkt (vgl. Einstellungen, Überzeugungen) s. Erzählerstandpunkt; Figuren, Meinungen statische Motive/Aussagen s. Aussagen, dynamische/statische Staunen 404–410 Stellungnahme des Interpreten (vgl. Interpretationsethik) 260 sterbliche Zeit 80 Stereotyp/Stereotypisierung 158f., 242 Stil/Stilistik/stilistische Analyse (vgl. Rhetorik; Figur, Redestil; Mentalstil; Erzähler, erzählerische Fertigkeiten; Matthäus, Sprachstil) 44 Stimme (Genette) 165 Stimmung 84, 201 (vgl. Rezeptionsemotionen) stock character 156, 158 Story (E.M. Forster) 88 story/discourse-Unterscheidung (Inhalt/ Form; Was/Wie) 74f., 88f., 120f., 124, 155, 166, 247, 480, 482f. story line s. Handlungsstrang story/plot-Unterscheidung 88, 90 Strafrecht s. Indizierung von Literatur/ Film stream of consciousness s. Bewusstseinsstrom Strukturalismus V, 24, 26–29, 31f., 36, 45, 83, 87, 99–101, 106–108, 111, 126–128, 149f., 176, 179, 184, 225, 252f., 411, 440, 443, 487 Strukturanalogie (vgl. Anwendung) 206, 220, 264 subplot s. Handlung, Nebenhandlung Sukzession (Erzählreihenfolge) 94
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Summarium 98 surrogate objects (pseudo-reale Objekte) 70 Symbol s. Gleichnis; Metapher Sympathie/Antipathie – der Figuren s. Figurenkonstellation; Figuren, Meinungen – des Rezipienten s. Rezeption „synchrone“ Exegese s. Interpretation; literaturwissenschaftliche Exegese; Rezeptionsästhetik; Intertextualität; Semiotik; Pragmatik; „textimmanente“ Interpretation Synchronie (Erzählreihenfolge) 94 Synchronie/Diachronie 8–12 Synkrisis (Figurenvergleich) 152f. Syntax, Semantik und Pragmatik (s. auch Linguistik) 19–21, 254, 483 synthetische Kategorien s. analytische vs. synthetische Kategorien Systematische Theologie (vgl. Thema) 477 Systemtheorie 41, 75f. Szene (Erzählabschnitt) 90, 116, 266, 320f. – Verknüpfung von Szenen 116f., 320– 322 Szene (Zeitdeckung) 97f., 198 Szenographie (U. Eco) 40 Targum 261 Taufformel 458f. Täuschung 55, 66, 110, 367 tellability s. Erzählbarkeit telling/showing 153f., 168–170 tertium comparationis 208, 210, 214f., 218–221, 223 Text – Textbewertung (vgl. Literaturkritik; Ideologiekritik; Autorität, biblische) 445, 481f., 484f. – Textdarstellung/-erstellung s. Neudarstellung; Schreiben; Kommentar – Textdimensionsmodell 7 – Textentstehung (vgl. Literarkritik; Neudarstellung; Schreiben) 9–14, 454f., 478 – Texterklärung s. Interpretation – Textgeschichte/-genese s. Textentstehung
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Sachregister
– Textgestaltung 20 – Textgliederung s. Kompositionskritik – „textimmanente“ Interpretation V, 16, 21, 34, 49–51, 58, 63, 81, 187, 256f., 334, 343, 441 – Textinterpretation s. Interpretation – Textkohärenz s. Textzusammenhang – Textlinguistik s. Linguistik – textpragmatische Exegese 21, 188 – Textproduktion s. Schreiben – Textrepertoire 40 – Textsemantik s. Semantik – Textstruktur s. Kompositionskritik – Texttheorie 17 – Textur des Textes 21 – Textwirkung s. Rezeptionswirkung – textwissenschaftliche Methode 28f., 481–487 – Textzusammenhang (vgl. Spannung [tension]) 39, 41f., 88, 91, 116f., 119f., 204, 460 Theaterkritik s. Literaturkritik Theaterwissenschaft s. Dramenanalyse Thema/Thematik/Thematologie 220, 482f., 486f. – thematische Linie 322 Theologie des Autors 14f., 389, 447, 475–477, 479f., 482f., 486f. Theologie, narrative s. narrative Theologie Theorie des kommunikativen Handelns 40 Theorie, Methode und Praxis 28, 46 Theorien, Inkommensurabilität von 18 theory of reasoned action/of planned behavior (Psychologie) 237 Therapie durch Erzählungen 240 Thronbesteigungsritual 450 Tiefenstruktur der Erzählung 99, 150, 304 Tiere, sprechende 64, 71, 85, 125 Titel 66, 257 Tod (als Erzählthema) 200, 224 Tod des Autors 50, 441 top-down-Verstehen 39, 132f. Topografie 80f., 281 Traditionsgeschichte s. historisch-kritische Methode, Traditionsgeschichte Tragödie 104, 115, 119, 186, 204, 305– 308
Transfersignal 216–218, 416 Transmedialität s. Narratologie, Intermedialität Transportation (R.J. Gerrig) 197, 234 Trennungsschmerz 203 Trost/trösten durch Erzählungen 238, 240 Typ/Typus (Figur) s. Figur Typenkreis (F. Stanzel) 73, 166, 167 Typologie 206 Übergang (metavbasi~) s. Handlung, Wendepunkt Überlieferungsgeschichte s. historischkritische-Methode, Überlieferungsg. Überraschung s. Rezeption, Überraschung Überzeugungen (vgl. Erzählerstandpunkt; Figuren, Meinungen; Perspektivenstruktur) 183, 227–229, 378, 387–389, 430f. – erzählinterne/erzählexterne 229 – Überzeugungsstruktur/-system 183, 388, 444 – Vor-Überzeugungen 229–231, 430f. Umwelt (Erzähltheorie) 78–86, 208, 213, 273–290, 442, 462 – und Handlung 77, 82f., 282–284 – räumliche/geografische 79f., 208, 276f. – soziokulturelle 79f., 277–279 – symbolische 84, 288 – Typologien 84f. – Umweltdarstellung 77, 83f., 284–288 – Umwelt-Elemente 77, 79–81, 275– 280 – Umweltkonstellation 77, 81f., 280– 282 – Umweltkonzeption 77, 84f., 289f. – Umweltrezeption 77, 84, 288f. – zeitliche 79f., 275f. Umwelt (Systemtheorie) 76 Unaufmerksamkeitsblindheit 132 Unbestimmtheitsstellen 42 Universum, fiktionales 110 unzuverlässiger Erzähler s. Erzähler, unzuverlässiger Uses-and-Gratifications-Ansatz (Psychologie) 191f., 204, 236
Sachregister Verantwortung s. Interpretationsethik Verdoppelung 154 Vereinbarkeit von Methoden s. Methoden, Integrierbarkeit Vergebung/vergeben 240 Vergessen (forgetting-effect) 235 Vergleich – von Erzählungen 247, 249 – als Gattungsbegriff 221 – des Rezipienten mit Figuren s. Anwendung, Figurenapplikation – Vergleichbarkeit (Figuren) 144f., 343–349, 443 – Vergleichskategorie/-punkt s. tertium comparationis Vergnügen s. Freude Verhalten s. Figur, Verhalten; Rezeption/Rezipient, Verhalten Verknüpfungsstärke von Szenen 116f. Verkündigung (vgl. Predigt) 261 Verstehen/Verstehenstheorie (vgl. Vorwissen; Frames/Skripts; Inferenzprozesse; kognitive Wende) 17–19, 22, 37–41, 132f. Vertrauen s. Rezeption, Vertrauen vierfacher Schriftsinn 206, 208 Völker/Heiden (als Figurengruppe) 382, 396, 398, 425, 434 Vorauswendung/-deutung 93–95, 97 Vorbild 210f., 232, 379, 415 Vorlesen 192f. Vorurteile (vgl. Einstellungen, VorEinstellungen) 158, 196 Vorwissen des Rezipienten (vgl. Frames/Skripts; Inferenzprozesse; Einstellungen; „textimmanente“ Interpretation) 37–40, 42f., 50f., 53, 63f., 68, 81, 110f., 127–129, 137, 145, 158f., 181, 183, 187f., 190, 200, 208f., 214, 218, 229–231, 248, 254–259, 265, 274–277, 295, 311, 313, 330, 334, 339, 343, 362, 367, 373, 391f., 451 Vorwort 66, 119 Wachsoldaten, römische (als Figuren in Mt 28) 342, 346f., 348–350, 353f., 380, 394f., 397, 423, 432 Wächtergeschichte 457, 459 Wahrnehmung s. Inferenzprozesse; Verstehenstheorie; Vorwissen
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– Wahrnehmungsfehler 132f., 136, 343 – Wahrnehmungsgeografie 81, 281 – Wahrnehmungszentrum 173–175, 194, 369–372, 444 Wahrscheinlichkeit – von Ereignissen bzw. Handlungen der Figuren 112f., 199 – der Erzählung 64f. – der Rezeption s. Rezeptionsprognose walk-on character s. Figur, Randfigur Warnung/warnen 238, 240 Wegestrukturen im Raum 82, 273, 282–284 Welt s. erzählte Welt; besprochene Welt Weltbild/-anschauung 86, 110, 137 Weltwissen s. Vorwissen Wende (turn) – emotionale (emotional) 202 – ethische (ethical) 225 – historische/kulturelle (historical/cultural) 35, 45f., 81, 102, 111, 225, 279 – kognitive (cognitive) V, 19, 22, 35, 36–45, 51f., 62f., 81, 111, 127, 130, 146, 182, 187, 189, 254, 273f., 279, 304, 358, 360f., 390, 392, 411, 427, 440–443, 451f., 454, 461, 472–474, 486f. – pragmatische (pragmatic; vgl. Pragmatik) 34f., 52, 445 – räumliche (spatial) 79 Wendepunkt s. Handlung, Wendepunkt Werbung 234 werkimmanente Interpretation (vgl. „textimmanente“ I.) 31 Werte 139, 180–183, 378–387, 436 – Wertehierarchie 387 – Wertestruktur/-system 180–182, 196, 444 – Werteübernahme (vgl. Einstellungswandel) 234, 245, 251 – Werturteil 181f., 196f., 378–387 Wertung, literarische s. Literaturkritik Wir-Passagen (Apostelgeschichte) 56, 167, 366 Wirklichkeitsbezug von Literatur 57f., 62, 111, 178, 205–224 Wirklichkeitserzählungen 57, 439 Wirklichkeitstransfer 197
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Sachregister
Wirkungsabsicht (vgl. Autorintention) 59 Wirkungsästhetik s. Rezeptionsästhetik Wirkungsgeschichte s. Rezeptionsgeschichte Wissen s. Erzähler, Wissen; Figuren, Wissen; Vorwissen (des Rezipienten) Wissen, praktisches/theoretisches 181 „wissenschaftliche“ vs. „engagierte“ Textauslegung 260, 262, 445 Wissenschaftstheorie 17f., 41 Wissenskluft-Theorie 236 Witz s. Humor „wohnen“ im Text (Ricœur) 197 word-study fallacy s. Fehlschluss, semantischer world behind/within/in front of the text s. Abrams-Klassifizierung
Wort Gottes (vgl. Heiliger Geist und Bibelrezeption; Autorität, biblische; geistliche Auslegung) 18, 262, 406 Wortkulisse 83 wörtliches Textverständnis s. sensus literalis Zeit s. Umwelt, zeitliche; Anachronie Zeitdeckung 97f. Zeitdehnung 97f. Zeitraffung 97f. – sukzessive/iterativ-durative 98 Zugänglichkeitskriterium 65 Zusammenfassung der Erzählung 92, 101, 297f. Zusammenhang s. Textzusammenhang Zweifel 230, 267, 338, 383, 391, 418f. Zweiquellentheorie 452f., 455