Nachgiebige Mechanismen 9783486858907, 9783486768817

Compliant mechanisms are able to transfer movements and forces. These systems can be fabricated monolithically and are m

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Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1. Einleitung
2. Definition und Klassifizierung nachgiebiger Systeme
2.1 Nachgiebige Mechanismen
2.2 Nachgiebige Aktuatoren
2.3 Nachgiebigkeit
2.3.1 Einteilung der Nachgiebigkeit
2.3.2 Änderung der Nachgiebigkeit
2.3.3 Multifunktionalität durch inhärente Eigenschaften
2.4 Bewegungsverhalten nachgiebiger Systeme
2.4.1 Stabiles Bewegungsverhalten
2.4.2 Instabiles Bewegungsverhalten
3. Modellierung nachgiebiger Systeme als Starrkörpersystem
3.1 Voraussetzungen für die Modellbildung
3.2 Beschreibung der Belastungsfälle
3.3 Modelle für einzelne Belastungsfälle
3.4 Modell für komplexe Belastungen
3.5 Modell für konzentrierte Nachgiebigkeit
3.6 Validierung des Modells
3.7 Seriell kaskadierte Starrkörpergelenke
3.8 Beispiele zur Modellbildung
3.8.1 Ein Greifersystem mit zwei Gelenken
3.8.2 Ein Greifer mit mehreren Gelenken
3.8.3 Parallel kaskadierte nachgiebige Elemente
4. Modellierung großer Verformungen stabförmiger Strukturen
4.1 Annahmen für die Modellbildung
4.2 Gleichgewichtsbedingungen für ein Stabelement
4.2.1 Gleichgewichtsbedingungen in Vektorform
4.2.2 Ableitungen der Basisvektoren
4.2.3 Natürliches Koordinatensystem
4.2.4 Zusammenhang zwischen natürlichem Koordinatensystem und Stabkoordinatensystem
4.2.5 Weiterentwicklung der Gleichgewichtsgleichungen
4.3 Einbindung der Materialeigenschaften
4.4 Transformationsmatrizen
4.5 Verankerung der Form des Stabes in einem Koordinatensystem
4.6 Verschiebungen des Stabes
4.7 Zusammenfassende Darstellung der Verformungsgleichungen
4.7.1 Vektorform der Verformungsgleichungen für ein Stabkoordinatensystem in einem Raum
4.7.2 Skalare Verformungsgleichungen für ein Stabkoordinatensystem in einem Raum
4.7.3 Skalare Verformungsgleichungen für ein Stabkoordinatensystem in einer Ebene
4.7.4 Vektorform der Verformungsgleichungen für ein kartesisches Koordinatensystem
4.7.5 Skalare Verformungsgleichungen für ein kartesisches Koordinatensystem in einem Raum
4.7.6 Skalare Verformungsgleichungen für ein kartesisches Koordinatensystem in einer Ebene
5. Beispiele zur Beschreibung großer Verformungen stabförmiger Strukturen
5.1 Ebene Probleme im Stabkoordinatensystem
5.1.1 Ein pneumatisch angetriebener Greiferfinger
5.1.2 Ein Schlauch mit ausströmender Flüssigkeit
5.1.3 Ein beschichteter Hohlraumstab
5.2 Räumliche Probleme im Stabkoordinatensystem
5.2.1 Ein schraubenlinienförmiger Stab unter Innendruck
5.2.2 Ein Bohrer unter Belastung durch ein Moment
5.3 Ebene Probleme in kartesischem Koordinatensystem
5.3.1 Ein Fühler zur Messung dynamischer Drücke
5.3.2 Nachgiebige Elemente zur Überwachung der Winkelgeschwindigkeit
5.3.3 Ein Greifer mit einem nachgiebigen Körper
5.4 Räumliche Probleme in kartesischem Koordinatensystem
5.4.1 Ein Ringsegment unter äußeren Belastungen
5.4.2 Ein Greifer mit nachgiebigen gekrümmten Fingern
Literatur
Index
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Nachgiebige Mechanismen
 9783486858907, 9783486768817

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Lena Zentner Nachgiebige Mechanismen

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www.degruyter.com

Lena Zentner

Nachgiebige Mechanismen

Autorin: Prof. Lena Zentner Technische Universität Ilmenau Fakultät für Maschinenbau Max-Planck-Ring 12 98693 Ilmenau [email protected]

ISBN 978-3-486-76881-7 e-ISBN 978-3-486-85890-7 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. © 2014 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 143, 81671 München, Deutschland www.degruyter.com Ein Unternehmen von De Gruyter Lektorat: Dr. Gerhard Pappert Herstellung: Tina Bonertz Grafik: Achim Prill/iStock/Thinkstock Druck und Bindung: CPI buch bücher.de GmbH, Birkach Gedruckt in Deutschland Dieses Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706.

Vorwort Nachgiebige Systeme zeichnen sich durch ein komplexes Verformungs- und Bewegungsverhalten aus. Dadurch gestalten sich deren Modellierung und schließlich auch ein gezielter Einsatz der nachgiebigen Eigenschaften kompliziert. In diesem Buch sind Klassifizierung und Modellbildung nachgiebiger Mechanismen und Aktuatoren nach unterschiedlichen Kriterien dargestellt, wodurch eine Auswahl, Modellbildung und Auslegung nachgiebiger Systeme ermöglicht oder erleichtert wird. Der Stoff des Buches basiert auf mehrjähriger Erfahrung des Fachgebietes Mechanismentechnik der Technischen Universität Ilmenau und gehört zu Inhalten ausgewählter Lehrveranstaltungen für Studierende der Fakultät für Maschinenbau. Das Buch ist für Studierende, die sich in der Ingenieur-Ausbildung befinden, und für bereits ausgebildete Ingenieure prädestiniert. Außerdem ist es an alle gerichtet, die sich für nachgiebige Systeme interessieren oder diese einsetzen möchten. Auch ohne eine spezielle wissenschaftliche Ausbildung wird das zweite Kapitel zur Klassifizierung nachgiebiger Systeme einen Überblick über nachgiebige Mechanismen und Aktuatoren sowie deren Anwendungsmöglichkeiten verschaffen. Ein weiteres Kapitel zur Modellierung nachgiebiger Systeme als Starrkörpersysteme basiert auf der linearen Theorie der Festigkeitslehre. Das Kapitel zur Modellierung großer Verformungen bei nachgiebigen Mechanismen bereitet einen Einstieg in die nichtlineare Theorie und beinhaltet transparente Herleitungen, wobei stets darauf geachtet wurde, dass auch Rechenwege und Ergebnisse verständlich bleiben. Dazu tragen unter anderem mathematische Umformungen bei, die bewusst nicht unnötig kompliziert gestaltet wurden. Auch wenn es nicht immer einfach war, wurde die Tensorrechnung vermieden, um den Zugang in die Theorie auch für Fachleute und Interessenten aus Randbereichen höherer Festigkeitslehre zu gewähren. Die Beispiele im letzten Kapitel sind aus verschiedenen Anwendungsbereichen gewählt und deren Ergebnisse, unter anderem als mathematische Zusammenhänge zwischen verschiedenen Modellparametern, können für ähnliche Fälle angewendet werden. Mein Dank gilt allen Mitarbeitern des Fachgebietes Mechanismentechnik der TU Ilmenau, die durch eigene Arbeiten und Betreuung von studentischen Arbeiten oder auch durch gemeinsame Diskussionen zur Steigerung der Kompetenz und der Erfahrung des Fachgebietes im Bereich nachgiebiger Mechanismen und Aktuatoren beigetragen haben. Insbesondere ist in diesem Zusammenhang Herr Dr. Böhm zu erwähnen, in einer Zusammenarbeit mit ihm wurden die Grundsteine zur Klassifizierung nachgiebiger Systeme gelegt. Bei Frau Chaykina, Herrn Linß und Herrn Feierabend möchte ich mich für Bildaufnahmen und deren Bearbeitung bedanken. Herr Linß, Herr Griebel und Herr Hartmann haben das kritische Lesen des Manuskriptes übernommen, wofür ich ihnen ebenfalls herzlich danke. Ilmenau, Januar 2014

Lena Zentner

Inhaltsverzeichnis Vorwort

V

1

Einleitung

1

2

Definition und Klassifizierung nachgiebiger Systeme

3

2.1

Nachgiebige Mechanismen ......................................................................................... 3

2.2

Nachgiebige Aktuatoren ............................................................................................. 7

2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3

Nachgiebigkeit ............................................................................................................ 8 Einteilung der Nachgiebigkeit..................................................................................... 8 Änderung der Nachgiebigkeit ..................................................................................... 9 Multifunktionalität durch inhärente Eigenschaften ................................................... 12

2.4 2.4.1 2.4.2

Bewegungsverhalten nachgiebiger Systeme ............................................................. 18 Stabiles Bewegungsverhalten ................................................................................... 19 Instabiles Bewegungsverhalten ................................................................................. 22

3

Modellierung nachgiebiger Systeme als Starrkörpersystem

3.1

Voraussetzungen für die Modellbildung ................................................................... 27

3.2

Beschreibung der Belastungsfälle ............................................................................. 28

3.3

Modelle für einzelne Belastungsfälle ........................................................................ 31

3.4

Modell für komplexe Belastungen ............................................................................ 33

3.5

Modell für konzentrierte Nachgiebigkeit .................................................................. 35

3.6

Validierung des Modells ........................................................................................... 35

3.7

Seriell kaskadierte Starrkörpergelenke ..................................................................... 37

3.8 3.8.1 3.8.2 3.8.3

Beispiele zur Modellbildung ..................................................................................... 40 Ein Greifersystem mit zwei Gelenken ...................................................................... 40 Ein Greifer mit mehreren Gelenken .......................................................................... 42 Parallel kaskadierte nachgiebige Elemente ............................................................... 44

4

Modellierung großer Verformungen stabförmiger Strukturen

4.1

Annahmen für die Modellbildung ............................................................................. 47

4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3

Gleichgewichtsbedingungen für ein Stabelement ..................................................... 50 Gleichgewichtsbedingungen in Vektorform ............................................................. 50 Ableitungen der Basisvektoren ................................................................................. 52 Natürliches Koordinatensystem ................................................................................ 54

27

47

VIII

Inhaltsverzeichnis

4.2.4 4.2.5

Zusammenhang zwischen natürlichem Koordinatensystem und Stabkoordinatensystem .......................................................................................56 Weiterentwicklung der Gleichgewichtsgleichungen..................................................58

4.3

Einbindung der Materialeigenschaften ......................................................................58

4.4

Transformationsmatrizen ...........................................................................................64

4.5

Verankerung der Form des Stabes in einem Koordinatensystem ..............................69

4.6

Verschiebungen des Stabes........................................................................................72

4.7 4.7.1

Zusammenfassende Darstellung der Verformungsgleichungen .................................74 Vektorform der Verformungsgleichungen für ein Stabkoordinatensystem in einem Raum ...........................................................................................................74 Skalare Verformungsgleichungen für ein Stabkoordinatensystem in einem Raum ...........................................................................................................76 Skalare Verformungsgleichungen für ein Stabkoordinatensystem in einer Ebene ............................................................................................................79 Vektorform der Verformungsgleichungen für ein kartesisches Koordinatensystem ....................................................................................................80 Skalare Verformungsgleichungen für ein kartesisches Koordinatensystem in einem Raum ...........................................................................................................82 Skalare Verformungsgleichungen für ein kartesisches Koordinatensystem in einer Ebene ............................................................................................................84

4.7.2 4.7.3 4.7.4 4.7.5 4.7.6 5

Beispiele zur Beschreibung großer Verformungen stabförmiger Strukturen

87

5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.3

Ebene Probleme im Stabkoordinatensystem ..............................................................88 Ein pneumatisch angetriebener Greiferfinger ............................................................89 Ein Schlauch mit ausströmender Flüssigkeit .............................................................92 Ein beschichteter Hohlraumstab ................................................................................96

5.2 5.2.1 5.2.2

Räumliche Probleme im Stabkoordinatensystem ....................................................101 Ein schraubenlinienförmiger Stab unter Innendruck ...............................................101 Ein Bohrer unter Belastung durch ein Moment .......................................................107

5.3 5.3.1 5.3.2 5.3.3

Ebene Probleme in kartesischem Koordinatensystem .............................................110 Ein Fühler zur Messung dynamischer Drücke .........................................................111 Nachgiebige Elemente zur Überwachung der Winkelgeschwindigkeit ...................113 Ein Greifer mit einem nachgiebigen Körper ............................................................116

5.4 5.4.1 5.4.2

Räumliche Probleme in kartesischem Koordinatensystem ......................................120 Ein Ringsegment unter äußeren Belastungen ..........................................................120 Ein Greifer mit nachgiebigen gekrümmten Fingern ................................................123

Literatur

129

Index

133

1

Einleitung

Nachgiebigkeit wird heute nicht mehr nur als ein Nachteil mechanischer Systeme aufgefasst, vielmehr werden resultierende Vorteile, wie Ausnutzung elastischer Kräfte, Möglichkeit der Energiespeicherung, Kohärenz der Struktur etc., gezielt eingesetzt, um neue qualitative Eigenschaften eines Systems zu erreichen. Eine spezifische differenzierte Nachgiebigkeit in technischen Systemen ist in vielen Anwendungsbereichen, wie in der Medizintechnik und Mensch-Maschine-Interaktion, sogar eine notwendige Voraussetzung ([2], [39]). Auch in klassischen Zweigen des Maschinenbaus, bei vielen Aufgaben für die Bewegungs- bzw. Kraftübertragung, beispielweise in der Greifertechnik, werden konventionelle Starrkörpermechanismen immer mehr durch nachgiebige Systeme erfolgreich ergänzt bzw. ersetzt. Diese Tendenz wird durch die Entwicklung neuartiger Materialien und entsprechender Fertigungstechnologien unterstützt. Hochelastische Materialien erlauben die Realisierung von Aktuatorik und deren Integration in ein nachgiebiges System so, dass aktuatorische Eigenschaften einen inhärenten Charakter für derartige Systeme annehmen. In Kombination mit der Anwendung funktioneller Materialien können auch sensorische Eigenschaften einem System eigen werden und ebenso dank der Inhärenz zu einer kompakten Bauweise sowie zu höherer Multifunktionalität des gesamten Systems beitragen. Um einen gezielten Einsatz der Aktuatorik und funktioneller Materialien zu gewährleisten sowie eine sinnvolle Auslegung des gesamten nachgiebigen Systems zu erzielen, soll sein komplexes Verhalten – Verformungsverhalten und Bewegungsverhalten – grundlegend untersucht werden. Das geschieht am geeignetsten anhand modellbasierter Untersuchungen, insbesondere, wenn es gelingt ein analytisches Modell zu bilden. Dann können komplexe Zusammenhänge zwischen verschiedenen Parametern auf eine transparente Weise aufgeschrieben und Abhängigkeiten zwischen diesen sichtbar gemacht werden. Auch wenn eine Lösung nicht endgültig analytisch erzielt werden kann, helfen die erhaltenen Zusammenhänge mechanischer Parameter eines Systems dieses zu verstehen und sein Verhalten nachzuvollziehen. Nachgiebige Systeme werden unter der Wirkung unterschiedlicher Belastungen betrachtet, die hauptsächlich auf Kräfte oder auf verteilte Kräfte, bezeichnet durch Streckenlast oder Druck, und Momente zurückzuführen sind. Die Belastungen zeichnen sich, neben anderen vektoriellen Parametern, wie Radiusvektoren oder Verschiebungen, durch eine Richtung und einen Betrag aus. Die Bezeichnungen der Vektoren werden durch fette Schriftart angegeben, beispielsweise steht F für einen Kraftvektor, wogegen die Beträge der Vektoren oder skalare Parameter in Textschrift, aber kursiv gesetzt werden, wie ein Betrag einer Kraft: F. Matrizen werden fett und unterstrichen geschrieben, um diese von Vektoren zu unterscheiden: T. In den folgenden Kapiteln werden zunächst Klassifizierungen nachgiebiger Systeme vorgestellt, die im Bereich nachgiebiger Mechanismen und Aktuatoren gesammelt und systematisiert wurden. Nachgiebige Systeme mit linear elastischen Eigenschaften stehen im Mittelpunkt der Modellbildungen. Für kleine Verschiebungen elastischer Systeme beschreibt die lineare Theorie, die zu den linearen Differentialgleichungen führt, die Wirklichkeit hinreichend genau. Handelt es sich um große Verschiebungen, dann soll die nichtlineare Theorie

2

1 Einleitung

verwendet werden, um für die vorhandenen Verformungen ein brauchbares Modell aufzustellen. Beide Wege der Modellbildung basieren auf klassischen Methoden und wurden hier erweitert sowie methodisch verallgemeinert, um einerseits spezielle Fälle abzudecken und um andererseits einen Formalismus zur Erleichterung der Modellbildung zur Verfügung zu stellen. Bevor die Wahl einer analytischen Methode zur Beschreibung der Verformungen eines nachgiebigen Systems getroffen wird, soll zunächst die Beschaffenheit dieses Systems, die durch Geometrie und Material wiedergespiegelt wird, erfasst werden. Dabei wird entschieden, welche Teile des Systems als nachgiebige Körper und welche als ein Starrkörper modelliert werden müssen. Somit wird das zu modellierende nachgiebige Teilsystem aus dem mechanischen Gesamtsystem abgegrenzt. Weiterhin soll in Abhängigkeit von dem Verhalten und der Anwendung des Systems eine Entscheidung getroffen werden, welche Modellierungsmethode sich für eine vorliegende Situation eignet. Unter einem Verhalten werden sowohl das Verformungsverhalten des nachgiebigen Teilsystems als auch sein Bewegungsverhalten verstanden. Die zu erwartenden Verformungen, die als große oder kleine Verformungen aufgefasst werden, sollen dementsprechend anhand einer nichtlinearen oder einer linearen Theorie modelliert werden. Ebenfalls beeinflusst das Bewegungsverhalten, zu unterscheiden in kinematisch stabil und instabil, die Entscheidung über eine Modellierungsmethode. Zudem sollen der Anwendungsbereich, in dem ein System eingesetzt wird, und damit verbundene Zielstellungen in Betracht gezogen werden. So, beispielsweise, wenn Verschiebungen eines ebenen Biegestabes in beiden Richtungen gefragt sind, wird es empfohlen, eine nichtlineare Theorie zu verwenden. Ein nächster wichtiger Schritt vor der Aufstellung eines mathematischen Modells ist die Bestimmung der Randbedingungen. Hier wird entschieden, wo die Belastungen angreifen und welche Lasten als idealisierte Einzelkräfte bzw. Momente oder als verteilte Kräfte bzw. Momente aufgefasst werden können. Dazu gehört auch die Entscheidung über die Lagerung eines nachgiebigen Teilsystems, woraus sich die Lagerkräfte und -momente ergeben. Nach einer Durchführung der Modellierung sollen deren Ergebnisse und dann auch die modellbasierte Simulation unter Beachtung der getroffenen Annahmen und Voraussetzungen ausgewertet werden. Wenn, beispielsweise, ein nachgiebiges Element mit einer Querschnittsabmessung, welche ein Drittel der Länge ausmacht, mithilfe der Theorie für dünne Stäbe beschrieben wird, kann davon ausgegangen werden, dass eine Übereinstimmung mit realen Verformungen weniger, wenn überhaupt, korrekt ausfällt, als im Falle eines dünnen Stabes. Eine aufmerksame Auseinandersetzung mit der Theorie der Modellierungsmethoden und das kritische Betrachten der Ergebnisse sichern den Erfolg einer modellbasierten Untersuchung. Die Herleitungen der Modellierungsmethoden und deren Lösungen zu den aufgeführten Beispielen werden klar aber knapp gehalten, um die Zeit und Mühe beim Einstieg in den Stoff und zum Erlernen der Methoden zu minimieren. Die Berechnungen mathematischer nichtlinearer Gleichungen werden mit dem Programmpaket „Mathematica®“ durchgeführt. Nach Möglichkeit werden analytische Lösungen den numerischen Lösungen vorgezogen.

2

Definition und Klassifizierung nachgiebiger Systeme

Um die Möglichkeiten für den Einsatz nachgiebiger Systeme überblicken zu können, sollen diese entsprechend ihren Merkmalen klassifiziert werden. Insbesondere für einen Entwurf und anschließend für die Modellbildung sind strukturierte Betrachtungen nachgiebiger Systeme und deren Eigenschaften wichtig. Nur so können diejenigen Eigenschaften eines Systems, die seine Funktionsfähigkeit teilweise oder vollständig beeinflussen, berücksichtigt werden. Dadurch werden eine gezielte Entwicklung nachgiebiger Systeme und deren Modellbildung erleichtert. Nachfolgende Klassifizierungen nachgiebiger Systeme werden bezüglich unterschiedlicher Kriterien ausgelegt. Die Nachgiebigkeit, als eine wichtige Eigenschaft nachgiebiger Systeme, sowie deren Ursache und Wirkung werden ebenfalls betrachtet. Schließlich werden nachgiebige Systeme anhand ihres Bewegungsverhaltens unterschieden. Die in diesem Kapitel folgenden Definitionen beziehen sich auf Termini zu nachgiebigen Mechanismen nach IFToMM: International Federation for the Promotion of Mechanism and Machine Science ([16]) und ergänzen diese. Die gegebenen Ausführungen sollen bei einer Auswahl, einem Entwurf sowie bei den Modellbildungen nachgiebiger Systeme, die in den weiteren Kapiteln dargestellt sind, helfen.

2.1

Nachgiebige Mechanismen

Die Nachgiebigkeit ist nach [16] (Punkt 3.5.8) ein Maß für die Fähigkeit eines Systems oder Körpers zur Deformation unter der Wirkung äußerer Belastungen. Es wird bewusst mit dem Begriff Nachgiebigkeit und nicht Elastizität operiert, weil unter Nachgiebigkeit die Eigenschaften der Elastizität, Plastizität sowie Viskoelastizität verstanden werden. Ein Mechanismus, dessen Beweglichkeit ausschließlich oder vorrangig durch die Nachgiebigkeit seiner Strukturabschnitte bestimmt ist, wird als ein nachgiebiger Mechanismus bezeichnet (s. auch [7], [33]). Dank der Nachgiebigkeit weisen nachgiebige Mechanismen eine Reihe von Vorteilen gegenüber den Starrkörpermechanismen auf. Im Allgemeinen lassen sich diese wie folgt zusammenfassen: weniger Reibung bzw. Schmierung, gute Voraussetzungen zur Miniaturisierung, leichte Fertigung durch einfachere bzw. keine Montage und geringe Wartung. Zu berücksichtigen sind aber meist komplizierte Pfade eines Wirkelementes, die theoretisch schwer zu beschreiben sind, sowie die Ermüdungserscheinungen des Materials bei großen Verformungen. Ausgehend aus der Definition nachgiebiger Mechanismen können diese in vollständige nachgiebige Mechanismen und hybride nachgiebige Mechanismen aufgeteilt werden. Wenn ein Mechanismus seine Beweglichkeit durch Vorhandensein sowohl von nachgiebigen Elementen als auch von Starrkörpergelenkelementen erfährt, dann wird dieser als ein hyb-

4

2 Definition und Klassifizierung nachgiebiger Systeme

rider nachgiebiger Mechanismus bezeichnet (Abb. 2.1). Ein vollständiger nachgiebiger Mechanismus erhält seine Beweglichkeit ausschließlich durch die Nachgiebigkeit seiner Strukturabschnitte. Nachgiebige Mechanismen Vollständige nachgiebige Mechanismen F

Abb. 2.1:

Hybride nachgiebige Mechanismen F

Aufteilung nachgiebiger Mechanismen

In Abb. 2.2 sind zwei Beispiele dargestellt, einerseits ein Greifer als ein vollständiger nachgiebiger Mechanismus und andererseits ein hybrider nachgiebiger Mechanismus, der ein Schubgelenk beinhaltet.

a Abb. 2.2:

b Beispiele nachgiebiger Mechanismen; a – ein Greifer als ein vollständiger nachgiebiger Mechanismus, b – ein hybrider nachgiebiger Mechanismus mit einem Schubgelenk

Ein nachgiebiger Strukturabschnitt eines nachgiebigen Mechanismus kann als ein Gelenk betrachtet werden. Im Gegenteil zu den Starrkörpergelenkelementen, wobei zwei Glieder entweder eine formschlüssige oder kraftschlüssige Paarung aufweisen (s. auch [16], Punkt 1.2.6), stellen benachbarte Glieder eines nachgiebigen Mechanismus eine stoffschlüssige Paarung dar. Nach [16] (Punkt 1.2.8.1) wird eine derartige Paarung als ein stoffschlüssiges Gelenk bezeichnet. Eine relative Bewegung der Glieder zueinander wird durch die Nachgiebigkeit dieser Verbindung ermöglicht. Neben der Bezeichnung „stoffschlüssiges Gelenk“ existieren andere Bezeichnungen der stoffschlüssigen Paarung, die einen Anspruch auf Allgemeinheit besitzen, wie ein stoffpaariges Gelenk oder ein Festkörpergelenk. Derartige Gelenke nachgiebiger Mechanismen können auf zwei verschiedene Weisen erzielt werden. Einerseits kann eine erhöhte Nachgiebigkeit durch Änderung der Geometrie, z. B. durch eine geometrische Verjüngung in einem lokalen Bereich, erreicht werden (Abb. 2.3a). Anderer-

2.1 Nachgiebige Mechanismen

5

seits lässt sich ein Gelenk durch die Einführung eines anderen Materials ins System, das eine höhere Nachgiebigkeit aufweist, gestalten (Abb. 2.3b). Eine kombinierte Variante, wobei ein Gelenk anhand der geometrischen Auslegung und Anwendung anderer Materialien mit höherer Nachgiebigkeit ausgeführt wird, ist ebenfalls möglich. Die geometrische Auslegung der Gelenke bezieht sich auf solche Parameter (Abb. 2.3a), wie Länge des Gelenkes L sowie sein geometrisches Profil y = y(x) (s. [22]–[24]). Eine Einteilung der Strukturabschnitte in nachgiebige und starre Bereiche, und somit eine Abstraktion dieser als Gelenke und Glieder, vereinfacht oft die Modellbildung eines nachgiebigen Systems. Ist derartige Einteilung nicht möglich, dann soll das nachgiebige System als ein komplett nachgiebiger Körper modelliert werden, wie in [13] und [14]. x y(x) L

y a Abb. 2.3:

b Stoffschlüssige Gelenke eines nachgiebigen Mechanismus in zwei Ansichten, realisiert durch: a – geometrische Gestaltung, b – Materialien mit höherer Nachgiebigkeit

Auch in der Natur kommen nachgiebige Systeme mit Gelenken beider Arten vor. Ein Beispiel für Gelenke, die nur durch geometrische Gestaltung gebildet werden, ist in einem mehrgelenkigen Spinnenbein zu finden. Ein Spinnenbein ist mit einer relativ harten Schale, die ein sogenanntes Exoskelett bildet, umhüllt. Sie stellt an lokalen Stellen gelenkige Ausbildungen mit faltbaren Membranen dar, wobei alle Bereiche aus gleichem Stoff (Cuticula) bestehen. Unter Druckerhöhung im Inneren der Schale, entfaltet sich die Membran und das Bein wird gestreckt (Abb. 2.4). Drehachsen

Membran a Abb. 2.4:

b

c

Ein Beispiel eines nachgiebiges Systems in der Natur; a – Streckung eines Spinnenbeines wird unter Erhöhung des hydraulischen Druckes in Gelenkbereichen erreicht, b – ein rein hydraulisches Gelenk, die Drehachse verläuft durch einen Peripheriepunkt des Beines, c – Bewegung erfolgt hauptsächlich durch den Einsatz der Muskeln, die Drehachse schneidet die Querschnittsfläche des Beines

In Abhängigkeit von der Geometrie des Gelenkbereiches werden drei Fälle bezogen auf eine Beinstreckung unterschieden ([37]). Im ersten Fall handelt es sich um ein Gelenk, welches eine Streckung des Spinnenbeines ausschließlich anhand der Erhöhung des hydrau-

6

2 Definition und Klassifizierung nachgiebiger Systeme

lischen Druckes realisiert. Die Drehachse verläuft in diesem Fall durch einen Peripheriepunkt des Beines und die Teilnahme der Muskeln an einer Streckbewegung wird somit ausgeschlossen (Abb. 2.5a–b). Ein weiteres Gelenk erlaubt eine Beinstreckung anhand der Druckerhöhung im Gelenkbereich und gleichzeitig mit einer Beteiligung der Muskeln. Die Muskeln zur Beinstreckung können hier im Exoskelett des Beines untergebracht werden, weil die Gelenkdrehachse das Bein schneidet, wie Abb. 2.5b demonstriert. Im dritten Fall teilt die Drehachse die Membranflächen in zwei gleich große Flächen, deshalb erzeugt der hydraulische Druck gleiche gegeneinander wirkende Momente bezüglich der Drehachse, die zu keiner Bewegung führen (Abb. 2.5c). Die Muskeln sind somit vollständig für eine Beinstreckung verantwortlich.

M1

M

Abb. 2.5:

p

p

p

a

M1

b

M2 M2 > M1

c

M2 M2 = M1

Schematische Darstellung von Spinnengelenken; a – ein rein hydraulisches Gelenk; b – ein kombiniertes Gelenk, eine Streckung wird hydraulisch und durch Muskeln erzeugt; c – ein Gelenk, in welchem eine Streckung rein durch Muskeln erzeugt wird

Im Zusammenhang mit biologischen Gelenken, die mithilfe zusätzlicher Materialien höherer Nachgiebigkeit realisiert sind, kann die Wirbelsäule bestehend aus Wirbelkörpern und Bandscheiben genannt werden. Zwischen den knöchernen Wirbelkörpern der Wirbelsäule befinden sich die Bandscheiben, welche aus einem äußeren stabilen Faserknorpelring und einem gelartigen Kern bestehen (Abb. 2.6). Die Bandscheiben sind flächig mit den Grund- bzw. Deckplatten der Wirbelkörper über Bindegewebefasern verwachsen.

Wirbelkörper

Abb. 2.6:

Bandscheibe

Schematische Darstellung von zwei Wirbelkörpern der Wirbelsäule; Wirbelkörper sind untereinander durch eine Bandscheibe verbunden, die elastische Bandscheibe stellt ein Gelenk dar

Die Bandscheiben, die eine höhere Nachgiebigkeit besitzen, ermöglichen die Bewegung der Wirbelkörper relativ zueinander und somit die Beweglichkeit der gesamten Wirbelsäule. In den beiden Beispielen handelt es sich um stoffschlüssige Gelenke, da eine stoffliche Verbindung zwischen den nachgiebigen Gelenkelementen und den Systemteilen vorhanden ist.

2.2 Nachgiebige Aktuatoren

2.2

7

Nachgiebige Aktuatoren

Wenn ein nachgiebiges System bzw. ein Körper nicht als eine kinematische Struktur betrachtet wird, sondern die Ursachen für die Bewegung berücksichtigt werden, dann kann der Begriff eines Aktuators eingeführt werden (s. auch [4]). Ein nachgiebiger Aktuator ist ein Aktuator, bei dem die Verrichtung mechanischer Arbeit mit deutlicher Deformation nachgiebiger Bauelemente einhergeht (Abb. 2.7). Handelt es sich dabei um die Energie eines fluidischen Mediums (Gas, Flüssigkeit, Gel), die in mechanische Arbeit (Deformation) umgesetzt wird, dann wird ein solcher Aktuator als fluidmechanischer nachgiebiger Aktuator bezeichnet (Abb. 2.7b). Piezoelektrisches Material

p

Material unter elektrischer Spannung a

b

Abb. 2.7:

Schematische Darstellung nachgiebiger Aktuatoren; a – unter Anwendung von funktionellen Materialien, z. B. piezoelektrische Materialien, die ihre Länge unter Wirkung von elektrischer Spannung verändern, b – ein fluidmechanischer Aktuator, welcher unter Erhöhung des Innendruckes eine Biegung erfährt

Im Beispiel der Spinnenbeingelenke, die in Abb. 2.5a–b gezeigt sind, handelt es sich ebenfalls um fluidmechanische Aktuatoren im Gelenkbereich. Das System in Abb. 2.5c ist kein fluidmechanischer Aktuator, weil die Bewegung nur unter der Wirkung von Muskelkraft realisiert wird. Als weiteres Beispiel ist ein nachgiebiger Greifer mit fluidmechanischen Aktuatoren, die parallel kaskadiert sind, in Abb. 2.8a–c dargestellt. Der Greifer kann infolge der Kaskadierung als ein Innen- und als ein Außengreifer verwendet werden ([34]). Weitere Beispiele zu nachgiebigen fluidmechanischen Aktuatoren sind in [10]–[12] sowie in einer Kombination mit einem Starrkörpermechanismus in [8] zu finden.

a Abb. 2.8:

b

c

Ein Greifersystem; a – ein Greifer als ein nachgiebiger Mechanismus mit fluidmechanischen Aktuatoren ([34]), b – ein fluidmechanischer Aktuator, c – parallel kaskadierte fluidmechanische Aktuatoren

8

2 Definition und Klassifizierung nachgiebiger Systeme

2.3

Nachgiebigkeit

Die Nachgiebigkeit, als die wesentliche Eigenschaft nachgiebiger Mechanismen, soll genauer betrachtet werden, damit sie sinnvoll und gezielt in mechanischen Systemen eingesetzt werden kann. Das Verstehen der Einflüsse, welche die Nachgiebigkeit verändern bzw. manipulieren können, eröffnet die Möglichkeiten, diese gezielt an äußere Bedingungen anzupassen. Dadurch werden nachgiebige Systeme ihre mechanischen Eigenschaften abhängig von der veränderlichen Umgebung regelungstechnisch oder sogar selbständig ändern können.

2.3.1

Einteilung der Nachgiebigkeit

Die Nachgiebigkeit kann bezüglich ihrer geometrischen Ausbreitung innerhalb eines Körpers bzw. eines Systems in konzentrierte und verteilte Nachgiebigkeit aufgeteilt werden ([35], [36]). Als eine Vergleichsgröße gilt eine Potenz: 101. Wenn die maximale Abmessung eines nachgiebigen Bereiches zehn und mehr Mal kleiner als eine maximale Abmessung eines Körpers bzw. Systems ist, dann handelt es sich um eine konzentrierte Nachgiebigkeit. Im Gegensatz dazu wird ein verformbarer Bereich mit einer Ausdehnung, die mit den maximalen Abmessungen des Systems vergleichbar ist, dem System eine verteilte Nachgiebigkeit verleihen (Abb. 2.9).

Verteilte Nachgiebigkeit

Konzentrierte Nachgiebigkeit Nachgiebige Bereiche

Abmessung des Systems Abb. 2.9:

Schematische Darstellung des Unterschiedes zwischen verteilter und konzentrierter Nachgiebigkeit

Die angegebene Vergleichsgröße 101 soll als ein ungefährer Wert betrachtet werden. Diese Auffassung über die Nachgiebigkeit bezogen auf deren geometrische Ausbreitung hilft bei Anwendung und Wahl von Modellierungsmethoden für nachgiebige Mechanismen. Wenn ein nachgiebiger Bereich beispielsweise als ein stoffschlüssiges Gelenk aufgefasst wird, dann kann zwischen einem Gelenk mit verteilter Nachgiebigkeit und einem Gelenk mit konzentrierter Nachgiebigkeit unterschieden werden. In Abb. 2.10 sind zwei Beispiele nachgiebiger Mechanismen mit stoffschlüssigen Gelenken gezeigt, die eine verteilte und eine konzentrierte Nachgiebigkeit aufweisen.

2.3 Nachgiebigkeit

9

a

b

Abb. 2.10:

2.3.2

Beispiele nachgiebiger Mechanismen mit stoffschlüssigen Gelenken; a – mit verteilter Nachgiebigkeit und b – mit konzentrierter Nachgiebigkeit

Änderung der Nachgiebigkeit

Die im System vorhandene Nachgiebigkeit wird nach der Fähigkeit sich zu verändern unterschieden (Abb. 2.11). Viele technische Starrkörper- und nachgiebige Systeme sind mit konstanter Nachgiebigkeit ausgestattet. Falls die Nachgiebigkeit nicht konstant ist, sich also verändern kann, dann handelt es sich um eine veränderliche Nachgiebigkeit eines Systems. Eine veränderliche Nachgiebigkeit, die nach Rücknahme der Veränderungen von Struktur- oder Umgebungsbedingungen den ursprünglichen Zustand wieder annimmt, wird als reversibel veränderliche Nachgiebigkeit bezeichnet. Im Gegensatz dazu handelt es sich um eine irreversibel veränderliche Nachgiebigkeit, wenn die veränderte Nachgiebigkeit in ihren ursprünglichen Zustand, nach einer Wegnahme der Veränderungsursache, nicht zurückkehrt. Solche Systeme werden demzufolge ihre Veränderung der Nachgiebigkeit einmalig ausführen können. Nachgiebigkeit

Veränderliche Nachgiebigkeit Reversibel veränderliche Nachgiebigkeit Abb. 2.11:

Konstante Nachgiebigkeit

Irreversibel veränderliche Nachgiebigkeit

Einteilung der Nachgiebigkeit nach der Fähigkeit sich zu verändern

Eine veränderliche Nachgiebigkeit eines Körpersegmentes kann durch die Beeinflussung der Geometrie, die zu diesem Zweck gezielt ausgelegt wurde, oder durch variierbare Materialeigenschaften erreicht werden (Abb. 2.12).

10

2 Definition und Klassifizierung nachgiebiger Systeme

Nachgiebigkeitsänderung Durch geometrische Eigenschaften Hohlraum mit veränderlichem Innendruck

Durch Materialeigenschaften Äußere Einflüsse, z. B. Erwärmung

Nachgiebiges Element Abb. 2.12:

Arten der Nachgiebigkeitsänderung mit Beispielen (unten)

Die Geometrieänderung einer Struktur ist möglich, wenn durch gezielte Energiezufuhr, z. B. Druckänderung in den zusätzlichen dafür vorgesehenen Hohlräumen, die Nachgiebigkeit des Systems geändert wird. Eine Änderung der Stoffeigenschaften kann infolge von thermischen, elektromagnetischen und anderen Einflüssen bei speziellen Materialien (funktionelle Materialien) hervorgerufen werden. Beispielsweise führt eine Temperaturänderung bzw. Erwärmung einer lokalen Stelle eines funktionellen Materials in einem System zur Änderung mechanischer Eigenschaften. Folglich wird die Nachgiebigkeit lokal erhöht, wodurch diese Stelle die Funktion eines Gelenkes übernehmen wird. Eine Änderung der Nachgiebigkeit bringt gewisse Vorteile, wie die Fähigkeit zur Anpassung an bestimmte Situation bzw. an eine veränderliche Umgebung. Anhand eines einfachen nachgiebigen Systems wird die Möglichkeit einer Nachgiebigkeitsänderung diskutiert. Dabei werden entweder geometrieseitige Linearität, wobei nur kleine Verschiebungen zugelassen sind, und materialseitige Linearität, bei der das HOOKEsche Gesetz gilt, vorausgesetzt. Ein System des folgenden Beispiels ist ein nachgiebiges Gelenkelement, welches als ein einseitig eingespannter Stab mit einer Länge l, einem Elastizitätsmodul E und einem äquatorialen Flächenträgheitsmoment Iz modelliert wird. Der Stab wird durch eine Kraft F an seinem Ende belastet (Abb. 2.13), wobei mit uy die Verschiebung vom Stabende bezeichnet wird. Die Nachgiebigkeit, die allgemein als ∂uy/∂F und hier als ein Quotient aus der Verschiebung uy und der Kraft darzustellen ist, wird für x = l wie folgt ausgedrückt:



uy F

.

(2.1)

Die Nachgiebigkeit bleibt im genannten Fall konstant. Wenn die Elastizität E von einem anderen Parameter, beispielsweise von der Temperatur T und zwar linear abhängt, dann wird auch die Nachgiebigkeit temperaturabhängig h (T) sein (Abb. 2.13a). Der Parameter T kann nun genutzt werden, um die Nachgiebigkeit gezielt zu verändern ([32]). So ein System ist in Abb. 2.14 gezeigt, wobei die Temperaturerhöhung einer lokalen Stelle des Systems durch die Erwärmung mithilfe eines Heizdrahtes erreicht wird. Das System stellt einen Schlauch dar, welcher vom Draht durch eine dünne Silikonschicht einseitig thermoisoliert ist. Der Schlauch, ein gewöhnlicher „Schrumpfschlauch“, wird durch Erwärmen

2.3 Nachgiebigkeit

11

in eine geschrumpfte Form gebracht und an einem Ende verschlossen. Über das andere Ende wird dieser mit Luftdruck beaufschlagt. Wenn der Draht unter elektrische Spannung gesetzt wird, dann erwärmt er einen lokalen Bereich des Schlauches auf, welcher dadurch eine höhere Nachgiebigkeit bekommt. Unter der Druckerhöhung im Innenraum erfährt der erwärmte Bereich eine Biegung. Bei der Wegnahme des Druckes kehrt das System, durch das Schrumpfen des erwärmten Materials, in den ursprünglichen Zustand zurück. Je höher die Temperatur des lokalen Bereiches des Schlauches wird, desto weicher wird dieser. So kann die Nachgiebigkeit eines Systems gezielt geändert werden. Was in einem derartigen System nicht zu gewährleisten ist, ist die Änderung der Empfindlichkeit des Systems ∂h/∂T. Diese bleibt für einen gewünschten Temperaturzustand, da dieser im Zusammenhang mit Abhängigkeit E(T) bereits vorgegeben ist, bestehen. In Abb. 2.13b ist eine Abhängigkeit h (T) gezeigt, wobei die Empfindlichkeit des Systems durch den Winkel a1 charakterisiert wird. Wird noch ein Parameter herangezogen, sei es ein Parameter X, welcher ebenfalls die Elastizität des Materials verändern soll E(T,X), dann wird es möglich sein, die Empfindlichkeit des Systems ∂h/∂T für einen bestimmten Zustand, beschrieben durch T und uy, zu verändern. Der Fall, in dem die Nachgiebigkeit von zwei Parametern abhängt, wodurch auch die Veränderung der Empfindlichkeit möglich ist, ist in Abb. 2.13c–d schematisch präsentiert. Mit dem Ziel der Vereinfachung, wurde ein linearer Zusammenhang zwischen der Nachgiebigkeit und den beiden Parametern angenommen. Die Überlegungen gelten für solche Abhängigkeit der Nachgiebigkeit von den genannten Parametern, welche einer Funktion im mathematischen Sinne entspricht. η η

η y x

F

1

z

a Abb. 2.13:

η(T,X2)

b

T

α1

α2

c

η(T,X1) T X

X2

T

X1 d

Zur Empfindlichkeit bezogen auf die Nachgiebigkeit; a – ein Beispiel eines eingespannten durch eine Kraft belasteten Balkens, b – Nachgiebigkeit h (T) mit unveränderlicher Empfindlichkeit, c – die Nachgiebigkeit hängt von zwei Parametern ab h (T,X), wodurch eine Veränderung der Empfindlichkeit möglich ist, charakterisiert durch a1 und a2, d – räumliche Darstellung des Weges für Änderung der Empfindlichkeit auf der Fläche h (T,X)

Die Änderung der Empfindlichkeit ∂h/∂T wird hier erst möglich, wenn eine Abhängigkeit von zwei und mehr Parametern vorhanden ist. Diese Situation kann nachgestellt werden, wenn das beschriebene System (Abb. 2.14) nicht in der Rolle eines fluidmechanischen Aktuators verwendet wird, sondern als ein einfaches stoffschlüssiges Gelenk, welches durch eine äußere Kraft eine Biegung erlaubt, wie in Abb. 2.13a. Somit stehen zwei Parameter zur Verfügung, um die Nachgiebigkeit des Systems zu beeinflussen: die Temperatur, veränderbar durch die elektrische Spannung im Heizdraht, und der Innendruck im Schlauch. In diesem Fall kann die Empfindlichkeit entsprechend Abb. 2.13c–d verändert werden. Dabei wird der Innendruck im Schlauch die Rolle des Parameters X übernehmen. Das beschriebene Beispiel schildert eine Möglichkeit die Empfindlichkeit eines nachgiebi-

12

2 Definition und Klassifizierung nachgiebiger Systeme

gen Systems zu ändern. Eine gezielte Einstellung der Empfindlichkeit ist insbesondere in der Messtechnik wichtig.

Trennschicht aus Silikon PE-Schlauch Wärmequelle: Heizdraht a Abb. 2.14:

2.3.3

b

Änderung der Nachgiebigkeit eines Systems infolge des Temperatureinflusses; a – ein Schlauch (Schrumpfschlauch) mit einem Heizdraht umwickelt und einseitig mit einer Trennschicht aus Silikon als Thermoisolierung auf einer Seite des Schlauches gestaltet, kein Druck im Innenraum; b – das System steht unter dem Einfluss der Temperaturerhöhung und des Innendruckes

Multifunktionalität durch inhärente Eigenschaften

Dank der Nachgiebigkeit können nachgiebige Mechanismen mit inhärenten aktuatorischen und/oder sensorischen Eigenschaften gestaltet werden. Eine inhärente Eigenschaft eines Systems ist eine systemeigene Eigenschaft, die anhand der Mechanik – strukturelle, geometrische oder Materialeigenschaften – erzielt wurde. Der Greifermechanismus in Abb. 2.8 ist ein nachgiebiger Mechanismus mit inhärenter Aktuatorik, wobei die aktuatorischen Eigenschaften anhand der Hohlräume (strukturell und geometrisch) und der Elastizität des Materials realisiert sind und einen unentbehrlichen Teil des Mechanismus ausmachen. Im Gegensatz dazu werden herkömmliche Starrkörpermechanismen mit Aktuatoren angetrieben, die oft nur räumlich in das Gesamtsystem integriert sind. Wenn ein derartiges Starrkörpersystem ergänzend Sensorik beinhalten soll, wird diese dem System, im Allgemeinen, als ein zusätzliches Teil des Gesamtsystems hinzugefügt. Im Falle eines nachgiebigen Systems besteht eine Möglichkeit inhärente Sensorik zu verwenden, indem die Eigenschaften spezieller nachgiebiger Materialien genutzt werden. Dann übernimmt ein Teilsystem mehrere Funktionen, wodurch der Grad der Multifunktionalität dieses Systems erhöht wird. Unter Multifunktionalität wird eine Übernahme mehrerer Funktionen durch eine kleinere Anzahl der Bauteile, im Extremfall durch nur ein Bauteil, verstanden. Als ein Beispiel soll ein nachgiebiger Greifer, gefertigt aus Polymer (Abb. 2.15a), mit inhärenten sensorischen Eigenschaften versehen werden. Dabei werden die Zustände „mit Objekt“, wenn ein Objekt vom Greifer gehalten wird, und „ohne Objekt“, falls kein Objekt sich zwischen nachgiebigen Greifelementen befindet, unterschieden. Es werden dabei elektrisch leitfähige Polymere eingesetzt. Diese Materialien besitzen nahezu gleiche mechanische Eigenschaften, wie die herkömmlichen Polymere, die zur Fertigung des Greifers verwendet werden. Elektrisch leitfähige Polymere ändern den elektrischen Widerstand in Abhängigkeit von der mechanischen Belastung. Unter einer Druckbeanspruchung fällt der elektrische Widerstand und bei einer Zugbeanspruchung des Materials wächst dieser. Auf einer

2.3 Nachgiebigkeit

13

ersten Abstraktionsstufe kann diese Eigenschaft durch die Abstandsänderung zwischen den elektrisch leitfähigen Partikeln im Polymer, z. B. Grafitpartikel, erklärt werden. Durch die elektrische Widerstandsänderung können Schlussfolgerungen über die mechanischen Spannungen gezogen und somit zwei Zustände voneinander unterschieden werden ([17], [18]). Zunächst sollen die mechanischen Spannungen σ1 für den Zustand „ohne Objekt“ und die Spannungen σ für den Zustand „mit Objekt“ miteinander verglichen werden. Anschließend werden die Stellen des nachgiebigen Elementes mit einer größten Differenz σ – σ1 = σ2 identifiziert, um dort leitfähige Polymere zur Realisierung der Sensorik zu platzieren (Abb. 2.15b). FGr

FGr FAn σ1

Antriebselement a

FAn +

σ2

=

σ

b

Abb. 2.15:

Beispiel eines nachgiebigen Greifers; a – Greiferlagen im entspannten Zustand und unter der Wirkung der Antriebskraft mit einem gegriffenen Objekt; b – Darstellung des Superpositionsprinzips für die Spannungen im nachgiebigen Element

Zur Ermittlung von Spannungen wird, unter der Annahme, dass die Deformation klein bleibt, die lineare Theorie verwendet. Demzufolge kann das Superpositionsprinzip genutzt werden, wodurch der Lösungsweg zur Bestimmung der Spannungsdifferenz σ2 erheblich vereinfacht wird. Die mechanischen Spannungen σ2 im nachgiebigen Element können unter der Wirkung nur der Greiferkraft ermittelt werden. Aus der Symmetrie des Systems kann geschlossen werden, dass die Lagerreaktionen am rechten und am linken Ende vom Betrag gleich groß sind. Die Beträge werden mit FR für eine Kraft und mit MR für ein Moment bezeichnet (Abb. 2.16a), wobei für die Reaktionskräfte folgendes gilt:

FR 

FGr . 2

(2.2)

Die Schnittreaktionen und schließlich auch die mechanischen Spannungen werden abhängig vom Parameter φ ermittelt (Abb. 2.16b). Die entstehenden Schnittreaktionen sind die Normalkraft NS, die orthogonal zur Querschnittsfläche wirkt, die Querkraft QS und das Schnittmoment MS (Abb. 2.16b). Die Gleichgewichtsbedingungen für ein herausgeschnittenes Segment des nachgiebigen Elementes, wobei die Momentengleichung bezüglich des Koordinatenursprunges aufgestellt wird, liefern Werte für die Schnittreaktionen im Bereich 0 < φ < π/2. Aus Symmetriegründen werden die Werte im Bereich π/2 < φ < π gleich sein, wobei als Symmetrieachse die y-Achse dient.

14

2 Definition und Klassifizierung nachgiebiger Systeme FGr cos  , 2 F QS   Gr sin  , 2 F R M S  M R  Gr (1  cos  ) 2 NS  

(2.3)

Das Reaktionsmoment MR kann mit Hilfe des Satzes von MENABREA (s. auch [9], [27]) berechnet werden. Da nur das Schnittmoment MS vom Reaktionsmoment MR abhängt, reduziert sich der Ausdruck für die Ableitung der Verformungsenergie W auf ein Integral: 

F R W 1 2   M R  Gr (1  cos  )  d  0 .   M R EI 1 0  2 

(2.4)

Dabei ist EIζ1 die Biegesteifigkeit des nachgiebigen Elementes (Abb. 2.16c), bestehend aus dem Elastizitätsmodul E und dem äquatorialen Flächenträgheitsmoment Iζ1; R steht für den Krümmungsradius nachgiebiger Elemente. Aus der Gleichung (2.4) wird das Reaktionsmoment ermittelt: 1 1  M R  FGr R    . 2  

(2.5)

Die mechanische Spannung σ2 im Querschnitt des nachgiebigen Elementes setzt sich aus der Druck/Zug-Spannung und der Biegespannung zusammen, wobei der Querschnitt ein Rechteck mit Fläche A und den Abmessungen a und b ist. Mit den Hauptträgheitsachsen des Querschnittes wird ein Koordinatensystem mit Achsen ζ1 und ζ2 (Abb. 2.16b) so verbunden, dass die Achsen ζ1 und z gleiche Richtungen aufweisen.

 2 ( ,  2 ) 

NS M S F 6F R  2   2   Gr cos   Gr3  2  cos    A I 1 2ba ba  

FGr R MR FR a Abb. 2.16:

z

NS y

φ

y x

MR FR

MS z b

ζ2

QS φ MR

x FR

(2.6)

ζ1

a b

Querschnitt c

Nachgiebiges Element; a – Lagerreaktionen am nachgiebigen Element; b – Darstellung eines Schnittteils vom nachgiebigen Element; c – Querschnitt des nachgiebigen Elementes

Der Extremwert von σ2 fällt mit seinen Bereichsgrenzen φ = 0 und φ = π/2 zusammen, was durch die Ableitung der letzten Gleichung nach φ festgestellt werden kann. Bezüglich des Parameters ζ2 ist eine lineare Abhängigkeit gegeben. Aus diesen Gründen werden nur die Werte der Spannung σ2 in den Bereichsgrenzen für φ und ζ2 miteinander verglichen.

2.3 Nachgiebigkeit 

15

a

F

3F R 

2

 2  0,     Gr  Gr2  1   , 2 2ba ba     

a

F

3F R 

2

 2  0,    Gr  Gr2 1   , 2ba ba     2   a  6F R  2  ,    Gr 2 ,  2 2   ba 6F R  a   2  ,    Gr 2  ba  2 2

(2.7)

Die letzten zwei Gleichungen weisen die Maxima der absoluten Werte der Spannungen auf, unter der Voraussetzung, dass der Radius R viel größer als die Abmessung a ist. Diese Maxima entstehen im Querschnitt mit der Koordinate φ = π/2. Beteiligt sind dabei die untere Seite für ζ2 = –a/2, die einen Zug erfährt, und die obere Seite für ζ2 = a/2, die unter Druckspannungen steht. Wenn berücksichtigt wird, dass der gegriffene Körper einen direkt wirkenden Druck auf die obere Seite des Greiferelementes bei ζ2 = a/2 ausübt, dann ist mit noch höheren Spannungen zu rechnen. Somit wird die Stelle mit Koordinaten φ = π/2, ζ2 = a/2 (letzter Ausdruck aus (2.7)) für die Sensorisierung ausgewählt. Diese Stelle wird aus elektrisch leitfähigem Polymer gestaltet und einer elektrischen Spannung unterworfen. Anhand der Messung der Widerstandsänderung kann ermittelt werden, ob ein Objekt gegriffen wurde oder nicht (Abb. 2.17a–b). Wenn aber die Mitte des nachgiebigen Elementes mit einem Sensor zu versehen ist, um so die elektrische Spannung von dem Objekt oder der Umgebung zu isolieren, kann die Stelle φ = π/2 nicht genutzt werden, da die Spannung σ2 an der Stelle ζ2 = 0 ein Null ergibt. Wird ζ2 = 0 in die mechanische Spannung aus der Gleichung (2.6) eingesetzt, folgt ein Ausdruck für die mechanische Spannung der mittleren Faser bzw. des mittleren Streifens des nachgiebigen Elementes:

 2 ( , 0)  

FGr cos  . 2ba

(2.8)

Dabei wird die Stelle φ = 0 und folgend auch die Stelle φ = π für die Gestaltung der Sensorik in Frage kommen (Abb. 2.17a). Die elektrisch leitfähigen und die nicht leitfähigen Polymere lassen sich miteinander nahtlos so vernetzen, dass sie einen monolithischen Körper bilden. Zudem besitzen elektrisch leitfähige Polymere nahezu gleiche mechanische Eigenschaften, wie nicht leitfähige Polymere. Deswegen übernehmen die Stellen aus elektrisch leitfähigen Polymeren in der geschildeten Anwendung die Funktion der Sensorik und sind gleichzeitig ein Teil des mechanischen nachgiebigen Systems. Zudem kann die Kontaktstelle der Greiferelemente mit dem Objekt aus dem elektrisch leitfähigen Polymer mit einer niedrigeren Shore-Härte als die restlichen Teilsysteme gestaltet werden, falls die Stelle φ = π/2 für die Sensorisierung gewählt wird. In diesem Fall übernimmt dieses Teilsystem zusätzlich die Aufgabe eines sanften Greifens, wodurch der Grad der Multifunktionalität noch mehr erhöht wird. Weitere Beispiele zur Anwendung elektrisch leitfähiger Polymere sind in [5] und [6] zu finden.

16

2 Definition und Klassifizierung nachgiebiger Systeme FGr

elektrischer Widerstand

Objekt mögliche Stellen für Sensoren aus leitendem Silikon

mechanische Spannung

FAn a Abb. 2.17:

b

ohne Objekt

mit Objekt

Einsatz elektrisch leitfähiger Polymere; a – nachgiebiges Element eines Greifersystems mit möglichen Stellen für das Einbringen des inhärenten Sensorik; b – Darstellung eines qualitativen Abhängigkeit des elektrischen Wiederstandes von der mechanischen Spannung für elektrisch leitfähige Polymere, die mit Grafitpartikeln dotiert sind

Neben den Eigenschaften, bezogen auf Aktuatorik und Sensorik, soll eine weitere mögliche inhärente Eigenschaft genannt werden, welche zur Multifunktionalität nachgiebiger Mechanismen beiträgt. Diese wird durch die Anwendung von funktionellen Materialien mit speziellen viskoelastischen Eigenschaften ermöglicht, die von der Geschwindigkeit mechanischer Belastungen abhängig bzw. veränderlich sind. Es wird zwischen zwei Eigenschaften derartiger Materialien unterschieden. Mit zunehmender Belastungsgeschwindigkeit wird ein Material mit dilatanter Eigenschaft seine Feder- und Dämpfereigenschaften von fließend zu viskos sowie über plastisch bis hin zu elastisch ändern. Bei sehr großen Geschwindigkeiten ist sogar ein Sprödbruchverhalten zu beobachten. Dieser Effekt wird auch KAYE-Effekt genannt ([21]). Dilatante Eigenschaft wird bei einigen Elastomeren aus Silikonkautschuk mit BorGehalt beobachtet. Eine gegensätzliche Eigenschaft heißt Strukturviskosität. Ein Material mit strukturviskoser Eigenschaft wird flüssiger bzw. weniger viskos, wenn die mechanische Belastungsgeschwindigkeit steigt. Blut weist eine strukturviskose Eigenschaft auf, wodurch auch die engsten Kapillaren überwunden werden. Derartige geschwindigkeitsabhängige funktionelle Materialien können zur gezielten Einstellung von Feder- und Dämpfereigenschaften verwendet werden. Ein Beispiel zur Anwendung genannter Materialien ist in Abb. 2.18a gezeigt. Zwei elastische Zahnräder erfahren durch eine Kombination gezielter Formgebung und einer Verwendung funktioneller Materialien eine Funktionserweiterung. Wenn die Zähne mit einem Kern, bestehend aus einem strukturviskosen Material, vorgesehen werden, dann kann eine geschwindigkeitsgesteuerte Übertragungsfunktion realisiert werden. So werden die Zähne in Abhängigkeit von der Antriebsgeschwindigkeit bei einer höheren mechanischen Belastung gezielt ausknicken und folglich zur Unterbrechung der Bewegung führen. Wenn aber dilatante Materialien verwendet werden, dann wird die Übertragung der Bewegung nur für höhere Geschwindigkeiten, ohne Unterbrechung der Bewegung und ohne zusätzliche Kupplung, realisiert. Ein weiteres Beispiel ist ein fünfgliedriger Koppelmechanismus, dessen mittleres Gelenk ein nachgiebiger Körper mit einem Hohlraum darstellt. Dieser Hohlraum ist mit dilatantem Material gefüllt (Abb. 2.18b). Der Freiheitsgrad eines derartigen Mechanismus ist zwei, so dass für eine gezielte Bewegung zwei Motoren benötigt werden. Mit Erhöhung der Geschwindigkeit werden mechanische Spannungen im Material des gefüllten Gelenkes steigen, wonach es zu einer vollständigen Sperrung des Gelenkes bei sehr hohen Geschwindigkeiten kommt. Die Höhe der Geschwindigkeit, die zu einer vollständigen Sperrung führt, hängt von Materialeigenschaften der verwendeten Stoffe, der Menge des Füllungsmaterials und der Geometrie des

2.3 Nachgiebigkeit

17

Hohlkörpers ab. Niedrige Geschwindigkeiten beider Motoren sollen zur Einstellung der Koppellänge LK führen. Danach reicht eine hohe Geschwindigkeit nur eines der beiden Motoren aus, wobei es, wegen hohen mechanischen Belastungen im Gelenk, zu seiner vollständigen Sperrung kommt. Folglich können mehrgliedrige Systeme durch einen Einbau derartiger Gelenke so betrieben werden, dass durch eine langsame Bewegung mit mehreren Antriebselementen zunächst eine Verformung in den Gelenken, die funktionelle Materialien beinhalten, ausgeführt wird. Danach kann eine schnelle Bewegung durch den Einsatz weniger Antriebselemente vollzogen werden. Somit werden durch derartige Systeme energieeffiziente Bewegungen realisiert. Funktionsmaterial LK

a

b

Abb. 2.18:

Anwendung funktioneller Materialien in Mechanismen; a – schematische Darstellung nachgiebiger Zahnräder mit Kern, bestehend aus einem funktionellem Material, mit einer geschwindigkeitsabhängigen selbstschaltenden Kupplung; b – Darstellung eines fünfgliedrigen Koppelmechanismus; ein Gelenk ist mit einem funktionellem Material gefüllt, um eine energieeffiziente Bewegung zu erzielen (s. [41])

Multifunktioneles nachgiebiges System mit inhärenten Sensorik, Aktuatorik, Nachgiebigkeitsänderung

Mechanisches Teilsystem Sensorik a Abb. 2.19:

Aktuatorik b

Zwei Systeme im Vergleich; a – schematische Darstellung wesentlicher Bestandteile eines StarrkörperBewegungssystems; b – Darstellung eines nachgiebigen Bewegungssystems; das mechanische Teilsystem übernimmt die Funktion einzelner Bestandteile

In Abb. 2.19 ist ein Vergleich zwischen einem herkömmlichen StarrkörperBewegungssystem und einem multifunktionellen nachgiebigen System auf einem abstrakten Niveau gegeben. Ein Starrkörper-Bewegungssystem (Abb. 2.19a) besteht aus einem mechanischen Teilsystem, aus Aktuatorik, welche relative Bewegungen der Starrkörper bezüglich einander realisiert, und aus Sensorik, die den Zustand des Systems überwacht. Ein nachgiebiges System kann, unter dem Einsatz von Materialien mit funktionellen Eigenschaften, die Funktionen der Aktuatorik und Sensorik übernehmen, und durch eine sinnvolle strukturelle und geometrische Auslegung, die ein weiterer Teil der Sensorik erübrigt, Multifunktionalität aufweisen. Es handelt sich dann um ein nachgiebiges System mit inhärenten aktorischen und sensorischen Eigenschaften. In einem Extremfall kann eine höchste Multifunktionalität er-

18

2 Definition und Klassifizierung nachgiebiger Systeme

reicht werden, wobei die ganze Aktuatorik und Sensorik im System gleichzeitig seinen notwendigen mechanischen Teil verkörpert (Abb. 2.19b).

2.4

Bewegungsverhalten nachgiebiger Systeme

Als ein weiteres Kriterium für die Klassifikation nachgiebiger Systeme wird der Bewegungsverhalten gewählt ([32]). Gemäß den NEWTON-EULER-Gleichungen bewirkt die Summe aller einwirkenden Kräfte bzw. Momente eine Änderung der Bewegung, welche durch die Ableitung des Impulses mv bzw. des Dralls D nach Zeit t wiedergespiegelt werden. Für einen Starrkörper gilt: I

d ( mv ) , dt i 1 J dD Mj  .  dt j 1

F

i



(2.9)

Wenn die Geschwindigkeit v sehr klein bleibt oder sich nur wenig ändert, können dynamische Effekte, die durch die rechte Seite der Gleichungen repräsentiert sind, vernachlässigt werden. Dieser Fall wird für die Klassifikation des Bewegungsverhaltens nachgiebiger Systeme angenommen. Dabei werden jeder Antriebskraft oder einem Antriebsmoment, welche von Null aus ansteigen, dazugehörigen Lagen eines Wirkelementes des nachgiebigen Systems gegenüber gestellt.

Bewegungsverhalten nachgiebiger Systeme

Stabiles Verhalten Monotones Verhalten F

Instabiles Verhalten

Richtungsumkehr

F

Durchschlag F

F

Fk u Abb. 2.20:

u

Bifurkation

Fk u

u

Klassifizierung des Bewegungsverhaltens nachgiebiger Strukturen (s. auch [32])

Bewegungsverhalten wird in ein stabiles und ein instabiles Verhalten unterteilt (Abb. 2.20). Bei einem stabilen Bewegungsverhalten entspricht einer bestimmten Belastung, symbolisch

2.4 Bewegungsverhalten nachgiebiger Systeme

19

durch F bezeichnet, nur ein Parameter u, welcher die Lage des Wirkelementes und somit einen verformten Zustand des Systems charakterisiert. Weiterhin wird zwischen einem monotonen Verhalten und einem Verhalten mit Richtungsumkehr unterschieden. Bei einem instabilen Verhalten nachgiebiger Strukturen sind ein Durchschlageffekt (Bewegungsverhalten mit einem „Sprung“) und Bifurkation („Verzweigung“ des Verhaltens) zu nennen. Die Arten des Bewegungsverhaltens werden im Folgenden beispielhaft betrachtet, wobei neben nachgiebigen Systemen auch Starrkörpermechanismen genannt werden, um die Parallelen zwischen Bewegungsübertragung mittels Starrkörper- und nachgiebigen Systemen aufzuzeigen. Dabei ist zu bemerken, dass die Zuordnung eines Systems innerhalb dieser Klassifikation von der Wahl des charakteristischen Parameters u abhängt.

2.4.1

Stabiles Bewegungsverhalten

Die meisten nachgiebigen Systeme weisen ein stabiles Bewegungsverhalten auf. Dieses Verhalten ist unentbehrlich in der Präzisionstechnik, Robotik, Greifertechnik und in den vielen anderen Bereichen, um beispielsweise einen Positioniertisch zu bewegen oder eine bestimmte Bahn mit einem Mechanismus zu einer Bearbeitung von Werkstücken zu realisieren. Monotones Verhalten In Abb. 2.21 sind Beispiele für ein monotones Bewegungsverhalten eines Starrkörpermechanismus, als eine Kurbelschleife, eines nachgiebigen Mechanismus, der sich nach dem Prinzip einer Parallelkurbel bewegt, und eines fluidmechanischen Aktuators gezeigt. Mit der Zunahme einer Antriebsgröße steigen auch die charakteristischen Größen, welche eine Abtriebsbewegung verkörpern. Im Beispiel des Starrkörpermechanismus – eine umlaufende Kurbelschleife – wird seine Abtriebsbewegung durch den Winkel der Schleife, die eine vollständige Umdrehung vollführt, definiert. Mit der Zunahme des Antriebswinkels der Kurbel wird auch der Abtriebswinkel monoton wachsen. Die Bewegungsbereiche für das Antriebs- und das Abtriebsglied eines nachgiebigen Mechanismus sind begrenzt. Innerhalb dieser Bereiche folgt einer Vergrößerung eines Antriebswinkels eine Steigung des Abtriebswinkels, wobei eines der gestellgelagerten Glieder als ein Antriebsglied und das andere als ein Abtriebsglied angenommen werden kann. Im Falle eines Aktuators wird ein monotones Verhalten dadurch charakterisiert, dass dem steigenden Innendruck ein wachsender Neigungswinkel des am Aktuator befestigten Wirkelementes entspricht. Der Bewegungsbereich des Wirkelementes ist hier ebenfalls begrenzt.

20

2 Definition und Klassifizierung nachgiebiger Systeme

Starrkörpermechanismus

Schleife Kurbel

Nachgiebiger Mechanismus

Wirkelement Nachgiebiger Aktuator

Abb. 2.21:

Monotones Verhalten; Starrkörpermechanismus als eine Kurbelschleife, ein nachgiebiger Mechanismus und ein nachgiebiger Aktuator, mit dem Wachstum des Antriebswinkels vergrößert sich auch der Abtriebswinkel; nachgiebiger Aktuator mit Wirkelement bewegt sich unter der Druckerhöhung im Hohlraum des fluidmechanischen Aktuators

Verhalten mit Richtungsumkehr Ein Bewegungsverhalten mit Richtungsumkehr kann zur Gestaltung komplizierter Bewegungsbahnen genutzt werden. In Abb. 2.22 sind ein Starrkörpersystem, ein nachgiebiger Mechanismus und ein nachgiebiger fluidmechanischer Aktuator gezeigt. Der Schieber der Schubkurbel, welche ein Starrkörpersystem verkörpert, vollführt eine wechselsinnige Bewegung – Bewegung mit Richtungsumkehr – während die Antriebsbewegung ihre Richtung beibehält. Der Bewegungsbereich des nachgiebigen Mechanismus ist begrenzt. Während der Bewegung des Antriebsgliedes in eine Richtung erfährt das Abtriebsglied eine Richtungsumkehr. Bei dem Aktuator wurde die Geometrie so optimiert, dass bei Belastung durch den Innendruck eine Richtungsumkehr des Wirkelementes stattfindet. Als charakteristische Bewegungsgrößen können hier für die Schubkurbel eine Verschiebung und in den beiden anderen Fällen ein Neigungswinkel eines Wirkelementes gewählt werden. Die Eigenschaft der Richtungsumkehr im Falle des Aktuators (Abb. 2.22) kann beispielsweise, wegen der spezifischen Bahn, für Lokomotionsaufgaben genutzt werden, wobei die entsprechenden Strukturen als Extremitäten oder als Teilelemente eines Bewegungssystems einzusetzen sind.

2.4 Bewegungsverhalten nachgiebiger Systeme

21

Starrkörpermechanismus Kurbel

Schieber

Nachgiebiger Mechanismus

Nachgiebiger Aktuator

Abb. 2.22:

Wirkelement

Verhalten mit Richtungsumkehr; ein Starrkörpermechanismus, eine Schubkurbel und ein nachgiebiger Mechanismus: links wird eine Antriebsbewegung eingeleitet, rechts befindet sich das Abtriebsglied, welches seine Richtung ändert, während das Antriebsglied seine Bewegungsrichtung beibehält; nachgiebiger Aktuator mit Wirkelement ändert seine Bewegungsrichtung unter der Druckerhöhung im Hohlraum des fluidmechanischen Aktuators

Nachgiebige Systeme, die ein Verhalten mit Richtungsumkehr aufweisen, haben noch eine bemerkenswerte Eigenschaft. Einer charakteristischen Größe können zwei Antriebsbelastungen (Druck, Kraft oder Moment) in einem bestimmten Bereich entsprechen (Abb. 2.23a). Somit können zwei verschiedene Nachgiebigkeiten eines Systems für eine Lage u*, die durch denselben Parameter beschrieben wird, erreicht werden. Einem Bewegungsverhalten, welches zwischen dem monotonen Verhalten und dem mit Richtungsumkehr angesiedelt ist, entspricht ein begrenztes Wachstum der charakteristischen Bewegungsgröße eines Wirkelementes während der Antriebsparameter permanent zunimmt (Abb. 2.23b). Im Falle der Starrkörpermechanismen besitzen diese eine Eigenschaft der Schrittgetriebe, wie ein Malteserkreuz-Getriebe innerhalb eines Bewegungsabschnittes. Nachgiebige Mechanismen können z. B. mithilfe eines Anschlages für das Wirkelement auch das beschriebene Verhalten aufweisen. In Abb. 2.23c ist ein nachgiebiger Aktuator aus Silikon gezeigt, dessen charakteristische Verschiebung u sich ab einer bestimmten Belastung durch Innendruck nicht mehr verändert. Dieses Verhalten wurde durch eine modellbasierte Optimierung erreicht. Ein derartiger Aktuator ist beispielsweise in der Anwendung für ein Greifersystem sehr vorteilhaft. Diese Eigenschaft erübrigt den sensorischen Aufwand zur Überwachung der Greiferkraft, sie wird nur anhand der mechanischen Eigenschaften des Aktuators begrenzt.

22

2 Definition und Klassifizierung nachgiebiger Systeme

u

u1 = u2 = umax

u

u1

umax

u2

u*

p1

p2

p

p

a Abb. 2.23:

c

b

Ein Bewegungsverhalten zwischen dem monotonen und dem mit Richtungsumkehr; a – zum Verhalten mit Richtungsumkehr: einer Lage u* kann anhand unterschiedlicher Belastungen p1 und p2 erreicht werden, beide Lagen weisen unterschiedliche Nachgiebigkeiten auf, b – ein Verhalten, welches zwischen dem monotonen Verhalten und dem Verhalten mit Richtungsumkehr zu zuordnen ist, c – ein fluidmechanischer Aktuator mit einem Verhalten, wie unter b dargestellt

2.4.2

Instabiles Bewegungsverhalten

Im Gegensatz zum stabilen Bewegungsverhalten nachgiebiger Strukturen, kann ein System bei einem instabilen Verhalten unter einer bestimmten Belastung mehrere Gleichgewichtslagen annehmen. Ein instabiles Bewegungsverhalten kann sich als Durchschlag oder als Bifurkation erweisen. Verhalten mit einem Durchschlageffekt Bei einem Durchschlag erfolgt ein sprungartiger Übergang von einer Gleichgewichtslage in eine andere ebenfalls stabile Lage. Dabei lassen sich zu einer kritischen Belastung mehrere Gleichgewichtslagen zuordnen. Ein Bewegungsverhalten mit Durchschlageffekt kommt oft infolge der Nachgiebigkeit eines Systems zustande. Ein einfaches Beispiel dafür ist ein elastischer beidseitig eingespannter Balken, wobei der Abstand zwischen den Einspannstellen kleiner als die Länge des Balkens ist (Abb. 2.24a). Aus diesem Grund bildet der Balken eine Wölbung. Wenn in der Mitte des Balkens eine wachsende Kraft wirkt, schlägt die Krümmung des Balkens bei einer bestimmten kritischen Kraft um und er wölbt sich auf der anderen Seite aus. Es existieren zwei Gleichgewichtslagen für einen unbelasteten Zustand des Balkens. Das Verhalten im betrachteten Fall ist symmetrisch. F Fk

F l u a a Abb. 2.24:

u

0

α

-Fkr.

F

F Fk

0

u

b Beidseitig eingespannter Balken als ein Beispiel für ein Verhalten mit Durchschlag eines nachgiebigen Systems; a – ein System mit zwei symmetrischen Gleichgewichtslagen für einen unbelasteten Zustand F = 0; b – ein System mit einer Gleichgewichtslage für einen unbelasteten Zustand bei F = 0

2.4 Bewegungsverhalten nachgiebiger Systeme

23

Werden die Einspannstellen unter einem Winkel α zueinander geneigt, heben sich die symmetrischen Eigenschaften bezüglich einer waagerechten Symmetrieachse auf, die sowohl die geometrische Gestaltung als auch das Verhalten des Systems betreffen. Ab einem bestimmten Neigungswinkel besitzt das System nur noch eine Gleichgewichtslage für einen unbelasteten Zustand, wie in Abb. 2.24b geschildert ist. In Abb. 2.25 und Abb. 2.26 sind rotationssymmetrische Strukturen gezeigt, die im ursprünglichen Zustand über eine halbtorische Wölbung um die sphärische nach Innen gerichtete Wölbung verfügen. Unter Innendruck wird die sphärische Wölbung nach Außen geschoben, wobei diese Bewegung mit einem Durchschlageffekt erfolgt. Es handelt sich dabei um fluidmechanische Aktuatoren. Deren charakteristisches Merkmal ist ein mögliches mono- bzw. bistabiles Bewegungsverhalten, das durch geometrische Parameter (Radien, Wandstärke etc.) gezielt erzwungen werden kann. Die Außenabmessungen der zwei Aktuatoren in Abb. 2.25 und Abb. 2.26 sind gleich. Der erste Aktuator (Abb. 2.25) besitzt aber eine größere Wandstärke, der zweite Aktuator weist eine dünnere Wandung auf. Der Scheitelpunkt (Mittelpunkt) der mittleren Wölbung beider Aktuatoren verschiebt sich bei steigendem Innendruck nach außen bis eine kritische Belastung eintritt, deren Wert für beide Systeme unterschiedlich ist. Wenn die kritische Belastung erreicht ist, dann hat eine beliebig kleine Laststeigerung eine sehr große Verschiebung zur Folge. Dabei schlägt die mittlere Wölbung vollständig nach außen durch. Wird die Belastung weggenommen, kehrt die erste Struktur (Abb. 2.25) in die ursprüngliche Lage zurück – ein monostabiles Bewegungsverhalten, welches auch als eine graphische Darstellung in Abb. 2.24b abgebildet wird.

a Abb. 2.25:

b

c

Durchschlag einer gewölbten Struktur mit monostabilem Bewegungsverhalten; a – ursprünglicher Zustand, b – ein Zustand nach einer Belastung mit einem kritischen Druck, c – ein Zustand nach Wegnahme der Belastung, dieser entspricht dem ursprünglichen Zustand

Der zweite Aktuator (Abb. 2.26) nimmt eine andere stabile Gleichgewichtslage bei der Wegnahme des Innendruckes an, somit weist dieser ein bistabiles Bewegungsverhalten auf, welches auch für das beschriebene System aus Abb. 2.24a zutrifft. Eines der Anwendungsbeispiele solcher Strukturen sind mechanische Ventile ([29]), bei denen die mittlere sphärische Wölbung unter einem kritischen Druck bewegt wird und eine Öffnung entweder verschließt oder frei stellt (s. auch [30]).

24

a Abb. 2.26:

2 Definition und Klassifizierung nachgiebiger Systeme

b

c

Durchschlag einer gewölbten Struktur mit bistabilem Bewegungsverhalten; a – ursprünglicher Zustand, b – ein Zustand nach einer Belastung mit einem kritischen Druck, c – nach Wegnahme der Belastung, neben dem Zustand unter a, stellt sich eine neue Gleichgewichtslage ein, die dem unbelastetem Zustand entspricht

Ein anderes Beispiel betrifft einen nachgiebigen Aktuator mit mehreren rotationssymmetrischen Wölbungen. Beim Druckzuwachs kommt es zunächst zur Auswölbung der äußeren Wölbung und danach des mittleren Kuppelpunktes. Wenn der Druck abfällt, werden zunächst die innere und dann die äußere Wölbungen zurück eingefahren (Abb. 2.27). Wird die Wanddicke derartiger Struktur ausreichend klein realisiert, dann kann der Aktuator ein multistabiles Durchschlagverhalten aufweisen. Für dickwandige Strukturen mit wenig ausgeprägten Wölbungen wird sich aber ein monotones Verhalten ohne Durchschlageffekt einstellen. Es kann auch durch eine bestimmte Wanddicke ein gemischtes Verhalten erreicht werden, wonach die Bewegung der ersten Wölbung ohne Durchschlag und die zweite mit einem Durchschlag erfolgt. Die Einstellung eines bestimmten Verhaltens einer nachgiebigen Struktur kann neben der Änderung geometrischer Parameter auch durch die Anwendung anderer Materialien oder durch die Veränderung der Materialeigenschaften geschehen. I

II

III

p III

u

II I

Abb. 2.27:

u

Ein nachgiebiger fluidmechanischer Aktuator mit mehrfachem Durchschlageffekt und die entsprechende Abhängigkeit zwischen dem Innendruck und der Verschiebung u des mittleren Kuppelpunktes nach oben (s. auch [12])

Bifurkation Bewegungsverhalten mit Bifurkation bedeutet eine Verzweigung des Verhaltens – ab einer kritischen Belastung sind mehrere zufällige Verhaltensmuster möglich. Die bekannten Beispiele dazu sind EULER-Knickfälle eines geraden Stabes. Situationen, wobei Belastungen zu einem Bifurkationsverhalten der Strukturen führen, werden in der Technik oft gezielt vermieden. Die folgenden Überlegungen decken Möglichkeiten auf, dieses Verhalten für technische Systeme vorteilhaft zu verwenden.

2.4 Bewegungsverhalten nachgiebiger Systeme

25

Δp3 Δp

Δp2

Δp1

a

F3

F2

F3

F1

F2

F1

b

ΔT

Abb. 2.28:

Beispiele zur Anwendung von nachgiebigen Systemen, die zu einem Bifurkationsverhalten fähig sind; a – ein Stab mit drei Hohlräumen, in denen Unterdruck herrscht, links: in den Hohlräumen herrscht jeweils ein gleicher Unterdruck Δp < 0, rechts: der Unterdruck in einem der Hohlräume besitzt einen höheren Betrag |Δp1| > |Δp2|, Δp2 = Δp3, wodurch es zu einer Biegung des Stabes kommt; b – ein Stab mit drei Hohlräumen, in denen Fäden, wie beispielsweise SMA-Drähte (shape memory alloy) eingebracht sind, links: F1 = F2 = F3, ein unterkritischer Zustand, rechts: eine Belastung mit F1 = F2 = F3 und Erwärmung durch ΔT der unteren Seite des Systems, es kommt zur Biegung des Stabes

Für den Fall eines Bifurkationsverhaltens werden hier Strukturen unter Wirkung einer axialen Belastung betrachtet. Derartige geometrische Strukturen sind in Abb. 2.28 gezeigt (s. auch [38]), wobei die stabförmigen Strukturen drei Hohlräume, die axial geordnet sind, besitzen. Wenn ein gleicher Unterdruck in allen Hohlräumen herrscht (Abb. 2.28a links), wird der Stab auf Druck oder Knickung beansprucht. Unterschiedliche Unterdrücke in den Hohlräumen werden zur Biegung des Stabes führen (Abb. 2.28a rechts). Eine äußere Belastung wird in Abb. 2.28b durch die Kraft der Fäden, wie beispielsweise SMA-Drähte (shape memory alloy), die in den Hohlräumen eingebracht sind, erzeugt. Wenn solche Drähte gleichmäßig gespannt werden (Abb. 2.28b links), wobei für die einwirkenden Kräfte gilt: F1  F2  F3 ,

(2.10)

dann können diese Beanspruchungen durch eine axiale Kraft modelliert werden. Somit gilt ein klassischer Fall des Stabilitätsproblems (Bifurkation) nach EULER mit einer axialen Kraft: F  F1  F2  F3 .

(2.11)

Falls verschiedene Kräfte auf den Stab wirken, kommt es zu seiner Biegung. Derartige Systeme sind nachgiebige Aktuatoren und im Falle der Anwendung mit Innendruck fluidmechanische nachgiebige Aktuatoren. So ein Aktuator bleibt geradförmig, solange er sich unter der Wirkung einer unterkritischen Kraft befindet. Durch die Anwendung von funktionellen Materialien, die auf die äußeren (z. B. Temperaturänderung ΔT) oder vom Anwender gezielt geschaffenen Bedingungen mit Nachgiebigkeitsänderung reagieren, kann durch die Umgebung bedingt oder vom Anwender gewollt ein bestimmter Bereich des Systems beeinflusst werden. Befindet sich, beispielsweise, der Aktuator in Abb. 2.28b (links) in einer Umgebung, in der die Temperatur an der unteren Seite des Systems steigt, dann wird

26

2 Definition und Klassifizierung nachgiebiger Systeme

das Material weicher (bei entsprechend gegebenen Materialeigenschaften) und das System erfährt eine Biegung. Die Abb. 2.28b (rechts) verdeutlicht den betrachteten Fall, wobei eine Temperaturerhöhung gegeben ist und die drei eingreifenden Kräfte gleich bleiben. Damit kann ein derartiges System so ausgelegt werden, dass es sich den Umgebungsbedingungen anpasst. Sensorische Aufwendung und Steuerung werden durch rein mechanische Eigenschaften des Materials enorm reduziert. Die sinnvoll ausgelegten strukturellen und geometrischen Eigenschaften sowie gezielt ausgewählte Materialien übernehmen einen Teil der Aufgaben der Sensorik sowie Informationsverarbeitung und Informationsübertragung.

3

Modellierung nachgiebiger Systeme als Starrkörpersystem

Zu einem der Nachteile nachgiebiger Mechanismen gehört deren komplizierte theoretische Beschreibung, wobei eine analytische Untersuchung selten möglich ist. Die Analyse nachgiebiger Mechanismen kann vereinfacht werden, wenn Starrkörper-Ersatzsysteme zur Beschreibung des Zusammenhanges zwischen Belastungen und Verschiebungen nachgiebiger Mechanismen genutzt werden. Insbesondere für kleine Verformungen liefert diese Methode sehr gute Ergebnisse. In [15] sowie in anderen Literaturquellen, wie [19], [25], [28], ist eine derartige Modellbildung an einzelnen Beispielen beschrieben. Dabei werden zunächst die Belastungen auf die elastischen Strukturabschnitte identifiziert, die Verformungsdifferentialgleichungen für jeden Abschnitt aufgestellt, gelöst und schließlich auf ein Starrkörpersystem übertragen. Dieses aufwendige Procedere kann erspart werden, wenn ein allgemein gültiger Formalismus zur Bildung eines Starrkörper-Ersatzsystems hergeleitet werden könnte. In diesem Kapitel wird ein derartiger Formalismus in Form von mathematischen Gleichungen sowie deren Herleitung vorgestellt. Dabei werden stoffschlüssige Gelenke mit lokaler und verteilter Nachgiebigkeit separat betrachtet. Außerdem wird eine Aufteilung einwirkender Belastungen vorgenommen, weil sich die Starrkörper-Ersatzsysteme in Abhängigkeit einer Belastungsart voneinander unterscheiden. Für jede dieser Belastungsarten werden entsprechende Zusammenhänge für mechanische Parameter hergeleitet, die anschließend zu nur zwei allgemeinen Formeln zusammengeführt werden. Diese erlauben einfach und schnell, ein Starrkörper-Ersatzsystem für einen nachgiebigen Mechanismus zu erstellen.

3.1

Voraussetzungen für die Modellbildung

Für die Modellierung werden nur elastische Materialeigenschaften sowie kleine Verformungen nachgiebiger Mechanismen vorausgesetzt. Deshalb kann die lineare Theorie zum Einsatz kommen. Zu modellierende elastische Systemteile nachgiebiger Mechanismen werden in Form eines Stabes mit konstantem Querschnitt vorgesehen. Diese werden in einem Starrkörper-Ersatzsystem durch Drehgelenke ersetzt, wobei die im System vorhandene Nachgiebigkeit durch die Torsionsfedern nachgebildet wird. Wegen der kleinen Länge stoffschlüssiger Gelenke mit konzentrierter Nachgiebigkeit wird das entsprechende Drehgelenk des Ersatzsystems in der Mitte dieser Länge gewählt. Anhand der Betrachtung der elastischen Verformung des stoffschlüssigen Gelenkes wird die Federsteifigkeit bestimmt. Für Gelenke mit verteilter Nachgiebigkeit soll neben der Federsteifigkeit einer Torsionsfeder auch die Lage des Drehgelenkes für das Starrkörper-Ersatzsystem ermittelt werden. Zunächst wird die Aufgabenstellung der Modellbildung für stoffschlüssige Gelenke mit verteilter Nachgiebigkeit durchgeführt, weil diese einen allgemeineren Charakter besitzt und das Problem der Modellbildung für Gelenke mit konzentrierter Nachgiebigkeit umfasst.

28

3 Modellierung nachgiebiger Systeme als Starrkörpersystem

3.2

Beschreibung der Belastungsfälle

Das Ziel ist es, für ein nachgiebiges System, welches stoffschlüssige Gelenke beinhaltet, ein Starrkörper-Ersatzsystem aufzustellen. Ein stoffschlüssiges Gelenk stellt ein nachgiebiges Element dar und verbindet zwei Mechanismenglieder miteinander. Eine Seite dieses nachgiebigen Elementes wird als eine Einspannung modelliert. Das andere Ende des nachgiebigen Elementes bleibt frei und wird durch die im System wirkenden Kräfte und Momente belastet. Diese Belastungen werden anhand der Gleichgewichtsbedingungen für eine vorhandene Belastungssituation im System bestimmt. Damit wird der erste Schritt der Modellbildung abgeschlossen. Als ein weiterer Schritt soll das nachgiebige Element durch zwei Starrkörperelemente, die mittels eines Drehgelenkes miteinander verbunden sind, ersetzt werden. Die Elastizität wird dabei durch ein Federelement im Gelenk mit einer Federsteifigkeit ct nachgebildet. Im dritten Schritt werden die Starrkörperelemente, die gelenkig und elastisch miteinander verbunden sind, in das gegebene System eingebracht und das neue Starrkörpersystem auf Relevanz überprüft, z. B. auf die Beweglichkeit, die sich ihrerseits anhand des Freiheitsgrades bewerten lässt. In Abb. 3.1 sind diese drei Schritte am Beispiel einer nachgiebigen Zange schematisch dargestellt. Der erste und der letzte Schritt sind systemspezifisch und hängen von der strukturellen und geometrischen Auslegung sowie dem Belastungszustand des Systems ab. Deshalb sollen diese für jedes System individuell durchgeführt werden. Im Gegensatz dazu lässt sich der zweite Schritt verallgemeinern, wie in den folgenden Ausführungen beschrieben wird. nachgiebiges System

Modell des nachgiebigen Elementes y

-F

M x

F

F

ct

M

StarrkörperErsatzssystem -F

F F

nachgiebige Elemente

Schritt 1 Abb. 3.1:

Modell Starrkörperelemente

Schritt 2

Schritt 3

Eine schematische Darstellung der Modellierungsschritte für einen Übergang von einem nachgiebigen System zu einem Starrkörpersystem am Beispiel einer nachgiebigen Zange

Die Längen beider Starrkörperelemente zusammen sowie die Länge des nachgiebigen Gelenkelementes sind untereinander gleich und werden als l bezeichnet (Abb. 3.2a–b). Durch einen Parameter δ soll das Verhältnis eines Starrkörperelementes zur Länge l angegeben werden (s. auch [15]). Somit steht δl für die Länge vom Gelenk bis zu dem freien Ende eines Starrkörperelementes und l(1 – δ) für die Länge von der Einspannung bis zum Gelenk. Es wird angenommen, dass die Verformungen des nachgiebigen Elementes sehr klein sind. Deshalb ist der Drehwinkel θ der relativen Bewegung zwischen beiden Starrkörperelementen entsprechend klein anzunehmen. Ein nachgiebiges Gelenkelement wird als ein elastischer Stab modelliert und erfährt in einem nachgiebigen System unterschiedliche Belastungen, die als Randbedingungen ins Modell

3.2 Beschreibung der Belastungsfälle

29

eingehen. Hier werden alle möglichen Belastungen in drei Gruppen aufgeteilt und zunächst einzeln betrachtet: 1. Belastung durch ein reines Moment, 2. Belastung durch eine Kraft, 3. Belastung durch eine Streckenlast. Für diese drei Fälle werden die entsprechenden Parameter δ und Federkonstanten ct ermittelt. Die Belastungen und der Neigungswinkel für das nachgiebige Element werden weiterhin mit dem Index "0" versehen, wobei die Parameter des Starrkörper-Ersatzsystems ohne diesen bleiben. Fall 1: Belastung durch ein reines Moment Ein nachgiebiger Stab der Länge l wird an einem Ende eingespannt und an seinem anderen Ende durch ein Moment M0 belastet (Abb. 3.2a). Eine Verschiebung an einer Stelle x in yRichtung wird durch uy(x) beschrieben. u y ''  x  

M0 EI z

(3.1)

Durch die Anwendung der Randbedingungen

uy  0  0,

(3.2)

u y '  0  0

wird der Anstieg der Tangente uy´(l) zur Biegelinie am Ende des nachgiebigen Stabes und die entsprechende Verschiebung uy(l) ermittelt: uy 'l  

M 0l , EI z

uy l  

M 0l 2 . 2 EI z

(3.3)

y

δl

M0 x

ct

θ0

θ l

l a

M

b

Abb. 3.2:

Belastung durch ein reines Moment; a – nachgiebiger Stab, b – Starrkörper-Ersatzsystem unter Belastung durch ein Moment

Für den Neigungswinkel des freien Starrkörperelementes in Abb. 3.2b gilt:



M . ct

(3.4)

Fall 2: Belastung durch eine Kraft Die Verformungsgleichung für den Fall der Belastung des nachgiebigen Stabes durch eine Kraft F0 am freien Ende des Stabes (Abb. 3.3a) lautet:

30

3 Modellierung nachgiebiger Systeme als Starrkörpersystem

F0  l  x 

u y ''  x  

EI z

(3.5)

.

wobei die entsprechenden Randbedingungen sind:

u y  0  0,

(3.6)

u y '  0  0.

Daraus ergeben sich der Anstieg der Tangente und die Verschiebung des Stabes an der Stelle x = l: uy ' l  

F0 l 2 , 2 EI z

(3.7)

F l3 u y l   0 . 3EI z

δl

y F0

θ0

ct

θ

F

l

l a

b

Abb. 3.3:

Belastung durch eine Kraft; a – nachgiebiger Stab, b – Starrkörper-Ersatzsystem für den Fall der Belastung durch eine Kraft

Für die Ermittlung des Neigungswinkels des freien Starrkörperelementes in Abb. 3.3b wird das Moment der Kraft um das Drehgelenk betrachtet.



F l ct

(3.8)

Fall 3: Belastung durch eine Streckenlast Für den nachgiebigen Stab in Abb. 3.4a, welches durch eine Streckenlast belastet wird, gilt:

u y ''  x   y

q0  l  x  2 EI z

2

(3.9)

.

δl

q0

ct

x l a Abb. 3.4:

θ0

l

q θ

b Belastung durch eine Streckenlast; a – nachgiebiger Stab, b – Starrkörper-Ersatzsystem unter Belastung durch eine Streckenlast

3.3 Modelle für einzelne Belastungsfälle

31

Für x = l sind die Neigung der Tangente und die Verschiebung wie folgt: q0 l 3 , 6 EI z

u y ' l  

q l4 u y l   0 . 8 EI z

(3.10)

Der Neigungswinkel der Starrkörperelementes wird ebenfalls durch die verteilte Last (Abb. 3.4b), die hier aber auf die Strecke δl wirkt, beschrieben.



q  l 

2

2ct

(3.11)

Für diese drei Fälle werden die entsprechenden Parameter δ und Federkonstanten ct ermittelt.

3.3

Modelle für einzelne Belastungsfälle

Um eine allgemeine Betrachtung zu ermöglichen, werden für die genannten Belastungsfälle Hilfsmomente mit folgenden Bezeichnungen eingeführt. Für das nachgiebige System sind diese wie folgt: M 01H  M 0 , M 02 H  F0 l , M 03 H 

(3.12)

1 2 q0l . 2

Diese Hilfsmomente bedeuten Schnittmomente an der Einspannung eines nachgiebigen Stabes für jeweils einen Belastungsfall. Für das Starrkörper-Ersatzsystem werden ebenfalls drei Hilfsmomente formuliert: M 1H  M , M 2 H  Fl , M 3H

(3.13)

1  ql 2 . 2

Die Ableitung der Verschiebung vom Ende des nachgiebigen Stabes uy´(l) gleicht dem Tangens des Winkels θ0 für jeweils einen Belastungsfall n mit n = 1,2,3:

tan 0  u y  l  .

(3.14)

Zur Aufstellung des Starrkörper-Ersatzsystems werden die Verschiebungen vom Stabende des nachgiebigen Stabes uy und des Starrkörperelementes u gleich gesetzt:

32

3 Modellierung nachgiebiger Systeme als Starrkörpersystem

uy l   u .

(3.15)

Außerdem sollen die entsprechenden Drehwinkel θ und der Anstieg der Tangente θ0 sowie die Belastungen auf den nachgiebigen Stab und das Starrkörperelement für jedes n (n = 1,2,3) identisch sein:

  0 ,

(3.16)

M n H  M 0n H .

(3.17)

Für den Anstieg der Tangente und die Verschiebung vom Ende des nachgiebigen Stabes werden uy´(l) und uy(l) für einzelne Belastungsfälle allgemein erfasst:

u y  l  

l M 0n H , EI z n

(3.18)

l 2 M 0n H . uy l   EI z n  1

Der Neigungswinkel des beweglichen Starrkörperelementes sowie dessen Verschiebung in yRichtung werden unter Berücksichtigung kleiner Verformungen wie folgt beschrieben:



M n H  n 1 , ct

(3.19)

u   l .

(3.20)

Unter Beachtung der Bedingungen (3.15) bis (3.17) werden die Gleichungen zur Ermittlung der Lage des Gelenkes und der Federkonstante für einzelne Belastungsfälle n bestimmt:

 ct 

n , n 1

(3.21)

nn

 n  1

n 1

EI z . l

(3.22)

Tab. 3.1: Werte für Lagen des Gelenkes und entsprechende Federkonstanten eines Starrkörpersystems für einzelne Belastungsfälle n

δ

ct

1

1 2

EI z l

2

2 3

4 EI z 3 l

3

3 4

27 EI z 16 l

Darstellung

3.4 Modell für komplexe Belastungen

33

Gemäß den letzten beiden Formeln (3.21) und (3.22) können für einzelne Belastungsfälle die Lage des Gelenkes und die entsprechende Federkonstante für ein Starrkörper-Ersatzsystem ermittelt werden. Es ergeben sich Werte für verschiedene Fälle n, die in der Tab. 3.1 zusammengefasst sind. Entsprechend diesen Ergebnissen „verschiebt“ sich das Gelenk mit jedem weiteren Fall n von der Mitte, für ein reines Moment für n = 1, weiter in Richtung der Einspannung mit den Wachstum des Parameters n, wobei sich die Festigkeit der Feder erhöht. Es ist außerdem zu erkennen, dass die Ergebnisse für die Federkonstante und die Lage des Gelenkes nicht vom Wert der Belastungen abhängen, sondern nur von dem Belastungsfall, welcher durch den Parameter n widergespiegelt wird.

3.4

Modell für komplexe Belastungen

Oft kommt es jedoch zu komplexen Belastungen eines nachgiebigen Stabes, so dass dieses gleichzeitig durch Kraft, Moment und durch Streckenlast beansprucht wird. Da die lineare Theorie benutzt wird, gilt das Superpositionsprinzip und dementsprechend können Verschiebungen und Winkel aufaddiert werden:

u y  l  

l EI z

M 0n H ,  n n 1

uy l  

l2 EI z

 n 1 .

3

3

M 0n H

(3.23)

(3.24)

n 1

Analog gelten folgende Zusammenhänge für ein Starrkörpersystem: 3



M n 1

H n

 n 1 ,

ct

(3.25)

u   l .

(3.26)

Unter Anwendung der Bedingungen (3.15) bis (3.17) werden allgemeine Ausdrücke zur Bestimmung der Lage des Gelenkes und der Wert der Federkonstante für ein Starrkörpersystem ermittelt: 3



 n 1 3

 n 1

M nH n 1 , M nH n

(3.27)

3

EI ct  z l

M n 1

H n

 n 1

M nH  n n 1 3

.

(3.28)

34

3 Modellierung nachgiebiger Systeme als Starrkörpersystem

Anhand der beiden letzten Formeln können Schlussfolgerungen zu möglichen Werten der Parameter δ und ct gezogen werden. Um den Wert des Parameters δ abzuschätzen, wird die Gleichung (3.27) wie folgt umgeformt: 3



 n 1

3

 n 1

M nH n 1

3 M nH M nH  n  1 n 1 n(n  1)

.

(3.29)

Es wird ersichtlich, wenn beide Summen im Nenner der Gleichung (3.29) ein gleiches Vorzeichen besitzen, dann ist zu erwarten, dass das Gelenk innerhalb der Länge des nachgiebigen Stabes liegt, wobei dies für δ folgendes bedeutet:

   0,1 .

(3.30)

Andernfalls soll die Situation überprüft werden, ob ein Gelenk und eine Torsionsfeder die Nachgiebigkeit und Verformung eines elastischen Stabes ersetzen können. Derartige Beispiele werden nachfolgend betrachtet. Wenn eine komplexe Belastung bestehend nur aus zwei Belastungsarten im System vorhanden ist, die den Hilfsmomenten mit gleichem Vorzeichen entspricht, dann befindet sich das Gelenk des Starrkörper-Ersatzsystems im Bereich zwischen solchen Parametern δ, welche den einzelnen Belastungsfällen entsprechen. Dies gilt auch für den Betrag der Federsteifigkeit. Wirken beispielsweise auf ein nachgiebiges System ein Moment (n = 1) und eine Kraft (n = 2), dann gilt für die Lage des Gelenkes:



3M1H  2M 2 H . 6M1H  3M 2 H

(3.31)

Wenn ein Parameter kM, als ein Quotient aus den Hilfsmomenten M1H und M2H eingeführt wird, dann gilt:



3kM  2 MH mit kM  1 H . 6k M  3 M2

(3.32)

Im Bereich kM œ [0,∞], der dem gleichen Vorzeichen beider Hilfsmomente entspricht, fällt δ mit dem Wachstum des Parameters kM monoton ab, wobei folgende Grenzwerte gelten: 2 lim   , 3 1 lim   . kM  2 kM  0

(3.33)

Somit entspricht die Lage des Gelenkes im Starrkörper-Ersatzsystem für eine komplexe Belastung durch ein Moment und eine Kraft dem Bereich für δ: 1 2

  ,  . 2 3

(3.34)

Die Grenzwerte dieses Bereiches entsprechen dem Fall der Belastung durch nur ein Moment bei n = 1 und der Belastung durch nur eine Kraft bei n = 2 (vgl. Tab. 3.1). Analog kann für

3.5 Modell für konzentrierte Nachgiebigkeit

35

die genannte komplexe Belastung gezeigt werden, dass die Federsteifigkeit im folgenden Bereich liegt:

 EI 4 EI z  ct   z , .  l 3 l 

(3.35)

Zusammenfassend können die Lage des Gelenkes und die Federsteifigkeit abgeschätzt werden, indem ein Bereich genannt wird, in welchem diese Parameter zu erwarten sind, ohne dafür die Berechnungen durchzuführen.

3.5

Modell für konzentrierte Nachgiebigkeit

Für stoffschlüssige Gelenke mit konzentrierter Nachgiebigkeit werden nur zwei Belastungsarten betrachtet: Belastung durch ein Moment und Belastung durch eine Kraft. Wegen der kleinen Länge des nachgiebigen Stabes wird die verteilte Belastung als nicht relevant angesehen. Die Lage des Gelenkes für ein Starrkörpersystem wird ebenfalls, wegen der kurzen Abmessung, in der Mitte des Stabes angenommen. Wenn die allgemeine Formel (3.28) zur Berechnung einer Federkonstante unter Berücksichtigung genannter Annahmen, wie

M 03  M 3  0, 1 2

 ,

(3.36)

verwendet wird, ergibt sich ein einfacher Ausdruck für die Federkonstante, welcher von dem Belastungsfall sowie der Komplexität der Belastung unabhängig ist:

ct 

3.6

EI z . l

(3.37)

Validierung des Modells

Es entsteht eine Frage, inwiefern ein derartiges Starrkörper-Ersatzsystem zur Beschreibung der Verformungen bzw. Belastungen im Vergleich mit anderen Modellen bezogen auf die Ergebnisse eingesetzt werden kann. Um das zu diskutieren, werden die Ergebnisse für die Verformungen eines Stabes nach dem Starrkörper-Ersatzsystem, nach der linearen Theorie und nach der nichtlinearen Theorie, wobei die Betrachtung großer Verformungen eine nichtlineare Abhängigkeit zwischen den Parametern verursacht, miteinander verglichen. Die Theorie großer Verformungen wird im Kapitel 4 eingeführt, wobei hier die Formeln zunächst vorgezogen werden, um diesen Vergleich zu realisieren. Als ein Beispiel für diese Validierung wird ein einseitig eingespannter elastischer Stab unter Wirkung eines Momentes, einer Kraft und zuletzt unter einer Streckenlast betrachtet. In Abb. 3.5 wird der Vergleich von Ergebnissen für die Verschiebungen in x- und y-Richtung, die anhand der drei genannten Methoden berechnet wurden, für den Belastungsfall n = 2, für eine Kraft, demonstriert.

36

3 Modellierung nachgiebiger Systeme als Starrkörpersystem

y x

θ0

F0

0,1 0

[Längeneinheiten] 0,2

0,4

0,6

0,8

1

l Methode 1 Abb. 3.5:

Methode 2

Methode 3

Verschiebungen des freien Stabendes unter der Wirkung einer Kraft (n = 2) bei Anwendung von drei unterschiedlichen Methoden im Vergleich; 1: lineare Theorie, 2: nichtlineare Theorie, 3: StarrkörperErsatzsystem

Die Verschiebungen in x- und y-Richtung, werden entsprechend durch ux und uy bezeichnet. Zur Herleitung der Gleichungen für die Beschreibung von Verformungen nach der nichtlinearen Theorie (s. Kapitel 4) werden Gleichgewichtsbedingungen für ein Stabelement der Länge ds in einer verformten Lage aufgestellt. Folgende Bezeichnungen werden in diesen Gleichungen verwendet: Qi mit i = 1,2 sind Schnittkräfte im Stab, wobei Q1 eine axiale Kraft und Q2 eine Querkraft sind; M3 ist ein Biegemoment sowie κ3 – die Krümmung der Biegelinie des Stabes. Für die Verformungen uy von 10% bezogen auf die Stablänge, welche nach der linearen Theorie berechnet wurden, sind die Ergebnisse für die Verschiebungen in zwei Richtungen und für die einzelnen Belastungsfälle in Tab. 3.2 dargestellt. Tab. 3.2: Vergleich der Ergebnisse für die Verschiebung am Balkenende nach drei unterschiedlichen Methoden: nach der linearen Theorie, der nichtlinearen Theorie und nach der Modellbildung als ein Starrkörpersystem; die drei einzelnen Belastungen wurden so gewählt, dass die Verschiebung vom Stabende 10% der Stablänge, die mit der Länge 1 (in Längeneinheiten) versehen ist, nach der linearen Theorie annimmt. Art und Größe der Belastung

Verschie bung

n=1

ux

M0 EI z

 0.2

[Längeneinheit] n=2 F0 EI z

 0.3

[Längeneinheit-1] n=3 q0 EI z

 0.8

[Längeneinheit–2]

Methode 1: lineare Theorie

Methode 2: nichtlineare Theorie (große Verschiebungen)

Methode 3: als ein Starrkörpersystem

Berechnungsformeln

Ergebnis

Berechnungsformeln

Ergebnis [Längeneinheit]

Berechnungsformeln

0

dQ1

–0.00665

–0.00996

0.1

ds dQ2

0.09966

0.1

uy

ux

ds dM 3

ux  0

uy uy 

0 l

2

M nH

0.1

EI z n  1

ux

0

uy

0.1

 Q2 3  0  Q1  q2  0

 Q2  0 ds M 3  EI z  3

d 3 ds du x ds du y ds

 3

–0.00599

u x   l cos  l

–0.00570

 sin  3

0.09977

–0.00748 0.1

0.09974

 cos 3  1

Ergebnis [Längeneinheit]

uy   l 

–0.00665 0.1

3.7 Seriell kaskadierte Starrkörpergelenke

37

Die Unterschiede zwischen den Lösungen nach der linearen Theorie, nach der nichtlinearen Theorie und nach der Modellbildung als ein Starrkörpersystem liegen unter einem Prozent. Wenn eine derartige Abweichung akzeptabel ist, dann kann die Methode der Modellbildung als ein Starrkörpersystem für Verschiebungen, die weniger 10% der Stablänge betragen, verwendet werden. Dabei ist zu bemerken, dass das Ergebnis nach der Methode der Modellbildung als ein Starrkörpersystem für die Verschiebung in x-Richtung näher an der Lösung nach der Methode der nichtlinearen Theorie liegt.

3.7

Seriell kaskadierte Starrkörpergelenke

Während einer Modellbildung eines nachgiebigen Mechanismus durch ein StarrkörperErsatzsystem soll der Freiheitsgrad des neuen Systems überprüft werden. Der entstehende Mechanismus soll einerseits beweglich sein, d. h. den Freiheitsgrad von mindestens Eins besitzen, und andererseits eine einfache Struktur aufweisen, wobei einer bestimmten Belastung nur eine Lage einzelner Glieder entspricht. Falls dies nicht zutrifft, soll der Freiheitsgrad des Starrkörper-Ersatzsystems angepasst werden. Die Anpassung des Freiheitsgrades kann durch eine Reduzierung oder eine Erhöhung der Gelenkanzahl erreicht werden. Zwei oder mehr Gelenke in einem Starrkörpersystem können durch ein einzelnes Gelenk ersetzt werden. Damit wird der Freiheitsgrad des Systems reduziert und die Modellbildung vereinfacht. Im Gegenzug dazu kann der Freiheitsgrad eines Systems erhöht werden, wenn die Anzahl der Gelenke erhöht wird. Am Beispiel eines zweigelenkigen Starrkörpersystems in Abb. 3.6a wird das Ersetzen von zwei Gelenken durch ein einzelnes Gelenk (Abb. 3.6b) diskutiert. Die Bezeichnungen sind der Abb. 3.6 zu entnehmen. Beide Systeme besitzen eine gleiche Länge: l1  l2  l3  l0  l .

(3.38)

Für jedes der beiden Gelenke des Systems in Abb. 3.6a gilt:

1ct1  M  Fl1 ,  2 ct 2  M  F (l1  l2 ).

y ct2 l3

Abb. 3.6:

l2

θ2

l

y

θ1

ct1

x

M

M

l1 G

a

(3.39)

x

F

l0

ct

θ1+θ2 F

b

Zwei Starrkörpersysteme; a – ein System mit zwei Gelenken; b – ein System mit einem Gelenk

Wenn die erste Gleichung aus (3.39) mit ct2 und die zweite Gleichung mit ct1 multipliziert werden, und anschließend beide Gleichungen aufaddiert werden, dann entsteht folgender Ausdruck:

(1   2 )ct1ct 2  ct1  M  F (l1  l2 )   ct 2 (M  Fl1 ) .

(3.40)

38

3 Modellierung nachgiebiger Systeme als Starrkörpersystem

Die Gleichung (3.40) wird durch ein rein mathematisches Umstellen und die Erweiterung um einem Ausdruck mit dem Parameter l, der die Lage des Einzelgelenkes in Abb. 3.6b charakterisiert, eine neue Form erhalten:

(1   2 )

ct1ct 2 ( M  Fl )  M  Fl . ct1  M  F (l1  l2 )   ct 2 ( M  Fl1 )

(3.41)

Die rechte Seite des Zusammenhanges (3.41) bildet ein Moment, welches auf den Starrkörper in Abb. 3.6b wirkt und bezüglich des Gelenkes aufgestellt wird. Links steht das Produkt des Gesamtwinkels θ1 + θ2 und der Gesamtfederkonstante ct. Somit gilt für die Federkonstante des Systems aus Abb. 3.6b:

ct 

ct1ct 2 ( M  Fl ) . ct1  M  F (l1  l2 )   ct 2 ( M  Fl1 )

(3.42)

Die Gesamtfederkonstante ct kann auch in folgender Form dargestellt werden: 1 1 M  F (l1  l2 ) 1 M  Fl1 .     ct ct 2 M  Fl ct1 M  Fl

(3.43)

Die Torsionsfeder im Gelenk des neuen Systems (Abb. 3.6b) besitzt eine Federkonstante aus (3.43). Des Weiteren wird die Lage dieses Gelenkes ermittelt. Sie ist durch den Punkt G in Abb. 3.6a angedeutet und wird durch die Länge l des beweglichen Starrkörpers in Abb. 3.6b bestimmt. Die Hohe seiner Auslenkung soll mit der Höhe der Auslenkung im System aus Abb. 3.6a übereinstimmen: l (1   2 )  l2 2  l1 (1   2 ) .

(3.44)

Nach (3.44) gilt nun für l: l

l2 2  l1 (1   2 ) . 1   2

(3.45)

Die Winkel θ1 und θ2 werden nach Gleichungen (3.39) wie folgt aufgeschrieben:

l 

M  Fl1 , ct1

(3.46)

M  F (l1  l2 ) 2  ct 2

und in (3.45) eingesetzt:

l

M  ct1 (l1  l2 )  ct 2l1   F  ct1 (l1  l2 )2  ct 2l12  M  ct1  ct 2   F  ct1 (l1  l2 )  ct 2l1 

.

(3.47)

Die Ausdrücke (3.43) (oder (3.42)) und (3.47) bestimmen die Federkonstante und die Lage des Gelenkes für das System aus Abb. 3.6b, welches dem ursprünglichen Systems mit zwei Gelenken aus Abb. 3.6a äquivalent ist. Unter zwei äquivalenten Systemen werden hier solche Systeme verstanden, die einen gleichen Auslenkwinkel und eine gleiche Verschiebung in yRichtung aufweisen.

3.7 Seriell kaskadierte Starrkörpergelenke

y l3

G

l2

ct1

ct2 x

M

l1

39

θ1 ct

θ2 F

M

y l0

l x

F

θ1+θ2

b

a Abb. 3.7:

Darstellung eines Systems mit einem negativen Winkel θ1; a – ein System mit zwei Gelenken; b – Realisierung eines einzelnen Gelenkes links von der Einspannung

Wenn der Winkel θ1 negativ ist, dann kann es zu einem virtuellen Gelenk kommen, wie in Abb. 3.7a durch den Punkt G angedeutet wird. So ein Gelenk ist aber trotzdem realisierbar, indem dieses bezogen auf die Einspannung links eingeführt wird, wie in Abb. 3.7b. Dann gilt für die Längenabmessungen: l1  l2  l3  l  l0 .

(3.48)

In einem allgemeinen Fall hängen die Parameter ct und l von den Belastungen M und F ab, wie aus (3.43) und (3.47) ersichtlich wird. Die Lage des Gelenkes und die Steifigkeit der dazugehörigen Feder werden sich mit veränderlichen Belastungen ebenfalls ändern. Es entsteht somit ein wanderndes Gelenk mit veränderlicher Federsteifigkeit. Tab. 3.3: Zusammenhang zwischen Parametern eines Starrkörpersystems mit einem Gelenk aus Abb. 3.6b und eines Starrkörpersystems mit zwei Gelenken aus Abb. 3.6a; die Systeme sind äquivalent Fall

ct

M ≠ 0, F ≠ 0, l1 ≠ l2, ct1 ≠ ct2

L

1 1 M  F (l1  l2 ) 1 M  Fl1     ct ct 2 M  Fl ct1 M  Fl

l

M ≠ 0, F = 0, l1 ≠ l2, ct1 ≠ ct2

1 1 1   ct ct 2 ct1

l

ct1 (l1  l2 )  ct 2 l1 ct1  ct 2

M = 0, F ≠ 0, l1 ≠ l2, ct1 ≠ ct2

1 1 l1  l2 1 l1     ct ct 2 l ct1 l

l

ct1 (l1  l2 ) 2  ct 2 l12 ct1 (l1  l2 )  ct 2 l1

M = hF, F ≠ 0, l1 ≠ l2, ct1 ≠ ct2

1 1 h  l1  l2 1 h  l1     ct ct 2 hl ct1 h  l

l

M  ct1 (l1  l2 )  ct 2 l1   F  ct1 (l1  l2 )2  ct 2 l12  M  ct1  ct 2   F  ct1 (l1  l2 )  ct 2 l1 

ct1 (l1  l2 )  h  l1  l2   ct 2 l1  h  l1  ct 1  h  l1  l2   ct 2 l1

In Tab. 3.3 sind neben einem Allgemeinfall drei andere Fälle aufgeführt. Wenn nur ein Moment oder nur eine Kraft auf ein Starrkörpersystem wirkt, dann hängen die Ausdrücke für die Federkonstante und die Starrkörperlänge l nicht von dem Moment bzw. der Kraft ab. Das gilt auch, wenn das Moment M von der Kraft F abhängt und als ein Produkt von h (z. B. ein Hebelarm) und F aufgeschrieben werden kann. Falls nur ein Moment auf das System (M ≠ 0, F = 0) wirkt, gleicht der Ausdruck für die Federkonstanten dem von seriell angeordneten Zugfedern. Es können auch weitere Situationen, für l1 = l2 und ct1 = ct2 in einer Kombination mit den in Tab. 3.3 demonstrierten Fällen, abgebildet werden.

40

3 Modellierung nachgiebiger Systeme als Starrkörpersystem

3.8

Beispiele zur Modellbildung

In diesem Abschnitt wird die Anwendung der mathematischen Gleichungen, die zur Aufstellung eines Starrkörper-Ersatzsystems genutzt werden, an drei Beispielen demonstriert. Als erstes Beispiel wird ein einfaches Greifersystem mit zwei stoffschlüssigen Gelenken betrachtet, um die Anwendung der Modellbildung zu veranschaulichen. Anhand von zwei weiteren Beispielen wird gezeigt, dass nicht jedes System durch das Einführen nur eines Gelenkes statt eines nachgiebigen Elementes als ein Starrkörper-Ersatzsystem geeignet ist. So kann ein Freiheitsgrad eines Starrkörpersystems einen Wert Null erhalten, wie es beispielsweise im zweiten Beispiel gezeigt ist. In einem dritten Beispiel kommt es zur unendlich weiten Entfernung des Gelenkes von der Einspannung des nachgiebigen Elementes. Anhand dieser Sonderfälle werden Probleme, die bei Aufstellung von Starrkörpersystemen vorkommen können, aufgezeigt und geeignete Lösungen vorgeschlagen. Da für alle Beispiele die Lösungen in allgemeiner Form erhalten werden, können diese Ergebnisse allgemein genutzt werden.

3.8.1

Ein Greifersystem mit zwei Gelenken

Ein nachgiebiger Greifer (Abb. 3.8a) wird durch die Wirkung eines Antriebselementes, das sich verkürzt, zum Greifen von Objekten eingesetzt. Dabei verformt sich der nachgiebige Greiferfinger unter einer Greiferkraft FGr. Die nachgiebige Verbindung zwischen dem Finger und dem Greiferkörper erfährt auch eine Verformung. Für dieses Beispiel soll ein Starrkörper-Ersatzsystem aufgestellt werden. Es wird davon ausgegangen, dass die Länge L0 der nachgiebigen Verbindung viel kleiner als die Länge L des nachgiebigen Fingers ist. Aufgrund der gegebenen geometrischen Parameter werden das Verbindungselement als ein stoffschlüssiges Gelenk mit konzentrierter und der Finger als solcher mit verteilter Nachgiebigkeit betrachtet. Dementsprechend wird ein Drehgelenk in die Mitte der Länge L0 des Verbindungselementes positioniert. Mit diesem Gelenk wird eine Torsionsfeder der Steifigkeit ctL0 verbunden. 1 2 EI  z. L0

 L0  , ctL 0

(3.49)

Mit EIz wird die Biegesteifigkeit nachgiebiger Teile des Greifers bezeichnet. Für den Finger, der nur mit einer Greiferkraft belastet wird, sollen die Lage des Gelenkes und die Federsteifigkeit der Torsionsfeder für ein Starrkörper-Ersatzsystem ermittelt werden. In diesem Fall handelt es sich um den reinen Belastungsfall n = 2, die Werte für δL und ctL werden der Tab. 3.1 entnommen: 2 3 4 EI z ctL  . 3 L

L  ,

(3.50)

3.8 Beispiele zur Modellbildung

L

41 ctL

b L0

ctL0

2a

δL L

FGr

Antriebselement

a Abb. 3.8:

b

FGr L+b+δL0L0

c

Beispiel eines nachgiebigen Greifers; a – ein Greifersystem mit einem Gelenk mit verteilter und einem mit konzentrierter Nachgiebigkeit; b – ein entsprechendes Starrkörper-Ersatzsystem; c – Halteelement

Somit wird ein Starrkörpersystem für den gegebenen Greifer erstellt (Abb. 3.8b). Wenn die Abmessung des Halteelementes mit dem Wert 2a berücksichtigt wird (Abb. 3.8c), dann wirkt auf das nachgiebige Element neben einer Kraft noch ein Moment. Die Hilfsmomente werden in diesem Fall wie folgt eingeführt: M 1H  FGr a, M 2H  FGr L, M

H 3

(3.51)

 0.

Die Position des Gelenkes und die Steifigkeit der entsprechenden Torsionsfeder werden nach (3.27) und (3.28) ermittelt: 3a  2 L , 6a  3L EI 2a  2 L L ctL  z . L 2a  L

L 

(3.52)

Diese beiden Parameter sind unabhängig von der Größe der Belastungen, hängen aber von den geometrischen Abmessungen und von den Materialeigenschaften ab. Durch das Einführen eines äquivalenten Starrkörpersystems kann das System in Abb. 3.8b vereinfacht werden. Das neue System erhält nur ein Gelenk, wie in Abb. 3.6b, wodurch weitere Untersuchungen vereinfacht werden. Wird nur eine Greiferkraft FGr berücksichtigt oder die Greiferkraft FGr und das Moment mit dem Wert FGra, die gemeinsam auf den Finger wirken, in beiden Fällen sind die Parameter (Federkonstante und die Lage des Gelenkes) eines äquivalenten Systems mit einem Gelenk von diesen Belastungen unabhängig. Die genannten Belastungssituationen sind in den zwei letzten Zeilen der Tab. 3.3 widerspiegelt. Das somit entstehende Starrkörper-Ersatzsystem kann zur Aufstellung des Zusammenhanges zwischen Verschiebungen und Belastungen und zu weiteren Simulation der Verformung des Systems verwendet werden. Dabei soll beachtet werden, dass dieses Modell nur für kleine Verformungen gilt.

42

3 Modellierung nachgiebiger Systeme als Starrkörpersystem

3.8.2

Ein Greifer mit mehreren Gelenken

Ein Greifer besitzt vier nachgiebige Elemente, die paarweise die Länge L und L0 (Abb. 3.9a) betragen. Für das Öffnen des Greifers unter der Wirkung einer Antriebskraft FAn soll ein Starrkörpersystem aufgestellt werden. Entsprechend den gegebenen geometrischen Abmessungen werden das nachgiebige Element der Länge L als ein stoffschlüssiges Gelenk mit verteilter Nachgiebigkeit und das nachgiebige Element der Länge L0 als ein Gelenk mit konzentrierter Nachgiebigkeit im Modell berücksichtigt. Zunächst sollen auf die nachgiebigen Elemente einwirkende Belastungen ermittelt werden. Zu diesem Zweck werden folgende Bedingungen in Betracht gezogen. Unter der Wirkung von Kräften und Momenten bleibt der Greiferfinger im Gleichgewicht (Abb. 3.9b). Dabei werden auf die nachgiebigen Elemente einwirkende axiale Kräfte vernachlässigt. Außerdem bleiben beide Tangenten t1 und t2 der nachgiebigen Elemente an der Einmündung in den Starrkörper stets parallel. Aus der ersten Bedingung und mit der Einführung der Antriebskraft folgen Zusammenhänge für die einwirkenden Kräfte und Momente: FL  FL 0  M L  M L0

1 FAn , 2 F  An a. 2

(3.53)

FL

t2

L

ML a

t1

ML0

L0 a Abb. 3.9:

Anriebselement

b

FL0

Beispiel eines nachgiebigen Greifers mit mehreren Gelenken; a – ein Greifersystem mit zwei Gelenken mit verteilter und zwei mit konzentrierter Nachgiebigkeit; b – Darstellung der eingreifenden Belastungen auf ein Greiferelement (Gleichgewicht)

Entsprechend der zweiten Bedingung über die Parallelität der Tangenten wird der Ausdruck (3.23) für die Tangentenneigung verwendet. Dadurch lassen sich die Momente ML0 und ML, welche auf die nachgiebigen Elemente der Länge L0 und L wirken, ermitteln:

M L0 

FAn L0 2  2aL  L2 , 4 L  L0

ML 

FAn L0 2  2aL0  L2 . L  L0 4

(3.54)

3.8 Beispiele zur Modellbildung

43

Für das Gelenk, das in die Mitte der Strecke L0 platziert wird, ist die Federkonstante nach (3.37) zu berechnen. Auf das nachgiebige Element der Länge L wirken eine Kraft und ein Moment mit Beträgen von FL und ML, welche denen aus Abb. 3.9b entgegengerichtet sind. Folglich werden Hilfsmomente eingeführt:

M 1H 

FAn L0 2  2aL0  L2 , 4 L  L0

FAn L, 2  0.

M 2H  M 3H

(3.55)

Die Lage des Gelenkes und die Federsteifigkeit können nach (3.27) und (3.28) ermittelt werden (Abb. 3.10a). Es soll beachtet werden, dass die Lage des Gelenkes sich nicht für alle Werte der Parameter L, L0 und a innerhalb der Länge L des nachgiebigen Elementes befindet (s. auch Abschnitt 3.4). Ein Starrkörpersystem des Greifers wird in Abb. 3.10b für den Fall 0 < δL < 1 gezeigt. Wegen der Symmetrie wird nur ein Greiferfinger dargestellt. Für die Lage des Gelenkes und die Federkonstante gelten folgende Ausdrücke. 3h  2 L , 6h  3L EI 2h  2 L L ctL  z L 2h  L

L 

δL L

L(1 – δL) x

Abb. 3.10:

ctL

ML

y

a

(3.56)

ctL

ctL0

θ1+θ2 FL b

FAn

Ein Starrkörper-Ersatzsystem; a – ein Starrkörper-Ersatzsystem eines nachgiebigen Elementes der Länge L, b – ein Starrkörper-Ersatzsystem des Greifers mit einem Freiheitsgrad von Null

Der Freiheitsgrad des erhaltenen Systems in Abb. 3.10b ist Null, wodurch keine relative Bewegung der Greiferglieder stattfinden kann. Um die Bewegung des Systems zu gewährleisten, soll sein Freiheitsgrad erhöht werden. Das geschieht indem ein zusätzliches Gelenk in das System eingeführt wird. Daher wird das nachgiebige Element mit der Länge L mit zwei Gelenken versehen (Abb. 3.11). Da die Kraft FL und das Moment ML miteinander verbunden sind, wie aus (3.53) und (3.54) ersichtlich wird, widerspiegelt die letzte Zeile der Tab. 3.3 die Zusammenhänge zwischen den Parametern des eingelenkigen Systems (Abb. 3.10a) und des angestrebten zweigelenkigen Starrkörpersystems (Abb. 3.11a). Die Lage der Gelenke sowie dazugehörige Federsteifigkeiten bleiben von den Belastungen FL und ML unabhängig.

44

3 Modellierung nachgiebiger Systeme als Starrkörpersystem ctL2 ctL1 ML

y l3

l1

l2 ctL1

ctL2 x

θ1 θ2

ctL0

FL b

a Abb. 3.11:

FAn

Ein Starrkörper-Ersatzsystem; a – ein Starrkörper-Ersatzsystem mit zwei Gelenken für ein nachgiebiges Element der Länge L, b – ein Starrkörper-Ersatzsystem des Greifers mit einem Freiheitsgrad von Eins

Es stehen somit zwei Gleichungen zur Ermittlung der neuen Parameter für zwei neue Gelenke. Um diese Gleichungen auflösen zu können, werden folgende Festlegungen getroffen:

ctL 2  ctL1 , l2  l1 .

(3.57)

Nach dem Einsetzen der relevanten Parameter in die Formeln aus der letzten Zeile der Tab. 3.3 unter Beachtung der Festlegungen aus (3.57) werden folgende Ausdrücke gewonnen:

 L L  l1

3h  5l1 , h  3l1

1 1 2h  3l1  . ctL ctL1 h   L L

(3.58)

Für den Parameter h in diesem Beispiel gilt:

M L  hFL , h

L0 2  2aL0  L2 . 2( L  L0 )

(3.59)

Die erste Gleichung aus (3.58) dient zur Ermittlung von l1 und aus der zweiten Gleichung kann ctL1 gefunden werden. Es soll beachtet werden, dass für L > L0 der Parameter h negativ ist. Deshalb soll anschließend die Richtigkeit der Lösung überprüft werden. Die ermittelten Parameter bestimmen das neue Starrkörper-Ersatzsystem (Abb. 3.11b) für das System aus Abb. 3.9a.

3.8.3

Parallel kaskadierte nachgiebige Elemente

Ein weiteres Beispiel stellt ein mechanisches Teilsystem einer optischen Sensoreinheit (Abb. 3.12) dar. Für dieses System soll ebenfalls ein Starrkörper-Ersatzsystem aufgestellt werden. Es wird nur ein nachgiebiges Element betrachtet, wobei ein Ende in x = 0 eingespannt und das andere Ende mit einer einwirkenden Kraft FL und einem Moment ML modelliert werden (Abb. 3.13a–b). Zunächst werden Hilfsmomente eingeführt:

3.8 Beispiele zur Modellbildung

45

M 1H  M L , M 2H   FL L, M

H 3

(3.60)

 0.

Das Moment ML ist unbekannt und wird nach dem Ausdruck (3.23) mithilfe der Randbedingung für die Stelle x = L ermittelt, wonach die Tangente für x = L stets parallel zur x-Achse bleibt:

u y  L   0 .

(3.61)

2FL L a

b

Abb. 3.12:

Mechanisches Teilsystem einer optischen Sensoreinheit; a – im unbelasteten Zustand und b – im belasteten Zustand

Für das Moment ML ergibt sich somit:

ML 

1 FL L . 2

(3.62)

Wenn anhand der Formel (3.27) unter Beachtung von (3.62) die Lage des Gelenkes für die nachgiebigen Elemente der Länge L ermittelt wird, dann liegt dieses unendlich weit von der Einspannung des nachgiebigen Elementes entfernt. Diese Tatsache ist durch die Parallelität beider Enden der Elemente zu begründen, wodurch kein Gelenk eingeführt werden kann, sodass diese Bedingung erfüllt wird. Daraufhin wird nur eine Hälfte des nachgiebigen Elementes betrachtet (Abb. 3.13c). Die Punktsymmetrie der Verformung macht eine derartige Betrachtung möglich. Um die Belastungen am freien Ende dieses neuen Stabes zu ermitteln, wird in den Ausdruck des Schnittbiegemomentes für den Stab (Abb. 3.13b):

M z  x   M L  FL ( L  x)

(3.63)

der Wert für das Moment ML aus (3.62) und x = L/2 eingesetzt. Es ergibt sich ein Schnittmoment mit dem Wert Null. Somit wirkt am freien Ende des neuen Modellstabes kein Moment, sondern nur eine Kraft, deren Betrag weiterhin nicht relevant und mit F1 benannt wird. Es handelt sich um den Fall n = 2, deshalb werden die entsprechenden Werte für δ und ct für diesen Modellstab der Länge L/2 aus der Tab. 3.1 (Abb. 3.13c) übernommen: 2 3 8 EI z ct  . 3 L

 ,

(3.64)

46

3 Modellierung nachgiebiger Systeme als Starrkörpersystem y

y

y

FL

FL

F1

x

x

x

ML b

a Abb. 3.13:

c

Nachgiebiges Element als ein Teilsystem einer optischen Sensoreinheit; a – Darstellung der Lager, b – Darstellung der eingreifenden Belastungen (Lagerreaktionen) auf das nachgiebige Element der Länge L, c – eine Hälfte (aus Symmetriegründen) des nachgiebigen Elementes mit einer Länge L/2

Demzufolge wird für einen ganzen Stab ein Starrkörper-Ersatzsystem mit zwei Gelenken entstehen, beide Hälften werden aufgrund der Symmetrie zu einem System zusammengesetzt (Abb. 3.14). Der mittlere Teil des Systems besitzt die Länge 2/3 L und die seitlichen mit diesem gelenkig verbundenen Starrkörperelemente weisen jeweils die Länge 1/6 L auf. Das Ergebnis des Starrkörper-Ersatzsystems ist in Abb. 3.14c dargestellt.

F1

ct δL/2 a Abb. 3.14:

2FL

FL ct L/6 b

ct 2L/3

L/6 c

Starrkörper-Ersatzsystem; a – für eine Hälfte des nachgiebigen Elementes und b – für das ganze nachgiebige Element; c – Starrkörpersystem-Modell für das Gesamtsystem

Die Lage der Gelenke und die Werte für die Federkonstanten hängen in diesem Beispiel nicht von den äußeren Belastungen ab. Zudem gelten diese Parameter unabhängig davon welche Belastungen auf die parallel kaskadierte nachgiebige Elemente wirken. Solange die Randbedingung (3.61) erfüllt ist, kommt es zu dem speziellen Zusammenhang (3.62) zwischen der einwirkenden Kraft und dem einwirkenden Moment, die hier als Lagerreaktionen für derartige nachgiebige Elemente gelten. Somit kann das Starrkörper-Ersatzsystem aus Abb. 3.14c für alle parallel kaskadierte nachgiebige Elemente, die eine translatorische Bewegung des Wirkelementes gewährleisten, übernommen werden.

4

Modellierung großer Verformungen stabförmiger Strukturen

Der Gegenstand weiterer Untersuchungen sind elastische dünne Stäbe, deren ursprünglicher Zustand eine gekrümmte Form im dreidimensionalen Raum bildet. Um neben den Mechanismen bzw. Mechanismenteilen die fluidmechanischen Aktuatoren in der Modellbildung erfassen zu können, werden elastische Stäbe mit einem Hohlraum versehen, welcher mit einem unter Druck stehenden Fluid gefüllt wird. Außerdem werden elastische Stäbe mit längenstabilen aber biegeschlaffen eingebetteten Elementen in die Modellbildung einbezogen. Diese Elemente sind als ein Faden, als mehrere unelastische Fäden oder als ein unelastischer aber biegsamer Streifen ausgelegt. Bei einer Druckerhöhung im Innenraum der Stäbe oder unter äußeren Belastungen behalten die eingebetteten Elemente ihre konstante Länge, während andere Teile des Systems Dehnung oder Stauchung erfahren. Auf diese Weise können Verformungen vieler fluidmechanischen Aktuatoren im Modell berücksichtigt werden. Die Verformungen werden auf der Basis von Gleichgewichtsbedingungen für ein Stabelement (s. auch [26] und [40]) beschrieben, wobei die Theorie insofern erweitert wird, dass die konstruktiv gegebene neutrale Faser – eine Faser mit konstant bleibender Länge – in einem Zusammenhang mit dem inneren Druck zusätzlich berücksichtigt und in die Gleichungen einbezogen wird ([38]).

4.1

Annahmen für die Modellbildung

Bei mathematischen Modellen wird zwischen linearen und nichtlinearen Modellen, welche zu den linearen oder nichtlinearen Differentialgleichungen führen, unterschieden. Bei linearen Modellen handelt es sich um eine entweder geometrieseitige Linearität, wobei nur kleine Verschiebungen zugelassen sind, oder materialseitige Linearität, bei der das HOOKEsche Gesetz gilt. Die nichtlinearen Gleichungen entstehen, wenn große Verformungen der Stäbe zugelassen werden oder falls deren Materialeigenschaften einen nichtlinearen Charakter aufweisen. Weiterhin werden gekrümmte Stäbe, die große Verformungen (geometrieseitige Nichtlinearität) erfahren, aber lineare Materialeigenschaften besitzen, in einem dreidimensionalen Raum modelliert. Bei großen Verformungen wird zwischen einer richtungstreuen und einer mitgeführten Belastung unterschieden. Die Richtung einer richtungstreuen Belastung, z. B. einer Kraft bleibt im kartesischen Koordinatensystem während einer Verformung unverändert. Im Gegensatz zu dieser ändert die mitgeführte Belastung ihre Richtung im kartesischen Koordinatensystem. Die Richtung dieser Belastung bleibt aber im mit dem Stab fest verbundenen Koordinatensystem unverändert. Ein Unterschied des Verformungszustandes unter der Wirkung einer mitgeführten und einer richtungstreuen Kraft ist in Abb. 4.1 dargestellt, wobei die ein-

48

4 Modellierung großer Verformungen stabförmiger Strukturen

wirkenden Kräfte vom Betrag gleich sind. Es existieren auch andere Belastungen, die sich in keine der beiden Gruppen einteilen lassen. Die Modellgleichungen folgen aus dem Gleichgewicht eines Stabelementes. Wenn ein Stab die Form einer Rohrstruktur besitzt, soll die Wirkung des inneren Druckes, neben den äußeren Kräften und Momenten, als eine äußere Belastung angesehen werden. ursprüngliche Form a

x [Längeneinheit] 0,1

0,2

0,3

0,1 0,2 0,3 0,4

-0,1

-0,1

-0,2

-0,2

-0,3

-0,3

-0,4

b

x [Längeneinheit]

F

-0,5 y [Längeneinheit]

Abb. 4.1:

-0,4 y [Längeneinheit]

F

c

Darstellung der Verformungen unter einer richtungstreuen und einer mitgeführten Kraft; a – unbelasteter Stab, b – Verformung eines Stabes unter Belastung durch eine richtungstreue Kraft, c – Verformung eines Stabes unter der Wirkung einer mitgeführten Kraft; die Kräfte sind für die Fälle b und c vom Betrag her gleich

Es gelten folgende Annahmen:  Es wird ein statisches Problem betrachtet;  Es handelt sich um dünne Stäbe: die Querschnittsabmessungen sind viel kleiner (zehnmal kleiner und mehr) als die Länge des Stabes und als sein Krümmungsradius, sowohl im verformten als auch im ursprünglichen Zustand;  Das Material des Stabes genügt dem HOOKEschen Gesetz;  Die BERNOULLI-Hypothese ist gültig: die Querschnitte bleiben während der Belastung eben;  Das Prinzip von SAINT-VENANT ist gültig: um die Kraftangriffsstelle sind die Spannungen so verteilt, als würde die Kraft über die ganze Fläche wirken;  Stäbe können Hohlräume aufweisen, dann erfolgt die Deformation durch den Druck im Hohlraum und durch andere äußere Belastungen;  Die neutrale Faser kann durch die Lage eines eingebetteten Streifens oder Fadens vorgegeben werden, wobei eine der eingeführten Koordinatenachsen, welche in einem Querschnitt durch seinen Schwerpunkt und den Punkt der neutralen Faser verläuft, eine Hauptträgheitsachse ist.

4.1 Annahmen für die Modellbildung

49

Im Zusammenhang mit der Annahme, dass das Material des Stabes dem HOOKEschen Gesetz entspricht, sind nur die Lösungen akzeptabel, bei denen die maximalen Normalspannungen die Proportionalitätsgrenze für das gegebene Material nicht übersteigen. Eine neutrale Faser des Stabes ist entweder eine Stabachse oder es existiert eine reale Faser, die als ein längenbeständiger (keine Dehnung und keine Stauchung der Faser wird zugelassen) aber biegeschlaffer Faden oder Streifen in die Wand des Stabes eingebettet ist. Der Abstand von der Stabachse bis zur neutralen Faser wird durch h bezeichnet. Wenn eine körperlich vorhandene neutrale Faser (eingebetteter Faden oder Streifen) nicht vorhanden ist, dann fallen die Stabachse und die neutrale Faser zusammen und es gilt: h = 0, wobei eine Stabachse durch die Schwerpunkte der Querschnitte gebildet wird. Die Koordinate eines Stabquerschnittes wird durch den Parameter s beschrieben. Diese wird vom Koordinatenursprung des kartesischen Koordinatensystems {x, y, z} und entlang der neutralen Faser gemessen. Ein linkes Stabende wird gelagert, z. B. eingespannt, und mit diesem wird ein kartesisches Koordinatensystem so verbunden, dass die x-Achse mit der Tangente der neutralen Faser am linken Ende zusammenfällt. Die drei Achsen {x, y, z} bilden ein Rechtskoordinatensystem. Dabei sind {j1, j2, j3} dessen entsprechende Basisvektoren. Ein Basisvektor besitzt einen Betrag von Eins und trägt eine Information über die Richtung einer Koordinatenachse. Ein weiteres Koordinatensystem mit Basisvektoren e1, e2 und e3 ist fest mit dem bereits unter gegebenen Belastungen verformten Stab verbunden und wird als Stabkoordinatensystem bezeichnet. Der Vektor e1 liegt auf der Tangente zu der neutralen Faser des Stabes (Abb. 4.2). Der Basisvektor e2 fällt mit der Hauptträgheitsachse des Querschnittes zusammen. Der letzte Basisvektor e3 ist so gerichtet, dass das Dreibein {e1, e2, e3} ein Rechtskoordinatensystem bildet. Die weiteren Basisvektoren e10, e20 und e30 entsprechen der unbelasteten Lage des Stabes und werden analog wie das Dreibein {e1, e2, e3} eingeführt. Die Verschiebung zwischen einer unbelasteten und einer verformten Lage des Stabes wird durch einen Parameter u angegeben. y j2 j3

j1

e20 e30

z

s

Querschnitt

e2

x

0

e10

u e3

e2 e1

1

e3 h Schwerpunkt Abb. 4.2:

F

Verformung eines Stabes: 0 – ursprünglicher Zustand, 1 – verformter Zustand

50

4 Modellierung großer Verformungen stabförmiger Strukturen

4.2

Gleichgewichtsbedingungen für ein Stabelement

Verformungen eines gekrümmten Stabes werden mit Hilfe von Gleichgewichtsbedingungen für ein Stabelement beschrieben, wobei große Verformungen zugelassen sind. Die Gleichungen werden für ein Stabelement in einer belasteten und somit verformten Lage aufgestellt. Die Gleichungen sollen zunächst im Stabkoordinatensystem aufgeschrieben werden. Dies erlaubt es die mitgeführten Belastungen unkompliziert zu berücksichtigen, weil diese bezüglich der Basisvektoren {e1, e2, e3} ihre Richtung nicht ändern.

4.2.1

Gleichgewichtsbedingungen in Vektorform

Es wird ein Stabelement der Länge ds betrachtet (Abb. 4.3). Im Querschnitt mit der Koordinate s des Stabelementes wirken eine Kraft Q mit drei Komponenten: der Normalkraft Q1 und den Querkräften Q2 und Q3. Außerdem wirkt in diesem Querschnitt ein Moment M mit ebenfalls drei Komponenten, wobei M1 ein Torsionsmoment und M2 sowie M3 Biegemomente sind.

Q  Q1e1  Q2 e2  Q3e3 ,

(4.1)

M  M 1e1  M 2 e2  M 3e3

An dem anderen Ende des Stabelementes mit der Koordinate s + ds wirken eine Kraft Q + dQ und ein Moment M + dM. Diese Darstellung der Belastungen entsteht aus der TAYLOR-Reihen-Entwicklung in einer Umgebung des Parameters s: Q ( s  ds )  Q ( s ) 

dQ ( s ) d 2Q(s) 2 ds  ds  .... ds ds 2

dFF

FP e1

(4.2)

-FP e1 - d(FP e1) ds

-M

s q

-Q

e2 e1 O

e3

s + ds

M + dM

m Q + dQ

-dFF Abb. 4.3:

Ein Stabelement mit Fluidfüllung; oben: Fluidelement, unten: Stabelement

Es wird dabei nur der lineare Teil des Ausdruckes berücksichtigt, da die anderen Summanden sehr klein sind. Für die Schnittbelastungen an der Stelle s + ds gilt dadurch: Q( s  ds )  Q( s )  dQ( s ) .

(4.3)

4.2 Gleichgewichtsbedingungen für ein Stabelement

51

Analog wird der Ausdruck für ein Schnittmoment erhalten. Das hohle Stabelement (Abb. 4.3 unten) und das entsprechende Fluidelement (Abb. 4.3 oben) werden getrennt betrachtet. Das Dreibein {e1, e2, e3} wird mit der Mitte der Strecke ds der neutralen Faser verbunden. Der Angriffspunkt der Kräfte und Momente in einem Querschnitt wird ebenfalls mit der Position der neutralen Faser zusammengelegt. Auf das Stabelement wirken außerdem eine verteilte Kraft q sowie ein verteiltes Moment m, wobei beide bezogen auf die Stabachse betrachtet werden. Das Stabelement und seine Füllung werden einzeln betrachtet, deshalb werden zwei separate Gleichgewichtsbedingungen für diese beiden Systeme aufgestellt. Eine Gleichgewichtsbedingung für das Fluidelement lautet: d ( FP e1 )  dFF  0 .

(4.4)

Die Kraft FP stammt vom Innendruck des Fluides p, wirkt auf die Querschnittsfläche AP und ist stets orthogonal zu dieser: FP  FP e1  pAP e1 .

(4.5)

Durch die Annahme, dass die Querschnittsabmessungen des Stabes viel kleiner als sein Krümmungsradius sind, wird sich der Druck auf die innere Mantelfläche des Stabes aufheben. Die Kraft dFF ist eine Zwangskraft zwischen dem Stabelement und dem Fluidelement. Für das Stabelement wird eine Gleichgewichtsbedingung wie folgt formuliert: dQ  qds  dFF  0 .

(4.6)

Durch das Einsetzen der Kraft dFF aus der Gleichung (4.4) in die Gleichung (4.6) und darauffolgendes Dividieren des Ergebnisses durch ds entsteht eine Differentialgleichung für die Kräfte, die auf das Stabelement wirken:

dQ d ( FP e1 )  q  0. ds ds

(4.7)

Die Momenten-Gleichgewichtsgleichung für das Stabelement wird bezüglich des Punktes O (Abb. 4.3 unten) aufgestellt: dM  (dse1  Q)  (he2  qds )  mds  (he 2  dFP )  0 .

(4.8)

Dabei wurden Parametervariationen höherer Ordnungen, wie z. B. das Produkt zwischen dse1 und dQ, vernachlässigt. Nach dem Dividieren der Gleichung durch ds, wird eine Differentialgleichung für Momente erhalten:

dF  dM   (e1  Q)  (he2  q)  m   he2  P   0 . ds ds  

(4.9)

Die Ableitung der Kraft FP aus der letzten Gleichung setzt sich aus der Ableitung des Betrages und der Ableitung des Basisvektors e1 zusammen, wobei eine gleichmäßige Verteilung des Druckes p über die Länge des Stabes angenommen wird (FP = konst.): dFP d  FP e1  dFP de de   e1  FP 1  FP 1 . ds ds ds ds ds

(4.10)

52

4 Modellierung großer Verformungen stabförmiger Strukturen

Beide Gleichgewichtsgleichungen (4.7) und (4.9) sind Vektorgleichungen im Stabkoordinatensystem. Demgemäß werden seine Basisvektoren die Richtungen bezüglich s ändern. Deshalb sind die Ableitungen der Kräfte und Momente wie folgt aufzuschreiben (vgl. Gleichung (4.1)): dQ de de dQ de dQ dQ1  e1  1 Q1  2 e 2  2 Q2  3 e 3  3 Q3 , ds ds ds ds ds ds ds dM 3 de de dM 2 de dM dM 1  e1  1 M 1  e2  2 M 2  e3  3 M 3 . ds ds ds ds ds ds ds

(4.11)

Nun sollen die Ableitungen der Basisvektoren ermittelt werden, um die Gleichgewichtsgleichungen (4.7) und (4.9) als skalare Gleichungen in Projektionen auf die Basisrichtungen zu formulieren. Diese Aufgabenstellung wird im nächsten Abschnitt behandelt.

4.2.2

Ableitungen der Basisvektoren

Die Ergebnisse der Ableitungen von Basisvektoren e1, e2 und e3 nach dem Parameter s sind ebenfalls Vektoren und können auf die Richtungen e1, e2 und e3 in Komponenten zerlegt werden. Diese Komponenten sind unbekannt und werden zunächst durch κij (i = 1,2,3; j = 1,2,3) bezeichnet: d e1  11e1  12 e 2  13e 3 , ds de 3   21e1   22 e 2   23e 3 , ds de 3   31e1   32 e 2   33e 3 . ds

(4.12)

Die Komponenten κij bilden eine Matrix der Dimension 3×3:

 11 12 13    κ    21  22  23  .    31  32  33 

(4.13)

Weiterhin werden Eigenschaften der Komponenten κij identifiziert, um die Ableitungen der Basisvektoren zu bestimmen. Eine erste Eigenschaft ist anhand der Gleichungen (4.12) leicht festzustellen und besteht darin, dass die einzelnen Komponenten sich durch die Basisvektoren und deren Ableitung aufschreiben lassen:

 ij 

de i ej . ds

(4.14)

Weil die Basisvektoren zueinander orthogonal sind, haben sie folgende Eigenschaft:

ei e j  0, i  j .

(4.15)

Nach der Ableitung der Gleichung (4.15) nach s wird folgender Ausdruck erhalten: de j de i ej  e i  0, i  j . ds ds

(4.16)

4.2 Gleichgewichtsbedingungen für ein Stabelement

53

Unter Berücksichtigung von (4.14) kann die letzte Gleichung durch die Komponenten κij aufgeschrieben werden:

 ij   ji , i  j .

(4.17)

Demnach sind unter den neun unbekannten Komponenten sechs Komponenten untereinander paarweise gleich, was die Anzahl der Unbekannten um drei reduziert. Zur Ermittlung weiterer Eigenschaften der Komponenten κij, wird die Gleichung (4.18) nach s abgeleitet. ei ei  1

(4.18)

Anschließend, unter der Berücksichtigung von (4.14), können drei Komponenten der Matrix (4.13) ermittelt werden:

 ii  0, i  1, 2,3 .

(4.19)

Die Matrix (4.13) wird unter Beachtung der ermittelten Komponenten, gezeigt in (4.17) und (4.19), eine folgende Form annehmen:

 0  κ   12    31

12 0  23

 31   0  23     3 0    2

3 0 1

 2  1  . 0 

(4.20)

Diese Matrix ist somit schiefsymmetrisch und wird anhand von nur drei Komponenten definiert. Zur Vereinfachung der Ausführungen werden für die bleibenden Komponenten neue Bezeichnungen eingeführt: κ1 = κ23, κ2 = κ31 und κ3 = κ12. Somit sind die Ableitungen der Basisvektoren ebenfalls durch nur drei Komponenten κ1, κ2 und κ3 bestimmt: d e1   3e 2   2 e 3 , ds de 3   3e1  1e 3 , ds de 3   2 e1  1e 2 . ds

(4.21)

Dieses Gleichungssystem kann auch in Vektorform aufgeschrieben werden. Somit gilt für die Ableitung eines Basisvektors:

dei T  κ ei . ds

(4.22)

Aus den drei verbleibenden Komponenten kann statt einer Matrix nun ein Vektor gebildet werden: κ  1e1   2 e 2   3e 3 .

(4.23)

Anhand dieses Vektors lassen sich die Ableitungen der Basisvektoren wie folgt aufschreiben:

dei  κ  ei . ds

(4.24)

54

4 Modellierung großer Verformungen stabförmiger Strukturen

Für die drei Basisvektoren e1, e2 und e3 kann dieser Ausdruck überprüft und somit bewiesen werden, hier wird ein Nachweis der Gleichung (4.24) für e1 vorgeführt:

de1  κ  e1  1e1   2 e2   3e3   e1   2e3   3e2 . ds

(4.25)

Dieser Ausdruck für e1 wird durch den Vergleich mit der ersten Gleichung aus (4.21) bestätigt.

4.2.3

Natürliches Koordinatensystem

Weiterhin werden Basisvektoren {en1, en2, en3} eines natürlichen Koordinatensystems für eine räumliche Kurve betrachtet. Dabei liegt der Vektor en1 auf der Tangente der Kurve. Der Basisvektor en2 zeigt zu ihrem Krümmungsmittelpunkt und en3 ist so gerichtet, dass das Dreibein {en1, en2, en3} ein Rechtskoordinatensystem bildet. Dieses ist ein Sonderfall des Dreibeins eines Stabkoordinatensystems, welches im Abschnitt 4.1 eingeführt wurde. Deshalb gilt das Gleichungssystem (4.21) auch für eni (i = 1,2,3), wobei die Komponenten für das natürliche Koordinatensystem durch κni bezeichnet werden, um diese von den Komponenten κi für das Dreibein {e1, e2, e3} zu unterscheiden: den1   n 3en2   n 2 en3 , ds den3   n 3en1   n1en3 , ds den3   n 2 en1   n1en2 . ds

(4.26)

Das Dreibein des natürlichen Koordinatensystems wird zur Ermittlung geometrischer Bedeutung von Komponenten κni genutzt, um dann auch die Schlussfolgerungen für die Komponenten κi zu erhalten. Für die weiteren Ausführungen werden neue Bezeichnungen und Parameter benötigt. Die Flächen, die durch jeweils zwei Basisvektoren gebildet werden, werden mit γn1, γn2 und γn3 bezeichnet, wobei die erste Fläche orthogonal zu en1, die Zweite zu en2 und die Letzte zu en3 sind. Außerdem werden drei Winkel für die Rotation um die Basisvektoren eingeführt und mit θni, i = 1,2,3 bezeichnet (Abb. 4.4a). Diese Winkel werden vom Ende der Kurve mit der Koordinate s = 0 aus gemessen.

en3 γn3

θn3

θn1 en1 Abb. 4.4:

γn2

γn3 a

ρ

γn1 en2a

θn2 en2

Δθn3

ρ en2e e n1e

en1a Δs b

en1e Δθn3

en1e - en1a

en1a c

Natürliches Koordinatensystem mit Bezeichnungen; a – Dreibein, Ebenen und Winkel; b – Bewegung des Dreibeins vom Anfang zum Ende des Kurvenelementes Δs mit dem Krümmungsradius ρ; c – Differenz der Basisvektoren (s. Gleichung (4.27))

4.2 Gleichgewichtsbedingungen für ein Stabelement

55

Zunächst wird die Ebene γn3 betrachtet, in welcher sich ein Kurvenelement mit einer Länge Δs befindet, falls diese sehr klein gewählt ist. Bei einer Bewegung des Dreibeins vom Anfang zum Ende des Kurvenelementes mit einem Krümmungsradius ρ erfährt das Dreibein eine Rotation um den Winkel Δθn3. Diese Situation ist in Abb. 4.4b dargestellt. Der Basisvektor en1 ändert dabei seine Richtung, deshalb ist auch seine Ableitung verschieden von Null. Die Ableitung des Basisvektors en1 wird nach deren mathematischen Definition aufgeschrieben:

e e  e den1 e  lim n1  lim n1e n1a  lim n3 n2 . s s s 0 0 0       ds s s s

(4.27)

Der Basisvektor en1 wird durch die Parameter en1a und en1e entsprechend am Anfang und am Ende der Strecke Δs bezeichnet. Ein Vektor, der die Differenz en1e – en1a bildet, ist zum Krümmungsmittelpunkt gerichtet und besitzt dementsprechend eine Richtung en2. Unter Berücksichtigung des geometrischen Zusammenhanges:  n 3 1  s 

(4.28)

kann die Ableitung des Basisvektors en1 wie folgt aufgeschrieben werden: den1 1 1  lim en2  en2 .  s  0   ds

(4.29)

Wenn dieser Ausdruck mit der ersten Gleichung aus (4.26) verglichen wird, dann können die Werte und folgend die Bedeutungen von zwei Komponenten der genannten Gleichung angegeben werden:

 n3 

1



,

(4.30)

 n 2  0. Die Komponente κn3 hängt vom Krümmungsradius ab und wird als Krümmung für eine Kurve interpretiert. Die Komponente κn2 existiert im natürlichen Koordinatensystem nicht. Um die Frage nach der Bedeutung der Komponente κn1 zu klären, wird die letzte Gleichung aus dem Gleichungssystem (4.26) betrachtet. Dabei soll die Bewegung des Dreibeines entlang des Kurvenelementes Δs beobachtet werden, wobei seine Drehung in der Ebene γn1 im Mittelpunkt steht (Abb. 4.5a). Die Ableitung des Basisvektors en3 wird mit Unterstützung der Darstellungen aus Abb. 4.5b–c wie folgt aufgeschrieben:

den3 e e e   e  lim n3  lim n3e n3a  lim   n1 n2 s  0 s s  0 s  0 s s ds 

d n1     ds en2 . 

(4.31)

56

4 Modellierung großer Verformungen stabförmiger Strukturen en3e

en1e

en3a

en2e γn1 Δs

en3a en2a a

en2e

en3a Δθn1

en3e

γn1 b

Abb. 4.5:

en1

en2a en1a

γn1

Δθn1

en3e - en3a

en3e

c

Zur Ableitung des Basisvektors en3; a – Änderung des Dreibeins entlang der Kurve; b – Änderung des Basisvektors en3 in der Ebene γn1; c – Differenz der Basisvektoren (s. Gleichung (4.31))

Ein Vektor, der aus der Differenz von en3e und en3a gebildet wird, zeigt entgegen der Richtung von en2, dadurch kommt das Vorzeichen „–“ im letzten Ausdruck. Anhand der Gleichung (4.31) und unter Berücksichtigung der letzten Gleichung des Gleichungssystems (4.26) ergibt sich die Bedeutung der Komponente κn1. Diese widerspiegelt die Verdrehung der Kurve um eigene Tangente bzw. um den Basisvektor en1 und wird als Drillung bezeichnet:

 n1 

d n1 . ds

(4.32)

Der Vektor κn, der durch die entsprechenden Komponenten gebildet wird: κ n   n1en1  0en2   n 3en3 ,

heißt DARBOUX-Vektor (s. auch [2]). Anhand der ermittelten Komponenten: Krümmung κn3 und Drillung κn1 nach (4.30) und (4.32), kann das Gleichungssystem (4.26) neu aufgeschrieben werden: den1   n 3en2 , ds den2   n 3en1   n1en3 , ds den3   n1en2 . ds

(4.33)

Diese Gleichungen heißen FRENETsche Gleichungen. In der Kinematik werden Gleichungen dieser Form (4.33) zur Beschreibung der Bewegung eines Punktes, bzw. eines Schwerpunktes von einem starren Körper entlang einer Kurve verwendet, wie in [1] beschrieben, wobei dort die Komponenten κn3 und κn1 als Krümmung und Windung einer Kurve bezeichnet werden.

4.2.4

Zusammenhang zwischen natürlichem Koordinatensystem und Stabkoordinatensystem

Wenn basierend auf diesem Kenntnisstand die Basisvektoren {en1, en2, en3} und {e1, e2, e3} miteinander verglichen werden, dann kann folgendes festgestellt werden. Die Vektoren en1 und e1 fallen stets zusammen, da diese auf der Tangente der Kurve bzw. der neutralen Faser

4.2 Gleichgewichtsbedingungen für ein Stabelement

57

liegen. Die Vektorpaare en2 und en3 sowie e2 und e3 liegen in einer Ebene, weil die beiden Paare orthogonal zu en1 bzw. e1 sind. Die genannten Vektorpaare en2, en3 und e2, e3 können verschiedene Richtungen aufweisen (Abb. 4.6a), welche sich um einen Winkel θ(1) unterscheiden. Der Vektor κn ist im natürlichen Koordinatensystem definiert und kann wie folgt dargestellt werden:

 n   n1en1   n3en3 .

(4.34)

Dabei lassen sich beide Basisvektoren durch die Richtungen e2 und e3 aufschreiben:

en1  e1 ,

(4.35)

en3  sin  (1) e 2  cos  (1) e 3 .

Dem Vektor κn des natürlichen Koordinatensystems entspricht der Vektor κ im Stabkoordinatensystem, der folgendermaßen aufgeschrieben wird:

κ  1e1   n3 sin (1) e2   n3 cos (1) e3 ,

(4.36)

wobei seine drei Komponenten verschieden von Null sind:

1 

d ( n1   (1) )

ds  2   n 3 sin  (1) ,

  n1 

d (1) ds

, (4.37)

 3   n3 cos  (1) .

j3 e2 en3 e3 a Abb. 4.6:

e2 en2

θe1

θ(1) b

θ1

en2 e20

θ(1) θ(10)

en20 θ10

j2

θn1 θn10

Lage und Bezeichnungen der Basisvektoren; a – Vektorpaare en2, en3 und e2, e3 in der Querschnittsebene eines Stabes; b – Bezeichnungen für Indizes des Winkels θ1 anhand des Basisvektors e2, für folgende Zustände und Koordinatensysteme: e2n0 – für natürliches Koordinatensystem, unbelasteter Zustand, e2n – für natürliches Koordinatensystem, belasteter Zustand, e20 – für Stabkoordinatensystem, unbelasteter Zustand, e20 – für Stabkoordinatensystem, belasteter Zustand, j2 – für kartesisches Koordinatensystem

Die erste Komponente des Vektors κ setzt sich aus der Drillung der Kurve der neutralen Faser und der Verdrehung des Stabquerschnittes bezüglich des natürlichen Koordinatensystems zusammen. Diese Addition beider Verdrehungen kann nicht durch eine Drehtransformation berücksichtigt werden und wird anhand der Betrachtung der Kurvendrillung im Stabkoordinatensystem aufgestellt. Die zweite und dritte Komponente κ2 und κ3 sind entsprechende Projektionen der Krümmung der neutralen Faser κn3 auf e2 und e3. Die Ableitungen der Basisvektoren des Stabes werden künftig nach (4.24) ermittelt. Die Bezeichnungen aus Abb. 4.4a werden auch für das Stabkoordinatensystem {e1, e2, e3} und {e10, e20, e30} genutzt, wobei die Indizes angepasst werden, z. B. Index „0“ wird für die ur-

58

4 Modellierung großer Verformungen stabförmiger Strukturen

sprüngliche Lage des Stabes stehen. Die Bezeichnungen „θ“ für die Winkel sowie „γ“ für die Ebenen werden ebenfalls verwendet und mit den entsprechenden Indizes versehen. In Abb. 4.6b sind die Bezeichnungen für Indizes des Winkels θ1 anhand des Basisvektors e2 gezeigt.

4.2.5

Weiterentwicklung der Gleichgewichtsgleichungen

Für die Gleichgewichtsgleichungen (4.7) und (4.9) werden zunächst die Ableitungen der Kräfte und Momente entsprechend (4.11) unter Verwendung des Ausdruckes (4.24) für die Ableitungen der Basisvektoren aufgeschrieben. dQ dQ dQ dQ1 d Q   κ  Q, e1  2 e 2  3 e 3  κ  Q  ds ds ds ds ds dM 3 dM 2 dM dM 1 d M  κM e1  e2  e3  κ  M  ds ds ds ds ds

(4.38)

Dabei werden die Summanden mit den Ableitungen der Beträge von Kräften und Momenten als lokale Ableitungen bezeichnet und mit einem „Strich“ versehen, um diese von den wirklichen Ableitungen zu unterscheiden: dQ dQ d Q dQ1  e1  2 e 2  3 e 3 , ds ds ds ds dM 3 dM 2 d M dM 1  e1  e2  e3 . ds ds ds ds

(4.39)

Unter der Anwendung dieser Zusammenhänge und der Berücksichtigung des Ausdrucks (4.10) kann die Gleichgewichtsgleichung für Kräfte (4.7) wie folgt aufgeschrieben werden.

d Q  κ  (Q  FP )  q  0 ds

(4.40)

Für das Umformen der Gleichgewichtsgleichung für Momente (4.9) wird zuerst der letzte Term dieser Gleichung wie folgt notiert:

dFP    he2    he2  (κ  FP )  hFPe2  (κ  e1 )  hFP 2e1 . ds  

(4.41)

Und nun soll dieser in die Momenten-Gleichgewichtsgleichung eingesetzt sowie die Ableitung des Momentes entsprechend dem Ausdruck (4.38) angewendet werden:

d M  κ  M  (e1  Q)  (he2  q)  hFP 2e1  m  0 . ds

4.3

(4.42)

Einbindung der Materialeigenschaften

Im Querschnitt eines belasteten Stabes entsteht eine Spannung σ, die bezüglich des Dreibeins {e1, e2, e3} in drei Komponenten zerlegt wird. Dabei besteht diese aus einer zum Querschnitt orthogonalen Normalspannung σ1 und einer Schubspannung τ, die im Querschnitt liegt und zwei Komponenten τ2 und τ3 beinhaltet. Die Indizes verdeutlichen die entsprechenden Richtungen der Spannungskomponenten (Abb. 4.7).

4.3 Einbindung der Materialeigenschaften

59

σ   1e1   2 e2   3e3

(4.43)

Ein Radiusvektor r beschreibt die Lage eines beliebigen Punktes P im Querschnitt und besitzt zwei Komponenten: r  r2 e 2  r3e3 .

(4.44)

Durch die Spannungen wird in einem Querschnitt ein Schnittmoment M gebildet, welches in den Gleichgewichtsgleichungen (4.42) auch vorhanden ist: M   (r  σ ) dA    ( r2 e 2  r3e 3 )  ( 1e1   2 e 2   3e 3 )  dA .

τ τ3

Abb. 4.7:

τ 2 e2

θ12

P σ1 r e3

e1

(4.45)

Komponenten der Spannung σ im Querschnitt: Normalspannung σ1 und Schubspannungen τ2 und τ3 für einen Punkt, welcher im Querschnitt durch ein Radiusvektor r bestimmt wird

Einzelne Komponenten des Momentes lassen sich daraus wie folgt aufschreiben. M 1   (r2 3  r3 2 )dA, M 2   (r3 1 ) dA,

(4.46)

M 3   ( r2 1 )dA

d(θ1 - θ10) φ ds τ

Abb. 4.8:

P0 P r e3

e2 θ12 e1

Darstellung der Schubspannung und der entsprechenden Verdrehung des Stabelementes

Zunächst wird das erste Moment M1 vorgenommen, um dieses mit Verformung des Stabes anhand des HOOKEschen Gesetzes zu verbinden. Das Moment bewirkt eine Verdrehung des Stabes, wie es in Abb. 4.8 anhand eines Stabelementes gezeigt ist. Die entsprechenden

60

4 Modellierung großer Verformungen stabförmiger Strukturen

Schubspannungen sind mit dem Winkel φ, der infolge einer Verdrehung entsteht, linear durch eine Proportionalitätskonstante G, einen Gleitmodul (auch Schubmodul), nach dem HOOKEschen Gesetz wie folgt verbunden: (4.47)   G . Der Winkel d(θ1 – θ10) steht für die Verdrehung des Stabelementes der Länge ds unter äußeren Belastungen. Aus den geometrischen Gegebenheiten (Abb. 4.8) folgt ein Zusammenhang: d (1  10 )r   ds .

(4.48)

Der Winkel φ aus der letzten Gleichung wird in das HOOKEsche Gesetz eingesetzt:

  Gr

d (1  10 ) . ds

(4.49)

Die Schubspannung τ wird auf beide Richtungen e2 und e3 im Querschnitt projiziert: τ   2 e 2   3e3   cos 12 e 2   sin 12 e 3 .

(4.50)

Der Winkel θ12 ist ein Winkel zwischen dem Radiusvektor zu dem betrachteten Punkt P und der e2-Richtung in der Querschnittsebene des Stabes. Unter Berücksichtigung der Gleichung (4.50) gilt: r2 , r r sin 12  3 . r cos 12 

(4.51)

Das erste Moment des Gleichungssystems (4.46) kann nun wie folgt aufgeschrieben werden.

M1   G

d (1  10 ) 2 2 (r2  r3 )dA ds

(4.52)

Der Winkel (θ1 – θ10) für die Verdrehung des Stabes kann entsprechend Abb. 4.6b durch vier andere Winkel dargestellt werden:

1  10   n1  (1)  ( n10  (10) ) .

(4.53)

Die Ableitung dieses Winkels wird unter Berücksichtigung vom Ausdruck (4.37) für κ1 in folgender Form notiert:

d (1  10 ) d n1 d (1)  d n10 d (10)        1   (10) , ds ds ds  ds ds 

(4.54)

wobei hier ein neuer Parameter κ(10) eingeführt wurde:

 (10) 

d (10) d10 d n10 d (10) ,    n10   ds ds ds ds

(4.55)

welcher eine Verdrehung des Stabkoordinatensystems für einen noch unbelasteten Zustand des Stabes charakterisiert. Außerdem wird berücksichtigt, dass

4.3 Einbindung der Materialeigenschaften

61

I1   ( r22  r32 ) dA

(4.56)

ein polares Flächenträgheitsmoment der Stabquerschnittsfläche um e1 darstellt. Der Parameter κn10 ist die Drillung der neutralen Faser des unbelasteten Stabes. Das Torsionsmoment wird mit der Verformung des Stabes entsprechend (4.52) wie folgt verbunden.

M1  GI1 (1   (10) )

(4.57)

Das Moment M1 ruft demnach die Änderung der Drillung des Stabes hervor. Das weitere Moment aus dem Gleichungssystem (4.46), das Biegemoment M2, soll ebenfalls mit Verformung des Stabes verbunden werden. Deshalb wird das HOOKEsche Gesetz angewendet, wonach die Normalspannung σ1 gleich dem Produkt der Dehnung des Stabes ε mit einer Proportionalitätskonstante, dem Elastizitätsmodul E, ist:

 1  E .

(4.58)

Die Dehnung des Stabes ε wird anhand der Längenänderung einer Faser, die um rn2 von der neutralen Faser entfernt ist, betrachtet. Deren Länge vor einer Verformung wird mit dsf0 und nach einer Verformung mit dsf bezeichnet. Die Verformung des Stabes soll zunächst in der Ebene γn3, in welcher en1 und en2 liegen, betrachtet werden. Die Dehnung der Faser dsf setzt sich dann wie folgt zusammen (Abb. 4.9a).



ds f  ds f 0 ds f 0



(   rn 2 )d n3  ( 0  rn 20 )d n30 ( 0  rn 20 )d n30

(4.59)

Es sei angemerkt, dass die Länge der neutralen Faser konstant bleibt, deshalb gilt bezogen auf die Länge ds folgender Ausdruck:

0 d n30   d n 3 .

dsf0

(4.60)

dsf

Faser sf e2 en3

ds

ds

en1 rn20

rn2 en2

dθn30

dθn3

e3

en2

neutrale Faser

r2 θ(1)

rn2 r3

ρ

ρ0 a Abb. 4.9:

b Längenänderung einer Stabfaser; a – Änderung der Faserlängen und der Krümmung nach einer Verformung des Stabelementes der Länge ds; b – schematische Darstellung der Lage des Vektors rn2 sowie der Vektorpaare en2, en3 und e2, e3 in einer Querschnittsebene des Stabes

62

4 Modellierung großer Verformungen stabförmiger Strukturen

Die Dehnung aus (4.59) wird unter der Beachtung des Zusammenhanges (4.60) und der Tatsache, dass rn20 viel kleiner als ρ0 ist, erneut aufgeschrieben: 1

  rn 20

0

 rn 2

1



.

(4.61)

Die Beträge der Vektoren rn2 und rn20 bleiben untereinander gleich und können durch den Betrag entweder des Vektors r2 oder r3 im Koordinatensystem des verformten Stabes ersetzt werden (Abb. 4.9b).

rn 2  rn 20  r2 cos (1)  r3 sin (1)

(4.62)

Unter Berücksichtigung von (4.37) kann folgender Zusammenhang für κ2 für weitere Ausführungen verwendet werden: 1

2 



sin  (1) .

(4.63)

Die Parameter rn2 und rn20 werden entsprechend der Gleichung (4.62) durch r3 ersetzt und die Beziehung (4.63) wird angewendet, um die Dehnung weiter auszuschreiben:

  r3

1



sin  (1)  r3

  1 sin  (1)  r3   2  sin (1)  . 0 0  

1

(4.64)

Es wird ein Parameter κ(20) für den folgenden Ausdruck eingeführt:

 (20) 

1

0

sin  (1) .

(4.65)

Schließlich nimmt die Dehnung folgende Form an.

  r3  2   (20) 

(4.66)

Die Dehnung aus der Gleichung (4.66) wird in die Gleichung (4.58) für die Spannung eingesetzt, welche dann für das Biegemoment M2 aus dem Gleichungssystem (4.46) verwendet wird. Somit gilt für das Moment: M 2   Er32 ( 2   (20) ) dA  EI 2 ( 2   (20) ) .

(4.67)

Der Parameter I2 ist ein äquatoriales Flächenträgheitsmoment um eine Achse, die mit dem Basisvektor e2 zusammenfällt: I 2   r32 dA .

(4.68)

Wird in die Gleichung (4.61) der Ausdruck mit r2 aus der Gleichung (4.62) für rn2 und rn20 eingesetzt und der Ausdruck nach Gleichung (4.37) für κ3 berücksichtigt sowie ein Parameter κ(30) eingeführt:

3 

1



 (30) 

cos  (1) , 1

0

(4.69) cos  (1) ,

4.3 Einbindung der Materialeigenschaften

63

dann gilt für die Dehnung folgende Gleichung:

 1

  r2 cos  (1) 

 0



1   r2 ( 3   (30) ) . 

(4.70)

Die Differenz (κ3 – κ(30)) stellt die Änderung der Krümmung der neutralen Faser vom Stab dar, die als eine Komponente der en3-Richtung (vgl. Gleichungen (4.34)–(4.37)) auf die Richtung e3 projiziert wird. Analog dazu soll der Ausdruck (κ2 – κ(20)) aus der Gleichung (4.67) als eine Projektion der Krümmungsänderung der neutralen Faser auf die Richtung e2, gedacht werden. 1

1   sin  (1) ,   0  1 1      cos  (1)   0 

 2   (20)    3   (30)



(4.71)

Die Dehnung aus (4.70) wird nun in die Gleichung (4.58) eingesetzt und diese für das Biegemoment M3 aus dem Gleichungssystem (4.46) angewendet, womit das letzte Moment eine folgende Form erhält: M 3   Er22 ( 3   (30) )dA  EI 3 ( 3   (30) ) .

(4.72)

Dabei wird das äquatoriale Flächenträgheitsmoment I3 um eine Achse, die mit e3 zusammenfällt, wie folgt ausgedrückt: I 3   r22 dA .

(4.73)

Somit entstehen folgende drei Gleichungen, welche die äußeren Belastungen mit Form des belasteten Stabes verbinden. M 1  GI1 (1   (10) ), M 2  EI 2 ( 2   (20) ),

(4.74)

M 3  EI 3 ( 3   (30) )

Wenn eine Steifigkeitsmatrix wie folgt eingeführt wird:

 GI1  S 0  0 

0 EI 2 0

0   0 , EI 3 

(4.75)

dann können die Gleichungen (4.74) als eine Gleichung in vektorieller Form aufgeschrieben werden:

M  S(κ  κ (0) ) ,

(4.76)

64

4 Modellierung großer Verformungen stabförmiger Strukturen

wobei die Parameter M, κ und κ(0) sind hier als Spaltenvektoren anzuwenden:

  (10)   M1   1        M   M 2  , κ    2  , κ ( 0 )    (20)  . M       3  3  (30) 

(4.77)

Die Gleichungen (4.74) in skalarer Form oder die Vektorgleichung (4.76) stellen eine Verbindung zwischen den Belastungen und den daraus folgenden belasteten Form des Stabes dar. Die Komponenten des Parameters κ widerspiegeln eindeutig die Form der neutralen Faser, genauso wie es die Krümmung und Drillung einer Kurve in natürlichem Koordinatensystem tun.

4.4

Transformationsmatrizen

Nun soll ein Übergang von einem zu einem anderen Koordinatensystem ermöglicht werden. Das geschieht mit Hilfe von Transformationsmatrizen, die drei Koordinatensysteme mit Dreibeinen {ei0}, {ei} und {ji}, i = 1,2,3, miteinander verbinden. Zunächst werden Basisvektoren {ji} und {ei} betrachtet, um eine entsprechende Transformationsmatrix zu erstellen. Die Basisvektoren {ji} können anhand von drei Rotationen in die Basisvektoren {ei} überführt werden. Logisch erscheint hier jeweils eine Drehung um eine Achse mit Anwendung der Winkel θi durchzuführen. Dabei wird zunächst um die Achse j3 und dann um eine neue Achse, die aus der Achse j2 entsteht, gedreht. Zuletzt wird die Ebene, die mit dem Querschnitt des Stabes zusammenfällt, in die endgültige Lage gedreht. Die dabei entstehende Transformationsmatrix wird auch Drehmatrix genannt. Aus dieser beschriebenen Vorgehensweise resultiert eine folgende Reihenfolge der Schritte für Drehbewegungen, die in Abb. 4.10 schrittweise dargestellt ist:

  

Drehung um die Achse j3 mit dem Winkel θ3 mit einer neuen Lage des Dreibeins {ei1}, Drehung um die Achse e21 mit dem Winkel θ2 mit einer neuen Lage des Dreibeins {ei2}, Drehung um die Achse e12 mit dem Winkel θ1 mit einer letzten Lage, die der Orientierung des Dreibeins {ei} entspricht.

e 11 θ 3 j 1

e 12 = e 1

e 12 θ 2 e 11

e3 j2 j3 = e3

θ3 e 21

a

Abb. 4.10:

e3

1

e 21 = e 22

θ2 e 31 b

2

θ1 e 22

e 32 θ1 e 2

c

Transformation der Basisvektoren {ji} in die Basisvektoren {ei} anhand drei Drehungen; a – Drehung um die Achse j3 mit dem Winkel θ3; b – Drehung um die Achse e21 mit dem Winkel θ2; c – Drehung um die Achse e12 mit dem Winkel θ1

4.4 Transformationsmatrizen

65

Der erste Schritt wird durch folgende Zusammenhänge zwischen den ursprünglichen Basisvektoren {ji} und den Basisvektoren {ei1} beschrieben: e11  cos  3 j1  sin  3 j2  0 j3 , e12   sin  3 j1  cos  3 j2  0 j3 ,

(4.78)

e  0 j1  0 j2  1j3 . 1 3

Dabei entsteht eine Matrix T3:

 cos 3  T3    sin 3  0 

sin 3 cos 3 0

0  0 , 1 

(4.79)

welche die folgenden Transformationen erlaubt: T

e1i  T3 ji ,

(4.80)

ji  T3 e1i .

Eine Matrix, mit einem Index „T“ oben, ist eine transponierte Matrix. Für die Drehmatrizen ist die transponierte Matrix gleich der inversen Matrix (s. [31]). Der Ausdruck für ei1 lässt sich einfach, hier beispielsweise anhand des Basisvektors e21, überprüfen:

 cos 3  e  T j   sin 3   0 1 2

T 3 2

 sin 3 cos 3 0

0  0    sin 3      0  1    cos 3  .  0   0  1    

(4.81)

Ein Vergleich mit der zweiten Gleichung aus (4.78) zeigt die Richtigkeit des Ausdruckes. Die nächste Drehung mit dem Winkel θ2 überführt die Basisvektoren {ei1} in die Basisvektoren {ei2}: e12  cos  2 e11  0e12  sin  2 e13 , e 22  0e11  1e12  0e13 ,

(4.82)

e  sin  e  0e  cos  e . 2 3

1 2 1

1 2

1 2 3

Dabei kann eine zweite Drehmatrix T2 aufgeschrieben werden:

 cos  2  T2   0  sin  2 

0  sin  2   1 0 . 0 cos  2 

(4.83)

Aus dieser Matrix resultieren folgende Transformationen: T

ei2  T2 e1i , e1i  T2 ei2 .

(4.84)

66

4 Modellierung großer Verformungen stabförmiger Strukturen

Die letzte Drehung verbindet die Basisvektoren{ei2} mit Basisvektoren {ei} über den Winkel θ1: e1  1e12  0e 22  0e 32 , e 2  0e12  cos 1e 22  sin 1e 23 ,

(4.85)

e 3  0e  sin  e  cos  e . 2 1

2 1 2

2 1 3

Durch diese Drehung entsteht die letzte Matrix T1:

0 0  1   T1   0 cos 1 sin 1  .  0  sin  cos   1 1 

(4.86)

Die erhaltene Drehmatrix erlaubt folgende Transformationen: T

ei  T1 ei2 ,

(4.87)

ei2  T1ei .

Wenn diese drei Drehungen, dargestellt in den Gleichungen aus (4.80), (4.84) und (4.87), zusammengefasst werden, dann lässt sich die Transformation von {ji} zu {ei} in folgender Form realisieren: ji  T3 T2 T1ei

(4.88)

oder

ji  Tei ,

(4.89)

T

ei  T ji .

Für die entstehende Drehmatrix mit Elementen tik (i,k = 1,2,3), die alle drei Drehungen beinhaltet (Abb. 4.11), gilt:  t11 t12 t13    T  T 3 T 2 T1   t21 t22 t23  t   31 t32 t33  cos 1 sin  3   cos  2 cos 3  sin 1 sin  2 cos 3    cos 1 cos  3   cos  2 sin 3    sin 1 sin  2 sin 3     sin 1 cos  2 sin  2    

sin 1 sin 3

   cos 1 sin  2 cos  3   . sin 1 cos  3   cos 1 sin  2 sin 3     cos 1 cos  2    

(4.90)

4.4 Transformationsmatrizen

67

1 e12 = e1 e1 θ2 θ3 j 1

e3

θ3 → θ2 → θ1

θ1

j2

θ3

e21 = e22 Abb. 4.11:

θ1

e2

2 θ 2 e3 j3 = e31

Darstellung der Transformation {ji} zu {ei}

Neben der Transformation zwischen unterschiedlichen Basisvektoren erlaubt die Transformationsmatrix einen Vektor r(j), dessen Komponenten anhand der Richtungen des Dreibeins {ji} definiert sind, durch die Richtungen des Dreibeins {ei} darzustellen. Dabei wird dieser im Koordinatensystem mit Basisvektoren {ei} durch r(e) bezeichnet. Der Vektor r(j) wird komponentenweise aufgeschrieben:

 r( j )1    r(j)   r( j )2   r( j )1 j1  r( j )2 j2  r( j )3 j3 . r   ( j )3 

(4.91)

Anhand des Ausdruckes (4.89) wird dieser in den Richtungen {ei}, unter Bezeichnung r(e), ausgedrückt.  t11   t12   t13        r(e)  r( j )1 Te1  r( j )2 Te 2  r( j )3 Te 3  r( j )1  t21   r( j )2  t22   r( j )3  t23  t  t  t   31   32   33   r( j )1t11  r( j )2 t12  r( j )3t13   t11      r( j )1t21  r( j )2 t22  r( j )3t23    t21  r t  r t  r t  t  ( j )1 31 ( j )2 32 ( j )3 23   31

t12 t22 t32

t13   r( j )1    t23   r( j )2   Tr(j) t33   r( j )3 

(4.92)

Somit gilt folgende Prozedere, um einen Übergang von einem Koordinatensystem in ein anderes System für einen Vektor zu realisieren:

r(e)  Tr(j) .

(4.93)

Es soll ein Unterschied zwischen den Transformationsformeln für Basisvektoren unter (4.89) und Vektoren im Raum, entsprechend der Gleichung (4.93), beachtet werden. Analog wird eine Transformation für den Übergang von Basisvektoren ei0 zu den Basisvektoren ei (i = 1,2,3) sowie von einem Vektor r(e0) mit Komponenten auf die Richtungen {ei0} zu dem Vektor r(e) in Richtungen {ei} wie folgt aufgeschrieben:

ei0  Te ei , r(e)  Te r(e0) .

(4.94)

68

4 Modellierung großer Verformungen stabförmiger Strukturen

Unter der Anwendung der Winkel θe1, θe2 und θe3, wird eine entsprechende Matrix Te erstellt.  te11 te12 te13    Te   te 21 te 22 te 23  t   e 31 te 32 te 33    cos  e 2 cos  e 3      cos  e 2 sin  e 3     sin  e 2    

cos  e1 sin  e 3  sin  e1 sin  e 2 cos  e 3 cos  e1 cos  e 3  sin  e1 sin  e 2 sin  e 3  sin  e1 cos  e 2

sin  e1 sin  e 3

   cos  e1 sin  e 2 cos  e 3    (4.95) sin  e1 cos  e 3   cos  e1 sin  e 2 sin  e 3     cos  e1 cos  e 2    

Zuletzt wird eine Transformation für den Übergang zwischen Basisvektoren ei0 und den Basisvektoren ji mit i = 1,2,3 sowie von einem Vektor r(e0) mit Komponenten auf die Richtungen {ei0} zu dem Vektor r(j) mit Richtungen {ji} wie folgt aufgeschrieben:

ji  T0 ei0 ,

(4.96)

r(e 0 )  T0 r(j) .

Unter der Anwendung der Winkel θ10, θ20 und θ30, wird eine entsprechende Matrix T0 erstellt.  t11,0  T0   t21,0 t  31,0

t12,0 t22,0 t32,0

t13,0   t23,0  t33,0 

  cos  20 cos 30      cos  20 sin 30     sin  20    

cos 10 sin 30  sin 10 sin  20 cos 30 cos 10 cos 30  sin 10 sin  20 sin 30  sin 10 cos  20

sin 10 sin 30

   cos 10 sin  20 cos 30    (4.97) sin 10 cos 30   cos 10 sin  20 sin 30     cos 10 cos  20    

4.5 Verankerung der Form des Stabes in einem Koordinatensystem

4.5

69

Verankerung der Form des Stabes in einem Koordinatensystem

Mithilfe der Transformationsmatrizen soll die Form des verformten Stabes mit einem Koordinatensystem, z. B. zunächst mit dem kartesischen Koordinatensystem verbunden werden, um dann die Lage des Stabes im Raum zu bestimmen. Deshalb wird der Vektor κ, welcher die Form des Stabes widerspiegelt, mit den Winkeln θi, i = 1,2,3 verbunden. Diese Verbindung soll durch die Ableitung der zweiten Gleichung aus (4.89) nach s und dann unter der Nutzung der ersten Gleichung aus (4.89) geschehen. T

T

de i d T dT  ji  Te i ds ds ds

(4.98)

Andererseits kann die Ableitung eines Basisvektors anhand der Gleichung (4.22) aufgeschrieben werden. T

T

κ ei 

dT Te i ds

(4.99)

Die letzte Gleichung, nach dem Transponieren beider Seiten, liefert folgender Ausdruck, anhand dessen die entsprechenden Komponenten κi mit i = 1,2,3 ermittelt werden:

κT

T

 T d 2 T d3  dT T   T d1 T    . ds  1 ds  2 ds 3 ds 

(4.100)

Wie auch zu erwarten war, ist die rechte Seite des letzten Ausdruckes eine schiefsymmetrische Matrix, weil auch die Matrix κ eine solche ist. Um die Komponenten κi zu ermitteln, werden folgende drei Komponenten dieser Matrix entnommen: d d1  sin  2 3 , ds ds d  31   2  cos 1 2  sin 1 cos  2 ds d 2 12   3  sin 1  cos 1 cos  2 ds

 23  1 

d 3 , ds d3 . ds

(4.101)

Diese drei Gleichungen können in Vektorform dargestellt werden:

κ  Tθ

dθ ds

(4.102)

mit

0 1  Tθ   0 cos 1  0 sin  1 

sin  2

   sin 1 cos  2  . cos 1 cos  2 

(4.103)

70

4 Modellierung großer Verformungen stabförmiger Strukturen

Wird die Gleichung (4.102) nach der Ableitung der Winkel umgestellt, gilt folgender Zusammenhang zwischen den Vektoren κ und θ:

dθ -1  Tθ κ . ds

(4.104)

Diese Gleichung verbindet die Form des verformten Stabes mit den Winkeln, die den Bezug zum kartesischen Koordinatensystem darstellen. Eine inverse Matrix aus (4.104) gleicht nicht einer transponierten Matrix, wie es für Drehmatrizen üblich ist. Diese wird wie folgt aufgeschrieben:

 1 sin 1 tan  2  -1 cos 1 Tθ   0  0  sin  sec 1 2 

 cos 1 tan 2   sin 1 . cos 1 sec 2 

(4.105)

Analog wird der Zusammenhang zwischen κi und θei aufgestellt, zunächst in Vektorform. Es wird eine Transformation innerhalb der Stabkoordinatensysteme – für einen unbelasteten und einen belasteten Zustand – verwendet. Die erste Gleichung der Gleichungen (4.94) wird nach ei umgestellt und anschließend nach s abgeleitet. T

dei d Te T de  e i0  Te i0 ds ds ds

(4.106)

Danach werden die Ableitungen der Basisvektoren, nach (4.22), durch κT und ei sowie κ0T und ei0 aufgeschrieben. Anschließend werden ei0 anhand der Transformationsmatrix Te durch ei ausgedrückt. T

T

κ ei 

T

d Te d Te T T T T ei0  Te κ 0 e i0  T e e i  Te κ 0 T e e i ds ds

(4.107)

Daraus folgt ein Ausdruck für κT:

 d TT T T T  κ   e  Te κ 0  Te .  ds 

(4.108)

Nach dem transponieren beider Seiten dieser Gleichung wird eine neue Gleichung für die Matrix κ entstehen:  T  d Te κ  Te   κ 0 Te  . ds  

(4.109)

Dabei sollen die Bezeichnungen für die Komponenten der Matrix κ0 entsprechend (4.20) wie folgt beachtet werden.  0  κ 0   12 0    31 0

12 0 0  23 0

 31 0   0   23 0     30 0    20

 30 0 10

 20  10  0 

(4.110)

4.5 Verankerung der Form des Stabes in einem Koordinatensystem

71

Dem Ausdruck (4.109) sollen nur die Elemente κ1, κ2 und κ3 der Matrix κ entnommen werden: d d 1  e1  e 3 sin  e 2 ds ds  10 cos  e 2 cos  e 3   20 cos  e 2 sin  e 3   30 sin  e 2 , d e 2 d cos  e1  e 3 sin e1 cos  e 2 ds ds  10  cos  e1 sin  e 3  sin  e1 sin  e 2 cos  e 3 

2 

  20  cos  e1 cos e 3  sin  e1 sin  e 2 sin  e 3 

(4.111)

  30 sin  e1 cos  e 2 , d e 2 d sin  e1  e 3 cos  e1 cos  e 2 ds ds  10  sin  e1 sin  e3  cos e1 sin  e 2 cos  e3 

3 

  20  sin  e1 cos  e 3  cos  e1 sin e 2 sin  e3    30 cos e1 cos  e 2 . Nach einem Zusammenfassen dieser Zusammenhänge für κ1, κ2 und κ3 in Vektorform entsteht folgende Gleichung:

κ  Teθ

dθe T  Te κ 0 . ds

(4.112)

Eine Umstellung der Gleichung (4.112) nach der Ableitung des Winkels θei ergibt:





dθe -1 T  Teθ κ  Te κ 0 , ds

(4.113)

wobei die Matrix Teθ analog zu (4.103) folgende Form besitzt:

0 1  Teθ   0 cos e1  0 sin  e1 

sin e 2    sin e1 cos  e 2  . cos  e1 cos e 2 

(4.114)

Der Vektor κ0 besitzt folgende Komponenten, die durch eine bekannte ursprüngliche Form des Stabes bestimmt sind bzw. bestimmt werden können:  d ( n10   (10) )  d (10)       ds     10   n10 ds    1   sin  (10)  . κ 0    20     n 30 sin  (10)          cos     0 (10)   30   n 30      1 cos     (10)    0 

(4.115)

72

4 Modellierung großer Verformungen stabförmiger Strukturen

Das Element κ10 ist identisch mit dem bereits eingeführten Parameter κ(10), der das ersten Element der Matrix κ(0) in (4.76) darstellt. Für eine Verbindung der Form des Stabes mit den Winkeln zwischen seinen Tangenten und Koordinatenachsen können für ein kartesisches Koordinatensystem entweder die Gleichung (4.102) oder die Gleichung (4.104) und für Stabkoordinatensystem die Gleichung (4.112) oder die Gleichung (4.113) verwendet werden. Diese Gleichungen gehen in ein Gleichungssystem zur Beschreibung großer Verformungen gekrümmter Stäbe ein.

4.6

Verschiebungen des Stabes

Es sollen nun die Verschiebungen der neutralen Faser erfasst werden. Der Verschiebungsvektor u eines beliebigen Punktes der neutralen Faser kann als Differenz der Radiusvektoren für eine ursprüngliche und eine bereits verformte Lage dargestellt werden (Abb. 4.12).

u  r  r0

(4.116) e1

ds

e2 e3 j3

u

r

j2

r0 j1

Abb. 4.12:

a

e30

e1

Δr e10 e20

r(s) r(s+ds) b

Verschiebungen der neutralen Faser; a – Darstellung des Verschiebungsvektors u; b – Darstellung der Ableitung des Radiusvektors r

Nach der Ableitung dieser Vektorgleichung nach dem Parameter s, wird eine Differenzialgleichung erhalten:

du dr dr0   . ds ds ds

(4.117)

Die Ableitung eines Radiusvektors kann entsprechend der mathematischen Definition wie folgt notiert werden:

dr r r ( s  s)  r ( s ) s  lim  lim  lim e1  e1 .  s  0  s  0  s  0 s s s ds

(4.118)

In Abb. 4.12b ist eine erläuternde Darstellung dieses Vorganges gegeben. Analog dazu gilt für die Ableitung des Radiusvektors r0:

dr0  e10 . ds

(4.119)

4.6 Verschiebungen des Stabes

73

Demnach nimmt die Gleichung (4.117) für die Verschiebung einer Stelle s des Stabes folgende einfache Form an:

du  e1  e10 . ds

(4.120)

Zu beachten ist, dass die Basisvektoren e1 und e10 in verschiedenen Koordinatensystemen definiert sind. Die Gleichung (4.120) kann anhand der Transformationsmatrizen im Koordinatensystem {ei0} aufgeschrieben werden. Die Lage dieses Dreibeins {ei0} ist bekannt, da es mit dem ursprünglichen Zustand des Stabes verbunden ist. Deshalb ist es sinnvoll die Verschiebungen im Bezugssystem {ei0} anzugeben. Der Vektor u wird dann in die genannten Richtungen zerlegt: u  u1e10  u2 e 20  u3e 30 .

(4.121)

Analog zu (4.38) gilt für die Ableitung von u:

du d u   κ0  u . ds ds

(4.122)

Mit dem letzten Ausdruck und der Transformation entsprechend (4.94) gilt für die Gleichung (4.120):

d u T  κ 0  u  Te  E e10 . ds





(4.123)

E ist dabei eine Einheitsmatrix, bei der auf der Hauptdiagonale „1“ zu stehen hat, alle sonstigen Elemente sind „0“. Die Gleichung (4.120) kann unter Nutzung der transponierten Transformationsmatrizen T und T0 auch im kartesischen Koordinatensystem dargestellt werden:





du T T  T  T0 ji , ds

(4.124)

wobei der Verschiebungsvektor u seine Komponenten auch in kartesischem Koordinatensystem hat:

u  ux j1  u y j2  uz j3 .

(4.125)

Die Gleichung (4.124) für kartesisches Koordinatensystem und die Gleichung (4.123) für das Stabkoordinatensystem vervollständigen ein Gleichungssystem zur Beschreibung großer Verformungen gekrümmter Stäbe in Vektorform. Wenn eine Form des Stabes unter Belastung in kartesischem Koordinatensystem ermittelt werden soll, dann kann die Gleichung (4.118) in einer der folgenden Formen angewendet werden: dr T  T ji , ds dr T T  Te T0 ji . ds

(4.126)

74

4.7

4 Modellierung großer Verformungen stabförmiger Strukturen

Zusammenfassende Darstellung der Verformungsgleichungen

Es wurden Modellgleichungen, als nichtlineare gewöhnliche Differentialgleichungen, für große Verformungen gekrümmter räumlicher elastischer Stäbe hergeleitet. Die betrachteten Stäbe besitzen einen Hohlraum, welcher mit einem unter Druck stehenden Fluid gefüllt ist. Außerdem sind derartige Stäbe mit längenstabilen aber biegeschlaffen eingebetteten Elementen, als ein Faden, mehrere unelastische Fäden oder ein Streifen, versehen. Somit können anhand der erhaltenen mathematischen Modellgleichungen sowohl nachgiebige Mechanismen bzw. Mechanismenteile als auch fluidmechanische Aktuatoren beschrieben werden. Bei der Durchführung mathematischer Modellbildung und insbesondere bei Betrachtung der Endergebnisse soll beachtet werden, dass das Modell soweit das reale System beschreibt, wie es die Modellannahmen und Voraussetzungen sowie angenommene Randbedingungen erlauben. Um die Anwendung der hergeleiteten Modellgleichungen zu erleichtern, werden diese im Folgenden als Gleichungssysteme zusammengefasst. Dies wird nach Art der Problemstellung erfolgen, wobei diese in zweidimensionale und dreidimensionale Probleme aufgeteilt werden. Nach einer weiteren Aufteilung werden die Aufgaben, die in einem kartesischen Koordinatensystem gelöst werden, von den Aufgaben, für die die Modellgleichungen im Stabkoordinatensystem aufgestellt werden, unterschieden. Außerdem wird eine Vektorform der Gleichungen für die dreidimensionalen Problemstellungen zusammenfassend aufgeschrieben. Somit ergeben sich sechs Modellgleichungssysteme, die in den Abschnitten 4.7.1–4.7.6 dargelegt sind.

4.7.1

Vektorform der Verformungsgleichungen für ein Stabkoordinatensystem in einem Raum

Hier werden die Verformungsgleichungen als Differentialgleichungen im Stabkoordinatensystem in Vektorform zusammengefasst. Dazu gehören, neben der Gleichung (4.123) aus dem letzten Abschnitt, beide Gleichgewichtsgleichungen (4.40) und (4.42), die Gleichung (4.76), welche Materialeigenschaften berücksichtigt, sowie die Gleichung (4.113) für den Zusammenhang zwischen den Winkeln θi und der Form des verformten Stabes, ausgedrückt durch κi.

d Q  κ  (Q  FP )  q  0, ds d M  κ  M  (e1  Q)  (he 2  q)  hFP 2 e1  m  0, ds dθ e -1 T  Teθ κ  Te κ 0  0, ds d u T  κ 0  u  Te  E e10  0, ds







M  S(κ  κ (0) )



(4.127)

4.7 Zusammenfassende Darstellung der Verformungsgleichungen

75

Durch die letzte algebraische Gleichung wird eine Verbindung zwischen den Belastungen und den daraus folgenden Verformungen, ausgedrückt durch κ aufgestellt. Die ersten vier Differentialgleichungen sind im Zusammenhang mit den entsprechenden Randbedingungen zu betrachten. Wenn ein Ende des Stabes eingespannt ist und an einem anderen Ende eine äußere Kraft Fl und ein Moment Ml wirken, dann sollen folgende Randbedingungen berücksichtigt werden: Q(l )  Fl , M (l )  M l ,

(4.128)

θ(0)  0, u(0)  0.

Wenn es gelingt, zwei erste und zwei darauffolgende Gleichungen voneinander unabhängig zu formulieren, dann kann das Gleichungssystem als zwei Anfangswertprobleme gelöst werden. Sonst wird ein Randwertproblem betrachtet, wobei sich die vier Differentialgleichungen in Vektorform nur gemeinsam lösen lassen. Anhand dieser Gleichungen können Verschiebungen im Stabkoordinatensystem ermittelt werden. Falls eine belastete Form dann doch in einem kartesischen Koordinatensystem erforderlich ist, wird entsprechend der Gleichung (4.126) der Radiusvektor anhand von Transformationsmatrizen ermittelt:

dr T T  Te T0 ji  0 . ds

(4.129)

Eine Randbedingung für diese Gleichung für einen an der Stelle s = 0 eingespannten Stab lautet: r (0)  0 .

(4.130)

Dabei besitzt der Radiusvektor seine Komponenten im kartesischen Koordinatensystem:

r  xex  yey  zez .

(4.131)

Die Komponenten der Matrix T0T der Gleichung (4.129) beinhalten die Winkel θi0, die analog zu der Gleichung (4.104) unter Verwendung des bekannten Parameters κ0, welcher eine ursprüngliche Form des Stabes beschreibt, ermittelt werden:

dθ0 -1  Tθ0κ 0 . ds

(4.132)

Die dafür verwendete inverse Matrix besitzt eine ähnliche Form, wie die Matrix aus (4.105):

 1 sin 10 tan  20  cos 10 T  0  0  sin  sec  10 20  -1 θ0

 cos 10 tan  2   sin 10 . cos 10 sec 20 

(4.133)

76

4.7.2

4 Modellierung großer Verformungen stabförmiger Strukturen

Skalare Verformungsgleichungen für ein Stabkoordinatensystem in einem Raum

Die ersten drei Differentialgleichungen und die letzte Gleichung des Gleichungssystems (4.127) werden auf die Richtungen der Basisvektoren e1, e2 und e3 und die Gleichung für u auf die Richtungen e10, e20 und e30 projiziert, um die skalaren Gleichungen für ein Stabkoordinatensystem in einem Raum zu erhalten: dQ1   2 Q3   3Q2  q1  0, ds dQ2  1Q3   3 (Q1  FP )  q2  0, ds dQ3  1Q2   2 (Q1  FP )  q3  0, ds dM 1   2 M 3   3 M 2  hq3  hFP 2  m1  0, ds dM 2  1 M 3   3 M 1  Q3  m2  0, ds dM 3  1 M 2   2 M 1  Q2  hq1  m3  0, ds

(4.134)

d e1  1   3 cos  e1   2 sin  e1  tan  e 2 ds  10 cos  e 3   20 sin  e3  sec  e 2  0, d e 2   2 cos  e1   3 sin  e1  10 sin  e 3   20 cos  e 3  0, ds d e 3   2 sin  e1   3 cos  e1  sec  e 2 ds   20 sin  e3  10 cos  e3  tan  e 2   30  0, du1   20 u3   30 u2  te11  1  0, ds du2  10 u3   30 u1  te12  0, ds du3  10 u2   20 u1  te13  0, ds

(4.135)

(4.136)

M 1  GI1 (1   (10) ), M 2  EI 2 ( 2   (20) ), M 3  EI 3 ( 3   (30) ).

(4.137)

4.7 Zusammenfassende Darstellung der Verformungsgleichungen

77

Anstatt der Gleichungen (4.135) können auch die Gleichungen (4.111) verwendet werden. Die Parameter teij mit i,j = 1,2,3, als Elemente der Transformationsmatrix Te, sind der Matrix (4.95) zu entnehmen. Die Vektorprodukte sind nach den Regeln der Vektorrechnung ermittelt, wie für den folgenden Term gezeigt ist.

e2 e3   e1   2  3   κ  (Q  FP )  κ  (Q  FP e1 )   1 (4.138) Q  F Q Q  P 2 3  1  2Q3   3Q2  e1  1Q3   3 (Q1  FP )  e2  1Q2   2 (Q1  FP )  e3 Die Differentialgleichungen (4.134) werden im Falle eines an einem Ende eingespannten Stabes, welcher am anderen Ende durch Kräfte und Momente beansprucht wird, im Zusammenhang mit folgenden Randbedingungen gelöst: Q1 (l )  Fl1 ,

M 1 (l )  M l1 ,

Q2 (l )  Fl 2 ,

M 2 (l )  M l 2 ,

Q3 (l )  Fl 3 ,

M 3 (l )  M l 3 .

(4.139)

Für die Gleichungen (4.135) und (4.136) sollen folgende Randbedingungen berücksichtigt werden:

 e1 (0)  0,  e 2 (0)  0,  e 3 (0)  0,

u1 (0)  0, u2 (0)  0,

(4.140)

u3 (0)  0.

Die algebraischen Gleichungen (4.137) sollen für die Verbindung zwischen Mi und κi genutzt werden und können in die drei Gleichungen für Momente in die Gleichungen des Differentialgleichungssystems (4.134) eingesetzt werden. Die Parameter κ(i0) sind entsprechend (4.55), (4.65) und (4.69) wie folgt zusammengesetzt:

d (10) d10   n10  , ds ds 1  sin  (1) ,

 (10)   (20)

 (30) 

0 1

0

(4.141)

cos  (1) .

Dabei wird bemerkt, dass die Parameter κ(10) und κ10 untereinander gleich sind. Der Winkel θ(10) widerspiegelt die Verdrehung des Stabkoordinatensystems bezüglich des natürlichen Koordinatensystems im unbelasteten Zustand und soll bekannt sein. Im Gegenteil dazu ist der Winkel θ(1), der in den zwei letzten Gleichungen in (4.141) vorkommt, unbekannt. Mithilfe dieser Winkel werden die Parameter κ2 und κ3 definiert. Wenn die zwei letzten Gleichungen aus (4.37) quadriert und dann aufaddiert werden, kommt folgender Zusammenhang zustande:

 22  32   n23 .

(4.142)

78

4 Modellierung großer Verformungen stabförmiger Strukturen

Der Ausdruck (4.142) kann schematisch, wie in Abb. 4.13 demonstriert wird, als rechteckiges Dreieck mit der Hypotenuse κn3 und den Katheten κ2 und κ3 illustriert werden. κn3 κ2 θ(1) κ3 Abb. 4.13:

Schematische Darstellung der Zusammenhänge aus (4.142) und für die zwei letzten Gleichungen aus (4.37): ein rechteckiges Dreieck mit einer Hypotenuse κn3 und Katheten κ2 und κ3

Somit gilt für den Winkel θ(1): 3 cos  (1)  , 2  2   32 sin  (1) 

2  22   32

(4.143)

.

Die Parameter κ(20) und κ(30) werden demnach und entsprechend zu (4.141) wie folgt aufgeschrieben:  2 n 3  (20)  ,  22   32 (4.144)  3 n 3  (30)  .  22   32 Unter Berücksichtigung der letzten Gleichungen können die Gleichungen (4.137) in folgender Form aufgeschrieben werden: d   M 1  GI1  1   n10  (10)  , ds     n 30 M 2  EI 2 2  1    22   32 

 ,  

  n 30 M 3  EI 3 3  1    22   32 

 .  

(4.145)

Die Parameter κn10 und κn30 sind Drillung und Krümmung der neutralen Faser des Stabes und sollen für einen Stab neben dem Winkel θ(10) bekannt sein. Für eine Darstellung der belasteten Form eines Stabes im kartesischen Koordinatensystem soll die Gleichung (4.129) genutzt werden.

4.7 Zusammenfassende Darstellung der Verformungsgleichungen dx  te11t11,0  te 21t12,0  te 31t13,0 , ds dy  te12 t11,0  te 22 t12,0  te 32 t13,0 , ds dz  te13t11,0  te 23t12,0  te 33 t13,0 ds

79

(4.146)

Für einen einseitig eingespannten Stab werden für diese Gleichungen drei folgende Randbedingungen verwendet: x(0)  0, y (0)  0,

(4.147)

z (0)  0.

4.7.3

Skalare Verformungsgleichungen für ein Stabkoordinatensystem in einer Ebene

Für ein ebenes Problem nimmt eine Reihe von Parametern den Wert Null an: Q3  M 1  M 2  0, q3  m1  m2  0,

1   2  0, 1   2  0,

(4.148)

u3  0. Demnach werden sich die Gleichungen (4.134)–(4.137) enorm vereinfachen: dQ1   3Q2  q1  0, ds dQ2   3 (Q1  FP )  q2  0, ds dM 3  Q2  hq1  m3  0, ds d e 3   3   30  0, ds du1   30 u2  cos  e3  1  0, ds du2   30 u1  sin  e3  0. ds

(4.149)

80

4 Modellierung großer Verformungen stabförmiger Strukturen

Neben diesen Differentialgleichungen ist noch eine Gleichung zur Beschreibung der Materialeigenschaften aus (4.137), welche in die Gleichung für das Moment M3 aus (4.149) eingesetzt werden kann, zu berücksichtigen: M 3  EI 3 ( 3   30 ) .

(4.150)

Entsprechend der letzten Gleichung aus (4.141) und aufgrund der Annahme eines ebenen Problems gleicht der Parameter κ(30) der Krümmung des Stabes im unbelasteten Zustand κ(30) = κ30 = κn30. Folgende Randbedingungen für die Differentialgleichungen (4.149) werden für einen an einem Ende eingespannten Stab berücksichtigt: Q1 (l )  Fl1 ,  e3 (0)  0, Q2 (l )  Fl 2 ,

u1 (0)  0,

M 3 (l )  M l 3 ,

u2 (0)  0.

(4.151)

Wenn das Moment M3 durch die Gleichung (4.150) eliminiert wird, kann eine Randbedingung anhand der genannten Gleichung aufgestellt werden:

 3 (l ) 

M 3 (l )   30 (l ) . EI 3

(4.152)

Bei ebenen Darstellungen einer Kurve wird ihrer Krümmung ein Vorzeichen zugewiesen ([1]). Eine Kurvenkrümmung wird als positiv bezeichnet, wenn ein Punkt auf dem Bogen eines Kreises, welcher durch das Bogenelement ds angedeutet wird, bei wachsendem Parameter s im positiven Sinne läuft (Abb. 4.14). In einem entgegengesetzten Fall ist die Krümmung als negativ zu bezeichnen. y

κ>0

s κ