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German Pages [322] Year 2021
MUSIK – IDENTITÄT – RAUM PERSPEKTIVEN AUF DIE ÖSTERREICHISCHE MUSIKGESCHICHTE
GERNOT GRUBER BARBARA BOISITS BJÖRN R. TAMMEN (HG.)
Wiener Musikwissenschaftliche Beiträge Band 27 Herausgegeben von Gernot Gruber
Gernot Gruber · Barbara Boisits · Björn R. Tammen (Hg.)
MUSIK – IDENTITÄT – R AUM Perspektiven auf die österreichische Musikgeschichte
Böhlau Verlag Wien Köln Weimar
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.
© 2021 Böhlau Verlag Ges.m.b.H. & Co. KG, Wien, Zeltgasse 1/6a, A-1080 Wien Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig.
Umschlagabbildung : Daniela Seiler, Wien, unter Verwendung eines Chorbuchfragments aus Zwettl (© Zisterzienserstift Zwettl, ohne Signatur) und einer Flugschrift gegen die Liguorianer (© Wienbibliothek im Rathaus, Ra-732) Umschlaggestaltung: Michael Haderer, Wien Korrektorat : Sara Alexandra Horn, Düsseldorf Satz : Bettina Waringer, Wien
Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-205-21916-3
Inhalt
Gernot Gruber / Barbara Boisits / Björn R. Tammen Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Gernot Gruber Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Alexander Rausch Raum I: Das Dezennium 1430/40 – eine Zäsur in der Musikgeschichte Österreichs?
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Elisabeth Theresia Hilscher Raum II: Wandel und Kontinuität. Zur Rolle von Musik in den habsburgischen Ländern um 1740 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Barbara Boisits Raum III: Das Revolutionsjahr 1848 im Wiener Musikleben . . . . . . . . . . 141 Stefan Schmidl Raum IV: 1945–1956. Identität und Repräsentation Österreichs in der Musik der Nachkriegszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Björn R. Tammen ‚MusikBildIdentitäten‘ – Sondierungen eines Musikikonographen zwischen Basler Planetenbuch und Wiener Gemeindebau . . . . . . . . . . . 221
Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293
Augtor
Gernot Gruber / Barbara Boisits / Björn R. Tammen
Vorwort
Der vorliegende Band bildet den Abschluss des zwischen 2007 und 2013 an der vormaligen Kommission für Musikforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften – jetzt Abteilung Musikwissenschaft am Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage – verfolgten Forschungsschwerpunkts Musik – Identität – Raum. Aus verschiedenen Gründen hat sich das ursprünglich bereits für Herbst 2015 geplante Erscheinen verzögert. Es ist den Herausgebern eine angenehme Pflicht, allen Beteiligten, vor allem aber auch dem Böhlau Verlag, vertreten durch Johannes van Ooyen und Viktoria von Wickede, für Langmut und Verständnis herzlich zu danken. Wir legen nunmehr den Band in dem Bewusstsein vor, dass die Frage nach der identitätsstiftenden Rolle von Musik in politischen Krisen- und gesellschaftlichen Umbruchszeiten von ungebrochener Aktualität ist. In behutsamer kulturwissenschaftlicher Grundierung konzentrieren sich die Darstellungen auf vier Fallstudien zum Dezennium 1430/40 als Epochenwende, zu Wandel und Kontinuität in der Zeit um 1740, zu den musikalischen Manifestationen der Revolution von 1848 sowie Identität und Repräsentation in der Musik der Nachkriegszeit 1945–1956. In Verbindung mit einer methodischen Grundlegung einerseits, einem epochenübergreifenden ikonographischen Essay andererseits eröffnen sich neue, facettenreiche Perspektiven auf die österreichische Musikgeschichte.
Gernot Gruber
Einführung
1. Ausgangsl age Die Erforschung der ‚Musikgeschichte Österreichs‘ ist in Detailstudien wie in umfassenden Projekten weit fortgeschritten. Ein dreibändiges Gemeinschaftsunternehmen der österreichischen Musikwissenschaft von 19951 ebenso wie die 1988 erschienene einbändige Darstellung von Rudolf Flotzinger2 geben einen Überblick. Sie zeigen aber auch die Probleme einer linearen Geschichtsschreibung mit einem Gegenstand wie ‚Österreich‘, der schon in seiner territorialen Zusammensetzung eine sehr bewegliche historische Entwicklung nahm. Der Notwendigkeit einer Begriffsbestimmung von ‚Österreich‘ entgeht auch die (ebenfalls von Rudolf Flotzinger initiierte und geleitete) Arbeit an dem Oesterreichischen Musiklexikon, nun in einer Online-Version,3 nicht, wenngleich mithilfe einer Partialisierung des Ganzen in Einzelartikel viel leichter auf die Unterschiedlichkeit historischer Zeiten und Räume eingegangen werden kann. Diese größere historiographische Beweglichkeit durch Partialisierung nützte auch, wenngleich in anderer Weise, das Projekt Musik – Identität – Raum, das mit dem vorliegenden Band zu seinem Abschluss kommt. Die Idee war, eine neue Perspektive sozusagen zwischen linearer ‚Erzählung‘ der Musikgeschichte und Lexikonarbeit zu suchen. So bot sich an, einzelne historische Phasen auszuwählen, sie jeweils auf einen Geschehniskern zu fokussieren, dann zu sehen, was sich im Kern verdichtet, was auf sein Entstehen synchron und diachron einwirkt und wie sehr seine Wesensmerkmale weiterwirken oder später eben nicht als potentieller Impuls aufgegriffen werden. Dabei war uns von vornherein klar, welche ‚neuen‘ Probleme entstehen: Die jeweilige Spezifik der auszuwählenden Phasen mit ihren vielfältigen Schichtbildungen und Zusammenhängen nach außen und im Inneren galt es historisch adäquat zu erfas1
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Rudolf Flotzinger/Gernot Gruber (Hgg.), Musikgeschichte Österreichs, 3 Bde., Wien/Köln/ Weimar 1995 (2., erweiterte und stark überarbeitete Auflage der zweibändigen Erstausgabe, Graz u. a. 1977–79). Rudolf Flotzinger, Geschichte der Musik in Österreich zum Lesen und Nachschlagen, Graz u. a. 1988. Ders. (Hg.), Oesterreichisches Musiklexikon, 5 Bde., Wien 2002–06; Online-Ausgabe: , 30.04.2015.
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Gernot Gruber
sen – doch waren übergreifend gültige Kategorien anzuerkennen, um nicht in einem Sammelsurium einzelner Baustellen zu landen. Eine weitere Gefahr bestand darin, die Fokussierung auf einen Geschehniskern so weit zu treiben, bis dieser als Objekt erstarrt und sich als gleichsam höherer Wert von seinen historischen Zusammenhängen abhebt oder gar löst. Hier war also darstellerisches Fingerspitzengefühl von jeder Autorin und jedem Autor gefordert. Außerdem war von vornherein darauf zu achten, dass die jeweilige Spannung zwischen einem Geschehniskern und den diachronen Entwicklungen zu ihm hin und über ihn hinaus in einen latent mitschwingenden Zusammenhang von österreichischer und, weiter gefasst, europäischer Geschichte, von allgemein politischen, sozialen und kulturellen Tendenzen und speziell der Musikgeschichte Österreichs gestellt wird. Wir haben zunächst in unseren Diskussionen nicht von ‚Räumen‘ – wie im Projekttitel vorgegeben – gesprochen, vielmehr bürgerte sich der Terminus ‚Schnittstelle‘ ein. Das zeigt, wie sehr sich unser Interesse auf das ‚Einschneidende‘ im Wandel der dann gewählten vier Phasen richtete. Dies hat sich im Laufe unserer Arbeit sehr relativiert bzw. unser Gegenstand wurde zu einem sehr viel komplexeren und offeneren Gebilde. Um aber doch etwas Markantes dieser Phasen für den weiteren Zusammenhang begrifflich erfassen zu können, lag ein vergleichender Blick auf die Theorie der Geschichtsschreibung nahe. Dabei erschien uns der Begriff „Sattelzeit“4 von Reinhart Koselleck als besonders geeignet. Er ist freilich unterschiedlich stringent anzuwenden (→ Hilscher, S. 84 ff.). Koselleck hatte damit zunächst die Zeit um 1800 mit einem vielschichtigen Wandel, nicht zuletzt im allgemeinen Geschichtsbewusstsein, im Auge. Wir wählten aber gerade diesen Zeitraum nicht als Gegenstand aus. Und bei denen, die wir auswählten, zeigten sich Merkmale einer Sattelzeit unterschiedlich stark ausgeprägt. So bewegten wir uns schließlich doch auf eine Gültigkeit des Begriffes ‚Raum‘ zu. Zu bedenken ist – gerade bei einem durch etliche Jahre laufenden Projekt – die simple Tatsache, dass sich das Konzept, so wie es als Arbeitsgrundlage diente, weiterentwickelte: sozusagen im Inneren durch die persönlichen Präferenzen, konkreten Erfahrungen mit dem Gegenstand und Diskussionen unter den Beteiligten, von außen angeregt durch den permanenten Wandel in der Ideen- und Wissenschaftsgeschichte. Als wir 2006 mit der Arbeit begannen, geschah dies in einem bestimmten, heute nicht mehr bestehenden institutionellen Rahmen: Die damalige Kommission für Musikforschung war zusammen mit Forschungseinheiten der Kunstgeschichte, Kulturwis4
Erstmals in Reinhart Koselleck, „Einleitung“, in: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hgg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politischen Sprache in Deutschland, Bd. 1, Stuttgart 2004 (Studienausgabe; Erstausgabe 1972), xiii–xxvii.
Einführung
senschaften und Theatergeschichte sowie sprachwissenschaftlichen Disziplinen Teil eines Zentrums für Kulturforschungen an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Diese Konstellation zeitigte in der konkreten Zusammenarbeit so manche interdisziplinäre Anregung. Zudem legte sie eine Auseinandersetzung mit dem aktuellen Stand der Theorie und der Methoden in den Kulturwissenschaften nahe, an dem wir uns, je nach Bedarf und persönlichem Interesse, orientieren konnten. Das hieß: gegen ein Fortschrittsparadigma und für das Aufzeigen von Diskontinuitäten, für konstruktivistische Ansätze und ein gesteigertes Interesse an Repräsentation und Gedächtnisforschung, an Symbolen, Diskursen und Selbstzuschreibungen. Nicht zuletzt geht es um eine Dekonstruktion von Begriffen und Vorstellungen, die sich in bestimmten historischen Phasen verfestigt hatten. Doch kulturwissenschaftliche Impulse, die sich durchsetzen und geradezu zur intellektuellen Mode werden, tendieren ihrerseits zu einem Eigenleben und finden dann selbst Kritik. Akzente verschieben sich, andere Perspektiven treten hervor. So werden heute wiederum neuartige Impulse spürbar. Sie sind vorderhand in der Literaturwissenschaft deutlicher als in der Musikwissenschaft erkennbar. Klaus-Michael Bogdal etwa weist 2013 nachdrücklich darauf hin, dass Literatur von „Phänomenen des Ungenauen“ durchzogen sei.5 Er bezieht sich auf das bereits 2004 erschienene Buch After Theory von Terry Eagleton, in dem von einem Ende des „goldenen Zeitalters der Kulturtheorie“ die Rede ist.6 Die methodische Ausrichtung unseres Projekts lag sozusagen davor. Aber wir sollten doch wissend mit diesen aktuellen Herausforderungen umgehen. Sicherlich nützt bereits die Warnung, sich nicht zu sehr in einem ‚Schärfungswahn‘ zu verstricken. Gleichwohl sind praktikable ‚Denkfiguren‘ nötig, um die Fülle an jeweils speziellen sowie ausgreifend vergleichenden Beobachtungen ordnen zu können. Hier ist nun wieder ein Seitenblick auf die Geschichtswissenschaft und deren aktuelle Probleme angebracht. Diese ergeben sich besonders in den Versuchen, die Begriffe von ‚Globalisierung‘ und ‚Moderne‘ sowie deren Aufeinandertreffen methodisch zu bewältigen. Wenn sie auch nicht unseren Gegenstand unmittelbar betreffen, sind die Lösungsstrategien in Forschungen zur Neuesten Geschichte für uns doch anregend. Der prominente Konstanzer Historiker Jürgen Osterhammel hat 2015 in einem kritischen Kommentar zur „Globalifizierung“ aus dem einschlägigen wissenschaftlichen Schrifttum sechs bevorzugte Denkfiguren herausgestellt: „Expansion“ – „Zirkulation“ – „Vernetzung“ – „Verdichtung“ – „Standardisierung“ – „Asymmetrie“. Er 5
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Klaus-Michael Bogdal, „Anleitung zum Erlernen des Ungenauen. Die Leistung ‚weicher‘ Theorien in den Geisteswissenschaften“, in: Textpraxis. Digitales Journal für Philologie 6/1 (2013), , 30.04.2015. Terry Eagleton, After Theory (Penguin Books: Culture), London 2004.
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Gernot Gruber
schätzt „Netz oder Netzwerk“ als die „analytisch ergiebigste Denkfigur“ und betont: „Räumlich ist das Netz durch drei Unterscheidungen komplexer strukturiert als der Fließkreislauf: Verbindungen vs. leere Zwischenräume, Zentren vs. Peripherien […], hierarchisch höhere Netze von größerer Reichweite vs. lokale Netze.“7 Für die Praxis unserer ‚Raum‘-Befunde und besonders für den vorliegenden Versuch, hieraus ein vergleichendes Fazit zu ziehen, liefert insbesondere die der Vernetzung geeignete Ansätze.
2. Grundbegr iffe Die Wahl der Begriffe ‚Identität‘ und ‚Raum‘, die dem der ‚Musik‘ im Projekttitel zugesellt wurden, erfolgte aufgrund von deren Aktualität im kulturwissenschaftlichen Diskurs. Heute ist die Diskussion um beide Begriffe weit fortgeschritten, zumindest im Falle von ‚Identität‘ ist die hoffnungsfrohe Erwartung, einen Hebel für neue Einsichten in sozialgeschichtliche Zustände gefunden zu haben, nunmehr nicht frei von Zweifeln, die ihrerseits zu Korrekturen an bisherigen theoretischen Bestimmungen geführt haben. Überhaupt scheint die gegenwärtige Suche nach neuen Wegen von anderen Hoffnungen auf Erkenntnis getragen zu sein: weniger auf die fokussierende Bestimmung basaler Begriffe als auf deren Verflüssigung und komplexe Vernetzung setzend. Für die Projektdurchführung, ebenso für die Zusammenfassung von Ergebnissen im vorliegenden Band war viel an Pragmatik nötig. Sie beginnt schon mit dem Anerkennen eines äußeren historischen Rahmens. Völlig unmöglich wäre es gewesen, einen innermusikalischen, kompositions- oder gattungsgeschichtlichen Verlaufsraster über die einzelnen ‚Räume‘ hinweg zu bauen. In Anbetracht der so wechselvollen Geschichte dessen, was man ‚Österreich‘ nennt – und was nach einer durch Jahrhunderte reichenden Herrschaft der Habsburger neben dem heutigen Österreich auch andere Bereiche Zentraleuropas betrifft –, ist doch ein allgemein politischer, vor allem kultureller Rahmen am besten geeignet, den nötigen Außenhalt zu geben. Warum aber wählten wir lediglich vier historische Phasen für unsere Projektarbeit? Allein von der Menge her wäre eine für die Musikgeschichte Österreichs einigermaßen repräsentative Streuung von ‚Räumen‘ nicht bewältigbar gewesen. Willkürlich erfolgte die Wahl aber auch nicht. Unter pragmatischen Überlegungen wurden bewusst jene historischen Phasen beiseitegelassen, die aufgrund der ihnen zuerkannten Bedeutung 7
Jürgen Osterhammel, „Globalifizierung. Denkfiguren der neuen Welt“, in: Zeitschrift für Ideen geschichte 9/1 (2015), 5–16, 13.
Einführung
als ‚überforscht‘ gelten bzw. von anderen Projekten und Institutionen intensiv untersucht werden. Dies gilt besonders für die sog. Wiener Klassik und die Musik der Wiener Moderne. Auch für Studien zu den zahlreichen und vor allem in Wien schaffenden ‚großen‘ Komponisten vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart trifft Ähnliches an vorhandenen institutionellen Verankerungen zu. Ausgewählt wurden bisher seitens der Musikwissenschaft weniger erforschte Umbruchsphasen, wie sie sich in der politischen und kulturellen Geschichte Österreichs darstellen. Es geht also nicht um ‚Highlights‘ innermusikalischer Entwicklungen, vielmehr interessierte uns, ob, wie und in welcher Intensität ein Wandel in der politischen und sozialen Geschichte sich auf die Kultur und speziell auf Musik und Musikleben auswirkte. Dabei war uns klar, dass wir auch politische ‚Ereignisse‘ nicht einfach als unverrückbare Bezugsgrößen nehmen dürfen, vielmehr ihre Prozessualität und ihren rezeptionsgeschichtlichen Stellenwert durchaus kritisch betrachten müssen, um nicht bei einer zu simplen Auffassung von ‚Kontextualität der Musik‘ stehen zu bleiben. Kurz gesagt, geht es um folgende vier Zeitabschnitte bzw. Ereignisse: die kurze Regierungszeit von Albrecht II. (1437 König von Böhmen und Ungarn, 1438 deutscher König, † 1439); den Wechsel von der Regentschaft Karls VI. zu der Maria Theresias (1740); die Revolution von 1848; die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg (von 1945 bis zum Staatsvertrag 1955 bzw. dem Mozartjahr 1956). Die Darstellung dieser vier Phasen wird um einen musikikonographisch ausgerichteten Beitrag mit einer ganz eigenen Sichtweise auf die über bildliche Darstellungen von Musik vermittelten ‚MusikBildIdentitäten‘ ergänzt. Zum Umgang mit den drei Titelbegriffen ‚Musik‘, ‚Identität‘ und ‚Raum‘ gehören auch Strategien für ihr Wechselverhältnis. Musik ist eine sehr bewegliche, als erklingendes Phänomen leicht irritierbare Kunstform. Zu einem fassbaren Gegenstand und zu einer vom Zeitablauf sich befreienden Betrachtungsweise gelangt ein Rezipient erst anhand eines Notentextes und/oder einer Tonträger-Aufnahme. Beide Gegenstandsformen geben ein notgedrungen unvollständiges oder interpretierendes Abbild des erklingenden Phänomens. Selbst wenn es beabsichtigt wurde, kann ein Tonträger nur die Illusion des Live-Ereignisses einer immer einzigartigen musikalischen Interpretation erzeugen. Dieses Faktum bringt methodische Probleme für jede Theoriebildung mit sich. Musik erscheint von ihren Voraussetzungen her der vorhin erwähnten Tendenz zur Verflüssigung grundlegender Begriffe entgegenzukommen. Da es jedoch Ziel dieses Beitrags ist, durch Vergleich der vier gewählten ‚Räume‘ ihre Unterschiede zu bestimmen, wird einmal mehr ein pragmatischer Weg der beste sein. Auf der einen Seite werden aus dem reichen Angebot an Theorien zu den beiden Begriffen ‚Raum‘ und ‚Identität‘ für einen beweglichen Kunstbereich wie den der Musik möglichst
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geeignete Theorieansätze hervorzuheben sein. Auf der anderen Seite wird doch ein Rastrieren an ‚Schichten‘ und hierzu passenden Begriffen immerhin so fest zu kon struieren sein, dass sie als Vergleichsschablone taugen kann. 2.1 Zu Begriff und Theorie von ‚Raum‘ Es ist auffällig, dass erst seit kurzem in der Musikgeschichtsschreibung ausdrücklich von ‚Räumen‘ gesprochen wird.8 Raum ist ein plastischer Begriff, der die Vorstellung von etwas Umfassendem evoziert, mag auch dessen Inhalt ein beziehungsreiches Konglomerat von einzelnen Phänomenen, welcher Art auch immer, sein. Die in der historischen Musikwissenschaft als Betrachtungsgegenstand bevorzugte schriftlich fixierte Kunstmusik und deren gesellschaftliche Relevanz führten zu einem sehr eingeschränkten Bild von historischen Verläufen. In den letzten beiden Jahrzehnten hat sich das Untersuchungsfeld für die Musik und andere Zeitkünste durch den Akzent auf deren Performanz und Performativität sehr erweitert. Zudem haben aktuelle ästhetische Diskussionen um den Werkbegriff auch den Blick der Historiker auf Werke vergangener Zeiten von der Geschlossenheit einer ‚Komposition von letzter Hand‘ zu einer prozessualen Offenheit im Umgang mit der kompositorischen res facta verändert. Für solch einen gewandelten Blick auf bestimmte historische Phasen eignet sich die Vorstellung von ‚Räumen‘ besser als die eines Entwicklungstelos. Besonders das Kapitel zu Musik und Musikleben rund um das Revolutionsjahr 1848 mag dabei verdeutlichen, wie sehr eine traditionell die Produktion von Kunstmusik bevorzugende Sichtweise ihren Gegenstand in seiner Vielfalt selektiert und damit letztlich abwertet, ja den Erscheinungen eines polyfunktionalen Musiklebens überhaupt nicht gerecht werden kann. Zu einer ‚Theorie des Raums‘ ist viel geschrieben worden. Für eine theoretische Grundlegung erscheint in Hinblick auf künstlerische Gegenstände die ‚Feldtheorie‘ von Pierre Bourdieu besonders geeignet zu sein.9 Sein Ansatz ist ein soziologischer mit auch auf Kunst, allerdings speziell auf die französische Literatur des späteren 19. Jahrhunderts ausgerichteten Zuspitzungen. Dies passt auch gut zu unseren Vorgangsweisen. Bourdieu sieht ‚Feld‘ bzw. ‚Raum‘ als einen „Ort von Kräften und nicht nur Sinnverhältnissen“ und betont die Dynamik in den Prozessen. Ein sozialer „Raum der Stellungen“ ist für Bourdieu ein Raum von Differenzen, von Akteuren mit verschiedenen Wegen und Zielen. Ihre Beziehungen zueinander haben Vergangenheit 8 9
Nina Noeske, „Musikwissenschaft“, in: Stephan Güntzel (Hg.), Raumwissenschaften (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1891), Frankfurt am Main 2009, 259–273. Pierre Bourdieu, Die Regeln der Kunst, Frankfurt am Main 1999 (frz. Erstausgabe 1992).
Einführung
sowie Zukunftserwartungen zur Voraussetzung; sie verdichten und strukturieren sich durch die Konkurrenz der Akteure um soziale Positionen und führen zu „relativen Positionen zueinander“. Des Weiteren spricht er einen „Raum der Möglichkeiten“ an, in dem er Zwänge und Chancen für künstlerische Strategien versammelt. Ein dritter ‚Raum‘ ist der der „Werke“, in den die Diskurse über künstlerische Positionen, stilistische Differenzen etc. gehören. Wichtig nimmt Bourdieu das Konzept einer relativen Autonomie der Kunst von ökonomischen, politischen, religiösen und institutionellen Zwängen. Stärker als Bourdieu sollten wir uns den weiträumigen Vernetzungen widmen, wie sie in Musik und Musiktheorie gegeben sind. Um den solcherart für die vier Zeitabschnitte erhobenen ‚Raumbefunden‘ auch terminologisch Rechnung zu tragen, wird im Folgenden von ‚Raum I‘, ‚Raum II‘ etc. gesprochen, damit gleichsam die Zeit im Raum gelesen.10 2.2 Kollektive und individuelle ‚Identitäten‘ Der Begriff der ‚Identität‘ ist heutzutage bis in die Alltagssprache hinein omnipräsent. Doch erst Mitte des 20. Jahrhunderts hat ihn der Psychoanalytiker und Kulturanthropologe Erik H. Erikson in die wissenschaftliche Diskussion eingeführt. Sein intensiver Gebrauch in diversen Disziplinen und Denkrichtungen führte zu einer Unübersichtlichkeit in seinen Inhalten, jüngst auch zum Verdacht, er sei zur bloßen ‚Leerformel‘ geworden.11 Um Klärung bemüht sich das kürzlich auch in deutscher Übersetzung erschienene Buch des französischen Philosophen Vincent Descombes, Die Rätsel der Identität.12 Descombes unterscheidet – wie viele andere Autoren vor ihm – zwischen subjektiver Identität und verschiedenen Modellen kollektiver Identität. Darüber hinaus schlägt er eine sehr feinsinnige Differenzierung zwischen nominaler und realer, buchstäblicher und wahrer, faktischer und normativer Identität vor. Sie im Auge zu behalten, ist wichtig – ob sie bei einem Medium wie erklingender oder gar historisch ferner Musik ausreichend griffig gemacht werden kann, bleibe dahingestellt. Musik wirkt nicht nur auf ein Kollektiv von Rezipienten, sondern ihr Hören ist gerade bei tieferem Eindringen ein ausgesprochen individueller Prozess, vielleicht noch mehr, aber jedenfalls in anderer Weise als das Hören und Lesen von Wortsprache oder das Betrachten von Bildern. Hier ergibt sich ein schwieriges Feld für die Forschung. Umso erstaunlicher ist es, wie sehr heutzutage der Begriff der ‚Individualität‘ 10 Vgl. K arl Schlögel, Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik (Fischer Taschenbücher), 4. Auflage, Frankfurt am Main 2011. 11 Vgl. Peter Stachel, „Identität: Genese, Inflation und Probleme eines für die zeitgenössischen Sozial- und Kulturwissenschaften zentralen Begriffs“, in: Archiv für Kulturgeschichte 87 (2005), 395–425. 12 Vincent Descombes, Die Rätsel der Identität, Berlin 2013.
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in Hinblick auf Identität diskutiert wird. Descombes setzt hier zu einer radikalen Kritik an. Es fällt auf, dass Erikson in den 1960er Jahren bewusst eine strenge Definition von ‚Identität‘ vermied. Der Grund liegt wohl darin, einer Entscheidung zwischen zwei polaren Möglichkeiten auszuweichen: Entweder sieht man im Individuum eine lebenslange Integrationsleistung, um zu dem zu werden, was man ist (Sichselbstgleichheit).13 Gegen solch eine Fokussierung wenden sich die ‚Interaktionisten‘ in den Sozialwissenschaften, die solch eine Selbstbezüglichkeit in den sehr vielfältigen gesellschaftlichen Anforderungen der Moderne, hart gesagt, dem Verdacht des Pathologischen aussetzen und stattdessen uns Individuen heute in einer ‚pluralen‘ Identität finden. Das klingt nach Offenheit, vielleicht sogar Toleranz – aber nach Descombes auch nach Geschichtslosigkeit und Unverbindlichkeit. Deshalb visiert er ein Sowohl-als-auch an, über dessen Profil doch wieder das Individuum entscheidet: „Das Individuum definiert sich, indem es erklärt, was in seinen Augen zu seiner Identität gehört. Aber das, was zu seiner Identität gehört, zu dem gehört es auch selbst.“14 Für unser Projekt stellt sich also die Frage, wie weit wir uns auf den Komplex kollektiver Identitäten beschränken und wie sehr wir Individualität mit all ihrer ‚dynamischen Doppelbödigkeit‘ bei der Gestaltung unserer ‚Raum‘-Bilder einbeziehen. Letzteres wird unvermeidlich, sobald in Kunst und künstlerischer Tätigkeit von Individuen über ihren funktionalen Einsatz für irgendwelche kollektiven Identitäten hinaus ein Streben nach Eigenwert der Kunst und nach autonomer Identität des Künstlers unverkennbar in Erscheinung tritt (was wohl Bourdieu in seinen Überlegungen zu einer relativen Autonomie von Kunst im Auge hatte). Dieses Problem gilt offensichtlich nicht nur für die ‚Moderne‘. Auch Künstler des 15. Jahrhunderts (sogar schon davor, wie etwa der Dichter-Komponist Guillaume de Machaut) strebten danach, ihre Individualität auszuprägen und in ihrem Auftreten sowie in der schriftlichen Darstellung ihrer Werke zu stilisieren, durchaus mit hörbarem und rezeptionsgeschichtlich wirksamem Erfolg. Offen bleibt dann, wie sehr sich ein Musiker bzw. eine Gruppe von Musizierenden in eine Tradition, in einen Entwicklungsfluss, ihn mitgestaltend, hineinbewegt oder sich ihm entzieht, kreativ einen ‚neuen Weg‘ erkundet. Die Entscheidung darüber kann nur für die jeweilige historische Konstellation getroffen werden, und das scheint ein wichtiger Hebel zum Erfassen der künstlerischen Spezifik eines ‚Raumes‘ zu sein. Doch es erscheint nicht sinnvoll, von dieser Perspektive auf eine relative Autonomie von Kunst aus die Struktur eines ‚Raumes‘ zu errichten und gleichsam nachträglich die historisch Handelnden beim Umgang mit alten und neuen kollektiven 13 Erik H. Erikson, Identität und Lebenszyklus, Frankfurt am Main 1966 (21972), 17. 14 Descombes, Rätsel der Identität (wie Anm. 12), 237.
Einführung
Identitäten einzufügen. Vielmehr sind Modelle nötig, die das Eine mit dem Anderen in eine strukturierende Spannung setzen. ‚Kollektive Identitäten‘ sind primär ein Untersuchungsgegenstand der Soziologie. Und in dieser Disziplin wird seit längerem, und nicht nur in der Kunstsoziologie, eine ähnliche Debatte geführt. Für unser pragmatisches Vorgehen als Anregung kann die ,Akteur-Netzwerk-Theorie‘ von Bruno Latour seit den 1980er Jahren dienlich sein.15 Auf die grundsätzliche Frage „Was ist eine Gesellschaft?“ sieht er in der Forschungsgeschichte zwei „Lösungen“ angeboten. Die eine, traditionelle, ist es, „die Existenz eines spezifischen Typs von Phänomenen zu postulieren, die abwechselnd als ‚Gesellschaft‘‚ ‚Gesellschaftsordnung‘‚ ‚gesellschaftliche Praxis‘, ‚gesellschaftliche Dimension‘ oder ‚gesellschaftliche Struktur‘ bezeichnet“ werden.16 Die andere Grundannahme zweifelt an der für sich stehenden, stabilen Spezifik dieser Begriffe und behauptet etwa, „dass Akteure niemals in einem sozialen Kontext eingebettet sind und daher stets mehr sind als ‚bloße Informanten‘“.17 Latour sieht es selbstverständlich als unsinnig an, auf Grundbegriffe der Soziologie zu verzichten, aber er will sie nicht mehr als „stabile“ Größen vorausgesetzt belassen, sondern er bringt die beiden „Lösungen“ des sachlichen Dilemmas – er spricht von einer „Soziologie des Sozialen“ versus einer „Soziologie der Assoziationen“ – in eine Spannung zueinander und versucht diese in seinen theoretischen Überlegungen auszutragen. Für diese bewegliche Konstellation verwendet er „die historische Bezeichnung ‚Akteur-Netzwerk-Theorie‘, die so ungeschickt, verwirrend und unsinnig ist, dass sie beibehalten zu werden verdient“.18 Der Weisheit letzter Schluss ist also auch bei Latour eine paradoxale Formulierung eines anvisierten Sachverhalts.
3. R aumbefunde – pr agm atische und methodische Über legungen Pragmatisch ist es, die angesprochenen aktuellen Tendenzen – jene zur ‚Verflüssigung‘ und Dynamisierung kulturwissenschaftlicher Ansätze, die ‚Denkfiguren‘ als Instrumente, wie sie sich in der Geschichtsforschung über das Phänomen der Globalisierung bewähren, und Latours soziologische ‚Akteur-Netzwerk-Theorie‘ – auf unseren Gegenstand hin anzupassen. Die auf den Stellenwert von ‚kollektiven Identitäten‘ in Hinblick auf ‚Musik‘ und ‚Raum‘ ausrichtbare Denkweise Latours sei im Folgenden auf die besonderen Sachverhalte unserer vier Projekt-‚Räume‘ und im Weiteren für 15 Bruno Latour, Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die Akteur-NetzwerkTheorie, Frankfurt am Main 2007 (engl. Erstausgabe Oxford 2005). 16 Ebda., 12 f. 17 Ebda., 15. 18 Ebda., 23.
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den Versuch eines Vergleichs der Ergebnisse angewandt. Wer sind in unserem Fall die ‚Akteure‘, welche ‚Netze‘ sind formulierbar, wie hängen sie zusammen, wie ist das Spiel der ‚Assoziationen‘ als eine Spannung zwischen ‚Akteuren‘ und ‚Netzwerk‘ zu erfassen? Zu einfach wäre eine Festlegung auf die Musiker als ‚Akteure‘ (Musik wird ja ‚gemacht‘) – das ‚Netzwerk‘ besteht vielmehr aus Herrschaftsstrukturen aller Art, aus Riten und anderen Vorgaben. Dies liefe auf eine Trennung von ‚Individualität‘ und ‚Kollektiv‘ im Handeln hinaus, was so nicht der Fall ist und zudem der aktuellen theoretischen Tendenz zur ‚Verflüssigung‘ fester Begriffe und Formeln (wie erwähnt) widerspräche. Auch ist es nötig, die von Osterhammel positiv hervorgehobene Denkfigur der ‚Vernetzung‘ inhaltlich aufzuladen und damit der Möglichkeit einer Hierarchisierung zu öffnen. 3.1 Raum I: 1430/40 Ein wohl grundlegendes und in diesem Sinne ‚primäres Netz‘ bildet für jeden historischen ‚Raum‘ und die in ihm handelnden Menschen ein bestimmtes Zeitempfinden. Als für die Zeit um die Mitte des 15. Jahrhunderts spezifisch bezeichnet Reinhart Koselleck eine „eschatologische Erwartungshaltung“ (→ R ausch, S. 41). Daraus folgt selbstverständlich nicht, dass damals alle Individuen und Personengruppen gleich intensiv und in ähnlicher Weise, voll Hoffnung und Sorge, auf ein Ziel im Jenseits hin lebten. Doch als eine allgemeine Grundlage können wir dieses Zeitempfinden annehmen. Es umgab die Menschen, in ihm handelten sie (sofern sie sich nicht gegen seine Erscheinungsformen innerlich wie äußerlich zur Wehr setzten). Die sich dann aus Vorgaben der Tradition und aktuellem Handeln ergebenden Erscheinungsformen sind gleichsam ‚sekundäre Netze‘. Ihrerseits weitere Verästelungen tragend sind vor allem zwei Bereiche: die hierarchisch strukturierte Kirche, ihre Praxis mit Liturgie sowie anderen Riten und die weltliche, teils noch feudal, teils bereits territorial begründete Herrschaft. Beide sind von der Tradition her im Sinne einer Hierarchisierung weltlicher und geistlicher Macht aufeinander bezogen. Dies war grundsätzlich im Heiligen Römischen Reich kaum bestritten, im Konkreten voller Konfliktpotential. Unter dem Nimbus eines Handelns ‚von Gottes Gnaden‘ sind mächtige ‚Akteure‘ am Werk. Auch Künste wie die Musik sind Mittel und Teil einer von dort aus regulierten Pflege kollektiver Identitäten. Das System ist umfassend. Um 1430/40 fallen jedoch dynastischer Wandel und kirchlich-reformerische Irritationen sowie in der traditionellen und erneuernden Pflege der kirchlichen Praxis ein starker Hang zu territorialen Spezifika auf. Die Akteure sind nicht nur Fürsten, Bischöfe und Äbte, vielmehr greift das oft schwer zu differenzierende Geflecht aus Akteuren und Betroffenen stratifikatorisch nach unten weiter aus.
Einführung
Auf allen sozialen Ebenen betreffen diese Vorgänge auch den Umgang mit Musik. Die so entstehende Musikkultur sei als ein ‚tertiäres Netzwerk‘ erfasst. Selbstverständlich bestimmten auch für diesen Bereich Machtpersonen auf der Basis der traditionellen ‚primären‘ und ‚sekundären Netze‘ das Geschehen in den Hauptlinien. Wie komplex aber das ‚tertiäre Netzwerk‘ sein kann, zeigt ein Blick auf die Vielfalt des Musiklebens. Sehr breitenwirksam und unmittelbar auf den Gehalt des ‚primären‘ eschatologischen Zeitempfindens gerichtet war vor allem das Singen in der Liturgie, bei Prozessionen und Andachten. Bei Hof und in der Kirche hatte gerade eine kunstvoll gehobene Musik vor allem eine repräsentative Funktion, wie sie bei auswärtigen Auftritten von Fürsten mit ihren Hofkapellen, etwa bei den Konzilen der damaligen Zeit, besonders deutlich wird. Sich mit einer als ‚modern‘ empfundenen Musik zu schmücken und in eine kulturelle Rivalität zu anderen Fürsten zu treten, lag nahe. Repräsentationsformen, die zugleich der Identifizierung der Bevölkerung mit dem Herrschaftssystem und damit einer Form kollektiver Identität Vorschub leisten konnten, zeigen sich bei der Pflege der neuen franko-flämischen Kunstmusik in den Hofkapellen Sigismunds, Albrechts II. und Friedrichs III. Ein über ein allgemeines Identitätsempfinden hinausreichendes ‚ästhetisches‘ Verständnis für diese Musik blieb wohl auf die soziale Oberschicht beschränkt, ist jedenfalls in ständischer Hinsicht weniger durchlässig als in späteren Zeiten. Unter dem Schirm ihrer Dienstherren verfolgten aber auch die musikalischen Künstler auf ihrer Ebene ein ähnliches – eben auch ‚Kunst‘ – repräsentierendes Verhalten und knüpften Netze: durch Fachkontakte, ein wechselseitig anregendes Musizieren und Zuhören oder durch Notenaustausch. Die europaweite Verbreitung von Werken in handschriftlichen Noten bzw. Abschriften ist nicht bloß durch politischdynastische oder kirchliche und monastische, länderübergreifende Beziehungen zu erklären, es spielten auch professionelle musikalische Interessen mit herein. Für das Wesen des historischen ‚Raumes‘ zwischen Spätmittelalter und Früher Neuzeit signifikant ist die Art der Selbststilisierung hervorragender Persönlichkeiten. Ein Fürst stand nicht nur für ein Amt mit einem Herrschaftsanspruch, sondern er ‚ist‘, was er repräsentiert. Dies hat einen historisch tiefen Begründungszusammenhang: Namen von Gott und Heiligen sind substantialisiert und nicht bloß als Benennung zu verstehen (das änderte sich erst mit der Aufklärung des 18. Jahrhunderts, als man Namen als letztlich willkürlich gesetztes sprachliches Konstrukt mehr und mehr entsakralisierte). Die in der Geschichte der musikalischen Komposition älteste rhetorische figura superficialis, das Noema, soll Namen als Substanz deutlich erscheinen lassen. In umfassender Weise gilt das Gleiche für den Gesang des Te Deum laudamus. Im 15. Jahrhundert ist der Herrscherpreis durch noematisch hervorgehobene Namen zu weihevollen Anlässen künstlerisch gestaltet worden (so die Namen „Eugenius et
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rex Sigismundus“ in Du Fays berühmter Motette Supremum est mortalibus zum Anlass des Treffens von Papst Eugen IV. und König Sigismund 1433). Auch das berühmte a e i o u ist als solch eine Devise zu verstehen. Welche Mehrschichtigkeit Huldigungsmotetten erreichen konnten, zeigt sehr instruktiv das Beispiel der Motette Romano rum rex, die den Tod König Albrechts II. 1439 eschatologisch in eine überzeitliche Sphäre hebt (→ R ausch, S. 43 ff.). Ausgerechnet bei einer Motette zur versöhnenden Überhöhung eines realiter tief beunruhigenden Ereignisses hebt der (vermutliche) Komponist Johannes de Sarto ‚Kunst‘ durch den zu dieser Zeit schon ungewöhnlichen Einsatz der überaus anspruchsvollen Technik der Isorhythmie empor und nennt sich, den Leiter der Hofkapelle Johannes Brassart und andere Kapellmitglieder namentlich, substantialisiert sie und ihre Kunst auf dieser hohen Ebene (ohne diesen Akt wüssten wir übrigens nichts über den damals aktuellen Stand der Kapelle). Dies gilt nicht so sehr für die Individualität der Musikerpersönlichkeiten, denn die Ausführenden eines ästhetischen Aktes werden hier in eine religiöse und politische Bedeutsamkeit eingeflochten, die erstaunlich modern erscheint. 3.2 Raum II: ca. 1740 Auf der Basis der entworfenen Modellvorstellung von primären, sekundären und tertiären Netzen sei ein vergleichend-differenzierender Blick auf die anderen ‚Räume‘ geworfen, zunächst auf den zweiten ‚Raum‘ der Zeit um 1740. Im primären Netz eines die Menschen in ihrem Handeln bestimmenden Zeitempfindens ist kein grundstürzender Umbruch gegenüber jener für das Spätmittelalter beschriebenen „eschatologischen Erwartungshaltung“ (s. o.) festzustellen. Die Erscheinungsformen sind selbstverständlich andere. Vor allem ist eine innere Differenzierung in Wandel und Stabilität, deren jeweilige Ausrichtung in den verschiedenen Bereichen unterschiedlich zutage tritt, unverkennbar. Dieser Umstand äußert sich bereits in den Schwierigkeiten der Historiographie, eine griffige Periodisierung der österreichischen Geschichte des 18. Jahrhunderts aufzustellen, die geeignet wäre, die zweifellos nach wie vor wichtigen sekundären Netze von Staat und Kirche zu strukturieren. Die Folge von ‚katholisch-absolutistischem‘ und ‚aufgeklärt-absolutistischem Staat‘ wird für ein Epochenbild heute als zu simpel und die komplexen Entwicklungen verzerrend abgelehnt, andererseits wird in dem Bild eines Geflechts doch ein epochaler Wandel um die Mitte des Jahrhunderts anerkannt.19 So leuchtet es ein, dass für ‚Raum II‘ die ‚Gelenkfunktion‘ des Regierungswechsels 1740 wenn 19 K arl Vocelka, Österreichische Geschichte 1699–1815. Glanz und Untergang der höfischen Welt. Re präsentation, Reform und Reaktion im habsburgischen Vielvölkerstaat, Wien 2001.
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schon nicht neutralisiert, so doch relativiert wird (→ Hilscher, S. 138). Das hat sachliche Gründe. Die Differenzierung des Zeitempfindens schlägt sich als Spannungsverhältnis von Tradition und Neuem im staatlichen und kirchlichen Leben nieder. Das häufig apostrophierte Ineinander von Kirche und Staat seit dem Dreißigjährigen Krieg im ‚barocken‘ Zeitempfinden basierte auf dem konfessionellen Kampf gegen das Luthertum und der kriegerischen Abwehr der ‚Türkengefahr‘ von außen. Erfolge prägten den katholischen Absolutismus und seine Darstellungsformen im Habsburgerreich des ‚Hochbarock‘. Nach Prinz Eugen stellte das Osmanische Reich keine essentielle Bedrohung mehr dar. Der Protestantismus wurde unter Maria Theresia noch weiter zurückgedrängt, die Vertreibung bzw. Umsiedlung der Lutheraner endete erst mit dem Toleranzpatent 1782 durch Joseph II. Doch der neue weltanschauliche Feind war der sich hervorwagende moderne ‚Freigeist‘. Das ‚Volk‘ hielt aber weithin und lange an barocken Frömmigkeitsformen mit ihren anschaulich ausufernden Riten fest. Das Neue eines ‚Reformkatholizismus‘ und überhaupt einer auf mehr Einfachheit und Natürlichkeit zielenden Lebensgestaltung im Sinne der Aufklärung wurde zunächst mit Vorsicht von intellektuellen Eliten in und im Umkreis der Gesellschaft bei Hofe, in Kirche und Aristokratie aufgegriffen. Die Impulse kamen offensichtlich von der italienischen Aufklärung (‚Illuminismo‘), konkret von der römischen Bewegung der Arcadia seit der Zeit um 1700. Ihr gehörte der wichtigste Reformer zunächst in Salzburg, vor allem aber dann in Wien an: Ludovico Muratori (→ Hilscher, S. 105). Der Arcadia nahe stand übrigens auch der wichtigste Literat am Hofe Karls VI. und dann Maria Theresias: Pietro Metastasio. Das Durchsetzen von Reformen und die Ausbreitung eines neuen Geistes waren insgesamt ein ‚top down‘ verlaufender Prozess, also primär von der Regentin selbst gelenkt. Maria Theresia war den Idealen Muratoris gegenüber aufgeschlossen, umgab sich auch mit einem neuen Beraterstab, aber sie musste politische Rücksichten nehmen. Die Gefährdung ihres Erbes als weiblicher Nachkomme des Kaisers und die steigende Rivalität zu Preußen um die Vorherrschaft in Deutschland ließen es ihr angeraten sein, nach 1740 die Tradition im Zeremoniell zu wahren und nur zögernd Reformpläne zu verwirklichen. Ein Umbruch zu ihrem Regierungsantritt 1740 wäre höchst riskant und auch finanziell kaum durchzuführen gewesen. Dies hatte selbstverständlich seine Auswirkungen auf das gesellschaftliche Leben und speziell auf die Musikpflege, also auf die tertiären Netze. Stärker als je zuvor in der österreichischen Geschichte wird gerade auf dieser Betrachtungsebene die Komplexität von traditionellen wie neuen Strömungen mit verblüffend unterschiedlichen Tempi ihrer Entwicklung deutlich. Dies lässt sich mithilfe eines Blicks auf die drei musikalisch-funktionalen Stilbegriffe aus der Zeit des Hochbarock skizzieren. Sie
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richten sich primär auf die höfischen Bedürfnisse von Kirche, Theater und fürstlicher Kammer. Im kirchlichen Bereich, sei es bei Hofe, an Bischofssitzen und in den großen Klöstern, herrschte barocker Prunk mit traditionell ausgerichteter Musik vor, wenngleich der Aufwand Schritt für Schritt reduziert wurde, aber erst um etwa 1770 wurden die Musikalienbestände radikal erneuert (→ Hilscher, S. 110). In Hinblick auf das einfache ‚Volk‘ wurde offensichtlich mit wenig Erfolg seit der Jahrhundertmitte (so in der Enzyklika Annus qui, 1749) versucht, den paraliturgischen Bereich zu beschränken, andererseits brachten neue Gesangbücher einen reformkatholischen Geist unter die Menschen. Es ergibt sich demnach auf lange Sicht eine Gegenläufigkeit zwischen der repräsentativen Kirchenmusik mit sinkendem Aufwand in zunächst musikalisch konservativer Haltung (später auch mit neuen künstlerischen Ansprüchen bis hin zu denen eines Joseph Haydn) und einer sich intensivierenden Pflege des volksnahen ‚reformkatholischen‘ Singens, das sich allerdings mit alten Andachtsbräuchen mischte. In der vielfältigen musica theatralis blieb die traditionelle Opera seria die zentrale Gattung bei Hofe. Andere Akteure, aristokratische wie bürgerliche, taten sich schwer, zwischen Hof und Volkstheater (der sog. Alt-Wiener Volkskomödie) ein anspruchsvolles Musiktheater zu etablieren. Doch – als Auswirkung aufklärerischen, säkularisierenden Denkens – änderte sich in der Oper bei Hofe selbst Wesentliches: Fürsten wie Franz Stephan sahen sich und das Geschehen auf der Bühne nicht mehr integriert als Ausdruck höfischer Repräsentation, sondern suchten, sozusagen auf Distanz, am vorgeführten spectacle ihr Vergnügen. Dagegen soll Maria Theresia, die gerne sang, noch als junge Fürstin den Wunsch gehegt haben, auf der Bühne aufzutreten – was allerdings nach Zeremoniell nicht möglich war. Die musica cubicularis verschwand bis hin zu Joseph II. wohl nicht aus der fürstlichen Kammer, aber sie weitete sich als privates Musizier- und Hörvergnügen auf Adel und später auch Bürgertum aus. Dieser Prozess ist als ursächlich verknüpft zu sehen mit dem Aufschwung und der Differenzierung in diverse Gattungen der klein besetzten Instrumentalmusik, eben als ‚Kammermusik‘ neuer Art. Frühe Vorbilder gaben die französische höfische Clavecinmusik und vor allem italienische Triosonaten, Concerti grossi usw. von Arcangelo Corelli und Antonio Vivaldi (der 1741 in Wien starb). Historisch langsamer setzte sich Instrumentalmusik in großen Besetzungen für öffentliche Konzerte (in Wien nicht vor 1740 beginnend) durch. Gerade in der Aufsplitterung der Kammermusik bei sozial vielfältiger Trägerschaft kommt – später als in London oder Paris, aber doch langsam sich verdichtend – auch in Wien und noch zögerlicher in anderen Städten des Habsburgerreichs ein ‚neuer Geist‘ zum Tragen. Die ‚Gelenkfunktion‘ der Zeit um 1740 tritt hier diffus, aber mit nachhaltigen Wirkungen auf. Der Generationswechsel von Fux/Caldara zu jungen,
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in Italien geschulten Komponisten hat Folgen, aber erst aufgrund der langsamen Veränderungen in den der Musik für Kirche und bei Hofe zugebilligten Funktionen. Im Wiener Konzertleben gibt es ab etwa 1745 Fastenkonzerte und erst bald drei Jahrzehnte später bildet sich in der Tonkünstler-Sozietät ein bedeutsamer Konzertveranstalter. Öffentliche Tanzetablissements wie in der Mehlgrube waren noch bis in die Zeit der Alleinregierung Josephs II. nur für Adelige zugänglich. Der aufklärerische ‚neue Geist‘ im sozialen Miteinander, der dem Zug zur natürlichen Einfachheit im ‚Illuminismo‘ der römischen Arcadia entspringt, hat ein musikalisches Pendant im ‚neuen Ton‘ (Jacques Handschin), der zunächst vor allem in Neapel im wahrsten Sinne des Wortes Schule macht. Seine Äußerung in der Kunstmusik ist aber doch vielfältig und abwechslungsreich; die Merkmalspalette reicht von schlicht kantabler Melodik, metrischer Übersichtlichkeit und Kadenzharmonik bis zu komplexen Formgebäuden. Diese Satzdisposition fängt ein herkömmliches kontrapunktisches Liniengeflecht ein oder ersetzt es durch ein konzertierendes Zu- und Gegeneinander vokaler und instrumentaler Stimmen. Die unterschiedlichen Tempi im Umstieg von einem Bewahren der Tradition hin zum Reiz des Neuen beinhalten als Gesamterscheinung genommen doch jeweils eine Verknüpfung von gesellschaftlicher Funktion und Wahl der musikalischen Stilsphäre. So selbstverständlich, wie man annehmen möchte, ist dies nicht, wie ein Vergleich mit ‚Raum I‘ zeigt. Naheliegend mag es von vornherein sein, den überzeitlichen Ansprüchen der Liturgie und der fürstlichen Repräsentation mit anspruchsvoll Altbewährtem im Erklingenden zu verknüpfen – doch das Moderne franko-flämischer Kunstmusik, das Sigismund, Albrecht II. und Friedrich III. faszinierte, wurde bevorzugt in der kirchlichen und höfischen Repräsentationsmusik hervorgekehrt. Im 18. Jahrhundert zeigen sich in den einzelnen Bereichen eben unterschiedlich sich bewegende und ausgerichtete Konstellationen. Die ‚Gelenkfunktion‘ der Zeit um 1740 (→ Hilscher, S. 138) wird in ihrer Bedeutsamkeit erst im großen Überblick verständlich, fassbar wird sie als zunächst latente Zukunftserwartung erst in der Musik der sog. Wiener Klassik, so sehr diese wiederum querständig zur gleichzeitigen politischen Geschichte Europas erscheint. Entsprechend schwer tut sich die Musikhistoriographie, anstelle des heute abgelehnten teleologischen Modells von ‚Spätbarock‘ – ‚Vorklassik‘ – ‚Klassik‘ ein ebenso plausibles wie einfaches Bild anderer Art von der Musikgeschichte des 18. Jahrhunderts zu konstruieren. 3.3 Raum III: 1848 Die Ausgangslage in ‚Raum III‘, der die Revolution 1848 und ihre Auswirkungen auf das Musikleben zum Gegenstand hat, ist eine deutlich andere. Atmosphärische
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Unruhe und revolutionäre Geschehnisse betrafen alle Schichten der Bevölkerung in essentieller Weise, nicht nur in Wien, sondern im Habsburgerreich insgesamt und in den benachbarten Ländern. Hier herrscht als Zeitempfinden eine Verunsicherung vor, wohl verbunden mit der Hoffnung auf eine Zukunft in gewandelter oder gar neuartiger staatlicher Konstellation. Allerdings schwinden in solch einem konfliktären Zeitempfinden ‚eschatologische Erwartungen‘ nicht völlig dahin. Infolgedessen wird die innere Netzstruktur dieses ‚Raumes‘ insgesamt verflüssigt. Für die sekundären Netze politischer Identitäten in Gesellschaft und Staat lässt sich aus der Fülle der Aktivitäten nur unter Vorbehalt eine Grundhaltung herausdestillieren. Vom ‚Patriotischen‘ wird ständig und auf verschiedenen sozialen Ebenen gesprochen. Gemeint ist wohl eine betont ‚deutsche‘ (schon deutsch-nationale?) Gesinnung, wie sie im Vormärz speziell von den Männergesangsvereinen nach langem Widerstand von Seiten des Hofes (Fürst Clemens von Metternichs bzw. Joseph von Sedlnitzkys vielzitierte Abwehr „Haltet mir dieses Gift aus Deutschland fern!“20) popularisiert wurde. Hinsichtlich des tertiären Netzes stellt sich die Ausgangslage für den Historiker heute folgendermaßen dar: Aufgrund der um die Mitte des 19. Jahrhunderts schon sehr weit entwickelten öffentlichen Medien, auch des Musikdruckes bzw. Verlags wesens, ist von vornherein eine ungleich breitere Quellenbasis zu erwarten als 100 Jahre zuvor, gerade was das ‚gemeine Volk‘ betrifft. Dies gibt dem Historiker die Chance auf einen konkreteren Einblick in praktisch alle Verästelungen des Musiklebens, wohingegen eine Musikforschung Dahlhaus’scher Prägung selbst bei derartigen Themen auf kunstmusikalische Ansprüche und ästhetische Wertungen bis in die jüngste Vergangenheit hinein fixiert blieb. Die Perspektiven haben sich aber nunmehr sehr verändert.21 Es liegt auf der Hand, dass im revolutionären Geschehen das Musikleben ein buntes, alles andere als einheitliches Bild abgibt. Sekundäre und tertiäre Netze durchdringen sich in den einzelnen Bereichen so stark und auf so verschiedene Weise, dass ein Abheben übergeordneter ‚Schichten‘ wenig plausibel erschiene – zumal zu einer Zeit, da die Funktionalisierung der Musik intensiv und identitätsbildend (von verschiedenen Seiten aus durchaus auch gegeneinander) betrieben wird, Traditionen bedroht und zurückgedrängt werden und Neues aus bisher Marginalem heraus forciert wird, 20 Josef Jernek, Der österreichische Männergesang im 19. Jahrhundert, Diss. phil., Universität Wien 1937, 74. 21 Diesem Wandel entspricht ganz besonders die Anlage des folgenden, als Handbuch konzipierten und unter bezeichnendem Titel vorgelegten Tagungsbandes: Barbara Boisits (Hg.), Musik und Revoluti on. Die Produktion von Identität und Raum durch Musik in Zentraleuropa 1848/49 (Forschungsschwerpunkt Musik – Identität – Raum), Wien 2013.
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was nicht immer auf eine Steigerung künstlerischer Ansprüche zielen muss. Solche Feststellungen wirken trivial. Und doch reizen sie zu Nachfragen, ob es, genau besehen, einfach so ist oder welche – vielleicht neuen? – Ambivalenzen sich ergeben. Revolutionsmusik auf der einen Seite und eine schon Jahrhunderte immer weiter getragene Klassifikation sozialfunktionaler Musikstile nach Theater/höfischer Repräsentation – Kirche – privater fürstlicher Kammer auf der anderen Seite bilden einen Gegensatz, der den politischen Konflikt spiegelt. Um hier jeweils Spezifisches in der Flut der Erscheinungen dingfest machen zu können, ist ihrer Performanz möglichst genau nachzuspüren. Die breite Palette an ad hoc organisierten Revolutionsmusiken etwa schafft Identität und repräsentiert auch deren Ideale, aber ihre Formen der Darbietung basieren auf Vertrautem, verändern es. Selbst in den voll Spott auf bestimmte Personen oder Gruppen gerichteten Katzenmusiken (→ Boisits, S. 160 ff.) lugt noch hervor, was als Gattung persifliert wird: die alte Tradition der Freiluft-Serenaden. Und wird das Idiom zur Anspielung in einer kaum revolutionär-agitatorischen Tanzmusik (wie in Philipp Fahrbachs Katzenmusik-Walzer), kippt der Ernst zur Unterhaltung um, aber bewahrt selbst darin noch einen ‚revolutionären Erinnerungswert‘. Bei größeren Veranstaltungen, gerichtet auf ein überwiegend gehobenes bürgerliches Publikum, fragt man sich, ob die Neukompositionen und vor allem Vertrautes an Musik, trotz ihrer Funktionalität insgesamt, wirklich nur der Agitation dienen oder Anderes, beruhigend Ausweichendes an ‚Kunstanspruch‘ mitschwingen lassen. Was genau ist dann ‚Revolutionsmusik‘? Zur Agitation bei der breiten Bevölkerung dienen omnipräsent die Unmengen an Chören und Märschen. Doch will man das Repertoire an Musik mit revolutionären Zielen auf ihre übergeordnete Absicht hin resümieren, wird der Rahmen weit zu spannen sein, von marseillaise-artigen, musikalisch schlichten Agitationsgesängen bis zu kunstvoll ausgearbeiteten, kantatenartigen Werken. Die traditionellen Musikgattungen und Stile für Hoftheater, Kirche und Kammer treten demgegenüber aus dem Fokus des Interesses, aber sie verschwinden nicht, werden nur im Aufwand reduziert. Vielmehr sind so manche ‚Musiker der Tradition‘ bemüht sich anzupassen. Selbst der Vizehofkapellmeister Benedict Randhartinger komponierte einen Revolutionschor. Außerdem bevorzugte man, den patriotischen Zielen der Revolution entsprechend, eine deutsche Nationaloper gegenüber der zuvor dominierenden italienischen Oper. Der einige Zeit in Wien lebende Albert Lortzing schrieb sogar eine Revolutionsoper mit dem Titel Regina, die allerdings damals und in der Restauration danach schon gar nicht zur Aufführung gelangte. Längst etablierte aristokratisch-bürgerliche Institutionen wie die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien suchten sich einem eher nebulösen neuen Geist weniger durch Reformen als durch Veranstaltungen anzupassen und mussten später dafür mit Einschränkungen von offizieller Seite büßen.
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Die Revolution mitsamt ihren Auswirkungen für das Musikleben hat in den 1840er Jahren einen längeren Vorlauf, eine kurze, sich radikalisierende Hochzeit der Aus einandersetzungen, einen raschen Ab- und Umbruch. Inhaltliche Präzisierungen sind deshalb schwierig, weil ein Zeitempfinden einer nach Wandel drängenden Unruhe – eben als ‚Vormärz‘ – gerade in der Musik deutlich nach Impulsen für künstlerisch und/oder funktional Neues in verschiedenen Richtungen suchte und Vorbilder in Felix Mendelssohn Bartholdy, Robert Schumann, Richard Wagner oder Hector Berlioz, die auf keiner einheitlichen Linie, schon gar nicht einer des politisch Revolutionären standen, zu finden meinte. Umso unübersichtlicher, aber zugleich herausfordernder erscheint die Frage nach der Zukunft dessen, was sich in der Revolution 1848 zugespitzt hatte. Danach setzte sich die staatliche Restauration durch und auf lange Sicht trat ein schrittweiser Verlust des Habsburgerreiches an Macht und an Territorien ein. Die Aufspaltung des ‚Patriotismus‘ in eine Spannung zwischen fortschrittlich deutsch-nationaler und konservativ vaterländisch-österreichischer Gesinnung verhärtete sich sogar über das Ende der Monarchie hinaus. Das Nationalitätenproblem im Vielvölkerstaat verschärfte sich immer weiter. Gesellschaftlich entstand im Aufschwung der Gründer- bzw. Ringstraßenzeit ein vermögendes liberales Bürgertum, das ein sehr anderes Gesicht als in der Zeit vor und während der Revolution zeigte. Das ‚gemeine Volk‘ musste noch lange auf mehr Rechte warten. Manche Ziele der Revolution ließen sich verwirklichen, so deutlich im Bildungs- und Schulwesen. Auch in den Musikinstitutionen (Musikvereinen, Musikschulwesen, Hofoper und kommerziellem Musiktheater, Gesangsvereinen verschiedenster Art) gab es Impulse und einen der allgemeinen Entwicklung entsprechenden Wandel: letztlich als kompensatorische Gegenkraft im Erscheinungsbild der einem schleichenden Machtverlust ausgesetzten Habsburgermonarchie genützt. Aus künstlerischen Bestrebungen in Vormärz und Revolution hervorgegangen, manifestierte sich danach in den 1850er Jahren ein konfliktträchtiges Gegenüber von sog. Neudeutscher Schule und Klassizisten. Als, auch im politischen Gesinnungshintergrund, gesamtdeutsches Phänomen ist eine fortschrittliche Bewegung hin zu neuartigen Synthesen von Semantik in Wort, Programmatik und Musik zu verstehen, wie sie – in der Öffentlichkeit propagiert von Franz Brendel – in neuen, großangelegten Gattungen wie Musikdrama und Symphonischer Dichtung von ihr Tun in Publikationen reflektierenden Komponisten wie Richard Wagner und Franz Liszt in Erscheinung traten. Eine österreichische und da vor allem Wiener Gegenposition nahm ein Klassizismus in Geisteshaltung und musikalischen Stilidealen ein, mit dem im Vergleich zum Vormärz sehr gewandelten Eduard Hanslick als Vordenker, musikalisch profiliert durch den in Wien lebenden Hamburger Johannes Brahms und nicht minder wirkungsvoll durch Johann Strauss Sohn. Vielleicht noch wichtiger als solche
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im Detail fassbaren Folgen von ‚Raum III‘ ist die bleibende Latenz einer Erinnerung als potentieller Impulsspender. 3.4 Raum IV: 1945–1956 In dem Jahrzehnt vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zum Staatsvertrag 1955 dominierten Wünsche nach Stabilisierung in allen Bereichen, zunächst nach Ruhe und wohl auch nach Vergessen der Gräuel, verstärkt auch nach ‚Wiederaufbau‘ (→ Schmidl, S. 201 ff.). Vermutlich kann man diese Bedürfnisse als ein bemerkenswert einheitliches (alle Parteien und Kirchen, ja jedes Individuum betreffendes) Grundempfinden in dieser Zeit bezeichnen. Was das sekundäre Netz staatlicher Ordnung anbelangt, trifft ein hohes Konsensbedürfnis auch bei den Trägern der republikanischen Institutionen auf die harte Tatsache einer vorgeordneten Rolle der Siegermächte in dem auf vier ‚Besatzungszonen‘ geteilten Österreich. Diese innere Spannung mag auch zum Wunsch nach Selbständigkeit der ‚Republik Österreich‘ beigetragen haben. Anders als in der Ersten Republik bestand ein Wir-Gefühl ohne die heimliche Sehnsucht, sich – trotz Verbots durch die Siegermächte – irgendwann mit Deutschland bzw. einem der entstehenden beiden neuen deutschen Staaten zu vereinen. Die Auswirkungen dieser Konstellation auf die Entwicklung des Kulturlebens sind groß und in ihrer durch Einflüsse von außen ebenso wie durch Rückblenden auf historisch Eigenes gegebenen Vielschichtigkeit noch nicht hinlänglich präzise erforscht. In den vier ‚Zonen‘ wurde zwecks Entnazifizierung intensiv Kulturarbeit geleistet und in eigenen Institutionen der Siegermächte organisiert. So wurde die Musik derart unterschiedlicher, in Nazi-Deutschland ignorierter Komponisten wie Dmitrij Šostakovič oder Benjamin Britten bekannt gemacht und speziell in den westlichen Bundesländern eine schon im frühen 20. Jahrhundert stark von Frankreich her angeregte kunstmusikalische Entwicklung in den USA als eine von Deutschland wenig abhängige Musikkultur breiteren Bevölkerungskreisen nahegebracht. Auch der Jazz mit seinen neuesten Stilen erhielt von hierher Impulse zum Selbertun, wie es die vielen Big-Band-Gründungen bald auch durch Österreicher beweisen. Vor allem aber erfasste ein breites Angebot an amerikanischer, aber auch an englischer und französischer Popularmusik die alltäglichen Hörgewohnheiten. Dies mag der Neugierde auf Fremdes vor allem bei der städtischen Jugend entgegengekommen sein. Andererseits aber richtete sich der Blick zurück auf verdrängte eigene Traditionen. So sehr dies von politischer und staatlicher Seite gefördert wurde, war es der Bevölkerung nicht aufgezwungen, sondern entsprach ihrem Bedürfnis im Sinne des oben skizzierten Zeitempfindens. Die Kirchen waren voll (wie man sich das heute kaum vorstellen kann),
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mit entsprechend breiter Pflege einer überwiegend, auch in der Neukomposition, traditionell orientierten Kirchenmusik. Brauchtum wurde am Land praktiziert und selbst im städtischen Bereich wiederbelebt. Noch deutlicher als die Brauchtumspflege zeigt der Heimatfilm einen nahtlosen Übergang von der ‚Ostmark‘ zum ‚Österreich‘ der Zweiten Republik. Der Musik in diesen Filmen entsprach auch die Welle an volkstümlichen Schlagern. Ganze Bevölkerungsgruppen konnten sich mehr in die eine oder die andere Richtung orientieren. Doch als Individuen lebten die Österreicher in einer wohl bezeichnenden ‚Doppelgesichtigkeit‘. Dazu ein persönliches Wort als Zeitzeuge (in den 1950er Jahren besuchte ich ein Gymnasium in Graz): Auch an mir beobachte ich rückblickend eine übergeordnete ‚Doppelgesichtigkeit‘ zwischen meinen heutigen Ansichten als Historiker und den Erinnerungsbildern. Der Unterschied ist sicherlich einer zwischen ‚reflektiert‘ und ‚naiv erlebend‘, aber innerhalb dieses Erlebens als Gymnasiast gab es einen ständigen Wechsel zwischen denkbar verschiedenen Facetten: zwischen ‚Steirisch Tanzen‘ im Alpenverein und meiner Begeisterung für Bebop, früher Kafka-Lektüre und schmunzelnder Akzeptanz von Heimatfilmen (selbst mit ‚Hannerl‘ Matz), zwischen der Neugierde auf Strawinsky, Šostakovič und Hindemith als Dirigenten in Wien (Hindemith sogar in Leoben), aber gleichzeitig – und trotz viel eigenen Musizierens – einer geringen Kenntnis zeitgenössischer österreichischer Kompositionen. Darin sah ich kein Problem, und wirklich ‚peinlich‘ war es mir auch nicht. Eine besondere Art von ‚Doppelgesichtigkeit‘ bietet aus heutiger Sicht jedoch das Bild der damaligen Komponistenszene (→ Schmidl, S. 195 ff.). Generationsunterschiede verstehen sich von selbst. Die älteren Komponisten (und nicht nur die namhaften) lebten in einer ‚spätromantischen‘ Musikwelt, wie sie seit den 1930er Jahren eher bruchlos bis in ihre Nachkriegsgegenwart reichte. Die junge Generation verhielt sich zum spätromantisch Emphatischen reserviert und blickte, die Kompositionstechnik als eigenen Wert forcierend, auf durchaus ‚un-österreichische‘ Vorbilder einer neu-sachlichen Tradition wie Igor Strawinsky, Paul Hindemith oder Carl Orff. Dann gab es die zweite und eine sich etablierende dritte Generation der Schönberg-Schule. Wirklich experimentiert wurde in diversen Zirkeln von Musikern und Literaten, teilweise auch bildenden Künstlern, die eine andere, ‚wienerische‘ Note voll kritischem ‚Pfiff‘ (wie im Strohkoffer) und, wie sich zeigen sollte, mit großer Zukunft ins Spiel brachten. Der vom Standpunkt adornesker Materialästhetik eigentliche kompositorische ‚Fortschritt‘ vollzog sich nach der Linie Webern – Boulez in den Darmstädter Ferienkursen der 1950er Jahre, bei denen kein Österreicher eine prominente Rolle einnahm. Aber es fuhren etliche junge Komponisten aus Wien nach Darmstadt und kehrten angeregt, doch irgendwie unbefriedigt wieder nach Wien zurück.
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Sicher zu Recht wird immer wieder betont, dass im Kulturleben auf alte Ideale von ‚Österreich‘ und auf den Zustand vor 1938 zurückgegriffen wurde, ja in der Musik manches auch über das Ende des Nazi-Regimes hinaus durchlief. Aber es gibt noch weitere Kuriosa an Kontinuitäten. Bekanntlich ließ das Regime in den okkupierten Gebieten manches an kulturellen Aktivitäten eine Zeit lang zu, was im sog. Altreich nicht mehr möglich gewesen wäre. Unter Reichsstatthalter Arthur Seyß-Inquart gab es in den Niederlanden Mahler- und Hindemith-Aufführungen, in Paris bestanden Pläne, ein Hindemith-Konzert unter Wilhelm Furtwängler zu veranstalten.22 Unter Baldur von Schirach konnte in Wien 1942 eine „Woche zeitgenössischer Musik“ u. a. mit Werken des Alban-Berg-Schülers Hans Erich Apostel und des Schönberg-Schülers Winfried Zillig stattfinden. Die Wiener Jazz-Szene bestand weiter; der Sender Wien des Reichsrundfunks beschäftigte sogar eine Big Band. Nach dem Krieg war Paul Hindemith gerne in Wien tätig, da er nicht nach Deutschland zurückkehren mochte und seine Frau Verwandte in Österreich hatte. Von seinem Musikstil her hatten sich die Nationalsozialisten offensichtlich schwer getan, Musik wie die des Plöner Musiktags (1932) als ‚entartet‘ einzustufen. Kurios war nun die Idee, am 27. Jänner 1943 (Mozarts Geburtstag!) ganz offiziell im Rahmen einer Arbeitstagung der Abteilung Musikerziehung der Reichshochschule für Musik in Wien ein HindemithKonzert zu veranstalten (das sogar in Linz, Hitlers Heimatstadt, einige Monate später wiederholt wurde).23 Der damalige Leiter dieser Abteilung war jener Erich Marckhl, der in der Nachkriegszeit zu einem führenden Organisator des aufstrebenden Musikerziehungswesens in Österreich wurde. Marckhl hielt 1943 einen Vortrag „Probleme zeitgenössischer Musik“ – Hindemith selbst sprach fünf Jahre später im Wiener Konzerthaus über „Probleme eines zeitgenössischen Komponisten“. Solche Details veranschaulichen, sicher besonders pointiert, ein wohl allgemein angestrebtes kulturelles Hinübergleiten von einer zu einer anderen kulturellen, auch politischen Realität. Insgesamt liegt die Annahme auf der Hand, dass das Österreich der frühen Nachkriegszeit die entscheidenden Schritte in eine neue Gegenwart eben nicht setzte und damit Zukunft auf lange Sicht versäumte. Auf der politischen und weltanschaulichen Ebene wurde die notwendige Aufarbeitung der nationalsozialistischen Geschehnisse und Prägungen verdrängt, genauer gesagt, sie verschwanden in der Sehnsucht nach Ruhe und dann in dem ‚Zeitempfinden‘ einer dynamischen ‚Wiederaufbau‘-Gesellschaft. Heute ist dies ein anerkanntes Faktum. Wie sehr und wie weit dieser Befund auch die damalige Musik und das Musikleben mit einbezieht, ist eine nicht so klar zu 22 Fred K. Prieberg, Musik im NS-Staat, Frankfurt am Main 1982, 401 ff. 23 Gernot Gruber, „Zur Hindemith-Rezeption in Österreich seit 1943“, in: Hindemith-Jahrbuch 13 (1984), Mainz u. a. 1985, 143–155.
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beantwortende Frage. Sicher lässt sich argumentieren, die österreichische Musikszene habe die ‚Gegenwart‘ verschlafen. Doch seit den 1970er Jahren hat sich in der Kunstmusik- ebenso wie in der Jazz-Szene Wesentliches in Richtung einer Aufsplitterung gleichrangiger Strömungen verändert. In Anbetracht unserer Gegenwart, in der ein Fortschrittsdogma der Materialästhetik ins Leere zu laufen droht, ‚Avantgarde‘ sich ihrer ideologischen Pointe begibt und in eine unübersichtliche Vielfalt von ,Strömungen‘ verliert, lässt sich auch Anderes behaupten: die ja mehr als doppelgesichtige Aufsplitterung, wie es scheint, heterogener Facetten im Musikleben und -schaffen der Nachkriegszeit sei bereits eine auf unsere aktuelle Situation verweisende ‚Latenz‘Phase gewesen. Sehr bezeichnend für solch ein geändertes ‚Zeitempfinden‘ ist es, wenn Hans Ulrich Gumbrecht in „Latenz“ sogar den „Ursprung der Gegenwart“ sieht.24 Allerdings überspielt er damit einen doch bemerkenswerten Unterschied in den Latenz-Phasen da und dort. Nach 1945 mag vieles unentschieden, eben ‚latent‘, geblieben sein. Aber in der Zeitstimmung einer Sehnsucht nach Ruhe keimte aus der Ungewissheit heraus auch Hoffnung auf Zukunft und Fortschritt. Dagegen herrscht heute eine Ratlosigkeit vor, wie wir aus dem viel beschworenen „Ende der Ideologien der Zukunft“ wieder herausfinden.25
4. Differ enzierung durch Vergleich Zu Beginn wurde bereits auf zwei Probleme für das Projekt insgesamt wie im Einzelnen für die vier historischen ‚Räume‘ als solche und ihre Vergleichbarkeit hingewiesen (weniger bestehen sie für die auf Bildquellen gestützten Vergleiche zwischen ihnen, → Tammen, S. 223 ff.): zum einen, eine Balance zwischen der Pointierung eines jeweiligen Geschehniskerns und der Veranschaulichung der vielfältigen Prozesse innerhalb des zugehörigen ‚Raumes‘ und über seine Grenzen hinaus zu finden – zum anderen, die für die Möglichkeit eines Vergleichs notwendige Wahl von unvermeidlich abstrahierenden Kategorien so anzulegen, dass sie in ihrem Wechselverhältnis zueinander potentiell spannungsreich sind, dabei als Struktur ebenso komplex wie beweglich bleiben, um ein Vergleichen auch auf abstrakterer Ebene als Vorgang ‚lebendig‘ zu halten. Um vor allem das zweite Problem nochmals zu veranschaulichen und in gewisser Weise auch zu bewältigen, sei bei den folgenden Überlegungen gerade mit jenen nur vermeintlich klaren Resümees begonnen, die üblicherweise als Ergebnis am Schluss 24 Hans Ulrich Gumbrecht, Nach 1945. Latenz als Ursprung der Gegenwart, Berlin 2012. 25 Heinz Bude, „Gumbrechts Zeit ohne Sein“, in: Zeitschrift für Ideengeschichte 7 (2013), 115–117.
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stehen. Klarheit wird erreicht, wenn man die vorangehenden Beobachtungen perspektivisch nach ‚Schichten‘ ordnet und in diesen eine sinnvolle Abfolge hervorkehrt. Auszugehen ist vom Latour’schen ‚Netzwerk‘ und den für unseren Gegenstand gewählten drei ‚Netzen‘ (zu weiteren Schichtbildungen s. o.). Mit ihren bezifferbaren Fokussen auf 1430/40, 1740, 1848 und 1945–1956 verlocken die vier ‚Räume‘ dazu, sie unter einer politisch-historischen Perspektive auf eine Linie zu setzen und als einen Entwicklungsbogen in der Geschichte ‚Österreichs‘ zu begreifen: vom Erlangen einer dauerhaften Königs- bzw. dann Kaiserwürde der Habsburger über deren Erhaltensbestrebungen, mit gezieltem Akzent auf den einzelnen habsburgischen Territorien, und weiter über Verunsicherung, Restauration und zunehmenden Machtverlust des österreichischen ‚Kaisertums‘ bis hin zu einem – nicht zuletzt auf Basis eines kulturellen Rückblicks gewonnenen – staatlichen Selbstbewusstsein der auf ehemalige habsburgische (zumal deutschsprachige) Kernländer beschränkten ‚Zweiten Republik Österreich‘. Selbstverständlich ist solch ein Geschichtsbogen plakativ und – für sich genommen – fragwürdig. Dennoch sei ihm eine deutlich andere Ebene nicht weniger plakativ gegenübergestellt: die einer ‚Autonomie‘ der Musik als ‚Kunst‘. Musik, Gesang und Tanz haben einen unbestrittenen Unterhaltungswert. Diese Tätigkeiten können in vielerlei Weise funktionalisiert werden, sie können aber auch sublimiert und im Weiteren zu einem Gegenstand mit eigenen Ansprüchen, einem Wert sui generis geführt werden. Unsere vier ‚Räume‘ bieten da durchaus unterschiedliche Befunde. In ‚Raum I‘ finden sich, allerdings hier mehr im geistlichen als im weltlichen Bereich und der ständischen Gesellschaftsordnung streng entsprechend, deutliche Impulse zur Aufwertung künstlerischen Tuns: in der Performanz und der Komposition, in der Stilisierung und im Sammeln des Verschriftlichten sowie in einer sich bei diesen musikalischen Tätigkeiten ausprägenden Individualität. In ‚Raum II‘ gewinnt ein aus dem höfischen Stilverständnis der musica cubicularis heraustretender, sich ‚top down‘ gesellschaftlich ausbreitender Bereich von ‚Kammermusik‘ einen Wert als sublime musikalische Unterhaltung und besitzt ein großes Zukunftspotential für die Intensivierung künstlerischer Autonomie. In ‚Raum III‘ tendiert die Entwicklung genau in die umgekehrte Richtung – hin zu einer schichtenübergreifenden Funktionalisierung von Musik und weg von ihrer Autonomie und einem als kunstmeditativ bzw. kunstreligiös beschreibbaren Verhalten. In ‚Raum IV‘ wird die Pflege ‚traditioneller‘ Musik als Kunst wie als Brauchtum primär zur nationalen wie regionalen Identitätsbildung eingesetzt. Ihr performativer Eigenwert erblüht innerhalb dieser politischen Vorgaben, weniger im Widerstand gegen sie, oder in Form einer politisch eher neutralen Unterhaltung.
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Diese Facetten musikalischer Autonomie lassen sich nicht auf einen Entwicklungsbogen hin oder in einem klaren Telos zusammenfassen, wohl aber durch die Frage nach dem jeweils Neuen und nach der Herkunft von Anregungen inhaltlich ergänzen. Künstlerisch Neues bringt in ‚Raum I‘ die franko-flämische Vokalpolyphonie, bevorzugt in der Kirchenmusik. In ‚Raum II‘ kommen neue musikstilistische Anregungen überwiegend aus Italien, zunächst vor allem für Kammer- und Theatermusik. In ‚Raum III‘ kann von Neuem am ehesten in der Verkehrung von Traditionen gesprochen werden (von der Serenade zur Katzenmusik). In ‚Raum IV‘ wird das in den 1930er und 1940er Jahren musikalisch Neue vor allem im Blick nach dem europäischen Westen und den USA verzögert nachgeholt; tatsächlich Neues als Avantgarde (Darmstädter Ferienkurse, Serialismus), von außen angeregt, gewinnt nur wenig an Raum. Ein wesentlicher Bestandteil jeglicher Musik ist ihre Ausführung, das Musizieren und Singen. Folglich lassen sich unsere vier ‚Räume‘ in Hinblick darauf differenzierend vergleichen. Der sich daraus ergebende Längsschnitt ist geeignet, die vorhin angesprochene musikalische Autonomie auf historische Kontexte hin zu öffnen und damit ein zentrales Vergleichsfeld zu gewinnen. Doch bekanntlich ist die Erforschung der Aufführungspraxis älterer Zeiten methodisch schwierig und oft nur andeutungsweise möglich. Erst für ‚Raum IV‘ stehen auf Tonträger aufgenommene Musikaufführungen zur Verfügung. Für gewöhnlich sind wir auf Noten, Bildzeugnisse und verbale Beschreibungen angewiesen, deren interpretierendes Verhältnis zum einst tatsächlich Erklungenen nur annähernd zu bestimmen ist. Wie viel gelegentlich doch zu erreichen ist, zeigt das Beispiel des Fauxbourdon (→ R ausch, S. 68 ff.). Doch insgesamt enthalten handschriftliche oder gedruckte Quellen erst seit dem 18. Jahrhundert zunehmend präzisere Angaben über die Besetzung, die gewünschte Ausführung in Tempo, Dynamik, Artikulation, Phrasierung usw. Zwischen einer sehr präzisen Partitur von Max Reger oder Arnold Schönberg und Noten aus der Frühen Neuzeit (die einen geordneten musikalischen Satz als res facta präsentieren, aber darüber hinaus wenig aussagen) bestehen enorme Unterschiede, die in Hinblick auf die jeweilige Performanz der Musik kaum direkt zu vergleichen sind. Günstiger scheint die Situation bei den Bildzeugnissen zu sein – aber nur auf den ersten Blick. Wie vorsichtig man auch hier vorzugehen hat, zeigt die vergleichende Gegenüberstellung von bildlichen Darstellungen singender Knaben: einerseits auf einem Marmorrelief von Luca della Robbia im Florentiner Dom von 1434, andererseits in einer Bronzefigurengruppe des 1948 von der Stadt Wien ausgezeichneten Bildhauers Siegfried Charoux. Eine Beziehung zwischen den beiden Darstellungen hat bereits 1949 der Kunstkritiker Hans Ankwicz-Kleehoven hergestellt, indem er von einer Übersetzung der „Innigkeit Luca della Robbias ins Moderne“ sprach (→
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Tammen, S. 282). Bei jeder derartigen ‚MusikBildIdentität‘ – Analoges ließe sich für die Beschreibung eines Musizieraktes in literarischen Texten sagen – ist davon auszugehen, dass ein Autor dabei bewusst oder unbewusst eine Absicht verfolgt und die Spannung zwischen dem eigenen Metier, aber auch Musik-Erleben in seiner Phantasie austrägt und gemäß seinem kreativen Vermögen gestaltet. Deutlich wird dabei, welche Funktion für die Bildung kollektiver Identitäten einerseits das Marmorrelief für Florenz, andererseits die Bronzefiguren für ein ganz anders geartetes Selbstbewusstsein Wiens in der Nachkriegszeit hatten. Schwierig wird es bei einem Versuch, sich dem Wesen musikalischer Aussagen weiter anzunähern. Beide plastischen Darstellungen geben ein Bild der amicitia junger Sänger. Sie operieren dabei, ungeachtet möglicher Realbezüge auf konkret existierende Institutionen wie Domkantorei oder Sängerknaben, durch verklärende Überhöhung der Realität. Charoux spricht sogar von einer „appearance of spiritual elevation“ (→ Tammen, S. 281). Es besteht also durchaus die Möglichkeit, eine bestimmte ‚Innigkeit‘ über Jahrhunderte hinweg von Kunstwerk zu Kunstwerk zu übertragen. Will man solch eine Einschätzung nicht als unsinnig abtun, muss man die Ebene künstlerischer Phantasie wie auch die „Instanz des Künstlers“ respektieren. Allerdings bleibt da immer noch das Problem bestehen, dass Selbstinterpretationen wohl viel über die Absichten des sich äußernden Künstlers verraten, aber Interpretationen bleiben und keine unverstellte Wesensschau eines Kunstwerks offenbaren. Verbale Aussagen Luca della Robbias zu seinem Relief sind naturgemäß nicht bekannt. Folglich sind darauf zielende Vergleiche nicht oder nur subsidiär durch Hinweise auf einen damals bei Künstlern, Auftraggebern wie Rezipienten gültigen ‚Zeitgeist‘ möglich. Wie komplex ein sogar näherliegender Kunstgegenstand für einen Historiker sein kann, zeigt ein anderes Beispiel: das Sgraffito für den Pausenraum des Krapfenwaldlbades im 19. Wiener Gemeindebezirk, 1960/61 von Hermine Aichenegg geschaffen (→ Tammen, S. 263 ff.). Es zeigt eine Apotheose des Jazz, wird freilich in den Karteien des Kulturamtes unter „Tafelmusik“ geführt. Die Thematik scheint deplatziert zu sein, Schrammelmusik hätte besser an den Ort gepasst. Vermutlich hat sich die Künstlerin hier mit ihren persönlichen Musikvorlieben durchgesetzt. Wie konnte das um 1960 möglich sein? Etwas so Unverbindliches und zugleich Bestimmtes wie persönliche Erinnerungen können vielleicht einen Hinweis geben: Jazz ist heutzutage, auch sozial gesehen, eine Musik für Kenner, damals war es das auch, aber hatte zugleich eine andere Breitenakzeptanz. Wie in meinem Zeitzeugenbekenntnis schon gesagt, bestand kein notwendiger Grund, in solch einem Fall über die Spannung zwischen vermeintlich Eigenem und Fremdem, zwischen Identität und Alterität nachzudenken. Ein lockeres Umgehen mit Unterschiedlichem, aber doch Zeitüblichem könnte auch ins Krapfenwaldlbad hereingespielt haben. Als Argument für eine
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eindeutige Interpretation dieses Sgraffitos taugt meine persönliche Erinnerung kaum; aber sie mahnt immerhin, beim Interpretieren von Kunstgegenständen nicht zu einseitig lediglich auf faktisch Gesichertes an Quellen zuzusteuern. Die synchronen wie diachronen Vergleiche von Bildmotiven lassen erkennen, wie weit man auf diesem Weg Merkmale von Musizierphänomenen thematisieren kann, die sozusagen eine Innenseite von Musik-Erleben, Reflexe von Wesentlichem veranschaulichen. (Das Spektrum an Anschaulichkeit wäre durch eine Parallel-Untersuchung anhand eines Vergleichs literarischer Äußerungen aus unterschiedlichen ‚Räumen‘ zu erweitern gewesen.) Selbstverständlich sind derartige ‚MusikBildIdentitäten‘ mit den übrigen Ergebnissen und Überlegungen zu konfrontieren, um zu sehen, wie sehr diese beiden Schichten konform gehen, Unterschiedliches zum Gesamtspektrum beitragen oder vielleicht doch verallgemeinerbare Ergebnisse erzielen. Erhellend bleibt bzw. bliebe auch für weitere Untersuchungen nur der synchrone wie diachrone Vergleich ganz konkreter Beispiele an konkreten historischen Orten.
5. ‚Fazit der Fazite‘ Anschaulichkeit lässt sich noch von einer anderen Seite her gewinnen, indem man zwei grundlegende Schichten gegeneinander schiebt: jene der politischen Charakteristika in den vier ‚Räumen‘, die sich immerhin zu einem plakativen Geschichtsbogen fügen, und als zweite Schicht ein Streben nach Autonomie und nach Neuem in der Musik. So stellt sich etwa die Frage, wie sehr das Auftreten von musikalisch Neuem mit politischen Vorgaben einhergeht. In ‚Raum I‘ ist die höfische, auch die kirchliche Funktionalisierung stilistisch neuartiger Kunstmusik offenkundig. Aber der sog. franko-flämische Musikstil ist nicht aus in territorialer und/oder kultureller Hinsicht habsburgisch geprägten Ländern hervorgegangen, – er kam aus einem ‚fremden‘ Westen hierher. Von dieser offiziellen Kunstmusikpflege löst sich deutlich die bürgerliche, auch in Sammlungen schriftlich gepflegte Liedpraxis; sie erwächst, auch hierzulande, zunächst aus der Tradition einer mittelalterlichen Adelspraxis des Minnesangs, in der weiteren Folge dann mit zunehmenden Annäherungen an den aktuellen franko-flämischen mehrstimmigen Satz. Ein Streben nach Autonomie äußert sich da wie dort in einem aufblitzenden Künstler-Selbstbewusstsein. In ‚Raum II‘ ist der ‚neue Ton‘ ein auf der Basis der höfisch-aristokratischen Musikpraxis auftretendes Phänomen. Der Wandel zu Neuem in der Musik kommt aus Italien mit seinen vielen habsburgischen Territorien, vor allem aus Neapel, dem Musikzentrum und Impulsspender des ‚neuen Tons‘, das damals ein habsburgisches Vizekönigtum war. Wichtige aufführungspraktische Impulse kommen aus Böhmen, ebenfalls einem habsburgischen
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Territorium. Das Neue in der Musik ist nicht in Wien entstanden, aber auch nicht gleichsam aus der territorialen Fremde hereingeholt worden. Gerade in Hinblick auf die politisch-gesellschaftliche Basis und ihre Weiterentwicklung im Laufe des 18. Jahrhunderts ist die Frage nach einem Zusammenhang mit dem, was nach der ‚Gelenkfunktion‘ der Jahrzehnte um 1740 aus dem ‚neuen‘, kantablen Ton in der Musik hervorging, interessant. Denn sie zwingt zu einer doppelgesichtigen Antwort. Einerseits etabliert sich eine schlicht ‚empfindsame‘ Kantabilität in weltlichem Sololied, Theatergesang und Kirchenlied, andererseits ersteht aus diesem neuen Impuls, zumal bei endgültiger Lösung vom Generalbass-Satz, eine ganz anders gerichtete Entwicklung hin zu den höchsten Kunstansprüchen vor allem in Instrumentalgattungen wie Kammermusik und Symphonik, die wir mit dem Begriff der sog. Wiener Klassik assoziieren. In ‚Raum III‘ dominiert eine weitgehende politisch-gesellschaftliche Funktionalisierung von Musik und Musikleben; Spannungen bewegen sich innerhalb dieser ersten Schicht. Höfisch-aristokratische Tradition sucht auch am musikalisch Überkommenen festzuhalten – sei sie aus hier Geschaffenem hervorgegangen oder eine längst aus Italien übernommene Opernpflege. Die Suche nach Autonomie der Musik ist hier nicht von Politik unabhängig, sondern sucht das dort angestrebte Neue auf durchaus verschiedenen Wegen künstlerisch zu radikalisieren. Der Ausbruch kann so zum musikalischen Eigenwert ohne Chance auf gesellschaftliche Verwertbarkeit werden. Was jedoch beide Schichten vom Ansatz her verbindet, ist eine deutsch-nationale Hoffnung, sublimiert in künstlerischen Interessen zunächst an Schumann und Mendelssohn bis hin zur ‚Neudeutschen Schule‘ Wagners u. a. In ‚Raum IV‘ machen sich ‚Zeitstimmung‘ und die in ihr wurzelnde politisch-gesellschaftliche Verfasstheit Kultur und Musik zunutze. Musikalisch Neues in Relation zur Zeit unmittelbar vor 1945 verdankt sich nicht nur einem eigenen Nachholbedürfnis, sondern auch der Kulturpolitik der ‚Siegermächte‘, die derlei ins Land holen. Eine dagegen aufbegehrende künstlerische ‚Avantgarde‘ im Sinne der als Autonomiestreben beschriebenen zweiten Schicht bleibt marginal. Wenigstens einige der möglichen weiteren Betrachtungsebenen seien noch angesprochen. Omnipräsent in allen vier ‚Räumen‘ ist ein Spannungsverhältnis zwischen Tradition und Neuem, egal, ob man auf Musik, Gesellschaft oder Politik blickt. Das gilt auch für eine zumindest latente Zukunftserwartung, ohne dass diesbezügliche Verallgemeinerungen zu mehr als Trivialitäten führen würden. Etwas mehr an übergreifender Differenzierung bietet die Frage, wie weit man von einem Gegenüber einer für das Neue stets offenen Kunstmusik mit ihrer gesellschaftlichen Verankerung und einer „Volksmusik“ bzw. „Umgangsmusik“ (Heinrich Besseler) sprechen kann. Allerdings ist in der Geschichte der Volksmusik wenig Genaues über das tatsächlich Erklungene zu erkunden, aber es gibt doch ein gewisses Telos in der Entwicklung zu
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unserer Gegenwart hin. Seitdem der Notendruck durch technologische Neuerungen in der Zeit um 1800 eine massenhafte Streuung von Musik ermöglichte, ergab sich eine stratifikatorische Ausweitung von Musik, aber auch eine gesellschaftlich übergreifende Geschmacksstrukturierung von Gebrauchsmusik. Nehmen wir über ‚Raum IV‘ hinaus unsere Gegenwart in den Blick, ergibt sich ein polares Modell, das im Verhältnis zur langen Vorgeschichte in der impliziten Wertung kurios verdreht erscheint: Im Alltagsgebrauch versteht man unter ‚modern‘ die aktuelle Popularmusik und unter ‚classical‘ alles an Kunstmusik Präsente. Dieses Modell hat die in ‚Raum IV‘ noch gültige Unterscheidung von Unterhaltungsmusik und Ernster Musik signifikant abgelöst. Hinter dieser polaren Geschmacksorientierung steckt auch eine schwer zu ortende Menge von gruppenspezifischen gesellschaftlichen Implikationen. Überhaupt scheint, für alle vier ‚Räume‘ gesprochen, die Komplexität musikalischer Funktionen in der Gesellschaft so hoch zu sein, dass daraus noch neue Hinweise auf Differenzierungen im Gesellschaftsbild zu erreichen wären, doch wohl nicht in der Form von Verallgemeinerungen. Omnipräsent ist aber eine Ebene, die sich kaum mit politischen oder gesellschaftlichen Strukturen in einen begründenden Zusammenhang bringen lässt: die der Musiktheorie. Bekanntlich zieht sich deren Geschichte deutlich verfolgbar von der griechischen Antike bis zur Gegenwart durch. Das pythagoräische Modell einer Welt- und auch Kunsterklärung aufgrund eines Denkens in Zahlenproportionen ist in der Theorie der Musik wie auch der Architektur unterschiedlich intensiv, aber zu allen Zeiten vorhanden. Vor allem gilt dies für die Basisfunktion der Musik als ‚Harmonie der Welt‘. Freilich erfolgen bei einer, zunächst sekundären, Orientierung der Musiktheorie auf die konkrete musica practica historisch sehr unterschiedliche Ausrichtungen. Einen besonders starken Zusammenhang von Musik- und Architekturtheorie mit der künstlerischen Praxis, ja selbst in einer Musiklehre nach quadrivialer Tradition an den Universitäten, findet sich in ‚Raum I‘ und der ihr nachfolgenden Renaissance. In ‚Raum II‘ bilden solche Harmoniegedanken einen Überhang aus dem Hochbarock, in ‚Raum III‘ spielen sie keine Rolle (wohl aber noch in der Romantik davor), aber wieder in ‚Raum IV‘. Die tief sitzende Verunsicherung in der Nachkriegszeit mag es bewirkt haben, dass esoterische mathematische Kompositionsmodelle eines Josef Matthias Hauer eine auffällige Anziehungskraft auf Musiker und sogar bildende Künstler ausübten. Kehren wir zu den Gesamtbildern der vier ‚Räume‘ zurück und fragen uns, ob die in allen Beiträgen – wiewohl in unterschiedlichen Gestalten und Zusammenhängen – auftauchenden Irritationen weitreichende Folgen erkennen lassen. Mögliche Beobachtungen wirken willkürlich verstreut, wie etwa: Die zur Zeit von ‚Raum I‘ noch intensive Bezugnahme auf musikalische Phänomene aus England verschwindet, doch wäre es kurios, für ‚Raum IV‘ die durch die ‚Siegermacht‘ Großbritannien in ihren
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Besatzungszonen gepflegte englische Musik mit der Orientierung im 15. Jahrhundert in einen Zusammenhang stellen zu wollen. Schon eher von Interesse ist, dass 1453 mit der Eroberung von Konstantinopel durch die Osmanen die Annäherungsversuche von Ost- und Westkirche wohl ein Ende finden, aber die Musik aus Ost und West gerade in Habsburgisch-Österreich wie dann in der Zweiten Republik durchaus wieder zu wechselseitig anregendem Austausch gelangte. Eine theoretische Musiklehre an den Universitäten, wie sie wiederum in ‚Raum I‘ intensiv gepflegt wurde, verschwindet bis zur Etablierung des Faches Musikwissenschaft zunächst an der Universität Wien als Reaktion auf Impulse aus ‚Raum III‘. Solche weitreichenden ‚Fäden‘ beleben ein offenes, eben nicht abzuschließendes Gesamtbild. Im Laufe dieser Gedankenspiele hat sich der Bezugsrahmen immer mehr verdichtet. Aber es zeichnet sich in diesen Betrachtungsfacetten auch immer mehr ab, dass als ‚Fazit der Fazite‘ nur der nachdrückliche Verweis auf die konkreten, präziseren Erläuterungen in den nachfolgenden Beiträgen stehen kann.
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R aum I: Das Dezennium 1430/40 – eine Zäsur in der Musikgeschichte Österreichs?
1. Chronologie „Anno Domini 1430 incipitur“ – diese Rubrik aus einem Melker Kalendarium1 könnte als Motto über dem nachfolgenden Essay stehen, zugleich aber als Einstieg in die Problematik eines synchronen Einschnitts2 in das Kontinuum der (Musik-)Geschichte dienen und zum Nachdenken über das Zeitbewusstsein von musizierenden Menschen des 15. Jahrhunderts anregen. Die Bedeutung von Kalendarien für Liturgie, Alltag und Geschichte im Mittelalter kann kaum überschätzt werden. Ohne die Berechnung der Osterzeit und der übrigen Festtage wäre vielen Bereichen des Lebens die Grundlage entzogen. Trotz der unleugbaren Relevanz der den liturgischen und Sammelhandschriften häufig vorangestellten Kalendarien für die Zeitgenossen wie für moderne Historiker (als Datierungshilfe) weist diese Textsorte eine räumliche Dimension auf, die sich zur temporalen komplementär verhält. Entscheidend für die Bewertung einer Quelle, für ihren ‚Sitz im Leben‘, sind nicht die zufällig gesetzten Jahreszahlen (wie im erwähnten Kalendarium das Jahr 1430), sondern eher das Koordinatensystem ihrer zyklisch wiederkehrenden Heiligenfeste. Zeitliche oder gar historische Zäsuren werden so überlagert von einem ausbalancierten, hierarchisch abgestuften Netzwerk überkommener, aber auch alternativ wählbarer Festtage (und eventuell deren Oktavfeier). Anders ausgedrückt: Der Kalender als Chronologie wird in einer räumlichen Struktur abgebildet, die besonders im Spätmittelalter ständige Veränderung und Erweiterung erfuhr – bis die systematische Ausdehnung der mit Votivmessen und Sonderoffizien musikalisch zu begehenden Feiern an die Grenzen rein physischer Belastbarkeit der Priester und Konventualen stieß. Die unschuldige Jahresangabe des Beginns einer lokalen Zeitrechnung kann also durchaus eine kirchen- und unter Umständen sogar identitätspolitische Komponente beinhalten. Darüber hinaus wird die durch Rubriken hervorgehobene Struktur der Heiligenfeste in eine longue 1 2
Melk, Stiftsbibliothek, Cod. 873, fol. Cr. Zu Konzeption und Auswahl der sog. Schnittstellen vgl. den Beitrag von Gernot Gruber in diesem Band.
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durée transformiert: Die zeitliche Abfolge der einzelnen liturgischen Festtage tritt in den Hintergrund, während das Gewicht auf der regionalen oder lokalen Färbung liegt. Allerdings sollte in Anbetracht der zahlreichen Ergänzungen und Nachträge, die nicht selten auch historische Ereignisse betreffen, die spatiale Ebene von Zeitmessung und Zeitbewusstsein nicht absolut gesetzt werden, sondern im Sinne eines relativen raum-zeitlichen Verhältnisses gesehen werden. Am Beispiel der Kalendarien und ihrer spezifischen lokalen ‚Fingerabdrücke‘ (genetisch wie rezeptiv) lässt sich die Bedeutung von Offizien für die symbolische Identität von Kollektiven anschaulich beobachten. So scheint im fraglichen Zeitraum die Verehrung des hl. Koloman in Niederösterreich sprunghaft zuzunehmen, wie eine Auswertung von Choralquellen des 15. Jahrhunderts nahelegt.3 Die Identifizierung mit einzelnen Heiligen, Märtyrern und Schutzpatronen begegnet manchmal (sofern dokumentiert) auf personaler Ebene, wobei sich das Individuum selbstverständlich auf Kollektive, die seine Interessen repräsentieren, rückbezieht. Die Wichtigkeit der historischen Zeit als einer Dimension des Raums kommt immer dann ins Spiel, wenn identitätspolitische Maßnahmen gesetzt werden wie – um an drei markante Fälle zu erinnern – die folgenreichen Geschehnisse während des Konstanzer Konzils (1414–1418), die auch die Musikgeschichte tangierenden Beschlüsse des Basiliense (1431–1449) oder die Kanonisierung des hl. Leopold durch Friedrich III. im Jahr 1485 (wobei Leopold Koloman als Landespatron ablöste). Musiktheorie und Zeitmessung, Musik und Astronomie gingen bei mehreren Komponisten (z. B. John Dunstaple, dessen Epitaph das Epitheton „astrorum conscius“ erhielt) und Theoretikern (z. B. Johannes de Muris) eine Verbindung ein. In den Jahrzehnten um und nach 1430 lässt sich sogar eine ‚Wiener Schule der Astronomie‘ mit Johannes von Gmunden und Georg von Peuerbach sowie dessen Schüler Johannes Regiomontanus erkennen.4 Nicht nur Mensuralmusik beruht auf Zählen, Messen und Ordnen, sondern auch so manche Regularien der Melker Reform. Zwar reicht die Entdeckung der ‚gemessenen Zeit‘ mindestens ins 14. Jahrhundert zurück,5 doch geht mit der von Albrecht V. stark geförderten, sich auf benediktinische Ideale besinnenden monastischen Erneuerung nach dem Vorbild von Subiaco auch ein verändertes Zeitgefühl einher. Die sich durch alle wesentlichen Texte der Reform wie ein roter Faden ziehende Vorschrift, es soll die Mittelzäsur beim Psalmodieren beachtet 3 4 5
David Merlin, „O crucifer Cholomanne. Die einstimmigen liturgischen Gesänge zu Ehren des heiligen Koloman“, in: Studien zur Musikwissenschaft 58 (2014), 15–109. Daniel Glowotz, „Johannes Regiomontanus (1436–1476) – Musikanschauung und Weltbild eines Astronomen im 15. Jahrhundert“, in: Kirchenmusikalisches Jahrbuch 89 (2005), 29–46. Frank Hentschel, „Von der gefühlten zur gemessenen Zeit. Die Entstehung der Mensuralmusik und die Erfindung der mechanischen Uhr“, in: Acta Musicologica 86 (2014), 5–30.
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werden, rührt sicherlich von Missständen der täglichen Praxis her, stellt aber zugleich ein wirksames Instrument der Disziplinierung dar.6 Hinsichtlich des Zeitbewusstseins in Mittelalter und Früher Neuzeit hat Reinhart Koselleck die eschatologische Erwartungshaltung als temporales Grundmuster herausgearbeitet und dabei Nikolaus von Kues als prominenten Gewährsmann genannt.7 Der ‚theologischen‘ Zeit, wie man sie nennen könnte, hat Arno Borst (nach Jacques Le Goff) eine lebensweltliche Alternative entgegengestellt: einerseits die stabile „Glocken-Zeit“ der Klöster, andererseits die dynamische „Kaufmannszeit“ der Städte.8 Letztlich erwachsen diese kategorial unterschiedlichen Zeitformen räumlich-sozialen Voraussetzungen, die identitätsrelevante Handlungsmuster schaffen. Diese Zeitformen sollten jedoch nicht verabsolutiert werden. So mochte im Spätmittelalter die „Kaufmannszeit“ mit der „Glocken-Zeit“ konvergieren, wenn mit den unzähligen Votivmessen und Stiftungen im Kontext der Frömmigkeit ein regelrechter Handel betrieben wurde. Die musikhistorische Relevanz einer Epochenschwelle um 1430/40 wird ex posteriori von Johannes Tinctoris in seinem Diktum einer erst seit dieser Zeit existierenden, hörenswerten ‚Musik‘ (im Sinne einer kontrapunktisch ausdifferenzierten Kunst) bestätigt.9 Die impliziten Voraussetzungen dieser die Wechselwirkung von Innovation und Tradition in den Blick nehmenden Aussage weisen auf Zentren und internationale Verflechtungen (besonders der franko-flämischen Region), soziale Diastratik (wechselseitige ‚Durchmischung‘ der Stände, die allerdings bei der Gattung Motette keine funktionale Rolle spielt), Ideengeschichte (Frühhumanismus) und mediale Vermittlung (schriftlich fixierte, sowohl zum Hören bestimmte als auch im Unterricht explizierte Kompositionen). Die Gründe für das Aufblühen der Kompositionen im ‚modernen‘, kontrapunktisch-artifiziellen Sinn sieht Tinctoris einerseits im hartnäckigen Studium („vehementia assiduae exercitationis“), andererseits – mit einiger Ironie – im Vorliegen gewisser astronomischer Konstellationen („virtute cuiusdam caelestis influxus“).10 Wenngleich das Zusammentreffen von Tinctoris’ historisieren6 Dazu Meta Niederkorn-Bruck, Die Melker Reform im Spiegel der Visitationen (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Ergänzungsbd. 30), Wien/München 1994. 7 Reinhart Koselleck, „Vergangene Zukunft der frühen Neuzeit“, in: Ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 757), Frankfurt am Main 1979, 17–37, 24. 8 Arno Borst, „Die historische Zeit bei Abaelard“, in: Ders., Die Welt des Mittelalters. Barbaren, Ketzer und Artisten, München 1988, 170. 9 Iohannes Tinctoris, Liber de arte contrapuncti [1477], hg. von Albert Seay (Corpus Scriptorum de Musica 22/2), [Rom] 1975, 12: „Neque (quod satis admirari nequeo) quippiam compositum nisi citra annos quadraginta extat, quod auditu dignum ab eruditis existimetur.“ [Interpunktion d. Verf.] 10 Ebda.
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der Perspektive mit jener der modernen Musikwissenschaft (etwa eines Heinrich Besseler) verblüfft, sollte der Einschnitt, wie er sich für Tinctoris um 1437 darstellt, nicht überstrapaziert werden: Zu bedenken wäre, dass im Kontext des Prologs neben der Zitierung zahlreicher klassischer Autoren – mit dem Brückenschlag zu den ‚neuen‘ musikalischen Autoren in Gestalt einer „humanistischen Legende“11 – auch die vielschichtige Symbolik der Zahl 40 eine Rolle spielt. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass die sog. Medienrevolution, die durch Gutenbergs Erfindung ausgelöst wurde12 – die Anfänge gehen auf die AachenWallfahrt 1440 zurück – und allmählich auf den durch Ottaviano Petrucci perfektionierten Notendruck überging, für das Repertoire des Späten Mittelalters zu spät einsetzte. Unabhängig davon übten gerade im ausgehenden Mittelalter Instrumente der Zeitmessung eine starke Faszination aus. Aus dem Jahr 1438 datiert ein Sonnenquadrant mit Monduhr aus Elfenbein (heute im Kunsthistorischen Museum Wien), der sich im Besitz Friedrichs V. (III.) befand und mit der bekannten Vokaldevise a e i o u versehen ist. Dieses in späteren Zeiten häufig als Ausdruck imperialistischer Machtansprüche Friedrichs verstandene, in den unterschiedlichsten, oft abstrusen Deutungen aufgelöste Motto wurde sogar von unbekannter Seite auf Albrecht II. bezogen: „Albertus electus imperator, optamus, vivat!“13 Diese Formel spielt auf den Umstand an, dass Albrecht 1438 zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches gewählt worden war, aber bereits im Jahr darauf verstarb, ohne dass es zur Krönung gekommen wäre. In Krisenzeiten liegt es nahe, derartige symbolträchtige Formeln je nach aktueller politischer Lage aufzulösen. So wurde offenbar schon im 15. Jahrhundert die Vokalreihe auf die Ottomanen bezogen, die eine permanente reale Bedrohung darstellten. Eine Friedensprophezeiung für das Jahr 1745 ließ sich aus einem auf Gematrie basierenden Spruch gewinnen, und es fanden sich auch Interpretationen, die für viel spätere Umbrüche wie die Revolution von 1848 eine identitätspolitische Wendung („Austria expergefacta impedimenta omnia vincet“) suchten.14 Welche Argumente lassen sich für die Relevanz einer musikhistorischen ‚Epochenwende‘ um 1430/40 anführen? Brüche in einer kontinuierlichen Entwicklung, wie sie 11 Reinhard Strohm, Guillaume Du Fay, Martin Le Franc und die humanistische Legende der Musik (Hundertzweiundneunzigstes Neujahrsblatt der Allgemeinen Musikgesellschaft Zürich auf das Jahr 2008), Winterthur 2007. 12 Dazu Birgit Lodes, „Musikdruck als Medienrevolution? Das ‚Ereignis‘ Petrucci“, in: Andreas Haug/Andreas Dorschel (Hgg.), Vom Preis des Fortschritts. Gewinn und Verlust in der Musikge schichte (Studien zur Wertungsforschung 49), Wien/London/New York 2008, 161–194. 13 Alphons Lhotsky, „A E I O U. Die ‚Devise‘ Kaiser Friedrichs III. und sein Notizbuch“, in: Mittei lungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 60 (1952), 155–193, 156 und 161 f. 14 Ebda., 162.
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in der Musikgeschichte speziell Italiens konstatiert werden können,15 sind in Zentral europa so nicht gegeben. Will man den Raum auf Gesamteuropa erweitern, scheinen sich bereits die Jahrzehnte vor 1430 als ‚kritisch‘ darzustellen.16 Für Österreich war vor allem das folgende politische Moment maßgeblich: Die kurze Regentschaft König Albrechts II., die 1438/39 zum ersten Mal im Habsburgerreich die deutsche, ungarische und böhmische Krone vereinigte, kann im Rückblick als politischer Neubeginn betrachtet werden. Von der modernen Historie wird Albrecht gar bescheinigt, er hätte „die Möglichkeit des Großreiches im Sinne der späteren Donaumonarchie in der Hand“ gehabt.17 Dass die Epochen von Albrechts Nachfolgern Friedrich III. und Maximilian I. sich weitaus stärker im kollektiven Gedächtnis verankern sollten, lässt sich historisch erklären: mit seiner nur 20 Monate währenden Regentschaft aufgrund seines plötzlichen Todes, mit inneren und äußeren Bedrohungen (Hussiten, Juden, Türken) und infolge dieser mit einer nur geringen Präsenz des Herrschers im Reich und wenigen ‚kulturellen‘ Aktivitäten als Landesfürst. Gewichtige Ausnahmen betreffen die Melker Reform, Stiftungen wie St. Dorothea in Wien, die Errichtung des Collegium Ducale und schließlich die Übernahme der Hofkapelle von Sigismund. Ob diese Aktivitäten nun tatsächlich als partikulare Phänomene zu verstehen sind oder doch als Meilensteine eines nicht zu Ende geführten Programms, einer spezifischen Identitätspolitik, ist schwer zu entscheiden. Jedenfalls scheint eine gewisse Asymmetrie im Vergleich zu den anderen in diesem Band thematisierten ‚Epochenschwellen‘ zu bestehen, was das abrupte Ende des skizzierten Neuansatzes betrifft (vergleichbar am ehesten mit der Situation 1848).
2. Die dr ei R äume der Motette R om a norum
rex
Musikgeschichte mithilfe der kulturwissenschaftlichen Konzepte von Identität und Raum zu schreiben, ist eine relativ neue Methode (→ Gruber, S. 14). Der Verzicht 15 Vgl. Klaus Hortschansky, „Kapitel I: Musikleben“, in: Ludwig Finscher (Hg.), Die Musik des 15. und 16. Jahrhunderts (Neues Handbuch der Musikwissenschaft 3/1), Laaber 1989, 23–128, 37 f. 16 Vgl. hierzu die Sektion „Critical Years in European Musical History 1400–1430“, in: Dragotin Cvetko (Hg.), International Musicological Society. Report of the Tenth Congress Ljubljana 1967, Kassel u. a. 1970, 43–76 [geleitet von Kurt von Fischer, mit Beiträgen von Ursula Günther, Theodor Göllner und Frank Ll. Harrison]. Von den weiteren im Rahmen dieses Kongresses behandelten Epochen stimmt nur eine mit den für den vorliegenden Band gewählten ‚Schnittstellen‘ (→ Gruber, S. 13) überein: 1500–1530, 1640–1660, 1740–1760, 1800–1820 und 1915–1925. 17 Günther Hödl, Albrecht II. Königtum, Reichsregierung und Reichsreform 1438–1439 (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii 3), Wien/ Köln/Graz 1978, 196.
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auf eine stringent konstruierte ‚Erzählung‘ zugunsten von Querschnitten durch das Kontinuum der Geschichte wird sich in umfangreicheren Darstellungen, die über kaleidoskopartige Sammelbände hinausgehen, erst noch bewähren müssen. Immerhin verweist Jason Stoessel auf soziale Handlungen als raumkonstituierende Praktiken (Michel de Certeau), auf die Diskursanalyse (Michel Foucault) oder auf die „politics of location“ in kulturellen Identitäts- und Alteritätszuschreibungen (Stuart Hall).18 In diesem Abschnitt soll der Versuch unternommen werden, verschiedene Raumkonzepte auf ein einziges musikalisches Werk anzuwenden. Indem der Boden traditioneller Musikanalyse ein Stück weit verlassen wird, öffnet sich ein Fenster zu der Verbindung von musikalischer Struktur, Repräsentationskunst und Erinnerungskultur. Mit Albrechts unerwartetem, allzu frühem Tod am 27. Oktober 1439 schien im Reich die Zeit stillzustehen. In diese Zäsur fällt ein Werk, das die Situation poetischmusikalisch benennt und zugleich aufhebt, indem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in christlich-eschatologischer Perspektive aufgehen. Die Motette Romano rum rex sticht durch drei Eigenschaften hervor, die alle räumlich interpretiert werden können: den Erinnerungsraum eines Memorialwerks, den Repräsentationsraum einer Musikermotette und die gleichsam räumliche Struktur einer isorhythmischen Komposition. Textgrundlage ist kein einfacher Prosatext, wie man auf den ersten Blick vermuten könnte,19 sondern ein siebenstrophiges Gedicht mit anspruchsvoller, Endvers und jeweilige Folgezeilen verzahnender und solcherart sich progressiv entfaltender Reimstruktur (siehe Tabelle 1).
18 Jason Stoessel, „Editor’s Introduction“, in: Ders. (Hg.), Identity and Locality in Early European Music, 1028–1740, Farnham 2009, 1–10. 19 So z. B. Rudolf Flotzinger, Geschichte der Musik in Österreich, Graz/Wien/Köln 1988, 61. Vgl. auch Guillaume De Van, „A Recently Discovered Source of Early Fifteenth-Century Polyphonic Music: The Aosta Manuscript“, in: Musica Disciplina 1 (1948), 5–74, 57 f. und Keith E. Mixter in seiner Ausgabe von Johannes Brassart, Sechs Motetten (Musik alter Meister 13), Graz 1960, xi. – Übers. d. Verf.: „Berühmter König der Römer, Albrecht, das Leben der Ehre sei ewig bei dir. Du warst ein vornehmer Fürst, ein gehorsamer, kluger und demütiger Sohn der Kirche. Dich liebte das Volk der Deutschen, der Böhmen und jeder wahre Glaube. Also, Brassart mit Erasmus, Adam, Johannes de Sarto, ebenso Johannes Tirion, Martini und Galer, ihr Sänger, singt rasch Psalmen für Christus, unseren König und höchsten Schöpfer, und bittet seine Mutter, dass sie die Seele des Königs [sc. Albrechts] um seiner Verdienste willen zum Himmel führe auf ewig mit Ehre. Amen.“
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Raum I: 1430/40 Romanorum rex inclite, Alberte, vita glorie tibi sit eternalis.
8a 8a 7b
Fuisti princeps nobilis, parens, prudens et humilis ecclesie filius.
8b 8b 7c
Te diligebat populus Almanicus, Bohemicus ac tota religio.
8c 8c 7d
Ergo Brassart cum Erasmo, Adam serva, Io de Sarto Iohannesque pariter
8d 8d 7e
Tirion, Martin et Galer cantores celeriter psallite Christo regi
8e 7e 7f
nostro summo creatori, supplicando sue matri, ut sua per merita
8f 8f 7g
perducat ad celestia animam cum gloria regis eternaliter. Amen.
8g 7g 7e
A1
I,1
I,2 A2
I,3 I,4
B1
II,1 II,2 II,3
B2 II,4
C1 C2
III,1 III,2 III,3 III,4
REQUIEM. Tab. 1: Text und Reimstruktur der Motette Romanorum rex Die römischen Ziffern beziehen sich auf talea und color des Tenor („Requiem“), die Großbuchstaben auf jene der übrigen Stimmen.
Das damals aktuelle Personal der Hofkapelle scheint aus dem Motettentext rekonstruierbar, wenn auch die betreffenden Strophen einige Rätsel aufgeben. Johannes Brassart20 als Leiter der Kapelle wird an erster Stelle genannt und auch in der musikalischen Gestaltung prominent hervorgehoben (s. u., Notenbeispiel 1). Johannes de 20 Werkausgabe: Johannes Brassart, Opera Omnia, hg. von Keith E. Mixter, 2 Bde. (Corpus Mensurabilis Musicae [CMM] 35/1–2), [Rom] 1965 und 1971.
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Sarto gilt nach derzeitigem Forschungsstand als Komponist, da er als solcher in einem Brief des Humanisten Giovanni del Lago von 1529 erwähnt wird, was die einzige externe Überlieferung zur Autorschaft darstellt.21 De Sarto, über den sonst fast nichts bekannt ist, dürfte als jüngerer Schüler und Mitarbeiter Brassarts gewirkt haben, was die Analyse seiner (wenigen) Werke nahelegt. Aus dieser Konstellation erklären sich die divergierenden Zuschreibungen im Codex Aosta.22 Sartos nachgeordnete Position im Text ergibt sich allerdings auch aus dem Reimschema, d. h., es wäre unvorsichtig, aus den Versen eine Rangfolge abzuleiten. Reinhard Strohms Hypothese, es handle sich um sieben Sänger, von denen die letzten drei Kapellknaben mit demselben Vornamen Johannes seien, ist zuzustimmen. Mit Johannes Tirion kann (schon aus chronologischen Gründen) nicht der Komponist Johannes Tourout gemeint sein.23 Der Sängerknabe Johannes Galer ist vermutlich identisch mit einem Priester und Prediger, der nach 1475 in Krakau und im ungarischen Schemnitz (Selmecbánya) belegt ist.24 Das Wort „serva“ konnte noch nicht schlüssig erklärt werden; der Imperativ von „servare“ wäre unmotiviert.25 Am ehesten kommt ein Name bzw. eine Apposition zu „Adam“ in Betracht. Adam und Erasmus sind Vornamen; für ersteren gibt es mit Adam Hustini de Ora zumindest einen möglichen Kandidaten.26 Dieser studierte im Jahr 1431 an der Universität zu Köln und war 1440–1442 Kantor in der Kapelle Friedrichs V. (III.).27 21 Rob C. Wegman, Born for the Muses. The Life and Masses of Jacob Obrecht, Oxford 1994, 24, Anm. 9. 22 Peter Wright, „Johannes Brassart und Johannes de Sarto“, in: Plainsong and Medieval Music 1 (1992), 41–61. Möglicherweise identisch mit „Johannes Doussart, a cleric of the diocese of Liège who was still alive in 1457“ (Ders., Art. „Sarto, Johannes de“, in: Stanley Sadie [Hg.], The New Grove Dictionary of Music and Musicians, Bd. 22, London 22001, 303). 23 Paweł Gancarczyk, „Johannes Tourout and the Imperial Hofkantorei ca. 1460“, in: Hudební věda 50 (2013), 239–258, 239. 24 Györgyi Poszler, „Selmecbánya and the High Altar of the Church of the Virgin Mary“, in: Mikó Ápardád (Hg.), „Magnificat anima mea Dominum“: M S Mester Vizitáció-Képe és egykori selmecbányai főoltára. The visitation by master M S and his former high altar Selmecbánya, Ausst.-Kat. Magyar Nemzeti Galéria, Budapest 1997, 131 f. 25 Hartmut Krones, „Die Hofkapellen Maximilians I. und die Trauermotetten zu Todesfällen in der kaiserlichen Familie“, in: Klaus Herbers/Nikolas Jaspert (Hgg.), „Das kommt mir spanisch vor“. Eigenes und Fremdes in den deutsch-spanischen Beziehungen des späten Mittelalters (Geschichte und Kultur der Iberischen Welt 1), Münster 2004, 359–382, 364 übersetzt „serva“ mit „gib acht!“ und bezieht es auf de Sarto. 26 Reinhard Strohm, The Rise of European Music, 1380–1500, Cambridge 1993, 182: „Adam Hustini de Ora from Cambrai, who sang in the Habsburg chapel in 1442/3“; vgl. De Van, „A Recently Discovered Source“ (wie Anm. 19), 15, der auf den in Oxford, Bodleian Library, Ms. Canon. misc. 213 auftretenden Komponistennamen „Adam“ hinweist. 27 Gancarczyk, „Johannes Tourout“ (wie Anm. 23), 242, Anm. 13.
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NB 1: Johannes de Sarto, Romanorum rex, M. 61–75 (nach CMM 35/1; wie Anm. 20)
In Z. 15 steht in der Handschrift nicht „psallentes“, wie alle Autoren angeben, sondern der einzig sinnvolle Imperativ „psallite“: Die Sänger werden aufgefordert, durch ihr an Christus gerichtetes musikalisches Gebet der Seele des Königs zum ewigen Heil zu verhelfen, selbstverständlich unter Fürsprache der Gottesmutter Maria. Die topische, aus dem Psalter entlehnte Aufforderung „psallite […] regi nostro“ wird mit jenem „Ergo“ eingeleitet, das als kausales Scharnier zwischen den beiden Teilen der Motette fungiert, wobei die Zäsur auch musikalisch im Wechsel der Mensur deutlich hörbar ist. Wird im ersten Teil der König direkt angesprochen, genauer: sein irdisches Leben und seine Sterblichkeit, so steht im zweiten Teil seine Kapelle im Vordergrund, die gewissermaßen den anderen, unvergänglichen Körper des Herrschers repräsentiert (Notenbeispiel 1). Romanorum rex schreibt sich unspektakulär, aber umso wirkungsmächtiger in die Tradition der Musikermotette ein. Abgesehen davon, dass der Text für die Musikgeschichte des 15. Jahrhunderts ein wichtiges Dokument darstellt, ohne dessen Kenntnis wir über die personelle Zusammensetzung der habsburgischen Hofkapelle noch
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weniger Informationen hätten, als dies ohnehin der Fall ist, wird der seit der Ars nova zu beobachtende Diskurs der musikalischen Selbstrepräsentation in immer neuen und einfallsreicheren Beispielen aktualisiert. Einer der Gründe für diesen Sachverhalt ist sicherlich in der neuen, selbstbewussten Gruppenidentität des Sängerkollektivs zu finden.28 Wenige Jahre davor ist eine in manchen Details (etwa der isorhythmischen Anlage) entfernt vergleichbare, aber zu einem nach heutigem Verständnis gegensätzlichen Anlass komponierte Motette entstanden: Novum cantum melodie von Gilles Binchois für die Taufe von Antonius, Sohn Philipps des Guten und Isabellas von Portugal, am 18. Jänner 1431 in Brüssel. Erwartungsgemäß spielen die Texte auf die Namenspatrone Antonius von Vienne (17. Jänner) und Antonius von Padua (13. Juni), auf die dynastischen Beziehungen, auf die Sänger der burgundischen Kapelle und generell (auch in der musikalischen Euphonie) auf das ‚Neue‘ an.29 Dass isorhythmische Strukturen häufig zu zahlensymbolischen Spekulationen herausfordern, die über kein fundamentum in re verfügen, ist bekannt. Das berühmteste Beispiel dieser Epoche ist wohl Dufays Nuper rosarum flores zur Einweihung des Doms von Florenz (25. März 1436). Mehrere Autoren glaubten in den Proportionen 6:4:2:3 die architektonischen Maße des Grundrisses der Kathedrale zu erkennen, wogegen Craig Wright auch kontextuell argumentierte und die alternative These aufstellte, die Allegorie beziehe sich auf den Tempel Salomons.30 Damit wurde eine territoriale Deutungsvariante (die den Raum lediglich als Behälter betrachtet) durch eine symbolische abgelöst. Darauf Bezug nehmend, gelang einer architekturhistorischen Untersuchung von Marvin Trachtenberg die erstaunliche Synthese der beiden Raumdiskurse.31 Ein anderer Fall betrifft unmittelbar den vorliegenden Raumbefund: In anachronistischer Weise wurde postuliert, dass in die Gedächtnismotette auf Albrecht, Romanorum rex,
28 Zu ikonographischen Konsequenzen vgl. Björn R. Tammen, „Anverwandlungen vokaler Mehrstimmigkeit im Bild und durch das Bild: Fallbeispiele aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts“, in: Alexander R ausch/Ders. (Hgg.), Musikalische Repertoires in Zentraleuropa (1420–1450). Prozes se & Praktiken (Wiener Musikwissenschaftliche Beiträge 26), Wien/Köln/Weimar 2014, 227–249; Open-Access-Parallelveröffentlichung: bzw. , 02.09.2020. 29 Zum Text siehe Andrew Kirkman/Philip Weller, „Binchois’s Texts“, in: Music & Letters 77 (1996), 566–596, 585 ff. 30 Craig Wright, „Dufay’s Nuper rosarum flores, King Solomon’s Temple, and the Veneration of the Virgin“, in: Journal of the American Musicological Society 47 (1994), 395–441. 31 Marvin Trachtenberg, „Architecture and Music Reunited: A New Reading of Dufay’s Nuper Rosarum Flores and the Cathedral of Florence“, in: Renaissance Quarterly 54 (2001), 740–775. Vgl. Nina Noeske, „Musikwissenschaft“, in: Stephan Güntzel (Hg.), Raumwissenschaften (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1891), Frankfurt am Main 2009, 259–273, 262.
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dessen Todesjahr 1439 hineinkomponiert worden sei.32 Im Umkehrschluss würde das bedeuten: Wäre der König zufällig in einem anderen Jahr verstorben, so hätte die Motette eine andere Architektur erhalten – spielt auch die Musikgeschichte (wie Stefan Zweig es von der Geschichte behauptete33) manchmal mit Zahlen? Musikalische Repräsentation vollzieht sich in der Frühen Neuzeit nicht nur auf einer semiotischen oder symbolischen, sondern auch auf einer rituell-körperlichen Ebene. Beide Aspekte – rituelle Repräsentation und symbolische Raumbezüge – finden sich in der Trauermotette Romanorum rex paradigmatisch verwirklicht. Nach etwa 1420 steht die künstlerisch-musikalische Repräsentation des Auftraggebers bzw. die Legitimation des Herrschers auf einer neuen ‚frühmodernen‘ Stufe; das musikalische Kunstwerk wird in dieser Funktion, aber zugleich als ästhetische Erfahrung neu definiert. In der erwähnten Motette fallen gleich mehrere Instanzen zusammen, insofern die einzelnen Kapellmitglieder, die durch Albrechts Tod unerwartet ihr Zentrum (caput) verlieren, sich selbst nennen, und zwar nicht nur in einem selbstrepräsentierenden und selbstdeutenden Verständnis,34 sondern zugleich in einem performativen Akt, der von der modernen Musikforschung höchstens im rein biographischen Sinn diskutiert worden ist. Auffälligstes Zeichen für die heutige Musikgeschichtsschreibung ist die Übernahme (von Sigismund) bzw. Neukonstituierung (unter Friedrich III.) eines höfischen Musikerensembles zu Repräsentationszwecken. Eine kaiserliche Hof(musik) kapelle bereits für diese Epoche als eine der Säulen des Hauses Österreich zu hypostasieren, wäre – bei allen Indizien, die dafür zu sprechen scheinen – eine Überinterpretation der eher spärlichen Dokumente, die offensichtliche Lücken eben nicht zur Kenntnis nimmt. Gerade in diesem Kernbereich ist die Aussagekraft der Quellen begrenzt; die unterschiedlichen Interpretationen des Personals, wie es in der Trauermotette Romanorum rex aufgezählt wird, zeigen dies deutlich. Außerdem gilt der Grundsatz „ubi rex, ibi capella“ auch noch für Friedrich.35 Andererseits scheint 32 Krones, „Hofkapellen“ (wie Anm. 25), 361–368. Abgesehen vom methodischen Grundproblem, derlei Zahlenspielerei als intentional beweisen zu können, wäre zu fragen, ob für den mittelalterlichen Menschen nicht der Sterbetag entscheidender war als das Todesjahr. Die Zahlen 27 (3 × 3 × 3) und 10 lassen sich jedenfalls in der Motette ebenso auffinden. 33 Stefan Zweig, Sternstunden der Menschheit, Wiesbaden 2013 [Stockholm 1943], 57, in Anspielung auf die Jahre 1453 und 453. 34 Zu diesem doppelten Verständnis von Repräsentation in der mittelalterlichen Kultur und speziell Dichtung vgl. Horst Wenzel, Hören und Sehen, Schrift und Bild. Kultur und Gedächtnis im Mittel alter, München 1995. 35 Paul-Joachim Heinig, „Musik und Medizin am Hof Kaiser Friedrichs III. (1440–1493). Studien zum Personal der deutschen Herrscher im 15. Jahrhundert“, in: Zeitschrift für Historische Forschung 16 (1989), 151–181, 160, Anm. 40.
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der am friderizianischen Hof belegte Ausdruck „capella nostra“ eindeutig auf eine „Wir-Identität“ (im Pluralis Majestatis) zu verweisen, in einem ähnlichen Sinn wie schon bei Karl dem Großen und seiner Hofkapelle.36 Die Rolle der Musik als ‚RePräsentation‘ in zweifacher Funktion kommt übrigens in einem Brief Albrechts vom 26. März 1438 an die Stadt Ödenburg (heute Sopron) zum Ausdruck, wo die Hofkapelle als „decor curie nostre et augmentum divini cultus“ bezeichnet wird. Die Stelle lautet im Zusammenhang:37 Quia iam Deo volente iter nostrum arripere disponimus ad regnum nostrum Bohemie, ubi nos ex disposicione domini nostri imperatoris benedicte memorie [sc. Kaiser Sigismund] et eciam propter disturbia, que iam de novo insurgunt, celeriter esse oportebit et quia eciam disposuimus, ut cantores nostri cum maiestate nostra procedant, ne capella regia, que est decor curie nostre et augmentum divini cultus, quomodolibet negligatur, idcirco eis pro expensis ordinavimus et disposuimus tricentos florenos auri […].
Johannes Brassart ist nicht nur aufgrund seines kontinuierlichen Wirkens als rector capelle, sondern auch als damals angesehener Komponist bemerkenswert, der lokales Repertoire rezipierte: Crist ist erstanden38 oder Regina celi letare39 sind eindrucksvolle Beispiele für eine Praxis, die räumliche Grenzen zwanglos überschreitet (Notenbeispiel 2). Obwohl andere, anonyme Vertonungen des Osterliedes im St.-EmmeramCodex dem Vergleich mit Brassarts flexibler imitatorischer Textur nicht standhalten, 36 Vgl. Hartmut Möller, „Institutionen, Musikleben, Musiktheorie“, in: Ders./Rudolf Stephan (Hgg.), Die Musik des Mittelalters (Neues Handbuch der Musikwissenschaft 2), Laaber 1991, 129– 199, 134. Diesen Hinweis verdanke ich Gernot Gruber (Wien). 37 Zitiert nach Benjamin R ajeczky, „Das Musikleben der Renaissance in Ungarn“, in: Matthias Cor vinus und die Renaissance in Ungarn 1458–1541, Ausst.-Kat. Schallaburg, hg. vom Amt der Niederösterreichischen Landesregierung (Kataloge des Niederösterreichischen Landesmuseums, N. F. 118), Wien 1982, 113–119, 115. Dieses Zitat wird von Heinig, „Musik und Medizin“ (wie Anm. 35), 157 irrtümlicherweise auf den Kantor Nikolaus Pető statt auf die Kapelle insgesamt bezogen. Die Urkunde bei: Jenő Házi (Hg.), Sopron szabad királyi város története. 1. rész.–3. kötet, oklevelek és levelek 1430-tól 1452-ig, Sopron 1924, 160 (Nr. 197). – Übers. d. Verf.: „Weil wir nun nach Gottes Willen beschlossen haben, unsere Reise zu unserem Königreich Böhmen in Angriff zu nehmen, wo wir gemäß der Anordnung unseres Herrn, des Kaisers [Sigismund] seligen Angedenkens, und auch aufgrund der Aufstände, die sich kürzlich wieder erheben, rasch werden handeln müssen, und weil wir auch verfügt haben, dass unsere Sänger gemeinsam mit unserer Majestät vorangehen, und damit nicht die königliche Kapelle, die die Zierde unseres Hofes und die Überhöhung des Gottesdienstes ist, auf irgendeine Weise vernachlässigt wird, setzten wir für sie als Ausgaben 300 fl in Gold fest […].“ 38 St. Emmeram-Codex, München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 14274, fol. 145r. 39 Dreistimmig mit Tropus, unikal überliefert in Trient 87 (Castello del Buonconsiglio, Monumenti e Collezioni Provinciali, Cod. 1374), fol. 197r–198r.
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NB 2: Johannes Brassart, Regina celi letare mit Tropus Alle Domine nate (Satz: Alexander Rausch)
öffnen sie erst den Raum für diese. Charles Brewer hält es für wahrscheinlich, dass Brassart den Tropus zu Regina celi letare gemeinsam mit der Melodie erst nach seiner Anstellung in der königlichen Kapelle kennenlernte, woraus sich für dieses Stück 1434 als Terminus post quem ergäbe.40
3. R epr äsentation a m Beispiel des Te D eum
l auda mus
In letzter Zeit wurde vermehrt die Frage gestellt, „welche Musiken in welcher Weise und aufgrund welcher ihrer Eigenschaften zur Herrschaftslegitimation sich eignen, 40 Charles E. Brewer, „Regina celi letare / Alle- Domine: From Medieval Trope to Renaissance Tune“, in: László Dobszay u. a. (Hgg.), IMS Study Group Cantus Planus. Papers Read at the Third Meeting Tihany, Hungary, 19–24 September 1988, Budapest 1990, 431–448, 444.
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oder zu den Bemühungen gesellschaftlicher Macht um Legitimation ihren Beitrag zu leisten vermögen“.41 Als paradigmatisches Beispiel hierfür bietet sich der ambrosianische Lobgesang, das Te Deum laudamus, an. Boris Voigts Überlegungen gehen aus von der von Max Weber getroffenen Unterscheidung zwischen dem amorphen Charakter der Macht einerseits und der wissenschaftlich fassbaren Kategorie der Herrschaft andererseits. Letztere sei an Legitimierung gebunden und bedürfe der Selbstrechtfertigung. Es lässt sich ergänzen: Repräsentationen schließen Prozesse der Selbstdeutung mit ein. In jenem sozial sinnhaften Rahmen, den Herrschaftsformen stiften, bilden Werte, etwa christliche, den ideellen Bezugspunkt des Handelns. Als Beispiel für einen Machtkampf um dieselbe Herrschaftsidee nennt Voigt das Große Abendländische Schisma von 1378–1417: Bei der Spaltung der katholischen Kirche ging es letztlich um die ‚Lesbarkeit‘ von Herrschaft42 und (wie ich angesichts der folgenden Textpassagen hinzufügen möchte) um deren ‚Hörbarkeit‘. Während des Konzils von Konstanz stellte der ambrosianische Lobgesang eine unverzichtbare Begleitmusik dar.43 Im Jahr 1417 veranlasste Herzog Albrecht V. in Wien die Aufführung eines Te Deum anlässlich der Wahl Papst Martins V. durch die Konzilsväter. Damit wurde das langjährige Schisma beendet und die Einheit der Kirche wiederhergestellt, somit Herrschaft wieder monopolisiert, wenn auch unter veränderten Vorzeichen. Hierzu berichtet Nikolaus von Dinkelsbühl in einer Predigt:44 Ydeo tanta fuit fidelium exultacio, quod quasi per modum iubili in una ecclesia simul in octo locis cantabatur Te deum laudamus humanis vocibus iuncto omni genere musicalium instrumentorum. 41 Boris Voigt, Memoria – Macht – Musik. Eine politische Ökonomie der Musik in vormodernen Gesell schaften (Musiksoziologie 16), Kassel u. a. 2008, 15. 42 Um die Vorherrschaft rangen Päpste mit Gegenpäpsten, das Konzil mit dem Papst (Konziliarismus), Franzosen mit Italienern, und zwischen diesen Parteien die Könige und Fürsten des Deutschen Reichs. 43 Vgl. Elisabeth Vavra, „‚Te deum laudamus‘. Kirchliche Feiern zur Zeit des Konstanzer Konzils (1414–1418)“, in: Uwe Schultz (Hg.), Das Fest. Eine Kulturgeschichte von der Antike bis zur Gegen wart, München 1988, 127–139. 44 G[ustav] Sommerfeldt, „Zwei Sermone des Heinrich von Oyta und des Nikolaus von Dinkelsbühl (1388 und 1417)“, in: Historisches Jahrbuch 26 (1905), 318–327, 324; zitiert nach Joachim F. Angerer, „Die Begriffe ‚discantus, organa‘ und ‚scolares‘ in reformgeschichtlichen Urkunden des 15. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Pflege der Mehrstimmigkeit in den Benediktinerklöstern des österreichischsüddeutschen Raumes“, in: Anzeiger der philosphisch-historischen Klasse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 109 (1972), Nr. 16 (Mitteilungen der Kommission für Musikforschung 22), Wien 1973, 146–170, 148, Anm. 6. – Übers. d. Verf.: „Daher war die Freude der Gläubigen so groß, dass das Te deum laudamus gleichsam in der Weise eines Jubilus in einer einzigen Kirche gleichzeitig an acht Orten gesungen wurde, wobei den menschlichen Stimmen jede Art von Musikinstrumenten beigemengt war.“
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Joachim Angerers anachronistische Beschreibung „mit Chor und Orchester in mehreren Kirchen“45 wäre zu modifizieren. Das gleichzeitige Erklingen des Hymnus an acht Orten in einer einzigen, d. h. einigen Kirche erinnert an eine viel- und doch einstimmige Glossolalie.46 Die Formulierung „quasi per modum iubili“ spielt auf das Alleluia der Engel an. Auch sonst scheint dieser Bericht idealisiert, insofern die Schauplätze nicht näher bezeichnet werden (im Gegensatz zu den folgenden Belegstellen, in denen konkrete Orte im Mittelpunkt stehen). Es geht anscheinend in erster Linie um die wiedererlangte Einheit der römisch-katholischen Kirche als Institution. Was hier in Worte gefasst wird, ist nach Christian Kadens Formulierung eine „Heiligung von unten nach oben“: „Den Mechanismus aber für die Erhöhung des Diesseitigen liefert Repräsentationsverhalten, Repräsentation als Sozialisierungsweise.“47 Das zweite bedeutende kirchengeschichtliche Ereignis des 15. Jahrhunderts war das Konzil von Basel. Am 15. Dezember 1433 wurde diese Synode vom damaligen Papst Eugen IV. nach anfänglichem Widerstand anerkannt. Der Tegernseer Abgesandte Ulrich Stöckl berichtet von den anschließenden Feiern: „Completa sessione totum concilium una et alta voce incepit decantare canticum leticie Te deum lauda mus, continuando alternatim in organis et vocibus […].“48 Das musikalisch durchaus anspruchsvolle una-voce-Singen impliziert neben berechtigter Freude („canticum leticie“) über den Erfolg des Konziliarismus auch Disziplin49 und Triumph (als „de facto akklamatorische Zustimmung“50); die Orgel gilt traditionell als repräsentatives Instrument. Unter den weiteren Anlässen, mit denen in Basel dieser Gesang im Rahmen von Feiern gesungen wurde, sei der Sieg über die Hussiten hervorgehoben (8. Juni 1434):51 45 Angerer, „Die Begriffe ‚discantus, organa‘ und ‚scolares‘“ (wie Anm. 44), 148. 46 Für diese und weitere Beobachtungen danke ich Björn R. Tammen (Wien). 47 Christian K aden, Das Unerhörte und das Unhörbare. Was Musik ist, was Musik sein kann, Kassel u. a. 2004, 169. 48 Johannes Haller, Concilium Basiliense, Bd. 1: Studien und Dokumente zur Geschichte der Jahre 1431–1437, Basel 1896, 77; zit. nach Joachim F. Angerer, Die liturgisch-musikalische Erneuerung der Melker Reform. Studien zur Erforschung der Musikpraxis in den Benediktinerklöstern des 15. Jahr hunderts (Veröffentlichungen der Kommission für Musikforschung 15; Sitzungsberichte der philosophisch-historischen Klasse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 287,5), Wien 1974, 110. – Übers. d. Verf.: „Nach Abschluss der Sitzung begann das gesamte Konzil einstimmig und laut den Gesang der Freude Te deum laudamus zu singen, um abwechselnd auf der Orgel und mit Singstimmen fortzusetzen […]“. 49 Vgl. K atherine Bergeron, „A Lifetime of Chants“, in: Dies./Philip V. Bohlman (Hgg.), Dis ciplining Music. Musicology and Its Canons, Chicago/London 1992, 182–196. 50 Albert Gerhards/Friedrich Lurz, Art. „Te deum laudamus“, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 9, Freiburg u. a. 32000, 1306–1308, 1307 f. 51 Zitiert nach Anja R athmann-Lutz, „Liturgische Räume zwischen Stadt und Konzil“, in: Mat-
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Die martis octava iunii propter felicissima nova de victoria, quam habuerunt barones et no biles regni Bohemie noviter conversi contra Hussitas, fuit processio generalis per civitatem Basiliensem, post cuius processionem fuit decantatum ‚Te Deum laudamus‘, deinde celebrata missa sollemnis per dominum episcopum Constanciensem. Et missa durante prior conventus Predicatorum Basiliensium fecit extra ecclesiam sermonem ad populum in vulgari etc.
Am 4. Jänner 1438 trifft in Wien die Nachricht von der Krönung Herzog Albrechts V. zum König von Ungarn ein, was mit einer Aufführung des Te Deum mit Trompeten, Pauken und zwei Orgeln nach der Vesper gefeiert wird, unter Beteiligung von Universitätsangehörigen:52 Und darnach am samcztag, do komen die mär gen Wien, wie der kunig gekront wär, da prennat man feur an allen pläczen und man sang Te Deum laudamus nach der Vesper mit trumetten und paukken mit zwain argelen und dapei was die gancz Universitet und am abent da czünttat man freudenfeur und man hieng die hincz dem neun turen heraus und am suntag da gieng man mit den heiligtum umb, als man get am achtisten tag Gotsleichnams über den Graben und über den Hohenmarkcht von allen klöstern.
Die im letzten Zitat relativ ausführlich beschriebenen Feierlichkeiten stellen über den konkreten Anlass hinaus den Auftakt für die langfristige memoria einer kurzlebigen Regentschaft dar.
4. A lbr echts
me mor i a
Die Vorgeschichte beginnt schon etwas früher: Für die memoria Albrechts kam dem in Wien auf Betreiben von Andreas Plank 1414 gegründeten Augustiner Chorherrenstift St. Dorothea eine Schlüsselrolle zu. Einige Codices aus dem Dorotheerstift enthalten entsprechende Eintragungen. Die aussagekräftigste Stelle sei im Folgenden zitiert:53 teo Nanni (Hg.), Music and Culture in the Age of the Council of Basel (Épitome musical), Turnhout 2013, 285–301, 298 f. – Übers. d. Verf.: „Am Dienstag, dem 8. Juni fand aus Anlass der glücklichen Nachrichten über den Sieg, den die vor kurzem gegen die Hussiten vereinigten Barone und Adeligen des böhmischen Reiches errungen haben, eine allgemeine Prozession durch die Stadt Basel statt; nach diesem Umgang wurde das Te Deum laudamus abgesungen und danach eine feierliche Messe durch den Bischof von Konstanz zelebriert. Und während der Messe hielt der Prior des Dominikanerkonvents von Basel außerhalb der Kirche eine Predigt in deutscher Sprache an das Volk.“ 52 K arl Uhlirz, „Zur Kunde österreichischer Geschichtsquellen“, in: Festgaben zu Ehren Max Büdinger’s von seinen Freunden und Schülern, Innsbruck 1898, 311–330, 330. 53 Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 1349. Die Eintragung befindet sich auf dem Vorder-
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Hunc librum testatus est Monasterio sancte dorothee virginis dominus Michael plebanus in Pölau Canonicus in Sancto stephano hic wienne et singularis cappellanus domini Regis romanorum etc. monasterii nostri prenominati fundatoris, quem in langendorf ungarie constitutum et in extremis laborantem sacramentis ecclesiasticis procuravit Anno domini mo cccco Tricesimo nono, idcirco fratres Karissimi orate dominum deum benedictum et gloriosum pro animabus amborum. Sciunt eciam fratres mei dilecti quod prescriptus Rex romanorum fuit dominus Albertus quintus Illustris Princeps Austrie et postea factus eciam Rex Hungarie ac Bohemie.
Auch zwei Lieder auf Albrecht – beide ohne Melodie überliefert – thematisieren Episoden aus seinem Leben, wie die gespannten Beziehungen zu den böhmischen Landständen und den Hussiten:54 Der sitich konig Albrecht das blüende reis, seine edle frawe die taube weiß, der adeler der keiser, got geb em preis, seine hausfrau die kro, die wolde den konig brengen in swere. Behemen bedeut uns der wald, die hern die vögele jung und ald, die den konig brochten hen ken Behemen bald. Das parlas wünschte den Hussen Radelere.
Im Wiener Codex 5153 ist ein mehrstrophiges Lied über Albrecht und die Ungarn überliefert, dessen Hauptteil noch zu Lebzeiten des Königs entstand und nach seinem Tod um die folgenden Schlussstrophen erweitert wurde:55
deckel und datiert nach paläographischem Befund aus dem späteren 15. Jahrhundert. Zeitgenössische Besitzvermerke auch auf fol. 11r und 357v: „Iste liber est monasterii s. dorothee in wienna“. Vgl. das Gesamtinventar bei Edith Madas, „Die in der Österreichischen Nationalbibliothek erhaltenen Handschriften des ehemaligen Augustiner-Chorherrenstiftes St. Dorothea in Wien“, in: Codices Ma nuscripti 8 (1982), 81–110. Cod. 1349 beinhaltet die Sermones des Lucas de Bitonto (mit Glossen). 54 Rochus von Liliencron (Bearb.), Die historischen Volkslieder der Deutschen vom 13. bis 16. Jahr hundert, Bd. 1, Leipzig 1865, 364–370 (Nr. 74). Vgl. zur Thematik das 2011–2016 am Institut für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften durchgeführte FWF-Projekt Albrecht II. – Herrschaft im Angesicht hussitischer Wagenburgen. Der österreichische Herzog und römi sche König Albrecht V. (II.) in den Böhmischen Ländern (1421–1439), Leitung: Petr Elbel, , 02.09.2020. 55 Liliencron, Volkslieder (wie Anm. 54), 367–371 (Nr. 75).
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Nach der red starb der chunig pald, die Ungern hetn zů im gewald, got waiß auch, wem man die schuld scholl geben! Zům Langndarf [sc. Langendorf, Neszmély] lag der chunig tot, do hůb sich große chlag und not um chunig Albrechtn, daß er verlos sein leben. An seinem End hat er gesprochn: „hietens mir mein herz abgestochn, so schuldig seind di Unger an meim sterben!“ Und hat der chunig also geredt, so wirt doch weder end noch wett, das Ungerland můß ser darumb verderben! Si fůrtn in toten hin gen Rab, darnach gen Weißenburg hinab, ellendiglich ward er also pegraben; man opphert im harnsch noch di roß, etleicher chlage was nicht groß, doch maniger macht das wainen nit verhaben. Den chunig lobnt all christenland, di Unger tetn im schmach und schand, er ist gestorben in der Unger handen, singt Chiphenwerger, der diener sein, zů lob im und der chunigein, zů ainer urchund gmain in deutschen landen.
Die im engeren Sinne musikhistorische Bedeutung dieses Lieds ergibt sich aus der zufälligen Nennung seines Autors, der sich als Diener Albrechts zu erkennen gibt, eines sonst nicht näher bekannten Kipfenberger.56 Kulturelle Repräsentation (etwa durch eine Hofkapelle) und Gedächtnispflege (wie in den zitierten Liedern) wurden umso wichtiger, je mehr der realpolitische Einfluss des Herrschers an Bedeutung verlor: „Der König konnte im 15. Jahrhundert das 56 Vgl. Hermann Menhardt, Verzeichnis der altdeutschen literarischen Handschriften der Österreichi schen Nationalbibliothek (Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Sprache und Literatur 13), Bd. 2, Berlin 1961, 1098–1100, 1099.
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Reich schließlich nicht mehr allein vertreten, sondern die Repräsentation und die Regierungsbefugnisse gingen im Grunde auf die Gesamtheit der Träger von Herrschaftsgewalt über.“57
5. Das Er be Sigismunds von Lu x emburg Mit noch stärkerer Berechtigung als sein Schwiegersohn Albrecht kann Kaiser Sigismund als „Herrscher an der Schwelle der Neuzeit“58 charakterisiert werden. Guillaume Dufays Motette Supremum est mortalibus wird in musikgeschichtlichen Darstellungen regelmäßig genannt, wirft aber immer noch offene Fragen auf. Anlass für den Auftrag war offenbar der am 21. April 1433 geschlossene Friede von Viterbo, die politische Versöhnung zwischen König und Papst. Darüber hinaus kommen weitere politische Ereignisse in Betracht: die Kaiserkrönung Sigismunds in Rom (31. Mai 1433) oder auch schon die Begegnung zwischen Papst Eugen IV. und dem deutschen König am 21. Mai desselben Jahres. Aufgrund der Friedensthematik erscheint eine Aufführung dieser Motette auch bei anderen Gelegenheiten denkbar.59 Das sinnfälligste musikalische Ereignis dieses Werkes ist die Anrufung der beiden Protagonisten in Form eines Noema, mit Fermaten über den Worten „Eugenius et rex Sigismundus“; ihnen geht ein längeres Melisma über „(pontifex) aeternus“ voraus (Notenbeispiel 3). Nicht allein aus dem Notenbild, sondern auch in heutigen Aufführungen und Aufnahmen begegnen uns die Namen der beiden Herrscher wie in Stein gemeißelt. Den Zeitgenossen dürfte angesichts der auszeichnenden Verzierungen (Fermaten als „coronae“), die heute nicht mehr Bestandteil der Aufführungspraxis sind, eher der Vergleich mit Kirchenfenstern in den Sinn gekommen sein, deren Mosaike unversehrt bleiben, wenn das Licht hindurchscheint. Es ist wohl kein Zufall, dass im selben Jahr Johannes Brassart von der päpstlichen Kapelle zu Sigismund wechselte (wobei die Vermittlung über das Konzil von Basel gelaufen sein dürfte). Diese Anstellung, die – später unter Friedrich V. (III.) – bis 1455 währen sollte, bildete einen Wendepunkt in Brassarts Biographie, da er als Leiter einer wenn auch vorläufig der päpstlichen noch kaum vergleichbaren Kapelle aus dem Schatten seines Kollegen Dufay heraustrat.
57 Hödl, Albrecht II. (wie Anm. 17), 194. 58 Jörg K. Hoensch, Kaiser Sigismund. Herrscher an der Schwelle der Neuzeit, München 1996. 59 Peter Gülke, Guillaume Du Fay. Musik des 15. Jahrhunderts, Stuttgart/Weimar/Kassel u. a. 1993, 163.
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NB 3: Guillaume Dufay, Supremum est mortalibus, M. 107 ff. (nach: Guillelmi Dufay Opera Omnia, hg. von Heinrich Bessseler, Bd. 1: Motetti [Corpus Mensurabilis Musicae I/1], Rom 1966, Nr. 14)
Sigismund verstand es, seine politischen Interessen durch geschicktes Taktieren und Inszenierungen durchzusetzen.60 Er engagierte sich im Jahr 1434 auf dem Basler Konzil für die Union der griechischen und römischen Kirche, die von byzantinischer Seite gefordert worden war, was von der byzantinischen Biographik entsprechend gewürdigt wurde.61 Diese Politik wurde von Albrecht allerdings nicht weiterverfolgt. Auf dem musikalischen Repertoire des Luxemburgers konnte hingegen aufgebaut werden, was angesichts der eingangs erörterten liturgischen Raumzeit nicht weiter überrascht. Ein prominentes Beispiel dafür sind die mehrstimmigen Introiten Brassarts, von denen schon mehrfach vermutet wurde, dass sie nicht in seiner Lütticher 60 Gerrit Jasper Schenk, „Von den Socken. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte der Politik am Beispiel des Einzugs König Sigismunds zum Konzil in Basel 1433“, in: K arel Hruza/Alexandra K aar (Hgg.), Kaiser Sigismund. Zur Herrschaftspraxis eines europäischen Monarchen (1368–1437) (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters 31), Wien u. a. 2012, 385–410. 61 Ekaterini Mitsiou, „Vier byzantinische rhetorische Texte auf westliche Herrscher“, in: Dies. u. a. (Hgg.), Emperor Sigismund and the Orthodox World (Veröffentlichungen zur Byzanzforschung 24), Wien 2010, 27–39.
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NB 4: Johannes Brassart, Spiritus domini replevit, M. 1–15 (nach CMM 35/1; wie Anm. 20)
Zeit, sondern am kaiserlichen Hof entstanden.62 Auch die Zusammenarbeit mit de Sarto, die sich aus der Überlieferungssituation der Introiten im Codex Aosta ablesen lässt,63 wird durch das gemeinsame Wirken an der Hofkapelle verständlich. Aufgrund der infrage kommenden liturgischen Daten lässt sich rekonstruieren, dass die Introiten mit eindeutiger Zuschreibung an Brassart wahrscheinlich im Jahr 1436 für Kaiser Sigismund entstanden sind. In einigen Fällen, wie beim Introitus Spiritus domini replevit, korreliert die liturgische Bestimmung mit politischen Ereignissen wie dem für den Pfingstsonntag 1436 vorgesehenen (aber schließlich verschobenen) Einzug nach Böhmen. Zudem folgt der im Superius erklingende cantus firmus – wie die übrigen Introiten Brassarts auch – der Passauer Melodie- und Textversion (im Gegensatz zu westlichen oder römischen Traditionen) (Notenbeispiel 4).64 62 Frohmut Dangel-Hofmann, Der mehrstimmige Introitus in Quellen des 15. Jahrhunderts (Würzburger musikhistorische Beiträge 3), Tutzing 1975, 38. 63 Wright, „Johannes Brassart und Johannes de Sarto“ (wie Anm. 22). 64 Der letzte Absatz folgt Carlo Bosi, „Johannes Brassart und Kaiser Sigismund: Versuch nach [!] einer historischen Kontextualisierung anhand der Introiten“, in: Nanni (Hg.), Music and Culture (wie Anm. 51), 269–284. Vgl. den bei Brassart verwendeten Introitus-Psalm Confirma hoc Deus nach der Passauer Diözesantradition.
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6. Eine neue Identitätspolitik Fr iedr ichs III.? Unter Friedrich wurde die Hofkapelle anscheinend nicht grundlegend verändert, sondern es dürften zusammen mit ihrem Leiter Brassart auch andere Sänger von Albrecht übernommen worden sein. Der Personenkreis um den neuen Herrscher ist mit etlichen Namen dokumentiert, mit denen wir heute nicht mehr viel verbinden.65 Einige neue Perspektiven hierauf wurden allerdings in den letzten Jahren von der Forschung eröffnet. Johannes Lupi (Volp), der Kopist der älteren Faszikel der Trienter Codices 871 und 922, immatrikulierte 1428 an der Wiener Universität. 1440 stand er im Dienst Friedrichs III., bei dem er als Schreiber angestellt gewesen sein könnte. Das fragmentarisch erhaltene, repräsentative Chorbuch aus Zwettl (lange verschollen, seit 2012 wieder auffindbar66) stammt von seiner Hand.67 Ob Brassarts Motette O rex Fridrice / In tuo adventu für die Krönung in Aachen 1442 oder bereits für die Thronbesteigung 1440 gedacht war, lässt sich derzeit nicht feststellen. Nach einer neueren These, die das Choralzitat im Tenor besonders hervorhebt, handelt es sich um eine Adventus-Motette, wie sie gerne beim Einzug des Herrschers in eine Stadt aufgeführt wurde, wobei dieses Ereignis beim kaiserlichen Umritt im Falle einer bedeutenden Stadt wie Aachen als Ankunft eines messianisch verstandenen Imperators inszeniert wurde.68 So betrachtet, kommt dem eröffnenden Oberstimmenduett von Brassarts Werk eine symbolträchtige Bedeutung zu: Auf verschiedenen Ebenen werden die Anrufung (Melisma auf dem exklamatorischen „O“), Titel und Name (das obligatorische Noema auf „rex Fridrice“) sowie die Deutung des Namens (wie schon zuvor wohlklingende Terzen bei „tu pulcre pacis amice“) dargestellt (Notenbeispiel 5). Die Erwartungen an Friedrichs Herrschertum sind damit programmatisch abgesteckt, sowohl im Text als auch in der Musik. In ihnen bestätigt sich Reinhart Kosellecks bereits erwähnte – für das Mittelalter etwas generalisierende – Feststellung, die Zukunftshoffnungen der damaligen Menschen ließen sich letztlich auf das eschatologische Paradigma zurückführen. Die von Catherine Saucier im Hinblick auf Bras65 Heinig, „Musik und Medizin“ (wie Anm. 35). 66 Zwettl, Stiftsbibliothek, Fragmente ohne Signatur. Die Schwarz-Weiß-Fotos bei Kurt von Fischer, „Neue Quellen zur Musik des 13., 14. und 15. Jahrhunderts“, in: Acta Musicologica 36 (1964), 79–97 sind durch Digitalisate von Robert Klugseder (Wien) auf folgender Website überholt: , 02.09.2020. 67 Peter Wright, Art. „Lupi“, in: Ludwig Finscher (Hg.), Die Musik in Geschichte und Gegenwart. 2., neubearbeitete Auflage, Personenteil, Bd. 11, Kassel/Stuttgart/Weimar 2004, 616–617, 617. 68 Catherine Saucier, „Acclaiming Advent and Adventus in Johannes Brassart’s Motet for Frederick III“, in: Early Music History 27 (2008), 137–179.
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NB 5: Johannes Brassart, O rex Fridrice / In tuo adventu, M. 1–19 (nach CMM 35/2; wie Anm. 20)
sarts Motette zitierte Reformatio Sigismundi, einer der zahlreichen Traktate, die einen Friedenskaiser und mit ihm ewiges Leben prophezeien, würde demgegenüber auf den Vorvorgänger Friedrichs, Kaiser Sigismund, verweisen.69 Doch nicht allein auf den Luxemburger, der im Jahr 1434 den Grundstein für Brassarts Karriere als Leiter einer Kapelle legte, spielt der Text an, sondern explizit auf Albrecht, an dessen Herrschertugenden sich der neue König erst messen muss. Der nachdrückliche Versuch, für den in mehrerer Hinsicht ‚ankommenden‘ Friedrich eine Legitimation als Nachfolger Albrechts zu konstruieren – was angesichts des Streits um Ladislaus Postumus verständlich erscheint –, würde doch eher für den politischen Akt der Thronbesteigung (1440) und nicht die spätere Königskrönung (1442) sprechen. Überdies war zu diesem Zeitpunkt das Gedenken an Albrecht noch unmittelbar wirksam, und musste sich dessen cantor principalis in dieser Funktion unter den veränderten Voraussetzungen bestätigen. Unabhängig von diesen möglichen Entstehungsszenarien ist es sehr wahrscheinlich, dass diese Motette bei mehr als einer Gelegenheit erklungen ist (Notenbeispiel 6). 69 Ebda., 170.
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NB 6: Johannes Brassart, O rex Fridrice / In tuo adventu, M. 37–43 (nach CMM 35/2; wie Anm. 20)
Schließlich hat Friedrich schon im Jahr 1442 – wenn auch offenbar erfolglos – versucht, über den Komponisten Sturgeon sechs Sänger aus England anzuwerben. Auch diese zufällig überlieferte Initiative70 steht nicht isoliert im zentraleuropäischen und speziell österreichischen Raum, sondern weist eine historische Tiefendimension auf, die generationenüberbrückend auf Sigismunds Englandreise im Jahr 1416 mit dem Lob der dortigen Kapellen zurückgeht.71 Unabhängig von der Präsenz englischer Sänger in Österreich lässt sich mit Reinhard Strohm generell ein „opening-up to western influence“ konstatieren.72 Mehrere Stiftungen deuten auf Friedrichs Versuch, auf Liturgie und Musikleben urbaner Zentren Einfluss auszuüben: So sind für Wien vom Jahr 1445 die Versehgänge73 Pange lingua und Homo quidam fecit74 nunmehr aus einem im Wiener Diözesanarchiv aufbewahrten Stimmbuch-Fragment mit der Sequenz Lauda Sion salva torem bekannt.75 Der Komponist Petrus Wilhelmi erhielt 1442 von Friedrich eine „littera familiaritatis“. Auch in seinem Fall haben neuere Erkenntnisse die Einbettung in den zentral70 Vgl. Margaret Bent, Art. „Sturgeon, N.“, in: Stanley Sadie (Hg.), The New Grove Dictionary of Music and Musicians, Bd. 24, London 22001, 630. 71 Die topischen Verse des Discessus Sigismundi bei Strohm, Rise of European Music (wie Anm. 26), 197. 72 Ebda., 256. 73 Beim sog. Versehgang sucht ein Priester Kranke und Sterbende auf, um ihnen nach eventueller Beichte die Sakramente der Buße und der Krankensalbung sowie die Kommunion zu spenden. Die Stiftung ermöglichte die Beteiligung von Singknaben. 74 Hans Brunner, Die Kantorei bei St. Stephan in Wien. Beiträge zur Geschichte der Wiener Dommusik, Wien 1948, 14. 75 Peter Wright, „Polyphony for Corpus Christi in an Unknown Fragmentary Source from Mid-Fifteenth-Century Central Europe: An Interim Report“, in: M. Jennifer Bloxam/Gioia Filocamo/ Leofranc Holford-Strevens (Hgg.), Uno gentile e subtile ingenio. Studies in Renaissance Music in Honour of Bonnie J. Blackburn, Brepols 2009, 271–282.
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europäischen Raum gezeigt.76 Der polnische Komponist Nicolaus de Radom könnte ebenfalls in die Einflusssphäre um Friedrich gelangt sein; ein auf 1421 bzw. 1437 datierter, möglicherweise aus der Wiener Universität stammender Choraltraktat Tracta tulus musicalis ad cantum Gregorialem brevis et utilis nennt ihn „magister Parisiensis“.77 Schließlich sei auf Friedrichs Rolle im Rahmen der Weihnachtsliturgie hingewiesen. Für seinen unmittelbaren Vorgänger ist die aktive Teilnahme an der Mette so nicht bezeugt. Dagegen hat Sigismund diese Tradition von seinem Vater Karl IV. übernommen und 1414 in Konstanz beim Konzil aktualisiert (sodass der Papst sogar auf das Eintreffen des Kaisers warten musste).78 Friedrich ließ es sich nun als Kaiser in Rom, aber auch schon Anfang der 1440er Jahre in Innsbruck (an der Pfarrkirche St. Jakob) nicht nehmen, das Evangelium selbst zu lesen und über den sog. Weihnachtsdienst den „weltlichen Herrschaftsanspruch in der Nachfolge des Kaiser[s] Augustus“79 zur Geltung zu bringen.
7. Musik alische Gattungen im Pr ism a der spätmittel alter lichen Gesellsch aft Ein methodischer Ansatz, der mit neueren Raumkonzepten arbeitet, muss die Verflechtung von sozialgeschichtlichen Gegebenheiten und Prozessen mit musikalischen Gattungsnormen und Genreüberschreitungen berücksichtigen. Mit Martina Löw kann von einem sozialen Raum ausgegangen werden, „der gekennzeichnet ist durch materielle und symbolische Komponenten“. Dabei wendet sich Löw „gegen die in der Soziologie übliche Trennung in einen sozialen und einen materiellen Raum, welche unterstellt, es könne ein Raum jenseits der materiellen Welt entstehen (sozialer Raum), oder aber es könne ein Raum von Menschen betrachtet werden, ohne daß diese Betrachtung gesellschaftlich vorstrukturiert wäre (materieller Raum).“80 Nicht zuletzt aus Gründen der diese Räume gleichsam vorstrukturierenden Quellenüberlieferung haben Musikhistoriker/-innen viel häufiger die Spitze der Gesell76 Paweł Gancarczyk „Presulem ephebeatum by Petrus Wilhelmi de Grudencz and the Musical Identity of Central Europe“, in: R ausch/Tammen (Hgg.), Musikalische Repertoires (wie Anm. 28), 135– 150. 77 Graz, Universitätsbibliothek, Cod. 873. 78 Jan Keupp/Jörg Schwarz, Konstanz 1414–1418. Eine Stadt und ihr Konzil, Darmstadt 2013, 34– 37. 79 Mirjam Kluger, Musik als Ausdruck von Herrscheridentität im 15. Jahrhundert am Beispiel von Kaiser Friedrich III., Dipl.-Arb., Universität Wien 2013, 37 (Zitat) und 58 f. 80 Martina Löw, Raumsoziologie (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1506), Frankfurt am Main 2001, 15.
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schaftspyramide im Blick als deren Basis bzw. Mitte. Wie diese sozialen Räume in sich differenziert sein können, veranschaulicht eine hierarchische Darstellung, die ohne die bekannten trinomischen Klassifizierungen (wie etwa Adel – Klerus – Bürger) auskommt. Sie stammt von dem in Wien, Regensburg und Leipzig aktiven Büchersammler Hermann Pötzlinger, der als Hauptschreiber des St.-Emmeram-Mensuralcodex in die Musikgeschichte eingegangen ist (siehe Tabelle 2).81
supremus
secularis
medius
infimus
status est duplex
supremus
imperatores reges principes lantgravi marchiones duces comites palatini barones capitanii regionum camerarii supremi regum et principum marschalii
Idem intelligendum est de uxoribus, nam in quo gradu est vir, in eodem est et mulier
milites famosiores milites simplices clientes militares iudices seculares consules proconsules capitanii burcgravii castrorum mercatores cives ceteri laici papa cardinalis legatus patriarcha archiepiscopus episcopus suffraganeus prepositi maiores abbates infulati crucifer maior
81 Faksimile in Ian Rumbold/Peter Wright, Hermann Pötzlinger’s Music Book. The St Emmeram Co dex and its Contexts (Studies in Medieval and Renaissance Music 8), Woodbridge 2009, 244. Digitalisat der Bayerischen Staatsbibliothek München: , 27.02.2020.
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Raum I: 1430/40 magister ordinis rector universitatis spiritualis medius
infimus
prepositi minores cruciferi mediocres abbates non infulati decani ecclesiarum collegitarum canonici maiores doctores canonici minores decani rurales priores magistri baccalarii rectores scolarium studentes arcium vicarii altariste succentores altariste
Tab. 2: Hermann Pötzlinger, Schema der sozialen Hierarchien; Umschrift nach München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 14111, fol. 357r
Das von Pötzlinger entworfene (oder nur abgeschriebene?) System zeigt, dass wir es nicht mit einer homogenen, sondern einer stratifikatorisch differenzierten Gesellschaft zu tun haben, die in ungleiche Teile segmentiert ist – so wie auch die spätmittelalterliche Ständeordnung durch eine vertikale Einteilung in ungleiche Schichten repräsentiert wird.82 Daraus ergeben sich, wie schon an der Skizze erkennbar, asymmetrische Machtverhältnisse. Zwei Besonderheiten fallen bei Pötzlinger jedoch auf. Zum einen die explizite Erwähnung der (verheirateten) Frauen im weltlichen Bereich, auf die der Status des Mannes übertragen wird. Die Kontrafaktur dux – ducissa (Vertreter des „status saecularis supremus“) in der textlichen Bearbeitung der Dufay-Motette Supremum est mortalibus im St.-Emmeram-Codex83 fügt sich in diesen Kontext. Zum anderen schließt schon die bloße Niederschrift eines derartigen Systems ein zu unterstellendes Interesse am Sozialgefüge ein, womit zwangsläufig eine Selbstreflexion einhergeht: Pötzlinger fand sich beim „infimus status spiritualis“ wieder, seit seiner Immatrikulation an der Wiener Universität (1439) unter den „studentes arcium“, später, in seiner Regensburger Zeit, unter den „rectores scolarium“. Auch seine Kollegen, mit denen er in unterschiedlichen Bereichen zusam82 Siehe die von Niklas Luhmanns Systemtheorie inspirierte Darstellung bei Markus Schroer, Räu me, Orte, Grenzen. Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raums (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1761), Frankfurt am Main 2006, 140. 83 Vgl. Rumbold/Wright, Hermann Pötzlinger’s Music Book (wie Anm. 81), 35 f.
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menarbeitete, konnten entsprechend zugeordnet und mit ihren Rollen identifiziert werden. Das Spektrum mehrstimmiger Gattungen im spätmittelalterlichen Österreich lässt sich nach Reinhard Strohm84 folgendermaßen klassifizieren: liturgische ‚organale‘ Mehrstimmigkeit; Motette und Chanson in der Ars-nova-Tradition; instrumentale Mehrstimmigkeit; (geistliche) Mensuralmusik unter franko-flämischem oder englischem Einfluss. Betrachtet man die soziale Diastratik, also die Durchmischung und Durchlässigkeit der Gesellschaftsschichten im Raum der musikalischen Gattungen, bieten sich Aspekte wie Multifunktionalität oder auch Prestige zur näheren Untersuchung an. Konnte der Gregorianische Choral in mehreren Genres eine wichtige Rolle spielten, so muss im Falle der (geistlichen) Mensuralmusik davon ausgegangen werden, dass sie mit dem höchsten Prestigewert konnotiert war, da ihre Träger- und Adressatenschicht der ‚Elite‘ angehörte. Selbst wenn man die Vorstellung einer sozialen oder musikalischen Elite nicht anerkennt, wird man beim Versuch, die Musikgeschichte des 15. Jahrhunderts ‚bottom up‘ zu schreiben, die ‚großen‘, gleichsam offiziellen Quellen nicht ausblenden können. Zudem ist zu beachten, dass soziales Prestige nicht unbedingt an Mehrstimmigkeit geknüpft sein musste; ein Gegenbeispiel wäre das oben erwähnte Te Deum laudamus, bei dem die Forschung (sofern in den Berichten nicht anders angegeben) von einstimmigem Vortrag ausgeht (so auch in Bezug auf das Konzil von Basel85). Im Bereich von Orgelbau und -musik ist ein signifikanter Prestigezuwachs festzustellen, der mit dem zunehmenden Spezialistentum einhergeht. Nachrichten über Orgeln und Orgelbauer treten vor und um 1440 vermehrt auf (wie über den St. Pöltner Peter Gareis, der 1433/34 am Bau der Münsterorgel in Straßburg beteiligt war86). Auch ein Hoforganist namens Gechsen (Bechsen?) ist 1444 dokumentiert.87 Ein gutes Beispiel für diese Entwicklung ist der bisher als Schreiber D des Mensuralcodex St. Emmeram bezeichnete, vor kurzem von Peter Wright als Wolfgang Chranekker identifizierte Organist von St. Wolfgang bei Mondsee.88 Die von seiner Hand auf84 Reinhard Strohm, „Native and Foreign Polyphony in Late-Medieval Austria“, in: Musica Discipli na 38 (1984), 205–230, 205. 85 Margaret Bent, „Ciconia’s dedicatee, Bologna Q15, Brassart, and the Council of Basel“, in: Marco Gozzi (Hg.), Manoscritti di Polifonia nel Quattrocento Europeo. Atti del Convegno internazio nale di studi, Trento, Castello del Buonconsiglio, 18–19 ottobre 2002, Trient 2004, 35–56. 86 Vgl. Christian Fastl, Art. „St. Pölten“, in: Rudolf Flotzinger (Hg.), Oesterreichisches Musikle xikon online, , 01.09.2013. 87 Gernot Gruber, „Beginn der Neuzeit“, in: Rudolf Flotzinger (Hg.), Musikgeschichte Öster reichs, Bd. 1: Von den Anfängen zum Barock, Wien u. a. 1995, 169–211, 180. 88 Peter Wright, „The Contribution and Identity of Scribe D of the ‚St Emmeram Codex‘“, in: R ai-
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gezeichneten Stücke in den gemeinsam mit Pötzlinger erstellten Faszikeln des Mensuralcodex zeichnen sich durch systematische Abweichungen von der klassischen frankonischen Regelhaftigkeit aus. Die Vermeidung des ternären Systems mit seinen Implikationen für die Notierung von Semibreven oder Divisionspunkten rückt diese Schrift in die Nähe „absolut lesbare[r] Notation“.89 Verglichen mit der ebenfalls von Chranekker stammenden Orgelpartitur im Codex 5094 der Österreichischen Nationalbibliothek – die bekannte Abschrift von Dufays Ballade Ce jour le doibt – handelt es sich in St. Emmeram zwar um chorbuchartige Anordnung der Stimmen, aber zahlreiche Unstimmigkeiten (nicht zuletzt bei der Schlüsselsetzung) wirken als Relikte oder Charakteristika der Partiturschrift. Orgeltabulaturen – oder allgemeiner: Tabulaturen für Tasteninstrumente – nehmen eine Zwischenstellung zwischen polyphonen Vokalnotationen einerseits und Griffschriften andererseits ein. Wie Ulrich Konrad anhand des neuzeitlichen Werkbegriffs gezeigt hat, ist eine derartige Orgeltabulatur „eine Partituraufzeichnung, die aus verschiedenen Stimmen oder Klangbestandteilen zusammengesetzte Verläufe so festhält, daß ihre simultane Ausführung durch einen Einzelnen möglich ist“.90 So können wir uns im Wesentlichen die Arbeit eines Organisten um 1440 vorstellen, der für den eigenen Bedarf beliebte oder liturgisch gut verwendbare Vokalmusik intavoliert – das Buxheimer Orgelbuch oder das Lochamer Liederbuch repräsentieren für den süddeutschen Bereich die Repertoireschichten dieser neuen professionellen Musiker – und ebenso für ein Gesangbuch verantwortlich ist (ein Phänomen, das um 1500 bei Fridolin Sicher begegnet). Was bei Chranekker noch hinzukommt, ist eben die enge Zusammenarbeit mit dem Hauptschreiber und Auftraggeber Pötzlinger, über deren Details weitergehende Spekulationen möglich erscheinen. So ist es durchaus denkbar, dass Teile des Repertoires von St. Emmeram über den Organisten aus St. Wolfgang in die Sammlung eingeflossen sind, und dass Pötzlinger (der ja sowohl ‚schwarz‘ als auch ‚weiß‘ notiert), seine Anleitungen von dem wohl versiertesten Schreiber dieser Quelle erhielt. Nähere Forschungen über soziale Räume, deren wechselseitige Durchdringung in musikalischen Genres und damit verbundene Verschiebungen des jeweiligen Symbolner Kleinertz/Christoph Flamm/Wolf Frobenius (Hgg.), Musik des Mittelalters und der Renaissance. Festschrift Klaus-Jürgen Sachs zum 80. Geburtstag, Hildesheim u. a. 2010, 283–316. 89 Bernhold Schmid, „Notationseigenheiten im Mensural-Codex St. Emmeram (Clm 14274) und Organistenpraxis“, in: Musik in Bayern 43 (1991), 47–77, 58. 90 Ulrich Konrad, „Aufzeichnungsform und Werkbegriff in der frühen Orgeltabulatur“, in: Hartmut Boockmann u. a. (Hgg.), Literatur, Musik und Kunst im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Bericht über Kolloquien der Kommission zur Erforschung der Kultur des Spätmittelalters 1989 bis 1992, Göttingen 1995, 162–186, 172.
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werts versprechen weitere Erkenntnisse über die hier betrachtete Epochenschwelle. Als Beispiel wäre das aus der St.-Nikolai-Bruderschaft hervorgegangene Spielgrafenamt des Erzherzogtums Österreich ob und unter der Enns zu nennen, das laut Josef Mantuani91 im Jahr 1431 erstmals urkundlich belegt ist (das Amt hatte Hans von Eberstorff inne).
8. Fau xbour don als Per for m anz Nach Sibylle Krämer92 lassen sich vier Elemente von Performanz unterscheiden: Oberflächenstruktur (fehlende Tiefenstruktur), Iterabilität (Wiederholbarkeit eines Ereignisses), Aufführungscharakter und Vollzug einer Form (im Gegensatz zum ‚Gehalt‘). Diese Merkmale sind, mutatis mutandis, von der Sprachlichkeit auf die liturgische, durch Klangfolgen in Fauxbourdon-Manier charakterisierte Mehrstimmigkeit eines Hermann Edlerawer übertragbar. Weitere Aspekte treten hinzu: Für die Rezipientenseite ist von vornherein die Textverständlichkeit gewährleistet. Die Sänger können eingeübte Verfahren ohne großen Aufwand reproduzieren. Und den Autoren steht ein einfaches Muster zur Verfügung, das auch semiprofessionellen Musikern erlaubt, ein Stück ‚Gebrauchsmusik‘ zu komponieren.
NB 7: Hermann Edlerawer, Lauda Sion salvatorem, M. 1–15 (Satz: Alexander Rausch) 91 Josef Mantuani, Die Musik in Wien. Von der Römerzeit bis zur Zeit des Kaisers Max I., Wien 1907 (Reprint 1979), 195, Anm. 1. 92 Sibylle Krämer, „Sprache – Stimme – Schrift: Sieben Gedanken über Performativität als Medialität“, in: Uwe Wirth (Hg.), Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaft (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1575), Frankfurt am Main 2002, 323–346, 336.
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Edlerawer wird von der neueren Musikgeschichtsschreibung in erster Linie als Komponist gesehen, der relativ früh – in Österreich als erster – die Satztechnik des Fauxbourdon angewandt hat. In der überlieferten Kunstmusik taucht der canon sine pausis mit improvisierter Mittelstimme zum ersten Mal in Dufays Postcommunio der Missa sancti Jacobi von 1437 auf. Die These (oder unreflektierte Behauptung) liegt nahe, Edlerawer habe die ‚neue‘ Satzart von Dufay direkt bzw. durch andere Komponisten vermittelt übernommen und für die lokalen Bedürfnisse adaptiert. In diese Argumentation würde sich die Tatsache fügen, dass im St.-Emmeram-Codex, dem hauptsächlichen Überlieferungsträger der Werke Edlerawers, ein signifikant hoher Bestandteil (über ein Fünftel der Stücke) an Fauxbourdon-Stücken enthalten ist:93 Offensichtlich wurden diese Stücke gezielt gesammelt, möglicherweise auch als didaktisch verwendbare Beispiele. Dennoch lässt sich dieser Befund auch anders interpretieren, nämlich im Sinne eines usuellen praktischen Wissens um die zu improvisierende Quartstimme. In Edlerawers ambitioniertestem Werk, der Corpus-ChristiSequenz Lauda Sion salvatorem, wird Fauxbourdon nur in zwei Versen angewandt; der Beginn des Stücks mit der Vorausimitation der Melodie im Tenor zeigt, dass der Komponist auch etwas anspruchsvollere Ideen umsetzen konnte (Notenbeispiel 7): Wenn auch die satztechnische Beweglichkeit der franko-flämischen Vorbilder nicht erreicht wird und die ziemlich statische Kadenzbehandlung (besonders auffällig die Oktavklausel in M. 14/15) nicht auf der Höhe der Zeit ist, muss der Historiker nicht unbedingt die Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen ins Treffen führen, um auch solche Produkte zu würdigen. Ohne das Klischee von „Wiens frühestem Polyphonisten“ (Hans Joachim Moser)94 zu bemühen, dürfte sich die ‚mittlere‘ Qualität dieser und ähnlicher Vertonungen als für die jeweilige Auftragslage – in diesem Fall die städtische Liturgie an St. Stephan in Wien – angemessen, bisweilen sogar erfüllend erwiesen haben. Eine ‚Ehrenrettung‘ des Fauxbourdon, dieses „kleinen Einmaleins“95 der Kompositionstechnik, ist gar nicht nötig, wenn die performativen Aspekte der intendierten Aufführungen berücksichtigt werden. (Immerhin hat es ein Meister wie Binchois nicht verschmäht, ein Te Deum vollständig im Fauxbourdonsatz zu schreiben.) Wie beispielsweise an Edlerawers Mariensequenz Verbum bonum et suave deutlich wird, ist die Zielrichtung eine völlig andere als beim motettischen Kontrapunkt: Die Referenzebene des Fauxbourdon ist eben nicht Polyphonie, sondern Einstimmigkeit, und 93 Vgl. die Tabelle bei Rumbold/Wright, Hermann Pötzlinger’s Music Book (wie Anm. 81), 68–71. 94 Hans Joachim Moser, „Hermann Edlerauer 1440/43/44: Wiens frühester Polyphonist“, in: Die Musikerziehung 8 (1954/55), 35–37. 95 Gülke, Guillaume Du Fay (wie Anm. 59), 135.
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diese wird als tropierende Klanglichkeit performativ ausgestaltet. (Ausnahmen wie einige Beispiele bei Dufay, die vielleicht symbolisch motiviert sind,96 bestätigen die alltägliche Regel.)
9. R egionales Musikleben – per ipher e Zentr en Mit der paradoxen Formel ‚periphere Zentren‘ soll die in der musikalischen Mediävistik bis in die jüngere Vergangenheit wirksame dichotomische Unterscheidung von Zentrum und Peripherie ad absurdum geführt werden. Neuere Raumkonzepte und die derzeitige Lebenswirklichkeit führen deutlich vor Augen, dass essentialistische Bewertungen die Dynamik unterschätzen, mit der sich räumliche, wirtschaftliche und kulturelle Gewichtungen nach oben wie nach unten verschieben können. Eine schlagartige Veränderung des Status einer Institution, auch in musikalischer Hinsicht, kann durch einen Herrscherwechsel hervorgerufen werden. Dies betrifft in erster Linie Stiftungen, wie die Gründung von St. Dorothea in Wien durch Herzog Albrecht V., oder in kleinerem Maßstab die verschiedenen Stiftungen Friedrichs III., von denen eine oben im Zusammenhang mit einem konkreten musikalischen Quellenfund erwähnt wurde.97 Häufig verhält es sich jedoch so, dass die politische, wirtschaftliche, religiöse oder eben musikalisch-zeremonielle Privilegierung eines bestimmten Raums, eines Ortes oder einer Institution in Richtung eines lokalen oder peripheren Zentrums sich einige Jahrzehnte lang vorbereitet, auch wenn dieser Prozess der regionalen Statuserhöhung nicht selten der modernen Historie verborgen bleibt, zumal gerade zum regionalen Musikleben des Spätmittelalters oftmals detaillierte Forschungen fehlen.98 Die Universitätsstadt Wien ist als Zentrum der Musikpflege relativ gut erforscht.99 In der an St. Stephan angeschlossenen Bürgerschule übten sich die Schüler in der 96 Willem Elders, „Guillaume Dufay’s Concept of Faux-bourdon“, in: Ders., Symbolic Scores. Studies in the Music of the Renaissance, Leiden 1994, 15–43. 97 Siehe Anm. 75. 98 Das FWF-Projekt Musikleben des Spätmittelalters in der Region Österreich (Leitung: Birgit Lodes, Mitarbeiter: Reinhard Strohm und Marc Lewon unter Beteiligung zahlreicher internationaler Autorinnen und Autoren) erschließt in dieser Hinsicht vielfach Neuland; siehe , 08.09.2014. Vgl. auch Reinhard Strohm, Europäische Musik des 15. Jahrhunderts in der Re gion Österreich (Fakultätsvorträge der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien 10), Göttingen 2014. 99 Vgl. Susana Zapke, „Musikalische Bildungs- und Ausbildungsprofile im Wissensraum Wien, 15. Jahrhundert: Dokumente zu ihrer Erschließung“, in: R ausch/Tammen (Hgg.), Musikalische Re pertoires (wie Anm. 28), 347–375 sowie die Website Urbane Musik und Stadtdesign zur Zeit der frühen Habsburger: Wien im 14.–15. Jahrhundert, , 02.09.2020.
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lateinischen Sprache, erhielten Unterricht in den quadrivialen Fächern, auch Musikunterricht, und wurden zum Gottesdienst herangezogen. Die Schule war, als Collegium civium, eine ‚Dependance‘ der Universität, wobei die Verwaltung dem Wiener Magistrat oblag. Interessant im Hinblick auf die Stellung ihrer Mitglieder ist die Tatsache, dass die Kantorei 1441 von den Steuern befreit wurde.100 1446 wurde die erste (oder zumindest die älteste erhaltene) Schulordnung erlassen, in der als Personal ein Schulmeister, drei Magistri, ein Hilfslehrer und je ein Kantor und Subkantor genannt werden. Bemerkenswert ist der Aspekt, dass diese früheste Kantorei-Ordnung u. a. durch Platzprobleme motiviert scheint. In diesem Zusammenhang muss daran erinnert werden, dass sich der Terminus Kantorei seit dieser Epoche sowohl auf das Gebäude als auch das administrative und musikalische Ensemble bezieht (in den Rechnungen und Statuten wird dabei nicht säuberlich getrennt). Der Kantor wurde nun vor die Alternative gestellt, die Singknaben in der Schule oder bei sich zu Hause unterzubringen. Eine eigene Lokalität wurde ihm verwehrt, stattdessen sollten die offenbar zahlenmäßig überhandnehmenden Chorschüler auf die einzelnen Hochämter aufgeteilt werden:101 Item furbaser sol der Cantor kain sundern locacein in der Schul haben, als es auch vor Jarn gewesen ist, wann er vnd ein subcantor von Irrung des kors dieselben nicht wol verbesen mügen. Sunder all schuler, die der Cantor hat, sol man seczen nach gelegenheit ihrer begreiffleichait, vnd wenn er sein schuler zu dem kor nuczen will, so mag er sew vodern. […] Wer aber das die vorgeschriben weis, von dem Cantor nicht fügsam dewcht sein, so halt der Cantor sein Knaben in seinem Haws für sich selber.
Von den anderen Bildungseinrichtungen der Stadt Wien ist aus dieser Zeit nichts Spezifisches bekannt. Am Schottenstift wurden nicht die quadrivialen, sondern ausschließlich die trivialen Fächer unterrichtet, die Musik hauptsächlich in Form des Choralgesangs. Erst unter Abt Martin von Leibitz (1446–1461) wurde auch die Figuralmusik gepflegt, was bei der Visitation im Jahr 1452 beanstandet wurde.102 Für Tirol lassen sich gerade in den 1430er Jahren musikgeschichtlich bedeutsame Konstellationen rekonstruieren: Unter der Regentschaft von Herzog Friedrich IV. († 1439) verquicken sich durch die Anstellung von Johannes Lupi als Organist und 100 Carl Ferdinand Pohl, Joseph Haydn, Bd. 1, Leipzig 1878, 31. 101 Mantuani, Musik in Wien (wie Anm. 91), 285, Anm. 1. 102 Gerhard Pietzsch, Zur Pflege der Musik an den deutschen Universitäten bis zur Mitte des 16. Jahr hunderts, Hildesheim/New York 1971, 13 (Erstveröffentlichung in: Archiv für Musikforschung 1 [1936], 257–292, 424–451).
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wahrscheinlich auch als Kopist personale und institutionelle Identitäten und zeitigen so die Produktion der älteren Trienter Codices (Faszikel 871 und 922), deren Repertoire und Lesarten wiederum mit dem Codex Aosta zusammenhängen. Die aktuelle Forschung103 vermutet, dass diese Quellen zumindest teilweise die in den habsburgischen Kapellen gesungene polyphone Liturgie widerspiegeln, und zwar auch in Innsbruck, das somit als fürstliche Residenz unter Herzog Friedrich IV. von Tirol seinen musikalischen Aufstieg begonnen hat. Zwar ist die Verwendung der von Lupi später nach Trient mitgenommenen Handschriften umstritten, doch wird man sich der Ansicht Margaret Bents anschließen, dass aus den kleinformatigen Sammelhandschriften bzw. aus den noch ungebundenen Faszikeln durchaus gesungen werden konnte.104 Davon abgesehen, sind die Quellenverluste kaum realistisch einzuschätzen, wie das von Lupi vielleicht für die Basler Konzilskapelle angefertigte repräsentative Chorbuch Zwettl zeigt.105 Die Frage, weshalb Lupi weder an den Innsbrucker Hof (nach dem Tod seines einstigen Dienstgebers im Jahr 1439) noch länger an jenen Friedrichs III. gebunden werden konnte, wurde bisher kaum gestellt, geschweige denn beantwortet. Eine potenzielle Kontinuität des Musiklebens, die sich mit dieser Persönlichkeit zunächst ankündigte, verflüchtigte sich insofern, als sich Johannes Wiser mitsamt den jüngeren Trienter Codices und wahrscheinlich andere wie Prenner (mit Trient 93) nach Trient verlagerten – das dadurch seinerseits von der ‚Peripherie‘ (trotz vorhandener lokaler Traditionen) unvermittelt ins Zentrum der Musikgeschichte des 15. Jahrhunderts aufrückte. Nimmt man den Geburtsort Lupis, die im Spätmittelalter aufstrebende Stadt Bozen, hinzu, schreibt sich der musikhistorischen Landkarte die Achse Trient– Bozen–Innsbruck ein, die noch um Neustift bei Brixen (das eine eigene Diözese war) zu ergänzen wäre. Aus dem Augustinerkloster Neustift stammt ein Codex mit einer Reihe zweistimmiger liturgischer Gesänge nach Art der ‚einfachen‘ monastischen Mehrstimmigkeit (darunter Tropen zum Kyrie Fons bonitatis oder zum Introitus für
103 Zusammenfassung bei Kurt Drexel, „Höfisches Musikleben in der Zeit vor Maximilian I.“, in: Ders./Monika Fink (Hgg.), Musikgeschichte Tirols, Bd. 1: Von den Anfängen bis zur Frühen Neuzeit (Schlern-Schriften 315), Innsbruck 2001, 595–613, 600–603. Vgl. auch R ausch/Tammen (Hgg.), Musikalische Repertoires (wie Anm. 28), darin besonders die Beiträge von Reinhard Strohm, „Ritual – Repertoire – Geschichte: Identität und Zeitbewusstsein“ (21–36) sowie Rudolf Flotzinger, „Anlage und Herkunft des Trienter Codex 93“ (39–63). 104 Die Argumente von Margaret Bent, „Trent 93 and Trent 90: Johannes Wiser at Work“, in: Nino Pirrotta/Danilo Curti (Hgg.), I codici musicali Trentini a cento anni dalla loro riscoperta. Atti del Convegno Trento, Castello del Buonconsiglio 6–7 Settembre 1985, Trient 1986, 84–111 lassen sich ohne Weiteres auf Trient 87 und 92 übertragen. 105 Siehe Anm. 66.
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Kirchweih Terribilis est locus iste).106 Erst vor kurzem wurde darauf hingewiesen, dass Oswald von Wolkenstein – dessen Biographie bekanntlich eng auf Neustift bezogen ist – möglicherweise auch von dieser Tradition beeinflusst wurde. Die (aufgrund von Ähnlichkeiten der in cantus-fractus-Notation aufgezeichneten Credosätze mit jenen im St.Emmeram-Codex) erwogene Verbindung zu Hermann Pötzlinger überzeugt weniger, doch das ändert nichts am generellen Befund, dass die Durchgangswege von Italien nach Deutschland über Trient und Neustift führten, Orte von großem kulturellem und musikalischem Austausch.107 Eine Lücke zum regionalen Musikleben des Spätmittelalters konnte jüngst geschlossen werden, was die bedeutende Abtei Mondsee betrifft. Es ist nur auf den ersten Blick ein Zufall, dass sich eine so wichtige Quelle wie die Mondsee-Wiener Liederhandschrift zeitweise (ab etwa 1500) in diesem Kloster befand. Das musikalische Interesse, das an einem ‚peripheren‘ Ort plötzlich erwacht, hat tatsächlich eine Vorgeschichte, die mit der Melker Reform, den Kontakten zur Wiener Universität und privaten Interessen einzelner Konventualen zusammenhängt: „Mit der Durchführung der Visitation im Jahr 1435 und der Übernahme der Lebensgewohnheiten von Subiaco-Melk beginnt in Mondsee die glanzvollste Epoche seiner Geschichte.“108 Inwieweit lokale Zentren neue, bisher übersehene Zusammenhänge auf der Landkarte des spätmittelalterlichen Österreich offenbaren können, lässt sich am Beispiel der Domschule von Gurk (Kärnten) zeigen. Wie aus dem sog. Klagenfurter Traktat von 1430 hervorgeht,109 richtet sich diese Chorallehre an die pueri, also an die Knaben einer Kloster- oder Kathedralschule. Den historischen Kontext für diesen Einführungstext bildet die Reform der beiden Gurker Domschulen unter Bischof Ernst Auer von Herrenkirchen (1411–1432). Dessen Nachfolger Johannes Schallermann de Susato war in den Gurker Bistumsstreit verwickelt. Schallermanns Sekretär Oswald Strauss war wiederum der Bruder von Wolfhard Strauss, Abt von St. Emmeram in 106 Innsbruck, Universitätsbibliothek, Codex 457. 107 Marco Gozzi, „The Abbey of Novacella and Local Polyphonic Traditions“, in: Christian Berger (Hg.), Oswald von Wolkenstein. Die Rezeption eines internationalen Liedrepertoires im deutschen Sprach bereich um 1400 (Voces: Freiburger Beiträge zur Musikwissenschaft 14), Freiburg im Breisgau 2011, 17–32. 108 Robert Klugseder (mit Beiträgen von Alexander R ausch, Martin Roland und Hanna Zühlke), Quellen zur mittelalterlichen Musik- und Liturgiegeschichte des Klosters Mondsee (Codices Manuscripti. Supplementum 7), Purkersdorf 2012, 13. 109 K arl R auter, Der Klagenfurter Musiktraktat von 1430. Tractatus de musica, Klagenfurt 1989, 46 und 90. Vgl. auch Kap. VI, 86. Der Text wird schon von Gruber, „Beginn der Neuzeit“ (wie Anm. 87), 171 erwähnt, nicht hingegen von Walburga Litschauer, Art. „Gurk“, in: Flotzinger (Hg.), Oesterreichisches Musiklexikon online (wie Anm. 86).
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Regensburg, wodurch sich mögliche Verbindungen zu Hermann Pötzlinger ergeben, der dort zur selben Zeit die Position des Schulmeisters innehatte.110 Inhaltlich fallen Konkordanzen zu zentraleuropäischen Quellen auf. Die Verse zu den 16 Mutationsbeispielen111 finden sich in der Tradition des Prager Universitätsdozenten Johannes Hollandrinus wieder, dessen Musiklehre in einem schwer überschaubaren Konglomerat von miteinander verwandten Texten vor allem aus dem 15. Jahrhundert greifbar ist (s. u.). Zwei Passagen, die beide das System der Mutationen verdeutlichen – mit Zitaten von Aristoteles und Ockham – weisen eher auf das universitäre Milieu als auf den engeren Bildungsrahmen einer provinziellen Kathe dralschule.112 Spuren des Nominalismus (konkret das sog. Rasiermesser) des englischen Philosophen113 konnten sich demnach in eine Chorallehre einlagern, die für Angehörige eines Bildungszentrums von lokaler Bedeutung bestimmt war.
10. Musiklehr e – ‚alte‘ Inh alte, ‚neue‘ Ver mittlungsfor men? Im Melker Codex 1099 ist ein Excerptorium de semitoniis enthalten, das als Werk des Melker Priors Thomas von Baden identifiziert werden konnte.114 Der auf 1441 datierte Text ist somit einer der wenigen Musiktraktate in Österreich, die einem biographisch fassbaren Autor zuweisbar sind. Da die Einleitung mit ihrem früh humanistischen Sprachduktus durchaus den monastischen Historismus dieser Zeit repräsentiert, zudem der Traktat sich nicht nur an der Musica des Johannes de Muris orientiert, sondern außerdem (wie schon Engelbert von Admont) die pseudo-aristotelischen Problemata zitiert, lassen sich weitere Parallelen zu universitär beeinflussten Musiktraktaten ziehen. Eine entscheidende Rolle kommt dabei der sog. Hollandrinus-Tradition zu, mit den Zentren Prag und Krakau sowie Ausstrahlungen bis nach Ungarn (Esztergom).
110 Rumbold/Wright, Hermann Pötzlinger’s Music Book (wie Anm. 81), 122. 111 R auter, Klagenfurter Musiktraktat (wie Anm. 109), Kap. II, 49–62; vgl. die Übersicht, ebda., 43. 112 Ebda., 49 f. und 53. 113 Dazu Bernhold Schmid, „‚Frustra fit per plura quod fieri potest per pauciora‘. William von Ockhams ‚razor‘ in der Musikheorie“, in: László Dobszay (Hg.), IMS Study Group Cantus Planus. Papers Read at the 6th Meeting Eger, Hungary, 1993, Budapest 1995, Bd. 2, 665–682. 114 Vgl. Christine Glassner, „Leben und Werk des Melker Priors Thomas von Baden“, in: Codices Manuscripti 18/19 (1997), 81–95; Alexander R ausch, „Neue Quellen zur Rezeption des Prologus in tonarium des Bern von Reichenau“, in: Walter Pass/Ders. (Hgg.), Beiträge zur Musik, Musik theorie und Liturgie der Abtei Reichenau (Musica mediaevalis Europae occidentalis 8), Tutzing 2001, 69–98, 80–95.
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Neuere Forschungen115 haben gezeigt, dass Paris – neben Oxford und Italien (Bologna oder Padua) – der Ausgangspunkt dieses universitären Diskurses ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass von der Pariser Universität oder deren Curriculum eine ungebrochene Tradition bzw. Wirkung auf die englischen und zentraleuropäischen Lehranstalten ausging. Wie Joseph Dyer nachgewiesen hat, zeugen die Statuten der Universität Oxford von 1431, in denen die musica Boecii als Textbuch erwähnt wird, und dann der Unterricht an den Hochschulen in Prag und in Wien im 15. Jahrhundert von einem wiedererweckten Interesse an Musik als universitärem Lehrgegenstand – einer Kombination von Angebot und Nachfrage, deren Ursache kaum in der so gut wie nicht vorhandenen französischen Musiktheorie (inklusive Rezeption) des Spätmittelalters liegen kann.116 Die Verbreitung von musiktheoretischem Grundlagenwissen spiegelt sich nicht allein in den überlieferten Texten, sie funktioniert vor allem im mündlichen Unterricht. Es bestehen also zwei Möglichkeiten, die fallweise deckungsgleich sein können: die universitäre Lehre bzw. der Schulunterricht auf der einen Seite, die Vermittlung von Wissen durch spezielle Verfahren und Textsorten auf der anderen Seite. Das Curriculum an der Artistenfakultät sah für Musiktheorie die Musica Muris vor, also das traditionelle Textbuch vieler vergleichbarer Universitäten Zentraleuropas. Bei Mantuani wird für unseren Zeitraum für die Universität Wien nur Paul Troppauer als Lektor in Musiktheorie genannt (für das Jahr 1431).117 Diese verkürzte Sichtweise wurde auch in neuerer Literatur immer wieder referiert; ihr wären die Indices der Acta Facultatis Artium entgegenzuhalten, die darüber hinaus folgende Namen von Magistri aufweisen: neben Paulus Trop(p)awer (1429 und 1431) Wentzeslaus de Mirowitz (1427), Lucas de Prun (1428), Symon de Asparn (1430), Nicolaus de Zagrabia (1433), Liebhardus Swalb (1434), Leonardus de Hallstat (1438), Stephanus de Pruck (1440), Augustinus de Weilheim (1441), Mathias de Winsperg (1442).118 Diese Namen sind deshalb relevant, weil sie zum Teil die vier Nationen der Universität Wien – die Österreichische, Rheinische, Ungarische und Sächsische Nation – widerspiegeln. Der bekannteste Musiktheoretiker dieser Zeit scheint in anderem Zusammenhang 115 Michael Bernhard/Elżbieta Witkowska-Zaremba, Traditio Iohannis Hollandrini, Bd. 1: Die Lehrtradition des Johannes Hollandrinus (Bayerische Akademie der Wissenschaften. Veröffentlichungen der Musikhistorischen Kommission 19), München 2010. Zur Traditio Hollandrini sind insgesamt acht Bände erschienen. 116 Joseph Dyer, „Speculative ‚musica‘ and the Medieval University of Paris“, in: Music & Letters 90 (2009), 177–204, 202–204. 117 Mantuani, Musik in Wien (wie Anm. 91), 282, Anm. 4. 118 „Wiener Artistenregister“ 1416 bis 1447. Acta Facultatis Artium II (UAW Cod. Ph 7), bearb. von Thomas Maisel/Ingrid Matschinegg, Wien 2007, , 12.08.2015.
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auf: Am 11. April 1428 wurde Johannes Keck als Theologe zur Determination zugelassen. Er lehrte 1429–1431 an der Universität (allerdings nicht Musiktheorie), um sich später nicht zufällig nach Tegernsee, einem Zentrum der Melker Reform, zurückzuziehen und dort 1442 sein Introductorium musicae zu verfassen.119 Die zu einem guten Teil universitär geprägte Hollandrinus-Tradition hätte im 15. Jahrhundert nicht so einen Erfolg gehabt, wäre sie nicht einem allgemeinen Trend, dem Bedürfnis nach prägnanter Darstellung musiktheoretischer Themen, nachgekommen. In den relevanten Traktaten (aber nicht nur in ihnen) fallen Diagramme und Schemata, Notenincipits und Übungsbeispiele, quaestiones-ähnliche Fragen und Antworten, in den Text integrierte Glossen und zusätzliche Kommentare sowie Merkverse auf. Besonders die Letztgenannten sind ein Kennzeichen der mündlichen Vermittlung von Basiswissen, wobei die didaktische Komponente mitunter das Übergewicht über die inhaltliche gewinnt. Einige in Zentraleuropa entstandene Texte zeichnen sich dagegen durch spezielle Vermittlungsweisen aus, wie Mensuraltraktate in Versen. Unter den in Österreich rezipierten Traktaten dieses Genres ist in diesem Zusammenhang der Anonymus Pragensis zu erwähnen, der in Kremsmünster, Michaelbeuern und Melk (dort mit Glossen) um die Mitte des 15. Jahrhunderts kopiert wurde.120 Was prinzipiell schon bei Guido von Arezzo und seinen Kommentatoren vorgebildet ist, kehrt nun in der zentraleuropäischen Region in Form einer ‚neuen‘ Präsentation von Musiklehre wieder. Der Hauptgrund für diese Entwicklung, die auf subtile Weise auch die Inhalte (deren Auswahl, Anordnung und Darstellung) beeinflusst, dürfte im ‚neuen‘ Zielpublikum zu suchen sein, das häufig ein unstetes Wanderleben zwischen verschiedenen Universitäten führte – und dabei allerlei Musik mitnahm.
119 Martin Gerbert, Scriptores ecclesiastici de musica sacra potissimum, St. Blasien 1784, Bd. 3, 319– 329. Vgl. Bernhold Schmid, Art. „Keck“, in: Ludwig Finscher (Hg.), Die Musik in Geschichte und Gegenwart. 2., neubearbeitete Auflage, Personenteil, Bd. 9, Kassel/Stuttgart/Weimar u. a. 2003, 1581–1582. 120 Alexander R ausch, „Mensuraltraktate des Spätmittelalters in österreichischen Bibliotheken“, in: Michael Bernhard (Hg.), Quellen und Studien zur Musiktheorie des Mittelalters III (Bayerische Akademie der Wissenschaften. Veröffentlichungen der Musikhistorischen Kommission 15), München 2001, 273–303, 283–292 (Edition).
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11. Eigenwahr nehmung vs. Fr emdwahr nehmung Neben der viel zitierten Wien-Beschreibung bei Enea Silvio de’ Piccolomini – die nach neueren Forschungen weder als Brief konzipiert wurde noch von 1438 datiert, sondern erst aus den 1450er Jahren stammt121 – sind nur wenige Dokumente bekannt, die eine Außenwahrnehmung der musikalischen Verhältnisse in Österreich um 1440 belegen. – Ein solches liegt in den Reiseberichten des Pero Tafur (ca. 1410– 1488) vor.122 Der kastilische Edelmann traf im Winter 1438/39 König Albrecht II. in Brünn. Von ihm erhielt er den Auftrag, dessen Frau Elisabeth in Wien zu besuchen. Bevor Tafur nach Buda weiterzog, machte er vier Tage Station in der Residenzstadt bzw. wohnte im Landhaus des Königs in Laxenburg (Niederösterreich):123 Esta çibdat está sobre la ribera del Dinuvio, é es muy grande tanto como Córdova, é muy fermosa de casas de dentro é de fuera, muy gentiles calles, é muy gentiles mesones é yglesias, entre las quales la yglesia mayor es muy notable, é la torre della fué fecha por aquella de Astrazburque, que es muy fermosa, é estavan en ella unos órganos tan grandes, que paresçe quando tañen que toda la yglesia se cae. En esta çibdat ay muchos artesanos é de todas cosas; ay grandes estudios de çiençias. Tiene el Emperador una muy notable casa; aquí estava la Emperatriz, é fuíla á ver, que ansí el Emperador me lo avía mandado; ésta es fija del empe rador Sigismundo, dueña muy fermosa, alta de cuerpo, tiene un fijo pequeño, el cual agora es rey de Ungría, é dos fijas dentre doze é quinçe años; é allí le dixe nuevas del Emperador su marido […]. 121 Martin Wagendorfer, „Adolf Rusch, die ‚Historia Austrialis‘ und St. Paul, Cod. Blas. Chart. 7/2. Zu Datierung und Überlieferung der Wien-Beschreibungen des Eneas Silvius Piccolomini“, in: Christian Gastgeber/Elisabeth Klecker (Hgg.), Neulatein an der Universität Wien. Ein literarischer Streifzug. Franz Römer zum 65. Geburtstag gewidmet (Singularia Vindobonensia 1), Wien 2008, 89–102. 122 Vgl. die Zusammenfassung bei Ferdinand Opll, Nachrichten aus dem mittelalterlichen Wien. Zeitge nossen berichten, Wien/Köln/Weimar 1995, 136 f. 123 Andanças é viajes de Pero Tafur por diversas partes del mundo avidos (1435–1439), hg. von M. Jimenez de la Espada, Madrid 1874, 282. – Übers. d. Verf.: „Diese Stadt liegt an der Donau und ist sehr groß, so wie Córdoba, und sehr schön mit Häusern, von innen und von außen, sehr hübschen Gassen und sehr hübschen Gasthäusern und Kirchen; unter diesen ist die größte Kirche besonders bemerkenswert, deren Turm nach jenem von Straßburg gestaltet wurde, ebenfalls sehr schön. Darin befindet sich eine Orgel, die so groß ist, dass man meint, die ganze Kirche falle zusammen, wenn sie gespielt wird. In dieser Stadt gibt es viele Handwerker von allen Gewerben; und es gibt große Einrichtungen der Wissenschaften. Der Kaiser besitzt ein bemerkenswertes Haus; dort war die Kaiserin anwesend, die ich besuchte, wie mich der Kaiser beauftragt hatte. Sie ist die Tochter von Kaiser Sigismund, eine sehr schöne Frau, großgewachsen, und sie hat einen kleinen Sohn, der jetzt König von Ungarn ist, und zwei Töchter zwischen zwölf und fünf Jahren. Und dort brachte ich ihnen Neuigkeiten von ihrem Gemahl, dem Kaiser […]“.
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Der Text zieht nicht nur Vergleiche zwischen Wien und Córdoba (als Großstädte der damaligen Welt) oder dem Südturm von St. Stephan und dem Straßburger Münster. Er bestätigt auch die Bedeutung von Handwerk und Wissenschaften für die Hauptstadt, wodurch gewissermaßen eine Kontrastfolie zu Piccolomini entsteht (der sich aus humanistischer Sicht ziemlich abfällig über die Universität äußert). Vor allem wird – in rhetorischer Übertreibung, aber doch aussagekräftig – die groß dimensionierte Orgel von St. Stephan124 erwähnt, bei deren Klang der ganze Kirchenbau einzustürzen drohe. Zu den in mehrfacher Hinsicht bemerkenswerten Texten der Epoche zählen die Denkwürdigkeiten der Helene Kottanerin. Die Kammerfrau von Albrechts Gattin Elisabeth schildert darin in lebendiger Sprache die von ihr miterlebten Ereignisse rund um den Raub der ungarischen Krone, die Krönung des Ladislaus Postumus und den Kampf um dessen Anerkennung als rechtmäßiger Nachfolger nach dem Tod Albrechts (1439/40). Leider wurden diese Memoiren – die ersten deutschsprachigen, von einer Frau verfassten Erinnerungen – von der Musikwissenschaft kaum zur Kenntnis genommen.125 Der Bericht über die Krönung des Ladislaus Postumus in Stuhlweißenburg (Székesfehérvár) am 15. Mai 1440 erwähnt beiläufig die Orgel, allerdings nicht in musikalischem Zusammenhang, sondern nur, weil die Tochter der Zeremonie von der Empore aus zusah. Die Rechtmäßigkeit der Nachfolge des gekrönten Kindes wird auch durch das kollektive Gedächtnis über Generationen hinweg suggeriert: „Vnd warn etlich burger da, die des gedachten, daz man Kaiser Sigmund auch gekronet het, vnd die da bei gewesen waren.“126 Beim Aufenthalt des Zugs in Raab (Győr) kommen die böhmischen Adeligen, um ihren zukünftigen Herrscher zu begrüßen, wobei die Chronistin es auch in diesem Kontext nicht versäumt, den königlichen Status von Ladislaus als Naturrecht hinzustellen:127 Vnd wr waren nicht lang zu Rab, Do kamen die Behemischen Herren ettleich gen Rab vnd wollten iren naturlichen herren sehen, vnd ich můst den edelen Kung also plassen auf ainem polster fur sew tragen. Do wuerden sy, [Da wuerden sew] all frölich vnd laut 124 Der Plural „unos órganos“ (im heutigen Spanisch: „einige Orgeln“) dürfte vom lateinischen organa stammen und nur auf ein Instrument verweisen. 125 Eine Ausnahme bildet Elisabeth Th. Hilscher, Mit Leier und Schwert. Die Habsburger und die Musik, Graz u. a. 2000, 24. 126 Die Denkwürdigkeiten der Helene Kottannerin (1439–1440), hg. von K arl Mollay (Wiener Neudrucke 2), Wien 1971, 26. 127 Ebda., 31 f. Die Wörter in eckigen Klammern sind überflüssig („wohl aus Versehen bei der Abschrift“; ebda., 37).
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lachen, Vnd daz das kind dar ab erschrikchat vnd ward vast vnd laut waẏnen. Nu het wir auch ainen klainen knaben, der was [besnyten,] in narren geklaidt vnd besniten, [in narren gebant,] Vnd was doch nicht ain narr. Vnd wann der edel Kung nicht gesweigen wolt, Vnd als pald der knab zu der wiegen kam, vnd sang oder auf der lautten slueg, so lies der edel Kung von dem waẏnen.
Im Gefolge der Königin befand sich demnach ein Hofnarr, offenbar ein jüdischer Knabe,128 der in die Kategorie der ‚künstlichen Narren‘ (Schalksnarren) gehörte („vnd was doch nicht ain narr“ heißt nichts anderes, als dass er klug war). Wie in einem bekannten musikikonographischen Topos König David den Saul besänftigt, so wird Ladislaus von dem Knaben beruhigt, wenn dieser singt und auf der Laute spielt.129 Darüber hinaus existieren nach der Verfolgung und Verbrennung der Juden durch Herzog Albrecht V. in Wien und zahlreichen anderen Gemeinden des Reichs in den Jahren 1420/21 („Wiener Gesera“) und der exzessiven Besteuerung 1438/39 keine musikalisch relevanten Quellen zur jüdischen Gemeinschaft in Wien. Der einzige bekannte Hinweis betrifft „ein Gebäude in der Judengasse, offenbar ehemals die Wohnung des Cantors“, das noch 1433 als „Cantorei“ bezeichnet wurde.130 Obwohl keine schriftlichen musikalischen Zeugnisse vorliegen (und bei einer schriftlosen Musikkultur auch nicht zu erwarten wären), konstituiert diese Bezeichnung den Rest eines „Gedächtnisortes“. Im Codex Man. Cart. 10 der Stiftsbibliothek Michaelbeuern hat sich ein Fragment einer Thorarolle erhalten, das auf der Rückseite eine Art Partituraufzeichnung des Radels (eines dreistimmigen Kanons) Ju ich jag des Mönchs von Salzburg überliefert.131 Die Wien-Beschreibung des Enea Silvio de’ Piccolomini eröffnet bereits eine neue Epoche, in der Friedrich III. – in unserer modernen Außenwahrnehmung – den (musik)historischen Übergang zu Maximilian I. repräsentiert. Am Beispiel der Universität und des Stellenwerts der Musik sowohl als theoretischer Beschäftigung wie als studentischer Praxis lässt sich der humanistisch geprägte Wandel ablesen; hier setzten Friedrich und noch stärker Maximilian an. Auch die deutliche Aufwertung der 128 Der Herausgeber übersetzt „besniten“ mit „kastriert“ (ebda., 39 [Glossar]); hier gemeint ist aber das Beschneiden der Vorhaut aus religiösen Gründen, vgl. Matthias Lexer, Mittelhochdeutsches Ta schenwörterbuch, Stuttgart 381992, 17. 129 Die Angabe „vnd sang oder auf der lautten slueg“ lässt – wörtlich verstanden – auf Sologesang oder Instrumentalspiel schließen, dürfte vor allem aber auf den im Spätmittelalter verbreiteten Gesang mit Begleitung auf der Laute verweisen. Vgl. Nicole Schwindt (Hg.), Gesang zur Laute (troja: Trossinger Jahrbuch für Renaissancemusik 2), Kassel u. a. 2003. 130 Mantuani, Musik in Wien (wie Anm. 91), 288, Anm. 3 (zu 287). 131 Strohm, Europäische Musik des 15. Jahrhunderts (wie Anm. 98), 18 f. (basierend auf Christoph März) und 42 (Abb. 4).
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Hofmusikkapelle in den Jahrzehnten nach 1440 kann als historischer Wendepunkt beschrieben werden, der von Albrecht in kontinuierlicher Pflege des luxemburgischen Erbes in die Wege geleitet worden ist. Schon als Landesfürst vermochte Albrecht V. – insbesondere mit seiner weitreichenden Initiative der Melker Reform – ‚kulturpolitische‘ Maßnahmen zu setzen, wenngleich seine Interessen insgesamt eher auf ‚real politischem‘, vor allem militärischem und wirtschaftlichem Gebiet lagen.
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R aum II: Wandel und Kontinuität. Zur Rolle von Musik in den habsburgischen Ländern um 1740
Dass sich zwischen 1720 und 1770 Musik und Musikleben in Mitteleuropa1 grundlegend ändern, kann anhand mehrerer Indikatoren abgelesen werden: Adel wie Bürgertum emanzipieren sich zunehmend aus dem Einflussbereich der Höfe, entwickeln eigene Vorstellungen von Stil und Funktionalität von Musik (freilich ohne deren höfische Wurzeln verleugnen zu können bzw. zu wollen). Deutlich tritt dies beispielsweise in der Instrumentalmusik hervor: Diese galt innerhalb der Gattungsstruktur des Barock gegenüber den musikdramatischen Gattungen als defizient (d. h. ‚unvollständig‘); dementsprechend war die als ‚Gesamtkunstwerk‘ inszenierte und im höfischzeremoniellen Kontext bedeutsame ‚große Oper‘ im Wesentlichen dem Hof- bzw. Vizekapellmeister vorbehalten. Bis zur Wiener Klassik änderte sich die Gewichtung der Gattungen aufgrund verschiedener Faktoren insofern, als nun die Instrumentalgattungen – allen voran die Symphonie – in den Vordergrund traten und zu den neuen ‚Königsdisziplinen‘ für Komponisten wurden; die musikdramatischen Gattungen hatten jedoch nachhaltig ihren ehemals staatstragenden Charakter verloren.2 Inwieweit die Entstehung neuer Gattungen wie deren Neugewichtung gegenüber deren Wertung im Barock in Zusammenhang mit gesellschaftlichen Verschiebungen stand, kann freilich in der gebotenen Kürze nur thesenhaft und exemplarisch angedeutet *
Da dieser Text bereits 2015 fertiggestellt wurde, konnten Forschungsergebnisse aus dem Maria-Theresien-Jahr 2017 sowie der Projekte Transferprozesse in der Musikkultur Wiens, 1755–1780 (FWF, 2014– 2020) und Kloster_Musik_Sammlungen (FTI-Programm des Landes Niederösterreich, 2017–2019), die gerade für den angesprochenen Zeitraum viel neues Material und Erkenntnisse gebracht haben, nur punktuell eingearbeitet werden. 1 Unter ‚Mitteleuropa‘ wird in diesem Zusammenhang das Gebiet des Heiligen Römischen Reiches (einschließlich Reichsitaliens) verstanden sowie die Gebiete unter habsburgischer Herrschaft. Die intensiven Beziehungen dieses Zentralraumes zu Venedig, dem Patrimonium Petri und den spanischbourbonischen Herrschaftsgebieten auf der Apenninenhalbinsel sind jedoch ebenso zu berücksichtigen. Da dieser ‚Herrschaftsraum‘ Europa gleichsam wie ein breiter Mittelstreifen durchzieht und weit über den heute als ‚Zentraleuropa‘ definierten Bereich hinausgeht, wird hier der geographisch treffendere Begriff ‚Mitteleuropa‘ verwendet. 2 Vgl. Gernot Gruber, „Die Zeit der Wiener Klassik“, in: Ders. (Hg.), Musikgeschichte Österreichs, Bd. 2: Vom Barock zum Vormärz, Wien u. a. 1995, 133–277, 147–149.
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werden. Auch die Stadt wird in der zweiten Hälfte des ‚langen‘ 18. Jahrhunderts, parallel zur „Neuerfindung“ des Bürgertums,3 als ‚Musik-Raum‘ neu definiert – für Konzerte ebenso wie für das Musiktheater, dessen höfisches Quasi-Monopol nun zunehmend durch „Cavaliers-Gesellschaften“ und/oder bürgerliche Impresarii (mit finanzieller Unterstützung durch Mitglieder des Adels) getragen wird und sich stilistisch dem europäischen Mainstream angleicht. Stand die Opera seria noch bis in die 1780er Jahre unter höfischem Einfluss (wodurch eine gewisse regionale Stilistik erhalten blieb), überschwemmte die Opera buffa der italienischen Bühnen (vor allem Venedigs und Neapels) die übrigen europäischen Bühnen und führte in kurzer Zeit zum Verlust regionaler Charakteristika und zu stilistischer Vereinheitlichung. Als Hort der Stabilität präsentierte sich vorerst noch die Kirche, die erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts empfindliche Strukturwandel erlebte;4 die Kirchenmusik hingegen blieb bereits ab der Jahrhundertmitte von den stilistischen Neuerungen in der Musik keineswegs ausgeschlossen, wenngleich nach wie vor das Prinzip galt, dass Altes erst ersetzt wurde, wenn es besseres Neues gab. Stellen sich die Wandlungsprozesse in Musik und Gesellschaft als längerfristig, unterschiedlich intensiv und keineswegs geradlinig monokausal verlaufend dar,5 sind auch im politisch-dynastischen Bereich unterschiedliche, asynchron verlaufende Strömungen festzustellen: So kann die Entwicklung der Monarchia Austriaca6 als ein Prozess dargestellt werden, der im Dreißigjährigen Krieg langsam schleichend begann, in der Proklamation des Kaisertums Österreich 1804 einen politischen Abschluss 3 4 5
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Wolfgang Fuhrmann, „Das Fest und die Schrift, oder: Warum Haydn nicht als Opernkomponist berühmt geworden ist“, in: Studien zur Musikwissenschaft 56 (2010), 185–206, 185 f. Beispielsweise, aber nicht ausschließlich, durch Jansenismus, Josephinismus, Klosteraufhebungen, Jakobinertum. Dass diese in unterschiedlichen Bereichen in Länge, Dauer und Intensität ungleich verlaufen können und keineswegs (wie die Geschichtswissenschaft im 19. Jahrhundert voraussetzte) immer teleologisch und kontinuierlich vonstattengehen müssen, hat die Annales-Schule ab den 1930er Jahren in eindrucksvollen Studien dargelegt. Geschichtliche Erfahrungen und somit auch deren historische Interpretation hätten demnach bei einer genauen Analyse der materiellen Lebensbedingungen anzusetzen und zeitlich von einer ‚longue durée‘ auszugehen (vgl. Martha Howell/Walter Prevenier, Werkstatt des Historikers. Eine Einführung in die historischen Methoden, Köln u. a. 2004, 138–141). In diesem Sinne argumentiert auch K arl Vocelka, „Das ‚große österreichische Jahrhundert‘ in der Historiographie“, in: Ders. (Hg.), Österreichische Geschichte 1699–1815: Glanz und Untergang der höfischen Welt. Repräsentation, Reform und Reaktion im habsburgischen Vielvölkerstaat, Wien 2001, 15 für den hier untersuchten Zeitraum: „Die Schwierigkeit aller Periodisierung wird allerdings viel deutlicher, wenn man den Bereich der politischen Geschichte verläßt. Weder wirtschaftlich noch sozial, noch gar kulturell lassen sich Epochengrenzen klar mit Jahreszahlen ziehen.“ Vgl. dazu Thomas Winkelbauer, „Einleitung: Was heißt ‚Österreich‘ und ‚österreichische Geschichte‘?“, in: Ders. (Hg.), Geschichte Österreichs, Stuttgart 2015, 15–31, 19 f.
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fand und am Wiener Kongress 1814/15 endgültig bestätigt wurde.7 Der Antritt einer neuen, jungen Regentengeneration um 1740 auf vier wichtigen europäischen Thronen8 hingegen hat den Entwicklungen hin zu den modernen Nationalstaaten des 19. Jahrhunderts aufgrund der in der Folge stattgefundenen Reform- und Umstrukturierungsprozesse auf unterschiedlichsten Gebieten einen starken und – zumindest von späteren Generationen – als einschneidend empfundenen Impuls verliehen, der schließlich von der Geschichtsschreibung des späten 19. Jahrhunderts zu einem ‚Wendepunkt‘ verengt und generalisiert wurde.9 Karl Vocelka hingegen lehnt 1740 als Zäsur der politischen Geschichte ab und fordert eine differenzierte Sichtweise:10 Die alte Differenzierung zwischen dem katholisch-absolutistischen Staat bis 1740 und dem aufgeklärt-absolutistischen Staat von 1740 bis 1792 ist von der politischen Geschichtsschreibung, die sich mit den Institutionen beschäftigt, nicht mehr aufrechtzuerhalten. Doch findet sich in der Periodisierungsdiskussion eine Reihe von sich verdichtenden Begründungen für eine Epochengrenze in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Vor allem von einer kulturwissenschaftlichen Warte aus gesehen scheint die Zäsur rund um die Jahrhundertmitte durchaus sinnvoll.
Und auch Werner Telesko warnt davor, in die Geschichtsfalle der Gleichsetzung des Regierungsantritts Maria Theresias mit dem Beginn des heutigen Österreich zu tappen:11 Spätestens aber seit der Gründung der Zweiten Republik setzte die Omnipräsenz der verführerischen Gleichung Österreich = Maria Theresia ein. Kreiert wurde mithilfe des Begriffs Mater Austriae ein bewusst kultähnlicher und dezidiert in der Nähe der Mariazeller Magna Mater Austriae angesiedelter Mythos einer Rettung versprechenden Herrschergestalt, zu der 7
Ein Ansuchen der deutschen Fürsten an Kaiser Franz II./I., wieder die Kaiserkrone des Reiches aufzunehmen, wurde von Metternich abgelehnt. Zwar wurde im Deutschen Bund versucht, das Alte Reich in eine neue Form zu gießen, doch können Paulskirche und Reichsverwesertum nur mehr als ‚Appendix‘ der langen Geschichte des Heiligen Römischen Reiches gesehen werden, da ab den 1820er Jahren die supranationale Idee des Reiches Schritt für Schritt dem neuen Nationalstaatsgedanken geopfert wurde. 8 1740 erfolgte in den habsburgischen Erblanden der Wechsel von Karl VI. auf Maria Theresia und in Preußen von Friedrich Wilhelm I. auf Friedrich II.; 1741 wurde in Russland Zar Iwan VI. gestürzt, dem Zarin Elisabeth nachfolgte; die Krone des Heiligen Römischen Reiches wechselte 1742 zuerst auf Karl Albrecht von Bayern (Karl VII.), 1745 auf Franz Stephan von Lothringen (Franz I.). 9 Vgl. dazu Abschnitt 2, ‚Mythos Maria Theresia‘. 10 Vocelka, „Das ‚große österreichische Jahrhundert‘“ (wie Anm. 5), 16 f. 11 Werner Telesko, Maria Theresia. Ein europäischer Mythos, Wien/Köln/Weimar 2012, 23.
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Österreich und Europa in der Zeit nach der tiefsten Niederlage des europäischen Geistes im Zweiten Weltkrieg pilgern sollten. Das Ziel dieser ‚Genesung‘ Österreichs nach 1945 sollte demnach im angeblich personifizierten Wesen des Österreichischen selbst, in Maria Theresia, bestehen. Man kann hier im Sinne des von Moritz Csáky festgestellten totalistischen Geschichtsbildes durchaus von einer beabsichtigten Gleichsetzung zwischen dem heutigen Österreich und der Habsburgermonarchie sprechen – und davon ausgehend – vom Versuch einer Integration Maria Theresias in das Geschichtsbild der heutigen Republik Österreich.
1. Zum Begr iff von ‚Schnittstelle‘ und ‚Sattelzeit‘ Wenn also der Regierungswechsel 1740 bestenfalls als Kulminations- bzw. Wendepunkt innerhalb eines multiplen langfristigen Transformationsprozesses im Zuge des 18. Jahrhunderts gesehen werden kann, scheint es für den Zeitraum 1720 bis 1770 sinnvoller, sich des Begriffes ‚Sattelzeit‘ zu bedienen, wie er von Reinhart Koselleck definiert wurde, als jenes einer weitaus punktueller definierten ‚Schnittstelle‘. Koselleck ging davon aus, dass das Kennzeichen dieser Übergangsperiode zwischen ancien régime und Französischer Revolution bis zur Stabilisierung Europas nach dem Wiener Kongress multiple Brüche und Diskontinuitäten seien.12 Um Veränderungen darzustellen, werden daher meist Beispiele der Folgen der Transformationen aus dem Zeitraum nach dieser Periode des Überganges gewählt, weniger aus den Prozessverläufen 12 Koselleck führte den Begriff als Arbeitshypothese für die Geschichtlichen Grundbegriffe ein, um damit den Übergangszeitraum zwischen dem Feudalsystem der Frühneuzeit und der postrevolutionären Neuzeit als Ausgangspunkt der im Lexikon zu definierenden Begriffe zu fassen: „Der heuristische Vorgriff der Lexikonarbeit besteht in der Vermutung, daß sich seit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts ein tiefgreifender Bedeutungswandel klassischer topoi vollzogen, daß alte Worte neue Sinngehalte gewonnen haben, die mit Annäherung an unsere Gegenwart keiner Übersetzung mehr bedürftig sind. Der heuristische Vorgriff führt sozusagen eine ,Sattelzeit‘ ein, in der sich die Herkunft zu unserer Präsenz wandelt. Entsprechende Begriffe tragen ein Janusgesicht: rückwärtsgewandt meinen sie soziale und politische Sachverhalte, die uns ohne kritische Kommentare nicht mehr verständlich sind, vorwärts und uns zugewandt haben sie Bedeutungen gewonnen, die zwar erläutert werden können, die aber auch unmittelbar verständlich zu sein scheinen. Begrifflichkeit und Begreifbarkeit fallen seitdem für uns zusammen. […] Der heuristische Vorgriff führt also zu einer Schwerpunktbildung, die von der geschichtlichen Fragestellung nach Dauer oder Überdauern der Herkunft und nach Wandel oder Umbruch durch die revolutionäre Bewegung [der Französischen Revolution] bestimmt ist. Alle Begriffsgeschichten zusammen bezeugen neue Sachverhalte, ein sich änderndes Verhältnis zu Natur und Geschichte, zur Welt und zur Zeit: kurz den Beginn der ,Neuzeit‘.“ Reinhart Koselleck, „Einleitung“, in: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hgg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politischen Sprache in Deutschland, Bd. 1, Stuttgart 2004 (Studienausgabe; Erstausgabe 1972), xiii–xxvii, xv.
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selbst – ein Vorgehen, das Gabriel Motzkin zu Recht als problematisch kritisiert und eine Betrachtung von Übergangszeiten in größeren Kontexten und weitgespannten „historischen Bögen“ fordert:13 Der Begriff einer überbrückenden Periode wie einer Sattelzeit hängt von der Idee ab, daß es ein Vorher und ein Nachher sowie eine Übergangsperiode dazwischen gibt. Angenommen, daß es einen Sinn hat, solche Abgrenzungen als Perioden zu bestimmen, muß eine Übergangsperiode zwischen zwei Perioden logisch so aufgefaßt werden, daß sie sich irgendwo in einem Kontinuum zwischen der vorangegangenen und der folgenden Periode befindet, es sei denn, man vertritt die Position, daß eine Übergangsperiode irgendwie in beide Richtungen, nicht nur in einer, heterogen oder verschieden ist, denn sonst ist sie keine Übergangsperiode. Übergangsperioden werden jedoch, wie wir sehen werden, de facto eher im Rahmen einer Periode, entweder der vorangegangenen oder folgenden, aufgefaßt denn als etwas sui generis. Eine Übergangsperiode sollte dann entweder in beide Richtungen kontinuierlich oder in beide Richtungen diskontinuierlich sein. Im letzteren Fall handelt es sich aber gar nicht um eine Übergangsperiode. Weil es also keine kohärente Auffassung einer Übergangsperiode gibt, muß die Grundannahme für eine Übergangsperiode diejenige einer überwölbenden geschichtlichen Kontinuität sein.
Doch um das Spannungsfeld von Kontinuität und Diskontinuität aufzuzeigen, müssen, Motzkins Thesen konsequent weitergedacht, beide ‚Pole‘ der Sattelzeit, Ausgangssituation und Stabilisierung am Ende der Umbruchszeit, betrachtet werden. Und um die historisch korrekte Chronologie nicht umzukehren – zumal eingedenk der weitgehend traditionalistisch-retrospektiv und den Prinzipien des ancien régime verpflichteten Denkweise der Protagonisten für die Zeit ‚um 1740‘ –, scheint es logisch, Kontinuitäten wie deren Brüche zuerst vom Ausgangspunkt der Sattelzeit her zu betrachten und sich erst dann der ‚Endsituation‘ zuzuwenden, selbst wenn sich Letzteres als Ausgangspunkt auf den ersten Blick anzubieten scheint. Denn wenn Koselleck in Hinblick auf die Entwicklung der Alltagssprache feststellt, dass „seit etwa 1770 eine Fülle neuer Worte und Wortbedeutungen auftauchen“,14 können Parallelen zur musikalischen Entwicklung gezogen werden: So sind um 1770 die grundlegenden Merkmale der sog. Wiener Klassik entwickelt, hat sich ein „neuer Ton“15 durchge13 Gabriel Motzkin, „Über den Begriff der geschichtlichen (Dis-)Kontinuität. Reinhart Kosellecks Konstruktion der ,Sattelzeit‘“, in: Hans Joas/Peter Vogt (Hgg.), Begriffene Geschichte. Beiträ ge zum Werk Reinhart Kosellecks, Berlin 2011, 339–358, 339 (Zitat) bzw. 340 (Kritik an Kosellecks ‚Sattelzeit‘-Begriff). 14 Koselleck, „Einleitung“ (wie Anm. 12), xv. 15 Jacques Handschin, Musikgeschichte im Überblick, Luzern 1948, 298. Handschin versteht unter
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setzt, hat sich aber auch in den Städten ein von Adel und Bürgertum getragenes Musikleben zu etablieren begonnen und ist in den meisten Klöstern und Kirchen der habsburgischen Länder ein tiefgreifender Austausch des alten Musikrepertoires durch zeitgenössisches erfolgt. Es scheint also im Musikleben um 1770 ein großes Potential wie auch Bedürfnis nach Erneuerung gegeben zu haben, ebenso auch an Personen und Kapital, um diese Reformen und Änderungen konsequent durchführen zu können. Dies wirft jedoch die Frage auf, wodurch dieses Bedürfnis nach Neuem und dieses Potential zur Durchführung großer Veränderungen entstanden sind. Doch abgesehen von der großen Konsequenz, mit der die Veränderungen erfolgten, muss, als ein weiteres Merkmal einer Sattelzeit, deren Vielschichtigkeit in Betracht gezogen werden. Veränderung, so Koselleck, sei kein monolithischer Prozess, sondern finde in unterschiedlichen Schichten und Geschwindigkeiten sowie mit unterschiedlichen Konsequenzen statt.16
2. ‚My thos M ar ia Ther esia‘ In der Diskussion eines möglichen Wendepunktes um 1740 darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die unzweifelhaft großen Veränderungen, die während des 18. Jahrhunderts stattgefunden haben, an den Regierungswechsel von Karl VI. auf seine bis heute im Bewusstsein Österreichs (wenn nicht sogar Europas) als weltliche „Magna Mater Austriae“ verehrte Tochter Maria Theresia geknüpft werden.17 Das ‚lange‘ 18. Jahrhundert wurde (und wird immer noch) als ein „großes österreichisches Heldenzeitalter“ gesehen und vor allem durch die populäre Geschichtsschreibung auch weiterhin als solches stilisiert: vom Kriegshelden Prinz Eugen zur großen Herrscherin, der ‚Kaiserin‘ Maria Theresia, bis zu den ‚Helden der Kunst‘, dem Triumvirat der Wiener Klassik, Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig dem „neuen Ton“ vor allem jenen liedhaften, auf die Melodie fokussierten Stil, wie er um 1750/60 mit der neapolitanischen Oper (Scarlatti, Leo, Feo, Vinci, Porpora) in ganz Europa beliebt wurde. 16 Vgl. Reinhart Koselleck, „Wie neu ist die Neuzeit?“, in: Historische Zeitschrift 251 (1990), 539– 553, 552. 17 So wird sie am Klagenfurter Maria-Theresien-Denkmal von Balthasar Ferdinand Moll (1765) explizit als „Mater Magna“ bezeichnet; vgl. dazu Franz Matsche, „Maria Theresias Bild als Herrscherin in der Kunst ihrer Zeit“, in: Pierre Béhar u. a. (Hgg.), Maria Theresias Kulturwelt. Geschichte, Religi osität, Literatur, Oper, Ballettkultur, Architektur, Malerei, Kunsttischlerei, Porzellan und Zuckerbäckerei im Zeitalter Maria Theresias (Documenta Austriaca 2), Hildesheim u. a. 2011, 195–245, 211 bzw. 219. Zur Vielschichtigkeit des ‚Mutter-Mythos‘ bei Maria Theresia vgl. Telesko, Maria Theresia (wie Anm. 11), 11–17. Die Betonung der Mutterrolle diente auch der Abgrenzung gegenüber dem marsianisch konnotierten Bild Friedrichs II. von Preußen.
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van Beethoven.18 Vor allem die Gestalt der Herrscherin wird in der österreichischen Geschichtsschreibung bis heute – von wenigen kritischen Stimmen abgesehen – uneingeschränkt positiv beurteilt: als Muttergestalt, als Lichtbringerin für Recht, Geistes- und Kulturleben, als Schöpferin von Ruhe und Ordnung im Staatswesen und als Friedensbringerin (sie, die den Großteil ihrer Regentschaft Kriege geführt hat!). Viele dieser Topoi fußen auf in barocker Manier der Herrscherin zugeeigneten Lobgedichten19, Liedern20 und Werken der bildenden Kunst21; auch, dass nach ihrem Tod zahlreiche Leichenpredigten, Trauergedichte und verherrlichende Biographien erschienen, fügt sich in das Bild barocker Herrscherpanegyrik. Was letztlich zu der nun als problematisch empfundenen unkritischen Sicht auf dieses Zeitalter führte, ist die bis in die Gegenwart unreflektierte Übernahme von Topoi barocker Herrscherpanegyrik in eine verwissenschaftlichte Darstellung der österreichischen Geschichte durch eine in diesen Tendenzen sicherlich durch die Dynastie ermutigte und geförderte Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts. „Damit allerdings wurde“, wie Vocelka kritisch anmerkt, „Maria Theresia zu einer Art von Götzenbild, dessen Dekonstruktion ein wichtiges Unterfangen der nächsten Zeit sein sollte.“22 In einem Punkt stellt der Regierungsantritt Maria Theresias tatsächlich einen Markstein in der österreichischen Geschichte dar: Erstmals trat die im Privilegium minus verankerte weibliche Erbfolge in Kraft, und auch Ungarn und Böhmen erhielten eine Königin (korrekt einen König weiblichen Geschlechts, denn die Krönung in 18 Vgl. dazu Vocelka, „Das ‚große österreichische Jahrhundert‘“ (wie Anm. 5), 11 bzw. 25. 19 Siehe Wynfrid Kriegleder, „Die deutschsprachige Literatur in Wien um 1740“, in: Elisabeth Fritz-Hilscher (Hg.), Im Dienste einer Staatsidee. Künste und Künstler am Wiener Hof um 1740 (Wiener Musikwissenschaftliche Beiträge 24), Wien u. a. 2012, 47–64 bzw. K arl Vocelka, „Das Jahrhundert der ‚großen Gestalten‘“, in: Ders. (Hg.), Österreichische Geschichte 1699–1815 (wie Anm. 5), 28–32. 20 Dazu Leopold Schmidt (Hg.), Historische Volkslieder aus Österreich vom 15. bis zum 19. Jahrhundert (Wiener Neudrucke 1), Wien 1971. Siehe auch S. 127–131 im vorliegenden Beitrag. 21 Vgl. Werner Telesko, Geschichtsraum Österreich. Die Habsburger und ihre Geschichte in der bilden den Kunst des 19. Jahrhunderts, Wien/Köln/Weimar 2006, 79–103. 22 Vocelka, „Das Jahrhundert der ‚großen Gestalten‘“ (wie Anm. 19), 33. Tagungen, Publikationen und Ausstellungen haben im Jubiläumsjahr 2017 intensiv zu einer Neubewertung Maria Theresias und ihrer Herrschaft beigetragen, ebenso das von Werner Telesko geleitete FWF-Projekt „Herrscherrepräsentation und Geschichtskultur unter Maria Theresia (1740–1780)“; siehe dazu Werner Telesko/ Sandra Hertel/Stefanie Linsboth (Hgg.), Die Repräsentation Maria Theresias. Herrschaft und Bildpolitik im Zeitalter der Aufklärung (Schriftenreihe der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts 19), Wien/Köln/Weimar 2020. Hervorzuheben sind der Katalog zur Jubiläumsausstellung im Schloss Schönbrunn (Elfriede Iby/Martin Mutschlechner/Werner Telesko/K arl Vocelka [Hgg.], Maria Theresia 1717–1780. Strategin – Mutter – Reformerin, Wien 2017) sowie die Monographie von Barbara Stollberg-Rilinger, Maria Theresia. Die Kaiserin in ihrer Zeit. Eine Biographie, München 2017.
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Pressburg erfolgte zum „Rex hungariae“, die in Prag zur Königin von Böhmen, jedoch nach dem Zeremoniell einer Königskrönung). Dass dies bis zum Ende der Monarchie die einzige weibliche Herrschaft in den habsburgischen Ländern blieb, bot dem ‚Mythos Maria Theresia‘ zusätzlich Nahrung:23 Die Übersteigerung der Bedeutung Maria Theresias führte auch dazu, dass man in ihrer Person nicht nur innovative Handlungsprinzipien vergegenwärtigt sehen wollte, sondern überdies meinte, in Gestalt ihrer Regentschaft eine Zeitenwende schlechthin erkennen zu können. Letztere Vorstellung beflügelte die Kommentare in besonderer Weise: „Vollends in Maria Theresia mischen sich die Generationen; sie ist die Mutter einer neuen Zeit, fühlt sich aber zeitlebens als Tochter einer alten […].“ Offensichtlich ist hier von Hans Tietze der eigentümliche Begriff Mutter einer neuen Zeit mit Bedacht gewählt: Diese Formulierung beinhaltet nämlich einerseits die Feststellung, dass Maria Theresia als Kind einer neuen Zeit am Übergang vom Barock zur Aufklärung angesehen werden kann. Andererseits aber wird durch die Betonung ihrer Mutterrolle auch ein geschichtlich schöpferisches und gleichsam hervorbringendes Prinzip postuliert, indem die Veränderungen einer solcherart akzentuierten Zeitenwende in der Mitte des 18. Jahrhunderts nicht ohne die epochale historische Funktion Maria Theresias verständlich wären.
Gerade für die Anfangsjahre der Regentschaft Maria Theresias darf nicht außer Acht gelassen werden, dass sich die Regentin zur Sicherung ihrer Territorien durchaus der „alten Kleider“24, d. h. gängiger Formensprache und Vokabeln symbolischer Kommunikation bediente, selbst wenn sie (und mit ihr die Vertreter der jungen Generation am Hof ) diese Symbolsprache als brüchig und nur mehr eingeschränkt zeitgemäß empfand. Der Rückgriff auf den althergebrachten Metaphern-Kodex versprach jedoch Sicherheit 23 Telesko, Maria Theresia (wie Anm. 11), 21 (das Zitat stammt aus Hans Tietze, Wien. Kultur – Kunst – Geschichte, Wien/Leipzig 1931, 297). Zur Formulierung des Maria-Theresien-Bildes des 19. Jahrhunderts vgl. ebda., 129–144. 24 Zum Symbol der ‚alten Kleider‘ für die ab der Mitte des 18. Jahrhunderts zunehmend als überkommen empfundene Symbolsprache des Heiligen Römischen Reichs vgl. Barbara Stollberg-Rillinger, Des Kaisers alte Kleider. Verfassungsgeschichte und Symbolsprache des Alten Reichs, München 2008, 7–12; sie definiert 1753/65 als Zeitenwende, da mit dem Ende des Siebenjährigen Krieges der unaufhaltsame Aufstieg Preußens begann, der die Kräfteverhältnisse im Alten Reich nachhaltig veränderte und letztlich in die Gründung des neuen, preußischen Kaiserreiches 1871 mündete – eines modernen Nationalstaates, der mit Vehemenz auf eine territoriale Einigung drängte (ebda., 227–229). Dieser Perspektive aus der Sicht des Reiches kann jene aus österreichischer Sicht an die Seite gestellt werden, da 1765 mit Joseph II. ein radikaler Vertreter eines modernen Herrschers die Regentschaft im Reich antrat (wenngleich die Durchsetzung seiner Reformen durch die Omnipräsenz seiner Mutter bis 1780 deutlich gehemmt wurde).
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und Kontinuität – eine Erneuerung bzw. Neudefinition dieser Topoi erfolgte erst allmählich, nach Sicherung der Herrschaft. In der Entwicklung der mit Maria Theresia verbundenen Narrative wurde der traditionelle Tugendkodex der Habsburger jedoch nicht abgelehnt, sondern für ein neues Herrscher- und Dynastiebild weiterentwickelt:25 Die Vielfalt der Attribute und Funktionen, die Maria Theresia bereits zu Lebzeiten zugeordnet wurden, aktivierte und verdichtete man im Laufe der folgenden Jahrzehnte und Jahrhunderte immer weiter und schuf aus ihnen gleichsam konsens- und verbreitungsfähige Images in Wort und Bild. Dieser ‚Pluralismus‘ wurde somit – ausgehend von der Produktion des 18. Jahrhunderts – zu einem tragenden Argumentations- und Deutungsprinzip erhoben – eingebettet in eine pluralistische sozial-politische Lebenswelt. Die in einzelne (Ideal-)Typen (Mutter, Herrscherin, Witwe etc.) aufgefächerte Person Maria Theresia26 stilisierte man ins allgemein Menschlich-Mythische, das idealerweise weit über allem Veränderlich-Geschichtlichen positioniert und deshalb besonders resistent gegen unliebsame Veränderungen war. Unter diesem Aspekt gewinnt – und hier wiederum besonders für die Phänomene des 19. und 20. Jahrhunderts – der Mythos-Begriff von Roland Barthes eine besondere Bedeutung: Der Mythos besitzt demgemäß den Charakter einer starren Botschaft, die das, was geschichtlich geworden ist, gleichsam in feststehend-ewige Natur verwandelt und es so der Verfügung politischer Handlungsträger entzieht. Am Beispiel Maria Theresias wird besonders deutlich, wie wenig die Stoffe, aus denen die Mythen konstruiert wurden, von Bedeutung gewesen sind, als vielmehr das Verhältnis zum jeweiligen Rezipienten sowie der entsprechende Aktualitätsgrad.
3. Nar r ative im Wandel Die Zeit um 1740 kann als Zeitalter noch ungetrübter Feudalherrschaft angesehen werden, die – streng hierarchisch ausgerichtet – in einem ausgeklügelten PatronageKlientel-System wie in der Zugehörigkeit zu der familia einer ‚Herrschaft‘ soziale
25 Vgl. dazu Telesko, Maria Theresia (wie Anm. 11), 25, weiters 24–25, 32–34 und 43–48. Zum Mythos-Begriff vgl. Roland Barthes, Mythen des Alltags, Frankfurt am Main 1964 (frz. Original: Paris 1957). 26 Die Auffächerung eines Herrschers in unterschiedliche Typen wäre an sich nichts Neues (vgl. dazu die Typologie für Karl VI. bei Franz Matsche, Die Kunst im Dienste der Staatsidee Kaiser Karls VI. Iko nographie, Ikonologie und Programmatik des „Kaiserstils“ [Beiträge zur Kunstgeschichte 16], Berlin/New York 1981), wohl aber die Akzentuierung unterschiedlicher Mutter- und Frauenbilder, die zwischen der Mulier fortis des Barock und einem ‚Hausmütterchen‘ des 19. Jahrhunderts changieren.
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Sicherheiten wie Möglichkeiten zu sozialem Aufstieg schuf.27 Ein im Laufe der Frühneuzeit immer weiter ausgefeiltes Zeremoniell, das sich nicht nur an den geistlichen Höfen an der Liturgie der katholischen Kirche orientierte und den Höflingen zeigte, wo ihr Platz und ihr ‚Wert‘ innerhalb der Hofgesellschaft war (in diesem Sinne diente das Zeremoniell auch als Mittel der Sozialdisziplinierung), bildete das Rückgrat dieser Ordnung.28 Als Motor jenes grundlegenden und vielschichtigen Wandlungsprozesses, der fast das gesamte 18. Jahrhundert durchzog, wird in der Literatur immer wieder die Aufklärung genannt, die in ihren unterschiedlichen Ausprägungen und ‚Wellen‘ zwar im Wesentlichen von einer kleinen Gruppe an Gelehrten und Aristokraten rezipiert wurde, deren Erkenntnisse und grundlegende Inhalte allerdings „oft als Schlagworte, durch die Risse der gesellschaftlichen Schichtung in andere Kreise“ übergingen29 und so Popularisierung wie Nivellierung erfuhren. Änderungen im Selbstverständnis von Herrscher und Herrschaft haben ebenso ihren Niederschlag im Musikleben gefunden wie die Entwicklung eines eigenen bürgerlichen Tugendkanons, der in der neuen Dimension von ‚Freizeit‘ Möglichkeiten auch für kulturelles Engagement und eigenes Musizieren nach dem Vorbild des Adels bot und so einen bislang kaum existenten Markt öffnete – doch ist dies ein weiter Vorgriff auf die 1770er Jahre.30 27 Als Beispiel mag Franz Anton Graf Sporck dienen, dessen Vater aus dem Bauernstand kam, der jedoch über das Militär einen glänzenden gesellschaftlichen Aufstieg erlebte; Franz Anton selbst zählte nicht nur zu den führenden Vertretern des Jansenismus in den habsburgischen Ländern, sondern auch zu den wichtigsten Promotoren eines adeligen Musiktheaterbetriebes in Böhmen (vgl. dazu K arl Vocelka, „Das Jahrhundert der großen geistigen Veränderungen“, in: Ders. [Hg.], Österreichische Geschichte 1699–1815 [wie Anm. 5], 236 f.). 28 Vgl. dazu Jean de la Bruyère, Die Charaktere oder Die Sitten im Zeitalter Ludwigs XIV. [frz. Originalausgabe: Les Caractères de Théophraste, traduits du grec, ou les moeurs de ce siècle, 1688], Leipzig o. J., 188 f.: „Das Hofleben ist ein ernstes, trauriges und anstrengendes Spiel. Man muß seine Steine und Batterien zurecht stellen, muß sich einen Plan machen, ihn verfolgen, sich gegen den seines Gegners decken, bisweilen wagen und sich seiner Laune überlassen; und nach allen seinen Träumereien und allen seinen Maßregeln steht man im Schach und ist oftmals matt. Manchmal zieht man mit den Bauern, die man wohl aufspart, in die Dame, und gewinnt die Partie. Der Geschickteste oder der Glücklichste trägt den Sieg davon.“ 29 Koselleck, „Einleitung“ (wie Anm. 12), xvi. 30 Erste Ansätze zu diesem Wandel können an den beiden Bänden von Julius Bernhard von Rohr zur Zeremonialwissenschaft abgelesen werden, deren erster Teil eine Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft Der Privat-Personen […], Berlin 1728, darstellt. Die Kapitel X und XI sind dem korrekten Verhalten beim Tanz und auf Bällen sowie bei „Divertissemens [!], Comoedien/Opern, Music, und andern dergleichen“ gewidmet (466–516). Rohr legt der „Privat-Person“, die wohl am ehesten als ‚Bürger‘ zu interpretieren ist, nahe, sich den höfischen Sitten anzunähern, jedoch sich seinem Stande geziemend zu verhalten und sich keiner Lächerlichkeit preiszugeben: „Die Sittsamkeit in Dantzen ist einem jeden anzurathen. Die Capriolen und Lufft-Sprünge sind denen Comoedianten und Operisten auf den Theatris anstän-
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Um 1740 dominierte der höfische Absolutismus in seiner spätbarocken Pracht, wie er durch die beiden Fischer von Erlach (Johann Bernhard und seinen Sohn, Joseph Emanuel), Karl Gustav Heraeus oder Pietro Metastasio und Antonio Caldara bzw. Johann Joseph Fux verherrlicht und in eine den jeweiligen Künsten adäquate Formensprache gegossen wurde. Zeremoniell und Gottesgnadentum wurden in Krisenzeiten (wie nach dem Tod von Karl VI. und dem nachfolgenden Ringen um die Herrschaft) zu Fundamenten der Herrschaftssicherung, da sie den Herrscher auf eine Ebene zwischen Gott und den Menschen hoben, ihn über weltliche Gerichtsbarkeit und Gesetze erhaben und unantastbar in seinem Amt darstellten.31 Dennoch kann auch schon in den frühen Regierungsjahren Maria Theresias am Hof ein Wandel im Bewusstsein um Herrschaft und Amtsverständnis festgestellt werden, wie sich dies nicht zuletzt an der Person des poeta cesareo Pietro Metastasio demonstrieren lässt: Von 1729 bis zum Tod Karls VI. schuf Metastasio in seinen Dramentexten wie in zahlreichen kleineren Werken und Programmen eine panegyrische Aura, geprägt von den Narrativen barocker Amtsethik und Dynastieverherrlichung. Diese Stellung als ‚Hüter‘ dieser Narrative und des Vokabulars des Tugendkodex verlieh dem poeta cesa reo eine prominente Stellung bei Hof:32 diger als Hof-Leuten oder andern Däntzern bey honetten Dantz-Versammlungen. So sind auch alle tollen Umschwenckungen, Wendungen, und seltzamen Sprünge, die nach dem Pöbel schmecken, und dadurch entweder bey den Dantzenden oder auch bey den Zuschauern einige verbothne Lust erreget werden könte, mit allen Ernst zu vermeyden.“ (Ebda., 484, § 22.) Noch deutlicher wird der Unterschied zwischen bürgerlichem und adeligem Tugendkodex im Abschnitt über die „Divertissemens“ [!]: Wird dieses Thema im Buch der Privat-Personen auf knapp über 20 Seiten abgehandelt, nimmt es in der Ein leitung zur Ceremoniel-Wissenschafft Der großen Herren […], Berlin 1733, aus der Feder desselben Autors, den gesamten 4. Teil mit gut 150 Seiten ein. Was für den Adeligen notwendiger Teil der Repräsentation und seines Lebens, gilt dem Bürgerlichen als Zeitverschwendung – Zeit, ein Faktor, der im bürgerlichen Leben eine große Rolle spielt, nicht aber im adeligen: „Ein rechtschaffener Christ, sagt er [Pritius]: hat in diesen und allen andern Belustigungen sich sorgfältig zu hüten, daß er niemahls, weder was die Zeit, noch was sein Vorsatz und Absehen anbetrifft, aus seinen Schrancken schreite; Derowegen muß er sich nicht gar zu sehr drauf legen, und allzu viel Stunden darauf verwenden, sondern er hat sich derselben also zu bedienen, daß sie ihm nicht zu einem Strick werden, und ihm zu dem Ende dienen, deßwegen sie vorgenommen werden, auf daß er dermahleinst, wenn ihm GOtt zur Rechenschaft fordert, ihm so wohl Rechnung von seinen Belustigungen, als von seinen andern nothwendigen Pflicht-Schuldigkeiten, von seinem Stand u. Amts-Verrichtungen geben könne.“ (Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft Der Privat-Personen, 494 f.) 31 Vgl. dazu Elisabeth Theresia Hilscher, „Antike Mythologie und habsburgischer Tugendkodex. Metastasios Libretti für Kaiser Karl VI. und ihre Vertonung durch Antonio Caldara“, in: Andrea Sommer-Mathis/Dies. (Hgg.), Pietro Metastasio – uomo universale (1698–1782). Festgabe der Österreichi schen Akademie der Wissenschaften zum 300. Geburtstag von Pietro Metastasio (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse, Sitzungsberichte 676), Wien 2000, 63–72, 63–66. 32 Mario Fubini, „Introduzione a Metastasio“, in: Pietro Metastasio, Opere, hg. von Dems., Mailand/Neapel 1968, 7, in deutscher Übersetzung zitiert bei Erika K anduth, „Metastasio als
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Er [Metastasio] konnte vollkommen die Rolle des kaiserlichen Dichters vertreten, indem er dem Titel ein Prestige verlieh, wie es weder vor noch nach ihm jemand hatte, wie es auch kein Dichter an einem anderen Hof besaß, indem er sich gänzlich und ausschließlich dem ihm angeordneten Werke widmete, als Autor von Melodramen, von Theaterfesten, Oratorien für die zahlreichen verschiedenen Feiern des österreichischen Hofes, ohne daß er in dieser verpflichtenden Arbeit Grenzen oder Verlegenheit empfunden hätte, und indem er den von ihm verlangten Werken eine literarische Würde verlieh, wie sie vorher nicht bekannt war, so daß diese Werke die Bewunderung von ganz Europa auslösten, auch außerhalb der höfischen Kreise, für die sie verfaßt worden waren.
Seine exorbitant hohe Entlohnung von insgesamt 4.400 fl. spiegelt die Bedeutung wider, die dem Amt des kaiserlichen Hofpoeten als ‚Hüter‘ von Tugendkodex und Amtsethik am Kaiserhof beigemessen wurde.33 Mit dem Regierungswechsel auf Maria Theresia bzw. Franz Stephan von Lothringen behielt Metastasio zwar seine exponierte Stellung bei Hofe bei (und wurden seine für Karl VI. geschaffenen Texte weiter, jedoch keineswegs mehr exklusiv am Wiener Hof vertont), doch schrieb der poeta cesa reo kaum mehr neue, und wenn, dann eher kurze panegyrische Texte für den neuen Hof. Hingegen stilisierte sich Metastasio ab 1740 zunehmend zu einem Denkmal seiner selbst und arbeitete als lebendes Relikt einer vergangenen Zeit an seiner memoria, einer autorisierten Ausgabe seiner Werke wie seiner Briefe.34 In gewisser Weise, wenngleich nicht durch den Hof (direkt) gesteuert und beauftragt, übernahmen nun sukzessive die Vertreter der jungen deutschsprachigen Dichtung die Rolle der höfischen Panegyriker: Franz Christoph von Scheybs Theresiade35 Hofdichter“, in: Sommer-Mathis/Hilscher (Hgg.), Pietro Metastasio – uomo universale (wie Anm. 31), 37–44, 38. 33 Die Entlohnung von Metastasio setzte sich aus 3.000 fl. Gehalt, 1.000 fl. Remuneration aus der Privatschatulle und 400 fl. Quartiergeld zusammen – Hofkapellmeister Johann Joseph Fux wurde mit 1.600 fl. entlohnt (vgl. Elisabeth Theresia Hilscher, Der Kaiserliche Hofpoet Pietro Metasta sio [1698–1782]. Zur Kulturgeschichte des Hofes Kaiser Karls VI. [Jahresgabe der Johann-Joseph-Fux- Gesellschaft 23], Graz 2000, 1 f.). 34 Vgl. dazu Alfred Noe, „Die italienischen Hofdichter – das Ende einer Ära“, in: Fritz-Hilscher (Hg.), Im Dienste einer Staatsidee (wie Anm. 19), 19–45, 26–31. Ausführlich zur italienischen Literatur und Hofdichtung: Ders., Geschichte der italienischen Literatur in Österreich, Bd. 1: Von den Anfängen bis 1797, Wien u. a. 2011, 449–486 („Pietro Metastasio – der Hofdichter als Monument“) und in Teilen auch 489–503 („Von Metastasio zu Goldoni“). 35 Vgl. dazu Kriegleder, „Die deutschsprachige Literatur“ (wie Anm. 19), 47–64 sowie Telesko, Ma ria Theresia (wie Anm. 11), 69–71 bzw. 110–126 (die hier angeführten Zitate aus Schriften Scheybs, Gottscheds und Sonnenfels’ zeigen, wie intensiv die Rezeption der romanitas sowie des althergebrachten Tugendkodex in die deutschsprachige Panegyrik hineinwirkte – bis hinein in die Totenpredigten und -dichtungen zu Ende des 18. Jahrhunderts).
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wurzelt ebenso in der lateinischen bzw. italienischen Panegyrik des Hochbarock wie die Lobgedichte auf die Herrscherin in deutscher Sprache von Michael Denis36. Als Pendant zum literarisch-panegyrischen Kanon, den Metastasio für Karl VI. entwickelt hatte, wurde für die Musik – in Anlehnung an einen nicht unproblematischen Terminus der Kunstgeschichte37 – der Begriff des „Kaiserstils“38 geprägt. Dieser imperiale Repräsentationsstil, hinter dem sich ein Bündel unterschiedlicher Stilrichtungen und Gattungen, die je nach Anlass, Ort und Wertigkeit des Ereignisses gewählt wurden, verbirgt, prägte jedoch nicht nur die Zeit Karls VI., sondern wirkte weiter bis zum Ende des ‚langen‘ 18. Jahrhunderts – bis zu den Festen und Feierlichkeiten des Wiener Kongresses (1814/15).39 Allerdings ist anzumerken, dass die von Friedrich Wilhelm Riedel diagnostizierte Synchronie aller höfischen Bereiche (Kaiserhof, Kirche und Klöster, Adel) bereits in den 1720er Jahren auseinanderzulaufen begann: Nicht ausschließlich der Kaiserhof war beispielgebend, sondern die einzelnen kleineren adeligen Hofhaltungen begannen eigenständig, ihren Stil für Kirche, Kammer und Repräsentation zu entwickeln bzw. Kontakte zu anderen Musikzentren und Musikern zu knüpfen; dies gilt ebenso für den kirchlichen Bereich, vor allem für die großen Prälatenklöster. Dennoch scheinen vorerst die Grundprinzipien der Musikpflege und deren Rolle innerhalb von Zeremoniell/Liturgie und Repräsentation im 18. Jahrhundert über weite Strecken konstant geblieben zu sein; eine deutliche 36 Lebensweg wie Werk von Michael Denis illustrieren geradezu exemplarisch die großen Veränderungen des theresianischen Zeitalters. 1729 geboren, wuchs Denis in einer spätbarocken Welt auf, trat in den Jesuitenorden ein und schien eine glänzende Karriere vorgezeichnet zu haben; aufgrund der hohen Protektion der Herrscherin konnte er seine Karriere auch nach Aufhebung des Jesuitenordens 1773 fortsetzen. In seinem Werk stehen lateinische Schuldramen, die ganz der Formensprache des Barock verbunden sind, neben Werken in der kommenden neuen Staatssprache Deutsch sowie der Beschäftigung mit Ossian und anderen ‚antiken‘ Heldendichtungen, die jedoch ebenfalls die Wurzeln ihres Schöpfers in der barocken Tradition nicht verleugnen können (in Synthese dieser alten und neuen Strömungen präsentiert sich beispielsweise Bardenfeyer am Tag Theresiens, geschrieben aus Anlass des 30. Thronjubiläums der Regentin). Vgl. dazu Ruprecht Wimmer, „Der Jesuit Michael Denis: Maria Theresias Hofdichter, Barde und Bibliothekar“, in: Béhar u. a. (Hgg.), Maria Theresias Kulturwelt (wie Anm. 17), 45–58, 55–57. 37 Vgl. dazu Herbert K arner, „Reichsstil, Kaiserstil oder die Kunst des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation: Kunstgeschichte und politische Begriffskonstruktion“, in: Hartmut Krones u. a. (Hgg.), Die Wiener Hofmusikkapelle III: Gibt es eine Stil der Hofmusikkapelle?, Wien/Köln/Weimar 2011, 233–249. 38 Als Ausgangspunkt der Debatte in der Musikwissenschaft ist Friedrich Wilhelm Riedel, „Der Reichsstil in der deutschen Musikgeschichte des 18. Jahrhunderts“, in: Georg Reichert /Martin Just (Hgg.), Bericht über den Internationalen musikwissenschaftlichen Kongress Kassel 1962, Kassel u. a. 1963, 34–36 zu sehen. 39 Dazu Elisabeth Fritz-Hilscher, „Kaiserstil? Überlegungen zum Konnex zwischen Zeremoniell und höfischer Musikproduktion am Hof Karls VI.“, in: Musicologica Brunensia 47/1 (2012), 79–91.
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Akzentverschiebung erfolgte – wie an den folgenden Beispielen gezeigt werden soll – erst ab den 1760er und 1770er Jahren, doch sollte der Einzelfall jeweils differenziert betrachtet werden, zumal nicht selten unterschiedliche Konstellationen ausschlaggebend für Änderungen gewesen sein dürften.
4. Musik-R äume um 1740 Nicht im Sinne eines umfassenden Epochenbildes, sondern gleich Schlaglichtern sollen nun an einigen Beispielen aus den wichtigsten sozialen Räumen der Zeit Aspekte zu Wandel und Kontinuität in Musik und Musikleben um 1740 behandelt werden; aus pragmatischen Gründen wird dabei vom geographischen Raum des heutigen Österreich ausgegangen. 4.1 Höfe und Adel Wenngleich auch über das gesamte ‚lange‘ 18. Jahrhundert ein mehrstufiger und keineswegs geradlinig verlaufender Prozess des Wandels im Selbstverständnis von Herrschaft und Hof stattfand, bildete die Struktur des Höfischen doch eine solide Basis; in allen Fällen blieb der absolutistische Herrschaftsanspruch als Basis von Zeremoniell und Hof über den gesamten Zeitraum erhalten, auch wenn sich deren Darstellungs- und Legitimationsformen nach außen (gegenüber anderen Potentaten sowie gegenüber den Untertanen) änderten.40 Augenscheinlich wird dies hofintern in der Rolle, die Musik und der kaiserlichen Hofmusikkapelle vor 1740/1752 und danach zugewiesen wurde, sowie in den Berührungsbereichen zwischen höfischer Sphäre und anderen sozialen Räumen. Grundsätzlich stellt sich die Frage, warum 1740 auch aus musikhistorischer Perspektive eher eine Schwellenzeit darstellt als beispielsweise die ebenfalls abrupt eintretenden Herrschaftswechsel 1711 (mit einer mehrmonatigen Real-Vakanz des Kaiserthrones bzw. der Regentschaft durch die Kaiserinwitwe Eleonora Magdalena Theresa, da der künftige Kaiser zum Zeitpunkt des Todes von Joseph I. noch als spanischer Thronprätendent in Barcelona weilte) oder 1765.41 Gerade aus dem letztgenannten Wechsel von Franz I. zu Joseph II. resultierten in wenigen Jahren Reformen, 40 „Der Hof Maria Theresias ist sichtbarer Ausdruck einer Kulmination barock-höfischer Lebensformen, aber ebenso eines Überganges“ (Wimmer, „Der Jesuit Michael Denis“ [wie Anm. 36], 45). 41 Dies lässt sich wohl am ehesten in der Dekonstruktion des Maria-Theresien-Mythos beantworten, der auch in die Musikgeschichtsschreibung Eingang gefunden hat (vgl. dazu Abschnitt 2, ‚Mythos Maria Theresia‘).
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die für Musikleben und Musikschaffen von wesentlich größerer Konsequenz waren als jene aus dem Herrschaftswechsel 1740. Vor allem die nun mit aller Radikalität durchgeführten Reorganisationen im kirchlichen Bereich, die tiefe Einschnitte auch in der Liturgie nach sich zogen, und die Aufhebung der Bruderschaften wie zahlreicher Klöster schufen eine irreversible neue Struktur und Faktenlage (→ 4.2). Elisabeth Kovác sieht darin die „totale Zerstörung der Pietas Austriaca“ im Sinne einer Staat und Dynastie tragenden Kraft bei gleichzeitig zunehmender säkularer Ausgestaltung des Wiener Hofzeremoniells. Sie verortet die Veränderungen jedoch in der Regierung Josephs II. und sieht weniger den langen Prozess, der dieser Entwicklung vorangegangen war42 (so reduzierte Joseph II. die Ausfahrten zum öffentlichen Gottesdienst von 1766 bis 1773 auf ein Drittel, von 1773 bis 1780 auf ein Fünftel im Vergleich zu den öffentlichen Gottesdiensten unter Karl VI. und Franz Stephan von Lothringen43). Freilich stellte der plötzliche Tod Karls VI. am 20. Oktober 1740 – wie jeder Tod eines Herrschers – eine Zäsur dar: Die einzelnen Hofstaate mussten sich entsprechend der neuen Aufgabenverteilung konstituieren, Erbhuldigungen und Krönungen waren ebenso vorzubereiten wie die mehrere Wochen in Anspruch nehmenden Begräbnisund Totengedenkfeiern bzw. Exequien. Zwar waren aufgrund der durch das Zeremoniell vorgeschriebenen einjährigen Landestrauer, an der Maria Theresia mit aller Konsequenz festhielt, alle öffentlichen Feste und Lustbarkeiten sowie Theateraufführungen untersagt,44 doch scheint, rein quantitativ, der Musikanteil am Hof aufgrund der anderen zeremoniell-repräsentativen Ereignisse des Trauerjahres (wie Erbhuldigungen, feierliche Audienzen und Antrittsbesuche und nicht zuletzt die Feiern anlässlich der Geburt des Thronfolgers, Erzherzog Josephs am 13. März 1741) sich kaum reduziert, wenngleich inhaltlich verlagert zu haben. Die an sich schon hohe Zahl an Gottesdiensten, Andachten und Wallfahrten des Hofes bzw. unter Beteiligung des Hofes stieg weiter an, wozu die Unsicherheit der Herrschaft wie die kriegerischen Ereignisse im Osten der habsburgischen Länder genügend Anlässe boten.
42 Elisabeth Kovács, „Kirchliches Zeremoniell am Wiener Hof des 18. Jahrhunderts im Wandel von Mentalität und Gesellschaft“, in: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 32 (1979), 109–142. 43 Irmgard Pangerl/Martin Scheutz/Thomas Winkelbauer, „Zeremoniell und zeremonielles Handeln am Wiener Hof. Eine Skizze“, in: Dies. (Hgg.), Der Wiener Hof im Spiegel der Zeremoni alprotokolle (1652–1800). Eine Annäherung (Forschungen zur Landeskunde von Niederösterreich 31 = Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte 47), Innsbruck u. a. 2007, 7–14, 11. 44 Zum Begräbnisritual und den einzelnen Klassen der ‚Klag‘ vgl. Michaela Kneidinger/Philipp Dittinger, „Hoftrauer am Kaiserhof, 1652 bis 1800“, in: ebda., 529–572, 539–543 bzw. 557–560.
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Wenn es für den theresianischen Hof auch noch keine vergleichend umfassende Studie zur Musik im liturgischen und paraliturgischen Raum gibt wie etwa für jenen Karls VI.,45 lassen sowohl die zahlreichen Erwähnungen von öffentlichen Kirchgängen, Prozessionen und Besuchen von Klöstern (bei denen die Herrscherin sicherlich, wenn auch nicht explizit erwähnt, einer Andacht oder Messe beiwohnte) in den Tagebüchern von Johann Joseph Khevenhüller-Metsch46 wie auch die Tatsache, dass Maria Theresia bei der Reform der Hofmusikkapelle die Bereiche Kirche und Kammer weiterhin durch den Hof finanzieren ließ, den Schluss zu, dass ihr an einer öffentlichen Demonstration der pietas austriaca und deren prunkvoller Zurschaustellung viel gelegen war, bezeichnete sie doch die pietas ihres Hauses als eine der Grundsäulen des Staates.47 Liturgie und Zeremoniell flossen in traditioneller Manier ineinander und prägten eine spätbarocke Blüte der Kirchenmusik, gefördert von einer in späten Jahren bis an die Grenzen der Bigotterie frommen Herrscherin. Zwar überlegte die junge Herrscherin angesichts ihrer politischen wie finanziellen Probleme anfangs auch, von der Kirche einen Tribut zum Wohle des Gesamtstaates einzufordern,48 doch kehrte die barocke Frömmigkeit mit all ihrem Zeremoniell spätestens zur Kaiserkrönung Franz Stephans 1745 wieder an den Hof zurück. Erst 1752 – fast zeitgleich mit der Ausgliederung der Hofmusikkapelle aus der unmittelbaren Hofverwaltung und deren ‚Verpachtung‘ an Georg Reutter d. J. (1751) – begann die Herrscherin die Anlässe 45 Friedrich Wilhelm Riedel, Kirchenmusik am Hofe Karls VI. (1711–1740). Untersuchungen zum Verhältnis von Zeremoniell und musikalischem Stil im Barockzeitalter (Studien zur Landes- und Sozialgeschichte der Musik 1), München/Salzburg 1977. 46 Vgl. dazu Elisabeth Grossegger, Theater, Feste und Feiern zur Zeit Maria Theresias, 1742–1776. Nach den Tagebucheintragungen des Fürsten Johann Joseph Khevenhüller-Metsch, Obersthofmeister der Kaiserin (Veröffentlichungen des Instituts für Publikumsforschung 12 = Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse, Sitzungsberichte 476), Wien 1987. 47 Josef K allbrunner (Hg.), Kaiserin Maria Theresias politisches Testament, Wien 1952, 37 f. Ein widersprüchliches Bild zeigt die Auflistung der öffentlichen Kirchen- und Klosterbesuche bzw. Teilnahme an Prozessionen und Bittgängen, die in den Kaiserlich-Königlichen Hof- und Ehrenkalendern (einem ‚Vorgänger‘ der heutigen Amtskalender) verzeichnet wurden: Hier zeigt sich doch die Reduktion auf eine öffentlich zur Schau gestellte pietas durch den theresianischen Hof gegenüber dem ihres Vaters. 48 Vgl. dazu Kovács, „Kirchliches Zeremoniell“ (wie Anm. 42), 123: „Maria Theresia schildert in ihren Denkschriften die verzweifelte Lage ihrer Länder zu Beginn ihrer Regierung, die Bedrohung durch die Erbstreitigkeiten, die militärische wie finanzielle Schwäche der Monarchie und deren veraltetes Regierungssystem: Sie fühlte sich gezwungen, an eine Aufhebung von Klöstern zu denken, weil ihre Vorfahren den Großteil der Cameralgüter für die Installierung neuer Orden verschenkt und zum Aufbau und Nutzen der Religion verwendet hätten. Nun blieben – so Maria Theresia – die Klöster nicht nur in den Schranken ihrer Stiftungen, sie nähmen Müßiggänger auf und bedrückten das ‚Publikum‘. Maria Theresia sah die Notwendigkeit, im Lauf der Zeit mit einer ‚großen Remedur‘ zu beginnen. […] Diese Maßnahmen sollten dem allgemeinen Nutzen und nicht zum einseitigen Vorteil von Geistlichen und Mönchen dienen.“
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zur öffentlichen Demonstration der pietas austriaca zu reduzieren, ließ „verschiedene Feste ‚contremandiren‘ und verkürzen und besuchte manche Klöster seltener“;49 die bereits zu Beginn ihrer Regierung angedachte Aufhebung ‚unnützer‘ Klöster wurde zwar durch zahlreiche Reformen inhaltlich vorbereitet, aber mit aller Konsequenz erst unter Joseph II. exekutiert. Als Zeichen für einen zögerlich und keineswegs geradlinig verfolgten Wandel in Zeremoniell und Verständnis des Herrscheramtes können die weltlichen Feste und Feierlichkeiten in den ersten Jahren der Regierung Maria Theresias herangezogen werden, deren Wertigkeit innerhalb des höfischen Curriculums ab 1742 ausgezeichnet durch die Tagebücher des Obersthofmeisters der Herrscherin, Johann Joseph Fürst Khevenhüller-Metsch,50 dokumentiert wurden. Sie zeigen einen eingedenk der politischen Situation doch erstaunlich den divertissements zugewandten Hof, der in seinen zahlreichen Vergnügungen wenig (dem Obersthofmeister oft zu wenig) auf Dignität zu achten schien. Doch gerade anhand einer Analyse der großen Staatsereignisse und Galatage kann dokumentiert werden, dass Maria Theresia sich durchaus und selbstbewusst in die Reihe ihrer Ahnen stellte und bei offiziellen Anlässen deutlich den habsburgischen Anspruch auf die Kaiserwürde unterstrich; dies zeigt auch die Analyse der Zeremonialprotokolle51, diplomatischer Rangordnungsfragen52 als auch die gewählte Raumfolge in der Hofburg ab 1740.53 49 Ebda., 129. 50 Siehe dazu die Dokumentation von Grossegger, Theater, Feste und Feiern (wie Anm. 46). Der gesamte Text der Tagebücher wurde in insgesamt acht Bänden ediert: Aus der Zeit Maria Theresias: Tage buch des Fürsten Johann Josef Khevenhüller-Metsch, kaiserlichen Obersthofmeisters, 1742–1776, hg. von Rudolf Graf Khevenhüller-Metsch/Hanns Schlitter, 7 Bde., Wien/Leipzig 1907–1925; Nachtragsband: Tagebuch des Fürsten Johann Josef und Nachträge von anderer Hand: 1774–1780, hg. von Maria Breunlich-Pawlik/Hans Wagner (Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs 56), Wien 1972. Die Originaltagebücher befinden sich im Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien (1742–1749, 1756/57 und 1770–1776) bzw. im Nationalmuseum in Budapest (1752–1755, 1758/59 und 1764–1767). 51 Pangerl u. a. (Hgg.), Der Wiener Hof (wie Anm. 43). Die gewählte Darstellung von einzelnen Aspekten des Zeremoniells jeweils über den Zeitraum von Leopold I. bis zu Franz II. lässt Kontinuitäten und Diskontinuitäten sowie Rückgriffe auf alte Formen und deren Wiederbelebung klar hervortreten. 52 Dazu Elisabeth Garms-Cornides, „Liturgie und Diplomatie. Zum Zeremoniell des Nuntius am Wiener Kaiserhof im 17. und 18. Jahrhundert“, in: Richard Bösel u. a. (Hgg.), Kaiserhof – Papsthof (16.–18. Jahrhundert) (Publikationen des Historischen Instituts beim Österreichischen Kulturforum in Rom 12), Wien 2006, 125–146, 141–146. 53 Vgl. dazu Anna Mader-Kratky, „Modifizieren oder ‚nach alter Gewohnheit‘? Die Auswirkungen des Regierungsantritts von Maria Theresia auf Zeremoniell und Raumfolge in der Wiener Hofburg“, in: Fritz-Hilscher (Hg.), Im Dienste einer Staatsidee (wie Anm. 19), 85–106.
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Als Wendepunkt von der großen höfischen Oper des Barock mit ihrem universalen Anspruch zum adeligen Unterhaltungstheater wird für den Wiener Hof in der Fachliteratur die Wiederholung der anlässlich der Hochzeit von Erzherzogin Maria Anna mit Karl von Lothringen aufgeführten Oper Ipermestra von Metastasio/Hasse am 18. Jänner 1744 angeführt. Khevenhüller hält in seinen Tagebüchern einen für ihn, der in der Tradition des karlinischen Hofes großgeworden war, ungewöhnlichen (wenn nicht sogar ungebührlichen, weil gegen das Zeremoniell verstoßenden) Schritt des jungen Herzogs und Gemahls der Regentin fest:54 Den 18. wohnten die Herrschafften, worunter ich nunmehro das neue Ehepaar [Maria Anna und Karl von Lothringen] meistentheils mit verstehe, der zweiten Repraesentation der Opera [Ipermestra] bei, und weillen dem Herzog [Franz Stephan] ungelegen ware, solang in Parterre – wo nach alter Gewohnheit der Hoff zuzusehen pflegt – zu sitzen, so befahle die Königin [Maria Theresia], daß mann auf der einen Gallerie vorwärts eine Logi zurichten solle, zu welcher der Herzog nach Belieben zu und abgehen kunte.
Franz Stephan wollte also nicht mehr Teil der höfischen Inszenierung sein, sondern wie die Zuschauer auf den Rängen und in den Logen die Opernaufführung als Vergnügung und Zerstreuung genießen dürfen. Auch wenn es dem Obersthofmeister auf den ersten Blick so schien, brach Maria Theresia keineswegs leichtfertig mit den Traditionen, sondern erlaubte dort eine Lockerung, wo ohnehin kein ‚Staatscharakter‘ vorlag und man ‚unter sich‘ war. Martin Eybl hat auf den privaten Charakter dieser Hochzeit hingewiesen, weshalb auch im Zeremoniell diese als interne Familienangelegenheit betrachtet wurde. Dementsprechend gab es nur eine Oper, eine Tafel im kleinen Komödiensaal und eine nur eine Nacht andauernde Illumination der Hofburg.55 Schon zuvor hatte sich der Opernstil in Wien gewandelt und begonnen, sich dem europäischen Mainstream anzunähern: Die alte Komponistengeneration Antonio Caldara, Johann Joseph Fux, aber auch Francesco und Ignazio Conti waren noch vor dem Tod des Kaisers entweder verstorben oder hatten zunehmend an Produktivität verloren. Vorerst erneuerte sich der Hof noch aus sich selbst und schickte mit Georg Reutter d. J., Giuseppe Porsile, Giuseppe Bonno und Luca Antonio Predieri seine junge Komponistengeneration in die vorderen Reihen. Diese hatte sich an den gängigen musikdramatischen Stilen in Venedig und Neapel geschult und den am Generalbass orien54 Grossegger, Theater, Feste und Feiern (wie Anm. 46), 24 f. 55 Martin Eybl, „Zwei Hochzeiten am Wiener Hof 1744 und 1760. Höfisches Selbstverständnis, Repräsentation und Publikum im Prozess der Aufklärung“, in: Studien zur Musikwissenschaft 56 (2010), 153–170, 153 f.
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NB 1: Antonio Caldara, Arie des Tito „Del piu sublime soglio“, aus: La clemenza di Tito. Drama per Musica da Rappresentarsi Nella Cesarea Corte per Il Nome Gloriosissimo della Sac. Ces. E Catt.ca Real Maestà di Carlo VI. (Wien 1736, Libretto: Pietro Metastasio), Partitur. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Mus.Hs. 17.109/1, fol. 44r (1. Akt, 5. Szene, Überleitung zum Mittelteil der Arie) Foto: © ÖNB Wien,
NB 2: Giuseppe Bonno, Ausschnitt aus der Ouvertüre zu La vera nobiltà. Festa di Camera per Musica à due Voci, da Cantarsi Il Giorno Del felicissimo Nome di Sua Altezza Serenissima Maria Anna Arciduchessa d’Austria Infanta di Spagna (Wien 1739, Libretto: Claudio Pasquini), Partitur. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Mus.Hs. 17.599, fol. 3r Foto: © ÖNB Wien,
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tierten und durch transparente kontrapunktische Stimmführung zwischen Singstimme und Begleitinstrument(en) gekennzeichneten Stil der Generation Caldara/Fux (Notenbeispiel 1) durch einen Stil ersetzt, in dem sowohl Vokal- wie Instrumentalstimmen virtuos geführt wurden und die subtile Kontrapunktik meist einem Konzertieren von Vokalstimme und begleitender Instrumentengruppe Platz geben musste (Notenbeispiel 2). Unter Maria Theresia wurden nun die Opernproduktionen zu wichtigen Ereignissen an Komponisten außerhalb der kaiserlichen Hofmusikkapelle, oft auch außerhalb der Einflusssphäre des Wiener Hofes, vergeben; es schien offenbar wichtiger, einen berühmten ‚internationalen‘ Komponisten gewinnen zu können, als einen eigenen ‚Hofstil‘ zu pflegen und mit diesem Werke von europäischer Vorbildfunktion zu schaffen, wie dies beispielsweise zwei Generationen zuvor noch erklärtes Ziel war. Ähnlich wie Metastasio in seinen Libretti einen auf alle europäischen Höfe und Herrscher passenden Kanon entworfen hatte, entwickelte Johann Adolf Hasse einen allgemein als optimal und passend eingeschätzten Stil für die Opera seria im höfischen Bereich. Hasse trat erstmals 1744 mit der bereits genannten Ipermestra anlässlich der Hochzeit von Erzherzogin Maria Anna am Wiener Hof als Komponist für große Repräsentationswerke in Erscheinung,56 konnte den prestigeträchtigen Auftrag für die Hochzeit des Thronfolgers 1760 erlangen (Alcide al bivio) und war ab diesem Zeitpunkt bis 1770 einer der Hauptkomponisten großer Festopern für den theresianischen Hof.57 Der spätbarocke Stil der Opern Hasses war auch passend für die Feiern, die man für die dynastisch wie politisch wichtige Hochzeit des Thronfolgers, Erzherzog Josephs, mit einer Enkelin des französischen Königs, Isabella von Parma, entwarf. Obwohl die wirtschaftliche wie politische Notlage der Herrscherin mitten im Siebenjährigen Krieg in vielen Dingen höchste Sparsamkeit notwendig machte, zeigt dieser Reigen an Festen und Feiern wie deren ausführliche und prunkvolle Dokumentation in fünf großen Ölgemälden der Schule Martin van Meytens, dass auch 1760 hochbarocke Narrative der höfischen Repräsentation keineswegs als überlebt, sondern unter gewissen Umständen nach wie vor als politisch notwendig empfunden wurden.58 Deut56 Dagmar Glüxam, Instrumentarium und Instrumentalstil in der Wiener Hofoper zwischen 1705 und 1740 (Publikationen des Instituts für österreichische Musikdokumentation 32), Tutzing 2006, 750, verzeichnet für 1733 mit Siroe Rè di Persia (Metastasio/Hasse) und für den Karneval 1734 mit Cleonice (Metastasio/Hasse) zwei geplante Opern von Hasse für den Wiener Hof, merkt jedoch an, dass es für erstere keinen Beleg einer Aufführung gibt und die letztere einer kaiserlichen Verfügung zum Opfer fiel, aufgrund derer alle „offentliche Faschingslustbarkeiten bey Hof“ kurzfristig untersagt wurden. 57 Vgl. Anton Bauer, Opern und Operetten in Wien (Wiener musikwissenschaftliche Beiträge 2), Graz/ Köln 1955. 58 Eine Gesamtdarstellung der Feste und Feiern anlässlich dieser Hochzeit findet sich bei Andrea Sommer-Mathis, Tu felix Austria nube. Hochzeitsfeste der Habsburger im 18. Jahrhundert (dramma per musica 4), Wien 1994, 83–104.
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lich zeigt sich daher der Unterschied zwischen der als innerfamiliäre Angelegenheit betrachteten Hochzeit der Schwester der Herrscherin mit dem Bruder des späteren Kaisers 1744 und der hochpolitischen Hochzeit des Thronfolgers mit der Bourbonin Isabella von Parma 1760:59 Hier [1744] eine Oper, da [1760] drei (eine in Parma, zwei in Wien); hier die Tafel im kleinen Komödiensaal, da im Großen Redoutensaal; 1744 wurde die Burg eine Nacht lang illuminiert, 1760 drei Nächte; hier zwei Lobgedichte, die veröffentlicht wurden, da sechs; hier zwei Stiche des Balls in der Hofreitschule, da fünf riesig dimensionierte Gemälde, die die wichtigsten Stationen des Festes festhalten. Gewiss, 1760 heiratete ein Thronfolger, nicht bloß wie 1744 eine nahe Angehörige des Herrscherhauses. So war das protokollarische Vorbild [1760] die letzte Hochzeit eines Kronprinzen in Wien, die Hochzeit des späteren Josephs I. im Jahr 1699. Wer so argumentiert, denkt im Sinne des hergebrachten Zeremoniells, das gerade unter Joseph II. eine zunehmend geringere Rolle spielen sollte: Der höhere Rang der Beteiligten erfordert eine Erhöhung des Aufwands.
Wenn der Hof auch in Zeremoniell (und somit auch in der Auswahl der Musik und deren Einsatz) sich vordergründig traditionell barock gab, so ist doch eine Novität festzustellen, die auf die multiplen Wandlungsprozesse zwischen 1720 und 1760 hinweist: Das Volk darf den hohen Herrschaften bei der traditionellen Hoftafel im Großen Redoutensaal zusehen, wobei bei diesem Schauessen sich (erstmals) der Hof vom Volk betrachtet fühlte und nicht, wie bisher, das vorbeiziehende Volk betrachtet – die Hoftafel wird so zu einem ‚Theater‘ für das Volk, begleitet durch erlesene Musik der Hofmusikkapelle unter Reutter. Die Hochzeitsgesellschaft speiste an der üblichen U-förmigen Tafel, bedient durch hochrangige Mitglieder des Hofadels, um die sich weitere Personen ‚des Zutritts‘ aus den Reihen der Hofgesellschaft scharten; die Schranken, die, bewacht durch Gardisten, Hof und Volk trennten, sind durchaus auch als Symbole für Standesschranken und Zutrittshürden zum Hof zu sehen – eine Durchmischung von Hof und Volk war unerwünscht:60 […] und damit das Zudringen [des Volks] abgehalten wurde, So ware auf die Helfte des Saals ein Geländer angebracht, welches mit der Härtschiern, und Hungar[isch] adelichen Leibgarde besetzt worden, wie denn auch bey allen Zugängen Militar-Wachten ausserhalb 59 Eybl, „Zwei Hochzeiten“ (wie Anm. 55), 154 f. 60 Wien, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Zeremonialakten, Sonderreihe 50, fol. 215r–v (zitiert bei Sommer-Mathis, Tu felix Austria [wie Anm. 58], 94). Länger durfte man dem ‚höfischen Theater‘ jedoch nicht zusehen; schon nach kurzer Zeit wurde man weitergebeten, um den Nachdrängenden Platz zu machen.
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gestanden, und die Einlaß im Sall mit Commissarien von der äusseren Hofstaat, und Cammerherrn versehen.
Das traditionelle Volksfest mit Speis und Trank auf einem großen öffentlichen Platz blieb 1760 hingegen aus.61 Auch 1744 war das Volk als Zuschauer beim Maskenball am 12. Jänner zugelassen gewesen und ebenso durch die Galerien der Hofreitschule am Rande des Geschehens vorbeigeschleust worden wie bei der Hoftafel 1760. In einer geänderten Wahrnehmung zwischen Volk und Hof sieht Martin Eybl Indizien für einen Wertewandel auf beiden Seiten: Der Herrscher/die Herrscherin und der Hof treten dem Volk in einer geänderten Weise gegenüber, und das Volk vergnügt sich an den Festen des Hofes – das Volk ist nun kalkulierter Teil derselben und wird nicht mehr auf Parallelfeste geschoben. In der barocken Amtsethik unterwirft der Herrscher das Volk durch seine Blicke, nun aber wird er das Ziel von Blicken und muss diese in seinem öffentlichen Handeln einkalkulieren.62 Dieser neue Blickwinkel hatte weitreichende Konsequenzen, auch für das seit Beginn der Frühneuzeit als Teil der Repräsentation gepflegte öffentliche Auftreten von hohen Herrschaften als Künstler: Dieses wurde nun nur mehr im geschlossenen ‚Raum‘ des Hofes gutgeheißen. Und selbst im Theaterraum ließ man sich nicht mehr als Teil der Inszenierung, als Adressat der licenze (die unter Maria Theresia sukzessive weggelassen wurden) im Parterre feiern, sondern wurde ‚Publikum‘ – ausgenommen jene Ereignisse, bei denen aus Gründen der Staatsräson Rückgriffe auf zeremonielle Traditionen nötig erschienen, wie eben bei der Thronfolgerhochzeit 1760. Wenngleich um 1740 (beginnend bereits ab ca. 1730) eine neue Komponistengeneration am Wiener Hof in die erste Reihe trat, so war diese doch spätbarocken, vorwiegend durch die Zentren Venedig, Rom und Neapel geprägten Stilelementen verpflichtet. Dieser Stilwandel war gleichsam ‚automatisch‘ mit einem Generationswechsel in der Hofmusikkapelle in den Jahren 1739/40 (also noch zu Lebzeiten Karls VI.) erfolgt:63 Mehr als 20 Musiker mussten in den Ruhestand versetzt werden; der Posten des Vizehofkapellmeisters, der seit 1736 vakant war, wurde zwar mit 6. Februar 1739 mit Luca Antonio Predieri besetzt, die Nachfolge für den mit 30. Juni 1740 ebenfalls pensionierten Hofkapellmeister Fux war zum Zeitpunkt des Todes des Kaisers jedoch noch unentschieden. Für Maria Theresia waren die Besetzungsprobleme der Hofkapelle (deren Musikproduktionen sich offenbar ohne 61 Eybl, „Zwei Hochzeiten“ (wie Anm. 55), 164. 62 Hierzu detailliert ebda., 164–170. 63 Im Detail dazu bei Elisabeth Fritz-Hilscher, „Musik im Dienste einer Staatsidee. Aspekte höfischen Musiklebens zwischen 1735/1740 und 1745“, in: Dies. (Hg.), Im Dienste einer Staatsidee (wie Anm. 19), 209–225, 221–224.
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Einschränkungen in Qualität und Quantität auch gut durch Substituten und Aushilfen bewältigen ließen) in den Anfangsjahren ihrer Regentschaft sekundär: Die teure Oper wurde bereits ab 1741 immer stärker (vor allem auch finanziell) dem „Appaldator“ Joseph Carl Sellier überantwortet. Dass die Herrscherin auf Drängen ihres Günstlings Georg Reutter d. J. erst 1747 die Hofkapellmeisterfrage löste, sollte nicht als Mangel an Interesse überbewertet werden, denn auch Kaiser Joseph I., für den Musik im Zeremoniell wie aus persönlicher Neigung einen hohen Stellenwert besaß, hatte während seiner gesamten Regierungszeit (1705–1711) nur eine einzige Neubesetzung an der Hofmusikkapelle vorgenommen. Mit der Entscheidung, im September 1747 Reutter zu einem der beiden Hofkapellmeister (zuständig für die Kernbereiche Kirche und Kammer) zu ernennen, wählte sie einen Komponisten, der – aus der Tradition des Hofes kommend – den aktuellen neapolitanischen Stil weiterentwickelt und sich als Komponist musikdramatischer Werke am Hof bereits bestens positioniert hatte. Auch in der ab den 1740er Jahren vorrangigen Kirchenmusikproduktion präsentierte sich Reutter einerseits als Könner eines höfisch-repräsentativen Stils, doch mit den aktuellen italienischen Stilrichtungen vertraut, andererseits als versierter Kontrapunktiker.64 Dass jedoch nach dem Tod Reutters 1772 die ebenfalls der Generation Reutters angehörenden Florian Leopold Gassmann (1729–1774) und Giuseppe Bonno (1711–1788) Hofkapellmeister wurden, zementierte vor allem im Bereich der Kirchenmusik noch lange einen Stil, der innovative Elemente (in erster Linie in der Instrumentation wie der Singstimmenbehandlung) mit solchen aus der spätbarocken Tradition verband. Angemerkt sei, dass sowohl mit Reutter als auch mit Gassmann und Bonno ausgewiesene Opernspezialisten auf eine Hofkapellmeisterstelle berufen wurden, deren Aufgabengebiet jedoch seit 1747 auf Kirche und Kammer eingeschränkt worden war. Erhoffte man sich durch diese Ernennungen, dass der aktuelle Opernstil, den die drei vor ihrer Berufung erfolgreich praktizierten, ihr Schaffen für Kirche und Kammer beeinflussen würde? Klagen über die Vermischung von Kirchen-, Theater- und Tanzstil gibt es schon von Johann Joseph Fux, und bereits in hochbarocken Kantatenmessen finden sich Arien, die nur aufgrund des Textes von Opernarien zu unterscheiden sind.65 Die lebendige kirchenmusikali64 Der spielerische Umgang mit Kontrapunktik im Kirchenmusikschaffen der Brüder Haydn ist wohl auch auf den Einfluss Reutters zurückzuführen und vom Repertoire, das unter diesem an St. Stephan produziert wurde, beeinflusst. Zu Reutters Kirchenmusikstil vgl. beispielweise die Kompositionen in: Georg Reutter d. J., Kirchenwerke (Missa S. Caroli, Requiem in c-moll, Salve Regina, Ecce quomodo moritur), hg. von Nobert Hofer (Denkmäler der Tonkunst in Österreich 88), Wien 1952. 65 Dazu Martin Eybl/Elisabeth Fritz-Hilscher, „Vom Barock zur Wiener Klassik“, in: Elisabeth Fritz-Hilscher/Helmut Kretschmer (Hgg.), Wien. Musikgeschichte. Von der Prähistorie bis zur Gegenwart (Geschichte der Stadt Wien 7), Münster/Berlin 2011, 213–269, 218–229 [Eybl].
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sche Tradition in Wien sorgte nicht nur am Hof dafür, dass neue Tendenzen sich hier zögerlicher durchsetzten als anderswo, da aus einem reichhaltigen Repertoire und Eigenschaffen geschöpft werden konnte und wenig Bedarf nach externen Werken bestand. Dennoch wurden ab der Regierungszeit Maria Theresias im liturgischen Kontext auch Sinfonien aufgeführt und wurde ab den 1750er Jahren das in den Kirchen verwendete Instrumentarium mehr und mehr dem Theaterorchester angeglichen66 – Tendenzen, denen sich auch die Hofmusikkapelle nicht verschließen konnte, an deren Entwicklung sie jedoch nicht mehr federführend, sondern bestenfalls mitgestaltend wirkte und die zunehmend von außen an sie herangetragen wurden. Schon in den letzten Regierungsjahren von Karl VI. unter Innovationsdruck geraten, musste die kaiserliche Hofmusik in den folgenden Jahrzehnten ihre dominierende Rolle als stilprägender Fixstern unter den (Hof-)Kapellen abgeben. Die maßgeblichen Neuerungen sowohl im Bereich der musikdramatischen Produktion wie auf dem Gebiet der Instrumentalmusik fanden in anderen ‚Räumen‘ statt – die Weichenstellungen für diese Entwicklung waren um 1740 am Hof gefallen. Wenngleich Maria Theresia schon zu einem relativ frühen Zeitpunkt ihrer Regentschaft die Musik am Hof neu organisierte, stand für sie und ihren Hof außer Zweifel, dass auch dieser Hofkunst eine unverzichtbare Rolle in der Darstellung von Macht, Ruhm und Ansehen des Herrscherpaares und der Dynastie zukam.67 Freilich änderten sich während der 40 Jahre dauernden Regierungszeit die Relation von Qualität und Quantität, die man den einzelnen Gattungen zurechnete: Die Oper, die schon in den letzten Regierungsjahren Karls VI. an Bedeutung verloren hatte, wurde von einer zeremoniell-staatspolitischen Aktion zum höfischen Vergnügen, hingegen stieg die Bedeutung von Kirchenmusik (im weitesten Sinne) und den unterschiedlichen Arten von Kammermusik bzw. Instrumentalmusik. Diese Umschichtung fand auch ihren Niederschlag in der Entwicklung neuer Stilparameter und Gattungen: Sowohl im Bereich der Kirchenmusik als auch – und hier vor allem – im Bereich der Instrumentalmusik kam es im Umfeld höfischer Milieus (weniger des Kaiserhofes in Wien selbst als an den weltlichen wie geistlichen Trabantenhöfen) zur Entwicklung der sog. Wiener Klassik; in den musikdramatischen Gattungen hingegen importierte 66 Ebda., 228 f. 67 Maria Theresia war nicht nur in Sachen Musik zwischen Sparsamkeit und Notwendigkeit (so viel wie nötig – so wenig wie möglich) hin- und hergerissen, um sich im Zweifelsfall für Repräsentation und gegen Sparsamkeit zu entscheiden; selbst in dem uns heute banal erscheinenden Bereich des Tafelschmuckes bei offiziellen Banketten folgte die Herrscherin diesem Diktum, vor allem in den unsicheren Anfangsjahren ihrer Regierungszeit (vgl. dazu Ingrid Haslinger, „Die Wiener Hofzuckerbäckerei unter Maria Theresia“, in: Béhar u. a. [Hgg.], Maria Theresias Kulturwelt [wie Anm. 17], 289–298, 293–297).
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man zunehmend Werke und Stile vor allem aus Venedig und Neapel. Unbestritten ist jedoch, dass jede Form von Musik – ganz in der barocken Tradition der Höfe, in der das Herrscherpaar aufgewachsen war – einer Verankerung im Zeremoniell bedurfte (selbst das halb-private Musizieren in der Retirada). 4.2 Kirche und Klöster Schon während der Regierungszeit Karls VI. hatten tiefgreifende Reformprozesse innerhalb der katholischen Kirche begonnen, die in der zweiten Jahrhunderthälfte – in erster Linie in den österreichischen Ländern verbunden mit der Person Josephs II. – für die musikalische Praxis in der Liturgie wie auch der geistlichen Höfe nachhaltig Wirkung zeigen sollten. Die lange Zeitstrecke und Diversität dieser Prozesse macht es jedoch schwierig, einen konkreten ‚Wendepunkt‘ zu bezeichnen, zumal gerade im Bereich der Volksfrömmigkeit das sog. Volksbarock bis heute nachwirkt. Für den österreichischen Raum bzw. die habsburgischen Länder war vor allem Ludovico Muratori von Bedeutung, dessen Hauptwerke zwischen 1713 und 1749 veröffentlicht wurden und der bereits seit Leopold I. am Kaiserhof großes Ansehen genoss; auch im Erziehungsprogramm für Erzherzog Joseph (Joseph II.) wird 1759 ausdrücklich auf Muratoris Schriften verwiesen.68 Die Thesen Muratoris griffen – in aller Konsequenz durchdacht und exekutiert – massiv in die liturgische und paraliturgische religiöse Praxis und die damit verknüpften musikalischen Traditionen in den habsburgischen Ländern ein, denn:69 Muratoris Plädoyer für ein vereinfachtes und gereinigtes Christentum wurzelt in der Überzeugung, die Zeiten hätten sich geändert: der Hauptfeind der Katholiken sei nicht mehr der Lutheraner, sondern der Ungläubige, der Atheist, der sogenannte Freigeist. In einem solchen veränderten Kontext sollte man versuchen, all das zu entfernen, was der Glaubwürdigkeit des katholischen Glaubens schaden könnte, also alles, was an Missbrauch, Aberglauben, Obskurantismus grenzt.
Besonderes Augenmerk schenkte Muratori daher der gängigen Praxis der pietas aus triaca und deren Auswüchsen in gewissen Formen der Volksfrömmigkeit und bei Bruderschaften.70
68 Sylvaine Reb-Gombeaud, „Religion und Religiosität unter Maria Theresia“, in: Dass., 23–43, 29. 69 Ebda., 29. 70 Ebda., 28 f.
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[…] wie in dem 1740 veröffentlichten Werk De superstitione vitanda, beschäftigte sich Muratori auch mit der Volksfrömmigkeit bzw. mit jenen Andachtsformen, die manchmal, wie im Falle des Eides auf die Unbefleckte Empfängnis, nicht im Rahmen der ausdrücklich von der Kirche definierten Andachtsformen und Dogmen blieben und zum Aberglauben tendierten. Das 1747 in italienischer Sprache verfasste Werk Della regolata divozione dei cristiani, das in Österreich höchst populär wurde, bringt die These zu einer brisanten Formulierung: nicht alle Andachtsformen sind sich gleich, sondern es muss zwischen wesentlichen Andachten, die Gott und Christus zum Gegenstand haben, und unwesentlichen Andächteleien (Prozessionen, Bruderschaften …) unterschieden werden, die oft in Missbräuchen ausarten. Der Gottesdienst soll vereinfacht werden, damit der Blick wieder auf das Wesentliche, nämlich Christus, gelenkt wird. Heiligen- und Marienverehrung werden zwar nicht abgelehnt, aber in eine vernünftige Hierarchie eingeordnet. Die wahre Andacht, wie der deutsche Titel lautet, bestehe nicht in einer unendlichen Vielfalt von Andächteleien, sondern in einem vernünftigen und praktischen Christentum, das auf einer tätigen Nächstenliebe beruhe.
Obwohl die Herrscherin selbst eine große Anhängerin der „Andächteleien“ war, wie auch aus Khevenhüllers Tagebüchern hervorgeht, förderte sie die Anhänger Muratoris, wie beispielsweise den Wiener Fürsterzbischof Joseph von Trautson (1704–1757). Dessen Hirtenbrief von 1752 nimmt bereits vieles voraus, was unter Joseph II., der diesen Hirtenbrief erneut veröffentlichen ließ, nun exekutiert wurde. Denn schon Trautson argumentiert im Sinne von ratio und utilitas:71 Der Erzbischof appelliert an die Prediger, damit sie nicht dieselben Fehler begehen wie zur Zeit der Reformation: Heiligenverehrung, Gnadenbilder, Bruderschaften, Ablässe dürfen nicht als das Wesentliche einer Religion dargestellt werden, sondern der erste Platz gebühre Gott und Christus: „Es wird allerdings vortheilhaft seyn, von dem Nützlichen zu reden, jedoch so, dass jederzeit dem Nothwendigen der Vorrang eingeräumt werde.“ Die Andachten der pietas austriaca werden zwar nicht grundsätzlich in Frage gestellt, aber sie werden nur in gewissen Grenzen geduldet und unter der Voraussetzung, „dass derley Gegenstände weder auf eine übertriebene Art angepriesen, noch durch schwache Beweisthümer zweifelhafte Offenbarungen, unterschobene Wunderwerke […] unterstützt werden.“
Die Grundlagen für die Reformen waren also zwischen 1740 und 1750 gelegt worden, deren Umsetzung dauerte jedoch Jahrzehnte. Problematisch, da mit multiplen Auswirkungen in unterschiedlichen, auch außerkirchlichen Bereichen verbunden, war die Bevormundung der Kirche durch den Staat, die bereits in der ersten Jahrhun71 Ebda., 29 f.
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Abb. 1: Titelblatt zum Theresianischen Gesangbuch, Wien: Katechetische Bibliothek, o. J. (ca. 1776). Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Musiksammlung, SA.78.D.26 Foto: © ÖNB Wien,
derthälfte begann, unter Maria Theresia deutlich verstärkt wurde und unter Joseph II. in einer Weise kulminierte, dass Rom sich zum Eingreifen gezwungen sah. Die Reform der Liturgie hatte weitreichende Folgen für die kirchenmusikalische Praxis. Ziel war es, die Messe vom barocken ‚Theater‘ zu reinigen und zu einem Instrument der Bildung und Erziehung zu machen; konsequente Volkssprachlichkeit und ein den aufklärerischen Inhalten verpflichtetes Gesangbuch deutscher Kirchenlieder waren die Hauptinstrumente zur Durchsetzung dieser Ziele. Erreicht wurden sie nur zum Teil: 1774 erschien das Gesangbuch des Ex-Jesuiten Michael Denis (Geistliche Lieder, jedoch ohne Melodien), das wenig später in den österreichischen Ländern unter dem Titel Katholisches Gesangbuch, auf allerhöchsten Befehl Ihrer k. k. apost. Majes tät Marien Theresiens zum Druck befördert (sog. Theresianisches Gesangbuch) – nun mit 48 einfach harmonisierten Liedsätzen im Anhang versehen – in offensichtlich großer Stückzahl in Produktion ging (siehe Abb. 1).
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Schon 1744 war in Brünn ein Gesangbuch Andächtiger Kirchen-Gesänge so In der Hohen Metropolitan-Kirchen Bey St. Stephan In Wienn […] vorgesungen werden erschienen, 1750 der Katechismus mit den drei Schulen und gewöhnlichen Gesängen des Jesuiten Ignaz Parhamer; das Catholische Unterrichts- Gebett- und Gesangbuch des Dominikaners Raymund Bruns, erstmals 1738 in Berlin gedruckt, wurde 1754 in seiner vierten Auflage in Wien verlegt. In den 1770er Jahren folgten neben den Gesangbüchern von Michael Denis noch weitere,72 sodass durchaus von einer kirchenmusikalischen Bildungsoffensive durch die (staatliche wie geistliche) Obrigkeit gesprochen werden kann. Vor allem die Lieder des Theresianischen Gesangbuches, deren Sätze dem Volks- und Zeitgeschmack geschickt angeglichen worden waren, erfreuten sich bald großer Beliebtheit; sie prägen, wie den beiden Gotteslob-Editionen (1975, 2013) zu entnehmen ist, bis heute das Liedgut des katholischen Österreich (Notenbeispiele 3a/b; die Melodie wurde im Laufe der Zeit geglättet und der 6/8-Takt durch einen einfacheren 3/4-Takt ersetzt). Wie Christian Fastl in seiner Untersuchung der Pfarrprotokolle von Pfarren der Erzdiözese Wien (mit sehr unterschiedlichen Profilen – von der eng mit der Stadt und dem Hof verbundenen Pfarre Hernals bis hin zu kleinen Pfarren wie Trautmannsdorf an der Leitha) feststellen konnte, kam dem Volksgesang in deutscher Sprache bereits vor den josephinischen Reformen eine wichtige Rolle in der Ausgestaltung der Liturgie zu; er dominierte vor allem – unbegleitet oder mit Orgel – die Wochentagsmessen. An Sonntagen gab es meist „ein musikalisches Amt“, dessen Liturgie an hohen Festtagen durchaus in barocker Pracht gestaltet werden konnte. Die Zahl der Messen und Andachten war weiterhin – trotz Reduktion der Feiertage 1754 und der zunehmenden Einschränkung der Prozessionen und Wallfahrten – sehr hoch.73 Auch im städtischen Gefüge griffen die Maßnahmen gegen die Auswüchse barocker Frömmigkeit und konzertähnlicher Messgestaltungen wenig, wie ein Bericht aus dem Jahr 1781 aus Wien belegt:74 Betrachten wir einmal […], wie sich heute das Volk sowohl in den Mönchs- als übrigen Kirchen drängt, wenn es dort eine schöne Musik anzutreffen weiß. Warum mein Leser! ge72 Vgl. dazu Christian Fastl, „Kirchenmusikalische Hinweise in Pfarrprotokollen der 1760er und 1770er Jahre. Eine Untersuchung und Quellensammlung“, in: Studien zur Musikwissenschaft 57 (2013), 141–214, 142 f. 73 Vgl. hierzu die Zusammenstellung der Messen und Prozessionen, die in den untersuchten Pfarren an hohen Festtagen und zu Heiligenfesten gelesen und feierlich ausgestaltet wurden (ebda., 150–153). 74 Ueber die Kirchenmusik in Wien, Wien 1781, zitiert bei Eybl/Fritz-Hilscher, „Vom Barock zur Wiener Klassik“ (wie Anm. 65), 228 [Eybl]. Weitere kritische Stimmen werden beispielsweise bei Bruce C. MacIntyre, The Viennese Concerted Mass of the Early Classic Period (Studies in Musicology 89), Ann Arbor 1986, 53 f. zitiert.
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NB 3a: Großer Gott, wir loben dich. Deutsche Übersetzung des ambrosianischen Lobgesanges (Text: Ignaz Franz 1768 nach dem Te Deum), in: Theresianisches Gesangbuch (ca. 1776), Melodie No. XLII. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Musiksammlung, SA.78.D.26 Foto: © ÖNB Wien,
NB 3b: Großer Gott, wir loben dich, aus: Gotteslob. Katholisches Gebet- und Gesangbuch. Ausgabe für die (Erz-)Diözesen Österreichs, hg. von den (Erz-)Bischöfen Deutschlands und Österreichs und dem Bischof von Bozen-Brixen, Stuttgart/Wien 2013, Nr. 380 (AÖL 1973/1978, Melodie: Wien um 1776, Leipzig 1819, Heinrich Bone 1852), Neusatz: Monika Kornberger (Wien)
schieht wohl das? – Nicht wahr, um dort fleißig zu bethen, und andächtig zu seyn? – Nein – sondern um in dem Tempel des Herrn, in dem Hause des wahren Gottes, seinen Sinnen zu huldigen. […] wie wimmeln sie nicht haufenweise beym Kirchenthore herein, wenn ihnen schon von außen, beym Vorbeygehen der Trompeten und Pauckenschall75 eine musikalische 75 1753 hatte Maria Theresia die Verwendung von Pauken und Trompeten bei Prozessionen und im Gottesdienst untersagt – mit wenig Erfolg, wie nicht nur aus diesem Bericht hervorgeht.
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Unterhaltung verkündigt, oder wenn sie auf einem gedruckten Anschlagzettel lesen, daß alle respective Herren, Frauen, und Jungfrauen Schwestern einer löblichen Bruderschaft, oder gar Erzbruderschaft zu einen [!] sollennen musikalischen Hochamt unter Ablegung des gewöhnlichen Opfers (das versteht sich ohnehin) freundlichst in Christo eingeladen seyen.
Selbst wenn sich das Repertoire, das für die musikalische Begleitung der liturgischen Handlungen herangezogen wurde, zwischen 1750 und 1770 drastisch änderte – in vielen Kirchen erfolgte um 1770 ein massiver Austausch der Gebrauchsnoten –, so scheint der Widerstand des Volkes gegen die Reduktion der liebgewordenen Formen barocker Frömmigkeit nahezu unüberwindbar gewesen zu sein. Die ab ca. 1760/70 neu angelegten Sammlungen zeigen eine klare Präferenz des modernen Stils, der zwischen kontrapunktischen Fertigkeiten und der Klangsprache der sog. Wiener Klassik changierte, und dokumentieren in ihren ältesten Beständen den Übergang von Spätbarock zu (Früh-)Klassik: Georg Reutter d. J., Leopold Hofmann, Johann Georg Albrechtsberger in Wien sowie Johann Ernst Eberlin in Salzburg, die Brüder Haydn und Wolfgang Amadeus Mozart als Vertreter der jüngeren Generation. Die traditionellen Stilgrenzen zwischen Oper, Kirche und Kammer verschwimmen zusehends, auch ein eigenes Instrumentarium (beispielsweise Zink, Violetten, Serpent) wird ab ca. 1770 für die Kirche nicht mehr verwendet.76 Die Tendenzen zu staatlichen Eingriffen in die Belange der Kirche, die unter Joseph II. zu einem regelrechten Staatskirchentum führten, stießen bei den großen Klöstern und Stiften an ihre Grenzen, da diese – vielfach exempt – als Höfe (geistlich wie weltlich) für sich agieren konnten, in erster Linie abhängig von der Richtung, die der jeweilige Abt vorgab. Die meisten Klöster in den habsburgischen Ländern hatten an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert einen fulminanten wirtschaftlichen und damit verbunden auch kulturellen Aufschwung genommen, der sich in großangelegten Bauprojekten wie in einer Betonung höfischer Elemente für Feste und Feiern niederschlug:77 Der äußere Antrieb zum Feiern gründet zu einem wesentlichen Teil in den […] kirchlichen Anlässen. Im Zentrum stehen die liturgischen Hochfeste, dazu kommt eine Vielzahl 76 Wie Eybl anmerkt, verwendete zwar Reutter noch konsequent den Zink in seinen Messen, Georg Matthias Monn hingegen ersetzte dieses Instrument bereits 1741 durch eine Oboe (Eybl/FritzHilscher, „Vom Barock zur Wiener Klassik“ [wie Anm. 65], 224 [Eybl]). 77 Andreas Lindner, „Zur Intention musikalischer Inszenierung. Die Determinanten weltlicher Festkonzeption im Umfeld höfisch-geistlicher Institutionen“, in: Studien zur Musikwissenschaft 56 (2010), 127–135, 129.
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lokalspezifischer Feiertage, etwa Kirchweihen, Patronate, Gründungsfeste und viele andere. Die Zahl der Fest- und Feiertage wird im Verlauf des 18. Jahrhunderts durch staatliche Reglementierung stark eingeschränkt. Neben den liturgisch motivierten Anlässen steht eine Reihe individuell begründeter Initiativen. Dazu zählen die Namens- und Geburtstage von Persönlichkeiten des unmittelbaren Lebensumfeldes, von Bischöfen und Äbten bis hin zu verdienstvollen und beliebten Klerikern. Im Verlauf des 17. Jahrhunderts wird der Kreis auf Würdenträger und Gönner aus dem öffentlichen Leben erweitert.
Ein wichtiger Aspekt unterscheidet jedoch weltliche von geistlichen Höfen: Ein strenges Reglement existiert bei letzteren nur für den liturgischen, nicht aber den profanen Teil der Feste. „Individuell entworfene Anleitungen, etwa schriftliche Vorgaben einzelner Prälaten beziehungsweise Satzungen in den Dienstverträgen von Musikern, beschreiben lediglich punktuell organisatorische, administrative oder auch disziplinäre Ansätze.“78 Der Musik kommt jedoch in der Verknüpfung von geistlich-liturgischer Feier und profan-höfischem Fest eine wichtige Rolle zu, denn sie bildet durch den „verbindenden Festgedanken“ eine Klammer zwischen diesen beiden Sphären:79 In jedem einzelnen Programmabschnitt des Tages erfüllt sie eine zentrale Funktion – insgesamt immer auf Repräsentation ausgerichtet. Auf das morgendliche Hochamt mit dem abschließenden Te Deum folgt das Mittagessen, bei dem Tafelmusik erklingt. Bei der Tafel wirkt die Musik im Hintergrund, unterstreicht aber durch ihre Existenz per se den hohen Stellenwert des Festtages. Mit dem folgenden musikalischen Festakt ist der Höhepunkt des Tages erreicht. Auf dem Programm stehen Oratorien, musikalisch unterlegte Schauspiele oder Kantaten. Die Aufführung ist entsprechend inszeniert: von aufwendigen Bühnenbildern und -maschinerien, prächtigen Kostümen und livrierten Musikern bis hin zu kostbar gestalteten Periochen. Zwischen den verschiedenen Programmpunkten des Tages erklingt Bläser- und Kammermusik, dargeboten in den weitläufigen Höfen, Parks und Gärten.
Dass man zu den Festtagen auch hohe Gäste erwartete – von den umliegenden Grund herrschaften bis hin zu Mitgliedern des Kaiserhauses –, versteht sich von selbst. Um 1740 scheint das Musikleben der großen Klöster noch durchwegs barock geprägt gewesen zu sein, wenngleich die Schlüsselpositionen zunehmend von Geistlichen übernommen wurden, die den Ideen Muratoris gegenüber aufgeschlossen waren. Da die Musikpflege und der Stellenwert, den Musik in den Gemeinschaften einnahm, auch stark von Ordensregeln und consuetudines abhängig waren, sollen exemplarisch 78 Ebda., 128. 79 Ebda., 131.
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drei große Benediktinerstifte – Melk, Seitenstetten und Kremsmünster – für nähere Sondierungen herangezogen werden, da in benediktinischen Gemeinschaften Musik, Kunst und Wissenschaft traditionell einen hohen Stellenwert einnehmen.80 4.2.1 Melk Melk zählt zu jenen Stiften, in denen barockes Lebensgefühl und Gedankengut durch einen jungen Abt mit größtmöglicher Konsequenz durchgesetzt wurden. Erst wenige Jahrzehnte vor dem Amtsantritt von Abt Berthold Dietmayr (reg. 1700–1739) musste Melk einen spirituellen Tiefschlag erleben, als 1663 der hl. Koloman, der seit 1244 als Patron des Landes unter der Enns verehrt worden war, auf Wunsch Kaiser Leopolds I. durch den hl. Leopold (Markgraf Leopold III.) ersetzt wurde, was mit einer Akzentuierung der Bedeutung von Klosterneuburg, aber einer Schwächung jener von Melk einherging. Dennoch (oder gerade deswegen) forcierte Dietmayr den barocken Neubau des Stiftes, im Zuge dessen nicht nur eine Kirche, deren Ausstattung der höheren Ehre Gottes, der Verehrung des hl. Koloman wie des Benediktinerordens (und somit auch Dietmayrs) diente,81 sondern auch ein Schultheater82 (der heutige Dietmayr-Saal) errichtet wurde. Von Bedeutung für das kulturelle Leben im Stift unter Dietmayr war, dass dieser Abt engen Kontakt zum Kaiserhaus hielt und von Karl VI. hochgeschätzt wurde; Ämter wie die eines Rector magnificus der Wiener Universität und die Verleihung des Titels eines Wirklichen Geheimen Hofrates rechtfertigten eine Hofhaltung, die mehr einem Fürstenhof entsprach als mönchischer Bescheidenheit. Unter Dietmayrs Nachfolgern, den Äbten Adrian Pliemel (reg. 1739–1745), Thomas Pauer (reg. 1746–1762) und Urban Hauer II. (reg. 1763–1785), riss der enge
80 Zu den Klöstern in den habsburgischen Ländern sowie Süddeutschland und deren Bedeutung vgl. Derek Beales, Europäische Klöster im Zeitalter der Revolution 1650–1815, Wien u. a. 2008, 43–88 (allerdings mit einigen Ungenauigkeiten; zu Melk 43–58). Neue Erkenntnisse, die den bisher vertretenen Thesen teilweise widersprechen bzw. eine differenziertere Sicht auf die jeweiligen Traditionen der einzelnen Häuser unumgänglich machen, hat das FTI-Projekt des Landes Niederösterreich Kloster_Musik_Sammlungen (2017–2019, Leitung: Anja Grebe) gebracht, das sich im Speziellen den Musikarchiven der Klöster Göttweig, Klosterneuburg und Melk widmete. Projektwebsite: , 11.02.2020. 81 Vgl. dazu Werner Telesko, Kosmos Barock. Architektur – Ausstattung – Spiritualität. Die Stiftskirche Melk, Wien u. a. 2013. 82 Zu dessen Ausgestaltung vgl. Robert N. Freeman, The Practice of Music at Melk Abbey. Based upon the Documents, 1681–1826 (Veröffentlichungen der Kommission für Musikforschung 23 = Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse, Sitzungsberichte 548), Wien 1989, 378–380, Dokument 7365 (1736).
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Kontakt zum Hof ab83 – insofern stellt der Tod von Dietmayr 1739 einen Einschnitt in der Geschichte des Stiftes dar. Quantität wie Qualität der Musik scheinen jedoch im 18. Jahrhundert im Wesentlichen kaum verändert worden zu sein; die Anzahl der vorwiegend liturgisch determinierten Feste blieb im Großen und Ganzen gleich. Über die um 1740 gespielte Musik kann nur spekuliert werden, da aus der Zeit vor 1750 kaum Musikalien überliefert sind, wie Robert Freeman bei seinen Forschungen zur Melker Musikgeschichte frustriert feststellen musste84 – Rechnungsbücher, Hinweise zu Theateraufführungen und zu den Netzwerken der Musiker, die beim Stift angestellt waren, müssen (abgesehen von den wenigen überlieferten Musikalien) für diese Zeit als Quellen ausreichen.85 Eine wichtige Position nahm der Organist des Stiftes ein – in der Zeit von 1729 bis 1759 Joseph Weiss. Die überlieferten Kopien aus der Hand von Weiss zeigen eine auch nach 1739 weiterhin enge Verbindung nach Wien:86 The surviving copies in Weiss’s hand of other composers’ works at Melk are confined to church music, an indication that his primary duties must have been concentrated in this area. Through his activity as copyist he was perhaps largely responsible for perpetuating the imperial court church style at Melk beyond the death of Emperor Charles VI. He prepared study scores of two Masses and a Vespers by imperial vice-Kapellmeister Antonio Caldara (I 1–2, III 9) and performance material for two other Masses, a Miserere and two offertories by the same composer (I 6–7, III 37, II 36–37), three works by Caldaras pupils Georg Joseph Donberger (Requiem I 226) and J. G. Reutter (offertory II 119, Mass I 85), a church sonata by J. J. Fux (KV 53, V 1059), and two Requiems and a Miserere (I 228b–29, III 58) by the music director at the St. Dorothea church in Vienna, F. Schmid (c. 1694–1756). Copies of Masses by J. A. Scheibl (I 33) and J. G. Zechner (I 44–46) prove at the same time that music by provincial Austrian composers was not neglected. Other compositions copied by Weiss include a Christmas Mass (I 51) composed by Benedikt Klima of Stift Neukloster near [recte: in] Wiener Neustadt87 and an offertory (II 56) by Firmino Hörger of Klosterneuburg. 83 Vgl. ebda., 22–24. 84 „The most striking of these [manuscripts at the music archive] is the relatively small number of compositions that survive from the year before 1750. In other words, historically valuable parts of the collection, including the music from the era of Abbot Berthold Dietmayr and from all older periods, are almost entirely missing“ (ebda., 26). Eine differenzierte Sicht auf die Frage, wie und warum in Melk Musikalien skartiert bzw. bewahrt wurden, bietet das Projekt Kloster_Musik_Sammlungen (wie Anm. 80; Bearbeiter für Stift Melk: Johannes Prominczel). 85 Einen guten Überblick bietet der Dokumentenanhang bei Freeman (ebda., 333–488, für den Schnittstellenbereich bes. 373–399). 86 Ebda., 91. 87 Das Zisterzienserkloster Neukloster wurde 1444 durch Kaiser Friedrich III. gegründet und an der in
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Die enge Verbindung zu Wiener Musikern blieb auch unter Weiss’ Nachfolger, Johann Georg Albrechtsberger, bestehen. In Klosterneuburg geboren, war Albrechtsberger von 1749 bis 1753 Sängerknabe in Melk, wo er durch Regens chori Marian Gurtler und Organist Weiss musikalisch ausgebildet wurde. Albrechtsbergers Werke für Melk schöpfen aus der spätbarocken Tradition (vor allem in der Verwendung von Gattungen wie Applausus, Fastenoratorien, aber auch Divertimenti für die Tafelmusik); stilistisch greifen sie bereits in die beginnende Klassik hinein, ohne die Tradition zu verleugnen.88 4.2.2 Seitenstetten Abseits der traditionellen kaiserlichen Reiserouten gelegen, aber in engem Kontakt zu den umliegenden anderen Benediktinerstiften, berührten Seitenstetten Änderungen am Kaiserhof weit weniger als die sog. ‚Kaiserstifte‘ (wie Klosterneuburg, Göttweig, Melk, St. Florian oder Kremsmünster) – im relevanten Zeitraum bestanden kaum Kontakte zum Kaiserhof, und der letzte Besuch eines Kaisers lag weit zurück (1622). Auch in Seitenstetten ging man ab 1717 unter Abt Ambrosius Prevenhueber (reg. 1717–1729) an den barocken Um- bzw. Neubau des Stiftes, der jedoch weit weniger radikal umgesetzt wurde als in Melk und auch wesentlich bescheidener ausfiel (als Baumeister fungierte bis zu seinem Tod 1741 Joseph Munggenast). Abt Paul de Vitsch (reg. 1729–1747) setzte die Pläne seines Vorgängers weiter um: 1744 schuf Bartolomeo Altomonte die Deckengemälde der Prälaturstiege, und im selben Jahr wurde ein barockes Schultheater durch den Wiener Hoftheatermaler Franz Anton Danne errichtet.89 Da Seitenstetten seit dem Mittelalter über eine Lateinschule verfügte, die ab der Mitte des 17. Jahrhunderts neu organisiert und in Klosterschule und Gymnasium getrennt wurde, standen mit den Schülern nicht nur Sängerknaben, sondern in den oberen Klassen auch erwachsene Sänger und Instrumentalisten in größerer Zahl zur Verfügung; das Gymnasium bedingte zudem eine Annäherung an die BenediktinerUniversität in Salzburg. Die Schüler selbst kamen – wie auch in Melk – aus der unmittelbarer Nähe der Burg in Wiener Neustadt seit 1227 befindlichen Dominikanerkirche (intra muros) angesiedelt; seit 1882 gehört es zum Kloster Heiligenkreuz (siehe , 14.10.2013). 88 Freeman, The Practice of Music at Melk Abbey (wie Anm. 82), 92–96. Dies gilt vor allem für die Werke von P. Marian Paradeiser, dessen Kammermusikwerke zwar noch als Divertimenti bezeichnet wurden, jedoch eher dem Streichquartett der sog. Wiener Klassik zuzurechnen sind; vgl. dessen Divertimento in E für 2 Violinen, Viola und Violoncello, hg. von Günter Stummvoll (Diletto Musicale 1519), Wien 2019. 89 Dazu Johann Haider, Die Geschichte des Theaterwesens im Benediktinerstift Seitenstetten in Barock und Aufklärung (Theatergeschichte Österreichs IV/1), Wien 1973, 28–30.
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Umgebung und gehörten dem niederen (landständischen) Adel, Bürgertum und gehobenen Bauernstand an.90 Die Musik selbst war ähnlich organisiert wie in Melk: Neben den Sängerknaben und Schülern, die im Chor mitwirkten, gab es angestellte Tenoristen und Bassisten sowie einen Organisten; die Instrumente wurden entweder von Angehörigen des Stiftes oder Schülern gespielt bzw. engagierte man (vor allem für die Blasinstrumente) die Thurner der umliegenden Städte.91 Im Zentrum der Musikausübung stand die Begleitung der Liturgie; dazu kamen profane Anlässe (die meist aus einem liturgisch-geistlichen Zusammenhang erwuchsen) wie Hochzeiten, Geburtstage, Neujahr, Empfang und Bewirtung hoher Besucher. Eine Brücke zwischen geistlichem und weltlichem Feiern bildeten Konventsfeste, wie Infulation und Infulationsjubiläen, Professfeiern oder Wahlen.92 Über das im Zeitraum 1720 bis 1770 gespielte Repertoire kann jedoch nur spekuliert werden, da auch in Seitenstetten kaum Notenbestände aus der Zeit vor 1760/7093 vorhanden sind. Einige wenige Rückschlüsse lassen die Rechnungsbücher zu, die auf ein Changieren zwischen den Orten Salzburg, Passau/Augsburg und Wien schließen lassen – mit entsprechenden Konsequenzen auf die in Seitenstetten verwendeten musikalischen Stilrichtungen. Erwähnt werden in den Rechnungsbüchern in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts Kopiaturen bzw. Ankäufe von Werken Benedict Anton Aufschnaiters, Carl Heinrich Bibers und Johann Ernst Eberlins sowie von Komponisten der umliegenden Klöster (vorwiegend geistliche Musik bzw. Instrumentalmusik, die sich sowohl in der Kirche als auch der Kammer gebrauchen ließ).94 Auch in den 1740er Jahren scheint eine Ankoppelung an den Salzburger Spätbarock bestanden zu haben, wobei Salzburg als traditioneller Studienort der Benediktiner eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt haben mag. Christian Widmann, 1749– 1788 Organist des Stiftes, war ein fruchtbarer Komponist (vorwiegend von Kirchenmusik). Auch sein Nachfolger, Franz de Paula Raab, ein Albrechtsberger-Schüler, der in engem Kontakt zu Michael Haydn stand, schuf vorwiegend Kirchenmusik, die sich ebenfalls mehr an Salzburger Stilelementen orientierte als an den Richtungen in Wien. Widmann und Raab vertonten auch Texte zu Schulopern, die sich zwischen 90 Ebda., 30 f. bzw. 37 und 40 f. 91 Meistens wurden die Thurner aus dem nahen Waidhofen an der Ybbs engagiert, manchmal auch aus Enns. Eine wichtige Rolle spielte auch Ybbsitz, das bis heute eine Seitenstettener Pfarre ist. Viele der Ybbsitzer Pfarrer waren zudem ausgezeichnete Musiker und Komponisten, wie beispielsweise P. Adam Weissenhofer oder P. Hieronymus Hueber, der in Ybbsitz geboren wurde (ebda., 44–48). 92 Ebda., 35–37. 93 Ebda., 95: „[...] bei der Neuordnung des stiftlichen Musikarchivs um 1770 wurden so ziemlich alle älteren Noten weggeworfen.“ 94 Ebda., 51 f.
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Benediktinertheatertradition und Singspiel bewegen. Wie in vielen anderen Klöstern und Kirchen in den habsburgischen Ländern wurde auch in Seitenstetten um 1770 nicht nur der Instrumentenbestand grundlegend erneuert, sondern auch der Bestand an Gebrauchsnoten fast zur Gänze ausgetauscht.95 4.2.3 Kremsmünster In Kremsmünster war die Ausgangslage aufgrund einer größeren Nähe zum Hof wie der 1741 ins Leben gerufenen Ritterakademie und der dadurch bedingten Einbindung des Adels eine andere als im eher beschaulichen Seitenstetten. Zudem zählt Kremsmünster zu den wenigen großen Klöstern, in denen sich bis heute auch Musik aus der Zeit vor 1760/70 in großer Menge erhalten hat. Doch auch hier ist festzustellen, dass sowohl Werke von Komponisten aus dem Stift (Patres wie angestellte Musiker) als auch aus anderen Klöstern überwiegen; deutlich kann man einen Einfluss aus Salzburg (dem Hauptstudienort der Patres aus Kremsmünster) und dem benachbarten Passau erkennen.96 Unter Regens chori P. Rupert Langpartner, der dieses Amt von 1733 bis 1739 innehatte, wurden mehrere Maßnahmen gesetzt, die auf ein reiches barockes Musikleben (sowohl geistlich wie weltlich) schließen lassen: Gleich 1733 ließ er zwei gegenüberliegende Musikemporen im Querschiff der Stiftskirche errichten, auf denen Johann Ignaz Egedacher jeweils eine Orgel (auf der Evangelienseite für die Instrumentalisten, auf der Epistelseite für die Sänger) errichtete.97 1737 wurden das Theater erneuert, die Chorbücher für den Mönchschor ausgebessert und zahlreiche Instrumente beim Linzer Instrumentenbauer Johann Blasius Weigert angekauft. Organist Vinzenz Schmidt, der 1736 bis 1745 in Kremsmünster wirkte und von dort nach Passau wechselte, zeigt 95 Ebda., 87 f. und 93–95. Ein Zettelkatalog dieser Bestände wurde im Zuge des RISM-Projektes von Alexander Weinmann erstellt und befindet sich in der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek. Wie jedoch anlässlich der Vorarbeiten zur Niederösterreichischen Landesausstellung von 1988 (Seitenstetten. Kunst und Mönchtum an der Wiege Österreichs [Kataloge des Niederösterreichischen Landesmuseums N. F. 205], Wien 1988) von Theophil Antonicek und der Autorin festgestellt wurde, ist er leider fehlerhaft und offenbar unvollständig, sodass eine Neubearbeitung durch RISM ein großes Desiderat darstellt, um diese wichtigen Bestände für die Forschung zu erschließen. Für die Zeit um 1770 dominieren Klosterkomponisten, weiters finden sich viele Stücke von Komponisten aus dem salzburgisch-passauischen Raum. 96 Vgl. dazu Altman Kellner, Musikgeschichte des Stiftes Kremsmünster. Nach Quellen dargestellt, Kassel/Basel 1956, 326–410 (Zeitabschnitt 1733–1767, Langpartner, Stadler, Sparry). 97 Diese Emporen wurden 1876 abgebrochen; die Orgel der Sänger war zwar noch spielbar, die für die Instrumentalisten bestand jedoch nur mehr aus dem Orgelkasten, der als Aufbewahrungsschrank für Musikalien genützt wurde (ebda., 329).
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sich in seinen Messen dem Stil des süddeutschen Hochbarock allgemein verpflichtet, doch ordnete Altman Kellner seine Werke für Kremsmünster stilistisch nach Passau ein, das nicht nur geographisch näher lag als Wien.98 Unter Langpartners Nachfolger, P. Nonnos Stadler, erlebte vor allem das barocke Schultheater, mit einem reichen Musikanteil ausgestattet, eine letzte Hochblüte.99 Da bei der Übergabe des Regentenamts von Stadler auf Sparry 1747 ein genaues Verzeichnis aller Musikalien, die unter P. Nonnos Stadler angeschafft wurden, erstellt wurde, ist die Musik des Untersuchungszeitraums in Kremsmünster außergewöhnlich gut dokumentiert. Die vorwiegend der geistlichen Musik zuzuordnenden 250 Werke zeigen eine große stilistische Breite und zeugen von musikalischem Weitblick. Neben Antonio Caldara, einem Vertreter der Wiener Hoforganisten-Familie Reinhardt (Karl oder Johann Georg?) und Johann Joseph Fux sowie dem Corelli-Schüler Giovanni Mossi finden sich italienische Komponisten der damals hochaktuellen neapolitanischen Schule (Farinelli, Giovanni Battista Pergolesi und Nicola Porpora). Auch die ‚deutschen‘ Komponisten der Generation nach Fux sind vertreten: Johann Adolf Hasse, Franz Tuma, Georg Christoph Wagenseil und Johann Georg Zechner – die meisten aus dem Umkreis des Wiener Hofes. Zahlreich anzutreffen sind Werke von Komponisten aus dem salzburgisch-passauischen bzw. süddeutschen Raum (Georg Hahn, Josef Seraphim Kern, Leopold Mozart). Die Mehrzahl der Werke stammt jedoch von Klosterkomponisten oder Kirchenmusikern (aus dem Wiener Raum ebenso wie aus Süddeutschland): Georg Donberger, Benedikt Geissler, P. Alberik Hirschberger, P. Isfrid Kayser, Josef Franz Kinninger, P. Marian Königsperger, Kaspar Meidl, Franz Pruneder, P. Valentin Rathgeber, Ferdinand Schmidt, P. Meinrad Schopf und P. Heinrich Wernher.100 Unter der Annahme, dass dieses Repertoire nicht nur zu Studienzwecken, sondern in erster Linie als Gebrauchsmaterial angeschafft wurde, wäre die Kirchenmusik in Kremsmünster unter Regens chori Stadler den jeweils aktuellen ‚Trends‘ gefolgt und hätte den ‚neuen Ton‘ bereits zu einem Zeitpunkt praktiziert, als dieser in der kaiserlichen Hofmusikkapelle nur Spezialisten bekannt war. 98 Ebda., 331–334. Dieser hochbarocke Stil ist auch den anderen geistlichen Werken (Offertorien, Litaneien etc.) zu eigen. 99 Eine interessante Verschmelzung barocken Benediktinertheaters mit aktuellen politischen Ereignissen bietet das am 3. Mai 1745 aufgeführte Singspiel Adami et Evae ex Paradiso ejectio. Moderna bellorum tempestate renovata (Librettist und Komponist konnten bis dato nicht identifiziert werden). In diesem Stück wird die Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies mit den aktuellen Ereignissen im österreichischen Erbfolgekrieg (Vertreibung des bayerischen ‚Usurpators‘ und seiner Frau durch die Habsburger) verknüpft. Sinnig werden die Personen doppelt konnotiert: Adam – Dux Bavariae, Eva – Eius praetensio, Serpens – Monarchia universalis, Paradisum – Austria, Pomum – Ius hereditarium, Deus – Iustitia und Cherub – Hungaria (ebda., 343). 100 Ebda., 348–359.
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Stadlers Nachfolger als Regens chori, P. Franz Sparry, der dieses Amt von 1747 bis 1767 ausübte, war bereits mit dem ‚neuen Ton‘ bestens vertraut, hatte ihm doch der Abt ermöglicht, „sich in einem zweijährigen Aufenthalt an den Zentren der musikalischen Welt auf das Amt eines Regens chori vorzubereiten. Mit größter Freude entsprach Sparry dem Wunsch des Prälaten und zog im Frühjahr 1740 nach Neapel.“101 Er wurde Schüler von Leonardo Leo und brachte nicht nur zahlreiche Werke dieses Komponisten, sondern auch weiterer Hauptvertreter der neapolitanischen Schule nach Kremsmünster mit (Nicolò Piccinni, Nicolò Jommelli, Francesco Pignatelli und Francesco Feo). 1741 setzte Sparry seine Studien in Rom fort, um bei Girolamo Chiti, einem Meister des römischen Kontrapunktes in der Palestrina-Nachfolge, in eine andere Ebene der „Kompositionswissenschaft“ einzutreten.102 1747 übernahm Sparry das Amt des Regens chori und begann sogleich den von P. Nonnos Stadler bereits in Hinblick auf die aktuellen Stilrichtungen erweiterten Notenbestand großzügig weiter auszubauen: Italienische Komponisten sind in den Anschaffungen von 1747 wenige zu finden (hier konnte Sparry wohl auf seine in Italien gesammelten Bestände zurückgreifen), hingegen setzte er die Akquisitionspolitik seines Vorgängers fort und erwarb vor allem Werke von Komponisten aus dem süddeutsch-österreichischen Raum (Passau, Salzburg, Wien etc.): Werke von Anton Cajetan Adlgasser, Carl Ditters von Dittersdorf, Johann Ernst Eberlin, Florian Leopold Gassmann, Tobias Gsur, Franz Ignaz Lipp, Georg Matthias Monn, Georg Reutter d. J., Johann Wenzel Stamitz und Gregor Joseph Werner zeigen eine Wende hin zum frühklassischen Stil. Zwar wurde das Schultheater in seiner althergebrachten Weise fortgeführt, doch finden sich immer mehr deutschsprachige Textbücher (auch im Dialekt), die nach Singspiel-Art vertont wurden.103 Da es um 1770 im österreichischen Raum wie auch in Böhmen und Mähren zu einem umfassenden Austausch der Notenmaterialien kam und nur älteres Material, das offenbar weiterhin in Gebrauch stand (beispielsweise für die Liturgien des Triduum Sacrum), bewahrt bzw. neu kopiert wurde, finden sich selbst an prominenten Standorten wie Melk oder auch dem Wiener Schottenkloster nur geringe Be101 Ebda., 363. 102 Ebda., 366–370. Obwohl Sparry zahlreiche Musikalien, Bücher und Instrumente auf seiner Reise für das Kloster ankaufen konnte, verlor er einen großen Teil der Transportkisten durch einen Seesturm auf der Überfahrt von Venedig nach Triest (ebda., 374). 103 Beispiele der Vertonung von Dialekttexten ebda., 384–387; zum Schultheater und zu Sparry ausführlich ebda., 389–409. Einer der Librettisten dieser Stücke in oberösterreichischer Mundart hat es sogar zu literarischen Ehren gebracht, P. Maurus Lindemayr (1723–1783): Alois Brandstetter, Vom Manne aus Eicha: Roman, Salzburg/Wien 1991.
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stände an Musikalien vor 1770/80; auch Inventare aus der Zeit vor 1770 sind eine Seltenheit (auf Kremsmünster wurde hier bereits verwiesen), denn diese wurden meist im Zuge eines neuen historischen Bewusstseins um 1820/30 angelegt.104 Da also oft nicht einmal ein Verzeichnis der alten Bestände vorhanden ist, lassen sich die Fragen, wann dieser Repertoirewechsel eingesetzt hat, unter welchen Aspekten und zur Art des Wechsels (abrupt oder allmählich) in vielen Fällen nur hypothetisch beantworten. Ob der Umkehrschluss zulässig ist, dass bis zur Zeit zwischen 1750 und 1770 (und somit auch den Untersuchungszeitraum um 1740 betreffend) liturgische Traditionen der Gegenreformation und des Barock ungebrochen weitergepflegt wurden und auch das musikalische Repertoire nur behutsam (wenn Altes durch besseres Neues ersetzt werden konnte) erweitert bzw. verändert wurde, ist mangels repräsentativer Quellenbestände105 nicht eindeutig zu beantworten. Wie die Beispiele aus den genannten Klöstern sowie die Ergebnisse des Projekts Klos ter_Musik_Sammlungen, aber auch die Protokolle der sehr inhomogenen Gruppe an Pfarren der Wiener Erzdiözese zeigen, verlief dieser Wechsel unterschiedlich, wurde oft durch Einzelpersönlichkeiten initiiert bzw. getragen und war von persönlichen Erfahrungen und Vorlieben geprägt. Schlussendlich muss auch einkalkuliert werden, dass sich nicht nur um 1770 ein neuer Ton und Stil auch in der Kirche durchgesetzt hatte, dem durch Neuanschaffungen Rechnung getragen werden sollte, sondern auch das alte Notenmaterial und die alten Gebrauchsinstrumente offenbar so abgenützt waren, dass Neuanschaffungen in vielen Fällen unumgänglich waren – die Radikalität und Einmütigkeit, mit der dieser Austausch jedoch um 1770 vollzogen wurde, lässt aber doch aufmerken und findet nur in jenem Repertoirewechsel um 1900 ein Pendant.
104 Dass in den Inventaren, die anlässlich eines Abtwechsels für den Klosterrat angelegt wurden, Musikalien detailliert verzeichnet wurden, wie dies gleich viermal hintereinander für Göttweig zwischen 1597 und 1612 erfolgte, ist ein Zufall (die Autorin dankt Bernhard Rameder, Sammlungen Stift Göttweig, für den Hinweis und die Übermittlung von Studien-Scans). Diese Inventare sind jedoch sehr rudimentär und nicht vergleichbar mit den umfassenden Aufnahmen, wie sie um 1820/30 erfolgten (beispielsweise 1821 in Stift Melk, 1830 in Stift Göttweig oder gleich mehrfach ab 1820 in Stift Klosterneuburg). 105 Das immer wieder als Ausnahme zitierte Archiv der Pfarrkirche Rottenmann (Steiermark) kann mit nur 23 Handschriften, 13 Drucken und einem Fragment nicht als Präzedenzfall herangezogen werden, zumal auch die Provenienz dieser Bestände unklar ist. Die älteren Bestände (ab 1680) sind ausnahmslos Drucke, die ältesten Handschriften datieren aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, der Hauptbestand stammt aus dem 19. Jahrhundert. Dazu Ingrid Schubert, Musikalienbestände im Institut für Musik wissenschaft der Universität Graz, Teil 1 (Tabulae Musicae Austriacae 12), Wien 1992, 119–133.
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4.3 Stadt und Bürgertum Um 1740 spielte das Bürgertum noch kaum eine Rolle als Kulturträger, Kulturschaffender oder Kulturvermittler. Stadt und Bürgertum fungierten weitgehend in ihren traditionellen Rollen und als in Bruderschaften und Zünften organisierte Solidargemeinschaft – in Residenzstädten zudem auch als Spiegel und Bühne höfischer Repräsentation. Religiös konnotierte Ereignisse (Hochämter, Prozessionen, Wallfahrten) demonstrierten im öffentlichen und semi-öffentlichen Raum Zeremoniell und Rangordnung dieser Gemeinschaft. Bälle, festliche Tafeln oder konzertähnliche Ereignisse fanden in geschlossenem und eigens geladenem Rahmen statt und betrafen jeweils bestimmte Gruppen (Teilöffentlichkeiten) der Solidargemeinschaft. Für alle zugänglich waren Schaubuden (vorausgesetzt, man konnte das Eintrittsgeld zahlen) und Jahrmarktsunterhaltungen. Doch gerade Letztere wurden durch den Tod Karls VI. aufgrund der strikt zu befolgenden Landestrauer für ein Jahr unterbrochen. Danach dämpften die zahlreichen kriegerischen Auseinandersetzungen, in die die habsburgischen Länder bis 1763 verstrickt waren, die Möglichkeiten zu öffentlichem Feiern, da viele Städte der Monarchia Austriaca (vor allem in Böhmen und Schlesien, aber auch im Land ob der Enns) zu Festungen ausgebaut werden mussten oder aufgrund von Truppenverlagerungen und dem Durchmarsch unterschiedlicher Armeen bis an die Grenzen des Erträglichen belastet waren. Die Frage, wann die Entwicklung einer bürgerlichen Freizeitkultur begann, wann überhaupt der Tag in Arbeitszeit und Freizeit eingeteilt wurde, lässt sich nicht eindeutig beantworten, da die Quellen bisher nur zum Teil erhoben wurden bzw. nicht (mehr) vorhanden sind.106 Am ehesten dokumentiert ist dieser Prozess für Wien, da die Entwicklung eines bürgerlichen Konzertlebens sowie eines öffentlich zugänglichen (Musik-)Theaters auf hohem Niveau in engem Zusammenhang mit der sog. Wiener Klassik steht und daher große Aufmerksamkeit durch die Forschung erhielt.107 106 Für Wien wurde diesbezüglich schon Pionierarbeit geleistet, doch fehlen Vergleichsarbeiten zum Freizeitverhalten in anderen Zentren des 18. Jahrhunderts; vgl. Gerhard Tanzer, Spectacle müssen seyn. Die Freizeit der Wiener im 18. Jahrhundert (Kulturstudien 21), Wien u. a. 1992. 107 Vgl. dazu das FWF-Projekt Transferprozesse in der Musikkultur Wiens, 1755–1780: Musikalienmarkt, Bearbeitungspraxis, neues Publikum (Leitung: Martin Eybl, Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, 2014–2020; Projektwebsite: , 11.02.2020). Ziel ist es, in der Verfolgung von vier großen Entwicklungslinien Transferprozesse transparent und nachvollziehbar zu machen: 1. Von der Hofkapelle ins Kärntnertortheater – eine sozialhistorische Topographie des Oratoriums; 2. Klöster als Konsumenten am Wiener Musikmarkt; 3. Wiener Instrumentalmusik auf dem Pariser Druckmarkt; 4. Die Opéra-Comique in Wien 1765–1780.
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Ein eigenständiges städtisches Kulturleben entstand zuerst auf dem Gebiet des Musiktheaters: 1708 war das Theater nächst dem Kärntnertor als Spielstätte für die Hanswurst-Stücke von Joseph Anton Stranitzky erbaut worden, da das gemauerte Haus weniger feuergefährdet war als die hölzernen Schaubuden (ein Intermezzo als Opernbühne scheiterte nach kurzer Zeit, da der Hof die Oper als höfische Gattung monopolisiert wissen wollte108). Mit Gottfried Prehauser fand Stranitzky einen würdigen Nachfolger, der die Wiener Volkskomödie bis zu seinem Tod 1769 prägte.109 Die Wiener Volkskomödie besaß traditionell einen hohen Musikanteil, in dem sich sowohl im Volksliedton gehaltene Lieder wie auch textlich wie musikalisch anspruchsvolle Parodien auf das gängige Opera-seria-Repertoire finden. In der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek sind unter den Signaturen Mus. Hs. 19.062 und Mus.Hs. 19.063 zwei Bände mit sog. Komödienarien aus den Jahren 1754 bis 1758 überliefert; weiters existiert eine vierbändige Sammlung von Texten zu Komödienarien aus der Zeit von Gottfried Prehauser und Joseph Felix Kurz-Bernardon.110 Die beiden Musikhandschriften wurden in den Bänden 64 und 121 der Denkmäler der Tonkunst in Österreich ediert111 und behandeln auf verschiedenen Ebenen Veränderungsprozesse, wobei Kritik an sozialen bzw. gesellschaftlichen Missständen im Vordergrund steht. „In Österreich ist die Komödienarie die wichtigste und interessanteste lyrische Ausdrucksform in deutscher Sprache vom Beginn des 18. Jahrhunderts bis gegen 1770 zu. Zahlreiche literarische Traditionen verbinden sich in ihr zu neuer Gestaltung.“112 Herbert Zeman sieht in den Texten eine raffinierte, dem jeweiligen Stück geschickt angepasste Mischung aus barocker Predigt-Lyrik eines Abraham a Sancta Clara, Bänkelgesang, volkstümlichen (italienischen) Intermedien und Studen108 Einen Ausweg, um doch Opern im Kärntnertortheater spielen zu können, ohne das Opernmonopol des Hofes zu brechen, fand man, indem man die gespielten Stücke als ‚Intermedien‘ deklarierte oder Pasticci spielte. Das Repertoire des Kärntnertortheaters von den Anfängen bis ca. 1750/60 wird derzeit in einem Forschungsprojekt von Andrea Sommer-Mathis, Reinhard Strohm und Herbert Seifert erforscht. Vgl. dazu auch Robert Haas, „Die Musik in der Wiener deutschen Stegreifkomödie“, in: Studien zur Musikwissenschaft 12 (1925), 3–64, der viele dieser Intermezzi anführt. 109 Vgl. dazu Eybl/Fritz-Hilscher, „Vom Barock zur Wiener Klassik“ (wie Anm. 65), 256 f. bzw. 261 f. [Fritz-Hilscher]. 110 Teutsche Arien, Welche auf dem Kayserlich-privilegirten Wienerischen Theatro in unterschiedlich producir ten Comoedien, deren Titul hier jedesmahl beygedrucket, gesungen worden (Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Sammlung von Handschriften und alten Drucken, Cod. 12.706–12.709). Diese Komödienarien wurden wie Einlagearien in Volkskomödien, die an sich Sprechstücke waren, eingefügt, ähnlich den Couplets bei Johann Nestroy oder Ferdinand Raimund. 111 Deutsche Komödienarien 1754–1758: Erster Teil, hg. von Robert Haas (Denkmäler der Tonkunst in Österreich 64), Wien 1926; Zweiter Teil, hg. von Camilo Schoenbaum/Herbert Zeman (Denkmäler der Tonkunst in Österreich 121), Graz/Wien 1971. 112 Herbert Zemann, „Vorwort“, in: Dass., x.
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tenlied in Verbindung mit hohem Wissen um klassische Versdichtung und Bildung, durchaus auch verbunden mit volksbildnerischen Inhalten der Aufklärung.113 Als Komponisten der Arien dieser Sammlung kommen Joseph Ziegler (1722– 1767) und Ignaz Ulbrich (1706?–1796) infrage – die von Robert Haas114 vermutete Autorschaft von Joseph Haydn stellen Camillo Schoenbaum und Herbert Zeman in Frage.115 Die Musik ist eher schematisch komponiert – entweder volksliedhaft oder theatralisch den Text untermalend. Instrumentiert wurde meist mit zwei Violinen, Viola und Basso continuo, selten mit zusätzlichen Blasinstrumenten (Hörner, Oboen, Flöten). Inwieweit die Musik italienischer commedia-dell’arte-Truppen Einfluss auf die Musik der Wiener Volkskomödie genommen hat, wäre noch zu untersuchen – textliche Anspielungen auf typische commedia-Phrasen finden sich oft, ebenso Parodien auf die Opera seria (was wiederum auch eine gute Kenntnis der aktuellen Stücke durch das Publikum und idente bzw. sich überschneidende Besuchergruppen von Opera seria und Volkskomödie voraussetzt). Das folgende Beispiel zeigt einen Ausschnitt aus einer Parodie auf eine Liebes arie im gängigen Seria-Stil; übertriebene Figurierung in den Violinstimmen, betont künstliche und in Relation zum Text unpassende Koloraturen in der Singstimme sowie ein französisch-italienisch-deutsches Kauderwelsch, wohl auch gepaart mit einer bewusst outrierenden Zurschaustellung aller darstellerischen Unsitten des Opernpersonals, sorgen für den komischen Effekt (Notenbeispiel 4). Doch auch herbe Kritik an der Willkür, der die Leibeigenen ausgeliefert waren, wurde – verpackt im ‚Komödiengewand‘ einer ‚Bernardoniade‘ – auf der Bühne des Wiener Volksstückes laut, wenn Fiamena als Graser-Mädl in volksliedhaftem Ton den Grundherrn bittet, sie nicht zu hart zu bestrafen, nur weil sie „a Binkerl Gras gestohlen“ hätte:116 Ach ihr Gnaden unverhohlen Exzellenzen schöner Herr, hab a Binkerl Gras gestohlen, tus mein Lebtag nimmermehr; wills ja gerne wieder geben, schenkt mir nur mein junges Leben, 113 Ebda., xi–xiii. 114 Haas, „Die Musik in der Wiener deutschen Stegreifkomödie“ (wie Anm. 108), 54–58. 115 Zeman, „Vorwort“ (wie Anm. 112), xii–xiii. 116 Vgl. Josef Kurz [Joseph Felix Kurz-Bernardon], Bernardon auf der Gelsen-Insul oder die Spatzen-Zau berei mit der lustigen Regens-Chori Pantomime. Große Maschin-, Flug- und Verwandlungs-Komoedie (ca. 1755), in: Deutsche Komödienarien I (wie Anm. 111), 1–32, 4 f.
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NB 4: Mirile zu Bernardon, aus: Triumph der Freundschaft, Komödie von Johann Georg Heubel, 1755, in: Deutsche Komödienarien I (wie Anm. 111), 55 [T. 44–63]
pfänd’ts mich nicht und laßt mich gehen, ei ich bitt’ enk ja recht schön.
Wie anders ist doch der Ton, den Hanne im Winter von Joseph Haydns Jahreszeiten (1801 uraufgeführt) in „Ein Mädchen, das auf Ehre hielt“ anschlägt. Gottfried van Swieten spart in seinem Text nicht an Kritik an dem überheblichen Grundherrn, der immer noch nicht wahrhaben möchte, dass die Leibeigenschaft schon 1791 aufgehoben worden
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ist – am Schluss ist jedoch er, dem ehemals die Leibeigenen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert waren, der Gelackte, und der Spott Hannes wird durch den kommentierenden Chor, der in allgemeinem Gelächter über den Dummkopf endet, verstärkt. Knapp nach 1740 begann auch in Wien zaghaft ein öffentliches Konzertwesen. Das Wienerische Diarium kündigt mit 6. März 1745 eine Konzertreihe im Theater nächst der Burg an:117 Es wird hiemit dem Publico zu wissen gemacht, dass künftigen Sonntag als den 7ten die[sen Monats] in dem Königlichen privilegirten Theatro nächst der Burg, Nachmittag präcise um halber 7 Uhr die Accademien von verschiedener Vocal und Instrumental Musik zum Erstenmal gehalten, die übrige Täge aber weiterhin behörig kund gemacht werden sollen.
Es scheint, Joseph Sellier habe „tatsächlich 1745 und nicht früher die Wiener Fasten konzerte begründet“.118 Als Vorbild mögen Sellier die Pariser Concerts spirituels gedient haben, doch gab es zwischen beiden Konzertreihen entscheidende Unterschiede, die Martin Eybl auf Spezifika des jeweiligen Musiklebens zurückführt:119 Die Programmschwerpunkte beider Konzertreihen lagen auf geistlichen Vokalwerken, Instrumentalkonzert und Sinfonie. Doch zeigen die Unterschiede zwischen Paris und Wien, dass die Konzerte dort eine Konkurrenz zur Oper darstellten, während sie hier den Musiktheaterbetrieb ergänzten. In Wien bildeten die Konzerte eine willkommene Einnahmequelle für den verschuldeten Impresario; sie fanden im Theater selbst statt, wogegen in Paris, wo sie an Feiertagen über das Jahr verteilt und somit ebenso an spielfreien Tagen angesetzt waren, ein eigener Konzertsaal eingerichtet wurde. Im Concert spirituel blieb Musik aus Opern strikte ausgeschlossen, in den Vokalkompositionen überwogen lateinische Texte. Dagegen wurden in den 1750er und 1760er Jahren in Wien auch Opernakte konzertant dargeboten; die dominierende Sprache in Opern und Oratorien war Italienisch. Die Oratorienpflege in der Fastenzeit folgt übrigens einer heimischen Tradition, wobei lediglich der Schauplatz der Aufführung von der Hofkapelle ins Hoftheater verlegt wurde. Ein profanes Element bildeten überdies die für das Jahr 1758 belegten antikisierenden Dekorationen im Burgtheater, allegorische Huldigungen an das Kaiserhaus.
117 Zitiert bei Eybl/Fritz-Hilscher, „Vom Barock zur Wiener Klassik“ (wie Anm. 65), 230 [Eybl]. 118 Ebda., 230. 119 Ebda., 230 f.
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Die Liste der in den 1750er Jahren gespielten großen Oratorien zeigt, dass sich zu diesem Zeitpunkt der ‚neue Ton‘ (oder besser die ‚neuen Töne‘, denn es waren mehrere Stile zu dieser Zeit en vogue) bereits in Wien etabliert hatte: Neben den Neapolitanern bzw. Venezianern Andrea Bernasconi, Nicolò Jommelli, Nicola Porpora, Giovanni Battista Sammartini und Andrea Adolfati finden sich auch vier Werke von Georg Christoph Wagenseil und ein Werk von Gluck.120 Angemerkt sei, dass sowohl Komponisten wie Musiker und Publikum aus dem Umkreis des Hofes und des Adels kamen, es sich also in dieser frühen Phase nicht um ein bürgerliches Konzertleben im Sinne der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts handelte, wenngleich es den Bürgern nun möglich war, gegen Kauf eines Billetts eine Akademie zu besuchen, und sie nicht mehr darauf angewiesen waren, zu einer solchen eingeladen zu werden. Erst ab den 1770er Jahren (beispielsweise durch die Konzerte der Tonkünstler-Societät ab 1772) und den 1780er Jahren mit den Konzerten kommerzieller Veranstalter wie Philipp Jakob Martin und Ignaz Jahn erlebte das öffentliche Konzertleben einen großen Aufschwung. Länger als Theater und Konzert war den Bürgern der Besuch gehobener Tanzveranstaltungen verwehrt. Die Mehlgrube am Neuen Markt in Wien war 1716 ausschließlich als Tanzlokal für Adelige eröffnet worden, in dem sich auch Maria Theresia gerne von den Lasten der Regierungsgeschäfte rekreierte. Doch bereits in den 1740er Jahren kritisierte Obersthofmeister Khevenhüller-Metsch den moralischen Verfall im ehemals noblen Lokal, wo vor allem im Fasching die Anonymität der Maske genutzt würde, um nicht standesgemäße Tändeleien anzubahnen:121 I. M. [sc. Maria Theresia] kammen zum öfftern nach dem Bal-Haus [sc. Mehlgrube], um die Mascheren zu sehen, und waren nie so content, als wann sie sich also verstellet, daß mann Sie nicht kennte, wie wollen es Ihnen selten gelungen; sonderlich wurden Sie an Ihrer hurtig und freien Démarche gar bald erkant. Ungehindert aller genohmenen Vorsichtigkeit kunte doch die besorgte üble Folgen in puncto sexti nicht genugsam vermieden werden, als worzu die Freiheit unter der Larven gar ville Gelegenheit gegeben; es manglete also nicht an sonderbahren Avanturen und Liebsintriguen, die mann weniger zu versteken suchte als bei 120 Vgl. dazu Mary Sue Morrow, Concert Life in Haydn’s Vienna: Aspects of a Developing Musical and Social Institution (The Sociology of Music 7), Stuyvesant 1989, 40. Zur Oratorienpflege vgl. Marko Motnik, „Oratorien am Wiener ‚Theater nächst der Burg‘ in der Ära Durazzo. Repertoire, Interpreten und Interpretinnen, Verbreitungswege, Bearbeitungspraxis“, in: Studien zur Musikwissenschaft 60 (2018), 45–125, der in vielem die Angaben bei Morrow präzisiert und korrigiert. 121 Vgl. dazu die zahlreichen Eintragungen über Besuche Maria Theresias in der Mehlgrube von Obersthofmeister Khevenhüller-Metsch bei Grossegger, Theater, Feste und Feiern (wie Anm. 46), passim bzw. 5 (Zitat, ad 7. Jänner 1743).
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voriger sehr seriosen Regierung, weßhalben dann auch die Prediger zulezt sehr frei zu sprechen anfiengen, also zwar, daß die Faschings-Liebhabern darüber sehr ungehalten wurden.
Erst ab 1780 wandelte sich die Mehlgrube zu einem gehobenen Tanzlokal für das Wiener Bürgertum, doch kam es bald vor allem bei den Maskenbällen zu Exzessen und Ausschreitungen (nicht selten hervorgerufen durch Standeskonflikte zwischen Adeligen und Bürgern), und auch die ‚Grabennymphen‘ entdeckten das Lokal für ihr ‚Gewerbe‘, sodass der Ruf des Lokals um 1790 rasch zu sinken begann.122 4.4 Der öffentliche Raum – Zum Musikleben des ‚Volkes‘ Der öffentliche Raum war – obwohl sozial am weitesten vom Hof entfernt – aufgrund der verhängten strengen Landestrauer am ehesten vom Regierungswechsel 1740 betroffen: Öffentliche wie private ‚Lustbarkeiten‘ jeglicher Art waren auf die Dauer eines Jahres untersagt, das tägliche Trauergeläut – meist zwischen 11 und 12 Uhr mittags – erinnerte an den Tod Karls VI., in vielen Kirchen wurden feierliche Exequien gehalten und Trauerpredigten verlesen.123 Und auch nach dem Ende des Trauerjahres 122 Felix Czeike, Historisches Lexikon Wien, Bd. 4, Wien 1995, 229 f. (s. v. „Mehlgrube“). Vgl. dazu Anna Barbara Zimmermann, Über die Bedeutung der Mehlgrube als Konzertveranstaltungsort in Wien um 1800, Masterarbeit, Universität Wien 2019, bzw. Sabine Leitner, Die Mehlgrube am Neuen Markt in Wien, Dipl.-Arb., Universität Wien 2001. 123 Vgl. dazu Magdalena Hawlik-van de Water, „Das Zeremoniell bei Tod und Begräbnis. Der Tod Kaiser Leopolds I., der Trauerzug, die reglementierte Trauer“, in: Triumph des Todes (Ausst.-Kat. Eisenstadt, Museum Österreichischer Kultur), Eisenstadt 1992, 127 f.: „a) Die Landestrauer: Den höchsten Grad nahm die Landestrauer ein. Sie wurde beim Tod des regierenden Herrschers, seiner Gemahlin und der Kinder (über zwölf Jahre) vom Landesherrn ausgeschrieben. Die Verordnungen dazu wurden von Herolden und Läufern verbreitet und von den Geistlichen von den Kanzeln verlesen. Eines der wichtigsten Anzeichen für Landestrauer war das Trauergeläut, welches sowohl in der Residenz als auch in allen anderen Provinzen, Städten und Ortschaften, die unter der Herrschaft des Verstorbenen standen, veranstaltet wurde. […] Die Verkündigung der Landestrauer ging einher mit einer Vielzahl von Verboten und Einschränkungen im Leben der Untertanen. […] Am 22. Juni 1740 [das muss ein Druckfehler sein – wohl eher Oktober; Karl VI. war am 20. Oktober 1740 gestorben – Anm. d. Verf.] erging ein Mandat Maria Theresias als Landesfürstin an die Einwohner des Erzherzogtums ob und unter der Enns mit Verbot aller öffentlichen und privaten Lustbarkeiten aus Anlaß des Ablebens ihres Vaters, Kaiser Karls VI. Sie ordnete an, daß ‚nun hochlöblichsten und hochseeligsten angedenckhens zu erzeigung christlichen mittleydens mit uns‘ die Einstellung aller Lustbarkeiten ‚wie musiken, trompeten, Jäger-horn, fechtschulen, täntz, comödien und alle andere dergleichen freudenspiel und äusserliche erzeigung bey denen hoch- und mahlzeiten auch anderen zusammenkunften sowohl bey tag als nacht, heimlich und offentlich‘ bei Strafe gegen Zuwiderhandelnde zu erfolgen habe. Die Landestrauer dauerte im allgemeinen sechs Wochen, jedoch galten die Verbote hinsichtlich ‚der Musique, und Fröligkeit, der Kindtauffen, Gastereyen und Commoedien meist auf ein ganz Jahr‘ oder ‚bis auf fernere Verordnungen‘.“
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musste der öffentliche Raum, statt ‚Bühne‘ zu sein, oft militärischen Notwendigkeiten Platz machen. Über die Musik der ‚kleinen Leute‘ ist aus der theresianischen Zeit kaum Quellenmaterial vorhanden.124 Nur einige in der Bänkelsängertradition gehaltene Flugblattlieder – allerdings ohne Noten oder Hinweise auf ‚Töne‘ – illustrieren, welche Mittel zur Darstellung der Herrscherin und zur Stiftung eines Wir-Gefühls eingesetzt wurden. Leopold Schmidt führt in seiner Sammlung Historische Volkslieder aus Österreich vom 15. bis zum 19. Jahrhundert insgesamt acht Texte aus der theresianischen Zeit an, wobei sich die meisten auf den Konflikt mit Kaiser Karl VII. und Ereignisse der Kriege der Jahre 1741 bis 1757 sowie die latente Auseinandersetzung mit Preußen unter Friedrich II. beziehen: Kaiser Karl VII. als angemaßter König von Böhmen (Nr. 21), Entsatz von Prag im österreichischen Erbfolgekrieg (Nr. 22), Lied auf Karl VII., Chur fürst von Baiern (Nr. 23), Schwerin bey Prag gefallen (Nr. 42), Die Schlacht bei Kolin (Nr. 25), Trauerlied auf den Tod des römischen Kaisers Franziskus (Nr. 26) und Auf den Tod der Kaiserin Maria Theresia (Nr. 27).125 Drei weitere Flugblattlieder aus diesem Themenkreis wurden 1980 vom österreichischen Plattenlabel PAN für die LP Musik für die Kaiserin Maria Theresia unter Rekonstruktion möglicher Melodien eingespielt: Laudon vor Belgrad, Überfall auf Schweidnitz und ein Preislied auf Maria Theresia126; Textdichter und ‚Komponist‘ werden bei allen dreien als anonym verzeichnet. Die Lieder sind strophisch gegliedert und entsprechen einem balladenhaften, leicht rezipierbaren Ton, ähnlich dem bekannten Prinz-Eugen-Lied. Hauptthema der bei Schmidt verzeichneten Dichtungen sind Spott über Hochmut und Fall Karls VII. wie über Friedrich von Preußen, deren usurpatorische Absichten gegen die göttliche Ordnung und dadurch „hoffärtig“ seien (superbia ist eine der 124 Klaus Petermayr (Oberösterreichisches Volksliedwerk) sichtete im Rahmen des MIR-Projektes eine Reihe an Quellenbeständen zur landesfürstlichen Stadt Vöcklabruck (vor allem im Oberösterreichischen Landesarchiv in Linz und im Stiftsarchiv St. Florian), doch ist die Quellenlage zu gering, um aus den wenigen extrahierten Daten ein Musikleben der Straße um 1740 in Vöcklabruck auch nur in Ansätzen rekonstruieren zu können. 125 Schmidt (Hg.), Historische Volkslieder (wie Anm. 20), 95–110. 126 Musik für die Kaiserin Maria Theresia, PAN 120376 [LP] (Gundi Klebel, Sopran; Helmut Windhaber, Tenor; Peter Schneyder, Bass; Ensemble Prisma, Anne-Monique Vos & Annemarie Ortner, Violine, Leitung und Orgel: Martin Haselböck). Seite A: Jiří Ignac Linek, Krönungsfanfaren; Johann Adolf Hasse, „Ad te clamamus“ und „Stella Matutina“ (aus: Litania della Beatissima Vergine Maria); Josef Starzer, Marsch; Anonymus, Laudon vor Belgrad; Anonymus, Überfall auf Schweidnitz; Anonymus, Maria Theresia. Seite B: Antonio Caldara, Aria „No, no: Ditanto orologio mi voglio vendicar“ (aus der Oper Le Grazie Vendicate); Wenzel Raimund Pürk, Sonata, Ouverture, Menuet & Trio, Contretèms ou Harlequin en Masque, Presto & Andante, Fantasia; Anton Zimmermann, Denis Klage auf den Tod Maria Theresiens. Diese Anthologie, anlässlich des Jubiläumsjahres 1980 zusammengestellt, ist nach wie vor die einzige Einspielung von ‚Volksliedern‘ und Balladen der theresianischen Zeit.
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sieben Todsünden, wodurch das Scheitern – dem barocken Denken verhaftet – auch aufgrund des Verstoßes gegen die göttliche Ordnung erklärt wird). Die Lieder Nr. 21, 23 und 25 enden jeweils in einem Lobpreis auf die Herrscherin, der barocke Panegyrik mit gebetsähnlichen Segenswünschen verbindet:127 Lied Nr. 21 (1741), Strophe 11: Die Königin Gott beschützt Und ist ihr beigetan, Dein [sc. Karls VII.] Hochmut wird gestutzt Weil du bist ein Tyrann. Und laßt dich so anführen, Vom stolzen Gockelhahn, Als König zu regieren In Böhmen ohne Kron. Lied Nr. 23 (1743), Strophe 9: Gott verleih der Königin Gsundheit und langes Leben, Auch dem jungen Prinzen [sc. Erzherzog Joseph], Daß er kann regirn, Die Erbländer Mit Scepter und Cron, B[e]hiet di Gott, mein Frantzel, Jetzt geh ich davon. Lied Nr. 25 (1757), Strophe 7: Vivat Maria Theresia soll leben, auch die Prinzen und Prinzessinnen darneben, und der Römische Kaiser ins’gsamt, auf daß wir den Feind bald jagn aus dem Land.
Das Lied Nr. 27, Auf den Tod der Kaiserin Maria Theresia, stellt eine teilweise in Ich-Form gehaltene fiktive Abschiedsrede der Herrscherin auf dem Totenbett dar – 127 Schmidt (Hg.), Historische Volkslieder (wie Anm. 20), 97, 102 und 105. Bei K arl M. Klier, „Historische Lieder des 18. Jahrhunderts aus Österreich. Zugleich ein Beitrag zur Metrik des Volksliedes“, in: Jahrbuch des Österreichischen Volksliedwerkes 8 (1959), 22–51, 29–41 finden sich ebenfalls zahlreiche Flugblatttexte aus den frühen Regierungsjahren Maria Theresias – auch sie sind ohne Melodien oder Hinweise auf ‚Töne‘ überliefert.
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gleichsam als Vermächtnis an das Volk, aber auch mahnend an den Nachfolger und Mitregenten Joseph II. Mit zahlreichen Anspielungen auf Pietas, Vanitas, Clementia und die Sorge um die Salus publica verwendet das Lied traditionelle Narrative des Hochbarock, spielt aber auch mit den unter Maria Theresia definierten Topoi der familia augusta und der Landesmutter,128 die sich streng, aber gerecht um die Untertanen wie um ihre eigenen Kinder sorge.129, 130
1. Ach betrübte Tag und Stunden Ach die höchst betrübte Zeit130, Zeit und Stunden sind verschwunden, Jetzt erblick ich großes Leid.
4. Maria Theresia ist erblichen, Ein End hat ihre Lebenszeit, Von der Welt so rasch entwichen, Und gereist in die Ewigkeit.
2. Was ich jetzund hab vernommen, Erst vor einer kurzen Zeit, Hat mir alle Freud genommen, Und verkündet Traurigkeit.
5. Hört auf, ihr, von Musiziren, Höret auf vom Saitenspiel, Werd mich in mein Grab quartiren, Denn das ist mein letztes Ziel.
3. Alles geht zu seinem Ende, Alle Freuden gehen zu Grund, Alles kann so schnell sich wenden, Wie geschwind kommt die letzte Stund.
6. Ich hab eine Zeit gelebet, Bin bei vierundsechzig Jahr, Der Tod hat mir nachgestrebet, Ich komm bald zur Todtenbahr.
128 Telesko, Geschichtsraum Österreich (wie Anm. 21), 79–103. 129 Schmidt (Hg.), Historische Volkslieder (wie Anm. 20), 107–110. Vgl. dazu auch den Text der 1780 in Wien bei Kraus gedruckten Klage Auf den Tod Marien-Theresiens von Michael Denis, die große Verbreitung fand (siehe dazu die Vertonung des Pressburger Komponisten Anton Zimmermann, die auch in die LP Musik für die Kaiserin Maria Theresia [wie Anm. 126] aufgenommen wurde). 130 Die häufige Anspielung auf die Komponente ‚Zeit‘ ist insofern auffällig, als der Herrscher bzw. die Herrscherin in der traditionellen Panegyrik als über alle Zeit erhaben gesehen wurde – auch um den Ewigkeitscharakter von regnum und Dynastie zu betonen. Das unbarmherzige Ausrinnen des Stundenglases ist zwar auch in der barocken Vanitas-Thematik zu finden, doch scheint in diesem Lied eine neue Definition von Zeit als Naturgesetz, dem sich alle – auch ein Herrscher ‚von Gottes Gnaden‘ – zu beugen haben, hineinzuspielen.
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7. Man soll sich schon allzeit richten, Alle Stund und Augenblick, Sonsten kann man Alles wissen, Nur die letzte Stunde nicht.
13. Schönbrunn, meine Freud und Wonne, Meines Herzens Aufenthalt,131 Zu dir war oft mein Verlangen, Weil du mir so wohl gefallst.
8. Drum o Mensch, thu wohl betrachten, Wenn ankommt die letzte Zeit, Der Tod thut ja keinen fragen, Ob er ist dazu bereit.
14. Jetzund muß ich sein verblichen, Weil es haben will der Herr, Der Tod ist mir nachgeschlichen, Schönbrunn sieh ich nimmermehr.
9. B[e]hüt euch Gott, meine Landeskinder, Die ihr noch am Leben seid, Der Tod thut mit mir schon ringen, Treibt mir aus den Todesschweiß.
15. Ungarn und Böhmen muß ich verlassen, Auch das Haus von Österreich, Und muß reisen fremde Straßen,132 Von der Welt in die Ewigkeit.
10. Muß verlassen alle Freuden, Gib der Welt kein Audienz, Man wird mich bald hinaus begleiten, Aus meiner kaiserlichen Residenz.
16. Nun, o Joseph, sei beflissen, Stell dich als ein tapfrer Held Und regiere meine Pflichten, Was unter deine Gewalt gestellt.
11. Nach Schönbrunn bin ich oft gefahren, War allzeit mein größte Freud, Bin oftmals lang dort gewesen, Und hab zugebracht die Zeit.
17. Ich hab in der Welt floriret, Und mein Nam war hoch im Schwung, Hab eine lange Zeit regieret, Vierzig Jahr das Kaiserthum.
12. Jetzund ist es Alls vergangen, Und seid der Welt Freuden aus, Weil der Tod mich hat gefangen, Muß ich in das Totenhaus.
18. Nun so ende ich mein Leben, Joseph soll Regierer sein, Ich kann dir nicht Andres geben Als Kron und Szepter nur allein.
131 Ob die Anspielung auf den Choral Jesu, meine Freud und Wonne, meines Herzens Zuversicht Zufall oder Absicht ist, muss offenbleiben. 132 Auch hier scheint ein bekanntes Lied hineinzuspielen: Innsbruck, ich muss dich lassen.
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19. Weil du mich so treu geliebet, Drei Tag und Nacht bei mir verharrt, Auch von mir nicht bist gewichen, Bis ich komme zur Totenbahr.
22. Beschütze alle andern Stände, Wie auch die armen Unterthanen, Wann sie leiden Hungersnöthen, Stell dich als ein Landesvater an.
20. Lebet wohl, ihr Potentaten, Dienet meinem Joseph treu, Er wird euch in Allem beschützen, Wenn eine Gefahr vorhanden sei.
23. Dir o Joseph, thu ich befehlen, Alle lieben Landeskinder mein, Thu ihnen ganz frei beistehen, Und ihr lieber Landesvater sein.
21. Nun o Joseph, sei gebeten, Beschütz das Haus von Österreich, Daß es nie in Noth mag stecken, So beschütz es allezeit.
24. Nicht als Fremde sie erkenne Beschütze sie so gut du kannst, Sie als Vater dich erkennen, Nimm sie nur als Kinder an.
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Die Rollenverteilung zwischen Herrscher und Untertanen, auf die in diesem Lied mehrfach angespielt wird, blieb noch im beginnenden 19. Jahrhundert unangetastet: Auch Kaiser Franz II./I. wird als ‚Landesvater‘ apostrophiert und seine Untertanen als ‚Landeskinder‘. Aufklärerische Gedanken sind in der etwas holprigen Dichtung wenige zu finden; es scheint, als bliebe das Volk trotz aller Bildungsbemühungen noch lange ‚barock‘. Ein weiteres Feld, das ebenfalls den öffentlichen Raum und seine spezifisch gefächerten Teilöffentlichkeiten betrifft, stellen Wallfahrten und Prozessionen dar. In ihnen und in ihrem Kontext hielten sich konsequent barocke Formen der Volksfrömmigkeit, die sich nicht selten im Grenzbereich zum Aberglauben bewegten und sich hartnäckig allen Reformversuchen widersetzten:133
131 133 Vocelka, „Das ‚große österreichische Jahrhundert‘“ (wie Anm. 5), 12.
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Das kirchliche Leben – mit all seinen eigenartigen Ausformungen wie dem Wallfahrtswesen und dem Wunderglauben, den Bruderschaften und dem Reliquienkult – blühte bis in die siebziger Jahre des 18. Jahrhunderts. Geht man von der Volksreligiosität aus, so enthält das 18. Jahrhundert weitaus mehr Elemente des Barocken als des Aufgeklärten. Trotz aller Säkularisierungstendenzen in dieser Zeit bestimmte die Kirche auch im 18. Jahrhundert für weite Teile der Bevölkerung ‚Bewußtseinsform und Daseinsrhythmus‘, man denke nur an das Armenwesen.
Schon seit Beginn des 18. Jahrhunderts versuchte der Reformkatholizismus – in der ersten Hälfte geprägt durch die Ideen Muratoris und Van Espens, ab den 1760er Jahren durch den Jansenismus und Jan Opstraets Pastor Bonus (→ 4.2) – gegen Auswüchse der Volksfrömmigkeit vorzugehen: Eine elitäre Spiritualität und Bildung sollte diesen ein Ende bereiten:134 Im Bereich der Liturgie bekämpften die Anhänger der jansenistischen Bewegung – nach Hersche135 hatte diese in dem Jahrzehnt von 1750 bis 1760 verschiedene andere parallel fließende Reformbestrebungen entweder verdrängt oder integriert – die extrovertierten und manierierten Ausdrucksformen der barocken Frömmigkeit: den überladenen Bilderkult, den Kult von Statuen und Reliquien, ‚Andächteleien‘ wie Rosenkränze, Prozessionen, Litaneien, Kreuzwegandachten und geistliche Spiele. Die Jansenisten distanzierten sich zum Teil von der Marienverehrung und traten dafür ein, die Heiligenverehrung auf die vom Tridentinum festgesetzten Normen einzugrenzen. Das Wesen des Gottesdienstes, die Geheimnisse des Meßopfers, das Lesen der heiligen Schrift sollten in das Zentrum der Frömmigkeit gerückt, das Nützliche und praktisch Anwendbare im Bereich der Spiritualität hervorgehoben, die Akzente auf die Beobachtung von Tugend und Moral gesetzt werden.
Für das Musikleben im kirchlich-liturgischen Umfeld bedeuteten diese Reformen (deren Umsetzung nur zögerlich und oft halbherzig erfolgte) einerseits einen großen Einschnitt und den Abbruch von Traditionen, die teilweise bis in das Mittelalter zurückreichten. Andererseits entstanden im Zuge dieser Reform- und Bildungsbestrebungen beispielsweise mit dem Theresianischen Gesangbuch136 und den darin ent134 Kovács, „Kirchliches Zeremoniell“ (wie Anm. 43), 130. 135 Peter Hersche, Der Spätjansenismus in Österreich (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichte Österreichs 7), Wien 1977, 357–365. 136 Michael Denis, den die Herrscherin mit der Ausarbeitung eines neuen Gesangbuchs beauftragt hatte, brachte 1774 Geistliche Lieder zum Gebrauche der hohen Metropolitankirche bey St. Stephan in Wien und des ganzen wienerischen Erzbisthums heraus, das 1776 zum verbindlichen Gesangbuch im gesamten Herrschaftsbereich erklärt wurde. Dazu siehe im vorliegenden Beitrag auch S. 107.
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haltenen Liedtexten neue Traditionen des Volksgesanges, die bis heute die Musik in den katholischen Gottesdiensten der ehemaligen habsburgischen Lande prägen; man denke beispielsweise an die deutsche Version des ambrosianischen Lobgesanges Gro ßer Gott, wir loben dich (s. o., Notenbeispiel 3) oder Herr, ich glaube, Herr, ich hoffe (Notenbeispiel 5), das mit seinen neun Strophen auch als Prozessionslied bis heute in Verwendung ist, eine Neufassung des alten Kirchenliedes Der Heiland ist erstanden oder an Tauet Himmel, den Gerechten, dessen Erstfassung von Michael Denis stammt, das aber erst durch die Übernahme in das Landshuter Gesangbuch von Franz von Kohlbrenner (1777) populär wurde (siehe dazu auch S. 107–109). Um 1740 spielten jedoch die Ideen Muratoris in der Religiosität des Volkes keine Rolle und war die barocke pietas austriaca in all ihren Erscheinungsformen vorerst noch ungebrochen:137 Das neue Gedankengut […] war höchstens das Gedankengut einer Elite bzw. einer aufgeklärten Elite. Das Volk hing seinerseits immer noch an seinen Traditionen, an der traditionellen Religiosität, an der pietas austriaca. Der Widerstand, auf den Josephs II. Kirchenpolitik einige Jahre später stoßen sollte, wird zum großen Teil ein Widerstand des Volkes gegen eine Religiosität sein, die allzu sehr an die individuelle Vernunft appelliert und dabei die sinnlichen und kollektiven Andachtsformen vernachlässigt.
Ein Bereich, den Maria Theresia wie Joseph II. zwar reduzieren, aber nicht unterbinden konnten, waren Wallfahrten und Prozessionen.138 Beide werden oft als ‚Synthese‘ sozialer Gruppen und Räume gesehen, weil daran vom Kaiser bis zum Bettler alle teilnahmen. Wer ein Vermischen sozialer Gruppen vermutet, irrt jedoch, denn es wurde peinlich genau darauf geachtet, dass die Rangordnung des ancien régime auch bei den Prozessionsordnungen strikt eingehalten wurde. Als Paradebeispiel hierfür kann die Fronleichnamsprozession in Wien gelten, die seit den 1330er Jahren nachweisbar ist. Dass ihr Zeremoniell in vielem an den adventus des Herrschers erinnert,139 ist kein Zufall, sondern vor allem seit der Gegenreformation Kalkül:140 137 Reb-Gombeaud, „Religion und Religiosität“ (wie Anm. 68), 43. 138 Die Hauptargumente, die gegen ein überbordendes Prozessions- und Wallfahrtswesen ins Treffen gebracht wurden, waren einerseits Produktivitätsausfälle (vor allem bei den großen mehrtägigen Wallfahrten, wie nach Mariazell oder Ungarn), andererseits das schwer kontrollierbare ‚sittliche Verhalten‘ der Wallfahrer, das oft Anlass zu Klagen bot. 139 Martin Scheutz, „‚…hinter Ihrer Käyserlichen Majestät der Päbstliche Nuncius, Königl. Spanischer und Venetianischer Abgesandter‘. Hof und Stadt bei den Fronleichnamsprozessionen im frühneuzeitlichen Wien“, in: Bösel u. a. (Hgg.), Kaiserhof – Papsthof (wie Anm. 52), 173–204, 175. 140 Ebda. Seit seiner Gründung 1703 erschienen im Wienerischen Diarium Berichte über die Fronleichnamsprozession. In Hinblick auf die Fragestellung betreffend einer möglichen ‚Schnittstelle‘ um 1740
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NB 5a: Herr, ich glaube, Herr, ich hoffe, in: Theresianisches Gesangbuch, Melodie No. XLIII. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Musiksammlung, SA.78.D.26 Foto: © ÖNB Wien,
NB 5b: Herr, ich glaube, Herr, ich hoffe (Text: Steyr 1767 nach Dillingen 1762, 2. Strophe Neufassung Maria Luise Thurmair; Melodie: Wien 1722), aus: Gotteslob (wie Notenbeispiel 3b), Nr. 848, Neusatz: Monika Kornberger (Wien)
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Prozessionen lassen sich als Ritual, als eine repetitive Folge von kollektiven Handlungen, deren Ablauf festgelegt ist und die symbolische Bedeutung in sich tragen, interpretieren. Diese formalisierten, nach ‚Drehbüchern‘ inszenierten Handlungen versinnbildlichten Hierarchien, Konflikte sowie sozialen Wandel und Ordnung, verbanden Liturgie und Ritual. […] Zwar dienten die Prozessionen der Selbstrepräsentation der gesamten Stadt und vor allem der städtischen Obrigkeit, doch ließen sie genug Repräsentationsraum für den Fürsten und dessen politische Intention. Einem Repräsentationsmodell, das weltliche und geistliche Eliten abbildete, stand auch bei der Wiener Fronleichnamsprozession ein Partizipationsmodell gegenüber, bei dem durch die Bruderschaften, die Waisen, die BewohnerInnen des Bürgerspitals, das Pfarrvolk, insgesamt also die städtische communitas, eine Einheit der Stadt verdeutlicht wurde. […] Die integrative Funktion dieser Prozession liegt klar zutage, Grenzen zwischen den Pfarren, zwischen Rat und Bewohnern, Hof und Stadt, Arm und Reich wurden zwar sichtbar gemacht, aber auch durch die Eingliederung in die Prozession kurzfristig überwunden; gleichzeitig verdeutlichte man sozialen Rang und Geschlechterordnung durch die Position innerhalb der Prozession, aber auch durch prunkvolle Gewänder, Schmuck, Sitz- und Knieordnung, Wagenfolge oder militärische Begleitung.
In Wien fanden traditionell zwei Fronleichnamsprozessionen statt – beide mit Musikbegleitung: die Prozession der Handwerker,141 die im 18. Jahrhundert bereits zwischen 4 und 7 Uhr Früh begann, und die sog. Nobelprozession unter Beteiligung des Hofes, des Adels, der Gesandten, der Universität sowie der Honoratioren der Stadt, die sich nach dem Hochamt im Dom von St. Stephan erst gegen Mittag formierte. Während die Nobelprozession aufklärerischen Reformeifer unbeschadet überstand, ja sogar bewusst als ‚Aufmarschbühne‘ der Spitzen des Reiches bis zum Ende der Monarchie inszeniert wurde,142 wurde heftig gegen die Handwerkerprozession gewettert. Wieder sind es die üblichen Argumente wie die Verschwendung von ‚Volksvermögen‘ durch übermäßige Ausschmückung, unmoralische Exzesse vor und nach der Prozession, der Ausfall an Produktivität und die schweren Zunftfahnen, die zu körperlichen Schäden bei den Trägern führen und die öffentliche Sicherheit gefährden würden. Selbst die Musik sei verwerflich und unpassend: „Schon vor Tags um 3 Uhr geschah der Aufbruch, meist durch die ganze vorhergehende nacht sauffender und lärmender ist interessant, dass sowohl in der Zeit zwischen 1740 und 1749 als auch in der Zeit der josephinischen Reformen die Berichtslänge deutlich (auf das bis zu Dreifache) zunahm (ebda., 177 f.). 141 Ebda., 185–189 (Handwerkerprozession) bzw. 189–199 (Nobelprozession) und 194. 142 Bis zu einem gewissen Grad lebt diese Inszenierung bis heute weiter, wenngleich, zeitgeschichtlich bedingt, unterschiedliche Aspekte in die jeweilige Inszenierung eingeflochten wurden (beispielsweise 1933 bis 1938 in der Zeit des Ständestaates). Der ‚Stadtumgang‘ ist bis heute eine Bühne auch politischer Repräsentation geblieben.
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Bursche [!], man zog in die Stadt um seinen Posten und Rang wohl zu behaupten, und zwar unter klingendem Spiele, so wie siegreiche Eroberer unter Jauchzen und Toben.“143 Ab 1783 gab es nach der Reform des Prozessions- und Wallfahrtswesens nur mehr eine Fronleichnamsprozession, deren Route jedoch „beträchtlich ausgeweitet durch eine damit höfisch werdende Stadt“ führte.144 In der Nobelprozession wurde auch nach 1740 auf die Darstellung der Gesellschaft als Gesamtkosmos in althergebrachter Ordnung großer Wert gelegt. Die Prozessionsordnungen in den Zeremonialprotokollen zeigen ein Beharren auf der traditionellen Reihung: An der Spitze des Zuges gingen die Kinder aus dem Waisenhaus am Rennweg, dann die Insassen des Bürgerspitals, die Ordensgeistlichen und die Generalseminaristen, an die die Mitglieder der Pfarrgemeinden aus den Vorstädten unter Führung ihrer Pfarrer und Vikare anschlossen; es folgten die Pfarren der Stadt. Die Benefiziaten und Weltpriester leiteten den Kern der Prozession ein, in dem sich kirchliche wie weltliche Macht in prunkvoller Synergie präsentierten. Dieser Teil setzte sich aus den bürgerlichen Regimentern zusammen, dem Magistrat der Stadt, dem die kaiserliche Livree, die Chorgeistlichen von St. Stephan und die Hofmusik, Edelknaben, Patres und äußerer Hofstaat, Kämmerer ohne Wachsfackeln und Geheime Räte mit Wachsfackeln folgten. Der Kern der Prozession wurde mit zwei Fahnen und einem kleinen Kruzifix, gerahmt von zwei Wachskerzen auf hohen Stangen, eingeleitet, dem die Domherren und Vliesritter, dann ein Kurat und wieder je zwei Vliesritter und Domherren folgten. Als Zentrum der Prozession folgte nun der Baldachin, getragen von vier Kammerherren (manchmal auch von Mitgliedern des Stadtrates), unter dem der Fürsterzbischof mit dem Allerheiligsten ging. Dieses wurde auf beiden Seiten von sechs Edelknaben mit Wachsfackeln begleitet; die Mitglieder der Universität eskortierten ebenfalls den ‚Himmel‘, mussten aber außerhalb der für die Prozession gelegten Bretter gehen. Unmittelbar auf den Baldachin folgte der päpstliche Nuntius, hinter ihm der Kaiser im großen Staatskleid mit allen wichtigen Orden, begleitet von den Vertretern der wichtigsten Hofämter sowie Mitgliedern der Leibgarde. Hinter ihm folgte die Kaiserin, ebenfalls von den wichtigsten Vertretern ihres Hofstaates begleitet, dann weitere Mitglieder der kaiserlichen Familie; den Abschluss bildete die Infanterie, die die Prozession mit Pauken und Trompeten begleitete.145 Hatten seit Ferdinand II. – auch als öffentliches Bekenntnis zu Gegenreformation und pietas austriaca – sämtliche Herrscher bis Karl VI. immer persönlich an der Prozession teil143 Scheutz, „‚…hinter Ihrer Käyserlichen Majestät“ (wie Anm. 139), 188. 144 Zu den Routen der Wiener Fronleichnamsprozession, die sich auch nach der Reform 1783 deutlich von der des heutigen Stadtumganges unterscheiden, vgl. ebda., 194 f. 145 Ebda., 191–193 bzw. 201–204 (Prozessionsordnung des Jahres 1766).
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genommen, ging zwischen 1740 und 1765 wegen der zahlreichen Schwangerschaften der Herrscherin meist Franz Stephan alleine beim Umgang mit (Maria Theresia wohnte jedoch zuvor dem Hochamt in St. Stephan bei); Joseph II. ließ sich meist durch Erzherzöge oder Erzherzoginnen vertreten, erst Kaiser Franz II./I. sah die regelmäßige Teilnahme am Stadtrundgang wieder als Verpflichtung an.146 Die Beschreibungen der Prozession – beispielsweise im Wienerischen Diarium – selbst beschränken sich zumeist auf ein ‚Who’s Who‘ (gleichsam als veröffentlichte ‚Rangordnung‘ der internen Hofhierarchie), die Kleidung der hohen Familie sowie Besonderheiten in der Prozessionsordnung – über die musikalische Gestaltung, die offenbar selbstverständlich nach immer demselben Muster ablief, wird hingegen nicht berichtet.
5. Zusa mmenfassung Dass die Gesellschaft in Europa im 18. Jahrhundert einem tiefgreifenden Wandel unterlag, steht außer Zweifel. Eine Veränderung in der Verteilung der Produktivkräfte wie eine allmähliche Umstrukturierung und Neudefinition von bewährten Netzwerkstrukturen und dem Patronage-Klientel-System stehen ebenso dafür wie eine Veränderung in der symbolischen Kommunikation und ein tiefgreifender Wandel des Wertekanons hin zu den sog. bürgerlichen Tugenden (wie Pünktlichkeit, Pflichtbewusstsein oder Fleiß147). Viele dieser Entwicklungen wurden von Anhängern der Aufklärung getragen, die sich oft im Umkreis der Höfe und obersten Behörden bewegten und so direkt zu Reformen Anstoß geben konnten. Wenngleich von den Ideen der Aufklärung getragen, wurden diese Reformen, die bis in die Privatsphäre der Untertanen hinein ihre Auswirkungen hatten, ganz im Sinne des Absolutismus durch die Obrigkeit per decreta einem als kindlich (d. h. unmündig) apostrophierten Untertanen-Volk aufoktroyiert. Man darf nicht außer Acht lassen, dass auch der sog. ‚aufgeklärte Absolutismus‘ in erster Linie Absolutismus war und die Aufklärung in den österreichischen Ländern weitgehend ein ‚Oberschichtphänomen‘ blieb. Und man darf ebenfalls nicht außer Acht lassen, dass dort, wo die Kontrollmechanismen der Obrigkeit eingeschränkt waren, die Reformideen oft nur halbherzig umgesetzt wurden; auch dürfen die jeweilige Grundherrschaft und deren persönliche Interessen nicht unbeachtet bleiben. Für den Bereich der habsburgischen Länder können zwischen 1720 und 1770 zahlreiche vielschichtige und tiefgreifende Wandlungsprozesse festgestellt werden, deren 146 Ebda., 196 f. 147 Man denke an die Thematisierung des Fleißes in den Jahreszeiten von Joseph Haydn/Gottfried van Swieten (Terzett und Chor „So lohnet die Natur den Fleiß“ im Teil 3: Herbst).
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Konsequenzen oft erst zu einem deutlich späteren Zeitpunkt erkennbar werden. Dem Regierungsantritt der jungen Herrscherin – und somit den Jahren 1740/41 – kommt dabei eine ‚Gelenkfunktion‘ zu, da die neue Regentin in den folgenden Jahren auch ein neues, innovations- und reformfreudiges Beratergremium um sich scharte. Durch diesen Generationswechsel in der Staatsführung wie am Hof konnten in mancher Hinsicht Wege zurück zur ‚alten Ordnung‘ nicht mehr beschritten werden, da mit dem ‚jungen Hof‘ auch neue Denkmuster und neue ‚Stile‘ Einzug in alte Institutionen gehalten hatten. Freilich dauert diese Phase des Übergangs der Herrschaft einige Jahre: Ernst Gideon Graf Laudon kam beispielsweise bereits 1742 an den Hof, Gerard van Swieten 1745, 1753 erst Wenzel Anton Graf Kaunitz-Rietberg oder gar erst 1774 der Schulreformer Ignaz von Felbiger. Etwas anders stellt sich die Personalsituation im Bereich der Hofmusik dar, da es hier bereits in den letzten Regierungsjahren Karls VI. zu einem großen Personal- und somit auch Generationswechsel gekommen war, mit dem auch eine musikalisch-stilistische Veränderung verbunden war. Dass dieser Stilwechsel, getragen durch Musiker, die im Wesentlichen derselben Generation wie Maria Theresia angehörten, mit dem Regierungswechsel zeitlich zusammenfiel, war ein günstiger Zufall, der einer bereits unter Karl VI. avisierten Reform bzw. Erneuerung der Hofmusik in die Hände spielte. Ähnliches kann beispielsweise für das Stift Kremsmünster festgestellt werden, wo ebenfalls um diese Zeit mit der Übergabe des Chorregentenamtes von P. Nonnos Stadler auf P. Franz Sparry auch eine Rezeption des ‚neuen Tons‘ erfolgte. Die großen, mit Einschnitten in Zeremoniell und Repräsentation sowie teilweise hohem administrativen Aufwand verbundenen Reformen wurden hingegen auf einen Zeitraum, in der die anfangs nur schwach abgesicherte Regentschaft Maria Theresias sich stabilisiert hatte, verschoben. Hingegen wurde in den ersten Jahren ihrer Regentschaft (vor allem bis zum Wiedererlangen der Kaiserwürde 1745) das Bestehen auf Traditionen gleichsam zu einem staatstragenden Prinzip erhoben, war doch ein offensives Beharren auf Kontinuität und auf ein göttliches Recht in der Nachfolge notwendig, um die Rechtmäßigkeit des Herrschaftsanspruchs zu unterstreichen. Ab den späten 1740er Jahren folgten dann Schritt für Schritt Reformen, deren Wurzeln (wie bei den Eingriffen im religiösen Bereich oder bei der Universitätsreform) manchmal weit in die Zeit Karls VI. zurückreichten. Deutlich ist bei allen administrativen wie strukturellen Maßnahmen die Handschrift des Absolutismus zu erkennen, für den die Heranbildung ‚nützlicher‘ Untertanen für den Staat Priorität hatte. Es wundert daher auch nicht, dass vor allem in Bereichen an der Peripherie staatlicher Macht nur solche Reformen Nachhaltigkeit zeigten, die sich entweder in einen bereits bestehenden Wandlungsprozess einfügen konnten oder ein bereits bestehendes Desiderat erfüllten. Der Erfolg des Theresianischen Gesangbuches scheint auch darauf zu beruhen, dass
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darin nicht nur eine Mischung aus vertrautem wie dem Zeitgeist entsprechendem Liedgut vorgelegt wurde, sondern es in der Schlichtheit seiner Sätze und dem Volksliedcharakter der Melodien Organisten und Chorregenten auch einfach ausgestatteter Kirchen ein willkommenes Werkzeug zur würdigen musikalischen Begleitung der Liturgie bot. Die Reduktion der Andachten, Wallfahrten und Prozessionen hingegen wurde von der einfachen Bevölkerung als Übergriff der Obrigkeit und Einmischung in für das eigene Selbstverständnis wichtige Rituale angesehen und daher abgelehnt oder nach Möglichkeit ignoriert. So hat sich vor allem im bäuerlichen Bereich eine barocke ‚Volksfrömmigkeit‘, basierend auf traditionellem Brauchtum und einem speziellen, landschaftlich geprägten Liedgut, bis weit in das 19. Jahrhundert (und teilweise bis heute) erhalten. Eine soziale Gruppe, die seit Beginn der Frühneuzeit nur in geringem Maße im Musikleben in Erscheinung getreten war, entdeckte im Verlauf des ‚langen‘ 18. Jahrhunderts sich nicht nur selbst als Stand wieder, sondern trat gerade im städtischen Bereich ab den 1770er Jahren offensiv als Publikum wie auch als Kulturveranstalter in Erscheinung: das Bürgertum. Der Bürger verstand sich nicht nur als fleißig, rechtschaffen und dem Staat treu ergeben, sondern auch als Beherrscher der neu definierten Komponente ‚Zeit‘, die für ihn keine schicksalshafte Kraft mehr war, sondern die er selbst strukturierte und mit nützlichen Inhalten erfüllte.148 Die freie Zeit – die neue Kategorie ‚Freizeit‘ –, die ihm nach Beendigung seines Tagwerks blieb, nützte er, um ehemals rein adelige Vergnügungen wie Konzerte/Akademien und Theater (zwar noch gemeinsam mit Mitgliedern des Adels) im Sinne eines neuen bürgerlichen Selbstverständnisses zum Zwecke der Bildung und zum Wohle des Gesamtstaates zu veranstalten – Musik wurde gegen Ende des Jahrhunderts zum Instrument der Wohltätigkeit wie der Untertanenbildung. Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass bei vielen Wandlungsprozessen willentlich gesteuerte Veränderungen und Zufälle einander in die Hände spielten: So waren, wie beispielsweise aus den Rechnungsbüchern vieler Kirchen und Klöster hervorgeht, um 1760/70 viele der in der Barockzeit angekauften Musikinstrumente und Gebrauchsnoten abgenützt und mussten dringend ausgetauscht werden, sodass für den Wechsel zu modernem Repertoire und Instrumentarium der Wunsch nach Neuerung sich mit der Notwendigkeit von Ersatz des Alten verband. Auch der bereits thematisierte Generationswechsel, der um 1740 nicht nur an der Hofmusikkapelle in Wien zu beobachten ist, ließ einen Stilwechsel gleichsam en passant erfolgen. In einem Zickzackkurs, geprägt von Neuansätzen und Abbrüchen, verliefen hingegen die 148 Vgl. dazu Rohr, Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft Der Privat-Personen (wie Anm. 30, mit Zitat), 494 f.
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Entwicklungen im Bereich des Musiktheaters, das von 1740 bis 1800 einen Weg von der großen höfischen Oper des Barock über diverse aktuelle italienische wie französische Stilrichtungen schließlich bis zum Wiener Nationalsingspiel vollzog, um 1791 mit dem Regierungsantritt Kaiser Leopolds II. dann wieder rasch zur italienischen, vorwiegend neapolitanisch geprägten Oper zurückzukehren, wie sie von Hof und Adel geschätzt wurde. Die Transformationen und prozesshaften Veränderungen, die nicht nur auf den unterschiedlichen Gebieten und ‚Räumen‘ in Bezug auf Musik, sondern tief in Gesellschaft, Wirtschaft und politisches Denken eingriffen, erreichten um die Mitte des 18. Jahrhunderts durch das Zusammenfallen unterschiedlicher Ereignisse und Zufälle einen ‚point of no return‘. Sie verliefen keineswegs geradlinig und in parallelen Geschwindigkeiten; manchmal löste der Zufall eine rasche und nachhaltige Veränderung aus, manchmal verliefen mit viel Energie und Aufwand auf den Weg gebrachte Reformen nach kurzer Zeit im Sand oder wurden wieder zurückgenommen. In jedem Fall waren es Individuen, die – alleine oder im Kollektiv – darüber entschieden, ob eine Entwicklung weitergetragen, geändert, abgelehnt wurde oder auch verebbte. Jene sozialen Gruppen, die, retrospektiv gesehen, wohl am ehesten die Ideale der theresianischen Zeit lebten, gestalterisch umsetzten (nicht nur im kulturellen Bereich) und an die nächste Generation weitergaben, waren das Bürgertum und die sog. Zweite Gesellschaft, der niedrige Adel und die Beamtenschaft.
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R aum III: Das Revolutionsjahr 1848 im Wiener Musikleben
Im Zentrum dieses Beitrags stehen die Musik im Wien des Revolutionsjahres 1848 sowie die sie begleitenden Diskurse. Dabei wird nicht nur die Revolutionsmusik im engeren Sinne, also die im Zusammenhang mit der Revolution geschaffene Musik, in den Blick genommen, sondern auch jene, die revolutionär aufgeladen oder aber umgekehrt vor dem Hintergrund der Ereignisse abgelehnt oder gar als ‚konterrevolutionär‘ eingestuft wurde. Mit anderen Worten: Die Frage nach der identitätsstiftenden Wirkung von Musik in einer politischen Krisen- und gesellschaftlichen Umbruchszeit par excellence1 soll hier anhand eines repräsentativen Querschnitts durch das Wiener Musikleben jenes Jahres vorgeführt werden. Der Diskurs über Musik wurde vor allem von einer zunehmend selbstbewusst auftretenden Musikkritik getragen – mit dem Ziel, aus den revolutionären Forderungen auch Maßnahmen für eine Hebung der ‚Tonkunst‘ abzuleiten. Zwar schränkten die Ereignisse den regulären Opern- und Konzertbetrieb massiv ein, doch bot der aus der Begeisterung heraus geborene hohe Bedarf an anlassbezogener Musik teilweise Abhilfe und führte zu einem bunten Allerlei an Aufführungsmöglichkeiten, an dem sich die Musikschaffenden und -reproduzierenden umso lieber beteiligten, als sich auf diese Weise politische Gesinnung und persönliche Profilierungsstrategie aufs Beste verbinden ließen. Als die ursprünglich bürgerliche Revolution spätestens ab dem Sommer zunehmend proletarische Züge annahm und der Wiener Hof längst die Konterrevolution ausgerufen hatte, verschwanden sehr rasch bis auf wenige Ausnahmen die musikalischen Beiträge zur Revolution, und so mancher beeilte sich, seine revolutionäre Begeisterung vergessen zu machen. 1
Mit Bezug auf die Wiener Revolutionsmusik im engeren Sinne siehe vor allem Gertraud Pressler, „‚Der Staat ist in Gefahr!‘ Lieder zur Revolution 1848“, in: 1848 „das tolle Jahr“. Chronologie einer Re volution (241. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien), Wien [1998], 104–117. Den musikwissenschaftlichen Forschungsstand nicht nur mit Blick auf Wien erschließt erstmals in umfassender Perspektive Barbara Boisits (Hg.), Musik und Revolution. Die Produktion von Iden tität und Raum durch Musik in Zentraleuropa 1848/49, Wien 2013. Im Übrigen ist die Musik in den vorliegenden Publikationen zur Revolution entweder gar nicht vertreten oder stark unterrepräsentiert, siehe zuletzt Michaela Maier (Hg.), 1848 – die vergessene Revolution, Wien 2018. Anstelle von Sekundärliteratur sollen im Folgenden daher vor allem die Primärquellen zu Wort kommen.
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Doch zunächst überstrahlte die Märzeuphorie jegliche seit dem Wiener Kongress so umfassend eingeübte Vorsicht und staatsbürgerliche Subalternität. Der Sturm des Landhauses der niederösterreichischen Stände am 13. März löste die in Baden und Bayern bereits ausgebrochene Revolution auch in Wien aus. Der Rücktritt des verhassten Staatskanzlers Metternich (1773–1859) wurde gefordert und gewährt. Zwar führte der Schießbefehl Erzherzog Albrechts (1817–1895) zu den ersten Todesopfern. Doch mit dem am 14. bzw. 15. März gegebenen Versprechen Kaiser Ferdinands I., die Zensur aufzuheben und eine Verfassung zu gewähren, schien bereits am dritten Tag nach dem Ausbruch der Revolution die Erfüllung wesentlicher Forderungen in greifbarer Nähe. Jubelnd zog die Menge durch die Straßen und sang die Volkshymne (Gott erhalte) auf ihren jetzt „constitutionellen Kaiser“.2
1. R evolutionsmusik: Zw ischen M är ztaumel und w ür digem Gedenk en Musikalisch führte die Märzbegeisterung zu einer Reihe von Gelegenheitswerken. Unter ihnen fanden sich keineswegs nur Kompositionen für kleine Besetzung oder Chor, sondern – abseits der unvermeidlichen Märsche3 – durchaus auch Orchesterwerke. Ein solches verfasste bereits wenige Wochen nach den Ereignissen u. a. der Musikverleger Carl Haslinger (1816–1868). Es trägt den programmatischen Titel Die 3 März-Tage 1848. Characteristisches Tongemälde op. 49. Texthinweise wie „Herannahen der Studierenden“ oder „Allgemeiner Aufruhr“ lenken die Phantasie der Ausführenden – in entfernter Battagliatradition4 – auf die Märzereignisse und die mit ihnen verbundenen Gefühlserlebnisse (Notenbeispiel 1). Für die Zuhörenden deutlicher werden sie dort, wo mit ihnen musikalische Assoziationen einhergehen. Der „Einzug der ungarischen Deputierten“ wird musikalisch mit dem Rákóczi-Marsch zum Ausdruck gebracht, einem allseits bekannten und mit dem ungarischen Freiheitskampf gegen die Habsburger konnotierten Stück.
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Wiener-Zeitung, Nr. 76, 16. März 1848, [343]. Digitalisate dieser und der meisten übrigen für diesen Beitrag eingesehenen Zeitungen und Zeitschriften finden sich auf der Plattform ‚Anno‘ der Österreichischen Nationalbibliothek: , 30.09.2020. Zu den ersten Werken dieser Gattung zählt der Oesterreichische National-Garde-Marsch op. 221 von Johann Strauss Vater, erstmals aufgeführt im Volksgarten am 19. März. Siehe Wiener allgemeine MusikZeitung, Nr. 36, 23. März 1848, 144. Erich Wolfgang Partsch, „Zum Wiener Repertoire 1848“, in: Boisits (Hg.), Musik und Revo lution (wie Anm. 1), 417–431, 429.
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Die Ungarnbegeisterung jener Zeit kannte keine Grenzen. Zum Revolutionsauftakt am 13. März in Wien war Lajos (Ludwig) Kossuths (1802–1894) Rede verlesen worden, die dieser am 3. März vor dem ungarischen Landtag in Pressburg gehalten hatte und in der u. a. bereits eine Verfassung gefordert wurde. Als Kossuth mit einer ungarischen Delegation am 15. März in Wien eintraf, um Verhandlungen mit der Regierung aufzunehmen, wurde er von der Wiener Bevölkerung, allen voran den Studierenden, mit großem Jubel empfangen.5 Auch zwei weitere bekannte Musikstücke, die Haslinger in seinem Tongemälde verwob, waren 1848 revolutionär hochgradig aufgeladen: zum einen Des Deutschen Va terland – jenes 1825 von Gustav Reichardt (1797–1884) vertonte Gedicht von Ernst Moritz Arndt (1769–1860) aus dem Jahre 1813, das ähnlich wie die im Revolutionsjahr allgegenwärtige schwarz-rot-goldene Fahne zum Symbol des Freiheitskampfes der im Deutschen Bund vereinigten Länder wurde –, zum anderen die Volkshymne (Gott erhalte), 1848 zugleich Ausdruck der revolutionären und kaisertreuen Haltung in Österreich. In letztere mündet ein Abschnitt, der mit „Apotheose an die gewährte Freiheit“ überschrieben ist, eine aus dem Blickwinkel des Revolutionsausganges und der sich daran anschließenden Phase des Neoabsolutismus geradezu tragisch-groteske Kombination. Haslinger schaltete Anzeigen für sein Werk mit dem verkaufsfördernden Hinweis auf diese drei jetzt besonders populären Stücke.6 Aufgeführt wurde es u. a. im Mai 1848 in den Soiréen von Johann Strauss Vater7 und am 11. September im Carltheater bei einer „zum Besten der fünften Compagnie der Leopoldstädter Garde“8 gegebenen Vorstellung. Die 3 März-Tage bearbeitete Haslinger auch in einer Ausgabe für Klavier. Bemerkenswert ist hier seine Anmerkung, die Volkshymne könne am Schluss entweder gesungen oder in der auskomponierten Form gespielt werden. Auf diese Weise konnte je nach den privaten Aufführungsmöglichkeiten die revolutionär-patriotische Stimmung auch „in geschützter Hausmusiksphäre“9 ausgelebt werden. Die Kritik nahm Haslingers Werk durchaus wohlwollend auf. Interessant ist ein Vergleich zweier kurzer Besprechungen in Franz Brendels (1811–1868) Neuer Zeit 5
Siehe etwa Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode, Nr. 56, 18. März 1848, 224. Die Wiener Zeitschrift änderte im Revolutionsjahr mehrmals ihren genauen Titel. Sie wird im Folgenden immer nach der jeweils aktuellen Bezeichnung zitiert. 6 Siehe u. a. Wiener-Zeitung, Nr. 146, 26. Mai 1848, 702. 7 Siehe Neue Zeitschrift für Musik, Nr. 44, 30. Mai 1848, 264. 8 Siehe Abendzeitung. Tägliches Ergänzungsblatt der „Sonntagsblätter“, Nr. 139, 13. September 1848, 570. 9 Partsch, „Zum Wiener Repertoire 1848“ (wie Anm. 4), 429. Das entsprechende Notenbeispiel findet sich ebda., 430.
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NB 1: Carl Haslinger, Die 3 März-Tage 1848. Characteristisches Tongemälde op. 49. Wien: Tobias Haslinger (Witwe & Sohn), 1848. Ausschnitte mit erläuternden Hinweisen im Notentext. Wienbibliothek im Rathaus, Mc-9094 Fotos: © Wienbibliothek im Rathaus
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schrift für Musik bzw. in der Wiener-Zeitung (letztere aus der Feder Eduard Hanslicks, 1825–1904), in denen sich bereits die unterschiedliche Haltung zur Programmmusik abzeichnet. Während im Leipziger Blatt positiv hervorgehoben wird, dass Haslinger „zu besserem Verständniß der tiefsinnigen Beziehungen […] erläuternde Worte beigefügt“10 habe, kritisiert Hanslick die „Unmöglichkeit einer so weit getriebenen Tonmahlerei.“11 Beide Kritiken lehnen dagegen einmütig ein programmatisch vergleichbar angelegtes Werk von Ferdinand Waldmüller (1816–1885), Sohn des Landschaftsmalers Ferdinand Georg Waldmüller (1793–1865), ab (Erinnerung an den 13ten, 14ten und 15ten März 1848, op. 58), das ebenfalls den Rákóczi-Marsch und das Gott erhalte aufgreift. Bei derlei Gelegenheitswerken zeichnet sich ein Grundproblem der Musikkritik im Revolutionsjahr ab: Selbst Kompositionen, die ein gewisses Interesse beanspruchten, konnten nicht die hochgemuten Erwartungen an eine genuine ‚Revolutionsmusik‘ erfüllen und erst recht nicht die viel weiter reichende Vision nach Hebung der als unwürdig empfundenen Zustände im Konzertwesen mit seinem als zu seicht empfundenen Repertoire. Mit bombastischen Erweiterungen (des Instrumentariums, der Ausführenden, des Programms etc.) allein war es nicht getan. Diese politischer Musik innewohnende Tendenz zum Überdimensionalen war auch Gegenstand eines satirischen Beitrags in der Wiener allgemeinen Musik-Zeitung, in dem der Plan zu einer fiktiven „Wiener Revolutions-Symphonie“ in zwölf Sätzen (darunter eine „Preghiera mit obligaten 60000 Bajonetten“) entworfen wurde, womit der Revolutionsverlauf programmmusikalisch nachgezeichnet wird.12 Die Erinnerungskultur rund um die drei Märztage führte geradezu zu einem intermedialen Wettstreit unter den Kunstschaffenden. Der Anzeigenteil diverser Zeitungen und Zeitschriften jener Zeit bordet über von entsprechenden Werken aus Literatur, Musik, Theater und bildender Kunst. So wird, um ein Beispiel unter vielen herauszugreifen, in einer Anzeige um ein „Erinnerungs-Gemälde der drei welthistorischen Märztage Oesterreichs, ausgestattet mit den reichsten symbolografischen Original-Zeichnungen und Schriftbildern“13 geworben. 10 Neue Zeitschrift für Musik, Nr. 21, 9. September 1848, 119. 11 Ed.[uard] H.[anslick], „Wiener Freiheitsmusik“, in: Beilage zur Wiener-Zeitung, Nr. 240, 3. September 1848, 80 f., 81. Wiederabdruck in: Ders., Sämtliche Schriften. Historisch-kritische Ausgabe, Bd. I, 1: Aufsätze und Rezensionen 1844–1848, hg. und kommentiert von Dietmar Strauss, Wien u. a. 1993, 176–186, 180. 12 Wiener allgemeine Musik-Zeitung, Nr. 78, 29. Juni 1848, 306 f. Der Beitrag ist mit „i. y.“ signiert. Siehe dazu Barbara Boisits, „‚Das Wort ist frei, die Kunst ist frei.‘ Wiener Musikkritik im Revolutionsjahr 1848“, in: Dies. (Hg.), Musik und Revolution (wie Anm. 1), 555–582, 574–577. 13 Wiener-Zeitung, Nr. 121, 1. Mai 1848, 584.
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Haslingers Erwähnung der Studierenden in seinem Werk war kein Zufall. Die Studenten gehörten zu den wesentlichen Trägern der Revolution. Bereits am 12. März hatten sie eine Petition eingereicht, in der sie u. a. die Beseitigung der Zensur sowie Lehr- und Lernfreiheit forderten. Am 13. März zogen sie in einer Demonstration von der Universität (dem heutigen Sitz der Österreichischen Akademie der Wissenschaften) zum Niederösterreichischen Landhaus und lösten damit die Revolution mit aus. In der Nacht zum 14. März gründeten sie die Akademische Legion, die gemeinsam mit der von den Wiener Bürgern gebildeten Nationalgarde für die Aufrechterhaltung von Ruhe und Sicherheit in der Öffentlichkeit zuständig war, zugleich aber auch als wesentlicher Akteur der Revolution auftrat. In ihren aus blauen Röcken und grauen Hosen bestehenden Uniformen sowie dem breitkrempigen Kalabreser mit schwarzen Straußenfedern und schwarz-rot-goldener Kokarde wurden sie rasch zum Liebling der Wiener Bevölkerung: „Denn die Gepriesensten unter den Gepriesenen der Zeit waren die Studenten. Alles huldigte ihnen, alles schmeichelte und hofirte ihnen, alles lobte und feierte und erhob sie und die akademische Legion.“14 Zahlreiche Kompositionen wurden ihnen gewidmet, darunter Märsche von Heinrich Proch (1809–1878), Henry Litolff (1818–1891) oder Johann Strauss Vater (1804–1849; Marsch der Studenten-Legion). Gedichte auf sie gab es in Hülle und Fülle, viele wurden als Lieder oder Chöre vertont, u. a. auch von Haslinger, Litolff, Franz von Suppè (1819–1895), Salomon Sulzer (1804–1890), Gustav Albert Lortzing (1801–1851) und Nina Stollewerk (1825–1914). Den ereignisbedingt schnellen Entstehungsprozess sieht man vielen Texten und Vertonungen an. Auch der Umstand, dass sich zahlreiche Dilettanten (manche gar erstmals) zu einer Produktion hinreißen ließen, ging mit handwerklichen und ästhetischen Defiziten einher. Und so ist Hanslicks pointierter, allerdings bereits aus der Zeit seiner Abrechnung mit der Revolution stammende Ausspruch, „daß noch niemand den 13. März würdig besungen hat, der am 14ten schon mit dem Manuscript fertig war“,15 unter einem werkästhetischen Gesichtspunkt wohl gerechtfertigt. Denn keines dieser Stücke ist später in das Repertoire bürgerlicher Musikpflege eingegangen oder erreichte auch nur die Bekanntheit und Beliebtheit eines Volks- oder Studentenliedes. Andererseits erscheint es unangemessen, Stücke, die in dieser Aufbruchsstimmung entstanden sind, losgelöst von ihrer Aufführungssituation (inklusive begeisterter Mitwirkung des Publikums, symbolischer Überhöhung mit Farben, Fahnen usw.) zu betrachten. Symptomatisch mag hier Baron Anton von Klesheims (1812–1884) am 6. April im Theater in der Josefstadt veranstaltete Akademie zugunsten der Hinterbliebenen 14 Frh. [Joseph Alexander] v[on] Helfert, Der Wiener Parnaß im Jahre 1848, Wien 1882, xxxii. 15 Hanslick, „Wiener Freiheitsmusik“ (wie Anm. 11), 177.
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der Märzopfer sein. Hier deklamierten u. a. drei Mitglieder des Hofburgtheaters das Gedicht Die drei Farben von Franz Karl Weidmann (1787–1867); in symbolhafter Überfrachtung waren dabei der Schauspieler in Schwarz, die beiden Schauspielerinnen in Rot bzw. Gold gekleidet. Weder das Gedicht noch der Vortrag waren zufriedenstellend, doch wie so oft in jenen Tagen „sah die Begeisterung des Augenblicks über alle Mängel hinweg“.16 Der performative Aspekt überwiegt nicht nur hier bei weitem die dichterisch-musikalische Faktur.17 Wer wollte schon an dieser mäkeln, wenn die Begeisterung durchschlägt? Auch der im September so kritisch resümierende Hanslick war noch im März keineswegs frei von solchen revolutionsbedingten Zugeständnissen, drängte er doch den Wiener Männergesang-Verein, seiner eigenen Chorkomposition auf einen Text von Robert Zimmermann (1824–1898; Deutschland über Alles!) „im nächsten öffentl[ichen] Konzert […] Raum zu geben – sonst käme ich mit meinem Patriotismus offenbar zu spät!“18 Das dafür infrage gekommene Konzert fand im Übrigen am 9. April im Redoutensaal statt. Hanslicks Chor, der freilich nicht aufgeführt wurde und heute als verschollen gilt, hätte sich bei diesem Anlass in illustrer Gesellschaft gefunden: Erstmals erklang nämlich Des Deutschen Vaterland im regulären Programm eines öffentlichen Konzerts des Wiener Männergesang-Vereins, nachdem es zuvor schon mehrfach auf der Straße bzw. als Draufgabe bei diversen Veranstaltungen gesungen worden war. Das Publikum war außer sich und bestieg Bänke und Stühle, um seiner Begeisterung Ausdruck zu verleihen.19 Wenige Tage zuvor hatte der Chor den Deputierten für das in der Frankfurter Paulskirche tagende Vorparlament des Deutschen Bundes unter Absingen des Arndt’schen Liedes und der Volkshymne das Geleit gegeben.20 16 Wiener allgemeine Musik-Zeitung, Nr. 43, 8. April 1848, 170 f., 171. Außerdem waren zu hören: Fest marsch, Wiens tapferen Bürgern gewidmet von Anton Maximilian Storch (1813–1887), ausgeführt von der Militär-Musikbande des k. k. Infanterieregiments Nr. 14 Hrabowsky, ein Prolog Klesheims, der die politischen Ereignisse thematisierte, Das deutsche Lied (T: Weismann, M: Kalliwoda), Die Flucht des Schwarzen (T: Swiedack, M: Suppè), Grosse Fest-Ouverture op. 65 von Georg Hellmesberger jun. (1830–1852), „Oesterreichs Bürgern gewidmet“ und mit einer in der Volkshymne endenden Steigerung, sowie eine Szene in österreichischer Mundart inklusive Schlusstableau von Klesheim mit Musik Hellmesbergers und angestimmter Volkshymne. 17 Siehe dazu Barbara Boisits, „Einleitung“, in: Dies. (Hg.), Musik und Revolution (wie Anm. 1), 13–33, 17 f. 18 Partsch, „Zum Wiener Repertoire 1848“ (wie Anm. 4), 417. 19 Siehe Rudolf Hofmann, Der Wiener Männergesangverein. Chronik der Jahre 1843 bis 1893 aus Anlass der fünfzigjährigen Jubelfeier des Vereines, Wien 1893, 28 f. Zur Rolle der Männerchöre im Revolutionsjahr siehe auch Christian Fastl, „‚Was ist des Deutschen Vaterland? – Gewiß, es ist das Österreich, an Ehren und an Siegen reich.‘ Das Männerchorwesen in Österreich 1848/49“, in: Boisits (Hg.), Musik und Revolution (wie Anm. 1), 135–155. 20 Wiener Abendzeitung. Tägliches Ergänzungsblatt der „Sonntagsblätter“, Nr. 10, 6. April 1848, 44. Das
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Unter den Gedichtvorlagen für Revolutions- bzw. Studentenlieder nimmt Die Uni versität von Ludwig August Frankl (1810–1894) eine Sonderstellung ein. Frankl21, als promovierter Arzt Angehöriger des Medizinerkorps der Akademischen Legion, war in der Nacht vom 14. zum 15. März zum Wachestehen abkommandiert worden. In diesen Stunden schrieb er jenes Gedicht, das als erster zensurfreier Text, ja sogar als ‚österreichische Marseillaise‘ in die Geschichte der Revolution eingehen sollte (s. u.). Der Zeitpunkt der ersten Verbreitung des Gedichts konnte günstiger nicht sein: Frankl brachte es noch am 15. März in die Druckerei und die ersten als Flugblatt gedruckten Exemplare am Nachmittag auf den Universitätsplatz, als dort gerade die Konstitution verkündet wurde. Im Anschluss daran wurde sein Gedicht verlesen und sofort frenetisch bejubelt, machte es doch aus der „Universität“ einen der wichtigsten Träger einer vermeintlich bereits siegreichen Revolution. Das Gedicht wurde zu Tausenden gratis verteilt, in vielen Zeitungen, Zeitschriften und Anthologien nachgedruckt und erreichte so eine beispiellose Verbreitung. Es stellt zwar nicht, wie Frankl selbst öffentlichkeitswirksam behauptet hatte, das „erste zensurfreie Blatt“22 dar (höchstens das erste gedruckte), jedenfalls gehört es aber zu den frühesten und meistrezipierten.23 Für Hanslick zählt es zu jenen Gedichten, die „ihre Beliebtheit mehr ihrem rechtzeitigen Erscheinen, als ihrer dichterischen Kraft“ verdankten.24 In dem in einer französischen Übersetzung auch als „Marseillaise Autrichienne“25 bezeichneten Gedicht wird die Universität zum wichtigen Akteur hypostasiert, der unerschrocken und unbeirrt der Revolution zum Sieg verhilft:
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Vorparlament war der Vorläufer der Frankfurter Nationalversammlung (auch Paulskirchenparlament genannt) mit dem letztlich gescheiterten Ziel einer gemeinsamen Verfassung für alle deutschen Einzelstaaten (inklusive Österreich). Zu Frankl siehe Louise Hecht (Hg.), Ludwig August Frankl (1810–1894). Eine jüdische Biographie zwischen Okzident und Orient (Intellektuelles Prag im 19. und 20. Jahrhundert 10), Köln u. a. 2016. Vermerk auf der bei Josef Stöckholzer von Hirschfeld erschienenen Gedichtausgabe. Das erste zensurfreie Gedicht dürfte Ignaz Franz Castellis bereits eine Nacht zuvor entstandenes Lied für die Natio nalgarde gewesen sein. Siehe [Siegfried K apper], „Die Wiener Revolutionsliteratur“, in: Bohemia, Nr. 249, 16. Dezember 1848. Auch andere Schriftsteller nahmen diese Ehre für sich in Anspruch. Siehe Helfert, Der Wiener Parnaß (wie Anm. 14), xxi. Siehe dazu ebda., xix–xxi. Hanslick, „Wiener Freiheitsmusik“ (wie Anm. 11), 176. Helfert, Der Wiener Parnaß (wie Anm. 14), xx. Zur Rolle der Marseillaise, jener „Hymne der politischen, sozialen und nationalen Revolution Frankreichs in der Auseinandersetzung mit den monarchischen Mächten“, deren Melodie oft mit zeitbezogenen Texten verbunden wurde, im Wien des Jahres 1848 sowie in der Arbeiterbewegung danach siehe Wolfgang Häusler, „Marseillaise, Katzenmusik und Fuchslied als Mittel sozialen und politischen Protests in der Wiener Revolution 1848“, in: Boisits (Hg.), Musik und Revolution (wie Anm. 1), 37–80, 39.
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NB 2: Benedict Randhartinger, Die Universität (Text von Ludwig August Frankl). Wien: F. Glöggl, 1848. Beilage zu: Allgemeiner Musikalischer Anzeiger (Zweiter Cyclus), Nr. 11, 16. März 1848. Wienbibliothek im Rathaus, Mc-1143 Foto: © Wienbibliothek im Rathaus
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Was kommt heran mit kühnem Gange? Die Waffe blinkt, die Fahne weht, es naht mit hellem Trommelklange Die Universität.
Frankls Gedicht wurde das meistvertonte im Wien des Jahres 1848. Mehr als zwanzig Komponisten (darunter Suppè, Benedict Randhartinger, 1802–1893, Theodor Leschetitzky, 1830–1915, Berthold Franckel wiederum „während des Wachestehens“26) sowie eine Komponistin (Nina Stollewerk) setzten es in Musik. Auch die Komponisten hatten es eilig: Die Vertonung des Vizehofkapellmeisters Randhartinger konnte bereits wenige Tage nach Frankls Publikation veröffentlicht werden (Notenbeispiel 2).27 Marschartig mit pathetisch ausgreifenden Intervallsprüngen kann es von ein oder zwei Singstimmen aufgeführt werden. Das refrainartige Ende jeder Strophe („die Universität“) ist für vierstimmigen Chor gesetzt, wobei Randhartinger das Wort in steigernder Absicht noch einmal wiederholt und – außer ganz am Schluss – in ‚leeren‘, aber umso wirkungsvolleren Oktaven ausklingen lässt, damit zugleich die Einheit der Academia ausdrückend.28 Auch wenn in Frankls Gedicht die Euphorie des studentischen Freiheitskampfes überwiegt, so erinnert es am Ende doch auch daran, dass Studenten zu den ersten „Märzopfern“ zählten, als Erzherzog Albrecht das Militär am 13. März in die aufgebrachte Menge schießen ließ („Bezahlt hat mit den ersten Leichen / Die Universität“). Das Begräbnis fand am 17. März unter großer Beteiligung der Bevölkerung statt (Abb. 1). Der Leichenzug führte von der Spitalskapelle des (alten) Allgemeinen Krankenhauses, wo die Toten eingesegnet worden waren, zum Schmelzer Friedhof (heute Märzpark). Nationalgarde und Akademische Legion samt Musikzügen waren bereits ein fester Bestandteil dieser Trauerfeier: „Jede Legion der Nationalgardisten hatte ihre Fahnen und hinter einigen Compagnien zogen Musikbanden, welche Trauermärsche von Beethoven spielten.“29 Das Begräbnis geriet zu einer ökumenischen Großveranstaltung: Vertreter der katholischen, jüdischen, evangelischen, reformierten und grie26 Helfert, Der Wiener Parnaß (wie Anm. 14), 46. 27 Beilage in: Allgemeiner Musikalischer Anzeiger (Zweiter Cyclus), Nr. 11, 16. März 1848. Wie einer Notiz des Herausgebers Franz Glöggl am Ende dieser Nummer, die das Datum 21. März trägt, zu entnehmen ist, dürfte die Beilage erst an diesem Tag eingefügt worden sein. 28 Siehe Partsch, „Zum Wiener Repertoire 1848“ (wie Anm. 4), 418 f. sowie Stefan Schmidl, „Gedichte von Ludwig August Frankl in ihren Vertonungen“, in: Hecht (Hg.), Ludwig August Frankl (wie Anm. 21), 183–205, 186 f. 29 „Leichenbegängniß der am 13. März Gefallenen“, in: Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode, Nr. 57, 20. März 1848, 227. Gemeint ist wohl eine Bearbeitung des zweiten Satzes der Dritten Symphonie.
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Abb. 1: Begräbniss [!] der am 13. März 1848 Gefallenen. Illustration aus: Smets, Das Jahr 1848 (wie Anm. 30), Bd. 2, Wien 1872, 13
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chisch-orthodoxen Geistlichkeit beteiligten sich daran. Anton Füster (1808–1881, in der Abbildung links), katholischer Universitätsprofessor und -prediger sowie späterer Feldkaplan der Akademischen Legion, ging offenherzig auf den Oberrabbiner Isaak Noah Mannheimer (1793–1865, in der Abbildung rechts) und den Kantor Salomon Sulzer zu, überließ Mannheimer die Ehre der ersten Leichenrede und demonstrierte damit ein geeintes, interkonfessionelles Bemühen um bürgerliche Rechte und Gleichstellung.30 Auch dieser Traum sollte sich nicht erfüllen.
2. Im Dienste der R evolution: Wohltätigk eitskonzerte zw ischen Pathos und Posse Begibt man sich auf die Suche nach Aufführungsgelegenheiten von Revolutionsmusik, wird man schnell bei den zahlreichen Benefizveranstaltungen fündig. Aber auch etablierte Konzertreihen (s. u.) konnten sich dem Zeitgeist kaum verweigern. In den Wochen nach Ausbruch der Revolution gab es einige Wohltätigkeitskonzerte, deren Ertrag den Hinterbliebenen der Märzgefallenen oder Verwundeten zugutekam. Schnell kam auch die Idee auf, den ersten Opfern der Märzrevolution ein Denkmal zu errichten. Auch für diesen Zweck wurden Benefizkonzerte veranstaltet. Es ist wohl für den Umgang mit der Revolution in Österreich bezeichnend, dass dieses Denkmal erst 1864 auf dem Schmelzer Friedhof errichtet werden konnte; nach dessen Auflassung 1888 wurde es mit den Gebeinen der Märzgefallenen schließlich auf den Zentralfriedhof überführt.31 Die traditionell bunten Programme von Wohltätigkeitsveranstaltungen wiesen jetzt auch anlassbezogene Werke auf, was nicht selten zu einer ungewöhnlichen Mischung aus traditioneller Konzertmusik, revolutionär-pathetischen, tragischen und sogar komischen Stücken führte. Den Anfang einer Reihe von Veranstaltungen zugunsten der Denkmalserrichtung machte am 22. März im Theater an der Wien der englische Klaviervirtuose und Komponist Henry Litolff, der im Dezember 1847 nach Wien 30 Moritz Smets, Das Jahr 1848. Geschichte der Wiener Revolution, Bd. 2, Wien 1872, 16. Beide Bände des reich illustrierten Werkes liegen als Digitalisate der Österreichischen Nationalbibliothek vor: (Bd. 1) bzw. (Bd. 2), 30.09.2020. 31 Siehe Susanne Böck, „Radetzkymarsch und Demokratie. Zur politischen Rezeption der Revolution 1848“, in: 1848 „das tolle Jahr“ (wie Anm. 1), 140–147; Wolfgang Häusler, „Die Wiener ‚Märzgefallenen‘ und ihr Denkmal. Zur politischen Tradition der bürgerlich-demokratischen Revolution von 1848“, in: Barbara Haider/Hans Peter Hye (Hgg.), 1848. Ereignis und Erinnerung in den politischen Kulturen Mitteleuropas (Zentraleuropa-Studien 7), Wien 2003, 251–275.
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gekommen war, um hier einige Konzerte zu geben. Von den drei in musikalischer Sicht bedeutenderen Programmpunkten (Beethovens Ouvertüre zu Egmont, Litolffs Symphonie nationale hollandaise – das dritte seiner symphonischen Klavierkonzerte, das ohne ersten Satz gespielt wurde – und Hubert Léonards Souvenir de Haydn), die das Theaterorchester unter seinem Kapellmeister Franz von Suppè spielte, waren zwei, wie auch von der zeitgenössischen Musikkritik anerkennend vermerkt,32 revolutionsbezogen aktualisierbar: Goethes Schauspiel thematisiert den Heldentod eines gegen Unterdrückung Kämpfenden, eine Woche später beim Concert spirituel vom 30. März wird es gar als „Apotheose der Freiheit“ verstanden (s. u.). Léonards Fantasie für Solovioline und Streichquartettbegleitung zitiert und bearbeitet ausgiebig das Gott erhalte, dessen Aufführung 1848 in Wien, wie schon erwähnt, nicht nur keinen Widerspruch zu einer revolutionären Haltung darstellte, sondern vielmehr Ausdruck der Hoffnung war, den Kaiser für die Forderungen der Revolution gewinnen zu können. Dazwischen wurden einschlägige Gelegenheitswerke zum Besten gegeben, die die nationalund freiheitsbetonte Stimmung anheizten. Hierzu trug auch ein Setting mit entsprechender Farbsymbolik bei: Die Bühne war mit den Landesfarben Rot und Weiß, mit der Trauerfarbe Schwarz sowie mit entsprechenden Aufschriften („Hoch ganz Oesterreich“, dazu italienische, slawische und ungarische Äquivalente33) geschmückt. Am Eingang waren zwei Nationalgardisten mit gezogenem Säbel platziert. Der Volksdichter und Schauspieler Friedrich Kaiser (1814–1874), dem am 15. März die Ehre widerfahren war, die Ankündigung einer Konstitution durch Kaiser Ferdinand an verschiedenen Plätzen Wiens zu verlesen – in entsprechender Inszenierung hoch zu Ross und umgeben von vier ebenfalls berittenen Trompetern34 –, trug bei diesem Konzert wie alle Mitwirkenden das weiße Band der Nationalgarde und erinnerte in seinem Prolog an die jüngsten Ereignisse. Sein Gedicht Jubelgruß an Oesterreichs Na tionen (mit länglichen 24 Strophen) wurde in der Vertonung Suppès von dem überaus beliebten Bassisten Joseph Staudigl (1807–1861) sowie dem Theaterchor vorgetragen. Ein Rezensent bemängelt zwar den „etwas zu wälschen, opernhaften Anflug“ der Komposition, bezeichnet dagegen den „Eintritt des Kaiserliedes in Mitte jeder 32 Wiener allgemeine Musik-Zeitung, Nr. 37, 24. März 1848, 146. 33 Joseph Alexander von Helfert, Aus Böhmen nach Italien. März 1848, Frankfurt am Main 1862, 133; Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode, Nr. 60/61, 24. März 1848, 242. Der Bericht ist mit „–k–“ signiert. 34 Constant von Wurzbach, Art. „Kaiser, Friedrich (II.)“, in: Ders., Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich, Bd. 10, Wien 1863, 360–372, 365. Das Ereignis wurde auch bildlich auf einer Lithographie von Josef Cajetan festgehalten. Siehe Bildarchiv Austria der Österreichischen Nationalbibliothek, Inv.-Nr. Pk 3001, 38, , 11.04.2019
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Strophe“ als „sehr sinnreich und glücklich“.35 Auf eine Melodie von Friedrich Wilhelm Kücken (1810–1882) erklang Otto Prechtlers (1813–1881) Gedicht Drei Tage! (mit dem wiederholten Strophenschluss: „Frei ist mein Vaterland!“), vorgetragen von Mathilde Hellwig (1825–1892), auch sie mit einer weißen Kokarde geschmückt. Bei Litolffs Chorgesang der Wiener Studenten-Legion mit Orchesterbegleitung (auf ein Gedicht von Siegfried Kapper, 1820–1879) traten die Studenten schließlich auf die Bühne, schwangen die Fahnen und sangen kräftig im Chor mit. Die Notenausgabe der Fassung mit Klavierbegleitung, von der Hanslick urteilte, dass durch sie die ursprüngliche Wirkung verloren gegangen sei,36 vermerkt einmal mehr, dass der Schriftsteller das Gedicht „am 14. März Abends in der Universitäts-Wachstube“ geschrieben habe.37 Und auch der Komponist lieferte prompt: Das Titelblatt trägt das Datum vom 15. März, Litolff dürfte also zumindest die Chorstimmen postwendend in Musik gesetzt haben. Trotz des würdigen Anlasses blieben die Besucher aus. Doch tat der schlechte Konzertbesuch der euphorischen Stimmung des Publikums keinen Abbruch. Die Märzbegeisterung sollte einigen Mitwirkenden allerdings noch teuer zu stehen kommen. Litolff trat der Akademischen Legion bei, wurde bald per Haftbefehl gesucht, konnte Wien aber rechtzeitig verlassen und floh über Dresden nach Braunschweig.38 Friedrich Kaiser, ebenso Mitglied, ja sogar Hauptmann der Akademischen Legion, wurde im Oktober für kurze Zeit als einer ihrer Anführer inhaftiert, letztlich aber freigelassen.39 Demselben Zweck der Denkmalerrichtung für die Märzgefallenen diente auch eine als „National-Jubel-Fest“ titulierte Soirée, die Johann Strauss Vater am nächsten Tag, dem 23. März, beim Sperl in der Leopoldstadt (2. Bezirk) veranstaltete, wo Strauss als Musikdirektor fungierte.40 Strauss lieferte den vollen Betrag aus dem Kartenverkauf (stattliche 207 fl. 20 kr.), ohne seine eigenen Auslagen davon abzuziehen. Dem „unermüdlichen Wohltäter und echten Patrioten“ wurde dafür auch öffentlich gedankt.41 35 Wiener allgemeine Musik-Zeitung, Nr. 37, 24. März 1848, 146. 36 Hanslick, „Wiener Freiheitsmusik“ (wie Anm. 11), 180. 37 Henry Litolff, Chorgesang der Wiener Studenten-Legion, 4. Auflage, Wien 1848 (Exemplar der Wienbibliothek im Rathaus: Mc-1146). 38 Siehe Imogen Fellinger, Art. „Litolff, Henry Charles“, in: Neue Deutsche Biographie 14 (1985), 706 f. Zitiert nach der Online-Version: , 09.04.2019. 39 Wurzbach, „Kaiser, Friedrich (II.)“ (wie Anm. 34), 366; siehe dazu auch Friedrich K aiser, 1848. Ein Wiener Volksdichter erlebt die Revolution. Die Memoiren Friedrich Kaisers eingeleitet und ergänzt von Franz Hadamowsky, Wien 1948. 40 Siehe Ankündigung in der Wiener-Zeitung, Nr. 81, 21. März 1848, 372 sowie Notiz in der Wiener allgemeinen Musik-Zeitung, Nr. 40, 1. April 1848, 159. 41 „Verzeichniß der milden Spenden, welche im Comptoir der Theaterzeitung, zur Errichtung eines Mo-
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Wohltätigkeitskonzerte waren keineswegs nur ein probates Mittel zur Akquirierung von Hilfsgeldern, sondern dienten auch der Imagepflege. Denn sie waren bestens geeignet, den Namen der veranstaltenden oder teilnehmenden Künstler und sonstiger Akademiegeber bekannt zu machen bzw. sie mit den liberalen Ideen der Revolution zu verbinden – bis hin zum Opportunismus eines Barons von Klesheim, dem man die ungewohnt bürgerliche Attitüde nicht recht abnahm, weil man ihn bisher nur im Umfeld aristokratischer Salonkultur wahrgenommen hatte.42 Vor diesem Hintergrund ist es auch zu erklären, dass sich durchreisende Virtuosen gerne an solchen Konzerten beteiligten, ja sogar Kinder, die schwerlich im Einzelnen den karitativen Zweck durchschauen konnten, hierfür herhalten mussten. So veranstalteten am 26. März im Theater an der Wien zwei schlesische Schauspielerinnen bzw. Sängerinnen jugendlichen Alters, Auguste (ca. 1830–?) und Amalie Wollrabe (1836–1909), eine musikalisch-deklamatorische Akademie, deren halber Ertrag Verwundeten der Märzkämpfe zugutekommen sollte; wegen des spärlichen Besuchs konnten allerdings kaum die Kosten für das Konzert gedeckt werden.43 Neben anderen Programmteilen dominierten jetzt eindeutig in den letzten Tagen geschaffene Revolutionslieder.44 Das Neue Osterlied („Die Freiheit ist erstanden, / Erlöst von Schmach und Banden; / Ein Morgen, hell und strahlenreich, / Steht leuchtend über Oesterreich! / Alleluja!“45) von Karl Rick (1815–1881) in der Vertonung von Albert Lortzing für Männerchor und Orchesterbegleitung wurde als nicht zeitgemäß abgelehnt: „Alte Ideen in alter Form! Das strophenweise wiederkehrende Alleluja gehört in die Kirche, und Herrn Lortzing’s Komposition hat – einen Zopf sammt Haarbeutel.“46 Trotz des
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numentes, für die am 13. März Gefallenen, eingegangen sind“, in: Allgemeine Theaterzeitung, Original blatt für Kunst, Literatur, Musik, Mode und geselliges Leben, Nr. 78, 31. März 1848, 316. Allgemeiner Musikalischer Anzeiger (Zweiter Cyclus), Nr. 15, 13. April 1848, 64 f., 65. Anlass war sein oben erwähntes Wohltätigkeitskonzert zugunsten der Hinterbliebenen der Märzopfer. Die ‚Anbiederung‘ an die neuen Verhältnisse ging noch weiter: Als Klesheim am 22. Juni im Badener Stadttheater eine Akademie zur Uniformierung unbemittelter Garden gab, ließ er in der Ankündigung plötzlich den ‚Baron‘ und das ‚von‘ weg, was Saphir (1795–1858) zu einer kleinen Satire veranlasste. Moritz Gottlieb Saphir, „Badner Kipfel. 2. Der verlorne Baron und die verlorne Baronesse“, in: Der Hu morist, Nr. 154/155, 28. Juni 1848, 637 f. Helfert, Aus Böhmen nach Italien (wie Anm. 33), 133. Ausrückungslied der Nationalgarde (T: Saphir, M: Preyer), Drei Tage! (T: Prechtler, M: Kücken), Neues Osterlied (T: Rick, M: Lortzing), Die Universität (T: Frankl, M: Wogritsch), Die Flucht des Schwarzen (T: Elmar, M: Suppè). Das ganze Gedicht bei K arl Rick, „Neues Osterlied, zu singen wie ‚Der Heiland ist erstanden‘“, in: Ludwig Bowitsch (Hg.), Album des befreiten Oesterreichs [!]. Verherrlichung der Märztage des Jah res 1848 in Poesie und Prosa, Wien 1848, 80 f. sowie Helfert, Der Wiener Parnaß (wie Anm. 14), 497 f. Wiener allgemeine Musik-Zeitung, Nr. 38, 28. März 1848, 150 f., 150.
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ernsten Anlasses fehlte nicht ein scherzhaftes Gedicht von Karl Elmar (Pseudonym für Karl Swiedack, 1815–1888) mit dem Titel Ich nehme mir einen Studenten, einmal mehr Bezug nehmend auf die ‚Helden‘ der Märzrevolution. Es verweist auf eine heute ungewöhnlich anmutende, 1848 aber mehrfach anzutreffende komödiantisch-theatralische Seite der Wiener Revolution. Das bekannteste Beispiel stellen wohl die beiden Schauspieler Johann Nestroy (1801–1862) und Wenzel Scholz (1787–1857) dar, die vom Direktor des Leopoldstädter Theaters, Carl Carl (Pseudonym für Karl Andreas von Bernbrunn, 1787–1854), dazu angehalten wurden, als Nationalgardisten die in die Innenstadt führende Ferdinandsbrücke (heute Schwedenbrücke) zu bewachen, ein reales Schauspiel, das sich die theaterversessenen Wiener nicht entgehen ließen.47 Als „Krone“ dieser Akademie wurde ein weiteres Gedicht Elmars bezeichnet, Die Flucht des Schwarzen, ein auf Metternich gemünztes „kühn entworfenes, in kecken Zügen gezeichnetes Nachtbild […], das man fast groß nennen könnte.“48 Hanslick dagegen nannte es ein „jammervolle[s] Ding“.49 Gerügt wurde allgemein die Vertonung durch Franz von Suppè, die nur durch Staudigls Vortrag gerettet worden sei. Was ist des Deutschen Vaterland bildete als „schönste[s] und ergreifendste[s] aller deutschen Volkslieder“ wiederum den Abschluss. Und der Rezensent bekennt sich zu einem einigen Deutschland unter Österreichs Führung:50 Ja, Österreich ist stolz, deutsch zu sein und zu bleiben, und nicht ferne mag die Zeit sein, wo es Thaten beweisen sollen, daß es würdig ist, an der Spitze der größten Nation Europa’s zu stehen. – Welch ein Umschwung in weniger als drei Tagen! Dieses Lied verbot noch vor Kurzem eine hochlöbliche Censur als staatsgefährlich, öffentlich vorzutragen, und jetzt braust es mächtig, wie die stolze Donau und der alte Rhein, vom Herzen Deutschlands nach Nord und Süd, Ost und West, und ruft an dem fernsten Meeresstrande die Urgeister der unsterblichen germanischen Nation wach!
Die Erträge einer ganzen Reihe von Wohltätigkeitskonzerten wurden der Uniformierung weniger begüterter Mitglieder der Akademischen Legion und der Nationalgarde gewidmet (Abb. 2; dort im Rahmen einer der von Strauss Vater geleiteten Abendveranstaltun47 Das populäre Ereignis wurde in einer nach einem kolorierten Holzschnitt angefertigten Druckgraphik verbreitet. Siehe Bildarchiv Austria der Österreichischen Nationalbibliothek, Inv.-Nr. Pf 2693: C (2), , 09.04.2019. Siehe dazu auch Häusler, „Marseillaise, Katzenmusik und Fuchslied“ (wie Anm. 25), 67. 48 Wiener allgemeine Musik-Zeitung, Nr. 38, 28. März 1848, 150 f., 151. 49 Eduard Hanslick, Geschichte des Concertwesens in Wien, Wien 1869 (Reprint: Hildesheim/New York 1979), 376. 50 Wiener allgemeine Musik-Zeitung, Nr. 38, 28. März 1848, 150 f., 151.
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Abb. 2: Plakat für ein Benefizkonzert im Sperl am 19. Juni 1848 unter Leitung von Johann Strauss Vater. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Sammlung von Handschriften und alten Drucken, F 16360 Foto: © ÖNB Wien,
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gen beim Sperl). Die Gardisten hatten nämlich für ihre Ausstattung selbst aufzukommen. Das in dieser Hinsicht wohl bekannteste und auch finanziell ergiebigste51 Konzert veranstaltete Sigismund Thalberg (1812–1871), nach Litolff der zweite prominente durchreisende Virtuose, der sich in den Dienst der Wiener Revolution stellte, auch wenn man ihm – im Unterschied zu Litolff – ein Eintreten für die Bedürfnisse des Volkes nicht recht abnehmen wollte.52 Das Konzert fand am 3. Mai im Musikvereinssaal statt und wich insofern von den bisherigen ab, als es größtenteils Werke des Pianisten und kaiserlichen Kammervirtuosen aufwies, die von ihm selbst vorgetragen wurden,53 dagegen keinerlei ‚Revolutionsmusik‘, mithin viel stärker den üblichen Virtuosenkonzerten glich. Und dennoch affizierte die Revolution auch dieses Konzert: Unerwartet musste es nämlich aufgrund einer vor der Türe stattfindenden Katzenmusik abgekürzt werden. Bei dieser 1848 überaus beliebten Form eines ‚musikalisch‘ miauenden Rügegerichts wurden mittels lauter Instrumente (Ratschen, Pfeifen, Trompeten, Trommeln etc.) und zu Instrumenten umfunktionierter Küchengeräte (Pfannen, Topfdeckel etc.) unliebsame Personen (Politiker, Vertreter von Behörden, der Kirche etc.) an den Pranger gestellt. Unmittelbarer Anlass für die Wiederbelebung dieses alten Brauchs war eine Katzenmusik im ersten Akt des Lustspiels Das bemooste Haupt, oder: Der lange Israel von Roderich Benedix (1811–1873), in Wien erstmals aufgeführt am 1. April 1848 im Theater an der Wien (Abb. 3).54 Hier liegt also ein bemerkenswerter Transfer vom Theater auf die Straße vor. Zeitgleich zu Thalbergs Konzert wurde der Polizeidirektion, die damals ihren Sitz wie der Musikvereinssaal unter den Tuchlauben hatte, eine Katzenmusik entgegengebracht:55 51 Der beachtliche Betrag von 895 fl. C. M. wurde dem Innenministerium zur Uniformierung unbemittelter Nationalgardisten übergeben. Siehe Wiener allgemeine Musik-Zeitung, Nr. 56, 9. Mai 1848, 224. 52 Siehe Der Humorist, Nr. 108, 5. Mai 1848, 442. Thalberg hatte sich erst spät dazu entschlossen, sein Konzert für die Nationalgarde zu geben. Die ersten Ankündigungen enthielten noch keinerlei Hinweis auf diesen Zweck. Siehe Wiener Zeitschrift für Recht, Wahrheit, Fortschritt, Kunst, Literatur, Theater, Mode und geselliges Leben, Nr. 92, 5. Mai 1848, 367. 53 Grande Fantaisie sur la sérénade et le menuet de Don Juan op. 42, Barcarolle op. 60, Étude a-Moll, Grande Fantaisie sur des motifs de l’opéra La Muette de Portici d’Auber op. 52, Grand Duo sur „Les Hu guenots“ de Meyerbeer (komponiert gemeinsam mit Charles-Auguste de Bériot). Siehe Wiener allgemei ne Musik-Zeitung, Nr. 55, 6. Mai 1848, 218 f. 54 Vgl. dazu Hubert Reitterer, „‚… durch lärmende Musik und Jubelschreie aufgeweckt‘. Die Musik (insbesondere die Katzenmusik) bei der Wiener Revolution von 1848 in den Tagebüchern des Matthias Franz Perth. (Mit einem Anhang über den Kapellmeister des akademischen Mediziner-Korps Romeo Kosak)“, in: Boisits (Hg.), Musik und Revolution (wie Anm. 1), 81–100. 55 Ed.[uard] H.[anslick], „Concert des Hrn. Sigmund Thalberg am 3. Mai, Abends 8 Uhr, im Saale der Gesellschaft der Musikfreunde“, in: Wiener-Zeitung, Nr. 126, 6. Mai 1848, 605, wieder veröffentlicht in: Ders., Sämtliche Schriften (wie Anm. 11), 168 f., 169. Merkwürdigerweise wird diese unerwartete Wendung vom Rezensenten der Wiener allgemeinen Musik-Zeitung nicht erwähnt.
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Abb. 3: Katzenmusik im Lustspiel Das bemooste Haupt, oder: Der lange Israel von Roderich Benedix. Illustration aus: Smets, Das Jahr 1848 (wie Anm. 30), Bd. 2, Wien 1872, 41
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Am Schlusse des Concerts setzte sich Herr Thalberg, durch anhaltenden Beifall aufgefordert, nochmahls an’s Piano und begann mit der Volks-Hymne, der ohne Zweifel die brillanten Variationen folgen sollten. Aber schon während der ersten Tacte hörte man verdächtiges Pfeifen und Miaunen [!] von der Straße her, – Thalberg ahnte Unheil und schloß mit dem Thema, ohne Variationen. Und in der That, gerieth man aus dem Concert-Saal unmittelbar in ein anderes, sehr kräftiges Concert, welches, in der Eigenschaft eines Ständchens [gemeint Katzenmusik, Anm. d. Verf.], der k. k. Polizei-Ober-Direction gebracht wurde. Das Publikum hierbei war noch viel, viel zahlreicher als in Thalbergs Concert, schien aber nicht so beifallslustig und zufrieden, – es pfiff bedeutend.
Revolutionsmusik bot im Unterschied zu Thalberg gleich am nächsten Tag die ebenfalls im Musikvereinssaal stattfindende musikalisch-deklamatorische Akademie, veranstaltet von den beiden Studenten Alois Czedik (1830–1924) und Karl Pfeifer zur Uniformierung von Studierenden der Akademischen Legion.56 Baron von Klesheim beteiligte sich mit zwei tagesaktuellen Mundartgedichten: Die G’wissen von der G’hamen spielt auf das vormärzliche Spitzel- und Zensorenunwesen an, Die Brüader von Ligor auf den bei den Wienern verhassten und vier Wochen zuvor vertriebenen Liguorianerorden.57 Zielen schon diese Gedichte im Unterschied zu den meist im heroisch-pathetischen Tonfall gehaltenen Texten der Revolutionslieder mehr auf die Lachmuskeln des Publikums, so zeigt sein weiteres, in „gemüthstriefende[r] Manier“58 geschriebenes Gedicht Der Jager und sei Muatterl (mit melodramatischer Begleitung für Horn und Harfe von Ignaz Lachner, 1807–1895), dass die einzelnen Nummern einer solchen Akademie ausschließlich der Zweck einte. Thalberg war ebenso vertreten: Er spielte seine Fantasien zur Stummen von Portici und zu Rossinis Moses in Ägypten und wurde entsprechend dafür gerügt, stets seine bereits sattsam bekannten Opernfantasien vorzutragen.59 Die Fülle von Wohltätigkeitskonzerten, aber auch der Verlauf der Revolution führten regelmäßig zu Absagen, Verschiebungen oder Programmänderungen. Davon waren in erster Linie Veranstaltungen zugunsten der Akademischen Legion betroffen.
56 Alois (Aloys) Czedik von Bründelsberg war Hauptmann, Pfeifer Mitglied des Philosophenkorps der Akademischen Legion. – An Revolutionsliedern gelangten zur Aufführung: Das waren die braven Stu denten (T: Buchheim, M: Suppè), Der Wiener Student (T: Cerri, M: Hellmesberger jun.), Freiheitslied (T und M: Pfeifer) sowie Was ich jetzt sein möchte! (T: Castelli, M: Suppè). 57 Die Gedichte bei Helfert, Der Wiener Parnaß (wie Anm. 14), 172 f. 58 Wiener Zeitschrift für Recht, Wahrheit, Fortschritt, Kunst, Literatur, Theater, Mode und geselliges Leben, Nr. 93, 6. Mai 1848, 370 f., 371. 59 Wiener allgemeine Musik-Zeitung, Nr. 56, 9. Mai 1848, 223 f., 224.
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Abb. 4: Arbeiter und Akademischer Legionär. Erinnerungsblatt an die revolutionären Barrikadentage in Wien (Beilage zur Theaterzeitung: Erinnerung an den 26., 27. und 28. Mai 1848). Kolorierte Radierung von Andreas Geiger nach einer Zeichnung von Josef Cajetan. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv und Grafiksammlung, Pk 3001, 1311 Foto: © ÖNB Wien
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Die Studenten, die gefeierten ‚Helden‘ der Märzrevolution, verschärften im Verein mit der Nationalgarde die Gangart. Nachdem deren Politisches Zentralkomitee aufgelöst worden war, kam es am 15. Mai zu einem Massenaufmarsch von Nationalgarde, Akademischer Legion und Arbeitern vor der Hofburg. In der sog. Sturmpetition wurden demokratische Forderungen gestellt (u. a. nach Aufhebung der ungenügenden, erst im April erlassenen Pillersdorf ’schen Verfassung und Bildung eines konstituierenden Reichstages, des ersten österreichischen Parlaments!) und auch bewilligt. Erzherzogin Sophie (1805–1872) veranlasste daraufhin die Flucht der kaiserlichen Familie nach Innsbruck. Wien war also ohne Kaiser, ein Umstand, der zahlreiche Gedichte und Lieder mit der Bitte um Rückkehr veranlasste.60 Am 26. Mai brachen wieder Barrikadenkämpfe aus, verursacht durch die geplante Auflösung der Akademischen Legion (Abb. 4). Auch darauf nahmen verschiedene Gedichte Bezug. So verfasste Adolf Buchheim (1828–1900) eine Barrikaden-Hymne für’s Volk, zu singen auf das Gott erhalte („Gott beschütz’ die Barrikaden / Uns zum Schutze und zur Wehr! / Denn auf schwacher Menschen Gnaden, / Trauen wir nun nimmermehr. – –“). Die Märzbegeisterten begannen sich in zwei Lager zu spalten: Die einen gaben sich mit dem bisher Erreichten (u. a. Pressefreiheit) zufrieden und sorgten sich zunehmend um die öffentliche Ruhe und ihren Besitz, die anderen kämpften weiter, um ihre demokratischen, aber auch sozialen Forderungen durchzusetzen. Zu den Barrikadenkämpfern zählte der Hofopernsänger Carl Formes (1815– 1889). Seine zunächst für den 14., dann für den 28. Mai61 im Theater an der Wien angekündigte musikalisch-deklamatorische Akademie zur Unterstützung unbemittelter Studenten konnte aufgrund der Ereignisse, an denen Formes führend beteiligt war, nicht mehr stattfinden. Er soll dabei „im Anzuge der academischen Legion, mit Bändern bunt geschmückt und zwei Pistolen im Gürtel, die Straßen der Stadt als Held durchstreift“ haben.62 Anfang Juni gab er noch die radikale BarrikadenZeitung heraus,63 musste aber Wien bald verlassen und begab sich zunächst nach Leipzig, wo er am 19. August im Gewandhaussaal ein Konzert für hilfsbedürftige Akademiker in Wien gab, wobei „die bedeutendsten musikalischen Notabilitäten mitwirkten.“64 60 Beispiele bei Helfert, Der Wiener Parnaß (wie Anm. 14), 203 ff. 61 Siehe Notiz in der Wiener allgemeinen Musik-Zeitung, Nr. 56, 9. Mai 1848, 234 und Nr. 60, 18. Mai 1848, 239 f. 62 Der Ungar [Pest], Nr. 144, 20. Juni 1848, 1150. Vgl. auch Allgemeine musikalische Zeitung, Nr. 29, 19. Juli 1848, 480. 63 Siehe Der Ungar [Pest], Nr. 144, 20. Juni 1848, 1150; Johann Alexander von Helfert, Die Wiener Journalistik im Jahre 1848, Wien 1877 (Nachdruck Hildesheim 1977), 80. 64 Sonntagsblätter, 27. August 1848, 642.
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Summa summarum erwiesen sich diese das Musikleben so dominierenden Wohltätigkeitsveranstaltungen zwar als von Enthusiasmus (gepaart mit Geschäftssinn) getragen; einer von den Fesseln der Zensur befreiten Musikkritik, die in ihrer euphorischutopischen Stimmung zumindest für die ‚Tonkunst‘ nachhaltige Verbesserungen erreichen wollte, wie sie in der Politik zunehmend unrealistisch wurden, galt indes das „bunte Allerlei von Musik und Recitation, von Ernst und Scherz, von Gesungenem, Geblasenem, Gesprochenem etc. etc.“65 als ungeeignet, die musikalischen Zustände nachhaltig zu verbessern. Ihre Hoffnungen richteten sich vielmehr auf die etablierten Konzertreihen.
3. Musikleben trotz R evolution: der übr ige Konzertbetr ieb zw ischen Tr adition, Behinderung und Neubeginn Nicht nur Wohltätigkeitskonzerte waren von mangelnden Besucherzahlen und Absagen aufgrund aktueller Ereignisse betroffen, sondern auch eingeführte Veranstaltungsreihen wie die 1842 gegründeten philharmonischen Konzerte, die seit 1815 abgehaltenen Konzerte der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien und die seit 1819 bestehenden Concerts spirituels, ebenso die Veranstaltungen von Musikern bzw. Virtuosen auf eigenes Risiko. Das einzige philharmonische Konzert im Jahre 1848 fand just am 12. März, dem Vorabend des Revolutionsausbruchs, im großen Redoutensaal statt, als es bereits deutlich gärte und das Publikum nicht mehr genügend Muße für einen Konzertbesuch fand: „Schön war es, aber auch schön leer. Die Welt hört jetzt auf ganz andere Harmonien und Disharmonien, als auf die Philharmonie.“66 Die mangelnde Teilnahme wurde aber auch mit der Entwicklung dieser Konzerte selbst in Verbindung gebracht, die unter Georg Hellmesberger sen. (1800–1873) nicht an die frappanten Leistungen eines Otto Nicolai (1810–1849) anzuknüpfen vermochten, vielmehr programmatisch67 – durch Aufnahme von Opern entnommenen ‚Ausfüllnummern‘ – 65 [Eduard] H.[anslick], „M. G. Saphir’s musikalisch-declamatorische Akademie und humoristische Vorlesung am 6. Februar 1848 Mittags im Kärntnertortheater“, in: Wiener-Zeitung, Nr. 42, 11. Februar 1848, 1 f., wieder veröffentlicht in: Ders., Sämtliche Schriften (wie Anm. 11), 144–146, 144. 66 Der Humorist, Nr. 63, 14. März 1848, 250. Siehe auch Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode, Nr. 53, 14. März 1848, 211. 67 Gespielt wurden Mendelssohns 3. Symphonie, das Scherzo aus seinem Sommernachtstraum sowie Beethovens dritte Leonoren-Ouvertüre. Dazwischen erklang eine Arie aus Méhuls Oper Joseph und seine Brüder sowie ein Terzett aus Mozarts Idomeneo. Siehe Wiener allgemeine Musik-Zeitung, Nr. 32, 14. März 1848, 126 sowie Clemens Hellsberg, Demokratie der Könige. Die Geschichte der Wiener Philharmoniker, Wien/Mainz 1992, 91.
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einen Rückfall in den älteren ‚Akademietyp‘ darstellten. Die Saison 1848/49 brachte dann überhaupt kein philharmonisches Konzert mehr, die Reihe wurde erst wieder in der Saison 1849/50 fortgesetzt. Mehrfach verschoben werden musste das zweite Concert spirituel der Konzertsaison 1847/48, bevor es am 30. März im Musikvereinssaal unter der Leitung Eduard von Lannoys (1787–1853), dem – neben Carl Holz (1799–1858) und Ludwig Titze (1798–1850) – langjährigen Dirigenten dieser Konzertreihe, stattfinden konnte. Den Höhepunkt bildete Beethovens Egmont-Ouvertüre, die, passend zur Zeit, als „Apotheose der Freiheit“68 verstanden und tituliert, zweimal gespielt werden musste. An der weiters gegebenen 3. Symphonie von Josef Netzer (1808–1864) beklagt Hanslick einen altmodischen Kompositionsstil: „[...] dieser bequeme Comfort in Freud und Leid, diese Rosalien und Sequenzen, diese Mozartischen Schlüsse und Cadenzen gehören einem Standpuncte an, welchem unsere Zeit fern ist und immer ferner rückt.“69 Die Forderung vonseiten der Musikkritik, in Konzerten eine dem Ernst der Zeit entsprechende ‚würdige‘ Musik aufzuführen und dadurch letztlich nicht allein die Qualität der Programme zu heben, sondern auch an einer Kanonisierung von Werken mitzuarbeiten, wird hier ebenso deutlich wie in einer weiteren Besprechung, die bemängelt, dass nur die beiden ersten Sätze der Symphonie gespielt worden seien und damit dieser Gattung nicht Genüge getan worden wäre.70 Hinter dieser Entscheidung stand allerdings die Absicht, verschiedene unbekannte Werke zeitgenössischer Komponisten aufzuführen. Zu diesem Zweck hatten die Concerts spirituels – nach einem ähnlichen Aufruf bereits im Jahre 1835 – eine mit 22. März 1847 datierte Ausschreibung vorgenommen, mit der „Aufforderung an die Herren Componisten“, Orchester- und Chorwerke einzusenden.71 Um mehreren Komponisten Gelegenheit zur Aufführung zu geben, verfiel man auf die Idee, von Symphonien nur einzelne Sätze zu spielen,72 und wählte damit just eine als bereits überholt betrachtete Praxis. 68 Der Humorist, Nr. 79, 1. April 1848, 316 f., 316. 69 Ed.[uard] H.[anslick], „Concerte“, in: Wiener-Zeitung, Nr. 97, 6. April 1848, 459, wieder veröffentlicht in: Ders., Sämtliche Schriften (wie Anm. 11), 158–161, 160. 70 Wiener allgemeine Musik-Zeitung, Nr. 40, 1. April 1848, 157 f. 71 Sie wurde u. a. veröffentlicht in: Wiener allgemeine Musik-Zeitung, Nr. 38, 30. März 1847, 156 und Allge meine musikalische Zeitung, Nr. 15, 14. April 1847, 252 f. Zu den ausgewählten Komponisten siehe Wiener allgemeine Musik-Zeitung, Nr. 155, 28. Dezember 1847, 624. Zu beiden Ausschreibungen siehe Martha Handlos, „Die Wiener Concerts spirituels“, in: Elisabeth Theresia Hilscher (Hg.), Österreichische Musik – Musik in Österreich. Beiträge zur Musikgeschichte Mitteleuropas. Theophil Antonicek zum 60. Ge burtstag (Wiener Veröffentlichungen zur Musikwissenschaft 34), Tutzing 1998, 283–319, 310 ff. 72 So erklangen im ersten Konzert am 9. März zwei Sätze einer Symphonie von Thomas Täglichsbeck (1799–1867) sowie eine Ouvertüre von Theodor Berthold (1815–1882). Siehe Wiener allgemeine Musik-Zeitung, Nr. 31, 11. März 1848, 121 f., 121.
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In diesem Sinne äußerte sich auch Gustav Nottebohm (1817–1882) in einem Brief an Robert Schumann (1810–1856).73 Das dritte und vierte Concert spirituel brachten dann nicht nur ältere und neuere Konzertmusik, sondern setzten auch auf die Zugkraft aktueller Revolutionsmusik. Lannoy steuerte zum dritten Konzert am 6. April mit seinem martialischen Kriegslied für die Österreichische Nationalgarde auf eigenen Text ein Werk bei, das ihn zum „wackeren Veteranen, nicht nur der Tonkunst, sondern auch des Patriotismus“74 machte (Notenbeispiel 3). Mit Trommeln und Pauken wurde zum Text „Auf! Garden, auf! Die Trommel wird gerührt“ nicht gespart; das Stück war wohl besser für eine Aufführung im Freien als im Musikvereinssaal geeignet.75 Der Schluss musste wiederholt werden.76 Getreu der Devise der Concerts spirituels, auch Rara bekannter Komponisten zu bringen, wurden außerdem die Wiener Erstaufführung von Mozarts ‚kleiner‘ g-Moll-Symphonie KV 183 sowie der Schlusschor aus Beethovens Kantate Der glor reiche Augenblick gebracht. Letzteres entbehrte nicht einer gewissen Pikanterie, hatte Beethoven doch das Werk 1814 im Zusammenhang mit dem Wiener Kongress geschaffen, dessen um absolutistische Neuordnung Europas nach den Napoleonischen Kriegen bemühte monarchische Teilnehmer auch der Uraufführung am 29. November beigewohnt hatten. Nun durfte das Werk, wohl des „anspielenden Titels“77 wegen, die Revolution feiern. Auch im vierten und letzten Konzert am 13. April, wiederum unter Lannoys Leitung – danach wurden die Concerts spirituels als Veranstaltungsreihe eingestellt –, dominierten Mozart und Beethoven, dieser wieder mit einer Wiener Erstaufführung (C-Dur-Symphonie KV 338), jener mit der Ouvertüre Zur Namensfeier op. 115, dem Türkischen Marsch und dem Chor der Derwische aus den Ruinen von Athen op. 113 sowie der c-Moll-Symphonie op. 67. Während die Kritik überwiegend auch die selten
73 Siehe Renate Federhofer-Königs, „Das Wiener Musikleben der Jahre 1846–1848 in der Korrespondenz Gustav Nottebohm – Robert Schumann“, in: Studien zur Musikwissenschaft 37 (1986), 47–101, 72. 74 Wiener allgemeine Musik-Zeitung, Nr. 43, 8. April 1848, 170. 75 Siehe auch Allgemeiner Musikalischer Anzeiger (Zweiter Cyclus), Nr. 15, 13. April 1848, 63 f., 64. Zur Fassung für Klavier siehe Partsch, „Zum Wiener Repertoire 1848“ (wie Anm. 4), 421. 76 Wiener allgemeine Musik-Zeitung, Nr. 43, 8. April 1848, 170. Von den aus der Ausschreibung von 1847 hervorgegangenen prämierten Werken erklangen bei diesem Konzert der erste Satz der c-MollSymphonie eines Wiener Komponisten namens Alois Schmuck sowie eine Ouvertüre zu Chamissos Peter Schlemihl von Johannes Hager (Pseudonym für den komponierenden Beamten Johann Nepomuk Freiherr Hasslinger von Hassingen, 1822–1898). Auf dem Programm stand des Weiteren die ChorOrchester-Fuge Tremendum aus einer Litanei von Michael Haydn. 77 Hanslick, Geschichte des Concertwesens (wie Anm. 49), 377.
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NB 3: Eduard von Lannoy, Kriegslied für die Österreichische Nationalgarde. Wien: Tobias Haslinger (Witwe & Sohn), 1848, 3 (Fassung für Klavier und Chor). Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Musiksammlung, M.S. 26.609 Foto: © ÖNB Wien
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bis kaum bekannten Werke als meisterhaft, da von Meistern komponiert,78 beurteilte, zeigt sich bei Hanslick wesentlich stärker die Tendenz, Werke der Klassiker nicht von vorneherein hoch einzuschätzen, sondern sie durchaus ästhetisch differenziert zu betrachten. Entsprechend rügt er das Adagio in Mozarts Werk als „zu spiegelglatt und tonselig […], wie das Adagio überhaupt in der vorbeethovischen InstrumentalMusik, der am wenigsten befriedigende Theil“ sei.79 Über Beethovens Ouvertüre urteilt er, dass „kein Beethoven nothwendig war, um sie zu machen.“80 Von dem Vorsatz, ein prämiertes zeitgenössisches Werk aufzuführen, nahm man in diesem Konzert Abstand, möglicherweise deshalb, um einem weit aktuelleren Werk Platz zu machen, nämlich Alfred Julius Bechers (1803–1848) Trauermarsch und Chor „Ueber den Gräbern der am 13. März Gefallenen“ auf einen Text von Siegfried Kapper (Notenbeispiele 4a/b). Während sich die Kritiker darin einig waren, dem Marsch gegenüber dem Chor den Vorzug zu geben, fiel die Gesamtbeurteilung unterschiedlich aus. Ein Rezensent bemängelte beim Marsch „die zu oftmalige Wiederholung eines Motives, das Ausspinnen desselben ins Unendliche“81 – ein Vorwurf, der Becher regelmäßig gemacht wurde82 –, beim Chor ein zum Selbstzweck tendierendes „[E]ffektuiren“, besonders in harmonischer Hinsicht:83 Namentlich unsanft berührten uns die grellen Dissonanzen gegen den Schluß des Chores, und ganz verunglückt scheint uns die Einführung des ewig-schönen Kaiserliedes – in jener Verunstaltung, in jener schneidend-herben Weise, wie es uns hier geboten wurde. Diese gekünstelte Harmonisirung entstellte die einfache, herzliche Melodie geradezu auf eine widerliche Art.
Einig mit dem Rezensenten war sich wohl jener Musiker, der unterhalb der ersten Violinstimme notierte: „Lerne alter Haydn, das unentdeckte Reich des neuen Harmonieprofessors“84, zudem über der verdeckten Quintparallele der geteilten Vio78 Siehe etwa Wiener allgemeine Musik-Zeitung, Nr. 46, 15. April 1848, 182. 79 Ed.[uard] H.[anslick], „Musik. Viertes Concert spirituel“, in: Wiener-Zeitung, Nr. 111, 20. April 1848, 529, wieder veröffentlicht in: Ders., Sämtliche Schriften (wie Anm. 11), 162–164, 162 f. 80 Ebda., 163. 81 Wiener allgemeine Musik-Zeitung, Nr. 46, 15. April 1848, 182. 82 Siehe dazu mit Blick auf Bechers Streichquartett A-Dur und Symphoniefragment d-Moll Gernot Gruber, „Revolutionen der Kunst und der Politik: ein Widerspruch? Zu Alfred Julius Bechers Streichquartett in A-Dur“, in: Boisits (Hg.), Musik und Revolution (wie Anm. 1), 457–481 bzw. Dominik Šedivý, „Alfred Julius Bechers Sinfoniefragment in d-Moll“, in: Dass., 483–507. 83 Wiener allgemeine Musik-Zeitung, Nr. 46, 15. April 1848, 182. 84 Becher hatte 1837 einen Ruf als Professor der Musiktheorie und Ästhetik in Den Haag und 1840 in London erhalten, bevor er nach Wien ging. 1847 hatte er sich – vergeblich – um die kurzfristig vakant gewordene Stelle als Direktor und Professor für Harmonielehre und Kontrapunkt am Konservatorium
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NB 4a/b: Alfred Julius Becher, Trauermarsch und Chor „Ueber den Gräbern der am 13. März Gefallenen“. Wienbibliothek im Rathaus, MH-9440, 1. Violinstimme. (a) Zitat der Volkshymne im Chor mit zeitgenössischen Anmerkungen; (b) Quintenparallelen (3. und 4. Zeile) im Trauermarsch Fotos: © Wienbibliothek im Rathaus
line mit dem chromatischen Schritt ais – a (so in den meisten Stimmen) ein „merkwürdig“ setzte (Notenbeispiel 4a). Gerade in der in seinen Augen „geistreichen und charakteristisch commentirenden Harmonisirung des Volksliedes“85 sah Hanslick dagegen ein probates Mittel musikader Gesellschaft der Musikfreunde beworben. Siehe C.[arl] F.[erdinand] Pohl, Die Gesellschaft der Musikfreunde des österreichischen Kaiserstaates und ihr Conservatorium, Wien 1871, 52. 85 Hanslick, „Viertes Concert spirituel“ (wie Anm. 79).
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lischer Semantisierung nach dem Schema per aspera ad astra. Die Volkshymne bildet nämlich, nach zaghaftem Beginn in fis-Moll, letztlich den jubelnden Abschluss zu Kappers Text: „Aus diesem Grab erscheinen / saht Ihr ein herrlich Licht! // Ein Licht, d’raus Völkerkreisen / Der schönste Tag erwacht.“86 Mit einem Aufbegehren gegen polizeistaatliche Methoden bringt Hanslick im Marsch einen besonderen Regelverstoß gegen die Harmonielehre in Verbindung (Notenbeispiel 4b), nämlich die parallele Fortschreitung von 5, sage fünf, reinen Quinten hintereinander. Diesen Pentateuch begrüßen wir mit Freudigkeit als eine ästhetische Demonstration gegen das Polizeiregiment, das in der Musik doch auch einmahl aufhören muß. Mit Unrecht wird dem Verboth der parallelen Quinten und Octaven noch immer eine unverjährbare Heiligkeit zugeschrieben; nur die ewigen Gesetze der Natur sind unantastbar. Ein solches ist aber das Quintenverboth nicht […].87
Becher sollte sich bald nicht mehr mit musikalischen Mitteln gegen die unerträglichen Verhältnisse begnügen, sondern als Vertreter der radikalen Aufständischen, denen eine konstitutionelle Monarchie mit Tendenz zur Republik vorschwebte, das politische Wort (in seiner Zeitschrift Der Radikale) ergreifen und in den letzten Tagen der Revolution sogar mit der Waffe in der Hand kämpfen. Als einer der Hauptakteure der Oktoberrevolution wurde er am 23. November 1848 wegen Hochverrats standrechtlich erschossen.88 Sein Schicksal löste unter Freunden und Bekannten,89 ja in der ganzen Kunstwelt größte Bestürzung aus. Revolutionsereignisse schränkten auch stark die Tätigkeit der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien ein. Im Falle der sonst üblichen vier Konzerte (zwei in der ersten Jahreshälfte, zwei im Dezember) fand 1848 nur ein einziges statt. Am 2. April (übrigens ein Tag beispielloser Veranstaltungsdichte, s. u.) wurde im großen Redoutensaal Franz Krenns (1816–1897) Oratorium Die vier letzten Dinge gegeben. Der Text stammt von Christoph Kuffner (1777–1846), einem Beamten, der im Nebenberuf auch als 86 Siegfried K apper, „Das Schmelzer Grab“, in: Ders., Befreite Lieder, Wien 1848, 68 f., 69. 87 Hanslick, „Viertes Concert spirituel“ (wie Anm. 79). 88 Hermann Ullrich, Alfred Julius Becher. Der Spielmann der Wiener Revolution (Studien zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts 40), Regensburg 1974, 135–190. 89 Zu Letzteren zählte auch Hanslick, der von Becher in den letzten Tagen der bereits vollkommen aussichtslosen Revolution noch aufgefordert worden war, mitzukämpfen. Siehe Eduard Hanslick, Aus meinem Leben. Mit einem Nachwort herausgegeben von Peter Wapnewski, Kassel/Basel 1987, 93.
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Zensor tätig gewesen war und den Text noch für Haydn geschrieben hatte, welcher allerdings nicht mehr dazugekommen war, ihn zu vertonen. Haydn soll über den „Chor der reuigen Sünder“ zu Tränen gerührt gewesen sein.90 Jahrzehnte später hätte die Thematik kaum ungünstiger sein können. Wie sehr die Gedanken von aktuellen politischen Ereignissen in Anspruch genommen waren und wie groß das Bedürfnis war, durch eigene Teilnahme an Kundgebungen dem Wunsch nach Veränderung Ausdruck zu verleihen, schildert nachdrücklich ein Rezensent:91 Auf dem Josephsplatze war eine große Volksmenge versammelt, ein Mann mit einer mächtigen schwarz-roth-goldenen Deutschlandsfahne hatte auf dem Piedestal der Josephstatue Posto gefaßt, so eben begannen die Studenten Arndts: „Was ist des Deutschen Vaterland“ zu singen, über Alles dieses leuchtete die Frühlingssonne, […] und wir mußten ins Konzert gehen!
In einer nationalpolitisch wie auch kirchenkritisch derart aufgeladenen Stimmung im angrenzenden Redoutensaal ein Oratorium religiösen Inhalts zu hören, empfanden wohl etliche der ohnehin nicht zahlreichen Zuhörer als Zumutung. Und so wurde auch Kritik an der Gesellschaft laut, ein solches Werk überhaupt auszuwählen:92 Warum wählte der Verein nichts Zeitgemäßes? Warum veranstaltete er nicht ein gemischtes Konzert, aus Nummern bestehend, die doch irgendwie an die großen Ereignisse anknüpfen, von denen jetzt das Vaterland fieberhaft durchbebt wird? […] Von welchem Pater Liguorianer oder Jesuiten mag weil[and] Christ. Kuffner, dieser große Vielschreiber, der Alles, nur kein Dichter war, von welchem mag er den Plan zu seinen schauerlichen vier letzten Dingen entnommen haben? Doch ein Jesuite wäre für ein so plumpes Machwerk denn doch zu fein organisirt, ein Liguorianer predigt lieber selbst über dergleichen gewissen erschreckende Gegenstände, oder schiebt dem lieben Beichtkinde ein Traktätchen darüber in die Hände […].
Die Abneigung gegen den Jesuiten- sowie den Liguorianer- oder Redemptoristenorden als Vertreter katholischer Restauration war besonders groß. Am 5. April, drei Tage nach dem Konzert, wurde den Liguorianern wie so vielen anderen ungeliebten Personen und Institutionen in diesen Tagen eine Katzenmusik dargebracht, worauf 90 Carl Ferdinand Pohl/Hugo Botstiber, Joseph Haydn, Bd. 3, Leipzig 1927, 127. Kuffners Text wurde im Jahre 1810 erstmals von Joseph Eybler (1765–1846) vertont. 91 Wiener Zeitschrift für Recht, Wahrheit, Fortschritt, Kunst, Literatur, Theater, Mode und geselliges Leben, Nr. 70, 6. April 1848, 279. 92 Wiener allgemeine Musik-Zeitung, Nr. 41, 4. April 1848, 162 [Hervorhebung im Original gesperrt].
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Abb. 5: Katzenmusik vor dem Kloster der Liguorianer in der Salvatorgasse (1848). Lithographie, bezeichnet „R. v. B.“ Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv und Grafiksammlung, Pk 3001, 129 Foto: © ÖNB Wien
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sie unter großer Begeisterung der Bevölkerung ihr Kloster in Maria am Gestade räumten (Abb. 5). Der allgemeine Sinn stand jetzt nicht nach religiösen Belehrungen im Predigerton unter Androhung eines göttlichen Strafgerichts. Dies galt auch für diesen „pfäffischen Text [des Oratoriums, Anm. d. Verf.], in dem ein langes Stück Tod mit einem fürchterlichen Stück jüngstes Gericht, und ein gräßliches Stück Hölle mit einem höchst bescheidenen Stück Himmel abwechselt“.93 Immer weniger Anhänger fand auch die alte Musikvereinsidee des öffentlichen Selbstmusizierens der Gesellschaftsmitglieder, wie sich auch bei dieser Gelegenheit zeigte. Man verlangte professionelle Ausführung (nicht nur des Solistenquartetts) oder doch eine wesentlich bessere Vorbereitung: „Sollte es denn nicht möglich sein, so viele Proben zu halten, als nöthig sind, um […] wenigstens Fehlerfreies zu leisten?“94 So stürzte das Revolutionsjahr die Gesellschaft der Musikfreunde gleich in mehrfacher Hinsicht in eine tiefe Krise. Eine Reihe von Mitgliedern trat aus, und die Einnahmen aus der Vermietung des Musikvereinssaales gingen stark zurück.95 Wegen unzureichender Finanzmittel blieb das Konservatorium bis 1851 geschlossen,96 daher fanden auch keine Zöglings-Konzerte statt. Einen Einbruch gab es ebenso bei den Virtuosen-Konzerten. Aufgrund der unsicheren Lage nahmen weniger auswärtige Virtuosen als sonst das Risiko auf sich, auf eigene Rechnung ein Konzert zu veranstalten. Von den berühmteren sind nur die schon genannten Pianisten Thalberg und Litolff zu nennen, die ihre Konzerte in den Dienst der Revolution stellten (s. o.). Der 2. April brachte die Besonderheit zweier von Musikerinnen gegebener Konzerte. Der Tag zeichnete sich überhaupt durch eine besondere Dichte an Konzerten aus und macht die Dauerkritik jener Zeit begreiflich, wonach die Wiener sich viel zu viel mit Musik und Theater und zu wenig mit Politik beschäftigten. Wilhelm Tell aufgreifend, stellte Eduard Hanslick daher einem Konzertbericht aus dieser Zeit das Motto voran: „Ras’t dieses Volk, daß es dazu noch Musik macht?“97
93 Ebda. 94 Ebda. 95 Die Gesellschaft spürte das im Vergleich zu früheren Jahren deutlich zurückgegangene Konzertaufkommen. Der Saal wurde zwar regelmäßig von der Nationalgarde, dem Arbeiterkomitee und politischen Vereinen angemietet, allerdings zu deutlich niedrigeren Preisen. Siehe Richard von Perger, Geschichte der k. k. Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, 1. Abteilung: 1812–1870, Wien 1912, 53. 96 Pohl, Gesellschaft der Musikfreunde (wie Anm. 84), 24 ff. 97 H.[anslick], „Concerte“ (wie Anm. 69), 158. Die Stelle im Wilhelm Tell lautet: „Rast dieses Volk, daß es dem Mord Musik macht?“ (Vierter Aufzug, dritte Szene).
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Den Beginn machte um 12 Uhr 30 die Komponistin Nina Stollewerk, die im Salon des Klavierfabrikanten Johann Michael Schweighofer (1806–1852) ein Konzert gab. Um 13 Uhr begann das schon genannte Gesellschaftskonzert im großen Redoutensaal. Um 16 Uhr folgte im Musikvereinssaal ein Konzert der Pianistin Emilie Stiller, für das Studenten freien Eintritt hatten.98 Ursprünglich sollte auch noch eine Akademie von Klesheim im Theater in der Josefstadt stattfinden, die aber auf den 6. April verschoben werden musste (s. o.). Im Hofburgtheater wurde Friedrich Halms (1806–1871) Verboth und Liebe gegeben, das Kärntnertortheater war wegen der Aufregungen um die italienische Oper geschlossen (s. u.). Überstrahlt wurde der Tag aber durch ein anderes, bereits erwähntes Ereignis: Studenten hatten in der Nacht zuvor am Hauptturm des Stephansdoms eine schwarz-rotgoldene Fahne gehisst. Um die Mittagszeit versammelte sich hier eine große Volksmenge, die begeistert in das vom Wiener Männergesang-Verein vorgetragene Lied Was ist des Deutschen Vaterland einfiel. Die Prozession bewegte sich dann weiter zum Josephsplatz, wo der Kaiser auf dem Balkon der Hofbibliothek die Hand auf die dort ebenfalls gehisste deutsche Fahne legte. Dazu erklangen erneut das Lied von Arndt und Reichardt sowie die Kaiserhymne. Es war genau diese Stimmung, in der dem Rezensenten des Gesellschaftskonzerts die Konzentration auf Krenns Oratorium so schwerfiel (s. o.).
4. A ngeheizt durch die R evolution: die Diskussion um die deutsche und italienische Oper Aufgrund des Ausbruchs der Revolution musste das k. k. Hof-Operntheater (Kärntnertortheater) vom 13. bis 17. März geschlossen bleiben. Für den 18. März war Mar tha von Friedrich von Flotow (1812–1883) angesetzt. Die Vorstellung gestaltete sich zur pro-revolutionären, patriotischen Demonstration: Die Sänger Carl Formes und Joseph Erl (1811–1874) trugen die als Farbe der Nationalgarde bekannten weißen Bänder am Hut. Formes fügte seinem Trinklied eine auf die Revolution Bezug nehmende Strophe ein. Kammersängerin Anna Zerr (1822–1881) sang statt der vorgesehenen irischen Volksmelodie die Volkshymne, in die das Publikum begeistert einstimmte.99 Auch Zerr sollte noch das letztendliche Scheitern der Revolution zu spüren bekommen: Sie musste 1851 ihr erst im März 1848 ausgestelltes Dekret zur 98 Siehe Wiener allgemeine Musik-Zeitung, Nr. 41, 4. April 1848, 163. 99 Wiener allgemeine Musik-Zeitung, Nr. 35, 21. März 1848, 139. Siehe auch Michael Jahn, Die Wie ner Hofoper von 1836 bis 1848: die Ära Balochino/Merelli (Veröffentlichungen des RISM-Österreich, Reihe B, Bd. 1), Wien 2004, 310.
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Ernennung als Kammersängerin zurückgeben, da sie in London an einem Konzert zugunsten von Revolutionsflüchtlingen teilnehmen wollte, das sie allerdings wegen Indisposition absagen musste.100 Martha sollte es in diesem Jahr zu 35 Aufführungen bringen.101 Doch zunächst stand – wie jedes Jahr – die italienische Stagione ab dem 1. April vor der Tür. Der Zeitpunkt hätte nicht ungünstiger sein können. Aufgrund der Ereignisse erhielt die Diskussion um ‚deutsche‘ Kunst und Politik neuen Auftrieb:102 Noch niemals ist uns der Abschied von der deutschen Kunst und von deutschen Künstlern so schwer geworden, als jetzt, jetzt, wo man alles Deutsche und Heimische […] krampfhaft umfangen und festhalten muß, jetzt, wo wir in der großen und festen Harmonie der Tonkunst ein Symbol mehr von der deutschen Einheit finden können, jetzt berührt uns das einstweilige Schweigen eines großen deutschen Gesangs-Instituts wehmüthiger denn sonst.
Zugleich erreichte die Kritik an der italienischen Oper einen gefährlichen Höhepunkt, wobei sie sich auf seit Jahren bestehende Interpretationsmuster beziehen konnte. Denn um in Wien – und nicht nur hier – diskreditiert zu werden, bedurfte die italienische Oper nicht erst der Revolution von 1848. Der Deutungsrahmen, in den sie eingespannt war (mit gleichermaßen inner- wie außermusikalischen Kriterien), stand längst fest. Er bildete nur einen Teil eines bürgerlichen Diskurses, in dem der Kampf um (national)politische Emanzipation mit jenem um eine ihr adäquate, ‚würdige‘ Kunst verbunden wurde. Als typisches Beispiel einer vormärzlichen Abrechnung mit der italienischen Oper sei Alfred Julius Bechers Rezension der Erstaufführung von Verdis Nabucco (als Na bucodonosor) am 4. April 1843 im Kärntnertortheater genannt:103 Zu den gewöhnlichen Fehlern der modernen italienischen Schule, als da sind Karakterlosigkeit der Motive, Monotonie des Rhithmus, Armuth der Harmonie, Ungeschiktheit der Begleitung, Sinnwidrigkeit der Deklamazion, gedankenlose Stereotipie der Formen u. s. w. 100 Siehe Michael Jahn, Die Wiener Hofoper von 1848 bis 1870. Personal – Aufführungen – Spielplan (Publikationen des Instituts für österreichische Musikdokumentation 27), Tutzing 2002, 78. 101 Siehe die Spielpläne bei Jahn, Hofoper von 1836 bis 1848 (wie Anm. 99), 434–436 sowie Jahn, Hof oper von 1848 bis 1870 (wie Anm. 100), 461–468. 102 Der Humorist, Nr. 80, 3. April 1848, 323. Siehe dazu auch Ursula Dauth, Verdis Opern im Spiegel der Wiener Presse von 1843 bis 1859. Ein Beitrag zur Rezeptionsgeschichte (Beiträge zur Musikforschung 10), München/Salzburg 1981, 116. 103 Beilage zu den Sonntagsblättern, Nr. 15, 9. April 1843, 358 f., 358 [originale Orthographie]. Verdi wird von Becher noch als Komponist bezeichnet, der „hier bisher gänzlich unbekannt war“. Siehe dazu auch Dauth, Verdis Opern im Spiegel der Wiener Presse (wie Anm. 102), 27.
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u. s. w., die sich hier sämmtlich in fast beispielloser Monstrosität angehäuft finden, gesellt sich in dieser Oper auch noch der totale Mangel des sonstigen einzigen Vorzugs der Gattung, nämlich eines fließenden, gefälligen Gesangs! In der That mit einer solchen Dürftigkeit an Melodien, und wo einmal eine auftaucht, für die man dem Kompositeur nicht eine actio furti [Klage wegen Diebstahls, Anm. d. Verf.] anhängen könnte, mit einer solchen Plattheit der Erfindung dürfte sich kein Deutscher vor ein Publikum wagen, ohne die gerechteste Entrüstung zu erregen; aber die italienischen Opern schützt das Vorurtheil, als gehörten nun einmal gute Opern gleich den Südfrüchten, zu den Landesprodukten […].
Diese Beschreibung wird noch fünf Jahre später von Joseph Plank anlässlich der ersten Aufführung von Nabucco in deutscher Sprache am 30. Jänner 1848 ausgiebig zitiert, ein Indiz nicht nur für die geringere Begabung und Originalität Planks als Musikkritiker, sondern auch für die allgemeine Akzeptanz von Bechers Urteil.104 Auch Hanslick übergeht eine genauere Besprechung, da die „Oper von den Italienischen Vorstellungen her bekannt, und die Kritik über den Werth der Musik, und ihre Zweckmäßigkeit zu Wachtparaden vollkommen im Reinen“ sei.105 Durch die revolutionären Ereignisse wurden solche bereits existierenden Argumentationslinien der Kritik an der italienischen Oper erneut aufgegriffen und dabei anlasskonform zugespitzt. Der unmittelbarste Angriff auf die italienische Oper fand zweieinhalb Wochen nach Ausbruch der Revolution statt. Die für den 1. April angekündigte dreimonatige italienische Stagione an der Hofoper – sie löste jedes Jahr die ‚deutsche‘ Saison ab – musste nach heftigen Protesten abgesagt werden. Angeheizt wurde die Stimmung durch die wenige Tage zuvor, am 26. März, erfolgte Kriegserklärung des piemontesischen Königs Carlo Alberto (1798–1849) an Österreich. Dieser hatte sich nach dem Mailänder Aufstand gegen die österreichische Fremdherrschaft während der sog. cinque giornate (18. bis 22. März 1848) auf die Seite der Aufständischen gestellt und Feldmarschall Radetzky (1766–1858) zunächst aus Mailand vertrieben. Erst mit dessen Sieg in der Schlacht bei Custozza am 25. Juli 1848 konnten die Aufstände in der Lombardei, zumindest für einige Jahre, unterbunden werden.106 Schon Tage vor dem geplanten Beginn der Stagione machten Plakate auf die erste Vorstellung, Verdis Ernani, aufmerksam. Die Ankündigungen wurden von einer auf104 J.[oseph] Plank, „Für Theater“, in: Wienerbote. Beilage zu den Sonntagsblättern, Nr. 5, 30. Jänner 1848, 63–66, 65. 105 Renatus [Eduard Hanslick], „Musik“, in: Wiener-Zeitung, Nr. 29, 29. Jänner 1848, 127, wieder abgedruckt in: Ders., Sämtliche Schriften (wie Anm. 11), 140–142, 142. 106 Helmut Rumpler, Österreichische Geschichte 1804–1914. Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie, Wien 1997, 289–292.
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gebrachten Menge, zu der auch der bereits erwähnte Hofopernsänger und Barrikadenkämpfer Carl Formes (s. o.) zählte, von den Wänden gerissen, und am 31. März rief ein Plakat zum Boykott der italienischen Aufführungen auf:107 Heute am 31. März 1848, wo das Herz eines jeden Oesterreichers seit sieben peinlichen Tagen der Ungewißheit mit banger Sorge erfüllt ist, um das Schicksal unserer Brüder, die im fernen Welschland für die Erhaltung der Monarchie bluten, liest man an den öffentlichen Anschlagbrettern der Hauptstadt […] die erste italienische Opern-Vorstellung für die nächsten Tage angekündigt. – Mit stumpfer Gleichgültigkeit für nationalen Sinn, nach alt hergebrachter Lust für Fremdes, sollen wir hier den Weisen lauschen, in welchen dort der Aufruhr schallt. Sterbend fluchen die Edelsten unter den Tönen, an denen zu erlustigen, man uns zumuthet. Wer diese Zumuthung rechtfertigen mag, der besuche das Hofoperntheater während des Zeitlaufes vom April bis Juni 1848.
Die Stagione musste daraufhin abgesagt werden. Carlo Balochino (1770–1851), der gemeinsam mit Bartolomeo Merelli (1794–1879) das Kärntnertortheater leitete, reichte am 13. April seinen Rücktritt ein. Das Haus verlor den Titel „Hof-Operntheater“ und wurde zum „privilegierten Operntheater“ zurückgestuft. Der Hof wollte mit seiner Verwaltung nichts mehr zu tun haben. Die Leitung übernahm daraufhin ein aus dem Ensemble gebildetes Komitee. Demonstrativ blieb der Adel bei der Wiedereröffnung der vom Hof degradierten Oper am 29. April (gespielt wurde die Zauberflöte) fern. „Will denn unsere Adels- und Geldaristokratie für die deutsche Kunst gar nichts thun?“, kritisierte die Presse,108 die zugleich einen einheimischen Direktor forderte, der mit Nachdruck das deutsche und österreichische Opernschaffen fördern sollte.109 Der erste Teil des Wunsches sollte sich erfüllen: Ab Mai übernahm Burgtheaterdirektor Franz Ignaz Holbein (Edler von Holbeinsberg, 1779–1855) auch die Leitung des Operntheaters.110 An der Programmierung änderte sich dadurch allerdings kaum etwas (s. u.). Mitten in dieser überhitzten Stimmung veröffentlichte am 6. April der Jurist und Musikschriftsteller Franz Gernerth (1821–1900) einen Artikel unter dem Titel Brau 107 „Signale aus Wien. (Keine italienische Oper mehr!)“, in: Signale für die Musikalische Welt, Jg. 6, Nr. 16 (April 1848), 122. Siehe dazu und zum Folgenden auch Jahn, Hofoper von 1848 bis 1870 (wie Anm. 100), 10–17 sowie Ders., Hofoper von 1836 bis 1848 (wie Anm. 99), 307–318. 108 Siehe dazu: „Wiedereröffnung des k. k. Operntheaters nächst dem Kärnthnerthore“, in: Wiener allge meine Musik-Zeitung, Nr. 53, 2. Mai 1848, 210 f., 211. 109 Siehe dazu: „Ein offenes Wort an die Theater-Direktionen Wiens und des gesammten Vaterlandes“, in: Der Humorist, Nr. 91, 15. April 1848, 369. 110 Siehe dazu Franz Hadamowsky, Wien. Theatergeschichte. Von den Anfängen bis zum Ende des Ersten Weltkriegs (Sonderband-Studienausgabe), Wien 1994, 415–418.
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chen wir eine italienische Oper?111. Zu Beginn paraphrasiert Gernerth ein berühmtes Zitat aus Schillers Wallenstein: „Es gibt im Menschenleben Augenblicke / Wo man der Wälschen Oper ferner / steht, als sonst.“112 Mit einer Mischung aus nationalen und musikalischen Argumenten spielt Gernerth die italienische gegen die deutsche Oper aus:113 Wer da weiß, mit welch empörender Geringschätzung Herr Balochino während seiner bisherigen Administration die deutsche Oper bei Seite setzte, deutsche Komponisten wie armes, nichtssagendes Volk behandelte, und dafür den italienischen Brei obenauf schwimmen ließ, den wird es gar nicht wundern, daß er auch unter den jetzigen Zeitverhältnissen […] eine italienische Oper ankündigen ließ. Es ist unbegreiflich! Jetzt, wo die deutsche Nation im riesenhaften Schwunge aufgestanden und alle ihre Interessen mit der Feuerposaune des Bewußtseins der staunenden Welt verkündet – jetzt, wo uns’re Landsleute zu Tausenden dem italienischen Feinde gegenüberstehen und Viele von ihnen Opfer des Verraths und Meuchelmords geworden sind – jetzt in Wien – wo nur der deutsche Gedanke in allen Köpfen blitzt, aus allen Zungen tönt, aus allen Blicken spricht – in Wien eine italienische Oper! […] Es gibt Elemente bei uns genug; laßt die fremden Sänger ziehen, wohin sie wollen; wir werden unsere Kunst pflegen und bei Gott! sie wird sich der Theilnahme des Volkes würdig zeigen. Niemals hat die Kunst mehr Schutz und Sympathien zu erwarten, als wenn ihr die Empfänglichkeit und Theilnahme einer ganzen Nation gegenübersteht.
Drei Tage nach Gernerths Artikel erschien unter dem Titel Auch eine italienische Frage114 ein Beitrag von Joseph Plank, in dem die bereits bekannte Kritik am ungerechtfertigten Übergewicht der italienischen über die deutsche Oper mit seinen fatalen Folgen für den musikalischen Geschmack wiederholt und um einen sozialen 111 Siehe dazu und zum Folgenden auch Boisits, „‚Das Wort ist frei, die Kunst ist frei‘“ (wie Anm. 12), 566–571. 112 Vgl. Schiller, Wallensteins Tod, 2. Akt, Wallenstein zu Illo und Terzky: „Es gibt im Menschenleben Augenblicke, / Wo er dem Weltgeist näher ist als sonst, / Und eine Frage frei hat an das Schicksal.“ 113 F.[ranz] Gernerth, „Brauchen wir eine italienische Oper?“, in: Wiener allgemeine Musik-Zeitung, Nr. 42, 6. April 1848, 165 f. [Hervorhebung im Original gesperrt]. Bekannt wurde Gernerth im Jahre 1889 als Verfasser des Textes zum Walzer An der schönen blauen Donau von Johann Strauss Sohn. 114 Unter dem Titel Zur italienischen Frage o. Ä. erschienen in den Wiener Zeitungen regelmäßig Berichte über den italienischen Kriegsschauplatz, so auch in der Wiener Abendzeitung. Tägliches Ergänzungsblatt der „Sonntagsblätter“, hier erstmals in der Nr. 14 vom 11. April 1848, 57. Bereits in der Nr. 10 vom 6. April, 44 hat man hier allerdings Übergriffe auf italienische Kaufleute in Wien schärfstens verurteilt.
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Faktor ergänzt wird. Dabei erscheint die italienische Oper als leichtfertiges Vergnügen des Adels, der sich die hohen Preise115 leisten kann:116 Viele Jahre hindurch haben wir in unserem Kärntnerthortheater drei Monate unter zwölfen immer nur italienische Oper und italienische Sänger gehabt, oder eigentlich sie haben uns gehabt. Dafür gehörten in den andern neun Monaten unter zehn Aufführungen sechs der italienischen, drei der französischen und eine der deutschen Schule an. […] Die deutsche Oper, sogleich so wenig beachtet, leistete doch noch hin und wieder in der „Zauberflöte,“ in „Don Juan,“ in der „Hochzeit des Figaro“117 hausfüllende Dienste […]. Am 1. April wollte man uns wieder mit der Oper „Ernani“ durch die Italiener in den April schicken […]. Der deutsche Sinn durchglüht uns in Allem und für Alles; man will das erste und größte Operninstitut Deutschlands nicht mehr durch volle drei Monate einzig und allein mit einer Operngattung usurpiert sehen, welche nicht nur das vaterländische ganz verdrängt, sondern überhaupt auf den Geschmack Deutschlands aufs Verderbenste eingewirkt hat. Die Zettel, welche die erste italienische Opernvorstellung ankündigten, wurden heruntergerissen und eine Demonstration gegen dieselbe, wenn sie stattfinden sollte, verbreitet. Sie war so klug, sich in Stille zurückzuziehen. Die italienischen Opernaufführungen, in ihren Preiserhöhungen blos für die reiche Aristokratie bestimmt, dürften in der Folge, wenn auch nicht ganz ausgeschlossen, doch wenigstens nicht mehr eine dreimonatliche Alleinbeherrschung unseres Hofoperntheaters ausüben. Jetzt muß man fürs Volk und nicht blos für die reiche Kaste Unternehmungen machen, und namentlich die Kunst gehört dem Volke.
Als letztes Beispiel jener Abrechnung mit der italienischen Oper nach Ausbruch der Revolution sei Eduard Hanslick erwähnt, der 1848 – neben seiner Anstellung bei der Wiener-Zeitung – unter dem Titel Wiener Briefe für die Neue Berliner Musikzeitung drei Korrespondentenberichte schrieb. Im letzten dieser Berichte beklagt er zunächst den mangelnden Theaterbesuch, um dann nach dem bereits bekannten Interpretationsmuster den Zustand der italienischen Oper zu beschreiben:118 Die Theater Wiens habe ich mir als Letztes meiner Besprechung aufbewahrt, denn sie sind hier in der That jetzt das Letzte. Sonst waren sie das Erste. Unser Publikum ist seit dem 115 Die Aufführungen während der italienischen Stagione waren erheblich teurer als die der übrigen Saison. 116 J.[oseph] Plank, „Auch eine italienische Frage“, in: Sonntagsblätter, 9. April 1848, 233 f. 117 Man beachte die Zuordnung von Don Giovanni und Le nozze di Figaro zur deutschen Oper. 118 E.[duard] H.[anslick], „Wiener Briefe III.“, in: Neue Berliner Musikzeitung, Nr. 27, 5. Juli 1848, 205 f., wieder veröffentlicht in: Ders., Sämtliche Schriften (wie Anm. 11), 222–224 [Hervorhebung im Original gesperrt].
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13. März nicht mehr zu erkennen; es vernachlässigt der constitutionelle Wiener das Theater eben so sehr, als der absolute Wiener es vordem kultivirte. […] Dass die italienische Operngesellschaft, die früher so sehnlichst erwartet und so theuer bezahlt wurde, diesmal ohne fliegende Fahnen und klingendes Spiel abgezogen, werden Sie gehört haben. Der Anschlagszettel zur ersten Vorstellung (wie immer war’s das alte Steckenpferd „Ernani“) klebten bereits an allen Ecken, und doch kam’s nicht dazu. Es waren nämlich im Publikum die radikalsten Demonstrationen des Unwillens vorbereitet, und deshalb auch alle Logen und Sperrsitze bereits genommen. Abends erschien noch ein Plakat, das die Bevölkerung in energischen Worten aufrief, nicht länger zu dulden, dass die meineidigen Italiener für eitlen Tand mit Gold überschüttet werden, während unsre Brüder unter welschen Dolchen bluten. Das that seine Wirkung; die Italiener zogen ab. Es ist dies ein merkwürdiges Beispiel, wie das Geschick doch zuweilen das Interesse der Kunst mit dem der Politik Hand in Hand gehen lässt. Man macht eine politische Demonstration gegen die italienische Oper und heilt dadurch unsere Kunstzustände von dem alten Krebsschaden der dreimonatlichen Geschmacksverderbniss! Der verhasste Theaterdirector Ballochino [!], ehemals Schneider, dann Bühnendespot, wurde ein Opfer der öffentlichen Meinung und ging den Weg aller Minister.
Die italienische Oper in Wien war damit aber keineswegs verstummt. Zwar brachte das Komitee unter Holbein ab Mai nur Aufführungen in deutscher Sprache, darunter aber auch von italienischen Opern (u. a. von Donizetti und Bellini).119 Nicht ganz unrichtig hatte man bereits im April 1848 vorausgesehen, dass ohne italienische Stagione statt Lucia di Lammermoor eben Lucia von Lammermoor gegeben werde.120 1850 wurde das Kärntnertortheater wieder „Hofoper“, und von 1851 bis 1859 konnte Merelli mit einer jährlichen dreimonatlichen Pacht von April bis Juni auch wieder eine italienische Stagione durchsetzen, auch dies ein Hinweis auf die rasche Wiederherstellung vorrevolutionärer Verhältnisse. Die Kriterien zur Bewertung der italienischen Oper standen, wie gesagt, längst fest. Warum konnten aber derartige nationalpolitische Argumente überhaupt zu einer solchen kollektiven ästhetischen Verurteilung führen? Frank Hentschel121 hat anhand deutschsprachiger Musikgeschichten im 19. Jahrhundert gezeigt, wie sehr Musikschriftsteller und -kritiker im Rahmen einer vom Fortschritts- und Emanzipa119 Siehe Spielplan bei Jahn, Hofoper von 1848 bis 1870 (wie Anm. 100), 461–468. 120 Wiener Abendzeitung. Tägliches Ergänzungsblatt der „Sonntagsblätter“, Nr. 15, 12. April 1848, 62 f. 121 Frank Hentschel, Bürgerliche Ideologie und Musik, Politik der Musikgeschichtsschreibung in Deutsch land 1776–1871, Frankfurt am Main/New York 2006.
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tionsgedanken geprägten bürgerlichen Identitätsfindung gebraucht wurden: nämlich als Mitarbeiter an einem Bildungsideal, für das Musik eine eminente Rolle spielte und das nicht zuletzt der nationalen Abgrenzung nach außen sowie der sozialen Abgrenzung nach oben und unten diente. Deutlich angesprochen hat dieses Phänomen der unter dem Pseudonym Friedrich Dornau literarisch tätige Beamte Friedrich Ritter von Hentl (1799–1878):122 Die Menge ist hier [in Wien, Anm. d. Verf.] wie fast überall nur für sinnlich reizende Musik empfänglich: Donizetti ist ihr Abgott in der Oper, Strauß im Tanzsaale, Bellini’s elegisches Schmachten läßt man sich gefallen, weil es nicht zu tief eingreift, sondern stets nur die Oberfläche des Gefühls berührt. Diese Vorliebe für die rein sinnliche italienische Musik haben auch die höheren Stände, die in der Musik als der am unmittelbarsten auf die Empfindung einwirkenden Kunst noch weniger eine tiefere geistige Anregung, eine höhere Spannung des Gefühls ertragen können, als in der Dichtkunst. In den Mittelständen allein und in der erst zum Leben erwachenden energischen Jungend finden wir jene schwachen Abtheilungen der Musikfreunde, die für ernste, klassische und tiefe Musik Sinn und Empfänglichkeit haben.
In diesem Zusammenhang sind nicht nur die Verurteilungen der italienischen (wie auch der französischen) Oper zu sehen, sondern auch jene der Virtuosität auf der einen, des musikalischen Dilettantismus auf der anderen Seite, der Wunsch nach besseren Konzertprogrammen, einer Professionalisierung der musikalischen Ausbildung u. a. m. Ästhetische, moralische und politische Kategorien gingen dabei eine gefährliche diskursive Allianz ein. Wie bei kollektiven Identitätsbildungen üblich, wurden binäre Oppositionen (wie geistig – sinnlich, innerlich – äußerlich, tiefsinnig – oberflächlich oder sittenrein – frivol) eingesetzt, um das jeweils Andere weniger zu beschreiben als vielmehr zu stigmatisieren.123 „Nationaletiketten avancierten zu ästhetischen Charakter- und Wertbegriffen; was sie bezeichneten, brauchte nicht mehr eigens expliziert zu werden.“124 Musikalische Nationalstereotype waren daher Teil eines Diskurses von erheblicher politischer und sozialer Relevanz.
122 Friedrich Dornau, „Fliegende Blätter aus der Mappe eines Wanderlustigen“, in: Wiener Zeitschrift. Politisch-belletristisches Tagsblatt für alle socialen und literarischen Interessen, Nr. 133, 3. Juli 1848, 533; Nr. 134, 4. Juli 1848, 537 f.; Nr. 136, 7. Juli 1848, 545 f.; Nr. 137, 8. Juli 1848, 549 f. (Zitat 549); Nr. 138, 10. Juli 1848, 553; Nr. 139, 11. Juli 1848, 557 f. 123 Siehe dazu auch Boisits, „Einleitung“ (wie Anm. 17), 20 f. 124 Hentschel, Bürgerliche Ideologie und Musik (wie Anm. 121), 337.
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5. Epilog: das Jahr 1848 als Epochenwende? Weder waren derartige Diskurse eine Erfindung des Revolutionsjahres noch endeten sie mit ihm. Und doch wirkte das Jahr 1848 wie ein Brennpunkt, in dem sie sich sammelten und intensivierten. So konnte Hanslick letztlich in seiner Autobiographie resümieren:125 Das Jahr 1848 bildet die Grenzscheide zwischen dem alten und neuen Österreich, – nicht bloß im politischen und sozialen, auch im literarischen und künstlerischen Leben. Vom Jahre 1848 dürfen wir den Umschwung der musikalischen Verhältnisse in Österreich datieren.
Eine erneuerte Kunst wurde geradezu zum Fluchtpunkt der ansonsten gescheiterten Revolution. Fast beschwörend mahnt Hanslick 20 Jahre danach: „In die Tempel der Kunst dürfen wir den vormärzlichen Zuständen keine Rückkehr gestatten, wir dürfen die Eine große März-Errungenschaft, die uns niemand nehmen kann, nicht selbst verthun: den ernsten Sinn.“126 Und tatsächlich klingen die Änderungen, die Hanslick konstatiert, wie das Einlösen jahrelanger Forderungen der Musikkritik: die Professionalisierung von Orchester und Programmgestaltung der Konzerte der Gesellschaft der Musikfreunde, die Auslagerung des ‚Dilettantentums‘ in den 1858 bzw. 1859 eigens dafür gegründeten Sing- und Orchesterverein, die Wiederaufnahme der philharmonischen Konzerte, der Rückgang des Virtuosentums und der bunten Wohltätigkeitskonzerte, der Aufschwung der Musikausbildung durch das 1851 wiedereröffnete Konservatorium. Wo der neue „ernste Sinn“ noch zu wenig berücksichtigt wurde bzw. weiterhin der alte Geist der Geselligkeit vorherrschte wie im Männergesang, empfahl Hanslick den Rückzug „in die geschlossenen Kreise des Vereinslebens“.127 Zum äußeren Symbol wurden schließlich zwei Neubauten: die neue Hofoper (1869) und das neue Musikvereinsgebäude (1870), das mit Goldenem Saal und weiteren Räumlichkeiten der Orchester- und Kammermusik endlich den Rahmen bot, den man sich in Wien schon so lange erhofft hatte. Prominent am Ring (Hofoper) bzw. in dessen Nähe (Musikverein) gelegen, stellten beide Gebäude zugleich die wichtigsten musikalischen Manifestationen der nun folgenden Ringstraßenzeit dar.128 125 Hanslick, Aus meinem Leben (wie Anm. 89), 79. 126 Hanslick, Geschichte des Concertwesens (wie Anm. 49), 413, Fn. 1 [Hervorhebung im Original gesperrt]. 127 Ebda., 397. 128 Zum Musikleben dieser Jahrzehnte siehe Gernot Gruber, „Nachmärz und Ringstraßenzeit“, in:
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Die tiefe Resignation, die die einst Märzbegeisterten erfasste, hinterließ auch Spuren in ihrem Schaffen. Nicht ohne ironischen Unterton vermerkt Hanslick, dass sein Freund Robert Zimmermann statt Freiheitsgedichten nun wieder eine Abhandlung über die Monadenlehre von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) schrieb.129 Seinen eigenen Wandel verschweigt er hingegen. 1848 hatte er sich selbst in die Riege der Komponisten von Revolutionsmusik eingereiht (s. o.) und – mit emphatischem Bezug auf Hegel – die Musik in den Dienst politischer und geistiger Zeitströmungen genommen:130 Die Kunst-Philosophie unserer Zeit sieht in der Kunst (Dank sei es vor Allem Hegel’s Bemühungen!) nicht mehr ein bloßes Spielzeug zu sinnreichem Ergötzen, sie erkennt sie als eine Manifestation der Gottheit, als eine ebenbürtige Schwester der Religion, der Philosophie […]. Wir sind über die dürftige Anschauung hinaus, welche in einem Musikstücke nur eine symmetrische Aneinanderreihung angenehmer Töne und Tonfolgen sah […]. Die Werke der großen Tondichter sind mehr als Musik, sie sind Spiegelbilder der philosophischen, religiösen und politischen Weltanschauung ihrer Zeit. Webt nicht in Beethovens letzten Werken, und in Berlioz die stolze Hoheit und die schmerzliche Scepsis der Deutschen Philosophie? […] Glüht nicht unter den „Hugenotten“ der vulcanische Boden der Juli-Revolution? Klirren nicht Ungarische Säbel in dem Finale von Schubert’s C-dur Symphonie? Und wenn ihr Chopin’s Mazuren spielt, fühlt ihr sie nicht, die klagend schwüle Luft von Ostrolenka?
Überspitzt formuliert könnte man Hanslicks radikal geänderte Musikbetrachtung nach 1848 als Rückkehr zu der von ihm früher als „dürftig“ charakterisierten Anschauung sehen. Zwar grenzt er den ‚Geist‘ nicht grundsätzlich aus der musikalischen Rudolf Flotzinger/Ders. (Hgg.), Musikgeschichte Österreichs, Bd. 3: Von der Revolution 1848 zur Gegenwart, Wien u. a. 1995, 15–90 bzw. mit Bezug auf die Hofoper Dominique Meyer u. a. (Hgg.), Geschichte der Oper in Wien, 2 Bde., Wien 2019. 129 Siehe Hanslick, Aus meinem Leben (wie Anm. 89), 95. Hanslick irrt hier allerdings. Beide Schriften Zimmermanns zur Leibniz’schen Monadenlehre (Leibnitz’ Monadologie. Deutsch mit einer Abhand lung über Leibnitz’ und Herbart’s Theorieen des wirklichen Geschehens, Wien 1847 sowie Leibnitz und Herbart. Eine Vergleichung ihrer Monadologien, Wien 1849) wurden vor 1848 fertiggestellt. Die zweite ereilte allerdings ein typisches Revolutionsschicksal: Als Preisschrift von der Königlich Dänischen Gesellschaft der Wissenschaften gekrönt, wurde das Manuskript bei der Rücksendung in den Wirren der Maikämpfe irrtümlich nach Ungarn geschickt, und Zimmermann verbrachte viel Zeit damit, den Verbleib seiner Schrift aufzuspüren (siehe ebda., Vorwort). 130 Eduard Hanslick, „Censur und Kunst-Kritik“, in: Wiener-Zeitung, Nr. 84, 24. März 1848, 1 [Hervorhebung im Original gesperrt], wieder veröffentlicht in: Ders., Sämtliche Schriften (wie Anm. 11), 156–158.
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Tätigkeit aus, sieht diesen aber jetzt ausschließlich immanent vorgehend: „Tönend bewegte Formen sind einzig und allein Inhalt und Gegenstand der Musik.“131 Von seinem Arbeitgeber, der Hofkammerprokuratur, 1850 an das Fiskalamt nach Klagenfurt versetzt, erarbeitete Hanslick dort die Grundlagen seiner Musikästhetik,132 die mit ihrer radikalen Vorstellung musikalischer Autonomie eine bis heute andauernde Auseinandersetzung auslöste.133 Mit ihrer Konzentration auf formale Abläufe vermeidet sie jegliche in der Restaurationsphase nach 1848 nicht mehr geschätzte politische Deutung von Kunst. Schönheit wird nun als formale Eigenschaft eines Kunstwerks verstanden, das betrachtende und deutende Subjekt hingegen ausgeklammert. Diese objektivistische und formale Auffassung verbindet Hanslick mit einer Reihe österreichischer Philosophen, die – wie Bernard Bolzano (1781–1848) und Robert Zimmermann – geradezu einen „Denkstil“ ausprägten, der auch für andere Geistes- und Sozialwissenschaften prägend wurde.134 Diese auffällige Gemeinsamkeit wurde verschiedentlich mit der politischen Situation der von nationalen und sozialen Spannungen zunehmend geprägten Habsburgermonarchie in Verbindung gebracht, gleichsam als Unterstützung der von Kaiserhaus, Regierung und Bürokratie forcierten Gesamtstaatsideologie, für die die Beachtung formaler Eigenschaften und Prozesse bei gleichzeitiger Negierung inhaltlicher Problemlagen zwangsläufig etwas Verlockendes hatte. Wenngleich Hanslick mit seiner Musikästhetik nicht nur einer formalen, sondern auch klassizistischen Musikbetrachtung das Wort redete, so bedauerte er doch zugleich, dass dem gegenwärtigen Musikschaffen zu wenig bzw. sehr spät – wie im Falle Schumanns und Wagners – Aufführungsmöglichkeiten geboten werde. Ähnlich wie 131 Eduard Hanslick, Vom Musikalisch-Schönen. Ein Beitrag zur Revision in [!] der Ästhetik der Tonkunst [1854], hg. von Dietmar Strauss, Teil 1: Historisch-kritische Ausgabe, Mainz u. a. 1990, 75. 132 Siehe dazu Christoph Landerer/Alexander Wilfing/Lee Rothfarb, „Origins, Publication, and Translation History of the Treatise“, in: Rothfarb/Landerer, Eduard Hanslick’s On the Musi cally Beautiful. A New Translation, Oxford 2018, xv–xxix, xv–xvi. 133 Siehe umfassend dazu Alexander Wilfing, Re-Reading Hanslick’s Aesthetics: Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen (Wiener Veröffentlichungen zur Musikwissenschaft 49), Wien 2019. 134 Siehe dazu Peter Stachel, Ethnischer Pluralismus und wissenschaftliche Theoriebildung im zentral europäischen Raum. Fallbeispiele wissenschaftlicher und philosophischer Reflexion der ethnisch-kulturellen Vielfalt der Donaumonarchie, Diss. phil., Universität Graz 1999 sowie Ders., „Leibniz, Bolzano und die Folgen. Zum Denkstil der österreichischen Philosophie, Geistes- und Sozialwissenschaften“, in: K arl Acham (Hg.), Geschichte der österreichischen Humanwissenschaften, Bd. 1: Historischer Kon text, wissenschaftssoziologische Befunde und methodologische Voraussetzungen, Wien 1999, 253–296. Mit Bezug auf die Ästhetik siehe auch Barbara Boisits, „Formalismus als österreichische Staatsdok trin? Zum Kontext musikalischer Formalästhetik innerhalb der zentraleuropäischen Wissenschaft“, in: Muzikološki Zbornik/Musicological Annual 40/1–2 (2004), 129–136.
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Friedrich Nietzsche135 (1844–1900) sieht er seine Epoche als „Epigonenzeit“136, die im Musikleben wie in der Forschung der älteren Musik den Vorzug gebe. Zu Recht bezeichnet er die Gesamtausgaben der Werke Bachs, Händels, Mozarts, Beethovens und Schuberts als „Monumente des Musikgeistes unserer Epoche“.137 An der Aufwertung der Musikwissenschaft als akademische Disziplin hatte er mit seiner Habilitation (1856) und der Ernennung zum außerordentlichen (1861) bzw. ordentlichen (1870) Professor an der Universität Wien selbst allergrößtes Verdienst. Hand in Hand damit ging eine bessere Bildung des Publikums, das regen Anteil am blühenden Musikschrifttum nahm oder etwa Hanslicks öffentliche Vorlesungen über Musikgeschichte besuchte. Und so konnte er Ende der 1860er Jahre resümieren: „Dem allgemeinen Entwicklungsgesetz, welches die bewußte Reflexion auf die Epoche naiver Empfänglichkeit folgen läßt […], hat auch Wien sich nicht entziehen können.“138 Den Kampf um seine politischen Ideale hatte das Bürgertum 1848 zunächst139 verloren. Siegreich blieb es hingegen im Kampf um eine ‚würdige Tonkunst‘ nach seinen Vorstellungen, getragen von Musikinstitutionen, die es wesentlich mitbestimmte. Da Kunst und insbesondere Musik ein zentrales Element bürgerlicher Identität ausmachte, griffe es aber zu kurz, hier bloß eine kompensatorische Leistung erkennen zu wollen.
135 Friedrich Nietzsche, „Unzeitgemässe Betrachtungen. Zweites Stück: Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben“, in: Ders., Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Einzelbänden, hg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, München u. a. 21988, Bd. 1, 244–334. 136 Hanslick, Geschichte des Concertwesens (wie Anm. 49), 427. 137 Ebda. [Hervorhebung im Original gesperrt]. 138 Ebda., 433 [Hervorhebung im Original gesperrt]. 139 Auf die Niederschlagung der Revolution folgte eine Phase des Neoabsolutismus, die erst in den 1860er Jahren von einer zunehmenden Liberalisierung abgelöst wurde (Oktoberdiplom 1860, Ausgleich mit Ungarn und Dezemberverfassung 1867).
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R aum IV: 1945–1956. Identität und Repr äsentation Österreichs in der Musik der Nachkriegszeit
1. Musik als Objekt einer rück wärtsgewandten Nations-Utopie Nicht anders als 1430, 1740 und 1848 fungierte Musik im ersten Jahrzehnt nach 1945 als Identifikations-Dispositiv.1 Indem, ohne den imaginären Charakter allgemeiner und spezifischer Identitätsbildung erkennen zu können (und zu wollen), Musik als auf vermeintliche Eigenschaften und Gegebenheiten verweisende Kunstform produziert, praktiziert und rezipiert wurde, kam ihr vor dem Hintergrund der Katastrophe des gerade zu Ende gegangenen Zweiten Weltkrieges, der ästhetischen Dogmatisierungen des Kalten Krieges und der fortschreitenden technischen Medialisierung des Landes allerdings besondere gesellschaftliche Signifikanz zu. Damit steht die damalige habituelle Praxis in Verbindung, Musik strikt kategorial zu begegnen und den festgelegten Kategorien eine eindeutige, teilweise als unvereinbar empfundene Differenz zueinander zuzuerkennen. Die Schwierigkeiten, die eine solche Auffassung von Musik mit sich brachte, zeigten sich anschaulich in den argumentativen Versuchen, die grundsätzliche Ausrichtung ‚österreichischer‘ Musik zu definieren. Während es eine durchgehend angewandte Diskursstrategie war, das angeblich Autochthone nationaler Musik in Geschichte und Gegenwart zu behaupten, motivierte das Beispiel der zunehmenden Abschottung von Österreichs nördlichen und östlichen Nachbarstaaten einerseits, das ökonomische Potential dieser Kunstform andererseits dazu, zu argumentieren, dass österreichische Musik keineswegs auf ‚Nationales‘ zu reduzieren sei, sondern vielmehr sehr wohl auch ‚internationale‘ Qualität besitzen würde. Diese Definition formulierte etwa der vor allem nach 1945 einflussreiche Joseph Marx (1882–1964) anlässlich eines Konzertes jugoslawischer Komponisten im Wiener Musikverein im Mai 1954. In seiner „Rede anl.[ässlich] des Besuches jugo
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Vergleichbar der Rolle von Bildern, vgl. Marie-José Mondzain, „Die Angst im Bild. Aspekte der Herrschaft mit Hilfe von Bildern“, in: Jörg Huber (Hg.), Einbildungen (Interventionen 14), Wien/ New York 2005, 33–46, 41.
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slawischer Musiker“2 beschrieb Marx Österreich als demgemäß disponiertes Vorbild für das „Nachbarvolk“ Jugoslawien, da es sich eine tausendjährige Geisteswelt geschaffen, indem es sich immer wieder auf sich selbst besann, und auf seine besten Kräfte. Aber auch Jugoslawien tut dasselbe, besinnt sich des Besten, was es hat, seiner Volkskunst, die seinem musikalischen Schaffen gesunde Kraft, Eigenart, Leidenschaft gibt. Nationale Kunstsprache mit internationaler Wirkung, ist, was wir in der jugoslawischen Musik antreffen.
Da sich Kollektividentitäten in erster Linie auf Behauptungen gründen (ein Umstand, auf den zuletzt Vincent Descombes hinwies;3 → Tammen, S. 236), darf die Äußerung von Marx als charakteristisches Beispiel einer solchen Konstruktionsstrategie bezeichnet werden. Bildete die Vorstellung einer Simultanität von ‚Nationalität‘ und ‚Internationalität‘ einen Aspekt des Diskurses über Musik in der österreichischen Nachkriegszeit, so stand in dessen Zentrum die seit dem 19. Jahrhundert mehrheitlich akzeptierte Imagination Österreichs als ‚Musikland‘. Diese Strategie zielte gleichermaßen darauf, kulturelles Kapital in manifestes (Fremdenverkehr, Musik- und Filmindustrie) zu transformieren und ein zum Erhalt eines nationalen Kollektivs notwendiges Phantasma anzubieten. Durch dieses Kalkül geriet Musik der Vergangenheit zu einem der wesentlichen wirtschaftlichen Exportartikel der Zweiten Republik, aber auch zu einer als solche reklamierten ‚Eigenschaft‘ der imaginierten österreichischen Gemeinschaft. Die Taktik, Vergangenheit derart repräsentierend zu nutzen, zeigte sich bereits im eröffnenden sowie abschließenden Zeremoniell der Konstitutionsphase der Zweiten Republik, einerseits dem am Tag der Unabhängigkeitserklärung Österreichs, dem 27. April 1945, auf Initiative der sowjetischen Verwaltung veranstalteten Festkonzert der Wiener Philharmoniker unter Clemens Krauss,4 andererseits der Eröffnung der unter der Leitung von Erich Boltenstein wiederhergestellten Wiener Staatsoper (5. November 1955).5 In beiden Fällen wurde demonstrativ eine Neudefinition staat2 3 4
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Typoskript, 8. Mai 1954; Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Musiksammlung, Mus. Hs. 33614/ 51. Vincent Descombes, Die Rätsel der Identität, Berlin 2013, 162. Otto K arner, „Kulturpolitische Rahmenbedingungen in Österreich am Beginn der Zweiten Republik“, in: Markus Grassl/Reinhard K app/Eike R athgeber (Hgg.), Österreichs Neue Musik nach 1945: Karl Schiske, Wien/Köln/Weimar 2008, 31–66, 31. Peter Stachel, „‚Das Krönungsjuwel der österreichischen Freiheit‘. Die Wiedereröffnung der Wiener Staatsoper 1955 als Akt österreichischer Identitätspolitik“, in: Sven Oliver Müller/Jutta Toelle (Hgg.), Bühnen der Politik. Die Oper in europäischen Gesellschaften im 19. und 20. Jahrhun dert, Wien/München 2008, 90–107; Herbert Lachmayer, „Österreich in der Welt. Ein Staatsakt
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licher Repräsentation vermieden: Bestand das Programm des Festkonzerts 1945 aus kanonischem Repertoire, Werken von Beethoven und Schubert,6 und nicht aus Musik lebender Komponisten, so war es 1955 lediglich der Zuschauerraum der Staatsoper, der mit veränderter Ästhetik eine geringfügige Neudefinition erfuhr, nicht aber die äußere Gestalt der Architektur, die nur reproduzierend wiederhergestellt wurde.7 Unter den Musikstilen und den Repertoires der Vergangenheit wurde indes besonders die sog. Wiener Klassik als geeignete Leitästhetik erachtet. Deren semantische Offenheit, ihre Polykodierbarkeit, konnte zum einen als Merkmal einer Universalität ausgelegt werden, zum anderen wegen des Ortes ihrer Entstehung auf Österreich bezogen werden. Entsprechend argumentierte wiederum Marx, der in seiner Lehrtätigkeit sehr wohl historische Avantgarden berücksichtigte und wertschätzte,8 gegenüber der Öffentlichkeit am 25. März 1951 als radikalen Anspruch:9 Wen solche Lehrer [wie Mozart; Anm. d. Verf.] nicht erfreuen, verdienet nicht, ein Mensch zu sein; und erst recht nicht ein Österreicher. Denn wir wohnen nahe dem ewigen Quell der Tonkunst, wir dürfen seinen singenden Klang nicht überhören, die österreichische Melodie, die in den Musiken Haydns, Beethovens, Schuberts tönt, und besonders süß, innig aus dem unsterblichen Werk Mozarts.
Eine wichtige Funktion als Distributor des solcherart auf Vergangenes fixierten Narrativs des neuen Staates Österreich übernahm insbesondere der kommerzielle Spielfilm. Musik und Bild fungierten als geradezu entscheidende Medien der filmischgesellschaftlichen Ordnung der österreichischen Nachkriegszeit.10 Wenn zwei der erfolgreichsten Filmproduktionen dieser Jahre dem Genre Historienfilm zuzurechnen waren, illustriert dies den hohen Stellenwert des Vergangenen im populären Nationaldiskurs: Dem im Laufe der Zweiten Republik immer dominanter werdenden Habsburgermythos war Sissi (Regie: Ernst Marischka, Musik: Anton Profes, 1955“, in: Judith Eiblmayer/Iris Meder (Hgg.), Moderat modern. Erich Boltenstern und die Bau kultur nach 1945, Salzburg 2005, 101–109. 6 Abgesehen von Pëtr Čajkovskijs 5. Symphonie, deren Aufführung als Geste gegenüber der Roten Armee gelesen werden kann: K arner, „Kulturpolitische Rahmenbedingungen“ (wie Anm. 4), 31. 7 Erich Boltenstern, „Vom Wiederaufbau der Staatsoper“, in: Der Aufbau 1955, Nr. 11, 429, Wiederabdruck in: Eiblmayer/Meder (Hgg.), Moderat modern (wie Anm. 5), 89–96. – Vgl. auch das zum Anlass der Staatsopern-Wiedereröffnung gegebene Werk, Ludwig van Beethovens Fidelio. 8 Daniela Candillari, Joseph Marx. Romantische Ästhetik, Diss. phil., Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, 2007, 74. 9 Erik Werba, „Joseph Marx. Zum 70. Geburtstag“, Beilage zur Wiener Zeitung, 11. Mai 1952, 12. 10 Ines Steiner, „Österreich-Bilder im Film der Besatzungszeit“, in: K arin Moser (Hg.), Besetzte Bilder. Film, Kultur und Propaganda in Österreich 1945–1955, Wien 2005, 203–255, 235.
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1955) gewidmet,11 dem Mythos von Österreich als Nation der Wiener Klassik galt Mozart (Regie: Karl Hartl, 1955), wobei der Regisseur des letztgenannten Films das von ihm bereits schon einmal für den Nationalsozialismus aufbereitete Sujet entsprechend den Bedürfnissen Nachkriegsösterreichs re-arrangierte.12 Beide Filme boten eine wertkonservative Vergangenheits- bzw. Kunstideologie an und konnten durchaus als partielle Wiederherstellung einer verlorenen Unschuld verstanden werden, als selektive audiovisuelle Gegen-Erinnerung, aber auch als antimodernistische Bekundung. Die solcherart zum kulturellen Dogma erhobene Vergangenheit wurde jedoch auch bei offiziellen Gedenk- und Jubiläumsfeiern propagiert und gleich einem Ritual zelebriert. Von Bedeutung waren in diesem Zusammenhang insbesondere die Überführung des Schädels Joseph Haydns von Wien nach Eisenstadt im Juni 1954 (Abb. 1) und das „Mozart-Jubeljahr“13 – die Veranstaltungen aus Anlass des 200. Geburtstages von Wolfgang Amadeus Mozart im Jahre 1956 (→ Tammen, S. 229).14 Es waren diese Feierlichkeiten, die erfolgreich den Rang der Wiener Klassik als Leitästhetik Nachkriegsösterreichs konsolidierten und aus der „Immunität der Klassik“15 auch die Legitimation eines erstrebten ‚Sonderweges‘ Österreichs innerhalb der Nachkriegsordnungen ableiteten. Hier ist die Parallelität der teleologischen Diskurse über Wiener Klassik und Staat/ Nation Österreich bezeichnend: 1956 resümierten Franz Hadamowsky und Leopold Nowak im Katalog der Mozart-Ausstellung im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek über erstere:16 Diese bunte Fülle [der Gattungen der Mitte des 18. Jahrhunderts, Anm. d. Verf.] ging einer neuen Ordnung entgegen. Ihr haben dann die Wiener Klassiker den Stempel der Vollendung aufgedrückt. […] So ist Wien für Mozart wie für viele andere Komponisten nach ihm zum Ort der Vollendung geworden.
11 Siehe dazu Stefan Schmidl/Monika Kröpfl, „Wunschbild und Exportartikel. Betrachtungen über die audiovisuelle Struktur von ‚Sissi‘“, in: Stefan Schmidl (Hg.), Die Künste der Nachkriegs zeit. Musik, Literatur und bildende Kunst in Österreich (Wiener Musikwissenschaftliche Beiträge 23, Forschungsschwerpunkt Musik – Identität – Raum), Wien/Köln/Weimar 2013, 77–85. 12 Günter Krenn, „The portrait of a young man as an artist – (de)constructing Mozart“, in: Ders. (Hg.), Mozart im Kino. Betrachtung zur kinematographischen Karriere des Johannes Chrysostomus Wolf gangus Theophilus Mozart, Wien 2005, 7–29. 13 Gernot Gruber, Mozart und die Nachwelt, München 1987, 262. 14 Ebda., 262 f. 15 Vgl. Cornelia Zumbusch, Die Immunität der Klassik, Frankfurt am Main 2011. 16 Franz Hadamowsky/Leopold Nowak (Bearb.), Mozart. Werk und Zeit, Wien 1956, 46.
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Abb. 1: Überführung des Totenschädels von Joseph Haydn von Wien nach Eisenstadt, 5. Juni 1954. Foto des United States Information Service. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv und Grafiksammlung, US 12.048 B 1 Foto: © ÖNB Wien
Dem der Wiener Klassik solcherart eingeräumten Rang als ‚vollendete‘ Ästhetik entspricht die zeitgenössische Euphorie über die Erlangung des Staatsvertrages,17 im
17 Siehe dazu Barbara Boisits/Peter Stachel/Heidemarie Uhl, „Mythos Staatsvertrag – Mythos Musik. Die Staatsvertrags-Reportagen der Austria Wochenschau als musikalischer Gedächtnisort“, in: Österreichische Musikzeitschrift 60/4 (2005), 4–11.
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Zuge derer etwa in der Wiener Zeitung von 1955 als einem „Jahr der Erfüllung“18 gesprochen wurde. Die Tatsache, dass Repertoire des 18. Jahrhunderts auch für das klangliche Emblem der Republik, die Nationalhymne, herangezogen wurde, zeigt darüber hinaus die der Wiener Klassik beigemessene Signifikanz. Der im April 1946 dem Ministerrat vorgestellte Ausschreibungstext eines „Preisausschreiben[s] zur Schaffung einer neuen Volkshymne“19 suchte nach einem „Lied hymnischen Charakters, das den neuen Österreichischen Bundesstaat und seine Menschen im In- und Ausland sowohl textlich als auch musikalisch würdig zu repräsentieren vermag“.20 Das im Oktober 1946 in der Österreichischen Musikzeitschrift bekanntgegebene Ergebnis der Ausschreibung berichtete von 1.800 eingegangenen Einsendungen, darunter Beiträge des designierten Staatsoperndirektors Franz Salmhofer (1900–1975) und des Schönberg-Kritikers Alois Melichar (1896–1976).21 Ein Komitee, in dem neben Unterrichtsminister Felix Hurdes (1901–1974), Stadtrat Viktor Matejka (1901–1993) und dem Leiter der Österreichischen Bundestheaterverwaltung Egon Hilbert (1899–1968) mit den so unterschiedlichen Komponisten Edmund Eysler (1874–1949), Josef Lechthaler (1891– 1948) und Friedrich Wildgans (1913–1965) – ganz im neuen Geiste des Proporzes – Vertreter der wichtigsten, einander diametral entgegenstehenden Kompositionsrichtungen versammelt waren, wählte daraus mittels einer Punktewertung zehn Favoriten. Angeführt wurde diese Liste an Neukompositionen jedoch von präexistenter Musik, dem Bundeslied, jener zunächst Mozart zugeschriebenen Komposition, dessen Melodie der Ministerratsbeschluss vom 22. Oktober 1946 zur neuen Bundeshymne Österreichs bestimmte.22 Diesem Beschluss folgte eine weitere Ministerratsentscheidung, die dem nunmehrig als Bundeshymne institutionalisierten Bundeslied einen Text von Paula Molden-Preradović unterlegte.23 Die im Ausschreibungstext gefor18 Wiener Zeitung, 31. Dezember 1955, 1. 19 Johannes Steinbauer, Land der Hymnen. Eine Geschichte der Bundeshymnen Österreichs, Wien 1997, 118. 20 Unterrichtsminister Felix Hurdes im Ministerrat vom 9. April 1946, zitiert ebda., 119. 21 Anonym, „Der Kampf um die neue Volkshymne. Mozart ist Sieger im Preisausschreiben“, in: Öster reichische Musikzeitschrift 1/10–11 (1946), 366. 22 Steinbauer, Land der Hymnen (wie Anm. 19), 132. Hierzu vgl. auch Stefan Schmidl, „Die Hymne in der österreichischen Nachkriegszeit“, in: Gernot Gruber/Monika Mokre (Hgg.), Repräsentation(en). Interdisziplinäre Annäherungen an einen umstrittenen Begriff (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse, Denkschriften 485, Kulturforschungen 2), Wien 2016, 81–86; Ders., „Anmerkungen zu Österreichs republikanischen Hymnen“, in: Thomas Hochradner/Julia Lienbacher (Hgg.), Salzburgs Hymnen von 1816 bis heute, Wien 2017, 125–134. 23 Ebda., 138–145.
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NB 1: Franz Salmhofer, Hymnus anläßlich des Jahrestages der Befreiung Wiens durch die Rote Armee (1946), „Österreichisches Thema“. Satz: Stefan Schmidl. Mit freundlicher Genehmigung der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek Wien
derte Eignung zur Repräsentation im In- und Ausland wurde damit letztlich nur der Musik der Vergangenheit zuerkannt. An den anderen eingereichten Hymnen lässt sich immerhin das Bestreben ablesen, eine ‚österreichische‘ Kollektividentität musikalisch ausdrücken zu wollen. Die diesbezüglich prägnanteste Komposition ist wohl Salmhofers Beitrag, den er aus dem Hauptthema seines groß dimensionierten, am 13. April 1946 im Wiener Musikverein uraufgeführten Hymnus anläßlich des Jahrestages der Befreiung Wiens durch die Rote Armee extrahierte (Notenbeispiel 1). Dieses Werk, komponiert anlässlich des Staatsaktes zum ersten Jahrestag der Befreiung Wiens (selbigem wohnte auch Karl Renner bei), war ein einhelliger Erfolg beim Wiener Publikum gewesen, der wohl darauf zurückzuführen ist, dass der Befreiungshymnus stilistisch auf etwas anderes rekurrierte, als es der Anlass vermuten ließe: eben nicht auf die sowjetische Leitästhetik, den Sozialistischen Realismus, sondern auf die ‚nachromantische‘ Kompositionstradition der Zwischenkriegszeit mit teilweise historisierenden Elementen. Die Rezension der Arbeiter-Zeitung würdigte diesen Rekurs als klanglichen Ausdruck von spezifischer Nationalität:24 In reicher Thematik und mit souveräner Beherrschung aller Mittel der modernen Orchestertechnik formt der Komponist hier den Kampf eines Volkes um seine Freiheit und seinen Sieg. In klarer Melodienführung gestaltet Salmhofer das Hauptthema seines Werkes, das man in seiner volksliedhaften Tief- und Einfachheit „das österreichische Thema“ schlechthin nennen könnte, und führt es meisterhaft durch die verschiedenen Phasen, vergleichbar denen des Kampfes selbst, lässt es ergreifend die Opfer beklagen und schließlich in den brausenden Jubel der Befreiung münden, den Orgel, Orchester und Fanfaren verkünden. 24 [H.], in: Arbeiter-Zeitung, 1. Juni 1946.
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NB 2: Paul Kont, Trip (1953), Beginn des Abschnitts „Mozart-Express“. Satz: Stefan Schmidl
So ist das Werk mehr als eine große künstlerische Leistung, es ist das musikalische Bekenntnis eines Menschen, der um ihren Sinn weiß.
Mit der Anlage und Stilistik seines Stückes wandelte Salmhofer die traumatische Niederlage im Zweiten Weltkrieg in eine apotheotische, durchaus ‚siegreiche‘ Deklaration österreichischer Identität um.25 Bei aller Orientierung an der Vergangenheit konnte sich das später herausgelöste Thema dennoch nicht als neue Bundeshymne durchsetzen. Es mag das vermeintlich ‚Authentische‘ des Bundesliedes gewesen sein, das, als mutmaßliches Werk eines Klassikers, nach Ansicht von Jury und Publikum Österreich besser repräsentierte als Salmhofers Entwurf. Der Aufstieg der Wiener Klassik zur Leitästhetik der Zweiten Republik stimulierte aber durchaus auch Werke, die so unterschiedlich sein konnten wie etwa Salmhofers 1947/48 komponierte, moderat neoklassizistische erste Symphonie und die dodekaphonischen Variationen über ein Thema von Joseph Haydn op. 17 (1949) des Schönberg- und Berg-Schülers Hans Erich Apostel (1901–1972). Die Intensität der Auseinandersetzung mit den Paradigmen der Klassik darf sogar als außerordentlich bezeichnet werden und kann auch an Musik abgelesen werden, die die Omnipräsenz des Stils und seiner Formen ironisch verfremdend kommentiert, im Falle des Abschnitts „Mozart-Express“ (Notenbeispiel 2) aus der Suite Trip (1953) von Paul Kont (1920–2000) durch die Verwendung einer Blues-Tonleiter im Schema eines Klavierrondos à la Mozart.
25 Vgl. auch Stefan Schmidl, „1815 – 1918 – 1945: Medien-Realitäten von Sieges-Kompositionen“, in: Österreichische Musikzeitschrift 70/1 (2015), 30–37.
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2. Vergangenheitsbewältigung und ihr e künstler ische R epr äsentation Das Ende des Zweiten Weltkrieges war ein Ereignis, das auf alle Bereiche öffentlichen und privaten Lebens Auswirkungen hatte. Die Folgen des totalen Zusammenbruchs des ‚Großdeutschen Reiches‘ beeinflussten somit nicht nur die physischen, sondern auch die soziokulturellen Gegebenheiten, in denen Musikkomposition, -ausübung und -rezeption nach 1945 stattfanden. Die Aufführungsstätten waren zumeist zerstört und bedurften der Wiederherstellung. Die Institutionen befanden sich in einem Zustand, der Revision und Neuordnung notwendig machte. Mit der physischen Wiederherstellung des österreichischen Musiklebens konnte relativ rasch begonnen werden. Von einer Veränderung oder von neuen Akteuren im Feld kompositorischer Produktion kann allerdings nur bedingt gesprochen werden. Die Mehrzahl der im Konzertleben der frühen Zweiten Republik erfolgreichen und auch mehrheitlich durch den ‚Großen Österreichischen Staatspreis für Musik‘ offiziell gewürdigten Komponisten26 wie etwa Theodor Berger (1905–1992), Alfred Uhl (1909–1992), Cesar Bresgen (1913–1988), Johann Nepomuk David (1895–1977), Gottfried von Einem (1918–1996), Egon Kornauth (1891–1959), Marx oder Melichar hatten bereits in der Ersten Republik und unter dem Nationalsozialismus reüssieren können. Publizistisch breiten, in der Aufführungspraxis dagegen marginalen Raum nahmen Vertreter der im Nationalsozialismus verbotenen Dodekaphonie bzw. eine jüngere, im Anschluss an die Zweite Wiener Schule arbeitende Komponistengeneration ein, die auf Positionierung im offiziellen Musikleben drängte. In diesem ebenso nur spärlich vertreten war die Gruppe der 1938 aus rassischen oder politischen Gründen aus Österreich vertriebenen, nach 1945 teilweise oder gänzlich zurückgekehrten Komponisten. Hauptsächlich war es daher die Gruppe der ‚arrivierten‘ Komponisten, die dem Bedarf an neu komponierten Werken nachkam – einem Bedarf, der angesichts des zunehmenden Primats des klassisch-romantischen Kanons allerdings stetig abnahm. Noch maß man solchen Werken identitätskonstituierende und -erhaltende Funktion bei und versprach sich von ihren Aufführungen Partizipation am Nationalen und soziale Orientierung.27 26 Vgl. Monika Kröpfl, „Preise und Vergabepolitik im Österreich der Nachkriegszeit am Beispiel von Hans Gál und Egon Wellesz“, in: Michael Haas/Marcus G. Patka (Hgg.), Hans Gál und Egon Wellesz. Continental Britons, Wien 2004, 118–127. 27 Thomas H. Macho, „Nachkriegsmusik. Überlegungen zum österreichischen Musikgeschmack in den fünfziger Jahren“, in: Gerhard Jagschitz/Klaus-Dieter Mulley (Hgg.), Die „wilden“ fünfziger Jahre. Gesellschaft, Formen und Gefühle eines Jahrzehnts in Österreich, St. Pölten/Wien 1985, 248.
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Abb. 2: Das österreichische Nocturno. Illustration aus: Ernst Marboe, Das Österreich-Buch, Wien 1948, 535
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Während die europäischen Volksdemokratien die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg, die Opfer des nationalsozialistischen Regimes und den antifaschistischen Kampf als jeweilige Gründungsmythen ritualisierten, inszenierten und in ihre kulturellen Praktiken übersetzten,28 war dies in Nachkriegsösterreich kaum der Fall. Weder wurde hier die zeitgleich in der Bundesrepublik Deutschland vielfach (und von Theodor W. Adorno am prominentesten29) formulierte Grundsatzfrage diskutiert, ob denn nach Holocaust und Zweitem Weltkrieg künstlerische Arbeit überhaupt noch möglich sei, noch wurden in musikalischen Werken Geschehnisse der jüngsten Vergangenheit konkret benannt bzw. reflektiert.30 Dennoch hatte der Zweite Weltkrieg selbstverständlich auch in Österreich Einfluss auf das soziale Bewusstsein.31 Bemerkenswert erscheint die Rolle, die hier Musik als Metapher einnahm, beispielsweise in einer charakteristischen Legitimationsschrift der frühen Zweiten Republik, dem 1948 von Ernst Marboe im Auftrag des Bundespressedienstes herausgegebenen Österreich-Buch. Eine der neuralgischen Stellen dieser Chronik, das Kapitel über die Folgen des Zweiten Weltkriegs für Wien, zeigt ein Foto der zerbombten Wiener Innenstadt, dem der Titel Das österrei chische Nocturno eingeschrieben ist (Abb. 2). Der Name einer durch die Komponisten Chopin und Liszt romantisch konnotierten Gattung fungiert somit als Gleichnis für die Folgen nationalsozialistischer Herrschaft in Österreich. Musikalische Terminologie sollte Zeitgeschichte und zerstörten Raum repräsentieren und gleichzeitig die Einzigartigkeit der Geschehnisse des Krieges entlastend relativieren. Vielfach diente Musik als Kompensation von Kriegserfahrung.32 So manche Komposition, vor allem aus den unmittelbaren Jahren nach 1945, die sich mit Erfahrungen von Zerstörung und Tod auseinandersetzte, kann als Bewältigungsversuch gedeutet werden. Das Unaussprechliche der jüngsten Vergangenheit erscheint in diesen Werken jedoch eher allgemein als Vanitas-Motiv,33 dem man sich mehrheitlich mit dem Stil der Neuen Sachlichkeit annäherte (siehe Tabelle 1). 28 Besonders die DDR, vgl. Herfried Münkler, Die Deutschen und ihre Mythen, Reinbek bei Hamburg 2010, 421–453. 29 Theodor W. Adorno, Gesammelte Schriften in zwanzig Bänden, Bd. 10: Kulturkritik und Gesell schaft, Frankfurt am Main 1977, 30. 30 Abgesehen von der prägnanten Ausnahme Arnold Schönbergs, dessen Kantate A Survivor from Warsaw (1947/48) allerdings in den USA entstanden ist. 31 Siehe dazu theoretisch Reinhart Koselleck, Zeitschichten. Studien zur Historik, Frankfurt am Main 2003, 265. 32 Macho, „Nachkriegsmusik“ (wie Anm. 27), 248. 33 Im Falle von Clemens Krauss’ Vorschlag eines Sintflut-Oratoriums für Richard Strauss sogar vor der Folie des Alten Testaments. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Musiksammlung, Fonds 59: Clemens Krauss-Archiv, 108; siehe dazu auch Volker Wehdeking, „Richard Strauss’ letzte Liedkompositionen nach Hermann Hesses Gedichten: Kongeniale (unvollendete) Umsetzung im Geiste pantheistischen Loslassens“, in: Hermann-Hesse-Jahrbuch 4 (2009), 97–114, 99.
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Cesar Bresgen: Requiem für Anton Webern (1945) Karl Schiske: Vom Tode (1946) Anton Heiller: Requiem (1946) Cesar Bresgen: Totentanz (1946–47) Paul Angerer: Tod aus Ritter, Tod und Teufel von Paula Preradović (1946) Josef Garai: Der Weltuntergang (Bühnenmusik, 1947) Johann Nepomuk David: Es ist ein Schnitter, heißt der Tod (1947) Josef Wareka: Requiem und Libera (1948) Anton Heiller: Ach wie nichtig, ach wie flüchtig (1949) Helmut Eder: Präludium und Ricercar über das Lied ‚Der grimmig Tod mit seinem Pfeil‘ (1949) Nikolaus Fheodoroff: Der Tod (1956) Tab. 1: Kompositionen der österreichischen Nachkriegszeit mit Todes-Thematik.
Ein herausragendes Beispiel für diesen Ansatz stellt Anton Heillers 1949 entstandene Choralmotette Ach wie nichtig, ach wie flüchtig bzw. ihre Beschreibung durch den Komponisten dar:34 Gegen Ende dieser Variation tritt im 1. Thema der Melodiebeginn des Liedes „Es ist ein Schnitter, heißt der Tod“ hinzu, wodurch die Vergänglichkeit der in dieser Strophe textlich behandelten menschlichen „Fröhlichkeiten“ versinnbildlicht werden soll. […] der im Wesen und Ausdruck etwas abgesondert stehende Schluß stellt in lapidarer Weise der Vergänglichkeit der irdischen Dinge den rettenden Anker der Gottesfurcht gegenüber.
Bei manchen solcherart gestalteten Werken wurde von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, kompositorische Modi, die unter dem Nationalsozialismus verboten waren (vor allem freie Atonalität und Dodekaphonie), als Darstellungsmittel anzuwenden, sich in einem kompositorischen „Raum des Möglichen“35 (nach Pierre Bourdieu) zu bewegen, wenngleich in der Darstellung des Leidens und des Todes jeglicher Konkretheit ausgewichen wird.
34 Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Musiksammlung, Fonds 125: Heiller, 690 (undatiertes Typoskript). 35 Pierre Bourdieu, Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes, Frankfurt am Main 2001, 371–378.
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Die politische und soziale Realität unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde viel eher in der Popularmusik, namentlich im Wienerlied, direkt angesprochen: als Bezugnahme auf konkrete Verhältnisse36 (Wien ist eingeteilt jetzt in vier Zo nen; Mein Wien, sei stark im Leid; Heimkehrer Polka), als metaphorische Überhöhung (Prater, du bist nur schlafen ’gangen) und als Variante des „Wien bleibt Wien“-Motivs37 (Es war ein Wien, ein Wien wird’s ewig geb’n; Der letzte Weana, der ist noch lang net g’storb’n; Ewiges Wien). Zumindest jedoch ließ Hanns Jelinek (1901–1969) in Die Heimkehr: Funkkantate op. 23 Ansätze erkennen, dass auf ein soziopolitisches Phänomen der damaligen Gegenwart in Österreich allgemeinen Bezug genommen wird. Bei der 1954 getexteten und komponierten Funkkantate handelt es sich um ein allegorisches Spiel über die Heimkehr eines Soldaten (aus einem nicht bezeichneten Krieg), seine Verzweiflung angesichts der katastrophalen Verheerungen wie die schlussendliche Willensbekundung, dennoch weiterzuleben und neu zu beginnen.38 In einer für diesen Komponisten typischen, akribisch-detaillierten atonalen Expressivität vertont, spricht Jelineks Text, allerdings ohne Figuren bzw. Ort und Zeit der Handlung näher zu benennen, ungewöhnlich offen vom „Schrecken der Erinnerung“39, davon, dass „ungeteilt trägt die Verantwortung ein jeder“40, aber auch davon, „Geschehenes im Dunkel der Vergangenheit“41 zu belassen. Zuvor hatte die Einleitung der Heimkehr mit einer Anrufung des heimkehrenden Soldaten an die „Heimat“ geschlossen:42 Und dem also Neuentsühnten schenke wieder deiner Berge helle Freiheit, schenke wieder deiner Täler heimliche Geborgenheit! Nähre ihn von deinen Feldern, tränke ihn von deinen Quellen und, der seinen Glauben längst verloren, raube ihm nicht seine zage Hoffnung, nimm ihn an dein Herz, o Heimat.
Indem Jelinek in eben dieser Passage ein Horn in F und eine Trompete in B intonieren lässt (Notenbeispiel 3), vertraute er auf das Natur- und Pathos-Kolorit des 19. Jahrhunderts. Sein Verfahren zeigt, dass es selbst in Werken der Avantgarde zuzu36 Christian Glanz, „Popularmusik“, in: Rudolf Flotzinger/Gernot Gruber (Hgg.), Musik geschichte Österreichs, 2., überarbeitete und stark erweiterte Auflage, Bd. 3: Von der Revolution 1848 zur Gegenwart, Wien/Köln/Weimar 1995, 303–312, 303. 37 Ebda. 38 Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Musiksammlung, Fonds 16: Jelinek, 245 (autographe Partitur). 39 Ebda., 7. 40 Ebda., 27. 41 Ebda., 113. 42 Ebda., 37–42.
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NB 3: Hanns Jelinek, Die Heimkehr (1954): Passage aus dem Schluss der Einleitung. Satz: Stefan Schmidl. Mit freundlicher Genehmigung der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek Wien
NB 4: Anton Profes, Glaube an mich (1946). Satz: Stefan Schmidl. Mit freundlicher Genehmigung der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek Wien
rechnender Komponisten der Nachkriegszeit in Österreich zu einer Affirmation der nationalen Idee kam, zu deren Evokation auf etablierte Mittel zurückgegriffen wurde. Jelineks Heimkehr wurde also durchaus mit der Intention verfasst, patriotische Gesinnung zu repräsentieren. Der Glaube an die ökonomische und ideologische Überlebensfähigkeit der Republik Österreichs vereint übrigens avanciertere, moderat moderne und populäre Kompositionen der Zeit. Er hat seinen Ursprung in Leopold Figls Weihnachtsansprache von 1945: „Wir haben nichts. Ich kann Euch nur bitten: Glaubt an dieses Österreich!“43 Glaube an mich hieß konsequenterweise auch der erste 43 Vgl. die Tonaufnahme „Weihnachtsansprache 1945“ der Österreichischen Mediathek, , 21.9.2015.
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österreichische Nachkriegsfilm (Regie: Géza von Cziffra, 1946), zu dem der profilierte Filmkomponist Anton Profes (1896–1976) die Musik schrieb (Notenbeispiel 4).44
3. Der Wieder aufbau und seine musik alische R epr äsentation Ein weiterer wesentlicher Gesichtspunkt musikalischer Repräsentation betraf die physische Rekonstruktion der Städte Österreichs. Karl Schlögl hat in diesem Zusammenhang generell bemerkt: „Europäische Städte wurden durch den Krieg und die Folgen nicht nur neu gebaut, sondern auch neu gedacht. Sie bekamen neue Geschichte, neue Identitäten, neue Stile. Die Städte wurden ein zweites Mal erfunden.“45 Diese Beobachtung trifft auch auf die Hauptstadt Österreichs zu. Wien war 1945 eine Stadt, die durch Mängel strukturiert war – in baulicher und infrastruktureller Substanz, in ihren ideologischen Grundlagen, in ihrer Ästhetik. Die Stadt auf diesen verschiedenen Ebenen wieder zu errichten, war daher aus staatlicher bzw. urbaner Räson eine Notwendigkeit, musikalische Repräsentationen des Wiederaufbaus eine Konsequenz. Besonders in der medialen Einbettung westalliierter Propaganda wie den Marshallplan-Filmen kam diesen musikalischen Deskriptionen große Bedeutung zu.46 In diesen Repräsentationen wiederhergestellter Räumlichkeit wie Hanns Jelineks Symphonie Wien, 1952 (s. u.), wurde wiederum auf die Stilistik der Neuen Sachlichkeit bzw. der ‚angewandten‘ Musik der 1920er Jahre zurückgegriffen. Solcherart ‚handwerklich‘ komponierte und ‚angewandte‘ (d. h. auf Funktionalität ausgerichtete) Musik entsprach dem Menschenbild der Wiederaufbaujahre.47 Zur diesbezüglichen, auch persönlichen Leitfigur österreichischer Komponisten geriet Paul Hindemith. Neoklassizistische Strukturen und Klanglichkeit sollten zudem in einer ebenso ‚geordneten‘ Praxis gemeinschaftlichen Musizierens einen performativen Spiegel finden. Sammelbände zur praktischen Nutzung wie die vom Komponisten Viktor Korda (1900–1992) 1947 herausgegebene Anthologie Der Weg in die Gegenwart48 stehen exemplarisch für dieses Begehren (Notenbeispiel 5). 44 Elisabeth Büttner/Christian Dewald, Anschluß an morgen. Eine Geschichte des österreichischen Films von 1945 bis zur Gegenwart, Salzburg/Wien 1997, 18 ff. 45 K arl Schlögel, Marjampole oder Europas Wiederkehr aus dem Geist der Städte, Frankfurt am Main 2009, 181. 46 Österreich baut auf. Wieder-Aufbau & Marshall-Plan, hg. vom Technischen Museum Wien, Wien 2005, 106 f. 47 Wolfgang Kos, „Zukunftsfroh und muskelstark. Zum öffentlichen Menschenbild der Wiederaufbaujahre“, in: Ders., Eigenheim Österreich. Zu Politik, Kultur und Alltag nach 1945, Wien 1994, 59–149. 48 Viktor Korda (Hg.), Hausmusik. Der Weg in die Gegenwart. Kompositionen für verschiedene Besetzun gen, Wien 1947.
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NB 5: Robert Keldorfer, Ländler für 3 Melodie-Instrumente (aus: Der Weg in die Gegenwart [1947]; wie Anm. 48)
Dem Herausgeber erschien der Gegenwartsbezug (noch) von Bedeutung, wenn er im Vorwort des Bandes postulierte: „Bei noch so großer Liebe für das Werk der Klassiker und Romantiker tut es auf die Dauer nicht gut, die Sprache der Gegenwart nicht zu verstehen – der Raum unserer Musikpflege soll kein Museum sein.“49 Auf einen ähnlichen imaginierten Realismus zielt u. a. auch der Vorspann des Sängerknabenfilms Frühlingsstimmen (1952, Musik und Verse von Uhl), in dem ein neoklassizistisches Lied der Wirklichkeit (Notenbeispiel 6) angestimmt wird, dessen Text vorgibt, mit den Klischees Österreichs brechen zu wollen:50 Wollet nicht von uns erwarten Walzerträume, Liebelei, Jungen Wein im Gasthausgarten Und verspielte Narretei. Anders klingt das Lied der Jugend, Die so viel erlitten hat, Und das Leid gebiert die Tugend Wieder, an des Lasters statt. Frühlingsstimmen singen heute Euch ein Lied der Wirklichkeit. Öffnet eure Herzen, Leute, Schenket uns Gewogenheit.
49 Ders., „Vorwort“, ebda. (o. S.). 50 Autographe Partitur, Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Musiksammlung, Fonds 112: Uhl, 13, 2–7.
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NB 6: Alfred Uhl, Frühlingsstimmen (1952), Vorspann. Satz: Stefan Schmidl. Mit freundlicher Genehmigung der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek Wien
Was nun musikalische Repräsentationen der Hauptstadt Wien betrifft, so wurde auf stilistische und institutionelle51 Voraussetzungen der Zwischenkriegszeit zurückgegriffen.52 Nicht zuletzt aus touristischem Kalkül überwogen jene musikinszenatorischen bzw. musikdiskursiven Stadtbilder, die dem von Svetlana Boym als ‚reflektierende Nostalgie‘ beschriebenen Paradigma folgen.53 Ein instruktives Beispiel hierfür ist das am 17. Oktober 1954 in Wien uraufgeführte Klavierlied Sonett für Wien des um eine dauerhafte Rückkehr nach Österreich bzw. um ein berufliches Re-Reüssieren daselbst bemühten Erich Wolfgang Korngold. In seinem Lied vertonte er ein Gedicht des bereits 1919 verstorbenen österreichischen Expressionisten Hans Kaltneker, eine hymnische Evokation Wiens. Das für Korngold charakteristische spätromantische Idiom korrespondiert dabei mit Kaltnekers „Klang vergang’ner Zeiten“:54 51 Zu musikalischen Aufführungsstätten in Wien bzw. zum österreichischen Musikschulwesen nach 1945 siehe Heinz Preiss, „Föderalistische Strukturen musikalischer Institutionen“, in: Flotzinger/ Gruber (Hgg.), Musikgeschichte Österreichs (wie Anm. 36), 260–281. 52 Vgl. auch Roman Horak/Siegfried Mattl, „‚Musik liegt in der Luft ...‘ Die ‚Weltkulturhauptstadt Wien‘. Eine Konstruktion“, in: Roman Horak/Wolfgang Maderthaner/Siegfried Mattl (Hgg.), Stadt, Masse, Raum. Wiener Studien zur Archäologie des Populären, Wien 2001, 164– 239, 230. 53 Vgl. Svetlana Boym, The future of nostalgia, New York 2001, 41: „Restorative nostalgia puts emphasis on nostos and proposes to rebuild the lost home and patch up the memory gaps. Reflective nostalgia dwells in algia, in longing and loss, the imperfect process of remembrance. The first category of nostalgics do not think of themselves as nostalgic; they believe that their project is about truth.“ 54 Erich Wolfgang Korngold, Sonett für Wien (In memoriam) für Mezzosopran und Klavier opus 41, Mainz 1957, 1–4. Es ist indes signifikant, dass eben diese Komposition als einzige des Spätwerks Korngolds im Österreich des ersten Nachkriegsjahrzehnts Erfolg erzielen konnte. Vgl. Giselher Schubert, „Die Sinfonie in Fis. Korngold und das Problem des Sinfonischen in der Orchestermusik seiner Zeit“, in: Arne Stollberg (Hg.), Erich Wolfgang Korngold. Wunderkind der Moderne oder letzter Romanti ker?, München 2008, 87–100, 90.
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Du Stadt, du Psalm, aus Gottes Mund erklungen, und Stein geworden, [...]. Stadt der Fontänen, altem Stein entsprungen, barocker Bauten, gnädiger Standarten, die über hohen Prozessionen schweben. Du Stadt, darin der Klang vergang’ner Zeiten noch klingt [...].
Abgesehen von Anwendungen wie jener Korngolds, die sich im Rahmen traditioneller Gattungen vollzogen, wurden der Wiederaufbau und das ‚neue‘ Wien gleich der eingangs beschriebenen Vermittlung nationaler Narrative besonders über audiovisuelle Medien verbreitet. Für diese Aufgabe konnten sowohl konservative, zum Teil dezidiert antimoderne Komponisten als auch Vertreter der Wiener Moderne nach 1945 verpflichtet werden. So wurde der bis 1949 als Musikleiter des Senders Rot-Weiß-Rot tätige und später mit polemischen, gegen Schönberg und seine Schule gerichteten Schriften hervorgetretene Melichar 1952 als Komponist des Prestigefilmes 1. April 2000 (Regie: Wolfgang Liebeneiner) verpflichtet, einer staatlich finanzierten satirischen Utopie mit identitätsstiftendem Anspruch. Für die ‚historischen‘ Tableaus des Films schrieb er eine entsprechend historisierende Musik, die ein breites Spektrum an Stilen umfasst (etwa auch ein fiktives Concerto grosso Kaiser Leopolds I.).55 Der eindrücklichste Teil der Filmpartitur ist aber wohl im Chor-Orchestersatz zu finden, der die Kathedralszene der von Kaiser Maximilian I. betriebenen Wiener Doppelhochzeit von 1515 musikalisch ausgestaltet. Unbeachtet blieb in diesem Zusammenhang, dass es sich dabei größtenteils um die Wiederverwendung der Petersdom-Sequenz von Melichars Filmmusik zur Dokumentation Michelangelo. Das Leben eines Titanen (1940; Regie: Curt Oertel) handelt.56 Der musikalische ‚Rückgriff‘ war somit ein doppelter. Einen entgegengesetzten Weg wählte etwa Jelinek, der die Musik zu Symphonie Wien komponierte.57 Dies war ein 1952 von der Schönbrunnfilm im Auftrag des Kulturamtes der Stadt Wien produzierter ‚Kulturfilm‘, der den Wiederaufbau Wiens im Rahmen einer Stadtgeschichte erzählt. Dass Jelineks Filmmusik von den Wiener Symphonikern, dem Wiener Kammerchor, dem Wiener Akademiechor sowie der Singvereinigung Jung Wien ausgeführt wurde, sollte den hohen Charakter der Produktion zusätzlich betonen. Zwar interpolierte Jelinek in seine Partitur an entsprechenden Stellen Fragmente aus Arnold Schönbergs A Survivor from Warsaw / Ein Überlebender 55 Stefan Schmidl, The Film Scores of Alois Melichar. Studies in the Music of Austro-German Cinema 1933–1956, Wien 2018, 50 f. 56 Ebda., 50. 57 Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Musiksammlung, Fonds 16: Jelinek, 186.
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NB 7: Hanns Jelinek, Symphonie Wien (1952), Abschnitt Westbahnhof. Satz: Stefan Schmidl. Mit freundlicher Genehmigung der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek Wien
aus Warschau, jedoch sind die musikalischen Repräsentationsformeln, die er für das ‚neue‘ Wien erfand, merklich ‚gemäßigt‘, rekurrieren auf das Ausdrucksrepertoire der 1920er Jahre. Ersichtlich ist dies etwa an der Musik der Rolle 48, die den 1952 gerade eröffneten, prestigeträchtigen Neubau des Wiener Westbahnhofs zeigt (Notenbeispiel 7). Ebenfalls im Stil eines ‚angewandten‘ Neoklassizismus vertont ist die Sequenz Nach der Zerstörung, in der Jelinek einem Chorsatz Worte von Franz Theodor Csokor unterlegt. Stil und chorisches Kollektiv dienen hier als Leitbild einer erstrebten urbanen Gemeinschaftsbildung, die die Wiedererrichtung der Stadt leisten sollte. Als musikalischer Kollektivrhythmus dient der Walzer (Notenbeispiel 8). Ein ‚anderes‘ Wien zeichneten die Filme und Filmmusiken von Wienerinnen58 (Regie: Kurt Steinwendner; Musik: Paul Kont, 1952) und der österreichisch-amerikanischen Koproduktion Abenteuer in Wien (Regie: Emil E. Reinert, 1952), letztere mit einer wiederum von den Wiener Symphonikern gespielten, an Hollywood-FilmmusikKonventionen orientierten Partitur von Richard Hagemann.59 Es ist instruktiv, dass nur die Musik eines ungeschönten internationalen Wien-Films, The Third Man (Regie: Carol Reed, 1949) auch nachhaltige Anerkennung fand: Stand Anton Karas’ Musik doch ironisch den Bildern des zerstörten Wien entgegen und konnte so – in mehr oder weniger absichtlicher Verkennung der filmischen Strategie – bequem in den audiovi58 Siehe dazu Paul Kont, „Die heißen Tage von Wien“ [1975], in: Manfred Wagner (Hg.), Paul Kont. Kunst – Leben, Wien 2006, 46–47; vgl. Julia Hinterberger, „‚G’fäudes Wien‘. Musik, Identität und Raum in Kurt Steinwendners Avantgardefilm ‚Wiennerinnen [!] – Schrei nach Liebe‘“, in: Schmidl (Hg.), Künste der Nachkriegszeit (wie Anm. 11), 105–115. 59 Vgl. Marie-Luise Bolte, „Zur Filmmusik von ‚Abenteuer in Wien/Stolen Identity‘“, in: Armin Loacker (Hg.), Austrian Noir. Essays zur österreichisch-amerikanischen Koproduktion ‚Abenteuer in Wien/Stolen Identiy‘, Wien 2005, 127–137.
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NB 8: Hanns Jelinek, Symphonie Wien (1952), Abschnitt Nach der Zerstörung. Satz: Stefan Schmidl. Mit freundlicher Genehmigung der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek Wien
suellen Kanon der ‚Musikstadt Wien‘, hinter dem die Repräsentationen des zerstörten bzw. ‚neuen‘ Wien bald zurücktraten, aufgenommen werden. Längerfristig wurden so andere musikalische Repräsentationsformen verdrängt. Dennoch garantierte der antimoderne Diskurs der österreichischen Nachkriegszeit zeitgenössischer Musik zumindest
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noch in einem Wien-Spielfilm massenmedialen Raum, wenngleich nur im Zerrspiegel: Den dramaturgischen Höhepunkt von Willi Forsts Wien, du Stadt meiner Träume (1957)60 bildet die Aufführung eines vom filmischen Protagonisten Peter Lehnert (Adrian Hoven) komponierten zeitgenössischen Klavierkonzerts, das das Grundthema des Films musikalisch ausdrücken soll, nämlich die Dichotomie romantischer Nostalgie (repräsentiert durch ein lyrisches, an die Idiomatik Schubert angelehntes Thema61) und avantgardistischer Gegenwärtigkeit. In der kompositorischen Umsetzung durch Uhl geraten die ‚modernen‘ Teile des Konzerts zu einer Karikatur Neuer Musik nach 1945, d. h. besonders der an Schönberg und Webern anschließenden Richtung.62 Die solcherart kompositorisch zum Ausdruck gebrachte Ablehnung musikalischer Avantgarde spiegelte sowohl den mehrheitlichen Geschmack der österreichischen Nachkriegsgesellschaft als auch das ökonomische Kalkül der Tourismuspolitik der Zweiten Republik. In die medialen Repräsentationen des Stadtraumes mischte sich aber bisweilen auch Unschlüssigkeit über die Rolle, die Neue Musik zukünftig einnehmen sollte. Zeugnis solcher Ambivalenz ist Helene Lahrs Essay Musikverein und Konzerthaus in dem von Hermann Hakel herausgegebenen Sammelband Wien A–Z (1953). Der essayistische Eintrag zeichnet eine Topographie der zwei titelgebenden Wiener Aufführungsstätten und zeigt sich gegenüber letzterer unentschieden – eine Position, die anschaulich sowohl das grundsätzliche Unbehagen der österreichischen Nachkriegskultur zu Fragen der Moderne als auch das Begehren nach Internationalität widerspiegelt. Am Ende plädiert Lahr konsequenterweise für Opportunismus gegenüber dem Konzerthaus und dessen Repertoire. Es lohnt, den Argumentationsgang in einem längeren Ausschnitt zu zitieren:63 Kein Saal in Europa kann sich, was Akustik anbelangt, mit dem Großen Musikvereinssaal messen. Demokratisch gerecht verteilt er den Wohlklang an alle – ungleich dem alten Burgtheater, das die exquisitesten Leckereien dem Parkett und den Mittellogen vorbehielt […]. Jenseits des Schwarzenbergplatzes […] gebärdet sich das Konzerthaus großstädtisch und weltaufgeschlossen. An seiner ungeschützten Flanke drehen die Kunstläufer, von Laut60 Vgl. Francesco Bono, „Porträt Willi Forst“, in: Armin Loacker (Hg.), Willi Forst. Ein Filmstil aus Wien, Wien 2003, 107–111. 61 Eine Übernahme aus Uhls Filmmusik zu Das gestohlene Jahr (1951; Regie: Wilfried Fraß). 62 Vgl. Stefan Schmidl, „Stilisierte Außenseiter. Feindselige Kunst-Diskurse in der langen österreichischen Nachkriegszeit“, in: Wolfgang Gratzer/Thomas Nussbaumer (Hgg.), Polemische Ari en. Zykan, Pirchner und Wisser als Akteure in Kontroversen (Rombach-Wissenschaften, Klang-Reden: Schriften zur musikalischen Rezeptions- und Interpretationsgeschichte 19), Freiburg im Breisgau 2017, 33–43, 41 f. 63 Helene Lahr, „Musikverein und Konzerthaus“, in: Hermann Hakel (Hg.), Wien von A–Z, Wien 1953, 127 f.
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sprecheranlagen aus der „Gräfin Mariza“ befeuert, ihre schwerelosen Pirouetten. Und Freistilringer treten sich unter dem Jubel der „Kenner und Liebhaber“ die Zähne ein. Von diesen profanen Ereignissen der Nachbarschaft umbrandet, versucht das Konzerthaus seinen Standpunkt zu wahren. Nur zuweilen, wenn der Kampf um das „Blaue Band des Jazz“ in seinem Inneren tobt, oder der Fasching „in sämtlichen Räumen“ das Tanzbein schwingt, ist es, als dränge sich der Geist des Eislaufvereines über die geweihte Schwelle. Auch die politischen Versammlungen, die manchmal in seinen Sälen abgehalten werden, scheinen dem Freistilsport näher verwandt als der Musik. Doch Jazz und Politik – so aufdringlich sie auch lärmen mögen – sind nur Untermieter im Absteigquartier und treiben ihr Unwesen sozusagen hinter dem Rücken des höchst exklusiven Hausherrn. Ja, exklusiv bis an die Grenze des Snobismus kann das Konzerthaus mitunter sein (während die konservativ klassische Einstellung des Musikvereins gelegentlich fast zum Provinziellen neigt). Besonders im Juni, in den Tagen des „Internationalen Musikfestes“, liegt das Konzerthaus nicht mehr zwischen Lothringer Straße und Heumarkt, sondern im Zentrum der Welt. Dann kommt in seinen Räumen die neue und neueste Musik – sonst ein Stiefkind unseres Konzertpublikums – zu Wort, und unter den Zuhörern sitzen, als gewöhnliche Sterbliche verkleidet, die unbestechlichen Engel eines interkontinentalen Gerichtshofes, die mit flammenden Schwertern das spröde, aber sublime Meisterwerk vom marktgängigen Kunstgewerbe der Epigonen scheiden. Schallwellen atonaler Kompromisslosigkeit dringen bis ins Foyer hinaus, wo die gewagtesten Schöpfungen moderner bildender Künstler unserer Betrachtung harren. Wir aber ziehen vor Tönen und Farben gleichermaßen ehrerbietig den Hut, denn wir wollen noch lieber zu jenen gezählt werden, die „des Kaisers neue Kleider“ bewunderten, als zu den ewigen Spießern, die sich vor allem, was über ihren Horizont geht, hohnlachend auf die Schenkel paschen – jetzt wie zu Zeiten Rembrandts, Beethovens und Grillparzers.
4. Folklor e, das Rur ale und die Ideologie der ‚Natür lichk eit‘ Ungeachtet ihrer ideologischen Semantisierung und Funktionalisierung durch den Nationalsozialismus erlebte Folklore nach 1945 in den ländlich geprägten Gebieten Österreichs bzw. in den österreichischen Landeshauptstädten mit traditioneller Nähe zu ihrer ruralen geographischen Einbettung wie Graz, Salzburg, Innsbruck oder Klagenfurt ungebrochene Ausübung und Wertschätzung. Die Kontinuität dieser Praxis hat sich bis in die Gegenwart fortgesetzt. Fortsetzung fand auch eine Form von „Heimatpropaganda“64, jene seit 1918 unternommenen Versuche, ‚Traditionen‘ der 64 Herbert Nikitsch, „Heimat in der Stadt. Von Trachtlern, Tänzern und Proletariern“, in: Wolf-
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ländlichen Regionen der Bundesländer in den Städten zu propagieren, dadurch die mit den Modernisierungen des 19. und 20. Jahrhunderts zwangsläufig aufgetretene Stadt-Land-Dialektik zu überbrücken und auf diese Weise nationale Einheit zu stiften – eine Strategie, die insbesondere im sog. Ständestaat Ausprägung fand und nach 1945 weitergeführt wurde. Die typische Integration des Folkloristisch-Ruralen in die ‚Synthese Österreich‘ führt anschaulich das Österreichische Mosaik von Robert Ernst (1900–1977) vor, der Entwurf eines letztlich nicht zur Aufführung gelangten „Bühnenwerk[s] für Sprechstimme (Conference), Singstimmen [...], Ballett und Orchester“ aus dem Jahr 1949: Ziel des allegorischen Spiels wäre es gewesen, die Topoi der ‚Klassik‘ (mit Anrufungen der Musik Mozarts, Haydns und Beethovens) und des ‚Biedermeier‘ (mit Schubert und Ferdinand Raimund) mit ländlichen Genre-Szenen („Kirtagstanz“, „St.-Wolfgang-Landler“ und „Krippenspiel“), Wien-Mythologemen („Lieber Augustin“) und nationalisierter Naturmythologie („Donauweibchen“) alternieren zu lassen.65 Ernsts Entwurf ist somit geleitet vom Gesichtspunkt des Pluralen, das eine (neue) Einheit bildet, wenngleich namentlich nur auf Wien rekurriert wird. Das Österreichi sche Mosaik steht in dieser Faktur für viele ähnliche musikalische Visionierungen des neuen Staates. Werke, die einzelne Bundesländer repräsentieren sollten, sind dagegen seltener komponiert worden. Einen diesbezüglichen Sonderfall bildet der monumentale Zyklus symphonischer Dichtungen Südtirol, den der Tiroler Komponist Artur Kanetscheider (1898–1977) zwischen 1953 und 1961 auf der Grundlage zahlreicher populärer Themen verfasste, insofern dieser als symbolische Durchmessung eines ‚verlorenen Raumes‘ verstanden werden kann. Das Programm der Trilogie nennt viele territoriale Punkte (Abb. 3), verweist darin auch auf die Geschichte der Region (mehrfach taucht etwa der Schauplatz der Dolomitenfront des Ersten Weltkriegs in der Partitur auf ) und referenziert auf mythisierte Figuren Tirols (den Sängerdichter Oswald von Wolkenstein, den Komponisten Leonhard Lechner oder den Freiheitshelden Andreas Hofer). Die Trilogie findet ihren Abschluss im Satz Vinschgau und Ortler: Der Horst des Tiroler Adlers, in dem das Südtiroler Etschtal zum verlorenen Kernland Tirols stilisiert wird. Kanetscheiders Südtirol ist in dieser revisionistischen Metaphorik dem Typus „politischer Landschaften“ zuzurechnen, wie sie der Kunsthistoriker Martin Warnke beschrieben hat.66
gang Kos (Hg.), Kampf um die Stadt. Politik, Kunst und Alltag um 1930, Wien 2010, 137–141, 140. 65 Entwürfe und Teile der vollendeten Partitur: Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Musiksammlung, Fonds 122: Ernst, 1/1–3. 66 Martin Warnke, Politische Landschaft. Zur Kunstgeschichte der Natur, München/Wien 1992.
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Abb. 3: Topographische Referenzpunkte in Artur Kanetscheiders Zyklus symphonischer Dichtungen Südtirol (1953–1961). Graphik: Stefan Schmidl
Regionalität, Natur und Ländlichkeit, wie sie in Kanetscheiders Südtirol zelebriert werden, müssen als imaginierte Gegenwelt begriffen werden. Diese Gegenwelt ist ein weiterer grundsätzlicher Mythos der Musikkultur des ersten österreichischen Nachkriegsjahrzehnts: Seine Attraktivität ist im Umstand begründet, Natur als ‚nationalen‘ Raum, zugleich aber auch als einen von der Zivilisation unberührten, mithin sich der Moderne verweigernden Ort zu lesen. Waren Neoklassizismus und moderater Modernismus naheliegende Stilwahlen für die musikalischen Erzählungen vom wiederaufgebauten, ‚neuen‘ Österreich, von entpolitisierter Geschichte und supranationalen Mythen, so war es das Idiom der Nachromantik, das als musikalischer Ausdruck von Natur präferiert wurde. Die vermeintliche ‚Natürlichkeit‘ tonaler Tonsprache und einer gottgegebenen Naturordnung wurden synonym angewandt. Als Beispiel hierfür ist der überaus erfolgreiche Gedichtband Heiteres Herbarium zu nennen, eine Sammlung von versifizierten Sentenzen über Blumen, die Karl Heinrich Waggerl 1950 veröffentlicht hatte.67 Salmhofer schuf daraus einen nicht minder populären Liederzyklus, der die Lyrik Waggerls in eine entsprechend spätromantische Grammatik übersetzte. Bereits 67 K arl Müller, Karl Heinrich Waggerl. Eine Biographie mit Bildern, Texten und Dokumenten, Salzburg 1997, 300.
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die Zeilen, mit denen Salmhofer am 26. Dezember 1950 bei Waggerl darum ansuchte, dessen Buch als Liederzyklus gestalten zu dürfen, rekurrieren auf den Topos ‚Natürlichkeit‘:68 Nun habe ich zu Weihnachten Ihr reizendes „Heiteres Herbarium“ bekommen und möchte dasselbe, wenn es Ihnen recht ist (wenn es Ihnen auch nicht recht ist) als Zyklus vertonen, da ich – wie die Leute sagen – einer der Wenigen bin, die noch „natürliche“ Musik schreiben können, weil ich Gott sei Dank noch volksnah empfinde […].
Diese dezidiert antimodernistische Bekundung mag Waggerl dazu bewogen haben, Salmhofers Ansinnen zu approbieren, sodass die erfolgreiche Uraufführung bereits am 17. April 1951 durch den Tenor Julius Patzak im Brahms-Saal des Wiener Musikvereins stattfinden konnte. Die Premiere wurde so stark akklamiert, dass sich der Sender Rot-Weiß-Rot dazu entschloss, den Liederzyklus bereits zwei Wochen später aufzunehmen und auszustrahlen.69 Weitere Aufführungen und Einspielungen durch Patzak und andere Interpreten schlossen sich an, kurz gesagt: Das Heitere Herba rium wurde, neben von Einems Dantons Tod (1947), zur zweiten Erfolgskomposition Nachkriegsösterreichs. Indem Salmhofer das Herbarium als lyrischen Zyklus verwirklichte, arbeitete er in einem etablierten musikalischen Genre und berief sich darin auf eine sehr spezielle lokale Gattungstradition, die des naturbetrachtenden Liederzyklus. Vor allem in zwei Werken, Franz Schuberts Winterreise (1827) und Ernst Kreneks Reisebuch aus den österreichischen Alpen (1929), wurde dieses Konzept einer gleichnishaften musikalisch-textlichen Natur-Exegese formuliert, die bei Krenek aber unmissverständlich die Form eines explizit politischen Kommentars annahm. Im Heiteren Herbarium wurde der Blick auf Nicht-Menschliches, Göttliches gelenkt, das Waggerl und Salmhofer mit allegorischer, metaphernhafter Aussagekraft belegten. Ihre Naturschilderung unterschied sich allerdings von jener heroisch-suggestiven, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts für österreichische Komponisten typisch war (etwa Siegmund von Hauseggers Natursymphonie von 1911 oder Marx’ Naturtrilogie von 1922 bis 1925). Den Kern des Herbariums bildete vielmehr Humor. Vor allem ist die Natur Waggerls und Salmhofers aber ein Orientierungsraum mit jener „göttlichen Mitte“, die der Kunsthistoriker Hans Sedlmayr in der Kunst der Moderne als verloren monierte.70
68 Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Musiksammlung, Fonds 142: Salmhofer, 1398/1. 69 Vgl. Franz Salmhofer an die University of St Andrews in Schottland, 9. Februar 1962. Dass., 1307/2. 70 Hans Sedlmayr, Verlust der Mitte, Salzburg/Wien 1948.
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Um den Eindruck einer ‚natürlichen‘ Musiksprache zu erreichen, setzte Salmhofer oft abbildende musikalische Symbole ein, deren Semantik konventionalisiert war und kaum unerwartete Konnotationen zuließ. Eine gottgegebene Weltordnung wird bereits im Lied Nr. 1, Krokus, eindeutig postuliert und von diatonischem, aufwärts strebendem Es-Dur musikalisch inszeniert: „Gott fügt es. / Er bestimmt die Zeit. / Er heisst ihn blühn, obwohl es schneit / Und ihm genügt es.“71 Das Lied Nr. 17, der Steinbrech, impliziert dann – ganz im Sedlmayr’schen Sinne – das mutmaßlich ‚NichtNatürliche‘ der Neuen Musik mit ihren extremen Ausdrucksspektren gegenüber einer ‚leisen‘, ‚natürlichen‘ Musik, wie sie Salmhofer im eingangs zitierten Schreiben an Waggerl für sich reklamierte: „Er übt die Kunst auf seine Weise / Und ohne Lärm. / Gott liebt das Leise.“72 Auch in der zeitgenössischen Rezeption taucht das Bild von der vermeintlich ‚natürlichen‘ Musik Salmhofers auf. So deutete der Pianist und Musikschriftsteller Erik Werba (1918–1992) im Dezember 1952 den andauernden Erfolg des Salmhofer’schen Liederzyklus als Triumph über eine musikalische Avantgarde, der er sowohl ästhetische als auch ökonomische Potenz absprach:73 Es gibt noch Verleger, die sich einer solchen Neuheit annehmen und der Öffentlichkeit den Weg bahnen. Und dann kommen Käufer, Subventionen erweisen sich als überflüssig, die Noten bleiben nicht im Verkaufsladen und auch nicht auf dem Klavier liegen, man singt und musiziert aus ihnen, privat, im größeren Kreis, selbst in Schulen und öffentlich: Patzaks Konzerte, in denen er das „Herbarium“ am Programm hat, sind ausverkauft, der Rundfunk greift nach den Piecen […]. So geht es nur Musikwerken […], die im wahrsten Wortsinne natürlich wuchsen!
Im Erfolg des Heiteren Herbarium, einer Sammlung von textlich-musikalischen Miniaturen, manifestierte sich das kulturkonservative Kunstwollen der österreichischen Nachkriegszeit74 besonders deutlich. Von der zeitgenössischen Kritik als Gegenentwurf zu einer 1951 als immer bedrohlicher empfundenen künstlerischen Moderne gefeiert, sind die „subtilen Jagden“ Waggerls und Salmhofers anschauliches Zeugnis für eine zeittypische Strategie der kreativen Rückversicherung – ideologisch wie tonal. 71 Franz Salmhofer, Heiteres Herbarium. Nach Gedichten von Karl Heinrich Waggerl, Wien/München 1969 (1951), 2. 72 Ebda., 28. 73 Erik Werba, „‚Er übt die Kunst auf seine Weise und ohne Lärm …‘ Das ‚Heitere Herbarium‘ von Waggerl-Salmhofer“, in: Musikerziehung. Zeitschrift zur Erneuerung der Musikpflege 6/2 (Dezember 1952), 79–84. 74 Ernst Hanisch, Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhun dert, Wien 1994, 427–437.
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5. Konsens als Leitidee „Nehmen Sie leidenschaftlich Partei, dafür oder dagegen“75 – der Aufruf Albert Paris Güterslohs bei der Eröffnung des Art Club im Jahr 1946 spielte mit den kulturtheoretischen und kulturpolitischen Polarisierungen als kategorialer Grundhaltung gegenüber den Künsten in der österreichischen Nachkriegszeit. Im Österreich des einsetzenden Kalten Krieges wurde dagegen Indifferenz geradezu eine Leitästhetik: So lassen sich kaum Werke österreichischer Komponisten nennen, die durch die Verwendung eines entsprechenden Stils oder durch textliche Indices einerseits zur unmittelbaren Vergangenheit, andererseits im globalen Kampf der beiden Machtblöcke um kulturelle Vorherrschaft76 eindeutig Stellung bezogen hätten: So wurde der Jazz – Stilsignifikant der Vereinigten Staaten – nur zögernd (→ Tammen, S. 263 f.), und wenn, dann vor allem von der jüngeren Generation kompositorisch und interpretatorisch behandelt (etwa von Jelinek77, Gerhard Rühm [*1930] oder Friedrich Gulda [1930–2000]). Vollends von österreichischen Komponisten ignoriert wurde die von Moskau ausgegebene Doktrin des Sozialistischen Realismus. Mehr noch: Hinsichtlich der Gestaltung ‚linker‘ Musik lässt sich in der Musikproduktion der österreichischen Nachkriegszeit geradezu durchgehend der Ansatz feststellen, diese semantisch in der Schwebe zu lassen. Selbst Kompositionen wie die Kantate Wir bahnen den Weg von Erwin Weiss (1912–2004), die 1949 im eindeutigen Rahmen einer sozialdemokratischen Großveranstaltung uraufgeführt wurde,78 oder die Mai-Kantate (1953) von Korda rekurrieren kaum auf Periodenbildung und Melodiegestus der Arbeiterlieder der 1920er Jahre. Eher ist die von Robert Menasse so benannte „sozialpartnerschaftliche Ästhetik“79, die Vorstellung des Konsenses, der Vermeidung von Differenz durch das Primat einer (Staats- bzw. Nations-)Idee, wirksam für kompositorische Praktiken geworden: für die Synthesetechnik eines Karl Schiske (1916–1969)80, für die Verknüpfung der Reihentechnik Josef Matthias Hauers mit Jazz-Rhythmen bei Gerhard Rühm, für die Synthesen (1955) von Kont und auch für den Brückenschlag der Musik 75 Zitiert nach Barbara Denscher (Hg.), Kunst und Kultur in Österreich – Das 20. Jahrhundert, Wien/ München 2000, 149. 76 Vgl. David Caoute, The dancer defects. The struggle for cultural supremacy during the Cold War, Oxford 22008. 77 Zu Jelineks Jazz-Rezeption siehe Hartmut Krones, „Kompositionsgeschichte“, in: Flotzinger/ Gruber (Hgg.), Musikgeschichte Österreichs (wie Anm. 35), 357–383, 362. 78 K arner, „Kulturpolitische Rahmenbedingungen“ (wie Anm. 4), 59. 79 Robert Menasse, „Die Herausbildung sozialpartnerschaftlich-ästhetischer Strukturen in der österreichischen Literatur der Zweiten Republik“, in: Ders., Das war Österreich. Gesammelte Essays zum Land ohne Eigenschaften, Frankfurt am Main 2005, 173–205. 80 K arlheinz Roschitz, Karl Schiske, Wien 1970, 29 ff.
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NB 9: Ernst Tittel, Ein Österreichisches Lied (1951), aus der Chorfuge des ersten Satzes. Satz: Stefan Schmidl. Mit freundlicher Genehmigung der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek Wien
des vornehmlichen Kirchenkomponisten Anton Heiller (1923–1979). Diese Ästhetik zeigte sich zudem in der Tendenz, die Grenzen zwischen den Künsten aufzubrechen, in unterschiedlichen Medien zu arbeiten (Rühm, Oswald Wiener [*1935], Arik Brauer [*1929] etc.) und diese Medien miteinander zu verknüpfen, etwa in der ‚visuellen Musik‘ Rühms, später in jener von Roman Haubenstock-Ramati (1919–1994). Aber auch die zeitgenössische Musikwissenschaft verwendete das Bild des zusammen-
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NB 10: Ernst Tittel, Ein Österreichisches Lied (1951), Beginn des zweiten Satzes („Die Bauern“). Satz: Stefan Schmidl. Mit freundlicher Genehmigung der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek Wien
NB 11: Ernst Tittel, Ein Österreichisches Lied (1951), aus dem dritten Satz („Die Arbeiter“). Satz: Stefan Schmidl. Mit freundlicher Genehmigung der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek Wien
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gesetzten Ausgleichs: Bei Erich Schenk ist 1956 die Musik des österreichischen Barock „Ausdruck europäischer Kultursynthese“81, was durchaus an den Konsens der Sozialpartnerschaft denken lässt. Ganz konkreten Bezug auf die postulierte Sozialpartnerschaft, darüber hinaus auf den Ausgleich von Stadt und Land, Industrie und Agrarwirtschaft nahm Ernst Tittels auf der Grundlage von Alexander Lernet-Holenia komponierte Kantate Ein Österreichisches Lied, die noch im Jahr ihrer Entstehung (1951) mit dem Förderungspreis der Stadt Wien ausgezeichnet wurde. In dem Werk erscheint Österreich als paritätische Synthese, eingeleitet durch die Suggestion von ‚Ordnung‘ in Form einer lehrbuchhaften Chorfuge (auf die Zeilen „Schön ist Österreich zu lieben“; Notenbeispiel 9), gefolgt von den Sätzen „Die Bauern“, strukturiert durch einen punktierten Rhythmus und durchgehende Imitatorik (Notenbeispiel 10), und „Die Arbeiter“ („Amboß, klinge“; Notenbeispiel 11).82 Die auf diese Art metaphorisch repräsentierte Sozialpartnerschaft sollte das neue Österreich als sozusagen ‚selbstorganisierendes‘ System begründen: eine Idee, wie sie auch in der sich damals konstituierenden Kybernetik theoretische Beschreibung fand. Deren Begründer, Heinz von Foerster, erwählte mit Josef Matthias Hauer, dem „Künder […] der höchsten Emanation menschlichen Geistes“,83 eine bezeichnende Entsprechung auf musikalischem Gebiet.
6. Rück züge Repräsentationen nationaler Mythologien und Ideologien standen im ersten Nachkriegsjahrzehnt Österreichs solche gegenüber, die supranationale Mythen als Gegenstand wählten. Folgt man Roland Barthes, der den Mythos als gleichermaßen entpolitisierte wie imperative Aussage beschrieben hat,84 so war dies ein naheliegender Ansatz. Das Aufgreifen semantisch ‚offener‘ mythischer Topoi war aber kein Spezifikum Österreichs (man denke etwa an entsprechende Werke so unterschiedlicher Komponisten wie Igor Strawinsky, Luigi Dallapiccola, Werner Egk, Carl Orff oder Rolf Liebermann). Als diesbezügliche Hauptwerke sind Uhls in Konkurrenz mit Bohuslav Martinů komponiertes „oratorisches Musikdrama“ Gilgamesch85 (1954/56, 81 Erich Schenk, „Die österreichische Barockmusik als Ausdruck europäischer Kultursynthese“ (1956), in: Ders., Ausgewählte Aufsätze, Reden und Vorträge, Graz/Wien/Köln 1967, 41–44. 82 Handschriftlicher Klavierauszug, Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Musiksammlung, Fonds 93: Tittel, 125/3. 83 Heinz von Foerster, „Von Pythagoras zu Josef Matthias Hauer“, in: Jedermann, 1. August 1947, 4. 84 Roland Barthes, Mythen des Alltags, Frankfurt am Main 1964, 106 bzw. 130. 85 Alexander Witeschnik, Alfred Uhl. Eine biographische Studie, Wien 1966, 45 und 48. Vgl. Ste-
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über das sumerische Epos) und die am 30. Dezember 1950 in der Choreographie Erika Hankas am Theater an der Wien (dem damaligen Ausweichquartier der Wiener Staatsoper) als Ballett erstaufgeführte Homerische Symphonie von Berger über die Heimkehr des Odysseus zu nennen. In letzterem Werk, dessen Programm sich aus den wichtigsten Episoden der Odyssee zusammensetzt, stellte Berger seinen Personalstil, eine Synthese diverser kompositorischer Techniken des 20. Jahrhunderts, in den Dienst der Erzählung Homers. Dabei differenzierte Berger sehr eindeutig die stilistischen Kategorien und die ihnen zugedachte Aussage:86 Zwei heterogene Ton-Stile wirken in diesem Werk. Diatonik für Freundliches, Lichtvolles, Idyllisches, Gelöstes, Glückvolles und auch für die Sehnsucht danach; Dissonanzen und Polytonalität für Reibungsvolles, Düsteres, Dramatisches, Schicksalsschweres, und auch die Vorahnung davon.
Musikalische Deutungen des Mythischen wie jene von Berger und Uhl können auch als individuelle ‚Rückzüge‘ verstanden werden, als teilweise resignative kompositorische Reaktionen auf das dogmatische Schulen-Denken der Nachkriegszeit. In einigen wenigen Fällen ist die Stilistik solcher Werke sogar überraschend, so in der symphonischen Dichtung Schnee (1948) des Gymnasiallehrers Richard Maux (1893–1971). Form und Gehalt von Schnee erklärte er folgendermaßen:87 [Die] Idee besteht in der traumhaften Vorstellung, mit der geliebten Frau im „Schloß“ so tief eingeschneit zu sein, daß alle Wege verweht sind und – dem andern verwehrt. In der Nacht zum 4. Jänner 1948 wurde dieser Traum in Dürnstein zunächst als Gedicht gestaltet: Laß immer tiefer fallen Schnee, o guter Gott, laß schneien, bis alles Leid verweht im Schnee, bis alles Glück uns birgt der Schnee, daß keiner uns je findet. Laß schneien – schneien – schneien! fan Schmidl, „Musikalische Struktur und Identitätssuche: Die ‚Homerische Symphonie‘ von Theodor Berger“, in: Schmidl (Hg.), Künste der Nachkriegszeit (wie Anm. 11), 229–235. 86 Herbert Wieninger, „Theodor Berger. Homerische Symphonie“, in: Ö1-Magazin, 11. Juni 1981, 6. 87 Richard Maux, „Zur Konzeption der Symphonischen Dichtung ‚Schnee‘. Interpretation anhand des ihr zugrunde liegenden Gedichts von RM“ (Beilage zum Programmheft der Aufführung der Symphonischen Dichtung im Schubertsaal des Wiener Konzerthauses am 16. März 1958; zitiert nach Roman Roćek, Tonal gegen den Zeitgeist. Leben und Werk des Tondichters Richard Maux in Dokumenten, Perchtoldsdorf 2010, 248–249).
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NB 12: Richard Maux, Schnee (1948): Klangfarben und impressionistische Harmonik. Satz: Stefan Schmidl. Mit freundlicher Genehmigung der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek Wien
Das „Schloss“ (womit wohl auf die gleichnamige, zum Hotel adaptierte Anlage in Dürnstein angespielt wird) erscheint als hermetischer Ort der totalen Weltabgewandtheit, die rahmende Wachauer Winterlandschaft als Gleichnis einer Gefühlserstarrung, die auch auf die Erfahrung des Zweiten Weltkriegs zurückgeführt werden muss. Stilistisch zeichnet Schnee der Einsatz etablierter instrumentaler Klangfarben der Kälte (Celesta, Harfe) aus, vor allem aber die Verwendung impressionistischer Harmonik, ein in der Kompositionsgeschichte Österreichs sehr selten anzutreffendes Stilmittel (Notenbeispiel 12). Der auffälligste Ausdruck eines Rückzuges, gar einer Verweigerung, ist im radikalen Reduktionismus von Rühm (Eintonstück, Einwortlieder, um 1950) und Kont (Wenigtonstücke, 1946) zu finden.
7. Versuch eines Fazits Das Ausbleiben einer gesellschaftlichen und künstlerisch anerkannten Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit und nicht zuletzt das öffentliche Festhalten an überholten, entpolitisierenden oder teilweise sogar ‚belasteten‘ ästhetischen Normen forcierte den Konflikt zwischen den Generationen und Ideologien. Doch erst
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viel später, 1968 und dann allgemein gesellschaftlich im Zuge der sog. WaldheimAffäre 1986, sollte dieser Konflikt realpolitisch eskalieren und zu neuer Bewusstseinsbildung zwingen. Im Rückblick auf das erste Nachkriegsjahrzehnt in Österreich bildet das Jahr 1956 in mancher Hinsicht eine Zäsur, kam es in diesem Jahr doch zu technischen Innovationen (1. Jänner 1956: Übertragung des Neujahrskonzerts durch das Versuchsprogramm des Österreichischen Fernsehens; 27. Jänner 1956: Übertragung des Eröffnungsfestaktes in Salzburg als Eurovision; im selben Jahr bereits Ausstrahlung populärer ‚Fernseh-Konzerte‘), die eine umfassende Medialisierung der Gesellschaft zur Folge hatten und die Rolle von Musik als Projektionsinstrument von Dispositiven bzw. die Wertigkeiten, die Diskursen über Musik beigemessen wurden, schmälerten. Schließlich wurde 1956 Fred Sears’ Film Rock Around the Clock (Musik: Bill Haley) auch in Österreich zu einem großen Erfolg – ein Umstand, an dem die einsetzende zweite Globalisierung (nach der ersten des 19. Jahrhunderts) erkannt werden kann. Fragt man zuletzt, was sich vom ersten Nachkriegsjahrzehnt bis in die Gegenwart erhalten hat, lässt sich am ehesten auf das generelle Vorstellungsbild von Österreich verweisen, denn nicht einmal das einzige internationale ‚Erfolgsstück‘ eines österreichischen Komponisten nach 1945, von Einems Dantons Tod, wurde langfristig in den Kanon des ständigen Repertoires aufgenommen. Bezüglich der Rolle der Avantgarde kann zudem von einer vollendeten Marginalisierung bzw. einer Nischenproduktion gesprochen werden, obwohl 1945 bis 1956 zumindest die publizistische Wahrnehmung noch eine weitaus größere war und auch punktuelle ‚Störungen‘ noch stattfanden, wie der Skandal um Wildgans’ Eucharistische Hymnen im Juni 1954 hinreichend dokumentiert. Dies mag daran gelegen haben, dass die bürgerliche Trägerschicht des Musiklebens, unterstützt von einer kulturkonservativen Politik (mit der Ausnahme Matejkas und Otto Mauers) und einer ebenso konservativen Musikkritik und Musikwissenschaft, an seiner etablierten symbolischen Ordnung, dem Konzertwesen und -repertoire, festhielt, sich Musik als ritualisierten (Hör-)‚Raum der Sicherheit‘ und als Repräsentationsraum nicht nehmen ließ. Der klaustrophobischen Mentalität während des Kalten Krieges wurde damit die Utopie einer stabilen Weltordnung entgegengesetzt. Die Voraussetzungen der Konstitution einer musikalischen Avantgarde sui generis waren daher schwerlich gegeben. Dazu trug sicherlich auch das kategoriale Schulen-Denken der Nachkriegszeit bei, das sich in umfangreichen Kontroversen niederschlug: So führten die mit dem Schimpfwort „Neoprimitivisten“88 bedachten Art-Club-Komponisten um Kont Auseinandersetzungen mit der gemäßigten (neoklassizistischen 88 Ingrid M. Oberkanins, Neue Musik im Umfeld des Art Club, Dipl.-Arb., Hochschule für Musik und darstellende Kunst Wien 1991, 51.
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bzw. dodekaphonen) Moderne (besonders der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik und ihrem Präsidenten Wildgans) und der einflussreichen kulturkonservativen Gruppierung um Marx, Kornauth und Melichar. Der Aufbruch nach 1945, anfänglich gekennzeichnet von nationalen, sozialen und künstlerischen Utopien, blieb in statu nascendi stecken – trotz Ereignissen von durchaus internationaler Resonanz (den Wiener Festwochen, den Salzburger und Bregenzer Festspielen, dem Erfolg von Dantons Tod), trotz aussichtsreicher neuer Institutionen (etwa dem nach dem Vorbild des Club Saint-Germain gestalteten Strohkoffer), trotz beachtlicher medienübergreifender Experimente (die Filme von Steinwendner mit Konts progressiver Filmmusik) und trotz eines zwar selektiven, aber immerhin vorhandenen Austauschs mit internationaler Avantgarde.89 Wenn Hans Ulrich Gumbrecht also die europäische Nachkriegszeit als eine Zeit der „Latenz“ gekennzeichnet hat,90 trifft diese Definition zweifellos auch auf die ‚verzögerten‘ Jahre 1945 bis 1956 in Österreich zu.
89 So besuchten jüngere österreichische Avantgarde-Komponisten die Darmstädter Ferienkurse und Paris, ältere wie Alfred Uhl und Robert Schollum die Sowjetunion. 90 Hans Ulrich Gumbrecht, Nach 1945. Latenz als Ursprung der Gegenwart, Berlin 2012.
Björn R. Tammen
‚MusikBildIdentitäten‘ – Sondierungen eines Musikikonogr aphen zwischen Basler Planetenbuch und Wiener Gemeindebau
1. Vorüber legungen Durch Einbeziehung von Werken der bildenden Kunst weitet sich das Erkenntnispotential eines Forschungsprojekts wie Musik – Identität – Raum signifikant. In Musikdarstellungen sichtbar gemachte Identitäten sind das Ergebnis einer Repräsentationsleistung, die im Vorgang der Imagination1 zunächst nur ‚eingebildet‘ wird, um alsdann künstlerische Gestalt anzunehmen. Dabei ist der Übergang von der ‚Vorstellung‘ zur ‚Darstellung‘ keineswegs eine Einbahnstraße. In Anlehnung an das geradezu sprichwörtliche „How to Do Things with Words“ der soziolinguistischen Sprechakttheorie bzw. ihr bildwissenschaftliches Pendant2 sind Musikdarstellungen als Teil dynamischer Kommunikationsprozesse zu begreifen, innerhalb derer die auf konkrete musikalische Phänomene referenzierenden Wiedergaben identitätsgeprägter ‚Musikbilder‘ wiederum bewusstseinssteuernd bis handlungsanleitend wirken und so zur Ausverhandlung von Identitäten beitragen (können) – erst recht dort, wo Bildangebote im öffentlichen Raum geradezu manipulatorisch auf ihre Betrachter zielen. Aus dieser komplexen, hier nur umrisshaft skizzierten Konstellation resultieren ‚MusikBildIdentitäten‘, für die der Bereich dinglicher wie personalisierter Leitbilder – bevorzugte Musikinstrumente einer bestimmten Kultur, einzelne heroisierte bzw. kanonisierte Komponisten – dankbare Anwendungsbeispiele bietet. Neben ihrer positiven, gerade in politischen Krisen- und gesellschaftlichen Umbruchszeiten wohl höchst willkommenen, da im Idealfall auf Konsolidierung setzenden Dimension haben derartige Wiedergaben doch auch eine Kehrseite, insofern ‚deviante‘ Musik1 Vgl. Jens Bonnemann, Der Spielraum des Imaginären: Sartres Theorie der Imagination und ihre Be deutung für seine phänomenologische Ontologie, Ästhetik und Intersubjektivitätskonzeption (Phänomenologische Forschungen, Beiheft 2), Hamburg 2007. 2 Vgl. John Langshaw Austin, Zur Theorie der Sprechakte, bearb. von Eike von Savigny, Stuttgart 1972; Horst Bredekamp, Theorie des Bildakts: Frankfurter Adorno-Vorlesungen 2007, Berlin 2010 (²2011); Ders./John M. Krois (Hgg.), Sehen und Handeln (Actus et Imago 1), Berlin 2011.
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Björn R. Tammen
sphären kraft der Mechanismen von Inklusion und Exklusion im gegebenen Imaginationshaushalt einer bestimmten Kultur einem Verdrängungseffekt ausgesetzt sein können – in extremo bis hin zu ihrem Ausschluss. Die folgenden Ausführungen verleugnen nicht die Forschungsinteressen ihres Autors – weder die langjährige Beschäftigung mit der mittelalterlichen Musikikonographie, die hier auf ein vergleichsweise schmales Zeitfenster der Jahre um 1430/40 (→ Rausch, S. 42 f.) einzuengen ist, noch das Faszinosum einer auf Bilder und Symbole gestützten Identitätspolitik im öffentlichen Raum, wie sie die Gemeinde Wien in und an ihren Gemeindebauten (und nach ihrem Vorbild wohl auch der 1948 in Österreich eingerichtete, in staatlicher Trägerschaft befindliche Wohnhaus-Wiederaufbaufonds) an den Tag legt.3 Anhand exemplarischer Kunst-am-Bau-Objekte lässt sich veranschaulichen, wie Räume zu Aktionsfeldern kulturellen Handelns werden und zugleich dessen Resultate abbilden – ganz im Sinne der prägnanten, ein anthropologisches Raumverständnis begründenden Definition des französischen Philosophen und Soziologen Michel de Certeau (1925–1986), wonach Raum nichts Vorgegebenes ist, sondern „ein Ort, mit dem man etwas macht“4. Der Beitrag dieser musica politica5 zu einer veritablen Kunst des Wiederaufbaues (→ Schmidl, S. 201 ff.) sollte nicht unterschätzt werden, selbst wenn es sich dabei nur um ein schmales Segment der Bildpro3 Vgl. Björn R. Tammen, „Harmonie als Identitätsangebot: Beobachtungen zur Kunst am Bau in Wohnhausanlagen der Gemeinde Wien und anderer Bauträger, 1945–1960“, in: Stefan Keym/K atrin Stöck (Hgg.), Musik – Stadt. Traditionen und Perspektiven urbaner Musikkulturen. Bericht über den XIV. Internationalen Kongress der Gesellschaft für Musikforschung, Bd. 3: Musik in Leipzig, Wien und anderen Städten im 19. und 20. Jahrhundert: Verlage – Konservatorien – Salons – Vereine – Konzerte, Leipzig 2011, 283–299; Ders., „The ‚City of Music‘ in Twentieth-Century Viennese Public Art“, in: Acta Musicologica 83 (2011), 93–112, passim; Ders., „Catalogus: Musikdarstellungen in der Kunst am Bau der Stadt Wien und anderer Bauträger, ca. 1920–1970, Teil 1: Gemeindebauten“, in: Imago Musicae 24 (2011), 149–226; Ders., „‚Glückliche Menschen in neuen Häusern‘. Variationen über Musikbild und Menschenbild in und an den Gemeindebauten der Stadt Wien“, in: Stefan Schmidl (Hg.), Die Künste der Nachkriegszeit. Musik, Literatur und bildende Kunst in Österreich (Wiener Musikwissenschaftliche Beiträge 23; Forschungsschwerpunkt Musik – Identität – Raum), Wien/Köln/ Weimar 2013, 137–166; Ders., „Musikdarstellungen im Sozialen Wohnungsbau. Städtische Bildpolitik und die Freiräume künstlerischer Imagination am Beispiel der Wiener Gemeindebauten“, in: Roberto Illiano (Hg.), Music and Figurative Arts in the Twentieth Century (Speculum Musicae 29), Turnhout 2016, 99–121. Siehe auch die in Anm. 14, Anm. 45 und Anm. 63 genannten Spezialpublikationen des Verfassers. 4 Michel de Certeau, „Praktiken im Raum“ [1980], in: Jörg Dünne/Stephan Günzel (Hgg.), Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1800), Frankfurt am Main 2006, 343–353, 345. 5 Der Begriff wurde in anderem Zusammenhang geprägt: Volker Scherliess, „musica politica“, in: Thomas Kohlhase/Ders. (Hgg.), Festschrift Georg von Dadelsen zum 60. Geburtstag, Neuhausen/ Stuttgart 1978, 270–283.
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‚MusikBildIdentitäten‘
duktion der Nachkriegszeit handelt. Einen weiteren thematischen Schwerpunkt bildet der Bereich der Komponistendenkmäler. Vorderhand sind selbige als Manifestationen eines in Musikleben, Musikanschauung und Musikhistoriographie hineinwirkenden Kanons zu beschreiben; als Spielbälle staatlicher und städtischer, institutioneller oder auch privater Initiativen lassen sie jedoch auch eine der äußerlichen Petrifizierung geradezu konträre Dynamik erkennen. Damit werden die teils auf die musikalische res facta, auf Kompositionen, Gattungen und Musikinstrumente, teils auf Zeugnisse des musiktheoretischen wie -ästhetischen Diskurses zielenden ‚Raumbefunde‘ der Projektschnittstellen (→ Gruber, S. 17 ff.) um wichtige Aspekte bereichert. Im Einzelfall gelingt es womöglich sogar, Prozesse der Identitätsbildung aufzuzeigen, die sich so ausschließlich in Bildwerken greifen lassen, wie eine geradezu körperlich vermittelte Form von Gruppenidentität in den Kantoreibildern des Spätmittelalters (→ 6). Innerhalb der mit dem Kunstwort ‚MusikBildIdentitäten‘ belegten Dreieckskonstellation werden die Achsen des Musikalischen, des Ikonographischen und der – gleichfalls immer pluralisch aufzufächernden – Identitäten sehr ungleichgewichtig bespielt: Die durch Musikdarstellungen vermittelten Identitätsangebote gemeindebaulicher Kunst mitsamt ihren bisweilen banal, affirmativ oder auch suggestiv anmutenden Botschaften lassen sich in Kenntnis der zeithistorischen, gesellschafts- und kulturpolitischen Rahmenbedingungen zu einem Gutteil rekonstruieren, mithin in ihren auch ideologisch begründeten Mechanismen verstehen. Fundamental verschieden stellt sich demgegenüber die Situation für das Spätmittelalter dar: Ein hier ohnehin nur mit Vorsicht anwendbarer Identitätsbegriff scheint an vielen Objekten, zumal solchen in sakralen Kontexten, förmlich abzuperlen. Lassen sich überhaupt die für spätere Epochen gewonnenen Kategorien von Identität und Alterität, von Inklusion und Exklusion so ohne Weiteres auf Engelskonzert oder Davidsminiatur übertragen? Die Frage beleuchtet ein grundsätzliches methodisches Dilemma, bietet aber auch Chancen in umgekehrter Perspektivierung, wenn nämlich der Zugang keineswegs einseitig aus der Gegenwart heraus präformiert wird, vielmehr jüngere Objekte durchaus auch im Lichte spätmittelalterlicher Vorstellungen betrachtet werden. *** Es liegt in der Natur der Sache, dass der nachfolgende Essay seinen Gegenstand kaum zielgerichtet bewältigen kann, vielmehr eher in Mäandern zwischen den unterschiedlichsten potenziell identitätsrelevanten Phänomenen verläuft. Bisweilen werden bekanntere Objekte nur en passant berührt, während sich andere, wenig beforschte Gebiete fast schon zu Exkursen verselbständigen. Der, wenn man so will, ‚differenzierende Vergleich‘ (→ Gruber, S. 30 ff.) vollzieht sich auf verschiedenen Ebenen einer
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flexibel angelegten Versuchsanordnung, welche die Potenziale wie Fallstricke eines den Kulturwissenschaften gern zum Vorwurf gemachten „illegitimen Vergleichens“ der geradezu sprichwörtlichen „Äpfel und Birnen“6 stets gewärtigen muss. Hier zunächst ein Überblick über die Unterabschnitte und ihre thematischen Schwerpunkte. Am Anfang steht die Konfrontation zweier Bildquellen, zwischen denen Welten zu liegen scheinen: zum einen ein Sgraffito der 1950er Jahre zum Thema Musikstadt Wien (→ 2.1), zum anderen der Holzschnitt Kinder der Venus aus dem um 1435/40 entstandenen Basler Planetenbuch (→ 2.2). Als elementare, im Bild und durch das Bild behauptete ‚Wesenheit‘ vermitteln beide Darstellungen eine Form von Identität, die nicht nur Trennendes, sondern auch Verbindendes erkennen lässt, zumal bei unverkennbar legitimatorischer Stoßrichtung: hier Kompensationsstrategien einer nach Kriegsende im Wiederaufbau begriffenen Gesellschaft, die dem politischen Bedeutungsverlust durch Rückbesinnung auf musikalische Leistungen von Weltrang entgegenarbeitet, dort eine astrologisch fundierte Rückversicherung in Zeiten der Krise wie auch im Lichte einer hochgradig diversifizierten, in die gesellschaftliche Breite gehenden musikalischen Praxis. Im umfangreichen Abschnitt zu Komponistendenkmälern steht jeweils ein Objekt für eine private, eine städtische sowie eine landesherrliche Initiative. Die relativ gut erforschte Gruppe der auf bürgerliche Emanzipation qua Inszenierung musikalischer Heroen setzenden Ringstraßendenkmäler in Wien oder auch das Salzburger Mozart-Monument von 1842 als ihr spektakulärer, von einem großdeutschen Impetus getragener Vorläufer können als bekannt vorausgesetzt werden (→ 3.1), nicht hingegen das der Privatinitiative eines italienischen Kaufmannes sich verdankende erste Mozart-Monument auf Wiener Boden (1848): Am Standort des ehemaligen Mozart-Sterbehauses in der Rauhensteingasse liegt ein für die ‚Inkubationszeit‘ dieser steingewordenen Zeugnisse kultureller Identität umso bemerkenswerteres Objekt vor, als mit dem Denkmal stricto sensu auch gleich noch ein Büstenzyklus ‚bedeutender‘ Komponisten in ungewöhnlich subjektiver Tönung einhergeht (→ 3.2). Planungen für ein Richard-Strauss-Denkmal in Wien lassen zunächst an einen für die österreichische Nachkriegszeit bezeichnenden, wiewohl kaum absolut zu setzenden Kulturkonservativismus denken. Dank der Eigenwilligkeit des mit der Ausführung betrauten Künstlers entwickeln sich die Dinge jedoch in eine ganz andere Richtung, fern von jeglicher Heroisierung: So erhebt Siegfried Charoux in seiner ungewöhnlichen Figurengruppe Die Lauschenden das faszinierte Hören auf Musik zum eigentlichen Bildgegenstand (→ 3.3). Der Blick zurück in das Spätmittelalter richtet sich auf eine 6
Zu diesem Grundproblem vgl. Helga Lutz u. a. (Hgg.), Äpfel und Birnen. Illegitimes Vergleichen in den Kulturwissenschaften (Kultur- und Medientheorie), Bielefeld 2006.
‚MusikBildIdentitäten‘
landesherrliche Repräsentationsmaßnahme des Stifterherzogs Rudolf IV., das Neidhartgrabmal an St. Stephan (→ 3.4). Was anhand vormärzlicher wie gründerzeitlicher Fallbeispiele als der ‚dynamische‘ Kern von Dichter- und Musikerdenkmälern konturiert wurde (neben ihrer gleichsam petrifizierten Außenseite), erlaubt es, unterschiedliche Erscheinungen einer lebendigen Neidhartpflege, aber auch stolze Zeugnisse von Autorschaft und Selbstinszenierung bei Oswald von Wolkenstein zumindest hypothetisch in einem neuen Licht zu betrachten. Als ausgeprägtes Autostereotyp (und damit als ein Grundmuster von Identitätskonstruktionen) verdient das ‚wienerisch Heitere‘ und seine Anverwandlung in der gemeindebaulichen Kunst u. a. in Gestalt der schier ubiquitären Heurigen-Ikonographie mit Schrammelmusik unser besonderes Interesse – insbesondere dort, wo sich dies mit Gedächtnisorten überlagert (→ 4.1). In dem Maße, wie dabei Abziehbilder des Populären privilegiert und zugleich propagiert werden (→ 4.2), dürften sich alternative Motivkreise einem latenten bis offenen Verdrängungseffekt ausgesetzt sehen. Und so beleuchten zwei Unterabschnitte einerseits ein utopisches, ganz anders ausgerichtetes Bildprogramm der frühen 1930er Jahre (→ 4.3), andererseits Ansätze zu einer Jazz-Ikonographie in der Kunstproduktion der Nachkriegszeit am Beispiel von Hermine Aichenegg, einer profilierten, u. a. auch für den Gemeindebau tätigen Künstlerin (→ 4.4). Der Versuch, spätmittelalterliche Musikinstrumente in ihrer identitätsstiftenden, vielleicht sogar (proto)nationalen Bedeutung zu begreifen (→ 5.1), setzt an bei den prominent im 14. Jahrhundert auftretenden böhmischen Sonderformen von Harfe und Psalterium (→ 5.2). Den Referenzpunkt für einen epochenübergreifenden Vergleich bildet hier die zuvor für die Nachkriegszeit in Wien beleuchtete Schrammelmusik, die vor Augen führt, in welchem Maße einzelne Musikinstrumente semantisch aufgeladen werden (können) und mit welchen Konnotationen bei ihrer bildlichen Wiedergabe zu rechnen ist. Sowohl in Hinblick auf die Davids-Ikonographie illuminierter Bibeln und Gebetbücher als auch die Wiedergabe musizierender Engel, für die Beispiele mit direktem Bezug auf den Habsburger Albrecht II. (V.) herangezogen werden, verschiebt sich dabei der Fokus von einer an konkrete Kontexte und Klangwerkzeuge gebundenen Form (volkstümlicher) musikalischer Identität in Richtung auf symbolische Stellvertreter (→ 5.3). Nur ausnahmsweise treten zwei Objekte über die Grenzen von fünf Jahrhunderten hinweg in einen produktiven Dialog zueinander – wenn nämlich ein Bildhauer des 20. Jahrhunderts auf eine prototypische Musikdarstellung der Renaissance Bezug nimmt und so neben dem bloßen Motivtransfer auch eine Verschiebung zwischen je einmaligen Identitätsmustern beobachtet werden kann (→ 6). Dieser heuristische Glücksfall ist mit Siegfried Charoux’ Singenden Knaben gegeben – einer gegen Kriegsende (1944) im englischen Exil geschaffenen Figurengruppe, die u. a. auf die be-
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rühmten Cantoria-Reliefs Luca della Robbias für Santa Maria del Fiore in Florenz mit ihren Darstellungen singender Knaben und Jünglinge rekurrieren dürfte, einige Jahre später dann als Bronzeguss von der Gemeinde Wien für eine der städtischen Wohnhausanlagen erworben wurde. Im Zuge dieser bemerkenswerten Kontexttransformation entfaltet ein ursprünglich von stolzer Gruppenidentität kündendes Kantoreibild der Florentiner Frührenaissance ein ganz eigenes Bedeutungsspektrum.
2. Was ver bindet die ‚Musikstadt Wien‘ mit den ‚K inder n der Venus‘? 2.1 Eine moderne divisio musicae und ihre Ingredienzien Vom Augarten Richtung Innere Stadt flanierend, gewahrt man auf halber Wegstrecke zum Donaukanal ein zweiteiliges, über Eck angebrachtes Sgraffito-Wandbild an einem 1956/57 aus Mitteln des Wohnhaus-Wiederaufbaufonds finanzierten Gebäude mit Eigentumswohnungen. Zwei gefällige, am unteren Rand angebrachte Inschriftenbanderolen konkretisieren die Themen als Musikstadt Wien (Ecke Franz-HochedlingerGasse) bzw. Theaterstadt Wien (Ecke Untere Augartenstraße).7 Beide Bildstreifen sind analog disponiert und erschließen in jeweils drei Horizontalregistern mit Haupt- und Nebenmotiven sowohl diastratische als auch diachrone Facetten des Themas. Im Falle der Musikstadt Wien (Abb. 1a/b) ergibt sich, von unten nach oben betrachtet, ein imaginärer Aufstieg von der populären Sphäre des sackpfeifenden ‚Lieben Augustin‘ über einen Geiger im Frack, Projektionsfläche für Unterhaltungskünstler vom Kaliber eines Johann Strauss Sohn oder Joseph Lanner, bis hin zu einer modernen Adaption der die Orgel spielenden hl. Cäcilia als Symbol der Kirchenmusik oder eher noch einer ins Religiöse überhöhten Tonkunst. Mit drei stilllebenartig isolierten Instrumentendarstellungen, die als Nebenmotive in reduzierter Farbigkeit auch medial zurückgestuft sind, werden in der Horizontalen weitere Facetten des Themas aufgeboten: mit dem an und für sich griechischen Aulos die römische Vergangenheit der Vindobona, mit der Laute eines der vorzüglichsten Virtuosen-, aber auch Hausmusikinstrumente aus Renaissance und Barock und schließlich die Zither, die zunächst im 19. Jahrhundert im Zuge einer veritablen Tiroler Mode populär geworden war,8 um später, dank Soundtrack zu Der Dritte Mann (1949) – mit Anton Karas’ ungemein po7 Der Künstler konnte bisher nicht ermittelt werden; eine Signatur ist nicht vorhanden. 8 Vgl. Joan Marie Bloderer, Zitherspiel in Wien: 1800–1850 (Diss. phil., Universität Innsbruck 2008), Tutzing 2008.
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Abb. 1a/b: Musikstadt Wien, Sgraffito (1956/57, nicht bezeichnet). Franz-Hochedlinger-Gasse 2 / Ecke Untere Augartenstraße 10, 1020 Wien Fotos: © Björn R. Tammen
pulärem Harry Lime Theme (→ Schmidl, S. 205 f.) – dem Nachkriegs-Wien geradezu zu einer „musikalischen Physiognomie“ zu verhelfen.9 (Das komplementäre Sgraffito zur Theaterstadt Wien mit Repräsentanten von Ballett [Tänzerin], Komödie [Harlekin] bzw. Tragödie [Hamlet, mit Totenschädel] sei hier nur kurz erwähnt, wiewohl es für den Künstler bzw. seinen Ideengeber gleiches Gewicht beansprucht haben dürfte.) Speziell der Aulos, den man nicht unbedingt mit der ‚Musikstadt Wien‘10 im emphatischen Sinne in Verbindung bringen würde, erweist sich als Teil einer geschickten pikturalen Argumentationsstrategie, erlaubt selbiger doch die Rückbindung des 9 Treffend Helga de la Motte-Haber/Hans Emons, Filmmusik: eine systematische Beschreibung, München/Wien 1980, 128: „Die Zither von Anton Karas als populäres und Sentiment fürs Vergangene verbürgendes Instrument und die chromatische, der Gegenwart zwielichtig-vulgären Amusements abgelauschte Fox-Melodie Harry Limes ergeben zusammen jenes Amalgam, das Nostalgie weniger produziert als benennt und damit dem Wien der Nachkriegszeit als dem geheimen Hauptdarsteller des Films seine musikalische Physiognomie verleiht.“ Vgl. auch Ernst Weber, „Schene Liada – Harbe Tanz: Die instrumentale Volksmusik und das Wienerlied“, in: Elisabeth Th. Fritz/Helmut Kretschmer (Hgg.), Wien Musikgeschichte, Teil 1: Volksmusik und Wienerlied (Geschichte der Stadt Wien 6), Wien 2006, Kap. B, 149–456, 423. 10 Zu den diskursgeschichtlichen Grundlagen vgl. Martina Nussbaumer, Musikstadt Wien. Die Kon struktion eines Images (Rombach Wissenschaften, Edition Parabasen 6), Freiburg im Breisgau 2007.
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‚Musikstadt‘-Images an das Erbe der Antike. Der ‚Liebe Augustin‘ evoziert demgegenüber die reizende Sage von (Schein-)Tod und Auferstehung eines Bänkelsängers und Stegreifdichters, der im Jahre 1679, da betrunken und von den Pestknechten für tot gehalten, in eine Grube vor St. Ulrich geworfen wurde. „Als er wieder Lebenszeichen von sich gab, holte man ihn heraus, und er setzte sein bisheriges Leben fort.“11 Ein schöneres Symbol für die Unsterblichkeit der ‚Musikstadt Wien‘ ist wohl kaum denkbar! (Dass der bekannte Augustinbrunnen in Wien-Neubau erst 1952 erneuert worden war, sei hier nur am Rande erwähnt.12) Auch ohne Vertreter des ansonsten für ‚MusikBildIdentitäten‘ gern bemühten Kanons der Wiener Klassiker gerät somit das Wandbild zu einer bemerkenswerten Syntheseanstrengung der 1950er Jahre.13 Damit ist bereits Einiges über den Konstruktionsaufwand ausgesagt, den die vielzitierten „imagined communities“ durch Schaffung identitätsstiftender Symbole an den Tag legen.14 Und doch sollten wir nicht an der Oberfläche dessen, was hier durch den Werktitel eine offizielle Sinngebung erfährt, stehenbleiben. Stattdessen sei versucht, weitere Bedeutungsschichten freizulegen – durchaus in Analogie zur Sgraffito-Technik, bei der ein mehrfarbiges Wandbild erst durch Wegkratzen diverser übereinanderliegender Putzschichten entsteht.15 Die sog. Typengeschichte im Modell der Ikonographie bzw. Ikonologie16 kann da nur ein Zwischenschritt im Rahmen umfassenderer hermeneutischer Bemühungen sein. Zumindest erlaubt die Frage nach möglichen 11 Vgl. Felix Czeike, Historisches Lexikon Wien, Bd. 1, Wien 1992, 193 f. („Augustin N.“); vgl. auch Gertraud Schaller-Pressler, „Volksmusik und Volkslied in Wien“, in: Fritz/Kretschmer, Wien Musikgeschichte (wie Anm. 9), Kap. A, 3–147, bes. 3–10. 12 Vgl. Historisches Lexikon Wien (wie Anm. 11), Bd. 1, 194 („Augustinbrunnen“). 13 Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auch auf den als Österreichisches Mosaik überschriebenen Entwurf eines Bühnenwerks von Robert Ernst aus dem Jahre 1949, das verschiedene musikbezogene Topoi, darunter den ‚Lieben Augustin‘, zu einem Pasticcio verzahnt (→ Schmidl, S. 209) und damit eine dem Sgraffito durchaus vergleichbare Synthese erbringt. 14 Vgl. Benedict R. Anderson, Imagined Communities: Reflections on the Origin and Spread of Nati onalism, London 2006 (Erstauflage 1983). – Ein extremes Beispiel beleuchtet Björn R. Tammen, „Walther von der Vogelweide und Papageno im ‚Bundesländerhof ‘: Grenzgänge zwischen musica po litica, föderaler Repräsentation und sozialem Wohnungsbau“, in: R aymond Ammann u. a. (Hgg.), Grenzüberschreitungen. Musik im interdisziplinären Diskurs. Festschrift für Tilman Seebass zum 75. Ge burtstag (Edited Volume Series), Innsbruck 2014, 103–126. 15 Vgl. Gunter Schweikhart, „Façade decoration, II. Sgraffito“, in: Jane Turner (Hg.), The Dic tionary of Art, London/New York 1996, Bd. 10, 740 f. 16 Vgl. Erwin Panofsky, „Zum Problem der Beschreibung und Inhaltsdeutung von Werken der bildenden Kunst“, in: Logos 21 (1932), 103–119; Ders., „Iconography and Iconology: An Introduction to the Study of Renaissance Art“, in: Ders., Meaning in the Visual Arts, Garden City/Gloucester (MA) 1955, 26–41. Wiederabdruck beider Texte (letzterer in deutscher Übersetzung) in: Ekkehard K aemmerling (Hg.), Ikonographie und Ikonologie. Theorien – Entwicklung – Probleme, Köln 1979 (41987), 185–206 bzw. 207–225.
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Vorbildern einen dann doch überraschenden Brückenschlag ins Mittelalter: So lässt die dreiteilige Struktur unseres Sgraffitos an die wohl berühmteste mittelalterliche divisio musicae denken: die Musica-Miniatur der Florentiner Ars-antiqua-Handschrift aus der Mitte des 13. Jahrhunderts mit ihren analog disponierten, jeweils in allegorische Hauptfigur und konkretisierende Nebenszene unterteilten drei Zonen der musica mundana, musica humana und musica instrumentalis – in den 1950er Jahren einem breiteren musikinteressierten Publikum leicht zugänglich als Tafel I in Heinrich Besselers Handbuch der Musik des Mittelalters und der Renaissance.17 Der zeithistorische Kontext legt eine Lesart des Bildprogrammes nahe, die unter der doppelten Voreinstellung von Musikstadt Wien und zugleich Theaterstadt Wien stolze kulturelle Besitztümer evoziert bzw. für das aus den Kriegstrümmern neu erstandene Österreich reklamiert. Kurze Zeit vor Errichtung des Wohnhauses in der Franz-Hochedlinger-Gasse – und diese Koinzidenz scheint kaum zufällig – finden mit der Wiedereröffnung des im Zweiten Weltkrieg stark beschädigten Opernhauses am Ring18 (1955) und den Mozart-Bizentenarfeierlichkeiten des Folgejahres19 zwei musikalische Großereignisse statt, in denen sich die Erinnerung an vergangene Größe mit der Hoffnung auf wiederzuerlangende Weltgeltung eines mit Unterzeichnung des Staatsvertrages (1955) soeben von den vier Siegermächten in die staatliche Unabhängigkeit entlassenen Österreich überlagern konnte (→ Schmidl, S. 190). An diese Meilensteine konnte dann nahtlos der Auftritt des „wahre[n] Österreich“ und seiner 17 Florenz, Biblioteca Medicea Laurenziana, Cod. Pluteus XXIX.1, fol. 1r; vgl. Heinrich Besseler, Die Musik des Mittelalters und der Renaissance (Handbuch der Musikwissenschaft), Potsdam 1931, Tf. I; Tilman Seebass, „Lady Music and her Protégés. From Musical Allegory to Musicians’ Portraits“, in: Musica Disciplina 42 (1988), 23–61, 48 (Tf. V). 18 Der damalige österreichische Bundespräsident Theodor Körner würdigte dieses Ereignis im Vorwort zum entsprechenden Themenheft der Österreichischen Musikzeitschrift 10 (1955), 311: „Die Wiener Oper ist nicht nur ein kostbarer Besitz des österreichischen Volkes, sie gehört darüber hinaus zum Kulturbesitz der Welt. Ihr Geist, ihre Tradition, ihr Wille zur vollendeten künstlerischen Leistung hat der Zerstörungswut des Krieges siegreich standgehalten. In friedlichem Triumph kehrt sie nun zurück in ihr prächtiges Haus, mit dessen unter schweren Opfern vollbrachter Erneuerung das österreichische Volk eine kulturelle Verpflichtung erfüllt hat. Österreichische Kunst wird es mit neuem, weithin ausstrahlendem Glanz erfüllen.“ Zur symbolischen Bedeutung dieses Ereignisses vgl. auch Dominique Meyer u. a. (Hgg.), Geschichte der Oper in Wien, 2 Bde., Wien/Graz 2019. Zur Wiedereröffnung der Staatsoper wie auch des Burgtheaters wurden 1955 eigene Briefmarken im Wert von 2,40 bzw. 1,50 Schilling in Umlauf gebracht (vgl. ASCAT: Internationaler Verband der Herausgeber von Briefmarkenkatalogen [Hg.], Austria-Netto-Katalog. Österreich – amtliche Ganzsachen ab 1861, Wien 2009, Nr. 1029 [Burgtheater] bzw. 1030 [Staatsoper]) und so zwei kulturelle Aushängeschilder in einem – bisher für Prozesse der Identitätsbildung an der Schnittstelle zwischen Philatelie, Musik-, Gesellschafts- und Alltagsgeschichte kaum beleuchteten – Massenmedium propagiert. 19 Die Österreichische Musikzeitschrift widmete dem Mozartgedenkjahr 1956 gleich zwei Themenhefte (11 [1956], Nr. 1 bzw. 12 [1957], Sondernummer).
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„Hauptstadt der Musik“20 im Rahmen der Brüsseler Weltausstellung (1958) mit einem eigenen „Raum der Musik“ als „große[m] Reliquiar aus Österreichs Vergangenheit“21 anschließen – mit so unterschiedlichen, als Projektionsfläche für musikalische Großmachtphantasien umso tauglicheren Exponaten wie der autographen Partitur von Schuberts Unvollendeter, dem Strauss’schen Rosenkavalier (→ 3.3) und nicht zuletzt dem „österreichische[n] Weihnachtslied, das zur Welthymne geworden ist“,22 Franz Xaver Grubers Stille Nacht, heilige Nacht. Neben diesen Rahmenbedingungen stellt sich aber noch eine ganz andere Frage: Warum wird die Vorstellung der ‚Musikstadt Wien‘ gerade hier, im zweiten Gemeindebezirk (Leopoldstadt), evoziert, wo sich ansonsten ihre monumentalen Einschreibungen in Form von Komponistendenkmälern und Musentempeln eher auf die Innere Stadt konzentrieren? Die relative Nähe zum Augarten und dem gleichnamigen, seit 1948 als Domizil der Wiener Sängerknaben genutzten Palais23 liefert einen durchaus plausiblen, jedoch allenfalls impliziten Begründungszusammenhang, der das Bildprogramm auf die Sängerknaben als Institution schlechthin der ‚Musikstadt Wien‘ referenzieren lässt. Auf welcher Ebene eine diesbezügliche Entscheidung getroffen wurde, ob quasi autonom durch den mit der Fassadendekoration betrauten Künstler, ob als Vorgabe des Bauträgers oder, noch eine Stufe darüber, des Wohnhaus-Wiederaufbaufonds der Republik Österreich bleibt vorerst ungeklärt. Aber vieles spricht dafür, hier von einer komplexen Gemengelage auszugehen, die programmatische Vorgaben einer ‚top down‘ verfahrenden Bildpolitik ebenso kennt wie die Mechanismen eines auf Grätzelebene sich quasi selbst regulierenden Systems.24 Künftige Forschungen auf diesem Gebiet werden jedenfalls zu einer auf Verfahrensweisen des ‚Mapping‘ gründenden Spatialisierung regelrecht ermuntert, gerade weil derartige Kunstwerke im öffentlichen Raum, über die konkreten Anbringungsorte hinausgehend, u. a. auf topographische Gegebenheiten, Lokalgeschichte und Lokalkolorit Bezug nehmen (→ 20 Richard Kurfürst, „Weltausstellung Brüssel 1958: Auf der Brücke Österreichs“, in: Arbeiter-Zei tung, Nr. 103, 4. Mai 1958, 9. (Der Beitrag erschien unter dem Pseudonym „West“; zur Identifizierung vgl. , 25.04.2019.) 21 Rudolf Klein, „Österreichs Musik bei der Weltausstellung“, in: Österreichische Musikzeitschrift 13 (1958), 149–152, 150. 22 Kurfürst, „Weltausstellung Brüssel 1958“ (wie Anm. 20). 23 Johann Vergendo, Die Wiener Sängerknaben 1924–1955, Innsbruck 2014, 345 f. 24 Die heikle Frage nach einem „Regulativ für die Wiener Kunst-am-Bau-Praxis“ thematisiert Wolfgang Kos, Eigenheim Österreich. Zu Politik, Kultur und Alltag nach 1945, Wien ²1995, 69: „Wer entscheidet über die Bildinhalte und wo liegt die Grenze zwischen künstlerischer Autonomie und den jeweils gültigen Vereinbarungsnormen der Gesellschaft?“ In diesem Zusammenhang setzt Irene Nierhaus, Kunst-am-Bau im Wiener kommunalen Wohnbau der fünfziger Jahre (Kulturstudien, Sonderband 10), Wien u. a. 1993, 14 – zumindest als Arbeitsmodell – eine „Konsensbildung in der Mitte“ voraus.
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4.2) und so gemeinsam mit Straßenschildern und Hausbenennungen Orientierungsangebote in einem umfassenden Sinne bereitstellen können. (Dass es sich bei dem an einem Gebäude mit Eigentumswohnungen angebrachten Musikstadt-Wien-Sgraffito um ein Bildprogramm gehobenen intellektuellen Anspruchs handelt, das so im Gemeindebau keine Parallele findet, sei nur in Parenthese vermerkt; ikonographische Besonderheiten müssten demnach auch in Relation zu derartigen sozialen Schichtungen gesetzt werden.) 2.2 Ein astrologischer Begründungsversuch musikalischer Identität Ein anonymer Holzschnitt in dem um 1435/40 entstandenen sog. Basler Planetenbuch25 steht in seinem Konstruktionsaufwand dem Musikstadt Wien-Sgraffito wohl kaum nach. Im Falle der Kinder der Venus (Abb. 2) werden repräsentative Ensembleformationen zu einem vermeintlichen Genrebild verschmolzen, bei klarem Fokus auf der weltlichen Musik und einer gerade zu dieser Zeit blühenden Mehrstimmigkeit, wie neben dem aus Geradtrompete und zwei Schalmeien gebildeten Alta-Ensemble vor allem das Notenblatt mit angedeuteten mensuralen Notenzeichen in Händen zweier ausgesprochen modisch kostümierter Sänger zu verstehen gibt. Harfenist und Lautenist, die, mit Blickkontakt, zu beiden Seiten eines großen Badezubers platziert und wohl als Instrumentalduo zu verstehen sind, vervollständigen die musikalischen Betätigungen der Venuskinder, zu denen als weitere Lustbarkeiten Badefreuden (mit erhobenem Weinpokal), Kuss und Umarmung eines Paares (vorne links) sowie der Geschlechtsakt (vorne rechts) treten; hierzu schickt sich, diskret, aber unmissverständlich, ein weiteres Paar im Gebüsch an. – Zur Erläuterung tragen in der oberen Hälfte des Blattes zwölf Verse bei, deren einfaches, paariges Reimschema an Merkverse denken lässt:26 25 Das einzige vollständig erhaltene Exemplar befindet sich in der Bibliothek Otto Schäfer, Schweinfurt (Signatur: OS 1033). In produktionstechnischer Hinsicht war neben der vollständigen Serie (Blockbuch) auch der Vertrieb einzelner Seiten (Einblattholzschnitt) möglich. Zur Datierung (ca. 1435/40) vgl. Annett Klingner, Die Macht der Sterne. Planetenkinder: ein astrologisches Bildmotiv in Spät mittelalter und Renaissance, Diss. phil., Humboldt-Universität zu Berlin 2017, Kap. 6.2.1 (, 18.02.2020), die gegenüber Dieter Blume, Regenten des Him mels. Astrologische Bilder in Mittelalter und Renaissance (Studien aus dem Warburg-Haus 3), Berlin 2000, Kap. XIX.5 (ca. 1430) einen geringfügig späteren Entstehungszeitpunkt ansetzt. Zur weiteren Entwicklung dieser Ikonographie in den astrologischen Hausbüchern vgl. Zdravko Blazekovic, „Variations on the Theme of the Planets’ Children, or Medieval Musical Life According to the Housebook’s Astrological Imagery“, in: K atherine A. McIver (Hg.), Art and Music in the Early Modern Period. Essays in honor of Franca Trinchieri Camiz, Aldershot 2003, 241–286. 26 Im Wortlaut der Quelle, mit ergänzter Interpunktion (gewisse Abweichungen ergeben sich zur Tran-
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Abb. 2: Kinder der Venus. Holzschnitt aus dem Basler Planetenbuch (ca. 1435/40). Bibliothek Otto Schäfer, Schweinfurt, OS 1033, fol. 5v Foto: © Bayerische Staatsbibliothek München, , mit freundlicher Genehmigung der Bibliothek Otto Schäfer
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Was kinder vnder mir geboren wern, Die seynt frolich vnd singen gern. Eyne czeit arm, die ander reich, An myldekeit yst en nymand gleich. Harfen, lawthen, fedeln, all seitenspil Horen sie gern ad [recte vnd?] ir kunnen seyn vil: Orgeln, pfeyfen vnd bosawnen, Tanczen, kossen, helsen, rawmen. Ir leib yst schon, eynen hobisschen [!] mund, Awgen brwn gefüge, ir antlicz rvnt. Vnkewsche vnd der mynne pflegen Seynt venus kynt allewege.
In Anbetracht der beschränkten bildmedialen Möglichkeiten überrascht es, auf welche Einzelheiten der anonyme Holzschneider Wert gelegt hat: die aufgeblasenen Backen der drei Bläser, die Spieltechnik des Lautenisten mit schlankem Federkiel und dem offenbar gegen die Korpusdecke abgespreizten, hier etwas zu weit nach unten abgerutschten kleinen Finger der zupfenden rechten Hand, dazu die abwechslungsreiche Kostümierung der Figuren und sogar ein heraldisches Detail wie das Basler Stadtwappen, das einen am Trompetentubus befestigten Wimpel ziert. Die Vielzahl der geschickt in eine einzige Szenerie eingepassten Gestalten könnte allerdings zu der irrtümlichen Annahme verleiten, wir hätten es hier mit einer idealen Diastratik in Hinblick auf die Musik zu tun. De facto werden im Basler Planetenbuch weitere musikalische Kompetenzen durchaus auch anderen Gottheiten bzw. ihren jeweiligen ‚Kindern‘ zugewiesen: So fällt die stolze Errungenschaft des Orgelbaues in die Zuständigkeit Merkurs, unter dessen Oberhoheit sich zusätzlich Maler, Bildhauer, Uhrmacher und andere Handwerker tummeln; die Sänger – und mit ihnen auch die Vertreter einer für die Musikgeschichte des 15. Jahrhunderts so wesentlichen Elite von Sänger-Komponisten – finden sich demgegenüber unter den ‚Sonnenkindern‘ wieder.27 skription bei Blume, Regenten des Himmels [wie Anm. 25], 232 f.). – Neuhochdeutsche Übertragung (in Prosa): „Jene Kinder, die unter meinem Stern geboren sind, sind fröhlich und singen gern. Bisweilen arm, bisweilen reich, ist niemand so mildtätig wie sie. Gerne hören sie Harfe, Laute, Fidel und alle möglichen Saiteninstrumente, und ihr Können ist vielseitig: Orgel, Pfeifen und Trompeten spielen, tanzen, küssen, liebkosen und flüstern. Ihr Körper ist schön, der Mund hübsch, die Augen braun und das Gesicht rund. Durchwegs sind die Kinder der Venus unkeusch und der Fleischeslust zugetan.“ (Zur möglichen Bedeutung von „halsen/hälsen“ im Sinne von „umarmen“ oder „liebkosen“ [‚beim Halse fassen‘] sowie „raumen“ vgl. Jacob & Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Online-Ausgabe des Trier Center for Digital Humanities, , 25.02.2020.) 27 Vgl. Blume, Regenten des Himmels (wie Anm. 25), 232 („Seitenspil vnd syngen von munde“; Kinder der Sonne, fol. 4v) bzw. 233 („Orgeln machen vnd orglocken feyn“; Kinder des Merkur, fol. 6v).
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Ein Vergleich zwischen dem Nachkriegs-Sgraffito und dem spätmittelalterlichen Holzschnitt bietet Chancen, und zwar in beiderlei Richtung: Speziell in der Konfrontation mit diesem frühen Erzeugnis der Druckgraphik wird man sich bewusst, wie sehr es sich bei der im besten Sinne des Wortes ‚holzschnitthaften‘, auf harte Konturierung und flächige Farbgebung setzenden Sgraffito-Wandmalerei um ein an alte, bodenständige Techniken anknüpfendes Bildmedium handelt – durchaus auf einer Linie mit einem das ‚Handwerkliche‘ als Wert sui generis präferierenden Zeitgeist der Wiederaufbaujahre (→ Schmidl, S. 201). Wichtiger noch für unser Thema ist jedoch die ideologische Dimension der hier zutage tretenden Identitätskonstruktion: In den Begleitversen wird die Musikalität der Venuskinder als eine in der Wirkmacht der Sterne begründete, letztlich naturgegebene Wesenheit behauptet: „Was kinder vnder mir geboren wern, / Die seynt frolich vnd singen gern […].“ Eine derartige ‚Sichselbstgleichheit‘ (→ Gruber, S. 16) ist gar nicht so verschieden von der klischeehaften, nicht weniger basalen Vorstellung einer Musikalität von Land und Leuten im Rahmen des ‚Musikstadt Wien‘- bzw. ‚Musikland Österreich‘-Diskurses,28 wie sie bereits von Alfred Orel förmlich zum Programm erhoben wurde,29 aber auch ein für das Österreich-Image der Nachkriegszeit so wichtiges Zeugnis wie das auflagenstarke, 1948 von der Staatsdruckerei in Umlauf gebrachte Österreich-Buch durchzieht.30 Lässt also die eine Perspektivierung vom 15. zum 20. Jahrhundert auf der Ebene der künstlerischen Gestaltung wie auch jener der ‚MusikBildIdentität‘ durchaus archaische Züge im jüngeren Objekt zutage treten, so werden wir in umgekehrter Richtung förmlich dazu ermuntert, uns sozusagen auf eine Archäologie der Kontexte einzulassen. Für das Musikstadt-Wien-Sgraffito konnten, wie gesehen, soziokulturelle Begründungszusammenhänge plausibel gemacht werden, zu denen (neben konkreten topographischen Faktoren) der zeithistorische Kontext ebenso wie die dem kollektiven Bewusstsein sich einprägenden Großereignisse der 1950er Jahre beigetragen haben dürften. Im Falle der Planetenkind-Ikonographie im Allgemeinen, der Venus28 Vgl. Nussbaumer, Musikstadt Wien (wie Anm. 10); Cornelia Szabó-Knotik, „Musikland Österreich“, in: Rudolf Flotzinger (Hg.), Oesterreichisches Musiklexikon, Bd. 3, Wien 2004, 1536 f.; Anita Mayer-Hirzberger, „‚ein Volk von alters her musikbegabt‘. Der Begriff ‚Musikland Österreich‘ im Ständestaat (Musikkontext. Studien zur Kultur, Geschichte und Theorie der Musik 4), Wien 2008. 29 Alfred Orel, Musikstadt Wien, Wien/Stuttgart 1953 (Erstauflage 1936); vgl. Elisabeth Th. Fritz-Hilscher/Helmut Kretschmer (Hgg.), Wien Musikgeschichte: Von der Prähistorie bis zur Gegenwart (Geschichte der Stadt Wien 7), Wien 2011, 1–5 (Vorwort). 30 Ernst Marboe (Hg.), Das Österreich-Buch, Wien 1948 (zahlreiche weitere Auflagen). Bisweilen wird diese Vorstellung, methodisch unreflektiert, noch in wissenschaftlichen Publikationen der jüngsten Vergangenheit tradiert, vgl. Manfred Wagner, Musikland Österreich (Österreich – Zweite Republik: Befund, Kritik, Perspektive 14), Innsbruck 2005. Berechtigte Kritik hieran übt Peter Stachel in seiner Rezension in: Musicologica Austriaca 26 (2007), 313–318.
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kinder im Besonderen ist demgegenüber wohl zuallererst auf die in den bekannten Krisenphänomenen des 14. und beginnenden 15. Jahrhunderts begründeten mentalitätsgeschichtlichen Rahmenbedingungen hinzuweisen, damit einhergehend auf eine tiefgreifende Verunsicherung der damaligen Menschen, denen nach Pest und Hundertjährigem Krieg, vor allem aber im Zuge des Großen Abendländischen Schismas (mit zwei, auf dem Höhepunkt der lang anhaltenden Kirchenspaltung sogar drei um den Anspruch auf die Cathedra Petri konkurrierenden Päpsten) Heilsgewissheiten abhandengekommen waren. Mit den „Regenten des Himmels“ (Dieter Blume) treten Determinismus und Aberglauben als sinnstiftende Momente in dieses Vakuum ein: Die sieben, mit den einzelnen Wochentagen identifizierten Gestirne, die in vermeintlich starren Bahnen um die als Zentrum gedachte Erde kreisen – Luna, Mars, Merkur, Jupiter, Venus, Saturn und Sol – prägen, so jedenfalls die Grundüberzeugung, jeden einzelnen Menschen entsprechend der vorherrschenden Konstellation zum Zeitpunkt seiner Zeugung bzw. Geburt. Neben dieser überirdisch-astralen Dimension eignet den Basler Venuskindern sicherlich auch eine profane, vielleicht sogar lokale Bodenhaftung. Auf das gut sichtbar am Wimpel des Trompeters wiedergegebene Wappen der Stadt Basel wurde bereits kurz hingewiesen. Aus dieser zumindest punktuellen heraldischen Verortung sind zwar weiterreichende Ambitionen (etwa in Richtung auf das Konzept einer ‚Musikstadt‘, neben der unbestrittenen Geltung Basels als Zentrum des frühen Buchdrucks) nicht zwangsläufig abzuleiten, aber als Option auch nicht auszuschließen. Symbolträchtig ist die Koinzidenz (wenn man von einer solchen sprechen will) der Holzschnitte mit den Anfangsjahren des ab 1434 tagenden Basiliense allemal, insofern selbiges Konzil nicht allein zur Beilegung des Schismas durch Wahl Papst Martins V. beitragen, sondern sich dank der aus aller Welt anreisenden Delegationen, Kapellangehörigen und sonstigen Musiker – wie zuvor bereits das Konstanzer Konzil – zu einem veritablen Schmelztiegel der spätmittelalterlichen Musikgeschichte entwickeln sollte.31 Von welcher beispiellosen Dynamik in Anbetracht kompositionstechnischer, repertoirebezogener und institutioneller, aber auch instrumentenbaulicher Entwicklungen innerhalb einer Schlüsselphase der abendländischen Musikgeschichte auszugehen ist – und damit letztlich auch der Notwendigkeit zu außermusikalischen Begründungsversuchen, wie sie die Ikonographie der Planetenkinder sternengläubig vorzunehmen scheint –, wird vielleicht weniger an dem in seiner Auswahl musikalischer 31 Vgl. Therese Bruggisser-Lanker, „Music goes public. Das Konstanzer Konzil und die Europäisierung der Musikkultur“, in: Gabriela Signori/Birgit Studt (Hgg.), Das Konstanzer Konzil als europäisches Ereignis: Begegnungen, Medien und Rituale (Vorträge und Forschungen 79), Ostfildern 2014, 349–378; Matteo Nanni (Hg.), Music and Culture in the Age of the Council of Basel (Épitome musical), Turnhout 2014.
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Betätigungen klaren formalen Beschränkungen unterliegenden Basler Holzschnitt deutlich als vielmehr einem zeitgleich entstandenen, geradezu enzyklopädisch anmutenden Engelskonzert wie jenem am ehemaligen Hochaltarretabel der Mindener Domkirche (ca. 1425): Hier werden neben Standardinstrumenten wie Orgelportativ, Trompete, Laute, Harfe und Fidel (dazu Engelsgesang aus Rotulus und Chorbuch) auch ausgesprochene Innovationen wie Hackbrett, Cembalo und Clavichord aufgeboten (letztgenannte zwei Darstellungen am Mindener Altar zählen zu den frühesten Bildquellen für Saitenklaviere überhaupt!), zusätzlich böhmische Sonderformen von Harfe und Zither, ja selbst der westfälische, von lokaler Identität kündende Rummelpot.32 Kraft zirkulärer Anordnung und formaler Unterteilung in neun klar voneinander abgegrenzte Segmente zitiert dieses Engelskonzert die Neun Chöre der Engel, ‚hierarchisiert‘ und legitimiert damit im Gegenzug freilich auch eine denkbar breit aufgefächerte Pluralität musikalischer Erscheinungen der Zeit um 1430, die übrigens an vergleichbare ‚stratifikatorische‘ Bemühungen eines Hermann Pötzlinger denken lässt (→ R ausch, S. 64 ff.).
3. Komponistendenk m äler und die Mech anismen einer Identitätspolitik im öffentlichen R aum 3.1 Vormärzliches und Gründerzeitliches Denkmäler zählen zu den wohl nachhaltigsten Erscheinungen einer Identitätspolitik im öffentlichen Raum.33 Dies gilt zunächst in rein quantitativer Hinsicht, sind doch 32 Staatliche Museen zu Berlin, Bode-Museum, Skulpturensammlung, Inv.-Nr. 5863; Entstehung ca. 1425, möglicherweise nach einem verlorenen zentraleuropäischen Vorbild. Vgl. Björn R. Tammen, „Himmlische Hierarchie und irdisches Instrumentarium. Zu den Neun Chören der Engel am Mindener Altar und verwandten Retabeln der Zeit um 1425/30“, in: Musica Disciplina 56 (2012), 5–78. Zu den einer ähnlichen Konzeption folgenden Fragmenten des Hans von Judenburg siehe Anm. 124. 33 Zu den verhältnismäßig späten Denkmalssetzungen in der Residenzstadt Wien – entsprechende Freiräume ergaben sich hier erst in der Ringstraßenära, nach Schleifung der Befestigungsanlagen – vgl. Stefan Riesenfellner, „Zwischen deutscher ‚Kulturnation‘ und österreichischer ‚Staatsnation‘. Aspekte staatlicher und nationaler Repräsentation in Dichter- und Musikerdenkmälern der Wiener Ringstraße bis zum Ersten Weltkrieg“, in: Ders. (Hg.), Steinernes Bewußtsein. Die öffentli che Repräsentation staatlicher und nationaler Identität Österreichs in seinen Denkmälern (Grenzenloses Österreich), Wien u. a. 1998, 269–304; Ingrid Fuchs, „Max Kalbeck und die Wiener Musikerdenkmäler“, in: Uwe Harten (Hg.), Max Kalbeck zum 150. Geburtstag: Skizzen einer Persönlichkeit […], Tutzing 2007, 137–162; Nussbaumer, Musikstadt Wien (wie Anm. 10), 92–153; Werner Telesko, Kulturraum Österreich. Die Identität der Regionen in der bildenden Kunst des 19. Jahr hunderts, Wien u. a. 2008, 173–178; Ders., „Die Musikerdenkmäler und ihre Stellung innerhalb
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die Hervorbringungen einer bereits vor der Mitte des 19. Jahrhunderts um sich greifenden „Monumentenmanie“34, die praktisch ohne Unterbrechung bis in das 20. Jahrhundert hinein anhalten sollte, in Summe noch heute schwer überschaubar. Bereits 1844 gab ein ausgeprägtes Bedürfnis der vormärzlichen Gesellschaft nach Denkmälern – mit so spektakulären Vertretern wie dem Salzburger Mozart-Monument von 1842 sowie dem Bonner Beethoven-Denkmal von 1845 – Anlass zu journalistischem Spott, dass nämlich „Deutschlands Boden bald durch seine zahlreichen Monumente […] einer Kegelbahn gleichen wird“.35 Ernst Freiherr von Feuchtersleben sollte dagegen in seiner 1846 erschienenen Rhapsodie über Monumente die Kunstform des Denkmals geradezu verklären:36 Aus den Erinnerungen der Nazionen bleibt nur das Große übrig, denn nur in ihm ist die Bürgschaft des Ewigen gegeben, während Schmerz und Freude vergänglich sind. In diesen Sätzen liegt die Bedeutung öffentlicher Denkbilder. […] Den Menschen erhebt nichts kräftiger, als die Größe menschlicher Persönlichkeit. Darum galten von jeher Bildnisse vorzüglicher Menschen als die würdigsten Denkmale ihrer Zeit.
Eine solche „seelendiätetische“ Funktion bedient den Zeitgeist des Vormärz trefflich, dürfte sich zudem nach der gescheiterten Revolution von 1848 als ein letztlich kompensatorisches Verhaltensmuster geradezu angeboten haben. – Das besondere Faszinosum in der Beschäftigung mit dieser Materie liegt in der wohl je einmaligen Verquickung politischer, gesellschaftlicher und im weitesten Sinne ästhetischer Rahmenbedingungen, gepaart mit gesamtstaatlichen oder lokalen, kollektiven oder auch des Denkmalkults der Habsburgermonarchie des 19. Jahrhunderts“, in: Imago Musicae 25 (2012), 107–128. 34 Jahrbücher des deutschen National-Vereins für Musik und ihre Wissenschaft 2 (1840), Nr. 2, 9. Jänner 1840 (Feuilleton, 16). 35 So Sigmund Engländer in einer im Oesterreichischen Morgenblatt vom 26. Februar 1844 abgedruckten Rezension; zitiert nach Hermann Blume, „Hypochonder und Helden: Zur seelendiätetischen Funktion von Monumenten im österreichischen Vormärz“, in: Björn R. Tammen/Werner Telesko (Hgg.), Zitieren – gedenken – erinnern. Beiträge aus dem Zentrum Kulturforschungen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 2010, 67–79, 71. Zu Engländer als Herausgeber des im Revolutionsjahr 1848 begründeten Karikaturenblatts Wiener Katzenmusik (Charivari) vgl. Wolfgang Häusler, „Marseillaise, Katzenmusik und Fuchslied als Mittel sozialen und politischen Protests in der Wiener Revolution 1848“, in: Barbara Boisits (Hg.), Musik und Revolution. Die Produktion von Identität und Raum durch Musik in Zentraleuropa 1848/49 (Forschungsschwerpunkt Musik – Identität – Raum), Wien 2013, 37–80, 73–75. 36 Zitiert bei Blume, „Hypochonder und Helden“ (wie Anm. 35), 71.
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individuellen Vorstößen, aus denen heraus einzelne Denkmalsprojekte entstanden. Teils schlägt da das Pendel stärker in Richtung auf die „Sinnstifter nationaler Identität“ aus,37 teils bringt es einen in Formierung begriffenen Kanon nach außen hin sichtbar zum Ausdruck und trägt so zu seiner weiteren Konsolidierung bzw. Verengung bei.38 Neben ‚top down‘ gesetzten Maßnahmen in einer bisweilen friedlich, bisweilen kämpferisch anmutenden Besetzung des öffentlichen Raumes stehen gleichberechtigt dezentrale, durchaus auch ‚bottom up‘ getragene Initiativen. Nichts könnte wohl schöner das Potenzial von Komponistendenkmälern für Mehrfachkodierungen veranschaulichen als der Umstand, dass in der von Kronprinz Rudolf (1858–1889) angeregten, nach selbigem als Kronprinzenwerk benannten Enzyklopädie der Habsburgermonarchie für Eduard Hanslicks Teilkapitel zur „Musik in Wien“ anstelle der ohne Weiteres ja in anderen Medien verfügbaren Porträts von Beethoven und Schubert auf druckgraphische Reproduktionen der soeben erst in Wien vollendeten Denkmäler beider Komponisten zurückgegriffen wurde (Abb. 3).39 Vorderhand gelingt es dadurch, die gleich zu Beginn von Hanslicks Text beschworene Vormachtstellung Wiens auf musikalischem Gebiet förmlich zu monumentalisieren;40 zudem werden vermittels raffinierter Translation die ihrer Genese nach im Dienste politischer Emanzipationsbestrebungen des Bürgertums stehenden Denkmäler41 am neuen Ort einer 37 Vgl. Ingrid Bodsch, „‚Monument für Beethoven‘. Die Künstlerstandbilder des bürgerlichen Zeitalters als Sinnstifter nationaler Identität?“, in: Dies. (Hg.), Monument für Beethoven. Zur Geschichte des Beethoven-Denkmals (1845) und der frühen Beethoven-Rezeption in Bonn, Bonn 1995, 157–178. 38 Vgl. Andrea Gottdang, „Porträts, Denkmäler, Sammelbildchen. Ein visueller Kanon der Musik?“, in: Klaus Pietschmann/Melanie Wald-Fuhrmann (Hgg.), Der Kanon der Musik: Theorie und Geschichte. Ein Handbuch, München 2013, 832–857, 844–847. 39 Vgl. Eduard Hanslick, „Die Musik in Wien“, in: Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild: Wien und Niederösterreich, 1. Abtheilung: Wien, Wien 1886, 123–138, 129 (Wiener Beethoven-Denkmal von Kaspar von Zumbusch, Zeichnung von Gustav Frank) und 131 (Wiener SchubertDenkmal von Karl Kundmann, Zeichnung von Julius Berger). 40 Vgl. ebda., 123: „Durch seine überragende Bedeutung in der Tonkunst ist Wien nicht blos die musikalische Reichshauptstadt Österreichs, sondern ein mächtiges Reich für sich. Seine musikalische Oberhoheit reicht weit über die Grenzen der Monarchie hinaus. […] Denken wir uns das gesammte Reich deutscher Tonkunst etwa als einen freien Staatenbund, in welchem bald dieses, bald jenes Land zeitweilig einen helleren Glanz ausstrahlt – Wien bleibt, der Zeit wie dem Range nach, doch der erste Vorort dieses großen Bundes.“ Zu den Implikationen dieser „‚österreichisch-deutschen‘ kulturelle[n] Formation“ vgl. Peter Stachel, „‚Mit Wärme und lebhafter Anschaulichkeit‘. Eduard Hanslicks Anteil am ‚Kronprinzenwerk‘“, in: Theophil Antonicek u. a. (Hgg.), Eduard Hanslick zum Geden ken. Bericht des Symposions zum Anlass seines 100. Todestages (Wiener Veröffentlichungen zur Musikwissenschaft 43), Tutzing 2010, 215–232, 226. Stachel konstatiert in diesem Zusammenhang einen für das gesamte Kronprinzenwerk prägenden „Hang zur Monumentalisierung“ (222). 41 Besonders deutlich wird dies im Falle Beethovens, der geradezu als Vorkämpfer für die „volle Gleichberechtigung“ gegenüber dem „höchsten Geburtsadel“ beschworen wird, vgl. Eduard Hanslick/
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‚MusikBildIdentitäten‘ Abb. 3: Gustav Frank, Das Beethoven-Denkmal in Wien (1886). Illustration zum Kronprinzenwerk (Hanslick, „Die Musik in Wien“ [wie Anm. 39], 129) Foto: © ÖNB Wien,
Gesamtstaatsidee der Österreichisch-ungarischen Monarchie in Wort und Bild (so der eigentliche Titel des insgesamt 24-bändigen Kronprinzenwerks), die idealiter auf „Überwindung nationaler Differenzen“ und das Gemeinschaftsbewusstsein einer einzigen „Völkerfamilie“ zielt,42 regelrecht eingespeist. Leopold Alexander Zellner (Hgg.), Zur Enthüllung des Beethoven-Denkmals in Wien am 1. Mai 1880, Wien 1880, 40, zitiert nach Gerhardt K apner, Freiplastik in Wien (Wiener Schriften 31), Wien/München 1970, 26. Hierzu vgl. auch Barbara Boisits, „Monumentales Gedächtnis und kulturelle Identität. Die Wiener Beethoven-Feier von 1870“, in: Federico Celestini u. a. (Hgg.), Musik in der Moderne. Music and Modernism (Wiener Veröffentlichungen zur Musikgeschichte 9), Wien u. a. 2011, 37–54. 42 Vgl. Peter Stachel, „Die Harmonisierung national-politischer Gegensätze und die Anfänge der
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Einer umfassenden Geschichte der über diese Kunstgattung ausverhandelten ‚MusikBildIdentitäten‘ – unter Einbeziehung verwandter Bereiche wie der in ihrer Ausstattung an Ruhmeshallen angelehnten Musentempel, speziell Opernhäuser und Konzertsäle, sowie ihrer Vorläufer in Gestalt der an partikulare Kontexte gebundenen, wenigstens bis in das späte 16. Jahrhundert zurückreichenden Porträtgalerien43 – soll hier nicht vorgegriffen werden. Eine solche hätte nicht allein die tatsächlich errichteten, sondern auch die lediglich geplanten, aus welchen (finanziellen, organisatorischen, politischen, ideologischen, künstlerischen etc.) Gründen auch immer gescheiterten Projekte44 einzubeziehen. Aufschlussreich erscheint zudem die Vernetzung einzelner Objekte in einem Prozess des Gebens und Nehmens. Zwei prominente Beispiele mögen dieses im besten Sinne des Wortes kommunikative, im späteren 19. Jahrhundert zunehmend von nationalistischen Tendenzen überschattete Potenzial veranschaulichen: So findet das Bozener Denkmal für Walther von der Vogelweide von 1889 – ein von dem in Denkmalsangelegenheiten versierten Wiener Bildhauer Heinrich Natter angefertigtes, quasi mit ‚Leier und Schwert‘ (erstere in Gestalt einer ungespielten Fidel) ausstaffiertes Standbild zu Ehren des gemeinhin, wiewohl ohne hinlängliche Quellenbasis für Südtirol vereinnahmten Minnesängers – nur wenige Jahre später eine gleichsam irredentistische Antwort in Trient in Gestalt des 1896 von Cesare Zocchi vollendeten, vom Parco della Stazione aus gen Norden blickenden Dante als Symbol italienischer Kultur.45 Ein halbes Jahrhundert zuvor dürfte in Prag das aus Anlass der „funfzigjährige[n] Jubelfeier der ersten Aufführung des Don Juan“ seit Ende des Jahres 1836 lancierte, 1839 wohl abgeschlossene Projekt eines Mozart-Denkmals – „Aufstellung sämmtlicher Werke Mozart’s zu öffentlicher Benutzung der Kunstfreunde in einer hierzu Ethnographie in Österreich“, in: K arl Acham (Hg.), Geschichte der österreichischen Humanwissen schaften, Bd. 4: Geschichte und fremde Kulturen, Wien 2002, 323–368. 43 Vgl. Gottdang, „Ein visueller Kanon der Musik?“ (wie Anm. 38), 838–844. Zur Porträtsammlung der Gesellschaft der Musikfreunde, die zumindest mittelbar über italophile Sammlerpersönlichkeiten auf das Projekt des Padre Martini in Bologna zurückgehen könnte, vgl. Anna Schirlbauer, „Joseph Sonn leithners Sammlung in der Porträtgalerie der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Neue Erkenntnisse über ihren Begründer, ihre Bilder und Maler“, in: Wiener Geschichtsblätter 62 (2007), 29–64. 44 Vgl. Wolfgang Krug, „‚Plastische Musik‘. Hanaks Projekte für Komponistendenkmäler und ein Denkmal der Musik“, in: Friedrich Grassegger/Ders. (Hgg.), Anton Hanak 1875–1934, Wien u. a. 1997, 372–423, 415. 45 Vgl. Siegfried Steger, Zwei Dichterdenkmäler im Vergleich: Das Walther von der Vogelweide-Denk mal in Bozen und das Dante Alighieri-Denkmal in Trient, Dipl.-Arb., Universität Wien 2001; Björn R. Tammen, „Variationen über eine allzu bekannte Figur aus der Manessischen Liederhandschrift – oder: Walther von der Vogelweide im Bildgedächtnis zwischen Kronprinzenwerk und Bundesländer hof“, in: Christian Glanz/Anita Mayer-Hirzberger (Hgg.), Musik und Erinnern. Festschrift für Cornelia Szabó-Knotik, Wien 2014, 59–76.
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eigens eingeräumten Abtheilung der k. k. Bibliothek im Collegium Clementinum, mit der Büste des Meisters in doppelter Lebensgrösse auf einem Piedestal mit passender Inschrift“46 – produktive Impulse in verschiedene Richtungen gesetzt haben. Dies gilt einerseits für eine vom Zentrum in die Peripherie ausstrahlende, vom Groß- auf den Kleinmeister übertragene Idee, insofern „nun auch die Kreisstadt Czaslau in Böhmen nicht zurückbleiben und ihrem Dussek ein Denkmal errichten [will], wozu die Sammlungen bereits begonnen haben [...].“47 In Prag selbst lässt sich andererseits – zumindest hypothetisch – ein seiner Stoßrichtung nach ganz anderes Muster von Provokation und Reaktion studieren, mit bemerkenswerten institutionellen Strategien, überlagert von individuellen Motivationen der Dramatis Personae. So verhilft der Klavierpädagoge Joseph Proksch (1794–1864) just zu einer Zeit, da „neuestens […] die Mozartianer ihre Position durch ein ansehnliches Vorwerk zu verstärken [suchen], nämlich durch ein Mozartdenkmal“,48 seiner eigenen, ambitionierten Musikbildungsanstalt zu einem ‚Monument‘ sui generis in Gestalt der wohl nicht zufällig erstmals 1839 abgehaltenen Cäcilienfeste, die in der Verbindung aus ambitioniert programmierten Concerts spirituels als Leistungsschau der eigenen Schule, gemeinschaftsstiftender Liedpflege der Anstaltsangehörigen (Lehrpersonal wie Schüler) mit einem eigens hierzu komponierten Cäcilien-Hymnus sowie nicht zuletzt einem bei dem Prager Konservatoriumsmaler Franz Kadlik (František Tkadlík, 1786–1840) in Auftrag gegebenen nazarenischen Cäciliengemälde ein wohl einmaliges Maßnahmenbündel darstellen.49 Den institutionellen Hintergrund hierfür dürfte die zumindest von Proksch so empfundene Rivalität zum Prager Konservatorium und seinem Begründer (1811), langjährigem Direktor und ‚Mozartianer‘ Friedrich Dionys (Bedřich Diviš) Weber (1766–1842) gebildet haben. Dieser hatte sich für das Denkmalsprojekt 46 So in dem mit ‚Alfred‘ bezeichneten Beitrag „Denkmal für W. A. Mozart in Prag“ in: Allgemeine musi kalische Zeitung 40, Nr. 21 (21. März 1838), 191–194, 192, der im Übrigen auch die Trägerschaft dieser Initiative unmissverständlich erkennen lässt: „Die Deckung der beträchtlichen Geldmittel, welche das gesammte Unternehmen erfordert, geschah nach den früher besprochenen zwei Konzerten durch Sammlung freiwilliger Privatbeiträge, wobei sich bisher vorzüglich unser Bürger- und Handelsstand auszeichnete. Der Adel ist bisher mit einigen Ausnahmen noch nicht herausgerückt.“ (193) 47 So vermelden es die Jahrbücher des deutschen National-Vereins (wie Anm. 34) im selben Atemzug mit einer „Monumentenmanie“, die „halb Europa“ erfasst habe. 48 Vgl. Rudolf Müller, Joseph Proksch: Biographisches Denkmal aus dessen Nachlaßpapieren errichtet. Mit Bildniss & Facsimile des Meisters, Reichenberg 1874, 274 (unter Bezug auf einen nicht erhaltenen Brief aus dem Jahre 1837; Hervorhebung im Original gesperrt). 49 Ebda., 85, Fn. *. Vgl. Björn R. Tammen, „Cäciliengedenken als identitätsstiftendes Ritual: zur Prager Musikbildungsanstalt des Joseph Proksch“, in: Ders./Telesko, Zitieren – gedenken – erinnern (wie Anm. 35), 81–96; Ders., „Die Cäcilienfeste des Joseph Proksch“, in: Archiv für Musikwissenschaft 67 (2010), 212–232.
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im Clementinum stark gemacht50 und kann durchaus auch als ein Profiteur desselben gelten, insofern nach Vollendung der in „kolossalen Verhältnissen aus karrarischem Marmor“ zu verfertigenden Mozart-Büste durch den Bildhauer Emanuel Max „die jetzt vorhandene Gypsbüste sodann ein Eigenthum des hiesigen Konservatoriums der Musik“51 werden sollte. Diese Profilierungsstrategie konnte Proksch offenbar nicht unbeantwortet lassen, wobei er im Unterschied zum Konservatoriumsdirektor, der „mit der Mozartschen Periode abgeschlossen und was nach ihm kam, unbarmherzig zurückgewiesen [hatte]“,52 mit der hl. Cäcilia eine gleichsam überzeitliche Ikone der Tonkunst für seine eigenen Zwecke einspannte. 3.2 Der Mozarthof des Pietro di Galvagni und die Italianisierung des Kanons In einer ausgesprochen suggestiven zeitlichen Nähe zur Märzrevolution von 1848 steht das folgende Denkmalsprojekt, das bereits aus chronologischen Gründen unsere besondere Aufmerksamkeit beanspruchen darf, selbst wenn (oder gerade weil) es nicht länger existiert und jener Gedächtnisort, den es ursprünglich zu markieren suchte, im heutigen Stadtbild durch ein Kaufhaus mehr als profaniert ist. Die Rede ist vom ersten Wiener Mozart-Denkmal am vormaligen Standort des Mozart-Sterbehauses in der Rauhensteingasse, das sich einer Privatinitiative des wohlhabenden italienischen Kaufmannes Pietro di Galvagni (1797–1868) verdankt.53 Mit dem Denkmal stricto sensu im Stiegenhaus des von Galvagni errichteten Neubaus (Abb. 4a) – Mozartbüste in Zinkguss, erhöht über monumentalem Piedestal mit Marmorinschrift („Der Tonkunst unerreichtem Meister, der bis zum Tode hier gewohnt, weihte dies Denkmal bei Umbau des Hauses Pietro di Galvagni 1849“) – geht ein in seiner subjektiven Tönung ungewöhnlicher Kanon ‚bedeutender‘ Komponisten einher, von dessen ursprünglicher Wirkung in der engen Gasse mit den im rustizierten Mezzaningeschoss zwischen 50 Etwa durch Abhaltung einer seiner – in den Augen des Berichterstatters der Allgemeinen musikalischen Zeitung (wie Anm. 46) – „glänzendsten Akademien“ (191) zugunsten des Denkmalfonds. 51 Ebda. 52 So Proksch in einem Brief an seinen ehemaligen Schüler Pius Richter vom 31. Dezember 1842 (Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Sammlung von Handschriften und alten Drucken, Autogr. 299/4243); vgl. Björn R. Tammen, „‚O! es ist eine herrliche Morgenröthe!‘ Joseph Proksch – Revolutionär wider Willen?“, in: Boisits, Musik und Revolution (wie Anm. 35), 319–350, 340 (mit Teiledition). 53 Zu diesem veritablen ‚Mozarteum‘ vgl. Richard Prilisauer, „Pietro di L. A. Galvagni: Geschäftsmann und Mäzen in Wien“, in: Wiener Geschichtsblätter 31/3 (1976), 181–208, 201–208; Walther Brauneis, „Mozarts Nachruhm“, in: Dass. 47/1 (1992), 1–21, 19 f.; Helmut Kretschmer, „Zur Geschichte des Wiener Mozart-Denkmals“, in: Walter Schuster u. a. (Hgg.), Stadtarchiv und Stadtgeschichte: Forschungen und Innovationen. Festschrift für Fritz Mayrhofer zur Vollendung seines 60. Lebensjahres = Historisches Jahrbuch der Stadt Linz 2003/04, Linz 2004, 785–795, 787.
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Abb. 4a/b: Mozarthof in der Rauhensteingasse. (a) Johann Baptist Fessler, Mozartbüste (1848) im Stiegenhaus (Aufnahme ca. 1900; Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv und Grafiksammlung, 219.331F). (b) Außenansicht (August Stauda, 1899; Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv und Grafiksammlung, ST 399F) Fotos: © ÖNB Wien
den Fenstern vortretenden Büsten man sich heute nur noch einen ungefähren Begriff anhand historischer Photographien machen kann (Abb. 4b). In der ersten Sondernummer der Österreichischen Musikzeitschrift zum Mozartgedenkjahr 1956 wird die Anlage folgendermaßen beschrieben:54 Im Stiegenhaus steht im geheimnisvollen Zwielicht das der Zeit nach erste Wiener Mozartdenkmal, eine wirkungsvolle Kolossalbüste von der Hand des Bildhauers Johann Fessler, von dem auch die durch kreisrunde Scheinfenster der Hausfassade auf den Beschauer niederblickenden Köpfe von Beethoven, Haydn, Gluck, Weber, Rossini und Cherubini stammen. Musizierende Putti tummeln sich auf den Fensterverdachungen […].
54 Hans Pemmer, „Wiener Mozartgedenkstätten“, in: Österreichische Musikzeitschrift 11/1 (1956), 38– 41, 38. Auch in der zweiten Sondernummer der ÖMZ spielt Galvagnis Mozarthof eine wichtige Rolle: Otto Erich Deutsch, „Mozarts letztes Quartier“, in: Dass. 11/4 (1956), 129–135.
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Zusätzlich dürften sich Büsten der italienischen Opernkomponisten Donizetti und Bellini im Eingangsbereich befunden haben,55 die erst recht den Fingerabdruck des Italieners erkennen lassen. Verglichen mit späteren Büstenzyklen wie jenen des 1869 eröffneten neuen Hofoperngebäudes56 könnte man im Einschluss lebender Komponisten geradezu einen Tabubruch sehen (in Parnass und Pantheon werden für gewöhnlich nur Verstorbene aufgenommen), aber damit würden womöglich falsche, noch nicht gültige bzw. so erst im Zuge einer fortschreitenden Kanonisierung sich verfestigende Maßstäbe angelegt.57 In Anbetracht älterer Vergleichsbeispiele – und wohl auch abhängig von der jeweiligen Nutzung – wäre dies zumindest zu modifizieren: So sah die Ausstattung des für Konzertveranstaltungen genutzten Saales der Pianoforte-Fabrik des mit Beethoven befreundeten Andreas Streicher (1761–1833) in der Ungargasse eine ihrer Nutzung adäquate Durchmischung von Komponistenbüsten mit jenen von (lebenden) Virtuosinnen und Virtuosen vor.58 Übrigens teilt der Streicher’sche Büstenzyklus mit jenem Galvagnis das Schicksal, von einem ursprünglich durchaus pluralistisch konzipierten Programm in den Sog eines eo ipso monolithischen Heroenkults geraten zu sein: Von ersterem hat sich in unzähligen Abgüssen und weiteren Derivaten nur Franz Kleins berühmte, gleichsam selbst kanonisch gewordene Beethoven-Büste erhalten, von letzterem nur noch Fesslers Mozart-Büste in einem Mozart Memorial im heutigen Kaufhaus Steffl.59 55 Prilisauer, „Galvagni: Geschäftsmann und Mäzen“ (wie Anm. 53), 207 unter Hinweis auf ältere Beschreibungen. 56 Vgl. Gernot Gruber, „Mozart und die Nachwelt“, in: Claudia Maria Knispel/Ders. (Hgg.), Mozarts Welt und Nachwelt (Das Mozart Handbuch 5), Laaber 2009, 249–512, 385: „Die Wahl von vierzehn plastischen Komponistendarstellungen ist bewußt der Aktualität (die Wagner und Verdi eingeschlossen hätte) in die Zeit vor 1848 entrückt.“ Ähnliches ließe sich für den Logenbereich im Wiener Musikvereinssaal sagen, für den der Gesellschaft der Musikfreunde „zum großen Teil Gipsmodelle der Büsten im Opernfoyer überlassen [wurden]“; vgl. Gottdang, „Ein visueller Kanon der Musik?“ (wie Anm. 38), 843, mit weiteren Überlegungen zu diesem systematisch erst noch zu erforschenden Gebiet. 57 Der Wandel dürfte sich um die Jahrhundertmitte vollzogen haben – mit wichtigen Impulsen speziell der 1848er Revolution zur „Verbesserung der Programmgestaltung“; vgl. Barbara Boisits, „‚Das Wort ist frei, die Kunst ist frei.‘ Wiener Musikkritik im Revolutionsjahr 1848“, in: Dies. (Hg.), Musik und Revolution (wie Anm. 35), 555–578, 566–568. 58 Vgl. Richard Bösel, „Bauen für die Tonkunst. Wiener Konzertstätten des 19. Jahrhunderts im Lichte der europäischen Entwicklung“, in: Richard Kurdiovsky/Stefan Schmidl (Hgg.), Das Wiener Konzerthaus 1913–2013 im typologischen, stilistischen, ikonographischen und performativen Kon text Mitteleuropas (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse, Denkschriften 521; Veröffentlichungen zur Kunstgeschichte 19), Wien 2020, 37–86, 52–55. In diesem Zusammenhang ist 1812 die bekannte Beethoven-Büste des Bildhauers Franz Klein entstanden, vgl. Silke Bettermann, Beethoven im Bild. Die Darstellung des Komponisten in der bildenden Kunst vom 18. bis zum 21. Jahrhundert, Bonn 2012, 154–159, Kat.-Nr. 6. 59 Kärntner Straße 19, 1010 Wien (vor dem Eingang zum Café/Restaurant). Foto im heutigen Zu-
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Galvagnis Mozarthof ist hochgradig erklärungsbedürftig – doch welches Szenario darf und kann man hier anlegen? In Wien ging die Märzrevolution mit Italophobie einher, auch mit Übergriffen auf italienische Kaufleute. Neben den durch die Kriegsereignisse in Lombardo-Venetien aufgeheizten politischen Rahmenbedingungen konnte sich insbesondere die Ablehnung der mit dem verhassten Metternich’schen System in Verbindung gebrachten, zumal von einem Italiener geleiteten Institution Hofoper bzw. des daselbst gespielten, überwiegend italienischen und aus diesem Grund für ‚unwürdig‘ erachteten Repertoires zusätzlich mit nationalen Stereotypen und Klischees verbinden. Ein derartiges Klima mochte Galvagni zu einer umso selbstbewussteren Repräsentationsmaßnahme motiviert haben, zumal unter Einschluss von Vertretern der im zeitgenössischen Diskurs als oberflächlich und lediglich „sinnlich reizend“ diskreditierten, mit seichtem Virtuosentum gleichgesetzten italienischen Oper,60 namentlich Bellinis und Donizettis (→ Boisits, S. 182). Dass Galvagni wenig später sogar Pläne zur Errichtung eines eigenen italienischen Theaters in Wien (1849) verfolgte, denen allerdings die Realisierung versagt blieb,61 erscheint in diesem Zusammenhang nur folgerichtig. Nicht unerwähnt bleibe an dieser Stelle ein weiteres, von Galvagni an symbolträchtigem Ort initiiertes und kofinanziertes Denkmal – jenes zu Ehren des kaiserlichen Hofdichters Pietro Metastasio (→ Hilscher, S. 91 f.) in der Wiener Minoritenkirche (1855). Der Beschluss hierzu erfolgte am 29. September 1851 in der Congregatio della chiesa nationale italiana, deren Vizepräfekt (seit 1850) Galvagni war; die Ausführung des Denkmals oblag dem Bildhauer Vincenzo Luccardi (1811–1876). Aufschlussreich ist dabei nicht allein das Projekt als solches, das so trefflich das rückwärtsgewandte Klima der Jahre nach 1848/49 charakterisiert, sondern auch der unterhalb der monumentalen Sitzfigur Metastasios verlaufende Relieffries: Insofern hier nach gängiger Lesart u. a. Salieri, Mozart und Haydn dem großen Dichter noch am Sterbebett (Segnung durch Papst Pius VI.) huldigen, wird dieser geradezu zu ihrem Gravitationszentrum erhoben und so die Italianisierung des Kanons durch einen – übrigens wie Galvagni selbst – nach Wien ‚Zugereisten‘ noch einmal auf die Spitze getrieben.62 stand: , 25.02.2020. 60 Zu dieser komplexen Gemengelage vgl. Barbara Boisits, „Einleitung“, in: Dies. (Hg.), Musik und Revolution (wie Anm. 35), 13–33, 20 f., speziell zur Lösung der „‚italienischen Frage‘“ durch „Reform des Musiktheaters“; Dies., „Wiener Musikkritik“ (wie Anm. 57), 566–571. So pointiert der Kritiker Eduard Hanslick in „Ein Capitel über die Theaternoth“ vom 7. Juni 1848: „Wenn der eiserne Schritt der Weltgeschichte in unser Ohr dröhnt, so verlangt es uns nicht nach Bellini’s sanften Melodien […]“ (ebda., 570). 61 Prilisauer, „Galvagni: Geschäftsmann und Mäzen“ (wie Anm. 53), 192. 62 Gesamtansicht: , Detailfoto: ,
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3.3 Siegfried Charoux und die Herausforderungen eines ‚zeitgemäßen‘ Richard-StraussDenkmals Man ist gut beraten, in der Beschäftigung mit Denkmälern deren nationale bzw. staatliche Dimension nicht über Gebühr zu betonen, zumindest nicht zu verabsolutieren. So belegt das Beispiel Galvagnis eindrücklich, mit welchen individuellen Vorstößen – und damit personalisierten ‚MusikBildIdentitäten‘ – wir rechnen müssen. Auch sollten in jedem Einzelfall gestalterische Freiräume der involvierten Künstler und damit womöglich ganz eigene Beiträge zur Ausverhandlung musikalischer Identität einkalkuliert werden. Das Mitte der 1950er Jahre für den gleichnamigen Gemeindebau in Wien in Auftrag gegebene Richard-Strauss-Denkmal63 (Abb. 5) lässt jedenfalls nicht allein die komplexen magistratischen Entscheidungsabläufe,64 sondern vor allem die konzeptionelle Eigenständigkeit des mit der Realisierung beauftragten Künstlers erkennen, womit die so widersprüchliche Rezeptionsgeschichte gerade dieses Komponisten um eine faszinierende Facette bereichert wird. So setzt sich Siegfried Charoux (1896–1967) – neben Anton Hanak (1875–1934) und Fritz Wotruba (1907–1975) einer der bedeutendsten österreichischen Bildhauer des 20. Jahrhunderts – souverän über die programmatischen, eigentlich auf den Ro senkavalier als Identitätsmarker par excellence65 zielenden Vorgaben seitens des Kul21.02.2020. Vgl. auch Prilisauer, „Galvagni: Geschäftsmann und Mäzen“ (wie Anm. 53), 192 f. sowie Historisches Lexikon Wien (wie Anm. 11), Bd. 4, Wien 1995, 249 („Metastasiodenkmal“). 63 Vgl. Björn R. Tammen, „Richard Strauss, Siegfried Charoux und Die Lauschenden (1954/58). Oder: Wie die Stadt Wien ihrem Ehrenbürger zum 90. Geburtstag huldigt – und was ein Exilkünstler für den Gemeindebau erschafft“, in: Musicologica Austriaca 31/32 (2012/13), 177–207, mit Auswertung der erhaltenen Archivquellen. 64 Im Anschluss an teils parteipolitisch motivierte, teils individuelle Vorstöße zum Gedenken an den Staatsoperndirektor und Ehrenbürger der Stadt Wien aus Anlass der 90. Wiederkehr seines Geburtstages am 11. Juni 1954 – ursprünglich mit dem Ziel einer Straßenbenennung. Neben einem diesbezüglichen Beschlussantrag im Wiener Gemeinderat seitens der rechtskonservativen Wahlpartei der Unabhängigen, Vorgängerorganisation der heutigen FPÖ, ist hier vor allem der Musikschriftsteller und Strauss-Apologet Roland Tenschert (1894–1970) zu nennen. Vgl. sein an Bürgermeister Franz Jonas gerichtetes Schreiben vom 28. September 1953; Wiener Stadt- und Landesarchiv, M.Abt. 350, A1 – Allgemeine Registratur, 4364/53; zitiert ebda., 186. (Zur näheren Begründung wird verwiesen auf Roland Tenschert, Richard Strauss und Wien. Eine Wahlverwandtschaft, Wien 1949, mit Aufführungsstatistik, Verzeichnis von Dirigaten, Ehrungen etc.). 65 „Man braucht nur die drei Werke ‚Der Rosenkavalier‘, ‚Arabella‘ und ‚Schlagobers‘ zu nennen, um zu zeigen, wie sehr das Schaffen von Richard Strauss in die Wiener Atmosphäre hereinreicht und wie sehr der Meister gerade die Liebe und das Verständnis für Wiener Wesen in alle Welt hinausstrahlte. ‚Der Rosenkavalier‘ fand in der Staatsoper bereits mehr als 400 Aufführungen und konnte im vergangenen Sommer bei den Salzburger Festspielen bereits seine 55. Aufführung erleben“ (Tenschert, zitiert ebda., 186). In hohem Maße symbolträchtig mutet auch die Präsentation der autographen RosenkavalierPartitur im Rahmen der Brüsseler Weltausstellung von 1958 an (s. o., Anm. 20–22).
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Abb. 5: Siegfried Charoux, Richard-Strauss-Denkmal alias Die Lauschenden (1954/58). Am Modenapark 8–9, 1030 Wien Foto: © Björn R. Tammen
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turamts hinweg und gestaltet stattdessen eine Figurengruppe mit allgemein ‚humanitärer‘ Thematik. Wie in Trance, die Augen geschlossen, stehen Die Lauschenden – zwei überlebensgroße, aus „Eisenzement“ (Charoux) geformte Figuren eines Mannes und einer Frau – vor dem monumentalen Rahmen einer stilisierten Harfe (gestampfter Beton, dahinter halbkreisförmig aufgefächerte Aluminiumstäbe anstelle der gedachten Saiten), womit eigentlich nicht Richard Strauss, sondern dem faszinierten Hören von Musik ein Denkmal gesetzt wird. Ob zur damaligen Zeit auch nur einem der Beteiligten die an sich groteske Situation bewusst gewesen war, dass hier ein – als überzeugter Kommunist mit jüdischer Frau – bereits 1935 vor den Nazis ins englische Exil geflohener Künstler zur posthumen Ehrung des in politischer Hinsicht mehr als problematischen Komponisten beitragen soll, ist den erhaltenen Quellen nicht zu entnehmen, will man nicht Charoux’ selbstbewusstes Statement vom 28. September 1955 gegenüber seinem Adlatus Rudolf Buchberger in einem übertragenen Sinne lesen:66 Dem formalen und gedanklichen Inhalt nach ist es mein bestes Denkmal und wenn ich mich nicht irre, eine Frieden stiftende Lösung von ansonsten gegensätzlichen Prinzipien: Die des Gegenständlichen und des Abstrakten. Frieden stiftend an ihr ist diese Vereinigung. Die aufrichtigen Linken, sowie die aufrichtigen Rechten müssten sie als Lösung anerkennen. Aber vielleicht ist das ein Wunschtraum von mir. Es können mich die Rechten sowohl als die Linken...
Im Frühjahr 1958 vollendet und im Innenhof des Richard-Strauss-Hofes im 3. Wiener Gemeindebezirk aufgestellt, markiert diese Figurengruppe die wohl bestmögliche Lösung für eine Zeit, in der das Denkmal und der speziell in dieser Gattung betriebene Personenkult (nicht erst während der NS-Diktatur, dort aber besonders exzessiv) obsolet geworden sein dürfte. Was nun die Figur des Geehrten – und damit das Richard-Strauss-Bild der 1950er Jahre – anbelangt, so ist ein Essay des als Referent für bildende Kunst im Kulturamt tätigen Robert Waissenberger über „Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal“, der 1957 im Amtsblatt der Stadt Wien erschien,67 mindestens ebenso aufschlussreich wie jenes argumentative Rüstzeug, das wir der oben zitierten Eingabe Roland Tenscherts (siehe Anm. 65) entnehmen können. „Fleiß“, „Ausdauer“ und „Geschicklichkeit im Geldverdienen“ erscheinen da – neben den 66 Langenzersdorf Museum, Charoux-Archiv (unsignierter Bestand). 67 Robert Waissenberger, „Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal“, in: Amtsblatt der Stadt Wien 62, Nr. 64 (10. August 1957), 3–7.
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„Gaben des Geistes“ – als besondere Tugenden einer „beherrschte[n] und gepflegte[n] Künstlererscheinung“. Der wohltuende Eindruck entsteht, als wäre für Strauss das Komponieren eine „fröhliche Nebenbeschäftigung“ ohne „Wachstumsschmerzen“ gewesen. Insbesondere rühmt Waissenberger die Geschwindigkeit und zugleich Diszipliniertheit, die Strauss im Komponieren an den Tag gelegt habe, den bis ins hohe Alter hinein gewahrten „leichten, schwingenden und bewußten Schöpfergang“ sowie eine genuin bayerische ‚Gemütlichkeit‘ fernab von grüblerisch-faustischen Tendenzen. Mit einer derartigen Perspektive auf Leben und Werk unter dem Primat des Heiter-Unbeschwerten wird Richard Strauss geradezu zu einer Leitfigur – Seite an Seite mit dem im Wien der Nachkriegszeit ebenfalls für eine frohgemute Wiederaufbauideologie instrumentalisierten Johann Strauss Sohn (→ 4.1). 3.4 Neidhartpflege im öffentlichen Raum Einem Solitär mittelalterlicher Komponistendenkmäler wie dem vermutlich auf Veranlassung Herzog Rudolfs IV. um 1360/70 errichteten Neidhartgrabmal an St. Stephan (Abb. 6) – de facto ein Doppelgrab mit den sterblichen Überresten zweier Männer, von denen, nach derzeitigem Forschungsstand, der eine mit Neidhart (Nithart), der andere mit seinem Nachahmer Neithart Fuchs identifiziert wird – dürfte zu seiner Entstehungszeit eine ungleich längere ‚Halbwertszeit‘ beschieden gewesen sein als den schier inflationären Hervorbringungen des Denkmalhypes im 19. und 20. Jahrhundert.68 Durchaus mehr als nur ein Gedankenspiel ist deshalb die Annahme, dass die zunächst im Langhaus der Kirche platzierte, vermutlich gegen 1390 vor die Außenmauer an das zur Singschule hin ausgerichtete Singertor verrückte Neidhart-Tumba weit in das 15. Jahrhundert hinein gewirkt, ja Impulse gesetzt haben könnte, von denen ihr Urheber nicht zu träumen gewagt hätte – Person und Werk gleichermaßen propagierend, aber auch in Richtung auf Autorschaft und Devotion transzendierend. Relativ deutlich stellt sich die Funktion des Grabmals im Kontext landesherrlicher Repräsentationsbemühungen und Legitimationsstrategien des ‚Stifterherzogs‘ dar,69 68 Vgl. Gertrud Blaschitz, „Das sog. Neidhart-Grabmal zu St. Stephan und andere Dichtergräber“, in: Dies. (Hg.), Neidhartrezeption in Wort und Bild (Medium Aevum Quotidianum, Sonderband 10 [mit CD-ROM]), Krems 2000, 171–188. 69 Mit der nicht unwichtigen Option auf Etablierung eines ‚Nationaldichters‘ (vgl. in diesem Sinne ebda., 181). Auch Marc Lewon, „Das Phänomen ‚Neidhart‘“, in: Birgit Lodes (Hg.), Musikleben des Spätmittelalters in der Region Österreich (Online-Publikation: , 21.02.2020) stellt diese Maßnahme in den größeren Kontext der rudolfinischen Herrschaftskonsolidierung.
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Abb. 6: Neidhartgrab an der Südseite des Wiener Stephansdomes (ca. 1360/70), Gesamtansicht mit Liegefigur und Baldachin. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv und Grafiksammlung, L 8456 D Foto: © ÖNB Wien
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an die noch Kaiser Maximilian I. mit einer in den Jahren vor 1504 vorgenommenen, von Conrad Celtis besungenen Restaurierung anknüpfen sollte. (Das Grab war offenbar aufgrund mutwilliger Zerstörungsversuche neidhartfeindlicher ‚Bauern‘, wie sie der Holzschnitt eines zwischen 1491 und 1497 gedruckten Neithart-Fuchs-Schwankbuchs festhält bzw. imaginiert, beschädigt worden.70) Doch was bedeutet ein derartiges Dichtergrab an St. Stephan, der zum religiösen Mittelpunkt des Herzogtums (und zur künftigen Kathedrale) ausgebauten Stiftskirche, längerfristig für Status und Selbstverständnis von Dichtern und Musikern im damaligen Österreich? Die Frage nach möglichen produktiven Energien oder auch nur atmosphärischen Konsequenzen, welche die rudolfinische Neidhartpflege freigesetzt haben könnte, findet eine erste, signifikante Antwort in der Zeit um 1400 in profanen Festräumen wie im Haus Tuchlauben Nr. 19 in Wien, aber auch – in einem weiteren geographischen Radius – auf Burg Trautson bei Matrei in Tirol mit bildlichen Wiedergaben einzelner offenbar besonders populärer Schwänke.71 Neben diesen Zeugnissen einer genuinen Neidhart-Ikonographie ist auf die umfangreiche Kodifizierung eines auch Pseudo-Neidharte einschließenden Repertoires durch Liebhard Eghenvelder hinzuweisen; insofern das ca. 1431–1434 angelegte Eghenvelder’sche Liederbuch zusammen mit einer Abschrift der Österreichischen Chronik von den Fünf undneunzig Fürstentümern des Leopold Stainreuter von Wien überliefert ist, lässt die Sammlung – dann weitaus mehr als bloße Neidhartpflege – auch an Züge territorialer Identitätsstiftung denken,72 die letzten Endes in einer Traditionslinie zu den rudolfinischen Bemühungen um Etablierung eines ‚Nationaldichters‘ stehen könnte (siehe Anm. 69). Darüber hinaus scheint das Neidhartgrab an St. Stephan offen für musikalisch inspirierte ‚Anlagerungen‘ zu sein wie das 1895 in der Vorhalle des Singertores 70 Vgl. Friedrich Dahm, „Das ‚Neidhart-Grabmal‘ im Wiener Stephansdom. Untersuchungen zur Bau- und Restauriergeschichte“, in: Blaschitz (Hg.), Neidhartrezeption (wie Anm. 68), 123–155, 132 u. 150 (Abb. 15). 71 Vgl. Lewon, „Phänomen ‚Neidhart‘“ (wie Anm. 69); Burghart Wachinger, „Neidhart-Schwänke im Bild“, in: Ders., Lieder und Liederbücher. Gesammelte Aufsätze zur mittelhochdeutschen Lyrik, Berlin 2011, 137–159; Elga Lanc, „Neidhart-Schwänke in Bild und Wort aus der Burg Trautson bei Matrei“, in: Blaschitz (Hg.), Neidhartrezeption (wie Anm. 68), 71–83; Gertrud Blaschitz/ Barbara Schedl, „Die Ausstattung eines Festsaales im mittelalterlichen Wien. Eine ikonologische und textkritische Untersuchung der Wandmalereien des Hauses ‚Tuchlauben 19‘“, in: Dass., 84–111. 72 Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Ser. n. 3344. Vgl. Björn R. Tammen, „Von Prozessen und Praktiken, Schnittstellen und Schmelztiegeln, Raumbefunden und musikalischen Repertoires. Anstelle einer Einleitung“, in: Alexander R ausch/Ders. (Hgg.), Musikalische Repertoires in Zentraleuropa (1420–1450). Prozesse & Praktiken (Wiener Musikwissenschaftliche Beiträge 26; Forschungsschwerpunkt Musik – Identität – Raum), Wien u. a. 2014, 11–18, 16, , 24.02.2020. Vgl. auch Marc Lewon, „Die Liedersammlung des Liebhard Eghenvelder: im Ganzen mehr als die Summe ihrer Teile“, in: Dass., 299–343, 299.
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Abb. 7: Oswald von Wolkenstein, Autorenbild in Handschrift A (Ausschnitt). Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 2777 Foto: © ÖNB Wien,
freigelegte Madonnenbildnis mit Stifterporträt (ca. 1390), bei dem Blick und Gebet des von seinem Patron anempfohlenen Stifters (der aus Padua zugewanderte italienische Kaufmann Galeazzo de Santa Sofia) über die Zwischeninstanz eines Engels mit Orgelportativ zur Muttergottes mit Kind gelenkt werden.73 Es könnte aber noch ganz andere Impulse gesetzt haben, etwa für den in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts so wesentlichen Themenkomplex von Autorschaft und Autorbewusstsein, den die bisherige Forschung im Falle von Oswald von Wolkenstein und seinen pikturalen „Vorleistungen […] gegen das Vergessenwerden“74 allzu 73 Wien Museum (olim Historisches Museum der Stadt Wien), Inv.-Nr. 13.924. Vgl. Adalbert Schusser (Hg.), Musik im mittelalterlichen Wien (Historisches Museum der Stadt Wien, 103. Sonderausstellung), Wien 1988, 70 (Kat.-Nr. 37) sowie 148 (Detailabb., Engel mit Orgelportativ); Evelyn Klammer, „Familienbande. Auftraggeberschaft und Funktionen eines Wandbildes des Veroneser Quattrocento am Wiener Stephansdom“, in: Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz 59 (2017), 262–270 (Abb. 1, in Farbe). 74 Vgl. Hans-Dieter Mück, „Oswald in Art: Eine Dokumentation der Bildzeugnisse 1407–2010“, in:
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einseitig auf italienische Vorbilder à la Squarcialupi-Codex und damit ein Paradigma der italienischen Frührenaissance hin zu perspektivieren pflegt.75 Ein in diesem Zusammenhang besonders aufschlussreiches Indiz wurde bisher verkannt: So zeigt das in Handschrift A76 enthaltene, in Anbetracht seines leidlich schlechten Erhaltungszustands vor allem über die – vermutlich von Josef Schatz in Auftrag gegebene, auf den 21. Mai 1900 datierte – Aquarellkopie im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum rezipierte Autorenporträt Oswald keineswegs nur mit attributiv präsentiertem Notenblatt, wie man in der bisherigen Forschung lesen kann, sondern regelrecht mit der Schreibfeder am Notenblatt (Abb. 7) des Incipits von Ain Anefangk, das als Nr. 1 zugleich die Liedersammlung eröffnet. Dieser dezidiert ‚auktoriale‘ Repräsentationsmodus wirft somit ein ganz eigenes Licht auf Oswalds Selbstbewusstsein als Dichter und zugleich ‚Komponist‘.77 Womöglich darf auch dieser Befund, sofern er nicht einfach nur im Zuge der Zeit liegt, als eine Fernwirkung identitätsstiftender Neidhartpflege im damaligen Österreich verstanden werden.
Ulrich Müller/Margarete Springeth (Hgg.), Oswald von Wolkenstein: Leben – Werk – Rezep tion (De Gruyter Studium), Berlin 2011, 275–289 (Zitat: Überschrift zu Abschnitt I); vgl. auch Leo Andergassen, „Oswald von Wolkenstein und die Kunst: Selbstdarstellung und Repräsentation“, in: Dass., 77–88. 75 Vgl. Laurenz Lütteken, „Musikalischer Text – Musikalische Wirklichkeit. Probleme spätmittelalterlicher Schriftlichkeit im Lichte der Wolkenstein-Handschrift A“, in: Birgit Lodes (Hg.), Wiener Quellen der älteren Musikgeschichte zum Sprechen gebracht. Eine Ringvorlesung (Wiener Forum für ältere Musikgeschichte 1), Tutzing 2007, 287–309, 300–303 (mit Abb. 2). 76 Der Codex ist bezeichnenderweise bereits 1445 im Besitz Herzog Albrechts VI. von Österreich nachgewiesen. Vgl. Anton Schwob, „Beobachtungen zur Handschrift A Oswalds von Wolkenstein“, in: Ders./András Vizkelety (Hgg.), Entstehung und Typen mittelalterlicher Lyrikhandschriften. Akten des Grazer Symposiums, 13.–17. Oktober 1999 (Jahrbuch für Internationale Germanistik, Reihe A: Kongressberichte 52), Bern u. a. 2001, 244–254. 77 Vgl. Björn R. Tammen, „Es seusst dort her von orient... (Kl. 20). Versuch über das Phrygische bei Oswald von Wolkenstein“, in: Christian Berger (Hg.), Oswald von Wolkenstein: Die Rezeption eines internationalen Liedrepertoires im deutschen Sprachbereich um 1400. Mit einer Edition elf ausge wählter Lieder (Rombach Wissenschaften – Reihe Voces: Freiburger Beiträge zur Musikwissenschaft 14), Freiburg im Breisgau 2011, 57–83, 61. Auf dieses Detail machte mich freundlicherweise K arlGeorg Pfändtner (Augsburg) aufmerksam; siehe künftig seinen Katalogbeitrag, in: Mitteleuro päische Schulen VI (ca. 1410–1450), bearb. von Christine Beier u. a. (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse, Denkschriften; Veröffentlichungen zum Schriftund Buchwesen des Mittelalters, Reihe I: Die illuminierten Handschriften und Inkunabeln der Österreichischen Nationalbibliothek 15) [i. V.].
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4. Das ‚w iener isch Heiter e‘: ein stark es Au(s)t(r)oster eot yp und seine M anifestationen im öffentlichen R aum 4.1 Der Imperativ einer Gesellschaft im Wiederaufbau „Der Heitere ist Meister seiner Seele / Wer schaffen will [,] muss heiter sein“ – diese programmatischen Verse zieren ein farbenprächtiges Fassadenmosaik an einem 1958/59 aus Mitteln des staatlichen Wohnhaus-Wiederaufbaufonds im 4. Wiener Gemeindebezirk errichteten Gebäude (Abb. 8).78 In bezeichnender Nähe zum ehemaligen Standort des kriegszerstörten Palais Strauss, Wohn- und Sterbehaus des ‚Walzerkönigs‘, wird hier die Erinnerung an Johann Strauss Sohn u. a. durch eine bildliche Reminiszenz an die Strauss’sche Hausorgel – de facto ein Harmonium mit kleinem, dekorativem Pfeifenprospekt79 – wachgehalten. Hinzu kommen weitere drei Musiker mit Sackpfeife, Harfe und Kontrabass, von denen zumindest ersterer auf den in Wien seit jeher populären ‚Lieben Augustin‘ (→ 2.1) referenzieren dürfte. Das Mosaik hat freilich noch ganz andere Implikationen: Sein mutmaßlich aus William Shakespeare und Theodor Fontane kompiliertes Motto80 ist gleichsam der Imperativ einer im Wiederaufbau begriffenen, sich daher betont optimistisch gebenden Gesellschaft. Ein praktisch zeitgleich publizierter Text des damaligen Stadtbaurates Kurt Heller enthält sogar folgende Forderung:81 jene Strenge, welche aus dem Kriegserlebnis geprägt ist, ins wienerisch Heitere abzumildern, während unsere an sich ja stets vorhandene Neigung zum wienerisch Heiteren immer wieder an der Angemessenheit geprüft werden sollte, mit der wir dieser gehetzten, fahrigen Zeit entgegenstehen müssen. 78 Vgl. Tammen, „Harmonie als Identitätsangebot” (wie Anm. 3), 293 f.; Ders., „City of Music“ (wie Anm. 3), 104 f. 79 Noch heute kann diese Memorabilie in der Gedenkstätte des Wien Museums in der Praterstraße bewundert werden. Vgl. auch die Titelseite zum Amtsblatt der Stadt Wien 1957, Nr. 11 (6. Februar 1957), mit Photographie: „Strauss komponierte auf dem Harmonium.“ 80 Zumindest der zweite Vers lässt an einen Spruch Theodor Fontanes denken: „Du wirst es nie zu Tücht’gem bringen / Bei deines Grames Träumerein, / Die Tränen lassen nichts gelingen, / Wer schaffen will, muß fröhlich sein“ (Sämtliche Werke, hg. von Edgar Gross, Bd. 20: Balladen und Gedichte, München 1962, 24). Ein seriöser Quellennachweis für den in populären Florilegien bisweilen William Shakespeare zugeschriebenen ersten Vers (vgl. Lothar Schmidt, Aphorismen von A–Z: Das große Handbuch geflügelter Definitionen, Wiesbaden, 61985, 185, mit geringfügig abweichendem Incipit) konnte demgegenüber bisher nicht erbracht werden. 81 Die Stadt Wien als Mäzen, III: Aufträge der Wiener Stadtverwaltung an Maler und Bildhauer von Ende 1949 bis Ende 1959 (Der Aufbau 36; Die bildende Kunst im sozialen Städtebau), Wien 1959, 7 (Vorwort, Kurt Heller).
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Abb. 8: Franz Molt, Der Heitere ist Meister seiner Seele, Mosaik (1958/59). Johann-Strauss-Gasse 22, 1040 Wien Foto: © Björn R. Tammen
Damit deutet sich an, wie sehr die gemeindebauliche Kunst und jene im Rahmen des staatlich getragenen Wohnhaus-Wiederaufbaufonds getätigten Fördermaßnahmen, denen sich Franz Molts Mosaik auf der Wieden verdankt, letztlich aus ein und demselben zeitspezifischen Ideenfundus schöpfen. Auf diese Weise werden Vorstellungen in öffentlichkeitswirksame pikturale Botschaften übersetzt, die in Franz Salmhofers zur Entstehungszeit ungemein populärem, wiewohl ästhetisch in hohem Maße fragwürdigem Liederzyklus Heiteres Herbarium (→ Schmidl, S. 210 f.) ein direktes musikalisches Pendant finden. 4.2 Schrammelmusik zwischen Lokalkolorit, Gruppenidentität und Geschichtskonstruktion Wie kaum ein zweiter Motivkreis arbeiten Heurigen-Szenerien als Spielart des ‚Heiteren‘ dieser Form einer behaupteten Gruppenidentität zu. Im zitierten Statement Kurt Hellers geht selbige mit einem starken Wir-Gefühl – und damit einem grundlegenden Mechanismus der Selbstzuschreibung – einher. Teils handelt es sich um ganze Ensembles der Schrammelmusik in dem für derlei populäre Musik vorrangigen Ambiente, teils nur um ausgewählte Instrumente bzw. Einzelfiguren. Werbe
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Abb. 9: Ferdinand Kitt, Wiener Wein & Wienerwald, Sgraffito (1953). Krottenbachstraße 94–96, 1190 Wien Foto: © Björn R. Tammen
tafeln gleich verherrlichen zwei komplementäre Sgraffiti von Ferdinand Kitt (1953) in Oberdöbling die Freuden von Wiener Wein und Wienerwald (Abb. 9). Speziell in den Außenbezirken der Stadt trägt derlei couleur locale zu beschaulichen Identitätsnischen und damit zur Geborgenheit dessen bei, was Wolfgang Kos treffend als „Eigenheim Österreich“ charakterisiert hat.82 Im konkreten Fall könnten die Sgraffiti neben den Bewohnern vor Ort aber auch mit einem touristischen Zielpublikum rechnen, denn sie zieren zwei Hausfassaden entlang der Stadtausfahrt nach Neustift am Walde, eine der bekanntesten Heurigengegenden Wiens. – Bei zwei Natursteinplastiken von Franz Pixner (1953/54) in Favoriten verschieben sich demgegenüber die Akzente eher in Richtung auf ein normatives Identitätsangebot: Bei diesen Galionsfiguren des Un82 Kos, Eigenheim Österreich (wie Anm. 24). Farbabbildung bei Tammen, „Catalogus“ (wie Anm. 4), 196 (Abb. 44). Zu „topographische[n] und toponymische[n] Orientierungsfunktionen“ der gemeindebaulichen Kunst, sofern einzelne Motive auf Bezirksgeschichte, Straßenbenennungen oder andere lokale Gegebenheiten referenzieren, vgl. Ders., „‚Glückliche Menschen“ (wie Anm. 3), 150–153 anhand dieser und anderer Beispiele.
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Abb. 10: Arthur Hecke, Die Künste, Sgraffito (1952/53). Boschstraße 20–22, 1190 Wien Foto: © Björn R. Tammen
terhaltsamen mit Mundharmonika bzw. Ziehharmonika möchte man geradezu von einer Verherrlichung der Musikvorlieben der ‚einfachen‘ Leute sprechen – oder besser gesagt desjenigen, was das Kulturamt der Stadt als solche propagiert.83 Wohl kaum zufällig in Heiligenstadt stößt man auf ein monumentales Sgraffito (1951) zum Thema Die Künste (Abb. 10), das zwar einen gleichberechtigten Wettstreit der Künste vorzugeben scheint, de facto jedoch zu zwei Dritteln musikalische Motive aufbietet.84 Auf bemerkenswerte Art und Weise werden hier führende Vertreter der Ersten und Zweiten Wiener Schule – mit einem verkappten Beethoven-Porträt in signifikanter Nähe zu der obligatorischen, auf die Bauträgerschaft Wiens verweisenden Inschrift sowie möglicherweise weiteren Kryptoporträts (Arnold Schönberg und Alban Berg?) in dem darüber platzierten Streicherensemble85 – mit Erscheinun83 Tammen, „Catalogus“ (wie Anm. 3), 171 (Abb. 16a/b). 84 Hierzu Ders., „‚Glückliche Menschen“ (wie Anm. 3), 153–155. 85 Ob diese Formation als Streichtrio zu begreifen ist oder zusammen mit der Beethoven-Darstellung
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gen von Volkstanz und Schrammelmusik kombiniert. Suggestiv treten die Bereiche des ‚Ernsten‘ und des ‚Unterhaltsamen‘, der Konzertmusik und der Brauchtumspflege in eine Verbindung zueinander, werden gleichsam sozialpartnerschaftlich überbrückt (→ Schmidl, S. 213), will man nicht eine im älteren Schrifttum beliebte musikhistoriographische Denkfigur aufgreifen – jene der Geburt der Wiener Klassik aus dem Geiste der Volksmusik.86 Dies gilt möglicherweise auch für die monumentalen Terracotta-Tafeln Weinpresse (Richard Ruepp) und Beim Heurigen (Leopold Hohl), die freilich erst aufgrund eines späteren Standortwechsels in eine merkwürdige Grauzone zwischen volkstümlichvolkstümelnder couleur locale und Komponistengedenken geraten sollten.87 Letztere bietet die obligatorische Schrammelmusik (Abb. 11): Geiger (nicht im Bildausschnitt) und Ziehharmonikaspieler musizieren im Stehen, während sich der Kontragitarrist zu drei Gästen gesetzt hat – unter ihnen eine hingebungsvoll zurückgelehnte, wohl bereits durch Weinkonsum sedierte (oder als singend gedachte?) Frau. Ursprünglich war diese Arbeit für einen Bauteil des Franz-Novy-Hofs in Ottakring vorgesehen, wie sich einem von beiden Künstlern gemeinsam aufgesetzten, ausnahmsweise einmal in den Akten des Kulturamts erhaltenen Schreiben an den damaligen Stadtrat für Kultur und Volksbildung vom 26. Juni 1955 entnehmen lässt:88 Wir hatten die Ehre auf Einladung des Herrn Stadtrates Mandl für die künstlerische Ausschmückung der Wohnhausanlage Wien 16., Zagorskigasse-Herbststraße-Pfenni[n]ggeldgasse je ein keramisches Relief zu entwerfen. Nach Besuchen im Ottakringer Heimatmuseum kamen wir auf die Idee als Motiv die Weinernte und alles, was damit zusammenhängt, zu wählen, umso mehr als es sich Jahrhunderte hindurch um alten Weinbaugrund handelt. Die großen Flächen, die an der Fassade auszufüllen sind, erfordern figurenreiche Darstellung. Wir beide haben je einen Entwurf (Gipsmodell) fertiggestellt und erlauben uns diese dem städtischen Kulturamt (Herrn Prof. Gaertner) zur Begutachtung vorzulegen. – ungeachtet deutlicher Unterschiede im Kostüm – ein ‚gedachtes‘ Klavierquartett bildet, ist für die nachfolgenden Überlegungen irrelevant. 86 Vgl. in diesem Sinne Guido Adler, „Die Wiener klassische Schule“, in: Ders. (Hg.), Handbuch der Musikgeschichte, Frankfurt am Main 1924, 694–717, 705: „Ihre Kunst steht auf dem Boden der Volksmusik […].“ 87 Vgl. Tammen, „Musikdarstellungen im Sozialen Wohnungsbau“ (wie Anm. 3). 88 Wiener Stadt- und Landesarchiv, M.Abt. 350, A1 – Allgemeine Registratur, 6021/55. In den in diesem Akt enthaltenen Schriftstücken sind die Werke übrigens mit „Heurigensänger und Wirt“ sowie „Weinpresse und Zubringung der Trauben“ betitelt.
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Abb. 11: Leopold Hohl, Beim Heurigen, Terracotta (1955/60, Detail). Probusgasse 14–16, 1190 Wien Foto: © Björn R. Tammen
Im Zuge einer Planungsänderung – und wohl auch in Anbetracht der rasant fortschreitenden Bautätigkeit der Gemeinde – wurde dann jedoch am ursprünglich vorgesehenen Standort das programmatische Monumentalmosaik 100.000 neue Wiener Gemeindewohnungen von Otto R. Schatz (1955/57) ausgeführt,89 sodass für die an sich auf lokale Gegebenheiten Bezug nehmenden Terracotten ein neuer Anbringungsort gefunden werden musste. Dies sollte erst 1960 im Innenhof eines hierfür eigentlich viel zu klein dimensionierten Wohnhauses in Oberdöbling geschehen – nur wenige Schritte entfernt von der Beethoven-Gedenkstätte des Heiligenstädter Testaments. Dass sich die Verantwortlichen im Kulturamt der Bedeutung dieses Standorts und seines Genius Loci nicht bewusst gewesen sein sollten, ist kaum anzunehmen. Viel eher dürften sie den aus dieser Konstellation sich ergebenden kontextualen Mehrwert erkannt und billigend in Kauf genommen haben – durchaus im Einklang mit dem 89 Pfenninggeldgasse 4a, 1160 Wien; vgl. Stadt Wien – Wiener Wohnen (Hg.), Gemeindebaubeschreibun gen, , 24.02.2020.
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zuvor besprochenen Heiligenstädter Sgraffito und seinem rein bildimmanent vermittelten Diskurs. 4.3 Musik als Lebensnotwendigkeit – ein utopischer Entwurf aus dem Roten Wien Mit Gitarre und Ziehharmonika als vorrangigen Identitätsmarkern in puncto Musik gerät der Imaginationshaushalt gemeindebaulicher Kunst in eine gewisse Schieflage, welche geradezu die Frage nach den Voraussetzungen, möglichen motivischen Alternativen respektive nicht weiter verfolgten Optionen provoziert. Voraussetzungslos waren derartige Musikdarstellungen im öffentlichen Raum (auch ihre monumentale Attitüde) keineswegs. Bereits in der Zwischenkriegszeit wurde der Wiener Gemeindebau zumindest gelegentlich hierfür genutzt. Besonders prominent geschieht dies im Gerlhof in der Brigittenau von 1931, an dessen Fassaden ein symbolträchtiger Aufstieg zur Darstellung gelangt (Abb. 12).90 Bereits auf Materialebene, durch konsequenten Einsatz grün schimmernder Majolika, erwecken die Darstellungen den Schein des Geheimnisvoll-Auratischen. Nobilitierend und zugleich realitätsfern mutet die antikisierende Gestaltungsweise an, während der Hyperrealismus der Figuren mit ihren kraftvoll modellierten Muskelsträngen einen unübersehbaren Bezug zum Hier und Jetzt der Arbeiterklasse stiftet. Das Bedürfnis nach Wohnraum repräsentieren zuunterst ein Maurer und ein selbst Hand an die emporwachsende Wand (mit Jahreszahl) anlegendes Paar. Darüber erstreckt sich eine Zone ‚musischer‘ Betätigungen im weiteren Sinne: Einem jugendlichen Musiker mit Laute (oder Wandervogelgitarre?) auf der rechten Seite korrespondiert ein frenetisch tanzendes Paar auf der linken, wobei der Mann mit erhobenem Tamburin, die Frau mit wehendem Tuch und Lorbeerkranz, sich selbst bekränzend, versehen ist. Eine nicht gespielte Leier und zwei als Notenrollen zu deutende Gegenstände, gleichsam Opfergaben auf dem im Zentrum positionierten Beistelltisch, steigern noch die feierliche Atmosphäre. Auf diese sozusagen geistige Nahrung folgt in der nächsten Stufe ein Sinnbild von Speise und Trank, wenn zwei demütig niederkniende Jugendliche von einer Frau (wohl ihrer Mutter) mit Nahrung versorgt werden. Zuoberst deutet sich – diskret, aber eindeutig – der Themenkreis Liebe und Sexualität an, insofern sich ein Mann huldvoll der auf dem Diwan ruhenden Frau nähert, wobei seine rechte Hand bereits das Bettzeug berührt. Dieses kühne Postulat, das die Musik quasi zu den vier lebensnotwendigen Dingen zählt, lässt an Max Adlers erst wenige Jahre zurückliegende Programmschrift Neue
90 Identische Motive an den beiden Fassaden Vorgartenstraße 34–40 bzw. Leystraße 47–53, 1210 Wien.
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Abb. 12: Majolika-Verkleidung am Gerlhof (1931, nicht bezeichnet). Leystraße 47–53, 1210 Wien Foto: © Björn R. Tammen
Menschen von 1924 denken,91 erst recht aber an die praktizierte Kulturarbeit des Roten Wien, welche bekanntlich der klassisch-romantischen Musik einen außerordentlich hohen Stellenwert zuerkannte, folglich durch bildungspolitische Maßnahmen auf Teilhabe der Arbeiterklasse an diesem kulturellen Schatz des Bürgertums hinarbeitete – mit den sog. Arbeiter-Symphoniekonzerten als besonderem Aushängeschild. Man könnte sogar Stufe II der Gerlhof-Majoliken als eine Weiterführung der gleichfalls antikisierenden Fassadendekoration des 1913 inaugurierten Wiener Konzerthauses, einer der vornehmsten Veranstaltungsstätten für Arbeiter-Symphoniekonzerte, begreifen, die zwar mit dem bekannten Meistersinger-Zitat („Ehrt eure deutschen Meister / Dann bannt ihr gute Geister“) eine – wohl von der Wagner-Begeisterung einer ganzen Generation getragene92 – programmatische Richtung für den Konzertbetrieb 91 Vgl. Max Adler, Neue Menschen: Gedanken über sozialistische Erziehung, Berlin 1924. 92 Vgl. Erwin Barta, „Zwischen Wiener Klassik und Weinkonsum. Die Nutzung des Konzerthauses als Abbild gesellschaftlicher Realitäten“, in: Kurdiovsky/Schmidl (Hgg.), Das Wiener Konzerthaus
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vorgibt, indes in den figürlichen Terracotta-Elementen jede Konkretisierung durch Festlegung auf ein bestimmtes Genre oder gar den einen oder anderen kanonisierten Meister (→ 3.1–2) vermeidet. Übrigens wird am Gerlhof das im Giebelfeld der Konzerthausfassade enthaltene monumentale Bekränzungsmotiv zur Selbstbekränzung einer Tänzerin, was sich durchaus auch als Ausdruck einer emanzipatorisch verstandenen Kulturarbeit deuten lässt. Ganz anders die Situation nach 1945: Der 2011 vorgelegte Katalog gemeindebaulicher Musikdarstellungen93 verrät ein auf den ersten Blick mannigfaltiges, aber eben doch eingeengtes Spektrum volkstümlich-populärer, häuslich-familiärer wie bukolisch-antiurbaner Motive; es wird geradezu eine Scheu spürbar, in diesem spezifischen Milieu des sozialen Wohnungsbaues Modelle der Hochkunst zu propagieren. Erhellend ist in diesem Zusammenhang das ebenso frustrierte wie polemische Statement eines – auch für den Gemeindebau – nach Höherem strebenden Bildhauers, Josef Riedl (1884–1965). Selbiger musste erleben, wie just in dem für das Selbstverständnis der ‚Musikstadt Wien‘ so wichtigen Mozart-Gedenkjahr 1956 (→ 2.1) die eigenen, offenbar bereits mit Kulturstadtrat Hans Mandl akkordierten Pläne für eine Gedenktafel („Mozartgroßplakette“) brüske Ablehnung durch den zuständigen Kulturausschuss erfuhren:94 Machte ebenfalls Entwürfe: ein Orchester, schwebend in den Wolken. Wohl instrumentiert, aber nicht wie in einer Gesellschafts-Aufführung, sondern frei; eben in den Wolken. Zudem mit der Schrift des Mozartjahres. Dieser Entwurf wurde mit dem Hinweis abgelehnt, Mozart war ein „Höfling“ und ein „Pfaffenschliefer“ [...]. So endeten die Versuche, aus den Proletenthemen herauszukommen.
Das böse Wort von den „Proletenthemen“ lässt an die Nähe so mancher Mosaike und Sgraffiti zu Erscheinungen des Sozialistischen Realismus denken, der freilich in der gemeindebaulichen Kunst allenfalls in einer gemäßigten Spielart auftritt, frei von Agitprop (→ 4.4). Ob in diesem Zusammenhang mit Weichenstellungen in den ers(wie Anm. 58), 189–192, bes. 189; Martina Nussbaumer, „Das Wiener Konzerthaus und die Rede von der ‚Musikstadt Wien‘. Wechselbeziehungen um 1913“, in: Dass., 193–196, bes. 195 f. 93 Tammen, „Catalogus“ (wie Anm. 3). 94 Vgl. Rupert Riedl (Hg.), Leben und Schaffen des Bildhauers Josef Riedl. Eine Künstlerbiografie, Frankfurt am Main u. a. 2005, 274 und 321 (Werkverzeichnis, Nr. 204). Mit „Gesellschafts-Aufführung“ dürfte sich Riedl auf die Konzerte im Wiener Musikverein (Gesellschaft der Musikfreunde) beziehen. „Pfaffenschliefer“ heißt so viel wie ‚kriecherischer Kerl‘. – Auch ein Entwurf zum Österreichischen Staatsvertrag (1955), Versuch der Behandlung eines ‚zeitgenössischen‘ Themas in der Kunst am Bau, fiel durch, „denn es waren an diesem [sc. Staatsvertrag] überwiegend ÖVP-Politiker beteiligt, der Gemeinderat ist aber SPÖ-dominiert“ (ebda., 274).
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ten Jahren nach Kriegsende zu rechnen ist, zumal unter einem kommunistischen Kulturstadtrat (Viktor Matejka, 1945–1949), vielleicht sogar Einflüsse der sowjetischen Besatzungsmacht geltend gemacht werden können, ist vorerst schwer abzuschätzen, könnte aber in Anbetracht des hochgradig erklärungsbedürftigen Bildbestandes durchaus ein mögliches Szenario abgeben. 4.4 Jazz und die Mechanismen von Inklusion und Exklusion Erscheinungen des Jazz haben in der gemeindebaulichen Kunst praktisch keine Spuren hinterlassen. Der ikonographische Befund lässt an eine heimliche Frontstellung des als Identitätsanker der Nachkriegszeit so wesentlichen, u. a. im Wienerlied-Repertoire mitsamt seinen typischen Instrumenten gespiegelten ‚wienerisch Heiteren‘ (→ 4.1) gegenüber Fremdeinflüssen wie der amerikanischen Unterhaltungsmusik denken, selbst wenn deren Rezeption nach 1945 eigentlich gar kein akutes Problem mehr darstellte (wenn man von einem solchen sprechen will), sondern massiv bereits in den 1920er und 1930er Jahren erfolgt war.95 Eine der wenigen Jazz-Darstellungen im öffentlichen Raum verdanken wir der Künstlerin Hermine Aichenegg (1915–2007), die allein ihrer Biographie nach – als geschiedene Frau, zudem tätig im Männerhandwerk der Fassadenmalerei auf den Großbaustellen der Gemeinde Wien – eine Ausnahmestellung im Kunstschaffen der Nachkriegszeit beanspruchen darf, 1949 als Teilnehmerin des sog. Salzburg Seminars auf Schloss Leopoldskron in den Genuss des intellektuellen ‚Marshallplans‘ der amerikanischen Besatzungsmacht96 gekommen war und sich zeitlebens offen zeigte gegenüber den surrealistischen und post-kubistischen Strömungen der französischen Moderne. Das späte Entstehungsdatum (1960/61) ihres für einen Pausenraum des beliebten Krapfenwaldlbades in Döbling bestimmten Sgraffitos (Abb. 13) spricht eine ebenso 95 Zur Problematik vgl. Monika Kornberger, „Auf der Suche nach der verlorenen Identität: Wienerlied und ‚Wiener‘ Schlager zwischen 1918 und 1938“, in: Keym/Stöck (Hgg.), Musik in Leip zig, Wien und anderen Städten (wie Anm. 3), 272–282; Weber, „Schene Liada – Harbe Tanz“ (wie Anm. 9), Kap. B.VII (312–378) und B.IX.1–2 (416–426); Christian Glanz, „Unterhaltungsmusik in Wien im 19. und 20. Jahrhundert“, in: Fritz-Hilscher/Kretschmer (Hgg.), Wien Musikgeschichte (wie Anm. 29), 487–534, bes. Kap. I.V („Jazz und ‚Jazz‘ in Wien“, 519–530). 96 Hierzu Christian H. Stifter, Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration. US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Neuorientierung österreichischer Wissenschaft 1941– 1955, Wien u. a. 2014, 609–616, , 24.02.2020. – In der politischen Frontstellung der amerikanischen gegenüber der russischen Besatzungsmacht in dem bis zur Unterzeichnung des Staatsvertrags (1955) in vier Besatzungszonen aufgeteilten Nachkriegsösterreich dürfte der Jazz, „Stilsignifikant“ par excellence der Vereinigten Staaten (→ Schmidl, S. 213), eine besondere Rolle gespielt haben.
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Abb. 13: Hermine Aichenegg, Tafelmusik, Sgraffito (1960/61). Krapfenwaldlbad, 1190 Wien Foto: © Susanne Hayder / Kulturabteilung der Stadt Wien
beredte Sprache wie sein gleichsam exterritorialer Anbringungsort außerhalb der Normalität von Arbeitswelt und Wohnraum, mithin der durch Bilder förmlich indoktrinierten Alltagswelt der Gemeindebauten. Erst recht aber merkwürdig ist der Werktitel, unter dem es in den Karteien des Kulturamts geführt wird: „Tafelmusik“97 – als hätte diese veritable Apotheose des Jazz nur unter einer biederen Tarnkappe den Weg durch die Gremien gefunden. Welche persönliche Affinität Aichenegg zum Jazz verspürt haben dürfte, geht bereits aus ihrem anderthalb Jahrzehnte zuvor entstandenen Ölgemälde Jazzkeller (1951) hervor,98 das geradezu die „mitreißende Atmosphäre der Aufbruchsjahre unter den jungen, aufgeschlossenen Künstlern mit der Eröffnung der Strohkoffergalerie des Art Clubs 1951“99 vermittelt. Wenig später entsteht für einen Gemeindebau in Favoriten das monumentale Sgraffito Technik (1953/54), welches 97 Vgl. Nierhaus, Kunst am Bau (wie Anm. 24), 257; Martin Suppan (Hg.), Hermine Aichenegg (1915–2007): Malerin des Aufbruchs, Wien 2008, 17 (Abb. 40) und 170 (Werknummer 98, mit Abb.). 98 Ebda., 35 (Abb. 68), 164 (Werknummer 16, mit Abb.) und Farbtf. 4. 99 Cornelia Cabuk, „Hermine Aichenegg (1915–2007)“, ebda., 28–42, 30. Als Bildschmuck im Wohnatelier der Künstlerin – festgehalten auf einer Photographie, welche die Künstlerin Gitarre spielend zeigt (ebda., 35) – gelangte dieses Gemälde erst nach ihrem Tod auf den Kunstmarkt.
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‚MusikBildIdentitäten‘ Abb. 14: Hermine Aichenegg, Technik, Sgraffito (1953/54). Alxingergasse 94, 1100 Wien Foto: © Björn R. Tammen
LKW und Traktor, Mauerwerk und Dachstuhl, Gewächshaus und Rohrleitungen, Fischgrätparkett und Ziermosaik sowie davor prangend den geöffneten Flügel, Markenzeichen (instrumentenbau-?)‚technischer‘ Errungenschaften zu einer merkwürdigen Synthese (→ Schmidl, S. 213) zwingt – gleichsam einem Stillleben aus dem Geist des Sozialistischen Realismus (Abb. 14). Konkretere musikalische Assoziationen sind deshalb nicht ausgeschlossen: Lässt das Setting (Parkettboden!) zunächst an klassisch-romantische Literatur quasi im bürgerlichen Wohnzimmer denken, so erlauben die zuvor besprochenen Arbeiten Aicheneggs durchaus auch den Brückenschlag zum Jazz, ohne dass eine definitive Festlegung in die eine oder andere Richtung möglich wäre. Aber vielleicht geht es hier auch gar nicht um konkrete Repertoires, sondern um etwas ganz anderes: Freiräume für die Musik in einem zunehmend technisierten Alltag. Unter diesen Vorzeichen betrachtet, würde ein Sgraffito wie Technik gleichsam einen pikturalen Gegenakzent
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zum Mainstream der gemeindebaulichen Wiederaufbaupropaganda setzen, ohne deshalb das offizielle Thema zu untergraben.
5. Lok alkolor it vs. nationale Kodierung: Musikinstrumente als Identitätstr äger 5.1 Problemstellung Mit dem ‚wienerisch Heiteren‘ ist der für die Ausverhandlung kollektiver Identitäten wesentliche Bereich der National- bzw. Regionalcharaktere berührt.100 Dabei sind heurigenselige Identitätsangebote nicht erst eine Erfindung für den Wiener Gemeindebau oder auch die diese und andere Klischees virtuos bedienende österreichische Nachkriegsfilmproduktion (→ Schmidl, S. 207); sie sind vielmehr bereits im 19. Jahrhundert anzutreffen, wie sich am Beispiel des für identitätsstiftende visuelle Stereotype besonders dankbaren Kronprinzenwerks (→ 3.1) vielfach belegen lässt. Selbiges kennt den Heurigen mit Schrammelmusik als visuellen Stellvertreter des „Wiener Volkslebens“101 ebenso wie den ungarischen Zimbalspieler102 oder ein Kärntner Quintett (Abb. 15), wie es Felician Myrbach von Rheinfeld imaginiert: In dem in seiner vermeintlichen Ungezwungenheit (inklusive nicht-musikalischer Requisiten wie Weinkaraffe, Tabakpfeife und Schnupftuch) raffiniert konstruierten Setting dient diese Illustration als Beleg für eines der „seit jeher […] sangeslustigsten Länder der Monarchie“,103 womit wiederum auf eine Form naturgegebener Musikalität (→ 2.1) abgezielt wird. Vermittels derartiger teils auf Selbst-, teils auf Fremdzuschreibungen beruhenden ‚MusikBildIdentitäten‘ wird aus der Not des Vielvölkerstaates quasi eine Tugend gemacht – zumindest der Versuch unternommen, kraft einer Enzyklopädie der Österreichisch-ungarischen Monarchie in Wort und Bild dem Vielvölkerstaat zu 100 Zu derartigen Stereotypen vgl. auch Ronald R adano/Philip V. Bohlman (Hgg.), Music and the Racial Imagination (Chicago Studies in Ethnomusicology), Chicago u. a. 2000. 101 Vgl. Hans Schließmann, Beim Heurigen; Illustration zu Friedrich Schlögl, „Wiener Volksleben“, in: Wien und Niederösterreich (wie Anm. 39), 91–122, 107. In der Schlöglgasse 17 in Wien-Meidling – 1894 nach dem Schriftsteller, Feuilletonisten und Humoristen (1821–1892) benannt und im Wesentlichen mit eingeschossigen Vorstadthäusern bebaut – liegt dieser Motivkreis sogar einem eigenwilligen Sgraffito von Maximilian Florian (Wiener Spaziergänge von Schlögl, 1953) zugrunde; vgl. Tammen, „Catalogus“ (wie Anm. 3), 177 (Abb. 24). 102 Vgl. Ignaz Roskovics, Titelbild zu Stefan Bartalus, „Palastmusik und Volkslieder“, in: Die österrei chisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild: Ungarn. Band I, Wien 1888, 363–388, 363. 103 Vgl. Thomas Koschat, „Musik“, in: Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild: Kärn ten und Krain, Wien 1891, 168–176, 171.
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‚MusikBildIdentitäten‘ Abb. 15: Felician Myrbach von Rheinfeld, Ein Kärntner Quintett (1891). Illustration zum Kronprinzenwerk (Koschat, „Musik“ [wie Anm. 103], 171) Foto: © ÖNB Wien,
einer Form gesamtstaatlicher Identität gerade in der Pluralität seiner einzelnen Territorien zu verhelfen.104 Gemessen an derartigen Bildzeugnissen und ihrer Kehrseite, einer zunehmenden Semantisierung einzelner Musikinstrumente bzw. Klangfarben in Symphonik und Oper,105 gemessen aber auch an den mit einer Bildproduktion sui generis einherge104 Eine vergleichbare Syntheseleistung erbringt etwa zur selben Zeit die Operette. Vgl. Stefan Schmidl, „Die Utopie der Synthese. Nation und Moderne in der Operette Österreich-Ungarns“, in: Marie-Theres Arnbom u. a. (Hgg.), Welt der Operette. Glamour, Stars und Showbusiness, Wien 2011, 54–63. 105 Bis hin zu den – so auch in Instrumentationslehren vermittelbaren – Gradationen zwischen bloß assoziativen und gleichsam präzisen indexalischen Bedeutungsgehalten.
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henden Reise- und Gesandtschaftsberichten im Zeitalter der Entdeckungen106 begibt man sich mit der Frage nach (proto)nationalen Kodierungen in der Musik des Spätmittelalters auf ein heikles, bisher kaum erforschtes Terrain, dem man sich nur behutsam annähern kann. Die methodischen Probleme sind gravierend, denn vor jeder Frage nach Konnotationen oder Denotationen einzelner Musikinstrumente und den Mechanismen von Inklusion oder Exklusion wäre überhaupt erst der Gesamtbestand eines als prinzipiell bekannt und damit für konkrete Räume und ihre Zentren und Peripherien, ggf. auch periphere Zentren (→ R ausch, S. 70 ff.), als verfügbar vorauszusetzenden Instrumentariums zu kartieren,107 um so gleichsam eine Bezugsmatrix für die Vektoren kulturellen Handelns – durchaus im Sinne der ‚Feldtheorie‘ Pierre Bourdieus (→ Gruber, S. 14) – zu schaffen. ‚Große‘ Engelskonzerte des 15. Jahrhunderts nach Art des Mindener Altares (→ 2.2) sollten in diesem Zusammenhang nicht überbewertet, zumindest gegenüber bescheideneren Formaten nicht privilegiert werden. So ist ein lediglich achtköpfiges Engelskonzert wie jenes im kärntnerischen Zwickenberg aus dem Jahre 1438 für die Fragen nach Kenntnis oder Unkenntnis bestimmter Musikinstrumente, lebendiger Anschauung vor Ort oder bloßer Tradierung im Musterbuch, Entscheidung für oder gegen bestimmte Typen und ihre bildliche Darstellung wohl nicht minder aufschlussreich.108 Nur ausnahmsweise begegnet man in den Bildquellen musikalischen Merkmalsattribuierungen, die gar nicht so weit von den späteren Nationalcharakteren entfernt zu sein scheinen, wenn etwa in den Wappenbüchern des 15. Jahrhunderts – neben der heraldisch verstandenen Davidsharfe – auch Schellen bzw. Glöckchen im Kontext orientalischer Herrschaften begegnen und damit in nuce einem Stereo106 Selbige finden in den Wiedergaben dezidiert türkischer Musikinstrumente (in friedlicher Koexistenz mit ihren europäischen Pendants) in Filippo Bonannis Gabinetto Armonico ein vergleichsweise spätes, zwischen Museum und Enzyklopädie changierendes Denkmal. Zu den bekannten Kupferstichen – Reproduktionen nach den ursprünglich im Museo Kircheriano des Athanasius Kircher in Rom befindlichen Gemälden – vgl. Cristina Ghirardini, „‚Eyewitness‘ accounts of Turkish music and dance in the eighteenth century“, in: Imago Musicae 26 (2013), 47–77; Antonio Baldassarre, „Being Engaged, Not Informed: French ‚Orientalists‘ Revisited“, in: Music in Art 38 (2013), 63–87. 107 Die Forderung nach regional umgrenzten, im Idealfall durch komplementäre archivalische, chronikalische oder auch literarische Evidenz angereicherte Bildkorpora (vgl. Howard Mayer Brown, „Instruments“, in: Ders./Stanley Sadie [Hgg.], Performance Practice: Music before 1600, London 1989, 15–37, 15) ist bisher kaum eingelöst. 108 Vgl. Björn R. Tammen, Musik und Bild im Chorraum mittelalterlicher Kirchen, 1100–1500, Berlin 2000, 470. Farbdigitalisate stellt das Institut für Realienkunde des Mittelalters und der Frühen Neuzeit der Universität Salzburg bereit: , 24.02.2020 (Abfrage: Standort = Zwickenberg). – Zum Folgenden vgl. auch Björn R. Tammen, „Engelsmusik in der Region Österreich, ihre Repräsentationsleistungen – und die Grenzen der musikalischen Ikonographie“, in: Musikleben des Spätmittelalters (wie Anm. 69), , 24.02.2020.
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typ der Janitscharenmusik vorgegriffen wird: so bereits bei Hans Ingeram (1459) für einen der drei Helden König Davids, den unter den „ersten drey wappen“ geführten Ananias (Bannanias),109 später auch im Wappenbuch des André de Rineck (1473) für die Phantasiewappen eines griechischen Kaisers sowie Sultan Saladins.110 Dass hier gleichsam punktgenaue Kodierungen vorgenommen werden, liegt wohl in der Natur der spätmittelalterlichen Heraldik und ihrer Repräsentationserfordernisse,111 stellt aber doch ein eher spezielles Anwendungsgebiet dar. 5.2 Schauplatz Böhmen Differenzierungen in puncto Bauweise, Klang oder auch Spieltechnik dürften es erleichtert haben, einzelne Musikinstrumente für ‚MusikBildIdentitäten‘ in Anspruch zu nehmen. Speziell Böhmen erweist sich in dieser Hinsicht als experimentierfreudig, bringt doch dieser Raum im Laufe des 14. Jahrhunderts gleich drei neuartige Typen harfen- bzw. zitherartiger Zupfinstrumente hervor:112 die Harfe mit zwei Resonatoren, die Ala (bohemica) sowie eine gegenüber dem regulären Psalterium in Trapezform um 90° gedrehte, in der vorliegenden Spezialliteratur bisher nur unzureichend beschriebene Variante, bei der die Saiten – ähnlich denen der Harfe – parallel zum Körper
109 Kunsthistorisches Museum Wien, Hofjagd- und Rüstkammer, Inv.-Nr. A 2302. Digitalisat: , 25.04.2019. So auch im Wernigeroder (Schaffhausenschen) Wappenbuch aus dem letzten Jahrhundertviertel: Bayerische Staatsbibliothek München, Cod. icon. 308 n, fol. 4r; Digitalisat: , 24.02.2020. 110 Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 3336, fol. 1r bzw. fol. 2v. 111 Vgl. Werner Paravicini, „Gruppe und Person: Repräsentation durch Wappen im späteren Mittelalter“, in: Otto Gerhard Oexle/Andrea von Hülsen-Esch (Hgg.), Die Repräsentation der Gruppen: Texte – Bilder – Objekte (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 141), Göttingen 1998, 327–389. 112 Vgl. Pavel Kurfürst, Ala und Harfe mit zwei Resonatoren – unbekannte Instrumente der europäi schen Stilmusik des 13. bis 15. Jahrhunderts (Musikwissenschaftliche Schriften 21), München/Salzburg 1985; Lukáš Matoušek, „The ‚Bohemian‘ Wing“, in: Fellowship of Makers and Restorers of Histo rical Instruments 40 (1985), 59–65; Ders., „Regional Signs of Medieval Musical Instruments“, in: Harald Heckmann u. a. (Hgg.), Musikalische Ikonographie = Hamburger Jahrbuch für Musikwis senschaft 12, Laaber 1994, 207–212; Ders., „Calcastrum. Pokus o identifikaci hudebního nástroje z traktátu Pauli Paulirini de Praga“ [Calcastrum. Versuch der Identifizierung eines bei Paulus Paulirinus genannten Musikinstruments], in: Živá hudba 2010/1, 12–22, , 24.02.2020; Ders., „Bohemika mezi středověkými hudebními nástroji“ [‚Bohemica‘ unter den Musikinstrumenten des Mittelalters], in: Clavibus unitis: Association for Central European Cultural Studies 1 (2012), 1–10, , 27.02.2020.
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des Spielers verlaufen.113 Alle drei Sonderformen dürften tendenziell auf Steigerung der klanglichen Möglichkeiten zielen – des Tonumfangs (speziell durch Erschließung tieferer Lagen), der Dynamik (durch Vergrößerung bzw. Bereitstellung zusätzlicher Resonanzräume) wie auch, im Falle der Ala, einer potenziell für polyphone Satzstrukturen geeigneten klangfarblichen und zugleich spieltechnischen Differenzierung durch gleichzeitigen Einsatz von Metallsaiten (mit Plektrum) für das hohe, Darmsaiten (gezupft mit bloßen Fingern) für das tiefe Register. Geradezu mustergültig spiegelt sich dieses diversifizierte Instrumentarium in dem wohl ca. 1365–1367 im Anschluss an die Weihe der Heiligkreuz-Kapelle auf Burg Karlstein bei Prag ausgeführten, mit insgesamt 39 Positionen exzeptionell großen und dem Universalismus gerade Kaiser Karls IV. vollauf adäquaten Engelskonzert.114 Selbiges bietet den äußeren Rahmen für Bekanntes, stellt aber auch Nischen für Partikulares wie die gleich zweimal in verschiedenen Größen wiedergegebene Ala, die Harfe mit zwei Resonatoren sowie den um 90° gedrehten Psalterientypus bereit – und das just im Kontext eines Zyklus von Wandmalereien zu Leben und Passion der beiden böhmischen Nationalheiligen Wenzel und Ludmilla an den Seitenwänden des Stiegenhauses im Großen Turm, die solcherart von Engelsdarstellungen am Plafond als Signum der Heiligkeit überfangen werden.115 Wenn sich ein mit Werken dieser Hofkunst vertrauter Buchmaler wie Johannes von Troppau in der L-Initiale zum Matthäus-Evangelium seines 1368 vollendeten Pracht evangeliars für Herzog Albrecht III. von Österreich116 auf gerade einmal acht musizie113 Vgl. Matoušek, „Regional Signs“ (wie Anm. 112), 209: „The practice of holding the psaltery upright was a practice indigenous to the Czech region.“ 114 Vgl. neben den in Anm. 112 genannten Arbeiten: Alexandr Buchner, „Hudoucí Andělé na Karlštejně“, in: Sborník Národního Muzea v Praze, Rada A: Historie / Acta Musei Nationalis Pragae, Series A: Historia 21/1 (1967), 1–71; Tammen, Musik und Bild (wie Anm. 108), 224 f. und 466 (Katalog); Lukáš Matoušek, „Středověké hudební nástroje na schodišti Velké věže hradu Karlštejna“ [Medieval musical instruments on the wall paintings of Karlštejn Castle], in: Slovenská Hudba 35 (2009), 134–171 (mit umfassender Bilddokumentation). – Eine Spezialpublikation hierzu ist in Vorbereitung. 115 Vgl. Björn R. Tammen, „Ibi est omnis harmonia et melodia resonans auditui: Annäherungen an die ‚beatorum gaudia‘ in der spätmittelalterlichen Kunst“, in: Stefan Gasch/Birgit Lodes (Hgg.), Tod in Musik und Kultur. Zum 500. Todestag Philipps des Schönen (Wiener Forum für ältere Musikgeschichte 2), Tutzing 2007, 111–139. 116 Johannes von Troppau unterstand als Pfarrer von Landskron dem Bischof von Olmütz und Kanzler Kaiser Karls IV., Johannes von Neumarkt. „Seine künstlerische Tätigkeit übte er in Prag, im Umkreis des Hofes und der kaiserlichen Kanzlei aus.“ Ulrike Jenni, „Cod. 1182, Evangeliar (lat.)“, in: Dies./Maria Theisen (Bearb.), Mitteleuropäische Schulen III (ca. 1350–1400). Böhmen – Mähren – Schlesien – Ungarn (mit Ausnahme der Hofwerkstätten Wenzels IV. und deren Umkreis) (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse, Denkschriften 315; Veröffentlichungen der Kommission für Schrift- und Buchwesen des Mittelalters, Reihe I: Die illuminierten Hand-
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Abb. 16: Johannes von Troppau, Liber Generationis mit Engelskonzert (1368). Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 1182, fol. 2r Foto: © ÖNB Wien,
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rende Engel zu beschränken hat (Abb. 16) und dann just die drei genannten Instrumente prominent platziert werden, möchte man geradezu von einem ‚Kanon‘ der böhmischen Sonderformen sprechen117 – einem Kanon durchaus im emphatischen Sinne, dessen dingliche Leitbilder auf eine Stufe mit den späteren, Musikleben und Musikhistoriographie prägenden Leitfiguren gestellt werden dürfen (→ 3.1–3). Und doch dürfte sich dieser Kanon, nach dem Rückgang entsprechender Bildzeugnisse zu urteilen, im frühen 15. Jahrhundert bereits wieder verflüchtigt haben, was an der Unhandlichkeit dieser recht großen Zupfinstrumente gelegen haben könnte, will man nicht soziokulturell begründete Verdrängungsmechanismen in Rechnung stellen (→ 5.3). Besondere Aufmerksamkeit beanspruchen im Buchstabenschaft der L-Initiale die beiden thronend wiedergegebenen Engel: zuunterst der Spieler einer Ala, zuoberst der Spieler einer Harfe mit Doppelresonator, der kraft Krone und Stimmvorgang geradezu die Funktion König Davids usurpiert. (Daneben sind zwei verschiedene Arten der Fidel, gruppiert um die im Zentrum platzierte Psalteriumsonderform sowie Päuklein, Saitentrommel und Guiterne in der Basis der L-Initiale dargestellt.) Nicht unerwähnt bleiben dürfen in diesem Zusammenhang die Cancellaria des als Patron unseres Buchmalers bereits kurz angeführten Johannes von Neumarkt (siehe Anm. 116). Im ersten von zwei inhaltlich zusammengehörigen Schriftstücken kündigt der Kanzler die Entsendung zweier „ioculatores seu figellatores“ nach Kremsier für die Hochzeit seiner geliebten Schwester Clara an; im zweiten empört er sich darüber, dass man bei dieser Gelegenheit offenbar auf seine Kosten geschlemmt, süßen Klängen gelauscht und den Freuden der Tafel ebenso wie dem ehelichen Beischlaf gefrönt habe, ohne dabei seine Spielleute angemessen entlohnt zu haben. Eigens genannt wird diesbezüglich ein Musiker namens Jesko (Kurzform von Jaromir oder Jaroslav), dessen Ala im ersten Dokument den adjektivischen Zusatz „bo[h]emica“ erhält.118 Damit wird – der Entschriften und Inkunabeln der Österreichischen Nationalbibliothek 12), Wien 2004, Textbd., 65–87, 81; Tafelbd., Farbabb. 4. 117 Signifikant als Ergebnis einer bewusst getroffenen Auswahl erscheint auch das Petersportal des Kölner Domes (ca. 1370/80); fast scheint es, als hätte die hier tätige Parler-Werkstatt mit zumindest zwei der genannten Sonderformen quasi ihren persönlichen Fingerabdruck hinterlassen. Vgl. Björn R. Tammen, „Visuelle Stellvertreter einer Dommusik im 13. und 14. Jahrhundert. Eine Wiederannäherung an den Kölner Dom und seine Musikdarstellungen“, in: Stefan Klösges/Eberhard Metternich (Hgg.), In aeternum cantabo. Zeugnisse aus 1300 Jahren kölnischer DomMusikGeschichte, Köln 2013, 27–71, 64–71 (mit Abb. 21.1: Harfe mit Doppelresonator bzw. Abb. 22.5: um 90° gedrehtes Psalterium); Ders., „Symbolische Kommunikation, institutionelle Repräsentation und die Visualisierung der Musik im Kölner Dom“, in: Fabian Kolb (Hg.), Musik und urbane Identität. Aspekte und Tendenzen musikalischer Profilierung in Köln und Mainz zwischen Hoch- und Spätmittelalter (Beiträge zur rheinischen Musikgeschichte 179), Kassel 2016, 259–278. 118 Ferdinand Tadra (Hg.), „Cancellaria Johannis Noviforensis, episcopi Olomucensis (1364–1380).
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rüstung des Kanzlers sei Dank – der ‚böhmische Flügel‘ gleichsam aus der Taufe gehoben. Doch wie tauglich ist diese Bezeichnung als Fachterminus? Da es sich bei den Cancellaria um die einzige bekannte mittelalterliche Quelle für die Begriffsfügung Ala bohemica handelt, zudem Bildquellen durchaus auch außerhalb Böhmens anzutreffen sind, plädiert Lukáš Matoušek dafür, auf das Adjektiv zu verzichten.119 Letztlich beruhen Instrumentenbezeichnungen auf Übereinkunft und scheint mit dem für sich genommen aussagekräftigen lateinischen Begriff Ala („Flügel“) alles gesagt zu sein. Für die Organologie mag das triftig argumentiert sein. Für eine Ideengeschichte der Musik und mit ihr die erst in den letzten Jahren überhaupt in das Blickfeld der Forschung gerückte Frage nach nationalen Kodierungen im mittelalterlichen Musikschrifttum und der Relevanz politischer bzw. regionaler Gemeinschaftsbegriffe120 hieße das allerdings, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Der zitierte Beleg ist umso ernster zu nehmen, als er von einer hochrangigen Persönlichkeit aus der direkten Umgebung Kaiser Karls IV. stammt. In Anbetracht von Herkunft und früh humanistischer Bildung, nicht zuletzt aber seiner exponierten Stellung bei Hofe dürfte Johannes von Neumarkt über den erforderlichen Weitblick verfügt haben, Dinge differenziert zu betrachten und sprachlich auf den Punkt zu bringen. Er scheint demnach den ‚böhmischen Flügel‘ als ein Spezifikum der eigenen Musikkultur verstanden zu haben; seinen italienischen Humanistenfreunden wie etwa Petrarca, mit dem Johannes in Korrespondenz stand, dürfte dieses Instrument unbekannt gewesen und im geradezu sprichwörtlichen Sinne ‚böhmisch‘ vorgekommen sein. Johannes von Troppau wiederum konnte zumindest die in seinem Engelskonzert so prominent platzierte Ala offenbar aus lebendiger Anschauung in der Hofhaltung seines Dienstherrn wiedergeben. Ob sich der Kanzler seinerseits nach oben hin orientierte, d. h. musikalische Repräsentationsformen des Kaiserhofes übernahm,121 ist vorerst kaum zu beweisen, aber wohl nicht ganz unwahrscheinlich. Briefe und Urkunden des Olmützer Bischofs Johann von Neumarkt“, in: Archiv für österreichische Geschichte 68 (1886), 1–157, 103 f. (Nr. 128 [360]: „mittimus vobis P. figellatorem et Jo. ludentem in ala Boemica, familiares commensales et domesticos nostros “) bzw. 130 f. (Nr. 187 [419]: „dulces illos musicos tonos tam in figella Philippi quam eciam in ala Jesconis audivisse“). 119 Vgl. Matoušek, „Bohemika“ (wie Anm. 112), 1 (Abstract): „[...] so called ala bohemica (but the author prefers rather only ala)“. 120 Vgl. Frank Hentschel/Marie Winkelmüller (Hgg.), ‚Nationes‘, ‚Gentes‘ und die Musik im Mittelalter, Berlin 2014; Frank Hentschel (Hg.), ‚Nationes‘-Begriffe im mittelalterlichen Musik schrifttum. Politische und regionale Gemeinschaftsnamen in musikbezogenen Quellen, 800–1400, Berlin 2016. 121 Zur dürftigen, für die Musikwissenschaft geradezu „traumatischen“ Quellenlage vgl. David Eben, „Karl IV. und die Musik“, in: Jiří Fajt/Markus Hörsch (Hgg.), Kaiser Karl IV. 1316–2016. Erste Bayerisch-Tschechische Landesausstellung (Ausst.-Kat.), Prag 2016, 174–181, 174.
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5.3 ‚Österreichische‘ Positionsbestimmungen Damit ergeben sich faszinierende Fragen in Hinblick auf die Projektschnittstelle I: Wie positioniert sich Albrecht II. (V.) zu diesen an den ‚Schauplatz Böhmen‘ gekoppelten Erscheinungen? Gelten für die Kultivierung böhmischer Sonderformen (sowohl im realen Musikleben bei Hofe als auch bei den auf die unterschiedlichsten Kontexte entfallenden bildlichen Darstellungen) ähnliche Mechanismen wie für die Hofkapelle? Immerhin erfolgt bei dieser ein auf zeitgemäße musikalische Repräsentationskunst zielender Ausbau im Anschluss an Internationalisierungstendenzen, wie sie bereits unter Kaiser Sigismund durch Übernahme bzw. gezielte Anwerbung einer Elite franko-flämischer Sänger-Komponisten beobachtet werden konnten (→ R ausch, S. 57 ff.). Neben den Engelskonzerten lassen vor allem die Davidsminiaturen ein besonderes Potenzial für ‚MusikBildIdentitäten‘ erkennen. Immerhin handelt es sich bei der bildlichen Wiedergabe des Beatus vir – als Psalmensänger und Begründer der Tempelmusik in Jerusalem Leitfigur par excellence – um die wohl sensibelste Bildgelegenheit, welche die Bibel in dieser Hinsicht bietet. Die nachfolgend mitgeteilten Stichproben können nicht über das Fehlen einer flächendeckenden Bestandsaufnahme für den zentraleuropäischen Raum hinwegtäuschen und mögen daher als zwar signifikante, zum Nachdenken anregende, vorerst aber kaum zu verallgemeinernde Einzelbefunde stehen. Dank der Internationalisierung böhmischer Kunst und der Rezeption eines bisweilen wohl auch als luxemburgisch-imperial konnotierten Leitstils in weiten Teilen Europas122 dürften entsprechende Musterbuchvorlagen weithin verfügbar gewesen sein; folglich haben wir in Hinblick auf die Rezeption der beschriebenen Sonderformen – um in einem ersten Schritt die künstlerisch-handwerkliche Ebene zu beleuchten – mit allen Schattierungen zwischen gelungener Aneignung auf der einen, einer Überforderung aus Unkenntnis baulicher oder spieltechnischer Besonderheiten auf der anderen Seite zu rechnen. Während der wohl aus Meran stammende Konrad im Tiergarten (so der Name des Künstlers) im Marienretabel für Stift Stams in Tirol (‚Grussittafel‘, ca. 1390) u. a. eine Harfe mit Doppelresonator brillant wiederzugeben vermag,123 scheitert ein Hans von Judenburg daran, in seinem großen, vermutlich 122 Vgl. Susanne Rischpler/Maria Theisen (Hgg.), Inspiration – Rezeption: Böhmische Buchmalerei des 14. und 15. Jahrhunderts (Codices Manuscripti: Supplementum 6), Purkersdorf 2012. 123 Irma Trattner, „Die Marienkrönungstafel im Zisterzienserstift Stams in Tirol. Ihre Stellung zwischen Süd und Nord“, in: Das Münster 52 (1999), 298–310. Zu den Instrumentendarstellungen der ‚Grussittafel‘ vgl. auch Tammen, „Engelsmusik“ (wie Anm. 108) sowie zuletzt Hildegard Herrmann-Schneider, Wo die Engel musizieren. Musik im Stift Stams, Brixen 2020, 12–17 (mit zahlreichen Farbabbildungen).
‚MusikBildIdentitäten‘
ähnlich dem Mindener Altar in Kreisform disponierten Engelskonzert am Flügelaltar der Bozener Pfarrkirche (1424 vollendet) die Ala (?) in Korpusgestalt, Haltung und Spieltechnik adäquat umzusetzen, wie im direkten Vergleich mit anderen, durchaus gelungenen Wiedergaben von Rahmenharfe, Orgelportativ, (Schlaufen-)Trompete oder Päuklein nur allzu deutlich wird.124 Hier bestand offenbar ein Darstellungsbedürfnis (sei es des Künstlers oder des Auftraggebers), mit dem die Möglichkeiten zur künstlerischen Umsetzung nicht Schritt halten konnten. Mittelbar dürfte die Verbreitung der Sonderformen von Harfe und Psalterium im Zuge der politischen und religiösen Spannungen bereits unter König Wenzel IV.,125 erst recht aber nach dessen Absetzung mit den nun einsetzenden Hussitenkriegen (1419–1434) aufgrund massiver Abwanderung böhmischer Künstler in die angrenzenden Territorien noch verstärkt worden sein. Den eher ‚westeuropäischen‘ Standard einer Davids-Ikonographie zur Zeit Albrechts II. repräsentiert die vermutlich für selbigen Herrscher ca. 1435–1440 angefertigte, in ihrem Bildschmuck dem sog. Albrechtsminiator zugewiesene Prachtbibel mit einer großen Rahmenharfe in Händen des königlichen Psalmensängers (Abb. 17a).126 Ihren sozusagen böhmischen ‚Widerpart‘ bildet die wenig ältere Darstellung in der 1432–1435 im westböhmischen Ostromeč illuminierten Bibel des Taboritenhauptmanns Filip (Philipp) von 124 Ursprünglich bestimmt für den 1424 vollendeten Flügelaltar der Pfarrkirche in Bozen mit zentraler Marienkrönungsgruppe. Nach der leichten Krümmung der als Wolkenband gestalteten Stand fläche zu urteilen, dürften die Engel in einem umlaufenden Kranz, analog dem Mindener Altar (siehe Anm. 32), disponiert gewesen sein. Farbdigitalisate stellt die Bilddatenbank REALonline bereit: , 24.02.2020 (Abfrage: Standort = Deutschnofen). – Zu den erhaltenen Fragmenten, von denen im heutigen Zustand speziell die Engelsreliefs als Schmuck eines Taufdeckels der Pfarrkirche St. Ulrich und Wolfgang in Deutschnofen (Südtirol) zweckentfremdet sind, siehe Emiljan Cevc, Kat.-Nr. 235, in: Elisabeth Langer (Red.), Gotik in der Steiermark. Katalog der Steirischen Landesausstellung im Stift St. Lambrecht vom 28. Mai bis 8. Oktober 1978, Graz 1978, 269; Götz Pochat/Brigitte Wagner (Hgg.), Internationale Gotik in Mitteleuropa = Kunst historisches Jahrbuch Graz 24, Graz 1990 (darin bes. Günther Bräutigam, „Hans von Judenburg I. Die Bozener Tafel – Schicksale und Rekonstruktion“, 221–232 sowie Emiljan Cevc, „Die Marienkrönung aus dem Bozener Altar des Hans von Judenburg – Fragen zur Rekonstruktion“, 210–220). 125 Eines der Schlüsselereignisse in diesem Zusammenhang ist der Auszug deutscher Universitätsmagister und Studenten aus Prag nach Leipzig 1409 (zugleich Gründungsjahr der dortigen Universität) infolge des die böhmische Universitätsnation einseitig bevorzugenden sog. Kuttenberger Dekrets. 126 Vgl. Susanne Rischpler/Veronika Pirker-Aurenhammer, „Cod. 1187, 1187*, 1187**: Ambraser Bibel (lat.)“, in: Mitteleuropäische Schulen V (ca. 1410–1450): Wien und Niederösterreich, bearb. von K atharina Hranitzky u. a. (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse, Denkschriften 435; Veröffentlichungen zum Schrift- und Buchwesen des Mittelalters, Reihe I: Die illuminierten Handschriften und Inkunabeln der Österreichischen Nationalbibliothek 14), Wien 2012, Textbd., 63–71, bes. 71 (zur möglichen Auftraggeberschaft Albrechts) und Tafelbd., Abb. 124.
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Björn R. Tammen Abb. 17a: König David mit Harfe. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 1187, fol. 351r (Albrechtsminiator, ca. 1435–1440) Foto: © ÖNB Wien
Abb. 17b: König David mit Psalterium (Sonderform). Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 1175, fol. 195r (ca. 1432–1435) Foto: © ÖNB Wien,
Padeřov in Gestalt des gegenüber dem regulären Typus um 90° gedrehten Psalteriums (Abb. 17b).127 127 Vgl. künftig Maria Theisen, „Cod. 1175“, in: Ulrike Jenni/Dies., Mitteleuropäische Schulen VII (ca. 1410–1450): Böhmen, Mähren, Schlesien, Ungarn (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse, Denkschriften; Veröffentlichungen zum Schrift- und Buchwesen des
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Aus dem 19. und 20. Jahrhundert heraus gedacht, würde man wohl den in der erstgenannten Handschrift gewählten Harfentypus im Sinne einer Differenz begreifen – als dezidierte Entscheidung für genau dieses Instrument, aber gegen eine böhmische Alternative. Aber so leicht lassen sich die Dinge dann doch nicht auf ein Freund-Feind-Denken reduzieren; immerhin dürften wir es mit einer komplexen Gemengelage zwischen künstlerischer Schulung, den im Musikleben vor Ort zumindest potenziell erfahrbaren Realien, persönlichen Befindlichkeiten des Auftraggebers sowie den mehr oder weniger expliziten Vorgaben mutmaßlich eines Klerikers aus dem Umfeld der Hofkapelle zu tun haben, und keine dieser Ebenen lässt sich auch nur mit hinlänglicher Präzision bestimmen. Sollte der sog. Albrechtsminiator seine Ausbildung tatsächlich im zweiten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts in Prag erfahren haben, um sich alsdann – wie so viele seiner Künstlerkollegen auch – in der Hoffnung auf günstigere Rahmenbedingungen in eines der angrenzenden Territorien abzusetzen,128 dürfte er mit böhmischen Prototypen einer Davids-Ikonographie nach Art der für König Wenzel tätigen Buchmaler129 vertraut gewesen sein. Und doch konnte oder musste er sich an seiner neuen Wirkungsstätte in puncto Instrumentarium – ganz im Unterschied zu den quasi universell einsatzbaren und dabei so typisch böhmischen Dekorationselementen130 – offenbar an einen neuen Standard anpassen. Eine weitere, freilich nicht weniger spekulative Überlegung führt von der künstlerischen auf eine eher politische Ebene: Während im westfälischen Minden, fernab von einer realen hussitischen Bedrohung, böhmische Sonderformen in einem auf Mittelalters, Reihe I: Die illuminierten Handschriften und Inkunabeln der Österreichischen Nationalbibliothek 17) [in Bearbeitung]. Eine ungleich suggestivere bildliche Wiedergabe, die durch die schiere Korpusgröße, erst recht aber das faszinierte Lauschen des Spielers auf den Klang seines Instruments erkennen lässt, was den Reiz dieser Sonderform ausgemacht haben dürfte, bietet die Davidsminiatur einer auf 1443 datierten, in Prager Neustadt entstandenen Prachtbibel: Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 1181, fol. 180v. 128 Will man nicht annehmen, dass er, sofern aus Wien oder Umgebung gebürtig, von lokalen Buchmalern geprägt wurde, mithin böhmischen Einfluss quasi aus zweiter Hand empfangen hat. Zur Problematik vgl. Susanne Rischpler, „Der Albrechtsminiator“, in: Mitteleuropäische Schulen V (wie Anm. 126), Textbd., 58–63, 60 f. 129 Zu den von Meister Frana und Meister Kuthner konsequent dargestellten Instrumententypen (Harfe mit Doppelresonator; um 90° gedrehtes Psalterium) vgl. Björn R. Tammen, „Musik, Bild und Text in der Wenzelsbibel“, in: Imago Musicae 20 (2003), 7–64. 130 Vgl. K arl-Georg Pfändtner, „The Influence and Spread of the Bohemian Decoration System to Fifteenth-Century Manuscript Production in Vienna and Nuremberg“, in: Manuscripta 50 (2006), 301–316; Milada Studničková, „Böhmische Buchmalerei und die Wiener Illuminatoren der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts“, in: Codices Manuscripti. Zeitschrift für Handschriftenkunde 33 (2012), 63–72.
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Björn R. Tammen Abb. 18: Schutzmantelmadonna im Chor der Angeli am Klosterneuburger Albrechtsaltar (1438/39). Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv und Grafiksammlung, L 8358 D Foto: © ÖNB Wien
enzyklopädische Vollständigkeit zielenden Engelskonzert (→ 2.2) geradezu eine privilegierte Stellung genießen, vielleicht sogar mit dem Reiz des Besonderen spielen,131 könnten sich die Dinge für einen über viele Jahre „im Angesicht hussitischer Wagenburgen“ agierenden Herrscher132 ganz anders dargestellt haben. Für eine solche Sicht der Dinge spricht ein weiteres, bemerkenswertes ikonographisches Zeugnis: So lässt sich Albrecht II. am sog. Albrechtsaltar in Klosterneuburg (1438/39) mitsamt Vertretern einer weltlichen wie geistlichen Elite unter dem schützenden Mantel der Muttergottes porträtieren, der zwei musizierende Engel – Vertreter des untersten Chores der angeli – huldigen. Als Instrumente werden Laute und Harfe 131 Vgl. Tammen, „Himmlische Hierarchie“ (wie Anm. 32), 26–31. 132 So die treffende Charakterisierung in dem 2011–2016 am Institut für Mittelalterforschung der ÖAW angesiedelten FWF-Projekt: Albrecht II. – Herrschaft im Angesicht hussitischer Wagenburgen. Der österrei chische Herzog und römische König Albrecht V. (II.) in den Böhmischen Ländern (1421–1439), Leitung: Petr Elbel, , 25.04.2019.
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gewählt, wobei Letztere in der westeuropäischen Standardform wiedergegeben ist (Abb. 18).133 Musikalische Nebenmotive bietet auch das mutmaßlich für Albrechts Sohn Ladislaus Postumus geschaffene ‚Hofämterspiel‘ (ca. 1455), aber selbiges führt die Frage nach (proto)nationalen Kodierungen im Instrumentarium geradezu ad absurdum: So musiziert die ‚böhmische‘ Jungfrau auf einem Orgelportativ, schlägt ihre ‚deutsche‘ Nachbarin die Laute und ist der ‚französischen‘ Dame eine Harfe als Attribut beigegeben.134 (Lediglich das statt mit einem Musikinstrument nur mit einem Schoßhündchen ausstaffierte ‚ungarische‘ Fräulein fällt aus dem Rahmen.) Zwar evozieren die vier – analog dem modernen Kreuz, Pik, Herz und Karo zu verstehenden – Spielfarben Frankreich, Römisches (bzw. Deutsches) Reich, Böhmen und Ungarn durchaus territoriale Vorstellungen, aber die Zuordnung der Musikinstrumente erscheint beliebig, letztlich austauschbar, zumal hier ja auch nur ein Standardsortiment aufgeboten wird. Dies könnte dem didaktischen Anliegen des ‚Hofämterspiels‘ geschuldet sein: Hierin übt ein Prinz spielerischen Umgang (und zwar in einer geradezu mustergültigen Verbindung aus delectatio und utilitas) mit den vier wichtigsten Königreichen, er macht sich vertraut mit den maßgeblichen Hofämtern sowie einigen in diesem Zusammenhang anfallenden Hoheitszeichen bzw. Attributen, ohne dass die territoriale Dimension im Sinne einer nationalen Spezifik auf Ämter und Requisiten ausstrahlen würde.135 Mit diesen wenigen Beispielen aus Engels-, Davids- und Profanikonographie sei angedeutet, wie komplex sich der musikalische Imaginationshaushalt der Zeit um 1430/40 darstellt. Von einer konsequenten Inanspruchnahme bestimmter Musik instrumente für eine zielgerichtete Identitätspolitik und ihrer Verdichtung zu ‚MusikBildIdentitäten‘ von normativer Kraft kann jedenfalls nicht die Rede sein.
133 Vgl. Barbara Bonard, Der Albrechtsaltar in Klosterneuburg bei Wien. Irdisches Leben und himmlische Hierarchie. Ikonographische Studien (tuduv-Studien, Reihe Kunstgeschichte 2), München 1980. 134 Wien, Kunsthistorisches Museum, Kunstkammer, Inv.-Nr. KK 5077–5124. Farbdigitalisate verfügbar auf , 25.02.2020. Vgl. auch Schusser, Musik im mittelalterlichen Wien (wie Anm. 73), ungezählte Tf. vor 49 sowie 164 (Charlotte Ziegler, Kat.-Nr. 151); Wilfried Seipel (Hg.), Die Botschaft der Musik: 1000 Jahre Musik in Österreich, Wien 1996, 37–39 (Martin Czernin, Kat. Nr. 1.16). 135 Gleiches ließe sich von den musikalischen Nebenmotiven der Spielkarten ‚Trompeter‘ und ‚Narr‘ sagen.
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6. Epilog: E v ensong – Singende K naben – Sängerknaben – K antor ei In der Fixierung auf ‚MusikBildIdentitäten‘, wie sie in den zurückliegenden Abschnitten besprochen wurden (in unterschiedlicher Akzentuierung mutmaßlicher Repräsentationsbemühungen, Legitimationsstrategien und Identitätspolitik[en]), könnte leicht die Instanz des Künstlers aus dem Blickfeld geraten – und mit ihr ganz eigene Interessen, individuelle, durchaus auch private Zugänge in der Auseinandersetzung mit musikalischen Phänomenen und der im Zuge ihrer Visualisierung sich stellenden Herausforderungen. Erst recht gilt dies für Kunstwerke, die sich vorderhand keinem äußeren, der Vereinnahmung für identitätspolitische Zwecke verdächtigen Auftrag verdanken, sondern die gleichsam als selbstgewählte „Fleißaufgaben“136 zu verstehen sind wie die 1944 zunächst in Terracotta geschaffene Figurengruppe Evensong des Bildhauers Siegfried Charoux (→ 3.3), von der später auch ein unter der Bezeichnung Singende Knaben geführter Bronzeguss (Abb. 19) angefertigt werden sollte.137 Einfühlsam, ebenso reich an außermusikalischen Assoziationen wie präzise im Freilegen struktureller Gestaltungsprinzipien beschreibt Charoux dieses Werk in einem undatierten Vortragsmanuskript, aus dem hier mit umso größerer Berechtigung zitiert werden darf, als wir zuvor einer derartigen auktorialen Perspektive nolens volens entbehren mussten:138 An immediate reaction to this group is song – the rising sound of song – the silent voice that we raise before the miracles of nature – our morning and our evening prayer. And through song we discover a new magic in the wing of a bird as it soars heavenwards, for the wing spreads out like the palm of a hand, the feathers become fingers, and the design carves in air the shape of a wing. It is a triangular form that is continually repeated in the composition; in the fold of the arms, the arrangement of the heads, and in the gesture of the three 136 Vgl. Charoux’ Brief an Viktor Matejka vom 16. März 1960 in Bezug auf die Plastiken Zeitungsleser und Violinist: „Alle Arbeiten sind Fleißaufgaben, das ist die Art, die bei mir die besten Resultate ergiebt [!]. Völlige Freiheit, soweit es Thema, Material, Komposition und Zeit betrifft. Und völlig ohne Hilfe gemacht“ (Charoux-Archiv [wie Anm. 66]). 137 Datierung nach Christian Waltl, Siegfried Charoux. Ein Bildhauer im englischen Exil: 1896 Wien – 1967 London. Sein Weg in die Emigration, seine Internierung und nur eine halbe Rückkehr nach Öster reich, Dipl.-Arb., Universität Wien 1997, 119 f., mit Verweis auf Ausstellungen der Royal Academy (1945, Summer Exhibition) bzw. des Arts Council (1951, Open Air Exhibition of Sculpture). Eine Ausführung in roter Terracotta verwahrt das Langenzersdorf Museum (Inv.-Nr. A 27). Speziell zu dem hier abgebildeten Bronzeguss und Charoux’ Werkbeschreibung vgl. Tammen, „Musikdarstellungen im Sozialen Wohnungsbau“ (wie Anm. 3). 138 Typoskript, Charoux-Archiv (wie Anm. 66). Einen Terminus post quem bietet der Hinweis auf die 1950 erfolgte Ernennung zum Mitglied der Royal Academy of Arts.
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‚MusikBildIdentitäten‘ Abb. 19: Siegfried Charoux, Singende Knaben/Evensong, Bronzeplastik (1956/61). Hofmannsthalgasse 12–24, 1030 Wien Foto: © Björn R. Tammen
right hands which are poised half-open, with a bird-like quivering. The triangle may also be traced several times across the torsos of the boys, and again in the bend of the knees, so that the main theme, the unity of a triangle, is complete. The homogeniousness of this group, which has the appearance of spiritual elevation, is retained by a series of rhythmic planes that are interfused upon the pattern, connecting one point with another, and the dispersal of major and minor masses in gentle passages as the boys echo each others movements, adds repose, as well as a sense of weight by which they are grounded. We ask ourselves... is it the play of sunlight over the terra-cotta that gilds this piece with enchantment, or is it our imagination that responds to some intangible quantity which seems to envelop the group? […]
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Terra-cotta technique admirably suits the work of Charoux, with its andante motion that is unaffected by external conditions. His figures invariably turn their hands in supplication, and one subconsciously views them from the base upwards, following the sustained rhythm that is carried through to the top. If the faces are reticent of expression, it is a deliberate step on the part of the sculptor, who sees them, not as portraits, but as a pre-conceived link that unifies the beginning to the end.
Man wird Charoux (der übrigens über sich selbst ein wenig distanziert in der dritten Person schreibt) nicht widersprechen wollen – aber teilt er uns die ganze Wahrheit mit? Es gehört zu den Idiosynkrasien derartiger Eigeninterpretationen, dass sie zwar – aus der beglaubigenden Perspektive des Autors – einen für sich genommen stimmigen Verständnishorizont eröffnen, deshalb aber längst nicht als der Weisheit letzter Schluss anzusehen sind. So stringent Charoux die gestalterischen Aspekte herausarbeitet, so sehr schweigt er sich über mögliche Vorbilder aus, und die inhaltliche Dimension wird mit „spiritual elevation“, „enchantment“ oder auch dem Wort von einer „intangible quantity“ eher verschleiert als konkretisiert (was dem Betrachter, frei von äußerer Bevormundung, in puncto Interpretation weitgehende Spielräume eröffnet). Im Folgenden sei eine Kette von ‚MusikBildIdentitäten‘, wie sie die Zwischenüberschrift bereits andeutet, sowohl prospektiv, in die Nachkriegszeit hinein, als auch retrospektiv, zurück in die 1430er Jahre, ja sogar die Zeit der frühchristlichen Katakombenmalerei verfolgt. Das hieraus resultierende Vexierspiel von Vorbild(ern) und Abbild(ern) und ihrer wohl kaum je voraussetzungslosen Übertragung in neue Kontexte wird dabei je einmalige Identitätskonstruktionen freilegen, womit das Hauptthema dieses Essays dann doch wieder seinen Tribut einfordert. Zunächst zur Frage nach möglichen Vorbildern für Evensong. Vor einen englischen Erfahrungshorizont gestellt, könnte man leicht an die seit dem Spätmittelalter praktisch ungebrochene, speziell an den Kathedralkirchen und Kapellen der Universitäts-Colleges blühende Chortradition und ihre besonders aufwändig zelebrierten Evening Services denken. Aber bereits der Kunstkritiker Hans Ankwicz-Kleehoven lenkt in seinem aus Anlass der Vergabe des Kunstpreises der Stadt Wien an Charoux (1948) verfassten Aufsatz den Blick in eine ganz andere Richtung, wenn er die Singenden Knaben als eine Übersetzung der „Innigkeit Luca della Robbias ins Moderne“139 beschreibt. Das dürfte auf das wohl bekannteste Werk aus Della Robbias früher Schaffensphase zielen – die für Santa Maria del Fiore in Florenz als Verkleidung der nördlichen Orgeltribüne geschaffenen Marmorreliefs kindlich-jugendlicher Musikanten mit umlaufender, den 150. Psalm 139 Hans Ankwicz-Kleehoven, „Siegfried Charoux: Ein Wiener Bildhauer in London“, in: Kunst ins Volk: Zeitschrift für Freunde der bildenden Künste 1949, Nr. 5/6, 214–220, 220.
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‚MusikBildIdentitäten‘ Abb. 20: Luca della Robbia, Cantoria-Seitenrelief (vollendet 1434). Florenz, S. Maria del Fiore, Museo dell’Opera. Bildzitat nach: Florentinische Bildhauer des Quattrocento (Die Sammlung Parthenon), Berlin 1939, Tf. X
zitierender Inschrift, wobei die an den Schmalseiten angebrachten, wohl bereits im August 1434 vollendeten Reliefs singende Knaben und Jünglinge zeigen (Abb. 20). Ob „Innigkeit“ in diesem Zusammenhang eine geeignete Kategorie darstellt, darf tunlichst bezweifelt werden: Im einzigartigen, nicht erst mit der Ankunft der päpstlichen Sänger Eugens IV. auf Ausbau kirchenmusikalischer Ressourcen setzenden Florentiner Milieu (zumal kurze Zeit vor Vollendung von Brunelleschis Domkuppel) tragen diese Gesangsdarstellungen – verstanden als Visualisierung musikalischer
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Errungenschaften – ausgesprochen offensive Züge, erst recht im öffentlichkeitswirksamen Format der Kathedralskulptur.140 Hinter dem antikisierenden Äußeren der durch Berührungen untereinander – mit allen Konnotationen der amicitia – verbundenen Sänger vermitteln sie gleichsam die Einheit der Kantorei in ihrem Doppelgesicht als Ausbildungsstätte und zugleich performativ agierender Klangkörper, der eine europaweit umworbene Elite von Sänger-Komponisten und den Nachwuchs hochtalentierter Chorknaben zu einer ihrer künstlerischen Leistungen selbstgewissen Gemeinschaft regelrecht zusammenschweißt.141 Damit überlagert sich eine Form von Gruppenidentität, die praktisch zur selben Zeit in Wien Johannes de Sartos Trauermotette Romanorum rex auf König Albrecht II. im ungleich zurückhaltenderen Format einer bloßen Namensliste von Kapellangehörigen eingeschrieben wird (→ R ausch, S. 45 ff.), mit den Repräsentationsbestrebungen einer im Musikleben des 15. Jahrhunderts zu den wohl ambitioniertesten Institutionen schlechthin zählenden Kathedralkirche in ihrem einzigartigen städtischen Kontext. Für eine Orientierung Charoux’ an Della Robbia spricht nicht allein die Thematik im Verein mit einer auf Schönheit und Idealisierung setzenden Formensprache – für sich genommen wohl kaum beweiskräftige Parameter –, sondern auch ein sozusagen professionelles Interesse, das Charoux diesem Florentiner Bildhauer der Frührenaissance entgegengebracht haben könnte: Immerhin sollte sein Schaffen seit der Emi gration nach England (1935) einen Schwerpunkt in Terracotta finden (mitsamt den an den Brennvorgang geknüpften technischen Herausforderungen, s. u.), und insofern mochte es allemal lohnend gewesen sein, sich näher mit dem Begründer einer florierenden, in drei Generationen von Familienangehörigen geführten Werkstatt für Terracotten (allerdings glasiert, nicht naturbelassen) zu beschäftigen. 140 Vgl. Klaus Pietschmann, „The Sense of Hearing Politicized: Liturgical Polyphony and Political Ambition in Fifteenth-Century Florence”, in: Wietse de Boer/Christine Göttler (Hgg.), Re ligion and the Senses in Early Modern Europe (Intersections 26), Leiden/Boston 2012, 273–288; Gary M. R adke, „Luca della Robbia’s cantoria. Good, better and best“, in: Ders. (Hg.), Make joyful noise, Renaissance art and music at Florence Cathedral, Atlanta/New Haven/London 2014, 11–52. 141 Vgl. Björn R. Tammen, „Die Hand auf der Schulter – Ein Topos der spätmittelalterlichen Gesangs ikonographie zwischen Gestik, Performanz und Gruppenidentität“, in: Nicole Schwindt (Hg.), Rekrutierung musikalischer Eliten: Knabengesang im 15. und 16. Jahrhundert = troja. Jahrbuch für Re naissancemusik 10 (2011), Kassel u. a. 2013, 53–90, 79–88; Ders., „Anverwandlungen vokaler Mehrstimmigkeit im Bild und durch das Bild: Fallbeispiele aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts“, in: R ausch/Ders. (Hgg.), Musikalische Repertoires (wie Anm. 72), 227–249. Vgl. auch Melanie Wald-Fuhrmann u. a., „‚Touch when you’re singing‘? On the Possible Effects of Body Contact in Ensemble Singing“, in: Aaron Kozbelt (Hg.), Proceedings of the Twenty-third Biennial Congress of the International Association of Empirical Aesthetics, New York 2014, 408–414; Online-Publikation, , 24.02.2020.
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Beträchtlich sind freilich die Unterschiede: Della Robbia scheint einem von späteren Kunsttheoretikern wie Giorgio Vasari mit dem Begriff der varietà belegten Gestaltungsideal verpflichtet und bietet so auf dem vergleichsweise engen Raum der beiden schmalen Relieffelder ein Höchstmaß an Differenzierung, formal wie inhaltlich: unterschiedliche Grade der Plastizität im Relief; Feinabstufungen zwischen verschiedenen Modi des Ausdrucks, der Aktion bzw. Kontemplation zwischen träumerischer Versonnenheit, Neugierde und Begeisterung, Hingabe oder kontrollierter Zurückhaltung; dazu Armverschränkungen und variantenreiche Fingerstellungen als Formen der körperlichen Aktion bzw. Interaktion. Anders präsentiert sich demgegenüber Charoux’ Figurengruppe in der vollkommenen Übereinstimmung der ihrer Größe nach gestaffelten, in der Anordnung der Gliedmaßen, ja selbst der Neigung der Köpfe sowie mimischen Details geradezu ‚gleichgeschalteten‘ singenden Knaben. Mit ihrer Dreizahl sowie der exaltierten, aufwärts gerichteten Gestik deutet sich ein weiteres, durchaus überraschendes Vorbild an – der bereits in der frühchristlichen Katakombenmalerei belegte Bildtypus der ‚Jünglinge im Feuerofen‘,142 dessen Implikationen für Charoux auszuloten sich allemal lohnt. Bekanntlich beruht das Motiv auf einer im Buch Daniel berichteten Episode aus der Zeit der babylonischen Gefangenschaft des Volkes Israel. So weigern sich drei Freunde des Propheten Daniel, dem Götzenbild König Nebukadnezars zu huldigen, weshalb sie zur Bestrafung in einen Feuerofen geworfen werden. „Da sangen die drei im Ofen wie aus einem Mund, sie rühmten und priesen Gott [...]“ (Dan 3,51). Dank göttlichen Beistands überstehen die Freunde die Prüfung unversehrt, woraufhin Nebukadnezar die alleinige Anbetung des Gottes Israel gebietet. Für einen Bildhauer, der noch während der Kriegsjahre eigens einen großen Brennofen auf dem Grundstück seines Londoner Ateliers konstruiert, um sich von externen Dienstleistern unabhängig zu machen und seine großformatigen Figuren selbst brennen zu können,143 mochte die im Buch Daniel erzählte Geschichte ihren ganz eigenen, sozusagen professionellen Reiz gehabt haben. Tugenden, wie sie die ‚Jünglinge im Feuerofen‘ unter Beweis stellten, dürfte Charoux freilich auch selbst benötigt haben: Aus politischen Gründen bereits 1935 nach England emigriert, sollte sich der Bildhauer bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs – für ihn völlig überraschend – als 142 Hierauf machte mich dankenswerterweise Elisabeth Th. Hilscher (Wien) aufmerksam. – Eines der frühesten Bildzeugnisse aus dem späten 3. oder frühen 4. Jahrhundert findet sich in der PriscillaKatakombe in Rom; vgl. Brigitte Ott, „Jünglinge, Babylonische“, in: Engelbert Kirschbaum (Hg.), Lexikon der Christlichen Ikonographie, Bd. 2, Rom u. a. 1970, 464–466. 143 Vgl. Elisabeth Koller-Glück, „Siegfried Charoux und das Werden des Charoux-Museums“, in: Erich Gusel (Red.), Prof. Siegfried Charoux (1896 Wien – 1967 London). Zur Eröffnung des Charoux-Museums in Langenzersdorf am 12. Juni 1982, Langenzersdorf 1982, 4–10, 8; Liesbeth Waechter-Böhm, „Über Siegfried Charoux“, in: Dass., 11–26, 15.
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enemy alien (‚feindlicher Ausländer‘) im berüchtigten Internierungslager auf der Isle of Man wiederfinden. Vor diesem Hintergrund erscheint es plausibel, Evensong an das biblische Bildmotiv und die Zeit der babylonischen Gefangenschaft des Volkes Israel rückzukoppeln, mithin die singenden Knaben als Symbol der Einmütigkeit, der Standhaftigkeit und des schier unerschütterlichen Vertrauens auf Gott in Zeiten der Heimsuchung zu begreifen. Sollte diese Interpretation zutreffen, würde letzten Endes auch verständlich, warum ein politisch so engagierter Künstler wie Charoux gegen Kriegsende Zuflucht zu der nur vermeintlich schönen, heilen Welt der Musik und der „Innigkeit“ singender Knaben nehmen sollte. Damit ist die Geschichte von Evensong allerdings noch nicht abgeschlossen. Während der langwierigen, keineswegs geradlinig verlaufenden Planungen für sein Richard-Strauss-Denkmal (→ 3.3) trug sich Charoux zumindest zeitweise mit dem Gedanken, die von ihm offenbar besonders geschätzte Figurengruppe gleichsam für das neue Projekt zu recyclen.144 Zwar sollte sich sein Denkmalskonzept, wie gesehen, in eine ganz andere Richtung entwickeln, sodass letztlich Die Lauschenden an Stelle der Singenden Knaben und anderer Zwischenlösungen traten, deshalb aber blieben Letztere für Wien keineswegs folgenlos. So entschloss sich das Kulturamt der Stadt in den späten 1950er Jahren zum Ankauf einer Bronzeversion für eine Wohnhausanlage im Bezirk Landstraße,145 womit sich am neuen Aufstellungsort ganz eigene Kodierungen ergeben. Ohne Weiteres kann man nachvollziehen, was Evensong bzw. die Singenden Knaben für die Verantwortlichen im Magistrat so attraktiv gemacht haben dürfte: Da sind zunächst die genuin künstlerischen Qualitäten dieser gemäßigt modernen Figurengruppe und ihre – wie von Charoux beschrieben – den Blick des Betrachters unweigerlich von unten nach oben lenkende („one subconsciously views them from the base upwards“), im besten Sinne optimistische Grundstimmung. Auch ihr Parallelismus membrorum erscheint vollauf kompatibel mit dem Geist der Wiederaufbauzeit, speziell der Harmoniebedürftigkeit einer auf Ausgleich und Überbrückung von Gegensätzen zielenden Gesellschaft. Vor allem aber konnte vermittels der Singenden Knaben geradezu eines der Aushängeschilder schlechthin für die ‚Musikstadt Wien‘ und das ‚Musikland Österreich‘ (→ 2.1) beschworen werden, die Wiener Sängerknaben. Dass derartige Ideen bereits für Charoux eine Rolle gespielt haben könnten, ist nicht von der Hand zu weisen: Liest man in einem Brief an Kulturstadtrat Mandl vom 14. Juni 1959 (also genau im Zeitfenster zwischen dem Auftrag für Singende 144 Dies lässt zumindest eine auf einer zeitgenössischen Photographie (Charoux-Archiv [wie Anm. 66], ca. 1955) dokumentierte plastische Skizze erkennen, bei der die Knaben, nunmehr bekleidet wiedergegeben, zwischen den Jocharmen einer stilisierten Leier (anstelle der späteren Harfe) posieren. 145 Hofmannsthalgasse 12–24, 1030 Wien. Die Eckdaten sind bei Nierhaus, Kunst am Bau (wie Anm. 24), 225 mit 1956/61 angegeben.
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Knaben und ihrer Aufstellung) von „verborgenem Heimweh“ (und zwar in Bezug auf seine Plastik Cellist sowie eine weitere, bedauerlicherweise nicht näher spezifizierte Arbeit146), so gewinnt man beinahe den Eindruck, als vergewissere sich ein Exilkünstler vermittels der Visualisierung von Musik der „Waerme“ seiner einstigen Heimat – und damit eines Stücks kultureller Identität.
146 „Merkwuerdigerweise dachte ich, sowie beim Celisten [!], waehrend der Arbeit immer, dass die Plastik fuer Wien bestimmt sei. Eine Art von verborgenem Heimweh vermutlich. Ich vermisse stark meinen Besuch in Wien[,] der im Fruehjahr faellig war. Bald wird es Herbst sein und dann muss ich kommen und die Waerme speichern[,] die mir Wien gibt, ohne sie koennte ich den englischen Winter nicht ertragen“ (14. Juni 1959, Charoux-Archiv [wie Anm. 66]; bei Waltl, Siegfried Charoux [wie Anm. 137], 140 als Beleg für eine nicht abgerissene, wohl auch durch die Musik gestützte emotionale Bindung an Wien gedeutet).
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Autorinnen und Autoren
Barbara Boisits (geb. 1961 in Kapfenberg). Leiterin der Abteilung Musikwissenschaft am Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien, an der sie seit 1999 tätig ist. Studium der Musikwissenschaft und Kunstgeschichte an der Karl-Franzens-Universität Graz (1989 Mag. phil., 1996 Dr. phil.). 2010 Habilitation an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Ab 1991 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Alte Musik und Aufführungspraxis der Kunstuniversität Graz, 1994–1999 Mitarbeiterin des interdisziplinären FWF-Spezialforschungsbereiches Moderne – Wien und Zentraleuropa um 1900 an der Karl-Franzens-Universität Graz. 2002–2014 regelmäßig Lehraufträge am Institut für Analyse, Theorie und Geschichte der Musik der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, 2003/04 hier Gastprofessorin. 2014–2018 Vizerektorin für Forschung an der Kunstuniversität Graz. Seit 2019 Vizepräsidentin der Internationalen Gustav Mahler Gesellschaft. Mitherausgeberin der Neuen Beiträge zur Aufführungspraxis (2004–2008) und der Musicologica Austriaca (2006–2012). Forschungsschwerpunkte: Geschichte der Musikwissenschaft, Musikgeschichte Österreichs im 19. und 20. Jahrhundert, kulturwissenschaftliche Aspekte musikwissenschaftlicher Forschung. Im Rahmen des Projekts ‚Musik – Identität – Raum‘ Herausgeberin von Musik und Revolution: Die Produktion von Identität und Raum durch Musik in Zentraleuropa 1848/49 (2013). Gernot Gruber (geb. 1939 in Bruck a. d. Mur). Studium der Musik, Musikwissenschaft, Philosophie und Germanistik, 1964 Promotion zum Dr. phil., 1973 Habilitation im Fach Musikwissenschaft an der Universität Wien. 1976–1995 ordentlicher Professor an der Hochschule für Musik in München, die ihn 2011 zu ihrem Ehrendoktor ernannte. 1995–2008 ordentlicher Professor für Musikwissenschaft an der Universität Wien. Seit 2005 wirkliches Mitglied und bis Ende 2012 Obmann der vormaligen Kommission für Musikforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien. In dieser Funktion Initiator und Leiter des Forschungsschwerpunkts ‚Musik – Identität – Raum‘. Gewähltes Mitglied der Akademie für Mozartforschung / Internationale Stiftung Mozarteum, Salzburg, des Joseph HaydnInstitutes Köln (seit 2008 Vorstandsmitglied) und des Direktoriums der Internationalen Gesellschaft für Musikwissenschaft (bis 2002), Vorstandsmitglied des Ernst Krenek-Instituts / Universität Krems (2008–2018), Universitätsrat der Universität Mozarteum Salzburg (2004–2008) und deren ‚Observer in Residence‘ für das Qua-
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Autorinnen und Autoren
litätsmanagement (2014/2015). Zuletzt erschienen: Kulturgeschichte der europäischen Musik. Von den Anfängen bis zur Gegenwart (2020). Elisabeth Hilscher (geb. 1967 in Wien). Seit 1987 Mitarbeiterin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien (seit 2020 Abteilung Musikwissenschaft am Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage). 1985–1993 Studium der Musikwissenschaft und Geschichte an der Universität Wien (Diplomarbeit 1989 über Widmungskompositionen an Joseph I. und Karl VI., Dissertation 1993 über die Geschichte der Gesellschaft zur Herausgabe von Denkmälern der Tonkunst in Österreich, DTÖ). Sie ist Mitglied der Leitenden Kommission der DTÖ sowie des Präsidiums der Österreichischen Gesellschaft für Musikwissenschaft. Seit 2012 ist sie Lektorin an der Universität Wien (immer wieder auch Gastlektorin an der Masaryk-Universität Brno) und seit 2018 Beirat des Departments für Kunst- und Kulturwissenschaften der Donau-Universität Krems. Ihre Forschungschwerpunkte liegen auf der österreichischen bzw. Wiener Musikgeschichte (insbesondere der Höfe der Habsburger), der Musiküberlieferung im Bereich der Kirchen und Klöster sowie der Geschichte des Faches Musikwissenschaft. Im Rahmen des Projekts ‚Musik – Identität – Raum‘ Herausgeberin von Im Dienste einer Staatsidee. Künste und Künstler am Wiener Hof um 1740 (2013). Zuletzt mehrere Beiträge im Sammelband Michael Haydn – kein vergessener Meister! (2020) sowie Herausgeberin des Tagungsbandes Ver netztes Sammeln (2021, gemeinsam mit Anja Grebe). Alexander R ausch (geb. 1971 in Wien). Seit 2003 Mitarbeiter der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien (seit 2020 Abteilung Musikwissenschaft am Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage). Studium der Musikwissenschaft und Romanistik an der Universität Wien (Promotion 1997 zu den Musiktraktaten des Bern von Reichenau). 1995–2000 Mitarbeit in zwei FWF-Projekten zur Musiktheorie des Mittelalters in österreichischen Bibliotheken. 2008–2015 Leitung zweier FWF-Projekte zu den mittelalterlichen Musikhandschriften in der Österreichischen Nationalbibliothek. Weitere Forschungsschwerpunkte: Oesterreichisches Musiklexikon (2003–2006); Musikalische Identitätsbildung und Repräsentation in der Frühen Neuzeit (2006–2014); Johann Joseph Fux – Werke (Historischkritische Ausgabe, seit 2015). Im Rahmen des Projekts ‚Musik – Identität – Raum‘ Herausgeber von Musikalische Repertoires in Zentraleuropa (1420–1450). Prozesse & Praktiken (2014, gemeinsam mit Björn R. Tammen). Stefan Schmidl (geb. 1974 in Sauerbrunn). Senior Research Associate für Audiovisuelle Medien an der Abteilung Musikwissenschaft des Austrian Centre for Digital
Autorinnen und Autoren
Humanities and Cultural Heritage der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien, an der er seit 2005 tätig ist. Studien der Musikwissenschaft und Kunstgeschichte an der Universität Wien (Promotion 2004). 2013 Berufung zum Professor für Geschichte und Theorie der Musik an die Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien, dort seit 2015 stellvertretender Vorstand des Instituts für Wissenschaft und Forschung. Forschungsschwerpunkt: Filmmusik zwischen 1938 und dem Beginn der Kinokrise. Zuletzt erschienene Monografien: Beethoven und die Bilder der Musik (2020, gemeinsam mit Werner Telesko), The Film Scores of Alois Melichar (2018) sowie Evokationen der Nation. Europäische Landschaften in symphonischer Musik (2017). Im Rahmen des Projekts ‚Musik – Identität – Raum‘ Herausgeber von Die Künste der Nachkriegszeit. Musik, Literatur und bildende Kunst in Österreich (2013). Björn R. Tammen (geb. 1966 in Detmold). Senior Research Associate für Musik ikonographie an der Abteilung Musikwissenschaft des Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien, an der er seit Ende 2006 tätig ist. Studium der Musikwissenschaft, Kunstgeschichte und Geschichte an der Universität zu Köln (1997 Promotion zum Dr. phil.). 2000–2006 wissenschaftlicher Mitarbeiter bei zwei FWF-Projekten zu den Musikdarstellungen spätmittelalterlicher illuminierter Handschriften bzw. den Musikerbriefen der Österreichischen Nationalbibliothek Wien. Mitbegründer und Chair der IMS Study Group on Musical Iconography. Schriftleiter von Imago Musicae: In ternational Yearbook of Musical Iconography. Im Rahmen des Projekts ‚Musik – Identität – Raum‘ Herausgeber von Musikalische Repertoires in Zentraleuropa (1420–1450). Prozesse & Praktiken (2014, gemeinsam mit Alexander Rausch). Zuletzt Herausgeber von Autopsie eines Gesamtkunstwerks: Das Chorbuch der Münchner Jahrhunderthochzeit von 1568 (2020).
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Register
Erstellt von Björn R. Tammen. Erfasst sind Namen, Orte, Sachbegriffe sowie Werktitel. Seitenangaben in kursiver Schrift beziehen sich auf Nachweise in Fußnoten, fette Ziffern auf Abbildungen, Notenbeispiele und Tabellen der betreffenden Seite. 1. April 2000 (Liebeneiner/Melichar) 204 100.000 neue Wiener Gemeindewohnungen (Schatz) 259 a e i o u 20, 42 A Survivor from Warsaw / Ein Überlebender aus Warschau (Schönberg) 197, 204 f. Aachen 60 - Wallfahrt 42 Abendzeitung. Tägliches Ergänzungsblatt der „Sonntagsblätter“ 143 Abenteuer in Wien (Reinert/Hagemann) 205 Aberglauben 235 Abraham a Sancta Clara 121 Absolutismus 20 f., 83, 89, 91, 94, 137 f.; siehe auch Ancien régime; Neoabsolutismus Ach wie nichtig, ach wie flüchtig (Heiller) 198 Adam Hustini de Ora (Kantor) 46 Adami et Evae ex Paradiso ejectio 117 Adel 21–23, 64, 81, 86, 90, 91, 93, 115 f., 125 f., 135, 139, 180 Adler, Guido 258 Adler, Max - Neue Menschen 260 f. Adlgasser, Anton Cajetan 118 Adolfati, Andrea 125 Adorno, Theodor W. 28, 197 Adventus 60, 133 Aichenegg, Hermine 225, 263–266 - Jazzkeller 264 - Tafelmusik 33, 263 f., 264 - Technik 264–266, 265
Akademische Legion 142, 147, 149, 152, 156, 158–160, 162–164, 163 Akteur-Netzwerk-Theorie 17 f.; siehe auch Netzwerk, Vernetzung Ala (bohemica) 225, 236, 269–272, 275; siehe auch Harfe – Sonderformen; Psalterium – Sonderformen Albrecht II., röm.-dt. König 13, 19 f., 23, 40, 42–44, 48–50, 52, 54–57, 60 f., 70, 77, 79 f., 225, 274 f., 278, 284; siehe auch Albrechtsaltar Albrecht III., Herzog 270 Albrecht V., Herzog → Albrecht II. Albrecht VI., Herzog 253 Albrecht, Erzherzog 142, 152 Albrechtsaltar 278, 278 f. Albrechtsberger, Johann Georg 110, 114, 115 Alcide al bivio (Metastasio/Hasse) 100 Alle Domine nate (Tropus) 51 Alleluia 53 Allgemeine musikalische Zeitung 164, 166, 241, 242 Allgemeine Theaterzeitung 156, 157 Allgemeiner Musikalischer Anzeiger 150–152, 157, 167 Alta-Ensemble 231 Alterität 33, 44, 223, 268; siehe auch Differenz; Identität, Identitätspolitik Altomonte, Bartolomeo 114 Amtsblatt der Stadt Wien 248 An der schönen blauen Donau (Gernerth/Strauss Sohn) 179
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Ancien régime 84 f., 133 Andächtige Kirchen-Gesänge 108 Anderson, Benedict 228 Angerer, Joachim 53 Angerer, Paul - Ritter, Tod und Teufel 198 Ankwicz-Kleehoven, Hans 32 f., 282 Annales-Schule 82 Annus qui (Enzyklika) 22 Anonymus Pragensis 76 Antimodernismus → Konservativismus Antonicek, Theophil 116 Antonius von Burgund 48 Antonius von Padua (Hl.) 48 Antonius von Vienne (Hl.) 48 Aosta - Seminario Maggiore, Cod. 15 46, 59, 72 Apostel, Hans Erich 29 - Variationen über ein Thema von Joseph Haydn 194 Applausus 114 Arbeiter, Arbeiterklasse 163, 164, 213, 215, 216, 260; siehe auch Proletariat Arbeiter-Sinfoniekonzerte 261 Arbeiter-Zeitung 193, 230 Architektur 48 Aristokratie → Adel Aristoteles 74 Arndt, Ernst Moritz - Des Deutschen Vaterland 143, 145, 148, 158, 172, 175 Artistenfakultät 65, 75; siehe auch Universität Ästhetik, Autonomieästhetik 15 f., 31, 35, 147, 185 Astronomie, Astrologie 40 f., 224, 231–236, 235 Atonalität 198 f. Auber, Daniel-François-Esprit - La Muette de Portici 160, 162 Auer von Herrenkirchen, Ernst 73 Auf den Tod der Kaiserin Maria Theresia 127, 128–131 Auf! Garden, auf! → Kriegslied für die Österreichische Nationalgarde
Aufklärung 19, 21, 23, 90, 107, 122, 131, 137; siehe auch Reformkatholizismus Aufschnaiter, Benedict Anton 115 Augsburg 115 Augustin (Lieber A.) 209, 226, 228, 254 Augustinus de Weilheim 75 Aulos 226–228 Ausrückungslied der Nationalgarde (Saphir/ Preyer) 157 Autonomieästhetik → Ästhetik, Autonomieästhetik Autorschaft 16, 20, 46, 225, 249, 252 f. Autostereotyp → Stereotyp Avantgarde 30, 32, 35, 189, 199 f., 207, 212, 219 f. Bach, Johann Sebastian 186 Baden - Stadttheater 157 Ball, Maskenball 101 f., 120, 126; siehe auch Tanz, Tanzmusik Balochino, Carlo 178, 181 Bänkelsang 121, 127, 226, 228; siehe auch Lied, Volkslied Barcelona 94 Bardenfeyer am Tag Theresiens (Denis) 93 Barock 21 f., 81, 87, 91, 93 f., 96, 100 f., 107 f., 110–112, 114, 116 f., 119, 128 f., 131–133, 139 f., 216 Barrikaden-Hymne für’s Volk (Buchheim) 164 Barrikaden-Zeitung 164 Barthes, Roland 216 Basel 235; siehe auch Konzilien – Basel Basler Planetenbuch 224, 231–236, 232 Battaglia 142 Bauer, Bauernstand 90, 115, 215, 216, 251 Bayerische Staatsbibliothek München - Clm 14111 65 - Clm 14274 (Mensuralcodex St. Emmeram) 50 f., 64–67, 69 - Cod. icon. 308 n 269 Becher, Alfred Julius 169–171, 176 f. - Streichquartett A-Dur 169 - Symphonie d-Moll (Fragment) 169
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- Trauermarsch und Chor „Ueber den Gräbern der am 13. März Gefallenen“ 169–171, 170 Bechsen (?) (Organist) → Gechsen Beethoven, Ludwig van 87, 184, 186, 189, 209, 243 f., 257 - 3. Symphonie Es-Dur 152 - 5. Symphonie c-Moll 167 - Denkmäler, Gedenkstätten 237, 239, 259 - Der glorreiche Augenblick 167 - Die Ruinen von Athen 167 - Egmont (Ouvertüre) 155, 166 - Fidelio 189 - Leonore (Ouvertüre Nr. 3) 165 - Zur Namensfeier (Ouvertüre) 167, 169 Begräbniss [!] der am 13. März 1848 Gefallenen 153 Beim Heurigen (Hohl) 258–260, 259 Beim Heurigen (Schließmann) 266 Bellini, Vincenzo 181 f., 244 f. Benedix, Roderich - Das bemooste Haupt, oder Der lange Israel 160, 161 Benefizkonzerte → Revolution 1848 – Benefizkonzerte Bent, Margaret 72 Berg, Alban 29, 194, 257 Berger, Julius - Das Schubert-Denkmal im Wiener Stadtpark 238 Berger, Theodor 195 - Homerische Symphonie 217 Bériot, Charles-Auguste de - Grand Duo sur Les Huguenots de Meyerbeer (gemeinsam mit Sigismund Thalberg) 160 Berlioz, Hector 26, 184 Bernardon auf der Gelsen-Insul oder die SpatzenZauberei (Kurz-Bernardon) 122 Bernasconi, Andrea 125 Bernbrunn, Karl Andreas von 158 Berthold, Theodor 166 Besseler, Heinrich 35, 42, 229 Biber, Carl Heinrich 115 Biedermeier 209
Binchois, Gilles - Novum cantum melodie 48 - Te Deum 69 Birck, Wenzel Raimund 127 Blues 194 Blume, Dieter 235 Boethius, Anicius Manlius Severinus 75 Bogdal, Klaus-Michael 11 Bohemia (Zeitung) 149 Böhmen 34 f., 44, 50, 55, 59, 118, 241, 269–279; siehe auch Ala (bohemica); Habsburgermonarchie – Böhmen; Harfe – Sonderformen; Psalterium – Sonderformen Bologna - Universität 75 Boltenstein, Erich 188 Bolzano → Bozen Bolzano, Bernard 185 Bonanni, Filippo 268 Bonn - Beethoven-Denkmal 237 Bonno, Giuseppe 98, 103 - La vera nobiltà 99 Borst, Arno 41 Boulez, Pierre 28 Bourdieu, Pierre 14 f., 16, 198, 268 Boym, Svetlana 203 Bozen (Bolzano) 72 - Pfarrkirche 274 f. - Walther-Denkmal 240 Brahms, Johannes 26 Brassart, Johannes 20, 45 f., 50 f., 57–62 - Crist ist erstanden 50 - O rex Fridrice / In tuo adventu 60–62, 61, 62 - Regina celi letare 50 f., 51 - Spiritus domini replevit 59 Bratislava → Pressburg Brauchtumspflege 28, 31, 139, 208 f., 258; siehe auch Volksmusik, Volkstanz Brauer, Arik 214 Braunschweig 156 Bregenzer Festspiele 220 Brendel, Franz 26, 143
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Bresgen, Cesar 195 - Requiem für Anton Webern 197 - Totentanz 198 Brewer, Charles 51 Britten, Benjamin 27 Brno → Brünn Broschi, Carlo → Farinelli Brunelleschi, Filippo 283 Brünn (Brno) 77 Bruns, Raymund - Catholisches Unterrichts- Gebett- und Gesangbuch 108 Brüssel → Weltausstellung – Brüssel 1958 Bruyère, Jean de la - Les Caractères de Théophraste 90 Buchberger, Rudolf 248 Buchdruck, Notendruck 36, 42, 235 Buchheim, Adolf - Barrikaden-Hymne für’s Volk 164 - Das waren die braven Studenten 162 Buda, Budapest 77 Bundeshymne (Österreich) 192–194 Bundeslied → Bundeshymne (Österreich) Bürgertum 22, 25 f., 64, 81 f., 86, 90 f., 115, 120–126, 137, 139, 176, 181 f., 186, 219, 224, 238 Burgund 48 Buxheimer Orgelbuch 67 Cäcilia (Hl.) 226, 241 f. Cajetan, Josef 155 - Erinnerung an den 26., 27. und 28. Mai 1848 163 Čajkovskij, Pëtr - 5. Symphonie e-Moll 189 Caldara, Antonio 22, 91, 98, 113, 117 - La clemenza di Tito 99 - Le grazie vendicate 127 Cantoria-Reliefs (Della Robbia) 32 f., 225 f,, 282–285, 283 Cantus fractus 73 Carl, Carl → Bernbrunn, Karl Andreas von
Carlo Alberto, König von Sardinien-Piemont 177 Čáslav → Czaslau Castelli, Ignaz Franz - Lied für die Nationalgarde 149 - Was ich jetzt sein möchte! 162 Catholisches Unterrichts- Gebett- und Gesangbuch (Bruns) 108 Ce jour le doibt (Dufay) 67 Cellist (Charoux) 287 Celtis, Conrad 251 Cembalo 236 Cerri, Cajetan - Der Wiener Student 162 Certeau, Michel de 44, 222 Chamisso, Adelbert von - Peter Schlemihl 167 Chanson 66 Charoux, Siegfried - Cellist 287 - Die Lauschenden / Richard-Strauss-Denkmal 224, 246–249, 247, 286 - Singende Knaben / Evensong 32 f., 225 f., 280–287, 281 - Violinist 280 - Zeitungsleser 280 Cherubini, Luigi 243 Chiti, Girolamo 118 Chopin, Frédéric 184, 197 Choral, Chorallehre 66, 73 Chorgesang der Wiener Studenten-Legion (Kapper/Litolff) 156 Chormusik 25, 147, 152, 156; siehe auch Männergesang Chranekker, Wolfgang 66 f. Clavichord 236 Cleonice (Metastasio/Hasse) 100 Club Saint-Germain 220 Commedia dell’arte 122 Concerts spirituels → Paris – Concerts spirituels; Wien – Concerts spirituels Confirma hoc Deus 59
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Conti, Francesco 98 Conti, Ignazio 98 Córdoba 78 Corelli, Arcangelo 22, 117 Crist ist erstanden (Brassart) 50 Csokor, Franz Theodor 205 Czaslau (Čáslav) 241 Czedik, Alois 162 Cziffra, Géza von - Glaube an mich 200 f. Dahlhaus, Carl 24 Dallapiccola, Luigi 216 Danne, Franz Anton 114 Dante Alighieri 240 Dantons Tod (von Einem) 211, 219 Darmstädter Ferienkurse 28, 32, 220 Das Beethoven-Denkmal in Wien (Frank) 239 Das bemooste Haupt, oder Der lange Israel (Benedix) 160, 161 Das deutsche Lied (Weismann/Kalliwoda) 148 Das gestohlene Jahr (Fraß/Uhl) 207 Das Jahr 1848 (Smets) 153, 154, 161 Das Österreich-Buch (Marboe) 196, 197, 234 Das waren die braven Studenten (Buchheim/ Suppè) 162 David (König) 79, 225, 268, 272, 275–279, 276 David, Johann Nepomuk 195 - Es ist ein Schnitter, heißt der Tod 198 De superstitione vitanda (Muratori) 106 Dekorum 90, 98 Della regolata divozione dei cristiani (Muratori) 106 Della Robbia, Luca - Cantoria-Reliefs 32 f., 225 f., 282–285, 283 Den Haag 169 Denis, Michael 93; siehe auch Theresianisches Gesangbuch - Bardenfeyer am Tag Theresiens 93 - Geistliche Lieder zum Gebrauche der hohen Metropolitankirche bey St. Stephan 107, 132 - Klage auf den Tod Maria Theresiens 127, 129 - Tauet Himmel, den Gerechten 133
Denkmäler, Denkmalsidee 154, 186, 223 f., 230, 236–253; siehe auch Beethoven, Ludwig van; Maria Theresia; Metastasio, Pietro; Neidhart (Nithart); Schubert, Franz; Strauss, Richard; Walther von der Vogelweide Der Dritte Mann (Reed/Karas) → The Third Man Der glorreiche Augenblick (Weissenbach/ Beethoven) 167 Der Heiland ist erstanden 133 Der Heitere ist Meister seiner Seele (Molt) 254 f., 255 Der Humorist 160, 165, 166, 176, 178 Der Jager und sei Muatterl (Klesheim/Lachner) 162 Der letzte Weana, der ist noch lang net g’storb’n 199 Der Radikale 171 Der Rosenkavalier (Hofmannsthal/Strauss) 230, 246 Der Tod (Fheodoroff) 198 Der Ungar 164 Der Weg in die Gegenwart (Korda) 201 f., 202 Der Weltuntergang (Garai) 198 Der Wiener Student (Cerri/Hellmesberger jun.) 162 Des Deutschen Vaterland (Arndt/Reichardt) 143, 145, 148, 158, 172, 175 Descombes, Vincent 15 f., 188 Deutscher Bund 83, 143, 148, 158, 224 Deutschland 27, 197 Deutschland über Alles! (Zimmermann/ Hanslick) 148 Deutschnofen - St. Ulrich und Wolfgang 275 Diastratik 41, 64, 66, 226, 231, 233, 236; siehe auch Gesellschaft, Gesellschaftsordnung Die 3 März-Tage 1848. Characteristisches Tongemälde (Haslinger) 142–146, 144 f. Die Brüader von Ligor (Klesheim) 162 Die Charaktere oder die Sitten im Zeitalter Ludwigs XIV. (Bruyère) 90 Die drei Farben (Weidmann) 148
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Die Flucht des Schwarzen (Swiedack/Suppè) 148, 157, 158 Die G’wissen von der G’hamen (Klesheim) 162 Die Heimkehr. Funkkantate (Jelinek) 199 f., 200 Die Jahreszeiten (van Swieten/Haydn) 123, 137 Die Künste (Hecke) 257, 257 f. Die Lauschenden / Richard-Strauss-Denkmal (Charoux) 224, 246–249, 247, 286 Die Meistersinger von Nürnberg (Wagner) 261 Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild → ‚Kronprinzenwerk‘ Die Ruinen von Athen (Beethoven) 167 Die Schlacht bei Kolin 127 Die Universität - (Frankl) 149–152 - (Frankl/Franckel) 152 - (Frankl/Leschetitzky) 152 - (Frankl/Randhartinger) 150 f., 152 - (Frankl/Stollewerk) 152 - (Frankl/Suppè) 152 - (Frankl/Wogritsch) 157 Die vier letzten Dinge - (Kuffner/Eybler) 172 - (Kuffner/Krenn) 171 f., 174 Die Zauberflöte (Schikaneder/Mozart) 178, 180 Dietmayr, Berthold 112 Differenz 187, 213, 221, 273, 277; siehe auch Alterität; Identität, Identitätspolitik Dilettantentum 147, 174, 182 f.; siehe auch Gesellschaft der Musikfreunde in Wien – Orchesterverein, Singverein Ditters von Dittersdorf, Carl 118 Divertimento → Tafelmusik Dodekaphonie → Zwölftontechnik Don Giovanni (Da Ponte/Mozart) 160, 180, 240 Donberger, Georg 113, 117 Donizetti, Gaetano 182, 244 f. - Lucia di Lammermoor 181 Dornau, Friedrich → Hentl, Friedrich von Doussart, Johannes 46 Drei Tage! (Prechtler/Kücken) 156, 157 Dreißigjähriger Krieg 21, 82
Dresden 156 Dufay, Guillaume - Ce jour le doibt 67 - Missa sancti Jacobi 69 - Nuper rosarum flores 48 - Supremum est mortalibus 19 f., 57 f., 58, 65 Dunstaple, John 40 Dürnstein 217 f. Dussek, Jan Ladislav 241 Dyer, Joseph 75 Eagleton, Terry 11 Eberlin, Johann Ernst 110, 115, 118 Eder, Helmut - Präludium und Ricercar über „Der grimmig Tod mit seinem Pfeil“ 198 Edlerawer, Hermann 68–70 - Lauda Sion salvatorem 68, 68 f. - Verbum bonum et suave 69 Eghenvelder, Liebhard 251 Egk, Werner 216 Egmont-Ouvertüre (Beethoven) 155, 166 Eigen- vs. Fremdwahrnehmung 33, 77; siehe auch Alterität; Differenz; Identität, Identitätspolitik Ein Österreichisches Lied (Lernet-Holenia/Tittel) 214, 215, 216 Ein Sommernachtstraum (Mendelssohn Bartholdy) 165 Ein Überlebender aus Warschau (Schönberg) → A Survivor from Warsaw Einem, Gottfried von 195 - Dantons Tod 211, 219 Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft (Rohr) 90 f. Eintonstück (Rühm) 218 Einwortlieder (Rühm) 218 Eisenstadt 191 Elbel, Petr 55 Eleonora Magdalena Theresa von PfalzNeuburg 94 Elisabeth I., Zarin von Russland 83
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Elisabeth von Luxemburg 77 f. Elite 21, 66, 133, 233, 284 Elmar, Karl → Swiedack, Karl Engelbert von Admont 74 Engelskonzert 53, 225, 236, 252, 268, 270–272, 271, 274 f., 278; siehe auch Himmlische Hierarchie England 36 f., 62, 284 f. Engländer, Sigmund 237 Enns 115 Entsatz von Prag im österreichischen Erbfolgekrieg 127 Epochenschwelle → Sattelzeit Erasmus (Kantor) 46 Erbfolgekrieg 117 Erikson, Erik H. 15 Erinnerung an den 13ten, 14ten und 15ten März 1848 (Waldmüller) 146 Erinnerung an den 26., 27. und 28. Mai 1848 (Cajetan) 163 Erinnerung, Erinnerungskultur 25, 28, 33 f., 44, 146, 190, 197, 199, 237, 242, 254; siehe auch Gedächtnis, Gedächtsnisort; Memoiren; Mozart – Gedenkjahr 1956; Raum, Raumtheorie – Erinnerungsraum Erl, Joseph 175 Ernani (Piave/Verdi) 177 f., 180 f. Ernst, Robert - Österreichisches Mosaik 209, 228 Es ist ein Schnitter, heißt der Tod (David) 198 Es war ein Wien, ein Wien wird’s ewig geb’n 199 Eschatologie 18, 41, 60 Eskapismus 217, 262 Esoterik 36 Esztergom → Gran Eucharistische Hymnen (Wildgans) 219 Eugen IV., Papst 19 f., 53, 57, 283 Eugen, Prinz von Savoyen 21, 86; siehe auch Prinz Eugen-Lied Evening Service 282 Ewiges Wien (Wunsch/Jelinek) 199 Excerptorium de semitoniis (Thomas von Baden) 74
Exil, Exilkünstler 195, 225, 248, 285–287 Eybl, Martin 98, 102, 120, 124 Eybler, Joseph - Die vier letzten Dinge 172 Eysler, Edmund 192 Fahrbach, Philipp - Katzenmusik-Walzer 25 Fanfare 127, 193 Farinelli (Carlo Broschi) 117 Fastl, Christian 108 Fauxbourdon 32, 68–70 Felbiger, Ignaz von 138 Feldtheorie 14 Feo, Francesco 85, 118 Ferdinand I., Kaiser von Österreich 142, 155, 175 Ferdinand II., röm.-dt. Kaiser 136 Fernsehen → Rundfunk, Fernsehen Fessler, Johann Baptist - Mozartbüste 242–244, 243 Feste, Festkultur 93, 95, 97, 100, 102, 110, 115; siehe auch Zeremoniell Festmarsch, Wiens tapferen Bürgern gewidmet (Storch) 148 Feuchtersleben, Ernst Freiherr von - Rhapsodie über Monumente 237 Fheodoroff, Nikolaus - Der Tod 198 Fidel 236, 240, 272 Fidelio (Beethoven) 189 Figl, Leopold 200 Filip (Philipp) von Padeřov 275 f. Film, Filmmusik 189 f., 202, 204–207, 219 f., 226 f. - Heimatfilm 28 - Historienfilm 189 f., 204 - Hollywood 205 - Kulturfilm 204 - Marshallplan-Filme 201 - Schönbrunnfilm 204 Fischer von Erlach, Johann Bernhard 91 Fischer von Erlach, Joseph Emanuel 91
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Florenz - Biblioteca Medicea Laurenziana Cod. Med. Pal. 87 (Codex Squarcialupi) 253 Cod. Pluteus XXIX.1 229 - Santa Maria del Fiore 32, 48, 226, 282–285, 283 Florian, Maximilian - Wiener Spaziergänge von Schlögl 266 Flotow, Friedrich von - Martha 175 Flotzinger, Rudolf 9 Flugblattlied 127 f.; siehe auch Lied, Volkslied Foerster, Heinz von 216 Folklore → Brauchtumspflege Fontane, Theodor 254 Formalismus → Ästhetik, Autonomieästhetik Formes, Carl 164, 175, 178 Forst, Willi - Wien, du Stadt meiner Träume 207 Foucault, Michel 44 Frana (Buchmaler) 277 Franckel, Berthold - Die Universität 152 Frank, Gustav - Das Beethoven-Denkmal in Wien 238 f., 239 Frankfurter Paulskirche 83, 148, 149 Frankl, Ludwig August - Die Universität 148–152, 150 f., 157 Frankreich 279 Franz I. (Franz Stephan von Lothringen), röm.dt. Kaiser 22, 83, 92, 94, 96, 98, 137 Franz II./I., röm.-dt. bzw. österr. Kaiser 83, 97, 131, 137 Franz, Ignaz - Großer Gott, wir loben dich 109 Französische Revolution 84; siehe auch Marseillaise Fraß, Wilfried - Das gestohlene Jahr 207 Frau Musica 229 Freeman, Robert 113 Freiheitslied (Pfeifer) 162 Freizeit 90, 120, 139, 264 f.
Friedrich II., König von Preußen 83, 86, 127 Friedrich III., röm.-dt. Kaiser 19, 23, 40, 42 f., 46, 49 f., 57, 60–63, 70, 72, 79, 113 Friedrich IV., Herzog von Tirol 71 f. Friedrich V., Herzog → Friedrich III. Friedrich Wilhelm I., König von Preußen 83 Frömmigkeit, Volksfrömmigkeit 21 f., 27 f., 41, 96, 105 f., 108, 110, 131 f., 139; siehe auch Pietas Austriaca Fronleichnam → Wien – Fronleichnamsprozession Frühhumanismus 41 f., 74, 79 Frühklassik → Stilwandel Frühlingsstimmen (Uhl) 202 f., 203 Fuchs, Neithart → Wien – Neidhart-Grab an St. Stephan Funktionale Musik → Kunstmusik vs. Gebrauchsmusik Furtwängler, Wilhelm 29 Füster, Anton 154 Fux, Johann Joseph 22, 91, 92, 98, 102 f., 113, 117 Galeazzo de Santa Sofia 252 Galer, Johannes 46 Galvagni, Pietro di 224, 242–245 Garai, Josef - Der Weltuntergang 198 Gareis, Peter 66 Gassmann, Florian Leopold 103, 118 Gattungen, Gattungshierarchie 12, 22, 63, 66, 81, 93, 104, 166 f., 190, 204 Gebrauchsmusik → Kunstmusik vs. Gebrauchsmusik Gechsen (Bechsen?) (Organist) 66 Gedächtnis, Gedächtnisort 11, 43 f., 54–57, 78 f., 92, 225, 242–244, 254; siehe auch Erinnerung, Erinnerungskultur; Mozart – Gedenkjahr 1956; Raum, Raumtheorie – Erinnerungsraum Gegenreformation 21, 119, 133, 136 Geiger, Andreas 163
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Geissler, Benedikt 117 Geistliche Lieder zum Gebrauche der hohen Metropolitankirche bey St. Stephan (Denis) 107, 132 Georg von Peuerbach 40 Gernerth, Franz 178 f. - An der schönen blauen Donau 179 Gesangbuch 22, 106–108, 133; siehe auch Volksgesang Gesellschaft, Gesellschaftsordnung 17 f., 31, 41, 63–66, 115, 136; siehe auch Diastratik; Hof Gesellschaft der Musikfreunde in Wien 25, 165, 171–175, 183, 240, 262; siehe auch Wien – Musikverein (Karlsplatz) - Konservatorium 169 f., 174, 183 - Orchesterverein 183 - Singverein 183 Gesera → Wien – Judenverfolgung Gilgamesch (Uhl) 216 f. Gitarre 260, 264 - Kontragitarre 258 - Wandervogelgitarre 260 Glaube an mich (Cziffra/Profes) 200, 200 f. Glocke, Glöckchen 41, 268 f. Glöggl, Franz 152 Glossolalie 53 Gluck, Christoph Willibald 125, 243 Goethe, Johann Wolfgang von - Egmont 155 Gott erhalte (Haydn) → Volkshymne Gotteslob. Katholisches Gebet- und Gesangbuch 109, 134 Gottsched, Johann Christoph 92 Göttweig, Stift 114 Gran (Esztergom) 74 Grand Duo sur Les Huguenots de Meyerbeer (Bériot/Thalberg) 160 Grande Fantaisie sur des motifs de l’opéra La Muette de Portici d’Auber (Thalberg) 160, 162 Grande Fantaisie sur des motifs de l’opéra Mosè in Egitto di Rossini (Thalberg) 162 Grande Fantaisie sur la sérénade et le menuet de Don Juan (Thalberg) 160
Graz 28, 208 - Universitätsbibliothek, Cod. 873 63 Grebe, Anja 112 Gregorianischer Choral → Choral, Chorallehre Große Fest-Ouverture (Hellmesberger jun.) 148 Großer Gott, wir loben dich 109, 133; siehe auch Te Deum Großer Österreichischer Staatspreis für Musik 195 Gruber, Franz Xaver - Stille Nacht, heilige Nacht 230 Gsur, Tobias 118 Guido von Arezzo 76 Guiterne 272 Gulda, Friedrich 213 Gumbrecht, Hans Ulrich 30, 220 Gurk - Domschule 73 Gurtler, Marian 114 Gutenberg, Johannes 42 Gütersloh, Albert Paris 213 Győr → Raab Haas, Robert 122 Habsburgermonarchie 12, 21, 24, 26, 31, 37, 43, 84, 185, 189 f.; siehe auch ‚Kronprinzenwerk‘ - Böhmen 34 f., 87 f., 130, 241 - Gesamtstaatsidee 185, 239, 266 f. - Lombardo-Venetien 177, 245 - Ungarn 87 f., 130, 142 f., 266 - Vielvölkerstaat 26, 266 f. Hackbrett 236; siehe auch Zimbal Hadamowsky, Franz 190 Hagemann, Richard - Abenteuer in Wien 205 Hager, Johannes → Hasslinger von Hassingen, Johann Nepomuk Hahn, Georg 117 Hakel, Hermann 207 Haley, Bill - Rock Around the Clock 219 Hall, Stuart 44
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Halm, Friedrich - Verboth und Liebe 175 Hanak, Anton 240, 246 Händel, Georg Friedrich 186 Handschin, Jacques 23, 85 Handwerk, Handwerklichkeit 78, 135 f., 147, 201, 233 f. Hanka, Erik 217 Hans von Eberstorff 68 Hans von Judenburg 236, 274 f. Hanslick, Eduard 26, 146–149, 156, 158, 162, 166 f., 169, 170 f., 174, 177, 180 f., 183–186, 238, 245 - Deutschland über Alles! 148 - Vom Musikalisch-Schönen 184 f. Hanswurst 121 Harfe 231, 236, 248, 254, 268, 275, 276, 278, 278 f., 286 - Sonderformen 225, 269–272, 274, 277; siehe auch Ala (bohemica) Harmonika - Mundharmonika 257 - Ziehharmonika 257 f., 260 Harmonium (Hausorgel) 254 Hartl, Karl - Mozart 190 Haselböck, Martin 127 Haslinger, Carl 147 - Die 3 März-Tage 1848. Characteristisches Tongemälde 142–146, 144 f. Hasse, Johann Adolf 100, 117 - Alcide al bivio 100 - Cleonice 100 - Ipermestra 98, 100 - Litania della Beatissima Vergine Maria 127 - Siroe Rè di Persia 100 Hasslinger von Hassingen, Johann Nepomuk - Ouvertüre zu Peter Schlemihl 167 Haubenstock-Ramati, Roman 214 Hauer, Josef Matthias 36, 213, 216 Hauer, Urban II. 112 Hausegger, Siegmund von - Natursymphonie 211
Hausmusik 143, 226, 262, 265 Haydn, Joseph 22, 86, 103, 110, 122, 169, 172, 191, 209, 243, 245; siehe auch Volkshymne - Die Jahreszeiten 123, 137 Haydn, Michael 103, 110, 115 - Tremendum 167 Hecke, Arthur - Die Künste 257, 257 f. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 184 Heilige, Heiligenfeste 39 f.; siehe auch Antonius von Padua; Antonius von Vienne; Cäcilia; Koloman; Leopold III., Markgraf; Ludmilla; Maria; Wenzel Heiliges Römisches Reich 18, 31, 42, 81, 83, 88, 279 Heiller, Anton 213 f. - Ach wie nichtig, ach wie flüchtig 198 - Requiem 198 Heimat 199, 208 f., 258, 287; siehe auch Film, Filmmusik – Heimatfilm Heimkehrer Polka 199 Heiteres Herbarium (Waggerl/Salmhofer) 210–212, 255 Heiterkeit 210–212, 225, 249, 254 f., 263, 266 Helfert, Joseph Alexander von 147 Heller, Kurt 254 f. Hellmesberger (jun.), Georg - Der Wiener Student 162 - Große Fest-Ouverture 148 Hellmesberger (sen.), Georg 165 Hellwig, Mathilde 156 Hentl, Friedrich von 182 Hentschel, Frank 181 f. Heraeus, Karl Gustav 91 Heraldik 233, 235, 268 f. Heroenkult 224, 244 Herr, ich glaube, Herr, ich hoffe 133 f., 134 Herrscherrepräsentation 18 f., 22 f., 47, 51–54, 56 f., 63, 70, 88, 91–94, 100–102, 104 f., 111, 120, 138, 225, 249–251, 273 f.; siehe auch Adventus; Hochzeit; Königskrönung, Kaiserkrönung; Landestrauer; Legitimation; Panegyrik; Repräsentation; Zeremoniell
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Heubel, Johann Georg - Triumph der Freundschaft 123 Hierarchie → Gattungen, Gattungshierarchie; Gesellschaft, Gesellschaftsordnung; Himmlische Hierarchie Hilbert, Egon 192 Hilscher, Elisabeth Theresia 116 Himmlische Hierarchie 236, 278; siehe auch Engelskonzert Hindemith, Paul 28 f., 201 - Plöner Musiktag 29 Hirschberger, Alberik 117 Hirschfeld, Josef Stöckholzer von 149 Hitler, Adolf 29 Hochzeit 98–102 Hof 90, 101; siehe auch Gesellschaft, Gesellschaftsordnung Hofämterspiel 279 Hofer, Andreas 209 Hofkapelle → Kapelle, Hofkapelle Hofmann, Leopold 110 Hofmannsthal, Hugo von 248 Hofmusikkapelle → Wien – Hofmusikkapelle Hohl, Leopold - Beim Heurigen 258 f., 259 Holbein, Franz Ignaz (Edler von Holbeinsberg) 178, 181 Hollandrinus, Johannes 74–76 Holocaust 197 Holz, Carl 166 Homer - Odyssee 217 Homerische Symphonie (Berger) 217 Homo quidam fecit 62 Hörger, Firmino 113 Hoven, Adrian 207 Hueber, Hieronymus 115 Humanismus → Frühhumanismus Hurdes, Felix 192 Hussiten, Hussitenkriege 43, 53–55, 275, 277 Hymne, Hymnus 25, 148 f., 192–194, 230, 241; siehe auch Bundeshymne (Österreich); Te Deum; Volkshymne
Hymnus anläßlich des Jahrestages der Befreiung Wiens durch die Rote Armee (Salmhofer) 193, 193 f. Ich nehme mir einen Studenten (Swiedack) 158 Identität, Identitätspolitik 12, 15–17, 40, 43, 60–63, 222, 228, 230, 236–242, 280; siehe auch Alterität; Differenz; Eigenvs. Fremdwahrnehmung; Inklusion vs. Exklusion; Selbstzuschreibung; Sichselbstgleichheit; Stereotyp - kollektive Identität 15–20, 33, 40, 47–50, 127, 133, 139, 182, 188, 193, 205, 223, 225 f., 255, 266, 273, 284 - kulturelle Identität 236, 287 - nationale Identität 176, 179, 188, 193, 225, 238, 251, 279 - subjektive Identität 15 f., 234 Idomeneo (Varesco/Mozart) 165 Illuminismo → Aufklärung Impressionismus 218 Individuum, Individualität 14–17, 31, 40; siehe auch Autorschaft; Identität, Identitätspolitik – subjektive Identität Ingeram, Hans 269 Inklusion vs. Exklusion 222 f., 263, 268; siehe auch Alterität; Differenz; Eigenvs. Fremdwahrnehmung; Identität, Identitätspolitik Innsbruck 72, 164, 208 - St. Jakob 63 - Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum 253 - Universitätsbibliothek, Cod. 457 72 Innsbruck, ich muss dich lassen 130 Instrumentalmusik 22, 26 f., 35, 81, 104, 115, 124, 169; siehe auch Kammermusik Internationale Gesellschaft für Neue Musik 220 Internationalität, Internationalisierung 187 f., 220, 274 Introductorium musicae (Keck) 76 Ipermestra (Metastasio/Hasse) 98, 100 Isabella von Parma, Erzherzogin 100 Isabella von Portugal, Herzogin von Burgund 48
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Isle of Man 286 Isorhythmie 20, 44, 48 Iwan VI., Zar von Russland 83 Jahn, Ignaz 125 Jahrbücher des deutschen National-Vereins für Musik und ihre Wissenschaft 237, 241 Jakobiner 82 Janitscharenmusik 269 Jansenismus 82, 90, 132 Jazz 27, 29 f., 33, 208, 213, 225, 263–265, 264 Jazzkeller (Aichenegg) 264 Jelinek, Hanns 213 - Die Heimkehr. Funkkantate 199 f., 200 - Symphonie Wien 201, 204–206, 205, 206 Jesko (Ala-Spieler) 272 Jesu, meine Freud und Wonne 130 Jesuiten 93, 172 Johannes de Muris 40, 74 f. Johannes von Gmunden 40 Johannes von Neumarkt 270, 272 f. Johannes von Troppau 270–272, 271 Jommelli, Nicolò 118, 125 Jonas, Franz 246 Joseph I., röm.-dt. Kaiser 94, 103 Joseph II., röm.-dt. Kaiser 21–23, 88, 94 f., 97, 100, 105–107, 110, 128 f., 133, 137 Joseph und seine Brüder (Duval/Méhul) 165 Josephinismus 82, 133 Ju ich jag (Mönch von Salzburg) 79 Jubelgruß an Oesterreichs Nationen (Kaiser/ Suppè) 155 f. Juden 43, 79; siehe auch Wien – Judenverfolgung Jugoslawien 187 f. Jünglinge im Feuerofen (Buch Daniel) 285 Kaden, Christian 53 Kadlik, Franz (František Tkadlík) 241 Kaiser Karl VII. als angemaßter König von Böhmen 127 Kaiser, Friedrich 156 - Jubelgruß an Oesterreichs Nationen 155 f.
Kaiserhymne → Volkshymne Kaiserkrönung → Königskrönung, Kaiserkrönung ‚Kaiserstil‘ → Stile, Stillehre (musikal.) Kalender, Kalendar 39 f., 96 Kalliwoda, Johann Wenzel - Das deutsche Lied 148 Kalter Krieg 187, 213, 219 Kaltneker, Hans 203 Kammermusik 22, 31 f., 104, 114, 183 Kanetscheider, Artur - Südtirol 209 f., 210 Kanonbildung 166, 206, 219, 221, 223 f., 228, 238, 242, 244 f., 261 f., 272; siehe auch Tonkunst Kantorei 33, 71, 79, 223, 282–285; siehe auch Kapelle, Hofkapelle; Sänger, Sängerknaben; Wien – Hofmusikkapelle Kapelle, Hofkapelle 19 f., 43, 45–51, 56 f., 59–63, 72, 104, 223, 226, 274, 277, 284; siehe auch Kantorei; Sänger, Sängerknaben; Wien – Hofmusikkapelle Kapper, Siegfried - Chorgesang der Wiener Studenten-Legion 156 - Ueber den Gräbern der am 13. März Gefallenen 169 Karas, Anton - The Third Man / Der Dritte Mann 205 f., 226 f. Karl Alexander von Lothringen 98 Karl der Große, Kaiser 50 Karl IV., röm.-dt. Kaiser 63, 270, 273 Karl VI., röm.-dt. Kaiser 13, 21, 83, 86, 89, 91–96, 102, 104 f., 112 f., 120, 126, 136, 138 Karl VII. (Karl Albrecht von Bayern), röm.-dt. Kaiser 83, 127 f. Karlstein (Karlštejn), Burg 270 Kärnten 266, 268 Kärntner Quintett (Myrbach von Rheinfeld) 267 Katechismus mit den drei Schulen und gewöhnlichen Gesängen (Parhamer) 108 Katholisches Gesangbuch auf allerhöchsten Befehl
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Register
Ihrer k. k. apost. Majestät […] → Theresianisches Gesangbuch Katzenmusik 25, 32, 160–162, 161, 172, 173 Katzenmusik-Walzer (Fahrbach) 25 Kaufleute 41, 179, 242, 252 Kaunitz-Rietberg, Wenzel Anton 138 Kayser, Isfried 117 Keck, Johannes 75 f. - Introductorium musicae 76 Keldorfer, Robert - Ländler für 3 Melodie-Instrumente 202 Kellner, Altman 117 Kern, Josef Seraphim 117 Khevenhüller-Metsch, Johann Joseph 96–98, 106, 125 f. Kinder der Venus 224, 231–236, 232 Kinninger, Josef Franz 117 Kipfenberger 56 Kirchenmusik 22, 32, 82, 96, 107–110, 214, 226; siehe auch Evening Service; Gesangbuch; Hymne, Hymnus; Klöster; Liturgie; Prozession; Stiftungswesen; Te Deum; Versehgang; Volksgesang; Weihnachten, Weihnachtsliturgie Kirchenspaltung, Kirchenunion 52, 58, 235; siehe auch Konzilien Kircher, Athanasius 268 Kitt, Ferdinand - Wiener Wein – Wienerwald 255 f., 256 Klage auf den Tod Maria Theresiens (Denis/ Zimmermann) 127, 129 Klagenfurt 208 - Maria Theresien-Denkmal 86 Klagenfurter Traktat 73 Klassizismus 26, 185; siehe auch Neoklassizismus Klavier 257, 265 Klein, Franz 244 Klerus 64 Klesheim, Anton von 147 f., 157, 175 - Der Jager und sei Muatterl 162 - Die Brüader von Ligor 162 - Die G’wissen von der G’hamen 162 Klima, Benedikt 113
Klöster → Göttweig; Klosterneuburg; Melk; Michaelbeuern; Mondsee; Seitenstetten; St. Florian; Wien – Schottenstift Klosterneuburg, Stift 112–114; siehe auch Albrechtsaltar Kohlbrenner, Franz von - Landshuter Gesangbuch 133 Köln - St. Peter und Maria, Petersportal 272 - Universität 46 Koloman (Hl.) 40, 112 Komödienarie 22, 120–124; siehe auch Posse; Teutsche Arien Königskrönung, Kaiserkrönung 42, 54, 57, 60 f., 78, 95 f. Königsperger, Marian 117 Konrad im Tiergarten 274 Konrad, Ulrich 67 Konsens 27, 213–216, 230, 286 Konservativismus 190, 204, 206–208, 211 f., 219 f., 224 Konservatorium → Gesellschaft der Musikfreunde in Wien – Konservatorium Konstantinopel 37 Konstanz → Konzilien – Konstanzer Konzil Kont, Paul 219 f. - Synthesen 213 - Trip 194 - Wenigtonstücke 218 - Wienerinnen 205 Kontrabass 254 Konzilien 19; siehe auch Kirchenspaltung, Kirchenunion - Basler Konzil 40, 53 f., 57 f., 66, 72, 235 - Konstanzer Konzil 40, 52, 63, 235 Korda, Viktor - Der Weg in die Gegenwart 201 f., 202 - Mai-Kantate 213 Kornauth, Egon 195, 220 Körner, Theodor 229 Korngold, Erich Wolfgang - Sonett für Wien 203 f. Kos, Wolfgang 256
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Koselleck, Reinhart 10, 18, 41, 60, 84–86 Kossuth, Lajos 143 Kottanerin, Helene 78 f. Krakau (Kraków) 46 - Universität 74 Krämer, Sibylle 68 Krauss, Clemens 188, 197 Kremsier (Kroměříž) 272 Kremsmünster, Stift 76, 114, 116–119, 138 Krenek, Ernst - Reisebuch aus den österreichischen Alpen 211 Krenn, Franz - Die vier letzten Dinge 171 f., 174 Kriegserlebnis 197, 199, 254 Kriegslied für die Österreichische Nationalgarde (Lannoy) 167, 168 Kroměříž → Kremsier ‚Kronprinzenwerk‘ 238 f., 239, 266 f., 267 Kücken, Friedrich Wilhelm - Drei Tage! 156, 157 Kuffner, Christoph - Die vier letzten Dinge 171 f., 174 Kulturpolitik 27, 80, 188, 261, 263 Kundmann, Karl - Wiener Schubert-Denkmal 238 Kunsthistorisches Museum Wien - Hofjagd- und Rüstkammer, A 2302 269 - Kunstkammer, KK 5077–5124 279 Kunstmusik vs. Gebrauchsmusik 14, 24 f., 31, 34 f., 81, 201 Kurz-Bernardon, Joseph Felix 121 - Bernardon auf der Gelsen-Insul 122 Kuthner (Buchmaler) 277 Kuttenberger Dekret 275 Kybernetik 216 Kyrie Fons bonitatis 72 La clemenza di Tito (Metastasio/Caldara) 99 La Muette de Portici (Scribe/Delavigne/Auber) 160, 162 La vera nobiltà (Pasquini/Bonno) 99 Lachner, Ignaz 162 - Der Jager und sei Muatterl 162
Ladislaus Postumus 61, 78–79, 279 Lago, Giovanni del 46 Lahr, Helene 207 f. Landestrauer → Trauer, Trauermusik Ländler 209 Ländler für 3 Melodie-Instrumente (Keldorfer) 202 Landschaft 209, 258; siehe auch Lokalkolorit; Natur, Natürlichkeit Landshuter Gesangbuch (Kohlbrenner) 133 Langenzersdorf Museum 248, 280, 286, 287 Langpartner, Rupert 116 Lanner, Joseph 226 Lannoy, Eduard von 166–168 - Kriegslied für die Österreichische Nationalgarde 168 Lateinschule → Schulwesen Latenz 27, 30, 220 Latour, Bruno 17 f., 31 Lauda Sion salvatorem 62 - (Edlerawer) 68, 68 f. Laudon, Ernst Gideon 138 Laudon vor Belgrad 127 Laute 79, 226, 231–233, 236, 260, 278, 278 f. Laxenburg 77 Le Goff, Jacques 41 Le grazie vendicate (Metastasio/Caldara) 127 Le nozze di Figaro (Da Ponte/Mozart) 180 Lechner, Leonhard 209 Lechthaler, Josef 192 Legitimation 49, 51, 61, 91, 94, 224, 249, 280 Leibniz, Gottfried Wilhelm 184 Leier 260, 286 Leipzig 64 - Gewandhaus 164 - Universität 275 Leo, Leonardo 85, 118 Leoben 28 Léonard, Hubert - Souvenir de Haydn 155 Leonardus de Hallstat 75 Leonoren-Ouvertüre Nr. 3 (Beethoven) 165 Leopold I., röm.-dt. Kaiser 97, 105, 112, 126, 204
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Leopold II., röm.-dt. Kaiser 140 Leopold III. (Hl.), Markgraf von Österreich 40, 112 Leopoldskron (Salzburg Seminar) 263 Lernet-Holenia, Alexander - Ein Österreichisches Lied 216 Les Caractères de Théophraste […] ou les moeurs de ce siècle (Bruyère) 90 Les Huguenots (Scribe/Deschamps/Meyerbeer) 160, 184 Leschetitzky, Theodor - Die Universität 152 Lewon, Marc 70 Liber de arte contrapuncti (Tinctoris) 41 f. Libera (Wareka) 198 Liebe 231, 260 Liebeneiner, Wolfgang - 1. April 2000 204 Lieber Augustin → Augustin Liebermann, Rolf 216 Lied auf Karl VII., Churfürst von Baiern 127 Lied der Wirklichkeit (Uhl) 202 Lied für die Nationalgarde (Castelli) 149 Lied, Volkslied 55, 121, 127–131, 139, 213; siehe auch Bänkelsang; Flugblattlied; Revolution 1848 – Revolutionslieder, Revolutionsmusik Liège→ Lüttich Liguorianer (Redemptoristen) 162, 172–174, 173 Lindemayr, Maurus 118 Linek, Jiří Ignac 127 Linz 29, 116 Lipp, Franz Ignaz 118 Liszt, Franz 26, 197 Litania della Beatissima Vergine Maria (Hasse) 127 Litolff, Henry 147, 154–156, 174 - Chorgesang der Wiener Studenten-Legion 156 - Symphonie nationale hollandaise 155 Liturgie 18 f., 23, 39, 62 f., 69, 72, 90, 95 f., 105, 107 f., 132, 139; siehe auch Heilige, Heiligenfeste; Kirchenmusik; Offizium; Prozession; Weihnachten, Weihnachtsliturgie Lochamer Liederbuch 67 Lodes, Birgit 70
Lokalkolorit 230 f., 256, 258 London 22, 169, 280, 285 Lortzing, Albert 147 - Neues Osterlied 157 - Regina 25 Löw, Martina 63 Lucas de Bitonto 54 Lucas de Prun 75 Luccardi, Vincenzo 245 Lucia di Lammermoor (Cammarano/Donizetti) 181 Ludmilla (Hl.) 270 Luhmann, Niklas 65 Lupi (Volp), Johannes 60, 71 f. Lüttich (Liège) 46, 58 f. Machaut, Guillaume de 16 Mahler, Gustav 29 Mai-Kantate (Korda) 213 Mandl, Hans 258, 262, 286 f. Männergesang 24, 148, 183; siehe auch Chormusik; Wiener Männergesang-Verein Mannheimer, Isaak Noah 154 Mantuani, Josef 68, 75 Marboe, Ernst - Das Österreich-Buch 196, 197, 234 Marckhl, Erich 29 Maria (Hl.) 46, 252 - Schutzmantelmadonna 278 Maria Anna, Erzherzogin 98, 100 Maria Theresia, österr. Regentin, Kaiserin 13, 21 f., 100, 102–104, 106 f., 125, 127, 133, 137; siehe auch Theresianisches Gesangbuch - Denkmäler 86 - Landesmutter 83, 86, 129 - Mythos 83, 86–89 - Panegyrik 87, 92, 128–131 - Regierungsantritt 87, 91, 95–97, 138 - Totenklage 127, 128–131, 129 Maria Theresia (Preislied) 127 Mariazell 83, 133 Marischka, Ernst - Sissi 189 f.
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Register
Marsch der Studenten-Legion (Strauss Vater) 147 Marsch, Marschmusik 25, 127, 142, 147, 148, 169 Marseillaise 25, 149; siehe auch Französische Revolution Martha (Riese/Flotow) 175 Martin V., Papst 52, 235 Martin von Leibitz 71 Martin, Philipp Jakob 125 Martini, Giambattista 240 Martinů, Bohuslav 216 Marx, Joseph 187–189, 195, 220 - Naturtrilogie 211 März, Christoph 79 Maskenball → Ball, Maskenball Matejka, Viktor 192, 219, 263, 280 Mathias de Winsperg 75 Matoušek, Lukáš 273 Matrei in Tirol 251 Matz, Johanna 28 Mauer, Otto 219 Maux, Richard - Schnee 217 f., 218 Max, Emanuel 242 Maximilian I., röm.-dt. Kaiser 43, 79, 204, 251 Méhul, Étienne-Nicolas - Joseph und seine Brüder 165 Meidl, Kaspar 117 Mein Wien, sei stark im Leid 199 Melichar, Alois 192, 195, 204, 220 - 1. April 2000 204 - Michelangelo. Das Leben eines Titanen 204 Melk, Stift 76, 112–114, 118 - Stiftsbibliothek Cod. 1099 74 Cod. 873 39 Melker Reform 40 f., 43, 73, 76, 80 Memoiren 78 f. Menasse, Robert 213 Mendelssohn Bartholdy, Felix 26, 35 - 3. Symphonie 165 - Ein Sommernachtstraum 165
Mensuralmusik 40, 67 Meran (Merano) 274 Merelli, Bartolomeo 178, 181 Metastasio, Pietro 21, 91–93, 100 - Alcide al bivio 100 - Cleonice 100 - Denkmal (Wien) 245 - Ipermestra 98, 100 - La clemenza di Tito 99 - Le grazie vendicate 127 - Siroe Rè di Persia 100 Metternich, Clemens Wenzel Lothar von 24, 83, 142, 158, 245 Meyerbeer, Giacomo - Les Huguenots 160, 184 Meytens, Martin van 100 Michaelbeuern, Stift 76 - Stiftsbibliothek, Codex Man. Cart. 10 79 Michelangelo. Das Leben eines Titanen (Oertel/ Melichar) 204 Mindener Altar 236, 268, 275, 277 f. Minnesang 34 Missa sancti Jacobi (Dufay) 69 Mitteleuropa 81; siehe auch Zentraleuropa Molden-Preradović, Paula 192 - Ritter, Tod und Teufel 198 Moll, Balthasar Ferdinand 86 Molt, Franz - Der Heitere ist Meister seiner Seele 254 f., 255 Monarchia Austriaca 82, 120 Mönch von Salzburg - Ju ich jag 79 Mondsee, Stift 66, 73 Mondsee-Wiener Liederhandschrift → Österreichische Nationalbibliothek Wien, Cod. 2856 Monn, Georg Matthias 110, 118 Mosè in Egitto (Tottola/Rossini) 162 Moser, Hans Joachim 69 Mossi, Giovanni 117 Motette 20, 41, 43–49, 57, 60 f., 65 f., 198, 284 Motzkin, Gabriel 85
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Register
Mozart (Hartl) 190 Mozart, Leopold 117 Mozart, Wolfgang Amadeus 29, 86, 110, 186, 189, 192, 194, 209, 245 - Denkmäler, Gedenkstätten 224, 237, 240 f.; siehe auch Wien – Mozarthof (mit Denkmal) - Die Zauberflöte 178, 180 - Don Giovanni 160, 180, 240 - Gedenkjahr 1956 13, 190, 229, 243, 262 - Gesamtausgabe 240 f. - Idomeneo 165 - Le nozze di Figaro 180 - Rezeption 190, 194 - Symphonie C-Dur (KV 338) 167, 169 - Symphonie g-Moll (KV 183) 167 München → Bayerische Staatsbibliothek München Munggenast, Joseph 114 Muratori, Ludovico 21, 105–106, 111, 132 f. - De superstitione vitanda 106 - Della regolata divozione dei cristiani 106 Musica (Personifikation) → Frau Musica Musikästhetik → Ästhetik, Autonomieästhetik Musikkritik 141, 143, 165–168, 172, 176–181, 183, 219 ‚Musikland Österreich‘ 188, 190, 234, 286 ‚Musikstadt Wien‘ 206, 224, 226–231, 227, 234, 262, 286 Musiktheorie 36, 40, 73–76, 229 Musikwissenschaft 37, 186, 214, 219 Myrbach von Rheinfeld, Felician - Kärntner Quintett 267 Mythos, Mythenbildung 83, 86–89, 189 f., 197, 209 f., 216 Nabucco (Solera/Verdi) 176 f. Nachkriegszeit 13, 27, 29, 33, 187; siehe auch Siegermächte; Weltkrieg, Zweiter; Wiederaufbau Nachromantik 28, 193, 203 f., 210 Narr, Schalksnarr 79, 279 Nationalgarde 147, 152, 155, 158–160, 164, 175 Nationalhymne → Bundeshymne (Österreich); siehe auch Hymne, Hymnus
Nationalismus 26, 143, 209, 240; siehe auch Hymne, Hymnus; Identität, Identitätspolitik – nationale Identität; Oper – italienisch vs. deutsch; Patriotismus; Symbole, nationale Nationalsozialismus 28 f., 190, 195, 197 f., 208, 248 Nationalstereotyp → Stereotyp Nationen (Universität) 75 Natter, Heinrich 240 Natur, Natürlichkeit 208–212, 218, 234, 266 Natursymphonie (Hausegger) 211 Naturtrilogie (Marx) 211 Neapel, neapolitanische Schule 23, 34, 82, 85, 98, 102, 105, 117 f., 125 Neidhart (Nithart) → Wien – Neidhart-Grab an St. Stephan Neoabsolutismus 143, 186; siehe auch Absolutismus; Restauration Neoklassizismus 194, 201 f., 205, 210, 219 f.; siehe auch Klassizismus Nestroy, Johann 121, 158 Netzer, Josef - 3. Symphonie 166 Netzwerk, Vernetzung 11 f., 18–20, 24, 27, 31, 39, 113, 137, 240; siehe auch AkteurNetzwerk-Theorie Neudeutsche Schule 26, 35 Neue Berliner Musikzeitung 180 Neue Menschen (Adler) 260 f. Neue Sachlichkeit 28, 197, 201 Neue Zeitschrift für Musik 143, 146 Neues Osterlied (Rick/Lortzing) 157 Neukloster (Wiener Neustadt) 113 Neustift bei Brixen (Novacella) 72 f. Nicolai, Otto 165 Nicolaus de Radom 63 Nicolaus de Zagrabia 75 Niederösterreich 40 Nietzsche, Friedrich 186 Nikolaus von Dinkelsbühl 52 Nikolaus von Kues 41 Noëma 19 f., 57, 60 Nostalgie 203, 207
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Register
Notation → Cantus fractus; Mensuralmusik; Orgeltabulatur Notendruck → Buchdruck, Notendruck Nottebohm, Gustav 167 Novacella → Neustift bei Brixen Novum cantum melodie (Binchois) 48 Nowak, Leopold 190 Nuper rosarum flores (Dufay) 48 O rex Fridrice / In tuo adventu (Brassart) 60–62, 61, 62 Oboe 110 Ockham, Wilhelm von 74 Ödenburg (Sopron) 50 Odyssee (Homer) 217 Oertel, Curt - Michelangelo. Das Leben eines Titanen 204 Oesterreichischer National-Garde-Marsch (Strauss Vater) 142 Oesterreichisches Morgenblatt 237 Oesterreichisches Musiklexikon online 9 Offizium 40 Öffentlichkeit 24, 95–97, 102, 120, 124 f., 147, 174; siehe auch Publikum; Raum, Raumtheorie – öffentlicher Raum Oper siehe auch Revolution 1848 – Revolutionsoper - italienisch vs. deutsch 25, 175–182, 245 - Opera buffa 82 - Opera seria 22, 81, 98–104, 121 f., 140 - Stagione 177, 178, 181 Operette 208, 267 Opstraet, Jan - Pastor Bonus 132 Oratorium 114, 125, 171 f. Orel, Alfred 234 Orff, Carl 28, 216 Organum 66, 72 Orgel, Orgelbau 53 f., 66 f., 78, 116, 226, 233, 236, 252, 275, 279 Orgeltabulatur 67
Osmanisches Reich 21, 37, 42 f.; siehe auch Janitscharenmusik Osterhammel, Jürgen 11 f., 18 Österreich siehe auch Bundeshymne; Deutscher Bund; Habsburgermonarchie; Heiliges Römisches Reich; Monarchia Austriaca; ‚Musikland Österreich‘; Staatsvertrag - Begriffsbestimmung 9, 12 - Erste Republik 27, 195 - Ostmark 28 f. - Ständestaat 209 - Zweite Republik 27 f., 31, 37, 188, 195, 207 Österreichische Chronik von den Fünfundneunzig Fürstentümern 251 Österreichische Musikzeitschrift 192, 229, 230, 243 Österreichische Nationalbibliothek Wien - Autogr. 299/42 242 - Bildarchiv US 12.048 B 1 191 - Cod. 1175 275 f., 276 - Cod. 1181 277 - Cod. 1182 270–272, 271 - Cod. 1187 275 f., 276 - Cod. 12.706–12.709 121 - Cod. 1349 54 - Cod. 2759–2764 (Wenzelsbibel) 277 - Cod. 2777 (Wolkenstein A) 252 - Cod. 2856 (Mondsee-Wiener Liederhandschrift) 73 - Cod. 3336 269 - Cod. 5094 67 - Cod. 5153 55 f. - Cod. Ser. n. 3344 251 - F 16360 158–160, 159 - Fonds Clemens Krauss-Archiv 197 - Fonds Ernst 209 - Fonds Heiller 198 - Fonds Jelinek 199, 204 - Fonds Salmhofer 211 - Fonds Tittel 216 - Fonds Uhl 202 - M.S. 26.609 168 - Mus.Hs. 17.109 99
311
Register
- Mus.Hs. 17.599 99 - Mus.Hs. 19.062–19.063 121 - Mus.Hs. 33614/51 188 - Pk 3001,129 173 - Pk 3001,1311 163 - SA.78.D.26 107, 109, 134 Österreichisches Mosaik (Ernst) 209, 228 Ostromeč (Velký Malahov) 275 Oswald von Wolkenstein 73, 209, 225, 252, 252 f. Ottomanen → Osmanisches Reich Oxford - Bodleian Library, Ms. Canon. misc. 213 46 - Universität 75 Padua (Padova) 252 - Universität 75 Palestrina, Giovanni Pierluigi da 118 Panegyrik 19 f., 87, 91–93, 127–131; siehe auch Maria Theresia – Panegyrik Pange lingua 62 Papstwahl 52 Paradeiser, Marian 114 Parhamer, Ignaz - Katechismus mit den drei Schulen und gewöhnlichen Gesängen 108 Paris 22, 29, 220 - Concerts spirituels 124 - Universität 75 Pasquini, Claudio - La vera nobiltà 99 Passau, Passauer Liturgie 59, 115–118 Pastor Bonus (Opstraet) 132 Pathos 154, 199 Patriotismus 26, 175, 200; siehe auch Nationalismus Patzak, Julius 211 Pauer, Thomas 112 Pauke, Päuklein 54, 109, 136, 272, 275 Performanz, Performativität 14, 25, 31 f., 49, 57, 68–70, 147 f., 201, 284 Pergolesi, Giovanni Battista 117 Periodisierung → Sattelzeit
Peter Schlemihl (Chamisso) 167 Petermayr, Klaus 127 Pető, Nikolaus 50 Petrarca, Francesco 273 Petrucci, Ottaviano 42 Petrus Wilhelmi 62 f. Pfeifer, Karl 162 - Freiheitslied 162 Pfingsten 59 Philharmonische Konzerte → Wien – Philharmonische Konzerte; siehe auch Wiener Philharmoniker Philipp der Gute, Herzog von Burgund 48 Philipp von Padeřov → Filip von Padeřov Piccinni, Nicolò 118 Piccolomini, Enea Silvio de’ 77, 79 Pietas Austriaca 95–97, 105 f., 129, 133, 136 Pignatelli, Francesco 118 Pius VI., Papst 245 Pixner, Franz 256 f. Planetenkinder 224, 231–236 Plank, Andreas 54 Plank, Joseph 177, 179 f. Pliemel, Adrian 112 Plöner Musiktag (Hindemith) 29 Popularmusik → Schrammelmusik; Unterhaltung, Unterhaltungsmusik Porpora, Nicola 85, 117, 125 Porsile, Giuseppe 98 Posse 158; siehe auch Komödienarie Pötzlinger, Hermann 63–67, 65, 73 f., 236 Prag 277 - Clementinum 240–242 - Konservatorium 241 f. - Mozart-Denkmal 240 f. - Musikbildungsanstalt Proksch 241 f. - Neustadt 277 - Universität 74, 275 Präludium und Ricercar über „Der grimmig Tod mit seinem Pfeil“ (Eder) 198 Prater, du bist nur schlafen ’gangen 199 Prechtler, Otto - Drei Tage! 156, 157
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Predieri, Luca Antonio 98, 102 Prehauser, Gottfried 121 Prenner, Johannes 72 Preradović, Paula → Molden-Preradović, Paula Pressburg (Bratislava) 88, 129, 143 Preußen 21, 88 Prevenhueber, Ambrosius 114 Preyer, Gottfried - Ausrückungslied der Nationalgarde 157 Primitivismus 219 Prinz Eugen-Lied 127; siehe auch Eugen, Prinz von Savoyen Privilegium minus 87 Problemata (Pseudo-Aristoteles) 74 Proch, Heinrich 147 Profes, Anton - Glaube an mich 200, 200 f. - Sissi 189 f. Programmmusik 26, 142–146 Proksch, Joseph 241 f. Proletariat 141, 262; siehe auch Arbeiter, Arbeiterklasse Prominczel, Johannes 113 Propaganda 201, 208 f., 223, 266 Proporz 192 Prozession 19, 96, 108, 109, 120, 131, 133, 139; siehe auch Wien – Fronleichnamsprozession Pruneder, Franz 117 Psalmodie 40 Psalterium (Sonderformen) 225, 269–272, 276 f., 277; siehe auch Ala (bohemica); Harfe – Sonderformen; Zither Pseudo-Aristoteles - Problemata 74 Publikum 25, 76, 98, 101 f., 122, 139, 147 f., 156, 162, 165, 175, 180 f., 186, 193 f., 256 Raab (Győr) 56, 78 Raab, Franz de Paula 115 Radetzky von Radetz, Josef Wenzel 177 Raimund, Ferdinand 121, 209 Rákóczi-Marsch 142, 145, 146
Rameder, Bernhard 119 Randhartinger, Benedict 25 - Die Universität 150–152, 150 f. Rathgeber, Valentin 117 Raum, Raumtheorie 14–15, 44, 63, 198, 222; siehe auch Feldtheorie; Landschaft - Erinnerungsraum 44; siehe auch Gedächtnis, Gedächtnisort - öffentlicher Raum 102, 120, 126 f., 131, 135–137, 221 f., 230, 236, 238, 249–252, 254 f., 260, 263 f., 284 - politischer Raum 279 - sozialer Raum 14, 63, 67, 94, 133 - symbolischer Raum 48 Redemptoristen → Liguorianer Reduktionismus 218 Reed, Carol - The Third Man / Der Dritte Mann 205 f., 226 f. Reformatio Sigismundi 61 Reformkatholizismus 21 f., 105 f., 131; siehe auch Aufklärung Regensburg 64 f. - St. Emmeram 73 f. Reger, Max 32 Regina (Lortzing) 25 Regina celi letare (Brassart) 50 f., 51 Regiomontanus, Johannes 40 Reichardt, Gustav - Des Deutschen Vaterland 143, 148, 158, 172, 175 Reichssender Wien → Rundfunk, Fernsehen Reihentechnik → Zwölftontechnik Reinert, Emil E. - Abenteuer in Wien 205 Reinhardt, Johann Georg 117 Reinhardt, Karl 117 Reisebericht 77, 268 Reisebuch aus den österreichischen Alpen (Krenek) 211 Renner, Karl 193 Repräsentation 11, 19, 44, 48–50, 53, 56, 133,
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135, 188 f., 193, 195, 201–207, 216, 221, 228, 245, 253, 274, 280, 284; siehe auch Herrscherrepräsentation Requiem 45 - (Heiller) 198 - (Wareka) 198 Requiem für Anton Webern (Bresgen) 197 Restauration 26, 172, 185, 245; siehe auch Neoabsolutismus Reutter, Georg (d. J.) 96, 98, 101, 103, 110, 113, 118 Revolution 1848 23–27, 42, 142–153; siehe auch Akademische Legion; Chormusik; Katzenmusik; Männergesang; Marsch, Marschmusik; Restauration; Vormärz - Benefizkonzerte 147 f., 154–165, 183 - Gelegenheitswerke 142, 146, 155 - Konterrevolution 141 - Märzrevolution 13, 142, 147, 164, 177, 245 - Revolutionslieder, Revolutionsmusik 14, 25, 141, 143, 146, 148–152, 156–158, 162, 164, 167, 172, 175 - Revolutionsoper 25 Rhapsodie über Monumente (Feuchtersleben) 237 Richter, Pius 242 Rick, Karl - Neues Osterlied 157 Riedel, Friedrich Wilhelm 93 Riedl, Josef 262 Rineck, André de 269 Ritter, Tod und Teufel (Molden-Preradović/ Angerer) 198 Ritus, Ritual 49 Rock Around the Clock (Sears/Haley) 219 Rohr, Julius Bernhard von - Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft 90 f. Rom 63, 102, 118 - Arcadia 21 - Museo Kircheriano 268 - Priscilla-Katakombe 285 Romanorum rex (Sarto) 20, 43–49, 45, 47, 284 Roskovics, Ignaz 266
Rossini, Gioacchino 243 - Mosè in Egitto 162 Rote Armee 189 Rottenmann - Pfarrkirche 119 Rot-Weiß-Rot (Radiosender) → Rundfunk, Fernsehen Rudolf IV. (der Stifter), Herzog 225, 249, 251 Rudolf, Kronprinz → ‚Kronprinzenwerk‘ Ruepp, Richard - Weinpresse 258 Rühm, Gerhard 213 - Eintonstück 218 - Einwortlieder 218 Rummelpot 236 Rundfunk, Fernsehen 219 - Eurovision 219 - Reichssender Wien 29 - Rot-Weiß-Rot (Radiosender) 204, 211 Sackpfeife 226, 254 Saitentrommel 272 Säkularisation 82, 95, 97 Saladin, Sultan 269 Salieri, Antonio 245 Salmhofer, Franz 192–194 - 1. Symphonie 194 - Heiteres Herbarium 210–212, 255 - Hymnus anläßlich des Jahrestages der Befreiung Wiens durch die Rote Armee 193, 193 f. Salomonischer Tempel 48 Salzburg 21, 110, 115–117, 208 - Benediktiner-Universität 114 - Mozart-Denkmal 224, 237 Salzburger Festspiele 219 f., 246 Sammartini, Giovanni Battista 125 Sänger, Sängerknaben 32, 46, 71, 73, 114 f., 226, 233; siehe auch Cantoria-Reliefs (Della Robbia); Singende Knaben / Evensong (Charoux); Wiener Sängerknaben Saphir, Moritz Gottlieb 157 - Ausrückungslied der Nationalgarde 157
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Sarto, Johannes de 58 f. - Romanorum rex 20, 43–49, 45, 47, 284 Sattelzeit 10, 20 f., 22 f., 35, 41–43, 68, 83–86, 137 f. Saucier, Catherine 60 f. Scarlatti, Alessandro 85 Schallermann de Susato, Johannes 73 Schalmei 231 Schatz, Josef 253 Schatz, Otto R. - 100.000 neue Wiener Gemeindewohnungen 259 Scheibl, Johann Adam 113 Schellen 268 Schemnitz (Selmecbánya) 46 Schenk, Erich 216 Scheyb, Franz Christoph von - Theresiade 92 Schiller, Friedrich - Wallensteins Tod 179 - Wilhelm Tell 174 Schirach, Baldur von 29 Schiske, Karl 213 - Vom Tode 197 Schisma → Kirchenspaltung, Kirchenunion; Konzilien Schlager → Unterhaltung, Unterhaltungsmusik Schließmann, Hans - Beim Heurigen 266 Schlögl, Friedrich 266 Schlögl, Karl 201 Schmidt, Ferdinand 113, 117 Schmidt, Leopold 127 Schmidt, Vinzenz 116 Schmuck, Alois - Symphonie c-Moll 167 Schnee (Maux) 217 f., 218 Schoenbaum, Camillo 122 Schollum, Robert 220 Scholz, Wenzel 158 Schönberg, Arnold 29, 32, 192, 194, 207, 257 - A Survivor from Warsaw / Ein Überlebender aus Warschau 197, 204 f.
Schönberg-Schule 28, 195, 204, 257 Schopf, Meinrad 117 Schostakowitsch, Dmitri → Šostakovič, Dmitrij Schrammelmusik 33, 225, 255–260, 256, 259, 266; siehe auch Unterhaltung, Unterhaltungsmusik Schubert, Franz 186, 189, 207, 209 - Denkmal (Wien) 238 - Die Winterreise 211 - Symphonie C-Dur 184 - Symphonie h-Moll 230 Schultheater 117 Schulwesen 65, 73, 75, 114; siehe auch Wien – Bürgerschule; Wien – Collegium ducale Schultheater 93, 112–118 Schumann, Robert 26, 35, 167, 185 Schwarz-Rot-Gold 143, 147 f., 172, 175 Schweighofer, Johann Michael 175 Schweinfurt - Bibliothek Otto Schäfer 232 Schwerin bey Prag gefallen 127 Sears, Fred - Rock Around the Clock 219 Sedlmayr, Hans 211 Sedlnitzky, Joseph von 24 Seifert, Herbert 121 Seitenstetten, Stift 114–116 Selbstzuschreibung 225, 254 f., 266, 273; siehe auch Eigen- vs. Fremdzuschreibung; Identität, Identitätspolitik Selliers, Joseph Carl 103, 124 Selmecbánya → Schemnitz Serenade 25, 32 Serialismus 32 Serpent 110 Sexualität → Liebe Seyß-Inquart, Arthur 29 Sgraffito-Technik 228, 234 Shakespeare, William 254 Sicher, Fridolin 67 Sichselbstgleichheit → Identität, Identitätspolitik – subjektive Identität
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Siebenjähriger Krieg 88, 100 Siegermächte 27, 35 f., 188, 201, 229, 263; siehe auch Kulturpolitik Sigismund, röm.-dt. Kaiser 19 f., 23, 43, 49 f., 57–59, 61, 78, 274 Signale für die Musikalische Welt 178 Singende Knaben / Evensong (Charoux) 32 f., 225 f., 280–287, 281 Singspiel, Nationalsingspiel 116, 117, 118, 140 Siroe Rè di Persia (Metastasio/Hasse) 100 Sissi (Marischka/Profes) 189 f. Smets, Moritz - Das Jahr 1848 153, 154, 161 Sommer-Mathis, Andrea 121 Sonett für Wien (Korngold) 203 f. Sonnenfels, Joseph Freiher von 92 Sonnleithner, Joseph 240 Sonntagsblätter 164, 177, 180 Sophie von Bayern, Erzherzogin 164 Sopron → Ödenburg Šostakovič, Dmitrij 27, 28 Souvenir de Haydn (Léonard) 155 Sowjetunion → Siegermächte Sozialdisziplinierung 90 Sozialistischer Realismus 193, 213, 262, 265 Sozialpartnerschaft 216, 258 Sozialprestige 66 Sparry, Franz 118, 138 Spätmittelalter 18–20, 39, 41, 65, 70, 223, 224 f., 234 f., 268, 282 Spätromantik → Nachromantik Spielgrafenamt 68 Spiritus domini replevit (Brassart) 59 Sporck, Franz Anton 90 Sprechakttheorie 221 St. Emmeram (Mensuralcodex) → Bayerische Staatsbibliothek München, Clm 14274 St. Florian, Stift 114 St. Pölten 66 St. Wolfgang 66 f., 209 Staatspreis → Großer Österreichischer Staatspreis für Musik Staatsvertrag (Österreich) 13, 27, 191 f., 229, 262
Stadler, Nonnos 117, 138 Stainreuter, Leopold - Österreichische Chronik von den Fünfundneunzig Fürstentümern 251 Stamitz, Johann Wenzel 118 Stams - Stiftskirche 274 Stände, Ständeordnung → Gesellschaft, Gesellschaftsordnung Starzer, Josef 127 Stauda, August 243 Staudigl, Joseph 155, 158 Steinwendner, Kurt 220 - Wienerinnen 205 Stephanus de Pruck 75 Stereotyp 176, 182, 202, 225, 245, 254, 266, 268; siehe auch Identität, Identitätspolitik Stiftungswesen 62 Stile, Stillehre (musikal.) 21 f., 25, 31, 103; siehe auch Gattungen, Gattungshierarchie; Stilwandel Stille Nacht, heilige Nacht (Gruber) 230 Stiller, Emilie 175 Stilwandel 22 f., 35, 85, 98, 102, 104, 110, 117 f., 125, 138 f.; siehe auch Stile, Stillehre (musikal.) Stöckl, Ulrich 53 Stoessel, Jason 44 Stollewerk, Nina 147, 175 - Die Universität 152 Storch, Anton Maximilian - Festmarsch, Wiens tapferen Bürgern gewidmet 148 Stranitzky, Joseph Anton 121 Straßburg - Münster 66, 78 Strauss Sohn, Johann 26, 182, 226, 249, 254 - An der schönen blauen Donau 179 Strauss Vater, Johann 143, 156, 158–160, 159, 182 - Marsch der Studenten-Legion 147 - Oesterreichischer National-Garde-Marsch 142 Strauss, Oswald 73 f.
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Strauss, Richard 197, 248 f.; siehe auch Wien – Richard-Strauss-Hof (mit Denkmal) - Der Rosenkavalier 230, 246 Strauss, Wolfhard 73 f. Strawinsky, Igor 28, 216 Streicher, Andreas 244 Strohm, Reinhard 46, 62, 66, 70, 121 Studenten → Akademische Legion Stuhlweißenburg (Székesfehérvár) 56, 78 Sturgeon, Nicholas (?) 62 Subiaco 40 Südtirol 209, 240 Südtirol (Kanetscheider) 209 f., 210 Sulzer, Salomon 147, 154 Suppè, Franz von 147, 155 - Das waren die braven Studenten 162 - Die Flucht des Schwarzen 148, 157, 158 - Die Universität 152 - Jubelgruß an Oesterreichs Nationen 155 - Was ich jetzt sein möchte! 162 Supremum est mortalibus (Dufay) 19 f., 57 f., 58, 65 Swalb, Liebhardus 75 Swiedack, Karl - Die Flucht des Schwarzen 148, 157, 158 - Ich nehme mir einen Studenten 158 Swieten, Gerard van 138 Swieten, Gottfried van - Die Jahreszeiten 123, 137 Symbole, nationale → Des Deutschen Vaterland; Marseillaise; Schwarz-Rot-Gold; Volkshymne Symbolische Kommunikation 88, 137 Symon de Asparn 75 Symphonie nationale hollandaise (Litolff) 155 Symphonie Wien (Jelinek) 201, 204–206, 205, 206 Synthese 209, 213, 216, 228, 265 Synthesen (Kont) 213 Székesfehérvár → Stuhlweißenburg Tabulatur → Orgeltabulatur Tafelmusik 101, 111, 114
Tafelmusik (Aichenegg) 33, 263 f., 264 Tafur, Pero 77 f. Täglichsbeck, Thomas 166 Tamburin 260 Tanz, Tanzmusik 23, 25, 31, 90, 125 f., 208, 233, 260, 262; siehe auch Ball, Maskenball; Ländler; Volksmusik, Volkstanz; Walzer Tauet Himmel, den Gerechten (Denis) 133 Te Deum 19, 51–54, 66, 69, 109, 111; siehe auch Großer Gott, wir loben dich Technik (Aichenegg) 265 Tegernsee 53, 76 Telesko, Werner 83, 87 Tenschert, Roland 246 Terribilis est locus iste 73 Teutsche Arien 121 Thalberg, Sigismund 160, 162, 174 - Barcarolle 160 - Etüde a-Moll 160 - Grand Duo sur Les Huguenots de Meyerbeer (gemeinsam mit Charles-Auguste de Bériot) 160 - Grande Fantaisie sur des motifs de l’opéra La Muette de Portici d’Auber 160, 162 - Grande Fantaisie sur des motifs de l’opéra Mosè in Egitto di Rossini 162 - Grande Fantaisie sur la sérénade et le menuet de Don Juan 160 The Third Man / Der Dritte Mann (Reed/Karas) 205 f., 226 f. Theresiade (Scheyb) 92 Theresianisches Gesangbuch (Katholisches Gesangbuch […] Marien Theresiens) 107, 109, 132 f., 134, 138 f. Thomas von Baden - Excerptorium de semitoniis 74 Thurmair, Maria Luise - Herr, ich glaube, Herr, ich hoffe 134 Tinctoris, Johannes - Liber de arte contrapuncti 41 f. Tirion, Johannes 46 Tirol 71, 226, 274; siehe auch Südtirol
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Tittel, Ernst - Ein Österreichisches Lied 214, 215, 216 Titze, Ludwig 166 Tkadlík, František → Kadlik, Franz Tod 20, 44, 197 f.; siehe auch Trauer, Trauermusik; Vanitas-Motiv Tonkunst 141, 165, 176, 186, 226; siehe auch Ästhetik, Autonomieästhetik; Kanonbildung Tonkünstler-Societät → Wien – TonkünstlerSocietät Totentanz (Bresgen) 198 Tourismus 203, 207, 256 Tourout, Johannes 46 Trachtenberg, Marvin 48 Tractatulus musicalis ad cantum Gregorialem brevis et utilis 63 Trauer, Trauermusik 20, 44, 95, 120, 126–131, 152–154, 153, 169, 284 Trauerlied auf den Tod des römischen Kaisers Franziskus 127 Trauermarsch und Chor „Ueber den Gräbern der am 13. März Gefallenen“ (Kapper/Becher) 169–171, 170 Trautmannsdorf a. d. Leitha 108 Trautson (Burg) 251 Trautson, Joseph von 106 Tremendum (M. Haydn) 167 Trient (Trento) 72 f. - Dante-Denkmal 240 Trienter Codices - Cod. 87 (Castello del Buonconsiglio) 50, 60, 72 - Cod. 92 (Castello del Buonconsiglio) 60, 72 - Cod. 93 (Archivio Capitolare) 72 Trip (Kont) 194 Triumph der Freundschaft (Heubel) 123 Trompete 54, 109, 136, 231, 233, 236, 275, 279 Troppawer, Paul 75 Tschaikowsky, Peter → Čajkovskij, Pëtr Tugendkodex 89–92, 102, 137, 248 f. Tuma, Franz 117 Türkei → Osmanisches Reich
Überfall auf Schweidnitz 127 Uhl, Alfred 195, 207, 220 - Das gestohlene Jahr 207 - Frühlingsstimmen 202 f., 203 - Gilgamesch 216 f. - Wien, du Stadt meiner Träume 207 Ulbrich, Ignaz 122 Ungarn 54–56, 133, 142, 279; siehe auch Habsburgermonarchie – Ungarn; RákócziMarsch United States Information Service 191 Universität → Die Universität; Akademische Legion; Artistenfakultät; Nationen; siehe auch Bologna; Köln; Krakau; Oxford; Padua; Paris; Prag; Salzburg; Wien – Alte Universität Unterhaltung, Unterhaltungsmusik 25, 27 f., 36, 90, 120, 199, 225, 262 f.; siehe auch Schrammelmusik USA → Siegermächte Van Espen, Zeger Bernhard 132 Vanitas-Motiv 129, 197 f. Variationen über ein Thema von Joseph Haydn (Apostel) 194 Vasari, Giorgio 285 Venedig 82, 98, 102, 105, 125 Velký Malahov → Ostromeč Verboth und Liebe (Halm) 175 Verbum bonum et suave (Edlerawer) 69 Verdi, Giuseppe - Ernani 177 f., 180 f. - Nabucco 176 f. Vereinswesen → Gesellschaft der Musikfreunde in Wien; Männergesang; Wien – Tonkünstler-Societät; Wiener Philharmoniker Vergangenheitsbewältigung 29, 196–199, 218 f. Vernetzung → Netzwerk, Vernetzung Versehgang 62 Vinci, Leonardo 85 Viola, Violetta 110 Violine 258
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Violinist (Charoux) 280 Virtuosentum → Wien – Virtuosenkonzerte Visuelle Musik 214 Viterbo (Friede von) 57 Vitsch, Paul de 114 Vivaldi, Antonio 22 Vocelka, Karl 82, 83, 87 Vöcklabruck 127 Voigt, Boris 52 Vokalpolyphonie, franko-flämische 19, 23, 32, 34, 41, 50, 58, 66, 72, 274 Volksfrömmigkeit → Frömmigkeit, Volksfrömmigkeit Volksgesang 22, 108, 133, 139; siehe auch Gesangbuch Volkshymne (Gott erhalte, Haydn) 142–146, 145, 148, 155 f., 164, 169–171, 170, 175, 192; siehe auch Bundeshymne Volkskomödie (Alt-Wiener) → Komödienarie Volksmusik, Volkstanz 28, 35 f., 188, 208 f., 257 f.; siehe auch Brauchtumspflege Vom Musikalisch-Schönen (Hanslick) 184 f. Vom Tode (Schiske) 197 Vormärz 23 f., 26, 176, 183, 237; siehe auch Revolution 1848 Wachau 217 f. Wagenseil, Georg Christoph 117, 125 Waggerl, Karl Heinrich - Heiteres Herbarium 210–212 Wagner, Richard 26, 35, 185 - Die Meistersinger von Nürnberg 261 f. Waidhofen an der Ybbs 115 Waissenberger, Robert 248 f. Waldheim, Kurt 219 Waldmüller, Ferdinand - Erinnerung an den 13ten, 14ten und 15ten März 1848 146 Wallensteins Tod (Schiller) 179 Wallfahrt 95, 108, 120, 131, 133, 139; siehe auch Aachen – Wallfahrt Walther von der Vogelweide 240
Walzer 25, 182, 202, 205 Wareka, Josef - Libera 198 - Requiem 198 Warnke, Martin 209 Was ich jetzt sein möchte! (Castelli/Suppè) 162 Was ist des Deutschen Vaterland → Des Deutschen Vaterland Weber, Carl Maria von 243 Weber, Friedrich Dionys 241 f. Weber, Max 52 Webern, Anton 28, 197, 207 Weidmann, Franz Karl 148 - Die drei Farben 148 Weigert, Johann Blasius 116 Weihnachten, Weihnachtsliturgie 63, 200, 209, 230 Weinbau → Wien – Heuriger Weinmann, Alexander 116 Weinpresse (Ruepp) 258 Weismann, Heinrich - Das deutsche Lied 148 Weiss, Erwin - Wir bahnen den Weg 213 Weiss, Joseph 113 f. Weissenbach, Aloys - Der glorreiche Augenblick 167 Weissenhofer, Adam 115 Weltausstellung - Brüssel 1958 229 f., 246 Weltkrieg, Erster 209 Weltkrieg, Zweiter 13, 27, 187, 194, 197, 218; siehe auch Nachkriegszeit; Siegermächte; Wiederaufbau Wenigtonstücke (Kont) 218 Wentzeslaus de Mirowitz 75 Wenzel (Hl.) 270 Wenzel IV., röm.-dt. König 275, 277 Werba, Erik 212 Werkästhetik → Ästhetik, Autonomieästhetik Werner, Gregor Josef 118 Wernher, Heinrich 117
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Westfalen 236, 277 Widmann, Christian 115 Wiederaufbau 27, 29, 195–197, 201, 204–205, 222–224, 234, 249, 254, 286; siehe auch Wien – Wiederaufbau; WohnhausWiederaufbaufonds Wien 21, 52, 54, 62, 64, 77, 115, 142–153, 203–208; siehe auch Gesellschaft der Musikfreunde in Wien; ‚Musikstadt Wien‘ - Alte Universität 37, 54, 60, 63, 65, 70, 73, 75, 78 f., 112, 135, 147, 149, 186 - Art Club 213, 219, 264 - Augustinbrunnen 228 - Beethoven-Denkmal (Zumbusch/Frank) 239 - Bundesländerhof 228 - Bürgerschule 70 f. - Bürgerspital 136 - Burgtheater 124, 148, 175, 229 - Carltheater 143 - Collegium ducale 43 - Concerts spirituels 155, 166–171 - Congregatio della chiesa nationale italiana 245 - Diözesanarchiv 62 - Erzdiözese 108 - Fastenkonzerte 23, 124 - Förderungspreis der Stadt Wien (Musik) 216 - Franz-Novy-Hof 258 - Fronleichnamsprozession 133, 135–137; siehe auch Prozession - Gemeindebauten 32, 222 f., 225, 228, 246– 249, 247, 255–266, 256, 257, 259, 261, 265, 280–287, 281 - Gerlhof 260–262, 261 - Heuriger 225, 255–260, 266 - Hofburg 97, 101, 164 - Hofburgtheater → Burgtheater - Hofmusikkapelle 49, 80, 94, 96, 100–105, 117, 138, 139; siehe auch Kantorei; Kapelle, Hofkapelle - Hofoper (Haus am Ring) 183, 244; siehe auch Wien – Staatsoper
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Hofreitschule 102 Internationales Musikfest 208 Josephsplatz 172, 175 Judenverfolgung (Gesera) 79 Jung Wien (Singvereinigung) 204 Kaiserhof 93, 94–105, 95, 114 Kantoreiordnung 71 Kärntnertortheater 121, 175–178, 180 f., 245 Kaufhaus Steffl 244 Konzerthaus 29, 207 f., 261 f. Konzertwesen 22, 28 f., 120, 124 f., 154–174; siehe auch Arbeiter-Sinfoniekonzerte; Revolution 1848 – Benefizkonzerte; Tonkünstler-Societät; Wien – Concerts spirituels; Wien – Fastenkonzerte; Wien – Philharmonische Konzerte; Wien – Virtuosenkonzerte - Krapfenwaldlbad 33, 263 f., 264 - Kulturamt 204, 246, 248, 258, 262–264, 286 - Kunst am Bau 32 f., 222–231, 227, 246–249, 247, 254–266, 255, 256, 257, 259, 261, 264, 265, 280–287, 281 - Leopoldstädter Theater 158 - Maria am Gestade (Liguorianerkloster) → Liguorianer - Märzpark 154 - Mehlgrube 23, 125 - Minoritenkirche 245 - Mozarthof (mit Denkmal) 224, 242–245, 243 - Musikverein siehe auch Gesellschaft der Musikfreunde in Wien (Karlsplatz) 183, 187 f., 193, 207, 211, 244, 262 (Tuchlauben) 160, 162, 166, 175 - Neidhart-Grab an St. Stephan 225, 249–253, 250 - Neujahrskonzert 219 - Neustift am Walde 256 - Niederösterreichisches Landhaus 142, 147 - Österreichische Akademie der Wissenschaften 147 - Palais Augarten 230 - Palais Strauss 254
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Register
- Pfarre Hernals 108 - Philharmonische Konzerte 165 f., 183 - Preis der Stadt Wien (Bildhauerei) 282 - Redoutensaal 101, 148, 165 f., 171 f., 175 - Reichshochschule für Musik 29 - Richard-Strauss-Hof (mit Denkmal) 224, 246–249, 247, 286 - Ringstraße 26, 183, 224, 236 - ‚Rotes Wien‘ 260–262 - Salon Schweighofer 175 - Schmelzer Friedhof 152–154, 153 - Schottenstift 71, 118 - Schubert-Denkmal (Kundmann/Berger) 238 - Sperl 156, 158–160, 159 - Spitalskapelle 152 - St. Dorothea 43, 54 f., 70, 113 - St. Nikolai-Bruderschaft 68 - St. Stephan 69 f., 78, 103, 108, 132, 135, 137, 175, 251 f.; siehe auch Wien – Neidhart-Grab an St. Stephan - St. Ulrich 228 - Staatsoper 188 f., 217, 229, 246; siehe auch Wien – Hofoper (Haus am Ring) - Strohkoffer 28, 220, 264 - Theater an der Wien 154–158, 160, 164, 217 - Theater in der Josefstadt 147 f., 175 - Theater nächst dem Kärntnertor → Wien – Kärntnertortheater - Theater nächst der Burg → Wien – Burgtheater - Tonkünstler-Societät 23, 125 - Tuchlauben Nr. 19 251 - Virtuosenkonzerte 160, 174, 182 f. - Volksgarten 142 - Waisenhaus 136 - Westbahnhof 205 - Wiederaufbau 197, 201, 204, 222 Wien ist eingeteilt jetzt in vier Zonen 199 Wien, du Stadt meiner Träume (Forst/Pawlicki/ Uhl) 207 Wienbibliothek im Rathaus - Mc-1143 150 f.
- Mc-1146 156 - Mc-9094 144 f. - MH-9440 170 Wiener Abendzeitung. Tägliches Ergänzungsblatt der „Sonntagsblätter“ 148, 179, 181 Wiener Akademiechor 204 Wiener allgemeine Musik-Zeitung 142, 146, 148, 155, 156, 157, 158, 160, 162, 164, 165, 166, 167, 169, 172, 175, 178, 179 Wiener Festwochen 220 Wiener Kammerchor 204 Wiener Katzenmusik (Charivari) (Zeitung) 237 Wiener Klassik 13, 23, 35, 81, 85, 104, 110, 120, 188–192, 194, 209, 228, 257 Wiener Kongress 83 f., 93, 142, 167 Wiener Männergesang-Verein 148, 175 Wiener Moderne 13 Wiener Philharmoniker 188 f.; siehe auch Wien – Philharmonische Konzerte Wiener Revolutions-Symphonie 146 Wiener Sängerknaben 33, 202, 230, 286; siehe auch Sänger, Sängerknaben Wiener Spaziergänge von Schlögl (Florian) 266 Wiener Stadt- und Landesarchiv - M.Abt. 350, A1 – 4364/53 246 - M.Abt. 350, A1 – 6021/55 258 Wiener Symphoniker 204 f. Wiener Wein – Wienerwald (Kitt) 255 f., 256 Wiener Zeitschrift 143, 152, 155, 160, 162, 165, 172, 182 Wiener Zeitung 142, 143, 146, 156, 162, 165, 166, 169, 177, 180, 184, 189, 192; siehe auch Wienerisches Diarium Wiener, Oswald 214 Wienerbote. Beilage zu den Sonntagsblättern 177 Wienerinnen (Steinwendner/Kont) 205 Wienerisches Diarium 124, 133, 137; siehe auch Wiener Zeitung Wienerlied 199, 263 Wildgans, Friedrich 192, 220 - Eucharistische Hymnen 219 Wilhelm Tell (Schiller) 174
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Winterreise (Schubert) 211 Wir bahnen den Weg (Weiss) 213 Wiser, Johannes 72 Wogritsch, Anton (?) - Die Universität 157 Wohltätigkeitskonzerte → Revolution 1848 – Benefizkonzerte Wohnhaus-Wiederaufbaufonds 222, 226, 230, 254 f.; siehe auch Wien – Wiederaufbau Wollrabe, Amalie 157 Wollrabe, Auguste 157 Wotruba, Fritz 246 Wright, Craig 48 Wright, Peter 66 Ybbsitz 115 Zahlensymbolik 36, 42, 48 Zapke, Susana 70 Zechner, Johann Georg 113, 117 Zeitempfinden 18, 21, 24, 27, 29, 39–43, 60, 91, 129 Zeitungsleser (Charoux) 280 Zeman, Herbert 121 f. Zensur 142, 147, 149, 158, 162, 165, 172 Zentraleuropa 12, 43, 62 f., 74–76, 81, 274; siehe auch Mitteleuropa Zentrum vs. Peripherie 12, 70, 72, 241, 268 Zeremoniell 21 f., 70, 81, 88, 90, 94–98, 101, 103–105, 120, 133, 138, 188; siehe auch Adventus; Dekorum; Feste, Festkultur; Herrscherrepräsentation; Königskrönung, Kaiserkrönumg Zerr, Anna 175 f. Ziegler, Joseph 122 Zillig, Winfried 29 Zimbal 266; siehe auch Hackbrett Zimmermann, Anton - Klage auf den Tod Maria Theresiens 127, 129 Zimmermann, Robert 184 f. - Deutschland über Alles! 148 Zink 110
Zither 226 f.; siehe auch Ala (bohemica); Psalterium (Sonderformen) Zocchi, Cesare 240 Zumbusch, Caspar von - Wiener Beethoven-Denkmal 238 f., 239 Zur Namensfeier (Beethoven) 167 Zweig, Stefan 49 Zweite Wiener Schule → Schönberg-Schule Zwettl - Stiftsbibliothek, Fragmente (ohne Signatur) 60, 72 Zwickenberg 268 Zwölftontechnik 194 f., 198, 213, 220