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German Pages 210 [212] Year 1973
Museologie
Museologie Bericht über ein internationales Symposium, veranstaltet vom Deutschen Nationalkomitee des Internationalen Museumsrates (ICOM) in Zusammenarbeit mit der Deutschen UNESCO-Kommission vom 8. bis 13. März 1971 in München
Deutsche UNESCO-Kommission, Köln Verlag Dokumentation, Pullach/München
Seminarbericht der Deutschen UNESCO-Kommission Nr. 18 Bearbeitung: Dr. Hans-Friedrich Meyer Redaktion: Dr. Hans-Dieter Dyroff
© 1973 by Deutsche UNESCO-Kommission, Köln Verlag Dokumentation, Pullach bei München Gesamtherstellung: Friedrich Pustet, Regensburg Printed in West Germany ISBN 3-7940-5218-8
Vorwort Im Zuge des sozialen und kulturellen Wandels ist es erforderlich geworden, auch die Rolle des Museums in der heutigen Gesellschaft zu überdenken und seinen Standort neu zu bestimmen. Hing dem Museum in der Vergangenheit der Ruf an, eine elitäre Einrichtung zu sein und vornehmlich gehobenen Schichten zu dienen, so öffnet es sich heute der gesamten Gesellschaft und weitet seine klassischen Bildungs- und Forschungsaufgaben im Sinne einer education permanente aus. Bei dieser Neuorientierung fällt der Museologie, die sich der wissenschaftlichen Erforschung des Museumsbereichs widmet, eine wichtige Aufgabe zu. Angesichts der für museologische Forschungen jedoch nur begrenzt zur Verfügung stehenden Mittel ist eine Erörterung des gesamten Problemkreises im Bemühen, ihn überschaubarer und allgemeiner zugänglich zu machen, von hohem Wert. Eine Schärfung des Problembewußtseins ermöglicht ferner eine Einigung darüber, welchen der zahlreichen Aufgaben des Museums künftig mehr wissenschaftliche Aufmerksamkeit gewidmet werden soll. Unter diesen Aspekten stand das internationale Seminar „Museologie", das das Deutsche Nationalkomitee des Internationalen Museumsrates (ICOM) und die Deutsche UNESCO-Kommission im März 1971 veranstalteten. Die Deutsche UNESCO-Kommission, die in enger Zusammenarbeit mit ICOM seit 1963 mit ihren Essener Museums-Seminaren eine eigene Tradition entwickelt hat („Die Öffentlichkeitsarbeit der Museen", „Film im Museum", „Fernsehen und Museum", „Museumsdidaktik") dankt der Deutschen Sektion des Internationalen Museumsrates (ICOM) und vor allem deren Präsidenten, Herrn Prof. Hermann Auer, daß diese gemeinsame Veranstaltung zustande kommen konnte und Fachleuten aus dem Museumsbereich die Möglichkeit gab, ihre Erfahrungen auf dem Sektor der Museologie auszutauschen und zur Diskussion zu stellen. Die Referate und Diskussionen dieses Seminars sind in der vorliegenden Publikation zusammengefaßt. Thomas Keller Generalsekretär der Deutschen UNESCO-Kommission
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Inhalt HERMANN A U E R :
Zur Einführung in den Begriff Museologie
10
THOMAS KELLER:
Gruß wort
13
H E I N Z LADENDORF:
Das Museum - Geschichte, Aufgaben, Probleme .
.
KARL O T T O MEYER:
Die historische Entwicklung zum heutigen naturkund-
lichen Museum
14 29
FRIEDRICH KLEMM:
Die historische Entwicklung zum heutigen technischen
Museum
32
HERMANN A U E R :
Museumsprobleme der Gegenwart - Naturwissenschaft-
liche Museen
36
STEPHAN WAETZOLDT: Museumsprobleme der Gegenwart - Kunst- und kulturgeschichtliche Museen
47
Diskussion
52
GEORGES H E N R I RIVIERE:
Internationale Perspektiven der Museologie .
. 55
T H . VAN H O O F :
Behörden und Museen in Flandern
Η . L . C . JAFFE:
Zum Stand der Museologie in den Niederlanden
JERZY BANACH:
Zum Stand der Museologie in Polen
67
Zum Stand der Museologie in der Schweiz
72
JEAN GABUS:
59 . . .
Diskussion ANDREAS G R O T E :
62
77 Informationsmethoden im Museum
Diskussion
80 87
W U L F SCHADENDORF:
Die Bildungsaufgaben des Schaumuseums-Museums-
pädagogik
89
Diskussion
99
EDMUND KÖSEL:
Didaktische und psychologische Grundprobleme einer
Museologie
102
Diskussion
108
H E I N E R TREINEN:
Das Problem des Schaumuseums aus soziologischer Sicht 109
Diskussion CHRISTIAN WOLTERS:
werken in Museen
116 Vorbeugende Maßnahmen zum Schutze von Kunst117 7
Diskussion K U R T BÖHNER:
122 Angewandte Museologie - Das kulturhistorische Objekt .
Diskussion
123
130 Angewandte Museologie - Das naturkundliche Objekt .
HEINRICH WOLF:
JOSEF MAIERHOFER:
131
Angewandte Museologie - das naturwissenschaftlich-
technische Objekt
135
Diskussion
138
G E R T VON DER O S T E N :
Der Neubau von Kunst- und Kulturbauten .
.
Diskussion
.139
149
ERNST BERNINGER:
Stand der Bibliographie zur Museumsforschung .
.
.150
Möglichkeiten, Probleme und Grenzen einer Museumsobjekt-Dokumentation mit DV-Anlagen 153
ALBERT SCHUG:
Diskussion
161
H A N S - J O A C H I M FÜRSTE:
Strukturfragen des öffentlichen Museums .
.
.162
WOLFGANG KLAUSEWITZ: Das Museum als Lehr- und Bildungsstätte in der modernen Industriegesellschaft 169
Diskussion
177
ALHEIDIS VON R O H R :
Zum Aussagewert von Museumsstatistiken .
Diskussion
.
.
.179
183
Vorbildung, Ausbildung und Weiterbildung des Museumspersonals - Kunst-und kulturhistorische Museen 184 STEPHAN WAETZOLDT:
Vorbildung, Ausbildung und Weiterbildung des Museumspersonals - Naturkundliche Museen 192 WILHELM SCHÄFER:
Diskussion
196
ERICH STEINGRÄBER: RAYMONDE F R I N :
Das Berufsbild des Museumsmannes
L'Unesco, l'Icom et la museologie
197
203
Resolution
206
Teilnehmerliste
208
D a s Protokoll der Diskussionen stellte Dr. Heribert Meurer zusammen.
8
9. März 1971,
vormittags
Das Seminar wird mit Ansprachen von Professor Dr. Hermann Auer, Präsident der Deutschen Nationalkomitees des Internationalen Museumsrates (ICOM), und Thomas Keller, Generalsekretär der Deutschen UNESCO-Kommission, eröffnet. 9
HERMANN AUER
Zur Einführung in den Begriff Museologie Die Museen in der Bundesrepublik Deutschland weisen im Jahre 1970 eine Besucherzahl von mehr als 16 Millionen auf. Dennoch sind wir alle, die wir mit diesen Museen durch unsere Lebensarbeit verbunden sind, mit der Geltung, die das Museum trotz steigender Besucherzahlen in der Öffentlichkeit genießt, nicht immer zufrieden. Aber wir wollen nicht den Fehler begehen, die Schuld für diese mangelhafte Wertung der Museen und damit häufig auch ihre mäßige Unterstützung nur bei den anderen zu suchen — und darum sehen wir es als die Aufgabe dieses Symposiums an, zunächst zu unserer eigenen Information eine kritisch wertende Übersicht über den gesamten Problemkreis der Museen zu geben, mit dem Ziel, eine Analyse nach unseren vordringlichsten Aufgaben für die nächste Zukunft, aber auch auf weitere Sicht zu ermöglichen. Nach dieser Analyse werden wir uns zu fragen haben, welche Schritte jeder einzelne in seinem Museum unternehmen kann und welche Aktionen gemeinsam, sei es von diesem Kreise aus oder in Erweiterung mit anderen Institutionen, in Gang gesetzt werden können. In den letzten Jahren sind von mehreren Seiten — ich nenne hier nur die erfreuliche Initiative der Deutschen Forschungsgemeinschaft - Bestrebungen angeregt worden, die Wirksamkeit der Museen insbesondere auf dem Bildungssektor planmäßig, ja geradezu wissenschaftlich zu vertiefen. Die wenigen bisher vorliegenden Bemühungen in dieser Richtung — u. a. statistische, soziologische Untersuchungen - sind unabhängig voneinander und unkoordiniert verlaufen, teilweise museumsawspezifisch, d. h. mit der Fragestellung einer anderen Fachrichtung, das Museum und die Menschen im Museum gewissermaßen nur als Versuchsobjekte für facheigene Probleme benutzend, so daß die Forschungsergebnisse für die Museen selbst nur sehr begrenzt auswertbar sind. Im Vergleich zu anderen öffentlichen Bildungsinstitutionen, denen für die wissenschaftliche Erforschung ihrer optimalen Methoden Millionenbeträge zur Verfügung stehen, werden die Mittel, die die Museen trotz durchaus vergleichbarer kultureller Ausstrahlung zu erwarten haben, auch bei optimistischer Einschätzung sicher viel zu bescheiden sein, als daß wir uns irgendeine Art von Redundanz oder Mehrspurigkeit leisten dürften. Zur Vermeidung jeglicher Zersplitterung erscheint mir daher eine einheitliche Planung und Absprache aller künftigen museologischen Forschungsarbeiten unumgänglich erforderlich, zumal ja doch die Finanzierung immer wieder bei den gleichen großen Trägerinstitu10
tionen beantragt wird, die sich bisher für ZuHze/unternehmungen nur in höchst bescheidenem Maße engagiert haben. Die Vorträge und Diskussionen dieses Symposiums werden uns nur allzu häufig vor Augen führen, welche Fülle für die kulturelle Effizienz der Museen wichtiger Probleme sich hier darbietet, wie viele Fragen aber offen bleiben, Fragen, auf die wir bisher einfach keine eindeutige Antwort haben, die man aber beantworten könnte, wenn eine in vielen anderen geistig-kulturellen Bereichen selbstverständliche Grundlagenforschung bestünde. Ich sehe es daher als eine weitere wesentliche Aufgabe dieses Symposiums an, gerade auch angesichts der breiten Basis der angesprochenen Probleme, die Voraussetzungen für die Aufstellung eines generellen Forschungs- und Arbeitsplanes zu liefern, der die bisherigen Vorarbeiten integriert und die Richtung künftiger museologischer Forschungen zur Erreichung eines optimalen Gesamtwirkungsgrades aufzeigt. Inwieweit die Zusammenfassung dieser Aufgaben oder ihre Koordinierung in einem von mehreren Seiten, u. a. der Deutschen Forschungsgemeinschaft, dem Deutschen Städtetag, dem Deutschen Museumbund wie auch vom ICOM-Nationalkomitee, geforderten interdisziplinären Forschungsinstitut für Museumsmethodik oder Museologie zweckmäßig und notwendig ist und welche Schwerpunkte im Gesamtrahmen der Museumsprobleme diesem Institut zufallen, sollte, wie ich meine, bei unseren Diskussionen nachdrücklich im Blickpunkt gehalten werden. Ich glaube daher, daß bei den einzelnen Themen des Symposiums jeweils drei Fragen besonders interessieren: 1. der gegenwärtige Stand des betreffenden Problemkreises, möglichst auf internationaler Basis; 2. die voraussehbaren Hauptlinien einer künftigen Entwicklung; 3. die Frage, ob und inwieweit der behandelte Bereich einer systematisch-wissenschaftlichen Durchdringung zugänglich ist, also gegebenenfalls als Teilgebiet einer künftigen Museumswissenschaft angesehen werden kann. In dieser Hinsicht erscheinen mir die Berichte und die Erfahrungen unserer Freunde und Kollegen aus dem Ausland über die museologische Situation in internationaler Sicht von besonderem Wert, da es sich sicherlich als zweckmäßig ergeben wird, auch in der Forschung in gegenseitiger Abstimmung und Aufgabenteilung in internationalem Rahmen eine Koordinierung bestimmter Schwerpunktsbereiche vorzunehmen. Ein lebhafter internationaler Gedankenaustausch der Museen wird ja ohnedies um so wünschenswerter, je mehr sich viele Museen mit zunehmendem Tourismus im Zeitalter der Jumbo-Jets in ihrer Darstellungsmethode und pädagogischen Wirkung auf einen internationalen Besucherkreis einzustellen haben. 11
Die mit solchem Gedankenaustausch verknüpfte Koordinierungsmöglichkeit des methodischen Fortschritts sehe ich auch als Rechtfertigung, ja Notwendigkeit dafür an, daß dieses Symposium durch das Nationalkomitee der internationalen Museumsorganisation veranstaltet wird. Und ich empfinde es darüber hinaus als einen besonderen Vorzug, daß die dem Internationalen Museumsrat übergeordnete Institution, die UNESCO, einen außergewöhnlich lebhaften Anteil an den Problemen der Museen nimmt. In größerem Rahmen kam dieses Interesse zum Ausdruck in dem in Paris abgehaltenen internationalen UNESCO-Symposium über die Rolle der Museen in der Welt unserer Tage - es findet nicht minder seinen Niederschlag auf nationaler Ebene in den engen Beziehungen, die das Deutsche ICOM-Nationalkomitee seit Jahren mit der Deutschen UNESCOKommission verbinden. Dieses Symposium ist ja das vierte in einer Reihe von Veranstaltungen über Museumsprobleme, die in der Bundesrepublik Deutschland in Zusammenarbeit von UNESCO und ICOM durchgeführt wurden. Es ist mir eine besondere Freude, der Deutschen UNESCO-Kommission und ihrem Referenten, Herrn Dr. Meyer, für die wertvolle Hilfe bei der Organisation des Symposiums und bei der späteren Herausgabe der Dokumentation zu danken. Besonderen Ausdruck für die Wertschätzung des Museumssektors und für die Verbundenheit unserer Gremien verleiht die Anwesenheit des Generalsekretär» der Deutschen UNESCO-Kommission, und mit aufrichtigem Dank für Ihr lebhaftes und tätiges Interesse an unseren Problemen darf ich Sie, verehrter Herr Keller, bitten, das Wort zu ergreifen.
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T H O M A S KELLER
Grußwort Im Namen der Deutschen UNESCO-Kommission möchte ich meine Freude darüber ausdrücken, daß heute das Symposium „Museologie" mit so großer internationaler Beteiligung eröffnet werden kann. Ich begrüße die Initiative des Deutschen Nationalkomitees des Internationalen Museumsrates und seines Präsidenten, Prof. Dr. Hermann Auer, zur Veranstaltung dieses Symposiums, das von unserer Seite volle Unterstützung findet. Seit mehr als einem Jahrzehnt nehmen Fragen und Probleme des Museums in der Gegenwart eine wichtige Rolle unter den Tätigkeiten der UNESCO im Bereich der Bewahrung und Zugänglichmachung des kulturellen Erbes ein. Die UNESCO ist interessiert an einer dauernden Verstärkung des internationalen Erfahrungsaustausches über die Rolle der Museen in der Gesellschaft. Ihr zweiter Schwerpunkt in der Museumsarbeit ist der Ausbildung von Museumsfachleuten in aller Welt gewidmet. Erfahrungen, die auf Symposien wie diesem gewonnen werden, können sehr gut Anregungen für andere Länder, besonders in der Dritten Welt, sein, ζ. B. zur Klärung der Frage, welche Aufgaben noch gelöst werden müssen, damit auch ihre Museen künftig über gut ausgebildetes Personal verfügen können. Die Deutsche UNESCO-Kommission hat die Bemühungen der UNESCO im Bereich der Museen von Anfang an unterstützt. Sie erwähnten, Herr Prof. Auer, eine Reihe von Seminaren, welche die Deutsche UNESCO-Kommission teils in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Nationalkomitee von ICOM organisiert hat oder die, wie dieses, vom Deutschen Nationalkomitee von ICOM in Zusammenarbeit mit der Deutschen UNESCO-Kommission durchgeführt wurden. In einem solchen Symposium dokumentiert sich einmal mehr die Möglichkeit der Zusammenarbeit einer nichtstaatlichen wissenschaftlichen Organisation und einer nationalen UNESCO-Kommission. Diese Art der Zusammenarbeit begrüße ich ganz ausserordentlich und hoffe, daß das Symposium wieder ein gutes Beispiel gemeinsamer Aktivitäten im UNESCO-Geist werden wird. Ich wünsche der Veranstaltung in diesem Sinne viel Erfolg.
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H E I N Z LADENDORF
Das Museum - Geschichte, Aufgaben, Probleme /. Sammeln Geschichte ist für jede entschlossene Gegenwart das, was hinter ihr liegt. Die bewußte Gegenwart will nichts mit der Geschichte zu schaffen haben. Geschichte, so argumentiert man, kann schon deshalb nichts mit der Gegenwart zu tun haben, weil sie nicht imstande gewesen ist, diese Gegenwart vorauszusehen. Wollte man sich so, wie es nicht selten versucht wird, von der Last der Geschichte befreien, so bliebe für die Gegenwart freilich nur eine sehr schmale Zone zwischen Geschichte und Zukunft. D a ein solcher Aktionsraum zwischen dem großen Felde der Geschichte und einer unbekannten Zukunft zu begrenzt erscheint, nimmt die Gegenwart die Zukunft mit für sich in Anspruch. J e weniger die Gegenwart von der Geschichte wissen will, desto mehr wird sie sich der Zukunft zu vergewissern versuchen: Die Futurologie als vermeintliche Wissenschaft wird für alle Hoffnungen eine Notwendigkeit. Von den Fesseln der Vergangenheit befreit, wünscht man die Zukunft an sich zu fesseln. Nur leider, die Gegenwart ist zugleich eine Zukunft der Vergangenheit, und die Geschichte ist eine Summe von versunkenen Gegenwartszeiten, die alle einmal auch Zukunft waren. Während die Gegenwart in den offenen Raum der Zukunft hinein zu wirken versucht, um ihn zu erobern und zu besetzen, wird sie kaum gewahr, wie sehr sie dabei der ständigen Veränderung unterliegt, die von der wachsenden Zeit stärker bestimmt ist, als daß sie sich bestimmen und festhalten ließe. Die Verachtung der Geschichte drückt sich, was das Museum angeht, schon im Wortgebrauch von museal und museumsreif aus. Man macht sich nicht bewußt, daß in solchen Bezeichnungen verwunderlicherweise ein unfreiwilliges Kompliment enthalten ist, das jene Werke betrifft, die es aus einem alten, nicht mehr in sich lebendigen Zusammenhang als aufhebenswert benennt. In der gegenwärtigen Kultur jedes Jahrzehnts erlebt man, daß sie sich zu einem Teile ihrer Gestalt auf Altes, Halbvergessenes bezieht. Auch in dem abgelaufenen Jahrzehnt der sechziger Jahre läßt sich dies in einer Renaissance des Jugendstils und in einer Wiederaufnahme des Spätbarock, ζ. B. in der Pop Art, beobachten. Die Auseinandersetzung mit dem, was früher war, stellt sich als ein ständiger Prozeß dar, der nicht nur alle Schichtungen der Geschichte durchwirkt, sondern auch die auf der Geschichte aufruhende Gegenwart vielfältig mit ihr verklammert. Deshalb erscheint es mehr als wahrschein14
lieh, daß in der wechselhaften Zeit mit vielem anderen zugleich auch das wieder zu Ehren kommt, von dem sich die Gegenwart abgestoßen hat. Während sie selbst in die Geschichte hineinsinkt, kann man sicher sein, daß sie von einer nächsten Gegenwart auch einmal wieder entdeckt wird. Der Lebensprozeß des Aussortierens, des Zurückstellens und Wiederaufgreifens ist ein immerwährender. Jede Gegenwart bestimmt die Vergangenheit insofern mit, als die Notwendigkeit, sich von dem zu befreien, was zu dicht, zu hinderlich zusammengewachsen ist, jeweils zu großen Zerstörungen führt, ja führen muß. Der Mangel an Respekt vor aller bisherigen Leistung mag zeitcharakteristisch sein. Doch ist einem solchen Akt der Selbstbefreiung auch eine große Verantwortung auferlegt, die unmöglich gänzlich geleugnet werden kann, ohne zur Selbstzerstörung zu führen. Die Verachtung der Geschichte und der Vergangenheit, von der man sich in die Zukunft hinein abzusetzen bestrebt ist, zeigt sich in den Argumenten. D a wird von der Trübsal des Magazins eines Landesmuseums, von Wirrwar und Rückständigkeit eines Heimatmuseums mehr geredet als von dem Gehalt der Sammlungen. Die Schonungslosigkeit, mit der die Gegenwart über die Vergangenheit den Stab bricht, entspricht der heimlichen Angst, daß die Kunst der Gegenwart einst auch dem Urteil der Zukunft ausgesetzt sein wird, daß auch sie durch das Sieb der Zeit gerüttelt werden wird. Die alte Kunst aber hat sich in der Vergangenheit schon vielen kritischen Gegenwartsepochen stellen müssen. Das, was übrigblieb, ist ein lichter gewordener, viel geprüfter Bruchteil des einst Vorhandenen. Der natürliche Übereifer der Gegenwartsbejahung vergißt nur allzu leicht, daß wir ohne die Vergangenheiten, die einen wesentlichen Teil des Bewußtseins des Menschen ausmachen, nicht leben können. Auch die gegenwärtigste Gegenwart wäre lebensunfähig ohne die Vergangenheiten, die ja auch einen Teil ihrer Gegenwart in die Zukunft vorausgetrieben haben. Große Bereiche unseres Lebens sind von den Werken und den Künstlern der Vergangenheit geformt. Die Vergangenheiten sind nicht abgeschnittene, verlassene Zeiten, sie sind ein wichtiger Teil der Gegenwart selbst. Die Mißbilligung der Gegenwart gilt jeweils besonders der jüngsten Vergangenheit, mit der sie doch auch im Protest und in der Verneinung verbunden bleibt. Jede Gegenwart bewältigt ihre Vergangenheit und verwandelt sie sich an, indem sie sie auf ein Volumen zurückschneidet, das nicht zu groß und nicht zu bedrängend sein darf, damit für das Neue genug Raum bleibt. Nimmt man das Wort Sammlung in seiner umfassenden schönen Bedeutung, so erkennt man, wie es mit allen Vorformen des Museums seit Tausenden von Jahren eine wesentliche Tätigkeit des Menschen bezeichnet. Sammeln bedeutet 15
sowohl die Aneignung von Vergangenheit wie das Festhalten der verfließenden Zeit. Sammeln kann eine produktive Leidenschaft sein oder ein beklagenswerter Ersatz für Teilnahme am Leben. Durch alle Zeiten aber ist Sammeln eine Form des Lebens, ohne die das Leben keine Beständigkeit haben kann. Jede Gegenwart muß einsehen, daß sie, ob sie will oder nicht, aus der Tiefe der Welt lebt, aus einem Zusammenhang. Der bemitleidenswürdige Hochmut der Bilderstürmer, ihre Gegenwart sei die Welt und ihr Neubeginn, ist noch jedesmal von der folgenden Zukunft belehrt worden. Von der bloßen, planen Gegenwart aus weiterzudenken führt nicht in die Zukunft, sondern nur in das Ausufern gegenwärtiger Wünsche, deren illusionären Charakter man sich nicht eingestehen will, weil man der tröstlichen Täuschung bedürftig ist. Auch eine neue Erkenntnis von heute ist nicht erst morgen eingebettet in zahllose ältere und neuere Denkergebnisse. Das jetzt oft so seltsam verstellte Problem des Museums in der Gegenwart ist das Verständnis des Museums aus der Tiefe der Geschichte als ein immerwährender Lebensprozeß. Die Bedeutung des Sammeins für den Zusammenhang der Kultur wurde früh damit erkannt, daß etwas als aufhebenswert befunden wurde. Alle weiteren Veränderungen haben dann die geschichtlichen Werke an den Kriterien von Dauer und Notwendigkeit immer wieder von neuem gemessen. Von hier aus läßt sich der logische Ort des Museums und die Bedeutung seiner gegenwärtigen Aufgaben näher bestimmen, zumal sich alle wichtigeren Begleiterscheinungen des Kunstlebens von heute auch in der Vergangenheit finden. Das Ausstellungswesen stand schon lange vor dem 19. Jahrhundert in Blüte, auch wenn es mit vergleichbaren Besucherziffern unter den früheren Bedingungen schon deshalb nicht aufwarten kann, weil nicht nur die Zahl der Anteilnehmenden kleiner war, sondern weil überhaupt die Zahl der in einer Zeit lebenden Menschen unvergleichlich geringer war. Wer in einem abschätzigen Sinne vom Warencharakter der Kunst spricht, vergißt mit einiger Absichtlichkeit, daß auch in anderen Zeiten das Kunstwerk seinen Preis hatte. Die natürliche Selbstbestätigung der Gegenwart hat das Mittel, alles, was sich schon früher gezeigt hat, abzuwerten, in einer seltsamen Perfektion ausgebildet. Bei einiger Überlegung zeigt sich doch wohl, daß die Tätigkeiten des Sammeins, Bewahrens, Ordnens und Aufarbeitens in einer den Bedürfnissen der Zeit gemäßen Weise stets die Aufgabe der Sammler und der Sammlungen gewesen sind. Die außerordentliche Zunahme an Wissenschaft, die seit der Mitte des 18. Jahrhunderts zu beobachten ist, hat die Liebe zur Kunst und die Kennerschaft der Sammler im 19. Jahrhundert zu einer Kunstwissenschaft weitergebildet, die schon in ihrem Namen als Kunstgeschichte die Macht der Geschichte erkennen 16
läßt. Sie ist mit ihrem geschichtlichen Tiefenraum auch um so mehr als ein Teil einer künftigen Anthropologie zu begreifen, als sich in neuerer Zeit das Bestreben zur Rückgewinnung des Weltverständnisses durch interdisziplinäre Forschung in ähnlicher Weise, wenn auch auf einer anderen Zeitebene des Verständnisses, äußert wie in der Kunst- und Wunderkammer, die einen kurzen Inbegriff der ganzen Welt geben wollte. Macht man sich klar, daß Sammeln immer das Bestreben hat, die durch Gestalt kostbaren Werke als Kunstwerke und als Gestaltzeugnisse der Vergangenheit aus der Vergänglichkeit zu retten, und daß diese Tätigkeit nicht nur für die eigene Gegenwart, sondern auch als Überliefern zumeist als eine Verpflichtung aufgefaßt worden ist, so kann es nicht schwer sein, gegen die Verteufelung der Kunst als vorgeblicher Vorgaukelung einer heilen Welt, als Rest einer Pseudosakralität und als Glaubensersatz anzugehen. Die ungemein große Rolle der alten Kunst in einer neuen Zeit läßt sich nicht auf die Dauer leugnen. In den Kunstwerken ist nicht nur existent, was schon geleistet und in eine Form gebracht wurde, sondern auch das, was von der neuen, lebenden Kunst weder geleistet wird, noch zu fordern ist. Kunstwerke der Vergangenheit sind nicht nur vor der Gegenwart gegenwartsbefördernd gewesen, sondern sie haben als menschliche Aussage Anteil an der Gegenwart. Ihr Dasein bewirkt die Vollständigkeit der Kultur in der Gegenwart. Das gestaltete, eine Wahrheit der Form und des Gehalts bergende Kunstwerk ist zugleich eine Frucht der Geschichte und ein mitlebender Teil der Kultur. Insofern findet in der Anverwandlung der Kunst und ihrer Werke auch eine Entzeitlichung statt. Die Bejahung der neuen Kunst hat stets einen emotionalen Überschuß des Selbstbestätigungswillens. Am Schicksal der alten Kunst durch die Zeiten wird deutlich, daß mit dem Zurücktreten des Aktualitätsakzents nur ein Teil von dem übrig bleibt, was als Kunst galt. Die Werke, die in einem überzeitlichen Sinne Form und Gehalt in sich vereinigen, sind auch den neuen Zeiten ein zu bewahrender Wert. II. Bewahren Die Formen der Welterfassung haben sich gewandelt. Der Jahrmarkt mit seinen Schaubuden, die die Merkwürdigkeiten der Welt vorwiesen, hat seine Bedeutung fast völlig eingebüßt, neuerdings haben die Ausstellungen einen Teil dieser Aufgaben übernommen. Der Wunsch, etwas von der Welt zu sehen, wird von ihnen in ständig wechselnder Aktualität der Darbietungen erfüllt. Ausstellung und Sammlung hängen zwar noch immer zusammen, aber die Bedeutung der Kunst hat eine bedenkliche Verzeitlichung erfahren. Die Dimensionen der als ver17
änderlich aufgefaßten Welterfassung sind in ständiger Zunahme begriffen. Die Forderung des Anteils aller am Kunstleben ist noch lange nicht erfüllt, sie wird sich auch nicht erfüllen lassen, da die Bedürfnisse der Menschen allzu verschieden sind. Schon können aber erstaunliche Besucherzahlen nicht nur für mehrere Museen, sondern auch riesige Erfolgsziffern für manche Ausstellungen genannt werden. In beiden Formen des Kunstlebens kommt die Welt der Kunst zum Betrachter, dem sie in einem optischen Zeitalter durch das Fernsehen gar ins Haus geliefert wird. Das Fernsehen als Konkurrenz des Museums und als passive Befriedigung der Schaulust wird freilich zur Zeit arg überschätzt. Seine Bedeutung als Mitteilung wird, entsprechend der des Rundfunks, bald wieder abebben. Bei der seltsamen Konkurrenzangst der Museen vor dem Fernsehen, die dazu geführt hat, es als eine vordringliche Aufgabe der Museen zu bezeichnen, im Fernsehen gut vertreten zu sein, wird allzusehr übersehen, daß auch eine aktive Form der Welterfahrung ein früher unvorstellbares Ausmaß erreicht hat. Eine sich selbst mißverstehende Richtung der Soziologie hat den Tourismus eines bloßen Prestigestrebens verdächtigt, der in Wahrheit ein Mittel der Bildung, Ausbildung und Weiterbildung geworden ist. Seine riesige und immer noch zunehmende Bedeutung ist nicht mehr zu leugnen. Hier kommt der Mensch zu einer neuen Welterfahrung an vielen, bisher kaum erreichbaren Orten: Eine große und immer noch steigende Zahl von Personen erwirbt sich in der staunenswerten Erweiterung des Reiseradius eine neue Weltkenntnis, auch über den europäischen Bereich hinaus. Allein in den beträchtlichen Auflageziffern der Reiseführer findet die Geringschätzung des Tourismus ein Gegenargument. Wer Touristen je aus der Nähe beobachten konnte, weiß, mit welchem Ernst oft Sehenswürdigkeiten und Denkmäler aufgesucht werden. Die Museen in der Ferne werden mit Aufmerksamkeit besichtigt, auch von denen, die in ihrem engeren Umkreis selten ins Museum gehen. Mit alledem hat jedes Museum zu rechnen, es muß den neuen Interessen und den neuen Darbietungsformen antworten können. Dies wird um so mehr zu einer großen und vielschichtigen Aufgabe, als überall das interdisziplinäre Moment der neuen Fragestellungen der Wissenschaft auch in die Volksbildung hineinreicht. Die noch nicht ausreichend systematisierte Verklammerung mit der Volkshochschule, mit Stadtbibliothek und Archiv, mit Schule, Fachschule und Universität, mit der Musikwelt und dem Theater zu einer neuen einheitlichen Ganzheit der Bildung bedarf noch vieler Anstrengungen. Manches ist immerhin erreicht, und wenn Bildung, Weiterbildung und Rehabilitation zu den Patienten der Krankenhäuser vordringt, in denen ein neues Personal, neue Bibliotheken und viele andere neue Hilfsmittel zu Gesundheit und Fähigkeit führen, wird 18
auch das Museum in einer neuen Elastizität den neuen Anforderungen antworten können. Das Museum als Bildungsstätte hat eine breite Konkurrenz erhalten, die um so eher zu einer Symbiose der Bildungsmittel führen kann, als ja auch in den fernen Gegenden, die in den Ferien aufgesucht werden, das Museum ein Hauptziel der Urlauber ist. Schon hierin drückt sich doch auch, unbewußt und bewußt, aus, daß der Bestand in der Anschauung Merkmale der Beständigkeit vermittelt, daß die Sammlung Wertvolles gesammelt hat, das für das Begreifen des Landes höchst wichtig ist. Die überall wachsenden Größenordnungen bringen neue Probleme mit sich. Der Ehrgeiz des New Wing, der den willigen Besucher in den weiten Laufgängen weiterer neuer Schauräume erschöpft, kann nicht die Hauptsache sein. Der Informationsstand und die Cafeteria, so notwendig sie sind, bezeichnen nur Einzelheiten einer Entwicklung, deren rasches Fortschreiten zu neuen Untersuchungen zwingt. Die großen Museen, die auch in der Gegenwart noch eine Vorstellung von der ganzen Welt geben und von daher ihren Weltruhm haben, der zum Besuche geradezu zwingt, können für andere Sammlungen nicht das Muster sein. Auch wenn eine erstaunliche Expansion des Wissens und der Bildung wie auch der Teilnehmerzahlen festzustellen ist, müssen die starken Disproportionen zurechtgerückt werden und darauf gedrungen werden, daß ein menschliches Maß eingehalten wird. Die Laufwege der Besucher, ihre Interessen, ihre Betrachtungszeiten, ihre Aufnahmefähigkeit im Verhältnis zur Zahl der ausgestellten Werke werden von neuem zu untersuchen sein und eher zu einer Verkleinerung als zu einer Vergrößerung der Schausammlungen Anlaß geben. Die äußeren und die inneren Bedingungen der Sammlungen verlangen nach einem neuen Gleichgewicht. Zur Größe der Schauräume steht die Bescheidenheit der Arbeitsinstrumente des Museums in den Werkstätten, Bibliotheken, Fototheken und Magazinen oft in einem schneidenden Gegensatz. Die gewiß vordringliche Öffentlichkeitsarbeit hat allzusehr das Bewußtsein zurückgedrängt, daß das Museum noch andere Aufgaben hat, deren Größenordnungen in einem raschlebigen Zeitalter ebenfalls in erschreckender Weise zugenommen haben. Das Museum muß seine Pflicht, zugleich das Sacharchiv der Dinge der Kultur zu sein, um so umfassender wahrnehmen, je schneller sich das Antlitz der Welt, unserer Städte, jeden Lebenszusammenhanges wandelt. Dabei müssen diese Sacharchive dem Interessierten auch zugänglich bleiben und zumindest ebenso benutzbar sein wie ein Archiv und eine numismatische Sammlung, bei denen die Schauräume ja nur einen kleinen Bruchteil des Bestandes ausmachen. Pflege und Bewahrung der Dinge der Kultur ist in größerem Maßstabe als je zuvor in der 19
Akzeleration der zivilisatorischen Veränderungen eine Hauptsorge der Museen als Sacharchive neben der Aufgabe, das besonders Wichtige zur Schau zu stellen. Das Paradox, daß nicht wenige Schauräume gepflegte Magazine sind, muß wieder umgekehrt werden, um neue Proportionen der vielfältigen Aufgaben der Museen zu erreichen. Es besteht ohnehin der begründete Verdacht, daß zuviel vom Kunstmuseum, zuwenig vom Stadtmuseum, von anderen Museen spezialisierter Art die Rede ist. Die Einheit, die das mißachtete Heimatmuseum noch hatte, läßt sich nicht mehr wiederherstellen. Dies zeigt sich in den durch ihre anwachsenden Größenordnungen auseinanderstrebenden und sich isolierenden Abteilungen der Landesmuseen. Es wird unvermeidlich sein, die Museen für Geschichte, für Technik und Verkehr und viele andere Lebensgebiete spezialisiert zu halten. Aber eine Verbund-Planung muß zur Charakterisierung und Individualisierung aller dieser verschiedenen Wissenszellen und Wissenschaftsquellen führen. Auf diese Weise wird sich auch eines Tages wieder die entsetzliche Lücke schließen lassen, die durch die Vernachläßigung der Naturkundesammlungen entstanden ist. Die Möglichkeit, den Menschen durch Anschauung zu einer Ganzheit zurückzuführen, bedarf eindringlicher Arbeit, auch für die Gebiete der Technik, ohne die das Zusammenleben einer so großen Zahl von Menschen unmöglich wäre. Das Programm, alle Menschen ins Museum zu zwingen, wird der Einsicht weichen müssen, daß angesichts der Expansion, ja Explosion der Wissenschaften und des Wissenswerten jeweils nur ein stellvertretender Teil der Bevölkerung am Museum Anteil nehmen kann. Andere Teile haben andere Bildungsgebiete wahrzunehmen, die von den Museen zur Zeit noch nicht zureichend repräsentiert werden. Der Bildungserfolg hängt nicht an der Zahl der Besucher, sondern muß an deren Bildungszugewinn gemessen werden. Die spezialisierten Museen, die in ihrer Art bezeichnenderweise durchaus erfolgreich sind, die Bibliotheken, Theater und Konzertgebäude und andere Bildungseinrichtungen mehr haben alle ihr besonderes Publikum. Aufnahmetätigkeit und Sehweise sind überall verschieden und nicht auf einen Nenner zu bringen. Das Stadtarchiv hat keinen reklamelauten Ehrgeiz, etwa aus Unsicherheit über die Bedeutung seiner Aufgaben, möglichst viel Publikum auf sich zu ziehen. Zu Ehren des Götzen Statistik möglichst viele Besucher ins Museum zu bringen, könnte sich als schädlich erweisen. So wie viele Werke der Dichtung im Schulunterricht durch Zwang lebensunwirksam geworden sind, darf nicht aus einem halberzwungenen Besuch der Museen die Ablehnung des Museums resultieren.
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111. Bilden Der Klage von der Überwucherung des Lebens durch die Geschichte kann das Bedenken von der Uberwucherung der Geschichte durch das Leben gegenübergestellt werden. Die Forderungen des Besuchers an das Museum, jetzt oft so lautstark vorgetragen, sind mit den notwendigen Forderungen des Museums und mit den allzu rasch beiseite geschobenen inneren Aufgaben des Museums ins Gleichgewicht zu bringen. So nutzbringend jede Hilfe ist, die das Museum seinen Besuchern bietet, so zeichnet sich doch auch schon die Gefahrengrenze ab, daß bloße obenauf liegende Information die eigene Anschauungsarbeit, in der sich ein Besucher das eine und andere Werk zuordnet und seinen Eindruck verarbeitet, zu vermindern beginnt. Wenn neuerdings das Museum aus falscher Verachtung als Warenhaus der Kunst bezeichnet worden ist, statt daß es für das Bewußtsein der Anteilnehmenden ein Schatzhaus der Kunstwerke wäre, so ist der Punkt erreicht, an dem man sich fragen muß, ob eine allzusehr sich vordrängende Information nicht ihr Ziel verfehlt und nicht eher zu einer coup-d'oeil-Flüchtigkeit führt als zu einer Vertiefung der Betrachtung. Es wäre vielleicht schon nötig, eher von Grund aus darauf zu verweisen, daß Weiterbildung und Freizeitnutzung Arbeit machen, statt daß man die Bequemlichkeit flüchtiger Auffassung fördert. In einer Zeit, die zahllose optische Reize darbietet, ist eine Augendiät wichtig; aus einem Überangebot folgt Abstumpfung. Form gibt Anregung zur Selbstveränderung in einem Lernprozeß. Dem Besucher soll nachhaltig zu sich selbst verholfen werden, nicht zu kurzer Beeindruckung, in der die Kunstwerke nur noch Ziffern im Raster eines allgemeinen Kulturfahrplanes sind. So wie Selbsterfahrung nur zu einem Teile mitteilbar ist, so kann die Übertragung von Erfahrung und Wissen nicht einmal eine gleichmäßige Kenntnis zur Kulturgeschichte erbringen. Die verschiedenen Stufungen der Aufnahmefähigkeit und der Zuordnungsmöglichkeiten müssen beachtet werden, sowohl für die verschiedenen Altersstufen, auch bei den Erwachsenen mit ihren vielverschiedenen Vorstellungen und Erfahrungen, wie auch für die so unterschiedliche Haltung der Generationen im Prozeß der Weiterbildung. Das Museum als theatrum mundi gibt die künstlerische Erfahrungswelt, die für den Betrachter zunächst eine ästhetische Wirklichkeit in seiner Gegenwart ist. Von dem Museumsbesucher differenzierende geschichtliche Kenntnisse zu erwarten und zu verlangen, würde ihn eher vom Bilde als bildendem Organismus abführen, als daß es ihn auf die Kunst hinführte. Die Gefahr zeichnet sich ab, daß ein lehrhafter Philologismus des 19. Jahrhunderts im Informationspapier eine Renaissance erlebt, die von den neuen Bemühungen durchaus nicht beabsichtigt ist. Es gibt viele Informationen zu den Abteilungen und zu den einzelnen Wer21
ken. Es gibt zu wenig Information, auf welche Weise der Besucher, getrost seiner eigenen Anschauung folgend, die ihm gemäßen allgemeinen Strukturen erfassen könne. Es ist nicht das Ziel des Museums, aus jedem Schaulustigen einen Kunsthistoriker zu machen. Die Bilderwelt ist nicht in erster Linie eine Spiegelung der gesellschaftlichen Verhältnisse verschiedener Zeiten. Für den Betrachter ist ein Bild zunächst nicht eine Illustration der Kulturgeschichte, deren Daten er lernen soll, sondern ein Bild. Das Glück der Unbefangenheit, vom Kunstwerk ergriffen und beeindruckt zu werden, sollte nicht durch ein stückweises Wissen ersetzt werden. Es wäre eher vom Wissenschaftler wiederzufinden, der nicht selten mit einigem Neide die Erfassung der Formqualität durch die illiterati beobachten kann. Selbstverständlich hat die voraussetzungslose Bildbetrachtung, so viele zuwenig beachtete Voraussetzungen sie auch haben mag, viele Gefahren in Irrtümern, Mißverständnissen und falschen Zuordnungen. Aber die Information ist auch ein sehr viel schwieriger zu handhabendes Bildungsinstrument, als es zur Zeit noch aufgefaßt wird. Es soll nicht nur Daten vermitteln, die als Einzelheiten des Wissens zur Gestalterfassung nicht so viel beitragen. Es soll Form und Gehalt der Kunst von dem her aufschließen, was der Betrachter als noch gültig, als eine noch wirkende Ganzheit auffaßt. Selbst das, was man als Schulung des Sehens bezeichnet, ist oft in Gefahr, die wirkende Ganzheit in ihre Bestandteile zu zerlegen und gegen die Formauffassungsart des einzelnen Betrachters ein bequemes Rezept zu werden. Die informativen Mitteilungen, die sich aus jeweiliger Aktualität rasch verändern, haben die Gefahr, den Gestaltcharakter des Bildes zu verdecken. Der Schatz der Anschauung bildet sich an den Kunstwerken weiter, die mögliche Hilfestellung darf sich nicht vordrängen. Der Besucher des Museums bringt seine Lebensform mit. Seine Weltkunde und seine Weltanschauung beziehen sich zunächst nicht auf geschichtliche Zusammenhänge, auch nicht auf Form, Farbe und Gehalt im einzelnen. Seine Bildungserwartung richtet sich auf Kunstwerke und ihre Wirkung. So wie jede Zeit das gesamte Wissen von sich her und auf sich hin ordnet, so wird der Betrachter von Kunst in einem Prozeß der Entzeitlichung des Kunstwerkes das herausarbeiten, was ihm selbst an diesem überzeitlich aufgefaßten Werke in sein Leben hinein überdauernd erscheint. Dabei können selbst Mißverständnisse produktiv sein, wie sich schon in der Beschäftigung der Dichtung mit dem Kunstwerk immer wieder erweist. Der Museumsbesucher kann nicht gleich alles lernen und alles verstehen. Eine allzu weite Bildung hat oft eine Abflachung des Verständnisses für das einzelne zur Folge; eine umfassende Bildung zu erreichen, bedarf einer so großen Arbeit, wie sie nur in seltenen Fällen verlangt, in sehr seltenen Fällen erreicht werden kann. Aus einem Angebot vieler sehr verschiedener Werke ist das auszuwählen und zuzuordnen, was der eigenen 22
Struktur gemäß ist. Die bildende Kunst selbst tut in allen Jahrhunderten nichts anderes. Im seelischen Leben des Individuums ergeben sich so Zusammenhänge, die über den bloßen Kontext der Zeiten und Schulen durchaus hinausgehen. Die Individualisierung der seelischen Verarbeitung von Erlebnissen ist wichtiger als die Generalisierung systematisch aufgefaßter geschichtlicher Zuordnungen. Auch wenn eine ständig anwachsende Bewußtheit in diesem Zeitalter ständig anwachsende Kenntnisse verlangt, auch wenn sich eine Vertiefung der Auffassung des Kunstwerkes in einer nächsten Phase der Beschäftigung mit ihm kaum anders als über zunehmende Kenntnisse erreichen läßt, zunächst und vor allem ist der Museumsbesucher ein Kunstliebhaber, der sich auswählend und vergleichend einen Schatz der Anschauung erwirbt, so wie von einem Konzertbesucher Musikgeschichte und die Fähigkeit, eine Partitur zu lesen, ja auch nicht vordringlich verlangt wird, so wie man sich in ein Gedicht, in einen Roman vertiefen kann, ohne daß die Kenntnis der Literaturgeschichte vorauszusetzen ist. Die Bildungsaufgabe des Museums ruht vor allem in den originalen Werken, nicht in den Vorstellungen der jeweiligen Zeitlichkeit, die jeweils sehr verschieden sind. Die Werke der Kunst beanspruchen den ganzen Menschen und seine ganze Seele. Nur von einer Bildungsfunktion der Kunst zu sprechen, sollte als überholt erkannt werden. Gegen den Funktionalisierungswahn ist die Ganzheit der Gestalt auch dann zu verteidigen, wenn einige Museumstypen, wie etwa das Kunstgewerbemuseum, mit wenigen Ausnahmen in einer Sackgasse älterer Entwicklungen steckengeblieben sind, statt das Schöne im täglichen Leben, das sich so sehr ausgebreitet hat, im Zusammenhang der angewandten Kunst sichtbar und bewußt zu machen. Die neuen Kunstgewerbemuseen haben die Möglichkeit, die Anschauung zu fördern und die eigene Initiative anzuregen, also einer ästhetischen Erziehung Raum zu bieten. Die neuen Völkerkundemuseen haben die Neugier und das Verlangen nach Weltübersicht für sich nutzbar gemacht und den alten, mürrischen Ernst der großen schwarzen Sammlungsschränke ausgeschaltet. Neue Schauräume und neue Vitrinen geben den Gegenständen aus allen Weltgegenden so viel von der eigenen neuen Ästhetik mit, daß sie gern gesehen werden. Kunst ist Pädagogik an sich, sie ist zunächst vor allem Seelenpflege und Psychotherapie. Ästhetik ist das gemeinsame Grenzgebiet auch aller jener Gebiete, die sich in den Museen darstellen, ob es sich um Kunst oder um Natur, um Technik oder Hygiene, um Biologie oder um die Umwelt handelt. Das Museum ist die Freistatt der Jetztzeit, die Heimat der Fremden, der Spaziergang der Urlauber, der Festraum der Stadt. Das Museum ist notwendig, um sich der Werke und ihres Zusammenhangs, um sich der Ganzheit und Schönheit
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der Welt trotz allem versichern zu können. Es ist der Ruheraum der Ergebnisse gesammelter, verdichteter Zeit. Die Bezweiflung des Museums ist der Protest jener, die für ihre Bedürfnisse andere Bildungsstätten benötigen. Die Verneinung des Museums ist das Entsetzen vor der Tiefe der Welt und ihrem umfassenden Reichtum. IV.
Verantworten
Die Kunde vom Museum, ob man sie nun Museologie, Museumskunde oder Museumswissenschaft nennt, ist, wie jede andere Wissenschaft auch, selbstverständlich ein internationales Problem. Die Schwierigkeit besteht darin, Internationalität der Fragen als Arbeit an der vielfältigen Verschiedenheit aufzufassen. Der Stand der Museumskunde mag in verschiedenen Ländern verschieden sein, die Auffassung vom Museum muß in allen Ländern so verschieden sein, wie die Länder selbst und ihre Museen. Diese Verschiedenheit ist eher als charakteristische Varietät zu fördern, als daß sie auf eine Ebene aktueller Forderungen abgenormt werden dürften. Die Angst, überall demnächst auf ein größeres oder kleineres „Hilton-Museum" zu treffen, hat sich zwar etwas gemindert, sie ist aber noch nicht geschwunden. Jede Sammlung ist das Ergebnis einer bestimmten museologischen Vorstellung. Diese kann veraltet oder hypermodern sein, die Hauptfrage nach dem Stand der Bemühungen gilt nicht der Jahreszahl. Es gibt Galerien des 18. Jahrhunderts, die für die Bildung aller folgenden Zeiten bis heute eine größere Bedeutung besitzen als andere des 20. Jahrhunderts; die Hauptfrage gilt der Bedeutung des Bestandes und der Zweckmäßigkeit seiner Darbietung. Der gegenwärtige Stand des Problemkreises ist nicht völlig überschaubar und allgemein bewußt. Es gibt kein Handbuch der Museumskunde aus neuerer Zeit, das den jetzigen Anforderungen gerecht würde. Alle Sparten des Museumswesens haben eine vielzügig verschiedene Entwicklung genommen. Zur Geschichte des Museumswesens sind auch in neuerer Zeit wichtige Beiträge geleistet worden. Auch die Geschichte der Kunstausstellung hat eine Darstellung erfahren. Für beide Gebiete fehlt es aber noch sehr an Ubersicht für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts und das 20. Jahrhundert. Mehrere Zeitschriften dienen der Museumswissenschaft, auch für besondere Zweige, ζ. B. die Restaurierung von Kunstwerken. Eine kaum mehr überschaubare Reihe kleinerer Zeitschriften dient dem Bericht über das Leben der einzelnen Sammlungen. Die Besprechung von Neuerscheinungen und die Bibliographie zur Museumskunde bedarf noch großer Anstrengungen. So viele neue Sammlungskataloge in den letzten Jahren erschienen sind, noch mehr bleiben zu wünschen. Der Verzeichnung von Ausstellungskatalogen haben sich mehrere Zeit24
Schriften zugewandt. Eine Übersicht über die Flut der einschlägigen Veröffentlichungen der Museen und zahlreicher anderer Einrichtungen ist freilich noch nicht erreicht. Die Schwierigkeit, daß sie im Tauschverkehr zwar von Museum zu Museum bekannt werden, von anderen Bibliotheken aber nicht selten nur mit Mühe erworben werden können, bedarf weiterer Überlegungen. Vieles Wichtige ist rasch vergriffen und auch in den Museumsbibliotheken nicht immer leicht aufzufinden. Die zugehörigen Katalogisierungsarbeiten erfordern viel Arbeit, die nicht überall geleistet werden kann. Es fehlt an regionalen Zentren der Ausstellungsdokumentation. Es ist nicht häufig, daß Ausstellungen durchfotografiert werden. Die Forschung hat Mühe, über die Angaben eines Kataloges hinaus zu den Werken selbst zurückzufinden. Entsprechendes gilt in allen Punkten für die riesigen Reihen der Publikationen des Kunstmarktes, dem bisher nur wenige Untersuchungen gewidmet worden sind. Die große Menge der Veröffentlichungen deutet auf eine überall gesteigerte Aktivität. Die Auswertung aller dieser Anstrengungen hat aber große Schwierigkeiten. Die Beschleunigung der Abfolge von Ausstellungen kann zu einer Art Kreislaufkollaps dieser wichtigen Darbietungsart führen. An manchen Orten ist bereits rückläufig eine Verlangsamung festzustellen und eine Konzentration auf besonders große Unternehmungen, deren Kosten nicht immer in einem gesunden Verhältnis zu den Mitteln stehen, die die Sammlungen im übrigen zur Verfügung haben. Im Streit der öffentlichen Einrichtungen um die Mittel müssen die Museen häufig zurückstehen. Von daher erklärt sich auch, daß die Statistik zum Fetisch der Museumsleistungen geworden ist. Dabei liegt es gerade bei diesen meist undifferenzierten Zählungen mit den museumswissenschaftlichen Gesichtspunkten völlig im argen. Auch die Beschauerforschung ist noch immer ein brachliegendes Feld, zur Zeit eher der Tummelplatz von Fragestellungen und Verfahrensweisen, die mit der Sache selbst recht wenig zu tun haben. Das Museum ist kein Medium, sondern eine Sammlung, ein Bestand. Meinungsumfragen zielen oft daneben, da ihre Fragebogen wegen sachfremder Anmutungen falsche Antworten erhalten. Unklarheiten treten auf, weil sich das eigentliche Ergebnis eines Museumsbesuches ebensowenig wie das eines Konzertbesuches in gebrauchsfertige Sätze fassen läßt. Die Prozesse, die hier ablaufen, bedürfen noch lange der geduldigen Beschreibung und Analyse von Kunsthistorikern und Psychologen. Andere Wissenschaften können aus dem kargen Material herausgeforderter und schon deshalb mehr oder weniger zufälliger Äußerungen noch keine sachentsprechenden Schlüsse ziehen. Beschauerforschung sollte im Museum selbst stattfinden, in der Ermittlung von Betrachtungszeiten, in der lehrreichen Beobachtung des eigentümlichen Zwanges, 25
den gesamten Laufweg im Museum abzugehen, in der Proportion der beachteten Werke im Verhältnis zu der Zahl der ausgestellten. Aus solchen einfachen Studien sachbezogener Museumskunde ließen sich folgenreiche Schlüsse ziehen, nicht minder, wenn einmal ein Museum auf den segensreichen Einfall käme, für die Beschriftung des Museumsgutes den Rat eines Augenarztes einzuholen. Der Behauptung vom Zustand völliger Hilflosigkeit des Besuchers, der vor allen Dingen der Information bedürfe, wurde bereits widersprochen. Es ist erwiesenermaßen unmöglich, alle Angaben einer ausdrucks- und bedeutungsgesättigten Form, die das Kunstwerk selbst gibt, auszustudieren und in einen lesbaren Text zu fassen. Die Sammlungskataloge nehmen auch auf den Besucher, dem sie angeboten werden, verblüffend selten wirklich Rücksicht, die Ausstellungskataloge nicht minder. Beide sind oft breit mit Materialien belastet, die nur in den Karteien des Museums selbst benötigt werden. Monumentale Ausstellungskataloge geben sich als Lebenshilfe für den Besucher, ohne danach zu fragen, wer ein mehr als ein Pfund schweres, großes, kaum zu handhabendes Buch durch die Räume tragen will und was man mit einem Taschenbuch anfangen soll, das in keine Tasche paßt. Die Museumspädagogik steht erst in den Anfängen und bietet viele ungelöste Probleme schon deshalb, weil auch die museumswissenschaftlichen Vorarbeiten fehlen. Für die Vorbildung von Museumspädagogen wie für ihre Praxis stehen die Regelungen der Laufbahn noch aus. Sie festzulegen wird sehr schwierig sein, da sich an mehreren Orten abzeichnet, daß ein Teil dieser Kräfte nach einigen Dienstjahren in die wissenschaftliche Arbeit der Museen zurückstrebt. Wieviel das allerorten beliebte und anwachsende Modellieren, Malen und Zeichnen von Kindern im Museum eigentlich für die spätere Beschäftigung mit Kunstwerken erbringt, läßt sich noch nicht absehen. An einigen Ausstellungen der Ergebnisse kann man ablesen, daß das Eingehen auf die in sich sehr auffassungsverschiedenen Altersstufen noch nicht völlig gelingt. Zunächst ist jedenfalls eine solche Möglichkeit zu musischer Betätigung von hohem Wert, da die Zahl der Stunden in den musischen Fächern in der Schule zur Zeit zu stark von den Wissens- und Lernfächern beschnitten wird. Es ist kaum möglich, die zahlreichen Aufgaben des Museums sonst, die in der Museumskunde zu behandeln und durchzuprüfen sind, auch nur aufzuzählen. Im ganzen läßt sich erkennen, daß den Wiederherstellungs- und Pflegearbeiten mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird als je zuvor und daß die Tendenz zu wissenschaftlichen Untersuchungen auf diesem Gebiet immer stärker wird. Der rasche Anstieg der Öffentlichkeitsarbeit hat viele neue Möglichkeiten aufgezeigt, mit denen die zugehörige wissenschaftliche Behandlung ihrer Themen noch nicht Schritt halten kann. Ein gewisses Übergewicht der Arbeit nach außen, befördert durch die sehr großen Anstrengungen für Ausstellungen und durch eine 26
stark angestiegene Verwaltungsarbeit läßt die überforderten Museumskräfte weniger zu wissenschaftlicher Arbeit kommen als früher. Aus dem auferlegten Quantum der täglichen dienstlichen Arbeit erklärt es sich auch, daß die verheißungsvollen Ansätze, mit der Museumswissenschaft einen weiterführenden Beitrag zur allgemeinen Kunstgeschichte und Kunstwissenschaft zu leisten, noch nicht sehr weit gediehen sind. Die allenthalben notwendige Aufarbeitung der Verluste des letzten Krieges ist noch nicht durchgeführt. Zu Kunstdiebstahl und Fälschung bestand in früheren Jahrzehnten mehr Ubersicht als heute unter den Bedingungen rasch anwachsender Größenordnungen, die solche Untersuchungen desto notwendiger machen. Der Ansatz, über die Ikonographie hinaus den Anteil der Kunstformen und Gehalte an den verschiedenen Lebensgebieten und Lebensbereichen näher zu bestimmen, der sich in einigen Ausstellungen gezeigt hat, bedarf noch weiterer Bearbeitung. In einer neuen Schichtenlehre wäre das Verhältnis von Volkskunst und Kunst, von führenden, gängigen und absinkenden Kunstformen im Verhältnis zur Stilentwicklung weiter zu untersuchen, ehe hier allzu einfache und enge Denkschemata großen Schaden anrichten. Wenn das Interesse an der Kunst der Naiven, die doch alles andere als naiv sind, in den letzten Jahren so auffällig groß gewesen ist, so müßte dies doch auch zu einer Untersuchung führen, welchen Ort diese Kunstübung zwischen Staatskunst und freier Kunst einerseits, zwischen Kunstmarktinteressen und Publikumsinteressen andererseits hat. Von der Museumskunde aus sind in den letzten Jahren viele wichtige Bildermonographien erarbeitet worden. Die Museen älterer Kunst haben darüber hinaus mancherlei Anlaß, der Bedeutung der alten Kunst in der jeweiligen Gegenwart nachzugehen. Den Museen für neuere Kunst drängt es sich in einem von Fotos und Filmen, von Reklame und Fernsehen, von Signalen der Verkehrswelt und von Zeichen der Statistik erfüllten optischen Zeitalter auf, an einer allgemeinen Bildwissenschaft als einer dringlichen Fortsetzung der Kunstwissenschaft mitzuarbeiten. Die Forderung eines Kontaktstudiums gilt nicht nur für Gebiete wie Chemie oder Biologie, in denen der Wissenschaftsfortschritt dazu zwingt, die vor einem oder zwei Jahrzehnten erworbenen Kenntnisse und methodischen Möglichkeiten durch eine neue zwischengeschaltete Studienzeit zu erweitern. Sie gilt in hohem Maße auch für die Geisteswissenschaften und für die Berufe insbesondere, bei denen Wissenschaft und Praxis so ineinander verschichtet sind, wie bei denen, die dem Museum dienen. Denn das Museum hat kontinuierliche wissenschaftliche Arbeit für den Bestand und die sich daraus ergebenden Fragen zur Voraussetzung. Das Museum ist in so hohem Maße Forschungseinrichtung und 27
Forschungspotential für die verschiedensten Wissenschaftsbereiche, daß es sehr zu beklagen ist, daß dieser Gesichtspunkt in der allgemeinen Öffentlichkeitsarbeit eine viel zu geringe Rolle spielt. Die Linien einer künftigen Entwicklung sind noch nicht zu erkennen; allgemeine, wenn auch noch blasse Anzeichen führen zu der Prognose, daß die spezialistische Isolierung in Verbundplanung und interdisziplinäre Symbiose münden wird, um die sich steigernden Anforderungen bewältigen zu können. Vor allem muß es gelingen, den Museumskräften jene Muße und Freiheit der Entscheidung zu sichern, die für jede Erwerbung eines Werkes notwendig sind, mit der sich die Struktur der Sammlung um ein wesentliches Stück verändert, die also ein hohes Maß an Verantwortung erfordert. Alle Mühe in allen Zweigen der Museumskunde wäre freilich vergeblich, wenn sie nicht stets von der Hauptsache des Museumswesens ausgeht: de l'amour de Part.
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KARL O T T O MEYER
Die historische Entwicklung zum heutigen naturkundlichen Museum Wann und auch wie sich naturwissenschaftlicher Erkenntnisdrang und naturwissenschaftliche Entdeckerfreude erstmals paarten mit der Freude am Besitz von Naturalien und mit dem Bedürfnis, Beweisstücke für einmal Erkanntes aufzubewahren, wird vermutlich niemals ganz genau zu ermitteln sein. Sicherlich wird man in vielen Epochen der menschlichen Geschichte Ansätze zu Sammlungen feststellen können. Aber erst als sich in der Renaissance das Interesse auch für alle diejenigen Dinge entwickeln konnte, die sich vorher einer anderen, scheinbar unumstößlichen Ordnung unterwerfen mußten, kam es an den weltlichen und an den kirchlichen Fürstenhäusern zur Entfaltung derjenigen Institution, die wir heute „Museum" nennen. Besonders bekannt geworden als Förderer von Kunst und Wissenschaft ist in der ersten Entwicklungsphase unserer Museen Kaiser Rudolf II. (1576-1612). Er ließ sich 1587 vor den Toren von Wien ein Schloß zusammen mit einer Menagerie und einem Naturalienkabinett bauen und soll, wie ein in der Wiener Hofbibliothek aufbewahrtes Gemälde aus seinem Besitz zeigt, sogar ein lebendes Exemplar der schon im 17. Jahrhundert auf Mauritius ausgestorbenen flugunfähigen Dronte besessen haben. Die weltlichen Fürsten, ζ. B. von Bayern, von Braunschweig, Sachsen und Württemberg gründeten später ebenfalls Naturalienkabinette und legten damit den Grundstein zu auch heute noch bedeutenden naturkundlichen Museen in Deutschland. In der Zeit der überseeischen Entdekkungen erhielten diese Museen reichen Zuwachs an Mineralien, Gesteinen, Vögeln, Fellen und Pflanzen. Aber die deutschen Museen standen zwangsläufig in ihren Zugängen etwas zurück hinter den Museen der Nationen, die in Übersee politisch und wirtschaftlich stärker als die deutschen Fürstentümer engagiert waren. Im 19. Jahrhundert legten auch die Senate und Räte großer Städte N a turaliensammlungen an. Von den Privatsammlungen, die im 19. Jahrhundert ihre Blütezeit hatten, sei hier das schon aus der Zeit von 1670 bis 1840 bekannte „Lincksche Naturalien- und Kunstkabinett" in Leipzig, das zum Teil 1840 in den Besitz des fürstlichen Naturalienkabinetts in Waldenburg/Sachsen überging, erwähnt. Auch das „Teyler's Museum" in Haarlem, das durch eine Stiftung von Pieter Teyler van der Hülst am 8. April 1778 für die Kunst und die Wissenschaften eröffnet wurde und viele berühmte Fossilien beherbergt (u. a. das Original von Scheuchzers 1726 beschriebenem Homo diluvii testis et theoskopus), mag hier genauso genannt werden wie ζ. B. das 1817 gegründete Naturmu29
seum Senckenberg in Frankfurt am Main und das Museum des Hamburger Kaufmanns Johann Cesar VI. Godeffroy, das 1886 mit seinen zoologischen Teilen in den Besitz des Naturhistorischen Museums H a m b u r g gelangte. Die privaten, die städtischen und die fürstlichen Sammlungen des 16. bis 19. Jahrhunderts bildeten mit ihren Studienobjekten die Grundlage f ü r die ersten wissenschaftlichen Beschreibungen unbelebter und auch belebter N a t u r f o r men. Die großen Folianten in unseren Bibliotheken geben noch heute Auskunft über diese erste Erfassung aller Naturalien, die zu damaliger Zeit bekannt waren und in den Museen aufgehoben wurden. Die in den Naturalienkabinetten zusammengetragenen Sammlungen wurden jedoch nicht öffentlich gezeigt. Zu ihnen hatten nur wenige Auserwählte Zugang. Es war daher schon etwas ganz Besonderes und etwas absolut Neues, als König Ludwig XV. von Frankreich 1750 bekanntgeben ließ, daß fortan ein Teil seiner Sammlungen in einigen Räumen des Palais du Luxembourg an zwei Wochentagen für jedermann zu besichtigen sei. N e u n Jahre später eröffnete dann das British Museum seine Pforten: Die Entwicklung des öffentlichen Schaumuseums nahm ihren Lauf. Studiensammlung, Lehrsammlung und Schausammlung wurden zwar zunächst noch nicht voneinander unterschieden oder gar getrennt behandelt. Und doch läßt sich f ü r alle drei Sammlungsformen eines naturkundlichen Museums eine eigene Entwicklung aufzeichnen. Die Methodik der Konservierung, die Art der Aufbewahrung von Studienobjekten, die Auswahl der Naturalien f ü r eine Lehrsammlung und vor allem der Stil der Museumsausstellungen unterlagen starken Wandlungen. Renaissance, Klassizismus, Romantik, „Gründerzeit" und reale Sachlichkeit des 20. Jahrhunderts beeinflußten nicht nur Form und Aussage der Schauabteilungen, sondern bestimmten auch das Sammel- und Forschungsprogramm der Naturkundemuseen. Als Beispiel sei hier der Einfluß der Erkenntnisse von Darwin genannt, die von Haeckel modifiziert und dann im „Phyletischen Museum" der Universität Jena zur Anschauung gebracht wurden. Heute geben alle Naturkundemuseen in ihren Schausammlungen oder in der Form von Wechselausstellungen Auskunft über das Darwin-Haeckelsche Gedankengut. Als Folge einer zweiten großen Bestandsaufnahme aller vorzeitlichen und auch heute auf der Erde lebenden Organismen wurden in der zweiten H ä l f t e des 19. Jahrhunderts viele unserer heute bestehenden Museen gegründet. Der Wunsch dieser Neugründungen, sich genauso wie die älteren Museen erdumspannend an der Bestandsaufnahme zu beteiligen und ihr Sammel- und Forschungsprogramm entsprechend aufrechtzuerhalten, gelang nur ganz wenigen. Zwingend kam es daher, bedingt auch durch politische Umstrukturierungen und die damit verbundene Änderung der zentralen Funktion einiger großer Städte, zu einer sinnvollen Aufgabenteilung unter den Museen. Landschaftsbezogene Forschungsmuseen, zu denen die Landesmuseen genauso zu zählen sind wie die Heimat30
museen, entwickelten sich und erfüllen seither eine unersetzliche, in Zukunft sicherlich noch an Bedeutung wachsende Aufgabe im Gesamtgefüge unserer Museen. Die naturwissenschaftliche Heimatkunde fand in den Heimatmuseen insbesondere durch die Mitarbeit der geographisch-naturkundlich interessierten Lehrerschaft eine Pflegestätte. Landschaftspflege, Natur- und Umweltschutz erhalten durch die Materialien und durch die Forschungsergebnisse dieser landschaftsbezogenen Museen oftmals erst die Grundlage zu ihrer Beurteilung und zu ihrer sinnvollen Durchführung. Ohne die natürlich gewachsene Zusammensetzung der Flora und Fauna zu kennen und ohne das geologisch bedingte Relief der Landschaft beurteilen zu können, wird Landschaftspflege, werden Umwelt- und Lebensschutz Stückwerk bleiben. Neben dem Naturalien- und Datenarchiv eines Museums wird dann auch das Schaumuseum unserer Zeit die Inhalte und die Erkenntnisse über weltbezogene und landschaftsbezogene Probleme der vom Menschen in die Verteidigung gedrängten Natur zeigen müssen. Ausgehend von der ersten Entwicklungsphase eines Curiositäten-Cabinetts des 17. Jahrhunderts und nach der Phase des Schauarchivs im 18. und 19. Jahrhundert stehen die Naturkundemuseen heute vor der Aufgabe, nicht nur Fachwissenschaft zu betreiben, sich nicht nur an der weltweiten 3. Bestandsaufnahme zu beteiligen und in Wort und Schrift die erarbeiteten Erkenntnisse zu verkünden, nicht nur Zusammenhänge zwischen planhaft gestalteter und einem Wandel unterworfener Natur in der Schausammlung zu zeigen, sondern auch in wechselnden Ausstellungen einen Beitrag zu leisten zur Beurteilung und zum allgemeinen Verständnis unserer gefährdeten Umwelt. Möge diese Aufgabe unseren heutigen Naturkundemuseen gelingen!
Auswahl weiterführender
Schriften:
BOETTGER, C. R . : Entstehung und Werdegang des 200-jährigen Staatl. Naturhistorischen Museums zu Braunschweig. Braunschweig (E. Appelhans & Co.) 1954. KUNKEL, C.: Die deutschen Museen - heute. In: Museumskunde, 30 (3), 125-137. Berlin (W. de Gruyter & Co.) 1961. PLATE, L.: Rede zur Einweihung des Erweiterungsbaues des zoologischen Instituts und zur Eröffnung des phyletischen Museums der Universität Jena. In: Naturwiss. W o chenschrift, N . F., 11 (30), 1 - 1 6 . Jena (G. Fischer) 1912. REGTEREN ALTENA, C. O. van: Verleden en Heden van het Palaeontologisch Kabinet van Teyler's Museum te Haarlem. In: Vakblad voor Biologen, 37 (10), 149-156. Leiden 1957. SCHÄFER, W . : Museen im Leben unserer Zeit. In: Museumskunde, 34 (3), 131-144. Berlin (W. de Gruyter & Co.) 1965.
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FRIEDRICH KLEMM
Die historische Entwicklung zum heutigen technischen Museum Von den Schatzkammern der Antike und des Spätmittelalters abgesehen, liegt ja der Anfang der eigentlichen Museen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Die der manieristischen Geistigkeit dieser Zeit eigene Vorliebe für das Kuriose und Monströse, für das Seltsame und Ungewöhnliche führte zu jenen Kunst- und Naturalienkammern, in denen meist ganz unsystematisch Gegenstände des künstlerischen, kunstgewerblichen, mechanischen und technischen Schaffens, also Gegenstände aus den Bereichen der „ars" im weitesten Sinne, sowie merkwürdige Objekte aus den drei Naturreichen, den regni fossilium, plantarum et animalium, vereint waren. Die fürstlichen Sammlungen zu Ambras bei Innsbruck, München, Wien, Dresden, Prag oder Berlin wären hier anzuführen, Sammlungen, die in bunter Fülle neben Naturalien, Gemälden, Stichen, Plastiken, Münzen, kunstgewerblichen Gegenständen eben auch mathematische Instrumente, Werkzeuge und Maschinenmodelle enthielten. Johann Friedrich von Uffenbach, Bruder des durch seine Reiseberichte bekannten Conrad Zacharias von Uffenbach, besuchte 1728 das Kasseler Kunsthaus und sah solcherlei Maschinenmodelle des 16. Jahrhunderts, bei deren Konstruktion weniger der Gesichtspunkt des Nutzens als die Freude am verwegenen kinematischen Spiel möglichst komplizierter Mechanismen maßgebend gewesen war. Uffenbach wurde an die exorbitanten Maschinenentwürfe im Maschinenbuch A. Ramellis von 1588 erinnert, einem Werk, das ich als typisches Dokument manieristischer Technik bezeichnen möchte. Das 17. Jahrhundert, die Zeit der großen rationalen Systeme, zugleich aber auch eine Epoche des aufsteigenden Empirismus und, wirtschaftlich betrachtet, des beginnenden Merkantilismus, sah bei Francis Bacon, Descartes und Leibniz die ersten Projekte für rein technische Museen. Leibniz trat 1669/70 ein für ein „Seminarum artificum und Officina, Niederlage und Stapelstadt experimentorum et inventionum", um „die ingenia der Teutschen aufzumuntern". Zu einer wirklichen Sammlung technischer und physikalischer Gegenstände kam es im Rahmen der wirtschaftsnützlichen Bestrebungen an der 1666 von Colbert begründeten Pariser Akademie. Die Belebung der experimentellen Forschung zeitigte im 17. Jahrhundert auch zwei englische Sammlungen, das Ashmolian Museum in Oxford und das Instrumentenkabinett der Royal Society in London. Das Museum des 18. Jahrhunderts war ganz allgemein stärker von wissenschaftlichem Geist erfüllt als die auf das Kuriose und auf bloße Schau eingestellten 32
Sammlungen der zweiten Hälfte des 16. und der ersten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts. Man begann, die komplexen Kunst- und Naturalienkammern in Einzelmuseen aufzugliedern. So wurde in der Mitte des 18. Jahrhunderts, um nur ein Beispiel zu nennen, in Dresden unter Kurfürst August dem Starken, ein selbständiges Kabinett für mathematische und mechanische Instrumente und Apparate, der „Mathematisch-physikalische Salon" begründet. Man ging auch daran, Sammlungsschätze wissenschaftlich zu bearbeiten. Die Systematisierung trat seit 1775 in den Vordergrund. Teils in kameralistischem, teils bereits - wenn wir an England denken - in liberalistischem Geist kam man in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, um Gewerbe und Manufakturen zu fördern, zur Anlage von Sammlungen für nützliche Maschinenmodelle. Das Repositorium von Maschinen und Modellen der englischen „Society of Arts" ist hier zu nennen. Durch diese Bestrebungen wurde die junge Bayerische Akademie in München angeregt, ein „Polytechnisches Kabinett" zu schaffen. Das 18. Jahrhundert sah noch das erste große technische Museum entstehen, an das alle späteren anknüpften - das durch ein Dekret von 1794 begründete „Conservatoire des Arts et Metiers" in Paris. Dieses Museum, als eine Sammlung von Maschinen, Modellen, Werkzeugen, Zeichnungen und Büchern über die Künste und Handwerke, war sowohl von den Ideen Descartes', die eine technische Sammlung mitsamt technischer Schule ins Auge faßten, wie auch von den Gedanken der Enzyklopädisten, die ganz allgemein technisches Wissen zu verbreiten suchten, wesentlich beeinflußt. Diese Bestrebungen einer Aufklärung weiter Kreise im technischen Bereich, wurden vor allem auch durch die Französische Revolution gefördert. Das Conservatoire wurde aus verschiedenen Quellen gespeist; wir führen nur an: die Sammlung von Maschinen, Instrumenten, Werkzeugen und Modellen des namhaften Mechanikers Jacques de Vaucanson und das schon erwähnte Maschinen-, Modell- und Instrumentenkabinett der Pariser Akademie. Seit 1806 wurde das Conservatoire dem technischen Unterricht dienstbar gemacht, zunächst dem mittleren, später auch dem höheren. Dabei bestand aber wohl zwischen Unterrichtsgegenständen und Museumsobjekten kaum ein unmittelbarer Kontakt. Das 19. Jahrhundert brachte eine weitere Spezialisierung und Verwissenschaftlichung im Museumsbereich. So löste man ζ. B. aus dem Dresdener NaturalienKabinett 1857 die Mineralien-Sammlung heraus. Spezielle technische Lehrsammlungen wurden mit der Errichtung polytechnischer Schulen und mit dem aufsteigenden Industriewesen etabliert, so 1806 das der Wirtschaftsförderung dienende Fabriksprodukten-Kabinett in Wien, das 1815 zum Polytechnischen Institut kam, dann 1817 die Altmüttersche Werkzeugsammlung an dem eben genannten Polytechnischen Institut, weiter 1822 eine öffentliche Modellsammlung 33
in München, die auch die mechanischen Modelle der Bayerischen Akademie zugesprochen erhielt und die dann an die neugegründete Münchner Polytechnische Schule kam, und schließlich die technologischen Sammlungen, die K . Karmarsch seit 1830 an der Höheren Gewerbeschule zu Hannover aufbaute. In diese Richtung gehören auch die seit 1850 in den deutschen Ländern entstandenen Gewerbemuseen, die immer auch neben Musterleistungen der Zeit historische Stücke zeigten. In direktem Anschluß an die große Londoner Weltausstellung von 1851 wurde in London das South Kensington Museum gegründet, das in erster Linie Kunst und Kunstgewerbe, zum Teil aber auch das naturwissenschaftliche und technisch-industrielle Gebiet pflegte. Die naturwissenschaftlich-technische Sektion wurde 1909 ein selbständiges Museum; es erhielt später den Namen „Science Museum". Bedeutsame Stücke aus den Gebieten der Astronomie, Physik und Chemie gelangten anläßlich der 1876 veranstalteten Londoner Ausstellung alter und neuer wissenschaftlicher Apparate in die Sammlung. Auch das von dem Superintendenten der Patentspezifikationen B. Woodcroft zusammengebrachte, geschichtlichen und didaktischen Zwecken dienende Patentamtsmuseum, das Maschinenmodelle und Instrumente, darunter auch die Modelle des Repositoriums der Society of Arts enthielt, wurde dem naturwissenschaftlich-technischen Museum zu South Kensington einverleibt, allerdings erst 1883. Woodcroft war bei der Anlage des Patentamtsmuseums von den Plänen Francis Bacons beeinflußt worden, der 1627 in seiner Utopie „New Atlantis" hervorragende Erfindungen und die Bildsäulen bedeutender Erfinder aufzustellen vorschlug. Und Woodcroft legte zudem eine Sammlung von Porträts von Erfindern und Entdeckern an, auch hierin Bacon folgend. Hervorzuheben sind noch Woodcrofts erfolgreiche Bemühungen, historisch wichtige Originalmaschinen aus der Zeit der beginnenden Industrialisierung zu beschaffen. So rettete er mancherlei Zeugen alten Ingenieurschaffens vor dem Verfall. Die Londoner, heute Science Museum geheißenen Sammlungen mit der Fülle hervorragender Originalapparate und -maschinen wurden zu einem Spiegelbild der imposanten Entwicklung der materiellen Kultur Englands, besonders in der Zeit der Industrialisierung. Neben historischen wurden hier aber auch didaktische Gesichtspunkte berücksichtigt. In Amerika ging das heutige „Museum for History and Technology" in Washington ähnliche Wege wie das Science Museum. Von Paris und London angeregt, aber zugleich auch eigene Gedanken realisierend, gründete der Ingenieur Oskar von Miller 1903 das Münchener Deutsche Museum. Naturwissenschaften, Technik und Industrie waren seit 1870 in Deutschland mächtig emporgestiegen und begannen, das Gesicht der Zeit wesentlich mitzuprägen. Noch war Gelegenheit, alte Zeugen der technischen Entwicklung zu erwerben, bevor sie in einer ganz dem Fortschritt zugewandten 34
Zeit vielleicht vernichtet wurden. Gegenüber dem Ahn aller großen technischen Museen, dem Pariser „Conservatoire", als einer wohlgeordneten Schatzkammer, bemühte sich das über hundert Jahre später gegründete Deutsche Museum, in etwas anderer Weise in die Welt der technischen Gebilde und Verfahren einzuführen: indem es sich neben den Ehrfurcht einflößenden Originalstücken und den neueren Apparaten und Maschinen besonderer didaktischer Mittel bediente, wie geeigneter Vorrichtungen, die vom Besucher selbst in Betrieb gesetzt werden können, wie geschnittener Apparate und Maschinen, welche die Wirkungsweise klarer vor Augen führen, wie anschaulicher Dioramen, die den Menschen in Verbindung mit der Maschine zeigen und die ein ganzes Arbeitsmilieu darstellen, wie erklärender Zeichnungen und eindringlicher Beschriftungen, die auch die allgemeine Situation kenntlich machen, die gerade zu dieser Erfindung in dieser bestimmten Form führte. Das Deutsche Museum will die Entwicklung der Technik tunlichst bis in die neueste Zeit verfolgen. Indem es auch die exakten Naturwissenschaften mit in sein Aufgabengebiet einbezieht, soll ein gewisses Maß wissenschaftlicher Grundlagen, wie sie für das Verständnis der technischen Vorrichtungen und Verfahren wenigstens zum Teil recht wesentlich sind, vermittelt werden. Das Wiener Technische Museum, für das man 1908 den Grundstein legte, nahm zum Teil die museologischen Grundsätze des Deutschen Museums auf. Beide Museen, Schöpfungen des Beginns des 20. Jahrhunderts, über den ich unsere Betrachtungen nicht hinausführen will, waren bestrebt, Methoden wirksamer werden zu lassen, durch die der Museumsgegenstand den Betrachter geistig einfängt und in lebendiger Weise anspricht. Sie wollen lebendige Lehr- und Bildungsstätten für breite Kreise sein. So führt der Weg der technischen Museen von den fürstlichen Raritätenkabinetten der manieristischen Zeit zwischen Renaissance und Barock über die aus merkantilistischer Wurzel im 17. Jahrhundert erwachsenen Sammlungen von Maschinenmodellen dann im 18. Jahrhundert weiter zu den aus komplexen Kunst- und Naturalienkammern herausgelösten, mehr wissenschaftlichen Instrumenten· und Apparatekabinetten und dem aus dem Geiste der Aufklärung erwachsenen ersten großen Schatzhaus technischer Vorrichtungen, dem Conservatoire zu Paris. Er führt im 19. Jahrhundert zu den Lehrsammlungen polytechnischer Schulen und zu der großen Londoner, später Science Museum genannten Sammlung von Apparaten und Maschinen vornehmlich aus der Zeit der technischen und industriellen Revolution Englands und weiter bis ins beginnende 20. Jahrhundert zur Gründung des Münchener Museums, das als dynamische Lehr- und Bildungsstätte sowohl der Vergangenheit als auch der Gegenwartssituation der exakten Naturwissenschaften und der Technik gewidmet ist.
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HERMANN A U E R
Museumsprobleme der Gegenwart - Naturwissenschaftliche Museen Wenn mir die Aufgabe gestellt ist, über Museumsprobleme der Gegenwart zu berichten, wenn anderseits das Thema des heutigen Tages einen Überblick über den Gesamtbereich Museologie geben soll und wenn schließlich nach der Anlage des Symposiums die Referate kurze, konzentrierte Darstellungen mit der Leitlinie „Gegenwart-Zukunft-Wissenschaft" sein sollen, so sind dies drei Bedingungen, die nur schwer gleichzeitig erfüllbar sind. Das so vielschichtige Phänomen „Museum" kann nicht durch eine Systematik seiner Probleme eindeutig erfaßt werden. Ich möchte versuchen, durch Aufteilung in Problembereiche die einzelnen Fragen in eine logische Abfolge zu bringen und zugleich eine kritische, weiterführende Betrachtung anzuregen. Am Anfang der Problematik steht schon das Thema unseres Symposiums, das Wort „Museologie", verständlich als Lehre vom Museum, aber phonetisch kein sehr schönes Wort nach dem Geschmack unserer Zeitgenossen, denen leider nur allzu häufig nicht nur das Wort, sondern der ganze Begriff „Museum" veraltet, muffig und suspekt erscheint. Die Frage, was wir dagegen tun können - Änderung des Namens und damit, schon äußerlich erkennbar, Abrücken von aller verstaubten Tradition, wie es ζ. B. manche modernen naturwissenschaftlichen Museen machen als „Hall of Science" oder „Science Center" in Amerika, auch als „Evoluon" (Eindhoven) oder „Palais de la Dicouverte" (Paris) - oder aber, das andere Extrem, das Wort gewaltsam aufwerten, mit allen Kräften jeglichen Plüsch und Plunder, die sich noch in manchen Museen eingenistet haben und der Aversion auch gegen die guten Museen immer wieder neue Nahrung geben, mit hartem Besen auszukehren, u. U. bis zur Schließung solcher Museen für die Öffentlichkeit - diese Alternative ist eigentlich schon das erste Problem, vor dessen Lösung uns in nächster Zukunft die Jugend stellen wird, die gegen altersgraue, zwecklos dräuende Fassaden, unmotivierte Stuckschnörkel im Innern, eingestaubte Vitrinen und die typische Geruchsmixtur wohl mit Recht ziemlich allergisch ist. Nach einer mehrfach zitierten Definition teilt sich die Museologie auf in die eigentliche Museologie als generelle „Wissenschaft vom Museum" mit Forschungsbereichen wie Geschichte, Rolle in der Gesellschaft, spezifische Methoden der Forschung, Bildung, Organisation, Beziehungen zur physischen Umwelt, Typologie - und anderseits in die Museograpbie, die die „Technik und Praxis der Museumsfunktionen" unter ihren verschiedenen Aspekten umfaßt. Sachlich 36
ist eine solche Unterteilung zweifellos gerechtfertigt. Da aber auch die praktischen Methoden eine Fülle rein wissenschaftlicher Erkenntnisse beinhalten, zu ihrer Weiterentwicklung systematische Forschungen erfordern und schon in ihrer Aufgabenstellung stets von übergeordneten, allgemein-museologischen Problemen gesteuert werden, möchte ich für dieses Teilgebiet die Bezeichnung Angewandte oder Praktische Museologie in Vorschlag bringen. Die Bezeichnung „Museographie" erweckt den irreführenden Eindruck, daß es sich hier um einen selbständigen, von der Museologie grundlegend getrennten Wissenschaftsbereich handelt, wie dies etwa in der Gegenüberstellung Geologie - Geographie vorliegt. Weniger problematisch erscheint ein zweiter Bereich, die klassische Einteilung der Funktionen eines Museums in Sammeln, Konservieren, Aufbewahren, wissenschaftlich Bearbeiten, Dokumentieren und schließlich Ausstellen. Über die letztere Funktion, die die Bildungsaufgabe impliziert, wird auf diesem Symposium so viel zu sagen sein - gerade auch im Hinblick auf ihre künftigen Erfordernisse und ihre wissenschaftliche Durchdringung - , daß ich mich im Rahmen dieser ersten Übersicht auf die Nennung der Funktionen beschränken kann. Die Fortschritte der Technik, insbesondere der Informations- und der Verfahrenstechnik werden allen praktischen Methoden laufend neue Impulse zuführen - eine Begründung mehr für die dringende Notwendigkeit enger systematischer Kontakte zu den letzten Ergebnissen naturwissenschaftlicher und technischer Forschung. Die optimale Adaptierung dieser Erkenntnisse an die spezifischen Museumsaufgaben setzt ein subtiles Wissen über die Erfordernisse und Möglichkeiten in beiden Richtungen voraus, wie sie vielleicht nur durch Erfahrung und selbständige wissenschaftliche Tätigkeit in beiden Gebieten gewonnen werden kann, solange sich der übergreifende Komplex noch nicht als eigenständiger Wissens- und Forschungsbereich herauskristallisiert hat. Daß neben der technischen Entwicklung nicht minder auch die mentalen und sozialen Veränderungen der Gesellschaft die Struktur der Museen und das Berufsbild derer, die sie gestalten, nachhaltig beeinflussen, sei an dieser Stelle nur angedeutet. Schwieriger wiederum erscheint ein dritter Problemkreis, die Klassifizierung der Museen nach den Objekten, die sie bewahren. Die typische Einteilung erfolgte bisher nach den Wissenschaftsbereichen, wie sie in Lehrfächern der Hochschulen fixiert sind und — der Vorbildung und weiteren wissenschaftlichen Arbeit der Konservatoren entsprechend - den Inhalt der Museen bestimmen. Zwanglos erscheint aus der Vielzahl der Typen eine zusammenfassende Zweiteilung in Natur- und Kulturmuseen. 37
Die erste Gruppe bringt Objekte zur Darstellung, die die Natur ohne Zutun des Menschen als Schöpfungselemente enthält oder durch Evolution hervorgebracht hat. Die zweite Gruppe von Museen, die Kulturmuseen, hat die Aufgabe, Objekte zu bewahren und auszustellen, die aus der Hand des Menschen hervorgegangen sind. Hiernach führt der Darstellungsbereich der ersten Gruppe von den fundamentalen Naturgesetzen, deren Struktur und Realisierung im Makro- und Mikrokosmos von der Physik erforscht wird, über die Erkenntnisse der Chemie, der Astro- und Geowissenschaften zu den biologischen Objekten auf unserer Erde, die im Menschen, hier lediglich als physiologisch-anthropologisches Objekt betrachtet, kulminieren. Die Kulturmuseen ihrerseits umfassen die Entwicklung der Kunst in ihrer ganzen Breite bis zu den Spielarten der modernen „Objekte", aber auch Werkzeug und Erzeugnisse des Handwerks und Gewerbes, ebenso Forschungsgeräte der Wissenschaft wie alle Objekte der Technik und des sozialen Lebens. Kulturgeschichtliche Museen geben eine historisch ausgerichtete Zusammenfassung innerhalb dieser verschiedenen Bereiche. Verbundmuseen sind eine Kombination mehrerer, in sich homogener Gebiete, deren Verbindung sich häufig aus der Geschichte des betreffenden Museums ergab und darum leider manchmal durch nicht mehr als das gemeinsame Dach hergestellt wird. Aus Tradition sind wir vielleicht zusehr geneigt, die klassische Unterteilung der Museumstypen als wesensbedingt zu betrachten, und es dürfte an der Zeit sein, die Inhaltsstruktur der Museen neu zu überdenken. Ein diesem Symposium naheliegendes Beispiel für die Verbindung von Bereichen des Kultur- und Naturmuseums ist die universelle Darstellung der Technik hier im Deutschen Museum, die nach der Konzeption seines Gründers Oskar von Miller vorwiegend aus den exakten Naturwissenschaften abgeleitet wird, aus der optimalen Wirksamkeit physikalischer oder chemischer Vorgänge, die ihrerseits in den naturwissenschaftlichen Abteilungen auf die fundamentalen Naturgesetze zurückgeführt werden. Es ist genauso möglich und teilweise auch realisiert, die verschiedenen Bereiche der Technik teleologisch, aus der Zweckbestimmung für gewisse, dem Menschen dienende Aufgaben, darzustellen, also die Nahtstellen, die Kontakte der Technik nicht zur exakten Naturwissenschaft, sondern zur Soziologie, zu den gesellschaftlichen Strukturen, aufzuzeigen. Ein Beispiel für eine andersgeartete, aus der Wandlung der Objekte bedingte Annäherung, ja Verschmelzung verschiedener Museumsbereiche scheint sich bei Ausstellungen zeitgenössischer Kunst anzubahnen. Museen der exakten Natur38
Wissenschaften und Kunstmuseen hatten seither wenig Gemeinsames in Art und Auswahl ihrer Objekte. In den letzten Jahren öffnen progressive Ausstellungen, auch große Museen, ihre Säle der Präsentation von „Objekten", die auf der unmittelbaren Anwendung längst bekannter physikalischer Demonstrationen beruhen. Viele dieser „Mobiles" und „Kinetischen Künste", mancherlei Licht- und Klangeffekte bis zum Laserstrahl, zum Hologramm, zur Computerkunst sind in nahezu identischer Form, ζ. T . schon seit Jahrzehnten in Experimentalvorträgen, vor allem aber in Museen der exakten Naturwissenschaften in Aktion. Als physikalische und chemische Effekte durch die wissenschaftliche Forschung entdeckt und als neue Bausteine in das Gefüge des Weltbildes eingeordnet, wurden sie in eine für die rein rationale Demonstration geeignete Form gebracht und dienen im Experiment oder als didaktisches Modell der Bestätigung und Veranschaulichung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse. Eine emotionale Beeindruckung durch die Effekte selbst ist bei ihrer Präsentation im wissenschaftlichen Museum nicht beabsichtigt. Wenn nunmehr von kunstschaffender Seite die andere Blickrichtung, die ästhetische Ausdruckskraft dieser Erscheinungen in den Vordergrund gestellt wird - vorläufig freilich noch mit sehr bescheidener physikalischer Phantasie - , so wäre es zweifellos reizvoll, wahrscheinlich auch überaus ergebnisreich, auf breiter Basis, jedoch mit souveräner Beherrschung der naturwissenschaftlichen Fakten, die Natur und ihre bisher nur wissenschaftlich oder technisch manipulierten Effekte nach Phänomenen zu durchforschen, die künstlerisch gestaltbar wären, und durch geeignet potenzierte Darstellung, vielleicht auch „Verfremdung" des natürlichen Vorgangs, ein ästhetisches Erlebnis zu vermitteln vermöchten. Überlagerung der Effekte, ihre Modulation, Interferenz und andere Veränderungen ließen einen weiten Spielraum, eine unüberschaubare Variationsbreite künstlerischer Ausdrucksfähigkeit erwarten. Es ist durchaus denkbar, daß sich aus den modernen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und ihren Darstellungsmethoden, die seither nur in wissenschaftlich-rationale Bereiche zielten, Erlebnismedien kristallisieren könnten, die — ohne Rücksicht oder Anspruch auf wissenschaftlichen Sinngehalt - in freier, künstlerischer Gestaltung neue, vielleicht noch unbekannte emotionale Eindrücke vermittelten und damit „Objekte" formen ließen, die in einer neuen, verbindenden „Museumssphäre" stünden, in der die seither rein kognitiv erfaßten Medien des exaktwissenschaftlichen Museums und die irrationalen Strukturen des modernen Kunstmuseums mit fließenden Grenzen ineinander verschmelzen. Wieviel im übrigen schon das heutige, scheinbar so nüchterne exaktwissenschaftliche Museum an emotionaler Beeindruckung enthält, zeigt sich nicht nur an der Faszinationsfähigkeit des Projektionsplanetariums - es äußert sich, sobald dieses Museum aus der sterilen Objektivität statischer Präsentation heraustritt und den 39
Beschauer durch ein von ihm selbst gesteuertes Experiment, im unmittelbaren Erlebnis und für Augenblicke von der Umwelt isoliert, in das Naturgeschehen selbst einbezieht. J a sogar die nicht so seltenen, meist jugendlichen Besucher des Deutschen Museums, die hier einen Knopf drücken, dort eine Kurbel drehen und, befriedigt, daß sie etwas in Gang gesetzt haben, den physikalischen oder technischen Gehalt kaum zur Kenntnis nehmen, sondern mit den Augen schon die nächste Kurbel suchen - auch sie finden ein vielleicht gar nicht so zu verachtendes Erlebnis, wenn es auch nicht gerade der ursprünglichen Absicht dieses Museums entspricht. Das physikalisch-technische „Happening" wurde von Oskar von Miller geschaffen, Jahrzehnte bevor dieses Wort und sein Inhalt in der heutigen Bedeutung erfunden wurden. Neben der geschilderten Klassifizierung der Museen nach den Objekten, die sie enthalten, sind noch manche andere Problembereiche als latent anzusehen, deren systematische Variation die künftige Entwicklung mitbestimmen kann. So sind u. a. die Aufgaben zu untersuchen, die sich bei der Disposition der Museen nach ihrem Wirkungsraum (lokal, regional, national, international) ergeben - oder nach dem geographischen oder historischen Ursprung ihrer Objekte. Wir können die Fragen diskutieren, die sich aus der verschiedenen Darstellung historischer Zusammenhänge ergeben, wenn etwa horizontal im Querschnitt der Gleichzeitigkeit Ideen, Ereignisse, Objekte einer bestimmten Epoche in ihrer wechselseitigen Beziehung gegenübergestellt werden oder wenn in vertikalem Schnitt Entwicklungslinien aufscheinen, Evolutionen des Kosmos, der Erde, des Lebens, der Gesellschaft - die Geschichte der Kultur oder der wissenschaftlichen Erkenntnis. Das interessanteste Problem dieses Bereiches ist vielleicht, inwieweit es möglich erscheint, aus dem Rückblick auf die Gesamtentwicklung über die Gegenwart hinweg eine Extrapolation in die Zukunft zur Darstellung zu bringen - „Futurologie im Museum". Ein letzter Problembereich, auf den ich kurz eingehen möchte, entspringt der Systematik hinsichtlich der Relation des Museums zur Gesellschaft. Nach den inhaltsreichen historischen Referaten, die wir soeben hörten, möchte ich nicht von der Schatzkammerfunktion des Museums sprechen - zu sehr ist die Wertung insbesondere moderner künstlerischer Werke in wirtschaftliche Bereiche abgeglitten, zu sehr hat die Flucht aus den kontinuierlich absinkenden Vermögenswerten die Begüterten der scheinbaren Wertbeständigkeit von Kunstwerken in die Arme getrieben. Aber nicht nur Kunstobjekte aus zeitgenössischer Produktion, selbst die anscheinend so unschätzbaren großen Kunstund Kulturwerke der Vergangenheit - von Rembrandt oder Grünewald bis zu den Magdeburger Halbkugeln - unterliegen der Werteskala jeder neuen Generation, und wir sind in keiner Weise sicher, ob der Begriff der Ehrfurcht vor dem Original, der noch vor einer Generation die Menschen in den Museen nur
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flüstern ließ, auch in Zukunft so tragfähig sein wird, daß - um nur ein Beispiel zu nennen - die meist so außerordentlich störenden Spiegelbilder am wertvollen und darum verglasten Original in Kauf genommen werden gegenüber einer technisch aufs höchste perfektionierten, unverglast betrachteten Reproduktion. Die Erfahrungen, die wir mit der Wertung der Bilder und Büsten historisch bedeutender Männer im Ehrensaal des Deutschen Museums gemacht haben, der - in seinem Walhalla-Charakter ganz auf Ehrfurcht eingestellt - von der Jugend weitgehend abgelehnt wird, diese Erfahrungen könnten zu denken geben. Soviel zur Schatzkammerfunktion des Museums! Die wissenschaftlichen und Studiensammlungen verfügen, so unentbehrlich sie für den Fortschritt systematischen Wissens und historischer Forschung sein mögen, für die Relation der Museen zur Gesellschaft nur über eine sehr mittelbare Bedeutung - in keiner Weise hierin vergleichbar mit der der öffentlichen Schausammlung, die zum wichtigsten Museumsproblem der Gegenwart führt - seiner Bildungsaufgabe. Vier charakteristische Züge unserer Zeit erscheinen hier für die künftige Entwicklung der Museen von nachhaltigem Einfluß. Es ist erstens der rasante wissenschaftliche und technische Fortschritt, der in scharfem Gegensatz zu allen früheren Epochen schon innerhalb einer Generation wesentliche Änderungen der Lebensumstände zur Folge hat, und zwar nicht nur für die Industrieländer, nicht minder auch für einen großen Teil der Entwicklungsländer. Dies zieht eine außerordentliche Gegenwartsbezogenheit der Menschen nach sich. In einer Zeit, in der schon im Leben des einzelnen technische und soziale Geschichte erlebbar wird, scheint das Interesse für historische Abläufe bei vielen mehr und mehr hinter der Neugier und der Oberflächlichkeit des Tageserlebens zurückzutreten. Ein zweites Charakteristikum unserer Zeit: die Fülle und Geschwindigkeit der Information, die pausenlos unsere Zivilisation überschüttet. Die Aggressivität der Massenmedien, insbesondre des Fernsehens, wird nicht ohne Rückwirkung auf die Intensität und nachwirkende Tiefe der Rezeptionsfähigkeit bleiben. Wer täglich mehrere Stunden vor dem Bildschirm sitzt, optisch und akustisch konzentriert, aber an völlige Passivität des Denkens und Erlebens gewöhnt und je-r der wechselnden Beeindruckung preisgegeben, wird der ganz andersartigen, selbständigen Rezeption, die das Museum von ihm fordert, mit veränderten psychologischen Voraussetzungen gegenüberstehen. Wir haben noch keine Unterlagen darüber, inwieweit die beobachtete zahlenmäßige Zunahme des Museumsbesuches auf den gesteigerten Tourismus zurückzuführen ist und von einer durch die stimulierende oder auch konkurrierende 41
Wirkung des Fernsehens und anderer Massenmedien bedingten Zu- oder Abnahme überlagert ist. Eine Besucheranalyse in dieser Hinsicht wäre für die Maßnahmen des Museums, seine Anpassung an das veränderte Rezeptionsvermögen sicher von Bedeutung. Je nach dem Ausgang solcher Untersuchungen müßte auf Grund experimenteller Forschung die Wirksamkeit veränderter Präsentationsund Erläuterungsmethoden in einer weiterentwickelten Museums- und Ausstellungstechnik optimiert werden. Die Adaptierung moderner audiovisueller Hilfsmittel bis zu den Methoden elektronischer Datenverarbeitung, etwa dem individuell, nach jeweils erreichter Verständnisstufe erläuternden Monitor, wird vielleicht schon bald ein Problem vordringlicher Bedeutung. Ein drittes Merkmal unserer Zeit, die berufsbestimmenden und arbeitsmäßigen Umwandlungen in der Gesellschaft wie im Leben des einzelnen können sich u. U. sehr positiv und fördernd für die Museen auswirken, wenn diese die Chance zu nutzen verstehen. Die Notwendigkeit wiederholter Tätigkeitsumstellung, das lebenslange Lernen einerseits, zunehmende Freizeit anderseits, die vorläufig für viele noch ein ziemlich sinnlos ausgefülltes Vakuum darstellt zwischen Fernsehen, Fußballplatz und Autokolonnen: diese beiden Faktoren - mehr Ausbildungsarbeit, mehr Freizeit - können dem Museum zugute kommen. Aber auch hier sind systematische Bemühungen erforderlich, neben anderem etwa in einer gemeinsamen gezielten Werbung in den Massenmedien oder durch attraktive, auf Freizeitkonsum ausgerichtete, häufig wechselnde Sonderschauen. Einer zweizeiligen Notiz in der Wochenendausgabe, die bescheiden auf das alte, längst bekannte Museum hinweist, dürfte nur ein mäßiger Erfolg beschieden sein. Hier muß vor allem auch die Idee der museumspädagogischen Zentren gefördert werden, die insbesondere die Jugend den Museen zuführen sollten. Damit aber sind wir bei einem vierten Bereich von Gesellschaftsproblemen der Museen, der künftig mehr als bisher planmäßig erfaßt werden muß: die Aktivität der Jugend, ihre Progressivität und meinetwegen auch Opposition gegenüber der Führungsgeneration, jedenfalls aber ihre Dynamik, selbst wenn diese sich häufig um ihrer selbst willen manifestiert. Mit noch so repräsentativen Museumsbauten, mit traditionsreichen Museumsmethoden ist hier freilich nicht viel auszurichten. Ja selbst in unserm Deutschen Museum, das doch sicher in vielen Teilen als fortschrittlich anzusprechen ist, ernten wir, etwa in den Berichten unserer jugendlichen Reisestipendiaten oft herbe Kritik, von der pompösen Außenfassade hin bis zur klassischen Einleitungsmusik bei der Vorführung des Planetariums. Ich glaube, man sollte diese Zeichen nicht zu leicht nehmen. Unsere heutige Jugend wird auch in zehn, zwanzig Jahren in vielem anders sein, als wir es in der gleichen Altersstufe waren. Und es ist noch unser Problem, unsere Museen dieser Entwicklung nachzuführen. 42
Es wird zunächst planmäßiger Forschung bedürfen, um erst einmal den Weg dieses Nachführens aufzuspüren und festzulegen - dann aber vieler Arbeit und vieler finanzieller Mittel. Damit aber haben wir erneut das Problem berührt, das ich an den Anfang meiner einführenden Worte gestellt hatte und das als Voraussetzung, als Schlüssel für alles Fortschreiten, alle weiteren Bemühungen anzusprechen ist: die Geltung des Museums. Geltung in der Öffentlichkeit, Geltung bei unseren Trägern, Geltung bei der Jugend, insbesondere unserem eigenen potentiellen Museumsnachwuchs. Es sind drei Begriffe, die aufs engste miteinander gekoppelt sind - primär die Geltung in der Öffentlichkeit, registriert, aber auch stimuliert durch das Sprachrohr der Massenmedien, in Sonderheit der Presse. Weitgehend abhängig von dieser Geltung in der Öffentlichkeit ist die Einschätzung und Förderung durch unsere Träger, die leider nicht selten in materieller Förderung wie bei personeller Besetzung in der Reihe anderer kultureller Institutionen, Theater, Musik, Bibliotheken - von den Hochschulen gar nicht zu reden - , das Museum als nahezu letztrangig einstufen. Das böse Wort vom „Abstellgleis Museum" ist aus aktuellem Anlaß nicht zu Unrecht erst kürzlich wieder durch die Presse gegangen. Wenn wir unter solchen Prämissen die Jugend an den Hochschulen betrachten, unseren potentiellen Nachwuchs, dann ist es nicht zu verwundern, wie selten wirklich erstklassige, hochqualifizierte Leute die Museumslaufbahn anstreben, insbesondere im wissenschaftlichen und technischen Bereich. Ein kennzeichnendes Beispiel: Wir haben am Deutschen Museum jedes Jahr Hunderte von Reisestipendiaten, meist die naturwissenschaftlich besten Schüler der Oberklassen der Gymnasien, die sich während eines einwöchigen Aufenthaltes am Museum intensiv in die Problematik der Museumsdarstellung hineindenken, in ihren nachträglichen, oft ebenso begeisterten wie auch kritischen Berichten ganz ausgezeichnete Ideen entwickeln. Aber noch keiner dieser aufgeweckten jungen Leute ist nach seinem Abitur oder Studium zu uns zurückgekommen mit der Absicht einer Einarbeitung in das Aufgabengebiet der Museen. Ich glaube, daß die Frage nach einem hochqualifizierten Nachwuchs eines der für die Zukunft der Museen bedeutungsvollsten Probleme darstellt. Es ist nur lösbar, wenn es gelingt, schon dem jungen Studenten ein klares, attraktives Berufsbild vorzustellen und ihm erkennbar zu machen, mit welchen Wissensbereichen er sich zu beschäftigen hat, um später auf breiter Basis für eine Museumstätigkeit gerüstet zu sein. Denn neben seinem Hauptfach, etwa Kunstgeschichte oder Naturwissenschaft wird er sich rechtzeitig auch mit weiteren Fächern - natürlich in begrenzender Auswahl - wie Psychologie, Pädagogik, Soziologie, 43
Statistik, Dokumentation, Informatik, Elektronik, Materialkunde usw. zu beschäftigen haben. Manche dieser Fächer sind an den Hochschulen nicht in einer museumsgeeigneten Form vertreten. Damit aber komme ich zum Ausgangspunkt unseres Symposiums zurück, zur Museologie als einem in sich geschlossenen Wissensbereich. Im internationalen Verständnis ist der Begriff Museologie als Wissenschaft vom Museum weitgehend gefestigt und anerkannt. UNESCO und ICOM haben sich nachdrücklich für die Vertiefung der Museologie in Lehre und Forschung eingesetzt. Das Internationale UNESCO-Symposium in Paris im November 1969 hat die Einführung museologischer Ausbildung auf Universitätsebene und die Errichtung wissenschaftlich-museologischer Institute gefordert. An einer Reihe von Hochschulen in West und Ost gibt es museologische Lehrstühle, deren Hauptgewicht allerdings noch meist auf der Ausbildung zur pädagogischen Tätigkeit am Museum liegt. In der Bundesrepublik Deutschland hat die Museologie noch keinen legitimen Platz auf Hochschulebene gefunden. Obwohl die enge Verbindung von Forschung und Lehre ein charakteristisches Merkmal unserer Hochschulstruktur ist, müßte die Hauptsorge zunächst der Forschung zugewandt werden, die den Gesamtbereich zu analysieren, bereits vorhandenes Wissen zu sammeln und zu ordnen, neue, experimentell fundierte Erkenntnisse zu fördern und den sich konsolidierenden Wissenskomplex für die spätere Lehre aufzubereiten hätte. Wenn daher, um mit der internationalen Entwicklung Schritt zu halten, als nicht zu weites Fernziel ein museologisches Hochschulinstitut anzusehen ist, da$ die Museumsprobleme in Forschung und Lehre zusammenfaßt und vertritt, so sollte diesem ein reines Forschungsinstitut vorangehen oder parallelgeschaltet werden. Interdisziplinär und vornehmlich mit und in den Museen arbeitend, hätte dieses Institut durch seine, auch experimentellen, didaktischen, psychologischen, kommunikationswissenschaftlichen Untersuchungen nicht nur konkrete Richtlinien für die weitere Museumsmethodik, insbesondere in Relation zum Besucher, zu erarbeiten, sondern auch die Probleme isoliert in neuen Kombina-* tionen, neuen Museumsmodellen zu untersuchen, schließlich auch eine neue Fachdidaktik vorzubereiten. Als erste, vordringliche Aufgabe museologischer Arbeit in Deutschland wäre eine allgemeine Begriffsvertiefung der Museologie im öffentlichen Bewußtsein anzustreben, beginnend mit der Feststellung des gegenwärtigen Status im Inund Ausland. Diese würde eine Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Museologie enthalten, eine Erhebung über Forschungsstellen der Museologie im Ausland, deren Forschungsgebiete, aber auch ihre Organisationsform, Trägerschaft und 44
Finanzierung, ihren Umfang und die Zahl und Bildungsstufe der Mitarbeiter. Auch an den bereits laufenden Bemühungen um eine museologische Bibliographie, um eine einheitliche Nomenklatur, Klassifikation und die entsprechenden Dokumentationsverfahren hätte das Institut Anteil zu nehmen. Eine der wesentlichen Aufgaben eines museologischen Institutes wäre die Erforschung und Weiterentwicklung der Museumsmethoden wie auch der Probleme der Museumsumwelt. Darüber jedoch werden wir auf diesem Symposium so eingehend zu diskutieren haben, daß sich in dieser Ubersicht detaillierte Ausführungen erübrigen. Schließlich wäre aber auch wichtig, sehr bald für eine Verbreitung der Forschungsergebnisse in Schrift und Lehre zu sorgen, ζ. B. durch Schaffung eines Publikationsorganes bzw. systematische Einbeziehung in vorhandene Zeitschriften, ferner durch zentrale Planungen über museologische Vorlesungen und Seminare an Hochschulen, die vorläufig noch völlig unkoordiniert sind, sowie deren zusammengefaßte Bekanntgabe im Publikationsorgan. Wichtig ist natürlich, insbesondere in der Zeit der Konsolidierung, eine enge Verbindung zu den Nachbarwissenschaften, der Kontakt zu den zuständigen fachwissenschaftlichen Instituten ebenso wie zu den allgemeinen, etwa psychologischen, pädagogischen und den neuen fachdidaktischen Lehrstühlen und Hochschul- bzw. Forschungsinstituten. Ernste Bemühungen sollten schließlich - ich muß es immer wieder betonen - der Gewinnung und Heranbildung eines spezifisch qualifizierten Nachwuchses gewidmet sein - durch sorgfältig ausgearbeitete Vorlesungen und Seminare, abwechslungsreiche Übungen in den Museen, Besuche ihrer Depots, Werkstätten und Laboratorien, durch anregende und materiell oder apparativ gut fundierte erste Forschungsaufgaben - kurz, durch alle Maßnahmen, die die Entwicklung eines auch einer progressiven Jugend attraktiven Museumsberufsbildes fördern können. Aber auch von einem reinen Forschungsintitut, einem dynamisch geführten und arbeitenden wissenschaftlichen Zentrum, könnten, wie ich fest überzeugt bin, ganz neuartige Impulse für eine künftige Entwicklung der Museen ausgehen in Richtungen und in Kombinationen zu Bereichen, an die wir heute, aus unserer doch noch sehr traditionellen Erfahrung heraus, vielleicht noch gar nicht zu denken vermögen. Blicken wir doch auf andere Institutionen der Gesellschaft, die, wie es auch unsere Aufgabe ist, Informationen, geistige Werte in die reale, dreidimensionale Wirklichkeit zu übertragen haben - nur jene anderen meist wesentlich härter, bewußter, unter dem Druck von Konkurrenz und Bilanzen, mit jährlich zahlenmäßig nachweisbarem Erfolg oder Mißerfolg. 45
Nur scharfe, wissenschaftlich nüchterne Überlegung und Analyse der elementaren Aufgaben und der optimalen Methoden läßt im Konkurrenzkampf bestehen. Auch wir haben eine Konkurrenz zu bestehen, gegen das Fernsehen, gegen den Fußballplatz und Beatschuppen, gegen die geistige Trägheit, gegen die Bequemlichkeit der Menschen, gegen das Vertrödeln am arbeitsfreien Wochenende und manches andere. In unserer Zeit der Massenmedien, der Informationsschwemme, der dadurch bewirkten geistigen Uniformierung und Oberflächlichkeit, in dieser Zeit haben Bildungsinstitutionen nur eine Chance, wenn sie die Menschen entweder als eisernes Muß im Berufskampf erfassen oder sie aber als leichte, an ihre Traumund Spielwelt angepaßte, unmerklich saugende Verlockung - wie etwa der Bildschirm - an sich ziehen. Dazu aber bedarf es, hinter den Kulissen, wohlüberlegter, wissenschaftlich durchdachter, ausgeklügelter, um nicht zu sagen raffinierter Methoden, die nicht so nebenbei angegangen werden können, die keinem gefühlsmäßig, intuitiv in den Schoß fallen oder aus der Kontinuität einer generationenlang anscheinend bewährten Tradition abgeleitet werden können. Technische und soziale Impulse steuern in unserer Zeit eine Entwicklung, die in der Geschwindigkeit ihres Fortschreitens fast diskontinuierlich erscheint. Nur wenn es gelingt, diese abrupte Entwicklung mit einer gleichen Diskontinuität der Methoden zu beantworten durch ein neues oder nach erneuerten Methoden arbeitendes Museum, durch einen aus experimenteller Erfahrung und gezielter Überlegung geborenen neuen Museumstyp - nur dann haben wir Aussicht, neben den anderen modernen Bildungs- und Freizeitaktivitäten in unserer kommenden Gesellschaft zu bestehen. Dieses Symposium könnte in unserem Lande ein erster Anfang zu einer planmäßigen Systematik, zu einer von Theorie und Experiment gestützten Erforschung und Weiterentwicklung der Methoden unserer Museen sein. Ich möchte hoffen, daß schon die Niederschrift und Veröffentlichung des Symposiumsberichts so etwas wie einen ersten Leitfaden der Museologie darstellen könnte. Mit großer Befriedigung habe ich von Mme. Frin, der Chefredakteurin der repräsentativen UNESCO-Zeitschrift „MUSEUM" erfahren, daß die UNESCO die Herausgabe eines mehrbändigen Handbuches (Treatise) der Museologie ins Auge gefaßt hat und wir schon an der ersten Konzeption des Aufbaues dieses Werkes beteiligt sein werden. Die Zeichen stehen günstig - und es wird an uns liegen, ob wir unserer Verantwortung für das „Museum", das ja nun einmal unsere Lebensaufgabe geworden ist, und der Verantwortung für seine künftige Entwicklung gerecht werden. 46
STEPHAN W A E T Z O L D T
Museumsprobleme der Gegenwart - Kunst- und kulturgeschichtliche Museen In ihrem Bericht über ein Colloquium zwischen Studenten der Kunstgeschichte, Künstlern und Museumsleuten in Bonn hat Doris Schmidt in der Süddeutschen Zeitung am 23. 2.1971 auf die Gefahren hingewiesen, die dem Museum ebensosehr von ideologischer Verschulung drohen wie von einem Übermaß an didaktischer Belehrung über Inhalte und Hintergründe des Kunstwerkes. Nicht vom Kunstwerk weg, sondern zu ihm hin, als einem Individuum, einem Einzigartigen und einem Ganzen haben wir zu führen! Denn Kunstmuseen bewahren und zeigen Kunstwerke, wie immer man auch den Begriff „Kunst" - Kunst der Vergangenheit und Kunst der Gegenwart - definieren mag. Das Ziel all unserer Bemühungen um den Besucher, die es in Zukunft noch sehr viel ernster zu nehmen gilt, die wir quantitativ intensivieren, differenzieren und verbessern müssen, bleibt deshalb nach wie vor die Begegnung des Besuchers mit dem Sammlungsobjekt. Auf diese Begegnung müssen wir den Museumsgast vorbereiten: auf Fragen an das Werk, nicht bloße Rezeption des Kunstwerkes als eines ästhetischen und historischen Phänomens; auf das Verstehen, nicht das Erstaunen vor den Sachgütern der kulturhistorischen Sammlung als den historischen Dokumenten und sichtbaren Zeugen gesellschaftlicher Vorgänge und Zusammenhänge. Solche — sehr allgemeine — Zielsetzung ist auch wohl zwischen den Kritikern des Museums und denen, die es in der Praxis „machen", nicht ernsthaft umstritten. Es geht aber um das „Wie", um die Methoden und die praktischen Möglichkeiten, von niemandem bezweifelte notwendige Reformen in die Tat umzusetzen. Dieses Referat soll aus der Sicht des Pragmatikers, der den täglichen und erschöpfenden Kampf um Geld und guten Willen nach oben und nach unten führen muß, so etwas wie eine Beschreibung der gegenwärtigen Situation geben und mögliche Veränderungen ins Gespräch bringen. Die Kritik an unseren Museen richtet sich zunächst gegen das äußere Erscheinungsbild: Häuser, welche von der Fassade bis zum Samt an den Hängewänden und dem grauen, durch Staubdecken gefilterten Licht, mit uniformierten Aufsehern, den Geist von gestern beschwören. Das mögliche Glück des Besuchers, sein Wohlbehagen, welches Doris Schmidt zu Recht vom Museum erwartet, ebenso wie die von jüngeren Kollegen geforderte Befreiung von gesellschaftlichen Zwängen, erfordern zunächst menschliche Raumvolumina in der Museumsarchitektur, welche Assoziationen an Bekanntes, Gewohntes, Selbstverständliches hervorrufen. Dies bedeutet nicht die Transponierung der Kunstwerke aus 47
den Museen in die U-Bahnhöfe oder die Fabrikhallen, aber Um- oder Neubauten und besseren Service: von der Sitzgelegenheit über die Information zur geleiteten, aber nicht manipulierten Diskussion, zu Zonen der Erholung, der Erfrischung und des Lernangebotes. Deshalb - nicht weil noch mehr an Ausstellungsgut angeboten werden müßte - sind bauliche Veränderungen fast überall erforderlich. Sie sind permanent - mindestens aber alle zehn Jahre etwa - nötig, um das Museum immer wieder den berechtigten Benutzerwünschen anzupassen. Denn ebenso selbstverständlich wie die ständige Neuinszenierung klassischer Dramen und Opern muß auch im öffentlichen Bewußtsein die ständige Neuinszenierung klassischer Werke der bildenden Kunst werden! Tatsache aber ist, daß von Bildungspolitikern und Unterhaltsträgern in Deutschland das Museum immer noch als statisch und die darstellenden Künste allein als dynamisch angesehen werden. Die Kulturetats sind dafür der beste Beweis: im Durchschnitt etwa 1,- bis 2 , - DM im Jahr für den Museumsbesucher, 3 , - bis 6 , - D M für den Platz im Theater oder der Oper. Die Wertschöpfung durch Erwerbungen der Museen im Gegensatz ζ. B. zum Verbrauchsmaterial Kulisse ist dabei nicht einmal berücksichtigt. Was ist der Grund für solche finanzielle und kulturpolitische Diskriminierung der Museen? In Deutschland — und in seiner Presse - rangieren traditionell Drama und Musik - Goethe, Schiller, Mozart, Beethoven - vor der bildenden Kunst. Als Land der Dichter, der Denker und der Komponisten sind wir weltberühmt, nicht als Nation der Maler und Bildhauer - trotz Dürer und Holbein! Aber die Schuld an der mangelnden öffentlichen Resonanz unserer Museen liegt doch zuerst bei uns — den Museumsleuten selbst. Wir sind Beamte des Staates oder der Kommunen, nicht freie, den Wirkungsort wechselnde Intendanten, und wir verhalten uns oftmals auch wie Beamte. Wir haben keinen schlagkräftigen Berufsverband, wir arbeiten gar nicht oder schlecht zusammen, hoffen auf die Tradition unserer aus dem Repräsentationsbedürfnis der Fürsten oder der Patrizier hervorgegangenen Sammlungen und versorgen gutwillig Rathäuser, Ministerbüros und Botschaften mit Leihgaben. Wir sind Wissenschaftler - wenn nicht gar Gelehrte - und wollen es auch bleiben, weil wir immer noch die Universität als Leitbild und Hort wahrer Forschung bewerten. Wir machen mit Steuergeldern nicht selten auch umstrittene Ankäufe. Und - das Schlimmste wir sind auf dem besten Wege, einen wesentlichen Anteil unserer Arbeit an Spezialisten: Bildungsfachleute, Museumspädagogen oder wie immer wir sie nennen wollen, abzutreten. Trennung von Forschung und Bildung hat der Ulmer Verein - der Verband des sogenannten „Mittelbaues" im Fache Kunstgeschichte - gefordert! Zeugt dies nicht von einem wissenschaftlichen Elitedenken, welches doch den Museen am wenigsten ansteht? 48
Was ist in so verworrener, kontroverser Lage zu tun? Die Voraussetzung dafür, daß die Kunst- und kulturhistorischen Museen in der Bundesrepublik Deutschland und in West-Berlin ihre durch die um 15 bis 20 Prozent jährlich anwachsenden Besucherzahlen eindeutig bestätigte Funktion in Bildung, Forschung und Freizeitgestaltung während der nächsten Jahrzehnte erfüllen können, sind relativ einfach. Am Anfang und an der Basis steht neben der notwendigen, aber zur Zeit weit übersteigerten Selbstkritik das Selbstverständnis von der Notwendigkeit und Unersetzlichkeit unserer Arbeit. Eine Welt ohne Museen wäre eine Welt ohne anschauliches und interpretatorisch aufbereitetes Geschichtsbild, ohne durch Geschichte bestätigte ästhetische Wertmaßstäbe. Solche Selbstsicherheit der Museen und der an ihnen Tätigen muß Ausdruck finden in modernen Formen der Organisation. Wir brauchen nicht nur die Lobby bei unseren ach so zahllosen Unterhaltsträgern, sondern den „Museumsrat" analog dem Wissenschafts- und dem Bildungsrat, ein Gremium also von Museumspraktikern und Museumspolitikern, von Bildungsplanern, Soziologen, Kultur- und Finanzpolitikern, welches Zielvorstellungen und Schwerpunktprogramme auf der Grundlage der politischen und wirtschaftlichen Realitäten erarbeitet. Ob der „Kulturrat", von dem man als Zielvorstellung gelegentlich hört, solches leisten kann, ist fraglich. Die Museen - insbesondere die kunst- und kulturgeschichtlichen Sammlungen bedürfen der inneren, strukturellen Reform. Sie sollte sich meines Ermessens nach den Modellen richten, welche für die Großforschungsinstitute des Bundes, für die Max-Planck-Gesellschaft usw., entwickelt worden sind. Dabei stehe ich nach wie vor zu meiner Meinung, daß kodifizierte und weitgehende Beratung, aber auch klare persönliche Verantwortung bei den Entscheidungen erforderlich sind. Die Museen müssen, selbstverständlich unter Berücksichtigung ihrer Sammlungsbestände und der regionalen bzw. internationalen überkommenen Aufgaben, ihre individuellen Ziele von Forschung und Bildung neu und klarer formulieren. Ich denke ζ. B. an die offenen Fragen der Abgrenzung unserer Forschungsaufgaben gegenüber der Universität, an die Bindung oder Lösung unserer Forschungstätigkeit an oder von dem Museumsbestand. Die Museen müssen für ihre Bildungstätigkeit nicht nur Zielgruppen innerhalb der Gesellschaft schwerpunktmäßig festlegen, sondern auch Vorstellungen über die Ziele dieser Bildungsarbeit überhaupt und eine Methodik museumsspezifischer Lehr- und Lernvorgänge entwickeln. Die Museen müssen unter dem Aspekt ihrer Funktion in der Gesellschaft von morgen die Erwerbungspolitik klarer definieren. Dabei gilt es zu unterscheiden zwischen den Museen alter Kunst, die sich nicht nur mit dem Problem der 49
infolge von Inflationsangst ungeheuer gestiegenen Preise, sondern auch mit dem Problem der durch Kulturnationalismus insbesondere in den sogenannten Entwicklungsländern ausgelösten Ausfuhrbeschränkungen auseinanderzusetzen haben, und den Museen neuer Kunst, deren Problem das der Erwerbung von Meisterwerken von objektiv wohl kaum meßbarer Qualität oder der Repräsentation von Querschnitten durch die gesamte Produktion der Gegenwart ist. Die Museen müssen — und das erscheint mir am wesentlichsten und am schwierigsten - sich im Zusammenhang mit der gesamten in Gang befindlichen Raumordnung in der Bundesrepublik Deutschland regional neu gliedern. Dabei darf es nicht nur um die, wohl in Bonn in dem erwähnten Colloquium ebenfalls diskutierte Zusammenlegung von Heimatmuseen zu regionalen Schwerpunktmuseen gehen, sondern um eine grundsätzliche Neukonstruierung. Dies mag angesichts der etablierten Verhältnisse utopisch erscheinen, aber Utopien haben doch gelegentlich auch reale Auswirkungen gehabt. Warum ζ. B. gibt es im Ruhrgebiet kein Museum für Naturwissenschaft und Technik? Ist das Nebeneinander von kunstgeschichtlichen Sammlungen in fast allen deutschen Großstädten wirklich sinnvoll? Ich plädiere keineswegs etwa für neue Generaldirektoren, wohl aber für bessere Abgrenzung von Sammlungsgebieten und für finanziell starke, personell ausreichend versorgte und in der Bildungsarbeit aktive Museen, die finanziell rationell arbeiten können. Einsparungen infolge räumlicher Vereinigung könnten ζ. B. Mittel für Transport durch Schulbusse oder Fahrgeldzuschüsse für Erwachsene ebenso frei machen wie für wirksamere und kostenintensivere Bildungsarbeit. Auch im Bereich der Forschung ist Kooperation unerläßlich. Ist es richtig, daß jede Gemäldesammlung ihren Niederländer-Spezialisten, den „Altdeutschen", den „Italiener" haben muß? Ist nicht Team-Arbeit, wie die Thyssen-Stiftung sie für das 19. Jahrhundert immer wieder und leider ziemlich erfolglos anregt, prinzipiell richtig? Ich möchte keineswegs dem Allround-Museums-Manager das Wort reden, aber Abbau wissenschaftlicher Personalinteressen, Austausch und Zusammenarbeit anstelle von Konkurrenz und Verzichtbereitschaft auf diejenigen Katalogformalia, welche weder für das Institut noch für die Wissenschaft wesentlich sind, das wäre uns allen doch wohl zu wünschen! Vielleicht löst sich das Problem ja von selbst durch den notwendigen Einsatz elektronischer datenverarbeitender Geräte als neuer Arbeitsmittel! Endlich: die Kunstmuseen, nicht die mehr lokalhistorisch (als Folge deutscher Geschichte) festgelegten kulturhistorischen Landesmuseen, müssen Schwerpunkte ihrer Sammeltätigkeit untereinander absprechen. Auf der Basis des für die Bildungsarbeit und für den - legitimen - kunstliebenden Museumsbesucher notwendigen Grundbestandes, welcher den Überblick über die Geschichte der Kunst 50
etwa des 19. und 20. Jahrhunderts oder der Altniederländer möglich macht, sollten Sammelschwerpunkte ausgehandelt werden - etwa in Hamburg die skandinavische und englische Kunst (vielleicht in einer Arbeitsteilung mit Bremen), in Köln die französische Kunst, in München die italienische, in Essen die deutsche usw. Dies kann natürlich nur für die moderne Kunst gelten. Ich weiß sehr wohl, wie schwierig Schwerpunktbildungen solcher Art sind, zumal ich selbst natürlich für Berlin das Ganze nach dem Maßstab hoher Qualität in Anspruch nehmen würde. Aber das Gespräch ist nötig unter den Museumsspezialisten und darüber hinaus in einem mit Richtlinienkompetenzen ausgestatteten Gremium. Denn eines ist jedenfalls klar: Aus der Stagnation des Museumswesens in Deutschland führt nicht Diskussion allein, sondern praktizierte Kooperation, und vor allem aufrichtiger Verzicht auf Institutsegoismen und persönliche Eitelkeit heraus. Wir müssen es erreichen, daß in bildungspolitisch später Stunde die Institution Museum instand gesetzt wird, für die Menschen, die ihrer bedürfen, Leistung zu erbringen.
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Diskussion S T E I N G R Ä B E R geht kritisch auf die ZDF-Sendung „Spielplatz der Museen* ein, in der gefordert wurde, die Museen sollten ihre Aufgaben neu überdenken und Aktionsräume für den Museumsbesucher schaffen, um aus einem nur betrachtenden einen teilnehmenden Besucher zu machen. Er sieht die Kontemplation des Besuchers dadurch in Verruf gebracht und ist Ladendorf dankbar, darauf hingewiesen zu haben, daß das Museum nicht nur auf von außen kommende Forderungen einzugehen habe, sondern selbst an seine Besucher Ansprüche stellen müsse, um es ihnen nicht allzu leicht zu machen. S C H U G fragt die Referenten, die über die Geschichte des Museums berichten, ob die Aufspaltung der barocken Kunst- und Wunderkammern in die heutigen Museumszweige - Naturwissenschaftliches, Technisches, Naturkundliches, Kulturhistorisches und Kunstgeschichtliches Museum - von der Sache her notwendig war oder nur einer nicht mehr aufgehaltenen historischen Entwicklung folgte. Die Trennung der verschiedenen Museumszweige werde als selbstverständlich hingenommen, andererseits werde für die Zukunft gefordert, sie teilweise wieder rückgängig zu machen. Warum stehe heute ζ. B. ein Schlitten im Kunstgewerbemuseum, ein Auto aber im Technischen Museum? Daß die Tendenz zur Aufspaltung rückläufig sei, ergebe das Beispiel des Museum of Modern Art in New York, in dessen Abteilung für Industrial Design technische Produkte jeder Art gesammelt würden. H E N T Z E N meint, die Aufspaltung des Museumswesens folge der allgemeinen Tendenz zu immer größerer Spezialisierung, die zwar bedauerlich, aber nicht zu vermeiden sei. D U B E schlägt eine internationale Kooperation zwischen Museen gleicher Gattung vor, befürchtet aber rechtliche Schwierigkeiten. Bei einem Austausch der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen mit dem Rijksmuseum Amsterdam hätten kürzlich beide Seiten rechtliche Bedenken geäußert, und es sei der Wunsch an ICOM, solchen internationalen Austausch rechtlich abzusichern. L A D E N D O R F greift Waetzoldts Vorschlag der Verbundforschung zwischen verschiedenen Museen auf, was zweifellos von den Planungskommissionen der Deutschen Forschungsgemeinschaft beachtet werde. Schon eine Zusammenarbeit von Instituten gleicher Fachrichtungen an verschiedenen Orten wäre lohnend. Bei einer interdisziplinären Zusammenarbeit, von Auer vorgeschlagen, sei aber zu bedenken, daß sie schon zwischen zwei Fächern außerordentlich schwierig und zeitraubend sei, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft würde jedoch fast ein Dutzend Fächer genannt. Das Kölner Kunsthistorische Institut habe 52
zwei Seminare zusammen mit Psychologen, ein anderes mit Pädagogen veranstaltet, wobei die Erfahrung lehrte, daß niemand die Probleme zweier Fächer zu übersehen imstande war. AUER stimmt dem zu; bei der heutigen Ausbreitung der Fächer könne man das aus den Nachbargebieten Wissensnotwendige nur dilettantisch erfassen. Es sei die Aufgabe einer zukünftigen Museumswissenschaft, das Notwendigste zu destillieren und die Inhalte der Fächer für die Aufnahme durch Nachbargebiete zu adaptieren. V O N DER OSTEN stimmt Steingräber und Ladendorf zu, man müsse vom Besucher eines Kunstmuseums Geduld und Besinnung fordern. Das Museum sei andererseits gezwungen, aktuelle Probleme aufzugreifen: Durch den Zugang des „Transportable War Memorial" von Edward Kienholz sehe sich das Wallraf-Richartz-Museum zu einer Ausstellung etwa unter dem Titel „Vom Unsinn des Krieges" geradezu genötigt. Dieses Beispiel spreche gegen die verbreitete Vorstellung vom Museum als Elysium und erläutere die neuen Aufgaben eines Museums der Gegenwart. BOTT betonte, gemeinsame Aufgabe der Museen sei es, die visuelle Erlebnissphäre des Publikums zu wecken. Da die Massenmedien heute meist das Auge strapazierten, sei die Wiedererweckung des Sehvermögens die spezifische Aufgabe des Museums gegenüber den anderen Bildungseinrichtungen. L. Justi habe das Museum treffend die „Schule des Sehens" genannt. BASTIAN hat die Erfahrung gemacht, daß die junge Generation eine neue Sprache rede, die von den Museumsbeamten oft nicht verstanden werde. Die Einwirkung der Massenmedien auf die junge Generation sei anders als auf die ältere; eine Veränderung sei vom Katheder aus nicht möglich. Schon deshalb nicht, weil die Museen von der Politik, für die man sich eine eigene Lobby schaffen müsse, und von der oft amusischen Verwaltungsbürokratie abhängig seien. Er vermißt auf diesem Symposium Vertreter der jungen Generation, die in ihre Gedankenwelt einführen und eine notwendige Brücke bauen könnten. T R E I N E N entgegnet, der Generationskonflikt sei heute - abgesehen von der nachpubertären Zeit - nicht sehr stark, vielmehr spiegelten sich in der Jugend die gleichen Gesellschaftsschichtungen und Anschauungen wie in der älteren Generation. Der Einfluß der Massenkommunikationsmittel werde vielfach überschätzt. Es bestehe zwar Konkurrenz zwischen einigen Massenmedien und anderen Freizeiteinrichtungen, aber man müsse zwischen konkurrierenden und sich ergänzenden Einflüssen unterscheiden. Erhöhter Fernsehkonsum ζ. B. könne zwar den Konsum von einigen Illustrierten und „Loreromanen", jedoch nicht von „guten" Büchern senken. Entsprechend drohe keine Vernachlässigung des Museums durch die Konkurrenz mit anderen Freizeiteinrichtungen. 53
VOGT unterstreicht die Ansicht von der Ostens, Aufgabe des Museums sei nicht nur der historische Überblick, sondern auch die Darbietung aktueller Probleme. Auf die verschiedenen Altersstufen müsse mit einer Differenzierung des Programms reagiert werden. ΒΟΤΓ ergänzt hierzu, im Museum sei das Sehen nicht nur ein ästhetisches Erlebnis, sondern die Vorstufe zur Erkenntnis. Damit könne mehr als im Fernsehen geboten werden, da die Eigentätigkeit des Besuchers in Gang gesetzt werde.
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9. März 1971, nachmittags GEORGES HENRI RIVIERE
Internationale Perspektiven der Museologie* Im meinen Ausführungen, die ich in Vertretung unseres verhinderten Freundes Hans Jelinek, Brünn, mache, möchte ich einen kurzen Uberblick über die internationale Situation der Museologie aus der Sicht des Internationalen Museumsrates ( I C O M ) geben. Ich stütze mich dabei auf die theoretischen Ausführungen, die Professor Auer über die Begriffe Museologie und Museographie heute morgen gemacht hat. In meinen Ausführungen werde ich einige Schwerpunkte herausgreifen. Ein wichtiges Kriterium für die Beschäftigung mit museologischen Fragen scheint mir die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Museums zu sein. Wir haben zu diesem Thema bereits einführende Vorträge auf diesem Symposium gehört. Die intensive wissenschaftliche Beschäftigung mit der Geschichte der Museen fehlt bisher weithin, wenn man sich im internationalen Rahmen umsieht. Es gibt interessante Experimente dazu in Polen. Aber insgesamt gesehen muß hier in den kommenden Jahren nach meiner Meinung viel getan werden. Die Rolle der Museen in der Gesellschaft, Sammler und Bewahrer des kulturellen Erbes zu sein, bringt es mit sich, daß sie bei der Entwicklung der Gesellschaft mitwirken. Diese Rolle hat zur Folge, daß immer mehr in der ganzen Welt ein Museumssystem sichtbar wird, in welchem die öffentliche Ausstellung der originalen Objekte weitere Kreise anzusprechen sucht und moderne Formen der Präsentation sowie audiovisuelle Mittel zu ihrer Erklärung herangezogen werden. Diese fundamentale Zusammenfügung der verschiedenen Ausdrucksformen um das Original ist ein echter Ausdruck des Wesens des modernen Museums. Die Diskussion über die hierbei auftretenden Probleme und Möglichkeiten zeigt kaum einen Unterschied in Ost und West, wohl aber ein Ungleichgewicht zwischen den entwickelten und noch nicht entwickelten Staaten der Erde. Hier müssen in der Dritten Welt noch wesentliche Anregungen gegeben werden. Zur Forschung in den Museen sind in den letzten Jahren wesentliche Untersuchungen erschienen. Ich erinnere hier nur an das in der Tschechoslowakei herausgekommene Werk „Museum und Forschung". Es unterstreicht die wichtige * Zusammenfassung vom Tonband.
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Rolle der Forschung in den und durch die Museen. Ihr Beitrag zur fundamentalen Forschung umfaßt die Sicherung und Aufbereitung der materiellen Quellen, der Objekte und Dokumente. Hand in Hand damit geht eine vertiefte wissenschaftliche Beschäftigung mit der Weiterentwicklung von Methoden der Konservierung. Wichtige Themen der Forschung in den Museen sind die Verbesserung der pädagogischen Aspekte im Hinblick auf ein lebenslanges Lernen und der Evaluierung der Aktivitäten der Museen. Seit einiger Zeit stellt man eine immer stärkere Hinwendung zu einer interdisziplinären Forschung im Museum fest. Das halte ich für eine sehr wichtige Neuorientierung, und zwar nicht nur, weil so weitere Disziplinen wie Ethnologie. Archäologie und Naturwissenschaften an das Museum herangeführt werden, sondern weil es in den Museen die verschiedenen Disziplinen zu gemeinsamem Forschen zusammenbringt. Das individuelle Forschen alter Schule tritt damit mehr in den Hintergrund. Es bilden sich Forschungsinstitute wie hier im Deutschen Museum das naturwissenschaftliche Forschungsinstitut und in der Nationalgalerie in Washington das Institute on research on visual arts, um zwei Beispiele aus der großen Fülle herauszugreifen. Hinsichtlich solcher Forschungsinstitute sind die naturwissenschaftlichen Museen zur Zeit am weitesten voraus. Aber ich plädiere dafür, daß auch die Kunstmuseen in verstärktem Umfange ähnliche Forschungslaboratorien einrichten. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf das neu entstehende Museum für Volkskunst und Volkstradition in Paris (Musee des arts et traditions populaires), an dessen Aufbau ich beteiligt bin. Es ist konzipiert als ein Forschungsmuseum, in welchem die Funktionen der Forschung und Präsentation völlig integriert sind. Ich nannte die Konservierung ein wichtiges Thema der modernen Museologie. Als Beispiel für die eingehende wissenschaftliche Beschäftigung mit Problemen der Konservierung möchte ich hier die Tätigkeit des internationalen Zentrums für Studien der Konservierung und Restaurierung von Kulturgütern nennen, das von I C O M auf Initiative der U N E S C O betrieben wird. Neben der Ausbildung und Weiterbildung von Konservatoren aus aller Welt setzt es beständig seine theoretischen Studien fort. In letzter Zeit standen vor allem Studien über die Einwirkungen von verschiedenen klimatischen Bedingungen sowie des Lichtes im Vordergrund. Eine wichtige Rolle spielen Überlegungen, wie man wertvolle Kulturgüter vor den Ausstrahlungen und Verschmutzungen in der technisierten Welt schützen und bewahren kann. Zu diesem letzten Problem hat sich wegen seines großen Gewichtes ein eigenes Unterkomitee von I C O M gebildet, das Weichen stellen und koordinierend und anregend für Forschungen in aller Welt sein soll. 56
Der Einsatz audiovisueller Hilfsmittel in den Museen bedarf weiterer Forschungsarbeiten. Die originalen Objekte und die zu ihrer Erklärung verwendeten Beispiele müssen eine organische Einheit im Museum bilden. Visuelle Erscheinungsformen wie audiovisuelle Hilfsmittel zur Erläuterung der Objekte gewinnen immer mehr Raum, so daß es immer wichtiger wird, sich mit ihrer Einfügung in das Museum zu beschäftigen. Ein gutes Beispiel für einen gelungenen Einsatz audiovisueller Einrichtungen scheint mir das neue Museum des Instituts für Geologie der Universität Kopenhagen zu sein. An ihm sieht man, wie man diese Mittel in einem Museum einsetzen kann, ohne der Gefahr zu erliegen, die durch den übermäßigen Einsatz dieser Mittel hervorgerufen werden kann. Es gibt eine Theorie der Kommunikation mit den Objekten des Museums, die jetzt dank weiterer Arbeiten am Museum von Brooklyn große Fortschritte macht. In einem Aufsatz in der Zeitschrift „Museum" wird dazu gesagt, daß das Museum anstreben muß, ein Modell des Lebens und ein Partner der öffentlichen Diskussion zu sein. Das Publikum wird dadurch immer mehr in die Arbeit des Museums einbezogen. Man muß es nicht als ein einheitliches Gebilde ansehen, sondern die unterschiedlichen Bestrebungen im Auge behalten, die einen Besucher ins Museum führen. Es gibt das Publikum, das sich bilden will, das Publikum, das nur aus Neugierde das Museum besucht, das Publikum, das im Museum den soziokulturellen Wandel erkennen will und die Bestätigung oder das Erkennen eines bestimmten Weltbildes im Museum sucht. Um diese Gruppen anzusprechen, gilt es, Formen der Kommunikation zu erarbeiten, die mit der Darstellung der Objekte in Einklang gebracht werden müssen, Formen der Ansprache und Führung der Besucher und der Gliederung der Ausstellungen. Die theoretische Forschung über Programme und Projekte auf diesem Gebiet hat große Fortschritte gemacht. Es gibt weltweit Studien, wie Ausstellungsprogramme vorbereitet werden können und welche Aspekte beim Aufbau unter Berücksichtigung unterschiedlicher Ziele beachtet werden müssen. Ich verweise hier auf Studien, die in den USA erstellt werden, und auf die gemeinsamen Bemühungen von ICOM mit dem Schwedischen Ausstellungsdienst zur Verwirklichung von Wanderausstellungen. Es fehlen allerdings in diesem Zusammenhang noch Arbeiten über die Besucher des Museums. Ein sehr wichtiger Bereich museologischer Studien ist die kritische rückblickende Bewertung der eigenen Aktivitäten. Die Evaluation der Museumsarbeit muß sowohl das wirkliche Publikum berücksichtigen als auch das potentielle Publikum. Mehr als dem wirklichen Publikum sollten sich meiner Meinung nach künftig Forschungsarbeiten dem potentiellen Publikum zuwenden, das man auch das Publikum im Schweigen nennen kann. Diejenigen, die nicht ins Museum gehen, müssen befragt werden, um ihre Verhaltensweisen zu erkennen und die Arbeit 57
der Museen entsprechend auf sie einzustellen. Wenn man die Einwohnerzahlen großer Städte mit den Besucherzahlen der in ihnen beheimateten Museen vergleicht, so sieht man, daß in den Museen noch viel getan werden muß. Zusammenfassend möchte ich sagen, daß die Entwicklung der Museen trotz widriger Umstände in den letzten Jahren durch die theoretische museologische Forschung, durch eine große Zahl von Studien und Veröffentlichungen in aller Welt, weitergebracht worden ist. In den angelsächsischen Ländern hat es interessante Ergebnisse über die Organisation der Museen gegeben. Im Smithonian Museum arbeitet eine große Forschergruppe an Problemen des Designs und der Präsentation von Kunstwerken, was mehr und mehr zu einer Reflexion über dieses fundamentale Problem der Museologie führt. In Europa wird mit großem Gewicht das Problem des Unterrichts in den Museen und durch sie behandelt. Dabei spielt die Mitwirkung der Universität und die Ausbildung der Fachleute des Museums für diese Aufgaben schon während ihres Studiums eine große Rolle. UNESCO und ICOM bemühen sich seit langem, einen internationalen Dialog und Erfahrungsaustausch in Fragen der Museologie anzuregen und durch Veranstaltungen und Veröffentlichungen aufrechtzuerhalten. Ich danke meinen Kollegen vom Deutschen Nationalkomitee des Internationalen Museumsrates, daß sie mit diesem Symposium eine weitere Plattform für die Diskussion geöffnet haben.
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Τ Η . VAN H O O F
Behörden und Museen in Flandern In diesem Kurzbericht soll dargestellt werden, welche Anstrengungen die belgischen Behörden machen, um die Museen in die Lage zu versetzen, ihre Rolle in der Gesellschaft wahrzunehmen. Dabei beschränke ich mich auf die flämischen Landesteile und die Hauptstadt Brüssel. Das belgische Kulturministerium wurde vor sechs Jahren nämlich unter Berücksichtigung der beiden Hauptsprachgruppen zweigeteilt. Brüssel wurde zum gemeinsam verwalteten Bereich der beiden Kulturminister erklärt, ebenso wie die deutschsprachigen Teile Belgiens. Zu Beginn sei etwas über die Situation des belgischen Museumswesens gesagt. Es gibt in Belgien insgesamt nur fünf Reichsmuseen, die einem Kulturminister unterstehen: das Königliche Belgische Museum für Schöne Künste sowie das Königliche Museum für Kunst und Geschichte in Brüssel, das Königliche Museum für Schöne Künste in Antwerpen, das Reichsschloß in Gaasbeek sowie Mariemont in Wallonien. In Brüssel gibt es außerdem zwei Institutionen mit starkem Museumseinschlag: das Königliche Institut für Kunstbesitz und das Nationalamt für Ausgrabungen. Unter den Reichsmuseen, die von anderen Ministerien betreut werden, sind die wichtigsten das Königliche Museum für Zentralafrika in Tervuren, das Bilderkabinett in Brüssel, das Königliche Institut für Naturwissenschaften in Brüssel, das dem Ministerium für Erziehung untersteht. Mit einer Ausnahme sind alle diese Einrichtungen als wissenschaftliche Institutionen anerkannt. Sie führen wissenschaftliche Untersuchungen durch und erfüllen in diesem Rahmen Aufträge, die von öffentlichem Interesse sind. Neben den Reichsmuseen zählt das flämische Gebiet ungefähr 200 Museen von ungleicher Größe, darunter sechs Provinzialmuseen, eine Reihe Kommunalmuseen und - die Mehrzahl - Privatmuseen. Die Museen ohne Status eines Reichsmuseums bekommen außerordentliche Zuschüsse bis zu höchstens 60 Prozent für Ankäufe über 300 000 Belgische Francs, für Akkomodationsarbeiten und für wichtige Restaurierungen. Die ordentlichen Zuschüsse betragen höchstens 40 Prozent der Ankaufskosten, der Ausgaben für Präsentationsverbesserungen und für Objektrestaurierungen, ferner für die Editionskosten von Katalogen und Broschüren. Die Provinzialmuseen und Kommunalmuseen bekommen für Bauarbeiten Zuschüsse bis zu 60 Prozent der entstandenen Kosten. Für Ankäufe wurde immer der größte Teil der Zuschüsse vergeben. Heute freilich strebt man eine Beschneidung dieser Ausgaben an und versucht, mehr Mittel 59
für Präsentationskosten und die Herausgabe von Katalogen bereitzustellen. In der Praxis ist dies nur schwer zu verwirklichen, da die staatlichen Behörden Initiativen der Museen zwar fördern, aber nicht veranlassen können. Da der Staat keine Personalkostenzuschüsse gewährt, kann er keine berufliche Qualifikation der Mitarbeiter fordern. Deshalb gibt es in den Museen nicht nur einen akuten Personalmangel, sondern auch viele Beamte ohne genügende Fachkenntnisse. In den kleinen Museen sind manchmal Freiwillige tätig, die in ihrer Freizeit Museumsprobleme zu lösen versuchen. Der Staat bemüht sich, diese Schwierigkeiten, die besonders kleine Museen bedrängen, durch die Anwerbung von Jungakademikern für Arbeit auf Zeit zu beseitigen. Dieses Programm ist ein Experiment, jedoch hat es gute Aussichten auf Erfolg. Andererseits werfen diese Bemühungen eine heikle Frage auf: Wie kann nach dem Ausscheiden dieser wichtigen Leute die Kontinuität der Arbeit gewährleistet bleiben? Diese wissenschaftlichen Mitarbeiter haben vor allem den Auftrag, die Sammlungen zu inventarisieren. Nach der ersten Bestandsaufnahme kann im Einverständnis mit dem Kustos eine neue Präsentation ausgearbeitet werden. Mit der Vorbereitung eines Kataloges für einen begrenzten Teil der Sammlung ist in der Regel nach etwa einem Jahr der Auftrag für diese Hilfskräfte erledigt. Parallel dazu sollen dem festen Museumspersonal mehr Fachkenntnisse durch Kurse vermittelt werden. Diese schwierige Aufgabe kann als Zeitarbeit erfüllt werden, wenn die Museumsbeamten daran beteiligt werden. Heute sind im Staatsetat Mittel vorgesehen, die es ermöglichen, in jeder Provinz eine Ortschaft in diese Experimente einzubeziehen.* Im Jahre 1958 veröffentlichte das Kulturministerium das „Repertorium" der belgischen Museen mit Auskünften über Öffnungszeiten, Eintrittspreise, Sammlungen etc. Jetzt ist eine zweite überarbeitete Ausgabe in Vorbereitung. Jährlich publiziert das Kulturministerium das „Bulletin" der belgischen Museen. Darin berichten die Museen über ihre wichtigsten Ankäufe und ihre museologischen Aktivitäten. Ferner findet sich darin eine Übersicht der großen Ausstellungen. Bedauerlicherweise erscheint dieses „Bulletin" mit beträchtlicher Verspätung, und sein Verbreitungsgebiet ist leider weitgehend das Ausland. Ein Gesamtüberblick über die Situation der belgischen Museen zeigt, daß in Flandern zu viele unrentable Museen bestehen. Sie sind unmotiviert über das ganze Gebiet verstreut. Insbesondere die Sammlungen der Heimatmuseen, die meistenteils durch Privatstiftungen unterhalten werden, leiden an einer unprogramma* Wir bedauern es sehr, daß diese Budgetmittel inzwischen wieder gestrichen sind und für das Personalbudget der Denkmalpflege verwendet werden. Wir hoffen, daß dieses Experiment später wieder aufgenommen werden kann.
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tischen Ankaufspolitik. Eine Neuzusammenfassung dieser Museen in größere Komplexe mit genau festgelegtem Gesamtprogramm ist unbedingt notwendig. Mir scheint es, daß eine staatliche Anerkennung allein derjenigen Museen, welche die strengen Bedingungen und Normen zur Gewährung von Zuschüssen erfüllen, zu einer Lösung dieses Problems führen könnte. Weiter soll darauf hingewiesen werden, daß es für das Amt des Konservators keinen festen Studienweg gibt. An der katholischen Universität Löwen ist Museumskunde Pflichtfach für Studenten der Kunstgeschichte und schließt ein dreimonatiges Praktikum in einem Museum ein. An der Genter Reichsuniversität ist Museumskunde Wahlfach; es gibt dort eine sogenannte Aggregation in Kunstgeschichte und Altertumskunde, ein pädagogischer Grad, der den Zugang zum Unterricht ermöglicht. Das pädagogische Zeugnis wird jedoch nicht für die pädagogischen Dienststellen der Reichsmuseen verlangt. In Belgien bestehen zahlreiche Museumsfreundesvereine; die meisten beschränken ihre Tätigkeit auf Ankäufe; nur wenige fördern auch Restaurierungsarbeiten und den Druck von Farbreproduktionen. Es gibt sogar einen Verein, der das Architektenhonorar für den Neubau des von ihm geförderten Museums bezahlt.
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Η . L. C. JAFFE
Zum Stand der Museologie in den Niederlanden Die niederländischen Museen arbeiteten in den letzten Jahren im Zeichen einer großen und stets wachsenden Aktivität. Von dieser regen Tätigkeit zeugen die vielen und gut besuchten Ausstellungen, die im Laufe der jüngsten Vergangenheit organisiert wurden, sowohl auf dem Gebiet der alten als auch der modernen Kunst. Einen anderen Beweis der Lebendigkeit liefern die Neubauten und die Baupläne: Ende 1969 ist der erste Trakt des Amsterdamer Historischen Museums in den schönen alten Räumen des Bürgerwaisenhauses eröffnet worden; das Museum van Oudheden in Leiden hat eine Anzahl neuer Säle in Gebrauch genommen; in neuerrichteten Sälen wird die Abteilung für holländische Geschichte im Rijksmuseum etabliert und im Laufe des Jahres 1971 eröffnet werden. An zwei wichtigen Neubauten wird im Augenblick gearbeitet: der neue Flügel des Museum Boymans van Beuningen in Rotterdam ist im Bau, und der Neubau des Vincent-van-Gogh-Museums in Amsterdam nach den Entwürfen, die der große holländische Architekt Rietveld noch kurz vor seinem Tode geschaffen hat, soll im Sommer 1972 fertig sein. Auf einem Gelände, das an das Stedelijk Museum grenzt, wird dann ein neues, vorbildliches Museum entstehen, das die Familiensammlung - also die Bilder Vincents, die bis jetzt im Stedelijk Museum hängen - beherbergen wird und außerdem die Sammlung von Bildern aus dem Besitz von Vincents Bruder, Theo, dem Empfänger der Briefe Vincents, seinem Beschützer und Betreuer des Erbes: Bilder von Gauguin, Toulouse Lautrec und anderen Zeitgenossen. Das Panorama der holländischen Museen wird durch die jüngsten und die künftigen Erweiterungen sehr bereichert, und die Aktivität der Museen wird gewiß in Zukunft noch zunehmen. Neben dieser beachtlichen Aktivität ist eine rege Diskussion entbrannt über die Zielsetzung und die Arbeitsweise der Museen, im besonderen der Museen für moderne Kunst. Weil diese Diskussion den Rahmen der nationalen Problematik weit überschreitet, darf hier auf sie eingegangen werden. Mehr als die Tätigkeit so vieler erfahrener und bewährter Museumsleiter wird diese Problematik in da$ künftige Schicksal der Museen eingreifen. Ausgangspunkt der Diskussion sind zwei Artikel, die das Museumjournaal - da$ Organ von 16 niederländischen Museen und Kulturzentren - in seiner Nummer 4 im September 1970 veröffentlichte: J . Leering, der Direktor des Stedelijke-Van-Abbe-Museums in Eindhoven publiziert dort seine Betrachtungen: 62
„Die Funktion des Museums" (De functie van het Museum), die er bereits in der Festschrift des Hessischen Landesmuseums „Das Museum der Z u k u n f t " hat erscheinen lassen, und E. L. L. de Wilde, der Direktor des Stedelijk Museums in Amsterdam, veröffentlicht einen Artikel „Notizen über die Funktion des Museums zeitgenössischer Kunst" (Notities over de functie van het museum van hedendaagse kunst), der einem Vortrag entnommen ist, den H e r r de Wilde über dieses Thema an der Universität Marseille-Luminy gehalten hat. Leering geht von der These aus, daß die Frage nach dem Museum der Z u k u n f t gleichlautend ist mit der Frage nach den zukünftigen Funktionen der Kunst. Er konstatiert in unserer heutigen Situation eine K l u f t zwischen dem Museum und dem Künstler, zwischen dem Museum und dem Publikum und eine Spannung zwischen dem Museum und der Obrigkeit. Die Künstler empfinden das Museum zu sehr als ein Mausoleum, in dem ihre Werke „beigesetzt" werden, wo sie doch am liebsten in direkten Kontakt mit der Gesellschaft treten wollen. Die Besucher der Museen sind nicht mehr die kleine Schicht „gebildeter Laien", sondern breite Schichten der Bevölkerung, denen jedoch der Zugang zur modernen (und nicht nur modernen) Kunst nicht erschlossen ist. Die Kunstwerke fungieren als Illustrationen einer Gedankenwelt, an der die Besucher kaum teilnehmen. Und schließlich die Obrigkeit: sie sieht sich vor das Problem gestellt, wie sie die Kunst, die zum Teil deutlich gegen die bestehende Ordnung (das Establishment) Stellung nimmt, in öffentlich subventionierten Museen beherbergen kann. Die Künstler, die sozial noch immer am Rande der heutigen Gesellschaft stehen - mit Ausnahme einiger Primadonnen, zu deren Ausnahmestellung das Museum wesentlich beiträgt - , das Publikum, das durch die Vielfalt der Strömungen und Tendenzen in Verwirrung gebracht wird und das außerdem auch außerhalb des Museums - durch die Massenmedien - mit Kunst konfrontiert wird, und die Obrigkeit, die kein Kulturmodell mehr vor Augen hat und darum fast immer konservativ der Entwicklung gegenübersteht - sie alle sehen das Museum als ein Problem. Die Kunst wird in eine Isolierung gedrängt, die nicht ihr Schicksal sein darf. Die Kunst ist der Gefahr ausgesetzt, Freizeitsbeschäftigung zu werden. Leering formuliert seine Forderung: „dazu beizutragen, daß der Mensch Träger der Ideen ist, die für die Gesellschaft wichtig sind, damit er ihnen nicht unterworfen wird". Aus diesen Tatsachen zieht Leering seine Folgerung für das Museum. Es muß aus seiner ästhetischen Quarantäne kommen und die soziale Relevanz der Kunst deutlich machen. Es muß Kontakte mit der „Außenwelt" und auch eine neue Organisationsform finden. Der lange gültige Ausgangspunkt der Museumsarbeit - daß Kunstwerke f ü r sich selbst sprechen - ist in der heutigen Situation eine Illusion. Daraus folgen wieder praktische Maßnahmen. 63
Zuerst den Künstlern gegenüber: Vergütungen für Ausstellungsleihgaben und honorierte Mitarbeit an Ausstellungen sollen ihn aus seiner sozialen Ausnahmestellung lösen. Auf vielerlei Weise sollte die Verbindung zwischen Kunstwerken und allerlei parallelen Erscheinungen der heutigen Welt sichtbar gemacht werden. Statt Einzelausstellungen und damit zusammenhängendem Geniekult sollte ein Panorama von aufeinander bezogenen Teilen die Arbeit der Künstler ans Licht bringen. Das bedeutet, daß dem Publikum weniger Ausstellungen gezeigt werden; aber daß diese Ausstellungen ihnen nicht nur Kunstwerke vermitteln, sondern deren Kontext im Leben der heutigen Gesellschaft. Leering füllt diesen Gedanken mit dem Vorschlag, die Ausstellung des amerikanischen Malers Frank Stella mit einer Parallelausstellung über das Thema „Strukturen" zu begleiten. So will er die aktive Mitarbeit des Publikums anregen, die eventuell im Umbau oder in Veränderungen der Ausstellungen ihren Ausdruck finden könnte. Schließlich die Obrigkeit und die Organisationsform: Leering schlägt eine dreiteilige Direktion vor: Direktor, Adjunktdirektor und Studiendirektor, die in zweijährigem Turnus ihren Platz wechseln sollten und die sich vor einem Museumsrat - zusammengestellt aus Vertretern von Künstlern, Publikum und Obrigkeit - verantworten müßten. Neben einem solchen Museum sollten dann auch andere Organe an der Integration der Kunst in die Gesellschaft mitarbeiten: Kunsthäuser, in denen die Künstler gewerkschaftlich ihre Arbeit präsentieren, Laboratorien, in denen der Kontakt zwischen Kunst und Wissenschaft zustande kommt. Schließlich wäre die Einbeziehung der Künstler in Gebiete nötig, die bis jetzt ihrer Aktivität verschlossen waren: Städtebau, Landschaftsgestaltung usw. So könnte das Museum - und darum auch der Künstler - einen sozialen Beitrag zur Kultur von heute und morgen leisten. De Wilde geht in seinem Beitrag von einem anderen Ausgangspunkt aus. Er sieht die Entwicklung der Kunst in den jüngsten Jahren als eine Verschiebung vom handwerklichen Werkstück zum technischen Objekt. Für solcherlei Werke hat der Künstler die Museumsäle nötig. Und die Werke der allerletzten Zeit - conceptual art und ähnliche, auf direkte Eingriffe in die Wirklichkeit gerichtete Tendenzen - stehen zwar eigentlich im Gegensatz zu einer Museumsumgebung, können aber nur dort zu ihrem Recht kommen. Der Künstler ist im Museum Regisseur. Auch was das Publikum betrifft, sieht er zwar eine Zunahme der Besucherzahlen, konstatiert aber, daß die Besucher fast alle zu einer Schicht gehören, die für die Gesamtbevölkerung keineswegs repräsentativ ist. Im Hinblick auf die Obrigkeit sieht er das Museum als eine Janusfigur: einerseits auf den Künstler gerichtet, der seit mehr als einem Jahrhundert nicht mehr 64
die existente Gesellschaftsordnung verteidigt, sondern eher Alternativen oder Utopien bietet; anderseits abhängig von der herrschenden Obrigkeit - und auch in vieler Hinsicht verknüpft mit dem Kunstmarkt und der kapitalistischen Marktwirtschaft. Er folgert aus diesem strukturellen Dilemma, daß ein Museum nur durch persönliche, intuitiv verantwortete Auswahl ein Bild von der p u r i formen Erscheinung der heutigen Kunst geben kann; darum legt er die Verantwortlichkeit - aber auch die Verpflichtung zu vielseitiger Orientierung - auf die Schultern des Leiters des Museums, der dann der Geschichte Rechenschaft ablegt. Auf diese beiden Artikel folgte eine breite und vielseitige Diskussion: Die erste Antwort kam von K. Vollemans, Mitarbeiter der Abteilung Architektur der Technischen Hochschule in Delft, in Nr. 6 (Dezember 1970) des „Museumjournaal". Vollemans opponiert gegen beide Artikel von einem sozialkritischen Standpunkt aus. Die Arbeiterbevölkerung habe kein Verhältnis, keine Bindung zum Museum. Was ihr dort gezeigt werde, sei nicht ihre Kultur, und es werde keinerlei Verbindung gelegt zwischen künstlerischer und sozialer Information. Das Museum - auch in Leerings und De Wildes Konzeption - bleibt dem Establishment dienstbar und entfremdet sich so die breitesten Schichten der Gemeinschaft. Um diese drei, so weit auseinander liegenden Standpunkte ist eine Diskussion entstanden, vor allem bei jüngeren Kunsthistorikern und kunsthistorischen Studenten. Die Fragestellung gilt auch hier der sozialen und künstlerischen Aufgabe des Museums. Die jüngere Generation geht dabei vor allem von der Frage aus: Von wem wird das Museum getragen? Sie meint, als Publikum der Museen eine deutliche elitär strukturierte Schicht unterscheiden zu können, und äußert sich zu dieser Feststellung in dem Sinne, daß darin die Aufgabe des Museums nicht gelegen sei. Zwar hat ein jeder Zugang zum Museum. Es ist aber nicht für jeden zugänglich gemacht. In diesem Zusammenhang wird häufig der alte Spruch ad absurdum gerührt: „Jeder hat das Recht, unter der Seine-Brücke zu übernachten - der Millionär sowohl wie der Clochard". Mit umgekehrten Vorzeichen wird dies auf das Museum übertragen; junge Kollegen versuchen, das Museum sinnvoll für alle Bevölkerungsschichten zu gestalten, so daß jeder das Bewußtsein haben kann, Teilhaber der dort gezeigten Werke und Werte zu sein. Die damit zusammenhängenden Fragen sind im Laufe des Jahres in verschiedenen kunsthistorischen Instituten durchdiskutiert worden. Auch müssen hier einige Ausstellungen genannt werden, die von Arbeitsgruppen der Institute in Museen organisiert wurden, vor allem die Ausstellung „Foto65
porträt" im Haager Gemeentemuseum, erarbeitet von Studenten der Universität Leiden. Es ist erfreulich festzustellen, daß die junge Generation der Entwicklung der Museen ein so reges Interesse entgegenbringt, ein Interesse, das auch in der Tatsache zum Ausdruck kommt, daß stets mehr Studenten der Kunstgeschichte die Gelegenheit benutzen, an einem der holländischen Museen zu volontieren.
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J E R Z Y BANACH
Zum Stand der Museologie in Polen Die Idee eines öffentlichen Museums erscheint, soweit uns bekannt, zum ersten Male in der polnischen Fachliteratur im Jahre 1775: in einer Druckschrift mit dem Titel „Gedanken über die Gründung des Musaeum Polonicum", die von Michal Jerzy Mniszech, dem Wirtschaftsberater des Königs Stanislaw August, herausgegeben worden war. Mniszech plant hier ein Museum in Verbindung mit einer Bibliothek und einem Archiv, wo Objekte der Kultur und der Natur systematisch gesammelt werden sollen. Die politische Entwicklung im Lande verhinderte die Verwirklichung dieser Pläne. Als erstes Museum in Polen nennen wir die Sammlungen der Fürsten Czartoryski, die 1801 und 1809 in zwei besonders für diese Zwecke errichteten Gebäuden in Pulawy zugänglich gemacht wurden. Hier wurden u. a. die Bilder von Leonardo da Vinci, Raffael und Rembrandt zur Schau gestellt. Das Museum Czartoryski, zeitweise nach Paris verlagert, wurde 1876 in Krakau erneut geöffnet. Heute bildet es eine Abteilung des Nationalmuseums. Unter den vielen im 19. Jahrhundert in polnischen Gebieten gegründeten Museen ist vor allem das 1879 entstandene Nationalmuseum in Krakau zu nennen, das bis zum Zweiten Weltkrieg das bedeutendste in Polen war. Im Jahre 1929 wurden die ersten Ausstellungsräume der Staatlichen Kunstsammlungen im renovierten Königsschloß Wawel in Krakau eröffnet, mit der berühmten Sammlung der Jagellonengobelins aus dem 16. Jahrhundert. Im Jahre 1938 wurde das moderne Gebäude des Nationalmuseums in Warschau der Öffentlichkeit übergeben. Die Volksrepublik Polen nahm 1950 den überwiegenden Teil der Museen in staatliche Verwaltung. Ausnahmen bildeten kirchliche Museen wie auch die, welche den Massenorganisationen gehören, ζ. B. der Polnischen Gesellschaft für Tourismus und Landeskunde. Die Übernahme der Museen durch den Staat bedeutet aber nicht, daß sie alle auf gleiche Weise verwaltet werden. Eine klare und einheitliche Regelung dieser Fragen erfolgte durch das Gesetz vom 15. Februar 1962 „Über den Schutz der Kulturgüter und über die Museen". Danach unterliegen alle Museen in Polen der Oberaufsicht des Ministers für Kultur und Kunst. Die direkte Aufsicht sowie die Finanzierung eines großen Teils der Museen erfolgt hingegen durch die Präsidien der Nationalräte, Wojewodschafts-, Bezirks- bzw. Stadträte. Ein Teil der Museen wird direkt durch die verschiedenen Ministerien, die Polnische Akademie der Wissenschaften und die Hochschulen verwaltet. Hierzu gehören die sogenannten „Zentralmuseen", die wegen des Umfanges und des Reichtums ihrer Sammlungen für das ganze Land von 67
Bedeutung sind. Es sollen hier vor allem die fünf Nationalmuseen genannt werden. Der Name Nationalmuseum (Muzeum Narodowe) bezeichnet in Polen ein großes Museum, aus mehreren, teilweise in separaten Gebäuden untergebrachten Abteilungen bestehend, dessen Sammlungen die Kunst verschiedener Zeiten und Völker repräsentieren. Es gibt auch einige Staatliche Museen (Muzeum Panstwowe), ζ. B. das Staatliche Archäologische und Ethnographische Museum; in diesen Fällen weist die Bezeichnung „Staatlich" auf die besondere Bedeutung der Institution im polnischen Museennetz hin. Ende 1970 gab es in Polen etwa 350 Museen. Alle grundsätzlichen Typen sind vertreten. Zu den einzigartigen gehören das Museum der Krakauer Salinen in Wieliczka, mit seinen mehrere Kilometer langen Gängen und wunderbar erhaltenen alten Bergwerksgeräten, und das Museum der Pharmazie in Krakau, das tausende Gegenstände des alten Apothekengewerbes bewahrt, Objekte, die nach der Nationalisierung der Apotheken in der Volksrepublik Polen hierher kamen. Der Status des Personals ist aufgrund einer Verordnung von 1966 geregelt, die drei Gruppen vorsieht: Der ersten gehören die wissenschaftlichen Angestellten und die der Bildungsabteilung vom Assistenten bis zum Kustos und Kurator an; der zweiten die in den Ateliers tätigen Restauratoren; der dritten alle technischen Kräfte. Die Qualifikation für die ersten zwei Gruppen ist ein abgeschlossenes Hochschulstudium in einer der Disziplinen, die im Museum repräsentiert ist. Die wissenschaftlichen und die Angestellten mit Bildungsaufgaben sind in Rechten und Pflichten gleichgestellt. Für die Verwaltungsangestellten gilt eine besondere Regelung. An einigen Hochschulen, wie ζ. B. an der Jagellonen-Universität in Krakau, werden die Studenten der Kunstgeschichte, der Ethnographie und der Archäologie noch während der Studienzeit auf ihre künftige Museumsarbeit vorbereitet; im Laufe von zwei oder mehreren Semestern hören sie Vorträge über angewandte Museographie. Dazu kommen auch praktische Arbeiten in den Museen sowie das sogenannte Praktikum während der Sommerferien. Nur an einer Universität, der von Thorn, führt zur Zeit dieser Lehrgang zu einem Diplom: Die Absolventen werden hier „Magister der Kunstgeschichte mit Sonderausbildung in Museologie". In der Arbeit des polnischen Museums leisten zwei verschiedenartige kollegiale Körperschaften dem Direktor Hilfe: das Kollegium der Kustoden und der Museumsrat. Das erstgenannte besteht ausschließlich aus den Angestellten des betreffenden Museums und befaßt sich vor allem mit praktischen Fragen. Den Museumsrat gibt es nur bei großen Museen, bestehend aus Fachleuten, die nicht nur das betreffende Museum, sondern auch Hochschulen, wissenschaftliche Institute usw. repräsentieren. 68
Der Staat trägt den gesamten Haushalt der Museen. Die Einnahmen, das heißt Eintrittsgebühren oder Erlöse aus dem Verkauf von Katalogen, Führern usw.* sind gering im Verhältnis zu den Ausgaben. Im Nationalmuseum Krakau machen die Einnahmen nur etwa drei bis vier Prozent der Ausgaben aus. Unbestreitbare Erfolge hatten wir in der Nachkriegszeit bei der Verwendung alter, teilweise historischer Gebäude für Museumszwecke. So sind ζ. B. in ehemaligen Rathäusern, Palästen, besonders wertvollen Patrizier- und Bürgerhäusern Museumsräume eingerichtet worden, nicht selten nach durchgreifenden Restaurierungsarbeiten. Hier soll auch besonders die Instandsetzung der Residenzmuseen genannt werden; ζ. B. Baran