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German Pages 404 [205] Year 2021
Michael Rothberg
Multidirektionale Erinnerung Holocaustgedenken im Zeitalter der Dekolonisierung
Aus dem Englischen von Max Henninger
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METROPOL
Die Übersetzung wurde ermöglicht mit freundlicher Unterstützung von: 1939 Society Samuel Goetz Chair in Holocaust Studies at UCLA, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Goethe-Institut, Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin, Stiftung Zeitlehren.
UCLA ZUlilrumlUr
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Zur Einführung: Interview mit Michael Rothberg von Felix Axster und !ana König
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1. Einleitung: Die TI1eorie multidirektionaler Erinnerung
in einem transnationalen Zeitalter ROSA ILUXEMBIUIRG S1I"SIFII"IUIII\IG
= Anilsumilismuslorschung
Inhalt
GOETHE
INSTITUT
STIFTUNG
=
Teil I: Bumerang-Effekte: Nacktes Leben, Trauma und die koloniale Wende in der Holocaustforschung 59
2. An den Grenzen des Eurozentrismus: Hannah Arendts Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft
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3. »Un choc en retour«: Aime Cesaires Diskurse über Kolonialismus und Genozid
ZEITLEHREN
Teil II: Migrationen der Erinnerung: Ruinen, Ghettos, Diasporen 143
4. W. E. B. Du Bois in Warschau: Holocaustgedenken und die color line
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5. Anachronistische Ästhetik: Andre Schwarz-Bart und Caryl Phillips über die Ruinen der Erinnerung
Teil III: Wahrheit, Folter, Zeugnis: Holocaustgedenken während des Algerienkriegs 211
6. Das Werk der Zeugenschaft im Zeitalter der Dekolonisierung: Chronik eines Sommers und das Auftauchen der Holocaust-Überlebenden
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7. Die gegenöffentliche Zeugin: Charlotte Delbos Les beIles lettres
Teil IV: Der 17. Oktober 1961: Ein Ort des Holocaustgedenkens? Erstausgabe: Michael Rothberg, Multidirectional Memory Remembering the Holocaust in the Age of Decolonization Stanford University Press 2009
ISBN: 978-3-86331-558-0 © 2021 Metropol Verlag Ansbacher Str. 70 I D-10777 Berlin www.metropol-verlag.de Alle Rechte vorbehalten Druck: buchdruckereLde, Berlin
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8. Eine Geschichte dreier Ghettos: Race, Gender und »Universalität« nach dem 17. Oktober 1961
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9. Versteckte Kinder: Die Ethik multigenerationeller Erinnerung nach 1961
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Epilog: Multidirektionale Erinnerung in einem Zeitalter der Besatzungen
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Dank
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Felix Axster • Jana König Nachwort: Multidirektionalität in Deutschland
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Literatur Personenregister
Zur Einführung: Interview mit Michael Rothberg von Felix Axster • !ana König
Michael Rothberg, als Literaturwissenschaftier und Holocaustforscher beschäftigen Sie sich intensiv mit Fragen der Erinnerung, die Sie als Auseinandersetzung mit Gerechtigkeit verstehen. Können Sie kurz die Genese Ihrer erinnerungspolitischen Sozialisation skizzieren? Welche Debatten waren wichtig für Sie? Gab es bestimmte Zäsuren oder Wendepunkte?
Ich würde sagen, meine intellektuelle Entwicklung wurde durch eine Menge Zufälle und durch einige sehr klare soziale und biografische Fakten gekennzeichnet. Ich bin in einer, wie ich es beschreiben möchte, ziemlich »typischen« jüdisch-amerikanischen Familie aufgewachsen - Mittelklasse, meist säkular, politisch liberal. Sowohl die Familie meiner Mutter als auch die meines Vaters sind Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, Jahrzehnte vor dem Holocaust, aus Osteuropa an die Ostküste der Vereinigten Staaten migriert. Die Familie meines Vaters war etwas religiöser; einige Verwandte auf mütterlicher Seite waren Kommunisten oder Sozialistinnen. Ich würde nicht sagen, dass ich mit einem intensiven Bewusstsein vom Holocaust aufgewachsen bin, aber sicherlich war er mir durch Kinderbücher und vielleicht durch ein paar Unterrichtsstunden in der hebräischen Nachmittagsschule peripher gewahr. Obwohl meine Familie nur wenige direkte Verbindungen zu Israel hatte, wurde ich definitiv dazu erzogen, Israel unkritisch zu unterstützen und seine »arabischen Nachbarn« zu fürchten. Ich glaube nicht, dass "palästinensisch" ein Wort war, das ich je gehört habe, als ich in den 1970er und frühen 1980er Jahren aufwuchs. Ich habe wissentlich keine Palästinenser getroffen, bis ich in meinen frühen Zwanzigern während der ersten Intifada auf die Hochschule kam. Diese Begegnungen hatten gewaltigen Einfluss auf mein Denken über die Welt, denn sie zeigten mir, wie sehr ich mit einer sehr einseitigen - und, ehrlich gesagt, vorurteilsbehafteten - Weltsicht aufgewachsen war. Mein Interesse am Holocaust entstand etwa zur gleichen Zeit, als ich begann, mich mit der Politik Israels und Palästinas auseinanderzusetzen. Im ersten Semester meines Graduiertenkollegs an der Duke University belegte ich einen Kurs über »Krieg und Erinnerung«, der von Alice Kaplan und Linda Orr, zwei französischen Kulturwissenschaftlerinnen, geleitet wurde. Wir diskutierten über die Paul-de-ManAffäre und den »Historikerstreit« - beide hatten erst kurz zuvor stattgefunden -, sahen Claude Lanzmal1l1s Shoah und lasen Texte wie Christa Wolfs Kindheitsmuster und Art SpiegeImans Maus, die ebenfalls gerade erst erschienen waren. Ich setzte ein paar Jahre mit der Uni aus und zog nach New York City, wo ich erst in einer Suppenküche und dann für einen wissenschaftlichen Verlag gearbeitet habe. Während dieser Zeit begann ich, Bücher wie Primo Levis Die Untergegangenen und
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die Geretteten, Gita Serenys Am Abgrund und Christopher Brownings Ganz normale Männer zu lesen. An dem Punkt war ich wirklich süchtig danach: Der Völkermord der Nazis schien so viel von der Selbstverständlichkeiten meiner Ausbildung als Literaturtheoretiker infrage zu stellen, insbesondere die poststrukturalistischen und marxistischen Theorien, die mich als Student begeistert hatten und die mir nach wie vor wichtig sind. Als ich an die City University ofNew York zurückkehrte, begann ich, die Ereignisse des Holocaust als eine intellektuelle und ethische Herausforderung zu sehen, die nach Engagement rief. Ich hatte das Glück, mit Nancy K. Miller zusammenzuarbeiten, die zwar keine Holocaustforscherin, aber Expertin für Autobiografien und Memoiren war und die mir half, über Zeugnis und Erinnerung nachzudenken (und die mich zwang, einen Teil des theoretischen Jargons, den ich über die Jahre angesammelt hatte, abzulegen!) Als ich Mitte und Ende der 1990er-Jahre an meiner Dissertation und meinem ersten Buch Traumatic Realism arbeitete, wurde mir klar, dass ein scheinbar sehr persönliches Interesse am Holocaust Teil eines viel größeren Phänomens war: Es war die Zeit nach dem Kalten Krieg, in der der Holocaust »amerikanisiert« und »globalisiert« wurde. In meinem Buch schrieb ich über das Jahr 1993 - das Jahr, das eine amerikanische Nachrichtensendung »Das Jahr des Holocaust« genannt hatte, weil da das Holocaust-Memorial-Museum der Vereinigten Staaten eröffnet wurde, der Film Schindlers Liste erschien, der Völkermord in Jugoslawien begann und neonazistische Aktivitäten in Europa stark zunahmen - im folgenden Jahr kam der ebenso beunruhigende Genozid in Ruanda dazu. Das war ein Moment - ähnlich wie heute -, in dem das Echo der Vergangenheit sehr stark war und in dem der Holocaust oft für sehr zweifelhafte Zwecke vereinnahmt wurde. Man hatte den Eindruck, dass die amerikanischen Juden ihre Identität zugleich auf einer Besessenheit vom Holocaust und einer Loyalität zu Israel aufbauten, dessen Besatzungsregime durch die Intifada dramatisch infrage gestellt wurde. Philip Roth untersucht in seinem Roman Operation Shyloclc, der ebenfalls 1993 erschien und über den ich in Traumatic Realism schrieb, sehr provokativ und produktiv diese Triangulation von Israel, Holocaust und jüdisch-amerikanischer Identität. Ich verstand meine damalige Arbeit als Versuch, in diese Triangulation einzugreifen, indem ich einige Glaubensdogmen rund um den Holocaust infrage stellte, die ihn für eine rührselige Popkultur ausbeutbar machten und zugleich als Schutzwall gegen eine Kritik der israelischen Politik dienten - eine Politik, die ich zunehmend als unrechtmäßige Besatzung und Enteignung der Palästinenser sah. Ab Wal111 hat das Modell der multidirelctionalen Erinnerung in Ihrem Denlcen Konturen angenommen?
Während ich mich mit all diesem Material zum Holocaust befasste, entwickelte ich parallel ein Interesse an Literatur und Kultur der Afroamerikaner und der Schwarzen
INTERVIEW MIT MICHAEL ROTHBERG
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Diaspora sowie an postkolonialer Theorie, die in den USA etwa zeitgleich prominent wurde. Ursprünglich betrachtete ich dies als getrennt voneinander, aber dann erschien 1993 ein weiteres Buch, das mein Denken wesentlich beeinflusste: Paul Gilroys Ihe Blacle Atlantic. Gilroys hauptsächliches Ziel war es, die Auseinandersetzung mit Schwarzen Kulturen nicht aus einer national geprägten Perspektive zu führen, sondern in einen diasporischen Kontext zu stellen - und den Schlüsselmoment der Moderne für Schwarze und alle anderen in der »Middle Passage« (der Passage über den Atlantik von West-Afrika zu den Westindischen Inseln oder nach Amerika - der Route des früheren Sklavenhandels) zu verorten. Im letzten Kapitel des Buches erörtert Gilroy anhand von Toni Morrison und Primo Levi, wie die Sklaverei und der Holocaust, wie ich es nennen würde, »multidirektional«, also nicht konkurrierend, zusammengebracht werden können. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der Universität gab ich 1994 eine Sonderausgabe unserer kulturwissenschaftlichen Zeitschrift Found Object zu Gilroys Arbeit heraus, die wir »Across the Blade Atlantic« nannten. Damit waren wir wirklich weit vorne, denn dieses Buch wurde zu einem der einflussreichsten (und zum Teil umstrittensten) akademischen Werke des Jahrzehnts. Für mich persönlich war es der Versuch, zwei Bereiche auf plausible Weise zusammenzuführen, die meist getrennt voneinander behandelt werden. Es zeigt ein Modell, wie man das bewerkstelligen kann, ohne die Unterschiede zu verwischen oder die Opfer und ihre Nachkommen gegeneinander auszuspielen. Ich bezog mich also in Traumatic Realism auf Blacle Atlantic und analysierte im Schlussteil zudem Drei Tage und eine Frage - einen kurzen Text der linken jüdischamerikanischen Schriftstellerin Grace Paley, in dem sie den Holocaust, die Besetzung Palästinas, die AIDS-Epidemie und die Notlage der haitianischen Flüchtlinge einander gegenüberstellt. Im Rückblick scheint mir klar, dass Gilroys und Paleys sorgfältige, ethisch anspruchsvolle vergleichende Perspektiven der Ursprung von Multidirelctionaler Erinnerung waren, aber damals wusste ich das noch nicht. Inspiriert von Gilroy begann ich, über ein Buchprojekt nachzudenken, das die »schwarz-jüdische Frage« - so hieß es damals in den USA - aus einem eher transnationalen Blickwinkel betrachten sollte. Ich stieß auf Ihe Negro and the Warsmv Ghetto, einen kurzen Text des afroamerikanischen Intellektuellen und Aktivisten W. E. B. Du Bois. Sein Text aus dem Jahr 1952, der, wie ich bald herausfand, in einer jüdischkommunistischen Zeitschrift veröffentlicht worden war, erzählt von Du Bois' Besuch der Ruinen des Warschauer Ghettos im Jahr 1949 und beschreibt, wie der Anblick absoluter Zerstörung sein Denken über race veränderte. Du Bois erkannte sowohl die präzedenzlose Radikalität des Holocaust als auch seine Verbindungen zu der ganz anderen Form von Rassismus, die er als Schwarzer Amerikaner erlebt hatte. Du Bois' Fähigkeit, Unterschiede und Ähnlichkeiten zugleich wahrzunehmen, war die konzeptionelle Inspiration für meinen Ansatz der multidirektionalen Erinnerung, auch wenn ich diesen Begriff zu der Zeit noch nicht geprägt hatte. Außer der Auseinandersetzung mit Du Bois war ein Schlüsselmoment der Entstehung von Multidirelctionaler Erinnerung meine Entdeckung des überdeterminierten
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Kontextes des algerischen Unabhängigkeitskrieges und insbesondere, wie er sich bei den französischen Intellektuellen in den späten 1950er- und frühen 1960er-Jahren umgesetzt hat. Diese Entdeckung war wirklich zufällig. Ich hör te einen Vortrag des afrikanischen Filmwissenschaftiers Manthia Diawara, in dem er seinen Film Rouch in Reverse vorstellte - einen »anti-ethnografischen« Film über den Ethnografen und Filmemacher Jean Rouch. In seinem Vortrag beschrieb Diawara eine Stelle in Rouch in Reverse und eine andere Szene im Cinema-Verite-Film Chronique d'un ete (Chronik eines Sommers) von Edgar Morin und Jean Rouch aus dem Jahr 1961, in der eine Begegnung zwischen einem Holocaust-Überlebenden und einigen afrikanischen Studenten in Paris gezeigt wird. Ich rannte sofort in die Bibliothek und besorgte mir eine Kopie des Films. Ich schaute mir ihn am nächsten Tag mit einigen Freunden an, und er beeindruckte mich enorm. Es gab nicht nur die sehr unangenehme und verstörende Szene, die Diawara beschrieben hatte, es folgte auch ein Zeugnis der Überlebenden Marceline Loridan, die erzählte, dass sie mit ihrem Vater nach Auschwitz deportiert wurde und allein nach Frankreich zurückkehrte. Rouch und Morin filmten Marceline, wie sie durch die Straßen der Stadt lief, vorbei an der Place de la Concorde und in den alten Markt Les Halles, der so gefilmt wurde, dass er wie die Bahnhöfe aussah, die Marceline in ihrer kurzen Zeugenaussage beschreibt. Chronique d'un ete enthält eine kurze Diskussion über die Dekolonialisierung, auch über die Ermordung Lumumbas im Kongo, und es ist der einzige französische Film dieser Zeit, der sich ausdrücklich, wenn auch indirekt, auf den Algerienkrieg bezieht. Als ich mich mit dem Kontext des Algerienkrieges auseinandersetzte, wurde mir klar, dass verschiedene Aktivistinnen und Aktivisten sowie Intellektuelle damals einige Aspekte des Krieges als Widerhall dessen verstanden, was unter der NaziBesatzung geschehen war: Folter, Lager und die Notwendigkeit, traumatische Gewalt zu bezeugen. Mit anderen Worten: Genau zu dem Zeitpunkt, als die Erinnerung an den Holocaust im öffentlichen Diskurs - vor allem durch den Eichmann-Prozess in Jerusalem - mehr Aufmerksamkeit bekam, führte die Dekolonialisierung in Frankreich zu einer neuen, vergleichenden und sehr politischen Form von Erinnerung. Kurz darauf wurde mir klar, dass das Buch Les belles lettres von Charlotte Delbo einer nichtjüdischen Auschwitz-Überlebenden, über die ich in Traumatic Realism geschrieben hatte -, das aus einer Sammlung offener Briefe aus dem Jahr 1961 besteht, in Opposition zum Algerienkrieg geschrieben wurde. An diesem Punkt wurde mir klar, dass ich etwas entdeckt hatte, was sich weitreichend darauf auswirkt, wie wir über die Erinnerung an den Holocaust und Erinnerung im Allgemeinen denken. Sie haben eben den Historikerstreit erwähnt. Gerade in Deutschland ist die Mitte der 1980er- fahre geführte Debatte über die Frage, ob und inwiefern der Nationalsozialismus und der Stalinismus bzw. Auschwitz und der Gulag zusammenhängen, eine wesentliche Referenz hinsichtlich des Singularitätsparadigmas. Immerhin hat Dan Diner im Kontext des Historikerstreits den Begriff des Zivilisationsbruchs geprägt, deI' die Einzigartigkeit des Holocaust unterstreichen und somit die Relativienmgsbe-
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mülnmgen von konservativen Historikern wie E1'11st Nolte (dabei ging es auch um die Relativienmg deutscher Schuld) aushebein sollte. Der seit Mitte/Ende der 1990er-Jahre schwelende Streit über das Verhältnis zwischen Nationalsozialismus und Kolonialismus, der erst kürzlich im Rahmen der Auseinandersetzung über Achille Mbembe und die gegen ihn erhobenen Antisemitismusvorwül!e wieder aufflammte, ist immer wieder als eine Art Historikerstreit 2.0 interpretiert worden. Was halten Sie von dieser Analogie? Inwiefern ist die Angst, die Spezifika des Holocaust könnten sich in einer allgemeinen und komparativen Geschichte globaler lvlassengewalt auflösen, gerade im Land der Täter berechtigt? Wie verhält sich Ihr Modell der multidirektionalen Erinnerung zu ethisch problematischen oder gar illegitimen Bezugnahmen auf den Holocaust, wie wir sie momentan im Rahmen der Proteste gegen die Corona-lvlaßnahmen erleben? Erinnert sei an das berühmt gewordene Plakat, auf dem der deutsche Virologe Christian Drosten mit fosef Mengele, dem berüchtigten Arzt aus Auschwitz, verglichen wird?
Diese Fragen des Vergleichs und der Analogie stehen im Mittelpunkt meines Denkens, seitdem ich mit der Arbeit an Multidirektionale Erinnerung begonnen habe. Um sie anzugehen, müssen wir die politische Dynamik öffentlicher Erinnerung verstehen und eine nuancierte Ethik des Vergleichs entwickeln. Und natürlich braucht man ein solides empirisches Wissen über die verschiedenen Geschichten. Ich beginne das Buch mit einem - wie ich es nenne - »negativen« Beispiel für multi direktion ale Erinnerung: der Inszenierung einer Opferkonkurrenz zwischen »Schwarzer« und »jüdischer« Geschichte. Damit mache ich klar, dass der Begriff der multidirektionalen Erinnerung keine einfache Lösung für die Probleme des Vergleichs bietet. Vielmehr geht es mir mit diesem Beispiel um ein Verständnis der Dynamik von Erinnerung: darum, dass diese Dynamik eben nicht durch die Logik des Nullsummenspiels bestimmt ist. Öffentliche Erinnerung arbeitet vielmehr ertragreich und ist nicht einer Logik der Knappheit unterworfen. Mit anderen Worten: Der Konflikt um Erinnerung produziert mehr Erinnerungen, nicht weniger. Diesem Axiom entsprechend existieren Erinnerungen nie im Singular. Vergleich, Analogie, Aneignung und Nachhall sind unvermeidliche Bestandteile aller Artikulationen von Erinnerung - ganz sicher der öffentlichen Erinnerung, aber ich vermute, das gilt auch für persönlichere, intimere Erinnerungen. In Multidirektionale Erinnerung konzentriere ich mich größtenteils auf »positivere« Beispiele der Multidirektionalität. Das mache ich, weil das Verständnis der vergleichenden Erinnerungen zu der Zeit, als ich mit dem Schreiben begann, nahezu ausschließlich von dem dominiert wurde, was ich »kompetitive Erinnerung« nenne, also der Annahme, dass die Erinnerung an den Holocaust die Erinnerung und Artikulierung anderer Geschichten verhindert; oder umgekehrt, dass die Erinnerung an Sklaverei oder Kolonialismus die Erinnerung an den Holocaust auf irgendeine Weise aus der öffentlichen Sphäre auslöschen würde. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass dies der falsche Weg ist, um Erinnerungsdynamiken zu verstehen. Ich würde auf solche Diskussionen verweisen, auf die Sie in Ihrer Frage anspielen - zum Beispiel über
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die Beziehung zwischen dem Holocaust und dem Kolonialismus -, um zu belegen, dass die kollektive Aufmerksamkeit durch Kontroversen auf vielfältigere Erinnerungen gelenkt wird. Neben einer Theorie der Dynamik des Gedenkens wollte ich mit dem Buch aber auch eine Gegengeschichte der Holocausterinnerung sichtbar machen: eine Geschichte, die bis in die unmittelbare Nachkriegszeit zurückreicht und in der immer wieder unterschiedliche Erinnerungen an Gewalt im Interesse einer gruppenübergreifenden Solidarität zusammengeführt werden. Wie ich oben ausgeführt habe, war und ist es eines meiner Anliegen - inspiriert von Gilroy, Du Bois, Paley und anderen -, Beispiele für solidarische Bezüge zwischen Holocaustüberlebenden und deren Nachkommen und den Nachkommen derjenigen, die in Amerika versklavt oder von europäischen Mächten kolonisiert wurden, zu finden. Was ich an einem solch multidirektionalen Zugang schätze, ist die Möglichkeit, Erfahrungen zusammenzudenken, die sich deutlich voneinander unterscheiden und die dennoch Berührungspunkte haben - und dadurch gegenseitiges Verständnis erwecken können. Und doch gibt es, das deutet Ihre Frage an, Schwierigkeiten, die mit solch multidirektionalen Zugängen einhergehen. Nachdem ich das Buch beendet hatte, wurde mir klar, dass ich einige dieser möglicherweise problematischen ethischen Fragen über vergleichende Erinnerungen noch nicht angemessen behandelt hatte. In Multidirektionale Erinnerung differenziere ich zwischen Vergleichen, die die Unterschiede zwischen den verschiedenen Geschichten nivellieren, was ich für problematisch halte, und solchen, die die Unterschiede anerkennen und bewahren, was ich im Allgemeinen für ethisch vertretbarer halte. Diese Unterscheidung ist ein wichtiger erster Schritt, aber für sich nicht ausreichend. Für ein komplexeres Verständnis der ethischen Fragen solcher Vergleiche habe ich mir den Fall vorgenommen, den ich für den schwierigsten halte: den Vergleich zwischen dem Völkermord der Nazis und der israelischen Besatzung und Enteignung von Palästinenserinnen und Palästinensern. Indem ich diesen Fall behandle - speziell die häufige Beschwörung des Warschauer Ghettos in Bezug auf Gaza und die Besatzung allgemein -, gestalte ich eine neue »Landkarte« der multidirektionalen Erinnerung. In dem Aufsatz From Gaza to Warsaw: Mapping Multidirectional Memory (2011) - der auch in meinem neuen Buch The Implicated Subject (2019) enthalten ist - argumentiere ich, dass solche Erinnerungen auf zwei Achsen produktiv abgebildet werden können: einer Ve7gleichsachse, die sich von Gemeinsamkeiten bis zu Unterschieden erstreckt, und einer Achse des politischen Affekts, die sich von der Konkurrenz bis zu Solidarität erstreckt. Damit bleiben uns vier Quadranten, in denen wir verschiedene Formen der multidirektionalen Erinnerung lokalisieren können: eine für Konkurrenz basierend auf Unterschieden sowie auf Gleichsetzung; eine für Solidarität basierend auf Gemeinsamkeiten sowie auf Unterschieden. Obwohl diese Bestandsaufnahme in erster Linie als Analyseinstrument gedacht ist, hilft sie uns, Einblicke in wichtige ethische und politische Unterschiede zu gewinnen. Sie hat mir zum Beispiel geholfen zu verstehen, dass das, was ich als radikal demokratische Erinnerungspolitik schätze, auf »differenzierter Solidarität« beruhen muss - ein Ansatz, den ich verfolgen muss, wenn ich z. B. als weißer Jude meine
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Solidarität mit der Black-Lives-Matter-Bewegung ausdrücken möchte, ohne zu beanspruchen, irgendeine gleichwertige persönliche Viktimisierungsgeschichte zu teilen. Solidarität erfordert keine Identifikationen, die die realen materiellen Unterschiede der Standorte und Erfahrungen auslöschen. Diese Karte ist zwar recht schematisch, aber ich denke, dass sie uns hilft, ein,ige der in Rede stehenden Kontroversen zu verstehen. Zum Beispiel steht im Zentrum meines Textes From Gaza to Warsaw ein Fotoessay, der ganz ähnlich funktioniert wie das erwähnte Corona-Plakat. Nach der israelischen Bombardierung des Gazastreifens im Dezember 2008 und Januar 2009 zirkulierte im Internet ein Fotoessay, der bekannte Bilder des Holocaust zeigt und sie Fotografien gegenüberstellt, die die israelische Besatzung zeigen. Ich war zwar empört über die Zerstörung und den Verlust von Menschenleben im Gaza-Streifen, aber es gab zwei Dinge, die mich an diesem Fotoessay, der sich als Werk eines norwegischen Diplomaten entpuppte, störten. Erstens der visuelle Stil, der ähnlich wie das Corona-Plakat Geschichten andeutungsweise gleichsetzt, also offensichtlich verzerrt. Beispielsweise wird ein Bild aus dem »Auschwitz-Album«, das jüdische Deportierte auf der Rampe in Auschwitz zeigt, einem Foto von einem Kontrollpunkt in den besetzten Gebieten gegenübergestellt. Obwohl beide Bilder Ungerechtigkeiten zeigen, können diese Erfahrungen natürlich nicht gleichgesetzt werden. Daher wäre der Fotoessay, wie auch die Drosten -MengeleZusammenstellung in der »Gleichungs«-Hälfte der Karte angesiedelt. Aber zweitens, und das ist noch wichtiger, soll bei dem Fotoessay, wie auch bei dem Corona-Plakat gerade nicht ein Gefühl der Solidarität geweckt werden, sondern beide spielen die Opfer gegeneinander aus und veranschaulichen somit eher einen Konkurrenzkampf - daher sind diese beiden Beispiele für mich auf der Karte im Quadranten der Konkurrenz, basierend auf Gleichsetzung, angesiedelt. Zumindest im Fall Gaza-Warschau sind andere Ergebnisse ähnlicher Gegenüberstellungen vorstellbar. In meinem Text bespreche ich zum Beispiel eine Videoarbeit des britisch-jüdischen Künstlers Alan Schechner, der zwei Bilder verwendet, die auch im Fotoessay zu finden sind: das des »Jungen im Warschauer Ghetto« und das eines palästinensischen Jungen, der vom israelischen Militär verhaftet wird. Man könnte die Arbeit Schechners leicht als Gleichsetzung der beiden Erfahrungen sehen. Aber, so argumentiere ich in meinem Text, diese Arbeit hat eine differenziertere Sichtweise, denn die Gegenüberstellung erfolgt mit dem Ziel der Solidarität: Schechner bearbeitet die Bilder so, dass der Junge aus dem Warschauer Ghetto das Bild des palästinensischen Jungen in den Händen hält, und der palästinensische Junge das Bild des Jungen aus dem Warschauer Ghetto. Ihre Leben, so vermittelt diese Montage, sind miteinander verwoben. Auch viele Schriften des palästinensischen Intellektuellen Edward Said sind meiner Meinung nach Vorschläge einer differenzierten Solidarität zwischen Juden und Palästinensern: einer Solidarität, die die Traumata beider Gruppen anerkennt, ohne die Unterschiedlichkeiten der Erfahrung, Verantwortung oder Macht zu negieren. Hingegen ist der Corona-Holocaust-Vergleich auf empirischer Basis so abwegig, dass ich mir keinen Gebrauch davon vorstellen kann, der nicht paranoid,
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konspirativ und antisemitisch wäre. In der Schlussfolgerung, die ich in From Gaza to Warsmv gezogen habe, formuliere ich es so: »Eine differenzierte empirische Geschichte« ist ebenso notwendig wie die »moralische Solidarität mit den Opfern verschiedener Ungerechtigkeiten«, also »eine Ethik des Vergleichs, die die asymmetrischen Ansprüche dieser Opfer koordiniert«. Der Ansatz, den ich hier skizziert habe, gilt auch für die Mbembe-Debatte, die, wie Sie gesagt haben, zu einer Art Historilcerstreit 2.0 geworden ist. Zunächst einmal ist fest zuhalten, dass Deutschland und die Deutschen natürlich eine besondere Verantwortung haben, die moralischen Anforderungen des Holocaust anzuerkennen. Die Dynamik einer multidirektionalen Erinnerung ist in Deutschland natürlich eine andere als an den meisten anderen Orten. Mein Argument in Bezug auf historische Verantwortung beruht auf einer ähnlichen Einsicht wie meine Theorie der multidirektionalen Erinnerung: Die Anerkennung der Verantwortung bedeutet nicht, dass es unmöglich ist, auch andere Formen der Verantwortung anzuerkennen; und umgekehrt bedeutet die Anerkennung multipler Formen der Verantwortung nicht, dass die Ansprüche in einem bestimmten Fall weniger gültig sind oder dass alle Formen von Verantwortung gleich sind. In diesem Sinne ist es richtig, die aktuelle Mbembe-Debatte als eine Art Wiederholung des Historilcerstreites zu betrachten: Einige Themen sind die gleichen. Aber die Kontroverse erfordert auch einen neuen - und ich glaube: multidirektionaleren Rahmen. Das heißt, ich würde mich in der Diskussion um Nolte und die anderen Konservativen, die am Historilcerstreit beteiligt waren, nach wie vor auf Habermas' Seite stellen: Es ging nicht nur um die Gleichsetzung von Nationalsozialismus und Stalinismus oder Auschwitz und Gulag, sondern auch um den mit dieser Gleichsetzung verbundenen politischen Affekt. Da wurde sicherlich versucht, sich die OpferSprache derjenigen anzueignen, die den Holocaust erlitten hatten, aber auch - und das erscheint mir entscheidender -, sich der Verantwortung für den Genozid zu entziehen oder sie zu relativieren. Heute hingegen lenkt die Forderung nach Verantwortungsübernahme für den deutschen Kolonialismus in keiner Weise von der Verantwortung für den Holocaust ab - ich kenne niemanden, der das behauptet. Die gegenwärtigen Kämpfe von Schwarzen Deutschen und anderen um Anerkennung des deutschen Kolonialismus bauen zwar auf dem Erbe des Holocaust auf, aber sie versuchen überhaupt nicht, die Verantwortung für diesen zu beseitigen. Deutschland trägt - wie die USA, wie Frankreich und Großbritannien und die meisten anderen mächtigen und wohlhabenden Nationen - eine beträchtliche Verantwortung für viele gegenwärtige Gewaltgeschichten und Herrschaftsstrukturen. Tatsächlich hat die multidirektionale Dynamik zahlreiche antirassistische Proteste der letzten Zeit angetrieben: von den George-Floyd-Protesten bis hin zu den Protesten gegen Kolonialismus und Sklaverei in Europa. Ein anderer Unterschied zwischen der Mbembe-Debatte und dem Historilcerstreit ist die zentrale Rolle Israels. Mbembe wurde - meiner Meinung nach zu Unrecht zweier Todsünden im heutigen Deutschland beschuldigt: Außer Holocaustrelativie-
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rung wurde ihm auch die »Dämonisierung« Israels vorgeworfen. Wenn man sich jedoch Mbembes Werk genauer ansieht, kann man feststellen, dass ~as Thema Israel keineswegs sein zentrales Anliegen ist. Zudem stechen die wenigen Außerungen, die er über Israel macht - auch wenn sie kritisch und zum Teil sogar übertrieben sind nicht aus dem Mainstream der akademischen Debatten in den meisten Ländern lier Welt heraus. Ich bin kein Experte für Mbembes umfangreiche Schriften, habe aber den Eindruck, dass sein Denken weit davon entfernt ist, Israel als Sonderfall herauszugreifen, sondern dass es im Großen und Ganzen kritisch gegenüber verschiedenen Formen der Herrschaft und seine Vision universalisierend und humanistisch ist. Mit anderen Worten: Die Vorwürfe gegen Mbembe sagen mehr aus über den provinziellen und ideologisch überdeterminierten Israel-Palästina-Diskurs in Deutschland als über Mbembe. Die Instrumentalisierung von Antisemitismusvorwürfen gegen Kritiker der israelischen Politik trägt nicht dazu bei, die deutsche Verantwortung für den Holocaust aufrechtzuerhalten, aber sie lenkt sehr wohl ab von der Verantwortung, die Deutsche für den Kolonialismus im Allgemeinen und die fortgesetzte Beherrschung der Palästinenser im Besonderen haben könnten. Dass diese Antisemitismus- und Holocaustrelativierungsvorwürfe auf einige jüdische Intellektuelle und Aktivisten sowie Wissenschaftlerinnen wie Aleida Assmann abzielen, zeigt mir deutlich, dass bei der deutschen Auseinandersetzung mit diesen Themen etwas falsch gelaufen ist. Ich möchte nun auf die Frage des Holocaust als Zivilisatiol1sbruch zurückkommen. Schon immer war ich ein Bewunderer von Dan Diners Essay über die Judenräte und die Gegenrationalität. Diner argumentiert, wenn ich ihn richtig verstehe, dass der erkenntnistheoretische Blickwinkel des Judenrates uns hilft zu verstehen, dass die nationalsozialistische Politik für ihre Opfer buchstäblich undenkbar war, weil sie die Grenzen der konventionellen Rationalität so radikal überschritten hat. Aus dieser Perspektive halte ich es für sinnvoll, vom Holocaust als Zivilisationsbruch zu sprechen. Aber ich denke, es ist wichtig, einen Schritt weiter zu gehen und diese Frage aus postkolonialer Sicht zu betrachten. Wie verschiedene anti- und postkoloniale Denker seit dem Kolonialismus-Dislcurs von Aime Cesaire (1950) - und vielleicht sogar schon vorher - vorgeschlagen haben, kann der Holocaust auch als choc en retour oder »Bumerang-Effekt« verstanden werden, d. h. als die Rückkehr von Gewaltformen nach Europa, die es bereits bei der Kolonialisierung Afrikas, Asiens und Amerikas gab. Während Cesaire, so zeige ich es in Multidirelctionale Erinnerung, zur Gleichsetzung von kolonialer Gewalt und Holocaust tendiert, glaube ich nicht, dass dies der einzige Weg ist, den Bumerang-Effekt zu verstehen. Durch die Arbeiten einiger Historiker, die sich wie Jürgen Zimmerer mit den Vorläufern des Holocaust im Kolonialismus beschäftigen, können wir diese Linien und Genealogien ohne Gleichsetzung oder direkte Kausalität zwischen verschiedenen Gewaltformen oder gar Genoziden nachverfolgen. Neben dem Cesaire-Kapitel in meinem Buch ist auch der Teil über Hannah Arendt für die Diskussion relevant. Meines Erachtens fällt Arendt in ihrer Darstellung Afrikas einer Art Eurozentrismus zum Opfer, selbst wenn sie entscheidende Zusammenhänge zwischen Kolonialismus
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und nationalsozialistischem Völkermord herstellt. Letztlich ist nach meiner Einscllätzung jedes Verständnis von »Zivilisation«, das Sklaverei und Kolonialisierung nicht als Brüche thematisiert, völlig unzureichend, um die europäische Moderne zu verstehen. Auch hier ist Gilroys Arbeit The Black Atlantic, neben vielen anderen ähnlichen kritischen Schriften, entscheidend. So, wie ich über Erinnerung, aber auch über historische Verantwortung denke, glaube ich, dass wir uns der Idee widersetzen müssen, dass nur eine Form des Zivilisationsbruchs möglich ist. Im Gegenteil, unsere Welt besteht aus zahlreichen, zum Teil andauernden Brüchen, die gegenwärtig die Zukunft des menschlichen und nicht-menschlichen Lebens auf unserem Planeten bedrohen. Um uns diesen Problemen zu stellen, müssen wir meiner Meinung nach eine multidirektionale Perspektive entwickeln, die die zahlreichen Implikationen offenbart, in denen wir gefangen sind. Der Rückzug auf sakralisierte Diskurse der Einzigartigkeit wird uns wenig helfen, den Gefahren für unser aller Welt zu begegnen. In Relation zur Trias »Rasse«, Klasse und Geschlecht bezieht sich Multidirektionale Erinnerung stark alif die Kategorie »Rasse«. Die Sklaverei war - anders als der Holocaust - alif sehr grundsätzliche Weise auch an den Faktor Klasse gekoppelt. Wie prägt nach Ihrer Meinung Klasse die Erinnerung und das Gedenken? Wie könnte eine Reflexion über Klassenunterschiede in das Konzept der multidirektionalen Erinnerung eingehen? Als in Berlin Lebende fallen uns konkret die deportierten und ermordeten Juden und Jüdinnen aus dem Stadtteil Neukölln ein, an die nur sehr wenige Stolpersteine erinnern. Sie waren überwiegend Proletarier, haben kaum Texte hinterlassen und nur sehr selten entkommen können. Wie könnten ihre Geschichten Teil einer multidirektionalen Erinnerung werden? Um zurückzukommen alif die Trias: Könnte und sollte eine Auseinandersetzung mit der Geschichte der Frauenveljolgungen, mit Femiziden und patriarchaler Unterdrückung Teil einer multidirektionalen Erinnerung sein? Welche Auswirkungen hätte das alif das historische Archiv? Multidil·ektionale Erinnerung hat, so möchte ich es heute sagen, zwei Hauptanliegen. Erstens versuche ich, die Geschichte der Holocaust-Erinnerung als eine fortlaufende dialogische Interaktion mit Geschichten und Erinnerungen an Kolonialismus, Sklaverei, Rassismus und Dekolonialisierung neu zu erzählen. Zweitens schlage ich einen neuen Weg, kollektives Gedächtnis ganz allgemein zu konzeptualisieren, vor, indem ich grundlegende Annahmen des Feldes überdenke - insbesondere die verbreitete Annahme einer linearen Beziehung zwischen Erinnerung und Identität und die Nullsummenlogik der Knappheit. Meine Entscheidung, das zweite Argument am Beispiel des ersten zu entwickeln, ist nicht willkürlich, da die Erinnerung an die Shoah seit einigen Jahrzehnten eine zentrale Rolle bei der Globalisierung von Erinnerungsdiskursen spielt. Aber ich glaube auch, dass mein Argument des multidirektionalen Charakters des Gedächtnisses in anderen Kontexten funktionieren kann, die weit vom Holocaust entfernt sind. In der Tat hat es im letzten Jahrzehnt viele Arbeiten gegeben, die sich für genau solche Projekte auf ein multidirektionales Rahmenwerk stützen.
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Ich glaube immer noch, dass mehr erinnert wird oder wiederherstellbar ist, als wir uns üblicherweise vorstellen. Zwei aktuelle Beispiele sind das Wiederaufleben der Erinnerung an Sklaverei, Lynchjustiz und Rassentrennung in den USA durch die Black-Lives-Matter-Bewegung und andere aktivistische Projekte wie die EqualJustice-Initiative. Dazu zählt auch die Erinnerung an den deutschen Kolonialismus dank verschiedener Initiativen Schwarzer Deutscher und anderer. Ihre Frage veranlasst mich aber auch, auf eine Grundvoraussetzung der Studien des kulturellen Gedächtnisses zurückzukommen, die im Buch und in meinem Denken wahrscheinlich mehr Aufmerksamkeit verdient: die Vorherrschaft des Vergessens. In den Worten Aleida Assmanns: »Vergessen ist die Normalität des persönlichen und kulturellen Lebens« und »Erinnern ist die Ausnahme« (Kanon und Archiv, S. 98). Wie Assmann anschaulich illustriert, haben sowohl Erinnerung als auch Vergessen aktive und passive Formen. Die passive Form der Erinnerung ist das Archiv - ein Speicher der Referenzerinnerung, die zur Quelle der arbeitenden Erinnerung werden kann, wenn es aktiviert wird und in Umlauf kommt. Aber natürlich schaffen es viele Geschichten nicht einmal ins Archiv - oder zumindest nicht in die offiziellen Archive einer Gesellschaft. Hier kommen wir zu Ihren konkreten Beispielen. Das Leben von Arbeiterinnen und Arbeitern sowie von Frauen, die nicht zur Elite gehören, hat oft unter passiven und auch aktiven Formen des Vergessens gelitten, d. h., sie wurden »in vergessenen Depots verstreut« bzw. einer »materiellen Zerstörung« unterworfen, um Assmanns Begriffe aufzugreifen. Angesichts der Vorherrschaft des Vergessens und der Zerstörung versuchen Wissenschaftlerinnen, Aktivisten und diejenigen, die beides zugleich sind, neue Quellen zu entdecken, aber auch neue Methoden einzuführen: Denken wir zum Beispiel an den Aufstieg von Oral-History-Projekten, die bisher ignorierte Erfahrungen nichtelitärer sozialer Akteure freisetzen wollen - nicht zuletzt die von Frauen und Arbeiterinnen und Arbeitern. Mit anderen Worten: Eines der grundlegenden Mittel, um »neue« Erinnerungen zu schaffen, besteht darin, das Archiv neu zu konzipieren und neue Archive aufzubauen. Hier unterscheidet sich der Holocaust meiner Meinung nach nicht grundlegend von den anderen erwähnten Beispielen: Es war eine unglaubliche Arbeit, Spuren der Erfahrungen jüdischer Nazi-Opfer zu entdecken und zu bewahren, von denen die große Mehrheit »gewöhnliche« Menschen mit wenig Zugang zu den Kommunikationsmitteln waren. Und selbst wenn sich die europäisch-jüdische Kultur in der Tat durch einen hohen Bildungsgrad ausgezeichnet hat, haben die Umstände des Genozids dazu beigetragen, den Opfern diesen Zugang zu entziehen. Dass wir so viel über den Holocaust wissen, liegt nicht nur an den Aufzeichnungen der Nazis, sondern ist auch den unglaublichen Anstrengungen z. B. der Gefangenen des Sonderkommandos zu verdanken, die ihre Erfahrungen auf Papierfetzen festgehalten oder - in seltenen Fällen - das Lager fotografiert haben. Und es ist Emanuel Ringelblum und den Mitarbeitern des Oneg-Schabbat-Projekts im Warschauer Ghetto zu verdanken, dass sie eine ungeheuer reiche Archivquelle für Erinnerung und Geschichte geschaffen haben und einen Teil davon trotz der Zerstörung des
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Ghettos retten konnten. Nach dem Krieg waren es Menschen wie David Boder oder Jahrzehnte später die Mitglieder des Fortunoff-Videoarchivs von Yale, die die Zeugenaussagen von Überlebenden aufgezeichnet und neue Quellen für die Geschichte und Erinnerung erarbeitet haben. Diese Art von »heroischen« Bemühungen bleiben selten. Die meisten Menschen, die extreme Formen der Unterdrückung erleben - sei es aufgrund von race, Klasse, Geschlecht oder aus anderen Gründen -, sind nicht an der Archivierung ihres Lebens beteiligt: Sie sind zu sehr mit grundlegenden Fragen des Überlebens beschäftigt. Die meisten Opfer eines Genozids sterben, bevor sie die Chance haben, ihre Geschichte zu erzählen. Die meisten Lebenswege landen nicht einmal in informellen oder experimentellen Archiven und können deshalb später nicht wiederentdeckt werden. Selbst viele der Opfer, die uns durch Gedenkprojekte wie die Stolpersteine bekannt sind, bleiben jenseits bloßer Daten von Geburt, Deportation und Tod anonym. Erinnerungen an Gewalt und Trauma bergen per Definition Lücken und Fehlstellen, die nicht wieder gefüllt werden können. Manchmal ist das Beste, was wir tun können, uns dar an zu erinnern, dass unsere kulturellen Erinnerungen von Lücken durchzogen sind. Die konstitutive Beziehung zum Verlust, die jede Erinnerung und Darstellung bedingt, ist Teil dessen, was ich in meinem ersten Buch als »traumatischen Realismus« bezeichne. Die Erwähnung des Berliner Viertels Neukölln ruft mir eine weitere Reihe von multidirektionalen Erinnerungsakten ins Gedächtnis, die mich in den Jahren seit der Fertigstellung von Multidirektionale Erinnerung interessiert haben. Zusammen mit Yasemin Yildiz, einer Wissenschaftlerin für zeitgenössische deutsche Literatur und Migration, habe ich über das geschrieben, was wir migrantisches Archiv der Holocaust-Erinnerung nennen. Bei diesem Projekt geht es um die Art und Weise, wie Migrantinnen und Postmigranten in Deutschland mit der nationalen Holocaust-Erinnerung umgehen und an ihr teilhaben. Inspiriert wurde unsere Arbeit von den Neuköllner Stadtteilmüttern, einer Gruppe von Migrantinnen und Flüchtlingsfrauen, die meist aus der Arbeiterklasse stammen und die an einem Projekt der Aktion Sühn ezeichenl Friedens dienste über Nationalsozialismus und Holocaust teilnahmen. Obwohl ihnen immer wieder gesagt wurde, dass der Holocaust »nicht ihre Geschichte« als Migrantinnen sei, bemühten sich diese Frauen aktiv, ihr Wissen über diese Zeit zu vertiefen und an ihre Familien und Gemeinden weiterzugeben, unter anderem durch öffentliche Treffen und die Erstellung eines Dokumentarfilms. Vielen der Frauen - Libanesinnen, Kurdinnen, Türkinnen, Sri Lankanerinnen - war die Erfahrung traumatischer politischer Gewalt selbst nicht fremd, sodass ihre Bemühungen grundsätzlich auch multidirektional waren. Dieses inspirierende Projekt veranlasste Yasemin Yildiz und mich, eine Reihe weiterer Beispiele für die Auseinandersetzung von Migrantinnen und Migranten mit der Erinnerung an den Holocaust und den Nationalsozialismus zusammenzustellen, die von bildender Kunst über Musik bis hin zu Literatur und Performances reichen. Eines meiner Lieblingsbeispiele aus diesem neuen »migrantischen Archiv«
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ist die großformatige Installation »Das Leben, das Universum und der ganze Rest« der in Frankfurt lebenden Künstlerinnen Anny und Sibel Öztürk, die für die Jubiläumsausstellung Heimatkunde zum zehnjährigen Bestehen des Jüdischen Museums Berlin 2011 entstanden ist. Auf einer riesigen Wand des Museums schufen die beiden Schwestern eine Art visuelle Zeitleiste, die von 1968 bis ins 21. Jahrhundert reic~1te und autobiografische Aufnahmen mit Bildern von welthistorischen, politischen und popkulturellen Artefakten und Ereignissen zusammenbrachte. In dieser Montage erhalten wir Einblick in das Leben einer ganz gewöhnlichen »Gastarbeiter«-Familie, die zwischen der Türkei und Deutschland hin- und herreist (und auch andere Reisen unternimmt), zusammen mit ikonischen Bildern der letzten Jahrzehnte, darunter auch einige Bilder zur Nazi-Vergangenheit: das berühmte Foto von Willy Brandt, der vor dem Ehrenmal für den Aufstand im Warschauer Ghetto kniet, und ein seltsames Bild von Hitler, das sich als Gemälde einer Wachsfigur aus Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett in London entpuppt. Ohne hier zu sehr ins Detail zu gehen - mehr darüber wird in unserem Buch Memory Citizenship zu lesen sein -, würde ich sagen, dass das Kunstwerk von Anny und Sibel Öztürk und das Projekt der Stadtteilmütter einige unerwartete, multidirektionale Erfahrungen illustriert - Erfahrungen, die von race, Klasse, Geschlecht und Migration geprägt sind und die die bekannten Formen der Holocaust-Erinnerung verändern können. In einer Fußnote der Einleitung schreiben Sie: »Die Frage wirtschaftlicher Umverteihmg sprengt den Rahmen dieses Bandes (was in keiner Weise als Urteil über ihre Bedeutung verstanden werden sollte, die ich für zentral halte). Wo es um wirtschaftliche Umverteilung geht, mag durchaus eine Nullsummenlogik im Spiel sein, doch mit Fragen von Kultur und Politik verhält es sich anders. Zur Koordinierung der Ansprüche dieser unterschiedlichen Bereiche bedmf es weiterer Anstrengungen.« Uns würde interessieren, wie diese Anstrengungen ungefähr aussehen könnten. Was könnte Umverteilung im Bereich der Erinnerungskultur in etwa bedeuten?
Das ist eine wichtige und schwierige Frage, die nicht losgelöst von der vorherigen Frage behandelt werden kann. Obwohl ich mich in meiner Arbeit als Literatur- und Kulturkritiker in erster Linie auf diskursive Bereiche konzentriere, bin ich auch Marxist genug, um zu wissen, dass Fragen der Umverteilung letztlich materiell angegangen werden müssen. Multidirektionale Erinnerung bietet verschiedene Beispiele dafür, wie Erinnerungsdiskurse von marginalisierten Aktivisten und radikalen Intellektuellen multidirektional mobilisiert werden können, um in drängende politische Konflikte wie den algerischen Unabhängigkeitskrieg oder immer wiederkehrende strukturelle Probleme wie das der »Rassentrennung« - ich denke hier an Du Bois - einzugreifen. Aber natürlich ist der Zugang zur öffentlichen Sphäre der Erinnerung mit Ressourcenfragen verbunden, und eine wirklich gerechte »Umverteilung im Bereich der Erinnerungskultur«, um Ihre Formulierung zu verwenden, kann erst dann stattfinden, wenn alle Ressourcen gerechter verteilt werden. Es gibt keinen magischen Weg,
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eine solche Umverteilung zu erreichen, aber wenn es dazu kommt, dann nur dank der Arbeit sozialer Bewegungen und radikaler Intellektueller und Künstlerinnen. Sie wird also nur durch Kampf zustande kommen - und dieser Kampf wird sich sowohl im materiellen als auch symbolischen Bereich abspielen. Kämpfe um die Erinnerung sind, wie andere Kämpfe um Anerkennung und Identität, sehr wichtig. Aber allzu oft haben sie keinen Einfluss auf die Umverteilung, weil sie nicht mit den Kämpfen um materielle Güter und politische Repräsentation verbunden sind. Wahrscheinlich ist aber auch das Gegenteil der Fall. Umverteilung ohne Berücksichtigung der kulturellen Identität und der Staatsbürgerschaft würde ungleiche Anerkennung und Repräsentation fortbestehen lassen. Vielleicht sollten wir sagen, dass das Verhältnis zwischen Erinnerung und Umverteilung grundsätzlich ambivalent ist. Unter bestimmten Umständen können Erinnerungsansprüche bei Forderungen nach materieller Umverteilung eine Rolle spielen. Ich denke hier daran, wie ein Wiederaufleben der Erinnerung an die Sklaverei mit Reparationsforderungen in den USA, der Karibik und anderswo einherging. Die multidirektionale Erinnerung ist in diesem Fall relevant, weil die Erinnerung an die deutschen Reparationszahlungen für den Holocaust eine legitimierende Rolle bei den heutigen materiellen Entschädigungsforderungen der Nachkommen versklavter Menschen spielt. Erinnerungsansprüche können aber auch Forderungen nach anderen Formen der Umverteilung verdrängen - oder zumindest von diesen getrennt bleiben. Die südafrikanische Wahrheits- und Versöhnungskommission TRC (Truth and Reconciliation Commission) könnte ein gutes Beispiel für diese Gefahr sein. Ihr Fokus war auf »grobe Menschenrechtsverletzungen« gerichtet und sollte den Opfern einen Platz einzuräumen, um Zeugnis abzulegen, es fehlte aber ein ebenso wichtiger Fokus auf die massenhaften Enteignungen, die den Kern des Apartheidsystems bildeten. Eine Umverteilung ist im »neuen« Südafrika weitgehend ausgeblieben, was dazu geführt hat, dass trotz der zum Teil fortschrittlichen Erinnerungskultur, die sich um die TRC entwickelt hat - manche Aspekte können als multidirektional betrachtet werden -, die materiellen Ungleichheiten ein Vierteljahrhundert nach dem Ende der weißen Herrschaft auf einem schockierend hohen Niveau verharren. Ich würde nicht so weit gehen zu sagen, dass die Erinnerung an den Holocaust und die Erinnerung an andere Menschenrechtsverletzungen die damit einhergehenden moralischen Ansprüche völlig verfehlt haben, aber es stimmt, dass die Erinnerungskultur uns nicht vor dem Wiederaufleben d~r extremen Rechten und dem Fortbestand von strukturellem Rassismus und Ungleichheit bewahrt hat. Ich glaube nicht, dass wir die Erinnerung an traumatische Geschichten aufgeben sollten, was auch immer das bedeuten würde, denn Vergessen und Verdrängen sind keine gangbaren Alternativen. Dennoch müssen wir eindeutig noch mehr darüber nachdenken, wie das Gedenken strukturelle Ungerechtigkeiten ins Bewusstsein rufen und in den Dienst der materiellen Umverteilung gestellt werden kann.
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Sie haben die Black-Lives-Matter-Bewegul1g sowie die Neuköllner Stadtteilmütter erwähnt. Dies führt uns zu den letzten Fragen: Wenn Sie Ihr vor über zehn Jahren erschienenes Buch auf die gegenwärtigen erinnerungspolitischen Kämpfe oder a llge11l ein auf die zunehmende gesellschaftliche Spaltung zwische1l lW1110genisierend-reaktionäreil Kräften einerseits und pluralistisch-emanzipatorischel1 Kräften andererseits beziehen, wie würden Sie das Modell der 111ultidirektionalen Eri/11Jenmg re-konzipieren?
Die Arbeit an Multidirektionale Erinnerung hat lange gedauert, ebenso wie die an meinem dritten Buch Ihe Implicated Subject, aber natürlich gibt es viel, was ich ausgelassen habe oder jetzt anders schreiben würde. Das meiste davon habe ich bereits erwähnt. Erstens würde ich wahrscheinlich deutlicher daraufhinweisen, dass ich den Begriff der multidirektionalen Erinnerung nicht als einfache »Lösung« eines Erinnerungskonflikts anbiete. Es gibt viele verstörende Ausdrucksformen von Erinnerung, die eine multidirektionale Form annehmen. Besonders beeindruckt hat mich in den letzten vier Jahren der multidirektionale Charakter des rechtsextremen Diskurses, über den ich auch geschrieben habe, allein und gemeinsam mit meinem Kollegen Neil Levi. Weiße Rassisten in den USA und anderswo berufen sich explizit auf eine Reihe von historischen Erinnerungen - ganz offensichtlich auf die des Nationalsozialismus mit all seinen Symbolen und Codes, aber auch auf die Geschichte des Kolonialismus, einschließlich des Genozids an den Native Americans. Die Theorie der multidirektionalen Erinnerung hilft uns, die Dynamik von Erinnerung zu verstehen - die Art und Weise, in der Akteure aus dem gesamten politischen Spektrum, ob gewollt oder ungewollt, viele historischen Erinnerungen mobilisieren. Zweitens muss, wie ich in meiner Arbeit über die Gaza-Warschau-Analogie beschrieben habe, eine solide Theorie der Multidirektionalität in der Lage sein, mehrere Erinnerungen durch Mapping entlang der Affekt- und Vergleichs achsen zu unterscheiden. Ich glaube, dass ich bei diesem Problem gute Fortschritte gemacht habe, aber da bleibt noch das dritte Problem: das der Macht, und damit verbunden die Notwendigkeit einer »politischen Ökonomie der Erinnerung«. Ich finde diesen Punkt deshalb schwierig, weil wir meiner Meinung nach verstehen müssen, wie hegemoniale Erinnerungen im Interesse von Staat und Kapital produziert und verbreitet werden, aber wir zugleich die »relative Autonomie« der Erinnerung als ein Feld anerkennen müssen, um Althussers Begriff zu übernehmen, den ich immer noch nützlich finde. Ich behaupte, dass das Feld der Erinnerung durch Multidirektionalität definiert ist und dass dieses Feld auch nicht-dominierenden Erinnerungen einen gewissen Handlungsspielraum bietet - auch wenn einige der Erinnerungen, die artikuliert werden, verstörend sind, wie die der Rechtsextremen. Die Machtfrage muss intensiver behandelt werden, und ebenso die Frage des Vergessens, die ich oben angesprochen habe. Kann das Modell der multidirektionalen Erinnerung gewissermaßen eins zu eins auf Deutschlal1d übertragen werden, wo die Eril1nerul1g al1 den Holocaust zum Beispiel kaum mit dem Begriff der Deckerinl1erung il1 Zusammenhang gebracht werden kann?
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Deutschland bietet sicherlich einen ganz besonderen Anlass, über Multidirektionalität nachzudenken. Ich verstehe gut, warum sich in Deutschland eine Erinnerungskultur entwickelt hat, die stark an der Singularität des Holocaust und an der besonderen Verantwortung der Deutschen festhält. Dennoch glaube ich, dass eine stärker multidirektionale Sensibilität auch im deutschen Kontext aus mehreren Gründen wertvoll sein kann. Erstens könnte es helfen, die Entstehung der Holocaust-Erinnerung in Deutschland zu überdenken und in Analogie zu dem zu verstehen, was ich im Buch im französischen Kontext zeige. Wir könnten zu den ersten Jahrzehnten vor der Konsolidierung einer offiziellen Erinnerung zurückkehren und fragen, wie sich verschiedene Vektoren der Erinnerung überkreuzt und gegenseitig beeinflusst haben: Erinnerungen zum Beispiel an Flucht und Vertreibung, an Viktimisierung, an politische Verfolgung, an frühere Kriege und koloniale Eroberungen, an die Ost-West-Teilung. Ich glaube nicht, dass wir die Kultur der Holocaust-Erinnerung, die schließlich entstand, verstehen können, ohne die multidirektionale Dynamik zu begreifen, in der sie entstanden ist. Zweitens kann ein multidirektionaler Zugang neue Wege eröffnen, diese Vielzahl von Erinnerungen zu erkennen und gleichzeitig zwischen den verschiedenen Ansprüchen, die sie erheben, zu unterscheiden. Der Sinn meiner Vorstellung von Multidirektionalität besteht nicht darin, die Besonderheiten verschiedener Geschichten - und schon gar nicht die des nationalsozialistischen Genozids - auszulöschen, sondern darauf hinzuweisen, dass wir als Individuen und Träger kultureller Erinnerungen in der Lage sind, uns an mehr als eine Geschichte gleichzeitig zu erinnern und zwischen den verschiedenen Erinnerungen unterscheiden können, sei es aus ethischer, politischer oder einfach historischer Perspektive. Es geht nicht darum, die deutsche Erinnerung und Verantwortung für den Holocaust auszulöschen, sondern sie mit der Erinnerung an andere einschneidende Episoden der nationalen und transnationalen Geschichte zu ergänzen - nicht zuletzt die des deutschen Kolonialismus. Drittens denke ich, dass ein Verständnis der Multidirektionalität von Erinnerung hilfreich sein kann, in Deutschland eine Pluralität legitimer Erinnerungsthemen anzuerkennen, was ein notwendiger Schritt für die Erweiterung der demokratischen Staatsbürgerschaft ist. Eine der wichtigsten Prämissen meines Projekts mit Yasemin Yildiz zur Erinnerung von Migranten an den Holocaust ist, dass Minderheiten, Migrantinnen und Postmigranten in Deutschland in eindähmende Doppelbindung gebracht werden: Ihnen wird gesagt, dass sie den Holocaust erinnern müssen, um Deutsche zu sein, während ihre Zugehörigkeit zu Deutschland und ihr Anspruch an die Erinnerung in Deutschland immer wieder infrage gestellt werden. Ein multidirektionaler Ansatz, wie wir ihn in unserem Projekt entwickeln, erkennt sowohl an, dass rassifizierte Subjekte in Deutschland viel dazu beitragen können, eine oft übermäßig ritualisierte und erstarrte Erinnerungskultur zu erneuern, als auch, dass solche Subjekte neue und manchmal unerwartete Erinnerungen in die öffentliche Sphäre einbringen. Einige dieser Erinnerungen führen zu Kontroversen und Konflikten,
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wie zum Beispiel die Erinnerungen an den Völkermord an den Armeniern oder die Nakba, aber der Punkt ist, dass diese Erinnerungen nun auch Teil der multidirektionalen Erinnerungslandschaft in Deutschland sind. Sie müssen als unvermeidbare Bestandteile des Sprechens über die Erinnerung an den Holocaust (an)erkannt und in die Erinnerungskultur integriert werden. Um eine wirkliche »Integration« der Erinnerungskulturen zu erreichen, wird es sicherlich eine gewisse Lockerung der Verengungen geben müssen, die mit Holocaustvergleichen verbunden sind. Aber vergleichen muss nicht zu einer Relativierung oder zum Verzicht historischer Verantwortung führen. Das Interview wurde im September und Oktober 2020 per E-Mail geführt.
Yasemin'e-aujourd'hui et demail1
1.
Einleitung: Die Theorie multidirektionaler Erinnerung in einem transnationalen Zeitalter
Jenseits der Erinnerungskonkurrenz In einem typisch provokanten Aufsatz über das Verhältnis von Rassismus und Antisemitismus in den heutigen USA setzt sich der Literaturkritiker Walter Benn Michaels mit den scheinbar unvereinbaren Hinterlassenschaften der Sklaverei und des nationalsozialistischen Genozids auseinander: "Warum gibt es ein mit Bundesmitteln gefördertes US Holocaust Museum in der Washingtoner National Mall? [... ] Das Problem einer angemessenen Antwort auf diese Frage hat unter Afro-Amerikanern eine gewisse Verärgerung hervorgerufen, die der berühmt-berüchtigte schwarze Rassist Khalid Muhammad auf denkwürdige Weise zum Ausdruck brachte, als er am 3. April 1994 - im Anschluss an einen Besuch des US Holocaust Memorial Museum - seinem Publikum an der Howard University erklärte: ,Der schwarze Holocaust war hundertmal schlimmer als der sogenannte Juden-Holocaust. Ihr sagt, ihr hättet sechs Millionen verloren. Wir bezweifeln das, aber [... ] wir haben 600 Millionen verloren.< Schil1dlel's Liste sei ,in Wirklichkeit eine Schwindlerlistebarbarischvormodern< ist oder schlichtweg noch ihrer >Modernisierung< harrt. Mit anderep Worten: Die euro zentrische Sicht reflektiert das Problem der Krise der Moderne nur in Bezug auf die europäischen und nordamerikanischen (und heute sogar die japanischen) Momente, doch sie minimiert die Rolle der Peripherie« (S. 17 f.). Gemessen an Dussels Maßstäben bewegt sich Arendt an den Rändern euro zentrischer Ansätze. Weil sie die Ereignisse in Afrika in den Mittelpunkt der Entstehung moderner Politik stellt, vermeidet sie die Gefahr, die periphere Welt in ihrer Darstellung »unberührt« zu lassen. Wie in Conrads Herz der Finsternis, einem Text, dem in Elemente und Ursprünge zentrale Bedeutung zukommt, wird die von Europäern und Europäerinnen im Kolonialismus ausgeübte Gewalt entblößt und aufs Schärfste verurteilt. Doch Arendt gleicht Conrad auch darin, dass sie die koloniale Begegnung nur aus einer Perspektive deutet. Auch wenn ihr Text anders gelesen werden muss als der von Conrad, bezieht sie sich stark auf das von ihm produzierte und zirkulierte Afrikabild. Trotz der Aufmerksamkeit, die Arendt im zweiten Teil von Elemente und Ursprünge auf den Imperialismus lenkt, erweckt sie auch das kolonialistische kulturelle Gedächtnis, das Conrads Roman eingeschrieben ist, zu neuem Leben und zeichnet Afrikaner und Afrikanerinnen als »passiv«. 8 Ihre Kritik der Moderne bleibt Europa-immanent, denn sie kann zwar die imperiale Expansion nachvollziehen, vermag deren Opfer aber nicht als Subjekte darzustellen. Besonders widersprüchlich an dieser Unfähigkeit, den Anderen zu erkennen, ist, dass Arendts Buch zu einem Zeitpunkt entstand, als die antikoloniale Agitation auf dem Höhepunkt war. Während Arendt beispiellose Einsichten in die Einzigartigkeit des Totalitarismus und des nationalsozialistischen Genozids vermittelte, trugen antikoloniale Bewegungen in aller Welt und einzelne Intellektuelle wie Cesaire und Du Bois dazu bei, die Möglichkeit der Dekolonisierung in den Vordergrund der Weltgeschichte zu rücken - und zwar auf eine Weise, die auch die jüngste nationalsozialistische Vergangenheit Europas berücksichtigte. Arendts versäumte Auseinandersetzung mit der Dekolonisierung ist der Grund für die Blindheit und die Gedanken von Elemente und Ursprünge. Tatsächlich ist Arendts Unfähigkeit, die Subjekte an der europäischen Peripherie als Träger von Geschichte, Erinnerung und Kultur zu begreifen, nicht nur zutiefst mit ihrer Fähigkeit verbunden, die Anderen zu erkennen, mit denen Europa sich innerhalb seiner selbst konfrontiert sieht, sondern sie bietet sogar die Voraussetzungen dafür. Der imaginierte kulturlose Wilde - der imaginierte
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Die Vorstellung eines kulturellen Gedächtnisses entnehme ich Tan und Aleida Assmann, die damit die in den kanonischen Texten einer Kultur gespeicherten Erinnerungen meinen. Siehe etwa Tan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1999.
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2.
AN DEN GRENZEN DES EUROZENTRISMUS
Barbar -liefert den metaphorischen Hintergrund für zwei zentrale »Charaktere« von Arendts Analyse: den nackten, der Kultur beraubten Menschen, und den staatenlosen Lagerhäftling, der des Rechtes beraubt ist, über Rechte zu verfügen.
Verständnis und Konstellation In Elemente und Ursprünge nimmt Arendt sich vor, eines der Schlüsselphänomene des 20. Jahrhunderts »zu verstehen«, indem sie zu den Ursprüngen dieses Phänomens im 19. Jahrhundert zurückkehrt. 9 Sie arbeitete von Mitte bis Ende der 1940erJahre an ihrem Buch, und es entstanden in dieser Zeit mehrere Versionen; die Endfassung zerfällt in drei in sich geschlossene Teile: »Antisemitismus«, »Imperialismus« und »Totalitäre Bewegung und totale Herrschaft«.!O Arendts Methodologie und die Gliederung ihres Buchs weisen einige rätselhafte Eigenschaften auf. Da ist zunächst einmal die Tatsache, dass das Phänomen, das von dem Buch als Ganzem erklärt werden soll, zugleich Gegenstand eines Buchteils ist. Das wäre weniger überraschend, wenn es zwischen den Abschnitten eine klare narrative Entwicklung hin zum Höhepunkt Totalitarismus gäbe. Tatsächlich bestehen zwischen den Einzelteilen jedoch keine ausdrücklichen Verbindungen; das Buch zeichnet sich eher durch Brüche als durch Kontinuität aus. Hinzu kommt, dass Arendts Vorstellung von Totalitarismus von jenen vertrauteren Darstellungen abweicht, die diesen als geschlossenes, totalisierendes Kontrollsystem verstehen. Margaret Canovan, eine der besten Kommentatorinnen von Elemente und Ursprünge, hat die Besonderhei9
In jüngerer Zeit haben zahlreiche Forscher, darunter Isabel Hull, Dirk Moses, Dan Stone, Enzo Traverso und Jürgen Zimmerer, sich von Elemente und Ursprünge inspirieren lassen, um dem Zusammenhang von Kolonialismus und Genozid mit begrifflicher Schärfe und mehr empirischem Detail nachzugehen - eine Entwicklung, der ich mich am Schluss des nächsten Kapitels noch einmal zuwende. Meine Arendt-Interpretation stützt sich zwar auf die Erkenntnisse dieser Historiker und Historikerinnen, meidet aber die empirische Frage nach dem Verhältnis des Kolonialismus zum Holocaust, um sich vor allem den Stärken und Defiziten von Arendts Werk im Hinblick auf die Konzeptualisierung von Multidirektionalität und Vergleich zu widmen. Diese Auseinandersetzung mit Arendts Werk setzt voraus, ihren recht eigenwilligen Gebrauch von Kategorien wie »Verstehen« und dem »Menschlichen« zu untersuchen. Einen Eindruck von der Verfasstheit jenes sich rapide wandelnden Feldes, auf welchem dem Zusammenhang von Kolonialismus und Genozid nachgegangen wird, bietet dieses interessante Forum führender Historiker und Kritiker: The German Colonial Imagination, in: German History 26 (2008) 2, S. 251-272; siehe außerdem A. Dirk Moses (Hrsg.), Empire, Colony, Genocide: Conquest, Occupation, and Subaltern Resistance in World History, New York 2008, sowie die am Ende des nächsten Kapitels angeführte Literatur. 10 Hannah Arendt, The Origins of Totalitarianism, New York 1973 (zuerst 1951), dt. Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, München 1995 (zuerst 1955). Im Folgenden wird vorzugsweise aus der deutschen Ausgabe (Elemente und Ursprünge) zitiert; wird aus der englischen Ausgabe (Origins) zitiert, dann fehlt der entsprechende Passus in der deutschen Ausgabe oder ist dort von Arendt so überarbeitet worden, dass wesentliche Inhalte des englischen Textes verloren gehen (Anm. d. Übers).
VERSTÄNDNIS UND ITotalitarismus< bei Arendt eine chaotische, nicht-utilitaristische, manisch dynamische Zerstörungsbewegung, die sämtliche Eigenschaften der menschlichen Natur und der menschlichen Welt angreift, die Politik ermöglichen.«ll Dieses Verständnis des Totalitarismus hat zwei Korrelate, die es für den vorliegenden Band besonders relevant machen. Erstens begreift es den nationalsozialistischen Genozid als den extremen, aber exemplarischen Fall eines umfassenderen Phänomens, nämlich des Totalitarismus: Es handle sich um eine »reine« Form des radikal zerstörerischen Angriffs auf das Menschliche. Zweitens führt dieses Verständnis Arendt auf scheinbar paradoxe Weise dahin, den Kern ihrer Argumentation nicht im ersten Buchteil über den Antisemitismus, sondern im zweiten über den Imperialismus zu formulieren. Arendt zufolge erklärt das Aufkommen des Antisemitismus im Europa des späten 19. Jahrhunderts zwar, warum Juden und Jüdinnen zu Opfern des nationalsozialistischen Totalitarismus wurden, doch nur die Geschichte des Imperialismus könne die globalen und nicht-utilitaristischen Aspekte der völkermörderischen Zerstörungsdynamik erklären (vgl. Arendt, Elemente und Ursprünge, S. 24). Eingedenk der beiden Korrelate der Totalitarismustheorie Arendts bietet dieses Kapitel keine vollständige Interpretation der Elemente und Ursprünge (eine Aufgabe, die den Rahmen dieses Buches sprengen würde), sondern vielmehr eine fokussierte Deutung des Verhältnisses von Holocaust und Imperialismus, unter besonderer Betonung der Art und Weise, in der der Begriff eines Angriffs auf das Menschliche Arendts Analyse zugleich fundiert und aus dem Gleichgewicht bringtP 11 Margaret Canovan, Arendt's Theory ofTotalitarianism: A Reassessment, in: Villa (Hrsg.), The Cambridge Companion to Hannah Arendt, S. 25-43, hier S. 26. 12 Arendt verwendet Begriffe wie »der Holocaust« oder selbst »der nationalsozialistische Genozid« nicht; dies wäre zu der Zeit, da sie schrieb, anachronistisch gewesen. Hinzu kommt, dass sich ihr Begriff dessen, was wir heute als Holocaust bezeichnen, notwendig von dem unterscheidet, der aus einem zusätzlichen halben Jahrhundert Forschung hervorgegangen ist. Dennoch war Arendt eine der Ersten, die die Besonderheit des nationalsozialistischen Genozids erkannt haben; ihr Gebrauch des Totalitarismusbegriffs reicht zwar selbst über den Genozid noch weit hinaus, doch bleibt es gerechtfertigt, auf jene Elemente ihrer Darstellung zu fokussieren, die zeitgenössischen Verständnissen des Holocaust entsprechen (das heißt insbesondere auf ihre Ausführungen zu den nationalsozialistischen Konzentrationsund Vernichtungslagern). Wie ebenfalls deutlich werden wird, unterscheidet sich Arendts Imperialismusverständnis von den heutigen, aus den Postcolonial Studies hervorgegangenen Interpretationen. Begrifflich und historisch ist ihr Werk in einem mittleren Bereich angesiedelt, der zwischen der älteren Vorstellung von Imperialismus als »Rivalität der verschiedenen imperialen und metropolitanen Nationalstaaten« und dem jüngeren Verständnis als >>Verhältnis von Metropole und Kolonie« liegt. Ich entnehme diese Unterscheidung Fredric Jameson, Modernism and Imperialism, in: Terry Eagleton/Fredric Jameson/Edward Said, Nationalism, Colonialism, and Literature, Minneapolis 1990, S. 43-66, hier S. 47. Eine nützliche kritische Auseinandersetzung mit Arendts Darstellung des Kolonialismus bietet Pascal Grosse, From Colonialism to National Socialism to Postcolonialism: Hannah Arendt's Origins ofTotalitarianis111, in: Postcolonial Studies 9 (2006) 1, S. 35-52.
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2. AN DEN GRENZEN DES EUROZENTRISMUS
Indem Arendt eine disjunktive Konstellation entwirft, die Antisemitismus, Imperialismus und Totalitarismus verbindet, stellt sie sich in Elemente und Ursprünge eine paradoxe Aufgabe: Sie ringt mit dem präzedenzlosen Charakter des nationalsozialistischen Genozids an den europäischen Juden und Jüdinnen und versucht dabei zum einen, die vorangegangenen Elemente zu ermitteln, aus denen sich die Möglichkeit dieses Genozids erklären lässt; zum anderen will sie parallel Phänomene bestimmen, die sozusagen derselben Gattung angehörenP Die Paradoxie, das Unbegreifliche zu begreifen, ist in der Diskussion um den Holocaust zu einem gängigen Topos geworden, doch das sollte nicht den Blick auf die spezifische Weise verstellen, in der sich Arendt der Frage nähert. Auch sollte es nicht die relevante Tatsache verschleiern, dass es oft die Unterscheidung zwischen Verstehen und Nicht-Verstehen ist, mittels derer der Holocaust zu anderen Geschichten kollektiver Gewalt in Beziehung gesetzt, meistens jedoch von diesen abgegrenzt wird. Arendts Begriff des Verstehens soll die paradoxe Aufgabe auf den Punkt bringen, das Novum der totalitären Katastrophe zu bestimmen und diese gleichzeitig in einem irgendwie gearteten historischen Rahmen zu verorten: »Verstehen heißt nicht, das Unerhörte zu leugnen, aus Präzedenzfällen das Beispiellose abzuleiten oder Phänomene durch solche Analogien und Allgemeingültigkeiten zu erklären, dass die Auswirkungen der Realität und der Schock der Erfahrung nicht mehr spürbar sind. Es bedeutet vielmehr, die Last, die unser Jahrhundert uns auferlegt hat, zu untersuchen und bewusst zu tragen - ohne ihre Existenz zu leugnen oder sich ihrem Gewicht kleinmütig zu unterwerfen. Verstehen bedeutet kurz gesagt die unvorhergesehene, aufmerksame Konfrontation mit der Realität und den Widerstand gegen sie - worum auch immer es sich bei ihr handeln mag« (Origins, S. viii). Arendt setzt hier einen hohen Maßstab für komparative historische Ansätze. Sie beschränkt den Gebrauch einiger der offenkundigsten begrifflichen Werkzeuge der Komparatistik (Analogie, Verallgemeinerung, aus Präzedenzfällen gezogene Schlüsse), bekräftigt aber zugleich die Notwendigkeit, sich die »Last« der Geschichte und ihr Weiterwirken über das ursprüngliche Geschehen hinaus bewusst zu machen. Sie ruft dazu auf, sich der Wirkung und dem Schock der Geschichte zu stellen und gleichzeitig ihrer Wucht zu widerstehen, um die Geschichte, wie sie anderswo schreibt, »zu zerstören« (zit. nach Bernstein, S. 53). Eingedenk dieser quer zueinander verlaufenden Ansprüche bietet Arendts Versuch, den Totalitarismus in seinem Verhältnis zu Imperialismus und Antisemitismus zu »verstehen«, eine Gelegenheit, den
13 Wenn ich die Form, die Arendts historische Darstellung des Totalitarismus annimmt, als »disjunktive Konstellation« beschreibe, dann sollen damit Walter Benjamins »Geschichtsphilosophische Thesen« angespielt werden - ein Text, den Arendt und ihr Ehemann Heinrich Blücher aus Frankreich schmuggelten und mit anderen Exilanten und Exilantinnen in Lissabon diskutierten, während sie auf die Ausreise in die USA warteten. Siehe die Darstellung dieser Zeit in Young-Bruehl, Hannah Arendt: Leben, Werk und Zeit, S. 236. Arendts intellektuelles Verhältnis zu Benjamin erörtern Richard Bernstein, Seyla Benhabib und andere. Ich komme weiter unten auf Benjamins Resonanz von Arendts Werk zurück.
VERSTÄNDNIS UND IElementenUnanständigkeit< zu sagen, gewinnen im Austausch für ihre Unpopularität einen unbezahlbaren Vorteil: Geschichte ist für sie nicht länger ein versiegeltes Buch und Politilckein Privileg der Nicht-Juden mehr. Sie wissen, dass unmittelbar nach der Ächtung des jüdischen Volkes die meisten europäischen Nationen für vogelfrei erklärt wurden. Die von einem Land ins andere vertriebenen Flüchtlinge repräsentieren heute die Avantgarde ihrer Völker - vorausgesetzt, daß sie ihre Identität behalten. Zum ersten Mal gibt es keine separate jüdische Geschichte mehr, sondern die jüdische Geschichte ist verknüpft mit der Geschichte aller anderen Nationen. Die Gemeinschaft der europäischen Völker zerbrach, als - und weil- sie den Ausschluss und die Verfolgung seines schwächsten Glieds duldete.« (Wir Flüchtlinge, S. 51 f.) Indem sie ihr Denken in der »Avantgarde« der Geschichte ansiedelt, ist Arendt in der Lage, aus scheinbar marginalen Erfahrungen weitreichende Schlussfolgerungen zu ziehen. In diesem Fall begreift sie die Erfahrung radikaler Marginalisierung - die »Ächtung« einer Gruppe von Menschen - und die nachfolgende Schaffung neuer Kategorien von Flüchtlingen als Vorspiel jener umfassenderen europäischen Krise, die der Krieg war. Es geht nicht darum, das Wesen der Moderne aufzudecken oder die sich um Arendt herum abspielende Geschichte für unvermeidbar zu erklären. Vielmehr soll das bestimmt werden, was an der zeitgenössischen Krise neu ist, um dann 17 Hannah Arendt, Wir Flüchtlinge, in: dies., Wir Juden. Schriften 1932-1966, hrsg. v. Marie Luise Knott und Ursula Ludz, München 2019, S. 37-52.
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mittels einer Methode, die sowohl aufsprengend im Sinne Benjamins als auch genealogisch im Sinne Nietzsches ist, jene Elemente zu begreifen, die die Möglichkeitsbedingungen der Krise darstellen. Arendt nimmt in Wir Flüchtlinge bereits einen der Abschnitte von Elemente und Ursprünge vorweg, der sich für heutige Denker als der anregendste erwiesen hat: ihre Überlegungen zum »Ende der Menschenrechte«. Bezogen auf das Gebot zu »vergessen«, mit dem Aufnahmeländer Flüchtlinge adressieren, bemerkt Arendt: »Um gründlicher zu vergessen, vermeiden wir alle Anspielungen auf Konzentrations- und Internierungsläger, die wir fast überall in Europa kennengelernt haben [... ]. Offensichtlich will niemand wissen, dass die Zeitgeschichte einen neuen Menschentyp hervorgebracht hat - Menschen, die von ihren Feinden in Konzentrationsläger und von ihren Freunden in Internierungsläger gesteckt werden« (Wir Flüchtlinge, S. 39). Arendts Schriften zum Lagerwesen werden zwar gewöhnlich nicht als Werke des Gedenkens betrachtet, doch sie begreift das hier umrissene, in Elemente und Ursprünge weiterentwickelte Vorhaben als Teil eines Anamnese-Projekts, durch das die Gegenwartsgeschichte dem sofortigen Vergessen entrissen werden soll. Die Erinnerung an die Lager bedeutet, das Neue des dort geschaffenen Menschentyps anzuerkennen. Diesen neuen Menschentyp sollte der von Arendt beeinflusste italienische Philosoph Giorgio Agamben später als »Homo sacer« und >>nacktes Leben« bezeichnen. 18 Das heilige oder nackte Leben ist radikal aus der Polis ausgeschlossen worden, gehört ihr aber zugleich noch hinreichend an, um ermordet werden zu können: »Leben, das nicht geopfert werden kann und dennoch getötet werden darf« (Agamben, Homo sacer, S. 92). Diese Inklusion des Exkludierten kennzeichnet das Reich dessen, was Agamben, darin Foucault folgend, als Biopolitik bezeichnet: eine Politik, die auf das Leben selbst abzielt und die Agamben zufolge die Gesamtheit der zeitgenössischen Politik zu bestimmen beginnt. 19 Wie für Agamben stellen die nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslager für Arendt das Paradigma der Biopolitik dar. Dabei begreifen sowohl Agamben als auch Arendt, wenn auch auf unterschiedliche Weise, die biopolitische Bedrohung als weit über jenen besonderen Ort hinausreichend. 20 18 Zu Homo sacer und nacktem Leben siehe Giorgio Agamben, Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben, Frankfurt a. M. 2012. Arendts Schriften zu den Themen Flüchtlinge und Staatenlosigkeit diskutiert Agamben auch in: Mittel ohne Zweck. Noten zur Politik, Berlin 2001. 19 Foucaults Begriff der Biopolitik ließe sich als zumindest teilweise von Arendt abgeleitet verstehen, insbesondere von ihrer Darstellung dessen, was sie (in Vita activa oder vom tätigen Leben) als den Triumph des Sozialen über das Politische beschreibt. Doch erwähnt Foucault, in für ihn typischer Manier, Arendts Einfluss an keiner Stelle. Eine relevante Formulierung seines Begriffs der Biopolitik bietet der Schlussteil von Foucault, Sexualität und Wahrheit l. Zu Arendts Begriff des Sozialen siehe Hannah Arendt, Vita activa oder vom tätigen Leben, München 2020, sowie Hannah Pitkin, The Attack of the Blob: Hannah Arendt's Concept of the Social, Chicago 1998. 20 Zu Agambens Ansichten über die Zentralität der nationalsozialistischen Lager und des Genozids für die moderne Politik siehe, neben Homo sacer, auch: Was von Auschwitz bleibt. Das Archiv und der Zeuge, Frankfurt a. M. 2003.
"EIN NEUER MENSCHENTYP"
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Nach Arendts 1943 vorgelegter Formulierung des Problems der Biopolitik besteht die größte Gefahr für den in den Lagern geschaffenen »neuen Menschentyp« darin, dass er sämtlicher Kennzeichen von Kultur und Zivilisation beraubt worden ist, was ihn nackt und radikal verwundbar macht: Wenn wir »damit anfingen, [... ] uns dem Schicksal bloßen Menschseins [auszusetzen]«, dann wären »wir [... ] von keine)TI spezifischen Gesetz und keiner politischen Konvention geschützt, nichts weiter als menschliche Wesen. Eine gefährlichere Haltung kann ich mir kaum vorstellen; denn tatsächlich leben wir in einer Welt, in welcher es bloße menschliche Wesen schon seit geraumer Zeit nicht mehr gibt« (Wir Flüchtlinge, S. 50). Menschen als solche hören aufgrund der dichten »künstlichen« Netzwerke sozialer, kultureller und politischer Institutionen, die sie unter fast allen Umständen umgeben, auf zu existieren. Der Verlust eines solchen Kontextes ist deswegen so gefährlich, weil, wie Arendt später in Eleme/1te und Ursprünge argumentieren sollte, Menschen nur durch konstruierte gemeinsame Kategorien - insbesondere durch die Staatsbürger schaft in einem souveränen Staat - das grundlegende »Recht, Rechte zu haben«, erlangen können. Ohne solche Kategorien »hat die Welt keinerlei Ehrfurcht empfunden« vor der »abstrakten Nacktheit des Menschseins« (Elemente und Ursprünge, S. 462,466). In dem mit »Der Niedergang des Nationalstaates und das Ende der Menschenrechte« überschriebenen Abschnitt von Elemente und Ursprünge weist Arendt darauf hin, dass im Gefolge des Ersten Weltkriegs das Phänomen der Staatenlosigkeit, das bis dahin als peripher gegolten hatte - als »Ausnahmesituation«, »gemessen an den Maßstäben der scheinbar stabilen Umgebung«, »bestimmten von der Norm abweichenden Gebieten eigentümlich« (Elemente und Ursprünge, S. 423; Origins, S. 276) -, endgültigen Charakter annahm und auf eine allgemeine Krise des Nationalstaats hinwies. Die Figur des abstrakten, nackten Menschen ist nicht einfach die zufällige Auswirkung einer kontingenten Krise, sondern in ihr zeigen sich Aporien der Struktur neuzeitlicher politischer Organisation. Elemente und Ursprünge bekräftigt und entwickelt also die Einsichten aus Wir Flüchtlinge und erlaubt uns damit, noch einmal zu beobachten, wie Arendt das Marginale zum Zentralen - und die jüdische »Avantgarde« zur »Gemeinschaft der europäischen Völker« - in Beziehung setzt, indem sie beide als Bestandteile eines strukturierten historischen Prozesses behandelt. So wirft der frühe Aufsatz Wir Flüchtlinge mehrere Fragen auf, die ausschlaggebend für das umfassendere Projekt Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft sind. Er legt die methodologische Notwendigkeit nahe, eine transnationale Sichtweise einzunehmen, um einerseits zu zeigen, dass viele durch und durch moderne Phänomene die Überschreitung nationaler Grenzen beinhalten, und um andererseits die Aufmerksamkeit auf das Ausmaß der Probleme zu lenken, die sich aus der Krise des Nationalstaats ergeben. Eine Neuausrichtung des methodologischen Rahmens, die die Zentralität vermeintlich »marginaler« transnationaler Phänomene sichtbar macht, lässt auch die Bedeutung der Kategorien des »Menschlichen« und des Biopolitischen für unser Verständnis von extremer Gewalt und Genozid verstehen. Wie Agambens Arbeiten bezeugen, sind die bestimmenden Probleme und Figuren der Moderne, etwa das
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nackte Leben, die Souveränität, der Ausnahmezustand und der Homo sacer, an den Rändern der Polis zu finden. Und doch hinterlässt Arendts früher Aufsatz auch eine nagende Sorge: Zu welcher Zeit und an welchem Ort genau haben »bloße menschliche Wesen« existiert? Diese Frage wird später auch Elemente und Ursprünge tangieren und die Verstrickung des Textes in ein koloniales Geschichtsbild aufzeigen.
Jenseits des menschlichen Begriffsvermögens: Eurozentrismus und der Diskurs des Nutzens
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Wie in ihrem weitsichtigen, 1950 veröffentlichten Aufsatz »Sozialwissenschaftliche Methoden und die Erforschung der Konzentrationslager« deutlich wird, sind Arendts Vorstellungen des Menschlichen und des Verstehens - oder der Vernichtung des Menschlichen und des menschlichen Verstehens - ausschlaggebend für ihre Konzeption der Verbindungen zwischen dem totalitären Genozid und seinen VorläufernY Da sich das System der Konzentrationslager, in dem Arendt das bestimmende und präzedenzlose Moment des Totalitarismus sieht, durch seinen »nichtutilitaristische[n] Charakter«, das Fehlen eines »Nützlichkeitskriteriums« auszeichne, könne es nicht zurückgeführt werden auf den »erklärten Zweck«, der sich in anderen Formen des Terrors zu erkennen gebe. Arendt schreibt: »Der Weg zur totalen Beherrschung durchläuft viele Zwischenstationen, die vergleichsweise normal und noch verstehbar sind. Einen Angriffskrieg wird man wohl kaum als beispiellos bezeichnen; auch das Niedermetzeln feindlicher Zivilbevölkerungen oder gar eines vermeintlich feindlich gesonnenen Volkes ist, wenn man die blutigen Zeugnisse der Geschichte betrachtet, nichts Außergewöhnliches; überall in Amerika, Australien und Afrika wurden im Zuge der Kolonisierung und dem Vormarsch der Siedler Eingeborene ausgerottet; Sklaverei ist eine der ältesten Einrichtungen der Menschheit, und Staatssklaven, die zur Ausführung öffentlicher Arbeit eingesetzt wurden, stellen einen der Hauptpfeiler des Römischen Imperiums dar. Sogar das [... ] Streben nach Weltherrschaft ist kein Monopol totalitärer Regime, man kann diesen Wunsch immer noch aus einer maßlos übertriebenen Gier nach Macht erklären.« (Sozialwissenschaftliehe Methoden,
Arendts Vorstellung von Verstehen steht in einer komplexen Beziehung zu jener Kategorie des Menschlichen, der in ihrer Auseinandersetzung mit dem Totalitarismus zentrale Bedeutung zukommt. Sie grenzt ihre Variante des Verstehens gegen die gängige Bedeutung des Begriffs ab, die sie in einer Buchrezension aus dem Jahr 1946 als »menschliches Begriffsvermögen« bezeichnet: »Die abartige Schlechtigkeit jener, die eine solche Gleichheit [wie in den nationalsozialistischen Vernichtungslagern] errichtet haben, übersteigt das menschliche Begrijfsvermögen.«21 Unter »menschlichem Begriffsvermögen« scheint Arendt die Eingliederung von Ereignissen in jenen erkennbar utilitaristischen Verständnis rahmen zu meinen, der »die eigentliche Grundlage« sei, »auf der Geschichte hervorgebracht wird« (Das Bild der Hölle, S. 317). Menschliches Begriffsvermögen ist deswegen unzureichend, weil der Totalitarismus gerade »die Transformation der menschlichen Natur selbst« beinhaltet; einen Wandel, der unter keinen utilitaristischen Zweck subsumiert werden kann und somit über jede vertraute Vorstellung des Menschlichen hinausgeht (Elemente und Ursprünge, S. 701). Canovan fasst Arendts Argument zusammen, weshalb die Kategorie des Menschlichen angesichts des totalitären Terrors unzulänglich werde: »Der totalitäre Angriff auf die menschliche Natur ist ein Versuch, etwas zu schaffen, das näher an der Natur ist, als Menschen es sein sollten. Dabei werden jene spezifisch menschlichen Eigenschaften ausgelöscht, die Menschen von Tieren unterscheiden, nämlich ihre Individualität und ihre Fähigkeit zu eigenständigem Handeln und Denken« (Canovan, Hannah Arendt, S. 25). Arendt begreift zwar die Vernichtung der Individualität als etwas, das sich durch totalitäre Gesellschaften hindurchzieht, sieht jedoch in den Lagern und im dort vollzogenen Genozid eine extreme Zuspitzung des totalitären Angriffs. Trotz des extremen Charakters dieses Angriffs sind Arendts Begriffe des Verstehens, des Menschlichen und des Totalitarismus auch für ihr Bild nicht-totalitärer Geschichten prägend, sofern es um die Grenzen des Menschlichen geht - und tatsächlich prägen nicht-totalitäre Geschichten (insbesondere die Geschichte des Imperialismus) auch ihren Totalitarismusbegriff.
Im Gegensatz zu solchen Erscheinungen lägen »das Schicksal der europäischen Judenheit« und »die Errichtung von Tötungsfabriken [... ] jenseits antisemitischer Gedankengänge und jenseits der politischen, sozialen und ökonomischen Motive, wie sie die Propaganda antisemitischer Bewegungen prägen« (Sozialwissenschaftliche Methoden, S. 332). Der Versuch, das Neue einer historischen Erfahrung zu begreifen, erfordert unsentimentale Unterscheidungen, wie Arendt sie einführt. Des Weiteren kann die Einsicht, dass extreme und präzedenzlose Formen von Gewalt aus dem Normalen und Alltäglichen hervorgehen können, nicht nur erkenntnistheoretisch produktiv sein; sie geht auch mit dem entscheidenden Folgesatz einher, dass der Totalitarismus die historische Epoche seines Ausbruchs überdauern und in eine Art Schlummerzustand übergehen kann, seiner Wiederbelebung harrend. Wenn man anerkannt, dass einige Formen des Terrors aus der Geschichte vertraut sind, so muss das im Übrigen keine Relativierung dieses Terrors bedeuten. Am Ende ihres Aufsatzes schreibt Arendt: »Man muss [... ] begreifen, dass Hitler kein Dschingis Khan
Hannah Arendt, Das Bild der Hölle, in; dies., Wir Juden. Schriften 1932-1966, hier S. 316, Hervorhebung im Original.
22 Hannah Arendt, Sozialwissenschaftliche Methoden und die Erforschung der Konzentrationslager, in: dies., Wir Juden. Schriften 1932-1966, S. 326-345.
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und nicht schlimmer als irgendein anderer großer Verbrecher war, sondern absolut anders« (Sozialwissenschaftliche Methoden, S. 345). Indem Arendt darauf besteht dass historische Differenz nicht unbedingt eine moralische Unterscheidung beinhal~ ten muss, vermeidet sie das Abgleiten von einem Diskurs des Vergleichs in einen der Konkurrenz - was dann besonders wichtig ist, wenn die Diskussion von der Bewertung der Täter zur Anerkennung des Leidens der Opfer übergeht. Dennoch wirft die zitierte Passage auch Probleme auf, die unser Nachdenken über Viktimisierung betreffen und uns zur Frage des menschlichen Begriffsvermögens zurückführen. Was bedeutet es beispielsweise, die »Ausrottung von Eingeborenen« in die Kategorie des »vergleichsweise Normalen und noch Verstehbaren« zu verweisen? Einerseits ist klar, worauf Arendt hinauswill: Sie möchte, zu Recht oder zu Unrecht, die Vorstellung vermitteln, dass es sich bei der Kolonisierung um ein erklärbares, auf einem Kosten-Nutzen-Kalkül beruhendes Unterfangen handelt, das Massaker und sogar Genozide zur Folge hat. Das ist nicht als Rechtfertigung der Kolonisierung und ihrer Folgeerscheinungen gedacht, sondern als fakten orientierte Aussage darüber, was das Streben nach Wohlstand und Macht beinhaltet. Andererseits gleitet die Feststellung, dass das Fehlens eines Kosten-Nutzen-Kalküls eines der Elemente darstellt, die den Holocaust von anderen Genoziden und »Vernichtungen« unterscheiden, leicht in weniger objektive Urteile ab, die einigen Formen des Mordens »Rationalität« zuzugestehen scheinen. 23 Die Einschätzung des Kolonialismus als utilitaristisch verschließt auch die Augen vor einigen wesentlichen Befunden der Elemente und Ursprünge. Die Art und Weise, in der Arendt in diesen frühen Aufsätzen die Besonderheit des nationalsozialistischen Genozids bestimmt, ist zu einem gängigen Bestandteil zeitgenössischer Diskurse über die Einzigartigkeit des Holocaust geworden. Beispielsweise nennt Yehuda Bauer, einer der bedeutendsten Historiker der Shoah, die »unpragmatisch[e] und irrational[e]« Ideologie des nationalsozialistischen Antisemitismus als einen Faktor, der zu einer »präzedenzlosen Form des Völkermords« 24 geführt habe. Bauers Formulierung scheint eine bedeutende Eigenschaft des Holocaust auf den Punkt zu bringen - niemals würde man diesen als »rational« bezeichnen wollen -, und doch fragt man sich, wer darüber entscheidet, was als pragmatisch und rational gilt. Diese begriffliche Unschärfe wird dann besonders wichtig, wenn die Frage des Vergleichs ins Spiel kommt. Die Ermordung der Juden und Jüdinnen wird als irrational angesehen, doch die Ermordung anderer Gruppen beschreibt Bauer durchweg als »pragmatisch«. Er betont zwar (zweifellos aufrichtig), dass solche Unterscheidungen keine »Hierarchie des Leids« suggerieren sollen (S. 74), doch es ist
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schwierig, die Zuschreibung von Pragmatismus und Rationalität nicht als wertend zu verstehen. Das Problem ist, dass der Nutzen als Kriterium die Frage nach der Perspektive aufwirft. Aus welcher und aus wessen Perspektive ist etwas nützlich im Sinne eines Kosten-Nutzen-Kalküls? Bauer schreibt beispielsweise: »Dem Völkermord an d~n Armeniern, der möglicherweise die nächstliegende Parallele zur Shoah darstellt, lagen politische und chauvinistische Motive zugrunde, das heißt, er hatte eine sachliche Basis. [... ] Die Armenier, ein >fremdes< Volk, besetzten einen Teil Anatoliens, des Kernlands der Türkei. Deswegen sollten sie beseitigt werden« (S. 69). Zwar gibt es offenkundige geografische, kulturelle und politische Unterschiede zwischen den europäischen Juden und den Armeniern im Osmanischen Reich, doch es fällt schwer nachzuvollziehen, weshalb die Eliminierung einer »fremden« Gruppe irrationaler als die einer anderen sein soll, oder weshalb die Motive für den Holocaust nicht als »politisch und chauvinistisch« beschrieben werden können. Die Definition eines Vernichtungs akts als pragmatisch, und damit als rational, wird immer ideologisch sein. Akzeptiert man die Behauptung, bestimmte Massaker seien pragmatisch, dann akzeptiert man oft auch die Begrifflichkeit und Weltsicht der Täter - wie Bauer es tut, wenn er sich zum Sprachrohr der türkischen Täter macht (»Deswegen sollten sie beseitigt werden«). Bauer und andere sind bereit, diese Definition auf alle Genozide außer den Holocaust anzuwenden. Der Rückgriff auf Pragmatismus und Kosten-Nutzen-Kalküle als Maßstäbe historischer Unterscheidung setzt in diesem Fall europäische Bewertungsrahmen voraus: Der Holocaust ist einzigartig, wenn man von modernen europäischen Rationalitätskriterien ausgeht. Nimmt man eine andere Perspektive ein, etwa die der Opfer, dann ist es kaum relevant, ob der Holocaust auf einem Kosten-Nutzen-Kalkül beruhte oder nicht. Die Zuschreibung von Motiven wirkt sich auf die Ergebnisse genozidaler Vorgänge nicht aus. 25 Schlimmer noch: Der Pragmatismus diskurs bestätigt und reproduziert orientalistische und kolonialistische Ideologien. So schreibt die Forscherin Jodi Byrd, die dem nordamerikanischen Stamm der Chickasaw angehört, in ihrer Antwort auf ähnliche Bemerkungen von Deborah Lipstadt, in der diese den Holocaust von Genoziden an indigenen Völkern abgrenzt: »Was bei einer solchen Konkurrenz um den >wahren< Genozid mit den amerikanischen Ureinwohnern geschieht, ist, dass sie wieder einmal zu den >logischen>verachtung aller Wertungen, die dem Erarbeiteten und Geleisteten entspringen und gegen welche die natürlich-physische, von Geburt vorbestimmte Gegebenheit als einzig Absolutes gesetzt wird«, haben die Buren ihre Bereitschaft bewiesen, »Produktivität und Profit der Phantomwelt weißer Götter« zu opfern, »die über schwarze Schatten herrschen«. Insofern unterscheiden sie sich von den Briten in Südafrika, die sich durch ihre »einfache utilitaristische Denkweise« auszeichnen
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(Origins, S. 197). Tatsächlich blieben in dieser Hinsicht »die Buren die unbestrittenen Herren des Landes [... ]. Wo immer rationale Berechnung von Arbeits- und Produktionskosten in Konflikt geriet mit rassischen Erwägungen, wurde die erstere den letzteren geopfert« (Elemente und Ursprünge, S. 333). Canovan fasst das von Arendt in diesem Abschnitt der Elemente und Ursprünge formulierte Argument folgendermaßen zusammen: »Südafrika hat gezeigt, dass es möglich ist, die moderne Gesellschaft nach durchaus unökonomischen, >rassischen< Prinzipien zu organisieren. [... ] Der Imperialismus beginnt zwar nach Arendts Darstellung mit der Unterwerfung der Politik durch die bürgerliche Ökonomie, doch er gipfelt in der Aufgabe ökonomischer Imperative zugunsten der schieren Gewalt von Männern, die eine neue Form von Gemeinschaft, eine auserwählte >Rasse< entdeckt haben« (Canovan, Hannah Arendt, S. 38 0. Diese Dialektik von Nutzen und Nicht-Nutzen, die sich in der Begegnung Europas mit seinen Anderen entfaltet hat, verleiht dem Begriff des Nutzens in Arendts Arbeiten einen anderen Charakter, als er in den Arbeiten vieler späterer Forscher zum Vorschein kommt. Bei Bauer ist der Nicht-Nutzen des Holocaust eines der wichtigsten Indizien für dessen Singularität sowie einer der Faktoren, der die Ermordung der Juden und Jüdinnen von Massakern an überwiegend nicht-europäischen Gruppen absetzt: »Es wäre überflüssig, die Motive für die Vernichtung der Kariben durch die Spanier oder für den Völkermord an den mexikanischen und peruanisehen Indios zu analysieren - hier war eindeutig die Suche nach Gold und natürlichen Reichtümern das zentrale Motiv, die Bekehrung zum Christentum dagegen lediglich der ideologische >Überbaw« (Bauer, Die dunkle Seite der Geschichte, S. 71). Bauers Beschwörung einer Logik der Selbstverständlichkeit (stets ein sicheres Zeichen, dass Ideologie am Werk ist) liegt fernab der Einsichten Arendts, für die bereits die Möglichkeit eines »nicht-utilitaristischen« Genozids aus europäischen Praktiken im außereuropäischen Raum erwächst. In Übereinstimmung mit Arendts in Elemente und Ursprünge unternommenem Versuch, nicht etwa eine deterministische Kausalität zu entwerfen, sondern die Kristallisierung jener Elemente aufzuzeigen, die zum Totalitarismus geführt haben, wird die Verbindung zwischen Nationalsozialismus und Imperialismus als »indirekt« bezeichnet. Doch die ausschlaggebende Idee, »daß die Profitrechnung kein ehernes Gesetz der Wirtschaft ausmacht, sondern ohne katastrophale ökonomische Folgen außer acht gelassen [werden kann]«, war eine wichtige Lektion, die »Südafrika [... ] den Mob [lehrte]« (Elemente und Ursprünge, S. 335). Indem sie die Entwicklung einer nicht-utilitaristischen Vernichtungsdynamik auf die Expansion Europas über seine Grenzen hinaus zurückführt, schafft Arendt die Möglichkeit einer nicht-eurozentrischen Holocaustforschung, die europäische Kategorien des Nutzens und der Menschlichkeit nicht als gegeben voraussetzt. Ihr Beispiel legt vielmehr die Notwendigkeit nahe, solche Kategorien der doppelten historischen Prüfung des Imperialismus und des Genozids zu unterziehen. Diese Einsicht ist auch auf ihre eigenen Texte anzuwenden.
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Bevor ich Arendts Kategorien an den von ihr selbst gesetzten Maßstäben messe, möchte ich noch einmal zusammenfassen, was wir bisher über Arendts Begriffe des Verstehens und des Menschlichen im Kontext von Imperialismus und Genozid erfahren haben. Arendts Aufgabe besteht darin, eine politische Bewegung zu erklären, die sich dem menschlichen Begriffsvermögen dadurch entzieht, dass sie fortlaufend Vernichtung produziert. Was sie als menschliches Begriffsvermögen bezeichnet, entspricht Ereignissen und Handlungen, deren Motive sich unter Rückgriff auf utilitaristische oder auf einem Kosten-Nutzen-Kalkül beruhende Überlegungen erklären lassen. Historische Ereignisse und politische Projekte wie der Holocaust, die keiner utilitaristischen Logik gehorchen, entziehen sich somit diesem Begriffsvermögen. Solche Ereignisse sind Arendt zufolge nicht mystischer oder heiliger Natur. Erscheinungen, die sich dem menschlichen Begriffsvermögen versagen, verlangen vielmehr nach jener Form paradoxen Verstehens, die Arendt als die Realität konfrontierend und zugleich sich ihr widersetzend beschreibt. Solch paradoxes Verstehen beinhaltet also das Zersetzen von Erscheinungen und die Neuzusammensetzung der Fragmente in Form von Konstellationen. Die fragmentarische Historiografie von Konstellationen ahmt nicht das lineare und kausale Denken jener utilitaristischen Logik nach, die menschlich begreifbaren Handlungen zugrunde liegt. Fragmentarische Historiografie versucht vielmehr, die Brüche mit der Normalität und innerhalb dieser zu begreifen, die extrem gewaltsame Handlungen auszeichnen. Arendt gebraucht diese Unterscheidung zwischen dem, was menschlichem Begriffsvermögen zugänglich ist, und dem, was sich ihm entzieht, um den Holocaust als Kern des Totalitarismus von allen früheren Formen extremer Gewalt und Unterdrückung abzugrenzen. Gleichzeitig verortet sie diesen nicht-utilitaristischen Genozid allerdings in einer Konstellation, zu der auch die Entwicklung einer hierarchischen »Rassengesellschaft« in Südafrika gehört. Der Imperialismus ist eine Vorbedingung des Holocaust, auch wenn Arendt grundsätzlich zwischen den beiden unterscheidet. Extreme Ereignisse entziehen sich zwar dem menschlichen (das heißt: dem gewöhnlichen) Begriffsvermögen, es geht bei ihnen aber dennoch (oder vielleicht gerade deswegen) darum, die Grenzen des Menschlichen zu bestimmen. Extreme Ereignisse sind für Arendt solche, die uns mit dem Menschlichen in Reinform konfrontieren, mit »bloßen menschlichen Wesen«. Die Konturen des Menschlichen zu umreißen wird somit zu einem Schlüssel für das Verständnis des Totalitarismus und des Holocaust. Nach Arendts Auffassung haben »bloße menschliche Wesen« keinen Anteil an einer gemeinsamen, universellen Menschlichkeit, sondern sie stellen einen Extremfall der Isolation und Verwundbarkeit dar. Das bloße menschliche Wesen ist in der Zone jenseits des menschlichen Begriffsvermögens verortet. Der KZ-Häftlinginsbesondere jene fast tote, zombie gleiche Gestalt, die in den Lagern als Muselmann bekannt war - und der staatenlose Flüchtling sind die Manifestationen eines neuen Menschentyps; sie sind das nackte Leben, das getötet, aber nicht geopfert werden kann. Das Schicksal der »abstrakten, nackten« Menschheit zu begreifen erfordert eine Form des Verstehens, die sich der Brüche innerhalb des Menschlichen bewusst
DIE Iscramble Jor AJrica< und die neue Ära des Imperialismus die westliche Menschheit nicht neuen und schockierenden Erfahrungen ausgesetzt hätten. [... ] >Rasse< war der Notbehelf zur Erldärung jener Menschen, die kein europäischer oder zivilisierter Mensch verstehen konnte und deren Menschlichkeit die Einwanderer so erschreckte und erniedrigte, dass sie nicht mehr zur selben menschlichen Spezies gehören wollten. >Rasse< war die Antwort der Buren auf die überwältigende Ungeheuerlichkeit Afrikas - ein ganzer Kontinent, der von Wilden bevölkert und überbevölkert war - eine Erklärung für den Wahnsinn, der sie erfasste und erleuchtete wie >ein Blitz aus heiterem Himmel: Alle die Hunde ausrotten! [Exterminate all the brutes]natürlichen< Existenz von ,Wilden< und der von Menschen geschaffenen Welt der Zivilisation in Beziehung gesetzt.« Wie Canovan außerdem bemerkt, werden auch Juden und Jüdinnen auf analoge Weise als »wurzellos« and »weltlos« beschrieben (Canovan, Hannah Arendt, S. 39, 44). Obwohl sie gelegentlich Anführungszeichen verwendet, um sich von Arendts Begrifflichkeit abzugrenzen, hinterfragt Canovan die primitivistische Logik solcher Assoziationen im Allgemeinen nicht.
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lichen. In der kolonialen Situation wird das menschliche (das heißt: europäische) Potenzial durch das Spektakel der Wildheit auf verstörende Weise infrage gestellt, letztlich aber bestätigt, wohingegen hier das Unheimliche (das von Zwillingen verursachte Unbehagen) nicht in der erhabenen Rekonstitution des individualisierten modernen Subjekts mündet. Arendt verbindet die Tötung der Individualität des Häftlings mit der Eliminierung der Menschlichkeit der Mörder: mit der »absolut kalten, absolut berechneten und systematischen Zerstörung der menschlichen Körper zum Zwecke der Zerstörung der menschlichen Würde [... ]. Die Lager [... ] wurden zu Exerzierplätzen, auf denen vollkommen normale Menschen zu vollgültigen Mitgliedern der SS erzogen wurden« (Elemente und Ursprünge, S. 695). Dieser Passus antizipiert nicht nur spätere Einsichten in die »ganz normalen Männer«, die sich am nationalsozialistischen Genozid beteiligt haben (siehe insbesondere Elemente und Ursprünge, S. 695-696, Fn.), sondern stellt auch die Weichen für eines von Arendts originellsten und erschreckendsten Argumenten zum Thema Totalitarismus: »Menschen, sofern sie mehr sind als reaktions begabte Erfüllungen von Funktionen, deren unterste und daher zentralste die rein tierischen Reaktionen bilden, sind für totalitäre Regime schlechterdings überflüssig. Worum es ihnen geht, ist nicht, ein despotisches Regime über Menschen zu errichten, sondern ein System, durch das Menschen überflüssig gemacht werden« (Elemente und Ursprünge, S. 698). Totalitärer Funktionalismus - oder »Folgerichtigkeit«, wie Arendt sagt - führt zum Versuch, eine überflüssiger Menschlichkeit bare Welt zu schaffen, die vollkommen dem »ideologischen Suprasinn« der Bewegung entspricht: »In der nur ideologischen Verachtung der Tatsächlichkeit einer gegebenen Welt, gegen die der gesunde Menschenverstand sich noch immer zu behaupten wußte, lag noch der menschliche Stolz, die gegebene Tatsächlichkeit meistern, für menschliche Zwecke einrichten und ändern zu können. Mit diesem Stolz gerade, der in der abendländischen Tradition zumindest mit zu der Würde des Menschen gehörte, ist es in der totalitären Welt vorbei; gerade diesen Stolz zerstört die zwangsläufige Stimmigkeit und Unentrinnbarkeit eines Suprasinns, der von menschlichem Trachten und Handeln ganz unabhängig bleibt« (Elemente und Ursprünge, S. 700). Für Arendt zeigt der Mikrokosmos der Lager das Narrativ des Eintritts des Menschen in die Menschlichkeit als zerbrechlichen Triumph über die Natur und das Tierische, der unter bestimmten (etwa totalitären) Umständen rückgängig gemacht werden kann. Diese Formulierung belegt die Aporie oder den unentscheidbaren, toten Punkt von Arendts Denken. Sie schwankt zwischen zwei Verständnissen des Menschlichen: einem, in dem das Tierische den Kern des Menschen ausmacht, und einem, in dem das Menschliche nur durch das Unnatürliche (das Nicht-Tierische) konstituiert werden konnte. Diese zwei Versionen des Menschlichen entsprechen jeweils den »Lektionen« der Abschnitte »Imperialismus« und »Totalitarismus« von Elemente und Ursprünge: In Afrika entdecken die Europäer »das menschliche Tier«, wohingegen sie in den Lagern des 20. Jahrhunderts entdecken, wie man den vertierten Menschen produziert. Wenn, wie Canovan behauptet, Arendts politische Vision aus der Erfah-
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rung des Totalitarismus heraus und als schroffer Gegensatz zu diesem entstanden ist, dann tangiert diese Aporie das Zentrum ihres Denkens. Der genuin menschliche Bereich, in dem Politik praktiziert werden kann, ist von zwei Seiten den Mächten der »Natur« ausgesetzt. Die Politik wird ebenso von der >>natürlichen« Natur der nichteuropäischen Welt bedroht wie von der Schaffung eines zweiten Naturzustands durch die Krisen der modernen europäischen Welt. Diese Sichtweise ignoriert die konstituierende Rolle des Nicht-Europäischen bei der Schaffung des neuzeitlichen Europa und die Gelegenheiten für eine Neukonstituierung des Menschlichen, die aus diesem Raum erwachsen könnten. Zu eben dem Zeitpunkt, da die antikolonialen Kämpfe die Möglichkeit einer »dritten Natur« eröffnen, die die Welt neu gestalten könnte, jenseits des Kolonialismus und ohne das Phantasma einer Rückkehr zu vermeintlichen Vorzeit-Bedingungen, übersetzt Arendt die Eroberung der kolonialen Welt in die von dieser Welt ausgehende Bedrohung der Konstitution des Menschlichen als solcher. 37 Das Verhältnis von Imperialismus und Totalitarismus ist in Elemente und Ursprünge noch enger, als Arendt anerkennt. Wie die obigen Arendt-Zitate verdeutlichen, nimmt die koloniale Differenz - das heißt die Unterscheidung zwischen dem natürlich und dem unnatürlich Menschlichen - die äußersten Grenzen der totalitären Barbarei der Lager vorweg: die »Tötung der Individualität« und die Weigerung, Mitmenschen und andere Nationen als »Miterrichter einer gemeinsamen Welt« (»cobuilders of a common world«: Origins, S. 458) anzuerkennen. Arendts Schilderung der Konzentrationslager beruht auf einer Unterscheidung, die sie der kolonialen Begegnung entnimmt. Doch sie ist nicht in der Lage, gänzlich anzuerkennen, dass jene Begegnung diese Unterscheidung überhaupt erst herstellt. Anstatt den traumatischen Charakter der physischen und epistemischen Gewalt des Kolonialismus als das zu begreifen, woraus der Gegensatz von natürlicher und unnatürlicher Menschlichkeit hervorgeht, scheint Arendt der Ansicht zu sein, dass die Afrikaner und Afrikanerinnen tatsächlich vom Projekt der Errichtung einer gemeinsamen Welt ausgeschlossen sind (vielleicht nicht ihrem Wesen nach, aber dennoch historisch und in absehbarer Zukunft). Die Logik ihres Arguments besagt, dass die Nationalsozialisten ihre Opfer (und selbst ihre eigenen Anhänger) zu jenen entindividualisierten Menschen machen, die die Afrikaner bereits sind. Diese Asymmetrie verleiht Arendts Darstellung eine verstörende Note, trotz der Überzeugungskraft und Originalität der Verbindung, die sie zwischen der von den Lagern und der vom Imperialismus verursachten Vernichtung herstellt. Arendt verwandelt die vermeintliche Abwesenheit bestimmter
37 Edward Said entwickelt in Culture and Imperialism, New York 1994, den Begriff einer »dritten Natur« als Ziel »antiimperialistischer Fantasie«. Said schreibt, in Anspielung auf die marxistische Vorstellung einer »zweiten Natur«, das heißt der kapitalistischen Produktion »einer bestimmten Art von Natur und Raum«: »In der antiimperialistischen Fantasie ist unser Heimatraum in den Peripherien von Außenstehenden usurpiert und für ihre Zwecke genutzt worden. Es ist daher notwendig, eine dritte Natur zu suchen, zu kartografieren, zu erfinden oder zu entdecken, die nicht ursprünglich und prähistorisch ist, [... ] sondern aus den Entbehrungen der Gegenwart hervorgeht« (S. 225 f.).
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Lebensformen (europäischer Kultur) in die Abwesenheit aller Kultur, und das, um zu bestimmen, was unter totalitären Bedingungen verloren geht (die Individualisierung der KZ-Häftlinge und der SS).38 Es ist natürlich an sich bereits enttäuschend, dass Arendt im Imperialismus nicht etwas erkennt, das aus Afrikanern und Afrikanerinnen auf eben die Weise nacktes Leben macht, in der dies der Nationalsozialismus mit den Juden und Jüdinnen getan hat. Womöglich reicht das Problem aber sogar noch weiter und tangiert Arendts Kategorie des Verstehens. Die Aufspaltung des Menschlichen in der kolonialen Begegnung ist von wesentlicher Bedeutung für Arendts Erldärung des Rassismus sowie der biopolitischen Welt der Lager, einer Welt, in der eine Zäsur innerhalb des Kontinuums des Lebens von der »Herrenrasse« zu einer Kategorie »lebensunwerten Lebens« geschaffen wird (oder, unter weniger extremen Umständen, zwischen dem mit Rechten ausgestatteten Bürger und dem aller Rechte beraubten Flüchtling). Die schwierige Frage, der es sich zu stellen gilt, lautet: Inwiefern beruht Arendts Kategorisierung des Holocaust (sowie anderer Aspekte des Totalitarismus), der sich menschlichem Begriffsvermögen entzieht, auf der Annahme, dass es einen Bereich des Menschlichen gibt, der jenseits menschlicher Kultur liegt? Um die Reduktion und Spaltung des Menschlichen zu erklären, zu der es im Totalitarismus kommt, muss Arendt eine solche Spaltung als Vorgang setzen, der sich bereits in der kolonialen Begegnung zeigt. Ihr Versuch zu erklären, wie diese Begegnung die besondere Bedeutung von »Rasse« und die Wucht des Rassismus produziert, beruht schlussendlich auf der Annahme, die »rassische« Differenz gehe der kolonialen Begegnung voraus. So trifft sie selbst innerhalb des Menschlichen jene Unterscheidung, die sie als eine von der kolonialen Begegnung und den Lagern produzierte vorzufinden glaubt. Wenn wir aber Arendts Genealogie des Nicht-Nützlichen in der Herausbildung der kolonialen »Rassen«-Gesellschaft ernst nehmen, dann wird die Ursache des NichtBegreifens näher bei uns selbst verortet, mit verstörenden Folgen. Es ist nicht die Konfrontation mit dem nackten Leben, die das Scheitern des Verstehens produziert, sondern es sind die Normen der europäischen Kultur sowie die in dieser Kultur wirkende Vorstellung des modernen Subjekts, aus denen die Paradoxien des Menschlichen hervorgehen. Am provokantesten an dieser Darstellung ist vielleicht die Möglichkeit, dass der von den Europäern in Afrika erfahrene »Schock« gerade auf den Universalismus und Humanismus aufldärerischen Denkens zurückzuführen sein könnte: eines Denkens also, das die Kolonisatoren eine Begegnung nicht mit dem Fremden, sondern mit dem Gleichen erwarten lässt. Gerade aus der Erwartung homogener Universalität heraus nimmt die Differenz traumatischen Charakter an. 39 Die Kategorie der »Rasse« 38 Ich beziehe mich hier auf LaCapras nützliche Unterscheidung zwischen Abwesenheit und Verlust. Siehe Dominick LaCapra, Trauma, Absence, Loss, in: ders., Writing History, Writing Trauma, Baltimore 2001. Die Unterscheidung spielt auch in meiner Analyse von Schwarz-Bart und Phillips (Kapitel 5) eine wichtige Rolle. 39 David Lloyds Ausführungen zum kolonialen Trauma setzen ebenfalls »Rasse«, Universalität und kulturelle Differenz zueinander in Beziehung, und das auf eine Weise, die Arendts Fall
NACIl1atürlich« und damit verständlich, wohingegen andere eine genealogische Erklärung erfordern. Trotz Arendts Bemühungen, ihren Begriff der »Ursprünge« von einem am Fortschrittsbegriff orientierten Narrativ abzugrenzen, dient Afrika ihrer Genealogie des Totalitarismus unhinterfragt als Entstehungsort. Der Passus zeigt die furchtbare Nähe der Kategorie »menschliches Begriffsvermögen« zu dem, was sich menschlichem Begriffsvermögen entzieht. Darüber hinaus wird erkennbar, dass Arendt hinter ihren eigenen Begriff von Verstehen als das, was sich alltagsverständlicher Begreifbarkeit entzieht, zurückfällt. Nur indem bestimmte Gruppen, etwa 42 Auch hier ist der entsprechende Passus aus der englischen Ausgabe neu übersetzt worden, da die deutsche Fassung vielfach von der englischen abweicht. In der von Arendt selbst besorgten deutschen Übersetzung heißt es: ),viel wesentlicher [... ] war vorerst, daß das )Treibhaus des Imperialismus' seinen Einfluß überall da fühlbar machte, wo auf Grund der weitgespannten Expansionspolitik südafrikanische Verhältnisse maßgebend werden konnten. Dies galt vor allem für die Kolonialbesitzungen in Asien, wo imperialistische Verwaltungsbeamte und die weiße, geschäftemachende Oberschicht es sehr schnell außerordentlich vorteilhaft fanden, Asiaten ebenfalls wie Neger zu behandeln. Dem kam entgegen, daß Inder und Chinesen nach Südafrika in Massen importiert wurden, wann immer die einheimische billige Arbeitszufuhr zeitweilig ins Stocken geriet, und daß sie in der südafrikanischen Rassegesellschaft sofort den einheimischen Schwarzen gleichgestellt wurden. Entscheidend in dieser Assimilierung asiatischer Völker an afrikanische Standards war, daß nun wirklich nur noch nach Hautfarbe gerechnet wurde und daß der europäische Rassenhochmut gegen Asiaten noch nicht einmal den ursprünglichen Schrecken vor wilden, unverständlichen Stämmen als mildernden Umstand für sich geltend machen konnte. Gerade weil hier jegliche Erfahrungsbasis fehlte, begann das eigentliche Verbrechen der imperialistischen Rassekonzeption in der Behandlung der asiatischen, nicht der afrikanischen Völker; Chinesen und Inder waren von den europäischen Völkern immer als fremde Völker, aber nicht als Rassen empfunden worden. [... ] Der Rassebegriff [war] hier in Asien, wo er sich in einem historisch bestimmbaren Augenblick an die Stelle ganz anders gearteter und begriffener Beziehungen drängte, eine viel gefährlichere und politisch von vornherein viel belastetere Waffe als in Afrika« (Elemente und Ursprünge, S. 333 f.) (Anm. d. Übers.).
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2.
AN DEN GRENZEN DES EUROZENTRISMUS
Afrikaner und Afrikanerinnen, von der Anerkennung als menschlich ausgeschlossen werden, kommt das Verstehen den Ursprüngen der Unmenschlichkeit auf die Spur: Vermeintliche afrikanische Barbarei ist der notwendige Beginn jener Bumerang-Bewegung, die von einem Rassismus, der die »gleichsam natürliche Folge« der europäischen Anwesenheit in Afrika ist, über einen unnatürlichen und »menschlich [nicht] nachvollziehbaren« Rassismus in Asien bis hin zum »eigentlichen Verbrechen« des Genozids in Europa führt. Der Bumerang-Effekt ist in Arendts Text ein doppelter. In der bildhaften Verbindung von Kolonialismus und Genozid sind sowohl Sympathie als auch Distanzierung am Werk. Koloniale Gewalt lässt den Totalitarismus vorausahnen, während der Totalitarismus gleichzeitig einen Schatten auf das koloniale Archiv zurückwirft. Der Affekt fließt in mehrere Richtungen, von Afrika nach Europa und von Europa nach Afrika, mit Zwischenstopps in Asien, während Kolonialismus, Krieg und Völkermord sich gegenseitig erhellen. Die Beziehung zwischen diesen Knotenpunkten ist jedoch nicht symmetrisch: Das Afrikanische ist dem staatenlosen Europäer chronologisch und begrifflich vorgeschaltet, aber diese Priorität liegt näher an dem, was Johannes Fabian als >,verleugnung der Gleichzeitigkeit« bezeichnet, als an der Anerkennung der Gerechtigkeitsansprüche der Kolonisierten. Arendts Text wirft somit eine grundlegende Frage der vergleichenden Geschichte und der multidirektionalen Erinnerung auf: Besteht die Gefahr, dass der Versuch, über Europa hinauszugehen und einen globalen Rahmen für die europäische Geschichte zu schaffen, die europäische Verantwortung verdrängt? William Pietz gelangt zu einem strengen Urteil: »Es war Arendts herausragende Leistung, eine Reihe historisch fundierter politischer Begriffe zu entwickeln, die in der Lage sind, den Ursprung des >Totalitarismus< im Allgemeinen und des modernen europäischen Antisemitismus im Besonderen - und damit implizit auch die Verantwortung für den nationalsozialistischen Holocaust außerhalb Europas, im wilden >Tribalismus< des >dunklen Kontinents< zu verorten« (Pietz, The »Post-Colonialism«, S. 69). Ich halte Pietz' Kritik an Arendt für zu einseitig, weil sie die produktiven Aspekte von Arendts Verknüpfung von Imperialismus und Nationalsozialismus ignoriert, die einen umfassenderen, europäischen und globalen Erklärungsrahmen für das bieten, was sonst oft auf eine Darstellung des deutschen »Sonderwegs« reduziert wird. Aber ich stimme Pietz zu, dass Arendts Text durch seine Annahmen über die Natur des Menschen, Afrikas und der kolonialen Begegnung kontaminiert wird. So gelangen wir zu der Frage, wie wir den Begriff des Bumerang-Effekts derart gebrauchen können, dass eine Gewaltgeschichte nicht um den Preis des Verschwindens einer anderen sichtbar gemacht wird. Die Geschichte des Wortes »Bumerang« legt nahe, dass einige der Spannungen, die das Verständnis von genozidaler Gewalt umgeben, diesem Wort bereits tief eingeschrieben sind. Dem Oxford English Dictionary (OED) zufolge entsteht das englische Wort boomerangim späten 18. oder frühen 19. Jahrhundert als »Übernahme oder Abwandlung der in der Sprache der Indigenen von New South Wales gängigen Bezeichnung einer australischen Wurfwaffe: eines
NACKTES LEBEN UND BUMERANG-EFFEKT
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gebogenen Stücks festen Holzes von zwei bis drei Fuß Länge, mit einer scharfen Kante an der konvexen Seite. Diese Waffe ist so beschaffen, dass sie in ihrem Flug komplexe Kurven beschreibt. Sie kann geworfen werden, um einen Gegenstand in einer anderen als der Wurfrichtung zu treffen, oder derart, dass sie zum Ausgangspunkt zurückzukehrt oder über diesen hinausschießt.« Eine der ersten Erwähnungen des Wortes findet sich laut OED »in einem kurzen Vokabelbuch der toten Sprache von George's River, Botany Bay, gedruckt von Ridley«.43 Das englische Wort boomerang geht also nicht nur auf eine koloniale Begegnung zurück, sondern es indiziert auch eine genozidale Geschichte, in der Sprachen, Kulturen und Menschen an der Schwelle zur Vernichtung stehen oder zumindest als dort stehend verstanden werden. Das Aufgreifen des Bumerangs als Metapher für historische Übertragungen kodiert die Gefahren komparativer Fantasie: Worte werden übersetzt, und die übertragene Gewalt wird zugleich weitergeführt und zurückgelassen. In der kreisförmigen Flugbahn des Bumerangs drohen bestimmte Geschichten in Vergessenheit zu geraten. Wenn wir diese Geschichten jedoch auf der Flugbahn des Bumerangs verorten können, sichern wir uns damit die Mittel, um auf das Verschwiegene zurückzukommen und es wieder einzugliedern in ein multidirektionales Archiv der kollektiven Erinnerung. Dieselbe riskante Vorstellung einer Wiederkehr spielt auch in den Schriften Aime Cesaires eine vielseitige Rolle.
43 Dem Oxford EI1g1ish Dictiol1ary zu folge wird das Wort »Bumerang« ab 1845 im bildlichen Sinn verwendet: »Dein verbaler Bumerang gibt dir einen Schlag auf die Nase.« Ein zweites Beispiel stammt aus dem Jahr 1870: »Der Bumerang des Arguments, den man in eine Richtung wirft, die der intendierten entgegengesetzt ist.« Die Bewegung von körperlicher Gewalt hin zu verbaler Aggression passt zu unseren Ausführungen über Diskurse von Genozid und Imperialismus.
3. nUn choc en retour«: Aime Cesaires Diskurse über Kolonialismus und Genozid
Von Riposte zu Un choc en retour
Abbildung 2: Boris Taslitzky, Riposte (1951) © VGBild
Im Sommer 1949, zwei Jahre nach Beginn des französischen Kolonialkriegs in Vietnam, rief die kommunistisch geführte, französische Hafen- und Dockarbeiter vertretende Gewerkschaft CGT ihre Mitglieder dazu auf, jegliche Arbeit für Schiffe mit indochinesischen Zielhäfen zu verweigern. Der Aufruf war Teil der Bemühungen der Kommunistischen Partei Frankreichs (PCF), pazifistische Einstellungen aufzugreifen und in konkrete Aktionen umzusetzen. Er wurde zunächst, im Juni, von Dockarbeitern in Algerien beherzigt, dann von Arbeitern in Marseille und Dunkerque. 1 Zusätzlich zu Demonstrationen, Streiks und anderen Formen direkter Aktion bedienten sich die Kommunisten in ihrem Kampf gegen den Krieg auch kultureller Mittel. Ein Dokument, das Zeugnis von den politischen Konflikten der Zeit ablegt, ist eine Arbeit von Andre Fougerons Künstlerkollegen und Genossen Boris Taslitzky: das Gemälde Riposte (1951). Taslitzkys Gemälde zeigt eine gewaltsame Begegnung von französischen Polizisten und Dockarbeitern während eines Streiks gegen den Krieg in Indochina und erinnert an zwei bekannte französische Gemälde des 19. Jahrhunderts, die ebenfalls ihr jeweiliges Zeit geschehen auf dramatische Weise porträtieren (siehe Abb. 2). Die Masse der Arbeiter, Polizisten und Polizeihunde sind vor dem als Hintergrund dienenden Bug eines schwarzen Schiffs versammelt, und zwar in einer Pyramidenform, die an Gericaults Floß der Medusa (1819) erinnert, wobei Wellblech und Kopfsteinpflaster dem Floß entsprechen. Wie Riposte nimmt auch Gericaults Gemälde auf den Kolonialismus Bezug. Die Medusa war eine französische Fregatte, die vor der Küste Afrikas auf Grund lief, mit dem französischen Gouverneur von Senegal an Bord, der das Land von den Briten übernehmen sollte. Mehr als einhundert Menschen starben bei dieser Havarie, darunter sowohl französische als auch afrikanische Besatzungsmitglieder. An der Spitze der vom Floß inspirierten Körperpyramide hat Taslitzky eine weitere Anspielung auf ein klassisches französisches Gemälde vorgenommen.
Eine Darstellung der Hafenarbeiterstreiks findet sich in: Alain Ruscio, Les communistes fran~ais et la guerre d'Indochine, 1944-1954, Paris 1985, S. 240-265. Zur öffentlichen Meinung Frankreichs über den Krieg siehe auch Alain Ruscio, La decolonisation tragique: Une histoire de la decolonisation fran~aise, 1945-1962, Paris 1987, S. 52-60. In jüngerer Zeit hat Ruscio eine umfassende kommentierte Dokumentensammlung veröffentlicht, die einen Spiegel der langjährigen, aber oft ambivalenten Auseinandersetzung der Kommunistischen Partei Frankreichs mit der Kolonialfrage bietet. Siehe Alain Ruscio (Hrsg.), La question coloniale dans »I'Humanite«, 1904-2004, Paris 2005.
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3. "UN CHOC EN RETOUR«: AlME CESAIRES DISKURSE
Die Trikolore oder Republikfahne, die von den muskulösen Dockarbeitern als Waffe gegen die Polizei zweckentfremdet wird, erinnert an Die Freiheit führt das Volle (1830) von Delacroix (wobei Delacroix' weibliche Figur hier männlich ist), denn die Fahne wird bei Taslitzky und bei Delacroix im gleichen Winkel gehalten. (Wie Riposte und Gericaults Gemälde zeigt auch Delacroix' Bild im Vordergrund eine Gruppe übereinander liegender Personen.) Riposte überarbeitet also Gericaults Darstellung einer kolonialen Katastrophe und Delacroix' Darstellung der Juli-Revolution, um die antikolonialen und Arbeiterbewegungen in die longue dun~e der französischen Politikgeschichte einzuordnen. Doch in Taslitzkys Gemälde geschieht noch mehr, als auf den ersten Blick erkennbar ist. Die heroische riposte oder Replik der Arbeiter erhält durch eine Anspielung auf den Kampf gegen den Faschismus noch eine weitere, provokante Bedeutung. In der unteren Bildmitte wird ein Polizist von einem kräftigen blonden Arbeiter in den Würgegriff genommen. Der französische Polizist hat einen Schnurrbart, der sein Gesicht zu dem Hitlers macht. Der Vorwurf an politische Gegner, sie seien »Nazis«, ist zwar in den Jahrzehnten seit Taslitzkys Gemälde zu einem banalen Topos geworden, doch muss eine solche Anspielung in einem Land, dessen Besatzung durch Hitlers Streitkräfte nur wenige Jahre zurücklag, besondere Wucht entfaltet haben. Tatsächlich beschlagnahmte der Staat das Gemälde kurz nach seiner Ausstellung im Jahr 1951. Haben wir erst einmal bemerkt, wie Taslitzky die Gegenwart in Bezug auf die jüngste faschistische Vergangenheit rekodiert, dann sehen wir auch, wie sich andere Details verwandeln; zum Beispiel erinnert ein einfaches gestreiftes Matrosenhemd an die Kleidung nationalsozialistischer Häftlinge. Diese subtilen, aber wirkungsvollen Details signalisieren eine Lesart der im Bild dargestellten riposte sowohl als Rückkehr als auch als Form des Widerstands. Über den Hitler-Bezug kehrt der Faschismus als kolonialistischer Teilnehmer am Kampf um die Dekolonisierung nach Frankreich zurück. Wie sollen wir diese frappierende bildliche Anspielung auf den Nationalsozialismus deuten? Taslitzkys Biografie lässt seine Motivwahl weniger überraschend erscheinen. Als Sohn russisch-jüdischer Exilanten beteiligte er sich am Widerstand gegen die nationalsozialistische Besatzung und wurde später nach Buchenwald deportiert, wo er eine berühmte Serie von Zeichnungen des Lagers anfertigte - auf Papier, das er von der SS gestohlen hatte. In der Zwischenzeit wurde seine Mutter in Auschwitz ermordet, nachdem man sie in der berüchtigten Velodrome-d'Hiver-Razzia verhaftet hatte (ein Ereignis, an das auch in den letzten Phasen des Algerienkrieges erinnert wurde, was in Teil IV eine wichtige Rolle spielen wird).2 Zwar kann man nicht behaupten, dass Riposte sich auf die Besonderheiten des Holocaust einlässt, doch die Verweise
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Siehe zu diesen und anderen relevanten biografischen Fakten den Nachruf in Le M01lde vom 13. Dezember 2005. Kurz nachdem er Riposte gemalt hatte, wurde Taslitzkyvon der Kommunistischen Partei nach Algerien entsandt, um die dortige Lage zu dokumentieren. Der Kolonialismus blieb für ihn sein ganzes Leben lang ein zentrales Werksthema.
VON RIPOSTE ZU UN CHOC EN RETOUR
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auf den Nationalsozialismus sind vielleicht auch keine bloße Universalisierung oder Instrumentalisierung des Bösen. Sicherlich verfügt das Bild im französischen Kontext über eine komplexe Resonanz. Es suggeriert, dass der Erinnerung an die jüngste faschistische Vergangenheit eine doppelte Rolle zukommt: Der bildliche Bezug auf Hitler und die Lager verbindet nicht nur den Kolonialismus mit dem Nationalsozialismus, sondern definiert auch die Dekolonisierung als eine Verlängerung und Fo~·t setzung des französischen Bürgerkriegs, das heißt der Geschichte der Kollaboration und des Widerstands. Riposte bringt damit eine Zeitlichkeit zum Ausdruck, die an Freuds Schriften zum Gedächtnis erinnert: Sie holt die Vergangenheit in die Gegenwart, während sie zugleich die Gegenwart als Fortsetzung einer bestimmten Version der Vergangenheit liest. Dennoch bleibt die Bedeutung dieser Zeitlichkeit sowie der bildlichen Analogie von Kolonialismus und Faschismus ambivalent. Im selben Jahr gemalt, in dem Arendt die Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft veröffentlichte, bietet Taslitzkys Riposte auch eine bildliche Variation des von Arendt beschriebenen Bumerang-Effekts: In Arendts historisch-theoretischer Untersuchung kehren die in den Kolonien produzierten rassistischen Hierarchien als genozidaler Antisemitismus nach Europa zurück; in Taslitzkys Gemälde kehrt die Figur Hitlers im Kampf um Kolonialismus und Dekolonisierung zurück. Die gegenläufigen Vektoren historischen Einflusses in diesen zeitgleich geschaffenen Werken verweisen auf das Potenzial für ein multidirektionales Denken während dieses von Dekolonisierung geprägten Zeitpunkts nach dem Holocaust. Doch unsere Betrachtung von Arendts Schriften hat mögliche Fallstricke des Versuchs aufgezeigt, jenen »Bumerang«, der den Imperialismus mit dem nationalsozialistischen Genozid verbindet, begrifflich zu fassen. Was ich Arendts »Erwartung einer homogenen Universalität« genannt habe, lässt ihren Text an den Rändern des Eurozentrismus stehen bleiben, unfähig, sich »über das menschliche Begriffsvermögen hinaus« zu bewegen und die multidirektionale Konstellation von Kolonialismus und Totalitarismus herzustellen, die sie begrifflich anstrebt. Aufmerksamkeit für die Flugbahn des Bumerangs lässt vermuten, dass sich in Taslitzkys Gemälde auch die Grenzen der europäischen Vorstellungskraft zeigen. Der Arbeiterstreik war fraglos eine antikoloniale Aktion der PCF, doch Taslitzky stellt den Kampf als innereuropäische Angelegenheit dar. Im Kampf zwischen Dockarbeitern und Polizei übersetzt er den Kolonialismus bildlich in Klassenkampf und eine Frage der nationalen Geschichte (wie die Anspielungen auf Gericault und Delacroix bestätigen). Die Bewegung der antikolonialen riposte bleibt an die Entwicklung der französischen Geschichte gebunden und fest in den Händen der französischen Arbeiter. Ein Jahr bevor Taslitzky Riposte malte und Arendt die Elemente und Ursprünge veröffentlichte, erschien ein Werk, das das Interesse beider an Bumerang-Effekten teilt, aber aus einer explizit anti-eurozentrischen Position heraus verfasst wurde. Erstmals 1950 erschienen, bietet Aime Cesaü'es antikolonialer Traktat Discours sur le colonialis111e (Über den Kolonialismus) eine der frühesten Auseinandersetzungen mit dem nationalsozialistischen Genozid und setzt diesen zum Kampf um
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3. »UN CHOC EN RETOUR«: AlME CESAIRES DISIneuem Humanismusnur< um einen extremeren und gründlicheren Fall jener periodischen Angriffe und Pogrome, unter denen Juden schon immer gelitten haben, wird wahrscheinlich niemals beigelegt werden.«ll Das Rätsel, das sich bereits auf der ersten Seite des Romans ankündigt, wird durch dessen Ende noch verstärkt. Nachdem wir rund achthundert Jahre durch die Zeit gereist sind und die Martyrien verschiedener jüdischer Individuen und Gemeinschaften erlebt haben, gelangen wir zu den Gaskammern des Holocaust, und sogar in sie hinein. Ernie Levy, in Schwarz-Barts Neuformulierung der jüdischen Legende der »Letzte der Gerechten«, erklärt sich bereit, in den Tod geschickt zu werden, damit er mit seiner Geliebten Golda sein kann: Zuerst betritt er das Transitlager Drancy, dann schließt er sich einem Konvoi nach Auschwitz an und schließlich bittet er darum, denen folgen zu dürfen, die in die Gaskammern geschickt werden. In dem Raum der Gaskammer, der selten dargestellt wird, vermischt Schwarz-Bart in einem viel kommentierten Finale das jüdische Totengebet, das Kaddisch der Trauernden, mit den Namen bekannter nationalsozialistischer Konzentrations- und Vernichtungslager: »Und gelobt. Auschwitz, Sei. Maidanek. Der Ewige. Treblinka. Und gelobt« (Der Letzte der Gerechten, S. 431). So stört der Beginn des Romans die Chronologie jüdischer Geschichte, während das Ende die Frage nach der Kontinuität jüdischer Kultur aufwirft: Es lässt sich nicht sicher sagen, ob in diesen vorletzten Zeilen »das Grauen des Konzentrationslagers in spirituelle Transzendenz gehüllt« wird oder aber im Gegenteil jenes Grauen dafür sorgt, dass »der von Terror geplagte Nachhall unaufhebbaren Leids die Lobpreisung Gottes übertönt«Y Es hat zwar den Anschein, als habe der Roman gerade auf ein Bild unaufhebbaren Leidens zugesteuert, doch die allerletzten Zeilen, gleich nach dem unterbrochenen Gebet, deuten eine Art des Beharrens an, wenn auch nicht gerade der Transzendenz. Der namenlose Ich-Erzähler des ersten Absatzes meldet sich mit einer zweideutigen Ein-
11 Lawrence Langer, The Holocaust and the Literary Imagination, New Haven 1975, S. 252. Auch Rosenfeld erwähnt dieses Problem: ders., Double Dying, S. 68 f. 12 Ebenda, S. 263.
5. ANACHRONISTISCHE ÄSTHETIK
schätzung zurück. Der Erzähler berichtet von seinem Bewusstsein, dass Ernie Levy irgendwo fortlebt: »Als ich gestern, am Boden festgewachsen, mitten auf der Straße vor Verzweiflung erbebte, fiel von oben ein Tropfen Mitleid auf mein Gesicht herab; aber da war kein Hauch in der Luft, keine Wolke am Himmel ... da war nur eine Gegenwart« (Der Letzte der Gerechten, S. 431). Indem er angesichts der Vernichtung eine Gegenwart evoziert und einem Gebet Todesstätten an die Seite stellt, verweigert sich Schwarz-Barts erster Roman der Auflösung jener Dilemmata von Chronologie und Tradition, die ein Jahrtausend jüdischer Geschichte mit sich bringt. Die Mehrdeutigkeit des Romanbeginns, in dem ein starker Drang zur historischen Kontinuität mit gespenstischer Diskontinuität koexistiert, bleibt erhalten. Weil dieses Problem der Kontinuität in Der Letzte der Gerechten so eindeutig im Herzen jüdischer Geschichte und Kultur verortet wird, überrascht es, dass SchwarzBart in einem Interview, das er zur Zeit des Erscheinens 1967 der amerikanischen zionistischen Zeitschrift Un plat de pore gegeben hat, diese doppelte Form der Zeitlichkeit außerhalb eines streng jüdischen Kontextes verortet. Auf die Bemerkung des Interviewers Michel Salomon, Schwarz-Bart »verwirre« womöglich seine Leser, indem er auf seinen Holocaust-Roman eine Reihe von Werken folgen lasse, »die sich mit der Lage der Schwarzen befassen«, antwortet Schwarz-Bart: »Es gibt hier keine Trennung zwischen einer früheren und einer späteren Inspiration, denn die Idee und der grundlegende Entschluss, dieses Buch [Un plat de porcl zu schreiben, gehen lange vor die Fertigstellung von Der Letzte der Gerechten zurück: Den Entschluss fasste ich 1955, und Der Letzte der Gerechten schrieb ich 1959 zu Ende.«l3 Folgt man Francine Kaufmanns Rekonstruktion der Entstehung von Der Letzte der Gerechten, dann war 1955 auch ein besonders wichtiger Zeitpunkt während der Niederschrift jenes Romans. Im Jahr 1955 beendete Schwarz-Bart eine erste Fassung, die im Frankreich des Zweiten Weltkriegs spielte. Der Autor war mit dieser Fassung allerdings nicht zufrieden, wie Kaufmann berichtet: »Den Figuren fehlt jegliche Dichte, weil sie frei flottieren, von ihren Wurzeln abgeschnitten. Ohne den offenbarenden Nachhall der Vergangenheit bleibt die Gegenwart undurchsichtig« (Pour relire, S. 19). In späteren Fassungen beginnt Schwarz-Bart, den zeitlichen Horizont des Romans bedeutend auszuweiten. Die zweite Fassung, von der Ende 1956 ein Auszug veröffentlicht wurde, geht bis ins frühe 19. Jahrhundert, und die endgültige, 1958 und 1959 abgeschlossene, noch einige Jahrhunderte weiter zurück (ebenda, S. 19-21). Worin besteht - abgesehen vom Jahr 1955 - die Verbindung zwischen der Konzeption eines Romanzyklus, der sich mit der Geschichte der afrikanischen Diaspora befasst, und der Neukonzipierung von Der Letzte der Gerechten? Weitere Bemerkungen Schwarz-Barts deuten an, dass seine Fähigkeit, Der Letzte der Gerechten die fehlende historische Dichte zu verleihen, auf eine überraschende Quelle zurückgeht. Zumindest im Rückblick verschleiert Schwarz-Bart die »Ursprünge« seiner beiden 13 Michel Salomon, Jewishness and Negritude: An Interviewwith Andre Schwarz-Bart, in: Midstream (März 1967), S. 3-12, hier S. 3.
DIE ERINNERUNG AN DIE SI(LAVEREI UND DER LETZTE DER GERECHTEN
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Romane: Der spätere Roman über »die Lage der Schwarzen« stellt keinen Bruch mit der jüdischen Geschichte des früheren Romans dar, bietet aber zugleich auch keine einfache Fortschreibung oder Entwicklung dieser Geschichte. Vielmehr scheinen sich die bei den Werke wechselseitig beeinflusst und gemeinsam Gestalt angenommen zu haben, wenn auch auf nicht-synchrone Weise (sie sind im Abstand von acht Jahre!! erschienen). Wie bei so vielen der Beispiele, die "ich in diesem Buch untersuche, geht diese textuelle Begegnung mit einer biografischen einher, und die Querschläger zwischen Text, Leben und unterschiedlichen Geschichten deuten die Anwesenheit multidirektionaler Erinnerung an. Schwarz-Bart schreibt die wechselseitige Beeinflussung seiner Romane über schwarze und jüdische Geschichte einem besonderen Verhältnis zur Vergangenheit zu, auf das er bei Westindern und Westinderinnen gestoßen sei, die in den 1950er-Jahren in Paris lebten: »Man kann leicht verstehen, was für mich der bewegendste Aspekt dieser Welt war, der ich unter den Menschen in Paris, im Quartier Latin begegnen durfte - das Element der Sklaverei in ihrem Hintergrund. Sie sprachen über dieses Element ihrer Geschichte, sie erlebten es, könnte man sagen, auf die gleiche Weise, wie wir Juden mehr als zwanzig Jahre später immer noch den Holocaust neu durchleben und das sicher auch noch lange tun werden. Auf gewisse Weise spiegelt ihre Tragödie die Geschichte unserer eigenen wider. Wir Juden durchleben etwas, das noch immer der Gegenwart angehört; aber jetzt sah ich zum ersten Mal Menschen, die in einer anderen Epoche lebten, von der sie sich noch nicht befreit hatten, einer historischen Epoche, die für sie in der Gegenwart existierte und die ich zum ersten Mal mit der jüdischen Erfahrung vergleichen konnte.« (Salomon, Jewishness and Negritude, S. 4) In dieser Textpassage liegen die Gründe für den Vergleich jüdischer und schwarzer Geschichte - und, auf einer persönlicheren Ebene, die Mittel, mit denen SchwarzBart sich aus jener »Einsamkeit des jüdischen Schicksals« befreien konnte, in der er sich zuvor »eingeschlossen« gefühlt hatte - in dem gemeinsamen Gefühl, historische Tragödien »neu zu durchleben« (Salomon, Jewishness and Negritude, S. 4). So, wie die Begegnung 1967 nacherzählt wird, erscheint sie mit einer karibischen Zeitlichkeit nicht nur als Vorgriff auf Schwarz-Barts Romane über die afrikanische Diaspora, sondern auch als Rückblick auf die zeitliche Form von Der Letzte der Gerechten, denn in der zitierten Aussage sind es weniger die Juden als vielmehr die Nachfolger der Sklaven, die anachronistisch zu leben scheinen, wie im Licht erloschener Sterne.!4 14 Interessanterweise beschreibt Schwarz-Barts Ehefrau im selben Interview, wie sie die Juden in ihrer Jugend selbst als anachronistisches Volk begriff: »Als ich auf den Westindischen Inseln lebte, wusste ich nicht, was ein Jude ist. Ich dachte, die Juden seien ein biblisches Volk aus einer sehr fernen Vergangenheit. Ich hatte keine Ahnung, dass es auch heute noch Juden gibt.« Sobald sie jedoch Juden in Paris begegnete, entdeckte sie »sofort viele Gemeinsamkeiten« (ebenda, S. 5).
5. ANACHRONISTISCHE ÄSTHETIK
Das Paradox einer »historischen Epoche, die [... ] in der Gegenwart existierte«, bietet eine gute Beschreibung von Schwarz-Barts Gebrauch jüdischer Legenden und Chroniken als Mittel, genozidales Trauma zu erschließen. Vor seiner Begegnung mit einer anderen Diaspora hatte Schwarz-Bart den Eindruck, »lll1Sere jüngere Tragödie« habe »uns [Juden] isoliert, nicht nur von der übrigen Menschheit, sondern auch von Vergangenheit und Zukunft« (ebenda). Die Kombination aus Distanz und Anwesenheit, die er in der schwarzen Geschichte erkennt, scheint jedoch einen Raum zu öffnen für die anachronistische Ästhetik von Der Letzte der Gerechte11. Diese ermöglicht es, den Holocaust - ein Ereignis, »das noch immer der Gegenwart angehört« - zu anderen Geschichten in Beziehung zu setzen. Folgt man Schwarz-Barts Bemerkungen, aber auch den textuellen Belegen seines Werks, dann scheint die Erinnerung an die Sklaverei die jüdische Erinnerung (und die jüdische Zukunft) entsperrt und ein ästhetisches Projekt multidirektionaler Erinnerung ermöglicht zu haben. Die Multidirektionalität von Der Letzte der Gerechte11 mag sogar, wie SchwarzBarts Bemerkungen im Interview nahelegen, bereits in der Legende liegen, die den Roman inspiriert hat, obgleich es nicht eindeutig ist, dass Schwarz-Bart dies bewusst war. In einem kurz nach Erscheinen von Schwarz-Barts Buch verfassten Essay geht Gershorn Sholem, der bekannte Historiker jüdischer Mystik, den verwickelten Ursprüngen der Legende der 36 Gerechten nach. Sholem gelingt es nicht, die verschiedenen Komponenten der Legende definitiv auf eine einzige Quelle zurückzuführen, was darauf hindeutet, dass Schwarz-Barts Roman unmittelbar aus dem Terrain multidirektionaler Erinnerung hervorgegangen ist. Sholem zufolge könnte die bedeutendste Quelle der Legende sogar ein Beispiel jüdisch-islamischen Synkretismus darstellen: »Wir können vorläufig nicht bestimmen, ob diese Vorstellung zuerst aus jüdischer Tradition stammte, die schon, als sie in islamische Kreise eindrang, eine neue Wendung genommen hatte, oder ob sie im Islam entstanden ist und dann in dieser neuen Metamorphose zu einer noch unbestimmten Zeit ins Judentum zurückgewandert ist«.15 Sholem trägt seine Archäologie der Legende zwar vorsichtig und zögernd vor, er veranschaulicht aber dennoch, wie schwierig es ist, kulturelle Traditionen gegen die Verschaltungen multidirektionaler Erinnerung abzuschirmen.
Ruinen schreiben: Die Mulattin Solitude In Der Letzte der Gerechten bleiben die Berührungspunkte schwarzer und jüdischer Geschichte virtuell und werden in erster Linie über genetische Kritik, paratextuelle Materialien wie Schwarz-Barts Interview mit Michel Salomon und die intertextuellen Quellen der Legende der Gerechten wahrnehmbar. In Die Mulatti11 Solitude werden diese Berührungspunkte hingegen explizit gemacht, und zwar in der abschließenden Gegenüberstellung von Polen und Guadeloupe. Schwarz-Bart bedient sich in seinem 15 Scholem, Die 36 verborgenen Gerechten, S. 222.
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RUINEN SCHREIBEN: DIE MULATTIN SOLITUDE
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dritten Roman von Anfang an des anachronistischen Stils seines Erstlings und vermischt historische Chronik und mythische Elemente. Der Romanbeginn kombiniert einen märchenhaften Rahmen mit säkular-christlicher europäischer Chronologie und Geografie. Dabei findet sich im Geschichtsdiskurs des Romans nichts, was einen auf die abschließende Gegenüberstellung vorbereiten könnte: »Es war einmal, auf einem seltsamen Planeten, eine kleine Negerin, die hieß Bayangumay. Sie war gegen 1750 auf der Erde erschienen, in einer ruhigen, unübersichtlichen Deltalandschaft, in einer Gegend, wo sich die klaren Wasser eines Stromes mit den grünen Wassern eines Ozeans und den schwarzen Wassern eines toten Flußarmes vermischten - und wo die Seele, wie es heißt, noch unsterblich war. Aber die Bewohner jenes Ortes hatten keinen Olymp, kein Walhalla und kein himmlisches Jerusalem; sie mochten sich nicht in den Wolken verlieren, hingen viel zu sehr an ihren Kühen, ihren salzigen Wiesen und vor allem an ihren Reisfeldern, die im gesamten afrikanischen Westen bekannt und geschätzt waren.« (Die Mulattin Solitude, S. 9) Die Perspektive dieser Textpassage ist dialogisch; die Passage richtet sich an ein europäisches Publikum, für das Bayangumay sowohl auf »einem seltsamen Planeten« als auch in »Westafrika« lebt, nimmt aber zugleich auf Lokalwissen (z. B. über Reis und andere Aspekte des Alltagslebens) Bezug. Zwar mag hier, wie Bella Brodzki argumentiert, die Ankunft europäischer Sklavenhändler bereits antizipiert sein, doch lässt der sanftere Ton dieses Romanbeginns, verglichen mit dem Anfang von Der Letzte der Gerechte11 (wo eine jüdische Gemeinschaft bereits auf der ersten Seite Kiddush Hashem oder rituellen Selbstmord begeht), zunächst an ein anderes Verhältnis zur Geschichte denken. Anders als die Juden und Jüdinnen Europas sind die Einwohner und Einwohnerinnen dieser besonderen Flussmündung noch nicht in die Gewalt der europäischen Geschichte eingegliedert worden. 16 Wir befinden uns fernab jener Conrad'schen Tradition europäischer Afrika-Darstellungen, die auf so folgenreiche und schädliche Weise in Arendts Schriften über den Imperialismus Eingang gefunden hat. Zwar wird angedeutet, dass ein Gefälle besteht zwischen europäischen Annahmen und afrikanischen Anliegen, doch der märchenhafte Ton und die idyllische Landschaft suggerieren eher eine friedliche Koexistenz kultureller Temporalitäten - vergleichbar den Gewässern im Delta, die sich »vermischen« - als einen Kampf der Kulturen. Hinzu kommt, dass diese fiktiven Dorfeinwohner und -einwohnerinnen, im Gegensatz zu den Angehörigen der afrikanischen Diaspora, denen Schwarz-Bart in den 1950er-Jahren 16 Siehe Brodzkis Erörterung dieser Passage (Nomadism, S. 228); Brodzki betont stärker als ich den Aspekt der Disjunktion und erkennt ein Gefühl banger Vorahnung im Hinweis auf »die westliche Zeitachse« und auf jenes Wasser, über das bald die Sklavenjäger anreisen werden. Siehe zu Schwarz-Barts Verhältnis zur Kiddusch-Haschem-Tradition Stanley Brodwin, History and Martyrological Tragedy: The Jewish Experience in Sholem Asch and Andre SchwarzBart, in: Twentieth Century Literature 40 (1990) 1, S. 72-91.
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begegnet ist, nicht »in einer anderen Zeit« leben. Aus ihrer bewusst idealisierten Perspektive ist kein Anachronismus möglich, da es noch keine historischen Epochen zu geben scheint, die verbunden oder einander entgegengestellt werden könnten. Aus der impliziten Perspektive der nicht-autochthonen Leserin erinnert die Kombination der »Ordinalfunktion« der Datierung (»gegen 1750«) mit der mythischen Zeit des Außerhistorischen (»Es war einmal«) an den Anfang des früheren RomansP Am Schluss von Die Mulattin Solitude ist diese Vermischung von Zeiten und Kulturen jedenfalls der Beschwörung von Gespenstern gewichen, und der Kontakt von Europäern und Nicht-Europäerinnen ist zu einer Frage von Katastrophe und Vertreibung geworden. Die Nachfahren der idealisierten afrikanischen Landschaft haben sich nun zu diasporischen Subjekten entwickelt: Sie bestellen noch immer das Land, allerdings unter stark veränderten Bedingungen. Gefangen, deportiert und auf der Mittelpassage vergewaltigt, gebiert Bayangumay eine Tochter, »die Mulattin Solitude«, eine legendäre Figur in der Geschichte Guadeloupes. Solitude wird später aufgrund ihrer Beteiligung an einem Sklavenaufstand hingerichtet, am Tag, nachdem sie wiederum ein Kind gebiert, dessen Schicksal es sein wird, als Eigentum eines anderen Menschen zu leben. Im knappen Epilog des Romans bricht der Erzähler mit der bisherigen historischen Rahmung und stellt sich vor, dass ein Tourist eines Tages die Plantage besuchen wird, auf der Solitude und andere Rebellen gegen ihre Versklavung gekämpft haben - ein Schauplatz, den der Anführer der Rebellion in einem Akt der Verzweiflung mit Dynamit gesprengt hat: »Wenn der Fremde darauf besteht, gestatten sie [die Wächter der Bananenplantagen] ihm, die Reste des ehemaligen Anwesens Danglemont zu besichtigen. Der Wächter winkt mit der Hand, und wie durch Zauberkraft taucht aus dem Schatten ein zerlumpter Feldneger auf, der den Liebhaber alter Steine aus großen unsicheren Augen anblickt. Sie gehen zusammen los [... ]. Sie gehen und kommen auf ihrer eigenen Spur zurück, sie gehen, und plötzlich ist da ein kniehoher Mauerrest, eine Erdaufschüttung, aus der Trümmersplitter ragen, scharfkantige Knochenstücke. [... ] Der Fremde nimmt leichten Aschegeruch wahr und macht aufs Geratewohl ein paar Schritte, zieht immer größer werdende Kreise um den ehemaligen Wohnsitz. Hier und da, unter großen welken Blättern, ruhen noch heute Steinbrocken, die durch die Explosionen weggeschleudert, in der Zwischenzeit ausgegraben, verschüttet und wieder freigelegt wurden von der unschuldigen Hacke derer, die das Land bebauen; an einen davon stößt er mit dem Fuß. Wenn er eine Erinnerung beschwören will, füllt er den Raum mit seiner Phantasie; und wenn ihm das Schicksal gewogen ist, erstehen alle möglichen Menschengestalten um ihn her, wie, so erzählt man, unter den Blicken anderer Reisender die Schattenbilder, die zwischen den erniedrigten Ruinen des Warschauer Ghettos umherirren.« (S.139 f.) 17 Zu den verschiedenen Arten, auf die Kalenderdaten im Diskurs wirken können, siehe Aravamudan, Return, S. 334 f. Aravamudan bezieht sich auf das Werk von James Chandler.
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In diesen letzten Sätzen des Romans bedient sich Schwarz-Bart mehrerer Formen des Anachronismus und Anatopismus (der räumlichen Fehlplatzierung). Wie in den ersten Absätzen des Romans vermischen sich Mythisches und Alltägliches. Anstelle des märchenhaften »Es war einmal ... « kommen aber neue, schauerlichere Temporalitäten zum Vorschein. Wie die Knochenfragmente ist auch die Zeit im Wortsinn zersplittert. Die Romanhandlung bewegt sich kontinuierlich von Afrika nach Guadeloupe und von der Mitte des 18. zum Anfang des 19. Jahrhunderts, doch der Epilog springt in die Gegenwart der Niederschrift des Romans und in einen hypothetischen, mehrschichtigen europäisch-karibischen Raum. Sowohl der mutmaßlich europäische Reisende als auch der westindische Führer erscheinen als sowohl räumlich als auch zeitlich verschoben - Ersterer aufgrund seiner verblüffenden Liebe zu »alten Steinen«, Letzterer aufgrund seines magischen Auftritts und seiner zerlumpten Erscheinung. Als Ruine ist auch der Schauplatz der Plantage von der Gegenwart abgetrennt: halb begraben unter fast zwei Jahrhunderten »llllschuldiger« Tätigkeiten, aber noch immer Zeugnis ablegend von einer traumatischen Vergangenheit. In der letzten Zeile wird auf die Ruinen des Warschauer Ghettos Bezug genommen, was vielfache Assoziationen auslöst. 18 Wie Brodzki gesagt hat, beinhaltet diese Bezugnahme aufgrund der bekannten Geschichte des Warschauer Aufstands eine »doppelte Erbschaft« aus »Vernichtung« und »heroischem Widerstand«19 - was ebenso auf Du Bois' Artikel über Warschau zutrifft. Der doppelte Eindruck von Terror und Widerstand beschreibt den Tenor von Schwarz-Barts Roman gut, auch wenn diese letzte Textpassage mit ihrer Betonung der Demütigung und der Gespenster weniger affirmativ wirkt als Brodzki suggeriert. Warum aber evoziert Schwarz-Bart diese doppelte Erbschaft durch eine anachronistische und anatopische Analogie? Anders gefragt: Was fügt die Tatsache des Anachronismus der Geschichte von Sklaverei und Widerstand, die der Roman bereits erzählt hat, hinzu? Du Bois setzt das Warschauer Ghetto in Beziehung zur color line (in den Vereinigten Staaten und weltweit), um eine Aussage über das Verhältnis von "Rasse« und Raum sowie von Widerstand und Terror zu treffen, doch Schwarz-Barts Anachronismen stellen die Grundlagen der Historisierung infrage. Schwarz-Bart macht sich offenkundig des dritten von Vico unterschiedenen Irrtums schuldig: Er stellt eine Verbindung her zwischen zwei Epochen und Orten - der Karibik des frühen 19. und dem Zentraleuropa der Mitte des 20. Jahrhunderts -, die gewöhnlich nicht zusammen betrachtet werden. Dieser »Irrtum« kann jedoch als Versuch verstanden werden, aufzuzeigen, wie die erste von Vico genannte Form des Anachronismus unser Verständnis der karibischen Geschichte verzerrt hat. Nathan Rapoports Ehrenmal wurde nur wenige Jahre nach 18 Obwohl die Ruinen des Warschauer Ghettos heute fast vollständig überbaut sind und nur das Denkmal übrig geblieben ist, das ich im vorigen Kapitel über Du Bois besprochen habe, könnte die Beschreibung des Besuchs der Plantage leicht die eines zeitgenössischen Besuchs an einem der Standorte nationalsozialistischer Vernichtungslager sein, wo oft noch Asche und Knochensplitter vorhanden sind. 19 Brodzki, Nomadism, S. 225.
5. ANACHRONI5TISCHE ÄSTHETII(
der Befreiung Polens von der nationalsozialistischen Herrschaft errichtet, doch des Sklavenaufstands, von dem Schwarz-Barts Roman erzählt, ist, wie Brodzki bemerkt, »niemals gedacht worden«.20 Das heißt: Der Hinweis auf das bekannte Ereignis des Warschauer Aufstands trägt dazu bei, etwas über die irrige Darstellung der Karibik als eines »ereignislosen« Ortes jenseits des vorherrschenden weltgeschichtlichen Narrativs auszusagen. Schwarz-Bart deckt archäologisch Ereignisse auf, die auf anachronistische Weise durch Schichten des Vergessens verborgen worden sind. Schwarz-Barts Vorgehen könnte sogar noch radikaler eben die Begriffe hinterfragen, mittels derer seine Analogie als anachronistisch bezeichnet werden kann; sie könnte also andeuten, dass die beiden zueinander in Beziehung gesetzten Epochen tatsächlich zusammengehören, im Rahmen eines neuen historischen Narrativs, das von den Gespenstern derer ausgeht, die zum Schweigen gebracht worden sind. Nicht nur wird die Erinnerung an den Holocaust zu einem »vergessenen« Kapitel der Weltgeschichte ins Verhältnis gesetzt, sondern das Fragment der karibischen Vergangenheit bewirkt darüber hinaus auch eine überraschende Rekontextualisierung des nationalsozialistischen Genozids. Indem er die beiden Geschichten einander Seite an Seite stellt, bewirkt der Roman keine Normalisierung oder Relativierung des Holocaust, sondern zeichnet diesen vielmehr als Bestandteil zweier paralleler Reihen singulärer Ereignisse. Das gleichzeitige Aufrufen von Ruinen und der in ihr spukenden Gespenster zeugt von einer Zeitlichkeit, die sich nicht ohne Weiteres von historistischen Lesarten zurückgewinnen lässt.
Das Formproblem: Zwischen Abwesenheit und Verlust Ein wenig bekannter und unübersetzt gebliebener Kommentar, in dem SchwarzBart sein literarisch-historisches Projekt beschreibt, skizziert die Möglichkeiten und 21 Grenzen eines solchen neuen, auf parallelen Geschichten beruhenden Narrativs. Pourquoi j'ai ecrit La MuLltresse Solitude (Warum ich Die Mulattin Solitude geschrieben habe), ein Text, der 1967 zeitgleich mit Schwarz-Barts früherem, gemeinsam mit seiner Frau Simone verfassten Roman Un plat de pore aux banalJes verts (Eill 20 In den Jahrzehnten seit der Veröffentlichung von Schwarz-Barts Roman hat die Memorialisierung der Sklaverei im Allgemeinen und der in Die Mulattin Solitude beschriebenen Revolte im Besonderen in der Karibik an Bedeutung gewonnen. Für eine Betrachtung dieser Entwicklung mit Schwerpunkt auf Guadeloupe und Martinique siehe Catherine A. Reinhardt, Claims to Memory: Beyond Slavery and Emancipation in the French Caribbean, New York 2006. Reinhardts Bemerkungen zu Solitude und der Errichtung einer Statue zu ihren Ehren im Jahr 1999 finden sich aufS. 149-153. 21 Andre Schwarz-Bart, Pourquoi j'ai ecrit La Muldtresse Solitude, in: Le Figaro litteraire, 26. Januar 1967, S. 1, 8 f. Der Hinweis auf Solitude im Titel dieses Artikels meint nicht den Roman von 1972, sondern die gesamte Reihe, die sowohl den Roman von 1967 und den späteren Text sowie weitere Texte enthalten sollte. Siehe auch Scharfmans aufschlussreiche Diskussion dieses Artikels (den sie als Interview bezeichnet).
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DAS FORM PROBLEM: ZWISCHEN ABWESENHEIT UND VERLUST
Schweinefleischgericht mit grünen Bananen) erschienen ist, erläutert gequält den Versuch, eine Geschichte »im globalen Maßstab« (»Ia dimension plam!taire«) zu schreiben (Pourquoi j'ai ecrit, S. 8). Der Text ist vergleichsweise kurz und enthält einen der eindringlichsten Versuche, die Geschichten des Kolonialismus, des Holocaust und ihrer Folgen zu artikulieren, das heißt sie, wie Ronnie Scharfmann sagt, sowohl zu erzählen als auch zueinander in Beziehung zu setzen. 22 Hier möchte ich mich auf zwei Aspekte dieses Textes konzentrieren, die für meine allgemeine These von Bedeutung sind: Schwarz-Barts Beschreibung seiner Identifikation mit den Westindern und Westinderinnen und das von ihm entworfene Programm einer literarischen Verbin-
dung scheinbar disparater Geschichten. Nachdem er seine langjährige Bewunderung für die Westinder und Westinderinnen erwähnt hat, von denen er sagt, dass sie über jene sehr erstrebenswerten Eigenschaften verfügen, »die mir selbst fehlen«, bestimmt Schwarz-Bart das Wort »Sklaverei« als die ultimative Quelle seiner brüderlichen Gefühle. Indem Schwarz-Bart die Bedeutung dieses Wortes umreißt, das auch im oben erwähnten, etwa zeitgleich geführten Interview eine Rolle spielt, skizziert er ein komplexes Verständnis des Verhältnisses von Schwarzen und Juden: »Sicherlich hat mich dieses Wort als jüdischer Mann betroffen, als Mitglied einer Gemeinschaft, die gerade den Preis des menschlichen Lebens erfahren hatte. Und doch, so seltsam es Ihnen auch erscheinen mag, berührte mich das Wort vor allem als jüdisches Kind, als weit entfernter Nachfahre eines Volkes, das in der Sklaverei geboren wurde und vor dreitausend Jahren aus ihr hervorging. Ich erinnere mich, dass mir 1941, in der ersten Nacht des Pessachfestes, die Ehre zuteil wurde, die rituelle Frage an das Familienoberhaupt zu stellen: >Ma nishtana halaila haze nicol ha lelot?< Was bedeutet: >Wie unterscheidet sich diese Nacht von allen anderen Nächten?< Und ich erinnere mich an die Antwort, die mir mein Vater auf Hebräisch gab: >Mein Kind, in einer Nacht wie dieser kamen unsere Vorfahren aus Ägypten, wo sie als Sklaven gehalten wurden.< Und ich glaube, dass es dieses jüdische Kind ist, dessen Väter unter dem Pharao versklavt waren, bevor ihnen dasselbe unter Hitler widerfuhr, das von einer endgültigen, brüderlichen Liebe zu den Westindern ergriffen wurde.« (Pourquoi j'ai ecrit, S. 8) Mit dem Versuch, das Verhältnis seiner Romane über die jüdischen und afrikanischen Diasporas zu erläutern, evoziert Schwarz-Bart die Bedeutung des nationalsozialistischen Genozids und verschiebt diese Bedeutung zugleich. Durch die Figur des erinnerten Sederabends kehrt diese Textpassage zu dem Jahr zurück, in dem die nationalsozialistische Politik in ihre genozidale Phase überging (obgleich die Opfer das damals nicht wissen konnten); allerdings geschieht dies, um eine viel ältere - in der Tat mythische - Geschichte aufzurufen. Die Textpassage treibt die Verflechtung 22 Siehe Scharfman, Exiled from the Shoah, S. 255.
5. ANACHRONISTISCHE ÄSTHETIK
von Identitäten und Geschichten, die wir bereits anhand von Der Letzte der Gerechten und Die Mulattin Solitude untersucht haben, noch weiter. Sie impliziert, dass Schwarz-Barts Identifikation mit den Westindern - die es ihm ermöglichte, der Isolation zu entkommen, die er durch den nationalsozialistischen Genozid erfuhr selbst auf einer imaginären (nicht: unwirklichen) Eigenschaft jüdischer Identität beruht: der am Sederabend angesiedelten Begründung dieser Identität auf dem, was Michael Walzer »stellvertretende Erfahrung« (vicarious experience) genannt hat - die anachronistische Identifikation mit unbekannten und niemals anders als imaginär erfahrbaren Vorfahren. 23 Die anachronistische Verbindung von »Sklaven unter dem Pharao« und »Sklaven unter HitleI'« autorisiert die ebenso anachronistische Verbindung von ehemaligen schwarzen und ehemaligen jüdischen Sklaven in der Gegenwart. Paradoxerweise ist es gerade der unhistorische Charakter der Macht der Fantasie, den »Bruch« (dechirement, Pourquoi j'ai ecrit, S. 8) innerhalb einer jeden Kultur zu überbrücken - handle es sich um Sklaverei oder Genozid -, der zu einer Ressource für multidirektionales Erzählen und Verbinden wird. Trotz der »endgültigen, brüderlichen Liebe« zu den Westindern und Westinderinnen, zu der sich Schwarz-Bart bekennt, lassen sich die von ihm beschriebenen identifikatorischen Verbindungen nicht ohne Weiteres in Literatur übersetzen; das Formproblem bleibt zentral. Die Schwierigkeit, eine angemessene literarische Form zu finden, um der Verbundenheit von Schwarzen und Juden Ausdruck zu verleihen, geht aus den Feinheiten des von Schwarz-Bart in POUl'quoi j'ai ecrit La Muldtresse Solitude formulierten Programms hervor, aber auch daraus, dass er letztlich unfähig oder unwillens ist, dieses Programm umzusetzen. Verglichen mit Du Bois' Text, der das Formproblem dadurch löst, dass er die Theorie des doppelten Bewusstseins so umarbeitet, dass sie den komparativen Aspekten des Lebens von Minderheiten gerecht wird, ist die von Schwarz-Barts Text suggerierte Form weniger symmetrisch und binär. Schwarz-Bart beschreibt sein Projekt scherzhaft als »Akkordeon«, da dessen geplanter Umfang sich fortlaufend vergrößere und verringere. Infrage stand dabei nicht nur die endgültige Form des Solitude-Zyklus, sondern auch die jener Abschnitte des Zyklus, die der jüdischen Geschichte gewidmet sein sollten. Zwar war Der Letzte der Gerechten acht Jahre zuvor veröffentlicht worden, doch die Fertigstellung eines weiteren, bereits in Arbeit befindlichen Romans, in dem die Welt der Konzentrationslager auf unmittelbare Weise behandelt werden sollte, blieb »mehr als unwahrscheinlich«. Und doch, so fährt Schwarz-Bart fort:
23 Walzer bedient sich der Vorstellung »stellvertretender Erfahrung« in seinen Ausführungen darüber, wie die Exodus-Geschichte über die Jahrhunderte hinweg als machtvolles Narrativ für revolutionäre politische Bewegungen fungiert hat. Bereits in der »Darstellung des Bundes im Deuteronomium« finde man den Imperativ, den »Augenblick der Befreiung« aus Ägypten als Grundlage jüdischer Identität »in [der] Phantasie nachzuvollziehen«. Siehe Michael Walzer, Exodus und Revolution, Frankfurt a. M. 1995, S. 90 f., 94. Dieses Buch hat zu einem polemischen Austausch über Zionismus und Palästinenser zwischen Walzer und Edward Said geführt, der eine Kritik des Buches aus »kanaanitischer« Perspektive verfasst hat.
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»Das ideale Ensemble hätte die Form eines Triptychons. Die erste Tafel würde aus Der Letzte der Gerechten bestehen. Die mittlere Tafel würde aus dem Solitude-
Zyklus bestehen, von dem jeder Band als eigene Einheit, als originelles und eigenständiges Werk konzipiert ist - in dem Sinn, dass man das Ensemble mit einer Halskette aus sieben Steinen vergleichen kann, von denen jeder eine andere Form, Farbe und einen anderen Glanz hat. [... ] Das dritte Element des Triptychons schließlich, ein Pendant zu Der Letzte der Gerechte11, wäre natürlich der Roman zu den Konzentrationslagern, von dem ich mir nicht sicher bin, ob es sinnvoll ist, bereits davon zu sprechen.« (Pourquoi j'ai ecrit, S. 8) Faszinierend an dem von Schwarz-Bart skizzierten Programm ist nicht nur die Tatsache, dass er es niemals umgesetzt hat (nach Die lvlulattin Solitude sollte er keinen weiteren Roman veröffentlichen), sondern auch der Überschuss an Bildern, durch die er es evoziert. Jedes dieser Bilder - Akkordeon, Triptychon, Halskette - stellt einen Versuch dar, dem literarisch-historischen Problem eine Form zu verleihen. Gerade aus dem umgekehrten Verhältnis des Überschusses an Bildern zur Spärlichkeit der Ergebnisse folgt eine ganz besondere »Lösung«. Anstatt Schwarz-Barts unverwirklichtes Programm als gescheitert zu begreifen, können wir in ihm die Defizite bestehender Rahmen und Möglichkeitsbedingungen für das Erzählen solcher Geschichten erkennen. Der Rückgriff auf Anachronismus, Fantasie und Bildsprache deutet an, dass die Geschichte schwarz-jüdischer Verbundenheit für Schwarz-Bart keine ist, die sich in einem realistischen, historistischen Modus schreiben lässt - selbst dann nicht, wenn dabei das doppelte Bewusstsein von Minderheiten berücksichtigt wird. Schwarz-Bart ist es allerdings auch nicht gelungen, eine gangbare Alternative zu entwickeln. Was die Geschichten der afrikanischen Diaspora in der Karibik und der jüdischen Diaspora in Europa gemeinsam haben, ist keine »positive« Erfahrung, sondern eher die Negativität des Bruchs und das Bedürfnis nach einer Arbeit der Fantasie, die den Abgrund überbrückt: Wie der Epilog von Die Mulattin Solitude verdeutlicht, markieren die Gespenster, die auf der Plantage und im Ghetto spuken, einen nicht behebbaren Verlust, der nur durch die Fantasie der Nachgeborenen »[ge] füllt« (emplira) werden kann (S. 140). Damit die Fantasie aber angemessen auf die Herausforderungen des Verlusts reagieren kann, muss sie in der Lage sein, zwischen dem zu unterscheiden, was verloren gegangen ist, und dem, was überhaupt nie vorhanden war, weil hier die Abwesenheit konstitutiv ist. Die Unterscheidung zwischen Verlust und Abwesenheit, die LaCapra auf hilfreiche Weise in Beziehung zu der zwischen historischem und strukturellem Trauma gesetzt hat, hilft dabei zu klären, an welchem Punkt Schwarz-Barts Projekt Schiffbruch erleidet. Historisches Trauma »hängt mit spezifischen Ereignissen zusammen, die tatsächlich mit Verlusten einhergehen«, wohingegen strukturelles Trauma »mit transhistorischer Abwesenheit (ursprünglicher Abwesenheit bzw. Abwesenheit des Ursprungs) zusammenhängt (und sogar korreliert) und in jeder Gesellschaft sowie in jedem Leben auf andere Weise in Erscheinung tritt«. Zu den Beispielen
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historischen Traumas zählen Sklaverei, der Holocaust und Krieg. Beispiele strukturellen Traumas sind oft eher spekulativer Natur; zu ihnen zählen »Trennung von der Mutter bzw. vom Anderen, der Übergang von der Natur zur Kultur, [... ] der Eintritt in die Sprache«.24 Wie LaCapra anmerkt, überrascht es nicht, dass es in bestimmten Kontexten, insbesondere post-traumatischen, zu Überschneidungen zwischen diesen beiden Formen von Trauma kommt; die Unterscheidung zwischen Abwesenheit und Verlust zu verwischen kann allerdings schädliche intellektuelle und politische Folgen nach sich ziehen. Werden historische Verluste als strukturelle Abwesenheit gedeutet, kann das zu Melancholie führen und dazu, dass man an der Möglichkeit zweifelt, über die Vergangenheit hinauszuwachsen oder sich den Problemen der Gegenwart zu stellen. Wird umgekehrt strukturelles Trauma auf ein historisches Ereignis reduziert, dann nährt das Allmachtfantasien und führt zu gefährlichen Versuchen, totalisierende politische Lösungen anzustreben. Trotz seiner offenkundigen Sympathie für die Opfer der Geschichte scheint Schwarz-Bart historische Verluste in einen enthistorisierten Bereich zu überführen. Der tote Punkt, an den er in seinem Schaffen gerät, könnte auf das zurückzuführen sein, was Sidra EZl·ahi seine Festlegung auf ein statisches Geschichtsbild nennt, das sich durch die »ewige Wiederkehr menschlichen Leidens« auszeichnet - auf ein Geschichtsbild also, das historische Verluste zu transhistorischer Abwesenheit umdeutet. Trotz der zahlreichen Ebenen von Zeitlichkeit, die Schwarz-Bart in seinen Büchern untersucht, scheinen seine Protagonisten - sowohl die jüdischen als auch die schwarzen - »von Geburt an zum Märtyrertum bestimmt zu sein, durch einen unerbittlichen historischen Prozess, der festlegt, das einige Lämmer und andere Schlächter zu sein haben«.25 Schwarz-Bart findet zwar stets neue Bilder, um das Verhältnis von schwarzer und jüdischer Geschichte zu beschreiben, kehrt aber immer zum selben grundlegenden Gewaltszenario zurück. In LaCapras Begriffiichkeit ausgedrückt: Er bleibt im Bann des Traumas und agiert die Viktimisierung aus, anstatt sie aufzuarbeiten. Indem er das Schwarzen und Juden gemeinsame Verhältnis zur Negativität des Bruchs von einem kontingenten historischen Verhältnis zu einer transzendenten, überhistorischen Notwendigkeit umdeutet und damit überhöht, verwischt Schwarz-Bart die Unterscheidung zwischen Verlust und Abwesenheit. Sein Geschichtsbild bleibt auf ein binäres Verständnis von Opfern und Tätern angewiesen und legt den Schluss nahe, dass es einer komplexeren Darstellung der Viktimisierung bedarf, um dem Bann der Unvermeidbarkeit zu entkommen. Ironischerweise bricht Schwarz-Barts CEuvre durch seinen vergleichenden Ansatz zwar mit der sakralisierten Singularität des Holocaust, tut dies aber durch den Einsatz eben jener mythischen Elemente, derer sich der Singularitätsdiskurs bedient, um das historische Ereignis als »begründendes Trauma«26 zu kanonisieren.
24 LaCapra, Writing History, S. 76 f., 80 f. 25 Ezrahi, By Words Alone, S. l36 f. 26 LaCapra, Writing History, S. 81.
DAS FORM PROBLEM: ZWISCHEN ABWESENHEIT UND VERLUST
LaCapras Unterscheidungen zwischen Abwesenheit und Verlust sowie zwischen historischem und strukturellem Trauma erlauben es uns zu fragen, was es bedeutet, über Ruinen zu schreiben. Das Problem an Schwarz-Barts Werk ist nicht die Fixierung auf Ruinen als solche; schließlich sind die Geschichten der afrikanischen und jüdischen Diasporen tatsächlich von Vernichtung und Viktimisierung durchzogen. Es ist sowohl eine logische als auch eine soziale Tatsache, dass Angehörige dieser Diasporen sich oft durch das Prisma extremer Gewalt wahrnehmen - eine Form wechselseitiger Anerkennung, die sowohl zu Phasen der Solidarität als auch zu Situationen des Antagonismus geführt hat, wie sie nur unter denen möglich sind, die sich als »fast gleich« wahrnehmenY Das Problem liegt vielmehr in der Auffassung von Ruinen, die in Schwarz-Barts Werk zum Ausdruck kommt. Anstatt Ruinen als Zeichen von Geschichte und Wandel zu begreifen, schreibt Schwarz-Bart sie als Demütigung und Abwesenheit fest - als die Abwesenheit von Macht, angezeigt durch eine gescheiterte und verzweifelte Revolte. 28 Es gibt also zwei Formen von Anachronismus in Schwarz-Barts Arbeiten. Die erste ist eine rehistorisierende Kraft, die sklerotisierte Unterscheidungen von Epoche und Identität aufsprengt, um neue Sichtweisen auf Geschichte als dynamisches Kraftfeld sich überschneidender Geschichten zu ermöglichen. Die zweite ist eine enthistorisierende Kraft, die diesen sich überschneidenden Geschichten jedes Verhältnis zur Macht nimmt, und damit auch jede Möglichkeit der Veränderung. Bleibt Schwarz-Barts Werk im Kanon der Holocaust-Literatur auch auf vielerlei Weise eine Anomalie, so ist das Schwanken zwischen Re- und Enthistorisierung sowie zwischen strukturellem und historischem Trauma, auf das wir darin stoßen, dennoch nicht ohne Implikationen für andere Versuche, über Ruinen und multidirektionale Erinnerungen zu schreiben.
27 Paul Berman hat sich in einer Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Schwarzen und Juden der Vorstellung des »fast Gleichen« bedient, die er vom französischen Philosophen Vladimir Jankelevitch übernommen hat (und die von Freud inspiriert ist). Berman beschreibt die Intensität des Verhältnisses von Schwarzen und Juden als ein Ergebnis der Nähe beider Gruppen zueinander und der geringen Unterschiede zwischen ihnen. Siehe Paul Berman, Introduction: The Other and the Almost the Same, in: ders. (Hrsg.), Blacks and Jews: Alliances and Arguments, New York 1994, S. 1-28. 28 Es ist interessant, Schwarz-Barts Ruinen mit denen zu vergleichen, die Walter Benjamin in seinem Buch über das Trauerspiel verhandelt. Für Benjamin sind »Allegorien [... ] im Reiche der Gedanken was Ruinen im Reiche der Dinge«; in der »Allegorie [liegt] die facies hippocratica der Geschichte als erstarrte Urlandschaft dem Betrachter vor Augen. Die Geschichte in allem was sie Unzeitiges, Leidvolles, Verfehltes von Beginn an hat, prägt sich in einem Antlitz [... ] aus. [... ] [E]s spricht nicht nur die Natur des Menschendaseins schlechthin, sondern die biographische Geschichtlichkeit eines einzelnen in dieser seiner naturverfallensten Figur bedeutungsvoll als Rätselfrage sich aus.« Allegorie und Ruine sind in Benjamins Verständnis zwar historisch, doch auch mit jener Art von Melancholie verbunden, für die SchwarzBart eintritt. Walter Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. I.l, S. 203-430, hier S. 354, 343, zitiert in: Fredric Jameson, Marxism and Form: Twentieth-Century Dialectical Theories ofLiterature, Princeton 1972, S. 71, 73.
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kennt< ihn besser als seine Sklaven. Darin liegt Stärke« (S. 172). Abgesehen von der geschickt eingeschleusten Hegel-Anspielung legt Rudi in seinem letzten Brief eine komplexe, aber letztlich kontraproduktive Logik der Identifikation an den 42 Cheyette, Venetian Spaces, S. 60.
VERPASSTE BEGEGNUNGEN: HIGHER GROUND
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Tag; seine Identifikation mit jüdischen Opfern hat eine präfigurative Identifikation mit Sklaven und Sklavinnen zur Prämisse, durch die seine Identität überhaupt erst begründet wird. Solche Identifikationen können sich zwar, wie Schwarz-Barts Werke zeigen, als Quellen des Selbstseins erweisen, die Überleben und Widerstand ermöglichen, doch sie können auch in polarisierte und statische Diskurse münden, wenn jegliche Distanz zwischen Vergangenheit und Gegenwart aufgehoben wird. Diskurse dieser Art wiederholen Trauma-Narrative mit solchem Nachdruck, dass diese Narrative zu strukturellen Eigenschaften der Gegenwart werden, und nicht etwa zu historischen Erbschaften, die sich aufarbeiten ließen. Wenn also Rudis »wiederholte Bezugnahmen auf den Nationalsozialismus [... ] seine Entmenschlichung verstärken, indem sie an die Schrecken des Holocaust erinnern, die die letzte Geschichte [des dreiteiligen Romans] durchziehen«, wie Ledent geschrieben hat,43 dann gilt das in einem anderen als dem beabsichtigten Sinn. Phillips will darauf hinaus, dass ein Teil des Schreckens gerade in den »wiederholte[n] Bezugnahmen« besteht - nicht, weil Rudi der jüdischen Geschichte Gewalt antut, indem er sich nicht scheut, sie auf seine eigene Lage zu beziehen, sondern weil er sich selbst Gewalt antut, indem er sich in eine Rhetorik absoluter Viktimisierung verstrickt, die letztlich jegliche Handlungsfähigkeit beseitigt. Auch die geflohene Jüdin, durch deren Augen wir die Geschichte von Higher Ground (Hochland), dem dritten Teil des Romans erleben, bleibt eine Gefangene der Vergangenheit, allerdings aus ganz anderen Gründen. Im Gegensatz zu Rudi, der durch seine Überidentifikation sowohl mit der afroamerikanischen als auch mit der jüdischeuropäischen Geschichte zu seiner eigenen Gefangenschaft beiträgt, sieht sich »Irene« von der Spaltung überwältigt, die ihr Leben kennzeichnet. Diese Spaltung wohnt bereits ihrem Namen inne, oder auch dem, was sie als das »Irene-Irina-Irene-IrinaIrene-Irina-Irene-Problem« bezeichnet (S. 183). Aus Polen auf einem Kindertransport nach England verbracht, wird aus der jungen Irina schnell Irene, »denn die Leute in England waren zu faul, um ihre Münder oder ihre Zungen zu ungewohnten Stellungen zu verbiegen« (S. 183). Phillips unterstreicht den sich daraus ergebenden Bruch, indem er seine Protagonistin in Rückblenden als Irina, aber immer dann, wenn es um die Zeit seit ihrer Flucht nach England geht, als Irene bezeichnet. Von ihrer Familie, die von den Nationalsozialisten ermordet wurde, getrennt, und einzig um den Preis eines teilweisen Identitätsverlusts in die englische Gesellschaft assimilierbar, findet sich Irene in einer unglücklichen Ehe wieder, in der sie sich gefangen fühlt. Sie erleidet schließlich einen Zusammenbruch und kommt für zehn Jahre in eine psychiatrische Klinik. In der Gegenwart des Romans lebt sie in einer Pension und arbeitet in einer Bibliothek, fällt aber in den Wahnsinn zurück und soll erneut in die psychiatrische Klinik eingewiesen werden. Ihre anhaltende Fremdheit scheint sie Louis nahezubringen, einem neu zugereisten westindischen Einwanderer, der unter der ihm fremden englischen Umgebung leidet. Die Logik der Erzählung scheint sich auf Kontakt und Bindung über schwarze und jüdische Differenzen hinweg zuzubewegen - eine Erwartung, die 43 Ledent, Caryl Phillips, S. 65.
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5. ANACHRONISTISCHE ÄSTHETIK
dadurch noch verstärkt wird, dass Irenes Lage mittels einer kolonialen Begrifflichkeit beschrieben wird, wie Ledent gezeigt hat (S. 68).44 Doch der Roman wendet sich erneut von dieser Möglichkeit der Erlösung ab: Schwarze und jüdische Geschichte überschneiden sich tatsächlich nicht, sondern nähern sich einander an, um sich dann wieder asymptotisch voneinander zu entfernen. Louis fühlt sich zwar zu Irene hingezogen, hat aber bereits beschlossen, in die Karibik zurückzukehren: »Sie berührte ihn, doch er wusste, dass er sich stählen und in die klare, schweißlose, frische, kalte, weiße, verschneite Nacht hinaustreten musste. [... ] In der Morgendämmerung würde er dann in die Männerherberge zurückkehren, seine Tasche abholen und abreisen. Es schien wahrscheinlich, dass diese Frau eine strenge Loyalität an den Tag legen, aber auch von ihm eine ebensolche Loyalität verlangen würde. Er würde ihre Treue niemals erwidern können. Jetzt nicht. Tut mir leid« (S. 216). Louis lehnt Irenes Kontakt- und Solidaritätsangebot ab - oder vertagt seine Annahme zumindest auf unbestimmte Zeit - und lässt eine »ohne nährende Liebe für immer verlorene« Irene zurück, die auf die Krankenschwester wartet, von der sie wieder in die Gefangenschaft, das heißt in die Klinik zurückgebracht werden wird (S. 218). Higher Groulld ist in seiner Erkundung von Formen der Gefangenschaft, Vertriebenheit und rassifizierten Gewalt zwar thematisch aus einem Guss, verweigert jedoch jegliche rettende Auflösung des Geschehens oder umstandslose Analogisierung unterschiedlicher Geschichten und Identitäten. Noch während der Roman seine Leser dazu anregt, nach Verbindungen zwischen den drei Geschichten zu suchen, grenzt er diese zugleich voneinander ab, wie in der verpassten Begegnung von !rene und Louis besonders deutlich wird. In der letzten Geschichte sind Differenzen des Geschlechts, des gesellschaftlichen Status (als Flüchtling oder Migrant), der Ethnizität und der Nationalität letztlich wirkmächtiger als die Gemeinsamkeiten, aufgrund derer sich die beiden Figuren zueinander hingezogen fühlen. Es zeigt sich, dass Viktimisierung nicht die beste Grundlage für Solidarität ist, da Viktimisierungsprozesse verschiedene, auch widersprüchliche Formen annehmen können und jene Grundlagen des Selbstseins erodieren, ohne die es keine Beziehungsfähigkeit geben kann (wie Rudis Abstieg in die Fantasie und !renes in den Wahnsinn veranschaulichen). Hinzu kommt, was der Fall des Erzählers von Heartland zeigt: dass der Opferstatus keinerlei Schutz vor Mitschuld bietet und auch nicht verhindert, andere Subjektpositionen einzunehmen, etwa die des Kollaborateurs. Wird die Viktimisierung in Schwarz-Barts Romanen eine geradezu metaphysische Kategorie, die Menschen über Jahrhunderte und Kontinente zu einen vermag, so erweist sich die Position der Opfer in Higher Ground als instabil und wechselhaft, und damit als 45 ungeeignet für die Schaffung wohlfeiler Verbindungen.
44 Ebenda, S. 68. 45 Das Werk von William Gardner Smith, das ich in Kapitel 8 erörtere, erkundet ebenfalls die Frage der Mitschuld und den schwierigen Aufbau von Solidarität zwischen Schwarzen, Juden und, in William Gardner Smith' Fall, Arabern.
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INTERTEXTUALlTÄT UND STRATIFIZIERTE MINORISIERUNG
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Intertextualität und stratifizierte Minorisierung:
The Nature of Blood Als Phillips einige Jahre später viele der in Higher Ground behandelten Fragen wieder aufgreift, erinnert die Art, wie er die Verflechtung unterschiedlicher TraumatWaterboarding< [le supplice de la baignoire]« (S. 56). Das Hauptaugenmerk des Buches liegt jedoch - wie der oben zitierte Abschnitt deutlich macht - eher auf den Bedingungen der Sichtbarkeit, unter denen der Staat seine schmutzige Arbeit verrichtet. Wie Delbo hier andeutet, war dies auch eine Eigenschaft 16
Weitere Hinweise der Berufung auf die Nürnberger Prozesse sowie eine Übersetzung der Passage aus Le Meur, auf die ich mich hier beziehe, bietet Sorum, Intellectuals, S. 153 f.
BRIEFE GEGEN DIE REPUBLIK
249
ihrer Repressionserfahrung unter den Nationalsozialisten. Beispielsweise schreibt sie im Gedicht »Auschwitz« im ersten Band ihrer Memoiren: »Diese Stadt durch die wir kamen / war eine seltsame Stadt. / [... ] Kein Einwohner dieser Stadt / hatte ein Gesicht / und um das nicht einzugestehen / wandten sich bei unsrem Durchzug alle ab« (Trilogie. Auschwitz und danach, S. 127). Die Struktur dieser Sichtbarkeitsb,edingungen - die Nähe des univers concentrationnaire zum Alltag, die Weigerung der Öffentlichkeit, durch den Stacheldrahtzaun hindurchzublicken - trägt nicht weniger als das sich jenseits des Zauns abspielende Grauen zu jenem Sprung der Erinnerung von den französischen Lagern nach Auschwitz bei, der historischen Distanz zum Trotz. Der Erinnerung wird oft und insbesondere von Historikern angelastet, sie homogenisiere, instrumentalisiere und mystifiziere. Diese Zitate von Le Meur, Jeanson und Delbo belegen - wie andere Stellen in Les belles lettres, in denen der Nationalsozialismus und der französische Kolonialstaat zueinander in Beziehung gesetzt werden - das Vorhandensein einer differenzierten kollektiven Erinnerung, die fähig ist, Ähnlichkeit und Differenz gleichermaßen wahrzunehmen und das Gedenken in den Dienst der politischen Verantwortung zu stellen, ohne historische Besonderheiten zu relativieren oder zu leugnen. Kristin Ross hat gezeigt, wie das französische Koloni al system die Folter während der letzten Kriegsjahre zu »modernisieren« versucht hat, indem es sie in eine Form »sauberer« Massenproduktion verwandelte, die an Fabrikarbeit und an den Alltag in der Metropole erinnert, von den metropolitanen Subjekten jedoch unbemerkt blieb: »Die Folter im Algerienkrieg sollte >keine Spuren hinterlassen< - das heißt, sie sollte die Zeit still stellen oder als ahistorisches strukturelles System funktionieren.«l7 Entgegen der staatlichen Absicht wurden die Spuren jedoch sehr wohl bemerkt, selbst unter Bedingungen massiver Zensur und Repression. Wie war das möglich? Die Erinnerungsarbeit von Les belles lettres lässt vermuten, dass die Aufmerksamkeit für den Nachhall der Vergangenheit in der Gegenwart diese Vergangenheit vor ihrer frühzeitigen Abschreibung und die Gegenwart vor dem sofortigen Vergessen bewahren kann. Delbo fördert die »tiefen Spuren« der Vergangenheit zutage, wie sie etwa vom Generalsekretär der Polizei Paul Teitgen erkannt wurden; Teitgen fühlte sich von den Lagern in Algerien an die »Grausamkeiten und die Folter« erinnert, »die ich vor vierzehn Jahren selbst in den Gestapo-Kellern von Nancy erlitten habe« (Stora, La gangrene et l'oubli S. 80 f.). Ist, wie Nietzsehe einmal bemerkt hat, Schmerz das mächtigste Hilfsmittel der Mnemonik, so ist es ebenfalls wahr, dass Erinnern eine nicht-fetischistische Form von Arbeit ist, die sich dem Schmerz zuwendet, dessen Ansprüche anerkennt und dann die sozialen und politischen Bedingungen, die ihn weiterhin erzeugen, zu verändern sucht. Der Widerstand gegen die französische Kriegführung in Algerien war bestrebt, die Grausamkeiten der Gegenwart durch die Auseinandersetzung mit denen der Vergangenheit, und durch deren Aufarbeitung, zu transformieren. 17 Ross, Fast Cars, S. 122.
7- DIE GEGENÖFFENTLICHE ZEUGIN
Von der Ethik der Zeugenschaft zur gegenöffentlichen Zeugin Delbos Text dokumentiert Infragestellungen staatlicher Hegemonieansprüche gegenüber Sinnsteuerung und tut das mitunter durch das Zusammentragen von Erinnerungsspuren, die historische Grenzen überschreiten. Der Inhalt des Textes verdeutlicht jedoch nicht unbedingt die Form, die Delbos Akt des Zusammentragens annimmt. Les beiles lettres versammelt Dokumente, die überwiegend bekannten Quellen entnommen sind, und verrät keine Staatsgeheimnisse. Das unterscheidet Delbos Buch von heimlich publizierten Zeitschriften wie Tbnoignages et Documents, die ehemals zensierte Berichte veröffentlichten - wenn staatliche Zensur auch eines der offenkundigsten Themen von Les beiles lettres ist. Anders als die klandestinen Zeitschriften trägt Delbos Text keine neuen Informationen zum antikolonialen Kampf bei, sondern reproduziert vielmehr Briefe, die bereits an die Öffentlichkeit gelangt sind. Warum re artikuliert Delbo Erinnerungen an Genozid und Kolonialismus gerade in dieser Form? Anstatt die Zensur zu durchbrechen, indem sie den Staat unmittelbar und auf seinem eigenen Terrain herausfordert, legt Delbo mit Les beiles lettres eine Reflexion über die Gattungen des Dissenses vor, die letztlich das Terrain der Debatte verschieben soll. Durch seine literaturhistorische Rahmung und seine häufigen Verweise auf Schriftstellerinnen, Schauspieler, Akademikerinnen und andere Intellektuelle propagiert der Text implizit seine eigene Form als Antwort auf die alltäglichen Erfordernisse. Worum handelt es sich bei dieser Form? Weit davon entfernt, ihr Buch zu »belletristisch« und damit apolitisch zu gestalten, veranschaulicht der mit Zitaten arbeitende, intertextuelle Charakter von Delbos Arbeit - die Angewiesenheit auf zuvor bereits veröffentlichte Dokumente anderer Autoren und Autorinnen, die ja den Kern des Inhalts stellen - gerade die Orientierung an einem Publikum, einer Öffentlichkeit. Wie Michael Warner überzeugend argumentiert hat, ist eine Öffentlichkeit ein »sozialer Raum, der durch die reflexive Zirkulation von Diskursen geschaffen wird«.18 Für Warner ist demnach »eine Öffentlichkeit als ein dauerhafter Begegnungsraum für Diskurse zu verstehen«; sie »existiert nur aufgrund der Adressierung« und »des Grads der Aufmerksamkeit, wie imaginär auch immer sie sein mag«, den die Adressaten eines Textes gewährleisten (S. 62, 61). Der Schlüsselbegrifflautet in diesem Zusammenhang »Zirkulation«, was zwei bedeutende Implikationen hat. Erstens unterscheidet Warner Zirkulation von Konversation: Die Zirkulation von Texten beinhaltet, dass die Bedeutung eines Textes oder diskursiven Ereignisses über das »dyadische Verhältnis von Sprecher und Zuhörer oder Autor und Leser« hinausgeht, das den privaten Diskurs kennzeichnet, und ein Publikum aus Zuschauerinnen, Fremden und passiven Gesprächspartnern erreicht. So ist der Raum der Öffentlichkeit beschaffen: »eine multigenerische Lebenswelt, die nicht nur entlang einer Beziehungsachse von Äußerung und Reaktion organisiert 18 Michael Warner, Publics and Counterpublics, in: Public Culture 14 (2002) 1, S. 49-90. Siehe auch Michael Warner, Publics and Counterpublics, New York 2002.
VON DER ETHIK DER ZEUGENSCHAFT ZUR GEGENÖFFENTLICHEN ZEUGIN
251
ist, sondern potenziell auch entlang einer unendlichen Zahl von Achsen der Zitierung und Charakterisierung« (S. 63). Zusätzlich zu diesem multidimensionalen Adressierungsraum beinhaltet Zirkulation auch eine neue Form von Zeitlichkeit: Die Zeitlichkeit der Zirkulation ist »punktuell« und geht einher mit »unterschiedlichen Momenten und Rhythmen, von denen ausgehend zeitliche Distanz gemessen werden kann« (S. 66). Die von Delbo zitierten, in Tageszeitungen und wöchentlich erscheinenden Zeitschriften veröffentlichten Briefe sind perfekte Beispiele jener punktuellen und multigenerischen Diskurszirkulation, die Warner als für die Öffentlichkeit konstitutiv beschreibt. 19 Indem sie diese Briefe neuerlich zirkulieren lässt, setzt Delbo die Arbeit der Schaffung von Öffentlichkeiten fort und legt zugleich reflexiv ein Bewusstsein dessen an den Tag, was bei öffentlicher Aufmerksamkeit auf dem Spiel steht. Der Brief in Reinform ist zwar keine öffentliche Gattung - er beinhaltet gen au jenes dyadische Verhältnis von Autorin und Leser, das ihn privat macht -, doch ein in einer Zeitung oder Zeitschrift veröffentlichter Brief setzt bereits eine duale, öffentliche Adressierung voraus. Mit wenigen Ausnahmen verstehen die Autoren und Autorinnen der von Delbo zusammengetragenen Briefe ihre Texte als »offene Briefe«, also als zugleich an einen bestimmten Adressaten (»Monsieur le president«, »eher f.-f. 5.-5.« [»Lieber J.-J. S.-S.«; gemeint ist Jean-Jacques Servan-Schreiber, der Herausgeber der Wochenzeitung L'Express]) und an eine besorgte Öffentlichkeit gerichtet. Selbst die ursprünglich an ein intimeres Publikum adressierten Briefe etwa die beiden, die den Band beschließen - haben durch ihre neuerliche Zirkulation in Zeitschriften bereits öffentlichen Charakter angenommen. Indem sie diese Briefe zusammenträgt und zum zweiten Mal veröffentlicht, strebt De1bo reflexiv danach, eine neue Öffentlichkeit zu schaffen, die entlang der Achsen einer Vielzahl von Algeriendiskursen verortet ist. Dadurch, dass sie die Aufmerksamkeit auf den »punktuellen Rhythmus der Zirkulation« lenkt, rettet De1bo die Briefe vor der Isolation und dem Vergessen, die der Meinungsseite der Zeitung anhaften und die ansonsten das Schicksal dieser Briefe gewesen wären, um sie stattdessen in eine »Sphäre der Aktivität« zu überführen: »Öffentlichkeiten haben ein kontinuierliches Leben: Man veröffentlicht nicht ein für alle Mal. [... ] Es ist die Art und Weise, wie die Texte zirkulieren und Grundlage weiterer Darstellungen werden, die uns davon überzeugt, dass Öffentlichkeiten die Eigenschaften Aktivität und Dauer aufweisen« (Warner, Publics and Counterpublics, S. 68). Indem sie die ansonsten toten Buchstaben des journalistischen Archivs wieder zum Leben erweckt, trägt De1bo zur Herausbildung einer damals noch in Entstehung begriffenen Gattung bei, die eng ans Handeln gekoppelt ist: der des Zeugnisses. 19 Ich würde diese punktuelle Zeitlichkeit, die elementar ist für Erinnerungspolitik, von einer an Dauer orientierten Zeitlichkeit unterscheiden; Letztere ist bestimmend für eine Ethik der Erinnerung, die auf dem beruht, was Badiou Treue nennt und lan Baucom vielleicht als Akkumulation bezeichnen würde. Einer an Dauer orientierten Ethik der Erinnerung kommt in Kapitel 9 zentrale Bedeutung zu. Siehe Badiou, Ethik; lan Baucom, Specters of the Atlantic: Finance Capital, Slavery, and the Philosophy of History, Durham 2005.
7. DIE GEGENÖFFENTLICHE ZEUGIN
Achtet man auf die besondere Form, die öffentliche Zeugenschaft in Delbos Werk annimmt, kann das Anlass zur Überprüfung zeitgenössischer Theorien der Zeugenschaft geben. Innerhalb akademischer Diskurse ist die Gattung des Zeugnisses in den letzten Jahren ein beliebter Gegenstand von Debatte und Theoriebildung gewesen, insbesondere im Bereich der Holocaustforschung. Der von Shoshana Felman und Dori Laub herausgegebene Band Testimony: Crises oi Witl1essing in Literature, Psychoal1alysis, al1d History hat zu einer Anhebung des theoretischen Niveaus beigetragen, indem er den performativen Aspekt von Zeugenschaft betont. Für Felman und Laub beinhaltet Zeugenschaft nicht einfach einen legalistischen Zeugen, der vorab existierenden Wahrheiten über ein Ereignis zur Geltung verhelfen soll. Literaturtheoretisch und psychoanalytisch interpretiert, wird Zeugenschaft vielmehr ein herausragendes Beispiel dafür, »wie Kunst das, was wir über unser gelebtes historisches Verhältnis zu den Ereignissen unserer Zeit noch nicht wissen, einschreibt (künstlerisch bezeugt)« (S. xx). Zeugenschaft ermöglicht und erzeugt also ein neues Verständnis dessen, was unbewusst und unartilmlierbar geblieben ist, oder zumindest einen neuen Zugang dazu. Felman und Laub konzentrieren sich insbesondere auf die Verbindungen zwischen Zeugenschaft und Trauma. Ihre von Elie Wiesel übernommene These, »dass unsere Zeit als Zeitalter der Zeugenschaft definiert werden kann« (S. 5), stützt sich stark auf die Erfahrungen aus dem nationalsozialistischen Genozid, verschließt sich aber anderen Krisen nicht. Für Felman und Laub besteht der Kern der HolocaustErfahrung, und im weiteren Sinne des Traumas im Allgemeinen, im »Kollaps der Zeugenschaft
Algerienkriegs und in der Nacht des 17. Oktober verantwortlich gewesen, angeklagt wurde er jedoch wegen anderer Verbrechen: Als Präfekt der Vichy-Regierung war er auch fiir die Deportation von Juden und Jiidinnen ver-
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Beispielen, ergänzt
eine ausdrückliche
Vergleichs. An die Algerier gerichtet, formuFragen liert Duras: »Glauben Sie, dass Ihre Lage der irgendeines anderen gleicht?« M. fragt sie: »Haben Sie geglaubt, dass Ihre Lage der irgendeines anderen gleicht?« (Les deux ghettos, £) Hier wirkt der Wechsel der Zeitform ein wenig holprig, und es bleibt Auseinandersetzung
mit
des
S.9
9. November 1961, Titelseite; darauf Marguerite Duras’ 19
ghettos
Sammlung des Autors
https://pdfify.app/trial
Jean-Francois Revel, 1961,5.
26 £.
Rezension
von
Chronique
d’un été, in: France-Observateur, 26. Oktober
7
a Hl] |
A
;
»ERINNERTSIE DAS NICHT
GESCHICHTE DREIER GHETTOS
8. EINE
280
|
281
AN ETWAS?«
|
|
|
on
ihrer Zeit unklar, ob Duras die Überlebende nach der Ansicht fragt, die sie während
a
im Ghetto
il
geriert
|
1
»Doch
|
es
eine
heutige,
im Rückblick entstandene. Die Zeitform sug-
gibt,
mich
fragen würde, ob
beantwortet wird die
méglich. glaube, dass
es
nach wie
die diese Gestalt annehmen können. Die
in
auf die
Bezug
möglich ist: Ich glaube, »objektive: Bedingun-
gi
algerische
Geschichte ist grau-
Form angenommen. Ich
Algerier übertreibt,
|
dann sind diese Über-
|
für mit der
begeistern,
(ebenda,
S.
wareiner
| |
|
|
Umkehrung der
zugleich komplexe Antwort des Algeriers X.: »Also ich denke an die Hindus vor der nationalen Unabhangigkeit, noch vor Gandhi. Einige Genossen sagen, wir seien wie die Juden unter der deutschen Besatzung. Sie sagen: »Das erinnert an Eichmanns Schlag [le coup de
i)
|
al |
wie eine
Antwort ist wie ein Widerhall und
Eichmann]. Es fehlen
nur
|
Bereits
bindungen ,
AW
X. macht
zwar
indirekt, denn
e
Analogie
er
schreibt die
Algeriern
von
Analogiebehauptung
und
Juden geltend, doch
anderen
zu.
M. verneint
nur
Bs
He
Wai
nik eines Sommers und dem vieler der
|
aber hinzu,
Ve
m
gewidmet.”
aus
Bourdet selbst
ran
eine
Untersuchung
dem
des Massakers
vorausgegangenen Wochen hatten sich vieler
ae Sie nicht (»Das kénnen ignorer plus dem dem linken jüdischen Reporter verwundeten algerischen Mannes); »Les silen.
A
ne
pouvez
¢a
Bourdetauf
Algerienkrieg hatte
2, November
1961).
einige der hervorstechenden Verig
zwischen Antifaschismus und Antikolonialismus aufmerksam 6. Dezember 1951, in dem
vom
einige Jahre später
|
er
HL
gl
Gerichtsprozesse und die eindeutig belegte Folterpraxis der französischen Polizei in Algerien protestierte, hatte Bourdet gefragt: »Y a-t-il une Gestapo algérienne?« (»Gibt es eine algerische Gestapo?«) Etwas mehr als drei Jahre später, in einer Ausgabe mit der Uberschrift »LA VERITE sur les tortures en Algérie ...« a
i
in Charlotte Delbos
|
U
P:
*
Ihr Hinweis, dass sogar
(»DIE WAHRHEIT aber die Folter
|
1
|
politisch zynisch
gen
lal
sind, wie bei M., bezeugen sie
zeitliche Unterschiede und °
a
|
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(so
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La
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|
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DIEM
statiert und
die
Herausgeber)
Verwerfungen.
oder einer
eine
historische Sensibilität für
Die zeitliche Struktur .
:
potenziellen Wiederkehr (so
einer
M. und
N
eine
!
ethische Intervention ;
°
mit
Konsequenzen für ng
€
eine
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Politik hinaus.
pl
eit
unter g Keinesfalls lassen sich diese komplexen und ambivalenten Formulierungen
il
diedie
Zeitschr
...«), hatte
Berichterstattung iiber den keineswegs das einzige Organ,
zurückgekehrt.”
| | |
|
|
und
Beri 21
einem
stärker
in
die von
Bourdet deutet
daraufhin,
Mainstream orendarten
diesem Abschnitt
17. Oktober entstammen
kon-
Besatzung und die brutale
.
am
Algerien
In diesen frühen
von mir
als
FORMAL
angeführten Beispiele
France-Observateur, doch
war
zeitgenössische Ereignisse wiederholt zur jüngeren, nationalsozialistischen Vergangenheit in Beziehung gesetzt wurden. Eine ausführliche Vérité-Liberté. außerdem in Les erichterstattung ahnliche Analogien finden sich auch in Vérité-Liberté, Temps modernes und anderen linken Organen. Claude Bourdet, a-t-il une Gestapo algérienne?, in: France-Observateur, 6. Dezember 6f. S. 6-8; Votre Gestapo in: France-Observateur, 13. Januar 1955, dies
|
Bourdet in »Votre Gestapo ip
die Wiederkehr der Folter in
;
in
Die meisten der
fiir die
1
https://pdfify.app/trial
erscheint heint
e
N 1 La HL
Algerien 8
seiner früheren Rhetorik
Zeitschrift are. Nouvel observateur. Xu
»Wiederkehr«
Bedin-
zukünftige
|
X.) vergangener
Gräuel deutet auf politisches Versagen bei der Bekämpfung der »objektiven« die Wahrnehmung der Ungleichzeitigkeit läuft auf gungen« des Ghettos hin, doch
in
Algerien«)
—
7
“
war zu
in
Beispielen geht es vor allem um die Erinnerung an Repression der Résistance nichts in diesen Artikeln
auf
und Zweifel und können hisParallelen sind die Grundlage 8 fiir Differenzierungen 8 torische Unterschiede verdeutlichen. Selbst wenn diese Zweifel und Differenzierun-
yl
m
d’Algerie« (»Ihre Gestapo
eine interkultureller Erinnerung: Die Struktur des Artikels scheint zwar die doch hinauszulaufen, Gleichsetzung vergangener und gegenwartiger Ereignisse
Beispiel
a
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Tage.
zeigt
N
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We
unserer
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HE |
Maß
In
willkiirliche Festnahmen,
Bre gegen
nicht-öffentliche
wer6 oder 8 gerade ein prizedenzloses Ereignis die Vorlage 8 fiir weitere Verwiistungen Holocaust, des zudem die erodiert Singularität den kann, verdichtet die Ambivalenzen historischer Vergleiche am Les deux ghettos
aa
Bi
veröffentlichtem Buch
gemacht,
1960er-Jahren aktiviert werden sollten.
1950er- und frithen
spiten
Artikel
2
...«
.
|
Ne
einem
Zynismus
Auschwitz-Uberlebenden
vor
die in den
hinge-
jegliche Parallele zwischen dem Holocaust und irgendeiner anderen Geschichte, genen jeg gegeben fiir eine Wiederholung g des Holocaust ges dass die Bedingungen fügt g gung: in Chround Jean-Pierre gleicht dem von Marceline seien. Ihr politischer
i=
Berichte und hatte erst kürz-
Ratsherren und der Résistance hervorgegangenen ‘gegang
von linger ignorieren«, 26. Oktober 1961, mit Elie Kagan aufgenommenen Foto eines ces de M. Papon« (»Das Schweigen des Herrn Papon«,
(ebenda, S. 9).
das Krematorium und die Gaskammer«
eine historische
sympathisierende
die öffentlich
FLN«, 19. Oktober 1961); »Vous
| |
|.
|
wenigen linken,
von
Abgeordneten gewesen, hatten. Schlagzeilen der
|
10).
France-Observateur bereits seit Jahren eine Quelle
gefordert Gemeinplätze der antikolonialen Bewegung bedient (etwa Wahrheit kontra Schweigen und Vergessen), was die Zeitschrift auch mit dem entstehenden Holocaustgedenken verband: »La vérité sur les manifestations F.L.N« (»Die Wahrheit iiber die Demonstrationen des
|
|
und nichts kann mich noch überraschen«
algerischen
war
Revolution
lich viele Seiten den Demonstrationen des 17. Oktober
|
|
Diese
i
nistischen Neuen Linken,
|
a
HT
|
in der Seine ertrankt worden sind. Das ist fiir mich nichts
Menge Algerier
mich nichts
i |
die
glaube, wenn
|
1
|
Uberraschendes. Ich fasse das praktisch als normale Tatsache auf. Politisch kann
eine
A
sari
vor
diesenVerlust
| |
re
|
Frage
den Polizeien aller Lander 8 gemeinsam, denen der Verlust ihrer Kolotreibungen B gerade erfahren. Ich habe gestern erfahren, dass nien droht oder die
al
|
das Ghetto noch
Ich
französische Polizei
|
Hi
7
| |
damalige Ansicht geht, doch
envoll, doch sie hat nicht jene besondere
|
|
wenn man
ist immer noch
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|
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es um
ihre
|
1 |
i
dass
um
|
i
i
zwar,
oder
der bloße Akt des
bezogen: »Nein«, antwortet die Uberlebende: auf die Gegenwart 8 g
|
al i
hegte,
Vorstellung von Universalismus subsumieren. Vielmehr hebt bereits Vergleichens Ungleichmäßigkeiten und Differenzen hervor, denn Vergleichen ist keine schlichte Behauptung von Gleichheit oder Ahnlichkeit. Nicht Universalisierung ist hier am Werk, sondern multidirektionale Logik. Um Duras’ Essay in seinem historischen Kontext zu begreifen, müssen wir auch den Erscheinungsort berücksichtigen. Herausgegeben von dem antikolonialen Autor und städtischen Abgeordneten Claude Bourdet, einem Sprecher der nicht-kommuabstrakte
eine
Y
in dem
+
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d’Algérie,
S.
1951,
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{1
aus
Al
zu
fragen,
dem die Polizei
ob
es
denn nicht
künftige Weltgeschichte das S. 6
Algerien
in
Abgeordnete gebe,
Dritte Reich nicht mit dem mit
f.).
belegt).
|
|
u. a.
Les belles lettres
|
Rassismuserfahrungen reich in den letzten Phasen des Krieges immer wichtiger, speziell bei den Ereignissen, die zum 17. Oktober führten, sowie am 17. Oktober selbst. Dieser neue Schwerpunkt
Genozids
gesetzten
|
| Le a
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zwar
|
die in Chronik
Sommers
eines
in der
vateur
|
vom
.
Verständnis dessen,
belegt
Krieg und
was im
bei der
Dekolonisierung
auch schon Chronik eines Sommers die
neue
zu.
algerisch-franzésischen Schriftsteller Henri Kréa in France-ObserOktober, Le racisme est collectif, la solidarité individuelle (Der Ras-
26,
kollektiv, die Solidarität individuell), verbindet jüngere Ereignisse mit der
ein-
Vergangenheit.”
lung der
Wie Duras’ Artikel scheint auch
Text, der auf Interviews mit Renault-Arbeitern beruht, die die Einstel-
Kreas kurzer
gegeniiber Algeriern und Algeriwenig vom Format des gerade angelaufenen
autochthonen franzésischen Arbeiterklasse :
.
sollten, zumindest ein
erinnen ermitteln
Films Chronik eines Sommers inspiriert worden
.
-
.
sein; Chronik wird in derselben
zu
|
Ausgabe nur einige Seiten spater besprochen. Den Artikel begleitet ein Foto,
Metropole iiberschneidet sich mit den Mobilisie-
rier im Palais des
rienz«
(»Erinnert
an
dem Tausende der
wurden. Die Bildunterschrift lautet: »Cela
Sie das nicht
cher Hinweis auf die
berüchtigte rafle
einem der Orte,
Sports zeigt,
festgehalten
Verhafteten
|
an
was
neuen
stand. Sicherlich
Jahrzehnte zuriickliegenden
zwei
Du
in Frank-
der Folter als Auslöser dessen erlebten,
Spiel
sismus ist
die nationalsozialistische Besatzung, sagte aber nicht unbeSpezifisches über die Opfer der Nationalsozialisten aus (obgleich
Erinnerungen
.
.
Ein Artikel des
wurden, bevor
antijüdischen
Razzien während der
Alge-
vous
rappelle
ein deutli-
Besatzung und speziell die Juden und
1942, bei der Tausende »fremde«
du Vel’ d’Hiv’
sie nach Auschwitz
man
ne
das
17. Oktober
am
etwas?) Bild und Bildunterschrift sind
an
vom Juli Jüdinnen von der französischen Polizei verhaftet und
Primo
Levi »die Erinnerung an das Verbrechen« genannt hat: eine schmerzhafte Erinnerung Raums an ein vergangenes Trauma). Die zunehmende Rassifizierung des öffentlichen
A
deportierte,
im Radrennstadion
festgehalten
Mittels des bildlichen Ausdrucks
nagenden und nicht artikulierten Erinnerung werden Holocaust und die Repression der Algerier und Algerierinnen in Beziehung gesetzt durch ein Bild, dass die multidirektionale Uberschneidung zweier zwischen etwas erneut auftauchendem und kollektivem Vergessen gefangener Ereignisse ausdrückt. einer
Wi
22, i
dieser Zeit, wie
|
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The Invention
of Decolonization
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der Bezugnahmen
»Rasse«
und
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nicht
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France, Ithaca 2006.
https://pdfify.app/trial
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überall, auch
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den Film Exodus sehen.«*4oe Indem
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.
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denen, die wei-
1960 erschienene 1
9
Premingers
Die
Wan-
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nicht schwerfallen,
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finden;
wird Ihnen
nen, wenn sie
Form
vollständig verständlich werden lässt.
erhält:
.
)
i
es
diesen
komparative
Mi auch Kréas Artikel das Verhältnis
.
Krie-
des
se
zu
ov
:
Darstellungen legt den
stetem Mobilisierung von Solidaritäten über rassifizierte Identitäten hinweg bleibt del begriffen und nimmt erst in dynamischen, multidirektionalen Bewegungen Gestalt an. Invention of Decolonization: Algerian War and the Remaking Shepard,
Siehe Todd
|
ie undder Schlussphase Algerienkrieg des Krie
vorgegeben
Rassismus
zu
erweitert
Einstellung
teri
|
geleistete historische Kontextualisierung
auf
|
vermehrt auf »Rasse« und Rassismus
beiden historischen
helfen
Text
algerischen Kollegen zu reflektieren, bemerkt einer der Interviewten: »Viele französische Arbeiter begreifen immer noch nicht, dass sich zwischen Frankreich und Algerien eine Tragödie abspielt. Die Anführer sind dafür verantwortlich; sie schweigen. Und wenn sie doch sprechen oder etwas schreiben, dann sagen sie in der Regel nichts. Und niemand hört zu. Was den Rassismus angeht, nach deren
|
|
uns
.
fizierungsgeschichten um neue Aspekte und warnt vor allzu wohlfeilem ParallelisieArbeiter ren. Aufgefordert, das Projekt einer Befragung autochthoner französischer
verste-
formulierte These kann
möglicherweise
Bezug genommen wurde. Die Gesamtschau der Zeit dem nahe, ges sowohl Kontinuititen als auch Brüche
A
HA
N
hen, weshalb gegen Ende des Krieges
aul |
WiWie Duras’ _
vom
(Paris 1961,
diskutierte,
|
DL |
|
et
französischen Staat gegen die Algerier eingesetzten Praktiken herzustellen S. 197). Dennoch scheint sich das Herstellen solcher Parallelen um den 17, Oktober herum zugespitzt 2u haben; auch scheint sich damals ein stärkeres Bewusstsein der der Judenverfolgung herausgebildet zu haben. Todd Shepards weiter unten
Zeit und den
von
i
el a | He | i
racisme
net
et al 1 |
le
1950er-Jahren
suchte«
Ha)
-
Partei Frankpour la paix (MRAP), eine der Kommunistischen die bereits in den mit zahlreichen nahestehende reichs jüdischen Mitgliedern, Organisation »eine direkte Parallele von französischen Staatspraktiken der Vichyfrühen vement contre
er:
HeMe
auf Analogien
zwischen der antijiMobilisierungen, die sich anti-algerischen Viktimisierung stiitzten, waren keineswegs eine Neuerung House und MacMaster belegen. Sie verweisen insbesondere auf das Mou-
Antirassistische Rhetorik und dischen und der
N
[
Bewegung
dingt irgendetwas viele dieser Opfer die Wiederkehr
A
|
an
zwar an
aber auch wesentlich von ihnen hinsichtlich rungen gegen Folter, unterscheidet sich des Zusammenhangs mit dem nationalsozialistischen Genozid. Die Folter weckte
|0
i
aus
Techniken, doch wurden »Rasse« und die
der antikolonialen
ibe
|
Beitrage
mit einem
dem
nisse diese Aufmerksamkeit
Antirassismus.??
France-Observateur erinnern
Bois’ Aufsatz über das Warschauer Ghetto und
|
|
die Oberfläche brachte: die Rhetorik des
Duras’ Artikel und andere
H
4
mehran
lenkte die Aufmerksamkeit auf die
Aufmerksamkeit für Fragen der »Rasse«, gerade die Diskussion, die zu Marcelines präzedenzloser Aussage führt. Ende 1961 nahm aufgrund der damaligen Verhält-
|
Rhetorik, die die Besonderheit des nationalsozialistischen
späten Phasen des Krieges (wie
| | Ai | i |
|
|
eine
auf
|
torik, die mit Gefühlen französischer Nationalschande und des Patriotismus arbeitet, nun neu
Worten: Ein
ren
sam
derselben
Diese durch und durch antifaschistische Rhe-
.
Krieges
Rassismus und führte
ihre
Hinzu kam
|
:
dann
an
hervorgegangenen System verwechselt und beiden
findet sich auch in den
14 N
der Resistance
um
Verachtung begegnets (Y a-t-il,
|
;
erledigte,
die »sich wünschen, dass die
|
1
der Résistance folterte, mit dem, Arbeit
schmutzige
|
|
|
Angehörige
Opfer von häufig zur Analogisierung von Algeriern und Juden. Mit andeneues Bewusstsein von der Spezifik des Holocaust entstand gemein-
Frankreich während des .
in
dass die Besonderheit der nationalsozialistischen Repression der Juden und Jiidinnen die Gestapo im Fokus gestanden hätte. Beispielsweise vergleicht er den Ort, an dem
||
|
283
»ERINNERT SIE DAS NICHT AN ETWAS?«
8. EINE GESCHICHTE DREIER GHETTOS
282
Henri Kréa, Le 26. Oktober
24
Kréa, Le
racisme
est
collectif, Ia solidarité individuelle,
f. 1961,S. collectif, S.
racisme est
14
15.
in:
France-Observateur,
|| |
a
f
|
Verfilmung
|
|
riern und
Mae
|
|
|
|
| 11
der
1
ie
eine solche Reaktion
Bürger
und
konstatieren, und bereitet dadurch den Boden fiir
der Zukunft. an
und will
sie so
sie
zwar
Auseinandersetzung Der implizite Hinweis
auf ein entstehendes Bewusstsein
auf die von
der
antijüdische Spezifik
durch den
Vergleich
U
der französischen Kollaboration. Anstatt diese
7
zu
|
Wer HE
|
nur
| | | ih je HL il
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|
weiteres
Beispiel
| |
ere
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|
unbedingt
politischen Projekts. Weit Bedeutungstrager zu sein, tritt der
universellen moralischen und
Holocaust in seiner Besonderheit als Teil
|
schiedlicher Geschichten
extremer
eines
multidirektionalen Netzwerks unter-
Gewalt, Folter und rassistischer Politik hervor.
Arabische und jiidische Geschichte im Frankreich des weise
| |
Politik und nicht
für die
etwa
|
|
zusammenzubringen
Algerienkriegs méglicherVorstellungen
wird nicht durch zeitlose oder abstrakte
-
| |
zeigt
| |
auf
Unfähigkeit Frankreichs vorschlagen, den
produktiv zu interpretieren: als einen Schritt im Kontext längeren Aufarbeitungsprozesses. Die französische Komplizenschaft wird zwar
im
angepasst,
jekte völlig
politischen Unbewussten des Textes registriert, doch dies dient als Platzhalter
um neue
französisch
Formen der zu
machen
Integration
zu
erfinden und seine Kolonialsub-
(Invention of Decolonization, S. 50). Doch selbst
fiir eine
|
revidierte Universalismusformeln, die im Namen der
aber Ausdruck einer
|
bestimmte Differenzen anerkennen konnten
kiinftige explizite Aufarbeitung. Als Geschichtsschreibung unzureichend, Frühphase des öffentlichen Bewusstseins vom Holocaust und des der Verantwortung Vichy-Regimes, lässt diese selektive Erinnerung vermuten, dass Zeitgenossen die wichtigste Verbindung zwischen den Ereignissen in der beiden zugrunde liegenden rassistischen Ideologie sahen. Die Wahrnehmung, dass es eine rassistische Logik im dekolonisierenden Frankreich gibt, registriert nicht nur einen erst in
letzter Zeit
eingehender
unter-
mégliche ethische Auseinandersetzung mit der Frage Komplizenschaft aus. haufigen »Mahnungen« des Holocaust von France-Observateur und anderen
einer früheren französischen Die
||
I|
des Holocaust (wie
sucht haben, sie lést auch eine |
aber nicht
davon entfernt, ein frei schwebender, universeller
Geschichte aufzuarbeiten, möchte ich eher
Prozess, den Historiker und Historikerinnen
| ort |
Auslassung als ein
deuten, seine eigene
|
|a
i
Razzia in Paris
mit der
liegt der Augenmerk immer auf der nationalsozialistischen
|
samen,
sie
der französischen Öffentlichkeit mit
eke
I|
der Geschichte des Kolonialismus und der
tragen
geben. Gleichzeitig Dekolonisierung betrofzu
aufdieses entstehende Verständnis des Holocaust als Teil eines gemein-
| |
|
Regierungspolitik
gegen die
Dekolonisierung erkannt wird). Dass die Nationalsozialisten bei der Razzia französische Komplizen hatten, wird aber offenbar nicht erkannt. Diese Leerstelle ist gar nicht ungewöhnlich, in zahlreichen Erwähnungen und Andeutungen der Razzia des Vel’ d’Hiv’, die ich fiir das Jahr 1961 gefunden habe, sie
A
von
einige
der Besonderheit des Holocaust
fene Menschen
den Nachhall der Ver-
dieser lobenswerten politischen Absicht verbirgt Frage, beziehungsweise macht retrospektiv erkennbar: die
jüngeren Geschichte.
verweist
|
beziehen sich
von
heit
der
i
dazu bei, einen Eindruck
sich eine andere
nach der Leerstelle in der
a
|
Maßstab, der
andere Geschichten
eines
Gegenwart erkennen,
wesentliche ethische
|a i |y
einem universellen moralischen
Verweis auf das Vel’ d’Hiv’
in der
1
|
sie
zu
|
|
um
demnach nicht einfach
sich auf andere Geschichten anwenden lasst, sondern
die
Juden und Jiidinnen,
Frankreichs aufzuwecken, damit
Bürgerinnen
caust wird
| die Razzien gegen
mobilisieren. Hinter
1)
von
Vorstellung von dessen Spezifik, die sich Kampf um Algerien ergibt. Der Holo-
der Konfrontation mit dem andauernden
diasporischer Solidarität bedingt. Ebenso, wie sich Du Bois und den kommunistischen Herausgebern von Jewish Life Analogien anboten, um auf die spezifische Geschichte des Kalten Kriegs zu reagieren, belegen auch die mit den Ereignissen des auch wenn die17. Oktober zutage tretenden Analogien einen besonderen Kontext kann. In The Invention nie bestimmen (Die of Decolonization deren Form ser ganz akribisch dokumentierten der einer Darstellung der Entkolonisierung), Erfindung Frankreich wahrend der Schlussphase des juristischen und politischen Diskurse in Todd Shepard, dass der Kolonialismus nicht nur die Paradoxien Algerienkriegs, des franzésischen Ideologiekonsenses eines republikanischen Universalismus verschirfte; bereits die Vorstellung einer Dekolonisierung gab Anlass, die französische Identität entlang immer stärker rassifizierter Grundlagen neu zu bestimmen. Bemiiht, sich aus einer ausweglosen Situation zu befreien, nahm Frankreich Abstand von einem grundlegenden republikanischen ideologischen Dogma, wonach »rassische« und ethnische Differenzen bedeutungslos seien. In den ersten Jahren des Krieges hatte der franzésische Staat seine universalistische Ideologie radikaler Gleich-
gangenheit
| i
7
in
France-Observateur »erinnert«
|
|15 \
die Situation
zu
aus
verlaufende Geschichten, und assoziiert mit der
Algerier und Algerierinnen
Holocaust als vielmehr eine aufkommende
Hintergrund von Holocaust und Israel anspricht, entlarvt der algeri-
dem
Algevon Juden und Jiidinnen im 20. Jahrhundert Algerierinnen. Das ist ein anschauliches Beispiel dafiir, dass die Logik der Erinnerungsarbeit nicht die eines Nullsummenspiels ist. Bereits die Aufdeckung von Ungerechtigkeiten bei der Anerkennung unterschiedlicher Geschichten tragt zu einer Neuausrichtung des öffentlichen Diskurses bei: Die starke emotionale Reaktion auf Exodus wird zum Anlass, das Fehlen einer vergleichbaren Reaktion auf die Notlage zugleich
|
|
erfolgte Gründung es gebe parallel
vor
des Staates
| |
|
| |
Leon Uris Roman über die
sche Arbeiter den Irrtum,
A
||
von
Antisemitismus
|
| A
8
285
»ERINNERT SIE DAS NICHT AN ETWAS?«
|
|
|
Hl
Mm
7 |
1%
8
284
|
he
8. EINE GESCHICHTE DREIER GHETTOS
antikolonialen
Organen
wie der
gegen den Kolonialismus
Untergrundzeitschrift
belegen weniger
eine
Vérité-Liberté in ihrem
Universalisierung
der
Kampf
Bedeutung
ay
Hi AN
|
https://pdfify.app/trial
des
-
| | |
|
|
Gleichheit
einer
Franzosen
|
von
affirmative action oder positiven Diskriminierung, von den »promotion exceptionnelle« (»auSergewohnliche Férderung«) genannt entsprachen nicht den Forderungen der algerischen Unabhängigkeitsbewegung. Anstatt sich dem Paradox zu stellen, dass ein Staat zugleich kolonialistisch und universalistisch sein kann, stiitzte sich Frankreich, wie Shepard argumentiert, auf eine dem »gesunden Menschenverstand« entnommene Vorstellung rassifizierter Identität: »Die Franzosen erkannten, dass sich die Algerier als Gruppe so sehr von anderen französischen Bürgern unterschieden, dass sie in der Französischen Republik nicht auch Varianten
|
Herstellung
dazu zählen, besonders überraschend,
-,
untergebracht Doch bis
zu
der FLN immer gesagt hatte. [...] Algerienkriegs lehnten die franzésischen Fiihrer
werden konnten. Dies
den letzten
Jahren
des
war
es, was
a |
|
|
{1}
i|
VON
|
diese
|
THE
STONE
287
FACE
|
|
nialismus hinter sich lassenden Frankreich. Vielmehr
|
multidirektionale Antwort, die nach einem ethischen und
Akzeptanz
zu
(ebenda, S. 2 £). Diese der der Dekolonisierung« geprägte Perspekveränderte, laut Shepard von »Erfindung die unangenehme Tatsache zu beschönigen, dass ein Regime, das tive und Politik vorschriften oder Traditionen stützten, als schwach erwiesen«
|
|
Kl i| 4
tätsvorstellungen
NL
gie und die
Das
Frankreichs
Spannungsverhiltnis, reale »rassische«
Shepard zufolge
in dem
republikanische
die
Ideolo-
|
Gesicht, 1963). Hier verwandeln sich Duras’ zwei Ghettos
if | Hs,
sische Bedeutung des Oktobers 1961 Ereignisse, auf die Shepard nicht direkt zu sprechen kommt, die sich aber in jener entscheidenden Übergangszeit ereigneten, -
ok
Einstellungen der Franzosen allmählich Shepard beschriebenen ideologischen und politischen Verschierassifizierte Minderheiten kurz- und langfristig verheerend
in der sich die französische Politik und die
i id ia
veränderten. Die
vi
bungen
IM
aus,
von
wirkten sich
doch schuf die
auf
Verschiebungen
diesen
von
bewirkte
ideologische
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zeitgenössische
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|
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noch nicht
gebührend Rechnung getragen
Erinnerung
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I IM
Die Artikel
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Jektuellen halten die
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|
tät herstellen. Anstatt aber die
|
behaupten |
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|
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der damals
was eine
ob sie
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mit
den
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die
|
Identität
Rassismus
Fragen
7
zu
tun
hat, oder
wenn
Krea
Belege
sich damit ebenso
wenig zum Spiegelbild des
für .
ungleiche .
affektive
traditionellen
25
|
den ersten Roman handelt, der die das
um
Ereignisse des
fiktionale Werk,
einzige
17. Okto-
das unmittelbar
nach
Stone
Face erzählt
afroamerikanischer Romanautor und Journalist, der seit 1951 in Paris von
Simeon Brown, einem
Staaten verlassen
hat,
um
Journalisten und Hobbymaler, der die
dem dort herrschenden endemischen Rassis-
aber auch den
sogleich von
der Last des amerikanischen Rassismus befreit. Er fin-
mit
den
Begegnungen nicht nur mit
Europäerinnen.
jungen
Bald
Intellektueller,
beginnt
son-
Simeon eine
Frau, die zunächst als polnische Exilantin
William Gardner Smith, The Stone Face, New York 1963. Siehe zu Smith’ Roman: Gilroy, Race; Ross, May 768 and Its Tyler Stovall, Preface to The Stone Face, in:
Afterlives; 8 Against Studies (2004) 3, S. 305-327; Stovall, The Fire This Contemporary French and Francophone 98 (2000), Yale and the War,
one BackAmericanExpatriThe tes .
Reaktionen
im
182-200.
Smith schrieb
vor
Deutschland der frühen
Algerian
Stone Face
Nachkriegszeit,
einen
New York 1948. Siehe
Gilroys Bemerkungen
der sich
zu
French Studies
in:
Roman über afroamerikanische Soldaten
auf
»Rasse«, Nation und Gender befasst: William Gardner
sie
|
https://pdfify.app/trial
um
Romanze mit Maria, einer schönen
|
EN
von man-
Soziologen Paul Gilroy, der Literaturkritikerin Kristin Ross Tyler Stovall die ihm gebührende Aufmerksamkeit erfahren.”
dern auch mit weißen Amerikanern und
iil
LE
Komplizenschaft,
Werk
Solidarität und die Verstri-
einer Vielzahl afroamerikanischer Künstlerinnen, Musiker und
republikanischen Univer-
anata
sich
fühlt sich Simeon
:
Geschichte anfiihrt, dann machen
außergewöhnliches
ist, letztlich wendet sich The Stone Face
det sich rasch mit dem Leben im Ausland zurecht,
je
.
es
das Verhältnis
zu
oder polnisch-jüdischen Gesprächspartnern und ;
Wenngleich
um
-
ich multidirele
von
Vordergrund, ein
Neben-
gewaltsamen Reaktionen, die dieser Rassismus in ihm auslöst, zu entkommen. Simeon hat als Jugendlicher bei einem rassistischen Angriffs ein Auge verloren; die Augenklappe, die er seitdem trägt, belegt die anhaltende rassistische und die stets von Individuen ausgeht, die Gewalt, die er als Erwachsener erleidet ein gefühlloses, unmenschliches, »steinernes« Gesicht haben. In Paris angekommen,
—,
die jüdische und die algerisch-muslimische
|
Formen
ein
Vereinigten
eben jenen antirassistischen Universalismusreproduzieren würde, die Aufmerksamkeit auf Krise durchlief lenkendieseArbeiten ändert, nachdem, Duras die Zeitform ihrer
auf
He
analoger
es
lebt, die Geschichte
antikolonialen Intel-
was
komplexeres
implizit thematisiert in
die nationalen Gedächtnisse Frankreichs undAlgeriens. In The
Verschiebungen der französischen fiir das,
stören.
in ein nur
-
Ereignissen publiziert wurde, bleibt The Stone Face in den meisten Debatten über Erinnerung an das Massaker unerwähnt; diese Diskussionen konzentrieren sich
Smith,
|
Musterbeispiel
Genderfrage
auf
|
algerisch-muslimischen
-partnerinnen
Pit
simple
Erfahrungsasymmetrien. Wenn .
it |
fest und sind ein
zu
ber 1961 thematisiert, und auch
|
schiedlichen, auch unterschiedlich unterdrückten Gruppen anamnestisch Solidari-
N
|
Shepard
die
in Smith’ Roman in den
chen wesentlichen Erkenntnisse über
Doch obwohl
hatte.
publizistisch aktiven
dokumentierten
tritt
Großzügigkeit
und dem Historiker
tionale Erinnerung genannt habe: Sie antworten auf die spatkoloniale Herstellung rassifizierter Identitäten durch den französischen Staat, indem sie zwischen unter-
|
| | i |
von
Ideologie
Politik und
i ae | HA
I | |i i |
Duras und anderen 1961
von
politischen Raum jenseits
Forscherinnen wie dem
|
Inkohärenz
drei Ghettos: The Stone Face
zu
facettenreiche,
kollektiver Erinnerungen ab und riskiert, diese Einsichten zu »vergessen«. Viele Jahre ignoriert, hat The Stone Face jüngst von bedeutenden Forschern und
iL Von zwei
Zugleich
—
und Politik
multidirektionaler
mus,
|14i
eine
ckung
Ereignissen verbinden konnten,
Krise mit vergangenen
in
Duras’ kurzem Artikel
auch einen Raum, in dem Intellektuelle und Aktivistinnen wie Duras, Bourdet und
A
wir
einander dreier Ghettos.
Diskriminierung standen (»rassische« Diskriminierung
meint hier, die Bedeutung »rassischer«/ethnischer Differenz ebenso wie offenen Rassismus anzuerkennen), hat direkte Folgen für unser Nachdenken über die zeitgenös-
sie
William Gardner Smith’ Roman The Stone Face (Das steinerne
darität, finden
|
aus.
geben
|
sich Gleichheit und Universalität verschrieben hatte, fremde Länder annektieren und Politik und Identibeherrschen konnte. Dieser Wandel wirkte sich nachhaltig
aufdie
zu
des vorherrschenden Gegensatzes zwischen dem Besonderen und dem Allgemeinen sucht. Eine ähnliche Differenzierungsarbeit, ebenfalls vor dem Hintergrund der Soli-
|
half
CE
Vertreterinnen der neuen, rassifizierten Besonderheit des den Kolo-
funktionieren, der die traumatische Einsicht verdeckte, dass Ideologie als solche im Kern paradox war: »Rasse und Ethnizi-
6).
der Differenz
auf
14
salismus wie
|
S.
(ebenda,
ab«
Die
republikanische tät erschienen als aussagekräftige Marker, um zu erklären, wer als französisch gelten Gesetzeskonnte, und das zu einem Zeitpunkt, an dem sich Definitionen, die sich die
Hi | |a
a
DREI GHETTOS:
begann
Behauptung energisch
‚wie eine Art Fetisch
|
4 |
|
ZU
|
|
|
Am
-
ZWEI
GESCHICHTE DREIER GHETTOS |
|
|
8. EINE
|
We
|
286
1
Fragen von Conquerors,
faszinierende Weise mit
Smith, The
diesem Roman
in
Last of the
Against Race.
Mal |
|
©
|
|
|
beschrieben wird. Durch
|
:
|
|
Er wird
Unbehagen
|
ser
i
und Teilnehmer der Demonstration er
im
Zuge
17. Oktober. Simeon wird
vom
der Demonstration einen Polizisten
angreift,
der Haft entlassen, nachdem die Polizei ermittelt hat, dass
um
sich
an
Wohnblock
gebe
es
er
gesamten Vereinigten einen
neuen
von
insbesondere der
algerischen
UM
sprüche
ihrer
Arbeiterschaft in der
Metropole.
Der
vor
dem
und machte die Wider-
Ausgewanderten ungewöhnlichen Situation als »privilegierte« people of color eine Krise
aus
in Paris
Hee iH | ar
aufgrund
der
Kolonialreich
a
Spannungen, folgten. Wright und andere sahen sich
|
Lage, sich
zum
und ging seinen deutschen
Hil
a
Erkenntnis der
ai
daran erinnerte, dass sich solche Konflikte auch
Hintergrund des nationalsozialistischen Genozids und der zuriickliegenden nationalsozialistischen Besatzung abspielten.
vor
ee: |
er
dem
noch nicht lange
26 27
HE i
Stovall, Fire, S. 186, Siehe Stovall, Fire, für eine Zit.
n.
algerischenUnabhängigkeitskriegs ;
Darstellung der Wirkung des
aufafroamerikanischeAuswandereruofndAuswanderinnen. Weiteres dazu bei: Stovall, Paris New York 1996; Michel Fabre, From Harlem
the
Noir: African Americans in Paris: Black American Writers
le | | 4
City
in
Light,
to
https://pdfify.app/trial
Zeuge
anti-algerischer Brutalität, wobei Schlagstock über einer Frau,
schwang
|
zugunsten der Frau und ihrem Kind einge-
|
schritten ist,
|
einem
er
seinen
findet sich Simeonmit Tausenden anderen verhafteten Demonstranten in
Ein Algerier spricht ihn Lautsprecher angesagt wird, dass »die Algerier in dem Stadion bleiben würden, bis man in französischen Gefängnissen, Krankenhäusern oder Lagern für sie Platz gefunden hitte; des Weiteren, dass man die Agitatoren unter ihnen in ihre Ursprungs-douars zuriickschicken werde: in die algerischen Konzentrationslager, in denen sie geboren wurden«(S. 205).?® Auf dem Boden des Stadions sich der Roman zubewegt hat: liegend, gelangt Simeon zu der Einsicht,
als
| |
|
|
»riesigen Sportstadion« wieder (dem Palais des Sports).
»frére« (Bruder)
an,
während über
auf die
|
Auge hatte
und bevor
einschlum-
»Der Schmerz in
seinem
|
merte, dachte
noch: Das Gesicht des französischen Bullen, die Gesichter
|
Chris, Mike, dem Seemann, das Gesicht des Nazi-Folterers
er
etwas
nachgelassen,
Dachau, das Gesicht des hysterischen Mobs leranten
Kapholländers
und des
die schwarzen Gesichter
|
Wo auch
immer
in
von
| |
war sein
Durch die
|
| |
28
Mir
er
von
in Buchenwald und
Little Rock, das Gesicht des into-
portugiesischen
Schlächters in
Lumumbas Mördern
sich dieses Gesicht wiederfand,
immer dieses Gesicht fiirchtete oder unter ihm
|
|
in
die ein Kind hielt« (S. 203), Nachdem
France, 1840-1980, Urbana 1991.
A A| A
spielten
Die histori-
des Rassismus vorweg. Am Abend des
zahlreicher Szenen
|
|
i I1 a Hl | ee
überlebt hatten,
vingt-et-un« (S. 202).
eine besonders hervorsticht: »Ein Polizist
-
es war
es war
zu
sein
das
Angola, und ja, gleiche Gesicht,
Feind; und
leiden hatte oder
es
wer
auch
bekimpfte,
Bruder.« (S. 205 f)
Verkniipfung von Gewaltepisoden aus multiplen persönlichen und histori-
schen Kontexten erinnert diese
SE
Konzentrationslager
offenkundigen Nahtlosigkeit
17. Oktober wird Simeon
äußern, weil sie ihre französischen
algerische Revolution sprach.”” Noch erstaunlicher, dass Smith weisprach die »Rassen«-Frage an, die Afroamerikaner und Algerier ebenso
verband wie auch trennte, indem
gar die
Besatzung oder
schen Assoziationen in Simeons fokussiertem Bewusstsein nehmen seine wachsende
mend iiber die ter ging: Er
17. Okto-
den
den alten Cafés Karten, Domino oder quatre-cents
|
ihrer antikolonialen Uber-
Krieg zu Gastgeber nicht beleidigen wollten; einige, darunter James Baldwin, verließen Paris noch während des Krieges. Smith war einer der wenigen, der explizit und zustim-
zeugungen nicht
Hit LI A
in der
trotz
vom
jenem Abend, wobei die Einzel-
an
Tag legen: »Derweil schlief der Großteil der Stadt sorglosen Weg. [...] Ältere Leute, von denen viele den Albtraum der an
|
Community Stovall zufolge zumindest teilweise die auf den Kollaps von Frankreichs nordafrikanischem
erkennbar; letztlich zerbrach die
der Demonstrationen
Repression
zeitgenössischer Berichte entsprechen. Smith erzählt die Hintergrund einer allgemeinen Gleichgültigkeit, wie sie sowohl
Offentlichkeit
die Pariser
gesellschaftli-
franzésisch-alge-
Héhepunkt
Simeons amerikanische Auswandererfreunde, die schwarzen wie die weißen, als auch
Algerier
Staaten
sich auf den
und beschreibt detailliert die
Ereignisse
Staaten zurückzu-
in
»mehr Freiheit als in den
IE
|
zu
heiten denen vieler anderer
dann aber
kein
die Vereinigten dem afroamerikanischen Kampf für Bürgerrechte
rische Konflikt löste bei den
|
|
alge-
chen Kontext gewonnene Freiheit ihren Preis: Die Privilegien der Ausgewanderten standen im Widerspruch zur Lage der französischen Kolonialbevölkerungen und
a et Ha
|
ber
Simeons, der sich der Leere
‘Amerika«.26 Doch hatte, argumentiert Stovall, die durch
|
Mittelpunkt
zu beteiligen. aussagekräftige Darstellung des Lebens afroamerikanischer Auswanderer in Paris vorgelegt. Die afroamerikanische Commudessen Einstellung gegenüber nity von Paris hatte Richard Wright zum Mittelpunkt, Ausdruck kommt, in einem PariFrankreich in seiner kolportierten Behauptung zum
|
pe
revidieren. Im
bewegt
‘The Stone Face
und die
Eindruck
Smith hat mit The Stone Face eine
a)
|
zu
die
Zeuge
aus
kehren,
fo | Lo
beginnt
ersten
er seinen
in Paris und des schlimmen Schicksals seiner
ist. Am Ende des Romans beschließt Simeon,
lap
Kolonialgeschichte
Beziehung zu Maria, die ihren Traum verfolgt, ein Hollywood-Star zu Seite seiner algerischen Freunde und Freundinnen: schlägt sich auf
Zerfall seiner
rasch
|
die
|
werden, und
Lumumbas Tod
Komplizenschaften, oder:
Simeon Kon-
rischen Freunde und Freundinnen bewusst wird. Schließlich durchlebt Simeon den
verhaftet, weil
2
7
um
rassismusfreien Paradies
privilegierten Lage
seiner neuen,
inp
|
einem
ihn herum. So
des zweiten Romanteils steht das wachsende
|
Wi a
|
Frankreich als
von
|
i
zufälliger Begegnungen knüpft
289
KOMPLIZENSCHAFTEN, LUMUMBAS TOD
Dank seiner Freundschaften mit
gewaltsame Dekolonisierung
|| | 11]
a
Reihe
ODER:
GESCHICHTE DREIER GHETTOS
algerischen Community. zu Angehörigen Algeriern und Algerierinnen erfahrt er mehr iiber
|
|
|
eine
der
takt
ae
|
8. EINE
288
it
a
7
|
Passage
durchaus
an
das
von
Paul
Gilroy konstatierte
Orten, Bericht bekannt, davon erzählt, dass denenAlgerier Smith” verkündet wurden, wurde zutreffend. Mehrere Lager friedlicheDemonstranten inihren HundertGegner Darstellung Gegnerinnen Regierungspolitik d'origine verschickt Lager, ist kein anderer
der
an
den
an
doch ansonsten ist
inhaftiert waren, offen die französischen Pläne
in
douars sächlich als
—
Konzentrationslager
die
bezeichneten.
und
der
tat-
al!
||
|
|
8. EINE GESCHICHTE DREIER GHETTOS
290
iBl
ODER:
KOMPLIZENSCHAFTEN, LUMUMBAS TOD
|
291
|
»verallgemeinernde Argument«,?
|
| Ad|
veröffentlichten Rezension
|
|
|
|
|
eine 8 gewisse Distanz: Komplizenschaft P
1 |||
andere) und hin
Gesichtern, die als Typen gekennzeichnet werden (der Nazi-Folterer, der intolerante Kapholländer und so weiter). Eine weitere Verschiebung verund Abstraktion: die
Verallgemeinerung
a
ie
geschieht, wenn
Gesichter
von
in
=
zen«
kongolesischen
Mörder des
Evozierung der
Hier stellensich jedoch Fragen. Was
schwarze Gesichter jenem abstrakten »Gesicht«
dem Simeon seinen Feind erkennt?
|
eine
a A(| a
Signalisiert
zugerechnet werden,
Einbeziehung
die
bekommt
|
an
eben jjenem Punkt eine innere Gabelung, 8
feindlichen »Gesicht« eine
ML
kein rassistisches ist,
ist
was
nisierte Schwarze in ihm
|
endgültige Bedeutung zu
an
|
|
|
| |
der »schwar-
wusste
|
|
worden ist, oder ob das Gesicht des Rassismus nunmehr
i|
»gleichbleibenden
sischen« Kennzeichen entbehrt
pP!
Hy
|a aa
Vorstellungen
von
jeglicher
besonderen
»ras-
Briiderlichkeit werden dadurch
wa i4
sierter
|
hat, und wie
er nun
mit dem
|
aus
(Ha
Alternativ
zu
gespalten.
Interpretationen,
die auf Transzendenz oder Abstraktion abheben,
vorschlagen:
möchte ich eine dritte Lesart dieses Passus
i
die
|
Einbeziehung
|
I
m Ma
Lumumbas
Entdeckung
der
Ereignisse
Kongo nimmt (»ja,
Mördern«), zeigt, dass die Realität >
Wende, die
von
es,
|
|
der Kom-
31
CM|
29
|
30
Gilroy, Against Race, S. 324. The Unvarying Visage of Hatred,
in:
New
York Times
vom
S.
32
| | | |
|
|
A
|
LA
https://pdfify.app/trial
weißer Mann
und als
er
zu
sein% Simeon
sich umdrehte, sah
er
vier
von
Subjekte«, das die zurückgewiesen hat, sugdie Worte ihm galten« auch,
einem jener »schlechten
Erkenntnis, »dass
von
Da Lumumbas Mord auf
seine
folgte, könnte
Putsch
Absetzung
sein
Tod
auch
von zu
der
Regierung
durch einen
vom
CIA unter-
einer Reflexion über amerikanische Mitschuld
eine
»rassische« Mitschuld. geben, doch Smith legt den Schwerpunkt stattdessen auf der Dekolonisierung, auf den in Chronik im Kongo sind auch Teil des Kontexts des Films wurde vor dem Putsch gedreht. eines Sommers wird; ein des Begriffs »Kolonie« zur Bezeichnung der Expatriate-Gemeinschaft keine Idiosynkrasie, nimmt aber im Kontext des Krieges zwischen Frankreich und Algerien Kolonie, außerhalb mehr Bedeutung an. Ein Beispiel für die Verwendung des des Kontexts des Krieges, findet sich in: James Baldwin, A Question of Identity: Collected Essays, New York 1998, S. 91-100. Die Unruhen
|
nach-
17. November 1963, BR27.
an, ein
des französischen Staates
Anlass
|
Hi
sich
galten,
Komplizenschaft mit einer Differenzen überschreitenden sein kann, womöglich sogar die Möglichkeitsbedingung einer
Anerkennung
stützten
über die verschiedenen Gestalten des Gesichts
Hy
(wie hier)
solchen Solidarität ist.
von
Begriff
Ansprache
Solidarität verbunden
ti
wichtigste
es
dass die Worte ihm
Simeons scheinbar intuitive
dass die
durch
haft didie Komplizenschaft
beides sicher
sind Lumumbas Mörder sowohl
Staatsapparat ausgeht, sondern
geriert
er
die schwarzen Gesichter .
we
Simeons während seines Paris-Aufenthalts ist. Der
plizenschaft ermöglicht
ik
im
N
Die
irgendwie,
universalisierende
erneut
chend, da letztlich selbst
nicht iden-
Verbindung,
NutznieGer sein. Da die Anrufung 8 in diesem Fall nicht dessen komplizenhafte P
vom
Beispiel der Ermordung
herausstreicht, sind Kategorien der Zugehörigkeit, die auf rassistischer Viktimisierung oder deren Überwindung beruhen, gleichermaßen unzureiLumumbas
XSe || ||
betont
Algerier durchweg
wenngleich
ist
ethische
—
|
roblematisiert. Die Freund/Feind-(oder Bruder/Feind-)Unterscheidung, 8 die Simeon
trastierung
eine
Privileg, »Ehrenmitglieder« des weißen Paris ein Projekt, das gegen zu sein, in Frankreichs spatkoloniales Projekt verwickelt Dritte gerichtet ist. Komplizenschaft beinhaltet, anders als Schuld, zumindest eine minimale Distanz zum Zentrum der Ereignisse; dem Roman zufolge sind Afroamerikaner in Paris keine Tater im spitkolonialen Krieg, sie konnen aber durch-
erfasst, hält der Kraft dieser Erkenntnis nicht stand: Wie der Roman durch seine Konselbstzufriedener afroamerikanischer Auswanderer und vor Ort viktimi-
|} a
i
-
es
Gesichts des Hasses« transzendiert
Rassismus in
des
bedeutet
sein, doch sie
rikaner durch das ihnen unvertraute
erkennen? Ob dieser Abschnitt darauf hinweist, dass
was
Komplizenschaft
zu
verweist auf
Algerier an einem Tisch im Caf& Odeon sitzen« (S. 55 £.). Wie diese klassische Szene 8 Althusser’scher Anrufung avant la lettre veranschaulichen soll, werden Afroame-
versucht, dem |
dann? Wenn aber doch,
Personen)
Schuld unterscheidet,
starkem Akzent ruft: »He! Wie fühlt
dann, kolo-
es
juristischer
aber auch auf
-
zuzuschreiben. Wenn das Gesicht
qo
Richtung
man
sein.
subsumieren. Von
schuldig Passage Komplizen: Sie sind zweifellos des Mordes schuldig, doch ihre Position in der Aufzählung feindlicher Gesichter hebt insbesondere ihre Komplizenschaft mit den rassistischen und kolonialen Regimes hervor, mit denen sich Simeon beschäftigt hat.3! Damit erinnern sie an die Komplizenschaft, die Simeon bei den Angehérigen der »Kolonie« (so eine im Roman in diesem Zusammenhang haufig gebrauchte Bezeichnung) afroamerikanischer Auswanderer und Auswanderinnen bemerkt hat oder die zu bemerken er von seinen algerischen Freunden und Freundinnen angehalten worden ist.2? Zu einem friihen Zeitpunkt in der Romanhandlung spaziert Simeon am linken Seine-Ufer und hért, wie jemand »in einem Englisch mit
antikolonialen Anführers und Premierministers
dem
schuldig
von
zu
zu
gewisse Verbindung,
bedeutet, verantwortlich (verbunden mit
oder
Ereignissen, Vorgängen
eine
als auch
|
»Rasse« und Kolonialismus, oder werden diese Mérder in
Transzendierung von
zu
zusammenfallen kann. In dieser
Bewegung
|
Het
die sich
deuten ließe)? So oder die Reihe rassistischer Täter aufgenommen (wie sich das »ja« ) 8 Passus auszeichnet, die diesen in Richtung Universalismus, so, die starke
fe
8
tisch mit
kolonialer Gewalt, doch
zu
Lumumbas Mérdern«.
i,
|
das Simeon
Verschiebung statt, fort von Gesichtern, denen Bedeutung zukommt (der Polizist, Chris, Mike und
charakterisierende
»schwarzen
i
»Gesichts« auf,
rassistischer oder
stärkt diesen Prozess der
| 1
genau ist das
findet in der Mitte des Abschnitts eine
|
| 7
Beispiele des
Urheber
ersten erinnern an
im Roman
|
was
bestimmten
heimsucht. Die
1
auf
|
Doch
rassistischer Täter
Subjektpositionen sprechen verweist
in diesem Passus und dem Roman meinernde (oder universalisierende) Argument 8
gleichbleibende
Hasses).°°
transzendieren oder alle diese Gestal-
zu
ten unter identischen
Unvarying Visage of
Komplizenschaft
Gesicht des
Der zitierte Abschnitt zählt verschiedene
/ 1
zudenken, ohne »Rasse« und Rassismus
in der New York Times
einer
The Stone Face ausdrückt: The
von
insgesamt? |
der Titel
es
verallge-
Hatred (Das
|
wie
so
angespielt
Smith’ Verwendung
anderes
Großteil
ist
Begriffs
7
fia!)
|
RR
i
|
|
|
|
|
N
/ i
292 So verstanden,
|
||
|
vt
|
Verantwortung oppositioneller Intellektueller
|
kanischer Intellektueller und ihres Verhiltnisses
1|
als solchem
sich
{7
|
Aly
eine
liegt«.?
Doch handelt
aussuchen kénne,
es
es
geht
triumphierende
ist. Laut Sanders’
um
um
Optionen,
von
denen
Als
man
abstrakten Universalismus, da dieser
al
i |
2
mit
lich
a
partikularisierende
stimme Sanders
Hh
I|
Der Roman zeichnet sich
al
||| |
HS
als
zwar
fungiertdiese
klafft; zumindest in Smith’ Roman
produktiver
Raum multidirektionaler
durch einen starken Drang
aus
zu
Erinnerung.
einem abstrakten Uni-
—
in denen sich verschiedene Besonderheiten und
ih i
multidirektional
modifizieren. In den hier |
4
KM
lla
iA
Fragen
ME
He
in die Komplizenschaft Widersprüche, Jüdischseins zusammenhängen.
der Roman bekennt, und der Einsicht
|
i
a
I 4| |
Allgemeinheiten
besprochenen Episoden führt die Anerkennung der Komplizenschaft beispielsweise zu einer Bedeutungsverschiebung sowohl der Besonderheit von »Schwarzsein« als auch der allgemeineren Kategorien »Rasse« und Gerechtigkeit. Zugleich erzeugt die Spannung zwischen dem Universalismus, zu dem sich
|
Wile
|
|
Anspriiche gegeneinanderstellt. Ich Eindrücken besonderer und allgemeiner
-,
oo
i
unweiger-
gekennzeichnet durch die Erkenntnis, dass alle Tater »das gleiseine Hervorhebung der Komplizenschaft widersteht jedoch che Gesicht« haben dieser Abstraktion und fiihrt stattdessen zu nicht-universalistischen Analogien, versalismus
|
dass zwischen den
Komplizenschaft häufig Lücke oder Aporie allerdings
IM
—
und universalisierende
zwar zu,
des Geschlechts und des
Simeon versucht zwar, mit der
nimmt,
zu
brechen, doch kann
er
Komplizenschaft,
dies
nur
die
er um
die mit
sich herum wahr-
durch konkrete Akte der Solidarität errei-
Gerechtigkeit einrichtet. In der Episode, in vom Tod erfihrt, es beispielsweise: »Jeder und hatte Mann in Paris sich schwarze persönlich betroffen empört gefühlt vom Sturz Und sie hatten sich des kongolesischen Premierministers. von seiner anschließenden
chen, nicht indem
er
sich in
einem
der Simeon
abstrakten Reich der
Lumumbas
heißt
pt)
|| | |
verallgemeinerter
Zeitung, die Lumumbas
Beratern
waren
alle Personen auf den Fotos schwarz.
plötzlich
überrascht hoch. Er
starrte das
an.
(S.
171
f.)
Kompli-
|
jedoch zwischen der Verbindung,
Komplizenschaft und Solidarität sind Allgemeinen gefangen: Es sind Formen
dem Besonderen und dem die auf
Unterscheidung
beruhen. Ohne eine zumindest minimale
|
Differenz (zwischen Afrikanern und der Diaspora, Afrikanern und Kolonialisten oder Afrikanern und Neokolonialisten) könnte weder »Solidarität« noch »Kompli-
|
zenschaft« das Gefithl bezeichnen, das Lumumbas Tod hervorruft.
| | |
| |
Diese minimale Distanz wird
Anlass für Akte multidirektionaler Erinne-
zum
rung. Tatsächlich deutet der Roman an, dass multidirektionale Erinnerung ein
ErgebAnerkennung allgemeiner Komplizenschaft sowie der Notwendigkeit sein könnte, spezifischer Komplizenschaft zu widerstehen. Unmittelbar nach Lumumbas Tod Anfang 1961 beginnt Simeon, rings um ihn herum Mitschuld zu erkennen: nis der
| |
»EinZerfallsetzteein.[...] DasGiftdrangweiterindieMenschenein.EineseinerAus-
|
drucksformen
war ein
Ausbruch
|
vielfachten sich,
|
nahme einer
|
die Folter Bescheid. Jeder
von
Chauvinismus: ultrarechte
mit antisemitischen Tendenzen und einer
giiltigkeit
der
Am bedriickendsten
[...]
Bevölkerung angesichts
|
denen Hunderttausende
|
Das
war es
wichtig,
war
auch die
Algerier
hatten,
mit
um
fiir Simeon die scheinbare Gleich-
wusste über die
den
dreckigen
Algerien mit AusKonzentrationslager und -
Slums, den bidonvilles,
Frankreich leben mussten. Aber
in
handeln oder gar
der Ausdruck,
unternommen
| |
zu
wusste von
war
der Geschehnisse in
Minderheit. Jeder
mutigen
zu
protestieren.
Haltung der meisten
Verfolgung der Juden Franzosen.«
(S.
173
nur
in
wenigen
»Wir sind die kleinen Leute«
dem die Deutschen erklärt hatten,
der
Organisationen
weif-suprematistischen Ideologie ver-
ein
Ende
warum
zu
setzen.
sie nichts
Das
war
£.)
| Dieser Passus zeichnet nicht
nur
Paris im Vorfeld des Massakers neue
soziologisch lehrreiches Bild von (registriert werden u. a. der Aufder Metropole). Er analogisiert auch For-
ein historisch und
vom
Oktober 1961
Polizeimethoden in
der Komplizenschaft, wobei der nationalsozialistische Genozid erneut, wie schon
men
ne}
IHae
der
zenschaft mit dem Wunsch nach Solidarität.
stieg der OAS und
1
HM
aus
Bei den Hinweisen auf Lumumbas Tod konkurriert die Erkenntnis der
einem
zumindest für den Intellektuellen, der sich
wie das bei Simeon zweifellos der Fall ist
eine Lücke
-
I
Gerechtigkeit beschäftigt,
-
warnt vor
belgischen
das Foto betrachtete, fuhr Simeon
Diese Gesichter! Diese schwarzen Gesichter!«
die
Jeder konkrete »Fall erzeugt seine eigenen Öffnungen sierung« (Complicities, S. 6). Die Erkenntnis der Komplizenschaft
er
Bild verwundert
|
a
Doch dieses Gefühl
Feinde zeigen:
»Außer ein paar
und Grenzen der Universali-
a
gefühlt« (S. 171).
tritt
zur
sich dabei nicht
laut Sanders
ebenso betroffen
293
Solidaritat verblasst sofort angesichts der Fotografien
iiber die
eigentliche »Aporie der Verstets in einem Spannungsda die eines besonderen Spezifik Anliegens antwortung«, verhältnis zu den allgemeinen Prinzipien der Gerechtigkeit steht: »Wann immer die Gerechtigkeit, wie es stets der Fall ist, im Namen eines spezifischen Anliegens beschworen wird, wird das Risiko bestehen, eine Ungerechtigkeit zu begehen. [...]
i
||
i
Komplizenschaft ein Schliisselbegriff das Nachdenken
Darstellung südafriKomplizenschaft Apartheid die bestimmte auf: eine »im in zwei Formen an Ereignisse gebunden engeren Sinn«, ist, als auch eine im »allgemeinen Sinn«: »eine Komplizenschaft, die im Mensch-Sein
1
|
fiir
|
|} |
| 7
Verhaftung
The Stone Face das Argument des Kritikers Mark San-
bestätigt
ders, dem zufolge
i
|
ODER:
KOMPLIZENSCHAFTEN, LUMUMBAS TOD
8. EINE GESCHICHTE DREIER GHETTOS
33
MarkSanders, zu
Mitschuld
Complicities:
im
Kontext
‘Naomi Mandel, Against Charlottesville 2006.
Intellectual Rassismus und
and
Durham Apartheid, der
2002, S. 8. Weiteres
provokantenUntersuchung: Holocaust Holocaust, Unspeakable: Complicity, andSlaveryinAmerica,
von
the
The
in
the
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https://pdfify.app/trial
in
der Passage über das
»gleichbleibende
Gesicht des Hasses«, eine
spielt. sich gegentiber über Algeri pielt. SiSimeons Fähigkeit, Fahigkeit, sich Algeriern zu verhalten, rührt her von seiner multidirektionalen
und d
prominente
Rolle
Alverieri lidarisch Algerierinnen solidarisc Anerkennung der allgemeinen
7
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1
N
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mes
|
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diese
Anerkennung
sehen
zu
zu
können und
es
zugleich
Simeon, andere Fälle
von
Komplizenschaft
seinen Sinn für Solidarität oder zu
$. 178
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|
ner
kritisch
if| |
die Überschriften der drei Teile
Etappen
und dann
von
|
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von
zur
Simeons Entwicklung
Solidarität
~
von
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on
The Fugitive (Der
Fiichtling),
wählen,
Seite des
Gegensatzes
von
ausgerichtete Herangeabstrakter Universalität
privilegieren.
zu
was
unterschiedliche Bewertungen des Schlusses zeigen. Ross
beispielsweise begreift den Roman als Beschreibung eines »politischen Erwachens, einer neuen politischen Subjektivität, die durch kulturelle Kontamination Gestalt annimmt« (May’68, S. 45). Gilroy hingegen ist der Auffassung, der Roman wende sich von seiner fundamental diasporischen Ethik und seinem kosmopolitischen Bewusstsein ab, sobald Simeon beschließt, »nach Hause« zurückzukehren. Gilroy politischen Subjektivitat der Roman also das Potenzial der von Ross beschriebenen den vor und von einer Forderungen jener engen ist gezeichnet »Kapitulation preis Version kultureller Verwandtschaft, die Smith’ universalisierendes
ZN a
a
ziert aber Kampf politischen Strategie aufzeigt«
gegen den Rassismus die Grenzen des Exils als einer (Fire, S. 197). Die Unterschiedlichkeit dieser Kritiken
die
Widerspritche,
die Smith’ Roman festhalt, aber nicht auflést. Der Roman
bleibt im unlösbaren Problem der
| || ri
trans-
haben schiene
auch, dass der
belegt
He
Argument
(Against Race, S. 323 £). Stovalls Lesart ist zwischen diesen beiden Positionen angesiedelt. Ihm zufolge bietet »Simeons Reaktion auf das PaponMassaker [...] eine internationale, diasporische Perspektive auf den Rassismus, impli2u
Méglicherweise mit Blick auf die dem Universalismuskonzept immanenten Spangerade im franzésisch-kolonialen beziehungsweise -postkolonialen Konnungen betrachtet Stovall die Bedeutung text mit seinem krisenhaften Republikanismus und von Smith’ Roman und der in ihm dargestellten Ereignisse aus einer globalen nicht etwa universellen Perspektive. Wie Stovall in einem kurzen, The Stone Face einleitenden Aufsatz niitzlicherweise bemerkt, erlaubt uns die transnationale Perspektive von Smith’ Roman, die Geografie der Kolonialgeschichte neu zu durchdenken: -sDer Algerienkrieg ist, wie die Kolonialgeschichte im Allgemeinen, nicht einfach cin bipolares Verhaltnis von Metropole und Kolonie, sondern Teil einer Globalge~
~
|
zum
aus
sind keine einfachen,
zendiert
|i H
Verantwortung gefangen, zwischen der engeren
|
|
|
schichte, die Menschen außerhalb der formellen Grenzen des Imperiums beeinflusst
|
|
hat und
von
[...] [DIer Algerienkrieg war Grenzen Frankreichs und Alge-
ihnen wiederum beeinflusst worden ist.
|
ein
|
riens hinausreichten: ein
|
nis des
|
Geschichten interpretiert haben.«® Wie Stovall an anderer Stelle schreibt, bereitete der Krieg auch »den Boden fiir ein neues, komplexeres Verstindnis von »Rasse: und
| |
|
globales Ereignis,
Auswirkungen
Ereignis,
über die
entsprechend
das Individuen
und im Licht ihrer
imperialen Frankreich
ihrem Verständ-
eigenen nationalen und lokalen
globalem Phanomen«, zumindest unter einigen Exilanten f). Der globale Bezugsrahmen ermöglicht ein multipolares
rassischem« Konflikt als
m
wie Smith
(Fire, S. 189
Verständnis
von
Geschichte und der Zirkulation
ginjgen Problemen, die offenkundiger
einhergehen,
versellen |
|
dessen
mit der
Doch selbst bei seinem
von
und
Erinnerung
entgeht
damit
des
ideologischen Begrifflichkeit Ubergang vom
Universellen
zum
Uni-
Glo-
balen last Stovall einige Besonderheiten ununtersucht; die Frage nach den Grenzen der Interpretation drängt sich neuerlich auf.
|
|||
54
HE
a,
(I tl
zu
eine auf Multidirektionalität
anstatt eine
»Dreckiger Jude«: Gender und Judentum
der
zufolge gibt
|
A
versuchen, die unvermeidbare Aporie der Verantwortung zu was es bedeutet, mit dieser Aporie zu leben. In mei-
zu
herauszufinden,
und konkreter Partikularität
The Stone Face ein verdichtetes Narrativ
-,
A Bl | ft
es
Begrifflichkeit gesprochen:
hensweise
»Komplizenschaft mit
ist
erweitern.
Viktimisierung zur Komplizenschaft The White Man (Der weife doch der Drang Mann) und The Brother (Der Bruder) Universalismus kann Lehren diesem die Reste des Partikularen nicht tilgen. komplizierten Szenario Die der
Be
f), Sinnvoller
beseitigen,
nennt;
Komplizenschaft, Solidarität und VerantworAnerkennung, in narrativer Hinsicht, tung bleibt als endgültiges Ergebnis Simeons Entschluss, in die Vereinigten Staaten zuriickzugehen, um fiir eine besondere Sache zu kämpfen: die Bilrgerrechte von Afroamerikanern und Afroamerikanerinnen (eine Riickkehr, die Smith selbst nicht unternommen hat).** So bieten
1
35
|
Sanders, ©
*
Complickten,
S. 12
a
c.
Nac zog Smith auf Einladung Kwame Nkrumahs nach Ghana, dem Putsch 1966, durch den Nkrumah abgesetzt wurde, ging Smith jedoch zurück nach
Später Paris,
in den
wo er
1960er-Jahren
1974 starb.
a
ill
anzuer-
minimieren«.™ Als Afroamerikaner, der in Frankreich
erlaubt
von
Stone Face wirft ein Licht auf diese
streben, »Han-
psychischer Kolonisierung«
allgemeinen Bedeutung
Trotz dieses erweiterten Sinns für
a
|
verallgemeinerne,
zu
dem Menschsein als solchem«
zwar
7
zugleich
-
|
|
-
Tendenz, »Verantwortung-in-Komplizenschaft und danach
sieht sich Simeon erstmals gezwungen, anzuerkennen das, was Sanders »die Intimität
aa
|
bejahen
zu
zu
295
Komplizenschaft. Meine Interpretation von The Aporie und bestätigt letztlich die (von Fanon und der südafrikanischen Black-Consciousness-Bewegung abgeleitete) Einsicht Sanders’, dass Komplizenschaft im allgemeinen Sinn unbewusste Komplizenschaft beinhaltet und mit dem kognitiven Problem der Verkörperung zusammenhängt (Complicities, und der
dieser
|
N
»DRECKIGER JUDE«: GENDER UND JUDENTUM
ungewohnten Privilegien konfrontiert ist, seine eigene Komplizenschaft mit Rassismus
mal
Hl li
GHETTOS
unmittelbar mit kolonialer Gewalt und
a
a 1
der
aus
deln-in-Komplizenschaft
| is ||
| |
entgegenzutreten und
kennen,
|
|
294
|
Verbreitung des Gifts der Komplizenschaft über soziale Gruppen und historische Epochen hinweg. Wie Sanders bemerkt, ergibt sich die Fähigkeit, rassistischen Regi-
|
Ht
1
8. EINE GESCHICHTE DREIER
|
[|
dessen
erste
|
chere
|
|
https://pdfify.app/trial
309, Stovalls
|
| |
Stovall, Preface, 8.
Auszugs aus dem
|
Le
36.
kurzen
|
französische
Erörterung
nischen Lebens
enthält knappe Einleitung Preface dem das Massaker 17. Oktober
Roman
zum
eine
(in
vom
Übersetzung. In
The Fire This Time hat
einer
des Romans imKontext umfassenderen
in
Paris während des
Algerienkriegs vorgelegt.
Stovall
Nachdruck
eines
dargestellt wird) eine etwas
des
und
ausführli-
Darstellung afroamerika-
q
a
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11
|
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11
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7
|
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HN
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geschieht
beinigen
Maria,
so
zu
erfahren wir, ist als Kind
von
polnische Jüdin
wird,
einem nationalsozialistischen Offizier
sexu-
Stereotypen
tiber
in
vor
Rückblickend ließen sich
einem
Holocaust-Uberlebende, die sich seither
|
unerforscht lieBen. Wie es sich mit Marias Unangepasstheit an zeitgeVorstellungen von Holocaust-Uberlebenden auch verhalten mag: Die sich iiberschneidenden Darstellungen Marias, Marcelines und M.s (der Frau aus Duras’
| |
kolonisierten Männern und
|
nahe, dass Gender bei der Aushand-
|
Nor, Hi a |
||| | Hii LA
N a | a |
Loa
fh
Artikel)
-
Frauen, die sämtlich in ihrem Verhältnis
schwarzen Männern inszeniert werden
lung
des
und der
Verhältnisses
der
erster Anblick
Simeons
legen
zu
Holocaustgedenken implizit eine wichtige Rolle
zwischen dem entstehenden öffentlichen
Ubergangsphase
gespielt hat.
-
Dekolonisierung
von
zumindest
Maria betont alles
KZ-Universum verweist oder sie als rassifiziertes seiner Ankunft in Paris sitzt Simeon mit
Babe,
an
ihrem
Subjekt
Körper,
was
nicht auf das
|
| |
| |
|
| a
eu :
||| ii
u
angedeutet,
als Babe sie für den bezauberten
die, eine Polin. Ist
um zum
Erfahrung verbirgt:
»Sie
war
mehr als ein Kind, dachte Simeon. Sie
Schlaf stöhnte
ein Prisma wechselhafter Launen. Im
sie
sehr oft und
sprach
(S. 68). Schließlich enthüllt
Pol-
Maria
Vergangenheit, allerdings zu einem unerwarteten Zeitgefragt hat, mit wie vielen Männern sie geschlafen habe. Sie nennt zunächst zwei, fügt dann aber hinzu: »Vor dir und dem anderen Mann waren da der Krieg und das Arbeitslager, in dem ich wahrend der Besatzung mit meiDer deutsche Offizier, der nen Eltern war, und dort gab es einen deutschen Offizier Lagerkommandant, mochte mich. Ich tat, was er wollte, um mich und meine Eltern am Leben zu erhalten« (S. 76). In ihrer ursprünglichen Darstellung der Lager identifiziert sich Maria zu keinem Zeitpunkt als jüdisch; selbst als der LagerkommanSimeon ihre traumatische -
nachdem Simeon sie
...
dant sich gegen sie wendet, nachdem erhalten hat,
klagt
er
Was könnt ihr Polen
der Selektion im
(S. 77).
schlechte Nachrichten
von
der Heimatfront
glaubt, ihr wüsstet, was Leid ist! verweist allerdings die Beschreibung
im Roman
heißt, des »Anstellens«) und der Gas-
Lager (oder,
wie
in die Marias Eltern
es
»Ihr
geschickt werden,
Erst im Kontext antisemitischer
|
er
Beschreibung nur: schon wissen!« Zugleich
in der
AuBerungen
enthüllt der Roman ausdriicklich, dass Maria
jüdische
Identität
algerische
Freunde
deutlich aufihre
durch Simeons
jtidisch
ist. Eines
Tages
sitzt Simeon
in einem Caf& und diskutiert mit Lou, einem sympathisierenden weißen Auswanderer, über Rassismus in den Vereinigten Staaten, während mehrere Algerier
(erneut)
Dass Stovall sich iiber die mit den
angereist,
Art eine finstere
|
vorbeigeht: 37
Polen
bald, dass sich hinter Marias scheinbar strahlender und verspielter
Mitglied
einem besser etablierten
aus
Simeon erkennt
kammern,
jiidischer Aspekte des Romans ausschweigt,
ist
Geschichte und dem Holocaust
zusammenhangen-
merkwürdig, als er in seinem lesenswerten Verbinund den Algerienkrieg durchaus
insofern
auf die
Essay iiber afroamerikanische Auswanderer dungen zwischen dem Massaker vom 17. Oktober und dem nationalsozialistischen Genozid eingeht, etwa wenn er die historische Figur Papon und Didier Daeninckx’ Roman Bei ErinneS. 196 f. rung Mord, um den es im nächsten Kapitel gehen wird, behandelt. Siehe Stovall, Fire,
|
38 |
Ha
aa | Hh
Weise
Wahrnehmung Marias Vergangenheit in keiner
kennzeichnet. Kurz nach
Im
Hl
betont ihre Schönheit und Gesundheit.” Auch wird
ihre
|
der afroamerikanischen »Kolonie«, in einem Cafe, als eine auffallend schöne Frau
Spielzeug amüsiert.« (S. 11)
sierte
punkt
ihre
Figur
glühten
zwar
nisch. Manchmal schrie sie und wachte dann auf«
nössische
Energie,
bewusst und übertrieb dessen
neuen
christlichen
i
|
Körpers
das sich mit einem
war
Grund,
gut aussehenden Frau,
zu gehen und die nächste Brigitte Bardot zu werden« (S. 11). Smith gibt zwar im ersten Drittel des Romans keinerlei Informationen über Marias Vergangenheit, doch
gefestigt haben (und das nicht nur wegen ihres betont Namens!). Möglicherweise ist das Unbehagen, dass ihre Unvereinbarkeit
etablierten Kategorien des öffentlichen Gedächtnisses hervorruft, der Algerienkrieg und afroamerikanischer
dieser
Film
|
a
an
einer Aura schwelender
ihr Gesicht und ihre nackten Beine
sich ihres schönen
Simeon identifiziert: »Maria heißt
Literatur befassten Forscher und Forscherinnen ihre Anwesenheit übersehen oder
Hi
umgeben,
war von
das »elektrische Feld« und sogar Simeons Zigarette als versetze Bilder für die Welt der Lager deuten, doch unsere erste, von Simeon fokus-
weshalb die meisten mit dem Holocaust, dem
u
war
Bewegungen wie ein Kind,
At
il
Art elektrischem Feld
Gesundheit. Sie
das strahlende
war
sein musste; sie
schwarzen
die über die Straße ging und auf sie
im kollektiven Bewusstsein
mit den
A
Anfang zwanzig
einer
Frankreich,
erweisen
Gang aufgeschreckt,
kam. Was ihn aufriittelte,
die
kurzgeschnittenem
jungen Frau mit dunkler Sonnenbrille,
Haar und einem frechen
durch die Figur Marias, jener Liebhaberin Simeons, die zunächst
wiederholt als Polin beschrieben wird, sich aber als
Chronik eines Sommers den
4
an seiner Zigarette und wurde durch den Anblick einer großen, lang-
Kolonialismusvorstellungen der Postcolonial Studies sowie der afroamerikanischen Literatur übergeht Stovall (wie Ross, aber anders als Gilroy) eine weitere Art und Weise, wie The Stone Face verfestigte Unterscheidungen in Bewegung bringt: die Auseinandersetzung mit der jiidischen Geschichte.” Durch seine ‘Thematisierung sowohl des Holocaust als auch des Antisemitismus hebt Smith die begriffliche Symmetrie auf, die The Stone Face strukturiert: Frankreich/Algerien,
algerische
297
»Simeon zog
tradierter
Vernichtungslager verloren. Der Roman thematisiert ausdrücklich die diversen Unterscheidungen und Solidaritäten, die mit »Rasse« und Ethnizität einhergehen; bedenkt man jedoch die in der Literaturkritik wenig beachtete Darstellung Marias, dann zeigt sich, dass Gender und Sexualität die Erinnerungsarbeit des Romans nicht weniger vermitteln als »Rasse« und Ethnizitat. Die jugendliche Maria entspricht noch weniger als die Marceline aus
|
i
Infragestellung
des Romans und dessen
ell missbraucht worden und hat ihre Familie
Hi
|
Erörterung
»DRECKIGER JUDE«: GENDER UND JUDENTUM
GHETTOS
»Rasse«- und
Das
i
5
In seiner kurzen
Frankreich/Amerika, das afroamerikanische Amerika/das
I
F
8. EINE GESCHICHTE DREIER
296
| |
i|
https://pdfify.app/trial
Zigarettenasche und -rauch sind beispielsweise im Werk Art Spiegelmans eine andauernde Erinnerung an den Holocaust, und das elektrische Feld erinnert an die elektrischen Stacheldrahtzäune, die die nationalsozialistischen Lager umgaben.
7
a | 7
i i
| |
|
|
zuhören. Als Marie mit einem schönen, aber teuren Armband
|
zurückkehrt, sorgt sie sich, der Verkäufer könne sie betrogen
|
tion führt
beiliufig
|
|
‘Ich bin ||
[...] [E]r machte
Einkaufstour
Spekula-
Bemerkung:
299
so
ganz
unschuldigen Eindruck,
als
er
121
die viele Leser und Leserinnen wahrschein-
Ca
Algerier,
(S. 123).
U
In der
La
Smith
I
1a
Jahrhunderte
ie he
Gilroy
in einem der
wenigen
Kommentare
|
|
dieser
Epi-
Polin in der
|
ersten
Lagerhaft bekannt werden und sie auf Ben Youssefs ahnungslomit einer Formulierung, die an Fanons sen antisemitischen Einspruch reagiert berühmte Erörterung der Erfahrung erinnert, ein »dreckiger Neger« genannt zu werIdentität analyden —,? muss die ursprünglich fehlende Information Einzelheiten ihrer
—
siert werden. Der Roman
letztlich die
ihrer jüdischen
des nationalsozialistischen Genozids entstanden ist; Ben Youssefs den Holocaust als Teil der
Fauxpas
aus
|
Person«, versucht, Spandie
bedingt erfolgreich. und Allgemeinem eine
nur
aller
Gruppen,
Lous
Bemerkung suggeriert,
unvermeidbare Vertrautheit
dass
es
gibt (es
dass sie eine besondere Geschichte
zu
Lösung an, er betont Asymmetrien vernünftige Erklärungen können Hos-
abstrakt. Der Roman selbst bietet keine
so
einfache
unterschiedlichen Geschichten resultierenden schmerzlichen
Youssefmit
trotz der
Entschuldigung eines
»Noch näher«: Gender und Gedächtnis
|
| |
Der Roman in
|
zeigt die Spannungen und Bruchlinien des Universalismus, nicht
nur
Bezug auf jüdische Identität, sondern besonders hinsichtlich Gender.‘ Während
das
Judentum explizit, wenngleich ambivalent,
im Roman
präsent ist, entpuppt sich
Gender als dessen nicht ganz anerkanntes Unbewusstes. Geschlechterdifferenz hat bei vielen Schlüsselmomenten der Romanhandlung, bei denen es um die Solidarität
macht 40
Siehe Frantz Fanon, Schwarze Haut, weiße Masken, Wien 2015, S. 93.
Eine nützliche
ilki) i
|
Sammlung
von
Aufsätzen
Marianne Hirsch und Valerie Smith
(2002)
a
https://pdfify.app/trial
»Rasse«
|
längeren Geschichte des Antisemitismus bewusst, der auf
AA
Kategorie
er
Komplizenschaften. Lous besänftigen, und Maria beendet das Kapitel Schweigen. peinlich beriihrten Ben
von
39
die die
stört
und unerwarteten
zeichnet fiktional nach, wie ein differenziertes Verständnis
Hi
N | Wil
jedoch
lösen, indem
allgemeine Eigenschaft
ist eine
sein nicht
Hälfte des Romans erscheint Maria nicht als Jüdin. Sobald
Spannungen,
haben!), doch der Versuch, Unterschiede zu analogisieren, bleibt zu symmetrisch und
in Nordafrika.
Hee La aa
zu
zu
zwischen Besonderem
Die
Darstellung Marias in dem Roman könnten zu den Auslassungen und Missverständnissen beigetragen haben, mit denen die Rezensenten und Rezensentinnen diese Darstellung wahrnahmen. Aufgrund ihres eindeutig nichtjtidischen Namens und ihrer durchgehenden Bezeichnung als
|
a |
Race, S.
und
als
doch sein Versuch ist
Ein paar bemerkenswerte Merkmale der
La Wil et AM
wie
wur-
erklärt, »jede unterdrückte Gruppe« werde »auf besondere Weise unterdrückt« und habe »eine besondere Geschichte« (S. 124),
Handlung ver321). »jegliche Auflösung« (Against ortet Hosseins Vorurteil innerhalb der Widersprüche des antikolonialen Kampfes in Algerien, eines Kampfes, in dem die Juden und Jüdinnen überwiegend Neutralität beanspruchten oder zu den Franzosen und Französinnen hielten, trotz ihrer langen
ii
| |
»verweigert«,
sode bemerkt, auch
zwar
nungen vermittelnd
Angehörigen der multinationalen Caf&-Gesellschaft den Antisemitismus. Die Verurteilung dieser Form von Rassismus durch den Autor ist zwar deutlich, doch
1
i
Veränderungen
und Nordafrika, Lou, »die einzige anwesende rein« weiße
Diskussion,
die
|
-
unterschiedlichen historischen und kulturellen Kontexten betreffen. Der Konflikt
Logik der
die nach diesem unverblümten Vorurteil entbrennt, debattieren und historisieren
|
Polen und Polinnen ebenfalls ermordet
Millionen
jüdisch, und nichtjüdischer
Opferkonkurrenz inszeniert (Juden und Jiidinnen werden mehr oder weniger unterdriickt als Algerier und Algerierinnen; Juden und Jiidinnen werden mehr oder weniger gehasst als Kolonialisten), doch die zugrunde liegende Logik und letztliche Wirkung seiner Darstellung im Roman zeichnen eine offene Kartografie sich iiberschneidender Rassifizierungsregime. die ausgesprochen universalistische Die multidirektionale Episode interne des Romans und enthüllt dessen Botschaft Spannungen. Auch diese Komplider kation ergibt sich daraus, wie Smith die Frage Komplizenschaft betont. Die Episode, in der Marias jüdische Identität endgültig offenbar wird, inszeniert dialogisch die Komplizenschaft der Algerier und Algerierinnen mit einem Antisemitismus, der in der Metropole lebendig bleibt, und die Komplizenschaft von Juden und Jüdinnen mit der Unterdrückung und Ausbeutung von Arabern und Araberinnen in Palastina
von
zosen! Ich hasse sie noch mehr als die Kolonialisten!«
|
=
wenngleich
wird
Ben Youssefs Worten, sondern radikalisiert sie sogar noch: Er erklärt, »mit plötzlicher Leidenschaft«, dass er Juden noch mehr hasse »als die Fran-
al
IM (MI
nicht schlicht als »Polen« definiert wurden
in
f)
distanziert sich Simeons militantester Freund
Hossein nicht
an
i
einen
prononcierter Erklärung,
lich ebenso überrascht wie die
i
Menschen zielte, die als
den. Wie in Chronik eines Sommers entsteht dieses differenzierte Verständnis inmit-
Jude verkauft.
ein
dreckige Jiiding sagte sie.« (S.
Trotz Marias
|
|
einer
haben. Diese
und unwissentlich den Knaller brachte: »Klar, sagte er, wahrscheinlich
|
Ht
antisemitischen
von
dreckiger explodierten unter ihren Augen. Maria riss den Kopf hoch, als habe man sie geschlagen. [...] Simeon war erschiittert. Solche Worte, von einem der Algerier? Eine ganze mentale und psychologische Struktur, die er seit dem Tag seines ersten Gesprächs mit Hossein aufgebaut hatte, brach abrupt zusammen. Maria war blass vor Wut; jegliche Leichtfertigkeit war verschwunden.
i
ll
.
unbefangenen
Die Worte
|
;
einer ersten
hat dir das
;
| ag
N
zu
»Ben Youssef lachelte.
ai i)
5
GENDER UND GEDACHTNIS
ten multidirektionaler
i} 1]
By
N
NAHER«:
»NOCH
i
Las
|
F
8, EINE GESCHICHTE DREIER GHETTOS
298
|
|
i
|
i}
1:
Gender
and
Cultural Memory.
Gender und kulturellem Gedächtnis bietet das |
zu
herausgegebene
Sonderheft der Zeitschrift
Signs
28
a
Mal |W |
|
|
i
| | |
Frau und ein Kind
|
|a | =|| i 11] | | 1 ii
F
N
8
fen sich |
zu
festigen,
zu
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Figur, hier
|
close«
7
In diesen
wird heterosexuelle Intimität
Passagen
wie
es
möglicherweise
(»noch näher«) angezeigt wird;
von
der umständlichen
sie lässt
an
die
den
Formulierung
zu
|
a
die mit der
je
»Sie
einer
»Ruhm, Wohlstand, ihr Name
»more
Simeons Einsatz
Li
ordnet ihre Geschichte unter denen anderer unterdrückter
i
denen der Afroamerikaner und
|
UM |a
‘| A
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|
|
Leidensgeschichte
ist
bedingt
den Deutschen
gelitten, Djamila
vergewaltigt worden.“!
a
Gruppen (insbesondere
|
|| | il |
41
|
LE .
|
| 1 CE N |
Smith hat den Namen der
späten
Djamila
vergleichbar:
mit Marias
und Latifa sind
nicht willkürlich
1960er-Jahre
Körper von
ging,
an
nur
die dort lebte, liebte und hasste.«
den der Roman zwischen den
von
gefoltert
gewählt.
Zwei der
betrafen Frauen
mit
ihre Eltern
die über die
(S. 184) Frauen und Maria
Gegensatzpaare
implizit
wie Aktivitat/Pas-
Authentizität/Maskerade denken. Marias Version des Ver-
entpolitisieren.
den Holocaust
angesichts
eines Traumas kontexu-
Die Grauel der nationalsozialistischen
wenn es aus
nie
zu
einer
Gleichsetzung kommt),
politischenderHandelns, er sich frei
der Gegenwart
Lager werden
mit
ana-
aber der Roman entfernt
existiert
nur
in der
Vergan-
gilt, wohingegen die rassistische und kolonialistische Gewalt gegenwärtiges Handeln verlangen. Die diskursive Auslöschung Marias ist ein Aspekt der Auflösung der Romanhandlung, dem die Kritik bislang keine Aufmerksamkeit geschenkt hat. Am Ende genheit oder als quälende Erinnerung,
und
Zeugen-
das vorige Kapitel sowie Ranjana milaBoujhered und Djamila Boupacha. Zu Boupacha sieheRecht und transnationalem Femi-
von
es
zu
machen
Gerechtigkeit werden. Siehe Ranjana Khanna, The Experience of Evidence: Language, the Law, and the Mockery Justice, in: Anne-Emmanuelle Berger (Hrsg.), Algeria in Others’ Languages, Ithaca 2002, S. 107-138, hier S. 129. Siehe auch das Buch, in das Khanna diesen Essay aufgenommen hat: Khanna, Algeria Cuts, Suche nach
Khannas faszinierende
Auseinandersetzung mit Sprache, nismus im Fall Boupacha, in dem sich Simone de Beauvoir und die Juristin Giséle Halimi des in diesem Buch verfolgten Anliegens ist Khanna aufmerksam im engagierten. für die Art und Weise, in der »Gespenster des Zweiten Weltkriegs« im Fall Algeriens Teil der
|
|
of
Ganz Sinne
I
a |
https://pdfify.app/trial
zu
logisiert (auch
berüchtigtsten Folterfälle diesem Vornamen: Dja-
eee
geben,
der Gewalt des amerikanischen Rassismus und des französischen Kolonialismus
Maria hat unter
den Franzosen
namens
einem Konzentrations-
diese Person
algerischen
traditionelle vergeschlechtlichte
öffentlich/privat,
in
Augen abwandte, als
keine Maria, die ihre
furchtbaren Tod gingen. Es würde
Gegensatz,
Genozids
unmittelbar nachdem sie und
Ihr Auftreten im Roman erlaubt es Smith, lebensnahe
1950er- und frühen
dessen
alisiert, jedoch mit dem Effekt, die Roman-Darstellung des nationalsozialistischen
a
m || I| | [| Hl
geben,
gessens wird zwar vom Desinteresse selbstzufriedener Franzosen und Französinnen abgegrenzt, die in Cafes sitzen, während Algerier und Algerierinnen auf der Straße
|
|
einen
sivität,
Trennungsbriefe ausgetauscht haben -, im Text durch zwei algerische Frauen wird, die Simeon in Ben Youssefs Wohnung kennenlernt (S. 190 f.). Djamilas
und Latifas
es
einem Monster
aufmacht, lasst
Entwicklung länderübergreifen-
wichtigsten war, jene Legende auf der würde die Vergangenheit am
Maria mehr
Der
Simeon ersetzt
Metamorphose,
massakriert werden, und als Überlebenstechnik
der Solidaritat passt, wird besonders deutlich, als sie
ja, doch
jene Person,
Es würde kein kleines Mädchen
Leinwand
ein.
Dass Maria schlecht in die im Roman erzählte
|
i
Algerier)
eine
-
auslöschen, Erinnerungen vernichten.
in
kompatibel, äquivalent ist« (S. 318). Dennoch verbleibt Maria als ein verstörendes Emblem vergeschlechtlichter und rassifizierter Differenz, und der Roman
|
wäre
lager geschändet wurde,
aber nicht
Hl
jemand Schauspielen
Leinwand.
in Leuchtbuchstaben
anderes werden würde:
dass sie damit
[aus den USA] veranlasst hat,
seine Flucht
Unterdriickungstradition, die
tragen« (S. 193).
an
Während
algerischen Frauen auf ihre Unterdrückung reagieren, indem sie den Schleier und gesellschaftliche Gender-Konventionen ablegen, strebt Maria (bildlich gesprochen) danach, einen Schleier anzulegen, indem sie Schauspielerin wird und solche Konventionen begrüßt:
aus Beziehung ist aufgrund der Spannungen, Algerier und Algerierinnen ergeben, eindeutig zum Scheitern verurteilt, und Maria verschwindet nach und nach aus der Handlung, wahrend sie ihrem entschieden unpolitischen Traum nachgeht, ein Filmstar zu werden. Obwohl sie den Bezug zu den zentralen Fragen des Romans verliert, enthält der Text weiter eine gewisse Sympathie für sie. Gilroy schreibt: »Simeon akzeptiert ihre Leidensgeschichte als eine,
|
nie wieder den Schleier
die
überwinden. Simeons
die sich
mit Maria,
andere Funktion
als sich das Leiden der
aller muslimischen Frauen. Sie hatten sich aktiv
Sie
einem
für die
|| Yo
zu
ausgereicht hatten, Djamila und Latifa scheint noch eine
emanzipiertesten denheitKrieg »zu würden beteiligt.
Schwierigkeit des Versuchs den-
und Marias
i] a
|
(S. 126).
Doch
-
ist Simeon natiir-
Formulierungen:
sich ähnliche
ken, überdeterminierte »Rasse«- und Genderdifferenzen
|
|
Episode, wiederholen
setzen.
-
(S. 78). Später, nach der
allem doch verstehen«
zu
klandestin
Algerierinnen aus einem Kontext des Kampfes ihres Widerstandes aufseiten des FLN ergeben hat. Wie Simeon beobachtet, zählen die beiden trotz ihrer Beschei-
die interethnische Solidarität ausdrückt. Und doch herrscht andererseits auch
Unbehagen,
a
trotz
Algerienkriegs
sein Buch in Frankreich
zuzukommen. Der Roman kontrastiert sie insofern
Leidensgeschichte bekannt
Lagern erzählt,
sie in der letzten Phase des
wie
und die sicherlich mehr als
—
auf den Index
doch Simeon fiihlte sich Maria sehr nah und wusste, dass sie sich
ihm nahe fühlte«
7
war
erste Mal von den
wiederzugeben,
zirkulierten
Verhältnis
still. Er hielt sie fest und fühlte sich ihr noch näher als
hässlichen antisemitischen
al
i
als zentrale Bestandteile ihrer
301
NÄHER«: GENDER UND GEDÄCHTNIS
aussagen
eine
Gender und »Rasse« hau-
von
Marias. Einerseits scheint sich Simeons
Figur
Vielleicht konnten sie sich
zuvor.
Na
1
die
um
lich berührt: »Simeon
al
8
Maria da
um
schützen. Die Ambivalenzen
zu
werden. Nachdem sie ihm das
A
|
geradezu
sprachen nicht,
|
geht,
hervorragende Bedeutung. So ist beispielsweise die Handlung, bei der sich Simeons ungewohnlich briiderliches Verhiltnis zu den Algeriern und Algerierinnen konkretisiert, in einen traditionell codierten Versuch eingebettet, am 17. Oktober eine
|
und
Konflikte zwischen Minderheiten
über »Rassen«-Grenzen
|
|
|
hinweg
|
|
»NOCH
8. EINE GESCHICHTE DREIER GHETTOS
300
|
.
|
7
a! .
i. N |
|
beschließt Simeon, in die Vereinigten Staaten zurückzukehren; diese Entscheidung geht mit seiner Erkenntnis einher, dass »die Algerier Amerikas dort drüben waren
molt.
|| |
und einen
chen verbrannten
|
|!
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| ||| IM
:
|
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|
Abwendung
|
Dass Maria
auch
|
Al
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|
|
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|
We ll
fi
von
Gilroys
~
Gender,
These über
Ergänzend
würde ich
Maria und dem
von
ihr
zuvor
das
argumentieren,
dass auch die
symbolisierten Erbe wichtig ist. nicht nur die Marginalisierung Verhiltnis von algerischer und zwischen authentischem
vergeschlechtlichten Gegensatz
Handeln und einem nicht authentischen Verhältnis
zur
Vergangen-
-
wichtig,
einen
LI |
Marias Wunsch, das Trauma der
Konzentrationslager
zu
verges-
Wunsch, der sich durch ihre weiblich codierte Sehnsucht auszeichnet,
Bühnenfigur
zu
verschwinden
-,
vom
Wunsch des Textes
zu
algeri-
»Emanzipation« beteiligt haben, werden vergeschlechtlichte Gegensatze
durch einen
Gegensatz ergänzt: den zwischen unpolitischer Vergangenheit einerseits, politischer Gegenwart und Zukunft andererseits. Eine solche Polarisierung wieder-
weiteren
holt sich bei vielen fortschrittlichen Kritikern und Kritikerinnen der Gegenwart, die |
eine
Entpolitisierung
der
gedenkens anprangern.‘?
|
Erinnerung
im
Allgemeinen und speziell des Holocaustausschlaggebende politische Rolle ver-
Hier wird aber die
nebelt, die Erinnerung im gesamten Roman
ty)
das
im Roman
gespielt
hat
dokumentierte antikoloniale Milieu ganz
(von ihrer Bedeutung für
zu
schweigen):
Riickblenden
|
|| | (NE i
42
nationalsozialistischen Genozid Siehebeispielsweise dieBemerkungenvonAlainBadiouzum GeZizek in: Totalitarismus: fünf Interventionen in: ders.,
Ethik,
303
Beobachtungen über den Rassismus im Rassismuserfahrungen als junger Erwachsener Gegenwart in den Vereinigten Staaten ermöglicht, und es ist das historische Gedächtnis, das es Simeon erlaubt, die französischen Reaktionen auf den Algerienkrieg am Vorabend haben die
Kontextualisierung
von
Simeons
anhand seiner
Paris der
auf die nationalsozialistische Besatzung
des 17. Oktober mit früheren Reaktionen
vergleichen. wenn
ihre
zu
wichtig, die Erinnerung aufrechtzuerhalten, und was geht verBedeutung vergessen wird? In einer Auseinandersetzung mit den
Warum aber ist
loren,
es
sehr unterschiedlichen und konfliktreichen Hinterlassenschaften des Kommunismus im
Europa
des 20.
Jahrhunderts hat Fredric Jameson
einen
anregenden Ausgangs-
für eine Antwort auf diese Frage vorgeschlagen: »Die Erinnerung an diese immense historische Erfahrung duldet keine Umfahrungen, auch wenn es kein beru-
punkt
higendes Verfahren geben kann, diese Erfahrung »aufzuarbeiten«. [...] Es gibt kein richtiges Verfahren, sich der Vergangenheit zu stellen Vergessen ist nicht heilsamer als durch ein bleibendes Trauma gebannt zu sein, Aber Geschichte besteht nicht aus wechselnden Moden, die man nach Wunsch aufgreifen oder ablegen kann.«“? Ganz ahnlich die Geschichten, um die es in The Stone Face und allgemein im Frankreich der 1960er-Jahre geht: Selbst inmitten eines »heißen« Dekolonisierungskriegs kann die jüngere und doch vergleichsweise ferne Geschichte des nationalsozialistischen Genozids nicht einfach umgangen werden. Das offensichtliche Unbehagen des Romans Maria gegenüber führt dazu, dass sie ein wenig zu schnell aus der Erzählung verschwindet. Zwar gibt es, wie Jameson treffend bemerkt, kein richtiges Verfahren, und es sollte von einem Roman nicht verlangt sich der Vergangenheit zu stellen ~
-
ein
werden,
solches
zu
finden
-,
doch The Stone Face kann als
Allegorie dafür dienen,
Vergangenheit abzustreifen, unweigerlich politische Aufgaben méglich macht. Im Rückblick klüger geworden, können wir erkennen, dass der Roman durch die Umgehung der von der Figur Marias aufgeworfenen Fragenauf ein weiteres uneingestandenes Problem der Komplizenschaft verweist, obwohl er solche Probleme ansonsten mit viel Einblick untersucht. Die journalistischen und fiktionalen Texte zum 17. Oktober analogisieren zwar oft Algerien und Auschwitz, doch fehlt tiberdeutlich die Auseinandersetzung mit der Mitschuld Frankreichs am nationalsozialistischen Genozid. So, wie sie damals formuliert wurde, hatte die Analogie die Form eines kolonialen Vergleichs: Die Nationalsozialisten haben sich zu den Franzosen und den Juden und Jüdinnen so verhalten, wie die Franzosen sich heute zu den Algeriern und Algerierinnen verhalten. Diese Analogie verschleiert, dass sich tatsächlich auch unerledigt lässt
einige
von
ders., Slavoj eines Begriffs. Aus dem Englischen von
sowie
oder Missbrauch
zum
Oliver Hérl,
Hamburg
https://pdfify.app/trial
2012.
und die Wiederkehr des Unverarbeiteten
Franzosen
zu
wie die Franzosen
kundig,
EM
| Hie
»NOCH
dass der Versuch, die
unterscheiden, Maria zu vergessen. Dadurch, dass Maria narrativ durch die schen Frauen ersetzt wird, die sich mit dem Ablegen des Schleiers »aktiv« an ihrer
TE
|
von
vereinfachten,
in der Maskerade ihrer
md
|
Ergänzung
dem Roman verschwindet, markiert
aus
gepragt
haben
begünstigt.
sen
N
einen
Es ist
a
|
Paris ebenfalls
Hier zeichnet sich eine
des Romans
gegenwärtigen
i Ho
a
die
|
heit
i
Ausdruck
afroamerikanischer Geschichte vermittelt hat; wichtiger ist, dass ihr Verschwinden
ie
||
in
des nationalsozialistischen Genozids, der |
a=
A
Amerikas« aufgefasst
welt, die ihn ansonsten belebt.
al
|
irgendeiner Guerilla in irgendwel-
Gilroy zufolge zeigt Simeons Abwendung von Frankreich und der Abwendung des Romans von der kosmopolitischen Vorstellungs-
Stone Face ab.
Algerienkrise i
Hi
Bergen.
Judentum, Holocaust?
x
:
als der
gegen das steinerne Gesicht« (S.
die Simeons Aufenthalt
Begriffen,
von
pe »
war
franzésisch-algerischen Krieg. Anwendung amerikanischen Vokabulars auf Was geschieht jedoch im Zuge dieser Riickiibersetzung mit der dritten Kategorie
4
||
der härter Sie
den
| a
8
Kampf führten,
210). Dass kampften ist einer im werden, Afroamerikaner als die »Algerier Passus hat einem früheren Simeon Roman nachgezeichneten politischen Umkehr. In das mit Harlem er gerade die Goutte d’Or besucht, ein algerisches Viertel in Paris, vergleicht (S. 88). Er sagt zu Babe: »Sieht mir so aus, als seien die Algerier die Nigger Frankreichs« (S. 105). Simeon hat also zunachst die gesellschaftlichen Bedingungen und die Geschichte Frankreichs in eine amerikanische Begrifflichkeit übertragen, und nun wird seine politische Reife durch eine Rückübersetzung angezeigt, also die
i
||
8. EINE GESCHICHTE DREIER GHETTOS
302
i
5
NÄHER«: GENDER UND GEDÄCHTNIS |
111
43
den
zu
doch damals
(französischen und ausländischen) Juden verhalten haben
den Untertanen des Kolonialreichs. Heute scheint das offenwar es
das nicht. Nicht
A
nur war
die Rolle
Fredric Jameson, Foreword: Monument to Radical Instants, in: Bd. 1, Durham 2005, S. vii-xlix, hier viii.
ofResistance,
S.
Papons
im Zweiten
Peter Weiss, The Aesthetics
ma Pee
U
;
*
| 1
i
304
|i || |
8. EINE
GESCHICHTE
MULTIDIREKTIONALE ERINNERUNG UND DIE UNIVERSALISIERUNG
DREIER GHETTOS
|
| || |
|
A
A
sollte. Ich
EM |
daran, wie ‘The
tiple Vergangenheiten
tA
algerische
|
Verantwortung
Frankreichs
|
von
anzusprechen,
;
behandelt,
unvollständigen, mul-
Entwicklung
eines
Erinnerung,
-
fällt der Roman zurück
in
|
nisieren und von
IL
von
gleichzeitig politisches
Unterdriickung
2u
rung
Handeln mit maskulinistischer
sen
|
HA
von
Analogisierung
Hk i
merksamkeit fiir
multiple
IM NEN nh
|
|
HE
perfekte Veranschaulichung
auf der
weit
asymmetrische Kons
.
.
ernste Konsequenzen
||
SONSEq
ei
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Universalismus zur Multidirektionalitat
i
\
Globalisierung
—
an
ao
auszeichnet,
Erinnerung wirken und für die Tendenz des Holocaustgedenkens stehen, und den Charakter einer unijenseits ihres ursprünglichen Kontextes zu zirkulieren versellen moralischen »Währung« anzunehmen. Doch indem sie zwei oder sogar drei .
|
8
der
Ghettos zusammenführen, erzeugen Duras, Krea und Smith tellationen, die cher multidirektional als universalistisch sind. Beim
LE
WE
|
formulieren, das
nationale und transnationale Geschichten
könnte The Stone Face auch wie eine der
geht
es
nicht
nur um
:
a
ee
irgendwann
We
sei
Übergang
44
vom
sowohl für die Ethik als auch für die Politik der Erinnerung. argumentiert, dass dsten hhaby haben am üb arg
a|I i a aa
zentrieren
—
nn
1961 herum
-
1 also zu
nicht mehr als schreckliche, in
begrenzten Implikationen gesehen
auf Zeitpunkt,
dem dem Zeil
kt,
auf
den den
wir wir uns
hier kon-
Kriegszeiten begangene Gräueltat uns
)
mit
logy, 45
i
|
| [1
101).
Im vabstrakten
ver-
Charakter
von
Gut und
| |
https://pdfify.app/trial
Die ter
ders, The Meanings of
Auseinandersetzung
Multidirectional
New York 2008,
Bemerkungen
Social
Lifer A Cultural Socio.
zum
mit Alexanders Werk bietet mein Kommentar:
Memory
by
Memory
Frage als bei
in the Global
of
and the Universalization Martin
Jay
u.
a.,
the Holocaust,
Remembering the
in:
Holocaust:
§. 123-134. Werk
von
auf; dies., Erinnerung im (zuerst 2001; engl. Ubers.: Holocaust einem Aufsatz, der ihre These auf
Levy und Sznaider beruhen
Zeitalter: Der Holocaust, Frankfurt
Englisch skielere: 47
|
Rothberg,
Debate,
Meine and
|
in:
C. Alexander with Commentaries
globalen
|
On the Social Construction of Moral Universals: The »Holocaust«
Trauma Drama,
Eine ausfiihrlichere
‘A
|
to
New York 2003, S. 27-84.
Jeffrey
46
ile
LI
Jeffrey y Alexander,
Michael
|
worden, sondern habe vielmehr den Status eines
|
Siehe
from War Grime
Begrifflichkeiten, er hat
Ko
um
uni-
.
Soziologen und Soziologinnen tiberzeugendsten der Globalisierung des Holocaust und seiner es einen Zusammenhang zwischen die Universalisierung gibt. Der bekannte Kultursoziologe Jeffrey Alexander vertritt und Jiidinnen ‘These, der nationalsozialistische Genozid an den europiischen Juden
al
(MemoryUnbound,
S. 88,
jederzeit widerfahren,
x
»in
‚fortschrittliche
dass
|
absolut
und alle sind
|
.
»
Hl ei
mit einer
symbolisierts, erkennen Levy und Sznaider »einen moralischen Priifstein in einer Zeit der Ungewissheite, was »zur extraterritorialen Qualitat kosmopolitischen Gedenkens« ebenso beitrage wie zur Herstellung »transnationaler Solidarität« (ebenda, S. 102, 93). Alexander und Levy/Sznaider bemühen sich zwar, den Status des Holocaustgedenkens seit den friihen 1960er-Jahren nachzuzeichnen, doch haben ihre Darstellungen einen stark normativen Einschlag: Sie begreifen die Globalisierung und Universalisierung des nationalsozialistischen Genozids als eine Entwicklung, die Solidarität und Menschenrechte befördere.‘7
unterschiedlicher historischer Erfahrungen rassistischer und kolo-
|
||
He
zu
Er kann allen
Bésex, der den Holocaust
|
nialer Gewalt beruht. Von einem im Exil lebenden Autor verfasst, den seine Auf
|
in Europa,
1
Begriffen betrachtet:
antwortlich«
|
Duras und Kréa scheint auch Smith’ Roman
zunächst ein universalistisches antirassistisches Narrativ
Ht
sei
und dieses Geden-
2
versellen
i
yall
von
5
dt
politische Journalismus
Vereinigten Staaten
»ethnische und nationale Grenzen« und werde, zumindest
Holoc des des Holocaust und die Universalisierung lisi
Wie der
Israel und den
Partikularitat und Universalismus
ken habe in der
Multidirektionale Erinnerung
| HT
gewe-
allerdings mit einem stärkeren Fokus aufein und Sznaider die These, die Entwicklung des Levy
einhergegangen, Epoche seit dem Kalten Krieg als Vehikel der Forderungen nach Menschenrechten und Entschädigung globale Tragweite erhalten. In einem Zeitalter der Globalisierung »transzendiere« ein abstrakter und dekontextualisierter Holocaust
Uberwindung
|
N
der wichtigste Bezugspunkt fiir kollektive Erinnerung
Kurzem noch
Holocaustgedenkens in Deutschland,
|
;
von
sei, hinaus erweitert. Wie Alexander,
Dialektik
assoztieren.
|
al
vor
internationales Archiy, vertreten
|
|
|
zeigt."4
den nationalsozialistischen Genozid über den nationalstaatlichen Rahmen,
an
der bis
eine verge-
Erinnerung, die den politischen Wert seiner Erinnerungsarbeit beeinträchtigt: Er riskiert, die Erinnerung an die Vergangenheit zu femi-
|
|
europäische Jüdinnen,
das Afroamerikaner,
sich
beleuch-
was er moralische Universalität nennt, also als Belege dafür, dass der Musterbeispiel für Grausamkeit ist, das unser Verständnis der Gegenwart voranbringen und ethisches und politisches Handeln fördern kann.“ Ein ebenso ehrgeiziger Versuch, einen Rahmen zu schaffen, in dem über die moralische Universalität des Holocaust nachgedacht werden kann, findet sich in Daniel Levys und Natan Sznaiders Schriften über »kosmopolitisches« Holocaustgedenken.“ Levy und Sznaider zufolge haben die Kräfte der Globalisierung die Erinne-
|
wohl aber, dass wir
trotz seiner aktiven
es
zu
mir hier betonten
Holocaust ein
einzigartigen und eindrucksvollen Bemühungen, -
auch immer
wo
das historisch Böse
eigne,
So wiirde Alexander die
dessen ansehen,
Vergangenheitsbewältigung aus der Bahn
Muslime und Muslima verbindet
schlechtlichte Vorstellung
1
:
ten,
sich wie kein anderes
Reaktionen auf den 17, Oktober aller Wahrscheinlichkeit nach als frühe Instanzen
Smith’ Roman gewesen
erkennen können, die den stets
Prozess der
zusammenzufiihren
Modells multidirektionaler
A |
notwendigen
werfen können. Trotz seiner
|
a
1
im
Maria und den nationalsozialistischen Genozid
einige Vermeidungsmechanismen aber ebenso stets
die
es
Schweigen
Stone Face
|
|
I
N
nicht, dass
behaupte
wäre, dieses historische
|
verleugnete
1970er-Jahren aufgebrochen werden
mentarfilm Das Haus nebenan in den frühen
I |
die französische Gesellschaft -
|
|
Ereignisses erhalten, das
Allgemeinen die was erst dank der geballten WirKollaboration und die Rolle des Vichy-Regimes kung von Robert Paxtons Geschichtsbuch Vichy France und Marcel Ophuls’ Doku-
Weltkrieg unbekannt;
305
Age, Philadelphia
a.
M. 2007
2006), sowie
des. Menory Unboard.
nach dem
»progressiven«
Levy/Sznaider,
Charakter der
denn Alexander
Darstellung
spricht erst
dann
ist
von
bei Alexander
einer
komplizierUniversalisierung des
7
ma)
|||
i
DieReaktion
|
auch
{1
i
Levy/Sznaider
Globalen
|
war
sich mit
die Alexander wie
zu
|
|
|
caust
Universellem
nutzen.
als
Ich
des Transnationalen, des
rückgängig
zu
machen. Im
des Holocaust preisen, oder auch kri-
die die
vertreten,
AspektderMultidirektionalitat
der
Holo-
verstanden werden sollte,
Erinnerung
Levy/Sznaider Einsichten in die globalen Dynamiken und moralischen Ansprüche kollektiven Holocaustgedenkens, multidirektionaler Erinnerung doch weicht die Perspektive, die ich hier
|
entwickelt habe,
|
im Zeichen Zwar heben die drei Kritiker Universa-
der dieser Autoren ab.“®
von
lität, Globalisierung und Kosmopolitismus hervor, doch sie erzählen die Geschichte
|
Holocaustgedenkens ausschließlich in Hinblick auf vermeintlich autonome Veränderungen in der Bedeutung des Holocaust. Damit verdecken sie die aktive Rolle, die andere Geschichten und Erinnerungen bei solchen Veränderungen gespielt des
i |
|a Z|
HT || |
Ihre denkens haben.
il
| 1 al |
»universalistischen« Argumente sind entschieden lokal und zuweilen Indem sie über die dialogischen Interaktionen des Holocaustge-
provinziell.
sogar
mit
den Erbschaften des Kolonialismus, der
zierung und der
vonMoralität,
zu
Wee g
|
eb: ebnen
füfür
neue
sich aber
zwar zu
keinem
transnationale
der Rassifi-
die Geschichte des Holo-
sie
Vorstellung heterogeneres
erzeugen letztlich auch eine
sie
abstrakt universell bleibt. Ein
\d
Vergleich Vera Vergleichen und Veralleiner allzu einfachen Universalisie-
.
rung verweigert, mag
Ve
von von
zugleich globalen Moralkodex führen, könnte aber den sokeite- und Solidaritätskonzepte, die GerechtigkeitsN
ne
nicht den leicht Wie in der Zeit
DIE UNIVERSALISIERUNG
UND
307
manipulierbaren abstrakten Code »Gut und Böse« reproduzieren. seit dem 11. September 2001 besonders deutlich geworden ist, bietet
|
i mm
Holocaust, ist. |
Hat
i |i iL
48
ME |
hay
a
i|
;
Ha
politischer
ich in
dargelegt rt von
Memory
habe, Menschenrechten insofern
aufgegeben worden and the Universaliza-
das
als das traumatische Narrativ
befördert, als die
auch tra
Levy
und Sznaider
Bemerkungen zu Europa als »Etinnerungsgemeinschafte. AssLevy und Sznaider: »Der Holocaust ist nicht zu einer einzigen universellen und gemeinsamen Erinnerung geworden, aber er ist zum Paradigma oder zur Vorlage geworden, durch die andere Völkermorde und historische Traumata sehr wahrgenommen und dargestellt werden. Der Holocaust hat damit andere traumatische Erinnerungen rund um den Globus nicht ersetzt, sondern eine Sprache für deren Artikulation geschaffen.« Ich stimme dieser Einschätzung zwar zu, glaube aber, dass Assmann die andere Siehe auch Aleida Assmanns
schreibt in Antwort auf
Seite. la ee nerung
an
des Holocaustalseinesolberetdas Ausmaß, demdie Entstehungstattgefunden in
Dialogs mit anderen Geschichten Kolonialismus und Sklaverei ist erstaunlich abwesend in den
hat.
eines
europäischen Gedächtnis,
A Community Europe: S. 11-25,hierS, 14.
die Assmann
of
Memory?,
in
diesem
Vortrag
Die
Überlegungen
Erin-
zum
anstellt. Siehe Aleida Assmann,
in: German Historical Institute Bulletin 40
| |
i
LT
N
https://pdfify.app/trial
(2007),
Gewalt. Eine Moralität »jenseits
Umständen die Risiken abstrakter
von
Gut und Böse« könnte unter diesen
singularer moralischer bereichsiibergreifenden Echos der Geschichte kann zur Entwicklung einer Vision beitragen, die die Ausweglosigkeit der Verantwortung zur Kenntnis nimmt: die schwierige Aufgabe, Mittaterschaft zu vermeiden, sich aber zugleich an die generelle Komplizenschaft des Vorlagen
Texte
und
Kategorisierungen
sehen. Ein multidirektionales Bewusstsein der
Mensch-Seins aus
zu
erinnern.
der Zeit des Massakers
17. Oktober 1961
vom
tragen
zu unserem
Ver-
Wirkungsweise von kollektiver Erinnerung und Komplizenschaft in kulturell komplexen Kontexten bei. Sie können helfen nachzuvollziehen, dass die Entstehung des Holocaustgedenkens in Frankreich Teil eines mehrteiligen Vorgangs war, bei dem ein Gespür für die Besonderheit jüdischen Leidens unter den Nationalsozialisten erst später um eine moralisch komplexere Wahrnehmung des Kontextes ständnis der
erweitert
wurde, in dem sich der Holocaust in Frankreich ereignet hat. Am
Journalismus der Epoche und
kolonialen
an
anti-
Smith’ Roman können wir außerdem
ablesen, wie diese Geschichte des Holocaustgedenkens in die Geschichte der Deko-
lonisierung eingebettet ist, die Frankreich in jenen Jahren erschütterte, Als sich Algerienkrieg auf sein Ende zubewegte, kamen zur Wiederkehr von Praktiken Folter noch allzu zu
einem
Diese aufkommende
zu
jijüdischen
Leidens i
Erinnerung diente wiederum
ein Vokabular für verletzte Ve Aktivistinnen
Identifizierungsprozesse
rassistische
vertraute
zunehmenden Verständnis
i
als
i
im
hinzu; beides trug
Zweiten Weltkrieg i
politische
Ressource:
über: Was,
von
wenn
Opposition gegen
den
blutigen
spätkolonialen
Erinnerungen leitet zu einer weiteren Ereignisse des 17. Oktober, die Zeit-
Pariser
deutlich so deutli
an
eri
d’Hiv’-Razzia die Vel’ d’Hiv’-Razzia erinnerten, auch Vel’
ie
so
die Saat für ein verspätetes Bewusstseins französischer Mitschuld sen des Weltkriegs säten? Auf der historiografischen Ebene
Zweiten
spekulativ
an
den
muss
Ereignis-
diese These
bleiben. Doch können wir riickblickend erkennen, dass der 17. Oktober
hte wea Didier
ein Anlass für solche Reflexionen der Komplizenschaft werden sollte.
orisch
das Massaker
von 1961 aus 8 größerem hi: Daeninckx’ aeninckx’ Kriminalroman Meurtres pour
Storischen
Kri
vena herausragende Bedeutung Enthitllungen
tiber
Papons
Relevanz des Themas
war
aufgrund
Komplizenschaft
i
der
Karriere noch in
i
etwa
und Michael Han17. Oktober die in
ft Komplizenschaft weiterentwickelt. Deren
behandelte Problematik der i
Di ies
(dt. Bei Erinnerung Mord), Leila
Jugendroman La Seine était rouge (dt. Die Seine war rot) Spielfilm Caché, wird durch die retrospektive Sicht auf den F
In . Te
Abstand Abstand bi betrachten,
mémoire
Sebbars
Stone
bot
N
ape
:
um eine
Geschichten und die
g enossen und Zeitgenossinnen genoss
The
Sie
bei.
mobilisieren,
Spekulation
ekes
der wie
Menschenrechte, auf das antikoloniale Aktivisten und
zurückgreifen konnten,
Diese Verschränkung
Narrativ
häufig
i
|)
Call
nationalistisch-progressives
Alexanders Darstellungbleibt, wie »Multidirectional of the Holocaust« dargelegt habe, insofern fortschrittlich, fortschrittlich,
mann
A
|||
bestimmtes
Alexander
|
I
ein
ton ofthe zufolg Holocaust
|
|;
wenn
tion
|
i:
genau dieser Code den falschen Rahmen für ein Nachdenken über die Erbschaften
Staat
|
I
1
und
zu
gemeinerungen akzeptiert,
1
i
die
Dekolonisierung,
vereinfachen
erstandnis moralischen Handelns, das die Bedeutung g
al
m ii]
Sklaverei
hinweggehen,
caustgedenkens nichtnsingulär ur unzulässig,
|
Bl]
1
8
Zusammenfassung
etwas
zu
Holocaustgedenken
Zwar finden sich sowohl bei Alexander als auch bei
ti)
|
ihren Schriften tiber das
tisieren,
|i | | | | Hd
|
|
eine Gelegenheit, Oktoberbeschäftigen, Begriffe
des 17.
Universalisierung Gegensatzhabe jenen, ich die These dass die transnationale Zirkulation des
ii
m
in
und des Komparativen zu
|
;
Ereignisse
habe mich bemüht, die allzu wohlfeile
||
|
|
MULTIDIREKTIONALE ERINNERUNG
|
|
|
auf die
jener Reihe ineinander verschränkter .
/
F
GESCHICHTE DREIER GHETTOS
|
7
|
8. EINE
306
i
seit den
i
i
frühen 1980er-Jahren
erfolgten
offenkundiger geworden. Erkennt man
die
diesen Werken, dann wird auch deutlich,
i
SS
|
|
7
|
|
308
|
11
3
|| | ||
GESCHICHTE DREIER GHETTOS
|
i
dass
|
|
ren
|
|
|
||
Dekolonisierung
um
auf
jener
Gedenkpolitik darstellt,
entsteht. Achtet
man
Ethik des Geden-
die
in
bestimmt wird.
|
|
.
Bewegungen
um
1961
nach
1961
geringen im
Geschichts- und Diskurs-
ein Comeback
erlebt,
was zu
einem nicht
Teil auf die »Wiederkehr« des 17. Oktober im öffentlichen Diskurs zurück-
die seit der
Jahr
autonome
finden, sollten aufgrund der Institutio-
des Holocaust und des Kolonialismus bald unsichtbar werden. Doch in
jüngeren Jahren haben solche Solidaritäten
Aufdeckung
von
Maurice
Papons Vergangenheit
als Kollaborateur
1981 und seit dem 1997/98 wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen
ihn geführten Prozess zu verzeichnen gewesen ist. Das jüngere Interesse am Oktober-Massaker ist Teil eines zunehmend umfassenderen Interesses an der Epoche des
Algerienkriegs der Vichy-Zeit
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erte
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men
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erneu-
Verdichtung
in flüchtigen öffentlichen ForKonfigurationen und Wertigkeiten
zwar
ist der »heiße«
det, wonach »Lehrpline die positive Rolle der franzésischen Anwesenheit im Ausland, insbesondere in Nordafrika, anerkennen« sollen (Gesetz vom 23. Februar 2005).
verlangte zwar ein Jahr später die Aufhebung des Gesetzes, denn Franzosen spaltet, muss er umgeschrieben werden«, doch bereits Möglichkeit eines solchen Gesetzes hat verschiedene Gegendiskurse angestoßen.
Präsident Chirac
|
il|
»wenn
die
|
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auf soziale Unruhenvon Jugendlichen migrantischen und Minderheitengrupden Rändern ausgehenpen in den Vororten größerer Städte. Die im Herbst 2005
Hl
ij IM Le i)
der Text die
Chiracs Rückzieher reagierte auf Proteste von Intellektuellen gegen die im Gesetz erkennbare Beschönigung des Kolonialismus und, unmittelbarer und genauso wich-
Al
tig, |
aus
von
7
den Proteste stießen international auf Aufmerksamkeit; viele Beobachter wunderten sich über die Tiefe der Krise Frankreichs und seine
Unfähigkeit,
sich den Erbschaften
des Kolonialismus und der
|
il
den Riots und der
Dekolonisierung zu stellen. In der Zwischenzeit, zwischen faktischen Aufhebung des Gesetzes, verfasste eine Gruppe pro-
minenter Historiker und
Hi
)A
iae|
historischer
von
sche Parlamentarier und Parlamentarierinnen ein umstrittenes Gesetz verabschie-
Way
i|
Besatzung
beunruhigender
Faszination
hinzukam. Dieses
weiterhin im Mittelpunkt vieler zeitgenössischer algerische Revolutionskrieg qualitatiy anderen Kampfen um Pädagogik, Erinnerung und Geschichtsschreibung gewichen. Ein Ereignis im Feld von Recht und Politik fand besondere Resonanz: Anfang 2005 haben franzési-
|
|
zurbereits längeren
Überschneidungen seit den frühen 1960er-Jahren verändert.
Konflikte, doch
i
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was
kursieren. Doch haben sich die besonderen
Der Kolonialismus steht
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anderswo,
und der nationalsozialistischen
Interesse ist in einer Zeit besonders
solcher
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in Frankreich und
entstanden, während der multiple Vergangenheiten
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Il
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Solidaritäten, die sich als
geht,
|
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bereiche in Texten und
|
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multigenerationeller Erinnerung
Die multidirektionalen
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nalisierung
Hl | N
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Die Ethik
sowohl auf die ethischen
{1 yt)
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9. Versteckte Kinder:
unmittelba-
die politischen Aspekte der Erinnerung, schafft das ein Bewusstsein für »Gegenwarte eines jeden Kontextes so, wie er durch multidirektionale Stréme der Geschichte und Schichten ungleichmäßig aufgearbeiteter historischer Zeiten
| |
|
Fragen intergenerationeller Übertragung sensible
die
||
|
|
Kämpfen
als auch
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|
eine für
kens eine notwendige Ergänzung
|
i
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8. EINE
Historikerinnen, darunter
Pierre
Vidal-Naquet
und Pierre
Nora, der Initiator des Projekts Lieux de mémoire, die Petition Liberté pour l’histoire
Hl
(Freiheit für die Geschichte). Besorgt über staatliche Eingriffe
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A
https://pdfify.app/trial
in den
Zuständigkeits-
7
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professioneller Historiker und Historikerinnen, aber auch über die häufiger werdenden Forderungen zivilgesellschaftlicher Gruppen, die Geschichtsschreibung zu revidieren, um den sich wandelnden gesellschaftspolitischen Umständen gerecht bereich
|
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|
es
|
|
zu
werden, erklarten die Unterzeichner und Unterzeichnerinnen: »Die Geschichte ist
keine
|
Religion. [...]
Sklave der Petition
|
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Die Geschichte ist keine Moral.
Gegenwart. [...]
verallgemeinert
Erinnerung
|
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;
9. VERSTECKTE KINDER
310
|
zurDarstellung
|
Regimes unwiirdig
|
lichkeit
BE
Gesetzes
13.
vom
Kampf
um
die Geschichte des Kolonialismus und die
|
zu
sinde: des
Gayssot-Gesetzes
i [1
vertreten
|
I ir
Hat
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I i) | Li
die Position, dass zwischen
einigen
anderen Gesetzen
Gayssot-Gesetz
differenziert werden sollte.
zur
-
Buches, das |
|
| rl
| i
geschrieben, die sich ergeben, wenn Historiker und Historikerinnen als Sachverständige vor Gericht auftreten eine Situation, von der er glaubt, dass seine Kollegen und Kolleginnen aufgrund der sehr unterschiedlichen Verfahren und -
Wahrheitskriterien
|
||
|
|
aes
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|
|
|
|
sogar unhaltbares Verhältnis
vom
Februar 2006
legt
zu
ihrem
Pierre Nora rhetorisch
Die Petition erschien zunächst
in:
Liberation,
13. Dezember 2005,
https://www.liberation.fr/
A Gesetzen finden sich in
Juni 2006), S. 3
Rousso viele
Hl
4
geht
dieser
31
Erinnerung im öffentlichen Diskurs Frankreichs: »Wir sind von einer bescheidenen Erinnerung, die nur verlangte, eingelassen und anerkannt zu werden, übergegangen zu
einer, die bereit ist, sich mit allen
Mitteln durchzusetzen. Ichhabe es
an
anderer Stelle
‘Tyrannei der Erinnerung: beschworen; ware notwendig, heute von ihrem Terrorismus zu sprechen, geht weit, dass wir weniger für das Leid sensibel sind, das
eine
die
Es
Erinnerung ausdrückt,
so
als für die
Gewalt,
mit der sie sich Gehör verschaffen will«
Hervorhebung M.R.). verteidigt die »Grundprinzipien« der Geschichtseine schreibung gegen aggressive und »pathologische« Erinnerung und befiirch(S. 9;
Nora
tet, die
sei »von einer Neuschreibung der Geschichte Opfer bedroht« (S. 9). Problematisch an Erinnerung ist für Nora, wie fiir die anderen Liberté-pour-I’histoire-Historiker, dass sie die »nicht manichiische Geschichte« moralisiere und soziale Spaltungen begünstige:
zeitgendssische Gesellschaft
Sicht der
aus
»Das wirkliche Problem ist
weniger die Konkurrenz oder Solidarität der Opfer als
vielmehr die konflikthafte
Inkompatibilität von Erinnerungen. Angesichts dieses schwierigen Problems sehe ich keine andere mögliche Antwort als die einer Autoritat der Versshnung (une autorité de conciliation). Diese kann zwei Gestalten annehmen, natürlich ohne Zwang, allerdings setzen beide voraus, dass sich Historiker und Politiker zusammenreißen«. Die politische Rede ernsthaften und
ist
unverzichtbar, vorausgesetzt, dass
Versöhnung
durch Geschichte dauert
wird, denn die besten
mutig und frei
länger.
gesellschaftlichem
positioniert, alles
und auch,
sie
Sie ist
von
Demagogie
was sie
-
und für alle
—
Druck und intellektueller sagen,
zu
[...]
ist.
aber, die letztlich benötigt
es
Erinnerung spaltet, allein die Geschichte kannEinheit stiften.
toriker sind zwischen
Nora und
|
seine
die
was
His-
Expertise
Vergangenheit
am
zulässt,
nicht gestattet.« (S. 9)
derSonderausgabe
Colonies: Un débat francais
von:
in
seiner
sehr relevanten Reihe
Henry
von
Interviews mit
Rousso, The
Le Monde 2
Justice in ContemporaryFrance,Phi ladelphia BuokiPrachons sla France est malade de mémoires,
2002. Siehe
(Mail
Petit nuanciert auf
Philippe History, Memory and Conan/Elenry Rousso,
sa
(EN
IM A
https://pdfify.app/trial
Kolleginnen
äußern
.
das Interview mit ihm zeigt auch, dass das, Spiel steht,
über das akademische Fach
;
von
was
wichtige Bedenken hinVergangenheit macht, doch
zwar
der
in den aktuellen Debatten auf dem
hinausgeht
und das Verhältnis
von
Identität,
Gedächtnis und Staat betrifft, Vor dem Hintergrund der jüngeren sozialen Unruhen yon Jugendlichen aus migrantischen und Minderheiten-Communities kniipft Nora eine
Assoziationskette, die Erinnerung
mit vermeintlicher
Pathologie,
Irrationalität
Opfer
der Geschichte verbindet. Seine Aussagen räumen implizit auch eine Krise staatlicher Anerkennungs- und Versöhnungsmechanismen ein; und
le Schwäche des Stutes und die Entzweng der Unterdrückten empfiehl gebieterische Heilkräfte Historikern und Historikerinnen. Nora richtet den
Nora
von
seine
Haunting Past: auch Eric
und
gz DE
3.
Themen ein. Siehe
Kollegen
sichtlich des Gebrauchs, den die Öffentlichkeit
und Gewalt der
I]
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schwieriges,
ein
In einem Interview fiir Le Monde
m|
fl
in
nach.“ Nora greift Roussos Anliegen auf und beklagt die aktuelle Bedeutung der
|
|
nur
Fach geraten können.?
1
1961
mit Eric Conan verfasst hat. Rousso hat auch leidenschaftlich über
er
Probleme
WE
LA
(insbe-
Holocaust-Leugnung) Doch die Libert&-pour-T’histoire-Historiker drücken eine immer stärker ausgeprägte Ungeduld gegenüber der in Frankreich so genannten devoir de memoire (»die Pflicht, sich zu erinnern«) aus und äußern den Eindruck, die Vergangenheit sei Gegenstand politischer und moralistischer Manipulation geworden. So hat beispielsweise Henry Rousso, Autor des Standardwerks über die Erinnerung an Vichy, ein von ihm so empfundenes mittlerweile unverhältnismäßig judäozentrisches Verständnis der Vichy-Jahre verurteilt, als eine »Vergangenheit, die nicht vergeht« so der Titel des sondere dem
I|
8
über Verbrechen gegen die Menschunter Strafe stellt, des
dem Gesetz des 23. Februar 2005 und zumindest
ll
23. Februar
vom
Juli 1990, das die Leugnung des Holocaust
Andere Historiker und Historikerinnen
|
des Gesetzes
traumatischen Geschichten, die »eines demokratischen
||
N
|
nur
rinnen
| |
| HH
des Gesetzes.«! Die
vom 29. Januar 2001, das den Genozid an den Armeniern und Armenieanerkennt, und des Taubira-Gesetzes vom 21. Mai 2001, das Sklaverei und Sklavenhandel zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit erklärt.?
Hi
N
Die Geschichte ist nicht der
[...]
Gegenstand
des Kolonialismus im Unterricht, sondern dariiber hinaus einer
Reihe weiterer Gesetze
i
den
ihn; sie fordert die Aufhebung nicht
an
2005
|}
Die Geschichte ist kein
DIE ETHIK MULTIGENERATIONELLER ERINNERUNG NACH
Kritik
17. Oktober 1961, doch vieles
die ihm
Unbehagen
ren von unten
rinnen und
zwar
an
nicht
an
die Adresse der
ihr scheint der Art
bereitet. Durch
Bewegungen
von
der
Erinnerung an Erinnerung zu entsprechen,
»Opfer«
und ihrer Nachfah-
beférdert und angeregt durch die Vorstellungskraft von Romanautohat sich die Erinnerung an den Oktober 1961 binnen
Filmregisseuren,
7
PT
||
.
|
i
|
9.
312
DIE ETHIK MULTIGENERATIONELLER ERINNERUNG NACH
VERSTECKTE KINDER
1961
333
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| |
|
Bruch
|
Aufgabe des Staates sein kann, Geschichte zu schreiben, und dass Geschichte kein Gegenstand der Rechtsprechung sein sollte. Ich breche allerdings mit der Stoßrichtung und den von Nora im Interview mit Le Monde vorgetragenen Ideen zur Frage der Erinnerung. Im Gegensatz 2u
fü
den französischen Historikern und Historikerinnen argumentiere ich, dass die For-
traumatischen
|
| || 14
pour-I’histoire-Position:
|
|
|
|
N
definiert,
|
Il 8
Öffentlichkeit aggressiv Geltung verschafft. Das Argument, das ich hier entwickle, stützt einen der Aspekte der Liberte-
fünfundzwanzig Jahren
es
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|
au Y|
an
dem »Leid
[...], das
in der
greift
er
der
erinnern.
Die drei
Texte,
mit denen ich mich in diesem
dierungvon Erinnerungen ebenso
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ten. Da sie der
Konflikte eine
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will«,
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könnte. Nicht
|
Frage
der
wie
Tradierung
Bühnebieten, fordern
Eltern erlebt haben
schaften der
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IB | 8 | |
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den Charakter der anhand
uns
von
weitergegebenen Geschichintergenerationeller
Didier Daeninckx’ KriminalromanBei Erin-
|
|
-
ein
Verhältnis, das sich durch die hier untersuchten Texte zieht
mit
der Idee einer
Postmemory beruht
auf intimen
Vermittlung anlehnt,
dert- bzw. vorn
Ve
Charakter aller
Postmemory sind just
-
der Punkt,
an
-
erinnert, diese
Eigen-
dem das multidirektionale Zusam-
Erinnerungen nur scheinbar separater Geschichten nationaler oder ethnischer Gruppen stattfindet. Die drei in diesem Kapitel untersuchten Texte rufen mitunter subdarunter der algerische Unabhangigkeitskrieg, der Zweite Weltalgerische Bürgerkrieg der 1990er-Jahre, der »Krieg gegen den Terrorismus« und die Not papierloser Migrantinnen in Europa keinen diedoch sie lassen sich In ihrem und Kontexte reduzieren. kontextual oft ser komplexen enigmatischen Verhältnis liegt auch ihr Versprechen, ein Nachdenken über eine Ethik multidirektionalen Gedenkens in einem Postmemory-Zeitalter zu ermöglichen. Noras Behauptung, aktuelle Versuche, die Geschichte aus der Opferperspektive til viele Kontexte auf
|
krieg, |
-
der
dabei einen bestimmten Moment der
Jahrtausendwende markierend,
und in dem
man
die
Gegenwart
in
in
dem
man
auf
Bezug
|
|
| |
umzuschreiben, würden auf eine Art Gedenkterrorismus hinauslaufen, und erkenntnistheoretisch bedenklich. Aber
rhetorisch
Herausforderung
zu
igno-
im
Jahrhun5
Marianne Hirsch, The Generation of
hier S. 106.
|
https://pdfify.app/trial
anstatt Noras
Folgendenauf drei Werke, die seine Sorge zu bestätida sie bewusst als verstörend, gewaltsam und sogar terrorischeinen, gen Erinnerung sierend darstellen. Die vielfältigen Strategien, durch die diese Texte die »gespenstische
unruhige Vergangenheit
Kl
ist
|
eher zurückblickt als nach
eine
auf
-,
|
rieren, konzentriere ich mich
und der
|
späte Charakter der Postmemory an den Erinnerungen an deren Konstruktion von
dass der vermittelte und
späten
von
»Postmemory teilt den Schichtaufbau dieser anderen »post-Begriffe, und ihren Verspätungscharakter, indem sie sich an die Praxis (oder Praxen) des Zitierens
Hh
sein
liegen zahlreiche |
|
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Erinnerung
Die meisten
Narrativen
aufdie
Wer | |
Multidirektionalität der
disparater historischer Vorstellungswelten ansetzt. Erérterungen von Vergangenheitsbewiltigung neigen zu der Annahme einer Homologie kollektiver Erinnerung und nationaler oder ethnischer Identität: Es Darstellungen und Kritiken der Art und Weise vor, wie Deutsche oder ihre Franzosen Geschichte aufgearbeitet haben. In diesem Buch habe ich betont, dass Vergangenheitsbewiltigung stets in komparativen Kontexten und durch Zirkulation
Kapitel befasse, behandeln die Tra-
unpersénlichen Geschichte noch mit der einer einzigartigen persönlichen Erinnerung endgültig beizukommen ist. familiären Erfahrungen, hat aber im Zeitalter der Massenmedien, zwar die sich obsessiv mit unbewaltigten Gewaltgeschichten befassen, wichtige Auswirkollektive Erinnerung. Hirsch vergleicht ihren neu geprägten Begriff kungen mit anderen »post«-Begriffen wie »postkolonial«, »postsäkular« und »postmodern«: und dem weder
|
von
Netzwerken räumlich und zeitlich differenzierter »Momente«
ihres
Erinnerung zu der von Marianne Hirsch so genannten »Postmemory« zu reflektieren. Hirschs Begriff soll das spezifische Verhältnis von Kindern zu den traumatischen Ereignissen erfassen, die deren
ea
nur,
vermittelten und
Dadurch wird die
-
—,
eine bestimmte Version
Postmemory
Caché (2005) auf, das Verhaltnis von multidirektionaler
|
| || i 7 | i| i |
Begriff
andere
-,
(1984), Leila Sebbars Jugendroman La Seine était rouge: Paris, octobre 1961 (Die Seine war rot: Paris, Oktober 1961, 1999) und Michael Hanekes Thriller
II
auf generationenübergreifender Ebene.«*
wie an Holocaustforschung entwickelt, bietet sich Hirschs sie selbst sagt ihn auf Bereiche zu übertragen. Die in diesem Kapitel untersuchten Texte veranschaulichen, dass sich die Struktur von Postmemory in postkolonialen Kontexten wie der Situation nach dem Algerienkrieg besonders deutlich manifestiert, und sie ermutigen uns, noch einen Schritt weiter zu gehen. Was Hirsch nicht sagt obgleich ihre Darstellung die Möglichkeit nicht ausschließt ist, dass
nerung Mord
||
oder
mentreffen
|
il
Belastungsstörung)
Im Kontext der
einen
1960er-Jahren
Postmemory keine Bewegung, Methode
und
Erinnerung
Weitergabe und Vermittlung der Erinnerung genauso wichtig wie die
in
Ausdruck. Und doch ist
Weitergabe von traumatischem Wissen und traumatischen Erfahrungen. Sie ist, eine Folge der traumatischen Erinnerung, allerdings (und anders als bei der post-
Inhalts.
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/ |uli || ia | IL HE
zu
von
der »Gewalt, mit der sie sich Gehör verschaffen
die Zeit zwischen den 1940er- und den
Frage
A
a
Aufmerksamkeit
zivilgesellschaftliche Gruppen
die
zum
neue
Idee; ich sehe sie vielmehr als eine Struktur der inter- und transgenerationalen
wichtigen Aspekt der jüngeren akademischen und künstlerischen Herangehensweisen an den 17. Oktober und die Shoah auf: die Betonung der Mittel und Modi der Übertragung von Erinnerung. Je häufiger eine Nachkriegsgeneration die andere ablöst, desto geringer wird die Zahl derer, die sich noch persönlich
|
|
unsere
Ausdruck kommt«,
lenkt,
| | ia
Erinnerung und Gegenerinnerung,
Wenn Nora
| zum
ili
der
Paradigmen zu initiieren. Wie die anderen »post«-Begriffe Postmemory ein unruhiges Oszillieren zwischen Kontinuität und
anstatt
kommt auch
nicht
Instrumentalisierung ergeben.
men
|
a
N
dass
öffentlich zirkulierende Texte kreieren, wesentlich sind für den Widerstand gegen jene Homogenisierung und Moralisierung der Erinnerung, die sich aus staatlicher
i
N
Vorstellung,
die
|N Wid) ll
|
,
in der französischen
Postmemory,
in: Poetics
Today
29
(2008), S. 103-128,
a
a
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|
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1]
Aufdeckung verborgener Geschichten,
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Oktober 1961
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Texte nicht i
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|
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Unterweisung Erinnerung in ethische Subjekte verwandeln,
in
einer Ethik
gesellschaftliche Einheit im Sinne Noras fördern, sondern die Achtsamkeit auf
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die
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von Sebbars Roman,
matische Geschichten endlich
“bol »Hard-boiled«
Stein
im
im in
Zweiten
angemessenes
.
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Bei
-
Roman Bei
Verurteilung
Begräbnis
Maurice
erhielten,
Evi
Erinnerung Mord
Erinnerung Mord
von
Papons
1984 wird
vom
a
fie häufig
Oktober 3961
wegen seiner
antijüdischen
als
|
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Aktivitäten
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ver!
ist Bei
Mit
tr:
den
verbindet
Algeri
des
Erinnerung Mord,
in
der hier
eingeführten Begrifflichkeit,
ent-
ein
nur
zwei
über folgenden Jahrzehnten beschäftigthaben, auch zwei Gattungen, die genutzt in und dem Ereignissen
Geschichten zusammen, er
en
bezeichnet.
schieden multidirektionaler Text. Darüber hinaus führt der Roman nicht
|
Mei 1
ICE veifsst prindunklen gt trenmati sche und umstriteneGeschichten Vergangenheiten Vichys und ies
eine populäre Form.
enkriegs
ein
Öffentlichen Bewusstsein des Massskers
Kurz nach der i
bedeuten
ich
Erinnerung:
Didier Daeninckx’
Stimme. mit dem 17. Oktober im litera-
mit
Filmen
multidirektionalen Echos lenken, die das Terrain der Politik konstituieren. Inspiriert mit der Frage, was es schlieBe würde, wenn trau-
die .
weite Teile dieses Buches
N
N
uns
.
she
wiederholt
sich fiktional
den
des Oktober 1961
national-
Bei
wurden,
tur, die auf die
sozialistischen Genozid auseinanderzusetzen. Daeninckx kombiniert Geheimnis,
Erinnerung Mord. Der viel diskutierte Roman hat eine erstaunliche ErzählstrukNotwendigkeit zu verweisen scheint, die Spezifik multidirektionaler unter den Bedingungen der Postmemory zu durchdenken also unter Erinnerung den Bedingungen der Auseinandersetzung spiiterer Generationen mit den traumatischen Vergangenheiten ihrer Eltern. Bei Erinnerung Mord hat eine Generation nach den Ereignissen zu einer erneuten Auseinandersetzung mit dem 17. Oktober beigetragen und den Boden fiir Hanekes und Sebbars Werke bereitet, da der Roman zum Nachdenken darüber auffordert, was es bedeutet, wenn Geschichten verborgen bleiben, und was es bedeutet, sie ans Licht zu bringen. Hanekes Film schließt sich Bei Erinnerung Mord an, da auch er Fragen der Erinnerung vor allem anhand von
eson tere
Famili hichten, insbesondere Vater-Sohn-Beziel ins! ‘amiliengeschichten, bars
Jugendroman
Vater-Sohn-Beziehungen,
La Seine était rouge: Paris, octobre 1961
nerationeller
sich auf
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in
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in
des
Ereignisses bezeugen)
Veröffentlichung |
von
die Gründe für diese
in
den beiden
Jahrzehnten zwischen dem Massaker und
Daeninckx’ Krimi wenig Aufmerksamkeit zuteilwurde, liegen Hand.“ Wie könnte man ein Ereignis, das
Gattungswahl auf der
|
7
Didier Daeninckx, /
2003. |
8
ZurFortdauer ner,
Badiou, Ethik, $, 91, 64.
Offenbarung in der Handlung eines Polizeithrillers mit intergeGeschichtstradierung. Elemente dieser beiden Gattungen finden sich
Hanekes Film und Sebbars Roman. Da dem 17. Oktober beispielsweise Smith’ und Werken 1961 (trotz Roman den algerischer Schriftsteller, die Spuren der
|
6
mit
und
später
kundet, let. Leila Leila Seberkun Sel
beschaftigt
um
Aufdeckung
-
ye He
5
die
in allen drei hier untersuchten Texten die verbor-
Auseinandersetzung
von
.
Sti
Text leitete die
sich La Seine zentral
der Rolle
Trotz dieser Unterschiede soll die in allen drei Fallen aufscheinende Ethik nicht
-,
rischen Mainstream Frankeichs ein: Didier Daeninckx’ 1984 veréffentlichter Thriller
|
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mit einer
einziger
in
multidirektionaler
.
Ein
Erbschaft einer gewaltsamen
setzt
sowie
zu
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iner
antizipierend,
Erinne-
von
nero,
terrorismus soll vielmehr das Publikum durch dessen
genen Leerstellen sind. Insofern aber ethische Treue die Neugestaltung individueller und kollektiver Geschichte aufgrund dieser Gewalt nach sich zieht, sprechen die
a
ed
bei der Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit mit ethischer Varianten der Erinnerung auseinander. Während Daeninckx und Sebbars Romane unterschiedliche ethische Subjekte der Erinnerung (und der Film keine Postmemory) hervorbringen, hat Hanekes positive Gestalt des Subjekts der Treue bieten. Die Caché Werk gesetzte Inszenierung des Erinnerungs-
;
zusammenhängen,
die die
Herstellung
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|
nichtvorausgesetzt
:
Fragen der
Situation rekonstruieren
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-
Film Formen,
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Traumata und
Wahrheit konstruieren
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schwierigen intergenerationellen Tradierung
Weise mit der
rungen und erkundet wie Hanekes Vergangenheit annehmen kann. Caché
gesellschaftlicher Spaltungen konstituiert die ethische Dimension multidirektionaler Erinnerung. Sie implizieren die Notwendigkeit einer Open-end-Treue, die an Alain Badious Ethik der Wahrheiten erinnert. Badiou zufolge bedeutet Ethik, auf eine bestimmte Art auf ein Ereignis zu das den bis dahin oder die »Liicke« verborgenen Widerspruch reagieren, (trouée) in einer Situation sichtbar werden lässt; ethische Treue bedeute eine »fortgesetzte Erkundung der Situation« im Lichte des Ereignisses, um ein neues Subjekt zu »induzieren« das eine neue und die gesellschaftliche kann Badious Hinweis, das ethische Subjekt gehe aus der Untersuchung der Lücken der Gegenwart erst hervor und kann der Untersuchung werden erweist sich einer multidirektionalen Ethik der Erinnerung als besonders dienlich. Daeninckx, Haneke und Sebbar lege alle nahe, dass Erinnerungsarbeit von der Gegenwart ausgeht: Ein Individuum untersucht aufgrund der Widersprüche seiner Situation die Vergangenheit, wodurch es ein Subjekt Badiou’scher Treue und ein Agent der Erinnerung wird, Wie in The Stone Face ergibt sich diese Bewegung vom Individuum zum Subjekt und Handelnden aus einer Anrufung, doch scheint die Anrufung hier weder vom Staat noch von einer Gegenkraft (wie den Algeriern und Algerierinnen in Smith’ Roman) auszugehen; sie scheint Resultat der Geschichte selbst, des häufig übersehenen oder vergessenen Archivs der Gegenwart. Es ist leicht dass verdrängte persönliche und politische Ereignisse, die mit dem zu erkennen,
\|
|
N
gleichbare
Vergangenheit« in den Vordergrund stellen, erzeugen allerdings keine Spaltung, sondern wollen vielmehr bestehende unverarbeitete Spaltungen sichtbar machen. Ihre >
i
315
|
|
i
|
»HARD-BOILED« ERINNERUNG: BEI ERINNERUNG MORD
9. VERSTECKTE KINDER
314
|
| 1
can
pour Paris1984, dt.: Bei Erinnerung Mord, als Thema algerischerSchriftsteller siche Seth GraebEn
Meurtres mémoire,
des 17. Oktober
Remembering
172-197.
Heilbronn
Werk
17 October 1961 and the Novels of Rachid
36 (2005)4,S.
Literatures
im
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Boudjedra,
in: Research
in
Afri-
1
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7
316
7
|
eine Generation
|
stellen als durch eine
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Elternteils und eines Kindes miteinander verbindet? Doch die
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|
Im
dem öffentlichen Bewusstsein sich
um
Intrigen
getilgt wurde,
Erscheinungsjahr
||
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| ||
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Dinge liegen nicht
12
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der
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Jan
ankiindigt. Außer ersten Kapitel von
auf. Doch
gibt
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hüllender
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Passagen
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17.
zwar
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Zusammenfassung
von
der
Thirauds Sohn Bernard: Zwei Monate nach dem Tod
seines
Bernard 1982 während eines Besuchs in Toulouse ebenfalls
|
Vaters
kaltblütig
geboren,
wird
ermordet. Sein
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https://pdfify.app/trial
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weder der Mord
Zu diesem
von
Mittelpunkt Cadins an
Bernard noch der
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Besatzung und Roger und Licht
Holocaust
Beteiligung
Vichy-Regimes
des
gelangen, Figur veriibt
die während des Holocaust
erinnernden
zwischen der historischen
gebracht zu haben) am
ans
der
Bernard sind ermordet worden,
Wirkung
um von
worden sind, die nach wie
des Romans (den
und seinen erzählerischen Mitteln
17. Oktober
(die die französische
aufdecken) entsteht durch die hard-boiled-Krimigattung,
verbindet. In der Zeit zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem
Höhepunkt der Dekolonisierung zu Beginn der 1960er-Jahre hat sich die Gegenüberstellung der (wie auch immer jungen) Holocaust-Vergangenheit und des anhaltenden Konflikts in der kolonisierten asymmetrisch und anachronistisch niedergeschlagen was Texte wie The Negro and the Warsaw Ghetto, Chronik eines Sommers, Les belles lettres und The Stone Face belegen. Anachronismen spielen in
Welt haufigzeitlich
-
den Texten der letzten Jahrzehnte des 20. und der weiter eine |
ersten
Dekade des 21.
geworden (wie unabgeschlossen
In dem Maf, in dem sich die beiden
deren
Ausbleibens
-
in den letzten |
in den
Mittelpunkt.
Erinnerung gerecht Jahrzehnten
zu
Aufarbeitung auch
sein
zeitlich voneinander
Ereignisgruppen beziehungsweise ihres
entfernen, rücken Fragen intergenerationeller Tradierung kollektiven
Jahrhunderts
wichtige Rolle; allerdings sind Holocaust und Dekolonisierung in diesen
Texten »Geschichte«
mag).
Rufeines Enthül-
Ereignisse des 17. Oktober vorgelegt hat (einschließlich des fiktionalen Todes von Roger Thiraud), springt die Handlung zwanzig Jahre in die Zukunft und erzählt in einem kurzen, halben Kapitel die Geschichte der letzten Tage
|
onen
Oktober, die bei Erscheinen des Romans
sel, die in dem Roman eine Rolle spielen. Gleich nachdem Daeninckx eine kurze
gewisser Machismo).
die auf solche Umwege spezialisiert ist. Diese Spannung wirkt sich wesentlich auf das Nachdenken über multidirektionale Erinnerung aus, da sie mehrere Generati-
die Aufnahme mehrerer ent-
(was dem Roman zu Recht den
Spannung
Licht
Mitschuld
Latein-
lungsbuchs eingetragen hat), doch letztlich ist das Massaker nur zufällig oder bedingt mit der Romanhandlung verbunden. Tatsächlich gibt es außer der Ermordung Rogers mindestens zwei weitere Rät-
hochrangigen, an Papon im Polizeiapparat arbeitet.
Die ans
einem Pariser
mit Einzelheiten
-
nationalsozialistischen Genozid.
verhindern, dass Verbrechen
vor
des
eines
und damit des Romans
einer
Handlungsstrang, Thrillers Mittelpunkt
Roger Thiraud,
-
Zeit der nationalsozialistischen
der Demonstration erzählen die
den letzten Stunden im Leben des
kaum bekannt gewesen sein dürften
HT
i vi
Zerschlagung
Thibaud wahrend der Demonstration erleichtert
A
|
der brutalen
ein
Roger ist, sondern die Verbindung zwischen beiden. Diese aufzudecken erfordert eine Rückblende von 1982 in das Jahr 1961 und schließlich in die 1940er-Jahre, die
der
einen zweiten
Gymnasium, der während der Demonstration vor seiner Wohnung vorsitzlich niedergeschossen wird, nur einige Schritte von dem Ort entfernt, an dem die Algerier und Algerierinnen massakriert werden. Die Frage, weshalb man diese scheinbar belanglose Figur kaltbliitig ermordet hat, ist ein zentraler Aspekt der im Roman entwickelten Intrige. Daeninckx’ Narrativ behandelt die Ereignisse des 17. Oktober nicht als verborgene und verdringte Vergangenheit, sondern als Anlass, einem anderen Rätsel nachzuspüren. Die Ermordung von Roger
ee | 4
lDa; Hl
von
und Geschichtslehrers
a
1
Ermittlungen
—
mit dem der Demonstration verwoben ist und das Rätsel im
|
| lm
'
in Sportstadien am Romanhandlung wieder
(schwarzer Humor, Ironie,
Zeitpunkt wird rasch deutlich, dass das eigentliche Rätsel
oder verhaftet und in die provisorischen Stadtrand verschleppt worden. Keine der Figuren taucht in
Lager
ml |ML
|
tivromanen aufweist
—-
Bonne-Nouvelle Metrostation ermordet
| | A Hal
auf, die
~
|
317
die ersten zweieinhalb
1984 mit dem Grand Prix de la Littérature Policiére und
auf den
| |]
ERINNERUNG MORD
Tod markiert einen
~
|||
i
BEI
wichtigen Wechsel in der Erzählform des Romans. Während sich Kapitel eines externen Erzählers bedienen und zwischen einer Reihe figurengebundener Verkörperungen wechseln (von denen die meisten bald sterben), wird der Rest des Buchs (mit Ausnahme eines kurzen Kapitels) von Inspektor Cadin erzählt, dem der Mordfall des jungen Thiraud zugewiesen wird und dessen Erzählstil Eigenschaften der als hard-boiled bekannten Gattung von Detek-
besser dar-
dreht und die Schicksale eines
einfach.
die
{1
Ta
|
aus
Erzählung, die
»HARD-BOILED« ERINNERUNG:
ausgezeichnet, weist Bei Erinnerung Mord nicht man angesichts der geradezu mustergültigen Rolle gerade Handlung des Romans bei der Heranführung eines breiten Publikums an die Ereignisse des Oktober 1961 erwarten würde. Mit seiner gesellschaftlichen Wirkung hat der Roman des Massakers an Algerizwar zur Offenlegung einer »verborgenen« Geschichte Straßen der Pariser Innenstadt ern und Algerierinnen beigetragen, doch in narrativer Hinsicht funktioniert der Roman anders. Das Rätsel, dessen Lösung man erwartet, ist tatsächlich Ausgangspunkt der Handlung. Bei Erinnerung Mord beginnt in der bidonville von Nanterre und folgt den Aktivitäten mehrerer Algerier und Algerierinnen, die sich auf die beispiellosen Demonstrationen in der Pariser Innenstadt vorbereiten und an diesen teilnehmen. Bis zum Ende des zweiten Kapitels sind alle Figuren, die diese Ereignisse verkörpern, entweder verstorben vor der
|
|
.
so
lang
KINDER
dem Prix Paul Vaillant-Couturier
|
N
VERSTECKTE
|
a
i:
5
9.
-
Um dieser Transformation der individuellen und
werden, hat sich speziell die Holocaustforschung
mit den Geschichten der zweiten und dritten Generation
befasst und ästhetische Formen und
analytische Kategorien
Begriff »Postmemory«
für diese
neuen
Erinne-
rungsphänomene um diese überwiegend Post-1970er-Jahre-Entwicklungen konzeptionell zu erfassen. Die eigenartige strukturelle Beziehung von Bei Erinnerung Mord zu »verborgenen« Vergangenheiten bestätigt die engen Verbindungen zwischen Postmemory und multidirektionaler Erinnerung, Letztlich beruht das Rätsel im Mittelpunkt des entwickelt. Hirschs
Romans weder auf den
Ereignissen
des 17. Oktobers 1961
war
besonders nützlich,
(wie sehr
sie dem breiten
|
|
fai)
a L
:
a
318
1
verborgen
sein
zu
scheinen) noch auf denen des Holocaust (wie
»gegenwärtig« sie demselben Publikum Bei Erinnerung Mord das Rätsel, das
|
1
»HARD-BOILED« ERINNERUNG: BEI ERINNERUNG MORD
g. VERSTECKTE KINDER
Publikum auch
|
|
14
7
|||
geworden sein mögen).
auch
—
der Roman inszeniert,
|
und Bernard Thibaud stehen fiir das fehlende
an
verschiedener
Roger
zu
den
Daeninckx
fiktionalen
Verbindungsstiick
| |||
a
:
u
|| | | r
|
also seine bis dahin unbekannte Rolle bei der
|i|
während der nationalsozialistischen aber
vielfältigen Aspekte
| {
|Mi)
|
ll
|
4
|
mM
Absicht
|
wurden
|
1 MT
zu
sie
war
; ail
zwar
die
In der erzählerischen
LT ii | LT |
hergestellt, jedoch Genozid zur Sprache
am
nationalsozialistischen
eines
politischen
partiellen
Texten noch nicht thematisiert
AuRenseiters schreibend, warf William
Frage
Welt
der Mitschuld auf,
von
Daeninckx
ist
die französische Mitschuld das ulti-
der Intrige (abgesehen
mative Verbrechen und das kausale Element
|
||
Zeit des Oktober-Massakers
jedoch nicht die der spezifisch französischen Mitschuld. Zwei Jahrzehnte später hingegen können die unmittelbar nach den Ereignissen des Algerienkriegs und des Zweiten Weltkriegs hergestellten Verbindungen Grundlage einer »Ermittlung« werden, die die nicht gestellten Fragen nach Mitschuld zum Gegenstand hat.
| |
| a
zur
nationalsozialistischen Genozid
in historischen oder
Standpunkt
Gardner Smith
A ZN
|
|
|
Algeriern
und Algerierinnen
sämtliche
Figuren
in den ersten beiden
Franzosen und
recherchiert,
zu
den
wenigen
sind tatsächlich
muss aus
demsel-
wissen auf einen
»In Anbetracht der
zur
Depor-
schrieb (und
Gemiitsbewegung auf diese barbarische
Kindernicht von
Mafihren
jüdische Kinder,
in den Tod
geschickt
zu
haben, als
von
den Deut-
Als Generalsekretär der Präfektur Gironde während der
-
Schliisselroman hinter den Morden
den beiden Thirauds steckt
an
wird fiir ihre
-
Überstellung Mitwirkung an der Deportation jüdischer der jüdischen Familien in das Sammellager Drancy gewissenhaft organisiert. Weder aus politischer Überzeugung, noch aus Antisemitismus, sondern einfach nur, weil er den Vorschriften gehorchte und die Befehle des vorgesetzten Apparats ausfihrte [...] Die Region, die [ihm] unterstand, steht an erster Stelle sämtlicher Verwaltungsbezirke Frankreichs bei den Deportationen jüdischer Kinder« (S. 205). Indem er Veillut als exemplarischen Fall des banalen, todbringenden Biirokraten zeichnet, wie ihn Kinder verurteilt: »Er hat die
Hannah Arendts Bericht iiber Eichmann beriihmt eine fiktionalisierte Version der
am
gemacht
weitesten verbreiteten
hat, bietet Daeninckx
Darstellung Papons
als
eines
House und MacMaster diese in
Zeit
rechtsextremen Elementen in der Polizei
|
unideologischen Täters (wenngleich infrage gestellt haben und Papon mit
jüngerer
| |
Verbindung bringen; Unabhingigvon der historischen Exaktheit dieses verschleierten Papon-Portrats,
und der Armee in
seine Funktion ist
multidirektionale Cadin einem
Kind
von
siehe Paris 1961, S.
eindeutig: Es bereitet den Boden fiir die Verbindung unterschiedlicher Epochen
Bernards Freundin
Deportationsfall
war, antwortet
Verbindung,
Claudine gefragt wird,
beschäftigt hat, der sich
Cadin:
Die reicht
seines Sohnes Bernard
Parallele in der
aus.« —
»Roger
vom
zu
im
einer Zeit
und Geschichten. Als
abspielte,
—
-
er
mit
|
|
|
noch ein
das
ist
und
später
Komplizenschaft
die
hat eine
die der Roman zwischen dem 17. Oktober
bedingten Verbindung,
Weltkrieg
da
Drancy geboren zufällige Verbindung Rogers
mit Frauen und
Kindern) und der Deportation
Kinder herstellt. Veilluts fiktionale Karriere verläuft
Zweiten
Roger Thiraud
Thiraud wurde in
(S. 211). Die
hergestellte
Roman
weshalb sich
mit der Geschichte französischer
(einer »Familien«-Demonstration
jüdischer
33-60).
über die Zeit des
Algerienkriegs
-
wie die
von
Papon
|
| -
und weit darüber hinaus,
viel in den Archiven des Zweiten Welt-
der Deportation insbesondere zur Geschichte Staates.
Jüdinnen und der Mitwirkung des französischen
Bi | Hil
von
Romankapiteln
Französinnen). Bernard Thiraud
ben Grund sterben wie sein Vater: Er hat
kriegs
|
il
bringen;
worden. Vom
N
el
Verbindungen
zum
ohne die Mitschuld Frankreichs
I|
a Wa
Papons glän-
-
dere der Frankreichs. In französischen Diskursen
|
von
es zu
Jahr 1942, »die
Besatzung folgte Maurice Papon Lavals Befehlen und beteiligte sich an der Deportation von 1600 Juden, darunter 130 Kinder unter 13 Jahren, in das Internierungslager Drancy, der Durchgangsstation nach Auschwitz. Andre Veillut die Figur, die in Daeninckx’
erkennbaren,
des Romans iiber wiederzugeben, verweisen darauf, dass die die Anklage einer einzelnen wenngleich zentralen Figur hinausgeht: Wie jede Detektivarbeit funktioniert Cadins fiktionale Mordermittlung nach dem Prinzip Ursache und Wirkung, wenn sie sich von einer Spur zur nächsten bewegt und so einen breiten Ausschnitt des französischen Lebens in der Nachkriegszeit sichtbar macht. Indem er verwandte Phänomene verschiedener Epochen zur Pointe seines Narrativs macht, provoziert Daeninckx eine Auseinandersetzung mit den umfassenderen Problemen französischer Komplizenschaft. Jenseits der Erinnerung an die Ereignisse des nationalsozialistischen Genozids und des Algerienkriegs, selbst jenseits der verschiedenen Verbindungen, die in der kollektiven Erinnerung mittlerweile zwischen beiden bestehen, geht es um die Frage der Verantwortung, insbesonzender Karriere
|
La
|
die
-
Ii |
8
um
verlangt.”
schen
des französischen Kolo-
Mittel, derer sich Daeninckx bedient,
|
ll
3
Spätphase
dem
aus
werden und ihnen somit
und insbesondere
Juden und Jüdinnen
|
Wa
|
der
in
von
seine öffentlich
nialismus und insbesonderé seine Rolle beim Oktober-Massaker. Die fiktionalen
i)
N
a
Besatzung
Aktivitäten
sowie
(|
H
:
weitgehend ignorierten
Deportation
Empfehlung
Bernard
von
folgen können« (S. 61). In einer Sprache des getrennt Anstands formuliert, sorgte Lavals tatsächlich »barbarischer« Befehl dafür, dass die Vichy-Regierung einmal dafür berüchtigt sein würde, mehr Juden und Jüdinnen,
Ermittlungen das, was tatsächlich gerade die Aufmerkerlangt hatte: Papons doppelte Schuld,
die
zitiert):
Eltern
samkeit der französischen Öffentlichkeit
1
|
7
verkörpern
Hinsicht
Toulouse konsultierten Dokumente ohne
nahme hin, habe ich bei der deutschen Armee erwirkt, da die
zwischen unterschiedlichen Verbrechen und Geschichten. In »realer« historischer i)
von
beim Durchblattern der
ausersehenen Familien nicht auseinanderzureifen«. Laval
tation
|
HT
Anfang seiner Ermittlungen
am
Schlüsseltext stößt: Pierre Lavals
—
und der Fortbestand der unbe-
Verbindung Epochen waltigten Vergangenheit in der Gegenwart. Cadins Ermittlungen Morden
aufzulösen
dass Cadin
in den Archiven
Die Pointe von
um es
|
ist vielmehr die
es,
319
von
Juden und
Entsprechend wichtig
ist
9
Siehe ton,
zur Deportation jüdischer
Vichy France and
Kinder York
the Jews, New
das
Standardwerk: Michael R. Marrus/Robert O. Pax-
1981, S. 263-269.
|
|
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|
LA
https://pdfify.app/trial
3
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|
a i | i
_
320
9. VERSTECKTE
KINDER
der Familie als
ideologi-
CACHE UND DIE ETHIK DES ERINNERUNGSTERRORISMUS
321
i
_
i
doch Daeninckx betont eher
il |
sche
|
Die
|
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;
8
|
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|
der Fall
|
||
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bung
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a
Auseinandersetzung mit unaufgearbeiteten Vergangenheiten sein kann,
|| WE i
N
ae Il
wenn
gegenüber
den
von
—
ihm
-
die den männlichen Detektiv nicht
die Freundin des
nur
Opfers Bernard Thiraud
-
den Fall lösen,
gewinnen lässt,
professioneller Polizeiinspektor auf die Grenzen hard-boiled-Erinnerung. Die Konventionen der hard-boiled-Gattung erlauben es Daeninckx zwar, einen »schrägen« Blick auf die Ereignisse der Geschichte zu werfen dadurch metonymische Verbindungen der Komplizenschaft im Algerien- und im Zweiten Weltkrieg sowie zwischen beiden aufdeckend -, doch sie dienen auch dazu, die Mitschuld durch eine traditionell heterosexuelle Auflösung einzugrenzen der
-
und diesen Makel
aus
der Welt des normativen Paars auszuschließen.!!
und zweitens,
Cache und die Ethik des
avant Ia
lettre,
von
Noras Dike
Erinnerungsterrorismus
Michael Hanekes Caché (Verdeckt) Bei
der Spannungen im
postkolonialen
Erinnerung
in dem
Frankreich ließe
keine
Ichdenke
hier
an
das wichtige Buch: Michael AndréBernstein, Foregone Conclusions: 1994. Bernstein unterscheidet Narrative, in denen
nutzt
Mord. Wie Daeninckx
einige
legt
Elemente der Erzahlstruktur
Haneke einen
spannenden
rätselhafte Vorfälle und Historisches zusammentreffen, doch
Außenposition.
Fasziniert
2ukiinfti-
Ereignisse des
ges Wissen auf frithere Ereignisse riickprojiziert wird, um sie als Teil einer »notwendigen« Entwicklung erscheinen zu lassen (»backshadowings), von solchen, in denen die Zufalligkeit wird zum
|
Daeninckx’ Verhiltnis
Against
der
(»sideshadowing«). ersten Narrativtyp
Mir
betont die
geht
es
Geschichte nicht als vorherbestimmt
hier darum,
die
dass sollen Gattung die
dargestellt
LL
des Kriminalromans stark
tendieren kann schließlich ja Verbindungen aufgedeckt notwendigerweise zu einem Verbrechen geführt haben —, dass aber Daeninckx’ der hard-boiled-Gattung es ihm erlaubt, nicht riickwarts, sondern seitwarts zu bli-
werden, die
mt
Gebrauch
nt
kontingente Assoziationen überblicken und innerhalb Schichtung mehrerer Nebenhandlungen vornehmen kann. cken, sodass
er
von
Fragen
der
von
Thriller
gibt
es
Überwachung und Ermittlung
vor,
hier zieht
Vorder- und
Hintergrund umzukehren: Nun sind es die »verborgene« Geschichte und nicht als das
auf den
von Zizek inspirierte Anspielung »schragen Blick« hat mein Kollege Robert A. Rushing vorgeschlagen. Ich danke ihm für seine Überlegungen zum Verhältnis der hardboiled-Gattung zu der Art von historischem Umweg, von dem Daeninckx Gebrauch macht. Siehe Rushings anregenden und erhellenden psychoanalytischen Ansatz zur Analyse von
Die
Popular Culture, Cambridge
a
|
https://pdfify.app/trial
von
Oktober 1961, die als
2007, Siehe auch
|
A ||
17.
Detektivromanen: ders., Resisting Arrest: Detective Fiction and Popular Culture, New York Slavoj Zizek, Looking Awry: An Introduction to Jacques Lacan through
seines Narrativs eine
|| | N
-
verweist Cadins externe Position als
nicht immer, eine multidirektionale
Wiederlegung,
und gegenüber Notwendigkeit
Hl
|
Angesichts
Apocalyptic History, Berkeley
| |Heh U 0
steht außerhalb des Netzwerks indivi-
untersuchen
es zu
der Film die Position des Ermittlers in das Verbrechen hinein. Haneke scheint auch 10
i
N| i.
8
Erzählstrategien
sind,
erfordern.
sich tiberschneidender Geschichten erfordern wird.
rung stumm bleibt.
Blt)
mati
sondern auch die Frau
des »Gedachtnisterrorismus«: Bei Erinnerung Mord deutet an, dass die Gewalt sich fortsetzen und spätere Generationen heimsuchen wird, so lange die Erinne-
8 Wal
|
Subjekt der Erinnerung (Inspektor Cadin)
Gendercodierung des Romans,
tum
a
a
Auseinandersetzung oft,
Der Roman liefert auch eine Art
|
Ausgrabungen
Werken vergangen
Postmemory die narrative Struktur für eine erforderliche ethische
|
Hh
neue
und
die Erbschaften des 17. Oktober verstrickt sind. Zusammen mit der konventionellen
dieser bei-
bereit: erstens, dass
Ausgrabung
und
gilt. Cadins Äußerlichkeit aufgedeckten Geschichten des Algerienkriegs und des Holocaust unterscheidet ihn deutlich von den Hauptfiguren von Caché und La Seine était rouge, die, wenn auch manchmal nur marginal, selbst in
in den 1960er- und 1980er-Jahren Schichtung getrennten und sich doch überschneidenden Reihen von (»realen« und »fiktionalen«) Gewalttaten hält zwei Lektionen für die Bedeutung der Postmemory
|! 1 || | i ae
Jahrtausendwende erschienenen
produzieren
oder zumindest Distanz
im Roman: Der Text befasst sich mit historischen Gewalttaten der 1940er- und
dass eine solche
um
dueller und kollektiver Schicksale, das
den zeitlich
|
m |a | AM CU Nwl
sein
vielleicht, weil Daeninckx sie in den ironischen Ton und schwarzen Humor
Sohn), findet
und
m
Traumata
sehen ist. Doch sollten die 20 Jahre, die zwischen Bei Erin-
zu
die
—
schnell sentimental werden, doch das ist hier nicht
statt. Die
Cache
Daeninckx’ Roman bedient sich einiger Konventionen von Postmemory-Arbeiten etwa indem er eine öffentliche Geschichte als Vater-Sohn-Drama gestaltet -, doch
1960er-Jahre, doch die fiktionale Gewalt, von der er erzählt (die Ermordung von Vater
A ll
neue
chen in der französischen Gesellschaft wiederkehren. Daher die zeitliche Verschie-
17H
i1 |1
-
zwar
an
nerung Mord und
hard-boiled-Gattung einbettet. Dass Kinder in Bei Erinnerung Mord im Vordergrund stehen, unterstreicht die generationelle und intergenerationelle Tradierung. Während Bernard die von seinem Vater begonnenen Recherchen zu Ende führen will, versucht der Roman, zwei Verbrechenskomplexe aufzuarbeiten, die lange ignoriert wurden; Komplizenschaft und Schweigen haben aber dafiir gesorgt, dass die Verbre-
i]a
N
Kanon
rouge wie auch
der
Vai
1 i
deren Ten-
im selben erzählerischen Rahmen unterzubrin-
vilctimisierte Kinder kénnen
{UM |
-
zeitgenössische Fragen singulires, kausales Narrativ zu zwingen.!° Der Fokus auf das Kontingente miindet nicht in einer Entpolitisierung genozidaler und kolonialer Gewalt, sondern in einer immer stringenteren ethischen Forderung: Aufgrund des Zufalls der Geburt erben nationale (und andere) Subjekte den Imperativ, die multiplen Formen der Gewalt zu untersuchen, die man in ihrem Namen begangen hat. Geschichten über
|
|
hard-boiled-Krimigattung
gen, ohne sie in ein
11)
|
Konventionen der
viele andere
|
| |
ergebnisoffenen
Daeninckx’
-
|
|
;
prophetisch bezeichnen. Sicherlich hat Erzählung über den 17. Oktober als Teil eines von verborgenen Geschichten und uneingestandener Mitschuld gepragten Generationendramas den im Entstehen begriffenen von Darstellungen des Massakers gepriigt, wie an La Seine était sich diese kritische Sichtweise durchaus als
denz, im Zuge der »Aufklirung« eines Verbrechens ein kontingentes oder metonymisches Assoziationsfeld aufzudecken erlauben es Daeninckx, Algerien, Vichy und
|
|
Zufalligkeiten der Geburt und
Uberzeugungen.
1992.
322
a
N
18
Setting seinen
nicht
|
Die
über historische Mitschuld auftauchen. Das
von
den frühen
hard-boiled-Roman verfasste, noch ein
1980er-Jahren, als Daeninckx Geheimnis; 2005 jedoch war es zu
französischen Zeitgeschichte geworden-
was
bedeutet, dass der Staat oder die breite Öffentlichkeit daraus gelernt hätten, doppelte Umkehr, die Cache von Bei Erinnerung Mord absetzt die Umkehr des -
Verhältnisses
|
N
von
Vorder- und
Kontext, der sich selbst
| il
Hintergrund, und zwar in grundlegend gewandelt hat lässt
einem
-,
Film ebenso wie Daeninckx’ Roman mehr (vielleicht auch zunächst scheinen mag.
|
A} |
Cache ist
|
a
den
um
das
gesellschaftlichen
Cannes im Mai 2005
mit drei Preisen
| hiqi
schaffen will«,
7| |
|
La ul
ausgezeichnet,
er
es
nur wenige
von
Georges
|
|
m |
|
|
Cl|
|
|
lange verdrängten Ereignisse des
einem im Zweiten
von
geprägt
Verdrängten
Weltkrieg
in
an
17. Oktober 1961. Weil
legt dieser französische Film, Deutschland geborenen Österreicher,
Mittelpunkt
von
einer
muss,
Cache stehen die
die
von
kul-
Auswirkungen
auf ein
langen ruhigen Einstellung >
dass wir
die Fassade eines
erste
damit das
einer
12
|
a
Geschichtsphilosophie
von
Reihe von ganzen
Uber-
an,
spreche, spiele ich auf Ian Baucoms Plidoals Gegenstand der Akkumulation und nicht
die Zeit
Progression auffasst. Baucom bezieht sich auf das Werk von Schriftstellern und Schriftstellerinnen der Karibik und des schwarzen Atlantik, die sich mit dem anhaltenden Spuk der Sklaverei befassen, doch seine lassen sich auch Weise
|
auf wertvolle
auf die post-Holocaust postkolonialen Multidirektionale Erinnerung anwenden besonders geeignet, FragenderZeitlichkeit, der ofVerantwortung GerechCach& nachzugehen. Siehe tigkeit Baucom, Atlantic: Formulierungen
und
a
und sind
|
U
in
Capital,
and the
Kontexte
von
und der
um
Ian
Philosophy ofHistory,
Specters
the
Slavery,
Durham 2006.
| |
|
https://pdfify.app/trial
Finance
den Blick der
Figur Georges
würde ich
zu
beginnen,
handelt. Diese
doch
wir
Bewegung
figurengebundenen Fokalisierung ver-
einer
zu
Ermittlerposition,
die Caché
lichkeit
gegenüber den historischen Entwicklungen, Spannung zwischen externer und
Bei
von
Erinnerung Mord
lich
aufdie
um
die
geht.
im Roman
es
Die
figurengebundenerFokalisierung, auch zwischen besteht während des gesamten Films und wirkt sich deut-
Fokalisierung, geleistete Erinnerungsarbeit aus.
Narration und
Die
wie
Wirkung dieses den
Film eröffnenden
Tricks ist oft bemerkt worden: Er erzwingt eine Identifikation sowohl mit dem Beobachter oder der Beobachterin als auch mit Georges, und er stellt den Status jeder weiteren
Filmeinstellung infrage,
die sich
zumindest momentan, als
nun,
aufnahme deuten lässt.'5 Darüber hinaus etabliert diese
Handlung vorantreibende Rätsel: die Frage, rents
geschickt
hat und
warum.
wer
Die letztlich
nach dem Urheber oder der Urheberin der
die Videos
ungelöste
Überwachungs-
Anfangsszene das zentrale, die aufgezeichnet und den Lau-
und scheinbar unlösbare
Frage
Videos legt den Schluss nahe, dass ein dunk-
unsichtbarer Bereich fortbestehen wird, doch die Spannung zwischen Fokalisie-
ler und
rung und Narration verweist auch darauf, dass Modi der Sichtbarkeit im Film genauso wichtig sein werden. Aus der Eröffnungssequenz gehen zwei Modi von Sichtbarkeit hervor:
zum einen
Kamera mit ihrer
videos,
13
und der Betrachterin der
der
»verborgenen«
Uberwachungs-
anderen der sichtbare Bereich jener gefilmten und auf Videokassetten aufBilder, die mehrdeutige, die Untersuchung vorantreibende »Spuren« bergen
In fast allen Filmen Hanekes
Georg 14
die unsichtbare und nicht-menschliche Position der
Anrufung des Betrachters
zum
gespielten
bürgerlichen
Namen
der
Hie
| | al |
»Akkumulation«
es
so
der erzählerischen Ebene des Films: Der
unterscheidet; in Daeninckx’ Roman steht das »Ich« des Erzählers für dessen Äußer-
15 von einer
yer für eine
al
|
Indem ich
Verschiebung
einem scheinbar externen Erzähler
und Anna,
in
Überwachung
den
eine
gibt es Figuren namens deutschsprachigen Filmen); in
Georges und
spielt
Rolle, .
in
Anne
vielen Filmen
Libby Saxton, Secrets and Revelations: Off-Screen Space in Michael Studies
EA
|
an
|
|
| iHH
sind. Im
Stadthauses.'? erfahren wir,
i
i
(Daniel
bezeichnet
I
iSe |
Laurent
bürgerliches Subjekt, das seine Mitschuld an der spatkolonialen Gewalt bis zum Ende des Films leugnet. Caché dramatisiert zudem die Struktur von Gewalt, verborgenem Wissen und Trauma, die Aimé Césaire als choc en retour hat. Wie Cesaire interessiert sich Haneke für die Erkundung der zunehmenden Wirkung spatkolonialer Brutalitat. Die Anfangsszene von Cache hat schnell Berühmtheit erlangt: Während des Vor-
Bald
|
8 N
tureller Differenz der Rückkehr des
spanns sehen wir in
a
| | il
Erinnerung
die Produktivität der Gewalt der Erinnerung begrüßt,
gedreht il
a
i
teilweise ein Film über die Unzeit der
zitieren. Mit der Geschichte
einer
sinnbildlicht die internalisierte
nahe, dass eine Ethik des Gedenkens Situationen gerecht werden
a
faye
zu
den jüngeren Reflexionen der
m
|
Nora
zu
bedeutenden
von
als
Auteuil), einem biirgerlichen Pariser Medienintellektuellen, der von Erinnerungen seine Kindheit in den frühen 1960er-Jahren terrorisiert wird, beteiligt sich Caché
|
|
um
ergänzen,
die Nahaufnahme eines Fernsehbildschirms ist und nicht
Fassade.'* Diese perspektivische Neuausrichtung führt,
weniger) verbirgt,
beziehungsweise über die zerrüttende »Gewalt, mitder sich die Erinnerung Gehör ver-
||
Eingangsszene eigentlich
eine Totale der
um
unmittelbar nach den sozialen Unruhen in den Vorstädten. Obwohl Caché zweier
die
sich
|
an,
bedeutet das Betrachten eines Videos und nicht der Aufnahme eines Hauses auch, dass
erkennen bald, dass
Verdrängte des Kolonialismus herum strukturiert und wurde bei
Filmfestspiclen in
wachungsvideos gesehen haben, die Georges und Anne Laurent zugeschickt worden sind.3 Wie Libby Saxton in ihrer gelungenen Interpretation des Filmanfangs bemerkt,
vermuten, dass Hanekes
fellos ein zeitgemäßer Film ist, ist
|
|HH
323
dem Blick eines äußeren Erzähler
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ila
ETHIK DES ERINNERUNGSTERRORISMUS
DIE
mit
Vorlage des-umstrittenen Gesetzes, das die Betonung der »positiven Aspekte« des Kolonialismus im Unterricht forderte; der Film lief im Herbst in Paris
N
|
CACHEUND
Film scheint zunächst
Monate nach der
|
7
Erzählung
einem offen diskutierten Thema der
li
a
einer anderen
Papon verantwortete Massaker war zwar in
!!
8
KINDER
1
oo 7 i
N
g. VERSTECKTE
aay
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N
1
|
any
French Cinema 7
(2001)
(beziehungsweise auch die Motivik
Ca 0008
Haneke’s Caché
(2005),
in
in:
1, §. 5-17, hier. 8.
aufeine
Ich betone die Tatsache, dass der Film Identifikation mit Georges, nicht mit Georges und Anne hinwirkt, weil Anne, anders als das Publikum und Georges, die Videoaufnahmen zu
Beginn
des Film bereits
gesehen
hat. Die
Unterscheidung zwischen Georges’ und Annes von Bedeutung. Die Überwachungsthematik
Blicken ist für den weiteren Verlauf des Films ist
auch für die
Kolonialgeschichte relevant,
die den
Hintergrund
von
Cache liefert. Wie Ale-
xis de
Tocquevilles 1847 verdffentlichter Rapport sur l’Algerie belegt, wurde der französische Kolonialismus in Algerien bereits Mitte des 19. Jahrhunderts von dem Wunsch angetrieben, das algerische Volk Ansichten
Algeria in
sowie
[...]
France:
»unter
Uberwachung
das Geheimnis seiner
zu
stellen«,
um »seine
Techniken, Ideen und
Regierung zu erfassen«. Zit. Transpolitics, Race, and Nation, Bloomington 2004, S.
n.
Paul
46 f.
Silverstein,
x
erred| |||
|
|||!
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CACHE UND .
324
9.
VERSTECKTE KINDER
DIE ETHIK DES ERINNERUNGSTERRORISMUS
325
i. ia
8
oder
4
»verbergen«.
7
4
beiden Modi
|
einsehbar und doch Am
|
|
als
|
sind
|
i!
4
die Fassade des Pariser von
Georges’
|
|
a
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He)
erlittene kollektive Gewalt
Mm
Stadthauses,
Publikum und
Films Häuslichkeit
in die Familie Laurent von
außen
Ereignisse
wichtig
zu
stellen. Doch
er
doch im Kontext einer weiteren
16
N
NE
so
Majids Eltern i verdrängen. Majids Verbannung g y
zu
Allegorie
an
die
von
Bi
übernehmen, wirken
zu
für die umfassendere aus
der Zeit des
gk
ange-
Weigerung Algerienkriegs so
dieser
an
dem Film ist auch
aussagekräftige Szene in Rekontextualisierung, Sie
der Mitte des Films veranschaulicht die Methode
lenkt die Aufmerksamkeit aufdievielfältigen verbor-
renddie bedrohlichen Videos und diesie begleitenden brutalen, kindlichen Zeichnungen zunehmend beunruhigen und die Ehe von Georges und Anne (Juliette Binoche) zu scheitern droht, verschwindet ihr jugendlicher Sohn. Die besorgten Eltern gehen davon .
sie
aus,
dass dies
etwas mit
den
Überwachungsvideos zu tun hat, und streiten, wie
Majids Selbstmord an
den
(1989),
bedeutsam.
mehrfach
Bürgerkrieg,
von
dem
das Publikum nicht Symbol
bedeutenden Anzahl
Die Form des Schnitts und der nur an einen
der das dramatischste
auch als
Einer
des
an
Majids
ähnlichen Fleck
(auf Plakaten verwendete)
zweideutigen
er sich selbst
Dass
in den 1990er-
Algerien
in
dieser hinterlassene Opfer
wurde die Kehle
Wand
Der siebente
Hanekes
Blutfleck
Kontinent
Bild des Films lieferte, sie dienen
Verhältnisses Frankreichs
zu
Algerien
-
ein
Verhältnis,
das sich, wie Etienne Balibar bemerkt hat, in der Schwebe befindet zwischen »einer Nation«
|
ij
|
|A CM | |
| |
N
und »zwei Nationen«. Mit anderen Worten: Der Schnitt, den sich Majid zufügt, 8 ist ein Bild für die Wunde, die Algerien und Frankreich zugleich voneinander und jeweils von sich selbst
abgrenzt, heitliche
dabei aber auch beide in dem vereinend, was Paul Silverstein vielleicht als uneinEntität bezeichnen würde. Siehe Etienne Balibar, Algeria, France:
»transpolitische«
One Nation
Propinquity,
or
Two?,
in:
reagieren sollen. Derweil laufen .
.
.
Hintergrund auf einem Fernseher in einem Bilder des Irakkriegs flackern über den BildN
N
Sa
im
Bücherregal die Abendnachrichten: schirm, gefolgt von einem Bericht über die Prozesse wegen der Folter in Abu Ghuraib; ein Bild des sadistischen Charles Graner füllt mehrere Sekunden lang das Bild und weicht dann einem Bericht über israelische Gewalt in den besetzten Gebieten (siehe Abb. 7). Mittels seiner mise-en-scéne betont Haneke den
Aspekt
Rahmung
der
und
Joan Copjec/Michael Sorkin (Hrsg.), Giving Ground: The Politics of Silverstein, Algeria in France. 8
New York 1999, S. 162-172; außerdem
|
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WE On |
https://pdfify.app/trial
verkörpert
die Verkettung g der Medien die Spezifik, die Uberschneidungen und die Interferenz P B unterschiedlicher Geschichten ebenso wie das schwierige ig Verhältnis von öffentlichem und P privatem Raum sowie
17
Max Silverman hat eine
von
Alltag 8 und
extremer
Gewalt.'®
des Bildes und des Blicks in Caché vorge-
überzeugende Analyse
anregenden Interpretation zufolge zeigt der Film, wie eine vom Bild gebannte Gesellschaft des bürgerlichen, orientalistischen Spektakels zumindest potenziell von einem legt.
komparativen Vorstellungswelt. Die komparative zur eigentlichen Herausforderung fiir das
100 000 Menschen das Leben,
erinnern
a
il i
zu
durchgeschnitten.
a
DE
so vieles
Wie
bis
We | il a [|
5
In
und
Seiner
Blick und Bild werden kann. Siehe Max Silverman, The Empire ent-orientalisierten aufgeldst Looks Screen 48 S. 245-249.
des 17. Oktober wird
nach den abgesagten Wahlen des Jahres 1992, zerrissen wurde. Im Laufe des Jahrzehnts kostete die Gewalt zwischen Islamisten und paramilitärischen Regierungseinheiten
|
al
Erinnerung.
und dessen Blick
genen Geschichten in Cache und verbindet sie sehr deutlich mit vermissten Kindern jenem besonderen Modus, den ich unsichtbare Sichtbarkeit genannt habe. Wah-
steht
Jahren,
| L i]|
5
Georges
kamera: In diesem Szenario, dessen sich Haneke auch anderswo bedient,
der Fokus des Films auf den 17. Oktober auch ist,
die Kehle durchschneidet, erinnert
N i] i
A A
Ethik multidirektionaler
Überwachung in Ermittlung.”
auf und übersetzt
Back,
|
|
möglichen
des Filmnarrativs, das in der filmischen
erinnern und auch
zu
des 17. Oktober als
Rekontextualisierung
|
I Hi
einer
insbesondere die wechselseitige Bs 8 Durchdringung gung unterschiedlicher Bezugsrahmen. Ein Fernseher, umgeben von Büchern und Videokassetten, gerahmt von einer Film-
der französischen Gesellschaft, sich den Verbrechen
||
©
Schuld und Verantwortung g zugleich dazu dient, zug]
von
sichts der
N
Al
Quelle
8gerade erst Zuflucht 8gefunNeid und Grausamkeit ist das ungesühnte
und Georges’ fehlende Bereitschaft, die Verantwortung 8 8
N
i
zur
Cache löst diese Ethik die Identifikation des Publikums mit
Eine
wo er
|
|
|
für alle
Uberwachungsaufnahmen
N
Verbannung infolge von Mittelpunkt
Bilanz
a
was
von
individuelle Verbrechen im
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das,
Mutter und die innen und
dem Haus der Familie Laurent verbannt wurde,
den hatte. Diese
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um
aus
|
4
.
Wohnungen zu sehen:
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Hail
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oder Koexistenz dieser
Ty
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Synthese
|
14 |
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die
um
|
|
‘|
allem
Majid (Maurice Bénichou), dem algerischen Mann, der als Junge nach dem Verschwinden seiner Eltern im Zuge der Ereignisse vom 17. Oktober 1961 zeitweilig mit Georges’ Familie auf dem ländlichen Anwesen gelebt hat. Georges erkennt bald, dass die Überwachungsvideos etwas mit Majid zu tun haben, und tatsächlich führen sie ihn schließlich zu der schäbigen Wohnung, in der Majid als gebrochener Mann lebt. Und hier spielt der szenische Héhepunkt des Films: der undeutlich motivierte Selbstmord von Majid unter den Augen von Georges.'$ Wir wissen nichts iiber das Leben, das Majid in der Zwischenzeit geführt hat, doch wir erfahren, dass er vor vierzig Jahren als soeben zur Waise gewordener aufBetreiben des jungen Georges
|
Anl
vor
Unheimliches erscheinen lässt. In den meisten
gefilmte Wohnung
A
N
in Cache
wohnt, das ländliche Anwesen
il | i) | Hil
es
geht: um unsichtbare Sichtbarkeit oder, anders gesagt, verborgen ist. wichtigsten ist vielleicht, dass die Eingangssequenz des
etwas
i
ie
.
Tatsächlich ließe sich, unter Verweis auf den rätselhaften Schluss des
Films, auch sagen, dass
18
(2007) 2,
in:
In Der Siebente Kontinent (1989) setzt Haneke das Radio auf
das Fernsehen nissen
in
um eine
-
zu
private Geschichte
Beziehung setzen.
Bücherregal
im
Zuhause der
zu
Er verwendet auch
einen
Erstes die
Regalwände
geht
es
Zerstörung lich eines
um
nur, wenn
zu
Cache
Ereig-
ähnlichen Aufbau
aus
in
Fernseher und
Vorbereitung auf
Hausesbeginnt, zerstört erals
(allerdings nicht den Fernseher selbst). »Ich systematisch vorgehen«, sagt er seiner Frau. Die systematische
den Fernseher herum
wir
in
öffentlichen
Weise ein wie
Hauptfiguren Georg und Anna. Als Georg Zerstörung des
den kollektiven Selbstmord der Familie mit der
glaube
ähnliche
kontextualisieren und
erstreckt sich auf die Gesamtheit des weltlichen Besitzes der Familie, einschließvoll exotischer Fische, deren Ableben Haneke
großen Aquariums
in
schockierenden Szene unerbittlich filmt, und allen Geldes, das die Toilette
In
wird. einem
auf der
enthaltenen
DVD
Interview
bemerkt Haneke, diese
einer
besonders
heruntergespült
Szenen hätten dem
Publikum bei der Premiere den Atem verschlagen. In Benny’s y' Video (1992) verwendet Haneke 6 erneut einen Fernseher, um die öffentliche Geschichte in einen intimen Kontext einzuführen: Diesmal nutzt
überdie
er
Nachrichten
die
in
Balkankriege und über Skinheads, Asylsuchende gebraucht außerdem im Schlafzimmer der Hauptfigur Benny denselben »rahmenden« Aufbau, bei dem der Fernseher (der im Film eine Schlüsselrolle spielt) in Deutschland
angreifen.
Er
einem Bücherregal 8 steht und
von
Büchern und Videokassetten umgeben ist. 8
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X
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326
g. VERSTECKTE KINDER
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Abbildung 7: Georges und Anne i
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Sammlung
By
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streiten sich über ihren verschollenen Sohn, während im Fern-
|
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Zuhauses,
Georges
[1
weist
wird,
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Blick
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.
in
das Publikum auf
dieser Szene,
Privatbereich des .
im
.
bürgerlichen
Eine
Original]
Krieg, Folter und Kolonialismus hin, auch
wenn
Doppelperspektive, die durch und Anne bestärkt von Georges
spaltet
des Zuschauerblicks und des Blicks die kombinierte Perspektive der Eröffnungssequenz; als auch
dort
wird
ja
der
Georges’ Überwachung »Betrachtung« des Videos identifiziert. In dieser späteren Szene erkennt das Publikum die Verbindungen zwischen bestimmten individuellen und kollektiven Geschichten und kann beobachten, wie die Figuren diese Verbindungen ignorieren. Der Film deutet somit dasselbe an wie Cesaire ein halbes Jahrhundert zuvor: dass die Möglichkeitsbedingung bestimmter Geschichten imperialer Gewalt aus dem strukturellen Nicht-Sehen biirgerlicher metropolitaner Subjekte resultiert. Cache suggeriert mittels der mise-en-scéne, dass postkoloniale Beschiftigungsversuche mit einer unbewiltigten Kolonialgeschichte an zeitgendssische Bestdtigungen imperialer Herrschaft und an heterogene Auswirkungen der Vergangenheit gekoppelt sind. Der Film impliziert auch, dass diese Geschichte unbewiltigt bleiben wird, solange sie »ungesehen«, also des Publikums sowohl mit
mit
dessen einfacher
Erinnerung und Verantwortung bleibt. Die Szene lässt uns auch verstehen, wie Erinnerungen von Opfern der Geschichte »terroristisch« wirken können, so, wie sie Nora sieht: Die Bekräftigung einer Erinnerung kann gewaltsam außerhalb der Kreisläufe
und
Geschichte drehen
.
;
widerspre-
um
angesprochen
werden, der
muss:
Sozialer
Vergangenheit
und
Neuinterpretation
Frage
von
Caché anhand des
Papon-Prozesses
bleibt jedoch: Warum wird dieses ethische Problem mittels der
thematisiert? Gattung
text, der Kinder
zu
er
die
Kindern und den
Bedeutung von
Trägern
ethischer
häufig
Verborgenen
Gebrauch
gemacht
betont. Cache bedient sich
Vergleiche macht,
Mord verwendet werden und
Erinnerung
worden
ist:
Weil die
und
um
das Massaker des
Ereignisse
anscheinend
heraufbeschworen wurden, haben sich Autorinnen,
Konflikts oder
eines
gesellschaftlichen Kon-
denen während der letzten Jahrzehnte in Diskussionen
von
Figur
und Erzählstruktur verbinden die Form
aus
Filmregisseure,
Ermittlung,
des inter-
transgenerationeller Tradierung zugewandt.”
Nicht
Ereignissen in der Doppelform von Ermittlung Tradierung angenähert; wichtig sind auch die Narrative transgenerationeller
literarische Texte haben sich den
der sozialen
Migranten und Migrantinnen der zweiten und dritten Auseinandersetzungen wie der Papon-Prozess. Hinter den Narrationsweisen steht eine gewisse Sorge um die außerliterarischen und
Bewegungen
von
Generation und jutistische literarischen
Tradierung der Erinnerung
auf
und
familiärer kollektiver Ebene, und
sie
machen dar-
auf aufmerksam, dass die Geschichtswissenschaft diese verborgenen Verbrechen nicht
unweigerlich Fragen nach dem Wesen von Vergleichen auf, da die verschiedenen Ermittlungsgeschichten beim Aufdecken von Leerstellen in der Regel mehr als nur eine individuelle oder kollektive Geschichte offenlegen. ErmittSie werfen
aufgedeckt hat.
lungs-
intergenerationelle
und
auf Werke
von
Papon-Prozess
Narrative bleiben
Aufladung
multigenerationeller Spuren,
trotz
auf
komparativer Bezüge
éffentliche
Spektakel
wie
den
Verfolgung mehrdeutiger, Spektakeln gemeinsam singuläres Subjekt der Erinnerung und der
des Films beruht auf seiner die
er
mit diesen Texten und
hat, und seiner rigorosen Weigerung, ein zu
Cache
eher lakonisch und indirekt.
Die ethische
Ethik
in
Daeninckx oder Sebbar, aber auch
erstellen,
von
se oder sogar traumatisierend erscheinen, :
fehlt. Durch
Blicks in dieser Szene zeigt Haneke Nora
der beiden Erzählformen, die auch in Bei
N
und Anne diese Hinweise nicht bemerken, Die
die Differenz
7
| |
Über den Kolonialismus
im
.
nur
Die Zentralität des Fernsehers
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|
zu
Angstbereitschaft [deutsch
Erinnerung
um
Ausführungen
in den
durch einen Diskurs
nur
generationellen
=
7
wie
Anwältinnen und andere soziale Akteure oft Narrativen der
iF
.
327
Versteckte Kinder:
dem
|
5
ANHAND DES PAPON-PROZESSES
das Offentliche und das Private verwebt.
17. Oktober
des Autors
also,
doppelten
des Films damit, dass
|
li
des
vermissten Kindes
sehen iiber den Abu-Ghuraib-Folterskandal berichtet wird. Michael Haneke, Caché (2005)
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wenn
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Ethik sich
warum
Gegenwart,
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Inszenierung
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der Gesellschaft die
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EINE NEUINTERPRETATION VON
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Mehrheitsgesellschaft .
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einfach
19
Siehe
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von
zur
den Film setzt:
über nuancierten Aufsatz Ermittlungsthematik Ranjana Khannas der Rue Der
zu
Edgar Allan
Ranjana Khanna,
Poes
Kurzgeschichte
From Rue
Morgue
to
Rue des Iris,
in:
in Screen
Cache,
in
in
dem
sie
Morgue Beziehung
Doppelmord
48
(2007) 2,
S. 237-244.
7
ma |
SR
| ©
328
9.
VERSTECKTE KINDER
Ein Exkurs
möglich, die besondere Bedeutung des intergenerationellen Tradierung in Hanekes Film 2u untersuchen und eine neue Lesart des ratselhaften, aber tiberaus wichtigen Schlusses zu formulieren. Die endgültige Aufnahme des Oktober-Massakers in die öffentliche Erinnedes 1997/98 gegen Maurice rung geschah im Rahmen einer anderen Geschichte in dem es seine Rolle bei der Deportation von Juden Prozesses, geführten um Papon und Jiidinnen in nationalsozialistische Lager wihrend des Zweiten Weltkriegs ging. Die Aufarbeitung einer genozidalen Vergangenheit war es, die zum »Prozess inner-
|
il
macht
Papon-Prozess
zum
es
Kindes und der
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—
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Hi
La
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halb des Prozesses«
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bis 1981 eine
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Ai i Vi onl |
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war,
durch das
Le Canard enchainé den dann noch
Papons »verborgene Vergangenheit [le passé caché] [...]
-
beides Orte,
an
denen
zu
Sichtbarkeit, der Oktober
Im
|
Richtungen
Mittelpunkt
des
(Vichy
weisen schienen 1961
vom
Sichtbaren ins
Prozessgeschehens
17.
zum
kam
auf Jacques
Aussage
Erinnerung.
Er
jenseits
was
einer
in]
Film,
Geschichte.
der
vom
gesamten Oktober
der Metro-Station Charonne
und -demonstrantinnen
[wo von
1961
neun
endetmit [den Ereignissen
handelt,
kommunistische
wir endlich begreifen,
ist, dass jeder
seiner ersten
ein
sengrab
lange Aussage
im
Araber [bicot] ist,
beschlagnahmt,
an
zum
algerischen Opfer,
die
die
die Toten
von
Charonne bin ich
von
ein
Seine
mit Zeitschriften ans
Licht kommt.
hierhergekom-
Hunde in
Thiais
einem
i
|
hierhergekommen.« (Le
Bd. 1, S. 236)
| Na Ah i
em
Algerierinnen
Aussage.
Geschichten
in der Kolonie wie auch in
Einaudi lenkte die Aufmerksamkeit
wichtigen Figuren:
Paul
Rücktritt während der Schlacht
und Edmond von
is
Verschlungenheit
Michelet,
Zeugnissen über
ein
Teitgen,
von
der
Algier in
u. a.
auf die Rolle
KZ-Überlebende,
Rai
er
seine
den verschiedenen
Aussage
der sich für die
Algerienkrieg engagierte.??
Folter im
nach
Ein-
ARE : ii|i |
des
gesellschaftlichen Vergessens »beerdigt« gewesen waren.”
Veröffentlichung
Polizeiprafekt ve
.
ein
Nach-
23
Anders als die nicht orte
Ereignisse
anheimgefallen.
der
Im
des 17.
Oktober sind die
Gegenteil:
französischen Linken entwickelt. Das
Geschichten
ist zwar
komplex
-
von
Charonne dem kollektiven Vergessens
Charonne hat sich
zu einem
Verhältnis
Charonne wird oft als
der
eine
21 22
Siehe Erhel/Aucher/de la Baume
(Hrsg.),
Le Proc&s de Maurice
Papon,
Bd. 1,5. 9.
in
Zu zu
Teitgen
Michelet ebenda, S. 229.
la
(Hrsg.)
Le
Maurice Papon,
|
https://pdfify.app/trial
1,
wichtigsten an
Gedenk-
diese beiden
Deckerinnerung dargestellt,
Zugang zum 17. Oktober versperre doch Einaudis Geste zeigt, wie die bekannteren evozieren. Ereignisse von Charonne als Hebel wirken können, um die andere Geschichte zu die den
und des Gedenkens
Wood, Vectors of Memory: Legacies of Trauma Postwar Europe, London 1999. Siehe Nancysiehe Erhel/Aucher/de Baume Procés de Bd. S. 235,
der
Erinnerungen
Art
-,
Eine außerordentlich detailreiche und faszinierende Geschichte der
20
|
Opfern
dessen berühm-
Einaudi wies auch darauf
Amtsantritt als .
seinem
von
von
|
ed
a ii Lali Hl | |
und dass
fiir beide
Delbos Les belles lettres vorkommt,
Dachau-Überlebender,
Handlungen
Frankreich, des Kerns
|
WM
i Hi
die multidirektionale
hin, dass Papons
i Hl
Filmbeispiel
kollektive Erinnerung bei jeder Darstellung des Oktobers 1961 notwendigerweise mehrere Geschichten umfasst, von denen einige lange Zeit im »Gemeinschaftsgrab«
ter
|
Einaudis
der beiden Geschichten: der des
audis
i
Procés,
nationalsozialistischen Terrors und der Mitschuld Papons, des eigentlichen Gegenstands des Prozesses, und der von Papons Beteiligung an der Repression von Algeriern und
i | || |
Mas-
begraben hat. Auch
17. Oktober und der Metrostation Charonne widmet, sind ein Hinweis, dass die
bezeugte
7
| ali
gesamte, auf Verlangen des Gerichts ohne Notizen vorgetragene Aussage
Er
Jude [un
Der Film wurde bei
zusammen
man wie
Friedhof
an
jeder
Vorschein. Ich bin
fiir unbekannte Muslime auf dem
Gedenken
wurden].
dass jeder
die Wahrheit
Papon wollte nicht, dass
kam diese Wahrheit aber doch
im Gedenken
men
in Paris
Vorführung
und Biichern. Monsieur
Schließlich
dreckiger
Antikriegsdemons-
der Pariser Polizei ermordet
i
|
sich
Tagesordnung
von
verborgenen
»Dieser
auf-
des Historikers Jean-Luc Einaudi iiber die Ereignisse vor, wihrend und im Umfeld des Massakers. Einaudi verfasste La bataille de Paris und andere bedeutende Werke.
i
bezog
Schuld und Unschuld im Papon-Prozess auf der stand: die Herstellung einer gerechten kollektiven Erinnerung durch die Bergung
klar,
Verborgene).?!
Oktober stand die
227). Neben diesen
Film und multidirektionale
Verborgenen
dem
Bd. 1, S.
Panijels klandestinen Film Octobre a Paris, den Pierre Vidal-Naquet und andere Mitglieder des Comité Maurice Audin in Auftrag gegeben hatten, und stellte
Mit anderen Worten:
aus
in die nationalsozialis-
Orte, die die beiden Kriege verbinden, verknüpfte Ein-
Ende seiner
am
youpin)
Oktober-Massaker).
Wissen
an.
audi
Vergangenheit (der Mitschuld des Vichy-Regimes) Episode, die einmal bekannt, dann aber »verborgen«
Rolle beim Pariser
1958 ordnete er, wie
August
Hinweisen auf Personen und
die öffentliche Diskussion einer
(Papons
»Ende
Vernichtungslager festgehalten hatte« (Le Procés,
tischen
schließt mit diesen Worten: »Werden
war
waren:
Juden vor ihrer Deportation
man
Teils einer mittlerweile bekannten
in die
|
wo er
Japy
Papon-Prozess wurde ein Punkt, an dem sich zwei »Vektoren der Erinnerung« zwei Vektoren, die bis dahin in trafen, wie Nancy Wood vielleicht sagen würde
|
|
329
d’Hiv’, das noch existierte, sowie in der Salle
sie interniert hat? Im Vel’
tranten
unterschiedliche
He 4! AM i WW uh
:
Wochenzeitung
Kommuniqué sagt,
in einem
Sie,
-
Hel
|
der
er
Der
i)
a
ii
DES PAPON-PROZESSES
Razzien gegen nordafrikanische Arbeiter
gedeckt wurde«.”° Ironischerweise erméglichte diese Enthiillung eines »verborgenen«
gewesen
||
i
|
Enthüllung
jüngeren Vergangenheit
hall der damals
sechzehn Jahre dauernden Vorgang, ihn vor Gericht zu bringen, anstieß. Die Herausgeber und Herausgeberin des Prozessprotokolls beschreiben, dass es das Pariser
i
Al
führte, durch den Papons Verantwortung für das Massaker vom
Oktober 1961 Gegenstand der Verhandlungen und öffentlich wurde, Papons Rolle bei der Deportation von rund 1700 Juden und Jiidinnen aus Bordeaux blieb im Dunkeln,
|
;
ANHAND
CACHE
|
|
|
EINE NEUINTERPRETATION VON
Dewerpe, Charonne,
an
sie,
einschließlich der
Verbindungen
zum
d’un
Ereignisse von 17.
d’Etat, Paris
massacre Anthropologie historique Die Tatsache, dass Dewerpe der Sohn eines der Opfer des Charonne-Massakers Buch ein Werk der Postmemory, ist für dieses Kapitel nicht ohne Belang.
somit
février 1962:
Charonne
Oktober, bietet: Alain ist
2006
und sein
ARE
|
ao
N
|
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330
9.
VERSTECKTE KINDER
EINE NEUINTERPRETATION VON
CACHE ANHAND
DES PAPON-PROZESSES
331
|
eB
Einaudis
Aussage
dramatisch, dass sie erhebliches neues Interesse an der Geschichte des 17. Oktober geweckt hat. Bei Cache es weniger als im Prozess um eine explizite Erérterung des Oktober 1961, sondern Vielmehr darum, Diskurse über versteckte Kinder anzustoßen, das heißt über die von ihren Eltern aufgegebenen jüdischen Kinder, die sie oft der Obhut christlicher Familien oder Schulen anvertrauten, um sie vor der Deportation zu schützen. offiziell noch
|
a et
i
war so
verleugneten
geht
Wie
ie
Historikerin Annette Wieviorka argumentiert hat, veränderte der Konturen des Holocaustgedenkens:
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Papon-Prozess
die
die
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»Der
4
]
Papon-Prozess |
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nicht mehr in der
diese
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Unbehagen
i
kennengelernt,
Prozess markiert:
|
bestimmte
wir
und die
die
2u
Vergangenheit
Generation im
zu
den
Zeugen
Wort
und
kamen,
Papon-Prozess.?®
In
zu
Zeuginnen
der
ersten
Delegie-
Generation, die
im
vorherigen Kapiteln
habe ich die Bedeutung Holocaust-Zeugenschaft rekon-
textualisiert, indem ich die zeitgleich vorgelegten Zeugnisse in Rouch und Morins
Chronik eines Sommers und Delbos Les belles lettres neben den Eichmann-Prozess
Hi
gestellt Textezum beschriebene Transformation
habe, Caché undandere 17. Oktober helfen 2u
iWam || | He il| iiil| Ht a i|} |
24 25
||
|
Wieviorka,
The
die von Wieviorka
diese Transformation
of
the witness, Ithaca. 2006, §. 145 »Generation 1.5« eine von Suleiman ihrem faszinierenden Buch Crises of Memory and the Second World War entwickelte Kategorie, die jene beschreiben soll, die während der
ist
era
in Kinder waren.Diese zweite Generation, Ereignisse diederPostmemory bezeichnet, Ereignissen aberdurch geboren, Erzählungen persönlichen Bezug Papon-Prozess Generationengruppen ausgesagt. Vertreter und
ist
merkt an:
sicherlich ein Extremfall. Andere Kinder, die
und Affekten
für versteckte
versteckte
von
wie
Kinder],
die
man
einen
die familiäre Tradie-
zu
ihnen. Im
Vertreterinnen beider
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aufgenom-
Frankreich, den Vereinigten
in
Kind«]
Widerhall
Sorgen
um
Auer
Fogiels gab
etwa
die
Kind
geblieben,
von
zu
weitere
L’enfant
Generation.«
(S.
148
caché
Vereinigun-
ist und diese Verei-
zurückgegangen
ihre Zukunft machen, florieren die
Vereinigungen
von
f.)
ergreifende Zeugenaussagen ehemals versteckter Kinder,
Georges Gheldman,
JackyAlisvaks, seinen Eltern
es
Roman
finden. Während die Zahl der
zu
Holocaust-Überlebenden drastisch sich
ergreifendem
Berthe Burko-Falemans
Angehörigen der zweiten
von
dem ein Prozessbeobachter sagte,
von
er sei »ein
Mutter
dass in der Erinnerung an die Trennung seiner lebt«, und der bemerkte: »Es ist sehr schwierig, wenn man als kleiner Junge von
fortgerissen
und gezwungen wird, ein
neues
Leben
beginnen,
zu
ohne
wissen wie.«??
Verbindung
Die
zwischen Caché, dem
Papon-Prozess
Diskursen von
und den
und über versteckte Kinder trägt dazu bei, die vorletzte Szene des Films verständlich zu machen, aber auch die Abspannszene Stufen der Schule, Der über den Prozess erlaubt
Gheldman,Alisvaks Majid —
26
Marianne Hirsch als hat
ihren Eltern
von
eine freundlichere
mit seinen
auf den
es zu
erkennen, wie Caché die Zeugenaussagen
und anderen einst
versteckten
verschwundenen Eltern,
Siehe
Fogiels Zeugenaussage
in:
Erhel/Aucher/de la Baume
838-841. Gheldman Conan, Le proces Zeugenaussagefindet
Papon, 27
.
Fogiel,
N de Maurice Le Proces
Bd. 1, S.
Zu
siehe Eric
Alisvaks’ rice
(Hrsg.),
Umweg
von
ee deren
Kindern in
seiner schle
Susan
wurde nach den
rung von haben
i
uns,
rekontextualisieren, weil sie
von
|
| U ul | aa
Annette
kurz
werden. Aber
nigungen
das
denen der »anderthalbten« und zweiten
des Eichmann-Prozesses für eine Geschichte der
Fogiel
auch in Büchern
[»Das
uns
unbedingt
Staaten, Israel, Polen und anderswo gegründet hat. Esther Fogiels Zeugnis scheint
machenden Schock, den
Wieviorka genannte
Eindruckhinterließen,
die ihre Kindheit im Krieg durchlebt hatten, sondern die
heraus.
[Vereinigungen
über die nichts
Noras und Roussos haben
dass die Zeugennicht
versteckt
mar-
gen
Beispiele
frappierendsten,
in Umgebung Fogiels Leid, selbst ihr Suizidversuch, finden in unterschiedlichem Maße Widerhall in der Erfahrung der Menschen, die als Kind werden mussten, um der Verfolgung zu entgehen, und die heute beginnen, sich zu aufern, insbesondere in den Rundbriefen der >associations d’enfants cachés« men zu
Kinder, die wahrend desKrie-
Ereignisse besteht,
am
waren,
Selbstmordversuch.?® Wieviorka
einen
Delegierung
eine traumatische
erste von
Caché ist
getrennt wurden, hatten das Glück,
Gattungen
von
Eichmann-Prozess
| ll
a
Esther
Augen geführt,
| IM
aan
an
an
von
den stärksten
»versteckten Kindern«
»Esther
dass diese Vermengung juristischer, öffentlicher bei vielen Historikern und Historikerinnen aushat. Für Cache besonders relevant ist der Generationenwechsel, den der vor
gelöst
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Erinnerung
Erinnerung
Einaudi haben
von
und akademischer
| || |
.
Beispiel
A
i ||
Generation, die der
neue
intergenerationelle Erinnerungs-
(enfants caches). Von diesen sticht besonders die Aussage von Fogiel Fogiel wurde von der Familie, der ihre Eltern sie vor der Deportation anvertraut hatten, vergewaltigt und brutal misshandelt; Mitte der 1960er-Jahre, zwei Jahrzehnte, nachdem sie diese Tortur überlebt hatte, beging Fogiel von
Ereignisse in ihrem jungen Leben ausgelöst haben.«?*
rung bereits
|
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Am
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die Historiker
gesagt werden kann, sondern in dem nicht wieder gut
|
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Zeugenschaft an
eine
ges aufwuchsen und fiir die die
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ii
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der
| |
an
Analyse
Papon-Prozess
die von Erwachsenen
Zeugenschaft. Die Rolle delegiert, die zu Zeugen der
~
|
a)
wurde zunächst
aussagen, die im
der
-
|
iq
doppelte Delegierung
nach dem Prozess veröffentlichten Werken gesagt. Aber der Papon-Prozess kiert auch und das ist es, was mich hier wirklich interessiert die
|
a
Zeugen
markiert eine
In Hinblick auf die
Anklage, der Verteidigung oder des Klägers wurden. Alles, was es über dieses Rollengewirr zu sagen gibt, wurde während des Prozesses und in den unmittelbar
||
Pelee
|
des
|
|
1
Eichmann-Prozess markiert das Aufkommen der Figur des Zeugen, Der
in den umfassenderen Diskurs iiber Trauma und
tradierung einordnen.
Papon, Bd.
.
sich
1, S. 796.
in:
Papon:
‘ournal d’audi Un journal d’audience, Paris 1998, S. 95.
Erhel/Aucher/de la Baume
(Hrsg.),
Le
© 1998, $88. Procés
CL |
9. VERSTECKTE KINDER
332
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5
N
Pflegefamilie und seinem verzégerten, Jahrzehnte nach dem Trauma begangeaufgreift und umwandelt. Eingedenk des Diskurses versteckter Kinder,
Suizid
nen
ausgelöst hat, können
den der
Papon-Prozess mit Traumsequenz zuwenden, in der
geht.
Sie lässt sich
des Zweiten
nun
vermittelnde
es um
Majids Trennung
von
der Laurent-Familie
und anderen
zeitgenössischen
Formen
die
Bett. Die nächste
er,
—
hat, früher als
sonst
suggestiv, als cachets
Szene
ist bildlich als
von
der Arbeit zurück, nimmt
Georges’ Traum
von
zwei
auf sein
seiner Kindheit
gekenn-
und
zeichnet, obgleich ihre Plastizität und ihr gegenüber früheren Szenen gesteigerter
nahelegen, dass es Perspektive gefilmt, die
Realismus einer
sich auch zuvor
mit
um
Erinnerung jungen Georges
eine
dem
ist, sehen wir den Innenhof des Hauses, in dem =
MM ey
Szene
beobachten,
durch
Papons
dem Paar
|
haus
4
zu
Polizei
Majid
von
bringen.
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Selbst nachdem
ihn wieder
ihn
in
He
als
7
Episode
Erinnerungsfetzen
aus
len des Films
| |
i
i
| Lt
am
Ende des Films
der Kindheit
von
und Träumen
heimgesucht
wird.
Zeugenaussagen
Lager
aus
dem
Jahr |
deportierte.
im Osten
der alte Kombi
|
Junge versucht,
ein Waisen- oder Kranken-
eingefangen hat,
wehrt
er
1961
zu
angesiedelt
Georges
ist, lässt sich die Szene auch leicht
Majid deuten, was sie von anderen unterscheidet, von denen Georges in früheren TeiZugleich bleibt die Szene durch ihre traumartige und
Papon-Prozess,
ermöglichen
von
etwa an
Die »historische« es,
die der
Einfirbung
Übertragung
vom
man
die
in die
der Szene, das Haus und
die Bilder ebenso gut auf die
beziehen. Durch die
jüdischen Kinder,
ihren Eltern getrennt wurden, die
Prozess
Vichy-Zeit zum
wie auf das
Film erhalten die
Geschichten versteckter Kinder weitere öffentliche Resonanz, während die marginaleren Ereignisse des 17. Oktober eine gesellschaftlich sanktionierte Ausdrucksform
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weiter zu szene
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8: Versteckte Kinder. Pierrot und
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Majids
Sohn links
unten
auf der
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Schultreppe.
Michael Haneke, Caché (2005)
des
Sammlung
Autors
Hintergrunds /
Traumsequenz lädt dam ein gehen. In derfolgendenAbspannszene, spiegelbildlich Qualitit der
die sich
verhält, fokussiert die Kamera die Stufen erkennbar
Gebäudes, einesSohn
gemacht wurde, an dem Georges’ Schultag geht zu Ende, Gruppen von Teenagern
einen zur
das als
das
Pierrot unterrichtet wird.
unterschiedlichen ethnischen
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in
teriösen
und
Abspann
auf die hinaus aut snaus
He Kamera|Solche wird.
Strate. Die Straße.
die
halb der Schule, scheint verstörenderweise anzudeuten, dass sich auch
Kamera
auBerhalb des vom
davon wirkt
sie wie eine
Film
bleibt
vorbei ist und das Bild schwarz
»objektiven« Einstellungen sind im Film von Anfang an Gebrauch der Überwachungskamera verbunden, Die letzte
ruhenden
dargebotenen
Rahmens for
mit dem mysSzene, außer-
die Überwachung
tsetzenwird.”
bewusst unterdeterminierte Szene, die das
„Abgesehen
Publikumrätseln gezeigt
lässt, welchen Sinn sie wohl haben könnte. In einigen Kinos, in denen Cache wurde, hatte ein Grofteil des Publikums den Saal vor Ende der Szene bereits verlassen
(zumindest in den drei Städten
selbst für
geduldigere
in
den USA,
wo
Film gesehen habe). Doch
ich den
Zuschauer und Zuschauerinnen bleibt die Szene undurchsich-
Weitwinkelobjektiv und die ruhende Kamera für fehlende verbirgt sich tatsächlich Fokussierung sorgen, in der Einstellungauf ein wichtiger Hinweis auf die Deutung des Films: die der Leinwand beobtig,
ihre Pointe unklar. Und doch: So sehr das
erste
Begegnung
von
Schritt
VorspannGymna-
das Sonnenlicht
.
treten
vollkommen statisch, bis der
achtbare
Die nfl assozicrendes
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6
Majids Vergangenheit,
in
finden.
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Berea
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sich und
wird,
durch die franzésische Polizei
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Eltern
Unbestimmtheit fiir weitere Assoziationen offen. Zweifellos erinnert sie, als Szene, in der ein Kind von einem sicheren Ort in eine staatliche Institution verbracht an
i
seiner
(sogar übertrieben) unfä-
bleibt. Da sie
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man
um
YN,
333
nicht fort will.
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8
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|
DES PAPON-PROZESSES
klar, dass wir die
der Laurent-Familie getrennt wird. Der
Sequenz gibt mehrere Hinweise auf das Trauma anzuerkennen Georges in der Gegenwart vollkommen
das
uns
Ermordung
Diese
i
i
nach der mutmaßlichen
entfliehen, das gekommen ist,
zu
schreit, dass
i
der
in
identifiziert worden
seine Kindheit verbracht
hat. Ein altmodischer Kombi fährt auf den Hof, und bald wird
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|
handeln könnte. Aus
Georges
i
Schlaf-
legt sich
(Tabletten) beschreibt
-
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|
i
Sequenz interpretieren. Der Kontext der Szene: Georges kehrt nach Begegnung mit Majids Sohn, der ihn mit dem Selbstmord seines
Vaters konfrontiert
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Staatsgewalt
von
CACHE
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einer verstörenden
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auch der abschließenden
wir uns
als eine zwischen der Gewalt des Oktober 1961, der Gewalt
Weltkriegs
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tabletten
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seine
EINE NEUINTERPRETATION VON
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Eine ähnliche,
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Ende im
Funny
der
wenn
Pierrot und
Majids Sohn (siehe
auch explizitere Wirkung wird
Wesentlichen
den
Anfang
in
reinszeniert,
heben hieße
eine
neue,
allerdings, die in
8). Vielen Zuschauern
Funny Games erzielt,
allerdings
erbauliche
Games lässt sich Cache als auf relativ
Stufen Schule tritt
Abb.
neuen
Weise endend
multikulturelle Generation
der Schlussszene ebenfalls
mit
auf
den
Plan.
einem
Film, des-
Opfern.
Anders
verstehen: Aufden
Nur dies hervorzu-
spürbare Bedrohung
zu
ignorieren.
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||
9. VERSTECKTE KINDER
334
IRRITIERENDE ETHIK UND MULTIDIREKTIONALE VERANTWORTUNG
335
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|
und Zuschauerinnen scheint dieses Detail
4
Mal sehen, doch beim zweiten Mal
sind.”
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die in
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ist schwer
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(|
gespielt. Majids gefühlt hat,
namenlos bleibender Sohn sein,
von
keine
ter
Kinder« ist nicht
wichtigster
mögliche Komplizenschaft
der beiden Jungen
an,
Postmemory-Genera-
sagen, ob sich die beiden
zu
zuvor
bereits
historischen
Rahmungen leben,
die ihre Eltern
—
jedoch
die Art und Weise ihres Auftretens oder sind
1| ||
Sichtbarkeitsmodus ist
| 1
al
gen im |
des Films und ein
weiteres
zugleich
sichtbar
Anzeichen dafür, dass sich
beteiligt und
ihn
zugleich
Abspann,
leicht übersehen. Neben der offenen
Frage,
wer
undurchsichtige Charakter der leicht Jungen die Bedeutung des Films. Weil eine
zu
|
(Haneke hat sich sogar geweigert, den Dialog
zu
veréffentlichen,
den
er
fiir diese
geschrieben zu haben behauptet), fungiert der Schluss in erster Linie als Anreiz für ethische Fragen. Inwiefern kann ein Kind ein verantwortlicher Akteur sein? In welchem Verhältnis stehen Kinder zu den Handlungen und Leidensgeschichten ihrer Eltern? Welche Implikationen hat der Vorschlag, umfassende gesellschaftliche Dramen, Gewalt und Vergeltung durch die Handlungen von Kindern und das familiäre Erbe solcher Handlungen sinnbildlich darzustellen? Szene
i (i i) ail i
|
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Die
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8 | | li
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|
Geschichten, auf die sich der Film
im Unterschied
|
1961 nicht ausdrücklich bezieht. Die erste Geschichte betrifft den
|
verweist auf die
|
ein
typisches Mitglied:
zuvor
als Aktivistin
der Deportation
»Als
Mutter dreier
betätigt.
Zweimal hat
[enfant caché] aus dem Victor-Hugo-Gymnasium unter ihre Fittiche genommen. Ziviler Ungehorsam? [Ihren Kindern hat sie erklart:] ‘Man sollte aber nicht jedes Gesetz. Man kann in die Lage kommen, ungerechte das Gesetze missachten.«*° Die Aufforderung, ungerechte Gesetze zu missachten, einer der wichtigsten Imperative des Post-Holocaust-Bewusstseins, verweist darauf, wie sich eine Ethik des Vergleichs von sich beidseitig bedingender Vergangenheit und Gegenwart in ein politisches Netzwerk mit praktischem Programm übersetzen lässt.
Vergangenheit,
die zweite betrifft aktuelle
Kämpfe
Gesetz achten,
zu
mit mindes-
zum
Oktober
Papon-Prozess
fragt
und
und
nach der
.
Verantwortung
Irritierende Ethik und multidirektionale
explizit politische Agenda, die mit der des Réseau éducation sans frontieres vergleichbar wäre. Der ethische Gehalt des Films beruht auf der Ermittlungsarbeit, die er dem Publikum abverlangt. Seine exzessive Forderung von Erinneverspricht keine einfachen Antworten rung und Gerechtigkeit ist bedrohlich, denn Cache hat keine
auf Fragen an, zu
sie
individueller und kollektiver
die Leinwand nach Hinweisen
verlassen,
um
zu
Verantwortung.
durchsuchen und
nach relevanten Kontexten Ausschau
einer offenen ästhetischen Form mit historischer
Der Film hält
gleichzeitig zu
uns
halten. Diese
Suggestivität
vielmehr
den Bildrahmen
Verbindung
konstituiert Hanekes
Vorstellung von Treue, deren Reichweite sich nicht Im Voraus bestimmen lässt. im Gegensatz zu Nora, der behauptet, Historiker seien »am besten positioniert, alles [...] zu sagen, wozu die Vergangenheit berechtigt«, verethische Praxis und führt
wendet Haneke die
zu
einer
Erinnerung als Hebel,
um
nach Autorität und
Verantwortung zu
|
fragen. 29
|
von
etwa
ME |
in
Cache enthaltenen Interview
Zuschauer und
Zuschauerinnen wichtig, dass
der Schlussszene übersieht. Es
deutigkeit integraler rawinkel und die Platzierung Sichtungen
~
von
bestätigt
Haneke meinen Eindruck,
von
die Anwesenheit Pierrot und
ist
Bestandteil des Films ist, ein
i
GE
DVD auf derHälfte der
In einem
dassin die Majids Sohn
|
| | ||| Hy| EU
undurchsichtige Sichtbarkeit versteckter Kinder verbindet Cache
tens zwei weiteren
beschreibt
Kinder hat sich Valerie Tranchand noch nie
gegriindete
Kinder vor
sans
Zusammen-
für die Überwa-
verantwortlich ist, erschließt der
übersehenden Begegnung der beiden abschließende Interpretation der Begegnung stringent und bewusst verhindert wird
|
| |MMm
i
Majids Sohn Augen verborgen. Dieser
kulturellen Diskurs der »versteckten Kinder«
chungsvideos
i
Hi
aller
verschiebt, Die in Cache evozierten Geschichten sind tatsächlich keine unsichtbaren, aber sie werden, wie die Fernsehnachrichten im Hintergrund oder die beiden Jun-
a Hil | IM |
vor
grundlegende Metapher am
Ein 2006 in Le Monde verdffentlichter Artikel beschreibt das Réseau éducation
sie ein »verstecktes Kind:
und unsichtbar: Sie sind
der Film
Papon-
Oktober 1961 und
französischen Phänomen auf: der Organisierung von Eltern und Kindern gegen die Deportation von Kindern aus Familien papierloser Migranten und Migrantinnen.
bewahrt werden sollen. Le Monde
—
i ta || |
an
Kontext
Söhne noch in den
unvermeidlich unterschiedlich
in
politischen Krise verbindet. Die Rhetorik »versteckden Holocaust gebunden geblieben, wenngleich der Genozid ist. Sie taucht zusätzlich bei einem anderen zeitgenössischen
Die offensichtliche
es
»Entfiihrung« Majids
Ereignissen des
frontiéres (Netzwerk Bildung ohne Grenzen). Dieser 2004 schluss hat sich direkten Aktionen verschrieben, durch die
begegnet sind.
Überwachung deutet daraufhin, dass die beiden
Fortsetzung
und die
einer aktuellen ethischen und
ihr
auf den Oktober 1961 Vertreter der zweiten oder
der
eine
Abspannszene
der vorletzten Szene sind Glieder einer multidirektionalen Kette, die die im
besonders verdäch-
ist
sind, aber Charakter und Kontext dieser Komplizenschaft bleiben vage, und
Am hervorstechendsten ist
a
Zukunft. Die versteckten Kinder der
denen sich die Laurent-
besteht aber nachdrücklich auf seiner Unschuld. Seine
mit Pierrot deutet eine
Bezug
gerade abgespielt hat,
Nicht-Auftretens in dieser Szene. Pierrot und
N
N
zu
identifizieren
terrorisiert haben.
a
N
Überwachungsvideos verantwortlich zu
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tig, für die
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den Film das erste
wenn sie
der Geschichte, die sich
eindeutige
Begegnung
| ||
in
Rolle
Familie bedroht
I
entgehen,
Prozess erzählte Geschichte des Holocaust mit den
Die beiden Söhne haben
|
|
zu
zeigt sich, dass die Kinder leicht
Ergebnis
diese Art
von
Statisten und Statistinnen.
und frustriert selbst dann noch das Bedürfnis nach Gewissheit.
Waisenkind, und versteckte Kinder kommen
zuhauf vor.
visueller Mehr-
Entscheidungen über KameDer Film verlangt mehrfache
von
Die Geschichte ist in Caché ein
30
Laetitia Van Eeckhout, Mobilisation
citoyenne
contre
Juni
|
| LE
LM
a|
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https://pdfify.app/trial
les
expulsions d’enfants,
in:
Le Monde,
2006, www.lemonde.fr/societe/article/2006/06/17/mobilisation-citoyenne-contre-lesexpulsions-d-enfants_784782_3224,html (28. 12. 2020]. 17.
|
A
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N
|
336
i
g.
VERSTECKTE KINDER
4 Die Viktimisierung von Kindern zieht sich
|
auf
gespenstisch durch Cachéund verweist
verborgene
Geschichten des Films, doch befasst sich Cache, wie Hanekes CEuvre insgesamt, auch mit der Möglichkeit, dass Kinder Täter sein können.?! In Hanekes
J
Werk
|
i
gibt es
keinerlei
chen sollte nicht als
|
brechen
|
aufgefasst
Sentimentalitat, und
Minimierung
werden. Wenn
oder
Fokus auf Georges’ Kindheitsverbre-
sein
Relativierung
Georges’ Beitrag
|
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den Grenzen moralischer tieren. Genau so,
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wie
Verantwortung
Vertreibung Majids aus seiist es eine komplexe, mehrteilige
das Publikum in die
und ethischer
|
||
Handlungsfähigkeit zu
Lage von Detektiven versetzt wird,
der nach Spuren absuchen, werden wir in ethische eingeladen, darüber nachzudenken, was einen
Fragestellerinnen
irri-
die Bil-
verwandelt und
verantwortungsvollen moralischen
ER
Akteur ausmacht.
|
|
Diese
A
identifizieren und
zu
Beschuldigung beteiligen, Grenzziehung Verantwortung und moralischen Dilemmata erleichtern würde, regt Cache eine signifikante, aber keineswegs unbegrenzte Ausweitung ethischer Verantwortung an. Der Film hilft uns beispielsweise zu erkennen, dass, unabhängig davon, wie wir Georges’ Rolle bewerten, Majid in Wirklichkeit von Georges’ Eltern aus der Familie
Ib
uns so an
einer
die die
zu
zwischen
i| I i KA |
BE i| 7 i | il
entfernt wurde. Sie sind, wie ambivalent ihre
Nachwirkungen Mutter |
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dass
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wiederholt
von
Majid geträumt hat.
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von
gegenüber Majid
zu
verurteilen;
traurigen Szenario, weigert
higkeit als Erwachsener, die
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anzuerkennen
|
4 a)
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i | || | aii |
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! i i Hl
ie aHi) i
-
sich aber
Georges für sein herz-
sie verweist indirekt auf
zugleich,
ihre
eigene Rolle
i]
|
Majids Leben
es
also
tiefen
um
Bei sei-
Vorstellungskraft
sein Gedächtnis und seine ethische
ebenso sehr wie
31
Zu den weiteren Filmen
von
Haneke, die sich
mit der
Viktimisierung von
Kindern befassen,
gehören Der siebente Kontinent und Wolfszeit. Zu den Filmen, die Fragen nach Kindern und Jugendlichen als Täter (und oft auch als Opfer) aufwerfen, zählen insbesondere Benny’s Video und Funny Games. In Benny's Video begeht der Teenager Benny einen willkiirlichen, unmotian
andere
um
einen Ausdruck
Lüge, die er als Junge aufgetischt hat (Georges gebraucht dafür dem Schulslang: cafter [»Petze«]). Als sich Georges und Majid
die
aus
Jahrzehnte später, nach dem Auftauchen der
begegnen, fragt Majid
wieder
Überwachungsvideos,
rhetorisch: »Was tut
man
nicht alles,
zum
um
ersten
nichts
Mal
zu ver-
Frage betrifft Gegenwart und Vergangenheit: Georges’ Weigerung, sich Vergangenheit zu stellen, schützt die Intaktheit seines Selbstbilds als ethisches Subjekt, so wie die Lüge des Kindes die ethnische Unantastbarkeit der Kernfamilie lieren?« Seine der
bewahrt hat.
der
auf
auf den
erwachVerantwortung Georges’ Eltern und Ausweitungen drehen sich um inter- und transgenerationelle Verbindungen. Das senen Georges heißt, der Film erkundet die mit einer Komplizenschaft mehrerer Generationen einBeide
~
~
hergehenden Verbindungen
ergeben
-
also genau
jene,
ebenso wie die, die sich die die Mehrheit der
aus
indirekter
Verantwortung Bürgerinnen in allen
und
Bürger
ber 1961 ethisch irritierend als die einer Rivalität zwischen Kindern inszeniert, führt
grundlegenden Anklagen: Zum einen werden Subjekte angeklagt, die unter Umständen juristisch gar nicht belangt werden können (weil sie »minderjährig« oder als Beobachter keine aktive Rolle gespielt haben), zum anderen werden Vorstellungen von Verjährung hinterfragt (wenn die Frage um transgenerationelle Verantwortung erweitert wird). Solche Anklagen wahren eine wesentliche Distanz gegenüber Rechtssystemen und juristischen Anklagen; sie implizieren ethische Vorschriften und Forzwei
zu
men von
auf
einemanderenTeenager.
AnschlieBendrasiertersichden Schädel, wodurch
(wie Figuren bemerken) zugleich wie ein KZ-Haftling und ein Neonazi-Skinhead aussieht. Das ist eine der sehr wenigen Bezugnahmenauf den Nationalsozialismus in Hanekes Werk, und sie betont die mehrdeutigen Erbschaften des Faschismus, wie sie sich auf spätere Generationen auswirken.
A qe
https://pdfify.app/trial
Treue, die über das
Gesetz hinausgehen und den Zustand oder die Situation,
die sie verweisen, noch radikaler
birgt
Außerdem
infrage stellen.
der Fokus auf die
Verantwortung
und
Viktimisierung Vergangenheit
Kindern eine Lektion über die Ethik der Zeitlichkeit: Ohne das
Gegenwart
verbindende Band
—
hier
er
das Publikum
weist
er
durch
zu
-,
kann
von
und
repräsentiert durch das Verhältnis zwischen
keine Verantwortung, dung geben, in der sich Gerechtigkeit denken ließe. Der Film
Kindern und Erwachsenen
es
keine kausale Verbin-
geht sogar weiter. Indem
mit einer Serie
von
Ratseln konfrontierten Detektiven
Fragen darauf Überwachungsvideos
hin, dass die Reichweite der
tional ist: Wer ist für die
Verantwortung
macht,
multidirek-
verantwortlich? Welche
Bedeutung Begegnung der beiden Söhne im Abspann? Wo verlaufen die Grenzen der Verantwortung? Wie verhalten sich die Kinder im Film zu den im Prozess thematisierhat die
versteckten Kindern oder
zu
den
jungen Sans papiers, die eventuell
aufPierrots
Diese Aufmerksamkeitauf »Grauzonene antwortungundMitschuldund verlangen Antworten Konzepte allerldesinSelbstund earen ansae verkomplizieren dualistische ethische Schule
|
He
|
ten
er
Hi | | 4
des
jungen
Auswirkungen seines Verhaltens auf ganz gleich, wie man seine Verantwortung als Kind beurteilt.
Versagen geht
viertenMord
7
ent
dem
Die Mutter scheint
anzuerkennen oder sich mit ihr auseinanderzusetzen. Der Film deutet auch an, dass das wahre Verbrechen nicht das Verhalten Georges ist, sondern seine Unfa-
i
U
er
sein Wissen
|I
eb
verantwort-
Verantwortung: Ruhig und bettligerig, weigert sich Georges’ (Annie Girardot), sich der Vergangenheit zuzuwenden, als Georges erwähnt,
|
a
|i
auch sein mag,
dieser
loses kindliches Verhalten hi
i
Haltung
liche Akteure, Die Szene, in der Georges seine Mutter besucht, veranschaulicht die
13
i
337
Geschichten nationaler Schande betreffen. Dass der Film die Geschichte des Okto-
Befragung fiihrt zu weiteren Bewertungsebenen. Anstatt es uns zu erlauben,
Schuld schnell und abschließend mit einem klar definierten moralischen Akteur
|
7
der französische Kolonialver-
zur
Allegorie kolonialer Gewalt ist, Allegorie. Auf einer ersten Ebene dient Hanekes Erzihlung der Geschichte mittels Georges’ Kindheitshandlung dazu, das Publikum durch die verstérende Frage nach
|
3
7
Elternhaus eine
nem
!
IRRITIERENDE ETHIK UND MULTIDIREKTIONALE VERANTWORTUNG
|
MM
‘
|
gehen?
Fragen Ienken
die
von
Ver-
jenseits
litätsmodelle. Sie
des
Anderen, Indem Haneke die zentralen Ratsel des Films unterdeterminiert er
32
die Überdeterminiertheit historischer
Caché kénnte
auf
lässt,legt
Verantwortung offen.?? Georges
ist
nicht
produktive Weise anhand von Clifton Spargos Begriff der »Erinnerung an Ungerechtigkeit« interpretiert werden. Spargo schreibt: »Die Art und Weise, in der wir über
7
nie
|
fal \
9. VERSTECKTE KINDER
338
LA PLACE DE LA CONCORDE
339
IM
|
ie
i
|
gegenüber
Treue
a
dem
Unfähigkeit,
seine
|
dieser multidirektionalen
Subjekt
das ethische
a
Ereignis, Ereignis
das
das
seine
auch
nur
Verantwortung;
seine
Unfähigkeit zur
Kindheit und noch viel mehr zerrissen hat als Bruch
oder den 17. Oktober
begreifen \
zu
-
überhaupt als Ereignis anzuerkennen -, steckt vielmehr ex negativo den Raum eines potenziellen, noch unverwirklichten ethischen Subjekts ab.
|
Erinnerung Mord und Cache, an der Aufdeckung »verborgener« Geschichten, evoziert auch Appell des Romans an die Figur 8 gl der Antigone ethischen Imperativ, die Toten zu Grabe zu tragen und die Möglichkeit zu trau-
wie Bei
doch der abschließende den ern
wiederherzustellen. Sebbars Roman ist den
Audin und einer Reihe
Hl
von
Opfern
Personen
des Massakers
gewidmet,
von
1961, dem Comité Maurice
die sich als Akteure und Akteurinnen
multidirektionaler Erinnerung begreifen lassen darunter Daeninckx, Jean-Luc Einaudi, Elie Kagan, Jacques Panijel und Paulette Péju. Der Roman widmet sich bewusst ~
UL,
|
La Place de la Concorde:
|
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Die Rückkehr
Stätten der
an
Erinnerung ;
al) a
Sophokles
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tatsächliche
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zu
sehen (insbesondere
in halb- oder
Konflikte evozieren das Trauma
mit Georges und
seiner
vielmehr ist die Position Haneke bietet nicht jene
Außenposition,
mit
die Daeninckx für das ethische
Haneke bezieht sich auf
historischer Verantwortung
aufeinen anderen Text zu
von
möglich sein
Sophokles, um
Ödipus,
die
wird;
anderem bietet die Erinnerung schen Kausalzusammenhängen
ist,weil
|
egal tert
|
das
einer
33.
|
Hae
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In
an
eine
Ungerechtigkeit, eine
Antwort
an
prignanten Aufsatz
den
erweiErinnerunginnerhalb
seine Position
tiber Caché verweist Paul
Gilroy
auf
die
Grenzen
nicht-
Subjekt.
klugen
komplementären Argumentation
potenzielle
an
junge Erwachsene richtet,
er
| |
|
|
aufdie
ventscharfte, den
wenn seine selbstreflexive Form Gegenstand eines Besichtigung folgenTischgesprichs wird, und nicht etwa die politische Frage der Kolonialschuld. Ich stimme
Gilroy
und Cousins
ethische Gehalt des Films würden
I ZU A HE
1
ti!
https://pdfify.app/trial
zwar
darin zu, dass
politisches Projekt
zu
der
Film nicht
inszenieren
(was,
so
weit
geht,
wie ich noch
ein
positives,
darlegen
| |
alternatives
werde, La Seine
était rouge durchaus tut), doch ich bin etwas wohlwollender, was die von Haneke skizzierte Vision einer künftigen Ethik angeht. Siehe Paul Gilroy, Shooting Crabs in a Barrel, in: Screen
(2007) 2, S. 233-235; Mark Cousins, After the End: Word of Mouth and Caché, in: Screen (2007) 2, S. 223-226. Meine Interpretation von Sebbars Roman deckt sich mit zwei ausgezeichneten Aufsätzen von 48 48
34
Anne
Donadey
insofern
von
und Dawn Fulton. Meine
|
Herangehensweise unterscheidet sich allerdings
der dieser beiden Kritikerinnen, als ich La Seine
in
erster
Linie
in
den mul-
tidirektionalen Traditionen verorte, die im Fokus dieses Buches stehen, und dadurch, dass
der Vision des Films, das heißt auf dessen Unfähigkeit, über die Krise des weißen, bürgerlichen Subjekts hinauszugehen, hin zu einem vollständig imaginierten, alternativen, hat Mark Cousins die und In einer weißen "These vertreten, das Beklemmende und der
nicht
keineswegs ein einfaches oder vereinfachendes Werk. Sebbar verwendet eine komplexe Erzählstruktur und unterteilt ihren relativ kurzen, 125 Seiten langen Roman in 37 kurze Kapitel mit zahlreichen Erzählern und Erzählerinnen und Fokalisierungsformen. Die Handlung wird vor allem von den Perspektiven dreier junger Figuren getragen: Amel, ein sechzehnjahriges Beur-Madchen, das in Nanterre aufwächst, und zwei Freunde in den Zwanzigern: Louis, ein französischer Filmemacher, und Omer, ein algerischer Journalist im Exil. Das Buch zeichnet Amels Versuche
Ungerechtigkeit
Ordnung. Unter systemiBürger, dem die Sache
kann. Die
Kausalitätsprinzip bis zu dem Punkt, an dem das Subjekt akzeptiert.« Spargo, Vigilant Memory, S. 261. kurzen und
identifizieren, kennzeichnen ihn als Text, der sich
doch ist
die in ihren historischen,
als kausal verantwortlich wahrnehmen
wenn
und auch Sebbars Roman erkundet solche
der
ethisches und
Kausalitätskette
einem
zu
Entstehung eines minoritiren Subjekts Paris, octobre 1961 beteiligt sich zwar,
dargestellt wird,
Eltern-Kind-Beziehungen,
Beziehungen im Namen eines ethischen Gedenkprojekts. Doch anders als Cache, wo Erinnerung und ethische Subjektivität nur ex negativo und andeutungsweise skizziert werden, und anders als Bei Erinnerung Mord, wo es zur Wiedereinsetzung eines klassisch männlichen Subjekts (des hard-boiled-Detektivs) kommt, kündigt La Seine die Geburt eines neuen Subjekts der Erinnerung an, auch wenn es auf einer Figur klassischer Provenienz aufbaut und an einem historisch aufgeladenem Ort entsteht.?4 Der Adressierungsmodus des Romans, seine offenkundig pädagogische Ausrichtung und seine Aufforderung, sich mit seiner jugendlichen Protagonistin Orte
dagegen bezieht sich Leila Sebbar
sich nicht
er
der
gar zerriittete
weitere Konfrontation
Geschichte nachdenken, und die Aufmerksamkeit, die wir der historischen widmen [...], schaffen einen Raum der Kritik innerhalb der gegenwärtigen
i
Subjekt
anzudeuten, dass eine
um
Subjekts nicht ohne
skizzieren. Sebbars La Seine était rouge:
r
eet
Mutter,
unbewussten Zuständen). Auch wird die elterli-
Rekonstruktion des weißen französischen
| HI | LO
il
Gewaltandrohungen (und die
Psychoanalyse erfolgreich neu verhandelt; des Vaters hier die einer unauflésbaren Legitimationskrise.
Fahndung postuliert.
|
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sucht. Andere Bestand-
che Autoritat nicht wie in der normativen
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/ ll |
a|
intergenerationellen
er
jedoch ohne die Auflösung, die sich bei Sophokles und Freud findet.Georges’ Blindheit liegt nicht daran, dass er das Ausmaf seiner Verbrechen der Held der griechischen Tragödie »sieht«; sie resultiert vielmehr aus der anhaltenden Verweigerung,
i
:
sowie die
Ein
dann
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Gewalt)
Tragödie:
aber auch mit Pierrot und dessen Mutter Anne, die Georges der Untreue verdächtigt, uneingestandene Wünsche andeuten. Spielt der Film mit einem ödipalen Szenario,
ay
MN
er
dem der
der Kastration, während die Szenen der Anspannung
ue |
U ie NM
folgt
von
untersuchen; schließlich stellt sich her-
teile der freudschen Version sind im Film verstreut: Die
oad
Hoe |
zu
selbst der Verbrecher sein könnte, nach dem
aus,
1
|
dass
ein Verbrechen
aufgefordert,
Mann wird
; | Il| i 7
und Freud verstehen, sein narrativer Aufbau
Cache lenkt La Seine était rouge die Aufmerksamkeit auf angespannte,
in der Version
Odipus-Mythos
Caché lasst sich als Heraufbeschworung des
Fragen der individuellen und kollektiven Erinnerung. Wie Bei Erinnerung Mord und
in La Seine était rouge
ich auf
Assoziationsgeflechte
aufmerksam mache, die
die Fotografien Elie Kagans, den Bezüge griechische Trauerspiel entstehen. Siehe Anne Donadey, Recasting Postcolonialism: Women Writing Between Worlds, Portsmouth 2001, S. 28-33; Dawn Fulton, Elsewhere in Paris: Creolised Geographies in Leila Sebbar’s La Seine était rouge, in: Culture, Theory & Critique 48 (2007) 1, S. 25-38.
Schauplatz
um
Place de la Concorde und die intertextuellen
auf das
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7
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der einen Dokumentarfilm über die
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17. Oktober direkt
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und Großmutter Louis’ Film,
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Eltern erfährt
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begleiten,
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die beiden
Spuren
der
»Transkriptionen«
am -
weiterer
17. Oktober und den
und
so zum
um sie
ersten
auf ihren
Ereignisse ausfindig
der Szenen
Augenzeugen
Folgetagen
aus
und
berichten.
Mal die Geschichte ihrer
Streifzügen
durch Paris
zu
machen wollen. Amel und
auf, die in dem Film erwähnt werden und an denen
Demonstration
Vorfallen kam, und sammeln weitere
Zeugnisse
es
von
während der Parisern und
begegnen.**
|| |a
LA PLACE DE LA CONCORDE
341
vermuten
lässt. Wie Daeninckx, Haneke
—
zur
an
den
Papon-Prozess
Memorialisierung
Raum zurück. Von der
Widmung zu Beginn bis zum überraschenden Schluss betont von Akteuren und Schauplätzen der Erinnerung. Tatsächlich lässt sich der Roman trotz seines jugendlichen Zielpublikums mit Gewinn als eine Lektion für Theoretiker der Erinnerung wie Nora und Rousso verstehen, die neuerdings vor der sozialen Sprengkraft ihres Analysegegenstands zuriickzuschrecken. Sebbars Roman macht Beispiele für lieux de mémoire (Orte der Erinnerung), wie sie Nora bezeichnet hat, aufmerksam und ruft dabei den Zweiten Weltkrieg und Formen des Holocaustgedenkens in Erinnerung. Für Nora markiert die Zunahme von Orte der Erinnerung in der Moderne den Niedergang einer gelebten, kollektiven Erinnerung, die natürlich und kontinuierlich von einer Generation an die nächste weitergereicht wird. In dem berühmten Aufsatz, der den ersten Band von Les lieux de mémoire einleitet, schreibt Nora: »Es gibt Orte [lieux] der Erinnerung, weil es keine Umgebungen [milieux] der Erinnerung gibt.«”” Auf gewisse Weise bestäLa Seine die Interaktion
auf einige
tigt
La Seine Noras These
rationen
1997/98
geschrieben,
kehrt der Roman
und Präsenz bestimmter Monumente
im
Pariser
|
36
CE ee |
Hi]
a
i | ai
Leila Sebbar, La Seine était rouge: Paris, octobre 1961, Paris 1999, 6. 16. Sebbars Interesse an den mit dem Oktober 1961 assoziierten Erinnerungsorten
wesentlich mit Hanekes scheinbarer Meidung solcher Orte. Paris Ansichten der (flichtige
ges’ Haus
im
Rue des Iris
13. Arrondissement exakt
keit seines Protagonisten er
sich
2u
-
ein
bedeutungsvoller
verorten), doch der
derihn
mein
spielt
kontrastiert
erkennbar
in
-
Gleichgültig-
auf
Augenmerk
diesen
zu
Aspekt des
indem danke Manuel Rota fir die Ich richten.
machen.
Films
zu
https://pdfify.app/trial
er
Noras Narrativ
eines
Verfalls ab und verweist auf
Formen des Gedenkens bei der Interaktion
von
Orten und Akteuren
Deutlicher noch als Bei Erinnerung Mord veranschaulicht La Seine die Struktur, die Hirsch Postmemory nennt eine Ästhetik, die Hirsch mit den Kin-
von
Holocaust-Überlebenden in
Verbindung bringt
und zunächst in Reaktion
Maus, Art Spiegelmans Comic über seinen Vater, einen Auschwitz-Überlebenden, entworfen hat. Wie Maus befasst sich Sebbars fiktionales Werk mit den Bemühungen auf
der zweiten Generation, die Geschichten einer
Zeugen
und
Zeuginnen
zu
wenig
mitteilsamen Generation
rekonstruieren, Die Art und Weise,
in
der das
von
geschieht,
lenkt die Aufmerksamkeit auf den künstlichen Charakter dieser Rekonstruktion: durch
Betonung
des medialen
zweiten Generation und die
(und vermittelten) Charakters der Geschichten der
Weigerung,
anhand der vermischten
Chronologie
der
Erinnerung ein bruchlos verlaufendes Narrativ zu rekonstruieren. Wie Protagonisten und Protagonistinnen vieler Holocaust-Geschichten der zweiten
individuellen die
Generation bemerken Amel und Louis
Lebensgeschichten und denen Ergebnissen, überbrücken wollen. und
"Trotz solcher
Eines der
eine
tiefe Kluft zwischen ihren
ihrer Eltern, die sie, mit
Erfahrungen
zwangsliufig gemischten
Ähnlichkeiten zwischen La Seine und zahlreichen Texten der Holo-
caust-Postmemory verweist
auf wesentliche Unterschiede
Sebbar
wichtigsten in Erinnerungsorten, Motive
von
nerinnerung, da
erlauben es, Georscheint die
Name
Film
zwar
neue
La Seine sind Sie führen oft
zu
solchen Texten.
Amels, Louis’ und Omers wiederholte zu
einer
umgangssprachlichen Gege-
OmerdieoffizielleErinnerung staatlicher Denkmäler mit der Erin-
Erinnerung den Zweiten Weltkrieg
an nerung an den Algerienkrieg kombiniert. Die und den nationalsozialistischen Genozid waren im Diskurs und
Frankreichs bis Ende der
gegenüber umgebenden Geschichte zu reproduzieren,
weigert, Orte historischer Gewalt sichtbar
Anregung,
Cach&
denn der Roman betont die Kluft zwischen den Gene-
—
doch letztlich lehnt
Erinnerung.
der
Besuche 35.
-,
mögliche
dern
Erinnerungen. Der Roman ist nicht nur eine ebenso fragmentierte wie detailreiche Darstellung des 17. Oktober, er beschwért auch zahlreiche weitere Geschichten herauf, einschlieBlich des gréReren Kontexts des algerischen Unabhingigkeitskriegs, des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust, des französischen Kriegs in Indochina, des napoleonischen Einmarsches in Agypten, des Mai 1968 und vielleicht am nachdriicklichsten des algerischen Biirgerkriegs der 1990er-Jahre. Die pidagogische Stoßrichtung der Erzählung übertrifft diese multidirektionalen Anrufungen sogar; letztlich geht es um die Strukturen der kollektiven Erinnerung als solcher. Unmitwiederholt
Ur | i |
|
indirekter, »intermedialer« Stil bereits
telbar im Anschluss
)
Hi) mail|
gesehen
aus
-
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Mutter
und viele andere, die auf das Massaker reagiert haben, richtet Sebbar ihre Aufmerksamkeit eindeutig auf ein umfassenderes Aufeinandertreffen von Geschichten und
|
|
intergenerationelle Tradierung von
Omer suchen Orte
sein
iaail
vi
dreht. Anstatt die Geschichte des
vielfaltige Gruppe
rekrutiert Amel Omer,
zu
hat),
—
|
} La
unterstützt
Komplizierter wird alles dadurch, dass es dem Roman keineswegs nur darum wie geht, die singulare Vergangenheit des Polizeimassakers zu rekonstruieren
| ml | iE | IM Va
i)
wo
—,
hat
Pariserinnen, denen sie unterwegs
|
|
8
iiber ihre Erlebnisse
Nachdem sie Louis’ Film
|
Krieges materiell
Tochter darzustellen, nutzt der Roman indirekte Mittel. Etwas
denen Noria und eine
in
Augenzeuginnen
ER
i
zu
zur
Ereignisse
erzihlen oder deren
mehr als zwei Drittel des Romans bestehen
ae
iL
ihrer zuriickhaltenden Mutter und ihrer Groftmutter etwas iiber die Ver-
von
heißt einer Französin, die den FLN während des
|
a
i
-
nach,
[au
i
5
g. VERSTECKTE KINDER
gangenheit zu erfahren. Beide Frauen waren an den Ereignissen des 17. Oktober beteiligt, lehnen jedoch Amels Bitte um Unterrichtung wiederholt mit der Entschuldigung ab, sie würden ihr am »festgesetzten Tag jour dit]« alles erzählen.’ Amels Mutter Noria weist also den Wissensdurst ihrer Tochter konsequent zuriick, spricht aber offen mit Louis, dem Sohn einer porteuse de valise (einer »Koffertragerin«, das
A
N
340
i}
37
et
Pierre Nora, Entre Mémoire Histoire: La
de mémoire, I: La
im
öffentlichen Raum
1990er-Jahre weitverbreitet, doch die Gegenerinnerungen
République, Paris
des
problématique liewx,
1984, S.
xvii.
in:
ders.
(Hrsg),
Les liewx
7
aa
i |
:
RK
|
aa
iG
:
342
|
i
Algeriern
von ANT
»weiße |
den
I
|
und
Algerierinnen und
(wie die Leerstellen
stream
aot
Marmorplatte«
Aufruf gefolgt
|
||
|
|
Diese
sani Bala aa
il
i)
verortet.2®
Beispiel
und der Trauer.*
ekphrastischen, bildlich beschreibenden und einen anspielungsFotografie evoziert Sebbar die Concorde als »Schnittstelle« in einem mobilen Netzwerk kollektiver Erinnerungen.“° In einer der Zeugenaussagen aus Louis’ Film, die direkt nach Amels und Omers Ausflug zur Concorde eingefügt wird, benutzt Amels Mutter ein berühmtes Bild: »Wir trafen zufällig Flora [Louis’ Mutter], sie sagte uns, die Concorde sei gefährlich. Die Polizei schlage Algerier. Die Bullen hätten Maschinengewehre. Ihr Freund, der Fotograf, zeigte ihr Fotos der Concorde-Metro-Station, ein paar Wochen später habe ich sie auch gesehen. Am Bahngleis stehen Männer, Algerier, zusammengepfercht [parques], mit den Händen auf dem Kopf, es ist eine Razzia [une rafle], sie werden sie in die Durch einen
reichen Gebrauch der
Gefangenenlagerbringen,
wie meinen Vater in den Palais des
Verbindungen
an.
Sports« (S.
f.).
79
Das
von
Noria beschriebene
|/
aH i)
aufdie
|
3
x
anos
|
38
der allgemeinen metonymischen Technik, Daeninckx Werk sehe, scheint Sebbars Interesse
Abgesehen von
Hl oy | a Ry
Erinnerung g Mord Bezug 8
i He
Roman
am
die öffentlichen Räumen und ihrer zu
Umgebung eingeschrieben
nehmen:
zum
an
den
in
La Seine als auch
Erinnerungsschichten,
sind, auf zwei Passagen
in
Bei
einen auf die Beschreibung 8 einer Mauer in Tou-
louse, die mit Graffiti bedeckt ist, die kontrare politische Haltungen zum Ausdruck bringen, und zum anderen auf den letzten Absatz des Romans, in dem Cadin und Claudine beobachder ten, wie Arbeiter, die an der Metro-Haltestelle Bonne-Nouvelle (dem Schauplatz einiger Schichten alter Plakate entfernen und dabei ein Plaam 17. Oktober 1961 verübten Massaker)
| |
HE
|
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1
| MT
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|
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aus
der Zeit der nationalsozialistischen
betonen
zwar
Besatzung freilegen (S.
die Konkurrenz und das Blockieren
wirkt darauf hin,
Peale a
de
I’étoile
ur denen verBleichbanspielt die place
einsetzt.
demsichAlgerier und Algerierinnen
hybrides, nicht-fiktionales
von
159,
Erinnerungen,
die unterschiedlichen Botschaften lesbar
zu
machen
216).
Diese
Beispiele
doch der Roman selbst -
wie
das auch Sebbars
La
l’étoile
de
in
der Nacht des 17. Oktober
Werk Dora Bruder ist insofern
A a
Sebbars Roman, als .
Geschichten
Eine
*
unternommenen
Sebbars Darstel ung
|
Patrick Modi auf subversive
ein
von
entstand die Concorde
undenkbar, dass von
ein
ihm die Geschichte einer unter den
auf
Bedingungen
|
|
der
Ort der »Konkordanz« sich überschneiden-
interessante Weise mit der kulturell-politischen Bedeuin Paris: A Traversal from
Agulhon
Ost nach West«), einem
Ort: »Die Place de la Concorde
bewegten). Modioffenkundiger
weiterer
|
Ermittlung erzählt wird.
Ortes selbst. Wie Maurice
berichtet,
Zentrum
in
der Place de la Concorde als
korrespondiert
Durchquerung
im
Essay
postrevolutionaren
fiir das
19.
East
West
to
Jahrhundert
als »neutralisierter«
spiegelte somit ein gewisses Bild Frankreichs wider,
Platz, der ggewissermaßen
Paris sein sollte. Daraus
ergab
in
(»Paris:
Liewx-de-Mémoire-Projekt
der Mitte Frankrei ichs
lag,
und
es war
nicht auch das icht
a
a
sich die Idee, dass Paris eine Stadt der Hälften,
Ost und West, sei, definiert inBezug auf die Concorde. [...] Die antagonistischen Leidenschafdie einst mit diesem zentralen
Platz verbunden
ten,
begraben« (S. 535). Sebbar könnte, wie Rouch
waren,
und Morin
wurden
vor
nun in
rativ
Maurice
insofern, als die den Platz
Agulhon,
zu einem
Ort
of
historischen Nar-
the French Past, Bd. III:
Symbols,
| |
macht. Siehe
|
Realms of
|
möglicher Übereinstimmung in: Pierre Nora (Hrsg.),
Paris: A Traversal from East to West,
The Construction
der Vergangenheit
ihr, als Wiederbeleberin einiger
dieserauch antagonistischen Leidenschaften angesehen werden. Siefolgt diesem Memory:
Text tut.
von
Postmemory
40
er
die ich sowohl
in
place
«ori
an
Vorläufer
]
oe
»Hier wurden
a
|
Ort,
tung des
|i | i) I,
La
I
Pa
des
he ole de
Zusammenhang zwischen dem gelben Stern (I"étoile jaune), den Juden und der Besatzung zu tragen gezwungen waren, und einem Ort in Paris, der Jüdinnen während Place de I’Etoile (dem Standort des Arc de Triomphe sowie, nebenbei bemerkt, ein weiterer
dem chaotischen, aber scheinbar
«
I
+
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||
aus
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Weise mit dem
7
chule
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ablegt,
Di
Dee
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Laan
i ||
39
©
unschuldigen öffentlichen Platz einen Ort voller Erinnerungen an Deportation und Erniedrigung. Nur ein Jahr nachdem Marceline von Rouch und Morin gefilmt wurde, sollte die Concorde ein Schauplatz zeitgendssischer Polizeigewalt werden. Wie Omer Fassade Hotels Crillon schreibt: Algerier am 17. Oktober 1961
a
|
ins
eines dritten
ASSO2I
Verkehrs auf der Place de la Concorde
|
HE
Erinnerung
bringt die moderne jüdische Allgemeinen Spiel, indem sie Fotografie (eine der Schlüsselressourcen der Ästhetik von Postmemory) und ein Denkmal beschwért. Multiple, manchmal zufällige Assoziationen machen aus der Place de la Concorde eine beispielhafte Schnittstelle multidirektionaler Erinnerung und schaffen letztlich einen »Platz« für die Konstruktion von Gegendiskursen der Erinnerung hinzu. Sie
Aspekte
Geschichte und den Kolonialismus im
zwischen Postmemory und multidirektionaler ErinIn Chronik eines Sommers macht das Zeugnis, das Marceline inmitten des
:
1
|
Bei
des Gedächtnisses konstituiert eine multidirek-
:
|
4i| ll |
im
Gewaltge-
unterschiedlicher
öffentlichen Gedächtnis weitere
im
—
I sea
...
zeigt, diesmal auf der Place de la Concorde. Die lings des konkreten und symbolischen Raums der Concorde konstruierten Assoziationen deunerung
Ka
diesem Ort
an
dieses Denkmals wird kurz
Schauplatz
dem »Ort« der Concorde
‘
A
Denkmal-détournements
||
en
Bezirks, die
Mittel: Omers Botschaften verdecken nie
metonymischer
metonymische Ausweitung
ten interessante
ig
...
tionale Rhetorik, die sich durch La Seine hindurchzieht, wie das
||
, iil
LE
Amels Sicht auf die Inschrift. Mit
Unvollständigkeit
andere Gedenkorte, sondern sind neben ihnen
a
i
und intertextuelle
Erinnerungskonkurrenz, sondernfolgt vielmehr
Mord durch den Einsatz
(4
metonymische
gesprühte Botschaft, diesmal auf dem Quai Saint-Michel, Algerier am 17. Oktober 1961 für die Unabhängigkeit Algeriens« ergänzt: La Seine die Erinnerung an den algerischen Unabhingigkeitskrieg (S. 107). Indem mit dem offiziellen französischen Kriegsgedenken kontrastiert, beteiligt sich der der
Papon brutal zusammengeschlagen« (S. 81). Sebbar
wur-
»Hier fielen
an
der Polizei des Präfekten
markiert das Pariser Wahrzeichen als
Studenten inhaftiert, die General de
die Soldaten der französischen Streitkräfte des
sind« (S. 101). Die
von
343
fügt
darauf durch eine weitere
Roman nicht
i
i
gestorben
Gefecht
an
LA PLACE DE LA CONCORDE
schichten und
den Ersten zählten, die sich gegen den Besatzer
Inneren und die Einwohner des fünften und
ill
I
|
zu
|
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und
Amel lesen wir: »Dem Gedenken
i [|
ll
die
Gymnasiasten und
|
| 1)
|
Noras monumentalem
teilweise Omers Kérper versperrt Ps P
Michel-Brunnen
|
A
Projekt bezeugen). erklärt: »In diesem Gefängnis
Neben die
Gefängnis sprüht Besatden franzésischen die sich gegen algerische Widerstandskimpfer guillotiniert, der offiziellen 28 Die Voreingenommenheit Erinnerung verf). zer auflehnten« (S. Am Saintliterarisch. anderen Denkmals arbeitet Sebbar auch am Schauplatz eines
hI
Ig=
ihren Nachfahren blieben außerhalb des Main-
Sante-Gefängnis,
waren
KINDER
Omer in roten Lettern: »1954-1962 wurden in diesem
auflehnten«,
|)
am
in
11. November 1940
am
Gaulles
|
VERSTECKTE
9.
New York 1998, S. 523-552.
|
|
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En 2211
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Notizbuch, das sich
einem
|
nach dem Massaker
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direktionale
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einen
1
befindet, hat Kagan einige Jahre
Besitz seiner Familie
lyrischen Text verfasst, der die Brutalität Papons auf multi-
CE
mgs ae
Ba ae
»Ratonnades
Tag
Rue de
5
Parise
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nennen.
Lille, behelmte Manner.
Araber
Meine
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Da
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Sarg
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Tau-
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ome
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pee
PD
EA
DI
2x
pews
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ES
ares
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diesen heißen
sie
Za
En a pete
mich überrascht.
al
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En
DBa Ts
IS
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DD
ary
a
Vos
a
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an
2
:
Verbindung bringt ganz zu schweigen die antijiidischen Razzien der Fotografien, der von Erinnerung Aktivierung Sebbar einen entwickelt postmemorialen wie denken lassen zwanzig Jahre zuvor mit
oo
v
|
reak-
untersuchten Texte, dem
A
:
Erinnerung
a
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DE
a
|
auch multidirektionalen Ansatz. In La Seine ist die Place de la Concorde
Am
| al
a U
der Artikulation
Reflexion i
vant
von
Trägerin weiterer Bedeutungen,
die für die
Postmemory und multidirektionaler Erinnerung rele-
sind. Als Amel und Omer den Platz erreichen, versucht sie, ihm
eine
Führung
»Ich bin kein Tourist und der Obelisk interessiert mich einen Dreck. Ihr habt
|
ten
eal
geplündert, Bonaparte
der iiber dreitausend
a
der Obelisk
|
Hl |
zu
der Erste, und ihr seid stolz darauf« (S.
Kagans
Foto des jungen Mannes, der
einem von
der Polizei
an
der Metro-
blutig gepriigelten algerischen Demonstranten 2u Hilfe kommt Kagan/La contemporaine. Bibliotheque, Archives, Muse des mondes contemporains
© Elie
Napoleons Agypten-Feldzug. Damit wird metonymischen Zeichen, das an die »glorreiche« Kolonial-
Jahre alte Obelisk
einem
Ägyp-
77). Omer erinnert
44
Metro-Stationen als
Erinnerungsorten
episodischer »Schnappschüsse«niedergeschl agen tiberschriebene »Octobre 2001, Solférino:
|
:||
an
hat sich auch
in
ihrer
dies., Métro: Instantanés,
| HM |
Sebbars Interesse
45 46
Hat, the Ebenda, S.
Generation
of
LAlgériene
Postmemory,
vergangenheit
Eintrag
nimmt
Sammlung
Paris 2007. Der
auf den 17. Oktober
S107
111.
a
X
https://pdfify.app/trial
später
von
das eine Vergangenheit, in die Omer sogar obwohl der Obelisk tatsachlich erst vier Jahrzehnte
Frankreichs erinnert
Beur-Madchen Amel
integriert
an
i
|
10: Elie
Haltestelle Solferino
ist
A|
|
Abbildung
der Obelisk und da drüben anzubieten: »Das ist die Concorde, sagt Amel, und dort ist La Defense.« Doch Omer widersetzt sich Amels neutraler Darstellung der Stadt:
|
i
eo
mit resonanten indivi-
und des asthetischen
die anderen in diesem
zu
Yan a 8 A 2
:
Hirsch skizzierten Modell und verwebt die Problematik nationaler und kultureller mit einem intimen, familiären Narrativ. Indem sie Kagan nennt und ihn
Km
N
asso-
These, dass die Fotografie ein
intergenerationelle Übertragung
die
|
seiner Person und der des
zirkuliert.*
auf bekannte
Bezüge
stellbar bleiben.«‘5 Unter
7
|
metonymische Assoziierung
und die
ne
in Berichten über den 17. Okto-
ihre leichte Aneignung von ikonischer und symbolischer Macht machen sie zu einem die unvoreinzigartig machtvollen Medium für die Übertragung von Ereignissen,
|
7
Vespa wird
Studenten mit Verkehrskreiseln und Metro-Stationen stehen emblematisch für den multidirektionalen Erinnerungsverkehr, der unter und zwischen den Schichten des
prominentesten
|
|
Kagans
haufig erwihnt)
ber
Mobilität (seine
Mehmet Ali, dem
-,
—
Vizekönig
von
Ägypten,
an
wurde. Trotz dieses Anachronismus unterstreicht Omers
Frankreich verschenkt
Bemerkung
die Bedeu-
tung des Agypten-Feldzugs und die weiteren Implikationen und langfristigen Folgen der
imperialistischen
Griindungsmoment
Kultur. Laut Edward Said
des orientalistischen
war
nische Expedition schuf] dem Orientalismus durch escription
de
l’Egypte, gleichsam
ein
der Einmarsch in
Agypten
der
Macht/Wissen-Regimes: »[D]ie napoleodas
groBe Gemeinschaftswerk,
szenisches Ambiente, da fortan
Agypten
7
wel
A
me
BA
| ||
ET
9. VERSTECKTE KINDER
348
LA PLACE DE LA CONCORDE
349
EN
| SA
und
|
Erprobung
Blickrichtetsichauf dieses
selbst
N
Erbes leben müssen. Sebbar inszeniert eine Konfrontation mit orientalistischem Wis-
|
sen an
einem Ort sich diberschneidender Geschichten
|
|
|
kurzen
metonymische,
die das Erbe der
Postmemory
dem Aufdecken der Erbschaften der
Ii
Vergangenheit
Metonymie
deutet an,
eine multidirektionale
sie zur
Napoleons Agypten-
mit Louis. Louis.
nicht
und
In
diesem
Amel gern »erzihHeldin seines Films machen, doch Omer erklärt,
haben, und macht daraus die
macht
tungsriten
|
zwischen
| |
von
Charakter berühmten undnichtmit In di
deuten die beiden jungen Manner
an, wie sie
Handlung
revidiert den Roman, den
aktualisierte
einer bekannten
aus
Amel eine
Antigone,
tische |
|| |
suggeriert
Toten
die den
des
Erinnerung die
17.
der Roman eine unbemerkte
de
des Obelisken,
zufällige Verbindung Der gyp-
derGeschichte Antigones.
Agypten, der Place la Concorde und
Ursprungsort
OktoberGerechtigkeit
ihnen angemessenen Bestat-
am
Eingang
zum
Tempel
Ramses II., heißt
von
heute Luxor, früher aber Theben. Und Theben ist natürlich noch eine andere, eine
griechische 47 48
Stadt: der Schauplatz der Sagen
Edward Said,Orientalismus, Frankfurt
a.
M.
von
Odipus
und
Antigone. Sebbar greift
2009,S. 56.
als auch der
Ort
ein
Alexandrien hat, doch die
er
Agypten
im Alter
Vater jiidische Bekannte der
zu
(berufliche? genealogische?) Verbindung Familie Agypten
wird nicht erklärt.
Erinnerung
Ortsname
I lassen
als
Verschiebung
sich zwar von
—
die Arbeit sowohl der Geschichte
um
erkennbar
zu
machen. Ein Obelisk
-
und
Kontinent derentransporti Bedeutungeines
einem
dadurch radikal ihre
Kontinent
zum anderen
transportieren,
stationären Ortes Bedeutung ändernd, doch die erfährt eine Verschiebung, da sich an ihm verschiedene Geschichten übereinanderlegen. Allerdings offenbart sich keine dieser Verschiebungen von selbst daher die Notwendigkeit einer Gedenkakteurin und einer metonymischen Rhetorik. Wenn sie Paris letztlich das Mittelmeer durchquert (bezeichnenderweise nicht in -
und
rien!),
RichtungAlgefungiert Amel-Antigone als Akteurin auf der Ebene der Geschichte und als Ver-
kérperung
der
Bedeutung
für Sebbars besondere
variiert Omer
einer der beiden
der zweite nicht? Indem
nur
Sebbar die
lich
es
sie
unsrer
versagt?«"?
der
Postmemory
In
er
beide
Antigone
Fragen,
|
|
deren
zentral sind. Warum
Brüder unbestattet lässt,
ordnungsgemäß beigesetzt
die klassische
Frage der Gerechtigkeit.
nicht den einen
Pädagogik
die Geschichte Antigones, indem
Sophokles
doch bei
Rhetorik des Textes. Dennoch bleiben
metonymischen
etwa
|
worden ist und
Handlung abwandelt, verkompliziert ist das Dilemma deutlich: »Hat Kreon
beiden Brüder / des Grabs
gewürdigt und dem andern schmäh-
Als erklarter Staatsfeind darf Polyneikes nicht bestattet werden; als
vermeintlicher Wahrer des Status quo erhält Eteokles ein Heldenbegräbnis. Antigone sich der Autorität des Staates und handelt entsprechend der höheren Moral
widersetzt die
Gerechtigkeit. In La Seine bleiben jedoch beide Brüder unbestattet; doppelt schwer gekennzeichnet. Mittels der Weigerung,
Familie und
von
Aufgabe
ist dadurch als
zwischen hen den den Tot Toten
zu
terscheide erweitert tert Sebbar multidirektionale Eri unterscheiden, Sebbar diedie multidirektionale Erinne-
rung, die eine Reihe von Geschichten und Orten umfasst, die nicht durch eine historistische Logik verbunden sind, um das Bedürfnis nach einer Ethik der Erinnerung, die
»jenseits von
Gut und Böse«
agiert (einer Ethik,
die sich tatsächlich nicht sehr
von
Antigones unterscheidet). Reihe historischer .
:
.
|
|
|
Der Hinweis auf die beiden Brüder beinhaltet zudem eine noch
Bezugspunkte.
spezifischere
Den gesamten Roman hindurch wird die Aufmerkgelenkt, die der französische Staat am 17. Oktober .
|
.
|
samkeit nicht allein auf die Gewalt
gegen Algerier und Algerierinnen ausgeiibt hat, und auch nicht nur auf die longue durée des europaischen Kolonialismus und Antisemitismus, sondern zusätzlich auf eine Geschichte interner
Gewalt, die den Kampf um die Unabhängigkeit Algeriens gekennzeichnet hat und in den 1990er-Jahren als tödliche Wahrheit über den unabhängigen algerischen Staat zum Vorschein gekommen ist.°° Wie Omer im Zuge einer Diskussion um jenes abrahamitische Erbe des Opfers, das er sowohl im Unabhängigkeitskrieg als auch im Bürgerkrieg der 1990er-Jahre sieht, gegenüber Amel bekräftigt: »Die
49 ;
Der genaue Grund fiir Louis’ Obsession bleibt unklar. Wir wissen, dass besucht hat (S. 49) und dass sein von zehn Jahren mit seinem Vater in
||
abhält. Hier
in der
4
.
.
widerfahren lassen will, indem sie
|
2|
gereist
angereist
werde ihr ein Theaterstück schreiben. Dessen
Handlung
vy Wat | i i EN ll a Hh
mit
doch mit 01 Omer doch
N
i| |
a MH
lassen. In dem Roman ist Louis
Fassung gerade gelesen griechischen Tragödie: »Es ist die Geschichte eines Mädchens, das nachts auf einem Hügel für seine Brüder ein Grab aushebt, sie versucht es verzweifelt, der Boden ist hart, Soldaten bewachen die Korpusse der hingerichteten Zwillingsbriider. Die Armee hat die Leichen auf dem Platz [place] des Dorfes zur Schau gestellt« (S. 125). Omers
a
Hh
zu
nun
Schlusskapitel
wir
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MN
Amel Amel iist
-
auf diese kontingente Assoziationskette zurück,
wo
len« würden. Louis möchte
i
er
i
N
freizulegen,
die historischen Schichten
Vergangenheit ruhen
xandrien d
|
:
wurden. Sebbar verwendet hier eine
assoziative
Feldzug besessen; gefangen zwischen der orientalistischen Verlockung des Ostens und Louis zusammen mit seiner eigenen Skepsis gegeniiber dem Kolonialismus, méchte Amel den Feldzug in einem Film nacherzihlen.® Am Ende treffen sich Louis, Amel Stadt Aleund Omer zufällig in der für ihren kosmopolitischen
Hel a | I | qi i lA | ||
7
der jetzt der Obelisk steht, mehr als tausend Men-
die
a
a
aus
pragen die Revolution,
|
A all i di IP / i
|
Massaker
|
A
1
Kolonialismus,
der
und postmemoriale Handlungsfähigkeit hervorgehen kann, die aber auch lernen muss,
i
i
um
an
Eine letzte mit der Concorde verbundene, anachronistische dass
Vi
a
nur
Besatzung und Papons polizeiliches
eben der Stelle,
hingerichtet
Rhetorik,
i i
HT
an
bestimmen.
i
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i
Zuge
schen
mil
7
derer
im
A
nicht
—
Concorde, sondern auch die revolutionäre Inbrunst der Französischen
i
|
desWi
es
Metropole reimportiert worden war und als Orientierungspunkt fungierte, für Subjekte wie Amel, die mit den anhaltenden Auswirkungen des kolonialen
die nationalsozialistische
|
dieses
auf
hd Theater Wissens, nachdem Theater des
|
|
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sich
galten.«47
in
|
|
Laboratorium
i
{|
nt
die
für die
Übungsfeld,
des westlichen Wissens über den Orient
postkolonialer Blick richtet postkolonialer
Omers mers
|
die anderen islamischen Länder als eine Art
Schauplatz
und
|
|
|
später
50
Geste, die Kehle durchzuschneiden, ist in
uns.
|
|
Verstehst du?« Amel lehnt Omers
Sophokles, Antigone, Ditzingen2013, S. (Prolog, S. 21 f). und der FLN ausgehende Gewalt finden sich auf S. 38, 42, 92, HinBeispiele für aufden algerischen Biirgerkrieg der 1990er-Jahre, dem die Figur Omer geflohen aufS. und Omer und AmelsDiskussion tiber das Opfer Abrahams vereintbeide 7
interne
weise
vor
22
von
von
Gewalt
52.
ist,
Formen
(S. 61-63)
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Mal!
Fil
g.
350
:
VERSTECKTE
KINDER
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doch die verstérenden Tatsachen der
unmöglich
|
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viele Tote, und die Toten sind tatsächlich
|
nerungen, also
| | ml | |
zu
eng miteinander
Sebbars Roman
wie
Schauplatz
der Transformation
von
um
Antigone deutet, insbesondere durch an,
ihre
Umdeutung
in der
Figur Schlussepisode des Die
geprägt.
dass die zu überwindende Gewalt innerhalb der Gemeinschaften stattfin-
aufzugreifen).
ea i
| yy ilal I
einem
jungen,
Notwendigkeit interner diese Aufgabe zuzuweisen,
Das Beharren auf der
Rechenschaft und darauf, Amel die Verantwortung für weiblichen und minorisierten
Subjekt
La
unterscheidet Seine von Bei Erinnerung Mord,
wo
der
Postmemory-Generation,
das männliche
Subjekt
von
Erin-
Mitschuld auferlich bleibt, auch
nerung und Ermittlung der von ihm aufgedeckten es aufmerksam fiir die sich nacheinander abblatternden Lagen der Geschichte
i
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wenn
bleibt, die
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umgeben.
es
1
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Die
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Wendung
Frage auf,
die
mein für die
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nungsgemäß 17. Oktober
auf der letzten Seite
Theoretisierung
-
es
zu
von
Sebbars Roman wirft
/
zweite
eine
allge-
fiir alle hier untersuchten Texte und sogar ganz der multidirektionalen
im Drama des
bestatten,
wo
dass
Doch —
er
die
sie zu
richten sucht, ist fiir die
[Kreon], wie’s die Ordnung ° will,
geborgen
Polyneikes’ Leiche, der
es sei
in
der Erde,
drunten bei den Toten Ehr
er
den
im Grabe
|
genießt.
|
klaglich fiel,
so
Bürgern ausgerufen,
heißt
es
—
solle keiner
bejammern, nein, man lass ihn unbestattet, unbeweint, den Beutevögeln als leckern Vorrat, wenn sie ihn erspihn, zum Fressgenuss.«*! bergen
und
es
Sophokles
Antigone und deren Interpretation durch fiir die zeitgenéssischen Erinnerungskriege. —
Gedenken
an
die Toten nicht
nur
um
Erinnerung
den Versuch
hat. Wie sollen wir
geht,
die Toten ord-
-
um
-
birgt
eine
les und Sebbar wenn er
klarstellen,
ist
es
doppelte
terroristisch wirken kann, sondern
der Staat, der die
Lektion
|
Dynamik
|
WieSophok-
unter
gewissen
muss.
des Terrors
|
produziert,
|
sich weigert, alle Toten anzuerkennen. Wenn der Staat das Gesetz der Trauer
instrumentalisiert,
müssen
Forderungen
nach
Gerechtigkeit
Akteuren und Akteurinnen der Erinnerung und der
|
»gesetzlosen« Postmemory ausgehen. Doch von
(und Sebbar bestätigt es), dass der Zweck des Gedengerecht zu sein und sich »nach Recht und Brauch« zu verhalten. der Treue zum katastrophalen Ereignis sollte, das legt auch Badious nahe, in der Transformation der Situation bestehen, die die Katastrophe verursacht hat, Geht es wie so oft um mehrfache Katastrophen, dann wird die Aufgabe schwieriger, aber nicht weniger dringlich. Indem sie auf die multidirektionalen
Antigone
insistiert auch darauf
|
kens ist, in der Trauer
DasErgebnis
Ethik
—
—
Erbschaften verweisen, die sich rund das Massaker des Oktober iiberkreuzen häufen,streben Daeninckx, Haneke und Sebbar nicht nach der endlosen AufdeAuseinandersetzung cl] ung stetsweiterer Ebenen Geschichte, sondern nach den von
17.
| |
einer
grundlegenden Situationen, die Gewalt erzeugen. Wenn sie den unbequemen Uberschneidungen und Komplizenschaften nachgehen, die die Geschichten von Genozid und Kolonialismus kennzeichnen, lassen sie die Möglichkeit offen, neue Orte der Verständigung aufzubauen.
|
mit
|
|
|
doch in einem Großteil des Diskurses über den
einschließlich aller hier untersuchten Texte
Sebbar
Erstens insistiert das Drama, dass das
Umständen tatsächlich eine terrorisierende Position einnehmen
und
Erinnerung
Antigone
Implikationen
hat
um
/
/
zu
verstehen, dass
WIM
I | ai
i |
Toten bestatten:
die Enden der multidirektionalen
| lei | al
unbegrabenen
.
Die
| |||
|
so
einen
es
und Paul Silversteins
Al
man,
nach Recht und Brauch
der multi-
Frankreich, Algerien oder der geeinte/getrennte »transpolitische« Raum, den beide gemeinsam repräsentieren (um die Begrifflichkeiten Etienne Balibars sei
Ungerechtigkeit,
die Verhältnisse innerhalb einer Familie, doch ist
historisch assoziationsreichen Differenzen
-
Kapitels
der
besonders relevant und im Hinblick auf diese Themen ebenso
herausfordernd:
multipler Gewaltgeschichdoppeltem Sinn
diese Familie auch
det
|
a| HE HA i |
"Themen dieses
friedliche Zukunft. »Relational« sollte hier in
geht
Romans,
:
| ial |
Antigones Schilderung
es
gesell-
der hier ebenso wie in Caché
verstanden werden: Es
der
A hi | i
;
Odipus-Mythos,
zu
Antigone rekonfigurierend, geht und entwirft die Figur eines ethischen Subjekts
einem
zu
potenziell
ten in eine
Vi
|
(S. 63). dass
direktionalen Erinnerung. Bei Sebbar wird der Platz mittels der Handlungsfähigkeit eines gerechten und relationalen Gedenkens zum Ort einer »Konkordanz« der Erin-
|
i
an,
»Eteokles, sagt
Schritt weiter als Caché
|| | |
|
deuten
Gedachtnisorte wie die Place de la Concorde aufsuchend und Denkmäler des
||
|
Gegengewalt spuken gestellte »Zwillingsbriider«
historische Erkenntnis bedrohe und sogar eine »terroristische« Gefahr für den schaftlichen Zusammenhalt sei?
aufgerufen wird).
LI
:
gibt
zu
kulturellen Gedächtnisses
A i] |
Schau
verwandt (ein weiterer Nachhall des
|
ia
zur
durch den Roman
könnte, die Rollen der Gerechten und der Ungerechten eindeutig
sein
verteilen: Es
|
|
Dorfplatz
Omers auf dem
ne
|
und erwidert: »Wir sind nicht alle Halsabschneider, ich verstehe nichte,
Logik zwar ab
||
|
A
|
|
a
‘
351
DIE UNBEGRABENEN TOTEN BESTATTEN
das Aufdecken einer
verborgenen Vergangenheit geht? Oder, um die Begrifflichkeit aufzugreifen, mit der wir begonnen haben: Wie verhält sich Sophokles’ Beharren auf ordentlicher Bestattung
zu
der
von
Pierre Nora und anderen Historikern und Historikerinnen vorge-
tragenen Behauptung, der
Erinnerungsdiskurs
sei dermaßen
ausgeufert,
ail
a ||
dass
er
die
51
Sophokles, Antigone, Ditzingen 2013,
S. 7 f.
|
https://pdfify.app/trial
|
7
Tl |
i
|
|
ie
| A
|
|
Multidirektionale
i
der
Ich habe in Multidirektionale Erinnerung versucht, zwei zentralen Aufgaben gerecht zu werden. Zum einen sollten wichtige Aspekte der intellektuellen, kulturellen und
|
[m
el
|
den Nachweis, dass die
europäischen Juden
WA
i
Von zentraler
AU
das auf der
i,
um |
anderen sollten die theoretischen
ist mein
Konzept
die ich
durch
an
den
Dekolonisierung
Konsequenzen dieser
aufzuzeigen
der multidirektionalen
knappe
und
zu
emp-
Erinnerung
gewesen, Gedenkakte beruht
Anerkennung der produktiven Interaktion disparater Abgrenzung zu einem Verständnis von Erinnerung
als Konkurrenz
öffentliche Ressourcen entwickelt habe. Das Konkurrenzmodell macht
Vorstellung einer Knappheit des biirgerschaftlichen Raums was ich in meinen einführenden Bemerkungen 2u Walter Benn Michaels kurz als Immobilienmarktbeschrieben habe zur Grundlage seiner von öffentlicher Erinnerung. So wird die Washingtoner Mall zum Schauplatz eines Nullsummen-Konflikts um die Relation der Präsenz der Erinnerung an die Sklaverei, beziehungsweise den Holocaust, und das in einem hochgradig nationalisierten Kontext. Die polemische die
i i | WL Hi] a | m I, |
~
Modell
|
fi i | il al |
| HT | | U |
Auffassung
-
Stoßrichtung meiner Argumentation war zentrierten,
|
(ol | | | I iH
ten eines
innerung
|
| ||
offeneren Verständnisses der
zuriickzuweisen, das ein
den Reduktionismus des
ausgerichteten
Möglichkeiten
»erneutes
von
auf die
Nation
Ansatzes zuguns-
Erinnerung und Gegenerhegemo-
Aufsuchen« und Umschreiben
könnte.
Erinnerungen
nicht auf eine Konkurrenz
um
allerdings nicht, dass Immobilien und allem, was sie in Hinblick auf symbolische, politische und wirtschaftliche Macht beinhalten, keinerlei Bedeutung zukommt. Der Besitz von Immobilien kann tatsächlich zu den Dingen zählen, um die es beim Wettbewerb der Erinnerungen geht, wie viele der hartnäckigsten politischen Kämpfe rund um den Globus bezeugen. Dieses Projekt hat bereits weite Wege beschritten, doch es gibt natürlich viele wichtige Bereiche, Immobilien reduzieren lässt, bedeutet
Hie
A
zum
es,
Immobilienmarkt
Dass sich der Wettbewerb der
FÜ
|
an
der Analogie
nialer Erinnerungsstätten ermöglichen
| ||| | | | i / i Hl || i
|
Prozessen der
und das ich in
te
0
ständigen
Bedeutung fiir die Méglichkeiten,
fehlen versucht habe,
/ |4| ||
zwar
Zukunft verbunden.
1
1
und
aufdie
|
| | Ll
MT
dargestellt werden,
begriffenen Verwobenheit für unser Nachdenken über öffentliche Erinnerung und Gruppenidentitit dargelegt werden. Um diese beiden Ziele zu erreichen, ist das Buch sowohl retrospektiv als auch zukunftsbezogen, und es hat einen revisionaren Blick Vergangenheit mit einem optimistischen Sinn fiir die Méglichkeiten der
|
|
zum
stets mit
neu
nationalsozialistischen Genozids
neu
1 || i]
i
und Jüdinnen
verwoben gewesen ist;
| {1
Nachkriegszeit Aufarbeitung des
Geschichte der
politischen
We
|
Besatzungen
AI
A
1
in einem Zeitalter
wi
:
5
Erinnerung
|
|
| |
Epilog:
11}
1
|
| |
AN i
https://pdfify.app/trial
|||
X ER
MULTIDIREKTIONALE
EPILOG
354
|
ERINNERUNG
355
1
Bl l
|
die ich nicht habe
|
|
ten nach dem
at}
att
|
|
profitieren,
der Solidarität wie denen
die Multidirektionale Erinnerung sichtbar
|
den lässt. Das neuerliche Nachdenken über die
|
| |
wurde, mag nicht
ll
a
anzusprechen
a
|
X|
1
(|
| ia
li | A
nach dem,
he
einer
Wie
Fragen
nent, insbeson-
amerikanischer Ureinwohner und Ureinwohnerinan
diesen
Indigenen ernstgenommen werden,
mit der
Jodi Byrd diber Auseinandersetzungen
jene
Genozide
des 20.
Vergangenheit
in
weil
heutigen
den
Jahrhunderts, die auBerhalb des ame-
stattgefunden haben, anerkannt werden, bleiben jene, die der Expansion Amerikas intrinsisch gewesen sind Entfernung und »Einhegung« [reservation] der amerikanischen —
eine wesentliche Verwerfung
vor
im Herzen amerikanischer
Identititen.«? Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass Amerikanerinnen somit veinfacher« zu
stellen,
es
fiir Amerikaner und
(oder relativ einfach) gewesen ist, sich anderswo
als sich mit der anhaltenden zu
Enteignung
konfrontieren
-
der
ame-
gerade
weil
|
|
i |i
ER DE
| |
Justice in
Reframing
1
Siehe Fraser,
2
34 (2008), Inquiry inquiry Abnormale
»
a
Globalizing World; dies., Abnormal Justice,
Folgen
der
Risiken und
verdinglichend«,
Konfrontation mit
Ganz
scherinnen
von
beitragen,
zu
stellen
unvergleichbaren Gerechtigkeit bleiben. Die in
Auseinandersetzungen
Analogisierungen
-
anzuerken-
dass Holocaustforscher und -for-
zu
Landes durch Israel hat im Zusam-
einigen
der
offenkundigsten
des nationalsozialistischen Genozids
In diesem Kontext nimmt die Evokation des Holocaust
rituellen Austausches
USA und
Themamit einem anderen, anhaltenden Konflikt
Besetzung palistinensischen
menhang politischer oft gehissigsten
die
(S. 313).
dass diese
ist, das Gewicht
anerkennen, wie sich ihr
iiberschneidet. Die
Notwendigkeit,
Wissenschaffl erinnen indigener Forderungen
wichtig ausschlaggebender Bedeutung,
die
die Unschuld und
zugleich
traumatischenGeschichtenverlangt nichtsGeringeres. den fiir Wissenschaftler und
anderen Siedlerkolonien auch
dabei
und die anhaltende
im Rahmen der
so, wie es
nen, ist es
Vergleichen,
von
wie konkurrenzbasierte Ansätze
aufzudecken und sich ihnen
Gelegenheiten insgesamt
auf ameri-
noch zirkulieren, wägt zwi-
Unvermeidbarkeit
Gleichsetzungen werden,
Manifest-Destiny-Doktrin
Bezug
Bedrohungen
der
in
Regel
~
und
geführt.
die Form
eines
Beleidigungen an. typischen vergleichsweise geringfügigen derartigen Austausch kam es im Februar 2008 zwischen israelischen und palastinensischen Sprechern. Nachdem ein israelischer Verteidigungsbeamter die Palästinenser gewarnt hatte, sie würden Gegenstand einer von
und
und
-
-
Holocausts) »Shoah« ausgehenden Raketenangriffe (eines Desasters oder
streifen
werden, sofern sie nicht die
auf Israel einstellten, antwortete
die Palästinenser hätten
Sprecher, in
Zu einem
es
mit
»neuen
Nazis«
zu
vom ein
Gaza-
Hamas-
tun.” Hier erkennen
|
wir
typische, spiralförmige Logik der Produktion von Erinnevon »Feinden«, dieselbe Sprache von Leid und Vergeltung zu
verdichteter Form die
rung und die Tendenz
Gerechtigkeit
meint Situationen,
in
denen »die Disputanten [...], auch
©
wenn sie
berechtigt ist, Forderungen
an wen
pl
überprüft werden wie solche Forderungen 8
nachzukommen, sofern
S.
Bezug worauf
sollten; und darüber,
gerechtfertigt sind« Life Deadly, 318.
sie
Byrd, »Living My Native
und in
richten; darüber,
verpflichtet
wer
(Fraser, Abnormal Justice, 7
S.
| |
gebrauchen. Die ineinander verschrinkten
diesem _
Buch erkundet wurden,
Archive von Genozid und Kolonialismus, die
in
israelisch-palästinensischen Kontext häufig rappierend deutlich hervor. Man nehme etwa die merkwiirdige Geschichte des israelischen Historikers Benny Morris. In Biichern wie The Birth the Palestinian Refugee N
treten im
.
of
N
.
S. 393-422. 4
Weiteres
8
an
|
Reuters, Israeli
bei: Lilian
Settler Society: Frontier Violence and Stolen
(Hrsg.),
in
Australian
History,
New York 2004; Moses
© Genocide.
5
|
in:
Indigenous Children
398),
|
Freedberg, Verhältnis von Genozid Indigenen to Compare: Americanizing the 24 (2000) 3, Dare Holocaust, American IndianQuarterly S. 353-380; Dirk Moses Genocide and Holocaust und
zum
A.
wo
ist, ihnen
Official Warns
Palestinians of
»Shoah«,
(Hrsg.), Empire, Colony,
in: New York Times, 29. Februar
|
2008 |
|
a | HE Na
zu
in
ergeben, wenn divergente Erinnerungen
»gegeneinander ausspielen,
Kontrolle der Unterdriicker
über wesentliche Fragen streiten, grundlegende Meinungsverschiedenheiten darüberausagieund zu ren, wer
3.
Critical ae
in:
Vergleiche
Überlebende letztlich
.
|
pe
Gefahr,
dass
Ein multidirektionaler Ansatz kann dazu
nach
schwierigen Fragen
Gerechtigkeit« (abnormal justice)
rikanischen Ureinwohner und Ureinwohnerinnen
AM ii He
Forderungen Anerkennung
-
Sel | | HC i ME | | Bai SE
Bia
einem Uberdenken der
zu
Folgen den nationalstaatlichen Rahmen sprengen und nach des anhaltenden kolonialistischen Status der USA verlangen?
Ureinwohner nach wie
|
N
kann
und
die Sklaverei und die
| ie LT
|
Forderungen des Genozids
verübten Genoziden
‘egal i
.
es
bei
rikanischen Kontinents
| [| HE | 7 Hi i Dam
doch
Gerechtigkeit gleichermaßen denen es um die Umverteilung
wirtschaftlichen und territorialen
Lit | (|
|
Folgen
USA schreibt: »Während
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die
solche
|
IM | m iW
wenn
und die
nen
i (| i
|
-,
Fraser »abnormale
was
dere dann,
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diejenigen nicht,
wer-
der
Fiir einen in den USA arbeitenden Forscher stellen sich diese
at \ i an | i |
Aspekte
die
sich Forderungen ab, konvergieren (S. 328). Sie betont zugleich die
Repräsentation beitragen. Wie Nancy Frasers Arbeiten zur »RahAnerkennung nach Anerkennung mung« (framing) von Gerechtigkeit nahelegen, sind Fragen und zu klären geht es Repräsentation von ausschlaggebender Bedeutung, wenn darum oder zu hinterfragen, welche Form die Gerechtigkeit annehmen wird, wer als Subjekt der Gerechtigkeit zählen darf und wie oder unter welcher Gerichtsbarkeit Recht gesprochen werden soll.
aM
N
geht
alle
Ureinwohner
und Ureinwohnerinnen immer
schen den harschen
und
| 1
|
Lage sein,
insbesondere
materieller Ressourcen
il
5
—
in der
kanische
Erinnerung, das hier vorgeschlagen
|
|
die
terung der »konkurrierenden Diskurse« über den Genozid, die
möglichen Lösungen könnten sehr wohl von Visionen
Dilemmata wie diese, doch die
ri
um
In den
nennen:
Spiel sind. Und doch bietet die Erinnerung, wie Byrd anerkennt, eine kritische Ressource, ungleiche Verteilung der Aufmerksamkeit anzugehen. Byrds nuancierte Erör-
Multidirektionalität der
—
infrage stellen. Um die beiden Kämpfen von Indigenen aus aller Welt wie auch im israelischpalastinensischen Konflikt konvergieren Konflikte um die Erinnerung mit Auseinandersetzungen um Territorien. Es gibt keine einfachen Antworten auf politische zu
|
|
»Immobilien« einer der Faktoren sind, die dabei im
verlangen offenkundigsten Beispiele
multidirektionalen Ansatz, den ich hier entwickelt habe,
oder diesen vielleicht auch
|
|
kénnen und in denen sich iberschneidende Erbschaf-
ansprechen
|
U
\
https://pdfify.app/trial
|
mali I
356
Sl
|
\3
|
Entstehung des palistinensischen Flitchtlingsproblems«) hat Morris sich anderen heutigen kritischen Historikern und Historikerinnen angeschlossen und den Unschuldsmythos revidiert, der mit Erzählungen über die Gründung des israelischen Staates einherging. Doch obwohl Morris als einer der prominentesten »post-zionistischen« Forscher bekannt war, hat er in den letzten Jahren dramatisch und provokante Verteidigungen Israels von dieser Zuschreibung Abstand genommen
|
A yin
Bl | | 1!
|
arbeitet 1948
A | mi
i
zufolge
2004 auf Anhieb
Kriegsverbrechen
zu
und
Morris
Menschenrechtsverletzungen,
dem Vorläufer der Israel Defense Forces,
übergegangen, jene »Transferpolitik«
ersten
zu
Premierminister David Ben-Gurion
berüchtigt gewordenen
die
begangen wurden,
ein
Zeitung
|
I|il| N
|
»Ben-Gurion hatte recht. kein
A
I
ohne
der Geschichte Umstände, die eine
der
|
ten
Antwort: »Wenn in der Zukunft
breiten
extremer
aus
Mythen
Angriff durch
wire, dann waren
Opfern, Tätern und Beobachtern. Der Hintergrund, vor dem diese Wechsel stattfinden, ist allerdings der einer in sich stimmigen Weltsicht: jener des Kolonialismus. Tatsächlich hallen
in
Morris’ Diskurs die Zeitlichkeit und die
Tropen nach,
die Cesaire
1950 als für koloniale Diskurse zentral identifiziert hat. Morris verortet die israelische
Gesellschaft und »den Westen« ausdrücklich in einer herrschaft und identifiziert sich insbesondere
mit
Niedergang begriffenen Kolonialgeschichte:
im
langen Geschichte der Kolonial-
den Momenten und Gestalten einer
»dem Römischen Reich des vierten,
innen heraus stürzten«; den
von
gibt
ves
ein
an
den amerikanischen sei gegen-
er
[Araber
aus
den Gebieten oder
sollten, und das
Israel]
aus
in Kombination
mas-
mit gefährdet einem
Israels Anrainerstaaten, sodass das Überleben Israels
Vertreibungen
sicherlich eine
Möglichkeit.«/
|
|
|
Hy i
6
Ari Shavit, Survival of the Fittest: An Interview with
-
wichtiger er
als universelle
Moralbegriffe« (Shavit,
sich und das Schicksal seines Landes
ortet,
ermöglicht
Morris die
an
Interview with
Benny Morris).
solchen historischen
2004. Eine kurze
Erörterung
der
Bedeutung Henry
sischen israelischen Politik bietet
York Review ofBooks, 26. Februar 2004. 7
Benny Morris, Right of Reply / I Do zweite Siehe auch Benny Morris,
Der
Benny
Not
in:
im
Support Die Welt,
Holocaust,
.
|
Expulsion,
in:
de/print-welt/article706570/Der_zweite_Holocaust.html lischsprachige Fassung
Morris,
der
9, Januar
zeitgenösvon Morris’ Interview Kontext Siegman, Israel: The Threat from Within, in: New
(28.
dieses Artikels selbst veröffentlicht:
in:
Helaretz,
23.
Wendepunkten
12.
http://groups.yahoo.com/group/
Ht
https://pdfify.app/trial
|
ver-
Aufrechterhaltung seiner mehrdeutigen Position als (im einerseits und Apologet »ethnischer Säube-
der Selbstmordattentäter. Doch der Tässt sich nicht allein
|
|
jener
phantasmatische Überschuss
aus
nenden Überschusses
|
sie darauf
wie sich öffentliche
besteht, dass
Erinnerungen wechselseitig aufgehört haben, den Nahen Verzweiflung auslösen angesichts der Reduktion jene, die
wie
und
nicht
Beschimpfungen, doch
auch der Kessel, müssen. So ist
aus
neue
einer Politik der
von
die
uns
der
verzeich-
Politik
auf
|
Erinnerungskriege
aufzuwiihlen, konnen krude
zwar
Stereotypen
unbehagliche Nähe von Erinnerungen zueinander
Visionen
ist
Trennung
Solidarität
das Wort redet, die
wechselseitige
Verschrin-
Geschichten und die Komplizenschaften verrät, die koloniale und genozi-
unweigerlicherzeugen.” daleGewaltBevélkerungen feindete«
Holocaust« bietet
2001, in:
12
wenn
auch
Eingeständnis, dass »ver-
ungleiche
Geschichte teilen,
8
diese
»zweiten
Lessons of the Holocaust Versus Territories for Peace, 1967-
Israel Studies (2003) in
unaussprechbare
2007]. Eine Darstellung der Politik des Diskurses des
Arye Naor,
Eine ausfiihrlichere,
Das
gemeinsame,
eine
eejh/message/63915 [1.
8
von
zu
wir ernstnehmen müssen,
durchkreuzen. Osten
wir
der undGerechtigkeit hervorgehen ausschlaggebenderBedeutung, dass Morris’ Spracheselbst dann,
dem
es von
|
der Tatsache
nähern, weil
|
seines Diskurses
zeitgenössischer Gewalt erklären. Die Kategorie der multidirektionalen Erinnerung erlaubt es, das zugleich politischen und psychischen Natur des in solchen Diskursen
2004.
Morris hat die eng-
|
rung« und politischer Gewalt andererseits. Sicher, Morris spricht aus einem Kontext heraus, der von Gewalt durchzogen ist der Gewalt der Besatzung ebenso wie
Januar
6. Januar 2007, http://www.welt. 2020].
Dass
guten Sinn) revisionistischer Historiker
wenn er
Ha’aretz,
|
Kreuzrittern, die der »Schwachpunkt Euro-
pas« gewesen seien; und dem Pied-noir Albert Camus in seiner Haltung zur Algerienfrage »Er hat seine Mutter über die Moral gestellt. Mein Volk zu bewahren ist
kung
| ||
|
Irakkriegs, präsentiert Morris Vergangenheit und Gegenwart, primitivisti-
Gewalt der
paranoid-apokalyptischen Fantasien. Darüber hinaus durchläuft Perspektivwechsel und changiert zwischen den Positionen von
und
i
i
||
bauen«, denn
Paläsdie wildes dort
müsse für
man
sive Gewalt gegen den Staat Israel verüben
i ME | Wee| i
Käfig
man
wärtig kein Befürworter der Ausweisung von Palistinensern und Palistinenserinnen aus Israel oder den besetzten Gebieten. Dennoch spekuliert er in seiner wohliiberleg-
| iE | | Al i | i Hi
Politik, sagt Morris,
Ureinwohnern und Ureinwohnerinnen seien »Ausrutscher« gewesen;
|| | HT
zeitgenössische
stellt, seine Bemerkungen über den »Käfig« und den Genozid
|
itill
—
einsperren muss« (Shavit, Interview with Benny Morris). Angesichts Empörung, die diese Bemerkungen ausgelöst haben, hat Morris später klarge-
Tier, das
|||
|
gibt in
Es
tinenser und Palistinenserinnen »einen
I Hi | | A Tei
i Hii
[...]
der Indianer
Nachdenkend über die
|
||
der Zeit nach dem 11. Sep-
-
ro. a| | Vi
mA
entstanden.
wäre hier
-
a jt
|
der Palästinenser
Entwurzelung
Ohne die
Säuberung rechtfertigen. Ich weiß, dass dieser Begriff im Diskurs des 21, Jahrhunderts völlig negativ besetzt ist, aber wenn es um die Wahl zwischen die Vernichtung Ihres Volkes ethnischer Säuberung und Völkermord geht ziehe ich ethnische Säuberung vor. [...] Selbst die große amerikanische Demokranicht geschaffen werden können.«° die Vernichtung tie hätte
'
| 4||
We
[...]
ethnische
A
l
jüdischer Staat
aus
fünften und sechsten Jahrhunderts«, als »sie die Barbaren hereinlieRen und diese das
|
Mh
UT
Morris:
Interviews und Schriften
sein Diskurs rasche
Reich
m
|
behauptete
provokanten
Potpourri
schen
ist
rechtfertigen, die ihm zuriickgeht. In einem
Interview mit der israelischen
|
IM
|
Hagana,
auf Israels
Ha‘aretz
3
j
der
von
weiterhin
In seinen
357
tember 2001 und der zweiten Intifada, der Zeit des
|
1
7
zwar
der Palästinenser und Palästinenserinnen veröffentlicht,
aber außerdem dazu
|
|
Verurteilungen
und
||
|
MULTIDIREKTIONALE ERINNERUNG
Problem (»Die
|
|
EPILOG
1,
$. 130-152.
Richtung
Spite of Partition: Jews, Arabs,
zielende Argumentation bietet Gil Z.
and the Limits of
Separatist Imagination,
Hochberg,
Princeton 2007.
In
|
1
|
nti
| |
|
EPILOG
358
|
Py utopische zugrunde liegt.
|
|
i
ist das
8
a
oa |
Ideologie
konkurrenzbasierter
Dank
Viktimisierung
zwei weitere Schlussfolgerungen aus der Art von Erinnerungskonflikt, israelisch-palistinensische Disput emblematisch steht. Erstens: Wir kén-
Ich ziche
all | i i
Moment, dass der
fiir die der nen
die strukturelle Multidirektionalität der
wenn es
|
einen Cordon sanitaire
|
4
iH
ist nicht
zu
ziehen
méglich. Erinnerungen
Politische Konflikte
zu
(wie
das manchmal der Fall
zu
sein
scheint):
zu
es,
die
Verflechtung von Erinnerungen im einzige Weg nach vorn ist der der
verstehen. Der
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HL 7
te
|
rekonstruieren. Es verbindet die
Archiven transnationaler Kulturriume
zu
Pierre
Vidal-Naquet.
Andere sind schon
vor
Arendt, Charlotte Delbo, Marguerite Duras,
i
sich viel
von
ihnen lernen lässt
-
wie auch
Didier Daeninckx, Michael Haneke, Auch dieses
if
Buch
ist
Jahrzehnten
| i |] | |
was aus
von uns
gegangen: Hannah iiberzeugt, dass
W.E.B. Du Bois. Ich bin
von
anderen, die noch durchaus aktiv sind:
Caryl Phillips
YaseminYıldız gewidmet. Ohne
ihre Liebe,
Intelligenz, Unter-
wüsste ich ganz wörtlich
nicht,
mir werden sollte.
Michael Rothberg
fiir
die
Originalausgabe
Ha
EM CT i |ul i
ie
lel
Fiir die deutsche
lichkeit, mit
MI
|
i
5
Michael
Ubersetzung
vom
Rothberg
fiir die Geduld und Freund-
und im Interview beantwortet hat. Nicole
Metropol Verlag
haben sich weit über das im Ver-
das Nachwort
gegeben. Für die großzügige finanzielle Unterstützung danken wir der Society Samuel Goetz Chair in Holocaust Studies at UCLA und noch einmal Michael Rothberg, der sie dort organisiert hat der Rosa-Luxemburg-Stiftung, dem 1939
i|
-
-,
A | | Hl ; ul i |
wir
lagswesen Ubliche hinaus engagiert und Sina Arnold hat wichtige Anregungen fiir
i] | |
i
Fragen
danken zur
Warmbold und Fritz Veitl
il)
7
der
Ausgabe
er
Goethe-Institut, dem
Stiftung
IM
||
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https://pdfify.app/trial
Zentrum für
Antisemitismusforschung
|
|
und Leila Sebbar.
stützung und ausgeprägten lektorischen Fähigkeiten
Al
|
|
verstorben: Aimé Césaire, André Mandouze, Jean Rouch, André Schwarz-Bart und
a
el el
tens drei
erstmals in einem Buch
-
il Li
N
Holocaustforschung Beziehungen zwischen mindes-
Erinnerung verbindet
Gruppenidentität
Verstrickung von Erinnerungen.
|
und Postcolonial Studies. Das Buch versucht, die
Betrachtung des schwarzen Atlantiks mit der französisch-algerischer Begegnungen und interpretiert beide im Verhältnis zur Geschichte der jiidischen Diaspora. Die Erkenntnisressourcen, die diese ungewöhnlichen Verbindungen mit sich bringen, sollen zu einem genaueren Verständnis von kollektiver Erinnerung und deren Beziehung zur beitragen. Zum einen wird die Logik vorherrschender Darstellungen und Identität infrage gestellt eine Logik, die ich als von Konkurrenz von Erinnerung und Nullsammenspielen bestimmt sehe. Zum anderen wird eine Gegentradition freigelegt, in der sich das Holocaustgedenken mit dem Erbe von Kolonialismus, Sklaverei und anhaltenden Dekolonisierungsprozessen iiberschneidet. Diese von mir vorgestellte Gegentradition existiert bis heute, sie geht zurück auf Generationen von Aktivistinnen, Aktivisten und Intellektuellen, die heute die Bühne des politischen Geschehens verlassen, und von deren Beispiel dieses Buch inspiriert wurde. Manche sind heutigen Akademikern und Akademikerinnen wohlbekannt, andere hätten größere Bekanntheit verdient. Einige sind während der Niederschrift von Multidirektionale Erinnerung
Es
sind mobil, Geschichten ineinander verschrankt.
verstehen erfordert
Kraftfeld des öffentlichen Raums
a | mt
Erinnerung nicht eindämmen. Selbst
wiinschenswert ware, zwischen unterschiedlichen Geschichten eine Mauer,
|
| 4
Multidirektionale
der TU Berlin und der
Zeitlehren.
Felix Axster
+
Jana Kénig
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Multidirektionale
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Erinnerung
in Deutschland
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Jana
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Nachwort:
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Felix Axster
|
(post-)koloniale Implikationen
Zivilisationsbruch-These:
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bungen neurechter-rassistischer, venienz
i
hundert schon
|
"Thesen Thilo Sarrazins in seinem 2010 erschienenen Buch Deutschland
|
ab, die
aus
lang
-
zu
von
denken wire etwa
noch
im
angeweht
jungen
Jahr-
21.
die rassistisch-sozialdarwinistischen
an
schafft sich Zusammenspiel von Integra-
|
Breitenwirkung entfalteten; tionsparadigma und Leitkulturbegriff, das
|
sondere konservative Politiker die viel beschworene Heimat
|
Migranten „überflutet“ und also bedroht wähnen.? Zudem zeugt die Virulenz rechten
|
Terrors
enorme
von
oder
immer
der mérderischen Dimension dieser
Angesichts
an
das
dann wirksam wird, von
insbe-
wenn
Migrantinnen
und
Zumutungen.
der anti-rassistischen und anti-kolonialen Interventionen der letzten
allerdings
müsste Diederichsens
Diagnose wahrscheinlich
modifiziert
Dank des EngagementszahlreicherAktivisten, Wissenschaftlerinnen, u. a.
zeichnet sich seit der
Beobachter als ,koloniale
Jahrtausendwende das ab,
Konjunktur* bezeichnen:}
was
Das koloniale Erbe
Kiinst-
manche
(und
somit
|
|
auch die Geschichte des kolonialen
Rassismus) hat, nachdem
jahrzehntelang mehr
es
|
|
|
1 2
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Hl | eye lt ii i N i Ve ME |
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Sarrazin, Deutschland
schafft
sich ab. Wie
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niale und antirassistische Intervention
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https://pdfify.app/trial
aufsSpiel
Land
setzen,
Mün-
Repliken seien hier exemplarisch erwähnt Sebastian Friedrich (Hrsg.), Rassismus in der Leistungsgesellschaft. Analysen und kritische Perspektiven zu den rassistischen Normalisierungsprozessen der ,,Sarrazindebatte", Miinster 2011; Hilal Sezgin (Hrsg.), Manifest der Vielen. Deutschland erfindet sich neu, Berlin 2011. Robert Gerwarth/Stephan Malinowski, Der Holocaust als „kolonialer Genozid“? Europä-
| 1 |
i | KL
3
. wir unser
Diedrich Diederichsen, Politische Korrekturen, Köln 1996, 102.
Vgl.Thilo
chen 2010. Von den zahlreichen kritischen
|
HN | ree it
U
einem dekolonisierenden Gedanken
i
KO
DL
deutschen „Orientalismen und Afrikanismen, die
wurden‘! Die Liste entsprechender Zumutungen ist auch
nur
die auch
aber auch multikulturalistisch-exotisierender Pro-
von
Entfernung
der
Formulierung,
ist: Mit Blick auf kulturalisierende Zuschrei-
|
|
|NWil > I| |
KM
Diederichsen
ler, Kuratorinnen
TA
|
sprach
auch
zwei Dekaden
| | Il HN /
eine unnachahmliche
nie
werden.
|
er
Jahre später noch haften geblieben
|
if
NT
sich der Kulturwissenschaftler Diedrich Diederichsen
25
|
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setzte
deutscher Debatten über vermeintlich Fremde und Fremdes
auseinander. Dabei verwendete
AU
a
1990er-Jahre
Zumutungen
|
|
qh
den
Kolonialgewalt
Gesellschaft 33
Opitz/Dagmar
(2007), Schultz
Geschichte, Berlin
und nationalsozialistischer
Vernichtungskrieg,
in:
Geschichte und
S. 439-466, hier S. 439. An dieser Stelle sei auf eine frühe
(Hrsg),
1986.
in
Deutschland
verwiesen:
postkoloOguntoye/May den Spuren ihrer
Katharina
Farbe bekennen. Afro-deutsche Frauen
auf
;
8
|
|
ont
|
|2 \j
ie ;
oder weniger dem Vergessen anheimgefallen war, in letzter Zeit viel Aufmerksamkeit erfahren. In diesem Sinne lasst sich konstatieren, dass zwar die Zumutungen nicht
|
weniger geworden
|
um
der
i
|
1
AN
mus
das das
pe
spater gedreht
Monate
haben: Rassismus-
zu
trotz
der
genügend
vom
abzugrenzen.”
Islamismus
Sicher
gibt
Positionen
es
adressierten akademischen und aktivistischen Milieus, die den Islamis-
der ihm immanenten faschistischen und
Elemente im Interesse
misogynen stößt ignorieren oder verklären. universalistische Prinzip der Emanzipa-
Hier
-
mitunter
von
Rechten
okkupierte
-
angesichts
der
Sorge,
Legitimationsdenken
zusammen,
einem antimuslimischen Rassismus in die Hande
gilt
es
unbedingt
zu
kritisieren, doch wird
man
zu
spie-
den Ein-
hereingebrochene Entriistung bedingt mit der Frage nach dem Verhiltnis zum Islamismus zu tun hat, es sich also eher (oder zumindest auch) um einen Backlash gegen die Erfolge post- und dekolonidruck nicht los, dass die aber den Anti-Rassismus
I
|||
et Hi lm il |
Lyon einige
nur
aler Interventionen handelt.6
,koloniale Konjunktur“ wirkte sich auch auf die Auseinandersetzung
Die
Nationalsozialismus und Holocaust flammte
zu
Beginn
der
aus.
2000er-Jahre
In der Geschichtswissenschaft
ein bisweilen
heftig geführter
zum
mit
Beispiel
Streit über das
|
Verhältnis zwischen Kolonialismus und Nationalsozialismus bzw. kolonialen und nationalsozialistischen |
rung’
Gewaltpraktiken auf.” Die Rede
des Nationalsozialismus“ sowie
von einer
| |
Hi
363
NACHWORT: MULTIDIREKTIONALE ERINNERUNG IN DEUTSCHLAND
||
Wt i |
|
4
Vgl.
Fatma
war von
einer
,,,Kolonialisie-
,,postkoloniale[n] Perspektive aufdie
Eure
Heimat ist Aydemir/Hengameh Yaghoobifarah (Hrsg.),
unser Albtraum, Ber-
lin 2019. 5
i ||
|,
| ne
6
| A
Alan Posener, Die Tat
von
Paris
ist
auch
ein
Fanal für uns,
in:
Siehe Ulrike
Freitag,
Auch
die
che
eigene
Gesellschaft kritisch
befragen,
in:
Der
Tagesspiegel,
Als Überblick über die Debatte siehe Gerwarth/Malinowski, Der Holocaust als
Genozid"?
„kolonialer
Perspektive nicht Gefahr,
a
https://pdfify.app/trial
also sagen, dass auch die NS-
die Besonderheiten des nationalso-
zusammenhangenden ,,Erlésungsantisemitismus* Vernichtungspolitik einzuebnen?? Steht also das mit der Chiffre Auschwitz assoziierte Singularitätsparadigma zur Disposition? Bekanntermafen hat es in Deutschland lange gedauert, bis dieses Paradigma zumindest weitgehend anerkannt wurde. Die ersten Jahrzehnte nach 1945 waren vor allem von Verdrängung und Schweigen geprägt. Und wenn man heute konstatieren und der mit diesem
zialistischen
zu
einer
aus
Auschwitz resultierenden
Verantwortung
Republik gehört, symbolisiert im Denkmal für die ermordeten Juden Europas inmitten der Hauptstadt, so wird man hinzufiigen müssen, dass dieses Bekenntnis erst in einem zähen und langwierigen Kampf um Erinnerung durchgesetzt wurde, der maßgeblich von Überlebenden und ihren Verzum
Selbstverständnis der Berliner
bänden getragen wurde. Es würde zu weit führen, die zahlreichen Stationen und Etappen dieses Kampfes auch nur ansatzweise aufzuführen, Wichtig scheint uns
aber der Verweis auf den „Historikerstreit“
1986 bzw. auf die im
von
Zuge
dieses
Singularider der nach kolonialen sowie Implikationen tatsparadigmas möglichen Frage Als die konservative 1982 Zur an Holocaustforschung. Kohl-Regierung Erinnerung: die dazu die eine beitragen sollte, aus, rief ein positiv konnotiertes deutsches Nationalgefühl zu begründen und zu verbreiten. Auch geschichtspolitisch sollte sich diese Wende niederschlagen, und zwar als ein im Streits etablierte Zivilisationsbruch-These
Macht kam, sie
zu
sein, zumal hinsichtlich des
„geistig-moralische Wende“
Nationalismus und Antikommunismus gestarteter Versuch der Relatiwar hier die These des konservativen Histori-
Zeichen
von
vierung
des Holocaust. Entscheidend
kers Ernst Nolte, der
zufolge
Auschwitz
eine
Reaktion auf die Massenverbrechen
in
Sowjetunion gewesen und der Holocaust nur vor dem Hintergrund einer gewissermaßen vorgelagerten „‚asiatischen‘ Tat“ zu verstehen seien.!° Historisierung des der
Nationalsozialismus hieß hier, die zwischen 1933 und 1945 als
aus
dem bolschewistischen Terror
derts ableitbar -
Terror
zu
-
dem
interpretieren bzw. als
eigentlichen
einen
begangenen
Verbrechen
Verbrechen des 20.
Versuch, die angeblich
|
|
|
Jahrhun-
von
diesem
ausgehende Gefahr abzuwehren.
| 8
Birthe Kundrus, Kontinuitaten, Parallelen,
rung“ rer,
Rezeptionen. Uberlegungen
Nationalsozialismus, in:WerkstattGeschichte(2006) 43,
des
9
10
S. 45-62;
,,Kolonialisie-
|
Zimme-
|
Jiirgen
zur
Begriff Ideologie
Zum
(2009),
des
Juni
1986,
|
529-548,
siehe Saul Friedländer, Erlösungsantisemitismus. ErlösungsantisemitismusDen Holocaust beschreiben. Auf dem
„Endlösung“, in: ders., integrierten Geschichte, Göttingen 2007, S. 28-53. Ernst Nolte, Vergangenheit, die nicht vergehen will,
Zur
zur
Globalisierung der deutschen GewaltNationalsozialismus postkolonial. Plidoyer hier S. 541. Zeitschrift fiir Geschichtswissenschaft 57 S.
geschichte, in:
6.
a
man
Holocaustforschung einer Dekolonisierung bediirfen? Was genau wiirde eine solDiagnose implizieren? Woran ließen sich entsprechende Leerstellen festmachen?
Und läuft die skizzierte
www.tagesspiegel.de/wissen/rolle-der-nahostwissenschaft-auch-die-eigene-gesell
schaft-kritisch-befragen/26626580.html [10. 1.2021]. 7
und
Die Welt, 19.10.2020,
www.wel t.de/debatte/kommentare/article218161858/Mord-an-Samuel-Paty-Dieses-Fanalgilt-auch-uns.html(10. 1.2021). 16.11.2020,
N
a I HH | | I i
Vgl.
Massenverbrechen des Dritten Reiches*.® Kénnte
kann, dass das Bekenntnis
einem Sturm entwickeln.
len, entstanden ist. Dies
| |i|
a
zu
tion aller Menschen mit einem kulturalistischen
Hh
ll
und
den kolonialen
eines abstrakten Anti-Rassismus verharmlosen,
i i| i| | a | | HH} {
Frage nach
innerhalb
|i|
NO
ausgelöst
setzt, sich nicht
N li EN N Hl |
durch weiße Polizisten
von
i]
H |
|
Sommer 2020, die
|
| ||| al |
George Floyd
im
kritik und post- oder dekoloniale Theorie sehen sich verstärkt dem Vorwurf ausge-
al
IE |
des Afroamerikaners
Terrors wie in Wien oder
mt |
in Deutschland zugenommen.
Allerdings scheint sich der Wind nach der neuerlichen Konjunktur islamistischen
|i
1
Ermordung
Wind
al | (| N
-
Implikationen von Erinnerungspolitik -kultur auf die Tagesordnung setzten, entstand kurzzeitig fast der Eindruck, als könne sich dieser
| Al
al
bleiben
zu
hat der dekoloniale Wind
~
die
a
N
Diederichsen bemiihten Bild
Heimat-
|
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|
von
Beispiel von
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A
im
gleichzeitig
zum
wurden und die unter anderem durch das Stiirzen kolonial-rassistischer Denkmiler
Il
A
Mief im Rahmen
Und wahrend der weltweiten Black Lives Matter-Proteste
|
i
sind und der koloniale
Debatten durchaus kultiviert wird.“ Doch
|
|
JANA KONIG
+
|
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FELIX AXSTER
362
Weg
der
in: Frankfurter
zu einer
Allgemeine Zeitung,
|
|
| |
oat
‘|
\
364
AM
FELIX AXSTER
JANA KONIG
+
NACHWORT: MULTIDIREKTIONALE ERINNERUNG IN DEUTSCHLAND
365
A | |
Singularitatsparadigma korrespondiert, war der vielleicht pragte einflussreichste und nachhaltigste Einwand gegen derartige Relativierungen von deutscher Schuld und Verantwortung."! Diner geht von der Pramisse aus, dass es im Zuge der Aufklärung zwar keineswegs zu einem Ende von Krieg und Gewalt gekomund die mit dem
HN
qs
|
HII | |
die durchaus einen rationalen Kern hätten. Demnach
um
einen bestimmten Zweck
|
i
In diesem Sinne
ii
A al | ||
allgemein
A
zu
|
|
|
|
|
beschreibt und alen
11
gelte,
erfüllen,
war
der
zu
Versuch, das historische Geschehen des
die Nazis
im
Holocaust zunichte machten.
wiederum stellt sich die
Vgl.
der
Perspektive
kutiert. Siehe 20.
Frage,
ob und
Angesichts
der „koloni-
fassbar
zu
in:
-
z.
Annäherung an
B. Heidemarie Uhl
oder
Einordnung von
von
Auschwitz
ein
Versuch der
immer
Bundeskanzlerin Merkel bei der
i
Theodor-Herzl-Preises
am
PM
12
sische Sicherheitskräfte
Jahrhunderts, Innsbruck
gen
in
Algerien zu Schätzungen gehen
die
Menge.
von
In den nächsten
Tagen
der Kolonialmacht brutal
kam
es an
vielen Orten
niedergeschlagen
wurden.
von Tausenden, teilweise sogar von Zehntausenden Toten aus. Das Massaker von Setif markiert laut Diner einen Wendepunkt. Der Ausbruch
algerischen Unabhängigkeitskriegs am 1. November 1954 lasse sich gewissermaFernwirkung der Ereignisse rund um den 8. Mai 1945 verstehen: „Was 1954 anhob, war im Grunde nur aufgeschoben worden.“!? So gesehen markiere der 8. Mai 1945 nicht nur das Ende des Zweiten Weltkriegs, sondern auch den Beginn des
ßen als eine
der Dekolonisation. Diner resümiert: „So schieben sich für den Kolonisierten Bilder der nach 1945
an
ihm veriibten Grausamkeiten
vor
die Zeitzeichen der
Befreiung
in
Europa.“ Siehe Oliver Marchart,
u. a.
Singularität,
Wirkung
14
Diner, Gegenläufige Gedächtnisse,
15
Ebenda.
Der
il
ci
|
A
https://pdfify.app/trial
aus
einer
Lallaoui hat kürzlich
Das
Juni
2003.
1945 in
Es ist
Algerien
wichtig,
daran
algerischen in eine
Der ,,Zivilisationsbruch Auschwitz"
S.
der Erinnerung,
Globalisierung
in:
zwi-
Uhl,
markierten
zu
daten
waren,
S. 67.
Familie
stammende
Schriftsteller und Filmregisseur Mehdi Richtung argumentiert: „Die Massaker im Mai und tatsächlich einen Bruch in den Beziehungen zu Frankreich.
ähnliche
erinnern,
[Front de Libération Nationale
-
dass der Großteil derjenigen, die neun Jahre später die FLN algerische Befreiungsbewegung] griindeten, ehemalige Sol-
die Frankreich befreit hatten. Sie
waren aus
dem
Krieg
in
Europa nach Algerien
zurückgekehrt und mussten dort mit ansehen, wie ihre Familien massakriert wurden. [...] Die Erfahrungen von Mai und Juni 1945 waren somit tatsächlich der Ausgangspunkt für den Beginn des Algerienkrieges im November 1954, der fast acht Jahre dauern und zur Unab-
des Holocaust, Göttin-
S. 14 und 31.
Umkampfte Gegenwart.
Partikularität, Universalität und
Zivilisationsbruch und Gedächtniskultur, 35-65,
hängigkeit und
zivilisiert
Unruhen, die
in
28. Oktober 2019 in München, www.bundeskanzlerin.de/bkin-de/
Gedächtnisse.
Dan
Zivilisation,
Immerhin haben sich die Kolonisieren-
derals
aktuelles/rede-von-bundeskanzlerin-merkel-zur-verleihung-des-theodor-herzl-preises-am-
|
Begriffder
Zivilisationsbringer imaginiert, war die Vorstellung, dass die Bewohnerinnen werden müssten, geltenden kolonisierten Gebiete zentraler Bestandteil der Ideologie des Kolonialismus. Ließe sich also sagen, dass der Zivilisationsbruch-These eine eurozentrische Perspektive eingeschrieben ist? Vor einigen Jahren hat Diner die post- oder dekoloniale Herausforderung für die Holocaust-Forschung und die Zivilisationsbruch-These selbst diskutiert. Dabei thematisierte er auch die Frage nach den eurozentrischen Implikationen seiner eigenen Denkbewegungen. Ein wichtiger Bezugspunkt fiir seine Uberlegungen ist der 8. Mai 1945, dem eine „doppelte Bedeutung“ innewohne: Wie an vielen anderen Orten kamen auch im nordalgerischen S&tif, seinerzeit Teil des französischen Kolonialreichs, Tausende Menschen zusammen, um die Befreiung vom Faschismus zu feiern. Nachdem die Feiernden der Aufforderung nicht Folge geleistet hatten, die grün-weiße Fahne der algerischen Nationalbewegung zu entfernen, schossen franzö-
Verleihung des Theodor-Herzl-Preises im
fo. 1.2021]. 28-okktober-2019-in-muenchen-1686238 Über Geltung Gegenläufige Diner, 2007,
Charakter
Weltvertrauen
und Dimension des Holocaust
und Bewohner wild
Oktober 2019, in der sie mehrmals vom ,,Zivilisationsbruch der Shoah‘ sprach, zeugt von dem des enormen Einfluss der Dinerschen Intervention. Vgl. Angela Merkel, Rede zur Verleihung
|
um
unschuldig.'>
im
den als
wiederdis-
(Hrsg.), Zivilisationsbruch und Gedächtniskultur. 21.
machen, keineswegs
und
inwiefern Sklaverei und kolo-
Aporie und Apologie. Über Grenzen der Historisierbarkeit der Babylon Beiträge zur jüdischen Gegenwart (1987) 2, S. 23-33.
Jahrhundert in der Erinnerung des beginnenden
Auch die Rede
aA i Wei |
Ni
der
fungiert,
der bei Diner als Kontrastfolie
Dan Diner, Zwischen
erkenntnistheoretischen
cea ay | Il Hl
|| | i i
aus
die
Innerhalb der Geschichtswissenschaft wird die Zivilisationsbruch-These als
i
I Hf i i | |i | | N | | HL
was
Konjunktur“
Massenvernichtung,
i
|
Ressourcen
-
der
schen
HE
A| i | | i| |
|
enorme
eine Mission
Krieges
Gewaltpraktiken einen Bruch in der Weltwahrnehmung Opfer des Kolonialismus dargestellt haben. Zudem ist der
niale
13
i
.
als ob es
gerade Opfer zu Opfer verließen sich in ihrer Weltwahrnehauf das, was Diner als zivilisatorische Rationalitat mung und ihrem Weltvertrauen
| I} I|
so
einzuräumen sei. Vor diesem
erschließen. Denn
|| IM|
|
inmitten des
Energie aufgewandt,
Die Zivilisationsbruch-These
HN Sl Hy
zwar
Holocaust sowie seine kulturelle Dimension nicht zuletzt
| il i il| ul
|
und
|
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an
-
Diner von
|| |
A
Überlebensinstinkte eine bedeut-
sowie
Hintergrund vor dem eigenen Überleben einem ,Zerbrechen ontologischer Sicherheit“ bzw. von der ,Durchspricht brechung aller bisher als gewiss erachteten ethischen und instrumentellen Schranken von Handeln“ sowie von dem „geradezu gegenrationale[n] Verhalten der Nazis“.!?
|!
I
ermorden. Dabei wurden
der Priorität
|
al | | H i i im
Antizipierbarkeit
stellen.
Verhalten, wobei
Rolle
und ein hohes Ma
i
um
-erwägungen
von
Zudem
sei insofern total gewesen, als die Nationalsozialisten sich das Ziel gesetzt in hätten, jedem Winkel ihres Einflussbereichs Juden und Jüdinnen aufzustöbern und
vt i
die
zu
nichtung
aM
:
(Bereicherung, Aneignung u.a.).
Ausbeutung
X ,
ae
erfüllen
Anwendung,
ihre
spielen. Diner zufolge hat der Holocaust mit all diesen Vorannahmen und Gewissheiten gebrochen. Juden und Jüdinnen seien aufgrund von Zugehörigkeit und Abstammung, gewissermaßen grundlos, vernichtet worden, auch ihre Arbeitskraft habe sie nicht vor dem Tod bewahrt. Die Verbzw. die Möglichkeit ihrer same
i
i
N
geht
es
Nützlichkeitsfaktoren und
IB ae
zu
erfolgt
Selbsterhaltungs-Wunsch derer, die Gewalt ausiiben, in Rechnung
sei der
a
Voraussetzungen beruh-
und Gewalt seitdem aber auf bestimmten
Krieg
ten, |
;
N
sei,
men
4
Zivilisationsbruch-These, die insbesondere der Historiker Dan Diner ab 1987
Die
für unsunerträglich“. Interview istSétif, (2020) 381, 41-44,
führen sollte.“ „Das
mit Mehdi Lallaoui über
Frankreichs Kolonialmassaker Diner, Gegenlaufige Gedichtnisse, in
16
in:
S. 78.
iz3w
S.
hier S. 43.
„N
|
‘|
FELIX AXSTER +JANA KONIG
366
,
NACHWORT: MULTIDIREKTIONALE ERINNERUNG IN DEUTSCHLAND
367 |
i Ausgehend von dem Massaker von Sétif setzt sich Diner grundsätzlich mit den Bedingungen und Charakteristika kolonialer Gewaltformen auseinander. Dabei macht er eine spezifische Dynamik aus: Auch wenn das Ziel der Kolonialmacht zunächst Eroberung, Versklavung und Befriedung gewesen sei, habe sie letztlich zu einer ,unterschiedslose[n] Art der Gewaltausiibung* tendiert.'” Dies habe vor allem mit der Bedeutung des kolonialen Rassismus bzw. der die kolonialen Verhältnisse strukturierenden Ordnungskategorie ,,Rasse“ zu tun, die ,keine Differenzierung jen-
1
|
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seits der bloßen Herkunft“
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gilt es durch Vernichtungstod ist Weder
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um
|
Erkenntnis auseinander. Diner
Il Il
17.
Gleichwohl markiere der
Konflikt und
brechen noch etwas
grundloser Tod.?! und das ist die eigentliche
zu
Pointe
Diners Aus-
Während
es
stebei
Ebenda,
S. 75. Siehe auch
dass das durch den Kolonialismus
|
MilitéThoralf Klein/Frank Schumacher (Hrsg.), Kolonialkriege. Gewalt-
Imperialismus, Hamburg 2006; Michael Mann, Das Kolonialismus, in: Mihran Dabag/Horst Gründer/Uwe-K. Ketelsen
dispositiv des modernen (Hrsg.), Kolonialismus. Kolonialdiskurs
|
|
|
LTM
verur-
S.
Gegenliufige Gedachtnisse,
18
Diner,
19
Ebenda,
20
Ebenda, Ebenda, S. 81. Ebenda, S. 64 f. und
21 22
75.
und
Genozid, München 2004,
S.11.
67.
,zunehmend vernehm-
von
|
Narrativ zu entsprechen suchen“.?? Weiter heißt es: „Das Bild vom Holozieht eine universale Moral nach sich, in der die unterschiedlichen, verschiedenen historischen Zeitstufen angesiedelten Vergangenheiten sich wie in einer Art
auf
caust
egalisierender Gleichzeitigkeit begegnen.“*" von
Leid“, die den Von
„Maßgaben
Bedeutung
Die
ist nun, dass Diner davon
imprägnierte[s] Erfahrungsist die Rede
angeleitete
einem
von
Folge
sei eine
der historischen Urteilskraft“
ausgeht,
tung des Holocaust als Zivilisationsbruch liege
ein
und Weltverständnis“
der
,,Anthropologisierung
entgegenstehe.?*
Wahrnehmung
und Deu-
,,westliche[s], gar eurozentrisch
zugrunde.’
An anderer Stelle
,westlich impragnierten Anspruch auf erkenntnistheoretisch
historische und —
begriffliche
vor
Trennschärfe im
allem aber
mit
Vergleich
von
Massenver-
Auschwitz“? Was heißt das aber im
fragt: „Wird mit der westlichen Diskurshoheit außereuropäischen, außerwestlichen Kulturen und Traditionen nicht eine Deutung des Holocaust
auferlegt, die ihren Erfahrungen und Intuitionen, unter Umständen gar ihrer Weltdeutung fremd ist? Will dies umgekehrt bedeuten, die dem Zivilisationsbruch zugeschriebene Geltung reduziere sich auf den Traditionszusammenhang der westlichen Aufklärung und ihrer Moderne? Erweist sich Auschwitz als ein singulärer Zivilisationsbruch
nur
dann,
wenn
onalitätsvorstellungen, Semantiken und
jenes
Geschehen
vor
dem
eines westlichen historischen
Hintergrund westlicher RatiErwartungshorizonts, seiner
Begriffsbildungen abgebildet wird?“8 um rhetorische Fragen. Diners Überlegungen
Es handelt sich
zur
zung
von
|
Gegenläufigkeit
des kolonialen und des Holocaust-Gedächtnisses laufen letztlich auf die
Entgegenset-
|
„westlicher“ und „arabisch-muslimischer“ Welt hinaus. Während Erstere
durch ein
ßen als
„weitgehend säkularisiertes Weltbild“ gekennzeichnet sei, das gewissermaVoraussetzung für die Befähigung zur Erkenntnis des Holocaust als Zivili-
sationsbruch
firmiert,
sei bei Letzterer das
„Phänomen einer verzögerten Säkulari-
sierung, eines Zeitstaus des Sakralen“ bzw. eine ,,unzureichende
{...] Lebenswelten“
zu
Profanierung
der
|
beobachten, auf die die „unter Muslimen vorherrschende
Wahrnehmungsbarriere des Holocaust“ zurückzuführen sei.?” Weiter heißt es: „Ein sakral durchdrungenes Bewusstsein wird sich dem Holocaust als Zivilisationsbruch
/
|
23
Ebenda,S. 38.
24
Ebenda. Daniel
S. 118-135.
S. 81.
spricht
er
gegebenem
Umkehrschluss? Diner
Der
-
Entschädigung“. Dabei falle auf, dass die Ansprüchen korrespondierenden „Erzählungen dem vom Holocaust vor-
Gegnerschaft.
erzwingen.
den Versuch der Erkenntnis des Holocaust bzw. der
registriert,
mit diesen
fordere
auf Entschuldigung und
brechen untereinander
von
Diskussion,
zur
Ansprüchen
Anerkennung“
[...] steht der
rische Gewalt im Zeichen des
I
|
HI
-
zu
die Deut-
Bedeutung dieses historischen Ereignisses geht, setzt sich die Gegenläufigkeits-These mit der Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Erkenntnis dieser
ed el sev
i|
was
Dimension und
|
BA
N
ein im Kern
der Zivilisationsbruch-These
iil
I i Ht. aa | lien iH | MA
Vernichtung jenseits von Krieg,
Gewalt einen Willen
hen in beiden Fällen erkenntnistheoretische
i ‘ell| i|
|
Europa aufgeführt hatten*.”°
Zivilisationsbruch-Thesebegrei fen. Fragen
|
|
der
während Epo-
gekommen,
-
li LAG HM
ihnen
von
baren
Somit
führungen drohe immer weniger zur Kenntnis genommen zu werden. Vor diesem Hintergrund erscheinen der 8. Mai 1945 bzw. die an diesem Tag sich gleichzeitig vollziehende Befreiung vom Faschismus und die Manifestation von Kolonialgewalt noch einmal in einem anderen Licht: Diner spricht von einer „unheimlichen Begegnung“ sowie von einer „gegenläufige[n] Konstellation“: „Die kalendarische Chiffre der Befreiung im Westen fällt mit einem herausragenden Datum der kolonialen Unterdriickung zusammen.“” In diesem Sinne fungiert der 8. Mai 1945 als Indikator für das, was Diner als Gegenléufige Geddchtnisse bezeichnet. In gewisser Weise lässt sich die Diagnose vermeintlich gegenläufiger Gedächtnisse als eine Fortschreibung der Zumindest
| |} I
in
Genau diese Differenz aber
11 al | | Wl
|
Dekolonisierung im Zweiten Weltkrieg
angenommen.'*
tat-
genozidaler Kolonialgewalt
veriibten Massaker ,,dem nahe
Holocaust als eine bloße
1 ay | i
ss
Frage
Charakter“
Holocaust eine Differenz: ,,Bei aller Absolutheit der kolonialen Gewalt
JM
Ip
nach dem Verhiltnis zwischen
schen
I he
potenziell „genozidalen
stelle sich aber die
che der
i
|
sächlich oder zumindest
und Holocaust. Zwar seien die Kolonialmächte durchdie
il |
zulasse.'® Demnach hätten koloniale Gewaltformen
sachte Leid „endlich
a.
Allgemein
| zur
Universalisierung
Levy/Natan Sznaider, Erinnerung
des Holocaust im
in
der
globalen Zeitalter:
Erinnerungskultur
siehe
Der Holocaust, Frankfurt
M. 2001.
25
Diner,
26 27
Ebenda, S. 37. Ebenda, S. 39.
28.
Ebenda.
29
Ebenda, S.
Gegenliufige Gedichtnisse, S,
38. |
|
104.
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|
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https://pdfify.app/trial
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368
FELIX AXSTER
verweigern
lungen sierung“
|
|
|
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an
die
Aufklarungstradition gebundenen
Rationalitätserwartungen.“
Die
„Tendenz
zur
jedenfalls, die mit der Anerkennung außereuropäischer
und
—
-
||
|
IN
ail
A
|
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Gegenläufigkeit vs.
| i
I
I
| | i)
von
ihm bemühte
von
eminenter
Bedeutung
ist. Zudem
und das
reiben“, für durchaus bedenkenswert.?? Wir
Gedächtnis des Holocaust, „Westen“
vs.
einen quasi
ontologischen
Opfer kolonialer Verbrechen
|
Status haben,
elgentiimlich
was
vs.
„arabisch-muslimische Welt“
dazu führt, dass das Verhältnis der
einerseits und nationalsozialistischer Verbrechen ande-
rerseits zueinander kulturalisiert
wird.>? Zudem haftet der Dinerschen Analyse ein
Zug an. Reibung keineswegs als konzipiert bzw. als Prozess, der verschiedene Möglichkeiten bereitBeispiel die Méglichkeit eines wechselseitigen Aufeinander-Einwirkens. Im fatalistischer
Die
der Gedüchtnisse ist
offener Prozess halt,
zum
Gegenteil, in
fast schon teleologischer
Weise
läuft
die Geschichte bei Diner
und Verlust hinaus. Gewiss, die faschistische Konterrevolution zu
LM |
| a MN i
nehmende Gefahr, auch in
war
und
aufVerfall
isteine
ernst
arabisch-muslimischen Ländern Milieus, arabisch-muslimischeWelt reduzieren? und
Aber
lässt sich das koloniale Gedächtnis auf die Und lässt sich die
Aufklärung
derart westlich
imprägnieren?
Wäre ihre Genese nicht
Il
i | il | | li i |
30.
| |
verflechtungsgeschichtlichen Ansatzes zu rekonstruieren, kurz Beispiel die von Sklaven ausgehende Revolution und
auf Haiti
einbezogen
werden müsste? Was ist mit
Beteiligung der „Dritten und Vierten Welt" am Kampf gegen den Faschismus??5 Spielte nicht auch hier die Vision von Freiheit und Gleichheit eine zentrale Rolle? Bestand die nachhaltige Wirkung des Massakers von gerade darin, dass diese Vision inmitten des Freudentaumels zerplatzte oder zerstört wurde? Müssen das koloniale Gedächtnis und das Gedächtnis des Holocaust notgedrungen gegenlaufig sein? Besteht nicht auch die Möglichkeit, dass sich diese Gedächtnisse während oder nach der „Reibung“ miteinander verbinden? Und liefe eine solche Verbindung automatisch historische Urteilskraft preiszugeben und die des der
|
Sétif nicht
| |
Spezifik
Auch diese
saa || i | I | i)
i i Wat N
i Wi
Fragen
sind rhetorischer Natur. Wenn die
von
Diner
aufgeworfene
Frage nach den eurozentrischen Implikationen der Zivilisationsbruch-These ernst gemeint ist, miisste es doch eigentlich darum gehen, Auswege zu suchen und aufzuzeigen. Aber Gegenliiufige Gedächtnisse lässt einen auch deshalb ratlos zurück, weil eine
Arterinnerungskulturelles
Zu sein
Dilemma
postuliert wird,
das
irgendwie unauflöslich
scheint.
Unsere
Fragen
sind aber nicht
nur
sche Funktion. Denn sie leiten über
zu
rhetorisch, Michael
sie
dramaturgipublizierter und viel
haben auch eine
Rothbergs
2009
diskutierter Studie Multidirectional Memory, die nun in deutscher Ubersetzung vorliegt. Das Buch handelt genau von der Möglichkeit der Verbindung zwischen kolo|
nialem und Holocaust-Gedichtnis. Und
berg
als „koloniale Wende in der
eine Art
Gegenposition
es
steht emblematisch fiir das,
Holocaust-Forschung“
was
Roth-
bezeichnet. Somit stellt
|
es
Gegenläufige Autoren im Grunde von der gleichen historischen Konstellation ausgehen, sich auf die mehr oder weniger gleichen historischen Geschehnisse beziehen und ähnliche Quellen nutzen. Dennoch kommen sie zu anders gelagerten Schlussfolgerungen, was auch damit zusammenhängt, dass sie von konträren Voraussetzungen ausgehen, Zum Beispiel steht der pessimistische Grundton von Diner im Gegensatz zum Optimismus bei Rothberg. Und während Ersterer den Schwerpunkt auf die Logik von Opfer- oder Erinnerungskonkurrenz legt, geht es bei Letzterem um den Versuch, diese
i
Gedächtnisse dar. Interessant ist, dass beide
zu
|
| |
|
| |
überwinden. Vielleicht ließe sich sagen, dass das Zivilisationsbruch-Postulat
zu
korrespondierenden Singularitäts- und Gegenläufigkeitsthesen größtmögliche gedankliche Herausforderung für Multidirektionale Erinnerung darstellen dasselbe gilt in umgekehrter Richtung. Jedenfalls halten wir eine Gegenüberstellung der beiden Ansätze insofern für produktiv, als sie sich wechselseitig zu
33
Auch
-
Omar Kamil bemiiht in
seitens
seiner
Auseinandersetzung
arabischer Intellektueller das Bild
gegenlaufiger
mit der
Rezeption
des Holocaust
Gedachtnisse. Im
Gegensatz zu ein historisch-politisches ontologisierendem Ansatz allerdings stiitzt sich Kamil Argument, das die Gegenliufigkeit (baw. die Ignoranz arabischer Intellektueller gegenüber Diners
dem Holocaust)
Vgl.
auf
aufDer Opferkonkurrenzen und den arabisch-israelischen Konflikt zurückführt.
Omar Kamil, 2012.
1967,
|
die
07
|
Ha
a
Bbenda, S. 105.
BE Eh
A N
369
und die mit diesem
Ai
| ul
das
—
7 HE | Al | i A ei
historischen
Bild, dass sich das koloniale Gedächtnis
wir
und ist,
~
il
La
mit dem
halten
Gedächtnis
|I
7
Umgang
war
keineswegs mögliche Spannungen negieren, die sich im Zuge dieser Reibung ergeben. Und doch lässt einen Gegenläufige Gedächtnisse einigermaßen ratlos zurück. Dies hat vor allem damit zu tun, dass die Gegensatzpaare koloniales
|
fl ||
zum
nach der Französischen Revolution mit
wollen auch |
1A i
unseren
Erbe, das auch ein familiares Erbe
Gedächtnis des Holocaust „aneinander
| Al |
viel Platz eingeraumt, weil die Auseinandersetzung respektive die Zivilisationsbruch-These fiir unsere poli-
tische Sozialisation im Land der Tater, fiir
(| i,
| :
global-
wobei dann auch
so
mit dem Nationalsozialismus
"al 1
im Sinne eines
daraufhinaus,
Multidirektionalität
Wir haben Dan Diner hier
Mi A |
NACHWORT: MULTIDIREKTIONALE ERINNERUNG IN DEUTSCHLAND
Holocaust einzuebnen?
a
;
Holocaust
im
arabischen Gedächtnis. Eine
Diskursgeschichte
Göttingen
1945-
|
34
35.
z.
Siehe B.
| || |
Lionel Robert James, Die Haiti,
Cyril Unabhingigkeitsrevolution
Siche im
on
:
Plurali-
darauf hinauslaufe,
|
a
DS
Vorstel-
Erinnerungswelten einhergeht, wird das ist Diners durchaus pessimistische Schlussfolgerung die „Maßgaben historischer Urteilskraft“ aushöhlen.?! Entsprechend drohe ein Verfall von Unterscheidungsfähigkeit und -bereitschaft, der die Spezifik des Holocaust als Zivilisationsbruch einzuebnen.
|
|
8
der
JANA KONIG
Geschichtsbildern und historischen Narrativen
von
Erfahrungs-
SE
|
i
Widerlegung
Vernunft- und
„kolonialen Konjunktur“, mit der Forderung nach
|
|
als
~
von
+
in
schwarzen
Kéln 1984.
Jakobiner. Toussaint Ouverture unddie
Rheinisches JournalistInnenbiiro (Hrsg.), „Unsere Opfer
Zweiten
Weltkrieg, Berlin/Hamburg
zählen nicht.“ Die Dritte Welt
2005.
| |
/
https://pdfify.app/trial
ee ,
FELIX AXSTER
370
+
JANA KONIG
NACHWORT: MULTIDIREKTIONALE ERINNERUNG IN DEUTSCHLAND
371
|
iil) befragen vermögen. Gleichzeitig scheinen die von Diner formulierten Prämissen und Thesen in eine erinnerungspolitische Sackgasse zu führen. Rothbergs Ansatz hinge-
i
|
|
gen hat das Potenzial, aus diesem Dilemma herauszuführen. Nicht zuletzt deshalb haben wir uns entschieden, die Ubersetzung von Multidirektionale Erinnerung auf
AL
| a
den
| SM
|
len
Hi
|
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Rothberg
So
|
|
|
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ii |i
a
1
HA
ll | cil i |
ha
UT
während
diesem
er
-
Zusammenhang,
zu
dass Dan Diner in
sich mit der Situation in den
|
| |
Gegen-
jüdischen Ghettos
befasst,
|
die
|
vom „Herz der Finsternis“ spricht, also jene Metapher verwendet, die durch gleichnamige Kolonialnovelle des Schriftstellers Joseph Conrad von 1899 zu einer Art Ikone kolonialer Wissensordnungen und Vorstellungswelten geworden ist.>6
ent-
||
i| | |i | Al
|
auf den Holocaust und den Kolonialis-
von
bezogenen erinnerungspolitischen Konjunkturen
und
disziplinären
Grenzen
Erinnerns haben somit einen inkludierenden
Effekt, da sie mehrere Geschichten in
sich
Erinnerung weniger identitär zu denEigentum von bestimmten Gruppen
vereinen
zu
vermögen.
Dies setzt
voraus,
verstehen. Es ließe
len
7
Gruppen,
zuletzt
aus
‘ch sich
ffragen,
wer
bef befugt
an
sein
soll «ade denieni sollte, gerade denjenigen
-
Anspruch
der
Aufmerksamkeit
von
Überwindung
Multidirektionale
von
Erinnerung
Opferkon-
scheint
die traumatisierende Gewalt erfahren haben und ihre Identitat nicht
iB
der Erinnerung
an
diese Gewalt
beziehen, eben diesen Zusammenhan; 8
Kens anzumerken,
dass
er
-
itidvecktionales Eri multidirektionales Erinnern
wie
vor
bei bei Rothb Rothberg
allem das Interview in diesem Band
di
-
Si
jesem
bindet sich sich mitmit Sinne verbindet
dass die
gleichzeitige Erinnerung
d dem „identitätsskeptischen” identitatsskeptischen” Ansatz Ansatz diedie Hoffaun Hol B> an
unterschiedliche historische Geschehnisse Ver-
| Hh
es
kaum verwunderlich, dass das Buch seit
dem Holocaust resultierenden Schuld und
aus
Verantwortung
tischen Selbstverständnis der Berliner
Kämpfe Gruppen
—,
von
so
ist heute
und Parteien
dem Versuch der
Wiederherstellung 36
einige einigen
37
Geschichten
z.
vom
Relativierung
der nationalsozialistischen Verbrechen zwecks
in:
gekennzeichnet ist.
Joseph Conrad,
Hérensagen, Frankfurt a. 1959, S. M.
König, „The
whole
World
Das Herz der
Zudem zeugen
Finsternis,
in:
|
|
-
|
|
ders.,
|
41-135,
owns the Holocaust“: Geschichtspolitik Beispiel der Erinnerung an den Holocaust unter Naika Foroutan/Juliane Karakayali/Riem Spielhaus (Hrsg.), Postmigran8
postmigrantischen
Geflüchteten,
erinnerungspoli-
-
vermeintlich deutscher Größe
Siehe B. Sina Arnold/Jana in der
zum
Republik gehört ein Erfolg jahrzehntelanger hinzuzufügen, dass diese Republik mit dem Aufstieg rechter wie der AfD eine neuerliche völkische Konjunktur erlebt, die
Diner, Gegenläufige Gedächtnisse, S. 27;
tische
Geschichte, Erinnerung und Identität abzusprechen.
So ist
Migration und Erinnerungskultur und um die Frage nach der Verfasstheit der Erinnerungskultur in der postmigrantischen Gesellschaft geht.” Wenn Anerkennung der
.
sozia-
zwischen guten und schlechten Formen der Multidirektionalität unterscheidet, wobei Solidarität und Gerechtigkeit als Unterscheidungskriterien fungieren. In
I
quasi unbegrenzter kurrenz, solidarische Bezugnahmen
Jahren auch im Rahmen der erinnerungspolitischen Debatten in Deutschland rezipiert wird, nicht zuletzt in jenen Kontexten, in denen es um das Verhältnis zwischen
belegt
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Ansätze, die Vorstellung
Ressource, der
Rothberg betätigt sich nicht nur als Archivar. Die Arbeit im und am Archiv läuft darauf hinaus, einen Vorschlag zu unterbreiten, der das Verständnis von Erinnerung an sich betrifft: Rothberg wendet sich gegen die weitverbreitete Vorstellung, dass Aufmerksamkeit eine knappe Ressource sei und Erinnerung entsprechend die Form eines Nullsummenspiels annehme. Er bestreitet, dass Erinnerungen an jeweils spezifische Ereignisse aufgrund der Aufmerksamkeitsökonomie notwendigerweise in einem Konkurrenzverhiltnis zueinander stehen. Im Gegenteil, Multidirektionalitat bezeichnet eine produktive Dynamik, die gewissermaßen auf ein Mehr an Erinnerung hinauslauft, da durch die wechselseitigen Bezugnahmen verschiedene historische Geschehnisse gleichzeitig in den Fokus riicken. Multidirektionale Formen des
auf normativen Prämissen beruht,
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Gesellschaft
Versprechen bereitzuhalten.
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etc.). Und sie können dazu beitragen, historische Geschehnisse wechselseitig
beleuchten. Bemerkenswert
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mit Hannah Arendts und
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mal mehr, mal weniger explizit, mal mehr, mal weniger systematisch Bezüge herstellen zwischen der Geschichte von Sklaverei und Kolonialismus einerseits und von
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in
eben nicht
hergestellten oder aus ihnen geronnenen Subjektivitäten stiftet. Die multidirektionalen Beziige jedenfalls ob intendiert oder nicht kénnen unterschiedliche Formen annehmen (Vergleiche, Analogien, Aneignungen, Verweise, Zitate
Multidirektionale Erinnerung? Eines von Rothbergs Zieein Archiv multidirektionaler Perspektiven zu erstellen, das essayistische es
erschienen sind. Das Gemeinsame dieser Texte und Filme besteht darin, dass
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bringen. geht
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und literarische Texte sowie Filme versammelt. Es
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Perspektiven,
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Ordnungssysteme,
Lydia Lierke/Massimo Perinelli, Intro,
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Repräsentationen, Kritik, Bonn y
in: dies.
und
(Hrsg.),
8. 2018, 173-190; Mauerfall
Erinnern stören. Der
|
S.
aus
migrantischer jüdischer Perspektive, Berlin 2020, S. 11-30. Rothberg selbst hat sich mit dem Verhältnis zwischen Holocaust-Erinnerung und Migration in Deutschland befasst, siehe
|
Michael
Rothberg, Multidirectional Memory in Migratory Settings: The Case of Post-Holoin: Chiara Di Cesari/Ann Rigney (Hrsg.), Transnational Memory. Circulation, Articulation, Scales, Berlin/Boston 2014, 123-145; Michael Rothberg/Yasemin Yildiz, of Holocaust Remembrance in Memory Citizenship: Contemporary Gercaust
many,
Germany,
MigrantArchives Parallax, 17:4, London S. 2011,
S.
32-48. |
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wobei nicht zuletzt der sekundäre Antisemitismus
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für eine entkolonialisierte und antirassistische Welt, Mai 2020,
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2013.
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Opferidentifikation und Erlösungshoffnung: Beobachtungen im erinnerungspolitischen Rampenlicht, in: dies./Christian Schneider, Gefühlte Opfer. Illusionen der Vergangenheitsbewiiltigung, Stuttgart 2010, S. 19-103, hier S. 23.
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Jureit/Christian Schneider/Margrit Frölich (Hrsg.),
München ünchen 2013.
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Brahl er (Hrsg.), Autoritire Dynamiken, 211-248.
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2012:siehe sieh nerung Wandlungsprozesse im Gedenken an den Holocaust, Frankfurt a. M. 2012; auch Aleida Assmann, Das neue Unbehagen an der Erinnerungskultur. Eine 1 Intervention,
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Zustimmungswerte zu primir- und sekundirantisemitischen Aussagen siehe Johannes Kiess/Oliver Decker/Ayline Heller/Elmar Brähler, Antisemitismus als antimodernes Ressentiment. Struktur und Verbreitung eines Weltbildes, in: Oliver ee
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als Stichworte genannt. Was bedeutet das fiir die Erinnerung
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der Bundesrepublik vollzogen, den die Rede Binwanderangs- oder der post von migrantischen Gesellschaft markiert. Gewiss ist auch dieses neue Selbstverstiindnis umkimpft, denkt man an aktuelle Gegenbewegungen: vélkische Heimat-Diskurse,
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sich in den letzten 20 Jahren
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„unangenehme Gefühl“ resultiere, „in einer erinnerungspolitischen Sackgasse gelandet sein“.“9 Die Rede vom Unbehagen bezog sich zudem auf das symbolische Kapital, das mit der Erinnerungsku! Erinneruneskultur in der Berli. inzwischen als ,Erin„Eri ner Republik akkumuliert werden konnte, sodass Deutschland inzwischen als nerungsweltmeister* gehandelt wird und sich durchaus gerne als solcher inszeniert,
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NACHWORT: MULTIDIREKTIONALE ERINNERUNG IN DEUTSCHLAND
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NACHWORT: MULTIDIREKTIONALE ERINNERUNG IN DEUTSCHLAND
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1980er-Jahre und der staatsoffiziellen Anerkennung
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Gewaltformen und Herrschaftsverhältnisse. Dennoch scheint das Prozessuale wichtig 6
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davon
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Diversifizierung
geeignet
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Aus dieser Perspektive wäre
die Theorie der Praxis
scheint
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anzugleichen.
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sei. Dieser Lesart zufolge ge gi gibt es so etwas wie das Linke AntirassisSingularitätsparadigma. gegen tinnen und Antirassisten wiirden die Relativierung Ss des Holocaust betreiben, indem sie ihn zu
ausgehend
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Bedeutung.
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Ebenda, 8.
Auch Michael
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kolonialen Gewaltformen
Rothberg wird
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Konzept
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Erinnerung
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diesem
Zusammenhang: „Michael Rothberg gelingt
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Perspektive
einer
werden soll,
ist es
nämlich,
Erinnerungen eine universalistische Perspektive im 8 P anamnetischen Solidarität
Opfern von Gewaltherrschaft zukommenden lassen. [...] Gerade wenn ‚multiperspektivisches
zukommen
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[...] der unseligen, allemal politisch ins-
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der Tat selbst“ ab.!? Rothberg 8 wiederum
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behandelt die Singularitätsfrage auf der Ebene der Debatte und Zuschreibung. 8. Er versucht nachzuvollziehen, wie das Singularitätsparadigma entstanden ist, welche 8 paradigi
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|
erinnerungspolitischen Dynamiken und Konjunkturen eine Rolle spielten, inwiefern ESP! pP) eine Hierarchisierung 8 von Leiderfahrungen impliziert ist. Und er pladiert dafiir, his8
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torische Verstrickungen ins Zentrum der Analyse 8
laritatsanspriiche
zuriickzustellen.
Klävers wirft die durchaus
(oder die Konzentration
auf
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rücken,
Singularitätsparadigmas
war,
dem Versuch der Relativierung 8 implizierte, P
47
die Aussicht auf eine
der nicht
ein wichtiger Baustein für 8‘
nur
dazu
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die erin-
Antisemitismus und den Holocaust als
von
zu
lenken, sondern auch
deutscher Schuld
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entgegenzuwirken, Begs
Überwindung von Singularitätsansprüchen tatsächlich
an.
Allerdings sollten in diesem Zusammenhang 8 drei Punkte berücksichtigt 8! werden. die ersten beiden Punkte hat Michael Rothberg in einem Beitrag zur gegenwärtigen
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Vgl.z. B.
|
voraussetze, Singu8
berechtigte Frage auf, ob sich Multidirektionalitat Verstrickungen) und Singularität notwendig
wesentliche Bestandteile nationalsozialistischer Herrschaft
Auf
|
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historische
müssen.°° Wenn die Zivilisationsbruchthese
die Genese des
Thierry Chervel, Je
nach
Schmerz, in: Perlentaucher -dasKulturmagazin, 24.5.2020,
|
| | | |
www>perlentaucher.de/essay/die-debatte-um-achille-mbembe-postcolonial-studies-und-der-
fruchtbaren
holocaust.html
solidarischen, kritischen Geschichtsschreibung und Gesellschaftsanalyse 48
49
Ebenda,
nales-erinnern-der-beitrag-michael-rothbergs/
50
Vgl. ebenda,
-
(10. 1.2021].
Steffen Klävers, Decolonizing 8 Auschwitz? Komparativ-postkoloniale Ansätze P Pi caustforschung, Berlin/Boston 2019, S. 175.
unerlässlich, Ähnlichkeiten wie Unterschiede P präzise zu benennen.“ Micha Brumlik, Für ein „multidirektionales“ Erinnern der Beitrag Michael Rothbergs, in: Texte zur Kunst, 30.9.2020, www.textezurkunst.de/articles/micha-brumlik-fur-ein-multidirektio-
(10.1.2021].
einzuordnen und entsprechend
Steffen Klävers, dass
Zivilisationsbruchthese
so mutet
einer multidirectional memory
neu
„Kampagne“ in Verbindung gebracht. So es Rothbergs Anliegen in Multidirektio„dem Holocaust den Status als ‚singulär‘ abzuerkennen“.“* Dieser
Beispiel
zum
Status wiederum
174.
Sinne einer allen
(I)
von
historisieren versuchten.“
Aufmerksamkeit auf den nerungspolitische Bs
P'
| |
postkoloniale Kampagne
auch Differenzierung 8 (statt Gleichsetzung).“° Gerade dieser Aspekt ist auch und vor 8 allem angesichts der von Dan Diner artikulierten Sorge 8 vor dem Verlust historischer
8‘ Urteilskraft und der damit zusammenhängenden Gefahr einer Einebnung
vernehmen. Dabei wird
zu
zwar die Vorzeichen 8geändert hätten, die 8 grundlegende Bl
ausschließen
trumentalisierbaren Konkurrenz
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einem zweiten Historikerstreit
dass sich
oder zumindest Sinne einer ethischen Prämisse als Orientierung 8 zu dienen, wobei nicht nur Empathie und Solidarität (statt Konkurrenz) als Maßstab gelten, sondern
mit seinem
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Problematik aber die 8 gleiche
Art Rahmen fiir
-politik abzugeben
ausgegangen, BCHANS
ambivalent
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Erinnerung der Versuch,
Rothbergs Vorschlag
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als Forderung, sondern auch als das,
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nahmen zwischen Holocaust und Kolonialismus
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Möglichkeit bereithält, erinnerungspolitisch
Ausschlüssen
Jahrzehnte sich hinziehende Tradition wechselseitiger Bezug8 erinnerungspolitischer SP‘
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als ein Ansatz
Zeit g geschieht, versteht. Er g geht bei seinem Vorschlag, anders über Erinnerun; 8 nachzudenken, keineswegs von einem Nullpunkt aus, sondern schließt an eine über
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Michael Rothberg ‘g
Man interpretiert Rothberg 8 sicherlich nicht falsch,
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begründeten
von
2:
Singularität und (Post-)Kolonialismus
eine
entgegenzuwirken. postnationalsozialistische postmigrantische und wird somit nicht umhin kommen, ihre Geschichtsschreibung und Erinnerungskultur zu diversifizieren: In einer Migrationsgesellschaft verändern sich nicht nur die gegenwärtigen Verhältnisse, sondern auch die historischen Bezüge. Damit „stellt sich die Frage nach einer vermeintlichen ,Nationalgeschichte' neu‘.
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P'
Multidirektionalität in Deutschland
Gesellschaft ist eben auch eine
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der Hinweis auf
pP) Täterinnen.
verstanden werden, der die
|
kolonialrassistische
uns
sein, 8 gerade auch in Abgrenzung 8 8 zur identitätspolitischen Inanspruchnahme des Holocaust-Gedenkens durch die Nachkommen der Tater und
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Multidirektionales Erinnern im Sinne
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ungerecht empfunden Griindungsverbrechen der USA
auch
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noch kein Museum für afro-
verstehen ist durchaus
werden konnte und nach der
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wichtig,
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wird, dass der Sklaverei als einem
Eroberung
Unterwerfung des LanErinnerungskultur zugemessen
NACHWORT: MULTIDIREKTIONALE ERINNERUNG IN DEUTSCHLAND
377
und
-
auf
Vgl.
Abkehr
Singularititsparadigma gerade
vom
fiir die Geschichte des Kolonialismus
Beispiel
werden. Die
wurde und wird
Kaiserreichs relativiert. Kolonialismus, Englander
usw.
so
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dann,
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Jahren
tatsächlich
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1986
der Hinweis
ff.
über
ausschließlich
erlaubt, dass
zwanzig (deutsche)
um
(männliche)
in einer zentralen Publikation
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Judenvernichtung, Miinchen
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Autoren versammelt sind und dass
Histories
sich
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die
Vgl. Piper Verlag (Hrsg. »HisEinzigartigkeit nationalsozia-
der
Belgier und Engländer, an
uns an
die Holocaust-Schuld
ihrer
zu
Vergangenheit
erinnern. Vor die-
Hintergrund besteht durchaus die Möglichkeit, dass die von Rothberg artikulierte Skepsis gegeniiber Singularitatsanspriichen, die mit einer gesteigerten AufmerksamEntlasfür einhergeht, in Deutschland tungsnarrativs verstanden wird. Multidirektionale Erinnerung zielt jedoch keineswegs
keit koloniale Gewaltverbrechen auf Entlastung, welcher Art auch
imSinne eines
immer sie sein mag.
Während die Erinnerung an den Holocaust erklärtermaßen in der Staatsräson der Bundesrepublik verankert ist, gilt das für die Erinnerung an den „Vernichtungskrieg im Osten“ bisher nicht. Denn im Kalten Krieg wie auch danach war und ist es
Leerstelle, ermordeter Kommunisten, Slawen und Slawinnen
eine
im Fall einer Schuldanerkenntnis drohten
sche
Regime.™!
Der
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zu
Entschädigungszahlen
gedenken,
an
|
und
kommunisti-
endlich entstehende Erinnerungsort fiir die Opfer des ,,VerOsten“ in Berlin wird, „multidirektional“ gesehen, keinesfalls
nun
im
stellen,
wenn endlich der Millionen nicht„entlastende“ Fragen der Opferkonkurrenz jüdischer polnischer, russischer, ukrainischer oder belarussischer und anderer osteu-
ropäischer Opfer und der Millionen gefangenen gedacht wird. Und eine
durch Hunger ermordeter sowjetischer Kriegserst in den letzten Jahren diskutierte Spezifik
|
des deutschen Kontextes könnte mit diesem Erinnerungsort „multidirektional“ ins Blickfeld auch der postkolonialen Perspektive treten: die Frage, ob und inwiefern der
Vernichtungskrieg im Osten mit kolonialen Gewaltpraktiken Verbindung gebracht werden kann. Hier rückt auch die bereits im 19. Jahrhundert virulente „Lebensraum“-Politik, die stets mit Annexionsplänen und -praktiken vor allem in Polen zusammenhing, in den Fokus der Aufmerksamkeit.® Sie lassen sich durchaus als Kolonisierungsprojekte verstehen, auch wenn sie in Europa stattfanden.
in: Sebastian Conrad/Shalini Randeria in den Geschichts- und
(Hrsg.), Jenseits
in
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ten im
Gegensatz
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polnischen Jüdinnen und Juden und Zwangsarbeiter erhielLeidensgenossen im Westen erst Jahrzehnte nach Kriegsende
Die überlebenden russischen und
Vgl.
ihren
des Eurozentrismus.
a.
Kulturwissenschaften, Frankfurt
Postkoloniale
M. 2003, S. 373-393.
|
AOder Tatra
2019.
Hannes Heer/Christian Streit,
Vernichtungskrieg
im
Osten
—
Judenmord, Kriegsgefan-
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Wirz,Wirnicht,dieanderen auch. Deutschland undder Kolonialismus,
Eckert/Alber
Perspektiven
allem als ein Raunen und weni-
sem
Griechenlands, Berlin
Autoren handelt.
torikerstreit“, Die Dokumentation der Kontroverse
|
| |wy
von
nicht rühren, sollten sie aufhören,
Esgibt
yom-historikerstreit-zur-causa-mbembe/ (10. 1.2021]. kerstreit
die anderen, die Franzosen, Holländer,
gebracht.° eine
Rothberg, Vergleiche vergleichen: Vom Historikerstreit zur Causa Mbembe, in: Gegenwart, 23.9.2020, geschichtedergegenwart.ch/vergleiche-vergleichensei
vor
|
gewesen. Wir nicht, die anderen
vor
An dieser Stelle
dieses Arguments, die sich auch und
ger als ausformuliertes Argument äußert, wobei die Relativierung der Verantwortung für den Kolonialismus zugleich die Form der Holocaust-Relativierung annimmt: Da
doch
diese treffende Formel haben Andreas Eckert und Albert Wirz diese Hal-
Michael
Steigerung
nationalsozialistische
Rothbergs
beinahe zwanzig tung und dieses Selbstverständnis
52
|
1
anders als heute
missinterpretiert
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schrieb,
zum
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Geschichte der
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diente, die Deutschen
in Deutschland durchaus missverständlich sein oder
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Nolte und anderen
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des ein geringerer Stellenwert in der amerikanischen
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Holocaust-Museum, aber
Sache der anderen, der Franzosen, der
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zweitens auf eine Aus-
auf
als
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Pro-
Verantwortung
hätten und daher nicht allein Täter der
schaft des Deutschen
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können, dass
hierzulande immer wieder mit dem Hinweis auf die Kürze der formalen Kolonialherr-
Ili)
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nicht, zielt
Denn während der
haben, aber
Nationalsozialismus und
Verweis auf den Bolschewismus dazu
Nichtsdestotrotz könnte
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und
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wird als dem Holocaust.
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Singularitätsansprüchen
sinnvoll findet oder
amerikanische Geschichte und Kultur. Dies
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kaum den Vorwurf machen
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beteiligt sind.” Entsprechend wird
entlasten, weil die Kommunisten die Verbrechen
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sprechen,
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Verhältnis
aus
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begangen, „wir“ lediggroßen Massenmorde des 20. Jahrhunderts seien, geht es heute eher um die Forderung, Verstrickungen anzuerkennen, im Sinne von: „das übrigens habt ihr/haben wir auch noch gemacht“. Drittens wir kommen noch einmal den Sprechort zurück wäre der Kontext der USA zu berücksichtigen. Als Rothberg Multidirektionale Erinnerung gab es in der National Mall in der Hauptstadt Washington zwar schon seit 16 Jahzu
lich
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Weltregionen
aus
Verantwortung.
von
sich beim soge-
1980er-Jahre
Historiker, Aktivistinnen oder Journalisten
Entlastung von (deutscher) Schuld das postkoloniale Framing von
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oder
Erstens handelt
Gegenteil,
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der
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hingewiesen.*'
anders als beim Historikerstreit der
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globale Debatte,
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schiedlichen Kontinenten und
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JANA KÖNIG
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aus
dem Geiste des Kolonialismus. Die
Beherrschungspolitik
in
(post-)kolonialer Perspek-
tive, in: Sozial.Geschichte (2004) 1, S. 10-43.
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378
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FELIX AXSTER
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JANA KONIG
NACHWORT: MULTIDIREKTIONALE ERINNERUNG IN DEUTSCHLAND
379
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uns wichtig: Auch wenn sich die Entstehung von MultiErinnerung möglicherweise mit (der Empfindung) einer Schieflage innerhalb der US-amerikanischen Erinnerungskultur in Verbindung bringen lässt, geht es Rothberg eben gerade nicht darum, die Aufmerksamkeit für den Holocaust zu schmälern, um Platz zu schaffen für die Erinnerung an Sklaverei und Kolonialismus. Vielmehr ist es die Logik von Schmälern und Platz wegnehmen, die er als Nullsummenspiel und Erinnerungskonkurrenz kritisiert. Die Episode um das United States Museum in Washington, mit der er einleitet, ist hierfür ein gutes Beispiel, Anfang der 1990er-Jahre besuchte Khalid Muhammad, der der Nation of Islam angehörte, dieses Museum. Kurz darauf hielt er einen Vortrag, in dem er nicht nur den Holocaust leugnete, sondern auch von einem „schwarzen Holocaust“ sprach und darüber hinaus die Existenz des Holocaust Memorial Museums als Form der Leugnung des ,,schwarzen Holocaust“ kritisierte. Rothberg nun biirstet Muhammads Aussage gegen den Strich. Dabei geht es ihm weniger um die Frage, ob
Ein weiterer Hinweis ist
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direktionale
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einem
ihm darauf
kenntlich
zu
an,
sein Buch
„schwarzen Holocaust“ sinnvoll sei oder nicht. Vielmehr kommt diese Rede als eine Form der multidirektionalen
machen,
was er
Bezugnahme
auf den Umstand zurückführt, dass die Holocaust-Erin-
nerung hier wie eine Art Katalysator fungiere, der es Muhammad ermögliche, das Verbrechen der Sklaverei zu thematisieren. Möglicherweise ist diese Einstiegsepisode
ungliicklich gewahlt, und ein Blick in das diesem Buch vorangestellte Interview legt nahe, dass Rothberg heute von einer schlechten Form der multidirektionalen Erinnerung sprechen würde, Nichtsdestotrotz wird deutlich, dass der Ansatz der multidirektionalen Erinnerung gerade in Abgrenzung zu Muhammads Nullsummenspiel-Logik („eure Erinnerung löscht unsere Geschichte aus“) entwickelt wird. Die Holocaust-Erinnerung steht also anderen Erinnerungen nicht im Weg. Vielmehr hat sie nicht zuletzt aufgrund ihrer globalen Verbreitung das Potenzial, anderen Erinnerungen Aufmerksamkeit naler
Hl
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7
Holocaust Memorial
zu
5
verschaffen, und
zwar
vermittels
(guter)
Multidirektionale Erinnerung. Wie bereits erwähnt: Dieses Paradigma und ist ein wichtiger Bestandteil des erinnerungspolitischen Kampfes gegen die
Aspekt war
von
im Land der Täter und Täterinnen
Abwehr
von
grassierenden
Tendenzen
zur
Verdrängung
und
Schuld und Verantwortung, die mit dem sekundären Antisemitismus
korrespondieren.
Zudem lässt sich Dan Diners Charakterisierung der
Spezifik des
Erachtens nicht umge-
Vernichtung) (die grundlose Rothbergs Herangehensweise rührt aus der Annahme, dass (der Anspruch auf) Singularität bisweilen mit einer Hierarchisierung von Leid und Erfahrungen einhergehe. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass Yehuda Bauer vor einigen Jahund zwar als ren den Begriff der Präzedenzlosigkeit in die Debatte eingeführt hat, Alternative zum Singularitätsbegriff.”” Möglicherweise zeugt die Suche nach einem und totale
Holocaust
unseres
hen.
neuen
Begriff
von
dem Wunsch, einen
Auseinandersetzung
um
das
Ausweg
der bisweilen
aus
Singularititsparadigma
zu
festgefahrenen
finden.
postkoloniale und die postmigrantische Herausforderung ernst nimmt und sich auf eine (Neu-)Verhandlung der Erinnerungskultur einlässt, stellt diese Verhandlung hineinbegibt. Auf die Frage, welcher Haltung man sich jeden Fall gilt es, an den Besonderheiten der postnazistischen deutschen Gesellschaft Wenn
man
sich
die
mit
in
und Geschichte festzuhalten. Eine Diskussion, in der die
Akzeptanz oder
Nicht-
Akzeptanz des Singularitätsanspruchs als eine Art Voraussetzung oder Bedingung fungiert, von der der weitere Verlauf der Verhandlung abhängt, scheint uns wenig vielversprechend zu sein, Multidirektionale Erinnerung plädiert dafür, sich derarDas tigen Aushandlungsprozessen in empathisch-solidarischer Weise anzunähern. einen guten Ausgangspunkt. halten wir
|
|
|
für
multidirektio-
Bezugnahmen. |
Um abschließend noch einmal auf das Thema
Rothbergs Behandlung
56
des
Singularität zurückzukommen: Singularitätsparadigma ist vermutlich der strittigste
Wir haben die
Muhammad-Episode auch deshalb noch einmal erwähnt, weil sie in der (diffamierenden und tendenziösen) Rezeption
rin
z.
B.
behauptet, Rothberg wiirde
von
die Rede
Rothbergs
von
einem
Buch
eine
Rolle
Stefan Lau-
spielt.
,schwarzen Holocaust“
gutheifen.
er eT ae pu von Stefen Klävers,allerdings entstefienderWeise: Wenn Leugnung dieses Ereignisses ebenfalls cin Fall Holocaustleugnung Die Avslessung
|
|
Felix Axster ist
schung
für AntisemitismusforForschungsinstitut Gesellschaft-
wissenschaftlicherMitarbeiter amZentrum Berlin
der Technischen Universität
sowie am
von
nicht
bei
unbedeutend,denndrei entscheidendeWörter werden gibt
Muhammad’. Klavers
von
Rothberg wieder,
hier also nicht
sondern die
von
legt.
anders
als
Laurin
~
die Position
Muhammad. Laurin wiederum bastelt sich
als Holocaust-Relativierer zurecht, indem Mund
~
wiedergegeben: wie suggeriert
nicht
er
ihm quasi die Worte
Stefan Laurin,
von
-
Rothberg
Antisemitismus in der
heitspolitiken.
Sie ist
zur
Geschichte der Linken
Mitglied des AutorInnenkollektivs
in
Deutschland und
GeschichtsLoukanikos.
Migrationsgesellschaft sowie zu
und
Vergangen-
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https://pdfify.app/trial
Vgl.
57.
Vgl.
Seite der
Yehuda Bauer, Die dunkle
tationen
Geschichte. Die Shoah
undRe-Interpretationen, Frankfurt M. a.
2001.
in
| | |
Muhammad in den
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des 23. auch Klävers, Decolonizing Auschwitz?,
Jana König lebt in Berlin und arbeitet zu
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| |
licher Zusammenhalt.
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historischer Interpre-
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Dschingis
Cixous, Helene 54
Du Bois, W.E.B. 9, 12,
Donadey, Anne
|
|
263
A
283,
Conrad, Joseph 56, 62, 65, 82-87,
|
19,31f., 49, SIE,
f.,
282, 285
Duras, Marguerite 53, 227, 269, 277-
Confino, Alon 28 92, 104f., 113-116, 136f.,
286f.,
296, 304
Cooper,
|
Frederick 139
7
Craps,
Stef 121, 188
pl Daeninckx, Didier 53, 273, 296, 307,
| |
312, 314-316, 318-323, 327, 338-
HI
(|
|
|il ) MI
|
A
| | |SI
i
Huxley,
Gilroy,
Huyssen,
Paul 9, 12, 16, 31, 164, 287,
54
Andreas 27,37
336
Ivens, Joris 219, 233 von
120
Golsan, Richard 34
Jameson, Fredric 35, 67, 113, 303
Edelman, Lee 54
Graner, Charles 325
Jankelevitch, Vladimir
Edwards, Brent Hayes 31 Eichmann, Adolf 10, 49, 52, 208, 212-
Greene, Graham 245
Jaspers,
Griaule, Marcel
Jeanson, Francis 218, 231, 244, 247-
216, 228 f,, 233, 237-239, 248, 258,
Grosse, Pascal
220
67
187
Karl 63
249, 254f,, 259
280, 319, 330
Katz, Steven 33
Hamou, Bousetta 257
Kaufmann, Francine 173,
de Gaulle, Charles 257, 342
Fabian, Johannes 45, 94
Hancock, Ian 33
Kettane, Nacer 273
de
Faguet,
Haneke, Michael 43, 53-55, 270, 307,
Khanna, Ranjana 300f,
188
Gennaro, Mara
106
Man, Paul
Emile 107
Fanon, Frantz 50f,, 102, 118f,, 121, 123128, 133£,
7
Tocqueville, Alexis Debray, Régis 219
il
Nancy
Aldous 255
Halimi, Giséle
Ashley
de
eT
Huston,
Ezrahi, Sidra 174, 186
de
an
Husserl, Edmund 70
Gheldman, Georges 331 Gilman, Sander 126
Kagan,
de Lescure, Pierre 244 |
Gerlach, Christian 136
Eaton, Mick 224
de Beauvoir, Simone 300
|
319
Hull, Isabel 66, 135f, 138f.
Habermas, Jürgen 14 Halbwachs, Maurice 41
Dawson, |
f., 270, 272f.,
Evans, Martin 232
Danner, Mark 261
|
275£., 282,
Géricault, Théodore 97-99
Goethe, Johann Wolfgang
Einaudi, Jean-Luc 274, 328-330, 339
340, 342, 351
Tl
Gandhi, Mahatma 280
Girardot, Annie
Dussel, Enrique 64f.
179
Cousins, Mark 338f.
212
Horne, Alistair 55
289, 294, 296, 298, 300, 302, 338f.
(EB :
Dawn 339
Gil Z. 357
House, Jim 263, 267
Khan 75
236, 269, 277,
Cole, Joshua 275f.
254
Drosten, Christian 11, 13
211, 181, 184, 189f., 193, 200, 207
224
Cohen, William
Alfred 233.
65, 101, 136-138, 140, 143-167, 170,
54
Clifford, James
A
125, 188, 196
339
190, 232, 237, 295,
298
312, 314f,,
300
321-328, 333-340, 351
Hansen, Miriam 37
Feldman, Ron H. 64
Hardt, Michael 165
Felman, Shoshana 240, 252-254, 258
Harootunian, Harry
Delacroix, Eugéne 98f. Delanoé, Bertrand 275
Fitzpatrick, Matthew P. Flaherty, Robert 216
Hartman,
Delbo, Charlotte 10, 52, 60, 223f,
323
231 237-262, 272, f,,
328, 330
Depestre, René
109
276, 280,
;
19, 71, 75, 98f., 107£., 110-112,134, 183f,
Hitler, Adolf
Dossa, Shiraz 77, 81
Cliff, Michelle
i
109f,, 112, 119-122, 127, 187,
299, 312f.,
317, 330, 341, 346
191, 338 Fritzsche, Peter 28
Cheyette, Bryan
a
Hirsch, Marianne 54,
Freud, Sigmund 37-39, 42f., 99,
322, 326, 357
Cheah, Pheng 124
J
Fraser, Nancy 46-48, 354
Dilorio, Sam 217f., 220
;
Martin 63, 70
Diawara, Manthia 10
149f., 159, 164, 169, 211, 224, 230, 180
Heidegger,
Hess, Remi 241 f. Hirsch, Joshua 214, 228
Alain 329
95, 97-114, 116-140, 143
Chandler, James
André 58-62, 97, 101,
Frank, Anne 54
Dewerpe,
|
=
Fougeron,
401
128, 146, 150, 211
|
146
PERSONENREGISTER
Elie 281, 339, 344-347
Kaplan,
King,
Alice 7
Korsch, Karl 128f.
Koshy, 45
Susan 202
Kréa, Henri 269, 283, 286, 304 Lacan, Jacques 206
Florenne, Yves 107f.
Hausner, Gideon 228
LaCapra,
Floyd, George Fogiel, Esther
Hayling, Alan 274 Hegel, Georg Wilhelm
14 331
Foucault, Michel 36, 72, 158f.
|
Hl
https://pdfify.app/trial
83, 86, 196
327
Richard H. 81-83
Geoffrey 226 Haughton, Hugh 39
135
176
Dominick 28, 83, 90, 105,
109-112, 122, 171, 185-187, Friedrich 30,
Lagrou,
Pieter 246f.
f.
Lalieu, Olivier 246
205,
234
a
PERSONENREGISTER
402
PERSONENREGISTER
403
:
Lallaoui, Mehdi 273
|
Langer,
| |
|
nl
242
32 f., 145, 227
Laub, Dori 240,
252-254
Missac, Pierre 111
Péju,
Paulette 272, 339
Salomon, Michel 176, 178 Sanders, Mark 292, 294f.
Petit,
Philippe
Santner, Eric 206
Monnoyer, Jean-Maurice
188, 195, 197f.
21, 37
10,
52, 60, 214, 216-220,
222f., 226 f., 229-232, 236, 239,
Levine, Michel 274
31, 270, 305£.
Ruth 120-122
Edward T. 34, 37
310
Philipson, Phillips, Caryl 51£,
Robert 170
90,
138, 140, 167,
:2
Lloyd, David
Pietz, William 81,94
Scharfman, Ronnie 169, Schechner, Alan 13
Morrison, Toni 9, 205
Poe, Edgar Allan
Schwarz-Bart, André
Moses, A. Dirk 35f., 66, 112, 129, 134,
Pontalis, Jean-Bertrand 109 Pontecorvo, Gillo 55, 232
Moyn, Samuel 212
Power, Samantha 35
Mufti, Aamir 49
Preminger, Otto
Muhammad, Khalid 25-27, 29-34,
Proskauer, Joseph 152
Loridan, Marceline 10, 217-230, 233,
=
235, 279 f., 283, 296, 342
Lumumba, Patrice 10, 221,
|
Luxemburg,
289-293
Rosa 128f.
|
MacMaster, Neil 263,
i
272., 275£., 282,
|
|
il
|
|
53 ., 307, 312,
Sebbar, Leila
36, 46f.
|
Sedgwick,
Eve 191
Tom 228
Ramses II. 348 146
Rapoport,
Nathan 51, 155, 160-164,
181
Segev, Sereny, Gita 7 Sergent, Jean-Pierre 218f,,
Nietzsche, Friedrich 72
Resnais, Alain 216, 221, 225, 227, 277
Nkrumah, Kwame 294
Ricks, Thomas
Nolte, Ernst 10, 14
Ricoeur, Paul 232
Shakespeare 192, 193, 201 Shandler, Jeffrey 214, 228f. Shepard, Todd 282, 285£,
Ringelblum,
Shih, Shu-mei 45
Nora, Pierre 276, 309-313, 315, 320, 322, 326f., 330, 335, 341 f,, 350
224, 280
Servan-Schreiber, Jean-Jacques 251 55
Emanuel 17
Riva, Emmanuelle 227
Sholem, Gershom 178
Robert, Georges siehe Admiral Robert
Silverman, Max
Margalit,
Novak, Amy 121, 122, 127 Novick, Peter 151, 212, 228
Robbins, Joyce 28 Rosenfeld, Alvin 174f.
Silverstein,
Roskies, David 161-163
Smith, William Gardner 53, 167, 198,
Avishai 41
244
Mehmet Ali 347
Orr, Linda 7
Roth, Philip 8
|
Melas, Natalia 45, 85
Ozick, Cynthia 204
Rothman, William
|
Memmi, Albert 54
Öztürk, Anny 19 Oxtiirk, Sibel 19
Rouch, Jean 10, 52, 60, 214,
Mengele, Josef
11, 13
Mesher, D. 172
Mesnard, Philippe
28
Ross, Kristin 60, 235, 239, 242 f., 249,
Marcel 304
287, 294, 296
Paley, Grace 9, 12 Panijel, Jacques 273f.,
307, 314f., 318 218
329, 339
216-232,
It
https://pdfify.app/trial
Henry
Spargo, Spiegelman, Art 7, 297, Stalin, Josef
341
33, 149
Stannard, David 33-35, 37
Césaire, Suzanne
Rousso,
338, 349-351
R. Clifton 39, 337f.
342£. Roussi
269f., 287-289, 291 f., 294-300, 304, Sophokles
236, 239, 241, 259, 277, 279, 330,
232
325
Paul 324
Smith, Valerie 299
|
|UI
f., 327,
314
Norton, Anne 81
Merleau-Ponty, Maurice
i
Napoleon 346-348 Negri, Antonio 165 Newton, Adam Zachary Ngal, Georges 103
Ophuls,
i
182
338-344, 346, 348-351
McCormick Blaine, Anita 143
ME
205-208, 211, 224, 228
Sebald, W. G. 54
Olick, Jeffrey K. 28
|
49, 51, 90, 137,
140, 167, 169-179, 181-190, 192f., 195-199, 202,
283
Mbembe, Achille 11, 14f.
|
182
Mandouze, André 232
Maurel, Micheline
|
|
319
Marie, Michel 226, 298
AN
N
267f., 270,
273
Schwarz-Bart, Simone 169,
Quint, David 120f,, 127
90
Sartre, Jean-Paul 106, 125, 231, 248
Sbouai, T.
327
,
Saxton, Libby 323
169-172, 188-194, 196£., 199, 201-
|
Lionnet, Frangoise 45 Lipstadt, Deborah 34, 77
Said, Edward 13, 89, 184, 347
208, 211
138
Lévi-Strauss, Claude 103
Linenthal,
Edgar
Morris, Benny 56, 355-357
282
Leys,
Morin,
111
241, 259, 277, 279, 330, 342f.
David 154
Levy, Daniel
146
Modiano, Patrick 343
319
Meur, Jean 247-249
Levi, Primo 7,9, 134, 204, 224, 237,
=
321
Paxton, Robert 304
Levi, Neil
:
Rushing, Robert A.
Miller, Nancy K. 8
Levering,
1
Ruscio, Alain 97
Miller Budick,
Lefebvre, Henri 45, 217, 241
a
281, 294, 296, 303, 307, 309, 315, 317-319, 322, 327-332, 334f., 340, 343 f., 348 274-276,
109
:
a
Maurice 34, 53, 263, 267, 271,
Laplanche, Jean
Ledent, Bénédicte
|
Emily
Papon,
Lanzmann, Claude 7,
Le
|
33£.,
37, 39, 47, 119, 353
Michelet, Edmond 328
Laval, Pierre
.
Michaels, Walter Benn 25-27, 29-31,
Lawrence L. 175, 226, 238,
102
234, 310, 330, 341
Steiner, Jean-Francois 212
Stoler,
Ann Laura 139
|
P|
i
j
|
PERSONENREGISTER
404
|
a
Stone, Dan 36,
a CA
Stora,
Benjamin
Stovall, Tyler
| |
an) A
A
66,81f. 231, 234, 273
287f., 294-296
Sturken, Marita 27
Suk, Jeannie 102 Suleiman, Susan 28,
Sundquist,
|
Lucien 233 Pierre 231-233, 244, 255,
309, 329
Voegelin, Von
|
Eric 69,70
Eschen, Penny M. 150
2
330
|
i
Eric 146
f.
7
Vidal-Naquet, Vidal-Naquet,
|
Sznaider, Natan 31, 270, 305
Wagner,
Richard 157
Walkowitz, Rebecca
188, 206
Walzer, Michael 184
Taslitzky, Boris 96-101,
108, 128,
146, 150, 211
4 4
| |
Terdiman, Richard 28
Whitehead,
Thatcher, Nicole 241
Wiesel, Elie 32, 33, 169, 204, 224, 228,
Torquato 119f., 122, Teitgen, Paul 230, 249, 328
|
Télélyan, Khachig
Wood, Nancy 328
193
| |
AW
il
252
|
18,
Traverso, Enzo 66, 129
Yildiz, Yasemin
Trezise, Thomas 246
Young, James E. 36, 161, 163
Ungar,
N
335
|
|
Anne 188
Wieviorka, Annette 212, 228, 234, 330f.
Tranchand, Valérie
il
37
216
Wolf, Christa 7
1
I
Wertow, Dsiga
Todorov, Tzvetan 145, 220
Wi
N
Weissman, Gary
Thorez, Maurice 100f, 130f, 164 Tillion, Germaine 220
a ie
127
|
j
A il
258, 261
Tasso,
1] :
Warner, Michael 240, 247, 250-254,
22 i
32, 81,
133f. Young, Robert Young-Bruehl, Elizabeth 63f, 68,
Steven 215
1
\
81
Uri, Leon 284
Zierler, Wendy 170, 188, Van
Styvendale, Nancy
194 i
121
Vico, Giambattista 170, 181
Zimmerer, Jiirgen 15, 66,
Zizek, Slavoj152, 302,
135-139
!
321
i
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