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German Pages 350 [370] Year 2006
Kant-Forschungen 16
KANT-FORSCHUNGEN Begründet von Reinhard Brandt und Werner Stark Band 16
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
Heiner F. Klemme / Manfred Kühn / Dieter Schönecker (Hg.)
Moralische Motivation Kant und die Alternativen
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet abrufbar über . ISBN-10: 3-7873-1792-9 ISBN-13: 978-3-7873-1792-9
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Inhalt Siglen ......................................................................................................
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Einleitung ................................................................................................
IX
Kants Theorie moralischer Motivation Karl Ameriks Kant and Motivational Externalism ............................................................
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Marcia Baron Overdetermined Actions and Imperfect Duties ............................................
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Reinhard Brandt Die Selbstverwirklichung des Menschen in der Kantischen Moralphilosophie (Ein Stenogramm) ..........................................................
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Patrick Kain Constructivism, Intrinsic Normativity, and the Motivational Analysis Argument ...................................................................................
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Robert B. Louden Moralische Stärke: Tugend als eine Pflicht gegen sich selbst ........................
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Frederick Rauscher Reason as a Natural Cause ........................................................................
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Theorien moralischer Motivation im Anschluß an Kant Heiner F. Klemme Praktische Gründe und moralische Motivation. Eine deontologische Perspektive ................................................................ 113 Wolfgang Kuhlmann Motivation in der Diskursethik .................................................................. 155
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Inhalt
Gertrud Nunner-Winkler Freiwillige Selbstbindung aus Einsicht – ein moderner Modus moralischer Motivation ............................................................................. 165 Konstantin Pollok Kant und Habermas über das principium executionis moralischer Handlungen ............................................................................................. 193
Alternativen zu Kant Uta Eichler Mitleid und Pflicht .................................................................................... 231 Stefan Gosepath Moralische Normativität und Motivation .................................................... 255 John Hare On Recognizing our Duties as God’s Commands ......................................... 275 Paul Russell Practical Reason and Motivational Scepticism ............................................. 287 Dieter Schönecker Warum moralisch sein? Eine Landkarte für Moralische Realisten ................. 299 Peter Stemmer Moral, künstliche Gründe und moralische Motivation ................................. 329
Die Autoren ............................................................................................. 343 Personenregister ...................................................................................... 347
Siglen Alle Siglen beziehen sich auf den Abdruck der Schriften in der Akademie-Ausgabe von Kants Gesammelten Schriften (AA); nur die Kritik der reinen Vernunft wird nach der Paginierung der ersten (1781, A) und zweiten (1787, B) Auflage zitiert. Schriften Kants, für die keine Siglen angegeben sind, werden z. B. zitiert: AA XXIV, 155. AA
Anth Auf BDG BW Denk EaD EKdU Ent Fort FS Ge GMS GSE GwS IaG KpV KrV KdU Log Lüg MAM MAN MVT
Immanuel Kant, Gesammelte Schriften (= Akademie-Ausgabe), hrsg. von der Königlich Preußischen / Deutschen / Göttinger / Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1900 ff. Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, in: AA VII. Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, in: AA VIII Einzig möglicher Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes, in: AA II. Briefwechsel, in: AA X–XIII. Was heißt: Sich im Denken orientiren?, in: AA VIII. Das Ende aller Dinge, in: AA VIII. Erste Einleitung in die Kritik der Urteilskraft, in: AA XX. Über eine Entdeckung, nach der alle neue Kritik der reinen Vernunft durch eine ältere entbehrlich gemacht werden soll, in: AA VIII. Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnitzens und Wolff’s Zeiten in Deutschland gemacht haben?, in: AA XX. Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren erwiesen, in: AA II. Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis, in: AA VIII. Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, in: AA IV. Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen, in: AA II. Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte, in: AA I. Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, in: AA VIII. Kritik der praktischen Vernunft, in: AA V. Kritik der reinen Vernunft (A: 1781; B: 1787), in: AA III u. IV. Kritik der Urteilskraft, in: AA V. Logik, hrsg. von G. B. Jäsche, in: AA IX. Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen, in: AA VIII. Muthmaßlicher Anfang der Menschengeschichte, in: AA VIII. Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, in: AA IV. Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theodicee, in: AA VIII.
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Siglen
MSI De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis, in: AA II. MdSR Metaphysik der Sitten (Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre), in: AA VI. MdST Metaphysik der Sitten (Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre), in: AA VI. NB Versuch den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen, in: AA II. ND Principiorum primorum cognitionis metaphysicae nova dilucidatio, in: AA I. NTH Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels, in: AA I. Op Opus postumum, in: AA XXI u. XXII. Päd Pädagogik, hrsg. von Fr. Th. Rink, in: AA IX. PG Physische Geographie, hrsg von Fr. Th. Rink, in: AA IX. Prol Prolegomena zur einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können, in: AA IV. RGV Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, in: AA VI. SF Der Streit der Fakultäten, in: AA VII. TG Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik, in: AA II. UDG Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral, in: AA II. VAnth Vorlesungen über Anthropologie, in: AA XXV. VBO Versuch einiger Betrachtungen über den Optimismus, in: AA II. VeF Verkündung des nahen Abschlusses eines Tractats zum ewigen Frieden in der Philosophie, in: AA VIII. VKK Versuch über die Krankheiten des Kopfes, in: AA II. VTP Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie, in: AA VIII. ZeF Zum ewigen Frieden, in: AA VIII.
Einleitung Mit ihrer Betonung der Autonomie vernünftiger Subjekte, des guten Willens und der Unbedingtheit moralischer Forderungen scheint Kants Stimme im polyphonen Chor moderner Ethiktypen leicht identifizierbar. Dies gilt auch für seine Konzeption moralischer Motivation, in deren Mittelpunkt die Begriffe der reinen praktischen Vernunft und der Achtung stehen. Doch trotz einer mehr als zweihundertjährigen Interpretations- und Rezeptionsgeschichte ist der systematische Gehalt dieser Konzeption umstritten. Vertritt Kant eine ›puristische‹ Ansicht über das Verhältnis von moralischen Verpflichtungen (Gründen) und moralischer Motivation, wonach jemand nicht rationalerweise eine Verpflichtung anerkennen kann (oder muß), ohne zugleich die Disposition zu haben, entsprechend zu handeln? Oder besteht zwischen der Kognition unserer moralischen Verpflichtung und unserem Wunsch, entsprechend zu handeln, eine kontingente Beziehung? Hält Kant eine sogenannte internalistische Auffassung des moralischen Sollens für angemessen, wonach unsere Erkenntnis einer Verpflichtung auch unsere Motivation impliziert? Besagt Kants Konzeption, daß es für eine Person einen Handlungsgrund geben kann, dem kein Element in der subjektiven motivationalen Verfassung dieser Person entspricht? Oder möchte er mit seiner Behauptung, daß jeder Mensch ein praktisches Interesse an der reinen Vernunft nimmt, zum Ausdruck bringen, daß wir – modern gesprochen – zwar eine moralische Disposition haben, uns aber dennoch freiwillig entscheiden können, das moralisch Falsche zu tun? In diesen Fragen deutet sich nicht nur die enorme Komplexität von Kants Konzeption moralischer Motivation an. Darüber hinaus wird in und mit diesen Fragen deutlich, daß die Interpreten der Kantischen Moralphilosophie von einem Vokabular Gebrauch machen, das seinerseits präzisions- und erläuterungsbedürftig ist. Dies gilt umso mehr, als Kants Konzeption moralischer Motivation nicht nur von historischem Interesse ist, sondern aus verschiedenen Gründen Aktualität für sich beanspruchen kann. Diese Aktualität verdankt sie vor allem zwei Umständen. Erstens steht der Name Kant seit den ›klassischen‹ Arbeiten von H. A. Prichard, W. D. Falk und William K. Frankena für ein kognitivistisches Modell moralischer Motivation, das – je nach Terminologie und Interpretation – entweder als internalistisch oder als externalistisch bezeichnet wird. Diese systematisch interessierte Diskussion über den Internalismus und Externalismus praktischer Gründe und Motive ist in jüngerer Zeit von so unterschiedlichen Philosophen wie Thomas Nagel, Philippa Foot, Bernard Williams, Christine M. Korsgaard oder John McDowell aufgenommen und vertieft worden. Kant ist hier eine wichtige Bezugsgröße. Zweitens verstanden sich zwei äußerst einflußreiche empirische Theoretiker
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moralischer Motivation, nämlich Jean Piaget und Lawrence Kohlberg, als Kantianer. Besonders Kohlberg initiierte mit seinen Untersuchungen über die Entwicklung des Moralbewusstseins eine fruchtbare Diskussion über die empirische Relevanz der Ethik des kategorischen Imperativs, die bis auf den heutigen Tag anhält. Sind Kohlbergs Ergebnisse zutreffend, dann kann die Kantische Moralphilosophie empirische Relevanz für sich beanspruchen. Die Beiträge des vorliegenden Bandes spiegeln die aktuelle vielschichtige Diskussionslage wieder, indem sie in historischer, interpretatorischer und systematischer Absicht auf Kants Theorie moralischer Motivation Bezug nehmen. Die ersten sechs Beiträge sind schwerpunktmäßig der Interpretation von Kants Theorie moralischer Motivation gewidmet (I). Die zweite Gruppe von Beiträgen versucht im Anschluß an Kant eine systematisch tragfähige Konzeption moralischer Motivation zu entwickeln (II). Im dritten Teil schließlich geht es um Alternativen zum Kantischen Programm der reinen praktischen Vernunft (III).
I. Kants Theorie moralischer Motivation Nach der Einschätzung von Karl Ameriks (»Kant and Motivational Externalism«) hängen trotz der in jüngster Zeit zu beobachtenden Renaissance der Kantischen Ethik die meisten analytischen Philosophinnen und Philosophen Positionen wie dem Utilitarismus, dem Expressivismus oder der Tugendethik an; sie äußern sich (wie beispielsweise Philippa Foot, Bernard Williams, J. L. Mackie, John McDowell und Simon Blackburn) sehr kritisch über die Kantische Ethik. Ameriks hält es daher für geboten, daß sich Kantianer den grundlegenden Bedingungen zuwenden, die jede moralische Theorie erfüllen muß, um den Anforderungen, die heute an eine plausible Theorie gestellt werden, überhaupt gerecht werden zu können. Ganz in diesem Sinne setzt Ameriks mit einer Klärung dieser Bedingungen ein, die noch keine Vorentscheidung für den Kantianismus bedeutet. Vor dem Hintergrund dieser klärenden Ausführungen positioniert Ameriks dann die Kantische Theorie, um sie schließlich in einem letzten Argumentationsschritt zu verteidigen. Marcia Baron (»Overdetermined Actions and Imperfect Duties«) versucht einen populären Einwand gegen die Ethik Kants zu entkräften, der vor allem in der angloamerikanischen Kant-Literatur immer wieder diskutiert wird. Diesem Einwand zufolge haben in motivationaler Hinsicht überdeterminierte Handlungen keinen moralischen Wert, weil sie nicht allein aus Tugend, sondern auch aus Neigung vollzogen werden. Während einige Autoren die Ansicht vertreten, daß Kant selbst eine Theorie überbestimmter Handlungen vertritt, argumentiert Baron, daß nach Kant schon der Begriff einer »überdeterminierten Handlung« unsinnig sei. Nach Kant könne es keine »überdeterminierten Handlungen« geben, weil seiner Einschätzung nach jeder Handlung ein bestimmtes Motiv zu Grunde liegt, von dem kein kausaler Zwang ausgeht. Wir müssen, so Baron mit Kant, die Handlung x tun, weil es unsere Pflicht ist, nicht deshalb, weil es unsere Pflicht ist und weil es uns gefällt oder wir
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es zu tun wünschen. Mit Blick auf unsere weiten Pflichten gegenüber anderen diskutiert Baron schließlich die Frage, wie man die Handlung x aus Pflicht tun kann, obwohl man nicht im strikten Sinne des Wortes moralisch verpflichtet ist, x zu tun. Barons Ansicht nach hat Kant diese Frage in seinen Schriften nicht zufriedenstellend beantwortet. Reinhard Brandt (»Die Selbstverwirklichung des Menschen in der Kantischen Philosophie«) geht in seinem Beitrag einer zentralen, im Dickicht der Entwicklungsgeschichte der Kantischen Moralphilosophie aber nur schwer begrifflich zu fixierenden Problematik nach, nämlich der Frage nach der Rolle des Selbst. Brandt weist darauf hin, daß die Kantische Frage nach dem Selbst des Menschen mit der Frage nach der Bestimmung des Menschen zusammenfällt. Kant denke diese Bestimmung als Selbstbestimmung des Menschen. Im Verlaufe seiner philosophischen Entwicklung entfalte diese Konzeption der Selbstbestimmung des Menschen eine Dynamik, die zu einer zunehmenden Selbstaneignung »von Anderem, Fremdem in die autonome Kompetenz des Selbst« führe. Besonders augenfällig werde diese Entwicklung in den Notizen des Opus postumum. Der Aufsatz von Patrick Kain (»Constructivism, Intrinsic Normativity, and the Motivational Analysis Argument«) beschäftigt sich mit dem Verhältnis der Kantischen Theorie moralischer Motivation zu unterschiedlichen Theorien der Normativität. So besage die konstruktivistische Auffassung der Normativität, daß ein Prinzip normativ werde, indem ein entsprechendes Handlungsmotiv durch eine rationale Person gebilligt werde oder indem eine solche rationale Person ein entsprechendes Handlungsmotiv habe. Christine Korsgaard behaupte nun, daß Kants »motivationale Analyse« des Begriffs der Verpflichtung im ersten Abschnitt der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten ein Argument für eine derartige konstruktivistische Interpretation enthält. Kain verteidigt in seiner kritischen Diskussion Korsgaards zwei wichtige Modifikationen des Begriffs der »intrinsischen Normativität« und schlägt vor, daß, wenn diese Modifikationen akzeptiert werden, das Argument der »motivationalen Analyse« fehlschlägt. Dieses Argument zeige nicht, daß die normative Autorität des höchsten Moralprinzips ausschließlich von den motivationalen Zuständen des Handelnden abhänge oder durch diese Zustände konstituiert werde. Kants »motivationale Analyse« sei hilfreich, die Natur des angeblichen internen Zusammenhangs zwischen dem obersten Moralprinzip und der Natur des rationalen Willens aufzudecken, verlange aber keineswegs die Annahme einer konstruktivistischen Normativitätstheorie. Robert B. Louden (»Moralische Stärke: Tugend als eine Pflicht gegen sich selbst«) geht in seinem Beitrag der Frage nach, ob Kants Ethik eher eine Pflichtenethik oder eine Tugendethik ist. Seiner Ansicht nach sollten wir sie als Tugendethik verstehen. Einschränkend gibt er jedoch zu bedenken, daß diese These nur unter gewissen Einschränkungen verteidigt werden kann: Kant verstehe den Begriff der Tugend anders als nahezu alle zeitgenössischen Tugendethiker. Dies werde besonders bei Kants Theorie des radikalen Bösen deutlich, derzufolge der Mensch immer in der Gefahr stehe, dem moralisch Schlechten zu verfallen. Dies führe zu einer Tugend-
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ethik, in der Selbstbeherrschung und Autonomie von zentraler Bedeutung seien. Mit seiner These von der Gegenwart des radikalen Bösen in der menschlichen Natur befürworte Kant demnach ein dunkleres Bild der menschlichen Natur als die meisten zeitgenössischen Tugendethiker. Frederick Rauscher (»Reason as a Natural Cause«) erörtert Kants Theorie moralischer Motivation im Rahmen einer naturalistischen Interpretation der Kantischen Philosophie. In einem ersten Schritt argumentiert Rauscher, daß die empirische Vernunft Kants die Erscheinung der noumenalen Vernunft in der Natur sei. Empirische Vernunft sei jedoch nicht dasselbe wie Willkür, die unter dem gleichzeitigen Einfluß von kausalen Einflüssen der empirischen Vernunft durch Motive und der Sinnlichkeit durch Neigung Entscheidungen treffe. Die Einwirkung der empirischen Vernunft auf den empirischen Willen erlaube praktische Freiheit im Sinne einer kausal determinierten Fähigkeit der empirischen Willkür, Entscheidungen zu fällen, die auch durch Motive der empirischen Vernunft beeinflußt sein könnten. In einem zweiten Schritt versucht Rauscher zu zeigen, daß gesetzesähnliche Verallgemeinerungen über Phänomene mentaler Verursachung zwar nicht genuine Gesetze im Sinne der Naturwissenschaft sind, daß sie aber durch Kants Aussagen über die empirische Psychologie und die durchgehende Kausalität in psychologischen Dingen gerechtfertigt seien. Im dritten Teil seines Aufsatzes schlägt Rauscher vor, die Analyse der Vernunft als einer natürlichen Ursache auch auf die im transzendentalen Sinne des Wortes freie Vernunft auszudehnen.
II. Theorien moralischer Motivation im Anschluß an Kant Die Beiträge des zweiten Teils unterbreiten unterschiedliche Vorschläge, wie in systematischer Absicht an Kants Konzeption moralischer Motivation angeknüpft werden kann. Heiner F. Klemme (»Praktische Gründe und moralische Motivation. Eine deontologische Perspektive«) verweist auf die ungebrochene Aktualität der Kantischen Theorie moralischer Motivation, um sich dieser dann in theoriegeschichtlicher, interpretatorischer und systematischer Absicht zuzuwenden. In theoriegeschichtlicher Absicht diskutiert er am Beispiel von Christian Wolff, den schottischen Moralphilosophen Francis Hutcheson und David Hume sowie von Christian August Crusius drei vor-kantische Theorietypen moralischer Gründe und Motive, vor deren Hintergrund die Pointe der Kantischen Konzeption moralischer Motivation sichtbar werde. Während Wolff und die schottischen Moralphilosophen eine monokausale Auffassung moralischer Handlungsmotive vertreten, wonach wir durch unsere besten oder kausal stärksten Motive in unserem Wollen bestimmt (determiniert) werden, teile Kant mit Crusius die Auffassung, daß wir Menschen die Freiheit haben, uns für oder gegen unsere moralischen Verpflichtungen zu entscheiden. Klemme erläutert diese These durch eine detaillierte Interpretation von Kants Konzeption des moralischen Sollens. Im Resultat unterscheidet Klemme zwischen der kognitiven, der emotiven, der autonomistischen und der existentiellen
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Dimension moralischer Motivation bei Kant. Diesen Dimensionen moralischer Motivation wendet er sich im abschließenden Teil seines Beitrags in systematischer Absicht zu. Klemme vertritt hier die Auffassung, daß moderne kantianische Theorien durch einen Dualismus von moralischen und nicht-moralischen Gründen gekennzeichnet seien. Der moralische Liberalist, wie er den modernen Kantianer nennt, sei ein normativer Externalist. Denn er vertrete die Ansicht, daß wir unsere nicht-moralischen Handlungsgründe aus der Perspektive unserer moralischen Gründe beurteilen könnten. Zudem sei der moralische Liberalist motivationaler Internalist, weil er von der Effektivität moralischer Gründe überzeugt sei. Diese Position besage jedoch nicht, so Klemme, daß die Erkenntnis eines moralischen Grundes mit einem entsprechenden Wollen identisch sei. Ganz im Gegenteil könnten wir moralische Gründe immer nur als moralische Gründe wahrnehmen, wenn wir auch in Gestalt des Gefühls der Achtung eine entsprechende nicht-kognitive Disposition für sie haben. Darüber hinaus hätten wir in praktischer Hinsicht die unvertretbare Freiheit, uns für oder gegen ein moralisches Handeln entscheiden zu können, ohne irrational zu sein. Schließlich fragten wir in existentieller Absicht, ob die Moral unter allen denkbaren Umständen subjektiv zugemutet werden könne. Am Ende seines Beitrags verweist Klemme auf die Fragen moralischer Motivation ergänzenden Sphären des Rechts und der Klugheit. Wolfgang Kuhlmann hat in seinen Publikationen zur Diskursethik immer wieder seine Nähe zu einigen Grundgedanken Kants betont. In seinem Aufsatz (»Motivation in der Diskursethik«) geht es ihm um den Nachweis, daß in der Diskursethik die Kantische Idee vom Zusammenfallen des moralischen Sollens mit dem, was wir qua Vernunftwesen immer schon wollen – anders als bei Kant selbst –, auf einsichtige Weise zur Geltung gebracht werden könne. Und insofern, so behauptet Kuhlmann, komme die transzendentalpragmatische Diskursethik mit dem Problem der Motivation auch gut zurecht. Ziel des Beitrags von Gertrud Nunner-Winkler (»Freiwillige Selbstbindung aus Einsicht – ein moderner Modus moralischer Motivation«) ist der empirische Nachweis eines sozio-historischen Wandels in der Struktur moralischer Motivation, der als Korrelat eines Wandels im Moralverständnis wie in Erziehungspraktiken deutbar sei. Anhand einer Längsschnittstudie versucht Nunner-Winkler zu belegen, daß sich das kindliche Moralverständnis in zwei Lernschritten entwickele: Universell und früh erwürben Kinder ein Wissen um die kategorische Sollgeltung einfacher Normen, denen sie gleichwohl nur eine prima facie Gültigkeit zuschrieben. Erst in einem zeitlich verzögerten zweiten Lernprozess bauten sie – unterschiedlich erfolgreich – moralische Motivation auf. Diese lasse sich als intrinsisches, formales »second order desire« charakterisieren, d. h. als Bereitschaft, das Rechte nicht im Blick auf die Mehrung des persönlichen Nutzens oder des Glückes Anderer zu tun, sondern weil es als das Rechte erkannt wurde. Diese ich-nahe Willensbindung an Moral sei eine moderne Motivstruktur, die – so die Ergebnisse eines Generationenvergleichs – vorauslaufend vorherrschende Modi moralischer Motivation, nämlich rigides Überich-Diktat und habitualisierte Konformitätsdispositionen, ersetze. Dieser
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Wandel in der Motivstruktur korrespondiere einer Umstellung im Begründungsmodus moralischer Normen, die nicht länger aus Vorgegebenem – aus Gottes Willen, aus dem Wesen der Natur – abgeleitet würden, sondern in universeller Zustimmungsfähigkeit gründeten. Damit werde das Kantische Prinzip autonomer Selbstgesetzgebung im Alltagsbewußtsein eingeholt und zugleich noch radikaler verinnerweltlicht: Unter dem Gesichtspunkt unparteilich beurteilter Schadensminimierung könnten Ausnahmen selbst von negativen Pflichten als rechtfertigbar gelten. Damit gewinne die ich-nahe, flexibel an das je konkret situierte Urteilsvermögen zurückgebundene Motivstruktur an Bedeutung. Deren Aufbau werde durch Erziehungspraktiken ermöglicht, die nicht auf die Unterordnung des Kindes unter Autoritäten, sondern auf die Entfaltung seiner Autonomie abzielen. Konstantin Pollok (»Kant und Habermas über das principium executionis moralischer Handlungen«) vertritt die Auffassung, daß innerhalb der Diskursethik, wie Habermas sie konzipiert habe, der motivationstheoretische Stellenwert von Handlungen aus Einsicht in die Gültigkeit einer Norm vergleichbar sei mit dem Stellenwert von Handlungen aus Achtung vor dem Sittengesetz innerhalb der Kantischen Moralphilosophie. Der Aufsatz dient dem Nachweis, daß Habermas’ Motivationstheorie sich damit zwar denselben Schwierigkeiten ausgesetzt sehe wie die Kantische, insbesondere was die inhaltliche Qualifizierung der Handlungseffektivität vernünftiger Einsicht betrifft; daß die Diskursethik aber durch eine Entkoppelung des principium executionis vom principium dijudicationis eine Lösung anbiete, die der Kantischen Position hinsichtlich der besagten Probleme der Motivationstheorie überlegen sei. Im ersten Abschnitt seines Beitrags exponiert Pollok Kants Konzept der Achtung vor dem Sittengesetz im Sinne einer Achtung von Personen gegenüber anderen Personen als Personen. Im zweiten Abschnitt skizziert er Habermas’ Konzept einer postkonventionellen Entwicklungsstufe moralischer Motivation und benennt diejenige Systemstelle innerhalb der Diskursethik, an deren Analogon Kant den Achtungsbegriff lokalisiert habe. Im letzten Abschnitt beantwortet er dann die Fragen, ob Habermas’ kritische Fortführung der Kantischen Moraltheorie ein Leistungsäquivalent für das Triebfeder-Kapitel der Kritik der praktischen Vernunft Kants aufweise und inwiefern Habermas’ Theorie mit derselben Hypothek belastet sei wie die Kantische. Es zeige sich, daß unter Beibehaltung wesentlich kantianischer Theorieelemente (z. B. Universalismus) die diskursethische Operationalisierung des Begriffs der Solidarität den Grund der Überlegenheit von Habermas’ Ansatz gegenüber der Kantischen Theorie moralischer Motivation ausmache.
III. Alternativen zu Kant In den sechs Beiträgen des dritten Teils werden Einwände gegen die Kantische Konzeption moralischer Motivation erhoben bzw. systematische Alternativen entwickelt. Uta Eichler (»Mitleid und Pflicht«) wendet sich gegen Kants Kritk der Sympathie und des Mitleids als Grundlagen der Ethik. Mitleid sei eines der wenigen
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Gefühle, das als genuin moralisch gelten dürfe. Es drücke nicht nur eine Reaktion auf fremdes Leid aus, sondern werde als Abwehrhaltung gegenüber dem Leid verstanden, die zur Solidarität mit dem Betroffenen führen könne. Eichler versteht Mitleid weder als ein altruistisches Gefühl noch als Tugend, sondern als Mitgefühl. Deshalb unterscheidet sie in Anknüpfung an die lebensphilosophische und phänomenologische Tradition des frühen 20. Jahrhunderts dieses Gefühl zunächst von der Sympathie und versucht zu zeigen, daß die Art und Weise der Bezogenheit auf den anderen im Mitleid eine Struktur aufweise, die nicht mit Hilfe des Identifikationsbegriffs zu erfassen sei. Am ehesten scheine Mitleid als reflektiertes Gefühl seine moralische Relevanz behaupten zu können. Durch die damit vorgenommene Reduzierung der Mitleidsbeziehung auf das Urteil über das Leid könne jedoch verdeckt werden, daß es nicht dieses Urteil, sondern das Leid selbst sei, das Mitleid auslöse. Daher untersucht Eichler unter Bezugnahme auf Rousseau neben der reflektierten auch die unmittelbare Mitleidsbeziehung. Als spontane Reaktion wehre das Mitleid die Distanz zum Leid des anderen ab. Mitleid als moralisches Gefühl beziehe sich nicht zuerst darauf, daß der andere einen Grund habe zu leiden, sondern daß er leide. Aus diesem Grund werde in der unmittelbaren Mitleidsbeziehung zunächst auch davon abgesehen, warum jemand leide. Mitleid verdanke sich weder einem Altruismus – der Bereitschaft mitleidig zu sein – noch dem Selbstinteresse, die eigene potentielle Verletzbarkeit abzuwehren. Wenn sich die Motivationskraft des Mitleids aus dem Wert erkläre, auf den Betroffener und Nichtbetroffener bezogen sind, träten sich die Individuen auch nicht zuerst als Träger von Rechten und Pflichten gegenüber. In seinem Aufsatz »Moralische Normativität und Motivation« geht Stefan Gosepath der Frage nach den ›Quellen‹ moralischer Normativität und Motivation nach. Dazu liefert er zunächst in einer formalen Phänomenologie der Moral eine Charakterisierung des Standpunkts der Moral. Um den Standpunkt der Moral näher verstehen zu können, müsse man den eigentümlichen Verpflichtungscharakter moralischer Rede verstehen, also was es überhaupt heiße, sich an moralischen Normen zu orientieren, wenn diese nicht dem unmittelbaren Wünschen entsprechen. Dazu müsse die handelnde Person einen praktischen Vernunftgrund haben, der sowohl ein Motiv als auch eine Verpflichtung zugleich abgebe. Im Durchgang durch verschiedene klassische Lösungsvorschläge und deren Kritik in der Debatte um Internalismus oder Externalismus in der Moraltheorie entwickelt Gosepath mehrere Forderungen, die eine angemessene Konzeption der moralischen Motivation und Normativität erfüllen können müsse. So müßten erstens moralische Motive notwendig mit den moralischen Überzeugungen der handelnden Personen verbunden sein. Wenn die Vernunft motivationale Kraft habe, Handlungen hervorzubringen, dann sei dies zweitens nur dadurch möglich, daß sie Wünsche hervorbringe oder sich auf gegebene Wünsche stütze. Was die Handlung und die entsprechende Handlungsmotivation eines Subjektes rational mache, sei drittens, daß die Person bestimmte Gründe als rechtfertigende Gründe für die Handlung in ihrer praktischen Deliberation (an)erkenne. Damit müßten viertens rechtfertigende Gründe kogniti-
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vistisch verstanden werden. Die entsprechende Motivation dürfe fünftens auch nicht in einer bloßen Disposition zum rechten Handeln bestehen. Die gesuchte Antwort müsse nach Gosepath folglich eine kognitivistische Auffassung sein, die das Selbstverständnis der im Alltag angetroffenen moralischen Begründungspraxis insofern bewahre, als sich in ihr Wertungen ausdrückten, denen wir sowohl ein Motiv als auch einen gewissen kognitiven Status zuschreiben könnten. Eine solche Auffassung vertrete die klassische Position der Orientierung am Guten. Danach ergeben sich rationale Pflicht und rationale Motivation in der praktischen Überlegung darüber, wie zu handeln für einen in der Situation das Beste ist mit Bezug auf das gegebene Gute, d.i. das Wohlergehen. John Hare (»On Recognizing our Duties as God’s Commands«) möchte zeigen, daß Kants Theorie der moralischen Motivation eine theistische Konnotation hat. Schließlich erkläre Kant die Position eines skeptischen Atheisten, der ein moralisches Leben aufrecht erhalten will, für rational ungleichgewichtig. Hare qualifiziert diese These. So räumt er zunächst ein, daß Kant nicht glaube, daß der Theismus eine notwendige Voraussetzung der moralischen Motivation sei, und verweist auf die doppelte Modalität, die sich in Kants Beschreibung des »reinen Rationalismus« finde. Hare behauptet, Kant sei ein reiner Rationalist in dem Sinne, daß er eine supernaturale göttliche Offenbarung annimmt, aber nicht glaube, daß diese ein notwendiger Bestandteil der Religion sei. Es möge sein, daß wir dieses Medium der Offenbarung in unserer gegenwärtigen Situation benötigen, aber es könne sich einmal in unserer weiteren Entwicklung zur Heiligkeit als überflüssig erweisen. Die zweite Einschränkung der These Hares besteht darin, daß der Theismus nicht einmal in der gegenwärtigen Situation für ein moralisch gutes Leben notwendig sei. Kants entscheidendes Beispiel in der Kritik der Urteilskraft sei Spinoza, der nach Kants Einschätzung zwar ein Atheist gewesen sei, der aber allem Anschein nach dennoch als tugendhaft bezeichnet werden müsse. Kants Kritik war, daß eine derartige Person rational unstabil sei: Spinoza müsse entweder die reale Möglichkeit des höchsten Guts aufgeben oder die Existenz Gottes annehmen. Am Ende seines Beitrags verteidigt Hare kurz die Behauptung, daß wir an die reale Möglichkeit des höchsten Guts und der Revolution des Willens glauben müssen und verteidigt die Verbindung dieser Glaubensinhalte mit dem Theismus. Paul Russell (»Practical Reason and Motivational Scepticism«) beschäftigt sich mit Christine Korsgaards einflußreichem und kontrovers diskutiertem Aufsatz »Skepticism about Practical Reason«, in dem sie einen wichtigen Aspekt des Humeschen Skeptizismus zu kritisieren versuche, der seinerseits einem Kantischen Verständnis von praktischer Vernunft zu widersprechen scheine. Korsgaard unterscheide zwischen Skeptizimus hinsichtlich des Inhalts von praktischer Vernunft und hinsichtlich der Motivation durch praktische Vernunft, und sie behaupte, daß Skeptizismus bezüglich der motivationalen Kraft der praktischen Vernunft immer auf Skeptizismus bezüglich der Inhalte der praktischen Vernunft beruhen müsse. Russell versucht zu zeigen, daß Korsgaards Versuch, den motivationalen Skeptizismus zu diskreditieren, nicht gelingt.
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Dieter Schönecker (»Warum moralisch sein? Eine Landkarte für Moralische Realisten«) vertritt in seinem Beitrag einen Moralischen Realismus, den er emotiven Intrinsikalismus nennt. Die Grundthese lautet: Werte und Güter existieren unabhängig von der Erkenntnis und Anerkenntnis durch Menschen; sie können aber vom Menschen durch Akte emotionaler Werterkenntnis erkannt werden, die zugleich motivieren können. Nur ein solcher ethischer Intrinsikalismus – das Gute existiert an sich – sei in der Lage, eine Antwort auf die Moralische Frage zu geben (also auf die Frage, ›Warum moralisch sein?‹). Der interesseorientierte Extrinsikalismus – was gut ist, ist nur gut für jemanden, nicht gut an sich – laufe bestenfalls auf eine Mafia-Moral hinaus. Schönecker behauptet nicht, daß sich der emotive Intrinsikalismus beweisen ließe. Das liege auch daran, daß innerhalb deduktiver Argumente jedes ›Beweisen‹ an einen nicht weiter begründbaren Anfang kommen müsse (in der Ethik sei dieser Anfang die Erkenntnis von etwas als ›gut‹). Allerdings könne man alle ontologischen, erkenntnistheoretischen und moralpsychologischen Argumente gegen den Moralischen Realismus zurückweisen, und da die Beweislast beim Anti-Realismus liege, könne und müsse auch nicht mehr gezeigt werden. In seinem Beitrag »Moral, künstliche Gründe und moralische Motivation« geht Peter Stemmer davon aus, daß eine Moral auf motivierende Gründe, und zwar auf motivierende Gründe für möglichst alle Menschen angewiesen ist. Die Gründe zur Moral könnten deshalb nicht auf Gefühle, altruistische Einstellungen, Selbstbilder oder Glücksvorstellungen bezogen sein, die nur einige, aber nicht alle Menschen hätten. Sie müßten sich vielmehr auf basale Interessen stützen, die man allen unterstellen könne. Stemmer unterscheidet zwischen Moralkonzeptionen, die annehmen, daß so, wie die Welt ist, moralisches Handeln und Interessen auf einer Linie lägen und daß es deshalb nur nötig sei, dies zu erkennen, und Moralkonzeptionen, die annehmen, daß Moral und Interessen keineswegs immer in eine Richtung wiesen und daß man deshalb künstliche Gründe schaffen müsse, um die Moral durchgängig in die Einflußzone der Interessen zu manövrieren. Eine Gesellschaft könne solche künstlichen Gründe schaffen, indem sie bestimmte Handlungen mit negativen Sanktionen belege und so informelle soziale Normen schaffe. Eine Moral sei in dieser Sicht ein Geflecht sozialer Normen, sie sei ein soziales Arrangement, eine soziale Institution, die Handlungsgründe generiere. Wie beeinflussen solche informellen sozialen Normen das Verhalten der Menschen? Hier sei es wichtig, zwischen normunabhängigen und normabhängigen normgemäßen Handlungen zu unterscheiden. Normunabhängige normgemäße Handlungen seien solche, mit denen jemand etwa aus Mitleid oder aus prudentiellen Kalkulationen normgemäß handele. Er tue, was moralisch geboten sei, handele aber auch so, wenn es die Institution der Moral gar nicht gäbe. Es gebe eine Vielfalt normabhängigen normgemäßen Handelns. Wir zögen hier natürlich die Haltungen zur Norm vor, die zu verläßlichem moralischen Handeln führten. Wo dies nicht der Fall sei, versuchen wir, so Stemmer, auf dem Wege einer sekundären Sanktionierung nicht nur die Handlungen, sondern auch die Haltung zur Norm zu verändern. Wichtig sei es, zwischen einem konformistischen und kritischen Verhältnis zur moralischen Norm zu unter-
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scheiden. Wer konformistisch den moralischen Normen folge, tue dies auch, wenn die Normen selbst ungerecht und unmoralisch seien. Abschließend weist Stemmer darauf hin, daß wir Menschen, die aus Menschenliebe und altruistischer Gesinnung das Gute tun, höher schätzten als die, die es normabhängig tun. Ihre Haltung entspreche einem weithin geteilten Ideal einer besseren Welt, in der nicht das harte Müssen der Moral, sondern die Liebe zu den Menschen das Handeln anderen gegenüber bestimme. Der Band geht auf eine von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Tagung an der Philipps-Universität Marburg zurück. Wir möchten uns bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Philipps-Universität für die Unterstützung und bei allen Teilnehmern für die interessanten Diskussionen bedanken. Wuppertal, Boston und Siegen im Mai 2006 Heiner F. Klemme Manfred Kühn Dieter Schönecker
Kants Theorie moralischer Motivation
Kant and Motivational Externalism Karl Ameriks
The problem of moral motivation, roughly the question of why we should be expected to follow the voice of »pure reason« rather than our own »given nature,« remains central for those who resist the general approach of Kant’s practical philosophy. Often, however, this problem is oversimplified in Anglophone philosophy, and it is approached in isolation from the full structure of Kant’s system.1 Despite the renaissance of Kantian ethics, it appears likely that most analytic philosophers still reject the Kantian perspective in favor of positions such as utilitarianism, expressivism, virtue theory (Aristotelian or Humean), or »anti-theory« particularist views. They follow the disparaging attitude that leading ethicists such as Foot, Williams, Mackie, McDowell, and Blackburn have expressed toward all systems of a Kantian type. Hence, if a Kantian still wishes to reach a truly cosmopolitan audience, it makes sense to step back beyond the perspective of Kant scholarship alone, and to reflect on the basic features that contemporary philosophers would insist that any acceptable moral theory treat with sensitivity. Once these features are clarified in relatively neutral language (Part I), one can begin to situate Kant’s position more effectively in relation to common criticisms (Part II), and to construct a defense of his account of motivation by recalling some key but relatively neglected aspects of his texts (Part III).
I. Non-Kantian Prolegomena: »The Moral Problem« At the very least, any moral theory should provide an account of the (1) content, (2) motivation, (3) possibility, and (4) authority of its principles. It should explain what is supposed to be done, and how human beings, given their basic psychology, can actually be expected to do it; as well as whether the very notion of such moral action is even possible, metaphysically, and why it should be given special (perhaps always overriding) importance. Kant’s theory of morality as autonomy promises an answer to all these questions at once: (1) the lawful content of autonomy tells us what, most basically, is to be done, and (2) its being rooted in our own rational For helpful overviews of recent Kantian discussions of related topics, see Frierson (2003) and Jacobs/Kain (2003). I am also especially indebted to recent conversations with R. Audi, J. Baldwin, M. Baron, L. Joy, J. Stuchlik, and D. Sturma. 1
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»self,« in autonomy, is supposed to make it readily understandable how we can be willing to do this; while (3) the metaphysics of transcendental idealism, which undergirds the Critical philosophy’s general position and notion of autonomy, is designed to allay fundamental worries about the impossibility of morality, and (4) its doctrine that autonomy is central to the very idea of responsible action supposedly shows that no agent can properly go against it. This is a formidable package of claims, but it should be understood from the start that it is presented with numerous qualifications not made explicit in this extremely brief summary. Kant emphasizes that his system is aimed at finite rational agents as such, and so (for all we know at this point) it need not apply to beings not meeting these conditions. Hence, however ambitious Kantian morality may seem, it is important to keep in mind that, given these limitations alone, the theory cannot be understood as aimed toward demolishing all forms of skepticism. If some persons opt out of rationality altogether, the claims of a system of moral obligations built precisely on considerations of rationality can hardly be expected to force them to comply. Contemporary philosophers tend not to want to stop at this point. Even within the camp of those who aim to be close to Kant, there are many who want to make his moral principles virtually inescapable. One strategy along this line would be to argue that the Kantian position is not restricted from the start by a bias toward reason or rationalism but has deeper and more »existential« roots, such as the very idea of having a »practical identity« at all, and these roots are what lead to, rather than presuppose, the rationalist Kantian perspective.2 A somewhat different but in the end similar strategy would be to start from a point that is already clearly within the »standpoint of rationality« but to argue that this is an extraordinarily broad standpoint, one that does not already presuppose any controversial material commitments but can justify morality merely by reflecting on conditions of consistency that any »normal« agent would have to acknowledge.3 For systematic and exegetical reasons, I believe Kant’s moral theory is not best defended by these kinds of ambitious strategies.4 By the time of the Critique of Practical Reason at the latest, it seems to me that Kant clearly recognized a point that is common ground in most contemporary discussions of morality, namely that there are clear senses in which an agent could be recognizably rational (if not »reasonable«) – for example, as someone who carries out all sorts of proper theoretical and social judgments – without thereby having to accept the special claim of a »fact of reason« that dictates a commitment to morality in a Kantian sense involving »pure« and categorical principles. On this interpretation, neither »mere« practical rationality, nor some basic sense of being a person or subject at all, is enough by itself to force one to admit to being bound by Kantian moral principles. 2 3 4
See e. g., Korsgaard (1996a), and (1996b). See e. g., O’Neill (1975 and 1989). See Ameriks (2003, Part II).
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These concessions might seem to make matters all the worse for a defense of Kant’s account of moral motivation. The classical objection to the account is that since, at the very least, we are beings not of mere thought, but of sensibility and thought, and since motivation is precisely a matter of moving toward, and not merely thinking about, a state of affairs, it follows that the burden is on rationalist theories such as Kant’s to show that sensible agents like us can and should be expected to move to act not merely from desires but on the basis of »pure practical reason.« Moreover, the anti-Kantian notion of ethical action without submission to reason appears to be much more than a mere philosophical possibility. As Humeans repeatedly argue, there are all sorts of ways in which agents led by desire rather than reason can still behave admirably and agree with most of what people in general think needs to be to said about the (at least) »quasi-real« features of morality.5 Since, for them, being moral is basically a matter of responding to well-developed customs rooted in the desires of human nature, the motivation question, i. e., the explanation of the »how« of our »being good,« appears not very difficult in principle. In addition, it seems that they can easily offer an account of the what, whether, and why of moral life by reminding us of how desires generated under standard social conditions can naturally lead to agreement on central values such as benevolence. Of course, if our desires were deeply chaotic and did not give any appearance of developing even roughly in the fortunate patterns that Humeans discuss, then their account could also be objected to from the very start – but in fact their account does not appear implausible at the outset, even if one might dispute many of its particulars. Hence it can seem that Humeans have a ready answer to what Michael Smith has called »the moral problem,« i. e., the difficulty of providing an account of morality that explains at once both its »objectivity« and its »practicality.«6 For Humeans, the driving power of desires can directly show how morality is necessarily practical, and contingent but easily understandable facts about our need to express common desires in a social form can account for the putative objectivity of its content. Furthermore, Humeans can do all this without adding unnatural and controversial features to our list of the »furniture of the world.« Physical objects and sensations (whatever they are) seem to be all that is needed, without any mysterious positing of Platonic entities or »pure« Kantian values. A standard way (one that is also used by Smith) of picturing this dispute between Humeans and Kantians is to characterize it as an argument about whether desire or belief has primacy. (I will follow the shorthand custom of using »belief« and »thought« interchangeably in this context; what matters here is the content of belief and not the specific attitude of believing.) For Humeans, human beings have moral beliefs that are roughly convergent, and thus can preserve the appearance of objectivity, because they are the product, rather than the ultimate source, of basic 5 6
See Blackburn (1992, 1998, and 2001). See Smith (1994, Ch. 1).
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human desires. In this sense reason is and should be »the slave of passion.« From this Humean perspective, Kantians are pictured as strangely insisting that moral beliefs are free-standing insights into a set of purely rational truths that somehow, mysteriously, must be able to have a dominating practical effect on all agents.7 Here passion is to be the servant of reason, and desire is to mold itself to belief, rather than vice-versa – but how this can happen, and why we should think that it must happen, can seem (to Humeans) wholly unclear.
II. The Kantian Situation The first step in understanding the Kantian response to this challenge is to point out that the philosophy of action in general requires a much more complex approach than the simple contrast between belief and desire commonly found in Anglophone ethics. This contrast is, to be sure, not entirely without a basis. Kant himself treats theoretical philosophy under the heading of the faculty of cognition, and thus of proper belief, and practical philosophy under the heading of a term that is normally translated as the faculty of desire (Begehrungsvermögen). But this way of expressing the relation of the theoretical and practical can be misleading in a number of respects. Although it is true that the terms »desire« and »begehren« are commonly connected, and although in English »belief« (or »reason« or »cognition«) is commonly contrasted with »desire« (or »passion«), these facts hide what are – for practically any philosophy – crucial asymmetries between the key terms, and crucial complexities in the phenomena that fall under the heading of what so far has been called simply »desire.« The first relevant complexity to note is that the notion of »desire« – insofar as here it designates simply all that contrasts with »mere belief« – can involve a number of very different components, most notably: feeling, volition, and normativity. In Anglophone philosophical contexts, the term »desire« (or »pro attitude«) is often used simply as the most general conative term, just as »thought« or »belief« is used as the most general cognitive term. In this sense, a desire is simply a state that does not have the neutrality of a mere thought but stands for an attitudinal component, something which is most naturally – but not always (see below) – understood as a stance for or against a thought. This implies, first, that each desire – in this sense – is parasitic on a thought; one cannot intelligibly desire X (in this sense) without some thought of what X is, whereas the reverse claim is not necessarily true. Secondly, this immediately implies that each desire, in this sense, is something else than a mere thought, in this case a »thought plus.« 8
See Mackie (1977, 40). Smith (1994, 107). Because I believe that desire in the sense of mere »feeling« can be less than this kind of »stance,« I do not take the notion of desire as a »stance« toward a 7 8
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Different theorists tend to focus on different forms of this »something else« without always considering together all the possible complications concerning them. The three factors just listed concerning desire – willing, feeling, and evaluating – are distinct, and each of them brings further complexities along with it. In the context of Kant’s Critique of Practical Reason, to say that one is desiring a state of affairs, in the sense of engaging the Begehrungsvermögen, is to say much more than that one is simply thinking of it or believing it is there. Typically, it is to say even more than that one merely »has« some »stance« or other toward the state, for it implies that one is in some way going so far as to will that state. In other words, for Kant the main relevant factor concerning the »something else« that contrasts with mere thought (belief) essentially involves a distinct faculty of volition. For philosophers in the empiricist tradition, however, a situation warranting the introduction of a term such as desire can arise already when there is mere feeling or passion (»appetite«). For them, desire, in one sense, can exist and already contrast with belief as soon as there is a state immediately expressing a way of being positive or negative toward something, in some qualitative degree or other. Here the desire itself is understood as a kind of intense sensation, a sensation that, in addition to having some phenomenal qualitative content, happens to have a certain »direction,« and hence operates literally as a motive generating the next state, rather than merely as an idea recording the impression of the previous state. In this context, the »something else« that contrasts with thought turns out to be something less than a thought in the contemporary philosophical sense (i. e., less than something with the syntactic and semantic complexity of the content of a human belief), rather than a »thought plus.« Volition as such is not especially significant here because, on the classical empiricist model, a volition turns out to be nothing but the last desire preceding action. For this reason there is still a tendency in English to assimilate desire to feeling rather than to volition, as an independent faculty – although the notion of such a faculty is precisely what Kant (in line with most philosophy in the broadly Augustinian tradition) presumes as the starting point for practical philosophy in devoting his second Critique to our Begehrungsvermögen. In sum, in a Kantian context, the most basic contrast between the theoretical and the practical, and the essence of the problem of motivation, concerns the relation of thought to volition as such rather than to mere desire-qua-feeling, in the English sense. For this reason feeling as such is not the prime concern of the Critique of Practical Reason. It is reserved instead as a major topic for the Critique of the Power of Judgment,9 although it also happens to be an indispensable substratum for the thought to be literally a »common denominator« of all the components listed at the beginning of this paragraph, and I am not sure that there is any positive common feature of them. 9 Kant’s third Critique gives special attention to the specific feeling of purposiveness; and in its architectonic it shifts, sometimes confusingly, between competing suggestions that our three basic faculties are thinking, willing, and feeling, and that they are understanding, reasoning, and – as if this were something else – judging.
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phenomena of the first two Critiques, thinking and willing in general. For each ordinary thought or belief, there will be some sort of sensory material, something involving feeling, that is an original stimulus for the content of the thinking, even if our thinking may in all sorts of ways also go beyond its initial stimuli. Likewise, since our willing appears to occur not on its own but as thinking plus something else, each volition will typically involve something of the sensory component of the underlying thinking as well as a sensory component that comes with the willing as such. If I want to pet a cat, there is some sensory feeling involved with the mere content of the representation of the notion of a cat, and also some feeling involved in my wanting to approach the cat. These are relatively elementary complications but they have a highly relevant implication. They remind us that something like a »problem of motivation,« i. e., a kind of gap between thought and desire, can occur already at this level, before anything like morality, let alone Kantian morality in particular, enters the scene. For example, one can wonder why a mere thought of a cat has the specific sensory feeling that it may have for one (since the two seem to be only contingently related), and also why, when one does will something with respect to the cat, this experience comes with whatever feeling it has. One could imagine totally neutral, unfeeling cognitions and willings of states of affairs, and yet our actual life does not seem to be like that at all, and the specific additional features that our experience takes on do not have a clear necessary relation to the specific events that they accompany. Noting the distinction between feeling and willing also serves as a reminder of how very different Kant’s own general theory of action must be from its caricatures. For Kant, our will never operates with anything like the brute force of mere feeling. And yet, on one popular view, the moral Kantian is precisely someone who simply overpowers the forces of feeling within him by relying on the competing force of his reason.10 A hasty reading of Kant’s own discussion of how a good will is »determined« by reason rather than sensibility may have helped to reinforce this unfortunate picture of competing inner vectors. »Determination« is an ambiguous term, with efficient and formal meanings. To speak of something being »determined« can suggest that there is simply some kind of efficient, and perhaps inevitable, causation at work. In this context, however, Kant clearly is thinking originally of determination in the formal sense of rationality, as when we say that a geometrical formula determines how a mathematical problem is to be solved (this is compatible, of course, with causal factors also being at work in one’s actual solution of the problem). This element of deliberative rationality involves the crucial third component in what can make our practical life something other than a mere thought: in addition to simply willing and/or having a feeling about something, we can be in a state that involves an evaluation of something as appropriate (as when we draw This line began in Jena with C. C. Schmid; it is treated sympathetically (as an interpretation) by e. g., Wolff (1973), and Henson (1979). 10
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a triangle »in line« with geometrical norms), i. e., seeing it as it »is to be,«11 or »ought« to be. It is remarkable that the »something« that is »more« than »mere belief« in this new (normative) sense, and that for this reason in English can also be called a desire, in the sense of a »pro-attitude,« can most naturally be characterized as something that is itself also a kind of belief. Whereas some beliefs reflect only the theoretical way that we think that matters actually are (and, if they are necessary truths, have to be), other beliefs can reflect our practical view of how matters should be.12 Such beliefs need not be about something that does not exist and has yet to be brought into existence. We might see a landscape or action and think, »yes, this is something that ought to be« – and then also, »ah yes, thank goodness, it does exist.« Here there is a normative attitude that goes beyond merely registering the fact of the state of affairs – and, as soon as it also involves appreciative feeling, it also goes beyond even (merely) believing that something ought to be. We thus can go beyond »mere thought« to evaluation, and then evaluative belief itself can easily, but not inevitably, lead to feeling, and eventually to willing as well. These complications are relevant to a major controversy in contemporary Anglophone ethics, namely one form of the dispute between »internalism« and »externalism.«13 If we were to combine our perception of all that is, and all that we think ought to be, with a cognition of what is not, and then were to add to this an overriding »motivational internalist« premise that believing that something ought to be (and can be) is tantamount to (i. e., has »internal« to it) being committed to trying to bring it into being, then our beliefs about what ought to be would automatically bring with them desires and actions directed toward actualizing what we think is not but can be and ought to be. Were it not for the controversial nature of this »overriding internalist premise,« it could seem that we have already solved »the motivation problem.« That is, if it is the case that, as just explained, beliefs that X ought to be must bring with them, ceteris peribus, motivations toward bringing X into being, then »the gap« between belief and desire would seem to be closed. Unfortunately, the key premise here turns out to be a very controversial one, and so the gap cannot be closed so quickly. For those who believe that Kant must be a motivational internalist in this sense, there remains the difficult task of substantiating the key premise against the view of contemporary philosophers who remain »externalists« on this issue. There is a way around this difficulty, however, if it can
Cf. Smith (1994, 9): »a desire representing the way the world is to be.« See Kant, KrV, A 633 / B 661, and KpV, 134. 13 See e. g., Brink (1989, 37 f.); Darwall (1983, 52); Adams (1999, 25-28); Svavarsdóttir (1999); and Audi (1997, 13–15, 18-19, 166, 199–201, and 224–237). My own terminology and general position is closest to Audi (except that I attribute to Kant the view that Audi suggests Kant should have had but did not have), who helpfully distinguishes very different forms of ethical internalism with respect to justification, reasons, and motives. Motive internalism is my only concern here. 11
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be shown that a Kantian need not, after all, be committed to this kind of internalist premise. Such a strategy obviously leads to the question of how one can proceed without such a premise while also not falling back into anything like a Humean position. I will argue that Kant’s own texts provide us with a very plausible (»noninternalist«) option here, one that is not clearly worse than the alternatives. The argument will involve repeated reminders of the fact that, as earlier considerations have already indicated, there remain problems similar to Kant’s in understanding other aspects of action, problems that generally have not been considered to be especially disturbing, and so the Kantian »motivation gap« also need not be taken to be such a severe problem. Of course even if this strategy – or even some kind of internalist Kantianism – were completely accepted, there still would remain the question of how we get in the first place to beliefs that certain states ought to be. This is surely a difficult question, indeed a fundamental question for philosophers, but it is not something that is properly characterized as »the problem of motivation« – and so it is important not to project (as Humeans are tempted to do) the genuine, but not uniquely Kantian, difficulties of this question onto that problem. In general, there appears to be no getting around admitting a number of »mysterious« but distinct gaps inherent in the complexity of action. The mere belief that some state of affairs exists does not appear necessarily connected with any specific feeling about that state of affairs – although »matching« feelings are regularly found with such states. The mere belief also does not appear necessarily connected with the specific normative belief that the state ought to be (although there regularly are such accompanying beliefs), nor does it appear necessarily connected with a volition to preserve that state and to do something that brings others like it into being (although there regularly are such accompanying volitions and actions). One might have a very positive feeling about a particular state of affairs and still be too listless even to try to do much about preserving it, or about bringing it into being if it does not already exist. Similarly, one might have a very positive mere feeling about a particular state, and yet not think that this is a state that even ought to be. And, without commitment to the controversial internalist premise mentioned earlier, it appears that, even if one truly believes that a state ought to be (and that one could easily bring into being, or at least make a good effort in that direction), a normal person might understandably not actually try to bring it into being.14 Some philosophers propose calling such a person »practically irrational«15 – as if acting in this way could not involve following a reason at all, but this strikes me as a desperate stipulative move, not fitting the way ordinary people use terms such as »irrational.« Agents who are not, in some special sense, ideally rational, need not be literally irrational, even if they obviously are not-in-that-particular-way-rational. For example, one might just go back to sleep, with understandable reasons, even if one also believes that one ought to get up and grade some ethics papers. See Hare (2001, 55). 15 See Smith (94, 61 ff.). 14
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Not only are there gaps between the individual aspects of belief and desire distinguished so far; there are also gaps between their combinations. Feeling positive about X while also thinking that X ought to be, still does not necessitate forming a volition to bring about X. It is noteworthy, moreover, that all these problems are present even where there is an »ought« that is not characterized in any especially rigorous Kantian moral terms but simply in a commonsense way that agents themselves can acknowledge. For example, we can understand someone saying, »I do not ›feel like‹ gambling again (the mere thought makes me feel very bad), and I know that I ought not to do it, but I have a will to try it again – see!« The preceding considerations are some distance still from Kant’s texts and the details of common objections that there is a serious motivation problem for his moral theory in particular. By now, however, at least the general issue at stake and the strategy of my indirect argument on his behalf should be evident. It is easy to be mystified if one simply asks, at first wholly abstractly, how an agent must be expected to will in a specific moral manner when, on Kant’s own concession, such willing is precisely not necessitated by any (Humean) desires internal to the agent’s prior »motivation« set.16 It thus might seem that all is lost for the intelligibility of such moral action, since mere moral belief, ungrounded in desire, seems far from ineluctably leading to action. Nonetheless, I believe that Kant’s theory is not undermined here but, on the contrary, it can be shown that it has an especially sophisticated way of dealing with the relevant complexities. As has already been noted, there are many sorts of combinations of belief, feeling, and volition that can seem naturally appropriate for one another without there being any clear necessary connections between them. It could happen that what I actually will is always something that I have a definite feeling for, and/or something that I clearly believe ought to be – but it can also happen that I have a positive feeling about X, and/or believe that X ought to be, and yet not will X. This point is simply a corollary of the idea that the faculty of volition is not reducible to the faculty of feeling and/or that of rational belief. Perhaps the main reason why this kind of situation is taken by some philosophers to be such a problem for Kantians is because of the fact that no such gaps would arise on the simplest empiricist account. On that account, standard human feelings for X clearly do lead necessarily to beliefs that X’s are to be gotten, and then to volitions for getting X, which lead in turn to general (and widely shared reflective) beliefs that things like X are good, i. e., desirable. In this way »moral« practicality and a kind of objectivity are quickly secured in tandem. While on this account there may be no troublesome gaps of the kind that arise in other theories such as Kant’s, there are problems with this kind of empiricist account that are even more perplexing. First of all, no simple version of an account like this can begin to explain what beliefs themselves are, and hence how they are 16
See Williams (81, 101–113).
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at all intelligibly connected with feelings. Having mere sensory feelings with regard to an object does not amount to having a belief about the object, a thought that can be true or false, let alone require a belief that must be a direct affirmation of the feeling.17 A masochistically inclined person feels a pain, and a sadistically inclined person has the same feeling, and one believes it is good and the other does not. Or, someone else might have the very same feeling and have no belief about its value at all – perhaps because of being too immature or primitive to operate at a level of beliefs and language and genuine evaluation at all. Whatever beliefs are, they have a semantic and epistemic complexity that takes them far beyond states of mere feeling or »dull impressions.« The empiricist account, insofar as it is to have the advantage of providing a line of clear necessary connections, must hold to the remarkable claim that adult human beliefs are mere reflexes, as if the mere feeling of pain, which has no semantic complexity in itself, somehow (but how?) necessitates the formation of the complex thought »pain is bad.« In an era of philosophy that has long been critical of any »myth of the given« with regard to the most elementary sensory levels of theoretical epistemology in general, it is hard to see why anything like this myth should be held onto within the complex domain of practical philosophy. What the crude empiricist account lacks is any sense that even a belief is not a mere factual state (that simply exists or does not exist, without a semantic value) but must involve some kind of intention, a thought affirming what is correct, justified, likely to be true, in accord with norms, etc. If the gap between feeling and thought is this large even at the theoretical level, it should be no wonder that gaps can also arise at the much more complex level of practical life. As noted earlier, opponents of the Kantian model try to project an inverted version of their own elementary necessitarian »psychophysics« onto his theory of action. It is supposed that if one does not hold, with the empiricist, that feelings automatically cause beliefs and volitions, then one must hold that mere beliefs about morality force actions in a moral direction and must do so mysteriously, since here they are not simply determined by ordinary human feelings. Kant’s actual theory, however, is expressed at a level of rational considerations and free intentions that has nothing to do with a reduction of human belief or action to this kind of model of a complex of forces.18 The most relevant features of his theory here do not depend on any of the more controversial aspects of his specific moral principles. The core idea is simply that, however we are ultimately to understand morality, it comes to us primarily in the form of certain recommended principles, principles that we can and do deliberate about (which is not to say that a proper moral life must involve spending a lot of time in deliberation; the opposite could be true). While recognizing that it comes to the moral situation with many feelings about particular objects, and, at a very different level, many practical beliefs about the objects that
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Cf. Gibbard (1990). This point is explained very clearly in Baron (1995, 189–192).
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can generate further feelings (e. g., that pleasure will arise if one wills to obtain these objects), the moral agent can understand that it can step back from both its feelings and these beliefs and ask what it is that, everything considered, it ought to do – and that even then it still has the task of determining itself in that direction, i. e., actually willing and doing the right thing. Given this understanding of action in general, not very much depends at this point on Kant’s specific view of categorical imperatives, i. e., that we must follow principles that are not aimed merely at the prudent attainment of happiness. Even if Kant had come to the view that it is the principle of prudence rather than the principle of duty that should guide human action, it should be clear that a kind of »motivation problem« could also have been raised for this view.19 That is, even with the recognition of the truth of a principle of prudence, one has a »mere belief.« Since the belief that the policy of prudence should be followed is itself still a belief and not a motivating desire, one can ask, how do we explain getting over the gap from this belief to a desire that generates action? Even if he were to think that the principle of prudence is correct, i. e., our highest intelligible practical principle, the prudential »Kantian« whom I am imagining will not suppose that this is a principle whose truth is literally forced upon him, or even that, given a perception of its truth, he is forced to move to act in line with it (or to be condemned as simply »irrational« if he does not, as if from then on nothing he did could be backed with the motives of a rational being). The fact that the principle in its content involves states of feeling should not lead us into the elementary fallacy of thinking that following the principle is simply a matter of »following,« i. e. being forced to go along with, our feelings. What I take this to show, of course, is not that Kant must have a special problem with prudence as well as morality, but that some kind of gap concerning the relation of belief and motivation is always likely for serious policy issues. Despite all this, one might argue that willing to act on a principle of prudence would be at least »highly intelligible« because the states that one would be thinking that one would obtain thereby would be at least necessarily in line with states that one already likes, whereas a choice to act on duty would precisely not have this feature. So a special motivation problem for Kantians might seem to arise after all: how can agents be expected to act in a non-prudential and moral way that might not even correspond with anything in their »prior motivation set?« An appropriate Kantian response to this problem is to point out that the process that ends with deciding that one should act for duty is something that could of itself – and »right then« – generate a motive, and so, by the time that the policy of duty is followed, there would be something within one’s motivation set after all that it is »in line with.« 20 If one insists on calling any motive a desire (i. e., if the term
Cf. Nagel (1970). See Nagel (1970, 29); cf. Scanlon (1998, especially 363–373: »Williams on Internal and External Reasons«). 19
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»desire« just signifies the state that one is in immediately prior to action), then one could say in a harmless way that even Kant can allow that all our actions are desirebased; it is just that moral actions are grounded in a desire (to respect duty) that is consequent upon a decision to respect categorical rationality rather than in states that are merely like one’s antecedent (i. e., mere sensory and prior to the acceptance of rational duty) desires. One way to appreciate this point is to consider a person D who has made a moral decision of a Kantian sort and accepted the priority of the principle of duty, and as a consequence now has a genuine desire to act morally, a motivation for duty that is acted on with appropriate volitions. Compare this with a person P, who proceeds similarly except for happening to be convinced by and following the priority of a principle of prudence. Suppose that P and D had exactly similar lives prior to their decisions. As noted earlier, P could say, »my insight into prudence didn’t force me to do what I am doing now, but look, each state I obtain is in line with and just like the states I enjoyed earlier, so surely my action now is quite intelligible.« It is true that D could not say exactly this, but D could say something analogous, namely, »each state that I now reach is precisely in line with the belief I came to that I ought to respect duty – so surely my action now is quite intelligible.« The main point here is that it is not clear, after all, why a belief that the policy of prudence is right would make the motivation of consequent action on it any more intelligible than would the motivation of the consequent action of a person who had reached a belief that it is right to follow duty. In other words, each of these actions is in its own way intelligible, even if not necessary. What might seem mysterious (especially to an empiricist), of course, is exactly why someone would ever come to believe that duty trumps prudence as a norm – but note again that this is a question concerning the proper content of morality, and it should not be expressed as a form of »the motivation problem.« It is a question about what to believe, not about a gap between belief and desire as such. The strategy that has just been used to defend the Kantian position might seem to be like the so-called »Kantian internalist« argument form that was noted earlier – but in fact it is not the same, and that argument form is not one that I mean to endorse. According to that argument form, »if someone judges that it is right that she does X, then, ceteris peribus, she is motivated to X« (Smith, 1994, 12). I believe this strategy is too ambitious, that it overshoots its mark systematically and exegetically, and that there is a more modest alternative available. It is well known that there are many sorts of systematic objection to the internalist approach. One can imagine, for example, an »amoralist« 21 who regularly grants that certain things are right to do but does not even begin to move toward actually doing them. What is not so well known is that Kant’s texts show that he was very sensitive to these points. He took great pains to construct an account of motivation that does not fall prey to ignoring the difficulties here and yet manages to preserve a close connection 21
See Brink (1989, 45–50); cf. above, n. 14.
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between judgment and motivation, i. e., a relation between belief and desire that involves an intelligible relationship but also a realistic gap.
III. Kant’s Solution Kant’s sensitivity to the motivation problem is evident not merely from the intricacies of his second Critique but also from the clear long-term concern that he had for what he called the problem of the »philosopher’s stone,« the mysterious fact that an agent’s mere intellectual insight into the right thing to will seems in fact not sufficient to make the agent will it.22 There is a very fortunate aspect of this fact for Kant’s system since it serves his libertarian conception of action in general. If intellectual insight into moral truths did compel action in accord with these truths, then a commitment to morality would bring along with it a commitment to intellectual determinism. Although distinguished interpreters have sometimes suggested that this was Kant’s own view for at least a period of his Critical work,23 this seems very hard to believe, to say the least. Kant emphasizes that the transcendental idealism of his first Critique was aimed precisely at making room for our absolute freedom, especially as moral agents, and so it would be schizophrenic for him then to propose an account of morality, action, and motivation that directly foreclosed the possibility of our freedom of choice.24 As is often true with Kant, there are, of course, several sources of possible misunderstanding. Kant’s claim that proper action must be in line with moral lawfulness, his insistence that our action in general takes patterns that fall under universal laws of nature, and his constant practice of speaking of moral rules as compulsory can all make it seem as if moral agents simply must do what they do. In fact, however, Kant shows clearly that his understanding of the role of laws and compulsion here has nothing to do with threatening our absolute freedom of choice. Moral laws tell us what must be done – but only if we are moral beings, and the praise and blame that Kant insists that we properly assign to agents presupposes that we think of them as freely choosing how they act (so the »moral must« is not a »causal must«).25 Kant’s metaphysics of transcendental idealism is aimed precisely at showing a way that this power of choice also need not be extinguished by the existence of natural laws covering all the effects of our actions.26 What complicates matters further is Kant’s main discussion of motivation, his explanation concerning the role of the feeling of respect in the Critique of Practical See Henrich (1960, 77–115); cf. Ameriks (2003, Part II). See e. g., Guyer (2003), and Sidgwick (1907, 511–516). 24 See Kant, KrV, B xxviii-xxix. 25 See Kant, KrV, A 547/B 575- A 557/B 585. Cf. Hare (2001, 109), on how »Kant thinks submission is compatible with autonomy.« 26 See Wood (1984). 22 23
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Reason (Book I, Chapter III: »On the Incentives of Pure Practical Reason«). According to that account, we should think that each moral action that we carry out is in fact preceded by a motive that involves a feeling expressing respect for the moral law, a feeling that Kant explains as the consequence – not the cause – of our rational judgment that we should do our duty. At first sight, this view could look like the worst of both worlds – a »double affection« intellectualist and sensualist form of determinism, where intellectual insight necessitates feeling and this in turn necessitates action. In fact, however, Kant’s position is much more subtle than this, and it is designed to build in just the right kind of flexibility. Kant’s explanation of an essential role for a motive of feeling even in the context of moral action allows him to do justice to a number of non-rationalist points while not having to abandon his fundamentally rationalist position. Holding onto that position is what gives his kind of position an initial advantage over other kinds of theories with respect to the »objectivity« aspect of »the moral problem.« If rationality is an essential source of the content, possibility, and authority of morality, then there is at least a chance for a »strongly« objective moral standard, one for all agents as such (even God). Although, as noted earlier, Humean theories can account for a kind of objectivity for moral beliefs that arise in contexts of the convergence of natural desires, there is no ground (short of a return to something like a Scholastic natural law theory) for expecting that these »objective« values must provide any common standards for all agents. It is true that, through an understandable development of desires in a particular context, some communities (e. g., Augustine’s and its successors) can and do strongly agree on various values, e. g., the virtues of compassion over power – but other communities (e. g., Aristotle’s), under parallel but distinct conditions, can and do agree on just the opposite values. Thus, while each community’s values may have a kind of »objectivity« in its own context, and the advocates of each may even insist from their own viewpoint that all others agree with them, there is, on any broadly Humean theory like this, no intelligible ground for any necessary overarching agreement on values even in principle. Some suggest that theories such as evolution might help the Humean here. But even if benevolence were in fact generally in the interest of the perpetuation of our species on earth, it is very hard to accept the consequence that, if biology happened to change in such a way that »kind motives« turned out not to serve that end most effectively, then these motives would therefore lose their moral value. Because non-rationalists can at best account for only a weak kind of moral objectivity, it is understandable that they place so much weight on trying to embarrass rationalists by emphasizing the other aspect of the moral problem, the difficulty in explaining the practicality of morality, i. e., the motivational power of moral judgment. Kant fully recognizes that a mere intellectualist response to this problem by a rationalist would not be adequate. Common sense and ordinary phenomenological reflection show that people generally need to care or feel strongly about something in order to be likely to will and act on it; simply »seeing« that something is the right thing to do cannot be counted on as enough.
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By the time of the second Critique, Kant himself emphasizes that there is an even deeper problem for rationalism. Not only is the real efficacy of moral rationality not automatic even for human agents who acknowledge the primacy of reason, but also the ultimate justification of the possible applicability of moral principles is something that goes beyond what can be deduced from mere rationality. Pointing to a »fact of reason« is the best that his moral theory aims to do here,27 since he sees that no simple intuition or mere analysis of what it is to judge or to will can prove that our idea of a rational morality for free agents is definitely not a mere »Hirngespinst,« a figment of the brain.28 A realistic appreciation of these problems leads Kant to stress the limits and the complications of any account of how »pure reason can be practical.« The most that he believes can be done is to say how matters might coherently proceed on the supposition (the »fact« rather than the apodictic conclusion) that rational agents truly, but not unavoidably, take a proper (and hence free) interest in the specifically moral aspect of rationality and act on it.29 Aside from the special intricacies of the metaphysical aspects of his doctrine of freedom (which are not directly relevant here), Kant’s basic account of our moral responsiveness in many ways resembles other still significant and strongly objective ethical theories,30 and it fits in well with other appealing aspects of his own normative views, e. g., his path-breaking account of our aesthetic experience. The basic structure of his account of our value experience relies on arranging in proper sequence the four factors that were discussed earlier in general terms: evaluative thought, feeling, volition, and action. First, there is the perception of a principle or form that appears as having more than a merely accidental validity, e. g., »actions like this are obligatory – not merely useful,« or »this form is beautiful – not merely pleasant.« The kind of normative perception that is relevant here is never a matter of mere belief or thought, of simply noting the actual or possible existence of a state of affairs, but is rather an insight into something’s being compellingly appropriate, i. e., appropriate for (at least) any normal human perceiver as such, independent of all the particular contingencies of our experience. Here it is presumed that one is not merely an intellectual thinking machine but is sensitive to a special domain of normativity that can be rationally assessed, e. g., morally or aesthetically. To use terms that were
See Ameriks(2003, Part II); cf. Rawls(2000). See Kant, GMS, 445. 29 That this is not an entirely satisfactory position, and that it naturally led to overambitious attempts to do better, is a main theme of Ameriks (2000). 30 On some parallels between Kant and moral realism, see Brink (1989, 50); Hare (2001, 3–6); cf. Moore (1903), and the discussion of Kant and Charles Larmore’s defense of moral realism in Ameriks (2003, Ch. 11). Hare (6) stresses that Moore, like Kant, distinguishes cognition (thought), emotion (feeling), and judgment (evaluation) in his analysis of our experience of both moral and aesthetic value. This point closely parallels my own analysis here. 27
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introduced earlier, it can be said that this perception is therefore already more than a »mere belief« insofar as it has an element of what was called »desire« in a very broad sense, namely a positive evaluative stance. As the term »sensitive« suggests, this kind of evaluation is naturally linked with a kind of feeling, but although these two moments are closely connected they must also be clearly distinguished. It is one thing simply to hold that X merits approval, morally or aesthetically, and it is something else literally to feel positive about X on that basis. The feeling that is immediately consequent upon proper judgmental perception constitutes the second step of Kant’s basic account of our value experience. It is crucial for Kant that this kind of feeling not be conflated with very familiar feelings that can occur prior to and independently of our value perception; such feelings would be at the mercy of physical and social contingencies, and simply following them would conflict with his fundamental point that the appreciation of the most basic values should be in principle egalitarian. Kant understands empiricism as precisely the »optical illusion« of inverting the relation between feeling and judgment here (as with sensation and cognition in general) in such a way as to suppose, falsely, that the validity of our judgment must be basically the effect rather than the cause of the relevant feeling.31 The complexity of the situation is what makes the mistake so tempting, for it is true not only that there often are feelings that precede (and can play a key role in occasioning the process that leads to) the value judgment, but also that they are qualitatively very like the feelings which depend upon the judgment, and they can persist and be easily confused later with these dependent feelings. Nonetheless, Kant’s point stands that we can easily understand that thinking that X is right or beautiful need not be a matter of merely feeling a sensory quality involved with X. It is a merit of Kant’s account that it can show how these first two steps of our value experience are closely but not inevitably bound together. It seems evident that one might abstractly say that X is right or beautiful without actually feeling a noticeable mental »push« toward X – and also without being a completely odd, wholly »irrational« person. Anglophone philosophy has tended to insist on making evaluative attitudes like this (which are not »merely theoretical«) so distinctive that it is part of the very meaning of a positive judgmental state toward X in these contexts that one must thereby also have some desire, feeling, tendency, or action toward X. It is not clear that we need to go this far, and I believe it is a virtue of Kant’s account that it can and does treat the presence of consequent feeling here as ultimately a common and understandable and yet brute fact. Beings might judge positively about X’s and yet not feel, or notice that they feel, anything about X’s afterwards – but in fact we are generally not like that, and in retrospect we can say it is only appropriate that we have the strong ethical or aesthetic feelings for X that we do have when we in fact judge X’s highly. There are, of course, many controversial aspects to Kant’s accounts of the processes that lead to these feelings, e. g., his 31
See Kant, KpV, 71–89, and KdU, § 9; and cf. Ameriks (2003, Part III).
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metaphysical notions of what is involved in our being »raised and lowered« in the feeling of moral respect, or his hypothesis about a special »harmony of the faculties« in taste. The details of these accounts are ingenious, but it is all too easy to get sidetracked by them. One should not lose sight of the main point that Kant considers it important to acknowledge various kinds of reliable causal mechanisms at work here, and, at the same time to stress that, just as with geometry or other forms of significant cognition, it does not have to be supposed that the relevant process of experience can thereby reveal only matters of contingent validity. The structure disclosed in the first two steps of Kant’s account prefigures but does not yet amount to his third step, which in the case of moral value consists in having a genuine motivation toward proper action. (In the aesthetic case, the parallel step may be simply holding to the expectation that others should agree with us on taste; keeping the aesthetic context in mind is relevant here because it shows that there can be significant and coherent acts of valuation that, contrary to what »internalists« contend, do not have to lead directly to an expression in behavior.) The distinctiveness of this step is easily overlooked. Kant realizes that we might see what we ought to do, and as a consequence even have a feeling pointing in the direction of doing it, and yet not move toward doing it. This is a point about human action in general on his account, and not just about morality. When we have a feeling for something in line with an action that we later go on to take for that thing, it is never the case that the feeling by itself is sufficient to be literally a motive, a »mover.« The feeling plays a key role in leading to the movement that takes place (if it does take place), but it is not yet that movement, even within the will, let alone in the world of behavior. As a mere feeling, the state is a present opportunity for action, a sign, as it were, that urgently says »go that way.« But for Kant it is still up to the agent, through its free will, to »incorporate« that sign, that feeling, and to become actually motivated by choosing to direct itself accordingly, in contrast to all the other directions that might seem available at that moment.32 Internalists tend to rely instead on a notion of »implicit« motives, but this idea is tantamount to robbing the notion of motivation of any separate reality; it is all too easy to say that we have a motive for something if all that this requires is something in us that »could« lead in a certain direction. In sum, although it is crucial on Kant’s view of proper action that the specific feeling of respect for duty be present in some way, it is also crucial for any proper human motivation that there be, in addition to feeling, a preceding (logically, if not temporarily) founding judgment and a relevant commitment of volition. Fortunately, Kant does not insist that the feeling of duty always has to be clearly explicit to consciousness; it could be present simply as a background that fulfills an appropriate functional role,33 for example in the calm devotion of habits of genuine charity. The will to do the right thing thus involves an initial judgment in behalf of 32 33
See Reath (1989), and Allison (1990). See Ameriks (2000, Ch. 7), and (2003, Ch. 7).
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respect, various forms of an »in-between« feeling of respect, and a decisive volition that regularly takes up both of the earlier elements in fact, but never necessarily (parallel stages occur in aesthetic experience). It is clear that for Kant this third step must be kept separate from the others. In the ultimate formulation of his theory34 he indicates that humans who are not actually moral (i. e., most of us) still have a constant appreciation for morality within them, and so they can judge and even feel positively about morality while not going so far as to commit themselves to it after all. Nothing in Kant’s discussion entails the idea that if we were only to think about matters more clearly, or simply feel more strongly about them, then we would thereby have to will the right way. His view is also consistent with saying nonetheless that all those who do will the right way in fact manifest relatively clear judgment and strong feeling. All this still does not require falling back into the optical illusion of holding that our volition is absolutely determined by mere intellect or sense. The fourth and final step in Kant’s account – the action itself, which succeeds the volition – leaves room for one more »realistic gap« in Kant’s theory. Kant stresses that even when we move to act in a proper direction, this means only that our decision is well-formed and accomplishes something external, and this still leaves open the possibility of many kinds of less than perfect realizations of our aim, and all sorts of difficulties in adhering to our own decision in the long run.35 (The domain of taste does not seem to have a directly parallel fourth step of action, but Kant is very interested in ways in which a dedicated appreciation of beauty exhibits and reinforces a proper moral attitude, and thus can play a significant role in leading toward moral action – as Schiller and others were to stress.) This final stage appropriately complements the others, but it is much less important for our purposes than the third stage and the crucial point that Kant’s account of motivation yields a close but not too close connection between objectivity and practicality, i. e., between acknowledging moral standards external to our antecedent desires and being genuinely and regularly moved in their direction. Rather than denying that feeling, motivation, and practicality are central to our moral life, Kant’s complex form of rationalism makes a dedicated effort to show how all these features can be essential to human action without undermining a fundamentally realistic and non-empiricist account of morality’s basic nature. This is not to say that his account is demonstrably superior to its alternatives, but with respect to the issues discussed here it still appears to be in at least as good a position as its main competitors in facing »the moral problem.«
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See Kant, RGV, 26–28. See Kant, RGV, 66–78.
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Overdetermined Actions and Imperfect Duties Marcia Baron
I. Kant’s discussion of acting from duty and moral worth has been attacked on a number of counts; and although I have discussed several of these in my earlier work,1 I would like to revisit one objection in particular. The objection is that Kant seems not to allow that overdetermined actions can have moral worth. To many that seems quite peculiar. If (say the critics) I act from duty and from inclination, why should that be less morally worthy than acting from duty alone? If Kant’s position is that it is less worthy, that seems to suggest, as Schiller implied, that I could in some respects morally improve myself by cultivating a dislike for helping others (Schiller, 1981, 221), or, we might add, a distaste for anything that would count as developing my talents, or an inclination to deceive people. Granted, moral worth is not everything, but it is something, and how odd if our conduct is more morally worthy if we act from duty alone than if we act from duty and fellow-feeling. In response to such points, some have tried to show that in fact Kant can allow that overdetermined actions may have moral worth. I wrote in Kantian Ethics Almost without Apology (Baron, 1995) that those of us who like to defend Kant where we can, should quit worrying that perhaps he does not allow that overdetermined actions can have moral worth. In fact, I argued, it does not make sense to speak of overdetermined actions within a Kantian framework. In this paper I want to revisit that claim. I find it somewhat unsettling, so I would like to explore it anew to decide whether to stand by it.
II. The explanation for my position that it does not make sense to speak of overdetermined actions within a Kantian framework works out differently depending on whether we are talking about actions that are strictly required – required by »perfect« or »narrow« duty – or actions that fall under the heading of »imperfect duties.« I will treat them separately, and will start with the simpler case, actions that are I have discussed them in Baron (1995), more briefly in Baron, Pettit, and Slote (1997, 56–64), and in Baron (2002). 1
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strictly required. But first, some clarification is in order concerning the term »overdetermined actions.« I understand overdetermined actions to be actions determined by both inclination and duty. They could also be determined by both self-interest and duty, but since these would not be likely candidates for morally worthy actions, I limit the discussion to those that would be, namely, actions done from both duty and inclination.2 For the same reason, when I say »inclination« I have in mind, for the purposes of this discussion, the admirable sorts of inclinations, for example, a desire to help, and not a desire to humiliate. In addition, on my understanding of overdetermination, if an action is overdetermined, either inclination or duty alone would suffice.3 This has a couple of implications. First, a merely permissible action done from inclination and from duty operating as a secondary motive would not count as overdetermined, since duty would never suffice as motivation for a merely permissible action. Also excluded from the category of overdetermined actions are those for which neither inclination nor duty sufficed, but the two together constituted sufficient motivation.4 Clearly these would not be good candidates for morally worthy actions. If we know nothing else about Kant on moral worth, we know that duty has to be sufficient, motivationally, for the action to have moral worth. The criticism of Kant’s ethics that I am addressing recognizes that, but suggests that although an action cannot and should not count as morally worthy if duty is not sufficient, an action for which both duty and inclination suffice should not be precluded from having moral worth. A final clarification (perhaps unnecessary): when I say that I take overdetermined actions to be actions determined by both inclination and duty, I mean not simply that one has both motives and could act from either, but that one acts from both. So the following is not enough to qualify an act as overdetermined: the agent performed it from inclination and would have done it from duty had she seen it to be her duty. For it to count as overdetermined it has to be done from both duty and inclination.
In this I follow Kant, who says at GMS, 397 that he is setting aside actions done from self-interest. 3 In more detail: if my action is overdetermined, this means (1) that as long as I did not believe the action to be wrong, my inclination to perform it would suffice to motivate me to perform the action; (2) that in the absence of cooperating inclinations the motive of duty would suffice; and (3) that the action is determined by both motives operating separately, not through the two acquiring force by buttressing each other. See Baron (1995, 156–157). The motivation for this account is presented on pp. 150–156, and I will not try to summarize it here. Suffice it to say that I am not simply copying some »standard« usage, but instead am trying to clean up the account so as to capture the notion that both incentives alone suffice, and in that sense »determine« the action. 4 In Baron (1995, 151), I refer to these as »hybrid actions.« A failure to distinguish these from overdetermined actions generates a great deal of confusion. 2
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I am relying here and throughout my paper on the distinction between acting mit Neigung and acting aus Neigung, so a comment is in order concerning that distinction. Whereas I am assuming that it is possible to act from duty mit Neigung without acting from that inclination, some have claimed that this makes no sense, for if one has an inclination to do X and does X, the inclination must play a motivational role. I do not see why that should be the case. The fact that I have a reason to do X, a reason on which I might on other occasions act, does not entail that if I now do X, I do it for that reason. Of course, if we forget that on the Kantian picture, one does not act from motives in the sense of forces that push one to act a certain way, it might well seem as if having an inclination to do X entails the following: Unless I choose not to do X, I must do X at least in part because of that inclination, for by definition it »inclines« me – moves me – accordingly. But that, again, is the case only if the »definition« is understood in terms of a mechanistic picture of motivation, and that mechanistic picture is not Kant’s picture. What is true is that it is hard to discern whether the inclination played a motivational role. Did I act solely for the reason that X was morally required, or did I treat that as less than decisive, and opt for X because that is what I wanted to do anyway? But if we set aside the question of how one would discern that, I see no reason for thinking that one cannot act aus Pflicht, mit Neigung.5
III. In this section, I focus on actions that are strictly required (required, that is, by perfect duty). If you both want to do X and are morally required to so act, and you do X, does it make sense to describe you as having done X from duty and inclination? (I am not asking whether that would be the only way to describe what you have done. As the preceding paragraph indicates, one possibility is that you perOr at least I did not until Allen Wood put to me the following (in a discussion at the conference on Kant’s Grundlegung, Universität Bonn, July, 2004, and in subsequent e-mails): acting from duty invariably involves constraining oneself to do what one would otherwise not do. If one is inclined to do X, where X is one’s duty, there is no need, Wood observes, to constrain oneself to do X; nor is there any other reason for self-constraint. Therefore, if one has an inclination to X, one cannot do X from duty. (See Wood (2003) as well as Wood (1999, Ch. 1).) Wood’s claim that there would be no need to constrain oneself to do X if one was inclined to do X seems to me to rest on a misleading picture of the nature and role of selfconstraint in a Kantian moral life. Self-constraint seems, judging from Wood’s argument, solely to take the form of pulling oneself back from whatever one was about to do (or forcing oneself forward when one is disinclined to do what one should do). If we reject that picture, recognizing that self-constraint takes place over time, not merely at the moment of action, and is part of the self-regulation and moral self-development in which we have a duty to engage, it is possible to act from the thought that X is morally the right thing to do even though we do not »need« that thought to propel us to do X. See Henry E. Allison (2001). 5
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form X from duty, with inclination. I am only asking whether it could be true that you have acted from both duty and inclination.) If we bear in mind that the Kantian picture of motivation is one of doing X for certain reasons, rather than one of doing X because a force inside you pushed you so to act, it is evident on reflection that it does not make sense to describe you as doing X from both duty and inclination. If you do it from duty, you do it because it is morally required,6 and you regard its being morally required as a decisive consideration. If you say, »Yes, it is morally required, and that leans me somewhat towards doing it, but it is not decisive,« then you do not (supposing that you go ahead and do the morally required action, focusing on some pleasurable aspect that tilts the balance for you) really act from duty. You act from inclination, with duty weighing in only as one factor among others. This cannot count as acting from duty on a Kantian view, because duty is not the sort of thing that one can act from only halfway. Duty is to trump all competing considerations. Acting from duty is an all or nothing affair: you do not act from duty if you regard the fact that the action is morally required as less than decisive. Since doing X from duty entails regarding the fact that it is morally required as decisive, you cannot do X both from duty and from inclination. There is no room for the added reason, »and I want to.« As noted above, it can be the case that you act from duty and that you want so to act; you can act from duty mit Neigung. But you cannot act from both duty and inclination. This may seem alien to the way we usually think about morality. In a way it is: arguably we do not see duty as an all or nothing affair, and we think of it as something that we can act from halfway. One reason is that »duty« has different connotations for us than does »Pflicht« in Kant’s ethics, and the problem is not merely one of translation. Part of the problem is that on a very common way of understanding the word »duty,« I can regard X as my duty without believing that all (relevant) things considered, I should do X; yet this way of speaking of duty is at odds with Kant’s understanding of duty. But the further point is that for many of us, anyway, moral conduct is less a matter of doing something that is morally required, and more a matter of doing something that it is morally a good idea to do. We thus see much of what we morally should do as morally recommended rather than required, and in opting for the morally preferable choice, allow inclination or self-interest to weigh in.7 Such conduct might seem to be a case of acting from duty halfway, and
I thought this assertion uncontroversal until Allen Wood questioned it, arguing as follows: To act from duty is to act from rational self-constraint out of respect for the law and this would not have to involve a belief that the act in question is morally required (e-mail correspondence, March 16, 2004). I discuss Wood’s position in Section 5. 7 Yet another basis for regarding as possible acting from duty halfway is that we may be a little unsure whether something is our duty, and decide to do it because it probably is morally required…but because we are unsure, we may allow (even need) inclination or self-interest to tilt the balance against any opposing inclinations. 6
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perhaps of acting from both duty and inclination. In a loose way of speaking it is, but if we stick to Kantian terminology, it is not – at least not if we are talking about perfect duties (or narrow obligation).
IV. I turn now to the more vexing case: acts that fall under the heading of an imperfect duty. I will focus on beneficent actions. I think it is this sort of action that we have in mind when we assume that Kant is in trouble if he either cannot recognize overdetermined actions or can recognize them but cannot allow that they may have moral worth. Surely, it will be said, helping a friend from duty and because one wants to is coherent and should be deemed morally worthy. Surely it cannot be the case that helping a friend from duty and without any inclination to do so is more morally worthy than helping a friend from duty and because one wants to. The reply that I offered above, when I limited the discussion to acts required by perfect duty, will not fit here. I cannot say, »The fact that it is morally required should decide the matter, and if it does not, you are not acting from duty.« I cannot say that, because in fact it is not (under most circumstances) morally required that one help. It is morally required that one help others, but not here and now. That, anyway, is my understanding of Kant’s duty of beneficence. Let me mention, though, that I believe that there are exceptions, where an individual act of helping another is morally required. Kant never mentions any, but it seems pretty clear that he would – or at any rate, could and should – acknowledge that there are. I have in mind cases where help is desperately and immediately needed, no one else is on the scene, and one needs only to (say) phone on one’s cell phone for an ambulance.8 In such a situation, declining to help another would show that one had not embraced the end of others’ happiness. But setting aside those exceptions (and exceptions of another type that I will describe in a moment), the duty to help others does not entail a duty to help here and now. My claim that it does not generally entail a duty to help here and now is based on an understanding of Kant’s imperfect duties that not everyone will endorse. Exactly how much latitude the duty of beneficence allows is open to debate.9 If one holds that we in fact have a duty to help whenever we can, unless certain condi-
Or imagine a case where one sees a toddler, unattended by any adults or older children, toddle into a swimming pool. (Let us imagine the water is 1.5 meters deep.) Failure to help here (because one did not want to get wet, or was in a hurry to get home for a favorite TV show), and failure to phone for an ambulance in the situation described above, would be a violation of one’s duty to help others. 9 Discussing this issue with Melissa Seymour and reading drafts of her dissertation, in progress, have helped me realize just how open to debate this is. 8
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tions obtain (which are then spelled out), then it would be possible to say, »Since you can help here, and since the conditions that constitute an exception do not obtain, you are strictly required to help in this situation.« And if we can say that, then the reasons I gave above for denying that one can act from both inclination and duty apply to duties of beneficence (and presumably to other imperfect duties), as well. I will assume, however, that that answer is not available (because I will assume that there is more latitude in the imperfect duties than that). But although that answer is not available, there is an obvious answer – the answer that I put forward in Baron (1995) and now am both developing more fully and reconsidering. Because acts of helping another are not, as individual acts, generally morally required, it does not make sense to speak of someone performing them from duty (assuming that »from duty« here means »for the reason that they are morally required«). An action of helping someone cannot generally be overdetermined, on this view, if that means that one acted from duty as a sufficient motive and from inclination, because if the action is not morally required, duty alone could not move one to perform it. In a minute I will address the problem that this claim flies in the face of Kant’s discussion of acting from duty. First, the claim needs to be qualified. One exception has been noted already: one could help another from duty if in fact the action really is morally required, as I suggested it would be in a case where the need is desperate, the cost to the agent minimal, and there is no one else on the scene (or if there is, no one else who is helping). Arguably, one could also help from duty if one mistakenly believed that what he or she was doing was morally required. I will not worry about whether we should allow that, but acknowledge that it might be an exception to the claim. There is another possible exception that I want to consider. Let us imagine that someone who has adopted the maxim of helping others in need adopts a personal policy that spells out when to help.10 (This is not the way I envision Kantian agents, but I mention it because it poses an objection to my claim in Baron (1995) that generally one cannot help another from duty.) Of course it is easy to think of some »policies« that would not do – policies that belie the claim to have adopted the maxim of helping others in need. »Help whenever I am likely to reap some reward from doing so« would show that in fact the agent had not really embraced the end of others’ happiness. The same is true (though less glaringly) of »Help whenever asked, but only then, and only if you can do so without thereby failing to help someone whom you already promised to help.« Here the obvious problem is »but only then.« A refusal ever to offer unsolicited help – even to someone too frightened to ask – would give the lie to any claim to have adopted others’ happiness as one’s end. But what about a policy that tells us always to help in certain circumstances, without saying to help only then? Consider, for example, »Always help when you can do so without danger or great inconvenience to yourself, and without violating 10
Thanks to Walter Schaller for prodding me (years ago) to consider this possibility.
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a perfect duty.« If that were your policy, would it be the case that whenever, deliberately following your policy, you help others, you act from duty? I am not certain what to say here, but think the answer should be »No.« The reason is that one could always revise one’s policy. The end itself is obligatory; the particular policy is not. That suggests that we should not count as an instance of acting from duty choosing to help another because it is a case that falls under the policy one has adopted – assuming of course that that is not the only way one could help others. Duty involves constraint, yet here the constraint, with respect to the particular actions, is conditional on one’s having a particular policy that one is at liberty to change.
V. I turn now to the problem that the position that one generally cannot help another from duty seems inconsistent with Kant’s discussion in Grundlegung of acting from duty. Specifically, it flies in the face of his example of the »friend of humanity« who, after some terrible misfortune, ceases to take delight in spreading joy around him and no longer is moved by the distress of others, because he is sufficiently busy with his own. Nonetheless, he »tears himself out of this deadly insensibility and does the action without any inclination, solely from duty« (GMS, 398, italics added). Kant apparently sees no difficulty in describing the man as helping another from duty. Now, he does not say what the action is, and we could, to see to it that this all makes sense, imagine that it is one of those instances where the help is so desperately needed, so clearly called for, and so easy to provide, that it would be impermissible not to help. But there is nothing in the passage to suggest that, and it seems too easy a solution to the problem. So what are my options? One is to regard the problem as evidence that I was wrong to think that the imperfect duties (or at least, beneficence) have the latitude I thought they had. In other words, if one can help from duty, this must mean that beneficence allows far less latitude than I have supposed. I do not rule out this option, but will not pursue it now. I think it unpromising, in light of what Kant says about beneficence and imperfect duties in general in Metaphysik der Sitten. (See, e. g., MdST, 390 and 393.) A second option is to take Kant’s remarks about helping from duty to show (as he himself suggests in a footnote) that he had not worked out at the time that he wrote Grundlegung exactly how imperfect duties differ from perfect duties, and, in particular, had not paid a lot of attention to the question of how much latitude imperfect duties allow. Had he done so, he would have realized that one cannot help others from duty. This is more promising. After all, he says, »I reserve the division of duties entirely for a future metaphysics of morals; the division here therefore stands only as a discretionary one (to order my examples)« (GMS, 421n.). However, what he does offer by way of explanation of the distinction suggests that however tentative his thoughts may have been, he attributed to imperfect duties at least
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some latitude: »I understand by a perfect duty that which permits no exception to the advantage of inclination,« implying, though not explicitly stating, that imperfect duties do allow some such exceptions (GMS, 421n.). If he thought they had such latitude, it is puzzling that he would speak of someone helping another from duty, as if it were strictly required so to help. But perhaps he simply was not thinking about the implications of the latitude in imperfect duties for acting from duty, since he brings up the division of duties only in another context, viz., when he explains how to apply the Categorical Imperative. A third option is buttressed by the second (and could be viewed as a development of it). It involves saying, in effect, that Kant misspoke at Grundlegung 398. Rather than say that the dejected man performed an action of helping another from duty, Kant should have said that he adopted a maxim of beneficence from duty. It makes sense to speak of helping from duty (apart from exceptional cases mentioned earlier) only if we understand that to refer not to each particular action of helping, but instead to being beneficent (and in particular, to adopting a maxim of beneficence). One adopts from duty a maxim of beneficence and then acts accordingly; but because the maxim does not specify exactly what one is to do, the individual beneficent actions should not count as actions done from duty. Kant clearly wrote in Section I of Grundlegung of performing a particular action from duty, so this approach claims that Kant should not have said what he said. The harshness (and arrogance) of that claim is tempered somewhat if we conjoin the second option with the third, and that is why I said the third option is buttressed by the second. Not having yet turned his attention fully to the division of duties, Kant, it seems plausible to suppose, had not worked out its implications for acting from duty. To elaborate on the third option – and also introduce a fourth option – I will begin by following the lines of one of the exceptions that I considered above to the claim that one cannot act from duty in helping another. I mentioned in Section 4 that one might conceivably set oneself a policy of helping at certain times, and that when, pursuant to that policy, one did help, the actions of helping might count as actions done from duty. More plausible, I think, is a scenario we can imagine in thinking about the man unmoved by the distress of others because he is so busy with his own. Suppose it dawns on him, »I’ve been ignoring others completely, so immersed I’ve been in my own woes. But even if I can’t do anything about my own problems, I can alleviate those of others, and really should do so. Even if I don’t feel moved by their plights, I know that their suffering matters. I know that we are ‘fellow human beings, that is, rational beings with needs, united by nature in one dwelling place so that [we] can help one another’« (MdST, 453). Let us imagine that he immediately decides to volunteer at a homeless shelter or in an adult literacy program, or to campaign to elect a candidate who he thinks will, if elected, significantly improve the lot of the neediest in his community (or the neediest in the most impoverished countries of the world). It makes some sense to say that he is now beneficent from duty – and it makes even more sense if he does not merely settle on one such project (or even two or three), but also tunes in more to what is
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going on around him. He notices that his neighbor is frail and unwell, and offers to pick up groceries for him, and so on. Some might claim that he is best described, given my sketch, as picking up groceries for his neighbor from duty (and likewise volunteering from duty in the literacy program, etc.). This suggests a fourth option, to be developed in a moment. On the third option, that move is resisted, and it is maintained that because picking up groceries for his neighbor is not morally required,11 he cannot do that from duty. It makes more sense – according to those who favor the third option – to describe the situation as follows: from duty he has adopted a maxim of beneficence. From duty he has resolved to help others, and has also attuned himself to others’ needs.12 By contrast, the fourth option has it that even though the particular way that one chooses to help others is not itself morally required, nonetheless, one can be said to act from duty not only when one adopts a maxim of beneficence (and attunes oneself to others’ needs); it can also be said of each individual beneficent action that one does accordingly, e. g., running an errand for an elderly neighbor, that the action is done from duty. My own leaning is towards the third option, but partly because of that, I want to search thoroughly for reasons to prefer the fourth. One might offer the following points in support of the fourth option. First, one might claim, there is something odd about maintaining that one can adopt a maxim of beneficence from duty but that what one does by way of acting accordingly cannot, in general, be done from duty. Second, and relatedly, the relation between the particular action of helping another and the adoption of a maxim of beneficence is not (so the claim goes) significantly different from the relation between refraining from committing an act prohibited by a perfect duty (or performing an action required by a perfect duty) and the perfect duty itself.13 If that is true, it seems that I am wrong to claim that there is something problematic in the idea that one can help another from duty. It looks as if it is really not very different from refraining, from duty, from doing something that is prohibited. In support of the second point, let us look at a perfect duty that involves considerable latitude. The usual one put forward to suggest that imperfect duties and perfect duties differ less than is generally supposed is the duty to discharge a debt. Here too there is latitude, it is pointed out: one can pay by cash or check or money order (or possibly credit card), and if by cash, in bills of this size or that, and so
One qualification that proponents of the third option would probably accept: once he has helped his neighbor a few times, then unless he has said »Don’t count on me for this; I’ll just do it from time to time when I can,« he may have incurred an obligation to continue helping by creating an expectation, especially if he encouraged his neighbor to depend on him. 12 I take it that attuning oneself to others’ needs is a crucial part of adopting a maxim of beneficence and thus can be done from duty. 13 I thank Allen Wood for suggesting this (e-mail correspondence, March 16, 2004). 11
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on. I do not find this example very compelling; the latitude here is very lame indeed compared to the latitude in imperfect duties. But the supporter of the second point can provide a better example than that. Consider instead the duty not to lie. Just how I fulfill my duty not to lie is to some extent up to me. Just as my duty to help others may be discharged in many ways, so can my duty not to lie. I might discharge the duty not to lie by telling the truth (though this avenue may not be open to me if, say, it entails divulging another’s secret), by indicating that I do not want to discuss the topic (though if the timing is not quite right, this may amount to giving the answer away, something I may be obliged not to do), by deftly changing the subject, or cracking a joke at just the right time so as to distract or disarm my interlocutor. Thus there is latitude in this duty, and one might therefore question just how different it is from an imperfect duty. Now there is reason to question whether the duty not to lie is representative of perfect duties. There is also reason to question whether it in fact does allow latitude comparable to that of the duty of beneficence, and hence whether the relation between the duty not to lie and individual acts that conform to this requirement really is similar (as the argument in support of the fourth option has it) to the relation between the duty of beneficence and individual acts of helping others. Certainly the duty not to lie involves less latitude than the duty of beneficence. It requires that one never lie, whereas the duty of beneficence does not require that one always, at every opportunity, act beneficently.14 But even if we set that aside, there is another reply in order, directed at the suggestion that there is something odd about holding that one can adopt a maxim of beneficence from duty but that what one does by way of acting accordingly generally cannot be done from duty. If that conjunction of views seems odd, presumably the model against which it seems odd is perfect duties. Let us consider, then, how this works with perfect duties. If the same conjunction does not seem odd in the case of perfect duties, why think it odd or untoward as a feature of imperfect duties?
As Thomas E. Hill, Jr. explains in his groundbreaking »Kant on Imperfect Duty and Supererogation« (Hill, 1971), latitude comes in different varieties. Perfect and imperfect duties all allow latitude of the following two sorts: »room for judgment in deciding whether or not a given principle is relevant to a particular situation, and freedom to choose various ways of satisfying a principle in a particular situation once we decide that the principle applies,« but only imperfect duties allow latitude of a third sort, viz., freedom to omit to perform an act that falls under the principle in question, e. g., not to help someone one could help (Hill, 1971, 61). (Hill words it as follows: »freedom to choose to do x or not on a given occasion, as one pleases, even though one knows that x is the sort of act that falls under the principle, provided that one is ready to perform acts of that sort on some other occasion« (Hill, 1971, 61). This seems to me to exaggerate the amount of latitude in imperfect duties.) Just what sorts of reasons are acceptable reasons for omitting to perform such actions is a complicated matter; for discussion, see, in addition to Hill’s piece, Baron (1995, Chs. 1–3), Hill (2002, Ch. 7), and Baron and Seymour (forthcoming). 14
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Is it odd to hold (a) from duty I refrained from lying to Lupe but not (b) from duty I changed the subject while conversing with Lupe (supposing that I did so as a way of refraining from lying to her)? Not especially. I can see reason to put it either way, i. e., reason to say that both were done from duty, or that only refraining from lying was. Neither seems to me obviously more apt than the other, and my leaning is towards saying that only refraining from lying was done from duty. If that is right – either that holding (a) but not (b) is less odd than holding (a) and (b) or that it is just unclear which is more apt – I see no reason to think that there is something strained about saying that one has adopted a maxim of beneficence from duty while denying that the individual acts of helping others are done from duty. I conclude that so far we have not uncovered significant support of the fourth option (as against the third) (apart, of course, from the closer fit to Kant’s wording). There is, however, one other consideration to put forward in support of the fourth option. I have asserted at a number of points that doing X from duty entails doing it because it is morally required. This is the main reason I resist allowing that one can (usually) help another from duty, for helping the other is typically not morally required. Allen Wood has challenged this assertion, claiming that to act from duty is to act from rational constraint out of respect for the moral law, and this need not involve a belief that the action in question is morally required. Regarding imperfect duties, he writes: »The ‘necessity’ of duty, which applies equally to narrow and wide or to perfect and imperfect duties, consists solely in the fact that duty involves rational constraint on our actions« (Wood, 1999, 44). Can it really consist solely in that fact? Some qualification is needed here, lest we count actions done from selfinterest (as long as they involve rational constraint, as they often do) as actions done from duty. I believe Wood intends such qualification, for in e-mail correspondence he specifies that the rational constraint is »from respect for the moral law« (e-mail of August 6, 2004) or, as he puts it in another e-mail, »self-constraint through moral considerations« (e-mail of March 16, 2004). The addition is important because actions done from self-interest presumably also involve rational constraint – in keeping with a hypothetical imperative – yet could not count as actions done from duty. I will assume in what follows that he intends such a qualification. Wood continues: »Constraint applies even to wide (or imperfect) duties, such as the duty to help others in need. For here, too, the action, when done from duty, has the character of an action we want to perform because it falls under a law of reason rather than because we have an antecedent inclination to do it« (Wood, 1999, 44). As Wood sees it, it suffices to count as acting from duty that one constrains oneself to perform the action on moral grounds. We can do that without believing that the action is morally required. I find this hard to square with Kant’s language of »law« (»Gesetz«), »commanded« (»geboten«), and »necessity« (»Notwendigkeit«) (at GMS, 399 and 400, for example, but one could, of course, list hundreds of occurrences of these terms, throughout his writings). It is difficult to see how one could be (morally) »necessitated« to help someone if one were not morally required to help him. Wood’s approach does solve my problem of explaining how Kant can speak of help-
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ing another from duty (when the help is not strictly required), but it does so at the cost of rendering mysterious all the talk of necessitation (etc.). Having canvassed various reasons for rejecting the third option in favor of the fourth, I find only one that is weighty: unlike the third, the fourth does not require us to say that Kant should have said something other than what he said. But despite this problem, I favor the third option. I do not see how duty can be a sufficient motive for doing something that is not morally required. If it is not a sufficient motive, then, on Kant’s view of acting from duty, we do not have an instance of acting from duty. In sum, I will hold onto my position that actions of helping another cannot be done from duty as a primary motive (and so cannot be overdetermined). The maxim of beneficence of course can be adopted from duty, but the individual actions of helping (except in those instances where the help is desperately needed, and so on) cannot be done from duty, because they are not strictly required. I began my paper by saying I wanted to revisit my position that the notion of an overdetermined action does not make sense on Kant’s account of acting from duty. My hesitation about that position had to do mainly with imperfect duties. Having decided that there is more reason to think that one cannot act from duty (at least as a primary motive) when one performs a beneficent act (except in special circumstances, as noted above) than to think that one can, my doubts are removed.
VI. It might be held that if my discussion establishes that the notion of overdetermined actions is incoherent within a Kantian framework, this only shows that my characterization of »overdetermined action« is flawed, or at least unhelpful. The problem, it might be said, is that I limit »overdetermined actions« to those for which both duty, operating as a primary motive, and inclination suffice. Why not understand »overdetermined action« more broadly, so that it includes actions from both from duty operating only as a secondary motive and from inclination? I stand by my characterization of overdetermined actions, because it makes little sense to call an action overdetermined unless that means that both motives sufficed. Surely the idea behind overdetermination is that the action was fully determined by x and fully determined by y (and of course that is not the case when duty operates only as a secondary motive). Moreover, construing »overdetermined« differently would not help us address the objection that I set out to address, for the question can equally be framed as follows: Why do actions done from both duty and inclination lack moral worth if actions done from duty alone have moral worth? It does not matter whether we call those actions »overdetermined« or reserve that label for something else. The objection stands, whatever label we use for such actions. I addressed the objection by arguing that such actions – which I refer to as »overdetermined« – are not possible within a Kantian framework.
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But now a different objection might be raised, from different quarters, namely, from those putting forward the criticism of Kant’s ethics that motivates the debate about overdetermination. The criticism, they will point out, can be reconceived as follows: »If this is what overdetermined actions are, fine; but the objection to Kant’s ethics can simply be reformulated. Why should actions done from duty (as a primary motive) be accorded moral worth, while actions done from (certain admirable) inclinations together with duty operating as a secondary motive are not accorded moral worth?« My reply is largely concessive: I do not think that there is any reason to accord greater value to actions done from duty as a primary motive than to actions done from (certain admirable) inclinations and from duty as a secondary motive.15 As I explain in Baron (1995), the value, for Kant, lies – or at any rate, should lie16 – in being guided by a commitment to do what is morally right, and there is no good Kantian reason (as far as I can see) for placing particular value on acting from duty as a primary motive. Kant’s remarks about moral worth in Grundlegung suggest otherwise, in part because we read them as if the point of the discussion were to offer an account of the moral worth of actions. It is striking, though, that in passages where he attributes moral worth to actions, Kant moves easily between speaking of actions as morally worthy and speaking of agents as morally worthy.17 Even in those works he seems not to be aiming to provide an account of the moral worth of individual actions. In Grundlegung, the work that has contributed most to the sense that Kant places particular value on acting from duty as a primary motive, the purpose of the discussion of acting from duty is to explicate the good will (and from there, to develop the idea of a categorical imperative). The good will is most clearly and unconfusedly seen in actions done from duty as a primary motive; hence the emphasis on such actions. But it is evident, especially if one reads more of Kant’s ethical writings than just Grundlegung, that he is far more concerned that we cultivate a pure will than that we perform morally worthy actions. Careful attention to passages that seem to place value on acting from duty as a primary motive reveals that the concern is not at all that we perform as many morally worthy actions as possible – and there is no notion that the more morally worthy actions one performs (or the higher the percentage of one’s actions that are morally wor-
I should note that I am not sure it makes sense to speak of them as done (in part) from duty as a secondary motive; perhaps it is more apt to say they are done from inclination and governed and guided by duty. 16 I am not sure which is Kant’s view: did he think that actions done from duty as a primary motive in fact had a value greater than those done from, say, fellow-feeling and guided by duty as a secondary motive? It is easy enough to read him as saying that they do, but I find the textual evidence less than fully convincing. Still, I have no basis for saying that he did not, and so rest content with saying what I think he should have said. 17 See GMS, 398–399. See also MdST, 390, where »moral worth« is used rather differently. 15
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thy), the more virtuous one is. The idea, rather, is that we are to make duty an all-sufficient motive, meaning that we must strive to be able to put morality first, no matter how great the temptation to subordinate it to inclination.18 Moral worth as attributed to actions seems to me of little importance in Kant’s ethics, except as a way of explicating the good will. Moreover, individual actions are not a primary locus of moral value. What matters is how one conducts oneself; and in connection with acting from duty, what matters is that we be committed to putting morality first, not that our individual actions be done from duty as a primary motive.19
Works Cited Works by Immanuel Kant MdST Metaphysik der Sitten The Metaphysics of Morals, Part II (1996) in: Gregor, Mary J. (ed.) (trans.): Immanuel Kant: Practical Philosophy, Cambridge, Cambridge University Press. GMS Grundlegung zur Metaphysik der Sitten Groundwork for the Metaphysics of Morals (2002), Wood, Allen W. (ed.) (trans.), New Haven, Yale University Press.
Other Works Cited Allison, Henry E. (2001): »Ethics, Evil, and Anthropology in Kant: Remarks on Allen Wood’s Kant’s Ethical Thought,« in: Ethics, 111, 594–613. Baron, Marcia (1995): Kantian Ethics Almost without Apology, Ithaca, Cornell University Press.
See Baron (1995, Ch. 5) for a much more extensive discussion, with particular attention to passages that on a first reading seem to place particular value on acting from duty as a primary motive (i. e., performing morally worthy actions). 19 An earlier draft of this paper was presented at the conference on Moralische Motivation: Kants Ethik in der Diskussion, March, 2004, Philipps-Universität, Marburg. I am grateful to discussants for their comments. I would also like to thank my seminar students (particularly Jaeho Lee, David Schwab, Gwakhee Han, Elizabeth Tropman, and Justin Brown) for their stimulating discussion of a draft of this paper, and for their written comments, to Melissa Seymour, Dieter Schönecker, and especially Allen Wood. Elizabeth Tropman also provided editorial assistance, for which I am grateful. 18
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Die Selbstverwirklichung des Menschen in der Kantischen Moralphilosophie (Ein Stenogramm) Reinhard Brandt
Vorbemerkung Kant beginnt seine Moralphilosophie nicht mit einem fertigen System, sondern bewegt sich von den 60er Jahren bis in die späten 90er Jahre auf ein derartiges System zu.1 Aus der Retrospektive ergeben sich dabei einzelne Stationen, die hier markiert werden sollen. Die innere Logik ist die progressive Einverleibung von Faktoren in das Selbst, das sich selbst gesetzlich bestimmt, sich selbst bewegt, sein eigener Zweck ist, sich selbst durch eine grundlose intelligible Tat ins Böse verkehrt und damit nicht auf den Einfluß von Welt-Neigungen angewiesen ist, um auf Abwege zugeraten, und dann zuletzt sich in bestimmter Hinsicht auch Gott einverleibt: »Deus est in nobis«. 1798 deutet Kant an, wie die Menschheitsgeschichte aus einer heteronomen Natur- zur autonomen Selbstgeschichte der Menschheit werden kann. Das Thema bezieht sich auf einen Teilbereich der Kantischen Moralphilosophie und zieht hier wiederum nur eine der möglichen Entwicklungslinien aus. Die Frage der Motivation des moralischen Handelns ist jedoch ein zentrales Element, das in der Selbstbewegung angedeutet wurde: Der kategorische Imperativ erzeugt im Menschen selbst die Bewegkraft, die zu seiner Befolgung führt. Ich will vorweg nur auf einen ersten Schachzug in der kritischen theoretischen Philosophie hinweisen; es ist die paradoxe Einverleibung von Zeit und Raum in das Erkenntnissubjekt in der Dissertation De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis (1770). Zeit und Raum werden ihres externen ontologischen Status, den sie noch bei Newton und Wolff haben, beraubt und zu subjektiven Formen der Sinnlichkeit des Gemüts gemacht. Mit dieser Aneignung ist ihre subjektive Unmittelbarkeit gesichert; damit aber ist eine Erkenntnis, die die Anschauungsform thematisiert, irrtumsfrei möglich, und nicht zufällig wurde die Geometrie geschichtlich als erste ausgeführte Wissenschaft von Pythagoras und dann Euklid in fehlerfreien Die Metaphysik der Sitten von 1797 bildet zwar den Abschluß des Zentralbereiches der Moralphilosophie, aber zu ihr gehören auch die Geschichtsphilosophie und die Religionsphilosophie. – Für eine kritische Lektüre des vorliegenden Beitrags danke ich Heiner F. Klemme. 1
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Lehrbüchern vorgelegt. Ähnlich die Logik des Aristoteles, die die formalen Strukturen des Denkens bewußt macht und irrtumsfrei seit ihrem Beginn keinen Schritt vorwärts und keinen Schritt rückwärts tut. Zum Bezugsrahmen dieser Subjektivierung von Zeit und Raum ist festzuhalten: Die Dissertation von 1770 ist die erste kritische Schrift, in der Kant in der entschiedenen Nachfolge von John Locke das philosophische Denken auf das erkennende Subjekt selbst richtet und damit, so die Intention, die ontologischen Behauptungen der Vorgänger vor ein neues Tribunal stellt. »Lock hat den allerwesentlichsten Schritt gethan dem Verstand den Weg zu bahnen. Er hat ganz neue Criteria angegeben. Er philosophirt subjective, da Wolff und alle vor ihm objective philosophirten. Er hat die Genesin die Abstammung und den Ursprung der Begriffe untersucht. Seine Logic ist nicht dogmatisch, sondern kritisch. Wolf frägt: was ist ein Geist? Lock: wo kommt die Idee vom Geist in meiner Seele her? Sie hat niemals einen Geist gesehen; woher kommen diese Gedanken?« (AA XXIV, 338,27–34) Gleich der zweite Satz der Dissertation nimmt das Wort »genesis« auf und sieht in der Ursprungsbetrachtung etwas Wesentliches für die Methode der Metaphysik: »In hac conceptus substrati expositione praeter notas, quae pertinent ad distinctam cognitionem obiecti, etiam ad duplicem illius e mentis natura genesin aliquantulum respexi, quae quoniam, exempli instar, methodo in metaphysicis penitius perspiciendae inservire potest […].« (MSI, 387,7–11) Die beiden Quellen sind in Lockes Tractatus de intellectu humano »sensatio« und »reflexio«, in der Tradition, in der Kant seine Lehre von den beiden Erkenntnisstämmen formuliert, werden sie als sensibel und intelligibel geführt. Zu beachten ist, daß die subjektive Form von Raum und Zeit Kants Erfindung ist und daß sie weder passive Sinnlichkeit noch aktive Intellektualleistung ist; sie sprengt sogleich diesen Dualismus. Die im Titel der Dissertation von 1770 angezeigte Doppelstruktur des Kosmos (mundus sensibilis atque intelligibilis) ist begründet in den beiden Formen und Prinzipien der menschlichen Erkenntnis – das ist die von Locke inspirierte subjektivistische Wende. Locke »philosophirt subjective«: Mit Locke wird die Philosophie Bewußtseinsphilosophie; zur Grundlegung der Quellen, des Umfangs und der Grenzen der Erkenntnis des »intellectus humanus« muß das Subjekt keine Erkenntniserkenntnis betreiben – das wäre zirkulär – sondern sich der eigenen Kompetenzen im Hinblick auf die Erkenntnis »bewußt« werden; das brauchte Descartes noch nicht, der die Ich-Erkenntnis nur zum Muster, aber nicht zur Strukturquelle aller Erkenntnis und ihrer Objekte erhob. Seit Locke ringt die Bewußtseinsphilosophie um die genaue Bestimmung ihres epistemischen Status; Kant sucht seine Zuflucht bei dem alten Titel des Transzendentalen, der paradox ins Subjektive gewendet wird, David Hume dagegen läßt alle Hoffnung fahren und wird, ausgehend von demselben Text wie Kant, zum Skeptiker und Empiristen der »science of man«, die die Gegenstands«erkenntnis« begründen soll. Die Untersuchung von 1770 selbst besagt, daß es im Geist oder Gemüt nicht nur die Formen der Anschauung von Zeit und Raum und damit der Phänomene des mundus sensibilis gibt, sondern auch einen Intellekt, der die Substanzen des mun-
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dus intelligibilis erkennt. Gegen diese letztere Annahme richtet sich die KrV von 1781; sie revidiert die Bestandsaufnahme der ersten Kritik von 1770 und versucht zu zeigen, daß wir im mundus intelligibilis zwar denknotwendige und erkenntnisorientierende Ideen denken, aber deren Objekte nicht im emphatischen Sinn selbst erkennen können. Und jetzt zur Moralphilosophie selbst. Ihr Thema ist das Handeln von Menschen unter moralischen Gesetzen; das Handeln ist als solches vorsätzlich und regelgeleitet, d. h. selbst wenn es uns im Moment nicht klar ist, strukturieren wir nach Kant unser Handeln in einem praktischen Syllogismus mit allgemeiner Prämisse, der Subsumtion des vorliegenden Falles unter diese Prämisse und der Conclusio in der Handlung selbst. Die allgemeine Prämisse ist eine »maxima«, Maxime. Diese Maxime soll am Anfang erörtert werden, und zwar in der Kontrastierung mit Christian Wolff, gegen den Kant seine eigene Theorie entwickelt.
Maximenkritik bei Wolff und Kant Das menschliche Handeln ist von Regeln oder Maximen des Handelnden bewußt gesteuert oder doch begleitet; in dieser Auffassung stimmen Kant und Christian Wolff 2, an dem sich Kant anfangs orientierte, überein.3 Wolff und Kant teilen auch die Überzeugung, daß derartige subjektive Maximen zunächst den Status von bloßen Meinungen haben und damit wie jedes subjektive Urteil der Kritik unterliegen; sie können sich bei dieser Kritik zufällig bewähren, oder aber sie müssen ersetzt werden durch kritikresistente Grundsätze oder Gesetze. Wie sieht die Maximenkritik und -korrektur aus? Hier trennen sich die Wege von Wolff und Kant, der eine geht in eine kognitive, der andere in seiner kritischen Phase nach 1770 in eine voluntaristische Richtung. Das heißt für Wolff: Die Maximenkritik ist Sache des erkennenden Verstandes, der überprüft, worum es bei der geplanten Handlung eigentlich geht, welche Dinge im Spiel sind und wie der Zustand dieser Dinge beschaffen ist. Er führt seine Maxime in einen verstandesgeleiteten Aufklärungsprozeß der progressiven Klarheit und Deutlichkeit und kontrolliert sie an der allgemeinen Handlungsregel: »Thue was dich und deinen oder anderer Zustand vollkommener machet; unterlaß, was ihn unvollkommener machet.« (GS, I.4, 12). Stimmt die Maxime der geplanten Handlung mit der Vervollkommnung überein, soll die Handlung ausgeführt, andernfalls aber unterlassen werden. Der Grad der Vollkommenheit bemißt sich an einer inneren Zusammenstimmung von Wesen und Zustand des Handelnden und der eher externen der Übereinstimmung mit dem Zweck, zu dem eine Handlung oder eine Sache bestimmt ist. Zur Kritik und Richtigstellung der Maximen bedarf es also der Welt- und Menschenkenntnis im Hinblick auf ihr
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Das Wort »Kritik« wird hier zuerst im nicht spezifisch philosophischen Sinn gebraucht. Zu Christian Wolff hier und im folgenden bes. Schröer, 1988.
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Wesen und ihren Zustand; wir sollen den Zustand verbessern, um dem genannten Gesetz zu genügen. Die Natur hat uns so eingerichtet, daß wir klare und deutliche Erkenntnisse des Welt- und Menschenzustandes mit größerer Lust begleiten als dunkle und verworrene; die ersteren sind bei den vollkommeneren Selbst- und Weltzuständen möglich, die letzteren ergeben sich beim gegenteiligen Zustand. Das jeweils Bessere ist also besser erkennbar als sein Gegensatz, und die Natur hat uns so eingerichtet, daß die Vorstellung und Erkenntnis des Vollkommneren von einem höheren Grad an Lust begleitet wird. Wolff läßt sich als materialer Wertethiker bezeichnen. Kant kritisiert nach 1770 diesen Erkenntnis-Ansatz. Erstens entziehe sich die generelle Vollkommenheit, die wir steigern sollen, der menschlichen Erkenntnis.4 Zweitens sei Wolffs Argument zirkulär, denn was vollkommener sei, lasse sich nur dadurch bestimmen, daß es getan werden solle (GMS, 443,3–10).5 Kants eigene Maximenkritik ist der Wolffschen diametral entgegengesetzt. Sie liegt, um mit dem, was sie nicht ist, zu beginnen, sicher nicht in der Probe der Universalisierung. Bei Habermas heißt es z. B. in immer neuen Paraphrasen: »Der kategorische Imperativ hält uns dazu an, die Wahl von Handlungsmaximen im Lichte einer unparteilichen Beurteilung dessen, was alle wollen können, vorzunehmen.« (Habermas, 2004, 193) Nun können zweifellos alle wollen, dass ihre Autos der Natur zuliebe grün gestrichen werden; betrachte ich meine Maxime im Lichte dieses möglichen Wollens aller, dann kann ich mein Auto grün streichen. Aber auch rot wegen der Morgensonne. Was denn nun? Sollte Kant sich auf diesem Niveau der Universalisierung von Maximen und ihren Inhalten bewegt haben? Nein. Kants Kritik entzieht der Handlungsregel zunächst alle objektiven kognitiven Inhalte und damit auch subjektiven emotionalen Implikationen. Beides, kognitiv und emotional, weil der Mensch im »vorkritischen« Naturzustand etwas erkennt, was sein Fühlen, also seine Zuneigung oder Abneigung, erregt und dadurch den Willen und das Handeln bestimmt. In der Kantischen Maximenkritik wird diese naturale Ebene von objektivem Inhalt und subjektiver Neigung außer Kraft gesetzt; mögen sie noch so imponieren – bei der Handlungsentscheidung haben sie kein Mitspracherecht; sie sind pure Heteronomie, denn hier bestimme nicht ich das Handeln, sondern mein Wille unterliegt dem naturalen Zusammenspiel von äußeren Objekten und inneren, auf sie reagierenden Gefühlen; genau genommen ist es also gar nicht mein Wille, der hier geschieht, denn das, was ihn bestimmt, liegt nicht in meiner Macht. Geboten ist dagegen die einfache irrtumsimmune Operation, die Maxime der geplanten Handlung darauf hin zu überprüfen, ob sie ein VerfasVgl. AA XIX, 219,27–220,2 – Refl. 6984: »(Zu § 45 ›naturae convenienter vivit‹:) Zeigt an die regel der philosophiae moralis applicatae und was zur Vollkommenheit eines subjects gehöre; alle principia, die von der Natur entlehnt sind, sind empirisch und gehören also nicht zur philosophia pura.’’ Zur Wolff-Kritik Kants s. a. Schröer (1988, 196–206). 5 Das setzt voraus, daß Kants Willensmetaphysik durchführbar ist, was Wolff bestreiten würde. 4
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sungsgesetz aller sein kann, d. h. eine notwendige und dadurch allgemeingeltende Regel zum oder im Verkehr von vernünftigen Wesen. Das somit nur noch formale Gesetz, durch das die Maxime zunächst gänzlich ersetzt wird, ist das Selbstgesetz der reinen praktischen Vernunft als einer autonomen Instanz und damit der Idee des Willens jeden vernünftigen Wesens als eines allgemein gesetzgebenden Willens. Wir haben also eine Äquivalenz von Form, Allgemeinheit und Notwendigkeit; der Wille bestimmt sich selbst, auto-nom. Die Heteronomie dagegen bringt den Willen in einen Selbstwiderspruch: Der Wille will selbst, und will doch nicht selbst, indem er sich einem Inhalt unterwirft, der über das Gut- und Nichtgutsein der Handlung, also über Tun und Lassen befindet. Im widerspruchsfreien Wollen, also in der bloßen Formbestimmtheit, ist das wollende Subjekt selbstredend gänzlich entprivatisiert und daher mit jedem anderen Vernunftwesen identisch, denn im Prozeß der Maximenprüfung verschwindet das Ich als besonderes und wird das notwendige Ich eines Jeden, der als identischer »citoyen« an der »volonté générale« der noumenalen Welt teilnimmt. Die Diskursethik könnte nach Kant nur die Funktion einer empirischen Einübung in die Konstitution eines Willens haben, der a priori (!) mit dem Willen aller anderen kompatibel ist; dessen sittliche Notwendigkeit selbst vermag sie jedoch nicht zu begründen, sondern bleibt, wenn sie das versucht, heteronom. Wir können viele Inhalte universalisieren, die nicht sittlich notwendig sind (unsere alle rot gelackten Autos), und wir können zu konsensfähigen Inhalten kommen, die sittenwidrig sind, etwa – immer nach Kant – das Schlachten von noch nicht geborenen Menschen. Formal heißt eben: Die Eliminierung des Inhalts aus der Maxime, wenn sie darauf hin geprüft wird, ob sie sich zum Gesetz qualifiziert. Kant ist wenig klar in der Erläuterung dessen, was eigentlich übrig bleibt, wenn man den Formalitätsgesichtspunkt so durchführt, wie er es fordert. Ein möglicher Zugang scheint mir darin zu liegen, dass in der Qualifikation zur Gesetzlichkeit im strikten Sinn sowohl verschiedene Personen (gleichsam Selbst-Substanzen im mundus intelligibilis) wie auch deren Verbindung (ihre actio und reactio aufeinander) erhalten und in den weiten Gesetzen gefördert werden sollen.6 Das Modell wäre also die Physik mit ihren Welt-Erhaltungsgesetzen. In die »volonté générale« der Menschheit passt keine Maxime, die die gemeinsame Welt von Personen zerstört (Verbot von Selbstmord und Lüge als Beispielen). Hieran wird wenigstens deutlich, dass aller Zweck und Inhalt meines Handelns bei der Frage der Moralität der Maxime eliminiert werden muß, ob er nun universalisierbar ist oder nicht. Die unleugbare Schwierigkeit, die formale Moral zu verstehen, führt zu dem großen Erfolg der Maxime, es beim Universalisieren zu belassen.
Die Vorstellung einer moralischen Welt liegt schon im Begriff des »mundus intelligibilis« von 1770 und wird später in allen einschlägigen Schriften wiederholt, vgl. u. a. KrV, A 808– 819. 6
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Der formale sittliche Imperativ läßt sich als Dijudikationsprinzip fassen, nach dem also Handlungsmaximen zu beurteilen sind; wie ich jedoch zum Handeln selbst motiviert bin, läßt die bisherige Analyse offen. Der Anthropologie-Vorlesung Friedländer (bzw. Ms. 400) können wir folgendes Konzept um 1775–1776 entnehmen. Das menschliche Handeln wird in vier verschiedenen Formen reguliert: Erstens durch die äußeren Zwangsgesetze, zweitens durch den Zwang, den das Urteil anderer über unseren Anstand ausübt, drittens durch den Zwang, den das Urteil anderer über unser sittliches Verhalten ausübt; dazu bedarf es gereinigter moralischer Begriffe und der »Achtung für das moralische Gesetz« (AA XXV, 692,36–37), und viertens durch den Zwang des eigenen Gewissens, »wo ein jeder Mensch über sein sittliches Verhalten durch sein Gewißen nach dem moralischen Gesetz urtheilt und auch so handelt. […] Wäre es aber cultivirt, so wäre dieser Zwang, da er ein innerer ist, der stärckste, und denn wäre keiner [sc. kein anderer, RB] mehr nötig.« (AA XXV, 693,20–26) Die Anthropologie ist nicht der Ort, die Theorie der Achtung für das moralische Gesetz und des Selbstzwanges näher auszuarbeiten, aber diese für die spätere Moralphilosophie wesentlichen Stücke werden hier genannt. In der KrV fehlt in den einschlägigen Passagen der Begriff der Achtung und des Selbstzwanges aus dem Urteil des eigenen Gewissens, aber das bedeutet nicht, dass Kant nicht an dieser Position festhält. Sie ist unabhängig von der Notwendigkeit einer theologischen Ergänzung, die sowohl in der KrV wie dann in der Dialektik der KpV und in anderen Schriften postuliert wird. 1781: »Die Sittlichkeit an sich selbst macht ein System aus, aber nicht die Glückseligkeit, außer, sofern sie der Moralität genau angemessen ausgeteilt ist. Dieses aber ist nur möglich in der intelligiblen Welt, unter einem weisen Urheber und Regierer. Einen solchen, samt dem Leben in einer solchen Welt, die wir als eine künftige ansehen müssen, sieht sich die Vernunft genötigt anzunehmen, oder die moralischen Gesetze als leere Hirngespinste anzusehen […].« (KrV, A 811) »Leere Hirngespinste« – 1788 spricht Kant in gleicher Weise davon, das moralische Gesetz müsse ohne Gott und Unsterblichkeit »phantastisch und auf leere eingebildete Zwecke gestellt, mithin an sich falsch sein.« (KpV, 114,7–9) Diese These folgt in der KpV auf die Darlegung des kategorischen Imperativs, der sowohl den Begriff des Guten und Bösen begründet wie auch die Triebfeder in Form einer Achtung vor dem moralischen Gesetz erzeugt. In der Formulierung von 1797: »Da aber der Mensch doch ein freies (moralisches) Wesen ist, so kann der Pflichtbegriff keinen anderen als den Selbstzwang (durch die Vorstellung des Gesetzes allein) enthalten, wenn es auf die innere Willensbestimmung (die Triebfeder) abgesehen ist, denn dadurch allein wird es möglich, jene Nötigung (selbst wenn sie eine äußere wäre) mit der Freiheit der Willkür zu vereinigen, wobei aber alsdann der Pflichtbegriff ein ethischer wird.« (MdST, 379,25–380,6) 7 Zurück zur GMS. In der Maximenkritik wird 1785 der Inhalt der zuvor heteronomen Willkür ersetzt durch die bloße Form dieses Gesetzes, die inhaltsbezogene Neigung als movens zur Handlung durch die Achtung vor dem formalen Gesetz. 7
Zum Zusammenhang vgl. Casas (1995, bes. 34–36).
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Nicht das Gefühl wie z. B. der naturgegebene »moral sense« der englischen Moralphilosophen führt zum moralischen Werturteil und moralischen Handeln, sondern es ist umgekehrt ein Selbsterzeugnis der reinen praktischen Vernunft, die Achtung, die uns zum Handeln bewegt. Die Achtung entspringt der Tatsache, daß die Selbstbestimmung nichts Fremdes, keine Inhalte und keine durch sie evozierten Neigungen neben sich duldet: Die Niederschlagung des herrschsüchtigen Anderen flößt eine realgefühlte Hochachtung ein. Mit der Liquidierung der Inhalte als entscheidungsrelevant wendet sich Kant, wie wir sahen, gegen die Erkenntnis-Ethik von Wolff, aber auch von Platon, dem er 1770 im Erkenntnisvorrang der Idee des Guten zustimmte (MSI, 395–396 – § 9); mit der Liquidierung der inhaltsbezogenen Neigungen als der Motiv-Kräfte des Handelns soll dagegen die englische moral-sensePhilosophie außer Kraft gesetzt werden. Beide Faktoren, gewollter Inhalt und motivierende Neigung, erscheinen also auf der kritischen Ebene in modifizierter Gestalt wieder, so daß jetzt ein sich selbst durch die Gesetzesform regulierendes und energetisch sich selbst durch das Achtungsgefühl motivierendes Willenssystem entwickelt ist. »Und sie bewegt sich doch« – das galileisch-kopernikanische Diktum wird ergänzt durch die Wendung »Und sie bewegt sich selbst«, die reine praktische Vernunft ist Kants sublimierte Parallelerfindung zur englischen Dampfmaschine und zum auto-mobile. »Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille.« (GMS, 393,5–7) Mit der Selbstgenerierung des Guten als des Willens, der sich aus Pflicht oder Achtung dem eigenen Gesetz unterwirft, ist auch der unbedingte Zweck jeder Handlung erzeugt, nämlich jeder Wille, der der Sittlichkeit fähig ist: Das Reich der Zwecke ist das Selbstprodukt der reinen praktischen Vernunft als einer Sozietät, in der jedes Mitglied souveräner Mitgesetzgeber ist und als solcher nicht nur als Mittel gebraucht werden darf. Im Prinzip ist dies kein neuer Gedanke, sondern liegt schon im Kategorischen Imperativ als einem bloß formalen Gesetz, wie wir es oben zu explizieren versuchten (vgl. GMS, 436,8–10). Die reine praktische Vernunft jedes Vernunftwesens vollzieht also diese Selbstgesetzgebung und Selbstbewegung und Selbstzwecksetzung in völliger Freiheit von inhaltlichen Einsprüchen und Vorgaben und besetzt damit positiv das Feld, das die KrV als problematischen Begriff in der Antinomienauflösung freigesetzt hatte. Das vollendete Reich der Zwecke, in dem jedes Glied jedes andere nicht nur als Mittel, sondern auch als Zweck berücksichtigt, gleicht dem vollendeten Organismus einer Pflanze oder eines Tieres. »Ein organisiertes Product der Natur ist das, in welchem alles Zweck und wechselseitig auch Mittel ist.« (KdU, 376,11–13) Das bedeutet, daß kein Teil des Organismus einen anderen nur als Mittel gebrauchen kann, sondern ihn immer zugleich als Zweck erhält. Zieht man diesen Gedanken bis in sein fiktives Ende, so wird die vollendete Sittlichkeit des Reichs der Zwecke zu einem Quasi-Organismus der Natur und die Freiheitsphilosophie zu einem Teil der Naturphilosophie. Schon der vollendete Weise der Stoiker läßt sich bestimmen als ein gänzlich renaturalisierter Mensch.
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Das Selbst in der Kritik der praktischen Vernunft Die KpV von 1788 systematisiert erstens die Lehre von 1785 und zieht zweitens eine einschneidende Konsequenz gegen die KrV und gegen die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Die Systematisierung zeigt sich im dreigliedrigen Aufbau der Analytik der KpV; Kant geht aus vom kategorischen Imperativ als dem Gesetz oder Grundsatz der reinen praktischen Vernunft oder des Willens, geht dann über zum Begriff des Guten und Bösen und stellt drittens an den Schluß die Achtung vor dem Gesetz. Wir haben also die alte psychologische Trias Erkennen, Fühlen und Wollen, nur in einer anderen Reihenfolge als gewöhnlich, denn die naturale Folge ist, wie wir oben sahen, gerade umgekehrt angelegt, dort steht das Erkennen von etwas am Anfang, darauf folgt das durch das erkannte Objekt stimulierte Gefühl der Lust oder Unlust, und es folgt drittens der durch das Gefühl bestimmte Wille der Appetenz oder Flucht am Schluß. Kant weist darauf hin, daß die Analytik der KpV die Anlage der – wie er fälschlich sagt – Analytik der KrV auf den Kopf stellt.8 Das formale Gesetz (1) generiert die inhaltliche Bestimmung der Handlung als einer guten oder bösen (2) und erzeugt die Motivation zum sittlichen Handeln, indem es auf das Gefühl einwirkt und durch Niederschlagung aller Neigungen die Achtung vor eben diesem Gesetz erzeugt (3). Die Vollständigkeit der drei Schritte und ihre notwendige Abfolge sind im praktischen Syllogismus verankert, den Kant als innere Struktur zugrunde legt. In der Maior erscheint die allgemeine Maxime als formales Gesetz, in der Minor wird das Gute konkret bestimmt und in der Conclusio die Handlung aus Achtung vor dem Gesetz vollzogen. Die Minor, die Erzeugung der inhaltlichen Bestimmung der Handlung als einer guten oder bösen, bedeutet eine endgültige Absage an den kognitiven Platonismus, mit dem sich die kritische Moralphilosophie in der Dissertation von 1770 noch verbündete. Platon lieferte das Stichwort einer Ideen- oder Idealorientierung des moralischen Handelns: »Maximum perfectionis vocatur nunc temporis ideale, Platoni idea […]« (MSI, 396,11–17 mit Rückriff auf Zeile 4). Ganz entscheidend, daß Kant 1770 nicht mehr und noch nicht von einer Metaphysik der Sitten neben einer Metaphysik der Natur spricht, sondern beides identifiziert.9 1770 also fallen das objektiv erkannte Gute und das normativ Gesollte im Intelligiblen zusammen, Kant
Vgl. KpV, 90,12–23. Siehe auch Brandt (2002, 155–161). Erste Erwähnung überhaupt in den erhaltenen Dokumenten: BW X, 74,17–18: »[…] ich arbeite jetzt an einer Metaphysik der Sitten« (am 31.12.1765 an Herder); BW X, 97,26–32: »Ich habe mir vorgesetzt, […] diesen Winter meine Untersuchungen über die reine moralische Weltweisheit, in der keine empirische principien anzutreffen sind, gleichsam die Metaphysic der Sitten, in Ordnung zu bringen u. auszufertigen.« (am 2.9.1770 an Lambert) Beide Äußerungen sind noch vereinbar mit einem Platonismus, der eine reine theoretische Erkenntnis des Guten an die Spitze der Moral stellt. – Erste Erwähnung der »Metaphysik der Sitten« in den Druckschriften: KrV, A 850/B 878. 8 9
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wird in dieser Koinzidenz zum Platoniker. Anders in der kritischen Ethik der zweiten Stufe: Jedes Gute überhaupt verfällt jetzt der kritischen Destruktion, wenn es sich nicht als Folge des kategorischen Imperativs ergibt, sondern sich als Gegenstand der Erkenntnis vor die Moral stellen will. Jetzt heißt es explizit, »daß nicht der Begriff des Guten, als eines Gegenstandes, das moralische Gesetz, sondern umgekehrt das moralische Gesetz allererst den Begriff des Guten, sofern es diesen Namen schlechthin verdient, bestimme und möglich mache.« (KpV, 64,2–4) Man sieht hier erneut, wie jeder vorgängige Inhalt, ob er nun universalisierbar ist oder nicht, den Grundgedanken der kritischen Moralphilosophie zerstört. Die Konsequenz seiner kritischen Verkehrung ist nun – das war der zweite Punkt – eine Radikalisierung des Voluntarismus gegen die vorhergehenden Schriften, denn durch den Beginn mit dem kategorischen Imperativ als dem Grundsatz der reinen praktischen Vernunft kappt Kant die Bindung an die Begründungsleistung der KrV in dem einen entscheidenden Punkt: Das Faktum des Bewußtseins, daß wir bedingungslos unter dem selbstgegebenen Gesetz stehen, führt die Unterscheidung von Ding an sich und Erscheinung mit sich, denn die Weise, wie sich das Bewußtsein bei uns meldet, durchbricht alle immer bedingte Sinnlichkeit und führt in eine unbedingte Realität sui generis, die des Dinges an sich oder der Noumena. Das bedeutet, daß die KpV zwar Lehrstücke wie die Kategorientafel aus der KrV entlehnen kann, daß sie ihren absoluten Geltungsanspruch jedoch nicht aus der Beweisführung der Theorie entleiht oder ihn überhaupt noch einer theoretischen Legitimation unterzieht. Beweistechnisch ist hiermit der 3. Teil der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten obsolet geworden,10 es bedarf keiner Legitimation der Sittlichkeit von Gnaden der reinen theoretischen Vernunft mehr, weil der kategorische Imperativ sich selbst in seiner Möglichkeit durch die Wirklichkeit des Faktums begründet. Anders die »Dialektik« der KpV. Hier wird gelehrt, daß die reine praktische Vernunft eines sinnlich limitierten Wesens notwendig auf die Realisierung des Glücks zielt, das nicht identisch ist mit der stoischen Selbstzufriedenheit des sittlichen Handelns. Ich muß daher hoffen können, daß mir ein allwissender, allmächtiger Gott nach dem irdischen Leben das Glück in proportionierter Weise zuteil werden läßt. Ohne diese Vernunfthoffnung sei Sittlichkeit eine Chimäre: »Ist also das höchste Gut [sc. die Vereinigung von moralischer Würdigkeit und wirklichem Glück, RB] nach praktischen Regeln unmöglich, so muß auch das moralische Gesetz, welches gebietet dasselbe zu befördern, phantastisch und auf leere eingebildete Zwecke gestellt, mithin an sich falsch sein.« (KpV, 114,6–9)11 Damit gelangt die KpV zu einer Die GMS wird vorausgesetzt, »aber nur in so fern, als diese mit dem Princip der Pflicht vorläufige Bekanntschaft macht und eine bestimmte Formel derselben angiebt und rechtfertigt; […]«. (KpV, 8,9–11) Worin soll das »nur in so fern« begründet sein, wenn nicht im Ausschluß der »Deduction« (GMS, 454,21) im 3. Abschnitt der GMS, die ausdrücklich revoziert wird (KpV, 47,15–20). 11 Zur »ethica chimaerica« vgl. Baumgarten (1969, 7–8 – Ethica Philosophica § 7); siehe auch AA XXIX, 637, 4–15; AA XXVIII, 320, 13. 10
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Rehabilitierung der ontologischen Wirklichkeit Gottes in der Form der objektiv praktischen Realität. Nur als eine derartige Realität kann Gott die Glückskompensation übernehmen, die beim sittlichen Handeln »nicht in unserer Gewalt ist« (KpV, 119,23), ohne deren Hoffnungsmöglichkeit aber Sittlichkeit nicht möglich ist.12 Aber war dies nicht auch der Standpunkt der KrV, die von einem »Hirngespinst« der moralischen Gesetze sprach, wenn mit ihnen nicht die Hoffnung der proportionierten Glückseligkeit notwendig verknüpfbar ist? Ja und Nein. An der Unabdingbarkeit der Postulatenlehre hat sich zwischen 1781 und 1788 nichts geändert; 1781 fehlte jedoch die Motivfunktion der Achtung vor dem Gesetz, so dass der Glaube an Gott und seine proportionierte Glückszuweisung noch eine motivationale Funktion hatte. Umgekehrt kann man jedoch fragen, ob denn 1788 auf die Analytik der KpV mit ihrer Darlegung des kategorischen Imperativs als eines Dijudikations- und Exekutionsprinzips noch eine Dialektik folgen darf, in der das moralische Gesetz als möglicherweise »phantastisch und auf leere Zwecke gestellt« angenommen wird. Es scheint, daß Kant auch diese Position einer objektiv-praktischen Realität Gottes als Gegenstands meines sittlich notwendigen Vernunftglaubens in der weiteren Entwicklung streicht. Spätestens am Ende der neunziger Jahre macht sich Kant, wenn auch in anderer, nämlich hermeneutischer Hinsicht, das Diktum zueigen, »Deus est in nobis« – wenn Gott aber wirklich in uns ist, kann er nicht als Weltenherrscher im Diesseits und Jenseits das unserer Sittlichkeit angemessene Glück stiften, das nicht in unserer, sondern nur in seiner Gewalt ist. 1798 taucht die Rede vom »Gott in uns« zum ersten Mal in einer Druckschrift auf: »Auch sind sie [die Schriftauslegungen, RB] alsdann nur eigentlich authentisch, d. i. der Gott in uns ist selbst der Ausleger, weil wir niemand verstehen als den, der durch unsern eigenen Verstand und unsere eigene Vernunft mit uns redet, die Göttlichkeit einer an uns ergangenen Lehre also durch nichts, als durch Begriffe unserer Vernunft, sofern sie rein-moralisch und hiemit untrüglich sind, erkannt werden kann.« (SF, 48,4–9) Der Gedanke Gott führt im Opus postumum auf die neue Position, daß die Existenz Gottes nicht postuliert werden könnte, »welches auch in sich wiedersprechend seyn würde« (Op XXII, 116,26); »[…] ob diese Idee, das Product unserer eigenen Vernunft Realität habe oder blos ein Gedankending (ens rationis) sey scheint noch die Frage zu seyn […]. (Op XXII, 117,7–9) »Der categorische Imperativ setzt nicht eine höchst gebietende Substanz voraus die ausser mir ist sondern in meiner Vernunft liegt« (Op XXII, 56,14–15):13 Gott ist dann als »der innere LebensGeist des Menschen in der Welt« (Op XXI, 41,27) zu bestimmen. Ich meine, dass dieser Aspekt einer Entmachtung Gottes bei Kant nur angemessen verstanden werden kann, wenn man sie bezieht auf die progredierende Ermächtigung des Selbst des Menschen; dieses Selbst tendiert nicht nur dazu, Gott zu appropriieren, sondern auch die andere Größe der »metaphysica specialis«, die Welt. 12 13
Vgl. dazu u. a. Bondeli (1997, 204–205). Vgl. Henrich (2004, 1544).
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Die Weltablösung Kant verlegt die Frage der Willensfreiheit in der Mitte der siebziger Jahre aus der Psychologie in die Kosmologie; ob ich frei sein kann oder durchgängig determiniert bin, ist damit kein Problem der Selbsterfahrung und Introspektion,14 sondern eine Frage des Weltbegriffs. Die gesamte praktische Philosophie muß im Feld der beiden Weltbegriffe des mundus sensibilis und mundus intelligibilis rekonstruiert und entschieden werden. Die Kantische Lösung ist bekannt: Als Mitglied der Sinnenwelt unterliege ich der durchgängigen Kausalbestimmung wie jedes andere Phänomen in der Natur; was immer ich tue, es hätte nicht anders geschehen können; auch meine inneren Motive sind nur Glieder in der Kausalkette der äußeren und inneren Natur. Hier also ist die Freiheit genauso wie jede Verantwortung für eine eigene, selbstverursachte Tat gänzlich verloren. Als Mitglied dagegen der intelligiblen Welt bin ich nicht im inneren und äußeren Sinnenbereich determiniert, sondern kann und muß mich verstehen als Glied einer noumenalen Welt, deren Grundgesetz nicht die Gravitationskraft von Newton ist, sondern die Kohäsionskraft des kategorischen Imperativs.15 Und hier gilt, daß ich anders hätte handeln können: Ich bin frei, weil ich als noumenales Subjekt der Zeit und ihrer notwendigen Determination entzogen bin. Diese Freiheit, deren Strukturgesetz durch den formalen kategorischen Imperativ gekennzeichnet ist und die allererst die Möglichkeit der Verantwortung für menschliche Handlungen eröffnet, diese kosmologische Freiheit ermöglicht die Weltgesellschaft von Personen als Subjekten, an die mein Handeln adressiert ist. Wie die Einwirkung aus der noumenalen in die Sinnenwelt möglich ist, bleibt dem Menschen verschlossen, aber grundsätzlich können wir auf einen ontologischen Vorrang der Ding-an-sich-Dimension vor der Erscheinungswelt zählen, so daß eine Einwirkung grundsätzlich plausibel ist, wenn uns auch die technischen Details entzogen bleiben; wir müssen und können sie denken, jedoch nicht erkennen. In diesem vereinfachten Schema gibt es jedoch die Möglichkeit eines fatalen Doppelspiels von Doktor Jekyll und Mr. Hyde. Als freier citoyen der noumenalen Welt möchte ich aus Achtung vor dem Gesetz handeln, als bourgeoiser Bösewicht erliege ich leider in der Sinnenwelt der Attraktion der fleischlichen Lüste, ich bin einfach schwächer. Um seine Theorie vor dieser Schizophrenie zu retten, kann Kant nicht, wie häufig angenommen wird, eine dritte Position einräumen, in der ich mich jeweils bewußt und frei entweder für die moralische Freiheit oder für die Determiniertheit durch die Neigungen entscheide. Eine empirisch kontrollierbare Freiheit zur Freiheit oder Nicht-Freiheit am Scheideweg des Herkules gibt es nicht. Die Lösung (wenn es denn eine ist) liegt in der Unterscheidung von empirischem So lehrt Kant im Winter 1772–1773 in der Anthropologievorlesung, dass aus der Zergliederung des Ich die Einfachheit, die Substantialität, die Vernünftigkeit und die Freiheit der Seele erkennbar sei, siehe AA XXV, 244,22–245,14. 15 So Kants eigene Analogie, siehe KrV, B XXII Anmerkung. 14
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und intelligiblem Charakter des Individuums (1781: KrV, A 539/B 567 und 1788: KpV, 99–100) bzw. in der Annahme einer intelligiblen Tat und einer Wendung zum Radikal-Bösen durch jeden Menschen überhaupt (1793: RGV, 31,32–34). Kants Lehre besagt, daß das einzelne menschliche Subjekt sich in seinem intelligiblen Charakter für das Gute oder Böse entscheidet bzw. jeder in einer intelligiblen Tat immer schon eine Verkehrung der Rangfolge von Neigung und Moral vornimmt und sich für die Präzedenz der Neigung und damit für das radikal Böse entscheidet, sich aber daran im phänomenalen Bereich auch abarbeiten kann und sich zu verbessern vermag. Diese Lösung enthält mindestens zwei Härten: Erstens ist sie prima vista höchst unplausibel, und zweitens zerstört sie, so scheint es, die Handlungsfreiheit im Einzelfall, in dem ich bei der Planung einer Handlung durch den kategorischen Imperativ zur Maximenkontrolle und zur Gesetzesbefolgung aufgefordert bin. Erstens: Das höchst Unplausible an diesen beiden (mit einander kompatiblen?) Konstrukten ist die Verlegung der verantwortlichen Entscheidung in die Zeitlosigkeit, in der das Selbst nur mit sich selbst konfrontiert ist und ohne jeden Grund so oder anders votiert, grundlos, denn es gibt weder eine objektive Materie des Wollens noch eine subjektive Neigung. Würfeln unsere Seelen in ihrer Einsamkeit über den alles entscheidenden Zustand ihres intelligiblen Charakters? Und, über die völlige Grundlosigkeit hinaus: Kant spricht in diesem Zusammenhang nie von einer Freiheit der Entscheidung, eine solche Freiheit wäre systemwidrig. Zweitens: Die Willensfreiheit im uns vertrauten Handeln wird, so scheint es, zerstört, weil sich meine Denkungsart der zeitlichen Entscheidung entzieht – das intelligible Drehbuch meiner Auftritte im Welttheater bestimmt a priori alle Handlungen zu Nachgestikulationen meines intelligiblen Charakters im nur Empirischen. »Man kann also einräumen, daß, wenn es für uns möglich wäre, in eines Menschen Denkungsart, so wie sie sich durch innere sowohl als äußere Handlungen zeigt, so tiefe Einsicht zu haben, daß jede, auch die mindeste Triebfeder dazu uns bekannt würde, imgleichen alle auf diese wirkende äußere Veranlassungen, man eines Menschen Verhalten auf die Zukunft mit Gewißheit, so wie eine Mond- oder Sonnenfinsternis, ausrechnen könnte, und dennoch dabei behaupten, dass der Mensch frei sei.« (KpV, 99,12–19)16 Der gesamte phänomenale Bereich ist also seinerseits bestimmt vom intelligiblen Charakter, der zeitlos durch sich selbst fixiert ist. Bleiben wir kurz beim Letzteren. »Es giebt Fälle, wo Menschen von Kindheit auf, selbst unter einer Erziehung, die mit der ihrigen zugleich andern ersprießlich war, dennoch so frühe Bosheit zeigen und so bis in ihre Mannesjahre zu steigen fortfahren, daß man sie für geborne Bösewichter und gänzlich, was die Denkungsart betrifft, für unbesserlich hält, gleichwohl aber sie wegen ihres Thuns und Lassens eben so richtet, ihnen ihre »Hier hat Kant nun die Freiheit der Handlungen hinter sich zurückgelassen (und der von ihm entfalteten Ethik einen Bärendienst erwiesen).« (Fleischer, 2003, 45) Zur stoischen Quelle vgl. Brandt (2003, 194–195). 16
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Verbrechen eben so als Schuld verweiset, ja sie (die Kinder) selbst diese Verweise so ganz gegründet finden, als ob sie ungeachtet der ihnen beigemessenen hoffnungslosen Naturbeschaffenheit ihres Gemüths so verantwortlich blieben, als jeder andere Mensch.« (KpV, 99,33–100,5)17 Das böse Kind ist für seine Taten selbst verantwortlich, weil es sich in seinem intelligiblen Charakter selbst zum Bösen bestimmt. Das bedeutet aber, daß das Bewußtseinsfaktum des Sittengesetzes, das zur Maximenkontrolle und zur Handlung aus Achtung vor dem Gesetz auffordert, beim bösen Kind entweder nicht anzutreffen ist oder aber im empirischen Dasein a priori gewiß auf taube Ohren stößt. 1793 verhandelt Kant die Problematik unter dem Titel »Von dem Hange zum Bösen in der menschlichen Natur« (RGV, 28,26). Das mir notwendig zuschreibbare Böse kann so wenig wie beim intelligiblen Charakter in der Materie des Willens liegen, denn damit würde die Verantwortung für das sittenwidrige Handeln auf etwas anderes fallen als auf den Handelnden selbst. Dieser könnte die Schuld von sich schieben mit dem Hinweis auf die Übermacht des Sinnlichen. Der Abfall vom Guten muß »selbstverschuldet« (RGV, 32,30) im freien Willen selbst, also in der bloßen Form des Willens liegen. Kant konstruiert ihn 1793 folgendermaßen: Es »muß der Unterschied, ob der Mensch gut oder böse sei, nicht in dem Unterschiede der Triebfedern, die er in seine Maxime aufnimmt (nicht in dieser ihrer Materie), sondern in der Unterordnung (der Form derselben) liegen […]. Folglich ist der Mensch (auch der Beste) nur dadurch böse, daß er die sittliche Ordnung der Triebfedern in der Aufnehmung derselben in seine Maximen umkehrt [… und] die Triebfeder der Selbstliebe und ihre Neigungen zur Bedingung der Befolgung des moralischen Gesetzes macht […].« (RGV, 36,19–30) Diese (nicht als frei bezeichnete!) grundlose Verkehrung der Maximen ist eine »intelligible That« (RGV, 31,32; 39,26), die zeitlos jenseits jeder konkreten Handlung des Menschen liegt. Im menschlichen Handeln also erklärt sich der Einfluß der Neigungen auf die Handlungsentscheidung durch eine nicht-empirische, nicht datierbare, grund- und motivlose, nicht als frei bezeichnete Tat des Subjektes selbst; jeder ermöglicht auf Grund dieser zuschreibbaren Verkehrung der Maximen in ihrer Vor- und Nachordnung die Überwältigung durch die Neigungen, die uns als das Andere unserer selbst entgegentreten. Es kann nicht untersucht werden, in welchem Verhältnis jetzt die intelligible Tat des Menschen überhaupt (1793) zur Selbstbestimmung des individuellen intelligiblen Charakters (1781 und 1788) steht; wichtig ist für unsere Gedankenschneise der Selbstgewinnung des Kantischen Subjekts die in beiden Konzepten angenommene gänzliche Isolierung des sich selbst zum Bösen (oder auch beim individuellen intelligiblen Charakter zum Guten) bestimmenden Subjekts; diese Isolierung aus dem Weltzusammenhang führt dazu, wie schon gesagt, daß für die Selbstbestimmung kein externer Grund mehr angebbar ist – die Tat erfolgt ohne jedes Motiv, 17
Vgl. dazu Brandt (2003, 194–195).
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ohne Verlockung oder Pression einfach so, ein Quantensprung der menschlichen Seele. Diese Schwierigkeit, die Kant zu bewältigen sucht, ist indifferent gegenüber Systemzwängen der kritischen Philosophie, denn wir können sie bei Platon und Dante, bei Leibniz und Rousseau finden.18 Die genannten Autoren verhandeln die »intelligible That« unter der Problemstellung der Theodizee, die Kantische Variante stellt dagegen nicht die Verantwortung des Subjekts gegenüber Gott, sondern gegenüber einer uns determinierenden Natur heraus; in beiden Fällen ist jedoch entscheidend die Schlußemphase: Der Mensch kann seinen bösen Hang nicht einer anderen Instanz anlasten, sondern verschuldet sein moralisches Versagen selbst. Mit der Selbsterzeugung des Bösen durch eine Urtat des Menschen trennt sich die Menschheit von der Natur. Der Mensch erzeugt mit seiner Tat sich selbst als verantwortliches Subjekt, hier liegt allererst der ideelle Ursprung der Freiheit – in der Verkehrung des vormoralisch Guten. Diese eigene Erzeugung des eigenen Zwiespalts ist die Trennung von Freiheit und Natur auch in dem Sinn, daß die Natur keine eigene Geschichte hat, weil sie ohne die kreative Kraft des Bösen bleibt. Für Kant ist die Geschichte der Menschheit die Aufgabe, das Unheil der Urtat zu versöhnen hin zum sittlichen Guten und zum rechtlichen Friedenszustand. Man sieht hier, wie wichtig Kants Zweiweltentheorie ist. Sie erlaubt es ihm, gegen Rousseau zu opponieren und dem ersten Satz des Emile sein eigenes Doppelprinzip entgegen zu stellen. Hieß es dort: »Tout est bien, sortant des mains de l´auteur des choses: tout dégénére entre les mains de l´homme« (OC IV, 245 – Emile I), so antwortet Kant im Mutmaßlichen Anfang der Menschengeschichte: »Die Geschichte der Natur fängt also vom Guten an, denn sie ist das Werk Gottes; die Geschichte der Freiheit vom Menschen, denn sie ist Menschenwerk.« (MAM, 115,32–34) Gegen das fatalistische »tout génère« steht Kants Hoffnungslogos einer eigenen, vom Menschen initiierten Freiheitsgeschichte des Menschen.
Im Unterweltmythos des X. Buches der Platonischen Politeia liest man zum Problem von Prädetermination und freiem Willen: »Ein neuer todbringender Umlauf beginnt für das sterbliche Geschlecht. Nicht euch wird der Dämon erlosen, sondern ihr werdet den Dämon wählen. Wer aber zuerst gelost hat, wähle zuerst die Lebensbahn, in welcher er dann notwendig verharren wird. Die Tugend ist herrenlos, von welcher, je nachdem jeglicher sie ehrt oder geringschätzt, er auch mehr oder minder haben wird. Die Schuld ist des Wählenden, Gott ist schuldlos.« (Platon, 1958, 307 – Politeia 617d–e) Und Dante schreibt in der Mitte der Divina Commedia über die Selbstverantwortung des Menschen: »Der Himmel leitet eure Bewegungen ein; / ich sage nicht: alle, aber gesetzt auch ich sagte es, / so ist euch doch ein Licht gegeben zum Guten und Bösen / und ein freier Wille« (Dante, 1958, 363 – Divina Commedia II 16, 73–76) Gott ist gut und gerechtfertigt, weil wir das moralische Übel selber wählen. Leibniz wird das Problem mit derselben Antwort unter dem Titel der Essais de Théodicée sur la Bonté de Dieu, la liberté de l´homme et l´origine du mal (1710) verhandeln, und Rousseau schreibt in der »Profession de foi du vicaire Savoyard« des Emile, daß das moralische Übel zweifellos unser eigenes Werk ist, »la providence est justifiée« (OC IV, 587–589). 18
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Das dritte Reich Die gedankliche Entwicklung, die sich als zunehmende Einverleibung des NichtSelbst in das Selbst kennzeichnen läßt, charakterisiert auch Kants Religionsphilosophie. Sie kennt drei Epochen: Die jüdische, die christliche und die der reinen Vernunftreligion. Der jüdische Glaube ist im eigentlichen Sinn noch kein Glaube, sondern eine Religion der vollendeten Äußerlichkeit; die christliche Religion dagegen vermittelt zwischen Außen und Innen, und die letzte, die sich jetzt nach Kant und mit Kant anbahnt, zielt ganz auf die innere Sittlichkeit der Menschen. Während der jüdische Glaube politisch und rein immanent konzipiert ist und sich auf ein Volk beschränkt, wirkt das Christentum in größere Teile der Welt hinein; die Vernunftkirche dagegen ist endgültig global, denn in ihr vereinigt sich die Menschheit im ganzen unabhängig von ihren lokalen Traditionen. »Der erniedrigende Unterschied zwischen Laien und Klerikern hört auf, und Gleichheit entspringt aus der wahren Freiheit, jedoch ohne Anarchie, weil ein jeder zwar dem (nicht statutarischen) Gesetz gehorcht, das er sich selbst vorschreibt, das er aber auch zugleich als den ihm durch die Vernunft geoffenbarten Willen des Weltherrschers ansehen muß, der alle unter einer gemeinschaftlichen Regierung unsichtbarer Weise in einem Staate verbindet, welcher durch die sichtbare Kirche vorher dürftig vorgestellt und vorbereitet war.« (RGV, 122,3–10) Ein ethischer Staat auf Erden, in dem die gesamte Menschheit befaßt ist, notwendig gedacht unter Gott, dessen Idee jedoch ganz aus der menschlichen Vernunft stammt und daher bei allen Mitgliedern dieser unsichtbaren Kirche identisch ist. In der »allgemeinen Weltreligion« (RGV, 131,29) muß das Postulat der Unsterblichkeit mitgedacht werden, weil »ohne Glauben an ein künftiges Leben gar keine Religion gedacht werden kann« (RGV, 126,16–17; gegen das Judentum gerichtet). Die »Religion innerhalb der bloßen Vernunft« ist die authentische Auslegerin jeder geoffenbarten Religion und liefert die zentralen Glaubenselemente der Weltreligion, deren Artikel damit allgemein mitteilbar sind, d. h. von jedem Vernunftwesen aus den eigenen Ressourcen produziert werden können. Mit dieser Idee einer aus der reinen praktischen Vernunft rekrutierten Weltreligion stellt Kant dem ewigen Frieden des Rechts das ethische Pendant entgegen (RGV, 124,5). Die tradierte christliche Offenbarung hat eine Überleitungsfunktion, so wie die absolutistischen Rechtsstrukturen zum Staat und globalen Staatenbund des reinen Vernunftrechts überleiten. Die Weltreligion, die »religion civile du monde«, und der globale Staatenbund sind gänzlich geschichtslos konzipiert; es gibt keine überkommenen Glaubens- und Herrschaftsansprüche von Altar und Thron, sondern nur die Selbstbestätigung der sittlichen und rechtlichen lebenden Menschheit. Eine wichtige Vorarbeit für die versittlichte, in den Menschen selbst zurückgenommene Religion hatten die Sozinianer und unter ihnen vor allem John Locke geleistet, indem sie darauf insistierten, daß der Mensch nicht für eine ihm ganz unbekannte Erbsünde haften kann (und entsprechend auch keines Erlösers von dieser Erbsünde bedarf), sondern nur für die Taten, die er sich selbst in seiner
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»personal identity« zueignen kann. Hier gewinnt das neuzeitliche emphatische Selbst seine besondere Kontur, die von Kant übernommen und weitergeführt wird.
Der Enthusiasmus der Revolutionierenden Der Titelbegriff vom »Enthusiasmus der Revolutionierenden« wird von Kant im zweiten Abschnitt des Streits der Fakultäten formuliert.19 Man kann ihn interpretieren als eine Selbst-Wende gegenüber der Geschichtsphilosophie der vorhergehenden Phase. Die Kantische Geschichtsphilosophie von ca. 1775 bis ca. 1795 verknüpft Moralund Naturphilosophie. Der Moralanteil besagt, daß wir mit guten Gründen hoffen können, daß die reale Geschichte des Menschengeschlechts unter der Leitung der Vorsehung in sich vernünftig ist und zu einem allgemeinen Rechts- und Friedenszustand fortschreitet. Wer moralisch handelt, handelt realistisch, weil sein Tun der Wirklichkeit insgesamt korrespondiert. Das Ziel der Menschheitsgeschichte ist also moralitätskonform, die Mittel aber, die die Geschichte bis hin zum Erreichen des ewigen Friedens anwendet, sind, so finden wir zu unserem Erstaunen, vom reinen Utilitarismus geprägt; was immer zum Endziel führt, wird von der Natur-Vorsehung ohne alle Skrupel als Mittel verwendet. Während die Kantische Moral- und Rechtsphilosophie gerade eine Kontrolle der für irgendwelche Ziele zu verwendenden Mittel gebietet, setzt die Geschichtsphilosophie umgekehrt eine Natur frei, der für das eine moralische Ziel jedes Mittel recht ist – Mord, Totschlag, Ausrottung ganzer Stämme und Völker, die Vorsehung kennt keine moralischen Bedenken in der Wahl ihrer Werkzeuge. Sie bedient sich vor allem dreier unmoralischer Triebe als Bewegkräften der Geschichte: Ehrsucht, Herrschsucht und Habsucht (IaG, VIII 21, 8 u.ö.). Während auf der moralischen Seite des einzelnen Menschen diese Neigungen bekämpft werden, wählt die Natur sie bedenkenlos als besonders effiziente Zugkräfte der Menschheitsgeschichte. Blickt man sich um in den einschlägigen Schriften des 17. und 18. Jahrhunderts, so entdeckt man eine überraschende Frequenz der drei niederen Motive im menschlichen Handeln. Thomas Hobbes spricht von ihnen bei der Analyse der menschlichen Natur im Buch »Of man« des Leviathan20, bei Bernard de Mandeville geistern
Es ist hier und in anderen positiven Stellungnahmen zur Französischen Revolution deutlich gesagt, dass sich Kant auf den Revolutionsprozeß der neunziger Jahre, speziell auf die Abwehr der preußisch-österreichischen Interventionsarmee bezieht. Den Umschwung von 1789 hat Kant nicht als einen Akt des Umsturzes einer gewalthabenden Regierung interpretiert; zur Rechtsauffassung, die sich durchgängig gegen jede gewaltsame Revolution wendet, vgl. in der Rechtslehre (MdSR, 318–323). 20 Hobbes (1991, 88 – Leviathan Chap. 13). Genannt werden »Competition«, »Diffidence« und »Glory«, bezogen auf »Gain«, »Safety« und »Reputation«. 19
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sie durch die Fable of the Bees, und Giambattista Vico nennt sie in seiner Scienza nuova21. Offenbar liegt der Trias eine Systematik zugrunde, die man rasch entdeckt, wenn man ihre positiven Antipoden aufspürt. Es sind die drei Kardinaltugenden der Platonischen Politeia; 22 an die Stelle der Bescheidung (modestia) tritt die Habsucht, die Tapferkeit (fortitudo) ist zur Herrschsucht pervertiert, und die Klugheit (prudentia) wird von der Ehrsucht abgelöst. Für Hobbes bildet die Trias der moralisch negativen Motive das Natursubstrat, das die Staatsmacht so einhegen muß, dass die Menschen sich in ihrem gegeneinander gerichteten Begehren nicht mehr lädieren. Bernard de Mandeville faßt die moralischen Tugenden als unerreichbare Ideen auf und überliefert die effiziente Menschengesellschaft so wie den Bienenstaat 23 nicht mehr den guten Beweggründen, sondern den üblen »private vices«, die unbeabsichtigt zum »public benefit« führen. Vico verbindet diesen Ausbund von Lastern mit der Formel, in der Politik und Gesetzgebung würden die Menschen nicht wie in der Philosophie, d. h. bei Platon, betrachtet, wie sie sein sollen, sondern wie sie (nach dem Sündenfall) nun einmal sind. Mutatis mutandis ist genau dies die Kantische Position in der Kräfteanalyse der antagonistischen menschlichen Gesellschaft. Es läuft alles auf etwas Gutes hinaus: »public benefit« als Ziel der Geschichte, wenn man dieses Ziel als einen Rechtszustand des Friedens interpretieren darf. Auf dem Weg dahin benutzt jedoch die mephistophelisch-göttliche Vorsehung oder Natur die »private vices« ohne jede Hemmung. Dem Menschen ist es damit bei Kant paradoxerweise sowohl untersagt, an der Natur Kritik zu üben, wie auch der Natur zu folgen und nach der stoischen Maxime »naturgemäß« zu leben. Die Kritik wird untersagt: »Die natürlichen Triebfedern dazu [? RB], die Quellen der Ungeselligkeit und des durchgängigen Widerstandes, woraus so viele Übel entspringen, die aber doch auch wieder zur neuen Anspannung der Kräfte, mithin zu mehrerer Entwicklung der Naturanlagen antreiben, verraten also wohl die Anordnung eines weisen Schöpfers; und nicht etwa die
Vico (1963, I, 107): »La legislazione considera l´uomo qual è, per farne buoni usi nell´umana società: comme della ferocia, dell´avarizia, dell´ambizione che sono i tre vizi che portano a travverso tutto il gener umano, ne fa la milizia, la mercatanzia e la corte, e sì fa la fortezza, l´opulenza e la sapienza delle repubbliche; e di questi tre grandi vizi, il quali certamente distruggerebbero l´umana generazione sopra la terra, ne fa la civile felicità.« Ganz im Sinne dieser Politik mit moralwidrigen Motiven operiert die Kantische Vorsehung. 22 Vgl. Platon, Politeia IV. Die negativen Laster, die den vier Kardinaltugenden entgegengesetzt sind, werden in den Büchern VIII und IX der Politeia dargestellt. 23 Mandeville nimmt ein Motiv aus dem Hobbesschen Leviathan auf: »It is true, that certain living creatures, as Bees […] live sociably one with another, (which therefore by Aristotle numbred amongst Politicall creatures;) and yet have no other direction, than their particular judgements and appetites; […] Secondly, amongst these creatures, the Common good differeth not from the Private; and being by nature enclined to their private, they procure thereby the common benefit.« (Hobbes, 1991, 119 – Leviathan Chap. 17) 21
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Hand eines bösartigen Geistes, der in seine herrliche Anstalt gepfuscht oder sie neidischer Weise verderbt habe.« (IaG, 21,35–22,4) Ein kurioser Text – wer ist nur auf die Idee mit dem bösartigen Geist gekommen? Im Gegensatz zum Stoiker darf der Kantianer somit nicht der Natur in seiner Handlungskontrolle folgen, sondern er soll die gänzlich anderen Wege der Freiheit und der Moral einschlagen. Natur und Moral stehen sich in der Geschichtsphilosophie diametral gegenüber bis auf den einen Fluchtpunkt der Naturgeschichte: Das Gute des Endes. Moralisch sind die kolonialen Verwüstungen der Europäer in den anderen Kontinenten verboten, geschichtsphilosophisch aber müssen sie gut sein. Kant notiert: »Alle racen werden ausgerottet werden […], nur nicht die der Weißen.« (AA XV, 878,19–21 – refl. 1520) Die weiße Rasse ist die einzige, die für eine globale Rechtsordnung geeignet ist. Kant durchschlägt 1798 den gordischen Knoten, in den sich Natur-Vorsehung und Freiheit in seiner Geschichtsphilosophie verstrickt haben, mit den Waffen der Revolutionierenden in der geistreichen Nation der Franzosen, die der Invasion der preußischen und österreichischen Truppen standhalten: »[…] daß wahrer Enthusiasm nur immer aufs Idealische und zwar rein Moralische geht, dergleichen der Rechtsbegriff ist, und nicht auf den Eigennutz gepfropft werden kann. Durch Geldbelohnungen konnten die Gegner der Revolutionirenden zu dem Eifer und der Seelengröße nicht gespannt werden, den der bloße Rechtsbegriff in ihnen hervorbrachte, und selbst der Ehrbegriff des alten kriegerischen Adels (ein Analogon des Enthusiasm) verschwand vor den Waffen derer, welche das Recht des Volks, wozu sie gehörten, ins Auge gefasst hatten [die zugehörige Anmerkung spricht vom »Enthusiasm der Rechtsbehauptung«, RB] und sich als Beschützer desselben dachten; mit welcher Exaltation das äußere, zuschauende Publicum dann ohne die mindeste Absicht der Mitwirkung sympathisirte.« (SF, 86,9–87,2) Dies ist das außerordentliche Phänomen, das sich nicht mehr vergißt: Die Menschheit zeigt, daß sie sich die Zielsetzung der Geschichte zu eigen macht und jetzt die Rechtsentwicklung kein Element der wüsten Naturgeschichte mehr sein wird, sondern der Menschengeschichte selbst. So entmachtet der Mensch die Natur und eignet sich die Geschichte selbst zu. Man beachte, wie genau der innere Rechtsenthusiasmus die bisherigen äußeren Bewegkräfte ablöst. Wir hatten Habsucht, Ehrsucht und Herrschsucht als die drei mephistophelischen Triebkräfte der Geschichte und der Ökonomie ausgemacht. Zwei davon werden ausdrücklich genannt: Der Sold der Söldner, ihre »Geldbelohnungen« entsprechen der »Habsucht« und der »Ehrbegriff des alten kriegerischen Adels« ist die »Ehrsucht« als Motiv der Offiziere. Die dritte, die »Herrschsucht«, wird ausgelassen, weil sie in Berlin beim König und in Wien beim Kaiser geblieben ist. An die Stelle der drei materiellen Motive tritt bei den Franzosen als der politisch fortgeschrittensten Nation die idealische Rechtsbehauptung, die in der Seele der Menschen selbst ihr einheitliches Fundament hat. »Enthusiasmus« heißt wörtlich: »Gott in uns«; so konvergieren im Spätwerk noch einmal die Gedankenlinien, die seit dem Beginn der kritischen Philosophie auf die Einverleibung des Äußeren zielen.
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Resümee In der Kantischen Philosophie vollziehen sich vom Beginn bis zu den letzten Notizen im Opus postumum immer neue Verschiebungen, Umbrüche, Neubelebungen alter Gedanken; diese Bewegungsphilosophie ist zugleich bestimmt durch den Erhalt konstanter Lehrstücke und Fassaden, so dass eine Klärung von Problemen im Theorieverständnis außerordentlich schwer ist. In der vorliegenden Skizze sollte einer der vielen möglichen Schneisen durch das kritische Œuvre angedeutet werden, die sich auf die Rolle des Selbst beziehen. Die Bestimmung des Menschen ist für Kant seine Selbstbestimmung, deren Dynamik aber führt zu einer wachsenden Selbstaneignung von Anderem, Fremdem in die autonome Kompetenz des Selbst.
Literatur AA BW GMS IaG KpV KrV KdU MAM MSI MdSR MdST Op RGV SF
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Constructivism, Intrinsic Normativity, and the Motivational Analysis Argument Patrick Kain
I. Kant’s universal law formulation of the categorical imperative can be fruitfully interpreted as a formal procedure for the »construction« or specification of substantive moral principles. On such a Rawlsian interpretation, moral »judgments are valid and sound if they result from going through the correct procedure correctly and rely only on true premises.« Such a procedure can be considered »constructive« in at least two senses: first, it may be useful in resolving moral disagreements; and second, the judgments that result from its implementation may be viewed as constructed by it (Rawls, 2000, 238–241, cf. Rawls, 1989).1 While Rawls tended to contrast such a »constructivist« theory with moral realism, absent an account of the status of the procedure itself, its metaethical implications are unclear. On Rawls’ interpretation of Kant, it turns out, the procedure itself is not constructed, but rather »laid out;« it is based in a »conception of free and equal persons« and is ultimately authenticated by its coherence into a conception of the unity of reason (Rawls, 2000, 239–241, 266–268). This account of the procedure has appeared to some as a concession to realism or dogmatism (O’Neill, 2003a; 2003b;1989, 206–218).2 Other Kantian theorists have proposed a »deeper« or more »radical« version of constructivism which accounts for the authority or normativity of the procedure itself in a clearly anti-realist manner. Constructivist or »ideal agent« theories of normativity claim that what makes a principle normative is that rational agents endorse or possess a motive of a certain kind to comply with it, or that they endorse or possess such a motive to comply with it insofar as they are rational. On this type of theory, it is the actual or potential presence of a certain kind of »non-factive« mental state capable of motivation that constitutes normativity; norms are »constructed« out of such motivational states. In so far as metaethical realism requires For interpretation and refinements of the »CI-procedure,« see, for example, O’Neill (1989), Herman (1993) and Reath (1994). For reservations about and criticisms of a procedural interpretation of the categorical imperative, see for example, Wood (1999, 91–107, 164, 182) and Herman (1993, 147). 2 For other discussions of the metaethical implications of Rawls’ interpretation, see also Krasnoff (1999) and Kain (2004, esp. n. 5 and n. 88). 1
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that the norms of practical rationality are mind or »stance independent,« radical constructivism is clearly an anti-realist doctrine.3 According to what has become a very influential interpretation of Kant in the English-language literature, Kant was such a constructivist about normativity and this constructivist anti-realism is among the most distinctive and important, if controversial, contributions of his theory. On Korsgaard’s interpretation, for example, the obligatoriness or »intrinsic normativity« of obligatory actions is constituted by or grounded solely in the intrinsic properties of an agent’s motives or maxims: obligation and, more generally, normativity are located completely »in the first-person perspective,« »in the motivational properties of people« (Korsgaard, 1996b, 257; Korsgaard, 1996a, 67).4
Moral realism is often articulated as the view that there are moral claims that are literally true and that their truth is not dependent upon people’s beliefs, activities and social conventions (Sayre-McCord, 1988; Boyd, 1988). As Milo has noted, moral realism is consistent with a weak form of mind dependence; what it precludes is stance dependence, the view »that moral facts supervene on other facts (including psychological facts) only as a consequence of these other facts being made the object of some intentional psychological state, such as a belief or attitude (perhaps under idealized conditions)« (Milo, 1995, 191–192). »Realists believe that there are moral truths that obtain independently of any preferred perspective, in the sense that the moral standards that fix the moral facts are not made true by virtue of their ratification from within any given actual or hypothetical perspective.« This can be consistent with recognizing that there would be no obligations if there were no rational agents to be obligated (Shafer-Landau, 2003, 15). 4 Korsgaard insists that Kant applies constructivism »all the way down,« to the justification of the categorical imperative itself (Korsgaard, 2003, 112–115, 118). »For Kant acts of valuing are the source of all value – all legitimate normative claims – not the other way around. Obligation does not arise from value: rather obligation and value arise together from acts of the legislative will« (Korsgaard, 2005, 95). Ascriptions of a fundamentally constructivist or ideal observer theory of normativity to Kant are shared by many others. O’Neill has argued that Kant is a »radical« metaethical ethical constructivist: the fundamental principles of practical reason, including the categorical imperative, are »vindicated,« without moral realism, if it can be shown that it is the only principle that could be chosen by a plurality of finite interdependent individuals concerned with finding or constructing »some common authority« »to organize their thinking and doing together« (O’Neill, 2003a, 356, 358). The normativity is ultimately vindicated by this very concern or commitment. »We are unavoidably committed to thinking and acting[…]« (O’Neill, 1992, 291; cf. O’Neill, 2004). On Krasnoff’s account, the »CI-procedure« is »a constructed procedure:« it is what is chosen by »agents committed to the idea of rationally justified principles« (Krasnoff, 1999, 403, 407; cf. Milo, 1995, 192–3). Wedgwood describes the Kantian conception of practical reason as »the clearest example of constructivism« which holds, at bottom, that the fundamental principles of practical reason do not have an »external« justification; their justification turns on »what is going on inside the agent’s mind,«(Wedgwood, 2002b, esp. 141, 140, 146–147) e. g., the agent’s non-factive mental states and the facts that supervene on them (Wedgwood, 2002a, 358). Along similar lines, Darwall interprets Kant’s theory as a model of the »ideal agent theory of normative reasons,« according to which »there are no truths about normative reasons that are independent of what 3
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The potential appeal of this radical Kantian constructivism is at least two-fold. First, it promises to neutralize skepticism about the motivational force of norms because it understands norms themselves in terms of the motivational or volitional states that constitute them or out of which they are constructed. Second, it intends to provide an account of objective normativity which is free of significant metaphysical »baggage« and thus largely immune to threats posed by the »Modern Scientific Worldview.« On its face, it presupposes only that we have or could have certain mental states, e. g., a specific class of motivational or volitional states; and this is something that may be, in principle, accessible to introspection (Schneewind, 1991; Korsgaard, 1996b).5 Of course, one significant challenge for constructivism is to present an adequate account of the objectivity and binding authority of norms solely in terms of the motivational states which are alleged to constitute them. I have argued elsewhere that, appearances to the contrary, Kant’s conception of »self-legislation« presents a serious impediment to many constructivist interpretations of his work (Kain, 2004). Here I want to examine one specific line of argument offered for radical constructivism in particular, an argument that focuses upon Kant’s account of moral motivation. Korsgaard has argued that Kant’s »motivational analysis« of the concept of obligation in Grundlegung I shows that it is good maxa free rational agent would regard as reasons. What makes something a reason for acting is that it would be treated as such in an ideal agent’s deliberations« (Darwall, 1998, 171 emphasis added, cf. 147). Earlier, Darwall described Kant’s theory as a model of »constitutive existence internalism:« »normativity just is the force of motives resulting from self-determining practical reasoning.« »Facts concerning what agents ought to do are constituted by motives they can acquire through practical reasoning« and the correct nature of practical reasoning can »be specified internally« (Darwall, 1992, 168–169, 157–158, 165). Darwall has also classified Kant’ s theory as a model of »autonomist internalism,« noting that such a theory »retains a normative element in its ideal of autonomy,« yet holds that »the only thing unqualified justification is likely to be is something we can construct in the course of [the] search [for unqualified justification].« But this approach seems to assume »that fully normative unqualified reasons exist« (Darwall, 1990, 263–264, 266, 261). Some theorists prefer to characterize metaethical constructivism as a thesis about the construction or conferral of value, but typically note that it also requires a conception of practical reason or norms »specified in terms of a set of formal (non-evaluative) principles« (Gaut, 1997, 177–178, cf. 163). Of course, there are a variety of other views and claims about Kant and Kantian ethics that are associated with the term »constructivism.« For a brief discussion, see Kain (2004, esp. n. 5). 5 Of course, Kant thought that we can never be certain about the content of our own maxims or motivating reasons (GMS, 407). He also seemed to recognize that a good willed person may lack an articulate, complete, or accurate grasp of the justifying reason for his action. It may also turn out that certain, critically important features of our motivational states (such as their putative causal or rational origins or causal efficacy) are not themselves apparent to introspection and may entail significant metaphysical claims about the nature of our minds.
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ims, subjective practical principles chosen by people, that are »intrinsically normative entities,« and that such norms are valid »because we legislate them;« it is our motivational commitment or »endorsement that does the work« (Korsgaard, 1996a, 66; Korsgaard, 1996b, 254–257).6 Despite significant recent attention to Kantian theories of moral motivation and to many aspects of Korsgaard’s work, this motivational analysis argument for constructivism has received surprisingly little attention.7 In this paper, I reconstruct and critically evaluate this tempting, allegedly Kantian motivational analysis argument and determine what it can establish. I will argue that, while it helps to clarify certain important features of the normative relationship between the will and the supreme principle of morality, this argument fails to establish constructivism about normativity. I will not be primarily interested here in close textual or contextual exegesis of Kant’s texts, but rather, will concentrate upon the argument as it proceeds from central Kantian claims. In section II, I offer a reconstruction of the motivational analysis argument for constructivism. In section III, I propose two important modifications of the central concept of »intrinsic normativity.« Finally, in section IV, I suggest that once these modifications are made the motivational analysis helps us to make sense of the claim that the supreme principle of morality must be »intrinsically normative,« but it fails to establish the constructivist claim that the supreme principle’s normative authority is constituted by or depends solely upon agents’ motivational states.
II. A motivational analysis of obligation, Korsgaard explains, attempts to discover the nature of obligation by identifying the motives from which obligatory acts are performed by a morally good person (Korsgaard, 1996a, 47). The key »assumption behind such an analysis is that the reason why a good-willed person does an action, and the reason why the action is right, are the same. The good willed person does the right thing because it is the right thing, so if we can discover why the good-willed person does it, we will have ipso facto discovered why it is the right thing« (Korsgaard, 1996a, 60–61).8 At some points, Korsgaard suggests the argument is intended to reveal »the principle of action which characterizes a good will« or »the principle of unconditionally good action« (Korsgaard, 1996a, 55, 60). But more generally, she suggests that it reveals »what the concept of obligation contains« and what »the source of intrinsic normativity, and […] of obligation« is (Korsgaard, 1996a, 46, 65). 7 Although, see Kerstein (2002), Gaut and Kerstein (1999), Cullity and Gaut (1997, 19– 20), Stratton-Lake(1998, 8). 8 By »right,« Korsgaard means »obligatory« or »morally necessary,« not just »morally permissible« (Korsgaard, 1996a, 69n11). This is what Stratton-Lake means by »lawlike« (StrattonLake, 2000). 6
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The analysis begins with reflection upon people’s motivations to fulfill some relatively uncontroversial obligation: for example, the obligation to help others in grave need, at least when it is at little cost to oneself, or the obligation to make only promises one intends to keep. Employing the standard distinction between motivating reasons and justifying reasons, the first premise of the argument could be stated as follows: 9 (1) The good-willed person’s motivating reason for adopting an obligatory maxim is (a mental state which has as its semantic content) the justifying reason for adopting that obligatory maxim.10 This first premise seems to be supported by Kant’s familiar claim that »pure reason can be practical,«(KpV, 15) and the claim that pure reason is practical in a good willed person. That is, a good willed person is not merely motivated, somehow or other, to do that which morality requires, but is motivated by morality’s demands themselves. This possibility is closely connected to the »internalism requirement« for practical reasons.11 If this is correct, we can learn about justifying reasons by examining the motivating reasons of good willed agents. On the distinction and relationship between motivating, explanatory or operative reasons and justifying or normative reasons see (Korsgaard, 1996a, 49; Baier, 1958, 148–156; Baier, 1995, 63–66; Scanlon, 1998, 18–19). Since we are talking about justifying obligation, it is a matter of »requiring« rather than merely »justifying strength« in Gert’s terminology (Gert, 2002, 318). 10 It is tempting to just say »the good willed person’s motivating reason is the justifying reason.« But there is reason for caution here. One might object that motivating reasons and justifying reasons cannot be, strictly speaking, identical, because a motivating reason must always be a mental state such as a belief, desire, or attitude whereas justifying reasons are facts, often extra-mental facts, such as »her life was threatened,« which, at least in some contexts, might require or justify action independently of an agent’s awareness of them (Stratton-Lake, 2000, 20–22; Scanlon, 1998, 56–57). Supposing this distinction is correct, it is not unreasonable to hold that the mental states which constitute a motivating reason may have facts, even extra-mental facts, as their semantic content. One can acknowledge this possibility and still maintain a close connection between the justifying reason for an action and the good-willed agent’s motivating reason for it in terms of the semantic content of her motivating reason, as in the main text: the good willed agent’s motivating reason can or does have the justifying reason as its semantic content. As I will suggest below, Kant himself seems to take this position when he claims that the justifying reason is the moral law while the good willed agent’s motivating reason is respect for the moral law. Of course, even if both are mental states, the internalism requirement only requires motivational function insofar as one is rational. 11 In this context, internalism is a thesis about the necessary connection between norms (or normative judgments) and the will. On one popular version, internalism maintains that N is a norm binding on an agent A if and only if A would be motivated to comply with N insofar as A is rational. As Korsgaard has explained, »practical reason claims, if they are really to present us with reasons for action, must be capable of motivating rational persons.« Simi9
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It is tempting to construe this first premise as the basis of a very short argument to constructivism. Since Kant is committed to thinking that an agent’s motivating reasons must be understood as a product of his choice to adopt or »incorporate« an incentive into his maxim,12 the identity of semantic content in the motivating and justifying reasons demanded by premise (1) might seem to directly entail that the justifying reason is constituted by the choice of the good willed person. Unfortunately, this short argument is either unsound or question-begging. In order to avoid begging the question, the first premise must simply claim that one entity or semantic content plays two, perhaps discrete, functional roles: it is both the good willed person’s motivating reason and the justifying reason. But if the two functions may be discrete, then that in virtue of which the entity or content fulfills the first role need not be that in virtue of which it fulfills the second. One cannot simply assume that the mental act of making some content one’s own maxim is what constitutes the justification for doing so. The phrase »good willed person’s motivating reason« appears to involve more than merely being the product of someone’s choice; it may presuppose the goodness or justifiability of the choice. This leaves it open, for the moment, whether it is in virtue of fulfilling (or appearing to fulfill) the role of a justifying reason that that content is chosen by and motivates the good willed person, or vice-versa. The good willed person might be motivated by obligatory maxims because they are obligatory, rather than them being obligatory because they are something that motivates him.13 A successful motivational analysis argument for constructivism must close this gap. As Korsgaard explains, the Kantian motivational analysis also makes a distinctive, if controversial, claim about the good will: a good will fulfills its obligations, not from natural inclination, not from the desire for pleasure or the attachment to some contingent purpose, but »from the motive of duty« (Korsgaard, 1996a, 47, cf. 58, 61). larly, whatever motivates (purely) rational agents, precisely insofar as they are rational, might be plausibly construed as a norm (Korsgaard, 1996a, 315–317, cf. 329–331). There are two easily confused senses in which this is an »internalism« requirement. First, and originally, it requires an »internal connection« between practical reasons or judgments or justifying reasons, on the one hand, and motives or motivating reasons, on the other. Second, to the extent that motives or motivating reasons are themselves psychologically »internal« states of an agent, it also requires something about what is (or could be) internal to an agent. This is why »the force of the internalism requirement is psychological« (Korsgaard, 1996a, 329). In a very perceptive discussion, Smit interprets Korsgaard’s internalism as involving the motivational efficacy of a cognitive »appreciation,« »grasp,« or »rational appreciation« of reasons, but this is unnecessarily strong and it appears to conflict with what Smit later dubs her »autonomism« (Smit, 2003, 206, 210, 227). For present purposes, all that is necessary is that agents can be motivated by the very mental state that has the norm as its content. 12 Allison has dubbed this the »Incorporation Thesis« (Allison, 1990, 40, citing RGV, 24; cf. Korsgaard, 1996a, 57, 162 f., esp. 165). 13 As Korsgaard allows, it could turn out that »moral reasons motivate because they are perceived as binding« (Korsgaard, 1996a, 43).
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The reason why the good willed person adopts an obligatory maxim or performs an obligatory action is »because it is necessary – that is, it is a law – to perform such an action.«14 The good-willed person’s maxim has »legal character« and »since the legal character of the maxim is what motivates the good-willed person, it is that, and nothing else, that makes the action or the purpose right« (Korsgaard, 1996a, 61). Thus: (2) The good-willed person’s motivating reason for adopting an obligatory maxim is (a mental state which has as its semantic content) the »legal character« of that maxim. From (1) and (2), we infer: (3) The justifying reason for adopting an obligatory maxim is the »legal character« of that maxim. Now, Korsgaard continues, comes the »delicate« and »critical step« in the motivational analysis argument: because a justifying reason is supposed to pick out »the real reason why the action« is obligatory, it must be an intrinsically normative entity; it must be something that is intrinsically obligatory because it must stop the justificatory regress, bringing »the endless reiteration of the question ›why must I do that?‹ to an end« (Korsgaard, 1996a, 60–61; Korsgaard, 1996b, 34).15 Only an intrinsically normative entity can answer »the normative question.« This principle, when conjoined with the foregoing, implies that »the maxim must not get its legal character from anything outside of itself. For, if there were an outside source of legal character, then that source, rather than the legal character itself would be what makes the action right. Instead, the maxim’s legal character must be intrinsic […]« (Korsgaard, 1996a, 61).16 (4) If the justifying reason for adopting an obligatory maxim is the »legal character« of that maxim, then »legal character« must be an intrinsic property of obligatory maxims. Before proceeding, it is important to get a bit clearer about the nature of intrinsic properties. Intrinsic properties are distinguished from extrinsic properties. One helpful way of articulating the distinction is that
There is a difficulty with the claim that »the motive of duty« provides a sufficient basis for the performance of obligatory actions: as Marcia Baron’s contribution suggests, imperfect duties, which tend to be the clearest examples of positive duties, typically underdetermine particular actions (Baron, 2006). The adoption of obligatory maxims, however, may elude this problem. 15 This is an example of reason’s search for the »unconditioned« (Korsgaard, 1996b, 94, 111). 16 »A law in the nature of things, if it is understood as a theoretical or metaphysical principle that is external to the will […] can only make our maxims extrinsically, not intrinsically, normative« (Korsgaard, 1996a, 66; cf. Korsgaard, 1996b, 98). 14
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P is an extrinsic property of an object x if and only if x’s having P consists in some relation which x bears to some distinct object; a property P is an intrinsic property of an object x if and only if x has P and P is not an extrinsic property of x.17 If we think about physical objects for a moment, we can see that the weight of a physical object is not an intrinsic property: weight is a measure of the gravitational forces acting upon an object (and its reciprocal action upon other objects.) In contrast, the mass of a body is a measure of the quantity of matter that makes up the body. We ordinarily think of mass as an intrinsic property of objects.18 We should also note that the distinction between intrinsic and extrinsic properties is not the same as that between essential and contingent properties.19 Being self-identical is an essential intrinsic property of objects; and being present in Marburg, a contingent extrinsic property of some objects. But the two distinctions can part ways. For example, if numbers necessarily exist then I have the essential property of »being accompanied by the number 21,« but this is an extrinsic essential property of me.20 Likewise, some of my intrinsic properties are contingent properties. Right now I have a mass of about 75 kilograms, but I could have failed to have that much mass (as indeed I did when I first started thinking about this topic.) The motivational analysis argument employs the concept of intrinsic properties in order to rule out the dependence of justificatory reasons upon anything external to the maxims of agents. The precise nature of this demand for intrinsic normativ-
I believe that what I have to say here informally about intrinsic properties fits well with Francescotti’s work on the subject (Francescotti, 1999). In the preceding sentence, by »an extrinsic property of an object x,« I have in mind what Francescotti calls an »d-relational property,« i. e., roughly, a property, the exemplification of which by x consists in a relation which x bears to some distinct object. Francescotti takes »consists in« to involve nothing less than identity because mere logical equivalence is too weak (599). But, in general, I think identity is too strong because it rules out asymmetry and the possibility of a non-sparse theory of properties and relations. We may even want to provide for asymmetry while remaining agnostic about whether the relata or the relation is more fundamental. See also, for example, Langton and Lewis (1998) and Vallentyne (1997). The precise definition of intrinsic properties is a much contested issue in analytic metaphysics that has attracted significant recent attention. Philosophers have used the intrinsic vs. extrinsic terminology to mark a number of different distinctions having to do with the non-relationality, qualitativeness, or interiority of a property or characteristic; see Weatherson (2002). It is also clear that historically, many philosophers have used the term »intrinsic« to mean essential, without any implications of non-relationality or interiority. For an interesting discussion of intrinsic and extrinsic properties in relation to Kant’s theoretical philosophy, see Langton (1998). 18 At least in classical physics, that is. In Einsteinian physics, mass itself varies according to the relative motion of the observer, but the contrast within classical physical theory can still be helpful in fixing ideas about intrinsic and extrinsic properties. 19 See Francescotti (1999, 596–597). Weatherson (2002) cites Dunn (1990) on this point. 20 Here I follow Francescotti, contra Langton and Lewis, and Vallentyne. 17
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ity emerges from the way Korsgaard deploys it against a theological voluntarist theory of obligation: »Suppose that right actions were those commanded in laws laid down by God. According to Kant’s analysis, the good-willed person does these actions because it is a law to do so. But why is it a law to do so? The answer is: because God so commands. Now, which of these two reasons is the reason why the good-willed person does the action, which is also the reason why the action is right? If the action is right because God commands it, it is not right because its maxim is intrinsically legal; and the reason why the good-willed person does it will not be grasp of its legal character, but response to divine command. This is contrary to Kant’s analysis. The maxim of the action must be legal in itself […]« (Korsgaard, 1996a, 62–63). The Kantian’s problem with this proposed theological voluntarist theory of obligation, Korsgaard contends, is not that God’s existence may be illusory or merely contingent, nor that the content of God’s commands or prohibitions is contingent.21 The problem is that »the legal character of a maxim and the divine commandedness of an action are not analytically the same thing« (Korsgaard, 1996a, 62).22 Even if it were a necessary truth that God exists and commands us to act on certain kinds of maxims, if it were his commandments that made them obligatory, obligation would only supervene on the intrinsic properties of the maxim (and the agent’s will). If God’s commands must figure in the complete justification of obligation, as the theological voluntarist suggests, then the justifying reason is not constituted solely in virtue of the intrinsic features of the maxim; it must include God as an extrinsic relata. The maxims would not be obligatory solely in virtue of their intrinsic properties. To generalize the point: any »law in the nature of things, if it is understood as a theoretical or metaphysical principle that is external to the will, gives rise to exactly the same problem that divine law does. Laws in the nature of things can only make our maxims extrinsically, not intrinsically, normative« (Korsgaard, 1996a, 66). The motivational analysis argument turns on the fact that if justifying reasons were to take such a form, then they would not correspond with the good-willed person’s motivating reason, as required by premises (1), (2) and (3). That is: premises (3) and (4) entail (5) »Legal character« must be an intrinsic property of obligatory maxims.
Here I depart from the analysis of Gaut and Kerstein (1999, 25) and Kerstein (2002, 76). Compare Lewis’s example of a divine command theory where the commands are contingent (Lewis, 1986, 16n10). 22 Korsgaard confuses the matter a few lines later when she equates being »analytically or essentially the same thing,« which is perhaps what leads Gaut and Kerstein to equate intrinsic and essential properties. 21
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In a further step, Korsgaard claims, the Kantian argues that »lawlike form« (a feature identified by the universalizability test) is the only intrinsic property of a maxim that could constitute its »legal character.« 23 For present purposes, however, we should focus on this claim that »legal character« or obligatoriness must be an intrinsic property of obligatory maxims. Even if it is not sufficient to establish the objectivity of obligation, it seems sufficient to establish the truth of constructivism. When extrinsic factors are excluded, it appears that »there is nothing left« to be the bearer and source or ground of normativity other than the agent’s own actual or dispositional motivational states.24 Our maxims are subjective volitional and motivational states, elements of the first person perspective chosen by us, and it would seem that their intrinsic properties are simply features of and even products of our volitions. Which semantic contents my maxims include is determined by me, and more generally, which intrinsic properties my maxims possess seems to be determined by me.25 Since the intrinsically normative volitional states are the contents or »the products of our own legislative wills,« their normative status appears to depend upon and be constituted by our acts of volition, imposition and endorsement (Korsgaard, 1996b, 112, 254). Thus, normative principles, including the moral law, possess their normative authority »because we legislate them.« Obligation is constituted by and grounded completely »in the motivational properties of people« (Korsgaard, 1996a, 66, 67).
III. The success of the motivational analysis argument turns upon the conception of intrinsic normativity deployed in premise (4). Premise (4) requires that justifying reasons must be constituted by the intrinsic properties of maxims; obligatory maxims must exemplify intrinsic normativity. If legal character were an extrinsic property of a maxim, so the thought goes, then the complete explanation of the obligatoriness of an action (or maxim adoption) should be made, not in terms of the extrinsic »legal character« of the maxim, but in terms of the ultimate source or sources from which the maxim does derives its legal character. There are, however, two complications that must be taken into account.
Gaut and Kerstein have criticized Korsgaard’s argument for this claim (Gaut and Kerstein, 1999, 24–25). One might also question whether »universalizability« can be an intrinsic property of maxims that have it. 24 For a similar line of argument, see Darwall (1992, 167; 1998, 171). 25 Of course, some properties (such as having semantic content) may be essential intrinsic properties of all maxims, and they will not be subject to my choice; although perhaps I could avoid their instantiation by failing to adopt any maxims at all. Such properties are unlikely to be themselves the source of normativity, however. 23
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First, although Korsgaard implies and I have presented the argument as if ordinary »particular« maxims could be intrinsically normative, it turns out that the only maxim fit to serve this role is the supreme principle of morality itself. If we take the notion of intrinsic normativity seriously, it seems that particular obligatory maxims such as »I will make promises only in good faith« or »I will aid others« will fail to be intrinsically normative. The normative status of such maxims is derived from the content (and authority) of the supreme principle and may also depend upon additional »anthropological« facts about us and other truths about the world crucial to their derivation from the supreme principle.26 What does the ultimate justificatory work is the »intrinsically normative« supreme principle. This implies, given the assumptions of the motivational analysis argument, that such particular maxims cannot be justifying reasons, and hence cannot themselves be a good willed person’s motivating reason.27 If only the supreme principle of morality can serve as a justifying reason for an obligatory action, then the good willed person’s motivating reason for performing an obligatory act must have the supreme principle as its content. It is clear, however, from the basic concept of a supreme principle that it cannot have its authority in virtue of any distinct principle.28 So if there is a supreme principle, only it could be an intrinsically normative principle.
This emerges from a close examination of Korsgaard’s own analysis. On the practical contradiction interpretation of the universalizability test, obligatory maxims are maxims that an agent must will only under the assumption that the agent must will only universalizable maxims. Thus, Korsgaard is wrong to claim that »only those maxims shown to be necessary by the universalizability test – only those to which my own will commits me – are intrinsically normative« (Korsgaard, 1996a, 65). Only the categorical imperative itself is intrinsically normative; the normativity of specific obligations is derivative. Part of the confusion is a result of Korsgaard’s shift from conceiving of a maxim as »the grounds on which the action along with its purpose has been chosen,«(57) as the »ground for the adoption of a purpose,«(60) or as that which »expresses your conception of a law«(57) to a focus upon »particular« maxims, such as the one involved in a deceitful promise (63–64). For Korsgaard’s discussion of deceitful promising, see Korsgaard (1996a, 63–64, 76n60). For helpful clarification, see also Korsgaard (2005, 95, esp. n52). For recent discussions of the importance of anthropological assumptions in Kantian moral judgment, see Wood (1999), Herman (1993), Höffe (1994). 27 It might appear that this saddles Kant with an untenable moral psychology, one that is vulnerable to »one thought too many« objections, insofar as it suggests that some fact like »Mary was in need« can never be either a justifying reason or, by implication, the content of the motivating reason of a good willed person. But although it could not by itself be the motivating or justifying reason, perhaps it could be a part of a whole that is both (if the whole includes the supreme principle). This possibility will depend upon one’s account of the motive of duty or »respect for the moral law« and the ultimate formulation of the thesis about the close relation between motivating reasons and (intrinsically normative) justifying reasons. For treatment of this issue more generally, see (Stratton-Lake, 2000). 28 This feature may be hinted at in Grundlegung II when Kant considers the possibility of 26
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This point should not be too surprising since Kant’s analysis in Grundlegung I is part of his attempt to identify the ultimate source of moral worth and the »supreme principle of morality,« that principle or law in virtue of which all particular obligatory maxims are obligatory.29 It also fits Kant’s own account of the motivating and justifying reasons involved in duty. What the text of Grundlegung I suggests is that the good will’s motivating reason or subjective principle for obligatory acts is the representation of or »respect for the moral law« and that the objective principle or justifying reason is the moral law, the supreme principle itself.30 »Nothing other than the representation of the law in itself […] insofar as it and not the hoped-for effect is the determining ground of the will, can constitute the preeminent good we call moral« (GMS, 400–401).31 There is a second problem with the account of intrinsic normativity: the normativity of a law, especially its obligatoriness, seems to be a polyadic relation or a relational property, rather than a monadic intrinsic property. As Korsgaard herself sometimes points out, »In order to be a law, […] a principle […] must […] be normative for the person who is to follow it: there must be some intelligible reason why it binds that person« (Korsgaard, 1996a, 63, 62).32 So the motivational analysis
»another law« supporting apparently rival candidates for the role of supreme practical principle (GMS, 432, 444) As Korsgaard may herself notice: »Kant is analyzing the good will […] in order to discover the principle of unconditionally good action« (Korsgaard, 1996a, 60). Note that supremacy may not always be an intrinsic property. To the extent that singularity may entail supremacy, and that singularity is an extrinsic property, supremacy may be extrinsic as well. If there is any »intrinsically normative« principle, it must not be derived from any other principle. And thus, if there is a supreme principle, from which all other principles are derived, then it is the only possible »intrinsically normative« principle. 29 See (GMS, 392); cited at Korsgaard (1996a, 55). See also Kerstein (2002, 1–2). 30 This suggests that in this passage, at least, Kant thinks the moral law itself can be a maxim, or rather, that a maxim can have the moral law as its content. 31 One textual problem with Korsgaard’s claims about intrinsic normativity is that the presence or significance of the intrinsic-extrinsic distinction in Kant’s own discussion, esp. in the text of Grundlegung I, is less than clear. As Kerstein and Gaut have noted, the closest text Korsgaard actually cites on this point explicitly asserts only that no particular »law determined for certain actions« could be (or be the basis for) the supreme moral requirement (GMS, 402) (Gaut and Kerstein, 1999, 24; Kerstein, 2002, 75). 32 Korsgaard herself is sometimes inclined toward a relational or polyadic analysis: »A maxim is a demand we make on ourselves: the relation is built into its nature« (Korsgaard, 1996b, 138n10). She also suggests that value »supervene[s] on the structure of personal relations« or the relations between person stages (Korsgaard, 1996a, 276, 301; cf. Korsgaard, 1996b, 137–138, 166). It is important to recall, however, that supervenience is too weak for the purposes of the motivational analysis argument. Schneewind also suggests that obligation is grounded in a relation, a relation between »the rational and nonrational aspects of the self« (Schneewind, 1998, 40). Each of these suggestions may be technically inconsistent with Korsgaard’s original claim that maxims are intrinsically normative, but as I will suggest, we
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argument must turn on the claim that obligation consists in a certain kind of relation between the supreme principle of morality and each person for whom it is normative. Presumably, part of the idea is that this relation must obtain in virtue of the intrinsic properties, especially the semantic content, of the supreme principle, as we have seen. But, as just noted, this is not sufficient. Part of the grounding of the normativity relation must also be some intrinsic property or properties of the person bound by the principle. The »Internalism Requirement« entails that a principle can have normative force for an agent only if that agent can (under certain conditions) be motivated to follow it.33 Thus the normativity of the supreme principle must depend, at least in part, upon some claims about its subject’s actual or possible motivational states, which necessarily include claims about intrinsic properties of his will. This is why a complete account of its normativity cannot »bypass« or proceed solely in terms of things »external« to the subject’s will (Korsgaard, 1996a, 65, 66). When we focus upon a relational conception of normativity and upon the supreme principle of morality rather than particular maxims, the fate of the motivational analysis argument turns on the answer to two questions. First, which intrinsic properties of the will are essential to grounding the normativity of the supreme principle? Second, why think these properties are jointly sufficient for and only these properties are relevant to its normativity? The constructivist thesis is that unconditional obligation obtains solely in virtue of the motivational states of the agent (and the semantic content of the supreme principle) without dependence upon any »external« relata. The exclusion of any features of or relations to anything distinct from the principle and the motivational states of the agent’s will are what is decisive. The argument turns, then, upon understanding unconditional obligation or »intrinsic normativity« as a completely internal normative relation between the supreme principle and its subject’s motivational states.34 But what precisely is the warrant for this claim? What justifies the
may be able to capture most of the intended Kantian point in terms of a special class of relations. Alternatively, we might suspect that Korsgaard means to conceive of normativity as an essential, rather than intrinsic feature of maxims. But, since extrinsic essential properties involve relations to distinct objects, and thus do not preclude explanation that refers to the properties of distinct objects, including those that may be mind-independent, such an interpretation would undermine the argument for constructivism. 33 See note 11. 34 In general, a completely internal relation is one that obtains solely in virtue of (or is constituted by?) the intrinsic properties of its relata. I say »completely internal« because Moore and others have used the term »internal relation« broadly to cover any necessary connection. Lewis has recently suggested that »an internal relation is one that supervenes on the intrinsic natures of its relata« (Lewis, 1986, 62). For present purposes, this is too strong in one way and too weak in another. If »intrinsic natures« means more than »intrinsic natural properties« (e. g., if it means »intrinsic essential properties«) then it is too strong. (Though
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exclusion of everything other than the intrinsic properties of the subject’s motivational states? As the motivational analysis argument notes, Kant argues that the supreme principle of morality cannot borrow its motive or authority from the actual or expected effects of complying with it or from a desire for such effects. That is part of the lesson of the »second proposition« in Grundlegung I (GMS, 399). Moreover, if the supreme norm applies to all rational beings in the same categorical way (which Kant insists it must), its authority cannot depend upon any presupposed intention to produce some contingent, material, producible, or »to be effected« end or »object« of the will.35 The authority of the supreme principle cannot be derived from the authority of any distinct principle, nor depend upon divine authority, nor can it depend upon any of the subject’s contingent ends or contingent motives, nor upon any contingent facts about the world. Kant insists that the normative relation holds always and necessarily for any being to whom it could apply at all, which implies it must depend upon essential intrinsic properties, and not merely contingent intrinsic properties, of the wills of beings to which it applies; insofar as he insists that it necessarily applies to each rational being, it must depend upon kind-defining intrinsic properties of rational beings. Thus, Kant seems committed to the claim that the fundamental normative relation between the moral law and a rational agent is an absolutely internal relation between the norm and will, a relation constituted only by or obtaining solely in virtue of some essential, kind-defining intrin-
this point does not apply once we proceed to consider absolutely internal relations below.) If supervenience only requires invariance across (some range of) possibilities, then it is too weak because it would be useless to detect or rule out necessary »background conditions« which could be hidden relata. A three-place relation with a necessary relatum could be confused with a two-place internal relation because both would supervene on the intrinsic properties of the two non-necessary relata. This parallels a problem in the definition of intrinsic properties cf. Francescotti (1999, 599). Korsgaard’s treatment of a divine command theory, discussed above, reveals the importance of this point. Wedgwood defines »internal facts« in a way that includes any fact that supervenes upon a thinker’s non-factive mental states and any fact about explanatory relations between other internal facts (Wedgwood, 2002a, 358). For his discussion of internalism in epistemology, because most of the »external« candidates involve contingency, this may be fine; but in the present context, this may be too weak, since most of the potential »external« elements are necessary if relevant at all. 35 This remains implicit in Grundlegung I, although it is made explicit in the Preface, and especially in section II: »[Whatever] is derived from the special natural constitution of humanity- what is derived from certain feelings and propensities, [or] even, if possible, from a special tendency that would be peculiar to human reason and would not have to hold necessarily for the will of every rational being—that can indeed yield a maxim [valid] for us but not a law. […] [It cannot yield] an objective principle on which we would be directed to act even though every propensity, inclination, and natural tendency of ours were against it« (GMS, 425, trans. Gregor, 1996). The principle may not be an imperative for all rational beings, but it still applies to all as a categorical principle.
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sic properties of a rational will and the intrinsic properties of the law (its semantic content).36 The fundamental normative authority of the supreme principle of morality must arise from the nature of the rational will. I submit that what Kantians should mean with the talk of »intrinsically normative« entities and unconditional practical normativity boils down to this claim about the absolutely internal normative relation between the supreme principle of morality and each agent’s will.
IV. What does the motivational analysis argument reveal about constructivism? Under the proposed reformulation of the conception of intrinsic normativity, the focus shifts from being explicitly about the intrinsic properties of agents’ motivational states to being about the essential intrinsic properties or nature of the will. What remains to be determined is whether there are grounds for thinking that the only relevant essential intrinsic properties of the agent’s will are or are reducible to her actual or dispositional motivational states. Here it is important to recall that the relevant relation is not just a motivational relation; it must also plausibly constitute or ground an objective normative-justificatory relation. What motivational state could constitute the authority of the supreme principle? Within the good willed agent, three motivational states are obviously present – the good willed person is motivated by (respect for) the supreme principle; she is motivated to adopt obligatory maxims; and having adopted an obligatory maxim, she is motivated to act upon it. But none of these motivations itself obviously constitutes the normative relation.37 First, these motivations could It may be the apparent directness of obligation that is supposed to exclude the possibility of any additional relata, even necessary ones, from the fundamental normative relation (Kain, 2004, sec. II, citing KGS 27:261–2). Kant’s moral argument for the existence of God and his conception of divine commands may turn out to require a specific interpretation of this claim, however. It may turn out that part of the »authority« of the moral law for some finite agents may depend upon the real existence of God, something which is not an intrinsic property of such finite beings or their maxims. While the fundamental normative relation may be an absolutely internal relation between norm and will, it may turn out that the relevant capacity to be rationally motivated is not possessed intrinsically by beings like us (Kain, 2005). Perhaps it is the fact that the relevant properties of the will are essential properties that leads to the mistaken assumption that the normativity of the supreme principle is an intrinsic monadic property of the principle. Likewise, the fact that propositions like the moral law have their semantic content essentially leads to the suggestion that it is only the will that is responsible for its normativity. Thus, »Nothing except my own will can make a law normative for me« (Korsgaard, 1996a, 65). As Korsgaard notes, philosophers often »veil or obscure« internal relations (Korsgaard, 1996a, 271). 37 Why assume that any »maxim to which your own will commits you is normative for you?« (Korsgaard, 1996a, 63). 36
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at best constitute the normativity of the supreme principle for those who share them; if some may lack such a motivations it could not account for the principle’s authority for them and thus could not be the basis of a common objective normativity even in those with such motivation. Second, even if one stipulates or shows that all rational beings are or could be motivated by the supreme principle in the same way, there is still a problem.38 The universal presence in rational beings of an actual or dispositional motivation to comply with a certain principle may not be sufficient to ground the principle’s normative authority. Kant, in fact, thought that all human beings are motivated by the »evil maxim,« that we tend to subordinate the demands of the moral law to our other concerns. The claim that we all are, and that perhaps all other rational beings may be so motivated certainly should not entail that the evil maxim is normative or authoritative.39 Showing that there is one and only one principle that all rational agents are motivated to follow might go a long way towards establishing its authority. But even then, the fate of the constructivist claim that the motivational state constitutes the principle’s normativity, rather than presupposing or depending upon it, would turn upon the details and assumptions of that argument for that motivational claim. The burden of the motivational analysis argument is to show that the normativity of the supreme principle of morality not merely supervenes upon, but is constituted by or solely dependent upon essential and intrinsic features of each agent’s »internal« motivational states (and the semantic contents of the principle). But the fact that the normativity relation must be an absolutely internal relation between the moral law and the will does not establish that it is constituted by or depends solely upon actual or dispositional motivational states. The argument fails to establish that the relevant essential intrinsic properties of the will are exhausted by or reducible to its actual or possible motivational states.40 Of course, one important mode of epistemic access to the essential properties of the will is through an analysis of and reflection upon actual volitional states and the processes of deliberation associated with them. Every basic rule of rationality must »make sense« to those who follow it, so there is a sense in which the basic principles of practical reason-
Korsgaard suggests, for example, that Kant’s »argument from spontaneity« establishes that the Formula of Universal Law is a principle of a spontaneous will by showing that it is a principle »about which it is impossible, unnecessary or incoherent to ask why a free person would have chosen it« (Korsgaard, 1996a, 164, 166). Smit provides a thorough analysis of recent suggestions that certain motivations are constitutive of rational agency (Smit, 2003). Of course, the presence of such motivational states is entailed by the conjunction of the normative relation and the internalism requirement: if something is a genuine universal norm, all rational agents are motivated by it insofar as they are rational. 39 Kant, of course, does not hold that all rational beings can be motivated by the evil maxim. God, presumably, could not be motivated to adopt it. 40 We haven’t even been offered a reason to think that the essential intrinsic properties of the will are reducible to its possible volitional states. 38
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ing, including the supreme principle of morality, must be accessible within and leave some motivational footprint in rational deliberation (Wedgwood, 2002a, 354, 364 f.; Smit, 2003, 197). But, for all that has been said, the essential intrinsic nature of the will may be part of the explanation for many of the features of these motivational states. While we would expect many of the essential intrinsic properties of the will to be reflected in actual and hypothetical volitions, we cannot simply assume that the former are reducible to or explicable exclusively in terms of the latter. In closing, we might consider Kant’s famous claims that each rational being exists as an end-in-itself and possesses dignity (GMS, 428). One can imagine that dignity and being an end-in-itself are essential intrinsic properties of rational wills, but they are not obviously constituted by the agent’s motivational states. These properties seem quite relevant to the nature of unconditional obligation; in fact Kant himself seems to suggest that they are the only possible ground of a possible categorical imperative (Donagan, 1977, 229–239; Wood, 1999). If the argument of this paper is correct, the motivational analysis argument itself provides no reason to reject this apparently realist understanding of its normativity. The motivational analysis helps to uncover the nature of the alleged internal relation between the supreme principle of morality and the nature of the rational will, but it does not demand the adoption of a constructivist theory of normativity.41
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I would like to thank the participants in this conference and Karl Ameriks, David Solomon, Paul Weithman, and Jeff Brower for helpful comments on earlier versions of this paper. I would also like to thank the Alexander von Humboldt-Stiftung for financial support during part of the work on this paper, and for facilitating my participation in this conference. 41
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Moralische Stärke: Tugend als eine Pflicht gegen sich selbst Robert B. Louden
Kants Ethik wird heute, zweihundert Jahre nach seinem Tod, umfassender diskutiert als jemals zuvor. Obwohl die Nationen dieser Erde einen Zustand, in dem »die Rechtsverletzung an einem Platz der Erde an allen gefühlt wird« (ZeF VIII, 360), leider noch nicht erreicht haben, und obwohl die Menschen auch noch keinen wesentlichen Fortschritt hin zu einem »ethischen gemeinen Wesen« oder einer »allgemeinen Republik nach Tugendgesetzen« (RGV VI, 94, 98) gemacht haben, so ist der Einfluß von Kants Ethik gegenwärtig dennoch zweifellos weitaus stärker und tiefer als der jedes anderen Teilaspekts seines philosophischen Systems. Wie häufig in der Philosophie, liegt auch hier eine Teilerklärung für den schieren Umfang der entsprechenden Debatten darin, daß wir weiterhin mit widerstreitenden Darstellungen der Theorie und ihrer spezifischen Problematik konfrontiert sind – Darstellungen, die sich zusammengenommen wechselseitig auszuschließen scheinen und keinen wahren Sieger ergeben. Während beispielsweise viele Autoren Kants Ethik nach wie vor als den Archetypus einer deontologischen Theorie charakterisieren, haben andere in jüngerer Vergangenheit darauf bestanden, daß die »Kantische Ethik keine Deontologie« ist, daß Kant ein »Utilitarist gewesen sein könnte«, daß sich seine Ethik entweder »eher als teleologisch denn als deontologisch gezeigt hat«, oder wenigstens »die traditionelle Unterscheidung« zwischen Deontologie und Teleologie unterläuft, und daß seine »Theorie ethischer Pflichten der Denkart nach konsequentialistisch« ist.1 Zu dieser Irritation trägt auch bei, daß wiederum andere Autoren behaupten, Kant hätte letztendlich weder auf eine Deontologie noch auf eine Teleologie abgezielt, sondern vielmehr auf eine »tugendorientierte Ethik, in welcher der Charakter eine zentrale Rolle spielt« (Kuehn, 2001, 402).2 Diese Bemerkungen scheinen in der Summe darauf hinzudeuten, daß noch immer wenig Konsens darüber besteht, was die Kantische Ethik genau ausmacht. Vgl. zu Kant als Vertreter einer deontologischen Ethik Rawls (1971, insbes. 31, Anm. 16) und Darwall (2003, 11–33). Die anti-deontologischen Bemerkungen stammen von Herman (1993, 210), Hare (1993, 92), Guyer (2000, 133) und Wood (1999, 414, Anm. 14, vgl. auch 114, 327). 2 In diesem Sinne schreibt auch Christine Swanton: »the differences between virtue ethics and Kantianism have I think been overdrawn« (Swanton, 2003, 5). 1
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In diesem Aufsatz möchte ich eine Reihe grundlegender Fragen zu Kants Ethik, die mich seit langem beschäftigen, erneut aufgreifen: 3 welche Rolle spielt die Tugend in seiner Ethik, was versteht er unter Tugend und in welchem Ausmaß kann seine Ethik besser als eine Tugendethik oder eine Ethik des Charakters verstanden werden denn als eine Pflichtethik oder eine Ethik der Forderung? Obwohl ich weiterhin der Auffassung bin, daß die Begriffe der Tugend und des Charakters eine wesentlich höhere Bedeutung für Kants Ethik haben, als dies viele seiner Freunde und mit Sicherheit seine Gegner glauben, halte ich es auch für unbestreitbar, daß sich sein Verständnis von Tugend und einem guten moralischen Charakter fundamental von dem beinahe aller zeitgenössischen Tugendethiker unterscheidet – vor allem deswegen, weil er deren Ansichten über die menschliche Natur nicht teilt. Im folgenden beabsichtige ich diese beiden Thesen auszuarbeiten und hoffentlich auch zu untermauern.
Tugend und Pflichten gegen sich selbst Kants Festlegung auf die Wichtigkeit von Pflichten gegen sich selbst ist ein guter Ausgangspunkt für eine Analyse seiner Tugendkonzeption, nicht zuletzt aufgrund eines der gängigsten Einwände gegen die Behauptung, Kant vertrete eine Tugendethik, der nämlich darin besteht, daß Kant nicht nur daran scheitert, »Tatsachen bezüglich der Tugenden als grundlegender anzunehmen denn Tatsachen bezüglich der Pflichten, er definiert Tugend sogar in Termini der Pflicht« (McAleer, 2001, 261).4 Indem wir die Rolle untersuchen, die Pflichten gegen sich selbst in Kants System der Pflichten spielen, gewinnen wir auch ein besseres Verständnis seiner Meinung über die Relationen zwischen Tugend und Pflicht und können den Vorwurf, er definiere Tugend in Termini der Pflicht, besser einschätzen. Für eine lange Zeit wurde Kants Legitimitätsbehauptung von Pflichten gegen sich selbst als eine begriffliche Konfusion belächelt und abgetan. So unterschiedliche Philosophen wie Schopenhauer, Mill, Sidgwick, Marcus Singer oder Bernard Williams kommen in der Ansicht überein, daß sogenannte Pflichten gegen sich selbst keine wirklichen Pflichten, sondern lediglich Klugheitsgebote sind, die als
Vgl. Louden (1986; wiederabgedruckt – mit Originalpaginierung – in: Klemme und Kuehn, 1999, 191–208) und Louden (1992, 41–44). 4 McAleer wendet hier im Wesentlichen Gary Watsons Sicht der Tugendethik auf Kant an. Watson bemerkt in »On the Primacy of Character«, daß eine Tugendethik festgelegt ist auf die Behauptung, daß »action appraisal is derivative from the appraisal of character. To put the matter another way, the claim is that the basic moral facts are facts about the quality of character« (Watson, 1990, 452). Zu ähnlichen Definitionen der Tugendethik vgl. Louden (1984; wiederabgedruckt in: Crisp und Slote, 1997, insbes. 203; eine deutsche Version dieses Aufsatzes ist erschienen in: Rippe und Schaber, 1998), Slote (1997, 239), Oakley (1996, 129) und Hursthouse (1999, 28). 3
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moralische Pflichten verkleidet wurden.5 Wirkliche Pflichten, so behaupten diese Denker, sind an korrelierende Rechte gebunden, und die Partei, der die Pflicht geschuldet ist, hat stets das Recht, den Pflichtträger aus seiner oder ihrer Pflicht zu entlassen. Im Fall einer angenommenen Pflicht gegen uns selbst jedoch könnten wir jederzeit willkürlich beschließen, uns aus der Pflicht zu entlassen, und das bedeutet, daß zuvor gar keine Pflicht bestanden haben konnte. Eine weitere bevorzugte Zurückweisungsstrategie, unter anderen von Kurt Baier verfolgt,6 besteht einfach darin zu behaupten, daß Moralität per definitionem wesentlich sozial und intersubjektiv ist, woraus folgt, daß Pflichten gegen sich selbst keine moralischen Pflichten sind, was auch immer sie sonst sein mögen. Ich will diese Einwände hier nicht weiter untersuchen, und zwar in erster Linie deswegen nicht, weil die meisten von ihnen auf eine schlichte petitio principii hinauslaufen (Wieso sollten wir annehmen, daß alle moralischen Pflichten notwendigerweise korrelative Rechte implizieren? Wieso sollten wir eine Konzeption akzeptieren, die behauptet, daß Moral exklusiv intersubjektiv ist?), aber auch weil in den letzten Jahren der philosophische Widerstand gegen Pflichten gegen sich selbst erheblich nachgelassen hat. Doch wenngleich unlängst mehrere kompetente Auslegungen dieses Theoriestücks publiziert worden sind (Reath 2002; Potter, 2002; Paton, 1990), so wird nichtsdestotrotz die große Bedeutung von Kants Lehre der Pflichten gegen sich selbst für die gegenwärtigen Debatten über die Natur und die Gestalt seiner Ethik weiterhin unterschätzt. Die umfangreichsten Diskussionen der Pflichten gegen sich selbst finden sich in Kants Metaphysik der Sitten und in mehreren Ethik-Vorlesungen (insbesondere Collins).7 Auf den ersten Blick ist die Behandlung der Pflichten gegen sich selbst in der Grundlegung ärgerlich knapp, und das mag zum Teil erklären, wieso anglophone Philosophen diese Thematik häufig übergehen. In der Grundlegung sagt Kant lediglich: »Nun wollen wir einige Pflichten herzählen nach der gewöhnlichen EintheiVgl. dazu Schopenhauer (1841, § 5), Sidgwick (1907/1966, 7), Mill (1859/1978, 77), Singer (1961, 312), Williams (1985, 50, 182) und Williams (1972, 75). Zu einer Diskussion dieser Positionen vgl. Denis (2001). 6 Baier schreibt, daß »a world of Robinson Crusoes has no need for a morality and no use for one« (Baier, 1958, 215). 7 Georg Ludwig Collins war 1784 als Student an der Albertina Universität in Köngisberg eingeschrieben. Die Titelseite dieser Vorlesungen lautet nach der Akademie-Ausgabe auszugsweise: »Königsberg im Wintersemester 1784 und 1785« (AA XXVII, 241). Werner Stark ist jedoch der Meinung, daß diese Vorlesungen tatsächlich ein Jahrzehnt früher gehalten worden sind. In einer kurzen Diskussion der Collins-Vorlesungen schreibt er: »Datum der Vorlesung: 1774/75 [?]« (Stark, 1999, 98). Sollten die Collins-Vorlesungen tatsächlich in 1774–75 gehalten worden sein, bin ich der Auffassung, daß Kants Ansichten über die Wichtigkeit der Pflichten gegen sich selbst (und damit auch diejenigen über Tugend) sich nach 1774 nicht wesentlich geändert haben. Andere Ethik-Vorlesungen, in denen Pflichten gegen sich selbst diskutiert werden, sind Mrongovius (AA XXIX, 618–19) und, wesentlich umfänglicher, Vigilantius (AA XXVII, 510, 579, 583–87, 592–93, 600–668, passim). 5
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lung derselben in Pflichten gegen uns selbst und gegen andere Menschen« (GMS, 421). Ich bin jedoch überzeugt, daß viele der wichtigen Themen der Grundlegung – beispielsweise Autonomie und Selbstgesetzgebung (GMS, 439–440), der Imperativ mit Bezug auf die Menschheit als ein Zweck an sich (GMS, 429), die Eröffnungsbehauptung, daß der gute Wille das einzig uneingeschränkt Gute in der Welt ist (GMS, 393), oder auch die Verteidigung der Freiheit in Abschnitt III – als Hintergrundrechtfertigung der Pflichten gegen sich selbst gelesen werden können und sollten. Auf der Suche nach dem zugrundeliegenden Prinzip hinter den Pflichten gegen sich selbst (und in der Kritik an der Unfähigkeit anderer Philosophen, dieses Prinzip zu lokalisieren) betont Kant, daß solche Pflichten sich »gar nicht auf Wohlbefinden und auf unsere zeitliche Glückseeligkeit« (Collins, AA XXVII, 341) beziehen. Das allein sollte bereits als hinreichende Warnung an die Kritiker dienen, daß sie auf dem Holzweg sind, wenn sie die Kantischen Pflichten gegen sich selbst als bloße Klugheitsgebote verwerfen. Aber der wirklich wichtige Punkt ist, daß nach Kants Ansicht solche Pflichten den intrinsischen moralischen Wert der handelnden Person betreffen, indem sie deren moralische Fähigkeiten bewerten (entwickeln, unterstützen, bewahren, verbessern) lassen. Pflichten gegen sich selbst können grundsätzlich als eine direkte Anwendung des Imperativs angesehen werden, nämlich stets die Menschheit als einen Zweck an sich zu achten, »sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern« (GMS, 429).8 Kant mahnt: wer die Pflichten gegen sich selbst verletzt, »wirft die Menschheit weg, und ist nicht mehr im Stande Pflichten gegen andre auszuüben« (AA XXVII, 341). Kants radikale Behauptung hinsichtlich der Pflichten gegen sich selbst – das impliziert dieses Zitat – besteht darin, daß solche Pflichten die Begründung und Bedingung aller anderen Pflichten sind. Obwohl er diese Behauptung wiederholt aufstellt, ist es dennoch nicht leicht, einen Sinn daraus zu gewinnen (nicht zuletzt deshalb, weil wir von Kant nicht viel mehr als diese bare Behauptung geliefert bekommen). In der Metaphysik der Sitten beispielsweise proklamiert er zuversichtlich, daß, falls es keine Pflichten gegen sich selbst gäbe, »es überall gar keine, auch keine äußere Pflichten geben« würde (MdST, 417). Ähnlich in der Moral Collins, wo es heißt: »Die Pflichten gegen sich selbst sind die oberste Bedingung und das principium aller Sittlichkeit« (AA XXVII, 344), »Bedingungen, unter welchen die andern Pflichten allein ausgeübt werden können« (AA XXVII, 360) und »unter allen die wichtigsten« Pflichten (AA XXVII, 341; vgl. 433). Wie andere bereits bemerkt haben (z. B. Paton, 1990, 228; Reath, 2002, 352), sind Pflichten gegen sich selbst nicht in einem logischen oder begrifflichen Sinne Voraussetzungen für alle anderen Pflichten. Im Fall der Pflicht anderen zu helfen, beispielsweise, wäre es falsch zu sagen, daß es der Wert unserer eigenen Humanität und nicht derjenige der ihrigen ist, der zur Begründung dieser Pflicht dient. Ihre eigene Vgl. Paton (1990, 227), Potter (2002, 388) und Reath (2002, 349), die in diesem Punkt alle übereinkommen. 8
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moralische Geltung erlegt uns eine legitime Pflicht auf. Die Art der bei den Pflichten gegen sich selbst unterstellten Priorität ist auch nicht zeitlich. Kant behauptet nicht, daß wir im Laufe unserer moralischen Entwicklung zunächst die Wichtigkeit der Pflichten gegen uns selbst anerkennen, bevor wir in der Lage sind, Pflichten gegenüber anderen zu erfüllen. Schließlich ist er auch nicht der Ansicht, Pflichten gegen sich selbst seien derart grundlegend, daß sie in Fällen potentieller Konflikte mit Pflichten gegen andere diese außer Kraft setzten. Mit anderen Worten, er befürwortet keine narzisstische Haltung, die uns aus der Pflicht, anderen zu helfen, zu entlassen ermöglichte, indem wir sagen: »Tut mir leid, ich brauche mehr Zeit für das, was am wichtigsten ist – nämlich, meine eigenen Talente zu entwickeln.«9 Was also hat Kant im Auge, wenn er Pflichten gegen sich selbst »unter allen die wichtigsten« Pflichten nennt, die »Bedingungen, unter welchen die andern Pflichten allein ausgeübt werden können« (AA XXVII, 360)? Kurz gesagt, Pflichten gegen sich selbst sind in dem Sinne vorrangig und wichtiger als andere Pflichten, als wir im Streben, sie zu erfüllen, fundamentale Werte befördern und realisieren, ohne welche Moralität als solche nicht existieren könnte. An erster Stelle dieser Werte rangieren Autonomie oder Selbstgesetzgebung, Freiheit und die Achtung für Menschen als Zwecke an sich selbst. Wären wir Menschen perfekt, so würden wir gar keinen Pflichten gegen uns selbst unterliegen. Hier wie andernorts wäre »das Sollen […] am unrechten Orte« (GMS, 414), wenngleich aus einem anderen Grund als im Fall der Pflichten gegen andere. Im letzteren Fall behandeln perfekte Wesen andere stets und selbstverständlich in einer Art, wie wir es nur mit Selbstüberwindung versuchen können (und selten genug schaffen). Sie sind niemals in der Versuchung anders zu handeln. Hingegen sind im Fall der Pflichten gegen sich selbst die zentralen Fähigkeiten moralischen Handelns, die (bei uns Menschen) durch die Pflichten gegen uns selbst befördert und gesichert werden, stets vollkommen präsent und nicht in Gefahr korrumpiert oder hintertrieben zu werden. Perfekte Wesen haben einfach deswegen keine Pflichten gegen sich selbst, weil sie diese nicht benötigen (vgl. MdST, 383). Wir sind auch nicht im Stande anderen Menschen diese wesentlichen Fähigkeiten direkt anzuerziehen oder sie bei ihnen zu aktivieren. Zwar können Eltern sie ihren Kindern anerziehen, tun dies auch und sollten dies auch tun, ebenso wie Lehrer bei ihren Schülern und religiöse Oberhäupter bei den Mitgliedern ihrer Gemeinden etc. Aber sie alle können bestenfalls die phänomenale Umgebung dahingehend verändern, daß die erforderliche noumenale Aktivierung mit ein wenig größerer Wahrscheinlichkeit stattfindet. Letztlich ist jedes Individuum selbst dafür zuständig (vgl. MdST, 386).10 Vgl. Denis (2001, 160): »we should avoid taking Kant’s comments about the importance of duties to oneself as having direct implications for a procedure for deciding between the performance of self- and other-regarding duties.« 10 Vgl. für eine etwas optimistischere Diskussion meinen Aufsatz »Perfecting Others«, in: Louden (2000, 56, 58–59). Vgl. auch Frierson (2003, insbes. Chap. 4). 9
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Aber wie wirkt sich nun diese Diskussion der Priorität der Pflichten gegen sich selbst auf den Vorwurf aus, daß Kant die Tugend in Termini der Pflicht bestimmt? Der entscheidende Begriff ist dabei der des Selbstzwangs, einer Selbstkontrolle, in welcher Kant den »gesunden Zustand des Menschen« sieht (MdST, 384, vgl. auch 405, 409, 419; Anth, 251). Alle moralischen Pflichten – anderen gegenüber ebenso wie sich selbst gegenüber, vollkommene ebenso wie unvollkommene – beinhalten ganz zentral einen Selbstzwang (MdST, 380), ja Kant definiert selbst die Tugend in Termini des Selbstzwangs (MdST, 394). Deshalb bestimmt er in einem gewissen Sinne sogar die Pflicht in der Begrifflichkeit der Tugend – eher als umgekehrt, wie Kritiker häufig unterstellen. Mit der Anerkennung der Priorität der Pflichten gegen sich selbst und der zentralen Rollen, die die Tugend und die Selbstnötigung bei deren Bestimmung spielen, sind wir auch in der Lage, einen weiteren prominenten Einwurf gegen die Interpretation der Kantischen Ethik als Tugendethik zu eliminieren, und zwar die Behauptung, daß ihr größtes Manko sei, »daß die Tugend nur eine Teilrolle in Kants Konzeption der Moralität spielt, indem sie sich das Gebiet mit vollkommenen Pflichten teilt, die ihrerseits der Archetyp alles dessen sind, was der Tugendtheoretiker verwirft« (Schneewind, 1990, 42–63; wiederabgedruckt in Crisp and Slote, 1997, 178–200, hier: 199). Im Gegenteil, für Kant spielt die Tugend eine extrem wichtige Rolle: menschliche Moralität kann ohne sie nicht funktionieren. Kant stimmt daher mit den heutigen Tugendethikern völlig überein, die der Auffassung sind, »daß die grundlegenden moralischen Tatsachen sich auf die Qualität des Charakters beziehen. Moralische Tatsachen der Handlung sind diesen nachgeordnet.«11 Zumindest in dieser grundlegenden Hinsicht ist seine Ethik eher eine der Tugend oder des Charakters als eine der Pflicht. Wie jedoch schon die starke Betonung des Selbstzwangs nahelegt und weitere damit verwandte Sachverhalte, die unten noch diskutiert werden, vielleicht noch stärker zeigen, unterscheidet sich Kants Konzeption des Charakters in vielen Aspekten radikal von den entsprechenden, gegenwärtig diskutierten Konzeptionen der Tugendethik.
Tugend und Gefühl Ein weiterer Aspekt dieser Auseinandersetzung bezieht sich auf die Relation zwischen Tugend und Gefühl. Impliziert der Tugendbegriff notwendigerweise den Begriff des Gefühls in einem positiven Sinne, d. h. als Empfinden und Äußerung eines Gefühls? Die meisten zeitgenössischen Tugendethiker sind überzeugt, daß dem so ist,12 und die meisten von ihnen sind darüber hinaus überzeugt, daß Kant diese als notwendig unterstellte Verbindung zwischen Tugend und Gefühl verneint. Ihrer Watson (1990, 452). Vgl. auch Swanton (2003, 5); siehe auch oben Fn. 4. Hursthouse schreibt beispielsweise in »Virtue Ethics and the Emotions«: »The virtues (and vices) are all dispositions not only to act, but to feel emotions« (Hursthouse, 1997, 108). 11
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Ansicht nach legt sich Kant mit seiner Tugendkonzeption als Willensstärke auf eine Position fest, nach der Tugend das Unterdrücken der Gefühle geradezu impliziert, »wie ein guter Koch den Topfdeckel auf den Kochtopf drückt« (Nussbaum, 2001, 172; vgl. auch 232; siehe auch Nussbaum, 1999, 172–73). Hier wie oft auch andernorts geht das Argument mit einem Verweis auf Aristoteles’ Nikomachische Ethik einher – in diesem Fall auf dessen wohlbekannte Unterscheidung zwischen Mäßigkeit (enkrateia) und eigentlicher Tugend. Die mäßige Person ist aufgrund ihrer starken Entschlossenheit im Stande so zu handeln, wie sie soll, und zwar der Präsenz »starker und fundamentaler Bedürfnisse« (EN 1146a10) zum Trotz. Aber die bloße Mäßigkeit ist Aristoteles zufolge noch »keine Tugend« (EN 1128b34), da die eigentlich tugendhafte Person nicht mit gegenläufigen Begierden kämpft, wenn sie so handelt, wie sie handeln soll. Hier stimmen vielmehr der begehrliche Seelenteil und die Vernunft überein (EN 1119b15–16), und der tugendhaft Handelnde genießt das pflichtgemäße Handeln in einer Art und Weise, wie es der bloß mäßigen Person nicht möglich ist (EN 1099a11–24). Macht sich Kant in seiner Tugendkonzeption nun der Gefühlsfeindlichkeit schuldig?13 Bekanntlich scheinen einerseits mehrere ›pro Gefühl‹-Passagen für einen Freispruch zu sprechen. Beispielsweise erklärt er in der Metaphysik der Sitten, daß das, »was man […] nicht mit Lust, sondern blos als Frohndienst thut, […] für den, der hierin seiner Pflicht gehorcht, keinen inneren Werth« hat, und daß jemand, der ohne Wohlgefallen handelt »die Gelegenheit ihrer [sc. der Tugend; R.L.] Ausübung so viel möglich« flieht (MdST, 484). In derselben Schrift behauptet er des weiteren, wir hätten eine »indirecte Pflicht, die mitleidige natürliche (ästhetische) Gefühle in uns zu cultiviren und sie als so viele Mittel zur Theilnehmung aus moralischen Grundsätzen und dem ihnen gemäßen Gefühl zu benutzen« (MdST, 457). Eine solche Strategie der Kultivierung von Mitleidgefühlen obliegt Menschen, sofern sie erreichen wollen, »was die Pflichtvorstellung für sich allein nicht ausrichten würde« (MdST, 457). Ähnlich betont Kant in der Religionsschrift in seltener Opposition zu den Stoikern, daß »natürliche Neigungen […], an sich selbst betrachtet, gut [sind], d. i. unverwerflich, und es ist nicht allein vergeblich, sondern es wäre auch schädlich und tadelhaft, sie ausrotten zu wollen; man muß sie vielmehr nur bezähmen« (RGV, 58). Und als Reaktion auf Schiller schreibt er: »Frägt man nun: welcherlei ist die ästhetische Beschaffenheit, gleichsam das Temperament der Tugend, muthig, mithin fröhlich, oder ängstlich-gebeugt und niedergeschlagen? so ist kaum eine Antwort nöthig. Die letztere sklavische Gemüthsstimmung kann nie ohne einen verborgenen Haß des Gesetzes statt finden, und das Man sollte in diesem Zusammenhang berücksichtigen, daß Kant selbst den Ausdruck ›Gefühl‹ nicht verwendet, sondern stattdessen Ausdrücke wie ›Neigungen‹, ›Affekte‹, ›Leidenschaften‹ und ›moralische Gefühle‹ gebraucht. Seiner Ansicht nach bezieht sich das, was wir alltagssprachlich als Gefühl bezeichnen, in der Tat auf eine Vielzahl von Zuständen, die jeder für sich ein eigentümliches Analysemodell erfordern. Zu einer Diskussion dieses Zusammenhangs vgl. Borges (2004). 13
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fröhliche Herz in Befolgung seiner Pflicht (nicht die Behaglichkeit in Anerkennung desselben) ist ein Zeichen der Ächtheit tugendhafter Gesinnung« (RGV, 23–24n.; vgl. KpV, 83). Andererseits gibt es auch mehrere notorische ›anti Gefühl‹-Passagen, die dem angehören, was John Rawls als »Kants manichäische Belastung«, als einen »zutiefst verwirrenden Aspekt seiner Gedanken« bezeichnet hat14 (Rawls, 2000, 232. Vgl. auch Baron, 1995, 199 ff.). In der Grundlegung bemerkt Kant, daß die »Neigungen selber aber als Quellen des Bedürfnisses […] so wenig einen absoluten Werth [haben], um sie selbst zu wünschen, daß vielmehr, gänzlich davon frei zu sein, der allgemeine Wunsch eines jeden vernünftigen Wesens sein muß« (GMS, 428). Eine nahezu identische Passage findet sich in der zweiten Kritik, wo Kant erklärt, Neigungen seien »einem vernünftigen Wesen jederzeit lästig, und wenn es sie gleich nicht abzulegen vermag, so nöthigen sie ihm doch den Wunsch ab, ihrer entledigt zu sein« (KpV, 118; vgl. AA XXVII, 368). Gibt es einen Ausweg aus dieser eigenartigen Kantischen Gefühlsantinomie? Mit Blick auf die manichäische Hypothek ist es ein unangemessenes Ziel für Menschen, ihre Neigungen abzutöten. Denn kein Mensch würde, wenn er oder sie diesen Zustand erreicht hätte, weiterhin Mensch sein, sondern vielmehr ein heiliges (übermenschliches) Wesen, »in welchem kein hindernder Antrieb dem Gesetze seines Willens entgegen wirkt«, das deshalb auch »zur Verletzung der Pflicht gar nicht einmal versucht werden« könnte (MdST, 405, 383; vgl. KpV, 122). Für Menschen ist das angemessene Ziel nicht Heiligkeit, sondern Tugend, ein Selbstzwang »nach einem Princip der innern Freiheit« (MdST, 394). Der Kantische Tugendbegriff ist auf heilige Wesen nicht einmal anwendbar, aber für Menschen ist »alle moralische Vollkommenheit«, die überhaupt erreicht werden kann »immer nur Tugend« (KpV, 128, vgl. 84; MdST, 383). Dieser menschliche Zweck, nach Tugend zu streben, beinhaltet keine Auslöschung von Gefühlen, sondern deren Kontrolle und Entwicklung, eine spezielle Form von moralischer Selbstkontrolle, die, wie wir oben gesehen haben, auch den Ausdruck von Freude und Wohlgefallen einschließt. Aber ganz so einfach verschwindet die Antinomie nun auch wieder nicht. Bei etlichen der bereits zitierten ›pro-Gefühl‹-Passagen muß man zugeben, daß Gefühle in einem gewissen Ausmaß nichtsdestotrotz marginalisiert werden. Gefühle wie
Rawls (2000, 232). Vgl. auch Baron (1995, 199 ff.). Rawls ist der Ansicht, Kants manichäische moralische Psychologie – oder in meiner Terminologie seine ›anti-Gefühl‹-Einstellung – komme in der Grundlegung und Kritik der praktischen Vernunft nur selten zum Vorschein und werde später in der Religionsschrift gänzlich verworfen (Rawls, 2000, 291, 303; vgl. auch Silber, 1960, cxii–cxiv). Aber es scheint mir überhaupt nicht klar zu sein, daß Kants moralische Psychologie einen radikalen Wandel (von anti-Gefühl zu pro-Gefühl, oder, wie Rawls es ausdrücken wurde, von einer manichaische zu einer augustinischen Psychologie) zwischen den 1780er und 1790er Jahren durchläuft. So verweist Kant bespielweise in der Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (also fünf Jahre nach der Religionsschrift) auf «den Betrüger in uns selbst, die Neigungen« (Anth, 151). 14
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beispielsweise Mitleid und Sympathie haben für Kant letztlich nur einen derivativen oder konditionalen Wert. Sie sind nur insoweit schätzbar, als sie es Menschen ermöglichen, das zu vollenden, »was die Pflichtvorstellung für sich allein nicht ausrichten würde« (MdST, 457).15 Bei einem Menschen, der diese Gefühle hat, aber es irgendwie doch nicht schafft, das zu tun, was die Vorstellung der Pflicht gebietet (z. B. der berühmte »teilnehmend gestimmte« Wohltäter der Grundlegung an einem unglücklichen Tag, an dem er nicht ausreichend über sein Verhalten reflektiert – GMS, 398), bei einem solchen Menschen verlieren die Gefühle ihren Wert. Weitere Gefühle, die ich bereits positiv hervorgehoben habe – insbesondere die »fröhliche Gemüthsstimmung«, die wesentlich für den tugendhaften Charakter einer Person ist (RGV, 24 Anm.; vgl. MdST, 485) und die Lust, mit der er oder sie handelt (MdST, 484) –, werden als ein Resultat unserer Fähigkeit erlangt, uns in Übereinstimmung mit einem Prinzip innerer Freiheit erfolgreich selbst zu zwingen. Nachdem ein Mensch diesen Zwang auf sich ausgeübt hat, ist er in der Lage, »seine eigene Würde [zu] fühlen« (KpV, 152), und dies wiederum erweckt »ein Gefühl des Erhabenen unserer eigenen Bestimmung […], was uns mehr hinreißt als alles Schöne« (RGV, 23 Anm.; vgl. KdU, 257, 262, MdST, 437). Das freudige Herz und Gemüt, das wesentlich für den Charakter tugendhafter Menschen ist, wird vom Bewußtsein seiner eigenen Freiheit hervorgerufen,16 und wenn wir diesen Zustand erreichen, können wir uns auch bewußt werden, »der Natur in uns und dadurch auch der Natur (sofern sie auf uns einfließt) außer uns überlegen zu sein« (KdU, 264). All diese Gefühle sind daher Wirkungen der moralischen Motivation auf die Empfindung. Obwohl dies nun keineswegs bedeutet, daß Kants Beschreibung dieser Gefühle mehr negativ als positiv ist (die Handelnden müssen diese Gefühle erfahren und auch ausdrücken, um als tugendhaft zu gelten), so bedeutet es doch, daß es sich grundsätzlich um vernunftbewirkte Gefühle handelt – eine Konklusion, die jene Tugendethiker, die heute Kants Festlegung auf die dominierende Rolle der Vernunft in der Ethik zurückweisen, nicht befriedigen wird. Daneben werden manche Tugendethiker zweifellos nicht damit einverstanden sein, daß die Lust und die Freude, die die kantisch Tugendhaften in ihrem Handeln erfahren, ein allzu abstraktes Aussehen für diese besitzen, indem sie vom Bewußtsein und von der Ehrfurcht vor ihrer Freiheit als moralisch Handelnde anstatt von den jeweiligen Handlungen, die sie gerade ausführen, stammen.17
Vgl. Stohr (2002, 187–204, hier 199–200) und Sherman (1997a, 149). Zu Beginn ihres Aufsatzes kritisiert Stohr Shermans Darstellung von Kants Ansichten zu Tugend und Gefühl als »in wichtigen Hinsichten verfehlt« (2002, 187). In ihrem zentralen Anliegen stimmt Stohr jedoch mit Sherman überein. 16 Vgl. Engstrom (2002, 313). Vgl. auch Shermans Diskussion der Achtung als eines unverwechselbaren moralischen Gefühls in Sherman (1997a, insbes. 176) und in Sherman (1998). 17 Vgl. dazu Barons Diskussion in Baron (1997, 45) sowie Sherman (1997b, insbes. 276). 15
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Dennoch, die Kantische Tugend ist keine bloße Aristotelische Mäßigkeit.18 Gewiß, es gibt so manche Überschneidungen: beide beinhalten beispielsweise die Fähigkeit, zu handeln, wie man handeln soll, obwohl widerstreitende Gefühle vorliegen. Aber Kants und Aristoteles’ Tugendhafte empfinden beim moralisch richtigen Handeln Freude. Aristoteles’ mäßig Handelnder empfindet im Gegensatz dazu normalerweise keine Freude, wenn er so handeln kann, wie er soll. Ebenso besitzen sowohl Kants als auch Aristoteles’ Tugendhafte einen inneren Frieden oder eine innere Stille. »Die wahre Stärke der Tugend ist«, wie Kant bemerkt, »das Gemüth in Ruhe mit einer überlegten und festen Entschließung ihr Gesetz in Ausübung zu bringen.« (MdST, 409) Aristoteles’ mäßig Handelnder hingegen besitzt keine Seelenruhe, denn er kämpft kontinuierlich gegen widerstreitende Neigungen.19
Tugend als moralische Stärke Der Ausdruck »Stärke« beherrscht Kants Beschreibungen der Tugend. In der Metaphysik der Sitten findet sich die schlichte Behauptung, daß Tugend »den Begriff von Stärke giebt« (MdST, 392) und in der Nachschrift Collins heißt es: »Mit der Tugend verknüpfen wir Kraft, Stärke und Gewalt.« (AA XXVII, 465). In der Nachschrift Vigilantius lenkt Kant explizit die Aufmerksamkeit auf die lateinische Wurzel vir (Mann) des Ausdrucks virtus: »Selbst das lateinische Wort virtus zeigt ursprünglich nichts anderes als Muth, Stärke, Standhaftigkeit an, und dessen Symbol beweist es gleichfalls: ein Hercules mit der Löwenhaut und der Keule, womit er die Hydra zu Boden schlägt, die das Symbol aller Laster ist.« (AA XXVII, 492).20 Das deutsche Nomen Tugend, so betont er in der Metaphysik der Sitten, »kommt von ›taugen‹« (MdST, 390) und führt daher auch die Konnotationen von Stärke und Tauglichkeit bei sich, wenngleich nicht in roher oder ungeschliffener Manier. Selbstverständlich steht Stärke in all diesen Kontexten für moralische Stärke – mehr eine Stärke des Willens als eine des Körpers: »Tugend bedeutet eine moralische Stärke des Willens.« (MdST, 405) Sie ist »moralische Stärke in Befolgung seiner Pflicht« (Anth, 147) und besteht »in der Stärke des Vorsatzes, unsere Pflichten zu erfüllen« (Vigilantius AA XXVII, 570). Menschen müssen die moralische Stärke ihres Willens kultivieren, denn für den Fall, daß sie dies nicht tun, ist es recht unwahrscheinlich, daß sie im Stande sind, dem moralischen Gesetz überhaupt zu folgen. Tugend ist die Stärke, »den steten Anreizungen zum Entgegenhandeln, [sc. die; statt original ›den‹; R.L.] die sinnliche Diese Ansicht richtet sich gegen Korsgaard, die behauptet, Kant »doesn’t make the distinction between continence and virtue« (Korsgaard, 1996, 223). 19 Vgl. Engstrom (2002, 307–308) und Munzel (1999, 167). Vgl. auch Johnson (1997, 375–377) für weitere Differenzen zwischen dem Kantischen Tugend- und dem Aristotelischen Mäßigkeitsbegriff. 20 Vgl. auch Engstroms Kommentar zu dieser Passage in Engstrom (2002, 289 Anm. 2). 18
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Gefühle bewirken, entgegenzustreben« (AA XXVII, 570), d. h. die Fähigkeit, jene natürlichen Neigungen zu kontrollieren, die in Konflikt mit unseren moralischen Vorsätzen geraten können und oft auch geraten (vgl. MdST, 394). Aber diese Kontrolle meint explizit keine »völlige Unterdrückung« der natürlichen Neigungen, denn sonst »würde eine Tugend gar nicht mehr existiren« (Vigilantius XXVII, 570– 71). Tugendkontrolle ist eher eine Form des Ausgleichs, der den »gesunden Zustand des Menschen« konstituiert (MdST, 384; vgl. 409; Anth, 251). Und, wie wir in unserer Diskussion der Pflichten gegen sich selbst bereits gesehen haben, ist es ein Zustand der Gesundheit, der letztlich nur durch das eigene Bestreben erreicht werden kann, weil die Tugend eben eher eine Seelenstärke als eine körperliche Stärke ausmacht.21 Selbstbeherrschung (oder was Nietzscheaner gewöhnlich als ›Selbstüberwindung‹ bezeichnen) 22 ist ebenso zentral für den Tugendbegriff wie moralische Stärke (z. B. Collins AA XXVII, 456; vgl. Vigilantius AA XXVII, 571, 662 – obwohl der entsprechende Ausdruck in den Vigilantius-Passagen der näherliegende der Selbstbeherrschung ist). Tugend hat die Beherrschung desjenigen Teils von uns zur Folge, der der Pflicht entgegensteht; sie ist eine Art des »Vermögens, über die größten Hindernisse in uns Meister werden zu können« (RGV, 183; vgl. AA XXIX, 603). Doch ist die Beherrschung dieses Teils von uns, der versucht ist die Pflicht zu übertreten, kein bloßer Selbstzwang, sondern geschieht »nach einem Princip der innern Freiheit« (MdST, 394). Selbstbeschränkung in Übereinstimmung mit irgendeinem anderen Prinzip, gleichgültig welchen Einfluß es auf unser Benehmen hat, zählt nach diesem Kriterium nicht als Tugend. Was an Kants Konzeption der Tugend einzigartig ist, ist nicht die Betonung der Selbstbeschränkung, sondern die stärkere Betonung der Freiheit und Autonomie, die hinter der Selbstbeschränkung liegt (vgl. Johnson, 1997, 376–77). Und wie wir oben gesehen haben, führt diese innere Freiheit, die die wahre Quelle von Kants Tugendbegriff ausmacht, auch ihre spezifisch moralischen Gefühle der Lust, der Freude und der Ehrfurcht bei sich. Indem moralisch handelnde Menschen Kontrolle und eine Beherrschung der Neigungen gewinnen, die der Pflicht im Wege stehen, fühlen sie die Erhabenheit ihrer eigenen Bestimmung. In diesem Sinne werden beim Streben nach Tugend manche Gefühle beschränkt, andere aber kultiviert und artikuliert. Kant formuliert das in der Metaphysik der Sitten so: Tugend »ist das Product aus der reinen praktischen Vernunft,
Vgl. O’Neill, die in »Kant’s Virtues« schreibt, Tugend sei »enactable only through a certain sort of effort which nobody else can supply for us« (O’Neill, 1996, 96). Nach Kants Ansicht ist jedoch auch die Selbstaneignung der Tugend mit deren Lehrbarkeit verträglich. In der Metaphysik der Sitten schreibt er von der Tugend: »Daß sie könne und müsse gelehrt werden, folgt schon daraus, daß sie nicht angeboren ist« (MdST, 477). Aber um diese Ansichten konsistent zu machen, muß man das Lehren der Tugend als Versuch interpretieren, die Heranwachsenden zu der Ausübung ihrer autonomen Wahl zu bewegen. 22 Vgl. beispielsweise Nietzsches Genealogie der Moral, »Dritte Abhandlung: Was bedeuten asketische Ideale?«, Abschnitt 27. 21
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so fern diese im Bewußtsein ihrer Überlegenheit (aus Freiheit) über jene [pflichtwidrige Neigungen; R.L.] die Obermacht gewinnt« (MdST, 477). Die Neigungen, die der Pflicht entgegenwirken, werden eingeschränkt (wenngleich nicht ausgelöscht), aber sobald die praktische Vernunft sich ihres Supremats der Freiheit bewußt wird, empfinden wir Lust, Freude und Ehrfurcht.
Die menschliche Natur und die Schwierigkeit der Moralität Kant wird oft beschuldigt, einer ›puristischen‹ Moralauffassung zu erliegen, die sowohl einer »biologischen Perspektive« als auch jeder Form eines »vernünftigen historischen und psychologischen Verständnisses von Moral« zuwiderläuft.23 Doch zumindest was seine Tugendlehre betrifft, ist dieser Vorwurf offenkundig fehlgeleitet. Tugend, so wie Kant sie versteht, trifft gerade wegen unserer biologischen, psychologischen und historischen Abhängigkeiten exklusiv auf den Menschen zu. Nur wegen unserer spezifischen Beschaffenheit bedürfen wir der Tugend. Zu einer Zeit, da eifrige Wissenschaftler intensiv damit beschäftigt sind, konkurrierende Versionen nicht nur von neo-Aristotelischen oder eudaimonistischen Ethiken, sondern auch von konsequentialistischen, pluralistischen oder auch perfektioni stischen Tugendethiken – und wer weiß, welchen Ethiken sonst noch – zu produzieren, gestehen sogar diejenigen Kommentatoren, die ansonsten zuversichtlich sind, sie wüßten, was Tugendethik ist, bereitwillig die »verwirrende Vielfalt von philosophischen Behauptungen im Namen der Tugendethik« ein (Oakley, 1996, 128). Unter diesen Umständen ist es vielleicht nicht einmal überraschend, daß manche sogar schon vorgeschlagen haben, »die Kategorie ›Tugendethik‹ fallen zu lassen«, weil sie »keinen bestimmten Denkansatz bezeichnet, der sinnvoll mit Kantischen oder utilitaristischen Ethiken kontrastiert werden könnte« (Nussbaum, 1999, 201, 168). Obwohl auch ich in der Vergangenheit oft über der Elastizität und Undefinierbarkeit des Begriffs der Tugendethik verzweifelt bin, 24 so bin ich dennoch nicht davon überzeugt, daß diese Kategorie demnächst verschwinden würde – und sei es auch nur aus dem Grund, daß sie nicht wesentlich irreführender ist als andere wichtige ethische Kategorien, wie die des Konsequentialismus oder, wenn wir schon dabei sind, des Kantianismus. Ganz ähnlich wie Elizabeth Anscombes früherer, über das Ziel hinausschießender Vorschlag, die Begriffe der Verbindlichkeit oder Pflicht über Bord zu werfen, ist dies eine Empfehlung, deren Aufmerksamkeit bestenfalls darauf hinauslaufen dürfte, »ein Murmeln unter den Eiferern hervorzurufen,« 25 aber ich bin mir sicher, daß die meisten Unparteiischen sie schließlich ablehnen werden. Williams (1995, 104). Vgl. auch meine Erwiderungen dazu in Louden (2000) und (2006). 24 Vgl. beispielsweise Louden (1990, 93–114) sowie Louden (1998, 491–98). 25 Anscombe (1958; wiederabgedruckt in: Crisp and Slote, 1997, hier 26). (Anscombes 23
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Doch wo stehen wir damit in Hinsicht auf die verwirrende Frage nach Kant und der Tugendethik? Meiner Ansicht nach ist der Charakter das eigentliche Anliegen der Kantischen Ethik und aus diesem Grund sind wir auf dieser fundamentalen Ebene berechtigt zu sagen, daß er nicht nur eine Theorie der Tugend entwickelt (wie es natürlich beinahe alle seriösen Moralphilosophen getan haben), sondern eine tugendgestützte Ethik. Zugleich wird mir in meinem Bemühen, der ansteigenden Flut zeitgenössischer Literatur zur Tugendethik Rechnung zu tragen, auch immer deutlicher, daß sich Kants Verständnis von Charakter und Tugend substantiell von dem beinahe aller diesbezüglichen Autoren, die sich als Tugendethiker bezeichnen, unterscheidet. Diejenigen von uns, die die Zentralität von Charakter und Tugend innerhalb der Kantischen Ethik verteidigen, sollten darauf achten, daß ihnen nicht Kants Position in diese anderen Konzeptionen kollabiert. Auf das Risiko hin, daß das zu oberflächlich klingt, möchte ich nichtsdestotrotz behaupten, daß wir am Grund dieser konkurrierenden Positionen doch sehr unterschiedliche Vorstellungen von der menschlichen Natur finden. Was aber macht die Eigenart des Kantischen Ansatzes der menschlichen Natur aus? Im Wesentlichen ist Moralität nach Kants Auffassung eine viel heiklere Errungenschaft für Menschen, eine, die stets zu entschlüpfen droht, bei deren Beschäftigung wir ständig der Gefahr ausgesetzt sind, getäuscht zu werden. Zur Debatte steht eigentlich nicht die Kant unterstellte Feindseligkeit gegenüber Gefühlen – wenn die Jury nur vorurteilsfrei ist, kann Kant von diesem Vorwurf befreit werden. Der Punkt ist auch nicht, daß Kants tugendhaft handelnde Personen keine Freude an solchem Handeln hätten (wie wir gesehen haben, ist das definitiv nicht der Fall), oder daß sie in einem konfliktgeplagten, vortugendhaften Zustand Aristotelischer Mäßigkeit befangen wären (im Gegenteil, die innere Freiheit der Tugend erzeugt ein Gefühl des Seelenfriedens). Wie Kant gegenüber dem Stoizismus explizit festhält, sind die natürlichen Neigungen nicht der Tugendfeind, denn sie zeigen sich offen und »unverhohlen jedermanns Bewußtsein« (RGV, 57). Es ist vielmehr etwas weitaus Dunkleres und schwieriger zu Kontrollierendes, nämlich die »Bosheit (des menschlichen Herzens) […], die mit seelenverderbenden Grundsätzen die Gesinnung insgeheim untergräbt« (RGV, 57). Der wahre Feind ist für Kant schlichtweg das radikal Böse in der menschlichen Seele, ein Gegner, dessen Existenz die meisten gegenwärtigen Tugendethiker überhaupt nicht anerkennen. Kantische Tugend erfordert den Mut, dem »bösen Princip in uns selbst in die Augen zu sehen« (ZeF, 379).26 Die wahre Stärke der Tugend zeigt sich im »Gemüth in Ruhe« (MdST, 409), eher als in einem Zustand beständiger innerer Aufruhr. Aber dieses ruhige Gemüt muß immer begleitet werden von der »überlegten und festen Entschließung ihr Gesetz [sc. der Tugend; R.L.] in Ausübung zu bringen« (MdST, 409) und der Anerkennung der Tatsache, daß Aufsatz wird häufig als der Startpunkt der gegenwärtigen Auseinandersetzung um die Tugendethik angesehen.) David Hume, My Own Life (1776/1985), xxxiv. 26 Vgl. O’Neill (1996, 84, Anm.14).
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menschliche Tugend grundsätzlich mehr eine »moralische Gesinnung im Kampfe« (KpV, 84) als eine der Heiligkeit und der vollkommenen Reinheit des Herzens ist. Sobald entweder die Entschließung oder die genannte Anerkennung schwankt, sind wir nicht länger tugendhaft im Sinne Kants. Und die Prätention, ein Mensch könnte auch irgendwie eine moralisch gute Person sein ohne den Selbstzwang und das ständige Bewußtsein des Tugendgesetzes, ist nichts anderes als »lauter moralische Schwärmerei und Steigerung des Eigendünkels« (KpV, 84).27 Leider sieht dieses dunkle Bild der menschlichen Natur, sobald wir von Kants Texten etwas zurücktreten und uns wieder in die reale Welt begeben, nur allzu wirklichkeitsgetreu aus. Die vielfältigen »Auftritte von ungereizter Grausamkeit« (RGV, 33), mit denen sich die Menschen zu Kants Zeiten begegnet sind, und die er im ersten Teil seiner Religionsschrift kurz aufzählt, verblassen im Vergleich dazu, was nachfolgende Generationen bezeugt haben. Wir täuschen uns selbst, wenn wir glauben, daß wir die Tugend auch ohne moralische Stärke erlangen könnten.
Übersetzung: Konstantin Pollok Siglen AA
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Reason as a Natural Cause Frederick Rauscher
A motive (Bewegungsgrund or Bewegursache der Vernunft) is the manner in which reason influences decisions in the Willkür. I will try to show in this paper that Kant has a robust conception of motive as an empirical causal link between reason and Willkür, and that correspondingly reason must be understood as a natural cause. (Willkür must also be understood as a natural faculty in this picture, but I will not argue that side of the coin in any depth.) I want to emphasize this aspect of Kant’s moral thought in order to argue that Kant’s moral philosophy is much more naturalistic than at first appears. In the solution to the Third Antinomy Kant highlights the causal power of reason as a faculty necessary for morality. »Now that this reason has causality, or that we can at least represent something of the sort in it, is clear from the imperatives that we propose as rules to our powers of execution in everything practical« (KrV, A547/ B575). Somehow, then, reason is a cause of particular actions in nature. There are in general two different possibilities for understanding the metaphysics of the causal relation of reason to these particular actions in nature. First, reason could be independent of nature as a faculty of the agent in herself causing the particular empirical actions as appearances in nature. Second, reason could exist within nature as a faculty of the agent in nature causing particular actions of that agent in nature. In the first case, the causal relation would be a non-natural relation between thing-initself and appearance; in the second case, it would be a natural relation among appearances. Kant’s solution to the Third Antinomy holds the former relation to be transcendental freedom, and he certainly holds reason to be such a transcendentally free cause to some degree. But I will argue that the more important sense in which reason is a cause is as a natural faculty of human beings in appearance, and I will suggest that even transcendental freedom of reason can be understood as metaphysically dependent upon the existence of human beings in nature. Let me be clear about the point I am making: it is not controversial that reason acts as a cause, but it is controversial that reason in nature is that cause. I am arguing that Kant’s ethics can be interpreted naturalistically. What I mean by »naturalistic« is a metaphysics that accepts only entities or properties of entities that are studied by the natural sciences. In Kant’s philosophy this restriction would limit legitimate ontological claims to entities or properties of entities in space and time, since space and time in outer and inner sense provide the formal framework of nature as studied by the natural sciences. In other words, a naturalistic metaphysics
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would be restricted to appearances and would exclude reference to things as they are in themselves. I am not including in my discussion the related issue of methodological naturalism, a methodology which accepts as procedures for acquiring knowledge and belief only those used in the natural sciences; Kant rejects this methodologically naturalistic approach so emphatically that his philosophical methodology, with its emphasis on transcendental argumentation and a priori knowledge, is the paradigm against which methodological naturalists often argue. But methodological and metaphysical naturalism can be applied separately, and I will sketch an interpretation of Kant’s ethics that fits squarely within metaphysical naturalism. My argument will show the plausibility of this interpretation of Kant’s ethics. I will first briefly describe the relation between empirical reason in nature both with its transcendentally free counterpart and with the empirical Willkür. I will then consider in more detail the nature of empirical reason as appearance in space and time, and assess the reasons for and against holding that reason can be understood as a natural faculty. Finally I will conclude with a suggestion regarding a naturalistic interpretation of the metaphysics of transcendentally free reason.
I. Empirical reason acts through motives to cause particular decisions of the empirical Willkür. Kant describes the relation between motives of reason and the human Willkür in two places in the Critique of Pure Reason, in the Solution to the Third Antinomy (KrV, A534/B562) and in the Canon (KrV, A802/B830). The human Willkür, like animal Willkür, is immediately affected by sensations. Since animals are affected only by sensations and have no other possible determinants to their actions, the decisions of their Willkür are necessitated.1 Human beings, however, are also affected by representations of reason, or motives. These representations »depend on reason« and yield laws that are imperatives, an implication that the categorical imperative is among these representations. Kant also refers to these representations as »motives that can only be represented by reason.« The human Willkür is thus not necessitated by sensations because it is able to act on motives instead of only on sensations. Kant calls this sense of freedom from necessitation by sensations »practical freedom« (there are, of course, other senses of the term »practical freedom« in other contexts). It is important to note that while human Willkür is not necessitated by sensations, it is not necessitated by motives of reasons either, for were it so human beings would be perfectly rational, holy beings (KpV, 32). It is understandably common to interpret this sense of practical freedom as an ability of the human Willkür to decide upon courses of action without any deterKant sometimes discusses animals’ actions as determined by instinct. See, for example, R7199 (AA, 272). 1
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mination by natural causes. Indeed, Kant claims as much in the discussion in the Solution to the Third Antinomy, where the human Willkür is said to have a causality to begin a series of occurrences independently of natural causes (KrV, A534/ B562). But one might, without denying the importance of transcendental freedom as an independent causality for the human Willkür, instead read Kant’s description of the human Willkür as describing the empirical causality of sensations and motives in appearance. Such a reading is suggested by Kant’s remarks in the Canon where he describes practical freedom »as one of the natural causes, namely a causality of reason in the determination of the will« (KrV, A803/B831). On this reading, while the human Willkür is not causally necessitated solely by sensations or solely by motives, it is causally necessitated by the combination of sensations and motives. By analogy, if I throw a die, it is not necessary for the resulting number to be odd, and it is not necessary for the resulting number to be even, but it is necessary for the resulting number to be either odd or even. My reading of Kant’s claims about the determinants of the human Willkür is that it is not necessarily determined by sensation, and it is not necessarily determined by motives, but it is necessarily determined by either one or the other. The human Willkür at issue, of course, would have to be the empirical Willkür in space and time, and the faculty of reason at issue would be empirical reason. These two faculties in nature would be understood as the empirical correlates of a transcendentally free faculty of choice and a transcendentally free pure reason. A two-fold distinction arises in this picture of Kant’s moral psychology: a) the faculties of reason and choice are two faculties necessary for morality, with reason legislating the categorical imperative and the Willkür deciding particulars in light of it, and b) both of these faculties have empirical manifestations in appearance but also require transcendentally free counterparts. Giving these empirical faculties their proper place in understanding Kant’s ethics will show that there is room for a naturalistic interpretation of Kant’s ethics in which the motives of empirical reason determine the empirical Willkür. This section of my paper has merely painted the picture of reason as a natural cause in broad strokes. I have not yet shown exactly how empirical reason is to be understood as part of nature, nor whether it is consistent with Kant’s philosophical commitments, nor explained its relation to transcendentally free reason.
II. I will now discuss in more detail the nature of empirical reason.2 In particular I will show the plausibility of a robust conception of empirical reason that allows reason to be an entirely natural cause within appearances. Empirical reason is not directly mentioned by Kant very often. This term »empirical reason« can be and certainly was at times used by Kant as shorthand for empirical use of 2
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A plausible interpretation of Kant’s discussions of reason, as well as the faculty of the understanding and other active faculties, is that they exist only in things in themselves and not in appearances, but that reason and the other active faculties have effects in appearance. But there is also a place in Kant’s metaphysics to count reason as among the appearances in space and time. Things in themselves can have counterparts in the world of sense as they appear. Certainly if reason is to be considered to be a thing in itself or faculty in some thing in itself, then it can have a counterpart as appearance or as part of some being’s appearance. This is the sense of »empirical reason« at stake here. Kant even describes the task of the Critique of Practical Reason as taking for granted that there is empirical practical reason and asking whether a corresponding pure practical reason can exist and be related to empirical actions. One of Kant’s notes made in the 1780s on a loose piece of paper rather than in his textbooks, and thus presumably made in preparation for the Critique of Practical Reason rather than in preparation for his lectures, stresses this point: »The critique of practical reason has as its basis the differentiation of empirical-conditioned practical reason from the pure and yet practical reason and asks: whether there is such a thing as the latter.« (R 7201; AA, 275–76). In the Solution to the Third Antinomy he holds that an empirical manifestation of reason is necessary in order for reason to be understood as a cause at all. Kant identifies the causal power of reason, at least in part, with the application of »a rule:« »Thus every human being has an empirical character for his Willkür, which is nothing other than a certain causality of his reason, insofar as in its effects in appearance this reason exhibits a rule, in accordance with which one could derive the rational grounds and the actions themselves according to their kind and degree, and estimate the subjective principles of his Willkür. Because this empirical character itself must be drawn from appearances as effect, and from the rule which experience provides, all the actions of the human being in appearance are determined in accord with the order of nature by his empirical character and the other cooperating causes« (KrV, A549/B577). The empirical character of the human Willkür is linked to a causality of reason by means of a rule. Kant defines the »character« of a cause as »a law of its causality without which it would not be a cause at all,« and specifies that an empirical char-
reason, as opposed to a pure use. The earliest use of the term I have found is in R4582, dating from 1772–75, in which it is listed alongside pure reason and practical reason in theological matters: »The need of reason to cognize a highest being is that of a necessary hypothesis of the employment of reason: 1. of pure reason; 2. of empirical reason (both are speculative); of practical reason« (AA, 601). A slightly earlier note from 1771 asks »what are the appearances of reason? (Subjectively determined general cognitions)« (R4375; AA, 525). In R4582 Kant appears to be discussing the empirical use of reason, but in R4375 he is certainly asking about the existence of reason in appearances.
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acter would be a natural law or laws which connect actions as appearances with other appearances (KrV, A539/B567). The rule, then, which connects the decisions of the Willkür with its causes would be a law which explains how those decisions arise in nature through other appearances. This rule links »rational grounds« with »the actions themselves« and thereby holds rules of reason to be empirical causes of actions. The role of rules is important for empirical reason, but not complete. I take a complete description of reason to require some metaphysical claim about a faculty of reason as something over and above all the particular relations and principles that might be called rational. A faculty of reason would explain, through its structure or through its activities, the generation and application of the particular relations and principles. Reason is the faculty of principles, Kant says, and he interprets that to mean that reason also is the faculty of derivation from principles, or what we might call today logical reasoning (KrV, A299–300/B356–57). By referring to particular relations and principles I mean things like logical rules and axiomatic principles (if there are any), all of which I am calling »the rules of reason.« To speak rather loosely, a complete description of reason would include the rules of reason and the faculty that houses them. Kant’s insistence that reason has an empirical character might be nothing more than a claim that the rules of reason must be capable of empirical manifestation; it certainly is at least that. The question I am asking regarding reason in nature, then, could be sharpened to ask whether the faculty which houses these rules must be in nature or in things in themselves. The passage I just read about the causality of reason in appearance as a set of rules falls short of requiring that reason as source of the rules exist in nature. The rules themselves are »exhibited« in the »effects« of reason in appearance. It is compatible with this claim that reason in itself is a transcendentally free source of the rules which are exhibited in appearance. Reason would be the cause of these rulegoverned appearances without itself being appearance, hence without being in nature. In the Prolegomena’s discussion of the Third Antinomy, Kant appears to state the stronger claim that reason as the faculty containing the rules, in addition to the rules themselves, exists in appearance: »We have in us a faculty that not only stands in connection with its subjectively determining grounds, which are the natural causes of its actions – and thus far is the faculty of a being which itself belongs to appearances – but that also is related to objective grounds that are mere ideas, insofar as these ideas can determine this faculty, a connection that is expressed by ought. This faculty is called reason« (Prol, 344–45). The faculty of reason is said here to stand in connection with subjectively determining grounds as natural causes. More specifically, reason is said to be a faculty of a being in appearances. Given this positive reference to an empirical reason, the possibility of such a faculty in Kant’s system must be admitted. While stating that reason is a faculty in appearance, here in the Prolegomena as well as in the Critique of Pure Reason, Kant insists that reason cannot be understood
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only as empirical reason. There must be an intelligible (KrV, A551/B579), or intellectual (Prol, 344), or pure (KrV, A551/B579) reason as well which is not subject to the form of time and cannot be considered part of appearance. In this passage from the Prolegomena he characterizes it as reason as providing objective grounds expressing the »ought« of moral obligation. Later in this paper I will look more closely at the status of non-empirical reason; here it is necessary only to note that Kant holds that reason has both empirical and intelligible characters. But how full is the empirical character of reason? Can a description of reason as a faculty in nature be a complete description of reason? One reason to hold that empirical reason must be more than just the rules of reason relates directly to empirical causal relations. Reason’s empirical character has been identified at least with rules as causal laws that explain actions. Recall that the work of empirical reason at issue is determination of the Willkür to action in lieu of determination by sensible impulses. To assume that some rules or laws of reason can be postulated which provide causal explanation of some decisions of the Willkür is to assume that something is the cause of those decisions according to those rules. That is, laws link causes to effects; and natural laws link causes in nature to effects in nature. If the decisions of the empirical Willkür are the effects in nature, what are the causes in nature? The causes could not be sensible impulses by definition; this means they cannot be anything originating outside the mind. Since they cannot be sensible impulses, they must stem from within the empirical mind. This is the equivalent of saying that these causes cannot themselves have any sensible content but must be constituted by form alone. The categorical imperative is an example of this sort of rule of reason. Since these causes must be capable of being represented merely formally, as formal rules or principles, their source must be empirical reason as a faculty in nature, in space and time, as studied by empirical psychology. Empirical reason would have to be considered not only a collection of rules of reason but also some empirical faculty capable of causally effecting change in accordance with those rules. As empirical, it would itself be the effect of previous natural causes, but nonetheless it would have a place in nature as part of the set of natural causal determinants of particular actions. To say that empirical reason is a faculty in nature is not necessarily to equate it with a spatio-temporal piece of material nature, as if one could identify certain sections of the brain in a CAT scan and declare their causal relations to be the causality of reason. Kant would not rule this possibility out, but he thought that the link between thoughts and their physical location or instantiation was a hopeless quest. Instead empirical reason would be studied by Empirical Psychology without reference to its status in nature as material or immaterial. I will have more to say about the status of Empirical Psychology below. First, an objection. Some might claim that there can be no faculty of reason in nature because nature is constituted by intuitions synthesized by the understanding, and only the effects of a faculty of reason, not the faculty itself, appear in inner intuition. This objection is misguided. Admittedly, only the effects of such a faculty
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would appear in inner intuition. But Kant does not limit nature as a set of objects to intuitions. The assumption of properties or even objects in nature that are not directly experienced by human beings is an essential part of Kant’s metaphysics. His example of the behavior of iron filings leading us to postulate the existence of an unperceived magnetic matter is a case in point (KrV, A226/B273). In this case, observations (which are intuited) lead via the application of empirical causal laws of nature to the postulation of the unintuited magnetic matter. The Appendix to the Dialectic on the regulative use of reason mentions various concepts used in the sciences which are not themselves directly intuited but are postulated in nature in order to cognize nature in the most systematic way. These concepts include salts, earths, species, genera, pure earth, pure air, pure water, and most relevantly powers of the mind such as imagination, wit, and desire (KrV, A642–68/B670–96, passim, and specifically KrV, A648–49/B676–77 and KrV, A682–84/B710–12). Empirical reason is still a part of nature, in the form of appearance, because it would be used to explain thoughts in inner sense as part of a natural description of the mind in empirical psychology. As a faculty, empirical reason would be one of the »powers« of the mind postulated to explain particular appearances in inner sense. Human beings would not experience empirical reason itself but would experience the effects of empirical reason, particular thoughts that would require the existence of this faculty for consistent and comprehensive explanation of these appearances in nature.
III. In this section I will consider some very strong reasons for rejecting the very idea of empirical reason as a faculty with causal force in nature along the lines I just sketched. These reasons claim either that the nature of reason as a faculty is such that it cannot be naturalized, or that the status of empirical psychology does not allow for causal relations among psychological states. In the Solution to the Third Antinomy, just after his discussion of empirical reason, Kant appears to hold that when reason is held to be the cause of actions, reason cannot in any way be considered part of nature but must be considered as an alternative cause to natural causes. He contrasts the causality of ideas of reason with »empirical causes« and insists that reason must be independent of the conditions of time, thus not in nature. There are two variations of this reasoning, one focused on practical reason, the other on reason in general. It is important to look at these arguments to determine whether they preclude the strong sense of empirical reason I am advocating, which would include a representation of the categorical imperative in empirical consciousness as the natural cause of some actions. First, Kant argues that reason as practical reason cannot itself have an empirical character in nature as a natural cause.
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»But if we consider the very same actions in relation to reason, not, to be sure, in relation to speculative reason, in order to explain them as regards their origin, but insofar as reason is the cause of producing them by themselves – in a word, if we compare them with reason in a practical respect – then we find a rule and order that is entirely other than the natural order. For perhaps everything that has happened in the course of nature, and on empirical grounds inevitably had to happen, nevertheless ought not to have happened. At times, however, we find, or at least believe we have found, that the ideas of reason have actually proved their causality in regard to the actions of human beings as appearances, and that therefore these actions have occurred not through empirical causes, no, but because they were determined by grounds of reason« (KrV, A550/B578). Kant can be taken to present the following argument here: Reason as cause provides ideas which themselves reflect a normative rule and order regarding what ought to happen. This normative rule and order is different than the rule and order of nature, in other words, nature is not what it ought to be. Because the normative rule and order is other than the natural order, any idea that expresses a normative rule and order cannot be a natural cause in the natural order. The argument is ambiguous between an incompatibility of the content (the order) with the order of nature and an incompatibility of the normativity (the ought) with the order of nature. Either way this argument does not show that reason cannot be in nature. Suppose on the one hand the argument relies on a non-natural content in the idea. The content of a representation in inner sense may be incompatible with the natural order, but the idea itself may be part of that natural order. It is entirely conceivable to have a representation in inner sense whose content is incompatible with the natural order (for example, a dream in which I am speaking with the living Immanuel Kant) yet which as representation is entirely within the natural order. Suppose on the other hand that the argument relies on a claim that the normativity of the idea is non-natural. But mere normativity is not non-natural; the existence of desires shows that representations in nature can contain both preferences for certain outcomes and a moving force beyond themselves. Thus, it appears that an idea of reason can exist in nature even though it may represent normative preference for a non-natural order. Empirical reason, then, can include a representation that provides a moral order, namely, the categorical imperative. Note that this conclusion is different from saying that empirical reason can be the only source of a representation of the categorical imperative. To allow that the categorical imperative can exist in empirical reason is not the same as allowing that it can be justified by empirical reason. Justification of the categorical imperative can still require pure practical reason. A second argument that might be given to show that Kant has no room for empirical reason is that Kant repeatedly attributes spontaneity to reason and other faculties. Henry Allison makes this point central to his interpretation of Kant’s theory of freedom (Allison, 1990, 35 ff.). Spontaneity of the faculties of understand-
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ing and reason involves judgments (which Allison calls »takings«) and creation of ideas (which Allison calls »framings«). These together imply that the faculties of reason and understanding must be understood as involving deliberation and justification, which in turn cannot be simply understood in natural causal terms. This »epistemic spontaneity« is mirrored by a practical spontaneity, in which decisions of the Willkür for particular actions cannot be understood in natural causal terms but must be understood in terms of an »incorporation« of one’s incentive into one’s maxim. The incorporation requires rational deliberation and spontaneity of the agent. Hence rationality and agency can be understood only in terms of an intelligible character of the agent as spontaneous. The requirement of spontaneity is so strong that, he says, »we cannot both deny such a character and affirm our status as rational agents,« i. e. rational agency can be understood only in terms of nonnatural spontaneity of reason and will (Allison, 1990, 41). In this paper I am putting aside the question of the will, so the important point is that Allison’s argument would preclude the possibility of an empirical reason, for rationality could be understood only as spontaneous and different from the causal order of nature.3 Allison’s position has generated much debate in the other literature (see Allison’s replies in: Allison, 1996, 29–142). Here I will focus only on one claim: namely, that Allison’s interpretation reads too much into the requirement for epistemic spontaneity. Kant does hold that reason must be spontaneous, but this spontaneity need not involve elaborate transcendentally free deliberation independent of natural causal relations. Empirical deliberation may proceed according to causal laws in nature precisely because some of those causal laws are psychological rules of reason. If the resulting conclusion is correct, it is in part because the deliberation utilized rules of reason which are themselves justified, even though the deliberation might have been entirely determined as a series of events in nature in the mind. What is required for the justification of those rules of reason themselves is a separate issue. Here, transcendental freedom for reason would be required. But this justification need not involve any extended deliberation. It may result from the timeless nature of reason itself. I will say more about this at the end of my paper. This one point hardly seals the case against Allison’s interpretation. For one thing, my argument relies on the claim that the rules of reason can be counted among empirical causal laws of nature. I gave reasons for that interpretation in my
He also claims to retain a conception of the empirical character of reason (Allison, 1990, p. 81), but it is not clear what is left to constitute the empirical character of reason. Perhaps empirical reason is the set of neural events that reflect my spontaneous rational judgments. Perhaps it is a more robust conception of rules of inference taken to be contained in inner sense along some sort of functionalist lines, but somehow inadequate to fully characterize reason. Perhaps the empirical character of reason is simply the will in nature (Allison slips from the first to the second in his discussion). Whichever of these interpretations one might adopt, it remains that if we cannot understand ourselves as rational without reference to an intelligible reason, then empirical reason must be insufficient for the purpose. 3
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previous section. There is an important objection to my interpretation, namely, that in Kant’s view empirical psychology falls short of natural science proper and can thus contain no valid empirical causal laws of nature. The objection can be formulated in a weaker and a stronger version. The weaker version holds that empirical psychology, as natural description rather than natural science, cannot contain any causal laws and that thus no conception of empirical reason is required for causal explanation of appearances in inner intuition. The stronger version holds that Kant’s views on empirical psychology and the nature of causation show that there are no causal relations among mental states themselves. In the Metaphysical Foundations of Natural Science Kant denies that Empirical Psychology can be a proper natural science utilizing mathematizable causal laws; it can at best be a »natural description of the soul« (MAN, 471). Hence, Empirical Psychology cannot offer precise causal laws for relations among mental states. My point depends upon a controversial claim that there must be a very strong role for natural description. Perhaps Kant intended a weaker role for the disciplines he relegated to that status. Certainly they contain no empirical causal laws, so there is no necessity that they contain the robust kind of explanatory apparatus for empirical reason that I have advocated. But it is not reasonable to take Kant to hold that natural description is so weak that it could not include at least the kinds of law-like generalizations I mentioned such as derivation among principles and propositions. Law-like generalizations are as much a part of empirical psychology as they are a part of other disciplines with the same status of natural description, for example, history; Kant begins the »Idea for a Universal History« essay by noting that human actions in appearance are determined in conformity with causal laws, and that history ought thus to be able to see a regelmässig pattern in these actions as a whole (IaG, 17). Empirical psychology as a discipline of natural description could still postulate an empirical faculty of reason. This faculty, it should be clear, would have to be postulated with a sufficiently robust conception for explaining in full the appearances of inner sense, i. e. representations of complex principles, relationships of derivation among principles and propositions, and relationships between various actions and decisions on the one hand and various motives or reasons on the other hand, and the like. In short, the conception of empirical reason used in empirical psychology would have to be complete in itself so that no other description is necessary for describing reason in appearance. If the conception of empirical reason in empirical psychology as natural description were not so robust, it would fail as description. Thus empirical psychology can include law-like generalizations, and the weaker version of the objection is not sufficient to preclude the postulation of an empirical reason. The stronger version of this objection holds that even law-like generalizations are disallowed because there simply is no causal determinism among mental states. If there is no determinism among mental states, then any law-like generalizations in empirical psychology as natural description have the status of »just so stories.« Natural description of course falls short of actual causal laws, but in order for a
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naturalistic account of reason to be plausible, there must be at least the hope that the underlying ontology could match the natural description. That is, it must be the case that natural description is alleged to track some real causal relations. Ken Westphal makes this argument by combining the considerations from the Natural Science with two points drawn from the Critique of Pure Reason: the claim in the Paralogisms that no substance can be proven for the self, and the claim in the Analogies that substance is required for causal relations (Westphal, 1995a, 358, Westphal 1995b, and Westphal, 2004). Since causal relations require there to be an unchanging substance to undergo the causal change, causation requires substance. But since the Paralogisms denies that we can have any knowledge of a mental substance, there is no substance for mental states which might be the subjects of causal relations and causal change. Thus there can be no causal relations among mental states. The argument can be challenged on several premises, the details of which I will forego here. Instead I will defend the assumption of real causal relations among mental states in appearance on other grounds Kant provides. Kant held that even if we could never know those deterministic relations, they are there. The Critique of Practical Reason is quite insistent on this point, particularly when Kant rejects the idea of freedom as a psychological property. There he notes that causal determination »may be internal and they may have psychological instead of mechanical causality, that is, produce actions by means of representations and not by bodily movements; they are always determining grounds of the causality of a being insofar as its existence is determinable in time and therefore under the necessitating conditions of past time … and they therefore leave no transcendental freedom, which must be thought as independence from everything empirical and so from natural generally, whether it is regarded as an object of inner sense in time only or also of outer sense in both space and time« (KpV, 96–97). Since inner sense is governed by temporal relations, all representations in the agent’s mind as appearance must be governed by deterministic relations to preceding representations in time. Empirical psychology is the discipline that purports to describe these inner determinations. Even if it cannot provide the proper deterministic scientific laws, the assumption must be made that there are deterministic relations among mental states. Further, these deterministic relations make the mind a part of nature whether or not the mind is reducible to matter. The definition of metaphysical naturalism I have been working under holds that the only entities which exist are those required by natural science to explain, using proper scientific laws, observations, and the only properties of entities which exist are those whose particular existence can be understood as a result of the structure of the entities required by natural science. But if, as assumed here, empirical psychological states are not properties reducible to physical entities, then they must either be entities required by natural science to
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explain observations or they fall outside the definition of metaphysical naturalism entirely. The issue, in short, is whether any kind of irreducible mind can be considered part of nature. Here, the key is that Kant’s conception of nature includes inner sense as well as outer sense regardless of how they are to be related. Kant notes that »all necessity of events in time in accordance with the natural law of causality can be called the mechanism of nature, although it is not meant by this that the things which are subject to it must be really material machines« (KpV, 97); causal determinations among representations are considered to be nature just as much as causal determinations in matter. Kant considered the empirical mind to be part of nature whether or not it was reducible to the entities of natural science.
IV. This paper has concentrated on empirical reason in order to show that it can be construed such that all human action, including moral action, in experience can be explained using causal laws or law-like generalizations ranging over nature in inner and outer sense. The categorical imperative in empirical reason acts as a motive to determine particular decisions of the empirical Willkür. Since empirical reason can be understood so broadly as a cause in nature, what role is left for a transcendentally free reason as a cause? This question must focus on reason as cause, not any transcendentally free will. The power to make decisions in the Willkür is a distinct causal force. Empirical Willkür employs this causal force as part of natural causal nexus that includes empirical reason. In appearances, empirical reason sometimes determines empirical Willkür, neither of these empirical faculties are outside the realm of natural determinism. Any transcendentally free power of decision would be attributed to a transcendentally free Willkür not to a transcendentally free reason. The causal role of reason in itself is circumscribed by its timeless character: »Pure reason, as a merely intelligible faculty, is not subject to the form of time, and hence not subject to the conditions of the temporal sequence. The causality of reason in the intelligible character does not arise or start working at a certain time in producing an effect« (KrV, A551/B579). Further, the intelligible character of reason, i. e. pure reason, is to be understood as the ground or determiner of the empirical character of reason, i. e. empirical reason. Reason’s action in its empirical character is precisely determined and necessary. This empirical character as a whole is seen as the indicator that reason in its intelligible character, i. e. pure reason, is at work. Pure reason does not cause any empirical actions according to empirical laws; it does not begin its effect at any particular time. Nonetheless, the action of reason can be attributed to both reason’s empirical character and reason’s intelligible character. How can pure reason be understood as an unchanging, unconditioned cause of the particular manifestation of itself in empirical reason?
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I have offered a naturalistic answer to this question elsewhere (Rauscher, 2002). I believe that Kant holds that we posit a faculty of pure reason existing independent of nature in space and time, but that we acknowledge that such a faculty is merely a belief on our part. This solution, I take it, makes Kant a moral idealist or antirealist, since only empirical reason is held to be real. But here I will offer another naturalist answer to the question, one that is not offered directly as an interpretation of Kant but points, I believe, in a Kantian direction. A naturalist interpretation of what Kant could have had in mind as pure reason is the very structure of reason itself which justifies the pronouncements of reason. The structure of reason, that is, the nature of the faculty itself, is independent of the conditions of time even though each particular manifestation of the structure of reason in particular rational beings is dependent upon causal antecedents in nature. There are two ways in which something, A, can be »independent from determination« by something else, B. First, A may exist apart from B in such a way that B never has any contact with A. An example of this sort of independence from determination is when an ill person is quarantined so that other persons will not receive the infection; another example is when protective parents prevent a child from having any contact with another child they consider to be a bad influence. The second way that A can be »independent from determination« by B is that A may exist in contact with B but consist of such a structure that B is unable to alter A. A clear example lies in a sealing wax mold, for the mold itself has contact with the wax while remaining unchanged by the wax. Because of the relative malleability of the wax and rigidity of the mold, the wax is not capable of changing the mold at all. This is the idea behind the naturalistic interpretation of the transcendental freedom of reason I am advocating here: reason is said to exist in nature but as an unalterable structure of thinking, such that, although it arises according to natural causes, the structure identified as reason has a definite structure which then processes empirical data in a manner independent of – and unchanged by – that empirical data. Reason as transcendentally free is in this way compatible with a metaphysical naturalism. Since empirical reason can be seen as postulated by empirical psychology, it would be a property of entities required for as complete a description of nature as possible. Reason in itself, that it, a transcendentally free faculty of reason, would be nothing more than the structure of that reason which is capable of producing and justifying the rules of reason. In this way, Kant can be understood to offer a metaphysically naturalistic conception of reason as a cause in nature acting through its principles such as the categorical imperative in the empirical mind.4
I would like to thank participants in the Moral Motivation conference in Marburg and particularly Patrick Kain for useful suggestions. 4
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Bibliographical Citations Kant’s Works (translations are my own unless otherwise cited below): AA Immanuel Kant, Gesammelte Schriften, ed. Preussische Akademie der Wissenschaften, Berlin 1900 ff. IaG Idee zu einer allgemeinen Geschichte (Idea for a Universal History), in: AA VIII. KpV Kritik der praktischen Vernunft (Critique of Practical Reason, trans. Mary Gregor, in: Immanuel Kant, Practical Philosophy, Cambridge 1996), in: AA V. KrV Kritik der reinen Vernunft (Critique of Pure Reason, trans. Paul Guyer and Allen Wood, Cambridge 1998), in: AA III/IV. MAN Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft (Metaphysical Foundations of Natural Science), in: AA IV Prol Prolegomena (trans. Gary Hatfield, in: Immanuel Kant, Theoretical Philosophy after 1781, Cambridge 2002), in: AA IV. Allison, Henry (1990): Kant’s Theory of Freedom, Cambridge. Allison, Henry (1996): Idealism and Freedom, Cambridge. Rauscher, Frederick (2002): »Kant’s Moral Anti-Realism,« in: Journal of the History of Philosophy, 40, pp. 477–499. Westphal, Kenneth (1995a): »Kant’s Critique of Determinism in Empirical Psychology,« in Proceedings of the Eighth International Kant Congress, Memphis 1995, Vol. II, Milwaukee, pp. 357–370. Westphal, Kenneth (1995b): »Does Kant’s Metaphysical Foundations of Natural Science Fill a Gap in the Critique of Pure Reason?«, in: Synthese 103, pp. 43–86. Westphal, Kenneth (2004): Kant’s Transcendental Proof of Realism, Cambridge.
Theorien moralischer Motivation im Anschluß an Kant
Praktische Gründe und moralische Motivation. Eine deontologische Perspektive Heiner F. Klemme
Die Pflichtenethik Kants nimmt in der aktuellen Debatte über eine begrifflich anspruchsvolle und empirisch gehaltvolle Konzeption praktischer Gründe und moralischer Motivation eine in negativer wie in positiver Hinsicht herausragende Stellung ein.1 Während sich beispielsweise neo-aristotelische Tugendethiker, Kommunitaristen, Utilitaristen und Mitleidsethiker in dem Urteil einig sind, daß alle Versuche, »Kants Moralphilosophie ohne Verlust zu rekonstruieren« 2, aus prinzipiellen Gründen scheitern, wird von anderen Autoren der Versuch unternommen, eine kantianische Konzeption praktischer Gründe und Motive zu entwickeln, die zentralen Dimensionen der Kantischen Moralphilosophie (Autonomie, Achtung, moralisches Sollen) Rechnung tragen soll, ohne auf problematische Elemente seiner Kritischen Philosophie – insbesondere den Transzendentalen Idealismus – zurückgreifen zu müssen.3 Mit meinen nachfolgenden Überlegungen möchte ich zu dieser Debatte beitragen. Zum einen möchte ich zu verstehen versuchen, worin die für die Entwicklungsgeschichte der modernen Moralphilosophie entscheidende Pointe der Kantischen Theorie moralischer Motivation besteht. Zum anderen will ich zumindest perspektivisch aufzeigen, in welcher Weise dieser Pointe im Rahmen einer aktuellen deontologischen Ethik Genüge getan werden kann. Weil eine Theorie moralischer Motivation zeigen soll, daß und wie moralische Gründe praktisch sind und sein können, kann sie selbstverständlich immer nur mit Blick auf die Frage nach der Natur praktischer Gründe und moralischer Verpflichtungen thematisiert und entwickelt werden. Praktische Gründe und moralische Motivation stellen zwei Seiten ein und derselben Medaille dar.
Siehe beispielsweise die in der Zeitschrift »Erwägen Wissen Ethik« (2003) abgedruckten Repliken auf den Beitrag von Nunner-Winkler (2003) sowie die Beiträge im vorliegenden Band. 2 Spaemann (2002, 105). 3 Für die deutschsprachige Diskussion sei an dieser Stelle pauschal auf die bekannten Arbeiten von Karl-Otto Apel, Jürgen Habermas, Otfried Höffe und Ernst Tugendhat, für die angelsächsische Literatur auf Autorinnen und Autoren wie Lawrence Kohlberg, John Rawls, Onora O’Neill und Christine M. Korsgaard verwiesen. 1
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Mein Beitrag gliedert sich in drei Hauptteile: In Teil I werde ich zunächst in theoriegeschichtlicher Absicht Überlegungen zur Systematik rationalistischer und emotivistischer Konzeptionen moralischer Motivation in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts anstellen, vor deren Hintergrund die Besonderheiten der Kantischen Konzeption praktischer Gründe und moralischer Motivation deutlich werden. In Teil II wende ich mich in interpretatorischer Absicht Kants eigener Konzeption praktischer Gründe und moralischer Motivation zu. Schließlich unterscheide ich in Teil III im Rückgriff auf Kants komplexe Motivationstheorie zwischen der kognitiv-formalen, der emotiven, der autonomistischen und der existentiellen Dimension moralischer Motivation. In systematischer Absicht soll dort gezeigt werden, wie diese vier Dimensionen moralischer Motivation in einer modernen deontologischen Moraltheorie eingebunden werden können.
I. Theoriegeschichtliche Überlegungen zum Verhältnis von Vernunft und Gefühl in den Moralkonzeptionen vor Kant Ich werde zunächst (1.) am Beispiel des Leibniz-Anhängers Christian Wolff die Grundzüge einer rationalistischen und sodann (2.) am Beispiel der schottischen Moralphilosophen (Francis Hutcheson, David Hume) die einer empiristischen Konzeption moralischer Motivation darstellen. Schließlich soll (3.) auf Christian August Crusius eingegangen werden, der in Abgrenzung zur rationalistischen (und empiristischen) Philosophie behauptet, daß der Begriff der moralischen Verpflichtung den Begriff der libertas indifferentiae impliziert.4
1. Die rationalistische Option Die vielleicht einflußreichste Theorie moralischer Motivation, die auf dem europäischen Kontinent in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts vertreten wurde, stammt aus der Feder des Leibnizianers Christian Wolff. Wolffs Auffassung über die Natur unserer Handlungsmotive fußt auf bestimmten Behauptungen über die Natur moralischer Verpflichtungen und die Freiheit des menschlichen Willens. Was die Natur unserer moralischen Verpflichtungen betrifft, verweist Wolff auf das Gesetz der Natur, das uns unsere Vervollkommnung gebietet: »Thue was dich und deinen oder anderer Zustand vollkommener machet; unterlaß, was ihn unvollkommener machet.«5 Nach Wolff ist mit der Erkenntnis des Gesetzes eine Motivation verbunden. Denn stimmt das, was uns und unseren Zustand vollkommener macht, mit unserer Natur überein, wird es von uns faktisch begehrt. Was uns und unseren Zustand
4 5
Zum Folgenden siehe auch Klemme (2006a). Wolff (1733, § 12, 11–12; vgl. § 19); siehe auch Achenwall u. Pütter (1750, § 110).
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aber unvollkommener macht, das widerstreitet unserer Natur und wird von uns gemieden.6 Folgt aus der Erkenntnis dessen, was uns vollkommener macht, daß wir auch entsprechend handeln? Haben wir die Freiheit, uns für oder gegen unsere Verpflichtungen zu entscheiden? Diese Fragen beantworten sich für Wolff durch zwei Einsichten: Die erste Einsicht betrifft den eigentlichen Zweck unseres Handelns, nämlich die Glückseligkeit. Wolff ist der festen Überzeugung, daß der Mensch sein eigentliches Glück nicht in der Befriedigung seiner Neigungen findet, sondern vielmehr durch seine Vernunft Herrschaft über seine »Sinne«, die »EinbildungsKrafft« und die »Affecte«7 erlangen muß, um glücklich zu sein. Er muß dem »Gesetze der Natur« folgen, wenn er glücklich sein will, denn die Gesetzesbefolgung ist das Mittel, »seine Glückseeligkeit zu erhalten« 8. Mit Blick auf die Freiheit des menschlichen Wollens, vertritt Wolff mit Leibniz die Auffassung, daß es immer einen zureichenden Grund für unser Wollen geben muß, der in nichts anderem als in unserer Erkenntnis des Guten besteht.9 Diese Erkenntnis beruht auf dem Vermögen einer Person, zwischen deutlichen und undeutlichen Vorstellungen unterscheiden zu können. Erkennt eine Person ein Ding deutlich, dann erkennt sie auch, ob das Ding wahrhaft gut oder schlecht ist. Was sie aber als gut erkennt, das erstrebt sie auch: »Man siehet aus der gegebenen Erklärung des Willens, daß wir allezeit einen Grund haben müssen, warum wir etwas wollen, nehmlich die Vorstellung des Guten (§. 492); imgleichen einen Grund, warum wir etwas nicht wollen, nehmlich die Vorstellung des Bösen (§. 493). Und daß diesem so sey, erhellet zur Genüge aus dem Satze des zureichenden Grundes (§. 30). Denn wenn alles seinen zureichenden Grund haben muß, warum es vielmehr ist, als nicht ist; so muß es auch seinen zureichenden Grund haben, warum wir etwas wollen und nicht wollen, gleichwie es unmöglich ist, daß eine Wage einen Ausschlag geben kann, wenn nicht ein Gewichte vorhanden, welches ihn verursachet. Diese Gründe nun des Wollens und nicht Wollens pflegen wir Bewegungs-Gründe zu nennen.«10 Wenn es richtig ist, daß das Gute ein Gegenstand unserer Erkenntnis ist und in unserer Glückseligkeit besteht, und wenn es ferner zutrifft, daß wir aufgrund des Satzes vom zureichenden Grund immer nach demjenigen Zweck handeln, den wir als gut erkennen, dann wird verständlich, warum in der Ethik in letzter Konsequenz alles darauf ankommt, sich zu vervollkommnen. Denn wird der Wille nach dem Satz vom zureichenden Grund durch die Gründe bestimmt, die der Verstand als gut oder schlecht erkennt, dann hat der Mensch nicht die Wahl, etwas zu wollen, was er als schlecht erkannt hat. Die einzige Möglichkeit, unser Wollen im Sinne des 6 7 8 9 10
Vgl. Wolff (1733, § 28). Wolff (1733, 113, § 185). Wolff (1733, 38, § 57). Siehe Leibniz (1875 ff., Bd. VI, §§ 44, 196) und Wolff (1751, §§ 142, 145). Wolff (1751, 302, § 496); vgl. Wolff (1751, 308, § 506; 1733, 7, § 6).
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Naturgesetzes zu verbessern, besteht daher in der Verbesserung unserer Erkenntnis des Guten.11 Wolff entwirft somit eine durch und durch kognitivistische, an den Begriffen der Erkenntnis und der Vollkommenheit orientierte Konzeption praktischer Gründe und moralischer Motivation, die für einen Willen, der sich völlig frei zwischen dem moralisch Guten und Schlechten entscheidet, keinen Platz läßt. Die Konzeption einer libertas indifferentiae lehnt Wolff mit Leibniz entschieden ab.12
2. Die empiristische Option Als Beispiel für eine empiristische Konzeption der Moralphilosophie sei auf die Ethik der moralischen Gefühle verwiesen, die in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Großbritannien von Lord Shaftesbury, Francis Hutcheson und David Hume in ausdrücklichem Gegensatz zur rationalistischen Philosophie von Samuel Clarke, John Balguy und anderen entwickelt wird.13 Die Vertreter dieser Ethik stimmen darin überein, daß die Moral, die unser Wollen binden und unser Handeln leiten soll, keine abstrakte (begriffslogische) Grundlage haben kann. Vielmehr muß die Moral auf offensichtlichen, empirisch verifizierbaren Eigenschaften unserer menschlichen Natur beruhen. Wenden wir uns der menschlichen Natur mit dieser Einstellung zu, zeigt sich, daß unsere Vernunft weder ein Organon zur Erkenntnis unserer moralischen Verpflichtungen noch eine Quelle moralischer Motivation darstellt. Die Vernunft hat zwar einen indirekten Einfluß auf unser Wollen, weil sie einerseits Urteile über das fällt, was in der Welt der Fall ist, und weil sie uns andererseits über die Mittel in Kenntnis setzt, die wir ergreifen müssen, um einen bestimmten Zweck zu erreichen. Allein für sich betrachtet ist die Vernunft aber völlig unzureichend, uns motivierende Handlungszwecke vorzugeben. Sie hat eine rein instrumentelle Funktion.14 Gründe und Motive beruhen einzig und allein auf unseren Leidenschaften, Gefühlen und Affekten. »Gut« und »schlecht« sind für diese Autoren Prädikate, die außerhalb des durch unsere affektive Natur definierten kausalen Handlungskontextes keinen Sinn machen. Aber welche moralisch relevanten Wünsche (»desires«) oder Interessen (»interests«), die auf der affektiven Natur des Menschen beruhen, gibt es eigentlich? Die schottischen Moralphilosophen von Hutcheson bis Adam Smith wenden gegen die Konzeption des aufgeklärten Eigeninteresses von Thomas Hobbes und Bernard de Mandeville ein, daß Menschen nicht nur den Wunsch haben, ihr eigenes Wohl zu
Siehe Wolff (1751, 246, § 373). Ganz in diesem Sinne schreibt bereits Descartes in seinem Discours de la Méthode (1637): »il suffit de bien juger, pour bien faire« (2001, 56; III,5). 12 Siehe Wolff (1751, § 10; 1733, § 6–7) und Leibniz (1875 ff., Bd. III, 401; Bd. VII, 109). 13 Siehe u. a. Schrader (1984), Darwall (1995) und Schneewind (1998). 14 Siehe Hutcheson (1971, 121–122) und Hume (1978, 415). 11
Praktische Gründe und moralische Motivation
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fördern, sondern auch ein praktisches Interesse am Wohl des Anderen nehmen.15 Hutcheson zieht hieraus die Konsequenz, daß eine Handlung, die das Wohl des Anderen und mein eigenes Wohl befördert, besser ist als eine Handlung, die nur dem Wohl des Anderen dient. Befördere ich dagegen mein Wohl zu Lasten des Anderen, dann ist die Handlung moralisch schlecht.16 Doch auch innerhalb der schottischen Moralphilosophie gab es einen für unsere Thematik aufschlußreichen Dissens.17 Er betraf Hutchesons Unterscheidung zwischen Beweggründen (»exciting reasons«) und Rechtfertigungsgründen (»justifying reasons«18). Welche Funktion hat diese Unterscheidung? Kann es nach Hutcheson Beweggründe geben, die nicht gerechtfertigt sind, oder Rechtfertigungsgründe, die uns nicht motivieren? Da alle Gründe für Hutcheson auf unseren Gefühlen beruhen und Gefühle eine kausal motivierende Kraft haben, kann es keine Gründe geben, die uns prinzipiell nicht motivieren. Allerdings kann es (wie bei Wolff im Falle der undeutlichen Vorstellungen) sehr wohl motivierende Gründe geben, die moralisch nicht gerechtfertigt sind. Moralische Rechtfertigungsgründe beruhen nämlich auf einem speziellen moralischen Sinn (»moral sense«), aus dessen Perspektive wir unsere Gefühle moralisch billigen oder mißbilligen. Zwar möchte Hutcheson nicht die Behauptung verteidigen, daß einige Menschen nicht über einen moralischen Sinn verfügen (was, rein begrifflich betrachtet, aber nicht auszuschließen wäre). Obwohl aber alle Menschen einen derartigen Sinn haben, lassen sie sich oftmals von Gefühlen leiten, die aus der Perspektive des moralischen Sinnes zu mißbilligen sind. Hutcheson vertritt somit eine dualistische Konzeption praktischer Gründe und moralischer Motivation, wonach wir unsere gewöhnlichen Gefühle aus der Perspektive eines moralischen Sinnes extern beurteilen, ohne das Terrain unserer Sinnlichkeit verlassen zu müssen. Siehe programmatisch Smith (1976, 9). »But it must be observ’d, That as all Men have Self-Love, as well as Benevolence, these two Principles may jointly excite a Man to the same Action; and then they are to be consider’d as two Forces impelling the same Body to Motion; sometimes they conspire, sometimes are indifferent to each other, and sometimes are in some degree opposite.« (Hutcheson, 1725, 129–130, vgl. 102). – Hutcheson kann hiermit als Vorläufer der Theorie »komplexer Motive« (»complex motives«; Ross, 1930, 168–170; 1939, 325; vgl. Prichard, 1912, 62–63) bzw. in motivationaler Hinsicht »überbestimmter Handlungen« (»overdetermined actions«; vgl. Herman, 1993; Baron, 2006) gelten. Diese Konzeption findet sich auch bei Achenwall und Pütter, die betonen, daß wir oft »durch mehrere Motive zu derselben freien Handlung bestimmt [werden], wodurch ein zusammengesetztes Motiv [motivum compositum] entsteht.« (Achenwall / Pütter, 1750, 45, § 101; siehe auch Pufendorf, 1994, I, 3, § 6, S. 47: die »Beweggründe« der Menschen »sind vielfältig und bunt gemischt.«) 17 Auf die Besonderheiten von Adam Smith’ Ethik des unparteilichen Zuschauers, die in vielfacher Hinsicht eine größere Nähe zur Kantischen Ethik des kategorischen Imperativs aufweist als die Ansätze von Hutcheson und Hume, kann im Rahmen dieses Beitrags nicht eingegangen werden. 18 Hutcheson (1971, 21). 15 16
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Im Gegensatz zu Hutcheson setzt Hume nicht die Existenz eines speziellen moralischen Sinnes (moral sense) voraus.19 Fällt der moralische Sinn aber als Rechtfertigungsinstanz aus, dann macht auch die Unterscheidung zwischen Beweggründen und Rechtfertigungsgründen keinen rechten Sinn mehr. Wir werden nicht nur durch bestimmte Gefühle oder Wünsche (»desires«) zu bestimmten Handlungen motiviert, diese Gefühle stellen zugleich die Rechtfertigungsbasis unseres Handelns dar. Hume ersetzt somit Hutchesons dualistische Konzeption moralischer Motive und Gründe durch eine monistische Konzeption, in der die normative Richtigkeit eines Grundes nicht mehr durch eine separate Quelle der Normativität (den moralischen Sinn) erläutert wird, sondern sich ausschließlich durch die kausale Stärke eines Wunsches erklärt, der sich gegenüber anderen Wünschen faktisch durchsetzt. Humes Ansicht nach ist der Standard unserer moralischen Wertschätzung sozial und historisch vermittelt. In der Urteilspraxis zeigt sich – ähnlich wie bei Aristoteles – gewissermaßen die Vorzüglichkeit einer Person von Charakter. Es ist diese monistische Konzeption praktischer Gründe und Motive, die heute auf ein großes systematisches Interesse stößt.20
3. Das Bonum-Prinzip und das Problem der Willensfreiheit Trotz ihrer prinzipiell unterschiedlichen Ausrichtung gibt es zwischen dem Rationalisten Wolff und den Empiristen Hutcheson und Hume zwei bemerkenswerte Gemeinsamkeiten: Erstens stimmen diese Autoren darin überein, daß praktische Gründe und Motive entweder auf der Vernunft oder aber auf dem Gefühl (der Sinnlichkeit) beruhen müßen. Eine Vermischung bzw. Aufgabenverteilung zwischen diesen beiden Instanzen wird abgelehnt. Es ist demnach ausgeschlossen, daß wir Gründe durch die Vernunft erkennen, aber durch Gefühle motiviert werden, entsprechend zu handeln. Zweitens sind diese Autoren davon überzeugt, daß unser Wollen auf das Gute gerichtet ist. Ich möchte dies das Bonum-Prinzip menschlichen Handelns nennen. Mit dem Bonum-Prinzip wird ein entweder begriffslogisch und / oder kausal notwendiger Zusammenhang zwischen Grund (Gut) und Motiv behauptet: Wenn ein Mensch etwas als Gut erkennt (Wolff) oder ein bestimmtes Gut (einen Zweck) aufgrund einer entsprechenden Begierde oder Neigung erreichen möchte (Hutcheson, Hume), dann hat er nicht mehr die Freiheit, dieses Gut nicht zu wollen. Der Wille ist also nichts anderes als die Vorstellung des Guten, das damit zugleich Grund und Motiv unseres Handelns ist. Gottfried Achenwall hat diese Auffassung in den Elementa iuris naturae (1750) auf den Punkt gebracht: »Das Motiv lenkt den Willen.«21 19 20 21
Dies ist die These von Adam Smith; siehe Smith (1976, 321–327, bes. 327). Siehe u. a. Gosepath (1999) und Heuer (2001). »Motivum flectit voluntatem.« (Achenwall / Pütter, 1750, 40, § 86)
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In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts akzeptieren jedoch nicht alle Philosophen das Bonum-Prinzip. Dessen wichtigster Kritiker ist Crusius, der im Rahmen seiner theologisch fundierten Ethik ausdrücklich an der Konzeption der »libertas indifferentiae oder aequilibrii« festhält, die er »vollkommene Freiheit« 22 nennt. Für Crusius gibt es neben einer »Freyheit nur zum Guten« und einer »Freyheit nur zum Bösen« auch »eine Freyheit zum Guten und Bösen, welche sich sowohl zu guten als bösen Thaten determinieren kann, weil ihr beyde möglich sind. In den Stand der letzern muß ein endlicher Geist, wenn er einer wahren moralischen Tugend fähig seyn soll, irgend einmal gesetzt werden. […] Demnach ist die Freyheit nicht nothwendig eine Kraft, nach den besten Vorstellungen des Verstandes zu handeln, sondern da, wo unter den vorgestellten Handlungen wircklich eine die beste ist, da soll sie nur eine Kraft seyn, das beste erwehlen zu können, und nach der göttlichen Absicht soll sie zu der wircklichen Ergreiffung desselben angewendet werden.« 23 In dieser Textpassage hebt Crusius den internen Zusammenhang, der nach Ansicht von Wolff, Hutcheson und Hume zwischen praktischen Gründen und moralischer Motivation besteht, im Begriff des moralischen Sollens auf. Für Crusius impliziert der Begriff des moralischen Sollens nämlich die Freiheit einer Person, sich praktisch auch gegen das (moralisch) Beste und für das Böse entscheiden zu können.24 Warum aber sollte eine Person dies tun? Wäre es nicht ein klares Zeichen von Irrationalität, wenn sie das Gute nicht wählt? Welches Motiv könnte sie haben, es nicht zu wählen? Auf diese Fragen gibt Crusius in letzter Konsequenz keine überzeugenden Antworten. Die Kritik am Bonum-Prinzip scheint in einen Irrationalismus zu führen, den Crusius jedoch in Kauf nimmt, um den Determinismus und damit die Aufhebung von Sittlichkeit und Moral zu vermeiden.25 Aus seiner (pietistischen) Perspektive betrachtet ist das Phänomen des moralischen Sollens absolut irreduzibel: Der Mensch muß sich frei für oder gegen die göttlich-moralischen Gebote entscheiden, wobei er seine Entscheidung jederzeit revidieren kann, wenn er es denn will.
Crusius (1744, 61, § 50). – Ähnlich bereits Samuel von Pufendorf: »Sodann ermöglicht es der Wille dem Menschen, frei zu handeln. D. h., wenn der Mensch eine bestimmte Sache vor Augen hat, hat er die Möglichkeit zu handeln oder nicht zu handeln, und sich so für die Sache zu entscheiden oder dagegen, oder auch von mehreren Objekten eines auszuwählen und die anderen zurückzuweisen.« (1994, Kap. I, § 9; siehe auch De iure naturae et gentium, 1672, I, IV, III). 23 Crusius (1744, 64–65, § 52). 24 Vgl. Schneewind (1992, 326). 25 Siehe Finster (1982, 269). 22
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II. Praktische Gründe und moralische Motivation bei Kant Mit Wolffs Rationalismus, der Ethik moralischer Gefühle und Crusius‘ Konzeption moralischen Sollens sind Bezugspunkte genannt, die für das Verständnis der Kantischen Konzeption praktischer Gründe und moralischer Motivation besonders hilfreich sind. Ich möchte diese Konzeption in vier Schritten darstellen: Im Anschluß an einige terminologische Klärungen (1.) werde ich in entwicklungsgeschichtlicher Perspektive die Genese der Kantischen Konzeption der Achtung diskutieren (2.), dann seine Theorie praktischer Gründe vorstellen (3.) und schließlich auf dieser Grundlage zentrale Dimensionen von Kants Konzeption moralischer Motivation skizzieren (4.).
1. Terminologische Klärungen In meinen Ausführungen mache ich von einer Terminologie Gebrauch, die in zwei Punkten von der Kantischen abweicht: Erstens. Im Zentrum der Kantischen Moralphilosophie stehen die Begriffe des Sollens, der Verpflichtung und der Pflicht. Von praktischen (empirischen, subjektiven, moralischen) Gründen spricht Kant dagegen kaum bzw. nicht im Sinne von Pflicht oder Gebot.26 Wie ist dies zu erklären? Kant geht mit seinem (auf die Stoa zurückgehenden und in der Naturrechtstradition – wie z. B. bei Pufendorf, Wolff sowie Achenwall und Pütter – fest verankerten) deontologischen Vokabular davon aus, daß eine Pflicht eine Handlung beschreibt, die mit einer (vollkommenen oder unvollkommenen) Verbindlichkeit vereinbar ist, die von einem Gesetz ausgeht bzw. in einem Gesetz begründet ist.27 Ganz in diesem Sinne unterscheidet Kant mit den hypothetischen und kategorischen Imperativen zwei Typen von Verbindlichkeiten (Pflichten), die auf zwei unterschiedlichen Typen von Gesetzen beruhen, nämlich auf dem Naturgesetz als dem Grund der Heteronomie und auf dem Moralgesetz als dem Grund der Autonomie.28 Entsprechend dieser Position beschreibt eine moralische Pflicht eine Handlung, die mit Notwendigkeit mit dem praktischen Gesetz (Moralgesetz) übereinstimmt.29 Die Rede von moralischen Gründen impliziert als Kant bezeichnet die Existenz der vernünftigen Natur als den »obersten praktischen Grund« (GMS, 428), aus dem alle Gesetze des Willens abgeleitet werden müssen; vgl. GMS, 389, 418 (»empirische Gründe«), 407 (»moralischen Grunde der Pflicht«), KpV, 135 (»praktischen Grunde«), 144 (»subjektiver Grund«). 27 Eine klare Formulierung dieses Zusammenhanges findet sich bei dem Naturrechtler Johann Gottlieb Heineccius: »Da also die Pflichterfüllung eine mit dem Gesetz zu vereinbarende Handlung ist (§ 120), ergibt sich ohne weiteres: (1) eine Pflicht kann nicht ohne ein Gesetz gedacht werden« (Heineccius, 1994, 97–98, § 120–121). 28 Siehe GMS, 423. 29 Entsprechend definiert Baumgarten in § 723 seiner Metaphysica: »Necessitatio moralis est obligatio« (AA XVII 136). 26
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solche jedoch gerade nicht den Begriff eines Gesetzes. So sind wir beispielsweise nach Ansicht der ethischen Intuitionisten an Gründe und Verpflichtungen gebunden, obwohl diese keinerlei Bezug zu einem Gesetz haben.30 Zudem drücken Pflichten nach Kant entweder eine vollkommene oder eine unvollkommene Verbindlichkeit aus. Aber im Gegensatz zu Gründen können sie nicht gut oder schlecht, überzeugend oder nicht überzeugend sein. Pflichten müssen erfüllt werden, Gründe leiten (als Motive)dagegen zu einem Handeln an. – Trotz dieser Differenzen zwischen den Begriffen der Pflicht und des Sollens auf der einen Seite und dem Begriff eines praktischen Grundes auf der anderen Seite werde ich von praktischen Gründen definitorisch im Sinne von allgemeinen praktischen Verpflichtungen und von moralischen Gründen im Sinne von moralischen Verpflichtungen gegenüber anderen Personen sprechen. Praktische Gründe umfassen meinem Verständnis nach also nicht-moralische (empirische, subjektive, sinnliche) Gründe sowie moralische Gründe. Zweitens. Kant spricht von »Bewegungsgrund« und »Triebfeder«, aber nur selten von »Motiv«. Warum zieht er die Wörter »Bewegungsgrund« und »Triebfeder« dem Wort »Motiv« vor? Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß »Bewegungsgrund« schlicht die deutsche Übersetzung des lateinischen »motivum«31 ist und auch zur Übersetzung des englischen »motive« diente.32 Auf das deutsche Wort »Motiv« greift Kant in seinen Druckschriften allein in seiner Auseinandersetzung mit Christian Garve zurück, der seinerseits dieses Wort verwendet.33 Es gibt also keinen sachlichen Unterschied zwischen einem Bewegungsgrund und einem Motiv. Allerdings ist der Gebrauch des Wortes »Bewegungsgrund« bei Kant schwankend, wobei er einmal mit ihm den objektiven, d. h. rationalen Grund des Wollens34 bezeichnet, der zum oberen Begehrungsvermögen (Vernunft) gehört, ein anderes Mal Siehe Prichard (1912, 1928) und Ross (1930). In der studentischen Nachschrift seiner (nach Alexander Gottlieb Baumgartens Ethica philosophia gehaltenen) Vorlesung über Moral aus der Mitte der siebziger Jahre heißt es: »Die Formel, die die practische Notwendigkeit ausdrükt ist die causa impulsiva einer freyen Handlung, und weil sie objectiv necessitirt, so nennt man sie ein motivum oder einen Bewegungsgrund, also zur jeden practischen Necessitation gehört ein motivum.« (Kant, 2004, 28) Siehe auch ND, 400 (»motiva intellectus«), 402 u. 403, sowie AA XXVIII 254 (»Die sensitiven sind stimuli oder Bewegursachen, Antriebe. Die intellectuellen sind Motive oder Bewegungsgründe. Die ersten sind für die Sinne, die andern für den Verstand.«; vgl. dazu Klemme, 1996, 84). – Bei Crusius heißt es: »Alles was eine Begierde reizet, heißt ein Bewegungsgrund. Man sagest dahero gar recht, daß alle Bewegungsgründe eine Sache als gut oder böse vorstellen« (Crusius 1744, § 58, S. 74). 32 Vgl. Hutcheson (1762, 139). 33 Vgl. Ge, 281–286. 34 »Der subjektive Grund des Begehrens ist die Triebfeder, der objektive des Wollens der Bewegungsgrund; daher der Unterschied zwischen subjektiven Zwecken, die auf Triebfedern beruhen, und objektiven, die auf Bewegungsgründen ankommen, welche für jedes vernünftige Wesen gelten.« (GMS, 427) 30 31
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aber »empirische Bewegungsgründe« meint, die dem unteren Begehrungsvermögen (Sinnlichkeit, das Gefühl der Lust und Unlust) entspringen.35 Demgegenüber greift er auf das Wort »Triebfeder« zur Bezeichnung von Motiven zurück, die immer einen Bezug zum unteren Begehrungsvermögen und damit zur Subjektivität des Menschen haben. Dabei unterscheidet Kant zwischen zwei Typen von Triebfedern: – Eine Triebfeder, die auf unseren gewöhnlichen (pathologischen) Gefühlen beruht, nennt Kant »Triebfeder a posteriori« bzw. »sinnliche Triebfeder«36. Im Gegensatz zu einem Affekt geht einer »sinnlichen Triebfeder« eine Überlegung voraus, die auf Zukünftiges gerichtet ist. Demnach zeichnen sich Subjekte, die aus Neigung handeln, durch ein Mindestmaß an Rationalität aus, was nicht für alle Sinnenwesen gilt. Kant nennt die zu einem Habitus, d. h. zu einer festen Haltung gewordene sinnliche Triebfeder (Begierde) »Neigung«37. – Leidenschaften gehören zwar zu den Neigungen. Aber aufgrund ihrer motivationalen Stärke können sie praktisch durch die Stimme der Vernunft nicht ›überwunden‹ werden.38 Dies erklärt, warum der kategorische Imperativ die Überwindung unserer Neigungen, nicht aber unserer Leidenschaften fordert.39 (Dennoch ist eine Person nach Kant auch für eine Handlung aus Leidenschaft verantwortlich.) – Das Gefühl der Achtung ist eine Triebfeder, die a priori erkannt wird.40 Diese Triebfeder stellt (was noch zu diskutieren sein wird) die subjektive Wirkung dar, die die reine Vernunft als objektiver Bewegungsgrund auf das Gemüt (das Gefühl der Lust und Unlust, die Sinnlichkeit) des Menschen hat. Hier ist die »Triebfeder (elater animi) 41 der subjektive Bestimmungsgrund des Willens eines Wesens […], dessen Vernunft nicht, schon vermöge seiner Natur, dem objektiven Gesetze notwendig gemäß ist« 42.
2. Die Genese der Kantischen Theorie der Achtung Kants erstmals in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten dargelegte ›kritische‹ Konzeption moralischer Motivation43 ist untrennbar mit drei Behauptungen verknüpft: Siehe GMS, 390; vgl. 434, KpV, 123, 128. 36 GMS, 410, 412. 37 Anth, 251 u. AA XXV, 589. 38 Vgl. Anth, 252. 39 Vgl. u. a. GMS, 401. 40 Vgl. KpV, 72–73. 41 Kant übernimmt diesen Ausdruck von Baumgarten, der mit »elateres animi« die »causae impulsivae« aller unserer Begehrungen bezeichnet. Baumgarten übersetzt »elateres animi« mit »Triebfedern des Gemüts« (Metaphysica, § 669, in: AA XV, 46; vgl. § 690, in: AA XV, 51). Siehe dazu Schwaiger (1999, 161–162 Anm.) und Sala (2004, 161–162 Anm.). 42 KpV, 72. 43 Siehe weiterführend Klemme (2006a). 35
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– Die reine Vernunft ist an sich selbst (objektiv) praktisch, d. h. sie stellt einen Bewegungsgrund für alle rationalen Wesen dar.44 – Die reine Vernunft bewirkt in uns Menschen ein Gefühl der Achtung, das die subjektive (sinnliche) Triebfeder unseres Handelns darstellt.45 Würden wir Menschen kein Gefühl der Achtung empfinden, hätten wir als Menschen, d. h. subjektiv, kein Motiv, moralisch zu sein. Demgegenüber hat ein rein rationales Wesen (Gott) definitionsgemäß keine sinnlichen Triebfedern, sondern handelt ›notwendig‹ nach (rationalen) Bewegungsgründen.46 – Die Moralität einer Handlung bemißt sich ausschließlich an der Qualität des Willens eines Handelnden. Wir können ein Motiv der Klugheit haben, unsere moralische Pflicht zu erfüllen, aber die Handlung hat in diesem Falle keinen inneren moralischen Wert.47 Dies ist erst der Fall, wenn die Achtung das ausschlaggebende Motiv unseres Handelns ist. Erst dann hat die Maxime einen »moralischen Gehalt« 48. Eine Theorie moralischer Motivation, die keinen Unterschied zwischen der bloßen (äußeren) Legalität einer Handlung, d. h. ihrer Übereinstimmung mit dem Moralgesetz, und ihrer inneren Moralität begründen kann, verfehlt nach Kant den Kern der Moral des guten Willens bzw. der »Gesinnung« 49, selbst wenn wir niemals mit Sicherheit wissen können, ob wir wirklich »aus Pflicht«50 oder aus Eigenliebe gehandelt haben. Wenden wir uns dieser ›kritischen‹ Konzeption moralischer Motivation nun etwas ausführlicher zu. Was heißt es nach Kant eigentlich, etwas zu wollen? Wird der Wille durch die Erkenntnis des Guten geleitet? Oder kann sich eine Person auch für das moralisch Böse entscheiden, ohne irrational zu sein? Hat eine Person, die Achtung für das Moralgesetz empfindet, überhaupt die Wahl, unmoralisch zu handeln? Wenden wir uns der Entwicklungsgeschichte seines Denkens zu, scheint Kant erst sehr spät letzte Klarheit über seine ›kritische‹ Konzeption moralischer Motivation gewonnen zu haben, mit der er das Fahrwasser sowohl des Rationalismus als auch des Empirismus verlassen konnte. Bereits in der Mitte der siebziger Jahre gehaltenen Vorlesung über Moralphilosophie betont Kant, daß es in der Moral nicht darauf ankommt, »daß die Handlungen geschehen, sondern aus was für einer Quelle sie geschehen.«51 Doch wie ist diese Quelle beschaffen? In der Nachschrift einer Vorlesung über Metaphysik, die aus den späten siebziger Jahren stammt, hebt Kant hervor, daß die Vernunft, die das Dijudikationsprinzip der Moral darstellt, bei
44 45 46 47 48 49 50 51
GMS, 448, 458–459. GMS, 401 Anm. GMS, 414, KpV, 122. Vgl. GMS, 393–394, 399–400. GMS, 398. GMS, 416. GMS, 406. Kant (2004, 110).
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rein rationalen Wesen auch eine objektiv bewegende Kraft darstellt. Aber uns Menschen, die wir über Verstand und Sinnlichkeit verfügen, bestimmt sie gerade nicht, moralisch zu handeln.52 Wenn die Vernunft als solche keine uns Menschen bewegende Schubkraft entwickelt, benötigt man offenbar ein Gefühl, das uns in Bewegung setzt. Genau das behauptet Kant in der besagten Vorlesung über Moralphilosophie: »Das moralische Gefühl ist eine Fähigkeit durch ein moralisches Urtheil afficirt zu werden. Wenn ich durch den Verstand urtheile, daß die Handlung sittlich gut ist, so fehlt noch sehr viel, daß ich diese Handlung thue, von der ich so geurtheilt habe. Bewegt mich aber dieses Urtheil, die Handlung zu thun, so ist das das moralische Gefühl.«53 Wie dieser Zusammenhang von Verstand (!) und Gefühl jedoch genau zu bestimmen ist, darüber schweigt Kant wohl nicht zuletzt auch deshalb, weil er ihn zu diesem Zeitpunkt selbst noch nicht durchschaut hat. Von der Idee, daß die reine Vernunft selbst in uns ein Gefühl bewirkt, das die (subjektive) Triebfeder unseres moralischen Handelns darstellt, finden sich in der Nachschrift jedenfalls noch keine Spuren. Wenden wir uns dem Entwicklungsstand der Kritik der reinen Vernunft zu, bestätigt sich zwar der Eindruck, daß die ›kritische‹ Konzeption moralischer Motivation erst in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten vorliegt. Aber immerhin verfügt Kant bereits 1781 über eine genuine, jenseits von Rationalismus und Empirismus angesiedelte Konzeption des moralischen Sollens. Diese Konzeption setzt einen Freiheitsbegriff voraus, über den sich Kant erstmals in der Kritik äußert.54 Was besagt dieser von der rationalen Psychologie (und dem Begriff der transzendentalen Apperzeption) emanzipierte Freiheitsbegriff, den Kant selbst noch in den siebziger Jahren vertreten hatte? Kant stellt ihn in einen engen Zusammenhang mit dem Begriff des moralischen Sollens. Wir müssen uns die Vernunft (und nicht den Verstand) als ein kausales Vermögen sui generis vorstellen, weil das moralische Sollen »eine Art von Notwendigkeit und Verknüpfung mit Gründen« ausdrückt, »die in der ganzen Natur sonst nicht vorkommt. Der Verstand kann von dieser nur erkennen, was da ist, oder gewesen ist, oder sein wird. Es ist unmöglich, daß etwas darin anders sein soll, als es in allen diesen Zeitverhältnissen in der Tat ist, ja das Sollen, wenn man bloß den Lauf der Natur vor Augen hat, hat ganz und gar keine Bedeutung.«55 Im Bewußtsein des moralischen Sollens haben wir ein praktisches Wissen der Geltung von Vernunftgeboten, die unserem empirischen Wollen eine Grenze setzen: »Es mögen noch so viel Naturgründe sein, die mich zum Wollen antreiben, noch so viele sinnliche Anreize, so können sie nicht das Sollen hervorbringen, sondern nur ein noch lange nicht notwendiges, sondern jederzeit beding»Es ist ein Unglück fürs menschliche Geschlecht, daß die moralischen Gesetze, die da objectiv necessitiren nicht zugleich subjectiv necessitiren.« (Metaphysik-Pölitz, AA XXVIII, 258; vgl. den Hinweis von Werner Stark in: Kant (2004, 68, Anm. 46). 53 Kant (2004, 68). 54 Vgl. Klemme (1996, 82–95). 55 KrV, A 547/B 575. 52
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tes Wollen, dem dagegen das Sollen, das die Vernunft ausspricht, Maß und Ziel, ja Verbot und Ansehen entgegen setzt.«56 Dieses Sollen setzt aber voraus, daß die reine Vernunft ein Vermögen der »Kausalität durch Freiheit« 57 ist. Kants frühere Versuche, die Freiheit als direktes Implikat des (transzendentalen) Selbstbewußtseins zu verstehen, sind damit zurückgewiesen. In der Kritik der reinen Vernunft trägt Kant Humes epochaler Kritik am Versuch des Rationalismus, das moralische Sollen deduktiv aus einem empirisch verifizierbaren Sein abzuleiten 58, somit Rechnung, ohne den unbedingten Geltungsanspruch moralischer Verpflichtungen aufzugeben. Dem naturalistischen Reduktionismus der Moralphilosophie Humes, der das moralische Sollen psychologisch faßt und durch kausale Kräfte erklärt (bzw. zum Verschwinden bringt), die in Gestalt unserer Leidenschaften (»passions«) unser Wollen determinieren, hält Kant eine dualistische Konzeption von verstandesbasierter Naturerkenntnis und vernunftgestützter Moralerkenntnis entgegen. Diese soll das Kunststück vollbringen, die notwendige Geltung kategorialer Naturerkenntnis mit der unbedingten Geltung moralischer Gebote zu vereinigen, ohne die Freiheit vernünftiger Subjekte aufzuheben, sich für oder gegen die im Modus der Unbedingtheit ausgedrückten moralischen Verpflichtungen zu entscheiden. Dem Wolffschen Rationalismus gegenüber betont Kant, daß der Verstand das Gesetz der Natur nicht erkennt, sondern vielmehr die Vernunft sich selbst Gesetze gibt, die als »objektive Gesetze der Freiheit« vorschreiben, »was geschehen soll, ob es gleich vielleicht nie geschieht«59. Doch was motiviert mich nach Kant subjektiv, moralisch zu sein? In der ersten Kritik scheint Kant die traditionelle Verknüpfung der objektiven moralischen Normengeltung mit der Glückseligkeit als dem Motiv (der Triebfeder) und dem letzten Zweck unseres Wollens noch nicht überwunden zu haben.60 Zwar bestimmt er nicht (wie Wolff) die Glückseligkeit als den »Bewegungsgrund« meines moralischen
KrV, A 548/B 576. KrV, A 538/B 566, KpV, 47. 58 Hume (1978, 469). 59 KrV, A 802/B 830. 60 Siehe u. a. Schmitz (1989, 100 ff.). Vor 1785 vermengt Kant noch die Antwort auf die Frage nach unserem Motiv, unsere Pflicht zu erfüllen, mit der Antwort auf die Frage, was wir hoffen dürfen. Erst mit der Grundlegung emanzipiert sich die Ethik des kategorischen Imperativs vom motivationalen Eudämonismus, d. h. von der These, daß die Hoffnung auf die Erlangung des Höchsten Guts das ausschlaggebende Motiv für unser vernünftiges Handeln ist (vgl. dagegen Forschner, 2005, 328). So betont Kant im ersten Satz der Vorrede zur Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft ausdrücklich die Unabhängigkeit der Moral von der Religion in Fragen der Rechtfertigung und Motivation: »Die Moral, sofern sie auf dem Begriffe des Menschen als eines freien, eben darum aber auch sich selbst durch seine Vernunft an unbedingte Gesetze bindenden Wesens gegründet ist, bedarf weder der Idee eines andern Wesens über ihm, um seine Pflicht zu erkennen, noch einer andern Triebfeder als das Gesetz selbst, um sie zu beobachten.« (RGV, 3) 56 57
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Handelns, wohl aber die »Würdigkeit, glücklich zu sein«61. Handle ich moralisch, weil ich mich der Glückseligkeit würdig erweisen will, hätte ich demnach kein Motiv, moralisch zu handeln, wenn ich nicht zumindest hoffen könnte, daß meine Tugend mit Glückseligkeit belohnt werde. In der Absicht, dieses im Begriff der Würdigkeit vorgestellte Ziel der Glückseligkeit zu erreichen, müssen wir uns nach Kant durch die reine praktische Vernunft von den unmittelbaren sinnlichen Reizen distanzieren und uns von Überlegungen leiten lassen, die auf das gerichtet sind, »was in Ansehung unseres ganzen Zustandes begehrenswert, d. i. nützlich und gut ist«62. Erst in der Grundlegung negiert Kant mit seiner innovativen Unterscheidung zwischen einer bloß »pflichtmäßigen« Handlung und einer Handlung »aus Pflicht« (GMS, 397) jegliche Relevanz des Glückseligkeitsgedankens für die Motivationsfrage: Weder die Glückseligkeit noch die Würdigkeit, glücklich zu werden, ist das moralische Motiv unseres Handelns. Vielmehr bin ich als Mensch durch das Gefühl der Achtung motiviert, moralisch zu handeln. Es ist ein Gefühl, das durch die objektiv praktische Vernunft selbst in meinem Gemüt (animus) bewirkt worden ist und im Gegensatz zu allen anderen Gefühlen keinen naturkausalen Ursprung hat. Weil wir Achtung für die Stimme der reinen praktischen Vernunft empfinden, so lautet Kants wegweisende Einsicht von 1785, haben wir auch ein Motiv, ihre Gebote um ihrer selbst willen praktisch ernst zu nehmen. Und so ist es sicherlich kein Zufall, daß Kant das »Prinzip der Autonomie des Willens«63 erstmals in einem Text erwähnt, in dem er auch seine neue Konzeption der Achtung einführt. Wir Menschen können im Vollsinne des Wortes nur dann autonom sein, wenn die Vernunft zugleich das Prinzip moralischer Richtigkeit (principium dijudicationis) und das Prinzip moralischer Motivation (principium executionis) darstellt.
3. Praktische Gründe Ich möchte die Kantische Theorie praktischer Gründe aus der Perspektive von Personen beschreiben, die normative Fragen stellen und sie zu beantworten versuchen. Warum stellen sie diese Fragen und wie können sie beantwortet werden? Personen stellen praktische normative Fragen, weil »sie die Natur längst von fremder Leitung frei gesprochen«64 hat. Sie haben einen freien Willen, den Kant als das Vermögen definiert, »nach Zwecken zu handeln«65, und suchen nach Kriterien eines richtigen oder guten Gebrauchs ihrer Freiheit. ›Was soll ich tun?‹ ist die Frage eines Wesens, das durch seine naturalen Anlagen nicht mehr auf ein bestimmtes Handeln 61 62 63 64 65
KrV A 806/B 834. KrV, A 802/B 830. GMS, 433. Auf, 35. KdU, 370.
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festgelegt ist. Dabei zielt diese Frage entweder auf den Zweck, den die Person sich aus bestimmten Gründen faktisch setzt oder setzen soll, oder auf das Mittel, das sie ergreifen muß, um den vorgestellten Zweck zu erreichen. Die normative Frage ist beantwortet, sobald die Person den Grund erkannt hat, warum sie einen bestimmten Zweck verfolgen soll bzw. ein bestimmtes Mittel ergreifen muß. (Gleiches gilt für Unterlassungen und für Handlungen, deren Vollzug freigestellt ist.) Praktische Gründe, die ein Mittel gebieten, wenn man einen bestimmten Zweck realisieren will, sind instrumentelle (technische) Gründe; praktische Gründe, die ein Mittel gebieten, weil man einen bestimmten Zweck will, sind pragmatische Gründe. Beide Arten von Gründen faßt Kant im Begriff des hypothetischen Imperativs zusammen.66 Moralische Gründe teilen mit pragmatischen Gründe eine zentrale Eigenschaft: Beide sind auf einen obersten Zweck bezogen. Sie stellen die beiden Typen praktischer Gründe dar, die im Zentrum von Kants dualistischer Konzeption praktischer Normativität stehen. Denn Kants Einschätzung nach stellen Personen vor allem deshalb normative Fragen, weil sie – ähnlich wie bei Hutcheson – faktisch Zwecke verfolgen, die nicht nur in Konflikt miteinander geraten können, sondern – anders als bei Hutcheson – mit der Sinnlichkeit (den Neigungen) und der reinen Vernunft auch auf zwei völlig verschiedenen Grundlagen beruhen. In der Grundlegung beschreibt Kant diese beiden artverschiedenen Zwecke auch als die »Materie«67, d. h. als den Gegenstand oder das Objekt unseres Wollens. Da ein Zweck, der seinerseits nicht wiederum als Mittel zur Verfolgung höherer Zwecke gebraucht wird oder werden kann, ein Endzweck bzw. ein oberster Zweck ist, zeichnet sich die normative Situation des Menschen nach Kant dadurch aus, daß er einen empirischen und einen vernünftigen Endzweck seines Wollens und Handelns hat. Was besagen diese Endzwecke? Der empirische Endzweck meines Handelns besteht Kants Ansicht nach im eigenen Glück, das ich durch meine Handlung bewirken oder befördern möchte. Es handelt sich hierbei um einen Zweck, »den man bei allen vernünftigen Wesen […] als wirklich voraussetzen kann«68. Jeder von uns möchte glücklich werden. Dabei vertritt Kant einen eher formalen, inhaltlich unspezifischen Begriff der Glückseligkeit, definiert er diesen doch als die »Befriedigung aller unserer Neigungen« 69. Wenn ich demnach meine Neigung befriedige, d. h. den durch sie vorgegebenen
In der Grundlegung unterscheidet Kant zwischen technischen (problematisch gebietenden) und pragmatischen (assertorisch gebietenden) hypothetischen Imperativen (vgl. GMS, 415–417). 67 GMS, 436; vgl. 438, 431. 68 GMS, 415. Kant selbst spricht von »dem natürlichen Zweck der Summe aller Neigungen, der Glückseligkeit« (GMS, 434 Anm.; vgl. GE, 278, 289). 69 KrV, A 806/B 834. Die Parallele zu Hobbes’ Begriff der Glückseligkeit (»felicity«) ist nicht zu übersehen: »But whatsoever is the object of any mans Appetite or Desire; that is it, which he for his part calleth Good« (Hobbes, 1996, 39); »Felicity is a continuall progresse of 66
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Zweck erreiche, dann bin ich insofern auch glücklich, gleichgültig um welche Neigung bzw. welchen Zweck es sich dabei handelt. Weil das empirische »Material« unseres Wollens aufgrund seiner reinen Subjektivität nicht universalisierungsfähig ist, kann es auch keinen inhaltlich bestimmten Begriff der Glückseligkeit geben, der sich als oberster Handlungszweck für alle Menschen qualifizierte. Unser Glücksstreben zeichnet sich inhaltlich durch einen Pluralismus und Relativismus unserer Glücksvorstellungen und formal durch ein beständiges Fortschreiten aus. Alle praktischen Gründe (Verpflichtungen), die sich auf empirische Zwecksetzungen beziehen, gebieten daher nur hypothetisch, d. h. unter der Bedingung, daß der Zweck auch wirklich gewollt wird. Hypothetische Imperative drücken gewissermaßen Minimalbedingungen für rationales Handeln aus: Eine Person kann grundsätzlich nicht rational handeln, wenn sie nicht den normativ-praktischen Zusammenhang erkennt oder praktisch berücksichtigt, der zwischen ihrem Wollen eines beliebigen Zwecks und dem Mittel seiner Realisierung besteht. Wenden wir uns nun dem vernünftigen Endzweck unseres Handelns zu, der nach Kant in der Selbstzweckhaftigkeit von Personen besteht. Mit diesem Zweck begeben wir uns nach Kant in den Bereich der Moral, weil es sich hierbei um einen Zweck handelt, der allen Menschen als Vernunftwesen bestimmte Verpflichtungen auferlegt. In der Grundlegung erläutert Kant diesen Zweck mit folgenden Worten: »[…] die vernünftige Natur existiert als Zweck an sich selbst. So stellt sich notwendig der Mensch sein eigenes Dasein vor; sofern ist es also ein subjektives Prinzip menschlicher Handlungen. So stellt sich aber auch jedes andere vernünftige Wesen sein Dasein zufolge ebendesselben Vernunftgrundes, der auch für mich gilt, vor; also ist es zugleich ein objektives Prinzip, woraus als einen obersten praktischen Grunde alle Gesetze des Willens müssen abgeleitet werden können.”70 Kant gibt an dieser Stelle also durchaus eine Begründung dafür, warum der Mensch als Zweck an sich selbst existiert: Der Mensch betrachtet sich, als vernünftiges Wesen, notwendig als obersten Zweck seines Handelns, weil dies die Voraussetzung dafür ist, überhaupt ein vernünftiges Subjekt seines Wollens sein zu können. Das moralische Handlungsprinzip ist ein Prinzip der »moralischen Selbsterhaltung«71 des Menschen, d. h. seiner mit der Freiheit anderer nach einem Gesetz in Übereinstimmung gebrachten Freiheit. Damit unterscheidet sich dieser Zweck eklatant von allen anderen Handlungszwecken. Existiert der Mensch ›immer schon‹ als Selbstzweck, dann vermag er diesen Zweck im Gegensatz zu allen Zwecken, die
the desire, from one object to another; the attaining of the former, being still but the way to the later« (Hobbes, 1996, 70; vgl. 46). 70 GMS, 429. 71 MdST, 419; vgl. GMS, 430 und KpV, 261. Hermann Cohen schreibt in seiner Interpretation der Kantischen Ethik: »Die kürzeste Formel, in welcher sich der kategorische Imperativ, und damit die regulative Bedeutung der Freiheitsidee, sowie das Sittengesetz des Endzwecks ausdrücken lassen dürfte, lautet: Handle in Selbstbehauptung deiner Freiheit, als deines Endzwecks.« (1910, 287)
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auf seinen Neigungen beruhen, durch sein Handeln überhaupt nicht zu bewirken. Kann dieser Zweck unter dieser Voraussetzung dann überhaupt eine praktische Relevanz haben? Für Kant hat er eine praktische Relevanz, weil der Mensch nicht nur ein rationales Wesen ist und damit als Zweck an sich selbst im mundus intelligibilis existiert, sondern weil er auch ein sinnliches Wesen ist, das als solches sehr wohl gegen die Selbstzweckhaftigkeit des Menschen verstoßen kann. Als ein Sinnenwesen, das seine Neigungen befriedigen möchte, verfügt der Mensch über ein großes Potential an Handlungsgründen, deren Befolgung einen Verstoß gegen den Selbstzweckcharakter bedeuten würde. Warum aber soll der Mensch die Existenz von Menschen als Selbstzwecken in seinem Wollen und Handeln berücksichtigen? Diese Frage beantwortet sich für Kant durch die mit der Existenz des Menschen als eines letzten Zweckes zum Ausdruck gebrachten »Würde der Menschheit in seiner eigenen Person«72, die über jeden Preis erhaben ist. Wenn etwas letzter Zweck ist oder als ein letzter Zweck existiert, dann hat es auch einen »absoluten Wert«73. Der Mensch betrachtet sich nicht nur subjektiv als Selbstzweck; er soll die Menschheit in seiner Person auch objektiv als Selbstzweck behandeln, weil er sich im gegenteiligen Fall als ein vernünftiges Wesen selbst vernichten würde. Die normative Situation des Menschen stellt sich damit als ein Spannungsverhältnis zwischen pragmatischen und moralischen Gründen dar: Als Naturwesen verfolgen wir Menschen faktisch den Zweck, ein glückliches Leben zu führen. Mit Blick auf unser Glück kommen somit alle unsere Rechtfertigungen, die sich auf unsere affektive Natur beziehen, zu einem Abschluß. Dagegen handeln rein vernünftige Wesen faktisch nach dem Moralgesetz, d. h. sie behandeln andere Vernunftwesen niemals wie eine Sache. Das Moralgesetz ist dabei die Perspektive, aus der heraus vernünftige Wesen ihre Handlungen rechtfertigen. Doch gerade weil der Mensch ein Vernunft- und Sinnenwesen ist, verfügt er nicht nur über moralische, sondern eben auch über pragmatische Handlungsgründe, die sich seinem Wollen zuerst aufdrängen.74 Gerade in der Instrumentalisierung des Anderen kann somit das Mittel zur Neigungsbefriedigung bestehen. Weil nun der Mensch als vernünftiges Wesen eine »Würde, d. i. unbedingten, unvergleichbaren Wert«75, besitzt, soll er den moralischen Gründen den Vorzug geben, durch die die Parteilichkeit seiner Neigungen als eines rationalen Egoisten überwunden wird.76 Wir sollen von unserer Glückseligkeit als dem natürlichen Endzweck unseres Wollens abstrahieren, ohne diesem Zweck jedoch – wie die Stoiker forderten – gänzlich zu entsagen.77 Dieses moralische, von der Befriedigung der eigenen Neigungen abstrahierende 72 73 74 75 76 77
MdST, 429; vgl. GMS, 436. GMS, 428. Vgl. KpV, 74. GMS, 436. Vgl. GMS, 424. Vgl. GMS, 427, 441, KpV, 21 und Ge, 278.
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Sollen drückt Kant im kategorischen Imperativ aus. Dessen zweite spezielle Formel nennt mit der Menschheit explizit die nicht-sinnliche »Materie«78 unseres rationalen Wollens: »Handle so, daß du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.«79 Form und Materie unseres vernünftigen Wollens sind somit nicht zu trennen. Denn wenn es keinen Inhalt unseres Wollens gäbe, der an sich betrachtet erhaltenswert ist, dann würde die Forderung, nach Maximen zu handeln, die »wie allgemeine Naturgesetze gelten sollten« 80, keinen Sinn machen. Hätte die Menschheit in unserer Personen keinen unbedingten Wert, würde die Universalisierungsforderung des kategorischen Imperativs gewissermaßen in der Luft hängen.
4. Moralische Motivation Der Wille braucht Motive, die ihn in Bewegung setzen. Da Handlungen auf die Realisierung von Zwecken gerichtet sind, kann es keine Motivation ohne Zwecke geben. Doch woher stammen diese Zwecke (Motive)? Mit seiner Theorie empirischer und vernünftiger Zwecke hat Kant diese Frage im Grunde bereits beantwortet: Die Neigungen geben dem Willen empirische (subjektive) Zwecke vor, und die reine Vernunft selbst setzt uns in Gestalt der Selbstzweckhaftigkeit von Personen a priori einen Zweck 81, der die »oberste einschränkende Bedingung der Freiheit der Handlungen eines jeden Menschen« 82 darstellt. Aus der Perspektive dieses Zwecks fragen wir, ob eine Handlung in moralischer Hinsicht geboten, verboten oder erlaubt ist. Kants These, daß uns Neigungen Zwecke vorgeben und uns somit ›in Bewegung setzen‹, wenn wir nur klug sind, kann in theoriegeschichtlicher und systematischer Hinsicht als Trivialität bezeichnet werden. Kein Empirist und kein Rationalist hat dies jemals in Zweifel gezogen. Dagegen ist mit seiner Behauptung, daß reine Vernunft selbst praktisch ist, uns in Gestalt der »Menschheit in unserer Person«83 einen obersten Vernunftzweck vorgibt und somit die Quelle moralischer Motivation darstellt, ein erheblicher Klärungs- und Begründungsbedarf verbunden. Dabei muß Kant nicht nur zeigen, daß und wie reine Vernunft subjektiv praktisch ist. Er muß auch einen Begriff moralischen Sollens explizieren, der seiner dualistischen Konzeption praktischer Normativität Rechnung trägt: Selbst wenn wir etwas tun sollen,
GMS, 436, 437. GMS, 429. 80 GMS, 436. 81 »Nun ist das, was dem Willen zum objektiven Grunde seiner Selbstbestimmung dient, der Zweck, und dieser, wenn er durch bloße Vernunft gegeben wird, muß für alle vernünftigen Wesen gleich gelten.« (GMS, 427) 82 GMS, 430–431. 83 GMS, 430. 78
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weil es moralisch geboten ist, können wir uns prinzipiell auch gegen unsere moralische Verpflichtung entscheiden, weil wir über empirische (sinnliche) Gründe verfügen, die uns Handlungen gebieten, die auf unsere Glückseligkeit zielen.84 Wie also wird die reine Vernunft praktisch? Wie kann sie uns motivieren, das moralisch Gute zu erstreben? Diese Frage hat für Kant drei Aspekte: Wir können fragen, ob die reine Vernunft überhaupt praktisch ist, warum sie praktisch ist und wie sie praktisch wirkt. Zwar können wir nach Kant nicht erklären, warum die reine Vernunft praktisch ist, aber immerhin wissen wir, daß sie praktisch ist und wie sie wirkt.85 Wir wissen, daß die Vernunft praktisch ist, weil wir uns der unbedingten Geltung des Moralgesetzes bewußt sind. Selbst der größte »Frevler« fragt nicht, warum er moralisch handeln soll, weil ihn »die Stimme« der praktischen Vernunft »nötigt«, sich vor dem »Anblicke« des Moralgesetzes »zu verbergen«86. Das Bewußtsein des Moralgesetzes nennt Kant in der Kritik der praktischen Vernunft »ein Faktum der Vernunft« 87. Dieses Bewußtsein kann sich nicht im Wissen um den kognitiven Gehalt des Moralgesetzes erschöpfen. Schließlich kann man den semantischen Gehalt einer Regel bzw. eines praktischen Gesetzes kennen, ohne ihm irgendeine praktische Relevanz beizumessen. Wenn ich (im Sinne des kategorischen Imperativs) auch weiß, daß sich meine Maxime, notfalls ein lügenhaftes Versprechen abzugeben, wenn mir dies nützt, nicht zu einem praktischen Gesetz qualifiziert, folgt daraus nicht, daß der erkannte Widerspruch zwischen meinem subjektiven Wollen und dem objektiven Gebot des Moralgesetzes von mir auch praktisch berücksichtigt wird. Warum sollte dieser rein kognitive Widerspruch für mich von praktischer Relevanz sein? Will Kant nicht auf die Theorieebene der Wolffschen Vollkommenheitsethik zurückfallen, in der sich der Sinn des moralischen Sollens auf die Empfehlung reduziert, aus Sorge um das eigene Glück klug und klüger zu werden, muß der Hiatus zwischen Grund und Motiv auf andere Weise überbrückt werden. Kant überwindet diesen Hiatus durch seine Lehre vom Gefühl der Achtung. Seiner Auffassung nach handelt es sich bei der Achtung um kein gewöhnliches Gefühl, dessen Existenz sich zwanglos in den natürlichen Kausalmechanismus der empirischen Welt einordnet. Gerade weil uns dieses Gefühl an das Moralgesetz bindet, interpretiert er es als eine »Wirkung des Gesetzes aufs Subjekt«88. Im Gefühl der Achtung zeigt sich, daß Menschen nicht die Wahl haben, ihr eigenes Wollen nicht aus der Perspektive dessen zu betrachten, aus der sie überhaupt Urheber ihres eigenen Wollens sein können, nämlich aus der Perspektive der reinen Vernunft. Das Gefühl der Achtung bezeichnet ein Interesse, das alle Menschen am Moralgesetz nehmen. Denn die Kognition des Moralgesetzes ist für uns Menschen nicht vom
84 85 86 87 88
Siehe hierzu Klemme 2006a. Vgl. GMS, 458–459. KpV, 80; vgl. KpV 142, 198, GMS, 454 und MdST, 438. KpV, 31. GMS, 401 Anm. In den Metaphysischen Anfangsgründen der Tugendlehre beschreibt er
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Gefühl der Achtung zu trennen: »Die unmittelbare Bestimmung des Willens durchs Gesetz und das Bewußsein derselben heißt Achtung« 89. Das Gefühl der Achtung, das Kant auch das »moralische Gefühl«90 nennt, ist dem Einfluß des Gesetzes auf unser aller Wollen »beförderlich«91 und als solches ausreichend, uns zur Moralität zu bewegen. Wir können »aus Pflicht, d. i. aus Achtung fürs Gesetz«92, handeln. Aber dies besagt nicht, daß das Gefühl der Achtung unser Wollen determiniert. Wer Achtung für das Moralgesetz empfindet, hat in der Tat ein Motiv, moralisch zu sein, weil die Achtung dem Moralgesetz subjektiv »Ansehen«93 verschafft. Aber dieses Gefühl ist mit einer entsprechenden Entscheidung keineswegs identisch.94 Dies kann man sich durch zwei Überlegungen verdeutlichen: – Wenn alle Menschen, wie Kant behauptet, ein Gefühl der Achtung haben und dieses Gefühl unser Wollen determinieren würde, d. h. uns subjektiv nötigt, moralisch zu sein, dann könnten Menschen überhaupt nicht unmoralisch sein. Was kann der Bösewicht dafür, daß ihn dieses Gefühl nicht hinreichend motiviert? Offenbar entscheidet sich in der Antwort auf diese Frage, ob Kant über eine eigenständige Konzeption moralischer Motivation verfügt. Handelt der Böse böse, weil er nach Kant das Moralgesetz noch nicht hinreichend (deutlich) erkannt hat und sein Gefühl der Achtung daher entsprechend schwach ist, fällt Kant auf die Argumentationsebene des Rationalismus zurück. Argumentiert er dagegen, daß der Effekt der reinen Vernunft auf das Gemüt der Menschen sehr unterschiedlich ausfallen kann, befindet er sich auf der Argumentationsebene des Empirismus: Das Gefühl der Achtung motiviert den Bösen aufgrund seiner geringen kausalen Kraft nicht hinreichend.
dieses Gefühl als die »Empfänglichkeit der freien Willkür für die Bewegung derselben durch praktische reine Vernunft (und ihr Gesetz)« (MdST, 400). 89 GMS, 401 Anm.; vgl. MdST, 400. 90 GMS, 460, MdST, 400. 91 KpV, 75. 92 KpV, 81; vgl. GMS, 400. 93 KpV, 76. 94 So u. a. auch Beck (1974, 209), Steigleder (2002, 107–108), Timmermann (2003, 190– 207) und Ameriks (2006). Nach Günther Patzig vertritt Kant dagegen die Meinung, daß das Pflichtbewußtsein »schon für sich genommen ein hinreichendes Motiv für die normgerechte Handlung [sei]. Die Achtung für das moralische Gesetz ist bei Kant gleichsam, als durch einen intellektuellen Grund gewirkt, der emotionale Reflex des Bewußtseins der Pflicht.« (1986, 217; ähnlich Köhl, 1990, 138–139, McCarty, 1994, 25–28, und Scarano 2002) Träfe Patzigs Interpretation zu, hätte Kant 1785 nicht über den Bösewicht schreiben können: »Diese bessere Person glaubt er [sc. der Bösewicht] aber zu sein, wenn er sich in den Standpunkt eines Gliedes der Verstandeswelt versetzt, dazu die Idee der Freiheit, d. i. Unabhängigkeit von bestimmenden Ursachen der Sinnenwelt, ihn unwillkürlich nötigt, und in welchem er sich eines guten Willens bewußt ist, der für seinen bösen Willen als Gliedes der Sinnenwelt nach seinem eigenen Geständnisse das Gesetz ausmacht, dessen Ansehen er kennt, indem er es übertritt.« (GMS, 454–455)
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– Nach Kant haben wir die Pflicht, das moralische Gefühl »zu gründen und zu kultivieren«95. Gerade weil dieses Gefühl auch in einer sehr geringen Intensität auftreten kann, von der keine hinreichend große motivationale Schubkraft ausgeht, sollen wir es stärken. Wir sollen uns eine motivationale Disposition erwerben, die uns auch dann moralisch handeln läßt, wenn die Zugkraft unserer Neigungen besonders groß ist. Wenn wir durch das Gefühl der Achtung motivational an Vernunftgründe gebunden werden, ohne dadurch auf ein moralisches Handeln festgelegt zu sein, scheint Kant wie Crusius die Gültigkeit des Bonum-Prinzips in Abrede zu stellen. Doch das ist nur bedingt richtig. Denn auf der Grundlage seiner dualistischen Konzeption praktischer Gründe versucht Kant den Irrationalismus der Position von Crusius zu vermeiden. Unser Wollen ist tatsächlich immer – wie Wolff, Hutcheson und Hume behaupten – auf ein Gut bezogen. Allerdings gibt es, wie Kant in der Kritik der praktischen Vernunft betont, zwei verschiedene Güter, auf die unser Wollen gerichtet ist: Unser sinnliches Wollen zielt auf das auf dem Gefühl der Lust und Unlust beruhende physische Gut (das Wohl und Übel) und unser vernünftiges Wollen auf das durch das Vernunftgesetz bestimmte moralische Gut (das Gute und Böse).96 Mit seiner Konzeption moralischen Sollens geht Kant nun ähnlich wie Crusius davon aus, daß wir Menschen eine weder begriffslogisch noch naturkausal determinierte Entscheidung darüber fällen, welches dieser beiden Güter das ausschlaggebende Motiv unseres Handelns sein soll. Vielmehr haben wir die unvertretbare Freiheit, uns für oder gegen die Ansprüche der Moral zu entscheiden, weil wir als Grenzgänger zwischen Vernunft und Neigung neben dem Gefühl der Achtung auch über materiale (empirische) Gründe verfügen, die auf die Beförderung unseres Glücks zielen.97 Aus der Sicht Kants argumentieren Wolff, Hutcheson und Hume somit reduktionistisch, weil sie nur ein einziges Gut gelten lassen, während Crusius nach Kant übersehen hat, daß unsere Entscheidung, unser Eigeninteresse über die Moral zu stellen, eine Entscheidung zwischen zwei selbständig existierenden Gütern darstellt. Weil es sich um die Wahl zwischen zwei Gütern handelt, ist unser Wollen alles andere als irrational, wenn wir uns auf Kosten der Moral für unser Glück entscheiden. Nur wenn das moralisch Schlechte kein Gut eigener Art sein könnte, könnten wir es rationalerweise nicht wählen.
Ziel dieser Kultivierungsleistung ist die Ausbildung eines festen moralischen Charakters, d. h. die Stärkung unseres Pflichtgefühls mit dem Resultat, die moralischen Gebote im »Gefühl der Zufriedenheit mit sich selbst« (KpV, 38) zu erfüllen. Zum Zusammenhang von Geschmack und moralischem Interesse siehe KdU, § 59. 96 Siehe KpV, 59–60. 97 Besonderes Gewicht legt Kant auf diesen Aspekt seiner Handlungstheorie im Rahmen seiner Lehre vom radikalen Bösen; vgl. besonders RGV, 29–30, sowie – mit weiterführenden Literaturhinweisen – Klemme (1999). 95
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Die Darstellung zentraler Aspekte der Kantischen Konzeption moralischer Motivation kann nicht abgeschlossen werden, ohne auf einen Einwand einzugehen, durch dessen Thematisierung diese Konzeption weiter an begrifflicher Schärfe gewinnen kann. Dieser Einwand richtet sich gegen Kants Versuch, mit seiner Lehre vom Höchsten Gut einen moralisch anspruchsvollen Glücksbegriff in seine praktische Philosophie zu integrieren, ohne ihm jedoch eine motivationale Relevanz zuzubilligen. In der Kritik der praktischen Vernunft stellt Kant mit seiner Lehre vom Höchsten Gut und den »Postulaten der reinen praktischen Vernunft«98 heraus, daß die Glückseligkeit kein moralisches Handlungsmotiv sein kann, weil wir ansonsten nicht autonom, sondern heteronom handeln würden.99 Dennoch müssen wir hoffen können, uns durch unser tugendhaftes Handeln der Glückseligkeit würdig zu erweisen. Diese Hoffnung richtet sich jedoch nicht auf die Befriedigung unserer Neigungen, die wir als Erdenbürger haben, sondern antizipiert einen Zustand nach unserem irdischen Tode, mit Blick auf den wir hoffen, daß Gott unsere Tugend mit Glückseligkeit aufwiegen werde. Mit seiner Lehre vom Höchsten Gut will Kant zwar nicht die Frage beantworten, warum ich überhaupt moralisch handeln soll.100 Aber diese Lehre scheint auch nicht völlig irrelevant für die Motivationsfrage zu sein. Schließlich scheint mein moralisches Wollen sinn- und zwecklos zu sein, wenn ich nicht berechtigte Hoffnung haben könnte, daß die Moral kein bloßer Selbstzweck ist, sondern auch eine bestimmte Folge (nämlich meine eigene Glückseligkeit) hat. Es ist demnach zweifelhaft, ob Kants moralphilosophische Frage – Was soll ich tun? – überhaupt von seiner religionsphilosophischen Frage – Was darf ich hoffen? – getrennt werden kann. Garve etwa vertritt die Ansicht, daß sie keinesfalls von einander getrennt werden können: Der Unterschied zwischen der Glückseligkeit und der Würdigkeit, glückselig zu werden, ist nicht nur praktisch irrelevant, die Glückseligkeit selbst ist der Ursprung unserer »Motive zu jedem Bestreben, – also auch zur Befolgung des moralischen Gesetzes.«101 Garve wiederholt damit eine Argumentation, gegen die die Kantische Moralphilosophie gerade gerichtet ist: Ist die Vorstellung des Guten die Quelle unseres Handelns, dann handeln wir nicht autonom, sondern heteronom. Kant selbst unternimmt in seinen Schriften zahlreiche Anläufe, auf die wir hier nicht näher eingehen können, die am seidenen Faden hängende Differenz zwischen der Glückseligkeit als Motiv und als Folge unseres moralischen Handelns zu präzisieren und zu verteidigen. Verwiesen sei auf eine aufschlußreiche Passage in der Kritik der Urteilskraft, in der Kant die Frage stellt, wie sich die Moral für einen Menschen darstellt, der, weil er (wie Spinoza) Atheist ist, keine Hoffnung hat, daß sein tugendhaftes Streben mit Glückseligkeit vergolten werden wird. Würde er sich an die Vorschrif98 99 100 101
KpV, 132. Vgl. KpV, 130. Vgl. dagegen Ott (2001, 92–93) und Forschner (2005). Garve (1792, 114)
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ten der Moral halten? Kants Antwort scheint widersprüchlich: Auf der einen Seite behauptet er, daß auch der Atheist, wenn er vernünftig ist, den »ernstlichen Willen«102 hat, moralisch zu sein. Auf der anderen Seite stellt er jedoch heraus, daß ein solcher Mensch »die Achtung, welche das sittliche Gesetz ihm unmittelbar zum Gehorsam einflößt, [….] schwäch[t]«103, wenn er an der Existenz Gottes und damit an der Möglichkeit zweifelt, das Höchste Gut, das uns die reine Vernunft als Zweck unseres Handelns setzt, zu erreichen. Denn daß das Höchste Gut in dieser Welt nicht erreicht werden kann, scheint für Kant eine ausgemachte Sache zu sein. Diese Aussagen widersprechen sich jedoch nicht. Zwar wirkt sich die moralische Hoffnungslosigkeit auf die motivationale Disposition einer Person negativ aus, die den festen Willen hat, moralisch zu sein. Aber dies ändert nichts an der Tatsache, daß sie Achtung vor dem Moralgesetz empfindet. Handelt sie nicht moralisch, weil sie moralisch verzagt ist, handelt sie sich zusätzlich ein schlechtes Gewissen ein. Ihr Atheismus entschuldigt nach Kant ihr pflichtwidriges Handeln jedenfalls nicht. Sie hätte moralisch handeln können, wenn sie es gewollt hätte. Mit seiner Lehre vom Höchsten Gut und der Postulatenlehre erweitert Kant seine Theorie moralischer Motivation jedoch um einen wichtigen Gesichtspunkt. Die Moral des kategorischen Imperativs, so wie wir sie aus der Grundlegung kennen, scheint uns vor eine klare Alternative zu stellen: Wenn uns die Moral wichtig ist, handeln wir aus Achtung vor dem Moralgesetz; wenn uns dagegen unser eigenes Glück wichtiger ist, dann zielt unser Handeln auf die Befriedigung unserer Neigungen und subjektiven Interessen. Mit dem Begriff des Höchsten Gutes versucht Kant in der Kritik der praktischen Vernunft nun eine Brücke zu schlagen zwischen Pflicht und Glück, indem er einen (wie er es sieht) moralisch gehaltvollen Glücksbegriff entwickelt, der an den Begriff der Tugend und der Pflichterfüllung gebunden ist. Wir sollen aus Achtung für das Moralgesetz handeln, aber diese Achtung findet in einer unserer Moralität proportionierten Glückseligkeit ein Ziel, das uns auch als Vernunftwesen nicht gleichgültig ist. Warum wir uns aber für oder gegen unsere Pflichten entscheiden, wird Kants Auffassung nach auch durch die Lehre vom Höchsten Gut weder einer begriffslogischen noch einer kausalen Erklärung zugeführt. Die freie Wahl zwischen Heteronomie, d. h. dem Wollen nach Gesetzen der sinnlichen Natur, und Autonomie, d. h. dem Wollen nach dem Vernunftgesetz, bleibt logisch und kausal unerklärt. Selbst wenn wir hoffen, uns durch tugendhaftes Streben der Glückseligkeit würdig zu erweisen, determiniert dies unser Wollen nicht. Das Hoffen darf letztlich auf unser moralisches Wollen keinen Einfluß haben. Wir müßen auch anders wollen können.
102 103
KdU, 451. KdU, 452.
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III. Eine deontologische Konzeption praktischer Gründe und moralischer Motivation Mit den vorhergehenden Überlegungen haben wir die Kantische Konzeption praktischer Gründe und moralischer Motive zwar noch nicht vollständig erfaßt.104 Aber mit Blick auf die Frage nach der Rekonstruktion ihres motivationstheoretischen Potentials lassen sich bereits an dieser Stelle ihre vier wichtigsten Dimensionen präzisieren: – Die kognitiv-formale Dimension: Kant geht das Phänomen moralischer Motivation aus der Perspektive reiner Vernunftwesen an und behauptet, daß diese Wesen vernünftig handeln. Warum sie vernünftig handeln, thematisiert Kant zwar nicht ausdrücklich. Allerdings gibt es einen trivialen Grund hierfür, von dessen Plausibilität man sich leicht überzeugen kann: Wer handelt, benötigt Gründe, nach denen er handeln kann. Reine Vernunftwesen verfügen per definitionem nur über Vernunftgründe. Also handeln sie immer nach Vernunftgründen. – Die emotive Dimension: Die Situation ist bei Subjekten, die auch über nicht-vernünftige Gründe verfügen, völlig anders. Sie haben die Wahl, im Konfliktfall zwischen vernünftigen (moralischen) und nicht-moralischen Gründen zu entscheiden. Damit sie ihre vernünftigen Gründe aber ernst nehmen (und überhaupt Anlaß haben, sich entscheiden zu müssen), müssen diese Gründe Kants Überzeugung nach einen motivationalen Anker in unserer Sinnlichkeit haben. Die Moral geht den ›ganzen‹ Menschen an. Sie muß Subjekte, die ihre sinnlichen Gründe ernst nehmen, affektiv berühren. Dabei ist das Gefühl der Achtung steigerungsfähig. Wir haben nicht nur die Pflicht, dieses Gefühl in uns selbst zu stärken; wir müssen auch geeignete Mittel ergreifen, es in anderen Menschen zu kultivieren. – Die existentielle Dimension: Diese Dimension moralischer Motivation ist zwar völlig ungeeignet, einen Beitrag zur Aufklärung des ursprünglichen Sinns des moralischen Sollens zu leisten, das im Spannungsfeld zwischen moralischen Gründen, an die wir durch das Gefühl der Achtung gebunden sind, und pragmatischen Gründen angesiedelt ist. Aber ohne eine den minimalen Sinn moralischer Motivation, wie er sich im Gefühl der Achtung darstellt, ergänzende motivationale Schubkraft, nämlich durch die Aussicht, daß sich Tugend auch ›lohnt‹, können wir kaum erwarten, daß Menschen hinreichend stark moralisch motiviert sind. Wir Menschen wollen nicht nur wissen, was wir moralisch tun sollen,
Dies betrifft vor allem Kants Konzeption des Charakters und seine Ansicht, daß Mitleid und Sympathie bei unseren unvollkommenen Pflichten gegenüber anderen eine die motivationale Kraft des Gefühls der Achtung ergänzende Funktion haben (vgl. MdST, 457 und KpV, 118). Wir haben daher die indirekte Pflicht, diese uns zusätzlich motivierenden Gefühle zu kultivieren. Zur Konzeption motivational unterbestimmter Handlungen siehe Klemme (2003, 178–186). 104
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wir möchten auch hoffen dürfen, daß Moral und Glück im obersten Gut unseres Handelns als vereint gedacht werden können. Wer als moralisches Subjekt ohne Hoffnung ist, wird kaum motiviert sein, seine Pflichten gegenüber anderen Personen zu erfüllen. – Die autonomistische Dimension: Personen handeln Kants Ansicht nach autonom, wenn sie aus Achtung vor dem Moralgesetz handeln, vor einem Gesetz also, das sie sich als vernünftige Wesen selbst geben. Sie handeln heteronom, wenn sie nach empirischen Gründen handeln, weil diese nach dem Naturgesetz wirken. Ob Personen nach dem einen oder nach dem anderen Gesetz handeln, ist eine Frage ihrer eigenen freien (autonomen) Entscheidung. Kein Gefühl der Achtung und auch nicht die existentielle Hoffnung, sich durch die Moralität des eigenen Wollens der Glückseligkeit würdig zu erweisen, können den Hiatus zwischen Normeneinsicht und Normenbefolgung überbrücken. Im Begriff des moralischen Sollens, darin stimmt Kant mit Crusius überein, ist die irreduzible Freiheit des eigenen Wollens gedacht. Moralische Gründe motivieren uns, ohne unser Wollen zu determinieren.105 Mit seiner Differenzierung zwischen einer kognitivistischen, emotivistischen, existentiellen und autonomistischen Dimension legt Kant eine begrifflich anspruchsvolle und empirisch gehaltvolle Konzeption moralischer Motivation vor, die es verdient, in systematischer Hinsicht ernst genommen zu werden. Dabei besteht ein wesentlicher Vorzug seiner Konzeption gerade darin, das komplexe Phänomen moralischer Motivation nicht in das Prokrustesbett eines einseitig rationalistischen oder empiristischen Handlungsverständnisses gezwängt zu haben, wie es ihm aus den zeitgenössischen Diskussionen vertraut war. Betrachten wir das Phänomen moralischer Motivation aus der Perspektive von Menschen (und nicht aus der von reinen Vernunftwesen), dann besteht die Pointe der Kantischen Konzeption moralischer Motivation in der Einsicht, daß das Phänomen moralischer Motivation nicht vom Bewußtsein des moralischen Sollens zu trennen ist, weil es kein derartiges Bewußtsein ohne ein Gefühl der Achtung für das Moralgesetz gibt. Hätten wir dieses Gefühl nicht, dann würden wir zwar erkennen, daß moralische Gründe universalistische (unparteiliche) Gründe sind, durch die die Freiheit der einen mit der Freiheit der anderen Person in Übereinstimmung gebracht und somit der Mensch als Selbstzweck erhalten und geschützt werden kann. Aber diese theoretische Einsicht hätte in diesem Fall keine moralische Relevanz. Wir würden die Freiheitssphäre allein aus der zweckrationalen Perspektive einer Person würdigen, die ihr Handeln am Kriterium der Interessenmaximierung ausrichtet. Das Motiv allein trägt die Differenz zwischen Zweckrationalität und Moralität. Wir könHabermas hat diesen Gedanken mit folgenden Worten auf den Punkt zu bringen versucht: »Pflichten binden den Willen der Adressaten, aber sie beugen ihn nicht. Sie weisen dem Willen eine Richtung, orientieren ihn, aber sie treiben ihn nicht wie Impulse an; sie motivieren durch Gründe und verfügen nicht über die Triebkraft ausschließlich empirischer Motive.« (1991, 144) 105
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nen natürlich zweckrationale Motive haben, das moralisch Richtige zu tun (Legalität), einen inneren moralischen Wert hat die Handlung jedoch nur dann, wenn sie das ausschlaggebende Motiv unseres Handelns ist. Wie also können die vier Dimensionen moralischer Motivation, die Kant der Sache nach unterscheidet, in systematischer Absicht erläutert werden, ohne von problematischen Annahmen und Lehrstücken Gebrauch zu machen, mit denen Kant selbst seine Moralphilosophie zu stützen und zu verteidigen versucht? Unternehmen wir den Versuch, diese Frage zumindest perspektivisch zu beantworten, ist zunächst dem Umstand Rechnung zu tragen, daß das komplexe Phänomen moralischer Motivation nicht losgelöst von der Frage nach der Existenz und Natur praktischer Gründe beantwortet werden kann: Wer eine kantianische Konzeption moralischer Motive in systematischer Absicht entwickeln und verteidigen will, muß auch über eine kantianische Konzeption praktischer Gründe verfügen. Letztere ist durch einen Dualismus von pragmatischen und moralischen Gründen (bzw. hypothetischen und kategorischen Verpflichtungen) gekennzeichnet, in der pragmatische Gründe auf das Gute (Glück) und moralische Gründe auf das Richtige bezogen sind.106 Gerade weil wir über zwei Typen praktischer Gründe verfügen, die in Konflikt mit einander geraten können, müssen wir uns als Grenzgänger zwischen Sinnlichkeit und Vernunft entscheiden, welche Gründe für unser konkretes Wollen und Handeln ausschlaggebend sein sollen. Diese Konzeption unterscheidet sich signifikant von empiristischen und rationalistischen Modellen praktischer Gründe, nach denen das handelnde Subjekt das Verhältnis praktischer Gründe zueinander eher vertikal als horizontal deutet. Denn während nach dem deontologischen Modell moralische und nicht-moralische Gründe miteinander in einem unauflöslichen Konflikt stehen, weil wir uns entscheiden müssen, ob das moralisch Gute (das Richtige) oder das nicht-moralisch Gute das ausschlaggebende Motiv unseres Handelns sein soll, versuchen zahlreiche moderne Autoren im Anschluß an klassische Positionen der Antike und Neuzeit ein harmonisierendes Modell praktischer Gründe zu entwickeln, in dem Konflikt ein Zeichen von Irrationalität – beispielsweise von Willensschwäche – ist. Danach kann es nur ein einziges oberstes Gut unseres Handelns geben, und praktische Gründe stellen Kriterien der Rationalität einer Person dar, die sich im Streben nach diesem Gut zeigt.
Diese dualistische Konzeption praktischer Gründe und nicht – wie gelegentlich unterstellt wird – einfach der Verzicht auf eine substantielle Konzeption des Guten steht im Zentrum der Kantischen Moralphilosophie. Rawls trägt diesem Dualismus in seiner Theorie des Politischen Liberalismus mit der Unterscheidung zwischen dem Vernünftigen und dem Rationalen Rechnung: »In justice as fairness the reasonable and the rational are taken as two distinct and independent basic ideas. They are distinct in that there is no thought of deriving one from the other; in particular, there is no thought of deriving the reasonable from the rational.« (Rawls, 1996, 51; vgl. Habermas, 1996, 35–36). Einen »›Dualism of the Practical Reason‹« (rationale Eigenliebe und Universalismus) betont im Anschluß an Joseph Butler bereits Sidgwick (1907, xii–xiii, xx–xxi). 106
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Nach kantianischem Verständnis handelt eine Person zwar unvernünftig, wenn sie unmoralisch handelt; aber sie handelt durchaus nicht irrational. Gerade indem eine Person ihren Wunsch zu Lasten einer moralischen Verpflichtung erfüllt, handelt sie rational im Sinne der Befriedigung dieses Wunsches. Unvernünftig handelt sie im moralischen Sinne des Wortes allerdings dann, wenn sie gegen eine bestehende Pflicht verstößt, von der sie Kenntnis hat. Gerade weil eine Person glücklich sein kann, indem sie gegen ihre moralischen Pflichten verstößt, kann man sie nach Kant nicht pauschal irrational nennen.107 Um diese Differenz im Begriff der Vernünftigkeit deutlich zu machen, möchte ich wie Rawls eine Person, die im Sinne der Befriedigung ihrer empirischen Interessen (ihrer Konzeption des Guten) klug handelt, rational, und eine Person, die aus Achtung vor dem Moralgesetz handelt, vernünftig nennen.108 Moralische Gründe sollen im Folgenden als Gründe verstanden werden, durch die eine Handlung (oder ein Wollen) gegenüber allen vernunftfähigen (und nicht bloß rationalen) Personen gerechtfertigt (oder entschuldigt) werden kann. Moralische Gründe sind Normen moralischer Richtigkeit. Eine Person handelt zwar rational, aber eben nicht vernünftig, wenn sie durch ihre Handlung einen Wunsch erfüllen möchte, die sie jedoch gegenüber beliebigen Personen nicht zu rechtfertigen vermag. Mit anderen Worten: Moralische Gründe (Verpflichtungen) fordern Unparteilichkeit109 und Universalität und unterscheiden sich damit von beliebigen anderen praktischen Gründen, mit denen kein derartiger Anspruch verbunden ist. Wie erklärt sich nun aber die Existenz moralischer Gründe? Warum gibt es überhaupt Gründe, mit denen wir unsere empirischen Wünsche extern beurteilen können? Welche Funktion haben moralische Gründe? Diese Fragen verweisen auf die Vgl. MVT, 261. Für Kant fällt – anders als Habermas meint – die praktische Vernunft als solche gerade nicht mit »Moralität zusammen« (Habermas 1991, 110). Bereits bei Kant finden sich also, wie Habermas zu Recht fordert, »verschiedene Lesarten der praktischen Vernunft, die einander ergänzen.« (1991, 110) 108 Mit der Aussage, daß niemand »gute Gründe« haben kann, die Geltung von Normen anzuzweifeln, die »den Anspruch einer kategorischen, unbedingten, welchselseitig und allgemein einforderbaren Sollgeltung« (Forst, 2004, 184) erheben, wird m. E. die Pointe der Kantischen Theorie praktischer Normativität unterlaufen. Denn nach Kant hat der Bösewicht durchaus »gute« Gründe für sein verwerfliches Tun: Der Bösewicht handelt rational, wenn auch nicht (moralisch) vernünftig, wenn er sein eigenes Wohl vor das der anderen Menschen stellt. Insbesondere gibt es für einen Menschen keinen Grund, den ›Raum‹ der moralischen Gründe zu betreten oder ihn (kurzzeitig) nicht zu verlassen, es sei denn, er hat ihn (wie Kant glaubt) aufgrund seines Gefühls der Achtung ›immer schon‹ betreten. Demnach kann die subjektive Anerkennung der Mitgliedschaft aller Menschen im Kantischen Reich der Zwecke in letzter Konsequenz gegenüber dem Amoralisten nicht begründet werden: Wer das Gefühl der Achtung nicht empfindet, wird sich durch kein Argument überzeugen lassen, moralisch zu sein. 109 Einen alternativen Begriff der Unparteilichkeit entwickelt Georg Lohmann (2001) unter Rückgriff auf A. Smith, Strawson und Tugendhat. 107
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kognitive Dimension einer deontologischen Theorie der Normativität, in deren Zentrum die Idee der Existenz von Menschen steht, die niemals nur instrumentalisiert werden dürfen. Wie könnte ein moralischer Liberalist, wie ich den modernen Kantianer nennen möchte, seine Auffassung begründen, daß Personen das moralische Recht haben, von anderen nicht beliebig instrumentalisiert zu werden? Seine Begründung beruht auf zwei Einsichten, die er jedem Menschen zumutet: Die erste Einsicht betrifft die Kontingenz unserer inhaltlichen Wertüberzeugungen, die ihrerseits auf unseren Wünschen und Interessen beruhen. Der moralische Liberalist ist zwar davon überzeugt, daß wir – rein subjektiv betrachtet – kein gutes und glückliches Leben führen können, wenn wir nicht bestimmte Dinge ernst nehmen, auch wenn sich diese Dinge im Verlaufe unseres Lebens ändern sollten. Aber dies bedeutet gerade nicht, daß es einen Handlungszweck gibt, der an sich betrachtet wertvoller als ein anderer ist. Der Wunsch einer Person A, x zu tun, ist an sich betrachtet nicht wertvoller als der Wunsch einer Person B, y zu tun. Wer das Gegenteil behauptet, hätte die Beweispflicht. Während diese erste Einsicht den Inhalt unseres Wollens bzw. den zu bewirkenden Handlungszweck als solchen betrifft, bezieht sich die zweite Einsicht auf den axiologischen Status des Subjekts dieses Wollens. Diese Einsicht umfaßt drei Aspekte: – Eine Person, die Autorin ihres eigenen Lebens sein will, muß sich selbst als eine vernünftige und zurechnungsfähige Person betrachten (in den Worten Kants: »unter der Idee der Freiheit handeln«110). – Es gibt keinen intersubjektiv nachvollziehbaren (unparteilichen) Grund, den Wert der eigenen Person über den Wert einer anderen Person zu stellen. Wir achten Menschen als Personen, gerade weil wir Menschen in zwei entscheidenden Hinsichten gleich sind: Wir sind erstens ›weltoffene‹ Wesen, deren irreduzible Freiheit in der selbstbestimmten Führung und Bewältigung unseres Lebens besteht. Zweitens verfügt keiner von uns über privilegierte Werteinsichten, Fähigkeiten, Überzeugungen, Wünsche oder Interessen, aufgrund derer er gegenüber beliebigen Personen begründen könnte, warum er als Person wertvoller als eine andere Person ist und nur seine Gründe zählen. Aus der Perspektive des rationalen Adressaten einer derartigen ›Begründung‹ muß diese notwendig scheitern. Keine rationale Person erklärt sich zwanglos zum bloßen Mittel der Interessenmaximierung einer anderen Person. – Diese Einsicht in unsere Gleichheit als freie und unverfügbare Subjekte unseres Lebens erklärt in epistemischer und anthropologischer Hinsicht, warum Menschen unweigerlich normative Fragen stellen, die eine moralische Dimension haben. Moralische Fragen resultieren aus unserer Achtung vor Personen als unverfügbaren Subjekten ihres eigenen Lebens. Zugleich markiert diese Gleichheit aber auch den Gesichtspunkt, unter dem wir unsere moralischen Fragen beantworten können. Diese werden nämlich durch ein Prinzip oder durch ein Verfah110
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ren beantwortet, durch das die Freiheit der einen Person mit der Freiheit der anderen Person in Übereinstimmung gebracht werden kann, ohne das legitime Interesse dieser Personen, ein selbstbestimmtes Leben führen zu können, ungebührlich einzuschränken.111 Zwar sind also – an sich betrachtet – die Inhalte unseres Wollens in axiologischer Perspektive gleichwertig. Sobald wir sie jedoch aus der Perspektive von Personen betrachten, die über Einsicht in moralische Gründe verfügen, verändert sich ihr Status. Denn jetzt bewerten wir die subjektiven Inhalte nicht allein aus der Perspektive der Klugheit als gut oder schlecht, vielmehr bewerten wir sie aus der moralischen Perspektive als richtig oder falsch. Aus dieser Perspektive betrachtet kann eine Handlung (moralisch) falsch sein, auch wenn sie gut für eine Person (oder eine Gruppe von Personen) ist.112 Oder anders formuliert: Wir können mit Blick auf alle Handlungen, die wir als gut beurteilen, sinnvoll fragen, ob sie auch richtig sind. Wie immer das Prinzip oder Verfahren konkret beschrieben werden mag, mit dem wir von der Idee der Selbstzweckhaftigkeit von Personen zu konkreten handlungsleitenden moralischen Verpflichtungen bzw. Gründen gelangen, ob wir von einem kategorischen Imperativ oder von einem Diskursprinzip sprechen wollen, die Idee eines unparteilichen Zuschauers aufnehmen möchten oder die Konzeption von Parteien bevorzugen, die unter bestimmten Bedingungen Gerechtigkeitsregeln aushandeln: Entscheidend ist, daß dieses Prinzip moralische Verpflichtungen begründet, die uns schon deshalb normativ nicht überfordern können, weil durch sie unsere normativen Fragen nach den Zielen und Mitteln unseres Handelns beantwortet werden. Es handelt sich um Verpflichtungen, die unserem Egoismus eine normative Grenze setzen, ohne ihn in toto in Frage zu stellen. Die Moral hat nicht Mit letzter Klarheit bringt Kant den funktionalen Sinn des Moralgesetzes erst in der Rechtslehre der Metaphysik der Sitten mit dem kategorischen Rechtsimperativ zum Ausdruck: »[…] handle äußerlich so, daß der freie Gebrauch deiner Willkür mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen könne« (MdSR, 231). Streichen wir das Wort »äußerlich« aus diesem Satz, dann ist der normative Sinn des unsere Tugendund Rechtspflichten gleichermaßen begründenden Moralgesetzes auf den Punkt gebracht: Ich soll so handeln, daß ich durch den Gebrauch meiner (sowohl inneren wie äußeren) Freiheit die Freiheit beliebiger Personen (einschließlich meiner eigenen Freiheit) nicht verletze. Die Verbindlichkeit dieses moralischen Imperativs beruht ihrerseits auf dem angeborenen Freiheitsrecht, demgemäß ein jeder Mensch »kraft seiner Menschheit« das ursprüngliche Recht hat, von seiner Freiheit Gebrauch zu machen, »sofern sie mit jedes Anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann« (MdSR, 237; vgl. GMS, 430–431; siehe bereits Kant, 2004, 31: »Die moralische Bonitaet ist also die Regierung unserer Willkür durch Regel, wodurch alle Handlungen meiner Willkür allgemein gültig übereinstimmen. Und solche Regel, die das principium der Möglichkeit der Uebereinstimmung aller freyen Willkür ist, ist die moralische Regel.«) – Otfried Höffe folgt ebenfalls der Kantischen Idee, wenn er »im Recht auf gleiche Freiheit […] das Menschenrecht bzw. das Prinzip aller Menschenrechte« (1981, 253) sieht; vgl. auch Brandt (2002, 56, 58–59) und Habermas (2002, 96–99). 112 Vgl. Fried (1978, 8–9). 111
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die Funktion, aus Menschen Heilige zu machen; sie hat vielmehr in erster Linie die Funktion, unseren subjektiven Interessen und Wünschen eine unparteiliche Grenze zu setzen. Moralische Verpflichtungen haben den Sinn, unsere Autonomie als Personen zu schützen, die als permanente Glückssucher ihr eigenes Glück finden müssen. Aus der Perspektive der deontologischen Moral ist nicht die Freiheit einer Person, sondern deren Einschränkung begründungsbedürftig. Mit dieser dualistischen Konzeption praktischer Gründe vertreten Kantianer einen normativen Externalismus: Wir beurteilen unsere auf unser Glück bezogenen Wünsche und Interessen aus der diesen Wünschen und Interessen externen Perspektive moralischer Gründe, durch die die unverfügbare Autonomie eines jeden Menschen geschützt und erhalten wird. In motivationaler Hinsicht sind Kantianer jedoch Internalisten.113 Ihrer Ansicht nach sind Menschen als Personen nicht nur motiviert, ihr Glück zu finden, sondern auch bereit, nach Vernunftgründen zu handeln, mit denen sie den Status von Personen als ›Selbstzwecken‹ anerkennen. Diese internalistische Dimension moralischer Normenbefolgung fällt jedoch nicht mit dem kognitiven Sinn moralischer Normen zusammen. Ganz im Gegenteil verweist diese Dimension auf das Gefühl der Achtung, die die Disposition einer Person bezeichnet, aus Einsicht in die moralische Richtigkeit einer Handlung tätig zu werden. Worin zeigt sich diese Disposition? Eine Person ist disponiert, aus Einsicht in die moralische Richtigkeit einer Handlung tätig zu werden, wenn sie moralische Gründe ernsthaft in ihren praktischen Überlegungen berücksichtigt. Wer in diesem Sinne disponiert ist, der stellt – wie Prichard (1912) gezeigt hat – nicht die moralische Frage, warum er moralisch handeln soll, weil sie zu stellen rational sinnlos ist.114 Moralische Gründe zu erkennen und zu achten, bedeutet schließlich nichts anderes, als ihre normative Vorrangigkeit gegenüber anderen praktischen Gründen anBernard Williams vertritt in seinem einflußreichen Aufsatz über interne und externe Gründe die Auffassung, daß Kantianer Externalisten sind, weil sie meinen, daß es für eine Person einen Grund geben kann, eine Handlung zu vollziehen, denen kein Element in ihrer »subjektiven motivationalen Verfassung« entspricht (Williams, 1999, 106; vgl. Mackie 1981, 31–33 u. ö., dessen Ansicht nach Externalisten – wie Platon, Kant oder Sidgwick – die Existenz objektiver Werte behaupten). Dies trifft jedoch nicht zu. Weder Kant noch die Kantianer müssen behaupten, daß es für eine Person derartige Gründe geben kann. (Ich vermute, daß Williams’ Darstellung der Kantischen Position von W. D. Falk beeinflußt ist, nach dessen Verständnis Kant – im Gegensatz zu Prichard – ganz zu Recht ein logisches Implikationsverhältnis von Sollen und Motivation behauptet, für das psychologische Tatsachen völlig irrelevant sind; vgl. Falk, 1947/1948, 22–23, 34–35.) Vielmehr können Kantianer behaupten, daß moralische (kategorische) Gründe Teil dieser Verfassung sind (siehe dazu Korsgaard, 1999, und Rawls, 1996, 85). Meinem Verständnis nach übersieht Williams die Differenz zwischen dem normativen Externalismus und dem motivationalen Internalismus: Wir bewerten einige Gründe (die Motive darstellen) aus der Perspektive von anderen Gründen (die Motive darstellen) und entscheiden uns dann, welcher Grund für unser Handeln ausschlaggebend sein soll (siehe Klemme, 2004). 114 Siehe Falk (1947/1948) und Apel (1988, 442–443). 113
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zuerkennen, die allein auf das Wohl oder Wehe irgendeiner (auch der eigenen) Person bezogen sind. Empfindet eine Person ein Gefühl der Achtung für moralische Gründe, dann verfügt sie über ein genuin moralisches Motiv. Dies besagt jedoch nicht, daß dieses Motiv auch hinreichend stark ist, die Person zu einem entsprechenden Handeln zu bewegen. (Wir werden auf diesen Punkt später eingehen.) Es gehört zu den wegweisenden Einsichten Kants, daß (für uns Menschen) die Kognition moralischer Gründe nicht vom Gefühl des Verpflichtetseins getrennt werden kann.115 Hätten wir dieses Gefühl nicht, würden wir uns trivialerweise nicht verpflichtet fühlen, moralisch zu sein. Der Universalismus der Normengeltung bedarf eines affektiven Kontextes, ohne den er praktisch wirkungslos bleibt. Hätten wir dieses Gefühl nicht, könnten universalistische Gründe für uns zwar durchaus von praktischer Bedeutung sein, aber wir würden sie dann immer nur aus der normativen Perspektive der Klugheit beurteilen: Wenn es klug für mich (für uns) ist, nach Gründen zu handeln, die von allen Personen gebilligt werden (oder werden können), dann haben wir auch ein Motiv, entsprechend zu handeln. Haben wir jedoch ein Gefühl der Achtung für das Moralgesetz, d. h. für Personen, die ihr eigenes Leben führen müssen, dann haben wir auch dann einen Grund, nach diesen Gründen zu handeln, wenn es für mich (für uns) nicht klug ist, dies zu tun. Nur wenn wir dieses Gefühl besitzen, gibt es einen praktischen Unterschied zwischen dem moralisch Richtigen und dem Guten. Im Gefühl der Achtung deutet sich somit die argumentative Grenze einer rein kognitivistischen Theorie deontologischer Gründe an, die Personen nicht nur die Einsicht in die Selbstzweckhaftigkeit von Personen als letzten Zwecken ihres Wollens und Handelns als dem abstrakten Grund moralischer Verpflichtungen zumutet, sondern auch ein Verfahren vorschlägt, durch das ihre konkreten moralischen Verpflichtungen erkannt (oder abgeleitet) werden können. Denn die Einsicht in die Autonomie und Gleichheit von Personen vermag uns für sich betrachtet nicht zu motivieren. Schließlich können wir uns sehr wohl rationale Subjekte vorstellen, die verstehen, wovon moralische Gründe handeln und welche Funktion sie haben, die aber kein Motiv haben, diese Gründe praktisch ernst zu nehmen.116 Wer kein
Falks These, »Kant dispenses with a ›sense of duty‹ in the shape of any singular and contingent psychological disposition« (1947/48, 35), trifft zwar insofern zu, als Kant in der Tat behauptet, daß das Gefühl der Achtung eine notwendige Wirkung der reinen Vernunft auf unser Gemüt darstellt und wir nicht durch Gefühle (Wünsche), die der Vernunft extern sind, motiviert werden müssen. Dies besagt aber gerade nicht, daß Kant Motive als »causa rationis« (Falk, 1947/1948, 25) versteht und somit einen »pure cognitivism« (Dancy, 2000, 94) in der Motivationstheorie vertritt. 116 Im Gegensatz zu Kant halte ich es zumindest für eine offene Frage, ob es derartige Personen geben kann. Wenn es Eltern gibt, die ihre Kinder nicht lieben, und Menschen, die sich selbst zerstören möchten, warum sollte es dann nicht auch Menschen geben, die kein Gefühl der Achtung für Personen empfinden? Auf der pädagogischen Ebene wird dies – im Gefolge von Rousseau – auch von Kant zugestanden (vgl. KpV, 151–161). 115
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Gefühl einer allgemeinen moralischen Verpflichtung verspürt, demgegenüber kann man auch nicht moralisch begründen, warum man in einer bestimmten Situation unter Verzicht auf die eigene Wunschbefriedigung moralisch richtig handeln sollte.117 Mit anderen Worten: Es gibt kein kognitives Argument gegen den Amoralisten. Ein solches Argument gäbe es nur dann, wenn Normeneinsicht notwendigerweise mit einem emotiven Gehalt in Gestalt des Gefühls der Achtung verbunden wäre, was aber nicht zu beweisen ist. Der Amoralist vermag zwar die Bedeutung und die Funktion moralischer Gründe zu verstehen, wenn sie ihm aus der Perspektive der Moral erläutert werden, so wie wir bestimmte Riten fremder Völker in deskriptiver Hinsicht verstehen können. Aber weil der Amoralist kein Gefühl der Achtung für diese Gründe empfindet, haben sie für ihn als solche keinen epistemischen oder motivationalen Vorrang vor anderen Gründen. Aus der Erkenntnis eines moralischen Grundes und dem entsprechenden Gefühl der Achtung folgt nicht, daß eine Person auf eine bestimmte handlungsrelevante Entscheidung festgelegt ist.118 Gerade durch die Überwindung der rationalistischen
So verstehe ich auch Albrecht Wellmers Äußerung, daß es ein »rationales Äquivalent für ein sakral oder religiös gestütztes moralisches Einverständnis« nur geben kann, »sofern die – kognitive und affektive – Einübung in Verhältnisse wechselseitiger Anerkennung gelingt. In dem Maße, in dem dies nicht der Fall ist, verlieren moralische Argumentationen ihren Angriffspunkt, ohne daß dies zugleich auch für empirisch-technische Argumentationen der Fall sein müßte. Es gibt einen lack of moral sense; […].« (Wellmer 1986, 163) Siehe auch Habermas (1991, 135–136) und Tugendhat (1993, 62: »Wer keinen moralischen Sinn hat, kann sich weder moralisch schämen noch sich über andere entrüsten. Er kann nur ein instrumentelles Verhältnis zu den moralischen Normen ausbilden.«). 118 Habermas vertritt zwar ebenfalls die Ansicht, daß Einsicht in moralische Gründe als solche pflichtwidriges Handeln nicht ausschließt, führt in seinen älteren Arbeiten zur Erklärung aber pauschal den Begriff der Willensschwäche an (siehe Habermas, 1991, 135, 184; vgl. 1996, 51). Da Willensschwäche ein Phänomen der Irrationalität ist, entgeht ihm die Pointe des Kantischen Handlungsbegriffs, demgemäß man auch ›gute‹ Gründe haben kann, nicht moralisch zu sein, ohne die unbedingte Geltung moralischer Gründe prinzipiell in Frage zu stellen. (Der Begriff der Willensschwäche impliziert ein rein logisches oder kausales Verständnis praktischer Gründe, das Kant gerade überwinden wollte.) Was aus der Perspektive der Moral ein Zeichen von Unvernunft ist, kann aus der Perspektive parteilicher Gründe zugleich rational und moralisch falsch sein. Allerdings hebt Habermas an anderer Stelle den autonomistischen Sinn menschlicher Entscheidungen hervor, nicht ohne ihn – ganz Kantisch – mit einer Entscheidung zur Moral zu identifizieren: »Autonom ist der Wille, der sich durch moralische Einsichten binden läßt, obwohl er anders entscheiden könnte.« (1991, 136; vgl. 144) – In seiner neueren Arbeit über Die Zukunft der menschlichen Natur (2002) bindet Habermas die kantianische Moral autonomer Personen in ein gattungsethisches Selbstverständnis ein, wonach wir uns angesichts neuer Möglichkeiten, die mit der Gentechnik verbunden sind, aus einer der Moral externen Perspektive ethischer Gründe fragen müssen, ob wir uns zukünftig auch weiterhin wechselseitig als autonome Personen verstehen und adressieren wollen. Danach zu urteilen ist zwar nicht die abstrakte Geltung moralischer Normen, wohl aber ihre 117
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und kausalmechanistischen Handlungsmodelle, nach denen wir immer nach dem besten oder kausal stärksten Grund oder Wunsch handeln, können moralische Gründe als Gründe verstanden werden, die wir billigen oder mißbilligen müssen, bevor sie handlungseffektiv werden. Wir müssen – um einen Begriff von Joseph Butler aufzugreifen – in reflexiver Einstellung eine gewisse Autorität darüber ausüben, was wichtig für uns sein soll. Diese autonomistische Dimension der Billigung und Mißbilligung moralischer Gründe bringt somit zum Ausdruck, daß wir über keine vollständige und relevante kausale Erklärung handlungseffektiver Entscheidungen einer Person verfügen und verfügen können, wenn wir den moralischen Standpunkt nicht aufgeben wollen.119 Wir müssen einen schwachen Sinn praktischer Autonomie von Personen unterstellen, der es ihnen erlaubt, zwischen moralischen und nicht-moralischen Gründen zu wählen.120 Mit dieser Behauptung kann zwar nicht die metaphysische Frage, ob wir wollen können zu wollen, im Sinn einer libertas indifferentiae beantwortet werden. Aber vom Standpunkt einer Person aus betrachtet, die ihr Wollen und Handeln aus der doppelten Perspektive moralischer und nicht-moralischer Gründe beurteilt oder bewertet, treffen wir unsere handlungseffektiven Entscheidungen mit Blick auf unsere praktischen Gründe im idealen Falle völlig frei. Das Phänomen des moralischen Sollens ist absolut primär und darf nicht in Neigungen oder in die Erkenntnis des Guten aufgelöst werden. Und selbstverständlich verfügen wir auch nicht über ›dritte‹ Gründe, auf die wir uns vermittelnd beziehen könnten.121 Solange wir uns als moralische Personen verstehen, verstehen wir uns als Subjekte,
universelle Befolgung von den motivationalen Ressourcen unserer ethischen Wertüberzeugungen abhängig (siehe 2002, 45, 74, 115, 124–125, 154–156; vgl. 2001, 26–28). 119 Dies scheint Rawls jedoch zu unterstellen, wenn er den »sense of justice« als unser Vermögen definiert, »to understand, to apply, and to act from the public conception of justice«. Denn die in ihm ausgedrückte Bereitschaft (»willingness«), »to act in relation to others on terms that they also can publicy endorse«, beschreibt Rawls als einen Wunsch (»desire«) (Rawls, 1996, 19). Durch diese begriffliche Verknüpfung von Kognition und Wunsch wird – je nach Lesart – die Humesche Handlungspsychologie rationalisiert oder der Kantische Kognitivismus naturalisiert (vgl. Rawls, 1996, 81–86; zur naturalistischen Lesart von Kant siehe auch Korsgaard, 1996, 160, Guyer, 2001, und Rauscher, 2006). Rawls schließt – wenn ich richtig sehe – aus begrifflichen Gründen aus, daß jemand die Geltung einer praktischen Norm erkannt hat, sich aber dazu entschließt, bewußt gegen sie zu verstoßen. 120 Eine ähnliche Ansicht findet sich bei Henry Sidgwick: »In all ordinary cases […] it does not seem to me relevant to ethical deliberations to determine the metaphysical validity of my consciousness of freedom to choose whatever I may conclude to be reasonable, unless the affirmation or negation of the Freedom of the Will somehow modifies my view of what it would be reasonable to choose to do if I could so choose. I do not think that any such modification of view can be maintained, as regards the ultimate ends of rational action” (1907, 68). – Eine hiermit vergleichbare Argumentationsstrategie hat später Peter F. Strawson (1974) aus der Perspektive moralischer Gefühle eingeschlagen. 121 Vgl. Baier (2002, 107–108).
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die nach Gründen handeln, die uns zu einem bestimmten Handeln »geneigt machen« (Leibniz), aber eben nicht determinieren.122 Gerade weil wir über keine begriffslogische und/oder kausale Erklärung unseres Wollens und Handelns im Spannungsfeld von Moral und Eigeninteresse verfügen, ist der Begriff der Person so wichtig. Mit ihm bringen wir die große Paradoxie unseres kausalen Weltverständnisses einerseits und unseres normativen Selbstverständnisses andererseits zum Ausdruck: Wir üben einen kausalen Einfluß auf die Welt aus, ohne unsere Entscheidung, eine moralisch relevante Handlung zu vollziehen oder zu unterlassen, als ein kausal determiniertes Ereignis zu interpretieren. Die autonomistische ist auf das Engste mit der existentiellen Dimension menschlichen Handelns verbunden, die mindestens zwei verschiedene Aspekte umfaßt: – Vor dem Hintergrund der Unterscheidung zwischen moralischen (vernünftigen) und nicht-moralischen (rationalen, sinnlichen) Gründen kann eine Person, die sich moralisch verpflichtet fühlt, zwar nicht die moralische Frage stellen, warum sie moralisch handeln soll, aber sie kann sehr wohl die eigeninteressierte Frage stellen, ob sie auch dann moralisch handeln will, wenn sie dadurch auf die Befriedigung ihrer individuellen Wünsche verzichten müßte. Dabei kann diese Frage drei unterschiedliche Bedeutungen annehmen: Sie kann sich erstens auf weite (unvollkommene) Verpflichtungen richten, zu deren Begriff es gehört, daß sie im Einzelfall von nicht-moralischen Gründen überwogen werden dürfen. Sie kann sich zweitens auf strikte (vollkommene) Pflichten beziehen, die per se überwiegende Gründe darstellen. Und sie kann schließlich drittens als grundsätzliche Frage verstanden werden, ob man prinzipiell moralische Gründe (Verpflichtungen) für sein Wollen und Handeln berücksichtigen will. Der Immoralist beantwortet diese Frage zwar negativ, versteht im Gegensatz zum Amoralisten aber ihren moralischen Sinn. – Mit seiner Lehre vom Höchsten Gut hat Kant einen intrinsischen Zusammenhang zwischen einerseits der Frage nach der Geltung und dem Motiv und andererseits der Frage nach dem Zweck unseres moralischen Handelns behauptet: Ohne die Hoffnung, daß unser moralisches Streben zu etwas Gutem führt, wären wir moralische Finsterlinge, die freudlos ihre Pflichten erfüllen. Denn keiner von uns will – wie selbst Platon123 betonte – nur vernünftig sein. Diese Hoffnung richtet Neben diesem autonomistischen Sinn moralischen Wollens gibt es einen zweiten (hier nicht weiter diskutierten) Sinn von Autonomie, wonach eine Person autonom handelt, wenn sie moralisch handelt (vgl. GMS, 440). Danach entscheidet sich die Frage, ob eine Person autonom oder heteronom handelt, an der Frage, aus welchem Grund sie handelt. Ein Grund ist ein Motiv, wenn er die Handlung von P erklärt: P tut x, weil P einen Grund hat, x zu tun. Eine Person handelt nun autonom, wenn sie nach einem moralischen Grund handelt, d. h. nach einem Grund, durch den die Freiheit von Personen in Übereinstimmung gebracht werden kann. Ob eine Person aber überhaupt autonom handeln kann, wenn sie es denn will, entscheidet sich an der Frage, ob sie Einsicht in moralische Gründe hat, d. h. ob sie durch das Gefühl der Achtung an moralische Gründe subjektiv gebunden ist. 123 Philebos 11e–12a. 122
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sich nicht bloß darauf, daß es keinen prinzipiellen Konflikt zwischen Moral und Glück gibt, sondern auch darauf, daß wir durch die Moral ein Gut eigener Art erreichen können, das sich nicht in der Befriedigung unserer Neigungen erschöpft. Wie kann dieser zweite Aspekt moralischen Sollens unter nicht-transzendenten Suppositionen, die Kant mit seiner Postulatenlehre macht, rekonstruiert werden? Interessanterweise gibt Kant selbst im Rahmen seiner Politischen Philosophie und Rechtsphilosophie eine Antwort auf diese Frage, die nicht nur Personen, die sich moralisch verpflichtet fühlen, Hoffnung (und Motivation) gibt. Vielmehr vermag sie auch dem moralisch ›Tauben‹ ein pragmatisches Motiv zu geben, sich in seinem Handeln an diesen Gründen zu orientieren. Wie ist diese ›glückliche‹ Harmonie zwischen Klugheit und Moral zu verstehen? Nach Kant beschreibt das Recht einen Zustand, in dem ein jeder Mensch im Verhältnis der äußeren Handlungsfreiheit zu anderen Menschen nicht nur als Mittel, sondern »zugleich« als Zweck existiert.124 Aus diesem Grunde sind wir schon aus rein egoistischen Gründen125 an der Existenz von entsprechenden inner- und zwischenstaatlichen Rechtsverhältnissen interessiert. Der kluge Mensch wählt den nach vernunftrechtlichen Gesichtspunkten organisierten Rechtsstaat, weil er in diesem nicht wie eine Sache behandelt wird und als Rechtsperson ein selbstbestimmtes Leben führen kann. Der moralische Mensch wählt einen derartigen Rechtsstaat aber auch bzw. primär aus Gründen der Achtung vor der Selbstzweckhaftigkeit von Personen. Im Resultat nehmen demnach alle Menschen, wenn sie nur klug sind, ein praktisches Interesse an der Existenz äußerer Rechtsverhältnisse, auch wenn bei deren Ausgestaltung große Unterschiede zwischen bloß klugen und moralischen Menschen auftreten mögen. Denn in dem Urteil, daß der Krieg das summum malum (Hobbes) und der Friede das summum bonum (Kant) unseres politischen Handelns ist, sind sich der bloß kluge und der moralische Mensch einig. Klugheit ist die normative und die motivationale Minimalbedingung für die Existenz von friedfertigen Interaktionsstrukturen zwischen Menschen. Für fehlende Klugheit gibt es allerdings kein Surrogat: Wer nicht über die kognitive und motivationale Disposition verfügt, sich von Gründen leiten zu lassen, die auf die langfristige Erhaltung der eigenen Existenz und die Optimierung seiner Lebenschancen zielen, ist nicht nur moralisch schlecht, er ist auch kein potentieller Vertragspartner einer (Hobbesschen) Gemeinschaft rationaler Egoisten.
Siehe MdSR, 236. Siehe ZeF, 366 (»Das Problem der Staatserrichtung ist, so hart wie es auch klingt, selbst für ein Volk von Teufeln [wenn sie nur Verstand haben] auflösbar«), Höffe (1988, 56– 78), Gerhardt (1995, 121–125) und – kritisch – Brandt (1997, 235–236). 124 125
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IV. Schluß Ausgehend vom rationalistischen und empiristischen Verständnis moralischer Motivation habe ich Kants Versuch erläutert, mit einer dualistischen Konzeption praktischer Gründe und Motive einen Sinn moralischen Sollens zu rekonstruieren, der nicht im Begriff der Vernunft oder der Neigung aufgelöst werden kann. Ähnlich wie für Crusius (aber natürlich aus anderen Gründen) ist für Kant das Phänomen unserer moralischen Verpflichtungen absolut primär und irreduzibel. Sodann habe ich mit Blick auf Kants ›kritische‹ Moralphilosophie zwischen der kognitiv-formalen, der emotiven, der autonomistischen und der existentiellen Dimension moralischer Motivation unterschieden, zu denen sich die Klugheit als nicht-moralische Motivationsquelle hinzugesellt. Praktische Gründe – und speziell moralische Gründe – haben bei Kant somit eine mehrdimensionale motivationale Wertigkeit, die mit dem verbreiteten Bild einer einseitig rationalistischen Motivationstheorie in keiner Weise zu vereinbaren ist. Moralische Gründe müßen nicht nur erkannt werden, sie sind auch in emotive, voluntative und existentielle Kontexte des Wollens und Handelns eingebunden, ohne deren Würdigung wir nicht verstehen können, wie Kognitionen überhaupt praktisch wirksam werden können. Kants nicht-reduktionistische Konzeption praktischer Gründe und moralischer Motivation ist für die moderne Debatte um eine begrifflich anspruchsvolle und empirisch gehaltvolle Konzeption moralischer Motivation selbst dann von maßgeblicher Bedeutung, wenn man mit guten Gründen bestimmte Lehrstücke seiner Transzendentalphilosophie zurückweist. Im letzten Teil meines Beitrags habe ich in systematischer Absicht entsprechende Interpretationsvorschläge unterbreitet, die ergänzungsbedürftig und -fähig sind. Dies gilt insbesondere für die emotive Dimension moralischer Motivation, bei der ich mich ausschließlich auf das Gefühl der Achtung konzentriert habe. Damit möchte ich nicht behaupten, daß Achtung das einzige für Fragen moralischer Motivation relevante Gefühl ist. Ganz im Gegenteil bin ich der Ansicht, daß gerade auch eine an dem deontologischen Vokabular der Pflicht, der Gerechtigkeit und des Richtigen orientierte Moraltheorie ohne eine Phänomenanalyse moralischer Gefühle (nicht-kognitiver Dispositionen) unvollständig bleibt. Zwar beurteilen wir die Angemessenheit moralischer Gefühle wie Scham und Empörung prinzipiell aus der ihnen externen deontologischen Perspektive moralischer Gründe, mit denen wir etwas als moralisch richtig oder falsch beurteilen. Aber das moralisch Richtige und Falsche hat auch eine emotive ›Tiefendimension‹, die gewissermaßen aus Richtern Betroffene macht. So stellen moralische Schamlosigkeit und Grausamkeit nicht nur Fälle moralischer Falschheit dar, die wir aus der nüchternen Perspektive des Richters beurteilen; sie werden zugleich als Äußerungen einer zutiefst schlechten Person wahrgenommen, auf die wir mit Abscheu und Empörung reagieren. Eine aus deontologischer Perspektive vorgetragene Analyse dieser Gefühle stellt ein Forschungsdesiderat dar.
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Siglen Kants Schriften werden (mit Ausnahme von MVT und ND) unter Angabe der Siglen nach ihrem Abdruck in den neuesten im Felix Meiner Verlag (Hamburg) erschienenen Editionen zitiert. AA Anth Auf Ge GMS KdU KpV KrV MdSR MdST MVT ND RGV ZeF
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Motivation in der Diskursethik Wolfgang Kuhlmann I. Kant hat meines Erachtens völlig Recht mit seinem immer wieder vorgetragenen Gedanken, daß eine Handlung nur dann moralischen Wert hat, wenn sie getan wird »aus Pflicht«, um des moralisch Richtigen willen, wenn also das richtige Motiv hinter ihr steht.1 Weil es bei der Moralbegründung darum geht, Gründe für das Akzeptieren der Moral bzw. für das Moralischsein überhaupt zu erarbeiten, das heißt, Beweggründe für skeptische Akteure, ist dieser Gedanke auch für das Begründungsproblem zentral. Hier kann er z. B. folgendermaßen formuliert werden: Moral kann nicht sinnvoll im Rekurs auf bloß prudentielle Gründe begründet werden. Die wichtigsten Argumente für diese Idee scheinen mir die folgenden zu sein. Wenn das Richtige aus den falschen Motiven oder Gründen geschieht, ich fair zu meinen Mitmenschen nur deshalb bin, weil ich sicher vor ihren Anfeindungen leben will, dann ist mit meiner Handlungsweise kein moralisches Verdienst verbunden, das anderen Personen Achtung abnötigen könnte, sondern ich bin nur klug, ich versuche nur, ein gutes Geschäft zu machen. Ferner: wenn ich das moralisch Richtige nur tue, um eine bestimmte Neigung zu realisieren, ich fair zu meinen Mitmenschen bin, nur um ein sicheres Leben zu haben, dann tue ich das Richtige nur zufällig, nämlich weil die Verhältnisse gerade so liegen, daß sich das, was meiner Neigung entspricht, und das moralisch Gute überlappen. Wenn sich zweckmäßigere Wege zur Realisierung meiner Neigung angeboten hätten, z. B. eine mächtige grausame Palastwache, dann hätte mich dasselbe Motiv dazu bewogen, diese Alternative zu wählen. Dazu gibt es eine genaue Entsprechung beim Problem der Moralbegründung. Wenn Moral aus Klugheit, im Rekurs auf prudentielle Gründe begründet wird, dann wird sie nur als Mittel zu x begründet, als das Zweckmäßige zur Realisierung von x. Dann aber wird auch alles andere, was mindestens ebenso zweckmäßig zur Realisierung von x ist, ebenfalls moralisch (!) legitimiert, in unserem Beispiel etwa eine grausam blutige Palastwache, die alle die, die meine Sicherheit gefährden könnten, beizeiten umbringt. Kant behauptet also: Es gibt nur ein richtiges Motiv hinter dem moralischen Handeln: Moralisches Handeln muß aus Pflicht, muß um des moralisch Richtigen selbst willen getan werden. Jedes andere Motiv entwertet das Handeln qua mora1
Vgl. GMS, 397 ff.
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Wolfgang Kuhlmann
lisches. Und weiter: Moral kann nicht im Rekurs auf Neigungen, kann nicht prudentiell begründet werden. Moral kann nur aus sich selbst begründet werden. Diese Kantischen Thesen sind sehr bekannt, und die angedeuteten Argumente dafür scheinen mir durchaus überzeugend zu sein. – Aber sind sie auch verständlich? Frei nach Davidson: Kann man die Verständlichkeit verbessern, ohne die Begeisterung zu verlieren? (improve intelligibility while retaining the excitement) 2 Sind also die Antworten auf die Fragen: »Warum tust du hier das Moralische?« bzw.: »Warum bist du überhaupt moralisch?« nämlich: »Aus Pflicht« und: »Weil ich soll«, wirklich befriedigend und verständlich?
II. Nun ist die Sache bei Kant damit nicht zu Ende. Kant kann vielmehr sehr wohl die Verständlichkeit verbessern und sogar die Begeisterung noch steigern. Er tut das Letztere, indem er zur Erläuterung des moralischen Sollens den folgenden – wie ich finde großartigen – Gedanken einführt. Er versteht das moralisch Richtige als das, was die reine Vernunft von sich aus will. Ja, das moralisch Richtige wird geradezu definiert als das, was reine Vernunft von sich aus will. »Wenn die Vernunft den Willen unausbleiblich bestimmt, so sind die Handlungen eines solchen Wesens, die als objektiv notwendig erkannt werden, auch subjektiv notwendig, d. i. der Wille ist ein Vermögen, nur dasjenige zu wählen, was die Vernunft unabhängig von der Neigung als praktisch notwendig, d. i. als gut erkennt.« (GMS, 412) »Daher gelten für den göttlichen und überhaupt für einen heiligen Willen keine Imperativen, das Sollen ist hier am unrechten Ort, weil das Wollen schon von selbst mit dem Gesetz notwendig einstimmig ist.« (GMS, 414) Und er versteht dann das moralische Sollen bzw. das moralische Gebot als »Vorstellung eines objektiven Prinzips, sofern es für einen Willen nötigend ist.« (GMS, 414) »Ist der Wille nicht an sich völlig der Vernunft gemäß (wie es bei Menschen wirklich ist): so sind die Handlungen, die objektiv als notwendig erkannt werden, subjektiv zufällig und die Bestimmung eines solchen Willens objektiven Gesetzen gemäß ist Nötigung.« (GMS, 413) Es folgt: Was wir sollen, ist das, was wir eigentlich wollen: Es ist das, was wir qua Vernunftwesen wollen, was wir aber wegen des »Erdenrests zu tragen peinlich« nötigend gegen uns zur Geltung bringen müssen. In diesem Gedanken kommt auf bewundernswürdige Weise vieles zusammen. Weil das Richtige das ist, was die in uns allen identische Vernunft will, ist das Richtige streng intersubjektiv gültig. Weil es die Vernunft ist, die das Richtige bestimmt, ist das Richtige das Formale, das Gesetzliche, das Unparteiliche, das Gerechte. Weil es Vernunft ist, die den Willen bestimmt, der Wille also durch etwas jenseits der Kausalgesetze der Natur Liegendes bestimmt werden kann, ist Freiheit 2
Vgl. Davidson (1984, 183).
Motivation in der Diskursethik
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denkbar. Weil es unsere Vernunft ist, die die Gesetze gibt, sind wir selbst die Gesetzgeber. Autonomie ist denkbar. In diesem Gedanken konvergieren also die für sich genommen äußerst sperrigen Ideen von Vernunft, Moral (Gerechtigkeit), Freiheit, Autonomie, Intersubjektivität, strenger Verbindlichkeit (Nötigung) auf eine überaus einleuchtende Weise. Der Hauptpunkt, der uns bei unserem Problem weiterhilft, ist jedoch die Bestimmung des moralischen Sollens als das, was wir qua Vernunftwesen eigentlich wollen. Einsehen, daß wir sollen, daß wir verpflichtet sind, ist dann nichts anderes als einsehen, daß wir in Wirklichkeit wollen, daß wir x qua Vernunftwesen eigentlich wollen. Und dieser Gedanke wird in den Schriften Kants gewissermaßen beglaubigt durch die sich über diesen Gedanken ergebende schlagende Konvergenz der eben genannten Ideen von Vernunft, Moral, Freiheit, Autonomie, etc. Wenn wir jetzt auf dieser Basis noch einmal Akteure, die versuchen, moralisch zu handeln, nach ihren Motiven fragen, dann erfahren wir: »Ich handle so, wie ich handle aus Pflicht, d. h., weil ich soll und d. h. weil ich es eigentlich will. Ich handle nach einem Gesetz, das ich als Gesetzgeber will.« Und fragen wir einen bekehrten Moralskeptiker nach den Gründen, die ihn bekehrt haben: »Warum bist du überhaupt moralisch?« dann hören wir: »Weil ich soll und d. h., weil ich es eigentlich will.« (Die Begründung für Moral muß demnach in der Ermöglichung der Einsicht liegen: Ich will das Richtige immer schon. Eine zureichende Begründung kann nur darin liegen.3) Beide Antworten sind sehr viel befriedigender als die vorigen. Die neuen Antworten enthalten tatsächlich ein Motiv bzw. eine Begründung. Sie sind nicht wie die zuerst gegebenen tautologisch und damit leer. Aber reicht das aus? Ist die Verständlichkeit nicht nur Einbildung? Ist die Redeweise von der reinen Vernunft, die als solche etwas will (was dann als das moralisch Richtige gelten soll) nicht sehr unklar, uneigentlich und vage? Was genau heißt es, daß die reine Vernunft etwas will, wie macht sie das? Kann aber, wenn dergleichen dahinter steht, das Vorige wirklich verständlich sein? Problematischer noch aber ist der folgende Punkt. Ist wirklich verständlich, inwiefern reine Vernunft qua reine Vernunft, so wie Kant sie konzipiert, so etwas wie Gerechtigkeit wollen muss? Denn als Gerechtigkeit, Fairness, Unparteilichkeit entpuppt sich in den späteren Formulierungen des Kategorischen Imperativs, was Kant anfangs zunächst als reine Formalität, Gesetzlichkeit des vernünftigen Willens, also als etwas reiner Vernunft ersichtlich sehr Affines, einführt. Ich habe an anderer Stelle ausführlich dafür argumentiert, daß die kantische Konzeption hierzu jedoch genaugenommen nichts hergibt.4 Die Ebene, auf der für Kant Begründungsfragen entschieden werden müssen, ist die Ebene der »reinen Vernunft«.5 Auf dieser Ebene aber sieht Kant wesentlich nur reine Vernunft im Singular vor, und hier unterstellt 3 4 5
Vgl. Kuhlmann (2002, 131–146). Vgl. Kuhlmann (2002, 100–130). Vgl. GMS, 389 ff.
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Wolfgang Kuhlmann
er ganz klar, daß reine Vernunft im Singular, bzw. ein einziges Vernunftsubjekt (bei dem viele Vermögen zusammenspielen) allein schon komplett ist, als solches zu Vernunftleistungen fähig ist. Es wird hier nicht damit gerechnet, daß reine Vernunft nur realisiert werden kann in einer Vielzahl von Instantiierungen, einer Vielzahl von Subjekten, deren Kommunikation und Interaktion untereinander notwendige Voraussetzung für Vernunftausübung ist. Kant meint ersichtlich nicht, daß Vernunft nur in einer Kommunikationsgemeinschaft realisiert werden kann, hier kann vielmehr – mit Wittgenstein zu reden – sehr wohl »einer allein und nur einmal einer Regel folgen«. Daher scheint es mir gänzlich unplausibel zu sein, daß man in einer in dieser Weise solipsistisch verfaßten Vernunft als wesentliches Strukturmoment Vorkehrungen antreffen können soll, die eigens dafür da sind, eventuelle Konflikte unter verschiedenen Vernunftwesen moralisch angemessen aufzulösen. Vielheit von Subjekten ist strukturell auf der Ebene der reinen Vernunft überhaupt nicht vorgesehen, geschweige denn Konflikte zwischen den Vielen.6 Es gibt also nach meiner Auffassung keinen Grund für die Annahme, daß in der Kantischen Konzeption von reiner Vernunft so etwas wie Gerechtigkeit schon liegen muß. Daher glaube ich, daß mit Kantischen Bordmitteln der davidsonschen Forderung, die Verständlichkeit zu verbessern, ohne die Begeisterung (hier für die plausibel klingende Theorie der Motivation in der Ethik) zu verlieren, nicht genügt werden kann.
III. Nun, wenn das mit Kantischen Mitteln nicht geht, dann muß man über Kant hinausgehen. Die transzendentalpragmatische Diskursethik ist ein Versuch, so über Kant hinauszugehen, daß einerseits die zentralen Intentionen der Kantischen Ethik bewahrt werden, daß aber andererseits dem, was nach Kant in der Philosophie geschah, vernünftig Rechnung getragen werden kann. – Die transzendentalpragmatische Diskursethik ist eine Ethik, die um eine Begründungsidee zentriert ist, die etwa folgendermaßen formuliert werden kann: 1. Rationalität muß als rational unhintergehbar angesehen werden, weil man sie, um sie zu hintergehen, ja mitnehmen müßte. 2. Als das Zentrum der Rationalität muß das diskursive Entscheiden über Geltungsansprüche angesehen werden. Das System und die Präsuppositionen des Diskurses sollten daher als Hauptkandidaten für Unhintergehbarkeit angesehen werden. 3. Alle Leistungen im Diskurs sind intrinsisch auf Intersubjektivität angelegt, auf Öffentlichkeit. Rationalität, Vernunft, die sich im Diskurs realisiert, setzt Kommunikation und Interaktion in einer Kommunikationsgesellschaft, setzt die Vielheit von Vernunftsubjekten also voraus.
6
Vgl. Wolff (1973, 15, 20).
Motivation in der Diskursethik
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4. Rationalität, Vernunft, die sich im Diskurs realisiert, ist daran gebunden, daß die Diskursteilnehmer ihr Verhältnis zueinander nach bestimmten Regeln einrichten, und diese haben moralisch relevanten Gehalt. 5. Die Begründungsidee ist die, daß die zuletzt genannte moralische Substanz des Diskurses als von rationalen Wesen immer schon unhintergehbar anerkannt und als in Wahrheit gültig nicht nur für die Verhältnisse innerhalb des Diskurses, sondern überall, aufgedeckt werden kann. Damit kommt es zu erheblichen Veränderungen gegenüber der ursprünglichen Kantischen Konzeption. Die wichtigste besteht darin, daß auch die Moralphilosophie als Transzendentalphilosophie durchgeführt wird, was bei Kant selbst nicht der Fall ist. Diese Änderung wird dadurch möglich, daß einmal die Idee transzendentaler Voraussetzung gefaßt wird über den Begriff rationaler Unhintergehbarkeit überhaupt, was auf eine Verschärfung der Idee der Transzendentalphilosophie hinausläuft; daß zum anderen die inhaltliche Front der Transzendentalphilosophie verlagert wird, weg von den Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung, hin zu den Bedingungen der Möglichkeit rationaler Entscheidung über Geltungsansprüche, zu Diskurspräsuppositionen, und daß schließlich die solipsistische Konzeption von Vernunft, die Unterstellung, daß alle Vernunftleistungen und deren Voraussetzungen im Prinzip zureichend an einer einzigen Instantiierung von Vernunft allein analysiert werden können, aufgegeben wird zugunsten einer Konzeption von Vernunft, nach der Vernunftleistungen, zu denen Geltungsansprüche erhoben werden können, gebunden sind an eine Gemeinschaft von miteinander kommunizierenden und interagierenden Argumentationsteilnehmern. Das sind wichtige Veränderungen, aber durch sie wird es gerade möglich, den ursprünglichen – großartigen – Gedanken vom Zusammenpassen und Zusammenhang der Ideen Vernunft, Autonomie/Freiheit, Gerechtigkeit und strenge Verbindlichkeit aufrechtzuerhalten, ja sogar mit viel stärkeren Argumenten zu verteidigen, als es bei Kant möglich war. Die Vorteile dieses Ansatzes liegen in meinen Augen darin, daß man zum einen in gewissem Sinn unmittelbar sehen kann, wie Vernunft und Moral, wie kooperative Wahrheitssuche und wechselseitige Anerkennung der Beteiligten als gleichberechtigte, freie, zurechnungsfähige Subjekte intern miteinander zusammenhängen. Man kann sehen, es gibt eine soziale Seite der Vernunft. – Und daß zum anderen die in einer philosophischen Ethik auszubeutende moralische Substanz des Diskurses uns in einer Weise gegeben und präsent ist, nämlich als der Unhintergehbarkeit verdächtige Argumentationspräsuppositionen, die das ansonsten sehr schwierige Problem der Moralbegründung tatsächlich aussichtsreich macht. Das Hauptproblem der Moralbegründung besteht ja wegen der Hürde der zu vermeidenden naturalistic fallacy darin, daß zur Rechtfertigung von Normativen immer schon auf Normatives zurückgegriffen werden muß. Ausschließlich im Rekurs auf Nichtnormatives läßt sich Normatives nun einmal nicht begründen. Wenn dieses Normative, auf das man alles bauen will, sich als unhintergehbar immer schon anerkannt aufdecken läßt, dann ist das die ideale Lösung. – Daß in den bisher vorliegenden
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Wolfgang Kuhlmann
Versuchen diese Idee schon optimal realisiert, die Diskursethik schon wirklich wasserdicht begründet wurde, würde ich nicht behaupten. Aber klar scheint mir, daß die Sache sehr aussichtsreich ist und mit hinreichenden mäeutischem Geschick zu lösen. Faktisch läuft die Begründung der Diskursethik über das Aufdecken, Sichbesinnen, Erinnern, Explizitmachen dessen, was ich tue, wie ich es meine und was ich dabei schon anerkannt habe und immer schon will, wenn ich als Argumentierender zu Vorschlägen Geltungsansprüche erhebe. Wenn ich das tue, dann nehme ich mindestens implizit auf andere vernünftige Wesen als mich selbst Bezug: ich würde nämlich Einsprüche anderer gelten lassen (was ich nur tue, weil meine Geltungsansprüche von Anfang an so gebaut sind, dass Einsprüche anderer vorgesehen sind). – Ich nehme Bezug im Prinzip auf jedermann, eine Einschränkung des Adressatenkreises wäre eine sich selbst zerstörende Abschwächung des Geltungsanspruchs. – Ich nehme Bezug auf die Anderen als solche, die zu überzeugen, nicht zu überreden sind, d. h., ich nehme Bezug auf sie als solche, deren freie Einsicht zu gewinnen ist, verstehe sie damit als zu freier Einsicht, freier Zustimmung, freiem Widerspruch fähig, erkenne sie als solche an. Und ich räume diesen so verstandenen Anderen zunächst einmal im Prinzip gleiche Rechte im Diskurs ein wie mir. Anderenfalls würde ich wieder, was destruktiv für mein Handeln wäre, meine Geltungsansprüche abschwächen. Die Sache kann hier im Einzelnen natürlich nicht durchgeführt werden. Sie ist im Detail komplex und schwierig, aber sie ist – so glaube ich – durchführbar.
IV. Unser Problem ist das der Motivation. Wie steht es damit in der Diskursethik? Zunächst ist eines ganz klar. Auch für die Diskursethik gilt: Hinter moralischem Handeln als solchem können keine bloß prudentiellen Beweggründe stehen. Das moralisch Schlechte kann nicht nur um Willen irgendwelcher Vorteile vermieden werden. Moral kann nicht im Rekurs ausschließlich auf Klugheitsgründe begründet werden. Daraus folgt aber nicht, daß hinter dem Vermeiden des moralisch Schlechten gar kein Motiv stehen muss, daß es dafür keinen Beweggrund geben kann, wie es die Redeweise: »Du sollst, weil du sollst« suggeriert. Habermas äußert sich manchmal in dieser Richtung. Er nennt die Diskursethik eine (»rein« W.K.) »kognitive Ethik«, die »nur noch für richtige (kognitive W.K.) Urteile aufkomme.« (Habermas, 1992, 145,148 ff.) Handlungsmotive müssen dann aus anderer Quelle kommen. Das ist nach meiner Auffassung nicht richtig: Wer im Rahmen der Diskursethik zur Einsicht kommt: »x ist tatsächlich geboten« und d. h.: »x ist aus für jedermann zu akzeptierenden Gründen, zu Recht also, geboten«, der kann sich auch – und zwar mit Mitteln der Diskursethik – klar machen, daß dies nicht nur bedeutet, daß er x soll, sondern auch, daß er x (als Mitgesetzgeber) will. Er steht dahinter.
Motivation in der Diskursethik
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Das gilt natürlich auch bei der Begründung der Diskursethik im Ganzen: Begründung führt hier nicht nur zur theoretischen Einsicht in etwas, was tatsächlich der Fall ist, also etwa, daß das Moralprinzip tatsächlich gilt, zu einer theoretischen Einsicht also, aus der für mein Wollen und Handeln unmittelbar nichts zu folgen scheint, sondern zur Einsicht, daß ich als Mitglied im »Reich der Zwecke«, als Teilnehmer am Diskurs, das Moralprinzip tatsächlich will. Hinter dem moralischen Handeln steht also durchaus ein Motiv, ein Wollen, was man z. B. daran sieht, daß man sich den Willen zur Rationalität, in dem der Wille zur Moral nach Auffassung der transzendentalpragmatischen Diskursethik impliziert ist, nicht ohne performativen Widerspruch absprechen kann. Man würde sich durch die Tat widerlegen. Und von diesem Motiv gilt, daß es mindestens in den beiden Hinsichten, die wir zuletzt bei Kant moniert hatten: »Inwiefern will reine Vernunft überhaupt etwas?«, »Inwiefern will sie Gerechtigkeit?« ersichtlich sehr viel verständlicher geworden ist: Wir wollen Gerechtigkeit qua Diskursteilnehmer. Und wir wollen damit etwas von der Art, wie es ersichtlich zur sozialen Seite des Diskurses, zur sozialen Seite der Vernunft, gehören muss. Dennoch kann das davidsonsche Motiv der Kollision von excitement und intelligibility hier immer noch mobilisiert werden z. B. über folgende Fragen, zu denen ich freilich abschließend nur noch ein paar Stichworte vorbringen kann: »Haben wir hier wirklich mit dem richtigen Motiv zu tun?« (1) und »Haben wir das Motiv in der richtigen Weise?« (2) Gemeint sind die Fragen in folgendem Sinne: Zu (1) Erstens gilt: In der Diskursethik wollen wir qua Diskursteilnehmer immer schon den Diskurs, die Realisierung des Diskurses mitsamt seinen (moralisch relevanten) Voraussetzungen, wir wollen Vernunft, Rationalität. Ist nun dies Wollen und das sich daraus ergebende Sollen nicht etwas ganz Anderes als das moralische Wollen und Sollen? Geht es hier nicht doch um ein Klugheitsmotiv im Sinne von »wir wollen das mächtige Instrument der Rationalität« so, wie wir z. B. einen starken Computer haben wollen können? Zweitens gilt: In der Diskursethik wollen wir die Anerkennung der Anderen als gleichberechtigt, d. h., die Moral als Voraussetzung zum Diskurs, bzw. als Ermöglichungsbedingung von Rationalität. Wird hier nicht Moral, die Anerkennung der Anderen, als Mittel betrachtet? Wird sie nicht damit – und werden damit nicht auch die anderen – instrumentalisiert? Wird nicht somit noch ein zweites Mal das eigentliche und richtige Motiv verfehlt, und wird nicht in beiden Fällen aus dem kategorischen ein bloß hypothetisches Sollen? Zu (2), zum Einwand, wir wollten die Moral, bzw. wir hätten das Motiv in der falschen Weise. Normalerweise können wir das Richtige wollen oder nicht wollen. Wenn wir es nicht wollen, kann man uns tadeln. Und der Tadel trifft, obwohl wir es nicht wollen, gleichwohl ein kompetentes Vernunftsubjekt. Hier beim Moralprinzip gilt: Wir wollen es immer schon, können es qua vernünftige Wesen nicht nicht wollen. Wollen wir es nicht, zählen wir nicht mehr als vernünftig, als zurechnungsfähig. In jedem Fall ist kein moralisches Verdienst mit dem Wollen verbunden. Das heißt, moralische Nötigung ist etwas anderes als transzendentale Nötigung.
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Beide Fragen und Einwände hängen nach meiner Auffassung mit folgendem Sachverhalt zusammen: In der transzendentalpragmatischen Diskursethik sind sowohl die Begründung wie auch die Motivation zweistufig. Transzendentalpragmatische Moralbegründung hat folgende Form: In einem ersten Schritt wird über ein reflexives Argument das Moralprinzip als enthalten in den Präsuppositionen des für uns rational unhintergehbaren Diskurses aufgedeckt und damit begründet. In einem zweiten Schritt wird dann im Diskurs im Rekurs auf das bereits etablierte Moralprinzip die konkrete in der bestimmten Situation richtige Handlungsweise (bzw. eine bestimmte moralische Norm) begründet. – Dementsprechend sieht auch die Motivation in dieser Ethik aus: Hinter der konkreten moralischen Handlungsweise (bzw. dem Versuch, eine bestimmte moralische Norm anzuwenden) steht zunächst das Motiv, das Richtige im Sinne des Moralprinzips zu tun (das zu tun, was man qua Diskursteilnehmer, qua Mitautor des konkreten Handlungsvorschlags bzw. der bestimmten Norm will). Und hinter der Anerkennung des Moralprinzips steht das Motiv, das Richtige im Sinne der Realisierung einer selbst-einstimmigen Vernunft zu tun, das Motiv, dem Geltung zu verschaffen, was nötig ist zur Realisierung einer von destruktiven Selbst-Widersprüchen freien umfassenden Rationalität. Die Diskursethik kann durchaus als Vernunftethik bezeichnet werden, und in den unterschiedenen Stufen kommen die beiden Bestandteile dieses Namens mit verschiedenem Gewicht vor. Was auf der ersten Stufe geschieht, auf der das Moralprinzip gewonnen wird, verdient noch nicht das Prädikat »ethisch« oder besser »moralisch« im engeren Sinne des Wortes. Dementsprechend sind auch die Gründe und Motive, die auf dieser Stufe eine Rolle spielen, noch nicht moralisch im engeren Sinn des Wortes. Die Moral insgesamt, das Moralprinzip, wird hier ja allererst begründet und dies im Rekurs auf den für uns qua vernünftige Wesen unhintergehbaren Willen zur Vernunft, der freilich den Willen zur Moral einschließt. Moralische Gründe und Motive im engeren Sinne stehen für die Etablierung der Moral ersichtlich noch nicht zur Verfügung, sondern nur Vernunftgründe, Vernunftmotive, die freilich nach erfolgreichem Abschluß des Projekts dann »moralisch« in einem weiteren Sinne des Wortes genannt zu werden verdienen. Der Wille zur Vernunft, der hier Gründe und Motive bestimmt, ist Wille zu einer umfassenden, globalen Vernunft, einer Vernunft, die praktische Vernunft im Sinne Kants einschließt, ja die, weil praktische Vernunft für letzte Ziele und Orientierungen zuständig ist, von praktischer Vernunft dominiert wird. – Erst was auf der zweiten Stufe geschieht, verdient das Prädikat »ethisch« bzw. »moralisch« im engeren Sinne des Wortes, erst hier kann von moralischen Motiven und Gründen im engeren Sinne die Rede sein, weil in diesen hinter konkreten Handlungen stehenden Motiven und Gründen auf das bereits etablierte, als geltend unterstellte, in der Diskurspraxis verankerte Moralprinzip Bezug genommen wird. – Die Fragen und Einwände beziehen sich sämtlich auf die erste Stufe der Begründung bzw. Motivation, die durch die Diskursethik in die Moral hineingezogen wird (als Moral in einem weiteren Sinne), auf der es jedoch nicht vollständig moralkonform zuzugehen scheint. Damit zu den einzelnen Fragen und Einwänden.
Motivation in der Diskursethik
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Zu (1) (»falsches Motiv«): Das, worauf wir mit den Begriffen: »Diskurs«, »Vernunft«, »Rationalität« etc. zielen, könnte als Mittel oder Instrument verstanden werden und wird faktisch auch oft so verstanden, z. B. wenn es in Konkurrenz zum Instinkt oder zu Gewaltanwendung oder zur schnellen Entscheidung gesehen wird, nämlich als ein Mittel unter anderen zur Bewältigung von Problemen. Diese Auffassung vom Diskurs legt den genannten Einwand in der Tat nahe. Das, was wir mit »Diskurs«, »Rationalität«, mit »Vernunft« meinen, hat aber zugleich auch den Charakter eines Zweckes selbst. Es handelt sich ja um die Instanz, durch die auch Zwecke, auch letzte Zwecke, diskutiert und gesetzt werden. Rationalität, Vernunft und Diskurs sind so dicht dran bzw. sogar identisch mit dem zum Setzen von Zwecken fähigen Zentrum von Subjektivität, daß sie mindestens nicht nur als Mittel aufgefaßt werden können. Wenn sie aber nicht nur als Mittel (man erinnere sich an den entsprechenden kategorischen Imperativ) verstanden werden können, dann ist das Wollen und Sollen mit Bezug auf sie nicht nur Klugheit. – Es kommt hier sehr auf Formulierungen an. Ich finde, das Gemeinte wird gut getroffen, wenn man – mit Hölderlin – sagt, das, was wir unhintergehbar wollen, ist »das Gespräch, das wir sind«. Damit verliert das Motiv den monierten Beigeschmack. Wir kommen zum Einwand, daß wir hier die Moral nur als Mittel für die Realisierung der Vernunft wollen, daß die Gleichberechtigung der Anderen nur aus Klugheit gewollt wird. Ich behaupte, die Kategorie »Mittel« wird hier falsch verwendet. Die Anderen als gleichberechtigt anerkennen wollen, ist nicht Mittel zu etwas – »Mittel« verstanden als etwas, das wir in Anspruch nehmen oder auch nicht in Anspruch nehmen können, das also von uns ablösbar ist, sondern integraler Teil unseres Willens zum Diskurs. Wenn dieser Teil wegfiele, bliebe von uns nichts übrig, was derart wäre, daß es vernünftig etwas anderes als Mittel verwenden könnte, ein komplettes Subjekt. – Wieder scheint mir, daß die Formulierung »wir wollen den Diskurs immer schon als das Gespräch, das wir sind«, das Bedenken entschärfen kann. – Insgesamt laufen unsere Argumente darauf hinaus, daß hinter dem Willen zum Diskurs und zur wechselseitigen Anerkennung der Diskursteilnehmer als gleichberechtigt keine prudentiellen Motive, sondern sehr angemessene Motive stehen, nämlich Beweggründe im Sinne einer umfassenden durch praktische Vernunft dominierten Rationalität, und daß außerdem das damit verbundene Sollen (wegen der Unhintergehbarkeit des Willens zur Vernunft) durchaus den Charakter eines kategorischen Sollens hat. Damit zum letzten Einwand (2). Hier war der Hauptpunkt: Weil wir den Willen zur Moral nach der diskursethischen Konstruktion qua vernünftige Wesen nicht nicht haben können, kann damit kein Verdienst verbunden sein. Insofern geht es nicht um moralisches Wollen und Sollen. Was genau liegt hier vor? (i) Es geht um einen Willen, der sich am Ende als Wille zur Moral, zum moralisch Richtigen entpuppt. Es geht damit um einen Willen, der am Ende das Gute und Richtige will. (ii) Es ist kein prudentieller Wille, wie wir gerade gesehen haben.
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(iii) Es geht um einen Willen, auf den am Ende die ganze Moral zurückgeht. Diese wird durch ihn allererst etabliert. Insofern kann dieser Wille, der damit logisch vor der Moral liegt, nicht selbst als »moralisch« im engeren Sinne des Wortes bezeichnet werden, was in unserer Unterscheidung zwischen den beiden Stufen der Motivation schon zugegeben wurde. Allerdings sollte er nach den zuletzt getroffenen Feststellungen doch als »moralisch« im weiteren Sinne des Wortes angesehen werden. (iv) Der entscheidende Punkt ist jedoch: Es geht um einen Willen, der auf unserer ersten Stufe situiert ist und als solcher zunächst Wille zur Vernunft (zu einer von praktischer Vernunft dominierten umfassenden Rationalität) ist. Von diesem Willen aber gilt: Der Hinweis darauf, daß wir qua vernünftige Wesen den Willen zur Vernunft nicht nicht haben können, ist nicht in derselben Weise ein Einwand gegen diesen Willen, wie es der Hinweis darauf wäre, daß wir den Willen zu einer guten Tat aus bestimmten Gründen nicht nicht haben können. Der zweite Hinweis entwertet das, was er trifft, der erste dagegen nicht. Alles in Allem scheint mir die Diskursethik mit dem Problem der Motivation ganz gut zurecht zu kommen.
Siglen AA Immanuel Kant: Gesammelte Schriften (= Akademie-Ausgabe), Berlin 1900 ff. GMS Kant, Immanuel: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, in: AA IV.
Literatur Davidson, Donald (1984): Truth and Interpretation, Oxford. Habermas, Jürgen (1992): Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, Frankfurt am Main. Kuhlmann, Wolfgang (2002): Kant und die Transzendentalpragmatik, Würzburg. Wolff, Robert Paul (1973): The Autonomy of Reason, New York.
Freiwillige Selbstbindung aus Einsicht – ein moderner Modus moralischer Motivation Gertrud Nunner-Winkler
Vorbemerkung Einleitend werden zunächst Bezugspunkte moralischer Motivation aus philosophischer Sicht (1.) und Modelle der Verankerung von Moral in der Person aus psychologischer Perspektive (2.) skizziert. Im folgenden empirischen Teil geht es um Belege für die zentrale These: Freiwillige Selbstbindung ist ein moderner Modus moralischer Motivation. Anhand von Forschungen zum kindlichen Moralverständnis soll in einem ersten Schritt gezeigt werden, daß eine solche Motivstruktur tatsächlich existiert und für heute heranwachsende Kinder charakteristisch ist (3.). In einem zweiten Schritt wird dann an Daten eines Generationenvergleichs nachgewiesen, daß sich der Modus moralischer Motivation gewandelt hat: Die für vorauslaufende Generationen charakteristischen Modi einer frühen Bedürfnisüberformung bzw. des Aufbaus eines rigiden Überichs verlieren an Bedeutung und machen einer ich-näheren Motivstruktur Platz (4.). In einem letzten Abschnitt werden zwei Korrelate dieses Wandels benannt: Veränderungen im Moralverständnis und ein Wandel der sozialisatorischen Praxis(5.).
1. Der Bezugspunkt moralischer Motivation Die Erwägungen, die die Befolgung moralischer Normen motivieren, können sich an drei unterschiedlichen Bezugspunkten orientieren: am Glück des Handelnden, am ›Wohl und Wehe des Anderen‹, an der Verbindlichkeit des Gebotenen.
1.1 Bezug auf den Aktor Fast alle antiken Ethiken basieren auf der Grundüberzeugung, allein der Tugendhafte könne das wahre Glück erringen. So vertritt Plato in der Frage, ob irgend jemand auch ohne Strafandrohung noch gerecht handeln würde, und dies selbst dann, wenn er irrtümlich als ungerecht gelten würde und soziale Übel erleiden müßte, die These, daß eine gerechte Lebensführung sich stets auszahle: »Gerechtigkeit [besitzt] für die Seele dieselbe Funktion wie Gesundheit für den Körper:
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Jedes Unrecht tun schädigt die Seele des betreffenden Aktors und ist daher unklug«1. Bei Aristoteles ist Klugheit als moralisch-praktisches Urteilsvermögen am gelungenen Leben, am Glück ausgerichtet (vgl. Höffe, 2001, 72 f). Im Eudämonismus gelten die Verwirklichung moralischer Tugenden, die Erfüllung der Standespflichten und der Einsatz für das Glück anderer als geeigneter Weg zur Erlangung der Glückseligkeit. In der Stoa ist wahre Zufriedenheit nur durch ein Leben im Gehorsam gegen ein ›Naturrecht der Allvernunft‹ zu gewinnen. Auch in der frühen christlichen Tradition herrschte die Überzeugung, »der Aufstieg der menschlichen Seele zur göttlich-intelligiblen Welt« gelinge nur über Tugendhaftigkeit (Horn/Scarano, 2002, 94) und Thomas von Aquin bindet individuelles Glück an Gerechtigkeit (Horn/Scarano, 2002, 103). Diese auf eigene Glückshoffnungen bezogenen motivationalen Abstützungen von Moral erodierten. Innerhalb des christlichen Denkens spielte dabei Luthers Rechtfertigungslehre eine bedeutsame Rolle. Danach ist das Heil nicht durch gute Werke, sondern allein durch die Gnade zu erlangen, die Gott dem reuigen und gläubigen Sünder schenkt. Zwar bewährt sich der Glaube in tätiger Mitmenschlichkeit und erweist sich an der Erfüllung der je standesgemäßen Pflichten; das moralische Tun ist aber nicht mehr ein unmittelbarer Weg zur Seligkeit, sondern allein Ausdruck des heilverbürgenden Glaubens. Auch innerweltliche Diskurse unterhöhlten das antike Vertrauen in die Einheit von Tugend und Glück. Die klassische Nationalökonomie erarbeitete die Erkenntnis, daß die gesellschaftliche Wohlfahrt steigt, wenn jeder nur seinen eigenen Nutzen zu mehren sucht – aus private vices wurden somit public virtues. In der politischen Philosophie erklärte Machiavelli, die Ausbildung moralischer Charaktereigenschaften (etwa Reue, Barmherzigkeit und Menschlichkeit), die vordem als Konstituentien von Gerechtigkeit gegolten hatten, sei Torheit. Nicht tugendhaft zu sein, sondern zu scheinen sei für die Sicherung von Effizienz und Stabilität der Staatsorganisation entscheidend (vgl. Horn/ Scarano, 2002, 152). Mit seiner Metapher vom ›Kampf der Götter‹ hat Max Weber (1956) dieser neuen Erfahrung einer immer weniger überbrückbaren Ausdifferenzierung eigenständiger Wertsphären (Ökonomie, Politik, ›Lebenswelt‹) sinnfällig Ausdruck verliehen (vgl. dazu insbes. Berlin, 1992). Mit der modernen Trennung von Tugend und Glück wird moralische Motivation zum Problem (vgl. Patzig, 2000). Warum sollte der Tugendhafte auf mögliche Vorteile verzichten, wenn ihm dafür kein Lohn mehr winkt? Auf diese Frage gibt es in der Moralphilosophie zwei Antworten: um des Rechten willen oder um das Wohl des Anderen willen.
(Horn/Scarano, 2002, 23). Gegenüber diesem – im Gorgias begründeten – ›akteurrelativen Konsequenzialismus‹ (Horn/Scarano, 2002,23), in dem es nur um die Entlastung der eigenen Seele geht, sucht Plato in der ›Politeia‹ – unter Rekurs auf eine funktionalistische Konzeption des Guten – Gerechtigkeit auch als intrinsischen Wert auszuweisen (vgl. Horn/ Scarano, 2002, 26 f.). 1
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1.2 Bezug auf den Anderen Schopenhauers Moralphilosophie ist eine besonders scharfe Absage an alle selbstbezogenen Konzeptualisierungen moralischer Motivation. Seine Grundannahme lautet: »Egoismus und moralischer Wert einer Handlung schließen einander schlechthin aus« (1840/1968, 738). Als egoistisch gilt ihm nicht nur, wer auf direkte Belohnungen (»seine Ehre, seinen Ruf bei den Leuten, die Hochachtung irgendjemandes, die Sympathie der Zuschauer«) abzielt, sondern auch, wer danach strebt, »Maximen aufrechtzuerhalten, von deren allgemeiner Befolgung er sich einen Vorteil verspricht«, oder wer »an seiner eigenen Vervollkommnung arbeiten will« (1840/1968, 739). Damit distanziert Schopenhauer sich von der antiken wie von der Kantischen Ethik. Moralisch sei eine Handlung allein dann, wenn sie »zum Nutzen und Frommen eines anderen« geschieht, »sein Wohl und Wehe unmittelbar [als] Motivation« hat: »Mitleid, die Teilnahme am Leiden eines anderen […] ganz allein ist die wirkliche Basis aller freien Gerechtigkeit und aller echten Menschenliebe« (1840/1968, 740). Mitleid ist ein natürliches Faktum: es ist »ursprünglich und unmittelbar«, »eine unleugbare Tatsache […] ein letztes Fundament der Moral in der menschlichen Natur« (1840/1968, 745) 2. Auch neuere Mitleidsethiken knüpfen an natürliche Neigungen an. Für Nussbaum (2000) etwa gründen Mitmenschlichkeit, Gerechtigkeit und Tugendhaftigkeit im »mitfühlenden Vorstellungsvermögen« (2000, 160), in dem »schmerzvollen Gefühl, das sich einstellt, wenn eine andere Person leidet« (2000, 149), im »teilnehmenden Sich-Hineinversetzen in den Anderen« (2000, 150). Solche Identifikationen gelten als »erster Schritt für soziale Handlungen, die sich der Gerechtigkeit und Wohltätigkeit verschrieben haben« (2000, 152). Nussbaum anerkennt zwar die faktische Begrenztheit unseres mitleidbezogenen Vorstellungsvermögens: Wir haben eine Neigung, »denen am meisten Mitleid entgegenzubringen, mit denen wir uns leichter zu identifizieren vermögen« (2000, 151) – sei es, weil sie uns vertraut, sei es, weil sie uns ähnlich sind. Dieses Problem aber sei lösbar: Es gilt, die emotionale Entwicklung des Kindes durch Erzählungen zu kultivieren und das Vorstellungsvermögen durch Werke der Kunst zu fördern – so lasse sich die Mitleidsfähigkeit stärken und generalisieren.
Zugleich aber sei die Fähigkeit und Bereitschaft des Menschen, »das fremde Ich dem eigenen gleichzusetzen« (1840/1968, 803) nur metaphysisch zu verstehen: Die Individuen nämlich seien »bloße Erscheinung« (1840/1968, 809); in Wahrheit manifestiere sich »in allen Individuen dieser Welt […] nur eines und dasselbe in allen gegenwärtige und identische wahrhaft seiende Wesen« (1840/1968, 805). Diese metaphysische Auffassung des Mysteriums identifikatorischen Mitleids – dieser Glaube an eine basale Wesenseinheit aller Individuen – hebt allerdings die Distinktion zwischen Egoismus und Altruismus wieder auf: Wer zur »unmittelbaren Teilnahme« fähig ist, weil er den »Schein der Individuation« durchschaut und ihm »die anderen […] kein nicht-Ich, sondern Ich-noch-einmal sind« (1840/1968, 810), für den sind fremd- und selbstdienliches Handeln letztlich deckungsgleich. 2
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1.3 Bezug auf Moral Neben selbstbezogenen Glückshoffnungen und altruistischem Wohlwollen gibt es noch einen dritten – insbesondere von Kant betonten – Bezugspunkt moralischer Motivation: die Gültigkeit moralischer Gebote. Kant unterscheidet zwischen dem principium diiudicationis, i. e. der Richtschnur für das moralische Urteil, und dem principium executionis, i. e. der Triebfeder, die zum moralischen Handeln bewegt. Das Urteil orientiert sich an vernunftgeleiteten Gründen, die aber zum Handeln nicht bewegen können. Nur affektiv besetzte Gründe können handlungswirksam werden, nur Gefühle können Triebfedern für Handeln abgeben. Allerdings geht es dabei nicht um Gefühle, die der moralischen Beurteilung vorausliegen. Vielmehr entstehen sie erst aufgrund einer vorgängigen Bindung an Moral. Am Beispiel des Schuldgefühls macht Kant dies deutlich: »Nun muß man doch die Wichtigkeit dessen, was wir Pflicht nennen […] vorher schätzen, um den bitteren Verweis, wenn man sich dessen Übertretung vorwerfen kann, zu fühlen. Man kann also diese […] Seelenunruhe nicht vor der Erkenntnis der Verbindlichkeit fühlen und sie zum Grunde der letzteren machen. Man muß wenigstens auf dem halben Wege schon ein ehrlicher Mann sein, um sich von jenen Empfindungen auch nur eine Vorstellung machen zu können« (KpV 38) Mit anderen Worten: »Nur dort, wo ein moralisches Gefühl auf der Basis des vorgängigen Einnehmens eines moralischen Standpunktes entsteht, bietet es die Gewähr dafür, daß es lediglich zu moralischen Handlungen motiviert. Kants Achtungsgefühl scheint diese Gewähr zu geben aufgrund einer internen Relation […] einer semantischen Relation zwischen dem propositionalen Gehalt des Gefühls und dem Prinzip. Kants Achtungsgefühl ist nicht nur durch das moralische Gesetz […] verursacht, sondern es ist als ›Achtung fürs Gesetz‹ auch intentional auf dieses Gesetz gerichtet« (Köhl, 1993, 151).
2. Die Verankerung moralischer Motivation in der Person In der philosophischen Debatte geht es um den Bezugpunkt, in der psychologischen Forschung um die persönlichkeitsstrukturelle Verankerung von moralischer Motivation. Die vorfindlichen Ansätze lassen sich den unterschiedenen Bezügen zuordnen: Wohl des Aktors, Wohl des Anderen, Normgeltung.
2.1 Bezug auf den Aktor In der behavioristischen Theorietradition ist die Bereitschaft zur Normbefolgung Produkt der Konditionierungsgeschichte. Ausgangspunkt für die klassische Konditionierung ist eine angeborene Reaktion auf einen bestimmten Stimulus (z. B. Speichelfluss beim Anblick von Nahrung). Nach mehrmaliger Darbietung eines neuen Stimulus (z. B. Glockenton) in zeitlich-räumlicher Kontingenz mit dem ursprüngli-
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chen, reicht dieser allein hin, um die Reaktion auszulösen. Dieser zunächst in Tierexperimenten (z. B. in Pawlow’s Hund) erforschte Lernmechanismus läßt sich sozialisationstheoretisch übersetzen. Erfährt das Kind bei einem Vergehen eine sofortige Züchtigung, »würden wir erwarten, daß Konditionierung stattfindet, so daß von da an dieser bestimmt Typus von Aktivität von einer konditionierten Furchtreaktion gefolgt wäre. Nach einigen Wiederholungen sollte diese Furchtreaktion stark genug sein, um das Kind davon abzuhalten, diesem Typus von Aktivität wieder nachzugehen« (Eysenck, 1964, 143 f., zit. nach Herzog, 1991, 53). Diese Erziehungspraxis übersetzt moralische Normen in Klugheitsregeln, die an das Interesse an Strafvermeidung appellieren. In Skinners Worten: »If you tend to avoid punishment, avoid stealing« (1971, 109, zit. nach Herzog, 1991, 74). Die Freud’sche Theorie läßt sich als Verallgemeinerung und Verinnerlichung dieses behavioristischen Lernmechanismus‹ lesen. Der Knabe entwickelt eine affektive Beziehung zur Mutter und erwählt sie als Liebesobjekt. Gleichzeitig identifiziert er sich mit dem Vater, an dessen Machtfülle er teilhaben will. Der Vater wehrt den inzestuösen Wünschen des Knaben, was dieser als Kastrationsdrohung erlebt. In der Folge wandelt sich seine Identifikation mit dem Vater in den Wunsch, ihn zu beseitigen. In dieser oedipalen Situation steht der Knabe »vor der Alternative, entweder seinen Triebwunsch zu befriedigen und dabei den Penis zu verlieren, oder den Penis zu behalten, dann aber seinen Triebwunsch aufgeben zu müssen. Dieser Konflikt wird normalerweise zugunsten des Penis entschieden« (Herzog, 1991, 114). Mit der Errichtung der Inzestschranke verinnerlicht der Knabe die Identifikation mit dem Vater. Das Ich gehorcht nicht aus Vernunft sondern aus Angst – die Strafe des Überichs ist eine »Fortbildung der Kastrationsstrafe« (Freud, 1926, 270): »Wie das Kind unter dem Zwange stand, seinen Eltern zu gehorchen, so unterwirft sich das Ich dem kategorischen Imperativ seines Überichs« (Freud, 1923, 315). In der Weiterentwicklung der traditionellen psychoanalytischen Theorie zur Psychologie des Selbst (vgl. u. a. Wolf, 1993, Kohut, 1973, 1979) wird betont, daß Normkonformität nicht nur negativ, sondern auch positiv motiviert ist. Dann geht es nicht mehr allein darum, der Rache des strafenden Überichs zu entgehen, sondern auch darum, das eigene Selbstwertgefühl zu erhalten. Dazu bedarf es der ständigen Zufuhr von Spiegelung, von Erfolg und Selbstbestätigung. Ein Weg ist die Ausbildung von Idealen, sofern diese eine Art nach innen genommener Selbstbespiegelung ermöglichen: Werte vermitteln die Erfahrung, erhoben zu werden und vermögen so das Selbstwertgefühl zu steigern – nicht wegen ihrer intrinsischen Werthaftigkeit oder ihres Wahrheitsgehaltes, sondern allein wegen ihres Beitrags zur Selbststabilisierung werden sie also geschätzt. »Alle möglichen Verhaltensweisen von Freundlichkeit, Mitleid und Rücksichtnahme […] können in den Dienst der Aufrechterhaltung der nötigen Selbstobjekt-Erfahrungen gestellt werden […]. Der Angelpunkt (bleibt) das ichbezogene Eigeninteresse« (Wolf, 1993, 168). Neuere rational choice Erklärungen für das Phänomen, daß manche Personen auch ohne konkreten Nutzen bzw. trotz äußerer Kosten moralisch handeln, entsprechen dieser Interpretationsstrategie. Postuliert wird ein ›inner warm glow feeling‹ (Andreoni,
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1990), auf das der normkonform Handelnde abziele. Während allerdings die behavioristischen und die psychoanalytischen Ansätze eher ichferne Kausalerklärungen für moralische Konformität abgeben, beschreibt die rational choice Theorie ein ichnahes (wenngleich amoralisches) Modell bewußter Kosten-/Nutzen-Kalkulation.
2.2 Der Bezug auf den Anderen Die Altruismusforschung sucht Empathie und Mitleid als zentrale Quelle sozialer Handlungen nachzuweisen. Ob es solch genuin am Wohle Anderer orientierte Motive überhaupt gibt, ist allerdings umstritten. So werden Gegeninterpretationen vorgetragen, nach denen das eigentliche Ziel altruistischer Handlungen die Aufhebung des Unbehagens sei, das wir angesichts der Not anderer Menschen empfinden. Schon Mandeville hatte erklärt, daß wir, wenn wir ein kleines Kind vor dem Feuer retteten, »uns nur selber einen Gefallen damit tun, denn es hineinfallen zu sehen und nichts dagegen getan zu haben, hätte uns einen Schmerz bereitet, den zu vermeiden uns schon die Selbsterhaltung zwingt« (zit. nach Hunt, 1992, 21). Dies entspricht neueren psychologischen Denkansätzen. Aus psychoanalytischer Sicht handeln Menschen altruistisch, um eigene Schuldgefühle zu kompensieren (Rosenhan et al., 1981, 237, vgl. Hoffman, 1982, Krebs, 1982) oder Lustgewinn zu erzielen (Anna Freud, 1946). Und experimentalpsychologische Forschungen belegen, daß Menschen helfen, weil es ihnen dann besser geht (Manucia et al., 1984), weil sie nach Anerkennung oder Reputationsgewinn streben, oder sich Selbstbestrafung zu ersparen suchen (Batson, 1987). Auch die Soziobiologie verfolgt eine solch reduktionistische Argumentationsstrategie. Ihre Grundannahme lautet: »Eine vorherrschende Eigenschaft, die wir bei einem erfolgreichen Gen«, d. h. bei einem Gen, das in einer »Welt intensiven Existenzkampfes überlebt« hat, »erwarten müssen, (ist) ein skrupelloser Egoismus« (Dawkins, 1996, 25). Dieser ist mit begrenztem Altruismus kompatibel. Neben dem reziproken Altruismus, der auf künftige Gegenleistungen rechnet, findet sich insbesondere der verwandtschaftliche Altruismus, bei dem ein Einzelorganismus eigene Überlebensvorteile in genau dem Umfange opfert, wie dies die Überlebenswahrscheinlichkeit der in einem verwandten Organismus inkorporierten eigenen Gene erhöht. Schließlich gilt: »Der einzelne Körper, der uns auf unserem Planeten so vertraut ist, brauchte nicht zu existieren. Die einzige Einheit, die existieren muß, damit irgendwo im Universum Leben entsteht, ist der unsterbliche Replikator« (Dawkins, 1996, 419). Was also auf der Ebene des Individuums als altruistische Selbstaufopferung erscheint, ist in Wahrheit nur das egoistische Geninteresse am Selbsterhalt.3 Auch wenn das Sprachspiel differiert und die objektivierende Sichtweise des allwissenden Beobachters beansprucht (und nicht die Perspektive des nach Einsicht strebenden Betrof3
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Soweit scheinbar altruistisches Handeln letztlich eigennutzorientiert wäre, ist es dem selbstbezogenen Modell moralischer Motivation zuzurechnen. Allerdings greift das in diesen Ansätzen unterstellte Bild vom Menschen als bloßem Nutzenkalkulator zu kurz. Studien belegen, daß die meisten Menschen auf die Not anderer mit Einfühlung reagieren: In Befragungen geben sie an, Mitgefühl zu empfinden und diese Selbstberichte werden durch psychophysische Beobachtungen (z. B. Gesichtsausdruck, Puls, Leitfähigkeit der Haut) gestützt (Eisenberg/Strayer, 1987). Auch ließ sich experimentell nachweisen, daß einfühlsame Personen in Notsituationen fremdnützige Handlungen wählen und nicht bloß – unaufwendiger – die eigenen Gefühle zu entlasten suchen, indem sie etwa das Feld verlassen oder die Bedürftigkeit oder Würdigkeit des Notleidenden leugnen (Batson, 1987). Es gibt also echten Altruismus, i. e. Verhalten, das – absichtsvoll und bewußt – eher die Bedürfnisse Anderer als die eigenen berücksichtigt. Auch Oliner/Oliner (1988) fanden bei ihrer Analyse der Motive, die Personen bewegten, im Dritten Reich Juden zu retten, neben religiösen Glaubensvorstellungen und moralischen Überzeugungen Mitleid und Mitgefühl. Dabei unterschieden sich Retter und Nichtretter am deutlichsten in der Extensität ihres emotionalen Engagements. i. e. der Fähigkeit und Bereitschaft, sich nicht nur in Mitglieder der engeren Wir-Gruppe, sondern auch in Menschen außerhalb der Eigengruppe einzufühlen.
2.3 Bezug auf Moral Normbefolgung ist nicht nur an Konsequenzen – für den Aktor, für andere – sondern auch intrinsisch an der Geltung der Normen orientiert. Dabei lassen sich drei Modi der persönlichkeitsstrukturellen Verankerung solch direkt moralbezogener Motivstrukturen unterscheiden – die Internalisierung vorfindlicher Normen in Form eines kontrollierenden Überichs; die Überformung schon der Bedürfnisstruktur selbst durch frühe, nicht bewußt vollzogene Anpassungen an normative Erwartungen; die ich-nahe Selbstbindung an Moral. Überich. Gemäß der oben (2.1) dargestellten funktionalistischen Interpretation psychoanalytischer Ansätze tut einer – selbstbezogen – das Gebotene, um der Strafe der inneren Sanktionsinstanz zu entgehen. Scham- oder Schuldgefühle können aber
fenen eingenommen wird) – der Sache nach ist die soziobiologische Argumentationsfigur durchaus mit Schopenhauers metaphysischer Konstruktion vergleichbar: »Wer für sein Vaterland in den Tod geht, ist von der Täuschung freigeworden, welche das Dasein auf die eigene Person beschränkt: er dehnt sein eigenes Wesen auf seine Landsleute aus, in denen er fortlebt, ja auf die kommenden Geschlechter derselben, für welche er wirkt […]. Der, welcher in allen anderen […] sein eigenes Wesen, sich selbst erblickte […], der verliert durch den Tod nur einen kleinen Teil seines Daseins: er besteht fort in allen anderen, in welchen er ja sein Wesen und sein Selbst stets erkannt und geliebt hat, und die Täuschung verschwindet, welche sein Bewußtsein von dem der übrigen trennte« (Schopenhauer, 1840/1968, 811 f.).
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auch eine bloß indikative Bedeutung besitzen: Die Person tut – moralbezogen – das Gebotene, weil sie dies als verbindlich erachtet. Gleichwohl würde sie – sollte sie fehlen – Scham oder Schuld empfinden. Diese Differenz zwischen der funktionalistischen und der indikativen Interpretation moralbezogener Emotionen kommt besonders klar in Aristoteles’ Analyse der Bedeutung von Scham zum Ausdruck: »Der Anständige wird keine Scham brauchen, da sie sich nur auf schlechte Taten bezieht und diese wird er eben nicht tun […]. Schlecht ist aber der, der fähig ist, etwas Schändliches zu tun. Unsinnig ist es, sich so zu verhalten, daß man sich schämen wird, wenn man etwas derartiges tut und dann zu glauben, man sei darum anständig. Denn man schämt sich über freiwillige Taten. Freiwillig aber wird der Anständige nie etwas Schlechtes tun« (1952, 151). Ähnlich argumentiert Kant am Beispiel von Schuldgefühlen (vgl. 1.3) Nicht jeglicher Verweis auf Überich-Sanktionen indiziert also einen selbstbezogenen Modus moralischer Motivation. Er kann auch einen moralbezogenen Modus signalisieren, der allerdings dem Überich-Modell entspricht, wobei das Überich für die ›introjizierte Vater- oder Elternautorität‹ steht. Kants Vorstellung vom ›inneren Gerichtshof im Menschen‹ ähnelt Freuds Modell einer rigiden Überich-Kontrolle: »Jeder Mensch hat Gewissen und findet sich durch einen inneren Richter beobachtet, bedroht und überhaupt in Respekt [mit Furcht verbundener Achtung] gehalten […]. [Das] Gewissen hat nun das Besondere in sich, dass, obzwar dieses sein Geschäfte ein Geschäfte des Menschen mit sich selbst ist, dieser sich doch durch seine Vernunft genötigt sieht, es als auf das Geheiß einer anderen Person zu betreiben« (MdST, 438). Spezifisch für dieses Modell ist also die Aufspaltung der Person in eine »zwiefache Persönlichkeit, in welcher der Mensch, der sich im Gewissen anklagt und richtet, sich selbst denken muss [als] Kläger und doch auch Angeklagter« (MdST, 439). Den ›inneren Richter‹, den ›Kläger‹ konstruiert Kant als ›idealische Person‹: »Da nun ein solches moralisches Wesen zugleich alle Gewalt [im Himmel und auf Erden] haben muss, weil es sonst nicht [was doch zum Richteramt notwendig gehört] seinen Gesetzen den ihnen angemessenen Effekt verschaffen könnte, ein solches über alles machthabende moralische Wesen aber Gott heißt: so wird das Gewissen als subjektives Prinzip einer vor Gott seiner Taten wegen zu leistenden Verantwortung gedacht werden müssen« (MdST, 439). Diese Konzeptualisierung moralischer Motivation zeigt, daß bei Kant – wiewohl er die Moralphilosophie verinnerweltlicht und auf menschliche Autonomie gegründet hat – noch der Nachhall einer religiösen Einbettung von Moral mitschwingt: Letztlich weiß sich der Mensch gegenüber einer höheren Autorität rechenschaftspflichtig, die – als innere Kontrollinstanz – der eigenen Person, dem Ich, übergeordnet ist. Es-Überformung. Konstitutiv für das Modell der Überich-Kontrolle ist die bewußte Erfahrung eines Konfliktes zwischen Normen und abweichenden Impulsen. Dieser ist im Modell der frühen Bedürfnisüberformung, das insbesondere Parsons detailliert ausgearbeitet hat, überbrückt: Von Anbeginn an wird dem Neugeborenen eine ›Rolle‹ zugewiesen: »The behavior of adults towards him is not like the behavior towards purely physical objects but is contingent on his behavior and very soon what are interpreted to be his expectations« (1964, 209). Der ‘von Natur aus‹
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abhängige, plastische und vor allem bindungsfähige Säugling entwickelt eine affektive Bindung an die Bezugsperson, d. h. zunehmend werden ihm nicht nur ihre konkreten Versorgungshandlungen, sondern auch die dahinterstehenden Haltungen wichtig. Diese – so beginnt er zu erkennen – sind von seinem eigenen Verhalten abhängig. Um die Zuwendung der für ihn so bedeutsamen Bezugsperson nicht zu verlieren, orientiert er sein Verhalten an ihren Erwartungen: Er entwickelt ein System von »need dispositions towards the fulfillment of role expectations« (1964, 32). Allgemeiner formuliert: »To act in conformity becomes a need disposition in the actor’s own personality structure relatively independently of any instrumentally signifant consequences of that conformity« (1964, 37). Konformität mit herrschenden Normen und Standards wird also zu einem persönlichen Bedürfnis des Aktors. Am Beispiel der Geschmacksbildung läßt sich dieses Modell gut illustrieren. Wer in einer westlichen Gesellschaft aufgewachsen ist, wird – ganz ›natürlich‹ – einen starken Ekel schon bei dem bloßen Gedanken an den Verzehr von Hundefleisch empfinden; es bedarf erst eines Blicks auf andere Kulturen, etwa auf die chinesische, um – reflexiv – zu erkennen, daß die eigene ›spontane‹ Reaktion Produkt kultureller Prägungserfahrungen ist. Der unterstellte Lernmechanismus läßt sich als Internalisierung und Verallgemeinerung der operanten Konditionierung interpretieren. Diese setzt an spontan vom Organismus intiierten Verhaltensweisen an und belohnt selektiv die erwünschten bzw. schrittweise die sich zunehmend an das erwünschte Verhalten annähernden Reaktionen. So wird das Verhalten sukzessive überformt und im Ergebnis zwanglose Konformität mit den Erwartungen erzeugt. Nicht nur Parsons, auch andere seiner Zeitgenossen haben Sozialisation nach genau diesem Modell konzeptualisiert. So etwa beschreibt Fromm die Einpassung der Heranwachsenden in die je vorfindliche Gesellschaftsstruktur als Bildung eines ›Gesellschafts-Charakters‹. Dieser »hat die Funktion, die Energie der einzelnen Mitglieder der Gesellschaft so zu formen, daß ihr Verhalten nicht von der bewussten Entscheidung abhängt, ob sie sich nach dem gesellschaftlichen Modell richten wollen oder nicht, sondern daß sie so handeln wollen, wie sie handeln müssen, und daß es ihnen gleichzeitig eine gewisse Befriedigung gewährt, wenn sie sich den Erfordernissen ihrer Kultur entsprechend verhalten« (1955, 60). Nur wenn es gelinge, einen ›inneren Trieb‹ zu Erreichung der gesellschaftlich dominanten Ziele zu befördern, sei gesellschaftliche Kontinuität zu sichern. Auch Norbert Elias beschreibt in seiner Analyse der Individualgenese nicht nur die Entwicklung bewusster ›Selbstzwänge‹ (i. e. »beständige Selbstkontrolle und ein stabiles Überich«, 1978, 368), sondern auch den Aufbau einer ›Gewohnheitsapparatur‹ (i. e. »eine automatische, zur selbstverständlichen Gewohnheit gewordene Triebregulierung und Affektzurückhaltung« (1978, 343). In dem Maße, in dem diese sich verselbständigen, »erhalten die Triebautomatismen […] eine geschichtslose, eine reine ›naturale‹ Eigentümlichkeit, den Charakter des Unbewussten« (1978, 391), mit der Folge, daß »der soziale Charakter der Verbote ganz aus dem Bewusstsein schwindet« und die gesellschaftlichen Normen »ganz als Gebote des eigenen Inneren« erscheinen (1978, 403).
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Im Überich- und Es-Überformungsmodell sind Normen und Erwartungen extern vorgegeben und werden dem Individuum oktroyiert. Bei Freud allerdings sind abweichende Impulse (wie bei der klassischen Konditionierung) bewußtseinsfähig – das ›Ärgernis der Gesellschaft‹, das ›Unbehagen an der Kultur‹ bleibt erfahrbar. Bei Parsons hingegen wird Konformität (wie bei der operanten Konditionierung) ›zwanglos‹ erreicht: Die frühe Erfahrung rein kontingenter Liebeszuwendung hat schon die spontane Bedürfnisstruktur so stark überformt, daß Konformität zur ›zweiten Natur‹ geworden ist und abweichende Impulse oder gesellschaftliche Zwänge gar nicht mehr bewusst erlebt werden. Freiwillige Selbstbindung. In diesem Modell steht das Ich im Zentrum. Es beschreibt, was Freud als Hoffnung für therapeutische Heilerfolge konzipiert (zum folgenden vgl. Herzog, 1991, 128ff): »Dem Ich des Kranken die Freiheit schaffen […] sich so oder anders zu entscheiden« (Freud, 1923a, 317, Anm. 1), und ihm »die Herrschaft über verlorene Bezirke des Seelenlebens wiedergeben« (1940, 32). Dabei geht es um die Stärkung des Ich in doppelter Hinsicht: »Wo Es war, soll Ich werden« und das Ich soll »vom Überich unabhängiger« werden (1933a, 516). Diese Unabhängigkeit vermag das Ich bei Freud nur zu gewinnen, wenn die mühsamen Versuche der Befreiung von der ungezähmten Triebhaftigkeit des Es und dem Diktat eines früh aufgebauten übermächtigen Überich gelingen. Im (weniger deterministischen) Selbstbindungsmodell wird sie ihm von Anfang an zugeschrieben. Frankfurt (1988, 1993) beispielsweise unterscheidet in seinem Stufenmodell der Willensformation zwischen first und second order desires. Second order desires entstehen aufgrund wertender Stellungnahmen, durch die die Person bestimmt, welche aus der Fülle vorfindlicher spontaner Impulse und Bedürfnisse (first order desires) sie sich zu eigen machen und von welchen sie sich distanzieren möchte. Den Willen identifiziert Frankfurt mit den jeweils handlungswirksamen Bedürfnissen. Daraus ergibt sich das Konzept der second order volitions, i. e. der Wunsch, daß der Wille durch spezifische Bestrebungen bestimmt werde. Eine solche Bindung des Willens an Bestrebungen, die zu verraten man sich nicht bringen kann, ist personkonstitutiv. Dabei handelt es sich um eine willentlich bejahte Unfähigkeit, die Frankfurt an Luthers Diktum »Hier stehe ich, ich kann nicht anders« erläutert. Natürlich hätte Luther widerrufen können, aber er wollte nicht. Wer keine solchen Willensbindungen aufbaute, wem also egal wäre, welcher seiner spontanen Impulse sich jeweils faktisch durchsetzt, der wäre bloßer Spielball punktueller Begierden. Sein Wille wäre ganz und gar durch zufällige Umstände determiniert und nicht durch seinen Wunsch, eine bestimmte Person zu sein oder ein bestimmtes Leben zu führen: »Es fehlte ihm die persönliche Substanz […]. Es gibt nichts, was er wirklich ist. Was er ist, jeweils, ist bloß zufällig« (Frankfurt, 1993, 116f). Frankfurt hat beliebige, vom Individuum selbst gewählte und gewollte Werte im Auge; sein Modell aber – so soll gezeigt werden – läßt sich auch auf moralische Selbstbindung übertragen.
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2.4 Hypothesen Im folgenden sollen drei Thesen empirisch belegt werden: 1. Bezugspunkt für moralische Motivation ist weder der Aktor noch der Andere. Moralische Motivation bezieht sich vielmehr – nonkonsequenzialistisch – auf die Verbindlichkeit des Gesollten. 2. Sozialhistorisch hat sich ein Wandel in der Art der Verankerung der moralischen Motivation in der Persönlichkeit durchgesetzt. Das Überich- und das Es-Überformungsmodell treten gegenüber dem ich-näheren Selbstbindungsmodell zurück. 3. Dieser Wandel ist Korrelat von Veränderungen sowohl im Moralverständnis wie in den Sozialisationspraktiken. Ich beziehe mich dabei insbesondere auf die Ergebnisse von zwei Studien. Im Kontext von LOGIK, einer Längsschnittuntersuchung interindividueller Unterschiede in der Entwicklung von Fähigkeiten und Persönlichkeitsmerkmalen, an der ca. 200 (in etwa) repräsentativ ausgewählte Kinder von 4 Jahren an bis zum Alter von 17 Jahren teilnahmen (Weinert/Schneider 1999), konnte ich die Entwicklung von moralischem Wissen und moralischer Motivation erheben. In KOHORT, einem Vergleich von je 100 20- bis 30-, 40- bis 50- und 65- bis 75jährigen repräsentativ ausgewählten Probanden, habe ich Normwissen und die Struktur moralischer Motivation erfaßt.
3. Freiwillige Selbstbindung bei Kindern 3.1 Das kindliche Normverständnis Moralisches Wissen wurde in LOGIK wie folgt erfaßt: Im Alter von 4, 6 und 8 Jahren wurden den Kinder Bildgeschichten vorgelegt, in denen der (geschlechtsgleiche) Protagonist4 in Versuchung gerät, eine einfache moralische Regel zu übertreten (einem anderen Kind Süßigkeiten zu entwenden; das eigene Getränk mit einem durstigen Bittsteller nicht zu teilen; einen zu Unrecht erhaltenen Preis mit dem benachteiligten Kind nicht zu teilen; einem anderen Kind in einem Wettbewerb Hilfe zu verweigern). In der Versuchungsituation wurden Regelkenntnis und –verständnis exploriert (Darf man die Süßigkeiten wegnehmen oder nicht? Sollte man teilen/helfen, oder braucht man das nicht? Warum? Warum nicht?). Dabei zeigte sich: Bereits mit 4 Jahren wissen so gut wie alle Kinder (98%), daß man nicht stehlen darf. Sätestens mit 6 bis 8 Jahren glauben die meisten (zwischen 85 bis 95%) auch, daß man in den vorgelegten Situationen teilen und helfen sollte. In ihren Begründungen benennen nur sehr wenige Kinder (über alle Geschichten und Um der einfacheren Lesbarkeit willen werden im folgenden Testgeschichten und exemplarische Antworten nur in der männlichen Form berichtet 4
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Altersstufen hinweg maximal 12%) Sanktionen, d. h. Vor- oder Nachteile, die dem Täter aus seinem Tun erwachsen (z. B. Mutter/Lehrerin lobt/tadelt; die anderen Kinder mögen/mögen ihn nicht, teilen/helfen das nächste Mal auch/auch nicht). Mit Ausnahme der Getränkegeschichte bringen die allermeisten Kinder deontologische Erwägungen vor, i. e. sie verweisen auf die Tatsache, daß es eine Norm gibt (z. B. stehlen darf man nicht; man sollte teilen/helfen) oder geben negative Bewertungen der Tat oder des Täters ab (z. B. das/der ist böse/unfair). Nur wenige (zwischen 2 bis 18%) beziehen sich auf die Bedürfnisse des ›Opfers‹ – des bestohlenen, benachteiligten oder hilfsbedürftigen Kindes (z. B. sonst ist der traurig; der will auch einen Preis). In der Getränkegeschichte hingegen führen über 2/3 der jüngeren und noch immer fast 1/3 der älteren Kinder die Bedürfnisse des Bittstellers als Begründung für die Verpflichtung zu teilen an (z. B. »sonst verdurstet der«). Das Normverständnis der Kinder also ist – intrinsisch, i. e. sie verstehen, daß Normen eine kategorische Verbindlichkeit genießen, die nicht an autoritäre Setzung oder Strafandrohung gebunden ist.5 – situationsspezfisch differenziert. Trotz der Oberflächenähnlichkeit zwischen den beiden Geschichten, in denen es ums Teilen geht, machen die Kinder klare Unterschiede: In der Getränkegeschichte rekurrieren sie auf die Bedürftigkeit des Bittstellers, in der Preisgeschichte hingegen verweisen sie auf die vorauslaufende Ungerechtigkeit, die nicht hinzunehmen ist. – prima facie gültig: Auch den negativen Pflichten schreiben Kinder eine nur unter Normalbedingungen zwingende Gültigkeit zu. Dies wurde (im Alter von 10 bis 11 Jahren) anhand des folgenden Szenarios überprüft: ›Alle haben vereinbart, am Morgen nach dem Fest gemeinsam aufzuräumen. (Protagonist) erwägt, nicht hinzugehen, weil er lieber etwas anderes (z. B. Fußballspielen) täte, bzw. weil er auf dem Weg ein kleines Kind trifft, das sich verirrt hat und das er nachhause bringen will. Ist es in Ordnung, wenn (Protagonist) nicht zum Aufräumen geht?‹ Es herrschte fast vollständiger Konsens: So gut wie alle Kinder verurteilten den Bruch des Versprechens, wenn er um hedonistischer Bedürfnisse willen begangen wurde, hielten ihn aber für geboten, wenn es um die Hilfeleistung für das verirrte Kind ging. Wie ein Proband erklärte: »Es ist schlimmer, wenn das Kind und seine Eltern sich ängstigen als wenn die anderen Kinder ein bißchen mehr aufräumen müssen. Die werden das verstehen, sie würden in dieser Situation genauso handeln«. Mit dieser Begründung sind die für ein modernes Moralverständnis konstitutiven Moralprinzipien von Unparteilichkeit und Schadensminimierung explizit ausbuchstabiert. Noch Kant etwa schrieb den negativen als ›vollkommenen‹ Pflichten eine ausnahmslose Gültigkeit zu: Nicht einmal den Mörder dürfe man belügen, um das Leben des eigenen Freundes zu retten, denn Dieses Ergebnis deckt sich mit Befunden von Turiel (1983) und Nucci/Turiel (1993). Es widerspricht jedoch Kohlbergs Beschreibung des präkonventionellen Niveaus, nach der Kinder glaubten, Normen gälten, weil sie von Autoritäten gesetzt und mit Sanktionen ausgestattet sind. 5
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»jeder Mensch hat […] die strengste Pflicht zur Wahrhaftigkeit in Aussagen, die er nicht umgehen kann: Sie mag nun ihm selbst oder anderen schaden. Er selbst tut […] hiermit dem, der dadurch leidet, eigentlich nicht Schaden, sondern diesen verursacht der Zufall« (LüG). Marquard (1981) folgend läßt sich diese Erläuterung lesen als ein – letztlich von Gottvertrauen getragenes – Verständnis für das »Verfügte, Verhängte: für das, was man gerade nicht wählen, machen, anders machen kann, sondern was einen unverfügbar […] trifft« (1981, 68). Einer modernen Weltauffassung – der das »Schicksal zum Machsal« (1981, 67) geworden ist, entspricht dies nicht mehr: Die »gesinnungsethische Maxime […] – religiös geredet –: Der Christ tut Recht und stellt den Erfolg Gott anheim« hat der verantwortungsethischen Platz gemacht: »daß man für die [voraussehbaren] Folgen seines Handelns aufzukommen hat« (Weber, 1956, 175)
3.2 Die Entwicklung moralischer Motivation Nachdem das Regelverständnis erfragt worden war, wurde gezeigt, daß der Protagonist die Norm übertritt (er entwendet die Süßigkeit; teilt/hilft nicht). Die Testfrage für moralische Motivation lautete: Wie fühlt er sich? Warum? Die Idee, moralische Motivation durch eine Emotionszuschreibung zu einem hypothetischen Übeltäter zu operationalisieren, ist aus einem kognitivistischen Emotionsverständnis abgeleitet, nach dem Emotionen zwar rasche und globale, gleichwohl aber kognitiv gehaltvolle Urteile über die subjektive Bedeutsamkeit eines Sachverhalts darstellen (Solomon 1976, Montada 1993). Mit ihrer Emotionszuschreibung können die Kinder anzeigen, welchem der zwei zugleich auf den Protagonisten zutreffenden Sachverhalte sie höheres Gewicht beimessen – daß er eine Norm übertreten, oder daß er sein Bedürfnis befriedigt hat. Es zeigte sich: Die meisten der 4- bis 5jährigen (fast 80% bei der Diebstahlgeschichte) erwarten, daß der Protagonist sich nach der Regelübertretung gut fühlen werde.6 Dies ist ein überraschendes Ergebnis. Ältere Kinder und Erwachsene erwarten, daß sich schlecht fühlen werde, wer sich eines Vergehens schuldig gemacht hat (Zelko u. a., 1986). Aus diesem Grunde haben Beate Sodian und ich überprüft, ob es sich um einen robusten Befund handelt und in kleineren Querschnittuntersuchungen mögliche Erklärungen getestet (Nunner-Winkler/Sodian, 1988). So könnte sein, daß jüngere Kinder jedem, dem nicht unmittelbar Schlimmes widerfahren ist, eine positive Grundgestimmtheit unterstellen. So legten wir eine Geschichte vor, in der der Protagonist der Diebstahlversuchung widersteht. Wie fühlt er sich? »Schlecht, weil er die Süßigkeiten nicht hat«. Es könnte sein, daß Kinder von der Im Interviewverlauf sieht das etwa so aus: VL: Darf man die Süßigkeiten nehmen, oder darf man das nicht? Pd: Nein, stehlen darf man nicht, das ist ganz gemein, das ist echt unfair. VL: (Protagonist) hat die Süßigkeiten genommen. Keiner hat’s gesehen. Wie fühlt er sich? Pd: Gut, die Süßigkeiten schmecken Klasse, weißt Du. 6
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konkreten Handgreiflichkeit der Verlockung stärker beeindruckt sind als von einer abstrakten Norm oder daß sie das Entwenden von Süßigkeiten als bloßes Kavaliersdelikt abtun. So legten wir ein gravierendes Vergehen ohne persönlichen Profit vor: Der Protagonist stößt ein anderes Kind, das er ärgern will, von der Schaukel – er selbst will nicht schaukeln, weil ihm davon schlecht wird. Wie fühlt er sich? »Gut – es ist schön, wenn man den bluten sieht«. Dieser Anschein geballter Unmoral führte uns zu der Vermutung, Kinder verstünden moralbezogene Emotionsworte nicht richtig. So fragten wir, wie ein Protagonist sich fühle, der beobachtet, wie ein anderes Kind sich verletzt – »Schlecht, weil der sich weg getan hat« (i. e. Kinder kennen Mitleid), der selbst versehentlich ein anderes Kind verletzt – »Schlecht, das wollte er nicht« (sie kennen Reue) und schließlich, der das Kind verletzt, das er ärgern will – »Gut, dem hat er’s richtig gezeigt« . Die kindliche Verwendung von Emotionsbegriffen läßt sich also wie folgt verstehen: Kinder erwarten, daß sich gut fühle, wer erfolgreich tut, was er will (z. B. das Kind verletzt, das er ärgern will) und schlecht fühle, wer nicht tut, was er will (z. B. die Süßigkeiten nicht nimmt, die er haben will) oder tut, was er nicht will (z. B. ein anderes Kind versehentlich verletzt). In diesen Reformulierungen zeigt sich die zunächst nur theoretisch abgeleitete Affinität zwischen Emotionszuschreibungen und eigenem Wollen. Der Zusammenhang konnte auch experimentell belegt werden: Kinder, die im Alter von 6 bis 7 Jahren über alle Geschichten hinweg dem hypothetischen Übeltäter konsistent eine negative Emotion zugeschrieben hatten, widerstanden signifikant häufiger der Versuchung, um eines Preises willen zu mogeln bzw. in einem Gruppenkonflikt die eigenen Interessen rücksichtslos durchzusetzen (Asendorpf/Nunner-Winkler, 1992). Sofern die Emotionszuschreibungen zu einem hypothetischen Übeltäter (zumindest bis etwa zum Alter von 6 bis 7 Jahren) in der Tat moralische Motivation indizieren, lassen sich an den Begründungen negativer Emotionen ablesen, welche Erwägungen aus Sicht der Kinder moralisches Handeln anleiten. Dabei zeigt sich: Weder Sanktionsangst oder Nutzenkalküle noch aber Mitleid haben eine große Bedeutung. Über alle Geschichten und Altersstufen hinweg benannten höchsten jeweils 18% der Kinder Konsequenzen für den Täter bzw. für das Opfer. Geschichtenunabhängig geben die meisten Kinder deontologische Begründungen: Der Übeltäter fühlt sich schlecht, weil was er tat, unrecht oder falsch war, weil er hätte anders handeln sollen, weil er sich als Bösewicht erwies. Diesen Ergebnissen zufolge ist moralische Motivation – intrinsisch, d. h. es ist ein Bestreben, das Rechte zu tun, nicht um Nachteile (z. B. Strafe, soziale Ablehnung, Vergeltung mit Gleichem) zu vermeiden, oder Vorteile (z. B. Lob, soziale Akzeptanz bzw. Reputation, Gegenleistungen) zu erringen, sondern weil es das Rechte ist. – formal. Was in moralischen Konflikten jeweils das Rechte ist, muss in einem abgetrennten konkret kontextbezogenen Urteilsprozess je situativ ermittelt werden: In der Getränkegeschichte gilt es zu teilen, weil der Bittsteller sonst litte, in der Preisgeschichte, weil Ungerechtigkeit intolerabel ist. Diese inhaltlichen Un-
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terschiede in den Begründungen für das moralisch Gebotene spiegeln sich in der Motivstruktur nicht wider: Auch in der Getränkegeschichte ist Teilen nicht durch Empathie oder Mitleid motiviert, sondern durch die Anerkennung der Verbindlichkeit des Gebotenen, kantisch gesprochen, durch Achtung vor dem Gesetz.7 – ein second order desire. Dieses Konzept läßt sich an den Antworten zur Helfergeschichte erläutern: ›Die Kinder backen um die Wette Plätzchen. Ein Kind weiß nicht, wie es geht, und bittet (1. Protagonist), es ihm zu zeigen. Dieser aber will sich nicht stören lassen. Da wendet sich das Kind an (2. Protagonisten). Der hilft‹. Erfragt werden Emotionszuschreibungen zum Helfer und Nichthelfer. Etwa 1/5 der Antworten der 6- bis 7jährigen entsprach einem moralischen Attributionsmuster (Helfer fühlt sich gut, weil er half, Nichthelfer schlecht, weil er hätte helfen sollen), etwa ¼ einem unmoralischen (Helfer fühlt sich schlecht, weil er eine geringe, Nichthelfer gut, weil er eine hohe Leistung erbracht hat). Die meisten Antworten aber spiegeln ein ›heile Welt‹-Verständnis wider: Jeder fühlt sich gut, weil er tat, was er wollte – der Helfer, weil er half, der Nichthelfer, weil er eine hohe Leistung erbrachte. Nun ist, aus Neigung anderen zu helfen, zweifellos ›gut‹. Moralische Motivation aber läßt sich daran nicht sicher ablesen. Diese ist erst verbürgt, wenn einer das Gebotene tut, nicht nur wenn er gerade Lust dazu hat, sondern auch dann, wenn es seinen spontanen Neigungen zuwiderläuft. Moralische Motivation ist also ein second order desire. Es setzt die Bereitschaft und Fähigkeit voraus, zu spontanen Impulsen und Bedürfnissen Stellung zu nehmen und nur gemäß jener zu handeln, die mit den eigenen willentlichen Selbstfestlegungen verträglich sind. Mit Marcia Baron (1984) läßt sich moralische Motivation als Filter verstehen, der nur akzeptable Impulse passieren läßt.
3.3 Intrinsische Motivation und Selbstbindung Die vorgetragenen Ergebnisse seien kurz mit den einleitend diskutierten Fragen nach dem Bezugspunkt (1) und der persönlichkeitsstrukturellen Verankerung (2) moralischer Motivation verknüpft. (1) Bezug moralischer Motivation. Die meistens der Kinder, die bereits moralische Motivation aufgebaut haben,8 beziehen sich in ihren Begründungen negativer
Der Interviewverlauf sieht etwa so aus: VL: Soll (Protagonist) sein Getränk teilen, oder braucht er das nicht zu tun? Warum? Pd: Er soll teilen – sonst verdurstet der. VL: (Protagonist) hat nicht geteilt, wie fühlt er sich? Pd: Schlecht, weil sie was abgeben sollte und tut’s nicht/weil er denkt, daß es doch besser wäre, daß er ihm auch was abgibt/weil sie doch was Unrechtes getan hat/weil er was Schlechtes getan hat. 8 Eine hohe moralische Motivation haben im Alter von 6 Jahren 35%, im Alter von 8 Jahren 38%, eine niedrige mit 6 Jahren immer noch 58% und mit 8 Jahren 35% der Probanden; der Rest hat eine mittelhohe moralische Motivation. 7
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Emotionserwartungen weder auf das Wohl des Aktors noch des Opfers, sondern direkt auf die Moral – auf die Gültigkeit der Norm bzw. auf das zugefügte Unrecht. Dieses intrinsische Motivverständnis wird – als Bestandteil des moralischen Wissenssystems – auch von den moralisch weniger interessierten Kindern geteilt.9 Als rein formale Bereitschaft das jeweils als richtig Erkannte zu tun, ist die Motivstruktur an das Urteilsvermögen zurückgebunden: Einmal ist ein gegebenes Versprechen trotz entgegen stehender Bedürfnisse zu halten, das andere Mal ist es zu brechen, wenn allein so (unparteilich bewerteter) größerer Schaden abwendbar ist. (2) Verankerung in der Person. Die Daten stimmen am besten mit dem Selbstbindungsmodel zusammen. Danach erwächst die Bereitschaft zur Normbefolgung weder aus der Unterwerfung unter eine rigide kontrollierende Überich-Instanz noch aus frühen Habitualisierungsprozessen. Gegen das Überich-Modell spricht der Nachweis, daß die Kinder die Emotionszuschreibungen auf das Wollen beziehen. Wenn sie also erwarten, ein Protagonist werde sich schlecht fühlen, weil er Unrecht tat, so impliziert dies, daß er das nicht wollte. Für diese Interpretation spricht auch, daß sie zur Bezeichnung negativer Emotionen Überich-Konzepte spät und selten verwenden: ›Schämt sich‹ taucht erst ab 6 bis 7 Jahren, ›hat ein schlechtes Gewissen‹ erst ab 8 bis 9 Jahren und dann bei weniger als 10% der Befragten auf. Das häufigste Emotionswort bei den jüngeren Kindern ist ›traurig‹ (vgl. Hascher, 1994, 89f). Aus der Sicht von Erwachsenen ist die Verwendung des Wortes ›traurig‹ in einem moralischen Kontext ungewöhnlich. Sie drückt aber die Ichnähe der Bereitschaft zur Normbefolgung aus: Traurig ist der, dem eigene Pläne fehlschlagen, bzw. hier: der – obwohl er moralisch handeln will – einer Versuchung erliegt; ein schlechtes Gewissen hingegen empfindet, wer – sei es von anderen, sei es vom eigenen Überich – vorgegebene Erwartungen nicht erfüllt. Auch enthält sie den unmittelbaren Objektbezug: Traurig ist man über einen Sachverhalt, nicht über sich. Mit anderen Worten: Im Gegensatz zu den selbstbezogenen Emotionen ›Scham‹ und ›Schuld‹ (ich schäme mich, ich fühle mich schuldig), fokussieren Reue und Bedauern auf die Tat und deren schädigende Folgen für andere (vgl. Taylor, 1985). Gegen das Es-Überformungsmodell, also die Annahme einer frühen, größtenteils vorbewußten soziokulturellen Prägung der Bedürfnisnatur, spricht die Tatsache, daß die Kinder den Widerspruch zwischen Normen und Bedürfnissen explizit erleben: Quasi ›schamlos‹ erwarten die jüngeren Kinder ja, daß, wer eine von ihnen sehr wohl als gültig anerkannte Norm übertritt, Freude über den erzielten Gewinn empfinden werde. Im Alter von 9 bis 10 Jahren wurde folgende Frage vorgelegt: ›Warum sollte man tun, was richtig ist?‹ Die Antworten waren vorgegeben. Dabei wählten 43% die Vorgabe ›Weil man gerecht und fair sein will‹, 31% ›Weil man anderen nicht weh tun will‹, 8% ›Weil man Regeln befolgen soll‹. Nur 19% wählten selbstdienliche Gründe (17% ›Weil man beliebt sein will‹; 2% ›Damit man nicht bestraft wird‹). 9
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Die Entwicklung des kindlichen Moralverständnisses läßt sich demnach wie folgt beschreiben: In einem ersten Schritt erwerben Kinder – universell und früh – ein Wissen um moralische Normen. Erst in einem zweiten Lernprozess entwickeln Kinder – differentiell und verzögert – den Wunsch, diese Normen auch selbst zu befolgen.10 Im Falle einer Übertretung empfinden moralinteressierte Kinder ichnahe Emotionen wie Reue und Bedauern; überich-bezogene Emotionen wie Scham und Schuld werden erst in höherem Alter und auch dann nur selten benannt.11 Auch im weiteren Entwicklungsverlauf läßt sich das Selbstbindungsmodell bestätigen. Im Alter von 17 Jahren wurden zur Erfassung der Motivation moralische Konflikte vorgegeben. Erfragt wurden – jeweils mit Begründungen – die eigene Handlungsentscheidung samt emotionaler Reaktion, sowie die emotionale Reaktion in der Gegenrolle des ›Opfers‹. Um dies an einem Beispiel zu erläutern: ›Stell Dir vor, Du willst Dein Mofa verkaufen. Der 1. Kunde handelt Dich um 50,- DM runter; dann erklärt er »Ich muß schnell mein Geld holen, in 20 Minuten bin ich wieder da«. Du bist einverstanden. In der Zwischenzeit kommt ein 2. Kunde, der den vollen Preis zu zahlen bereit ist. Was tust Du? Warum? Wie fühlst Du Dich? Warum? Stell Dir vor, Du wärest der 1. Kunde und wie Du mit dem Geld zurückkommst, erfährst Du, daß der Verkäufer das Mofa schon dem 2. Kunden gegeben hat‹. Zwei
Die verzögerte Entwicklung moralischer Motivation erklärt auch die Differenz zu Kohlbergs Beschreibung des präkonventionellen Niveaus: Kohlberg legte moralische Dilemmata vor und erfragte Handlungsempfehlungen (Was soll Protagonist tun?). Bevor Kinder der Moral jedoch persönliche Bedeutung zuschreiben, orientieren sie ihre Antworten an Klugheitserwägungen (Er soll tun, was ihm am meisten nutzt/am wenigsten schadet), auch wenn sie durchaus um die intrinsische Gültigkeit der Normen wissen. 11 Es ist bemerkenswert und läßt sich als Bestätigung der vorgetragenen Ergebnisse und Interpretationen lesen, daß für den Aufbau von Leistungsmotivation ein vergleichbarer Entwicklungsverlauf dokumentiert wurde (vgl. Heckhausen, 1985, Geppert/Heckhausen, 1990). Experimentelle Studien zeigen, daß Kinder zunächst Werkstolz empfinden, i. e. sie betrachten mit Freude das gelungene Produkt eigener Aktivitäten (etwa den erfolgreich mit Bauklötzen errichteten Turm). Selbstbezügliche und selbstbewertende Emotionen wie Stolz und Scham (i. e. die Kinder wenden den Blick von dem eigenen Werk ab und schauen dem Experimentator triumphierend ins Gesicht oder senken beschämt den Blick) treten erst später auf. Bereits Werkstolz aber setzt die Kenntnis der relevanten Standards (i. e. Höhe und Stabilität des Turmes) notwendigerweise voraus. Eine weitere Übereinstimmung mag man in der ›formalen Struktur‹ beider Motive sehen: Eine hohe Leistungsmotivation wird früh aufgebaut und passt sich dann inhaltlich an die je anstehenden Anforderungen in den individuell je für zentral erachteten Domänen an (z. B. zunächst ist es wichtig, gut lesen oder Tennis spielen zu können, dann wird es wichtig, gute Examina abzulegen oder renommierte Turniere zu gewinnen). Diese Offenheit der Leistungsmotivation gegenüber sich wandelnden Erfordernissen entspricht der Rückbindung der moralischen Motivation an das je kontextbezogene Urteilsvermögen. 12 Dabei ergab sich eine hohe Übereinstimmung, deren Validität sich auch anhand anderer Daten stützen ließ. Eine detaillierte Darstellung der Vorgehensweise (im Kontext einer 10
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unabhängige Rater stuften die Stärke der moralischen Motivation ein.12 Die Einstufung sei an zwei charakteristischen Antwortmustern illustriert: – Niedrige Motivation: ›(›Was tun?‹): Ich würde es schon dem zweiten verkaufen – das täte jeder, das ist normales Marktverhalten. Er ist selber schuld – warum hat er das Geld nicht gleich mit gebracht? (›Fühlen?): Gut, das war ein gutes Geschäft. (›Fühlen in Gegenrolle?‹): Stinksauer, schließlich hat er versprochen, das Mofa für mich aufzuheben‹. Die niedrige Einstufung begründet sich vor allem durch die Asymmetrie: In der Opferrolle nimmt der Proband – strategisch – die Geltung moralischer Normen für sich in Anspruch, die er in der Täterrolle ausblendet oder leugnet – damit verletzt er das moralkonstitutive Grundprinzip der Unparteilichkeit. – Hohe Motivation: ›(›Was tun?‹): Ich würde es aufheben, schließlich habe ich es ihm versprochen. (›Fühlen?‹): Schlecht, für mich ist das eine Menge Geld, ich hätte es ihm nicht zusagen sollen‹. (›Fühlen in Gegenrolle?‹): Helle Empörung (s. oben). Die zweite Antwort spricht gegen die (insbesondere in rational choice Ansätzen) verbreitete Annahme, das Rechte tue der Tugendhafte, um ein inneres Glücksgefühl zu erzielen. Zwar ist sicherlich wahr, daß er sich schlecht fühlen würde, handelte er falsch; dies aber wäre Folge, nicht Grund seines Handelns. Er tut das Rechte im vollen Wissen um die Kosten, weil er sich nicht dazu bringen kann, seine moralische Selbstbindung zu verraten.13
4. Soziohistorischer Wandel in der Struktur moralischer Motivation Den KOHORT-Probanden wie auch den 17jährigen LOGIK-Teilnehmern wurde ein Vergehen vorgelegt (KOHORT: Testamentsunterschlagung; LOGIK: Fundunterschlagung) und sie wurden gebeten, anzugeben, wie sie sich fühlen würden, hätten sie dieses Vergehen begangen. Sodann hatten sie (gemäß dem Q-sort-Verfahren, vgl. Block, 1961) 36 auf einzelnen Kärtchen abgedruckte vorgegebene Reaktionen auf
anderen Studie) findet sich in Nunner-Winkler et al., 2006. Im Ergebnis wurden von den LOGIK-Probanden 35% als hoch, 40% als mittel und 25% als niedrig motiviert eingestuft. 13 Diese Interpretation wird durch eine Untersuchung von Oser/Reichenbach (2000) bestätigt. Probanden sollten in einem fiktiven Scheidungsprozeß in der Rolle eines Anwalts das Interesse der Mutter an den Kindern vertreten, wiewohl sie aufgrund von Geheiminformationen wussten, daß diese sehr unzuverlässig war und die Kinder lieber zum Vater wollten. Probanden, die das Wohl der Kinder über das eigene Interesse am Berufserfolg gestellt hatten, fühlten sich hinterher niedergeschlagen, verunsichert, mit sich selbst unzufrieden. Von dem in rational choice Theorien propagierten ›inner warm glow feeling‹ kann also keine Rede sein.
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die 6 Kategorien einer Skala (die von 1 ›ich könnte genau so empfinden‹ bis 6 ›so könnte ich überhaupt nicht empfinden‹ reichte) genau gleich zu verteilen.14 Die Reaktionen sollten unterschiedliche Motivstrukturen operationalisieren: Angst vor göttlichen/externen/sozialen Sanktionen (z. B. ›Da hätte ich Angst vor einer Strafe Gottes/das könnte gegen mich verwendet werden/da hätte ich Angst, daß meine Freunde sich von mir abwenden‹),Bezug auf Überich-Sanktionen (z. B. ›Da hätte ich ewig Gewissensbisse‹), auf Es-Überformung (z. B. ›Schon der bloße Gedanke ist abstoßend‹) sowie freiwillige Selbstbindung (z. B. ›Das ist so unrecht, daß das für mich schwer vorstellbar wäre‹) und amoralische Orientierungen (z. B. ›Es ginge mir ganz gut damit‹). Die Analyse zeigte: Von allen wurden offen amoralische Reaktionen abgelehnt (Durchschnittswert zw. 4–5); die Besorgnis um innerweltliche Sanktionen hingegen wurde eher akzeptiert (Durchschnittswert zw. 3–4). Unterschiede zeigten sich bei der Furcht vor religiösen Sanktionen, bei Überich-Reaktionen und bei den Indikatoren für Es-Überformung – diese Vorgaben wurden von den älteren Befragten deutlich stärker als von den jüngeren akzeptiert. Eine Faktorenanalyse bestätigt diese Ergebnisse. Es ergaben sich folgende 5 – in der Reihenfolge abnehmender Erklärungskraft angeordnete – Faktoren (die insgesamt ca. 45% der Varianz erklären): (1) Ablehnung amoralischer Erwägungen und Akzeptanz von Überich-Sanktionen; (2) Orientierung an innerweltlichen externen oder sozialen Sanktionen; (3) Es-Überformung; (4) Bezug auf religiöse Sanktionen; (5) Bezug auf ichnahe Selbstbindung. Die ältesten Befragten erzielten die höchsten Werte auf den Dimensionen ›religiöse Sanktionen‹ und ›Es-Überformung‹ (Faktoren 3 und 4); die beiden mittleren Generationen wiesen besonders hohe Werte auf der Dimension ›Überich‹ (Faktor 1) auf, wobei sich insbesondere die 20- bis 30jährigen zusätzlich von der Dimension einer habitualisierten Konformitätsdisposition (Faktor 3) klar distanzierten. Die LOGIK-Probanden lehnten ›religiöse Sanktionen‹ und ›Es-Überformung‹ (Faktoren 3 und 4) am stärksten ab und erzielten die höchsten Werte auf der Dimension ›Selbstbindung‹ (Faktor 5). (eine detaillierte Darstellung findet sich in Nunner-Winkler (2004). Über die Generationen hinweg vollzieht sich also ein Wandel in der prototypischen Motivstruktur von einer religiös geprägten und quasi unhinterfragbar in der Person verankerten ›spontanen‹ Konformitätsdisposition über die bewusste Unterwerfung unter Überich-Kontrollen hin zu einer eher freiwilligen Selbstbindung aus Einsicht. Einige offene Antworten mögen diesen Wandel illustrieren. Charakteristisch für das Modell einer frühen Es-Überformung ist die totale Unvorstellbarkeit eigener Regelübertretung. Diese kommt im folgenden Zitat einer Probandin aus der ältesten Kohorte gut zum Ausdruck:
Dieses Verfahren unterläuft die Tendenz, nur sozial erwünschte Antworten abzugeben und erzwingt einen sorgfältig abwägenden Vergleich jeder Reaktion mit allen anderen, wodurch auch Differenzen in den mittleren Kategorien bedeutungsvoll sind. 14
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»Ich hätt’s ja erst gar nicht gemacht. Wenn’s aber nun – würde ich mich sehr elend fühlen und als ob jeder einem das ansieht; ist ja schrecklich; schuldbewußt auf jeden Fall und Scham und einfach auch Angst weiter zu leben. Also Angst, auch das Gefühl, jeder sieht Dir das an. Du bist jetzt, Du hast irgendwas Schlimmes gemacht. Also man ist nicht mehr sich selbst, sondern – also ich kann mir das gar nicht – also das ist ja schlimm. Also ich find’s ganz schrecklich und würd‹ mich auch entsprechend fühlen und weiß nicht, ob ich noch mal richtig lachen könnte oder froh sein«. Die folgende Reaktion eines älteren Befragten belegt ein klares Wissen um gesetzte, im Überich verankerte Normen: »Ich hätte ewig Gewissensbisse – bin absolut verpflichtet, meines Vaters letzten Willen zu respektieren und dawider zu handeln, ist eine Sünde«. In beiden Antworten geht es primär um die Folgen für die eigene Person. (»Jeder sieht’s einem an; ob ich noch mal richtig lachen könnte«; »Ich hätte ewig Gewissensbisse«) und um die pünktliche Befolgung vorgegebener Normierungen (»Irgendwas Schlimmes gemacht«; »Sünde«). Eher ichnah sind die beiden folgenden von jüngeren Befragten gegebenen Antworten: »Nach meiner Auffassung würde ich dazu eigentlich keine Fähigkeit aufbringen können, keine Entschlußkraft besitzen, so was zu tun, weil das für mich ein doppelter Vertrauensmißbrauch ist. – Das könnte ich mir eigentlich gar nicht vorstellen. Wenn ich’s denn gewesen wäre, also ich denke, ich hätte mich überhaupt nicht wohl gefühlt und irgendwann hätte ich vielleicht doch –«. »Ich würde denken, das kann doch nicht sein, daß ich der Frau das Geld wegnehme. Sicher, für mich wäre 400 Mark schon viel, aber die braucht es ja nötiger als ich. Aber ich kann das doch nicht tun. – Und wenn ich’s doch gemacht hätte, dann würd‹ ich überlegen, ob ich’s doch zum Fundbüro bringe«. In beiden Reaktionen kommt die Selbstbindung zum Ausdruck (»Ich würde keine Fähigkeit dazu aufbringen«, »Das kann doch nicht sein; das kann ich doch nicht tun«). In beiden Überlegungen zielt die Begründung auf den Unrechtsgehalt der Tat (»Das ist ein doppelter Vertrauensmißbrauch«; »Die braucht das Geld nötiger als ich«). Im Zentrum steht also die Einsicht in die Richtigkeit des Gebotenen; die Fokussierung auf die Tat (statt auf das eigene Selbst) legt den Wunsch nahe, das begangene Unrecht wieder gut zu machen (»Irgendwann hätte ich vielleicht doch – «; »Dass ich es doch zum Fundbüro bringe«).
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5. Freiwillige Selbstbindung als Korrelat von soziokulturellem Wandel Die zunehmende Ersetzung ichferner Modi moralischer Motivation durch eine an das moralische Urteilsvermögen gekoppelte, willentlich bejahte Selbstbindung an Moral ist Korrelat einschneidender Veränderungen sowohl im Moralverständnis wie in den Erziehungspraktiken.
5.1 Wandel im Moralverständnis In der 2. Hälfte des vorigen Jahrhunderts hat sich ein Wandel von eher rigiden, religiös oder naturrechtlich fundierten Moralvorstellungen hin zu einer flexibel prinzipiengeleiteten Vernunftmoral vollzogen. Kern dieses Wandels ist die Umstellung im Begründungsmodus moralischer Normen. Nicht länger wird Moral aus Vorgegebenem – aus dem Willen Gottes oder dem Wesen der Natur – abgeleitet, vielmehr gründet sie in »unser aller Wollen« (Tugendhat 1993). Erst allmählich also, mit deutlicher Verzögerung, wird so das kantische Prinzip autonomer Selbstgesetzgebung im Alltagsbewußtsein eingeholt und zugleich im Zuge von Säkularisierungsprozessen noch radikaler verinnerweltlicht. Diese Umstellung, für die Rawls‹ Modell der Konsensfindung unter dem Schleier der Unwissenheit einen besonders einleuchtenden Rekonstruktionsvorschlag liefert, hat weitreichende Auswirkungen auf inhaltliche Moralvorstellungen. Sofern wir – innerweltlich – Pflichten einander nur wechselseitig auferlegen können, gilt es, jedermanns Zustimmung zu gewinnen. Kernprinzip ist somit die basale Gleichachtung Aller. Die Umsetzung dieser Aufklärungsidee in die reale Gewährung gleicher Rechte wurde in langen historischen Auseinandersetzungen erst allmählich erkämpft: Die Gleichberechtigung auch der Schwarzen und auch der Besitzlosen wurde Mitte des 19., die der Frauen im Verlaufe des 20. Jahrhunderts durchgesetzt; gegenwärtig geht es um die Rechte von Kindern. Sofern – unter dem Schleier der Unwissenheit – alle individuellen und kulturspezifischen Besonderheiten unberücksichtig bleiben, werden Fragen des guten Lebens dem persönlichen Entscheidungsfreiraum der Individuen anheim gestellt (für den – soweit Dritte nicht geschädigt werden – Toleranz gefordert ist) und von einer universell verpflichtenden (Minimal)Moral klar unterschieden.15 Auch setzt sich die Idee der Zulässigkeit von Ausnahmen selbst von Kants vollkommenen (i. e. negativen) Pflichten durch16 – das geteilte Interesse Aller an einer (unparteiBei 22 von 25 vorgelegten Vignetten, die Normen der Familien- und Geschlechterordnung sowie gegenüber dem politischen und dem religiösen System etc. thematisierten, fanden sich große und hochsignifikante Generationsunterschiede. Beispielsweise verurteilten 70% der ältesten Probanden (im Vergleich zu nur 10% der jüngsten) Homosexualität strikt als ›sündhaft‹, ›krankhaft‹, ›ekelerregend‹. Die meisten jüngeren hingegen urteilten etwa wie folgt: ›Das ist denen ihre Sache‹, ›wo die Liebe hinfällt‹ (vgl. Nunner-Winkler/Nikele 2001) 16 Auch dies spiegelt sich in den KOHORT-Daten wider: Etwa doppelt so viele der jüngsten 15
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lich beurteilten) innerweltlichen Schadensvermeidung gewinnt Vorrang vor dem pünktlichen Gehorsam gegenüber den – nach traditionellem Verständnis von höheren Autoritäten erlassenen – Geboten. Mit diesem Wandel in den inhaltlichen Moralvorstellungen gewinnt der Modus ichnaher Selbstbindung an Bedeutung. Dieses Modell nämlich erlaubt eine umfassendere Rückbindung von Handlungsentscheidungen an das Urteilsvermögen. Diese ist vor allem deshalb wichtig, weil die Legitimierbarkeit von Ausnahmen oder die genaue Grenzziehung zwischen persönlichem Freiraum und universell gültigen Verpflichtungen in konkreten Situationen häufig strittig ist. In solchen Kontroversen gilt es im Blick auf (fallible und sich aufgrund des raschen Wandels der Wissenssysteme auch verändernde) Folgenerwartungen sowie deren (in pluralistischen Gesellschaften legitimerweise differierenden) Bewertungen zu ›öffentlich rechtfertigbaren‹ Lösungen (Gert, 1988) zu kommen. Eine solch kontextbezogene Flexibilität ist aber sowohl im Überich- wie im Es-Überformungsmodell schwer möglich: Die früh übernommenen Normierungen sind individuell kaum revidierbar, da sie entweder im Überich fest verdrahtet oder mit der ›spontanen‹ Präferenzstruktur unauflöslich verschmolzen sind.17
5.2 Wandel in den Sozialisationspraktiken Im letzten Jahrhundert haben sich weitreichende Veränderungen in den Erziehungsvorstellungen und –praktiken vollzogen. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts ist in Repräsentativbefragungen die Nennung von ›Selbstständigkeit und freier Wille‹ als wichtigstes Erziehungsziel deutlich gestiegen (von 28% 1951 auf 56% 1987), während die Nennung von ›Gehorsam und Unterordnung‹ stark abgenommen hat wie der ältesten Probanden (fast 70% vs. knapp 35%) betteten offen erfragte Beispiele unmoralischen Verhaltens in konkrete Kontextbezüge ein und signalisierten somit, daß Ausnahmen zulässig sein könnten (z. B. ›Jemandem etwas wegnehmen, der selbst nichts hat‹ vs. ›stehlen‹). Und deutlich mehr der jüngeren als der älteren Probanden, die ein vorgegebenes Verhalten verurteilten, erklärten auf entsprechende Nachfragen, daß sie sich eine Situation vorstellen könnten, in der sie anders urteilen würden (z. B. Ausnahme zur Verurteilung der Unterlassung von Müllsortierung? ›Wenn die alt und gebrechlich sind‹, ›wenn man bei Mülltransport mehr Benzin verfährt als das Sortieren an Umweltentlastung bringt‹ vs. ›dafür sind die Container da‹, ›Ordnung muss sein‹, ›wenn das so sein soll, soll man’s machen, das bringt sonst das System durcheinander‹; vgl. Nunner-Winkler/Nikele 2001) 17 Diesem Flexibilitätsgewinn inhäriert allerdings auch das Risiko möglicher Fehlurteile, die dann – ggf. mit hohem moralischen Engagement – zum Schaden Dritter ausagiert werden können. Ein Beispiel: Der ehemalige RAF Terrorist Werner Lotze erklärte: »Ich habe ja mit der RAF ein Ziel verfolgt. Das war eine konkrete Gesellschaftsform, die charakterisiert wird durch Stichworte wie: keine Kriege, keine Armut, Gerechtigkeit, soziale Gleichheit. Und auf dem Wege dahin habe ich geglaubt, daß es gerechtfertigt ist, daß es notwendig ist, Menschen zu töten« (Interview ›Die Zeit‹ vom 23.1990).
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(von 25% auf 9%) (Reuband, 1988, 79). Auch in LOGIK zeigte sich, daß die Eltern den Erziehungszielen ›verantwortlich‹, ›unabhängig‹, ›selbstbewusst‹. ›lebensfroh‹ eine sehr hohe, den Zielen ›höflich‹, ›ausdauernd‹, ›ordentlich‹ hingegen eine deutlich geringere Bedeutung beimaßen (Nunner-Winkler, 2000).18 Nach modernen pädagogischen Vorstellungen stehen die Gleichachtung des Kindes, die explizite Begründung der moralischen Verbote (die sich nur noch auf die Kernnormen einer vernunftbegründeten Minimalmoral beziehen) und eine – fast egalitäre – Aushandlung im Falle von Interessenkonflikten im Zentrum. Diese erzieherische Haltung ermöglicht eine freiwillige Bindung an genau jene Normen, deren Sinn auch dem Kind bereits verständlich gemacht werden kann, und deren Unabdinglichkeit für ein gedeihliches Zusammenleben es selbst erkennt. Die klassische Pädagogik hingegen setzte eher auf Dressur, Disziplinierung und Unterwerfung, um die Befolgung der (aus heutiger Sicht teilweise willkürlich anmutenden) Normen notfalls auch repressiv zu erzwingen. Solche Sozialisationspraktiken befördern eher den Aufbau eines rigiden Überich-Diktats oder eine früh habitualisierte Anpassungsbereitschaft. Zur Illustration des tiefgreifenden Wandels in den erzieherischen Vorstellungen sei abschließend exemplarisch die Empfehlung eines führenden Pädagogen Mitte des 19. Jahrhunderts zitiert: »Zu den Ausgeburten einer übel verstandenen Philantropie gehört auch die Meinung, zur Freudigkeit des Gehorsams bedürfe es der Einsicht in die Gründe des Befehls und jeder blinde Gehorsam widerstreite der Menschenwürde […] Werden Gründe mitgeteilt, so weiß ich überhaupt nicht, wie wir noch von Gehorsam sprechen können. Wir wollen durch solche die Überzeugung herbeiführen und das Kind, welches endlich diese gewonnen hat, gehorcht nicht uns, sondern eben nur jenen Gründen; an die Stelle der Erfurcht gegen eine höhere Intelligenz tritt die selbstgefällig Unterordnung unter die eigene Einsicht. Der Erzieher, welcher seine Befehle mit Gründen begleitet, räumt zugleich Gegengründen eine Berechtigung ein und damit wird das Verhältnis zum Zögling verschoben. Dieser betritt das Feld der Unterhandlungen und stellt sich dem Erzieher gleich; mit solcher Gleichheit verträgt sich aber keineswegs die Ehrfurcht ohne welche keine Erziehung gedeihen kann« (Kellner, 18523 zit. nach Rutschky, 2001, 8. Aufl. 172).
Der Beginn des Wandels reicht noch weiter zurück. Dies zeigen Berichte persönlicher Erinnerungen. Für das Jahr 1920 etwa erinnern um die 80% der damals 14jährigen, daß in ihrer Familie sehr viel Wert auf ›gute Manieren‹ und ›Pünktlichkeit‹ gelegt wurde. Für das Jahr 1980 berichten dies weniger als 40% (Reuband, 1988). Zugleich ist die Zahl derer, die angeben, daß sie keinen Einfluß auf Familienentscheidungen nehmen konnten, von über 50% 1910 auf unter 20% 1950 gesunken (Reuband, 88). Daraus läßt sich schlussfolgern, daß die 68er Debatten um eine ›schwarze Pädagogik‹ den Liberalisierungsprozess der Erziehung weniger ausgelöst als vielmehr vor allem reflexiv ins öffentliche Bewusstsein gehoben – und dadurch allerdings vermutlich nochmals verstärkt – haben. 18
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Kant und Habermas über das principium executionis moralischer Handlungen Konstantin Pollok
Der Titel dieses Aufsatzes könnte den Verdacht nahelegen, hier würden inkommensurable Größen gegeneinander abgewogen. Zu heterogen erscheinen zumindest prima facie Kants und Habermas’ Theorien moralischer Motivation. Habermas sucht zwar hinsichtlich der Charakteristika ›deontologisch‹, ›kognitivistisch‹, ›formalistisch‹ und ›universalistisch‹ eine enge Anbindung seiner Diskurstheorie der Moral an die Kantische Ethik1, ausgerechnet das im gegenwärtigen Zusammenhang relevante dritte Hauptstück der Kritik der praktischen Vernunft »Von den Triebfedern der reinen praktischen Vernunft« läßt er aber unberücksichtigt. Hier mag sich in Habermas’ Augen die Verwechslung des »autonomen Willen mit dem omnipotenten« besonders drastisch zeigen, derenthalben Kant diesen autonomen Willen ins »Reich des Intelligiblen« (Habermas, 1991, 110) versetzte. Anstelle einer mit dieser metaphysisch-hintergründigen Zwei-Welten-Lehre belasteten Ethik beabsichtigt Habermas ja gerade die Konzeption einer ›nachmetaphysischen‹ Moraltheorie für die »Welt, wie wir sie kennen«, in der »der Wille Wirksamkeit nur in dem Maße [erlangt], wie sich die Motivationskraft guter Gründe gegen die Macht anderer Motive durchsetzen kann.« (Ebd.) Deshalb ist in Habermas’ »Universalisierungsgrundsatz« schließlich die Rede von den »Interessen eines jeden Einzelnen« 2. Auf den neben diesem Metaphysikvorwurf zweiten zentralen (und mit dem ersten verbundenen) Vorwurf des Subjektivismus – »Kant [hat] das moralische Bewußtsein im intelligiblen Ich des einzelnen Subjekts verankert« (Habermas, 1991, 97) – werde ich noch zurückkommen.3 Habermas scheint nicht nur kein Interesse am Kanti-
Vgl. dazu u. a. Habermas (1991, 11 ff.). Habermas (1983, 75). Vgl. aber auch seine spätere Erweiterung dieses Interessebegriffs im Sinne von »Interessenlagen und Wertorientierungen« (1996, 60) sowie schließlich die darüber noch hinausreichende Erweiterung durch den Begriff der »einschlägigen Ansprüche« (1999, 301); vgl. dazu auch Gottschalk-Mazouz (2002, 96 f.). 3 Habermas faßt seine Kritik an der Kantischen Moraltheorie folgendermaßen zusammen: »Erstens gibt die Diskursethik die Zwei-Reiche-Lehre [im Original steht hier Zwei-RechteLehre; ich gehe davon aus, daß meine Lesart intendiert ist, denn von derart zweierlei Rechten ist bei Kant nicht die Rede; vgl. ebd. 25; Anm.: K.P.] auf; sie verzichtet auf die kategoriale Unterscheidung zwischen dem Reich des Intelligiblen, dem Pflicht und freier Wille angehören, und dem Reich des Phänomenalen, das u. a. die Neigungen, die bloß subjektiven Motive, 1 2
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schen principium executionis, sondern an überhaupt keiner Theorie moralischer Motivation zu haben, wie seine Hinwendung zu einer sozial-phänomenalen Theorie der Moral andeuten könnte, deren letztes Ziel stets eine Institutionentheorie ist. Um den genannten Verdacht auszuräumen, erscheint es sinnvoll, zunächst den Begriff der Achtung, den der kritische Kant als principium executionis moralischer Handlungen eingeführt hat, semantisch und methodologisch zu differenzieren und danach die These meiner Rekonstruktion der in Frage stehenden Theorien zu formulieren. Es wird dabei zunächst zu zeigen sein, daß nicht nur Kant, sondern auch Habermas Achtung als moraltheoretisch relevanten Begriff behandelt, weshalb sich eine Untersuchung der diesbezüglichen beiden Positionen lohnt. Von Interesse ist hier auch, an welcher Stelle Habermas die motivationstheoretischen Wege der Kantischen Philosophie verläßt und ob das Terrain, auf das er sich von dort aus begibt, sicherer ist als das Kantische. Man sollte beim Begriff der Achtung zwischen mindestens drei semantischen Hinsichten und darüber hinaus zwischen zwei methodischen Analyseebenen unterscheiden. In Abwandlung eines Begriffsschemas von Ursula Wolf unterscheide ich semantisch zwischen (1) der Achtung im Sinn einer zweckrationalen Berücksichtigung bzw. Beachtung von empirischen Tatsachen bzw. Wünschen, (2) der Achtung im Sinn der spezifischen Wertschätzung einer bestimmten Person und (3) der Achtung im Sinn einer absoluten Wertschätzung einer anderen Person als Person. Als Sonderfall (3*) muß in diesem Zusammenhang noch die Selbstachtung genannt werden, die bei Kant einen wichtigen Aspekt des moralischen Achtungsbegriffs ausmacht und von Habermas in einer Reaktion auf Ernst Tugendhat am Rande behandelt wird.4 auch die Institutionen des Staates und der Gesellschaft umfaßt. [...] Zweitens überwindet die Diskursethik den bloß innerlichen, monologischen Ansatz Kants, der damit rechnet, daß jeder Einzelne in foro interno [...] die Prüfung seiner Handlungsmaximen vornimmt. [...] Dagegen erwartet die Diskursethik eine Verständigung über die Verallgemeinerungsfähigkeit von Interessen nur als Ergebnis eines intersubjektiv veranstalteten öffentlichen Diskurses. [...] Drittens erhebt die Diskursethik den Anspruch, jenes Begründungsproblem, dem Kant letztlich durch den Hinweis auf ein Faktum der Vernunft – auf die Erfahrung des Genötigtseins durchs Sollen – ausweicht, mit der Ableitung von ›U‹ aus allgemeinen Argumentationsvoraussetzungen gelöst zu haben.« (Habermas, 1991, 20 f.) 4 Vgl. zu dieser Begriffsanalyse Wolf (1984, 100–111); meine Abweichung von Wolfs Einteilung – »(a) Achtung im Sinn der Beachtung oder Berücksichtigung, (b) Achtung im Sinne des Respekts (vor dem Mächtigeren), (c) Achtung im Sinne der Wertschätzung« – rührt daher, daß ich erstens den Respekt vor einer Person qua mächtigerer Person als eine Achtung vor der Person aufgrund deren spezifischen Eigenschaften auffasse und zweitens innerhalb der Bedeutung des Achtungsbegriffs als Wertschätzung die spezifische von der unspezifischen und damit absoluten Achtung vor einer anderen Person unterscheide. Mir erscheint diese Differenzierung der gegenwärtigen Themenstellung zweckdienlicher zu sein. Vgl. zu Haber-
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Die beiden methodischen Analyseebenen des Achtungsbegriffs beziehen sich (a) auf die Achtung als Begriff einer Begründungstheorie der Moral und (b) auf die Achtung als Begriff einer Moralentwicklungspsychologie bzw. Moralpädagogik. Der Untersuchungsgegenstand läßt sich damit für die gegenwärtige Themenstellung eingrenzen und endgültig präzisieren. Zu (1): Weder Kant noch Habermas geht es im Kontext der Moral wesentlich um zweckrationales Handeln, beide unterscheiden (unter anderem) zwischen hypothetisch- bzw. instrumentell-praktischen Reflexionen einerseits und kategorisch- bzw. universalpraktischen Reflexionen andererseits. Weder die Beachtung der Wettervorhersage bei der Planung einer Bergtour noch die Einbeziehung des Gipfelwunsches in die Planung der Route würden für Kant oder Habermas eine unmittelbar moralrelevante Rolle spielen. Zu (2): Weder Kant noch Habermas geht es weder im begründungstheoretischen noch im entwicklungspsychologischen bzw. moralpädagogischen Kontext um die Wertschätzung einer Person aufgrund deren spezifischen Kennzeichen oder Eigenschaften. Der Universalismus, der beide Theorien wesentlich charakterisiert, soll geradezu als Gegenoption zu einer partikularistischen Wertethik verstanden werden. Es bleibt also der Begriff der Achtung (3) im Sinn einer absoluten Wertschätzung anderer Personen als Personen; dieser Begriff, so meine vorläufige Behauptung, spielt bei Kant und Habermas hinsichtlich der beiden genannten methodischen Analyseebenen eine zentrale Rolle in der moralphilosophischen Auseinandersetzung. Die methodischen Analyseebenen (a) und (b) lassen sich mit entsprechenden Fragen charakterisieren. Während man in einer Begründungstheorie der Moral nach den Adäquatheitsbedingungen eines Bestimmungsgrundes moralisch richtiger Handlungen fragt (die Normativität dieser Frage unterscheidet sie von der entsprechenden deskriptiven Fragestellung der Motivationspsychologie), geht es bei der entwicklungspsychologischen bzw. pädagogischen Frage nach der moralischen Achtung um die Entdeckung der Lehr- und Lernprozesse, die bei einem Individuum (als Teil einer Gruppe5) zur Ausbildung entsprechender Handlungskompetenzen führen. Da weder Kant noch Habermas streng zwischen den (sich zweifellos überlappenden) Fragestellungen – ›welche psychischen Prozesse führen zu dieser Handlungskompetenz?‹ und ›wie erzieht man ein Individuum (als Teil einer Gruppe) zu
mas’ Auseinandersetzung mit Tugendhats Konzept der Selbstachtung Habermas (1991, 146– 152). 5 Der Verweis auf die Einbettung des Individuums in eine Gruppe scheint mir hier erforderlich, insofern moralisches Handeln konstitutiv als soziales Phänomen betrachtet werden muß, was nicht bedeutet, daß eine Ethik (wie die Kantische) nicht auch Pflichten gegen sich selbst thematisieren kann (vgl. dazu den Aufsatz von Robert B. Louden in diesem Band). Dieses Charakteristikum der Sozialität muß eine entsprechende Untersuchung mitberücksichtigen. Vgl. dazu auch Habermas (1991, 69).
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dieser Handlungskompetenz?‹ – unterscheiden, werde ich im folgenden diese beiden Aspekte der Entwicklungspsychologie der Moral und der Moralpädagogik ebenfalls gemeinsam behandeln. Das motivationstheoretische Problem der Ethik ist nebenbei auch noch zu unterscheiden vom (naheliegenden) Problem der Anwendung. Zwar beziehen sich beide Probleme auf die Aktualisierung oder Realisierung des kategorisch bzw. universal gültigen Moralprinzips in der Handlungspraxis. Doch während das Anwendungsproblem die Eignung oder Passung eines abstrakten Prinzips für eine konkrete Situation benennt, steht bei der moralischen Motivation der situationsunabhängige auslösende Aspekt adäquater, d. h. gebotener Handlungen in Frage. Im Gegensatz zu Kant ist sich Habermas dieser Differenz bewußt. Während Habermas nämlich Anwendungsprobleme aus seiner Theoriebildung schwerpunktmäßig ausklammert – »Ethiken des Kantischen Typs sind auf Fragen der Rechtfertigung spezialisiert; Fragen der Anwendung lassen sie unbeantwortet«6 – ist für ihn die HandHabermas (1991, 24); Habermas geht dennoch bereits in seinen »Erläuterungen zur Diskursethik« auf das Verhältnis von Normenbegründung und Normenanwendung ein und nimmt dabei die Ausführungen Klaus Günthers (1988, 23–99) für seine Erklärung in Anspruch (vgl. Habermas, 1991, 137–42, Habermas,1999, 281 f., jedoch auch Gottschalk-Mazouz, 2000, 172–90, sowie Werner, 2003, Teil 4). Anstelle der neoaristotelischen Ersetzung der praktischen Vernunft durch eine kontextgebundene Urteilskraft beharrt Habermas schließlich darauf, »[...] daß sich auch in der klugen Anwendung von Normen allgemeine Grundsätze der praktischen Vernunft durchsetzen [...], z. B. die von der juristischen Topik entwickelten Grundsätze der Beachtung aller relevanten Aspekte eines Falles oder der Verhältnismäßigkeit der Mittel, welche dem moralischen Gesichtspunkt einer unparteilichen Applikation Geltung verschaffen.« (Habermas, 1991, 24) Vgl. zur Differenz zwischen dem »kognitive[n] Problem (a) der Anwendung allgemeiner Prinzipien auf gegebene Situationen« und dem »motivationale[n] Problem (b) der Verankerung eines Verfahrens der moralischen Rechtfertigung im Persönlichkeitssystem« auch Habermas, 1991, 42–46. Bereits Habermas, 1991, 198 f., problematisiert auch die situative Zumutbarkeit moralisch gebotener Handlungen: »[…] nachdem wir die dem Fall einzig angemessene Norm festgestellt haben, kann es erforderlich werden zu prüfen, ob das daraus folgende singuläre Urteil eine Handlung fordert, die existentiell unzumutbar ist.« (Ebd.) Es ist also möglich, daß eine gültige moralische Norm im Lichte ethischer Erwägungen im Einzelfall suspendiert und damit situativ relativiert wird. Es scheint mir jedoch festzustehen, daß auch eine solche Relativierung aufgrund eingeschränkter Zumutbarkeit allgemein zugestanden werden muß, und das bedeutet, im Diskurs als transsubjektiv-gültig begründet werden kann. Doch während Habermas hier das Problem der relativen Zumutbarkeit moralisch gebotener Handlungen im allgemeinen erst »beim Übergang von der Moral- zur Rechtstheorie« (ebd.) sieht, stellt er neuerdings eine engere Beziehung zu in seinem Sinne ethischen Fragen her: »Dass wir moralisch handeln sollen, liegt im Sinn der (deontologisch begriffenen) Moral selbst beschlossen. Aber warum sollten wir moralisch sein wollen – wenn die Biotechnik stillschweigend unsere Identität als Gattungswesen unterläuft. Eine Bewertung der Moral im Ganzen ist nicht selbst ein moralisches, sondern ein ethisches, ein gattungsethisches Urteil.« (Habermas, 2002, 124) Doch scheint mir auch hier – und Habermas’ Essay bestätigt dies performativ – das Einräumen eines letzten ethischen Wortes 6
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lungsmotivation ein zu klärender Aspekt der Moraltheorie und damit auch der Entwicklungspsychologie der Moral bzw. der Moralpädagogik.7 Die Unterscheidungen, die bislang getroffen wurden (und im übrigen bei beiden Autoren, Kant und Habermas, nicht immer hinreichend differenziert werden), sollten den Titel meiner Überlegungen einleuchtender machen. Schließlich thematisieren beide Philosophen die Achtung, die wir einer Person entgegenbringen. Auch Habermas differenziert nachdrücklich zwischen der Achtung einer Person vor einer anderen Person als Person und der Achtung einer Person vor einer anderen Person wegen deren »hervorragenden Leistungen« (Habermas, 1991, 149). Seiner Auffassung nach ist Achtung in diesem letztgenannten Sinn eben kein »moralisches Phänomen [...], denn Achtung bezieht sich hier auf ein Mehr oder Weniger an Wertschätzung von Leistungen und Eigenschaften. Demgegenüber verträgt die Achtung einer Person als Person keine Abstufung; eine Person achten wir als solche, nicht wegen dieser oder jener Vorzüge. Eine Person achten wir als solche wegen ihrer Fähigkeit, autonom zu handeln, d. h. ihr Handeln an normativen Geltungsansprüchen zu orientieren; jetzt achten wir sie einzig wegen der Leistung oder Eigenschaft, die sie zur Person macht.« (Ebd.) Kant und Habermas sprechen von Handlungen »aus Pflicht« (GMS, 397), die wir zum einen nicht deshalb vollziehen, weil uns die entsprechende Norm ›auferlegt‹ worden ist, sondern weil wir sie uns selbst ›gegeben‹ haben, die wir zum anderen aber auch nicht deshalb vollziehen, weil die entsprechende Norm durch Tradition und Gewohnheit ›beglaubigt‹ worden ist, sondern weil wir sie für ›begründet‹ halten.8 Auch scheint hinsichtlich der Entwicklungspsychologie der Moral bzw. Moralpädagogik Habermas der entsprechenden Konzeption Kants nahezustehen, die dieser in seiner »Methodenlehre der reinen praktischen Vernunft« dargestellt hat, insofern er mit seinem an Kohlbergs soziomoralischen Perspektiven orientierten Modell der »Interaktionsstufen, Sozialperspektiven und Moralstufen« (Habermas, 1983, 176 f.) die ontogenetische Konstitution einer moralischen Weltsicht thematisiert. Statt jedoch weitere Präjudizien als ungedeckte Schecks auf den Tisch zu legen, nenne ich nun meine These: Habermas thematisiert den moralischen Begriff der
verfrüht. Denn »die Biotechnik« gibt es nicht, es handelt sich schließlich um Personen, die eingebettet in gesellschaftliche und parlamentarisch-demokratische Diskurse forschen und Entscheidungen herbeiführen. Deren moralische Relevanz zeigt sich in wiederum von der Diskursgemeinschaft herausgeforderten Begründungen, die ihrerseits zu weiteren Stellungnahmen führen. Dieser Prozeß ist der einer moralischen Normenbegründung, in den selbstverständlich auch ethische und gattungsethische Urteile eingehen. Kurz: gattungsethischen Urteilen ist im Gegensatz zu individual-ethischen Urteilen (in Habermas’ Sinn) per se ein intersubjektives, konflikt-, und das bedeutet, moralrelevantes Moment eingeschrieben. Vgl. zur Zumutbarkeit moralisch gebotener Handlungen auch den Aufsatz von Heiner F. Klemme in diesem Band. 7 Vgl. dazu u. a. die Tabelle in Habermas (1983, 176 f.). 8 Vgl. dazu Habermas (1991, 145).
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Achtung nicht nur auf den genannten beiden methodischen Ebenen, sondern folgt dabei partiell Kantischen Intuitionen und ist daher implizit auf wesentlich Kantische Annahmen festgelegt, wenn er (obgleich in moderner Diktion) an der Unterscheidung zwischen ›pflichtgemäß‹ und ›aus Pflicht‹ festhält. Habermas’ Antwort auf die Schwierigkeiten, die mit Kants Triebfederlehre verbunden sind, besteht in einer Entkoppelung des principium executionis vom principium dijudicationis. Um diese Argumentationsstrategie jedoch adäquat beleuchten zu können, gilt es zunächst den moralischen Begriff der Achtung beider Philosophen in den beiden genannten Hinsichten zu profilieren und zu kritisieren. Zunächst möchte ich deshalb Kants moralphilosophisches Konzept der Achtung von Personen gegenüber Personen als Personen exponieren (Abschnitt I). Dabei werde ich mich auf den ›kritischen‹ Kant der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, der Kritik der praktischen Vernunft und in nachgeordneter Bedeutung der Schriften der 90er Jahre beschränken und in diesem Sinne die Achtung von Personen gegenüber Personen als Personen gleichsetzen mit der Achtung vor dem Sittengesetz; diese Präzisierung ist deshalb von Bedeutung, weil Kant in den 70er Jahren beispielsweise in Vorlesungen über Moral diese Identifikation (und damit erhebliche konzeptionelle Schwierigkeiten) noch nicht hatte, was nicht heißen soll, daß die frühere Theorie seiner kritischen überlegen ist. In einem zweiten Schritt werde ich Habermas’ Konzept einer postkonventionellen Entwicklungsstufe moralischer Motivation sowie diejenige Systemstelle innerhalb seiner Diskursethik benennen, an deren Analogon Kant den Achtungsbegriff lokalisiert hatte (Abschnitt II). Es wird sich zeigen, daß Habermas bezüglich des subjektiven Bestimmungsgrundes moralisch richtiger Handlungen eine methodische Engführung der begründungstheoretischen sowie der entwicklungspsychologischen bzw. moralpädagogischen Begriffe der Achtung bzw. deren Funktionsäquivalente vornimmt. Diese Ausführungen Habermas’ erweisen sich als kompatibel mit der (bloß rudimentär durchgeführten) entwicklungspsychologischen bzw. moralpädagogischen Argumentation Kants in der Methodenlehre dessen zweiter Kritik (diese Kantische Argumentation werde ich hier nur streifen). Damit sollten die Grundlagen einer kritischen Gegenüberstellung der beiden Konzeptionen und einer kritischen Auseinandersetzung mit diesen geschaffen sein, so daß ich schließlich abwägen kann, (a) ob Habermas’ kritische Fortführung der Kantischen Moraltheorie ein Leistungsäquivalent für das Triebfeder-Kapitel der zweiten Kritik Kants aufweist und (b) ob Habermas’ Theorie mit derselben Hypothek belastet ist wie die Kantische; hierbei wird mindestens partiell die konzeptuelle Umgebung der Diskursethik miteinbezogen werden müssen (Abschnitt III).
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I. ›Transzendentale Ästhetik‹ in praktischer Hinsicht – Achtung als moralische Triebfeder »Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.« (KpV, 30) Kants KpV setzt ein mit diesem »Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft«, dem kategorischen Imperativ, geht über zu den »Kategorien der Freiheit in Ansehung der Begriffe des Guten und Bösen« (KpV, 66), um im dritten Hauptstück die Frage zu beantworten, wie »ein Gesetz der Freiheit auf Handlungen als Begebenheiten, die in der Sinnenwelt geschehen [...], angewandt werden soll.«9 Der praktischen Vernunft geht es nicht um die Erkenntnis von Gegenständen, sondern um die Erkenntnis der Realisierungsbedingungen von Gegenständen, nicht um die Erkenntnis dessen, was ist, sondern dessen, was sein soll.10 Das Bewußtsein eines Gesetzes dieser Realisierung ist das Erste der praktischen Vernunft, sozusagen ein apriorisches Faktum11, demgemäß die Begriffe der Gegenstände der Handlung, das Gute und das Böse, bestimmt und schließlich die Modi seiner möglichen Befol-
KpV, 68; vgl. zum methodischen Vorgehen Kants in der KpV im Gegensatz zur KrV Brandt (2002, 155–161). 10 Vgl. KrV A 840 u. ö. 11 Vgl. KpV, 32, 47, 55. Um den epistemischen Status dieses Faktums in Kants Sinne zu verstehen, ist es hilfreich, sich die »ästhetische[n] Vorbegriffe der Empfänglichkeit des Gemüths für Pflichtbegriffe überhaupt«, die »moralische[n] Beschaffenheiten, die, wenn man sie nicht besitzt, es auch keine Pflicht geben kann sich in ihren Besitz zu setzen« (MdST, 399–403), vor Augen zu führen, denn hier behandelt Kant neben dem »moralische[n] Gefühl«, der »Menschenliebe« und der »Achtung« auch das »Gewissen«, das zum einen unserem heutigen Sprachgebrauch näher steht als das ›Faktum der Vernunft‹ und das zum anderen nach Kant das »Bewußtsein eines inneren Gerichtshofes im Menschen (›vor welchem sich seine Gedanken einander verklagen oder entschuldigen‹)« (MdST, 438) ist. Gleichgültig wie man die Metapher vom (praktischen) ›Gerichtshof‹ und dessen Verhältnis zum (dort angewandten/ausgelegten) ›Sittengesetz‹ auflöst, beide, das Bewußtsein des Sittengesetzes und das Gewissen besitzen den Status einer intelligiblen Tat, insofern wir sie uns einerseits zurechnen, aber andererseits in actu nicht über sie verfügen können. Der Zusatz ›in actu‹ ist wichtig, weil uns das Gewissen natürlich in einer indirekten Perspektive, das heißt im Sinne seiner Kultivierung (vergleichbar der perspektivischen Differenz zwischen sportlichem Training und Wettkampf), sehr wohl zur Disposition steht. – Willaschek (1992, 181; vgl. auch ebd. 330–33) hat auf die Notwendigkeit hingewiesen, ›factum‹ begrifflich streng von ›datum‹ zu unterscheiden und das erstere im Kantischen Sinne mit Beck (1974, 161 ff.) als »›Tat‹ der Vernunft«, zu verstehen, »die darin besteht, dem ›objektiven‹ Sittengesetz subjektive Geltung zu verschaffen, indem sie ein Gefühl der Achtung vor dem Gesetz ›wirkt‹ und so den ›Willen zur That bestimmt‹« (Willaschek, 1992, 184). Vgl. dazu bereits Henrich (1960), sowie Lauener (1981, insbes. 255 ff.), Konhardt (1986, 176–183), Forst (1999, 195–199), Keul (2002, 84), O‘Neill (2002, 89), Steigleder (2002, 96–108), Köhl (2001, 32–35) sowie im Anschluß Henrich (1960) Forst (2004, 188–197). 9
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gung aufgezeigt werden. Es scheint nach Kant möglich, sozusagen ohne Profit, d. h. schlimmstenfalls unter Todesdrohung, moralisch zu handeln; ein falsches Zeugnis zu verweigern, obwohl man dafür mit dem Tod bestraft wird (vgl. KpV, 30). Diese Handlungsmöglichkeit (nicht ihre Wirklichkeit) demonstriert das Bewußtsein des Sittengesetzes als ein Faktum. Gleichwohl – und das ist ein, wenn nicht der entscheidende Schritt in der Kantischen Theorie – ist das Bewußtsein des Sittengesetzes, die Einsicht in seine Geltung, nicht gleichzusetzen mit der entsprechenden Handlungsmaxime. D. h. wir können die Richtigkeit des Sittengesetzes einsehen, ohne danach zu handeln. Anders formuliert: das Wissen des Guten ist nicht schon das Gute selbst. Es bedarf also eines Zwischenschrittes vom Sittengesetz zur sittlichen Handlung: das Bewußtsein des Sittengesetzes soll handlungsauslösend sein.12 Im dritten und letzten Hauptstück der »Analytik der reinen praktischen Vernunft« thematisiert Kant dementsprechend die »Triebfedern der reinen praktischen Vernunft« (KpV, 71): aufgrund welcher praktischen Leistung ist der Mensch – denn nur bezüglich endlicher Wesen wie dem Menschen stellt sich der emotive Antrieb als moraltheoretisches Problem – zu einer guten Handlung fähig? Dieses Theoriestück zum Begriff der Achtung ist bei Kant streng zu unterscheiden vom moralpsychologischen bzw. -pädagogischen Kontext. Es soll um die Möglichkeit der Realisierung eines moralischen Gesetzes in einschlägigen Situationen gehen, nicht um die Frage, wie man Menschen zu guten Taten bewegen könne.13 Das Bewußtsein des Sittengesetzes, d. h. die Achtung vor letzterem, soll als Triebfeder zur tatsächlichen Handlungsinitiative werden. Achtung soll sowohl begrifflich und objektiv sittlich sein als auch konkret und subjektiv handlungsbestimmend. Kant führt in diesem Kontext bekanntlich eine folgenschwere Differenzierung ein: von Moralität könne nur gesprochen werden, sofern das Sittengesetz auch subjektiver Bestimmungsgrund zur Handlung ist. Wird hingegen aus beliebigen anderen Motiven heraus moralisch gehandelt, so wird eigentlich nicht moralisch gehandelt. Die Handlung geschieht »pflichtmäßig aber nicht aus Pflicht« (GMS, 398), also nicht aus Achtung fürs Gesetz. Die Handlung ist legal, aber sie ist nicht moralisch.14
Vgl. zum Status der Triebfederlehre auch Beck (1974, 198, 206 f.), Lauener (1981, 243 f.), Giordanetti (1998, 12 ff.) und Scarano (2002). 13 Die Legitimation dieser Abtrennung liegt darin, daß, solange nicht der Begriffsinhalt der Achtung geklärt ist, eine moralpsychologische und -pädagogische Behandlung des Problems ohne Fundament ist: man muß wissen, was man beispielsweise Kindern anerzieht, wenn man sie Achtung vor dem Gesetz lehrt. Die Kantische Methodenlehre setzt die entsprechende Elementarlehre voraus. Unter einer Triebfeder versteht Kant nun den »subjective[n] Bestimmungsgrund des Willens« (KpV, 72). Vgl. auch KpV, 75 sowie die Differenzierungen der Begriffe »Bestimmungsgrund«, »Beweggrund« und »Triebfeder« von Lee (1987, 209–222). 14 Vgl. KpV, 81 und 225. 12
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Ein hypothetischer Vorblick auf das Folgende soll verdeutlichen, in welchem Ausmaß die Tragfähigkeit der gesamten Kantischen Moraltheorie von der Gültigkeit dieses Achtungsbegriffs abhängt: sollte der Kantische Begriff der Achtung als Triebfeder moralischer Handlungen nicht hinreichend bestimmt sein, so bliebe auch der Begriff der Moralität ungeklärt, da nach Kant eben nur diejenige Handlung moralisch ist, die aus Pflicht, d. h. aus Achtung vor dem Sittengesetz, geschieht. Als nervus probandi der Theorie erweist sich damit die mögliche Beurteilung von Handlungen: Die Bewertung einer Handlung gemäß dem principium dijudicationis als moralischem Kriterium, also dem Sittengesetz, setzt ein Wissen davon voraus, was im jeweiligen Fall handlungseffektiv, also principium executionis ist oder war.15 Da die Moralität, d. h. die Achtung vor dem Gesetz in der Intention eines Handelnden, der Handlung nicht ›angesehen‹, ja nicht einmal vom Handelnden selbst mit Sicherheit gewußt werden kann16, bedarf es nach Kant eines Indikators, um die Handlung hinsichtlich ihrer Moralität zu qualifizieren. Dieser Indikator für das unerkennbare Gefühl der Achtung ist das gut erkennbare Gefühl der Unlust.17 Die paradoxe Konsequenz wäre demnach, daß in der Beurteilung – und nur hier zeigt sich die Moralität – die sittliche Qualität einer Handlung (nun doch der Schillerschen Befürchtung entsprechend18) an der Überwindung eines sinnlichen Hindernisses hängt. Damit gäbe die pathologische Äußerung der Unlust und nicht die Achtung den Kantischen Kompaß moralischer Bewertung ab. Sollte dies zutreffen, so wäre der Reinheitsanspruch der Kantischen Moraltheorie von Grund auf korrumpiert. Doch der Reihe nach. Was tun wir, wenn wir aus Pflicht, aus Achtung fürs Gesetz handeln? Worin besteht diese Achtung? Es erscheint unmöglich, dem Verständnis dieses Kantischen Begriffs dadurch auf die Beine zu helfen, daß man vorkantische Ethiken nach diesem Begriff befragt. Vielmehr bleibt man bei der Analyse des Achtungsbegriffs in ethischem Zusammenhang verwiesen auf die kritischen Texte Kants, vornehmlich also die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785), die Kritik der praktischen Vernunft (1788) und die Metaphysischen Anfangsgründe der Tugendlehre (1797).19 Der Begriff findet sich 15
Kant scheint diese Konsequenz nicht gegenwärtig gewesen zu sein. Vgl. dazu KpV,
76. Vgl. zur Unmöglichkeit vollständiger Introspektion GMS, 407 und Ge, 283 ff. sowie unten Fn. 32. 17 Vgl. dazu beispielsweise GMS, 397 f. sowie KpV, 72 f. und MdSR, 223. 18 »Gerne dien’ ich den Freunden, doch thu’ ich es leider mit Neigung, / Und so wurmt es mir oft, daß ich nicht tugendhaft bin. / Da ist kein anderer Rath, du mußt suchen sie zu verachten, / Und mit Abscheu alsdann thun, wie die Pflicht dir gebeut.« (Schiller: Xenien, »Die Philosophen«) Vgl. dazu Reiner (1951, 28–49). 19 Da der Begriff der Achtung bei Kant in konstitutivem Zusammenhang mit dem des Kategorischen Imperativs steht, der erst im Laufe der siebziger Jahre von ihm entwickelt wurde, tragen auch die vorkritischen Schriften nichts zur Erhellung dieses Begriffs bei. Wenn Kant also in den Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen (1764) von Achtung spricht, so ist damit nicht das Verbindungsglied zwischen dem reinen Sittengesetz 16
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systematisch ausgeführt in keiner früheren Moralkonzeption. Achtung hat in der Philosophie bis zu Kant lediglich die eingangs genannte, moralphilosophisch aber höchstens marginale Bedeutung von Aufmerksamkeit (attentio, observatio).20 Um eine inhaltliche Füllung des Achtungsbegriffs zu erreichen, kann er hinsichtlich seines möglichen Objektbereichs mit dem Begriff der Neigung kontrastiert werden. Neigungen können sich nach Kant einerseits auf Handlungen, andererseits auf Produkte von Handlungen beziehen. Achtung hingegen soll sich weder auf Hand-
und der moralischen Handlung intendiert (vgl. GSE, 217). Das moralische Gefühl ist hier vielmehr der Grund selbst der Grundsätze. Vgl. auch die Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral von 1764, UDG, 300. Gegen Ende des Jahres 1773 schreibt Kant schließlich an Marcus Herz: »Der oberste Grund der Moralität muß nicht blos auf das Wohlgefallen schließen lassen er muß selbst im höchsten Grade wohlgefallen denn er ist keine blos spekulative Vorstellung sondern muß Bewegkraft haben und daher ob er zwar intellectual ist so muß er doch eine gerade Beziehung auf die erste Triebfedern des Willens haben.« (BW, 145) Damit ist ein wichtiger Schritt hin zur kritischen Theorie moralischer Handlungen getan, die endgültige Abkehr von der vorkritischen Moralphilosophie jedoch noch nicht vollzogen; Wohlgefallen (auch ein religiös gefärbtes) ist für den kritischen Kant moralirrelevant. In der sogenannten Moral-Vorlesung Kähler aus der Mitte der 1770er Jahre differenziert Kant nachrichtlich zwar bereits zwischen dem »principium der diiudication der Verbindlichkeit« und dem »principium der Execution oder Leistung der Verbindlichkeit« und führt dazu aus: »Richtschnur und Triebfeder ist hier zu unterscheiden. Richtschnur ist das Principium der Diiudication und Triebfeder [sc. das Principium] der Ausübung der Verbindlichkeit, indem man nun dieses verwechselte, so war alles in der Moral falsch.« (Kant, 2004, 69) Kant konkretisiert diese Bestimmung weiter in dem Sinne, den wir aus den Publikationen der 80er Jahre kennen: »Die Billigung der Handlung ist der obiective Grund, aber noch nicht der subjective Grund. Dasjenige was mich antreibt, das zu thun, wovon der Verstand sagt, ich soll es thun, das sind die motiva subjective moventia.« (Kant, 2004, 70) Doch von einem vernunftbewirkten Gefühl ist hier noch immer keine Rede; stattdessen wird die moralische Motivation als genuines Gefühl angesprochen: »[...] das oberste principium alles moralischen Antriebes, diese Handlung zu thun, liegt im Hertzen; diese Triebfeder ist das moralische Gefühl.« (Ebd.) Und schließlich findet man wenige Absätze später in dieser Nachschrift eine Formulierung, gegen deren Tendenz sich der kritische Kant gerade wendet: »Man hat also mit Recht eingesehen, daß ohne einen obersten Richter alle moralischen Gesetze ohne Effect wären, alsdenn wäre keine Triebfeder, keine Belohnung und keine Bestrafung. Also die Erkenntniß Gottes ist in Ansehung der Ausübung der moralischen Gesetze nothwendig.« (Kant, 2004, 77) Innerhalb der einschlägigen kritischen Schriften kann ich keinen Wandel hinsichtlich des Begriffs der Achtung ausmachen. Sie können meines Erachtens diesbezüglich gleichwertig behandelt werden. Vgl. dazu Lee (1987, 183–189) und dagegen Beck (1974, 204); vgl. zur Entwicklung der vorkritischen Ethik Kants Henrich (1963 und 1960, 98–115) sowie Lee (1987, 65–182). Mayer (2003) hat gegenüber Nunner-Winkler (2003, 581 f. und 660) gezeigt, inwiefern der kritische Kant gerade nicht auf religiöse Argumente rekurriert; vgl. dazu auch Leist (2003, 624), Ricken (2003, 644) und Steigleder (2003, 653). 20 Vgl. dazu Misgeld (1971, 75 f.).
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lungen noch auf Handlungsergebnisse noch auf Neigungen beziehen können. Ihr Objekt ist allein die Intention einer Person – oder in Kants Worten: nicht die Wirkung, sondern bloß die »Thätigkeit eines Willens« (GMS, 400). Lapidar heißt es in der Kritik der praktischen Vernunft: »Achtung geht jederzeit nur auf Personen [...].« (KpV, 76) Ausformuliert bedeutet dies für Kant, daß unsere Achtung vor einer Person eine Achtung vor der Menschheit – unmißverständlicher: dem Menschsein, d. h. der Freiheit – dieser Person, vor der praktischen Vernunft dieser Person und damit vor dem Sittengesetz ist.21 Doch auch nach dieser den Begriff der Person und den Begriff des Sittengesetzes verknüpfenden Bestimmung des möglichen Objektbereichs der Achtung bleibt die Frage nach dem Inhalt des Achtungsbegriffs bestehen. Und Kants Antwort lautet: »Eigentlich ist Achtung die Vorstellung von einem Werthe, der meiner Selbstliebe Abbruch thut.« (GMS, 401) Der Hintergrund dieser Negativbestimmung besteht darin, daß moralische Handlungen, die unter dem Begriff der Pflicht stehen können, sinnvollerweise nur von solchen Wesen zu fordern sind, die dabei Hindernisse überwinden müssen. Bei (hypothetisch zu denkenden) Wesen, die nicht gegen neigungsbedingte Hindernisse ankämpfen müssen, macht die Verwendung des Begriffs ›Sollen‹ und damit verbunden die der Begriffe des Gesetzes bzw. des Gebotes und der Achtung davor keinen Sinn. Bei ihnen – Kant spricht vom vollkommen guten, heiligen oder göttlichen Willen – könnte lediglich von einem ›Wollen‘ gesprochen werden, ihre Handlungsmaximen entsprächen stets und ausschließlich dem Sittengesetz; von Nötigung, einer »necessitatio obiectiva«22 könnte dabei keine Rede sein. Die moraltheoretische Begriffsbestimmung der Achtung setzt also als moralisch relevant das Negative, die Überwindung von Hindernissen, von Neigungen, voraus, ohne jedoch durch die Neigung hervorgerufen zu sein. Schmerz, Demütigung und Hindernisüberwindung dienen mithin als Indikatoren der Achtung. Die notwendige Bedingung der Achtung als Triebfeder und damit auch die notwendige Bedingung der Erkenntnis des moralischen Handelns bestehen in der Überwindung neigungsbedingter Hindernisse. Gleichwohl ist diese Überwindung nicht schon die zureichende Bedingung – nicht jede Handlung, die der Neigung zuwiderläuft, ist dadurch allein schon moralisch (ein Altruist, der sich gelegentlich egoistisch verhält, handelt deswegen nicht schon moralisch). Es bedarf also einer weiterreichenden positiven Bestimmung des Achtungsbegriffs. Achtung besteht gemäß der berühmten Anmerkung im Ersten Abschnitt der GMS in einem Gefühl, das jedoch nicht durch Objekte des Begehrens hervorgerufen und damit fremdbestimmt ist, sondern durch die Vernunft selbst und zwar durch
Vgl. dazu GMS, 401, 446 f., KpV, 78, 81 Anm. Vgl. dazu auch Köhl (1990, 140–143). Zu den Begriffen des Menschen und der Menschheit vgl. auch KrV, A 318 sowie die Anthropologie Friedländer (Winter 1775/76), VAnth,1, 471 ff. 22 AA XIX, 207 (Refl. 6919); vgl. auch GMS, 414, KpV, 76 u. ö. 21
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deren praktisches Gesetz hervorgerufen wird.23 Kant führt also in seine Argumentation für das principium executionis moralischer Handlungen die Begriffe von Ursache und Wirkung ein. Eine Handlung ist dann und nur dann moralisch, wenn die Ursache des Gefühls der Achtung nicht ein vernunftfremdes Objekt, sondern die Vernunft selbst als Bewußtsein des kategorischen Imperativs ist. Der Kantische Internalismus besteht demnach darin, daß das Pflichtbewußtsein in der Gestalt eines Achtungsgefühls allein ausreicht, die Willkür zu bestimmen, oder anders formuliert, daß der innere Sinn in moralischer Hinsicht bloße Rezeptivität des Intelligiblen ist.24 Soweit die metaphysische Konstruktion, die in folgendem Sinne schon abenteuerlich genug ist: Der Begriffsinhalt der Achtung ist nicht einerseits intellektuell (Sittengesetz) und andererseits sinnlich (Gefühl), wie dies bei einem Übergang vom mundus intelligibilis zum mundus sensibilis erforderlich wäre.25 Vielmehr ist nach der Kantischen Konzeption die Ursache des Achtungsgefühls ein Gegenstand der Vernunft, sie selbst aber ist nichts anderes als ein Gefühl, das begrifflich messerscharf getrennt ist vom Vernunftgesetz, eben durch das relationale Begriffspaar Ursache-Wirkung, d. h. der Kategorie der Kausalität, die ihrerseits als Kausalität der
Vgl. GMS, 401; auch KpV, 73, MdSR, 211 f. 24 Allison (1990, 130) spricht diesbezüglich bereits von »Kant’s internalism«. Es ist wichtig festzuhalten, daß auch nach Kants Ansicht dieses Gefühl der Achtung von anderen (pathologischen) Gefühlen begleitet – und das bedeutet: unterstützt oder überstimmt – werden kann. Weder gibt es einen Automatismus, der vom Gefühl der Achtung zur moralischen Handlung führt, noch dürfen, oder besser, müssen wir uns den »ärgste[n] Bösewicht« (GMS, 454) als eine moralisch taube Person vorstellen, die dann eben nicht einmal mehr Person wäre, weil sie im strikten Sinne keine moralische Verantwortung mehr trüge. Doch selbst wenn im positiven Fall die Achtung fürs Gesetz nicht allein hinreicht, die moralische Handlung zu motivieren und andere Gefühle unterstützend hinzukommen, so bleibt für Kant doch entscheidend, daß dieses Hinzutreten für den moralischen Status der Handlung völlig irrelevant ist. Vgl. dazu auch Timmermann (2003, 189–193) gegen Köhl (1990, 135–139). Timmermann betont zudem in Auseinandersetzung mit Allison (1990, 126) und McCarty (1994, 25–28) zu Recht, daß das Kräftespiel handlungsrelevanter Gefühle nicht mechanistisch verstanden werden darf; auch Neigungen müssen als Handlungsgründe abgewogen werden, denn würden Gefühle nur ›hinter unserem Rücken‹ wirken, könnte von einer Handlung schließlich keine Rede sein, das Verhalten wäre nicht zurechenbar. 25 Eine solche Argumentation hätte ihr theoretisches Analogon im ›Schematismus der reinen Verstandesbegriffe‹ der KrV (vgl. dazu A 138 f.). Die Problematik der Kantischen Ausführungen zu einem ›praktischen Schematismus‹ besteht darin, daß an der Schnittstelle zwischen mundus intelligibilis, dem Sittengesetz, und dem mundus sensibilis, der Handlung, der zweistellige Relationsbegriff der Kausalität eingeführt wird, dessen eines Relatum, die Ursache (Sittengesetz), mit dem anderen Relatum, der Wirkung (Gefühl), im Achtungsbegriff verknüpft wird. Vgl. dazu KpV, 74 ff. Theoriearchitektonisch problematisch an dieser Einführung der Kausalität ist Kants eigene sinngemäße Definition des Triebfeder-Kapitels als ›Transzendentale Ästhetik‹ in praktischer Hinsicht; vgl. dazu KpV, 89 f. sowie Brandt (2002). 23
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Freiheit und damit als nicht-schematisiert (in theoretischem Verständnis), d. h. als unzeitlich, vorgestellt werden soll. Abgesehen hiervon ist aber dadurch, daß diese Konstruktion bloß über Verhältnisse befindet, noch keine inhaltliche Aussage über die Relationsbegriffe selbst getroffen. Der eine der beiden Begriffe, die Ursache (Vernunftgesetz), soll hier nicht weiter untersucht, seine Inhaltsbestimmung soll als konsistent und kohärent vorausgesetzt werden. Der andere Begriff aber, das sinnliche Gefühl der Achtung – »denn ein intellectuelles wäre ein Widerspruch« (KpV, 117) – als Wirkung, muß noch weiter bestimmt werden. Das negative Gefühl der Demütigung und des Schmerzes anläßlich der Einschränkung oder Vernichtung der Selbstliebe durch das Bewußtsein des Sittengesetzes hat nach Kant als positive Kehrseite ein Bewußtsein des Menschen als Person: »so ist die Herabsetzung der Ansprüche der moralischen Selbstschätzung, d. i. die Demüthigung auf der sinnlichen Seite, eine Erhebung der moralischen, d. i. der praktischen Schätzung des Gesetzes selbst, auf der intellectuellen, mit einem Worte Achtung fürs Gesetz, also auch ein seiner intellectuellen Ursache nach positives Gefühl, das a priori erkannt wird.« 26 Selbstliebe ist nach Kant ein pathologisches Gefühl, d. h. nicht gesetzes-, sondern neigungsbedingt. Sie muß durch etwas überstimmt werden, das nicht pathologischer Natur ist. Da diese Selbstliebe als Gefühl nun einmal so bestimmt ist, bleibt es nach Kant – zumindest dem kritischen Kant – natürlich ausgeschlossen, daß sie durch eine andere Form von Liebe über-
KpV, 79; Kants Position unterstützend beschreibt Honneth (2003, 22) den systematischen Zusammenhang zwischen der Selbstliebe, der Abbruch getan wird, und der Vorstellung vom Wert einer Person aus intersubjektivistischer Perspektive: »[…] das Subjekt erwirbt gewissermaßen gleichursprünglich mit der Achtung auch bereits die Motivation, gegenüber dem geachteten ›Wert‹ auf alle Handlungen zu verzichten, die einfach das Resultat seiner egozentrischen Impulse wären. [...] In den expressiven Gesten, die auf einfacher Stufe gewöhnlich Anerkennung signalisieren, kommt exakt dieselbe motivationale Bereitschaft zum Ausdruck, die Kant als ›Abbruch‹ von Selbstliebe beschreibt. [...] Im anerkennenden Subjekt vollzieht sich eine Dezentrierung, weil es einem anderen Subjekt einen Wert einräumt, der die Quelle von legitimen Ansprüchen ist, die der eigenen Selbstliebe Abbruch tun.« Eine systematisch interessante Variation der Kantischen Begriffe der Achtung und der Liebe schließt Honneth unmittelbar daran an: »[…] ob wir einen anderen Menschen als liebenswert, als achtenswert oder als solidaritätswürdig betrachten, stets kommt in dem erfahrenen Wert nur ein anderer Aspekt dessen zur Geltung, was es heißt, daß Menschen ihr Leben in rationaler Selbstbestimmung vollziehen müssen. Bezieht sich diese ›Vorstellung von einem Wert‹ das eine Mal stärker auf die Weise der biographischen Lebensbewältigung (Liebe), das andere Mal stärker auf die Art des praktischen Engagements (Solidarität), so gilt sie im Fall der Achtung der Tatsache selber, daß Menschen zur reflexiven Orientierung an Gründen keine Alternative haben; insofern auch ist jene letzte Einstellung nicht weiter graduierbar, während die beiden anderen Formen der Anerkennung viele Stufen der Steigerung erlauben.« (Ebd. 23) Doch eine Erklärung dieses Achtungsbegriffs, eine Detailargumentation mit oder gegen Kant, liegt nicht im Fokus von Honneths Ausführungen, die sich auf die Makroebene der Achtung, d. h. deren Rolle bei der Konstitution von Intersubjektivität, konzentrieren. 26
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stimmt werden kann, ohne damit das Feld der Moralität zu verlassen. Kant versteht Liebe als Zuneigung und eine solche ist, wie der Ausdruck im Deutschen anzeigt, sinnlich und damit im Kantischen Jargon pathologisch, egal, ob sie sich auf mich oder auf andere Personen richtet. Sie ist bloß subjektiv. Dadurch scheidet sie für Kant als inhaltliche Bestimmung des Achtungsbegriffs aus. Daß aber die Überwindung eines Neigungshindernisses durch die Vernunfttätigkeit bewerkstelligt wird und dadurch zu einem sinnlichen Gefühl (der Achtung) wird – ansonsten bleibt der Übergang ungeklärt – ist damit nicht erwiesen. Was ist eine Vernunftwirkung auf die Sinnlichkeit und wie kann sie selbst als Gefühl aufgefaßt werden?27 Kants ungelöstes Problem hinsichtlich der moralischen Triebfeder besteht also in folgendem Dilemma: ein Gefühl ist sinnlich und kann eo ipso nicht apriorisch sein – dies ist auch der Grund, weshalb es nach Kant nicht Grund der Moral sein darf. Auf der anderen Seite aber muß (auch dem theoretisch-architektonischen Status der »Analytik der reinen praktischen Vernunft« entsprechend) ein bestimmtes Gefühl apriorisches Element der Moral sein, sonst ist eben die Kluft zwischen objektiv-gesetzgebendem Willen und subjektiv-handlungsbestimmender Willkür unüberbrückbar. Da trägt auch die in der Sekundärliteratur bisweilen vorgebrachte Erklärung, Achtung sei objektiv betrachtet das Bewußtsein der Willensbestimmung, subjektiv aber sei dieselbe Achtung ein Gefühl (vgl. GMS, 400 f.), nichts zur Lösung des Problems bei, denn die Differenzierung zwischen objektiv und subjektiv ist eher dazu geeignet, die bestehende Kluft zu benennen als sie zu schließen.28 Auch die Differenzierung aller Gefühle – sie sind insgesamt sinnlich – in pathologische, die einem Gesetz vorausgehen, und moralische bzw. ein moralisches, das auf das Sittengesetz folgt, kann zur Klärung dieses paradoxen Begriffs nichts beitragen, weil die Frage nach einem Gefühl, das auf ein (begriffliches) Gesetz nicht nur folgen, sondern von diesem bewirkt sein soll, bestehen bleibt.29 Ein motivationaler Grund der Unterwerfung des Willens unter das Sittengesetz ist damit entgegen der Prätention nicht benannt – die Achtung vor dem Gesetz sollte ja sowohl eine quasi-zufällige als auch eine quasi-mechanische Pflichtgemäßheit verhindern. Auf die Unzulänglichkeit der Triebfederbestimmung haben die Rezipienten von Kants Moralphilosophie schon zu dessen Lebzeiten aufmerksam gemacht.30 Ich will
Vgl. dazu KpV, 74 f. sowie Lauener (1981, 253) und Scarano (2002, 143–147). Vgl. dazu z. B. Giordanetti (1998, 14) und Weiper (2000, 46–50). 29 Vgl. KpV V, 117 und bereits die Refl. 5615 vom Ende der 1770er Jahre, AA XVIII, 255. 30 Repräsentativ sei hier nur die Kritik von August Wilhelm Rehberg angeführt: »Es muß also jener Uebergang durch etwas mit dem Sinnlichen gleichartiges geschehen, wodurch die reine Vernunft der Zeitbestimmung unterworfen wird, ohne sinnlich zu werden. Dieses ist das moralische Gefühl, die Achtung gegen das Gesetz. Aber ist diese Achtung keine Empfindung? Kant windet und drehet sich im 3ten Hauptstücke der Analytik auf die mannichfaltigste Art, um zu beweisen, daß sie kein sinnliches Gefühl sey. Aber hier ist er ganz unbefriedigend. [...] Der Gedanke, daß das Gesetz selbst, nicht aber das Vergnügen am Gesetze, die 27
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an dieser Stelle jedoch nicht weiter auf derartige, in gewisser Nähe zur vorstehenden Diagnose stehende Kritik der Kantischen Ethik durch frühe Rezipienten eingehen, sondern stattdessen eine Alternative erwägen, die sich im Anschluß an die Kantische Theorie selbst bzw. deren Weiterbildung durch Kant anbietet. Soviel, denke ich, steht fest: es muß um eine Deintellektualisierung des motivationalen Achtungsbegriffs gehen. Nur so kann das spezifisch emotionale Element der Motivation als principium executionis moralischer Handlungen adäquat bestimmt werden. Es legt sich daher nahe, das enge Junktim, das nach Kant die Prinzipien der Dijudikation und der Exekution kennzeichnet, aufzuheben oder mindesten zu lockern. Eine Forderungsrestriktion auf sittliche Pflichterfüllung durch Pflichtgemäßheit könnte die Möglichkeit schaffen, den in der Kantischen Moraltheorie paradoxen Begriff der Achtung mit der Anschauung des Wohlwollens zu füllen, die ihn nun auch unwidersprüchlich als Gefühl qualifizieren würde. Die Tatsache, daß ein solches Wohlwollen (wie jedes andere Gefühl ebenso) nicht gefordert werden kann, sollte ein Grund dafür sein, im Bereich moralischer Forderung verschiedene sittliche Handlungsmotive zuzulassen. Der auf diese Weise isolierte sittliche Bereich der »Legalität« (KpV, 71) enthielte die Garantie dafür, daß nicht ein Gefühl die Quelle moralischer Bewertung oder gar den Grund des Sittengesetzes ausmacht, denn keiner Person soll hier das Recht eingeräumt werden, sich unter Berufung auf eventuelle Unannehmlichkeiten der sittlichen Pflicht zu entziehen. Die geforderte Pflichtgemäßheit menschlicher Handlungen bestünde unangesehen des Spektrums sittlicher Motivation. Das Problem der Introspektion träte dementsprechend im Bereich moralischer Beurteilung und Einklagbarkeit nicht auf. Moralität wäre damit intersubjektiv überprüfbar und nur deshalb auch sanktionierbar. Unabhängig von der moralischen Bewertung aber könnten die genuin emotiven Antriebe reflektiert werden und da scheint der Begriff der Philanthropie, also des Mitgefühls oder der Sympathie auf der Grundlage einer Empathie prima facie ein geeigneter Kandidat für den Bestimmungsgrund sittlicher Handlungen zu sein. Damit wäre die Bestimmung der Sympathie weniger »windige, überfliegende, phantastische Denkungsart« (KpV, 85), wie Kant sie nennt, als die unspezifische Forderung eines ›vernunftbewirkten Gefühls‘ (vgl. KpV, 75 f.). Auf die von Habermas in diesem Zusammenhang geltend gemachte Überlegenheit eines Solidaritätskonzepts gegenüber diesem Benevolenzkonzept werde ich in Abschnitt III näher eingehen. Triebfeder der Sittlichkeit seyn müsse, ist selbst Schwärmerey. Denn was ist es anders als Schwärmerey? (die in der Erdichtung übersinnlicher Gegenstände besteht,) wenn Achtung fürs Gesetz ein Gefühl und doch keine sinnliche Empfindung seyn soll?« (Rezension der Kritik der praktischen Vernunft. In: Allgemeine Literatur-Zeitung Nr. 188 a und b vom 6. August 1788, Sp. 345–360; hier 353 ff.; zitiert nach Schulz, 1975). Vgl. zu Christian Garves Kritik und Kants Replik Teil III der »Einleitung« Manfred Kühns (Kant, 2004, xvi–xxv) sowie für weitere zeitgenössische Reaktionen auf Kants Ethik Bittner/Cramer (1975).
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Der Kant des kritischen Jahrzehnts steht einer solchen Konzeption zwar entgegen, doch es gibt auch einen anderen Kant, den man in Opposition zu dem Autor der Kritik der praktischen Vernunft bringen kann. Dieser andere Kant füllt in seinem 1794 erschienenen und wenig beachteten Aufsatz Das Ende aller Dinge den Begriff der Achtung inhaltlich – und zwar im vorgenannten Sinne: »[...] wenn es nicht bloß auf Pflichtvorstellung, sondern auch auf Pflichtbefolgung ankommt, wenn man nach dem subjectiven Grunde der Handlungen fragt, aus welchem, wenn man ihn voraussetzen darf, am ersten zu erwarten ist, was der Mensch thun werde, nicht bloß nach dem objectiven, was er thun soll: so ist doch die Liebe, als freie Aufnahme des Willens eines Andern unter seine Maximen, ein unentbehrliches Ergänzungsstück der Unvollkommenheit der menschlichen Natur (zu dem, was die Vernunft durchs Gesetz vorschreibt, genöthigt werden zu müssen) [...].« (EaD, 337 f., m. H.) Eine solche Korrektur am entsprechenden Theorem der KpV, die Unterfütterung des Achtungsbegriffs durch ein Konzept der »Menschenliebe (Philanthropie)« (MdST, 450), kann jedoch nicht bruchlos in die alte Theorie eingefügt werden. Denn zum einen ist damit die ›Reinheit‹ moralischer Beweggründe unterwandert – eine Triebfeder der Sympathie hält der kritische Kant schlichtweg für »pathologisch« (KpV, 85). Zum anderen bleibt die Schwierigkeit der Koppelung des Exekutionsprinzips an das Dijudikationsprinzip, d. h. der Beurteilung einer Handlung als moralisch richtig, je nachdem, ob sie aus Pflicht oder bloß pflichtmäßig geschehen ist, weiterhin bestehen.31 Kant stimmt in der Metaphysik der Sitten zwar den Anspruch der Moralität zu einer, wie er es nennt, »weite[n] Verbindlichkeit« herab, so daß nicht mehr die Handlungen selbst aus Pflicht geschehen müssen, sondern lediglich das Ausbilden entsprechender Maximen dem sittlichen Grundsatz der Moralität gehorchen sollte: »Die größte moralische Vollkommenheit des Menschen ist: seine Pflicht zu thun und zwar aus Pflicht (daß das Gesetz nicht blos die Regel, sondern auch die Triebfeder der Handlungen sei). – Nun scheint dieses zwar beim ersten Anblick eine enge Verbindlichkeit zu sein und das Pflichtprincip zu jeder Handlung nicht blos die Legalität, sondern auch die Moralität, d. i. Gesinnung, mit der Pünktlichkeit und Strenge eines Gesetzes zu gebieten; aber in der That gebietet das Gesetz auch hier nur die Maxime der Handlung, nämlich den Grund der Verpflichtung nicht in den sinnlichen Antrieben (Vortheil oder Nachtheil), sondern
Eine Assimilierung der zeitlich aufeinanderfolgenden Ansätze Kants findet sich bei Onora O’Neill, wenn sie dem kritischen Kant die Ansicht unterstellt, »[...] daß ein Leben von moralischem Wert auf den Maximen von Gerechtigkeit (einschließlich der Ablehnung von Zwang und Täuschung) und von Achtung und Liebe gegründet sein muß.« (O’Neill, 1993, 351) Die vorliegende Analyse sollte unter anderem dazu dienen, notwendige Differenzierungen innerhalb der Kantischen Konzeption vorzunehmen. 31
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ganz und gar im Gesetz zu suchen – mithin nicht die Handlung selbst. – Denn es ist dem Menschen nicht möglich so in die Tiefe seines eigenen Herzens einzuschauen, daß er jemals von der Reinigkeit seiner moralischen Absicht und der Lauterkeit seiner Gesinnung auch nur in einer Handlung völlig gewiß sein könnte; wenn er gleich über die Legalität derselben gar nicht zweifelhaft ist.« 32 Damit ist zwar neben der Deintellektualisierung des Achtungsbegriffs auch die zweite kritische Forderung erfüllt, nämlich die Beurteilung der Handlungen von der (unmöglichen) Introspektion zu entlasten. Doch eine hinreichende Trennung von principium dijudicationis und principium executionis ist damit noch nicht erreicht. Denn das Bewertungsproblem wurde lediglich von der Handlung auf die in deren Hintergrund liegenden Maximen verschoben.
II. Habermas’ Konzept einer postkonventionellen Entwicklungsstufe moralischer Motivation Man könnte nun versucht sein, die Schwierigkeiten, die mit dem Kantischen Achtungsbegriff verbunden sind, der spezifisch Kantischen Konzeption einer reinen praktischen Vernunft zuzurechnen, und in diesem Punkt abweichende Positionen davon unberührt glauben. Habermas als ein solcher Kant-Kritiker betont in diesem Sinne wiederholt den sozialen Charakter seines Vernunftkonzepts. Eine private Introspektion zur Vergewisserung der eigenen Moralität scheint damit gar nicht erst ins Blickfeld zu geraten. Ja, das subjektiv-motivationale Moment der Moral könnte seiner Theorie, so scheint es, überhaupt gleichgültig sein und in der Tat sucht man in Habermas’ diskursethischen Ausführungen vergeblich nach einem ›Hauptstück‹ über die ›Triebfedern der praktischen Vernunft‹. Es geht ihm in erster Linie um die Aufstellung und Herleitung eines Universalisierungsgrundsatzes, von dem er schreibt: »Das Moralprinzip [sc. der Universalisierungsgrundsatz; K.P.] übernimmt nur die Rolle einer Argumentationsregel für die Begründung moralischer Urteile; als solche kann es weder zum Eintritt in moralische Argumentationen verpflichten, noch zur Befolgung moralischer Einsichten motivieren.«33 MdST, 392; vgl. dazu auch GMS, 407 und Ge, 283 ff. sowie Brandt (1999, 418 f.) in seiner Kommentierung von Anth, 291: »Es wird hier in der Anthropologie eine in der Religionsschrift (1793) ausführlich dargestellte Problematik nicht erwähnt: Die Kenntnis, ob jemand tatsächlich aus rein moralischen Motiven gehandelt hat, ist auch dem Handelnden selbst letztlich entzogen. Es wird zwar die ›Revolution in der Gesinnung‹ (VI 47,24) gefordert und damit die Etablierung eines Charakters der Denkungsart, zugleich gilt, daß ›die Tiefe des Herzens (der subjektive erste Grund seiner Maximen) ihm selbst [und a fortiori anderen Menschen] unerforschlich ist‹ (VI 51,15–16).« 33 Habermas (1991, 135). Der Universalisierungsgrundsatz ›U‹ lautet: »bei gültigen Normen müssen Ergebnisse und Nebenfolgen, die sich voraussichtlich aus einer allgemeinen Befolgung für die Befriedigung der Interessen eines jeden ergeben, von allen zwanglos akzep32
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Doch Folgendes steht einer Marginalisierung der Motivationsproblematik entgegen. Kants Konzept der Achtung hängt, zumindest in dessen Hauptwerken, an dem Postulat, zwischen (bloß) legalen und moralischen Handlungen, zwischen pflichtgemäßen Handlungen und Handlungen aus Pflicht unterscheiden zu können und zu müssen. Die Beurteilung einer Handlung als moralisch, so stellte sich heraus, hängt an der entsprechenden inhaltlichen Füllung des principium executionis. Sollte Habermas diese oder eine analoge Unterscheidung ebenfalls treffen, so ist er mindestens auf eine analoge theoretische Fragestellung (wenn auch nicht schon auf dieselbe Lösung) festgelegt. Während man bei Kant das principium executionis in der Begründungstheorie der Moral jedoch bequem direkt ansteuern kann, empfiehlt es sich bei Habermas, den methodischen Umweg über den entwicklungspsychologischen bzw. moralpädagogischen Aspekt seiner Theorie zu gehen. In diesem Zusammenhang, seinem an Kohlbergs soziomoralischen Perspektiven orientierten Modell der »Interaktionsstufen, Sozialperspektiven und Moralstufen«, handelt Habermas nämlich explizit vom »Begriff der Motivation«34. Er stellt in seinem Modell der ontogenetischen Konstitution einer moralischen Weltsicht die verschiedenen möglichen Handlungstypen unter anderem in Relation zu entsprechenden Begriffen der Motivation. Es zeigt sich, daß auf einer präkonventionellen Entwicklungsstufe des Individuums, also bei autoritätsgesteuerten Interaktionen bzw. interessengesteuerten Kooperationen lediglich die Loyalität gegenüber Personen und die Orientierung an Belohnung bzw. Bestrafung mögliche Handlungsmotive bestimmen. Eine zweite, konventionelle Entwicklungsstufe sei gekennzeichnet durch Rollenhandeln sowie normengeleitete Interaktion; hier konkurrieren (oder kooperieren 35) als entsprechende Handlungsmotivationen Pflicht und Neigung bezüglich den aus der Beobachterperspektive erwartbaren Handlungen. Schließlich konkurrieren auf der postkonventionellen Entwicklungsstufe des kommunikativen Handlungstyps, also des Diskurses, Autonomie und Heteronomie, wobei die autonome Handlung dadurch gekennzeichnet sei, daß sie aus Einsicht in tiert werden können.« (Habermas, 1991, 12) Vgl. zu Formulierungsvarianten sowie neueren diskursethischen Auseinandersetzungen mit ›U‹ und ›D‹ Gottschalk-Mazouz (2000, 30–37). 34 Habermas (1983, 176 f.); vgl. zu Kohlbergs Entwicklungsmodell aber auch die empirischen Untersuchungen von Nunner-Winkler (2003), die nahelegen, daß bereits kleine Kinder Formen moralischer Selbstbindung kennen, die durch Sanktions- oder Autoritätsmodelle nicht vollständig erklärbar zu sein scheinen; vgl. dazu auch Habermas (1999, 278). 35 Dieses kooperieren ist eine Interpolation meinerseits; während auf der postkonventionellen Stufe die exklusive Opposition von »ideale[r] vs. soziale[r] Geltung« als Begriff der Autorität sowie die ebenfalls exklusive Opposition von »Autonomie vs. Heteronomie« konstitutiv für das Verständnis dieser Stufe und das Selbstverständnis der Aktoren auf dieser Stufe ist, gibt Habermas’ Theorie keinen Anhaltspunkt dafür, auf der konventionellen Stufe Pflicht und Neigung als Begriffe der Motivation exklusiv zu opponieren, insofern das »Rollenhandeln« ebenso gut wie die »normengeleitete Interaktion« aus internalisierter Verpflichtung oder/und aus Neigungen heraus geschehen kann.
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die Gründe der entsprechenden Norm erfolgt – vorläufig und Kantisch gesprochen, ›aus Pflicht‹ bzw. ›aus Achtung fürs Gesetz‹.36 Habermas argumentiert ausführlich dafür, daß diese Hierarchisierung der präkonventionellen, konventionellen und postkonventionellen Entwicklungsstufen tatsächlich einen entwicklungslogischen Zusammenhang darstellt, insofern die verschiedenen Elemente der »Perspektivenstruktur«, der »Struktur der Verhaltenserwartung«, des »Begriffs der Autorität«, des »Begriffs der Motivation«, der »Sozialperspektiven« und der diesen entsprechenden »Gerechtigkeitsvorstellungen« sowie der »Stufen des moralischen Urteils« auf der jeweils höheren Stufe, also der konventionellen bzw. der postkonventionellen, die entsprechenden Elemente der jeweils niedrigeren Stufen, also der präkonventionellen bzw. der konventionellen, voraussetzen. Für den gegenwärtigen Zusammenhang des Begriffs der Handlungsmotivation veranschaulicht Habermas dies folgendermaßen: »Beispielsweise verwandelt sich die Autoritätsausübung der Bezugsperson auf der nächsten Stufe in die bloße Willkür, die mit legitimer Willensäußerung kontrastiert; aus persönlichen Loyalitäten oder Lust/Unlust-Orientierungen werden bloße Neigungen, die mit Pflichten kontrastieren. Entsprechend wird die Legitimität von Handlungsnormen auf der nächsten Stufe als eine nur noch faktische, bloß soziale Geltung konzipiert, die der idealen Geltung entgegengesetzt ist, während das Handeln aus konkreten Pflichten nun als etwas Heteronomes gilt, dem die Autonomie gegenübersteht.«37 Das Letztere ist entscheidend: Legitimität wird im Übergang von der konventionellen zur postkonventionellen Stufe zu bloßer Legitimität, pflichtgemäße Handlungen stehen autonomen Handlungen gegenüber, und zwar bezüglich derselben Systemstelle, die diese Begriffe in der Kantischen Theorie einnehmen. Es geht hier um den Begriff der moralischen Motivation und Habermas differenziert dabei, Kant vergleichbar, zwischen bloß legalen und moralischen Handlungen, wobei er das Wort ›Achtung‹, von Kant abweichend, im Sinne der bloß »faktischen Anerkennung« verwendet: »nun zählt nicht mehr die Achtung vor dem Gesetz per se als sittliches Motiv. Der Heteronomie, d. h. der Abhängigkeit von bestehenden Normen, wird die Forderung entgegengesetzt, daß der Handelnde anstelle der sozialen Geltung einer Norm vielmehr deren Gültigkeit zum Bestimmungsgrund seines Handelns erhebt.« (Habermas, 1983, 173 f.; m. H.) Kant, das sei an dieser Stelle lediglich angemerkt, hat sich in der Methodenlehre seiner zweiten Kritik ebenfalls dazu geäußert, »[...] wie man den Gesetzen der reinen praktischen Vernunft Eingang in das menschliche Gemüt, Einfluß auf die Maximen desselben verschaffen«38 könne. Er bringt dazu drei Entwicklungsstufen Vgl. dazu die Übersicht in Habermas (1983, 176 f.) sowie Habermas (1991, 145). Habermas (1983, 181); vgl. zum Verhältnis ›bloßer Neigungen‹ im Kontrast zu Pflichten auf der konventionellen Stufe oben Fn. 35. 38 KpV, 151; wurde oben auf die begründungstheoretische Differenz der moralischen Motivation zwischen dem vorkritischen und dem kritischen Kant hingewiesen, so stellt sich im moralpsychologischen bzw. -pädagogischen Zusammenhang eine weitreichende Übereinstimmung zwischen den verschiedenen Schaffensphasen heraus: »Der Mensch hat nicht solche 36 37
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in Anschlag. Zunächst geht es nach Kant darum, der Jugend Beispiele von Moralität vor Augen zu führen, unter anderem in »Biographien alter und neuer Zeit« (KpV, 154). Damit soll den Heranwachsenden die moralische Perspektive auf ihre Umwelt »gleichsam zur Gewohnheit« werden; sie sollen durch »Beobachtung« und »Beurteilung« lernen, »[...] ob die Handlung objektiv dem moralischen Gesetze« (KpV, 159) gemäß sei. Auf einer zweiten Stufe soll die Aufmerksamkeit von der Legalität der Handlung auf deren Moralität im engeren Sinne gelenkt werden, um zu erkennen, »[...] ob die Handlung auch (subjektiv) um des moralischen Gesetzes willen geschehen« (ebd.) sei. Der wichtigste Schritt in der Ausbildung einer moralischen Weltsicht besteht jedoch nicht in der Beurteilung fremder Handlungen nach deren objektiven und subjektiven Verfassung, denn hier ist von dem entscheidenden »Interesse an den Handlungen und ihrer Moralität selbst« (KpV, 160, m.H.) noch gar keine Rede. Erst die Selbstachtung, die ich in meiner Begriffsanalyse eingangs als Sonderfall (3*) der Achtung im Sinn einer absoluten Wertschätzung einer Person als Person eingeführt habe, kann dieses Interesse an der Moralität erwecken. Man kann diese Selbstachtung dem Jugendlichen, so Kant, dadurch andemonstrieren, daß man ihm Beispiele einer »Reinigkeit des Willens« vorlegt, »[...] vorerst nur als negativer Vollkommenheit desselben, so fern in einer Handlung aus Pflicht gar keine Triebfedern der Neigungen als Bestimmungsgründe auf ihn einfließen; wodurch der Lehrling doch auf das Bewußtsein seiner Freiheit aufmerksam erhalten wird, und, obgleich diese Entsagung eine anfängliche Empfindung von Schmerz erregt, dennoch [...] das Gemüth für die Empfindung der Zufriedenheit aus anderen Quellen empfänglich gemacht wird.«39 Wie bereits im begründungstheoretischen Kontext nähert sich Kant also auch im entwicklungspsychologischen bzw. moralpädagogischen Kontext der positiven Freiheit als Autonomie über die negative Freiheit als Loslösung von Neigungen. Ihre »innere Freiheit« erkennen Heranwachsende in der Distanzierung von der »ungestümen Zudringlichkeit der Neigungen« (KpV, 161). Mit dieser Erkenntnis ist schließlich die psychologische und pädagogische Voraussetzung für die tatsächliche Ergreifung und Aneignung der Moralität gegeben: »Und nun findet das Gesetz der Pflicht durch den positiven Werth, den uns die Befolgung desselben empfinden läßt, leichteren Eingang durch die Achtung für uns selbst im Bewußtsein unserer Freiheit. Auf diese, wenn sie wohl gegründet ist, wenn der Mensch nichts stärker scheuet, als sich in der inneren Selbstprüfung in seinen eigenen Augen geringschätzig und verwerflich zu finden, kann nun jede gute sittliche Gesinnung gepfropft werden.« (Ebd.) Kant hat seine entwicklungspsychologischen bzw. moralpädagogischen Vorstellungen der moralischen Handlungsmotivation in der KpV mehr angedeutet als ausgeheime Organisation durch objective Gründe bewogen zu werden, es ist keine Feder von Natur, die da könnte aufgezogen werden solches hervorzubringen. Allein wir können doch einen habitum hervorbringen, der nicht natürlich ist aber doch die Natur vertritt, der durch die Nachahmung und öftere Ausübung zum habitu wird.« (Kant, 2004, 88) 39 KpV, 160 f.; vgl. dazu auch Köhl (1990, 151–154).
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geführt. Gleichwohl kann man hier eine dem Habermas’schen Konzept der ontogenetischen Aufklärung zur postkonventionellen Stufe ähnliche Theorie finden, denn die sukzessive »Integration von Teilnehmer- und Beobachterperspektiven«, wie Habermas sie nennt,40 ist, wenngleich unter umgekehrten Vorzeichen, der Kerngedanke von Kants praktischer Methodenlehre. Während Habermas den Fortschritt in der Einbeziehung einer Beobachterperspektive in die Reflexion auf soziale Interaktion sieht, gehen Kantische Moralathleten den umgekehrten Weg von der Zuschauertribüne auf das Sportfeld. Doch zurück zu Habermas und dessen Vorstellung einer Genese von Handlungstypen. Selbstverständlich geht es Habermas bei der Ausarbeitung eines eigenen ethischen Vorschlags vor allem um die entsprechende postkonventionelle Entwicklungsstufe.41 Man könnte (und müßte der Vollständigkeit halber) hier sowohl seine Vorstellung einer Relation zwischen der Moral- und der Ich-Entwicklung des Individuums 42 als auch seinen moralpädagogischen Optimismus bezüglich der »entgegenkommenden Lebensformen« diskutieren.43 Stattdessen möchte ich mich hier der Kürze wegen auf die letzte Stufe seiner Hierarchisierung der Handlungstypen und deren entwicklungslogischen Zusammenhang konzentrieren. Es geht mir schließlich nur um das principium executionis moralischer Handlungen. Ich hatte konditional vorausgeschickt, daß, wenn Habermas eine Unterscheidung zwischen pflichtgemäßen Handlungen und Handlungen aus Pflicht vorsehe, er auch etwas über den Zusammenhang zwischen der Dijudikation und der Exekution moralischer Handlungen sagen müsse. Nun zeigte sich, daß er dieser Kantischen Differenzierung mit seiner Unterscheidung zwischen Handlungen aus Einsicht in die soziale Geltung und Handlungen aus Einsicht in die Gültigkeit einer Norm folgt, und erwartungsgemäß äußert er sich auch zu einer höchsten Entwicklungsstufe moralischer Motivation: »Autonomie vs. Heteronomie« (Habermas, 1983, 177).
III. Die motivationale Kraft der Einsicht und das emotive Fundament der Solidarität Kant führt, wie aus dem Vorstehenden deutlich werden sollte, im begründungstheoretischen Kontext den Begriff der Achtung ein, um damit die Moralität von Handlungen zu bezeichnen. Die materiale Übereinstimmung von principium dijudicatonis und principium executionis sollte die objektive und subjektive Richtigkeit der Handlung, Kantisch: die Reinheit deren Bestimmungsgründe von Neigungen, gaVgl. Habermas (1983, 152). Erst auf dieser Stufe können Geltungsansprüche als solche thematisiert werden, nicht nur praktische, sondern auch theoretische und subjektiv-expressive (vgl. dazu Habermas, 1991, 29 f.). 42 Vgl. dazu Habermas (1983, 194 f.). 43 Vgl. dazu Habermas, 1991, 25 und 45. 40 41
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rantieren. Da Kant diese Reinheit als Indikator der Moralität ansetzt, muß ihm letztere unerkennbar bleiben. Der kritische Kant müßte – diese systematische Lücke akzeptiert – das Kriterium moralischer Handlungen herabstimmen von der Moralität auf die Legalität, denn nur letztere kann sicher erkannt und damit Maßstab einer praktischen Beurteilung werden. Habermas äußert sich nun zwar nicht zu dieser Konsequenz einer Kant-Kritik. Doch zweifellos steht ihm die Problematik bei der Konzipierung seiner Diskursethik klar vor Augen. Denn er räumt denselben Sachverhalt – im moderneren Jargon seiner eigenen Theorie – von vornherein ein.44 Gleichwohl akzeptiert Habermas die aus der vorstehenden Kant-Kritik extrapolierbare Reduktion der Moralität auf Legalität nicht für seine Theorie; vielmehr differenziert er, wie gesagt, zwischen ›bloß legitimen‹ und ›autonomen‹ Handlungen.45 Er muß also ein Element in seine Theorie integrieren, das einerseits eine solche Unterscheidung ermöglicht, das aber andererseits die Kritik am Kantischen Achtungskonzept unterläuft. Denn die entscheidende Frage bei einer Adaptation des Kantischen Theorems ›aus Pflicht‹ ist, ob Habermas’ kritische Fortführung der Kantischen Moraltheorie ein Leistungsäquivalent für das problematische TriebfederKapitel der zweiten Kritik Kants aufweist. Es soll daher im folgenden um Habermas’ diskursive Auslegung von Autonomie und deren motivationaler Insuffizienz gehen. Dabei werden sich die kollateralen Festlegungen seiner Theorie als Grund der Überlegenheit über Kants Konzept moralischer Handlungsmotivation erweisen. Die kritische Frage lautet: wie läßt sich mit Habermas’ moraltheoretischen Mitteln ausbuchstabieren, was unter einer Handlung aus Pflicht, einer moralisch richtigen Handlung zu verstehen ist? Wie geschieht eine Handlung aus Einsicht in die Gültigkeit einer Norm? Habermas’ lapidare Umformulierung des Kantischen Ausdrucks ›aus Pflicht‹ – »[...] moralisch handelt, wer aus Einsicht handelt« (Habermas, 1983, 174) – scheint nahezulegen, er wollte das Kantische Problem der Achtung schlicht mit Hilfe einer über Kant noch hinausgehenden Intellektualisierung moralischen Handelns lösen. Doch kann damit selbstverständlich kein praktischer Kurzschluß der Form gemeint sein, daß nun – etwas überspitzt formuliert – die Kantische Wirkung der Vernunft auf das Gefühl durch eine Wirkung des Verstandes auf das Gefühl ersetzt würde. Gemeint ist damit vielmehr eine diskursive Offenlegung der Achtung vor dem Gesetz. Eine Handlung aus Einsicht geht für Habermas mit der Fähigkeit einher, moralische Gründe für diese oder jene Handlung geben zu können, sagen zu können, inwiefern diese oder jene Handlung moralisch geboten ist. Dies scheint nicht allzu weit von der Kantischen Handlung ›aus Achtung fürs Gesetz‹ entfernt zu sein. Denn auch Kant muß natürlich unterstellen, daß diese oder jene Handlung aus Pflicht
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Vgl. Habermas (1983, 200). Vgl. auch Habermas (1983, 181).
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nicht zufällig so geschieht bzw. als solche völlig arbiträr bleibt, d. h. der »[...] Anspruch, daß sich die Beilegung von Handlungskonflikten allein auf begründete Urteile stützt« (Habermas, 1983, 174), gilt auch von Kants Theorie. Wenn der Kantische Kaufmann (vgl. GMS, 397) also nach einem Grund für seinen aktuellen Rekurs auf das Sittengesetz gefragt wird, muß auch er Gründe für seine moralische Qualifikation angeben können. Doch der springende Punkt ist: Für Kant bleibt von einer solchen Rationalisierung die oben ausgeführte Kritik eines motivationalen Introspektionismus unberührt, denn Moralität hing für Kant gerade nicht an einer Explizierung der Handlungsgründe (diese könnten ja leichthin vorgeschoben oder gar vorgetäuscht sein), sondern am sittlichen Bewußtsein des Handelnden. Habermas spricht in diesem Zusammenhang zwar, der Kantischen Position vergleichbar, von autonomem Willen und praktischer Vernunft: »Aus Pflicht befolgen wir geltende Normen nicht, weil diese uns unter Androhung von Sanktionen auferlegt worden sind, sondern weil wir sie uns selbst gegeben haben. [...] Aus Pflicht befolgen wir geltende Normen nicht, weil sie durch Tradition und Gewohnheit beglaubigt sind, sondern weil wir sie für begründet halten. [...] Erst aus der Verbindung beider Überlegungen gehen ›autonomer Wille‹ und ›praktische Vernunft‹ als gleichursprüngliche Konzepte hervor. Autonom ist nur der Wille, der sich durch das, was alle gemeinsam wollen könnten, also durch moralische Einsicht leiten läßt; und praktisch ist die Vernunft, die alles, was ihrem unparteilichen Urteil gemäß gerechtfertigt ist, als Produkt eines gesetzgebenden Willens denkt.« (Habermas, 1991, 145 f.) Diese Bestimmungen sind mindestens noch kompatibel mit den Ausführungen Kants. Das ändert sich meines Erachtens auch dort noch nicht wesentlich, wo Habermas die reflexive Ebene der ersten Person Singular, Kants Konstitutionsrahmen der praktischen Vernunft und des autonomen Willens, verläßt und das Soziale, die Anerkennungsverhältnisse des ›Ich‹ und ›Du‹ und schließlich des ›Wir‹ miteinbezieht: »Aus der Sicht der Intersubjektivitätstheorie bedeutet Autonomie nicht die Verfügungsgewalt eines Subjekts, das sich selbst zum Eigentum hat, sondern die durch Beziehungen reziproker Anerkennung ermöglichte Unabhängigkeit des Einen, die nur mit der symmetrischen Unabhängigkeit des Anderen zusammenbestehen kann.« (Habermas, 1991, 146) Auch Kant muß auf der Konstitutionsebene seiner Moral den Anderen mitreflektieren – die Versehrbarkeit und die Freiheit der anderen Person müssen vorausgesetzt werden, um dem Adressaten des Kategorischen Imperativs einen ›Objektbereich‹ seiner allgemeinen Gesetzgebung zu eröffnen.46 Vgl. dazu auch die zweite »Maxime[...] des gemeinen Menschenverstandes« in der Kritik der Urteilskraft: »An der Stelle jedes andern denken«. Den »Mann von erweiterter Denkungsart« erkennt man demgemäß daran, »daß er sich über die subjectiven Privatbedingungen des Urtheils, wozwischen so viele andere wie eingeklammert sind, wegsetzt und aus einem allgemeinen Standpunkte (den er dadurch nur bestimmen kann, daß er sich in den Standpunkt anderer versetzt) über sein eigenes Urtheil reflectirt.« (KdU, 294 f., m. H.) Vgl. 46
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Doch der nun folgende und richtungsweisende Schritt in Habermas’ Theorie stand Kant zweifellos nicht als mögliche Option vor Augen, d. h. genau hier verläßt Habermas den Weg Kants: »Der moral point of view kann nicht in einem ›ersten‹ Prinzip oder in einer ›letzten‹ Begründung, also außerhalb des Kreises der Argumentation selber gefunden werden. Rechtfertigende Kraft behält allein das diskursive Verfahren der Einlösung normativer Geltungsansprüche; und diese Kraft verdankt die Argumentation letztlich ihrer Verwurzelung im kommunikativen Handeln.« (Habermas, 1983, 175) Habermas kennzeichnet jedoch auf diese Weise nicht nur die Konstitutionsebene seiner Diskurstheorie der Moral, sondern knüpft – und das ist im gegenwärtigen Zusammenhang von Bedeutung – an eben diesen Gedanken der kommunikativen Externalisierung von Kants begründungstheoretischer Einsiedelei auch eine diskurstheoretische Fundierung des principium executionis: »Verpflichtet fühlen wir uns nur durch Normen, von denen wir meinen, gegebenenfalls erklären zu können, warum sie Anerkennung im Kreise der Adressaten (und der Betroffenen) verdienen. Die interne Verknüpfung von Normen mit rechtfertigenden Gründen bildet die rationale Grundlage der Normgeltung. Auch phänomenologisch läßt diese sich ausweisen am korrespondierenden Verpflichtungsgefühl. Pflichten binden den Willen der Adressaten, aber sie beugen ihn nicht. Sie weisen dem Willen eine Richtung, orientieren ihn, aber sie treiben ihn nicht wie Impulse an; sie motivieren durch Gründe und verfügen nicht über die Triebkraft ausschließlich empirischer Motive.« (Habermas, 1991, 144) Auf Habermas’ Ansicht, daß die motivationale Kraft dieser Gründe nicht überschätzt werden sollte, werde ich gleich zu sprechen kommen. Doch auf jeden Fall ist damit der entscheidende Schritt von Kants Achtungskonzept hin zu einer diskursethischen Einlösung desselben theoretischen Anspruchs getan. Wie sich sogleich zeigen wird, bahnt sich damit auch Habermas’ Entkoppelung des principium dijudicationis vom principium executionis an.47 Der Anspruch der Kantischen
dazu auch Wood (1999, 302, 374). Zu einem eingehenden Vergleich der Positionen Kants und Habermas’ bezüglich des Problemfelds Subjektivität/Intersubjektivität in der praktischen Philosophie sei an dieser Stelle lediglich auf die Abhandlung von Keul (2002) verwiesen, der sowohl Ähnlichkeiten dieser Theorien und entsprechende Bezugnahmen der Diskurstheorie auf Kant, als auch Differenzpunkte herausarbeitet. 47 Was mit dieser Entkoppelung gemeint ist, wird im folgenden klarer, in jedem Fall jedoch keine moral-epistemologische Isolation von Urteilen und Gefühlen: »Von anderen Gefühlen unterscheiden sie [moralische Gefühle der Abscheu, Empörung, Kränkung, Ressentiment, Scham, Schuld, aber auch Bewunderung, Loyalität, Dankbarkeit; Einf. K. P.] sich nämlich dadurch, daß sie mit rational einklagbaren Verpflichtungen verwoben sind. Wir verstehen diese Äußerungen eben nicht als Ausdruck bloß subjektiver Empfindungen und Präferenzen.« (Habermas, 1996, 13) Vgl. auch Habermas (1999, 277 f.), wo er in Analogie zum Verhältnis von Beobachtungssätzen und Wahrnehmungen Werturteile als die Explikation moralischer Gefühle anspricht.
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Theorie, nämlich beide Prinzipien deckungsgleich zu fassen, wird fallengelassen und die Moralität bestimmt als diskursiv einlösbare Festlegungen. Die Entscheidung darüber, ob eine Handlung aus Pflicht erfolgt oder nicht, wird nicht in foro interno getroffen, sondern muß aus der äußeren Diskursteilnehmerperspektive gemäß der diskursiven Realisierung des Universalisierungsgrundsatzes am konkreten Fall getroffen werden. Moralität bemißt sich in diesem Sinne an der Bewährung in foro externo, ohne dadurch zur bloßen Legalität degradiert zu werden, denn zwischen der bloßen Konformität mit einem bestehenden Normensystem und der Handlung aus Einsicht besteht ein wichtiger Unterschied: Während die Normenkonformität (des konventionellen Handlungstyps) nicht nach Gründen fragt, muß sich die rationale Selbstbestimmung der Moralität im Verlauf des kommunikativen Handelns diskursiv zeigen und ausweisen lassen (die Vortäuschung moralischer Motive durch den bereits erwähnten Kantischen Kaufmann läßt sich auf diesem Weg diskursiv entlarven; zumindest sieht dies der Optimismus Habermas’ vor, dessen Berechtigung allerdings vom Umfang entsprechender Zeitressourcen abhängt) 48. Unabhängig von der Beurteilung einer Handlung als moralisch oder unmoralisch bestimmt Habermas das principium executionis noch weiter. Die dabei stattfindende Entlastung des principium executionis von der Moralität einer Handlung markiert aus motivationstheoretischer Perspektive den soeben vom Dijudikationsprinzip aus betrachteten Differenzpunkt zwischen der diskurstheoretischen Sozialethik Habermas’ und dem moraltheoretischen Introspektionismus Kants. Habermas ist – so wenig wie Kant – ein blinder Rationalist: »Von der diskursiv gewonnenen Einsicht gibt es keinen gesicherten Transfer zum Handeln.« (Habermas, 1996, 51) Er depotenziert die motivationale Kraft der Einsicht schließlich soweit, daß ihre Insuffizienz und Ergänzungsbedürftigkeit deutlich sichtbar werden, wenn er von der »irrigen Annahme« (man darf ergänzen: moderner Internalisten) spricht, »kognitivistische Ethiken würden oder müßten behaupten, daß die moralische Einsicht schon ein hinreichendes Motiv für moralisches Handeln sei. Es gehört aber zum kognitivistischen Verständnis von Moral, daß begründete moralische Gebote und entsprechende moralische Einsichten nur die schwach motivierende Kraft guter Gründe mit sich führen.« (Habermas, 1991, 135) Diese »schwach motivierende Kraft guter Gründe« muß demzufolge ergänzt werden um eine spezifisch emotive Komponente. Daß, und vor allem wie gute Gründe aber überhaupt motivieren können, erklärt Habermas nach meinem Wissen nicht. Es bleibt letztlich unklar, woraus Einsichten ihre (schwache) motivationale Kraft beziehen49 oder – falls sie diese Kraft erst aus dem Diskurs heraus generieren – woraus sich die spezifische Handlungseffektivität des Diskurses speist. Klar ist lediglich, daß Habermas Vgl. dazu Pollok (2005). 49 Mit dem »schlechten Gewissen, das uns ›schlägt‹, wenn wir wider bessere Einsicht handeln« (Habermas, 1996, 51) ist eher das Problem als dessen Lösung benannt. Interessanterweise kommt Forst (2004) im Zusammenhang der sittlichen Einsicht auf Kants ›Faktum der Vernunft‹ zurück, vgl. dazu oben Fn. 11. 48
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(vielleicht aufgrund dieser Schwierigkeit) die Notwendigkeit einer motivationalen Entlastung dieser Gründe erkennt, die nicht schon durch eine »Ergänzung der nur schwach motivierenden Moral durch zwingendes und positives Recht«50 erledigt ist, denn die Institutionen der Moral und des Rechts unterscheiden sich gerade in der Heteronomie in Kauf nehmenden Strafbewehrtheit der letzteren und der auf Autonomie gründenden Unbedingtheit der ersteren. Erstaunlicherweise rekurriert Habermas nun bei der Ergänzung in der Erklärung moralischer Motivation auf Begriffe wie der »Anteilnahme am Schicksal des ›Nächsten‹, der oft der Fernste ist« (Habermas, 1983, 193 f.). Erstaunlich ist dies nicht deshalb, weil es zum bislang Ausgeführten nicht passen würde (im Gegenteil) und auch nicht, weil es eine weitergehende Parallele zum vorgestellten Konzept des späten Kant darstellt. Erstaunlich ist diese Unterfütterung der Achtung durch Empathie vielmehr, weil Habermas gerade deren Fehlen bei Kant kritisiert: »Kant hat dieses Moment [der Autonomie des Willens; K.P.] fälschlich gleichgesetzt mit dem Akt der Loslösung von allen empirischen Motiven. Dieser Rest von Platonismus verschwindet, wenn man die idealistische Vorstellung der Katharsis eines von irdischen Beimengungen sich reinigenden Willens verabschiedet. Dann ist der autonome Wille nicht eo ipso ein repressiver Wille, der Neigungen zugunsten von Pflichten eliminiert. Seit Schiller ist die Rigidität der Kantischen Pflichtethik mit Recht immer wieder kritisiert worden.« (Habermas, 1991, 136) Ich habe bereits im Zusammenhang meiner Kant-Rekonstruktion versucht, dieses Schillersche Verdikt durch eine Hinwendung zum älteren Kant zu umgehen. Doch was versteht nun Habermas seinerseits unter dieser handlungsauslösenden Empathie, einer »motivationalen Verankerung moralischer Einsichten«, die er als »Verinnerlichung von Autorität«51 anspricht? Wenn ich richtig sehe, besteht in dieser Hinsicht eine gewisse Unbestimmtheit innerhalb Habermas’ Theorie. Denn in seinem Aufsatz »Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln« von 1983 nähert sich Habermas mit dem eben angesprochenen Konzept der Verinnerlichung (unbeabsichtigt?) der entsprechenden Position des Kant der 90er Jahre. Habermas spricht dabei von einer »[...] Integration von Erkenntnisleistungen und Gefühlseinstellungen«, die »jedes ausgereifte moralische Urteilsvermögen« kennzeichnen und grenzt »dieses Konzept der Reife« von den »Erscheinungen des moralischen Rigorismus als Beeinträchtigungen des Urteilsvermögens« (Habermas, 1983, 194) ab. Schließlich fordert er als motivationales Element moralischer Handlungen eine »ideale Rollenübernahme«: »Sie verlangt anspruchsvolle kognitive Operationen. Diese stehen wiederum in internen Beziehungen zu Motiven und Gefühlseinstellungen wie z. B. der Empathie. [...] Ähnliche Verbindungen zwischen Kognition, Einfühlungsvermögen und Agape können für die hermeneutische Leistung der kontextsensitiven An-
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Habermas (1996, 51) weist in diese Richtung. Vgl. dazu Habermas (1983, 191).
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wendung allgemeiner Normen geltend gemacht werden.« (Habermas, 1983, 193 f.) Wie bereits der späte Kant 52, so fordert auch Habermas eine Integration von Kognition und Empathie. In seinem Aufsatz »Gerechtigkeit und Solidarität« von 1986 (als Vortrag 1984 gehalten) stellt er dem moralischen principium dijudicationis der Gerechtigkeit auf der »Einstellungsebene«, d. h. als principium executionis, jedoch die Solidarität an die Seite – und explizit nicht »[...] Mitleid, Liebe zum Nächsten, Hilfsbereitschaft im weitesten Sinne, aber auch Gemeinsinn.« (Habermas, 1991, 67) Die wesentliche Überlegenheit dieses diskurstheoretischen Solidaritätskonzepts über das genannte Benevolenzkonzept – und nicht Habermas’ Überwindung des ›Rigorismus‹ durch die Einbeziehung der dezidiert emotionalen Komponente in seine Ethik – begründet meines Erachtens die entsprechende Überlegenheit von Habermas’ Diskurstheorie der Moral über Kants Monologismus. Denn mit seiner Diskursorientierung der Solidarität tritt Habermas endgültig aus dem Kantischen Schatten der Subjektivität und Privatheit moralisch richtiger Handlungen und der handlungsauslösenden Motive heraus. Habermas hebt zwar nicht deutlich hervor, daß Solidarität in seiner Konzeption die eigentliche Funktion des principium executionis übernimmt, doch scheint mir dies eine angemessene Analyse seiner Position zu sein: »Aus kommunikationstheoretischer Sicht ergibt sich [...] ein enger Zusammenhang der Sorge für das Wohl des Nächsten mit dem Interesse für das allgemeine Wohl: die Identität der Gruppe reproduziert sich über intakte Verhältnisse reziproker Anerkennung. Darum ist der zur individuellen Gleichbehandlung komplementäre Gesichtspunkt nicht Benevolenz, sondern Solidarität. Dieses Prinzip wurzelt in der Erfahrung, daß einer für den Anderen einstehen muß, weil alle als Genossen an der Integrität ihres gemeinsamen Lebenszusammenhangs in derselben Weise interessiert sein müssen.« (Habermas, 1991, 70) An dieser Stelle zeigt sich folgende an den beiden Begriffen des principium dijudicationis und des principium executionis ausgerichtete Struktur der Theorie Habermas’: beide Prinzipien, das der Gerechtigkeit und das der Solidarität, werden über den Diskurs aufeinander bezogen, wodurch insbesondere letzteres seinen Kantisch opaken Charakter verliert. Beide Prinzipien werden aber auch deutlich voneinander getrennt. Um diese Struktur freizulegen, ist es jedoch erforderlich, eine Differenzierung im Begriff der Solidariät vorzunehmen, die in Habermas’ Theorie vorgezeichnet ist, von ihm so aber nicht namentlich benannt wird; bei Habermas laufen die objektive und die subjektive Dimension dieses Begriffs durcheinander. Die Unterscheidung dieser beiden Dimensionen verschafft seiner Theorie jedoch nicht nur mehr Klarheit, sondern eröffnet zugleich die Möglichkeit, zwei Funktionselemente seiner Theorie neu zu bestimmen. 52
Vgl. EaD, 337 f. und oben Abschnitt I.
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Die objektive Seite des Begriffs der Solidarität bezieht sich auf ein beobachtbares Verhalten, das nicht durch die reine Reziprozität der Handlungen bestimmt ist, sondern einseitige Hilfeleistungen einschließt. In diesem Sinne spricht Habermas nicht nur von Gerechtigkeit, sondern auch von Solidarität als »normativen Verpflichtungen« (Habermas, 1991, 71) und bestimmt beide folgendermaßen: »Gerechtigkeit bezieht sich auf die gleichen Freiheiten unvertretbarer und sich selbst bestimmender Individuen, während sich Solidarität auf das Wohl der in einer intersubjektiv geteilten Lebensform verschwisterten Genossen bezieht – und damit auch auf die Erhaltung der Integrität dieser Lebensform selbst.« (Habermas, 1991, 70) Die subjektive Seite – und damit ist die Solidarität als principium executionis angesprochen – bezieht sich auf den emotionalen Aspekt, der auch der alltagssprachlichen Verwendung des Begriffs als Gemeinsinn, als Zusammengehörigkeitsgefühl Rechnung trägt. Daß Habermas den subjektiven Aspekt des Solidaritätsbegriffs als Kandidat eines principium executionis (in notwendiger Ergänzung der ›schwach motivierenden Kraft guter Gründe‹) im Blick hat, wird deutlich, wenn er diese Solidarität als emotionale Bedingung der (öffentlichen) Realisierung von Gerechtigkeit charakterisiert: »Beides trifft zu: ohne die uneingeschränkte individuelle Freiheit der Stellungnahme zu normativen Geltungsansprüchen könnte die faktisch erzielte Übereinstimmung nicht wahrhaft allgemein sein; aber ohne die solidarische Einfühlung eines jeden in die Lage aller anderen könnte es zu einer konsensfähigen Lösung gar nicht kommen.« (Habermas, 1991, 73) Die objektive Gerechtigkeit gilt als Indikator, als principium dijudicationis moralischen Handelns. Die subjektiv empfundene Solidarität wirkt als Motor, als principium executionis moralischen Handelns. Als solche sind beide Prinzipien voneinander funktional verschieden: während Personen zu gerechtem Handeln verpflichtet werden können, ist die Verpflichtung zu einem Zusammengehörigkeitsgefühl (wie die Verpflichtung zu jedwedem Gefühl) ein begriffliches Unding. Beide, Gerechtigkeit und Solidarität, sind nach Habermas aber auch aufeinander bezogen – und hier zeigt sich die Notwendigkeit einer Engführung nicht nur der subjektiven und objektiven Dimensionen des Solidaritätsbegriffs, sondern auch der Engführung von begründungstheoretischen und moralpsychologischen bzw. -pädagogischen Hinsichten: Denn Gerechtigkeit und Solidarität speisen sich begründungstheoretisch aus den Diskursvoraussetzungen; über den Diskurs können aber beide auch erst moralpsychologisch bzw. -pädagogisch etabliert werden. Die erste, begründungstheoretische Hinsicht betrifft Habermas’ Ableitung des Universalisierungsgrundsatzes als Argumentationsregel für die Begründung moralischer Urteile aus den allgemeinen Diskursvoraussetzungen (Öffentlichkeit, Gleichberechtigung, Wahrhaftigkeit und Zwanglosigkeit) 53. Die zweite, moralpsychologische bzw. -pädagogische Hinsicht betrifft die diskurstheoretische Verknüpfung beider Prinzipien: »So trägt das Verfahren diskursiver Willensbildung dem inneren Zusammenhang beider Aspekte Rechnung: der Autonomie unvertretbarer Indivi53
Vgl. Habermas (1991, 134) sowie (1996, 62 f.).
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duen und ihrer vorgängigen Einbettung in intersubjektiv geteilte Lebensformen überhaupt. Das bedeutet nicht etwa die Versöhnung von Kant mit Aristoteles. Die Diskursethik schöpft nur den modernen Begriff von Gerechtigkeit aus, wenn sie den individualistischen Vereinseitigungen entgegentritt und Solidarität als die Kehrseite von Gerechtigkeit hervorkehrt.« (Habermas, 1991, 73) Habermas macht in diesem Zusammenhang jedoch auch unmißverständlich klar, daß es sich bei dieser Engführung von Gerechtigkeit und Solidarität nicht um die Beobachtung eines urwüchsigen Sachverhalts handelt, sondern um den Zielpunkt der Sozialisation und Moralentwicklung.54 Erst eine Kultur rational geführter Diskurse kann die »Grenzen einer konkreten Lebenswelt der Familie, des Stammes, der Stadt oder der Nation« überschreiten und damit zu der allgemeinen und »reziproken Anerkennung zurechnungsfähiger Subjekte [führen; K.P.], die ihr Handeln an Geltungsansprüchen orientieren [...].« (Habermas, 1991, 71) Mit dem späten Kant, der nicht nur die universelle Gültigkeit des Sittengesetzes verteidigt, sondern auch den Begriff der »Liebe, als freie Aufnahme des Willens eines Andern unter seine Maximen« (EaD, 338) einbezieht, geht diese Konzeption des principium executionis insofern konform, als (entgegen der Habermas’schen Abgrenzung) beim späten Kant von einer rationalistischen Individualisierung keine Rede mehr sein kann. Der späte Kant thematisiert die affektive ›Einbeziehung des Anderen‹. Der Unterschied betrifft vielmehr, wie bereits betont, die Diskursivität der Willensbildung, die Kant außer Acht gelassen hatte. Habermas’ prinzipielle Diskursorientierung, die sich in dem diskursethischen Grundsatz ›D‹ äußert, »[...] daß nur die Normen Geltung beanspruchen dürfen, die die Zustimmung aller Betroffenen als Teilnehmer eines praktischen Diskurses finden (oder finden könnten)« (Habermas, 1983, 103), führt zu einer Detranszendentalisierung, zu einer Phänomenalisierung, und das bedeutet im Praktischen zu einer diskursorientierten Sozialisierung der Kantischen Moraltheorie, deren Aufgabe, nämlich »[...] die Bedingungen zu explizieren, unter denen jeweils die Beteiligten selbst eine vernünftige Antwort finden könnten« 55, im Vergleich zur Kantischen Metaphysik der Sitten grundlegend neu bestimmt ist. Habermas’ Auffassung von Interpersonalität, daß nämlich »[...] Personen als sprach- und handlungsfähige Subjekte nur auf dem Wege der Vergesellschaftung individuiert werden« (Habermas, 1991, 69), kann im gegenwärtigen motivationstheoretischen Rahmen nicht weiter verfolgt oder kritisiert werden. Doch als wesentlicher Differenzpunkt der Theorie im Gegensatz zu Kants atomistischer bottom-up Konzeption sollte sie wenigstens benannt werden: Personen werden nach Habermas »[...] zu Individuen allein dadurch herangebildet, daß sie in eine Sprachgemeinschaft und damit in eine intersubjektiv geteilte Lebenswelt hineinwachsen. In diesen Bildungsprozessen entstehen und erhalten sich gleichursprünglich die Identität des Einzelnen und die des Kollektivs, dem dieser angehört.« (Ebd.) Habermas 54 55
Vgl. Habermas (1991, 70 f.). Habermas (1991, 124); vgl. auch oben Fn. 33.
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spricht im folgenden von einem subtilen Netz »reziproker Abhängigkeiten und exponierter Schutzbedürftigkeiten«, deren Ergebnis »die Gefährdung und chronische Anfälligkeit einer versehrbaren Identität [ist]. Und eben auf deren Schonung sind Moralen zugeschnitten.« (Ebd.) Eine solche Ansicht ist zweifellos kontrovers; man könnte hier eine Relativierung der Moral, eine Assimilierung des Normativen an naturale Evolutionen vermuten. Ich denke zwar, daß sich dieser Verdacht mit guten Gründen ausräumen läßt, doch müßte dies unter einer anderen als der gegenwärtigen Themenstellung geschehen. Entscheidend ist lediglich, daß damit – nur scheinbar fernab vom motivationalen Begriff der Achtung – der Differenzpunkt zwischen Kant und Habermas bezeichnet wird. Während Kant sein Bild von der menschlichen Praxis im doppelten Rahmen des mundus intelligibilis und des mundus sensibilis zeichnet, befindet sich Habermas’ Bild (wie bei modernen Bildern häufig anzutreffen) nicht in einem Rahmen, sondern integriert die metaphysischen – modern gesprochen: kontrafaktischen – Annahmen in das Bild selbst. Die Anerkennungstheorie, auf der seine Diskurstheorie der Moral aufruht, ist selbst Teil einer umfassenden Erklärung menschlicher Praxis. Nicht nur die Gerechtigkeit, sondern auch die Solidarität, subjektiv wie objektiv, hinsichtlich ihres Geltungs- wie ihres Entstehungsaspekts, bedürfen zu ihrer Erklärung wesentlich der diskursiven Einbeziehung des Anderen. Mit Habermas’ Moralprinzip, dem Universalisierungsgrundsatz ›U‹ als Argumentationsregel zur Auffindung moralischer Normen, mit ›D‹, der Verfahrensregel moralischer Argumentation, sowie mit dem Konzept der Anerkennung sind die kollateralen Festlegungen seines Systems benannt, die ich eingangs als konzeptionell notwendige Verankerung von Habermas’ Begriff einer moralischen Motivation angesprochen habe. Habermas bestimmt dieses Begriffsverhältnis folgendermaßen: »Das Verfahren diskursiver Willensbildung trägt dem inneren Zusammenhang beider Aspekte Rechnung – der Autonomie unvertretbarer Individuen und ihrer Einbettung in intersubjektiv geteilte Lebensformen. Die gleichen Rechte der Individuen und die gleichmäßige Achtung ihrer persönlichen Würde werden von einem Netz interpersonaler Beziehungen und reziproker Anerkennungsverhältnisse getragen.« (Habermas, 1991, 19 f., m.H.) Abschließend ist nur noch auf die lebensweltliche Unterfütterung des Motivationskonzepts hinzuweisen, die Habermas, wenn ich ihn richtig verstehe, keineswegs resignativ verstanden wissen will. Was aus philosophischer Sicht zum principium executionis moralisch richtiger Handlungen zu sagen ist, wurde bereits gesagt. Eine weiterreichende Forderung nach der Begründung moralischen Handelns, wie beispielsweise von Karl-Otto Apel vorgebracht, weist Habermas a limine als philosophische Hybris zurück: »Überfordert wird die Philosophie von jener Frage, die Apel ›die existentielle Frage nach dem Sinn des Moralischseins‹ nennt.«56 Stattdessen findet Habermas im Kontext der Realisierung von Moralität – nicht dem der philosophischen Begründungen – einen Konvergenzpunkt zur Ethik Kants, der ja zumindest in der Ausarbeitung von 1788 hinter die ›Begründungslehre‹ der Moral 56
Habermas (1991, 184); vgl. dazu auch Apel (1988, 346–357).
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eine Methodenlehre in praktischer bzw. pragmatischer Hinsicht gestellt hat. So beschreibt Habermas (Kant einschließend) den Zusammenhang zwischen abstrakten Normen und der Lebenswelt: »[...] jede universalistische Moral ist auf entgegenkommende Lebensformen angewiesen. Sie bedarf einer gewissen Übereinstimmung mit Sozialisations- und Erziehungspraktiken, welche in den Heranwachsenden stark internalisierte Gewissenskontrollen anlegen und verhältnismäßig abstrakte Ich-Identitäten fördern.« (Habermas, 1991, 25) Und weiter: »Was moralisches und vor allem unmoralisches Verhalten bedeutet, erfahren wir und lernen wir vor aller Philosophie; das begegnet uns im Mitleiden mit der versehrten Integrität anderer nicht weniger aufdringlich als im Leiden an der verletzten eigenen Identität oder in der Angst um deren Gefährdung. Die unausdrücklichen Sozialisationserfahrungen von Schonung, solidarischer Hilfe und Fairneß prägen unsere Intuitionen und belehren uns darüber besser, als alle Argumente es vermöchten.«57 Damit sind wir endgültig in der Lebenswelt angelangt und können die Akten der Philosophie schließen – zumindest zum Thema der moralischen Motivation. Ich fasse zusammen: Habermas geht wie vor ihm Kant von einer Unterscheidung zwischen (bloßer) Legalität und Moralität aus. Pflichtgemäße Handlungen stehen hinsichtlich ihrer moralischen Dignität unterhalb der Handlungen aus Pflicht. Doch während der kritische Kant diese Moralität einer Handlung in eine jeglicher Verifikation unzugängliche Wirkung der Vernunft auf das Gefühl verlegt, wendet Habermas diesen Internalismus nach außen und kappt damit die Kantische Verbindung zwischen dem objektiven und dem subjektiven Handlungsprinzip der Moral, dem principium dijudicationis und dem principium executionis. Erstens: Eine Handlung aus Pflicht wird nicht länger daran gemessen, welche handlungsauslösenden Motive zu dieser Handlung geführt haben, sondern daran, ob die Handlung zum einen von einer Einsicht in die entsprechende Norm und zum anderen von der Einsicht in die ei-
Habermas (1991, 185); vgl. auch dessen Abwehr des (Apel’schen) Anspruchs auf Letztbegründung: »Eher als durch Argumentation wird ein guter Wille durch die Sozialisation in eine Lebensform, die dem Moralprinzip entgegenkommt, geweckt und gefördert. Eine ähnliche Wirkung mag auch die welterschließende Kraft der prophetischen Rede, überhaupt jeder innovativen Sprache haben, die eine bessere Lebensform, eine bewußtere Lebensführung initiiert – oder auch jene Art wortmächtiger Kritik, die uns an Werken der Literatur und Kunst indirekt eben dies sehen läßt. Welterschließende Argumente, die uns dazu bringen, die Dinge in einem radikal anderen Licht zu sehen, sind aber nicht wesentlich philosophische Argumente – und erst recht keine der Letztbegründung.« (Habermas, 1991, 189) Gerade diese »Sozialisation in eine Lebensform, die dem Moralprinzip entgegenkommt« sieht Habermas neuerdings von der liberalen, d. h. an Angebot und Nachfrage orientierten, Eugenik bedroht und äußert sich kritisch dazu – als Philosoph, allerdings keineswegs als letzbegründender; vgl. dazu oben Fn. 6. 57
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gene Festlegung auf diese Norm geleitet ist. Diese Einsichten müssen, und das ist der entscheidende Schritt in der Argumentation, diskursiv eingelöst werden können. Damit ist Habermas’ Argumentation für das principium dijudicationis einer moralischen Handlung geschlossen. Zweitens: Das principium executionis einer Handlung wird dadurch von der normativen Last der Moralität befreit, daß es als Antwort auf eine andere Frage aufgefaßt wird. Das principium executionis liefert nicht länger den Beweisgrund moralischer Handlungen, sondern die faktisch erforderliche Rahmenbedingung einer solchen Handlung. Das ist nicht nichts, aber es ist weniger als das begründungstheoretisch relevante Gefühl der Achtung bei Kant. Habermas’ Konzept der Solidarität als subjektive Disposition, als kultivierbares und zu kultivierendes Einfühlungsvermögen, steht als solches nicht zur moralischen Bewertung einer aktuellen Handlung an. – Daß (mit diesem Wissen) gesellschaftspolitisch die Schaffung eines solidarischen Klimas als Bedingung gelebter Moralität selbst zu einer Aufgabe und Pflicht werden kann, steht auf einem anderen Blatt. Keine Frage, soziale Rahmenbedingungen für Solidarität zu schaffen ist selbst ein politisch-moralisch relevantes Ziel, doch innerhalb dieses Rahmens wird Moralität nicht und kann Moralität nicht an Gefühlen gemessen werden.
Siglen Alle Siglen beziehen sich auf den Abdruck in der Akademie-Ausgabe (AA); nur die Kritik der reinen Vernunft wird nach den Paginierungen der ersten (A) und zweiten (B) Auflage zitiert. Schriften Kants, für die keine Siglen angegeben sind, werden z. B. zitiert: AA XXIV, 155. AA Anth BW EaD Ge
Immanuel Kant, Gesammelte Schriften (= Akademie-Ausgabe), Berlin 1900 ff. Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, in: AA VII. Briefwechsel, in: AA X–XIII. Ende aller Dinge, in: AA VIII. Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis, in: AA VIII. GMS Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, in: AA IV. GSE Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen, in: AA II. KpV Kritik der praktischen Vernunft, in: AA V. KrV Kritik der reinen Vernunft (A: 1781; B: 1787), in: AA III/IV. KdU Kritik der Urteilskraft, in: AA V. MdSR Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, in: AA VI. MdST Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, in: AA VI. UDG Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral, in: AA II. VAnth Vorlesungen über Anthropologie, in: AA XXV.
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Alternativen zu Kant
Mitleid und Pflicht Uta Eichler
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Leid ergibt sich der beachtenswerte Umstand, daß das Mitleid im Unterschied zum Wohlwollen ein unangenehmes Gefühl ist, das den Nichtbetroffenen beeinträchtigt. Schon allein deshalb sind die psychischen Mechanismen, die entwickelt werden, um sich dem Mitleid zu entziehen, menschlich-allzumenschlich. Ein Indiz dafür mag auch sein, daß auf fehlendes Mitleid keine Strafe steht und weder eine Pflicht zum Mitleid noch ein Recht auf Mitleid begründet werden kann. So ist es höchst umstritten, Mitleid in Beziehung zur Moralität zu setzen,4 es etwa zu den Tugenden zu zählen. Außerdem sei es als bloßes Gefühl eine Reaktion auf das Leid des anderen und somit entweder zur Passivität verurteilt oder vergrößere als »Mitleidenschaft«, wie nicht selten betont, das Leid sogar (vgl. MdST, 457). Dennoch ist das Mitleid neben der Sympathie, der Liebe und der Ehrfurcht eines der wenigen Gefühle, auf dessen Grundlage versucht wurde, ein System der Ethik zu errichten. Dabei wurden verschiedene Bemühungen unternommen, das Mitleid als ein genuin moralisches Gefühl zu erfassen, das, wenn es auch in unterschiedlichen Modi – von der Mitmenschlichkeit, über das Mitgefühl bis zum bloßen Bedauern – auftritt, eine Abwehrhaltung gegenüber dem Leid anderer ausdrückt und darin eine Motivationskraft zum Handeln zu besitzen scheint. Es ist Anliegen dieses Beitrags zumindest die Richtung anzudeuten, aus der sich diese ergeben könnte. Unter Berücksichtigung der Unterscheidung zwischen einer psychologischen und einer philosophischen Betrachtung des Mitleids soll das vielschichtige Phänomen unter drei Gesichtspunkten behandelt werden.5 Zunächst gilt es in der Anknüpfung an die lebensphilosophische und phänomenologische Tradition (Groethuysen und Scheler) das Mitleid als Mitgefühl in Abgrenzung zur Sympathie zu erfassen. Dabei sind für die Entstehung des Mitleids der Gefühlsunterschied zwischen dem Leidenden und dem Mitleidenden hervorzuheben. (I) Unter Rückgriff auf die Differenzierung von »natürlichem« und »reflektiertem Mitleid« bei Rousseau sollen in einem zweiten Schritt die Gesichtspunkte gewonnen werden, die die Motivationskraft des Mitleids und damit seine Relevanz für das moralische Handeln hervortreten lassen. Dabei soll zuerst das natürliche Mitleid als unmittelbares Gefühl this kind is pity or compassion, the emotion which we feel for the misery of others, when we either see it, or are made to conceive it in a very lively manner.« (Smith, 2002, 11). 4 Außer der Kritik von Seneca, Spinoza und Kant soll hier die von Arendt (1999) genannt werden. In jüngerer Zeit hat Tugendhat kritische und generelle Einwände gegen eine Mitleidsethik in der Auseinandersetzung mit Ursula Wolf, 1990 vorgetragen: Das Mitleid ist launisch, partiell, muß abgestützt werden, kurz: ist moralisch richtungslos (vgl. Tugendhat, 1996, 182 ff.). 5 Es sind drei Theoriestränge, die einbezogen werden. Neben der Gefühlsethik der schottischen Moralphilosophie, für die hier Hume und Smith stehen sollen, ist vor allem die Mitleidsauffassung Rousseaus relevant. Außerdem soll auf Erkenntnisse der Lebensphilosophie und der Phänomenologie zu Beginn des 20. Jahrhunderts zurückgegriffen werden, wobei hier nur Groethuysen und Scheler berücksichtigt werden können.
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Gegenstand sein (II), bevor die Relevanz des reflektierten Mitleids als ethisches Phänomen diskutiert wird (III).
I. Differenzierungen zwischen der Sympathie und den Mitgefühlen Ich unterscheide im Anschluß an Groethuysen und Scheler zwischen Sympathie und Mitgefühl. Der Sympathiebegriff hat durch die schottische Moralphilosophie eine enorme Bedeutung erhalten und zielt darauf, zu erfassen, daß Menschen von Natur aus durch Gefühle aufeinander bezogen sind. Bei Hume wird die Sympathie darauf zurückgeführt, daß Menschen einander ähnlich sind. Dabei bezieht sie sich als natürliches Prinzip nicht nur darauf, die Gefühle des anderen nacherleben zu können, sondern gemeinschaftskonstituierend zu sein. Die Art und Weise der Beziehung – das Fühlen – sagt aber noch nichts über seine Entstehung und auch nichts über den genauen Bezug zum Gefühl des anderen aus. In allen unterschiedlichen Formen, in denen Sympathiegefühle 6 auftreten, spielt, und das ist auch für das Mitleid nicht ohne Bedeutung, nicht nur eine natürliche Anziehungskraft zwischen Lebewesen eine Rolle, sondern sind auch sympathetische Wirkungen zu konstatieren, die sich einer klaren begrifflichen Analyse zu entziehen scheinen. Darauf verweist unter den vielfältigen Aspekten, die der Sympathiebegriff hat, (vgl. Richter, 1996) auch die Art der Bezogenheit auf den anderen, die durch Assoziation, Nachahmung oder durch Ansteckung erklärt wird und nicht durch Gründe legitimiert zu werden braucht. Dieser Umstand scheint auch im Mitleid mitzuschwingen,7 ist doch die Art der Bezogenheit auf den anderen im Mitleid auffällig unbestimmt. Die Zurückführung des Mitleids auf Gründe wiederum schränkt die Reichweite des Begriffs ein. Es wird doch nicht nur dann Mitleid empfunden, wenn beurteilt werden kann, ob der andere Gründe hat zu leiden und diese verstehbar sind. Außerdem legt der Ausdruck »Mitgefühl« nahe, daß die Beziehung zum anderen im Mitleid nicht durch eine Beurteilung seiner Lage, sondern durch ein Gefühl bestimmt ist. Darüber hinaus scheint die Vorsilbe »mit« auszudrücken, daß wir sogar in der Lage wären, das zu fühlen, was der andere fühle. Deshalb soll zunächst nur festgehalten werden, daß durch das Mitleid eine Beziehung zum anderen in Form eines Gefühls geknüpft wird. Groethyusen hat bereits vor Scheler in seiner ausführlichen Abhandlung Das Mitgefühl deutlich gemacht, daß es bei den Mitgefühlen im Vergleich zu den Sympathiegefühlen im weiteren Sinne nicht, wie Max Scheler nimmt unter phänomenologischen Gesichtspunkten eine Differenzierung der Sympathiegefühle vor und deutet diese metaphysisch. Zu seinen zahlreichen Verweisen gehört der auf Schillers Vers »Was den großen Ring bewohnet, huldige der Sympathie« aus der »Ode an die Freude« (Scheler, 1973, 14). 7 Auch Kant verweist analog zur physischen Welt auf Anziehung und Abstoßung in der Verbindung vernünftiger Wesen durch die sittlichen Kräfte Wechselliebe und Achtung (vgl. MdST, 449). 6
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er es nennt, um »Gleichgefühle« geht. Er versteht »unter Sympathie jedes Gefühl, das infolge der Wahrnehmung der Gefühlsäußerungen eines anderen Wesens, sei es durch Assoziation […] durch Nachahmung der Ausdrucksbewegungen […] durch Ansteckung, durch Suggestion entsteht und dem Gefühl dieses Wesens – natürlich unter Berücksichtigung individueller Unterschiede – gleich ist.« (Groethuysen, 1904, 241). Weil er, wie später Scheler,8 den Hauptgesichtspunkt seiner Analyse auf die Differenzierung von Mitgefühl und Sympathie legt, ist seine Untersuchung auch für die Erfassung des Mitleids aufschlußreich. Scheler hebt außerdem die Sympathiegefühle und das Mitleid ausdrücklich vom genuin moralischen Gefühl christlicher Liebe ab. In der schottischen Moralphilosophie, der wir seit Shaftesbury eine ausführliche Diskussion des Begriffs der Sympathie verdanken, die bei Smith einen gewissen Höhepunkt erreicht, nimmt das Mitleid eher eine Randposition ein.9 Statt dessen werden bei Hume und Smith dem Wohlwollen und besonders der Wohltätigkeit und der Menschenliebe als sozialen Tugenden eine ungleich höhere moralische Relevanz zugeordnet als dem Mitleid.10 Das hat seine Ursachen darin, daß das Mitleid im Unterschied zu solchen Gefühlen wie Wohlwollen und Güte, die zur Wohltätigkeit und damit zum Handeln führen können, weil sie primär darauf bezogen sind zu wollen, daß es dem anderen gut geht, auf den Schmerz des anderen gerichtet ist, der durch das affektive Betroffensein vom Leid des anderen ein Unlustgefühl auslöst. Die Betroffenheit des Mitleidenden durch das Leid des anderen läßt sich nicht primär als eine willentliche beschreiben. Das zeigt sich schon daran, daß das Mitleid reaktiv ist, das Wohlgefühl beeinträchtigt und in gewissem Sinne unfrei macht. Mitleid läßt sich als eine Art Unlust bezeichnen, die dadurch entsteht, daß der Schmerz eines anderen unangenehm berührt. Dagegen nennt Smith die Wohltätigkeit eine freie Tugend.11 Sie kann nicht erzwungen werden und läßt sich deshalb nicht unter Rechte und Pflichten bringen. Der Wert dieser Tugend wird im Unterschied zur Gerechtigkeit, das zu tun, was wir anderen schuldig sind, erfaßt. Der Gesichtspunkt, dem anderen von selbst Gutes zu tun, steht im Mittelpunkt dieser Beziehung. Das Mitleid kann bereits durch den bloßen Anblick des Leids eines anderen ausgelöst werden, durch Ausdrucksformen wie Mimik und Gestik vermittelt sein.
Zur Sympathie gehören nach Schelers Einteilung (vgl. 1973, 23) auch das Miteinanderfühlen, das Mitgefühl, die Einsfühlung und die Gefühlsansteckung. 9 Smiths Begriff der Sympathie ist vielschichtig. Darunter ist sowohl ein natürlicher Antrieb als auch ein Gefühl der Gegenseitigkeit zu verstehen, auf dessen Grundlage Smith ein methodisches Instrumentarium entwickelt, mit Hilfe dessen das Verhalten anderer gebilligt und darüber hinaus moralische Urteile gebildet werden können. 10 Hume (1906, 103 ff.) nennt Mitleid einen Nebenaffekt. Zum Mitleid bei Smith und Scheler siehe Smith (2002, 11–13) und Scheler (1973, 61 ff.). 11 »Beneficence is always free« (Smith, 2002, 91). 8
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In diesen Fällen wird nicht geprüft, ob das Mitleid berechtigt ist, weil keine Auseinandersetzung darüber stattfindet, wodurch der Schmerz des anderen entstanden ist. Mitleid ist hier eine bloße Reaktion. Daraus ist nicht zu schlußfolgern, daß wir den Schmerz des anderen fühlen. Scheler hat deshalb betont, daß wir den Gefühlszustand des anderen nicht haben und echtes Mitgefühl als eine erlebte »Distanz« beschrieben (vgl. Scheler, 1973, 55). Zweifelsohne ist diese Unterscheidung hervorzuheben, weil erst im Abstand sowohl der Leidende wie auch der Mitleidende in ihrer Eigenständigkeit hervortreten, was, wie Scheler ausführt, die Voraussetzung dafür ist, daß eine moralische Beziehung zum anderen entsteht (vgl. Scheler, 1973, 55). Dennoch vernachlässigt er, daß zum Mitleid als einer Bezogenheit auf den anderen als Leidenden eine emotionale Betroffenheit gehört. Sie kann nicht einfach ausgeblendet werden, so wichtig es auch ist, zu betonen, daß im Mitgefühl nicht der Gefühlszustand des anderen gemeint ist. Wieder kann die Position Groethuysens herangezogen werden, der betont, daß Mitgefühle keine »Gleichgefühle« sind, wenn sie auch, wie dieser in Anknüpfung an Meinong betont, die gleichen Vorzeichen haben. Er versteht darunter, daß das »Mitgefühl […] die Trauer oder Freude darüber [ist – UE], daß ein anderer ein unlustartiges oder ein lustartiges Gefühl hat, gehabt hat oder haben wird.« (Groethuysen, 1904, 233, vgl. 216 ff., 236). Scheler hat außerdem hervorgehoben, daß das Mitgefühl nicht auf den Gehalt des Gefühls gerichtet ist, sondern ein Gefühlsakt ist. Er wendet sich damit gegen die Auffassung, das Gefühl durch Urteilsbildung zu erklären und auf ein Urteil zu reduzieren. Sobald nach Gründen für die Entstehung des Gefühls des anderen gesucht wird, wird aus dem Mitleid ein reflektiertes Gefühl. Wenn der Schmerz gleichsam vor das Forum des Verstandes gestellt wird, tritt die Unmittelbarkeit des Mitleids zurück, der Abstand zum anderen dagegen hervor, und man ist dann berechtigt, das Mitleid gegen die Etymologie des Wortes ein Distanzgefühl zu nennen.12 Nur scheint das den Kern des Gefühls nicht zu treffen, weil das reflektierte Mitleid das Gefühl einer Prüfung unterzieht und es nur soweit zuläßt, wie es sich dem Urteil unterstellen läßt. Das reflektierte Mitleid kann sowohl zur Schadenfreude führen als auch das Gefühl ganz zum Erliegen bringen, etwa wenn es dem Urteil nicht entspricht. Das Mitleid kann aber durch das Urteil auch gerechtfertigt und auf dieser Grundlage zum Antrieb moralischen Handelns werden, damit die Distanz zum anderen überbrücken und zur praktischen Hilfe bewegen. Diese Form der Hilfe läßt sich durch moralische Pflichten plausibel machen und kann gefordert werden. So scheint das Mitleid eher als reflektiertes Gefühl – wenn es dem Urteil standhält – moralisch relevant zu werden. Die folgenden Überlegungen sollen zeigen, daß mit Hilfe des Begriffs des reflektierten Mitleids zwar die moralische Antriebskraft des Mitleids betont, aber nicht hinreichend erfaßt wird. Seine Quelle liegt nicht in der Reflexion. Rousseau hat deshalb dem reflektierten das natürliche Mitleid als ein Gefühl gegenübergestellt, 12
Vgl. die aufschlußreiche Analyse von Käte Hamburger (1985, 7 und 106 ff.).
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zu dessen Konstituierung es der Pflicht nicht bedarf, weil es der dafür entscheidenden Rechtfertigungsprozedur nicht unterliegt.
II. Rekurs auf das natürliche Mitleid bei Rousseau Der Begriff des »natürlichen Mitleids«13 hebt in einer ersten Annäherung darauf ab, zu erfassen, daß der andere leidet. Der Mitleidende ist unmittelbar auf das Leid des anderen gerichtet, nicht auf sich selbst. Streng genommen wird weder sein Leid, nämlich woran er leidet, noch warum er leidet, erfaßt. Natürliches Mitleid heißt, sich dem Leid des anderen nicht entziehen zu können und ein unangenehmes Gefühl zu empfinden. Deshalb kann es beim ersten Schritt des Versuchs, die ethische Relevanz des Mitleids zu klären, zunächst nur um die Beziehung zum Leid des anderen gehen. Das Mitleid erhält seine Bedeutung in der Ethik durch das Leid des anderen, auf das es bezogen ist. Die Vorsilbe »mit« kann im Bezug auf das Leid, auf das der Mitleidende gerichtet ist, verschiedene Bedeutungen annehmen, nicht alle diese Bezüge haben eine ethische Dimension. Das scheint besonders für das bloße Gefühl in seiner ersten Aufwallung zu gelten. Dennoch sollte die Unmittelbarkeit der Mitleidsbeziehung nicht vorschnell abgewertet werden. Mitleid als eine spontane Reaktion auf das Leid des anderen wehrt eine Distanz zum Leid ab. Der Einwand der Mitleidskritiker, der Mitleidende sei dann vom Affekt beherrscht, weil er sich nicht zu ihm verhalten könne, damit unfrei sei, ist berechtigt, aber darauf kommt es zunächst nicht an. Leid ist zwar nicht davon abhängig, daß ein anderer es entdeckt, aber es kann davon in unterschiedlichster Weise beeinflußt werden. Auf der Stufe der spontanen Mitleidsbeziehung tritt ein Aspekt hervor, der für jede ethische Untersuchung primär ist. Es wird davon abgesehen, worin sich Betroffener und Mitleidender unterscheiden und damit wird das sichtbar, was sie verbindet. Auch in dieser Hinsicht ist Rousseaus Auffassung vom natürlichen Mitleid als einem Gefühl für das Leid des anderen im Diskurs über die Ungleichheit aufschlußreich. Es wird neben der Selbstliebe als zweites Grundprinzip der Seele bezeichnet, die beide der Reflexion voraus liegen (vgl. Rousseau, 1993, 57). Die Selbstliebe ist Ausdruck dessen, daß der natürliche Mensch nur das tut, was in Einklang mit seinen Bedürfnissen oder der Ordnung der Natur steht. Das verschafft ihm ein gutes Gefühl oder ein Leben in Ruhe und Zufriedenheit. Genauer hat der Mensch seine erste Begegnung mit sich selbst in einem Gefühl der Selbstliebe, in seiner natürlichen Freiheit stimmt der Mensch mit sich überein. Wenn Rousseau den natürlichen Menschen charakterisiert, betont er vor allem die Empfindungsfähigkeit der Seele, Ich beziehe mich zunächst auf Rousseaus Unterscheidung von Mitleid im Naturzustand und gesellschaftlichen Zustand aus dessen früher Schrift Diskurs über die Ungleichheit, gehe aber in den folgenden Ausführungen auch auf die Werke ein, in denen Rousseau sein Konzept weiterführt, v. a. auf den Emile und den Essay über den Ursprung der Sprachen. 13
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die mit seiner Existenz verknüpft ist.14 Dieses sichere Gefühl für die eigene Existenz wird zu einem unhintergehbaren Gesichtspunkt für Rousseaus philosophisches Programm bis in seine späten fiktiven Schriften hinein. So nennt er im Emil die Selbstliebe die »Quelle unserer Leidenschaften […] die einzige, die mit dem Menschen geboren wird und ihn bis zum Tode nicht verläßt [….] die angeborene Urleidenschaft, älter als alle anderen« (Rousseau, 1995, 441). Nach diesem Satz schließen sich Mitleid und Selbstliebe nicht aus. Das läßt sich aber nur dann verstehen, wenn Selbstliebe nicht auf Selbsterhaltung reduziert wird,15 und das scheint für Rousseau genauso wichtig zu sein, wie die differenzierte Betrachtung des Mitleids in seinen Schriften. Dennoch ist es in mehrfacher Hinsicht überraschend, daß Rousseau dem Mitleid eine solche konzeptionelle Bedeutung beimißt. Erstens verwundert es im Kontrast zur Betonung der autarken und solitären Lebensweise, wie ausführlich er das Phänomen im ersten Teil des Diskurs über die Ungleichheit analysiert. Zweitens beschreibt er den Naturzustand auch keineswegs als einen Leidenszustand. Die Hervorhebung der beiden koexistenten seelischen Prinzipien Selbstliebe und Mitleid im Naturzustand16 ist um so bedeutsamer, da der Mensch hier nicht als soziales Wesen verstanden wird, das Mitleid weder aus einer sozialen Beziehung abgeleitet, noch als eine solche verstanden und auch nicht zur Quelle der Sozialität stilisiert wird. Das natürliche Mitleid erhält seine Bedeutung im Naturzustand allein dadurch, daß es den homme naturel erst auf den anderen Menschen bezieht. Ist doch der solitär und autark lebende Naturmensch gerade nicht auf den anderen orientiert. Nicht weil die Menschen von Natur aus einander zugeneigt sind, haben sie Mitleid füreinander. Erst das Leiden verweist die Menschen aufeinander, die Not macht sie gesellig.17 Rousseau war sich wohl darüber im klaren, daß die Negierung jeglicher sozialer Bestimmung des Menschen nicht nur zu Verwunderung und Mißverständnis, sondern zu schärfsten Entgegnungen führen würde. Es scheint ihm demnach darauf anzukommen, die Sozialität des Menschen zu problematisieren und den Menschen als ein Wesen zu verstehen, für den das Verhältnis zum anderen gerade nicht selbstverständlich ist, daß soziale Beziehungen nicht das Werk der Natur, sondern das der Menschen selbst sind. Der Bezug zum anderen im Natur-
»Meine Empfindungen gehen in mir selbst vor, da sie mich meine Existenz fühlen lassen […] die Empfindung, die in mir ist, und ihre Ursache oder ihr Gegenstand, die außerhalb meiner selbst sind, [sind – UE] nicht dasselbe« (Rousseau, 1995, 553). 15 Die Unterscheidung von amour de soi und amour propre wird im 2. Diskurs eingeführt (vgl. Rousseau 1993, 141, Anm. XV). 16 Die Wertigkeit der beiden Grundprinzipien ist in der Sekundärliteratur umstritten. Vom Primat der Selbstliebe zu sprechen, ist dann verständlich, wenn darunter eher Selbstinteresse verstanden wird. So Meier in seinen Anmerkungen zum 2. Diskurs (vgl. Rousseau, 1993, 57, Anm. 65) sowie Fetscher (1968, 62) und Buck (1990, 84). 17 »Die Schwäche des Menschen macht ihn gesellig; unser gemeinsames Unglück öffnet unser Herz der Menschlichkeit « (Rousseau, 1995, 458). 14
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zustand entsteht erst dann, wenn dieser leidet. So wird Mitleid als Prinzip eingeführt, das »uns einen natürlichen Widerwillen einflößt […] unsere Mitmenschen leiden zu sehen.« (Rousseau, 1993, 57) Hier hat die Natur vorgesorgt, aber nicht sie ist es, die Selbstliebe und Mitleid verknüpft. Mitleid und Selbstliebe sind koexistente Prinzipien der menschlichen Natur. Sie zu verbinden gehört zu der Kunst, deren Ausübung den natürlichen Menschen zum sozialen Wesen macht. Die Forderung: Erkenne dich selbst!, mit der sich Rousseau im 2. Diskurs in eine lange philosophische Tradition stellt, läßt sich ohne die Erkenntnis des anderen nicht verwirklichen. Wenn gesellschaftliche Verhältnisse unter Menschen Bestand haben sollen, müssen sie als solche von Gleichen gefaßt werden. Permanente wirtschaftliche, politische und moralische Ungleichheit vor Augen, bestand für Rousseau die Realisierung menschlicher Kunst in der Etablierung einer Ordnung von Gleichen. Plamenatz hat dieses Credo festgehalten: »Als Gleicher erkannt zu werden, ist das Äußerste, was ein Mensch von einem anderen erwarten kann, der nicht schwächer ist als er selbst.« (Plamenatz, 2000, 78). Auf das Leid eines anderen durch Widerwillen zu reagieren, ist nicht nur ein Gefühl dafür, daß einem dieser nicht gleichgültig ist. Im Mitleid kommt der andere außerdem nicht nur als ein anderer, der leidet, sondern als Leidender in den Blick. Für Rousseau konstituiert sich auf dieser Grundlage auch die Beziehung zwischen Gleichen. Das Leid des Betroffenen enthält das Potential, durch dessen Abwehr sich zeigt, in welcher Weise sich der Mitleidende dem Leidenden als Gleicher zu erkennen gibt oder auf den Leidenden als Gleichen reagiert. Diese Beziehung ist nicht festgelegt, sie entfaltet sich erst im historischen Prozeß und prägt sich auch von Person zu Person unterschiedlich aus. Im Bezug auf das Leid und in der Abwehr des Leids tritt der natürliche Mensch aus sich heraus und wird – indem er zum Ausdruck bringt, daß der andere ein Gleicher ist – zum sozialen Lebewesen. Deshalb gehört das Mitleid neben der Selbstliebe zum Fundament von Rousseaus philosophischer Anthropologie. Welche Bedeutung Rousseau dem Mitgefühl zugesteht, erhellt folgenden Stelle: »[I]m Naturzustand vertritt es die Stelle der Gesetze, der Sitten und der Tugend« (Rousseau, 1993, 151). Es wäre wohl verfehlt, daraus zu schlußfolgern, daß sich Gesetze, Sitten und Tugenden aus dem Gefühl des Mitleids ableiten ließen. Diese Funktion scheint das Mitleid gerade nicht zu haben.18 Aufschlußreich ist dagegen, daß Rousseau – wenn auch im abstraktesten Sinne – das Mitleid mit den Wertmaßstäben des Guten und Richtigen verknüpft. Ein Beleg dafür ist folgende Stelle: »[B]eim Anblick eines leidenden Menschen« überläßt sich der Wilde »unbesonnen dem ersten Gefühl der Menschlichkeit« (Rousseau, 1993, 149). Ein solches erstes Gefühl für das Leid des anderen ist zunächst nichts als ein einfaches Indiz dafür, daß die Zuwendung zum Betroffenen eine Veränderung im Nichtbetroffenen entstehen läßt. Das involviert Vgl. dagegen die Interpretation Schopenhauers, der auch unter Berufung auf Rousseau die Tugenden der Menschenliebe und der Gerechtigkeit aus dem Mitleid ableitet (Schopenhauer, 1979, 782 ff.). 18
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nicht, daß das Mitleid selbst zur Menschlichkeit führt oder Institutionen, Gesetze und soziale Tugenden hervorbringt. Wenn Rousseau den Identifikationsbegriff benutzt, um die Mitleidsbeziehung zu charakterisieren und schreibt: »In der Tat, das Mitleid wird um so nachdrücklicher sein, je inniger sich das Tier, das zusieht, mit dem Tier, das leidet, identifiziert« (Rousseau, 1993, 147), dann geht es ihm vor allem darum zu erklären, wie eine Anteilnahme am anderen überhaupt möglich ist, und er wehrt ab, daß es sich hier nur um ein Gefühl handeln muß. »Selbst wenn es wahr wäre, daß das Mitleid nur ein Gefühl wäre, das uns an die Stelle dessen versetzt, der leidet« (Rousseau, 1993, 147) steht dieser Begriff darüber hinaus auch für das, was Rousseau »gut« nennt oder »zu wünschen, daß einer nicht leide, […] zu wünschen, daß er glücklich sei« (Rousseau, 1993, 147). Daraus läßt sich aber gerade nicht ableiten, daß der mitleidige Mensch bereits ein guter Mensch sei, geschweige denn, der beste.19 Daß das Mitleid im Rahmen von Rousseaus Menschenbestimmung eine geschichtsphilosophische Dimension erhält und in einen Zusammenhang zum Guten gestellt wird, verdeutlicht, daß das Gefühl nicht als solches, das nur gestärkt werden müsse, den Ausgangspunkt seiner ethischen Überlegungen bildet. Das läßt sich durch zwei Hinweise stützen. Erstens entwickelt Rousseau trotz der Heraushebung der Gefühle für die Konstituierung des Menschseins keine Gefühlsethik im Sinne seiner Zeit, die von Shaftesbury bis zu Smith die Ethik auf einer dualistischen Triebstruktur aufbauen. Er schließt sich, wie die Betonung des Mitleids vermuten lassen könnte, gerade den Sympathieethiken des 18. Jahrhunderts nicht an (vgl. Cassirer, 1989, 56 ff.). Der natürliche Mensch hat keine festgelegten Triebe, das gilt für die Selbstliebe und auch für das Mitleid. Die Vorbehalte Rousseaus, Mitleid als ein Gefühl zu verstehen, das auf jede Weise gestärkt werden solle, etwa um für das gute Handeln gerüstet zu werden, treten zweitens im Zusammenhang mit seiner Theaterkritik im berühmten Brief an d´Alembert deutlich hervor: »Ich höre sagen, die Tragödie führe zum Mitleid durch Furcht. Gut. Was ist das aber für ein Mitleid? Eine flüchtige und eitle Erschütterung, die nicht länger dauert als der Schein, der sie verursacht; ein Überrest einer natürlichen Empfindung, die bald darauf wieder von Leidenschaften erstickt wird, unfruchtbares Mitleid, das sich mit seinen eigenen Tränen tränkt und niemals auch nur den geringste Handlung der Menschlichkeit hervorgebracht hat.« (Rousseau, 1988a, 357) Weiterhin ist auffällig, aber im Rahmen der Konzeption schlüssig, daß die Merkmale, die nach Rousseau das natürliche Mitleid charakterisieren, primär aus der Negation der Reflexion gewonnen sind. Damit distanziert sich Rousseau entschieden von einer ausschließlich auf das Modell des animal rationale gestützten MenDagegen Lessing an Mendelssohn vom 18.12.1756: »[S]o wie ohne Zweifel derjenige der beste Mensch ist, der die größte Fertigkeit im Mitleiden hat.« (Lessing, 1983, 149). Auf deutliche Differenzen im Mitleidsbegriff bei Lessing und Rousseau hat (Kronauer, 1995, 32 ff.) hingewiesen. 19
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schenbestimmung. Er spricht vom Mitleid, das der Reflexion vorausgeht, vom Mitleid als einer reinen Regung der Natur, weiterhin von dessen reiner Unmittelbarkeit, die ohne Reflexion zur Unterstützung derer, die wir leiden sehen, führt und von der »Macht des natürlichen Mitleids, das selbst die depraviertesten Sitten noch Mühe haben zu zerstören«. An der einzigen Stelle, an der er im 2. Diskurs auf den Zusammenhang von Mitleid und Vernunft eingeht, wird das Mitleid eine Stütze der Vernunft genannt (vgl. Rousseau, 1993, 143 ff. und 147). Auf der Grundlage dieser stark an der Unmittelbarkeit des Gefühls orientierten Mitleidsauffassung stellt es zumindest ein Problem dar, den Bogen zwischen dem präsozialen und vormoralischen Gefühl oder dem natürlichen Mitleid und dem sozialen und moralischen Gefühl oder dem reflektierten Mitleid zu schlagen. Das gelingt Rousseau dadurch, daß er das natürliche Mitleid als die Fähigkeit beschreibt, sich mit dem Sein und den Empfindungen anderer durch Einfühlung identifizieren zu können.20 Damit ist der solitär lebende Mensch gegenüber anderen Lebewesen nicht hermetisch abgeschlossen oder lediglich in seine eigenen Gefühle eingeschlossen. Das fremde Erlebnis wird als Erlebnis des Fremden aufgenommen, aber die Geschiedenheit nicht erlebt. Die Einfühlung ist ein vormoralisches Gefühl, durch das im Naturzustand ein Bezug zum Fremden möglich wird, weil die Selbstliebe im Unterschied zur Eigenliebe nicht gegen den anderen gerichtet ist, sondern sich auf diesen ausdehnen kann. Rousseau gebraucht für diese Beziehung den Ausdruck »natürliches Mitleid«.21 Um den Zusammenhang zwischen der Einfühlung oder dem natürlichen Mitleid – einem weder sozialen noch altruistischen Gefühl – und dem Mitleid – einem moralischen Gefühl – herzustellen, die ja völlig disparaten Welten angehören, wählt Rousseau den Begriff der »sensibilité«.22 Er unterscheidet zwischen einer physischen und organischen Reizbarkeit, die der Erhaltung des Körpers dient und einer anderen, »die ich tätig und sittlich nenne und die nichts anderes ist, als unsere Gefühle an Wesen zu heften, die uns fremd sind […]. Die positive Reizbarkeit leitet sich unmittelbar aus der Selbstliebe her. Es ist ganz natürlich, daß derjenige, der sich liebt, sein Wesen und seine Freuden auszudehnen sucht […]. Sobald aber diese unbedingte Liebe in Eigenliebe ausartet und vergleichend wird, bringt sie die negative Reizbarkeit hervor.« (Rousseau, 1988b, 420) Der so verstandene Terminus ermöglicht es Rousseau nicht nur eine moralische von einer bloß organischen Empfindsamkeit zu unterscheiden, sondern auch das Gefühl für Moral zu differenzieren. Sensibel zu sein, heißt dann gegen den Grundtenor des 18. Jahrhunderts nicht
Vgl. Cassirer (1989, 58). Fontius weist in seinem Artikel Einfühlung/Empathie/Identifikation darauf hin, daß Rousseau den Begriff der Identifikation aus der Theaterwelt in die Szenerie des Naturzustandes überträgt (vgl. Fontius, 2001, 127 ff.). 21 Wenn Rousseau zur Charakterisierung des natürlichen Impulses Mitleid »commisération« und »pitié« benutzt, wertet er diesen ebenso auf wie den bloßen Trieb der Selbsterhaltung durch die Selbstliebe als Gefühl für seine Existenz (vgl. Fetscher, 1989, 3). 22 Baasner hebt hervor, daß Rousseau sich »um eine Neudefinition der für seine Menschenkonzeption zentralen Eigenschaft ‚sensibilité‘ bemüht.« (Baasner, 1988, 285) 20
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eo ipso gut zu sein, sondern aus einem Gefühl durch Reflexion gute und schlechte Leidenschaften entwickeln zu können. Auch hierfür ist die Unterscheidung von amour de soi und amour propre ausschlaggebend. Während die Selbstliebe die Triebkraft des Guten ist, entstehen aus der Eigenliebe die depravierten Affekte. Mit der Charakterisierung des natürlichen Mitleids als vormoralischem Gefühl, das als erweiterte Selbstliebe verstanden werden kann, aber weder eine soziale Beziehung zwischen den Menschen im Naturzustand stiftet noch als soziale Anlage zu verstehen ist,23 suspendiert Rousseau neben dem Ausschluß der Reflexion und der Betonung der asozialen Natur des Mitleidsgefühls auch die moralische Dimension des natürlichen Mitleids. Zu beachten ist, daß er darüber hinaus der »erhabenen Maxime der durch Vernunft erschlossenen Gerechtigkeit: Tue anderen, wie du willst, daß man dir tue« die »Maxime der natürlichen Güte […]: Sorge für dein Wohl mit dem geringstmöglichen Schaden für andere« gegenüberstellt (Rousseau, 1993, 151). Hier gehen Mitleid und Selbstliebe eine besondere Beziehung ein, die darauf hinweist, daß Rousseau beide eher in ein Konzept vom guten und gelingenden Leben als in eine Pflichten- und Sollensethik integriert. Da mit der Selbstliebe und dem Mitleid zwei selbständige Naturprinzipien verknüpft werden, spricht Rousseau lediglich von »natürlicher Tugend«. Ihr Grund scheint ganz simpel zu sein: der Widerwillen gegen das Leid des anderen. Zwischen diesem Gefühl aber und der Fähigkeit, den anderen als Gleichen zu erkennen, steht das Programm einer philosophischen Anthropologie, zu der auch die politische Philosophie des Contrat Social und das Erziehungskonzept des Emile gehören. Deshalb formuliert Rousseau, daß aus der Verbindung von Selbstliebe und Mitleid, »ohne, daß man notwendigerweise den Hang zur Geselligkeit hinzufügen muß […] alle Regeln des Naturrechts zu fließen« scheinen (Rousseau, 1993, 57). Zu diesem Konzept gehört folgerichtig, daß das Mitleid im Naturzustand die Stelle der Gesetze, der Sitten und der Tugend vertritt, (vgl. Rousseau, 1993, 151) ohne dabei als Quelle der Gesetze, Sitten und Tugenden im gesellschaftlichen Zustand zu fungieren. Bei aller konzeptionellen Bedeutung, die das Mitleid für Rousseaus Philosophie insgesamt hat, vernachlässigt er seine psychologische Relevanz nicht, wie schon die Verwendung des Identifikationsbegriffs zeigt. Die Wirkungen, die das Leiden auslöst, sind zunächst allein über das Sehen oder Hören vermittelt. Der das Leid Sehende ist durch das Leid des anderen direkt auf diesen bezogen und damit auch auf den konkreten Anderen als Leidenden. Der andere tritt als konkreter Anderer nur als Leidender in Erscheinung. Betroffener und Nichtbetroffener bleiben Fremde, das Mitleid bringt die Individuen einander nicht näher und stiftet keine Vertrautheit, es ist passiv. Sowenig sich das Auge dem entziehen kann, was es gesehen hat, Elke Oberparleiter-Lorke (1996, 37 ff.) diskutiert die Problematik der Einführung des sozialen Gefühls Mitleid in den durch eine solitäre Lebensweise bestimmten Naturzustand. Als Quelle der Mitleidsauffassung Rousseaus weist sie auf die Naturauffassung von Shaftesbury, hebt aber hervor, daß Rousseau im Unterschied zu diesem das Mitleid als freie Tat und nicht als Gefühl interpretiere. 23
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so beschränkt ist diese Art der Anteilnahme. Die Kultivierung dieses Gefühls ist auf Vermittlung angewiesen, die den natürlichen Menschen aus seinem ausgewogenen Verhältnis zur Natur und damit aus dem Naturzustand heraushebt. Als ursprüngliches Gefühl verweist das Mitleid aber darauf, daß der Mensch gefährdet und ein gutes Leben nicht selbstverständlich ist. Es ist jenes Gefühl, das das Leid als Synonym für das Schlechte abwehrt, ohne das Gute genau zu bestimmen.
III. Reflektiertes Mitleid und moralische Motivation Die motivationale Kraft des Mitleids wird traditionell als ein Gefühl beschrieben, durch das wir unmittelbar auf das Leid eines anderen bezogen sind. Wie bereits bemerkt, wird dieses Gefühl zwar durch einen anderen hervorgerufen, ist aber ein eigenes. Der Mitleidende befindet sich durch seine Emotion in der Teilnehmer- und nicht in der Beobachterperspektive. Scheler hat in seiner Phänomenologie der Sympathiegefühle verschiedene Außensichten auf die Gefühle der anderen genauer differenziert. So ist durch das Nachfühlen durchaus ein Verständnis dieser Gefühle möglich, ohne an den Erlebnissen der anderen teilzunehmen und Mitleid zu empfinden.24 Während das Nachfühlen auf einen Gehalt bezogen ist, von dem es abhängig ist und sich dadurch als ein reflektiertes Gefühl zeigt, das die Teilnahme am anderen zurückweisen kann, ist das Mitleid als ein Gefühl aus der Teilnehmerperspektive davon grundsätzlich geschieden. Unter den Versuchen, die schwierige Mitleidsbeziehung zu erfassen, nehmen psychologische Bestimmungen einen breiten Raum ein: »[N]icht in uns, sondern in ihm [dem anderen – UE] leiden wir.« (Rousseau, 1984, 121) oder: »[G]eradezu in seiner Person, nicht in unserer fühlen wir das Leiden, zu unserer Betrübnis.« (Schopenhauer, 1979, 744) Sie zielen auf eine Vermittlung zwischen Leidendem und Mitleidendem. Die zitierten Formulierungen der Mitleidsbeziehung drücken insofern einen richtigen Sachverhalt aus, weil sie sowohl eine Differenz als auch eine Gemeinsamkeit zwischen Nichtbetroffenem und Betroffenem festhalten. Die Formulierungen sind insofern problematisch, weil in der Beziehung zum anderen unklar ist, was es heißt: »Wir leiden mit ihm, also in ihm« (Schopenhauer, 1979, 744). So wenig wir die Gefühle des anderen fühlen können, weil wir »nicht in der Haut des andern stecke[n]«, wie z. B. Schopenhauer betonte, so offen bleibt die Frage nach der Art und Weise dieser Annäherung. Das Mitleidsverständnis kann sich nicht darauf beschränken, nur den emotionalen Bezug zum anderen zu thematisieren. Die Beziehung selbst muß genauer erfaßt werden. Nicht nur Schopenhauer hat deshalb versucht die Mitleidsrelation unter verschiedenen Aspekten zu differenzieScheler hat den Unterschied zwischen dem Nachfühlen und dem Mitleid festgehalten in der Formulierung: »Ich kann Ihnen das sehr gut nachfühlen, aber ich habe kein Mitleid mit Ihnen.« (Scheler, 1973, 20) Vgl. Schelers Unterscheidung von Miteinanderfühlen, Mitfühlen, Nachfühlen, Einsfühlung und Gefühlsansteckung (Scheler, 1973, 19 ff.). 24
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ren, die darin verknüpft sind, daß der Nichtbetroffene mit dem Betroffenen »auf irgendeine Weise […] identifiziert sei« (Schopenhauer, 1979, 740). »Sich an die Stelle des anderen versetzen«, »sich in den anderen hineinversetzen«, »die Rolle des anderen übernehmen« sind ähnliche Ausdrücke, die das Problem benennen, aber nicht exakter fassen.25 Auf der Grundlage der Identifikationsmöglichkeiten mit dem anderen soll es möglich werden,26 die Trennung zwischen dem Leidenden und dem Mitleidenden zu überwinden. Aber da keiner an der Stelle des anderen leiden kann, nicht für ihn leiden kann, ist es irreführend von einer Identifikation zu sprechen, wenn nicht genau ausgeführt wird, was darunter zu verstehen ist. Auch wenn wir festhalten, daß Mitleid ein Gefühl für den anderen ist, das uns als Unlustgefühl nicht gleichgültig läßt, wir darin auf den anderen bezogen sind, ergeben sich mindestens zwei Probleme: Erstens: In welcher Weise sind wir auf den anderen bezogen? Zweitens: Hat diese Bezogenheit eine moralische Relevanz? Gelingt es, die erste Frage zu beantworten, dann läßt sich auch die zweite lösen. Gelingt das nicht, bleibt auch die zweite Frage offen. Bestimmend für die Analyse der Mitleidsbeziehung in der Perspektive Schopenhauers ist, daß er die erste Frage einschränkt, in dem er von einem vollständig vom Egoismus dominierten Individuum ausgeht und mit Hilfe dieser Vereinseitigung die Trennung zum anderen verabsolutiert. Er engt die Frage ein, weil für ihn nur relevant ist, wie der vom Egoismus Beherrschte überhaupt eine moralische Beziehung zum anderen zu knüpfen vermag. Stellt doch das Mitleid für ihn das Phänomen dar, das den Egoismus als Triebkraft des Handelns völlig ausschalten kann. Kritische Einwände gegen diese Auffassung ergeben sich zum einen daraus, daß Mitleid und Moral insgesamt damit altruistisch verstanden werden, zum anderen betreffen sie die Art und Weise der Entstehung dieser Beziehung. Obwohl es Schopenhauer darauf ankommt, die Mitleidsbeziehung als eine der Teilnahme am anderen zu erfassen, bedient er sich für die Erschließung der Beziehung zwischen Betroffenem und Nichtbetroffenem epistemischer Begriffe, z. B. dem des Erkennens. So kann die Identifikation mit dem anderen »allein vermittelst der Erkenntnis, die ich von ihm habe, d. h. der Vorstellung von ihm in meinem Kopfe« vor sich gehen (Schopenhauer, 1979, 740). Das auf diese Weise epistemisch bestimmte Mitleid ist ein Produkt der Reflexion und damit ein Versuch der Erklärung der Genesis des Mitleids vom Standpunkt des Urteils, das immer damit verknüpft ist, sich auf seine Berechtigung hin prüfen zu lassen. Nun ist das bei einem derart schillernden Gefühl wie dem Mitleid durchaus Groethuysen (1904, 209) spricht deshalb von Metaphern. Zur Problematik des konstruierten Identifikationsvorgangs bei Schopenhauer auch (Hamburger, 1985, 18). 26 Hallich konzentriert sich in seiner präzisen Interpretation des Mitleids auf den Identifikationsbegriff. Er knüpft an Schopenhauer an, versucht aber die Mitleidsbeziehung nicht auf eine Erkenntnis, sondern ein Verstehen-Können zurückzuführen und dadurch seine motivationale Kraft, auch ohne die affektive Nähe zum anderen angewiesen zu sein, zu erhalten (Hallich, 1998, 57 ff.). 25
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angemessen, allerdings wird dabei der Teilnehmerstandpunkt verlassen und ein dem Gefühl gegenüber äußerer Beobachterstandpunkt eingenommen. Das Gefühl wird ersetzt durch das theoretische Urteil über seinen Gehalt. Von einer ganz »unmittelbaren […] Teilnahme« am anderen (Schopenhauer, 1979, 740), die Schopenhauer für die Mitleidsbeziehung reserviert hatte, kann keine Rede sein. Der von Schopenhauer in diesem Zusammenhang benutzte Begriff der Identifikation wird den affektiven Grundlagen des Mitleids nicht gerecht und damit auch nicht Rousseaus Unterscheidung von natürlichem und reflektiertem Mitleid, an dem er sich ausdrücklich orientiert (vgl. Schopenhauer, 1979, 781 ff.). Obwohl sich Rousseau ebenfalls dieser charakteristischen Formeln bedient, beschränkt sich seine Analyse des Mitleids weder auf eine psychologische Erklärung noch auf eine, die den Erkenntnisbegriff bevorzugt. Auch für ihn tritt das reflektierte Mitleid, das durch die Eigenliebe entsteht, als Distanzgefühl deutlich hervor (vgl. Hamburger, 1985, 106 ff.). Seine Voraussetzung ist die Reflexion der Trennung vom anderen. In dieser Beziehung wird der andere nicht als Leidender, sondern als ein anderer, der leidet, betrachtet. Dadurch ändert sich die an der Abwehr des Leids orientierte natürliche Mitleidsauffassung. Das Leid des anderen wird zum Gegenstand der Beurteilung, dem Vergleich mit dem eigenen Erfahrungen ausgesetzt und dadurch zum fremden Leid. Die Reflexion der eigenen Position wird zum Maßstab, an dem das Leid des anderen gemessen und damit zum Maßstab für das Mitleid, das dem anderen zugestanden wird. »Wir haben nur gerade so viel Mitleid, wie wir glauben, daß der andere leidet […] man bedenke, wie viele zuvor erworbene Kenntnisse diese Übertragung voraussetzt! […] Wie würde ich […] leiden können, wenn ich nicht einmal begriffe, was er leidet […] Wer niemals nachgedacht hat, kann weder gütig […] noch mitleidig sein« (Rousseau, 1984, 121). 27 Diese Art der Reflexion stellt das Gefühl für das Leid überhaupt auf den Prüfstand der Beurteilung. Mitleid wird, wie im Emile betont, ein relatives Gefühl, für das nicht das Leid des anderen primär ist, sondern die Fähigkeit und Bereitschaft, auf dieses einzugehen. So können die Kenntnis der Situation, die eigenen Erfahrungen und das Wissen zum Prüfstein dafür werden, in welchem Maße der andere leidet und das Gefühl nicht nur kontrollierend begleiten, sondern unter Kontrolle bringen. Mit der Bestimmung des Mitleids als reflektiertem Gefühl gerät Rousseau in die Schwierigkeiten aller Mitleidstheoretiker, die epistemische Kriterien einführen. Das Gefühl für das Leid des anderen, das der Mitleidende als unangenehm und durch einen Widerwillen erfährt, wird unter den Verstand subsumiert, kognitiver Gehalt und affektive Wirkung werden getrennt und damit die Unmittelbarkeit des Gefühls, das seine bewegende Kraft aus der Gerichtetheit auf das Leid des anderen bezieht, zurückgedrängt. Derartige Textstellen haben eine breite Kontroverse zu Rousseaus Mitleidsbegriff ausgelöst, die sich auch auf die Datierung des Essays bezieht. Zum Disput um die Differenzen im Mitleidsbegriff Rousseaus im Zweiten Diskurs und dem Essay über den Ursprung der Sprachen vgl. Starobinski (1993) u. Derrida (1993). 27
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Bei aller Kritik eines am Eigeninteresse orientierten reflektierten Mitleids, stellt Rousseau allerdings nicht in Frage, daß das Mitleid auch als reflektiertes Gefühl ein moralisches Potential entfalten kann. Durch die Reflexion wird die Möglichkeit konstituiert, das Leid in Bezug auf den Betroffenen nicht durch Rekurs auf die Eigenliebe, sondern bezogen auf seine Ursachen beurteilen zu können. Dafür wird es in einen Ursache-Wirkungszusammenhang eingeordnet. Das ist an eine Reihe von Voraussetzungen gebunden, die Rousseau vor allem im Emile untersucht, auf die er aber bereits im Essay über den Ursprung der Sprachen hinweist. Das reflektierte Mitleid hängt zum einen davon ab, in welchem Maße der Mitleidende bereit ist, sich vorzustellen, daß der andere leidet. »Unsere sozialen Gesinnungen entwickeln sich nur mit unseren Einsichten. Das Mitleid, obgleich dem menschlichen Herzen so natürlich, würde auf immer untätig bleiben ohne die Einbildungskraft, die es in Tätigkeit setzt.« (Rousseau, 1984, 121) Wenn Rousseau beim Versuch, die Mitleidsbeziehung über den reflexiven Vorgang der Identifikation zu erfassen, die im Naturzustand konstatierte affektive Bezogenheit des Mitleidenden auf den Leidenden auflöst, entfernt er sich nicht von seinen ursprünglichen Einsichten, daß sich Mitleid in der Abwehr von Leid auf das bezieht, was für Menschen gut ist, was Leidenden und Mitleidenden verbindet. Werden doch die Gemeinsamkeiten zwischen dem Betroffenen und Nichtbetroffenen nur dann deutlich hervortreten, wenn sie zum Gegenstand der Reflexion werden. Wenn »ich nicht verstünde, daß es zwischen ihm und mir etwas Gemeinsames gibt«, könnte kein Mitleid entstehen (Rousseau, 1984, 121). Durch den reflexiv gewonnenen Standpunkt der Identifikation wird vor allem auf die Vielschichtigkeit des auf diese Weise hervorgebrachten Gefühls aufmerksam gemacht. So wird hervorgehoben, daß der Bezug zu sich selbst, der das reflektierte Mitleid charakterisiert, nicht ausgeblendet werden muß, weil dieser nicht nur vom Interesse an sich selbst bestimmt ist, wie Schopenhauer annahm. Diese Einsicht hat Rousseau wohl zu seiner Formulierung im Emile veranlaßt, daß die Grundlage des Mitleids nicht die Größe des Übels, sondern eher das Gefühl ist, das man dem Leiden des andern zuerkennt (vgl. Rousseau, 1995, 465). Diese Zurückdrängung der Eigenliebe durch die Vernunft ermöglicht der Selbstliebe einen neuen Spielraum.28 Deshalb muß das reflektierte Gefühl nicht konträr zum natürlichen Mitleid verstanden werden. Die in diesem als abstrakter Wert enthaltene Dimension des Guten findet jetzt auf der Grundlage der Vernunft eine historische und soziale Ausprägung. Sie wird durch jene Einsichten vermittelt, mit deren Hilfe es möglich ist, sich dem anderen Ich stimme Martha C. Nussbaum zu, daß der Anblick von Leid die Macht hat, uns aus unserer Selbstbezogenheit herauszureißen, kann aber ihre Auffassung nicht teilen, daß der Grund dafür in unserer eigenen Verletzbarkeit liegt. Daraus ergibt sich keine Verbundenheit mit dem anderen. Nussbaum favorisiert ein psychologisches Mitleidsverständnis: »Es gibt keine andere Möglichkeit, Mitleid in uns zu wecken, als durch teilnehmendes Sichhineinversetzen in den Anderen.« (Nussbaum, 2000, 150 f.) 28
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zuzuwenden. Sie können z. B. durch eine Bildung erlangt werden, wie sie Rousseaus Emile erfährt, bevor er mit den Leiden des endlichen menschlichen Daseins konfrontiert wird: »Macht ihm eindringlich verständlich, daß er das Los dieser Unglücklichen vielleicht einmal teilen werde« (Rousseau, 1995, 464). Hier wird die Reflexion weder abgewehrt, noch ins Negative gewendet, auch nicht in den Dienst des Gefühls gestellt. Umgekehrt: Das Gefühl stellt sich ein, wenn das Nachdenken dazu führt, daß es zwischen dem Betroffenen und dem Beobachter Gemeinsames gibt: »[N]icht so sehr das, was er sieht, als das Nachdenken über das, was er gesehen hat, bestimmt sein Urteil darüber« 29 (Rousseau, 1995, 478). Diese Ausführungen zeigen, daß Rousseau die Gefahren eines ungebremsten Mitleids deutlich vor Augen hatte: »Um zu verhindern, daß das Mitleid nicht in Schwäche ausartet […] gibt man sich ihm nur soweit hin als es in Einklang mit der Gerechtigkeit ist.« (Rousseau, 1995, 521) Die Perspektive des verallgemeinerten Leids wird auf diese Weise zum Beurteilungskriterium für das Mitleid, sie führt zugleich zur Unparteilichkeit des eigenen Urteils. Mitleid als derart reflektiertes Gefühl reicht über das durch die Eigenliebe eingeschränkte Urteil und darin beschränkte Urteil hinaus. Mit der Einführung der Perspektive der Gerechtigkeit als Form der Unparteilichkeit gewinnt Rousseau einen Gesichtspunkt, der dem reflektierten Mitleid die Motivationskraft eines universellen Gefühls verleiht und zur Solidarität mit dem Leidenden führen kann. »Aus Vernunft, aus Liebe zu uns müssen wir für unsere Liebe zur Gattung noch mehr Mitleid übrig haben als für unseren Nächsten« (Rousseau, 1995, 521). Daß sich ein so bestimmbares Gerechtigkeitsgefühl durch das Mitleid stützen läßt, kann gezeigt werden. Mitleid ist hier auf die Formen der Ungerechtigkeit bezogen, die sich durch die Wechselseitigkeit der Rechte und Pflichten einschränken lassen. Auch die hierdurch erfaßbaren Verluste und Schädigungen sind affektiv besetzt und eine Voraussetzung dafür, daß Mitleid entstehen kann. Damit aktualisiert Rousseau das im reflektierten Mitleid enthaltene moralische Potential. Auf dieser Stufe der Verallgemeinerung wird die Gerechtigkeit mit den Anforderungen des Gemeinwohls verknüpft und läßt sich unter Rechte und Pflichten subsumieren (vgl. Rousseau, 1995, 520). Die Begründungs- und Rechtfertigungsansätze der Mitleidsethik knüpfen nicht nur an diesen an, ihm gilt ein Hauptaugenmerk in der gegenwärtigen Mitleidsdiskussion.30
Hannah Arendt bezieht diesen Gesichtspunkt in ihre Kritik an Rousseaus Mitleidsbegriff nicht ein, wenn sie ihm eine »unheimliche Realitätslosigkeit« vorwirft, weil im Mitleid nur »der innere, im Unsichtbaren lokalisierte Ersatz für den Verlust der gemeinsamen, sichtbaren Welt« aufscheint (Arendt, 1999, 29 ff.). Vgl. Kronauer (1995, 23 ff.). 30 Durch den Versuch, Mitleid mit Rechten und Pflichten zu verbinden, ist der Standpunkt eines generalisierten Mitleids charakterisiert (vgl. Wolf, 1990, v. a. 75 ff. ). U. Wolf spannt aber den Bogen breiter und bezieht auch eine Ethik des guten Lebens ein. Zur Universalität des Mitleids auch Leist (1993). 29
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Die hier gewonnene Perspektive ist aber die normative, die nicht nur beinhaltet, was Menschen sich wechselseitig schuldig sind, sondern auch das, was sie tun sollen. Diese Perspektive läßt sich mit dem Standpunkt eines wohlverstandenen Selbstinteresses vereinbaren. Das Potential der in der Idee der Gleichheit enthaltenen und über die ausgleichende Gerechtigkeit hinausreichenden Gesichtspunkte der Moral wird dabei vernachlässigt. Dem vom Leid Betroffenen wird aber nicht nur dann Mitleid entgegengebracht, wenn das Leid den entsprechenden Kriterien genügt. Insofern reicht die Ungleichheit, die im Mitleid als Verlust der Gleichheit angezeigt wird, über jene Ungleichheit hinaus, die durch Rechte und Pflichten einzuschränken versucht wird. Die unpersönliche, objektive Beurteilung des Leids beschränkt das Mitleidsgefühl und wird ihm damit nicht gerecht. Das Mitleid als moralisches Gefühl verweist darüber hinaus auf vielfältige Bereiche einer gemeinsamen menschlichen Welt, die permanent durch Leid gefährdet sind. Es erstreckt sich nicht nur auf die Sphären der Politik und des Rechts und damit auf die Formen der Gerechtigkeit, die durch Gesetze und Normen gesichert werden. Das Maß für die Gleichheit ist hier die Unparteilichkeit. Die Bestimmung des Mitleids ist davon abhängig, welcher Begriff der »Gleichheit« vorausgesetzt wird, durch ihn ist festgelegt, was als Ungleichheit anerkannt wird. Mitleid als moralisches Gefühl ist umfassender. Es ist der generelle Ausdruck dafür, betroffen und nicht gleichgültig zu sein, wenn ein anderer leidet. Daß er leidet, ist der Gehalt des Mitleids und damit der erste Gesichtspunkt, der hier genannt werden muß. In der Aussage: »Ich bin traurig, daß du leidest.«, bezieht sich das »daß« nicht in erster Linie darauf, daß der andere einen Grund hat zu leiden, sondern darauf, daß er leidet. Wir überschreiten uns auf den anderen hin, weil er leidet, ohne bereits zu wissen, wodurch sein Zustand ausgelöst wurde. Gehalt und Gefühl sind dann nicht nur aufeinander bezogen, sondern auch nicht getrennt voneinander verstehbar, d. h. der Gehalt kann nicht – wie in der reflektierten Beziehung – vom Gefühl abgelöst werden. Deshalb läßt sich durch das reflektierte Mitleid die Beziehung zwischen dem Gefühl und seinem Gehalt nicht erschließen. Hinzukommt, daß weder das fremde Leid noch die Reflexion auf dieses Erlebnis des anderen ausreicht, um den Beweggrund für das Mitleid zu verstehen. Durch die Hervorhebung eines weiteren Gesichtspunktes soll die Eigenständigkeit der Mitleidsäußerung präzisiert werden, die eine Verbindung zwischen Betroffenem und Nichtbetroffenem enthält und darin eine Gemeinsamkeit zwischen beiden hervortreten läßt. Sie besteht darin, daß bezogen auf das Leid des anderen zum Ausdruck gebracht wird, was uns nicht gleichgültig ist und was für uns einen Wert hat. Was uns wertvoll ist, scheint in besonderer Weise mit dem Gefühl des Mitleids verknüpft. Auf grundsätzliche Zusammenhänge zwischen Werten und Gefühlen hat Scheler aufmerksam gemacht und diese in den Mittelpunkt seiner phänomenologischen Ethik gestellt. Durch die Annahme eines objektiven Wertreiches aber verlagert er das Problem, indem er die Werte immer schon voraussetzt. »Alles Sollen ist fundiert auf Werte – wohingegen Werte durchaus nicht auf ideales Sollen fundiert sind.«
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(Scheler, 1980, 214) Dieser Satz gehört zu den Grundeinsichten der Schelerschen Ontologie. Hier wird im Unterschied dazu die Position vertreten, daß der Wert sich in der Bezogenheit auf den anderen erst konstituiert. Damit soll, um am Beispiel des Mitleids zu bleiben, das Leid in seiner Unabhängigkeit vom Mitleidenden nicht negiert werden, aber es ist nicht der einzige Auslöser für das Mitleid. Erst die Entstehung des Gefühls zeigt an, daß der Wertverlust eine Gemeinsamkeit zwischen Betroffenem und Nichtbetroffenem zum Ausdruck bringt. Damit soll auf einen weiteren Aspekt der Mitleidsbeziehung aufmerksam gemacht werden, der bisher nur in Rousseaus Begriff der Selbstliebe eine Rolle spielte. Groethuysen hebt hervor, daß zum Mitleid eine lustartige Gemütsbewegung gehört, die uns zum Leidenden hinzieht (Groethuysen, 1904, 228 f.). Er kann sich dabei neben vielen anderen Autoren auch auf Hume stützen, der das Mitleid in das Affektpaar Liebe und Haß einordnet und es eine Art Liebe nennt.31 Liebe widerspricht aber der Mitleidsbeziehung in gewisser Weise: Erstens lieben wir den anderen nicht, weil er leidet. Die lustartige Bewegung darf nicht mit der psychologischen verwechselt werden, die zu jeder Mitleidsbeziehung gehören kann. Diese gründet sich allein darauf, daß man nicht selbst betroffen ist und das auch genießen kann.32 Zweitens bezieht sich die Zuwendung im Mitleid auch nicht in erster Linie darauf, daß der andere das Leid nicht verdient (vgl. Groethuysen, 1904, 234 f.). Drittens ist die hier vorliegende Art der Zuwendung vom Wohlwollen dadurch verschieden, daß der Mitleidende das Verhältnis zum anderen weder allein bestimmt, noch nur vom anderen bestimmt ist. Viertens ist er zwar negativ auf den Leidenden bezogen, er folgt dem anderen und sich selbst nicht nur deshalb, weil er das Leid des anderen nicht will, sondern weil Leid einen Wertverlust ausdrückt, der nicht pauschal durch Mitleiden, sondern durch die Zuwendung abgewehrt wird, die zum Mitleid gehört. Während sich aber die Unlust darauf bezieht, daß der andere leidet, bezieht sich die lustartige Bewegung auf die Zuwendung zum anderen, ohne die Mitleid nichts als ein ohnmächtiges Gefühl wäre. Sie verweist in der Abwehr des Schlechten zugleich auf das, was gut oder für uns wertvoll ist und drückt es in der Zuwendung aus. Sie zeigt außerdem an, daß der Leidende nicht isoliert ist und nimmt so an seinem Leid teil. Das Leid wird dadurch nicht geringer, aber durch die Anteilnahme bewertet. Dieser Aspekt der Zuwendung im Mitleid, der das Leid nicht bestätigt, sondern abwehrt, ist die Motivationskraft des Mitleids. Sie ist weder psychologisch zu erklären, noch entsteht sie primär durch Wissen, Erkenntnis, Intuition, oder durch Forderungen wie, »Liebe den anderen wie dich selbst«, sondern dadurch, daß wir gelernt haben und ständig damit konfrontiert werden, daß Leid der Widerpart eines gelingenden oder guten Lebens ist.
»Zum Mitleid gesellt sich immer etwas Liebe oder freundliche Gesinnung« (Hume, 1906, 116). 32 »Das Mitleid ist süß, weil wir dennoch ein Lustgefühl verspüren, nicht so leiden zu müssen, wie der, in dessen Lage wir uns versetzen.« (Rousseau, 1995, 459) 31
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Leid als Grenze des guten Lebens fordert die Frage heraus, was wir überhaupt ein gutes Leben nennen. Es ist streng genommen nicht festgelegt und auch nur in groben Vereinfachungen festlegbar. Das schließt nicht aus, hier nach Bestimmungen zu suchen und damit wie Scheler Gefahr zu laufen auf eine Metaphysik objektiver Werte zurückzugreifen. Wenn Groethuysen das Mitleid eine Trauer nennt, ist damit ein Verlust dessen bezeichnet, dem wir einen Wert beimessen ohne schon darüber zu verfügen. Das bringt einen Zug der Hilflosigkeit in die Mitleidsbeziehung, die als Passivität aber nur unzureichend erfaßt wird. Dem gegenüber ist die normative Perspektive jene, die bezeichnet, was wechselseitig voneinander gefordert werden kann. Sie ist der Wertperspektive nachgeordnet. Wird doch die Leidproblematik weder mit dem Schädigungsverbot noch mit dem Gebot: »Leid soll nicht sein!« erreicht. Daß Leid schlecht ist, geht diesen normativen Forderungen immer schon voraus. Damit ist der normative Aspekt, unter dem wir das Leid erfassen können, gegenüber dem Wertaspekt sekundär. So ergibt sich die Differenziertheit der motivationalen Struktur des Mitleids bereits daraus, daß Leid in einem umfassenderen Maße bewertet wird, als durch Unrecht und Regelverstöße erfaßt werden kann. Auf diese reagieren wir mit Empörung, vielleicht Wut, Ärger oder auch Haß. Mitleid ist selten mit derartigen Affekten gepaart, weil es in anderer Weise Beistand und Schutz bietet als Recht und Gesetz. Schon deshalb reicht ein Verständnis der Ethik, die ihren Gegenstand über Rechte und Pflichten konstituiert, nicht aus. Das Mitleid würde in diese gar nicht aufgenommen, weil es weder ein Recht auf noch eine Pflicht zum Mitleid gibt.33 Wenn festgehalten wird, daß die bewegende Kraft des Mitleids dadurch entsteht, daß der Wertverlust, den es anzeigt, affektiv besetzt ist, wird auch ersichtlich, daß es nicht darum gehen kann, das bloße Gefühl zu stärken. Besteht doch dann die Gefahr, daß das Mitleid der Moral lediglich als Maschine diene,34 weil der so isolierte Affekt den Menschen zwar in Bewegung zu versetzen, aber nicht verbindlich zu leiten vermag, ja sogar in sein Gegenteil – die Schadenfreude – verkehrt werden kann. Die Kritiker der Mitleidsethik haben diese psychologischen Zusammenhänge genau ausbuchstabiert, diesen Aspekt wollen wir hier nicht erneut strapazieren, weil er das Problem bei aller Scharfsinnigkeit unter psychologischen Gesichtspunkten betrachtet und dadurch vereinseitigt.35 Allerdings scheint Nietzsche, der als einer der schärfsten Mitleidskritiker gilt, das Phänomen durchaus in seiner Vielschichtigkeit zu sehen. So fürchtete er nicht nur um die doppelte Unterlegenheit des Leidenden durch das Mitleiden, er wollte auch den falschen Altruismus des Ein wichtiger Unterschied zwischen Mitleid und Barmherzigkeit besteht z. B. darin, daß sich Mitleid normativen Forderungen entzieht, während Barmherzigkeit durchaus in eine normative Ethik integriert werden kann. 34 »Das Mitleid ist eine Maschine der Moralität zu Hilfe zu kommen.« (Kant, AA XXVII.I, 227) 35 Das trifft v. a. auf Nietzsche zu, der als Mitleidsverächter schlechthin gilt, so u. a. Hamburger, 1985, 42 ff.. 33
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Affekts entlarven, dem das Mitleid seine moralische Aufwertung verdankt. Daß es derer nicht bedarf, wenn das Mitleid als moralisches Gefühl betrachtet wird, hat Nietzsche selbst gesehen.36 Wird das Mitleid aber nicht als psychisches Phänomen isoliert, sondern in eine Werttheorie integriert, entstehen diese Schwierigkeiten nicht. Daraus läßt sich lernen, daß die bewegende Kraft des Mitleids nicht gestärkt werden kann, wenn allein auf den Affekt Bezug genommen wird. Selbst für Kant, der kein großes Vertrauen in die moralisch motivierende Kraft des Mitleids hatte, ist die Stärkung des Affekts wichtig, wenn er den Gang in die Spitäler zur Pflicht erklärt 37. Die Bedeutung für die Ethik scheint das Mitleid eher durch seine motivationalen als durch seine Beurteilungs- und Rechtfertigungsaspekte zu erlangen.38 Spielt doch die emotionale Gerichtetheit des Mitleids auf das Leid des anderen in allen Versuchen, die Mitleidsbeziehung zu erfassen, die entscheidende Rolle. Verstehen wir das Mitleid als Abwehraffekt gegen das Leid und zugleich als eine Art Liebe für etwas, dem wir einen Wert beimessen, geraten wir nicht in den Dualismus von Beurteilung und Motivation in der Bestimmung des Guten. Kann sich doch nur als gut erweisen, was sich in unserem Handeln bewährt. Demgegenüber haben die ethischen Beurteilungen und Rechtfertigungen des Mitleids ihre Grenze darin, daß sie an ein bereits vorhandenes Gefühl anknüpfen, in bezug auf das dem Handelnden auf der Grundlage von Beurteilungskriterien ein Spielraum der Selbstprüfung ermöglicht wird, der sowohl zur Bestätigung als auch zur Beseitigung des Mitleids führen kann. Mitleid ist kein Gefühl, das auf der Grundlage der Beurteilung erst gewonnen wird wie die Achtung, die nach Kant nur in Verbindung zum moralischen Gesetz zur moralischen Triebfeder wird. Was Leid ist, geht dem Urteil voraus, so daß es von diesem nicht adäquat erfaßt werden kann. Daß das Leid einen Wertverlust darstellt, bestätigt sich im Mitleid, doch darüber hinaus zeigt das Gefühl, daß der Leidende ein Gleicher ist. Wir schulden dem anderen das Mitleid nicht in dem Sinne, daß er einen Anspruch oder gar ein Recht auf unser Mitleid hat, sondern wir bringen darin zum Ausdruck, daß er für uns ein Gleicher ist.
»Unser Mitleiden ist ein höheres fernsichtigeres Mitleiden: – wir sehen, wie der Mensch sich verkleinert, wie ihr ihn verkleinert – und es gibt Augenblicke, wo wir gerade eurem Mitleiden mit einer unbeschreiblichen Beängstigung zusehn […] Mitleid also gegen Mitleid.« (Nietzsche, 1968, 166 f.) 37 »So ist es Pflicht: nicht die Stellen, wo sich Arme befinden, denen das Nothwendigste abgeht, umzugehen, sondern sie aufzusuchen, die Krankenstuben, oder die Gefängnisse der Schuldner […] um dem schmerzhaften Mitgefühl, dessen man sich nicht erwehren könne, auszuweichen« (MdST, VI, 557). 38 Schopenhauer hebt diesen Aspekt hervor und stellt das Mitleid als Triebfeder und Fundament der Moral heraus (vgl. Schopenhauer, 1979, 736 ff.). Zum Beurteilungs- und Motivationsprinzip bei Schopenhauer vgl. v. a. Köhl (1993, 136 ff.), Hallich (1998). 36
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Moralische Normativität und Motivation Stefan Gosepath
1. Formale Phänomenologie der Moral Was sind die Quellen moralischer Normativität und Motivation? Dazu muß man zunächst einmal verstehen, was hier mit Moral gemeint ist. Dies können wir uns auf einem Umweg klarmachen, über ein Gedankenexperiment, das uns ein Stück von unserer Alltagsvertrautheit mit dem Moralischen entfernen soll. Angenommen wir erhalten eines Tages Besuch von Wesen vom Mars, den sogenannten Marsianern. Sie sind – wie es die Saga so will – intelligenter als wir Erdlinge und deshalb schnell in der Lage, sich unsere Sprachen und unsere Praxen ein Stück weit verständlich zu machen. Dabei entdecken sie das ihnen – so will ich annehmen – unbekannte Phänomen Moral bei uns Erdlingen. Sie wollen das, was ihnen fremd ist, verstehen und sich erklären. Zunächst einmal kann man den Marsianern schnell klarmachen, daß es nur einen Begriff, aber gegebenenfalls verschiedene Konzeptionen der Moral gibt. Es gibt eine allgemeine Definition von Moral, die verschiedene Arten von Moralauffassungen, also unterschiedlichste inhaltliche Vorstellungen darüber umfaßt, was als moralisch anzusehen ist. Diese Differenz nennt man mit Rawls (1975, 21 f.) den Unterschied zwischen einem allgemeinen Konzept (d. h. Begriff) und einer spezifischen Konzeption (d. h. Auffassung) der Moral. Gäbe es keinen neutralen ahistorischen Sinn von Moral, keinen allgemein geteilten Bedeutungsaspekt, wäre es nicht möglich, sinnvoll miteinander darüber zu streiten, was in einer Situation tatsächlich moralisch ist. Indem Menschen darüber debattieren, ob etwas moralisch ist oder nicht, müssen die Parteien von einem zumindest teilweise geteilten, allgemeinen Moralbegriff ausgehen. Um sinnvoll über die anderen Moralen anderer Personen oder Gesellschaften zu debattieren, beispielsweise die Nazimoral oder Sklavenhaltermoral, müssen wir denselben Begriff einer Moral verwenden, können allerdings die spezifische Moralauffassung ablehnen. Den Marsianern muß zunächst einmal ganz generell der Begriff einer Moral erläutert werden. Es gilt, dabei eine deskriptive Verwendungsweise des Begriffs von Moral von einer normativen zu unterscheiden. Einen deskriptiven, formalen Vorbegriff von Moral verwenden Ethnologen – und die Marsianer gleichen hier Ethnologen –, wenn sie untersuchen, ob eine fremde Kultur überhaupt so etwas wie eine Moral hat. Der deskriptive Begriff bezieht sich natürlich zunächst einmal auf Verhaltensvorschriften, was zu tun und was zu las-
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sen ist gemäß den Regeln einer Gesellschaft. Allerdings muß der Begriff auch genauer den Unterschied eines spezifisch moralischen Regelsystems zu Etiquette, Religion und Recht markieren. Der formale Vorbegriff des Kern einer Moral, wie er in fast jeder Gesellschaft vorkommt, kann mittels folgender Bedingungen bestimmt werden (Hart, 1994, 167–184; Tugendhat, 1993, 2.–3. Vorles.): (a) Nur motivierte, absichtliche und zu verantwortende Handlungen bzw. Unterlassungen und nicht nur äußerlich beobachtbares Verhalten können als moralisch oder unmoralisch gelten. Das sieht man daran, daß Menschen nicht nur an den Konsequenzen des Verhaltens anderer interessiert sind, sondern auch und vor allem an ihrer Haltung ihnen gegenüber, die sich ggf. in den Handlungen ausdrückt. Obgleich der Schmerz bei versehentlicher oder absichtlicher Verletzung der gleiche ist, reagieren wir nur im letzteren Fall mit Empörung; und ebenso verspüren wir bei sich für einen ergebenden Vorteilen Dankbarkeit nur, wenn wir den Nutzen für uns als beabsichtigt und nicht als bloßes zufälliges Nebenprodukt einer eigeninteressierten Handlung oder Unterlassung ansehen. (b) Die Funktion der Moral besteht darin, Probleme und Konflikte zu lösen, die entstehen, da Menschen als verletzliche, soziale Lebewesen und Personen miteinander und mit Flora und Fauna koexistieren müssen. Diese Funktion erfüllen menschliche Moralen in der Regel. Diese funktionale Bestimmung aus der Beobachterperspektive ist angemessen, unabhängig davon, ob diese Funktion aus der spezifischen Teilnehmerperspektive der jeweiligen Moral als deren wesentlicher Zweck angesehen wird oder nicht. (c) Zum Inhalt einer Moral gehören deshalb die die Mitglieder der Moralgemeinschaft bindenden Normen, die unter anderem dazu dienen, i) ihr Zusammenleben in Frieden und Harmonie zu ermöglichen und zu fördern, ii) den Schutz ihrer wesentlichen Lebensvollzüge sicherzustellen und iii) ihnen in Notlagen Hilfe zu gewährleisten. (d) Bei Moral handelt es sich um ein System wechselseitiger Forderungen. Moral ist ein informelles, d. h. nicht notwendig in Gesetze gefaßtes und mit staatlichen Zwangsmaßnahmen durchgesetztes Regelsystem zur Handlungskoordinierung. An diesen äußeren Merkmalen können wir die Moral einer anderen Personengruppe erkennen, ohne die darin vorgeschriebenen Normen zu akzeptieren. Unseren eigenen Fall beschreiben wir jedoch anders, weil wir unser moralisches Normensystem akzeptieren und unterstützen. Im Falle unserer Moral verwenden wir den Begriff zusätzlich auch präskriptiv und normativ, d. h. wir beurteilen unsere Moralauffassung als richtig und schreiben sie deshalb uns und anderen vor. Für jemanden, der auf dem moralischen Standpunkt steht und von ihm aus urteilt, muß die Definition der Moral um folgende Merkmale ergänzt werden, die den normativen Standpunkt der Moral charakterisieren:
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(e) Die Moral ist für die Beteiligten verbindlich. »Verbindlichkeit« setzt bei den Beteiligten jeweils eine subjektive Anerkennung der moralischen Normen und Praktiken voraus, die für die Gemeinschaft auf (intersubjektiv) überzeugende Weise festlegt, wozu die Akteure verpflichtet sind und was sie von einander zu erwarten haben. (f) Dies impliziert eine besondere Form des moralischen Drucks: Der besondere Druck besteht nie nur in äußeren Sanktionen, sondern vielmehr immer auch in den für Moral spezifischen inneren Sanktionen durch moralische Gefühle von Schuld und Scham. Zwar könnte sich ein Normensystem ungezwungen naturwüchsig einstellen, wenn alle ohne Zwang faktisch die gleichen Regeln befolgten. Diese faktische Übereinstimmung ist aber instabil. Jederzeit kann sich einem oder mehreren die Frage aufdrängen: Warum tue ich das eigentlich; warum sollte ich das tun? Es scheint nun charakteristisch für ein Moralsystem, daß es auf diese Frage einer überzeugenden Antwort bedarf, im Gegensatz zu bloßen Konventionen etwa. Die Normbefolgung durch ein Mitglied der Gemeinschaft ist in einer Moral weder aus der Perspektive eines einzelnen Teilnehmers, noch aus der Perspektive der anderen Teilnehmer freigestellt. (g) Die Prinzipien der Moral haben eine besonderen Wichtigkeit für die, die sie akzeptieren, die man oft gegen Emotionen oder sozialen Druck verteidigt. (h) Die Prinzipien der Moral sind immun gegenüber einem absichtlichen Wechsel der Prinzipien durch bloße (kollektive) Entscheidungen oder Wollensakte. So hat Moral nun einen normativen Sinn. Wenn ich eine Moral ›habe‹, dann bin ich davon überzeugt, daß ich und wahrscheinlich alle anderen Mitglieder der Moralgemeinschaft auch so handeln sollen. Dieser eigentümliche Charakter der moralischen Sollgeltung, der sich im Gefühl des Verpflichtetseins spiegelt, schreibt nicht nur etwas von außen vor, das mittels Sanktionen durchgesetzte wird, sondern für diejenigen, die moralisch sind, gibt die Moral ihnen normative Gründe, so zu handeln. Diese Gründe sind es in der Regel, die sie davon überzeugen, daß so zu handeln richtig und anders zu handeln falsch ist. Die Marsianer hätten nicht vollständig verstanden, was es heißt, eine Moral zu haben, wenn sie diesen normativen Begriff der Moral nicht verstünden, also was es aus der Ersten-Person-Perspektive heißt, die Überzeugung zu haben, eine bestimmte Art von Regeln, wie sie durch den deskriptiven Begriff ausgezeichnet ist, folgen zu sollen/müssen. Als ethnologische Betrachter können sie nur das moralische Sprachspiel als soziale Tatsache beschreiben und ihre Funktion erklären, ohne selbst in der Lage zu sein zu verstehen, warum die Beteiligten von den Regeln »überzeugt« sind, weil sie die Plausibilität der Gründe und Interpretationen aus der Außenperspektive nicht nachvollziehen können. Um eine Moral vollständig verstehen zu können, müssen die Marsianer die moralische Praxis der Beteiligten, insbesondere deren Begründungspraxis, reflexiv nachvollziehen und rekonstruktiv erklären können. Wie ist nun in diesem Sinne »unser« Standpunkt der Moral zu verstehen? Wer so nach dem Sinn oder – pathetisch gesprochen – nach dem »Wesen« der Moral
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fragt, sucht insbesondere eine Antwort auf die Frage: Was heißt es überhaupt, sich an moralischen Normen zu orientieren, wenn diese nicht dem unmittelbaren Wünschen entsprechen? – Damit wird nicht, wie im Alltag üblich, eine konkrete Begründung für eine spezifische normative Aufforderung verlangt. Gefragt wird also nicht nach dem Inhalt der moralischen Normen und nicht nach deren Begründung. Gleichsam philosophisch tiefergelegt wird vielmehr nach einer Erläuterung der Quellen der moralischen Normativität und Motivation gesucht. Was man also ganz allgemein erklärt haben möchte, ist der eigentümliche Verpflichtungscharakter moralischer Rede. Die Beantwortung dieser Frage nach einem entscheidenden Wesensmerkmal der Moral legt die handlungstheoretischen Voraussetzungen für die Wirksamkeit und möglichen Inhalte der Moral erst frei. Man muß deshalb moralpsychologisch nach den menschlichen Fähigkeiten fragen, die es uns ermöglichen, den Anforderungen der Moral überhaupt zu folgen. Im dialektischen Durchgang durch verschiedene klassische Lösungsvorschläge unternehme ich es im Folgenden, die Quellen der moralischen Normativität und Motivation aufzuzeigen. Dazu entwikkele ich eine schwach kognitivistische Auffassung, die das Selbstverständnis der im Alltag angetroffenen moralischen Begründungspraxis insofern bewahrt, als sich in ihr Wertungen ausdrücken, denen wir sowohl ein Motiv als auch einen gewissen kognitiven Status zuschreiben können.
2. Motivationale und normative Bedingung moralischer Gründe Vom moralischen Standpunkt aus muß es einen für die Normadressaten überzeugenden Grund für das »moralische Sollen« geben. Die Erklärung der Normativität und Motivation hängt mit der Erläuterung unserer Fähigkeit der Vernunft, sich durch rationale Gründe bewegen zu lassen, zusammen (Raz, 1999). Vernunft bezieht sich auf die Fähigkeit von Personen, Verfahren des Begründens oder Rechtfertigens zu entwickeln, über sie zu verfügen und ihnen bzw. den Gründen zu folgen. Moralische Handlungsgründe müssen zwei wesentliche Bedingungen erfüllen. Die beiden Bedingungen sind: (1) Motivationale Bedingung: eine Überlegung, die beansprucht, ein Grund zu sein, muß die betreffende Person motivieren und so die Handlung erklären können. Die Überlegung, der Grund, müssen also eine psychische Kraft besitzen, die dazu führen kann oder führt, eine bestimmte Handlung zu vollziehen. Diese Kraft, die jemanden tatsächlich antreibt, das zu tun, was er tut, ist sein Motiv bzw. seine Motivation; in dem Motiv liegt die subjektive Kausalursache für die Ausführung einer Handlung. ( »Motive« im modernen Sinn entsprechen dem, was Kant »subjektive Triebfedern« bzw. »principium executionis« nennt.) (2) Normative Bedingung: Gründe müssen auch eine rationale Notwendigkeit besitzen; sie müssen aus der Ersten-Person-Perspektive als begründete Forderungen, eben als guter rechtfertigender Grund anerkannt werden; eine Forderung, die man jedoch verletzen kann bzw. der man versäumen kann, nachzukommen, was
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die entsprechende Handlung dann irrational machen würde. (Diese »(moralischen) Gründe« im modernen Sinn werden von Kant als »objektive Bestimmungsgründe« des Willens bezeichnet.) Ein praktischer Vernunftgrund muß also Motiv und Verpflichtung zugleich sein, muß die Handlung sowohl erklären als auch rechtfertigen. Der Grund dafür, beide Bedingungen zugleich zu fordern, ist ein davidsonianischer (Davidson, 1980, bes. 8–11): Denn nur so kann man den Unterschied verstehen zwischen (i) dem Fall, in dem S Grund hat zu handeln und auch handelt, aber nicht, weil sie Grund hat zu handeln, und (ii) dem Fall, in dem S handelt, weil sie Grund dazu hat. Die einzige einleuchtende Antwort ist, daß dieses »weil« kausal verstanden werden muß. Es besteht also ein enger Zusammenhang zwischen Motiven und Gründen, zwischen der kausalen und der normativen Dimension des Verstehens von Handlungen. Dies ist möglich, weil auf der einen Seite Motive als mentale Zustände kausal wirksam sind. Sie weisen auf der anderen Seite aber eine propositionale Struktur auf, können deshalb auch logische Beziehungen eingehen und damit den Raum normativer Gründe eröffnen. Beide Bedingungen müssen also erfüllt werden, auch wenn – wie sich gleich zeigen wird – ein Großteil der Schwierigkeiten darin besteht, eine Konzeption zu finden, die beide Bedingungen erfüllt. Die Frage lautet also, ob und wie moralische Gründe eine Rechtfertigung und zugleich ein Motiv zur Normenbefolgung liefern können. Eine Antwort wird wohl nur aus der Teilnehmerperspektive, aber nicht aus der Beobachterperspektive möglich sein. Gleichwohl darf die Erste-Person-Perspektive nicht per se eine epistemische Privilegierung erfahren. Nicht alles, was aus der Erste-Person-Perspektive richtig scheint, ist deshalb schon richtig. Es ist ja nicht prinzipiell ausgeschlossen, daß sich die Beteiligten irren, auch wenn es ihnen aus ihrer Innensicht nicht so vorkommt. Es reicht daher methodisch nicht, hermeneutisch und phänomenologisch die Perspektive der unmittelbar Beteiligten nachzuvollziehen. Vielmehr bedarf es eines kritischen Verständnisses durch teilnehmende kritische Beobachtung, das es ermöglichen soll, die internen Wahrheitsansprüche und den beanspruchten kognitiven Gehalt der Moral sowie das Selbstverständnis moralisch urteilender Subjekte so gut es geht einzuholen und kritisch zu überprüfen.
3. Bedingung notwendiger Motivation Die zentrale Debatte, in der heute die Frage nach Motiven der Moral erörtert wird, ist die Kontroverse zu Internalismus oder Externalismus in der Moraltheorie.1 Während die so genannten »moralischen Internalisten« annehmen, daß ein sehr enger Die Ausdrücke »Internalismus« und »Externalismus« zur Bezeichnung dieser Positionen gehen auf Falk (1947/48) zurück; vgl. auch Frankena (1958). Diese moraltheoretische Verwendung findet sich auch bei Brink (1989), Dancy (1993, Kap. 1) und Smith (1994, Kap. 3). – Seit Williams (1981) die Themenstellung auf allgemeine Fragen der Handlungsmotivation 1
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Zusammenhang zwischen moralischen Gründen und den entsprechenden Motiven besteht, daß also mit den Gründen, wenn sie einem bewußt sind, auch notwendig ein Motiv zum Handeln gegeben ist (u. a. Smith, 1994, 62 ff.), verneinen die sogenannten »moralischen Externalisten« diese enge Verbindung. Die moralisch-internalistische These lautet genauer: 2 Eine moralische Überzeugung zu haben ist notwendig mit einem Motiv zum entsprechenden Handeln verbunden. Um Mißverständnisse zu vermeiden sei hervorgehoben: Zwar ist nach Ansicht des Internalismus durch das Bewußtsein der Gründe ein hinreichendes Motiv für die Handlung notwendig mitgegeben. Ob die entsprechende Handlung auch tatsächlich ausgeführt wird, liegt jedoch noch immer in der Entscheidung des Handelnden. Nicht jedes für sich hinreichende Motiv wird auch umgesetzt. Daß moralische Gründe und Motive notwendig verbunden sind, heißt nicht automatisch, daß dem Motiv entsprechend gehandelt wird. Der Internalismus läßt beispielsweise zu, daß zum gleichen Zeitpunkt miteinander konkurrierende Motive existieren, von denen jedoch nur eines umgesetzt werden kann. So ist auch echte Willensschwäche und Irrationalität nicht ausgeschlossen (Korsgaard, 1996). Es wird also nicht behauptet, daß ein moralischer Grund notwendig immer zu einer entsprechenden Handlung führt, sondern nur, daß die Person zu der moralischen Handlung motiviert ist, insoweit sie rational ist. Umgekehrt folgt aus dem Ausbleiben einer moralischen Handlung nicht, daß die Person keine moralischen Gründe gehabt hat. Offen ist deshalb beim moralischen Internalismus auch, was Gründe zum moralischen Handeln sein können, ob moralische Gründe letztlich auf Wünschen basieren müssen, um dann auch motivieren zu können, oder ob kognitive Überzeugungen allein zu motivieren vermögen. Der moraltheoretische Internalismus behauptet also, daß bei Personen, sofern sie rational sind, ein notwendiger Zusammenhang besteht zwischen dem Bewußtsein der Existenz moralischer Gründe und der Existenz von Motiven für moralisches Handeln. Der moralische Externalismus behauptet hingegen, daß dieser Zusammenhang kontingent ist.3 Es wäre dann durchaus vorstellbar, daß jemand, der davon überzeugt ist, eine bestimmte Handlung aus moralischen Gründen ausführen zu müssen, dennoch kein Motiv hat, entsprechend zu handeln. Mehr noch: Nach Ansicht des Externalismus muß immer ein »externes« Motiv hinzukommen, andernfalls würde es niemals zur Ausführung einer moralischen Handlung kommen. Was könnten solche externen Motive für moralisches Handeln sein? Auf diese Frage sind im Laufe der Geschichte der Moraltheorie verschiedene Antworten gegeben ausgeweitet hat, kommen diese Ausdrücke jedoch in sehr unterschiedlichen Kontexten mit jeweils unterschiedlichen Bedeutungen vor, wodurch es schnell zu Verwechselungen kommt. 2 Zu den Anhängern dieser These gehört u. a. Smith (1994, 62 ff.). 3 Zu den normativen Externalisten zählen Boyd (1988); Brink (1989, Kapitel 3); Schaber (1997) u. a.. Für eine ausführliche Kritik vgl. Smith (1994, Kap. 3). Zur Darstellung der Positionen im Folgenden vgl. Scarano (202, 434–6).
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worden. Eine weit verbreitete empiristische Antwort besteht in dem Hinweis auf Sanktionen, die der moralisch Handelnde vermeiden möchte. Dabei kann es sich um »äußere« (Strafe) oder um »innere« Sanktionen handeln (etwa Schuld- und Schamgefühle). Das Motiv moralischer Handlungen läge dann darin, solche unliebsamen Sanktionen zu vermeiden.4 Eine weitere Möglichkeit für den Externalisten besteht darin, jedem moralisch Handelnden einen tiefsitzenden Wunsch nach Anerkennung durch die moralische Gemeinschaft zu unterstellen. Auch könnte die treibende Kraft moralischen Handelns in ganz spezifischen, mit einem moralischen Urteil aber nicht notwendig verbundenen Emotionen verortet werden. Zu denken ist hier vor allem an altruistische Gefühle wie Sympathie und Mitleid. Wesentlich für die externalistische Position in all ihren möglichen Ausprägungen ist die Annahme, daß diese Motive nicht notwendig mit den moralischen Überzeugungen der handelnden Personen verbunden sind. Damit gerät der Externalismus aber sowohl für die Motivations- wie die Rechtfertigungsbedingung in Konflikt mit unseren vortheoretischen Intuitionen. Da der Zusammenhang zwischen moralischen Überzeugungen und entsprechenden Handlungsmotiven aus externalistischer Sicht kontingent ist, folgt aus dieser Position die Möglichkeit, daß eine Person zwar feste moralische Überzeugungen hat, sie aber darin kein Motiv sieht, ihnen entsprechend zu handeln, selbst wenn keine Gründe dagegensprechen. In einem solchem Fall halten wir die Person jedoch entweder für irrational – das heißt in diesem Fall für willensschwach beziehungsweise unbeherrscht – oder wir würden nicht glauben, daß sie tatsächlich die unterstellte moralische Überzeugung hat. Das zeigt: Zwischen dem Haben einer moralischen Überzeugung und ihrer praktischen Relevanz scheint ein begrifflicher Zusammenhang zu bestehen, den der Externalismus nicht erklären kann. Moralische Überzeugungen besitzen demnach eine motivationale Kraft, für die der Externalismus nicht aufkommen kann (Scarano, 2002, 435). Der Externalismus kann zudem auch nicht für die normative Kraft aufkommen. Der Verpflichtungscharakter der Moral läßt sich weder durch die Sanktionierung der Normen durch den Normsetzer noch durch emotionale Einstellung des Normempfängers erklären. Wenn die Normativität der Norm letztlich nur auf Sanktionen oder entgegenkommenden Gefühlen beruhte, dann löste sich unser Verständnis von Normativität auf. Im Unterschied zu kontingenten Emotionen oder bloßem Zwang bedarf es bei einer Norm zusätzlich einer bestimmten Einstellung der Teilnehmer zu der gemeinsamen Praxis. Zur Normativität gehört ein Gefühl der Pflicht zur Einhaltung der Norm (Hart, 1961). Deshalb glaube ich, den moralischen Externalismus im folgenden als unplausibel ausschließen zu können. Nun reicht es aber umgekehrt noch nicht aus, einfach einen notwendigen Zusammenhang zwischen dem Bewußtsein moralischer Gründe und den entsprechenden Motiven zu postulieren. Es muß auch gezeigt werden, worauf die behauptete Notwendigkeit dieses Zusammenhangs beruht. 4
Für eine solche externalistische Moralauffassung vgl. Mill (1861, Kap. 3).
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4. Bedingung der Motivation durch Wünsche Man möchte an dieser Stelle allerdings gerne auch wissen, wie aus einem begrifflichen Zusammenhang ein kausaler wird. Eine logische Implikation scheint nicht auszureichen, wie sie Frankena (1958) klassisch formulierte. Denn diese Sichtweise mag zwar in bezug auf die Urteile aus der Beobachterperspektive angemessen sein, es werden jedoch die das Selbst berücksichtigenden und rekonstruierenden Komponenten aus der Teilnehmerperspektive der moralisch Urteilenden verfehlt. Eine »Konversationsimplikatur« (nach Grice), nach der man von einem Urteil eine entsprechende Handlung erwarten würde, reicht auch nicht, weil ungeklärt bleibt, warum eine Sprechergemeinschaft eigentlich eine Entsprechung zwischen moralischem Urteil und motivierter Handlung erwartet. Die geforderte motivationale Bedingung läßt sich scheinbar nur auf eine Weise erfüllen. Nur Gründe, die die Existenz eines Motivs implizieren, sind brauchbar, um Handlungen zu erklären (Korsgaard, 1996). Man kann mit einem aprioristischen Argument zeigen, daß so etwas wie vernünftige Einsicht allein die Motivationsbedingung nicht erfüllt (Smith, 1987). Das Argument läuft so: Nur absichtliches Handeln kann rational sein. Das bedeutet, daß einen rationalen Grund zum Handeln zu haben unter anderem heißt, ein Ziel zu haben. (Die Einschränkung »unter anderem« bezieht sich darauf, daß mindestens noch eine Mittel-Zweck-Meinung vorliegen muß.) Strittig zwischen den Interpretationen von rationalem Grund ist, ob nur Wünsche das Ziel angeben können oder auch allein eine Überzeugung darüber, was gut oder richtig ist. Die Frage ist aber gut zu entscheiden: Denn ein Ziel zu haben ist ein Zustand – so das Argument –, zu dem die Welt passen muß, statt andersherum. Wenn die Welt der Tatsachen nicht zu einem Wunsch paßt, muß sich die Welt ändern. Das liefert das Handlungsmotiv. Ein Ziel also ist ein Zustand mit der ‹Passensrichtung› eines Wunsches. Da ein Wunsch hauptsächlich dadurch charakterisiert ist, diese ‹Passensrichtung› zu haben, folgt, daß »ein Ziel haben« bedeutet, einen Wunsch zu haben. Und daraus folgt dann, daß »einen rationalen Handlungsgrund zu haben« unter anderem bedeutet, einen Wunsch zu haben. Wegen der falschen ‹Passensrichtung› können Meinungen, Überzeugungen, z. B. daß etwas gut sei, allein nicht motivieren. Denn wenn die Welt mit Meinungen oder Überzeugungen nicht übereinstimmt, müssen die Meinungen oder Überzeugungen geändert werden. Das liefert kein rationales Motiv zum Handeln, sondern zur Korrektur des Denkens. Dies Argument zeigt, daß bei der Explikation auch von moralischen Gründen die Motivation zum Handeln letztlich nur durch Wünsche erklärbar sein kann. Dies Argument legt einen aber nicht auf eine enge humesche Motivationstheorie fest (Hume, 1978, II,3,3; Smith, 1987), nach der die Quelle der Motivation in einem schon der praktischen Überlegung vorhergehenden Wunsch und einer MittelZweck-Meinung besteht. Danach kann sich ein Handlungsgrund nur auf die vorhandenen subjektiven Ziele oder Wünsche der betreffenden Person beziehen, die selber nicht begründbar sind. Das aber scheint unplausibel, wie noch deutlich werden wird.
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Vielmehr stützt das Argument der Passensrichtung nur die internalistische Forderung. Eine solche abgeschwächte Bedingung beansprucht lediglich: Wenn Vernunft motivationale Kraft hat, Handlungen hervorzubringen, dann ist dies nur dadurch möglich, daß sie Wünsche hervorbringt oder sich auf gegebene Wünsche stützt. Ob die Vernunft allein Wünsche hervorbringen kann, bleibt dabei die noch offene und strittige Frage.
5. Bedingung rationaler deliberativer Motivation Eine Handlung kann nur moralisch genannt werden, wenn sie aus normativ gerechtfertigten moralischen Gründen ausgeführt wird. Die moralische Handlung muß aus Sicht der handelnden Person die richtige Handlung sein und die Person muß die Handlung ausführen, gerade weil sie sie aus Gründen für die richtige Handlung ansieht (Gosepath, 1992, Kap. 5). Diese Forderung, die in der Debatte von den meisten Parteien (z. B. von Kantianern wie Humeanern) akzeptiert werden kann, kann als Bedingung rationaler deliberativer Motivation wie folgt festgehalten werden: 5 Was die Handlung und die entsprechende Handlungsmotivation eines Subjektes rational macht, ist, daß die Person bestimmte Gründe als rechtfertigende Gründe für die Handlung in ihrer praktischen Deliberation (an)erkennt. – Wenn dieses Argument stimmt, wie läßt sich dann der moralische Internalismus verstehen? Eine Möglichkeit, den moralischen Internalismus im Lichte der Bedingung rationaler Motivation zu vertreten, liegt darin, einen Nonkognitivismus zu behaupten. Gemäß nonkognitivistischer Auffassung, wie sie vor allem von Hume und den Neohumeanern vertreten wird, sind eine moralische Gesinnung bzw. das Einnehmen des moralischen Standpunktes selbst als motivationale Zustände zu analysieren. Alles Wertschätzen von etwas, einschließlich aller moralischen Überzeugungen, wären also Pro-Einstellungen (also Wünsche) und keine Glaubenszustände. Grund und Motiv der Handlung wären identisch und deshalb bestünde zwischen Grund und Motiv auch ein notwendiger Zusammenhang. Eine non-kognitivistische Position, die praktische Gründe allein auf vorhandenen Wünschen basieren läßt, ist aus mindestens drei Gründen zu einer sehr unattraktiven Auffassung verurteilt. Eine erste kontraintuitive Konsequenz aus einer solchen Vorgehensweise liegt darin, daß moralische Überzeugungen dann gar keinen kognitiven Gehalt haben.6 Nonkognitivisten sind deshalb der Meinung, daß der im Selbstverständnis der moralischen Subjekte vorkommende kognitive Gehalt moEine alternative Auffassung stellt die weiter hinten kritisierte Dispositionstheorie der Motivation dar. 6 Die Möglichkeit rationaler Argumentationen im Bereich der Moral muß dann auf andere Weise erklärt werden, wie beispielsweise auf der Grundlage einer antirealistischen Metaethik (Scarano, 2001, Teil II). 5
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ralischer Alltagssprache auf einer Illusion beruht. Eine nonkognitivistische Analyse gibt deshalb überhaupt keine Erläuterung dafür, was es für uns aus der Teilnehmerperspektive heißt, aus rechtfertigenden Gründen zu handeln (Darwall, 1983, Kap. 3). Dieser Standpunkt ist jedoch zentral, weil die rationale Rekonstruktion der Innenperspektive derjenigen, die vernünftig überlegen, methodisch das einzige Material ist, von dem wir hier ausgehen können. Natürliche oder psychologische Dispositionen, wie das bloße Haben von Wünschen, reichen zur Rechtfertigung also nicht (Quinn, 1993, bes. 236; Velleman, 1992; Hampton, 1998; Korsgaard, 1997). Zu demselben Ergebnis kommt man auch mittels einer zweiten Überlegung: Wenn uns unsere Wünsche einfach gegeben sind, warum soll ich dann mit ihnen und den aus ihnen resultierenden Handlungen einverstanden sein? Jeder von uns macht von Zeit zu Zeit die Erfahrung eines Auseinanderklaffens, einer Diskrepanz zwischen dem, was gut ist, und dem, was nur so erscheint, als wäre es gut (Schneider, 1994, 17). Man denke beispielsweise an ein kleines Kind, das sich immer mehr Schokoladeneis wünscht und dem dann davon übel wird. Hier macht das Kind vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben die Erfahrung, daß die Erfüllung eines Wunsches nicht gut sein muß. Es lernt zu unterscheiden zwischen Wünschen und Werten. Diese eigene Erfahrung gibt uns einen Ausgangspunkt, der von vornherein etwas anderes ist, sowohl als ein allein von außen, von anderen Menschen herangetragener Anspruch, als auch etwas anderes als ein unmittelbares Wünschen. Der Ausgangspunkt ist mithin die Erfahrung eines Werturteils, das sich in uns bildet. Diese Erfahrung besteht sowohl in einem Widerfahrnis, als auch in einer kognitiven Deutung. Letzteres gilt es philosophisch zu verstehen. Wesentlich für das Normative also ist ein zugrunde liegendes kognitives Werturteil, das in einer praktischen Überlegung aus der Ersten-Person-Perspektive akzeptiert wird. Nur wer die charakteristische Erfahrung gemacht und verinnerlicht hat, daß sich das, was man sich wünscht bzw. gewünscht hat, als nicht gut (für einen selbst) herausgestellt hat, versteht den Sinn des Normativen. Solche Erfahrungen kann man niemand durch Reden verschaffen. Sie dürfen bei jedem lebendigen Menschen vorausgesetzt werden. Wir verstehen uns in unseren Selbstbeschreibungen als Wesen, die sich selbst bestimmen und nicht allein durch vorgefundene Tatsachen bestimmt werden. Damit etwas rechtfertigen kann, muß es von uns in einem Akt der Selbstbestimmung angeeignet werden, wir müssen uns mit ihm identifizieren. Unattraktiv ist der Nonkognitivismus auch aus einem dritten Grund. Nach nonkognitivistischer Auffassung sind alle praktischen Rechtfertigungen letztendlich relativ zu Wünschen. Praktische Vernunft sei deshalb nur instrumentell. Wie ist aber der Status der Vernunftprinzipien, die Regel der praktischen relativen Vernunft (das sind die Regeln instrumenteller und prudentieller Rationalität) zu verstehen, die den Hintergrund der Rechtfertigungsrelationen bilden (Gosepath, 1999)? Instrumentalisten müssen eventuell zugeben, daß diese Regel der Rationalität nicht weiter gerechtfertigt werden kann. Alle Regeln der Rationalität beruhen auf ZweckMittel-Rationalität, alle Gründe bzw. Begründungen müssen irgendwo enden. Kon-
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zentrieren wir uns auf das zentrale Prinzip, das der instrumentellen Vernunft. Das kann im Rahmen des Nonkognitivismus nicht angemessen erläutert werden. Es gibt drei Alternativen, die für den Nonkognitivisten alle drei unattraktiv sind: Das Prinzip instrumenteller Vernunft kann entweder (a) auf einer Disposition beruhen oder (b) analytische oder (c) kategorische Geltung beanspruchen. (a) Bestünde instrumentelle Rationalität in einer Disposition, immer das geeignete Mittel zum Zweck zu wählen und auszuführen, könnte man nicht sagen, daß dies ein gültiges, ein richtiges Prinzip ist, bzw. daß jemand, der sich nicht daran hält, etwas falsch macht, irrational ist. Entweder Menschen sind so »verdrahtet« oder nicht. Vorwürfe wären fehl am Platz. Das aber scheint gänzlich falsch, weil jegliche Präskriptivität verloren geht; es verletzt somit die Rechtfertigungsbedingung, nach der aus normativen Gründen gehandelt werden muß. (S. u. die Kritik an der Dispositionstheorie.) (b) Gilt dieser Satz analytisch, folgt er also daraus, was es heißt, etwas (wahrhaftig) zu wollen. So würde jeder, der nicht das fragliche Mittel wählt, nur zeigen, daß er das entsprechende Ziel nicht (wirklich) gewollt hat. Er hätte aber nicht gegen ein Prinzip der instrumentellen Rationalität verstoßen, das ihm vorschreibt, daß seiner Meinung nach geeignetste Mittel zu wählen; seine Handlung ist gar nicht irrational. Nach dieser behavioristischen Interpretation »offenbart« das Wahlverhalten erst die Präferenzen. Dann aber können Personen per definitionem ihren sich erst im Handeln zeigenden Präferenzen nie zuwiderhandeln, d. h. sie können nie irrational handeln. Das ist gänzlich unplausibel und verletzt die Rechtfertigungsbedingung, nämlich durch normative Gründe anzugeben, warum man so handeln soll. (c) Gilt das Prinzip instrumenteller Vernunft kategorisch, dann gibt es objektive Gründe, insofern diese objektive Geltung beanspruchen können. Zumindest Zweck-MittelRationalität ist dann selbst eine Art kategorischer Imperativ (d. h. nicht durch Bezug auf Wünsche begründet) (Dreier, 1997, 95 f.; Williams, 1995, 37). Der Nonkognitivist muß dann zugeben, daß es zumindest eine kategorische Norm gibt, deren Befolgung nicht relativ zu subjektiven Motiven begründet ist, sondern schlicht für jeden gilt. Dann kann es prinzipiell natürlich auch weitere solcher Normen geben. Eine plausible Moraltheorie muß also an der Unterschiedlichkeit von moralischen Gründen und Motiven festhalten und dennoch die internalistische Forderung erfüllen. Dies kann m.E. nur gelingen mittels eines Kognitivismus rechtfertigender Gründe. Eine Lösungsstrategie, die entsprechend versucht, die motivationale und rechtfertigende Bedingung zusammenzuführen, besteht in der Dispositionstheorie der Motivation, die die Aktivität der praktischen Überlegung auf eine funktionale Interaktion psychischer Zustände und eine Disposition zurückführt. Der moralische Internalismus besagt ja, daß aus einer moralischen Überzeugung eine entsprechende Handlung notwendig folgt, sofern die Person rational ist. Also müssen die Bedingungen der Rationalität näher spezifiziert werden und zwar (naheliegenderweise) als die Fähigkeit, rational und motivational auf seine moralischen Überzeugungen reagieren zu können. Eine rationale moralische Person wird – diesem Ansatz zufolge – dadurch zu einer solchen, daß sie die generelle Disposition hat, auf rationale
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Gründe in ihrer Deliberation entsprechend motivational zu reagieren. Das Vorliegen der Disposition, sich von seinen abschließenden Sollens-Urteilen zum Handeln motivieren zu lassen (also durch das Vorhandensein eines Wunsches moralisch zu sein), gilt als konstitutiv für die praktische Rationalität des Subjekts und seine moralische Einstellung (Smith, 1994, Kap. 5; Dreier, 1997; Velleman, 1996). Daß Personen diese generelle Disposition besitzen, das Rechte um seiner selbst willen zu tun, kann und soll hier jedoch nicht aus ihrer rationalen Überlegung erklärt werden. Denn gemäß der Dispositionstheorie kann eine Handlungsmotivation rational sein, egal ob sie sich aus der subjektiven Akzeptanz rationaler Gründe ergibt oder nicht. Die Motivation der Person, rational zu handeln, stammt selbst nicht aus ihrer kognitiven Wertschätzung ihrer Gründe. Sie kann ihre Motivation nicht aus den rationalen bzw. moralischen Forderungen der praktischen Vernunft herleiten. Da die Motivation der Person, moralisch zu handeln, selbst nicht aus der kognitiven Wertschätzung der Gründe stammt, widerspricht die Dispositionstheorie der vorne aufgestellten Bedingung der rationalen deliberativen Motivation. Gemäß der Dispositionstheorie wäre das moralische Urteil gerechtfertigt und würde auch deshalb ausgeführt, aber das Handlungsmotiv selbst wäre nicht rational begründet, gleichwohl auch nicht irrational. Von der Einsicht in die Richtigkeit der Gründe gibt es keinen gesicherten Übergang zum moralisch motivierten Handeln der Einsicht entsprechend. Zwar soll die moralische Einsicht diesen Theorien gemäß die schwache Kraft epistemischer Gründe entwickeln, verdankt sich aber selbst keinem rationalen subjektiven moralischen Handlungsmotiv. Durch die funktionale Reduktion kommt auch hier letztlich die rationale Person als Subjekt des Handelns in dem Bild nicht mehr vor. Das widerspricht wieder dem, was es für uns aus der Teilnehmerperspektive heißt, aus rechtfertigenden Gründen zu handeln. Statt dessen erklärt aus der Beobachterperspektive ein funktionales Substitut etwas, was aus der Teilnehmerperspektive sicherlich als etwas ganz anderes wahrgenommen wird, nämlich die selbständige kognitive Tätigkeit der Individuen, wenn sie überlegen, was für sie in der Situation zu tun das Richtige ist, und aus diesen Gründen entsprechend handeln. (Dies war vorne als Argument für den Kognitivismus genannt worden – und genau das geht bei der Dispositionstheorie wieder verloren.) Entweder kann die Dispositionstheorie für diesen Aspekt nicht aufkommen und ist damit wesentlich unvollständig oder die Dispositionstheorie läuft (auch wieder) auf eine Irrtumstheorie hinaus, die die wesentlichen kognitiven Aspekte moralischen Handelns aus der Teilnehmerperspektive als Illusion darstellt, und dafür eine eliminative Reduktion kognitiver Aktivitäten auf funktionale Zustände anbietet. – Aus diesen Gründen scheint die Dispositionstheorie inadäquat. Es bleibt dann als plausible Alternative ein Kognitivismus rechtfertigender und motivierender Gründe. Wenn diese Kritik berechtigt ist, dann müssen wir nach einer Theorie moralischer rationaler Motivation suchen, in der die Handlung ausgeführt wird, weil man rational verpflichtet ist, gemäß seiner am besten gerechtfertigten, moralischen Gründe zu handeln, also seine moralische Pflicht zu tun, allein weil man einsieht,
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daß die Gründe die besten sind (Nagel, 1979, 8). Wie diese Forderung nach rationaler Rechtfertigung und Motivation erfüllt werden kann, läßt sich gerade an den Prinzipien der Vernunft verdeutlichen. So wie ein logischer Schluß, beispielsweise mittels modus ponens, nur dann rational ist, wenn die Person zu der Konklusion gelangt ist, indem sie modus ponens angewendet hat, und zwar weil sie modus ponens für die gültige Schlußregel hält, so ist eine Handlung nur zweck-mittel-rational, wenn sie in Anwendung des Prinzips instrumenteller Vernunft und in Anerkennung dieses Prinzips ausgeführt wurde. Um die so zustande gekommene Handlungen erklären zu können, müssen keine der Überlegung vorhergehenden Wünsche unterstellt werden. Deshalb sind die nonkognitivistische Auffassung und die humesche Motivationstheorie falsch. Denn das Beispiel der Vernunftprinzipien zeigt, daß nicht jede rationale Motivation letztlich auf Wünschen basiert, die der rationalen Überlegung vorausliegen. Vielmehr können auch die Akzeptanz und Anwendung von Vernunftprinzipien die Motivation zur Handlung hervorrufen. Es gibt mithin einen Unterschied zwischen durch Gründe motivierten und unmotivierten Wünschen (Nagel, 1979). Damit kann die Motivationsbedingung prinzipiell auch auf eine andere Weise erfüllt werden, nämlich kognitivistisch. – Wenn diese Argumentation bei instrumentellen Vernunftprinzipien so plausibel ist, dann muß gleiches analog auch für Moralprinzipien gelten (können). In all diesen Fällen dürfte erst unsere Anerkennung der rationalen Notwendigkeit der Prinzipien und Gründe die entsprechende rationale Motivation erklären (Nagel, 1979, 31). – Welche kognitiven Überlegungen können nun legitime Ansprüche an uns stellen, so daß wir zugleich verpflichtet und motiviert sind?
6. Orientierung am Guten Aus den bisher genannten Gründen muß die gesuchte, angemessene Konzeption rechtfertigender und motivierender Gründe diese als eine aktive Disposition erläutern (können), und zwar als Fähigkeit zu rationaler Überlegung und Entscheidung, bei der die Tätigkeit und Fähigkeit wesentlich zugleich kognitiv und konativ (im Sinne der Zielgerichtetheit) sind. Einen integrierteren Ansatz zum Verständnis des Verpflichtungscharakters erhält man, wenn man wieder an die ganz klassische Konzeption von auf das Gute gerichteten Wünschen anknüpft. Nach dieser Auffassung besteht alle rationale Motivation in der Wahl einer Handlung, die insofern rational ist, als der Handelnde (an)erkennt, daß und wie die gewählte Handlung hilft, das Gute zu realisieren. Aus diesen Gründen erkennt die handelnde Person die zu wählende Handlung als gut, begründet und deshalb auszuführend an. Das Ziel, um dessen willen eine Handlung getan wird, spielt in diesem Ansatz die zentrale vermittelnde Rolle zwischen kognitiver Einsicht und konativer Motivation. Rationale deliberative Motivation besteht in der angemessenen Ausübung des eigenen Willens, wobei diese Fähigkeit zu rationaler Überlegung und Entscheidung das Gute notwendig als seinen formalen Endzweck haben muß (Smit, 2003; Lawrence,
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1995). Die Verpflichtung ergibt sich demnach aus der »Einsicht« in einen Endzweck, der um seiner selbst willen angestrebt wird, den die Handelnden als selbst-regulierend ansehen. Der formale Endzweck ist das eigene Wohlergehen. Der Aspekt der Verpflichtung und der Motivation in diesem klassischen Modell läßt sich – interessanterweise – sehr schön mit Kant erläutern.7 Der Verpflichtungscharakter ist der eines hypothetischen Imperativs der Klugheit (wie Kant das nennt). Die prudentielle Vernunft verpflichtet die betreffende Person zum Abwägen ihrer Ziele oder Wünsche mit Bezug auf ihre Konzeption des Guten oder ihr Wohlergehen insgesamt sowie dazu, die Handlungen zu wählen, die die größtmögliche Erfüllung möglichst vieler ihrer wichtigsten Ziele garantiert. Eine Person wird – sofern sie vernünftig ist – ihre Wünsche und Ziele im Lichte ihres formalen Endzwecks Wohlergehen kritisch prüfen und abwägen. Letztlich gibt es für Kant neben unendlich vielen nicht hinreichend bestimmten Ratschlägen der Klugheit nur einen Imperativ der Klugheit, weil dieser auf ein einziges letztes Ziel gerichtet ist: die Glückseligkeit, wie Kant es nennt. Um das Endziel nicht wie Kant (KpV, 58–60) unglücklicherweise rein hedonistisch zu verstehen, sollte man vielleicht lieber von Wohlergehen reden. Dieser Imperativ der Klugheit hat rationale Autorität für uns. Unser eigenes Wohlergehen muß mit »Naturnotwendigkeit« (GMS, 418) unser eigenes Ziel sein, es ist kein »Ideal der Vernunft, sondern der Einbildungskraft […], was bloß auf empirischen Gründen beruht« (GMS, 415). Daß wir unser Wohlergehen anstreben, vermag diesem jedoch noch keinen ausgezeichneten Status als Gutes zu geben, dessen Realisierung der richtige Zweck der praktischen Vernunft wäre. Denn dann wäre es nur bloßes Wünschen, nur sinnliche Neigung. Vielmehr muß die Operation der praktischen Vernunft selbst den Status unseres Wohlergehens als Gutes bestimmen, indem es unsere Empfindungsfähigkeit und Einbildungskraft wesentlich mit in Rechnung stellt. Als menschliche Wesen, im Unterschied zu anderen rationalen Die Auffassung Kants in der Ethik ist natürlich eine andere. Zwischen der Rechtfertigung und der Erklärung einer moralischen Handlung gibt es bei Kant einen engen Zusammenhang. Das moralische Gesetz ist in seiner Theorie sowohl objektiver Bestimmungsgrund (d. h. modern gesprochen ein moralischer Grund) als auch subjektive Triebfeder des Handelns (d. h. modern gesprochen ein Motiv, das die subjektiven Kausalursachen für die Ausführung einer Handlung bildet). Es ist »principium diiudicationis« und »principium executionis« zugleich. Dennoch sind Gründe und Motive nach Kant nicht identisch. Seine Handlungstheorie geht von der Prämisse aus, daß ein Handeln ohne Mitwirkung von Gefühlen für uns Menschen nicht möglich ist. Hieraus erklärt sich eine seiner Leitfragen, wie reine Vernunft für sich praktisch sein kann. Mit dem Gefühl der Achtung benennt Kant deshalb ein spezifisches Gefühl, das die Verbindung zwischen moralischen Gründen und der entsprechenden Motivation leisten soll (GMS, 460). Dafür versucht er zu zeigen, daß dieses Gefühl einen apriorischen Status hat. Da nach Kant Apriorität und Notwendigkeit immer zusammenfallen, ergibt sich dadurch zugleich die Notwendigkeit der Verbindung zwischen moralischen Gründen und der entsprechenden Motivation. Darin liegt der von Kant gewählte Weg, den moralischen Internalismus sicherzustellen (KpV, 3. Hauptstück). Die Kantische Argumentation ist aus mehreren Gründen nicht ganz unproblematisch (Tugendhat, 1993, 6.–7. Vorles.). 7
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Wesen, mit der Natur unseres menschlichen Bestrebens, die wir nun mal unabänderlich haben, müssen wir unserem Wohlergehen mit Notwendigkeit ein gewisses Gewicht in unserer praktischen Überlegung geben. Wir müssen unser Wohlergehen als wertvoll beurteilen.8 Da wir also Wohlergehen mit Naturnotwendigkeit als einen Endzweck unseres Handelns haben, wäre es unsinnig, wenn uns die Vernunft vorschreiben würde, unser Wohlergehen als Ziel zu wählen. Deshalb handelt es sich hier um keinen der Imperative der Geschicklichkeit, die für frei wählbare Ziele instrumentelle Rationalität vorschreiben. Wir sind dem Imperativ der Klugheit insofern unterworfen, als wir naturnotwendig nach Wohlergehen streben und es ebenso naturnotwendig als Gutes ansehen. Mit Bezug auf dieses durch unsere Natur vorgegebene Gute können und müssen wir die konkreten Ziele unseres Handeln rational beurteilen. Aus dem notwendigen Anstreben unseres Wohlergehens als formaler Endzweck unseres Handelns zusammen mit Überlegungen prudentieller Vernunft ergibt sich die rationale Handlungsmotivation. Damit haben wir schließlich ein hoffentlich angemessenes Model rationaler deliberativer Motivation erreicht. Rationale Pflicht und rationale Motivation ergeben sich in der praktischen Überlegung darüber, wie zu handeln für einen in der Situation das Beste ist mit Bezug auf das gegebene Gute, unser Wohlergehen. Das Ergebnis dieser praktischen Überlegung wird in unserem schwach-objektiven kognitiven Urteil ausgedrückt, was gut ist und was wir deshalb tun sollen. Das ist die Quelle rationaler Normativität. Da die menschliche praktische Vernunft darin besteht, auf diese Weise, also durch die Wahl der besten Handlungsalternative im Lichte der besten Gründe uns festzulegen, wie wir handeln sollen, besteht die Motivation praktisch rational zu sein – also entsprechend den von einem selbst anerkannten besten rationalen Gründe zu handeln – darin, das kognitive Urteil, über das, was wir tun sollen, zu akzeptieren. Das ist die Quelle rationaler Motivation. Wenn wir das Urteil einsehen bzw. akzeptieren, werden wir entsprechend handeln, sofern wir rational sind, also vor allem nicht willensschwach. Für die Ausführung der Handlung bedarf es keiner weiteren zusätzlichen Wünsche oder Dispositionen. Praktische Vernunft besteht also in der Fähigkeit, die eigenen Handlungen zu bestimmen durch die kognitive Einsicht, die ihrerseits durch die Prinzipien der Vernunft gesteuert wird. Durch die kognitive Einsicht entspringt ein »Wille […] [als] ein Vermögen, nur dasjenige zu wählen, was die Vernunft unabhängig von Neigungen als praktisch nothwendig, d. i. als gut, erkennt« (GMS, 412). Praktische Vernunft ist die Selbstbindung des Willens durch Einsicht. »Einsicht« soll hier heißen, daß praktische Vernunft mehr leistet als pragmatisches Abwägen der eigenen Präferenzen. Durch den Bezug auf das Gute ist eine über das subjektive Wollen hinausgehende Häufiger wird die Auffassung vertreten, daß Kant der Meinung war, daß nur ein guter Wille die Quelle eines Wertes sei, hier der Güte des Wohlergehens, so daß nur der gute Wille, also der kategorische Imperativ, einen Grund darstellen würde, das eigene Wohlergehen zu befördern (Korsgaard, 1997, 247, Fn 65). Dagegen spricht auch einiges für die Lesart, daß Kant eine eigene prudentielle Normativität annimmt (Kain, 2003). 8
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werteerschließende Dimension hinzugekommen, die die Folie für eine interne Kritik von Wünschen abgibt. Wir können die Erfahrung machen, daß das, was wir wollen, nicht gut für uns ist. Diese Erfahrung ist aber kein kognitiver Bezug auf objektive Tatsachen der Außenwelt, sondern eine kognitive Deutung. (Diese können wir immer nur im Zusammenspiel von Lebensorientierung und Selbstverständnis einerseits und durch eine durch kulturelle Werte imprägnierte Situationsdeutung andererseits machen.) Dies macht die Quelle der rationalen Normativität zu einer (im schwachen Sinn) kognitiven. Ausschlaggebend für die Einnahme des moralischen Standpunktes kann nach dem eben Ausgeführten nur eine praktische Überlegung sein, die sich auf das eigene Leben bezieht, wer man ist und wie man sein will, was im Ganzen und auf lange Sicht gut für einen ist. Aus dieser Sicht eines um sein gutes Leben besorgten Subjekts gibt es vernünftige, wenn auch nicht zwingende Gründe, sich überhaupt auf moralische Verhältnisse einzulassen. Gründe für die Einnahme des moralischen Standpunktes lassen sich selbstreflexiv aus der Beurteilung der bereits erfahrenen Vor- und Nachteile eines moralisch geregelten Interaktionszusammenhangs ermitteln, in den man ja meist schon hineinsozialisiert ist, wenn mit dem Erwachsenwerden die vernünftigen Überlegungen beginnen. Für die condition humaine ist Moral eine notwendige Schutzvorrichtung, um versehrbare Lebewesen und anerkennungsbedürftige Personen zu schützen, die einerseits als unvertretbare Einzelne ihr Leben zu leben haben, und die andererseits in diesem Lebensvollzug eine Lebensform mit anderen teilen und deshalb auf das responsive Verhalten anderer angewiesen sind (Wingert, 1996). Wir scheinen sowohl in pragmatischer als auch anerkennungstheoretischer Hinsicht in einer Welt sprachlich (d. h. symbolisch) vermittelten Sinns immer auf andere angewiesen. Daraus können sich Gründe für eine Moral ergeben. Den Eintritt in die Kommunikation darüber kann ein Einzelner zwar verweigern. Aber kollektiv können wir Menschen, die eine kommunikative Lebensform teilen, nicht gänzlich auf die Reproduktionsleistungen verzichten, die die argumentgeleitete Kommunikation erbringt. Deshalb können wir uns als bewußte Nutznießer dieser Leistungen eine völlig diskursfreie Form des sprachvermittelten Zusammenlebens gar nicht denken (Habermas, 1981, Bd. II., 217). Gründe, die unter diesem Gesichtspunkt dafür sprechen, daß man an einem System wechselseitiger Achtung interessiert sein sollte, gewinnen motivierende Kraft insoweit, wie sie die Identität und das Selbstverständnis einer von einer moralischen Gemeinschaft bereits geformten Person berühren. Die meisten Menschen verstehen sich interessanterweise entsprechend als moralische Personen.9 Die Aufgabe der Moral besteht dann darin zu klären, was es heißt, einander moralisch zu behandeln. Daß wir uns als moralische Wesen verstehen wollen, ist selbst natürlich etwas, was wir gutheißen, das unserem Ich-Ideal entspricht bzw. das wir zu unserem Ich-Ideal gemacht
Einige wenige mögen sich hingegen als rationale Amoralisten begreifen, gegen die kein Argument zwingend scheint. 9
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haben. Die Begründung mit Bezug auf das eigene Gute verdeutlicht, warum man sich ggf. bewußt auf eine moralische Praxis einläßt. Damit sollen wenigstens einigen ›Quellen‹ rationaler Normativität und rationaler Motivation erschlossen sein, mit deren Hilfe man den für die Moral charakteristischen Sinn von »vernünftigerweise Akzeptieren und entsprechend Handeln« erläutern kann.
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On Recognizing our Duties as God’s Commands John Hare
I was asked to write for the conference on which this book is based a paper on moral motivation that was both an alternative to Kant and theist. My difficulty here is that I think Kant is a theist and is, with various qualifications, right in the theistic aspects of his account of moral motivation. What I am going to say is therefore not exactly an alternative to Kant. I do realize, however, that it has been fashionable recently either to deny Kant’s theism, or to try to reconstruct his account of morality without it. So what I say will be an alternative to some recent accounts of Kant’s theory of moral motivation, and perhaps that is enough to fit the purposes of this book. I am going to defend the view that is expressed, for example, in the Volckmann notes to Kant’s Lectures on Natural Theology, »The condition of the skeptical atheist is an unstable condition, in which one always deteriorates from hope into doubt and distrust« (NT, 1151). This is a theme which is present in Kant from an earlier period, for example in the Collins notes from Kant’s Lectures on Ethics, »Atheism is a theological falsehood of the kind which influences morality and religion. It deprives rules of good conduct of their motive power« (LoE, 312). The claim is that in some sense theism is required for moral motivation. But there are immediately qualifications that Kant himself makes to this claim, and I want to spend the first two parts of this paper describing these qualifications. Then in the third and final part, I will make some positive or constructive remarks about how theism is supposed to help moral motivation. I am trying to do two different things here, each of which would be too much for a single paper: to attribute to Kant a set of views about the relation of theism to morality, and to defend those views. The first qualification is that theism is not necessarily required for moral motivation. Kant is, in my view, what he himself calls a »pure rationalist.« I have defended this view elsewhere against Allen Wood, who denies it and holds that Kant is a deist (Wood, 1991, 1–21; see J. Hare, 1994, 138–144). As I shall use the terms, a theist differs in two ways from a deist. Kant explicitly identifies himself as a theist and not a deist in terms of the first distinction as follows (LPR, 1047). A deist, in his understanding of God, »understands merely a blindly working eternal nature as the root of all things, an original being or supreme cause of the world, but he does not venture to assert that God is the ground of all things through freedom.« Wood takes the second distinction from John Dryden. A deist acknowledges one God, but »without the reception of any revealed religion.« I want to claim that Kant is not a
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deist in terms of this distinction either. The discussion of pure rationalism that I have in mind comes at the beginning of book IV of Religion (RGV, 154), in a section where Kant begins by saying that religion is (subjectively regarded), the recognition of all duties as divine commands. He then distinguishes various types of religion. Revealed religion is where I must know in advance that something is a divine command in order to recognize it as my duty. Natural religion is the opposite way round, where I must first know that something is my duty before I can accept it as a divine injunction. Rationalism is where I interpret natural religion alone as morally necessary. Naturalism is where I deny the reality of all supernatural divine revelation. Pure rationalism, the view that I want to attribute to Kant himself, is where I recognize revelation, but assert that to know and accept it as real is not a necessary requisite to religion. I am going to focus on that phrase »not a necessary requisite to religion.« Finally, supernaturalism is where I hold that belief in revelation is necessary to universal religion. The view that Kant regards himself as a pure rationalist has initial plausibility given his vocabulary elsewhere in Religion. In the preface to the second edition (RGV, 12–13) he says that he is going to try two experiments. He is going to try thinking of revelation in terms of two concentric circles, the outer circle being historical revelation and the inner being the revelation to reason. The second experiment is to try translating items in the outer circle by means of the moral concepts to see if they lead back to »the very same pure rational system of religion.« In fact, he takes the four central items of the traditional Christian faith (Creation, Fall, Redemption, and Second Coming), and the translation of these dictates the structure of the rest of the work. In my view, Kant is not proposing to reduce the outer circle to the inner, but to leave the outer as it is, the proper territory of the biblical theologian as opposed to the philosophical theologian (RGV, 9). Then in book III (RGV, 104), he raises the question of whether God commands through laws that are in themselves merely statutory, or through purely moral laws. If the former, Kant says that our knowledge of such laws is possible not through our reason alone but only through revelation, which would have to be an historical and not a pure rational faith in order to be propagated among men by tradition or writ.1 A pure rationalist, then, is someone who accepts supernatural divine revelation, but does not think it is a necessary requisite to religion, that is he does not think it is necessarily necessary for religion. The key to understanding this point is to note the double modality. We find the same doubling in the statement of the antinomy in book III, (RGV, 116) which we have to solve or at least adjust before we can determine »whether an historical (ecclesiastical) faith must always be present as an Compare the General Observation at the end of book III (RGV, 138), where he discusses mysteries of the faith, and says that belief in such mysteries can be looked upon either as divinely prompted or as a pure rational faith. He says that unless we are impelled by the greatest need to adopt the first of these views, we shall make it our maxim to abide by the second. 1
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essential element of saving faith.« Divine revelation gives us what Kant calls a »vehicle« of pure religion. He adds a note about the vehicle at the end of book III in the first edition, which says that we must work to free the pure rational religion from its external cover that is at present still indispensable (RGV, 135). Then he adds another note in the second edition, with the same double modality, »Not that it will cease (for as a vehicle it may perhaps always be useful and necessary).«2 Kant is saying at the beginning of book IV that a rationalist will never dogmatize in the manner of a naturalist, who denies both the possibility of such a vehicle and its necessity as a divine means for the introduction of true religion. To make either of these denials would go beyond the limits of human insight. On the other hand, it would be equally presumptuous to assert, like the supernaturalist, that the vehicle is necessary for universal religion. The proper modesty is to say that the vehicle may perhaps always be useful and necessary, but that it is able to cease (RGV, 135n). It is able to cease, Kant says, because of the inner stability of the pure moral faith. At some point in the future, we human beings may no longer need the vehicle. But as things are, the position of the morally good person who is not a theist is, Kant says, unstable. I will come back to this point in the second section of the paper. But surely, you may say, Kant denies that belief in God is required if we are to apprehend our duty? The very first sentence of Religion says, »So far as morality is based upon the conception of man as a free agent who, just because he is free, binds himself through his reason to unconditional laws, it stands in need neither of the idea of another Being over him, for him to apprehend his duty, nor of an incentive other than the law itself, for him to do his duty« (RGV, 3). This sentence is an object lesson in how to read Kant’s account of the relation between morality and theism. His point is that we humans in our current state are not merely free agents who bind ourselves through our reason to unconditioned laws. If we were only that, he is saying, we would not need the idea of God or of additional incentives. But in fact we are also creatures of need, and through our own fault we have put ourselves in a situation in which our morality is deficient and does need both God and additional incentive. So we have to read the sentence emphasizing the first two words, »So far as morality is based upon the conception of man as a free agent […].« Kant does not hold that it is necessary for all rational beings to think of morality as the command of a superior being. After all, God is a rational being who does not think of morality that way. The moral law is necessary, just as it is necessary that triangles have three angles, and it is not created by any will, either human or divine (LoE, 283). But creatures of need may have to recognize duties as God’s revealed commands at least in our present situation, though perhaps we may grow towards holiness sufficiently far that revelation will no longer be necessary for us. Kant is There is a pattern of the revisions in the second edition being sensitive to orthodox concerns. Note the same form of argument about the mysteries at RGV, 174, »To believe that there may be works of grace and that perhaps these may even be necessary to supplement the incompleteness of our struggle toward virtue.« 2
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here translating the traditional Christian picture that we will not forever require revelation in order to know God. That is the first qualification I wanted to make to the claim that theism is required for moral motivation. I do not have time to say much here by way of defending Kant’s claims about the need for a vehicle. It might be argued against him that even if theism has been the vehicle in the past, it is so no longer; the notion that humans have rights just by being humans, and that we have the moral obligation to observe these rights, seems to have spread across the globe to many people who do not share theistic belief. But it is noteworthy that this human rights culture has spread much faster than any justification for it has done. So Richard Rorty in his 1993 Oxford Amnesty Lecture on human rights said that human rights are altogether without foundations (Rorty, 1998, 171–172). He himself is in favor of the idea, but this is just because his sentiments have been manipulated, like those of his students. If we look at the level of justification, we will find something much more like Nietzsche’s prediction, that »there is no small probability that with the irresistible decline of faith in the Christian God there is now also a considerable decline in mankind’s feeling of guilt« (Nietzsche, 1967, 90–91). So we will find some types of communitarians, some types of care theorists, or just partial skeptics about morality like Bernard Williams, all arguing that it no longer makes sense to think of morality as Kant did.3 Whether this noticeable change at the level of justification has made any difference at the level of moral practice requires empirical research. One interesting place to consider is China, where I have been part of discussions with Chinese philosophers who see the need for public affirmation of ethical standards, but also see a kind of inability in classical Marxism or Confucianism at the level of justification. They have been examining whether the Chinese context permits the language of faith or the transcendent or even God to fill this need. In Kant’s terms, they are discussing the need for a vehicle. The second qualification to the claim that theism is required for moral motivation is that it is not even necessary for creatures of need in our present situation to be theists in order for us to be morally good people. This takes us back to the point I made earlier about rational instability. Kant’s primary example here is Spinoza, who Kant takes to be a conspicuously good person morally but not to believe in the existence of God. This may well be unfair to Spinoza, but that is not my present concern. The point is that there are people, (we probably now know many more such people than Kant did), who are doing an excellent job of leading morally good lives but who are not theists. So we cannot say that theism is necessary in our
Williams is a particularly interesting case, because we can trace in his work a development from his early book Morality (Cambridge: Cambridge University Press, 1962) to his later work Ethics and the Limits of Philosophy (Cambridge: Harvard University Press, 1985). This development is both towards less room for God and towards less room for Kant-style morality. 3
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present situation for leading a morally good life. Nonetheless Kant’s position, as I understand it, is that there is a kind of rational instability in such a position. I have taken the term from Volckmann’s notes on Kant’s Lectures on Natural Theology, a passage that I quoted at the beginning of the paper, and which was pointed out to me by Patrick Kain. Spinoza is also mentioned as his example in the Collins notes on Kant’s Lectures on Ethics (LoE, 312). Spinoza is one of those people who have made an error in theology, but not in religion. He »did what a man of religion should do. His heart was good, and could easily have been brought to rights; he merely had too much trust in speculative argument.« There is a contrast with another kind of person who says he believes in God, but »lives in such a way that one would take him to maintain that there is no god« (LoE, 327). This second person is, Kant says, »a practical atheist,« though he recognizes this is a stretch of the term »atheist.« The first kind of person, however, the speculative atheist, needs only to have his error about the limits of human understanding corrected, (he might read, for example, the First Critique), and then the moral faith which he already has in germ will be free to express itself in terms of explicit belief in God. In the Third Critique, Kant uses Spinoza as somebody who, because he says »there is no God« is rationally constrained to doubt the possibility of the highest good. »And so, this well-meaning person would indeed have to give up as impossible the purpose that the moral laws obligated him to have before his eyes, and that in compliance with them he did have before his eyes« (KdU, 452). Note the modality again. Kant does not say that Spinoza did give up belief in the possibility of the highest good or that such a person will do it, but that he would have to do it. The point is that there is a dilemma which reason presents to such a person. He has three options, once he has seen the dilemma. He can reject the pursuit of the highest good, as impossible of achievement. He can reject his speculative atheism. Or he can stay in the dilemma, unable to be happy with either alternative. The Third Critique says that if he refuses to give up the real possibility of the highest good, then he must assume (note the modality again) the existence of God. It is not that he will assume it, but that he must. He must, that is, if he is to be rational. Since by hypothesis Spinoza is genuinely committed to the moral law, we can suppose that if he comes to see his misguided over-confidence in the human understanding, he will actually resolve the dilemma in the direction of theism. But whether the speculative atheist in fact does so depends on the relative strengths of her commitment to the moral law and her exaggerated confidence in the powers of the human intellect. If I may, I would like to make a twentieth century parallel to this point about Spinoza. Suppose a person thought, under the influence of the Logical Positivists, that one could only meaningfully assert propositions that were either tautologies or in principle verifiable or falsifiable by sense-experience. He might conclude that he could not meaningfully assert that God exists. On the other hand, he might be committed to the moral law and also believe that this requires some kind of faith in the moral structure of the world. I have in mind here R.M. Hare, who supposed that we
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are rationally required as moral agents to have what he called a »blik,« an attitude towards the world, about which he said the following: »It seems, indeed, to be impossible even to formulate as an assertion the normal blik about the world which makes me put my confidence in the future reliability of steel joints; in my own continued well-being (in some sense of that word that I may not now fully understand) if I continue to do what is right according to my lights; in the general likelihood of people like Hitler coming to a bad end. But perhaps a formulation less inadequate than most is to be found in psalm 75: ›The earth is weak and all the inhabiters thereof; I bear up the pillars of it‹« (R. M. Hare, 1992 [originally published in 1950], 37–9). R. M. Hare is here willing to use God’s promises to express the attitude towards living in the world which R.M. Hare himself adopted, while at the same time denying that he could strictly speaking assert that God exists. I think Kant would say of him that his heart was good; but he merely had too much trust in speculative argument, in this case in the empiricist doctrine which extended restrictions which Kant himself put on knowledge into the domain of meaningful assertion or belief, as Kant did not. So here is the second qualification I need to make to the claim that theism is required for moral motivation. There are many morally motivated people who do not believe in God; but there is nonetheless a rational instability in such a conjunction. Now why exactly is there such a rational instability? This brings me to the third and final part of this paper, in which I am going to try to say something positive in defense of the claim that theism is helpful towards moral motivation. I will have to be brief, and so I will divide my remarks into two sections. The first has to do with the highest good, and the second with the revolution of the will. If I were trying to be more comprehensive, I would go in detail through the three different roles that Kant throughout his writing gives to God as the head of the kingdom of ends, namely the legislative, executive and judicial roles. In the Second Critique, Kant says that morality requires us to believe in the real possibility of the highest good, the union of virtue and happiness, and that our reason finds the possibility of the highest good thinkable »only on the presupposition of a supreme intelligence; to assume the existence of this supreme intelligence is thus connected with the consciousness of our duty« (KpV, 126). I want to stress that it is the existence of God that has to be assumed, not the possibility of God. Kant does elsewhere say that all that is necessary is to believe in the possibility of God’s existence, but the context in these passages is what is required in the speculative use of reason (e. g. LoE, 531; LPR, 1010 and 1026). I think Kant is right that sustaining the moral life requires belief that virtue is in the long run consistent with happiness, even if one does not believe that most people are now virtuous. He is translating into the language of the inner of the two concentric circles the vision of the psalmist that »justice and peace embrace« (Psalm 85: 10). It might seem that Kant ought to say that we should be indifferent to our happiness, and care only
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about duty for its own sake. But this position is one that he considers and rejects as inhumane (KpV, 127). He is here in the tradition of Crusius and Luther and the Franciscan voluntarists who rejected the doctrine that was condemned as »quietism« in the late middle ages, the noble-sounding doctrine that we should lose concern for our own happiness and care only about God. I have given a detailed argument for the claim that we need to assume the real possibility of the highest good in the third chapter of The Moral Gap, and I will not repeat the detail here (J. Hare, 1996, 69–96). Very roughly, the argument goes like this. We have to assume, as moral agents, that we can achieve the good things we try to achieve; otherwise there would be no point in trying to achieve them. But we also have to assume this about each other, because we are so massively inter-connected in our projects. So that we have to assume that other people can achieve the good things they try to achieve. This would mean that if, roughly, everyone were virtuous, then, roughly, everyone would be happy. This is the situation Kant describes in the First Critique as self-rewarding morality (KrV, A808 / B837). Unfortunately, however, we have to persevere believing in the consistency of the moral life with happiness without the confidence that most other people are virtuous. We have to go on believing that virtue is consistent with happiness whether most other people are virtuous or not. So what could be the ground for such belief? Kant proposes God’s providence. I do not think he has shown that there are no other alternatives. But what I have tried to do in my own work is to look at the main non-theist alternatives that have been suggested, and I have not been persuaded that any of them succeed. The sorts of alternatives I have in mind are the Marxist view that locates hope in the ownership by the proletariat of the means of production, or the view in some types of evolutionary ethics that morality can be shown to arise out of adaptation, where the bottom line is survival and reproduction. In any case, the first role that theism plays in moral motivation is that it provides a grounding for the hope that morality is consistent with happiness, and that we do not have to sacrifice our happiness in order to be morally good. The second role that theism plays in moral motivation is that it grounds the hope that a revolution of the will is possible. Kant is again in the tradition of Lutheran pietism in the denial that we have in ourselves the power to help ourselves by accomplishing a revolution of the will that reverses the evil maxim subordinating duty to happiness. He accepts the traditional answer to what he calls »the problem which the valiant Spener called out fervently to all ecclesiastical teachers,« the answer that appeals to divine assistance, or a »divine supplement,« to make up our deficiency (SF, 54). The reason we cannot accomplish this revolution on our own is that we discover the propensity to evil is already fundamental in ourselves, as soon as we start thinking morally. The evil »is, as a natural propensity, inextirpable by human powers, since extirpation could occur only through good maxims, and cannot take place when the ultimate subjective ground of all maxims is postulated as corrupt« (RGV, 37). This view of evil as natural, but not (unlike the predisposition to good) part of the concept of human being, is Kant’s translation, within the
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language of the inner concentric circle, of the doctrine of the Fall which ascribes to us innate and imputable evil, but also denies that this evil is ineradicable. »At the same time,« Kant goes on, »it must be possible to overcome (the evil), since it is found in man, a being whose actions are free.« We are left without understanding how God’s grace in accomplishing the revolution of the will combines with our choosing this revolution. We should, on Kant’s views of human limits, expect such matters to be beyond the scope of our understanding. But one piece of Kantian doctrine that helps to some degree is the postulation of a divine intuition that is not, like ours, receptive, but productive. As he says in the First Critique, we can conceive of an understanding, »through whose representation the objects of the representation should at the same time exist« (KrV, B139). When God sees us as just, in the Lutheran doctrine of constitutive justification, God makes us just, though not without our doing what we can (J. Hare, 1999). It is tempting to deny that Kant can hold this view of the revolution because he asserts (for example in the first sentence of the general observation at the end of book I) that »Man himself must make or have made himself into whatever in a moral sense, whether good or evil, he is or is to become« (RGV, 44). This is what Nick Wolterstorff calls »the Stoic maxim,« and he thinks it is inconsistent with any attribution of efficacy to divine grace in accomplishing the revolution of the will (Wolterstorff, 1991, 40–53, esp. 48). But it is important to see that Kant is restricting the scope of the remark, just as he restricts the scope of the first sentence of Religion that I quoted at the beginning. In both these sentences he goes on to explain the restriction, as though recognizing how easily misunderstood these sentences are. In a moral sense what we are or become is imputable to us, because that is the nature of morality. But Kant is not here denying the role of divine grace, but denying that this role is (in this sense) moral. In the last sentence of this general observation, he puts the point this way, »We can admit an effect of grace as something incomprehensible but cannot incorporate it into our maxims for either theoretical or practical use« (RGV, 53). We cannot make theoretical use of divine grace because it is beyond the reach of our understanding, and we cannot make practical use of it because divine grace is not something we do. But we nonetheless have to admit it, because otherwise we will be stuck with Spener’s problem, with the incoherence of an obligation that cannot be fulfilled. The view that we discover that the evil maxim is already our basic maxim, as soon as we start thinking morally, is, to be sure, controversial. Allen Wood has recently defended not only the centrality of this view to Kant but its plausibility in itself (Wood, 1999, 226–282). I think some support for the view can be found in recent evolutionary psychology. I hasten to add that I have read mostly the popularizing literature by writers such as Richard Dawkins, Richard Alexander, Robert Wright, Janet Richards, and David Sloan Wilson (Dawkins, 1976; Alexander, 1987; Wright, 1994; Richards, 2000; Wilson, 1999). I think it is the burden of this literature that the preference for the self (whether that be defined at the level of the gene, like Dawkins, or the individual, like Alexander, or the group, like Wilson) is original
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in explanation, and anything like genuine altruism (not merely what is called misleadingly »reciprocal altruism«) has to be somehow explained as subsequent to it. These writers would find it quite natural to say, in Kant’s terms, that we are born with the tendency to prefer our happiness to our duty. One result of this literature is to reverse the easy optimism about our basic goodness and malleability that was characteristic of the early part of the twentieth century; belief in our innate selfpreference has become the default position and our moral goodness has become problematic. I put it this way to make a final point. Kant’s position about the evil maxim expresses a certain modesty about what humans are able to achieve by their own powers. I want to contrast this with the Humanist Manifesto of 1933, »Man is at last becoming aware that he alone is responsible for the realization of the world of his dreams, that he has within himself the power for its achievement« (1933, 61). Kant shared the view that humans are progressing morally, but the view that humans can do this alone has been unique to the last century and a half. Does our experience of the last seventy years support this claim? Or does it not, rather, support the warning that when we lose Kant’s kind of modesty about what we can achieve by way of moral revolution ourselves, we open ourselves to horrendous and finally self-destructive tyranny? I know that there is also theist tyranny, and that Kant was constantly aware of the danger of Christianity becoming what he called »dictatorial.« But he did not respond to this by denying the connection I have been describing between morality and theism. Rather, he argued for limits on the institutional power of biblical theology. Whether a person finds it plausible to talk about divine assistance here is likely to be a function of whether she finds it antecedently plausible to talk about God. My goal has not been to provide a proof of God’s existence, but to show how if we believed in God, we might find help with moral motivation. We would find help, I have suggested, with what I take to be two central problems about moral motivation, the problem about the real possibility of the highest good and the problem about the need for a revolution of the will. If we could recognize our duties as God’s commands, we would see that we are under the command of someone who has made our following the commands consistent with our happiness and who has made it possible for us to will to follow them despite our initial propensity to will otherwise. The two qualifications Kant makes to this claim are that the moral law does not require God’s commanding it in order to be valid, and that we humans do not now require belief in God in order to be morally good, only in order to be morally good in a way that is rationally stable. There are other qualifications that Kant does not make, and I think need making, but to describe them would require a longer paper.
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Practical Reason and Motivational Scepticism Paul Russell
In her influential and challenging paper »Skepticism about Practical Reason« Christine Korsgaard sets out to refute an important strand of Humean scepticism as it concerns a Kantian understanding of practical reason.1 Korsgaard distinguishes two components of scepticism about practical reason. The first, which she refers to as content scepticism, argues that reason cannot of itself provide any »substantive guidance to choice and action« (Korsgaard, 1996, 311; quoted as SPR). In its classical formulation, as stated by Hume, it is argued that reason cannot determine our ends. Our ends are determined by our desires and reason is limited to the role of identifying the relevant means to these ends. The second component, which Korsgaard calls motivational scepticism, suggests doubt about the scope of reason as a motive. The claim here, as Korsgaard interprets Hume’s view on this matter, is that »all reasoning that has motivational influence must start from a passion, that being the only possible source of motivation« (SPR, 314).2 Korsgaard’s fundamental objective in »Skepticism about Practical Reason« is to show that motivational scepticism must always be based on content scepticism. In other words, according to Korsgaard, motivational scepticism has no independent force. In this paper I argue that Korsgaard’s attempt to discredit motivational scepticism is unsuccessful.
I. Korsgaard’s approach to this problem turns on a fundamental distinction between »internalist« and »externalist« moral theories. According to internalist theories the knowledge (or acceptance) of a moral judgment implies the existence of a motive. In contrast with this, externalist theories hold that »a conjunction of moral comprehension and total unmotivatedness is perfectly possible: knowledge is one thing * I am grateful to Don Brown, James Kelleher and the participants in the Moralische Motivation Conference for their very helpful comments and discussion. 1 Hereafter abbreviated as SPR, with page references to Korsgaard (1996). 2 Hume expresses the basic idea behind the distinction between content and motivational scepticism in a passage of his Treatise where he criticizes Samuel Clarke’s ethical rationalism. The relevant passage begins: »These two particulars are evidently distinct. ‘Tis one thing to know virtue, and another to conform the will to it« (Hume, 2000, 3.1.1.22).
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and motivation another« (SPR, 315).3 The obvious worry about externalist theories is that they allow for a gap between recognizing reasons and responding to them. That is to say, there is, on the externalist account, no requirement on practical reasons that they are actually capable of motivating the agent. Clearly, however, unless reasons provide motivation they cannot prompt or explain any action. As Korsgaard points out, where there is doubt about whether a given consideration is able to motivate an agent, there will be doubt about »whether the consideration has the force of a practical reason« (SPR, 317). Hume’s motivational scepticism takes the form of the objection that even if content scepticism can be answered (e. g. by way of identifying some relevant moral principles that serve as measures of right and wrong) we would still be left with external reasons that cannot motivate the agent. Whereas a Humean theory of practical reasons locates their motivational source in our passions and desires, the Kantian theory imposes no such limitation on the sources of motivation. According to the Kantian theory, the operations of reason can, by themselves, provide us with practical conclusions that carry their own motivational force. Humean motivation scepticism questions how this can be done. Korsgaard maintains that Humean sceptical doubts about the motivational source of pure practical reasons do not present any genuine difficulty for the Kantian theory, independent and distinct from Humean content scepticism. On the contrary, the doubts raised, she maintains, are a product of confusion about what »internalism« actually requires. Korsgaard agrees that it is a requirement on practical reasons that they be capable of motivating us. However, it does not follow from this, contrary to what Hume and his followers suppose, that if a consideration fails to motivate the agent then it cannot be (for her) a reason for action. To explain this point Korsgaard describes the »internalism requirement« in the following terms: »Practical-reason claims, if they are really to present us with reasons for action, must be capable of motivating rational persons« (SPR, 317 – my emphasis). When the internalism requirement is interpreted this way, Korsgaard argues, it is evident that it does not require »that rational considerations always succeed in motivating us« (SPR, 321). Hume grants that passions and actions may be described as (indirectly) »irrational« in so far as they are founded either on false beliefs about the existence of objects or false beliefs about causal relations in respect of choosing some relevant means to our end.4 Korsgaard argues, however, that there is another possibility that Hume has overlooked. An agent may fail to choose »obviously sufficient and readily available means to [her] end« (SPR, 318). In these circumstances the agent fails to respond appropriately to a reason she recognizes. This is a case of what Korsgaard calls »true irrationality.« The important point here is that true irrationality, Cp. Korsgaard’s account of externalism with the passage from Hume cited in note 2 above. 4 Hume, (2000, 2.3.3.6). 3
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where an agent is not motivated by her reasons, can occur even when the reasons involved are instrumental reasons, which are concerned with taking an action recognized as the relevant means to our end as given by desire. »Even the sceptic about practical reason admits that human beings can be motivated by the consideration that a given action is a means to a desired end. But it is not enough, to explain this fact, that human beings can engage in causal reasoning. It is perfectly possible to imagine a sort of being who could engage in causal reasoning and who could, therefore, engage in reasoning that would point out the means to her ends, but who was not motivated by it« (SPR, 319). It is a weakness in Hume’s position, Korsgaard maintains, that he cannot account for »true irrationality.« According to Hume, when we are not motivated to pursue the means to a given end what this shows is that we do not in fact desire this end, or that we desire something else more. We are, in other words, always motivated to take what we believe to be the relevant means to our end. Korsgaard argues that this way of understanding the internalism requirement clearly »malfunctions« (SPR, 318). The internalism requirement does not imply, Korsgaard argues, that nothing can interfere with »motivational transmission« whereby our practical reasons »set the body in motion« (SPR, 320). On the contrary, a number of different things can interfere with the motivational influence of some rational consideration. When interruptions of this kind occur, generally we are able to provide some explanation for the failure beyond the fact that the person in question is simply practically irrational. More specifically, we can, in principle, say something about how this person’s »motivational path« was blocked. This involves citing specific psychological mechanism that explains why the failure has occurred. Among the various kinds of explanation that Korsgaard refers to are rage, grief, and physical and mental illness. Nevertheless, however we may explain failures of this kind, the fact that reasons sometimes fail to motivate us is not itself inconsistent with the internalist requirement that reasons must be capable of motivating us in so far as we are rational. It is, of course, true that if content scepticism is correct, then we have no reasons for action that extend beyond the limits of our existing passions and desires. But if pure practical reasons do exist, then we must allow for the possibility that agents may fail to be motivated by them simply because they are »truly irrational.« Indeed, as we have already noted, this observation applies to instrumental reasons no less than to pure practical reasons. There is, therefore, no basis for motive scepticism if it is grounded merely on the observation that agents are not always motivated by considerations that are presented to them as »reasons for action.« It is mere confusion to suppose that since reasons must be capable of motivating us, considerations that fail to motivate us cannot be reasons for action.5 If I understand Korsgaard correctly, this constitutes the gist of her objection to Bernard Williams’ position in »Internal and External Reasons.« Korsgaard takes Williams to slide, il5
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It is evident that Korsgaard’s way of interpreting the internalism requirement renders the relationship between reasons and motivation conditional in character. More specifically, on Korsgaard’s account, a reason for action is capable of motivating an agent only if the agent actually »listens to reason« and is rationally disposed (SPR, 324). Rationality, she points out, is not a condition that we are always in. The disposition to be rational is necessary if reasons are to be able to motivate us. (Much as a rational disposition is necessary if good arguments are to lead us to belief in their conclusions.) We do not, however, need any (further) »special psychological mechanism« to explain the linkage between reasons and motivation – the condition of rationality already does this work for us.6
II. The question that arises from Korsgaard’s discussion is whether she has effectively discredited motivational scepticism, understood as a distinct and independent concern from that of content scepticism. I believe that Korsgaard has not accomplished this task. To see why this is so, consider again Korsgaard’s account of cases where agents fail to respond to rational considerations. Korsgaard, as we have noted, acknowledges that it will not do to explain such cases by saying simply that the person concerned is »irrational.« The force of the internalism requirement, as she notes, is psychological, and it places a »psychological demand« on ethical theories (SPR, 329). When the motivational influence of a rational consideration is interfered with, and the »transmission of motivation« does not occur, it is perfectly in order to say something about the way in which the psychological mechanism involved has been disrupted (e. g. by grief, rage, illness etc.). At the same time, however, Korsgaard suggests that it is a mistake to seek out a »special psychological mechanism« of any kind in circumstances where an agent effectively responds to her reasons (i. e. when she is motivationally guided by them). There is, therefore, on this account, an asymmetry in respect of providing an explanation when it comes to cases where our reasons succeed or fail to »transmit motivational influlegitimately, from the (correct) internalist claim that reasons for action must be capable of providing motivation, to the (incorrect) claim that considerations that fail to motivate cannot be reasons for action. The background assumption, making this slide look plausible, is that only our existent ends and desires (i. e. the agent’s »subjective motivational set«) can provide any source of motivation. (I return to Korsgaard’s reply to Williams further below.) 6 It is worth noting that on the Humean account the relationship between reasons and motivation is also conditional, but in a different way. The Humean view suggests that a reason for action is conditional on having some relevant desire. We have no reason for action where our existing desires are not engaged. Since on this account reasons for action are always based on existing desire, there is no difficulty in explaining the linkage between reasons and motivation. Where motivation based on desire is absent, so too, on this view, are reasons for action.
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ence.« Although it is possible to identify some relevant »psychological mechanism« when failure occurs, there is no corresponding »psychological mechanism« required to explain why an agent is successfully motivated by her reasons. The standing condition of rationality provides sufficient explanation for the fact that the (rational) agent is motivated by her reasons for action.7 What argument does Korsgaard offer in defence of this asymmetry? In defence of this view Korsgaard leans heavily on an analogy between theoretical and practical reason. It would, she argues, clearly be »odd« to demand »the intervention of special psychological mechanisms« to convince human reasoners that the conclusion of sound arguments are true (SPR, 316; cp. 320). A rational person is not only capable of performing logical and inductive operations, but is also »appropriately convinced by them« (SPR, 320). If we are rational we believe the conclusion of a sound argument. In the same way, if we are rational we will be motivated by our practical reasons. It is true, of course, that we will not always be motivated by our reasons just as we may not always believe the conclusion of a good argument (i. e. because we are not always rational). However, it does not follow from this that we require any »special psychological mechanism« to explain either how sound arguments convince or to explain how (pure) practical reasons motivate. Just as we do not require any special psychological mechanism to bridge a gap between being presented with a good argument and believing its conclusion, so too we do not need any special psychological mechanism to bridge a gap between being presented with good reasons and being motivated by them. Does this analogy between theoretical and practical reason serve to discredit motivational scepticism? This analogy is at its weakest at the very point where motivational scepticism finds pure practical reason particularly problematic. That is to say, in the case of practical reasons what we are concerned with, as Korsgaard points out, is the generation of »motivational force« which is capable of »setting the body in motion.« As described, this is a (natural) effect of pure practical reasons. It is this power or capacity that the motivational sceptic finds it difficult to account for. Although Korsgaard speaks metaphorically of being »moved« or »driven« to belief, belief involves no movement of any kind (much less voluntary action). Moreover, whereas beliefs are a matter of how we view and interpret the world, practical reasons are directed at making change in the world. In other words, practical reasons do work in the world in a way that beliefs, as such, do not. It is this specific feature of practical reasons that we are trying to account for. In the case of pure practical reasons what the motivational sceptic is asking for is some model or theory that explains how motivation is produced. We are told that The asymmetry in Korsgaard’s position reflects her (Kantian) view that the right approach to ethics is to assume that our »investigations into what it is to be a rational person […] will have psychological conclusions« (SPR, 334n17). She contrasts this approach with the (Hobbesean) view that we take the psychological facts as given, and then derive our ethics from them. 7
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changes of a particular kind in the world – voluntary actions – are brought about by the activity of pure practical reason (just as beliefs are produced by the activity of theoretical reason). We are also told that the agent’s desires and established inclination are not the source of this power to move the agent. Reason by itself brings about change of this particular kind. Nevertheless, whatever the content of our reasons may be, we need to know how it is possible that reason alone can move agents in this way. Motivational scepticism is nothing more than the demand that defenders of pure practical reasons provide some explanation of the (natural) process involved. What may encourage Korsgaard’s view that there is no real difficulty here is the suggestion that a person must be motivated by her practical reasons in so far as she is rational (i. e. as stipulated by the internalism requirement). Be this as it may, however, the question remains about how it is that the operations of pure practical reason are able to move the agent (i.e without the appearance of »occult« causation). It is here that we require some psychological bridge-building, if we are to explain how motivation is generated whereby reasons result in action. The Humean theory identifies the source of motivation as being located with some relevant passions or desires. Since reasons always attach to existent desires and inclinations of some kind, it is possible, on this theory, to explain how our reasons carry motivational force. When we are presented with pure practical reasons, however, the situation is not so clear. Without any motivational source in existent inclination and desire, we are asked to accept that pure practical reasons nevertheless carry motivational power in virtue of their rational »authority.« When the Kantian theorist is challenged to explain how this is possible the relevant reply, Korsgaard argues, is to say simply that rational agents, in so far as they are rational, must be motivated by their reasons (i. e. just as rational beings must believe the conclusion of a good argument). The concern that drives Humean scepticism about motivation is that this is not any kind of an answer to the problem posed. More specifically, Korsgaard does not tell us how pure practical reasons actually provide motivation; what she tells us is only what is required to be a rational agent (namely, that they must be motivated by their reasons). No source of motivation has been identified or described except the standing condition of rationality itself.8 It is clear, I believe, that the analogy that Korsgaard aims to draw between theoretical and practical reason does not serve to relieve the Kantian position of the burden of explaining how pure practical reasons actually generate »motivational force« (for rational agents). It may be suggested, however, that Korsgaard has something to say on this issue that goes beyond the theoretical/practical reason analogy. There is some parallel between this form of explanatory evasion and Hobbes’s description of the kind of explanation provided by the scholastics: »Nay for the cause of understanding also, they say the thing Understood sendeth forth intelligible species, that is an intelligible being seen; which coming into the Understanding, makes us Understand» (Hobbes, 1994, 1,5). 8
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In the closing sections of her paper Korsgaard criticizes the (Humean) arguments advanced by Bernard Williams in his influential paper »Internal and External Reasons.« Williams argues that for a reason to be capable of motivating an agent it must do this on the basis of the agent’s existent »subjective motivational set.« Motivation, in other words, cannot be created ex nihilo; it must draw on some source already present in the agent’s psychological disposition. Williams concludes from this is that pure practical reasons cannot exist, since in the nature of things they are disconnected from the agent’s subjective motivational set as constituted by her given ends and desires. The mistake here, according to Korsgaard, is the (undefended) assumption that the agent’s »subjective motivational set contains only ends and desires« – as clearly that would eliminate all practical reasoning except the means/ends variety (SPR, 328). Contrary to this view, Korsgaard argues, all we need to suppose, consistent with the existence of pure practical reasons, is that a capacity to be motivated by considerations stemming from pure practical reason belongs to the subjective motivational set of every rational being. This is, moreover, consistent with the fact that people sometimes fail to be motivated by reasons of this kind because of »interference« in the »transmission of motivational force« (i. e. people are not always rational). Does this reply to Williams serve to explain how the operations of pure practical reason carry »motivational force?« It is evident, I think, that no relevant answer has been given to this problem. When Korsgaard’s argument is boiled-down, what it comes to is this: If pure practical reasons exist (i. e. granted that content scepticism is unfounded) then, in so far as an agent is rational, she will be motivated by reasons of this kind. If the agent is not so motivated, this is not evidence that these reasons do not exist or are not »valid« for the agent, but only that in the circumstances the agent is not rationally disposed (i. e. she is not »listening to reason«). While we can provide some explanation for failures of this kind, Korsgaard maintains, there is no need to say anything more about how it is that motivational force is generated in the case of those agents who are responsive to reason. What is lost here is any (plausible) theory concerning the source of motivation as provided by pure practical reason. That is to say, we have no account of how it is that reasons of this kind are capable of »setting the human body in motion.« The work that practical reasons of this kind are supposed to do in the world remains a metaphysical mystery. What the Humean is looking for, and cannot find in Korsgaard’s discussion, is how it is that pure practical reason acquires causal traction in the world. Even if it is true that rational agents must be motivated by their (pure) practical reasons, in so far as they are rational, we are left entirely in the dark about the source of motivation and how it get »transmitted« into action.9 There is a striking difference between Korsgaard’s approach and Kant’s in respect of this issue. That is, for Kant it is a fundamental problem to explain how the causality of pure practical reason can be accounted for. He deals with this problem primarily through his (infamous) distinction between phenomenal and noumenal causality. According to Kant, when 9
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Those of a Kantian disposition may still be unconvinced on the ground that what we are looking for is a (crude) psychological theory of practical reason – one that aims to reduce human rationality to a system of hydraulics. I want to show that our concerns are not in any way inappropriate or illegitimate by describing a parallel example, where similar issues and problems present themselves. Consider the relationship between flames, flammable things and burning. There are circumstances where a flame is applied to a flammable object and, for some reason, it fails to ignite and make it burn. We may, in these circumstances, investigate what has interrupted the (normal) process of ignition and burning. The sort of explanations that we are searching for will refer to specific conditions, such as that the object was wet or damp, and so on. On the other hand, we may also be interested to know how it is that flames, when applied to flammable objects, (successfully) ignite them and cause them to burn. What we are looking for, in this case, is some theory that describes the relevant general »mechanism« involved. One such theory is that flames are hot or contain heat, and that this accounts for the process involved. Assume, for our present purposes, that this suggestion (i. e. that flames contain heat etc.) is adequate. Suppose now, that it is claimed that there exist flames that are cold or without heat, but that they are, nevertheless, capable of igniting flammable objects and causing them to burn. When we ask how this is possible we are told: »Flames, including ›cold flames,‹ must ignite flammable objects, otherwise those things are not flammable. It is true, of course, that in some circumstances flames fail to produce ignition and burning – but that does not show that they are not flames. In cases like this, where flames fail to ignite and burn, we will be able to say something about why the failure has occurred (e. g. the object is wet or damp etc.). Beyond this, however, we do not need to provide any general theory about how flames manage to make flammable objects ignite and burn – except to remember that when this fails to happen the object is not flammable.« It is evident, I think, that this way of responding to the problem comes across as evasive. Korsgaard’s way of handling scepticism about motivation, however, seems to have the same general form. The problem posed is certainly structurally similar. The Humean has a general theory about how reasons are able to provide and »transmit« motive force. The explanation, on the their account, is that our reasons derive their motive force from our passions and desires, and this is how reasons are capable of moving us. When a consideration fails to draw on any of existing passions or desires then it cannot motivate the agent and so it cannot be a practical reason. Korsgaard wants to show that the scope of our practical reasons need not be limited in this way. The operations of reason may be able to yield conclusions that do not depend on our existing ends and desires (i. e. contrary to content scepwe consider human beings from an empirical (phenomenal) perspective there is no available source of motivation provided by pure practical reason. Contemporary Kantians, including Korsgaard, have generally abandoned this approach. The problem, however, as I have argued, plainly remains with us.
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ticism). Granted this is the case, reasons of this kind will motivate us in so far as we are rational. However, when we ask how this is done – noting the parallel between (cold) flames and pure practical reasons – we are told simply that if reasons of this kind exist then they must be able to motivate rational agents, otherwise the individual in question is not rational. As in the first case, concerning flames, this seems little more than explanatory evasion. The motivation sceptic has not been given any (relevant) answer to the issue that concerns him. It is possible, I believe, to identify more precisely where Korsgaard’s answer to the motivational sceptic goes wrong. Let us return to the point where we entered this discussion. Hume’s motivational scepticism, I suggested, takes the form that even if content scepticism can be answered (i. e. under some interpretation pure practical reasons exist) we would still be left with external reasons that are incapable of providing motivation. Korsgaard maintains that this is impossible. The basis of her confidence, it seems, is that she accepts the internalism requirement as a constraint on all practical reasons. That is to say, according to her position, nothing counts as a practical reason unless it is capable of motivating rational persons. It does indeed follow from this that if pure practical reasons exist they necessarily motivate persons in so far as they are rational (SPR, 320). However, the trouble with this reply to the motivational sceptic is that it simply begs the question. The answer provided is driven by observations about the logic of »reasons« based on the assumption that the internalism requirement holds for pure practical reasons. This rules out the very possibility of pure practical reasons being external reasons. That is to say, on Korsgaard’s account, pure practical reasons must be capable of motivating rational persons or else they cannot be reasons. Here, again, we find that what is offered is not any (psychological) account of the source of motivation but the (logical) claim that if pure practical reasons are incapable of providing motivation they cannot be reasons (i. e. given the constraints imposed by the internalism requirement). Humeans are, of course, internalists in so far as there is, on their account, an »internal« relation between reasons and motivation because our reasons are based upon our existing desires and inclinations. What the motivational sceptic finds missing in Korsgaard’s account, therefore, is any counter-part to desires that can explain how it is that pure practical reasons are capable of providing motivation. From the perspective of the motivational sceptic, we cannot simply assume that the internalism requirement holds with respect to pure practical reasons until some (psychological) account of the internal relation between reasons and motivation is provided. To assume that the internalism requirement holds for pure practical reasons is simply to beg the question as to whether or not reasons of this kind carry any motivation.10 Faced with these difficulties the motivational sceptic may turn-the-tables on Korsgaard: Since we are unable to identify any plausible source of motivation for pure practical reasons they cannot exist – assuming, that is, that all reasons must be capable of providing motiva10
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III. Let me conclude this paper by describing the significance of my criticisms of Korsgaard’s answer to motivation scepticism. Nothing that I have said shows that Humean ethics is correct and/or that Kantian ethics is mistaken. My aims and objectives are much more limited than this. What has been shown is that Korsgaard’s attempt to discredit Humean sceptical doubts as they regard motivation and practical reason does not succeed. While Korsgaard is committed to an internalism requirment that has »psychological force,« she offers an account of motivation by pure practical reason that lacks any psychological substance. That is to say, as I have argued, on analysis, Korsgaard has no theory of motivation at all in so far as it concerns pure practical reason. What Korsgaard aims to do is to show that the demand for some general psychological theory of this kind (i.e in terms of »special psychological mechanisms«) is in some way misguided or illegitimate. Nothing she says, however, shows this to be the case. Even when we set aside content scepticism, the puzzle about motivation by pure practical reason remains. In itself, this does not show that the (alternative) Humean view of practical reason is correct. Nor does it show that no adequate Kantian answer can be found. What it does show is that scepticism about motivation is a real, distinct problem and that Korsgaard has failed to provide any convincing answer to it.11 Our analysis and discussion of Korsgaard’s argument shows that when we severe the link between reasons and desires we encounter a problem about whether the internalism requirement holds for pure practical reasons. Granted that the internalism requirement, as Korsgaard suggests, is a psychological demand on our ethical theories, what is needed is a richer moral psychology. If Kantian ethical theory is to find some way to explain motivation, as it concerns pure practical reason, it needs to say more about this problem. Certainly it cannot evade it on the basis of the assumption that pure practical reasons must be capable of motivating rational persons. Any assumption of this kind simply begs the question against the motivational sceptic.
tion. (Similarly, if we assume that flames must be capable of burning and there is no intelligible theory about how »cold flames« can do this, it follows that »cold flames« cannot exist – i. e. are not really »flames.«) 11 In a later paper »The Normativity of Instrumental Reason« Korsgaard claims that in »Skepticism about Practical Reason« she may »give the impression« that she attempts to account for the power of pure practical reason to motivate simply by stipulating »that in so far as we are rational we must be motivated by the (alleged) principles of reason, and in this way meet the internalism requirement« (219, n. 11). It is my contention in this paper that her argument against motivational scepticism does indeed turn on a stipulation of this kind and that there is no other argument on offer (or, if there is, we need to look beyond »Skepticism about Practical Reason«).
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Bibliography Hobbes, Thomas (1994): Leviathan, Edwin, Curley (ed.), Indianapolis. Hume, David (2000): A Treatise of Human Nature, Norton, David / Norton, Mary (ed.), Oxford. Korsgaard, Christine (1986): »Skepticism about Practical Reason,« in: Journal of Philosophy, 83, 5–25; reprinted in Korsgaard, Ch. (1996): Creating the Kingdom of Ends, Cambridge, 311–334. Quoted as SPR. Korsgaard, Christine (1997): »The Normativity of Instrumental Reason,« in: Cullity, Garrett / Gaut, Berys (ed.): Ethics and Practical Reason, Oxford, 215–254. Williams, Bernard (1981): »Internal and External Reasons,« in: Williams, Bernard (1981): Moral Luck, Cambridge, 101–113.
Warum moralisch sein? Eine Landkarte für Moralische Realisten Dieter Schönecker
Wie fast immer in der Philosophie ist auch mit Blick auf die Theorie moralischer Motivation und Geltung nicht damit zu rechnen, daß es etwas wirklich ganz Neues zu sagen gibt. So wenig, wie man »einen Grundsatz aller Sittlichkeit einführen und diese gleichsam zuerst erfinden«1 könnte, so wenig sind auch auf der eher metaethischen Ebene völlig neue Argumente zu erwarten. Fast alles ist schon einmal gesagt worden, und den Eindruck, auf neuen Wegen fortzuschreiten, kann mit ganz wenigen Ausnahmen nur derjenige haben, der nicht bemerkt, daß sein Rad, auf dem er sich fortbewegt, bereits erfunden war. Doch jede Generation muß wohl für sich und auf ihre Weise nach Klarheit suchen; Orientierung und Selbstvergewisserung sind das Ziel, nicht eine ›neue Theorie‹. In diesem Sinne suche ich nach einer Antwort auf eine Frage, die mich bewegt, so wie sie Menschen zu fast allen Zeiten bewegt hat: Warum moralisch sein? Obwohl diese Moralische Frage (wie ich sie mit Prichard nennen möchte) 2 im Zentrum meiner Überlegungen steht, kann sie nicht behandelt werden, ohne sie in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Dieser Zusammenhang ist der Hintergrund für eine Debatte, die in jüngerer Zeit unter den Stichworten Moralischer Realismus vs. Moralischer Anti-Realismus geführt wird, und tatsächlich verstehe ich die Diskussion um moralische Normativität im wesentlichen als eine Diskussion über die Objektivität und Subjektivität von Werten und Gesetzen. Eine erste, wohl unproblematische Orientierung besteht darin, drei Diskussionsbereiche zu unterscheiden: die ethische Ontologie, Epistemologie und Psychologie. In der ethischen Ontologie geht es um folgende Fragen: Wenn es moralische Werte oder Gesetze überhaupt gibt, in welchem Sinne ›gibt‹ es sie dann? Was für eine Art von Ding oder Sachverhalt ist ein moralisches Gesetz oder ein moralischer Wert? Was also ist der ontologische Status von moralischen Werten und Gesetzen? In der ethischen Epistemologie geht es um das moralische Wissen: Wer behauptet, daß es moralische Gesetze gibt, der muß auch erklären können, wie wir sie erkennen. In der ethischen Psychologie müssen zwei Problembereiche unterschieden werden: Erstens, was ist der Zusammenhang zwischen ethischer (moralischer) gerechtfertigter Überzeugung und Motivation? Was folgt aus dem begründeten Anerkennen 1 2
Kant, Kritik der praktischen Vernunft, AA V, 8, Fußnote. Vgl. Prichard (1912, 22).
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einer Handlung als geboten für die Motivation des Handlungsakteurs, auch entsprechend zu handeln? Und, zweitens, können nur bereits vorhandene Wünsche Motive sein? Oder hat die Vernunft für sich allein praktische Kraft? Was mich letztlich interessiert, ist, wie gesagt, die Moralische Frage, und eine Antwort auf diese Frage scheint mir nur in diesem größeren Zusammenhang von ethischer Ontologie, Epistemologie und Psychologie möglich. Meine grundsätzliche These lautet: Alle ontologischen, epistemologischen und psychologischen Argumente gegen den Moralischen Realismus lassen sich gut zurückweisen. Was für den Realismus spricht, ist, daß er allein eine befriedigende Antwort auf die Moralische Frage geben kann. Was ich hier anstrebe, ist eine Art Landkarte, die uns (oder jedenfalls mir) zur Orientierung dienen kann auf dem Weg zu einer umfassenden Antwort auf die Moralische Frage; und dieser Weg, so scheint mir, ist der Moralische Realismus. Die Variante, für die ich hier plädiere, möchte ich emotiven Intrinsikalismus nennen. Die Grundannahmen bestehen darin, daß es erfahrungsunabhängige intrinsische Güter oder Werte gibt; daß es moralisch darauf ankommt, solche Güter oder Werte in gerechter Weise zu schützen und zu fördern, woraus sich die Richtigkeit von Handlungen ergibt (in einem teleologischen, aber nicht maximierenden Sinne); und daß die grundlegende Erkenntnis von Gütern und Werten emotional ist.3 Ich kann diese Position und ihre Verteidigung hier nur in groben Zügen und sehr gedrängt skizzieren. Das liegt zum Teil natürlich am Platzmangel, aber auch daran, daß die Dinge sehr komplex sind. Ich beginne mit einigen Überlegungen dazu, wie die Moralische Frage überhaupt zu verstehen ist, und welche möglichen Antworten es gibt (1). Dann zeige ich, weshalb eine dieser beiden Antworten, der Extrinsikalismus, unhaltbar ist (2). Haltbar ist dagegen, so behaupte ich, der Intrinsikalismus; alle ontologischen, epistemologischen und psychologischen Schwierigkeiten lassen sich lösen. Wir sollen moralisch handeln, weil es das Gute an sich gibt (3).
1. Die Moralische Frage: Begriffserläuterungen und taxonomische Überlegungen Es ist schon oft bemerkt worden, daß nicht klar sei, wonach genau die Moralische Frage »Warum moralisch sein?« eigentlich fragt; es ist sogar behauptet worden, diese Frage ergebe überhaupt keinen Sinn.4 Ohne das hier näher ausführen zu können, gehe ich zunächst davon aus, daß die Moralische Frage nicht danach fragt,
Mein Ansatz legt den Schwerpunkt also auf Werte, nicht auf Pflichten (und ist also in diesem Sinne ›Mooreian‹, nicht ›Rossian‹). Dafür, daß man in einem solchen Theorierahmen auch Tugenden als intrinsisch und nicht nur instrumentell gut verstehen kann, vgl. Hurka (2001, 3–28). 4 Zu den verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten der Frage vgl. Bittner (1983, 11–41) und Bayertz (2004, 13–32). 3
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warum man einer bestimmten Regel x folgen soll, warum Menschen (aus ihrer Sicht) tatsächlich moralisch handeln, und auch nicht danach, warum man tun soll, was in der Gesellschaft moralisch geboten ist. Der Bedeutungskern der Moralischen Frage scheint vielmehr damit zu tun zu haben, daß Moral etwas kostet. Um es ganz einfach auszudrücken: Menschen erkennen oft keinen Grund oder verspüren oft keine Lust (kein Motiv), das zu tun, was die Moral von ihnen verlangt; sie denken oder fühlen in bestimmten Situationen, daß die Befolgung einer moralischen Regel der Realisierung ihrer Interessen hinderlich oder sogar schädlich ist. Die moralische Frage resultiert gewissermaßen aus einer Verallgemeinerung dieser Situation: Warum soll man denn überhaupt moralisch sein, wenn doch Moral soviel kostet?5 Es scheint, als ob die Moralische Frage sowohl nach einem Grund wie auch nach einem Motiv fragt. Wir müssen aber beachten, daß der Skeptiker in einem bestimmten Sinne gar nicht nach einem Motiv fragen kann. Denn ein Motiv ist, im Unterschied zu einem normativen Grund, die antreibende psychische Bewegkraft (Lust) zur moralisch gebotenen Handlung, und die hat man oder man hat sie nicht.6 Dem Skeptiker gewissermaßen ein Motiv zu geben, ist daher nicht möglich. Was man ihm geben kann, ist ein Grund, und der mag dann motivierend sein oder nicht. Das führt zu einer weiteren wichtigen Beobachtung: Wenn man dem Skeptiker einen Grund gibt, der objektiv triftig ist, dann bleibt die Triftigkeit dieses Grundes davon unberührt, ob der Grund eine motivierende Kraft bei dem Adressaten zu entwickeln vermag oder nicht, ebenso wie die Gültigkeit einer Ableitungsregel oder die Triftigkeit eines Argumentes nicht davon abhängt, ob sie einer bestimmten Person einleuchtet oder nicht. Ein normativer Grund muß also nicht zwingend jedermann motivieren, und er muß nicht einmal jedes menschliche Wesen motivieren können (schon aus dem einfachen Grund, daß manche menschliche Wesen nicht in der Lage sind oder sein könnten, solche normativen Gründe zu verstehen.) 7 Muß ein Diese Frage bringt einen grundsätzlichen Zweifel an der Moral zum Ausdruck. Nennen wir den, der die so verstandene Moralische Frage beantwortet wissen will, einen ethischen Skeptiker. Damit ist nicht gesagt, daß der Skeptiker wirklich in dem Sinne zweifelt, daß es für ihn persönlich und in praktischer Hinsicht eine ernsthafte Überlegung darstellt, ob er die üblicherweise moralisch gebotenen Handlungen vollziehen soll; das mag tatsächlich so sein, aber der Skeptiker kann auch nur ein theoretisches (philosophisches) Interesse an dieser Frage haben. Dieser Hinweis ist wichtig, weil wir den Skeptiker nicht ungeschützt dem Vorwurf ausliefern wollen, schon sein bloßes Stellen der Moralischen Frage beweise doch nur seinen mangelhaften moralischen Charakter. Es muß ja auch, wer Interesse an der Frage nach der Realität der Außenwelt hat, nicht wirklich an dieser Realität zweifeln. 6 Ein Motiv ist nicht zu verwechseln mit einem motivierenden Grund, der wiederum etwas anderes ist als ein normativer Grund. Ich kann das hier nicht ausführen; vgl. aber für einen Überblick zum Thema auf nichtpsychologistischer Grundlage Dancy (2000, 1–25). 7 Korsgaard (1996, 38) mißversteht daher den Sinn der Moralischen Frage, wenn sie schreibt: »If someone finds that the bare fact that something is his duty does not move him to action, and asks what possible motive he has for doing it, it does not help to tell him that the fact that it is his duty just is the motive. That fact isn’t motivating him just now, and 5
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normativer Grund denn wenigstens im Prinzip motivieren können? Man könnte argumentieren, daß ein Grund, den man einzusehen vermag, der aber – aus welchen Gründen oder Ursachen auch immer – alle Adressaten prinzipiell nicht zu motivieren vermöchte, nicht verdiente, Grund genannt zu werden. In diesem Sinne müßte das, wonach die Moralische Frage fragt, also auch motivierend sein können, d. h. ein normativer Grund, der objektiv zutrifft, der also aufweist, warum man überhaupt moralisch sein soll, auch wenn Moral viel kostet, und der als ein solcher Grund zumindest zu motivieren vermag, der aber, wenn er bei einem bestimmten Adressaten keine Motiv hervorruft, dennoch normativ triftig bleibt.8 Doch mir scheint selbst dies, streng genommen, zu stark zu sein. Denn wenn wir einmal annehmen, es gäbe intrinsische Werte, die objektive Gründe wären, bestimmte Handlungen zu unterlassen, dann bleiben solche Gründe auch dann Gründe (also letztlich: Argumente), wenn alle bisherigen Adressaten ab einem bestimmten Zeitpunkt grundsätzlich und dauerhaft für solche Gründe und Normen unempfänglich wären (etwa, weil sie plötzlich an moralischer Blindheit leiden, alle Triebtäter geworden wären, oder weil der psychologische Egoismus sich als wahr erwiesen hätte).9 therein lies his problem.« Das ist ein Problem, aber es ist nicht das eigentliche Geltungsproblem, das hinter der Moralischen Frage steckt; ähnlich falsch auch Bayertz (2004, 107): Das Sollen ist nicht identisch mit der Wirkung einer moralischen Entität. Übrigens wäre jenes Problem ja für jeden ethischen Begründungsansatz ein Problem, denn für jeden Grund besteht ja die Möglichkeit, daß er de facto nicht motivieren könnte (so wie für jeden Beweis gilt, daß er de facto jemandem nicht einleuchten könnte). 8 Diese ›internalistische Forderung‹ wird heute oft Korsgaard (1986) zugesprochen, aber natürlich ist sie viel älter. Sie findet sich z. B. bei Kant in aller Deutlichkeit. Daß die Vernunft einen Wunsch hervorbringen können muß, heißt nichts anderes, als daß sie ein Motiv hervorbringen können muß. Russell (2006) kritisiert in seinem bestechenden Aufsatz zutreffend, daß Korsgaard nur erkläre, was es heißt, rational zu handeln (sc. daß man sich durch seine guten Gründe motivieren läßt), sie aber nicht erkläre, wie diese Motivation zustande komme. Dennoch hat Korsgaard Recht mit ihrer Kritik an Williams (1981), daß aus der Tatsache, daß Gründe motivieren können müssen, nicht folge, daß eine Überlegung, die nicht motiviert, kein Grund wäre; vgl. dazu auch Forst (1999, bes. 183–191). Vor allem aber fällt Russells Humesche Kritik auf ihn zurück; dazu später mehr (s. u., 321 ff). 9 Allerdings können wir einen solchen Grund nicht verstehen, ohne motiviert zu sein (aber dazu später mehr). – Es gibt hier eine Parallele zwischen den Termini ,Grund’ und ›Beweis‹ bzw. ›Argument‹. Als Beweis bzw. Argument bezeichnen wir einerseits ein logisches Gebilde von Propositionen, dergestalt, daß auf der Grundlage von Prämissen und Ableitungsregeln bestimmte Propositionen aus anderen folgen. Unter realistischen Voraussetzungen existiert ein solches Gebilde, alethisch betrachtet, für sich, unabhängig davon, ob es als ein solches Gebilde, andererseits und epistemisch betrachtet, verstanden und erkannt wird; zugleich sagen wir, daß jemand einen Beweis für jemanden führt. Entsprechend muß man auch bei Gründen differenzieren: Gründe sind, alethisch betrachtet, Argumente, die in ihrer Gültigkeit unabhängig davon sind, ob sie erkannt werden; andererseits hat jemand einen Grund (oder nicht), und in diesem Sinne scheint es dann semantisch unmöglich, daß jemand einen
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Die Moralische Frage bedeutet demnach nichts anderes als: (MF) Gibt es einen normativen Grund für moralische Handlungen? Man könnte auch einfach fragen: Gelten oder gibt es überhaupt moralische Gesetze oder Werte? Nun leuchtet sofort ein, daß eine Antwort auf diese Frage davon abhängt, was der Terminus »moralisch« eigentlich bedeutet; um überhaupt die Moralische Frage zu verstehen, muß man also, so scheint es, erst wissen, welche Bedeutung jener zentrale Ausdruck hat. In gewisser Hinsicht ist das natürlich richtig. So muß jede ethische Theorie, die eine Antwort auf die Moralische Frage gibt und normativ gehaltvoll ist, diejenigen Handlungen, die gemeinhin als ›moralisch‹ geboten anerkannt werden, in der Tat als die moralischen Handlungen identifizieren, z. B. das Gebot, unschuldige Menschen nicht ohne guten Grund zu töten (dazu später mehr). Zweitens muß jede ethische Theorie, die eine Antwort auf die Moralische Frage gibt, die These beinhalten, daß eine als moralisch qualifizierte Handlung, wenn sie geboten ist, in dem Sinne unbedingt und ausnahmslos geboten ist, daß sie einzelne subjektive Interessen trumpft (›overriding‹).10 Es ist aber irreführend, in der Ethik zuerst die metaethische Bedeutungsfrage (Was bedeutet »moralisch«?) und erst dann, völlig losgelöst davon, die Moralische Frage zu stellen; man kann nicht erst klären, was normative Terme bedeuten, und erst dann fragen, ob es so etwas wie moralische Werte und normative Gesetze überhaupt gibt. Beide Aspekte hängen zusammen, und in Wahrheit gibt es, wie sich gleich noch genauer zeigen wird, sogar einen Primat der Moralischen Frage. Die Bedeutungsfestlegung wird davon abhängen, welche Antwort man auf die Moralische Frage gibt oder vielmehr geben kann, und eine Metaethik, die keine überzeugende Antwort auf die Moralische Frage geben kann, vermag auch sonst nicht zu überzeugen.
Grund hat, ohne überhaupt von ihm motiviert werden zu können. Wichtig ist, daß unberührt davon, ob jemand in diesem Sinne einen Grund hat, ein Grund dennoch gültig bleibt, so wie ein Argument triftig bleibt, auch wenn sich niemand dieses Argument zu eigen macht. So ist z. B. die Frage, ob jemand versteht, warum das Foltern von Kindern ein Übel ist, eine andere Frage als die, ob Foltern ein Übel ist, und ob es dafür (daß es so ist) Gründe gibt, auch wenn sie nicht verstanden werden. Tatsächlich gibt es ja Menschen, die bewußt Kinder foltern, und natürlich lassen sich solche Leute durch kein Argument (durch keinen Grund) überzeugen, ihre Untaten zu unterlassen. Aber der Punkt ist, daß es dennoch ein gutes Argument gegen ihr Tun gibt. 10 Diese These ist umstritten. Für meine Zwecke lege ich die Bedeutung von Moralität so fest; vgl. auch Bayertz (2004, z. B. 246), der deutlich macht, daß jede plausible Antwort auf die Moralische Frage jedem Menschen einen Grund geben muß, immer moralisch gegenüber allen Menschen sein zu handeln. – Es ist aber sehr wichtig zu sehen, daß damit keine Festlegung auf deontologische Positionen gemeint ist. Auch in einem konsequentialistischen Ansatz ist eine Handlung, wenn sie einmal als die moralisch gebotene Handlung qualifiziert ist, unbedingt geboten (zu sagen, daß moralische Normen ausnahmslos gelten, ist etwas anderes als die These, daß sie unbedingt gelten).
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Meine These ist nun, daß es letztlich überhaupt nur zwei oder, abhängig von der ethischen Taxonomie, drei grundsätzliche Antworten auf die Moralische Frage geben kann. Aus meinen Überlegungen ausschließen möchte ich zunächst den ethischen Nonkognitivismus (Expressivismus) und den Kulturrelativismus.11 Beide Ansätze haben zwar auch Theorien für die Bedeutung von ›moralisch‹ (›gut‹ usw.), müssen aber zugleich die Suche nach einer Antwort auf die Moralische Frage für aussichtslos halten, weil es hier nichts zu finden gibt (nämlich keine, wie auch immer genau zu verstehende, wahre normative Aussage und keine universal gültige Norm).12 Für wenig sinnvoll halte ich die Unterscheidung zwischen sogenannten naturalistischen und nichtnaturalistischen Ethiken.13 Das Problem dieser Unterscheidung besteht darin, daß sie ein klares Verständnis des Ausdrucks »natürlich« (bzw. »nichtnatürlich«) suggeriert, das es aber gar nicht gibt. Denn es gibt weder eine eindeutige Liste von Eigenschaften ›natürlicher‹ Dinge (wie etwa Wahrnehmbarkeit, Ausdehnung, Materialität, usw.), die es erlauben würde, solche natürlichen Dinge von nichtnatürlichen deutlich zu unterscheiden; noch gibt es eine Liste von disziplinär-methodischen Eigenschaften (Präzision, Quantifizierbarkeit, Aposteriorität, usw.), die es erlauben würde, den natur- und sozialwissenschaftlichen Erkenntnisprozeß eindeutig vom ethisch-moralischen Erkenntnisprozeß abzugrenzen. Ein klarer Weg, den Bereich des Natürlichen vom Nichtnatürlichen abzugrenzen besteht darin, den Bereich der Natur als den Bereich zu verstehen, in dem es keine Sollensgebote gibt, und den Bereich des Nichtnatürlichen als den Bereich, in dem es sie gibt. Aber wenn man dann den Naturalismus so versteht, daß alle normativen Aussagen sich in nichtnormative Aussagen übersetzen lassen, würde man von vorneherein per definitionem normativ-naturalistische Ethiken für unmöglich erklären (es gibt ja, wie wir gleich sehen werden, ethische Ansätze, deren Grundlage und inhaltlicher Bezugspunkt etwas ist, das in einem vagen Sinne ›natürlich‹ ist, wie etwa der Begriff des Interesses im Kontraktarianismus). Statt also mit dem Unterschied zwischen Naturalismus vs. Nonnaturalismus zu arbeiten, schlage ich vor, direkt auf den jeweils vorgeschlagenen inhaltlichen Bezugspunkt zu achten (also etwa auf das Interesse aller Betroffenen); ob diese Grundlage dann ›naturalistisch‹ ist oder nicht, tut wenig zur Sache. Die beiden grundsätzlichen Positionen, auf deren Unterschied ich hinauswill, hat man traditionell Subjektivismus und Objektivismus genannt. Da dies aber m.E. letztlich auf den Unterschied zwischen extrinsischen und intrinsischen Werten hinausläuft, und da Vertreter des extrinsischen Ansatzes durchaus an rationalen, begründbaren, vielleicht sogar universalen moralischen Regeln festhalten zu können Ich werde später Argumente gegen den Anti-Realismus vorstellen, die auch diese beiden Positionen treffen (der Kulturrelativismus ist aus den bekannten Gründen außerdem selbstwidersprüchlich). 12 Für eine neuere Kritik am Nonkognitivismus vgl. z. B. Smith (1994,16–59) und ShaferLandau (2003, 22–37). 13 Vgl. dazu auch Shafer-Landau (2003, 58–65). 11
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glauben (und in diesem Sinne Objektivisten sind), scheint mir auch diese Unterscheidung eher irreführend zu sein.14 Ich möchte daher lieber vom Extrinsikalismus und vom Intrinsikalismus reden; gleichzeitig schlage ich vor, den Moralischen Realismus als einen solchen Intrinsikalismus und den Moralischen Anti-Realismus als Extrinsikalismus zu interpretieren.15 Unter einem interesseorientierten Extrinsikalismus verstehe ich allgemein eine Ethik, derzufolge normative Aussagen sich ihrem Inhalt und ihrer Geltung nach auf subjektive Präferenzen (Bedürfnisse, Wünsche, Interessen) zurückführen lassen. Entscheidend ist dabei, daß der Wert dieser Präferenzen selbst und ihrer Objekte bloß extrinsisch verstanden wird. Bedürfnisse und ihre Befriedigung sind immer nur gut für denjenigen, der sie hat und befriedigt findet; sie sind nicht intrinsisch gut, ebensowenig wie die Objekte, auf die sie sich beziehen. Der Intrinsikalismus dagegen behauptet, daß es intrinsisch wertvolle Güter oder Handlungen gibt; im strengen Sinne behauptet er zudem, daß der Bereich der Werte und Normen sich auf einen Bereich erstreckt, der weiter ist als subjektive Interessen und subjektives Erleben, oder sogar unabhängig von diesen (dazu gleich mehr). Folgt man dem Extrinsikalismus, dann geht es in der Ethik letztlich um die Interessen und den rationalen Interessenausgleich von vernünftigen oder jedenfalls erlebensfähigen Wesen; folgt man dem Intrinsikalismus, so erschöpft sich Moral keineswegs in diesen Interessen, sondern Werte und Normen sind fundamental subjektunabhängig. Extrinsikalisten reden so: Wir haben, zum Beispiel, das Streben nach Liebe; dieses Streben zu haben ist gut, nur weil wir es haben, und Liebe ist gut, insofern wir sie anstreben und wir sie wünschen. Damit ist nicht gesagt, daß es keine objektiven Maßstäbe dafür gibt, was in jemandes Interesse ist, und folglich können Interesse und Wünsche auseinanderfallen; wir können Dinge wünschen, die nicht in unserem Interesse sind, und wir können Dinge nicht wünschen, die in unserem Interesse sind. Aber ein solches Auseinanderklaffen zwischen unseren Wünschen und Interessen festzustellen ist wiederum nur möglich auf der Grundlage übergeordneter Wünsche (also dessen, woran wir letztlich ein Interesse haben). Dagegen reden Intrinsikalisten zum Beispiel so: Liebe ist an sich gut, das Streben nach Liebe ist an sich gut, und wir erkennen die intrinsische Güte von Liebe (und unseres Strebens) durch unser Streben nach Liebe.16 Der intrinsische Wert eines Guts liegt daher nicht darin begründet, daß es um seiner selbst willen angestrebt
So schon Moore (1951, 255–259). Von der Sache her ist das eine Dichotomie, die auch Prichard (1912, 22) als fundamental hervorhebt. – In gewisser Hinsicht müßte, wer den Terminus »Moralischer Realismus« bestimmen will, betrachten, wie dieser Begriff in der Literatur tatsächlich gebraucht wird. Dabei würde sich ergeben, daß sein Gebrauch alles andere als einheitlich ist. Vgl. aber z. B. den Überblick bei Sayre-McCord (1988) und Illies (2003,1–29). 16 Finnis (1988, 34): »We get the notion of something’s being objectively good, or having intrinsic value, by reversing the direction of dependence here, by making the desire depend upon the goodness, instead of the goodness on the desire«. 14
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wird (im Unterschied etwa zu einem Ding, das als Mittel angestrebt würde); der Unterschied zwischen intrinsischer und extrinsischer Güte ist also nicht zu verwechseln mit dem Unterschied zwischen Mittel und (letztem) Zweck.17 Die Gutheit des Guts selbst macht seinen intrinsischen Wert aus, und ein daraus resultierendes Gebot ist, daß wir es um seiner selbst willen, um dieser Güte willen, anstreben sollen. Aber die Güte hängt nicht davon ab, daß es angestrebt wird, und sie besteht auch nicht darin, daß sie universal oder aufgrund natürlicher Beschaffenheiten angestrebt wird.18 Zu sagen, daß etwas intrinsisch gut ist, bedeutet daher, negativ gesprochen, daß es in seiner Güte und Werthaftigkeit nicht davon abhängt, angestrebt zu werden, und daß es, positiv gewendet, aufgrund seiner inneren Natur gut ist.19 Es ist, wie gesagt, wichtig, den interesseorientierten Extrinsikalismus vom ethischen Objektivismus zu unterscheiden. Objektivisten glauben, daß über moralische Fragen ein rationaler Diskurs mit Wahrheits- und Geltungsansprüchen geführt werden kann (wie auch immer dieser Diskurs verstanden wird), und daß (universell) gültige Normen begründet werden können, ohne daß dies implizierte, daß es intrinsisch richtige bzw. gute Handlungen oder intrinsisch gute Güter gibt, also Handlungen oder Güter, die in ihrer Richtigkeit oder Güte unabhängig von der menschlichen Natur sind. Daher ist der Extrinsikalismus durchaus verträglich mit dem Universalismus, etwa im Rahmen eines Ansatzes, welcher der Idee der Universalisierung verpflichtet ist, z. B. in Form der sogenannten Goldenen Regel; oder auch im Rahmen eines tugendethischen oder naturrechtlichen Ansatzes, der von essentiellen Wünschen und Wertfestlegungen ausgeht. Der Moralische Realismus (Intrinsikalismus) impliziert also den Objektivismus, aber der Objektivismus impliziert nicht den Realismus.20 Diesen Fehler begeht meines Erachtens Gomez-Lobo (2002, 12), und eine in diesem Sinne typische Verwechslung findet man z. B. auch bei Krebs (1999, 12 f.); zum Thema vgl. Korsgaard (1983). 18 Auch unter den Prämissen eines anthropologischen Universalismus sind aus intrinsikalistischer Sicht die angestrebten Objekte nicht deswegen intrinsisch gut, weil sie de facto universal präferiert werden. Pinker (2002, 192 f.) mißversteht daher den Moralischen Realismus als einen objektivistischen Extrinsikalismus (… Given the goal of being better off…«; er verweist dann auf die Goldene Regel). Schon Mackie (1971, 22) weist zurecht darauf hin, daß der Objektivismus (in meinem Sinne: Intrinsikalismus) nicht mit Intersubjektivismus und der These von der Universalisierbarkeit zu verwechseln ist. 19 Moore nennt dies »internality« (1951, 255). 20 Auch die Idee einer ›objective list‹ im Sinne Parfits ist extrinsikalistisch zu verstehen. Zur Goldenen Regel vgl. Gensler (1996); für einen starken nicht-intrinsikalistischen Objektivismus vgl. etwa Leist (2000), Nussbaum (1988) und Wood (2002). – Die Dichotomie zwischen Extrinsikalismus und Intrinsikalismus könnte als zu grob kritisiert werden. Ich sehe zwei weitere Alternativen: Erstens ein strikter Formalismus, in dem irgendwie aus logischen bzw. transzendentalpragmatischen Gründen moralische Regeln abgeleitet werden. Ich sage bewußt ›irgendwie‹, weil ich nicht zu erkennen vermag, wie diese Ableitung gelingen könnte. 17
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Noch eine weitere Differenzierung ist sehr wichtig. Der wesentliche Grundgedanke des Moralischen Realismus, so wie ich ihn verstehe, besteht darin, daß Moral kein Menschenwerk ist (also menschenunabhängig). Aber wie genau ist das zu verstehen? Viele sprechen so, als gäbe es intrinsische Werte, die aber darin bestehen, daß sie erlebt werden (das Paradebeispiel ist hier Schönheit).21 Solch eine Position kann in dem Sinne objektivistisch sein, daß man den als intrinsisch wertvoll erlebten Gegenständen einen inhärenten Wert zuspricht, der dazu führt, daß sie bei allen Wesen, die sie erleben, dieses Erlebnis, ceteris paribus, hervorrufen; Objektivität bedeutet hier soviel wie universale Intersubjektivität (Essentialismus). Wortstreitereien bringen, wie üblich, nichts, aber mir scheint es eher irreführend zu sein, eine solche Position als ›Realismus‹ zu bezeichnen. In der theoretischen Philosophie wird gemeinhin diejenige Position als realistisch bezeichnet (wenn auch manchmal als ›naiv‹), die davon ausgeht, daß es eine Welt gibt (Sachverhalte, Ereignisse, Eigenschaften usw.), die in ihrer Existenz und Sosein von uns unabhängig ist und als solche zumindest teilweise oder annähernd erkannt werden kann.22 Dieses GrundEntsprechende Ansätze in der Diskursethik oder Ethik der Kommunikation sind m.E. völlig gescheitert. Ich gehe weiter unten auf den sogenannten Kontraktarianismus (›contractarianism‹) ein, der die klarste und ehrlichste Variante des Extrinsikalismus ist (Hobbes, Gauthier). Davon unterschieden ist der (neokantianische) Kontraktualismus Rawls’ oder Scanlons. Man könnte nun einwenden, daß, ungeachtet aller Unterschiede, der Kontraktualismus gewissermaßen in der Mitte zwischen Intrinsikalismus und Extrinsikalismus steht. Aber zum einen sagt z. B. Scanlon eindeutig, daß individuelles Wohlergehen nicht »intrinsically valuable« (1982, 119) sei. Daraus folgt nun nicht, daß der Kontraktualismus die zweite These des Extrinsikalismus – die Geltung moralischer Normen läßt sich auf Interessen zurückführen – vertritt. Zum anderen aber steckt, erstens, in der Idee der rationalen Rechtfertigung und Übereinkunft der Bezug auf Interessen. Zweitens bindet Scanlon die Möglichkeit und Geltung der Übereinkunft an »the desire to find and agree on principles which no one who had this desire could resonably reject« (111, m.H.); nur diejenigen »who are concerned with morality« (ebd.) sind durch die Regeln gebunden. Aber damit wird die Moralische Frage im Grunde erst gar nicht beantwortet: »According to contractualism, the source of motivation that is directly triggered by the belief that an action is wrong is the desire to be able to justify one’s actions to others on grounds they could not reasonably reject« (116, m.H.). Nun könnte man einwenden, daß auch der Intuitionismus von so etwas wie einem moralischen ›desire‹ ausgeht. Aber der Unterschied besteht darin, daß im Intuitionismus das moralische Begehren die Art und Weise ist, das an sich Gute zu erkennen, wohingegen im Kontraktarianismus das Gute selbst an dieses Begehren gebunden bleibt. Ich kann das hier nicht näher begründen, aber der neokantianische Konstruktivismus Korsgaards scheint mir von vorneherein gewissermaßen eine Fehlgeburt zu sein; für eine überzeugende Kritik an Korsgaard vgl. z. B. Kerstein (2001). 21 Audi (2004, 122–130) nennt diese Position ›experientialism‹; vgl. auch Frankena (1963, 73), auf den Audi sich u. a. bezieht. Die Debatte zwischen Realismus und Anti-Realismus findet man übrigens mit fast genau den gleichen Argumenten auch in der Ästhetik; vgl. dazu den hervorragenden Überblick bei Reicher (2005). 22 Davon unterschieden ist die Frage, ob die Welt in den Naturwissenschaften und der Ontologie intrinsisch oder relational zu interpretieren ist; vgl. dazu Esfeld (2002, 73–80).
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verständnis sollten wir auch für den Moralischen Realismus voraussetzen und in diesem strengeren Sinne sagen, daß Gutheit auch insofern kein Menschenwerk ist, als Gutheit auch dann existiert, wenn keine Menschen da sind, die sie erleben (woraus nicht folgt, daß das Erleben intrinsisch guter Gegenstände nicht selbst intrinsisch gut ist).23 Vielleicht läuft das umgekehrt darauf hinaus, daß dennoch irgend jemand (Gott) da sein muß, aber das soll hier nicht entschieden werden. Setzt man die Unterscheidung von Intrinsikalismus und Extrinsikalismus voraus, dann bedeutet die Moralische Frage (MF) so viel wie: (MF*) Gibt es in einem intrinsikalistischen Sinne einen normativen Grund für moralische Handlungen? oder eben (MF**) Gibt es in einem extrinsikalistischen Sinne einen normativen Grund für moralische Handlungen? In einem starken Intrinsikalismus bleiben intrinsische Güter, die wahr oder schön sind, wahr oder schön, auch wenn kein Bewußtsein da ist, das sie als wahr oder schön erfährt (so daß es Güter oder Werte gibt, die völlig unabhängig von Menschen sind, z. B. die Zweckhaftigkeit von Organismen); das ist bekanntlich genau der Punkt, den Moore (1903, § 50) gegen Sidgwick macht (ein Punkt, der nicht unbedingt auf einen platonistischen Realismus hinauslaufen muß, demzufolge es an sich seiende Werte wie etwa Wahrheit oder Schönheit als Ideen gibt). Für diese These spricht nicht nur direkt unser Erleben selbst, sondern auch, daß wir dann nicht gezwungen sind, der nichtmenschlichen Natur jeglichen intrinsischen Wert abzusprechen (eine Welt ohne erlebende Menschen wäre ja völlig wertlos); vgl. dazu auch Moores berühmte ›method of isolation‹ (1903, §§ 55, 57, 112 f.). Streng realistische Positionen sind demnach der Supernaturalismus; ein eher theistisch-platonistischer Realismus; der tugendethische oder seinsethische Perfektionismus; oder auch der objektive Idealismus. Moderne Vertreter in der Reihenfolge der genannten Varianten sind z. B. Hare (2001), Adams (1999), Hurka (2001), Steinvorth (1990), Hösle (1990, 1997). Ob man naturrechtliche Ansätze dazu zählen kann, hängt davon ab, wie theistisch sie sind (was sie traditionell meistens sind). Ein großer Nachteil der sogenannten Naturrechtsethik (natural law ethics) liegt m.E. darin, daß sie anthropozentrisch ist; zur Verteidigung des Anthropozentrismus vgl. George (1999, 17– 30). Für vermeintliche Intrinsikalisten, die behaupten, daß etwa die Schönheit eines Gegenstandes davon abhängt, daß es ein Bewußtsein gibt, das diesen Gegenstand als schön erfährt, gibt es folgendes Problem: Wenn sie insofern Intrinsikalisten bleiben wollen, als sie behaupten, daß es richtig (angemessen) wäre, diesen Gegenstand als schön zu erfahren, auch wenn niemand es tatsächlich tut, dann müssen sie dem Gegenstand eine superveniente Eigenschaft zuschreiben, die er auch hat, wenn er nicht Gegenstand eines Bewußtseins ist; und dann ist dieser Gegenstand eben an sich schön, nicht nur im Lichte einer Erfahrung; zur Rolle des erfahrenden Bewußtseins im Zusammenhang mit intrinsischen Gütern vgl. auch Audi (2004, 122–130), der m.E. genau das eben skizzierte Problem hat. – Man könnte noch einwenden, daß supernaturalistische Ansätze (divine command theory) extrinsikalistisch sind, weil zumindest in manchen Varianten die Güte von Handlungen oder Gütern zwar nicht vom Menschen abhängig ist, sondern eben von Gott; in diesem Sinne wären sie nicht intrinsisch (an sich) gut. 23
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Die Antwort des Intrinsikalismus auf die Moralische Frage lautet nun so: Handle moralisch, weil es tatsächlich geboten ist, intrinsisch wertvolle Handlungen zu vollziehen oder Handlungen zur Förderung von intrinsisch wertvollen Gütern, auch wenn es nicht deinem Interesse dient; die Antwortet lautet, kurz gesagt: Handle richtig, weil es das Gute gibt. Die Antwort des (interesseorientierten) Extrinsikalismus lautet demgegenüber: Vollziehe die Handlungen, die gemeinhin als ›moralisch‹ bezeichnet werden, weil es rational ist, dies zu tun, d. h. weil es deinem Interesse dient. Räumen wir zunächst noch ein relativ kleines Problem aus dem Weg. Wenn vorausgesetzt wird, daß moralische Gesetze im Sinne von MF* geboten sind, ist damit auch klar, daß zumindest irgendein Grund besteht, entsprechend zu handeln; denn daß sie tatsächlich geboten sind bedeutet ja gerade, daß es bereits einen Grund gibt dafür, daß sie gelten. Anders gesagt: Daß etwas moralisch geboten ist, impliziert, daß man etwas tun soll, und daß man etwas tun soll impliziert wiederum, daß es einen Grund gibt für die zu vollziehende Handlung. Und da wir annehmen, daß moralische Gesetze immer trumpfend sind, kann man – falls, wie gesagt, die Geltung moralischer Gesetze im Sinne von MF* vorausgesetzt wird – auch nicht mehr argumentieren, daß es zwar einen moralischen Grund dafür gibt, eine bestimmte Handlung zu vollziehen, aber einen anderen, rationalen und stärkeren Grund, auf die Handlung zu verzichten. Selbst wenn es einen anderen normativen Grund gäbe (und nicht nur ein Motiv), auf die Handlung zu verzichten, dann wäre doch der moralische Grund objektiv wichtiger. Die Frage: ›Ich weiß und anerkenne, daß man moralisch handeln soll, aber warum sollte ich tun, was man tun soll?‹ ist also sinnlos, insofern damit nach einem normativen Grund gefragt wird. – Im Lichte des Extrinsikalismus (MF**) gelten moralische Gesetze in dem Sinne, daß ihre Befolgung zumindest auf lange Sicht (unser aller und damit) dem eigenen Interesse dient. Auch hier gilt wieder: Wenn das zutrifft – wenn also die Geltung moralischer Gesetze im extrinsikalistischen Sinne vorausgesetzt wird –, dann kann ebenfalls nicht mehr sinnvoll nach einem Grund gefragt werden, warum man diese Gesetze befolgen soll. Aber kommen wir noch einmal zurück auf die oben schon angerissene Frage, ob aus der Geltung moralischer Gesetze auch folgt, daß sie motivieren oder auch nur motivieren können. Dies ist eine der Fragen, die in jüngerer Zeit unter den Stichworten Externalismus vs. Internalismus diskutiert werden. Die Verwendung dieses Begriffspaars ist bekanntlich heterogen und tendenziell eher verwirrend. Doch zumindest folgende Unterscheidungen erscheinen mir sinnvoll: 24 Unter einem starken Motiv-Internalismus verstehe ich die Auffassung, daß eine Person, die eine (aus ihrer Sicht) gerechtfertige moralische Überzeugung hat, d. h. etwas als moralisch
Vgl. z. B. Audi (1997, 217–247), Brink (1989, 40 ff.) und Schaber (1997, 175 ff.); vgl. auch in diesem Band Gosepath (2006); für eine viel kompliziertere Taxonomie vgl. Parfit (1997). 24
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gut anerkennt, auch entsprechend handelt; moralische Überzeugungen bedingen demnach also mit Notwendigkeit auch die moralische Handlung selbst. Dagegen sagt der schwache Motiv-Internalismus nur, daß eine Person, die etwas als moralisch gut anerkennt, auch ein Motiv dafür hat, moralisch zu handeln. Damit ist nicht gesagt, daß die moralische Überzeugung zwangsläufig zu der Handlung führt, die in dieser Überzeugung als die moralisch gebotene anerkannt wird. Es wird nur behauptet, daß eine Person, die eine Handlung als die moralisch gebotene anerkennt, mit und in dieser Überzeugung – mit dem Anerkennen eines Grundes zu einer Handlung – zugleich auch ein Motiv hat, entsprechend zu handeln, ohne daß dies implizieren würde, daß diese Person sich tatsächlich durch dieses Motiv zu der Handlung bewegen läßt. Die Hauptthese des Motiv-Externalismus besagt dagegen, daß es keinen zwingenden Zusammenhang zwischen dem Anerkennen des moralisch Guten und der moralischen Handlung gibt; moralisches Anerkennen ist weder hinreichende Bedingung für moralische Handlungen noch hinreichende Bedingung für ein Motiv zu einer solchen Handlung. Demnach ist es also möglich zu sagen: ›Ich anerkenne, daß ich so handeln soll, aber ich verspüre keinerlei Motiv, tatsächlich so zu handeln.‹ Mit Blick auf den oben genannten zweiten Problembereich aus der ethischen Psychologie (können nur Wünsche Motive sein?) dreht sich die Terminologie in gewisser Hinsicht um. Als Gründe-Internalismus bezeichne ich die Position, derzufolge nur bereits irgendwie vorhandene (›interne‹) Wünsche (Interessen) zum Handeln motivieren können. Damit kann bei Strafe einer analytischen Trivialität aber nicht bloß gemeint sein, daß es irgendeinen Antrieb zum Handeln geben muß, weil sonst eben kein Handeln erfolgt. Zu handeln bedeutet wenigstens, irgendein Motiv zu haben, etwas zu tun; wer nur normative Gründe hätte, aber keinen Beweggrund, der wäre eben wie gelähmt. Der Gründe-Internalismus muß im Sinne der stärkeren These gelesen werden, daß die Vernunft selbst, ohne Bezugnahme auf Wünsche, keine Handlungen hervorbringen kann; ohne Bezugnahme auf bereits existierende nonkognitive motivationale Einstellungen gibt es für ein Handlungssubjekt keinen motivationalen Grund zum Handeln. Dagegen behauptet der GründeExternalismus, daß auch solche (rationalen) Gründe motivational sein können, die nicht Wünsche sind oder nicht schon auf solchen bereits vorhandenen aufsitzen.25 Die Frage nach dem Motiv scheint den Extrinsikalisten keine Schwierigkeit zu bereiten, weil im Extrinsikalismus Geltung und Motivation unmittelbar miteinander verknüpft sind; der Extrinsikalismus muß also motiv-internalistisch sein. Denn der Ausdruck ›moralisch‹ bzw. ›gut‹ wird im Extrinsikalismus durch Bezug auf menschliche Interessen definiert. Die These lautet ja gerade, daß diejenige Handlung moralisch gut ist, die den Interessen der betroffenen Menschen dient, oder kurz gesagt: Diese übliche Unterscheidung zwischen Gründe-Internalismus und Gründe-Externalismus ist aber insofern irreführend, als Emotionen m.E. sowohl motivational (non-kognitiv) wie auch kognitiv sind. 25
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Moral ist nützlich, Moral dient den eigenen Interessen. Da aber das, was den eigenen Interessen dient, ohne Zweifel motiviert, ist keine sinnvolle Frage mehr denkbar, die über eine positive Antwort zu MF** hinausführte.26 Wenn es wahr ist, daß moralisches Verhalten den eigenen Interessen nutzt, und der Skeptiker dies auch versteht, dann kann er nicht mehr sagen: ›Ich weiß, daß moralische Gesetze gelten, ich weiß also, daß es mir nützt, moralisch zu handeln, aber warum sollte ich so handeln?‹, weil die einzige Antwort nur lauten kann: Weil es dir nützt, und die Wahrheit dieser Antwort war vom Skeptiker bereits vorausgesetzt.27 Unsere Ausgangsfrage lautete: Wieso soll man überhaupt moralisch sein, wenn doch Moral soviel kostet? Im Lichte des Extrinsikalismus ist diese Frage irreführend, weil sie von vorneherein das Verhältnis von Moral und Interesse in ein falsches Licht rückt. Denn entweder unterstellt diese Frage, daß moralisches Handeln den eigenen Interessen zuwiderläuft, und das wird ja gerade bezweifelt; oder sie fragt nur danach, warum man in einem Einzelfall moralisch und damit gegen die unmittelbaren Interessen handeln soll. Dann aber scheint die Antwort trivial, weil die These ja nur besagt, daß moralisches Verhalten langfristig und insgesamt zum eigenen Nutzen gereicht, und dazu müsse man eben kurzfristig Nachteile in Kauf nehmen. Wer das nun wiederum bestreiten würde, dem wäre gewissermaßen nicht zu helfen, weil es unvernünftig wäre, sein Handeln nicht auf den langfristigen und insgesamten Nutzen auszurichten, und gegen Unvernunft hilft auch nicht Vernunft. Für Intrinsikalisten ist es viel schwieriger, auf die Frage, ob aus der Geltung moralischer Gesetze auch folgt, daß sie motivieren, eine Antwort zu finden – oder so heißt es jedenfalls. In der Tat scheint vielen eine befriedigende Antwort unmöglich, und so wird der Intrinsikalismus aufgrund dieser Schwierigkeit oft verabschiedet. Aber ist das zwingend? Darauf müssen wir später noch genauer eingehen.
2. Die Unhaltbarkeit des Extrinsikalismus Bevor wir fortfahren, ist es zunächst wichtig zu sehen, bei wem die Beweislast liegt. Sie liegt, so räumen selbst Extrinsikalisten ein, beim Extrinsikalismus selbst. Der Grund dafür ist, daß wir in der gewöhnlichen moralischen Sprache intrinsikalistisch sprechen, fühlen und denken; wer etwa sieht, wie ein Mensch oder auch ein Tier grundlos gequält wird, wird, wenn er nicht gerade durch die Schule der philosophischen Skepsis gegangen ist, sehr schnell zu dem Urteil kommen, daß dies an sich verwerflich ist (und nicht nur deswegen, weil es Regeln widerspricht, die meinen und anderer Menschen Interessen dienen).28 Ein Extrinsikalist muß also starke So z. B. auch Hegselmann (1997, 27). Dennoch bleibt hier ein Problem; ich komme darauf zurück. 28 Vgl. Mackie (1981, 32–40). Sowohl Mackie (1981, 38) wie auch Wiggins (31998, 185 und 210) verweisen auf Stellen bei Russell, in denen dieser zwar die Kritik am Objektivismus 26 27
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Gründe anführen für die These, daß unser moralisches Sprechen, Fühlen und Denken in die Irre geht (ähnlich wie man starke Gründe für die These anführen muß, daß die Gelbheit eines Autos, das wir sehen, nichts mit der Realität an sich zu tun hat). Wir müssen also nicht den Intrinsikalismus (Realismus) beweisen; wir müssen den Extrinsikalismus (Anti-Realismus) widerlegen.29 Das kann auf zweierlei Weise geschehen: Wir können zeigen, daß der Extrinsikalismus selbst Schwierigkeiten hat – das werde ich jetzt nachzuweisen versuchen, wenn es um die Unhaltbarkeit des Extrinsikalismus geht; und wir können zeigen, daß der Intrinsikalismus die Schwierigkeiten nicht hat, von denen der Extrinsikalismus behauptet, er hätte sie – das wird mein zweiter Schritt sein. Bei allen Unterschieden muß der interesseorientierte Extrinsikalismus letztlich auf irgendeine Variante des Kontraktarianismus (contractarianism) hinauslaufen. Wenn aber der Kontraktarianismus unhaltbar ist, folgt daraus, daß es keine extrinsikalistische Antwort auf die Moralische Frage geben kann; und wenn es entweder nur eine extrinsikalistische oder eine intrinsikalistische Antwort auf die Moralische Frage gibt und die extrinsikalistische Antwort entfällt, dann ist entweder die intrinsikalistische Antwort richtig – oder es gibt gar keine Antwort, und das ganze Unternehmen ist hoffnungslos. Die Schwachpunkte des Kontraktarianismus (und Kontraktualismus) sind seit langem bekannt.30 Ich will mich hier auf das Grundproblem des interesseorientier-
teilt, aber dennoch nicht damit zufrieden ist: »I cannot see how to refute the arguments for the subjectivity of ethical values, but I find myself incapable of believing that all that is wrong is that I don’t like it« (zit. bei Wiggins). 29 Vgl. Nagel (1986, 143 f.): »I think that the burden of proof has been often misplaced in this debate, and that a defeasible presumption that values need not be illusory is entirely reasonable until it is shown not to be. […] in general, there is no way to prove the possibility of realism; one can only refute impossibility arguments«. Dies ist auch ein grundlegender Tenor in Shafer-Landaus Buch (2003). 30 Ich darf kurz an die wichtigsten erinnern: Ein Problemkomplex ergibt sich aus der Frage nach den Vertragspartnern und der Vertragsbasis von Verträgen: Wer kann überhaupt Vertragspartner sein? Welchen Grund sollten Vertragspartner haben, Wesen in den Vertrag mitaufzunehmen, von denen sie weder Schaden noch Schutz vor Gefahren haben (z. B. Behinderte?). Wie steht es um den Schutz und die Rechte zukünftiger Generationen? Der Vertrag müßte auch insofern fiktiv sein, als alle zukünftigen Wesen sich daran beteiligen können. Aber warum soll ich mich jetzt konkret an einen fiktiven Vertrag halten? Was kümmern mich die Interessen zukünftiger Mitglieder? Und wie steht es um den Schutz natürlicher Entitäten, die grundsätzlich gar nicht Vertragspartner sein können (Flora und Fauna)? Eine moralische Forderung an einen Vertragsabschluß wäre Gerechtigkeit. Aber Verträge können unter ungleichen Bedingungen geschlossen werden (z. B. ungleiche Machtverhältnisse, Unwissenheit über die eigenen Interessen, Zwang, Täuschung), und dann wären die im Vertrag geschlossenen Normen nicht für alle gleich gut. Die Idee eines ›Schleier des Nichtwissens‹ (Rawls) hilft nicht weiter. Denn diese Bedingung setzt bereits Gleichheit der Vertragspartner in der ursprünglichen Situation voraus, und die soll doch erst durch die Kooperation begründet werden. Daß die Kooperation gerecht sein soll, bliebe also unbegründet. (Natürlich möchten alle gerecht
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ten Extrinsikalismus konzentrieren, das man so formulieren kann: Es ist unmöglich, von der Wichtigkeit meines Interesses für mich zu der Wichtigkeit des Interesses eines anderen für mich einen normativ zwingenden Weg zu schlagen. Dieses Problem kommt in zwei Varianten daher, von denen das erste direkt den Kontraktarianismus betrifft, das zweite eher formalistische oder kontraktualistische Varianten. Es handelt sich zum einen um das Schwarzfahrerproblem, zum anderen um das Problem der Universalisierungslücke (wie man es vielleicht nennen könnte). Zunächst zum Schwarzfahrerproblem (›problem of compliance‹): Der Grundgedanke des Kontraktarianismus besteht darin, von moralisch neutralen und bloß extrinsisch verstandenen Interessen ausgehend eine System von Kooperationsregeln zu finden, denen alle auf der Grundlage ihrer Interessen rational zustimmen können. Sind solche Regeln einmal gefunden, muß ihre Einhaltung gewährleistet sein. Dies zu tun, ist Aufgabe von Sanktionen (Strafen, sozialer Druck etc.).31 Das Schwarzfahrerproblem besteht nun darin, daß es Personen geben kann (z. B. Schwarzfahrer), die sanktionsfrei die Vorteile eines Vertrages nutzen, ohne selbst zur Vertragserhaltung beizutragen und daß es für Kontraktarianisten keine Möglichkeit gibt, zu begründen, warum man selbst nicht die Ausnahme zu einer vertraglichen Regel machen soll, wenn man damit rechnen kann, sanktionsfrei auszugehen (das könnte man nur sagen, wenn die Wirksamkeit des Vertrages an die absolut ausnahmslose Be-
behandelt werden, wenn sie nicht wissen, welche Position sie innehaben; aber die Einführung dieses ›Schleier des Nichtswissens‹ muß ja selbst erst begründet werden, und wie soll das denen gegenüber geschehen, die in einer guten Position sind?) In der konkreten Ausführung scheinen vertragstheoretische Modelle zudem oft mit so etwas wie einem Prinzip der Universalisierung operieren zu müssen (Goldene Regel). Doch abgesehen davon, daß dieses Prinzip selbst wieder an bereits normativ geladene Voraussetzungen gebunden ist (Unparteilichkeit und Konsistenz), schützt es nicht vor Interessen, die wir prima facie für verwerflich halten: Wer etwa konsistent und unparteilich behauptet, er wolle und werde in einer Notlage keine Hilfe erwarten, der wird durch das Prinzip der Universalisierung nicht verpflichtet, in einer Notlage selbst zu helfen. Schließlich resultiert ein weiteres Problem vertragstheoretischer Ansätze daraus, daß selbstbezogene Pflichten gegen einen selbst kontraktualistisch nicht begründet werden können. Denn wenn moralisch das ist, was mir nützt, kann der Eigennutz in einer gegebenen Situation auch als Selbstmord, Talentvergeudung, Drogenabhängigkeit usw. verstanden werden. Es ist zwar charakteristisch für extrinsikalistische Ansätze, daß sie für selbstbezogene Pflichten nichts übrig haben und insofern handelt es sich aus ihrer Sicht nicht um ein Problem; aber gerade dies ist es, was Intrinsikalisten stört. Vgl. zu all dem den Überblick bei Gosepath (1992, 325–342) und auch knapp Pfannkuche (2000, 321–327); ausführlich zu dem erfolglosen Versuch, Moral und Klugheit zu ›versöhnen‹, vgl. auch schön Bayertz (2004, 137–200). 31 Auch Hoerster (2003, 185–205) schreibt in seinem radikal interesseorientierten Ansatz, daß, wenn überhaupt, allein die Idee äußerer und innerer Sanktionen eine Antwort auf die Moralische Frage zu geben vermag; er räumt zugleich ein, daß dies nicht wirklich hinreicht (200). Die von ihm außerdem ins Spiel gebrachte Idee einer ›Einstellung der Fairness‹ (202) bleibt ganz unbegründet.
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folgung gebunden wäre; der Nutzen eines Vertrags kann aber auch dann erhalten bleiben, wenn einige wenige sich nicht daran halten, sondern nur von ihm profitieren).32 Der einzige Grund, warum man überhaupt Verträge eingehen und sich an sie halten soll, ist der, daß es dem Eigeninteresse dient. Wenn aber der Vertragsbruch dem Interesse förderlich ist und dieser Vertragsbruch möglich ist, ohne die vertraglich abgemachten Sanktionen zu erleiden, dann wäre es nicht rational, den Vertrag einzuhalten.33 Die extrinsikalistische Antwort auf die Moralische Frage, ob es einen triftigen normativen Grund zu moralischen Handlungen gibt, besteht in dem Hinweis auf das Selbstinteresse. Unter der Annahme, daß moralische Gesetze stets trumpfend sind, ist diese Antwort aber falsch, weil Schwarzfahren rationaler sein kann als moralisches Handeln. Gegen Humes ›sensible knave‹ gibt es also kein kontraktarianistisches Argument.34 Es hilft auch nicht der (Humesche) Hinweis, daß der Schwarzfahrer sich als unzuverlässiger Partner erweisen wird, dem die Mitmenschen irgendwann das Vertrauen entziehen werden, so daß sein egoistisches Verhalten sich langfristig als nachteilig erweisen wird. Denn erstens sind perfekte Lügner denkbar; und zweitens kann es einem zum Ende des Lebens gleichgültig sein, was die Menschen denken und wie sie reagieren.35 Schließlich hilft auch der normative Hinweis ›Wenn das alle täten!‹ nicht weiter. Denn abgesehen davon, daß dieser Hinweis logische Schwierigkeiten mit sich bringt, begründet er
Vgl. schon Humes Beispiel ›to drain a meadow‹ (Treatise, book III, 2, 7, p.538). Überträgt man das Gefangenendilemma auf Vertragssituationen, dann bedeutet das: Wenn die anderen kooperieren, ist es am besten, ich defektiere; wenn die anderen nicht kooperieren, ist es aber immer noch am besten selbst zu defektieren, weil dann der Vertrag ohnehin nichts einbringt und die Defektion besser ist als Kooperation bei fehlender Kooperation der anderen – ohne garantierte Sanktionen ist es also immer am besten, den Vertrag zu verletzen. Und wer ohne Sanktionen den Vertrag brechen kann, verhält sich irrational, wenn er es nicht tut. 34 »That honesty is the best policy, may be a good general rule, but it is liable to many exceptions; and he, it may be perhaps thought, conducts himself with most wisdom, who observes the general rule, and takes advantage of all the exceptions.« (Hume, Enquiry Concerning The Principles of Morals, Sec. IX, Part II, p.282 f.) 35 Es ist zwar wahr, daß ein perfekter Lügner unwahrscheinlich ist. Aber Übeltäter müssen ja nicht in allen Angelegenheiten lügen. Wer etwa der Regel, keinen Kindesmißbrauch zu betreiben, öffentlich zustimmt und auch für entsprechende Sanktionen eintritt, kann privat dennoch ein Kinderschänder sein (leider ist dieses Beispiel sehr real). Auch Mitglieder mafiöser oder ähnlicher Gesellschaften kennen Kooperationsregeln; es ist der verheerende Nachteil der Ansätze Gosepaths (2006) und Stemmers (2006), daß sie gegen Verteidiger einer ›Mafia-Moral‹ kein Argument haben. In dem von Frank (2003) vorgestellten Modell adaptiver Rationalität auf der Grundlage der Darwinschen Evolutionstheorie wird die Existenz von Individuen »whose preferences are not moral« (894) ebenfalls eingeräumt, ohne daß es gegen solche Individuen Argumente gäbe; wie Frank betont, ist Kooperation nur rational unter der Annahme, daß man nicht-interesseorientierte Präferenzen der Mitspieler sicher erkennen kann. 32 33
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nicht, daß man es selbst nicht tun darf; denn dieses Gebot muß ja selbst wieder begründet werden, und das kann man nur mit Hinweis auf den Eigennutz, der aber, wenn die meisten sich an die Verträge halten, am besten dadurch gefördert wird, daß man sich selbst nicht daran hält.36 Der extrinsikalistische Formalismus argumentiert etwas anders. Er will aus der Tatsache, daß man seine eigenen Interessen wichtig nimmt, die Schlußfolgerung ziehen, daß es einem selbst (und damit allen) rational geboten ist, auch die Interessen anderer (also andere Interessen als bloß die meinen), wichtig zu nehmen. Doch tatsächlich liegt darin ein Fehlschluß. Machen wir uns das anhand eines kurzen Dialogs deutlich: »A: Ich habe bestimmte Interessen – und wir alle haben bestimmte Interessen, viele von uns haben sogar eine Reihe von Basisinteressen gemeinsam –, und ich möchte unter Bedingungen leben, in denen diese Interessen realisiert werden können. Ich will daher auch, daß andere Menschen, Du zum Beispiel, nicht auf eine Art und Weise mit diesen Bedingungen umgehen, die es mir unmöglich macht, meine Interessen zu verfolgen. Und dort, wo Interessen kollidieren, müssen wir versuchen, einen vernünftigen Ausgleich zu finden. B: Das verstehe ich nicht. Es stimmt, ich habe ebenfalls meine Interessen, und die sind mir sehr wichtig. Aber warum sollten mir Deine Interessen wichtig sein? Ich gebe zu, wenn Deine Interessen an und für sich wichtig wären (also intrinsisch wertvoll), dann wäre das ein objektiver Grund für mich, sie wichtig zu nehmen. Aber als Extrinsikalist räumst Du ja selbst ein, daß sie nicht intrinsisch wertvoll sind. Ihr Wert besteht nur in dem Wert, den sie für Dich haben, aber für mich haben sie ja gerade keinen Wert. Warum soll ich sie dann wichtig nehmen? A: Ja, in der Tat, Du verstehst es nicht, laß’ es mich einmal so erklären. Du räumst Dir selbst doch das Recht ein, anderen, mir z. B., vorzuschreiben, Deine Interessen und ihre Realisierungsbedingungen nicht zu verletzen, richtig? B: Ich weiß nicht genau, was Du mit ›Recht‹ meinst, aber führe Deinen Gedanken zuerst einmal zu Ende. B: Nun, Du schreibst mir doch vor, Deine Interessen nicht zu durchkreuzen? B: Das stimmt. A: Und Du findest doch auch, daß es für Dich vernünftig ist, das zu tun, oder? B: Sicher. A: Aber wenn es vernünftig ist für Dich, mir vorzuschreiben, Deine Interessen nicht zu durchkreuzen, dann ist es doch genauso vernünftig für mich, Dir vorzuschreiben, meine Interessen anzuerkennen, oder etwa nicht? B: Völlig richtig. A: Nun, wenn aber doch Dein Gebot vernünftig ist und Du willst, daß ich mich daran halte, und mein Gebot genauso vernünftig, dann mußt Du mir doch zugestehen, daß Du Dich genauso an mein Gebot halten mußt wie Du willst, daß ich mich an Dein Gebot halten soll. B: Nein, genau darin liegt der Fehlschluß! Aus der Tatsache, daß es vernünftig ist von mir, von Dir zu fordern, meine Interessen zu wahren, folgt keineswegs, daß es vernünftig für mich wäre, Deine Interessen zu wahren. Es ist zwar vernünftig von Dir, von mir das gleiche zu fordern. Aber daß dies für uns jeweils vernünftig ist heißt ja nur, daß es jeweils in unserem Interesse liegt, dies zu Zum ›compliance problem‹ vgl. die Aufsätze in Teil II des von Vallentyne herausgegebenen Bandes (1991). 36
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tun; und daraus leitet sich keine normative Kraft ab für die Frage, ob ich Deinem Gebot Folge leisten soll. Es wäre im Gegenteil sehr unvernünftig von mir, in meinen Handlungen Deine Interessen zu berücksichtigen, wenn dadurch meine Interessen leiden würden. Nur wenn man bereits annimmt, daß jedermanns Interessen gleich viel zählen (wenn man also so etwas wie ein Prinzip der Unparteilichkeit annimmt), ist das Argument schlüssig. Aber das liefe auf einen Intrinsikalismus hinaus, und es läßt sich aus extrinsisch verstandenen Interessen heraus nicht ableiten.« So ist es.37
3. Die Haltbarkeit des Intrinsikalismus Der Extrinsikalismus vermag also keine Antwort auf die Moralische Frage zu geben. Das ist eine wichtige Einsicht. Aber wie steht es um den Intrinsikalismus (Realismus)? Den (in der neueren Zeit) berühmtesten Einwand gegen den Intrinsikalismus hat vermutlich John Mackie vorgebracht, und in verschiedenen Varianten wird dieses Argument bis heute von Anti-Realisten gebraucht.38 Sein sogenanntes ›Argument der Absonderlichkeit‹ hat, wie er selbst sagt, zwei Seiten, eine metaphysische und eine epistemologische. Gäbe es, so sagt er, »objektive Werte, dann müßte es sich dabei um Wesenheiten, Qualitäten oder Beziehungen von sehr seltsamer Art handeln, die von allen anderen Dingen in der Welt verschieden wären. Und entsprechend müßte gelten: Wenn wir uns ihrer vergewissern könnten, müßten wir ein besonderes moralisches Erkenntnis- oder Einsichtsvermögen besitzen, das sich von allen anderen uns geläufigen Erkenntnisweisen unterschiede« (Mackie, 44). Es ist erstaunlich, welche Karriere dieses Argument gemacht hat; es gilt, wie gesagt, bis heute als schlagendes Argument gegen den Intrinsikalismus.39 Das Erstaunliche daran ist, daß zumindest der metaphysische Teil dieses Argumentes im Prinzip
Vgl. zu diesem Argument die Ausführungen bei Williams (1985, bes. 59–64) und Bittner (1983, 46–53); für eine gegenteilige Behauptung (aber ohne Begründung) vgl. NidaRümelin (1996, 845). 38 Vgl. aber schon Moore (1951, 258): Die Subjektivisten werfen den Objektivisten eine »particularly poisonous kind of falsehood [vor] – the erecting into a ›metaphysical‹ entity of what is really susceptible of a simple naturalistic explanation«. 39 Vgl. z. B. Scanlon (1982), der den Intuitionismus Moorescher Prägung kurzerhand mit dem Hinweis ablehnt, er behaupte »›moral facts‹ of a kind it would be difficult to explain« (108); man brauche eine Theorie »that is compatible with our general beliefs about the world: our beliefs about what kinds of things there are in the world, what kinds of observation and reasoning we are capable of, and what kinds of reasons we have for action« (109). Scanlon meint sogar, daß »part of contractualism’s appeal rests on the view that, as Mackie puts it, it is puzzling how there could be such [queer] properties ›in the world‹« (118). Ähnlich flott schon Frankena (1963, 86 f. ); vgl. auch jüngst wieder Korsgaards Anknüpfung an Mackie (1996, 37 f.). 37
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ganz einfach widerlegt werden kann, und daß auch für die epistemologische Schwierigkeit des Intrinsikalismus eine Lösung möglich ist; gleiches gilt für die damit zusammenhängende psychologische Schwierigkeit (Mackie trennt hier nicht sauber).40
Die metaphysische Schwierigkeit des Intrinsikalismus Die metaphysische (ontologische) Schwierigkeit läßt sich im Prinzip durch einen einfachen modus tollens lösen: 1. Wenn es absonderlich ist, die Existenz intrinsischer moralischer Werte zu behaupten, dann ist es (unter anderem) auch absonderlich, die Existenz sui generis von mathematischen Objekten, logischen Folgerungsregeln oder Bedeutungen zu behaupten (etwa im Sinne eines Platonismus). 2. Es ist nicht absonderlich, die Existenz sui generis von mathematischen Objekten, logischen Folgerungsregeln oder Bedeutungen zu behaupten (etwa im Sinne eines Platonismus). Also, 3: Es ist nicht absonderlich, die Existenz intrinsischer moralischer Werte zu behaupten. Kurz gesagt: Es gibt »viele Wesenheiten, Qualitäten oder Beziehungen von sehr seltsamer Art« (Mackie, 43), deren Existenzweise schwer zu verstehen ist. Intrinsische Werte befinden sich hier durchaus in guter Gesellschaft.41 Mackie räumt sogar ein, daß es sich um einen wichtigen Einwand gegen sein Argument von der Absonderlichkeit handelt. Doch alles was er dazu sagt ist, daß es eben eine Erklärung solcher Entitäten im physikalistisch-empiristischen Sinne geben müßte. Nun mag es zwar sein, daß es solche Erklärungsversuche gibt, die auch durchaus plausibel sind; aber sie sind gewiß nicht mehr, höchstens weniger plausibel als nicht-empiristische Erklärungsversuche, und mehr muß man zur metaphysischen Ehrenrettung intrinsischer Werte ja auch gar nicht sagen.42 Vielleicht wird man hier einwenden, daß ich es mir zu einfach mache, und das ist auch insofern richtig, als ich natürlich zeigen müßte, daß es auf die konkreten
Viele haben Mackies Argument so verstanden, als bestünde die Absonderlichkeit von Werten allein in dem, was Mackie ›to-be-pursuedness‹ nennt (vgl. neuerdings z. B. Hare, 2001, 20 ff., Shafer-Landau, 2003, 82, oder auch Bayertz, 2004, 101). Ich kann das hier nicht ausführen, aber diese Interpretation widerspricht m.E. eindeutig der Textgrundlage (wobei ich einräume, daß Mackie nicht sehr klar ist); vgl. dagegen richtig Illies (2003, 10). 41 Man denke nur an die Schwierigkeiten zu verstehen, was eine ›Tatsache‹ ist (bzw. eine Proposition), ein Begriff, der ähnlich wie der Wertbegriff tief in unserer Sprache verankert ist. 42 Das ist natürlich keine neue Widerlegung des Arguments; vgl. z. B. Finnis (1983, 57– 60) oder Schaber (1997, 227–234). 40
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Einwände gegen ein realistisches Verständnis von Werten und Gesetzen gute Antworten gibt. Da ich einen wertrealistischen Ansatz vertreten möchte, gilt es zu zeigen, wie solche Werte (bzw. Güter) ontologisch zu verstehen sind; hier ist es vor allem der Begriff der Supervenienz, der Schwierigkeiten bereitet.43 Das kann und will ich hier nicht tun. Worauf es mir im Augenblick nur ankommt, ist der Hinweis, daß das ›Argument der Absonderlichkeit‹ nur für den Überzeugungskraft besitzt, der von vorneherein einem empiristisch-physikalistischem Weltbild anhängt. Solch ein Weltbild ist aber selbst mit großen Schwierigkeiten behaftet, und wenn wir nicht unseren Glauben an die Existenz einer Vielzahl von Entitäten aufgeben wollen (eine Pille, die auch für Physikalisten nur bitter zu schlucken wäre), ist der Glaube an die Existenz intrinsischer Güter keineswegs ontologisch abwegig. Das ›Argument der Absonderlichkeit‹ beruht also auf einer petitio principii.44
Die epistemologische Schwierigkeit des Intrinsikalismus Mackie behauptet, »daß jeder Wertobjektivismus letztlich auf die zentrale intuitionistische These zurückgreifen muß« (1981, 44), auf die These also, daß wir in der Tat die Fähigkeit zu moralischen Intuitionen besitzen.45 Anders gesagt: Kein moralischer Intrinsikalismus ohne Intuitionismus! Intrinsikalisten wie etwa Thomas Nagel und erst recht Konstruktivistinnen wie Christine Korsgaard würden das natürlich bestreiten, aber ich meine, daß Mackie Recht damit hat.46 Anders als Mackie meine ich aber, daß dies kein Problem darstellt. Es ist deswegen kein Problem, weil wir ohne moralische Intuitionen überhaupt nicht Ethik betreiben können. Wenn wir nicht dem Nonkognitivismus anhängen wollen (aber dann ist die Ethik sehr schnell am Ende) oder einem radikalen Formalismus, der nur von der Richtigkeit von Handlungen spricht und den Begriff des Guten aufgibt (aber das überzeugt nicht), führt kein Weg an Intuitionen vorbei. Zunächst muß man eingestehen, daß eine zwar weitverbreitete, aber wenig reflektierte Argumentationsform, mit der ethische Theorien ausgehebelt werden, nicht nur gang und gebe ist, sondern auch unabdingbar: der ethische Modus tollens (wie man ihn nennen könnte).47 Das sind Argumente der folgenden Form:
Vgl. dazu die neuere Verteidigung aus realistischer Perspektive bei Shafer-Landau (2003, 80–114). 44 Zur generellen Kritik an einer ›falschen Objektivität‹ vgl. Kutschera (1993). 45 Vgl. auch Kutschera (21999, 214): »Ist vom moralischen Realismus die Rede, so sind in aller Regel intuitionistische Theorien gemeint«. 46 Vgl. Nagel (1986, 144–146), der Mackie vorwirft, er interpretiere die Objektivität von Werten zu stark (zu ›platonisch‹ oder ›Moorean‹). 47 Vgl. dazu auch Damschen/Schönecker (2003). 43
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1. Wenn die ethische Theorie x zutrifft, dann ist y gut (richtig). 2. y ist nicht gut (richtig). Also, 3., die ethische Theorie x trifft nicht zu. Der Witz an einem solchen Argumentmuster ist, daß die Wahrheit der zweiten Prämisse einfach vorausgesetzt wird, und zwar als intuitiv bzw. evident einleuchtend. Es wird als moralische Intuition angenommen, daß bestimmte Handlungen richtig oder bestimmte Güter gut sind. Diese Voraussetzung wird selbst nicht begründet; die Wahrheit der 2. Prämisse – also die Wahrheit grundlegender moralischer Überzeugungen – wird implizit (und selten explizit) vorausgesetzt und damit als Kriterium der Richtigkeit (Wahrheit) oder Falschheit ethischer Theorien herangezogen. Ich verstehe das nicht als Kritik. Vielmehr meine ich, daß es in der Tat so etwas wie moralische Intuitionen geben muß, damit wir überhaupt sinnvoll über Ethik reden können; ohne Rückgriff auf bereits vorausgesetztes moralisches Wissen können wir nicht über moralische und ethische Wissensansprüche urteilen. Der ethische Modus tollens scheint unverzichtbar – wie aber läßt er sich rechtfertigen? Nun, das hängt davon ab, was man unter Rechtfertigen versteht. Zunächst müssen wir uns daran erinnern, daß unter der Voraussetzung, daß alle Argumente deduktiv sind, der Prozeß der Rechtfertigung irgendwann abgebrochen werden muß. Wird eine Prämisse bezweifelt, dann kann ihre Wahrheit nur wieder durch ein anderes deduktives Argument begründet werden, d. h. wieder durch eine Menge von Prämissen, aus der bei vorausgesetzter formaler Gültigkeit die Konklusion folgen soll; wird von diesen Prämissen wieder eine bezweifelt, müssen wieder neue Prämissen gefunden werden, usw. ad infinitum. Ein Ende wird hier nur erreicht, wenn man irgendwann einmal mit den Prämissen und den Ableitungsregeln zufrieden ist; und man ist spätestens zufrieden, wenn sie einem evident erscheinen. Damit ist nicht gesagt, daß aus alethischer Perspektive die Wahrheit einer Proposition (oder allgemein von Überzeugungen und Theorien) davon abhängt, daß sie evident ist. Aber unsere Erkenntnis einer Wahrheit hängt davon ab, daß sie uns einleuchtet; in diesem Sinne ist Evidenz unhintergehbar.48 Es ist daher kein Argument gegen die Annahme, daß es moralische Intuitionen gibt, daß solche Intuitionen Evidenzen sind. Denn irgendwann kommt alles Argumentieren an einen Punkt, an dem Propositionen für evident gehalten werden – Punkt. Etwas für evident zu halten, ist für unser Denken und Wissen grundsätzlich unvermeidbar und unverzichtbar. Selbst wenn das Verhältnis von Propositionen intern so gestaltet ist, daß die eine aus den anderen folgt, so ist doch unser Wissen um ein solches Verhältnis daran gebunden, daß es uns einleuchtet. Damit ist nicht gesagt, daß Evidenzen tatsächlich Wissen begründen. Aber das muß auch nicht sein. Alles, was wir hier annehmen müssen, ist, daß moralische Intuitionen nicht deswegen abwegig sind, Die Theorie sogenannter transzendentaler Argumente übergehe ich hier. Dafür, daß die transzendentalpragmatische Kritik am Fallibilismus nicht haltbar ist, vgl. aber Ossa/Schönekker (2004.) 48
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weil sie letztlich nichts anderes sind als Evidenzerlebnisse bezüglich des Guten; wären sie abwegig, dann wären alle unsere Wissensansprüche abwegig, weil sie letztlich alle auf Evidenzerlebnissen beruhen. Vielleicht sind wirklich alle unsere Wissensansprüche abwegig; aber das gilt dann eben für all unsere Wissensansprüche, nicht nur für unsere ethischen Wissensansprüche. Ich komme gleich noch näher darauf zurück, wie wir moralische Intuitionen verstehen sollten. Oft werden moralische Intuitionen gleichgesetzt mit tiefsitzenden, tradierten, kaum erschütterbaren moralischen Überzeugungen. Das ist aber irreführend, weil solche Überzeugungen nicht selbst Intuitionen sind, sondern vielmehr als das Resultat von Intuitionen verstanden werden sollten. Ich schlage vor, Intuitionen als nicht-inferentielle, epistemisch fundierende, zuverlässige (wenn auch nicht unbedingt unrevidierbare) emotionale Akte des Werterfassens zu begreifen, aus denen moralische (ethische) Überzeugungen resultieren, die deswegen tradiert werden, weil sie auf jenen emotionalen Akten aufsitzen.49 Intuitionen, so wie ich sie verstehe, beziehen sich also demnach auch nicht auf (sehr) spezifische Handlungsweisen oder Güter, und erst recht nicht auf einzelne, (sehr) spezifische Handlungen. Der zentrale Gegenstand moralischer Intuitionen ist das Gute; dazu, wie gesagt, gleich noch etwas mehr.50 Wichtig ist noch der Hinweis, daß mit dieser Aufwertung von Emotionen keine generelle Abwertung rationaler Überlegungen einhergeht; die Vernunft ist, im Sinne eines principiium diiuducationis, immer noch maßgeblich.51 Der Standardeinwand gegen die Annahme moralischer Intuitionen besteht in dem Hinweis, daß (i) verschiedene Menschen verschiedene Intuitionen haben (das klassische ›Argument der Relativität‹), und daß (ii) keine Möglichkeit besteht, Intuitionen zu überprüfen.52 Auch dies kann ich hier nicht ausführen, aber die ErwiAudi (2004, 33–36) sieht vier Kennzeichen von Intuitionen: Ihre Nicht-Referentialität, die Festigkeit der Überzeugung, ihre unmittelbare Verstehbarkeit und ihren vortheoretischen Charakter. Interessanterweise sagt Audi kaum etwas über Emotionen (s. aber 56 f.). 50 Es ist bemerkenswert, daß ein Autor wie Finnis, der sich sehr kritisch gegen so etwas wie emotionale moralische Einsichten wendet (1983, 32 f., gegen Bernard Lonergan, der von ›apprehension of values in feelings‹ spricht), dennoch von der »insight« (1983, 51) von Gütern spricht, sich aber zugleich gegen den Begriff der Intuition wendet (ebd.). In Natural Law and Natural Rights (1980) heißt es, die Einsicht in die Güte von Wissen sei nicht inferentiell, sondern »by a simple act of non-inferential understanding one grasps that the object of inclination which one experiences is an instance of general form of good, for oneself (and others like one)« (S. 35); vgl. auch Grisez/Boyle/Finnis (1987, 106), wo von »self-evident principles« die Rede ist. Warum und inwiefern diese Prinzipien oder Güter aber nun ›verstanden‹ werden und nicht emotional eingesehen, bleibt unklar; was letztlich diese Einsicht des Verstandes per Selbstevidenz ist, wird nicht erläutert. 51 Eine Aufgabe der Vernunft besteht darin, unsere unmittelbare emotionale Liebe zu Gütern zu übertragen auf Güter, die uns nicht gegenwärtig, die aber dennoch nicht minder wertvoll sind. 52 Dies sind, wie gesagt, sehr gängige Vorwürfe; zur Entgegnung vgl. z. B. Kutschera 2 ( 1999, 246–249). 49
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derung auf diese Einwände muß m. E. folgendermaßen ausfallen: Erstens ist es zweifelhaft, ob grundlegende moralische Intuitionen wirklich kulturvariant sind.53 Zweitens träte diese faktische Übereinstimmung auch viel deutlicher zutage, wäre unser Vermögen zu moralischen Intuitionen nicht durch unser ›liebes Selbst‹ und dessen Interessen beeinträchtigt. Und drittens gilt letztlich für alle Intuitionen als Evidenzen, daß sie nicht überprüfbar sind (es ist umgekehrt eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung von Intuitionen, daß sie nicht überprüfbar sind). Prüfungen haben selbst wiederum ihre Grundlagen, die der Prüfung bedürfen usw.
Die psychologische Schwierigkeit des Objektivismus Ein weiteres Grundproblem des Moralischen Realismus besteht angeblich darin, daß er, ganz allgemein gesagt, nicht erklären könne, wie genuin moralische Motivation überhaupt zustande kommen könne.54 Auch dieser Einwand hat wieder verschiedene Varianten, deren wichtigste aus dem Humeanismus stammt. Bevor ich darauf eingehe, möchte ich aber kurz erläutern, warum ich den oben skizzierten starken Motiv-Internalismus sowie auch den Motiv-Externalismus für wenig attraktiv halte. Der starke Motiv-Internalismus scheint mir unplausibel, weil er eine sehr eigenwillige Interpretation von ›anerkennen‹ voraussetzt, die zur Folge hätte, daß genuin unmoralisches Handeln unmöglich wäre, also Handeln wider besseres moralisches Wissen. Träfe der starke Internalismus zu, dann müßte unsere Reaktion auf jemanden, der sagt: ›Ich sehe ein und anerkenne, daß ich x nicht tun sollte‹, dann aber x doch tut, folgendermaßen ausfallen: ›Dann hast Du auch nicht wirklich eingesehen und anerkannt, daß Du x nicht tun sollst‹. Nun kann man zwar den Ausdruck und das Phänomen der moralischen Anerkenntnis so definieren; aber der Preis dafür wäre ein Auseinanderklaffen zwischen der philosophischen und der normalen Sprache und wie überhaupt ein radikaler Widerspruch zur Phänomenologie unserer moralischen Lebenswelt.55 Analoges gilt für den Motiv-Externalismus. Nur der schwache Motiv-Internalismus scheint mir also plausibel, und das Hume-
Die großen auch interkulturellen Unterschiede bezüglich solcher Fragen wie Abtreibung, Todesstrafe usw. sind nicht als Unterschiede zwischen moralischen Intuitionen zu begreifen; Intuitionen sind viel grundlegender. Bei diesen Fragen geht es um die Ableitung und Applikation von Handlungsregeln; vgl. dazu auch George (1999, 42–45). 54 In der neueren Literatur kursiert dieses Problem auch als das ›moral problem‹, im Anschluß an die Arbeit von Smith (1994). 55 Außerdem hätte das die unangenehme Begleiterscheinung, daß der Übeltäter argumentieren könnte, er habe eben nicht gewußt, daß er so nicht handeln dürfe (so daß man ihm nur mangelndes Wissen vorwerfen könnte). – Moralische Realisten sind also nicht auf einen starken Motiv-Internalismus verpflichtet, wie Mackie (1981, 46) an einer Stelle nahezulegen scheint. 53
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sche Motivationsproblem sollte daher von vornherein in diesem Kontext verstanden werden. Humeanisten gehen davon aus, daß Überzeugungen (beliefs) sich darauf beziehen, wie etwas ist und Wünsche (desires) darauf, wie etwas sein soll (daher die Rede von den verschiedenen ›directions of fit‹). In einer Möglichkeit, das Motivationsproblem darzustellen, verweist man dann auf folgendes Dilemma: Entweder moralische Urteile wie z. B. »Das ist eine gute Handlung« drücken Überzeugungen aus und enthalten damit einen Bezug auf Tatsachen, dann können solche Überzeugungen nicht motivieren, weil nur Wünsche motivieren können; 56 oder sie drücken Wünsche aus und damit Motive, dann aber enthalten sie keinen Bezug auf Tatsachen, weil nur Überzeugungen auf Tatsachen bezogen sind.57 Dieses Argument enthält offenkundig mehrere Elemente, und so sind auch mehrere Erwiderungsstrategien denkbar. Eine besteht darin, erneut in Übereinstimmung mit der Phänomenologie unserer moralischen Erfahrung darauf hinzuweisen, daß moralische Überzeugungen sehr wohl motivieren können, indem sie eben entsprechende (genuin moralische) Wünsche hervorbringen können (Gründe-Externalismus): ›Ich hab’s gemacht, weil es einfach meine Pflicht war!‹ Was diese Erwiderung mit dem Humeanismus gemeinsam hat, ist der Gedanke, daß nur Überzeugungen kognitiv sind. Es ist daher auch kein Zufall, daß die sogenannte ›traditionelle Sicht‹ von Emotionen auf Hume zurückgeht. In dieser Sicht werden Emotionen als blinde, referenzlose Empfindungen verstanden, die keinerlei direkten Bezug auf Erkenntnis und Wahrheit haben und die daher auch als solche weder vernünftig oder unvernünftig, wahr oder falsch sind.58 Wenn diese Sicht falsch ist – und ich denke, sie ist es – dann eröffnet sich damit auch ein anderer Weg, das Humesche Motivationsproblem zu lösen. Bevor ich darauf eingehe, möchte ich aber noch auf zwei wichtige Punkte hinweisen; sie laufen beide darauf hinaus, daß auch Humeanisten nicht erklären können, wie Motivation zustande kommt: 1.) Wenn es wahr wäre, daß Gründe nur auf der Basis von bereits vorhandenen Wünschen motivieren könnten, dann wäre nicht zu sehen, wie normative Regeln der Logik zu Handlungen motivieren können (wobei Denkoperationen mit der Tradition als Handlungen verstanden werden). Mackies Kritik, intrinsische Wert hätten die absonderliche Eigenschaft der ›to-bepursuedness‹, träfe dann auch auf logische Normen zu. 2.) Humeanisten erklären die motivationale Kraft von Gründen dadurch, daß sie sich an bereits vorhandene Wünsche ›anhängen‹.59 Das klingt plausibel, doch in Wahrheit wird damit das
Vgl. Williams These vom ›subjective motivational set‹ (1981). 57 Für eine neuere, klare Übersicht über das Problem vgl. Shafer-Landau (2003, 119–161). Shafer-Landau hat eine andere ›realistische‹ und zugleich externalistische Antwort als die hier präsentierte. 58 Für eine Darstellung und Kritik dieser ›traditional views‹ vgl. Pitcher (1965); auf Pitchers Arbeit beruht auch wesentlich die Interpretation von Emotionen durch Nussbaum (2001). 59 Vgl. z. B. Russell (2006, in diesem Band): »Since reason always attach to existent desires 56
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Problem nur verschoben. Denn die Frage, die sich Humeanisten gefallen lassen müssen, ist genau die, die sie selbst stellen: Wie hängen sich denn Gründe an Wünsche an? Darauf haben sie genauso wenig eine Antwort wie Anti-Humeanisten eine Antwort auf die Frage haben, wie reine Vernunft praktisch sein könne.60 Ich habe oben bereits auf den Unterschied zwischen deontischen Begriffen und Wertbegriffen hingewiesen. Eine Ethik, die entweder formalistisch argumentiert oder Werte extrinsikalistisch begreift, ist nicht in der Lage, die Moralische Frage zu beantworten (ganz abgesehen von Schwierigkeiten der Prinzipienbildung). Was ich nun behaupten möchte ist, daß eine Ethik, die auf nicht-formalistische, intrinsische Weise Werte und Güter in den Mittelpunkt stellt, jenes Motivationsproblem nicht hat, und zwar aus folgendem Grund: Im Unterschied zu formalisierbaren deontischen Begriffen ist der Begriff des Wertes überhaupt nur verstehbar, wenn man ihn emotional erfaßt. Eine evaluative Aussage wie »x ist wertvoll« oder »x ist gut« kann von Menschen letztlich nur auf der Grundlage von Emotionen verstanden werden. Ein vernünftiges Wesen mag in der Lage sein, eine Maxime zu universalisieren oder die Goldene Regel anzuwenden. Aber wenn dieses vernünftige Wesen nicht unseren emotionalen Zugang zur Welt teilt, wird es nicht wirklich (vollständig) verstehen, was jene Aussagen bedeuten. Es wird sie ebensowenig verstehen wie ein Blinder verstehen kann, was »gelb« bedeutet.61 Wenn nun jemand sagt: »Ja, ich erkenne, daß x wertvoll ist«, dann folgt daraus zwar nicht, daß sie adäquat (d. i. moralisch) handeln wird. Es folgt aber, daß sie zumindest ein Motiv verspürt, moralisch zu handeln, weil sie das Gute nur verstehen kann, indem sie zugleich zu ihm hingezogen wird.62 Wenn es also zutrifft, daß der Extrinsikalismus in der Ethik falsch und
and inclinations of some kind, it is possible, on this [Humean] theory, to explain how our reasons carry motivational force«. 60 Es war bekanntlich Kant, der wiederholt darauf hingewiesen hat, daß diese Frage prinzipiell gar nicht beantwortet werden könne. 61 Ich vermag daher Samuel Kerstein nicht zuzustimmen, der im privaten Gespräch argumentierte, eine Aussage wie »x ist wertvoll« ließe sich ohne Emotionen als Handlungsregel verstehen. Ich stimme zu, daß ein vernünftiges Wesen ohne Emotionen zwar die Handlungsanleitung verstehen könnte (in dem Sinne, daß es verstehen würde, daß dann, wenn wir emotionalen Wesen sagen, »x ist wertvoll«, das für uns unter anderem bedeutet, angewiesen zu sein, Handlungen zu vollziehen, die x fördern und Handlungen zu unterlassen, die x Schaden zufügen). Aber es würde unsere Emotion als Emotion nicht verstehen (genausowenig wie wir verstehen würden, was eine Fledermaus fühlt, auch wenn wir zu einer vollständigen Beschreibung ihres Gehirns in der Lage wären); und es würde damit auch nicht verstehen, was Werte für uns bedeuten und warum sie uns anziehen. (Wesen ohne Musik könnten Partituren als Handlungsanweisungen verstehen und vielleicht sogar selbst insofern musizieren, als sie die richtigen Körperoperationen vollziehen würden; aber sie würden nicht Musik verstehen.) – Für eine ähnliche Argumentation mit Blick auf qualia vgl. Jackson (1982). Für ein Verständnis von Werten als sekundären Qualitäten vgl. McDowell (1998) und dazu Schaber (1997, 143–160). 62 Vgl. Kutschera (21999, 251): »Man kann nicht einsehen, daß etwas objektiv wertvoll
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unser primärer epistemischer Zugang in moralischen Fragen emotional ist, dann gibt es mit Blick auf die Motivationsfrage kein ›moralisches Problem‹.63 Was also ist die Antwort auf die Moralische Frage? Wir sehen jetzt, daß diese Frage in ihrer Standardformulierung (›Warum moralisch sein?‹) tatsächlich irreführend ist. Wenn es das an sich Gute gibt, dann ist kein Grund mehr denkbar, der darüber hinaus anzugeben wäre, warum die Gebote, die aus dem Guten fließen, einzuhalten sind. Aber gibt es das an sich Gute? Ich hoffe es, und ich sehe keine Argumente, die stark dagegen sprechen.64 Und mehr als die mögliche Verteidigung unserer tiefsten Überzeugungen können wir von der Philosophie nicht erwarten.65
ist, ohne ihm auch subjektiv einen Wert zuzuordnen, ebensowenig wie man etwas als objektives Faktum anerkennen, es aber nicht glauben kann«. 63 Wenn ich sage, es gibt hier kein ›Problem‹, dann meine ich damit, daß moralische Motivation für moralische Realisten prinzipiell erklärbar ist. Damit rede ich keiner moralischen Schwärmerei das Wort. Das zuverlässigste Motiv zu richtigen Handlungen sind im Durchschnitt immer noch Armutsbekämpfung, eine gute Erziehung und Sanktionen. Und noch einmal gesagt: Ob jemand einem Grund folgt, ist nicht das eigentliche Thema der Moralischen Frage. Das Bedürfnis nach einer befriedigenden (positiven) Antwort auf die Moralische Frage ist daher auch nicht, wie Bayertz behauptet (2004, 255 f.), die Sorge um die sozialen Konsequenzen, die aus der Einsicht erwachsen würden, es gebe eine solche Antwort nicht; es ist ein metaphysisch-ethischer Horror vacui selbst vor einer Welt ohne das intrinisch Gute, selbst wenn es in einer solchen Welt kaum Handlungen gäbe, die gemeinhin als schlecht bezeichnet werden. 64 Zur Wichtigkeit des ›moral faith‹ vgl. Adams (1999, bes. 374 f.). 65 Ich danke den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Marburger Konferenz »Moralische Motivation« im März 2004 für ihre wertvollen Hinweise und die anregende Kritik. Für weiterführende Gespräche und Diskussionen danke ich außerdem besonders Gregor Damschen, Claus Dierksmeier, Stefan Gosepath, Samuel Kerstein, Anton Leist, Maria E. Reicher, Daniela Ringkamp, Richarde Josepha Schönecker, Niko Strobach und Ronald Tacelli.
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Moral, künstliche Gründe und moralische Motivation Peter Stemmer
I. Jeder hat ein starkes Interesse daran, nicht unmoralisch behandelt zu werden. Niemand will belogen und betrogen, niemand will verletzt, gedemütigt, benachteiligt werden. Jeder ist deshalb stark daran interessiert, daß die anderen ein Motiv haben, das sie dazu bewegt, sich moralisch zu verhalten. Eine Moral muß, wenn sie zu etwas gut sein soll, den Menschen, die mit ihr leben, Motive geben, moralisch zu handeln. Diese Motive können, wie wir sehen werden, nur Gründe sein. Eine Moral muß folglich Gründe geben, Gründe, die dazu motivieren, das Moralische zu tun. Eine an den Himmel geschriebene ideale Moral, die keine Handlungsgründe bietet, mag eine schön anzusehende Kreation edler Seelen sein, aber sie gewinnt nicht die für eine Moral unerläßliche Handlungsrelevanz. Diese Einsicht, daß eine Moral etwas sein muß, wofür es Handlungsgründe gibt, hat die Philosophie bereits früh zum Ausdruck gebracht. Platon hat immer wieder darauf hingewiesen, daß es keinen Sinn hat, über die Gerechtigkeit zu philosophieren, wenn man nicht zeigen kann, daß es vernünftig, nämlich glückszuträglich ist, gerecht zu sein. Gerechtigkeit kann im Leben der Menschen nur etwas bedeuten, wenn es Gründe gibt, die dazu bewegen, gerecht zu handeln. Gründe welcher Art können das sein? Zunächst müssen es einfache, offensichtliche Gründe sein. Jeder muß sie ohne anspruchsvolles Nachdenken und ohne komplizierte Gedankenexperimente erkennen können. Denn wenn es zwar Gründe für das moralische Handeln gibt, sie aber nicht erkannt werden, können sie nicht motivieren. Gründe, die man nicht erkennt, sind motivational inexistent. Dann müssen es Gründe für möglichst alle sein. Denn jeder hat ein Interesse daran, daß alle anderen sich ihm gegenüber moralisch verhalten. Dies schließt aus, daß die Gründe bestimmte Ideale oder altruistische Einstellungen voraussetzen, die nur einige, aber nicht alle haben. Es schließt ebenso aus, daß die Gründe relativ auf individuelle, nicht allgemein geteilte Gesinnungen, Gefühle, Selbstbilder oder Glücksvorstellungen sind. Die Gründe für das Moralisch-Handeln stellen also gerade nicht besondere Ansprüche an Altruismus oder Selbstlosigkeit, sie müssen vielmehr auf etwas bezogen sein, was man bei allen voraussetzen kann. Kant gehört zu den Philosophen, die dies klar gesehen haben. Das moralische Handeln muß für alle vernünftig sein, auch für die, die, wie Kant sagt, »gleichgültig gegen die Leiden anderer« sind (GMS, 398).
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Worauf also können die Gründe für das moralische Handeln sich beziehen? Woran können sie andocken? Teilt man die Auffassung, daß etwas nur dann ein Handlungsgrund für eine Person sein kann, wenn es auf ein Wollen oder ein Interesse dieser Person bezogen ist, können es nur Interessen sein, die man bei allen voraussetzen oder finden kann. Gründe für moralisches Handeln müssen auf Interessen dieser Art bezogen sein. Man denkt hier gewöhnlich an basale auf das eigene Wohl gerichtete, also egoistische Interessen, die man allgemein unterstellen kann: an die Interessen an Selbsterhaltung, am eigenen Glück, an der Vermeidung von Übeln. Es gibt aber wohl auch begrenzte altruistische Interessen, die man bei allen voraussetzen kann, wie das Interesse am Wohl der eigenen Kinder und anderer mit einem eng verbundener Personen. Und es kann auch weitergehende altruistische Interessen geben, die aufgrund einer gemeinsamen kulturellen Prägung von allen (oder von allen in einer Region) geteilt werden. Drei Aussagen also sind es, die hier wichtig sind: Eine Moral ist auf motivierende Gründe angewiesen. Diese müssen offensichtlich sein. Und sie müssen bezogen sein auf Interessen, die man bei allen findet, von denen man will, daß sie sich moralisch verhalten.
II. Fragt man weiter, ob es solche Gründe gibt, ob also das moralische Handeln tatsächlich für alle vernünftig ist, weil es in der Spur allgemein geteilter Interessen liegt, kann man zwei Typen von Antworten unterscheiden. Das eine Lager meint, die Welt, so wie sie ist, halte die Gründe für die Moral bereit, man finde sie in der Welt vor und deshalb lägen Moral und Interessen auf einer Linie. Das andere Lager meint, Moral und Interessen lägen keineswegs immer auf einer Linie. Nicht selten liege es im Interesse des Einzelnen, gerade nicht moralisch, sondern unmoralisch zu handeln. Moral und Interessen fallen also, so wie die Welt ist, wenigstens zum Teil auseinander, und deshalb müsse man erst künstlich Gründe schaffen, die das moralische Handeln durchgängig vernünftig machen. Es bedürfe also einer Veränderung der Welt, gewissermaßen einer künstlichen Hinzufügung, um moralisches Handeln erst zu etwas zu machen, das möglichst für alle in allen Situationen vernünftig ist. Eine primitive Variante der ersten Antwort ist die unter anderem im Alten und Neuen Testament zu findende Auffassung, die Welt sei so eingerichtet, daß, wer sich unmoralisch verhält, mit Krankheiten und Unglück rechnen muß. Es gibt in der Ordnung der Welt einen natürlichen Zusammenhang von Tun und Ergehen, so daß es für jeden im Blick auf sein eigenes Wohlergehen vernünftig ist, sich moralisch zu verhalten. Man muß diese Gesetzmäßigkeit in der Welt nur erkennen, um zu sehen, daß es vernünftig ist, moralisch zu handeln. Die Welt selbst hält hier den Grund für die Moral bereit. – Eine andere Variante dieses Antworttyps ist die eudaimonistische Moralkonzeption (zumindest in einigen ihrer Ausformungen). Nach
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dieser Konzeption ist moralisches Handeln eine notwendige Conditio des Glücklichseins der Menschen. Dies kann jeder erkennen, der nur weiß, worin das Glück für den Menschen liegt. Da jeder glücklich sein will, hat jeder einen äußerst starken Grund, sich moralisch zu verhalten. Auch in dieser Konzeption kommen Moral und Interessen restlos überein. Man kann allenfalls fragen, ob der Grund für das Moralisch-Handeln auch offensichtlich ist. Ist es wirklich für jeden ohne Mühe erkennbar, daß das Glück für die Menschen so-und-so zu bestimmen ist und daß moralisches Handeln eine notwendige Bedingung zu seiner Erlangung ist? Oder können nur wenige Philosophen erkennen, daß es so ist? Eine weitere Variante dieses Typs ist die kontraktualistische Moraltheorie, wie sie D. Gauthier vertritt.1 Nach ihr muß jeder, der von den Vorteilen sozialer Kooperation profitieren will, sich moralisch verhalten und sich zu gewohnheitsmäßigem moralischen Handeln disponieren. Für jeden ist es vernünftig, dies zu tun, vorausgesetzt allerdings, daß die anderen dasselbe tun. Durch diese Bedingung unterscheidet sich Gauthiers Theorie von den zuvor genannten. Nach ihnen ist es unabhängig davon, was die anderen tun, vernünftig, sich moralisch zu verhalten. Was die angesprochenen Varianten dieses Antworttypus eint, ist die Annahme, man müsse sich nur bestimmte Dinge in der Welt hinreichend deutlich vor Augen bringen, um zu sehen, daß das Moralisch-Sein letzten Endes im eigenen Interesse liegt und man deshalb einen Grund hat, sich moralisch zu verhalten. Man schaut und überlegt – und erkennt dann, daß es vernünftig ist, moralisch zu handeln. Man muß die Moral nicht erst künstlich durch einen Eingriff in die Welt vernünftig machen, sie ist, so wie die Welt ist, schon vernünftig. Eine Konsequenz dieser Sicht der Dinge ist, daß diese Moralkonzeptionen kein schwerwiegendes Problem in der Motivation zur Moral sehen. Die Gründe für das Moralisch-Handeln sind vorhanden, und weil sie auf Interessen bezogen sind, entfalten sie eine motivationale Kraft. Diese Kraft ist erheblich, sie entspricht der Stärke der zugrunde liegenden Interessen, und die sind, wie wir sahen, sehr elementar und stark. Bedingung für die motivationale Wirkung der Gründe ist indes ihr Erkanntwerden. Allenfalls hieran kann es hapern. Nicht das Fehlen von Gründen, sondern nur ihre fehlende Offensichtlichkeit kann also zu Motivationsdefiziten führen.
III. Es mag überraschen, wenn ich nun Kants Moralphilosophie trotz aller Unterschiede in die Reihe der angeführten Theorien stelle. Aber auch Kant lehrt, daß es für jeden vernünftig ist, moralisch zu handeln. Moral und Vernunft kommen, so wie die Welt ist, aufs Schönste zur Deckung. Um zu erkennen, daß es so ist, braucht man nur einige – allerdings nicht ganz einfache – Überlegungen anzustellen. Dies ist die Gemeinsamkeit, auf die es mir hier ankommt. Man überlegt – und erkennt, daß es 1
Vgl. Gauthier, 1986.
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einfach vernünftig ist, moralisch zu handeln. Es ist vernünftig, den kategorischen Imperativ zu befolgen und nur nach solchen Maximen zu handeln, die, wie sich in einem Gedankenexperiment feststellen läßt, seinem Kriterium genügen. Wobei es bei Kant nicht einmal nötig ist, das Verhalten der anderen mitzuberücksichtigen. Die anderen können tun, was sie wollen; moralisch zu handeln, ist für jeden Einzelnen unabhängig von ihrem Verhalten vernünftig. Was Kant von den anderen Theorien des ersten Antworttyps unterscheidet, ist seine Sonderlehre, daß das Vernünftigsein moralischen Handelns von eigener Art ist und von dem Vernünftigsein sonstigen Handelns grundsätzlich unterschieden. Sind Handlungen gewöhnlich dadurch vernünftig, daß sie einem Interesse des Handelnden dienen, so ist das Vernünftigsein moralischen Handelns von allen Interessen abgekoppelt. Moralisch zu handeln, ist nicht relativ auf bestimmte Interessen vernünftig, es ist einfachhin, absolut vernünftig. Mit der Abkoppelung von den Interessen geht auch die Verbindung zur Motivation verloren: Weil, daß moralisches Handeln vernünftig ist, nicht bedeutet, daß es im eigenen Interesse liegt, setzt die Einsicht in die Vernünftigkeit moralischen Handelns kein Motiv frei, so zu handeln. Man kann erkennen, daß es vernünftig ist, das Moralische zu tun, ohne daß man dadurch bewegt wird, auch entsprechend zu handeln. Es ist kein Wunder, daß diese Auffassung bei Kant und seinen Nachfolgern dazu führt, daß die Frage, was zum moralischen Handeln motiviert, ein völlig verändertes Gewicht und eine vorher nicht gekannte Schlüsselstellung gewinnt. Kant bringt das sehr deutlich zum Ausdruck, wenn er nach der Vorlesungsnachschrift Moral Mrongovius sagt, daß es »der Stein des Weisen« sei, einzusehen, wie das Urteil, daß eine Handlung sittlich gut ist – was ja bedeutet, daß sie von der Vernunft unbedingt geboten ist –, eine Triebfeder werde, die zu dieser Handlung bewegt.2
IV. Ich komme jetzt zu dem zweiten Typus von Antwort auf die Frage, ob es Gründe gibt, die zum moralischen Handeln motivieren. Die Philosophen, die eine Variante dieser Antwort vertreten, weisen auf die, wie sie meinen, unabweisbare Tatsache hin, daß das, was man moralisch tun muß, und das, was die einzelnen Menschen im Blick auf ihr eigenes Wohl tun wollen, keineswegs immer auf einer Linie liegt. Und daß die Menschen deshalb keineswegs in allen Situationen einen Grund haben, moralisch zu handeln. Es gibt, so wird hier gesagt, keine in der Welt vorfindbare prästabilisierte, metaphysisch gesicherte Verbindung von moralischem VerhalKant, Moral Mrongovius (AA XXVIII, 1428). – Wie sehr die durch die partielle Dissoziation von praktischer Vernunft und Interesse bestimmte Exposition des Motivationsproblems die kantische Tradition in der Moralphilosophie geprägt hat, verdeutlichen beispielhaft J. Habermas’ Ausführungen in Faktizität und Geltung (1994, 145 f.); vgl. auch Habermas (1991, 94). 2
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ten und Wohlergehen. Moralisch Guten kann es übel ergehen und moralisch Schlechten gut. Auch ist das Moralisch-Sein nicht eine notwendige Conditio des menschlichen Glücks, schon deshalb nicht, weil es, anders als die Alten glaubten, das eine Glück für alle Menschen nicht gibt. Die Menschen erstreben Verschiedenes als ihr Glück, und es ist keineswegs ausgemacht, daß für alle Glücksformen moralisches Verhalten eine Bedingung ist. Man kann diese Position ergänzen durch die Auffassung, daß selbst da, wo moralisches Müssen und eigenes Wollen übereinkommen, oft nicht sehr klar ist, daß es so ist. Es läßt sich nur schwer erkennen, es ist mit Ungewissheiten verbunden, es erfordert relativ komplizierte Abwägungen zwischen jetzigen Nachteilen und zukünftigen mehr oder weniger wahrscheinlichen Vorteilen sowie oft ziemlich schwierige Einschätzungen des Charakters und des zukünftigen Verhaltens anderer. Also selbst da, wo Gründe für das MoralischSein existieren, kann oft nicht mit der nötigen Deutlichkeit und Sicherheit erkannt werden, daß es so ist. Deshalb muß man, so die Conclusio aus diesen Diagnosen, künstliche Gründe schaffen, die die Moral durchgängig in das Einflussfeld der Interessen manövrieren und die so offensichtlich sind, daß die Wahrscheinlichkeit, daß sie erkannt werden und infolgedessen auch zum moralischen Handeln motivieren, sehr groß ist. Einer der Philosophen, die eine Konzeption dieses zweiten Typs vertreten haben, ist John Locke. Lockes Moralkonzeption ist theonom: Gott will, daß die Menschen sich in bestimmter Weise verhalten, und er gibt ihnen deshalb entsprechende moralische Gesetze.3 Aber das, was sie gebieten, harmoniert nicht unbedingt mit den Neigungen, Interessen und dem Glücksstreben der Menschen. Es gibt also, so Lockes Befund, einen Konflikt zwischen Moral und Interessen, und es stellt sich die Frage, warum man im Konfliktfall den moralischen Gesetzen gehorchen soll. Locke geht davon aus, daß Handlungsgründe immer auf das eigene Wohl, auf eigene Neigungen und Präferenzen bezogen sind. Warum aber dann das tun, was moralisch ist? Locke formuliert hier die für die moderne Moralphilosophie zentrale Schwierigkeit, und er erneuert damit in einem anderen Kontext die Frage, mit der die Sophisten in der ersten europäischen Aufklärung die moralphilosophische Debatte eröffnet hatten. Die moralischen Forderungen stehen, wenigstens zum Teil, gegen das, was wir wollen. Wir sollen sie aber dennoch befolgen. Was kann uns bewegen, dies zu tun? So wie die Dinge liegen, gibt es keine Gründe, moralisch zu handeln. Gott muß erst, so Locke, etwas tun, um solche Gründe zu schaffen. Er muß das moralische Handeln mit Belohnungen und das Unrecht Tun mit Strafen verbinden. Der Konflikt zwischen Moral und Interesse wird also durch Sanktionen, durch künstliche bestimmten Handlungen angeheftete negative oder positive Konsequenzen gelöst. Durch diese, wie Locke meint4, erst im jenseitigen Leben fälligen Vgl. Locke (1975, I, iii, § 6, p. 69): »[…] the true ground of Morality […] can only be the Will and Law of a God, who sees Men in the dark, has in his Hand Rewards and Punishments, and Power enough to call to account the Proudest Offender.« 4 Vgl. Locke (1975, I, iii, § 12, p. 74; II, xxviii, § 8, p. 352). 3
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Sanktionen wird das moralische Handeln künstlich zu etwas gemacht, was doch im Interesse der Handelnden liegt. Gott schafft künstliche Gründe und schiebt dadurch das moralische Handeln in die Einflusszone der menschlichen Interessen. Locke hebt die Künstlichkeit der durch die Sanktionen geschaffenen Gründe hervor, wenn er sagt, eine Sanktion sei nicht »the natural product and consequence of the Action it self«.5 – Man kann Lockes Position zusammenfassend so beschreiben: Da die primitive Vorstellung, das Moralisch-Handeln ziehe natürlicherweise positive, das Unrecht-Tun negative Konsequenzen nach sich, unhaltbar ist, ersetzt er die natürlichen Konsequenzen durch künstliche, sprich: durch Sanktionen, die mit den entsprechenden Handlungen verknüpft werden.
V. Man kann diese Konzeption Lockes leicht von ihren religiösen Prämissen lösen. Nicht nur Gott kann bestimmte Handlungen mit Sanktionen verknüpfen. Auch eine Gemeinschaft von Menschen kann das. Sie kann auf bestimmte Handlungstypen mit sozialen Sanktionen: mit verschiedenen Formen sozialer Distanzierung und Ausgrenzung reagieren und sie auf diese Weise zu Handlungen machen, die nicht zu tun, alle oder fast alle einen Grund haben. Die Gemeinschaft schafft durch die Herausbildung eines solchen Systems sozialer Sanktionen künstliche Gründe dafür, moralisch zu handeln. Wer den negativen Sanktionen (um solche handelt es sich ganz überwiegend) entgehen will, muß sich vernünftigerweise moralisch verhalten. Wenn man in einer Gesellschaft eine Handlung tun muß, weil man sonst mit negativen sozialen Sanktionen rechnen muß, existiert die soziale Norm, die allen gebietet, so zu handeln. Die Moral ist also, wird sie durch soziale Sanktionen konstituiert, ein Geflecht sozialer Normen. Normen sind künstlich geschaffene soziale Phänomene. Sie haben in diesem Fall die Funktion, moralisches Verhalten und die Interessen der Menschen auch da auf eine Linie zu bringen, wo dies ohne sie nicht der Fall wäre. Sie haben weiterhin die Funktion, da, wo Moral und Interessen schon übereinkommen, den bereits bestehenden Handlungsdruck zugunsten des moralischen Verhaltens zu verstärken. Und sie haben auch die Funktion, da, wo es nicht deutlich ist, ob es vernünftig ist, moralisch zu handeln, oder wo es erst komplexer Überlegungen bedarf, um zu erkennen, daß es so ist, einen einfachen und offensichtlichen Grund für das Moralisch-Handeln zu liefern. Jeder kann leicht einsehen, daß er einen Grund hat, sich moralisch zu verhalten, wenn er andernfalls mit negativen sozialen Sanktionen rechnen muß.
Locke, 1975, II, xxviii, § 6, p. 352; vgl. hierzu auch Lockes aufschlussreiche, mit »Voluntas« überschriebene Notiz von 1693 (publiziert in Locke, 1997, 321), in der er von den »punishments and rewards« spricht, die »God has annexed to moral rectitude or pravity as proper motives to the will […].« 5
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Es ist nun wichtig, zu sehen, daß mit der Idee, eine Moral sei ein Set sozialer Normen, eine Konzeption des Moralischen entwickelt wird, die spezifisch ist für den zweiten Typus der Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis von Moral und Interessen. Normen sind menschliche Artefakte, und wenn eine Moral ein Gefüge von Normen ist, ist sie selbst ein menschliches Artefakt, eine soziale Institution, hervorgebracht, um künstliche Gründe für das Moralisch-Handeln zu kreieren. Eine solche Institution hat in den konkurrierenden Moralauffassungen des ersten Antworttyps keinen Platz. Moralische Normen im Sinne sozialer Normen gibt es in ihnen nicht. In der Vorstellung eines natürlichen Zusammenhangs von Tun und Ergehen, in eudaimonistischen Moralkonzeptionen wie auch in Gauthiers moralischem Kontraktualismus ist das moralische Handeln, wie sich im Blick auf die einschlägigen Interessen zeigt, einfach ein Segment der Handlungen, die vernünftig sind. Ganz ohne eine Institution, die durch ein spezielles soziales Arrangement künstliche Gründe für bestimmte Handlungen generiert. Wer die Moral institutionell als ein Gebilde von sozialen Normen versteht, würde deshalb meinen, daß es in all diesen Konzeptionen eine Moral eigentlich nicht gibt und es ihrer auch gar nicht bedarf. Es ist vielmehr so, daß einige Handlungen durch den direkten Bezug auf Interessen vernünftig sind, und zu ihnen gehören die, mit denen man Rücksicht auf andere nimmt und etwas zugunsten anderer tut oder unterläßt. Auch bei Kant hat die Moral keinerlei soziale Realität. Jeder überlegt für sich, wie es mit seinen Maximen bestellt ist, und handelt dann so oder so. Gesellschaftlich durch Normen generierte Gründe spielen in dieser Überlegung keine Rolle.
VI. Wenn man, wie ich es tue, eine sozial-institutionelle Konzeption der Moral in der jetzt wenigstens grob erläuterten Form für richtig hält und folglich annimmt, die für eine Moral spezifischen Gründe seien künstliche, nämlich normgenerierte Gründe, – was bedeutet das für die Frage der Motivation? Man könnte versucht sein, zu sagen: grundsätzlich nichts Besonderes. Denn normgenerierte Gründe teilen mit allen anderen praktischen Gründen das in unserem Kontext entscheidende Merkmal: Sie sind auf Interessen bezogen und besitzen deshalb ein motivationales Potential. Die Sanktionen sind negative Konsequenzen, negativ relativ auf das Wollen der Betroffenen, und deshalb hat jeder, dem Sanktionen angedroht werden, einen motivierenden Grund, die entsprechenden Handlungen zu unterlassen. Das, was einen solchen Grund und sein motivationales Potential konstituiert, sind die gleichen Elemente wie bei allen anderen praktischen Gründen. Man kann allenfalls darauf hinweisen, daß normgenerierte Gründe besonders offensichtlich sind, so daß es besonders wahrscheinlich ist, daß sie auch tatsächlich motivierend wirksam werden. – Diese Antwort ist durchaus richtig. Man muß nur festhalten, daß die motivierenden Gründe in dieser Konzeption künstliche, gewissermaßen arrangierte Gründe sind und dasselbe für die erzeugte Motivation gilt. Will man die moralische
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Motivation über das Gesagte hinaus genauer analysieren, muß man deshalb die Frage stellen, wie moralische, also informelle soziale Normen wirken. Wie beeinflussen sie das Handeln der Menschen? Zunächst ist es hilfreich, normabhängige normgemäße und normunabhängige normgemäße Handlungen zu unterscheiden. Wer geliehenes Geld zurückgibt, handelt der entsprechenden moralischen Norm gemäß. Aber er kann so handeln, weil es unter dem Gesichtspunkt der Reziprozität klug ist. Würde er das Geld nicht zurückgeben, müßte er damit rechnen, daß der andere in Zukunft genauso verfährt und so für beide nützliche Leihgeschäfte unmöglich werden. Wer so handelt, handelt normunabhängig normgemäß. Auch wenn es die moralische Norm nicht gäbe, würde er das Geld zurückgeben. Dasselbe, wenn jemand einem anderen aus Mitleid in einer Notsituation hilft. Auch er handelt normunabhängig normgemäß. Auch er würde so handeln, wie er handelt, wenn es die moralische Norm, anderen in Notsituationen zu helfen, nicht gäbe. Es gibt, wie diese und weitere mögliche Beispiele zeigen, eine Reihe von Motiven, normgemäße Handlungen zu tun, die mit der Norm nichts zu tun haben. Die Moral und ihre Normen sind in diesen Fällen überflüssig. Klugheit und Gefühl motivieren zu dem auch moralisch geforderten Verhalten. Man könnte deshalb sagen, diese Menschen handelten gar nicht moralisch. Moralisch handeln sie nur, wenn die moralische Norm bei ihrer Handlungswahl eine Rolle spielt. Andererseits handeln sie moralgemäß, sie tun das, was moralisch gefordert ist, und es ist deshalb naheliegend, hier auch – freilich in einem anderen Sinne – von moralischem Handeln zu sprechen. An den Beispielen normunabhängigen normgemäßen Handelns zeigt sich noch einmal sehr deutlich, warum wir an moralischen Normen interessiert sind und was ihre Funktion ist. Jeder ist, so hatte ich anfangs gesagt, stark daran interessiert, nicht belogen und betrogen, nicht gedemütigt und verletzt und insgesamt nicht unmoralisch behandelt zu werden. Wenn es nun so wäre, daß die anderen dies durchgängig aus Mitleid unterlassen, wäre alles gut, und es bräuchte nichts zu geschehen. Aber es ist nicht so. Nicht jeder empfindet ausreichend Mitleid, jedem gegenüber und in jeder Situation. Die Menschen unterscheiden sich hierin stark. Und wenn es so wäre, daß die anderen die Handlungen, die partout nicht passieren sollen, generell aus Klugheit unterlassen, wäre auch alles gut. Aber so ist es auch nicht. Reziprozitätsgesichtspunkte nötigen keineswegs durchgehend zu dem gewollten Verhalten. Es besteht also eine Lücke zwischen dem, was das Mitleid und die Klugheit bewirkt, und dem, was bewirkt werden soll. Und andere Motive zum normunabhängigen normgemäßen Handeln wie persönliche Sympathie, individuelle Selbstkonzepte, Glücksvorstellungen oder andere Formen von Klugheitsüberlegungen können die Lücke zwar verkleinern, aber auch nicht schließen. Sie bleibt unerträglich groß, und deshalb muß man etwas tun, um sie zu schließen. Zu diesem Zweck etabliert man moralische Normen und schafft damit zusätzliche von Mitleid und Klugheit und anderen partikularen Motiven unabhängige Gründe, die nicht nur bei einigen und in besonderen Situationen, sondern bei möglichst allen in möglichst allen Situationen motivational wirksam sind. Daß diese Gründe über-
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flüssig sind und motivational nicht wirksam werden, wenn Mitleid oder andere Gefühle oder normunabhängige Gründe dazu bewegen, das Moralische zu tun, ist nicht wichtig. Die durch die Moral generierten Gründe schaffen gewissermaßen »Reservemotive«, die zum Zuge kommen, wenn andere, voraussetzungsreichere Motive fehlen.6 Natürlich sind auch die Normen kein Allheilmittel, das wirklich in jedem einzelnen Fall sicherzustellen vermag, daß die ungewollten Handlungen nicht getan werden. Aber sie beeinflussen, wie wir sehen werden, das Verhalten der Menschen auf erstaunlich vielfältige und effektive Weise. Wie also wirken moralische Normen, welche Formen normabhängigen normgemäßen Handelns gibt es? Das ist eine empirische Frage; und ich werde mich auf einige Bemerkungen beschränken. Der klarste Fall ist gewiss gegeben, wenn Menschen moralkonform handeln, weil sie die mit der Norm verbundenen Sanktionen, also die Zurückweisung durch die anderen vermeiden möchten. Handeln sie in dieser Weise normabhängig, werden sie vermutlich in Situationen, in denen die Sanktionen sie nicht zu erreichen vermögen, so in Situationen des Unbeobachtetseins, normwidrig handeln, zumindest werden sie nicht durch die Norm motiviert, normgemäß zu handeln. Neben diesem Fall gibt es eine Reihe von derivativen Varianten, von denen ich einige nenne. So kann jemand nach einem Prozess der wiederkehrenden Antizipation des Protestes der anderen und der dadurch bewirkten Internalisierung der moralischen Norm das Moralische tun, weil er weiß, daß er ansonsten eine Zurückweisung durch sich selbst hinnehmen müßte. Er tut das Moralische, weil er sonst in einen Zwiespalt mit sich selbst geriete und ein mehr oder minder starkes Unbehagen über sein eigenes Handeln empfände. In diesem Fall dürfte die Norm auch in Situationen des Unbeobachtetseins wirken. Denn im Zuge ihrer Internalisierung stößt eine Handlung bereits auf einen inneren Widerstand, wenn andere, würden sie ihrer gewahr, negativ reagieren würden. Eine andere Variante liegt vor, wenn Menschen sich normkonform verhalten, einfach weil es eine Norm gibt und es für sie selbstverständlich ist, die geltenden Normen zu befolgen. Die Tatsache, daß eine Norm existiert, ist in diesem Fall bereits ein hinlängliches Motiv, entsprechend zu handeln. Man muß sich hier daran erinnern, daß unser Hineinwachsen in die Welt zu einem großen Teil darin besteht, Regeln und Normen, nämlich Sprach- und Verhaltensregeln, zu lernen. Wir nehmen deshalb, daß es Normen gibt und daß man ihnen folgt, zunächst einmal als etwas Unproblematisches und Selbstverständliches hin. Von dieser grundsätzlich ungebrochenen Haltung Normen gegenüber profitieren auch die moralischen Normen. Sie brauchen, wenn ihnen die Menschen in dieser Haltung begegnen, ihren harten Kern des Müssens gar nicht zur Geltung zu bringen. Eine weitere Variante liegt vor, wenn jemand von vorneherein entlang der moralischen Institutionen sozialisiert wird und sich infolgedessen moralkonform verhält, ohne überhaupt auf die Norm zu schauen und an sie zu denken. Er hat Dispositionen ausgebildet, die sein Verhalten steuern, ohne daß die moralischen Nor6
Der Ausdruck »Reservemotive« stammt von Günther Patzig; vgl. Patzig (1996, 51).
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men eine Rolle spielen. Die Normen werden hier gar nicht zu einem Gegenstand der Überlegung. Dennoch besteht eine Kausalität. Denn die Herausbildung der Dispositionen war an den Normen orientiert. Und deshalb handelt es sich hier auch um ein normabhängiges normgemäßes Handeln. Ein wichtiger Aspekt ist bislang noch unberücksichtigt geblieben: Man kann natürlich fragen, ob die moralischen Normen, die faktisch in einer Gesellschaft gelten, auch gelten sollten, oder ob sie eher nicht gelten sollten. Man kann folglich, daß es bestimmte moralische Normen gibt, gut und vernünftig finden und auch Normen als falsch und unvernünftig ablehnen. Findet man es gut, daß es eine Norm gibt, ist das in aller Regel ein starkes Motiv, entsprechend zu handeln. Hält man eine moralische Norm hingegen für ungerechtfertigt, empfindet man sie als heteronom, man fühlt sich einem ungerechtfertigten Zwang unterworfen. Das heißt freilich noch nicht, daß man keine Gründe mehr hat, sich normkonform zu verhalten. Es gibt die Sanktionen, den sozialen Druck der anderen, mit dem man rechnen muß. Daß man die Norm ablehnt, heißt auch nicht unbedingt, daß man den inneren Widerstand gegen normwidriges Verhalten zu überwinden oder ganz loszuwerden vermag. Es kann durchaus sein, daß man, auch wenn man eine Norm für ungerechtfertigt hält, bei ihrer Verletzung dennoch mit inneren Sanktionen zu kämpfen hat. Ich glaube, diese – notgedrungen recht groben – Bemerkungen zeigen hinreichend deutlich, in wie vielfältiger Weise moralische Normen wirken. Die verschiedenen Wirkungsweisen ergänzen sich und verstärken einander, so daß die künstlichen Gründe für moralisches Handeln, die durch die Herausbildung eines moralischen Normensystems entstehen, erhebliches Gewicht haben.
VII. Es ist nun die Frage, ob man eine der möglichen Haltungen zu den moralischen Normen als besonders wertvoll, als moralisch wertvoll auszeichnen soll. Ist es überhaupt wichtig, aus welchem Motiv jemand moralkonform handelt? Kant hat bekanntlich moralkonforme und moralisch wertvolle Handlungen unterschieden und die moralisch wertvollen an ein bestimmtes Motiv gebunden. Nur eine moralkonforme Handlung, die aus Pflicht und nicht aus Neigung getan werde, sei moralisch wertvoll. »Der Wert des Charakters« beginnt, so sagt Kant auch, erst da, wo jemand nicht aus Neigung, sondern aus Pflicht das Moralische tue (GMS, 398). Hilft jemand einem anderen in Not aus einem Reziprozitätskalkül oder auch aus Sympathie oder Mitleid, hat seine Handlung demnach keinen moralischen Wert. Ist es auch aus der Sicht einer sozial-institutionellen Moralkonzeption wichtig, aus welchem Motiv jemand das Moralische tut? Zwei Überlegungen sind hier meines Erachtens von Belang. Die erste ist diese: Wir wollen, daß die anderen nicht nur häufig, sondern daß sie durchgängig moralisch handeln. Wir wollen deshalb, daß sie ein Motiv zur Moral haben, das sichert,
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daß sie sich verläßlich moralisch verhalten. Nun wird der, der nur durch äußere Sanktionen zum moralischen Handeln motiviert wird und von Einzelfall zu Einzelfall überlegt, was ihm mehr nützt, der Norm zu folgen oder es nicht zu tun, nicht sehr verläßlich moralisch handeln. Er wird, wenn es für ihn von Vorteil ist, unmoralisch zu handeln, das Unrecht tun. Anders ist es, wenn man die moralischen Normen verinnerlicht hat oder grundsätzlich tut, was moralisch geboten ist, oder wenn man disponiert ist, ohne überhaupt auf die Normen zu schauen, das zu tun, was den Normen entspricht. Auch der, der den Normen folgt, weil er sie für gut und gerechtfertigt hält, wird verläßlich moralisch handeln, zumindest soweit ihm die Normen einleuchten. Die verschiedenen normgenerierten Motivationen zur Moral sind also nicht gleich gut. Wir werden deshalb auf die, die nicht so zur Moral stehen, daß sie verläßlich moralisch handeln, mit Zurückweisung, Tadel, sozialer Ablehnung und Ausgrenzung reagieren. Wir sanktionieren also nicht nur einzelne Handlungen, sondern auch die Haltung zur Moral, wir tadeln nicht nur, was jemand tut, sondern auch, wie jemand ist. Dieser – sekundären – Sanktionierung sind freilich enge Grenzen gesetzt.7 Wir kennen viele Menschen, mit denen wir zu tun haben, nicht gut genug, um zu wissen, wie ihre Haltung zur Moral genau ist. Dispositionen sind epistemisch schlecht zugänglich, und man muß Menschen gut kennen, um zu wissen, welchen Charakter sie haben. Die sekundäre Sanktionierung ist deshalb nur selten möglich, aber selten ist häufiger als nie. Aus dem Gesagten geht hervor, daß es nicht nur ein Motiv gibt, das verläßliches moralisches Handeln bewirkt. Es gibt mehrere normabhängige Motive, die dies tun. Und welches davon dann faktisch motiviert, kann uns, so scheint es, gleichgültig sein. Wir sind an der Funktion interessiert, die das Motiv erfüllt, und jedes Motiv, das die Funktion erfüllt, ist uns recht.8 Man kann überlegen, ob auch Motive, die normunabhängig sind, also ein Motiv wie allgemeine Menschenliebe, bei einzelnen Personen zu verläßlichem moralkonformen Handeln führen. Wenn es so ist, ist es uns willkommen. Man muß hier grundsätzlich sagen, daß unser Interesse darauf geht, daß es möglichst für jeden in möglichst allen Situationen ein Motiv gibt, moralisch zu handeln. Ob jemand dann aus diesem oder aus einem anderen Motiv das Moralische tut, kann uns hingegen zumindest unter moralischen Gesichtspunkten gleichgültig sein. Ob jemand angesichts oder infolge der moralischen Normen oder, ganz unabhängig von den normgenerierten Gründen, aus Sympathie, Menschenliebe oder aufgrund einer bestimmten Glücksvorstellung das Moralische tut, – die Hauptsache ist, daß er moralisch handelt. Das ist es, worauf es ankommt. Das Ziel der Moral ist, so meine ich, daß bestimmte Handlungen, von denen alle wollen, daß sie getan werden, tatsächlich getan werden, und daß bestimmte andere Handlungen, von denen alle wollen, daß sie auf keinen Fall getan werden, tatsächlich Vgl. hierzu eingehender Stemmer (2000, 187 f.). Das funktionale Argument spielt auch bei Kant eine Rolle: Wer nicht aus Pflicht, sondern aus einer Neigung moralisch handelt, tut das Moralische, so sagt Kant, nur »zufällig« und »glücklicherweise«. Siehe GMS ( 390, Z. 6, 7 f.; 398, Z. 16; 411, Z. 5 f.). 7 8
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nicht getan werden. Das Ziel der Moral ist nicht, wie Kant meinte 9, die Menschen zu bessern. Sie zielt deshalb nicht auf die Gesinnungen der Menschen, sondern auf das, was sie tun. Das Ziel, nicht nur die Handlungen der Menschen zu verändern, sondern auch ihren innersten Charakter, ist zu hochgesteckt, es ist illusionär, und es scheint, um das Zusammenleben erträglich zu machen, auch nicht nötig zu sein. Es ist wichtig, noch einen Moment bei der Frage zu bleiben, ob die verschiedenen Einstellungen, die verläßlich zum moralischen Handeln motivieren, wirklich moralisch gleichwertig sind. Es scheint, als sei der Unterschied zwischen einem konformistischen und einem kritischen Verhältnis zu den moralischen Nomen nicht hinreichend bedacht. Mir ist jemand, der eine kritische Haltung zu den geltenden Normen hat und überlegt, ob sie gerechtfertig sind und gelten sollten, lieber als jemand, der zwar sehr verläßlich, aber doch nur konformistisch das tut, was moralisch gefordert ist. Man kann sagen, das sei eine Präferenz, die aus der Schätzung selbständigen Urteilens, eigener Reflexion und selbstbestimmter Lebensformen resultiere, die aber moralisch nicht relevant sei. Denn beide handeln ja durchgängig moralisch. Doch diese Einschätzung ist voreilig. Angenommen in einer faktisch geltenden Moral wird eine Gruppe benachteiligt; ihr werden moralische Rechte vorenthalten, die alle anderen haben. In einer solchen Moral würde der, der nur konformistisch den geltenden moralischen Normen folgt, zwar das tun, was als moralisch gilt, aber er würde damit selber benachteiligen und etwas tun, was moralisch verboten sein sollte, es aber nicht ist. Während der, der eine kritische Haltung hat, die Benachteiligung vielleicht als ungerechtfertigt erkennen und sich dementsprechend verhalten würde. Dies zeigt, daß der Unterschied zwischen kritischer und konformistischer Haltung keineswegs moralisch bedeutungslos ist. Und dies ist auch der Grund dafür, daß wir die kritische Einstellung zu den moralischen Normen und das Moralisch-Handeln, weil man die Normen, denen man folgt, gut und gerechtfertigt findet, den konformistischen Einstellungen vorziehen. Uns ist also doch, so scheint es, – und zwar aus funktionalen Gründen – ein bestimmtes Motiv zur Moral besonders willkommen. – Soweit die erste Überlegung. Die zweite Überlegung weist darauf hin, daß wir uns auch jenseits ihrer funktionalen Bedeutung für das Tun des moralisch Geforderten für die Motivation zur Moral interessieren. Nehmen wir an, eines der normabhängigen Motive stellt sicher, daß eine bestimmte Person verläßlich moralisch handelt. Und eine andere Person tut das moralisch Geforderte ganz unabhängig von den moralischen Normen und ihren unmittelbaren und mittelbaren Wirkungen, einfach weil sie ein Mensch ist, Vgl. Kant , Handschriftlicher Nachlaß, Refl. 6722: »Man muß aber auch, anstatt die triebfeder der Sittlichkeit zu verstarken und die der Sinnlichkeit zu schwächen, die letztere nicht mit der ersten aliiren, weil man dadurch wohl die Handlungen des Menschen, aber nicht den Menschen bessert.« (AA XIX, 141) – Vgl. auch Moral Mrongovius: »Es kommt nicht darauf an, daß die Handlung geschehe, sondern aus was für einer Quelle sie geschehen ist.« (AA XXVIII, 1448) 9
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der anderen hilft und der anderen nichts antut. Nicht, weil man es nicht darf, sondern weil sie so ist, weil sie Anteil nimmt, mitfühlt, sich in den anderen hineinversetzt und sich mit ihm verbunden fühlt. Was das moralische Handeln angeht, ist der Unterschied zwischen den Personen irrelevant. Beide handeln durchgängig moralisch. Deshalb wäre es auch unpassend, zu sagen, die Handlungen der einen Person seien moralisch wertvoll, die der anderen hingegen nicht. Dennoch nehme ich an, daß uns die zweite Person lieber ist und daß wir sie höher schätzen als die erste. Warum? Ein Grund dürfte sein, daß eine Person dieser Art auch jenseits des moralisch Geforderten zugunsten anderer handeln würde. Wir können von ihr erwarten, daß sie mehr für andere tut, als moralisch gefordert ist. Ein anderer, vielleicht sogar stärkerer Grund ist der, daß ihre Haltung einem weithin geteilten Ideal einer besseren Welt entspricht. Einer Welt, in der die Liebe zu den Menschen und nicht das Müssen der Moral das Handeln anderen gegenüber bestimmt. Einer Welt also, in der die Institution der Moral überflüssig ist, weil alle aus Liebe, Anteilnahme und altruistischer Gesinnung das Gute tun. Nun wird häufig gesagt, die allgemeine Menschenliebe, die unmittelbare Anteilnahme am Ergehen der anderen sei das eigentlich moralische Motiv. Nur wer unmittelbar Anteil am Los der anderen nimmt, handelt deshalb im eigentlichen Sinne moralisch. Es ist klar, daß diese Sicht der Dinge nicht zu einer Moralauffassung, wie ich sie hier skizziert habe, passt. Denn wer auf diese Weise handelt, handelt normunabhängig normgemäß. Er würde genauso handeln, wenn es die moralischen Normen nicht gäbe. Für ihn ist die Hilfskonstruktion der Moral überflüssig, er handelt auch ohne sie wie allgemein gewollt. Wenn es so ist, kann man seine Motivation nicht die spezifisch moralische nennen. Spezifisch moralisch ist vielmehr die normabhängige Motivation.
Siglen AA Immanuel Kant: Gesammelte Schriften (= Akademie-Ausgabe), Berlin 1900 ff. GMS Immanuel Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, in: AA IV.
Literatur Gauthier, David (1986): Morals by Agreement, Oxford. Habermas, Jürgen (1991): Erläuterungen zur Diskursethik, Frankfurt. Habermas, Jürgen (1994): Faktizität und Geltung, 4. Aufl., Frankfurt. Kant, Immanuel (1968): Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, in: Gesammelte Schriften, Bd. 4, hrsg. Preussische Akademie der Wissenschaften, Berlin (Nachdruck der Ausgabe 1903). Kant, Immanuel (1934): Handschriftlicher Nachlaß, in: Gesammelte Schriften, Bd. 19, hrsg. Preussische Akademie der Wissenschaften, Berlin/Leipzig.
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Kant, Immanuel (1979): Moral Mrongovius (Nachschrift), in: Gesammelte Schriften, Bd. 28. 2, 2, hrsg. Akademie der Wissenschaften der DDR, Berlin. Locke, John (1975): An Essay Concerning Human Understanding, ed. P. H. Nidditch, Oxford. Locke, John (1997): Political Essays, ed. M. Goldie, Cambridge. Patzig, Günther (1996): »Moralische Motivation«, in: Patzig, Günther / Birnbacher, Dieter / Zimmerli, Walter Ch. (Hrsg.): Die Rationalität der Moral, Bamberg, 39– 55. Stemmer, Peter (2000): Handeln zugunsten anderer, Berlin / New York.
Die Autoren Karl Ameriks ist McMahon-Hank Chair of Philosophy an der University of Notre Dame. Forschungsschwerpunkte: Geschichte der Philosophie, Metaphysik, Zeitgenössische Europäische Philosophie. Veröffentlichungen: Kant’s Theory of Mind (2nd ed., Oxford, 2000); Kant and the Fate of Autonomy (Cambridge, 2000), Interpreting Kant’s Critiques (Oxford, 2003); The Modern Subject, ed. K. Ameriks and D. Sturma (Albany, 1995); The Cambridge Companion to German Idealism, ed. K. Ameriks (Cambridge, 2000); Lectures on Metaphysics / Immanuel Kant, ed. and tr. K. Ameriks and S. Naragon (Cambridge: Cambridge Univ. Press, 1997). Marcia Baron ist Rudy Professor of Philosophy an der Indiana University (Bloomington, Indiana). Veröffentlichungen: Kantian Ethics Almost without Apology (Cornell, 1995); Three Methods of Ethics (Blackwell, 1997; mit Philip Pettit and Michael Slote). Außerdem zahlreiche Artikel zu diversen Themen der Ethik und Rechtsphilosophie, bes. zur Freundschaft und Unparteilichkeit, Patriotismus, Rechtfertigung und Entschuldigung, sexuelle Zustimmung und Manipulation. Reinhard Brandt war bis zum Jahre 2002 Professor für Philosophie an der PhilippsUniversität Marburg; zahlreiche Gastprofessuren, u. a. in Bloomington, Canberra, Caracas, Padua, Rom, München; Christian Wolff Professur in Halle; Miglied der Wissenschaftlichen Gesellschaft an der Universität Frankfurt, korr. Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen; Fellow am Wissenschaftskolleg Berlin 2005. Buchveröffentlichungen u. a.: Eigentumstheorien von Grotius bis Kant (1974); Die Interpretation philosophischer Werke (1984); D’Artagnan und die Urteilstafel. Über ein Ordnungsprinzip der europäischen Kulturgeschichte (1, 2, 3/4) (2. Aufl. 1999); Kritischer Kommentar zu Kants Anthropologie (1999); Philosophie in Bildern. Von Giorgione bis Magritte (2. Aufl. 2001); Universität zwischen Selbst- und Fremdbestimmung. Kants Streit der Fakultäten (2003); Arkadien in Kunst, Philosophie und Dichtung (2005). Zahlreiche Textausgaben (Longinos, Pseudo-Mayne, David Hume, Kant), Aufsätze und Sammelbände. Uta Eichler ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Philosophie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Forschungsschwerpunkte: Ethik, philosophische Anthropologie, Existenzphilosophie. Publikationen: Hrsg. zu Kierkegaard, u. a. Der Begriff Angst und Die Krankheit zum Tode. Aufsätze in Sammelbänden und Zeitschriften zu den Forschungsschwerpunkten.
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Die Autoren
Stefan Gosepath ist Professor für Praktische Philosophie an der Justus-Liebig-Universität Giessen. Zu seinen Veröffentlichungen gehören u. a.: Aufgeklärtes Eigeninteresse. Eine Theorie theoretischer und praktischer Rationalität (Suhrkamp 1992); Gleiche Gerechtigkeit. Grundlagen eines liberalen Egalitarismus (Suhrkamp 2004); Hrsg. von: Motive, Gründe, Zwecke. Theorien praktischer Rationalität (Fischer 1999); Mithrsg. von: Philosophie der Menschenrechte (Suhrkamp 1998, 3. Auflage 2002); Mithrsg. von: Weltrepublik. Demokratie und Globalisierung (Beck 2002). Diverse Aufsätze zur praktischen Vernunft, zu Gerechtigkeit und Gleichheit, zu Menschenrechten und globaler Gerechtigkeit. John Hare ist Noah Porter Professor of Philosophical Theology an der Yale Divinity School. Zu seinen Veröffentlichungen gehören u.a: The Moral Gap (Oxford, 1996); God’s Call (Eerdmans, 2001); Why Bother Being Good? (InterVarsity, 2002); zahlreiche Aufsätze zu Kant sowie zur Moralphilosophie und Religionsphilosophie. Patrick Kain ist Assistant Professor of Philosophy an der Purdue University. Veröffentlichungen: Übersetzer und Mitherausgeber von Essays on Kant’s Anthropology (Cambridge University Press, 2003), Aufsätze zu Kants Moralphilosophie in Archiv für Geschichte der Philosophie und Kantian Review. Heiner F. Klemme ist Professor für Philosophie an der Bergischen Universität Wuppertal. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Praktische Philosophie, Kant und die Geschichte der neuzeitlichen Philosophie. Buchpublikationen: Kants Philosophie des Subjekts (Hamburg 1996); Immanuel Kant zur Einführung (Hamburg 2004). Herausgeber: Kant, Über den Gemeinspruch – Zum ewigen Frieden (Hamburg 1992); Die Schule Immanuel Kants (Hamburg, 1994); Kant, Kritik der Urteilskraft (Hamburg 2001, 22006); Reception of the Scottish Enlightenment in Germany (Bristol 2000). Mitherausgeber (Auswahl): David Hume in Deutschland (Marburg 1989); Kant, Kritik der praktischen Vernunft (Hamburg, 2003); Aufklärung und Interpretation (Würzburg 1999); The Reception of British Aesthetics in Germany (Bristol 2001); Im Schatten des Schönen. Die Ästhetik des Häßlichen in historischen Ansätzen und systematischen Debatten (Bielefeld 2006); Reihe: Studien und Materialien zur Geschichte der Philosophie (Hildesheim, Zürich, New York, seit 2005). Manfred Kühn ist Professor für Philosophy an der Boston University (seit 2004). Er war außerdem Professor an der Purdue University und an der Philipps-Universität Marburg. Veröffentlichungen: Scottish Common Sense in Germany (Montreal/ Kingston, 1987); Kant, A Biography (Cambridge 2001). Außerdem zahlreiche Aufsätze zu Hume, Kant, Reid und der Aufklärungsphilosophie sowie Editionen und Übersetzungen aus dem Deutschen in das Amerikanische und aus dem Englischen in das Deutsche.
Die Autoren
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Wolfgang Kuhlmann ist Prof. em. für Philosophie an der RWTH Aachen. Forschungsschwerpunkte: Transzendentalpragmatik; Diskursethik; Hermeneutik; das Verhältnis von Natur- und Geisteswissenschaften. Veröffentlichungen: Reflexion und kommunikative Erfahrung (Frankfurt am Main, 1975); Untersuchungen zur Transzendentalpragmatik (Freiburg/München, 1985); Kant und die Transzendentalpragmatik (Würzburg, 1992); Sprachphilosophie, Hermeneutik, Ethik. Studien zur Transzendentalpragmatik (Würzburg, 1992). Herausgeber von: Kommunikation und Reflexion (Frankfurt/M.,1982, zus. mit D. Böhler); Moralität und Sittlichkeit (Frankfurt/M., 1986); Schriftenreihe des Forums für Philosophie Bad Homburg (Frankfurt/ M. und Würzburg 1987–1993); Transzendentalpragmatik: Ein Symposion für KarlOtto Apel (Frankfurt/M., 1993, zus. mit A. Dorschel, M. Kettner, M. Niquet); Reihe: Ethik und Wirtschaft im Dialog (Münster 1994 ff, zus. mit D. Böhler u. a.); Anknüpfen an Kant. Konzeption der Transzendentalphilosophie (Würzburg 2001). Robert B. Louden ist Professor of Philosophy an der University of Southern Maine. Veröffentlichungen: Kant’s Impure Ethics: From Rational Beings to Human Beings (2000); Morality and Moral Theory: A Reappraisal and Reaffirmation (1992); Herausgeber von Friedrich Schleiermacher, Lectures on Philosophical Ethics (2002); Mitherausgeber von The Greeks and Us (1996) sowie Mitherausgeber und Übersetzer von zwei Bänden der Cambridge Edition of the Works of Immanuel Kant. Gertrud Nunner-Winkler ist Professorin und Leiterin der Arbeitsgruppe ›Moralforschung‹ am Max-Planck-Institut Kognitions- und Neurowissenschaften (ehem. Psychologische Forschung) München. Forschungsschwerpunkte: Moralische Motivation; Wandel im Moralverständnis; Identität; Geschlechtsrollen. Publikationen zuletzt: Ethik der freiwilligen Selbstbindung, in: Erwägen Wissen Ethik (EWE), 14(4), 579–589; Sociohistoric Changes in the Structure of Moral Motivation, in: D. K. Lapsley & D. Narvaez (Eds.), Moral Development, Self, and Identity (pp. 299–333). Mahwah NJ: Lawrence Erlbaum Ass.; Moralische Differenz oder geteilte Werte? Empirische Befunde zur Gleichheits-/Differenz-Debatte (mit Nikele, M.), in B. Heintz (Ed.), Geschlechtersoziologie (Vol. Sonderband 41/Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, pp. 108–135). Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. Konstantin Pollok ist wiss. Assistent am Institut für Philosophie der Philipps-Universität Marburg; Internationaler Kant-Förderpreis 2004 der ZEIT-Stiftung; Veröffentlichungen: Kants »Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft«. Ein Kritischer Kommentar (Hamburg 2001); (Hrsg.) Locke in Germany: Early German Translations of John Locke, 1709–61 (Bristol 2004); (Hrsg.): Immanuel Kant. Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können (Hamburg 2001); (Hrsg.): Immanuel Kant. Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, (Hamburg 1997); diverse Aufsätze, Lexikonartikel und Rezensionen v. a. zu Kant und der Aufklärungszeit, Wittgenstein und modernen Theorien praktischer Rationalität.
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Die Autoren
Frederick Rauscher ist Associate Professor of Philosophy an der Michigan State University. Mitherausgeber von: Kant’s Notes and Fragments (Cambridge, 2005) sowie Kant’s Lectures and Drafts on Political Philosophy (Cambridge, in preparation); Evolutionary Psychology: Alternative Approaches (New York: Kluwer Press, 2003, mit Steven Scher); zahlreiche Aufsätze zu Kant und zur Moralphilo-’ sophie. Paul Russell ist Professor für Philosophie an der University of British Columbia, wo er seit 1987 unterrichtet. Er war außerdem Visiting Professor an den Universitäten Virginia, Stanford und Pittsburgh sowie Kenan Distinguished Visitor an der University of North Carolina at Chapel Hill. Forschungsschwerpunkte: Willensfreiheit und die Geschichte der neuzeitlichen Philosophie (bes. Hume). Veröffentlichungen: Freedom and Moral Sentiment: Hume’s Way of Naturalizing Responsibility (Oxford University Press, 1995) und The Riddle of Hume’s Treatise (Oxford University Press: forthcoming) sowie zahlreiche Aufsätze. Dieter Schönecker ist Professor für Praktische Philosophie an der Universität Siegen. Forschungsschwerpunkte: Kants Ethik, Allgemeine Ethik, Medizinethik, Hermeneutik, Erkenntnistheorie. Veröffentlichungen: Selbst philosophieren (Stuttgart 2006, mit Gregor Damschen); Kants Begriff transzendentaler und praktischer Freiheit. Eine entwicklungsgeschichtliche Studie (Berlin 2005, unter Mitarbeit von Stefanie Buchenau und Desmond Hogan); Immanuel Kant: ›Grundlegung zur Metaphysik der Sitten‹. Ein einführender Kommentar (Paderborn 22004, mit Allen W. Wood); Kant: Grundlegung III. Die Deduktion des kategorischen Imperativs (Freiburg/München 1999); Mitherausgeber von: Kant’s Groundwork for the Metaphysics of Morals. New Interpretations (Berlin 2006, unter Mitarbeit von Corinna Mieth); Internationales Jahrbuch des Deutschen Idealismus / International Yearbook of German Idealism (Berlin 2003–2005); Der moralische Status menschlicher Embryonen. Argumente pro und contra Spezies-, Kontinuums-, Identitäts- und Potentialitätsargument (Berlin 2003, mit Gregor Damschen); Einführungen Philosophie, 15 Bände, Darmstadt, 2002 ff., mit Niko Strobach); Kant verstehen/Understanding Kant. Über die Interpretation philosophischer Texte (Darmstadt 22004, mit Thomas Zwenger); Immanuel Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Neu herausgegeben und eingeleitet von Bernd Kraft und Dieter Schönecker (Hamburg 1999). Zahlreiche Aufsätze und Rezensionen in Zeitschriften und Lexika. Peter Stemmer ist Professor für Philosophie an der Universität Konstanz. Wichtigste Veröffentlichungen: Platons Dialektik (Berlin 1992); Handeln zugunsten anderer (Berlin 2000).
Personenregister* Bei den Angaben wird zwischen Nennungen im Haupttext und in den Fußnoten unterschieden. Erfolgen die Nennungen nur in den Fußnoten und nicht auch im Haupttext, so ist die jeweilige Seitenzahl kursiv dargestellt. Achenwall, Gottfried 114, 117, 118, 120 Adams, Robert M. 9, 308, 324 Alexander, Richard 282 Allison, Henry E. 19, 25, 64, 104, 105, 204 Ameriks, Karl X, 3, 4, 15, 17–19, 75, 132 Andreoni, James 169 Anscombe, G. E. M. 90 Apel, Karl-Otto 113, 142, 222 Aquin, Thomas von 166 Arendt, Hannah 232, 246 Aristoteles 16, 40, 55, 85, 88, 118, 166, 172, 221 Asendorpf, Jonas B. 178 Audi, Robert 3, 9, 307– 309, 320 Augustinus 16 Baasner, Frank 240 Baier, Kurt 63, 81, 145 Baldwin, J. 3 Balguy, John 116 Baron, Marcia X, XI, 3, 12, 23, 24, 28, 32, 35, 36, 65, 86, 87, 117, 179 Batson, C. Daniel 170, 171 Baumgarten, Alexander Gottlieb 47, 120–122
Bayertz, Kurt 300, 302, 303, 313, 317, 324 Beck, Lewis White 132, 199, 200, 202 Berlin, Isaiha 166 Bittner, Rüdiger 207, 300, 316 Blackburn, Simon X, 3, 5 Block, Jack 182 Bondeli, Martin 48 Borges, Maria 85 Boyd, Richard N. 60, 260 Boyle, Joseph 320 Brandt, Reinhard XI, 39, 46, 50, 51, 141, 147, 199, 204, 209 Brink, David O. 9, 14, 17, 259, 260, 309 Brower, Jeff 75 Brown, Don 287 Brown, Justin 36 Buck, Günther 237 Butler, Joseph 138, 145 Casas, Vincente Durán 44 Cassirer, Ernst 239, 240 Clarke, Samuel 116, 287 Cohen, Hermann 128 Collins, Georg Ludwig 81 Cramer, Konrad 207 Crisp, Roger 80, 84, 90
Crusius, Christian August XII, 114, 119, 120, 121, 133, 137, 148, 281 Cullity, Garrett 62 Damschen, Gregor 318, 324 Dancy, Jonathan 143, 259, 301 Dante Alighieri 52 Darwall, Stephen L. 9, 60, 61, 68, 79, 116, 264 Davidson, Donald 156, 259 Dawkins, Richard 170, 282 Denis, Lara 81, 83 Derrida, Jacques 244 Descartes, René 40, 116 Dierksmeier, Claus 324 Donagan, Alan 75 Dreier, James 265, 266 Dryden, John 275 Dunn, J. Michael 66 Eichler, Uta XIV, XV, 231 Eisenberg, Nancy 171 Elias, Norbert 173 Engstrom, Stephen 87, 88 Esfeld, Michael 307 Euklid 39 Eysenck, Hans J. 169 Falk, W. D. IX, 142, 143, 259 Fetscher, Iring 237, 240
Die Herausgeber danken Frank Brosow (Wuppertal) für die Erstellung des Personenregisters. *
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Finnis, John 305, 317, 320 Finster, Reinhard 119 Fleischer, Margot 50 Fontius, Martin 240 Foot, Philippa IX, X, 3 Forschner, Maximilian 125, 134 Forst, Rainer 139, 199, 217, 302 Francescotti, Robert 66, 72 Frank, Robert H. 314 Frankena, William K. IX, 259, 262, 307, 316 Frankfurt, Harry G. 174 Freud, Anna 170 Freud, Sigmund 169, 172, 174 Fried, Charles 141 Frierson, Patrick R. 3, 83 Fromm, Erich 173 Garve, Christian 121, 134, 207 Gaut, Berys 61, 62, 67, 68, 70 Gauthier, David 307, 331, 335 Gensler, Harry J. 306 George, Robert P. 308, 321 Geppert, Ulrich 181 Gerhardt, Volker 147 Gert, Bernhard 186 Gert, Joshua 63 Gibbard, Allen 12 Giordanetti, Piero 200, 206 Gomez-Lobo, Alfonso 306 Gosepath, Stefan XV, XVI, 118, 255, 263, 264, 309, 313, 314, 324 Gottschalk-Mazouz, Niels 193, 196, 210 Gregor, Mary 72 Grice, H. Paul 262 Grisez, German 320 Groethuysen, Bernhard 232–235, 243, 248, 249 Günther, Klaus 196
Personenregister
Guyer, Paul 15, 79, 145 Habermas, Jürgen XIV, 42, 113, 137–139, 141, 144, 160, 193–198, 207, 209–211, 213–224, 270, 332 Hallich, Oliver 243, 250 Hamburger, Käte 235, 243, 244, 249 Hampton, Jean E. 264 Han, Gwakhee 36 Hare, John E. XVI, 10, 15, 17, 275, 281, 282, 308, 317 Hare, R. M. 79, 279, 280 Hart, H. L. A. 256, 261 Hascher, Tina 180 Heckhausen, Heinz 181 Hegselmann, Rainer 311 Heineccius, Johann Gottlieb 120 Henrich, Dieter 15, 48, 199, 202 Henson, Richard 8 Herman, Barbara 59, 69, 79, 117 Herz, Marcus 202 Herzog, Walter 169, 174 Heuer, Ulrike 118 Hill, Thomas E., Jr. 32 Hitler, Adolf 280 Hobbes, Thomas 54, 55, 116, 127, 128, 147, 292, 307 Hoerster, Norbert 313 Höffe, Otfried 69, 113, 141, 147, 166 Hoffman, Martin L. 170 Hölderlin, Friedrich 163 Honneth, Axel 205 Horn, Christoph 166 Hösle, Vittorio 308 Hume, David XII, 40, 91, 114, 116, 117, 118, 119, 125, 133, 232, 233, 234,
248, 262, 263, 287–289, 295, 314, 322 Hunt, Morton 170 Hurka, Thomas 300, 308 Hursthouse, Rosalind 80, 84 Hutcheson, Francis XII, 114, 116–119, 121, 127, 133 Illies, Christian F. R. 305, 317 Jackson, Frank 323 Jacobs, Brian 3 Johnson, Robert N. 88, 89 Joy, L. 3 Kain, Patrick XI, 3, 59, 61, 73, 109, 269, 279 Kelleher, James 287 Kellner, Lorenz 187 Kerstein, Samuel 62, 67, 68, 70, 307, 323, 324 Keul, Hans-Klaus 199, 216 Klemme, Heiner F. XII, XIII, XVIII, 39, 80, 113, 114, 121, 122, 124, 131, 133, 136, 142, 197 Köhl, Harald 132, 168, 199, 203, 204, 212, 250 Kohlberg, Lawrence X, 113, 176, 181, 197, 210 Kohut, Heinz 169 Konhardt, Klaus 199 Korsgaard, Christine M. IX, XI, XVI, 4, 60–62, 63, 64, 65, 67–71, 72–74, 88, 113, 142, 145, 260, 262, 264, 269, 287–296, 301, 302, 306, 307, 316, 318 Krasnoff, Larry 59, 60 Krebs, Angelika 306 Krebs, Dennis 170 Kronauer, Ulrich 239, 246 Kuhlmann, Wolfgang XIII, 155, 157
Personenregister
Kühn, Manfred XVIII, 79, 80, 207 Kutschera, Franz von 318, 320, 323 Lambert, Johann Heinrich 46 Langton, Rae 66 Larmore, Charles 17 Lauener, Henri 199, 200, 206 Lawrence, Gavin 267 Lee, Jaeho 36 Lee, Minh-Huei 200, 202 Leibniz, Gottfried Wilhelm 52, 115, 116, 146 Leist, Anton 202, 246, 306, 324 Lessing, Gotthold Ephraim 239 Lewis, David 66, 67, 71 Locke, John 40, 53, 333, 334 Lohmann, Georg 139 Lonergan, Bernard 320 Lotze, Werner 186 Louden, Robert B. XI, 79, 80, 83, 90, 195 Löwith, Karl 231 Luther, Martin 166, 174, 281 Machiavelli, Niccolò 166 Mackie, John Leslie X, 3, 6, 142, 306, 311, 316– 318, 321, 322 Mandeville, Bernard de 54, 55, 116, 170 Manucia, Gloria K. 170 Marquard, Odo 177 Mayer, Verena 202 McAleer, Sean 80 McCarty, Richard 132, 204 McDowell, John IX, X, 3, 323 Meier, Heinrich 237 Mendelssohn, Moses 239
Mill, John Stuart 80, 81, 261 Milo, Ronald 60 Misgeld, D. 202 Montada, Leo 177 Moore, George Edward 17, 71, 305, 306, 308, 316 Munzel, G. Felicitas 88 Nagel, Thomas IX, 13, 267, 312, 318 Newton, Isaac 39, 49 Nida-Rümelin, Julian 316 Nietzsche, Friedrich 89, 249, 250, 278 Nikele, Marion 185, 186 Nucci, Larry P. 176 Nunner-Winkler, Gertrud XIII, 113, 165, 177, 178, 182, 183, 185, 186, 187, 202, 210 Nussbaum, Martha C. 85, 90, 167, 231, 245, 306, 322 Oakley, Justin 80, 90 Oberparleiter-Lorke, Elke 241 Oliner, Pearl 171 Oliner, Samuel P. 171 O’Neill, Onora 4, 59, 60, 89, 91, 113, 199, 208 Oser, Fritz 182 Ossa, Miriam 319 Ott, Konrad 134 Parfit, Derek 306, 309 Parsons, Talcott 172–174 Paton, Margaret 81, 82 Patzig, Günther 132, 166, 337 Pettit, Philip 23 Pfannkuche, Walter 313 Piaget, Jean X Pinker, Steven 306
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Pitcher, George 322 Plamenatz, John 238 Platon 45, 46, 52, 55, 142, 146, 165, 166, 329 Pollok, Konstantin XIV, 92, 193, 217 Potter, Nelson 81, 82 Prichard, H. A. IX, 117, 121, 142, 299, 305 Pufendorf, Samuel von 117, 119, 120 Pütter, Johann Stephan 114, 117, 118, 120 Pythagoras 39 Quinn, Warren 264 Rauscher, Frederick XII, 97, 109, 145 Rawls, John 17, 59, 79, 86, 113, 138, 139, 142, 145, 185, 255, 307, 312 Raz, Joseph 258 Reath, Andrews 19, 59, 81, 82 Rehberg, August Wilhelm 206 Reichenbach, Roland 182 Reicher, Maria E. 307, 324 Reiner, Hans 201 Reuband, Karl-Heinz 187 Richards, Janet 282 Richter, Jürgen 233 Ricken, Friedo 202 Ringkamp, Daniela 324 Rippe, Klaus Peter 80 Rorty, Richard 278 Rosenhan, David L. 170 Ross, William D. 117, 121 Rousseau, Jean-Jacques XV, 52, 143, 232, 235– 242, 244–246, 248 Russell, Paul XVI, 287, 302, 311, 322 Rutschky, Katharina 187 Sala, Giovanni B. 122
350
Sayre-McCord, Geoffrey 60, 305 Scanlon, Thomas M. 13, 63, 307, 316 Scarano, Nico 132, 166, 200, 206, 260, 261, 263 Schaber, Peter 80, 260, 309, 317, 323 Schaller, Walter 28 Scheler, Max 232–235, 242, 247–249 Schiller, Friedrich 20, 23, 85, 201, 218, 233 Schmid, C. C. 8 Schmitz, Hermann 125 Schneewind, J. B. 61, 70, 84, 116, 119 Schneider, Hans-Julius 264 Schneider, Wolfgang 175 Schönecker, Dieter XVII, XVIII, 36, 299, 318, 319 Schönecker, Richarde J. 324 Schopenhauer, Arthur 80, 81, 167, 171, 238, 242– 245, 250 Schrader, Wolfgang H. 116 Schröer, Christian 41, 42 Schulz, Eberhard Günter 207 Schwaiger, Clemens 122 Seneca, Lucius Annaeus 232 Seymour, Melissa 27, 32, 36 Shafer-Landau, Russ 60, 304, 312, 317, 318, 322 Shaftesbury, Lord (A. A. Cooper) 116, 234, 239, 241 Sherman, Nancy 87 Sidgwick, Henry 15, 80, 81, 138, 142, 145, 308 Silber, John R. 86
Personenregister
Singer, Marcus George 80, 81 Skinner, Burrhus Frederic 169 Slote, Michael 23, 80, 84, 90 Smit, Houston 64, 74, 75, 267 Smith, Adam 116, 117, 118, 139, 231, 232, 234, 239 Smith, Michael 5, 6, 9, 10, 14, 259, 260, 262, 266, 304, 321 Sodian, Beate 177 Solomon, David 75 Solomon, Robert C. 177 Spaemann, Robert 113 Spener, Philipp Jacob 281, 282 Spinoza, Baruch de XVI, 134, 232, 278, 279 Stark, Werner 81, 124 Starobinski, Jean 244 Steigleder, Klaus 132, 199, 202 Steinvorth, Ulrich 308 Stemmer, Peter XVII, XVIII, 314, 329, 339 Stohr, Karen E. 87 Stratton-Lake, Philip 62, 63, 69 Strawson, Peter F. 139, 145 Strayer, Janet 171 Strobach, Niko 324 Stuchlik, J. 3 Sturma, Dieter 3 Svavarsdóttir, Sigrún 9 Swanton, Christine 79, 84 Tacelli, Ronald 324 Taylor, Gabriele 180 Timmermann, Jens 132, 204 Tropman, Elizabeth 36 Tugendhat, Ernst 113, 139,
144, 185, 194, 195, 231, 232, 256, 268 Turiel, Elliot 176 Vallentyne, Peter 66, 315 Velleman, David 264, 266 Vico, Giambattista 55 Watson, Gary 80, 84 Weatherson, Brian 66 Weber, Max 166, 177 Wedgwood, Ralph 60, 72, 75 Weinert, Franz E. 175 Weiper, Susanne 206 Weithman, Paul 75 Wellmer, Albrecht 144 Werner, Micha H. 196 Westphal, Kenneth 107 Wiggins, David 311, 312 Wildt, Andreas 231 Willaschek, Marcus 199 Williams, Bernard IX, X, 3, 11, 13, 80, 81, 90, 142, 259, 265, 278, 289, 290, 293, 302, 316, 322 Wilson, David Sloan 282 Wingert, Lutz 270 Wittgenstein, Ludwig 158 Wolf, Ernest 169 Wolf, Ursula 194, 231, 232, 246 Wolff, Christian XII, 39–42, 45, 114–120, 125, 133 Wolff, Robert Paul 8, 158 Wolterstorff, Nicholas P. 282 Wood, Allen W. 15, 25, 26, 31, 33, 36, 59, 69, 75, 79, 92, 216, 275, 282, 306 Wright, Robert 282 Zelko, Frank A. 177