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German Pages 346 [348] Year 2012
Steffi Schadow Achtung für das Gesetz
Kantstudien Ergänzungshefte im Auftrage der Kant-Gesellschaft herausgegeben von Manfred Baum, Bernd Dörflinger und Heiner F. Klemme
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De Gruyter
Steffi Schadow
Achtung für das Gesetz Moral und Motivation bei Kant
De Gruyter
ISBN 978-3-11-029932-8 e-ISBN 978-3-11-029961-8 ISSN 0340-6059 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
” 2013 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ⬁ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Meiner Mutter
We cannot, it seems, write a history of moral philosophy without having some idea of the aims of the discipline; and we cannot have a well-grounded idea of its aims without having some awareness of its origins and history. Jerome Schneewind, The Invention of Autonomy
Inhaltsverzeichnis
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Moralische Einsicht und moralisches Handeln . . . . . . . . . . . . . § 1 Der problemgeschichtliche Hintergrund der Frage der moralischen Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Antwort bei Sokrates/Platon und Aristoteles . . . . . 2. Humes Antwort: Skeptizismus bezglich praktischer Vernunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 2 Der historische Kontext von Kants Fragestellung . . . . . . . 1. Hutcheson ber moralische Zustimmung und moralisches Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wolff und der ethische Rationalismus . . . . . . . . . . . . . 3. Kant zwischen Moral-Sense-Philosophie und ethischem Rationalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 3 Voraussetzungen einer Theorie der praktischen Vernunft: Die Natur von Handlungsgrnden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aus Grnden handeln: Normative und motivierende Grnde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Natur von Handlungsgrnden: Interne und externe Grnde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kant: Ein Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Praktische Vernunft: Vernunft und Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . § 1 Freiheit als Spontaneitt in der Kritik der reinen Vernunft 1. Handlung und Kausalitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Freiheitsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der „intelligible Charakter“ als das „Zeichen“ menschlicher Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Verhltnis von intelligiblem und empirischem Charakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Vernunft als das Vermçgen der Freiheit und der Begriff des Sollens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 11 11 11 16 25 25 32 39 47 47 56 65 68 68 68 71 74 81 86
X
Inhaltsverzeichnis
§ 2 Begehren und Wollen: Menschliches Handeln zwischen Vernunft und Sinnlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 1. Aus Grnden handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 2. Begehrungsvermçgen, menschliche und tierische Willkr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 3. Praktische Sinnlichkeit: Begierde, Neigung, Interesse, Lust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 III. Reine praktische Vernunft: Moralitt und Autonomie . . . . . . . § 1 Natrliche Autonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlegung 412: „so ist der Wille nichts anders als praktische Vernunft“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Subjektive und objektive Prinzipien des Handelns . . . . 3. Noch einmal: Handeln nach der Vorstellung von Gesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Maximen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 2 Moralitt als Autonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Analyse des moralischen Werts und das Motiv der Pflicht (Grundlegung I) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Rolle der Maxime im moralischen Handeln . . . . . 3. Maximentest und „Achtung frs Gesetz“ . . . . . . . . . . . 4. Moralitt als Autonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Moralisches Urteil und moralische Triebfeder . . . . . . . . . . . . . § 1 Die frhe Unterscheidung von „Dijudikation“ und „Exekution“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kants „Ethik eines Suchenden“ in den 1760er Jahren 2. Die „moralphilosophische Umwlzung“ und die Unterscheidung zwischen „Dijudikationsprinzip“ und „Exekutionsprinzip“ in der Moralphilosophie . . . . . . . 3. Kants frhe Antwort auf die ,Motivationslcke‘ . . . . . . 4. Das Triebfedernproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 2 Das Triebfedernproblem in der weiteren Entwicklung von Kants Moralphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Begriff der Triebfeder in den Vorlesungen ber Moralphilosophie der 1770er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . 2. „Achtung frs Gesetz“ in der Grundlegung . . . . . . . . . . 3. Die Achtung als ,vernunftgewirktes‘ Gefhl . . . . . . . . . 4. Moralisches Gefhl und moralisches Interesse . . . . . . .
120 120 120 129 135 140 146 146 156 160 168 188 188 188 191 196 200 207 207 214 219 224
Inhaltsverzeichnis
V. Praktische Grnde und Triebfedern: Die Entwicklung der Triebfedernfrage in Kants Moralphilosophie seit der Kritik der praktischen Vernunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 1 Die Achtung als „einzige moralische Triebfeder“ in der Kritik der praktischen Vernunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Idee einer „Kritik der praktischen Vernunft“ und die These vom „Factum der Vernunft“ . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Ansatz im Triebfedern-Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Argumentation im Triebfedern-Kapitel . . . . . . . . . 4. Moralische Sensibilitt und die Krftemetaphorik . . . . 5. Die Analogie zum Erhabenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 2 Handlungsgrnde und Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Was ist die Triebfeder moralischen Handelns? . . . . . . . 2. Reine praktische Vernunft? Die Bedeutung der Achtung als Triebfeder moralischen Handelns . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Gefhl der Achtung und der Begriff des moralischen Interesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Gefhl der Achtung als „Grund zu Maximen“ und die moralisch fragile Natur des Menschen . . . . . . . . . . 5. Ist Kants Lehre von der Triebfeder moralischen Handelns intellektualistisch oder affektivistisch? . . . . . . . . . . . . . Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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229 229 229 237 241 249 265 270 270 274 281 288 294 302 308 321 325
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2009 vom Fachbereich Philosophie und Geschichtswissenschaften der Goethe-Universitt Frankfurt/M. als Dissertation angenommen. Mein Dank gilt an erster Stelle meinem Doktorvater Marcus Willaschek. Er hat die Arbeit ber verschiedene Phasen bis zur Drucklegung mit Engagement und Interesse betreut. Seine offene und inspirierende Kritik hat meine Arbeit an diesem Buch ebenso entscheidend geprgt wie meine Auffassung davon, was es heißt, Philosophie zu treiben. Fr die Begutachtung der Arbeit danke ich auch Volker Gerhardt und Barbara Merker. Volker Gerhardt gilt außerdem mein Dank dafr, dass er frh mein philosophisches Interesse an Kant geweckt und mich ermutigt hat, meinen eigenen Weg mit Kant zu gehen. Meine Ttigkeit in der Redaktion des Kant-Lexikons war fr die Arbeit an meinem Dissertationsprojekt sehr fruchtbar. Sie hat mich fr die Komplexitt der Kantischen Terminologie ebenso sensibilisiert wie sie mich ermutigt hat, berraschungen bei ihrer Analyse nicht zu leichtfertig als philosophische ,Inkonsistenzen‘ zu unterschtzen. Der Deutsche Akademische Austauschdienst hat mir 2007 einen Forschungsaufenthalt an der University of California in Berkeley ermçglicht. Whrend dieser Zeit habe ich vor allem von Gesprchen mit R. Jay Wallace profitiert. Ich danke ihm fr anregende Diskussionen und fr die Ermutigung, auch jenseits der humeanischen Tradition nach einer Lçsung in der Frage der moralischen Motivation zu suchen. Stephen Engstrom hat mir freundlicherweise Einblick in einen damals noch unverçffentlichten Text zu Kants ,Triebfedern-Kapitel‘ gewhrt. Dafr und fr eine aufschlussreiche und freundliche Korrespondenz zum Triebfedernproblem danke ich ihm. Andrea Esser und Andreas Eckl haben der Disputation in Frankfurt einen feierlichen Rahmen gegeben. Dafr sowie fr sachliche und freundschaftliche Gesprche zum Thema meiner Dissertation gilt ihnen herzlicher Dank. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universitt Bremen war es mir mçglich, die Erstellung der Druckfassung der Arbeit abzuschließen.
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Vorwort
Fr wertvolle Hilfe in diesem Zusammenhang danke ich Michael Hoffmann. Fr kritische Hinweise, Anmerkungen und Vorschlge zu einzelnen Kapiteln mçchte ich Asmus Trautsch, Thomas Hçwing und Jens Timmermann danken. Georg Mohr hat mehrere Fassungen des Manuskripts gelesen und immer wieder mit Sorgfalt kommentiert. Dafr und fr einiges mehr gilt ihm mein besonderer Dank. Dass zwischen der Abgabe der Dissertation und der Drucklegung etwas Zeit vergangen ist, hat schließlich auch einen schçnen Grund: Marlene Philia. Bremen, im Juli 2012
Steffi Schadow
Zitierweise Kants Schriften werden in der Regel zitiert nach der Ausgabe der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1900 ff. (AA), unter Angabe von Sigle, Band und Seitenzahl. Die Kritik der reinen Vernunft wird zitiert nach A (1. Aufl. 1781) und B (2. Aufl. 1787). Die Nachschrift von Johann Friedrich Kaehler zu Kants Vorlesung ber Moralphilosophie wird unter dem Titel der von Werner Stark besorgten Ausgabe als Vorlesung zur Moralphilosophie zitiert. Die erste Zahl in der Stellenangabe gibt die Originalpaginierung des Manuskriptes, die zweite Zahl die Seitenzhlung der Stark-Ausgabe wieder. Die Reflexionen aus dem handschriftlichen Nachlass werden entsprechend der von Adickes vorgenommenen Nummerierung mit vorangestelltem „Refl.“ unter Angabe von Band und Seitenzahl der Akademieausgabe zitiert. Fr einige Titel Kantischer Schriften werden Kurztitel verwendet; diese sind selbsterklrend.
Siglenverzeichnis Anth Bemerk Beob Beweis Deut Gemein GMS Grçßen KpV KrV KU MS MSR MST Nachr Pd Rel Schtzung
Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (1798) (AA 7) Bemerkungen zu den Beobachtungen ber das Gefhl des Schçnen und Erhabenen (AA 20) Beobachtungen ber das Gefhl des Schçnen und Erhabenen (1764) (AA 2) Der einzig mçgliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes (datiert 1763, erschienen Dezember 1762) (AA 2) Untersuchung ber die Deutlichkeit der Grundstze der natrlichen Theologie und der Moral (verfasst 1762, erschienen 1764) (AA 2) ber den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht fr die Praxis (1793) (AA 8) Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785) (AA 4) Versuch den Begriff der negativen Grçßen in die Weltweisheit einzufhren (1763) (AA 2) Kritik der praktischen Vernunft (1788) (AA 5) Kritik der reinen Vernunft (1781/1787) Kritik der Urteilskraft (1790) (AA 5) Die Metaphysik der Sitten (1797) (AA 6) Metaphysische Anfangsgrnde der Rechtslehre Metaphysische Anfangsgrnde der Tugendlehre Nachricht von der Einrichtung seiner Vorlesungen in dem Winterhalbenjahre von 1765 – 1766 (AA 2) ber Pdagogik, hg. von Friedrich Theodor Rink (1803) (AA 9) Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (1793) (AA 6) Gedanken von der wahren Schtzung der lebendigen Krfte und Beurteilung der Beweise derer sich Herr von Leibniz und andere Mechaniker in dieser Streitsache bedienet haben, nebst einigen vorhergehenden Betrachtungen welche die Kraft der Kçrper berhaupt betreffen. (verfasst 1746, erschienen 1749) (AA 1)
Siglenverzeichnis
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Spitzfindigkeit Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren erwiesen (1762) (AA 2) Trume Trume eines Geistersehers, erlutert durch Trume der Metaphysik (1766) (AA 2) V-Me/Dohna Metaphysik Dohna (AA 28.2,1) V-Me/L1 Metaphysik L1 (AA 28.1) V-Me/L2 Metaphysik L2 (AA 28.2,1) V-Me/Volck Metaphysik Volckmann (AA 28.1) V-Me/v. S. Metaphysik v. Schçn (AA 28.1) V-Mo/Collins Moralphilosophie Collins (AA 27.1) V-Mo/Kae Vorlesung zur Moralphilosophie Kaehler (Hg. v. Werner Stark) V-Mo/Mron Moral Mrongovius (AA 27.2,2) V-MS/Vigil Metaphysik der Sitten Vigilantius (AA 27.2,1) V-Nat/Fey Naturrecht Feyerabend (AA 27.2,2) V-PP/Herder Praktische Philosophie Herder (AA 27.1) V-PP/Pow Praktische Philosophie Powalski (AA 27.1)
Einleitung Wie kann das, was jemand als vernnftig und moralisch richtig einsieht, Motiv seines Wollens und Handelns sein? Diese Frage unterstellt, dass Menschen ber moralische Einsichten verfgen und auch prinzipiell in der Lage sind, diese Einsichten zu Motiven ihres Handelns zu machen. Die Frage rumt aber auch ein, dass moralisches Handeln ein lckenhaftes Geschft ist. Die Einsicht in das, was zu tun ist, und das Motiv, dieser Einsicht im Wollen und Handeln zu folgen, sind offenbar zwei verschiedene Dinge. Jemand ist moralisch motiviert genau dann, wenn sein moralisches Urteil oder eine moralische Tatsache ein Streben seinerseits hervorruft, eine dem Urteil oder der Tatsache entsprechende Handlung auszufhren. Die Frage nach der moralischen Motivation impliziert daher erstens eine Analyse der Natur unserer moralischen Urteile: Motivieren diese Urteile durch sich selbst oder nur durch einen Bezug auf einen nicht-kognitiven Zustand, der seinerseits motivierende Kraft hat? Drcken sie mçglicherweise sogar selbst solche nicht-kognitiven Zustnde aus, z. B. in Form von Intentionen? Unterscheiden sich moralische Urteile von Urteilen anderer Art und wenn ja: inwiefern? Die Frage der moralischen Motivation ist zweitens eine Frage nach der Beschaffenheit der Motive: Sind sie rationaler oder sinnlicher Natur? Unterliegen sie unserem Einfluss oder sind wir ihnen ausgeliefert? Ist ihr Gegenstandsbereich auf die moralischen Urteile beschrnkt oder gibt es auch von diesen unabhngige, externe moralische Motive? Und drittens zielt die Frage der moralischen Motivation auf eine Analyse der Beziehung zwischen den moralischen Urteilen und den Motiven: Ist die Beziehung zwischen ihnen notwendig oder kontingent? Ergeben sich die Motive unmittelbar aus den Urteilen oder haben sie noch andere, nicht-kognitive Quellen? Damit unterscheidet sich eine philosophische Theorie der (moralischen) Motivation von psychologischen Anstzen darin, dass es ihr darum geht, Motivation im Hinblick auf die Moral durch begriffliche Analyse und Kontextualisierung zu verstehen, nicht aber die Generierung von (moralischen) Motiven unter Einbezug physiologischer Aspekte zu erklren. Whrend eine psychologische Theorie der Motivation vor allem damit befasst ist, zu erkunden, warum Menschen (bestimmte) Motive haben oder
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Einleitung
nicht, warum menschliches Handeln durch Motive gesteuert und auf bestimmte Zwecke und Ziele gerichtet ist, richtet sich der Fokus philosophischer Anstze auf die begriffliche Analyse der im Begriff der Motivation enthaltenen Aspekte.1 Im Allgemeinen zielt eine Auseinandersetzung mit dem Problem der moralischen Motivation auf die Frage nach der Praktikabilitt der Moral: Inwiefern beeinflussen moralische Regeln unser Handeln? Kant stellt die Frage der moralischen Motivation als Frage nach der Praktikabilitt der Vernunft. Denn das Moralgesetz ist nach Kant ein Gesetz der ,reinen praktischen Vernunft‘, das sich ein vernunftbegabtes Wesen selbst als Maßstab seines Handelns vorschreibt. Das Motivationsproblem in Kants Handlungstheorie und Moralphilosophie lsst sich vor diesem Hintergrund in folgende Formulierung bringen: Wie kçnnen rationale Erwgungen Einfluss auf unser Handeln gewinnen? Oder, mit Kants Worten: Wie kann reine Vernunft praktisch sein? Die Frage, wie das, was die Vernunft einsieht, dazu motivieren kann, dies auch zu wollen und zu tun, gehçrt zu den Grundfragen von Kants praktischer Philosophie. Entgegen einer verbreiteten Ansicht, Kants Ethik sei formalistisch, lebensfern und an der praktischen Reichweite des in ihr explizierten ,obersten Prinzips der Moralitt‘ uninteressiert, stellt sich die Frage der moralischen Motivation fr Kant als eines der hartnckigsten Probleme dar, die die Entwicklung seiner Moralphilosophie prgen. Schon lange vor Erscheinen der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, hat er das Ringen nach einer Antwort auf diese Frage mit der Suche nach dem „Stein der Weisen“ verglichen.2 Der Grund dafr, warum die Beantwortung der Frage nach der moralischen Motivation ebenso schwierig zu sein scheint, wie jenen „Stein der Weisen“ zu finden, liegt in folgender, von Kant aufgeworfener Problemkonstellation: Wenn erstens Moralitt im Handeln nach allgemeinen, objektiven Gesetzen besteht, zweitens Menschen aber aufgrund ihrer auch sinnlichen Natur nicht zuerst und unmittelbar nach der Erfllung der moralischen Norm streben, sondern von Bedrfnissen und Leidenschaften getrieben sind, und drittens in der Moral nur das sinnvoller Weise eingefordert werden kann, was Menschen prinzipiell auch leisten kçnnen: Wie ist es dann mçglich, dass gerade die moralischen 1
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Den Unterschied zwischen psychologischen und philosophischen Theorien der Motivation betont Peters: The Concept of Motivation, 43. Zum Gegenstand philosophischer Analysen ber Motivation vgl. Alvarez: Kinds of Reasons, 53 – 63; Mele: Motivation and Agency, 13 – 15. V-Mo/Kae 85/68 f.
Einleitung
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Urteile Einfluss auf die Handlungen des Menschen haben, so dass sie tatschlich auch die Motive seines Handelns sind? Nher an Kants Terminologie orientiert lautet die Frage: Wie kann ein unbedingtes Prinzip der Moralitt selbst ,Bewegkraft‘ haben? Aufgabe der vorliegenden Untersuchung ist es, dieser Frage mit Blick auf Kants Handlungstheorie und Moralphilosophie nachzugehen. Dabei sollen sowohl die sachliche Relevanz der einzelnen Teilaspekte und Hintergrnde des Problems der moralischen Motivation bei Kant als auch entwicklungsgeschichtliche Aspekte der Fragestellung innerhalb der Philosophie Kants deutlich werden. Denn die Frage nach der motivationalen Reichweite der moralischen Norm ist in Bezug auf Kants Philosophie in doppelter Hinsicht anspruchsvoll: Sie ist handlungstheoretisch und moralphilosophisch voraussetzungsreich und gehçrt darber hinaus zu denjenigen Problemstellungen innerhalb seiner Philosophie, mit denen Kant ber einen langen Zeitraum gerungen hat. Dabei ist die Grundstruktur seiner Moralphilosophie und Handlungstheorie Ausdruck fr Kants entwicklungsgeschichtlich nachvollziehbares Bemhen um eine Vermittlung zwischen rationalistischen und sensualistischen Anstzen. So sind Vernunft und Sinnlichkeit die beiden großen Themen von Kants theoretischer und praktischer Philosophie. Kant hat beide Themen in seinem Konzept einer (reinen) praktischen Vernunft, das im Besonderen als Antwort auf die Motivationsproblematik gelesen werden kann, zusammengefasst. Diesen Voraussetzungen soll im Aufbau dieses Buches Rechnung getragen werden. So enthlt das erste Kapitel neben einer allgemeinen philosophiegeschichtlichen Einfhrung auch eine erste Einbettung der Fragestellung in den historischen Kontext der Kantischen Auseinandersetzung mit dem Problem der moralischen Motivation. Dabei wird sich zeigen, dass Kant in Bezug auf eine mçgliche Lçsung dieser Problematik von Beginn an zwischen der Gefhlsethik des ,Moral Sense‘ und dem ethischen Rationalismus seiner Zeit steht. Die von Hutcheson sinngemß bernommene Unterscheidung zwischen Rechtfertigungs- und Erklrungsgrnden einer Handlung spielt fr Kants Entwicklung einer Theorie moralischer Motivation eine ebenso wegweisende Rolle wie die rationalistische These von der Vernunft als leitender Instanz in moralischen Handlungen. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass eine Theorie der praktischen Vernunft sowohl eine Theorie der Handlung als auch eine Theorie der Grnde bençtigt3, schließt das erste Kapitel mit einem berblick ber die Natur von Handlungsgrnden und beleuchtet die in der gegenwrtigen Hand3
Vgl. zu diesem Punkt Railton: „Humean Theory of Practical Rationality“.
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Einleitung
lungs- und Normativittstheorie diskutierte Frage nach dem Verhltnis von normativen und motivierenden Grnden. Eine Antwort auf Kants Frage, wie die Vernunft tatschlich Handlungsgrnde liefern kann, die auch motivational wirksam werden, wird auf diese Weise systematisch vorbereitet. Im zweiten Kapitel werden handlungstheoretische Voraussetzungen einer kantischen Konzeption moralischer Motivation entwickelt. Kants Vorstellung von der ,doppelten Natur‘ des Menschen als eines zugleich sinnlichen und vernunftbegabten Wesens wird hier zunchst anhand der Darstellung zentraler, fr Kants praktische Philosophie relevanter Pointen des Freiheitsbegriffs in der Kritik der reinen Vernunft nachgegangen. Dabei erweist sich die Idee von der Vernunft als einem Vermçgen der Freiheit als ebenso grundlegend fr Kants Ethik wie der damit verbundene Gedanke von der Mçglichkeit des Bewusstseins unbedingter Sollensstze. Die Analyse zum Begriff des menschlichen Begehrungsvermçgens, das Kant als zwar sinnlich affizierbare, aber freie Willkr von der Willkr der Tiere insofern unterscheidet, als diese Willkr das Handeln nach vernnftigen berlegungen ermçglicht, leitet zu den moralphilosophischen Grundlagen von Kants Theorie der moralischen Motivation ber. So steht im dritten Kapitel zunchst der von Kant in der ersten Kritik vorbereitete Begriff von der Vernunft als einem genuin praktischen Vermçgen im Zentrum der Untersuchung. ,Praktische Vernunft‘ erweist sich hier als Grundlage fr Kants Begriff von der Moralitt als Autonomie. Der Wille, so zeigt sich mit Blick auf Kants Ausfhrungen in der Grundlegung, ist das besondere Vermçgen vernunftbegabter Wesen, aus Grnden handeln zu kçnnen, die sie sich als objektiv gltige praktische Grundstze selbst vorlegen. Weil sie in dieser Hinsicht ber das grundlegende Vermçgen einer praktischen Vernunft verfgen, sind Menschen in ihren Handlungen auch fr unbedingte praktische Vorschriften zugnglich. Sie stellen sich ihnen als vernnftige und fr ein rationales Wesen gleichzeitig objektive und subjektive Handlungsgrnde dar, die sie zu leitenden Regeln ihres Verhaltens machen kçnnen. Dies, so fhrt die Untersuchung zur Rolle der Maxime im moralischen Handeln vor, ist die Voraussetzung dafr, dass Menschen moralisch wertvoll und das heißt: aus moralischen Grnden handeln kçnnen. Kants motivationale Analyse des moralischen Wertes fhrt ber den Pflichtbegriff zum Gefhl der Achtung als dem einzig mçglichen moralischen Motiv, dessen Gegenstand allein das unbedingte praktische Gesetz ist. Kants Verstndnis von Moralitt ist grundlegend durch den Gedanken geprgt, dass dieses Gesetz ein Gesetz des eigenen Willens des vernnftig-sinnlichen Subjekts ist, welches sich dieses selbst
Einleitung
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qua Autonomie vorschreibt und zum Prinzip des eigenen Handelns machen kann. Dies ist die fr Kants Theorie moralischer Motivation relevante Pointe, mit der das dritte Kapitel endet. Damit sind die Voraussetzungen fr ein Verstndnis von Kants Theorie der moralischen Motivation erfllt. Daraus, dass Menschen zwar einerseits eine freie Willkr und das Vermçgen zukommt, vernnftige Grnde einsehen und danach handeln zu kçnnen, sie aber andererseits bedingt durch ihre Natur von vielfltigen, sinnlich affizierenden ,Stimuli‘ zu Handlungen ,gereizt‘ werden und daher zum Handeln gemß vernnftigen Grnden erst bewegt werden mssen, ergibt sich fr Kant das Problem der moralischen Motivation: Es bedarf einer ,Triebfeder‘ moralischen Handelns. Dabei ist sich Kant sehr frh darber im Klaren, dass ein externes, moralfernes Motiv als treibender Faktor im moralischen Handeln nicht in Frage kommt. berlegungen, die genauer darzustellen sind, fhren Kant zu der These, dass dem gleichsam ,konativen‘ Faktor im Handeln nur durch den Begriff des moralischen Gefhls entsprochen werden kann: Als moralisches Gefhl wahrt es die Nhe zur moralischen Norm, als Gefhl scheint es der sinnlich bestimmbaren Willkr eines endlichen Vernunftwesens nher zu stehen als jene unbedingte praktische Norm. Es ist der Versuch einer genauen Gewichtung dieser beiden Funktionen des moralischen Gefhls im Handeln, der Kants Auseinandersetzung mit der Frage der moralischen Motivation in Folge bestimmt. Aufgabe des vierten Kapitels ist es, zunchst der Entstehung des ,Triebfedernproblems‘ in Kants moralphilosophischem Denken seit den 1760er Jahren nachzugehen und daran anschließend Kants Begriff der Achtung als eines besonderen, ,vernunftgewirkten‘ Gefhls in der Grundlegung zu untersuchen. Auch wenn es Kant in der Grundlegung nicht explizit um die ,Triebfedernfrage‘ geht, so zeigt das kurze Textstck zum Gefhl der Achtung dennoch die sachlich zentrale Bedeutung, die dem dort kurz gefassten Gedanken zukommt. Kant trifft eine deutliche Abgrenzung zum Begriff des moralischen Gefhls der Moral-Sense-Philosophen und markiert bereits eine eigenstndige, auf die Grundgedanken seiner ,kritischen‘ Ethik zugeschnittene Position. Dieser zufolge muss ein moralisches Gefhl, wenn es als moralisches Motiv dient, eine mçglichst enge Bindung an die sittliche Einsicht aufweisen und dies insofern, als der Gegenstand dieses Gefhls allein das Bewusstsein der unbedingten praktischen Norm ist. Whrend das Motivationsproblem in der Grundlegung nur beilufig zur Sprache kommt, widmet Kant ihm in der in der Kritik der praktischen Vernunft ein seiner sachlichen Relevanz entsprechend eigenstndiges „Hauptstck“ von verhltnismßig großem Umfang. Dieses unter dem
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Einleitung
Titel „Von den Triebfedern der reinen praktischen Vernunft“ gefhrte „Hauptstck“ ist Gegenstand des letzten Kapitels der vorliegenden Untersuchung. Dabei wird sich zeigen, dass sich Kants Anliegen im Triebfedern-Kapitel nur unter Bercksichtigung seiner Beziehung zur Aufgabenstellung und Gesamtkonzeption der zweiten Kritik erschließt. Seiner These vom „Factum der Vernunft“ kommt dabei besondere Bedeutung zu. Kants aufwendige Argumentation im Triebfedern-Kapitel wird anschließend unter Hinzuziehung von Kants frher Schrift ber die Negativen Grçßen beleuchtet. In Analogie zur dort von Kant explizierten Krftemetaphorik wird sein Konzept der moralischen Motivation als eine Theorie der moralischen Sensibilitt herausgearbeitet, in der sich die Motivation zu moralischen Handlungen in grundlegender Weise durch eine nicht-mechanistische Interpretation der Begriffe von ,Anziehung‘ und ,Abneigung‘ erschließt. Der sich daran anschließende Exkurs zu Kants Konzeption des Erhabenen in der Kritik der Urteilskraft fhrt diesen Gedanken weiter, indem er die ,Geistesstimmung‘ des vom moralischen Motiv bewegten Subjekts thematisiert. Im zweiten Teil des fnften Kapitels werden interpretatorische Schwierigkeiten in Bezug auf Kants These von der Achtung als der einzigen ,Triebfeder moralischen Handelns‘ erçrtert. Um zu verstehen, wie sich die ,Triebfedernlehre‘ in Kants Idee der Mçglichkeit von Handlungen aus reinen Vernunftgrnden einfgt, indem sie dieser vor allem nicht widerspricht, wird ein methodischer Vorgriff auf die Metaphysik der Sitten und die Religion notwendig sein. Schließlich erweist sich Kants Behandlung der ,Triebfedernfrage‘ in der Kritik der praktischen Vernunft als sowohl entwicklungsgeschichtlich als auch systematisch besonders voraussetzungsreich, so dass sie sich nur mit Blick auf grundlegende Prmissen seiner Handlungstheorie und Moralphilosophie erschließt. Wenn Kants Ethik im Allgemeinen ber einen langen Zeitraum seines Denkens als die „Ethik eines Suchenden“ bezeichnet werden kann4, so gilt dies fr seine Auseinandersetzung mit der Frage der moralischen Motivation in ganz besonderem Maße. Whrend Kant die Grundthese seiner Moralbegrndung schon recht frh, noch vor Erscheinen der Kritik der reinen Vernunft und der Grundlegung, zugunsten des Rationalismus entscheidet, dem zufolge Kriterien moralisch wertvollen Handelns allein in einem formalen Vernunftprinzip des Wollens begrndet sein kçnnen, ist in 4
Dies ist Schwaigers Formulierung fr die Zeit der Entstehung von Kants frher Schrift Untersuchung ber die Deutlichkeit der Grundstze der natrlichen Theologie und der Moral von 1764 (vgl. Kategorische und andere Imperative, 38).
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Bezug auf die Frage nach einem genuin moralischen Motiv lange Zeit ein Schwanken zwischen Gefhlsethik und Rationalismus beobachtbar. Hinsichtlich einer genaueren Bestimmung der Beziehung zwischen vernnftiger Einsicht und moralischem Gefhl zieht Kant grundstzlich zwei Optionen in Betracht: 1. Die vernnftige Einsicht kann nur dann motivieren, wenn sie durch ein moralisches Gefhl angetrieben wird. Die Einsicht selbst hat jedoch keine motivierende Kraft. 2. Die vernnftige Einsicht kann Motiv des Handelns sein, weil sie selbst eine affektive Komponente hat. Weil der Gegenstand des Affektes allein die Einsicht ist, handelt es sich bei diesem Affekt, dem moralischen Gefhl, nicht um ein extern zur vernnftigen Einsicht hinzukommendes Motiv. Die erste Option kennzeichnet Kants Bemhen um eine Lçsung des Motivationsproblems bis zur Entstehung der Grundlegung, die zweite Option steht fr die Motivationstheorie des reiferen und spten Kant. Dabei ist offensichtlich, dass die erste Variante von einer strkeren Beteiligung des moralischen Gefhls an der moralischen Motivation ausgeht, whrend die zweite Option eine Antwort auf die ,Triebfedernfrage‘ bereitstellt, die in erster Linie auf die praktische Funktion der vernnftigen Einsicht im Wollen und Handeln abhebt. Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, zu zeigen, dass Kants in der reifen Phase seiner Moralphilosophie, d. h. vor allem sein in der Kritik der praktischen Vernunft erarbeiteter Lçsungsvorschlag zum Motivationsproblem nicht nur mit den Grundprinzipien seiner formalen Moralphilosophie und Handlungstheorie vereinbar ist, sondern diese sogar in einer Weise weiterfhrt, die Kants Ethik auch fr die Gegenwartsdiskussion ber praktische Grnde und moralische Motivation attraktiv macht. Kants Gedanke von einem moralischen Gefhl, das als Triebfeder moralischen Handelns wirkt, ist demnach kein „Stachel im Fleisch der kritischen Prinzipienethik“, der dort nicht hingehçrt.5 Er ist im Gegenteil eine Fortfhrung der Idee, dass es unbedingte praktische Gesetze gibt, die als subjektiv-praktische Grundstze des Handelns wirksam werden kçnnen, sowie der Einsicht, das dies erst durch eine Theorie der moralisch-rationalen Sensibilitt philosophisch befriedigend expliziert werden kann. Kants Konzept der Motivation in der Moral erweist sich auf diese Weise 5
So Kulenkampffs Fazit in: „Moralisches Gefhl oder ,moral sense‘: wie berechtigt ist Kants Kritik?“, 249.
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exemplarisch fr die Auffassung, dass eine Theorie der moralischen Motivation wesentlich verbunden ist mit einer Theorie praktischer Normativitt. Denn die Frage danach, was moralische Grnde sind und inwiefern die Moral Grnde vorgibt, die uns ihrerseits binden und auch motivieren, ist nicht zuletzt eine Frage nach der Autoritt der Moral.6 Noch ein Wort zur Methodik: Im ersten Kapitel nhere ich mich der Kantischen Frage nach der moralischen Motivation problemgeschichtlich. Dabei soll die Besonderheit der Kantischen Zielsetzung in Bezug auf die vorliegende Problematik sichtbar werden: Whrend bei Sokrates/Platon und Aristoteles ein ,Problem‘ der moralischen Motivation gar nicht erst besteht, weil Handlungen fr sie Ausdruck praktischer berzeugungen sind und es insofern eine Diskrepanz zwischen Wissen und Handeln nicht gibt, ist Hume der Ansicht, dass es keinesfalls die vernnftige Einsicht allein sein kann, die zum Handeln anleitet oder gar ein moralisches Motiv bereitstellt. Vor diesem historischen Hintergrund stellt sich die Aufgabe, die Kant sich selbst vorgibt, in doppelter Hinsicht als besonders anspruchsvoll dar. So geht er, im Unterschied zu seinen antiken Vorgngern, zum einen davon aus, dass moralisches Wissen und moralisches Handeln nur in seltenen Fllen konvergieren: Menschen, so Kants Ansicht, kçnnen einsehen, was nach Vorgabe von Vernunftgrnden zu tun ist, und dennoch nicht motiviert sein, dieser Einsicht in ihren Handlungen zu entsprechen. Zum anderen – darin unterscheidet sich sein Ansatz von dem Humes – ist es Kants Anliegen, zu zeigen, dass die vernnftige Einsicht prinzipiell Bewegkraft haben kann. Schließlich rumt auch die gegenwrtige Debatte ber praktische Rationalitt dem Motivationsproblem einen zentralen Stellenwert ein. Einige Grundbegriffe und Hauptkontroversen werden im ersten Kapitel referiert. Auf dieser Grundlage wird am Ende ansatzweise gezeigt, inwiefern Kants Theorie moralischer Motivation einen hilfreichen Beitrag zur modernen Diskussion ber Grnde und Motive leistet. Als Textgrundlage der vorliegenden Untersuchung dienen vor dem Hintergrund der Bedeutung des entwicklungsgeschichtlichen Aspektes fr Kants ,Theorie‘ moralischer Motivation neben den frhen Druckschriften und den moralphilosophischen Hauptwerken auch die Vorlesungen Kants, darunter insbesondere die Vorlesungen ber Moralphilosophie. Da es sich bei diesen Texten nicht um Schriften Kants, sondern um Nachschriften seiner Vorlesungen durch Zuhçrer handelt, weisen sie einen gesonderten Quellenstatus auf und sind vor allem nicht als Endprodukte kantischen Denkens anzusehen. Dennoch liefern sie neben den Reflexionen eine 6
Vgl. Darwall: „Reasons, Motives, and the Demands of Morality“.
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wichtige Grundlage fr das Verstndnis des Entwicklungsgangs von Kants Philosophie und sollen hier daher ergnzend zu den Druckschriften herangezogen werden. Dabei wird aus den Vorlesungen ber Moralphilosophie hauptschlich anhand der von Stark edierten Nachschrift Kaehlers zitiert. Die von Lehmann edierte, in Band 27 der Akademieausgabe von Kants Werken erschienene Ausgabe der Vorlesungen wird nur an inhaltlich besonders relevanten Stellen und zumeist ergnzend zum Kaehler-Text herangezogen.7 Dies gilt auch fr andere Vorlesungsnachschriften, wie z. B. die Nachschriften von Herder und Powalski zur Vorlesung ber Praktische Philosophie oder die Pçlitz-Nachschrift zur Vorlesung ber Metaphysik, aus denen nur in Ausnahmefllen zitiert wird.8 Wer sich mit Kants Handlungstheorie und Moralphilosophie befasst, sieht sich bekanntlich neben dem umfangreichen Werk Kants auch mit einer inzwischen unberschaubaren Zahl an Forschungsbeitrgen zu Kants Philosophie konfrontiert. In den Kapiteln zu den handlungstheoretischen und moralphilosophischen Voraussetzungen von Kants Motivationstheorie habe ich mich auf solche Beitrge konzentriert, die fr die jeweilige 7
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Whrend zwei der drei Nachschriften, die der von Menzer besorgten Edition von Kants Ethik-Vorlesung zugrunde liegen (Brauer und Kutzner), mittlerweile verschollen sind, basiert die Stark-Edition auf einem erst 1924 in Kçnigsberg aufgetauchten Manuskript des Studenten Kaehler. Starks Neuedition der Vorlesung zur Moralphilosophie auf Grundlage dieses vermutlich auf den Sommer 1777 zu datierenden Manuskripts grndet auf der berzeugung, „daß der Text des Kaehler’schen Manuskriptes smtlichen zwçlf anderen Textzeugen berlegen ist“ (Stark: „Nachwort“, 392). Vgl. zu den stilistischen und inhaltlichen Besonderheiten des Kaehler-Manuskripts Stark: „Nachwort“, 392 – 401. – Zu Kants eigener Ansicht ber Mitschriften zu seinen Vorlesungen vgl. einen Brief an Marcus Herz vom 20. 10. 1778 in Briefe 10:242. Der Vorlesung nach Herder ist z. B. insofern mit Vorsicht zu begegnen, als Herder selbst zur Zeit der Niederschrift dieser Nachschrift wahrscheinlich stark unter dem Einfluss Hutchesons stand. Die vorwiegend positiven Bemerkungen zum moralischen Gefhl sind daher wohl eher auf Herders Hutcheson-Lektre als auf Kants eigene Ansicht zurckzufhren. Die Zuverlssigkeit der Pçlitz-Nachschrift ist hingegen umstritten, weil es sich bei ihr eher um eine (beliebige) Zusammenstellung verschiedener Textstcke, nicht aber um eine getreue Abbildung von Kants Vorlesung handelt (vgl. dazu Lehmann: „Einleitung“, 1345 – 1347). – Ein anderes Problem stellen die undatierten Vorlesungen dar, wie z. B. (neben der HerderNachschrift) die Powalski-Nachschrift von Kants Vorlesung ber Praktische Philosophie und die Nachschrift des Zuhçrers Pçlitz zu Kants Vorlesung ber Metaphysik. – Zur Datierung und zur Zuverlssigkeit der Vorlesungen, insbesondere der Vorlesungen ber Moralphilosophie, vgl. Schwaiger: Kategorische und andere Imperative, 142 ff.; zu den frhen Vorlesungen und den benutzten Kompendien und Handbchern: 34 ff.
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Einleitung
Thematik zentral sind. Im vierten und fnften Kapitel habe ich mich bemht, die relevanten Forschungsbeitrge zum Motivationsproblem bei Kant mçglichst erschçpfend einzubeziehen. Dabei ist ein eigener Abschnitt der Auseinandersetzung mit der hauptschlich in der angelschsischen Kant-Forschung diskutierten Frage gewidmet, ob Kant in der Argumentation im Triebfedern-Kapitel der Kritik der praktischen Vernunft eher einen ,Intellektualismus‘ oder einen ,Affektivismus‘ in Bezug auf moralische Motivation vertritt. Es kann nun damit begonnen werden, sich mit Kant auf die Suche nach dem „Stein der Weisen“ zu begeben.9
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V-Mo/Kae 85/68 f.
I. Moralische Einsicht und moralisches Handeln § 1 Der problemgeschichtliche Hintergrund der Frage der moralischen Motivation 1. Die Antwort bei Sokrates/Platon und Aristoteles Wenn jemand ein moralisches Urteil fllt und sich aus diesem Urteil fr ihn ein Handlungsgrund ergibt – handelt er dann auch entsprechend? Sokrates und Platon und nach ihnen Aristoteles haben diese Frage bejaht. Jemand, der weiß, was das Gute ist, so die umstrittene These des Sokrates im Dialog Protagoras, wird dieses auch tun, wenn es in seiner Macht steht.1 Damit ist die praktische Umsetzung der fr richtig gehaltenen Einsicht nicht fehlbar. Fehlbar ist jedoch die Einsicht selbst. Sokrates versteht das Wissen als eine praktische Fhigkeit (techn), die erlernbar ist. Dabei sieht er den moralisch Wissenskundigen als jemanden, der die richtige ,Messkunst‘ in Bezug auf das Angenehme und Unangenehme beherrscht und dadurch die Folgen seines Handelns zu berechnen weiß.2 Daraus lsst sich fr Sokrates der Schluss ziehen, dass moralisch schlechtes Handeln auf Unverstand beruht: Jemand, der weiß, was das Gute ist, handelt auch dieser Einsicht entsprechend. Handelt jemand hingegen moralisch schlecht, so tuscht er sich im Hinblick darauf, was er in der gegebenen Situation fr das Beste hlt.3 Aristoteles entscheidet die Frage, wie jemand „ein richtiges Urteil haben und doch ein unbeherrschtes Leben fhren kçnne“, zunchst gegen die sokratische These. Niemand handle freiwillig seiner besten Einsicht entgegen, und das Phnomen des unbeherrschten Handelns sei daher 1
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„Ist es nicht auch so, daß niemand aus freier Wahl dem Bçsen nachgeht oder dem, was er fr Bçse hlt? Und daß das, wie es scheint, gar nicht in der Natur des Menschen liegt, dem nachgehn zu wollen, was er fr bçse hlt, anstatt des Guten, wenn er aber gezwungen wird, von zwei beln eins zu whlen, niemand das grçßere nehmen wird, wenn er das kleinere nehmen darf ?“ (Platon: Protagoras, 358c-d) Vgl. Platon: Protagoras, 356a-357b. Vgl. Platon: Protagoras, 358c. Vgl. zu Platons These, niemand handle freiwillig gegen seine richtige Einsicht, sowie zur sokratischen Position eines ethischen Hedonismus (das Gute wird verstanden als das Angenehme) die Diskussion bei Spitzley: Handeln wider besseres Wissen, 5 – 46.
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„unfassbar“.4 Die These des Sokrates, so Aristoteles, widerspreche dem, was man aus der Erfahrung (phainomena) weiß (endoxa): Menschen handeln hin und wieder unbeherrscht. Doch auch wenn Aristoteles der Mçglichkeit unbeherrschten Handelns einen Ort in unserer Wahrnehmung zuweist, so schließt er klarsichtiges Handeln entgegen dem eigenen Urteil, was zu tun das Beste ist, eindeutig aus. Daher wird „kein Mensch […] behaupten, es sei fr den sittlich-Einsichtigen charakteristisch, aus freien Stcken die verwerflichsten Dinge zu tun“.5 Der Schlssel zur Erklrung des Verhaltens eines Menschen, der offensichtlich in seinem Handeln nicht seiner sittlichen Einsicht folgt, besteht fr Aristoteles in der Unterscheidung zweier Arten von Wissen. So ist es mçglich, dass jemand ber potentielles Wissen verfgt, es aber nicht wirksam werden lsst; das ,Haben‘ dieses Wissens ist in gewissem Sinne ein ,Nicht-Haben‘. Im Unterschied dazu wird jemand, der ber aktuelles Wissen verfgt, auch diesem Wissen entsprechend handeln.6 Indem er diese beiden Arten des Wissens auf den praktischen Syllogismus als Schema einer Handlungserklrung bertrgt, gelingt es Aristoteles, seine These von der Zusammengehçrigkeit von echter sittlicher Einsicht und sittlichem Handeln zu verteidigen: So wie es zwei Arten von Wissen gibt, so gibt es auch zwei Arten, den Vordersatz (die Prmissen) in einem praktischen Schluss zu verstehen. Im Falle der Unbeherrschtheit kennt jemand Obersatz und Untersatz, gebraucht aber nur den Obersatz (das Allgemeine und nicht das Besondere), was heißt: Er erkennt den Fall nicht als Fall der Regel; es mangelt ihm an praktischer Urteilskraft. Die Wissensaspekte werden nach diesem Handlungsschema in den Prmissen entschieden, und die Konklusion ist nicht Wissen, sondern Handeln und mit diesem identisch: Wenn sich aus beiden Formen der Meinung eine einzige ergibt, so muß die Seele in dem einen Fall (bei theoretischem Verhalten) notwendig das zustande gekommene Ergebnis bejahen, dagegen in dem anderen Fall, wo die Meinung auf das Handeln zielt, es augenblicklich in die Tat umsetzen.7 4 5 6 7
Aristoteles: Nikomachische Ethik, 1146a. Aristoteles: Nikomachische Ethik, 1146a. Vgl. Aristoteles: Nikomachische Ethik, 1146b-1147a. Aristoteles: Nikomachische Ethik, 1147a. Vgl. zu Aristoteles’ genauerer Auflçsung der Problematik des Unbeherrschtseins mittels zweier sich widerstreitender praktischer Syllogismen (Syllogismus der Vernunft versus Syllogismus der Begierde) und zur Unterscheidung verschiedener Arten der Unbeherrschtheit (starke/ impulsive und schwache Akrasia) die Darstellung bei Spitzley: Handeln wider besseres Wissen, 63 – 110. Die Interpretation, dass das Ergebnis praktischer berlegung dem aristotelischen Syllogismus zufolge die Handlung ist, wurde v. a. durch
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In beiden antiken Positionen ist das, was die Handlung erklrt, die moralische berzeugung bzw. das, was der Handelnde als sein ,Wissen‘ bezeichnet. In beiden Fllen ist der Sittlich-Einsichtige „ein Mann des Handelns“8, und die sittliche Einsicht ist eine praktische Einstellung, die im Handeln verwirklicht wird.9 Geht aus der (vermeintlichen) berzeugung schließlich keine Handlung hervor, so liegt ein kognitiver (kein praktischer) Fehler vor.10 Damit sehen beide Positionen keine echten moralischen Konfliktsituationen vor, in denen jemand zwar ber moralisches Wissen verfgt, der aber zwei mit einander konkurrierende Handlungsgrnde beide als verbindlich zu erkennen glaubt. Vielmehr schaltet die durch subjektive Interessen ungetrbte moralische Wahrnehmung alle anderen Handlungsalternativen als mçgliche Kandidaten fr Handlungsgrnde von vornherein aus.11 Nach dieser Skizze kann fr Sokrates/Platon und Aristoteles die Beziehung zwischen den drei Teilen einer Handlungsgeschichte: dem moralischen Urteil, der Zustimmung zu diesem Urteil in Form der Anerkennung des Urteils als eines normativen Grundes und der Handlung prinzipiell nicht lckenhaft sein. Jemand, der ein korrektes moralisches Urteil fllt und weiß, was in einer bestimmten Situation zu tun das moralisch Richtige ist, handelt auch seinem Urteil entsprechend. Eine ,Lcke‘ kann lediglich zwischen dem moralischen Nichtwissen und der morali-
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Anscombe verbreitet (vgl. Absicht, § 33). Charles hingegen verteidigt die Auffassung, Aristoteles habe eigentlich zeigen wollen, dass die Konklusion eines praktischen Schlusses eine Intention (und nicht bereits die Handlung) ist (vgl. Aristotle’s Philosophy of Action). Aristoteles: Nikomachische Ethik, 1146a. Vgl. Aristoteles: Nikomachische Ethik, 1152a. „Denn nicht wenn das in uns gegenwrtig ist, was als Wissen im eigentlichen Sinne gilt, erliegen wir der Leidenschaft – dieses Wissen wird auch nicht infolge der Leidenschaft in Wirrnis hin- und hergerissen – , sondern nur dann, wenn ,Wissen‘ bloß als Wahrnehmungs-Wissen in uns ist“ (Aristoteles: Nikomachische Ethik, 1147b). Vgl. zu diesem Verstndnis der aristotelischen Position die Interpretation McDowells. Im Anschluss an Aristoteles vertritt McDowell die Auffassung, dass moralisches Wissen in der korrekten Wahrnehmung moralischer Situationen besteht. Diese Wahrnehmung zeigt sich schließlich in der moralisch adquaten Handlung. So verfgt der Tugendhafte ber die echte moralische Einsicht, die alle anderen mçglichen Grnde ,zum Schweigen bringt‘ (vgl. „Are Moral Requirements Hypothetical Imperatives?“, 92). Dem entsprechend versteht McDowell die Tugend als eine Sensitivitt fr das Gute. Vgl. dazu „Virtue and Reason“, bes. 52.
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schen Weisheit bestehen, und moralisch schlechtes Handeln geht immer auf ein kognitives Defizit zurck.12 Ist es nun tatschlich so, dass aus einem korrekten Urteil direkt die Handlung folgt und dass die Ursache einer unerwarteten, nicht zum gesprochenen Urteil passenden Handlung ausschließlich auf einen Fehler im ersten Teil des praktischen Schlusses und damit auf den Prozess des berlegens bzw. der moralischen Wahrnehmung zurckzufhren ist? Platon selbst hat mit einer Art von Selbstkritik auf die rationalistische Position des Sokrates im Dialog Protagoras reagiert.13 In der spteren Phase der sokratischen Dialoge hat er mit dem Bild des Wagenlenkers implizit auch die Frage wieder aufgenommen, wie es denkbar ist, dass jemand nicht entsprechend seiner vernnftigen Einsicht handelt. Ausgehend von der Voraussetzung, dass „dasselbe nie zu gleicher Zeit Entgegengesetzes tun und leiden wird“14, argumentiert er mit dem Gleichnis des Wagenlenkers fr die Teilung der Seele in drei Teile: So nennt man […] das, womit die Seele berlegt und ratschlagt, das Denkende und Vernnftige der Seele […], das aber, womit sie verliebt ist und hungert und durstet und von den brigen Begierden umhergetrieben wird, das Gedankenlose und Begehrliche, gewissen Anfllungen und Lsten Befreundete. […] [D]er Mut und das, womit wir uns ereifern […]15,
ist schließlich der dritte Seelenteil. Whrend Platon einrumt, dass die Seelenteile des Begehrlichen (epithymetikn) und des Vernnftigen (logistikn) in Konflikt miteinander geraten kçnnen, bei dem das Eifernde (thymoeids) sich auf die Seite des Vernnftigen schlgt, so erklrt er ein zurechenbares Verhalten zugunsten der Begierden und zuungunsten der 12 Tugendhaftigkeit ist fr Aristoteles daher kein Ausdruck der Selbstbeherrschung bzw. der moralischen Strke, und Unbeherrschtheit ist keine Erklrung fr moralisches Fehlverhalten. Der Tugendhafte befindet sich nicht in einer moralischen Konfliktsituation, er verfgt ber die korrekte moralische Einsicht und handelt dieser Einsicht entsprechend. Dies wird verstndlich, wenn man begreift, dass die moralische Situationswahrnehmung des Tugendhaften sich grundlegend von der des Beherrschten oder Unbeherrschten unterscheidet, deren Wahrnehmung durch aktuelle Begierden und Neigungen getrbt ist. Vgl. zu diesem Punkt McDowell: „Are Moral Requirements Hypothetical Imperatives?“, 92. 13 Aristoteles bezieht sich in der Nikomachischen Ethik ausschließlich auf die frhe sokratische Position, wie sie im Dialog Protagoras vorliegt. Auch wenn er den Dialog selbst nicht erwhnt, lsst sich das dem Text implizit entnehmen (vgl. Nikomachische Ethik, 1145b). Die ,Korrektur‘ durch Platon in den spteren Dialogen hat er offenbar nicht zur Kenntnis genommen. 14 Platon: Politeia, 436b. 15 Platon: Politeia, 439d-e.
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Vernunft fr unmçglich.16 Denn wenn der eifernde Seelenteil dem vernnftigen Seelenteil als dem Wagenlenker nicht beisteht, so ist dies auf einen Fehler in der Erziehung des ,Besitzers‘ der Seelenteile, nicht aber auf sein eigenes Versagen zurckzufhren.17 Platons Lçsung bleibt daher aus verschiedenen Grnden unbefriedigend: Erstens, weil sie eine Antwort auf die Frage schuldig bleibt, wie klarsichtiges Handeln entgegen dem eigenen vernnftigen Urteil mçglich ist. Die Lçsung kann zweitens nicht berzeugen, weil sie die Problematik mit der Partitionierung der Seele lediglich auf ein anderes Themenfeld verlagert: Wenn, wie er voraussetzte, „dasselbe nie zu gleicher Zeit Entgegengesetzes tun und leiden wird“ und daher drei Instanzen in der Seele angenommen werden mssen, die jeweils in autonomer Weise fr die sich einander ausschließenden berzeugungen, Absichten und Begierden verantwortlich sind, so ist nicht mehr die Rede von einem einzelnen Menschen mit verschiedenen Einstellungen, sondern von mehreren kleinen Menschen (homunculi) in einer nach außen hin einheitlichen menschlichen Gestalt.18 Drittens erweist sich Platons Bild eines ,Kampfes‘ zwischen der Vernunft und den Begierden zunchst auch fr den Handlungstheoretiker als problematisch. So ist z. B. fraglich, warum gerade eine dritte Instanz ber Handlungsalternativen entscheiden kçnnen soll, wenn doch alle drei Instanzen als selbstndig agierende Einheiten zu verstehen sind.19 Schließlich verstrkt Platon das Kampfbild zwischen der Vernunft auf der einen Seite und der Leidenschaft auf der anderen Seite durch die symbolische bertragung von guten und schlechten Charaktereigenschaften auf die verschiedenen Seelenteile im Dialog Phaidros. Es ist ein Bild, das von nun an in der Philosophiegeschichte seinen festen Platz hat und mit dem landlufig auch Kant assoziiert wird.
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Platon: Politeia, 440b. Vgl. Platon: Politeia, 441a. Vgl. zu diesem Argument Keil: „ber den Homunkulus-Fehlschluß“. Vgl. zu dieser Form der Kritik an Platons Argument Davidson: „How is Weakness of the Will Possible?“, 35 f. Davidsons in einem spteren Aufsatz in Anlehnung an Freud entwickeltes Erklrungsmodell fr das Phnomen der Willensschwche kommt Platons Argumentation erstaunlich nahe. Davidson verteidigt dort die These von der Organisation verschiedener logisch unabhngig von einander existierender Subsysteme in einem einzigen menschlichen Bewusstsein. Vgl. Davidson: „Paradoxien der Irrationalitt“, 223 f.
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I. Moralische Einsicht und moralisches Handeln
2. Humes Antwort: Skeptizismus bezglich praktischer Vernunft20 Die bis heute noch immer einflussreichste Kritik an der Ansicht, die (vernnftige) Einsicht allein kçnnte zur Handlung fhren, ist von David Hume formuliert worden. Die von Hume im Zweiten Buch des Treatise vorgetragene Gegenthese lautet, dass die berlegung allein weder eine Handlung hervorbringen noch Anlass zu einer Willensußerung geben kann. Ebenso wenig kann, so fgt er der These hinzu, die vernnftige Einsicht eine Willensanstrengung verhindern oder auch nur in einen Streit mit irgendeinem Affekt oder Gefhl treten.21 Humes antirationalistisches Argument lsst sich folgendermaßen zusammenfassen:22 P1: Der Verstand („understanding“/„reasoning“23) fllt Urteile aus Beweisen. Er kommt zu diesen Urteilen durch Reflexion von Vorstellungen. P2: Der Wille hat mit ,Realitten‘ („realities“24), nicht mit Vorstellungen zu tun. Er ist ein ,innerer Eindruck‘ („internal impression“25), den nur das bewegen kann, was ihn auch affiziert. Affektion durch Objekte ist nur ber Gefhle der Lust und Unlust mçglich und diese kçnnen nur von den Affekten ausgehen. K: Daher kann abstraktes oder beispielhaftes Denken („reasoning“26) allein („reason alone“27) den Willen nicht direkt beeinflussen. Es kann Handlungen nur indirekt beeinflussen, indem es zu Urteilen ber bestimmte Ursache-Wirkungs-Zusammenhnge fhrt, die ihrerseits das Handeln lenken kçnnen. Aber auch dann geht der Impuls nicht von der Vernunft aus, sondern wird von ihr geleitet. 28 Dass zum einen alle unsere moralischen Grundstze eine nicht-rationale, im weitesten Sinne emotionale Grundlage haben mssen und zum anderen eine jede Handlung durch Affekte, nicht durch vernnftiges berlegen, antrieben wird, ist die weit reichende Konsequenz, die Hume aus seiner Argumentation zieht. Mit der Diagnose, dass die Rede von einem Kampf 20 Die berschrift dieses Abschnittes bezieht sich auf den Titel eines Aufsatzes von Korsgaard: „Scepticism about Practical Reason“. 21 Vgl. Hume: Treatise, 2.3.3, 413 – 415. 22 Vgl. Hume: Treatise, 2.3.3, 413 – 415. 23 Hume: Treatise, 2.3.3, 413. 24 Hume: Treatise, 2.3.3, 413. 25 Hume: Treatise, 2.3.3, 399. 26 Hume: Treatise, 2.3.3, 414. 27 Hume: Treatise, 2.3.3, 414. 28 Vgl. Hume: Treatise, 2.3.3, 414.
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zwischen Vernunft und Leidenschaft nur metaphorische Bedeutung hat, philosophisch aber nicht gehaltvoll ist, gewinnt die Diskussion bei Hume noch an Schrfe. Da Humes psychologischem Konzept von Handlungen entsprechend nur ein entgegen gesetzter Impuls einen Affekt oder Impuls unterdrcken und die Vernunft diesen Impuls nicht liefern kann, kann sie gegenber einem Affekt auch keinen Widerpart abgeben. Es gibt keinen ,Kampf‘ zwischen Vernunft und Leidenschaft. Das Geschft der Vernunft im Handeln, so die bekannte These, ist aufgrund ihrer passiven Natur auf einen ,Dienst‘ an den Affekten beschrnkt: „We speak not strictly and philosophically when we talk of the combat of passion and reason. Reason is, and ought only to be the slave of the passions, and can never pretend to any other office than to serve and to obey them.“29 Im Dritten Buch des Treatise, in dem es um eine Untersuchung der Prinzipien der Moralitt geht, nimmt Hume sein antirationalistisches Argument aus dem Zweiten Buch wieder auf. Im Abschnitt mit dem programmatischen Titel „Moral Distinctions not deriv’d from Reason“ argumentiert Hume fr die These, dass sich Affekte und Volitionen und auch Handlungen der rationalen Bewertung entziehen. Er liefert folgendes Argument:30 P1: Die Leistung der Vernunft besteht in der Erkenntnis von wahr und falsch. Ihre einzigen Objekte sind Vorstellungen von Gegenstnden und Sachverhalten. Sie betrachtet entweder die Beziehungen zwischen solchen Vorstellungen oder aber Schlsse aus Tatsachen. ,Wahr‘ und ,falsch‘ bezieht sich demnach nur auf Vorstellungen, und alles, was sich uns nicht in Form von Vorstellungen darstellt, kann nicht als wahr oder falsch bezeichnet werden.31 P2: Affekte, Willensbestrebungen und Handlungen sind nicht abgeleitete Tatsachen und Realitten („original existence“32, „original facts and realities“33); sie sind nicht Abbild („copy“34) von bestimmten Vorstellungen und reprsentieren keine Gegenstnde. Daher kçnnen sie auch nicht korrigiert werden. 29 Hume: Treatise, 2.3.3, 415. 30 Vgl. Hume: Treatise, 3.1.1, 458. Etwas modifiziert findet sich das Argument auch schon in 2.3.3, 415. 31 Vgl. zu dieser Prmisse auch Hume: Treatise, 3.1.1, 458 f., 463. Vgl. die entsprechenden Stellen in der Enquiry, 1, 172 und Enquiry, Appendix I, 287. 32 Hume: Treatise, 2.3.3, 415. 33 Hume: Treatise, 3.1.1, 458. 34 Hume: Treatise, 2.3.3, 415.
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I. Moralische Einsicht und moralisches Handeln
K: Affekte, Willensbestrebungen und Handlungen kçnnen daher weder als ,wahr‘ oder ,falsch‘ noch als bereinstimmend oder nicht berstimmend mit den Urteilen der Vernunft bezeichnet werden. Die Vernunft hat keine Beziehung auf die Affekte. Dieses Argument ist nach Hume in zweifacher Hinsicht fr die Analyse unserer moralischen Urteile von Bedeutung: Direkt beweist es, dass die Vernunft nicht Kriterium fr die Beurteilung unserer Handlungen sein kann. Indirekt fhrt das Argument den Beweis dafr vor, dass moralisches ,Wissen‘ keinesfalls aus Vernunfturteilen ableitbar ist. Hume liefert auch fr diese miteinander verbundenen Thesen ein Argument, das die Basis seiner moralischen Epistemologie bildet35 : P1: Moralisches Wissen beeinflusst unsere Affekte faktisch – zwar nicht immer, aber hufig. Dieser Einfluss zeigt sich in tugendhaften Handlungen. Damit ist das Bewusstsein des moralisch Richtigen und Falschen ein aktives Prinzip, weil es Einfluss auf unseren Willen hat. P2: Die Vernunft hat keinen Einfluss auf die Affekte. Sie ist in dieser Hinsicht gnzlich passiv. P3: Ein passives Prinzip kann unmçglich die Quelle eines aktiven Prinzips sein. K: Also kann das Bewusstsein des Guten und Bçsen (und das heißt: unsere moralischen Urteile) nicht auf die Vernunft zurckgehen. Die fr Moralphilosophen so relevante Frage, ob es die Vernunft oder aber das Gefhl bzw. ein innerer Sinn ist, das ber Gut und Bçse in Handlungen entscheidet36, ist damit fr Hume beantwortet: Die Vernunft kann es nicht sein. Die fr Hume einzig denkbare Alternative zur Vernunft als Beurteilungskriterium und leitendem Handlungsprinzip ist das Gefhl: 35 Vgl. Hume: Treatise, 3.1.1, 457 f. Hume bringt das Argument gleich zweimal: Erstens vor Einfhrung des Argumentes gegen die Vernunft als Beurteilungskriterium von Handlungen und Affekten (vgl. Treatise, 3.1.1, 457) und zweitens im Anschluss an dieses Argument (vgl. Treatise, 3.1.1, 458). Diese doppelte Nennung und Einbettung in ein anderes Argument zeigt die besondere Relevanz, die die These von der nicht-rationalen Basis moralischer Urteile fr Hume hat. Er meint, sie nur dann ausreichend begrnden zu kçnnen, wenn er immer wieder auf den passiven Charakter der Vernunft als praktischem Vermçgen hinweist. 36 „The question only arises among philosophers, whether the guilt or moral deformity of this action be discover’d by demonstrative reasoning, or be felt by an internal sense, and by means of some sentiment, which the reflecting on such an action naturally occasions“ (Hume: Treatise, 3.1.1, 466). Vgl. Hume: Enquiry, 2.1, 170 – 173.
§ 1 Der problemgeschichtliche Hintergrund der Frage der moralischen Motivation
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Thus the course of the argument leads us to conclude, that since vice and virtue are not discoverable merely by reason, or the comparison of ideas, it must be by means of some impression or sentiment they occasion, that we are able to mark the difference betwixt them.37
Moralitt, so folgert Hume, „therefore, is more properly felt than judg’d of“.38 Dieser Sentimentalismus ist nicht unvorbereitet. Er hat seine Wurzeln bereits in handlungspsychologischen Thesen aus Humes Affektenlehre. Hume unterscheidet dort direkte und indirekte Affekte. Direkte Affekte entspringen unmittelbar aus einem Gut oder bel, das in Bezug auf ein Objekt empfunden wird. Als Beispiele fr direkte Affekte nennt Hume Begehren, Abscheu, Schmerz, Freude, Hoffnung, Furcht, Verzweiflung und Gewissheit. Die direkten Affekte sind es, die zu Handlungen motivieren; von ihnen gehen Impulse aus. Sie stehen im Gegensatz zu den indirekten Affekten, die ihrerseits nicht einfach aus der Empfindung eines Gutes oder bels hervorgehen, sondern aus einem Netz von Vorstellungen entstehen. Beispiele fr die indirekten Affekte sind nach Hume Stolz, Kleinmut, Ehrgeiz, Eitelkeit, Liebe, Neid, Mitleid, Groll und Großmut.39 Die direkten Affekte gehen aus der Erfahrung von Freude und Schmerz allein hervor, weisen keinen Bezug auf ein Objekt oder andere Affekte und Handlungen auf und sind nicht wahrheitswertfhig.40 Wie die indirekten Affekte unterscheiden sie sich von berzeugungen darin, dass sie uns nicht dabei helfen, bestimmte Objekte zu erkennen. Sie sind nicht-kognitive mentale Zustnde. Die Haltung, die wir den Objekten gegenber aus Affekten haben, ist eher eine bewegende; wir fhlen uns hingezogen oder abgestoßen aufgrund eines bestimmten Gefhls, das sich aus der unmittelbaren Wirkung eines Objektes ergibt. Diese Wirkung zeigt sich in Freude („pleasure“) oder Schmerz („pain“)41. Humes Beschreibung der These, Moralitt werde vielmehr gefhlt als erkannt42, luft auf einen Tugendsinn („sense of virtue“43) hinaus, der darin besteht, Zustimmung oder Ablehnung in Bezug auf eine Handlung oder einen Charakter zu empfinden. Nun muss sich eine Theorie der Moral, die auf der Voraussetzung aufbaut, dass Tugend und Laster durch die Gefhle 37 38 39 40 41 42 43
Hume: Treatise, 3.1.2, 470. Hume: Treatise, 3.1.2, 470. Vgl. Hume: Treatise, 2.1.1. Vgl. Hume: Treatise, 3.1.1, 399. Hume: Treatise, 3.1.2, 471. Vgl. Hume: Treatise, 3.1.2, 470. Hume: Treatise, 3.1.2, 471.
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I. Moralische Einsicht und moralisches Handeln
des Angenehmen und Unangenehmen definiert werden („virtue and vice be determin’d by pleasure and pain“44), den folgenden Fragen stellen: 1. Auf welche Grnde sttzt sich und wie entsteht jene Lust und Unlust, die bei der Unterscheidung des Guten vom Bçsen und umgekehrt empfunden wird? 2. Was bedeutet die Beobachtung, dass Moralitt auf einen Tugendsinn zurckgeht, der in uns das Gefhl einer besonderen Befriedigung auslçst, fr eine Theorie der moralischen Motivation? Gibt es einen internen Zusammenhang zwischen dem Gefhl der Zustimmung zum Guten und der Art und Weise, wie wir uns handelnd in der Welt bewegen? In seiner Antwort auf die erste Frage, mit der sich Hume explizit auseinandersetzt45, macht er deutlich, dass unsere moralischen ,Urteile‘ nicht durch vernnftige berlegung erzeugt werden. Vielmehr finden Menschen die Gefhle der Zustimmung und der Ablehnung in sich vor, so dass der Tugendsinn keiner eigenen Begrndung bedarf; er kann im Gegenteil bei allen Menschen vorausgesetzt werden: […] these sentiments are so rooted in our constitution and temper, that without entirely confounding the human mind by disease and madness, ’tis impossible to extirpate and destroy them.46
Auf die zweite Frage gibt Hume sowohl im Treatise als auch in der Enquiry eine ausfhrlichere Antwort. Die Argumentation lsst sich in vier Schritten zusammenfassen: 1. Lust und Unlust ist „the chief spring or actuating principle of the human mind“47. 2. Wir bezeichnen einen Charakter oder eine Verhaltensweise als gut oder schlecht, wenn wir Zustimmung oder Ablehnung empfinden. Das, was tugendhaft ist, lçst Wohlgefallen in uns aus, das was moralisch schlecht ist, verursacht ein Gefhl des Unwohlseins und der Ablehnung.48 3. Alles, was zu diesem Prozess des gefhlten ,Urteilens‘ erforderlich ist, ist Reflexion und Kontemplation. Sie reicht aus, um automatisch Zustimmung oder Verurteilung in Bezug auf einen Charakter oder eine 44 Hume: Treatise, 3.1.2, 471. 45 „From what principles is it [the feeling of pain or pleasure in moral subjects] derived, and whence does it arise in the human mind?“ (Hume: Treatise, 3.1.2, 473) 46 Hume: Treatise, 3.1.2, 474. 47 Hume: Treatise, 3.3.1, 574. 48 Vgl. Hume: Treatise, 3.3.1, 575, 581; Enquiry, 2.1, 174.
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Handlung zu bewirken: „[…] the mind, from the contemplation of the whole, feels some new impression of affection or disgust, esteem or contempt, approbation or blame.“49 4. Das Gefhl, das wir empfinden, wenn wir eine Handlung, Verhaltensweise oder eine sich in einer Handlung zeigende Gesinnung befrworten, ist ein positives Gefhl fr die „Ntzlichkeit“, die sich in der Handlungsweise ausdrckt: „Usefulness is agreeable, and engages our approbation. This is a matter of fact, confirmed by daily observation.“50 Dass uns Ntzlichkeit gefllt, ist eine Tatsache, die nicht weiter erklrt werden kann. Die Freude an der Ntzlichkeit erklren zu wollen ist ebenso sinnlos wie nach einem Grund dafr zu suchen, weshalb Lust wnschenswert ist. Beide Gefhle sind an sich wnschenswert und bedrfen keiner nheren Rechtfertigung.51 Humes Konzeption des Tugendsinns mndet in eine Theorie der moralischen Motivation, die das moralische Motiv als Sympathie versteht. Die Fhigkeit, das Gute und Bçse fhlend zu erfassen, erhlt dann einen tieferen Sinn, wenn sie es ihren Besitzern ermçglicht, ber die eigenen Interessen hinauszugehen. Die Sympathie ist das einzige Gefhl, durch das uns eine Vorstellung, die nicht unsere eigenen Interessen betrifft, in ein Gefhl der Lust versetzt.52 Die Sympathie ist eine Art von imagination, in der eine berzeugung („belief“ ber Gefhle anderer Personen) in einen Eindruck („impression“) bergeht. Diese ,Umwandlung‘ erfolgt durch das belebende Prinzip des Selbsterlebens; die Vorstellung des Gefhls des anderen wird zum Eindruck, der seinerseits als ein Lustgefhl wahrgenommen wird.53 Auf diesem Weg der ,Imagination‘ ist es mçglich, dass Menschen sich mit einer bestimmten Verhaltensweise, die nicht notwendigerweise mit ihren eigenen Interessen bereinstimmt, identifizieren. Das lebendige Gefhl der Zu49 50 51 52
Hume: Enquiry, Appendix I, 290. Vgl. Hume: Treatise, 3.1.2, 471; 3.3.1, 577. Hume: Enquiry, 2.4, 218. Vgl. Hume: Enquiry, Appendix I, 293. So heißt es im Treatise: „The bare opinion of another, especially when inforc’d with passion, will cause an idea of good or evil to have influence upon us, which wou’d otherwise have been entirely neglected. This proceeds from the principle of sympathy or communication […]“ (2.3.6, 427). Dabei ist zu bedenken, dass Sympathie bei Hume auf Nahbeziehungen geht: Es ist eine Empfindung, die sich insbesondere bei Personen, die uns nahe stehen, einstellt. 53 Vgl. Hume: Treatise, 2.3.6, 427; 3.1.2, 471 f.; 3.3.1, 575 – 579. Zur Funktionsweise des Sympathiegefhls und seiner Parallele zu Humes Konzept des Verstehens vgl. Capaldi: „Hume’s Theory of the Passions“.
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stimmung, das aus diesem Prozess hervorgeht, ist eine Art von Affekt, der seinerseits zum Handlungsmotiv werden kann. Whrend die Vernunft „cool“ und „disengaged“54 ist und die Rolle eines Motivs nicht bernehmen kann, lçst die Sympathie ein Gefhl der Lust aus, das eine bewegende Wirkung auf das eigene Gemt hat und auch als Impuls zu einer neuen Volition verstanden werden kann.55 Sympathie ist – zumindest nach Auffassung des Treatise – die Grundlage aller unserer moralischen Urteile; sie werden durch diese besondere Einstellung ,erfhlt‘.56 Das heißt zusammengefasst: Ein Gefhl ist bei Hume sowohl Grundlage der moralischen Urteile als auch bewegendes Moment in Handlungen. Der Vernunft kommt allein eine passive Rolle zu; sie ist weder in der Lage, moralische Urteilsbildung voranzutreiben noch zu Handlungen zu bewegen. Dabei ist es ein ganz bestimmtes Verstndnis der Vernunft, das Hume zu diesen Schlussfolgerungen leitet. Die sich in diesem Verstndnis ausdrckende skeptische Grundhaltung, der zufolge die Vernunft eher ein passives und reproduktives, als ein aktives und produktives Vermçgen ist, ist bereits im ersten Buch des Treatise, im Buch „ber den Verstand“, angelegt. Es seien hier nur zwei Beispiele angefhrt: 1. In Bezug auf die (negative) Rolle der Vernunft in der Erkenntnis der Wirksamkeit der Ursachen: […] reason alone can never give rise to any original idea, and […] reason, as distinguish’d from experience, can never make us conclude, that a cause or productive quality is absolutely requisite to every beginning of existence.57
2. In Bezug auf die (Un-)Mçglichkeit der Gewissheit durch Vernunft ber die eigenstndige und permanente Existenz von Kçrpern:
54 Hume: Enquiry, Appendix I, 294 55 Im Enquiry ist vom Gefhl als „the first spring or impulse to desire and volition“ die Rede (Appendix I, 294). Dass es sich bei diesem aktiven, einen neuen Affekt generierenden Gefhl in Bezug auf die Moral um die Sympathie handelt, fhrt Hume nur im Treatise genauer aus. In der Enquiry hingegen wird die Sympathie einfach als ein menschliches Mitgefhl verstanden. 56 Vgl. Hume: Treatise, 3.3.1, 577. Hume hat die Grenzen seines Sympathy-Konzeptes selbst gesehen und spter im Enquiry auch ausgefhrt. So revidiert er den Sympathy-Gedanken dort vor dem Hintergrund der berzeugung, dass moralische Wahrnehmung ein echtes und nicht ein imaginres Gefhl bençtigt, das eigentliche eine berzeugung (ber die Befindlichkeit anderer Personen) und kein Gefhl ist. Vgl. dazu z. B. die Darstellung bei Capaldi: Hume’s Place in Moral Philosophy, 237 – 248. 57 Hume: Treatise, 1.3.14, 157; H. v. m.
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So that upon the whole our reason neither does, nor is it possible it ever shou’d, upon any supposition, give us an assurance of the continu’d and distinct existence of body.58
Den Skeptizismus bezglich der Leistungsfhigkeit der Vernunft fhrt Hume im zweiten Buch seines Treatise fort. So beruht sein ,Argument‘ fr die beiden Thesen, die Vernunft kçnne erstens allein den Willen niemals bewegen und zweitens einen Affekt niemals bekmpfen, um den Willen in eine bestimmte Richtung zu drngen, auf einer Hintergrundannahme ber die Vernunft, der zufolge diese allein ein Vermçgen zu Schließen ist. Ihre einzige Leistung in Bezug auf menschliche Handlungsvollzge besteht daher fr Hume darin, dass sie die geeigneten Mittel zu einem bestimmten Zweck anzeigt, der eine Person interessiert.59 Vor dieser Voraussetzung erscheinen Versuche, moralische Grundstze auf die Vernunft zurckzufhren und von dieser Vernunft zu erwarten, sie wrde bei der Herausbildung tugendhafter Motive behilflich sein, in der Tat fragwrdig. Hume formuliert diese Konsequenz schließlich auch in einer Frage, in deren appellativem Charakter zunchst etwas fr seine antirationalistische Position durchaus Vereinnahmendes liegt: The end of all moral speculations is to teach us our duty; and, by proper representations of the deformity of vice and beauty of virtue, beget correspondent habits, and engage us to avoid the one, and embrace the other. But is this ever to be expected from inferences and conclusions of the understanding, which of themselves have no hold of the affections nor set in motion the active powers of men? They discover truths: but where the truths they discover are indifferent, and beget no desire or aversion, they can have no influence on conduct and behaviour.60
Humes drastische Infragestellung rationaler Moralbegrndungen ist unter den von ihm angestellten Voraussetzungen durchaus berechtigt. Denn „[w] as ntzt uns“, so ein Interpret zur soeben zitierten Stelle aus der Enquiry, „eine noch so ausgeklgelte Theorie darber, was das moralisch Gute ist, wenn sie von uns ein Verhalten fordert, dem gerecht zu werden wir motivational nicht in der Lage sind?“61 Zu bedenken ist jedoch, dass Hume das Patt auf Seiten der Vernunft selber konstruiert. So fußt seine These von der Passivitt und Unproduktivitt der Vernunft in moralischen Urteilen und 58 Hume: Treatise, 1.4.2, 193; H. v. m. 59 Vgl. dazu noch einmal Hume: Treatise, 3.1.1, 458 f., sowie die entsprechenden Stellen im Enquiry, 2.1, 172 und Appendix I, 287. 60 Hume: Enquiry, 2.1, 172; H. v. m. 61 Hepfer: „Einleitung“, L.
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Handlungen auf einer ganz bestimmten Auffassung ber die Leistungsfhigkeit der Vernunft, die ihrerseits fr Hume evident ist, weshalb sie fr ihn letztlich keiner weiteren Begrndung bedarf. Vor diesem Hintergrund stellt sich das im Treatise vorgefhrte ,Argument‘ fr die These, die Vernunft sei in Bezug auf den Willen und auf menschliches Handeln indifferent, nicht als ein gltiger Schluss, sondern allenfalls als eine starke antirationalistische Behauptung dar.62 Hume setzt axiomatisch voraus, dass die Vernunft nur Beziehungen zwischen Objekten erkennt, aber keine Verbindung zwischen diesem (theoretischen) Urteil ber Kausalverhltnisse und den Volitionen herstellen kann.63 Dabei ist es, folgt man Humes Ausfhrungen im Treatise, genau genommen nicht die Vernunft, sondern der Verstand, dessen Ttigkeit allein im Urteilen nach demonstrativen Beweisen oder nach Wahrscheinlichkeit besteht.64 Man kçnnte daher vermuten, Hume beginge hier eine Inkonsistenz, wenn er von der (ebenfalls eingeschrnkten) Ttigkeit des Verstandes auf die defizitre Leistung der Vernunft schließt. Dass aus Humes Sicht hier jedoch keine Inkonsistenz vorliegt, ist offenbar in seiner Annahme begrndet, dass eine Unterscheidung zwischen Verstand und Vernunft als voneinander verschiedenen Vermçgen nicht sinnvoll ist. Hier und andernorts gebraucht er daher „understanding“ und „reason“ als wechselseitig austauschbar, wenn es ihm darum geht, zu zeigen, was die Vernunft bzw. der Verstand nicht leisten kann.65 In diesem grundlegenden, die Diskussion ber die Motive des Willens und die Grundlage moralischer Urteile vorstrukturierenden Sachverhalt liegt sowohl der entscheidende Unterschied zu rationalistischen Theorien der Moral als auch der Grund fr das ,Schicksal‘, das der Vernunft in Humes praktischer Philosophie beschieden ist. So definiert er auch den Willen unabhngig von der Vernunft als einen ,inneren Eindruck‘, ber den sich definitorisch ebenso wenig sagen lasse wie ber andere Eindrcke, 62 Sie ist Teil eines ,Humeschen Dogmatismus‘, wie er auch in der These begegnet, von einem „Sollen“ kçnne mit Blick auf den deskriptiven Charakter aller moralischen Stze nicht gesprochen werden. Vgl. Snare: Morals, Motivation, and Convention, 35. Zu Humes Diagnose eines ,Sein-Sollen-Fehlschlusses‘ vgl. Treatise, 3, 1, 1, 469 f., sowie verschiedene Analysen in Hudson: The is-ought-question. 63 Vgl. Hume: Treatise, 2.3.3, 414. 64 „The understanding exerts itself after two different ways, as it judges from demonstration or probability […]“ (Hume: Treatise, 2.3.3, 413 f.). 65 Vgl. dazu die besonders markante Stelle in Treatise, 1.4.2, 193, wo es heißt: „This sentiment, then, as it is entirely unreasonable, must proceed from some other faculty than the understanding.“
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die wir zum Beispiel als Affekte des Stolzes („pride“) oder der Niedergedrcktheit („humility“), der Liebe („love“) oder des Hasses („hatred“) kennen.66 Ein auf die Ttigkeiten des Verstandes beschrnkter Vernunftbegriff lsst fr einen Begriff des Willens als durch Vernunft bestimmbares und selbst schon durch diese Vernunft strukturiertes Vermçgen keinen Raum. Denn dies sieht Hume ganz richtig: Allein von Schlssen des Verstandes ist es nicht zu erwarten, dass sie uns in unseren Handlungen leiten oder auch nur eine Willensregung indizieren.67
§ 2 Der historische Kontext von Kants Fragestellung 1. Hutcheson ber moralische Zustimmung und moralisches Handeln In seinem Dialog Phaidros hat Platon das Bild einer edlen, die minderwertigen und schlechten Begierden leitenden Vernunft entworfen und damit bis heute fr eine konstante Metapher in der philosophischen Handlungstheorie und Ethik gesorgt. Simon Blackburn hat dieses in der westlichen Tradition vorherrschende Bild einer wertenden Gegenberstellung von konativen und kognitiven Komponenten in moralischen Handlungen durch folgendes Schema veranschaulicht68 :
Das Nachdenken ber Ethik ist nach Blackburns Ansicht durch das Vorurteil geleitet, es handle sich bei den (dionysischen) Begriffen in den drei linken Spalten um wenig verlockende Fremdlinge („uninviting allies“69), whrend den (apollinischen) Begriffen in der rechten Spalte aus ethischer Sicht der Vorzug zu geben sei. Dies liege wiederum daran, wie man die Elemente beider Spalten bewertet: Whrend die linken Begriffe eine renitente Gruppe bilden, die verschiedenartigste Assoziationen hervorruft, 66 Hume: Treatise, 2.3.1, 399. 67 Zu Humes Analyse des Problems der (moralischen) Motivation siehe z. B. die detaillierten Darstellungen bei Radcliffe: „Hume on the Generation of Motives“ und bei Shaw: „Hume’s Theory of Motivation“. 68 Vgl. Blackburn: Ruling Passions, 88. 69 Blackburn: Ruling Passions, 88.
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weil jeder dieser Begriffe kontingent, subjektiv und relativ ist, verbinden wir mit den Begriffen in der rechten Spalte die Vorstellung von etwas Objektivem, Zeitlosen, Absolutem. Und whrend die Wçrter auf der linken Seite fr das zu stehen scheinen, was uns berwltigt und den Kopf verlieren lsst, so korrespondieren die Bezeichnungen auf der rechten Seite unserer Fhigkeit der Selbstbestimmung und Selbstkontrolle: „In a word, things on the left belong to the dark, and those on the right to light. They are lower; those on the right are higher. In the bad old days, they were femine, whereas the exercise of reason was masculine.“70 Wie Blackburn bemerkt, ist dieses fr Ethikkonzeptionen prgende Licht- und Schattenreich zwischen den Kognitionen einerseits und den Emotionen, Wnschen und Dispositionen andererseits bis heute gegenwrtig. Das zeigt sich z. B. in der pejorativen Rede von ,bloßen‘ Wnschen, Emotionen und Haltungen, die aufgrund ihrer Unzulnglichkeit nicht Grundlage einer berzeugenden Ethik sein kçnnen.71 Blackburns Gegenentwurf zu diesem landlufigen Verstndnis der handlungstheoretischen Grundlagen einer Ethik ist aus diesen Grnden u. a. an Humes Entwurf einer naturalistischen Ethik orientiert. Dessen Metapher von der Vernunft als Sklavin der Leidenschaften gilt bis heute als markantester Einspruch gegen die These, unsere emotionale, affektive Natur kçnne in Handlungen selbst nichts ausrichten und sei auf die Leitung durch die Vernunft angewiesen. Tatschlich hat jedoch schon der insbesondere auch fr Kant bedeutsame72 Francis Hutcheson den Versuch unternommen, dem Bild der Benachteiligung der Affekte und Gefhle gegenber der Vernunft in unseren Handlungen zu widersprechen. In seinem Inquiry into the Original of 70 Blackburn: Ruling Passions, 88 f. Die „schlechten alten Tage“ hat auch eine ,aufgeklrte‘ Philosophie wie die Kants nicht beenden kçnnen, wie z. B. folgende Stze aus in den Bemerkungen zeigen: „Das Frauenzimmer ist nher an der Natur“ (Bemerk 20:50). „Da das Frauenzimmer schwach ist so sind sie weit weniger der Tugend fhig“ (Bemerk 20:98). „Der ist Mann ist strker nicht blos dem Baue sondern auch in grundsatzen und der Standhaftigkeit“ (Bemerk 20:74). 71 Vgl. Blackburn: Ruling Passions, 89. 72 Die britischen Moralphilosophen wurden in Deutschland und Preußen zu Kants Zeiten wahrgenommen und diskutiert (vgl. Kuehn: Kant, 107 f., 183). Kant erwarb 1762 die deutsche Ausgabe von Hutchesons An Inquiry into the Original of Our Ideas of Beauty and Virtue (1725) und vom Essay on the Nature and Conduct of the Passions,with Illustrations of the Moral Sense (1728) (vgl. Schneewind: The Invention of Autonomy, 501, sowie Warda: Immanuel Kants Bcher, 50). Khn geht davon aus, dass Kant ber seinen Freund Hamann auch Zugang zu einer deutschen Ausgabe des Treatise hatte (vgl. Kuehn: Kant, 265, 482).
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our Ideas of Beauty and Virtue, in Two Treatises von 1725 sowie in seinem Essay on the Nature and Conduct of the Passions and Affections, with Illustrations on the Moral Sense von 1728 entwirft Hutcheson eine Theorie moralischer Urteile und Grundstze, die unter dem Namen einer ,Philosophie des Moral-Sense‘ schon im 18. Jahrhundert als eine der einflussreichsten und originellsten moralphilosophischen Untersuchungen aufgenommen wurde. In Schottland hat er seinen Schler Adam Smith ebenso beeinflusst wie beispielsweise Thomas Reid und in Deutschland – wenn auch in weit bescheidenerem Maße – Immanuel Kant. Was jedoch insbesondere Hutchesons als Antwort auf die zeitgençssische Kontroverse ber den Ursprung unserer moralischen Prinzipien73 formulierte Vernunftkritik betrifft, so hat er sicherlich keinen anderen Philosophen so sehr beeinflusst wie David Hume. Ein Blick auf die Argumentationsstruktur Hutchesons vor allem in den Illustrations upon the Moral Sense zeigt dabei, in welch erheblichem Maße Humes Analysen zu den Motiven des Willens und zur Funktionsweise der Affekte in Handlungen Hutcheson geschuldet sind.74 Den Abschnitt ber das „Wesen der Tugend“ beginnt Hutcheson mit einer Definition des ,Arbeitsbereichs‘ der Vernunft, um diese daraufhin als mçgliche Komponente in unseren moralischen Urteilen und Handlungen auszuschließen: Since Reason is understood to denote our Power finding out true Propositions, Reasonableness must denote the same thing, with Conformity to true Propositions, or to Truth. Reasonableness in Action is a very common Expression, but
73 Die Frage nach dem Ursprung unserer moralischen Prinzipien wurde im Vorfeld vor allem zwischen Anthony Earl of Shaftesbury und Bernard de Mandeville diskutiert. Whrend Shaftesbury die Ansicht verteidigte, dass sie auf die Natur des Menschen zurckgehen, vertrat Mandeville in der „Bienenfabel“ die These, der Mensch sei von Natur aus selbstinteressiert und eigensinnig, nicht aber moralisch eingestellt, so dass es sich bei unseren moralischen Grundstzen um knstlich eingefhrte Regeln handle (vgl. Shaftesbury: Characteristics of Men und Mandeville: Die Bienenfabel). 74 Vgl. zu dieser Thematik Stephen Darwall: „Hutcheson on Practical Reason“, bes. 74; Schneewind: The Invention of Autonomy, 355 – 361, und Taylor: Francis Hutcheson and David Hume as Predecessors of Adam Smith. – Hume hat den direkten Kontakt zu Hutcheson gesucht und sich u. a. in Briefen mit ihm ber gemeinsame Punkte in ihren Arbeiten ausgetauscht. Wie Wolfgang Leithold belegt, hat er sich nach Erscheinen seines Treatise an Hutcheson gewandt, um dessen Urteil ber sein Buch in Erfahrung zu bringen (vgl. Leithold: „Einleitung“, XI). Leithold verweist diesbezglich u. a. auf Burton: Life and Correspondence of David Hume, 2 f., 105 f., 146 ff. (vgl. Leithold: „Einleitung“, LVII).
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yet upon inquiry, it will appear very confused, whether we suppose it the Motive to Election, or the Quality determining Approbation. 75
Fr die Rolle der Vernunft in moralischen Handlungen und Urteilen heißt das konkret: Da die Vernunft in der Fhigkeit besteht, wahre Prpositionen zu eruieren und zu Wissen ber die Relationen von Tatsachen zu gelangen, kann sie erstens weder das Motiv fr die Auswahl bestimmter Handlungsalternativen sein noch Quelle unserer moralischen Urteile und unserer Zustimmung. Da zweitens Vernnftigkeit die bereinstimmung mit wahren Stzen ist, ist die Rede von der Vernnftigkeit von Handlungen irrefhrend. Es ist uns außerdem drittens aufgrund ihres rein theoretischen Arbeitsgebietes nicht mçglich, uns durch die Vernunft Zwecke zu setzen. Diese Annahme impliziert die Ansicht, dass Zwecke nur durch ein Begehren intendiert werden kçnnen: As if indeed Reason, or the Knowledge of the Relations of things, could excite to Action when we proposed no End, or as if Ends could be intended without Desire or Affection. 76
Das bedeutet fr Hutcheson des Weiteren, dass es keine Zwecke gibt, die um ihrer selbst willen erstrebt werden. Denn dies wrde bedeuten, dass dieser Zweck aufgrund vernnftiger berlegungen, aufgrund von Propositionen, erstrebt wrde. Da jedes Beabsichtigen auf ein Begehren zurckgeht und Menschen eines um des anderen willen in einem infiniten Prozess des Begehrens erstreben, ist dies jedoch unmçglich.77 Aus der Definition von Vernunft und Vernnftigkeit zieht Hutcheson schließlich Konsequenzen fr die Natur unserer moralischen Einstellungen: Da die Vernunft uns nur etwas ber wahre Propositionen verrt und Handlungen durch die Vernunft allein als Objekt wahrer Propositionen verstanden werden78, liegt es Hutcheson zufolge in der Beweislast der Vernunftethiker, zu zeigen, wie durch die von Ihnen verteidigte rationale Grundlage der Moral erklrt werden kann, dass wir moralische Urteile fllen und Handlungsalternativen whlen.79 Hutchesons eigene Lçsung geht von der Voraussetzung aus, dass die moralischen Urteile und die Grnde, aus denen Menschen handeln, erstens beide nicht auf der Vernunft basieren und zweitens jeweils verschiedenen Ursprungs sind. Es 75 76 77 78 79
Hutcheson: Essay with Illustrations, II, I, 137. Hutcheson: Essay with Illustrations, II, I, 139; vgl. II, I, 178. Vgl. Hutcheson: Essay with Illustrations, II, I, 139 f. Vgl. Hutcheson: Essay with Illustrations, II, I, 144. Vgl. Hutcheson: Essay with Illustrations, II, I, 138.
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handelt sich bei ihnen um zwei nicht notwendig mit einander verbundene Einstellungen, denen unterschiedliche Klassen von Grnden entsprechen:80 Rechtfertigende Grnde („justifying reasons“) und Beweggrnde des Handelns („exciting reasons“).81 So erhlt man nach Hutchesons Auffassung ohne einen moralischen Sinn („moral sense“) nur eine Aussage ber wahre Stze, aber man befindet nicht etwas als gut.82 Von moralischen Urteilen kann daher nur gesprochen werden, wenn wir der Qualitt einer mçglichen Handlung zustimmen. Diese Zustimmung („approbation“) erfolgt nicht ber die Erkenntnis der bereinstimmung einer Handlung oder eines Sachverhaltes mit der Vernunft („conformity to reason“), sondern resultiert aus dem durch den moralischen Sinn gefllten Urteil der moralischen Angemessenheit einer Handlung bzw. eines Sachverhaltes.83 Dem entsprechend versteht Hut80 So mag man Flle angeben kçnnen, in denen es gerechtfertigte Grnde fr einen Sachverhalt gibt, in dem sich diese Grnde aber nicht in einer Wahl oder Entscheidung auswirken. Als Beispiel fhrt Hutcheson Urteile ber die Handlungen anderer Menschen an: Diese mçgen fr einen Dritten nachvollziehbar sein, auch wenn sie sich bereits vor der eigenen Existenz abgespielt haben (z. B. in Bezug auf historische Personen und Ereignisse). Umgekehrt kann es den Fall geben, dass die Grnde, die uns zur Wahl einer bestimmten Handlungsalternative bewegen, selbst keine Zustimmung bei uns finden (vgl. Hutcheson: Essay with Illustrations, II, I, 154). – Hutchesons Definition des ,moral sense‘ luft also gerade nicht – wie man vermuten kçnnte – auf motivierende Einstellungen hinaus. Der moralische Sinn ist vielmehr das Vermçgen der Zustimmung und ist mit der Motivation nicht notwendig verbunden. Darin unterscheidet sich Hutchesons Definition des moralischen Sinns von der Shaftesburys, der diesen nicht nur als Vermçgen der Bewertung, sondern auch der Motivation versteht. Vgl. zu dieser Verschiedenheit bei Hutcheson und Shaftesbury Mohr: „Moral Sense“, 317 f., sowie Sprute: „Der Begriff des Moral Sense“. 81 Diese Unterscheidung bernimmt Hutcheson, wie er selbst bemerkt (Essay with Illustrations, II, I, 138 f.) von Grotius, der die Grnde fr den Krieg in „Justificae“ und „Suasoriae“ („Ratschlge“) unterscheidet (vgl. Grotius: Drei Bcher ber das Recht des Krieges und des Friedens, II, 1.1). Grotius wiederum bezieht sich auf Polybius und Livy. Es ist jedoch zu bedenken, dass Grotius’ Verstndnis beider Arten von Grnden als Ursachen gerade nicht im Sinne Hutchesons ist (vgl. zu diesem Punkt Schneewind: The Invention of Autonomy, 340, Fn. 19). 82 Eine kurze Zusammenfassung zur Entwicklung der „Moral-Sense-Hypothese“ von Burnet ber Shaftesbury und Hutcheson zu Smith gibt Mohr: „Moral Sense“. Dort auch Literaturhinweise. 83 Vgl. Hutcheson: Essay with Illustrations, II, I, 145. Die Zustimmung ist eine Empfindung, die genauer als Zuneigung („kind affection“) zu versehen ist. Sie stellt sich ein, ohne dass wir darauf willentlichen Einfluss haben: „Approbation is plainly a Perception arising without previous Volition […]“ (Hutcheson: Essay with Illustrations, II, I, 155).
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cheson den Grund, der eine Handlung rechtfertigt („justifying reason“), als „a Truth expressing a Quality, engaging our Approbation“.84 Eine solche Wahrheit ber eine Handlung ist ein (die Handlung) rechtfertigender Grund, wenn er die Zustimmung oder die Ablehnung seines Beobachters hervorruft. Die Zustimmung oder Ablehnung wird ihrerseits ermçglicht durch den ,moralischen Sinn‘; bewertet werden bei dieser Beobachtung die Motive des Handelns.85 Damit ist es die in Zustimmung und Ablehnung sich ausdrckende Antwort des Beobachters auf die motivationale Komponente einer Handlung, die das Terrain moralischer Urteile begrenzt. Das heißt: Da Zustimmung und Ablehnung nur durch einen moralischen Sinn mçglich sind, kommt kein rechtfertigender Grund ohne einen solchen moralischen Sinn aus. Moralische Urteile werden auf der Grundlage eines moralischen Sinns gefllt und niemals allein aufgrund von vernnftiger berlegung. Hintergrund dieses Gedankens ist die Auffassung, dass moralisches Urteilen auf einer spezifischen Art der Wahrnehmung beruht, und jede Wahrnehmung einen ihr entsprechenden Sinn voraussetzt. Unter dem Moralsinn versteht Hutcheson „a determination of the mind, to receive any idea from the presence of an object, which occurs to us, independently on our will.“86 Die Wahrnehmung des moralisch Guten und Schlechten drngt sich dem Subjekt durch den Moralsinn auf und wird nicht durch mçgliche Eigeninteressen getrbt.87 Das moralische Urteil drckt dabei seinerseits die Wahrnehmung des Moralsinns aus: Nimmt der Moralsinn Wohlwollen als Motiv einer Handlung wahr, erfolgt das zustimmende Urteil. Unter dieser Voraussetzung kann es nicht die Vernunft sein, die die Grundlage moralischer Urteile bereitstellt. Das Moralbewusstsein beruht auf moralischer Wahrnehmung, die ihrerseits allein von einem moralischen Sinn ausgeht.88 84 Hutcheson: Essay with Illustrations, II, I, 138. 85 So ist z. B. die Tatsache, dass eine luxuriçse Lebensweise einen eigenntzigen Charakter verrt, ein rechtfertigender Grund dafr, den Luxus abzulehnen. Vgl. Hutcheson: Essay with Illustrations, I, 138, sowie Inquiry, II, II, VI, 150. 86 Hutcheson: Inquiry, II, II. 87 Vgl. Hutcheson: Inquiry, II, II. 88 Zu Hutchesons Einfhrung des Moral-Sense-Begriffs in seiner Introduction to Moral Philosophy im Zusammenhang einer „Vier-Ebenen-Theorie der Wahrnehmung“ vgl. Mohr: „Moral Sense“, 313 – 315. Der Moralsinn wird hier verstanden als ein „reflexiver innerer Sinn“ und als solcher als „das Vermçgen wertender Gefhle gegenber unseren Gefhlen“ (Mohr: „Moral Sense“, 315). Vgl. auch die Darstellung bei Leithold: Ethik und Politik bei Francis Hutcheson, 130 f., sowie bei Rhl: Moralischer Sinn und Sympathie, 110 f.
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Moralische Verpflichtung wird erst unter Bercksichtigung dieser Funktion des moralischen Sinns in unseren moralischen Urteilen, die fr Hutcheson Urteile der Zustimmung oder der Ablehnung sind, verstndlich. Demnach ist jemand genau dann verpflichtet zu einer Handlung, wenn er selbst oder jeder andere Beobachter unter Bercksichtigung aller Bedingungen seiner Handlung zustimmen oder das Unterlassen dieser Handlung missbilligen wrde. Das moralisch qualifizierende Kriterium ist, ob Wohlwollen das Motiv der Handlung ist.89 In Bezug auf die Frage der Handlungserklrung gilt Hutchesons besonderes Interesse der Unterscheidung zwischen rechtfertigenden Grnden und Beweggrnden des Handelns: Eine Handlung fr gut befinden („approbation“) und diesem Urteil entsprechend zu handeln („election“) sind zwei verschiedene Sachverhalte. Die Grnde, die uns eine Handlungsalternative ergreifen lassen, bezeichnet Hutcheson als „exciting reasons“. Es sind die Grnde, die eine Person dazu bringen, eine bestimmte Handlung auszufhren.90 Sie sind immer auf einen Affekt bezogen und durch diesen generiert.91 Hintergrund dieser These ist erneut die Annahme, dass Tatsachenaussagen als solche keine Handlungen hervorbringen kçnnen, sondern es immer einer Positionierung in Form von Zustimmung oder Ablehnung bedarf, die ihrerseits nur aus der Struktur des Begehrens hervorgehen kann. Daher gibt es auch keine Zwecke oder „exciting reasons“, die einem Affekt vorangehen kçnnten.92 Aus dieser Struktur der Beweggrnde des Handelns ergibt sich folgendes Bild moralischer Motivation bei Hutcheson: Unsere moralischen Motive sind immer durch Affekte vorgegeben. Ziel tugendhafter Handlungen ist das Wohlwollen gegenber anderen; dieses ist zugleich das einzige moralische Motiv, das fr Hutcheson denkbar ist.93 Damit antwortet Hutcheson auf die herausfordernde These Mandevilles, alle Handlungen, 89 Vgl. Hutcheson: Essay with Illustrations, II, I, 146. 90 Vgl. Hutcheson: Essay with Illustrations, II, I, 138. 91 Im Inquiry wird besonders deutlich, dass Beweggrnde fr Hutcheson berhaupt nur als Affekte denkbar sind: „The motives of human actions, or their immediate causes, would be best understood after considering the passions and affections […]. Every action, which we apprehend as either morally good or evil, is always supposed to flow from some affection toward sensitive natures; and whatever we call virtue or vice, is either some such affection, or some action consequent upon it“ (Hutcheson: Inquiry, II, II, 76 f.). 92 Vgl. Hutcheson: Essay with Illustrations, II, I, 139. 93 Vgl. Hutcheson: Inquiry, II, II, VI.
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auch moralische, gingen letztlich auf das Prinzip der Selbstliebe zurck.94 Es gibt, im Gegenteil, so Hutcheson, eine natrliche Veranlagung, das Wohl anderer zu erstreben: Complacence, esteem, or good-liking, at first view appears to be disinterested, and so displicence or dislike; and are entirely excited by some moral qualities, good or evil, apprehended to be in the objects; which qualities the very frame of our nature determines us to approve or disapprove, according to the moral sense above explained.95
Zusammengefasst heißt das: 1. Bei der Erklrung moralischen Handelns sind zwei verschiedene Arten von Grnden zu bercksichtigen: rechtfertigende („justifying reasons“) und bewegende („exciting reasons“) Grnde. 2. Beide Arten von Grnden beziehen sich auf die emotionale Natur des Menschen: auf seine Wahrnehmung und seine Affekte. Weder die rechtfertigenden noch die bewegenden Grnde gehen auf die Vernunft zurck. 3. „Justifying reasons“ beruhen auf einem moralischen Sinn als einer spezifischen Art der Wahrnehmung, „exciting reasons“ beruhen auf Affekten. Die Grnde fr die Zustimmung sind von der Art einer Zuneigung („kind affection“), whrend die Grnde fr die Wahl einer Handlung die Mçglichkeit der Befriedigung von Neigungen widerspiegeln. 2. Wolff und der ethische Rationalismus96 Hutchesons insbesondere im zweiten Teil seines Essays, den Illustrations upon the Moral Sense, herausgearbeitete Kritik einer Theorie praktischer
94 „Das ist das Naturgesetz, kraft dessen kein Geschçpf mit irgendeinem Streben oder Gefhl begabt ist, das nicht entweder direkt oder indirekt auf die Erhaltung seiner selbst oder seiner Gattung abzielte“ (Mandeville: Die Bienenfabel, 237). Dies gilt auch in Bezug auf scheinbar selbstlos motiviertes Handeln (vgl. Die Bienenfabel, 105 f.). 95 Hutcheson: Inquiry, II, II, II, 272. 96 Die Hintergrnde der Entwicklung der kantischen Ethik werden hier nur skizzenhaft verfolgt. Zu ausfhrlichen Darstellungen zu dieser Problematik siehe v. a. Henrich: „ber Kants frheste Ethik“ und „Hutcheson und Kant“, Lee: Das Problem des moralischen Gefhls, Menzer: „Der Entwicklungsgang der Kantischen Ethik“, Park: Das moralische Gefhl, Schmucker: Die Ursprnge der Ethik Kants,
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Vernunft war als Antwort auf die herbe Kritik des Rationalisten Gilbert Burnet auf Hutchesons erstes moralphilosophisches Werk, den Inquiry, entstanden.97 In mehreren nach Erscheinen des Inquiry im London Journal verçffentlichten Briefen hatte Burnet vor allem Hutchesons Theorie des ,moral sense‘ kritisiert.98 Die Schrfe der Argumentation in den Illustrations ist wohl zumindest zu einem Teil dieser Vorgeschichte geschuldet.99 Burnet hatte in seiner Kritik einen rationalistischen Ansatz verteidigt, demzufolge Moralitt nicht auf bestimmte individuelle Wnsche oder auf einen moralischen Sinn zurckzufhren ist, der diese Wnsche billigt oder missbilligt, sondern auf einen Zweck, der an sich vernnftig ist und um seiner selbst willen von rational Handelnden erstrebt wird. Ein echter Handlungsgrund kann demnach nur ein solcher sein, der eine Verpflichtung zu dieser Handlungsweise ausdrckt, die von der betreffenden Person selbst als solche wahrgenommen wird. Einer solchen Theorie des Handelns zufolge ist die entscheidende Frage nicht, was jemand tatschlich tun wird, sondern was eine Person tun soll. 100 Vor diesem Hintergrund fragt Burnet den Autor des Inquiry zu Recht, woher er denn die Gewissheit nehme, dass der moralische Sinn nicht tuschen und uns zu verschiedenen moralischen Urteilen fhren kçnne.101 Hutchesons Essay und darin vor allem die Illustrations sind also als Antwort auf die rationalistische Herausforderung in der Ethik zu verstehen. Hutchesons Kritik an den Rationalisten zeigt sich dabei sowohl in seiner Auffassung von den rechtfertigenden als auch in derjenigen von den be-
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sowie Schwaiger: Kategorische und andere Imperative und „Die Anfnge des Projekts einer ,Metaphysik der Sitten‘“. Vgl. allgemein zum Hintergrund der Entstehung der Moral-Sense-Philosophie die Darstellung bei Park: Das moralische Gefhl, 7 – 22. Park nennt hauptschlich Hobbes’ ethischen Naturalismus und die Cambridger Rationalisten sowie Samuel Clarke als Herausforderer einer philosophischen Gegenbewegung, wie sie der Moral Sense schließlich darstellte. Die Briefe erschienen spter als Letters (vgl. dazu Darwall: „Hutcheson on Practical Reason“). Hutcheson hatte auf Burnets Kritik zunchst in Briefen reagiert, die ebenfalls im London Journal erschienen. Die Ausfhrungen im zweiten Teil seines Essays fhren die Diskussion mit Burnet fort, wie Hutcheson selbst bemerkt (vgl. Hutcheson: Essay with Illustrations, Preface, 10). Wie sehr Burnets Kritik Hutcheson zusetzte, ist u. a. durch einen anonymen Brief Hutchesons im London Journal belegt, in dem er schließlich in einer Art von Eigenwerbung seinen Inquiry in hçchsten Tçnen lobte (vgl. Garrett: „Introduction“, xiif.). Vgl. zu Burnets Thesen Darwall: „Hutcheson on Practical Reason“, 75 f. Vgl. Garrett: „Introduction“, xiii.
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wegenden Grnden einer moralischen Handlung. Beide grnden nicht allein auf der Erkenntnis, sondern haben einen emotionalen Kern – in der Wahrnehmung oder in den Begehrungen des Menschen. Mit der Unterscheidung zweier Arten von Handlungsgrnden reagiert Hutcheson direkt auf rationalistische Theorien. So versteht der Rationalist Samuel Clarke Motive als Grnde, die sich von Wnschen oder Affekten unterscheiden und in keinem Abhngigkeitsverhltnis zu diesen stehen. Ein Grund, wenn es ein ,echter‘ Grund ist, motiviert Clarkes Ansicht nach fr sich, d. h. ohne die ,Hilfe‘ eines emotionalen Elementes wie es beispielsweise die Affekte oder die Wnsche bereitstellen.102 In Deutschland wurde die rationalistische Position hauptschlich von Christian Wolff und Christian August Crusius verteidigt. Dabei waren insbesondere Wolffs Analysen fr die frhe Entwicklung der kantischen Ethik von Bedeutung.103 Sie haben die Ambivalenz, durch die Kants Verhltnis zu den Einflssen der Moral-SensePhilosophie einerseits und zu denen der Rationalisten andererseits vor allem in der frhen Phase seiner Ethik geprgt war, entscheidend beeinflusst. Dabei ist es vor allem Wolffs Theorie des Willens gewesen, die Kant Anstoß fr seine eigenen Ausfhrungen gegeben hat. 102 Vgl. zu Clarke die Darstellung bei Schneewind: The Invention of Autonomy, 310 – 323. 103 Vgl. zum Einfluss von Wolff auf Kants frhe Ethik v. a. Foerster: Der Entwicklungsgang der Kantischen Ethik, Henrich: „ber Kants frheste Ethik“; Schmucker: Die Ursprnge der Ethik Kants, sowie Schwaiger: Kategorische und andere Imperative und „Die Anfnge des Projekts einer ,Metaphysik der Sitten‘“. Lee fasst in Das Problem des moralischen Gefhls, 18 – 25, weitere Forschungspositionen zum Einfluss der Wolffschen Philosophie auf den frhen Kant zusammen. Whrend Schmucker im Anschluss an Foerster die Bedeutung der Wolffschule als Ausgangspunkt der kantischen Ethik betont (vgl. Foerster: Der Entwicklungsgang der Kantischen Ethik, 6; Schmucker: Die Ursprnge der Ethik Kants, bes. 26 – 35), geht es Schwaiger u. a. darum, die „liebgewordene Legende von der Wolffschen Anfangsphase der Kantischen Ethik“ zu zerstçren und dem entgegen die Bedeutung Baumgartens fr die frhe Phase von Kants Ethik zu beleuchten (Schwaiger: Kategorische und andere Imperative, 5). Schwaiger zieht eine Bilanz der in der Forschungsliteratur einschlgigen These Schmuckers und nennt berblicksartig einige Autoren, die sich „zustimmend zu Schmucker ußern“ (Schwaiger: Kategorische und andere Imperative, 30), darunter Forschner: Gesetz und Freiheit, 39 f., 49 – 63; Gerhardt/Kaulbach: Kant, 64 f.; Sala: „Das Gesetz oder das Gute?“, 72 f.; Lee: Das Problem des moralischen Gefhls, 2, 8 – 10. – Es soll hier nicht entschieden werden, ob Wolff oder Baumgarten fr die Entwicklung von Kants Ethik von mehr oder weniger grçßerer Bedeutung gewesen ist. Aus Grnden der Sparsamkeit werde ich daher weitgehend, wenn es nicht ausschließlich um Wolff geht, von ,den Rationalisten‘ sprechen und darunter auch Baumgartens Einflsse fassen.
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Der zentrale Begriff in Wolffs Ethik ist der Begriff der Vollkommenheit.104 Gut ist, „was unseren so wohl innerlichen, als usserlichen Zustand vollkommen machet“, bçse hingegen ist, „was beyden unvollkommener machet“.105 Verpflichtet sein bedeutet daher, dass etwas Bestimmtes zu tun fr unsere Vervollkommnung oder die Vervollkommnung anderer notwendig und daher gefordert ist. Dementsprechend lautet die Formel fr das ethisch richtige Handeln: „Tue was dich und deinen oder anderer Zustand vollkommener machet; unterlaß, was ihn unvollkommener machet.“106 Dabei ist es die Vernunft, die zum richtigen Handeln anleitet, indem durch sie „das Gute oder Bçse erkandt“ wird. Jemand, der ber Vernunft verfgt, muss nicht durch ein „weiteres Gesetz“ zum guten Handeln gezwungen werden.107 Die vernnftige Einsicht ist bereits das Motiv der Handlung. Hintergrund dieses konzeptionellen Zusammenhangs von vernnftiger Einsicht, Vollkommenheit und Moralitt ist Wolffs vor allem in der „Deutschen Metaphysik“108 entworfene Konzeption einer menschlichen Psychologie, der zufolge jede Vorstellung des Vollkommenen angenehme Gefhle auslçst.109 Bereits hier enthlt der Begriff der Vollkommenheit die Einheit von erkennendem und strebendem Vermçgen: Das Gefhl der Freude und Zustimmung bewirkt direkt einen Wunsch, entsprechend der 104 Wie u. a. Schwaiger belegt, hat Wolff den Begriff der Vollkommenheit selbst als Schlsselbegriff fr seine gesamte praktische Philosophie bezeichnet. Dieser Fokus der Wolffschen Ethik auf den Begriff der Vollkommenheit, der gleichsam das Bindeglied zwischen Wolffs Metaphysik und Ethik ist, geht Schwaiger zufolge auf Leibniz’ Einfluss zurck. Dabei basiert der in der Ethik verwendete Vollkommenheitsbegriff auf dem ontologischen Begriff der Vollkommenheit. Der Vollkommenheitsbegriff wird damit nicht nur zum Schlsselbegriff der praktischen Philosophie, sondern ist darber hinaus das Bindeglied zwischen Wolffs Metaphysik und Ethik. Vgl. Schwaiger: Das Problem des Glcks im Denken Christian Wolffs, 94 f. 105 Vgl. Wolff: Vernnfftige Gedancken von der Menschen Thun und Lassen, § 3. Vgl. Vernnfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, § 422, § 426. 106 Vgl. Wolff: Vernnfftige Gedancken von der Menschen Thun und Lassen, § 12. 107 Vgl. Wolff: Vernnfftige Gedancken von der Menschen Thun und Lassen, § 23 f. Wie Wolff schon in der Metaphysik schreibt, ist es außerdem auch nicht mçglich, (ußeren) Zwang auf den Willen auszuben, weil man diesen dann dazu zwingen msste, etwas fr gut zu halten. Dies sei allein dem eigenen Verstand vorbehalten. Vgl. Vernnfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, § 522. 108 Wolffs Vernnfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen waren bekannt als „Deutsche Metaphysik“, die Vernnfftige[n] Gedancken von der Menschen Thun und Lassen als „Deutsche Ethik“. 109 Vgl. Wolff: Vernnfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, § 404, § 492.
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Idee der Vollkommenheit und damit des Guten zu handeln.110 Das heißt: Auf dem Weg der Vervollkommnung der Seele bedingen sich Wille, Gefhl und Vorstellungskraft gegenseitig: Die Lust, die die Seele beim Anschauen des Vollkommenen empfindet, bestimmt den Willen dazu, dieses Vollkommene bzw. Gute in seine Bestimmungsgrnde aufzunehmen und diesen Motiven entsprechend zu handeln. Dabei ist es die Tugend selbst, die Glckseligkeit verheißt. Denjenigen, der sie besitzt, versetzt sie in einen Zustand der „bestndigen Freude“.111 Aus diesem Bild einer unmittelbaren Bewegung durch die Vorstellung des Vollkommenen und den damit einhergehenden volitionalen Aspekten einer Handlung ergibt sich Wolffs Definition des Wollens. Erkennen, Empfinden von Lust oder Unlust und Wollen sind nach Wolff Ttigkeiten des menschlichen Intellekts, nicht aber Ausdruck verschiedener Gemtsvermçgen des handelnden Subjekts. Der Wille stellt kein eigens zu differenzierendes Vermçgen dar, sondern ist das Streben nach Vollkommenheit: Indem wir uns eine Sache als gut vorstellen; so wird unser Gemthe gegen sie geneiget. Diese Neigung des Gemthes gegen eine Sache um des Guten willen, das wir bey ihr wahrzunehmen vermeinen, ist es, was wir den Willen zu nennen pflegen.112
Das den Willen bewegende Element ist das Motiv, das sich unmittelbar aus der Erkenntnis des Vollkommenen ergibt. Nach Wolff ist daher schon „[…] die Erkenntnis des Guten […]ein Bewegungsgrund des Willens“. Daraus folgt, dass es unmçglich ist, „dass man eine an sich gute Handlung nicht wollen sollte, wenn man sie deutlich begreifet“.113 Will jemand dennoch das Schlechte, so beruht dieses Wollen auf Unverstand.114 Und 110 Vgl. Wolff: Vernnfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, § 434. 111 Wolff: Vernnfftige Gedancken von der Menschen Thun und Lassen, § 52. Vgl. § 49. 112 Vgl. Wolff: Vernnfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, § 492. Wolffs Willensbegriff, der ihn in grundlegender Weise mit Leibniz verbindet, basiert wiederum auf der Annahme, alle Begehrungen seien nur verschwommene Arten der Wahrnehmung des Vollkommenen (vgl. dazu die Darstellung bei Schneewind: The Invention of Autonomy, 516). Damit unterscheiden sie sich nicht kategorisch von kognitiven Einsichten, wenngleich die Zuverlssigkeit der Sinnenerkenntnis von der Erkenntnis aus Vernunftbegriffen deutlich abweicht (vgl. dazu Wolff: Vernnfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, §§ 404 – 407). 113 Wolff: Vernnfftige Gedancken von der Menschen Thun und Lassen, § 7. 114 Vgl. Wolff: Vernnfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, § 507; Vernnfftige Gedancken von der Menschen Thun und Lassen, § 21. Das erinnert an Sokrates’ These, niemand entscheide sich freiwillig fr das Schlechte (vgl.
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handelt er gar schlecht, so wird er durch Affekte zu dieser Handlung „gleichsam gezwungen“, die er unterlassen wrde, „wenn er deutlich begriffe, was es wre“.115 Diesem Determinismus des Wollens durch die Vorstellung des Vollkommenen entspricht ein Determinismus der Motive: Bei richtiger Einsicht in das Vollkommene und das heißt hier: in die zur Vollkommenheit fhrende Handlung erfolgt die Handlung notwendigerweise. Denn es kann, so Wolff pointiert in den Anmerkungen zur Metaphysik, gar nicht vernnftigerweise bestritten werden, „daß die Bewegungen, wodurch der Rath-Schluß der Seele ausgefhret wird, sogleich erfolgen, wenn es die Seele verlanget.“ Die „Bewegungen des Leibes“ sind „sogleich da […], sobald der Wille da ist“.116 Da die Ttigkeit des Willens – ebenso wie das Gefhl der Lust – aus einer Vorstellung hervorgeht, ist der Wille fr Wolff ein appetitus rationalis. Dieter Henrich fasst die in dieser Definition des Willens begrifflich konzentrierte Grundstruktur der Wolffschen Ethik folgendermaßen zusammen: Die Theorie Wolffs ber Lust und Wille ist eine Folgerung aus dem monistischen Aufbau seines Systems. Weil die Grundkraft der Seele eine Vorstellungskraft ist, mssen alle anderen Phnomene in ihr interpretiert werden als Folgen einer gegenstndlichen Vorstellung. So kann die Lust nur die Vorstellung von Gegenstnden bestimmter Struktur sein und der Wille nur die Anstrengung der Seele, entweder solche Vorstellungen zu entwickeln oder in ihnen zu verharren.117 Protagoras, 358c-d und Kap. 1, § 1, 1). Wolff rumt diesen Bezug auf „die Alten“ selbst explizit ein (Vernnfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, § 506). 115 Wolff: Vernnfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, § 491. Die Herrschaft der Affekte ber den Menschen beginnt fr Wolff nicht erst beim konkreten Handeln, sondern schon bei der praktischen Erkenntnis. So verschleiern die Sinne die wahre Erkenntnis des Guten und produzieren nur Scheinerkenntnisse, aus denen des Weiteren unberlegtes, durch falsche Erkenntnis ,erzwungenes‘ Handeln resultiert. 116 Wolff: Anmerkungen zur Deutschen Metaphysik, § 172. Vgl. zum Determinismus des Handelns bei Wolff auch Schmucker: Die Ursprnge der Ethik Kants, 37. Da Menschen von sinnlichen Beweggrnden mindestens ebenso bewegt werden, wie sie Zugang zu vernnftigen Vorstellungen haben, wird die klare Vorstellung des Guten stets von anderen, sinnlichen Vorstellungen beeinflusst und verschleiert. Daher bleibt moralisches und damit freies Handeln nach Wolff nur wenigen Menschen vorbehalten. Vgl. Wolff: Philosophia Practica Universalis, I, § 565 f. 117 Henrich: „ber Kants frheste Ethik“, 424. Lee nimmt Henrichs Argumentation auf, wenn er schreibt: „Folglich steht die Vorstellung der Vollkommenheit im
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Es liegt daher auf der Hand, dass moralische Vervollkommnung bzw. Tugend bei den Vorstellungen ansetzen muss: Diese mssen klar und distinkt sein, damit sie zum richtigen Handeln anleiten kçnnen.118 Verpflichtet fhlt sich jemand genau dann, wenn er eine klare, deutliche und objektive Vorstellung vom Vollkommenen hat und sich diese fr ihn qualitativ von anderen, weniger deutlichen Vorstellungen unterscheidet.119 Kommt jemand seiner Verpflichtung nach, so handelt er der rationalen Vorstellung vom Guten entsprechend; sie ist der „Bewegungsgrund“ seines Willens.120 Dieser objektive Maßstab ist fr Wolff das „Gesetz der Natur“121, dessen „Lehrmeisterin“ die Vernunft ist122 : Durch sie wird erkannt, was gut ist, d. h., was den eigenen und den Zustand anderer vollkommener macht. Tugend bezeichnet fr Wolff daher eine „Fertigkeit“, die darin besteht, seine Handlungen nach bestimmten objektiven Vorgaben einzurichten, die auf die Vervollkommnung der eigenen Person und anderer Menschen gerichtet sind.123 Aus dem Vorangegangenen ergeben sich folgende Hauptmerkmale der Wolffschen Ethik: Sie hat einen „utilitaristischen Zug“, weil sie der Sittlichkeit keinen eigenen, von Zweck-Mittel-Erwgungen unabhngigen Wert einrumt.124 Tugend ist fr Wolff im Gegenteil deshalb erstrebenswert, weil sie der Vervollkommnung (des eigenen Zustandes und des Zustandes anderer) dient. Wolffs Ethik ist zudem eudmonistisch, weil der Weg der Vervollkommnung derjenige zur wahren Glckseligkeit (das heißt: zur dauerhaften Freude) ist. Wir haben es bei Wolff außerdem mit
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System der Wolff ’schen Ethik an erster Stelle, der Wille und das Gefhl der Lust sind aber nur etwas Determiniertes und damit zweitrangig“ (Lee: Das Problem des moralischen Gefhls, 21). Vgl. Wolff: Vernnfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, § 157. Vollkommenheit ist daher fr Wolff nicht nur das, was das Gute ausmacht, sondern, wie Thomas es ausdrckt, auch „das einzig sichere Erkenntnisprinzip des wahrhaft Guten“ („Die Lehre von der moralischen Verbindlichkeit bei Christian Wolff“, 177). Wolff: Vernnfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, § 506, § 512. Handelt jemand hingegen aufgrund von Affekten, so ist sein Bewegungsgrund eine „undeutliche Vorstellung[…] des Guten und Bçsen“ (vgl. § 506 sowie § 404, § 417, § 441). Eine solche Handlung beruht auf einem Scheinwissen in Bezug auf das, was fr das Beste gehalten wird. Wolff: Vernnfftige Gedancken von der Menschen Thun und Lassen, § 21. Wolff: Vernnfftige Gedancken von der Menschen Thun und Lassen, § 23. Wolff: Vernnfftige Gedancken von der Menschen Thun und Lassen, § 65. Vgl. Schmucker: Die Ursprnge der Ethik Kants, 39.
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einer dezidiert rationalistischen Ethik zu tun. Ihr Intellektualismus grndet in der Annahme, der Wille, die Handlungen und Motive hingen vollstndig von rationalen Einsichten ab, so dass die Forderung des Naturgesetzes im eigentlichen Sinne ein Gebot zur rationalen Erkenntnis und erst in zweiter Instanz ein Gebot zur (dieser Erkenntnis entsprechenden) rationalen Handlung ist.125 Ein Gebot, das (moralisch) Richtige zu wollen, kann es hingegen innerhalb der Wolffschen Ethik nicht geben. Denn der vernnftige Mensch, der sich „selbst ein Gesetze ist“126, will das Gute schon natrlicher Weise. 3. Kant zwischen Moral-Sense-Philosophie und ethischem Rationalismus Kants Kritik an der Wolffschen Theorie des Wollens, die seine eigene Theoriebildung geprgt hat, zielt auf Wolffs Verstndnis des Willens als appetitus rationalis, mit dem dieser dem Willen eine eigenstndige, vom Intellekt unabhngige Funktion abspricht. Wie sich noch zeigen wird, wird das Motivationsproblem fr Kant im Gegenteil dadurch konturiert, dass er die Affekte nicht nur als Objekte der Vernunft versteht, denen keine eigene, nicht schon durch diese Vernunft vorgegebene Qualitt zukommt. Das zeigt sich in der Mçglichkeit moralisch schlechten Handelns und damit in der Antastbarkeit des moralischen Motivs durch die volitionale Struktur einer nicht gnzlich rationalen Existenz. Wir wissen von Kants Kritik an Wolff u. a. aus einer Nachschrift zu seiner Vorlesung ber Metaphysik aus dem Jahr 1792/93: Wolf wollte alles aus dem Erkenntnißvermçgen ableiten, und definirte Lust und Unlust, als actus des Erkenntnißvermçgens. Auch das Begehrungsvermçgen nannte er ein Spiel der Vorstellungen, also ebenfalls Modification des Erkenntnißvermçgens. Hier glaubt man nun Einheit des Princips zu haben (Dies ist immer die Maxime der Vernunft, sie macht es sich subjectiv zum Grundsatz, objectiv ist der Grundsatz von der Einheit des Princips nicht) – diese ist aber hier unmçglich (V-Me/Dohna 28:674).127 125 Zu diesem Resmee kommt auch Thomas: „Die Lehre von der moralischen Verbindlichkeit bei Christian Wolff“, 181. 126 Wolff: Vernnfftige Gedancken von der Menschen Thun und Lassen, § 38. 127 Kant gibt wenige explizite Verweise auf Wolffs Gedanken, so wie er der expliziten Auseinandersetzung mit anderen Autoren berhaupt wenig Platz einrumt. Dies gilt insbesondere fr seine verçffentlichten Schriften, in denen Wolff beispielsweise nur an zwei Stellen namentlich erwhnt wird (so in GMS 4:390 und KpV 5:40). Im Folgenden werden daher auch implizite Anklnge an Wolffs Philosophie zur Sprache kommen.
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Und bereits in der Preisschrift zur Untersuchung ber die Deutlichkeit der Grundstze der natrlichen Theologie und Moral von 1762128 ist Kants kritische Sichtweise auf die Grundannahmen der Wolffschen Ethik beobachtbar. So heißt es im Abschnitt ber die „ersten Grnde der Moral“ zunchst: Denn es ist aus keiner Betrachtung eines Dinges oder Begriffes, welches es auch sei, mçglich zu erkennen und zu schließen, was man thun solle, wenn dasjenige, was vorausgesetzt ist, nicht ein Zweck oder die Handlung ein Mittel ist. Dieses aber muß es nicht sein, weil es alsdann keine Formel der Verbindlichkeit, sondern der problematischen Geschicklichkeit sein wrde (Deut 2:298 f.).129
Kant stellt im folgenden Absatz fest, dass „das Vermçgen, das Wahre vorzustellen, die Erkenntnis, dasjenige aber, das Gute zu empfinden, das Gefhl sei, und daß beide ja nicht mit einander mssen verwechselt werden“ (Deut 2:299). In dieser Schrift geht es Kant auf der Suche nach den „ersten Grnde[n] der Moral“ (Deut 2:298) und den „obersten Grundstze [n] der Verbindlichkeit“ (Deut 2:300) bereits darum, den Prozess des Erkennens von dem des Fhlens und Wahrnehmens zu unterscheiden und auf von einander distinkte Vermçgen zurckzufhren. Das Gefhl, so die Grundaussage des Textabschnitts in der Deutlichkeit, hat seine eigene Qualitt und kann darin nicht – im Gegensatz zu Wolffs Ansicht – unter 128 Die Preisschrift wurde von Kant bereits Ende 1762 fertig gestellt, ist jedoch erst 1764 erschienen. Sie lag also schon vor, bevor Kant die Beobachtungen verfasste und kann daher als seine erste Untersuchung gelten, die sich zumindest in Teilen mit spezifisch ethischen Problemen beschftigt. Im ebenfalls 1762, aber vor der Preisschrift verfassten Beweisgrund werden ethische Fragen nur beilufig behandelt (wie schon erwhnt ist auch Henrich der Ansicht, dass Kant erst gegen Ende des Jahres 1762, also mit der Deutlichkeit, spezifisch ethische Themen ins Auge fasst; vgl. „ber Kants frheste Ethik“, 406). Das passt zur These Menzers, der zufolge Kant in den 1750er Jahren hauptschlich an metaphysischen und naturwissenschaftlichen Problemen interessiert war und ethische Fragen nur am Rande erçrtert wurden, fr sich genommen fr ihn aber noch nicht von Interesse waren (vgl. „Der Entwicklungsgang der Kantischen Ethik“, 290). Schmucker hingegen findet Menzers These „fragwrdig“, setzt bereits bei der Nova Dilucidatio von 1755 an, hebt Kants langjhrige Vorbereitung bestimmter in der Preisschrift verwendeter ethischer Begrifflichkeiten hervor und betont letztlich die „einzigartige Stellung“ und die inhaltliche Bedeutung dieser Schrift unter Kants vorkritischen Schriften (vgl. Die Ursprnge der Ethik Kants, 30 f., 52 – 59). 129 „Dieses aber muß es nicht sein“ ist zu lesen als „Dieses aber darf es nicht sein“. Dieser Satz verdeutlicht das fr Kant in dieser Zeit grundlegende Problem, wie ein praktischer Satz handlungsanweisend sein kann, ohne dabei aufgrund seiner Bindung an einen bestimmten Zweck seine Verbindlichkeit einzubßen.
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das Erkenntnisvermçgen subsumiert werden. Es ist vielmehr „der erste, innere Grund des Begehrungsvermçgens“ (Deut 2:300). Damit hat Kant die Stoßrichtung seiner negativen Bemerkung aus dem Beweisgrund in der Deutlichkeit mit einer positiven These ber die Natur der moralischen Urteile fortgesetzt: Das moralische Urteil ist kategorisch von Erkenntnissen anderer, nicht praktischer Art unterschieden. Whrend fr Kant also im Beweisgrund lediglich feststeht, dass die Betrachtung der „natrlichen Ordnung“ allein noch keine Aussage darber enthlt, ob sie gut oder vorziehenswert ist, gibt er in der Deutlichkeit die Erklrung fr diesen Sachverhalt: Das Wahre erkennen und das Gute empfinden sind zwei verschiedene Dinge (vgl. Deut 2:299). Kant hat also schon 1762 in zwei kleinen Schriften zwei Aussagen miteinander verbunden, die fr seine Gedankengnge in den Folgejahren bis zur Konzeption der ,kritischen‘ Ethik mit Beginn der Grundlegung von Bedeutung sind: 1. Die theoretische Vorstellung von etwas impliziert noch keine Zustimmung. 2. Moralische Einsichten unterscheiden sich von nichtpraktischen Erkenntnissen darin, dass das Gute nicht nur vorgestellt, sondern auch empfunden wird. Damit ist fr Kant noch nichts darber gesagt, ob die moralischen Grundstze selbst auf Empfindungen beruhen. Wie er am Ende der Deutlichkeit bemerkt, mssen „die obersten Grundbegriffe der Verbindlichkeit allererst sicherer bestimmt werden“, und es ist gerade noch zu klren, „ob lediglich das Erkenntnisvermçgen oder Gefhl […] die erste Grundstze dazu entscheide“ (Deut 2:300). Entschieden – zumindest vorlufig – ist hier nur, dass wir zu moralischen Urteilen durch eine besondere Art der Empfindung gelangen. Dass jedoch selbst diese hier scheinbar entschiedene These noch keine endgltige Auffassung Kants ber die Quelle unseres Moralbewusstseins darstellt, wird am selben Textabschnitt deutlich. Denn immerhin wird der Verstand bençtigt, um „den zusammengesetzten und verworrenen Begriff des Guten aufzulçsen und deutlich zu machen“ (Deut 2:299). Trotz der deutlichen Anklnge von Kritik gegen rein rationalistische Positionen in der Ethik ist also beim Kant der 1760er Jahre sprbar, dass er den Ideen der Rationalisten durchaus auch Positives fr seine eigenen berlegungen ber die Grundstze der Moral und die Beschaffenheit der moralischen Urteile abgewinnen kann. So wird das Gute zwar empfunden, jedoch ist es als „unmittelbare Wirkung von dem Bewußtsein des Gefhls der Lust mit der Vorstellung des Gegenstandes“ „unerweislich“ (Deut
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I. Moralische Einsicht und moralisches Handeln
2:299), und einen verstndlichen Begriff des Guten erhalten wir erst durch die Zusatzleistung des Verstandes. In den 1764 erschienen Beobachtungen setzt sich diese Skepsis gegenber der Verlsslichkeit und Allgemeinheit des Gefhls in der Moral in der Beobachtung fort, dass man sich in ethischen Grundstzen durchaus irren kann (vgl. Beob 2:227). Obwohl die Ideen der Moral-Sense-Schule in Kants Beobachtungen allein schon durch die Thematik der Schrift – das Gefhl – gegenwrtig sind und Kant auch dort prinzipiell an der These festhlt, das Bewusstsein des „Edlen“ beruhe auf Empfindungen130, enthlt die Schrift bereits einige entschieden kritische Stellen gegenber den Ideen der Gefhlsethiker. Die Kritik betrifft dabei insbesondere erneut die Subjektivitt und objektive „Unerweislichkeit“ des Gefhls in moralischen Fragen. So wendet Kant z. B. gegen das Mitleid als einer „gewisse(n) Weichmthigkeit“ ein, dass es sich bei diesem zwar um eine „gutartige“ moralische Eigenschaft handelt, es aber aufgrund seiner Unreflektiertheit und Situationsgebundenheit gerade der in moralischen Fragen gebotenen Objektivitt entgegen stehe. Kant pldiert hingegen hier fr eine „allgemeine Wohlgewogenheit gegen das menschliche Geschlecht“, das sich der Einzelne zum Grundsatz seines Entscheidens und Handelns machen soll. Weil es ein allgemeines und nicht an einen bestimmten situativen Fall gebundenes Gefhl ist, „ist es erhaben, aber auch klter“. Dazu muss es in seiner „Allgemeingltigkeit gestiegen [sein]“ (Beob 2:216). Das zeigt: Kant ist auch in den Beobachtungen noch unentschieden in Bezug auf die Frage, ob die Grundstze der Moral eher rationaler oder emotionaler Herkunft sind. Deutlich sprbar ist jedoch bereits eine grundlegende Skepsis gegenber einer rein gefhlsbasierten Moralkonzeption, weil bestimmte Gefhle wie das des Mitleids einer objektiven moralischen Praxis offenkundig entgegenstehen. Andererseits spielt das Gefhl in der moralischen Bewertung nach wie vor durchaus eine prominente Rolle und erfllt in der Ethik eine Leerstelle, die durch rein rationale Theorien der moralischen Grundstze entstanden war. Die Situation, die sich dem Leser dieser Schriften zeigt, ist daher folgende: Einerseits geht Kant schon zu Beginn der 1760er Jahre davon aus,
130 „Man thut einander zwar Unrecht, wenn man denjenigen, der den Werth, oder die Schçnheit dessen, was uns rhrt, oder reizt, nicht einsieht, damit abfertigt, daß er es nicht verstehe. Es kommt hiebei nicht so sehr darauf an, was der Verstand einsehe, sondern was das Gefhl empfinde“ (Beob 2:225).
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dass echte Verbindlichkeit131 zu Handlungen nicht auf Geschicklichkeitsund Klugheitsregeln beruhen kann, sondern erst durch die Wirksamkeit kategorischer Stze entsteht.132 Diese, wenn auch noch nicht dem Wortlaut, aber dem Charakter nach unbedingten, unabhngig von bestimmten Zwecken gebietenden Stze sind formale Grundstze. Einen klaren Begriff des Guten erhlt man zudem nur durch die Beteiligung einer rationalen Komponente in den hauptschlich gefhlten moralischen Urteilen, die ohne die Hilfe vernnftiger berlegung undeutlich und „verworren“ bleiben (vgl. Deut 2:299). Andererseits ist es Kants Ansicht, dass formale Grundstze der Verbindlichkeit wie z. B. der Wolffsche Grundsatz: „Thue das Vollkommenste, was durch dich mçglich ist“ (Deut 2:299) keine konkreten Handlungsanweisungen liefern und daher nicht nur unbestimmt und unwirksam, sondern auch unverbindlich bleiben. Handlungsbezogen und verbindlich werden diese Grundstze erst, wenn sie durch materiale Grundstze gesttzt werden, die ihrerseits gefhlt, nicht
131 Seine These, Kant sei in den 1760er Jahren von rationalistischer Seite hauptschlich von Baumgarten, nicht aber von Wolff beeinflusst gewesen, belegt Schwaiger u. a. an der Orientierung beider Ethiker, derjenigen Kants und Baumgartens, am Begriff der Verbindlichkeit. Außerdem sei der Baumgartensche Verbindlichkeitsbegriff Kant auch inhaltlich nher gewesen, gleichwohl er „im selben Atemzug dessen Durchfhrung als noch unzureichend“ bewertet (Kategorische und andere Imperative, 52). 132 Zwar verwendet Kant hier noch nicht die Bezeichnung ,kategorisch‘ fr die unbedingten Handlungsregeln, er umschreibt diesen Gedanken jedoch bereits: „[…] so muss dieser Satz, wenn er eine Regel und Grund der Verbindlichkeit sein soll, die Handlung als unmittelbar nothwendig und nicht unter der Bedingung eines gewissen Zwecks gebieten“ (Deut 2:298 f.). Vgl. zur Entwicklungsgeschichte der kantischen Unterscheidung dreier Arten von Imperativen, wie Kant sie in der Grundlegung erstmals begrifflich formuliert, die Studie von Schwaiger: Kategorische und andere Imperative. Schwaiger bezeichnet Kants Unterscheidung zweier Arten von Notwendigkeit in der Deutlichkeit als „erste Vorstufe zu Kants spterer Lehre von den Imperativen“ (Kategorische und andere Imperative, 29). Schwaiger weist jedoch gleichzeitig darauf hin (vgl. Kategorische und andere Imperative, 44), dass in dieser Schrift „Begriffe wie ,unbedingt‘, ,kategorisch‘ oder ,Imperativ‘ […] berhaupt nicht gebraucht“ werden, weshalb man dem Kant von 1762 noch nicht unterstellen sollte, er htte bereits hier „die Unbedingtheit der sittlichen Imperative im Gegensatz zu allen anderen Arten von Imperativen herausgearbeitet“ (so Schmuckers Formulierung: Die Ursprnge der Ethik Kants, 44). Konkreter wird die Unterscheidung mçglicher, wirklicher und unbedingter Handlungsziele Schwaiger zufolge dann in den Bemerkungen (vgl. Kategorische und andere Imperative, 72 – 74).
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I. Moralische Einsicht und moralisches Handeln
aber erkannt werden.133 Noch offen ist, wie ein formaler praktischer Satz konkrete inhaltliche Pflichten enthalten und handlungsbezogen sein kann, ohne dabei seine Verbindlichkeit einzubßen. Die Gegenberstellung dieser beiden Anliegen in Kants frher Moralphilosophie zeigt, dass seine Stellung zwischen den Ideen der MoralSense-Schule und denen der Rationalisten durch Anleihen bei beiden philosophischen Richtungen gekennzeichnet ist. Grundlegend kann man feststellen, dass Kant auch noch in den 1760er Jahren einige Einsichten der Rationalisten in der Ethik geteilt hat, sich jedoch an entscheidenden Stellen seiner ethischen Analysen mit den Grenzen einer rein rationalen Ethik konfrontiert sah. Die Antworten, die die Rationalisten schuldig blieben, weil sie sich mitunter den Fragen gar nicht stellten, wurden durch die Vertreter der Moral-Sense-Schule und allen voran durch Hutcheson zumindest aufgriffen und fr Kant in viel versprechender Weise diskutiert. Kants Ausfhrungen im Beweisgrund, in der Deutlichkeit und in den Beobachtungen zeigen, dass er in dieser Zeit weder eine rein gefhlsbasierte noch eine rein rationalistische Moralkonzeption vertreten hat, sondern beiden Denkrichtungen in Bezug auf die allgemeine Frage nach dem Ursprung und der Beschaffenheit unserer moralischen Grundstze offen und ihrer mçglichen Vereinigung in einer eigenen Ethik noch unschlssig gegenberstand. Die Grundideen sowohl der Gefhlsethiker als auch der Rationalisten spiegeln sich in seinen frhen Schriften insofern wieder, als sowohl dem Gefhl als auch der Vernunft eine Rolle in den moralischen Bewertungen zugesprochen werden soll.134 Whrend er also inhaltlich sowohl von den Gefhlsethikern als auch den Rationalisten beeinflusst ist, so ist Kant in dieser frhen Phase seiner Ethik noch der Versuch einer Rationalisierung und Objektivierung des 133 Vgl. hierzu Henrich: „Hutcheson und Kant“, 64. Zur Widerlegung der These, Kant habe sich bei der Unterscheidung von formalen und materialen Grundstzen hauptschlich an Crusius orientiert, vgl. die Darstellung bei Schwaiger: Kategorische und andere Imperative, 61 – 63. 134 Das schließt natrlich nicht aus, dass Kant sich zu einzelnen Theoriestcken beider ,Schulen‘ bereits in den 1760er Jahren und mçglicherweise auch frher eindeutig ablehnend positioniert hat. Das betrifft z. B. Wolffs Begriff der Vollkommenheit, den Kant Schmucker und Henrich zufolge schon frh nicht mehr geteilt und durch ein eigenes Verstndnis dieses Begriffes ersetzt hat (vgl. Henrich: „ber Kants frheste Ethik“, 413 f.; Schmucker: Die Ursprnge der Ethik Kants, 53 f.). Damit zusammenhngend hat Kant auch Wolffs Auffassung vom Willen als ,appetitus rationalis‘ sehr frh nicht mehr geteilt und, durch Crusius beeinflusst, Erkenntnisund Begehrungsvermçgen von einander unterschieden (vgl. zu dieser Interpretation Henrich: „ber Kants frheste Ethik“, 413 f.).
§ 2 Der historische Kontext von Kants Fragestellung
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moralischen Gefhls methodisch nher als derjenige einer Etablierung der Vernunft als eigenstndiges Kriterium der Entscheidung und des Handelns. Dennoch versucht Kant, beiden Anliegen, dem gefhlsethischen und dem rationalistischen Konzept, Rechnung zu tragen. Mit der Objektivierung des moralischen Gefhls geht dabei seine Unparteilichkeit und ,De-Sensibilisierung‘ einher. Je allgemeiner und objektiver es wird, desto „erhabener“ und „klter“ ist es gleichzeitig (Beob 2:216). Trotz dieser methodischen Nhe zur Moral-Sense-Schule steht jedoch fest, dass die Frage „Vernunft oder Gefhl?“ fr Kant an dieser Stelle und auch lange Zeit danach noch nicht entschieden ist. Weil nur die Vernunft zu allgemeinen Gesetzen fhig ist und nur sie sinnvoll vorschreiben kann, dass etwas Bestimmtes notwendigerweise getan werden soll, stehen auch ihre Chancen in der Frage der moralischen Verbindlichkeit nicht schlecht. Wenn es, wie wir sptestens seit der Grundlegung wissen, die Vernunft ist, die in diesem ,Auswahlverfahren‘ gewinnt, dann muss es jedoch eine durch den Gefhlsbegriff sozusagen geluterte Vernunft sein, die sich von der eines ,bloßen‘ Vermçgens zu erkennen und zu beurteilen unterscheidet. Sie muss, so die vielleicht unlçsbare Aufgabe, die Zugnglichkeit und die Direktheit besitzen, die, unter den von Kant in Betracht gezogenen Voraussetzungen, nur dem Gefhl eigen ist, ohne dabei jedoch bloß Gefhl zu sein.135 So ist das Ergebnis der ersten drei Schriften Kants mit ethischen Bezugspunkten (Beweisgrund, Deutlichkeit, Beobachtungen) kein inhaltliches, sondern ein methodisches: Wir wissen zwar noch nicht, ob die Vernunft oder das Gefhl ber die Natur unserer moralischen Grundstze entscheidet (vgl. Deut 2:300), jedoch wissen wir, dass beide ,Vermçgen‘ fr die Frage der moralischen Beurteilung und Zustimmung – und spter auch der Motivation – relevant sind. In dieser Suche nach einer Zusammenwirkung beider Vermçgen unterscheidet sich Kant von den Rationalisten und von den Moral-Sense-Philosophen gleichermaßen – sowohl inhaltlich als auch methodisch. Inhaltlich, weil fr ihn die Frage: ,Vernunft oder Gefhl?‘ eben noch nicht entschieden ist. Methodisch, weil er seine eigene Ethik vor dem Hintergrund von Fragen entwirft, die weder fr die Rationalisten noch fr die Gefhlsethiker jene Relevanz hatten, wie sie fr Kant festzustellen ist. So ist zum einen Kants spterer Versuch, Elemente einer emotiven, gefhlsbasierten Handlungstheorie in seine Theorie der reinen 135 „But this kind of reason must be equally accessible to everyone; and it must have the immediacy of feeling, while being more than feeling“ (Schneewind: The Invention of Autonomy, 504).
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I. Moralische Einsicht und moralisches Handeln
praktischen Vernunft aufzunehmen, durch die Skepsis gegenber der Wirksamkeit rein formaler Grundstze im Handeln motiviert. Zum anderen rhrt Kants gleichzeitig verfolgte Strategie, ethische Grundstze als allgemeine, nicht situations- und subjektbedingte Handlungsregeln zu denken, von seinem Zweifel an der Objektivitt, Allgemeinheit, Infallibilitt und auch an der praktischen Reichweite gefhlsbasierter Grundstze her.136 Wenn es Kant schließlich um die Suche nach ,Beweggrnden‘ geht, die zur Willensbestimmung antreiben, dabei aber allgemein und vernunftbasiert sind, so hat er in diesem Anliegen erneut Anregungen beider Seiten aufgenommen. Von den Sentimentalisten ist es die Idee, dass Handlungen nicht einfach auf theoretische Erkenntnisse folgen, sondern einen Prozess des Zustimmens, Erfhlens und des Sich-Bewegen-Lassens voraussetzen. Durch die Ideen der Rationalisten inspiriert ist hingegen der Versuch, diese Beweggrnde in der Vernunft selbst zu suchen – ohne dass diese Beweggrnde jedoch identisch mit der moralischen Erkenntnis sind. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass die Unterscheidung von rechtfertigenden und bewegenden Grnden einer Handlung allein gefhlsethisches Gedankengut ist.137 Fr einen Rationalisten wie Wolff hingegen ist schon „die Erkenntnis des Guten […] ein Bewegungsgrund des Willens“.138 Wie sich zeigen wird, ist Kants eigene Ethik, wie wir sie aus seinen moralphilosophischen Schriften seit der Grundlegung kennen, bis zuletzt durch den Versuch einer Vermittlung innerhalb dieser vorstrukturierten Diskussion geprgt.
136 So wendet Kant z. B. in den Beobachtungen gegen das Mitleid als moralisches Motiv ein, dass es „schwach und jederzeit blind“ sei, so dass es Handlungen aus echten ethischen Vorstzen mçglicherweise sogar behindern kann (vgl. Beob 2:216). Vgl. zu Kants Kritik an Hutchesons Theorie des Moral-Sense z. B. Henrich: „Hutcheson und Kant“, 51 – 56. 137 Vgl. Kap. 1, § 2, 1. 138 Wolff: Vernnfftige Gedancken von der Menschen Thun und Lassen, 7. Diese Voraussetzung impliziert fr Wolff die Auffassung, dass es unmçglich ist, „dass man eine an sich gute Handlung nicht wollen sollte, wenn man sie deutlich begreifet“ (Vernnfftige Gedancken von der Menschen Thun und Lassen, 7).
§ 3 Voraussetzungen einer Theorie der praktischen Vernunft
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§ 3 Voraussetzungen einer Theorie der praktischen Vernunft: Die Natur von Handlungsgrnden 1. Aus Grnden handeln: Normative und motivierende Grnde Geht man davon aus, dass moralische Erwgungen rationalen und informierten Personen etwas sagen, so meint man, dass sie ihnen nicht gleichgltig sind.139 Dies deshalb, weil von ihnen Grnde ausgehen, die ihrerseits eine Bewertung implizieren. Solche normativen Grnde sind Grnde, nach denen eine Handlung von rationalen Handelnden im Allgemeinen befrwortet wird. Sprechen wir also davon, dass ein normativer Grund fr eine bestimmte Handlung spricht, so meinen wir nicht notwendigerweise einen Grund, der auch in der Handlung wirksam wird, sondern einen von seiner Realisierung in Handlungen zunchst unabhngigen, fr sich selbst ,guten Grund‘. Wird ein solcher Grund tatschlich handlungswirksam, so macht er eine Handlung moralisch richtig oder falsch. Die Normativitt eines solchen Grundes betrifft daher sowohl seine eigene Natur (nach der er fr sich selbst gut ist) als auch seine Wirkung in Handlungen.140 Motivierende Grnde bzw. Motive141 sind hingegen Grnde, aus denen sich jemand zu einer Handlung bewegen lsst.142 Diese Definition schließt 139 Vgl. z. B. Brink: Moral Realism, 37. 140 Vgl. zu dieser Definition des normativen Grundes v. a. Dancy: Practical Reality, 1; Scanlon: What we owe to each other, 19, und Wallace: „Moral Psychology“, 92. 141 Da das Begriffspaar ,Grnde-Motive‘ bereits suggeriert, dass es sich bei Grnden und Motiven um kategorial verschiedene Klassen von Bestandteilen einer Handlungserklrung handelt, wird hier die neutralere Formulierung ,normative versus motivierende Grnde‘ bevorzugt. Bittner schlgt vor, auf die Rede von ,Motiven‘ ganz zu verzichten, weil sie seiner Ansicht nach auf einem sachlich unbegrndeten Interesse an der Verwissenschaftlichung des (metaphysischen?) Problems der praktischen Deliberation beruht, das auf Humes Treatise zurckgeht: „Wer aber mit dem Anschein der Wissenschaftlichkeit ber das Handeln von Menschen reden will, zieht auf jeden Fall die Rede von Motiven der von Grnden vor, einmal weil Fremdworte ohnehin wissenschaftlicher klingen, zum anderen weil ,Motiv‘ insbesondere, durch die Verwandtschaft mit ,motus‘, den willkommenen Eindruck von einer inneren Mechanik weckt“ („Grnde und Motive“, 111). – Wallace mçchte die Bezeichnung ,Grund‘ in Bezug auf Handlungsgrnde am liebsten fr die normativen Grnde reservieren und die Redeweise von den ,motivierenden Grnden‘ aufgeben (vgl. „Explanation, Deliberation, and Reasons“, 70). 142 Dieses Verstndnis von motivierende Grnden bzw. Motiven stimmt im weitesten Sinne berein mit dem, was schon Aristoteles und Thomas unter „Motiv“ ver-
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I. Moralische Einsicht und moralisches Handeln
auch Grnde mit ein, die nicht handlungswirksam werden, obgleich sie ein Streben in eine bestimmte Handlungsrichtung erkennen lassen.143 Motivierende Grnde erklren die Handlung auf eine ganz bestimmte Weise: aus der Sicht des Handelnden.144 Dieser Zusatz ist wichtig, weil eine Handlung auch auf andere, nmlich rein kausale Weise erklrt werden kann, ohne dass in dieser Beschreibung der Grund des Handelnden mit bercksichtigt ist.145 Erklrungen, die auf motivierende Grnde Bezug stehen. Dort steht es fr das, was einen Prozess verursacht bzw. fr das Strebevermçgen im Gegensatz zum Wahrnehmungsvermçgen. Vgl. dazu Ricken: „Motiv“. 143 Es ist verschiedentlich vorgeschlagen worden, von den motivierenden noch die motivationalen Grnde zu unterscheiden bzw. die Bezeichnung ,motivierender Grund‘ gnzlich durch ,motivationaler Grund‘ zu ersetzen. Hintergrund dieses Gedankens ist die Auffassung, die Bezeichnung „motivierender Grund“ lasse keinen Raum fr Grnde, die zwar (in einem schwcheren Sinne) motivieren kçnnen, jedoch nicht handlungswirksam wrden. Diese Befrchtung ist jedoch nur scheinbar berechtigt. So scheint nichts dagegen zu sprechen, die Bezeichnung ,motivierender Grund‘ sowohl fr Grnde, die tatschlich motivieren, also in der starken Version, zu verwenden, als auch fr Grnde, die nur zu einem bestimmten Grad, also in schwcherer Hinsicht motivieren. Beide Versionen geben Auskunft ber den motivationalen Zustand, in dem sich eine Person befindet, bzw. sagen aus, dass sie eine Motivation bzw. ein Motiv zu einer Handlung hat. Vgl. zu dieser Unterscheidung auch Mele: Motivation and Agency, 14. 144 Vgl. v. a. Dancy: Practical Reality, 1. Anscombe hatte in diesem Sinne von Motiven gesprochen: „Ein Motiv […] anzugeben, heißt soviel wie zu sagen ,Sieh die Handlung in diesem Licht‘“ (Absicht, 35). – Eine solche Definition motivierender Grnde trgt auch dem Einwand Rechnung, dass in gngigen, durch Humes kausalistisches Verstndnis menschlichen Handelns beeinflussten Handlungserklrungsmodellen die Rolle des Handelnden nicht thematisiert wird. So sei vordergrndig von Motiven und Grnden die Rede, die eine Handlung verursachen; der Handelnde selbst tauche in dieser Art von Handlungserklrung jedoch nicht auf. Dieser verkrzten Sichtweise muss dadurch begegnet werden, dass der Handelnde zurck ins Zentrum der Handlung und damit auch der Handlungserklrung gerckt wird: In einer ,vollbltigen‘ Handlung ist es der Akteur und nicht der Handlungsgrund, der die Intention formuliert. Der Einfluss der Grnde besteht vielmehr darin, dass sie Anlass zur Formulierung einer bestimmten Intention geben. Vgl. zu diesem Argument Velleman: „What happens when someone acts?“ 145 Wilson pldiert daher dafr, den Grund, der eine Handlung tatschlich auch verursacht hat, als „Ursache, um derentwillen“ jemand handelte, zu bezeichnen. Diesen Begriff der rationalisierenden Ursache unterscheidet Wilson wiederum von dem der Wirkursache, der seinerseits durch den der „Humeschen, hervorbringenden oder auslçsenden“ Ursache definiert ist („Grnde als Ursachen fr Handlungen“, 113 f.). Wilson selbst skizziert in seinem Beitrag ein Handlungserklrungsmodell, das ohne einen „minimalen Kausalismus“ und das heißt ohne die Prmisse auskommt, dass Grnde, um eine Handlung hinreichend erklren zu
§ 3 Voraussetzungen einer Theorie der praktischen Vernunft
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nehmen, unterscheiden sich daher von psychologischen Handlungserklrungen, in denen die Explanantia nicht Grnde, sondern psychologische Fakten wie Tatsachen ber mentale Zustnde oder Charaktereigenschaften sind.146 Das heißt: Handlungserklrungen durch Grnde verlaufen in zwei Richtungen. Vom deliberativen Standpunkt aus stellen wir die normative Frage, was wir tun sollen. Antwort auf diese Frage geben die normativen Grnde, die uns als rationalen Personen etwas sagen. Der explanatorische Standpunkt antwortet im Gegensatz dazu auf die Frage, warum eine Person eine bestimmte Handlung ausgefhrt hat. Diese Frage hat retrospektiven Charakter und wird von der Perspektive der 3. Person aus gestellt. Hier kommen die motivierenden Grnde ins Spiel: Sie machen eine Handlung verstndlich, die bereits ausgefhrt wurde.147 kçnnen, (immer auch) als Wirkursachen verstanden werden mssen. Eine Zusammenstellung neuer Beitrge zur Kausalismus-Teleologie-Debatte findet sich in Horn/Lçhrer (Hg.): Grnde und Zwecke. 146 Diese Unterscheidung zwischen psychologistischen und in weitestem Sinne Grnde-basierten Konzepten der Handlungserklrung wird hufig unterschlagen. So sprechen Humeaner auch von „Erklrungen durch Grnde“, fhren jedoch nur psychologische Erklrungen an. Vgl. zu diesem Punkt Alvarez: Kinds of Reasons, 170. 147 Vgl. zu dieser Unterscheidung von deliberativem und explanatorischem Standpunkt Wallace: „Moral Psychology“, 90, sowie Wallace: „Explanation, Deliberation, and Reasons“, 66. Wallace’ Auffassung von Grnden aus der explanatorischen Perspektive erinnert an Kennys Rede von Motiven als „backward-looking reasons“ (Action, Emotion and Will, z. B. 92). – Auch Dancy scheint zwei Standpunkte der Begrndung von Handlungen zu unterscheiden, wenn er darauf hinweist, dass ,ein Grund fr eine Handlung sein‘ auf zweierlei Weise verstanden werden kann: Zum einen kann der Grund den Grund bezeichnen, den eine ganz bestimmte Person in einer ganz bestimmten Situation insofern hat, als sie diesem Grund entsprechend handelt („his reasons for doing it“). Die Frage nach dieser Art von Grnden betrifft die motivationale Bedingung einer Handlung. Zum anderen meinen wir mit dem Grund fr eine Handlung auch den Umstand, dass eine Handlung fr sich und unabhngig von den Interessen und der Handlungssituation einer bestimmten Person oder Personengruppe begrndet ist („any reason for doing it“). Wir verhandeln in diesem Falle ber eine normative Angelegenheit (Practical Reality, 2). Dancys Unterscheidung ist in der Sache nachvollziehbar, begrifflich birgt sie jedoch eine Schwierigkeit. So kçnnte man annehmen, die Bezeichnung „any reason for doing it“ fr normative Grnde liefe darauf hinaus, dass diese Grnde niemals „his reasons for doing it“ sein kçnnen und es sich bei beiden Arten von Grnden um kategorial verschiedene Klassen von Grnden handelt. Eine solche Lesart wrde jedoch gerade Dancys These widersprechen, nach der normative und motivierende Grnde zusammenfallen kçnnen (vgl. z. B. Practical Reality, 6).
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I. Moralische Einsicht und moralisches Handeln
Daraus ergibt sich, dass sowohl normative als auch motivierende Grnde eine Handlung erklren kçnnen, aber sie tun es auf verschiedene Weise. Motivierende Grnde erklren eine Handlung aus der Sicht der Person, die gehandelt hat. Ein normativer Grund hingegen erklrt eine Handlung, wenn er mit dem motivierenden Grund identisch ist und das heißt: Wenn jemand aus diesem ,guten Grund‘ auch gehandelt hat.148 Normative Grnde sind außerdem rechtfertigende Grnde, weil sie diejenigen Grnde sind, die aus der Perspektive jeder rationalen Person als ,gute Grnde‘ angesehen werden. Eine Handlung aus guten Grnden kann also in der Hinsicht erklrt werden, als wir sie vor uns und anderen rationalen Personen rechtfertigen kçnnen.149 Ein Vorteil der bereits durch Hutcheson explizierten Unterscheidung zwischen „justifying reasons“ und „exciting reasons“150, die in sachlicher 148 Es ist also keineswegs richtig, dass nur die motivierenden Grnde eine Handlung erklren kçnnen. Halbig kritisiert in dieser Hinsicht Raz, der nur dann von erklrenden Grnden spricht, wenn er motivierende Grnde meint. Dies sei jedoch irrefhrend, da eine Identifikation von erklrenden und motivierenden Grnden suggeriere, dass normative Grnde aus der Klasse der erklrenden Grnde ausgeschlossen sind (Halbig: Praktische Grnde, 17; vgl. Raz: Engaging Reason, 23, Fn. 5). Auch Dancy mçchte aus demselben Grund die Rede vom „erklrenden Grund“ nicht allein fr motivierende Grnde reservieren (vgl. Practical Reality, 7). – Die Ansicht, dass motivierende Grnde erklrender, normative Grnde hingegen rechtfertigender Natur sind, wird z. B. auch von Smith vertreten, der zeigen will, dass beide Arten von Grnden nicht jeweils eine erklrende und eine rechtfertigende Dimension haben (vgl. u. a. The Moral Problem, 95). 149 Dancy und Halbig weisen darauf hin, dass normative Grnde eine Handlung auch aus dem trivialen Sinn erklren, weil sie eben angeben, warum eine bestimmte Handlungsweise richtig oder falsch ist (vgl. Dancy: Practical Reality, 7; Halbig: Praktische Grnde, 17). Halbigs Pldoyer dafr, normative Grnde nicht als rechtfertigende Grnde zu bezeichnen, weil ein Grund, der eine Handlung rechtfertigt, nicht notwendigerweise ein guter Grund sein muss, ist jedoch nicht berzeugend (vgl. Praktische Grnde, 18; eine hnliche Kritik an der Identifizierung von ,rechtfertigenden‘ und ,normativen‘ Grnden bt Dancy: Practical Reality, 6 f.). Ein Grund, der kein (wirklich) guter Grund ist, rechtfertigt eine Handlung eben nicht. Es ist ja das auszeichnende Merkmal normativer und das heißt: rechtfertigender Grnde, dass sie von rationalen Personen allgemein als gute Grnde akzeptiert werden. ,Gute Grnde‘ sind sie gerade deshalb, weil sie akteursund situationsneutral sind. Scanlon hat in dieser Hinsicht von Grnden gesprochen, die rationale Personen nicht vernnftigerweise zurckweisen kçnnen (vgl. z. B. What we owe to each other, 8). Vgl. auch die fr diesen Zusammenhang hilfreiche Unterscheidung von „rational begrndet[em]“ und „vernnftigerweise gerechtfertigt[em]“ Handeln bei Forst: „Praktische Vernunft und rechtfertigende Grnde“, 188. 150 Vgl. Hutcheson: Essay with Illustrations, II, I, 138.
§ 3 Voraussetzungen einer Theorie der praktischen Vernunft
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Hinsicht mit der heutigen Gegenberstellung von normativen/rechtfertigenden und motivierenden Grnden identisch ist, besteht nun darin, dass sie uns erlaubt, beide Teile einer Handlungsgeschichte – Grnde und Motive – in ein adquates Verhltnis zu setzen.151 Geht man also davon aus, dass sowohl motivierende als auch normative Grnde eine Handlung – auf je eigene Weise – erklren kçnnen, so impliziert man, dass ein normativer Grund – aus der rckblickenden Perspektive der dritten Person – auch ein motivierender Grund sein kann. Normative und motivierende Grnde bezeichnen dieser Auffassung nach nicht verschiedene Entitten; jede der beiden Arten von Grnden kann Handlungen grundstzlich sowohl rechtfertigen als auch erklren. Die Unterscheidung zwischen beiden Arten von Grnden ist damit nicht ontologischer, sondern kategorialer Natur: Ein Grund ist nicht per se ein rechtfertigender oder erklrender Grund. Die Art des Grundes hngt im Gegenteil von seiner Rolle und Funktion in einem bestimmten Kontext ab. So kann ein Grund zum einen dazu dienen, eine Handlung zu rechtfertigen. In diesem Sinne hat er den Charakter einer Handlungsanweisung (als normativer Grund): Vorausgesetzt, Sie besuchen die Bibliothek und mçchten dort ein Buch entleihen, dann mssen Sie sich vorher in der Bibliothek als Benutzer anmelden. Zum anderen kann ein Grund eine Handlung motivieren: Sie melden sich in der Bibliothek an, weil Sie Bcher entleihen mçchten. Retrospektiv erklrt Ihr Motiv Ihre Handlung. Dieses Motiv war gleichzeitig der Grund ihrer Handlung, indem es sie nachvollziehbar macht.152 151 Vgl. hierzu Hutcheson: Essay with Illustrations, II, I, 138 f. Anders als z. B. Wolff hatte Hutcheson in Bezug auf moralisches Urteilen und Handeln in erster Linie von Grnden, nicht aber von Motiven gesprochen. Die die gegenwrtige Debatte prgende Verwendung des Begriffs ,Handlungsgrund‘ ist tatschlich erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts blich (siehe dazu Halbig: Praktische Grnde, 16 f.). Dabei wurde ,Handlungsgrund‘ zunchst noch bedeutungsgleich mit ,Motiv‘ verstanden (siehe z. B. Falk: „‘Ought’ and Motivation“, 116). Die Entdeckung der Unterscheidung zwischen normativen Grnden und Motiven bzw. motivierenden Grnden in der analytischen Handlungstheorie geht auf Grice zurck (vgl. The Grounds of Moral Judgement, 8 – 20). Trotz der sachlichen Nhe sind Hutchesons Texte in der modernen Handlungstheorie und Moralpsychologie wenig prsent und werden nur selten als Referenztexte angegeben. Eine Ausnahme ist Mele: Motivation und Agency, 85, Fn. 10. 152 Bei dieser Interpretation bleibt zu klren, was einen Grund aus ontologischer Sicht, wenn er kein psychologischer Zustand ist, ausmacht. Zur Ontologie von Grnden siehe z. B. Alvarez: Kinds of Reasons, 40 – 51. Alvarez vertritt eine Auffassung von Grnden, der zufolge Grnde als Tatsachen zu verstehen sind. Umgekehrt ist jede
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I. Moralische Einsicht und moralisches Handeln
Im Gegensatz dazu betonen Vertreter der der neuzeitlichen ,StandardTheorie‘ von Handlungsgrnden die ontologische Differenz von normativen und motivierenden Grnden. Die Standardtheorie hat ihre Wurzeln bei Hume. Ihre Vertreter berufen sich auf Humes These, vernnftige Erwgungen allein kçnnten weder den Willen lenken, noch zu einer Handlung veranlassen; die Grundkraft menschlichen Handelns, seien hingegen die Affekte.153 Entsprechend dieser humeschen Vorgabe verteidigen Standardtheoretiker die Auffassung, dass Handlungen durch Motivationen generiert werden, die ihrerseits durch eine Kombination von berzeugungen (,beliefs‘) und Wnschen (,desires‘) definiert sind. Dementsprechend werden Grnde, die handlungswirksam werden, weil sie motivieren, im ,belief-desire-Modell‘ verstanden als mentale Zustnde, die ihrerseits aus einem psychologischen ,Paar‘ von Wnschen und berzeugungen bestehen. Diese beinhalten zum einen die Prferenzen eines Handelnden (,desires‘, ,ends‘), zum anderen sein Verstndnis von der Angemessenheit einer bestimmten Handlung zur Erfllung dieser Prferenzen (means-end-beliefs). Dabei bezeichnen Wnsche und berzeugungen zwei kategorial verschiedene Klassen von psychologischen Entitten.154
Tatsache, weil sie Gegenstand des berlegens sein kann, auch ein Grund. Alvarez grenzt sich mit diesem Verstndnis von Grnden von Positionen ab, die die motivierenden Grnde als mentale Zustnde und damit als von den rechtfertigenden Grnden ontologisch verschiedene Klasse von Grnden verstehen. Alvarez zufolge umfasst die Definition von Grnden als Tatsachen alle Arten von Grnden. Die Grnde, aus denen Personen handeln, sind ihrer Ansicht nach nicht mentale Zustnde, sondern psychologische Tatsachen (47). Die Autorin geht dabei von der Anschlussfhigkeit ihres Modells von Grnden an eine kausale Handlungstheorie aus. Grnde, als Tatsachen, kçnnen Ursachen sein (vgl. 50, Fn. 18). 153 Vgl. Hume: Treatise, 2.3.3. Zur Diskussion von Humes skeptischer These bzgl. der Rolle der Vernunft in Handlungsvollzgen siehe Kap. 1, § 1, 2. 154 Die ,Standard-Theorie‘ von Handlungsgrnden ist in der analytischen Handlungstheorie des 20. Jahrhunderts hauptschlich von Davidson popularisiert worden (vgl. Essays on Actions and Events; insbes. „Actions, Reasons, and Causes“). Der Sache nach findet sich eine Verteidigung des Standard-Modells schon bei Grice. Seiner Ansicht nach zeichnen sich Wnsche dadurch aus, dass sie, im Gegensatz zu berzeugungen, auf die Motive des Handelnden Bezug nehmen. Das, was als Grund gilt, geht hingegen vom Intellekt aus (vgl. Grice: The Grounds of Moral Judgement, 14). – Velleman bezeichnet das neuzeitliche, auf Hume zurckgehende Handlungsbeschreibungsmodell (dem er selbst allerdings nicht zustimmt), als „standard story of human action“ („What happens when someone acts?“, 461).
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Fr dieses psychologistische Verstndnis von Motivation und Handlungsbegrndungen hat sich die Bezeichnung ,Humeanische Theorie der Motivation‘ durchgesetzt.155 Dies zum einen, weil Vertreter dieser Auffassung bestreiten, dass die motivierenden Einstellungen wie Wnsche, Motive und Volitionen einen direkten Bezug auf die normativen Einstellungen wie berzeugungen und Einsichten aufweisen, zum anderen weil sie von der kategorialen Verschiedenartigkeit der sich in den motivierenden Zustnden ausdrckenden psychischen Zustnde (berzeugungen und Wnsche) ausgehen. Michael Smith, der seiner eigenen Ansicht nach eine „humean theory of motivation“ verteidigt, stellt diesen Sachverhalt folgendermaßen dar: First, motivating reasons and normative reasons are of quite different categories. For whereas motivating reasons are psychological states, normative reasons are propositions of the general form: ‘A’s v-ing is desirable or required’. And, second, we have so far been given no reason to suppose that there is any general connection between the two sorts of reasons.156
Nun liegt es nicht einfach auf der Hand, dass die ,Humeanische Theorie der Motivation‘ tatschlich so humeanisch ist, wie ihre Vertreter es behaupten. Zwar ist Hume der Ansicht, dass die Funktion von ,beliefs‘ u. a. darin besteht, die Affekte zu dirigieren, jedoch versteht er weder die ,beliefs‘ noch die ,passions‘ als ,Grnde‘. Humes Ziel ist es auch nicht, Handlungen anhand der ihnen zugrunde liegenden Motive zu rechtfertigen (und diese damit als motivierende Grnde zu verstehen), sondern sie durch diese kausal zu erklren.157 Die Humeanische Theorie der Motivation verteidigt zudem ein asymmetrisches Verhltnis zwischen Wnschen und berzeugungen. Wnsche sind diesem Modell zufolge die leitenden Motivationen in Handlungen, weil sie die ,richtige‘ ,direction of fit‘ haben: Im Gegensatz zu berzeugungen kçnnen sie die Welt verndern, je nachdem worauf sie gerichtet sind. Diese Voraussetzung ist verschiedentlich kritisiert worden; der populrste Einwand stammt von Thomas Nagel, der seinerseits fr die
155 Die ,Humeanische Theorie der Motivation‘ wurde am prominentesten von Smith vertreten in: „The Humean Theory of Motivation“ und in The Moral Problem. 156 Smith: The Moral Problem, 96; vgl. auch: „The Humean Theory of Motivation“, sowie „Introduction“. 157 Vgl. zu diesem Punkt Radcliffe: „The Humean Theory of Motivation and its Critics“, 477 f., 490.
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I. Moralische Einsicht und moralisches Handeln
Mçglichkeit von Wnschen, die selbst durch berzeugungen motiviert sind, argumentiert.158 Eine besondere Variante des Psychologismus in Bezug auf motivierende Grnde wird in der Position des reinen Kognitivismus vertreten. Diesem Ansatz zufolge bestehen motivierende Zustnde nicht aus einem ,Paar‘ von berzeugungen und Wnschen bzw. Pro-Einstellungen, sondern ausschließlich aus berzeugungen bzw. einem berzeugungspaar. Was motiviert, ist die berzeugung (belief ). Zwar kommt Motivation auch nach diesem Modell nicht vollstndig ohne Wnsche (desires) aus. Diese spielen aber eine untergeordnete Rolle und sind nicht Bestandteil des ,motivating state‘. Der Wunsch, so und nicht anders zu handeln, ist demnach nicht Teil des motivierenden Zustandes, sondern bezeichnet im Gegenteil den Zustand, motiviert zu sein.159 In Abgrenzung zum Standard-Modell praktischer Grnde verteidigen antipsychologistische Anstze die Auffassung, dass motivierende Grnde nicht auf psychischen Zustnden beruhen, sondern Sachverhalte bezeichnen. Was motiviert, sind nicht psychische Zustnde wie Wnsche oder berzeugungen, sondern z. B. die Tatsache, dass etwas der Fall ist. So ist nicht meine berzeugung, dass ein Freund Hilfe braucht, der (motivierende) Grund dafr, ihn anzurufen, sondern es ist der Sachverhalt, dass er Hilfe braucht, der meinen Anruf begrndet. Auch wenn in diesem Fall meine berzeugung keine notwendige Bedingung fr mein Handeln ist (denn es ist die Tatsache und nicht die berzeugung, die mich motiviert), so haben berzeugungen doch vor allem rckblickend eine Funktion im Handeln, nmlich insofern, als wir die Handlung mit Blick auf die involvierten berzeugungen erklren (im Sinne von: nachvollziehen) kçnnen. Nach Ansicht des Nonpsychologisten ist meine berzeugung ein
158 Vgl. The Possibility of Altruism, 29 f. Zur Kritik an Nagels Position vgl. Dancy: Moral Reasons. 159 Vgl. zu diesem Modell Dancys Verteidigung eines „Pure Cognitivism“ in Practical Reality, bes. 13 f., 85 – 94. Andere Versionen des reinen Kognitivismus werden z. B. von Raz und Scanlon vertreten, vgl. Raz: Engaging Reason; Scanlon: What we Owe to Each Other. Vgl. zur bersicht ber diese Positionen Halbig: „Motivierende Grnde“, 966 – 969. – Der reine Kognitivismus bleibt eine Antwort auf die Frage schuldig, warum gerade bestimmte berzeugungen motivierende Wirkung haben und andere nicht. Vgl. zur Kritik von Dancys ,reinem Kognitivismus‘ die Diskussion bei Raz: Engaging Reason, 25 f., der selbst wohl Vertreter des psychologistischen Kognitivismus in Bezug auf Handlungsgrnde ist (vgl. zu dieser Vermutung Halbig: „Motivierende Grnde“, 967).
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notwendiger Bestandteil der Handlungserklrung, ohne dass sie ihrerseits auch Teil der Motivation ist.160 Vorausblickend auf Kants Theorie moralischer Motivation wird hier ein Modell von Handlungsgrnden favorisiert, das die kategoriale Unterscheidung von normativen und motivierenden Grnden verteidigt. Ein normativer Grund kann dieser Konzeption zufolge auch ein Motiv sein und dies dann, wenn er unter bestimmten Bedingungen motiviert. Dies setzt jedoch voraus, dass man normative Grnde, die von rationalen Personen als solche verstanden und geteilt werden, nicht einfach als Propositionen versteht, sondern als praktische berzeugungen davon, was zu tun ist. Einen normativen Grund als solchen kennen und anerkennen, bedeutet demnach mehr, als ber eine wahre Proposition zu verfgen. Es bedeutet, sich mit diesem Grund zu identifizieren und das deshalb, weil es ein Grund ist, den eine rationale Person vernnftigerweise nicht zurckweisen kann. In moralischer Hinsicht bezeichnet er das, was Menschen nach einheitlichem Maßstab und Empfinden einander schulden.161 Eine solche Auffassung von Grnden schließt die Standard-Theorie von Handlungsgrnden prinzipiell nicht aus. Denn sie teilt die Ansicht der Standard-Theoretiker, dass die motivierenden Grnde auf psychische Zustnde wie berzeugungen, Volitionen, Absichten und Wnsche bezogen sind.162 Sie stellt jedoch in Frage, dass Handlungen durch Wnsche und ,means-end-beliefs‘ hinreichend erklrt werden kçnnen. Denn daraus, dass Wnsche nichtrationale Zustnde darstellen, folgt noch nicht, dass rationale Prinzipien gar keine Rolle in der Erklrung durch Handlungsgrnde spielen kçnnen.163
160 Zum Non-Psychologismus in Abgrenzung zu humeschen Theorien der Handlungserklrung vgl. die Darstellung bei Halbig: Praktische Grnde, 64 – 83. 161 „What we owe to each other“ lautet in diesem Sinne der Titel des Buches von Scanlon, in dem er die These vertritt, dass es (gemeinsame) Grnde und Werte gibt, die von rationalen Personen nicht zurckgewiesen werden kçnnen. Auf diese Weise wird die Sphre des wertenden Grundes mit der der Moral verknpft: durch das, was wir vernnftigerweise von einander erwarten kçnnen bzw. ,was wir uns schulden‘. Vgl. What we owe to each other, z. B. 8. 162 Daraus folgt, wie Wallace feststellt, dass motivierende Grnde einer psychologischen Interpretation bedrfen (vgl. „Explanation, Deliberation, and Reasons“, 67). Fraglich ist jedoch, ob man wie Wallace annehmen muss, dass normative Grnde dieser Interpretation nicht zugnglich sind. Sie sind es nur nicht, wenn man davon ausgeht, dass sie von den motivierenden Grnden eben kategorial verschieden sind. 163 Vgl. zu diesem Punkt z. B. Wallace: „How to argue about Practical Reason“, 22.
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2. Die Natur von Handlungsgrnden: Interne und externe Grnde164 Eine adquate Theorie der moralischen Motivation muss zeigen kçnnen, in welcher Hinsicht moralische berlegungen praktisch sind. Warum motivieren normative Grnde? Wie motivieren sie? Die Diskussion ber den Status moralischer Grnde in Handlungserklrungen wird seit einiger Zeit unter dem Stichwort ,Internalismus‘ versus ,Externalismus‘ gefhrt. Internalisten und Externalisten gehen zunchst gleichermaßen davon aus, dass es Grnde fr unsere Handlungen gibt. Die Begrndung kann dabei in zwei Richtungen verlaufen: Zum einen kann eine Handlung begrndet sein in Bezug auf die ihr zugrunde liegenden Ziele und Volitionen, zum anderen in Bezug auf eine Norm, in deren Licht sie rational ist.165 Im Hinblick auf diesen doppelten Charakter von Handlungsbegrndungen sind die normativen und die motivierenden Grnde einer Handlung Gegenstand von internalistischen und externalistischen Positionen ber die Natur von Handlungsgrnden. Die Debatte zwischen Internalisten und Externalisten wird nun dadurch erschwert, dass wenig Einigkeit darber besteht, was ,Internalismus‘ und ,Externalismus‘ bezglich der Frage der Praktikabilitt der Moral genau bedeutet. Mit ,Internalismus‘ und ,Externalismus‘ kann prinzipiell gemeint sein: 1. eine Theorie ber die Natur der normativen Grnde bzw. ber den Charakter moralischer Verpflichtung oder 2. eine Theorie ber das Verhltnis von normativen und motivierenden Grnden bzw. ber die Beziehung zwischen Moral und Motivation.
164 Die Debatte kann hier nur in ihren wichtigsten Punkten und Positionen skizziert werden. Eine ausfhrliche Darstellung findet sich z. B. bei Halbig: Praktische Grnde, 18 – 28, 150 – 169. Fr grundlegende begriffliche Unterscheidungen vgl. auch Nagels knappe Bemerkungen zur „traditional controversy“ zwischen Internalisten und Externalisten in The Possibility of Altruism, 7 f. 165 Ich unterstelle damit ein Verstndnis von ,rational‘, dem zufolge Rationalitt in der Fhigkeit besteht, „Verfahren diskursiver Einlçsung von Geltungsansprchen zu entwickeln, ihnen zu folgen und ber sie zu verfgen“ (Gethmann: „Rationalitt“, 467). Eine Handlung rationalisieren, bedeutet in dem Sinne, Grnde fr sie anzugeben. Der Grund, der fr die Handlung angegeben wird, rationalisiert die Handlung in einer bestimmten Hinsicht. Vgl. dazu Davidson: „Actions, Reasons, and Causes“, 3. Ob diese Rationalisierung eine Art kausaler Erklrung ist, wie Davidson behauptet, soll hier offen bleiben.
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Hinsichtlich beider Fragestellungen lassen sich nun zum einen normativer Internalismus und normativer Externalismus und zum anderen motivationaler Internalismus und motivationaler Externalismus unterscheiden.166 Der normative Internalismus bzw. der Internalismus in Bezug auf Grnde verteidigt eine interne Verbindung zwischen Moral und Grnden. Diese Verbindung verweist ihrerseits auf einen bestimmten Begriff der Moral. So stehen normative Erwgungen aus Sicht des normativen Internalismus unter einer motivationalen Bedingung: Sie sind genau dann Grnde fr eine informierte und rationale Person P, wenn sie nach einem Prozess der praktischen Deliberation eine Motivation bei P generieren. Ein Grund existiert daher immer relativ zu den Motivationen des Handelnden; er muss, so Bernard Williams, in seinem ,Motivationshaushalt‘ vorkommen, um tatschlich ein Grund fr ihn zu sein.167 Unter dieser Bedingung ist eine bestimmte berlegung nur ein scheinbarer, aber kein ,echter‘ Grund fr jemanden, entsprechend zu handeln, wenn sie eine rationale Person entweder nicht faktisch motiviert oder auch unter idealen Bedingungen der praktischen Deliberation nicht zur Handlung motivieren kann. Dabei besteht die Besonderheit der Williamschen Position darin, dass sie annimmt, der Prozess praktischer berlegung nehme seinerseits in der aktualen motivationalen Verfassung und nicht, wie der Externalist einrumen wrde, bei objektiven (externen) Wertvorstellungen, die unabhngig von den motivationalen Zustnden des Handelnden existieren, seinen Ausgang.168 166 Zur Unterscheidung von normativem und motivationalem Internalismus und Externalismus siehe z. B. Audi: „Moral Judgement and Reasons for Action“, sowie Halbig: Praktische Grnde, 18 – 28. Die Position des ,normativen Internalismus/ Externalismus‘ begegnet auch unter folgenden Bezeichnungen: ,Reasons Internalism/Externalism‘, ,Internalism/Externalism about Reasons‘, ,The internal/external reasons theory‘. – Die Begriffe ,Internalismus‘ und ,Externalismus‘ gehen ursprnglich auf Falk zurck, der in „‘Ought’ and Motivation“, 137 f. einen so genannten ,internen‘ und ,externen‘ Gebrauch von ,Sollen‘ unterscheidet. 167 Vgl. Williams: „Internal and external Reasons“, 101, sowie „Internal Reasons and the Obscurity of Blame“, 35. Die motivationale Bedingung normativer Grnde wurde von Williams popularisiert und ist seitdem viel diskutiert worden. Williams betont, dass es sich bei der Motivmenge nicht allein um Wnsche handelt, sondern um Wnschen verwandte Einstellungen wie „dispositions of evaluation, patterns of emotional reaction, personal loyalities, and various projects, as they may be abstractly called, embodying commitments of the agent“ („Internal and external reasons“, 105). 168 Den letzten Punkt fhrt Hooker explizit in seiner Kritik an Williams’ internalistischer Postion an. Hooker sieht richtig, dass der Streit zwischen Williams und
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Der normative Internalismus ist daher eine Position, die den Status normativer Grnde in Bezug auf ihre Quelle begrndet. Ein moralisches Urteil stellt demnach nur dann einen normativen Handlungsgrund bereit, wenn aus dem Urteil auch ein motivierender Grund hervorgeht, der seinerseits auf einen nicht-kognitiven, internen praktischen Zustand des Handelnden zurckgeht.169 So sind Neo-Humeaner der Ansicht, dass ein Grund genau dann ein echter Handlungsgrund ist, wenn dieser Grund die Handlung in motivationstheoretischer Hinsicht erklrt.170 Damit ein Grund eine Handlung in dieser Hinsicht erklrt, muss es einen entsprechenden Wunsch geben, der aus der praktischen berlegung hervorgehen kann und die Rolle des Handlungsmotivs bernimmt. Dieser Auffassung zufolge sind Handlungsgrnde auf die Eigenschaft reduziert, dass sie die Erfllung eines Wunsches versprechen: Wnsche sind demnach die einzige Quelle praktischer Grnde.171 Unter der von Williams ins Feld gefhrten Voraussetzung, dass diese Wnsche von der aktualen motivationalen Externalisten grundlegend an der Frage nach der Quelle der praktischen Deliberation hngt, die ihrerseits idealerweise zur Herausbildung eines Handlungsmotivs fhrt (vgl. „Williams’ Argument against External Reasons“, bes. 44.). Vgl. Williams: „Internal and external Reasons“, bes. 109 – 101, sowie „Internal Reasons and the Obscurity of Blame“, bes. 35. Williams hebt hervor, dass es sich bei der Motivmenge nicht allein um Wnsche handelt, sondern um Wnschen verwandte Einstellungen wie „dispositions of evaluation, patterns of emotional reaction, personal loyalities, and various projects, as they may be abstractly called, embodying commitments of the agent“ („Internal and external reasons“, 105). Eine ausfhrliche Analyse und Kritik von Williams’ Position findet sich außerdem in Halbig: Praktische Grnde und die Realitt der Moral, 150 – 169. 169 Audi bezeichnet diese Position als „non-cognitive-motivation-entailing judgements-as-reasons view“ („Moral Judgement and Reasons for Action“, 130). 170 Neo-Humeaner sind an Humes Theorie der moralischen Motivation insofern orientiert, als ihrer Ansicht nach Motivationen immer (auch) durch Wnsche generiert werden. Ein entscheidender Unterschied zwischen Neo-Humeanischen Anstzen und Humes Position besteht hingegen darin, dass Neo-Humeaner die Existenz normativer, praktischer Grnde prinzipiell einrumen, whrend Hume zufolge gar nicht sinnvoll von Grnden, die fr oder gegen eine Handlung in dem Sinne sprechen, dass sie die Handlung rationalisieren, gesprochen werden kann. Es sind die Wnsche, die eine Handlung erklren; diese Wnsche (und damit auch die Handlung) entziehen sich aber dem Kriterium der Rationalitt bzw. Irrationalitt. Vgl. dazu Kap. 1, § 1, 2. 171 Wie Halbig hervorhebt, besteht darin der entscheidende Punkt instrumentalistischer Theorien praktischer Grnde. Dass Wnsche eine Quelle neben anderen Quellen praktischer Grnde sind, ist hingegen eine Voraussetzung, die auch von anderen (psychologistischen) Theorien praktischer Vernunft geteilt wird (vgl. Halbig: „Normative Grnde“, 135.
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Verfassung des Handelnden abhngen, hat dies wiederum die aus normativittstheoretischer Sicht nicht unerhebliche Konsequenz, dass alle normativen Grnde durch die konative Natur des Handelnden bestimmt sind: Ohne bestimmte Wnsche keine normativen Grnde.172 Christine Korsgaard schließt an den Grundgedanken von Williams’ Internalismus an, wenn sie betont, dass normative Grnde nur unter einer bestimmten Bedingung als praktische Grnde und damit als Handlungsgrnde verstanden werden kçnnen. Die ,internalistische Forderung‘ lautet daher folgendermaßen: Practical-reason claims, if they are really to present us with reasons for action, must be capable of motivating rational persons. I will call this the internalism requirement. 173
Der ,internalistischen Forderung‘ entsprechend sind alle ,echten‘ Handlungsgrnde also insofern so genannte ,interne‘ Grnde, als sie Motive fr rationale Handelnde bereitstellen und damit ,intern‘ bereits mit den Motiven verbunden sind.174 Ein solcher gemßigter normativer Internalismus, wie er von Korsgaard vertreten wird, zeichnet sich nicht zuletzt dadurch aus, dass er auch mit anderen Theorien ber normative Grnde vereinbar ist. Da er, im Gegensatz zum Williamschen Internalismus, nicht darauf festgelegt ist, dass der Prozess praktischer berlegung schon durch 172 Vgl. zu diesem Gedankengang Cullity/Gaut: „Introduction“, 7. Halbig bemerkt jedoch zu Recht, dass die Frage nach der Quelle normativer Grnde eine andere als diejenige ist, der Williams in seinem Aufsatz ber interne und externe Grnde nachgeht. Williams geht es darum, zu zeigen, dass Grnde unter einer motivationalen Bedingung insofern stehen, als etwas kein Handlungsgrund ist, wenn er unter bestimmten Umstnden nicht motiviert. Nach den ,metaphysischen Konstitutionsbedingungen‘ bzw. den Quellen normativer Grnde fragt Williams jedoch nicht (vgl. Halbig: „Normative Grnde“, 134). Zum berblick ber alternative Theorien praktischer Vernunft, die die Basis normativer Grnde in Abgrenzung zum Instrumentalismus nicht in erster Linie in Wnschen, sondern z. B. in Werten (vgl. Raz: Engaging Reason) oder natrlichen Eigenschaften (vgl. Scanlon: What we Owe to Each Other) verorten und daher als Beispiele fr genuin externalistische Theorien normativer Grnde gelten kçnnen, vgl. ebenfalls Halbig: „Normative Grnde“, 142 – 145. 173 Korsgaard: „Skepticism about Practical Reason“, 317. 174 Shafer-Landau und Halbig verweisen treffend darauf, dass wir es bei der internalistischen Bedingung fr das Bestehen praktischer Grnde mit einer Tautologie zu tun haben: Praktische Grnde sind Grnde, durch die sich rationale Handelnde motivieren lassen. Rationale Handelnde zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich durch gute Grnde motivieren lassen. Also sind gute Grnde solche Grnde, durch die sich Personen, die fr gute Grnde empfnglich sind, motivieren lassen. Vgl. Halbig: Praktische Grnde, 167, sowie Schafer-Landau: Moral Realism, 173.
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die Motive des Handelnden gesteuert ist, ist er selbst mit einer externalistischen Auffassung ber Handlungsgrnde kompatibel.175 Des Weiteren rumt der gemßigte normative Internalist ein, dass es externe Grnde geben kann. Dass diese Grnde jedoch keine motivationale Kraft haben, wre dieser Auffassung nach darin begrndet, dass die entsprechende Person sich nicht hinreichend rational verhlt. Denn wenn die ,internalistische Forderung‘ besagt, dass als gute Grnde nur solche Grnde gelten kçnnen, die rationale Personen motivieren, dann liegt die Vermutung nahe, dass das Ausbleiben einer entsprechenden Motivation nicht den Handlungsgrund als solchen angreift, sondern auf ein Defizit in der Rationalitt der Person verweist.176 Normative Externalisten hingegen bestreiten die Abhngigkeit der normativen Grnde von einer motivationalen Bedingung. Nach Ansicht des normativen Externalismus existieren normative Grnde auch unabhngig von der (aktualen oder prinzipiell mçglichen) Motivation einer Person. Sie ergeben sich aus nicht-subjektiven, nicht-situationsgebundenen Werten, die ihrerseits die Quelle der normativen Grnde sind.177 Nach 175 Vgl. Hooker: „Williams’ Argument against External Reasons“, 43. 176 Dieses Argument fhrt Velleman gegen Williams ins Feld: „The Possibility of Practical Reason“, 179 f. Vgl. zu diesem Punkt auch Halbig: Praktische Grnde und die Realitt der Moral, 20, 168. Insofern kann der gemßigte normative Internalismus, wie er z. B. von Korsgaard vertreten wird, auch als „rational agent motivational internalism“ (Audi: „Moral Judgement and Reasons for Action“, 137) verstanden werden, weil er davon ausgeht, dass bei rationalen Handelnden eine verlssliche Beziehung zwischen dem moralischen Urteil und der Motivation besteht. 177 In Bezug auf diese Auffassung ist die Position des normativen Externalismus dem moralischen Realismus in Bezug auf Werte verwandt. Moralische Realisten verteidigen die These, dass es moralische Fakten unabhngig davon gibt, ob sie gerade von jemandem geglaubt oder gewollt werden. Problematisch kann eine solche Position sein, wenn sie eine Unvereinbarkeit der normativen Entitten mit der natrlichen, in physikalischer Hinsicht betrachteten Welt beinhaltet. Werte erscheinen dann in der modernen, naturwissenschaftlich geprgten Welt als etwas Merkwrdiges bzw. Absonderliches (vgl. zu Mackies „Argument aus der Absonderlichkeit“ Mackie: Ethik, 43 – 49). Halbig ist der Ansicht, dass „dieser Umstand allein […] noch keinerlei Argument gegen die Existenz objektiver Werte“ ist. Moralische Werte, so Halbig, „sind nicht merkwrdiger als Neutrinos, impressionistische Gemlde oder Erdferkel“ (Praktische Grnde, 189 f.). Tatschlich ,absonderlich‘ erscheinen diese Werte jedoch unter der Voraussetzung, dass die Position des moralischen Realismus sich zur Annahme bestimmter ontologischer Entitten verpflichtet (wie z. B. Mackie es annimmt). Aus dieser ontologischen Voraussetzung fr die ,Absonderlichkeit‘ von Werten folgt fr Halbig nicht einfach eine Ablehnung der fragwrdigen ontologischen Prmisse, sondern sein eigenes
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Auffassung des normativen Externalisten kann es Grnde geben, die als solche eingesehen werden kçnnen, ohne dass diese Einsicht schon durch Motive gesteuert ist.178 Der motivationale Internalismus in Bezug auf Handlungsbegrndungen betrifft eine Aussage ber den internen Zusammenhang zwischen den moralischen Urteilen und den Motiven. Moralische Urteile haben dem zufolge eine bestimmte Eigenschaft: Sie sind praktisch und das heißt: praktische Grnde fr einen Handelnden, weil sie Motivationen bereitstellen. Nach Auffassung des motivationalen Internalismus hat jemand, der ein moralisches Werturteil fllt179, nicht nur einen normativen, sondern auch einen motivierenden Grund, diesem Urteil entsprechend zu handeln. Dabei bleibt zunchst offen, ob der motivierende Grund, der unmittelbar aus dem Urteil hervorgeht, auch tatschlich handlungswirksam wird.180 Nach Auffassung des motivationalen Externalismus hingegen ist die Beziehung zwischen einem normativen Grund und der Motivation nicht notwendigerweise intern; die Motivation ist nicht ,automatisch‘ mit der moralischen Bewertung verbunden. Im Gegenteil muss zu dem Urteil, dass etwas einen guten Handlungsgrund darstellt, ,von außen‘ (,extern‘) eine motivierende Komponente hinzukommen, damit der normative Grund fr eine Handlung auch ein motivierender Grund zu dieser Handlung wird. Daraus ist jedoch nicht zu schließen, dass ein moralisches Urteil aus „ontologische[s] Forschungsprogramm[…]“ (Praktische Grnde, 190; vgl. 189 – 313). 178 Vgl. McDowell: „Might There Be External Reasons?“, 98 f. 179 Halbig weist in diesem Sinne darauf hin, dass die interne Beziehung, die der motivationale Internalismus (bei Halbig: der „motivationstheoretische Internalismus“, Praktische Grnde, 25) behauptet, nicht diejenige zwischen einer moralischen Wahrheit und der Motivation, sondern zwischen einem moralischen Werturteil und der Motivation betrifft. Diese interne Beziehung ist fr den Vertreter dieser Position so stark, dass die Motivation auch in Konfliktsituationen aufrechterhalten wird. Halbig findet fr diesen Umstand die Bezeichnung der „pro tanto-Motivation“ im Gegensatz zur „prima facie-Motivation“ (Praktische Grnde, 26). Audi findet die Form des Internalismus, die hier als ,motivationaler Internalismus‘ bezeichnet wird, noch eine genauere Bezeichnung: „motivational internalist judgements-as-reasons-view“ („Moral Judgement and Reasons for Action“, 130). 180 Es lassen sich zwei Formen von motivationalem Internalismus unterscheiden: stark und schwach. Je nachdem, wie eng man die Beziehung zwischen Urteil und Motiv knpft und welchen Stellenwert man der Motivation einrumt, kçnnen internalistische Positionen variieren. Vgl. zur Unterscheidung von starkem und schwachem Internalismus z. B. Rosati: „Moral Motivation“, sowie Svavarsdttir: „How Do Moral Judgments Motivate?“, 164.
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externalistischer Perspektive nicht auch motivieren kann. Grnde, die auf solche Urteile zurckgehen, motivieren nur nicht lckenlos bzw. notwendigerweise. Sollte es ein Motiv geben, das auf den normativen Grund bezogen ist, so wre die Person auch entsprechend ihrem moralischen Urteil motiviert zu handeln. Aus dieser Darstellung beider Formen von Internalismus und Externalismus ergibt sich folgendes Bild. Internalistische Theorieanstze betonen die praktische Wirksamkeit moralischer Grnde. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass durch sie zunchst berzeugend erklrt werden kann, wie unsere moralischen berzeugungen mit den Motiven, aus denen wir handeln, zusammenhngen. Jemand, der ein bestimmtes moralisches Urteil fllt und damit einen normativen Grund als solchen erkennt, ist auch motiviert, seinem Urteil entsprechend zu handeln. Diese Form des Internalismus hat jedoch – zumindest aus der Sicht der Gegenposition – einen Nachteil. Denn der Internalist muss aufgrund der von ihm verteidigten Auffassung einer intrinsischen Verbindung von Grnden und Motiven akzeptieren – und er tut dies –, dass die Normativitt der Grnde in einem Abhngigkeitsverhltnis zur motivationalen Verfassung des Handelnden steht. Ein Grund wird demnach als ein gerechtfertigter Grund angesehen, weil bestimmte Motivationen, d. h. Wnsche, Dispositionen etc. die Klassifizierung ,Grund‘ steuern.181 Es ist jedoch gar nicht einsichtig, warum das Ausbleiben einer Motivation einen Handlungsgrund als solchen angreifen soll. Dass jemand nicht motiviert ist, auf eine bestimmte Weise zu handeln, kçnnte im Gegenteil auf ein rationales Defizit in der Person schließen lassen, die den normativen Grund als solchen anerkennt, aber unfhig ist, eine diesem Grund entsprechende Motivation auszubilden.182 Der Internalismus in Bezug auf Handlungsgrnde (normativer Internalismus) geht also davon aus, dass normative und hier im engeren Sinne: moralische Grnde nicht auf rationalen Einsichten basieren, sondern auf die psychologisch-motivationale Struktur des Handelnden bezogen sind. 181 Vgl. McDowells berzeugende Interpretation der internalistischen Position in „Might There Be External Reasons?“, 97. 182 Williams zeigt z. B. nicht, warum ein Grund, der eine Person faktisch nicht motiviert oder auch nach Durchschreiten eines Prozesses praktischer berlegung nicht motivieren kann, kein Handlungsgrund ist, der dennoch normative Kraft hat. So kann jemand schlicht unfhig an, sich an von ihm selbst als gut erkannten Grnden handelnd zu orientieren. Sein Verhalten ist dann zumindest rational kritisierbar, wenn auch nicht notwendigerweise irrational. Vgl. zu dieser Kritik an Williams die Ausfhrungen bei Halbig: Praktische Grnde, 150 – 169, bes. 168 f.
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Diese Struktur kann konativ oder auch nicht-konativ sein, je nachdem, ob man auch nicht-konative Motive einrumt. Whrend es sich bei der vom motivationalen Internalismus behaupteten internen Verbindung zwischen Grund und Motiv lediglich um ein „Negativkriterium“ handelt183, das der Internalist als Reaktion auf das externalistische Handlungsbegrndungsmodell anfhrt, sagt der normative Internalismus also auch positiv etwas darber aus, was einen Grund tatschlich zu einem ,echten‘, aus Sicht des Internalisten normativen Handlungsgrund macht. Williams’ Negativformulierung, etwas sei dann kein ,echter‘ Handlungsgrund, wenn er keine Motivationen bereitstelle, wird hier ersetzt durch die Einfhrung einer positiven Bedingung: Ein Handlungsgrund ist ein ,echter‘ Grund genau dann, wenn er nicht nur auf die Motivationen des Handelnden gesttzt ist, sondern auf ihnen beruht. 184 Ausgangspunkt externalistischer Theorieanstze ist hingegen die These von der Objektivitt der Moral. So sichert der Externalist der Normativitt der Grnde einen eigenen, unantastbaren Bereich, der sicherstellt, dass sich die Grnde nicht mit den Motiven verndern und auf diese ,zurechtgeschneidert‘ werden mssen.185 Jemand kann auch dann einen Grund haben, so und nicht anders zu handeln, wenn er nicht zu der Handlung motiviert ist (unmittelbar oder nach korrekter praktischer berlegung). Das impliziert, dass es zunchst ungewiss bleibt, ob es Handlungen aus diesem moralischen Wissen berhaupt gibt. Das moralische Urteil, das selbst noch nicht das Motiv impliziert, muss durch ein Motiv begleitet sein, 183 Vgl. zu dieser Formulierung Halbig: Praktische Grnde und die Realitt der Moral, 20. Die Behauptung des Internalisten zielt darauf, dass nicht beliebige Erwgungen als Grnde fr einen Handelnden gelten kçnnen. Grnde sind diese nur insofern, als sie motivationale Kraft haben. 184 Halbig bemerkt daher richtig, dass der normative Internalismus im Vergleich mit Williams’ Position des motivationalen Internalismus die strkere Variante des Internalismus ist (vgl. Praktische Grnde und die Realitt der Moral, 21). Whrend Williams Argumentation darauf abzielt, zu zeigen, dass es keine externen Grnde gibt, argumentiert der normative Internalismus positiv fr die Existenz interner Grnde. 185 Vgl. Frankena: „Obligation and Motivation“, 80: „[…] internalism […] runs the risk […] of having to trim obligation to the size of individual motives“. Dieses Argument wurde wiederholt aufgegriffen. Vgl. dazu Halbig: Praktische Grnde, 365 – 367. – Kritiker eines normativen Internalismus, der Grnde auf die Motive ,zuschneidert‘, bezweifeln nicht nur, dass diese Grnde Normativitt aufweisen. Ihrer Ansicht nach lsst sich sogar bezweifeln, dass ein Humeanischer ,Grund‘ zu hypothetischen Imperativen taugt. Vgl. dazu Korsgaards Kritik an der Auffassung von der Normativitt rein instrumenteller Grnde in: „The Normativity of Instrumental Reason“, sowie Hampton: „On Instrumental Rationality“.
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das das Urteil seinerseits in adquater Weise widerspiegelt, also ein ,echtes‘ moralisches Motiv ist. Internalistische Theorien ,erkaufen‘ diesem Bild zufolge den Vorteil einer berzeugenden Analyse der Motivationsstruktur in Handlungen auf Kosten der Unabhngigkeit normativer Grnde von motivationalen Bedingungen. Externalisten hingegen nehmen zugunsten der Annahme unabhngiger, durch Werte und nicht durch Motivationen generierter normativer Grnde eine zustzliche Beweislast bezglich der Verlsslichkeit der Beziehung zwischen den moralischen Urteilen und den motivierenden Grnden in Kauf. Dabei ist jedoch zu betonen, dass die internalistische Kritik gegen die Existenz externer Grnde nur unter einer bestimmten Voraussetzung gilt: dass man schon eine Humeanische Motivationstheorie akzeptiert. Die Auffassung, dass nur interne Grnde, also Grnde, die zum Motivationshaushalt des Handelnden gehçren, motivieren kçnnen, muss von Antihumeanern bzw. Nonpsychologisten nicht geteilt werden.186 So kann man beispielsweise die Auffassung vertreten, dass es nicht immer einen Wunsch geben muss, der zu einer moralisch guten Handlung motiviert und ihre Ausfhrung befçrdert.187 186 Vgl. zu dieser Kritik an Williams’ Argument gegen den Externalismus in Bezug auf Grnde Halbig: Praktische Grnde, 168 f. 187 Vgl. McDowell : „Are Moral Requirements Hypothetical Imperatives ?“, 84. McDowell schlgt eine Alternative zwischen internalistischen und externalistischen Anstzen vor, indem er fr ein Erklrungsmodell von (moralischer) Motivation pldiert, das Erkennen (als Erkennen des richtigen Grundes) und Wollen (als rationales, berzeugungsorientiertes Wollen) nicht als zwei von einander getrennte Bereiche betrachtet, die erst zusammen gebracht werden mssten (vgl. „Virtue and Reason“, bes. 57 f., und „Are Moral Requirements Hypothetical Imperatives?“, bes. 81 f.). Die ,ungetrbte Wahrnehmung‘, so McDowells Modell einer Wahrnehmungstheorie moralischen Wissens und Urteilens, kann ausreichen, um einen Handlungsgrund zu liefern. Tugend besteht nach diesem Modell in einer ,Sensitivitt‘ fr das Gute (vgl. „Virtue and Reason“, 56), und demjenigen, der die Grnde fr eine tugendhafte Handlung nicht (aner)kennt, mangelt es an der ,spezifischen Sicht der Situation‘. Wenn jemand hingegen ber die richtige Wahrnehmung verfgt, dann liefert ihm diese Wahrnehmung auch nichthypothetische Handlungsgrnde (vgl. „Are Moral Requirements Hypothetical Imperatives?“, 87 f.). Diesem Modell zufolge ist es nicht mçglich, dass sich jemand, der wissentlich einer moralischen Forderung nicht nachkommt, rational verhlt, weil er einen anderen (wenn auch weniger berzeugenden) Grund hat. Gegenber moralischen Forderungen, die als solche wahrgenommen und vom Akteur verstanden werden, gibt es keine Grnde, die durch die moralischen Grnde als Gegengrnde ,ausgestochen‘ werden mssten (vgl. „Are Moral Requirements Hypothetical Imperatives?“, 90). Zur Kritik von McDowells Position siehe z. B.
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3. Kant: Ein Ausblick Humes Argumentation bezglich moralischer Motivation beruht auf einer dilemmatischen Voraussetzung, der sich Hume selbst bewusst gewesen sein muss: Entweder die Moral ist etwas Kognitives insofern, als ihre Urteile wahr oder falsch sind. Dann aber ist unklar, wie Moralitt und moralische Urteile praktisch sein kçnnen. Oder die Moral ist insofern praktisch, als ihre Urteile notwendigerweise motivieren. Dann aber muss die Grundlage der Moral selbst nicht-kognitiv sein.188 Vor dieselbe Voraussetzung sieht sich Kant bereits zu Beginn seiner ethischen Analysen in den 1770er Jahren gestellt. Henrich fasst Kants Dilemma treffend zusammen: Entweder die Ethik wahrt den rationalen Charakter der sittlichen Forderung; dann sind die Triebfedern des Willens nicht verstndlich zu machen. Oder sie geht von der Sittlichkeit als einer Kraft zu handeln aus; dann ist der Vernunftcharakter des Guten nicht zu wahren.189
Kant widmet sich dem Motivationsproblem, das in der beschriebenen dilemmatischen Gegenberstellung zweier systematischer Herausforderungen an die Ethik zum Ausdruck kommt, seit seinen ersten moralphilosophischen Analysen. Bekanntlich kommen Kant und Hume bezglich der Motivationsproblematik zu grundlegend verschiedenen Ergebnissen. Betrachtet man dabei den strukturell sehr hnlichen Ausgangspunkt, den beide Argumentationen nehmen, so ist die Abweichung im Ergebnis nicht selbstverstndlich. Sie lsst darauf schließen, dass beide Philosophen das ethisch-handlungstheoretische Problem moralischer Motivation nicht nur auf verschiedene Weise gelçst, sondern es auch unterschiedlich interpretiert haben. Whrend Hume sich – aufgrund eigener Voraussetzungen – gezwungen sieht, die dilemmatische Situation zugunsten einer Gefhlsmoral zu entscheiden, ist Kant in den verschiedenen Phasen der Entwicklung seiner Ethik darum bemht, beiden Hçrnern des Dilemmas gerecht zu werden. So hat die zunchst ausweglose Prmisse fr ihn eher den Charakter einer (kantischen) Antinomie, deren widersprchliche Aussagen nur in einem scheinbar kontradiktorischen Verhltnis zueinander stehen. In dieser Hinsicht begegnen die verschiedenen Phasen der kantischen Ethik Halbig: Praktische Grnde, 158 – 169; Kennett: Agency and Responsibility, 17 – 38; Wallace: „Virtue, Reason, and Principle“. 188 Das Dilemma beschreibt Audi in hnlicher Weise (vgl. „Moral Judgement and Reasons for Action“, 126). 189 Henrich: „Ethik der Autonomie“, 31.
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I. Moralische Einsicht und moralisches Handeln
als ein Versuch, den Schein dieser ausschließend disjunktiven Gegenberstellung zweier handlungstheoretischer Prmissen aufzulçsen.190 Whrend Hume von der Natur menschlichen Handelns im Besonderen ausging, um daraus Folgerungen fr die Moral und moralisches Handeln im Allgemeinen abzuleiten, whlt Kant die entgegen gesetzte Strategie, indem er zunchst ber die Natur der Moral verhandelt, um dann zu untersuchen, was diese Voraussetzungen fr eine Theorie moralischer Motivation bedeuten. Kant wendet sich gegen eine Psychologisierung der Moral, indem er moralphilosophische Analysen zur Grundlage fr seine Moralpsychologie macht.191 Die Herausforderung der kantischen Moralphilosophie ist grundlegend durch die Aufgabe geprgt, die absolute Verbindlichkeit und Irreduzibilitt moralischer Forderungen mit ihrer Praktikabilitt zu verbinden. Nun besteht Kants Ethik nicht in direkter Weise in einer Auseinandersetzung mit Humes Thesen. Sie berhrt diese Thesen jedoch indirekt, wenn es ihr um die Frage der moralischen Motivation und um die Basis moralischer Urteile geht. In dieser Hinsicht lsst sie sich – in ihrer Entwicklung seit Beginn der 1770er Jahre bis in die 1790er Jahre – lesen als eine Ethik, die Humes Dilemma aufzulçsen versucht – auf andere Weise, als Hume selbst es getan hat. So verpflichtet uns Kants Ansicht nach die Tatsache, dass uns Moralitt (prinzipiell) bewegt, gerade nicht dazu, die Annahme irreduzibler normativer Wahrheiten aufzugeben. Die kantische Herausforderung besteht im Gegenteil darin, zu zeigen, dass es nicht-reduzible normative Wahrheiten gibt, die ihrerseits motivationale Kraft haben. Man kann, so die – im weitesten Sinne kantische und rationalistische – These, die internalistische Forderung in Bezug auf die Frage der Motivation fr berechtigt halten und also in dieser Hinsicht Internalist sein, ohne bestreiten zu mssen, dass es normative Wahrheiten gibt.192
190 Die Darstellung des Dilemmas bei Kant als „Antinomie“ findet sich bei Henrich: „Ethik der Autonomie“, 31. Zur Auflçsung des Scheinargumentes in Antinomien vgl. Kants Argumentation in KrV A 297/B 354. 191 Vgl. zu dieser Beobachtung Timmons: „Kant and the Possibility of Moral Motivation“, 392, 398. 192 Parfit zufolge markieren unterschiedliche Auffassungen ber die Basis und die Natur der moralischen Urteile nicht in erster Linie einen Diskurs zwischen Internalisten und Externalisten, sondern zwischen reduktiven und nicht-reduktiven Theorien der Moral. Internalisten mssen Parfits Ansicht nach akzeptieren, dass es nicht-reduzible normative Wahrheiten gibt (vgl. „Reasons and Motivation“, 128 f.).
§ 3 Voraussetzungen einer Theorie der praktischen Vernunft
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Kants Ethik kann in diesem Sinne verstanden werden als Versuch einer Verbindung der internalistischen These von der Handlungswirksamkeit moralischer Grnde mit der externalistischen Auffassung, moralische Grnde existierten unabhngig von den Pro-Einstellungen der handelnden Person und seien daher objektive Grnde. Seine Position ist die eines rationalistischen Internalismus, da er zum einen eine rationalistische Konzeption moralischer Grnde verteidigt und zum anderen die internalistische These bezglich des Zusammenhangs von Verpflichtung und Motivation teilt. Der Kern seiner Bemhungen in der Moralphilosophie beruht darauf, zu zeigen, dass und wie moralische Grnde zugleich handlungswirksam (praktisch) und objektiv sein kçnnen.193 Kants moralphilosophische Analysen halten nicht von Anfang an eine eindeutige und stabile Lçsung des Motivationsproblems bereit. Wie wir bereits gesehen haben, schwankt Kant gerade zu Beginn seiner ethischen Untersuchungen, d. h. in den 1760er Jahren, zwischen einer gefhlsethischen und einer rationalistischen Konzeption der Moral. Whrend Kant sehr bald schon von der Objektivitt und Vernnftigkeit unserer moralischen Grundstze berzeugt ist und fr ihn damit die Frage der Grundlage der Moral relativ schnell zuungunsten einer durch die Ethik des ,Moral Sense‘ geprgten Moralauffassung entschieden ist194, wird ihn die Lçsung des Motivationsproblems noch in seinen letzten moralphilosophischen Schriften beschftigen. Dabei ist es die Suche nach einer Alternative zwischen empiristischen und rationalistischen Anstzen in der Ethik, die Kants Auseinandersetzung mit der Motivationsproblematik bis zum Schluss prgt.
193 Diese Programmatik bei Kant beobachtet auch Timmons: „Kant and the Possibility of Moral Motivation“, bes. 381, 397. 194 So heißt es z. B. in einer Vorlesungsnachschrift der 1770er Jahre: „Das principium der Moralitt ist nicht pathologisch, pathologisch wre es, wenn es aus subjectiven Grnden, aus unseren Neigungen, aus unserm Gefhl hergeleitet wre. Die Moral hat kein pathologisches principium, sie enthlt objective Gesetze, was man thun soll und nicht was man zu thun begehrt. Sie ist nicht Zergliederung der Neigung, sondern eine Vorschrifft, die wieder alle Neigung ist“ (V-Mo/Kae 71/57).
II. Praktische Vernunft: Vernunft und Freiheit § 1 Freiheit als Spontaneitt in der Kritik der reinen Vernunft 1. Handlung und Kausalitt Zu zeigen, dass es ein Handeln aus vernnftiger Einsicht gibt, das allein durch diese Einsicht motiviert ist, ist ein zentrales Anliegen von Kants praktischer Philosophie.1 Den Grundstein fr dieses Unternehmen legt Kant mit der Diskussion der „Dritten Antinomie“ in der Kritik der reinen Vernunft. Hier, in der ,Freiheitsantinomie‘, lçst Kant den ,Widerstreit‘ zwischen zwei Arten der Kausalitt auf: der ,Kausalitt aus Freiheit‘ und der ,Kausalitt der Natur‘. Mit dem Nachweis, dass beide Arten der Kausalitt mit Blick auf dasselbe Ereignis neben einander bestehen kçnnen, argumentiert er fr die widerspruchsfreie Denkmçglichkeit von Freiheit. Was aber heißt ,Handeln‘ bei Kant, was ,Kausalitt‘? Kant macht den Begriff der Handlung nicht explizit zum Thema seiner Philosophie. Implizit erweist sich der Handlungsbegriff jedoch als einer der grundlegenden Begriffe der Kantischen Philosophie. Dabei vertritt Kant ein Verstndnis von ,Handlung‘, nach dem Handeln nicht auf spezifisch menschliches Tun beschrnkt ist. Dass Handlungen stattfinden, heißt zunchst, dass es Vernderungen gibt: Sie sind „der erste Grund von allem Wechsel der Erscheinungen“ (KrV A 205/B 250). ,Aktion‘ ist damit im weitesten Sinn alles Geschehen, das eine Wirkung hat; immer da, wo etwas wirkt, da handelt auch etwas bzw. jemand. ,Handeln‘ ist fr Kant daher im weitesten Sinne ein Verursachen bzw. das Bewirken von etwas. Kant definiert „Handlung“ genauer als „Thtigkeit und Kraft“ (KrV A 204/B 249).2 Schon in der Wahren Schtzung (1746) argumentiert Kant fr einen Begriff der Kraft, der diese, im Gegensatz zu Leibniz, nicht allein als ein inneres Prinzip versteht, sondern als eines, das auch „außer sich“ wirkt (Schtzung 1:23). „Handlung“ und „Kraft“ verweisen nun ihrerseits auf 1 2
Dies trifft insbesondere auf Kants praktische Philosophie seit 1784/85 zu. Die Idee der Motivation allein durch Einsicht tritt mit Aufkommen des AutonomieKonzepts auf den Plan. Dies entspricht einem newtonschen Verstndnis von „actio“; vgl. Sans: Ist Kants Ontologie naturalistisch?, 106.
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„Substanz“, auf das „etwas“, das handelt: „Wo Handlung, mithin Thtigkeit und Kraft ist, da ist auch Substanz, und in dieser allein muß der Sitz jener fruchtbaren Quelle der Erscheinungen gesucht werden“ (KrV A 204/ B 249). Entgegen der Fragerichtung des heutigen Handlungstheoretikers fungiert „Handlung“ nicht als Definiendum, sondern als Explanandum: Handlungen sind die Basis fr alles Phnomenale und dienen darber hinaus als Beweis fr Substantialitt.3 Aus Kants Substanzbegriff folgt der Begriff der Handlung daher analytisch: „Die Handlung actio ist diejenige Bestimmung der Kraft einer Substanz als einer Ursache eines gewißen accidens […]“ (V-Me/Volck 28:433; vgl. V-Me/L2 28:564 f.). Eine Handlung geschieht dann und nur dann, wenn eine Substanz einen Zustand (,accident‘) verursacht durch Determination ihrer Kraft. Kants Handlungsbegriff besteht also aus drei Elementen: „Substanz“, „Kraft“ und „Ursache“ bzw. „Ursache sein“. Kant definiert Substanz wie folgt: „Weil nun alle Wirkung in dem besteht, was da geschieht, mithin im Wandelbaren […]: so ist das letzte Subjekt desselben das Beharrliche, als das Substratum alles Wechselnden, d. i. die Substanz“ (KrV A 205/B 250). Die Substanz ist also zum einen das Beharrliche, das selbst keiner Vernderung unterworfen ist. Es ist zum anderen und damit verbunden das Selbststndige im Gegensatz zum unselbststndig Seienden bzw. das „substratum“ als dasjenige, welches die unselbstndigen Akzidenzen trgt.4 Mit dem Begriff der Kraft knpft Kant an Christian Wolff an, der die Kraft als „Quelle der Vernderungen“ definiert.5 Die kausalen Krfte menschlicher Wesen bezeichnet Kant – typisch fr seine Zeit – als „Vermçgen“. Sein Modell von Kraft und Vermçgen sieht dabei folgendermaßen aus: Das innre Princip der Mçglichkeit einer Handlung, heißt nun das Vermçgen. Dieses innre Princip der Mçglichkeit einer Handlung erfordert aber auch noch einen Bestimmungs Grund, damit die Handlung wirklich werde und das ist Kraft. Der Bestimmungs Grund zur Wirklichkeit einer Handlung heißt also 3
4 5
Der Satz findet sich in der „Zweiten Analogie der Erfahrung“ der Kritik der reinen Vernunft, wo Kant zeigen will, wie „Handlung“, verstanden als „Thtigkeit und Kraft“, das Dasein einer Substanz beweist. Willaschek bringt Kants begriffstheoretische Vorgehensweise treffend auf den Punkt: „So paradox es klingen mag: In handlungstheoretischer Hinsicht gehen die Handlungen dem handelnden Subjekt voraus“ (Praktische Vernunft, 291 Anm.). Vgl. Kaulbach: Das Prinzip Handlung in der Philosophie Kants, 4. Wolff: Vernnfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, § 115, 60.
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Kraft. Eine jede Kraft ist also fr sich selbst hinreichend zu einer Handlung und bringt eine andere Handlung hervor (V-Me/v. S., 28:515).
Der dritte Aspekt von Kants Handlungsbegriff ist der Begriff der Ursache. Ursache sein heißt, die Eigenschaft der Wirksamkeit, d. h. Kausalitt zu haben. Eine Wirkung ist damit die Folge einer wirkenden Ursache, und Kausalitt ist die Eigenschaft einer Entitt, Ursache zu sein. Diese Vorstellung von der Wirksamkeit einer Ursache ist nach Kantischem Verstndnis ein reiner Verstandesbegriff, der eine Beziehung zwischen Vorstellungen von Ursachen und Wirkungen herstellt und als Kategorie Einheit unter die „Mannigfaltigkeit“ der Wahrnehmungen bringt. So ermçglicht erst die Kategorie der Kausalitt eine gegebene Wirkung als Folge einer Ursache zu denken. Damit kommt der Kausalittskategorie eine Funktion der Einheit der Synthesis zu, die es uns ermçglicht, eine Wahrnehmungsfolge als Vernderungen einer Substanz zu denken.6 Dabei geht Kant davon aus, dass nicht nur jedes Ereignis eine Ursache hat, sondern aus dieser auch nach „Regeln“ folgt: „Wenn wir also erfahren, daß etwas geschiehet, so setzen wir dabei jederzeit voraus, daß irgend etwas vorausgehe, worauf es nach einer Regel folgt“ (KrV A 195/B 240). Kants Bemerkung, die Regel gebe an, dass Wirkungen „jederzeit und notwendigerweise“ aus ihren Ursachen folgen, verweist in sachlicher Hinsicht auf einen Begriff der Kausalitt, der von der gesetzmßigen Verbindung zwischen Wirkendem und Bewirktem ausgeht – auch wenn an dieser Stelle von ,Gesetzen‘ nicht explizit die Rede ist.7 Aus dem Vorangegangen ergibt sich: Handlung bei Kant ist das Wirken der aktiven Kraft einer Substanz, das seinerseits durch ein dieser Substanz zukommendes Vermçgen mçglich ist. Bis hierhin ist Handeln noch nicht auf absichtsvolles, intentionales Handeln beschrnkt. Es ist ein Merkmal von Kants weitem Handlungsbegriff, dass physisches und spontanes Handeln eine gemeinsame Grundstruktur aufweist: Es besteht 6 7
Fr eine ausfhrliche Auseinandersetzung mit Kants Begriff der Kausalitt vgl. Watkins: Kant and the Metaphysics of Causality. In der „Auflçsung“ der „Dritten Antinomie“ wird Kant in dieser Hinsicht deutlicher, wo vom „Gesetze der Kausalverknpfung“ die Rede ist (vgl. KrV A 533/B 561). Schließlich lsst auch die Grundlegung ein nomologisches Verstndnis von Kausalitt erkennen: „Da der Begriff einer Causalitt den von Gesetzen bei sich fhrt, nach welchen durch etwas, was wir Ursache nennen, etwas anderes, nmlich die Folge, gesetzt werden muß […]“ (GMS 4:446; vgl. KrV A 539/B 567 sowie KpV 5:89). Kant hat seine These vom gesetzmßigen Charakter der Kausalitt nicht weiter begrndet (vgl. dazu Keil: „Wo hat Kant das Prinzip vom nomologischen Charakter der Kausalilt begrndet?“).
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in beiden Fllen in der Beziehung des verursachenden Subjekts zur Wirkung, es bedeutet in beiden Fllen Wirksamkeit. 8 „Handlung“, so lautet schließlich Kants zentrale Definition in der Kritik der reinen Vernunft, „bedeutet schon das Verhltniß des Subjects der Causalitt zur Wirkung“ (KrV A 205/B 250). Dass das „Subject der Causalitt“, also die verursachende Instanz, in einem „Verhltnis“ zur Wirkung steht, heißt, dass es sich zur Wirkung verhlt oder auch: in Beziehung setzt, indem es seinerseits die Ursache dieser Wirkung ist. Es verhlt sich als hervorbringende Instanz; es ist aktiv, es handelt. 9 Alle Vernderungen in der sinnlichen Welt sind demnach Handlungen und unterliegen dem Grundsatz der Kausalitt. Dabei sind die Wirkungen eine gegebene Grçße, die ihrerseits auf das verweist, was nicht unmittelbar beobachtbar ist: Die Handlungen. Unser Begriff von Kraft als Wirkung einer Ursache und der Bezug dieser Wirkkraft auf eine verursachende Substanz ist hingegen etwas, was wir dem Wirkungs-Begriff hinzufgen. Auch der Handlungsbegriff ist eine ,Zutat‘: Wir brauchen ihn, um Vernderungen zu verstehen und wir verstehen sie als Verhltnis von Kausalitt und Substanz.10 2. Das Freiheitsproblem Der Kants Konzept einer ,Kausalitt aus Freiheit‘ als einer Kausalitt des Intelligiblen kennzeichnende Zusammenhang von Freiheit und Sittengesetz steht im Zentrum von Kants praktischer Philosophie. Er zeigt sich in den fr Kants Handlungstheorie grundlegenden Begrifflichkeiten und ist wesentlich fr sein Konzept vom Handeln aus reiner praktischer Vernunft. Denn die Tatsache, dass menschliches Verhalten nicht einfach naturgesetzlich determiniert ist und Menschen ihr Verhalten selbst bestimmen kçnnen, impliziert nach Kants Auffassung der gesetzmßigen Bestimmtheit der Kausalitt, dass es nicht nur Gesetze der Natur, sondern auch der Freiheit geben muss. Wenn reine Vernunft praktisch ist, dann gibt es reine praktische Gesetze, so die an die Freiheitsproblematik der ersten Kritik anschließende These in der Kritik der praktischen Vernunft. Darauf aufbauend besteht ein grundlegender Teil von Kants praktischer Philosophie
8 Vgl. Gerhardt: „Handlung als Verhltnis von Ursache und Wirkung“, 124. 9 Vgl. Kaulbach: Das Prinzip Handlung in der Philosophie Kants, 19. 10 Vgl. Gerhardt: „Handlung als Verhltnis von Ursache und Wirkung“, 127.
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darin, zu zeigen, wie das Handeln nach Freiheitsgesetzen bei einem endlichen Vernunftwesen wie dem Menschen vorzustellen ist. Aus der Darstellung von Kants Begriff der Handlung und der Kausalitt ergibt sich: Wenn es verschiedene Arten von Wirkungen und damit auch verschiedene Arten von Ursachen gibt, dann impliziert dies analytisch die Annahme verschiedener Arten der Kausalitt. Entsprechend formuliert Kant in der „Dritten Antinomie“ der „Transzendentalen Dialektik“ zwei Arten der Kausalbeziehung, eine „Kausalitt aus Freiheit“ und eine Kausalitt der Natur. Dies fgt sich in Kants Bild des Handelns. So ist menschliches Handeln fr Kant zum einen ein empirisches Phnomen, da es empirische Wirkungen hat. Zudem teilt Kant die These von der kausalen Geschlossenheit der empirischen Welt. Menschliche Handlungen sind demnach empirisch determiniert in der Hinsicht, dass die empirischen Manifestationen dieser Handlungen nach Gesetzen der Erfahrung auf vorhergehende Zustnde folgen.11 Zum anderen, so wird sich zeigen, verfgen Menschen mit dem so genannten „oberen Begehrungsvermçgen“, dem Willen als praktischer Vernunft, ber ein von rein physischen Wesen verschiedenes Vermçgen, dessen kausale Kraft sie befhigt, ihr Handeln selbst zu bestimmen. Dass man seinen berechtigten Zweifel an der Vereinbarkeit dieser beiden Annahmen haben kann, hat Kant selbst gesehen und diesen Zweifel als „Antinomie der reinen Vernunft“ bezeichnet. So gert die Vernunft in einen Widerspruch mit sich selbst (in eine „Antinomie“), wenn sie nach der „absolute[n] Vollstndigkeit der Entstehung einer Erscheinung berhaupt“ fragt (KrV A 415/B 443).12 Weil „die Bedingung, von dem, was geschieht, die Ursache [heißt]“ (KrV A 419/B 447), ist diese Frage gleichbedeutend mit der Frage nach einer ersten Ursache aller Erscheinungen, die ihrerseits nicht durch eine andere Ursache bedingt ist. Das „Erste“ in der Reihe der Erscheinungen nennt Kant in Bezug auf die Frage nach der Urschlichkeit dieser Erscheinungen auch die „absolute Selbstttigkeit“ bzw.: „Freiheit“ (KrV A 418/B 446). Es muss, so die Argumentation in der „Thesis“ der „Dritten Antinomie“,
11 Frierson: „Kant’s Empirical Account of Human Action“, 3, 31. 12 „Kosmologisch“ nennt Kant die Frage nach der absoluten Totalitt in der Reihe der Erscheinungen, „teils wegen eben dieser unbedingten Totalitt, worauf auch der Begriff des Weltganzen beruht, der selbst nur eine Idee ist, teils weil sie lediglich auf die Synthesis der Erscheinungen, mithin die empirische, gehen […]“ (KrVA 409/B 434; vgl. außerdem KrV A 419 f./B 447).
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eine Kausalitt angenommen werden, durch welche etwas geschieht, ohne daß die Ursache davon noch weiter, durch eine andere vorhergehende Ursache, nach notwendigen Gesetzen bestimmt sei, d. i. eine absolute Sp o n t a n e i t t der Ursachen, eine Reihe von Erscheinungen, die nach Naturgesetzen luft, von selbst anzufangen, mithin transzendentale Freiheit, ohne welche selbst im Laufe der Natur die Reihenfolge der Erscheinungen auf der Seite der Ursachen niemals vollstndig ist (KrV A 446/B 474).
Die Suche nach der absoluten Vollstndigkeit der Erscheinungen (in Bezug auf ihre Ursachen) endet damit in der Annahme einer „absoluten Spontaneitt der Ursachen“, der zufolge es einen ,ersten Anfang‘ in der Reihe der Einzelereignisse gibt, der selbst unbedingt ist. Die Denkmçglichkeit dieser absoluten Spontaneitt der Ursachen bezeichnet Kant als transzendentale Freiheit. Sie besteht in der „Unabhngigkeit [der] Vernunft […] von allen bestimmenden Ursachen der Sinnenwelt“, womit sie „dem Naturgesetze, mithin aller mçglichen Erfahrung, zuwider zu sein scheint“, weshalb sie immer „ein Problem bleibt“ (KrV A 803/B 831). Vernunft und Natur haben ihre eigenen Gesetze, so dass sie zusammen, so scheint es, menschliches Handeln nicht bestimmen kçnnen. Das Ergebnis der Auflçsung der Antinomie macht die begriffliche Mçglichkeit vernnftigselbstbestimmten Handelns in der natrlichen Welt verstndlich. Nun ist dieses ,Ergebnis‘ nur vorlufig und stellt nicht das Ende, sondern den Ausgangspunkt fr Kants Freiheitsdiskussion dar. Denn die transzendentale Idee der Freiheit ist „der eigentliche Stein des Anstoßes fr die Philosophie“ (KrV A 449 f./B 476 f.) und erfordert weitere Analysen. Die Antwort auf die Frage nach einer unbedingten Ursache bringt nur kurzzeitige Befriedigung. Tatschlich wirft sie jedoch eine neue Frage auf, die schließlich in die Antinomie zweier Arten von Kausalitt fhrt. Die neue Frage lautet: Wie kann etwas, das selbst unbedingt ist, in die Reihe der Erfahrungen passen, ohne dass diese neue Art der Kausalitt „den Leitfaden der Regeln abreißt“ (KrV A 448/B 477)? Und wie kçnnen wir darber berhaupt etwas sagen, wenn doch „im empirischen Regressus keine Erfahrung von einer absoluten Grenze, mithin von keiner Bedingung, als einer solchen, die empirisch schlechthin unbedingt sei, angetroffen werden“ kann (KrV A 517/B 545)?
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3. Der „intelligible Charakter“ als das „Zeichen“ menschlicher Freiheit13 Kant hat die Antinomie der reinen Vernunft in der „Dialektik der reinen praktischen Vernunft“, als „wohlthtigste Verirrung“ bezeichnet (KpV 5:107). Sie ist in philosophischer Hinsicht deshalb so ntzlich, weil „sie uns zuletzt antreibt, den Schlssel zu suchen, aus diesem Labyrinthe herauszukommen, der, wenn er gefunden worden, noch das entdeckt, was man nicht suchte und doch bedarf […]“ (KpV 5:107). Welches diese philosophischen Entdeckungen sind, zu denen die Freiheitsantinomie in der Kritik der reinen Vernunft fhrt, wird in der „Auflçsung“ dieser Antinomie deutlich. Kant argumentiert dort dafr, dass Naturkausalitt und ,Kausalitt aus Freiheit‘ vereinbar sind und mit Blick auf ein und dasselbe Ereignis neben einander bestehen kçnnen. Kant zeigt, dass die „Thesis“ der Naturkausalitt und die „Antithesis“ der Freiheit nur scheinbar einen kontradiktorischen, in Wahrheit aber subkontrren Gegensatz bilden und dass folglich beide Thesen wahr sein kçnnen.14 Dies zeigen zu kçnnen, ist die Voraussetzung fr den Nachweis der Mçglichkeit rationaler Selbstbestimmung durch Handeln in der natrlichen Welt. Dass These und Antithese im Sinne eines nur subkontrren (nicht kontradiktorischen) Gegensatzes vereinbar sind, wird jedoch erst ersichtlich unter der Voraussetzung des transzendentalen Idealismus und seiner Unterscheidung zwischen ,Ding an sich‘ und ,Erscheinung‘. Der „Schlssel zu Auflçsung der kosmologischen Dialektik“ (KrV A 490/B 519) besteht darin, die Phnomene nicht als ,Dinge an sich selbst‘, sondern als Gegebenheiten in der Erfahrung zu verstehen, die nur in dieser Erfahrung wirklich sind und ihrerseits eine nichtsinnliche, erfahrungsunabhngige Ursache haben (vgl. KrV A 492 f./B 521 f.). Der grundlegenden These der Kritik der reinen Vernunft zufolge heißt das, dass wir ein und denselben phnomenalen Gegenstand „in zweierlei Bedeutung“ zu verstehen haben:
13 Die Darstellungen zu Kants Unterscheidung von intelligiblem und empirischem Charakter sowie zur transzendentalen und praktischen Freiheit kçnnen hier nur knapp ausfallen. Vgl. zu dieser kantischen Unterscheidung als „Auflçsung“ der Freiheitsantinomie die Analysen bei Allison: Kant’s Theory of Freedom, 29 – 70 und bei Willaschek: Praktische Vernunft, 92 – 148. 14 Es handelt sich um einen nur scheinbaren Gegensatz, weil die beiden Stze, Thesis und Antithesis, einander nicht ausschließen: Sie stehen in subkontrrem Gegensatz, d. h. sie kçnnen beide wahr sein. Vgl. dazu Mohr: Kants Grundlegung der kritischen Philosophie, 293 – 301, insbes. 298.
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„als Erscheinung, oder als Ding an sich selbst“ (KrV B XXVII).15 Vor diesem Hintergrund formuliert Kant in der „Auflçsung“ der dritten Antinomie seine Vereinbarkeitsthese: Ich nenne dasjenige an einem Gegenstande der Sinne, was selbst nicht Erscheinung ist, i n t e l l i g i b e l . Wenn demnach dasjenige, was in der Sinnenwelt als Erscheinung angesehen werden muß, an sich selbst auch ein Vermçgen hat, welches kein Gegenstand der sinnlichen Anschauung ist, wodurch es aber doch die Ursache von Erscheinungen sein kann: so kann man die K a u s a l i t t dieses Wesens auf zwei Seiten betrachten, als i n t e l l i g i b e l nach ihrer H a n d l u n g , als eines Dinges an sich selbst, und als s e n s i b e l , nach den W i r k u n g e n derselben, als einer Erscheinung der Sinnenwelt. Wir wrden uns demnach von dem Vermçgen eines solchen Subjekts einen empirischen, imgleichen auch einen intellektuellen Begriff seiner Kausalitt machen, welcher bei einer und derselben Wirkung zusammen stattfinden (KrV A 538/ B566).
Man beachte, dass es sich hier noch nicht um ein Argument fr die Freiheit, sondern um eine These handelt. Sie folgt aus Kants Vermçgenspsychologie und Handlungstheorie: 1. Gemß der ,transzendentalen Unterscheidung‘ haben alle Gegenstnde der Sinne eine „doppelte Seite“ (KrV A 538/B 566): Zum einen ,erscheinen‘ sie und sind in dieser Erscheinung sinnlich wahrnehmbar, zum anderen haben sie auch ,intelligible‘ Eigenschaften. 2. Auch Menschen haben, als zugehçrig zu den „Naturursachen“ (KrV A 546/B574), zum einen eine ,sinnliche Seite‘ und zum anderen ein Vermçgen, das nicht Gegenstand der sinnlichen Anschauung ist. Dieses Vermçgen macht ihre ,intelligible Seite‘ aus. 3. Das intelligible Vermçgen hat kausale Kraft. 4. Kausalitt ist die Eigenschaft einer Entitt, Ursache zu sein. 5. Es gibt eine intelligible Ursache. Aus der Annahme der ,intelligiblen Seite‘ eines Gegenstandes folgt damit analytisch die Annahme einer nichtsinnlichen Ursache. Dieser Vorgabe 15 In Anlehnung an u. a. diese Stelle teile ich die ,Zwei-Aspekte-Lesart‘ der Unterscheidung von Dingen an sich und Erscheinungen, der zufolge es Kant mit dieser Einteilung nicht um die Darstellung zweier Gegenstandsbereiche geht, sondern um eine Unterscheidung zweier Perspektiven in Bezug auf ein und dasselbe Objekt. Damit schließe ich mich der Darstellung Willascheks an, der seinerseits Allison: Kants Theory of Freedom; Kaulbach: Das Prinzip Handlung und Prauss: Kant und das Problem der Dinge an sich als Referenztexte anfhrt (vgl. Willaschek: Praktische Vernunft, v. a. 23 und 287, sowie ders.: „Die Mehrdeutigkeit der kantischen Unterscheidung zwischen Dingen an sich und Erscheinungen“). Zur Kritik der Aspekte-Lesart vgl. z. B. Mechtenberg: „Probleme der Aspektlehre“.
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gemß hilft uns der Begriff der Kausalitt dabei, zwischen zwei „Ebenen“ menschlichen Handelns zu unterscheiden, denen ihrerseits „zwei Ebenen der philosophischen Handlungstheorie“ entsprechen.16 Diese Aufteilung ermçglicht es, menschliches Handeln sowohl als empirisches Phnomen verstndlich zu machen, als auch seine nicht-empirische Dimension, nmlich Handeln als Selbstttigkeit vernnftiger Subjekte, zu erschließen. Wie lautet nun Kants Argument fr die (Vereinbarkeit von Natur und) Freiheit? Eine solche doppelte Seite, das Vermçgen eines Gegenstandes der Sinne sich zu denken, widerspricht keinem von den Begriffen, die wir uns von Erscheinungen und von einer mçglichen Erfahrung zu machen haben. Denn, da diesen, weil sie an sich keine Dinge sind, ein transzendentaler Gegenstand zum Grunde liegen muß, der sie als bloße Vorstellungen bestimmt, so hindert nichts, daß wir diesem transzendentalen Gegenstande außer der Eigenschaft, dadurch er erscheint, nicht auch eine Kausalitt beilegen sollten, die nicht Erscheinung ist, obgleich ihre Wirkung dennoch in der Erscheinung angetroffen wird. Es muß aber eine jede wirkende Ursache einen C h a r a k t e r haben, d. i. ein Gesetz ihrer Kausalitt, ohne welches sie gar nicht Ursache sein wrde. Und da wrden wir an einem Subjekte der Sinnenwelt erstlich einen e m p i r i s c h e n Charakter haben, wodurch seine Handlungen, als Erscheinungen durch und durch mit anderen Erscheinungen nach bestndigen Naturgesetzen im Zusammenhang stnden […]. Zweitens wrde man ihm noch einen i n t e l l i g i b l e n Charakter einrumen mssen, dadurch es zwar die Ursache jener Handlungen als Erscheinungen ist, der aber selbst unter keinen Bedingungen der Sinnlichkeit steht, und selbst nicht Erscheinung ist (KrV A 538 f./B 566 f.).
Der zentrale Begriff ist hier der Begriff des Charakters. Was versteht Kant unter ,Charakter‘? Wie die Analyse zu Kants Handlungsbegriff ergeben hat, ist die Art der Kausalrelation abhngig von der spezifischen Art der Verursachung. So ist die Kausalitt der Natur die Eigenschaft einer physischen Entitt, Ursache zu sein. Die Kausalitt aus Freiheit ist hingegen die Eigenschaft einer nicht rein physischen, sondern intelligiblen Entitt, Ursache zu sein. Im Charakter zeigt sich nun die besondere Beschaffenheit einer Ursache, die ihrerseits durch das „Gesetz ihrer Causalitt“ nher beschrieben ist.17 Die besondere Bedeutung des Begriffs des Charakters fr 16 Willaschek: Praktische Vernunft, 47. 17 Willaschek: Praktische Vernunft, 118. In Grimms Deutschem Wçrterbuch heißt es ganz in diesem Sinne: „Charakter, m., ein dem ohr des volks seltsam lautendes wort, fr dessen verschiedne bedeutungen wir unsere eignen ausdrcke mahl, bild, zeichen, art, sitte, geprge htten heranbilden sollen.“ Meiner Ansicht nach schließt das die bersetzung von „Charakter“ mit „Merkmal“ nicht aus; in Grimms
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die Auflçsung der Freiheitsantinomie zeigt sich schließlich darin, dass er Kant dazu dient, die Auflçsung des kosmologischen Freiheitsproblems auf die spezifisch menschliche Dimension des (scheinbaren) Gegensatzes zwischen natrlicher Verursachung und Freiheit der Willkr zu bertragen. Zunchst zum empirischen Charakter. Da der Mensch zu den „Erscheinungen der Sinnenwelt“ gehçrt, ist er damit selbst „eine unter den Naturursachen“ (KrV A 546/B 574). Sein Handeln steht aus dieser Perspektive gesehen unter empirischen Gesetzen, und ihm selbst kann, „wie alle[n] andere[n] Naturdinge[n]“ (KrV A 546/B 574) ein empirischer Charakter zugeschrieben werden.18 Er zeigt sich dem Beobachter „durch Krfte und Vermçgen, die er [der Mensch] in seinen Wirkungen ußert“ (KrV A 546/B 574) und betrifft seine Handlungen „als Erscheinungen nach bestndigen Naturgesetzen“ (KrVA 539/B 568). Betrachten wir einen Menschen auf diese Weise und das heißt: als sinnliches Wesen in der kausal geschlossenen Welt der Erscheinungen, so sehen wir seine empirische Seite und ihn selbst als „causa phaenomenon“ (KrV A 545/B 573). Seine Handlungen gelangen aufgrund dieser sinnlichen Urschlichkeit seiner eigenen Willkr, mit der er der Naturgesetzlichkeit untersteht wie alle anderen sinnlichen Wesen auch, niemals ber den Bannkreis empirischen Wirkens hinaus: Sie sind „Glieder einer einzigen Reihe der Naturordnung“ (KrV A 545/B 573), in deren Wirken es keine ,Lcken‘ gibt (vgl. KrV A 549/B 577). Aus einer bloß empirischen Perspektive kçnnen wir einem Handelnden keine Freiheit des Willens, sondern nur solche Freiheit zuschreiben, die, wie Kant in der Kritik der praktischen Vernunft schreibt, auch als die „Freiheit eines Bratenwenders“ beschreibbar ist, „der auch, wenn er einmal aufgezogen worden, von selbst seine Bewegungen verrichtet“ (KpV 5:97). Einem kundigen Beobachter unserer Seele wre es dieser Sichtweise zufolge sogar mçglich, menschliches Verhalten so gewiss vorherzusagen „wie eine Mond- oder Sonnenfinsternis“ (KpV 5:99; vgl. KrV A 550/B 578). Kant nennt die vom Standpunkt des Beobachters aus zugngliche Freiheit in der Kritik der praktischen Vernunft „psychologische“ oder „komparative“ Freiheit (KpV 5:96).19 Der Begriff der komparativen Freiheit hat fr sich Wçrterbuch wird an dieser Stelle sogar auf die Stelle in KrV B 539/B 567 verwiesen (Art. „Charakter“, Sp. 611; H. im Fettdruck v. m.). 18 „Es muß aber eine jede wirkende Ursache einen Charakter haben, d. i. ein Gesetz ihrer Causalitt, ohne welches sie gar nicht Ursache sein wrde“ (KrV A 539/B 567). 19 Zur Annahme des empirischen Charakters mittels Beobachterperspektive vgl. KrV A 550/B 578.
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selbst seine Berechtigung, weil er menschliches Handeln als empirisches Phnomen auf eine adquate Weise erklrt. Setzt man ihn jedoch mit der Freiheit des Willens gleich oder versteht ihn als Grundlage fr Zurechnung, so ist der Begriff komparativer Freiheit nichts als „ein elender Behelf“ (KpV 5:96). Mit ihm kann gerade nicht jene „absolute Spontaneitt der Ursachen“ und – auf den Menschen bezogen – die Unabhngigkeit menschlicher Willkr von Naturursachen verstndlich gemacht werden. Es ist daher fr Kant konsequent, zu sagen, dass es „in Ansehung dieses empirischen Charakters […] also keine Freiheit [gibt]“ (KrV A 550/B 578; H. v. m.). Der intelligible Charakter hingegen erschließt sich aus einer anderen Perspektive auf den Menschen, aus der er „in Ansehung gewisser Vermçgen, ein bloß intelligibler Gegenstand“ (KrV A 546/B 574) ist. Whrend wir unsere Handlungen einerseits aus der Beobachterperspektive als sinnliche Ereignisse verstehen, so begreifen wir sie andererseits als ußerungen einer zeitlich unbedingten Kausalitt.20 Diese besondere Art von Kausalitt ist die menschliche Vernunft. Indem der Mensch sich dieses „gewisse[n] Vermçgen[s]“ bewusst wird, betrachtet er sich selbst als „bloß intelligible[n] Gegenstand“.21 Dabei ist die Vernunft in die intellektuelle Perspektive in doppelter Hinsicht – als erkennendes und erkanntes Vermçgen – involviert: So ermçglicht sie es zum einen, die Perspektive der Vernnftigkeit und der Freiheit einzunehmen, zum anderen ist sie selbst das Vermçgen, das die intellektuelle Selbstbestimmung des Menschen ausmacht. Einer sinngemßen bertragung aus Kants eigener Terminologie gemß ist Vernunft damit zugleich die „ratio essendi“ und die „ratio cognoscendi“ der Freiheit (KpV 5:4).22 Damit kommt dem Menschen, im Gegensatz zur „bloß tierischbelebten Natur“ (KrV A 546/B 574), mit der Vernunft die Fhigkeit zu, Handlungen zu verursachen und sich als Verursacher von Handlungen zu verstehen. Dieses Verstndnis geht in einer empirischen Beschreibung der Handlungen nicht vollstndig auf: Wenn wir aber eben diese Handlungen in Beziehung auf die Vernunft erwgen, und zwar nicht die spekulative, um jene ihrem Ursprunge nach zu 20 Zu den beiden Perspektiven vgl. die Vorarbeiten zum Gemeinspruch (23:142). 21 Vgl. dazu eine Stelle in den „Paralogismen“: „Nun will ich mich meiner aber nur als denkend bewußt werden, wie mein eigenes Selbst in der Anschauung gegeben sei, das setze ich bei Seite, und da kçnnte es mir, der ich denke, aber nicht so fern ich denke, bloß Erscheinung sein; im Bewußtsein meiner selbst beim bloßen Denken bin ich das Wesen selbst, von dem mir aber freilich dadurch noch nichts zum Denken gegeben ist“ (KrV B 429). 22 Kant bezeichnet dort die Freiheit als „ratio essendi“ des Sittengesetzes und das Sittengesetz als „ratio cognoscendi“ der Freiheit.
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e r k l r e n , sondern ganz allein, so fern Vernunft die Ursache ist, sie selbst zu e r z e u g e n ; mit einem Worte, vergleichen wir sie mit dieser in praktischer Absicht, so finden wir eine ganz andere Regel und Ordnung, als die Naturordnung ist (KrV A 550/B 578).
Diese Art der ,Selbsterkenntnis‘ durch Vernunftfhigkeit macht fr Kant die exzeptionelle Stellung des Menschen in der Welt aus (vgl. KrV A 533/B 561). Der Mensch erkennt sich selbst in seinen Handlungen als intelligibles Wesen. In dieser „praktische[n] Absicht“ erfhrt er seine Handlungen als ein durch Vernunft bestimmtes, freiheitliches Tun. Ihm kommt, so Kant an anderer Stelle, „praktische Freiheit“ zu. „Praktische Freiheit“ ist dabei zum einen (negativ) die „Unabhngigkeit der Willkr von der Nçtigung durch Antriebe der Sinnlichkeit“. Sie ist zum anderen (positiv) Ausdruck fr ein „Vermçgen […], sich, unabhngig von der Nçtigung durch sinnliche Antriebe, von selbst zu bestimmen“ (KrV A 534/B 562). Kants weitem Handlungsbegriff entsprechend ist schon die „Ttigkeit“ einer Substanz eine Handlung. „Handlung“ zeigt sich dabei in dem Verhltnis, in dem das „Subject[…] der Causalitt zur Wirkung“ steht (KrV A 204 f./B 250). Aufgrund dieser Verbindung von „Handlung“ und „Kausalitt“ erweist sich die Suche nach einer ersten Ursache als gleichbedeutend mit der Frage nach der Mçglichkeit einer Handlung, die selbst spontan ist, d. h. „von selbst“ beginnt: Wenn ich jetzt […] vçllig frei, und ohne den notwendig bestimmenden Einfluß der Naturursachen, von meinem Stuhle aufstehe, so fngt in dieser Begebenheit, samt deren natrlichen Folgen ins Unendliche, eine neue Reihe schlechthin an, obgleich der Zeit nach diese Begebenheit nur die Fortsetzung einer vorhergehenden Reihe ist (KrV A 450/B 478).
Die Unterscheidung von intelligiblem und empirischem Charakter fhrt Kant erst in der Auflçsung der „Dritten Antinomie“ ein. Bedenkt man, dass Kant den „Charakter“ als das auszeichnende Merkmal einer Ursache versteht und dieses „Merkmal“ wiederum im „Gesetz der Kausalitt“ dieser Ursache liegt23, so gilt: 1. Der intelligible Charakter ist das Merkmal der nichtnatrlichen Verursachung durch ein sinnliches Vernunftwesen. 2. Die nichtnatrliche, intelligible Ursache, die den Handlungen eines sinnlichen Vernunftwesens „als unbedingte Bedingung“ zugrunde liegt und als solche dessen intelligiblem Charakter korrespondiert, ist das 23 „Es muß aber eine jede wirkende Ursache einen Charakter haben, d. i. ein Gesetz ihrer Kausalitt, ohne welches sie gar nicht Ursache sein wrde“ (KrV A 539/B 567).
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Vermçgen der Vernunft. Daraus folgt nun nicht, dass Menschen, weil sie alle ber dasselbe Vernunftvermçgen verfgen, auch denselben intelligiblen Charakter haben. Es bedeutet aber, dass Menschen aufgrund ihres Vernunftvermçgens berhaupt einen intelligiblen (und nicht nur einen empirischen) Charakter haben. Das heißt: Sein intelligibler Charakter, der das Merkmal „an einem Gegenstand der Sinne [ist], was selbst nicht Erscheinung ist“ (KrV A 539/B 566), macht die vernnftige ,Seite‘ des Menschen aus. Da nicht alle sinnlichen Wesen ber dieses Vermçgen verfgen, kann auch nicht jedem sinnlichen Gegenstand ein intelligibler Charakter „einfach so“ zugeschrieben werden. Sein intelligibler Charakter unterscheidet den Menschen von anderen Wesen, die ber Vernunft nicht verfgen: „Bei der leblosen, oder bloß tierischbelebten Natur finden wir keinen Grund, irgend ein Vermçgen uns anders als bloß sinnlich bedingt zu denken“ (KrV A 546/B 574). Die Bestimmbarkeit durch Vernunft ist das Merkmal, das menschliches Handeln vom Verhalten nicht-vernunftbegabter Wesen unterscheidet. Also kennzeichnet sie das Verhltnis, in dem das „Subject der Kausalitt zur Wirkung“ steht und damit die Art, auf die dieses Subjekt handelt. 24 Mit der Annahme eines intelligiblen, auf ein besonderes, nicht-sinnliches Vermçgen verweisenden Charakters geht also die Annahme eines Vermçgens einher, „eine Reihe von sukzessiven Dingen oder Zustnden von selbst anzufangen“ (KrV A 448/B 476). Dieses Vermçgen ist die Vernunft, und das durch eine solche intellektuelle Urschlichkeit und insofern Vernnftigkeit beschreibbare Handeln ist als Handeln unter der Idee der Freiheit beschreibbar.25 Aus der bertragung der transzendentalen Unterscheidung von Dingen an sich und Erscheinungen auf die Handlungen des Menschen, der zufolge „[d]ie Handlungen hier in der Welt […] 24 Denn wie bereits erwhnt, ist „Handlung“ schon „das Verhltnis des Subjects der Kausalitt zur Wirkung“ (KrV A 205/B 250). 25 In dieser Verbindung von Vernunft und Freiheit im Handeln vernnftiger und in diesem Sinne selbst bestimmter Wesen ist schon die Grundlage fr Kants spter formulierte Auffassung enthalten, die Freiheit der Willkr kçnne nicht in unvernnftigem, bewusst gesetzeswidrigem Handeln bestehen. Die Freiheit, die ihm als intelligblem Wesen – und das heißt im Kontext der Auflçsung der Freiheitsantinomie als ein Wesen mit einem intelligiblen Charakter betrachtet – zukommt, kann gerade nicht durch beobachtbares Handeln erklrt werden. Auch wenn Menschen also ganz offensichtlich oft nicht vernnftig entscheiden und handeln, ist dieses Verhalten nicht auf das Vermçgen der Freiheit zurckzufhren. Vgl. dazu die Argumentation in der Metaphysik der Sitten, MS 6:226 f.
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bloße Schemata von der intelligiblen [sind]“ (Refl. 5612, 18:253; ca. 1778 – 1779), folgt, dass es ein nichtsinnliches Pendant zu dem sinnlichen Phaenomenon gibt. Dieses Pendant (der intelligible Charakter) ergibt sich aus den Phnomenen, die ihrerseits Intelligenz „verrathen“ (vgl. Refl. 5608, 18:250; ca. 1778 – 1783); der empirische Charakter ist dem entsprechend das „sinnliche Schema“ des intelligiblen (KrV A 553/B 581). Im Folgenden soll untersucht werden, inwiefern Kants Unterscheidung zwischen einem intelligiblen und einem empirischen Charakter dazu dient, die Vernunft als nichtsinnliche Ursache empirischer Wirkungen und damit als Vermçgen der Freiheit auszuweisen. 4. Das Verhltnis von intelligiblem und empirischem Charakter Man kçnnte vermuten, dass das Verhltnis von intelligiblem und empirischem Charakter durch eine Ungleichheit beider in Bezug auf ihren epistemischen Status einerseits und auf ihre Bedeutung fr das Verstndnis spezifisch menschlichen Handelns andererseits gekennzeichnet ist. Whrend der empirische dem intelligiblen Charakter in epistemischer Hinsicht ,berlegen‘ ist, weil wir von ersterem aus Erfahrung wissen kçnnen, letzterer uns aber „gnzlich unbekannt“ bleibt, liegt der Vorrang des intelligiblen Charakters vor seinem ,sinnlichen Schema‘ darin, dass er „die transzendentale Ursache von jenem ist“ (KrV A 546/B 574). Kant versteht den intelligiblen Charakter daher auch als denjenigen Charakter, der das „Eigentliche“ am Subjekt ausmacht (KrV A 546/B 574).26 Tatschlich stehen intelligibler und empirischer Charakter nicht in (zeitlicher oder ontologischer) Konkurrenz zu einander, sondern befinden sich in einem Wechselverhltnis; ihre Differenz ist transzendentalphilosophischer Natur. So wie wir nun den Handlungsbegriff brauchen, um Vernderungen zu verstehen und ihn deshalb den beobachtbaren Wirkungen als gegebenen Grçßen hinzufgen, so ,existieren‘ intelligibler und empirischer Charakter nicht als wahrnehmbare Entitten, sondern als theoretische Eigenschaften handelnder Subjekte. ,Charakter‘ ist ein ,theoretischer Gegenstand‘, der uns hilft, menschliche Handlungen ei26 Das legt u. a. schon die Stelle in der Auflçsung der gesamten kosmologischen Dialektik nahe, in der Kant mit dem Transzendentalen Idealismus die Grundlage fr die Vereinbarkeit beider Kausalitten legt. Das transzendentale Subjekt in Abgrenzung zum empirischen Subjekt nennt Kant das „eigentliche Selbst“ (KrV A 492/B 520; vgl. außerdem z. B. GMS 4:457 f., 461).
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nerseits als Erscheinungen in der Sinnenwelt (empirischer Charakter) und andererseits als Ausdruck vernnftiger Selbstbestimmung (intelligibler Charakter) zu verstehen. Da es Kant gerade darum geht, menschliches Handeln als sinnliches Wirken aus intellektuellen Quellen verstndlich zu machen und damit den Bereich des Phnomenalen mit dem des Intellektuellen zu verbinden, mssen beide Charaktere als ,Merkmale‘ der Kausalrelation gleichzeitig ,existieren‘. Ebenso wie sich Sittengesetz und Freiheit nicht ausschließen –sie bedingen sich nach Kant gegenseitig –, ist es verfehlt, die ,Existenz‘ beider Charaktere als einander ausschließend zu betrachten. Diese Interpretation wird untersttzt durch Kants Auffassung, der empirische Charakter sei das „sinnliche Schema“ des intelligiblen (KrV A 553/B 581), whrend dieser die Ursache des empirischen sei (vgl. KrV A 546/B 574).27 Die Unterscheidung der Charaktere dient Kant also dazu, zu zeigen, dass menschliches Handeln als freiheitliches Handeln verstanden werden kann, ohne dass dabei die These vom menschlichen Handeln als (auch) empirischem Phnomen aufgegeben werden muss. Die ,Zwei-AspekteLesart‘ untersttzt diese Interpretation: So handelt es sich bei beiden Charakteren um Merkmale zweier Arten der Kausalitt, die jedoch als in den Handlungen ein und desselben Subjektes vereint gedacht werden mssen. Das impliziert, dass den Kausalitten keine ontologische Unterscheidung zweier ,Welten‘ entspricht, zu deren Annahme Kant erst in der Grundlegung durch besondere Formulierungen Anlass gibt.28 Die ,Zwei27 Das heißt nicht, dass der empirische Charakter die „ratio cognoscendi“ des intelligiblen Charakters etwa in dem Sinne ist, dass uns der empirische Charakter ein Wissen von der Existenz des intelligiblen Charakters vermittelt. Wir kçnnen den intelligiblen Charakter nicht aus dem empirischen erkennen, weil sonst die Erkenntnisbeschrnkungen der ersten Kritik verletzt wrden. Auch ber die genaue Struktur und die Merkmale des intelligiblen Charakters lsst sich mittels des empirischen Charakters nichts Nheres sagen. Das zeigt sich u. a. daran, dass eine moralkonforme Handlung aus ganz verschiedenen (intelligiblen) Grnden erfolgen kann, die sich ihrerseits der Beobachterperspektive entziehen. Aus diesen Grnden ist der bertragung der Begrifflichkeiten der „ratio cognoscendi“ und „ratio essendi“ auf die beiden Charaktere (so z. B. bei Willaschek: Praktische Vernunft, 143 f.) mit Vorsicht zu begegnen. 28 Kant legt eine solche ontologische Interpretation in der Grundlegung nahe, wenn er wiederholt von zwei ,Welten‘, einer ,intelligiblen‘ bzw. ,Verstandeswelt‘ und einer ,Sinnenwelt‘ spricht (vgl. GMS 4:451 – 463). Allerdings bietet er im selben Textabschnitt mehrere Belege fr eine perspektivische Lesart, indem er erklrt, wie wir zu den Annahme der beiden „Welten“ eigentlich kommen: Durch die Einnahme eines Standpunktes. Die Diskussion kann hier nicht entschieden werden.
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Aspekte-Lesart‘ versteht die transzendentale Unterscheidung von Dingen an sich und Erscheinungen, von intelligiblem und empirischem Charakter also nicht als eine Unterscheidung zwischen zwei Arten von Entitten, sondern als zwei verschiedene Arten, Gegenstnde menschlicher Erfahrung in philosophischer Reflexion zu verstehen: so wie sie erscheinen und so wie sie an sich sind.29 Nach dieser Lesart, der zufolge der Mensch seine Handlungen durch Reflexion nicht allein als sinnliche Ereignisse in der empirischen Welt wahrnimmt, sondern sie gleichzeitig als ußerungen eines nicht-empirischen, intelligiblen Charakters versteht, geht die Selbstwahrnehmung als intelligibles Wesen auf einen besonderen Standpunkt zurck, den das Subjekt in der Reflexion einnimmt. Die Unterscheidung zweier Standpunkte stellt eine Variante der ,Zwei-Aspekte-Lesart‘ dar. Sie veranschaulicht, wie eine einzige Handlung unter verschiedenen Beschreibungen verstanden werden kann. Freies Handeln wird nach dieser Interpretation nicht verstanden als Ereignis in einer von der empirischen Welt distinkten Welt des Intelligiblen, sondern als eine bestimmte Art, auf die Menschen ihre Handlungen durch Reflexion beschreiben. Die Standpunktthese lsst sich insbesondere mit Blick auf den Kontext und den Modus nachvollziehen, in dem wir nach Kant ber den intelligiblen Charakter und ber praktische Freiheit sprechen. In der Kritik der reinen Vernunft heißt es zum Beispiel: Wenn wir aber dieselben Handlungen in Beziehung auf die Vernunft erwgen, […] so fern Vernunft die Ursache ist, sie selbst zu e r z e u g e n , mit einem Worte, vergleichen wir sie mit dieser in p r a k t i s c h e r Absicht, so finden wir eine ganz andere Regel und Ordnung als die Naturordnung ist (KrV A 550/B 578; kursive H. v. m.).
Noch pointierter fr die Standpunktthese ist Kants Vokabular in der Grundlegung. Zwei Stellen sind hier besonders einschlgig: Um deswillen muß ein vernnftiges Wesen sich selbst als In t e l l i g e n z (nicht von Seiten seiner untern Krfte), nicht als zur Sinnen-, sondern zur Verstandeswelt gehçrig, ansehen; mithin hat es zwei Standpunkte, daraus es sich selbst betrachten und Gesetze des Gebrauchs seiner Krfte, folglich aller seiner Handlungen erkennen kann […] (GMS 4:452). Nun wird er bald inne, daß beides zugleich stattfinden kçnne, ja sogar msse. Denn daß ein Di n g i n d e r E r s c h e i n u n g (das zur Sinnenwelt gehçrig) 29 Vgl. zu dieser Interpretation der ,transzendentalen Unterscheidung‘ Allison: Kants Transcendental Idealism, 239 f.; ders.: „Transcendental Idealism: The ‘Two Aspect View’“, sowie ders.: Kant’s Theory of Freedom, 3 f..
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gewissen Gesetzen unterworfen ist, von welchen eben dasselbe als Di n g oder Wesen a n s i c h s e l b s t unabhngig ist, enthlt nicht den mindesten Widerspruch; daß er sich selbst aber auf diese Weise zwiefache Art vorstellen und denken msse, beruht, was das erste betrifft, auf dem Bewußtsein seiner selbst als durch Sinne afficirten Gegenstandes, was das zweite anlangt, auf dem Bewußtsein seiner selbst als Intelligenz, d. i. als unabhngig im Vernunftgebrauch von sinnlichen Eindrcken (mithin als zur Verstandeswelt gehçrig) (GMS 4:457; kursive H. v. m.).
Beide Stellen sprechen dafr, dass sich die Rede vom Menschen als Intelligenz bzw. transzendentalem Subjekt und damit vom intelligiblen Charakter aus einer bestimmten Perspektive auf menschliches Handeln ergibt. Weil Menschen ber Vernunft verfgen und es ihnen mçglich ist, sich auf eine bestimmte Art und Weise, nmlich als in ihrem selbst bestimmten, freiheitlichen Handeln von Naturursachen unabhngig zu sehen, ist es zulssig, dieses Handeln auch auf eine Weise zu verstehen, die sinnlich nicht erfahrbar und theoretisch nicht beweisbar ist. Und da wir damit ber das Subjekt der Handlung etwas aussagen kçnnen, sind wir schließlich in der Lage, das Verhltnis genauer zu bestimmen, in dem dieses zu den von ihm hervorgebrachten Wirkungen steht. Damit treffen wir eine Aussage darber, wie dieses Subjekt handelt. 30 Also fhrt die Reflexion des Menschen „als Intelligenz“ auf sich selbst zum Begriff des intelligiblen Charakters. Der Rckfhrung menschlichen Verhaltens auf eine Ursache, die selbst unbedingt ist, liegt damit ein bestimmtes Selbstverstndnis des Menschen zugrunde. Wir gehen also nicht davon aus, dass es Freiheit ,gibt‘ und schließen aus dieser Annahme auf ein transzendentales Selbst, das in der Ursache der Handlung charakterisiert ist. Eine solche Lesart trfe Kants Intentionen deshalb nicht, weil sie nicht erfasst, was er mit der Denkmçglichkeit der Freiheit intendiert. Zwar kann ich „denken […], was ich will, wenn ich mir nur nicht selbst widerspreche“ (KrV B XXVI Anm.). Aber dass ich mich nicht in einen Widerspruch begebe, wenn ich mich samt meinen Handlungen und der Bestimmbarkeit meiner Willkr als sinnliches Wesen innerhalb der Naturordnung definiere und diese Handlungen und Entscheidungen gleichzeitig als spontan verstehe, liegt nur daran, dass 30 In diesem Sinne verstehe ich Gerhardt, wenn er schreibt: „Es ist also nur ein Handlungsbegriff, der sowohl in der Erkenntnis der Natur wie auch in der Verstndigung ber das eigene Tun eine grundlegende Rolle spielt. Der Unterschied liegt nicht in der begrifflichen Struktur der Handlung, sondern im Charakter der Ursache und damit im Subjekt der Handlung“ („Handlung als Verhltnis von Ursache und Wirkung“, 128).
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sich die Annahme der Freiheit aus dem Bewusstsein meiner Vernunftfhigkeit ergibt.31 Aus dem Vorangegangen folgt: Der intelligible Charakter erweist sich als ein Theoriebegriff, den wir bençtigen, um menschliches Verhalten berhaupt erst als Handeln und darber hinaus als genuin freiheitliches Handeln zu verstehen. Unabhngig von diesem Beschreibungskontext ,gibt‘ es ihn ebenso wenig, wie es Freiheit ,gibt‘.32 Ebenso wie Freiheit nicht erkennbar ist, weil der in ihr zum Ausdruck kommenden nichtsinnlichen Verursachung kein Anschauungsmaterial entspricht, so entzieht sich der intelligible Charakter als Kennzeichen dieser ,Kausalitt aus Freiheit‘ einer theoretischen Erkenntnis.33 Er ergibt sich jedoch als theoretische Grçße aus der vernnftigen Perspektive des Subjektes, das sich selbst als Urheber seiner beobachtbaren Handlungen versteht. Gbe es keine beobachtbaren Handlungen, so htten wir keinen Grund, einen intelligiblen Charakter anzunehmen. Daher bezeichnet Kant den empirischen Charakter auch als „sinnliches Schema“ des intelligiblen (KrV A 553/B 581). Gbe es aber keine Spontaneitt in Bezug auf die Ursachen meiner Handlungen und damit keinen intelligiblen Charakter als das Merkmal dieser unbedingten Kausalitt, so wrden sich diese Handlungen von dem unvernnftiger Wesen nicht unterscheiden. Fr die Auflçsung der Freiheitsantinomie hat dies nun folgende Bedeutung. Ebenso wie der intelligible Charakter als Begriff dann ins Spiel kommt, wenn Menschen auf ihre eigene und die Vernunftfhigkeit anderer Menschen reflektieren, ergibt sich der Begriff der Freiheit als einer unbedingten Kausalitt aus der Perspektive der Vernunft, die selbst das gesuchte Vermçgen ist, einen Zustand ,von selbst anzufangen‘. Dass die Handlungen eines Menschen sein intelligibles Vermçgen der Freiheit nicht 31 „Nun ist ein Vernnftig Wesen als intelligenz als ein solches Gegeben; mithin lßt sich an demselben Freyheit denken“ (Refl. 5608, 18:250; ca. 1778 – 1783). 32 Vgl. Willaschek: Praktische Vernunft, 134. 33 Daraus, dass der Mensch sich als intelligibles Wesen selbst „erkennt“ (vgl. KrV A 546/B 574), folgt noch nicht, dass auch sein intelligibler Charakter Gegenstand objektiver Erkenntnis ist. Die Stelle in der Kritik der reinen Vernunft beschreibt, wie sich das Subjekt seiner selbst als Intelligenz bewusst wird. Durch Beobachtung dringt man nicht zum Intelligiblen vor, weil, wie es in einer Reflexion zur Metaphysik heißt, „so viel beobachtet wird, […] alles vermittelst sinlicher triebfedern, wodurch die Handlung bestimt ist, [geschieht]“ (Refl. 5617, 18:256 f.; ca. 1780 – 1783). Wie wir noch sehen werden, liegt das daran, dass die Grnde, die eine Handlung zu einer freien Handlung machen und deren Ursprung im intelligiblen Charakter liegt, „nicht in die Sinne [fallen]“ (Refl. 5618, 18:257; ca. 1780 – 1783).
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immer faktisch widerspiegeln, kann dabei kein Argument gegen die Freiheit sein, sondern beweist nur, dass Menschen von der Vernunft nicht immer den Gebrauch machen, der ihnen aufgrund der Unantastbarkeit ihrer intelligiblen Seite durch ihre Sinnlichkeit mçglich ist.34 Zusammengefasst heißt dies: Die Unterscheidung zwischen intelligiblem und empirischem Charakter dient Kant in der Kritik der reinen Vernunft zur Auflçsung der Antinomie zwischen Naturnotwendigkeit und Freiheit. Mit ihr lsst sich ein und dieselbe Handlung auf verschiedene Weisen betrachten: Zum einen als natrliches Ereignis innerhalb der Welt der Erscheinungen, zum anderen als spontane Bewegung, der keine weitere Ursache zugrunde liegt. Kants Beweisziel ist in der Kritik der reinen Vernunft noch nicht, „die Wirklichkeit der Freiheit“ zu beweisen oder zu zeigen, dass Freiheit real mçglich ist (vgl. KrV A 558/B 586). Anliegen der Untersuchung ist zunchst die Auflçsung eines Selbstwiderspruchs, in den die endliche Vernunft mit der (hypothetischen) Frage nach dem Unbedingten gert.35 Kants Ergebnis lautet: Freiheit ist nach dem Ergebnis der Kritik der reinen Vernunft widerspruchsfrei denkmçglich. 36 5. Die Vernunft als das Vermçgen der Freiheit und der Begriff des Sollens Kant unternimmt den Beweis der widerspruchsfreien Denkmçglichkeit einer mit den Natur- und Verstandesgesetzen zu vereinbarenden vernnftigen Gesetzmßigkeit, indem er den „Grund“ aufzeigt, der fr die Annahme eines intelligiblen Charakters als Merkmal nichtnatrlicher Verursachung steht. Dieser „Grund“ ist die Vernunft als Vermçgen menschlicher Freiheit. Einen intelligiblen Charakter zu haben heißt demnach, nach Prinzipien handeln zu kçnnen, die sich ihrerseits nach vernnftigen berlegungen richten. Dabei kommt dem Begriff des intelligiblen Charakters eine explikative Funktion zu, die darin besteht, (natrliches) Verhalten als (freies, selbst bestimmtes) Handeln auszuweisen. Die empirischen Wirkungen menschlichen Tuns kçnnen, so Kants 34 Vgl. zu diesem Punkt auch Kants Argumentation fr die Tadelhaftigkeit der Lge, die „der Tter […] doch htte unterlassen kçnnen“, weil „sie unmittelbar unter der Macht der Vernunft stehe“ (KrV A 556/B 584). 35 Zum hypothetischen Charakter der in der 3. Antinomie verhandelten Problematik vgl. Willaschek: Praktische Vernunft, 117. 36 Vgl. dazu Kants Schlusskommentar zur Auflçsung der Freiheitsantinomie in KrV A 557 f./B 585 f. und die entsprechende Stelle in der „Kritischen Beleuchtung der Analytik“ in KpV 5:99.
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These, intellektuell verursacht sein. Dem entsprechend beruht das entscheidende Merkmal der kantischen Konzeption freien Handelns auf der kausalen Abhngigkeit von intelligiblem und empirischem Charakter. Dieser zufolge sind unsere empirisch beobachtbaren Handlungen durch Grnde verursacht.37 Wie es Kant spter formuliert hat und wie sich noch zeigen wird, heißt aus Grnden handeln zu kçnnen, ber „praktische Vernunft“ (GMS 4:412) zu verfgen.38 Die Alltagspsychologie legt die Annahme nahe, dass die Vernunft in den Handlungen der Individuen, die uns umgeben und die wir selbst sind, hufig keine Rolle zu spielen scheint. Wir sind versucht zu sagen, Personen handelten nicht (ganz) vernnftig. Das ist jedoch eine verkrzte Redeweise. Wir meinen genau genommen, dass die Vernunft im Moment des Handelns nicht die bestimmende Ursache der Handlung war. In einigen Fllen wird man mçglicherweise auch sagen, dass der Handelnde Grnde fr sein Verhalten hatte und wir es nur deshalb als unvernnftig bezeichnen, weil es einem bestimmten Kriterium von Vernnftigkeit nicht entspricht.39 Es ist die prinzipielle Prsenz von Vernunft in unseren Handlungsvollzgen, die Kant vor Augen hat, wenn er den Menschen als mit dem Vermçgen der Vernunft begabt beschreibt. Dass Menschen ber Vernunft verfgen und ihr gesamtes Verhalten als „unter der Macht der Vernunft“ stehend zu verstehen ist (KrV A 556/ B 584), unterscheidet sie von anderen sinnlichen Wesen, deren Verhalten allein durch Instinkte und Triebe geleitet ist. Die Mçglichkeit, sich von kurzzeitigen Bedrfnissen in seinem Verhalten zu distanzieren, beschreibt Kant als das Vermçgen praktischer Freiheit.40 Weil sie es dem Menschen ermçglicht, sich in seinen Handlungen durch rationale berlegungen beeinflussen und leiten zu lassen, ist
37 Aus Platzgrnden wird hier auf eine ausfhrliche Analyse des kausalen Verhltnisses von intelligiblem und empirischem Charakter als Schlssel zur Auflçsung der Freiheitsantinomie verzichtet. Siehe dazu die detaillierte Auseinandersetzung bei Willaschek: Praktische Vernunft, 131 – 148. 38 Siehe dazu bes. Kap. 3, § 1, 1. 39 Es soll hier nicht entschieden werden, ob die Handlungen in den einzelnen Fllen „wirklich“ oder nur in einer bestimmten Hinsicht vernnftig gewesen sind (oder ob diese Unterscheidung berhaupt sinnvoll ist). Es geht hier nur darum, den Bereich des Handelns von dem des arationalen Verhaltens abzugrenzen, so dass Flle der Irrationalitt aus dieser grundlegenden Konzeption von Rationalitt nicht schon herausfallen. 40 „Die Fr e i h e i t i m p r a k t i s c h e n Ve r s t a n d e ist die Unabhngigkeit der Willkr von der N ç t i g u n g durch Antriebe der Sinnlichkeit“ (KrV A 534/B 562).
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die Vernunft das Vermçgen der Freiheit.41 Sie stellt die Art und Weise dar, auf die sich das Vermçgen einer absoluten Spontaneitt, von der im Begriff der transzendentalen Freiheit die Rede gewesen war, im Menschen zeigt.42 Die Frage nach dieser dem Menschen eigenen Art der Spontaneitt fhrt Kant zum Begriff des Wollens und damit zum praktischen Verstndnis von Freiheit: Denn eine Willkr ist s i n n l i c h , so fern sie p a t h o l o g i s c h (durch Bewegursachen der Sinnlichkeit) a f f i z i e r t ist; sie heißt tierisch (arbitrium brutum), wenn sie p a t h o l o g i s c h n e c e s s i t i e r t werden kann. Die menschliche Willkr ist zwar ein arbitrium sensitivum, aber nicht brutum, sondern liberum, weil Sinnlichkeit ihre Handlung nicht notwendig macht, sondern dem Menschen ein Vermçgen beiwohnt, sich, unabhngig von der Nçtigung durch sinnliche Antriebe, von selbst zu bestimmen (KrV A 534/B 562).43
Wie sich aus der zitierten Stelle ergibt, ist die menschliche Willkr zwar eine sinnliche Willkr bzw. ein „arbitrium sensitivum“, weil sie fr sinnliche Impulse empfnglich ist. Sie ist trotz dieser Empfnglichkeit (,Affizierbarkeit‘) aber eine freie Willkr, weil sie gleichzeitig das Vermçgen ist, sich zu den sinnlichen Einflssen zu verhalten und sich von ihnen nicht „nezessitieren“ zu lassen. Die Art und Weise, wie sich ein sinnlich veranlagtes Wesen wie der Mensch nun zu den Einflssen der Sinnlichkeit 41 „Die Freyheit ist die bestimbarkeit der Kraft durch bloße Vernunft. […] folglich ist der Gebrauch der Vernunft selbst Freyheit“ (Refl. 5613, 18:254; ca. 1776 – 79). Diese Stelle ist außerdem ein Beleg dafr, dass Kant „Handlung“ als ein Wirken von Krften versteht. Mittels einer Kraft bringt ein Gegenstand in der Erscheinung bestimmte Wirkungen hervor, weshalb man sagen kann, dass „Kraft“ die „Kausalitt einer Substanz“ ist (KrV A 649/B 677; vgl. außerdem KrV A 204 f./B 249 f.). „[D]as Subjekt ist Substanz im berlieferten Sinn“, so Gerhardt: „Handlung als Verhltnis von Ursache und Wirkung“, 128. 42 „Transcendentale Freyheit (der Substanz berhaupt) ist absolute spontaneitaet zu handeln […] Practische Freyheit ist das Vermçgen, aus bloßer Vernunft zu handeln“ (Refl. 6077, 18:443; 1783 – 84). 43 Vgl. dazu eine parallele Stelle in den Reflexionen zur Metaphysik, in der Kant die Begriffspaare „Vernunft und Freiheit“ einerseits und „Sinnlichkeit und Tierheit“ andererseits einander gegenberstellt: „Die causalitaet der Vernunft ist freyheit. Die bestimmende caussalitaet der Sinnlichkeit: thierheit“ (Refl. 5619, 18:258; ca. 1776 – 79). Noch nher am Zitat aus der Kritik der reinen Vernunft ist eine Stelle aus der Vorlesung ber Moralphilosophie nach Kaehler: „[…] es ist doch mçglich die Handlung ohnerachtet aller sinnlichen Antriebe dennoch zu unterlassen, das ist die Natur des arbitrii liberi“ (V-Mo/Kae 54/45). Vgl. zur Unterscheidung von „arbitrium liberum“ und „arbitrium brutum“ u. a. die Stelle in der Metaphysik der Sitten, an der Kant auch erstmals explizit in den Druckschriften die Wille-WillkrDifferenz begrifflich thematisiert (MS 6:213).
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verhlt – und d. h. von seiner Freiheit Gebrauch macht – , ist gekennzeichnet durch das Vermçgen seiner Selbstbestimmung durch Vernunft. Schließlich ist das Vermçgen, durch das Menschen sich ihrer Vernunft als leitender Instanz in Handlungen bedienen, der Wille; das Vermçgen, den Vorgaben eines solchen vernnftigen Willens entsprechend zu handeln, ist die Willkr. 44 Die Analyse und Darstellung der Rolle der Vernunft im menschlichen Handeln ist ein Grundthema von Kants praktischer Philosophie. Mit dem praktischen Freiheitsbegriff in der Kritik der reinen Vernunft, demzufolge (praktische) Freiheit als „Unabhngigkeit der Willkr von der Nçtigung durch Antriebe der Sinnlichkeit“ (KrV A 534/B 562) zu verstehen ist, schafft Kant wichtige Voraussetzungen fr die in seinen praktischen Schriften grundlegende These von der Mçglichkeit einer reinen praktischen Vernunft. Die „Dritte Antinomie“ kann daher als „Bindeglied zur KpV und damit zur praktischen Philosophie“45 bezeichnet werden. Dieser These zufolge ist die menschliche Willkr durch vernnftige berlegung bestimmbar. Die Vernunft bernimmt damit diejenige Rolle in unseren Handlungsvollzgen und Entscheidungen, die ihr Hume vehement abgesprochen hatte. Whrend es unmçglich war, einen Beweis transzendentaler Freiheit zu liefern, weil wir hierzu ber keine entsprechenden Anschauungen verfgen, hlt Kant die praktische Freiheit insofern fr ,gegeben‘, als wir sie uns als vernnftige Wesen selbst zuschreiben. Ebenso ist es unser Selbstverstndnis von uns und unseresgleichen als handelnden Personen, das uns einen Eindruck von der praktischen Reichweite der Vernunft in den Handlungen rational begabter Wesen vermittelt (vgl. KrV A 802/B 830). Als Handelnde sehen wir uns mit Regeln konfrontiert, die wir uns selbst aufgeben: Daß diese Vernunft nun Causalitt habe, wenigstens wir uns dergleichen an ihr vorstellen, ist aus den Im p e r a t i v e n klar, welche wir in allem Praktischen den ausbenden Krften als Regeln aufgeben. Das So l l e n drckt eine Art von Notwendigkeit und Verknpfung mit Grnden aus, die in der ganzen Natur sonst nicht vorkommt (KrV A 547/B 575; vgl. KrV A 802/B 830). 44 Die Notwendigkeit der sich im Willen vollziehenden Identifikationsleistung des Subjektes mit ihrem intellektuellen Vermçgen hat wohl auch Gerhardt im Blick, wenn er schreibt: „Das Subjekt macht sich selbst zur Ursache der Wirkung. Das aber ist nur mçglich, wenn es die Wirkung will“ (Gerhardt: „Handlung als Verhltnis von Ursache und Wirkung“, 128). Zur Wille-Willkr-Unterscheidung siehe Kap. 3, § 2, 4. 45 Mohr: Kants Grundlegung der kritischen Philosophie, 306.
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Die Wirkung der Vernunft zeigt sich demnach darin, dass Menschen sich in ihren Handlungen an Regeln orientieren und ihr Verhalten nach eigener Maßgabe strukturieren kçnnen. Dazu gehçrt z. B. auch, dass sie kurzzeitige Bedrfnisse zugunsten weiter reichender Ziele zurckstellen und sich von dem leiten lassen kçnnen, was ihnen ihre Vernunft als Handlungsnorm vorgibt. Weil Menschen aufgrund ihrer auch sinnlichen Willkr nicht jede vernnftige Regel auch unmittelbar zur Grundlage ihres Handelns machen, stellen sich ihm die Grnde, die die Vernunft vorstellt, in imperativischer Form dar. Dabei ist zu bedenken, dass Kant in der Kritik der reinen Vernunft noch nicht spezifisch moralisches Handeln im Sinn hat, wenn er vom Gebotensein einer vernnftigen Regel spricht. „Gut“ bedeutet hier auch soviel wie „ntzlich“ (im Gegensatz zu „schdlich“) (vgl. KrV A 803/B 830). Auch geht es Kant erst spter explizit darum, moralisches Handeln von anderen Typen rationalen Verhaltens abzugrenzen. In der Kritik der reinen Vernunft soll erst einmal gezeigt werden, dass Menschen berhaupt in der Lage sind, Vorstellungen von Vernunftgrundstzen und das heißt: Grnden zu folgen, die nicht unmittelbar durch ihre Sinnlichkeit vorgegeben sind.46 Auch wenn die „Endabsicht“ der Vernunft letztlich praktisch ist und die letzten Fragen mit den „Kardinalstzen“ der Existenz von Freiheit, Unsterblichkeit und Gott auf ein praktisches Bedrfnis gerichtet sind (vgl. KrV A 797 f./B 825 f.), sind die Herleitung des transzendentalen Freiheitsbegriffs und die Argumentation fr die Vereinbarkeit von Kausalitt 46 „Diejenige [Willkr] aber, welche unabhngig von sinnlichen Antrieben, mithin durch Bewegursachen, welche nur von der Vernunft vorgestellet werden, bestimmet werden kann, heißt die f r e i e W i l l k r (arbitrium liberum) […]“ (KrV A 802/B 830). Dass die Grnde des Handelns nicht durch die Sinnlichkeit vorgegeben werden sollen, heißt natrlich nicht, dass Neigungen in ihnen nicht vorkommen. Sie kçnnen sogar aus Neigungen hervorgehen, und man kann eine Handlung, die den Neigungen als Grnden folgt, auf ihre Art rational nennen. Worum es Kant geht, ist zu zeigen, dass in berlegten Handlungen zwischen die Affektion und die Handlung etwas Vermittelndes tritt; diese Rolle erfllt die Vernunft bzw. der Wille als „praktische Vernunft“ (vgl. zu diesem Punkt KrVA 803/B 831, wo es heißt, dass „nicht bloß das, was reizt, d. i. die Sinne unmittelbar affiziert, die menschliche Willkr […] bestimmt“ (H. v. m.)). Allison hat diese weite Bedeutung praktischer Freiheit im Blick, wenn er schreibt: „Thus, even desire-based or, as Kant later termed it, ‘heteronomous’ action involves the self-determination of the subject and, therefore, a ‘moment’ of spontaneity“ (Kant’s Theory of Freedom, 39). Zur Mçglichkeit der Bestimmbarkeit des Willens durch „Grnde der Vernunft“ vgl. auch GMS 4:412, sowie Kap. 3, § 1, 1.
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aus Freiheit und Naturkausalitt fr Kant notwendige Voraussetzungen fr die Annahme praktischer Freiheit. Kants Argument lautet hier folgendermaßen: Nimmt man allein an, dass alle Erscheinungen durch Naturgesetze vollstndig bestimmt sind, so ist man zu der Annahme verpflichtet, dass auch die Handlungen des Menschen in diesen Gesetzmßigkeiten vollstndig aufgehen. Nach dieser Annahme gibt es keinen ,ersten Anfang‘ im Regress der Erscheinungen und kein diesem zugrunde liegendes Vermçgen, ,einen Zustand von selbst anzufangen‘. Schließlich wird auf diese Weise „das ganze Feld der Erfahrung […] in einen Inbegriff bloßer Natur verwandelt“ (KrV A 533/B 561). Nhme man zustzlich zur Naturnotwendigkeit daher nicht auch transzendentale Freiheit an, so […] wrde die Aufhebung der transzendentalen Freiheit zugleich alle praktische Freiheit vertilgen. Denn diese setzt voraus, daß, obgleich etwas nicht geschehen ist, es doch habe geschehen s o l l e n , und seine Ursache in der Erscheinung also nicht so bestimmend war, daß nicht in unserer Willkr eine Kausalitt liege, unabhngig von jenen Naturursachen und selbst wider ihre Gewalt und Einfuß etwas hervorzubringen, was in der Zeitordnung nach empirischen Gesetzen bestimmt ist, mithin eine Reihe von Begebenheiten g a n z v o n s e l b s t anzufangen (KrV A 534/B 562).
Der zentrale Begriff dieser Argumentation ist der hier eingefhrte Begriff des Sollens. Ohne die Mçglichkeit eines solchen „Sollens“, so lautet das Argument, ist praktische Freiheit nicht denkbar. Wie wir bereits gesehen haben, steht das Vermçgen menschlicher Freiheit als absoluter Spontaneitt in Verbindung mit einer Art von ,Selbsterkenntnis‘. Dass es nicht nur ber ein „arbitrium sensitivum“, sondern auch „liberum“ verfgt, ,erkennt‘ das Subjekt des Handelns durch das Vermçgen seiner Vernunft, whrend es sich, aber in einer anderen Beziehung, seiner empirischen und endlichen Existenz ebenfalls bewusst ist (vgl. KrV A 547 f./B 574 f.). Die Vernunft ist es auch, die dem Menschen eine Erkenntnis davon vermittelt, dass etwas sein soll und nicht nur ist. Anders als der Verstand, der nur erkennt, „was da ist, oder gewesen ist, oder sein wird“ (KrV A 547/B 575), hat sie nicht nur „den Lauf der Natur vor Augen“, sondern entwirft sich ein eigenes Regelsystem, das es ermçglicht, nicht nur bereits geschehenen, sondern auch ungeschehenen Handlungen Notwendigkeit zuzusprechen und zu sagen, sie htten „geschehen sollen“: Es mag ein Gegenstand der bloßen Sinnlichkeit (das Angenehme) oder auch der reinen Vernunft (das Gute) sein: so gibt die Vernunft nicht demjenigen Grunde, der empirisch gegeben ist, nach, und folgt nicht der Ordnung der Dinge, so wie sie sich in der Erscheinung darstellen, sondern macht sich mit vçlliger Spontaneitt eine eigene Ordnung nach Ideen […], nach denen sie so
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gar Handlungen fr notwendig erklrt, die doch n i c h t g e s c h e h e n s i n d und vielleicht nicht geschehen werden, von allen aber gleichwohl voraussetzt, daß die Vernunft auf sie Kausalitt haben kçnne: denn, ohne das, wrde sie nicht von ihren Ideen Wirkungen in der Erfahrung erwarten (KrV A 548/B 576).
Die Fhigkeit, sich in eine andere „Ordnung der Dinge“ und damit „in ein Verhltnis zu bestimmenden Grnden ganz anderer Art“ zu setzen (GMS 4:457), verdankt der Mensch daher seiner Vernunft. Sie macht seinen intelligiblen Charakter aus, der daher seinerseits als „die von empirischen Zuflligkeiten bereinigte Persçnlichkeit des handelnden Subjekts“ beschrieben werden kann.47 Er ist damit gleichsam das Prinzip des Handelns einer Person, die sich aus eigenen, durch seine Vernunft abgewogenen Grnden fr eine bestimmte Handlung entscheidet. Nur weil man annimmt, dass die Vernunft ein „Sollen“ „ausspricht“ (KrV A 548/B 576) und zur Naturordnung „eine eigene Ordnung nach Ideen“ hinzufgt, ist es mçglich und sinnvoll, jemanden fr sein Verhalten zu loben oder zu tadeln. So beurteilen wir dieses Verhalten im Hinblick darauf, ob und in welchem Maße der Sollensanspruch der Vernunft in der jeweiligen Handlung erfllt worden ist. Darin, dass sich der Mensch durch die regulierende Leistung seiner Vernunft spontan in der Welt der Erscheinungen bewegt, besteht das Vermçgen seiner Freiheit. Vor diesem Hintergrund erschließt sich die Schwierigkeit von Kants Aussage, die praktische Freiheit setze ein ,Sollen‘ voraus und wre darber hinaus ohne transzendentale Freiheit nicht mçglich.48 Die Rede von der ,Voraussetzung‘ suggeriert, dass das Sollen die Freiheit begrndet bzw. ihr vorgeordnet ist: Ich bin frei, weil ich etwas soll. Das ist aber nur in einer bestimmten Hinsicht richtig, nmlich wenn wir den Satz folgendermaßen verstehen: Ich beurteile mich als frei, deshalb, weil ich mir bewusst bin, dass
47 Willaschek: Praktische Vernunft, 128. 48 Dass es sich bei dem Verhltnis von transzendentaler und praktischer Freiheit bei Kant um ein konzeptuell anspruchsvolles Unterfangen handelt, zeigt Schçnecker, der dieser Problematik ein ganzes Buch widmet: Kants Begriff transzendentaler und praktischer Freiheit. Schçnecker geht es in seiner Analyse hauptschlich um die Vereinbarkeit zweier widersprchlicher Aussagen Kants in der „Dialektik“ und im „Kanon“ der Kritik der reinen Vernunft. So scheint Kants Aussage (aus der „Dialektik“), die praktische Freiheit ,grnde‘ auf der transzendentalen, seiner Bemerkung (aus dem „Kanon“) zu widersprechen, praktische Freiheit sei Gegenstand empirischer Beobachtung und kçnne als solche ,bewiesen‘ werden. Siehe dazu unten, S. 95 f., Fn. 56.
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ich etwas soll.49 Andererseits legen Kants Ausfhrungen in der Auflçsung auch nahe, den Zusammenhang zwischen Freiheit und Sollen genau im entgegen gesetzten Sinn zu verstehen: Nur weil ich etwas kann, ist es sinnvoll zu sagen, dass ich es soll.50 Dieser Ansicht nach wre die Freiheit Voraussetzung dafr, dass ich etwas soll. Wie sind diese (scheinbar) entgegen gesetzten Aussagen zu verstehen? Die Problemskizze zeigt, dass die Anordnung der Begriffe der Freiheit und des Sollens in einer Rangordnung zu Widersprchen fhrt, weil je nach Interpretation der eine Begriff Voraussetzung oder Folge des anderen Begriffs sein kann. Zwei Dinge sind hier zu beachten: Erstens denkt Kant die Begriffe der praktischen Freiheit und des Sollens in einem Wechselverhltnis, so dass jeder Versuch, sie in eine Rangordnung zu bringen, zu Schwierigkeiten fhren muss.51 Einen Beleg dafr findet man schon in der Tatsache, dass das „Sollen“ nur unter einer bestimmten Perspektive ein „Sollen“, unter einer anderen aber ein „Wollen“ bzw. auch ein „Kçnnen“ ist. Die Regeln der Vernunft drcken nur deshalb ein „Sollen“ aus, weil die menschliche Willkr zwar ein arbitrium liberum, aber auch sensitivum ist. Kant bringt diesen Gedanken in der Grundlegung zum Ausdruck, wenn er schreibt: Das moralische Sollen ist also eigenes nothwendiges Wollen als Gliedes einer intelligiblen Welt und wird nur so fern von ihm als Sollen gedacht, als er sich zugleich wie ein Glied der Sinnenwelt betrachtet (GMS 4:455).
Weil das, was ich vernnftigerweise will, auf die Selbstbestimmung aus Vernunftgrnden (unabhngig von Naturursachen und damit auch von meinen Neigungen als Teil der empirischen Welt) zurckgeht, in der sich die Spontaneitt meiner Willkr zeigt, ist es auch berechtigt zu sagen, dass ich es tun kann. In der Kritik der praktischen Vernunft gibt Kant diesen Gedanken mit folgender Formulierung wieder „[…] was er in dieser Beziehung will, das kann er auch“ (KpV 5:37).52 Etwas in diesem Sinne zu 49 Damit ist die terminologisch erst in der Kritik der praktischen Vernunft eingefhrte Bezeichnung des Sittengesetzes als „ratio cognoscendi“ der Freiheit (KpV 5:4 Anm.) hier bereits sachlich gegeben. 50 In diesem Sinne ist die Freiheit die „ratio essendi“ des Sittengesetzes (KpV 5:4 Anm.). 51 Dieses Wechselverhltnis von Freiheit und Sittengesetz macht die Stelle in der Kritik der praktischen Vernunft besonders deutlich; vgl. erneut KpV 5:4 Anm. 52 Timmermann verdeutlicht diese Stoßrichtung des Sollens und damit die vor anderen Arten des Wollens herausragende Stellung des vernnftigen Wollens, indem er den Begriff des Interesses zur Erluterung heranzieht: Das Sollen stehe „auf einer ganz anderen Stufe […] als andere Interessen des Menschen“ („Sollen und Kçn-
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wollen, heißt, es sich als rational geboten vorzuschreiben. Weil ich mir nur etwas vorschreiben bzw. etwas sollen kann, von dem ich glaube, dass es mir mçglich ist, impliziert das (vernnftige) Wollen bereits das Kçnnen. Zweitens ist noch einmal an den Zusammenhang zu erinnern, aus dem heraus Kant den Begriff des Sollens entwickelt. Wenn Freiheit und Naturnotwendigkeit miteinander vereinbar sind, dann, so Kants Auffassung, nicht in dem Sinne, dass diese Freiheit als Regellosigkeit verstanden wrde. „Freiheit“ ist auch kein Gegenbegriff zu „Notwendigkeit“ oder „Determination“, sondern selbst Ausdruck einer Bestimmung nach Regeln, die eine Handlung allerdings in einer anderen Hinsicht „notwendig“ machen, als dies Naturursachen tun. Diese Determination durch die Vernunft zeigt sich im Sollen, das, wie Kant schreibt, „eine Art von Notwendigkeit und Verknpfung mit Grnden [ausdrckt], wie es in der ganzen Natur sonst nicht vorkommt“ (KrV A 547/B 575). Wir sehen nun besser, in welchem Zusammenhang das Sollen und die transzendentale Freiheit stehen: Das Sollen ist im Begriff transzendentaler Freiheit enthalten, in dem Sinne, dass die Vernunft Grnde hervorbringt, die selbst nicht durch andere (Natur-) Ursachen bedingt sind.53 Das vernnftige Individuum ist damit die intelligible Ursache einer Reihe von Erscheinungen, und die Grnde, durch die es eine Handlung vorschreibt, sind Ausdruck einer unbedingten Spontaneitt: der transzendentalen Freiheit. Das Konzept einer transzendentalen Freiheit wird also bençtigt, um die Idee menschlicher Selbstverursachung philosophisch explizieren zu kçnnen, es bedeutet jedoch nicht, dass ich das theoretische Wissen ber transzendentale Freiheit brauche, um unter der Idee der praktischen Freiheit zu handeln. Kant begeht keine Inkonsistenz gegenber seiner Argumentation in der „Dialektik“, wenn er im „Kanon“ schreibt, dass man im Bereich der praktischen Philosophie „die Frage wegen der transzendentalen Freiheit […] als ganz gleichgltig bei Seite setzen“ kann, weil diese „bloß das spekulative Wissen“ betrifft (KrV A 803 f./B 831 f.). Kants Vorgehensweise im „Kanon“ stimmt offenkundig mit der Argumentation in der „Auflçsung“ der „Dritten Antinomie“ berein, wo er die „Kausalitt der Vernen“, 119). Tatschlich findet sich dieser Bezug wçrtlich bei Kant, wenn er in der Grundlegung die Notwendigkeit, an einem Vernunftprinzip „ein Interesse [zu] nehmen“, damit begrndet, dass das sich in diesem Prinzip ausdrckende Sollen „eigentlich ein Wollen“ ist (GMS 4:449). 53 „Dieses Sollen drckt eine mçgliche Handlung aus, davon der Grund nichts anderes als ein bloßer Begriff ist […]“ (KrV A 547/B 575).
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nunft“ und damit „Freiheit“ mit der Begrndung einfhrt: „Daß die Vernunft nun Causalitt habe […], ist aus den Imperativen klar, welche wir in allem Praktischen den ausbenden Krften als Regeln aufgeben“ (KrVA 547/B 575). Um uns selbst als mit dem Vermçgen einer praktischen Vernunft begabt wahrzunehmen, bençtigen wir kein theoretisches Wissen ber die Freiheit, sondern sind uns der Mçglichkeit der Selbstbestimmung durch die Sollensansprche bewusst, mit denen wir als rationale Wesen permanent konfrontiert sind. Kant hat diesen Gedanken spter, in der Kritik der praktischen Vernunft, in der Formulierung vom Sittengesetz als der „ratio cognoscendi“ der Freiheit ausgedrckt. Im selben Moment ist die Freiheit in den moralischen Forderungen als deren „ratio essendi“ schon mitgedacht (KpV 5:4 Anm.).54 Außerdem erklrt die zitierte Stelle aus der „Dialektik“ auch Kants oft als problematisch angesehene Bemerkung im Kanon, die praktische Freiheit kçnne „durch Erfahrung bewiesen werden“ (KrV A 802/B 830). An beiden Stellen, in der „Dialektik“ und im „Kanon“, hat Kant das Bewusstsein der vernnftigen Forderungen im Sinn, das als Beweis fr unser Bewusstsein der praktischen Freiheit herangezogen wird. Das tastet den Gedanken von der (empirischen) Unerklrbarkeit der Freiheit im transzendentalen Sinne nicht an, weil Kant in der Stelle im „Kanon“ nicht zeigen will, dass die Erfahrung der vernnftigen Gebotenheit von Handlungen zum „Erklrungsprinzip“ (MS 6:226) der praktischen Freiheit dient.55 Die Erfahrung, die wir mit den Imperativen machen, liefert uns das Bewusstsein unserer praktischen Freiheit; das ist nicht dasselbe, wie zu behaupten, dass sie diese erklrt oder beweist (Kant betont auch spter immer wieder, dass wir letztlich weder erklren kçnnen, warum die Vernunft tatschlich zum Handeln bestimmt, noch, warum sie das in vielen Fllen nicht tut; vgl. z. B. KpV 5:72; MSR 6:226 f. sowie den gesamten „Dritten Abschnitt“ der Grundlegung).56 54 Ab 1788, mit der Kritik der praktischen Vernunft, ist es jedoch nicht mehr die Konfrontation mit dem Sollen im Allgemeinen, sondern mit dem moralischen Gesetz, das zum Freiheitsbewusstsein fhrt. 55 In diesem analogen Sinne schreibt Kant in der Metaphysik der Sitten: „Denn ein Anderes ist, einen Satz (der Erfahrung) einrumen, ein Anderes, ihn zum E r k l r u n g s p r i n c i p […] und allgemeinen Unterscheidungsmerkmal […] machen: Weil das Erstere nicht behauptet, daß das Merkmal n o t h w e n d i g zum Begriff gehçre, welches doch zum Zweiten erforderlich ist“ (MS 6:226). 56 Ich teile daher nicht Schçneckers Einschtzung, Kants Aussagen in der „Dialektik“ und im „Kanon“ seien widersprchlich und verwiesen auf einen vernderten (,naturalisierten‘) Begriff praktischer Freiheit im „Kanon“ (vgl. Kants Begriff
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II. Praktische Vernunft: Vernunft und Freiheit
Die Gegenberstellung und Verbindung der Begriffe der transzendentalen und der praktischen Freiheit ist also nicht nur nicht widersprchlich, sondern sogar sinnvoll. Nur wenn man versteht, dass transzendentale Freiheit die Mçglichkeit der Verursachung aus nichtsinnlichen, intelligiblen Grnden bedeutet und dass das Sollen Ausdruck der Bestimmung durch Vernunftgrnde ist, versteht man auch Kants Argument fr die Voraussetzung der transzendentalen fr die praktische Freiheit. „Denn diese [die praktische Freiheit] setzt voraus, daß, obgleich etwas nicht geschehen ist, es doch habe geschehen sollen, setzt ein Sollen voraus“ (KrV A 534/B 562) ist dann zu bersetzen mit: ,Denn die praktische Freiheit setzt voraus, dass es eine Bestimmung aus Grnden gibt, die nicht Naturursachen sind.’ Fassen wir die vorangegangenen berlegungen zusammen. Transzendentale Freiheit ist Voraussetzung fr praktische Freiheit, weil die Tatsache, dass einer Handlung unabhngig von Erfahrungswerten Notwendigkeit zukommt, impliziert, dass sie prinzipiell verwirklicht werden kann. Transzendentale Freiheit zeigt, dass es eine Spontaneitt gibt, in der „Kçnnen“ als Alternative zur Bestimmung innerhalb der Naturordnung zu verstehen ist. Das heißt also: Das Sollen ist Ausdruck der praktischen Freiheit, das Kçnnen Ausdruck der transzendentalen. Beides, Sollen und Kçnnen, ist ein Beleg dafr, dass Naturkausalitt nicht die einzige Art von Notwendigkeit ist, sondern es noch eine Verursachung durch Vernunftgrnde gibt, die Kant als ,Kausalitt aus Freiheit‘ bezeichnet. Darin, dass ich etwas (berechtigterweise) als ein Sollen verstehe, dem ich handelnd nachkommen kann, ,erkenne‘ ich mich als frei. Gleichzeitig aber ist die transzendentaler und praktischer Freiheit, bes. 168 f.). Fr die Vereinbarkeit von Kants Argumentation in der „Dialektik“ und im „Kanon“ argumentiert hingegen auch Timmermann: Sittengesetz und Freiheit, 140 – 143. Allerdings ist Timmermanns zweite Begrndung fr die Widerspruchsfreiheit der kantischen Argumentation, die auf Kants Auffassung von der Voraussetzungslosigkeit moralischer Gebote Bezug nimmt, weniger berzeugend. Aus den Formulierungen im „Kanon“ geht nmlich noch gar nicht hervor, dass die Wahrnehmung der „Imperative“, die uns praktische Freiheit „beweisen“, schon als ein Bewusstsein spezifisch moralischer Normen zu verstehen ist. Außerdem ist Kant zu recht der Ansicht, dass Gebote, seien sie moralische oder allgemein vernnftige Vorschriften des Handelns, nur sinnvoll im Kontext der Freiheit sind: Ohne ein Subjekt (der Freiheit) haben sie keinen Bezug auf das Handeln. Vgl. dazu eine Reflexion aus der Zeit der Verçffentlichung der Kritik der reinen Vernunft (Refl. 1037, 15:466; ca. 1780 – 1783), wo es heißt: „Die Moglichkeit practischer Regeln setzt die Freyheit voraus. Denn die Regeln sind nur obiecten vor den Verstand und also motiva, kçnnen allso nur die Freyheit bestimmen.“
§ 1 Freiheit als Spontaneitt in der Kritik der reinen Vernunft
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Freiheit, die ich ,erkenne‘, nichts anderes, als die Selbstverursachung und Determination durch die Vernunft, die im Begriff des Sollens zum Ausdruck kommt.57 Dieser Analyse zufolge ist die Vernunft aus zwei Grnden als das Vermçgen der Freiheit zu verstehen: Zum einen zeigt sich in ihr als dem Vermçgen, Handlungsgrnde vorzugeben, die selbst nicht verursacht sind, jene Spontaneitt einer Ursache, die Kant im Begriff transzendentaler Freiheit als „intelligibel“ bezeichnet. In ihrer Funktion als praktische Vernunft, die menschliches Handeln strukturiert, indem sie nach eigenen Gesetzmßigkeiten verfhrt, sorgt sie zum anderen dafr, dass das Subjekt des Handelns sich seiner Freiheit bewusst wird und sich selbst bestimmt den Herausforderungen stellt, die es als Sollensstze bzw. als Imperative versteht. Auch wenn Kants Begriff praktischer Freiheit hier zum Teil schon mit Stellenhinweisen auf die Grundlegung und die Kritik der praktischen Vernunft vorgestellt wurde und Kant selbst in der Auflçsung der „Dritten Antinomie“ einige beilufige Bezge auf moralphilosophische Themen einfgt58, ist zu betonen, dass Kant mit der praktischen Freiheit noch kein Vermçgen vor Augen hat, das auf spezifisch moralisches Handeln ausgerichtet ist. Die Freiheit, die hier als vereinbar mit der Naturnotwendigkeit beschrieben wird, ist zu verstehen als eine Selbstverursachung aus Grnden, die nicht durch die Naturkausalitt vorgegeben sind. Diese Vernunftgrnde sind noch keine spezifisch moralischen Grnde, sondern Vorschriften, die sich ein Handlungssubjekt macht, das nicht nur ber ein arbitrium brutum, sondern liberum (obwohl sensitivum) verfgt.59 Kant gebraucht fr Gebote dieser Art den Begriff des Imperativs (vgl. z. B. KrV A 547/B 575). Whrend diesem Begriff in der Moralphilosophie besondere 57 Vor diesem Hintergrund wird auch besser verstndlich, warum Kant als Argument fr die Vereinbarkeit von Freiheit und Naturnotwendigkeit anfhrt, dass dem Menschen eine bestimmte Art der Selbsterkenntnis eignet, die Ausdruck fr seine Freiheit ist (vgl. KrV A 546 f./B 574 f.). 58 Vgl. hierzu z. B. die Fußnote in KrV A 551/B 579, in der Kant mit Bezug auf die Nichterkennbarkeit des intelligiblen Charakters die Schwierigkeit der moralischen Beurteilung von Handlungen betont: „Die eigentliche Moralitt der Handlungen (Verdienst und Schuld) bleibt uns daher, selbst die unseres eigenen Verhaltens, gnzlich verborgen.“ 59 Dies ndert sich mit dem Verstndnis von Freiheit als Autonomie um 1784/85, dem zufolge nicht-moralische (vernnftige) Grnde nicht mehr als ausreichend ,frei‘ bezeichnet werden kçnnen. Vgl. dazu die Diskussion bei Prauss in Verbindung mit der Problematik unmoralischen Handelns: Kant ber Freiheit als Autonomie.
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II. Praktische Vernunft: Vernunft und Freiheit
Bedeutung zukommen wird, ist „Imperativ“ hier noch allgemein als Formel fr die Vernnftigkeit einer Handlung in Bezug auf einen bestimmten (wenn auch schon vernnftigen) Zweck zu verstehen.60 Die Moralneutralitt ist, wie wir oben untersucht haben, in der Idee der gesamten Auflçsung der Freiheitsantinomie angelegt. Zwar fhren sowohl das Konzept der Unterscheidung zweier Charaktere als auch die Begriffe des Sollens, der Vernunft und des Imperativs zu einer Theorie der Moralitt, aber keine dieser Analysen in der Kritik der reinen Vernunft sind eigens auf dieses Ziel hin angelegt.61 Das, was sich dem Leser der Freiheitsantinomie und des Kanons zunchst erschließt, ist eine Theorie rationalen Handelns, in der die scheinbare Unvereinbarkeit von Naturnotwendigkeit und Freiheit im Konzept der vernnftigen Selbstbestimmung des Menschen aufgelçst wird. Aus dem Dargelegten ergibt sich, dass Kant „Vernunft“ und „Freiheit“ als Wechselbegriffe versteht, durch die verstndlich gemacht werden kann, dass potentiell vernnftige Wesen ber das Bewusstsein unbedingter moralischer Normen verfgen und aufgrund ihrer Spontaneitt sowohl dazu in der Lage sind, nach diesen Grundstzen zu handeln als auch ein solches Handeln selbst – vernnftigerweise – zu wollen. Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, wie das Handeln nach Freiheits- bzw. Vernunftgesetzen bei einem endlichen Vernunftwesen wie dem Menschen vorzustellen ist. Wie ist es mçglich und wie kann es beschrieben werden, dass uns die Vernunft in unseren Handlungen tatschlich bestimmt? 60 Vgl. dazu auch Allison: Kant’s Theory of Freedom, 36, sowie die Stelle im Kanon, an der Kant die Imperative allgemein als „objektive Gesetze der Freiheit, […] welche sagen, was g e s c h e h e n s o l l “, bezeichnet (KrV A 802/B 830). 61 Vgl. zu dieser Interpretation Allison: Kant’s Theory of Freedom, 29, 35; Mohr: „Personne, personnalit et libert dans la ,Critique de la raison pratique‘“; Schçnrich: „Die Kategorien der Freiheit als handlungstheoretische Elementarbegriffe“, sowie Willaschek: Praktische Vernunft, 45 – 90. Anderer Ansicht ist z. B. Konhardt, der einen moralneutralen Handlungsbegriff nicht nur bei Kant, sondern allgemein philosophisch fr nicht zureichend begrndbar hlt (vgl. Konhardt: „Faktum der Vernunft“, bes. 161, 183). Konhardts Argument, der Begriff des Handelns kme ohne den der Persçnlichkeit und damit ohne einen moralphilosophischen Bezug nicht aus, weil ersterer bei Kant nur aus dem Kontext seiner Moralphilosophie verstndlich ist, ist nicht berzeugend. In der Religion zeigt Kant mit der Unterscheidung dreier „Anlagen zum Guten in der menschlichen Natur“, dass es eine vormoralische Stufe der Rationalitt gibt, auf der schon von „praktischer Vernunft“ im Sinne nichtmoralisch-praktischer Vernunft gesprochen werden kann. Die Anlage fr die Persçnlichkeit als die eigentliche moralische Anlage des Menschen wird davon erst auf der nchsten Ebene unterschieden (vgl. Rel 6:26 – 28).
§ 2 Begehren und Wollen
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§ 2 Begehren und Wollen: Menschliches Handeln zwischen Vernunft und Sinnlichkeit 1. Aus Grnden handeln Kant ist der Ansicht, dass der Mensch als Teil der lebendigen Natur ber die grundlegende Fhigkeit verfgt, Handlungen nach eigenen Vorstellungen zu verursachen In der Kritik der praktischen Vernunft bezeichnet Kant das Begehrungsvermçgen als „das Vermçgen, […] durch seine Vorstellungen Ursache von der Wirklichkeit der Gegenstnde dieser Vorstellungen zu sein“ (KpV 5:9). In Bezug auf den Menschen als begehrendes und handelndes Wesen hat sich bisher herausgestellt, dass seinen freien Handlungen eine besondere Art der Kausalitt zugrunde liegt: die der Selbstverursachung bzw. der Kausalitt aus Freiheit. Den freien Handlungen des Menschen, so hat sich ergeben, korrespondiert seine Fhigkeit, sich durch vernnftige berlegungen leiten zu lassen. Nun ist mit der Beschreibung dieser Rolle der Vernunft als unbedingter Ursache des Handelns bereits deutlich geworden, dass die Vernunft in dieser Funktion mehr als ein Erkenntnisvermçgen ist und Kants Vernunftbegriff von vornherein auf eine praktische Dimension dieses Vermçgens ausgerichtet ist. Dieser Gedanke ist schon im Begriff der praktischen Vernunft gegenwrtig, mit dem Kant bereits in der Kritik der reinen Vernunft operiert, um zu verdeutlichen, dass die Leistung der Vernunft nicht nur in der Erklrung, sondern auch in der Erzeugung von Handlungen besteht (vgl. KrV A 550/B 578).62 Die Vernunft in einer solchen „praktischen Absicht“, in der sie „Kausalitt in Ansehung der Handlungen des Menschen, als Erscheinungen“ hat (KrV A 550/B 578), bezeichnet Kant als den Willen. 63 Sie ist insofern ein „praktisches Vermçgen“, als sie 62 Den Begriff der praktischen Vernunft verwendet Kant Beck zufolge seit 1765. Mit Verweis auf Mellin (Kunstsprache der Kantischen Philosophie, 1798, 283) stellt Beck fest, dass der Begriff wahrscheinlich vor Kant als philosophischer Terminus nicht gebruchlich gewesen ist und es sich dabei vermutlich um eine Neuschçpfung Kants handelt. In dem neuen Begriff vereint Kant „Verstand“ und „Wille“; von beiden Begriffen war bis vor 1765 bereits die Rede, jedoch nicht von einem diese beiden Vermçgen verbindenden Handlungsbegriff (vgl. Beck: A Commentary on Kant’s Critique of Practical Reason, 37, Fn. 14). 63 So heißt es in einem Nachtrag zum Handexemplar der KrV in Bezug auf die Wirkungsweise der Vernunft: „Diese Caußalitt heißt der Wille“ (Nachtrge zum Handexemplar der KrV 23:50). Vgl. dazu: Mohr: Kants Grundlegung der kritischen Philosophie, 305.
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II. Praktische Vernunft: Vernunft und Freiheit
„Einfluss auf den Willen haben soll“ (GMS 4:396). In Bezug auf die Kausalitt der Vernunft ist dieser Wille selber die „praktische Vernunft“ und die Wahl einer Handlungsalternative ist ein Akt des Willens.64 Die Definition des Willens als ein durch Vernunft bestimmbares Vermçgen ist von zentraler Bedeutung fr Kants Handlungstheorie und Ethik. Zunchst lsst sie zwei Aussagen ber das Verhltnis von Vernunft und Wille zu: Einerseits ist Kants Begriff des Willens von vornherein an seine Theorie der Vernunftfhigkeit des Menschen gebunden und von dem des „bloßen Begehrungsvermçgens“ zu unterscheiden.65 Zum anderen geht der Begriff des Willens in dem der Vernunft aber nicht auf, weil der Besitz einer nur theoretischen Vernunft noch nicht auf die Fhigkeit schließen lsst, Handlungen zu initiieren. Dazu muss die Vernunft „praktisch sein“, d. h. sie muss den Willen bestimmen kçnnen. Kants Begriff des Willens ist wesentlich dadurch geprgt, dass er beiden Punkten in gleicher Weise Rechnung trgt, indem er willentliches Handeln als Ausdruck eines vernnftigen, selbst bestimmten Begehrens versteht. Damit grenzt er sich, wie 64 Vgl. hierzu die Darstellung bei Beck, dem es darum geht, den scheinbaren Widerspruch zwischen den Thesen (a) „Der Wille ist ein durch die Vernunft geleiteter Impuls“ und (b) „Der Wille ist praktische Vernunft“ aufzulçsen. Wie kann, so kçnnte man nmlich einwenden, ein und dasselbe Vermçgen geleitet (a) und selbst leitend sein (b)? Oder: Wie kann ein Wille durch Vernunft geleitet werden, wenn er doch selbst die praktische Vernunft ist? Der scheinbare Widerspruch lçst sich auf, wenn man sieht, dass der Wille nur dann und nur insofern praktische Vernunft ist, als die Vernunft einen Impuls erfolgreich leitet. Die Vernunft ist in diesem Falle praktisch und die Handlung ein „Akt des Willens“ (vgl. Beck: A Commentary on Kant’s Critique of Practical Reason, 39). – In der Metaphysik der Sitten umgeht Kant die Mçglichkeit des Vorwurfs, ein und dasselbe Vermçgen kçnne nicht leitend und geleitet sein, in der Unterscheidung von „Wille“ und „Willkr“. Der Darstellung in der Metaphysik der Sitten zufolge ist der Wille die praktische Vernunft, weil er die Willkr zu Handlungen bestimmt. Whrend der Wille die Gesetzgebung betrifft, ist die Willkr das Vermçgen der Ausbung der Verbindlichkeit und darum (aber in einem anderen Sinne wie der Wille) praktische Vernunft (vgl. MSR 6:213, 226). Whrend „Wille“ in der Grundlegung und auch noch in der Kritik der praktischen Vernunft also fr die ausbende und leitende Verbindlichkeit steht, weshalb Kant den Willen dort einmal mit der Vernunft, einmal mit der praktischen Vernunft gleichsetzt, wird „Wille“ in der Metaphysik der Sitten in einem engeren Sinn verstanden: als die Fhigkeit, Gesetze vorgeben und in dieser Hinsicht die Willkr leiten zu kçnnen. Siehe zur Anwendung dieser Unterscheidung auf Kants ,Motivationsproblem‘ unten, Kap. 5, § 2, 4 und 5. 65 Kant whlt diese Formulierung selbst in GMS 4:459: „Sie [d. i. die Freiheit, St. Sch.] gilt nur als nothwendige Voraussetzung der Vernunft in einem Wesen, das sich eines Willens, d. i. eines vom bloßen Begehrungsvermçgen noch verschiedenen Vermçgens […] bewußt zu sein glaubt.“
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bereits skizziert wurde, sowohl gegen rationalistische Willensbegriffe seiner Zeit als auch gegen gefhlsethische Konzeptionen des Wollens ab.66 So geht der Wille fr Kant weder im Vermçgen zu erkennen auf, so dass, wie Wolff angenommen hatte, schon „die Erkenntnis des Guten […] ein Bewegungsgrund des Willens“ wre67, noch ist er der Ansicht, der Wille sei selbst eine besondere Art von Affekt, der seinerseits berhaupt nur auf sinnliche oder gefhlte Beweggrnde reagiert.68 Im zentralen Begriff der „praktischen Vernunft“ bringt Kant den Zusammenhang von Begehren und Vernunft terminologisch auf den Punkt. So heißt es in der Grundlegung: Ein jedes Ding in der Natur wirkt nach Gesetzen. Nur ein vernnftiges Wesen hat das Vermçgen, n a c h d e r Vo r s t e l l u n g der Gesetze, d. i. nach Principien, zu handeln, oder einen W i l l e n . Da zur Ableitung der Handlungen von Gesetzen Ve r n u n f t erfordert wird, so ist der Wille nichts anderes als praktische Vernunft (GMS 4:412).
ber Vernunft in der Hinsicht zu verfgen, dass sie konkrete Handlungsanweisungen liefert, indem sie „von Gesetzen“ Handlungen „ableitet“, ist also gleichbedeutend mit einem Vermçgen, das Kant als „Wille“ bezeichnet. Praktisch ist die Vernunft insofern, als sie nicht nur das Erkennen, sondern auch das Handeln nach Prinzipien ermçglicht. Damit gibt es nicht etwa zwei Arten der Vernunft – theoretisch und praktisch –, sondern zwei Weisen der Anwendung ein und derselben Vernunft verstanden als das Vermçgen der Prinzipien.69 Whrend nun fr Wolff Wollen und Erkennen identisch sind, zielt Kants Position darauf ab, Wollen nicht als ein Erkennen zu verstehen, sondern das vernnftige Wollen als ein Vermçgen zu sehen, sich in seinen Willensbestimmungen durch Vernunft leiten lassen zu kçnnen.
66 Siehe dazu die Darstellung in Kap. 1, § 2, 2. 67 Diese Voraussetzung impliziert fr Wolff die Auffassung, dass es unmçglich ist, „dass man eine an sich gute Handlung nicht wollen sollte, wenn man sie deutlich begreifet“ (Wolff: Vernnfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, 7). Vgl. dazu Kap. 1, § 2, 2. 68 Eine solche Ansicht hatte Hume vertreten; vgl. Kap. 1, § 1, 2. 69 Vgl. Beck: A Commentary on Kant’s Critique of Practical Reason, 39. Eine Stelle in der „Einleitung“ zur Metaphysik der Sitten untersttzt diese Interpretation: „Denn als reine Vernunft, auf die Willkr unangesehen ihres Objects angewandt, kann sie als Vermçgen der Principien (und hier praktischer Principien, mithin als gesetzgebendes Vermçgen) […] dieses Gesetz nur schlechthin als Imperativ des Verbots oder Gebots vorschreiben“ (MSR 6:214; H. v. m.).
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II. Praktische Vernunft: Vernunft und Freiheit
Umgekehrt sagt der Begriff der praktischen Vernunft auch etwas ber den Willen. Er ist nicht als ein Ereignis in der Zeit zu verstehen, das je nach Betrachtungsweise sinnlich gegeben ist oder sich der sinnlichen Erfahrung in mysteriçser Weise gerade entzieht. Er ist auch kein ,Ding‘, auf das sich ein Subjekt beziehen msste, indem es dieses in der einen oder anderen Weise gebraucht. „Wille“ kennzeichnet vielmehr das „Selbstverhltnis“ eines vernunftbegabten Subjektes70, das seine Welt nach eigenen Vorstellungen strukturiert, fr deren Wirksamkeit in Handlungsverlufen es selbst mittels dieses Vermçgens sorgt. Damit ist der Wille das Vermçgen, in einer Weise zu handeln, die erklrt, dass jemand nach einem bestimmten (selbst gegebenen) Prinzip gehandelt hat. Willentliches Handeln nach Kant ist daher als ein Handeln zu verstehen, fr das es in einer bestimmten Hinsicht Grnde gegeben hat, die zu der Handlung gefhrt haben. Einen Willen zu haben bedeutet, aus Grnden handeln zu kçnnen.71 Freiheit zeigt sich darin, dass die Handlungen auf Ursachen zurckgehen, die das freie Subjekt sich selbst als Grnde vorlegen kann. Schließlich gibt Kants Begriff des Willens eines vernnftigen Wesens als praktischer Vernunft Auskunft ber das Verhltnis von berlegung und Handlung. Dem Konzept einer praktischen Vernunft zufolge sind die Handlungen selbst berlegt im Sinne ,reflektiert‘. Die Vernunft besteht nicht allein im Verstehen und Begreifen, sondern als praktische Vernunft zeigt sie an, dass man eine entsprechende Handlung will. Dieses Wollen ist ein berlegtes Wollen, in ihm kommt zum Ausdruck, dass ein Subjekt sich mit seinen eigenen Handlungen in der Hinsicht identifiziert, als es sie als beispielhaft fr einen Begriff versteht und will.72 Es ist wichtig, zu betonen, dass diese Definition vom Willen als praktischer Vernunft noch keine Unterscheidung zwischen der empirisch praktischen Vernunft und der reinen praktischen Vernunft enthlt. „Praktische Vernunft“ bezeichnet zunchst die allgemeine Fhigkeit vernnftiger Wesen, aus Grnden handeln zu kçnnen, die es sich selbst vorgibt. Es ist diese grundlegende Fhigkeit, in der sich Menschen von 70 Gerhardt: Immanuel Kant, 209. 71 Diese Ansicht vertritt Hill: „Strictly, the will is not even a hidden, unobservable event in time; to ascribe a will to a person is not to refer to mysterious event or thing but merely to say, without further explanation, that the person has a capacity to make things happen in a way that makes appropriate the explanation ‘His reason…,’ ‘He was guided by the principle…,’ etc.“ (Hill: „The Rationality of Moral Conduct“, 107). hnlich sieht es Wolff, fr den „einen Willen haben“ nach Kant bedeutet, durch Vernunft bestimmbar zu sein (vgl. The Autonomy of Reason, 216). 72 Vgl. hierzu Paton: Der kategorische Imperativ, 97, 88.
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Tieren unterscheiden. Kant untersttzt dieses moralneutrale Verstndnis von „praktischer Vernunft“, wenn er den Gebrauch der Willkr mittels praktischer Vernunft in der Religion als auszeichnendes Merkmal der „Anlage[.] fr die Menschheit“ bezeichnet (Rel 6:27). Praktische Vernunft kommt dem Menschen demnach als lebendes und vernnftiges Wesen zu (vgl. Rel 6:26, 28). Betrachtet man den Menschen hingegen auf der Ebene seiner „Persçnlichkeit“ (Rel 6:27), so ist es die Fhigkeit der reinen praktischen Vernunft, die ihn als ein der Moralitt und der Zurechnung fhiges Wesen auszeichnet (vgl. Rel 6:26 – 28).73 Die Grnde, die sich ein Subjekt durch das Vermçgen seiner praktischen Vernunft gibt, mssen also nicht schon moralische Grnde sein, und die allgemeine Regel, auf das sich das Subjekt qua seiner Vernunft in seinem Handeln bezieht, muss nicht notwendigerweise das Sittengesetz sein. Es kçnnen auch einfach pragmatische Grnde sein, die dennoch widerspiegeln, dass eine Handlung in einer bestimmten Hinsicht aus der Perspektive des Subjektes berlegt gewesen ist. Kant bezeichnet die solchen pragmatischen Entscheidungen und Handlungen zugrunde liegenden Regeln als „Ratschlge der Klugheit“, die Regeln der „vernnftigen Selbstliebe“ sind, und als „Regeln der Geschicklichkeit“ (GMS 4:415 f.). Handlungen, die auf solchen pragmatischen Grnden beruhen, zeigen an, dass ein Subjekt die Handlung aufgrund subjektiver Zwecke will und sie daher als ,gut‘ und ausfhrenswert beurteilt. Aus der Perspektive der empirisch praktischen Vernunft ist diese Handlung rational und auch geboten. Ein vernnftiges Subjekt, das sich bestimmte pragmatische Grnde vorlegt, die fr eine Handlung sprechen – z. B. weil sie das Mittel bereitstellt, um einen bestimmten Zweck zu verwirklichen – will diese Handlung auch, insofern es 73 Dies heißt jedoch nicht, dass dem Menschen seine auf empirischen Beweggrnden beruhenden Handlungen nicht zugerechnet werden kçnnen. Dies wre nur dann der Fall, wenn der Mensch ber die dritte „A n l a g e z u m G u t e n “ (Rel 6:26), die „Anlage fr die Persçnlichkeit“ (Rel 6:27), nicht verfgte. Solche Wesen sind Kants Ansicht nach durchaus denkbar (vgl. Rel 6:26 Anm.). Der Mensch jedoch muss immer als ein Wesen betrachtet werden, dem alle drei Anlagen (Tierheit, Menschheit, Persçnlichkeit) gleichzeitig zukommen; „sie gehçren zur Mçglichkeit der menschlichen Natur“. Die Anlage zur Persçnlichkeit macht ihn zu einem moralischen Wesen und damit alle seine Handlungen zu zurechenbarem Verhalten: „Wre dieses Gesetz [das Sittengesetz] nicht in uns gegeben, wir wrden es als ein solches durch keine Vernunft herausklgeln, oder der Willkr anschwatzen: und doch ist dieses Gesetz das einzige, was uns der Unabhngigkeit unsrer Willkr von der Bestimmung durch alle andern Triebfedern (unsrer Freiheit) und hiemit zugleich der Zurechnungsfhigkeit aller Handlungen bewußt macht“ (Rel 6:26 Anm.).
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II. Praktische Vernunft: Vernunft und Freiheit
sich rational verhlt. In dieser Hinsicht wird die empirische Vernunft praktisch durch „widerspruchsfreie Systematisierung von Neigungen und Handlungsoptionen“.74 Reine praktische Vernunft hingegen operiert dann, wenn eine Handlung nicht aufgrund rein subjektiver Zwecke gewollt wird, sondern aufgrund eines objektiven Prinzips, das eine Handlung als ,an sich gut‘ und das heißt ohne Bezug auf ein subjektives Wollen bzw. unbedingter Weise vorstellt. Kant ist der Ansicht, dass es nur ein einziges unbedingtes objektives Prinzip gibt, das als allgemeine Regel einem Handeln aus reiner praktischer Vernunft zugrunde liegt: das Gebot der Sittlichkeit (vgl. GMS 4:416). 2. Begehrungsvermçgen, menschliche und tierische Willkr Das Vermçgen, etwas zu begehren, kommt nach Kant lebenden Wesen im Allgemeinen zu und unterscheidet den Menschen noch nicht vom Tier. Wie Kant wiederholt bemerkt hat, ist es grundstzlich erst einmal Ausdruck fr die „Lebenskraft“ (KpV 5:23 Anm.), die das Wirken eines Organismus kennzeichnet. Den Zusammenhang der Begriffe des Lebens und des Begehrens verdeutlicht Kant schon darin, dass er die Definitionen der beiden Begriffe wiederholt miteinander kombiniert. So heißt es in der Kritik der praktischen Vernunft: Leben ist das Vermçgen eines Wesens, nach Gesetzen des Begehrungsvermçgens zu handeln. Das Begehrungsvermçgen ist das Vermçgen desselben, durch seine Vorstellungen Ursache von der Wirklichkeit der Gegenstnde dieser Vorstellungen zu sein (KpV 5:9 Anm.).75
Der Begriff des Lebens gehçrt zu den Termini in Kants Philosophie, die Kant an verschiedenen Stellen seines Werkes und in unterschiedlichen Kontexten aufgreift, die jedoch keinem grundlegenden Bedeutungswandel in der Entwicklung seines Denkens unterworfen sind. So entwickelt Kant in der Kritik der Urteilskraft im Anschluss an die grundlegende Definition aus der Kritik der praktischen Vernunft eine ausfhrliche Theorie des Le74 Willaschek: Praktische Vernunft, 64 f. 75 In der Parallelstelle in der „Einleitung“ zur Metaphysik der Sitten behlt Kant diese Definitionen bei, whlt aber eine andere Reihenfolge, indem er mit dem Begriff des Begehrungsvermçgens beginnt: „B e g e h r u n g s v e r m ç g e n ist das Vermçgen durch seine Vorstellungen Ursache der Gegenstnde dieser Vorstellungen zu sein. Das Vermçgen eines Wesens, seinen Vorstellungen gemß zu handeln, heißt das L e b e n “ (MS 6:211).
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bendigen. Dabei ist die Unterscheidung der Organisation und Wirkungsweise des menschlichen Organismus von dem der Tiere von besonderem Interesse. Tiere sind Kants Ansicht nach wie Menschen in der Lage, „nach Vorstellungen zu handeln“ (KU 5:464 Anm.). Sie sind, darin grenzt sich Kant von Descartes ab (vgl. KU 5:464 Anm.), keine Maschinen, sondern verfgen mit dem Begehrungsvermçgen zumindest in einem bestimmten Maße ber die Fhigkeit, ihre Umwelt fr ihre subjektiven Bedrfnisse zu nutzen und sich in ihr nach eigener Willkr zu bewegen. Dabei wirken sie auf ihre Umwelt ein, indem sie durch Instinkte zu ihren ,Handlungen‘ angetrieben werden; ihre Vorstellungswelt ist auf sinnliches Material beschrnkt. Vom Menschen unterscheidet sich das Tier darin, dass es durch Vorstellungen von Gegenstnden zwar zur Ttigkeit angetrieben wird, sich jedoch keine eigenen Zwecke setzt. Whrend daher das Tier ausschließlich nach Zwecken ,handelt‘, die ihm seine Bedrfnisstruktur vorgibt, wird der Mensch durch Vorstellungen nicht einfach angetrieben, sondern bestimmt sich als rationales Wesen nach eigenen Vorstellungen zum Handeln. Die berlegte Zwecksetzung ermçglicht eine Distanzierung zu seiner eigenen Sinnlichkeit, die dem Tier nicht gegeben ist.76 So kçnnen Menschen durch Empfindungen beeinflusst werden, sie mssen es aber nicht. Sie kçnnen ebenso gut, wenn auch mit grçßerem Aufwand, auf die sinnlichen Eindrcke reflektieren und sich zu ihnen verhalten. Die Handlungen eines reflektierenden Wesens sind durch Vorstellungen vermittelt, die nicht allein auf den sinnlichen Inputs beruhen, durch die tierisches Verhalten bestimmt wird, sondern aus rationalen Erwgungen hervorgehen. Diese kausalen Faktoren im menschlichen Handeln sind ,Gedanken‘, die sich durch ihre rationale Quelle von den auf bloßen Empfindungen beruhenden Ursachen tierischen Verhaltens unterscheiden.77 76 In diesem Sinne heißt es in der Grundlegung: „Der Wille wird als ein Vermçgen gedacht, der Vorstellung gewisser Gesetze gemß sich selbst zum Handeln zu bestimmen. Und ein solches Vermçgen kann nur in vernnftigen Wesen anzutreffen sein. Nun ist das, was dem Willen zum objectiven Grunde seiner Selbstbestimmung dient, der Zweck […]“ (GMS 4:427). 77 In der Spitzfindigkeit begrndet Kant die fehlende kognitive Leistung von Tieren in Handlungssituationen damit, dass sie Gegenstnde zwar „kennen“, aber nicht „erkennen“ (Spitzfindigkeit 9:64 f.). Ihre „Ttigkeit“ besteht daher darin, durch Instinkte Bedrfnisse zu befriedigen und das heißt auf Reize durch Empfindungen und Reaktionsmuster erfolgreich zu reagieren, nicht aber in einer Art rationalreflektierender Intervention gegenber sinnlichen Reizen, wie sie Menschen
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II. Praktische Vernunft: Vernunft und Freiheit
Das Vermçgen, aus vernnftigen berlegungen zu handeln, ist nach Kant entscheidend fr das menschliche Vermçgen der Zwecksetzung: die freie Willkr. Die Fr e i h e i t i m p r a k t i s c h e n Ve r s t a n d e ist die Unabhngigkeit der Willkr von der N ç t i g u n g durch Antriebe der Sinnlichkeit. Denn eine Willkr ist s i n n l i c h , so fern sie p a t h o l o g i s c h (durch Bewegursachen der Sinnlichkeit) a f f i z i e r t ist; sie heißt bloß t i e r i s c h (arbitrium brutum), wenn sie pathologisch n e z e s s i t i e r t werden kann. Die menschliche Willkhr ist zwar ein arbitrium sensitivum, aber nicht brutum, sondern liberum, weil Sinnlichkeit ihre Handlung nicht notwendig macht, sondern dem Menschen ein Vermçgen beiwohnt, sich, unabhngig von der Nçtigung durch sinnliche Antriebe, von selbst zu bestimmen (KrV A 533 f./B 561 f.).78
Interessen und Neigungen („Bewegursachen der Sinnlichkeit“) kçnnen menschliches Handeln daher beeinflussen und sind in allen Handlungsentwrfen auch gegenwrtig. Sie sind jedoch keine Determinanten des Tuns. Seine Freiheit ermçglicht es dem Menschen im Gegenteil, verschiedene Handlungsalternativen zu bercksichtigen und sich nach berlegung und Reflexion fr eine Option zu entscheiden. Weil Menschen aufgrund dieser Freiheit ihrer Willkr zumindest in einem bestimmten Maße selbst bestimmen kçnnen, inwiefern sinnliche Reize sie in ihren Handlungen beeinflussen, ist ihre Willkr ein „Vermçgen nach Belieben zu thun oder zu lassen“ (MS 6:213). Im Gegensatz dazu ,handeln‘ Tiere gerade nicht „nach Belieben“, sondern ausschließlich nach Instinkten; sie entscheiden oder whlen nicht, denn ihre Willkr ist nicht reflektiert, sondern „blind“.79 Obwohl sie ber das Vermçgen einer Willkr verfgen und sich dieses im Dienste der Instinkte erfolgreich in ihre Bedrfnisstruktur einfgt, kann von selbst gewhltem Verhalten bei ihnen nicht die Rede sein. mçglich ist. – Mit seiner Auffassung, Tiere kçnnten nicht denken, schließt sich Kant an ein allgemein vertretenes (Vor-)Urteil seiner Zeit an. Diese These ist umstritten, wenn nicht sogar durch aktuelle Ergebnisse in der empirischen Forschung und neue Modelle in der Philosophie des Geistes widerlegt. Vgl. fr einen berblick und ein Pldoyer fr das Denken der Tiere die Darstellung bei Wild: Tierphilosophie zur Einfhrung. 78 Diese Definition von Willkr bernimmt Kant sinngemß 1790 in „Einleitung in die Metaphysik der Sitten“; vgl. MS 6:213 f. 79 „Die Willkhr ist entweder blinde oder freye Willkhr (brutum oder liberum). […] Die blinde Willkhr ist die, so durch Antriebe (stimulos) necessitirt und bestimt wird. Die Unabhngigkeit der Willkhr von den stimulis ist die Freyheit. Der acuts der Freyheit geschieht nach Belieben, der thierischen Wilkhr nach instinct“ (Refl. 1028, 15:460; 1776 – 78).
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Dass Menschen in ihren Handlungsvollzgen zwar sinnlich ,affizierbar‘, jedoch durch ihre Affektionen nicht determiniert sind, ist fr Kant sowohl in handlungstheoretischer als auch in moralphilosophischer Hinsicht von besonderer Bedeutung. Die Sinnlichkeit des Menschen zeigt sich fr Kant im Allgemeinen in der Fhigkeit, durch die von den Gegenstnden ausgehende Affektion zu Vorstellungen zu kommen (vgl. KrV A 19/B 33). In der Kritik der reinen Vernunft, in der die Empfnglichkeit fr die Vorstellungen als eine „Grundquelle des Gemths“ beschrieben wird, bezeichnet Kant einen Zustand als sinnlich, der „nur die Art enthlt, wie wir von Gegenstnden affiziert werden“ (KrV A 50 f./B 74 f.). Ein solcher sinnlicher Zustand kann eine Empfindung oder eine Anschauung sein. Eine Empfindung definiert Kant als „Wirkung eines Gegenstandes auf die Vorstellungsfhigkeit, so fern wir von demselben affiziert werden“ (KrV A 19/B 34). So wie nun alle Anschauungen „auf der Rezeptivitt der Eindrcke“ basieren (KrV A 68/B 93) und ein (er)leidendes Gemt voraussetzen, das sie empfngt (vgl. z. B. Anth 7:140), so haben die Begierden ihren Ursprung ebenso in einer rezeptiven Veranlagung des Menschen: hier als einem begehrenden, mit einer Willkr ausgestatteten Wesen. Die Empfnglichkeit fr sinnliche Eindrcke durch das Vermçgen, zu begehren, ußert sich in Lust oder Unlust an einem vorgestellten Gegenstand. Kant bezeichnet diese Empfnglichkeit in der Metaphysik der Sitten als Gefhl (vgl. z. B. MS 6:211)80. Sinnlichkeit zeigt sich also in der rezeptiven Leistung des Vermçgens eines Subjektes, dem diese Sinnlichkeit unterstellt wird: Es wird affiziert. In ihrer grundlegenden Rolle, die sie fr menschliches Wirken berhaupt spielt, nimmt die Sinnlichkeit die Funktion eines Schlsselbegriffs in der Kantischen Philosophie ein. So ist der Mensch mit seiner Sinnlichkeit 80 Auch in einer frhen Reflexion ist dieser Gedanke bereits enthalten: „Die receptiviaet der stimulorum ist das Gefhl“ (Refl. 1009, 15:450; ca. 1769 – 76). Eine Parallelstelle zu MS 6:211 findet sich in § 3 der Analytik der Kritik der praktischen Vernunft, wo Kant die „materialen praktischen Prinzipien“ unter das Prinzip der Selbstliebe und der eigenen Glckseligkeit subsumiert, weil sie allesamt nur unter Voraussetzung des Gefhls der Lust den Willen bestimmen. In diesem Zusammenhang heißt es: „Die Lust aus der Vorstellung der Existenz einer Sache, so fern sie ein Bestimmungsgrund des Begehrens dieser Sache sein soll, grndet sich auf der E m p f n g l i c h k e i t des Subjects […]; mithin gehçrt sie dem Sinne (Gefhl) und nicht dem Verstande an […]“ (KpV 5:22). Mit Bezug auf diesen Aspekt seiner Theorie der Sinnlichkeit ist eine terminologische Kontinuitt in Kants Werk zu beobachten.
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in allen Lebensvollzgen konfrontiert. Auch auf reiner Selbstbestimmung beruhendes Handeln findet beim Menschen daher unter der Prmisse der Sinnlichkeit statt. Ein sinnlich-affizierbares Subjekt tritt immer unter der Voraussetzung zum Handeln an, dass sinnliche Einflsse Eingang in das Gemt finden. So verspren Menschen jederzeit ein Bedrfnis, zunchst diejenigen Ansprche zu befriedigen, die ihnen durch ihre Sinnlichkeit aufgegeben sind. Kant hat dies vor Augen, wenn er in der Kritik der praktischen Vernunft schreibt, daß die Materie des Begehrungsvermçgens (Gegenstnde der Neigung […]) sich zuerst aufdringt, und unser pathologisch bestimmbares Selbst […], gleich als ob es unser ganzes Selbst ausmachte, seine Ansprche vorher und als die ersten und ursprnglichen geltend zu machen bestrebt [ist] (KpV 5:74).
Inwiefern Sinnlichkeit das Verhalten eines Menschen tatschlich bestimmt, liegt jedoch an ihm selbst. Als freies Wesen ist er in der Lage, sein Handeln als bewussten Gegenentwurf zu den ,Vorschlgen‘ zu gestalten, die seine Sinnlichkeit an ihn herantrgt. Kants Unterscheidung zwischen einem „unteren“ und einem „oberen Begehrungsvermçgen“ fgt sich sachlich ein in seine Analyse der Vermçgensstruktur des Menschen als eines sinnlich beeindruckbaren und gleichzeitig vernunftbegabten und reflektierenden Wesens. In den ,kritischen‘ Schriften taucht die Unterscheidung zwischen zwei Arten des Begehrungsvermçgens nur sporadisch auf (vgl. z. B. KU 5:178); mit Ausnahme der ersten Anmerkung zum § 3 in der Analytik der Kritik der praktischen Vernunft wird ihr kein eigener Diskussionsabschnitt gewidmet. An Stellen, an denen sich weitergehende Ausfhrungen inhaltlich angeboten htten (wie zum Beispiel dort, wo Kant den Begriff des Begehrensvermçgens definiert, vgl. u. a. KpV 5:9 und MS 6:213), wird die Unterscheidung nicht verwendet, wohl aber, wo der Argumentationsgang eine Auseinandersetzung mit Kants Gegnern in der Ethik erfordert, wie es in der einzigen ausfhrlichen Stelle in der Kritik der praktischen Vernunft (vgl. KpV 5:22 f.) der Fall ist. Es deutet daher alles darauf hin, dass es sich bei Kants Aufteilung des Begehrungsvermçgens in einen ,unteren‘ und einen ,oberen‘ Teil um ein begriffliches Relikt der Tradition handelt, das beweist, wie sehr Kants Denken nicht nur in seinen Anfngen von dieser Tradition und von der Auseinandersetzung mit den durch sie weitergegebenen Begrifflichkeiten geprgt gewesen ist. In Anlehnung an Baumgartens Terminologie von der „facultas appetitiva inferior“ als dem Vermçgen sinnlicher Begierden und der „facultas appetitiva superior“ als dem Vermçgen vernnftiger Begier-
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den81 unterscheidet Kant das Vermçgen, aufgrund sinnlicher Eindrcke und Begriffe zu begehren, von dem Vermçgen, ausschließlich Vernunftgrnde als Ursachen der Begierde zulassen zu kçnnen (vgl. KpV 5:22 ff.). Nach Kant ist nun das Begehren immer mit einem Gefhl der Lust oder Unlust verbunden (vgl. z. B. MS 6:21; KU 5:178), aber erstens „nicht immer umgekehrt“ (MS 6:211), und zweitens ist das Gefhl der Lust oder Unlust nicht immer Ursache, sondern kann auch Wirkung des Begehrens sein. Hierin und nicht, wie die „sonst scharfsinnige[n] Mnner“ (KpV 5:22) der Schulmetaphysik behaupteten, in der – sinnlichen oder intellektuellen – Vorstellung, die die Lust oder Unlust auslçst, liegt der Kern der Unterscheidung zwischen einem oberen und einem unteren Vermçgen des Begehrens: Denn es kommt, wenn man nach den Bestimmungsgrnden des Begehrens frgt und sie in einer von irgend etwas erwarteten Annehmlichkeit setzt, gar nicht darauf an, wo die Vo r s t e l l u n g dieses vergngenden Gegenstandes herkomme, sondern nur wie sehr sie v e r g n g t (KpV 5:23 Anm.).
Da alle Lust zum Gefhl gehçrt (vgl. KpV 5:22) und dieses immer sinnlich ist (vgl. KpV 5:75), das obere Begehrungsvermçgen aber gerade eines ist, das „nicht im Dienste der Neigungen ist“ (KpV 5:25 Anm.), kann ein Begehren, das aus Lust oder Unlust bestimmt wird, niemals Ausdruck des oberen Begehrungsvermçgens sein. Ein oberes Begehrungsvermçgen gibt es berhaupt nur, wenn „reine Vernunft […] fr sich allein praktisch [ist], d. i. ohne Voraussetzung irgend eines Gefhls […] den Willen bestimm[t]“ (KpV 5:24 f. Anm.). Zu zeigen, dass reine Vernunft praktisch sein kann und das heißt auch: dass es ein oberes Begehrungsvermçgen gibt, ist Kants Aufgabe und Ziel in der Kritik der praktischen Vernunft. Dass Kant die von der Schulmetaphysik weitergegebene Unterscheidung des Begehrungsvermçgens in ein „unteres“ und ein „oberes“ an dieser Stelle aufgreift, ist im Kontext dieser Zielsetzung zu sehen. Er wendet sich damit sowohl gegen gefhlsethische als auch gegen rationalistische Konzeptionen des Wollens und Handelns. So ist ihm zum einen daran gelegen, jenen „sonst scharfsinnige[n] Mnner[n]“ zu widersprechen, die jede Willensbestimmung durch das Gefhl der Lust und Unlust vermittelt sehen und „der reinen Vernunft das Vermçgen, ohne Voraussetzung irgend eines Gefhls den Willen zu bestimmen, gerne ab81 Vgl. dazu den Abdruck von Baumgartens „Psychologia Empirica“ aus der Metaphysica mit Kants Erluterungen in Band 15 der Akademieausgabe von Kants Werken, hier 15:48 f. Dem Abdruck der Schrift in der Akademieausgabe liegt die von Kant benutzte 4. Auflage der Metaphysica von 1757 zugrunde.
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streiten mçchten“ (KpV 5:23 f. Anm.). Damit grenzt Kant sich nicht nur – wie es zunchst scheinen mag – von den gefhlsethischen Skeptikern gegenber dem Konzept einer praktischen Vernunft ab, sondern widerspricht auch Rationalisten wie Wolff, nach dessen Konzeption einer menschlichen Psychologie jede Vorstellung des Guten (d. h. bei Wolff: des Vollkommenen) angenehme Gefhle auslçst, so dass die Seele Lust bei der Betrachtung des Guten versprt, die ihrerseits den Willen beeinflusst.82 Außerdem will er im Gegensatz zu seinen rationalistischen „Gegnern“ zeigen, dass Handlungen aus rein vernnftiger berlegung mçglich sind, auch wenn das Begehren durch die Vernunft nicht schon notwendigerweise bestimmt ist, so dass auf die Erkenntnis des moralisch Richtigen ohne Ausnahme die entsprechende Handlung folgt. Vor dem Hintergrund des Anliegens, moralisches Handeln als Handeln aus reinen Vernunftgrnden aufzuzeigen, geht es Kant also darum, durch Gefhle der Lust und Unlust beeinflusste Anstrengungen des Begehrungsvermçgens von vornherein als moralische Beweggrnde auszuschließen.83 Wenn Kant die reine praktische Vernunft hier daher als „oberes“, die empirisch bedingte praktische Vernunft aber als „unteres“ Begehrungsvermçgen bezeichnet, dann weist er der reinen Vernunft als dem Vermçgen der Willensbestimmung nicht nur einen argumentativen Ort zu, sondern rumt ihr auch begrifflich die Eigenstndigkeit ein, die ihre Unterscheidung von der empirisch bedingten, ,nur‘ praktischen (nicht reinen praktischen) Vernunft verdeutlicht. Am besten geeignet scheint Kant in dieser Hinsicht der Begriff des oberen Begehrungsvermçgens zu sein, weil er folgendes vermittelt: Die Bestimmung des Willens aus reinen Vernunftgrnden ohne das Gefhl der Lust und Unlust ist so verschiedenartig von einer Willensbestimmung, die auf dem Prinzip der Selbstliebe oder der eigenen Glckseligkeit beruht, dass damit eine ganz eigene Art des Begehrens bezeichnet wird. Diese Eigenheit fasst er im traditionellen Begriff des ,oberen Begehrens‘ zusammen.
82 Vgl. Wolff: Vernnfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, z. B. 404, 434. 83 Das heißt natrlich nicht, dass Gefhle der Lust und Unlust in moralischen Handlungen per se nicht erlaubt sind. Die Forderung ist nur, dass sie nicht die leitenden Prinzipien des Handelns sind.
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3. Praktische Sinnlichkeit: Begierde, Neigung, Interesse, Lust Kants Ziel in der Kritik der praktischen Vernunft ist es, zu zeigen, dass „reine Vernunf t […] fr sich allein praktisch sein [kann]“ (KpV 5:24), was heißt: dass es auch eine Bestimmung des Willens allein durch Vernunftgrnde geben kann. Die Analyse des reinen, sinnlich unbedingten Wollens ist hier und auch schon in der Grundlegung stets durch eine Untersuchung des empirisch bedingten Begehrungsvermçgens begleitet.84 Wer z. B. verstehen will, was es heißt, dass das Gute das ist, „was die Vernunft unabhngig von der Neigung als praktisch nothwendig […] erkennt“ (GMS 4:412), der muss zunchst wissen, was es mit den Neigungen auf sich hat. In der Grundlegung definiert Kant den Begriff der Neigung folgendermaßen: „Die Abhngigkeit des Begehrungsvermçgens von Empfindungen heißt Neigung, und diese beweiset also jederzeit ein Bedrfnis“ (GMS 4:413 Anm.). Dass Menschen in ihrem Wollen „abhngig“ von Empfindungen sind, heißt, dass sie durch sinnliche Reize, die sich ihnen als Empfindungen darbieten, beeinflussbar sind.85 „Unabhngig“ von Empfindungen wre hingegen ein Begehrungsvermçgen, das diesen Reizen gegenber gleichgltig ist, also z. B. der Wille eines nicht-endlichen Wesens. Wie Kant in der Anthropologie auseinandersetzt, gehçren Neigungen, wie Wnsche und Leidenschaften, zu den Begierden (vgl. Anth 7:251). Die Begierden machen diejenige Seite am menschlichen Begehrungsvermçgen aus, die man auch als ,konativ‘ bezeichnen kann.86 Sie sind auf die Vorstellung eines Gegenstandes oder eines Ereignisses gerichtet, die ihrerseits von Lustgefhlen begleitet ist.87 Wird eine Begierde habitualisiert, so handelt es sich bei ihr um eine Neigung (vgl. Rel 6:28; Anth 7:251). 84 Zum Einfluss der empirischen Psychologie Wolffs und Baumgartens auf die kantische Handlungstheorie insbesondere seit der Grundlegung vgl. z. B. die Darstellung bei Baum: „Gefhl, Begehren und Wollen in Kants praktischer Philosophie“. 85 „Empfindung“ bezeichnet Kant in der Kritik der reinen Vernunft als „die Wirkung eines Gegenstandes auf die Vorstellungsfhigkeit, so fern wir von demselben affiziert werden“ (KrV A 19/B 34). 86 Vgl. hierzu Beck: A Commentary on Kant’s Critique of Practical Reason, 90. 87 Kant hat seine Definition von „Begierde“ innerhalb seiner Schriften nicht grundlegend gendert. In der Deutlichkeit weist er darauf hin, „daß eine jede Begierde eine Vorstellung des Begehrten voraussetze, daß diese Vorstellung eine Vorhersehung des Knftigen sei, daß mit ihr das Gefhl der Lust verbunden sei […]“ (Deut 2:284). In der Metaphysik der Sitten ist die Begierde Ausdruck fr das
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II. Praktische Vernunft: Vernunft und Freiheit
Ihre sinnliche Veranlagung bringt es nach Kant also mit sich, dass Menschen Neigungen herausbilden und sich außerdem in ihren Handlungen und Entscheidungen in nicht unwesentlichem Maße von diesen subjektiven Prferenzen leiten lassen. So machen „alle Neigungen zusammen […] die Selbstsucht (solipsismus) aus“ (KpV 5:73), und der Drang, die Befriedigung der eigenen (sinnlichen) Bedrfnisse jedem anderen Handlungsprinzip voranzustellen, ist sogar ein grundlegendes Merkmal seiner endlichen Natur88 : „Der Mensch ist ein bedrftiges Wesen, so fern er zur Sinnenwelt gehçrt, und so fern hat seine Vernunft allerdings einen nicht abzulehnenden Auftrag von Seiten der Sinnlichkeit, sich um das Interesse derselben zu bekmmern […]“ (KpV 5:61). Nun gehçren Neigungen nach Kant zur menschlichen Natur und sind nicht per se verwerflich.89 So liegt es im Ermessen des Handelnden, ob er aus Neigung handelt oder nicht. Problematisch werden Neigungen daher erst, wenn sie zu Grundstzen gemacht und als solche verabsolutiert werden. Erst dann werden sie zu Gegnern sowohl der empirisch-praktischen als auch der reinen praktischen Vernunft.90 Im ersten Fall werden nur Klugheitsregeln nicht befolgt, im zweiten Fall, wenn reine praktische Vernunft unttig bleibt, bleiben die Forderungen des moralischen Gesetzes unerfllt. Kant bezeichnet die Modifikationen sinnlicher Affizierbarkeit, bei denen die Ttigkeit der Vernunft im Handeln untergraben wird, als lustvolle Begehren eines Gegenstandes, dessen Vorstellung auf das Gefhl wirkt (vgl. MS 6:212). Und noch in der Anthropologie bezeichnet er die Begierde als „die Selbstbestimmung der Kraft eines Subjects durch die Vorstellung von etwas Knftigem als einer Wirkung desselben“ (Anth 7:251). 88 Kant bezeichnet diese Eigenschaft des Menschen (als endliches Wesen), sich die eigene Glckseligkeit zum obersten Zweck zu machen, als Selbstliebe (vgl. z. B. KpV 5:22, 74; Rel 6:45 f.). Zum Prinzip der Selbstliebe als dem grundlegenden empirisch-praktischen Grundsatz endlicher Subjekte siehe Kap. 5, § 1, 4. 89 In der Religion betont Kant, dass die von der animalischen Veranlagung stammenden Instinkte und Neigungen zwar der Nhrboden fr „Laster“ sind, diese „aber nicht aus jener Anlage als Wurzel von selbst entsprießen“ (Rel 6:26). Er kritisiert in diesem Zusammenhang die Stoiker, die „ihren Feind [verkannten]“, den sie in den Neigungen suchten (Rel 6:57). 90 Kant drckt diesen Gedanken in der Wendung aus, die „Freiheit der Willkr [sei] von der ganz eigenthmlichen Beschaffenheit, daß sie durch keine Triebfeder zu einer Handlung bestimmt werden kann, a l s n u r s o f e r n d e r Me n s c h s i e i n s e i n e M a x i m e a u f g e n o m m e n h a t […]“ (Rel 6:23 f.). Allison fasst diese Idee in seiner „Incorporation Thesis“ zusammen: Triebfedern mssten immer erst in Maximen ,inkorporiert‘ werden, damit sie eine praktische Funktion im Handeln haben, das seinerseits ein zurechenbares Verhalten ist (vgl. Kant’s Theory of Freedom, 5 f., 40, 126).
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Leidenschaften und Affekte.91 Sie entstehen, wenn die sinnlichen Antriebe ,unter sich‘ und von dem Vermçgen reiner praktischer Vernunft unbeeinflusst bleiben. Gefhle werden auf diese Weise zu Affekten, Neigungen zu Leidenschaften (vgl. z. B. Anth 7:251). Gefhle und Neigungen stellen sich dem Subjekt in Graden dar. Eine starke Intensitt des Gefhls begnstigt den Affekt, der einen emotionalen Ausnahmezustand darstellt, in dem die Person die Fassung verliert.92 Dabei ist es jedoch „nicht die Strke eines gewissen Gefhls, welche den Zustand des Affects ausmacht, sondern der Mangel der berlegung, dieses Gefhl mit der Summe aller Gefhle (der Lust und Unlust) in seinem Zustande zu vergleichen“ (Anth 7:254). Daher ist der Affekt als bersteigerte, bereilte und unbesonnene Empfindung zu verstehen, die so beherrschend ist, dass das Urteil der Vernunft ausbleibt (vgl. Anth 7:252; V-PP/Pow 27:206). Als Affekte bezeichnet Kant zum Beispiel Freude, Liebe und Furcht. Anders als die Affekte, die dem Gefhl ,angehçren‘, sind die Leidenschaften Bestandteil des Begehrungsvermçgens (vgl. Rel 6:28 Anm.). Unter einer Leidenschaft versteht Kant eine bersteigerte Neigung, die entsteht, wenn wir uns unter dem Einfluss unserer Sinnlichkeit der Mçglichkeit berauben, eine Neigung (vernnftig) zu reflektieren und in einem Akt der berlegung „mit der Summe aller Neigungen zu vergleichen“ (Anth 7:265). Affekte und Leidenschaften hneln einander darin, dass es sich bei beiden um Wirkungen der Sinnlichkeit eines vernunftbegabten Subjektes handelt, dessen Endlichkeit und Bedrftigkeit in diesen beiden Gemtsverfassungen zum Ausdruck kommt. Sie unterscheiden sich aber sowohl in ihrer genaueren Beschaffenheit als auch in ihrer moralischen Qualitt. So ist die Herausbildung von Affekten nach Kant in der Veranlagung des einzelnen Subjekts begrndet, whrend Leidenschaften auf die „blinde[…] Sinnlichkeit“ (V-PP/Pow 27:204 f.) des Menschen zurckzufhren sind, dem es dort an Selbstbeherrschung mangelt, wo diese mçglich und angebracht ist. Whrend es daher schwieriger ist, Kontrolle ber seine Gefhle zu behalten und Verhalten im Affekt zu vermeiden, weil sie einer natrlichen Disposition geschuldet sind, haben Leidenschaften ein berlegendes, berechnendes Element. So wie Menschen nicht einfach Neigungen ,haben‘, sondern fr deren Heraus91 Zu Kants Theorie der Entstehung von Affekten und Leidenschaften vgl. Wood: Kant’s Ethical Thought, 251 ff. 92 Diese alltgliche Redewendung wird von Kant selbst in seiner Definition des Affekts verwendet: „Der Affekt ist berraschung durch Empfindung, wodurch die Fassung des Gemths (animus sui compos) aufgehoben wird“ (Anth 7:252).
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II. Praktische Vernunft: Vernunft und Freiheit
bildung selbst verantwortlich sind, so sind sie auch aktiv daran beteiligt, dass diese Neigungen zu Leidenschaften werden: Leidenschaft setzt immer eine Maxime des Subjects voraus, nach einem von der Neigung ihm vorgeschriebenen Zwecke zu handeln. Sie ist also jederzeit mit der Vernunft desselben verbunden, und bloßen Thieren kann man keine Leidenschaften beilegen, so wenig wie reinen Vernunftwesen (Anth 7:266).
Das heißt: Menschen haben zwar aufgrund ihrer Bedrfnisstruktur als endliche (Vernunft-) Wesen einen „Hang“ dazu, bestimmte Neigungen herauszubilden.93 Sie sind jedoch nicht darauf festgelegt, nach diesen Neigungen zu handeln. Diese sind vielmehr „nur Prima-facie-Motive“ fr ein vernunftbegabtes Wesen.94 Daher ist es Kants Ansicht nach auch verwerflich, wenn jemand sich seinen Neigungen ohne Umschweif hingibt und sie in leidenschaftlichem Handeln geradezu kultiviert. Der Verstoß gegen die eigenen rationalen berlegungen aufgrund von Leidenschaften geht nicht nur zu Lasten der eigenen Befindlichkeit95, sondern ist moralisch in hçchster Weise verwerflich und „ohne Ausnahme bçse“ (Anth 7:267). Dies deshalb, weil er auf Vorsatz beruht: „Leidenschaft setzt immer eine Maxime des Subjects voraus“ (Anth 7:267). Zusammengefasst heißt das: Jedes, auch impulsives, trieb- und bedrfnisorientiertes Handeln, setzt voraus, dass ein (vernunftbegabtes) Subjekt es sich zum Prinzip macht, so und nicht anders zu handeln. So wie auch das Handeln nach empirisch praktischer Vernunft ein Handeln nach Maximen ist, so ist ein Handeln aus Neigungen und Gefhlen in be93 „Unter dem Hange (propensio) verstehe ich die subjectiven Grund der Mçglichkeit einer Neigung (habituellen Begierde, concupiscentia) […]“ (Rel 6:28). „H a n g ist eigentlich nur die Pr d i s p o s i t i o n zum Begehren eines Genusses, der, wenn das Subject davon die Erfahrung gemacht hat, Ne i g u n g dazu hervorbringt“ (Rel 6:28 Anm.). 94 Willaschek: Praktische Vernunft, 73. 95 Kant zeigt am Beispiel des Ehrbegierigen, dass diese Neigung zum eigenen Nachteil umschlagen kann, wenn sie von Leidenschaft begleitet ist. Weil er die Ehrbegierde in seiner Leidenschaft ber alle anderen – auch ber die selbstschtigen – Zwecke stellt und dabei vergisst, dass die Befriedigung einer Neigung mit der Befriedigung anderer Neigungen in Zusammenhang steht, so wird auch am Ende sein leidenschaftlich verfolgter Zweck, geehrt zu werden, nicht erreicht. Mçglicherweise versumt er es nmlich, anderen gefllig zu sein, anstatt sich nur vor ihnen herauszustellen und gewinnt damit nicht ihre Hochschtzung, sondern Verachtung. Ein solches Verhalten ist deshalb nicht nur verabscheuenswert, sondern auch unvernnftig, weil sich eine leidenschaftliche Person den eigenen Vorteilen durch Torheit gerade entzieht. Vgl. Anth 7:266.
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stimmter Hinsicht prinzipienorientiert.96 Die Fhigkeit, aus Grnden zu handeln, bedeutet fr Kant daher, aus bestimmten Prinzipien zu handeln, die das (vernunftbegabte) Subjekt aus einer bestimmten Perspektive reflektiert und will – auch wenn es sich aus einer anderen Perspektive von diesem Handeln mçglicherweise schon im selben Moment distanziert. Kant nennt dieses Handeln nach Prinzipien – seien sie subjektiv und bedingt oder objektiv und bedingt oder objektiv und unbedingt – das Handeln nach Maximen. Maximen sind die Prinzipien des Wollens, nach denen eine Handlung beschlossen wird. Eine Handlung wollen heißt, sie nach einem Grundsatz bzw. einer Maxime zu wollen; dies gilt selbst fr neigungsbasiertes Handeln, jedoch nur unter der Bedingung einer freien Willkr: Denn die Freiheit der Willkr ist von der ganz eigenthmlichen Beschaffenheit, daß sie durch keine Triebfeder zu einer Handlung bestimmt werden kann, a l s n u r s o f e r n d e r Me n s c h s i e i n s e i n e Ma x i m e a u f g e n o m m e n h a t (es sich zur allgemeinen Regel gemacht hat, nach der er sich verhalten will) […] (Rel 6:23 f.).97
Die „Prinzipien der Vernunft“ (GMS 4:413) sind einem vernunftbegabten Wesen wie dem Menschen nun nicht gleichgltig; er ist im Gegenteil wesensmßig an ihnen interessiert: „Die Abhngigkeit eines zufllig bestimmbaren Willens aber von Principien der Vernunft heißt ein Interesse“ (GMS 4:413 Anm.). „Interesse“ steht demnach sachlich fr das Verhltnis, in dem ein endliches Vernunftwesen zu den Grundstzen steht, die ihm durch seine Vernunft vorgegeben sind. Es beschreibt diejenige Eigenschaft eines vernunftbegabten Subjektes, sich der Reflexion seiner subjektiven und keineswegs immer normkonformen Bedrfnisse und Vorstze im Lichte vernnftiger berlegungen nicht entziehen zu kçnnen. Da zur Reflexion nur ein Wesen fhig ist, das zum einen unvollkommen und zum anderen vernnftig genug ist, diese Unvollkommenheit zu re96 Damit muss man sich Neigungen nicht erst, wie Kçhl annimmt, ,zu eigen machen‘ (vgl. Kçhl: Kants Gesinnungsethik, 109). Weil sie sich dem Subjekt nicht einfach aufdrngen, sondern den Willen nur insofern beeinflussen, als ein Subjekt in ihnen einen (vermeintlichen) Wert erkennt, der sie mitunter auch zur Handlung antreibt, spielen sie sich nicht allein auf einer ,natrlichen Ebene‘ ab, die man verlassen msste, um sie mçglicherweise als Handlungsgrnde aufzuwerten. Vgl. dazu die Darstellung bei Reath, der dafr argumentiert, die Neigungen selbst schon als Grnde anzusehen, die eine rationale Person gegen andere, gewichtigere Grnde in einem Prozess rationaler Deliberation abwiegt: „Kant’s Theory of Moral Sensibility“, 295 f.; hnlich Wood: Kant’s Ethical Thought, 53. 97 Zur Verbindung von Triebfedern und Maximen im Handeln siehe Kap. 5, § 2, 4.
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II. Praktische Vernunft: Vernunft und Freiheit
gistrieren und im Lichte seiner Mçglichkeiten als intellektuelles Wesen zu beleuchten, sind Endlichkeit und Vernunftfhigkeit Voraussetzungen dessen, was Kant „Interesse“ nennt.98 Dieses Interesse erweist sich als unverzichtbarer Bestandteil rationalen Handelns; es ist das, „wodurch Vernunft praktisch, d. i. eine den Willen bestimmende Ursache, wird“ (GMS 4:459 Anm.). Whrend „vernunftlose Geschçpfe […] nur sinnliche Antriebe“ fhlen (GMS 4:459 Anm.), gehçrt es zur Eigenart vernnftiger Wesen, ihre eigenen Wnsche und Gefhle einer Beurteilung zu unterziehen, Zwecke zu bewerten, eine Haltung zu ihnen einzunehmen und dadurch die Richtung ihres Begehrens selbst zu bestimmen.99 Interessen sind nach diesem Verstndnis praktische Urteile, die ihrerseits die Maximenwahl befçrdern und dafr sorgen, dass bestimmte rationale Vorstellungen zu konstituierenden Faktoren des Wollens und Handelns werden.100 Menschen folgen einem Gegenstand also mit Interesse und sind nicht durch ein faktisches, unbezwingbares und nichtsteuerbares Begehren bestimmt. Kant unterscheidet zwei Formen des Interesses: das „praktische“ (intellektuelle) und das „pathologische“ (empirische) Interesse (GMS 4:413 Anm.).101 Praktisches Interesse haben Menschen aufgrund ihres Vermçgens, etwas unabhngig von subjektiven Absichten als gut zu erkennen und zu wollen. In diesem Vermçgen liegt die Bedeutung des Begriffs einer reinen praktischen Vernunft. Praktisches Interesse liegt dann vor, wenn die Handlung selbst Gegenstand des Interesses ist, nicht ein ber die Handlung hinausgehender Zweck. Die Rolle, die das Interesse fr die Handlung spielt, besteht hier darin, dass es diese aufgrund von berlegung und Bewertung in den Fokus der Betrachtung zieht und ihr mit Blick auf 98 Das Interesse „findet also nur bei einem abhngigen Willen statt, der nicht von selbst jederzeit der Vernunft gemß ist; beim gçttlichen Willen kann man sich kein Interesse gedenken“ (GMS 4:413 Anm.). 99 Grenberg versteht das Interesse in dieser Hinsicht als ein durch rationales Urteilen gefiltertes Begehren, das eine praktische Funktion im Handeln hat. Whrend Zwecke handlungsanweisend sind, sind Interessen Bewertungen bestimmter affektiver Zustnde und gehen nicht auf Objekte, sondern auf den Handelnden selbst und drcken die Haltung aus, die ein Handelnder in Bezug auf ein Objekt der Willkr ausdrckt (vgl. „Feeling, Desire and Interest in Kant’s Theory of Action“, 163 – 169, bes. 167, 169). 100 Vgl. zu diesem Verstndnis von „Interesse“ auch Allison: Kant’s Theory of Freedom, 89. 101 In der „Einleitung“ in die Metaphysik der Sitten spricht Kant statt von „praktischem Interesse“ von „Vernunftinteresse“; das pathologische Interesse ist hier das „Interesse der Neigung“ (MS 6:212 f.).
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alternative Mçglichkeiten in einem praktischen Urteil eine exponierte Stellung zuweist. Kant drckt dies in der Wendung aus, man nehme Interesse an der Handlung (vgl. GMS 4:413 Anm.). Auf diese Weise wird das Vermçgen, aus reinen Vernunftprinzipien zu handeln, durch ein gleichsam praktisches wie intellektuelles Interesse am Guten mit der Lust verbunden, die fr jedes Handeln konstitutiv ist. Die Vernunft hat ein Interesse an derjenigen Handlung, die ihren Geboten gengt. Anders ist es im Falle des sinnlichen Interesses, das auf einen bestimmten subjektiven Zweck geht; Kant nennt ihn allgemein „Gegenstand“.102 Das Bedrfnis, auf das das „pathologische“ Interesse zurckgeht, ist dabei nicht das rationale Bedrfnis nach Reflexion, das Menschen aufgrund ihrer Fhigkeit zukommt, etwas unabhngig von ihrer subjektiven Bedrfnisstruktur zu wollen. Was interessiert, ist im Falle des pathologischen Interesses gerade ein Zweck, der den Menschen speziell als sinnliches Wesen anspricht. Diese Lust am Objekt bringt ihn schließlich dazu, „aus Interesse zu handeln“ (GMS 4:413 Anm.). Die Bedeutung des „Interesses“ fr eine jede Willensbestimmung – ohne Interesse keine Handlung – sagt auch etwas ber die Rolle des Lustempfindens innerhalb der Kantischen Theorie des Wollens aus. So ist Kant der Ansicht, dass „etwas […] wollen und an dem Dasein desselben ein Wohlgefallen haben, d. i. daran ein Interesse zu nehmen, […] identisch“ ist (KU 5:209). Das heißt: Sobald etwas Gegenstand des Begehrungsvermçgens ist, sei es des unteren oder des oberen Begehrungsvermçgens, so ist die Vorstellung des Gegenstandes von Lust begleitet: „Mit dem Begehren oder Verabscheuen ist […] jederzeit Lust oder Unlust, deren Empfnglichkeit man Gefhl nennt, verbunden“ (MS 6:211; vgl. auch KU 102 Kants Redeweise, dass im Falle praktischen Interesses die Handlung, im Falle pathologischen Interesses hingegen der Gegenstand der Handlung interessiert (vgl. GMS 4:413 Anm.), ist verkrzt. Sie suggeriert, dass eine Handlung, die auf ein praktisches Interesse zurckgeht, nicht auf einen Zweck gerichtet ist. Das ist jedoch unmçglich, denn eine jede freie Handlung beinhaltet einen Zweck und kann auch nur im Hinblick auf einen Zweck gewollt werden (vgl. MST 6:385, 389). Daher ist es genauer, zu sagen, das praktische Interesse gehe auf den Zweck der Handlung und nicht auf einen Zweck, der von diesem noch verschieden ist. An einer spteren Stelle in der Grundlegung drckt Kant sich in dieser Hinsicht genauer aus: „Wenn sie [die Vernunft, St. Sch.] aber den Willen nur vermittelst eines anderen Objects des Begehrens, oder unter Voraussetzung eines besonderen Gefhls des Subjects bestimmen kann, so nimmt die Vernunft nur ein mittelbares Interesse an der Handlung […]“ (GMS 4:460; H. v. m.). – Zu Kants nicht immer eindeutiger Verwendungsweise von „Gegenstand“ in diesem und anderem Zusammenhang vgl. Beck: A Commentary on Kant’s Critique of Practical Reason, 91 f.
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II. Praktische Vernunft: Vernunft und Freiheit
5:178). Nun betont Kant zum einen, dass es auch eine Lust gibt, die nicht mit einem Begehren verbunden ist.103 Damit ist zwar Kants Theorie des Begehrens hedonistisch, nicht jedoch seine Theorie der Lust.104 Zum anderen mssen Lust- oder Unlustgefhle nicht immer Ursache, sondern kçnnen auch Wirkung eines Begehrens sein. Eine solche Lust ist „intellectuell“ (und nicht „praktisch“), weil sie auf ein rein rationales Begehren folgt, das seinerseits Lustgefhle auslçst. Kant bezeichnet das der intellektuellen Lust entsprechende Interesse an einem Gegenstand wie z. B. einer Handlung als ein „Vernunftinteresse“ (MS 6:212). Es markiert den seltenen Fall der Verursachung von Interessen allein durch Begriffe (vgl. KU 5:211 f.). Im Falle moralischen Handelns, das durch eine solche intellektuelle Verursachung charakterisiert ist, zeigt sich dies darin, dass es die vernnftige Vorstellung der reinen praktischen Norm ist, die ihrerseits dem moralischen Interesse am Guten zugrunde liegt. Da es selbst nicht durch Lust oder Unlust ausgelçst ist, ist das moralische Wollen nicht sinnlich, sondern intellektuell bestimmt. Das schließt nicht aus, dass es seinerseits Lust oder Unlustgefhle auslçsen kann.105 Kant vertritt daher einen handlungstheoretischen Hedonismus, der davon ausgeht, dass jedes Handeln und jede Motivation in irgendeiner Hinsicht von Lustgefhlen begleitet sind, ohne dass sie damit auch schon Determinanten des Wollens und Handelns sind.106 So ist zwar Kants 103 So beruhen unsere Geschmacksurteile auf einer „blos contemplative[n] Lust“ am Schçnen, die ihrerseits ein „u n t h t i g e s Wo h l g e f a l l e n “ (MS 6:212; KU 5:205: „uninteressirte[s] Wohlgefallen“) ist, weil sie nicht dazu drngt, das vorgestellte Objekt auch besitzen und Ttigkeiten in diese Richtung zu unternehmen (vgl. auch KU 5:204 f., 216 – 219, 223 – 226). 104 Darauf weist Beck hin: A Commentary on Kant’s Critique of Practical Reason, 92. 105 Vgl. zur Bedeutung von „Interesse“ im Zusammenhang mit dem Motivationsproblem Kap. 5, § 2, 3. 106 Kant ist also, entgegen einer weit verbreiteten Ansicht (vgl. z. B. McCarty, der die Diskussion zusammenfasst: Kant’s Theory of Action, 48 – 52), nicht auch ein motivationaler Hedonist. Zwar sind alle Handlungen (mehr oder weniger) durch Gefhle Lust und Unlust fundiert, jedoch nicht auch alle Motivationen. Wenn, wie im Falle des nicht-sinnlichen Begehrens, das Gefhl der Lust eine Wirkung des motivierenden Zustandes (des Begehrens) ist und aus dem intellektuellen Urteil, das die Handlung als objektiv gut ausweist, folgt, dann kann Kants Theorie der Motivation nicht uneingeschrnkt hedonistisch sein. Zumindest nicht in der Hinsicht, dass die Lust immer basal und Richtung weisend fr das Wollen insofern ist, als sie das einzige Motiv des Handelns ist, auf das alle anderen Motive zurckgefhrt werden kçnnen. Zur Auffassung, dass Kant, weil seiner Ansicht nach moralische Motivation nicht hedonistisch ist, auch eine nicht-hedonistische Position in Bezug auf nicht-moralische Motivation vertritt, vgl. z. B. Allison: Kant’s
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Theorie des Begehrens hedonistisch, nicht jedoch seine Theorie der Lust.107 Seiner Ansicht nach erfordert eine jede Handlung ein Interesse und damit ein Gefhl der Lust.108 Whrend es beim sinnlichen Interesse die antizipierte Wirkung der Handlung ist, die ein Lustgefhl bereitet und interessiert, wird das intellektuelle Interesse durch die Vorstellung, bestimmte rationale Grnde sprchen fr eine Handlung, ausgelçst.109 Dieses Interesse hat motivierende Wirkung und wird erfahren durch ein rationales, nicht-sinnliches Begehren, das seinerseits mit einer (intellektuellen) Lust an der Handlung einhergeht. In der Mçglichkeit eines rationalen Interesses am Guten liegt die Voraussetzung fr eine moralische, nicht-sinnliche, rationale Motivation.
Theory of Freedom, 102 f. Zur Kritik der Auffassung, Kants Theorie des nichtmoralischen Begehrens sei ausnahmslos hedonistisch, siehe Reath: „Hedonism, Heteronomy, and Kant’s Principle of Happiness“. 107 Darauf weist Beck hin: A Commentary on Kant’s Critique of Practical Reason, 92. 108 Vgl. zu diesem Punkt Reath: „Hedonism, Heteronomy, and Kant’s Principle of Happiness“, 59. 109 Kant sagt daher, dass es im Falle des intellektuellen Interesses die Handlung selbst und nicht „der Gegenstand der Handlung (so fern er mir angenehm ist)“ ist, was interessiert (GMS 4:413 Anm.).
III. Reine praktische Vernunft: Moralitt und Autonomie § 1 Natrliche Autonomie 1. Grundlegung 412: „so ist der Wille nichts anders als praktische Vernunft“ Wie im 2. Kapitel gezeigt wurde, ist es ein auszeichnendes Merkmal des Menschen, aus Grnden handeln zu kçnnen. Diese Fhigkeit kommt ihm aufgrund eines Vermçgens zu, das Kant als „Willen“ und gleichzeitig als „praktische Vernunft“ bezeichnet. An prominenter Stelle in der Grundlegung fasst Kant diesen Gedanken zusammen: Ein jedes Ding in der Natur wirkt nach Gesetzen. Nur ein vernnftiges Wesen hat das Vermçgen, n a c h d e r Vo r s t e l l u n g der Gesetze, d. i. nach Principien, zu handeln, oder einen W i l l e n . Da zur Ableitung der Handlungen von Gesetzen Ve r n u n f t erfordert wird, so ist der Wille nichts anders als praktische Vernunft (GMS 4:412).
Es ist viel ber diese Textstelle diskutiert worden.1 Mittelpunkt der Diskussion war dabei immer wieder die Frage, welche „Gesetze“ es sind, nach deren Vorstellung zu handeln nur vernnftigen Wesen mçglich ist. Mit Laberge lassen sich fnf Standardantworten auf diese Frage anfhren:2 1. Es sind moralische Gesetze gemeint.3 2. Es sind Naturgesetze gemeint.4 3. Es sind objektive Prinzipien gemeint.5 1 2 3 4 5
Eine bersicht zu dieser Diskussion geben z. B. Laberge: „La dfinition de la volont“, 83 – 91, und Timmermann: Sittengesetz und Freiheit, 66 – 72. Vgl. Laberge: „La dfinition de la volont“, 83. Als Vertreter dieser Auffassung nennt Laberge Duncan: Practical Reason and Morality, 103 (vgl. Laberge: „La dfinition de la volont“, 84 f.). Hier nennt Laberge als Beispiel Cramers Aufsatz „Hypothetische Imperative“, 170 – 174 (vgl. Laberge: „La dfinition de la volont“, 86 f.). Vertreter dieser Position nach Laberge sind Haegerstroem: Kants Ethik, 269, und Vorlnder: „Einleitung“, XX (vgl. Laberge: „La dfinition de la volont“, 87). – Weitere Vertreter jngeren Datums sind Reath: „The Categorical Imperative and Kant’s Conception of Practical Rationality“, 76 f.; Timmermann: Sittengesetz und Freiheit, 73 f., und Willaschek: „Practical Reason“, 125.
§ 1 Natrliche Autonomie
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4. Es sind Maximen und damit subjektive Prinzipien gemeint.6 5. Es sind objektive und/oder subjektive Prinzipien gemeint. Die Interpretation der zitierten Stelle aus der Grundlegung hngt jedoch nicht allein davon ab, welche „Gesetze“ Kant im zweiten Satz vor Augen hat. Auch die Beziehung zwischen dem ersten und dem zweiten Satz ist relevant. Geht man z. B. davon aus, dass die Gesetze, von denen Kant im ersten Satz spricht, dieselben Gesetze sind, von denen im zweiten Satz die Rede ist, so liegt Antwort 2 nahe. Diese Interpretation isoliert das Zitat jedoch aus dem Argumentationszusammenhang, in dem es steht: Whrend Kant im „Ersten Abschnitt“ der Grundlegung nach ,analytischer Methode‘ (vgl. GMS 4:390) gezeigt hatte, dass die Aufgabe der reinen praktischen Vernunft in der Hervorbringung eines guten Willens besteht (vgl. GMS 4:396), aus dem heraus Handlungen aus dem Motiv der Pflicht und der reinen Achtung fr das Sittengesetz erstrebt werden (vgl. GMS 4:403)7, geht es ihm nun im „Zweiten Abschnitt“ um eine Entwicklung des Begriffs der Pflicht aus dem des reinen praktischen Vernunftvermçgens. So heißt es kurz zuvor: Um aber in dieser Bearbeitung […] von einer populren Philosophie […] bis zur Metaphysik […] fortzuschreiten, mssen wir das praktische Vernunftvermçgen von seinen allgemeinen Bestimmungsregeln an bis dahin, wo aus ihm der Begriff der Pflicht entspringt, verfolgen und deutlich darstellen (GMS 4:412).
Das heißt: Das praktische Vernunftvermçgen, das Kant im darauf folgenden Satz als den „Willen“ bezeichnet, soll „von seinen allgemeinen Bestimmungsregeln an“ erklrt werden. Wenn Kant daher schreibt, dass „[e]in jedes Ding in der Natur […] nach Gesetzen [wirkt]“, so ist diese Bemerkung als Teil seiner Analyse der Bestimmungsgrnde eines rationalen und endlichen Willens zu verstehen. Ein solcher Wille gehçrt nach Kant zu den Naturursachen und wirkt in dieser Hinsicht nach Gesetzen.8 6
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Nach Laberge: Paton: Der kategorische Imperativ, 89 (vgl. Laberge: „La dfinition de la volont“, 87 – 90). – Vgl. zu dieser Interpretationslinie auch Allison: Kant’s Theory of Freedom, 86; Bittner: „Maximen“, 491 – 494; Hill: „Kant’s Theory of Practical Reason“, 125. Vgl. dazu Kap. 3, § 2, 1. In der Kritik der Urteilskraft (und leider erst dort und nicht schon an der umstrittenen Stelle in der Grundlegung!) heißt es dann in diesem Sinne wçrtlich: „Der Wille, als Begehrungsvermçgen, ist nmlich eine von den mancherlei Naturursachen in der Welt, nmlich diejenige, welche nach Begriffen wirkt; und Alles, was als durch einen Willen mçglich (oder nothwendig) vorgestellt wird, heißt praktisch-mçglich (oder nothwendig): zum Unterschiede von der physischen Mçg-
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III. Reine praktische Vernunft: Moralitt und Autonomie
Denn: „Ein jedes Ding in der Natur wirkt nach Gesetzen“ (GMS 4:412). Indem Kant im ersten Satz des besagten Zitates in der Grundlegung darauf verzichtet, eine explizite Verbindung zwischen den Begriffen der Wirkung, der Natur und des Willens herzustellen, schafft er Raum fr Fehlinterpretationen; die Bemerkung zum nomologischen Charakter der Kausalitt hngt sozusagen in der Luft und muss durch den darauf folgenden Satz erklrt werden.9 Es ist daher wichtig, zu sehen, dass es Kant im umstrittenen Abschnitt in der Grundlegung nicht vordergrndig darum geht, zu zeigen, dass (auch) der Wille eines vernnftigen Wesens nach Gesetzen wirkt. Dieser Gedanke ist nicht neu, er ergibt sich aus Kants nomologischer Auffassung von kausalen Beziehungen10, ebenso wie die Tatsache, dass „Wille“ (im Sinne lichkeit oder Nothwendigkeit einer Wirkung, wozu die Ursache nicht durch Begriffe (sondern wie bei der leblosen Materie durch Mechanism und bei Thieren durch Instinct) zur Causalitt bestimmt wird“ (KU 5:172). In der Kritik der reinen Vernunft ist dieser Gedanke sinngemß in Kants ußerung vertreten, „[d]er Mensch [sei] eine von den Erscheinungen der Sinnenwelt, und in so fern auch eine der Naturursachen […]“ (KrV A 546/B 574). 9 So Cramers Interpretation. Seiner Ansicht nach handeln vernnftige Wesen daher nach der Vorstellung von Naturgesetzen. Diese sind Cramer zufolge „Regeln der kausalen Verknpfung zeitlicher Ereignisse und Zustnde“ („Hypothetische Imperative“, 172). 10 Vgl. dazu noch einmal Kants Bemerkung in der Kritik der reinen Vernunft, eine jede Ursache habe ein Gesetz ihrer Kausalitt, „ohne welches sie gar nicht Ursache sein wrde“ (KrV A 539/B 567), sowie Kap. 2, § 1, 1. In Bezug auf Kants Anwendung seiner These von der Gesetzmßigkeit der Kausalitt auf die Beziehung zwischen moralischem Prinzip und dem Willen ist jedoch fraglich, wie diese begriffliche Beziehung gleichzeitig ein kausales Verhltnis in der Wollensstruktur sinnlicher Wesen widerspiegeln soll. Paton findet „[d]ie Grnde fr diese bedeutsame Behauptung […]merkwrdig unzulnglich“. Seiner Ansicht nach bleibt Kant eine Erklrung schuldig, warum aus dem gesetzmßigen Charakter der Naturnotwendigkeit auch ein bestimmtes Gesetz der Freiheit folgt, das Gesetz fr das gesamte kausale Handeln sein soll. Dieses Freiheitsgesetz bzw. das Autonomieprinzip ist Patons Ansicht nach schon deshalb kein geeigneter Kandidat, um den gesetzesartigen Charakter der Kausalitt aus Freiheit zu begrnden, weil mit ihm kein Zusammenhang zwischen Ursachen und Wirkungen hergestellt wird (Paton: Der kategorische Imperativ, 262). Zur Problematik der Anwendung der Kausalittskategorie in der Moralphilosophie vgl. Gunkel: Spontaneitt und moralische Autonomie, 133 – 137. – Mçglicherweise kçnnte man Kants Argumentation besser verstndlich machen, wenn man die Stellen genauer untersucht, an denen er die gesetzesmßige Struktur des obersten moralischen Prinzips, das er das Sittengesetz nennt, mit dem Naturbegriff zu begrnden versucht. Denn das ,als ob‘ in der Naturgesetzformel des kategorischen Imperativs weist darauf hin, dass es sich hier
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von „freier Willkr“) das Vermçgen eines vernunftbegabten Lebewesens ist, sich durch vernnftige berlegung selbst zum Handeln zu bestimmen. Kant hatte in der Kritik der reinen Vernunft gezeigt, dass dem Menschen eine solche freie Willkr zukommt (vgl. KrV A 534/B 562), und auch in der Grundlegung setzt er diesen Gedanken schon vor der Zitatstelle in GMS 4:412 voraus. So ist z. B. die gesamte Suche nach dem, „was dem Willen zum Princip dient und ihm auch dazu dienen muß, wenn Pflicht nicht berall ein leerer Wahn und chimrischer Begriff sein soll“ (GMS 4:402), nur vor dem Hintergrund der Annahme sinnvoll, dass der Wille sich berhaupt durch ein Prinzip zum Handeln bestimmen kann. Aus der Kritik der reinen Vernunft wissen wir außerdem, dass die Willkr des Menschen deshalb als frei bezeichnet werden kann, weil ihm „ein Vermçgen beiwohnt, sich, unabhngig von der Nçtigung durch sinnliche Antriebe, von selbst zu bestimmen“ (KrVA 534/B 562).11 Dass er nun deshalb ber dieses „Vermçgen“ verfgt, weil er Vernunft hat, die ihrerseits „die Bedingung aller willkrlichen Handlungen“ ist (KrV A 553/B 581) und „Kausalitt hat“ (KrV A 547/B 575), sind ebenfalls Gedanken, die aus der Auflçsung der „Dritten Antinomie“ bekannt sind. Schließlich fgt sich auch die These, der Wille/die freie Willkr sei „das Vermçgen, nach der Vorstellung der Gesetze“ zu handeln, das „[n]ur ein vernnftiges Wesen hat“ (GMS 4:412), in Kants bisherige Argumentation ein. So hatte Kant im „Kanon“ gezeigt, dass sich die menschliche Willkr im Gegensatz zur tierischen nicht in der Bestimmung durch sinnliche Reize erschçpft, sondern dass der Mensch […] ein Vermçgen [hat], durch Vorstellungen von dem, was selbst auf entferntere Art ntzlich oder schdlich ist, die Eindrcke auf unser sinnliches Begehrungsvermçgen zu berwinden; diese berlegungen aber von dem, was in Ansehung unseres ganzen Zustandes begehrungswert, d. i. gut und ntzlich ist, beruhen auf der Vernunft. Diese gibt daher auch Gesetze, welche Imperativen, d. i. objektive G e s e t z e d e r Fr e i h e i t sind, und welche sagen, w a s g e s c h e h e n s o l l , ob es gleich nie geschieht, und sich darin von Na t u r g e s e t z e n , die nur von dem handeln, w a s g e s c h i e h t , unterscheiden, weshalb sie auch praktische Gesetze genannt werden (KrV A 802/B 830).
Die berlegung, dass sich Menschen durch rationale Vorstellungen leiten lassen und sich damit von sinnlichen Reizen distanzieren kçnnen, begleitet die Grundzge von Kants Moralphilosophie auch schon vor 1781. In der um eine Art von Analogie, nicht aber um ein logisches Implikationsverhltnis handelt. 11 Siehe hierzu und im Folgenden Kap. 2, § 1, 2 – 4.
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Vorlesung zur Moralphilosophie aus der Entstehungszeit der Kritik der reinen Vernunft von 1777 charakterisiert Kant die menschliche Willkr als ein „arbitrium liberum“ das „nicht per stimulos necessitirt wird“ (V-Mo/Kae 54/45). Diese besondere Eigenschaft der Willkr bedeutet negativ, dass Menschen durch sinnliche Reize („pathologisch“) nicht zu einer Handlung gençtigt werden; positiv weist sie darauf hin, dass sie fr den praktischen (im Gegensatz zum „pathologischen“) Zwang zugnglich sind: „[D]er praktische Zwang ist die Nothwendigmachung einer ungern geschehenen Handlung per motiva“ (V-Mo/Kae 53 f./45). Dass Menschen auch zu Handlungen bewogen werden, die sie eigentlich ,ungern‘ ausben, macht aber den „praktischen“ noch nicht zum „moralischen“ Zwang. Es geht Kant im Gegenteil an dieser Stelle in der Vorlesung zur Moralphilosophie darum, den pathologischen vom praktischen Zwang im Allgemeinen abzugrenzen. Was den praktischen Zwang in entscheidender Weise ausmacht, ist, dass er sich nicht auf sinnliche Reize („stimuli“), sondern auf vernnftige Beweggrnde („motiva“) bezieht12 : „Der Zwang ist dann nicht subjectiv sondern objectiv; denn sonst wre er ja nicht practisch, und geschieht per motiva und nicht per stimulos“ (V-Mo/Kae 55 f./46). Die „motiva“ lassen sich ihrerseits unterteilen in „motiva pragmatica“ und „motiva moralia“; die pragmatischen Motive beziehen sich auf das mittelbare Gute, die moralischen Motive auf das an sich Gute (vgl. V-Mo/Kae 56/47). Das heißt: Wir wissen aus der Vorlesung zur Moralphilosophie von 1777 und aus der Kritik der reinen Vernunft, dass menschliches Begehren in charakteristischer Weise durch das Vermçgen definiert ist, vernnftige berlegungen zu den Bestimmungsgrnden der Willkr anzustellen. Spter, in der Metaphysik der Sitten, fasst Kant diesen Gedanken in der Formulierung vom „Begehrungsvermçgen nach Begriffen“ zusammen (MS 6:213). Der Bestimmungsgrund der Willkr liegt danach nicht in den Reizen, die von einem Gegenstand ausgehen, sondern im Subjekt selbst (vgl. MS 6:213). Dies insofern, als Begriffe ihm nicht nur zur Erkenntnis begehrter Gegenstnde dienen, sondern auch eine kausale Rolle in seinen Handlungen spielen kçnnen.13 Einen Willen haben heißt daher, rational, d. h. nach der Vorstellung von Begriffen, handeln zu kçnnen – sei es im
12 Kant nennt die „motiva“ auch „BewegungsGrnde der Vernunft“ (vgl. z. B. V-Mo/ Kae 56 f./46 f.). 13 Vgl. Hçwing: „Das Verhltnis der Vermçgen des menschlichen Gemts zu den Sittengesetzen“.
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instrumentellen oder im spezifisch moralischen Sinn.14 Nach Begriffen handeln kçnnen wiederum heißt, fr Vorstellungen empfnglich zu sein, die nicht nur etwas ber die kausale Verknpfung von zeitlichen Ereignissen aussagen, sondern die sagen, dass etwas sein soll und damit objektiv („praktisch“) gebieten. In der Kritik der reinen Vernunft hatte Kant die vernnftigen berlegungen, durch die die menschliche Willkr bestimmbar ist, als „Imperative“ bezeichnet (KrV A 802/B 830). In der Grundlegung und in der Kritik der praktischen Vernunft findet sich dieser grundlegende Gedanke etwas modifiziert. Hier sind es die Empfnglichkeit fr objektiv geltende Prinzipien und die Fhigkeit, diese Prinzipien zu Grundstzen des Handelns zu machen, die das Verhalten eines endlichen Vernunftwesens in grundlegender Weise ausmachen (vgl. z. B. KpV 5:32). An der zur Interpretation stehenden Stelle in der Grundlegung, in GMS 4:412, wissen wir also bereits Folgendes: 1. Menschen verfgen ber eine freie Willkr. 2. Die freie Willkr wirkt nach Gesetzen. 3. Nur vernnftigen Wesen kommt das Vermçgen zu, sich selbst zum Handeln zu bestimmen, d. h.: Nur vernnftige Wesen haben eine freie Willkr/einen Willen. 4. Die Gesetze, nach denen nur vernnftige, mit einer freien Willkr begabte Wesen handeln kçnnen, sind berlegungen, die die Vernunft ihnen vorgibt. Sie zeigen an, was sein soll, sind vernnftige Grundstze bzw. Imperative. Daraus folgt, dass Kant seiner bisherigen Argumentation mit der besagten Stelle in GMS 4:412 nichts Wesentliches hinzufgt. Er legt lediglich eine alternative Definition des Willens vor, indem er diesen als „praktische Vernunft“ bezeichnet. Auch dieser Gedanke ist im Grunde nicht neu. Kant gebraucht den Begriff der „praktischen Vernunft“ seit 176515, und aus der Kritik der reinen Vernunft wissen wir, dass „alles, was mit dieser [d. i. der freien Willkr], es sei als Grund oder als Folge, zusammenhngt, […] praktisch genannt [wird]“ (KrV A 831/B 803). Dienen vernnftige
14 Eine mçgliche Analyse des fr Interpreten dunklen „Vermçgens, n a c h d e r Vo r s t e l l u n g der Gesetze, d. i. nach Principien, zu handeln“ (GMS 4:412), verluft daher zum einen ber Kants Bemerkungen in der Metaphysik der Sitten und zum anderen ber seine allgemeine Definition des Begehrungsvermçgens in der Kritik der praktischen Vernunft (diesen zweiten Weg schlgt Willaschek in seiner Argumentation von GMS 4:412 ein; vgl. „Practical Reason“, 124 – 126). 15 Vgl. dazu Kap. 2, § 2, 1.
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Bewegursachen der freien Willkr/dem Willen als Grundlage des Wirkens, so lsst sich folgern, dass dieser Wille ,praktische Vernunft‘ ist. Die Gesetze, nach deren Vorstellung zu handeln nur vernnftigen Wesen mçglich ist, sind also jene Gesetze, die Kant schon in der Kritik der reinen Vernunft als „objektive Gesetze der Freiheit“ von den „Naturgesetzen“ unterscheidet (KrV A 802/B 830). Diese Interpretation ergibt sich zum einen aus Kants Analysen in der „Dritten Antinomie“ und im „Kanon“ der Kritik der reinen Vernunft und zum anderen aus dem weiteren Argumentationsgang in der Grundlegung. So folgt auf die Definition des Willens eines vernnftigen Wesens als „praktische Vernunft“ eine genauere Darstellung zum Verhltnis des Willens eines endlichen Vernunftwesens zu den objektiven Gesetzen: […] ist der Wille nicht an sich vçllig der Vernunft gemß (wie es beim Menschen wirklich ist): so sind seine Handlungen, die objectiv als nothwendig erkannt werden, subjectiv zufllig, und die Bestimmung eines solchen Willens objectiven Gesetzen gemß ist N ç t h i g u n g ; d. i. das Verhltniß der objectiven Gesetze zu einem nicht durchaus guten Willen wird vorgestellt als die Bestimmung des Willens eines vernnftigen Wesens zwar durch Grnde der Vernunft, denen aber dieser Wille seiner Natur nach nicht nothwendig folgsam ist (GMS 4:413).
Objektive Gesetze sind Regeln, nach denen ein vollkommen vernnftiges Wesen zwanglos handeln wrde. Weil Menschen aber nicht vollkommen vernnftig sind und ihre Willkr zwar frei, aber affizierbar („arbitrium sensitivum“, KrV A 534/B 562) ist, stimmen ihre Handlungen mit den objektiven Gesetzen nur selten berein: sie sind „subjectiv zufllig“ (GMS 4:413). Kant bezeichnet den Modus, in dem sich ein endliches Vernunftwesen wie der Mensch der objektiven Gesetze bewusst wird, im folgenden Absatz als „Imperativ“. Die Darstellung des vorschreibenden Charakters solcher „Gebote“ hnelt dabei der Verwendung des Begriffs des Imperativs in diesem Zusammenhang im „Kanon“16 : Alle Imperativen werden durch ein So l l e n ausgedrckt und zeigen dadurch das Verhltnis eines objectiven Gesetzes der Vernunft zu einem Willen an, der seiner subjectiven Beschaffenheit nach dadurch nicht nothwendig bestimmt wird (eine Nçthigung) (GMS 4:413).
16 Vgl. erneut die Definition der Gesetze der Vernunft im „Kanon“: „Diese gibt daher auch Gesetze, welche Imperativen, d. i. objektive G e s e t z e d e r Fr e i h e i t sind, und welche sagen, w a s g e s c h e h e n s o l l , ob es gleich nie geschieht […]“ (KrV A 802/B 830).
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Die Identifikation der „Gesetze“ an der diskutierten Stelle in GMS 4:412 als praktische Gesetze rationalen Handelns schließt an dieser Stelle schon zwei Standardantworten auf die Frage aus, welche Gesetze gemeint sein kçnnten: 1. die Interpretation, der zufolge die Gesetze moralische Gesetze im Besonderen sind, und 2. die Lesart, nach der Kant mit den „Gesetzen“, nach deren Vorstellung zu handeln ein besonderes Vermçgen erfordert, Naturgesetze meint. Die erste, von Duncan vertretene Interpretation17 trifft nach der hier vorgeschlagenen Lesart aus mindestens drei Grnden nicht zu: 1. Kant gibt an der zur Diskussion stehenden Stelle selbst keinerlei Anlass, hinter den allgemeinen „Gesetzen“, nach denen vernnftige Wesen handeln, moralische Gesetze (bzw. das moralische Gesetz) zu vermuten. Dafr spricht, dass er auch den Begriff des Imperativs zunchst allgemein einfhrt (vgl. GMS 4:413) und erst spter die Aufteilung in kategorische und hypothetische Imperative vornimmt (vgl. GMS 4:414). 2. Die Gesetze, nach denen nur vernnftige Wesen handeln kçnnen, sind nicht genuin moralische Gesetze, sondern schon Gesetze im Sinne von durch die Vernunft vorgegebenen allgemeinen Regeln. Durch die Fhigkeit, nach Grundstzen handeln und von ihrer augenblicklichen Bedrfnisstruktur abstrahieren zu kçnnen, unterscheiden sich Menschen von Lebewesen mit einer rein tierischen Willkr („arbitrium brutum“, KrV A 534/B 562). Zu diesen allgemeinen Prinzipien, die Kant hier schlicht als „Gesetze“ bezeichnet, zhlen auch schon jene objektiven Regeln, die nicht ausschließlich moralischer Natur sind. Sie stellen Regeln vor, die „fr jedes vernnftige Wesen als solches gltig sind“ (GMS 4:413). 3. Auch der Schluss von Kants blicher Redeweise in seinen ethischen Schriften, der zufolge mit dem „Gesetz“ immer das moralische Gesetz/ das Sittengesetz gemeint ist, darauf, dass er auch an der Stelle in GMS 4:412 mit „Gesetzen“ nur „moralische Gesetze“ vor Augen haben kann, trifft nicht zu. So ist in GMS 4:412 zum einen von den Gesetzen, nicht aber von dem (einen) Gesetz die Rede. Zum anderen schließt der Satz „Nur ein vernnftiges Wesen […]“ an den vorherigen Satz an, in dem es hieß, Kausalitt sei immer gesetzmßig verfasst. Es geht Kant daher im zweiten Satz um die allgemeine Information, vernnftige Wesen handelten eben auch nach Gesetzen – wie alle anderen Na17 Vgl. Duncan: Practical Reason and Morality, 103.
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turdinge. Die Information ist in dieser Allgemeinheit auch fr eine Unterscheidung der Wirksamkeit vernnftiger Wesen von anderen, unvernnftigen Wesen hinreichend. Es ist, wie Kant an spterer Stelle ausfhrt, sogar denkbar, dass ein Wesen ber Vernunft und dennoch nicht ber die Vorstellung eines unbedingt gebietenden Gesetzes verfgt (vgl. Rel 6:26 Anm.).18 Kant geht es im zweiten Satz des diskutierten Zitates also nicht darum, eine neue, bisher unbekannte Einsicht mittels eines Argumentes zu entwickeln. Verkennt man dies, so ist man geneigt, von der thematisierten Naturkausalitt im ersten Satz auf Gesetze verstanden als Naturgesetze im zweiten Satz zu schließen. Kant fhrt hier aber keinen Schluss vor, sondern definiert den Willen eines vernnftigen Wesens, indem er verschiedene Merkmale seiner Wirksamkeit aufzhlt. Dabei geht es ihm eher darum, die Kausalitt des Willens eines vernnftigen Wesens von der Kausalitt anderer ,Naturdinge‘ abzugrenzen. Diese Abgrenzung ist deshalb subtil, weil Kant zunchst eine Gemeinsamkeit beider wirkender Ursachen anfhrt. Sie sind beide in ihrer Kausalitt durch Gesetze bestimmt. Die eigentliche Information ist aber die Herausstellung der Differenz. Vernnftige Wesen wirken zwar nach Gesetzen, aber in anderer Hinsicht als andere Naturdinge. Sie kçnnen sich selbst nach der Vorstellung dieser Gesetze zum Handeln bestimmen.19 Die Gesetze, durch die ihnen das mçglich ist, sind von den Naturgesetzen wesensmßig unterschieden. Es bleiben demnach noch drei Interpretationsmçglichkeiten von GMS 4:412 brig: 1. Es sind objektive Prinzipien gemeint. 2. Es sind Maximen und damit subjektive Prinzipien gemeint. 3. Es sind objektive und/oder subjektive Prinzipien gemeint.
18 In der Kritik der praktischen Vernunft bemerkt Kant explizit, dass das Vermçgen einer (bloß instrumentellen) Vernunft den Menschen noch nicht ber das Tier erhebt: „Aber er ist doch nicht so ganz Thier, um gegen alles, was Vernunft fr sich selbst sagt, gleichgltig zu sein und diese blos zum Werkzeuge der Befriedigung seines Bedrfnisses als Sinnenwesens zu gebrauchen. Denn im Werthe ber die bloße Thierheit erhebt ihn das gar nicht, daß er Vernunft hat, wenn sie ihm nur zum Behuf desjenigen dienen soll, was bei Thieren der Instinct verrichtet […]“ (KpV 5:61; vgl. dazu GMS 4:396). 19 Dieser Aspekt der Selbstbestimmung kommt in einer anderen, ganz hnlichen Stelle im „Zweiten Abschnitt“ der Grundlegung zur Geltung, wo es heißt: „Der Wille wird als ein Vermçgen gedacht, d e r Vo r s t e l l u n g g e w i s s e r G e s e t z e g e m ß sich selbst zum Handeln zu bestimmen. Und eines solches Vermçgen kann nur in vernnftigen Wesen anzutreffen sein“ (GMS 4:427; kursive H. v. m.).
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Unter der Voraussetzung, dass Kant „Maximen“ an verschiedenen Stellen eigens als subjektive Prinzipien des Handelns ausweist, die sich von den objektiven Prinzipien unterscheiden, scheinen auch die zweite und die dritte noch verbleibende Lesart von GMS 4:412 unter den oben ausgearbeiteten Prmissen ausgeschlossen zu sein. Liest man GMS 4:412 jedoch als Theorie rationalen Handelns, so lsst sich nachvollziehen, warum die Vertreter der zweiten noch verbleibenden Lesart so stark auf die Rolle der Maxime in einer solchen Konzeption des Handelns abheben. An dieser Stelle der Interpretation ist es daher wichtig, zu klren, welche Bedeutung den Prdikaten „subjektiv“ und „objektiv“ in diesem Zusammenhang zukommt. Was versteht Kant unter einem „subjektiven“, was unter einem „objektiven Prinzip“? Was versteht er unter einem (praktischen) Prinzip im Allgemeinen? Was sind Maximen? Und schließlich: Was sind praktische Gesetze? 2. Subjektive und objektive Prinzipien des Handelns Kant bezeichnet die Grundstze, aus denen freie, vernunftbegabte Subjekte handeln, als „Maximen“ (GMS 4:400 Anm.; GMS 4:420 f. Anm.). Als besonderes Merkmal von Maximen fhrt Kant an, dass es sich bei ihnen um „subjektive Prinzipien“ handelt, die sich von so genannten „objektiven Prinzipien“ unterscheiden. Kants Definition der Maxime geht daher an den entscheidenden Stellen mit einer Abgrenzung gegenber den „objektiven Prinzipien“ einher. Dabei behlt Kant den grundlegenden Wortlaut seiner Maximendefinition ber die verschiedenen Phasen seiner ethischen Schriften seit der Grundlegung bei: Ma x i m e ist das subjective Princip des Wollens; das objective Princip (d.i. dasjenige, was allen vernnftigen Wesen auch subjectiv zum praktischen Princip dienen wrde, wenn Vernunft volle Gewalt ber das Begehrungsvermçgen htte) ist das praktische Gesetz (GMS 4:400 Anm.). Ma x i m e ist das subjective Princip zu handeln und muß vom o b j e c t i v e n Pr i n c i p, nmlich dem praktischen Gesetze, unterschieden werden. Jene enthlt die praktische Regel, die die Vernunft den Bedingungen des Subjects gemß (çfters der Unwissenheit oder auch den Neigungen desselben) bestimmt, und ist also der Grundsatz, nach welchem das Subject h a n d e l t ; das Gesetz aber ist das objective Princip und gltig fr jedes vernnftige Wesen, und der Grundsatz, nach dem es h a n d e l n s o l l , d. i. ein Imperativ (GMS 4:420 f. Anm.). Pr a k t i s c h e Gr u n d s t z e sind Stze, welche eine allgemeine Bestimmung des Willens enthalten, die mehrere praktische Regeln unter sich hat. Sie sind
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subjectiv oder Ma x i m e n , wenn die Bedingung nur als fr den Willen des Subjects gltig von ihm angesehen wird; objectiv aber oder praktische G e s e t z e , wenn jene als objectiv, d. i. fr den Willen jedes vernnftigen Wesens gltig, erkannt wird (KpV 5:19). Maxime aber ist das s u b j e c t i v e Princip zu handeln, was sich das Subject selbst zur Regel macht (wie es nmlich handeln will). Dagegen ist der Grundsatz der Pflicht das, was ihm die Vernunft schlechthin, mithin objectiv gebietet (wie es handeln s o l l ) (MS 6:225).
Whrend Maximen und Gesetze darin bereinstimmen, dass sie mit der besonderen Wirksamkeit einer freien Willkr verbunden sind und daher auch als ,praktische Grundstze‘ bezeichnet werden kçnnen20, unterscheiden sie sich in der Art und Weise ihres Bezugs auf das Handeln. So sind Maximen diejenigen Prinzipien, nach denen ein Subjekt tatschlich handelt21; ein objektives Prinzip hingegen ist ein Grundsatz, der vernnftigen Wesen allgemein eine bestimmte Handlungsweise vorschreibt – zunchst unabhngig davon, ob sie tatschlich danach handeln oder nicht. Um diese besondere Eigenschaft eines objektiven Prinzips herauszustellen, bezeichnet Kant es in beiden Zitaten auch als „praktisches Gesetz“ bzw. als „Imperativ“. Diese Bezeichnung weist darauf hin, dass Kant mit den „objektiven Prinzipien“ hier bereits eine bestimmte Art dieser Prinzipien vor Augen hat: unbedingte objektive Prinzipien. Mit den bedingten objektiven Prinzipien haben diese gemein, dass ihre allgemeine Gltigkeit sich – im Gegensatz zu einer Maxime – auf alle vernnftigen Wesen erstreckt; sie bezeichnen diejenigen Handlungsregeln, nach denen alle vernnftige Wesen handeln wrden, wenn sie sich durch ihre Vernunft notwendiger- und nicht nur zuflligerweise bestimmen lassen wrden. Paton bezeichnet die objektiven Prinzipien im Allgemeinen daher auch als „Vernunftgrundstze“.22 In der Kritik der praktischen Vernunft gibt Kant eine klare Definition eines solchen allgemeinen „praktischen Prinzips“: Die praktische Regel ist jederzeit ein Product der Vernunft, weil sie Handlung als Mittel zur Wirkung als Absicht vorschreibt. Diese Regel ist aber fr ein Wesen, bei dem Vernunft nicht ganz allein Bestimmungsgrund des Willens ist, ein Im p e r a t i v, d. i. eine Regel, die durch ein Sollen, welches die objective Nçthigung der Handlung ausdrckt, bezeichnet wird, und bedeutet, daß, 20 Dem liegt erneut Kants Bemerkung zugrunde, dass „alles, was mit dieser [d. i. der freien Willkr], es sei als Grund oder als Folge, zusammenhngt, […] p r a k t i s c h genannt [wird]“ (KrV A 831/B 803). 21 In der Vorlesung zur Moralphilosophie definiert Kant die Maxime als „ein subjektives Gesetz, nach denen man wrklich handelt“ (V-Mo/Kae, 82/66). 22 Paton: Der kategorische Imperativ, 58.
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wenn die Vernunft den Willen gnzlich bestimmte, die Handlung unausbleiblich nach dieser Regel geschehen wrde (KpV 5:20).
Unbedingte objektive Prinzipien sind ber ihre Allgemeingltigkeit fr vernnftige Wesen hinaus auch noch zweckunabhngig. Ihre Gltigkeit fr ein vernnftiges Wesen hngt nicht davon ab, ob dieses mit dem Grundsatz einen Zweck verbindet oder nicht. Bedingte objektive Prinzipien gelten hingegen unter der Bedingung eines Zweckes, den alle vernnftigen Wesen haben. Aufgrund dieser Allgemeingltigkeit sind sie trotz ihrer Zweckgebundenheit objektive Prinzipien. So ist z. B. Glckseligkeit ein Zweck, den Kant zufolge alle vernnftigen Wesen haben (vgl. GMS 4:415). Außerdem liegt es in der Natur eines jeden vernnftigen Wesens, die dazu gehçrigen Mittel zu einem Zweck zu ergreifen, den es verfolgt (vgl. GMS 4:417). Das Prinzip, das dem allgemeinen Streben nach Glckseligkeit zugrunde liegt, bezeichnet Kant als „Prinzip der Klugheit“, und das dem Zweck-MittelStreben zugrunde liegende Prinzip als „Prinzip der Geschicklichkeit“ (vgl. GMS 4:416). Beide Arten von objektiven Prinzipien, unbedingte und bedingte, haben den Charakter von Vorschriften. Sie sind „Imperative“ fr ein endliches Vernunftwesen wie den Menschen, das den vernnftigen Vorschlgen nicht notwendigerweise in seinen Handlungen nachkommt: „Die Vorstellung eines objectiven Princips, sofern es fr einen Willen nçthigend ist, heißt ein Gebot (der Vernunft), und die Formel des Gebots heißt Imperativ“ (GMS 4:413; vgl. auch KpV 5:20). Bedingte objektive Prinzipien sind „Regeln der Geschicklichkeit“ und „Ratschlge der Klugheit“ (vgl. GMS 4:416). Weil sie unter Voraussetzung eines bestimmten Zweckes gebieten, heißen sie „hypothetische Imperative“. Ein Imperativ, der eine Handlung mit Blick auf eine mçgliche Absicht gebietet, heißt „problematisch“. Gebietet ein Imperativ eine Handlung mit Blick auf eine wirkliche Absicht, so heißt er „assertorisch“ (vgl. GMS 4:414 f.). Wird eine Handlung hingegen ohne Rcksicht auf einen anderen Zweck geboten, so handelt es sich um ein unbedingtes, kategorisches Gebot. Es hat die Form eines „kategorischen Imperativs“, der seinerseits ein „apodiktisch-praktisches Princip“ ist, das unbedingt und ausnahmslos gebietet (vgl. GMS 4:414 f.). Kant ist nun der Ansicht, dass es nur ein einziges unbedingtes objektives Prinzip gibt und damit auch nur einen einzigen kategorischen Imperativ (vgl. GMS 4:421). Außerdem verdient nur der kategorische Imperativ die Bezeichnung „praktisches Gesetz“: So viel ist indessen vorlufig einzusehen: daß der kategorische Imperativ allein als ein praktisches G e s e t z laute, die brigen insgesammt zwar Principien des
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III. Reine praktische Vernunft: Moralitt und Autonomie
Willens, nicht aber Gesetze heißen kçnnen: weil, was bloß zur Erreichung einer beliebigen Absicht zu thun nothwendig ist, an sich als zufllig betrachtet werden kann, und wir von der Vorschrift jederzeit los sein kçnnen, wenn wir die Absicht aufgeben, dahingegen das unbedingte Gebot dem Willen kein Belieben in Ansehung des Gegentheils frei lßt, mithin allein diejenige Nothwendigkeit bei sich fhrt, welche wir zum Gesetze verlangen (GMS 4:420; vgl. KpV 5:20).
Diese Einschrnkung des Gesetzesbegriffs auf ein unbedingtes praktisches Prinzip ist neu. Zwar hatte Kant bereits in seinen vorkritischen Schriften sinngemß die Unterscheidung zwischen verschiedenen Arten praktischer Notwendigkeit eingefhrt23 ; in der Kritik der reinen Vernunft impliziert diese Unterscheidung fr ihn jedoch keine Einschrnkung des Gesetzesbegriffs auf den kategorischen Imperativ. Weil es ihm dort erst einmal um die Abgrenzung vernnftigen, selbst bestimmten Handelns vom Wirken aus reinen Naturursachen geht, ist eine genaue Abgrenzung kategorischer und anderer Imperative in diesem Zusammenhang fr den Argumentationsgang nicht zwingend. So bezeichnet Kant die Imperative in der ersten Kritik im Allgemeinen als „objektive Gesetze der Freiheit“, die schon deshalb „praktische Gesetze“ sind, weil „sie sagen, was geschehen soll, ob es gleich nie geschieht, und sich darin von Naturgesetzen, die nur von dem handeln, was geschieht, unterscheiden“ (KrV A 802/B 830). Vor dem Hintergrund der Gegenberstellung von Naturkausalitt und Freiheit, Naturgesetzlichkeit und Gesetzlichkeit einer freien Willkr sowie mit Blick auf die Definition von „praktisch“ in der Kritik der reinen Vernunft 24 ist diese kollektive Bezeichnung vernnftiger Prinzipien des Handelns als „praktische Gesetze“ sogar konsequent. Weil Kant das Gesetz einer freien Willkr hier noch nicht auf das Sittengesetz einschrnkt und ber das Konzept der Autonomie noch nicht verfgt, so ist das prinzipiengeleitete Handeln einer freien Willkr ein Handeln nach praktischen Gesetzen.25 Anders verhlt es sich in der Kritik der praktischen Vernunft: Hier ist es Kants Anliegen, zu zeigen, dass allein die Vernunft den Willen eines endlichen Vernunftwesens bestimmen kann.26 Dazu muss er verstndlich 23 Vgl. dazu erneut Schwaiger: Kategorische und andere Imperative. 24 „[…] alles, was mit dieser [d.i. der freien Willkr], es sei als Grund oder als Folge, zusammenhngt, wird p r a k t i s c h genannt“ (KrV A 802/B 830). 25 Diese Differenz zwischen der Kritik der reinen Vernunft und der Grundlegung sowie anderen ethischen Schriften ist eines von einigen Beispielen dafr, dass die ,Moralphilosophie‘ der ersten Kritik in vielerlei Hinsicht noch „vorkritisch“ ist und z. T. sogar hinter die Ergebnisse der ganz frhen ethischen Schriften zurckfllt. 26 Vgl. hierzu Kap. 5, § 1, 1.
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machen, dass es praktische Grundstze gibt, die von jedem vernnftigen Wesen als bindend angesehen werden – unabhngig von kontingenten Interessen und Absichten. Diese allgemeinen vernnftigen Forderungen sind „praktisch“, weil sie den Willen und die Handlungen rationaler Wesen regulieren; sie sind „Gesetze“, weil sie Handlungen ausnahmslos und unbedingt vorschreiben – fr jedes vernnftige und vernunftbegabte Wesen unabhngig von der individuellen Situation seines mçgliches ,Anwenders‘.27 Ein praktisches Gesetz, wie Kant es seit der Grundlegung versteht, ist daher ein formales Prinzip, das eine Norm fr ein vernunftgeleitetes Wollen beinhaltet. Damit ist das formale Prinzip der Moralitt ein formales Prinzip des reinen Wollens.28 Als Vernunftgesetz ist es notwendig und universell anwendbar. Wenn Kant davon spricht, dass die bloße Form des Gesetzes willensbestimmend ist, so heißt das daher, dass es die qua Vernunft eingesehene Allgemeingltigkeit und Notwendigkeit einer Handlungsweise ist, die die Handlungsabsicht fundiert. Diese Einsicht liefert einen hinreichenden, die Handlung rechtfertigenden Grund, dessen universelle Gltigkeit von allen rationalen Subjekten gleichermaßen eingesehen werden kann.29 Zusammengefasst heißt das: Es gibt bedingte und unbedingte objektive Prinzipien. Sie gelten fr alle vernnftigen Wesen, jedoch im Falle der bedingten objektiven Prinzipien unter Voraussetzung eines bestimmten (mçglichen oder wirklichen) Zwecks. Alle objektiven Vorschriften gebieten in Form von Imperativen. Sie sind praktische Grundstze; das einzige praktische Gesetz, das objektiv, notwendig, kategorisch und praktisch ge-
27 Vgl. Esser: Eine Ethik fr Endliche, 180; vgl. dazu MS 6:222. 28 Vgl. Reath: „Formal Principles and the Form of a Law“, 48. 29 Vgl. Reath: „Formal Principles and the Form of a Law“, 33 – 41, bes. 33 u. 41. Engstrom przisiert die Definition des praktischen Gesetzes, indem er diesem zwei Merkmale zuschreibt: eine „objective universal validity“ und eine „subjective universal validity“. Die objektive allgemeine Gltigkeit dieses Prinzips besteht demzufolge darin, dass es auf den Willen aller Subjekte angewendet werden und die Handlungen dieser Subjekte prinzipiell auch fundieren kann. Subjektive universelle Gltigkeit kommt dem praktischen Gesetz hingegen deshalb zu, weil es ausdrckt, wie alle rationalen Subjekte denken, so dass sie ihm zustimmen und auf der Basis dieser allgemeinen Zustimmung ein ebenso universelles Urteil fllen. Vgl. Engstrom: „Introduction“, xxxix-xxxv, sowie The Form of Practical Knowledge, 115 – 117, 122 – 127.
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bietet, ist aber der kategorische Imperativ (vgl. KpV 5:19 – 21).30 Welche Bedeutung haben diese Ergebnisse nun fr Kants Begriff der Maxime? In der Kritik der praktischen Vernunft schreibt Kant, dass die Imperative objektive Gltigkeit haben und sich darin von Maximen als subjektiven Grundstzen unterscheiden (vgl. KpV 5:20). Und kurz zuvor, im ersten Satz der „Analytik“, heißt es: Pr a k t i s c h e Gr u n d s t z e sind Stze, welche eine allgemeine Bestimmung des Willens enthalten, die mehrere praktische Regeln unter sich hat. Sie sind subjectiv oder Ma x i m e n , wenn die Bedingung nur als fr den Willen des Subjects gltig von ihm angesehen wird; objectiv aber oder praktische G e s e t z e , wenn jene als objectiv, d. i. fr den Willen jedes vernnftigen Wesens gltig, erkannt wird (KpV 5:19).
Kant sagt hier Folgendes: Die Tatsache, dass ein einzelnes Subjekt einen Grundsatz fr sich als gltig anerkennt, macht diesen zu einer Maxime. Ein Grundsatz wird hingegen als objektiv bezeichnet, wenn sein Geltungsbereich sich auf alle vernnftigen Wesen erstreckt. Gleichzeitig ist zu beachten, dass das „nur“ im Definitionssatz ber die Maximen nicht als ausschließendes, sondern als ein notwendiges Merkmal dieser Art von Grundsatz zu verstehen ist.31 So bedeutet es nicht, dass ein Grundsatz nur dann eine Maxime ist, wenn er nur fr ein einzelnes Subjekt gilt. „Nur“ ist hier zu verstehen als „nicht ohne, dass“, was bedeutet: Ein Grundsatz kann keine Maxime sein, wenn nicht das handelnde Subjekt selbst es als seinen Grundsatz anerkennt.32 Dieses ,Anerkennen‘ zeigt sich fr Kant darin, dass sich der Grundsatz in den Handlungen des Subjektes ußert: Die Maxime ist derjenige Grundsatz, nach dem ein Subjekt tatschlich handelt. „Maxime“ ist Kants terminus technicus fr ein subjektives Prinzip des Handelns bzw. fr einen subjektiven praktischen Grundsatz.33 Subjektive Prinzipien des Handelns ,gibt‘ es nur, wenn es Subjekte gibt, die diese Grundstze haben. Objektive Prinzipien hingegen mssen sich nicht unmittelbar im Handeln vernnftiger Subjekte widerspiegeln. Es ,gibt‘ sie, 30 Vgl. zu dieser Interpretation von „praktischem Gesetz“ Willaschek: „Was ist ein praktisches Gesetz?“ 31 So auch Mohr: „Freiheit, Moral und Sittlichkeit“, 147. 32 Vgl. Bittner: „Maximen“, 497. Bittner kritisiert Interpretationen, in denen der subjektive Charakter der Maxime in erster Linie ber den „Gegensatz zur Objektivitt des moralischen Gesetzes“ herausgestellt werden soll: „Moralitt selber lsst sich erst auf Grund eines Begriffes von demjenigen Willen erklren, an den sie sich wendet, und bei Kant muß sich eine solche Erklrung insbesondere auf den Gedanken eines sich durch Maximen leitenden Willens sttzen.“ 33 Vgl. Paton: Der kategorische Imperativ, 59.
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sofern es vernnftige Wesen gibt, fr die sie gelten. Aus Kants Definition der Maxime folgt, dass diese kein (praktisches) Gesetz sein kann. Denn eine Maxime ist gerade dadurch definiert, dass ein Subjekt sie sich zu Eigen macht; ein Gesetz hingegen hat universelle Geltung allein deshalb, weil es auf den Willen vernnftiger Wesen angewendet werden und von diesen prinzipiell als ein ihren Willen (als rationale Wesen) bestimmendes Prinzip eingesehen werden kann.34 Zwar ist es mçglich, dass das Gesetz zur Maxime wird 35 oder dass eine Maxime die Form eines Gesetzes hat.36 Sie kann jedoch selbst kein Gesetz und nicht einmal ein allgemein, sondern nur ein subjektiv vorschreibendes Prinzip sein: „Maximen sind also zwar Grundstze, aber nicht Imperativen“ (KpV 5:20). Es besteht daher nicht zwingend eine inhaltliche, sondern eine funktionale Differenz zwischen Maximen und Gesetzen.37 Dem Inhalt nach kçnnen Maximen und Gesetze daher identisch sein. In diesem Sinne kann eine Maxime ein Gesetz sein und umgekehrt. 3. Noch einmal: Handeln nach der Vorstellung von Gesetzen Ein jedes Ding in der Natur wirkt nach Gesetzen. Nur ein vernnftiges Wesen hat das Vermçgen, n a c h d e r Vo r s t e l l u n g der Gesetze, d. i. nach Principien, zu handeln, oder einen W i l l e n . Da zur Ableitung der Handlungen von Gesetzen Ve r n u n f t erfordert wird, so ist der Wille nichts anderes als praktische Vernunft (GMS 4:412).
Wie wir gesehen haben, wre eine Interpretation dieser Stelle mit Blick auf eine Stelle im „Kanon“, in der Kant praktische Gesetze mit Imperativen im Allgemeinen identifiziert, der çkonomischste Weg zu einer Auflçsung des Zitates aus der Grundlegung gewesen. Aus dem Vorangegangen folgt nun aber erstens, dass seit der Grundlegung nur praktische Gesetze und das heißt nur unbedingte objektive Prinzipien kategorische Imperative sein kçnnen. 34 Darin liegt die sowohl objektive als auch subjektive allgemeine Gltigkeit des praktischen Gesetzes, wie sie Engstrom unterschieden hat. Vgl. Engstrom: „Introduction“, xxxix-xxxv. 35 Dafr spricht eine Stelle in der Kritik der reinen Vernunft, wo es heißt: „Praktische Gesetze, so fern sie zugleich subjective Grnde der Handlungen, d.i. subjective Grundstze, werden, heißen Maximen. Die B e u r t h e i l u n g der Sittlichkeit ihrer Reinigkeit und Folgen nach geschieht nach I d e e n , die B e f o l g u n g ihrer Gesetze nach M a x i m e n “ (KrV B 840). 36 Vgl. dazu Kap. 3, § 2, 3. 37 Vgl. dazu McCarty: „Maxims in Kant’s Practical Philosophy“, 72.
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Zweitens hat sich ergeben, dass Maximen subjektive Prinzipien sind und sie sich darin sowohl von objektiven Prinzipien im Allgemeinen als auch von praktischen Gesetzen im Besonderen unterscheiden.38 Aus beiden Punkten folgt, dass praktische Gesetze fr Kant weder Maximen noch objektive Prinzipien im Allgemeinen, sondern nur unbedingte objektive Prinzipien sein kçnnen. Da es nach Kant nur ein einziges solches unbedingtes objektives Prinzip gibt, kçnnte man nun annehmen, die Interpretation liefe auf die von Duncan vorgeschlagene Lesart von GMS 4:412 hinaus, der zufolge Kant hier mit „Gesetzen“ allein das moralische Gesetz meint. Diese Interpretation ist jedoch oben als nicht berzeugend zurckgewiesen worden. Sie widerspricht dem weiteren Argumentationsgang in der Grundlegung, in dem Kant zunchst die Imperative im Allgemeinen und nicht allein den kategorischen Imperativ thematisiert. Auch ist die Fhigkeit, einem kategorisch gebietenden Sittengesetz Folge zu leisten, nicht auszeichnendes Merkmal vernnftiger Wesen im Allgemeinen. Wie Kant in einer spteren Schrift, der Religion, bemerkt, lsst sich sogar ein vernnftiges Wesen denken, das vom Sittengesetz gar keine Vorstellung hat (vgl. Rel 6:26 Anm.). Es muss also noch eine weitere Mçglichkeit geben, die Stelle in GMS 4:412 zu interpretieren, ohne dabei die „Gesetze“ mit dem einen moralischen bzw. praktischen Gesetz gleichsetzen zu mssen. Der Schlssel zur Stelle in GMS 4:412 ist eine Interpretation, die nicht allein auf den Begriff des Gesetzes, sondern auf den weiteren Zusammenhang abhebt, in dem zum einen der Gesetzesbegriff im Zitat und zum anderen das Zitat im weiteren Argumentationsgang steht. Zwei Punkte sind dabei grundlegend: 1. Mit der Redeweise von „Gesetzen“, nach deren Vorstellung zu handeln nur vernnftige Wesen ein „Vermçgen“ haben, schließt Kant an den vorherigen Satz an. Es geht ihm darum, zu zeigen, dass auch vernnftige Wesen nach Gesetzen wirken: nach ,Gesetzen der Freiheit‘. Sie werden nicht durch diese Gesetze bestimmt, sondern sie bestimmen sich selbst durch ,Gesetze der Freiheit‘. 2. Die sachlich wichtige Frage, die sich mit Bezug auf das Zitat in GMS 4:412 stellt, ist nicht die, welches die Gesetze sind, nach deren Vorstellung zu handeln nur vernnftige Wesen ein Vermçgen haben. Die hier entscheidende Frage lautet: Was heißt es, nach der Vorstellung von Gesetzen zu handeln? Damit liegt der Schwerpunkt der Lesart nicht 38 Daher ist es nicht mçglich, die objektiven Prinzipien einfach mit praktischen Gesetzen zu identifizieren (wie z. B. Timmermann: Sittengesetz und Freiheit, 73).
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allein auf dem Gesetzesbegriff, sondern darauf, dass ein vernnftiges Wesen das „Vermçgen“ hat, „nach der Vorstellung der Gesetze“ zu handeln.39 Aus diesen Voraussetzungen folgt fr die Interpretation von GMS 4:412, dass es Kant in der zitierten Stelle darum geht, das kausale Wirken vernnftiger Wesen vom Wirken anderer „Naturdinge“ abzugrenzen.40 So wirkt zwar „alles in der Natur […] nach Gesetzen“, jedoch auf verschiedene Weise. Ein vernnftiges Wesen verfgt im Gegensatz zu vernunftlosen Geschçpfen oder zu unbelebter Materie ber die Vorstellung allgemeingltiger und objektiver Grundstze („Principien“) und zudem ber das Vermçgen, nach diesen erkannten Grundstzen auch zu handeln. Die „Principien“, von denen im Zitat die Rede ist, sind daher allgemeine Grundstze rationalen Handelns. Davon sollte auch der Umstand nicht ablenken, dass Kant zustzlich von Gesetzen spricht und dadurch die Assoziation zum Sittengesetz als dem einzigen unbedingten objektiven Prinzip weckt. Mit der Rede von „Gesetzen“ schließt Kant hier an den vorherigen Satz an; sie besagt jedoch nicht mehr, als der Begriff des Prinzips allein ebenso htte aussagen kçnnen.41 Eindeutiger ist Kants Definition des Willens in der Kritik der Urteilskraft. Man darf unterstellen, dass er den in der Grundlegung verteidigten Willensbegriff zwar beibehlt, ihn in seinem spteren Werk aber bewusst przisiert hat: Der Wille, als Begehrungsvermçgen, ist nmlich eine von den mancherlei Naturursachen in der Welt, nmlich diejenige, welche nach Begriffen wirkt; und Alles, was als durch einen Willen mçglich (oder nothwendig) vorgestellt wird, heißt praktisch-mçglich (oder nothwendig): zum Unterschiede von der physischen Mçglichkeit oder Nothwendigkeit einer Wirkung, wozu die Ur39 Fr diese Lesart spricht auch, dass Kant „n a c h d e r Vo r s t e l l u n g “ hervorhebt, „der Gesetze“ hingegen nicht (GMS 4:412). 40 Vgl. Bittner: Moralisches Gebot oder Autonomie, 153. 41 Kant verwendet den Gesetzesbegriff auch an anderen Stellen, an denen ihm nicht die passende philosophische Funktion zukommt. So z. B. gegen Ende des „Zweiten Abschnitts“ in der Grundlegung, wo es ihm um die Abgrenzung heteronomer von autonomen Handlungen geht. „Heteronomie“ zeigt sich dieser Stelle zufolge darin, dass „der Wille irgend w o r i n a n d e r s , als in der Tauglichkeit seiner Maximen zu seiner eigenen Gesetzgebung […] das Gesetz sucht, das ihn bestimmen soll“ (GMS 4:441). Ein Prinzip aber, das nicht allgemein gesetzestauglich ist, kann gar kein Gesetz, sondern allenfalls eine Vorschrift sein. Da sich Menschen des Sittengesetzes unmittelbar bewusst sind (vgl. KpV 5:30), mssen sie das Gesetz nicht ,suchen‘. Es ist hier nicht das moralische Gesetz gemeint, sondern ein (beliebiges) Prinzip des Handelns.
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sache nicht durch Begriffe (sondern wie bei der leblosen Materie durch Mechanism und bei Thieren durch Instinct) zur Causalitt bestimmt wird (KU 5:172).
Und Kant fgt hinzu: Hier wird nun in Ansehung des Praktischen unbestimmt gelassen: ob der Begriff, der der Causalitt des Willens die Regel giebt, ein Naturbegriff, oder ein Freiheitsbegriff sei. Der letztere Unterschied ist aber wesentlich. Denn ist der die Causalitt bestimmende Begriff ein Naturbegriff, so sind die Principien t e c h n i s c h p r a k t i s c h ; ist er aber ein Freiheitsbegriff, so sind diese m o r a l i s c h p r a k t i s c h […] (KU 5:172).
Dieser Zusatz ist, wie Kant selbst anmerkt, „wesentlich“, weil er zeigt, dass der zuvor vorgestellte Willensbegriff noch nichts darber aussagt, ob die „Begriffe“ bzw. die rationalen berlegungen, die den Willen bestimmen, Prinzipien der Zweckrationalitt oder aber zweckunabhngige (moralische) Vernunftgrundstze sind. Das gilt auch fr den Willensbegriff an besagter Stelle in der Grundlegung (vgl. GMS 4:412), der offen lsst, ob die vorgestellten Vernunftgrundstze bedingte oder unbedingte objektive Prinzipien sind. Aus dieser Beschreibung der grundlegenden Struktur des Handelns vernnftiger Wesen ergibt sich schließlich mit dem Begriff des Willens eine Definition der Handlungskausalitt endlicher Vernunftsubjekte. Weil einem rational begabten Subjekt bestimmte rationale berlegungen nicht nur als theoretisches Wissen zugnglich sind, sondern es gleichzeitig aufgrund der Freiheit seiner Willkr dazu in der Lage ist, durch die Vorstellung eines vernnftigen Grundsatzes selbst Handlungen zu initiieren, so ist der Wille (eines solchen vernnftigen Wesens) „praktische Vernunft“. Kant drckt diesen Sachverhalt in der Wendung aus, zur „Ableitung der Handlungen von Gesetzen“ sei „Vernunf t“ erforderlich (GMS 4:412). Dies besagt jedoch nur, dass die Vernunft einem vernnftigen Wesen nicht nur als theoretisches, sondern auch als praktisches Vermçgen zukommt. Sie beeinflusst es in seinem Wollen und Handeln insofern, als sie dazu bewegt, bestimmte Grundstze des Handelns anzunehmen. In Bezug auf ein endliches Vernunftwesen heißt das, dass es aufgrund seiner Vernunft in der Lage ist, bestimmte Grundstze des Handelns auch dann anzunehmen, wenn sie seiner aktuellen Bedrfnisstruktur entgegenstehen.42 Dabei ist 42 Vgl. dazu erneut Kants Rede in der Vorlesung zur Moralphilosophie vom „practischen Zwang“, der nicht zugleich ein „moralischer Zwang“ sein muss (V-Mo/Kae 53 f./45). Die entscheidende Information beim „practischen Zwang“ ist, dass er
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noch offen, ob sich ihm die vernnftigen Grundstze als bedingte (hypothetische) oder unbedingte (kategorische) Gebote (Imperative) darstellen. Die hier vertretene Interpretation des Zitates aus der Grundlegung (vgl. GMS 4:412) besagt also, dass das „Handeln nach der Vorstellung von Gesetzen“ das Vermçgen vernnftiger Wesen meint, allgemein gltige, vernnftige Regeln des Verhaltens zu erkennen und sich diese zu Grundstzen des eigenen Handelns zu machen. Die Regeln rationalen Handelns, nach denen zu handeln nur vernnftigen Wesen eignet, sind allgemeine objektive Grundstze, die bedingt oder unbedingt sein kçnnen.43 Handelt ein vernnftiges Wesen nach der Vorstellung eines bedingten objektiven Prinzips, so ist das Prinzip des Handelns, nach dem es sich richtet, eine Klugheitsregel oder eine Regel der Geschicklichkeit bzw. ein hypothetischer Imperativ. Ist es hingegen ein unbedingtes objektives Prinzip, das sich eine Handelnde vorstellt, so nimmt sie es als ein kategorisches Gebot wahr, das eine Handlung ausnahmslos und unabhngig von Klugheits- und Geschicklichkeitserwgungen fordert. Diese Interpretation wird durch eine weitere Stelle gesttzt, an der Kant eine Definition fr den Willen gibt. Sie findet sich in der Kritik der praktischen Vernunft: Dieses Princip der Sittlichkeit […] erklrt die Vernunft zugleich zu einem Gesetze fr alle vernnftige Wesen, so fern sie berhaupt einen Willen, d. i. ein Vermçgen haben, ihre Causalitt durch die Vorstellung von Regeln zu bestimmen, mithin so fern sie der Handlungen nach Grundstzen, folglich auch nach praktischen Principien a priori […] fhig sind (KpV 5:32; H. v. m.).
Dass vernnftige Wesen also berhaupt ein Vermçgen haben, nach Grundstzen (Prinzipien) zu handeln, befhigt sie erst dazu, nach solchen Grundstzen zu handeln, die wir ,moralisch‘ nennen: „praktische Principien a priori“ (KpV 5:32). Damit ist das allgemeine Vermçgen der rationalen Selbstbestimmung ebenso grundlegend fr vollkommen rationales Wollen und Handeln, wie eine freie Willkr grundlegend fr einen ,guten Willen‘ ist, der durch ein rein rationales Prinzip und nicht zustzlich durch berlegungen der Zweckrationalitt bestimmt ist.44 Und ebenso wie sich nur auf Wesen beziehen kann, die zwar zum einen eine sinnlich affizierbare Willkr haben, aber nicht durch die Bestimmung sinnlicher Reize determiniert sind. Sie werden zwar „gençtigt“, aber nicht „pathologisch“, sondern „practisch“. 43 Vgl. dazu auch Reath: „The Categorical Imperative and Kant’s Conception of Practical Rationality“, 77. 44 Vgl. dazu den „Ersten Abschnitt“ der Grundlegung.
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auch heteronome Handlungen die Spontaneitt der Willkr voraussetzen und deshalb als frei bezeichnet werden kçnnen45, so ist auch ein Handeln nach Grundstzen, die zwar objektiv, aber nicht unbedingt gltig sind, Ausdruck der Freiheit eines vernunftbegabten Wesens. 4. Maximen Was aber heißt es, dass ein vernnftiges Wesen etwas als ein Prinzip erkennt und sich dieses zum Grundsatz seines Handelns macht? Wie wir gesehen haben, sind Maximen subjektive praktische Grundstze (vgl. z. B. GMS 4:400 Anm., 420 f. Anm.; KpV 5:19), die vom Subjekt durch berlegung und Reflexion als handlungsleitend angenommen werden.46 Subjektive Prinzipien des Handelns sind sie, weil sie diejenigen Grundstze bezeichnen, die ein einzelnes Subjekt sich zum Prinzip seines zunchst individuellen Handelns macht. Sie sind praktische Prinzipien des Handelns, weil sie eine Willensbestimmung enthalten,47 nmlich insofern, als ein Subjekt sie als gltige Regel des Verhaltens anerkennt, die deshalb das 45 Dies ist auch Allisons Ansicht: „Thus, even desire-based or, as Kant later termed it, ‘heteronomous’ action involves the self-determination of the subject and, therefore, a ‘moment’ of spontaneity“ (Allison: Kant’s Theory of Freedom, 39; vgl. auch 136). – In der Grundlegung klingt es an einigen Stellen, v. a. im „Dritten Abschnitt“, so, als sei der Wille nur dann frei, wenn er durch die Vorstellung reiner praktischer Gesetze bestimmt wird. Indem Kant hier Freiheit mit der „Autonomie des Willens“ gleichsetzt (z. B. GMS 4:446 f.), scheint fr die Freiheit heteronomer Handlungen in seiner Argumentation kein Platz zu sein. Diesem auf den Autonomie-Begriff eingeschrnkten Konzept der Freiheit liegt die spezielle Argumentationsstruktur des „Dritten Abschnitts“ der Grundlegung zugrunde, die sich allein auf den engeren, positiven Begriff der Freiheit konzentriert. So definiert Kant den Willen hier gleich zu Beginn als „eine Art von Causalitt lebender Wesen, so fern sie vernnftig sind, und Fr e i h e i t wrde diejenige Eigenschaft dieser Causalitt sein, da sie unabhngig von fremden sie bestimmenden Ursachen wirkend sein kann […]“ (GMS 4:446). Diese enge Konzeption scheint jedoch in den spteren Schriften wieder aufgehoben zu sein. In der Metaphysik der Sitten arbeitet Kant wieder sowohl mit dem negativen als auch mit dem positiven Freiheitsbegriff (vgl. z. B. MS 6:213 f., 226). Dem negativen Freiheitsbegriff zufolge ist eine Willkr frei, die durch sinnliche Antriebe nicht notwendig bestimmt wird. Unter diesen Freiheitsbegriff fallen auch heteronome Handlungen. 46 Vgl. zu dieser Interpretation von Kants Maximenbegriff Uleman: An Introduction to Kant’s Moral Philosophy, 41. 47 Vgl. Kants Definition von „praktischen Grundstzen“ in der Kritik der praktischen Vernunft als „Stze, welche eine allgemeine Bestimmung des Willens enthalten“ (KpV 5:19).
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„Princip des Wollens“ ist (GMS 4:400 Anm.), nach dem es handelt. Maximen sind also nicht nur theoretische, sondern praktische berzeugungen, nach denen ein vernnftiges Subjekt nicht nur urteilt, sondern tatschlich handelt (vgl. z. B. GMS 4:400 Anm., 420 f. Anm.). Es hat nicht nur „die Regel im Kopfe“, sondern „die Maxime im Herzen“.48 Zugespitzt heißt das: Wenn ein vernnftiges Subjekt berhaupt handelt, dann handelt es nach einer Maxime.49 Sie ist das „subjective Princip“ (GMS 4:420 Anm.), das seinen Handlungen zugrunde liegt, und insofern unmittelbarer Bestimmungsgrund des Handelns.50 Maximen erweisen sich in dieser Hinsicht als grundlegend fr die Handlungserklrung: Sie sind die Oberstze in praktischen Schlssen. Zusammen mit einer berzeugung (Untersatz) erklren sie eine Handlung.51 Maximen rechtfertigen eine Handlung durch logische Kraft, sie erklren eine Handlung durch ihre psychologische Kraft.52 Diese grundlegende Funktion von Maximen im Wirken eines vernunftbegabten Wesens, das sich in jeder Situation des Entscheidens und 48 Diese originelle Formulierung findet sich in der Nachschrift von Kants Vorlesungen zur Moralphilosophie nach Powalski, in der Kant das Handeln nach Maximen dem ,Handeln‘ nach Antrieben entgegensetzt: „Der Mensch der nach Antrieben handelt, der handelt nicht nach Maximen. Er kann zwar die Regel im Kopfe haben, er hat doch aber nicht die Maxime im Herzen“ (V-PP/Pow 27:207). 49 Wenn Kant in den Bemerkungen schreibt, nur wenige Menschen handelten nach Grundstzen (vgl. Bemerk 2:227), so ist dies kein Beleg gegen die These, alles Handeln vollziehe sich nach Maximen. Kant meint an dieser Stelle ja nicht, dass die meisten Menschen nicht nach Maximen handeln. Was ihnen fehlt, ist nicht die allgemeine Fhigkeit, Grundstze des Handelns anzunehmen, sondern Standhaftigkeit in der Befolgung derjenigen Grundstze, die sie als vernnftig eingesehen haben. – Wood hingegen ist der Ansicht, dass es nach Kant auch Handlungen gibt, die nicht durch Maximen fundiert sind. Als Beispiel fhrt Wood den Willensschwachen an, der zwar handelt, aber nicht notwendigerweise auch eine neue Maxime annimmt (Kant’s Ethical Thought, 52). Gleichzeitig vertritt Wood die Auffassung, alles Handeln sei fr Kant ein Ausdruck der Freiheit und daher „nonnatural“ bzw. „supernatural“ (251). Vor diesem Hintergrund ist jedoch gerade fraglich, worin die ,Handlung‘ des Willensschwachen bestehen soll; ist sie tatschlich Ausdruck der freien Willkr eines vernnftigen, aber fehlbaren Naturwesens, so muss sie zumindest in einem rudimentren Sinne bewusst und berlegt sein. Doch das ist ein Problem der kantischen Handlungstheorie und Moralpsychologie, fr das Kant selbst keine befriedigende Lçsung zu haben scheint. Siehe dazu den kurzen Abschnitt zur Willensschwche („Gebrechlichkeit“) in der Religion (Rel 6:29). 50 Vgl. Paton: Der kategorische Imperativ, 60. 51 Diesen Punkt macht McCarty: Kant’s Theory of Action, 3 – 9, 25. 52 Vgl. McCarty: Kant’s Theory of Action, 28.
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Handelns mit einer Flle von Reizen, Vorlieben, Begierden, persçnlichen Absichten und vernnftigen Vorschlgen und Regeln konfrontiert sieht und aus diesem Material mit den Maximen erst Regeln des eigenen Verhaltens formt,53 bringt Kant insbesondere an Stellen zum Ausdruck, an denen er die Maximen als Regeln freien Handelns von einem bloßen Getriebensein durch sinnliche Reize abgrenzt. Diese Stellen finden sich vor allem in den Nachschriften zu seinen Vorlesungen ber Ethik und Metaphysik. Dabei fllt auf, dass Kant hier im Gegensatz zu den spteren Schriften auch die Mçglichkeit von Handlungen erwgt, die nicht auf Maximen zurckgehen. So heißt es in der Vorlesung zur Moralphilosophie: Die Handlungen die sich auf den Menschen selbst beziehen entspringen aus Antrieben und Neigungen oder aus Maximen und Principien. Es ist also nçthig, daß der Mensch sich auf Maximen setze und durch Regel seine freye Handlungen die sich auf ihn selbst beziehen restringire […] (V-Mo/Kae 224/ 179).
In einer hnlichen Formulierung findet sich dieser Gedanke in der Praktischen Philosophie Powalski, wo es heißt: „Wir kçnnen auf zweyfache Weise handeln entweder aus Maximen oder nach Stimulis“ (V-PP/Pow 27:206). Ein Handeln aus Grundstzen ist damit fr Kant schon frh ein Verhalten, das man „sich selbst gewhlt hat“ (V-PP/Pow 27:206 f.).54 Die sptere Auffassung von Maximen als handlungsfundierenden Absichten, die allen Handlungen eines mit einer freien Willkr und mit dem Vermçgen der Vernunft begabten Wesens zugrunde liegen, kommt in der Metaphysik Dohna aus der Entstehungszeit der Religion (um 1792/93) zum Ausdruck: Actio voluntaria in so fern sie nach Maximen entspringt (maxime – Maximen, principia practice subjectiva weil sie propositio major in practischen Syllogismen sein wrden). involuntaria – nicht mit Willen, nicht nach seiner Maxime. Dies ist eine sehr subtile Materie – als frei handelndes Wesen kann 53 Vgl. dazu z. B. O’Neill, die Maximen als handlungsfundierende Absichten versteht, „by which the agent orchestrates his numerous more specific intentions“ (O’Neill: „Kant after Virtue“, 394). 54 Diesen Gedanken legt auch eine Reflexion aus der Entstehungszeit von Kants grundlegenden ethischen Schriften (zwischen 1780 – 1789) nahe: „(g Nicht Nachahmer seyn, auch nicht sonderling. Nicht lenksam nach anderer willen. Nicht vernderlich. Sich maximen whlen.)“ (Refl. 1518, 15:868; ca. 1780 – 1789). Dazu passt die Definition aus der Grundlegung von Maximen als „sich selbstauferlegten Regeln“ des Verhaltens (GMS 4:438). Und noch 1797, in der „Einleitung“ zur Metaphysik der Sitten, heißt es: „Maxime aber ist das s u b j e c t i v e Princip zu handeln, was sich das Subject selbst zur Regel macht (wie es nmlich handeln will). Dagegen ist der Grundsatz der Pflicht das, was ihm die Vernunft schlechthin, mithin objectiv gebietet (wie es handeln s o l l )“ (MS 6:225).
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der Mensch eigentlich nichts nicht mit Willen thuen – immer handelt er nach Maximen wenn auch nicht universaliter (V-Me/Dohna 28:678).
Aus allen zitierten Stellen folgt, dass Kants Maximenbegriff in grundlegender Weise darauf abzielt, die freien Handlungen eines vernunftbegabten Wesens als durch selbst auferlegte Handlungsregeln fundiertes Verhalten zu beschreiben. Dass ich mir etwas selbst zur Regel meines Verhaltens mache, bedeutet, dass mir dieses nicht aufgezwungen wird, sondern dass es im Gegenteil selbst gewhlt ist. Somit zeigt sich im Handeln nach Maximen die Fhigkeit, sich in Auseinandersetzung mit aktuellen Neigungen einerseits und allgemeinen praktischen Grundstzen andererseits freiwillig zur Verfolgung bestimmter Zwecke zu bestimmen.55 Maximen markieren damit die Grenze zwischen „arbitrium brutum“ und „arbitrium liberum“ (KrV A 534/B 562), indem sie fr die Fhigkeit des Menschen stehen, nach Grundstzen zu handeln, die zumindest nicht allein durch die Sinnlichkeit vorbestimmt sind.56 Anders als die Tiere ist der Mensch, wenn er berleben will, sogar darauf angewiesen, sein Verhalten zu planen und zu strukturieren: Ein Thier ist schon alles durch Instinct; eine fremde Vernunft hat bereits Alles fr dasselbe besorgt. Der Mensch aber braucht eigene Vernunft. Er hat keinen Instinct und muß sich selbst den Plan seines Verhaltens machen (Pd 9:441).57
Dass sich jemand etwas „zur Maxime macht“, ist daher zunchst Ausdruck seiner grundlegenden Fhigkeit, sich die Bestimmungsgrnde seines Wollens nicht einfach aufzwingen zu lassen, sondern seine Handlungen durch „eigene Vernunft“ zu planen.58 Dabei ist zunchst gleichgltig, ob 55 Vgl. Gregor: „Kants System der Pflichten“, XXVI. 56 Umgekehrt ist Handeln aus Pflicht nur mçglich, weil wir unsere Maximen selbst annehmen und daher auch korrigieren, revidieren oder verwerfen kçnnen. Verpflichtet werden kann nur jemand, der die Grundstze, aus denen er handelt, (immer neu) frei whlen und sich selbst verpflichten kann (vgl. dazu MST 6:409). 57 Diese These steht im Kontext von Kants Theorie der moralischen Erziehung. Die besondere Rolle von Maximen in der moralischen Erziehung ist durch Kants Auffassung begrndet, „die Fertigkeit, nach Maximen zu handeln“, mache den Charakter eines Menschen aus (vgl. Pd 9:481). Weil Maximen „aus dem eigenen Verstande“ „entspringen“ (Pd 9:481), ist das Handeln nach Maximen ein Zeichen der Selbstbestimmung, die durch Erziehung gefçrdert werden muss. Zum Zusammenhang von Maximen und Charakter vgl. Anth 7:285, 291 f.; Refl. 1162, 15:514 (1772 – 1775) und Refl. 1179, 15:521 (1772 – 1775). 58 Timmermann scheint diese grundlegende Funktion von Maximen als Konstituenten spontanen, vernnftigen Handelns zu untersttzen, wenn er betont, dass man Kants Ausspruch, man „mache“ sich etwas zur Maxime, nicht berschtzen
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sich jemand vor sich selbst und vor seinesgleichen fr seine Handlungen als ethisches Subjekt oder als Rechtssubjekt verantwortet. In beiden Fllen wird vorausgesetzt, dass Menschen empfnglich fr Grnde sind, die ber ihre aktualen Neigungen hinausgehen und die sie zu Grundlagen ihres Verhaltens machen kçnnen. Sie kçnnen, wie Kant in der Metaphysik der Sitten schreibt, „nach Begriffen“ begehren (MS 6:213) bzw. „nach der Vorstellung der Gesetze“ handeln (GMS 4:412), indem sie diese zu subjektiven Prinzipien ihres Verhaltens machen. „[N]ach der Vorstellung der Gesetze, d. i. nach Principien“ handeln, heißt also, aus Grnden zu handeln, die ein vernnftiges Wesen einsieht und sich zu Eigen macht. Weil sowohl die Einsicht in die Grnde als auch der Vorgang der Identifikation mit diesen Grnden nur durch Vernunft mçglich ist, bezeichnet Kant ein Wollen und Handeln, das auf solche selbst angenommenen Grundstze zurck geht, als „praktische Vernunft“.59 Mit Blick auf das Zitat in GMS 4:412 lassen sich die bisherigen berlegungen wie folgt zusammenfassen: Die Gesetze, nach deren Vorstellung zu handeln nur vernnftige Wesen ein Vermçgen haben, sind objektive Prinzipien bzw. rationale Grnde des Handelns.60 „[N]ach der Vorstellung der Gesetze, d. i. nach Principien“ handeln, heißt, nach Maximen zu handeln. Diese Fhigkeit impliziert die Mçglichkeit des Scheiterns oder der Verweigerung: Rational Handelnde handeln im Lichte sollte, da das „Machen“ zunchst einmal nur bedeutet, dass sie uns nicht schon von vornherein zugeschrieben sind (vgl. Timmermann: Sittengesetz und Freiheit, 155). Zu bedenken ist jedoch, dass Maximen dem Menschen aufgrund dieser Freiheit nicht einfach so zukommen, sondern dass er sich diese selbst auferlegt. Dieser Aspekt der Aktivitt kommt auch darin zum Ausdruck, dass Kant zufolge der Begriff der Maxime auf dem des Interesses „grndet“ (KpV 5:79), der selbst ein auf eine Aktivitt bezogener Begriff ist („ein Interesse nehmen“, vgl. dazu Allison: Kant’s Theory of Freedom, 89). Allison bringt diese Aktivitt außerdem mit der Identifikationsleistung in Verbindung, die ein Subjekt vollzieht, wenn es sich etwas zur Maxime macht: „A maxim could never be aware of as mine, like a representation to which I could not attach the ‘I think’, would be ‘nothing to me’ as a rational agent. It might function as an unconscious drive or habitus governing my behaviour, but it would not be a principle on which I act as a rational agent“ (Allison: Kant’s Theory of Freedom, 90). Ob die Identifikation so weit gehen muss, dass sie zu der Annahme fhrt, es handle sich bei Maximen um „Lebensregeln“ (so Bittner: „Maximen“, 489), wre noch genauer zu prfen. 59 Dass fr Kant das Handeln nach Maximen ein Handeln aus Grnden ist, meint auch Wolff: The Autonomy of Reason, 76 f. 60 Dieser Auffassung ist auch Korsgaard: „Your maxim must express what you take to be a reason for action […]“ („An introduction to the ethical, political, and religious thought of Kant“, 13).
§ 1 Natrliche Autonomie
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ihres Wissens von objektiven praktischen Prinzipien, aber sie handeln nicht notwendigerweise in bereinstimmung mit diesen Prinzipien.61 In jedem Falle aber handeln sie nach Maximen. Einen Willen haben, bedeutet schließlich, aus Grnden handeln, die man sich selbst zu Grundstzen seines Verhaltens gemacht hat. Dazu ist Vernunft erforderlich. Der Wille ist daher „praktische Vernunft“.62 Daraus, dass die Maximen ein Ausdruck des Vermçgens sind, praktisch zu begehren, d. h. nach Gesetzen der Vernunft zu whlen und zu handeln, folgt, dass Kant mit dem Willen an der Stelle in der Grundlegung einerseits ein Vermçgen meint, das in der Ausbung vorgestellter Gesetzlichkeiten besteht. Da das Handeln nach Maximen aber auch bedeutet, dass sich jemand selbst ein Prinzip zu handeln und damit sein eigenes Gesetz des Handelns vorgibt, so liegt andererseits auch eine Interpretation von „Wille“ nahe, die diesen auch als gesetzgebendes und nicht allein als ausbendes Vermçgen versteht. Diese Art der Selbstgesetzgebung, die im Handeln nach Maximen zum Ausdruck kommt, unterscheidet sich jedoch von der im engeren Sinne moralischen Autonomie, wie Kant sie in der Grundlegung als Prinzip der Moralitt etabliert. Whrend die moralische Autonomie die
61 Vgl. Allison: Kant’s Theory of Freedom, 86 und 261, Fn. 3; Bittner: „Maximen“, 492, sowie Kap. 5, § 2, 4. 62 Damit steht die hier vertretene Interpretation zwischen den von Reath, Timmermann, Vorlnder und Willaschek einerseits und Allison, Bittner, Hill und Paton andererseits vertretenen Lesarten von GMS 4:412. Nach Reath, Timmermann, Vorlnder und Willaschek handelt es sich bei den „Gesetzen“ um objektive Prinzipien im Sinne von rationalen Handlungsgrnden; bei dieser Interpretation steht die Rolle, die Maximen in diesem Handeln „n a c h d e r Vo r s t e l l u n g der Gesetze“ zukommt, im Hintergrund bzw. wird gar nicht thematisiert. Im Gegensatz dazu verstehen Allison, Bittner, Hill und Paton die Stelle in GMS 4:412 gerade als ein Textstck, in dem es Kant darum geht, das Handeln eines vernnftigen Wesens speziell als ein Handeln nach Maximen auszuweisen. Nur Bittner (teilweise) und Hill (eindeutig) scheinen dabei die „Gesetze“ mit den Maximen identifizieren zu wollen (vgl. Bittner: „Maximen“, 492; Hill: „Kant’s Theory of Practical Reason“, 125), Allison und Paton hingegen nicht (vgl. Allison: Kant’s Theory of Freedom, 86 und 261, Fn. 3; Paton: Der kategorische Imperativ, 89). Meine Interpretation von GMS 4:412 kommt daher den Positionen von Allison und Paton am nahsten, weil sie das Handeln „n a c h d e r Vo r s t e l l u n g der Gesetze“ in erster Linie als ein Handeln nach Maximen versteht. In der Auffassung, die Gesetze seien objektive Prinzipien bzw. Regeln vernnftigen Verhaltens, liegt die inhaltliche Nhe meiner Darstellung zu den Positionen von Reath und Willaschek (vgl. Reath: „The Categorical Imperative and Kant’s Conception of Practical Rationality“, 76 f.; Willaschek: „Practical Reason“, v. a. 125).
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III. Reine praktische Vernunft: Moralitt und Autonomie
Auswahl der gesetzestauglichen Maxime betrifft,63 ist Autonomie im Sinne vom Handeln nach Maximen in viel grundlegenderer Weise Ausdruck dafr, dass jemand berhaupt nach selbst gewhlten Prinzipien handelt.64 Moralische Autonomie im Handeln „nach der Vorstellung der Gesetze“ liegt nur dann vor, wenn ein vernnftiges Wesen nicht nur im Lichte, sondern auch nach unbedingten objektiven Prinzipien und d. h. nach Maximen handelt, die diesen Prinzipien angemessen sind. In beiden Fllen von Autonomie verstehen wir den Willen sowohl als gesetzgebendes als auch als ausbendes Vermçgen. „Praktische Vernunft“ meint hier daher zum einen die exekutive, zu anderen aber auch die legislative Funktion eines Willens, der „nach der Vorstellung der Gesetze“ handelt.65
§ 2 Moralitt als Autonomie 1. Die Analyse des moralischen Werts und das Motiv der Pflicht (Grundlegung I) Korsgaard hat Kants Vorgehensweise im „Ersten Abschnitt“ der Grundlegung treffend als „motivationale Analyse des moralischen Werts“ bezeichnet. Eine solche Analyse zeichnet sich dadurch aus, dass sie moralisch wertvolle Handlungen mit Bezug auf die Motive definiert, aus denen ein
63 In diesem Sinne erlutert Kant sein Konzept (moralischer) Autonomie in der Grundlegung: „Der Satz aber: der Wille ist in allen Handlungen sich selbst ein Gesetz, bezeichnet nur das Princip, nach keiner anderen Maxime zu handeln, als die sich selbst auch als ein allgemeines Gesetz zum Gegenstande haben kann. Dies ist aber gerade die Formel des kategorischen Imperativs und das Princip der Sittlichkeit […]“ (GMS 4:447). 64 Bittner unterscheidet dem zufolge zwischen „natrlicher“ und „moralischer Autonomie“. „Natrliche Autonomie“ meint das vernnftige Handeln nach Prinzipien/Maximen, „moralische Autonomie“ hingegen „nicht das Verhltnis der Handlung zur Maxime, sondern die Auswahl der Maxime selbst“ (Bittner: „Maximen“, 494 f.). – Die berschriften dieses Kapitels: „Natrliche Autonomie“ und „Moralitt als Autonomie“ sind an Bittners Unterscheidung orientiert. 65 Vgl. dazu Allisons an Beck orientierte Unterscheidung zwischen „Wille“ im ,weiten Sinne‘, der das gesamte Willensvermçgen umfasst, und „Wille“ im ,engeren Sinn‘, der das Vermçgen bezeichnet, sich selbst ein Gesetz zu geben (im Sinne moralischer Autonomie). In der Definition vom Willen ,im weiten Sinne‘ sind Wille (legislativ) und Willkr (exekutiv) enthalten (vgl. Allison: Kant’s Theory of Freedom, 129; Beck: A Commentary on Kant’s Critique of Practical Reason, 200).
§ 2 Moralitt als Autonomie
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Subjekt sie ausfhrt.66 Ob jemand (tatschlich) moralisch gehandelt hat, lsst sich diesem Ansatz nach nur im Hinblick auf seine Motivation sagen. Schon in der Vorlesung zur Moralphilosophie aus den 1770er Jahren heißt es: „Es kommt nicht darauf an, daß die Handlungen geschehen, sondern aus was fr einer Quelle sie geschehen“ (V-Mo/Kae 140/110). In Kants Analyse in der Grundlegung ist es der Begriff der Pflicht, der die Analyse des moralischen Wertes begleitet. Er dient dort zunchst als argumentative Hilfe, um zu verstehen, was einen „guten Willen“ und damit Moralitt in freien, selbst gewhlten Handlungen ausmacht (vgl. GMS 4:397). Moralisch wertvoll ist Kants Ansicht nach nun eine Handlung, die aus dem Motiv der Pflicht erfolgt. Und ein guter Wille, sofern er der Wille eines endlichen Vernunftwesens ist, ist ein Wille, der aus Pflicht handelt. Was genau heißt das? Der Begriff der Pflicht ist erstens nur in Bezug auf ein bedrftiges Wesen wie den Menschen sinnvoll anwendbar. Handelt ein vollkommenes Vernunftwesen aus gutem Willen, so geschieht diese Handlung zwar nach Prinzipien, die fr alle vernnftigen Wesen Gltigkeit haben. Ein reines Vernunftsubjekt nimmt diese Prinzipien jedoch nicht als Pflichten wahr.67 Eine Handlung als notwendig und daher als gesollt vorzustellen ist nur Wesen mçglich, deren Wille aufgrund von Neigungen und Wnschen nicht schon von sich aus mit den als moralisch richtig vorgestellten Grundstzen bereinstimmt. Zweitens unterscheidet Kant zwischen „pflichtgemßen“ Handlungen und Handlungen „aus Pflicht“ (GMS 4:397). Letztere stimmen auch mit der Pflicht berein und sind daher ebenfalls – aber nicht nur – pflichtgemß. Unter die pflichtgemßen Handlungen fallen drei Typen (vgl. GMS 4:397 – 399):68 66 Vgl. Korsgaard: „Kant’s Analysis of Obligation“, 47. Die motivationale Analyse, wie sie von Korsgaard verteidigt wird, ist insofern hilfreich, als sie der Entdeckung der internen Beziehung zwischen dem obersten Moralprinzip und dem rationalen Willen dient. Im Gegensatz zu Korsgaards Ansicht luft eine Analyse des moralischen Wertes, die auf die Rolle der Motive fr moralisch wertvolles Handeln Bezug nimmt, jedoch nicht zwingend auf die Ansicht hinaus, die Verbindlichkeit moralischer Normen basiere in exponierter Weise auf den motivationalen Einstellungen des moralischen Subjekts. Vgl. zur Kritik der Bedeutung einer konstruktivistischen Theorie der Normativitt fr Kants Auffassung vom intrinsischen Charakter der Moralitt Kain: „Constructivism, Intrinsic Normativity, and the Motivational Analysis Argument“. 67 „Das moralische Gesetz ist nmlich fr den Willen eines allervollkommensten Wesens ein Gesetz der H e i l i g k e i t , fr den Willen jedes endlichen vernnftigen Wesens aber ein Gesetz der P f l i c h t […]“ (KpV 5:82). 68 Vgl. dazu Paton: Der kategorische Imperativ, 40.
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a) aus unmittelbarer Neigung b) aus selbstschtiger Absicht/aus Neigung c) aus Pflicht. Alle drei Handlungstypen stimmen darin berein, dass sie mit dem Pflichtmotiv in Einklang stehen kçnnen. Die ersten beiden Typen unterscheiden sich vom letzten Handlungstyp jedoch darin, dass ihnen kein ,echter‘ moralischer Wert zukommt.69 Kant fhrt fr diesen Gedanken Beispiele an. Wenn jemand sein Leben nur deshalb erhlt, weil er den Tod frchtet oder an seinem Dasein hngt, so tut er damit zwar seine Pflicht (denn Selbsterhaltung ist nach Kant Pflicht; vgl. GMS 4:397). Seine Handlung ist aber moralisch nicht wertvoll, weil der Pflichtgedanke nicht das Motiv ist, aus dem er handelt, sondern der Wunsch und die unmittelbare Neigung, leben zu wollen, ihn zu der Handlung bewegt (vgl. GMS 4:397 f.). Ebenso ist das Verhalten einer Person zu bewerten, die einem anderen Menschen aus Mitgefhl hilft. Was sie zum Handeln bewegt, ist keinesfalls ein Pflichtgedanke, sondern eine (wenn auch positive) Neigung zur Wohlttigkeit.70 Sie handelt im Einklang mit der Pflicht, aber nicht ,aus 69 Das heißt nicht, dass solche Handlungen moralisch verwerflich sind. Es geht Kant an dieser Stelle nicht darum, moralisch gute von moralisch schlechten, sondern allein pflichtgemße von Handlungen aus Pflicht zu unterscheiden. Um herauszustellen, dass pflichtgemße Handlungen, denen das Pflichtmotiv fehlt, zwar nicht genuin moralisch wertvoll sind, aber gewissen Sittlichkeitsstandards gengen, verwendet Kant den Begriff des moralischen Wertes an dieser Stelle in Begleitung der Bezeichnungen ,innerlich‘, ,echt‘ und ,eigentlich‘. So hat beispielsweise die Selbsterhaltung aus Angst vor dem Tod keinen „innern Werth“ (GMS 4:397), und Wohlttigkeit hat erst dann „ihren chten moralischen Werth“, wenn sie aus Pflicht geschieht (GMS 4:398). Auch fr die eigene Glckseligkeit zu sorgen, ist nur dann ein Verhalten von „eigentliche[m] moralischen Werth“, wenn es nicht durch Neigung, sondern durch die Pflicht motiviert ist (GMS 4:399). Handlungen mit ,echtem‘ moralischem Wert gehen also ber das Pflichtgesetz hinaus, indem bei ihnen die Forderung des Gesetzes nicht nur ußerlich, sondern aus dem angemessenen Motiv und das heißt: ,innerlich‘ erfllt wird. Wie Kant an spterer Stelle ausfhrt, ist ein solches Verhalten, im Gegensatz zu bloß ,legalen‘ Handlungen, „verdienstlich“ (vgl. MST 6:390 f.). Zum Aspekt der ,Innerlichkeit‘ als auszeichnendem Merkmal von Handlungen, die von einer ethischen (im Gegensatz zu einer juridischen) Gesetzgebung gefordert werden, siehe Schadow: „Recht und Ethik in Kants Metaphysik der Sitten“. Zum Zusammenhang von moralischem Wert und unvollkommenen Pflichten bei Kant siehe Baron: „Overdetermined Actions and Imperfect Duties“. 70 Wie Timmermann ausfhrt, ist die Handlung des Wohlttigen durch die eigene motivationale Verfassung, nicht aber durch die Auffassung des Handelnden bedingt, Wohlttigkeit sei Pflicht. Die Maxime des (scheinbar) wohlttig Han-
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Pflicht‘ (vgl. GMS 4:398). Pflichtgemß aber dennoch nicht moralisch gut ist auch das Verhalten des Kaufmanns, der einen unerfahrenen Kunden (z. B. ein Kind) nur aus eigenntzigen Grnden nicht bervorteilt – nmlich aus Sorge, Kunden zu verlieren, wenn sein Verhalten bekannt wird. Seine ,Ehrlichkeit‘ beruht auf einem Geschicklichkeitsmotiv und hat daher keinen moralischen Wert. Denn die Handlung geschieht „weder aus Pflicht, noch aus unmittelbarer Neigung, sondern in eigenntziger Absicht“ (GMS 4:397). Von diesen beiden Handlungstypen – Handeln aus unmittelbarer Neigung und Handeln aus eigenntziger Absicht – unterscheiden sich Handlungen, die pflichtgemß sind und auch „aus Pflicht“ ausgefhrt werden, dadurch, dass sie zustzlich durch das Motiv der Pflicht selbst fundiert sind. Die Haltung, die Menschen gegenber dem Gesetz einnehmen, bezeichnet Kant als „Achtung“.71 Handelt jemand unter der Idee der Verpflichtung, die von diesem Gesetz ausgeht, so handelt er aus „Achtung frs Gesetz“ (GMS 4:400). Seine Pflicht aus Pflicht zu erfllen heißt nach Kant daher, das moralisch Richtige aus Achtung vor dem moralischen Prinzip zu wollen und zu tun.72 Dabei muss der Pflichtgedanke insofern als Grundlage in die Handlung eingehen, als er das grundlegende Motiv des Handelns ist. Erst dann hat die Handlung „moralische[n] Wert“ (GMS 4:401). Neigungen und Wnsche drfen die Handlung begleiten, sie drfen das moralische Motiv jedoch nicht ersetzen. Die Pflichtgemßheit der Handlung beruht daher nicht auf einem Zufall, sondern wird durch das moralische Motiv sichergestellt. Die Handlung selbst ist in dieser Hinsicht beispielhaft fr das moralische Prinzip, das sie fundiert.73 Es ist also, entgegen Schillers Ansicht, durchaus nicht moralisch verwerflich, Freundschaftsdienste mit persçnlicher Sympathie zu begleiten. Diese persçnliche Zuneigung darf jedoch, wenn der Freundschaftsdienst eine moralisch wertvolle Handlung delnden enthlt daher keine moralischen Prdikate; ihr fehlt der ,moralische Gehalt‘ (vgl. „Acting from Duty“, 49). 71 „Was ich als Gesetz fr mich erkenne, erkenne ich mit Achtung, welche bloß das Bewußtsein der Un t e r o rd n u n g meines Willens unter einem Gesetze ohne Vermittelung anderer Einflsse auf meinen Sinn bedeutet“ (GMS 4:401). 72 „P f l i c h t i s t d i e No t h w e n d i g k e i t e i n e r H a n d l u n g a u s A c h t u n g f r s G e s e t z “ (GMS 4:400). 73 Dies ist laut Johnson entscheidend fr Kants Vorstellung vom Handeln aus Pflicht. Das Motiv, moralisch zu handeln, macht die Handlung zu einem Beispiel fr das Moralprinzip, das seinerseits von anderen rationalen Personen als solches erkannt und respektiert wird (vgl. „Good Will and the Moral Worth of Acting from Duty“, 43 – 45).
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darstellen soll, nicht das einzige oder ausschlaggebende Motiv des Handelns sein.74 Daraus folgt, dass Kants Unterscheidung moralisch wertvollen Handelns von Handlungen ohne moralischen Wert nicht in der Gegenberstellung von pflichtgemßen Handlungen und Handlungen aus Pflicht besteht. Das Gegensatzpaar, das Kant vor Augen hat, lautet im Gegenteil: bloß pflichtgemßes Handeln versus Handeln aus Pflicht. ,Bloß pflichtgemß‘ ist ein Handeln, dass mit der moralischen Forderung nur ußerlich bereinstimmt. Es fehlt ihm das moralische Motiv als ausschlaggebender Grund des Handelns. Dem zufolge ist z. B. das Verhalten des Kaufmanns deshalb nicht von moralischem Wert, weil es zwar ußerlich mit der Pflicht bereinstimmt, ihm aber kein echtes moralisches Motiv entspricht. Kants Argumentation in diesem ersten Teil des „Ersten Abschnitts“ der Grundlegung luft also auf einen Begriff des moralischen Handelns hinaus, der zwei grundlegende, nicht unkontroverse Prmissen enthlt: 1. Neigungen jeder Art, auch gutartige, sind der Moralitt von Handlungen abtrglich, wenn sie die grundlegenden Motive bereitstellen bzw. das ,echte‘ moralische Motiv ersetzen. 2. Einzig und allein die Pflicht ist das grundlegende moralische Motiv. Zunchst zur ersten Prmisse. Es ist ohne weiteres nachvollziehbar, warum z. B. das eigenntzige aber pflichtgemße Verhalten eines Kaufmannes nicht als moralisch gut bezeichnet werden kann. Auch einer Person, die einem anderen Menschen nur deshalb hilft, weil der Begnstigte ihr auf andere Weise hilfreich sein kçnnte, wrden wir kein moralisch wertvolles Handeln zusprechen. Ist aber jemand einer anderen Person, die in Not ist, aus bloßem Mitgefhl und vçllig uneigenntzigen Grnden behilflich, so ist es schwieriger, zu verstehen, warum auch ihr Verhalten keinen moralischen Wert haben soll. Kant spitzt den Gedanken noch zu, indem er behauptet, eine solche auf Mitgefhl und Liebenswrdigkeit beruhende Hilfeleistung sei nicht nur moralisch wertlos, sondern in dieser Wertlosigkeit mit Handlungen gleichzusetzen, die aus Ehrliebe oder aufgrund einer anderen selbstschtigen Neigung vollzogen werden. Welchen Grund hat Kant fr diese empirisch zunchst wenig einleuchtende Gleichsetzung und warum ist er der Ansicht, die Handlung einer „vom eigenen Gram umwçlkt[en]“ Person (GMS 4:398), die anderen aus reinem Pflichtgefhl 74 Vgl. zur Schiller-Kontroverse noch immer Paton: Der katgegorische Imperativ, 41 – 45. Die Unterscheidung zwischen Handeln ,mit Neigung‘ und Handeln ,aus Neigung‘ thematisiert Baron: „Freedom, Frailty, and Impurity“.
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aber ohne jedes Gefhl der Sympathie hilft, sei moralisch wertvoll, diejenige einer aus unmittelbarem Mitgefhl handelnden Person hingegen nicht? Ist es tatschlich besser, anderen Menschen widerwillig behilflich zu sein, als dies aus einer durchaus positiven Neigung zu tun?75 Warum, so lsst sich pointiert fragen, kommen Neigungen als Kandidaten fr Motive moralischer Handlungen keinesfalls in Frage? Die skizzierte Problematik beruht auf einer kantischen Prmisse, der zufolge es nur zwei Typen von Handlungen gibt: moralisch wertvolle und unmoralische Handlungen. Eine jede Handlung ist entweder gut oder bçse, niemals aber beides zugleich, und, wie Kant spter in der Religion nher ausfhrt, auch niemals keines von beiden (vgl. Rel 6:22). In der Religion begrndet er diese Auffassung, die er selbst als rigoristisch bezeichnet (vgl. Rel 6:22), mit dem Argument, eine jede Handlung, die nicht auf dem moralischen Motiv basiere, enthalte grundstzlich eine Entscheidung gegen dieses genuin moralische und ursprngliche Motiv und sei deshalb nicht nur moralisch wertlos, sondern sogar bçse (vgl. Rel 6:24). Weil Menschen sich also zum einen der moralischen Forderung in jedem Augenblick ihres Handelns bewusst sind und sie aufgrund der Freiheit ihrer Willkr zu moralisch bçsen Handlungen nicht gezwungen werden kçnnen, so ist jede Abweichung vom moralischen Gebot als bewusste Entscheidung zu verstehen und in diesem Sinne moralisch verwerflich (vgl. Rel 23 f.).76 Kant fhrt diesen Gedanken aus, wenn er betont, dass eine jede 75 „[G]erade da hebt der Werth des Charakters an, der moralisch und ohne alle Vergleichung der hçchste ist, nmlich dass er wohltue, nicht aus Neigung, sondern aus Pflicht“ (GMS 4:398 f.). 76 Dass sich jemand aufgrund der Freiheit seiner Willkr zu moralisch verwerflichen Handlungen entscheidet und seine Gesinnung daher als bçse bezeichnet werden kann, heißt nicht, dass dieses Verhalten Ausdruck seiner Freiheit als eines vernnftigen, selbst bestimmten, autonomen Wesens ist. Mit der „Freiheit der Willkr“ ist hier lediglich das negative Verstndnis der Freiheit eines endlichen Vernunftwesens gemeint, dem zufolge Freiheit in der prinzipiellen Unabhngigkeit der willkrlichen Handlungen durch sinnliche Einflsse besteht. Dass jemand Urheber seiner moralisch verwerflichen Handlungen ist, heißt hier daher nur, dass er zu diesem Verhalten nicht aufgrund seiner Bedrfnisstruktur determiniert ist. Es heißt aber nicht, dass er sich als vernnftiges Wesen und mit dem Vermçgen seiner Vernunft zu diesem Verhalten entscheidet. Kant verdeutlicht diesen Gedanken in der Ansicht, der „Grund dieses Bçsen“ kçnne unmçglich „in einer Verderbniß der moralisch-gesetzgebenden Vernunft gesetzt werden“ (Rel 6:35). In der „Einleitung“ zur Metaphysik der Sitten nimmt Kant diese Problematik wieder auf; dort bezeichnet er das Abweichen von der „inneren Gesetzgebung“ (und das heißt in diesem Zusammenhang: vom ursprnglich moralischen Gewissen) als ein „Unvermçgen“ (Rel 6:227). In bçsen Handlungen zeigt sich also gerade nicht die
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III. Reine praktische Vernunft: Moralitt und Autonomie
Handlung auf bewusste Grundstze zurckgeht, die sich jemand zu Eigen gemacht hat. Sinnliche Beweggrnde kçnnen legen eine Person nicht von sich aus auf eine bestimmte Handlung fest, sondern werden von ihr als adquate Handlungsgrnde akzeptiert (vgl. Rel 6:23 f.) und als solche zu leitenden Faktoren in Handlungen. Neigungen werden auf diese Weise zu Grnden und verlieren ihren Status als bloß kausale Determinanten in Handlungsvollzgen.77 Doch auch in der Argumentation in der Religion ist schon vorausgesetzt, dass Neigungen als moralische Motive nicht in Frage kommen; sie gefhrden die Moralitt von Handlungen, wenn sie entscheidungswirksam werden. In der Religion zeigt Kant lediglich, dass uns unsere Neigungen nicht determinieren und wie sie zu Handlungsgrnden werden. Auch im weiteren Verlauf seiner Argumentation werden nur solche Neigungen thematisiert, die von den guten Grundstzen abhalten (vgl. z. B. Rel 6:58 Anm.); gutartige Neigungen sind hingegen nicht Gegenstand der Betrachtung. Kants Rigorismus hat also noch andere Grnde. Schon frh, in den 1764 erschienenen Beobachtungen, gibt Kant einen Hinweis darauf, warum augenscheinlich gutartige menschliche Gefhle wie das Mitleid zwar „schçn und liebenswrdig“ sind (Beob 2:215), sich aber als Grundlage moralischen Handelns nicht eignen. Zum einen deshalb, weil sie – wie alle Neigungen – von der Erfllung der Pflicht abhalten kçnnen, indem sie das Subjekt vereinnahmen und blind fr die tatschlichen Pflichten machen (vgl. Beob 2:216). Zum anderen aber, weil ein solches Gefhl des Mit-
Autonomie eines vernnftigen Wesens, sondern diese sind Ausdruck dafr, dass ein vernunftbegabtes Subjekt von seiner Freiheit (im negativen und im positiven Sinne) keinen adquaten Gebrauch macht. Vgl. zur hier verteidigten Lesart der Freiheit auch unmoralischer Handlungen noch immer Paton: Der kategorische Imperativ, 264 f. Dagegen z. B. Konhardt: „Faktum der Vernunft?“ sowie Prauss: Kant ber Freiheit als Autonomie, 62 – 115. 77 Vgl. dazu die Darstellung bei Rohs, der einen Vergleich von Neigungen und Grnden versus Sinnesdaten und Begriffen anfhrt, um diesen Gedanken bei Kant zu verdeutlichen: „Die Neigungen und Triebfedern mçgen zwar zur Natur gehçren, aber sofern sie in Gedanken, in ,ideale Gegebenheiten‘ verwandelt sind, sind sie kein Teil der Natur mehr; so wie zwar ein Sinnesdatum ein Teil der Natur sein mag, aber ein Begriff oder eine Proposition kein Teil der Natur mehr ist“ („Gedanken zu einer Handlungstheorie auf transzendentalphilosophischer Grundlage“, 233). Das heißt: 1. Neigungen sind selbst noch keine Beweggrnde des Handelns, so wie Sinnesdaten noch keine Erkenntnisse sind. 2. Die Art und Weise, auf die in der Freiheit die Natur verlassen wird, ist strukturell identisch mit derjenigen, auf die Wahrnehmungen zu Gedanken und Begriffen werden.
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leidens mit anderen Menschen gewçhnlich situations- und personenabhngig ist: Die Gutherzigkeit, eine Schçnheit und feine Reizbarkeit des Herzens, nach dem Anlaß, der sich vorfindet, in einzelnen Fllen mit Mitleiden oder Wohlwollen gerhrt zu werden, ist dem Wechsel der Umstnde sehr unterworfen, und indem die Bewegung der Seele nicht auf einem allgemeinen Grundsatze beruht, so nimmt sie leichtlich vernderte Gestalten an, nachdem die Gegenstnde eine oder die andere Seite darbieten (Beob 2:219).
Gefhle wie das Mitleid und die Geflligkeit gegen andere Menschen kommen als Kandidaten fr grundlegende moralische Motive also deshalb nicht in Frage, weil sie rein kontingente Handlungsfaktoren sind. Ein allgemeiner Grundsatz, wie Kant ihn in der Grundlegung mit dem Grundsatz der Pflicht einfhrt, garantiert hingegen Verlsslichkeit, weil er unabhngig von ußeren Umstnden ist.78 So ist es offenkundig, dass ein Mensch, der sich in einer bestimmten Situation dazu bewogen fhlt, einem anderen zu helfen, unter anderen Umstnden die Hilfeleistung ausließe – z. B. weil ein naher Verwandter seine Hilfe bençtigt oder weil er sich selbst in einer Situation befindet, in der eigenntzige Motive fr ihn Vorrang haben. hnlich wie mit dem Mitgefhl verhlt es sich mit dem Motiv des Eigeninteresses, das Kant in der Grundlegung am Beispiel des vermeintlich ehrlichen Kaufmanns thematisiert. Auch er erfllt – aus externer Perspektive – seine Pflicht, wenn er sich seine Waren zu einheitlichen Preisen bezahlen lsst. Wenn er aber nun den unerfahrenen Kunden nur deshalb denselben Preis zahlen lsst, weil (und solange wie) er befrchtet, dass eine 78 In den Beobachtungen ist Kant noch unentschieden in Bezug auf den genaueren Charakter des Prinzips der Moralitt. Zwar ist er sich bereits hier im Klaren darber, dass moralische Grundstze einen hçheren Allgemeinheitsgrad als andere, beliebige Grundstze aufweisen mssen (vgl. zu diesem Punkt Kap. 1, § 2, 3). Aufgrund seiner gefhlsethischen Tendenzen in dieser Schrift schließt er von dieser Annahme jedoch noch nicht auf einen rational einsehbaren, nicht-gefhlsbasierten moralischen Grundsatz als alleinigem Prinzip der Moralitt, sondern bringt ihn im Begriff einer „allgemeine[n] Wohlgewogenheit gegen das menschliche Geschlecht“ zum Ausdruck. Dieses Gefhl ist, „wenn es zu seiner gehçrigen Allgemeinheit gestiegen ist, […] erhaben, aber auch klter“ (Beob 2:216). Von hier ist nur noch ein kleiner Schritt zu Kants Aussage in der Grundlegung, das Temperament des lediglich aus Pflicht und aus keinerlei Neigung handelnden Menschen (dessen Handlung deshalb moralisch wertvoll ist), sei „kalt und gleichgltig“ (GMS 4:398). Dabei ist nicht in erster Linie interessant, dass jemand kaltherzig und ohne Anteilnahme handelt, sondern dass der Grundsatz, aus dem er handelt, so allgemein wie mçglich ist.
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III. Reine praktische Vernunft: Moralitt und Autonomie
Ungleichbehandlung der Kunden zu seinem eigenen Nachteil fhren kçnnte (Verlust von Kunden), dann ist nicht ehrliche Gleichbehandlung seine Absicht, sondern lngerfristige Vorteilssicherung. Das Geschicklichkeitsmotiv, das hinter seiner pflichtgemßen Handlung steht, ist damit ebenso wenig zuverlssig wie das Gefhl des Mitleids, das je nach Situation und Umstand variieren kann. Beide fhren allein aus situationsbedingten Grnden zu pflichtgemßem Handeln.79 Daraus folgt: Neigungen, auch gutartige, qualifizieren sich nicht zu Motiven moralischen Handelns. Sie sind zufllig, situationsbedingt und außerdem „blind“ und unberlegt (vgl. z. B. Beob 2:215 f.). Daher beeinflussen sie das moralische Urteil oft in abtrglicher Weise. Man zçge jedoch eine falsche Pointe aus Kants Argumentation, wenn man ihm die Ansicht unterstellte, eine Handlung habe nur dann moralischen Wert, wenn sie widerwillig ausgefhrt wird. Kant ist sogar der Ansicht, dass Neigungen wie das Mitgefhl und das Wohlwollen gegenber anderen Menschen Tugendpflichten sind, deren Kultur fr die Entwicklung des Charakters und die Moralitt der eigenen Handlungen fçrderlich ist.80 Im Gegensatz zu einer Handlung, die aus Neigung ausgefhrt wird – und sei es eine gutartige Neigung wie die des Mitgefhls mit anderen Menschen – ist das Verhalten desjenigen, der ohne Neigung und dabei kalt und unbeteiligt 79 Vgl. hierzu Herman: „On the Value of Acting from the Motive of Duty“, 2 – 6. 80 Vgl. dazu GMS 4:398 sowie den Abschnitt in der Tugendlehre zur „Liebenspflicht gegen andere Menschen“ (MST 6:448 – 461). Ebenso wie es nicht moralisch verwerflich, sondern in einer bestimmten Hinsicht sogar geboten ist, das Wohlwollen und die Sympathie gegenber anderen zu kultivieren, so ist auch die Sicherung der eigenen Glckseligkeit eine Pflicht (vgl. GMS 4:399; MST 6:452). Kant begrndet dies damit, dass die Unzufriedenheit des Menschen mit sich selbst eine Haltung befçrdert, die der Moralitt eher abtrglich als zutrglich ist. Menschen hingegen, die aufgrund innerer Zufriedenheit weniger den Drang verspren, sich den moralischen Forderungen zu widersetzen, handelten viel wahrscheinlicher moralisch wertvoll. Ebenso wie man die Tugend der Wohlttigkeit gegen andere Menschen also nicht deshalb kultivieren sollte, um sich an seiner eigenen Handlung zu „ergçtzen“ (vgl. GMS 4:398; MST 6:453), so ist das Ziel der Befçrderung der eigenen Glckseligkeit kein hedonistisches, sondern ein moralisches: die Befçrderung der Moralitt in den eigenen Handlungen. Glckseligkeit zu befçrdern ist daher keine Angelegenheit der Neigung, sondern der Pflicht (vgl. GMS 4:399). – Dieser Interpretation nach sind bestimmte Neigungen, wenn sie nicht die ausschlaggebende Motive des Handelns sind, auch in moralischen Handlungen ,erlaubt‘. Die einschrnkende Bedingung, dass sie nicht als moralische Motive gewertet werden drfen, unterscheidet Kants von der platonischen Position, die Aussicht auf die eigene Glckseligkeit sei das Motiv zur Moralitt (vgl. Platon: Politeia, 357a ff.).
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seine Pflicht tut, tatschlich moralisch wertvoll. Der Grund dafr ist aber nicht der, dass es per se gut und gefordert ist, seine Pflicht widerwillig zu tun, sondern dass das Mitgefhl ein situationsbedingtes und unstetes, kein konstantes und verlssliches Motiv des Handelns ist.81 Das fhrt zu der zweiten oben aufgeworfenen Frage, warum die Pflicht allein als moralisches Motiv in Frage kommt. Kant ist der Ansicht, dass es nur ein einziges unbedingtes praktisches Prinzip gibt, das allgemeingltig und notwendig zugleich ist: das moralische Gesetz. Dieses Gesetz nehmen endliche Vernunftwesen als ein Gesetz der Pflicht wahr, weil sie aufgrund ihrer sinnlichen Veranlagung zwar nicht determiniert, aber disponiert dazu sind, sich in ihrem Wollen und Handeln gegen dieses Gesetz zu entscheiden (vgl. z. B. KpV 5:32). Der Grund, warum die Pflicht das Motiv des moralischen Handelns sein soll, besteht also erstens darin, dass allein der Grundsatz der Moralitt (den endliche Vernunftwesen als „Pflicht“ wahrnehmen) Allgemeinheit und Notwendigkeit verbrgt und damit situationsunabhngig und nicht beliebig ist. Zweitens verspricht eine Handlung, die allein aus dem Motiv der Pflicht ausgefhrt wurde, hçchste Verlsslichkeit, weil wir nur in solchen Fllen vollkommen sicher sein kçnnen, dass kein anderes, wie z. B. ein eigenntziges Motiv vorgelegen hat. Wie Paton ausfhrt, benutzt Kant die ,Methode der Isolation‘ also nicht, um Neigungen als Konstituenten moralischen Handelns vollkommen auszuschalten. Es geht ihm vielmehr darum, zu zeigen, dass der Erfolg der Pflicht am grçßten und moralisches Handeln dann am wahrscheinlichsten ist, wo mçglichst wenige Hindernisse fr den Pflichtgedanken vorliegen.82 Handeln aus Pflicht erkennt man nach Kant zudem am besten daran, wie viel Aufwand gegen zuwiderlaufende Neigungen erforderlich ist, um die Pflicht zu erfllen.
81 Genau genommen ist der Pflichtgedanke natrlich immer zu einem bestimmten Grad mit einem Gefhl der Widerwilligkeit in einem Subjekt verbunden, dass sich aufgrund der Pflicht zu einer Handlung gençtigt sieht, die es von sich aus nicht zwingender Weise ausfhren wrde. Das bedeutet aber nicht, dass eine Handlung im moralischen Wert schon deshalb steigt, weil sie widerwillig ausgefhrt wurde. 82 Paton: Der kategorische Imperativ, 42 f. Vgl. zu diesem Gedankengang auch Kants Argumentation im Kapitel ber die „Triebfedern der reinen praktischen Vernunft“, wo er die sinnlichen Ansprche eines endlichen Vernunftwesens wiederholt als „Hindernisse“ der Aufmerksamkeit fr das moralische Gesetz bezeichnet (vgl. z. B. KpV 5:79); vgl. dazu Kap. 5, § 1, 3 und 4.
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2. Die Rolle der Maxime im moralischen Handeln Wie wir gesehen haben, entscheidet sich die Frage des moralischen Wertes fr Kant also nicht in erster Linie daran, ob Neigungen bei einer mçglichen moralischen Handlung prinzipiell im Spiel sind oder nicht. Neigungen drfen moralisches Handeln durchaus begleiten; ,gefhrlich‘ werden sie nur, wenn sie zu den primren Grundstzen des Handelns werden, so dass sie die echten moralischen Grundstze ersetzen. Es ist außerdem gezeigt worden, dass die subjektiven Grundstze, aus denen vernunftbegabte Subjekte handeln, Maximen sind. Dem entsprechend erklrt Kant in der Religion, sinnliche Reize und Bedrfnisse jeder Art wrden nur dann zu Determinanten des Handelns, wenn sie ein Subjekt bewusst in seine Maxime aufnimmt: […] die Freiheit der Willkr ist von der ganz eigenthmlichen Beschaffenheit, daß sie durch keine Triebfeder zu einer Handlung bestimmt werden kann, a l s n u r s o f e r n d e r Me n s c h s i e i n s e i n e Ma x i m e a u f g e n o m m e n h a t (es sich zur allgemeinen Regel gemacht hat, nach der er sich verhalten will); so allein kann die Triebfeder, welche sie auch sei, mit der absoluten Spontaneitt der Willkr (der Freiheit) zusammen bestehen (Rel 6:23 f.).83
Der Gedanke, dass es die Maximen sind, die moralisches Handeln wesentlich strukturieren84, findet sich nun sinngemß bereits in der Grundlegung, wo Kant moralisch wertvolles Handeln mit Verweis auf die Maxime erklrt: […] eine Handlung aus Pflicht hat ihren moralischen Werth n i c h t i n d e r Ab s i c h t , welche dadurch erreicht werden soll, sondern in der Maxime, nach der sie beschlossen wird, hngt also nicht von der Wirklichkeit des Gegenstandes der Handlung ab, sondern blos von dem Pr i n c i p d e s Wo l l e n s , nach welchem die Handlung unangesehen aller Gegenstnde des Begehrungsvermçgens geschehen ist (GMS 4:399 f.).
Das heißt: Maximen sind Ausdruck des Wollens eines vernnftigen Subjektes, sie erst geben die Grnde ab, aus denen jemand handelt.85 Ihr funktionaler Ort im moralischen Handeln ist die Schnittstelle zwischen dem Bewusstsein der Pflicht und dem Motiv, aus dem die Handlung erfolgt:
83 Zum Begriff der Triebfeder siehe Kap. 4, § 2, 1. 84 Diesen Punkt sieht auch Baron: „The moral worth resides in the maxim“ („Acting from Duty“, 88). 85 Vgl. dazu Kap. 3, § 1, 4.
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Worin kann also dieser Werth liegen, wenn er nicht im Willen in Beziehung auf deren verhoffte Wirkung bestehen soll? Er kann nirgends anders liegen a l s i m Pr i n c i p d e s W i l l e n s unangesehen der Zwecke, die durch solche Handlung bewirkt werden kçnnen; denn der Wille ist mitten inne zwischen seinem Princip a priori, welches formell ist, und zwischen seiner Triebfeder a posteriori, welche materiell ist, gleichsam auf einem Scheidewege, und da er doch irgend wodurch muß bestimmt werden, so wird er durch das formelle Princip des Wollens berhaupt bestimmt werden mssen, wenn eine Handlung aus Pflicht geschieht, da ihm alles materielle Princip entzogen worden (GMS 4:400).
Die grundlegende Information in diesem zweiten komplexen Satz ist, dass Menschen als begehrende Wesen zwei mçgliche Prinzipien des Handelns zur Auswahl haben: ein ,formelles‘, ,apriorisches‘ Prinzip, und ein ,materielles‘, ,aposteriorisches‘ Prinzip. Eine Handlung ist nur dann moralisch wertvoll, wenn das ,formelle‘ Prinzip den subjektiven Grundsatz des Handelns abgibt. Was aber heißt das? Was meint Kant mit dem ,formellen‘, was mit dem ,materiellen‘ Prinzip, das den Willen bestimmen kann? Und warum muss es ein ,formelles‘ Prinzip sein, das moralisch wertvollem Handeln zugrunde liegt? Wie wir gesehen haben, ist es ein grundlegendes Merkmal vernunftbegabter Wesen, selbst durch Annahme bestimmter Grundstze Handlungen initiieren zu kçnnen. Die ,Gesetze‘, nach deren Vorstellung zu handeln das Vermçgen ihrer freien Willkr ausdrckt, kçnnen dabei bedingte oder unbedingte objektive Prinzipien sein, die auch als Vernunftgrundstze charakterisiert werden kçnnen. Die Grundstze, aus denen ein vernunftbegabtes Subjekt handelt, nennt Kant Maximen. 86 Diese sind nun zwar immer ,Vernunftprodukte‘, weil eine jede Regel, die sich ein Subjekt zum Grundsatz seines Handelns macht, nur unter der Bedingung der rationalen Deliberation mçglich ist (vgl. KpV 5:20). Keinesfalls aber sind diese Regeln deshalb auch immer schon notwendig, allgemein und unbedingt. Sie richten sich im Gegenteil nach der Beschaffenheit der menschlichen Willkr (vgl. KpV 5:20), die zwar durch sinnliche Anreize nicht determiniert aber durch diese bestimmbar ist. Das „Prinzip des Wollens“, das in der Bestimmung durch Regeln besteht, die aus den sinnlichen Anreizen resultieren, kann daher selbst sinnlich sein. Kant nennt solche auf den Neigungen und subjektiven Wnschen eines Subjektes beruhenden Grundstze des Handelns „materiale praktische Principien“ (KpV 5:22). Sie ergeben sich aus der Erfahrung, die endliche Vernunftwesen mit ihrer sinnlichen Natur machen und 86 Vgl. Kap. 3, § 1, 4.
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sind daher „insgesammt empirisch“ (KpV 5:21). Macht ein Subjekt sich ein solches Prinzip zu seinem Grundsatz und also zu dem Grundsatz, aus dem es sein Handeln bestimmt, so ist dieser Grundsatz seine – materiale – Maxime. Voraussetzung fr solche „materialen“, „empirischen“ Maximen ist immer „ein Object (Materie) des Begehrungsvermçgens als Bestimmungsgrund des Willens“ (KpV 5:21), d. h. ein Gegenstand, der begehrt wird und dessen Vorstellung im Subjekt ein Gefhl der Lust auslçst (vgl. KpV 5:21). Ein vernunftbegabtes Subjekt wie der Mensch ist aber nicht auf materiale Handlungsgrundstze festgelegt. Die Freiheit seiner Willkr ist gerade dadurch definiert, dass diese auch unabhngig von den Einflssen, denen sie als sinnlich affizierbare Willkr stndig ausgeliefert ist, agieren kann. Das Vermçgen der Vernunft erschçpft sich damit nicht nur darin, die passenden Mittel zur Befriedigung sinnlicher Begierden anzuzeigen, sondern es ist auch darauf ausgelegt, Grundstze zu whlen, die nicht durch Neigungen vorgegeben sind. Solche Prinzipien, die sich nicht nach der Beschaffenheit der Willkr als einer sinnlich affizierbaren, sondern durch vernnftige Grundstze bestimmbaren Vermçgens richten, sind „formell“ oder „formal“ und gelten „a priori“, weil sie nicht auf der Erfahrung unserer Sinnlichkeit, sondern auf vernnftiger Einsicht beruhen. Die subjektiven Grundstze, die von der „Materie“ des Gegenstandes abstrahieren und damit nicht auf einen mit der Handlung verbundenen Zweck, der begehrt wird, bezogen sind, sind dem entsprechend formale subjektive Grundstze bzw. Maximen. Die Grundstze, aus denen vernunftbegabte Subjekte handeln, „entspringen“ also nicht immer aus „Begierden und Neigungen“ (GMS 4:427) – nmlich genau dann nicht, wenn das Subjekt nach Maßgabe formaler Prinzipien handelt. Im „Zweiten Abschnitt“ der Grundlegung nimmt Kant diese Thematik auf, indem er zunchst darauf hinweist, dass das Handeln nach der „Vorstellung gewisser Gesetze“ (GMS 4:427) ein Vermçgen vernnftiger Selbstbestimmung ist, das sich darin ußert, sich selbst bestimmte Zwecke im Handeln setzen zu kçnnen. Anschließend spezifiziert er diesen Sachverhalt durch die Unterscheidung verschiedener Arten der Zwecksetzung, die einem endlichen Vernunftwesen mçglich sind: Der Wille wird als ein Vermçgen gedacht, d e r Vo r s t e l l u n g g e w i s s e r G e s e t z e g e m ß sich selbst zum Handeln zu bestimmen. Und ein solches Vermçgen kann nur in vernnftigen Wesen anzutreffen sein. Nun ist das, was dem Willen zum objectiven Grunde seiner Selbstbestimmung dient, der Zw e c k , und dieser, wenn er durch bloße Vernunft gegeben wird, muß fr alle vernnftige Wesen gleich gelten. Was dagegen bloß den Grund der Mçg-
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lichkeit der Handlung enthlt, deren Wirkung Zweck ist, heißt das Mi t t e l . Der subjective Grund des Begehrens ist die Tr i e b f e d e r, der objective des Wollens der B e w e g u n g s g r u n d ; daher der Unterschied zwischen subjectiven Zwecken, die auf Triebfedern beruhen, und objectiven, die auf Bewegungsgrnde ankommen, welche fr jedes vernnftige Wesen gelten. Praktische Principien sind f o r m a l , wenn sie von allen subjectiven Zwecken abstrahiren; sie sind aber m a t e r i a l , wenn sie diese, mithin gewisse Triebfedern zum Grunde legen (GMS 4:427).
Der erste Satz dieses Zitates wiederholt einen Sachverhalt, der bereits bekannt ist: „Wille“ ist das Vermçgen, „nach der Vorstellung der Gesetze“ zu handeln (GMS 4:412). Diese „gewisse[n] Gesetze“ (GMS 4:427) sind Vernunftgrundstze und nicht Gesetze der Natur, und das „Vermçgen“, nach ihnen zu handeln, ist Ausdruck einer freien Willkr. Im zweiten Satz fgt Kant dieser Definition etwas hinzu: Eine vernnftige Willkr steht nicht nur dafr, dass die Subjekte, die ber sie verfgen, im Gegensatz zu Tieren auch durch Begriffe bestimmt werden bzw. sich durch diese bestimmen lassen, sondern das Vermçgen einer freien Willkr bedeutet auch, sich selbst Zwecke setzen zu kçnnen, die nicht von außen vorgegeben sind.87 Diese Zwecke kçnnen nun zum einen ,subjektiv‘ und damit solche sein, durch die sich der Mensch – gleich einem berechnenden Tier – eine Lebensweise zum eigenen Vorteil sichert.88 Zwecke dieser Art beruhen auf Neigungen und Wnschen und sind auf die Erfllung eines bestehenden Wunsches bzw. auf die Befriedung von augenblicklichen oder lngerfristigen Begierden gerichtet. Die Zwecke, die sich ein vernunftbegabtes Subjekt setzen kann, kçnnen aber auch ,objektiv‘ sein, nmlich dann, wenn sie allein auf vernnftiger berlegung beruhen und keine Neigungen im Spiel sind. Damit sind sie gltig, nachvollziehbar und bindend fr jedes vernnftige Wesen. Mit Blick auf das Zitat aus dem „Ersten Abschnitt“ der Grundlegung, in dem Kant moralisch wertvolles Handeln als ein Handeln nach formalen, erfahrungsunabhngigen Prinzipien ausweist (vgl. GMS 4:400), heißt dies Folgendes: Mit der Fhigkeit, sich selbst Zwecke setzen zu kçnnen, die nicht durch Neigungen und Begierden generiert sind, zeichnet sich ein 87 Vgl. zum Zweckbegriff auch MST 6:381, 384 f. 88 Vom „tierischen Willen“ ist wçrtlich in der Praktischen Philosophie Powalski die Rede, in der es heißt: „Wir haben einen Zweyfachen Willen 1. Einen Willen des Verstandes, welchen viele practische Gesetze neceßitiren. 2. einen Thierischen Willen, da wir per stimulos zwar nicht neceßitirt aber dennoch impellirt werden“ (V-PP/Pow 27:123). Die „stimulos“ sind die sinnlichen Anreize, die ihrerseits Grundlage fr alle subjektiven Zwecke sind, die sich ein Subjekt setzen kann.
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vernnftiges Wesen als ein „animal morale“ aus, insofern es nicht allein nach beliebigen Zwecken handeln kann, sondern sich darber hinaus aufgrund seiner Freiheit Zwecke setzt, die allein auf vernnftiger berlegung beruhen.89 Das „Princip a priori, welches formell ist“, ist damit – negativ – ein Grundsatz, der nicht auf subjektive Zwecke der Neigung und des sinnlichen Begehrens zurckgeht, und das „Princip des Wollens“ ist selbst „formell“, weil „ihm alles materielle Princip entzogen worden“ ist (GMS 4:400). Die Negativdefinition fr ein formales praktisches Prinzip lautet daher: Es ist kein praktisches Prinzip, das „ein Object (Materie) des Begehrungsvermçgens als Bestimmungsgrund des Willens voraussetz[t]“ (KpV 5:21)90 ; daher ist es erfahrungsunabhngig und hat unbedingte Geltung. Mit anderen Worten: Es ist ein praktisches Gesetz. Das heißt: Ein „Princip des Wollens“ bzw. eine Maxime ist „formal“, wenn es nicht die Vorstellung eines Gegenstandes und das mit der Verwirklichung des Gegenstandes verbundene Gefhl der Lust ist, das dieser Maxime zugrunde liegt. Jemand, der sich ein formales Prinzip zum Grundsatz seines Handelns macht, handelt aus einer Maxime, die unabhngig von den subjektiven Zwecken ist, die er als – auch – sinnliches Wesen potentiell immer mit verfolgt.91 3. Maximentest und „Achtung frs Gesetz“ Was es positiv heißt, nach einem formalen Prinzip und damit moralisch wertvoll, „aus Pflicht“, zu handeln, erlutert Kant in der Kritik der praktischen Vernunft in einem eigenen Textabschnitt, whrend diese Beschrei89 Vgl. zu dieser Unterscheidung von „animal rationale“ und „animal morale“ Gregor: „Kants System der Pflichten in der ,Metaphysik der Sitten‘“, XXXV. 90 Dies ist Kants Definition fr empirische praktische Prinzipien in der Kritik der praktischen Vernunft. 91 Das heißt natrlich nicht, dass eine solche ,formale Maxime‘ gar keine Materie hat. Maximen haben, wie Handlungen auch, immer eine Materie und das heißt: einen Zweck (vgl. GMS 4:436). Ein solcher Zweck kann selbst formal sein, wenn er selbst nur objektiven, formalen Prinzipien entspricht. Dies ist es, was Kant vor Augen hat, wenn er davon spricht, dass moralisch wertvolles Handeln auf formalen Prinzipien beruht. Die Rede von ,materialen‘ und ,formalen Maximen‘ ist also eine von Kants Interpreten eingefhrte vereinfachende Redeweise (vgl. z. B. Paton: Der kategorische Imperativ, 60 f., 73, 160 – 162). Sie dient lediglich der Verdeutlichung, dass das Prinzip, aus dem moralisch wertvolles Handeln hervorgeht, ein formales Prinzip und zugleich eine Maxime ist (denn Subjekte handeln nach Maximen). Ein solches Prinzip wird dann die ,formale Maxime‘ genannt, obwohl Kant selbst diesen Begriff nicht terminologisch verwendet.
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bung in der Grundlegung aus einem neuen Sachverhalt, nmlich der Analyse des Handelns „aus Pflicht“ als eines Handelns „aus Achtung fr das Gesetz“ entwickelt wird. Daraus, dass die Maxime das „Princip des Wollens“ ist, das den moralischen Wert bestimmt, folgt in der Grundlegung, dass sie als Trger der Moralitt der Handlung selbst moralisch „gehaltvoll“ sein muss. Hat die bewusst angenommene Maxime moralischen Gehalt, so ist auch die Handlung, zu der sie fhrt, moralisch wertvoll. Fehlt einer Maxime hingegen der „sittliche Gehalt“, so hat die Handlung, sie mag „pflichtmßig“ oder „liebenswrdig“ sein, „keinen wahren sittlichen Werth“ (4:398). Es kommt also darauf an, zu bestimmen, wie der „sittliche Gehalt“ einer solchen Maxime genauer auszusehen hat. Wie wir gesehen haben, ist es ein formales Prinzip, das den Willen leiten muss, damit eine Handlung moralischen Wert hat. Ein solches formales Prinzip ist ein praktisches Gesetz. Menschen handeln nach Maximen, diese kçnnen jedoch selbst keine Gesetze sein, sondern unterscheiden sich von diesen darin, dass sie nicht allgemeine Handlungsanweisungen vorgeben, sondern die Prinzipien sind, aus denen ein Subjekt tatschlich handelt. Da der Wert einer Handlung also zum einen davon abhngt, dass diese durch ein formales Prinzip fundiert ist, und es zum anderen die Maximen sind, die die subjektiven Handlungsgrundstze bereitstellen, so mssen die Maximen das formale Prinzip auf irgend eine Weise in sich „enthalten“, wenn die aus ihnen erfolgende Handlung moralisch wertvoll sein soll. Auf diese Weise ist es mçglich, dass die Maximen, die selbst keine Gesetze sein kçnnen, die Allgemeingltigkeit, Unbedingtheit und Notwendigkeit eines Gesetzes haben. In Kants Worten aus der Kritik der praktischen Vernunft muss die einer moralisch wertvollen Handlung zugrunde liegende Maxime die „Form“ eines Gesetzes aufweisen. Eine solche Maxime nimmt selbst die Form eines allgemeinen Gesetzes an und eignet sich daher „zur allgemeinen Gesetzgebung“ (KpV 5:27). Handelt jemand nach einer Maxime, die die Form eines allgemeinen Gesetzes hat, so ist es allein die Tatsache der „bloße[n] Gesetzmßigkeit“ einer Handlung, die den Willen zum Handeln bestimmt (GMS 4:402). Die Frage nach dem moralischen Wert einer Handlung ist also eine Frage nach der spezifischen Beschaffenheit des Grundsatzes, aus dem die Handlung ausgefhrt wird. Die Analyse des moralischen Wertes hat daher fr Kant den Charakter eines Testverfahrens: Um feststellen zu kçnnen, ob eine bestimmte Maxime und damit auch eine bestimmte Handlung moralisch wertvoll ist, muss man sich fragen, ob die Maxime so beschaffen ist, dass sie selbst als ein praktisches Gesetz gelten kann. Dieser Maximentest ist wiederum nicht allein ein Analyseinstrument philosophischer Moral-
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theorie, sondern hat auch eine praktische Funktion im konkreten moralischen Handeln: Er dient als „Kompass“ fr dieses Handeln (GMS 4:404): Was ich also zu thun habe, damit mein Wollen sittlich gut sei, dazu brauche ich gar keine weit ausholende Scharfsinnigkeit. Unerfahren in Ansehung des Weltlaufs, unfhig auf alle sich erugnende Vorflle desselben gefaßt zu sein, frage ich mich nur: Kannst du auch wollen, daß deine Maxime ein allgemeines Gesetz werde? Wo nicht, so ist sie verwerflich und das zwar nicht um eines dir oder auch anderen daraus bevorstehenden Nachtheils willen, sondern weil sie nicht als Princip in eine mçgliche allgemeine Gesetzgebung passen kann […] (GMS 4:403).
Das bedeutet, dass die Maxime, aus der ich handle, dann moralisch wertvoll ist, wenn sie einem objektiven moralischen Maßstab entspricht, der fr alle vernnftigen Wesen gltig ist. Ihr moralischer Gehalt zeigt sich darin, dass sie selbst die Form eines allgemeinen Gesetzes aufweist, das seinerseits die Universalitt und Unparteilichkeit des objektiven Maßstabs reprsentiert. Kant gibt vielfltige Beispiele fr Maximen, die dem Maximentest unterzogen werden (vgl. z. B. GMS 4:421 – 423; KpV 5:19, 27). Ein viel diskutiertes Beispiel findet sich in der Kritik der praktischen Vernunft im Anschluss an den „Lehrsatz“, in dem Kant das Prinzip der Gesetzestauglichkeit einer Maxime erçrtert. Die in dem Beispiel zur Diskussion stehende Maxime lautet: „Ich habe z. B. es mir zur Maxime gemacht, mein Vermçgen durch alle sichere Mittel zu vergrçßern“ (KpV 5:27). Der ,Inhaber‘ dieser Maxime wird mit folgender Situation konfrontiert: Jetzt ist ein D e p o s i t u m in meinen Hnden, dessen Eigentmer verstorben ist und keine Handschrift darber zurckgelassen hat. Natrlicherweise ist dies der Fall meiner Maxime. Jetzt will ich nur wissen, ob jene Maxime auch als allgemeines Gesetz gelten kçnne (KpV 5:27).
Nun beginnt der Maximentest: Ich wende jene also auf den gegenwrtigen Fall an und frage, ob sie wohl die Form eines Gesetzes annehmen, mithin ich wohl durch meine Maxime zugleich ein solches Gesetz geben kçnnte: daß jedermann ein Depositum ableugnen drfe, dessen Niederlegung ihm niemand beweisen kann (KpV 5:27).
Der Test fllt folgendermaßen aus: Ich werde sofort gewahr, daß ein solches Princip, als Gesetz, sich selbst vernichten wrde, weil es machen wrde, daß es gar kein Depositum gbe. Ein praktisches Gesetz, was ich dafr erkenne, muß sich zur allgemeinen Gesetzgebung qualificiren; dies ist ein identischer Satz und also fr sich klar. Sage ich nun: mein Wille steht unter einem praktischen G e s e t z e , so kann ich nicht meine Neigung (z. B. im gegenwrtigen Falle meine Habsucht) als den zu
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einem allgemeinen Gesetze schicklichen Bestimmungsgrund desselben anfhren; denn diese weit gefehlt daß sie zu einer allgemeinen Gesetzgebung tauglich sein sollte, so muß sie vielmehr in der Form eines allgemeinen Gesetzes sich selbst aufreiben (KpV 5:27 f.).
Damit besteht die Maxime den Test nicht und erweist sich somit als Maxime ohne moralischen Gehalt: Sie beruht auf einer Neigung, die diese Maxime, lge sie in universaler Form vor, selbst unmçglich machen wrde. Der Grund dafr besteht nun nicht darin, dass, gesetzt den Fall, alle Menschen gben dem Prinzip der Habsucht nach und behielten ein geheimes Depositum fr sich ein, es keine Deposita mehr gbe. Die Maxime ist nicht deshalb nicht gesetzestauglich, weil niemand, wrde sie tatschlich zum Gesetz gemacht, im Wissen um die allgemeine Habsucht ein Depositum aufgeben wrde. Zwar wre es geradezu unvernnftig, im Wissen um die allgemeine Habgier ein Depositum aufzugeben und dabei zu denken, dies sei ein sicheres Mittel zur Vergrçßerung des eigenen Vermçgens. Insofern trifft die konsequentialistische Interpretation des Beispiels zwar einen richtigen Punkt, denn die habschtige Maxime, in jedem Falle ein geheimes Depositum einzubehalten, um das eigene Vermçgen zu vergrçßern, machte ihren Gegenstand, das Depositum, selbst unmçglich.92 Kants Beispiel zielt jedoch in eine andere Richtung. Da Moralitt in der Pflichterfllung und gerade nicht in der „Besorgnis der nachteiligen Folgen“ besteht (GMS 4:402), muss der Grund fr die Unhaltbarkeit der Maxime nicht in ihrer Untauglichkeit fr zuknftige Zwecke, sondern in der Beschaffenheit dieser Maxime selbst liegen. Jemand, der ein Depositum zur Aufbewahrung annimmt und gleichzeitig intendiert, das Depositum nicht zurckzugeben, widerspricht sich vielmehr selbst. Als allgemeines Gesetz gedacht, vernichtet die Maxime sich selbst, denn, so Timmermann, ihr Trger, das handelnde Subjekt und in diesem Falle der Depositar, zerstçrt dadurch „die Bedingung der Mçglichkeit der intendierten Handlung“.93 Anders gesagt: Ein Depositum, das keines mehr ist, weil es einbehalten und nicht mehr als Sache eines anderen geachtet wird, kann nicht Gegenstand zuknftiger Handlungen und Absichten sein.94 Kants Depositum-Beispiel klingt konstruiert und theoretisch, doch es funktioniert, wie seine anderen Beispiele im Maximentest auch, nach ei92 Zur Zurckweisung der konsequentialistischen Interpretation vgl. Hçffe: „Die Form der Maximen als Bestimmungsgrund“, 72 f. 93 So Timmermann in seiner Antwort auf Cramers Analyse des Depositum-Beispiels (Timmermann: „Depositum I“, 599; vgl. Cramer: „Depositum“). 94 Vgl. Hçffe: „Die Form der Maximen als Bestimmungsgrund“, 73 f.
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nem einfachen Prinzip: dem Nachweis der Widersprchlichkeit der zu testenden Maxime. Die Maxime besteht den Test nicht, weil sie sich, als allgemeines Gesetz gedacht, selbst widersprechen wrde.95 Der genauere Grund fr diese Widersprchlichkeit ist dabei der, dass es ein empirischer ,Bestimmungsgrund‘ bzw. eine Neigung ist, die dieser Maxime zugrunde liegt. Neigungen sind aber selbst immer subjektiv und nicht universalisierbar. Es kann kein allgemeines Gesetz sein, nach einer Maxime zu handeln, die durch eine Neigung generiert ist.96 Damit sind wir wieder beim zentralen Punkt von Kants Analyse des moralischen Wertes angekommen: Der moralische Wert einer Handlung bemisst sich an der ihr zugrunde liegenden Maxime, und diese darf ihrerseits keine Maxime der Neigung sein, sondern muss auf einem formalen Prinzip beruhen, damit sie die Universalitt und Unparteilichkeit eines allgemeinen Gesetzes aufweist. Fr Kant kann es nun nur ein einziges Motiv geben, das zu moralisch gehaltvollen Maximen fhrt, weil kein anderes Motiv die Unparteilichkeit und Unpersçnlichkeit bzw. Allgemeinheit verbrgt, die ein moralisch wertvoller Grundsatz haben muss. Dieses Motiv ist das Motiv der Pflicht. Kant schließt den Pflichtgedanken als „Folgerung“ (GMS 4:400) an seine bisherige Analyse des moralischen Wertes an, der zufolge dieser Wert in der Bestimmung des Willens durch ein formales Prinzip besteht. Der Pflichtbegriff wird dabei folgendermaßen eingefhrt: „Pf licht ist die Nothwendigkeit einer Handlung aus Achtung frs Gesetz“ (GMS 4:400). Fr eine „Folgerung“ ist diese Definition der Pflicht nun zunchst berraschend, weil sie einen neuen Gedanken aufwirft: den des Handelns „aus Achtung frs Gesetz“.97 95 Vgl. dazu auch die Beispiele in der Grundlegung, in denen Kant noch zwischen der Widersprchlichkeit des Denkens und des Wollens einer bestimmten Maxime unterscheidet. So gibt es Handlungen, deren Maxime nicht nur nicht widerspruchsfrei gewollt, sondern als solche nicht einmal gedacht werden kann (vgl. GMS 4:422 – 424). Zu diesen Handlungen zhlt es, ein angenommenes Depositum nicht zurckzugeben. Es gibt daher, positiv gewendet, eine vollkommene Pflicht gegen andere, ein anvertrautes Depositum wieder zurckzugeben. 96 „Empirische Bestimmungsgrnde taugen zu keiner allgemeinen ußeren Gesetzgebung, aber auch eben so wenig zur innern; denn jede legt sein Subject, ein anderer ein anderes Subject der Neigung zum Grunde, und in jedem Subject ist bald die, bald eine andere im Vorzuge des Einflusses. Ein Gesetz ausfindig zu machen, das sie inssammt unter dieser Bedingung, nmlich mit allerseitiger Einstimmung, regierte, ist schlechterdings unmçglich“ (KpV 5:28). 97 Die „Folgerung“ berrascht auch deshalb, weil Kant einen „ersten“ Satz gar nicht explizit benennt, sondern nur einen „zweiten“ (vgl. GMS 4:399).
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Es wird spter noch darum gehen, der genauen Funktion der „Achtung frs Gesetz“ als dem Motiv moralischen Handelns nachzugehen.98 Fr den in diesem Abschnitt der Untersuchung verfolgten Zweck reicht es zunchst aus, die „Achtung“ in dem Rahmen zu behandeln, in dem Kant den Begriff gegen Ende des „Ersten Abschnittes“ in der Grundlegung einfhrt. Der Begriff der Achtung bildet hier den Schlusspunkt seiner Untersuchung zum moralischen Wert, indem Kant mit diesem Begriff genaueren Einblick in die subjektiven Bedingungen einer moralisch guten Handlung gibt. Wie wir bereits gesehen haben, ist der Pflichtbegriff nur auf ein bedrftiges Vernunftwesen wie den Menschen anwendbar, weil nur ein solches Wesen die allgemeinen Vernunftgrundstze als Pflichten wahrnimmt (vgl. KpV 5:32, 82). Eine Handlung kann „Pflicht“ sein nur fr ein Wesen, dessen Wille aufgrund seiner subjektiven Bedrfnisstruktur nicht schon von sich aus mit den moralischen Grundstzen, die es einsieht, einstimmig ist. Wie Kant in der Kritik der praktischen Vernunft schreibt, ist „Achtung“ „[d]ie sittliche Stufe, worauf der Mensch […] steht“ (KpV 5:84). Was aber heißt das? Warum ist Pflicht die „Nothwendigkeit einer Handlung aus Achtung frs Gesetz“ (GMS 4:400)? In der Grundlegung weist Kant die „Achtung“ als eine Form der Pflichterkenntnis aus: Was ich unmittelbar als Gesetz fr mich erkenne, erkenne ich mit Achtung, welche bloß das Bewußtsein der Un t e r o rd n u n g meines Willens unter einem Gesetze ohne Vermittelung anderer Einflsse auf meinen Sinn bedeutet (GMS 4:401 Anm.).
Gegenstand der Achtung ist das Gesetz, und jemand, der sich der „Unterordnung“ seines Willens unter dieses Gesetz bewusst ist, erkennt „mit Achtung“ fr dieses Gesetz, dass eine bestimmte Handlung notwendig ist. Um diesen Sachverhalt zu verstehen, ist es zunchst wichtig, zu fragen, was mit der „Unterordnung meines Willens“ unter das Gesetz gemeint ist. Es wurde gezeigt, dass Kant die Mçglichkeit von Vernunftgrundstzen einrumt, die nicht nur objektiv, sondern auch unbedingt gltig sind, weil sie festlegen, was von rational Handelnden notwendigerweise gewollt wird. Diese Grundstze sind praktische Gesetze. Kant spricht nun immer von dem einen „praktischen Gesetz“ oder einfach vom „Gesetz“, das wir „mit Achtung“ erkennen. Dieses praktische Gesetz ist das moralische Gesetz, und eine Handlung ist genau dann moralisch wertvoll, wenn ein vernnftiges 98 Vgl. dazu Kap. 4, § 2, 2, sowie Kap. 5, insbes. § 2, 2, 3 und 4.
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Wesen allein nach der „Vorstellung des Gesetzes“ handelt, die ihrerseits den Willen bestimmt (GMS 4:401).99 Das moralische Gesetz ist nun, wie Kant bereits in der Vorrede zur Grundlegung schreibt, „ein Grund der Verbindlichkeit“ (GMS 4:389), d. h. es ist verbindlich fr alle vernnftigen Wesen, die dieses Gesetz ,erkennen‘ bzw. sich dieses Gesetzes bewusst sind. Unter menschlichen Bedingungen stellt sich das moralische Gesetz als Gebot dar, da die menschliche Willkr zwar durch dieses Gesetz, aber auch durch subjektive Interessen bestimmbar ist (vgl. GMS 4:412 f.). Wird sich ein solches bedrftiges, unvollkommenes Wesen wie der Mensch der Verbindlichkeit des Gesetzes, das er nicht schon immer in seinen Handlungen befolgt, bewusst, so stellt sich „Achtung“ fr dieses Gesetz ein: „Was ich unmittelbar als Gesetz fr mich erkenne, erkenne ich mit Achtung“ (GMS 4:401 Anm.). Diese Achtung ist das „Bewußtsein“ bzw. die Erkenntnis, dass das moralische Gesetz den eigenen Willen auf eine doppelte Art und Weise bindet: Zum einen als das den Willen eines bedrftigen Wesens unterwerfende objektive Gesetz, zum anderen als das Gesetz, das sich ein vernnftiges Wesen selbst auferlegt (vgl. GMS 4:401 Anm.). Da ein solches vernnftiges Wesen erkennt, dass es nach einem selbst auferlegten Gesetz handeln kann und damit nicht nur unterworfenes, sondern selbst unterwerfendes Subjekt ist, empfindet es Achtung vor diesem Gesetz. Damit ist die Achtung der Modus, in dem das Gesetz einem endlichen vernnftigen Wesen begegnet. Aber die Achtung fr das moralische Gesetz ist mehr als eine Art praktischer berlegung, durch die Menschen ihre Pflicht erkennen, indem sie ber das Bewusstsein dieses Gesetzes wahrnehmen, dass es selbst der entscheidende moralische Handlungsgrund ist, der andere, auf Neigungen und persçnlichen Interessen basierende Grnde als Kandidaten ausschließt.100 Sie ist zwar, wie wir gesehen haben, die ,Erkenntnis‘ eines Wertes, der die normative Kraft anderer mçglicher Werte einschrnkt. Doch sie hat auch eine praktische Funktion im Handeln, die mit dieser 99 In der Grundlegung verwendet Kant die genauere Bezeichnung „moralisches Gesetz“ sehr sparsam (vgl. z. B. GMS 4:389). Meistens spricht er ausschließlich vom „Gesetz“ oder vom „praktischen Gesetz“. Erst in der Kritik der praktischen Vernunft ist Kant diesbezglich terminologisch eindeutiger und spricht bereits in der „Vorrede“ vom „moralischen Gesetz“ (dort als dem ,Erkenntnisgrund‘ der Freiheit, vgl. KpV 5:4 Anm.). Warum das „praktische Gesetz“ gerade und allein das moralische Gesetz ist, erçrtert Kant nicht. 100 Die Funktion der Achtung im moralischen Handeln als einer besonderen Art der praktischen berlegung macht besonders Reath stark, vgl.: „The Categorical Imperative and Kant’s Conception of Practical Rationality“, 72 f.
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Erkenntnisleistung zusammenhngt: Sie ist die Grundlage fr moralisches Handeln berhaupt, weil moralisch wertvoll nur eine Handlung ist, die auf eine Willensbestimmung zurckgeht, die ihrerseits allein aus der unmittelbaren Vorstellung des moralischen Gesetzes resultiert: Es kann daher nichts anders als die Vo r s t e l l u n g d e s G e s e t z e s an sich selbst, d i e f r e i l i c h n u r i m v e r n n f t i g e n We s e n s t a t t f i n d e t , so fern sie, nicht aber die verhoffte Wirkung der Bestimmungsgrund des Willens ist, das so vorzgliche Gute, welches wir sittlich nennen, ausmachen […] (GMS 4:401).
Erkennt also jemand das Gesetz als verbindlichen Handlungsgrund an und handelt diesem Grund entsprechend, so handelt er „aus Achtung frs Gesetz“ bzw. moralisch wertvoll und das heißt: „aus Pflicht“ (GMS 4:400). „[A]us Achtung frs Gesetz“ handeln bedeutet, dass es allein das Bewusstsein des moralischen Gesetzes ist, das den faktischen Handlungsgrund liefert. Es ist daher die moralische Maxime, allein aus dem Bewusstsein des moralischen Gesetzes und damit „aus Achtung“ zu handeln. Kant drckt dies so aus: Nun soll eine Handlung aus Pflicht den Einfluß der Neigung und mit ihr jeden Gegenstand des Willens ganz absondern, also bleibt nichts fr den Willen brig, was ihn bestimmen kçnne, als objectiv das Gesetz und subjectiv r e i n e Ac h t u n g fr dieses praktische Gesetz, mithin die Maxime, einem solchen Gesetze selbst mit Abbruch aller meiner Neigungen Folge zu leisten (GMS 4:400 f.).
Handelt jemand hingegen zwar ußerlich im Einklang mit der Pflicht, aber ist das moralische Gesetz nicht der tatschliche Bestimmungsgrund des Handelns, so ist die Handlung bloß pflichtmßig. Kant weist darauf gesondert in der Kritik der praktischen Vernunft hin und betont damit noch einmal das Identittsverhltnis, das zwischen dem Handeln „aus Pflicht“ und dem Handeln „aus Achtung frs Gesetz“ besteht: Der Begriff der Pflicht fordert also an der Handlung o b j e c t i v bereinstimmung mit dem Gesetze, an der Maxime derselben aber subjectiv Achtung frs Gesetz, als die alleinige Bestimmungsart des Willens durch dasselbe. Und darauf beruht der Unterschied zwischen dem Bewußtsein, p f l i c h t m ß i g und a u s P f l i c h t , d. i. aus Achtung frs Gesetz, gehandelt zu haben, davon das erstere (die Legalitt) auch mçglich ist, wenn Neigungen blos die Bestimmungsgrnde des Willens gewesen wren, das zweite aber (die Mo r a l i t t ), der moralische Werth, lediglich darin gesetzt werden muß, dass die Handlung aus Pflicht, d. i. blos um des Gesetzes willen, geschehe (KpV 5:81).
Aufgrund ihrer praktischen Reichweite – die Achtung ist „das Bindeglied zwischen unserer Erkenntnis des Gesetzes als eines objektiven Prinzips und
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unserer Annahme dieses Gesetzes als subjektives Prinzip oder Maxime“101 – weisen die Grnde, die wir „mit Achtung“ als die einzig echten moralischen Handlungsgrnde erkennen, ganz bestimmte Merkmale auf. Sie sind nicht nur universal gltig – dies allein reichte nicht aus, um sie von anderen (vernnftigen) Grnden zu unterscheiden. Es sind Grnde, die ein strkeres Gewicht haben und dadurch andere Grnde ausschalten.102 Dass sie fr ein rationales Wesen die gewichtigeren Grnde sind, hngt wiederum damit zusammen, dass es sich der Achtung fr das moralische Gesetz nicht entziehen kann. 4. Moralitt als Autonomie Moralischer Wert, so hat sich ergeben, besteht fr Kant in Handlungen, deren Maximen das Merkmal der Verallgemeinerbarkeit aufweisen und die in grundlegender Weise durch die Vorstellung des moralischen Gesetzes motiviert sind. Moralitt besteht demnach in der Bestimmung des Willens durch ein formales Prinzip, das Moralgesetz. Nun ist eine solche Willensbestimmung nur mçglich, wenn der Wille, der allein durch die gesetzgebende Form einer Maxime bestimmbar ist, eine besondere Beschaffenheit aufweist. Damit ist die Frage nach der Moralitt fr Kant zugleich eine Frage nach dem besonderen Charakteristikum eines dieser Moralitt in Maximen und Handlungen fhigen Willens. In der Kritik der praktischen Vernunft bezeichnet Kant die „Beschaffenheit eines Willens“, der allein durch die gesetzgebende Form einer Maxime bestimmbar ist, als „Freiheit“ (KpV 5:28 f.). Einen freien Willen haben, bedeutet, allein durch einen formalen Grundsatz bestimmbar zu sein, und das heißt auch: in dieser Willensbestimmung unabhngig von der Bestimmung durch Naturgesetze zu sein (vgl. KpV 5:29). Entsprechend seiner Auffassung, dass auch ein freier Wille nach Gesetzlichkeiten wirkt, weil Kausalitt immer nomologisch verfasst ist103, geht es Kant gleich im Anschluss darum, „das Gesetz zu finden, welches ihn [den freien Willen] allein nothwendig zu bestimmen tauglich ist“ (KpV 5:29). Auf diese Ankndigung folgt fast unmittelbar die These, dass, wenn es ein solches objektives, unbedingtes praktisches Moralgesetz gibt, es ein selbst gegebenes Gesetz sein muss, das seinerseits den freien Willen eines vernnftigen 101 Paton: Der kategorische Imperativ, 67. 102 Vgl. Reath: „The Categorical Imperative and Kant’s Conception of Practical Rationality“, 73. 103 Siehe dazu Kap. 2, § 1, 2.
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Subjekts bestimmt. Kant formuliert es als „Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft“: „Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Princip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten kçnne“ (KpV 5:30). Dass die Maxime selbst „Princip einer allgemeinen Gesetzgebung“ sein kann, bedeutet nun nichts anderes, als dass der Wille sich durch diese Maxime selbst ein Gesetz vorschreibt, das allgemein gltig ist.104 Dieser Gedanke findet sich in der Grundlegung explizit in Kants dritter „Formel“ des kategorischen Imperativs: Handle „so, daß der Wille durch seine Maxime sich selbst zugleich als allgemein gesetzgebend betrachten kçnne“ (GMS 4:434). Der „Formel“ liegt der Gedanke zugrunde, dass die moralischen Gesetze, denen ein endliches Vernunftwesen wie der Mensch in seinen unvollkommenen Handlungen unterworfen ist, selbst gegebene Gesetze des rationalen Willens sind (vgl. GMS 4:432; KpV 5:33). Kant bezeichnet diesen Grundsatz in der Grundlegung und in der Kritik der praktischen Vernunft als „Princip der Autonomie des Willens“ (GMS 4:433; vgl. KpV 5:33).105 Der Doppelaspekt der Autonomie besteht damit darin, dass rationale Handelnde eine zweifache Beziehung zu moralischen Forderungen haben: Im einen Fall sind sie die Gesetzgeber, im anderen die unterworfenen Subjekte.106 Der Autonomiegedanke hat in der Grundlegung und in der Kritik der praktischen Vernunft verschiedene systematische Funktionen. In der Grundlegung verfolgt Kant das Ziel, ein oberstes Prinzip der Moralitt 104 Paton weist darauf hin, dass sich „allgemein“ nicht auf die Gesetzgebung, sondern auf das Gesetz bezieht: Autonomie besteht darin, dass sich ein vernnftiger Wille selbst ein Gesetz gibt, das seinerseits allgemeine Gltigkeit hat (vgl. Paton: Der kategorische Imperativ, 219). „Allgemein gesetzgebend“ heißt nicht „allgemeine Gesetzgebung“. Aber das Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung zu sein, heißt, selbst allgemein gesetzgebend zu sein. 105 Eine erste Andeutung des Autonomiegedankens in der Grundlegung findet sich bereits im „Ersten Abschnitt“ dieser Schrift. Dort hatte Kant gegen Ende seiner Analyse des moralischen Wertes das „Gesetz“ als „Gegenstand der Achtung“ bezeichnet, das nher dadurch charakterisiert ist, dass es sich bei ihm um ein von vernnftigen Wesen selbst auferlegtes Gesetz handelt: „Als Gesetz sind wir ihm unterworfen, ohne die Selbstliebe zu befragen; als uns von uns selbst auferlegt, ist es doch eine Folge unsers Willens […]“ (GMS 4:401 Anm.). 106 Vgl. Reath: „Autonomy of the Will as the Foundation of Morality“, 137. Gunkel beschreibt den Doppelaspekt der Autonomie folgendermaßen: „Das Selbst ist (a) ein solches, welches bestimmt (genitivus subjectivus) und zugleich (b) ein solches, welches bestimmt wird (genitivus objectivus)“ (Spontaneitt und Autonomie, 138, Fn. 49).
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ausfindig zu machen, und er zeigt, dass das Konzept der Autonomie den Schlssel zu diesem Prinzip enthlt. In der Kritik der praktischen Vernunft buchstabiert Kant den in der Grundlegung entworfenen Gedanken der Selbstgesetzgebung eines freien Willens aus, indem er der spezifisch handlungstheoretischen Frage nachgeht, wie ein Handeln aus reiner praktischer Vernunft mçglich ist. Whrend die Grundlegung mit dem Prinzip der Moralitt also eher „vorlufige Bekanntschaft“ gemacht hatte (KpV 5:8), geht es Kant in seinem zweiten ethischen Hauptwerk darum, die Anwendung dieses Prinzips auf den Willen eines endlichen Vernunftwesens genauer zu untersuchen. Dabei ist die Untersuchung zunchst negativer Natur: ber Analysen zur empirisch praktischen Vernunft zeigt Kant, dass die „Anmaßung“ dieses empirischen Vermçgens, „ausschließungsweise den Bestimmungsgrund des Willens allein abgeben zu wollen“ (KpV 5:16), nicht berechtigt ist.107 Vor dem Hintergrund dieser verschiedenen Ausgangspositionen in der Grundlegung und in der zweiten Kritik lsst sich nachvollziehen, warum Kant das Autonomie-Konzept dort auf jeweils eigene Weise verwendet. Die Schwierigkeit, mit der sich Kant in der Grundlegung konfrontiert sieht, ist nicht in erster Linie die, das oberste Prinzip der Moralitt als ein allgemein anerkanntes Kriterium des Sittlichen verstndlich zu machen oder als neuen Grundsatz der Moral zu etablieren.108 Sie liegt im Gegenteil bereits in den Grundlagen dieses Gedankens, nmlich in der Annahme, dass es berhaupt Handlungsprinzipien gibt, die nicht neigungsbasierte hypothetische Imperative sind.109 Entsprechend dieser Problematik will Kant in der Grundlegung daher in erster Linie zeigen, wie ein solches Prinzip berhaupt mçglich ist. Auch die ausfhrliche Analyse des moralischen Wertes im „Ersten Abschnitt“ ist vor diesem Beweisziel zu sehen. Kant zeigt dort, dass moralisch wertvolles Handeln auf der Befolgung eines Grundsatzes beruht, der selbst objektive und unbedingte Gltigkeit fr alle Wesen hat, die Vernunft und einen Willen haben. Die Analyse endet im „Zweiten Abschnitt“ und ber Umwege, indem Kant aus zwei bereits erçrterten „Formeln“ des kategorischen Imperativs folgert, dass die Mçglichkeit eines Handelns „aus Pflicht“ in der Beschaffenheit des Willens selbst liegen 107 Zur Anlage und Zielsetzung der Kritik der praktischen Vernunft vgl. Kap. 5, § 1, 1. 108 Wie Kant noch in der Kritik der praktischen Vernunft betont, war es nicht das Ziel der Grundlegung, „einen neuen Grundsatz der Sittlichkeit ein[zu]fhren und diese gleichsam zuerst [zu] erfinden“ (KpV 5:8). 109 Vgl. zu diesem Punkt Hill: „Kant’s Argument for the Rationality of Moral Conduct“, 122.
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muss, der einer moralisch wertvollen Handlung als leitendes Vermçgen zugrunde liegt.110 Nur ein Wille, der sich dadurch auszeichnet, nach selbst gegebenen Gesetzen handeln und in seiner Funktion als Vermçgen der Wahl von anderen, empirischen und dem vernnftigen Wollen externen Faktoren abstrahieren zu kçnnen, kann allein durch die Vorstellung der Pflicht motiviert sein. Kant schreibt in dieser Hinsicht in der Grundlegung: 111 Es ist nun kein Wunder, wenn wir auf alle bisherige Bemhungen, die jemals unternommen wurden, um das Princip der Sittlichkeit ausfindig zu machen, zurcksehen, warum sie insgesammt haben fehlschlagen mssen. Man sah den Menschen durch seine Pflicht an Gesetze gebunden, man ließ es sich aber nicht einfallen, daß er n u r s e i n e r e i g e n e n u n d d e n n o c h a l l g e m e i n e n G e s e t z g e b u n g unterworfen sei, und daß er nur verbunden sei, seinem eigenen, dem Naturzwecke nach aber allgemein gesetzgebenden Willen zu handeln. Denn wenn man sich ihn nur als einem Gesetz (welches es auch sei) unterworfen dachte: so mußte dieses irgend ein Interesse als Reiz oder Zwang bei sich fhren, weil es nicht als Gesetz aus s e i n e m Willen entsprang, sondern dieser gesetzmßig von e t w a s a n d e r m gençthigt wurde, auf gewisse Weise zu handeln. Durch diese ganz nothwendige Folgerung aber war alle Arbeit, einen obersten Grundsatz der Pflicht zu finden, unwiederbringlich verloren. Denn man bekam niemals Pflicht, sondern Nothwendigkeit der Handlung aus einem gewissen Interesse heraus (GMS 4:432 f.).
Der hier entwickelte Gedanke von der moralischen Gesetzgebung als Selbstgesetzgebung des dieser Gesetzgebung unterworfenen Willens begrndet Kants Konzept der Moralitt: Da moralisches Handeln nur dann mçglich ist, wenn das Gesetz, das eine Handlung als moralisch richtig 110 Vgl. zu den verschiedenen „Formeln“ des kategorischen Imperativs, der seinerseits den Modus bezeichnet, in dem das moralische Gesetz endlichen Vernunftwesen begegnet, die Darstellung bei Paton: Der kategorische Imperativ, 152 – 243. Ein berblick ber die „Formeln“ findet sich auf den Seiten 152 – 155; eine Darstellung zur Entwicklung der Autonomieformel aus den vorherigen „Formeln“ auf den Seiten 218 – 220. 111 Bittner formuliert diesen Gedanken besonders prgnant, wenn er schreibt: „Doch gibt es eine Begrndung fr das Prinzip der Autonomie, diese: nur selbstgegebene Gesetze gelten, denn nur nach selbstgegebenen Gesetzen kann man handeln. Es ist eine Begrndung nicht allein fr den gegenber dem Prinzip der Autonomie abgeschwchten Satz: in moralischen Dingen ist der Mensch nur seiner eigenen Gesetzgebung unterworfen […]. Es ist eine Begrndung fr das Prinzip der Autonomie selber: der Mensch ist durchaus nur seiner eigenen Gesetzgebung unterworfen. Er ist nur ihr unterworfen, weil es ein Handeln nach einem fremden Gesetz nicht geben kann. Man kann nicht Gesetze in den Willen ,aufnehmen‘. Es gibt keine Rezeptivitt der praktischen Vernunft. Man handelt immer nach eigenem Gesetz“ (Moralisches Gebot oder Autonomie, 151).
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vorschreibt, als Gesetz des eigenen Willens verstanden wird, ist „Moralitt“ fr Kant gleichbedeutend mit Autonomie: Moralitt besteht also in der Beziehung aller Handlung auf die Gesetzgebung, dadurch allein ein Reich der Zwecke mçglich ist. Diese Gesetzgebung muß aber in jedem vernnftigen Wesen selbst angetroffen werden und aus seinem Willen entspringen kçnnen, dessen Princip also ist: keine Handlung nach einer andern Maxime zu thun als so, daß es auch mit ihr bestehen kçnne, daß sie ein allgemeines Gesetz sei, und also nur so, d a ß d e r W i l l e d u r c h s e i n e Ma x i m e s i c h s e l b s t z u g l e i c h a l s a l l g e m e i n g e s e t z g e b e n d b e t r a c h t e n k ç n n e (GMS 4:434).
Moralitt ist demnach nicht allein dadurch definiert, dass (theoretisch) ein Prinzip der Moral existiert, an dem sich moralisch wertvolles Handeln bemisst und dem der Moral zugngliche Wesen in ihren Handlungen folgen sollten. Vielmehr kann von einem objektiven Prinzip der Moral und seiner unbedingten, ausnahmslosen Gltigkeit fr alle vernnftigen Wesen nur dann gesprochen werden, wenn jener allgemeine objektive Grundsatz einen Bezug auf diese Wesen aufweist oder, wie Kant es ausdrckt, sie „unmittelbar und kategorisch angeh[t]“ (GMS 4:457). Nun geht der moralische Grundsatz ein rationales Wesen wie den Menschen deshalb an, weil dieser sich selbst als Urheber des Gesetzes betrachten kann, dem er gleichzeitig, nmlich als affizierbares, endliches Vernunftwesen, unterworfen ist. Es ist ein Grundsatz, der seinem Wollen als vernnftiges Wesen intern ist. Das moralische Gesetz ist demzufolge eine unbedingte Handlungsregel, die mit dem Willen des Menschen qua autonomem, als Intelligenz betrachtetem Selbst bereinstimmt (vgl. GMS 4:457).112 Es erweist sich in der Reflexion als das Gesetz der eigenen rationalen Natur, das dem ,eigentlichen Selbst‘ des moralischen Akteurs entspricht und als solches wahrgenommen wird.113 Das ,Sollen‘, das von dem Gesetz ausgeht, ist aus der Perspektive der Vernunft daher ein ,Wollen‘ (vgl. GMS 4:449), und es gibt das ,Sollen‘ als berechtigte Forderung fr endliche Vernunftwesen berhaupt nur deshalb, weil es von ihnen als von einem unabhngigen, vernnftigen Wollen ausgehende Norm verstanden werden kann.114 Damit 112 Kant fhrt diesen Gedanken an anderer Stelle aus, wenn er den „Ursprung“ der Pflicht in der Ttigkeit des reinen Willens verortet, der sich als vernnftiger Wille das praktische Gesetz selbst vorgibt (KpV 5:86 f.). 113 Vgl. Kain: „Self-Legislation in Kant’s Moral Philosophy“, 303. Zum ,eigentlichen Selbst‘ vgl. GMS 4:457. 114 Diese Idee findet sich pointiert in Kants Bemerkung, eine Person sei „dem moralischen Gesetze u n t e r w o r f e n […], so fern sie in Ansehung eben desselben
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ist der grundlegende Gedanke des kantischen Autonomie-Gedankens nicht einfach der, dass sich ein rationaler Wille selbst ein Gesetz vorschreibt, nach dem er mçglicherweise auch handelt. Die bedeutsamere Idee am Konzept des autonomen Willens ist vielmehr, dass nur durch einen solchen Willen ein unbedingtes Prinzip der Moral fr endliche Vernunftwesen denkbar und gltig ist.115 Kants Argumentation bezglich der Autonomie als Prinzip der Moralitt in der Kritik der praktischen Vernunft verluft stringenter und direkter als in der Grundlegung. Kant baut in der Kritik der praktischen Vernunft auf seiner in der Grundlegung durchgefhrten Untersuchung der Autonomie des Willens auf und fgt nur einen Absatz zwischen den negativen Freiheitsbegriff und den positiven Begriff der Freiheit als Autonomie ein, in dem er auf die wechselseitige Beziehung zwischen Freiheit zugleich g e s e t z g e b e n d und nur darum ihm untergeordnet ist“ (GMS 4:440). Vor diesem Hintergrund erweist sich die von Kant im dritten Abschnitt (rhetorisch) aufgeworfene Frage, warum man sich als vernnftiges Wesen dem moralischen Gesetz unterwerfen sollte, als hinfllig. Denn, wie Schçnecker es ausdrckt, „hat es keinen Sinn zu sagen: ,Ich bin der Gesetzgeber, ich stelle das Gesetz auf, aber ich will es eigentlich nicht‘“ (Kant. Grundlegung III, 80 f.). Mit Blick auf Kants Unterscheidung zwischen dem Autor der Verbindlichkeit und dem Autor des Gesetzes (vgl. MS 6:227) ist Schçneckers Formulierung allerdings dahingehend zu przisieren, dass das vernnftige Subjekt nicht das Gesetz (seinem Inhalt nach) aufstellt, sondern von ihm die Verbindlichkeit, so und nicht anders zu handeln, ausgeht. 115 Reich weist in diesem Kontext darauf hin, dass Kants Autonomie-Konzept weniger von Rousseau beeinflusst ist, als gemeinhin angenommen wird. So laufe Rousseaus Idee einer „volont gnrale“ zwar auf die Selbstgesetzgebung eines allgemeinen Willens hinaus, unterscheide sich aber von Kants Begriff des autonomen Willens darin, dass er durch das subjektive Interesse der Selbstliebe und nicht durch ein allgemeines Interesse geleitet ist. Whrend Rousseaus Autonomie-Gedanke auf die Selbstgesetzgebung des Willens zielt, der durch ein persçnliches Interesse am Gemeinwohl gebunden ist, ist es bei Kant gerade die Mçglichkeit eines unbedingten Moralprinzips und einer diesem entsprechenden unbedingten Verpflichtung, die der Idee der Autonomie des Willens zugrunde liegt. Damit ist Autonomie fr Kant mehr als die Selbstgesetzgebung des Willens. Sie ist vielmehr das einzige Prinzip, durch das ein unbedingtes moralisches Prinzip verstndlich gemacht werden kann. Vgl. Reich: Rousseau und Kant, 14 f. – Allison hat darauf aufmerksam gemacht, dass Kant sehr viel frher ber den Begriff des kategorischen Imperativs als oberstem Moralkriterium als ber das Autonomiekonzept verfgt. In der Grundlegung gelingt es Kant schließlich, zu zeigen, dass Moralitt und ein oberstes Prinzip der Moral als leitender Handlungsgrundsatz nur unter der Voraussetzung der Autonomie des Willens mçglich sind. Vgl. Allison: Kant’s Theory of Freedom, 101, 104.
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und praktischem Gesetz eingeht (vgl. KpV 5:29 f.). Unmittelbar darauf folgt das „Grundgesetz der reinen praktischen Vernunf t“ (KpV 5:30). Warum ist das Prinzip der Autonomie des Willens ein „Grundgesetz der reinen praktischen Vernunf t“? Das „Grundgesetz“ fordert, dass die Maximen eines autonomen Willens zugleich Grundstze einer allgemeinen Gesetzgebung sein sollen (vgl. KpV 5:30). Diese Aussage lsst sich dahingehend verstehen, dass das moralische Gesetz selbst in der reinen praktischen Vernunft begrndet ist. Es ist insofern ein ,natrliches‘ Gesetz, da es im Gegensatz zu den positiven, willkrlichen und kontingenten Gesetzen keinen konkreten Autor im Sinne eines Urhebers hat. Es ist ein Gesetz, dem praktische Notwendigkeit allein deshalb zukommt, weil seine Forderung das betrifft, was an sich gut oder schlecht ist. Der Inhalt dieses Gesetzes ist daher unabhngig von einem wie auch immer gearteten Willen, whrend seine Verbindlichkeit von der praktischen Vernunft (dem rationalen Willen) als gesetzgebender Instanz ausgeht. Das rationale Subjekt der Moral ist damit zwar Autor der Verbindlichkeit, nicht aber zugleich auch Urheber des Gesetzes, von dem die Verbindlichkeit ausgeht.116 Nur weil es Wesen gibt, die in der Lage sind, ein Prinzip zum fundamentalen Grundsatz ihres Willens zu machen (und sich zunchst ein solches Prinzip zu denken!), das formal und unbedingt und nicht durch persçnliche Prferenzen vorgegeben ist, nur deshalb hat das moralische Gesetz praktische Realitt. Es ist ein rationales Prinzip, das als durch die 116 Diese Interpretation bezieht sich auf Kants Unterscheidung zwischen dem „Urheber (autor) der Verbindlichkeit nach dem Gesetze“ und dem „Urheber des Gesetzes“, wie er sie selbst in der Metaphysik der Sitten thematisiert (MS 6:227; vgl. V-Mo/Collins 27:282 f.). Dieser Unterscheidung zufolge beruht Autonomie darauf, dass die Nçtigung durch das moralische Gesetz vom gençtigten Subjekt selbst ausgeht. Dies impliziert jedoch nicht, dass das Gesetz, welches das moralische Subjekt bindet, auch insofern ein Gesetz des eigenen Willens ist, dass der Wille auch Urheber des Gesetzes ist. Vgl. zu dieser Interpretation des kantischen Autonomieverstndnisses besonders die minutiçse Darstellung von Kants Unterscheidung zwischen Gesetzgebung und Autorschaft bei Kain: „Self Legislation in Kant’s Moral Philosophy“. In „Autonomy of the Will as the Foundation of Morality“ geht Reath dem Begriff der Autonomie bei Kant unter Anwendung einer politischen Metapher nach. So stellt „Kant’s Souvereignty Thesis“ seiner Ansicht nach Autonomie als Souvernitt des Willens vor, diese Souvernitt schließt ihrerseits die Fhigkeit zur Normsetzung als entscheidendes Merkmal von Autonomie mit ein (129). Die Souvernittsthese besagt, dass moralisch Handelnde Autoren der Verbindlichkeit des Gesetzes und insofern gesetzgebend sind; sie sind jedoch nicht Autoren des Gesetzes (z. B. 147). Vgl. zu diesem Punkt auch Wood: Kantian Ethics, 113.
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(menschliche) Vernunft selbst entworfen vorgestellt werden kann.117 Dies gilt in zweierlei Hinsicht: Zum einen, weil das vernnftige Subjekt das Prinzip der Moral als in seinem eigenen rationalen Willen begrndet erkennt. Zum anderen, weil die Maximen, die ein vernnftiger Wille am moralischen Gesetz ausrichtet, selbst die Form universaler Gesetze haben.118 Auf der Annahme des grundlegenden Vermçgens der Selbstgesetzgebung baut schließlich die Fragestellung der Kritik der praktischen Vernunft auf, deren Ziel es ist, zu zeigen, dass reine Vernunft praktisch sein und das heißt: dass es praktische Gesetze geben kann.119 Kants Beweisziel besteht hier nicht allein darin, zu zeigen, dass vernnftige Wesen nach Grundstzen handeln kçnnen, die sie aufgrund ihrer Vernunft einsehen. Diese Fhigkeit wird hier bereits vorausgesetzt. Es soll darber hinaus gezeigt werden, dass sich praktische Rationalitt nicht im Handeln nach hypothetischen Imperativen erschçpft, und dass ein vernnftiges Wesen allein aus rationaler berlegung handeln kann, ohne dass die intendierte Handlung und die ihr 117 Vgl. dazu z. B. GMS 4:431. Kant ist daher ein ,metaethischer Realist‘ in dem Sinne, in dem er ethischer Rationalist ist: Es ,gibt‘ moralische Werte als vernnftig einsehbare Grnde, die ihrerseits subjektunabhngig und allgemeingltig sind. Der vernnftige Wille ist Autor dieses Gesetzes in einem bertragenen Sinne: nmlich insofern er sich als solcher „betrachten“ kann (vgl. GMS 4:431, 434). Zur Kritik einer konstruktivistischen Interpretation des kantischen Autonomiebegriffs, dem zufolge die Gltigkeit des moralischen Gesetzes auf der individuellen Selbstgesetzgebung eines jeden mit Vernunft und Willen begabten Subjektes beruht, vgl. die Ausfhrungen bei Kain: „Self-Legislation in Kant’s Moral Philosophy“, bes. 262 – 265. Zur konstruktivistischen Lesart vgl. v. a. Korsgaard: „Aristotele and Kant on the source of value“, sowie Herman: „Leaving Deontology behind“. 118 Vgl. Kain: „Self Legislation in Kant’s Moral Philosophy“, 301. 119 Die Freiheit, die im Vermçgen praktischer Vernunft schon zum Ausdruck kommt, weil ein jedes Handeln nach Vernunftgrundstzen, seien sie bedingt oder unbedingt, die Unabhngigkeit von der unmittelbaren Bestimmung durch sinnliche Antriebe voraussetzt, ist deshalb auch ein ,Seinsgrund‘ des moralisches Gesetzes und moralischen Handelns berhaupt. Ein Wesen, dessen Willkr durch Sinnlichkeit vollstndig determiniert wre, kçnnte weder sinnvoller weise einem Gesetz unterworfen werden noch sich selbst ein Gesetz geben, das als objektiver Grundsatz ber diese Sinnlichkeit hinausreicht. Vgl. dazu Kants Definition der Freiheit als „ratio essendi“ des moralischen Gesetzes in der „Vorrede“ der Kritik der praktischen Vernunft mit der Erluterung: „Wre aber keine Freiheit, so wrde das moralische Gesetz in uns gar nicht anzutreffen sein“ (KpV 5:4 Anm.). Umgekehrt ist es das Urteil, einem moralischen Gesetz zu unterstehen, das zu der Annahme der Freiheit berechtigt. Insofern ist das moralische Gesetz die „ratio cognoscendi“ der Freiheit (vgl. KpV 5:4 Anm., 29 f.).
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zugrunde liegende Maxime einen unmittelbaren Bezug auf die Neigungen und Wnsche dieses Subjektes aufweist. Die Prinzipien, aus denen ein Subjekt aus autonomem Willen handelt, sind damit fr alle rationalen Handelnden gltig, ganz gleich, in welcher Situation sie sich befinden und welche persçnlichen Interessen sie verfolgen. Eine Handlung, die auf reiner Vernunft beruht, wird nicht aufgrund eines kontingenten Zweckes als erstrebenswert empfunden. Sie wird im Gegenteil um ihrer selbst willen ausgefhrt. Ihr Gegenstand ist allein das praktische Gesetz als unbedingtes Prinzip der Moral, das seinerseits das Gesetz eines rationalen Willens ist. In moralisch wertvollen Handlungen ist es allein das Bewusstsein dieses Gesetzes, das den ausschlaggebenden Handlungsgrund abgibt.120 Kant liefert in der Kritik der praktischen Vernunft also keine aufwndige Analyse des moralischen Wertes, um zu dem Ergebnis zu gelangen, dass ein vernnftiger Wille selbst gesetzgebend ist. Mit der These vom „Factum der reinen Vernunft“ (KpV 5:31), der zufolge es ein in der Ttigkeit der Vernunft begrndetes Bewusstsein der unbedingten Verbindlichkeit des moralischen Gesetzes gibt, das selbst nicht weiter begrndet werden kann, ist die Autonomie des Willens erwiesen (vgl. KpV 5:31 – 33).121 Diesem Ansatz nach ist es das sich in jedem vernnftigen Wesen einstellende Bewusstsein der moralischen Norm, das diesem Wesen die Autonomie seines eigenen Willens entdeckt: Er urtheilt also, daß er etwas kann, darum weil er sich bewußt ist, daß er es soll, und erkennt in sich die Freiheit, die ihm sonst ohne das moralische Gesetz unbekannt geblieben wre (KpV 5:30).
Darauf, dass diese ,erkannte‘ Freiheit tatschlich (positiv) die Autonomie des Willens und nicht allein (negativ) die Unabhngigkeit eines vernnftigen, dem moralischen Gesetz unterworfenen Willens von physischer Determination meint, deutet zum einen das von Kant im Folgenden angefhrte „Grundgesetz der reinen praktischen Vernunf t“ hin (KpV 5:30). Es beinhaltet seinerseits das Prinzip der Selbstgesetzgebung des Willens, den Kant hier als „reine[.] praktische[.] Vernunf t“ bezeichnet (KpV 5:30). Zum anderen schreibt Kant im „Lehrsatz IV“ explizit: „Also drckt das moralische Gesetz nichts anders aus, als die Autonomie der reinen praktischen Vernunft, d. i. der Freiheit […]“ (KpV 5:33). 120 Fr eine ausfhrliche Analyse zu Anlage und Zielsetzung der Kritik der praktischen Vernunft siehe Kap. 5, § 1, 1. 121 Zur funktionalen Rolle der These vom „Factum der Vernunft“ in Kants Diskussion des Problems der moralischen Motivation siehe auch Kap. 5, § 1, 1.
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Trotz dieser unterschiedlichen Vorgehensweisen in der Grundlegung und der Kritik der praktischen Vernunft lassen sich aus beiden Schriften Punkte abstrahieren, die fr Kants Konzept der Autonomie wesentlich sind. Sie finden sich zusammengefasst in Kants Autonomiedefinition im „Lehrsatz IV“ der Kritik der praktischen Vernunft: Die Au t o n o m i e des Willens ist das alleinige Princip aller moralischen Gesetze und der ihnen gemßen Pflichten: alle He t e r o n o m i e der Willkr grndet dagegen nicht allein gar keine Verbindlichkeit, sondern ist vielmehr dem Princip derselben und der Sittlichkeit des Willens entgegen. In der Unabhngigkeit nmlich von aller Materie des Gesetzes (nmlich einem begehrten Objecte) und zugleich doch Bestimmung der Willkr durch die bloße allgemeine gesetzgebende Form, deren eine Maxime fhig sein muß, besteht das alleinige Princip der Sittlichkeit. Jene Un a b h n g i g k e i t aber ist Freiheit im n e g a t i v e n , diese e i g e n e G e s e t z g e b u n g aber der reinen und als solche praktischen Vernunft ist Freiheit im p o s i t i v e n Verstande. Also drckt das moralische Gesetz nichts anders aus, als die Au t o n o m i e der reinen praktischen Vernunft, d. i. der Freiheit, und diese ist selbst die formale Bedingung aller Maximen, unter der sie allein mit dem obersten praktischen Gesetze zusammenstimmen kçnnen (KpV 5:33).
Mit „Autonomie“ meint Kant demnach zweierlei: 1. Das einzige Prinzip der Moralitt. 2. Die Eigenschaft des Willens, sich selbst ein Gesetz zu sein. Den Status als einziges Prinzip der Moralitt (vgl. z. B. GMS 4:440) verdient die Autonomie des Willens, weil nur sie als Selbstgesetzgebung des Willens eines freien, vernnftigen Wesens es ermçglicht, dass ein solches Wesen nach einem formalen Grundsatz handelt, ohne dass diese Handlung von einem anderen Motiv als dem der Pflicht geleitet ist (vgl. dazu GMS 4:432 f.).122 Autonomie ist deshalb gleichbedeutend mit dem Gedanken, dass ein vernnftiges Wesen aus Grundstzen handelt, die ihrerseits die ,Form‘ eines allgemeinen Gesetzes haben. Ein rationales Wesen, das aus diesen Grundstzen handelt, lsst sich durch Grnde bewegen, die nicht auf Neigungen und kontingenten Prferenzen beruhen. Die Allgemeinheit, die empirisch bedingte Prinzipien nicht liefern kçnnen, weil diese 122 Autonomie ist das „defining feature“ fr Moralitt, ebenso wie Spontaneitt das „defining feature“ fr rationales Handeln ist (vgl. Allison: „Autonomy and spontaneity in Kant’s conception of the self“, 142). Allison zufolge beruht die Komplexitt von Kants Autonomiebegriff auch darauf, dass die Autonomie des Willens nach Kant zum einen oberste Bedingung der Mçglichkeit eines kategorischen Imperativs als dem einzig echten Prinzip der Moral (vgl. GMS 4:440) und zum anderen eine von verschiedenen ,Formeln‘ dieses Moralprinzips ist (vgl. GMS 4:432; vgl. Kant’s Theory of Freedom, 95).
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immer von der subjektiven Befrwortung und den individuellen Einstellungen einzelner Personen abhngen, wird durch ein formales Prinzip der Moralitt gewhrleistet, dessen Bedingung der Mçglichkeit wiederum ein Wille ist, der sich dieses Prinzip, das er als Gebot vorstellt, selbst vorschreibt. Damit ist der objektive Grundsatz der Moralitt, den zum subjektiven Grundsatz zu machen ein endliches Vernunftwesen als ,Pflicht‘ versteht, ein Prinzip, das dieses Wesen qua autonomes Vernunftwesen als selbst entworfen vorstellt. Ein durch den moralischen Grundsatz gegebener rationaler Grund ist ein hinreichender Handlungsgrund und als solcher unabhngig von situativen Bedingungen wie individuellen Prferenzen und Bedrfnissen. Ein solcher Grund ist ein moralischer Grund, den ein autonomes Vernunftwesen als seinen Handlungsgrund versteht.123 Kants Konzept der Normativitt beruht daher in grundlegender Weise auf der Annahme einer aktiven Beziehung zwischen der moralischen Norm und dem autonomen Willen als Autor der Verbindlichkeit dieser Norm. Diesem Konzept zufolge wird der rationale Wille nicht passiv mit Normen konfrontiert, die sich ihm als ,ußere‘ Normen prsentieren. Moralische Normen werden im Gegenteil verstanden als Regeln des rationalen, autonomen Willens eines jeden Menschen.124 Als solche konstituieren sie objektive moralische Grnde, die von rationalen Subjekten eingesehen und auch geteilt werden.125 Autonomie als Eigenschaft des rationalen Willens, sich selbst das Gesetz des Handelns vorschreiben zu kçnnen, ist nun berhaupt nur unter der Voraussetzung mçglich, dass endliche Vernunftsubjekte zunchst unter dem Aspekt ihrer negativen Freiheit betrachtet werden. ,Negative Freiheit‘ besteht nach Kant darin, in der Wahl einer Handlungsalternative nicht durch sinnliche Interessen bestimmt zu sein.126 Ein Wille, der nach einem formalen Grundsatz handelt, ist, als sinnlich affizierbarer und in dieser Hinsicht nicht rein rationaler Wille, immer auch naturgesetzlich bestimmt. Daher setzt die Fhigkeit, einen rationalen, unbedingten und universal 123 Mit Blick auf die im ersten Kapitel diskutierte Unterscheidung zwischen normativen und motivierenden Grnden heißt das, dass die normativen Grnde („any reason for doing it“) zugleich motivierende Grnde („his reasons for doing it“) fr einen autonomen Willen sind (vgl. Dancy: Practical Reality, 2). Dies deshalb, weil ein Subjekt qua autonomes Wesen als Autor der Grnde, die es an die Norm binden, verstanden wird. 124 Vgl. dazu Reath: „Autonomy of the Will as the Foundation of Morality“, 128. 125 Vgl. zu einer solchen Konzeption normativer Grnde Kap. 1, § 3, 1. 126 Vgl. zum Begriff der negativen Freiheit GMS 4:447; KpV 5:33; MS 6:213.
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gltigen Grundsatz zum grundlegenden Prinzip des Handelns zu machen, eine Eigenschaft des Willens voraus, die darin besteht, von sinnlichen, ,externen‘ Einflssen abstrahieren zu kçnnen. Andernfalls wre immer ein Bedrfnis und ein diesem Bedrfnis entsprechender Zweck, niemals aber das moralische Gesetz selbst Bestimmungsgrund des Willens und eine jede Handlung fremdbestimmt bzw. ,heteronom‘.127 Mit Blick auf die Tatsache, dass zum einen die Willkr eines vernnftigen Wesens verstanden als ,arbitrium sensitivum liberum‘128 zwar sinnlich affizierbar, durch diese Sinnlichkeit aber nicht auf bestimmte Handlungen schon festgelegt ist, und zum anderen ,praktische Vernunft‘ zunchst einmal fr das Vermçgen steht, nach Vernunftgrundstzen zu handeln129 – seien sie durch einen verfolgten Zweck bedingt oder aber unbedingt – heißt das, dass nicht nur moralische und damit autonome, sondern in einem bestimmten Sinne auch heteronome Handlungen frei sind. Freiheit nach diesem Verstndnis ist die Fhigkeit, berhaupt nach vernnftiger berlegung handeln zu kçnnen und nicht wie das Tier auf die Bestimmung durch sinnliche Eindrcke beschrnkt zu sein. So handelt der kluge Kaufmann aus Kants Beispiel in der Grundlegung (vgl. GMS 4:397) in einem grundlegenden Sinne sowohl rational als auch frei. Seine Handlung ist wohl kalkuliert, er wird zu ihr nicht getrieben oder durch unzhmbare Begierden bermannt.130 Dennoch wrde Kant nicht behaupten, das Verhalten des Kaufmanns sei frei in dem Sinne, dass es Ausdruck seiner Autonomie des Willens ist Denn die Handlung, die er ausfhrt, ist zwar berlegt und frei, aber sie ist dies nicht in moralischer Hinsicht. Die Begrndung ist folgende: Das Prinzip der Moralitt und damit Autonomie besteht nach Kant in der 127 Willaschek hat darauf hingewiesen, dass die Gegenberstellungen „Autonomie und Heteronomie einerseits und Autonomie und Naturdetermination andererseits“ nicht deckungsgleich sind. Eine Handlung kann naturgesetzlich bestimmt, aber dennoch autonom (und nicht heteronom) sein. Autonomie und Heteronomie sind Willaschek zufolge nicht in Bezug auf die kausale Erklrung der Handlung verschieden. Der Unterschied liegt im Gegenteil darin, dass Autonomie und Heteronomie Handlungen auf verschiedene Weise begrnden: Whrend in einer autonomen Handlung das moralische Gesetz selbst der hinreichende Grund der Handlung ist, sind heteronome Handlungen durch dem moralischen Gesetz (und dem vollkommen rationalen Willen) externe Faktoren bzw. durch das Motiv der Zweckrationalitt begrndet. Dabei kçnnen autonome Handlungen auch durch natrliche Gegebenheiten mit verursacht sein (vgl. Praktische Vernunft, 236 f.). 128 Vgl. z. B. KrV A 533 f./B 561 f. sowie Kap. 2, § 2, 2. 129 Vgl. GMS 4:412 sowie Kap. 3, § 1, 1 und 3. 130 Vgl. dazu und im Folgenden Kap. 3, § 2, 1.
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Fhigkeit, nach Grundstzen zu handeln, deren absolute Verbindlichkeit ein vernnftiges Wesen als durch den eigenen Willen gegeben vorstellt. Dies ist der ,positive‘ Freiheitsbegriff, der seinerseits den Kern des Kantischen Autonomiebegriffs enthlt. Whrend der Begriff der negativen Freiheit ausdrckt, was der Wille nicht ist, nmlich durch externe Ursachen determiniert, sagt die ,positive Freiheit‘ etwas darber aus, was der Wille ist bzw. was ihn in positiver Hinsicht ausmacht: allein durch Vernunft bestimmbar zu sein.131 Wenn negative Freiheit die Unabhngigkeit von der Bestimmung durch externe Grnde ist und Voraussetzung fr Autonomie, dann kann Autonomie nur die Bestimmung durch ein internes, selbst gegebenes Prinzip sein. Dafr, dass dieses selbst gegebene Prinzip ein praktisches Gesetz ist, gibt es eine handlungstheoretische und eine moralphilosophische Begrndung. Zum einen ist Kants Auffassung von der Gesetzmßigkeit der Freiheit in seinem nomologischen Verstndnis jeglicher Art von Kausalbeziehung (deren die Freiheit eine ist) verankert. Zum anderen kann das Normprinzip nur eines sein, das allgemeingltig ist, was fr Kant heißt, dass es die Form eines Gesetzes hat. Das Gesetz der positiven Freiheit ist nun keine situative Regel des Verhaltens, sondern ein formales, objektives und unbedingtes Prinzip, das fr alle vernnftigen Wesen gltig ist. Handelt jemand aus einem solchen Grundsatz, so ist die Handlung moralisch gut. Der Protagonist in Kants Kaufmannbeispiel ist nun gerade nicht durch einen Grundsatz motiviert, der fr alle vernnftigen Wesen unabhngig von ihren persçnlichen Interessen gltig und daher fr alle endlichen Vernunftwesen geboten ist. Seine Handlung stimmt mit dem Grundsatz der Moral zwar ußerlich berein, sie ist jedoch durch eigenntzige Interessen motiviert: Das der Handlung zugrunde liegende Motiv ist nicht der Pflichtgedanke, sondern die Aussicht auf den eigenen Vorteil. Also handelt der Kaufmann nach einem Grundsatz, der fr ihn selbst und mçglicherweise auch fr Personen gltig ist, die sich in einer vergleichbaren Situation befinden: Fr Kaufleute, die an der fr sie selbst vorteilhaftesten Fhrung ihrer Geschfte interessiert sind. Insofern erfllt die Handlung des Kaufmanns einen minimalen Standard an Rationalitt: Sie ist vernnftig in Bezug auf einen bestimmten, auf die Interessen von Kaufleuten beschrnkten Zweck. Sie ist es jedoch nicht in uneingeschrnkter Weise, so dass das Verhalten des Kaufmanns 131 Positive Freiheit ist „das Vermçgen der reinen Vernunft fr sich selbst praktisch zu sein“ (MS 6:213 f.; vgl. GMS 4:447 f., KpV 5:33).
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exemplarisch fr das Befolgen eines allgemein anerkannten moralischen Prinzips stehen wrde und als Ausdruck seiner Vernunftfhigkeit qua autonomes Wesen zu verstehen wre. Zwar ist seine Handlung (negativ) frei und spontan, weil sie ihm nicht aufgezwungen wird, sondern durch seine eigene Entscheidung und berlegung geleitet ist. Sie ist jedoch kein Fall von positiver Freiheit, da das Vermçgen, allein aus unparteilichen Vernunftgrnden zu handeln, die das rationale Subjekt wiederum als eigene, interne Grnde anerkennt, hier nicht zum Zuge kommt. Was der Handlung zugrunde liegt, ist nicht der Grundsatz, seine Pflicht aus Pflicht zu tun (d. h. ehrlich zu sein, weil dies geboten ist) bzw. so handeln, dass die Maxime der Handlung formal mit dem allgemeinen Prinzip der Moral bereinstimmt. Die Handlung ist vielmehr durch ein persçnliches Interesse bedingt und damit ein Beispiel fr die Abhngigkeit von dem, was Menschen als zwar freie, jedoch sinnlich affizierbare, eigeninteressierte Wesen umtreibt. Kant schreibt diesbezglich in der Anthropologie: Das Passive in der Sinnlichkeit, was wir doch nicht ablegen kçnnen, ist eigentlich die Ursache alles des bels, was man ihr nachsagt. Die innere Vollkommenheit des Menschen besteht darin: daß er den Gebrauch aller seiner Vermçgen in seiner Gewalt habe, um ihn seiner f r e i e n W i l l k r zu unterwerfen (Anth 7:144).
Handelt jemand aus bloßem Eigeninteresse, so hat er Kants Ansicht nach gerade nicht „alle[…] seine[…] Vermçgen in seiner Gewalt“. Er ist zwar seiner Willkr nach negativ frei, macht von dieser Freiheit aber keinen positiven Gebrauch. Ein solcher ,positiver Gebrauch‘ wrde darin bestehen, dass er das Eigeninteresse zugunsten desjenigen, was allgemein als vernnftig anerkannt und gefordert ist, zurckstellt. Tut er dies nicht, so ist seine Handlung zwar frei, keinesfalls aber autonom in dem Sinne, dass der Handelnde seine Freiheit als Autonomie auch positiv gebraucht.132 Denn dass er nicht dem objektiv und unbedingt gltigen Grundsatz entsprechend handelt, obwohl er es anders kçnnte, ist nicht Ausdruck des Vermçgens, sondern, wie Kant an anderer Stelle sagt, des „Unvermçgen[s]“ seiner Freiheit (als Autonomie) (MS 6:227).133 132 Insofern bemerkt Timmermann zurecht, dass nach Kant „ein Mangel an Vernunft […] zugleich ein Minus an Freiheit“ ist (Sittengesetz und Freiheit, 39). 133 Dies ist eine Formulierung aus der „Einleitung“ in die Metaphysik der Sitten, die Kant mit der Bemerkung einleitet: „Nur das kçnnen wir wohl einsehen: […] daß die Freiheit nimmermehr darin gesetzt werden kann, daß das vernnftige Subject auch eine wider seine (gesetzgebende) Vernunft streitende Wahl treffen kann […]“ (MS 6:226).
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Es ist daher nicht der Fall, dass fr Kant die Mçglichkeit freier, aber heteronomer Handlungen nicht besteht. Und es ist nicht der Fall, dass Kant der Ansicht ist, nur ein guter Wille und nur Handlungen aus einem guten Willen seien frei.134 So sind Handlungen gegen die Forderung des moralischen Gesetzes zwar kein Ausdruck des positiven Gebrauchs der Freiheit als Autonomie, aber sie sind frei in dem Sinne, dass sie nicht allein auf Naturgesetzlichkeiten beruhen, sondern auf die grundlegende Fhigkeit rationaler Wesen zurckgehen, nach vernnftiger berlegung handeln zu kçnnen und durch sinnliche Reize nicht unmittelbar auf ein bestimmtes Verhalten festgelegt zu sein.135 Zwar gibt Kant vor allem im „Dritten Abschnitt“ der Grundlegung Anlass zum Zweifel an der grundlegenden Freiheit auch heteronomer Handlungen, wenn er die Heteronomie mit „Naturnothwendigkeit“ gleichsetzt und dieser die Freiheit (als Autonomie) gegenberstellt (vgl. GMS 4:446 f.). Diese Aussage bedeutet jedoch nicht, dass heteronome Handlungen ausschließlich aus Naturnotwendigkeit erfolgen. Natrliche Verursachung ist nur insofern ein Merkmal heteronomer Handlungen, als eine Handlung, die nicht allein auf vernnftige berlegung zurckgeht, fr Kant immer durch Wnsche, Neigungen und Interessen und damit ,natrlich‘ bestimmt ist. Naturnotwendigkeit ist bei den Handlungen eines vernnftigen Wesens aber nicht derart im Spiel, dass alles Verhalten dadurch determiniert wre. Da ein Wesen mit Vernunft prinzipiell nicht auf die Bestimmung durch sinnliche Reize festgelegt ist, zeigt sich Naturnotwendigkeit immer nur insofern im Verhalten eines solchen animal rationale, als es diesen Reizen – freiwillig – nachgibt und nicht allein reine Vernunftgrundstze zu den Prinzipien seines Handelns macht.136 Wie Kant schreibt, 134 Vgl. dazu die Kritik von Prauss an Kants Konzeption der Freiheit als Autonomie, die ihrerseits die weitergefhrte Kant-Kritik Reinholds ist: Kant ber Freiheit als Autonomie. Zur Reinhold-Prauss-Kontroverse und zur Kritik dieser Positionen vgl. außerdem die Darstellung bei Allison: Kant’s Theory of Freedom, 134 – 136. Reinholds Kritik ist wiedergegeben in Bittner/Cramer (Hg.): Materialien zur Kritik der praktischen Vernunft, 252 – 274, 310 – 324. 135 Problematisch bleibt jedoch trotz dieser Lesart, dass es nach Kant nur ein einziges Kausalgesetz freien Handelns gibt: Das moralische Gesetz. Wenn dieses Gesetz das Gesetz eines freien Willens ist und den freien Handlungen zugrunde liegt, ist fraglich, wie freie Handlungen gegen dieses Gesetz mçglich sind. Vgl. zu dieser Kritik Guyer: „Freedom: will, autonomy“, 97. 136 Vgl. zu diesem Punkt Patons Darstellung, der „Zwei Arten von Heteronomie“ unterscheidet, um Kant vor der Kritik zu bewahren, er htte mit seiner Definition der Heteronomie als Naturnotwendigkeit die Mçglichkeit freier, heteronomer Handlungen untergraben (Paton: Der kategorische Imperativ, 266 f.).
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[…] bestimmt sich der Wille [in heteronomen Handlungen] niemals u n m i t t e l b a r selbst durch die Vorstellung der Handlung, sondern nur durch die Triebfeder, welche die vorausgesehene Wirkung der Handlung auf den Willen hat; i c h s o l l e t w a s t h u n , d a r u m w e i l i c h e t w a s a n d e r e s w i l l […] (GMS 4:444).
Das Zitat macht deutlich: Heteronomie des Willens besteht nicht darin, dass der Wille sich berhaupt nicht selbst zur Handlung bestimmt, sondern darin, dass die Beziehung zwischen dem Willen und der Handlung durch ein (sinnliches) Interesse vermittelt ist. Ein solcher Wille ist im grundlegenden Sinne frei und bestimmt sich selbst zur Handlung insofern, als sie ihm nicht von außen aufgezwungen ist. Er ist aber nicht frei in dem Sinne, dass er sich selbst das Gesetz seines Handelns gibt – tte er das, so wren nicht subjektive Interessen, sondern der formale Grundsatz selbst Bestimmungsgrund des Handelns und die Handlung autonom. Kant hat die Problematik von (heteronomen) Handlungen gegen den formalen Grundsatz der Vernunft in der „Einleitung“ zur Metaphysik der Sitten aufgenommen und damit auf eine Kritik Reinholds an seiner Konzeption autonomen Handelns reagiert.137 Tatschlich, so gibt Kant zu, kçnnten Handlungen gegen das moralische Gesetz nicht durch die Freiheit erklrt werden. Dies gilt jedoch nur fr die Freiheit als Autonomie. Denn diese besteht ja gerade in der „innere[n] Gesetzgebung der Vernunft“ (MS 6:227), so dass ein Subjekt zwar gegen das Gesetz handeln kann, aber nicht aufgrund desselben Vermçgens, das es selbst zum Gesetzgeber macht. Die widergesetzliche Handlung ist demnach nicht Ausdruck des Vermçgens, sondern des „Unvermçgens“ eines freien Willens (vgl. MS 6:226 f.). Zur Erluterung dieser Problematik fhrt Kant in der „Einleitung“ eine neue begriffliche Unterscheidung ein: zwischen dem „Willen“ und der „Willkr“. Von dem Willen gehen die Gesetze aus; von der Willkr die Maximen. Die letztere ist im Menschen eine freie Willkr; der Wille, der auf nichts Anderes, als bloß auf Gesetz geht, kann weder frei noch unfrei genannt werden, weil er nicht auf Handlungen, sondern unmittelbar auf die Gesetzgebung fr die Maxime der Handlungen (also die praktische Vernunft selbst) geht, daher auch schlechterdings nothwendig und selbst keiner Nçthigung f h i g ist. Nur die W i l l k r also kann f r e i genannt werden (MS 6:226).
„Wille“ (im engeren Sinne) ist demnach diejenige Funktion des Willens (als Begehrungsvermçgen) im weiteren Sinne, die fr die Gesetzgebung steht; 137 Zu Reinholds Kritik an Kant in diesem Punkt vgl. die Darstellung bei Prauss: Kant ber Freiheit als Autonomie, 85 – 89.
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die „Willkr“ wird hingegen als Vermçgen der Wahl (der Maximen) verstanden (vgl. MS 6:226).138 Diese Unterscheidung ist nun zum einen der Schlssel zum Verstndnis von Kants Konzept der Autonomie: Erst vor dem Hintergrund, dass der Wille in seiner Funktion als gesetzgebendes Vermçgen und die Willkr als Vermçgen der Wahl als verschiedene Funktionsweisen ein und desselben Vermçgens zu begehren (nmlich des Willens im weiteren Sinn) verstanden werden, erschließt sich die Rede vom Willen, der sich selbst das Gesetz seines Handelns vorschreibt. Der Wille (im weiteren Sinn) ist insofern autonom und reine Vernunft ist insofern praktisch, als er als Vermçgen rationaler Selbstbestimmung Regeln des Verhaltens entwirft, die von der Willkr als Vermçgen der Wahl aufgenommen und – bei positivem Freiheitsgebrauch – befolgt werden.139 Die Wille-Willkr-Unterscheidung dient Kant zum anderen dazu, zu zeigen, wie ein und dasselbe Subjekt gegen das Gesetz handeln und dennoch frei sein kann, ohne dass die Handlung damit Ausdruck seiner Freiheit als autonomes Wesen ist. So kommt einem vernnftigen Wesen einerseits prinzipiell das Vermçgen zu, einen formalen Handlungsgrundsatz einzusehen und zum Bestimmungsgrund seines Handelns zu machen. In dieser Hinsicht verfgt es ber Autonomie, weil es sich das Gesetz seines Handelns selbst vorschreiben kann. Kant spricht hier vom Willen, der die Gesetze vorschreibt und deshalb „praktische Vernunft“ ist (GMS 4:412). Andererseits ist dieses Vermçgen kein Garant dafr, dass die Handlungen, die ein Subjekt tatschlich ausfhrt, auch Ausdruck dieses Vermçgens der Gesetzgebung und das heißt: autonom sind. Das Vermçgen der freien Willkr besteht laut der „Einleitung“ darin, durch den formalen Grundsatz motiviert zu sein und aus Achtung vor diesem Grundsatz zu handeln. ,Willkr‘ ist damit das Vermçgen, nach den Vorgaben der gesetzgebenden Vernunft (hier: des Willens) handeln zu kçnnen, und ,Wille‘ dementsprechend das Vermçgen, der Willkr die Gesetze des Handelns vorzu138 Zur Unterscheidung von „Wille im engeren Sinn“, „Wille im weiteren Sinn“ und „Willkr“ vgl. Allison: Kant’s Theory of Freedom, 129 – 132, sowie die Darstellung bei Beck: A Commentary on Kant’s Critique of Practical Reason, 198 – 202, auf die Allison sich bezieht. Willaschek wendet die Wille-Willkr-Unterscheidung aus der Metaphysik der Sitten auf diejenige zwischen „unterem“ und „oberem Begehrungsvermçgen“ aus der Kritik der praktischen Vernunft an (vgl. Willaschek: Praktische Vernunft, 200 f.). Eine hilfreiche Analyse zur Wille-Willkr-Unterscheidung, in der Kants Begrifflichkeit systematisch und vor dem Hintergrund der Forschungsliteratur besprochen wird, findet sich auch bei Uleman: Kant’s Moral Philosophy, 25 – 34. 139 Vgl. zu dieser Lesart Allison: Kant’s Theory of Freedom, 132 f.
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schreiben. 140 Dabei ist der Erfolg nicht garantiert: Dass jemand ber das Vermçgen der Gesetzesbefolgung verfgt, heißt nicht, dass er auch tatschlich von diesem Vermçgen in seinen Handlungen Gebrauch macht.141 Whrend die negative Freiheit ein unverbrchliches Merkmal des menschlichen Willens ist, bezeichnet die positive Freiheit ein Vermçgen, jedoch kein selbstevidentes Merkmal des faktischen menschlichen Wollens. Der Grund dafr liegt darin, dass Menschen fehlbar sind und in der Anwendung ihres Vermçgens der reinen praktischen Vernunft scheitern kçnnen.142 Sie haben positive Freiheit (Autonomie), machen von diesem Vermçgen aber nicht immer Gebrauch. Weil nun ein vernnftiges Wesen zwar zu Handlungen, nicht aber zu Maximen – seien sie dem formalen Grundsatz entsprechend und durch diesen motiviert oder nicht – gezwungen werden kann, sondern der Wille (im weiten Sinne, verstanden als „arbitrium liberum“ bzw. als freie Willkr) immer frei ist, so ist auch eine gesetzwidrige Handlung nach gesetzesuntauglichen Maximen frei. Eines ist jedoch ausgeschlossen: Dass ein solches Wollen und Handeln gegen das Gesetz selbst ein Merkmal der Freiheit ist.143 Ein vernnftiger Wille ist also negativ frei, d. h. in seinem Handeln frei von natrlicher Determination. Er kann aus Grnden handeln, ohne dabei durch sinnliche Interessen motiviert zu sein. Die Prinzipien, denen ein autonomer Wille folgt, sind rationale Prinzipien, die nicht auf hypothetischen Imperativen beruhen. Whrend ein bedingtes rationales Prinzip wie eine Klugheitsvorschrift nur dann einen Handlungsgrund markiert, wenn es eine bestimmte Absicht des 140 Autonomie kann dem entsprechend als Eigenschaft des Willens (im weiteren Sinne) verstanden werden, selbst gesetzgebend zu sein. Die Freiheit ist hingegen eine Eigenschaft des Willens, nach selbst gegebenen Gesetzen zu handeln; sie betrifft die Willkr (vgl. Allison: Kant’s Theory of Freedom, 132 f.; Reath: „Autonomy of the Will as the Foundation of Morality“, 152 f.). 141 Vgl. dazu Hills von Rawls bernommene Unterscheidung zwischen „having autonomy“ und „expressing autonomy“ („The Kantian Conception of Autonomy“, 85). Zur Bedeutung dieses Punktes fr Kants Verstndnis moralischer Motivation vgl. Kap. 5, § 2, 4. 142 Vgl. zu diesem Punkt Uleman: An Introduction to Kant’s Moral Philosophy, 69. 143 Denn der Wille (im engeren Sinne, verstanden als Vermçgen der Autonomie) ist das Vermçgen der Gesetzgebung und damit das Vermçgen der Verbindlichkeit. Freiheit besteht fr Kant u. a. in der Unabhngigkeit der Bestimmung durch sinnliche Antriebe. Sie kann daher keinesfalls dadurch definiert werden, dass jemand entsprechend seiner sinnlichen Veranlagung handelt. – Vgl. dazu Allison: Kant’s Theory of Freedom, 135.
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Handelnden bedient, liefern unbedingte rationale Prinzipien wie das moralische Gesetz auch einen nicht-bedingten Handlungsgrund: Nach dem moralischen Gesetz zu handeln haben alle vernnftigen Wesen unabhngig von ihren Absichten einen Grund.144 Unbedingte rationale Prinzipien, die einer autonomen Handlung zugrunde liegen, sind also die Grnde, die eine rationale Person unabhngig von ihren eigenen Interessen und Absichten wahrnimmt und die sie als ihre eigenen Grnde anerkennt.145 Kant formuliert diesen Gedanken im Begriff von der Selbstgesetzgebung des Willens: […] was kann denn wohl die Freiheit des Willens sonst sein als Autonomie, d. i. die Eigenschaft des Willens, sich selbst ein Gesetz zu sein? (GMS 4:446 f.)
Freiheit im positiven Sinne ist damit das Vermçgen, allein aus Vernunftgrundstzen (aus „reiner Vernunft“) handeln zu kçnnen. Kant nennt ein solches Vermçgen „Autonomie“ bzw. „reine praktische Vernunft“ (vgl. KpV 5:33). ber positive Freiheit verfgen, heißt, aufgrund von reiner berlegung handeln zu kçnnen. Die positive Freiheit ist das Vermçgen der absoluten kausalen Selbstbestimmung. Frei sein, heißt, eine moralisch verantwortliche Person zu sein. Dies ist Kants radikaler Freiheitsbegriff,146 der ihn von seinen Vorgngern in exponierter Weise unterscheidet. In positiver Hinsicht frei zu sein, heißt, ber die radikale Fhigkeit zu verfgen, seine Maximen im Lichte von eigenen berlegungen zu reflektieren und zu berdenken und damit frei dafr zu sein, das zu tun, was aus Vernunftgrnden geboten ist.147 Da Moralitt, wie wir gesehen haben, die Bestimmung des Willens durch ein formales Prinzip bedeutet und diese Willensbestimmung nur als eine Autonomie des Willens mçglich ist, ist Autonomie das Prinzip der Moralitt. Denn nur dann, wie Kant in der Kritik der praktischen Vernunft schreibt, wenn die Vernunft allein den Willen bestimmt und „nicht im Dienste der Neigungen ist“ (KpV 5:25), gibt es berhaupt praktische Gesetze (vgl. KpV 5:19). Moralitt aber ,gibt‘ es dann, wenn vernnftige 144 Das heißt jedoch nicht, dass ein moralisch gut handelnder Mensch keine weiteren Absichten bei seiner Handlung verfolgt. Diese drfen aber nicht handlungsleitend sein. Dass er einen triftigen Grund hat, dem moralischen Gesetz zu folgen, ist unabhngig von der gegenwrtigen Absicht, die er verfolgt. Vgl. zu diesem Punkt Bittner: Moralisches Gebot oder Autonomie, 150. 145 Vgl. dazu Hill: „Kant’s Argument for the Rationality of Moral Conduct“, 112, sowie Hill: „The Kantian Conception of Autonomy“, 93. 146 Vgl. Sullivan: Kant’s Moral Theory, 45 f. 147 Vgl. Timmermann: „Acting from Duty“, 49 f.
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Wesen aus Grundstzen handeln, die dem formalen Grundsatz entsprechen. Diese Entsprechung darf jedoch nicht zufllig, sondern muss durch das Motiv der Handlung selbst sicher gestellt sein. Dazu ist Autonomie als das Vermçgen, sich selbst ein unbedingtes moralisches Gesetz vorzuschreiben und dieses Gesetz zum Prinzip des eigenen Handelns zu machen, notwendig.148 Die Autonomie des Willens ist damit die Voraussetzung fr moralische Motivation.
148 Dies entspricht Korsgaards Ansicht, dass Autonomie die einzige Quelle intrinsischer Normativitt ist (vgl: „Kant’s Analysis of obligation“, 65).
IV. Moralisches Urteil und moralische Triebfeder § 1 Die frhe Unterscheidung von „Dijudikation“ und „Exekution“ 1. Kants „Ethik eines Suchenden“ in den 1760er Jahren Ein Blick auf das philosophiehistorische Umfeld von Kants frher Ethik hat gezeigt, dass Kant in der Herausbildung seines eigenen moralphilosophischen Ansatzes zwischen gefhlsethischen und rationalistischen Ideen schwankt.1 Und tatschlich bleibt Kants Ethik noch lange die „Ethik eines Suchenden“2, als die sie sich dem Leser schon in der Deutlichkeit, im Beweisgrund und in den Beobachtungen darstellt. Wie sich zeigen wird, sind selbst noch die ethischen Hauptschriften wie die Grundlegung und die Kritik der praktischen Vernunft sowie Teile der Metaphysik der Sitten durch die Suche nach einer adquaten Vermittlung zwischen den Ideen beider ,Schulen’ geprgt. Beispielhaft fr die Unentschiedenheit gegenber gefhlsethischen und rationalistischen Tendenzen in der Ethik ist Kants Nachricht von der Einrichtung seiner Vorlesungen in dem Winterhalbjahre 1765 – 1766. Zwar sind „Shaftesbury, Hutcheson und Hume […] an weitesten in der Aufsuchung der ersten Grnde aller Sittlichkeit gelangt“, weshalb es fr Kant hier ausgemacht zu sein scheint, […] daß die Unterscheidung des Guten und Bçsen in den Handlungen und das Urtheil ber die sittliche Rechtmßigkeit gerade zu und ohne den Umschweif der Beweise von dem menschlichen Herzen durch dasjenige, was man Sentiment nennt, leicht und richtig erkannt werden kann […] (Nachricht 2:311).
Die Rckfhrung unserer moralischen Urteile auf Gefhle hat jedoch Konsequenzen fr die Moral, die in Kants Augen nicht unproblematisch sind: Da mit der Begrndung moralischer Urteile durch das Gefhl die eigentliche Frage der Moral „schon vor den Vernunftgrnden entschieden 1 2
Vgl. Kap. 1, § 2, 2. So Schwaigers Formulierung fr eine Beschreibung von Kants Ethik in der Zeit der Entstehung der Deutlichkeit (vgl. Kategorische und andere Imperative, 38).
§ 1 Die frhe Unterscheidung von „Dijudikation“ und „Exekution“
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ist“ (Nachricht 2:311), befindet sich die Moralphilosophie der Metaphysik gegenber im Nachteil. Sie hat dieses besondere Schicksal, daß sie noch eher wie die Metaphysik den Schein der Wissenschaft und einiges Ansehen von Grndlichkeit annimmt, wenn gleich keine von beiden bei ihr anzutreffen ist (Nachricht 2:311).
Daher ist es auch […] kein Wunder, daß man sich nicht sonderlich schwierig bezeigt, Grnde, die nur einigen Schein der Tchtigkeit haben, als tauglich durchgehen zu lassen. Um deswillen ist nichts gemeiner, als der Titel eines Moralphilosophen und nichts seltener, als einen solchen Namen zu verdienen (Nachricht 2:311).
Dem Moralphilosophen obliegt daher die Aufgabe, die „unvollendet[en]“ und „mangelhaft[en]“ Entwrfe der Moral-Sense-Theoretiker zu przisieren und zu ergnzen (Nachricht 2:311). Diese positive Hinwendung zu gefhlsethischem Gedankengut geht aber in der Mitte der 1760er Jahre nicht mit einer eindeutigen Abwendung von rationalistischen Ideen einher. Im Gegenteil taucht in den 1766, also ein Jahr nach der Nachricht erschienenen Trumen zum ersten Mal in dezidierter Form der Gedanke eines Formalismus in der Moralphilosophie auf, der fr die rationalistische Tendenz in Kants praktischer Philosophie in den Folgejahren charakteristisch sein wird. In Bezug auf die Frage nach der Ursache der „sittlichen Antriebe“ (Trume 2:335) stellt Kant dort zunchst fest, dass [u]nter den Krften, die das menschliche Herz bewegen, […] einige der mchtigsten außerhalb demselben zu liegen [scheinen], die also nicht etwa als bloße Mittel sich auf die Eigenntzigkeit und Privatbedrfniß als auf ein Ziel, das i n n e r h a l b dem Menschen selbst liegt, beziehen, sondern welche machen, daß die Tendenzen unserer Regungen den Brennpunkt ihrer Vereinigung a u ß e r u n s in andere vernnftige Wesen versetzen […] (Trume 2:334).
Diese Art von sittlicher ,Veranlagung‘, die darin besteht, in der Bestimmung des Willens zum Handeln von den persçnlichen Interessen zu abstrahieren und allgemeine, gleichsam ,ußere‘ Gesichtspunkte in die Handlungsmotivation mit einzubeziehen, erklrt Kant nun im weiteren Verlauf des Textabschnitts als eine Abhngigkeit „von der Regel des allgemeinen Willens“, die der „moralischen Einheit“ aller vernnftigen Wesen zugrunde liege (Trume 2:335). Die phnomenale Komponente dieser Art von nicht-subjektiver Handlungsmotivation bezeichnet er
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IV. Moralisches Urteil und moralische Triebfeder
als das „sittliche Gefhl“.3 Dieses hat nun nicht mehr, wie in der Deutlichkeit, den Beobachtungen und auch noch in der Nachricht, allein die Funktion eines fhlenden Erkennens von Werten, sondern besteht in der Empfindung jener „Abhngigkeit des Privatwillens vom allgemeinen Willen“ (Trume 2:335). Auch wenn Kants ,Formalismus‘ an dieser Stelle vermutlich – zumindest der Formulierung nach – noch hauptschlich durch Rousseaus Idee einer ,volont gnrale‘ inspiriert ist, weist der Gedanke der Nçtigung eines ,privaten‘ Willens durch Regeln einer Art von allgemein gesetzgebender Vernunft bereits auf sein Konzept eines reinen, kategorisch gebietenden Moralprinzips voraus und geht damit ber Rousseaus Idee des allgemeinen Willens als Staatsprinzip hinaus.4 Und auch wenn Kant in den Trumen noch keine genaue Vorstellung davon hat, dass der „allgemeine Wille“, durch den sich der „Privatwille“ gençtigt sieht (Trume 2:335), der (eigene) Wille eines vernnftigen Wesens als selbst gesetzgebendes Vermçgen der reinen praktischen Vernunft und keine „geheime Macht“5 ist, so liegt bereits hier die Idee einer reinen Moralphilosophie vor, der zufolge moralische Verbindlichkeit nicht auf empirischen, situativen und persçnlichen Grundstzen, sondern auf allgemeinen Prinzipien der Vernunft beruht.6 3
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„Sollte es nicht mçglich sein die Erscheinung der sittlichen Antriebe in den denkenden Naturen, wie solche sich auf einander wechselsweise beziehen, gleichfalls als die Folge einer wahrhaftig thtigen Kraft, dadurch geistige Naturen ineinander einfließen, vorzustellen, so daß das sittliche Gefhl diese e m p f u n d e n e A b h n g i g k e i t des Privatwillens vom allgemeinen Willen wre und eine Folge der natrlichen und allgemeinen Wechselwirkung […]“ (Trume 2:335). Vgl. dazu Schmucker: Die Ursprnge der Ethik Kants, 171. Reich argumentiert dafr, dass Kants formalistischer Ansatz in den Trumen zwar an Rousseaus Idee eines allgemeinen Willens erinnert, sich von diesem Konzept aber grundlegend darin unterscheidet, dass das Motiv, dem allgemeinen Willen Folge zu leisten, nicht auf dem Prinzip der Selbstliebe, sondern auf unpersçnlichen, nicht durch private Interessen bedingten Grnden beruht. Whrend Rousseau die ,volont gnrale‘ als Staatsrechtsprinzip konzipiert, ziele Kant mit seinem Begriff vom „allgemeinen Willen“ , hingegen auf ein Konzept der Autonomie von Personen ab (vgl. Reich: Rousseau und Kant, 13 – 16). Zum Einfluss Rousseaus auf Kants Begriff des moralischen Gefhls in den 1760er Jahren vgl. die Darstellung bei Lee: Das Problem des moralischen Gefhls in der Entwicklung der kantischen Ethik, 65 – 110. „Eine geheime Macht nçthigt uns unsere Absicht zugleich auf anderer Wohl oder nach fremder Willkr zu richten […]“ (Trume 2:334). Reich hat die These vertreten, Kant sei durch die Lektre von Mendelssohns Phaedon auf den Gedanken einer reinen Moralphilosophie gekommen (vgl. Kant und die Ethik der Griechen, 9 – 27). Schwaiger diskutiert diese These mit Blick auf Khn, der seinerseits Reichs Darstellung mit Verweis auf Mendelssohn-kritische
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2. Die „moralphilosophische Umwlzung“ und die Unterscheidung zwischen „Dijudikationsprinzip“ und „Exekutionsprinzip“ in der Moralphilosophie Die Hinwendung zu einer reinen Moralphilosophie, deren Programm Kant spter in der Grundlegung darlegt (vgl. GMS 4:389), bezeichnet Schwaiger als die „moralphilosophische Umwlzung um 1770“.7 Fr Kant wirft diese „Umwlzung“ tatschlich neue Perspektiven und Fragen auf, die jetzt, angesichts eines klaren Votums fr die rationalen Grundlagen ethischer Urteile und Prinzipien, eine weitere Positionierung erfordern. Dabei ist zu beobachten, dass Kant jetzt sowohl den Moral-Sense-Philosophen als auch den Rationalisten in grundlegenden Punkten mit deutlicher Skepsis begegnet. Dies belegt u. a. eine Reflexion aus dieser Zeit: Das princip des Hutcheson ist unphilosophisch, weil es ein neu Gefhl als einen Erklarungsgrund anfhret, zweytens in den Gesetzen der Sinnlichkeit objective Grnde sieht. Das princip des Wolf ist unphilosophisch, weil es leere stze zu Grundstzen macht […] (Refl. 6634, 19:120; ca. 1770).
Die konkrete Frage, der Kant unter diesen Voraussetzungen – moralisches Gefhl auf der einen Seite, formales Prinzip der Moral auf der anderen Seite – gegen Ende der 1760er Jahre gegenbersteht, lautet: Wie kann ein formaler praktischer Satz konkrete inhaltliche Pflichten enthalten und handlungsbezogen sein? Mit anderen Worten: Wie kann die (rationale) moralische berlegung einen praktisch wirksamen Handlungsgrund konstituieren und motivationale Kraft haben? Es ist diese Frage, die dem Konzept seiner rationalistischen Konzeption der Moral von Anfang an und bis in die spteren Werke der ,kritischen‘ Periode zugrunde liegt. Bemerkenswert ist, dass Kant bei der Beantwortung dieser Frage nicht auf rein rationalistischem Terrain bleibt, sondern erneut Anleihen bei den Vertretern der Moral-Sense-Schule sucht. Damit behlt er seine alte Strategie, der zufolge die grundlegenden Thesen der Gefhlsethiker verbessert, nicht aber wegen ihrer teilweisen Unzulnglichkeit aus der eigenen Argumentation ausgeschlossen werden sollen, auch in der Folge bei. So sind die hauptschlich zwischen 1775 und 1785 gehaltenen Vorlesungen ber Moralphilosophie an vielen Stellen positiv durch die Ideen der Moral-
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Stellen in der 1770 erschienenen Dissertationsschrift De Mundi zurckweist (vgl. Khn: „The Moral Dimension of Kant’s Inaugural Disseration“, 387; Schwaiger: Kategorische und andere Imperative, 88 f.). Schwaiger: Kategorische und andere Imperative, 86.
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IV. Moralisches Urteil und moralische Triebfeder
Sense-Philosophie inspiriert.8 Einer der deutlichsten gefhlsethischen Anklnge findet sich in Kants Auffassung vom systematischen Aufbau der Moralphilosophie in zwei Teilen, denen zwei verschiedene Aufgabenbereiche entsprechen. Demnach widmet sich die Ethik zum einen der Suche nach einer „Richtschnur“ moralischen Handelns bzw. nach den Kriterien der „Diiudication“ (V-Mo/Kae 69/55 f.). Zum anderen fragt sie nach dem „principium der Execution oder Leistung der Verbindlichkeit“ (V-Mo/Kae 69/56).9 Wie erhlt das, was als moralisch richtig eingesehen wird, eine praktische Funktion im Wollen und Handeln? Welches ist das praktische Prinzip moralischer Verbindlichkeit? Der mit diesen Fragen befasste zweite Teil der Ethik ist „der schwerste, weil man den Menschen studiren muß“ (V-PP/Pow 27:98). Das heißt: Richtschnur und Triebfeder ist hier zu unterscheiden. Richtschnur ist das principiuum der Diiudication, und Triebfeder der Ausbung der Verbindlichkeit, indem man nun dieses verwechselte, so war alles in der Moral falsch (V-Mo/Kae 69/56).
Erst mit der bereits durch Hutcheson aufgeworfenen Unterscheidung von bewegenden und rechtfertigenden Grnden einer Handlung10 besteht fr Kant zu Beginn der 1770er Jahre die Mçglichkeit, in der Ethik endlich ,alles richtig‘ zu machen. Die ebenfalls durch die Gefhlsethik inspirierte Frage, „was bewegt mich diesen Gesetzen [den moralischen Gesetzen] gemß zu leben?“ (V-Mo/Kae 70/56), gehçrt fr Kant von nun an zum Projekt einer Ethik dazu und wird ihn als Frage nach der „Triebfeder“ moralischen Handelns noch in der reifen Phase seiner kritischen Ethik beschftigen. Sie setzt voraus, dass die moralische Bewertung, die „Diiudication“, die praktische Umsetzung des moralischen Urteils noch nicht 8 Starks Erkundungen zufolge hat Kant bereits seit Beginn der 1760er bis in die 1790er Jahre Vorlesungen ber Moralphilosophie gehalten und diesen dabei die Initiae und die Ethica von Baumgarten zugrunde gelegt (vgl. Stark: „Nachwort“, 388 f.). Gerhardt datiert Kants Ethikvorlesungen, die der Ausgabe von Menzer von 1924 zugrunde lagen, auf 1775 – 1785 (vgl. Gerhardt: „Zur Neuausgabe“, 292). Zwischen 1775 – 1785 las Kant also nicht nur Baumgartens Kompendien, sondern auch seine eigenen, in Auseinandersetzung mit Baumgarten, Wolff und der MoralSense-Schule entstandenen berlegungen. Da es sich bei diesen Vorlesungen vermutlich um einen Text handelt, den Kant zwischen 1775 und 1785 immer wieder gelesen hat, werde ich in Folge im Singular von der „Vorlesung ber Moralphilosophie“ sprechen. Die von Stark editierte Kaehler-Nachschrift wird als Vorlesung zur Moralphilosophie wiedergegeben. 9 Vgl. auch V-PP/Pow 27:97 f. und V-Mo/Mron 27:1422. 10 Vgl. dazu Kap. 1, § 2, 1.
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impliziert: Die „Richtschnur“, das Moralprinzip, ist mit der „Triebfeder“, dem Handlungsmotiv, nicht identisch. Fr Rationalisten wie Wolff war diese Unterscheidung hingegen gar nicht zum Gegenstand der Diskussion geworden, da sie davon ausgingen, schon „die Erkenntnis des Guten [sei] ein Bewegungsgrund des Willens“.11 Und auch Humes nicht-kognitivistische Begrndung moralischer Urteile bot keinen Anlass fr die Frage nach ihrer Praktikabilitt; fr ihn war das Gefhl fr die Moralitt einer Handlung, eines Charakters oder bestimmter Eigenschaften identisch mit der Zustimmung und dem Motiv, dieser Vorgabe gemß zu handeln.12 Wie nun kommt es zu dieser aufflligen Entwicklung in Kants Moralphilosophie, bei der es sich terminologisch gesehen wahrscheinlich um eine Neuprgung Kants handelt?13 Die neue Klarheit ber die Grundlagen der Moral und eine dementsprechend geordnete Moralphilosophie wird in den Vorlesungen ber Moralphilosophie sprbar, in denen Kant die Aufteilung der Moral in ein Beurteilungs- und in ein Ausbungsprinzip thematisiert. Whrend es Kant in der Deutlichkeit noch offen gelassen hatte, ob das Gefhl oder die Vernunft ber die Grundstze der Verbindlichkeit entscheidet (vgl. Deut 2:300), ist er in den Vorlesungen ber Moralphilosophie in diesem Punkt durchaus entschiedener. Seine Auffassung ber den Charakter moralischer Prinzipien hnelt dabei dem Konzept moralischer Verbindlichkeit, das er schon in den Trumen vertreten hatte. In der Vorlesung zur Moralphilosophie heißt es dementsprechend: Das principium der Moralitt ist nicht pathologisch, pathologisch wre es, wenn es aus subjectiven Grnden, aus unseren Neigungen, aus unserm Gefhl hergeleitet wre. Die Moral hat kein pathologisches principium, sie enthlt objective Gesetze, was man thun soll und nicht was man zu thun begehrt. Sie ist nicht Zergliederung der Neigung, sondern eine Vorschrifft, die wieder alle Neigung ist (V-Mo/Kae 71/57). 11 Wolff: Vernnfftige Gedancken, 7. Vgl. zu diesem Punkt Kap. 1, § 2, 2. 12 Zu Hume vgl. Kap. 1, § 1, 2. 13 So Schwaigers Vermutung, vgl. Kategorische und andere Imperative, 92. Schwaiger begrndet die Eigenstndigkeit dieser neuen Begrifflichkeit (,Diiudikation‘ und ,Exekution‘) bei Kant auch mit Bezug auf Kants Logik, in der dieser ebenfalls mit der Unterscheidung zwischen ,Diiudikation‘ und ,Exekution‘ arbeitet. Die beiden Begriffe dienen ihm auch dort dazu, die Einteilung der Logik in einen praktischen und in einen theoretischen Teil verstndlich zu machen. Diese Unterscheidung bertrgt er Schwaiger zufolge dann auf die Moralphilosophie, die ebenfalls einen theoretischen und praktischen Teil hat (vgl. z. B. V-Mo/Kae 69 f./55, sowie Schwaiger: Kategorische und andere Imperative, 94 f.).
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IV. Moralisches Urteil und moralische Triebfeder
Mit der Auffassung, das Prinzip der Moralitt sei ein objektives, nach allgemeinen Gesetzen gebietendes Prinzip, das nicht durch das Gefhl vorgegeben sei, ist der Grundstein fr Kants rationalistisches Konzept der Moralbegrndung gelegt. Gegenstand der Beurteilung moralischer Handlungen ist die Norm, nicht aber das Gefhl. Dabei gilt Kants Kritik ganz offenkundig der These der Moral-Sense-Schule, der zufolge moralische Urteile auf Gefhle zurckgehen: Das moralische Gesetz befiehlt doch aber categorisch, also kann sich die Moralitaet auf kein pathologisches principium weder auf das physische noch moralische Gefhl grnden. Diese Methode sich auf ein Gefhl zu beruffen in einer practischen Regel ist auch gantz der Philosophie entgegen (V-Mo/Kae 72/58; vgl. V-Mo/Kae 27/26).
Wenn eine solche Methode „gantz der Philosophie entgegen“ ist, dann liegt auf der Hand, welche Art von Philosophie, die es zu betreiben gilt und deren Kriterien zu erfllen sind, Kant hier vor Augen hat: die Metaphysik. Schon in der Nachricht hatte es ihm nicht ganz behagt, dass nach gefhlsethischem Ansatz die Frage der Moral „mehrentheils schon vor den Vernunftgrnden entschieden ist, welches in der Metaphysik sich nicht so verhlt“ (Nachricht 2:311). Und tatschlich steht Kants erst in der Grundlegung ausformuliertes Vorhaben, „einmal eine reine Moralphilosophie zu bearbeiten“ (GMS 4:389), bereits hier, in der Vorlesung zur Moralphilosophie, auf dem Plan; außerdem hatte sich dieser Gedanke schon in den Trumen angekndigt.14 So wie die praktische Philosophie fr ihn von nun an „eine Philosophie des Sollens“ ist, so sind die praktischen Regeln solche Regeln, „die da sagen, was geschehen soll“ (V-Mo/Kae 7/6). Kant versteht die moralischen Regeln bereits hier als Gesetze; sie gebieten
14 Im Gegensatz zu Kants Auffassung in der Nachricht, die Moralphilosophie gebe eher den „Schein der Wissenschaft“ (Nachricht 2:311), versteht er die „practische Philosophie“ in der Vorlesung zur Moralphilosophie als „eine Wissenschafft ber die objective Gesetze der freyen Willkr, eine Philosophie der objectiven Nothwendigkeit der freyen Handlungen oder des Sollens das heißt aller mçglich guten Handlungen; so wie die Antropologie eine Wissenschafft ist ber die subjective Gesetze der freyen Willkr“ (V-Mo/Kae 7 f./6; vgl. 4 – 6/4 f.). In der deutlichen Abgrenzung der Moralphilosophie von der Anthropologie ist schon das in der Grundlegung verçffentlichte Programm von einer „reinen Moralphilosophie […], die von allem, was nur empirisch sein mag und zur Anthropologie gehçrt, vçllig gesubert wre“ (GMS 4:389), enthalten. – Zu den „Ursprnge[n] der reinen Moralphilosophie in der Dissertatio“ vgl. die Ausfhrungen bei Schwaiger: Kategorische und andere Imperative, 75 – 80.
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kategorisch, sind objektiv und von allgemeiner Gltigkeit, nicht-subjektrelativ und nicht ,pathologisch‘: Ein jedes Gefhl hat nur eine privat Gltigkeit und keine Begreiflichkeit fr einen anderen, und es ist auch an sich selbst pathologisch, wenn jemand sagt, er fhlt das so in sich, das kann doch nicht fr andere gelten, die doch nicht wissen, wie er es fhlt, und der sich schon auf ein Gefhl beruft, der giebt alle Grnde der Vernunfft auf. […] Dahero muss ein intellecutales principium der Sittlichkeit seyn, so ferne es aus dem Verstande entlehnt ist. […] Die Moralitaet grndet sich aber auf kein pragmatisches principium, weil sie unabhngig von aller Neigung ist. Bestnde die Moralitt darin, so kçnnten die Menschen in der Moralitaet nicht bereinstimmen (V-Mo/Kae 72 f./58 f.).
Keinesfalls, so steht damit sptestens fr den Kant der Vorlesung zur Moralphilosophie fest, kann es eine Art von Gefhl sein, das fr die Begrndung moralischer Prinzipien aufkommen kann. Damit grenzt sich Kant entschieden von der ethischen Theorie eines Hutcheson ab, der sowohl die rechtfertigenden als auch die erklrenden, motivierenden Grnde mit Bezug auf die emotionale Natur des Menschen erklrt wissen wollte.15 Dass das Prinzip der Moral ein intellektuelles, durch die Vernunft begrndetes Prinzip ist, reicht jedoch ebenfalls nicht aus. Damit es allgemeingltig und nicht situationsbezogen ist, muss es ber seine grundlegende Rationalitt hinaus noch unabhngig von persçnlichen Interessen und Zwecken sein. Wie ein solches allgemeingltiges, unbedingtes Prinzip der Moral Einfluss auf den Willen und die Handlungen eines bedrftigen Vernunftwesens haben kann, ist die Frage, mit der Kant sich in der Folge konfrontiert sieht. Damit stellt Kant sich einer Frage, zu der weder die Gefhlsethiker noch die ethischen Rationalisten Anlass gesehen hatten, und das deshalb, weil die Thematik beiden nicht problematisch war. Fr die Gefhlsethiker deshalb nicht, weil ihrer Ansicht nach die eine Handlung in moralischer Hinsicht rechtfertigenden Grnde ebenso emotionaler Herkunft sind, wie die Grnde, aus denen jemand tatschlich moralisch handelt. Fr die Rationalisten nicht, weil die Erkenntnis eines Grundes nach ihrem Verstndnis schon bestimmendes Motiv des Willens und der Handlung ist. Die argumentative ,Lcke‘, die entsteht, wenn jemand die Wirkung eines rein formalen Prinzips auf den Willen eines bedrftigen, sinnlich-vernnftigen Wesens erklren will, ist damit fr beide ,Schulen‘, d. h. fr Sentimentalisten und Rationalisten gleichermaßen, nicht existent. Fr die einen nicht, weil Moralitt fr sie nicht in einem formalen Prinzip besteht, das man mit der emotionalen Seite einer affizierbaren Natur erst vertraut 15 Vgl. dazu Kap. 1, § 2, 1.
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IV. Moralisches Urteil und moralische Triebfeder
machen msste. Fr die anderen nicht, weil jenes formale Prinzip ihrer Ansicht nach auch gewollt wird, sobald es erkannt wird. Problematisch wird die Thematik erst dann, wenn man erstens annimmt, dass Moralitt auf einem formalen Prinzip beruht, und man zweitens die Ansicht vertritt, dass ein endliches Vernunftwesen aufgrund der moralischen Einsicht allein noch nicht entsprechend dieser Einsicht handelt. 3. Kants frhe Antwort auf die ,Motivationslcke‘ Die Voraussetzung, die Kants Ethik seit der „moralphilosophischen Umwlzung“16 um 1770 zugrunde liegt, ist also folgende: Das oberste principium aller moralischen Beurtheilung liegt im Verstande, und das oberste Principium alles moralischen Antriebes, diese Handlung zu thun, liegt im Hertzen. […] Dieses principium der Triebfeder kann nicht mit dem principio der Beurtheilung verwechselt werden. Das principio der Beurtheilung ist die Norm, und das principium des Antriebes ist die Triebfeder. Norm ist im Verstande, die Triebfeder aber im moralischen Gefhl. Die Triebfeder vertritt nicht die Stelle der Norm. Das hat einen practischen Fehler, wo die Triebfeder wegfllt, und das hat einen theoretischen Fehler, wo die Beurtheilung wegfllt (V-Mo/Kae 70/57; vgl. V-Mo/Mron 27:1423).
Aus dem Verstndnis des „obersten Prinzips der Moralitt“ als einem formalen Handlungsgrundsatz, wie Kant es in der Vorlesung zur Moralphilosophie formuliert und bereits in den Trumen angedeutet hatte, entsteht nun also eine „Motivationslcke“17 bzw. ein „Vakuum an Motivierung“18. Dafr sind hauptschlich zwei Grnde anzufhren. Der erste ist rein handlungstheoretischer, der andere handlungstheoretischer und psychologischer Natur: 1. Wenn man zum einen davon ausgeht, dass das Prinzip der Moral nur ein objektives und intellektuelles, nicht aber ein subjektives und sensitives ist, und man zum anderen voraussetzt, dass die Grnde, aus denen Menschen handeln, subjektive Grnde sind, dann ist die entscheidende Frage: Wie kann ein objektives Vernunfturteil, wie es das moralische Urteil ist, Einfluss auf das Handeln haben? Wie kann das Prinzip der „Diiudication“, das objektiv ist, mit dem „subjectiven
16 Schwaiger: Kategorische und andere Imperative, 86. 17 Schwaiger: Kategorische und andere Imperative, 92. 18 Krmer: „Antike und moderne Ethik?“, 190.
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principio der Execution der Handlung“ (V-Mo/Kae 85/68) zusammengehen? 2. Wenn erstens Moralitt im Handeln nach allgemeinen, objektiven Gesetzen besteht, zweitens Menschen aber aufgrund ihrer sinnlichen Natur nicht zuerst und unmittelbar nach der Erfllung der moralischen Norm, sondern nach der Befriedigung ihrer eigenen subjektiven Ansprche streben19, und wir drittens in der Moral nur das einfordern kçnnen, wozu Menschen auch fhig sind20, wie ist es dann mçglich, dass auch moralische Urteile Einfluss auf die Handlungen eines sensitiven Wesens wie den Menschen haben? Kant ist sich der Problematik beider Fragestellungen wohl bewusst. Er skizziert sie selbst in einem Brief an Marcus Herz aus der Zeit seiner Vorlesungen ber Moralphilosophie (gegen Ende 1773): Es kan aber ein bloßer reiner Verstandesbegrif die Gesetze oder Vorschriften desjenigen was lediglich sinnlich ist nicht angeben weil er in Ansehung dieses vollig unbestimmt ist. Der oberste Grund der Moralitt muß nicht blos auf das 19 Dementsprechend heißt es in der Metaphysik-Vorlesung nach Pçlitz Ende der 1770er Jahre: „Es ist ein Unglck frs menschliche Geschlecht, daß die moralischen Gesetze, die da objectiv necessitiren nicht zugleich subjectiv necessitiren“ (VMe/L1 28:258). 20 Dem entspricht Kants Vorgehensweise in der Moralphilosophie sptestens seit 1765, wie z. B. aus der Programmatik fr die Vorlesung von 1765/66 hervorgeht: „[…] indem ich in der Tugendlehre jederzeit dasjenige historisch und philosophisch erwge, was geschieht, ehe ich anzeige, was geschehen soll, so werde ich die Methode deutlich machen, nach welcher man den Menschen studiren muss […]“ (Nachricht 2:311). Auch in der Vorlesung Praktische Philosophie Powalski hat Kant diesen Gedanken vor Augen, wenn er den Teil der praktischen Philosophie, in dem es um die „Execution“ der Moral geht, als den „schwersten“ bezeichnet. Diese Wertung verdient die Lehre von der Ausbung der moralischen Pflichten, weil man hierzu „den Menschen studiren muß“ (V-PP/Pow 27:98). – Kant bemerkt in der Nachricht, dass „diese Methode der sittlichen Untersuchung […] eine schçne Entdeckung unserer Zeiten“ ist. Die Tatsache, dass er Shaftesbury, Hutcheson und Hume kurz zuvor als Ausgangspunkt fr seine eigene „Methode“ in der Ethik nennt, lsst darauf schließen, dass er auch die „schçne Entdeckung“ auf die Gefhlsethiker zurckfhrt. Schwaiger vertritt diesbezglich die These, dass in Kants Aufteilung von deskriptiver und normativer Ebene in der Ethik erneut Baumgartensche Einflsse deutlich wrden. Tatschlich untersttzen die von Schwaiger angefhrten Stellen bei Baumgarten wie z. B. in Ethica §§ 7 – 8 (27:874) die Ansicht, dass man in der Ethik nur das fordern drfe, was Menschen auch leisten kçnnten. Schwaiger weist jedoch auch darauf hin, dass Baumgarten selbst diese methodische Maxime in seinen Schriften nicht umsetzte und Kant Grund bot, sich in dieser Hinsicht von ihm abzusetzen und der Moral-Sense-Schule zuzuwenden (vgl. Kategorische und andere Imperative, 79).
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IV. Moralisches Urteil und moralische Triebfeder
Wohlgefallen schließen lassen er muß selbst im hçchsten Grade wohlgefallen denn er ist keine blos spekulative Vorstellung sondern muß Bewegkraft haben und daher ob er zwar intellectual ist so muß er doch eine gerade Beziehung auf die erste Triebfedern des Willens haben (Briefe 10:145).
Das heißt: Das Prinzip der Moralitt darf nicht als „reiner Verstandesbegriff“ verstanden werden; es ist zwar ein rationales, dennoch aber ein praktisches Prinzip, weil es Einfluss auf den Willen haben muss. Was hier jedoch wie der Bestandteil einer fertigen ethischen Theorie aussieht, ist fr den Kant der 1770er Jahre noch eine nur teilweise begrndete Hypothese bzw. der Vorsatz, den er sich als Moralphilosoph selbst gesetzt hat. Er formuliert ihn als Antwort auf Herz’ Ankndigung einer eigenen ethischen Untersuchung und leitet seine Unterweisung folgendermaßen ein: Ihren Versuch in der Moralphilosophie bin ich begierig erscheinen zu sehen. Ich wnschte aber doch daß Sie den in der hçchsten abstraction der speculativen Vernunft so wichtigen und in der Anwendung auf das practische so leeren Begrif der realitaet darin nicht geltend machen mçchten. Denn der Begrif ist transscendental die oberste praktische Elemente aber sind Lust und Unlust welche empirisch sind ihr Gegenstand mag nun erkannt werden woher er wolle (Briefe 10:145).
Kants Argumentation verluft hier also folgendermaßen: Die „obersten praktischen Elemente“, d. h. dasjenige an einer Handlung, was nicht nur die Erkenntnis, sondern das Wollen eines Gegenstandes betrifft, sind „Lust und Unlust“. Das heißt: Sobald es um das Wollen geht, sind Lust und Unlust im Spiel.21 Ein „reiner Verstandesbegriff“ kann nun keine Regeln des Verhaltens fr ein solches Wollen vorschreiben, weil er selbst keinerlei Bezug auf diese praktischen Elemente des Handelns aufweist. Daraus folgert Kant, dass das Prinzip der Moralitt, das zwar ein „intellectual[er]“ Grundsatz, dennoch aber praktisch wirksam und „keine blos spekulative Vorstellung“ ist, selbst „Bewegkraft“ haben muss (Briefe 10:145). Diese praktische Dimension des moralischen Prinzips, das deshalb ein praktischer Grundsatz ist, zeigt sich schließlich darin, dass dieses „eine gerade Beziehung auf die erste Triebfedern des Willens“ hat (Briefe 10:145). Wie dies nun mçglich ist, d. h. wie das Prinzip der Moralitt ein praktisches Prinzip des Handelns und nicht allein ein theoretisches Prinzip der mo21 Vgl. hierzu auch eine Stelle in der „Einleitung“ zur Metaphysik der Sitten, wo Kant (noch immer) eine ganz hnliche Position vertritt: „Mit dem Begehren oder Verabscheuen ist e r s t l i c h jederzeit L u s t oder Un l u s t , deren Empfnglichkeit man G e f h l nennt, verbunden […]“ (MS 6:211); vgl. dazu Kap. 2, § 2, 3, sowie Kap. 4, § 2, 3.
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ralischen Erkenntnis sein kann, ohne dabei an unbedingter Verbindlichkeit einzubßen, ist jedoch noch nicht entschieden. Es ist im Gegenteil das scheinbar unauflçsliche Problem, dem sich Kant von nun an gegenbersieht. Dies belegt z. B. eine Stelle in der Vorlesung zur Moralphilosophie: 22 Wenn ich durch den Verstand urtheile, daß die Handlung sittlich gut ist, so fehlt noch sehr viel, daß ich diese Handlung thue, von der ich so geurtheilt habe. Bewegt mich aber dieses Urtheil, die Handlung zu thun, so ist das das moralische Gefhl. Das kann und wird auch keiner einsehen, daß der Verstand sollte eine bewegende Krafft zu urtheilen haben. Urtheilen kann der Verstand freylich, aber diesem Verstandes-Urtheil eine Krafft zu geben, und daß es eine Triebfeder werde den Willen zu bewegen, die Handlung auszuben, das ist der Stein der Weisen (V-Mo/Kae 85/68 f.; vgl. V-Mo/Mron 27:1428).
Henrich hat die Herausforderung, vor der Kant steht, als eine „Antinomie“ beschrieben, die zwei scheinbar unvereinbare Bestandteile einer Theorie der Moralitt enthlt und darum von Kant selbst als „Stein der Weisen“ bezeichnet wird: Entweder die Ethik wahrt den rationalen Charakter der sittlichen Forderung; dann sind die Triebfedern des sittlichen Willens nicht verstndlich zu machen. Oder sie geht von der Sittlichkeit als einer Kraft zu handeln aus; dann ist der Vernunftcharakter des Guten nicht zu wahren.23
Kants Umgang mit dem „Stein der Weisen“ ist jedoch alles andere als zurckhaltend, und die Konfrontation mit der ,ethischen Antinomie‘ veranlasst ihn nicht zur Passivitt gegenber der in ihr aufgeworfenen dilemmatischen Situation. Im Gegenteil: Sie stellt von nun an ein Grundproblem seiner Ethik dar, um dessen Auflçsung Kant sich unter verschiedenen Gesichtspunkten und ber verschiedene Phasen seiner Ethik immer wieder neu bemht. Damit hat die ,Antinomie‘ hier bereits jene Funktion, die ihr spter in der Kritik der reinen Vernunft zukommt: Weil es sich bei der Widersprchlichkeit der Aussagen in einer Antinomie nur um ein scheinbar kontradiktorisches Verhltnis handelt, ist es die Aufgabe der Vernunft, diesen „Schein“ offen zu legen (KrV A 297/B 354).24 Es muss gezeigt werden, dass Thesis und Antithesis sich nur scheinbar widersprechen und dass sie – unter bestimmten Bedingungen – beide miteinander 22 Zur Datierungsfrage und textlichen Zuverlssigkeit dieser Nachschrift vgl. Schwaiger: Kategorische und andere Imperative, 142 ff. 23 Henrich: „Ethik der Autonomie“, 31. 24 Zum Terminus „Antinomie“ bei Kant und zur Funktion der Antinomien in der „Dialektik“ der Kritik der reinen Vernunft siehe Mohr: Kants Grundlegung der kritischen Philosophie, 295 – 301.
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IV. Moralisches Urteil und moralische Triebfeder
vereinbar sind.25 Fr die moralisch-praktische ,Antinomie‘, so wie sie Kant in seinen Vorlesungen ber Moralphilosophie darstellt, heißt das Folgendes: Vor dem Hintergrund, dass Menschen aus subjektiven Antrieben, d. h. aus ,Triebfedern‘ handeln, muss begrndet werden, wie es mçglich ist, dass auch ein objektives, formales Prinzip dieses Handeln bestimmen kann. Dabei sind sowohl Analysen ber die ,Thesis‘, d. h. die Auffassung, Moralitt grnde auf einem formalen Prinzip, als auch ber die ,Antithesis‘, d. h. die Auffassung, alles Handeln eines endlichen Vernunftwesens beruhe auf Triebfedern, notwendig. 4. Das Triebfedernproblem Kants Unterscheidung eines Beurteilungsprinzips und eines Exekutionsprinzips in der Moral geht, wie spter auch sein Konzept von der Freiheit als Autonomie, auf grundlegende anthropologische Voraussetzungen zurck. In der Vorlesung zur Moralphilosophie ist dies sowohl inhaltlich als auch methodologisch nachvollziehbar: Kant stellt dem Kapitel ber die Pflichten („Obligantia“, V-Mo/Kae 65/53), in dem sich der Abschnitt ber das oberste Prinzip der Moralitt und die Unterscheidung von Beurteilungs- und Exekutionsprinzip findet, zunchst ein Kapitel ber die Verpflichtung im Allgemeinen („Obligatio“, V-Mo/Kae 39/35) voran. Die grundlegende Aussage ist hier folgende: Moralisch verpflichtet bzw. ,gezwungen‘ werden kçnnen nur Subjekte, die moralischen Grnden nicht notwendigerweise folgen.26 Im anschließenden Kapitel ber die Pflichten unterscheidet Kant die subjektive und objektive Notwendigkeit praktischer Vorschriften. Objektive Notwendigkeit kommt diesen Vorschriften zu, weil sie allgemeingltige Regeln des Verhaltens sind, die sagen, was sein soll. Subjektiv notwendig sind sie aber nur insofern, als der Mensch auch nach ihnen handelt: Es giebt objective Gesetze der Handlungen und das sind praecepta und die subjektiven Gesetze der Handlungen sind Maximen, sie stimmen selten mit
25 In diesem Falle handelte es sich bei Thesis und Antithesis um einen subkontrren Gegensatz, bei dem beide Thesen wahr sein kçnnen. 26 „Das Wesen aber, was gençthiget wird, muß ein solches seyn, welches die Handlung ohne Nçthigung nicht thun wrde, ja auch GegenGrnde dawieder htte“ (V-Mo/Kae 53/45).
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den objectiven Gesetzen der Handlungen berein (V-Mo/Kae 46/40; vgl. 65/ 53).27
Whrend die subjektiven mit den objektiven „Gesetzen“ beim Menschen nun „selten berein[stimmen]“, sind beide Arten von Handlungsgrundstzen bei gçttlichen Wesen deckungsgleich: Das, was sein soll, ist auch das, was getan bzw. gewollt wird.28 Mit Bezug auf die Unterscheidung von Beurteilungs- und Ausbungsprinzip in der Moral heißt dies: Beurteilt wird der moralische Wert einer Handlung immer nach objektiven Grnden, ausgefhrt wird eine Handlung (sei sie moralisch wertvoll oder nicht) immer aus subjektiven Grnden.29 Die objektiven Grnde sind die ,Richtschnur’ fr moralisches Handeln, sie sind „praecepta“, weil sie anzeigen, was geschehen soll. Die subjektiven Grnde hingegen sind „Maximen“; sie bezeichnen diejenigen Grnde, aus denen ein Subjekt tatschlich handelt (V-Mo/Kae 45/40).30. Zu einer relevanten Grundlage fr die Ethik wird diese Unterscheidung dann, wenn Beurteilungs- und Ausbungsprinzip auseinander fallen kçnnen, und das heißt in Kants Worten: wenn „practische Fehler“ mçglich sind (V-Mo/Kae 70/57). Dann erst entsteht ein ,Triebfedernproblem‘, wie es Kant selbst in folgender, bereits zitierter Bemerkung beschreibt: Das kann und wird auch keiner einsehen, daß der Verstand sollte eine bewegende Krafft zu urtheilen haben. Urtheilen kann der Verstand freylich, aber diesem Verstandes-Urtheil eine Krafft zu geben, und daß es eine Triebfeder
27 Mit Blick auf Kants spteren Begriff des praktischen Gesetzes ist es zunchst verwirrend, dass er als „Gesetze“ hier sowohl die (objektiven) Grnde, aus denen jemand handeln soll, als auch die (subjektiven) Grnde, aus denen er tatschlich handelt, bezeichnet (V-Mo/Kae 65/53; 46/40). Aus dem Kontext der Argumentation wird jedoch schnell deutlich, dass er mit diesen „Gesetzen“ hier schlicht praktische Vorschriften im Sinne von vernnftigen Handlungsgrundstzen meint, die fr vernnftige Wesen mit einer freien Willkr entweder bedingt oder unbedingt gltig sind. Damit lsst sich die zitierte Stelle aus der Vorlesung zur Moralphilosophie als Parallelstelle zu Kants zu Beginn der Kritik der praktischen Vernunft angefhrten Einteilung der „p r a k t i s c h e [ n ] Gr u n d s t z e “ in Gesetze einerseits und Maximen andererseits lesen (vgl. KpV 5:19). 28 Vgl. V-Mo/Kae 32/27, 57/47; KpV 5:72. 29 Damit ist natrlich nicht gemeint, dass alle Handlungen auf persçnliche Interessen zurckgehen. Mit dem ,subjektiven Prinzip‘ ist hier der Grundsatz gemeint, aus dem ein Subjekt tatschlich handelt. Wie oben gezeigt wurde, gibt es fr Kant durchaus solche Grundstze bzw. Maximen, die objektiven ,Gehalt‘ haben; vgl. dazu Kap. 3, § 2, 3. 30 Vgl. dazu Kap. 3, § 1, 4.
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IV. Moralisches Urteil und moralische Triebfeder
werde den Willen zu bewegen, die Handlung auszuben, das ist der Stein der Weisen (V-Mo/Kae 85/68 f.; vgl. V-Mo/Mron 27:1428).
Ein „practische[r] Fehler“ liegt daher genau dann vor, wenn „die Triebfeder wegfllt“ (V-Mo/Kae 70/57). Was Kant hier meint, ist nun nicht, dass das handelnde Subjekt berhaupt keine Triebfeder bedient. Es ist nur nicht die ,richtige‘, zum formalen Prinzip des Verstandes passende Triebfeder, die der Handlung zugrunde liegt; dies ist wiederum ein Zeichen fr die Unvollkommenheit der menschlichen Natur.31 Der „practische Fehler“ bezeichnet damit denjenigen Fall einer Handlung, in dem jemand zwar richtig urteilt, was zu tun ist, aber nicht den Antrieb entwickelt, dieser Einsicht gemß auch zu handeln:32 Das objektive Prinzip des Handelns stimmt mit dem subjektiven Prinzip des Handelns nicht notwendigerweise berein.33 Aus dieser Entwicklung des ,Triebfedernproblems‘ wird ersichtlich, warum Kant den Begriff der Triebfeder spter selbst als einen Begriff bezeichnet, der nur auf endliche Vernunftwesen Anwendung findet (vgl. KpV 5:79). Denn die konzeptionelle Frage nach einem Antrieb fr eine bestimmte Handlung entsteht nur dort, wo die Handlung eines solchen Antriebes berhaupt bedarf. Gehen die Handlungen mit der moralischen Bewertung bereits einher, so hat der Begriff der Triebfeder in dieser Handlungsbeschreibung keinen funktionalen Ort. Aus der Erkenntnis eines Gegenstandes folgt in diesem Falle unmittelbar – ohne das vermittelnde Element der Triebfeder – die Handlung. Whrend Wolff diesen Fall als gltiges Handlungsbeschreibungsmodell fr alle der vernnftigen 31 Denn, wie es in der Kaehler-Nachschrift heißt: „Der Mensch hat nicht solche geheime Organisation durch objective Grnde bewogen zu werden, es ist keine Feder von Natur, die da kçnnte aufgezogen werden solches hervorzubringen“ (VMo/Kae 88/72); vgl. dazu Kap. 5, § 2, 4. 32 Hierin liegt der entscheidende Unterschied der kantischen Sichtweise zu Aristoteles’ Behandlung der Akrasia-Thematik: Whrend fr Aristoteles unvernnftiges Handeln allein auf einem kognitiven Fehler beruht und eine Diskrepanz zwischen der richtigen Einsicht und der Handlung nicht bestehen kann, rumt Kant ein, dass diese zur menschlichen Natur dazu gehçrt. Der ,Fehler‘ liegt nach Kants Auffassung nicht in einem Mangel an Einsicht, sondern in einer unpassenden praktischen Einstellung. Zum Willensschwche-Problem bei Aristoteles vgl. Kap. 1, § 1, 1. 33 Damit markiert die verlssliche Verbindung von objektivem und subjektivem Handlungsgrund dasjenige an einer Handlung, was dieser erst einen moralischen Wert verleiht. Denn moralisch wertvoll handelt diejenige Person, die eine Handlung nicht aus einem beliebigem, sondern aus dem korrekten moralischen Motiv und das heißt fr Kant: aus Pflicht ausfhrt (vgl. GMS 4:397 f.). Vgl. Kap. 3, § 2, 1.
§ 1 Die frhe Unterscheidung von „Dijudikation“ und „Exekution“
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Einsicht (in das Vollkommene) fhigen Wesen beschrieben hatte34, ist es Kants Ansicht, dass nur unendliche Vernunftwesen wie Gott unmittelbar und notwendigerweise aus der Erkenntnis des Guten handeln. Menschen hingegen brauchen, weil ihr Wollen und Handeln nicht moralisch vollkommen, sondern von vielfltigen Faktoren wie Neigungen und Interessen abhngig und damit moralisch fehlbar ist, einen Antrieb, um auch ihrer vernnftigen Einsicht entsprechend zu handeln. Mit anderen Worten: Handelten Menschen immer unmittelbar aus der Erkenntnis des objektiv Gebotenen, so wren sie keine Menschen, sondern heilige Wesen. Wie es in einer Nachschrift zu Kants wahrscheinlich zur Zeit der Vorlesung zur Moralphilosophie gehaltenen Vorlesung ber Metaphysik heißt, bestehe gerade in diesem Missverhltnis zwischen objektiven und subjektiven Handlungsgrnden das menschliche „Unglck“: „Das ist ein Unglck frs menschliche Geschlecht, daß die moralischen Gesetze, die da objectiv necessitiren, nicht auch zugleich subjectiv necessitiren“ (V-Me/L1 28:258).35 Damit steht die Unterscheidung zwischen einem Beurteilungs- und einem Ausbungsprinzip in der Moral bzw. zwischen der „Richtschnur“ und der „Triebfeder“ moralischen Handelns fr ein Modell der moralischen Motivation, das Kant whlt, um moralisches Handeln explizit in Bezug auf ein endliches Vernunftwesen wie den Menschen verstndlich zu machen. Vor dem Hintergrund, dass der oberste moralische Grundsatz formal sein muss, die Handlung selbst aber auf subjektiven Grnden beruht und diese subjektiven Grnde bei unvollkommenen Vernunftwesen vom moralischen Grundsatz als dem objektiven Handlungsgrund abweichen kçnnen, entsteht dabei das relevante moralphilosophische Problem. Denn wenn man aus der praktischen Relevanz moralischer Forderungen und objektiver Grundstze im Allgemeinen nicht – wie Hume – die Konsequenz zieht, dass diese Grundstze selbst nicht-rationaler Natur
34 Denn „[…] die Erkenntnis des Guten ist ein Bewegungsgrund des Willens“ (Wolff: Vernnfftige Gedancken, 7); vgl. dazu Kap. 1, § 2, 2. 35 Die Metaphysik Pçlitz ist undatiert. Menzer vermutet, dass die Nachschrift auf eine Vorlesung um 1778/79 oder 1779/80 zurckgeht (vgl. Menzer: „Der Entwicklungsgang der Kantischen Ethik in den Jahren 1760 – 85“). Die Zuverlssigkeit der Pçlitz-Nachschrift ist jedoch umstritten, weil es sich bei ihr eher um eine (beliebige) Zusammenstellung verschiedener Textstcke, nicht aber um eine getreue Abbildung der kantischen Vorlesung handelt (vgl. dazu Lehmann: „Einleitung“, 1345 – 1347).
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IV. Moralisches Urteil und moralische Triebfeder
sind36, so muss man sich fragen, wie die objektiven Grundstze als formale Grundstze des Verstandes den Willen eines unvollkommenen Wesens beeinflussen und das heißt: zu subjektiven Grundstzen des Handelns werden kçnnen. Diese Frage meint Kant mit dem Begriff der (moralischen) Triebfeder und mit der strikten Unterscheidung dieses ,Teils‘ einer moralischen Handlung von deren Beurteilungsprinzip beantworten zu kçnnen. Damit ist das ,Triebfedernproblem‘ zum grundlegenden Thema von Kants praktischer Philosophie geworden. Noch das Kapitel ber die „Triebfedern der reinen praktischen Vernunft“ in der Kritik der praktischen Vernunft wird sich der Frage widmen, wie das, was als objektiv anerkannte Richtschnur im moralischen Handeln gilt, auch „der subjektiv hinreichende Bestimmungsgrund der Handlung sein“ kann (KpV 5:72). Was den Argumentationsstand des frhen, ,vorkritischen‘ Kant betrifft, so ist festzuhalten, dass Kant das ,Triebfedernproblem‘ in der frhen Phase seiner Ethik, und das heißt: vor Verçffentlichung der Grundlegung als der ersten ausfhrlicheren moralphilosophischen Schrift, zugunsten der Gefhlsethik entscheidet. Er bernimmt von den Moral-Sense-Philosophen die Idee, dass es, weil die Triebfeder ein subjektives Element des Handelns ist, nur ein Gefhl sein kann, das den Antrieb zum moralischen Handeln bereitstellt. In der Vorlesung zur Moralphilosophie heißt es daher: Das oberste principium aller moralischen Beurtheilung liegt im Verstande, und das oberste Principium alles moralischen Antriebes, diese Handlung zu thun, liegt im Hertzen; diese Triebfeder ist das moralische Gefhl (V-Mo/Kae 70/57; vgl. V-Mo/Mron 27:1423).
Diesem Verstndnis nach bezeichnet das moralische Gefhl die „Fhigkeit durch ein moralisches Urtheil afficirt zu werden“ (V-Mo/Kae 85/68). Es fllt damit die ,Lcke‘, die aufgrund der Diskrepanz zwischen objektiver Norm und subjektivem Handlungsgrund entstanden war. Dass Kant dieser scheinbar eindeutigen Festlegung des Exekutionsprinzips auf das moralische Gefhl hier jedoch noch immer skeptisch gegenbersteht und sie eher als Notbehelf denn als wirklich berzeugende Lçsung der Triebfedernfrage begreift, wird erneut an einer Stelle in der Metaphysik-Vorlesung aus der Zeit um 1780 deutlich: Man soll das gute durch den Verstand erkennen, und doch davon ein Gefhl haben. Dieses ist freilich etwas, was man nicht recht verstehen kann, worber 36 Daraus folgt fr Hume schließlich, dass Moralitt mehr gefhlt als erkannt wird (vgl. Hume: Treatise, 3.1.2, 470). Zu Humes grundlegender These, moralische Grundstze htten per se keine rationale Grundlage, vgl. die Darstellung in Kap. 1, § 1, 2.
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aber auch noch gestritten wird. Ich soll ein Gefhl davon haben, was kein Gegenstand des Gefhls ist, sondern welches ich durch den Verstand objectiv erkenne. Es steckt hierin also immer eine Contradiction. Denn wenn wir das Gute thun sollen durchs Gefhl, so thun wir es, weil es angenehm ist. Dieses kann aber nicht seyn; denn das Gute kann gar nicht unsere Sinne afficiren. Wir nennen aber das Gefallen am Guten ein Gefhl, weil wir die subjectiv treibende Kraft der objectiv praktischen Necessitation nicht anders ausdrcken kçnnen (V-Me/L1 28:258).
In diesen wenigen Zeilen findet sich zusammengefasst die ganze Problematik, die Kant in den Folgejahren noch weiter beschftigen wird: Wie kann die moralische Kognition subjektiv bindend sein, so dass sie zur Handlung motiviert? Wie kann die Einsicht in das Gute ,gefallen‘, ohne dass dieses Gefallen als sinnlicher Reiz verstanden werden msste? Schließlich kommt Kant zu dem Schluss, dass die Rede von einem Gefhl als der „Kraft“, die subjektiv zur Handlung treibt, nur einen sprachlichen Ausweg, keineswegs aber eine endgltige Lçsung der Problematik darstellt. Kants Schwanken in Bezug auf eine eindeutige Beantwortung der Exekutionsfrage zeigt jedoch nicht nur, dass er einer rein gefhlsethischen Lçsung des Triebfedernproblems nicht ohne Skepsis gegenbersteht. Es deutet vielmehr darauf hin, dass seine Positionierung in der ,Triebfedernfrage‘ in dieser Phase seiner Ethik berhaupt noch unentschieden ist. So scheint Kant mit der Unterscheidung von Beurteilungs- und Exekutionsprinzip einzurumen, dass eine rein rationalistische Moralkonzeption, wie sie z. B. Wolff vertreten hatte, nicht berzeugend ist, weil die Handlung nicht unmittelbar aus der Einsicht folgt. Er vertritt aber außerdem die These, dass moralische Grundstze Vernunftgrundstze sind, die ihrerseits, wie er im Brief an Herz geschrieben hatte, „im hçchsten Grade wohlgefallen“ und deshalb nicht rein theoretische, sondern praktische Grundstze mit „Bewegkraft“ sind (Briefe 10:145). Weil es aber so schwierig ist, zu verstehen, wie es solche praktischen, den Willen beeinflussende objektiven Grundstze des Handelns geben kann, so ist es berzeugender, von diesen Grundstzen als den Kriterien der Beurteilung einen treibenden Aspekt in einer jeden Handlung zu unterscheiden, der seinerseits eine verlssliche Verbindung zu den Vorschriften aufweisen muss. Dieser subjektive Handlungsgrund muss sich, wenn er denn ein Gefhl ist, von gewçhnlichen Gefhlen insofern unterscheiden, als eine moralische Handlung nicht durch subjektive Interessen motiviert sein darf. Damit setzt sich auch noch in den 1770er und 1780er Jahren bei Kant eine Tendenz in der Ethik fort, die schon fr die ersten Schriften mit moralphilosophischem Gehalt, die Beobachtungen und die Deutlichkeit, zu
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IV. Moralisches Urteil und moralische Triebfeder
beobachten war. Schon dort war Kant der Versuch einer Universalisierung und Objektivierung des moralischen Gefhls methodisch nher gewesen als derjenige einer Etablierung der Vernunft als eigenstndiges Kriterium der Entscheidung und des Handelns.37 So hatte es z. B. ber das „allgemeine Gefhl der Wohlgewogenheit“ in den Beobachtungen geheißen, dass dieses, weil es ein allgemeingltiges und nicht an einen bestimmten situativen Fall gebundenes Gefhl ist, „erhaben, aber auch klter“ sei (Beob 2:216). Und in einer Reflexion aus den 1780er Jahren schreibt Kant: Wir haben ein reines und unbedingtes Vergngen, welches wir von dem allgemeinen ableiten. Denn dies ist nothwendig in aller Beziehung gltig; also ist der moralische Sinn eigentlich die allgemein gemachte sinnliche Lust, die von Einschrnkung frey wird (Refl. 7255, 19:295).
Das moralische Gefhl unterscheidet sich von ,gewçhnlichen‘ also dadurch, dass es einen hçheren Allgemeinheitsgrad aufweist. Wie Kant schon in der Vorlesung zur Moralphilosophie der 1770er Jahre festlegt, ist es dennoch ein sinnliches Gefhl: „Diejenige Sinnlichkeit, die mit der bewegenden Krafft des Verstandes bereinstimmt, wre das moralische Gefhl“ (V-Mo/Kae 87/71). Als ein solches Gefhl hat es Einfluss auf die sinnliche Natur eines bedrftigen Wesens, wenn es entsprechend kultiviert und habitualisiert wird.38 Damit erweist sich Moralitt eine Art von Disziplin der moralischen Sensibilitt und eine Kultur des moralischen Gefhls, whrend mangelnde Selbstherrschung in „moralische Anarchie“ mndet.39 37 Vgl. dazu Kap. 1, § 2, 2. 38 „Der Verstand verabscheut nicht, sondern er wiedersetzt sich derselben [d. i. der verabscheuenswrdigen Handlung], aber die Sinnlichkeit muß nur verabscheuen, wenn nun die Sinnlichkeit dasjenige verabscheut, was der Verstand als abscheulich einsieht, so ist dieses das moralische Gefhl. […] Der Mensch hat nicht solche geheime Organisation durch objective Grnde bewogen zu werden, es ist keine Feder von Natur, die da kçnnte aufgezogen werden solches hervorzubringen. Allein wir kçnnen doch einen habitum hervorbringen, der nicht natrlich ist aber doch die Natur vertritt, der durch die Nachahmung und çftere Ausbung zum habitu wird“ (V-Mo/Kae 87/71 f.; vgl. Refl. 6619, 19:112 f.; ca. 1770). 39 „Wer sich moralisch discipliniren will, muß sehr auf sich Acht haben, von seinen Handlungen vor dem innerlichen Richter offt Rechenschaft ablegen, durch lange Uebung wird er dem moralischen BewegungsGrund Strke geben und durch Cultur wird er sich angewçhnen in Ansehung des moralischen Guten oder Bçsen Lust oder Unlust zu bezeigen, hiedurch wird das moralische Gefhl cultivirt, denn wird die Moralitaet Strke der Triebfeder haben, durch diese Triebfeder schwcht er die Sinnlichkeit und berwiegt sie und auf solche Art erhlt er die Herrschafft ber sich selbst. Ohne Disciplin seiner Neigung kann der Mensch nichts erhalten. […]
§ 2 Das Triebfedernproblem in der weiteren Entwicklung
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Daraus folgt: Weil Kant noch zur Zeit der Vorlesung zur Moralphilosophie um 1777 – 1780, also in der Entstehungszeit der Kritik der reinen Vernunft, zwar einerseits davon berzeugt ist, dass das grundlegende Prinzip der Moral ein unbedingtes Prinzip der Vernunft ist, aber andererseits noch der Gedanke berwiegt, dass ein solches Prinzip selbst keinerlei praktische Funktion haben kann40, so entsteht eine Motivationslcke, der er hier mit zwei Teilantworten begegnet: 1. Das Prinzip der Beurteilung, die Norm, ist vom Prinzip der Ausfhrung, der Triebfeder, kategorial verschieden. 2. Die zur moralischen Norm ,passende‘ Triebfeder ist das moralische Gefhl. Es unterscheidet sich von Gefhlen anderer Art dadurch, dass es allgemein und nicht neigungsbezogen ist.
§ 2 Das Triebfedernproblem in der weiteren Entwicklung von Kants Moralphilosophie 1. Der Begriff der Triebfeder in den Vorlesungen ber Moralphilosophie der 1770er Jahre Es hat sich gezeigt, dass Kant bereits in der Zeit vor der Verçffentlichung der Grundlegung in Bezug auf moralisches Handeln einen objektiven und einen subjektiven Faktor unterscheidet. Der objektive Faktor ist die Norm, auch „Richtschnur“ bzw. Prinzip der „Diiudication“ genannt. Der subjektive Faktor hingegen ist die „Triebfeder“, sie ist das Prinzip der „Execution“ einer Handlung (vgl. v. a. V-Mo/Kae69 f./56 f.; 85/68) und damit ein „principium des Antriebes“ (z. B. V-Mo/Kae 70/57). Versuchen wir im Folgenden, Kants Begriff der Triebfeder genauer zu verstehen. Wo nimmt Kant ihn her? Und was macht die Triebfeder zum subjektiven Faktor des Handelns?
Wo nun keine Herrschafft ber sich selbst ist, das ist eine Anarchie, allein wenn auch eine moralische Anarchie beym Menschen ist so tritt doch die Klugheit an die Stelle der Moralitaet und regieret anstatt derselben, damit doch nicht eine vçllige Anarchie wre“ (V-Mo/Kae 255 f./205). 40 In der der Vorlesung zur Moralphilosophie heißt es prgnant: „Die Herrschafft ber uns selbst ist darum auch schwer, weil das moralische Gesetz Vorschrifft aber keine Triebfeder hat, es fehlt ihr die executive Gewalt und dieses ist das moralische Gefhl“ (V-Mo/Kae 255/204).
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IV. Moralisches Urteil und moralische Triebfeder
In der Vorlesung ber Metaphysik nach Pçlitz gegen Ende der 1770er Jahre bezeichnet Kant die Triebfeder genauer als „Triebfeder des Gemths“ (V-Me/L1 28:258). Diese Formulierung passt zur lateinischen bersetzung von „Triebfeder“ als „elater animi“ (vgl. z. B. V-PP/Pow 27:123), die Kant vermutlich von Baumgarten bernommen hat41 und die er immer wieder im Kontext der Triebfedernfrage verwendet.42 Schließt man mit Kant an Baumgartens Begriff der Triebfeder als „elater animi“ an, so bezeichnet dieser die „causa impulsiva“43 und das heißt: eine bewegende Ursache des Handelns. Baumgarten unterscheidet zwei Arten von Triebfedern: Stimuli und Motiva44 ; diese Unterscheidung nimmt Kant in den Vorlesungen ber Moralphilosophie auf. In der Powalski-Nachschrift heißt es: Alle Handlungen, die aus der Willkhr fließen, haben eine causam impulsivam. Alle Handlungen sind entweder physisch oder practisch. Causae impulsivae sind die Vorstellungen des Bewegungs-Grundes zur Lust oder Unlust an einem Objecte. Diese Causae impulsivae werden eingetheilet a. – In causas sensualiter moventes, quae stimuli b. – In causas intellectualiter moventes quae motiva dicuntur (V-PP/Pow 27:121).
41 Vgl. zu dieser Vermutung Kubler: Der Begriff der Triebfeder in Kants Ethik, 16, sowie Schwaiger: Kategorische und andere Imperative, 161 f. Die einschlgigen Stellen bei Baumgarten finden sich in seiner Metaphysica, die Kant mit eigenen Anmerkungen kommentiert hat. Die kommentierten Teile der Metaphysica sind in Kants Reflexionen zur Anthropologie enthalten (vgl. dort § 669, 15:46; § 690, 15:51). 42 So z. B. noch in der Kritik der praktischen Vernunft; vgl. z. B. KpV 5:72. 43 Vgl. Baumgarten: Metaphysica, § 669, 15:46. Unabhngig von Baumgartens Verwendung des Begriffs „elater animi“ als „causa impulsiva“ wird „elater“ auch im Allgemeinen im Lateinischen mit „causa impulsiva“ wiedergegeben, ebenso wie als „stimulus“ oder „motivum“ (vgl. Kubler: Der Begriff der Triebfeder in Kants Ethik, 7). – Kants synonyme Verwendung von „elater animi“ bzw. „Triebfeder“ und „causa impulsiva“ zeigt sich indirekt an vielen Stellen in den Nachschriften von Kants Vorlesung ber Moralphilosophie, so z. B. in der Kaehler-Nachschrift, wo es heißt: „Eine pathologische Necessitation ist, wo die Triebfeder aus den Sinnen und aus dem Gefhl des Angenehmen und Unangenehmen hergenommen sind […]. Also die causae impulsivae, so fern sie von Guten hergenommen sind, sind aus dem Verstande […]“ (V-Mo/Kae 32 f./30). In einer spten Nachschrift der Vorlesungen ber Metaphysik (Metaphysik Dohna, 1792/93) heißt es sogar wçrtlich: „Elateres animi – Triebfedern des Gemths heißen die causae impulsivae der Willkr“ (VMe/Dohna 28:677). 44 Vgl. Baumgarten: Metaphysica, § 690, 15:51.
§ 2 Das Triebfedernproblem in der weiteren Entwicklung
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Noch eine andere Stelle sei angefhrt, um Aufschluss ber Kants Triebfedernbegriff zu bekommen. Sie findet sich in der Vorlesung zur Moralphilosophie: 45 Also die caussae impulsivae, so fern sie vom Guten hergenommen sind, sind aus dem Verstande, und ein solcher, der laut denen wozu bewogen wird, wird per motiva necessitirt; so ferne aber die caussae impulsivae vom Angenehmen hergenommen sind, sind aus den Sinnen, und ein solcher, der laut denen wozu bewogen wird, wird per stimulos necessitirt. Demnach ist alle Obligation nicht eine pathologische oder pragmatische Necessitation, sondern eine moralische; die motiva sind entweder hergenommen aus pragmatischen Grnden oder aus moralischen der innern Bonitaet (V-Mo/Kae 33/30).
Es ergibt sich folgendes Bild: Verstehen wir eine Triebfeder als „causa impulsiva“ bzw. als bewegende Ursache des Handelns, so heißt das, dass es nach Kants Ansicht sowohl sinnliche als auch intellektuelle Triebfedern gibt. Eine sinnliche Triebfeder beruht auf der Vorstellung des Angenehmen, eine intellektuelle Triebfeder auf der Vorstellung des (pragmatisch oder moralisch) Guten. Nun sind, wie es in der Powalski-Nachschrift weiter heißt, die „elateres animi“ (die Triebfedern bzw. „causae impulsivae“) beim Menschen eher „stimuli“ als „motiva“, worin das „Unglck der Menschen“ bestehe (V-PP/Pow 27:122 f.). Das heißt: Menschen handeln in nicht unwesentlichem Maße auch nach sinnlichen Impulsen. Wie Kant noch spter, in der Kritik der praktischen Vernunft, bemerkt, sind es diese Impulse, die sich einem unvollkommenen Wesen wie dem Menschen „zuerst“ aufdrngen (KpV 5:74). Kant ist jedoch, das zeigt die Zweiteilung der „causae impulsivae“ in sinnliche und intellektuelle Triebfedern, schon in den 1770er Jahren der Ansicht, dass es bei dieser Bestimmung des Willens nicht bleiben muss. Denn: Menschen verfgen ber eine freie Willkr und unterliegen nicht der sinnlichen Nçtigung durch „Gesetze der Sinnlichkeit“. Sie kçnnen vielmehr „praktisch“, d. h. durch „Gesetze der Freiheit“ zu Handlungen gençtigt werden (V-Mo/Kae 29/27).46 Es ist dieselbe Vorstellung von mit einer freien Willkr begabten Wesen, die Kant spter in der Formulierung vom „Handeln nach der Vo rstellung der Gesetze“ zusammenfasst (GMS 4:412): Menschen sind dieser Formulierung zufolge aufgrund der Freiheit ihrer Willkr sinnlichen Reizen nicht hilflos ausgeliefert, sondern 45 Zur editorischen und textlichen Zuverlssigkeit der Vorlesungen vgl. oben: Einleitung. 46 Vgl. auch die Collins-Nachschrift der Vorlesung ber Moralphilosophie aus der Entstehungszeit der Grundlegung (1784/85): V-Mo/Collins 27:268 – 272.
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IV. Moralisches Urteil und moralische Triebfeder
es kommt ihnen das Vermçgen zu, nach objektiven Vorschriften im Sinne von Vernunftgrundstzen zu handeln, die nicht unmittelbar durch ihre Sinnlichkeit vorgegeben sind. Diese Vorschriften kçnnen ihrerseits bedingt oder unbedingt sein, im ersten Fall sind sie pragmatische, im zweiten Fall moralische Vorschriften.47 Diese Unterscheidung findet sich thematisch schon in der Vorlesung zur Moralphilosophie, in der Kant die „pathologische“ Nçtigung durch sinnliche Reize der „praktischen“ Nçtigung durch allgemeine Vorschriften gegenberstellt und letztere noch einmal in pragmatische und moralische unterteilt (vgl. z. B. V-Mo/Kae 33/30).48 Das heißt: Dass Menschen berhaupt fr objektive Vorschriften und d. h. fr vernnftige Handlungsgrnde empfnglich sind und prinzipiell nach ihnen handeln kçnnen, unterscheidet sie von anderen, nur mit einer tierischen Willkr begabten Wesen. Ihr Vermçgen einer gleichsam „praktischen Vernunft“ befhigt sie dazu, sich in ihren Handlungen nicht allein durch sinnliche Reize („stimuli“), sondern durch eigene, vernnftige Vorstellungen („motivis“) leiten zu lassen (V-PP/Pow 27:121). Das grundlegende Vermçgen, nach Motiven statt nach Stimuli zu handeln, bezeichnet Kant in den Vorlesungen ber Moralphilosophie als Ausdruck moralischer Freiheit. Zwar sind die Motive nicht auf den Bereich der Moral eingeschrnkt, sondern kçnnen auch pragmatischer Natur sein. Beide Arten von Motiven, moralische wie pragmatische, setzen aber das Vermçgen voraus, berhaupt nach vernnftigen Beweggrnden handeln zu kçnnen. Moralisches Handeln ist daher nur einem Subjekt mçglich, das generell nach eigenen, nicht durch seine Sinnlichkeit oder durch ußeren Zwang vorgegebenen Grnden handeln kann. In der Vorlesung zur Moralphilosophie heißt es dementsprechend: Mit der Freyheit stimmt keine andere Necessitation als die practische Necessitation per motiva, diese motiva kçnnen pragmatica und moralia seyn, die pragmatica sind von der Bonitate mediata hergenommen, die moralia sind von der Bonitate absoluta der freyen Willkr hergenommen (V-Mo/Kae 56/47).49
47 Vgl. hierzu die ausfhrliche Analyse von GMS 4:412 in Kap. 3, § 1, 1 und 3. 48 Entsprechendes findet sich auch in der Collins-Nachschrift der Vorlesungen ber Moralphilosophie aus der Entstehungszeit der Grundlegung (1784/85) (vgl. V-Mo/ Collins 27:272) sowie in der Powalski-Nachschrift (vgl. V-PP/Pow 27:111 f.). 49 Eine prgnante Formulierung findet sich auch in der Praktischen Philosophie Powalski: „D a h e r i s t d i e Fr e y h e i t d e s Me n s c h e n i m m o r a l i s c h e n Ve r s t a n d e g e n o m m e n n i c h t s a n d e r s a l s d a s Ve r m ç g e n n a c h m o t i v i s z u h a n d e l n “ (V-PP/Pow 27:111 f.). Und auch noch in der spteren Metaphysik Dohna heißt es: „Wer durch motiva determinirt wird ist frey, denn er handelt nach
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Schließlich findet sich fr die Grundlage der Moralitt im Handeln nach Motiven an spterer Stelle in dieser Vorlesung folgender Beleg: Und endlich, daß der BewegungsGrund seiner Verbindlichkeit Gnge zu thun nicht der Zwang sondern die freye Gesinnung oder Pflicht sey. Der ussere BewegungsGrund ist Zwang und die Handlung ist juridisch, der innere BewegungsGrund ist Pflicht und die Handlung ist ethisch (V-Mo/Kae 92/75).
Aus dem Vorangegangen folgt: Als sinnlich affizierbares Vermçgen ist die menschliche Willkr stndig durch sinnliche Reize („stimuli“) beeinflusst. Menschen verfgen aber außerdem ber das Vermçgen, nach vernnftigen Vorstellungen zu handeln. Dazu muss es diese zu den subjektiv bewegenden Ursachen seines Handelns machen. Ein Subjekt, das sich durch eine vernnftige Vorstellung subjektiv bewegen lsst, handelt aus einer intellektuellen Triebfeder. Dies ist die Voraussetzung dafr, dass es auch moralisch handeln kann: In diesem Falle ist die Vorstellung des moralisch Guten die subjektiv bewegende Ursache des Handelns. In diesem Sinne heißt es ber die Funktion der moralischen Triebfeder im Handeln in der Vorlesung zur Moralphilosophie: „Dasjenige was mich antreibt, das zu thun, wovon der Verstand sagt, ich soll es thun, das sind die motiva subjective moventia“ (VMo/Kae 70/56). Nun ist Kant zwar einerseits prinzipiell der Ansicht, dass es intellektuelle Triebfedern gibt. Anders ist moralisches Handeln nicht erklrbar; es zeichnet sich gerade dadurch aus, dass jemand allein aus der Vorstellung der „innern Bonitaet“ handelt (V-Mo/Kae 33/30). Dazu mssen „die elateres animi zugleich motiva seyn“, denn, wie Kant hinzufgt: „das ist eine wichtige Sache“ (V-PP/Pow 27:123). Andererseits ist es schwer nachvollziehbar, wie gerade eine intellektuelle Vorstellung zu einem subjektiv bewegenden Grund des Handelns werden kann. Denn: „Der Verstand hat keine elateres animi, ob er gleich bewegende Krafft und motiva hat, die aber nicht vermçgend sind die elateres der Sinnlichkeit zu berwiegen“ (VMo/Kae 86 f./71). An dieser Stelle wird der funktionale Ort der moralischen Triebfeder ersichtlich: Sie verbindet die Anweisungen des Verstandes mit dem Prinzip des Willens und schließlich mit der Handlung. Dies ist mçglich, weil sie den sinnlichen Triebfedern als ein Gefhl jene Kraft entgegenstellt, die dem Verstand fehlt:
Gesetzen seiner eigenen Vernunft nach Spontaneitt und nicht nach Receptivitt“ (V-Me/Dohna 28:677).
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IV. Moralisches Urteil und moralische Triebfeder
Dieser Wiederstand des Verstandes ist der BewegungsGrund; kann dieser BewegungsGrund des Verstandes die Sinnlichkeit zur bereinstimmung und Triebfeder bewegen, so wre das das moralische Gefhl (V-Mo/Kae 87/71).
Kant bezeichnet das moralische Gefhl auch als „[d]iejenige Sinnlichkeit, die mit der bewegenden Krafft des Verstandes bereinstimmt“ (V-Mo/Kae 87/71). Und in der Powalski-Nachschrift heißt es, dass „eine ganz fremde Art von Triebfedern“ entsteht, „[w]enn man die stimulos mit den motivis verbindet“ (V-PP/Pow 27:123). Fr die Frage der moralischen Motivation heißt das: Kant ist in den 1770er Jahren davon berzeugt, dass es Handlungen aus echten moralischen Beweggrnden geben kann. Solche Handlungen sind jedoch nur mçglich, wenn die moralischen Beweggrnde die sinnlichen Bewegursachen in Form eines moralischen, aber sinnlichen Gefhls ,berbieten‘ kçnnen. Wie aber der Verstand seinerseits „eine Krafft“ haben sollte, so dass das von ihm gefllte moralische Urteil „eine Triebfeder werde den Willen zu bewegen, die Handlung auszuben, das ist der Stein der Weisen“ (V-Mo/Kae 85/69). Als Ergebnis in Bezug auf eine mçgliche Lçsung des Triebfedernproblems, wie es durch Kants endgltige Entscheidung fr ein rationales, keinesfalls gefhlsbasiertes Prinzip der Moralitt entstanden war, lsst sich daher fr das Ende der 1770er Jahre Folgendes festhalten: Kant geht bis zu diesem Zeitpunkt davon aus, dass das bewegende Element in moralischen Handlungen nicht im formalen Prinzip der Moralitt selbst liegt, sondern in einer Art von ,moralischem Gefhl‘. Dieses Gefhl tritt als verbindendes Element zwischen die rationale Einsicht des Guten und die Handlung; es ist diejenige ,Triebfeder‘, die den objektiven Grnden Einfluss auf den Willen eines endlichen Vernunftwesens verschafft. Diesen Einfluss ermçglicht die moralische Triebfeder, indem sie zwischen der Sinnlichkeit und der Intellektualitt eines solches Wesens insofern vermittelt, als sie andere, sinnliche Triebfedern ,berwiegt‘. Moralitt besteht demnach in der bereinstimmung der Sinnlichkeit mit den Motiven des Verstandes bzw. den unbedingten Vorschriften der Vernunft. Sie wird praktisch mçglich durch ein ,moralisches Gefhl‘. Bevor der weitere Entwicklungsgang des Triebfedernproblems in der Grundlegung verfolgt werden soll, sei noch auf eine Stelle im „Kanon“ der Kritik der reinen Vernunft hingewiesen, in der Kant im Zusammenhang mit den „Ideen der Sittlichkeit“ ebenfalls auf die „Triebfedern“ zu sprechen kommt (KrVA 813/841). Kant erklrt hier die Annahme einer intelligiblen Welt und eines „weisen Urheber[s] und Regierer[s]“ fr rational geboten,
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wenn die moralischen Gesetze nicht als „leere Hirngespinste“ erscheinen sollen (KrV A 811/B 839). Ohne die Voraussetzung einer moralisch vollkommenen Welt und das heißt hier: einer knftigen, durch Gott regierten Welt liefen die moralischen Gesetze geradezu ins Leere, weil sie nur in einer solchen Welt tatschlich erfllt werden kçnnten (vgl. KrV A 811/B 839): Ohne also einen Gott, und eine fr uns jetzt nicht sichtbare, aber gehoffte Welt, sind die herrlichen Ideen der Sittlichkeit zwar Gegenstnde des Beifalls und der Bewunderung, aber nicht Triebfedern des Vorsatzes und der Ausbung, weil sie nicht den ganzen Zweck, der einem jeden vernnftigen Wesen natrlich und durch eben dieselbe reine Vernunft a priori bestimmt und notwendig ist, erfllen (KrV A 813/B 841).
Nun sind Kants Ausfhrungen im „Kanon“ zwar thematisch, aber nicht immer auch inhaltlich fr Kants vollstndige Entwicklung seiner Moralphilosophie in den moralphilosophischen Hauptschriften wegweisend,50 so dass man mit Blick auf die zitierte Stelle nicht berzeugend sagen kann, sie gehçre zu Kants ,kritischer‘ Ethik und stelle sogar seine Konzeption der moralischen Motivation aus der Grundlegung und der Kritik der praktischen Vernunft in Frage.51 Außerdem macht ein Blick auf den argumentativen Kontext des Zitates aus dem „Kanon“ deutlich, dass Kant an dieser Stelle nicht in erster Linie eine Lçsung des Triebfedernproblems vor Augen hat. Nach Kants eigener Zielvorgabe im „Kanon“ handelt ein „Kanon der reinen Vernunft“ nur von zwei Fragen: „[I]st ein Gott?“ und „[I]st ein knftiges Leben?“ (KrV A 803/B 831). Diese Fragen betreffen ihrerseits nicht „die Vernunft im praktischen Gebrauche“, sondern lediglich „das praktische Interesse der reinen Vernunft“ (KrV A 803/B 831). Damit handelt es sich bei dem Zitat nicht etwa um eine Anweisung fr die reine praktische Vernunft, als Triebfeder fr moralisches Handeln allein den Glauben an Gott und an eine zuknftige Welt zuzulassen. Die Rolle einer 50 So ist z. B. der Anwendungsbereich des Begriffs des praktischen Gesetzes im „Kanon“ viel weiter als in den moralphilosophischen Hauptschriften; whrend er dort auf ein einziges, das moralische Gesetz, beschrnkt ist, bezeichnet Kant als „praktische Gesetze“ im „Kanon“ alle Gesetze der Freiheit, die sich von Naturgesetzen unterscheiden (vgl. KrV A 802/B 831). 51 Diese wenig berzeugende Auffassung vertritt z. B. Forschner, der mit Blick auf die zitierte Stelle aus dem „Kanon“ zu der These „herausfordern“ will, „daß Kants ,kritische‘ Ethik von ihrer frhen Konzeption bis zuletzt eine zwiefltige Triebfeder moralischen Handelns in Ansatz bringt“ („Immanuel Kant ber Vernunftglaube und Handlungsmotivation“, 328). Vgl. zu einer hnlichen Position Weiper: Triebfeder und hçchstes Gut.
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IV. Moralisches Urteil und moralische Triebfeder
solchen moralischen Triebfeder kommt dem Glauben ebenso wenig zu, wie wir „Handlungen nicht darum fr verbindlich halten, weil sie Gebote Gottes sind, sondern sie darum als gçttliche Gebote ansehen, weil wir dazu innerlich verbindlich sind“ (KrV A 819/B 848). Will ein endliches Wesen den „ganzen Zweck“ begreifen, „der einem jeden vernnftigen Wesen natrlich und durch […] reine Vernunft a priori bestimmt und notwendig ist“ (KrV A 813/B 841) und seinerseits nicht nur in der Sittlichkeit als der Wrdigkeit, glcklich zu sein, sondern auch in der Hoffnung auf Glckseligkeit besteht, so stellt es die moralischen Gesetze als gçttliche Gebote vor, deren Erfolg in einer zuknftigen Welt garantiert ist. In dieser Hinsicht, mit Blick auf die Erfllung der verdienten Glckseligkeit in einer zuknftigen Welt, sind auch die moralischen Gebote nur unter der Voraussetzung der Idee Gottes „Triebfedern des Vorsatzes und der Ausbung“ (KrV A 813/B 841). Das heißt jedoch nicht, dass diese Idee auch unabhngig von dieser Perspektive die einzige oder auch nur eine unabkçmmliche moralische Triebfeder ist. 2. „Achtung frs Gesetz“ in der Grundlegung Aus dem Vorangegangenen ergibt sich, dass Kant unter der ,Triebfeder‘ den subjektiv bewegenden Aspekt einer Handlung versteht, der die Einsicht mit der Handlung verbindet. Triebfedern sind damit die ,dynamischen‘ oder ,konativen‘ Faktoren im Handeln52, und eine jede Handlung zeichnet sich u. a. dadurch aus, dass es eine Triebfeder gibt, die ihr zugrunde liegt. Nach Kants Ausfhrungen in den Vorlesungen ber Moralphilosophie der 1770er Jahre ist es in moralisch wertvollen Handlungen die moralische Triebfeder, die die vernnftige Einsicht mit der Willkr eines unvollkommenen, bedrftigen Vernunftwesens verbindet. Sie fllt die ,Motivationslcke‘, die entsteht, weil sich vernunftbegabte Wesen der moralischen Norm zwar bewusst sind, aber nicht automatisch entsprechend dieser Einsicht handeln. Die treibende Kraft der moralischen Triebfeder kann jedoch nicht in einem gleichsam mechanistischen Modell des Handelns beschrieben werden; als genuin moralische Triebfeder ist sie gerade „keine Feder von Natur, die da kçnnte aufgezogen werden“ (V-Mo/Kae 88/72). Sie steht – wie die Triebfeder im Allgemeinen – im Gegenteil fr das Vermçgen eines Wesens, praktisch zu begehren und etwas Bestimmtes zu erstreben. Auch 52 So Beck: A Commentary on Kant’s Critique of Practical Reason, 216.
§ 2 Das Triebfedernproblem in der weiteren Entwicklung
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bersetzungen von „Triebfeder“ als „stimulus“ oder „incentive“ sind fr Kants Verwendung dieser Terminologie daher nur teilweise zutreffend und keinesfalls erschçpfend.53 Wie sich anhand der Entwicklung des kantischen Begriffs der Triebfeder in den 1770er Jahren gezeigt hat, kçnnen Triebfedern zwar auf sinnliche Reize zurckgehen, sie erschçpfen sich aber nicht darin. Es kann im Gegenteil auch die Vorstellung eines vernnftigen Prinzips bzw. einer Regel sein, das Triebfeder ist; in diesem Falle ist die Triebfeder nicht ihrerseits ein sinnlicher Reiz oder eine Neigung („incentive“), sondern ein vernnftiger Beweggrund, der subjektive Wirkung auf die Sinnlichkeit hat. Da die Triebfeder zu einer Willensbestimmung und Handlung antreibt und mit dieser Triebkraft auf die Sinnlichkeit eines unvollkommenen Vernunftwesens derart einwirkt, dass diese „mit der bewegenden Krafft des Verstandes bereinstimmt“ (V-Mo/Kae 87/71), so muss sie selbst, zumindest in Teilen, affektiver bzw. sensibler Natur sein. Anders ist es nicht vorstellbar, wie sie die Sinnlichkeit zur ,bereinstimmung‘ mit dem vernnftigen Beweggrund bewegen kann.54 Dies ist zumindest Kants Ansicht vor Erscheinen der Grundlegung. In der Grundlegung selbst geht es Kant nun nicht explizit um eine Diskussion der Triebfedernfrage in Bezug auf moralisches Handeln. Hier wird, im 53 Die (allgemeine, nicht auf Kants Terminologie bezogene) bersetzung von „Triebfeder“ alternativ zu „elater“ als „stimulus“ und „causa impulsiva“ bringt Kubler: Der Begriff der Triebfeder in Kants Ethik, 7. Mit „incentive“ wird „Triebfeder“ oft in der angelschsischen Kant-Forschung bersetzt, die diese bersetzung ihrerseits jedoch auch kritisiert, weil sie die Triebfeder allein auf ein Objekt des sinnlichen Begehrens reduziert. Vgl. zur Kritik dieser bersetzung u. a. Engstrom: „The ,Triebfeder’ of Pure Practical Reason“, 3, sowie Herrera: „Kant on the Moral ,Triebfeder’, 395 Fn. 54 Vgl. dazu Grenberg: „Feeling, Desire and Interest in Kant’s Theory of Action“, 157. Grenberg schreibt zunchst: „To say that a finite agent requires a drive to action thus means that she must be impelled to action; as such, affective or sensible forces must be considered a necessary part of a drive […]“ (157). Dass Grenberg von dieser differenzierten Beschreibung der Triebfeder wenig spter ohne explizite Begrndung zur Bezeichnung der Triebfeder als „sensible drive“ bergeht, ist nicht berzeugend (vgl. 158). Diese (endgltige) Definition der Triebfeder liest sich wie ein humeanisches Argument innerhalb der kantischen Argumentation, dem zufolge Affekte nur durch Affekte, nicht aber durch Begriffe bzw. das Vermçgen der Vernunft beeinflusst und – wenn nçtig – bekmpft werden kçnnen. Grenbergs Triebfeder-Definition trifft, wenn man sie wohlwollend interpretiert, daher bestenfalls fr den Kant der 1770er Jahre zu, der die moralische Triebfeder noch als ein Gefhl versteht, das der Sinnlichkeit genau deshalb entgegenwirken kann, weil es selbst sinnlich ist.
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IV. Moralisches Urteil und moralische Triebfeder
Gegensatz zur Vorlesung zur Moralphilosophie und dann wieder zur Kritik der praktischen Vernunft, nicht eigens ausgefhrt, wie eine vernnftige Vorstellung eine sinnliche Wirkung haben kann, so dass sie zur Handlung bewegt. Worum es geht, ist zu zeigen, dass moralisch wertvolles Handeln allein auf dem Pflichtgedanken beruht. Nun liegt, wie oben gezeigt wurde, der moralische Wert einer Handlung fr Kant nicht in dem durch sie erzielten Ergebnis, sondern im „Princip des Willens“ (GMS 4:400).55 Menschen handeln aus subjektiven Prinzipien bzw. aus Maximen.56 Damit eine Maxime zur moralischen Handlung tauglich ist, muss sie moralischen ,Gehalt‘ haben.57 Whrend Kant zu Beginn des „Ersten Abschnittes“ der Grundlegung sorgfltig auseinandergesetzt hatte, worin dieser moralische Gehalt einer Maxime besteht, geht es ihm am Ende dieses Abschnittes nun darum, zu zeigen, was die Aneignung einer solchen formalen Maxime in Bezug auf ein endliches Vernunftwesen wie den Menschen bedeutet. Die Ausgangsposition ist folgende: Worin kann also dieser Werth liegen, wenn er nicht im Willen in Beziehung auf deren verhoffte Wirkung bestehen soll? Er kann nirgend anders liegen, a l s i m Pr i n c i p d e s W i l l e n s unangesehen der Zwecke, die durch solche Handlung bewirkt werden kçnnen, denn der Wille ist mitten inne zwischen seinem Princip a priori, welches formell ist, und zwischen seiner Triebfeder a posteriori, welche materiell ist, gleichsam auf einem Scheidewege, und da er doch irgend wodurch muß bestimmt werden, so wird er durch das formelle Princip des Wollens berhaupt bestimmt werden mssen, wenn eine Handlung aus Pflicht geschieht […] (GMS 4:400).
Nun gibt es dem weiteren Argumentationsgang zufolge nur eine Mçglichkeit, wie ein Wille, der zwar prinzipiell auch vernnftig bestimmbar ist, aber permanent sinnlichen Triebfedern ausgesetzt ist, durch ein rein formales Prinzip bestimmt werden kann: durch die „Achtung frs Gesetz“ (GMS 4:400). Dabei erinnert die Art und Weise, wie Kant diesen neuen Terminus hier einfhrt, an Kants Argumentation in der Vorlesung zur Moralphilosophie. Dort hatte er, ausgehend von der Voraussetzung, dass es immer sinnliche Triebfedern seien, die sich dem Subjekt zuerst aufdrngen, fr die Notwendigkeit einer moralischen Triebfeder argumentiert, die diesen Triebfedern eine eigene Kraft gegenberstellt.58 Nun ist von einer moralischen Triebfeder im besagten Abschnitt der Grundlegung gar nicht die Rede. Dafr aber stellt Kant fest, der Wille sei „gleichsam auf einem 55 56 57 58
Vgl. Kap. 3, § 2, 1. Vgl. Kap. 3, § 1, 4. Vgl. Kap. 3, § 2, 2 und 3. Vgl. Kap. 4, § 2, 1.
§ 2 Das Triebfedernproblem in der weiteren Entwicklung
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Scheidewege“, nmlich „mitten inne zwischen seinem Princip a priori, welches formell ist, und zwischen seiner Triebfeder a posteriori, welche materiell ist“ (GMS 4:400). Wenn ein solcher sich auf dem „Scheidewege“ befindende Wille sich fr die moralisch wertvolle Handlung entscheidet und das heißt: eine Maxime von moralischem Gehalt subjektiver Grundsatz des Handelns ist, so geschieht dies allein „aus Achtung frs Gesetz“ (GMS 4:400). Diese Achtung ist, und hier wird die konzeptionelle Parallele zur Vorlesung zur Moralphilosophie deutlich, ein Gefhl besonderer Art (vgl. GMS 4:401 Anm.). Handelt jemand „aus Achtung frs Gesetz“, dann handelt er aus Pflicht: „Pf licht ist die Nothwendigkeit einer Handlung aus Achtung frs Gesetz“ (GMS 4:400). Es wurde bereits gezeigt, dass die Achtung einerseits eine Art des moralischen Bewusstseins darstellt, weil sie einem endlichen Vernunftwesen eine Vorstellung davon vermittelt, dass das moralische Gesetz auf doppelte Weise fr den eigenen Willen bindend ist: Zum einen als das den Willen eines bedrftigen Wesens unterwerfende objektive Gesetz, zum anderen als das Gesetz, das sich ein vernnftiges Wesen selbst auferlegt (vgl. GMS 4:401 Anm.).59 Die Achtung vor dem Gesetz ist damit, wie Kant in der Kritik der praktischen Vernunft schreibt, die „sittliche Stufe“, auf der der Mensch steht (KpV 5:84), weil sie ihm ber das Bewusstsein der Unvollkommenheit des eigenen Willens eine Vorstellung davon vermittelt, was er als vernnftiges Wesen zu leisten vermag. Zum anderen ist die Achtung mehr als ein sittliches Bewusstsein; sie hat auch eine praktische Funktion im Handeln. Diese Funktion zeigt sich darin, dass jemand, der aus dem sittlichen Bewusstsein heraus handelt, allein aufgrund der „Vorstellung des Gesetzes“ und daher „aus Achtung“ (GMS 4:400) handelt: Es kann daher nichts anders als die Vo r s t e l l u n g d e s G e s e t z e s an sich selbst, d i e f r e i l i c h n u r i m v e r n n f t i g e n We s e n s t a t t f i n d e t , so fern sie, nicht aber die verhoffte Wirkung der Bestimmungsgrund des Willens ist, das so vorzgliche Gute, welches wir sittlich nennen, ausmachen […] (GMS 4:401).
Das Gesetz, das von endlichen Vernunftwesen „mit Achtung“ (GMS 4:401 Anm.) vorgestellt wird, ist damit objektiver Bestimmungsgrund des Willens in einer moralisch wertvollen Handlung. Die Achtung ist nun ihrerseits dasjenige, was den Menschen subjektiv zu der Handlung bewegt:
59 Vgl. dazu Kap. 3, § 2, 3.
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IV. Moralisches Urteil und moralische Triebfeder
Nun soll eine Handlung aus Pflicht den Einfluß der Neigung und mit ihr jeden Gegenstand des Willens ganz absondern, also bleibt nichts fr den Willen brig, was ihn bestimmen kçnnte, als objectiv das Gesetz und subjectiv r e i n e Ac h t u n g fr dieses practische Gesetz, mithin die Maxime, einem solchen Gesetze selbst mit Abbruch aller meiner Neigungen Folge zu leisten (GMS 4:400 f.).
Damit ist die Achtung das verbindende Glied zwischen der (objektiven) moralischen Einsicht und der (subjektiven) Willensbestimmung. Sie bezeichnet den Modus, in dem das moralische Gesetz einem endlichen Vernunftwesen wie dem Menschen begegnet. Handelt ein Subjekt aus jener Achtung, die es fr das moralische Gesetz empfindet, so handelt es moralisch wertvoll. Die Begrndung ist folgende: Die Achtung selbst stellt zwar einerseits eine subjektive Handlungsmotivation dar, ebenso wie die Maxime, auf der moralisch wertvolles Handeln beruht, immer der Grundsatz ist, den sich ein Subjekt zur (zunchst individuellen) Regel seines Wollens und Handelns macht. Da die Achtung aber andererseits lediglich den Modus bezeichnet, in dem das moralische Gesetz dem Menschen gegenbertritt, inhaltlich aber mit dem moralischen Gesetz bereinstimmt, so weist die Achtung dieselbe Allgemeingltigkeit und Unbedingtheit auf, die dem Gesetz selbst zukommt. Handelt jemand „aus Achtung“ (GMS 4:400), so handelt er nach einem objektiven Prinzip durch einen diesem Prinzip angemessenen subjektiven Grundsatz. Wie Kant selbst schreibt, ist dies nur mçglich, weil der moralische Grundsatz einen Handlungsgrund darstellt, der alle anderen Grnde – Neigungen, persçnliche Interessen, Wnsche und Vorlieben – berwiegt.60 Er erweist sich als der gewichtigere Grund – und dies nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch, indem er seine Wirkung im Handeln zeigt.61 Damit ist der objektive Grund zugleich ein subjektiver Grund des Handelns; das ,Triebfedernproblem‘ scheint gelçst. Whrend das moralische Gesetz die „Richtschnur“ des Handelns darstellt, wre die Achtung fr dieses Gesetz das Prinzip der ,Exekution‘ der Handlung, weil sie zwischen
60 Denn was den Willen im moralischen Handeln bestimmt, ist „die Maxime, einem solchen Gesetze selbst mit Abbruch aller meiner Neigungen Folge zu leisten“ (GMS 4:400 f.). 61 Zur These der durch Achtung erkannten Grnde als subjektiv gewichtigeren Grnden vgl. Reath: „The Categorical Imperative and Kant’s Conception of Practical Rationality“, 73.
§ 2 Das Triebfedernproblem in der weiteren Entwicklung
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dem Gesetz und der moralischen Handlung vermittelt.62 Sie nhme damit jene Funktion im moralischen Handeln ein, die Kant bereits in den 1770er Jahren dem ,moralischen Gefhl‘ zugesprochen hatte. Nun liefert Kant in der Grundlegung keine dezidierte Diskussion des Triebfedernproblems, wie es ihn in seinen Vorlesungen ber Moralphilosophie beschftigt hatte und wie es spter wieder, in der Kritik der praktischen Vernunft, zum exponierten Gegenstand der Analyse werden wird. Von einer moralischen Triebfeder ist an dieser Stelle in der Grundlegung gar nicht die Rede. So fgen sich die wenigen Zeilen, in denen Kant die Achtung thematisiert, unmittelbar in die Analyse des moralischen Wertes ein; dem Phnomen der Achtung selbst kommt hier jedoch keine eigenstndige philosophische Funktion zu. Die kurze ,Analyse‘ zur Achtung dient hier im Gegenteil einer anderen, neuen Beschreibung dessen, was es heißt, dass jemand aus einer Maxime mit ,sittlichem Gehalt‘ und das heißt: aus Pflicht handelt. Dabei belsst Kant es im Haupttext bei der Bemerkung, das, was den Willen in einer moralisch wertvollen Handlung bestimme, sei „subjektiv reine Achtung fr dieses praktische Gesetz, mithin die Maxime, einem solchen Gesetze selbst mit Abbruch aller meiner Neigungen Folge zu leisten“ (GMS 4:400 f.). 3. Die Achtung als ,vernunftgewirktes‘ Gefhl Was es mit der „Achtung“ nun genauer auf sich hat, erlutert Kant in einer Anmerkung. Er nimmt die Kritik vorweg, die die plçtzliche und kurze Rede von der Achtung als der Grundlage des moralischen Wertes provozieren kçnnte, wenn er schreibt: Man kçnnte mir vorwerfen, als suchte ich hinter dem Worte Ac h t u n g nur Zuflucht zu einem dunkelen Gefhle, anstatt durch einen Begriff der Vernunft in der Frage deutlich Auskunft zu geben (GMS 4:401 Anm.).
Dass Kant seine ,Kritik‘ hier mit der Aussage beginnt, der eigentliche Stein des Anstoßes an der Pointe seiner Analyse des moralischen Wertes sei die Tatsache, dass er diese durch die Einfhrung eines Gefhls und nicht durch einen Vernunftbegriff vervollstndige, ist zunchst berraschend, weil von der Achtung als einem „Gefhl“ zuvor gar nicht die Rede gewesen war. Dieser Einstieg ist nur vor dem Hintergrund verstndlich, dass Kant selbst 62 Zur Unterscheidung von Diiudikations- und Exekutionsprinzip bzw. „Richtschnur“ und „Triebfeder“ in moralischen Handlungen vgl. Kap. 4, § 1, 2.
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IV. Moralisches Urteil und moralische Triebfeder
der Ansicht ist, mit der Achtung an dieser Stelle eine Antwort auf die Frage der moralischen Motivation gegeben zu haben. Denn wer kçnnte ihm vorwerfen, er suchte „Zuflucht zu einem dunkelen Gefhle“? Doch nur jemand, der die Alternativen zur Lçsung der Motivationsfrage in der Ethik kennt, der also auch die Bemhungen einer rationalistischen, nicht gefhlsbasierten Theorie der Motivation kennt und erwgt.63 Dieser imaginre Kritiker ist niemand anderes als Kant selbst, und die Kritik ist eine rhetorische Selbstkritik, die der genaueren Spezifizierung seiner eigenen Position dient. So geht es Kant hier in erster Linie darum, seine These von der Achtung als einer Art von moralischem Gefhl von der durch die Moral-Sense-Schule vertretenen Standardauffassung des moralischen Gefhls zu unterscheiden, der zufolge dieses sinnlich ist und als Handlungsgrund die Befriedigung einer Neigung verspricht.64 Whrend z. B. Hutcheson die These von der Affektbasiertheit der „exciting reasons“ vertreten hatte, will Kant zeigen, dass das Exekutionsprinzip einer moralischen Handlung gerade nicht auf sinnlichen Faktoren beruht. Wie bereits gezeigt wurde, reicht Kants kritische Auseinandersetzung mit dem durch die Moral-Sense-Schule und allen voran durch Hutcheson prominent gemachten Begriff des moralischen Gefhls schon in die frhen Jahre seiner eigenen moralphilosophischen Versuche zurck. Dabei hatte er schon in den 1764 erschienenen Beobachtungen versucht, den gefhlsethischen Begriff des moralischen Gefhls fr seine eigene Moralphilosophie nutzbar zu machen, ohne dabei den rationalistischen Anspruch aufzugeben, der moralische Beweggrund sei nicht situationsbezogen und rein sinnlich, sondern objektiv und allgemeingltig. So hatte er dort die „allgemeine Wohlgewogenheit gegen das menschliche Geschlecht“ zur Grundlage moralischen Handelns erklrt, die ihrerseits ein nicht an einen bestimmten situativen Fall gebundenes moralisches Gefhl bezeichnet, das sich von anderen Gefhlen dadurch unterscheidet, dass es „erhaben, aber auch klter“ ist (Beob 2:216).65 In der vermutlich zeitgleich zu den Beobachtungen zu datierenden Praktischen Philosophie Herder, die Kant wahrscheinlich unter dem un63 Das heißt: Whrend die „Achtung“ im Haupttext keine Triebfedernfunktion hat, diskutiert Kant diese Funktion der Achtung in der Anmerkung. Die Diskussion enthlt jedoch keine eigenstndige Darstellung der Wirkung des Gefhls der Achtung als Triebfeder moralischen Handelns, sondern ist allein auf eine Abgrenzung des Begriffs des moralischen Gefhls von dem der Moral-Sense-Schule gerichtet. 64 Vgl. dazu Kap. 1, § 2, 1. 65 Vgl. dazu Kap. 1, § 2, 2.
§ 2 Das Triebfedernproblem in der weiteren Entwicklung
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mittelbaren Eindruck seiner Hutcheson-Lektre gehalten hat,66 ist Kants Kritik sogar dezidierter und sein eigener Standpunkt noch emanzipierter: Eben so treiben Moralisten z. E. Hutcheson die Handlungen aus Uneigenntzigkeit zu weit: da er blos von Liebe und Wohlwollen gegen andre redet da doch Thaten unmittelbar auf uns, ohne auf den Nutzen, als Mittel gerichtet zu seyn, sondern aus unmittelbarer Gte: moralisch gut seyn kçnnen: unsere Me n s c h l i c h e W rd e und Grçße soll Triebfeder seyn – nicht der sensitive Stachel der Gewogenheit, der sympathetischen Teilnehmung: dieses machte schçne Moralitt, jenes aber wahre ernsthafte Moral – Schuldigkeit nicht Gnade […] (V-PP/Herder 27:15).
Diese Tendenz der kritischen Auseinandersetzung mit dem Begriff des moralischen Gefhls als Exekutionsprinzip in der Ethik setzt sich in der Grundlegung fort. Im Sinne einer „ernsthaften Moral“ beschreibt er die Achtung hier folgendermaßen: Allein wenn Achtung gleich ein Gefhl ist, so ist es doch kein durch Einfluß e m p f a n g e n e s , sondern durch einen Vernunftbegriff s e l b s t g e w i r k t e s Gefhl und daher von allen Gefhlen der ersteren Art, die sich auf Neigung oder Furcht bringen lassen, specifisch unterschieden (GMS 4:401 Anm.).
Die Achtung beruht also nicht auf ,Einflssen‘, sie ist demnach nicht Ergebnis der Rezeptivitt der Sinnlichkeit und selbst keine Neigung.67 Weil sie ein „durch einen Vernunftbegriff selbstgewirktes Gefhl“ ist, ist sie im Gegenteil Ausdruck fr die Spontaneitt der freien Willkr. Was genau unter einem solchen „durch einen Vernunftbegriff selbstgewirkte[n] Gefhl“ vorzustellen ist, erlutert Kant gleich im Anschluss: Was ich unmittelbar als Gesetz fr mich erkenne, das erkenne ich mit Achtung, welche bloß das Bewußtsein der Un t e r o rd n u n g meines Willens unter einem Gesetze ohne Vermittelung anderer Einflsse auf meinen Sinn bedeutet. Die unmittelbare Bestimmung des Willens durchs Gesetz und das Bewußtsein derselben heißt Ac h t u n g , so daß diese als W i r k u n g des Gesetzes aufs Subject und nicht als Ur s a c h e desselben angesehen wird (GMS 4:401 Anm.).
Der „Vernunftbegriff“, durch den das Gefhl der Achtung „gewirkt“ ist, ist also das moralische Gesetz. Die Achtung ist deshalb als eine „Wirkung des Gesetzes aufs Subject und nicht als Ursache desselben“ zu verstehen. 66 Vgl. zur Datierungsfrage und zu den der Praktischen Philosophie Herder zugrunde liegenden Kompendien Schwaiger: Kategorische und andere Imperative, 36 f. 67 In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Position in der Grundlegung deutlich von Kants Auffassung von der Achtung in den Beobachtungen. Dort bezeichnet Kant sie als eine „erweiterte[…] Neigung“, die mit dem „G e f h l v o n d e r [ … ] W r d e d e r m e n s c h l i c h e n Na t u r “ verbunden ist (Beob 2:217).
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IV. Moralisches Urteil und moralische Triebfeder
Kants Betonung dieses Sachverhalts weist erneut darauf hin, dass er die „Achtung“ hier in direkter Abgrenzung zum Verstndnis des moralischen Gefhls in der Ethik der Moral-Sense-Schule konzipiert. Dementsprechend schreibt er noch im „Dritten Abschnitt“ der Grundlegung, das moralische Gefhl wrde flschlich fr das Richtmaß unserer sittlichen Beurtheilung von einigen ausgegeben […], da es vielmehr als die s u b j e c t i v e Wirkung, die das Gesetz auf den Willen ausbt, angesehen werden muß, wozu Vernunft allein die objectiven Grnde hergiebt (GMS 4:460).
Und auch in der Kritik der praktischen Vernunft betont Kant erneut: Dieses Gefhl (unter dem Namen des moralischen) ist also lediglich durch Vernunft bewirkt. Es dient nicht zur Beurtheilung der Handlungen, oder wohl gar zur Grndung des objectiven Sittengesetzes selbst, sondern blos zur Triebfeder, um dieses in sich zur Maxime zu machen (KpV 5:76).
Dafr, dass es mçglich ist, dass das Gesetz auf den Willen wirkt, liefert nun die „Vernunft allein die objectiven Grnde“ (GMS 4:460). Das heißt: Weil Menschen ber Vernunft verfgen, sind sie fr objektive Grnde im Allgemeinen und fr einen unbedingten objektiven Grund wie das moralische Gesetz im Besonderen empfnglich. Dieser Grund stellt sich ihnen als eine praktische Erkenntnis dar, die sich ihrerseits in einem besonderen moralischen Bewusstsein ußert: dem Bewusstsein der Unvollkommenheit des eigenen Willens angesichts der Vollkommenheit der sittlichen Forderung. Dieses sittliche Bewusstsein, zu dem ein jedes endliches Vernunftwesen Zugang hat und das durch keine anderen „Einflsse“ (GMS 4:401 Anm.) wie z. B. ein anderes Gefhl vermittelt ist, bezeichnet Kant als Achtung. Sie ist daher selbst eine Form des Wissens, das auf ein rein formales Konzept, das moralische Gesetz, zurckgeht. Die Achtung ist aber auch eine bestimmte subjektive Wirkung und ist daher mehr als die theoretische Erkenntnis eines Gegenstandes. An der zitierten Stelle in der Grundlegung gibt Kant nur wenig Auskunft darber, wie die subjektive Wirkung der Achtung genauer vorzustellen ist. „Eigentlich ist die Achtung die Vorstellung von einem Werthe, der meiner Selbstliebe Abbruch thut“ (GMS 4:401 Anm.). Wenn nun auch „[d]er Gegenstand der Achtung […] lediglich das Gesetz“ (GMS 4:401 Anm.) und nicht etwa die eigene Person ist, so macht die Vorstellung dieses Gesetzes etwas mit dem Subjekt, das ber sie verfgt. Sie gibt ihm eben nicht einfach ein rationales Prinzip des Handelns an die Hand, das kategorisch vorschreibt, was getan werden soll. Sie vermittelt diesem Subjekt einen Wert, der seinerseits eine Aussage ber die moralische Unzulng-
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lichkeit egoistischer Prferenzen des vorstellenden Subjektes enthlt und sogar eine praktische Funktion hat, indem er – wenn auch nur in der Vorstellung – der „Selbstliebe Abbruch thut“ (GMS 4:401 Anm.).68 Dies ist einer der zentralen Gedanken, die Kants Beschreibung der Funktion des Gefhls der Achtung in der Kritik der praktischen Vernunft zugrunde liegen wird. Kants Diskussion der Achtung in der Grundlegung ist, wie sich gezeigt hat, noch stark vom Einfluss der Moral-Sense-Schule geprgt. Wie nah seine hier angestellten berlegungen teilweise noch am Gedankengut der Vorlesungen ber Moralphilosophie der 1770er Jahre sind, belegt auch die im „Zweiten Abschnitt“ vorgenommene Unterscheidung zwischen „Bewegungsgrnden“ einerseits und „Triebfedern“ andererseits (vgl. GMS 4:427). Schon in den Vorlesungen ber Moralphilosophie hatte er zwischen Motiven als vernnftigen Beweggrnden und Triebfedern als Prinzipien der Exekution in Handlungen unterschieden. Dadurch war das (scheinbar unlçsbare) Problem entstanden, zeigen zu mssen, wie auch Motive Triebfedern sein kçnnen.69 Die Lçsung lag in den Vorlesungen ber Moralphilosophie in der Annahme eines moralischen Gefhls. Die Unterscheidung von vernnftigen Beweggrnden und Triebfedern nimmt Kant in der Grundlegung nun wieder auf. In seine Beschreibung des Begehrungsvermçgens eines vernnftigen Wesens fgt er dort ein: Der subjective Grund des Begehrens ist die Tr i e b f e d e r, der objective des Wollens der B e w e g u n g s g r u n d ; daher der Unterschied zwischen subjectiven Zwecken, die auf Triebfedern beruhen, und objectiven, die auf Bewegungsgrnde ankommen, welche fr jedes vernnftige Wesen gelten. Praktische Principien sind f o r m a l , wenn sie von allen subjectiven Zwecken abstrahiren; sie sind aber m a t e r i a l , wenn sie diese, mithin gewisse Triebfedern zum Grunde legen (GMS 4:427).
68 Nach Wood enthlt die Pflicht Notwendigkeit insofern, als sie uns ein Gefhl davon vermittelt, dass wir etwas tun mssen. Achtung fr das Gesetz ist „our fundamental experience of objective value“ (Kant’s Ethical Thought, 43, vgl. 45). 69 Eine Interpretation des ,Triebfedernproblems‘ bei Kant gestaltet sich auch deshalb so schwierig, weil Kant die ,Triebfeder‘ vom ,Motiv‘ lange Zeit terminologisch streng abgrenzt und damit einer gngigen Redensart widerspricht, der zufolge das motivierende Element in Handlungen das Motiv ist. So schreibt Kubler in seinem zunchst allgemein begriffsgeschichtlichen berblick zur ,Triebfeder‘: „Die beiden Begriffe ,Motiv‘ und ,Triebfeder‘ fließen oft ineinander. ,Motiv‘ bedeutet ja eigentlich nichts anderes als ,Bewegungsgrund‘“ (Kubler: Der Begriff der Triebfeder in Kants Ethik, 7).
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IV. Moralisches Urteil und moralische Triebfeder
Dem Begriff der Triebfeder als Prinzip moralischen Handelns widmet Kant in der Grundlegung keinen eigenen Raum. Lediglich in der Anmerkung in GMS 4:401 bezieht er sich indirekt auf die alte Diskussion ber die Rolle eines moralischen Gefhls in Handlungen von „moralische[m] Werth“ (GMS 4:401). Die Andeutungen bleiben jedoch skizzenhaft und treten erst in der Kritik der praktischen Vernunft, dafr dort umso dezidierter, in das Blickfeld der Untersuchung. 4. Moralisches Gefhl und moralisches Interesse Kant lsst den Leser der Grundlegung im Unklaren ber die genauere Wirkungsweise der Vorstellung des Gesetzes auf die Psychologie des Subjektes und belsst es bei einem kurzen Hinweis auf eine praktische Folge der Achtung: Ein vernnftiges Wesen, das sich des moralischen Gesetzes bewusst ist und dabei Achtung fr das Gesetz empfindet, bringt ein Interesse an diesem Gesetz und damit an der moralisch wertvollen Handlung hervor, das seinerseits Grundlage fr eine Handlung von moralischem Wert ist. Whrend er in der Fußnote im „Ersten Abschnitt“ einfach abschließend ohne weitere Erluterung bemerkt: „Alles moralische so genannte Interesse besteht lediglich in der Achtung frs Gesetz“ (GMS 4:401 Anm.), exponiert er die praktische Wirkung der Achtung in einem „Interesse“ im „Dritten Abschnitt“ etwas genauer: […] gleichwohl nimmt er wirklich daran [an den moralischen Gesetzen] ein Interesse, wozu wir die Grundlage in uns das moralische Gefhl nennen, welches flschlich fr das Richtmaß unserer sittlichen Beurtheilung von einigen ausgegeben […], da es vielmehr als die s u b j e c t i v e Wirkung, die das Gesetz auf den Willen ausbt, angesehen werden muß, wozu Vernunft allein die objectiven Grnde hergiebt (GMS 4:460).
Wie bereits gezeigt, betrachtet Kant Interessen als Vernunftprodukte, denen ihrerseits eine unverzichtbare Funktion im rationalen Handeln zukommt.70 Im Gegensatz zu „vernunftlose[n] Geschçpfe[n]“, die „nur sinnliche Antriebe“ fhlen (GMS 4:459 Anm.), sind vernnftige Wesen in der Lage, ihre Bedrfnisstruktur angesichts alternativer Mçglichkeiten zu reflektieren und die Richtung ihres Begehrens selbst zu bestimmen. Sie lassen sich nicht (passiv) durch Begierden treiben, sondern sie interessieren sich, indem sie ihr Wollen (aktiv) durch berlegung und Reflexion auf ein bestimmtes, ausgewhltes Objekt beziehen. Auf diese Weise befçrdern 70 Vgl. Kap. 2, § 2, 3.
§ 2 Das Triebfedernproblem in der weiteren Entwicklung
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Interessen die Maximenwahl; sie sind das, „wodurch Vernunft praktisch, d. i. eine den Willen bestimmende Ursache, wird“ (GMS 4:459 Anm.). Kant unterscheidet das sinnliche vom intellektuellen Interesse. Das sinnliche („pathologische“, GMS 4:413 Anm.) Interesse zielt auf den Gegenstand der Handlung. In Form eines sinnlichen, neigungsbasierten Motivs ist es das, was die Handlung direkt bewirkt (,aus Interesse handeln‘, vgl. GMS 4:413 Anm.). Das Interesse, das fr moralisches Handeln konstitutiv ist, betrifft hingegen die Handlung selbst und nicht einen ber diese Handlung hinausgehenden Zweck. Dabei ist es das Urteil ber die absolute Gesetzestauglichkeit und Vernnftigkeit der Handlung, die dazu fhrt, dass die Handlung ihrerseits interessiert (vgl. z. B. GMS 4:414 Anm.; GMS 4:461) bzw. dass ,ein Interesse an der Handlung genommen‘ wird (vgl. GMS 4:413 Anm.). Kant bezeichnet dieses Interesse aufgrund seiner ausschließlich rationalen Basis als ein „reines Vernunftinteresse“ (z. B. GMS 4:460 Anm.), das des Weiteren als ein ,praktisches Interesse‘ (vgl. GMS 4:413 Anm.) verstanden werden muss, weil es eine Realisierung desjenigen Vermçgens ist, das ein rationales Wesen wie den Menschen von anderen Wesen unterscheidet: des Vermçgens der Freiheit.71 Nur wer in der Lage ist, sich in der Wahl seiner Handlungsalternativen von kontingenten Handlungszielen zu distanzieren, kann auch ein intellektuelles Interesse an einer Handlung hervorbringen, die ihn als freiheitliches und selbst bestimmtes Wesen angeht. Das intellektuelle, praktische Interesse ist ein Interesse an der Handlung, die ihrerseits als intrinsisch gut (im Sinne von: pflichtmßig aus Pflicht) verstanden wird.72 Es ist deshalb ein genuin moralisches Interesse. Das ihm korrespondierende Handlungsmotiv (die ,Triebfeder‘) ist nicht sinnlich, sondern ebenfalls intellektuell; es besteht in der Vorstellung des moralischen Gesetzes. Moralisches Interesse haben, heißt, allein an der Befolgung dieses obersten sittlichen Maßstabs interessiert zu sein. Moralischer Wert kommt schließlich einem Handlungs-
71 In der Kritik der reinen Vernunft verbindet Kant das ,Praktische‘ mit dem Begriff der Freiheit. So heißt es dort z. B.: „Praktisch ist alles, was durch Freiheit mçglich ist“ (KrV A 800/B 828; vgl. KrV A 314 f./B 371, Pd 9:455, V-PP/Pow 27:111). Der Zusammenhang zwischen praktischem Interesse und Freiheit kommt in Kants Bemerkung zum Ausdruck, es sei ebenso schwierig (wenn nicht sogar unmçglich), den Ursprung des praktischen Interesses ausfindig zu machen wie „zu ergrnden [….], wie Freiheit selbst als Causalitt eines Willens mçglich sei“ (GMS 4:461). 72 Zum moralischen Gehalt einer Handlung und in diesem Zusammenhang zur Unterscheidung von Handlungen, die entweder pflichtmßig aus Neigung oder pflichtmßig aus Pflicht sind, vgl. Kap. 3, § 2, 1.
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IV. Moralisches Urteil und moralische Triebfeder
grundsatz zu, der allein das moralische Interesse am intrinsischen Wert der Handlung zur Grundlage hat (vgl. KpV 5:79). An der zitierten Stelle in der Grundlegung verbindet Kant den Begriff des Interesses mit dem des (moralischen) Gefhls (vgl. GMS 4:460). Das – in diesem Falle moralische – Gefhl liegt, so schreibt Kant, dem – moralischen – Interesse zugrunde; es ist die Voraussetzung dafr, dass wir uns in moralischer Hinsicht interessieren, dass wir eine Haltung zu den Zwecken einnehmen, die sich uns als rationalen Wesen prsentieren und dass uns die objektiven moralischen Forderungen schließlich auch subjektiv etwas angehen. Damit macht uns das moralische Gefhl empfnglich fr die moralische Norm, indem es uns zustzlich zu unserer rationalen Geneigtheit auch subjektiv zu moralisch interessierten Wesen macht. Kant liefert nun in der Grundlegung weder eine detaillierte Analyse zur Beziehung zwischen dem moralischen Gefhl der Achtung und dem einer Handlung zugrunde liegenden Interesse73, noch ußert er sich dazu, warum die Achtung – allen mçglichen Einwnden und dem besonderen ihr zukommenden Status zum Trotz – als ein Gefhl verstanden werden muss. Eine Begrndung dafr, dass es gerade ein Gefhl sein muss, das die Ausbung einer moralischen guten Handlung begleitet, lsst sich aus den handlungstheoretischen Voraussetzungen von Kants Moralphilosophie rekonstruieren. So spielt, wie bereits gezeigt wurde, die Sinnlichkeit eine konstitutive Rolle im Handeln eines bedrftigen Wesens. Kant schreibt in diesem Sinne in der Kritik der Urteilskraft: „Etwas aber wollen und an dem Dasein desselben ein Wohlgefallen haben, d. i. daran ein Interesse zu nehmen, ist identisch“ (KU 5:209). Damit das Wollen in einer Handlung schließlich realisiert wird, muss es seinen Weg ber das Gefhl der Lust und Unlust und das Interesse nehmen: „Alle Bestimmung der Willkr aber geht von der Vorstellung der mçglichen Handlung durch das Gefhl der Lust oder Unlust, an ihr oder ihrer Wirkung ein Interesse zu nehmen, zur That […]“ (MST 6:399). Um von der „Vorstellung […] zur That“ zu gelangen, bedarf es also eines Gefhls der Lust oder Unlust – auch in moralischen Handlungen. Das moralische Gefhl der Achtung fungiert damit als Brcke zwischen der Vorstellung des Gesetzes und der diesem Gesetz angemessenen „That“, 73 Um zu verstehen, wie die Vorstellung des Moralgesetzes zum moralischen Interesse fhrt und dadurch selbst zur Triebfeder des Handelns wird, ist ein Vorgriff auf Kants Entwicklung des Begriffs des Interesses in der Metaphysik der Sitten sinnvoll. Vgl. dazu die Argumentation unten, wo es um die Beleuchtung der exekutiven Funktion der Achtung im moralischen Handeln geht: Kap. 5, § 2, 3 und 4.
§ 2 Das Triebfedernproblem in der weiteren Entwicklung
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indem es in seiner sinnlichen Wirkung Einfluss auf den Willen eines endlichen Vernunftwesens hat. Da es aber die Vorstellung des Gesetzes ist, die dieses Gefhl erst bewirkt, beruht die Handlung nicht auf einer gleichsam sinnlichen Lust, sondern auf einem sinnenfreien, vernnftigen Interesse an der Handlung selbst.74 Kant vertritt einen handlungstheoretischen Hedonismus, der davon ausgeht, dass jedes Handeln und jede Motivation von Lustgefhlen begleitet sind, ohne dass diese das Wollen und Handeln deshalb auch schon determinieren. 75 Was motiviert, ist im Falle moralisch wertvoller Handlungen nicht ein Gefhl der Lust, sondern allein die Vorstellung des moralischen Gesetzes; dennoch geht die Handlung mit einem Lustgefhl einher.76 Worber die Fußnote in GMS 4:401 nun jedoch – trotz der gedrngten Darstellung und der offenen Fragen in Bezug auf den Begriff des Interesses und des Gefhls – Auskunft gibt, ist die Frage, warum der Wille eines Subjektes im Bewusstsein des Sittengesetzes schon dazu disponiert ist, der Forderung des Gesetzes entsprechend zu handeln, bevor berhaupt eine Triebfeder aktiv geworden ist. Die Antwort liegt in der konstitutiven Rolle des Prinzips der Selbstgesetzgebung fr moralisches Handeln: Weil das Gesetz ein von vernnftigen Subjekten selbst auferlegtes Gesetz ist, bezeichnet es „eine Folge unsers Willens“ (GMS 4:401 Anm.). Ein Subjekt, das ber einen solchen Willen verfgt, will – als Subjekt eines rationalen, selbst gesetzgebenden Willens – das tun, was ihm durch das moralische Gesetz als sensiblem Wesen kategorisch vorgeschrieben wird. Das, was getan werden soll, stellt sich einem solchen Willen dar als das, was es vernnftigerweise tun will. 77 Das Bewusstsein, dass dieser Wille qua rationale, selbst gesetzgebende Instanz des Begehrens durch das (selbst gegebene) Gesetz unmittelbar bestimmt und diesem Gesetz in der Funktion der Willkr eines endlichen Vernunftwesens gleichzeitig unterworfen ist, ist wiederum die Achtung. Da nun ein Wille, der sich selbst das Gesetz seines Handelns gibt, die Vor74 In der Metaphysik der Sitten spricht Kant davon, dass dem „Vernunftinteresse“ eine „intellectuelle Lust“ korrespondiert (MS 6:212); vgl. dazu Kap. 5, § 2, 3. 75 Vgl. dazu Kap. 2, § 2, 3. 76 Kants Theorie des Begehrens ist hedonistisch, nicht aber seiner Theorie der Lust und ebenfalls nicht seine Theorie moralischer Motivation. Vgl. zu diesem in der Kant-Forschung strittigen Punkt Kap. 2, § 2, 3. 77 „Das moralische Sollen ist also eigenes nothwendiges Wollen als Gliedes einer intelligiblen Welt und wird nur so fern von ihm als Sollen gedacht, als er sich zugleich wie ein Glied der Sinnenwelt betrachtet“ (GMS 4:455); vgl. dazu Kap. 2, § 1, 4.
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IV. Moralisches Urteil und moralische Triebfeder
aussetzung fr ein Handeln von moralischem Wert ist78 und die Achtung ber das Bewusstsein dieser Autonomie des Willens motivierend wirkt, vervollstndigt Kant mit dem Konzept der Achtung seine Antwort auf die Frage, wie das moralische Gesetz objektiv und allgemeingltig und zugleich subjektiv bestimmender Handlungsgrund sein kann.
78 Vgl. dazu Kap. 3, § 2, 4.
V. Praktische Grnde und Triebfedern: Die Entwicklung der Triebfedernfrage in Kants Moralphilosophie seit der Kritik der praktischen Vernunft § 1 Die Achtung als „einzige moralische Triebfeder“ in der Kritik der praktischen Vernunft 1. Die Idee einer „Kritik der praktischen Vernunft“ und die These vom „Factum der Vernunft“ Kants Anliegen in der Kritik der praktischen Vernunft ist es, zu zeigen, dass es eine Willensbestimmung geben kann, die durch ein rein formales Prinzip des Wollens begrndet ist. Kant findet fr diese These die Formulierung von der Mçglichkeit einer reinen praktischen Vernunft, die ihrerseits durch eine Kritik des praktischen Vernunftvermçgens verteidigt werden soll.1 Die „erste Frage“ einer „Kritik der praktischen Vernunft“ ist daher, „ob reine Vernunft zur Bestimmung des Willens fr sich allein zulange, oder ob sie nur als empirisch-bedingte ein Bestimmungsgrund derselben sein kçnne“ (KpV 5:15). ,Kritisiert‘ wird dabei allein das Vermçgen einer empirisch-praktischen Vernunft, weil sie vorgibt, moralische Prinzipien seien ausschließlich empirisch bedingt und sinnliche Interessen die alleinige Motivationsquelle von Handlungen: Die Kritik der praktischen Vernunft hat also die Obliegenheit, die empirisch bedingte Vernunft von der Anmaßung abzuhalten, ausschließungsweise den Bestimmungsgrund des Willens allein abgeben zu wollen (KpV 5:16).
1
Vgl. zu Aufgabe und Ziel der Kritik der praktischen Vernunft die „Vorrede“ und die „Einleitung“ (KpV 5:3 – 16) sowie auch Kants Bemerkungen im Abschnitt „Von der Deduction der Grundstze der reinen praktischen Vernunft“ (KpV 5:45). Zum berblick ber Aufbau und Methode der zweiten Kritik siehe z. B. die Einleitung von Engstrom zur Cambridge-Edition der Kritik der praktischen Vernunft in der bersetzung von Pluhar ( „Introduction“) sowie die Darstellung bei Beck: A Commentary on Kant’s Critique of Practical Reason, 42 – 61.
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V. Praktische Grnde und Triebfedern
Die Aufgabe der zweiten Kritik besteht damit negativ darin, die „Anmaßung“ der empirisch-praktischen Vernunft zurckzuweisen2 ; ihr positives Anliegen hingegen ist es, zu zeigen, dass auch die reine praktische Vernunft Regeln des Verhaltens vorgeben kann, die im praktischen Leben tatschlich wirksam werden kçnnen. Menschen handeln nach Vorstellungen, die sie in ihren berlegungen leiten und sie dazu bringen, bestimmte Grundstze des Handelns anzunehmen. Wenn die Vernunft selbst – und nur sie allein – die Quelle dieser Vorstellungen ist, die in die Handlungen als Grnde eingehen, dann ist reine Vernunft („fr sich selbst“, KpV 5:24) praktisch. Die Frage nach der Mçglichkeit einer reinen praktischen Vernunft ist daher fr Kant identisch mit derjenigen nach der Mçglichkeit praktischer Prinzipien, die universal, von unbedingter Geltung und als solche universalen und unbedingt geltenden Prinzipien handlungsleitend sind.3 In dieser Hinsicht schreibt er gleich zu Beginn der „Analytik“: „Wenn man annimmt, daß reine Vernunft einen praktisch, d. i. zur Willensbestimmung hinreichenden Grund in sich enthalten kçnne, so giebt es praktische Gesetze […]“ (KpV 5:19 Anm.). Weil diese „praktische[n] Gesetze“ gleichzeitig zum Kriterium der (moralischen) Beurteilung von Handlungen dienen, liefern sie gleichzeitig einen Rationalittsstandard fr menschliches Handeln, der ber den Maßstab der Zweckrationalitt hinausgeht.4 Nun hatte Kant bereits in der Grundlegung gezeigt, dass allein ein praktisches Gesetz die Regel fr ein Handeln von moralischem Wert vorschreiben kann. Außerdem hatte er dafr argumentiert, dass ein solches Gesetz und moralisch wertvolles Handeln nur dann mçglich ist, wenn es sich dabei um ein Gesetz handelt, das sich ein vernnftiges Wesen selbst gibt. Da also, so lsst sich Kants Argumentation bezglich der Analyse des moralisches Wertes zusammenfassen, Moralitt die Bestimmung des Willens durch ein formales Prinzip bedeutet und diese Willensbestimmung nur als eine Autonomie des Willens mçglich ist, ist diese Autonomie das Prinzip der Moralitt.5 Der originelle und radikale Charakter von Kants Neubegrndung der Moral besteht damit nicht allein in der Auffassung, der Ursprung moralischer Verbindlichkeit liege weder im Willen eines unendlichen, gçttlichen Wesens noch in der natrlichen Ordnung der 2 3 4 5
Dieses Anliegen spiegelt sich im Titel der Schrift wider: „Kritik der praktischen Vernunft“. Vgl. dazu Beck: A Commentary on Kant’s Critique of Practical Reason, 41, sowie Engstrom: „Introduction“, xxxiv. Vgl. hierzu Willaschek: Praktische Vernunft, 176 f. Vgl. dazu Kap. 3, § 2, 4.
§ 1 Die Achtung als „einzige moralische Triebfeder“
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Dinge oder aber in einem moralischen Gefhl, sondern allein in der reinen Vernunft. Revolutionr ist Kants Neuansatz in der Moralbegrndung vor allem deshalb, weil er zeigt, dass die unbedingten, universal gltigen moralischen Regeln als Gesetze desjenigen vernnftigen Willens zu verstehen sind, der diesen Regeln als endlicher und fehlbarer menschlicher Wille unterworfen ist. Kant hatte in der Grundlegung dargelegt, dass und warum es ein unbedingtes, kategorisches Prinzip der Moral gibt, das fr alle vernnftigen Wesen Gltigkeit hat.6 Mit seiner These, dass die Vernunft „fr sich selbst den Willen“ bestimmen kann (KpV 5:24), knpft Kant in der Kritik der praktischen Vernunft an die Analysen der Grundlegung an. Die Vernunft, die „nicht im Dienste der Neigungen“ steht (KpV 5:25), „bestimmt in einem praktischen Gesetze unmittelbar den Willen, nicht vermittelst eines dazwischen kommenden Gefhls der Lust und Unlust, selbst nicht an diesem Gesetze“ (KpV 5:25). Damit ist Kants Vorgehen in der Kritik der praktischen Vernunft durchaus als Fortfhrung des Projektes der Grundlegung zu verstehen. Denn wenn reine Vernunft praktisch ist, dann gibt es auch Handlungsregeln, die empirisch unabhngig und von allgemeiner Gltigkeit fr alle vernnftigen Wesen sind.7 Kant geht es also auch in der zweiten Kritik darum, zu zeigen, dass Sittlichkeit kein „Hirngespinst“ ist8 und es ein von empirischen Bedingungen unabhngiges Kriterium rationalen Handelns gibt. Wie bereits in der Grundlegung hat dieser objektive 6
7
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Diese unter der berschrift „Wie ist ein kategorischer Imperativ mçglich?“ gefhrte Untersuchung ist Gegenstand des dritten Abschnitts der Grundlegung. Wie Schçnecker ausfhrt, lassen sich drei Aspekte dieser Frage unterscheiden: „Warum gilt der kategorische Imperativ? Was ist die Voraussetzung dieser Gltigkeit? Wie kann reine Vernunft ein Interesse am moralischen Gesetz bewirken?“ (Kant: Grundlegung III, 408) Gleichwohl schlgt Kant bezglich der Rechtfertigung des Sittengesetzes in der Kritik der praktischen Vernunft einen anderen Weg als in der Grundlegung ein, da er hier, anders als in der Grundlegung, versucht, die Gltigkeit des Sittengesetzes unabhngig von der Freiheit nachzuweisen. Die Freiheit wird hier zwar als ,Seinsgrund‘, nicht aber als ,Erkenntnisgrund‘ des moralischen Gesetzes verstanden. Im Gegensatz dazu ist es das moralische Gesetz, von dem das Bewusstsein der Freiheit ausgeht (vgl. KpV 5:4). Vgl. zur unterschiedlichen Methodik in der Grundlegung und der Kritik der praktischen Vernunft z. B. die Ausfhrungen bei Gunkel: Spontaneitt und moralische Autonomie, 197 – 212. In der Grundlegung hatte es geheißen: „Daß nun Sittlichkeit kein Hirngespinst sei, welches alsdann folgt, wenn der kategorische Imperativ und mit ihm die Autonomie des Willens wahr und als ein Prinzip a priori schlechterdings nothwendig ist, erfordert einen mçglichen synthetischen Gebrauch der reinen praktischen Vernunft […]“ (GMS 4:445).
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V. Praktische Grnde und Triebfedern
Maßstab fr die Moralitt von Handlungen die Form eines praktischen Gesetzes, das Kant hier als „Grundgesetz der reinen praktischen Vernunf t“ einfhrt (KpV 5:30) und folgendermaßen beschreibt: Es [das Gesetz] ist aber auch nicht eine Vorschrift, nach welcher eine Handlung geschehen soll, dadurch eine begehrte Wirkung mçglich ist (denn da wre die Regel immer physisch bedingt), sondern eine Regel, die blos den Willen in Ansehung der Form seiner Maximen a priori bestimmt, und da ist ein Gesetz, welches blos zum Behuf der s u b j e c t i v e n Form der Grundstze dient, als Bestimmungsgrund durch die o b j e c t i v e Form eines Gesetzes berhaupt, wenigstens zu denken nicht unmçglich (KpV 5:31).
Das „Bewußtsein dieses Grundgesetzes“ bezeichnet Kant anschließend als „ein Factum der Vernunft“ (KpV 5:31). Fr diese Bezeichnung fhrt Kant folgende Begrndung an: 1) Das Gesetz lsst sich nicht aus anderen Vernunftbegriffen (wie dem der Freiheit) deduzieren. Es ist deshalb ein „Factum“(vgl. KpV 5:31). 2) Dieses „Factum“ lsst sich auch nicht empirisch herleiten, sondern ist „als gegeben anzusehen“ (KpV 5:31).9 3) Es drngt sich „fr sich selbst uns auf […] als synthetischer Satz a priori“ (KpV 5:31). Das „Factum der Vernunft“ besteht also in dem Bewusstsein einer unbedingten Verpflichtung durch ein Gesetz, das seinerseits eine praktische Funktion im Handeln hat: als eine unbedingte objektive Handlungsregel, die den Willen und das Handeln insofern beeinflusst, als sie die Grundlage fr die subjektiven Grundstze des Handelns ist. Kant schreibt ber diese besondere Handlungsregel: Die praktische Regel ist also unbedingt, mithin als kategorisch praktischer Satz a priori vorgestellt, wodurch der Wille schlechterdings und unmittelbar (durch die praktische Regel selbst, die hier also Gesetz ist) objectiv bestimmt wird (KpV 5:31).
Das faktische Bewusstsein des Sittengesetzes ist daher ein Bewusstsein von der unbedingten und allgemeinen Gltigkeit eines moralischen Gesetzes, das eine Aussage ber den Willen enthlt, fr den das Gesetz eine „praktische Regel“ ist: Es ist ein Wille, der sich „vom bloßen Begehrungsver9
Es wird sich im Folgenden noch zeigen, dass „gegeben“ hier nicht in dem Sinne zu verstehen ist, in dem Kant den Begriff in der Kritik der reinen Vernunft verwendet. Dort ist ,gegeben‘ immer ,gegeben in sinnlicher Anschauung‘, die rein oder auch empirisch sein kann (vgl. KrV A 19/B 33). Kant fhrt diesen Gedanken selbst aus, wenn er in Bezug auf das „Factum der Vernunft“ schreibt, dass es „auf keiner, weder reinen noch empirischen, Anschauung gegrndet ist“ (KpV 5:31).
§ 1 Die Achtung als „einzige moralische Triebfeder“
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mçgen“ darin unterscheidet, dass er allein durch ein Vernunftgesetz bestimmt werden kann.10 In der Mçglichkeit eines solchen „reinen“ Willens, der „durch die bloße Form des Gesetzes als bestimmt gedacht wird“ (KpV 5:31), indem sich diese in seinen subjektiven Handlungsgrundstzen zeigt, liegt wiederum die Voraussetzung, dass es reine praktische Vernunft gibt. Whrend Kant nun in der Grundlegung noch der Ansicht ist, die Freiheit, die die „nothwendige Voraussetzung“ fr die Annahme eines solchen reinen Willens ist, sei „eine bloße Idee“ und unerklrlich (GMS 4:459), so ist es in der Kritik der praktischen Vernunft die These von der Faktizitt des sittlichen Bewusstseins, mit der die Mçglichkeit eines reinen Willens und damit auch der Freiheit praktisch bewiesen werden kann.11 Nun werden sich Menschen des Sittengesetzes nicht vçllig unbegrndet bewusst, sondern es ist ihr eigenes Vernunftvermçgen, das dieses sittliche Bewusstsein in ihnen bewirkt. Daher handelt es sich beim „Factum der Vernunft“ gerade nicht um eine ,Tatsache‘ im Sinne eines ,factum brutum‘12, sondern um eine ,Tat der Vernunft‘ im Sinne einer Vernunfthandlung, deren Ergebnis das Bewusstsein des Sittengesetzes ist.13 Damit 10 In der Grundlegung schreibt Kant: „Sie [die Freiheit] gilt nur als nothwendige Voraussetzung in der Vernunft in einem Wesen, das sich eines Willens, d. i. eines vom bloßen Begehrungsvermçgen noch verschiedenen Vermçgens, (nmlich sich zum Handeln als Intelligenz, mithin nach Gesetzen der Vernunft unabhngig von Naturinstincten zu bestimmen) bewußt zu sein glaubt“ (GMS 4:459). 11 Umgekehrt fhrt das Bewusstsein der Freiheit nicht zum Bewusstsein der ethischen Verbindlichkeit: „Man kann das Bewußtsein dieses Grundgesetzes ein ,Factum der Vernunft‘ nennen, weil man es nicht aus vorhergehenden Datis der Vernunft, z. B. dem Bewußtsein der Freiheit (denn dieses ist uns nicht vorher gegeben) herausvernnfteln kann, sondern weil es sich fr sich selbst uns aufdringt als synthetischer Satz a priori […]“ (KpV 5:31). 12 So z. B. Apels Interpretation, der das „Faktum der Vernunft“ als „unbezweifelbaren Tatbestand der sittlichen Selbstbestimmung (durch ein selbstgegebenes Gesetz der Selbstberwindung)“ bezeichnet (Transformation der Philosophie, 418). Aus oben angefhrten Grnden ist diese Lesart nicht berzeugend und geht an Kants Intentionen vorbei. 13 Im Kontext seiner praktischen Philosophie versteht Kant ,facta‘ bzw. ,Taten‘ als freie, unter Gesetzen der Verbindlichkeit stehende, zurechenbare Handlungen (vgl. z. B. MS 6:223, 227). Kleingeld weist mit Blick auf zeitgençssische Nachschlagewerke darauf hin, dass „Factum“ zu Kants Lebzeiten mit „Tat“ bersetzt wurde und es sich bei dem Begriff der Tatsache um einen Neologismus handelt, der erst spter eingefhrt wurde (Kleingeld: „Moral consciousness and the ‘fact of reason’“, 63; fr einen berblick ber den Forschungsstand zur Debatte ber das „Factum der Vernunft“ vgl. 60 – 62; zum Begriff der Tat bei Kant siehe Schadow: „Tat“). Vgl. zur Interpretation des „Factums“ als „Tat der Vernunft“ Willaschek: Praktische Vernunft, 174 – 193, sowie Willaschek: „Die Tat der Vernunft“. Wolff interpretiert
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V. Praktische Grnde und Triebfedern
ist Kants These vom „Factum der Vernunft“ eine Fortfhrung des im „Kanon“ der Kritik der reinen Vernunft entwickelten Gedankens von der Vernunft als dem Vermçgen der Freiheit, das dem Menschen ein Bewusstsein davon vermittelt, dass etwas sein soll und nicht nur ist (vgl. KrV A 547/B 575).14 Dass es ein unbedingtes praktisches Gesetz als Bestandteil eines Regelsystems gibt, das die Vernunft als ein solches spontanes Vermçgen selbst entwirft (vgl. KrVA 548/B 576), ist die Konsequenz, die Kant in seine praktische Philosophie integriert und nach einem ersten Anlauf im „Dritten Abschnitt“ der Grundlegung schließlich in der Kritik der praktischen Vernunft mit der Faktumsthese auch besttigt.15 Kant hat also bereits im „Ersten Hauptstck“ der Kritik der praktischen Vernunft die (endgltige) Antwort auf eine frhe Fragestellung seiner ethischen Schriften formuliert: Mit der These vom „Factum der Vernunft“ zeigt er, dass das moralische Gesetz ein Gesetz der reinen praktischen Vernunft ist, dessen sich jedes vernnftige Wesen insofern bewusst ist, als es von ihm als allgemein gltiges Gesetz des Wollens anerkannt wird.16 Anders und schrfer formuliert heißt das, dass diesem Gesetz allgemeine Gltigkeit berhaupt nur deshalb zukommt, weil es ein Gesetz ist, das die das „Factum“ als eine Vernunfthandlung, die mit der Synthesisleistung des Verstandes in der Konstruktion der Begriffe vergleichbar ist. So ist das Bewusstsein des Gesetzes als Ergebnis einer Synthesishandlung zu verstehen, in der die Vernunft das Begehrungsvermçgen unmittelbar bestimmt (vgl. „Warum das Faktum der Vernunft ein Faktum ist“, 131 f.). 14 Vgl. dazu Kap. 2, § 1, 4. 15 Es soll hier nicht entschieden werden, ob Kant seine Strategie in der Kritik der praktischen Vernunft grundlegend gendert hat und die These vom Faktum der Vernunft das negative Ergebnis des dritten Abschnitts der Grundlegung kompensieren soll. Es scheint zumindest nicht ausgeschlossen, dass Kant auch in der Kritik der praktischen Vernunft noch davon ausgeht, dass die obersten Grundstze der Moralitt einer Rechtfertigung (im Sinne einer ,Beglaubigung‘, vgl. KpV 5:91) zugnglich sein mssen, auch wenn man mit dieser Deduktion „nicht so gut fortzukommen hoffen [darf ], als es mit den Grundstzen des reinen theoretischen Verstandes anging“ (KpV 5:46). So ist das Moralgesetz zwar von absoluter Gltigkeit und unbezweifelbarer Gewissheit. Dies schließt jedoch nicht aus, dass es eine rationale Grundlage hat, die einer Begrndung zugnglich ist. Einen (wenn auch nicht erschçpfenden) berblick ber die diesbezgliche Diskussion in der Kant-Forschung gibt Klein: Gibt es ein Moralgesetz, das fr alle Menschen gltig ist?, 98 – 100. 16 Wolff bemerkt daher treffend, dass Kants Faktumsthese nicht in erster Linie auf die Faktizitt des Pflichtbewusstseins zielt, sondern darauf, dass es ein Gesetz gibt, dessen allgemeine Gltigkeit fr alle vernnftigen Wesen diesen Wesen in einem Bewusstsein zugnglich ist (vgl. „Warum das Faktum der Vernunft ein Faktum ist“, 526, Fn. 29).
§ 1 Die Achtung als „einzige moralische Triebfeder“
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reine praktische Vernunft selbst entwirft.17 Dieses Gesetz liefert ein kategorisches Handlungsprinzip fr alle vernnftigen Wesen unangesehen ihrer individuellen Situationen und Prferenzen. Es wird als allgemein gltiges moralisches Gesetz von diesen Wesen anerkannt, weil dieses Gesetz ein Produkt ihrer eigenen Vernunft ist.18 Kant formuliert das Ergebnis der ,Faktumsthese‘ in einer „Folgerung“: „Reine Vernunft ist fr sich allein praktisch und giebt (dem Menschen) ein allgemeines Gesetz, welches wir das Sittengesetz nennen“ (KpV 5:31). Mit dieser Feststellung ist nun die Mçglichkeit eines praktischen Gesetzes und seiner unbedingten Ansprche gerechtfertigt.19 Denn sie impliziert, dass es handelnde Subjekte mit einem freien Willen gibt, die sich zu Handlungen nach diesem praktischen Gesetz prinzipiell bestimmen kçnnen. Diese Subjekte werden sich der Mçglichkeit ihrer rationalen Selbstbestimmung im Wissen um die Gltigkeit eines praktischen Gesetzes bewusst.20 Dass dieses Gesetz allein tatschlich ein Bewegungsgrund des 17 Zu dieser Konsequenz kommt auch Kleingeld, die das „Factum“ als eine Tatsache versteht, die ihrerseits das Ergebnis der Aktivitt der Vernunft ist (vgl. „Moral consciousness and the ‘fact of reason’“, 65 f.). 18 Kant nennt das praktische Gesetz daher ein „Gr u n d g e s e t z d e r r e i n e n p r a k t i s c h e n Ve r n u n f t “ (KpV 5:30). Um diesen Fokus des „Factums“ auf die Vernunftttigkeit hervorzuheben, pldiert Kleingeld dafr, die Rede vom ,Bewusstsein des Sittengesetzes‘ durch die vom ,Bewusstsein des Grundgesetzes der reinen praktischen Vernunft‘ zu ersetzen (vgl. „Moral consciousness and the ‘fact of reason’“, 66). 19 Die Faktumsthese dient nicht als theoretischer Beweis dafr, dass es reine praktische Vernunft und ein unbedingtes praktisches Gesetz gibt. Wie Wolff anfhrt, ist ein solcher Beweis fr ein praktisches Postulat wie das ,Faktum der Vernunft‘ gar nicht mçglich und – auch nicht nçtig. So hatte Kant zum einen in der Kritik der reinen Vernunft dargestellt, dass Postulate nicht Gegenstand von Beweisen, wohl aber von Deduktionen sein kçnnen (und mssen) (vgl. KrV A 232 f./B 285 f.; Wolff: „Warum das Faktum der Vernunft ein Faktum ist“, 541), zum anderen ist das moralische Gesetz von apodiktischer Gewissheit, weshalb seine Gltigkeit nicht erst erwiesen werden muss (vgl. 548). Was Kant liefert, ist daher eine Deduktion im Sinne einer „Rechtfertigung [der] objectiven und allgemeinen Gltigkeit“ des obersten Grundsatzes der reinen praktischen Vernunft, so wie er es selbst auch im Abschnitt „Von der Deduction der Grundstze der reinen praktischen Vernunft“ beschreibt (KpV 5:46). Zur „Rechtfertigungsaufgabe des Deduktionsabschnitts der zweiten Critik“ siehe Wolff: „Warum das Faktum der Vernunft ein Faktum ist“, 540 – 548, hier 543. 20 Kant bezeichnet das moralische Gesetz in der „Vorrede“ daher auch als „ratio cognoscendi der Freiheit“: „Denn wre nicht das moralische Gesetz in unserer Vernunft eher deutlich gedacht, so wrden wir uns niemals berechtigt halten, so etwas, als Freiheit ist […] a n z u n e h m e n “ (KpV 5:4 Anm.).
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V. Praktische Grnde und Triebfedern
Handelns sein kann, belegt nun nicht mehr nur ein ,dunkel‘ gefhltes Bewusstsein (vgl. GMS 4:401 Anm.), sondern eine durch die Vernunft gegebene Einsicht, die ihrerseits „unleugbar“ ist (KpV 5:32).21 Weil diese Einsicht im Bewusstsein eines Gesetzes besteht, das „zum Behuf der subjectiven Form der Grundstze dient“ (KpV 5:31), ist sie nicht allein eine theoretische Erkenntnis des Guten, sondern ist als praktische Einsicht in die Mçglichkeit der Bestimmung des eigenen Willens durch ein Vernunftgesetz Ursache fr eine praktische Einstellung, in der das Gesetz das Motiv (im Sinne von ,Triebfeder‘) des Handelns ist. Eine ,echte‘ sittliche Einsicht liegt mit dem „Factum der Vernunft“ nicht zuletzt deshalb vor, weil sie nicht nur die Vorstellung von einem unbedingt geltenden praktischen Prinzip vermittelt, sondern den Kern der Moralitt offen legt, indem sie zeigt, dass dieses Gesetz ein den Willen aller vernnftigen Wesen bestimmendes Prinzip ist. Nun ist dieser Gedanke in Kants Ethik nicht vçllig neu. Bereits in der Grundlegung hatte Kant das Bewusstsein der Bestimmung des eigenen Willens durch ein unbedingt geltendes Gesetz mit einer praktischen Einstellung in Verbindung gebracht, die er dort als „Achtung frs Gesetz“ bezeichnet hatte (GMS 4:400 f.). Auch die praktische Funktion der Achtung hatte er dort – zumindest ansatzweise – erçrtert, indem er sie als ein Gefhl beschrieben hatte, das „Wirkung“ auf das handelnde Subjekt hat und mit einem Interesse am moralisch Guten verbunden ist.22 Wie diese „Wirkung“ des Gesetzes in Form der Achtung auf das Subjekt genauer aussieht und warum darin ihre besondere praktische Funktion im Handeln besteht, kann mit Blick auf die Grundlegung jedoch nur erahnt werden: Es muss das Bewusstsein der „Unterordnung“ (GMS 4:401 Anm.) des eigenen Willens unter ein Gesetz und gleichzeitig das Wissen um dieses Gesetz als das selbst gegebene Gesetz einer freien Willkr sein, das jene motivierende Wirkung hat, die von der Achtung erwartet wird.23
21 O’Neill betont, dass Kant von der ,Unleugbarkeit‘, nicht aber von der ,Selbstevidenz‘ des Faktums der Vernunft spricht (vgl. O’Neill: „Autonomy and the Fact of Reason“, 89). Dass das Bewusstsein der uneingeschrnkten Gltigkeit eines praktischen Vernunftgesetzes ein unleugbares Faktum ist, heißt, dass rationale Handelnde gar nicht anders kçnnen, als dieses Gesetz, das ein Produkt ihrer eigenen Rationalitt ist, als gegeben anzusehen. Es ,drngt sich ihnen auf‘ „als synthetischer Satz a priori“ (KpV 5:31). 22 Vgl. dazu Kap. 4, § 2, 2 und 3. 23 Vgl. dazu Kap. 4, § 2, 3.
§ 1 Die Achtung als „einzige moralische Triebfeder“
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2. Der Ansatz im Triebfedern-Kapitel Im Gegensatz zur Kritik der reinen Vernunft hat Kant in der Kritik der praktischen Vernunft keines der Kapitel explizit mit dem Titel „sthetik“ versehen. Kants eigener Auskunft in der „Kritischen Beleuchtung der Analytik“ zufolge ist das „Dritte Hauptstck“ der „Analytik“ jedoch in Analogie zur „Transzendentalen sthetik“ der ersten Kritik als eine „sthetik der reinen praktischen Vernunft“ zu verstehen (KpV 5:90).24 Whrend die „sthetik“ in der ersten Kritik aufgrund der beiden Formen der sinnlichen Anschauung, Raum und Zeit, in zwei Teile untergliedert war, hat die „sthetik der reinen praktischen Vernunft“ nur einen einzigen Teil, weil es nur eine Form der Sinnlichkeit gibt, die sie thematisiert: das Gefhl. Kant hatte in den ersten beiden Hauptstcken der „Analytik“ zunchst von den Grundstzen und Begriffen einer reinen praktischen Vernunft gehandelt. Im dritten Teil der „Analytik“ geht es nun um die Untersuchung der Wirkung dieser Grundstze und Begriffe und damit der Vernunft selbst auf die Sinnlichkeit des Menschen. Diese (moralische) Sinnlichkeit ist das „moralische Gefhl“: […] alsdann konnte erst das letzte Hauptstck, nmlich das von dem Verhltnisse der reinen praktischen Vernunft zur Sinnlichkeit und ihrem nothwendigen, a p r i o r i zu erkennenden Einflusse auf dieselbe, d. i. vom m o r a l i s c h e n G e f h l e , den Theil beschließen (KpV 5:90).
Damit steht das Triebfedern-Kapitel nicht nur systematisch, sondern sogar inhaltlich im Zentrum der Kritik der praktischen Vernunft, weil es sich direkt der Frage stellt, die Kant in der „Vorrede“ und „Einleitung“ als Aufgabe fr diese Schrift formuliert hatte: Es soll gezeigt werden, daß „reine Vernunft […] fr sich allein praktisch“ ist (KpV 5:31). Kant nhert sich dieser Aufgabe nun in der Kritik der praktischen Vernunft in zwei Schritten: 1. indem er zeigt, dass reine Vernunft berhaupt praktisch sein kann – unter der Voraussetzung, dass es Wesen gibt, die „berhaupt einen Willen, d. i. ein Vermçgen haben, ihre Causalitt durch die Vorstellung von Regeln zu bestimmen […]“ (KpV 5:32). Dies ist die Aufgabe des
24 Kant ruft dem Leser im Zuge dieser „Analogie“ die Struktur der ersten Kritik in Erinnerung; seine eigene Erinnerung trgt ihn jedoch. Denn die erinnerte Struktur der ersten Kritik stimmt mit deren tatschlicher Struktur nicht berein. Vgl. dazu Beck: A Commentary of Kant’s Critique of Practical Reason, 55 f.
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V. Praktische Grnde und Triebfedern
„Ersten Hauptstcks“ und in besonderer Weise Gegenstand der These vom „Factum der Vernunft“; 2. indem er darstellt, „auf welche Art“ reine Vernunft in Bezug auf das Begehrungsvermçgen eines endlichen Vernunftwesens praktisch sein kann (KpV 5:72; H. v. m.). Dieser Problematik wendet sich Kant im Triebfedern-Kapitel mit der ,Lehre‘ von der Achtung als einer besonderen Art von Gefhl zu. Es ist daher ganz richtig, das „Factum der Vernunft“ und die „Achtung“ als die zentralen Begriffe in Kants zweiter Kritik zu verstehen.25 Das Triebfedern-Kapitel enthlt dabei die Gegenposition zu einer Auffassung ber die Natur menschlichen Handelns, die besagt, dass alles rationale Handeln letztlich empirisch bedingt ist. Kants Gegenthese lautet: Es gibt vernnftiges Handeln, das nicht auf empirischen Bedingungen beruht, und dies deshalb, weil es ein Prinzip des Handelns gibt, das allein vernunftbasiert und ,fr sich selbst‘ handlungsleitend ist. Weil dies nur dadurch mçglich ist, dass das moralische Gesetz selbst zum treibenden Prinzip des Handelns (zur ,Triebfeder‘) wird, geht es hier um die „Triebfedern der reinen praktischen Vernunf t“ (KpV 5:71).26 Kant war es in der Grundlegung darum gegangen, zunchst zu zeigen, dass moralisches Handeln auf inneren Beweggrnden und das heißt: auf einer moralischen Gesinnung beruht. Eine Handlung „aus Pflicht“ hatte sich demnach als ein Handeln „aus Achtung fr das Gesetz“ erwiesen, und es hatte sich gezeigt, dass dieses die subjektive Willensbestimmung bezeichnende moralische Gefhl allein im Bewusstsein des Sittengesetzes besteht. Darber, wie genau es vorzustellen ist, dass die Achtung und mit ihr die Vorstellung des Sittengesetzes als subjektive Ursache des Handelns in einem endlichen Vernunftwesen fungiert, hatte Kant den Leser der Grundlegung noch im Unklaren gelassen. Zwar hatte er gezeigt, dass der Wille eines bedrftigen Subjektes „nicht an sich vçllig der Vernunft gemß“ ist, und dass daher „die Handlungen, die objectiv als nothwendig erkannt werden, subjectiv zufllig“ sind (GMS 4:413). Wie aber genau das Gefhl der Achtung diese offenkundige ,Lcke‘ zwischen der objektiven
25 Vgl. Henrich: „Der Begriff der sittlichen Einsicht“, 249. 26 Dass Kant in der berschrift seines „Dritten Hauptstckes“ der Kritik der praktischen Vernunft von den „Tr i e b f e d e r n d e r r e i n e n p r a k t i s c h e n Ve r n u n f t “ (KpV 5:71, kursive H. v. m.) spricht, ist befremdlich, da er doch gerade zeigt, dass es nur eine einzige moralische Triebfeder gibt: das Bewusstsein des Moralgesetzes bzw. die Achtung. Vgl. Kap. 5, § 2, 1.
§ 1 Die Achtung als „einzige moralische Triebfeder“
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Erkenntnis und der subjektiven Willensbestimmung schließt, war noch offen geblieben. An diese Lehrstelle knpft Kant im Triebfedern-Kapitel der Kritik der praktischen Vernunft an. Dabei schließt er an die These vom „Factum der Vernunft“ in seinen weiteren Ausfhrungen unmittelbar an. Whrend er hier gezeigt hatte, dass reine Vernunft praktisch sein kann, soll das „Dritte Hauptstck“ schließlich der Spezifizierung des Gedankens dienen, „auf welche Art“ reine Vernunft beim Menschen praktisch ist (KpV 5:72), d. h. wie das auf rationaler Selbstbestimmung beruhende moralische Handeln bei einem endlichen Vernunftwesen vorzustellen ist. Auf die Frage, warum der Mensch ein Interesse am Guten haben und dementsprechend handeln kann, gibt es hingegen auch hier (wie in der Grundlegung; vgl. GMS 4:459) keine Antwort: Denn wie ein Gesetz fr sich und unmittelbar Bestimmungsgrund des Willens sein kçnne […], das ist ein fr die menschliche Vernunft unauflçsliches Problem und mit dem einerlei: wie ein freier Wille mçglich sei (KpV 5:72).
Fr das Triebfedern-Kapitel formuliert Kant daher folgende Aufgabenstellung: […] so bleibt nichts brig, als blos sorgfltig zu bestimmen, auf welche Art das moralische Gesetz Triebfeder werde, und was, indem sie es ist, mit dem menschlichen Begehrungsvermçgen als Wirkung jenes Bestimmungsgrundes auf dasselbe vorgehe. […] Also werden wir nicht den Grund, woher das moralische Gesetz in sich eine Triebfeder abgebe, sondern was, so fern es eine solche ist, es im Gemthe wirkt (besser zu sagen, wirken muß), a priori anzuzeigen haben (KpV 5:72).
Die Tatsache – dies ist eine Folge vom „Factum der Vernunft“ – , dass sich ein vernunftbegabtes, unvollkommenes Wesen einem praktischen Gesetz unterworfen erkennt und sich damit a priori bewusst ist, im Zweifelsfall gegen seine sinnlichen Ansprche und gemß dem moralischen Gesetz handeln zu kçnnen, impliziert also notwendige Konsequenzen fr die moralische Motivation: Das Gesetz (genauer: das Bewusstsein des Gesetzes) ist in rationalen Wesen Triebfeder moralischen Handelns, so wie das Gefhl der Achtung eine notwendige Wirkung des Gebrauchs der praktischen Vernunft ist. Whrend sich nun die Frage, wie das moralische Gesetz zur Quelle unserer motivierenden Grnde wird, der rationalen Einsicht entzieht, lsst sich doch untersuchen, wie ein solches Gesetz, das deshalb ,praktisch‘ ist, auf den Willen eines zugleich sinnlich und intel-
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lektuell veranlagten Wesens wirkt. 27 Kant will also nicht zeigen, dass wir notwendigerweise Achtung vor dem Gesetz haben; dies setzt er voraus.28 Was das Triebfedern-Kapitel leistet, ist im Gegenteil eine Darstellung der Wirkung der moralischen Norm auf Wesen, die das Gesetz qua Vernunft respektieren und achten. Damit zielt Kants ,Theorie moralischer Motivation‘ darauf ab, moralische Motivation zu verstehen und zu zeigen, was es fr ein vernnftig-sinnliches Subjekt bedeutet, motiviert zu sein. Ihr Fokus richtet sich hingegen nicht auf die Frage, wie Menschen zu (moralischen) Motiven kommen oder wie moralische Motivation in endlichen Vernunftsubjekten entsteht. 29 Wenn wir also wissen, dass das Gesetz das grundlegende moralische Motiv fr rationale Handelnde sein kann und das heißt: dass es reine praktische Vernunft gibt, dann gibt es auch eine bestimmte Phnomenbeschreibung seiner Wirkung als eines solchen Motivs auf ein endliches Vernunftwesen wie den Menschen. Unter der Voraussetzung, dass wir mit der Funktionsweise des Begehrungsvermçgens des Menschen in grundlegender Weise vertraut sind, kçnnen wir eine solche Beschreibung liefern, was heißt: Wir kçnnen nach Kant „a priori anzeigen“, wie das Gesetz auf ein solches Begehrungsvermçgen „wirken muß“ (KpV 5:72, H. v. m.). Die Argumentation im Triebfedern-Kapitel ist eine ,Theorie‘ der moralischen Motivation daher insofern, als sie die Wirkung des sittlichen Bewusstseins auf den Willen und das Handeln eines endlichen Vernunftwesens analysiert. Dabei kann sie verstanden werden als eine „Theorie der moralischen Sensibilitt“30, weil sie die prinzipielle Empfnglichkeit
27 Vgl. zu diesem Punkt Timmons: „Kant and the Possibility of Moral Motivation“, 383. 28 Dies betont auch Zinkin: „Respect for the Law and the Use of Dynamical Terms“, 43. 29 Peters’ Unterscheidung zwischen psychologistischen und philosophischen Theorien moralischer Motivation entsprechend geht es Kant um eine (philosophische) Analyse der Bedeutung, nicht aber um die Erklrung moralischer Motivation. Vgl. The Concept of Motivation, 43. 30 Diese Bezeichnung hat Reath geprgt; vgl. seinen gleichnamigen Aufsatz: „Kant’s Theory of Moral Sensibility“, 285. – Mir scheint es sinnvoll, „moral sensibility“ hier eher mit „moralische Sensibilitt“ als (allein) mit „moralische Sinnlichkeit“ zu bersetzen. Kant geht es ja gerade darum, mit seiner Triebfedernidee zu zeigen, dass unvollkommene Wesen zwar nicht immer notwendigerweise moralisch handeln, fr „Pflichtbegriffe“ aber empfnglich sind. Diese moralische Sensibilitt zeigt sich in einem spezifisch moralischen Gefhl. In der „Einleitung“ zur Metaphysik der Sitten, Tugendlehre bezeichnet Kant das moralische Gefhl in diesem Sinne auch als
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des menschlichen Gemtes fr ein unbedingtes praktisches Gesetz thematisiert. Dass wir ,moralisch sensibel‘ sind, diese Sensibilitt aber ein Ergebnis unserer vernnftigen Veranlagung ist, ist die Idee, die Kant mit seiner ,Theorie‘ der moralischen Triebfeder in der Kritik der praktischen Vernunft verstndlich machen will. 3. Die Argumentation im Triebfedern-Kapitel Kant erçffnet das Triebfedern-Kapitel mit der Wiederholung der Grundthese seiner Moralbegrndung: Es muss „das moralische Gesetz“ sein, das den Willen „unmittelbar“ bestimmt (KpV 5:71), wenn eine Handlung moralisch wertvoll sein soll: Wenn nun unter Tr i e b f e d e r (elater animi) der subjective Bestimmungsgrund des Willens eines Wesens verstanden wird, dessen Vernunft nicht schon vermçge seiner Natur dem objectiven Gesetze nothwendig gemß ist, so wird erstlich daraus folgen: daß man dem gçttlichen Willen gar keine Triebfedern beilegen kçnne, die Triebfeder des menschlichen Willens aber (und des von jedem erschaffenen vernnftigen Wesens) niemals etwas anderes als das moralische Gesetz sein kçnne, mithin der objective Bestimmungsgrund jederzeit und ganz allein zugleich der subjectiv hinreichende Bestimmungsgrund der Handlung sein msse, wenn diese nicht blos den Bu c h s t a b e n des Gesetzes, ohne den G e i s t desselben zu enthalten, erfllen soll (KpV 5:71 f.).
Dass eine Handlung nur dann moralischen Wert hat, wenn sie „nicht blos den Buchstaben des Gesetzes“, sondern auch „den Geist desselben“ enthlt, ist eine Forderung, die Kant bereits in der Unterscheidung von ,bloß pflichtgemßen‘ Handlungen und Handlungen ,aus Pflicht‘ formuliert hatte.31 Sie ist auch schon in der Feststellung aus der Zeit der Vorlesung zur Moralphilosophie von 1777 enthalten, die „[s]ubjective[n] BewegungsGrnde“ seien „Grnde der Gesinnung“, und dies mssten auch die Grnde sein, aus denen jemand seine Pflicht erfllt (V-Mo/Kae 61 – 63/50 f.). Die Konsequenz, die Kant nun im Triebfedern-Kapitel fr die Frage der Motivation aus dieser Forderung zieht, ist jedoch neu und – man erinnere sich an Kants Schwanken in Bezug auf eine Lçsung des Triebfedernproblems in den 1760er und noch in den 1770er Jahren32 – in ihrer Radikalitt berraschend. In der Vorlesung zur Moralphilosophie hatte „subjective Bedingung[…] der Empfnglichkeit fr den Pflichtbegriff“ (MS 6:399). 31 Vgl. dazu Kap. 3, § 2, 1. 32 Vgl. dazu Kap. 4, § 1, 3 und 4.
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V. Praktische Grnde und Triebfedern
Kant die im Wollen und Handeln eines endlichen Vernunftwesens offensichtliche Dichotomie zwischen objektiven „BewegungsGrnden“ und subjektiven „Grnden der Gesinnung“ noch dadurch betont, dass er diese parallel zur Unterscheidung von Dijudikations- und Exekutionsprinzip in der Ethik verstanden wissen wollte. Demnach konnte das „subjective principium“ bzw. die Triebfeder als das Exekutionsprinzip der Handlung nur das moralische Gefhl, nicht aber das Gesetz selbst sein (vgl. z. B. VMo/Kae 85/68). Nun hatte Kant zwar auch noch in der Grundlegung streng zwischen der „Triebfeder“ einerseits und dem „Bewegungsgrund“ des Handelns andererseits unterschieden (vgl. GMS 4:427), fr diese Kluft mit dem Gefhl der Achtung aber ansatzweise eine ,Brcke‘ zwischen objektivem und subjektivem Prinzip des Handelns angeboten. Handelt jemand „aus Pflicht“, so geschieht seine Handlung nach Auskunft der Grundlegung allein „aus Achtung frs Gesetz“. Weil der „Gegenstand der Achtung […] lediglich das Gesetz“ ist, ist damit auch die ethische Forderung erfllt, das Gesetz selbst msse der Bestimmungsgrund des Wollens und Handelns sein (GMS 4:400 f.; vgl. GMS 4:419). Dennoch betont Kant, dass das, was den Willen bei einer Handlung aus Pflicht bestimmt, „objectiv das Gesetz und subjectiv reine Achtung fr dieses praktische Gesetz“ ist (GMS 4:400). Damit ist ein neuer Wendepunkt in Kants Ethik und zugleich der Hçhepunkt seines ethischen Formalismus erreicht, dem zufolge „reine Vernunft ohne andere Triebfedern, die irgend woher sonst genommen sein mçgen, fr sich selbst praktisch sein“ kann, was heißt: sie kann „fr sich selbst eine Triebfeder abgeben“ (GMS 4:461). In der Kritik der praktischen Vernunft fhrt Kant diesen Gedanken weiter aus, indem er zum einen die ethische Forderung sprachlich przisiert und dadurch radikalisiert, und indem er zum anderen mit den Ausfhrungen im Triebfedern-Kapitel eine strkere argumentative Basis fr die streitbare These bietet, moralische Motivation beruhe allein auf einem formalen Prinzip und sei daher nichts anderes als eine Art von rationaler Motivation. Zunchst weicht er die auffllige Dichotomie zwischen ,objektiv‘ und ,subjektiv‘ in der Forderung auf, dass „der objective Bestimmungsgrund jederzeit und ganz allein zugleich der subjectiv hinreichende Bestimmungsgrund der Handlung sein msse“ (KpV 5:72). ,Bewegungsgrund‘ bzw. ,Motiv‘ und ,Triebfeder‘ sind nach dieser Forderung im moralischen Handeln identisch. Zwar ist die Unterscheidung zwischen ,objektiv‘ und ,subjektiv‘ nicht ganz aufgegeben und erfllt nach wie vor eine wichtige philosophische Funktion, indem sie zeigt, dass Menschen aus subjektiven Grnden handeln, dass aber im
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moralischen Handeln die objektiven Handlungsgrnde als Richtmaß des Handelns unentbehrlich sind, weil sich ihr Geltungsbereich auf alle vernnftigen Wesen erstreckt. Mit der Forderung aber, das moralische Gesetz selbst msse die Triebfeder des Handelns bereitstellen und nicht ein – wenn auch mit diesem Gesetz eng verbundenes – Gefhl, macht Kant den neuen Wendepunkt in seiner Moralphilosophie erneut und radikaler explizit als zuvor.33 Diese Forderung ist nun, wie bereits gezeigt, nur eine andere Formulierung dafr, dass reine Vernunft praktisch sein muss, wenn Moralitt kein „Hirngespinst“ (GMS 4:445) sein soll. Fr diese ,Praxis‘ in Form einer Wirkung des moralischen Gesetzes auf ein endliches Vernunftwesen liefert Kant im Triebfedern-Kapitel eine komplexe Argumentation, die sich in sechs Aspekte aufschlsseln lsst: 1. Zuerst bestimmt das moralische Gesetz objectiv und unmittelbar den Willen im Urtheile der Vernunft […] (KpV 5:78). 2. […] Freiheit, deren Causalitt bloß durchs Gesetz bestimmbar ist, besteht aber eben darin, daß sie alle Neigungen, mithin die Schtzung der Person selbst auf die Bedingung der Befolgung ihres reinen Gesetzes einschrnkt (KpV 5:78). 3. Diese Einschrnkung tut nun eine Wirkung aufs Gefhl, und bringt Empfindung der Unlust hervor, die aus dem moralischen Gesetze a priori 33 Kant hat seine Strategie in Bezug auf die Triebfedernfrage also mit der ,kritischen Wende‘ seiner Ethik gendert und vertritt sptestens mit der Grundlegung nicht mehr dieselbe Ansicht wie seit der Zeit der Vorlesungen ber Moralphilosophie um 1777. Auch die Rolle, die das moralische Gefhl in der Triebfedernproblematik bernimmt, hat sich gendert: Whrend Kants Begriff der Triebfeder und sein Verstndnis des moralischen Gefhls als einer solchen Triebfeder in der Zeit der Vorlesungen ber Moralphilosophie noch strker an der Moral-Sense-Tradition ausgerichtet ist, verteidigt Kant sptestens seit der Grundlegung eine tendenziell rationalistische Position in Bezug auf die Triebfedernfrage. Dieser zufolge ist das Sittengesetz selbst Triebfeder moralischen Handelns. Mit Blick auf diese entwicklungsgeschichtlichen Fakten bezglich der Triebfedernfrage in Kants Werk scheint mir die von Recki vertretene These, Kant habe seine Position in Bezug auf die Rolle des moralischen Gefhls in der Triebfedernproblematik seit den Vorlesungen ber Moralphilosophie in grundlegender Hinsicht beibehalten, nur zum Teil vertretbar (vgl. Recki: „Wie fhlt man sich als vernnftiges Wesen?“, 98). Richtig ist, dass das moralische Gefhl in Kants Diskussion der Motivationsthematik immer wieder auftaucht. Dennoch hat sich die spezifische Funktion gendert, die Kant dem moralischen Gefhl in diesem Kontext zuweist. Der Begriff des moralischen Gefhls ist in der Grundlegung und in der Kritik der praktischen Vernunft eben in einer ganz anderen Weise in eine Antwort auf die Frage der moralischen Motivation einbezogen, als dies noch in den Vorlesungen ber Moralphilosophie der Fall war. Vgl. dazu Kap. 5, § 2, 1 und 2.
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erkannt werden kann. Da sie aber bloß so fern eine n e g a t i v e Wirkung ist, die, als aus dem Einflusse einer reinen praktischen Vernunft entsprungen, vornehmlich der Thtigkeit des Subjects, so fern Neigungen die Bestimmungsgrnde desselben sind, mithin der Meinung seines persçnlichen Werths Abbruch tut (der ohne Einstimmung mit dem moralischen Gesetze auf nichts herabgesetzt wird), so ist die Wirkung dieses Gesetzes aufs Gefhl bloß Demthigung, welche wir also zwar a priori einsehen, aber an ihr nicht die Kraft des reinen praktischen Gesetzes als Triebfeder, sondern nur den Widerstand gegen Triebfedern der Sinnlichkeit erkennen kçnnen (KpV 5:78 f.). 4. Weil aber dasselbe Gesetz doch objectiv, d. i. in der Vorstellung der reinen Vernunft, ein unmittelbarer Bestimmungsgrund des Willens ist, folglich diese Demthigung nur relativ auf die Reinigkeit des Gesetzes stattfindet, so ist die Herabsetzung der Ansprche der moralischen Selbstschtzung, d. i. die Demthigung auf der sinnlichen Seite, eine Erhebung der moralischen, d. i. der praktischen Schtzung des Gesetzes selbst, auf der intellectuellen, mit einem Worte Achtung fr das Gesetz, also auch ein seiner intellectuellen Ursache nach positives Gefhl, das a priori erkannt wird (KpV 5:79). 5. Denn eine jede Verminderung der Hindernisse einer Thtigkeit ist Befçrderung dieser Thtigkeit selbst. Die Anerkennung des moralischen Gesetzes aber ist das Bewußtsein einer Thtigkeit der praktischen Vernunft aus objectiven Grnden, die blos darum nicht ihre Wirkung in Handlungen ußert, weil subjective Ursachen (pathologische) sie hindern (KpV 5:79). 6. Also muss die Achtung fr das moralische Gesetz auch als positive, aber indirecte Wirkung desselben aufs Gefhl, so fern jenes den hindernden Einfluß der Neigungen durch Demthigung des Eigendnkels schwcht, mithin als subjectiver Grund der Thtigkeit, d. i. als Tr i e b f e d e r zu Befolgung desselben und als Grund zu Maximen eines ihm gemßen Lebenswandels angesehen werden (KpV 5:79).
Die sechs Aspekte liefern zusammengenommen das, was Kant zu Beginn des Triebfedern-Kapitels angekndigt hatte: Eine Beschreibung der Wirkung des moralischen Gesetzes auf ein Wesen, das zugleich sinnlich und intellektuell veranlagt ist. Die Analyse beginnt mit dem Vernunfturteil und endet mit der moralischen Triebfeder und fhrt damit die Verbindung zwischen objektivem und subjektivem Handlungsaspekt vor. Sie umfasst folgende, an den zitierten Stellen aus KpV 5:79 orientierte Aspekte: 1. Menschen wissen qua Vernunftwesen, was sie (in moralischer Hinsicht) tun sollen: Im Vernunfturteil erkennen sie das moralische Gesetz als objektive Handlungsnorm insofern an, als es fr sie als autonome Wesen eine unbedingte willensbestimmende Funktion hat (das Gesetz bestimmt den Willen „im Urtheile der Vernunft“, KpV 5:79). Das heißt: Vernnftigerweise bzw. ,theoretisch‘ ist das moralische Gesetz schon immer das erste, unangezweifelte Handlungsmotiv und die grundlegende Maxime des Handelns.
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2. Nun heißt Freiheit, sich durch Vernunft selbst zum Handeln bestimmen zu kçnnen und nicht durch sich zur Vernunft extern verhaltende Einflsse in seinem Wollen und Handeln determiniert zu sein.34 Dieses Vermçgen beinhaltet daher auch, sich der Konfrontation seiner subjektiven Interessen und Wnsche mit der objektiv im Vernunfturteil vorliegenden Handlungsanweisung nicht entziehen zu kçnnen. Als rationales, freiheitliches Wesen bewertet der Mensch jede seiner Neigungen und seine gesamte Persçnlichkeit am Maßstab des Gesetzes, das er sich aus der Perspektive unversehrter Freiheit selbst gibt. 3. Das Vermçgen der Freiheit hat daher schon ,theoretisch‘ den Charakter einer Befhigung zur Selbstbeschrnkung: Als freiheitliche, rational berlegende Wesen kçnnen Menschen gar nicht anders, als ihre persçnlichen Vorlieben im Bewusstsein des Sittengesetzes zu reflektieren und einer Bewertung zu unterziehen. Weil der Wert der eigenen Person angesichts des Wissens um die moralische Unzulnglichkeit der Neigungen gegenber dem moralischen Gesetz „auf nichts“ herabgesetzt wird, wirkt das vernnftige Urteil ,demtigend‘ und erzeugt ein negatives Gefhl, das Kant als „Unlust“ bezeichnet (KpV 5:78, 80).35 4. Whrend die Wirkung der Vorstellung des Gesetzes aus der Perspektive der Sinnlichkeit allein diesen negativen Charakter behlt, da sie als „Widerstand“ (KpV 5:75) gegen die ursprnglichen Beweggrnde wahrgenommen wird36, hat diese vernnftige Vorstellung auf ein gleichzeitig vernunftbegabtes Wesen auch eine positive Wirkung, die Kant als „Erhebung der moralischen“ Seite im Menschen beschreibt (KpV 5:79). Die Begrndung dieser Wirkung ist folgende: So wie der Mensch Kants Ansicht nach einerseits ein „Glied der Sinnenwelt“ ist (GMS 4:455) und als solches in seinen Handlungen durch ebendiese sinnliche Natur bestimmbar ist, so ist er andererseits als freies Wesen nicht auf diese Perspektive eingeschrnkt und in der Lage, als „Glied der Verstandeswelt“ (GMS 4:455) jenen Standpunkt der Moral ein34 Vgl. dazu Kap. 2, § 1, 4. 35 Kant bezeichnet die „Demuth“ („humilitas moralis“) dementsprechend in der Tugendlehre der Metaphysik der Sitten als „[d]as Bewußtsein und Gefhl der Geringfhigkeit seines moralischen Werths in Vergleichung mit dem G e s e t z “ (MST 6:435). 36 Die ,ursprnglichen‘ Bewegungsgrnde endlicher Vernunftwesen sind immer sinnlich: „Nun finden wir aber unsere Natur als sinnlicher Wesen so beschaffen, daß die Materie des Begehrungsvermçgens (Gegenstnde der Neigung, es sei der Hoffnung oder der Furcht) sich zuerst aufdringt […]“ (KpV 5:74).
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V. Praktische Grnde und Triebfedern
zunehmen, der sich in der Vorstellung des Gesetzes ausdrckt.37 Da nun der kategorische Imperativ, der die Maximenorientierung am Sittengesetz vorschreibt, ein Gebot nur fr die sinnliche Seite im Menschen darstellt, das Vorgeschriebene in der intellektuellen Perspektive aber identisch mit dem ist, was (vernnftigerweise) gewollt wird38, so wirkt die Vorstellung des Gesetzes auch positiv, indem es auf Zustimmung auf der vernnftigen ,Seite‘ des Menschen trifft. Weil der Mensch erst Kraft seiner Vernunft fr die normative Forderung des Sittengesetzes empfnglich ist, ist diese ,vernnftige Seite‘ gleichzeitig seine ,moralische Seite‘ (bzw. die Seite der „praktischen Schtzung des Gesetzes selbst“), die ihrerseits durch die positive Wirkung einer intellektuellen Vorstellung bestrkt („erhoben“) wird.39 Kant bezeichnet die bestrkende Wirkung der Vorstellung des Sittengesetzes auf den Menschen als „Achtung fr das Gesetz“, die aufgrund ihrer „intellectuellen Ursache“ ein „positives Gefhl“ ist (KpV 5:79). 5. Moralisches Wissen und Freiheit bewirken damit auch eine Erweiterung der Fhigkeiten und Anlagen, indem sie positiv dazu befhigen, durch sich selbst (als rationales, autonomes Wesen) ber sich selbst (als zwar vernunftbegabtes, aber abhngiges Wesen) hinauszuwachsen: „Denn eine jede Verminderung der Hindernisse einer Thtigkeit ist Befçrderung dieser Thtigkeit selbst“ (KpV 5:79). Das Bewusstsein der moralischen Norm und das Wissen um die persçnliche moralische Anlage in Form einer auf die Praxis der Norm ausgerichteten Vernunft (= „praktische Vernunft“) haben motivierende Wirkung insofern, als
37 Zum Zusammenhang von reiner praktischer Vernunft, Freiheit, Autonomie und Sittengesetz, „welches in der Idee allen Handlungen vernnftiger Wesen eben so zum Grunde liegt, als das Naturgesetz allen Erscheinungen“ (GMS 4:452 f.), vgl. vor allem den „Dritten Abschnitt“ der Grundlegung. 38 Daher kann Kant sagen, dass „das moralische Sollen […] also eigenes nothwendiges Wollen als Gliedes einer intelligiblen Welt [ist] und […] nur so fern von ihm als Sollen gedacht [wird], als er sich zugleich wie ein Glied der Sinnenwelt betrachtet“ (GMS 4:455). 39 Gegenstand der „Erhebung“ ist daher nicht, wie man vermuten kçnnte, das Subjekt als endliches Vernunftwesen, sondern dasjenige an diesem Subjekt, was es zum Handeln aus reinen Vernunftgrundstzen befhigt: seine Autonomie. Kants Gebrauch des Begriffs der Erhebung ist hier außerdem eher metaphorisch als wçrtlich zu verstehen. Whrend man sich unter „Erhebung“ zunchst den Zustand einer Person vorstellt, die ,erhoben‘ wird, meint Kant hier mit „Erhebung“ die Befçrderung einer ganz bestimmten praktischen Einstellung, deren Ausfhrung bislang behindert worden ist.
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durch sie „subjective Ursachen“ zu Gunsten von „objectiven Grnden“ zurckgestellt werden (KpV 5:79). 6. Dass das Gefhl der Achtung nun auch als „Triebfeder“ zur „Befolgung“ des moralischen Gesetzes und als „Grund zu Maximen eines ihm gemßen Lebenswandels angesehen werden [kann]“ (KpV 5:79), begrndet Kant folgendermaßen: Der Mensch hat eine moralische ,Seite‘, von der aus er das moralische Gesetz ,praktisch schtzt‘, d. h. von der aus er das, was dieses Gesetz zu tun vorgibt, auch tun will. 40 Wre allein diese ,Seite‘ im Menschen aktiv und kmen keine anderen Bestimmungsgrnde wie Neigungen und Interessen dazwischen, so folgten die Handlungen – ohne Demut und ohne Unlustgefhl – notwendigerweise und unmittelbar aus dem vernnftigen Urteil. In Kants Formulierung: Die Anerkennung des moralischen Gesetzes aber ist das Bewußtsein einer Thtigkeit der praktischen Vernunft aus objectiven Grnden, die blos darum nicht ihre Wirkung in Handlungen ußert, weil subjective Ursachen (pathologische) sie hindern (KpV 5:79).
Weil es beim Menschen nun aber so ist, dass „subjective Ursachen“ eine reibungslose Ttigkeit der reinen praktischen Vernunft verhindern, tritt die Demut zwischen die vernnftige Vorstellung und die Handlung, die einerseits ein Unlustgefhl ist, andererseits aber, aus der Perspektive der Vernunft, positiven Einfluss auf das praktische Urteilsvermçgen hat. So beruht die Empfindung der eigenen Unzulnglichkeit (die „Herabsetzung der Ansprche der moralischen Selbstschtzung“, KpV 5:79) auf einer (durch Sinnlichkeit) eingeschrnkten Sichtweise; wird diese durch die vernnftige Perspektive erweitert, so erweist sie sich als durchaus produktiv, indem sie das Subjekt aus der Lethargie des Schmerzes befreit, der mit der Unlustempfindung einhergeht41, und zur Distanzierung von den unzureichenden subjektiven Ansprchen bewegt. Die Achtung, die nun beides ist: Ursache der „Demthigung“ und „Erhebung“ (KpV 5:79), ist aufgrund dieser Wirkung „Triebfeder“ zur Befolgung des Gesetzes und damit „Grund zu Maximen eines ihm gemßen Lebenswandels“ (KpV 5:79), weil
40 „Weil aber dasselbe Gesetz doch objectiv, d. i. in der Vorstellung der reinen Vernunft, ein unmittelbarer Bestimmungsgrund des Willens ist […]“ (KpV 5:79). 41 „Folglich kçnnen wir a priori einsehen, daß das moralische Gesetz als Bestimmungsgrund des Willens dadurch, daß es allen unseren Neigungen Eintrag thut, ein Gefhl bewirken msse, welches Schmerz genannt werden kann […]“ (KpV 5:73).
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V. Praktische Grnde und Triebfedern
sie zur Annahme von Grundstzen bewegt, die schließlich die Basis von Handlungen aus guter Gesinnung sind.42 Das hier zum Ausdruck kommende Schtzen der moralischen Norm ist zu verstehen als eine Art von Respekt und Ehrerbietung gegenber dem, was die moralische Stimme in einem zwar bedrftigen, aber vernunftbegabten Wesen fordert. Kant besttigt diese Interpretation nicht nur inhaltlich, sondern sogar wçrtlich, wenn er die positive Wirkung der Vorstellung des Sittengesetzes auf das Gemt als „Gefhl der Achtung“ beschreibt, das in der englischen bersetzung u. a. unter den Namen „respect“ oder „reverence“ luft.43 Es ist ein positives Gefhl, das ber den Umweg einer negativen Wirkung Einfluss auf den Willen des Subjektes hat, indem es die „praktische[.] Schtzung“ (KpV 5:79) des Gesetzes belebt und diese praktische Einstellung ber die sinnlichen Ansprche ,erhebt‘. Es ist außerdem ein Gefhl, dass sich – als Gefhl der „Demthigung“ und als Gefhl der „Erhebung“ – notwendigerweise einstellt, wenn die beschriebenen Voraussetzungen gegeben sind, weshalb es, wie Kant schreibt, „a priori erkannt“ werden kann (KpV 5:79). Moralbewusstsein, rationale Willensbestimmung, Freiheitsbewusstsein, Selbstliebe/Eigenliebe, Eigendnkel, Schtzung der eigenen Person und Demut, subjektive Willens42 Vgl. dazu Kap. 5, § 2, 4. 43 Paton pldiert dafr, „Achtung“ mit „reverence“ statt mit „respect“ zu bersetzen, weil in „respect“ nicht jene „Ehrerbietung“ zum Ausdruck kommt, die Kant mit dem Gefhl der Achtung im Sinn hat (vgl. Paton: Der kategorische Imperativ, 64). Kant selbst fgt dem deutschen Wort „Achtung“ wiederholt die lateinische bersetzung „reverentia“ hinzu, so z. B. in der Tugendlehre der Metaphysik der Sitten, wo es ihm darum geht, die Achtung ganz explizit als ein Gefhl auszuweisen und es von einem „Urtheil“ zu unterscheiden (vgl. z. B. MST 6:402). Es scheint mir daher sinnvoll, an Stellen wie diesen, an denen Kant die Rolle der Achtung als Gefhl exponieren will, die englische bersetzung mit „reverence“ derjenigen mit „respect“ vorzuziehen. Im Kontext der Argumentation im Triebfedern-Kapitel, wo Kant wiederholt den intellektuellen Charakter dieses Gefhls betont und versichert, eine Handlung „aus Achtung“ htte mit „Herzensaufwallungen“ nichts zu tun (KpV 5:85), scheint mir die bersetzung mit „respect“ hingegen angebrachter und zumindest nicht verzichtbar. Patons Argument, die Verwendung von „respect“ sei schon deshalb ungeeignet, weil diesem Begriff in der deutschen Sprache „kein tiefes Gefhl“ entspricht, sondern er „gemeinhin von Gepcktrgern gebraucht [wird], wenn sie wollen, daß man aus dem Wege geht“ (Paton: Der kategorische Imperativ, 64), geht am deutschen Sprachgebrauch zwar nicht vçllig vorbei, verkennt aber seine Flexibilitt. Denn natrlich kann mit „Respekt“ auch jene „Hochachtung“ gemeint sein, die in dem Wort „Ehrfurcht“ Patons Ansicht nach viel eher zum Ausdruck kommt. Zur Unterscheidung von „reverence“ und „respect“ vgl. auch Gregor: Laws of Freedom, 181.
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bestimmung und Achtung fr das moralische Gesetz sind dabei nicht zeitlich von einander verschiedene Phasen oder Schritte, sondern vielmehr Aspekte der moralischen Motivation. Was Kant in seiner Analyse vorfhrt, entspricht daher seiner eigenen Aufgabenbeschreibung im Triebfedern-Kapitel: Wie angekndigt, zeigt er in einer moralpsychologischen Analyse, „auf welche Art das moralische Gesetz Triebfeder werde, und was, indem sie es ist, mit dem menschlichen Begehrungsvermçgen als Wirkung jenes Bestimmungsgrundes auf dasselbe vorgehe“ (KpV 5:72). Das heißt: Das Moralbewusstsein hat auf den Menschen eine bestimmte Wirkung, von der wir „a priori“ wissen (KpV 5:72). Menschen sind moralisch sensibel, d. h. sie sind prinzipiell empfnglich fr ein unbedingtes praktisches Gesetz. Da das Gesetz seinerseits ein Produkt der eigenen Vernunft bzw. eines ist, das die reine praktische Vernunft selbst entwirft,44 ist diese Sensibilitt ein Produkt ihrer intellektuellen Ttigkeit als praktisch denkende Subjekte. Ihre reine Vernunftttigkeit hat einen Einfluss auf ihre Sinnlichkeit, der gesetzmßig ist und von dem wir daher apriorische Kenntnis haben. Dieser Einfluss zeigt sich im moralischen Gefhl.45 4. Moralische Sensibilitt und die Krftemetaphorik Kant stellt die Wirkung des moralischen Bewusstseins auf das menschliche Gemt in Form eines Kausalmodells vor, in dem intellektuelle ,Schtzung‘ des Gesetzes und sinnliche Unlust aufgrund von ,Demtigung‘ analog zu einem Krfteverhltnis gedacht werden, das seinerseits konstitutiv fr moralische Motivation ist. So heißt es im Triebfedern-Kapitel: Denn eine jede Verminderung der Hindernisse einer Thtigkeit ist Befçrderung dieser Thtigkeit selbst. Die Anerkennung des moralischen Gesetzes aber ist das Bewußtsein einer Thtigkeit der praktischen Vernunft aus objectiven Grnden, die blos darum nicht ihre Wirkung in Handlungen ußert, weil subjective Ursachen (pathologische) sie hindern. Also muss die Achtung fr das moralische Gesetz auch als positive, aber indirecte Wirkung desselben aufs Gefhl, so fern jenes den hindernden Einfluß der Neigungen durch De44 Vgl. Kap. 5, § 1, 1. 45 Dementsprechend schreibt Kant rckblickend in der „Kritische[n] Beleuchtung der Analytik der reinen praktischen Vernunft“, Aufgabe des Triebfedern-Kapitels sei es, vom „Verhltnisse der reinen praktischen Vernunft zur Sinnlichkeit und ihrem nothwendigen, a priori zu erkennenden Einflusse auf dieselbe, d. i. vom m o r a l i s c h e n G e f h l e “ zu handeln (KpV 5:90).
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mthigung des Eigendnkels schwcht, mithin als subjectiver Grund der Thtigkeit, d. i. als Tr i e b f e d e r zu Befolgung desselben und als Grund zu Maximen eines ihm gemßen Lebenswandels angesehen werden (KpV 5:79).
Die kausale Rolle der Achtung beschreibt Kant zuvor schon folgendermaßen: Als Wirkung aber vom Bewußtsein des moralischen Gesetzes, folglich in Beziehung auf eine intelligible Ursache, nmlich das Subject der reinen praktischen Vernunft als obersten Gesetzgeberin, heißt dieses Gefhl eines vernnftigen von Neigungen afficirten Subjects zwar Demthigung (intellectuelle Verachtung), aber in Beziehung auf den positiven Grund derselben, das Gesetz, zugleich Achtung fr dasselbe, fr welches Gesetz gar kein Gefhl stattfindet, sondern im Urtheile der Vernunft, indem es den Widerstand aus dem Wege schafft, die Wegrumung eines Hindernisses einer positiven Befçrderung der Causalitt gleichgeschtzt wird (KpV 5:75, H. v. m.).
Kant folgert aus dieser Argumentation, dass das moralische Gesetz nicht nur formaler, sondern auch „subjectiver Bestimmungsgrund, d. i. Triebfeder“ zur moralischen Handlung ist, nmlich insofern, als es „auf die Sinnlichkeit des Subjects Einfluss hat und ein Gefhl bewirkt, welches dem Einflusse des Gesetzes auf den Willen befçrderlich ist“ (KpV 5:75). Um diese von Kant bildreich beschriebene dialektische Wirkung des moralischen Bewusstseins als Motiv moralischen Handelns nachvollziehen zu kçnnen, ist ein Blick auf Kants frhe Schrift Versuch den Begriff der negativen Grçßen in die Weltweisheit einzufhren von 1763 hilfreich. Kant thematisiert in den Negativen Grçßen die „reale“ Entgegensetzung zweier Prdikate eines einzigen Dinges, die sich jedoch nicht widersprechen, d. h. beide zusammen mçglich sind. Ihr Verhltnis beschreibt er im einleitenden Abschnitt dieser kurzen Schrift folgendermaßen: „Es hebt hier auch eins [ein Prdikat] dasjenige auf, was durch das andere gesetzt ist; allein die Folge ist Etwas (cogitabile)“ (Grçßen 2:171). Als Beispiel fhrt Kant einen Kçrper an, der durch Kraftausbung gleichzeitig in zwei verschiedene Richtungen bewegt werden kann und als Ergebnis im Ruhezustand verharrt (vgl. Grçßen 2:171). Diese Ruhe, die er als „Zero“ bzw. „0“ bezeichnet, ist „Etwas“ („repraesentabile“, Grçßen 2:171), was aus der Entgegensetzung folgt; die Bewegung des Kçrpers wird „durch eine entgegengesetzte Kraft aufgehoben“. Die „Verneinung“, in diesem Falle der Ruhezustand des Kçrpers, ist aufgrund dieser Entgegensetzung kein „Mangel“ (an Bewegung), sondern eine „Beraubung“ (an Bewegung).
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Damit ist die Ruhe des Kçrpers nicht zufllig, sondern beruht auf einem „positiven Grund“ (Grçßen 2:177 f.).46 Kant wendet diesen abstrakten Gedankengang im „Zweiten Abschnitt“ der Negativen Grçßen auf den Bereich der Moral an. Parallel zum Begriff der Negation untersucht er hier den Begriff der „Untugend“. Diese ist eine „negative Tugend“ (Grçßen 2:182), da moralisch verwerfliches Handeln auf einer bewussten Zuwiderhandlung gegen ein ,inneres Gesetz‘ beruht und daher als eine bewusste Abwendung von der moralischen Norm zu verstehen ist. Das ,innere Gesetz‘ bezeichnet Kant genauer als „Gewissen“ bzw. als „Bewußtsein eines positiven Gesetzes“, das seinerseits ein „positiver Grund einer guten Handlung“ ist (Grçßen 2:182)47. Das Unterlassen der guten Handlung, „welche aus dem Bewußtsein des Gesetzes allein fließen wrde“ (Grçßen 2:182; wenn andere, sinnliche Beweggrnde nicht im Spiel wren!), ist diesem Modell zufolge keine Verneinung (der guten Handlung) im Sinne eines (passiven) ,Mangels‘ (z. B. an Wissen oder an moralischer Sensibilitt), sondern geht auf „eine wirkliche innere Hand46 Kant geht es in den Negativen Grçßen grundlegend darum, Negativitt als etwas Relationales auszuweisen: Einem Gegenstand kommt eine negative Grçße nur in Relation zu einem anderen, ihm entgegen gesetzten Gegenstand zu, so dass man „eigentlich keine Grçße schlechthin negativ nennen kann“ (vgl. Grçßen 2:174). Negative Grçßen sind daher keine „negative[n] Dinge“ in dem Sinne, dass sie „eine besondere Art von Dingen“ wren, die es weniger ,gibt‘ als andere, ,wahre‘ Entitten (Grçßen 2:175). Kçnigs Interpretation zufolge hat Kant seinen Begriff der negativen Grçße in Abgrenzung zu Leibniz formuliert, der die negativen Grçßen seinerseits als „keine wahren Grçßen“ bezeichnet hatte (vgl. Autonomie und Autokratie, 34). 47 Kant zufolge kann das ,innere Gesetz‘ das „Gewissen“ oder „das Bewußtsein eines positiven Gesetzes“ sein (Grçßen 2:182). Die Bezeichnung dieses ,inneren Gesetzes‘ als „positiver Grund einer guten Handlung“ (Grçßen 2:182) steht im Zusammenhang mit Kants berzeugung, dass der Mensch als (potentiell) rationales Wesen im ,Normalfall‘ immer zunchst gemß diesem sittlichen Bewusstsein handeln wrde, wenn Neigungen nicht im Spiel wren. Daher drcken Handlungen, die dem Prinzip der Moralitt nicht entsprechen und daher von uns als schlecht bezeichnet werden, immer einen bewussten Verstoß gegen das Sittengesetz bzw. gegen die sittliche Einsicht aus, so dass man eine Formulierung von Wilhelm Busch folgendermaßen umkehren kçnnte: „Das Bçse, dieser Satz steht fest, ist stets das Gute, das man lsst“ („Das Gute, dieser Satz steht fest, ist stets das Bçse, das man lsst“ (Busch: Die fromme Helene, 121)). Wie wir bereits gesehen haben, ist es das „Unglck“ des Menschen, dass sinnliche Reize bei ihm als endlichem Wesen die Triebfedern sind, die sich ihm zunchst ,aufdrngen‘ (vgl. Kap. 4, § 2, 1). Als ein solches, mit einer sinnlich affizierbaren Willkr begabtes Wesen wird es zum Guten nur dann angetrieben, wenn es eine entsprechende Triebfeder gibt, die diesen Reizen entgegenwirkt.
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lung aus Bewegursachen“ zurck und resultiert aus der „realen Entgegensetzung“ zum „positiven Grund“ des „inneren Gesetzes“, weshalb es sich hier um eine (aktive) „Beraubung“ (des Guten) handelt (Grçßen 2:183). Das heißt: Jedes untugendhafte Handeln beruht auf einer (bewusst) versumten Mçglichkeit, von seiner Tugendfhigkeit als autonomem Wesen Gebrauch zu machen. Dabei handelt der Mensch als vernnftiges Wesen im Gegensatz zum Tier in moralisch verwerflichen Handlungen seinem rationalen Moralbewusstsein entgegen, indem die von diesem unmittelbar ausgehenden berzeugungen und Absichten zurckgestellt und durch andere Bewegursachen ,berwogen‘ werden. Bei schlechten Handlungen setzen wir daher voraus, dass sie im vollen Bewusstsein der moralischen Norm stattgefunden haben und einem „inneren Gesetze entgegen gehandelt worden“ ist (Grçßen 2:183).48 Auch wenn Kant jenes „innere Gesetz“ in den Negativen Grçßen noch etwas unschlssig umschreibt („entweder bloß das Gewissen oder auch das Bewußtsein eines positiven Gesetzes“, Grçßen 2:182), so kndigt sich hier schon ein Gedanke an, der in den moralphilosophischen Schriften seit der Grundlegung zum exponierten Gegenstand der Untersuchung wird. So legt bereits die Grundlegung fest, dass „die Vorstellung des Gesetzes an sich selbst […] nur im vernnf tigen Wesen stattf indet“ (GMS 4:401). Zudem zeigt sich in Kants Begriff vom nach „Gesetzen“ handelnden Willen als „praktischer Vernunft“ eine enge Verbindung von Gesetz, Vernunft und Willen (vgl. z. B. GMS 4:412). Dass nun die guten Handlungen durch die Tauglichkeit der ihnen zugrunde liegenden Maxime zu einem allgemeinen praktischen Gesetz charakterisiert sind, hatte Kant ebenfalls in der Grundlegung sowie im ersten Teil der Kritik der praktischen Vernunft gezeigt,49 whrend in der Religion deutlich wird, dass die Bçsartigkeit als hçchster Grad der Untugend in der bewussten Abweichung der Maximen vom moralischen Gesetz besteht (vgl. Rel 6:32). Außerdem ist bemerkenswert, dass Kant schon hier das „Bewußtsein des Gesetzes“ bzw. das „innere Gesetz“ mit einem „innere[n] moralische[n] Gefhl“ in Verbindung bringt, das ein vernunftbegabtes Wesen im Unterschied zum 48 „Ein unvernnftig Thier verbt keine Tugend. Es ist diese Unterlassung aber nicht Untugend (demeritum). Denn es ist keinem inneren Gesetze entgegen gehandelt worden. Es ward nicht durch ein inneres moralisches Gefhl zu einer guten Handlung getrieben, und dadurch, daß es ihm widerstanden, oder vermittelst eines Gegengewichts wurde das Zero oder die Unterlassung als eine Folge nicht bestimmt. Sie ist hier eine Verneinung schlechthin aus Mangel eines positiven Grundes und keine Beraubung“ (Grçßen 2:183). 49 Vgl. dazu Kap. 3, § 2, 3.
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vernunftlosen Tier zur Handlung ,antreibt‘ (Grçßen 2:183). Dieses „Gefhl“ hat eine evaluative und unhintergehbare Wirksamkeit derart, dass eine ihm entgegenstehende Handlung eine „Unterlassungssnde[…]“ ist, die, wie Kant weiter schreibt, von den „Begehungssnden […] moralisch nicht der Art, sondern nur der Grçße nach unterschieden“ ist (Grçßen 2:183). So erfordern schlechte Taten bzw. „Begehungssnden“ „nur ein[en] grçßere[n] Grad der Handlung“ als „Unterlassungssnden“(Grçßen 2:183). Moralrelevante Unterlassungen sind dem entsprechend Handlungen ,geringeren Grades‘ und als solche absichtlich und zurechenbar.50 Kants Begriff der negativen Grçße als Resultat einer realen Entgegensetzung zweier Prdikate eines Dings wirft schließlich seine Schatten auf die Argumentation im Triebfedern-Kapitel in der Kritik der praktischen Vernunft voraus. Die Analogie untersttzt eine Lesart von Kants dort gebotener ,Theorie‘ moralischer Motivation, der zufolge Kant sich die Wirkung des moralischen Bewusstseins auf das menschliche Gemt und 50 In der Religion unterscheidet Kant verschiedene „Stufen des Hanges zum Bçsen“, denen Grade des unsittlichen Handelns entsprechen. Die Bçsartigkeit verkçrpert die hçchste Stufe dieses Hanges, whrend Kant die ersten beiden Stufen als „Gebrechlichkeit“ und „Unlauterkeit“ bezeichnet. Dem Menschen, der seiner Gesinnung auf der Stufe der Bçsartigkeit Ausdruck verleiht, wird, im Gegensatz zum ,gebrechlich‘ oder ,unlauter‘ Handelnden, vorstzliche Schuld zugeschrieben (vgl. Rel 6:28 – 38). – Kants Begriff der Unterlassungssnde resultiert primr aus moralpsychologischen Voraussetzungen. So handelt es sich bei unterlassenen guten Handlungen um ein Vergehen (eine ,Snde‘), weil Person X es a) besser wusste und b) besser (anders oder berhaupt) htte handeln kçnnen. Ebenso wie das Tun ist das (Unter)Lassen durch „den Gebrauch der Freiheit“, wie sie vernnftigen Wesen im Allgemeinen zukommt, gekennzeichnet (KrV A 807/B 835) und bezeichnet neben dem Tun eine bestimmte Art des Verhaltens. Dabei ist es die schlechte Absicht, die bewusste Abweichung von der moralischen Norm, die die Unterlassung einer guten Handlung zu einer reellen, zu verurteilenden Tat macht. Denn „wer nicht bezahlt, was er schuldig ist, der wird in gewissen Umstnden betrgen, um zu gewinnen, und wer nicht hilft, wenn er kann, der wird, so bald sich die Bewegursachen vergrçßern, den andern verderben“ (Grçßen 2:183). Zum Begriff des (Unter)Lassens bei Kant siehe Schadow: „Tun und Lassen“. – In der analytischen Handlungstheorie ist der Status von (nicht zwingender weise moralrelevanten) Unterlassungen umstritten, u. a. deshalb, weil durch Unterlassungen keine Ereignisse bewirkt werden. Vgl. zu dieser Problematik z. B. Stoecker: „Tun und Lassen“, 409 – 411. Chisholm unterscheidet die ,bloße‘ von der ,verbten‘ Unterlassung. Eine ,verbte Unterlassung‘ liegt, ganz im Sinne Kants, dann vor, wenn die Handlung „mit berlegung (deliberately)“ unterlassen wurde („Der Handelnde als Ursache“, 410; vgl. Brand: „The Language of Not-Doing“ und Birnbacher: Tun und Unterlassen).
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die Herausbildung eines praxisrelevanten moralischen Motivs nach Analogie eines Krfteaustauschs vorstellt, wie sie bereits in der Argumentation in den Negativen Grçßen angelegt ist. Kant legt diese Annahme in folgender Beschreibung nahe: Vielmehr ist das sinnliche Gefhl, was allen Neigungen zum Grunde liegt, zwar die Bedingung derjenigen Empfindung, die wir Achtung nennen, aber die Ursache der Bestimmung desselben liegt in der reinen praktischen Vernunft, und diese Empfindung kann daher ihres Ursprunges wegen nicht pathologisch, sondern muß p r a k t i s c h g e w i r k t h e i ß e n ; indem dadurch, daß die Vorstellung des moralischen Gesetzes der Selbstliebe den Einfluß und dem Eigendnkel den Wahn benimmt, das Hinderniß der reinen praktischen Vernunft vermindert, und die Vorstellung des Vorzuges ihres objectiven Gesetzes vor den Antrieben der Sinnlichkeit, mithin das Gewicht des ersteren relativ (in Ansehung eines durch die letztere afficirrten Willens) durch die Wegschaffung des Gegengewichtes im Urtheile der Vernunft hervorgebracht wird (KpV 5:75 f.; kursive H. v. m.).
Welches ist nun genau das „Hinderniß der reinen praktischen Vernunft“ und wie wird es „vermindert“? Wie wir bereits gesehen haben, sind Menschen nach Kants Auffassung Wesen, deren persçnliche Prferenzen natrlicherweise und in großen Teilen von dem abweichen, was in moralischer Hinsicht geboten ist. Ihre Empfnglichkeit fr Reize und ihre Abhngigkeit von Begierden bringen sie dazu, Neigungen herauszubilden und die eigenen Belange in das Zentrum seiner Willensbestrebungen zu stellen. Als in diesem Sinne zunchst auf die eigenen Bedrfnisse gerichtetes Wesen ist der Mensch dazu prdestiniert, „sich selbst nach den subjectiven Bestimmungsgrnden seiner Willkr zum objectiven Bestimmungsgrund zu machen“ (KpV 5:74), was heißt: selbstschtig, selbstverliebt und eigenntzig zu handeln. Die Frage, wie moralische Motivation mçglich ist, ist fr Kant aufgrund dieser Voraussetzungen gleichbedeutend mit der Frage, wie sinnliche zugunsten moralischer Beweggrnde zurckgedrngt werden kçnnen. Die den moralischen Beweggrnden entgegen stehenden sinnlichen Beweggrnde bezeichnet Kant im Triebfedern-Kapitel als „Selbstliebe“ bzw. „Eigenliebe“51 und „Eigendnkel“ (KpV 5:73 f.). Die Eigenliebe 51 Im Folgenden werde ich hauptschlich, wie Kant im Triebfedern-Kapitel auch, von der Eigenliebe sprechen. Sachlich macht Kant zwischen der Selbstliebe und der Eigenliebe keinen Unterschied. Im Triebfedern-Kapitel trifft er folgende begriffliche Unterscheidungen: „Alle Neigungen zusammen […] machen die S e l b s t s u c h t (solipsismus) aus. Diese ist entweder die der S e l b s t l i e b e , eines ber alles gehenden Wo h l w o l l e n s gegen sich selbst (Philautia), oder die des Wo h l g e -
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versteht er dabei als Grundlage aller empirisch-praktischen Prinzipien, die ihrerseits immer auf die Befriedigung eines Begehrens und auf Lustgefhle gerichtet sind (vgl. KpV 5:21 f.). Sie bezeichnet genauer ein jedem endlichen Vernunftwesen eigenes Bestreben, die eigene Glckseligkeit zum ersten Bestimmungsgrund des Handelns zu machen (vgl. KpV 5:22). Bei diesem „Hang, sich selbst nach den subjectiven Bestimmungsgrnden seiner Willkr zum objectiven Bestimmungsgrunde des Willens berhaupt zu machen“ (KpV 5:74), wird das subjektive Bedrfnis nach Glckseligkeit zum objektiven Ziel gemacht. Als natrliche Neigung ist die Eigenliebe gut; in Form eines physischen Triebs zur Selbsterhaltung, Fortpflanzung und Vergesellschaftung sowie einer Anlage zur Kultur ist sie eine „Anlage zum Guten“ insofern, als sie die Befolgung des moralischen Gesetzes befçrdert (Rel 6:26 f.).52 In der Grundlegung zeigt Kant an verschiedenen Beispielen, dass die Maxime der Selbstliebe jedoch nicht als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten kann (vgl. GMS 4:421 – 425). Die Eigenliebe ist eine wohlwollende Sorge um die praktische Umsetzung der eigenen Belange. Sie bringt den Akteur dazu, seine subjektiven Prferenzen, seine durch Neigungen generierten Motive und Absichten als objektiv gltige Grnde auszugeben und sie auch vor anderen als solche zu rechtfertigen.53 In der Kritik der praktischen Vernunft unterscheidet Kant die Selbstsucht (als Summe aller Neigungen; vgl. KpV 5:73) in Selbstliebe/Eigenliebe und Eigendnkel. Die Eigenliebe besteht in einem bermßigen, wenn auch natrlichen „Wohlwollen gegen sich selbst“ („denn wer wird nicht wollen, daß es ihm jederzeit wohl ergehe?“, Rel 6:45 Anm.), das sich in einer selbstbezogenen Maximenwahl zeigt und fr sich genommen blind fr ein nach objektiven Standards abwgendes Urteilen und Handeln ist. Die Eigenliebe wird zum Eigendnkel, wenn sich das betreffende Subjekt in der Restriktion seiner Handlungen zugunsten selbstschtiger Absichten gefllt, so dass es diese in einem Akt der Selbsttuschung zum „praktischen Princip“ und damit zum unbedingten Prinzip des Wollens erhebt (KpV 5:74).54 f a l l e n s an sich selbst (Arrogantia). Jene heißt besonders E i g e n l i e b e , diese E i g e n d n k e l “ (KpV 5:73). 52 In diesem Sinne unterscheidet Kant in der Religion die „bloß m e c h a n i s c h e “ von der „v e r g l e i c h e n d e n Selbstliebe“ (Rel 6:26 f.). 53 Vgl. dazu Reath: „Respect for the Moral Law and the Influence of Inclination“, 15. 54 Kant bezeichnet den Eigendnkel in diesem Sinne auch als „Wohlgefallen an sich selbst“ (Rel 6:45 Anm.). – In der Religion nimmt Kant terminologische Verschiebungen bezglich der Begriffe der Selbstliebe, des Wohlwollens und des
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V. Praktische Grnde und Triebfedern
Eigenliebe und Eigendnkel sind keine rein animalischen Impulse, sie setzten im Gegenteil Vernunft voraus.55 Sie sind praktische Einstellungen, die ein durch mangelnde Objektivitt geflschtes, unberechtigtes Urteil ber sich selbst implizieren, bei dem der Wert der eigenen Person ber den Wert aller anderen Personen gestellt wird. Eigenliebe und Eigendnkel gehen damit zwar aus Neigungen hervor, sind jedoch mit diesen nicht identisch, denn sie beinhalten bestimmte Behauptungen und spielen sich auf der argumentativen Ebene eines rational begabten, eigeninteressierten Wesens ab, das seine Interessen kalkulieren kann.56 Dabei steht die Eigenliebe nicht grundstzlich in Konflikt mit dem moralischen Gesetz, sie ist nicht per se Widersacherin der Moral. Von ihr gehen subjektive Handlungsgrnde aus, die nur dann in direkte Konkurrenz zu den objektiven, moralisch gltigen Grnden geraten, wenn sie zu unbedingten Handlungsgrundstzen erhoben werden.57 Nun sieht Kant richtig, dass das Prinzip der Selbstliebe nicht restlos eliminiert werden kann. So gehçrt es zur Natur des Menschen, selbstschtige Handlungsentwrfe in der Wahl von Handlungsalternativen zu bevorzugen und Prima-facie-Motive daraus abzuleiten (vgl. z. B. KpV 5:74). Dennoch sind Menschen durch das ihnen eigene Bestreben nach der Befriedigung ihrer subjektiven Bedrfnisse zwar in ihren Willensbestimmungen beeinflusst, jedoch, anders als die Tiere, nicht determiniert. 58 Die
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Wohlgefallens auf. Das Wohlwollen gegen sich selbst und das Wohlgefallen an sich selbst werden dort verstanden als zwei Aspekte der Selbstliebe (vgl. Rel 6:45 f. Anm.). Aus einem sinnlich bedingten Wohlwollen, bei dem „die Vernunft […] nur die Stelle einer Dienerin der natrlichen Neigung [vertritt]“, resultiert ein sinnliches Wohlgefallen an den eigenen, durch selbstgerechte Maximen fundierten Willensußerungen. Diese neue Definition passt zu Kants in der Metaphysik der Sitten vertretenem Begriff der (Menschen)Liebe. Diese kann „Wo h l w o l l e n (amor benevolentiae)“ und eine „Liebe des Wo h l g e f a l l e n s (amor complacentiae)“ sein (MST 6:401 f.). – Fr eine minutiçse Analyse des Unterschieds zwischen Eigenliebe und Eigendnkel vgl. Engstrom: „The ,Triebfeder’ of Pure Practial Reason“. Diesen Punkt betonen Reath: „Kant’s Theory of Moral Sensibility“; Engstrom: „The Concept of the Highest Good in Kant’s Moral Theory“; Wood: „Self-Love, Self-Benevolence, and Self-Conceit“. Vgl. dazu auch Rel 6:26 f. Vgl. Engstrom: „The ,Triebfeder’ of Pure Practical Reason“, 101 f. Dann ist die Selbstliebe „Quelle alles Bçsen“ (Rel 6:45); vgl. dazu Wood: „SelfLove, Self-Benevolence, and Self-Conceit“, 153 f. Die Fhigkeit, sich zu seinen Trieben aufgrund einer freien, wenn auch sinnlich affizierbaren Willkr verhalten zu kçnnen, unterscheidet die „Menschheit“ von der „Tierheit“ (vgl. dazu Rel 6:26 f. sowie Kants Unterscheidung von „freier Willkr“ und „thierischer Willkr“, z. B. MST 6:213). In diesem Sinne betont Kant, die
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von der Eigenliebe ausgehenden Prferenzen unterliegen ihrer Lenkung insofern, als sie als Prima-facie-Motive einer bewussten Beurteilung und Entscheidung durch die reine praktische Vernunft unterzogen und mçglicherweise, wenn notwendig, auf ein vernnftiges Maß (der ,vernnftigen Selbstliebe‘) eingeschrnkt werden kçnnen. Whrend die Eigenliebe also ein Prinzip ist, das in den Grundstzen eines endlichen Vernunftwesens natrlicherweise vorkommt, ist der Eigendnkel eine Einstellung, die einen bestimmten, moralisch verwerflichen Umgang mit der natrlichen Veranlagung zur Selbstsucht widerspiegelt. Im Gegensatz zur Eigenliebe steht er in echtem Widerspruch und Konflikt mit dem moralischen Gesetz, weil er darauf ausgerichtet ist, die subjektiven Ansprche selbst zum objektiven Bestimmungsgrund des Wollens und zur Grundlage von (vermeintlich) objektiven Regeln des Verhaltens zu machen.59 Weil hier subjektive Prferenzen als objektiv gltige Grnde ausgegeben werden, sind die Forderungen, die der Eigendnkel stellt, als solche unberechtigt und a priori falsch. Sie beruhen auf der eingeschrnkten Perspektive des in seiner Selbstsucht gefangenen und des objektiven Urteils zumindest zeitweise nicht mehr zugnglichen Subjekts, das sich auf diese Weise ber den Status seiner Handlungsgrnde selbst tuscht. Wie aber kommt es zu einer solchen Selbsttuschung, bei der sich eine Handelnde ihre selbstschtigen Absichten sogar als allgemein gesetzgebend vorstellt? Kants Ausfhrungen in der Metaphysik der Sitten zufolge ist „[d]as Bewußtsein und Gefhl der Geringfhigkeit seines moralischen Werths in „Freiheit der Willkr [sei] von der ganz eigenthmlichen Beschaffenheit, daß sie durch keine Triebfeder zu einer Handlung bestimmt werden kann, a l s n u r s o f e r n d e r Me n s c h s i e i n s e i n e M a x i m e a u f g e n o m m e n h a t […]“ (Rel 6:23 f.). Allison fasst diese Idee in seiner „Incorporation Thesis“ zusammen: Triebfedern mssten immer erst in Maximen ,inkorporiert‘ werden, damit sie eine praktische Funktion im Handeln haben, das seinerseits ein zurechenbares Verhalten ist (vgl. Kant’s Theory of Freedom, 5 f., 40, 126). Vgl. dazu Kap. 2, § 2, 2 und 3. – Eine Definition spezifisch menschlicher Willkr, die auf die Mçglichkeit der Distanzierung von sinnlichen Antrieben abhebt, darf jedoch nicht die fr Kants Handlungstheorie und Moralpsychologie ebenso wichtige Annahme unterlaufen, dass Menschen (als rationale Wesen) in ihrem Handeln zwar nicht durch sinnliche Einflsse vollstndig fremdbestimmt sind, sie jedoch auch nicht umhin kçnnen, diese wahrzunehmen und zu erleben, so dass ein jedes Handeln aus Vernunftgrnden einer aktiven Widersetzung gegen die Reize der Sinnlichkeit bedarf. Diesen Punkt betont Sullivan: Immanuel Kant’s Moral Theory, 120. 59 Vgl. hierzu Reath: „Kants Theory of Moral Sensibility“, bes. 294; Allison: Kant’s Theory of Freedom, 124.
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V. Praktische Grnde und Triebfedern
Vergleichung mit dem Gesetz […] die Demuth (humilitas moralis)“ (MST 6:435). Dieses sittliche Bewusstsein ist bei dem im Eigendnkel gefangenen Subjekt verschttet (wenn auch nicht vollstndig eliminiert): Ihm mangelt der Vergleich mit der moralischen Norm60, weshalb seine positive Schtzung der eigenen Person „bloßer Schein“ ist, zu der er sich ohne echte Grnde ,berredet‘ und die weder mitteilbar noch objektiv nachvollziehbar und daher eindeutig irrational ist.61 Vor diesem Hintergrund fhrt Kants moralpsychologische Analyse von Selbstsucht, Eigenliebe und Eigendnkel den moralisch-praktischen Standpunkt des Menschen als eines unvollkommenen Vernunftwesens vor, das in moralischen Dingen natrlicherweise mit sich selbst in Konflikt steht. Der Vorgang der moralischen Deliberation, fr den Kant im Triebfedern-Kapitel eine anschauliche Darstellung liefert, wird damit zu einem genuin persçnlichen Konflikt, den jedes vernnftig-sinnliche, der Moralitt zugngliche Subjekt mit sich selbst austrgt.62 Dass Menschen Vernunft haben, befhigt sie zum einen, sich Ziele zu setzen, die richtigen Mittel zur Umsetzung ihrer Ziele zu whlen und die Bedingungen, die sie in ihrer Umwelt vorfinden, fr die Realisierung ihrer eigenen Zwecke nutzbar zu machen. Darber hinaus verfgen Menschen qua Vernunft ber das Vermçgen, sich in ihrem Handeln von unmittelbaren, sinnlichen Bewegursachen zu distanzieren und aus Grnden zu handeln, die nicht allein subjektiv fundiert, sondern prinzipienorientiert und allgemeingltig sind: Sie haben zustzlich zu ihrer natrlichen auch
60 „Aus unserer aufrichtigen und genauen Vergleichung mit dem moralischen Gesetz […] muß unvermeidlich wahre Demuth folgen […]“ (MST 6:436). 61 Diesen Gedanken legen Kants Ausfhrungen in der Metaphysik der Sitten nahe, wo er den Eigendnkel als „Tu g e n d s t o l z (arrogantia moralis)“ bezeichnet. Dieser „Tu g e n d s t o l z “ ist „[d]ie berredung von einer Grçße […] seines Werths, aber nur aus Mangel der Vergleichung mit dem Gesetz“ (MST 6:435). Dem entsprechend ist der Eigendnkel als eine Selbsttuschung in der Hinsicht zu verstehen, dass er auf „berredung“ beruht. Im Gegensatz zu einer berzeugung, die laut Kritik der reinen Vernunft ein Frwahrhalten aus objektiven Grnden ist, das „fr jedermann gltig ist, sofern er nur Vernunft hat“ (KrV A 820/B 848), ist die „berredung […] ein bloßer Schein, weil der Grund des Urteils, welcher lediglich im Subjekte liegt, fr objektiv gehalten wird“ (KrV A 820/B 848). Zum Zusammenhang von Eigendnkel, Selbsttuschung/Selbstbetrug und berredung vgl. Kçnig: Autonomie und Autokratie, 226 – 228. – Den Aspekt der Irrationalitt bezglich des Eigendnkels betont Wood: „Self-Love, Self-Benevolence, and SelfConceit“, 144, 153. 62 Das betont auch Sullivan: Immanuel Kant’s Moral Theory, 126.
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noch moralische Autonomie. 63 Es ist nun diese Vernunft als Vermçgen der Freiheit, die sie moralisch sensibel macht. Sie ist die Quelle fr ein moralisches Gefhl, das seinerseits von entscheidender Wirkung auf das Wollen und den Prozess praktischer berlegung ist. Im Triebfedern-Kapitel fasst Kant diese Wirkung folgendermaßen zusammen: Als Wirkung aber vom Bewußtsein des moralischen Gesetzes, folglich in Beziehung auf eine intelligible Ursache, nmlich das Subject der reinen praktischen Vernunft als obersten Gesetzgeberin, heißt dieses Gefhl eines vernnftigen von Neigungen afficirten Subjects zwar Demthigung (intellectuelle Verachtung), aber in Beziehung auf den positiven Grund derselben, das Gesetz, zugleich Achtung fr dasselbe, fr welches Gesetz gar kein Gefhl stattfindet, sondern im Urtheile der Vernunft, indem es den Widerstand aus dem Wege schafft, die Wegrumung eines Hindernisses einer positiven Befçrderung der Causalitt gleichgeschtzt wird (KpV 5:75; kursive H. v. m.).
Kants Begriff der Handlung zufolge geschieht eine Handlung dann und nur dann, wenn eine Substanz einen Zustand verursacht durch Determination ihrer Kraft (vgl. V-Me/v. S. 28:433, 564 f.).64 Die kausalen Krfte menschlicher Wesen bezeichnet Kant – typisch fr seine Zeit – als „Vermçgen“. Dabei geht er von folgendem Modell von „Kraft“ und „Vermçgen“ aus: Das innre Princip der Mçglichkeit einer Handlung, heißt nun das Vermçgen. Dieses innre Princip der Mçglichkeit einer Handlung erfordert aber auch noch einen Bestimmungs Grund, damit die Handlung wirklich werde und das ist K r a f t . Der Bestimmungs Grund zur Wirklichkeit einer Handlung heißt also K r a f t . Eine jede Kraft ist also fr sich selbst hinreichend zu einer Handlung und bringt eine andere Handlung hervor (V-Me/v. S. 28:515).
Dass Handlungen stattfinden, heißt demnach, dass Krfte wirken, die ihrerseits Vernderungen verursachen. Dabei geht Kant – in Abgrenzung zu Wolff 65 – von der Mçglichkeit verschiedener Vermçgen beim Menschen aus, die ihrerseits die Wirkung von Krften ermçglichen. Der von ihm explizierten Vermçgensstruktur zufolge gibt es drei Grundvermçgen: Denn alle Seelenvermçgen oder Fhigkeiten kçnnen auf die drei zurck gefhrt werden, welche sich nicht ferner aus einem gemeinschaftlichen Grunde ableiten lassen: das E r k e n n t n i s v e r m ç g e n , das G e f h l d e r L u s t u n d Un l u s t und das B e g e h r u n g s v e r m ç g e n (KU 5:177).
63 Zum Unterschied zwischen natrlicher und moralischer Autonomie vgl. Kap. 3. 64 Vgl. hierzu und im Folgenden: Kap. 2, § 1, 1. 65 Zu Wolff vgl. Kap. 1, § 2, 2.
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V. Praktische Grnde und Triebfedern
Whrend nun die Erkenntnisvermçgen – darunter fallen Sinnlichkeit als unteres und Verstand als oberes Erkenntnisvermçgen – Wahrnehmungsurteile und Erfahrungsurteile liefern und damit ihren Beitrag zur Systematisierung der Phnomene der Erfahrung liefern, so gehçrt das Gefhl der Lust und Unlust zum einen zu dem empirischen Erkenntnisquellen, die vorrationale Bewertungen ermçglichen und begleitet zum anderen unsere realisierten Absichten. Das Begehrungsvermçgen als drittes Seelenvermçgen ermçglicht schließlich die Verwirklichung vorgestellter Gegenstnde durch das Handeln.66 Intentionales Handeln (sowohl empirisches als auch freies) zeichnet sich dadurch aus, dass ein Subjekt, das Vernunft und Instinkte und Prdispositionen hat, von seinem Begehrungsvermçgen als einer kausalen Kraft in der Hinsicht Gebrauch macht (und das heißt: seinen Willen bestimmt), dass es ein Objekt hervorbringt, das es selbst als gut vorstellt bzw. begehrt. Kants Modell von der Wirkung des Moralbewusstseins, wie es in der zitierten Stelle aus der Kritik der praktischen Vernunft beschrieben ist, fgt sich in diesen Begriff der Handlung als einem Wirken von Krften ein. Was hier nach Krften wirkt, ist das Bewusstsein des moralischen Gesetzes; es hat kausale Kraft, indem es ein Gefhl bewirkt, das seinerseits die Wirkung dieses Moralbewusstseins auf das Handeln ,positiv befçrdert‘. [D]as sinnliche Gefhl, was allen unseren Neigungen zum Grunde liegt, [ist] zwar die Bedingung derjenigen Empfindung, die wir Achtung nennen, aber die Ursache der Bestimmung desselben liegt in der reinen praktischen Vernunft, und diese Empfindung kann daher ihres Ursprunges wegen nicht pathologisch, sondern muss p r a k t i s c h g e w i r k t heißen: indem dadurch, daß die Vorstellung des moralischen Gesetzes der Selbstliebe den Einfluß und dem Eigendnkel den Wahn benimmt, das Hinderniß der reinen praktischen Vernunft vermindert und die Vorstellung des Vorzuges ihres objectiven Gesetzes vor den Antrieben der Sinnlichkeit, mithin das Gewicht des ersteren relativ (in Ansehung eines durch die letztere afficirten Willens) durch die Wegschaffung des Gegengewichts im Urtheile der Vernunft hervorgebracht wird (KpV 5:75; kursive H. v. m.).
Die Vorstellung des Moralgesetzes wirkt demtigend; es weist die Eigenliebe in ihre Schranken und den Eigendnkel zurck und „vermindert“ dadurch „das Hinderniß der reinen praktischen Vernunft“. Analog zu Kants Darstellung in den Negativen Grçßen lassen sich Eigenliebe, Eigendnkel und Demtigung dabei als negative Grçßen verstehen, die einen gemeinsamen ,positiven Grund‘, das Moralgesetz, haben. So findet Demtigung „nur relativ auf die Reinigkeit des Gesetzes statt[…]“ (KpV 66 Vgl. dazu Kap. 2, § 2, 2.
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5:79), whrend die Maximen der Eigenliebe und des Eigendnkels immer das Produkt einer Hinwegsetzung ber die a priori gewusste moralische Norm sind.67 Dabei wirkt die Demtigung auf die Eigenliebe und den Eigendnkel gleichsam als eine „entgegengesetzte Kraft“ (Grçßen 2:177), die „dasjenige auf[hebt], was durch das andere gesetzt ist“ (Grçßen 2:171): den Einfluss der Neigungen auf die Grnde, die in der moralischen Entscheidungsfindung relevant sind. Whrend die Eigenliebe auf ein Maß eingeschrnkt wird, das durch die Mçglichkeit der Billigung durch die reine praktische Vernunft festgelegt ist, werden die Forderungen des Eigendnkels aus vernnftiger Perspektive ausnahmslos zurckgewiesen; sie erweisen sich als unberechtigt, irrational und als Ergebnis einer (Selbst-) Tuschung. Der Eigendnkel wird ,niedergeschlagen‘ und das scheinbare, auf einem geflschten Urteil beruhende Wohlgefallen an sich selbst (als sinnlichem Wesen) wird eliminiert. Dem ,Schmerz‘, der mit der moralischen Demtigung einhergeht, kommt dieser Beschreibung zufolge eine produktive Rolle in der moralischen Motivation zu. Entsprechend von Kants Definition des Schmerzes aus der Anthropologie ist dieser Schmerz ein „Stachel der Thtigkeit“ (Anth 7:231)68, die sich ihrerseits darin zeigt, dass der reflektierende Mensch seine egoistischen Ansprche zurckstellt und strker empfnglich fr die moralische Norm ist.69 Kant gibt diesen Gedanken in der Formulierung 67 Vgl. zum letzten Punkt Engstrom: „The ,Triebfeder’ of Pure Practical Reason“, 109. 68 In der Anthropologie beschreibt Kant den Schmerz als ein Gefhl der (sinnlichen) Unlust mit unangenehmer Wirkung (vgl. Anth 7:230). Dieses ist genauer dadurch charakterisiert, dass es dazu „antreibt“, den „Zustand“, den es hervorruft, zu verlassen (Anth 7:231). Denn der Schmerz ist das Gefhl „einer Hinderniß des Lebens“ und daher „der Stachel der Thtigkeit“ (Anth 7:231). Weil ein bedrftiges Wesen sich dadurch auszeichnet, dass ihm immer irgendetwas mangelt und dieser Mangel es zur Ttigkeit antreibt, ist das schmerzhafte Empfinden eines solchen Mangels die ganz natrliche Grundlage menschlichen Handelns und vor allem die Basis dafr, dass sich berhaupt – nach erfolgreicher Ttigkeit – Lust einstellt. Einer solchen Auffassung zufolge ist „das Vergngen nichts anders als Aufhebung des Schmerzes“ (Anth 7:231). 69 Diesen Aspekt der Reflexion hat auch Zinkin vor Augen, wenn sie die vom Eigendnkel eingenommene Person als „one who does not question his own motives for action“ beschreibt (Zinkin: „Respect for the Law and the Use of Dynamical Terms“, 47). Zinkin stellt die Verbindung zwischen Kants Theorie der Motivation und seiner Schrift ber die Negativen Grçßen her, indem sie das dort aufgezeigte Krftemodell auf Kants Willensbegriff bertrgt. Dabei dient ihr die These, dass Kant unter dem Willen eine Kraft versteht (vgl. 45), zur Anbindung der Motivationsproblematik an eine Theorie ber die Rolle des Charakters: „Understanding
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wieder, die Achtung, die als Bewusstsein des moralischen Gesetzes die Ursache fr die schmerzhafte Demtigung ist, schwche „den hindernden Einfluß der Neigungen durch Demthigung des Eigendnkels“ und sei damit „subjectiver Grund der Thtigkeit, d. i. […] Triebfeder“ zur Befolgung des Gesetzes (KpV 5:79). Das Ergebnis der von Kant im Triebfedern-Kapitel beschriebenen Wirkung des Moralgesetzes auf das menschliche Gemt ist daher „Etwas“ (und nicht Nichts) (vgl. Grçßen 2:171): Das „Hinderniß der reinen praktischen Vernunft [wird] vermindert und die Vorstellung des Vorzuges ihres objectiven Gesetzes vor den Antrieben der Sinnlichkeit […] [wird] im Urtheile der Vernunft hervorgebracht […]“ (KpV 5:75). Eigenliebe und Eigendnkel sind damit Teil eines deliberativen Prozesses, bei dem moralische Grnde und Gegengrnde vorgefhrt und gegeneinander abgewogen werden. In Analogie zum Krftemodell fhrt Kant vor, wie moralische Grnde dabei zu berwiegenden Grnden werden, die sich im praktischen Urteil als die ,vorzuziehenden‘ Grnde erweisen. Das Gefhl der Achtung als positive Kehrseite der Demtigung ist Triebfeder zum Guten, indem es bei einem zwar vernunftbegabten aber sinnlich beeindruckbaren Wesen zunchst die Aufmerksamkeit schrft und aus vernnftig-moralischer Perspektive sensibel dafr macht, was aus vernnftiger Perspektive zu tun geboten ist (vgl. v. a. KpV 5:76). Werden die aufgrund dieser moralischen Sensibilitt als berwiegend empfundenen moralischen Grnde tatschlich in Interessen und Maximen handlungswirksam, so wird reine Vernunft in Handlungen praktisch.70 Kants Darstellung im Triebfedern-Kapitel zufolge hat die Vorstellung des Moralgesetzes bzw. das moralische Bewusstsein die Wirkung einer Kraft, die Wirkungen hervorruft. Wie dies mçglich ist, wird verstndlich, wenn man bedenkt, dass das Moralbewusstsein selbst ein Produkt der reinen praktischen Vernunft und nicht einfach eine theoretische Erthe will as a force can help us to see what moral character is for Kant“ (51). Ihre Argumentation sttzt sich auf Kants Ansicht, dass zwei negative Grçßen einen gemeinsamen positiven Grund haben mssen; diese gemeinsame Grundlage sieht Zinkin im Willen. Bercksichtigt man jedoch die besondere Funktion, die das Bewusstsein des Sittengesetzes in der Herausbildung eines Handlungsmotivs spielt, so kann dieses ebenso als der „positive Grund“ angesehen werden. Dafr spricht, dass Kant das Bewusstsein des moralischen Gesetzes in den Negativen Grçßen selbst als „positive[n] Grund einer guten Handlung“ bezeichnet (vgl. z. B. Grçßen 2:182). Zur Kritik der mechanistischen Lesart moralischer Motivation bei Kant vgl. Kap. 5, § 2, 5. 70 Vgl. dazu Kap. 5, § 2, 3.
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kenntnis dessen ist, was aus Vernunftgrnden gefordert ist.71 Einen Willen haben, heißt fr Kant, ber moralische Autonomie zu verfgen, d. h. sich nicht subjekt-relative Grnde selbst vorschreiben und aus ihnen handeln zu kçnnen. Das Bewusstsein des moralischen Gesetzes setzt daher einen solchen Willen voraus; es beruht seinerseits auf dem Vermçgen, sich eine unbedingte Handlungsregel, das praktische Gesetz, als Regel des Verhaltens selbst vorzuschreiben: „Reine Vernunft ist fr sich selbst praktisch und giebt (dem Menschen) ein allgemeines Gesetz, welches wir das Sittengesetz nennen“ (KpV 5:31). Im Bewusstsein der moralischen Norm ist der Wille daher schon aktiv: als gesetzgebendes Vermçgen bzw. als „oberes Begehrungsvermçgen“, das „nicht im Dienste der Neigungen ist“ (KpV 5:24 f.). Indem er fr die Moral sensiblen Vernunftwesen ein Moralbewusstsein vermittelt, das diese seinerseits beeindruckt, indem es demtigt und erhebt, beeinflusst er auch die moralische Entscheidungsfindung in der Herausbildung von Maximen. Das Moralbewusstsein hat ber den Willen als reiner praktischer Vernunft daher eine Wirkung, die Kants Handlungsbegriff zufolge nur Vermçgen zukommt, die nach Krften wirken. Die Pointe von Kants Analyse moralischer Motivation besteht nun darin, dass sie vorfhrt, wie moralische Grnde durch einen Prozess der Wirkung auf ein fr die Moral sensibles Wesen zu Grnden werden, die anderen Grnden vorzuziehen sind. Diese Grnde werden praktisch, wenn der reflektierende Mensch angesichts des Bewusstseins des Guten zumindest in vernnftiger berlegung von seinen eigenen, moralisch unzureichenden Ansprchen abstrahiert und – um die Thematik in die gegenwrtige Debatte zu bertragen – eine Pro-Einstellung zugunsten dieses moralischen Gebots entwickelt.72 Diese Gedanken bilden nun den Kern 71 Vgl. dazu Kap. 5, § 1, 1. Kant bezeichnet die „Anerkennung des moralischen Gesetzes“ im Triebfedern-Kapitel dementsprechend auch als „Bewußtsein einer Thtigkeit der praktischen Vernunft aus objectiven Grnden“ (KpV 5:79). 72 Eine hnliche Rolle wie der Demtigung kommt mit Blick auf Kants Gesamtkonzeption moralischen Handelns dem Glcksverlangen handelnder Subjekte zu. Auch wenn er den Bezug zu Kants Schrift ber die Negativen Grçßen nicht herstellt, so wird dieser Gedanke doch sinngemß von Forschner ausgefhrt, wenn er schreibt: „Die Glckserwartungsperspektive wirkt nicht ,positiv‘ motivierend bei der Annahme des Gesetzes und dem Vollzug tugendhafter Handlungen […]; es wirkt allerdings ,negativ‘ motivierend in dem Sinne, dass es ein Motivationshindernis beseitigt, nmlich die Furcht des endlichen vernnftigen Weltwesens vor definitivem Glcksverlust“ (Forschner: „Immanuel Kant ber Vernunftglaube und Handlungsmotivation“, 342). Vgl. zu diesem Gedankengang auch Refl. 7281, 19:301; um 1780: „Die Erwartung der Belohnungen vermindert nur dann den
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der Argumentation im Kapitel ber die „Triebfedern der reinen praktischen Vernunf t“ (KpV 5:71). Er beinhaltet Folgendes: 1. Wesen, denen „ein Bedrfniß“ eigen ist, „irgend wodurch zur Thtigkeit angetrieben zu werden, weil ein inneres Hinderniß derselben entgegensteht“ (KpV 5:79), handeln nach Triebfedern. 73 2. Moralisches Handeln beruht auf einer Triebfeder, deren Gegenstand allein das moralische Gesetz ist. Im Gegensatz zu ,herkçmmlichen‘ Triebfedern beruht diese nicht auf Stimuli, sondern auf einem Vernunftbegriff. Kant bezeichnet die moralische Triebfeder zum einen als „Achtung frs moralische Gesetz“, zum anderen spricht er vom Gesetz selbst als der moralischen Triebfeder. 3. Die moralische Triebfeder wirkt zum einen demtigend auf das menschliche Gemt, weil die eigenen subjektiven Ansprche vor der Forderung des Sittengesetzes unzureichend und verabscheuenswert erscheinen. Die Wirkung der Triebfeder ist in diesem Sinne negativ. Die Demtigung ist eine negative Grçße, die sich aus der Relation zum Bewusstsein des Moralgesetzes ergibt. 4. Die Triebfeder wirkt aber auch positiv, weil die Demtigung eine Zurckstellung der Neigungen bewirkt, so dass das moralische Gesetz im vernnftigen Urteil das grçßere Gewicht erhlt. Das Gesetz, „das jetzt allein Einfluß hat“ und dem die moralische Triebfeder „Ansehen verschafft“ (KpV 5:76), ist damit der strkere Handlungsgrund. 5. Aufgrund dieser Funktion ist die moralische Triebfeder Grundlage fr moralische Maximen und moralisches Handeln, weil erst sie die moralische Norm als Kandidatin fr einen geeigneten subjektiven Handlungsgrund einfhrt. Whrend Menschen als vernnftige Wesen Einsicht in die Forderung des moralischen Gesetzes haben und dieses als objektiven Handlungsgrund anerkennen, handeln sie nach diesem Grund erst ber eine moralische Triebfeder. Sie entwickeln auf der Grundlage des strkeren Handlungsgrundes eine praktische Einstellung.
moralischen Werth, wenn diese den Bewegungsgrund enthalten, nicht aber, wenn sie nur dazu dienen, die hindernis der moralitt in der furcht vor dem Verlust aller Glkseeligkeit aufzuheben.“ 73 „Alle drei Begriffe […], der einer Tr i e b f e d e r, eines In t e r e s s e und einer M a x i m e , kçnnen nur auf endliche Wesen angewandt werden“ (KpV 5:79).
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5. Die Analogie zum Erhabenen Die besondere Wirkung des Bewusstseins des Sittengesetzes bzw. des Gefhls der Achtung auf den motivationalen Haushalt bedrftiger Vernunftwesen lsst sich noch anhand seiner Analogie zum Erhabenen untersuchen, da es sich beim Gefhl der Achtung „um eine Variante der in der Analytik des Erhabenen beschriebenen ,Geistesstimmung‘ handelt“.74 Tatschlich legt ein Vergleich der entsprechenden Textstellen aus der Kritik der praktischen Vernunft einerseits und der Kritik der Urteilskraft andererseits diese Analogie nahe, da wichtige Theoriestcke der ,Lehre‘ vom Gefhl der Achtung als moralischer Triebfeder mit Prdikaten belegt sind, die in Kants Konzeption des Erhabenen wieder zu finden sind. So ist zum einen von der „feierlichen Majestt“ und der „Herrlichkeit“ des moralischen Gesetzes die Rede (KpV 5:77), zum anderen wird die Pflicht als „erhabener großer Name“ gelobt (KpV 5:86). Neben dieser schon sprachlich exponierten hnlichkeit des Gefhls der Achtung mit dem des Erhabenen lsst sich die Analogie noch in Bezug auf das Wechselspiel von „Demthigung“ und „Erhebung“ nachvollziehen, das auch Teil von Kants Analyse des Erhabenen ist. Zwei Stellen aus Kritik der Urteilskraft und der Kritik der praktischen Vernunft legen diese Analogie nahe: Das Gemth fhlt sich in der Vorstellung des Erhabenen in der Natur b e w e g t […]. Diese Bewegung kann (vornehmlich in ihrem Anfange) mit einer Erschtterung verglichen werden; d. i. mit einem schnellwechselnden Abstoßen und Anziehen ebendesselben Objects. Das berschwengliche fr die Einbildungskraft (bis zu welchem sie in der Auffassung der Anschauung getrieben wird) ist gleichsam ein Abgrund, worin sie sich selbst zu verlieren frchtet; aber doch auch fr die Idee der Vernunft vom bersinnlichen nicht berschwenglich, sondern gesetzmßig, eine solche Bestrebung der Einbildungskraft hervorzubringen; mithin in eben dem Maße wiederum anziehend, als es fr die bloße Sinnlichkeit abstoßend war (KU 5:258). Weil aber dasselbe Gesetz doch objectiv, d. i. in der Vorstellung der reinen Vernunft, ein unmittelbarer Bestimmungsgrund des Willens ist, folglich diese Demthigung nur relativ auf die Reinigkeit des Gesetzes stattfindet, so ist die Herabsetzung der Ansprche der moralischen Selbstschtzung, d. i. die Demthigung auf der sinnlichen Seite, eine Erhebung der moralischen, d. i. der praktischen Schtzung des Gesetzes selbst, auf der intellectuellen, mit einem 74 Recki: sthetik der Sitten, 285. Den Zusammenhang zwischen Erhabenem und Moral bei Kant hat auch Pries herausgearbeitet: vgl. bergnge ohne Brcken sowie Kçnig: Autonomie und Autokratie, 213 ff.
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Worte, Achtung fr das Gesetz, also auch ein seiner intellectuellen Ursache nach positives Gefhl, das a priori erkannt wird (KpV 5:79).
Die Stellen machen deutlich, dass sich die Wirkung des Erhabenen in der Natur auf die Einbildungskraft und die Vernunftttigkeit ganz hnlich verhlt wie diejenige des moralischen Gesetzes auf die sinnliche und intellektuelle Seite des Menschen. Dem ,Abstoßen‘ und ,Anziehen‘ in der sthetischen Empfindung korrespondieren die ,Demtigung‘ und ,Erhebung‘ im Bereich der Moralitt. Dabei fhlt sich das Subjekt jeweils aufgrund seiner Sinnlichkeit von der Wirkung des entsprechenden Objekts ,abgestoßen‘, whrend es sich aus intellektueller Perspektive von diesem ,angezogen‘ fhlt. Wie andere Stellen belegen, ußern sich diese verschiedenen Arten der Reaktion auf die Wirkung des Objektes im Gefhl der Lust und Unlust gleichermaßen, wobei gilt: „Lust durch Unlust“75. Kant schreibt in der Kritik der Urteilskraft ber das Gefhl des Erhabenen: Das Gefhl des Erhabenen ist also ein Gefhl der Unlust aus der Unangemessenheit der Einbildungskraft in der sthetischen Grçßenschtzung zu der Schtzung durch die Vernunft und dabei zugleich erweckte Lust aus der bereinstimmung eben dieses Urtheils der Unangemessenheit des grçßten sinnlichen Vermçgens mit Vernunftideen, sofern die Bestrebung zu denselben doch fr uns Gesetz ist (KU 5:257).
Kant versteht das Gefhl des Erhabenen also als ein „Gefhl der Unlust“, das gleichzeitig, ber den Vergleich eines sthetischen Urteils mit einem Vernunftbegriff, „Lust“ erweckt. Denn: „Erhaben“ ist dasjenige in der Natur, dessen Anschauung auf das Unendliche verweist (vgl. KU 5:255). Es ist mit anderen Worten „das, mit welchem in Vergleichung alles andere klein ist“ (KU 5:250). Nun geht die menschliche Einbildungskraft in der „Grçßenschtzung“ (KU 5:257) ins Unendliche und damit auch auf das Erhabene. Sie wird in diesem Verfahren vom Verstand begleitet, indem dieser die Zahlen zu der Anschauung liefert, die von der Einbildungskraft ausgeht. Dies ist jedoch nur insoweit mçglich, als es sich dabei um Grçßen handelt, „die man in einem Blick fassen kann“ (KU 5:254); gehen sie hingegen ber das Vermçgen der menschlichen Einbildungskraft hinaus, d. h. handelt es sich um Grçßen, die diese nicht mehr fassen kann, so bleibt es allein bei der „logischen Grçßenschtzung“ (KU 5:253, 259) des Verstandes, die Anschauung aber bleibt auf der Strecke. Kant fhrt als Beispiel u. a. die Vorstellung des Erddurchmessers an, der durch Verstandesleistung zwar berechnet werden kann, aber fr die Einbildungskraft nicht mehr in 75 Recki: sthetik der Sitten, 286.
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Form einer Anschauung fassbar ist (vgl. KU 5:254). Das im Zitat beschriebene Gefhl der Unlust, das das Erhabene kennzeichnet, entsteht nun dadurch, dass sich ein in dieser Betrachtung des Unendlichen befindliches Subjektes aufgrund seiner Vernunft dazu geleitet sieht, auch zum durch die Einbildungskraft erahnten Unendlichen eine Anschauung zu erwirken (vgl. KU 5:254). Dies jedoch ist der Einbildungskraft nicht mçglich; das Ergebnis ist ein Gefhl der Unlust ber das eigene sthetische Urteilsvermçgen: Unsere Einbildungskraft aber beweiset selbst in ihrer grçßten Anstrengung in Ansehung der von ihr verlangten Zusammensetzung eines gegebenen Gegenstandes in ein Ganzes der Anschauung (mithin zur Darstellung der Idee der Vernunft) ihre Schranken und Unangemessenheit […]. Das Gefhl des Erhabenen ist also ein Gefhl der Unlust aus der Unangemessenheit der Einbildungskraft in der sthetischen Grçßenschtzung zu der Schtzung durch die Vernunft […] (KU 5:257).
Weil ein in solcher Betrachtung sich befindendes Subjekt zwar Unlust in Bezug auf die Unzulnglichkeit seines sthetischen Urteilsvermçgens empfindet, sich aber auch der Ursache dieser Empfindung, nmlich der Vernunft als eines anderen, vollkommenen Vermçgens der Grçßenschtzung bewusst wird, wirkt die Unlust auch positiv und bewirkt eine Lust an der unvergleichbaren Grçße der „Ideen der Vernunft“: Die Q u a l i t t des Gefhls des Erhabenen ist: daß sie ein Gefhl der Unlust ber das sthetische Beurteilungsvermçgen an einem Gegenstande ist, die darin doch zugleich als zweckmßig vorgestellt wird; welches dadurch mçglich ist, daß das eigne Unvermçgen das Bewußtsein eines unbeschrnkten Vermçgens desselben Subjects entdeckt, und das Gemth das letztere nur durch das erstere sthetisch beurtheilen kann (KU 5:259).
Die Unlust hat also ihre eigene ,Zweckmßigkeit‘, indem sie im Zusammenspiel von Einbildungskraft und Vernunft ein sthetisches Urteil ermçglicht, das dem anschauenden Subjekt etwas ber sich selbst verrt: nmlich dies, dass ihm ein Vermçgen zukommt, das – im Gegensatz zur Einbildungskraft – „unbeschrnkt“ ist und „jeden Maßstab der Sinne bertrifft“ (KU 2:250). Die Grundidee, die Kant hier vorstellt, und die die Analogie zum Gefhl der Achtung in der Kritik der praktischen Vernunft verdeutlicht, ist daher folgende: In der Beurteilung eines vermeintlich erhabenen Gegenstandes – denn ,erhaben‘ ist nicht das angeschaute Objekt, sondern die Vorstellung, die aus dieser Anschauung hervorgeht – erfhrt ein sinnliches Vernunftwesen die Grenzen seiner Einbildungskraft; diese Erfahrung wirkt negativ und produziert ein Unlustgefhl. Sie bewirkt jedoch auch ein positives Gefhl, weil dem betrachtenden Subjekt gleich-
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zeitig mit der Erkenntnis der Unzulnglichkeit des sinnlichen Vermçgens der Einbildungskraft die berlegenheit des intellektuellen Vermçgens einer „reine[n], selbststndige[n] Vernunft“ bewusst wird (KU 5:258). Positiv im Sinne von: produktiv ist die Wirkung des Unlustgefhls des Erhabenen schließlich auch deshalb, weil es „das Gefhl dieser bersinnlichen Bestimmung in uns rege macht“ (KU 5:257) und damit fr den „Einfluss bestimmter Ideen (praktischer) auf das Gefhl“ sorgt (KU 5:256). Kant deutet nun die Analogie der Wirkung des Erhabenen auf das menschliche Gemt zur Wirkung des Sittengesetzes selbst an, wenn er „[d] as Gefhl der Unangemessenheit unseres Vermçgens zur Erreichung einer Idee, die fr uns Gesetz ist“, als „Achtung“ bezeichnet (KU 5:257). In der Kritik der Urteilskraft bezeichnet die Achtung jene Empfindung der Unzulnglichkeit der Einbildungskraft im Vergleich zur Leistung der Vernunft, die Ideen vorgibt, an die die Einbildungskraft mittels einer Anschauung nicht mehr heranreicht. In der Kritik der praktischen Vernunft ist die Achtung die Kehrseite des Gefhls einer Demtigung der sinnlichen ,Seite‘ im Menschen, die ihrerseits durch den Vergleich mit der intellektuellen Forderung des Sittengesetzes bewirkt ist. In beiden beschriebenen Fllen ist die Achtung auch mit einem Unlustgefhl verbunden, das die Gewissheit, einem objektiven Vernunftanspruch nicht zu gengen, begleitet. Nun hat die Achtung aber in beiden Fllen auch eine positive Funktion, die ihrerseits ber ihre negative Funktion und das Unlustgefhl vermittelt ist. Sie ergibt sich daraus, dass ein endliches Vernunftwesen sich mittels der Erkenntnis der eigenen Unzulnglichkeit (als eines sinnlichen Wesens) seines intellektuellen Vermçgens der Vernunft derart bewusst wird, dass dieses Bewusstsein seine subjektiven Einstellungen beeinflusst: entweder – im Falle der Erfahrung des Erhabenen – insofern als es ein Lustgefhl fr das Erhabene bewirkt oder – im Falle der sittlichen Erfahrung – insofern als es das objektiv erkannte Gesetz als moralische Triebfeder auch subjektiv zum strkeren Handlungsgrund macht. In beiden Fllen ist es eine Vernunftidee, die sowohl die negative als auch die positive Wirkung ausbt, und die Achtung bezeichnet den Modus, in dem sich ein endliches Vernunftwesen dieser Vernunftidee bewusst wird.76 Sie ist ein Gefhl, das in einem Falle das Wohlgefallen an einem Gegenstand, im anderen Falle den Willen zugunsten der objektiv erkannten Vernunftidee 76 Vgl. zur Achtung als Modus des Moralbewusstseins Kap. 5, § 2, 1.
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beeinflusst.77 So wird ein Gegenstand nicht lnger als abstoßend, sondern als erhaben empfunden. Und es erhlt ein objektiver Handlungsgrund den Status eines auch subjektiv relevanten Grundes insofern, als er sich als der berzeugendere und damit strkere Grund erweist. Um die Analogie zum Erhabenen aufrecht zu erhalten, kçnnte man auch sagen: Ein solcher Grund ist ber andere mçgliche Handlungsalternativen erhaben. Die Bedeutung, die Kant der Demut, der Erniedrigung und der damit verbundenen Empfindung eines Schmerzes in beiden Kontexten zuweist, ist auch an anderen Stellen seiner Moralphilosophie sprbar. So ,beschließt‘ Kant die Kritik der praktischen Vernunft mit folgenden Gedanken: Zwei Dinge erfllen das Gemth mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je çfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschftigt: d e r b e s t i r n t e Hi m m e l b e r m i r u n d d a s m o r a l i s c h e G e s e t z i n m i r. […] Der erstere Anblick einer zahllosen Weltenmenge vernichtet gleichsam meine Wichtigkeit, als eines t h i e r i s c h e n G e s c h ç p f s […]. Der zweite erhebt dagegen meinen Werth, als einer In t e l l i g e n z , unendlich durch meine Persçnlichkeit, in welcher das moralische Gesetz mir ein von der Thierheit und selbst von der ganzen Sinnenwelt unabhngiges Leben offenbart […] (KpV 5:161 f.).
Die in der Erfahrung des Erhabenen enthaltene kritische Reflexion auf die eigenen Ansprche und die Aktualisierung der Selbstgewissheit als eines Wesens, das sich ber seine sinnliche Eingeschrnktheit erheben kann,78 spielen eine unabdingbare Rolle fr das autonome Handeln einer Person, die sich gewissenhaft verhlt, dabei ber sich selbst richtet (vgl. Rel 6:186; MST 6:438)79 und am Prozess der Wahl ihrer Maximen gleichzeitig den Charakter schult.80 Schließlich ist die in diesem Bewusstwerdungsprozess in den Blickpunkt geratende „Anlage fr die Persçnlichkeit“ nichts Geringeres, als die „Empfnglichkeit der Achtung fr das moralische Gesetz, 77 In diesem Falle, d. h. im Kontext des Praktischen, ist das Gefhl eine Triebfeder, weil es durch seinen Einfluss auf den Willen eine subjektiv bewegende Ursache (causa impulsiva) des Handelns ist. Vgl. zum Begriff der Triebfeder Kap. 4, § 2, 1. 78 In dieser Hinsicht versteht Kant „Schranken der Demuth“ als „Schranken der Selbsterkenntnis“ (KpV 5:86). 79 Zu dieser Einordnung der Rolle des Gewissens passt auch Kants ußerung, der unter Gewissensbissen leidende Mensch fhle einen „Schmerz“, dessen „Ursprung“ moralisch ist (vgl. MST 6:394). 80 Mayer liefert ein starkes Argument gegen den Skeptiker normativer Ethik, wenn sie mit Bezug auf Kants kategorischen Imperativ bemerkt, dass dieser nicht lediglich als Kriterium moralischen Urteilens, sondern auch als „Anweisung an die moralische Charakterbildung des Akteurs“ zu verstehen ist ( „Das Paradox des Regelfolgens in Kants Moralphilosophie“, 359).
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als einer fr sich hinreichenden Triebfeder der Willkr“ (Rel 6:27), deren Chancen, Einfluss zu gewinnen, mit der bewussten Reflexion auf diese Anlage steigen.
§ 2 Handlungsgrnde und Motive 1. Was ist die Triebfeder moralischen Handelns? Im Vorangehenden wurde mit Blick auf das Triebfedern-Kapitel der Kritik der praktischen Vernunft untersucht, wie Kant die Wirkung eines formalen Gesetzes auf ein endliches Vernunftwesen vorstellt. Dabei hat sich gezeigt, dass dieses Gesetz auf den Menschen aufgrund seiner sowohl sinnlichaußermoralischen als auch intellektuell-moralischen Sensibilitt auf verschiedene Weise wirkt: zum einen ,negativ‘ und ,demtigend‘, zum anderen ,positiv‘ und ,erhebend‘. Schließlich hat sich – auch mit Blick auf die Analogie zum Erhabenen – ergeben, dass das fr die Wirkung des Gesetzes charakteristische Wechselspiel zwischen Demtigung (auf der sinnlichen Seite) und Erhebung (auf der intellektuellen Seite) in einer Bestrkung der moralischen Disposition in einem Wesen kulminiert, das sich des Sittengesetzes qua moralisch-vernnftiges Wesen nicht nur (theoretisch) bewusst ist, sondern diesem als ein solches bereits mit einer praktischen Einstellung gegenbersteht. Doch Kants Argumentation ist weniger unmissverstndlich und selbst erschließend, als er sie selbst zu Beginn des Triebfedern-Kapitels ankndigt. Fragt man z. B. danach, was genau er hier als die Triebfeder moralischen Handelns verstanden wissen will, so sieht man sich mit mehreren einander widersprechenden Aussagen konfrontiert. So betont Kant an mehreren Stellen, das moralische Gesetz selbst – und nur dieses – sei die Triebfeder moralischen Handelns: […] die Triebfeder des menschlichen Willens aber (und des von jedem erschaffenen vernnftigen Wesen) niemals etwas anderes als das moralische Gesetz sein kçnne, mithin der objective Bestimmungsgrund jederzeit und ganz allein zugleich der subjectiv hinreichende Bestimmungsgrund der Handlung sein msse, wenn diese nicht blos den Bu c h s t a b e n des Gesetzes, ohne des G e i s t desselben zu enthalten, erfllen soll (KpV 5:72).
Etwa in der Mitte der Argumentation im Triebfedern-Kapitel greift Kant diesen Gedanken erneut auf:
§ 2 Handlungsgrnde und Motive
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Das moralische Gesetz also, so wie es formaler Bestimmungsgrund der Handlung ist, durch praktische reine Vernunft […], so ist es auch subjectiver Bestimmungsgrund, d. i. Triebfeder, zu dieser Handlung, indem es auf die Sinnlichkeit des Subjects Einfluß hat und ein Gefhl bewirkt, welches dem Einflusse des Gesetzes auf den Willen befçrderlich ist (KpV 5:75).
Und auch am Ende der Argumentation bekrftigt er: So ist die chte Triebfeder der reinen praktischen Vernunft beschaffen; sie ist keine andere, als das reine moralische Gesetz selber […] (KpV 5:88).
Gbe es nur diese und keine anders lautenden Stellen, so fiele eine Antwort auf die Frage, was die Triebfeder moralischen Handelns laut Argumentation im Triebfedern-Kapitel sei, eindeutig aus. Zwar kçnnte man auch hier einwenden, die berschrift des Kapitels: „Von den Triebfedern der reinen praktischen Vernunft“ suggeriere, dass es deren mehrere und nicht nur eine einzige gibt. Dem kçnnte man entgegnen, Kant sei mit dieser Inkonsistenz einfach eine unbeabsichtigte Ungenauigkeit unterlaufen, denn dass es nur eine einzige Triebfeder moralischen Handelns geben kçnne, htte schon seit der Grundlegung und sptestens mit der These vom „Factum der Vernunft“ im „Ersten Hauptstck“ der Kritik der praktischen Vernunft fest gestanden. Nun gibt es jedoch auch Stellen im Triebfedern-Kapitel, an denen Kant mit ebenso großem Nachdruck, mit dem er zunchst das Gesetz als einzige moralische Triebfeder ausgewiesen hatte, die Achtung fr das moralische Gesetz als diese unersetzbare Triebfeder moralischen Handelns bezeichnet. Nachdem er gezeigt hat, dass die Wirkung des moralischen Gesetzes auf das Gefhl zwei Seiten hat, eine negative, die sich als „Demthigung“ durch das Gesetz, und eine positive, die sich als „Achtung“ fr dieses Gesetz erweist, schreibt er: Achtung frs moralische Gesetz ist also die einzige und zugleich unbezweifelte moralische Triebfeder, so wie dieses Gefhl auch auf kein Object anders, als lediglich aus diesem Grunde gerichtet ist (KpV 5:78).
Im Zusammenhang einer Beschreibung der positiven Wirkung des Gesetzes heißt es wenig spter: Also muss die Achtung frs moralische Gesetz auch als positive, aber indirecte Wirkung desselben aufs Gefhl, so fern jenes den hindernden Einfluß der Neigungen durch Demthigung des Eigendnkels schwcht, mithin als subjektiver Grund der Thtigkeit, d. i. als Tr i e b f e d e r zu Befolgung desselben und als Grund zu Maximen eines ihm gemßen Lebenswandels angesehen werden (KpV 5:79).
Den Zitaten zufolge scheint es also einerseits das moralische Gesetz selbst zu sein, das die Triebfeder zum Handeln ist, andererseits aber die Achtung
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fr dieses Gesetz. Die Ambivalenz wird dadurch zugespitzt, dass sowohl die Achtung als auch das Gesetz selbst fr sich beanspruchen, ,echte‘ und ,einzige‘ moralische Triebfeder zu sein. Nun ist es sehr unwahrscheinlich, dass Kant tatschlich – mçglicherweise versehentlich – zwei verschiedene Kandidaten fr die Funktion vorgesehen haben soll, die der moralischen Triebfeder in moralisch wertvollen Handlungen zukommt. Es ist daher eher zu vermuten, dass es sich hier um eine „angebliche Inkonsistenz“81 handelt, die sich durch Kants Argumentation und das heißt: intern auflçsen lsst. Zu zeigen ist demnach, dass es sich bei beiden, dem moralischen Gesetz und der Achtung fr dieses Gesetz, um ein und dieselbe Triebfeder moralischen Handelns handelt, die ihrerseits die ,einzige‘ und ,echte‘ moralische Triebfeder ist. Zunchst spricht ein einfacher Grund dafr, dass das moralische Gesetz und die Achtung Ausdruck einer einzigen moralischen Triebfeder sind. Er geht davon aus, dass sich Kant in den Zitaten, in denen das moralische Gesetz als einzige moralische Triebfeder vorgestellt wird, einer verkrzten Redeweise bedient. Demnach ist es nicht das Sittengesetz, sondern die Vorstellung bzw. das Bewusstsein dieses Gesetzes, was hier mit der „Triebfeder des menschlichen Willens“ gemeint ist. Dies legt zum einen eine Formulierung aus der Grundlegung nahe, der zufolge Moralitt darin besteht, dass „nichts anders als die Vorstellung des Gesetzes an sich selbst“ den Willen bestimmt (GMS 4:401; vgl. auch 410). Und auch an Stellen in der Kritik der praktischen Vernunft und in der Metaphysik der Sitten weist Kant konkret die „Vorstellung des Gesetzes“ als moralische Triebfeder aus (KpV 5:151; vgl. MST 6:397). Zum anderen muss das, was zu einer selbst bestimmten, moralisch wertvollen Handlung ,antreibt‘, etwas sein, das dem Willen nicht als externe Ursache aufgezwungen, sondern durch das Bewusstsein desjenigen Subjektes verursacht und begleitet wird, das die Handlung ausbt. Handelt jemand im Bewusstsein des Sittengesetzes, so ist seine Handlung ihm selbst als moralische Handlung zurechenbar und frei.82 Es ist derselbe Gedanke, den Kant mit seiner These vom „Factum der Vernunft“ verfolgt: Dass es reine praktische Vernunft tatschlich gibt, bedeutet demnach nicht einfach, dass es einen formalen 81 So Becks Diagnose; vgl. A Commentary on Kant’s Critique of Practical Reason, 208 f. 82 Vgl. zu diesem Argument Beck: A Commentary on Kant’s Critique of Practical Reason, 208 f. – Diesen Gedanken legt auch Kants Definition des moralischen Gesetzes als „ratio cognoscendi“ der Freiheit nahe, nach der das moralische Gesetz die Art und Weise bezeichnet, sich seiner Freiheit bewusst zu werden (vgl. KpV 5:4 Anm.).
§ 2 Handlungsgrnde und Motive
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Grundsatz gibt, der fr alle vernnftigen Wesen Gltigkeit hat. Die These besagt vielmehr, dass dieser formale Grundsatz ein praktischer Grundsatz ist, ber den vernnftige Wesen aufgrund eines sittlichen Bewusstseins verfgen. Er ist ein praktisches Gesetz fr ein vernnftiges Wesen, sofern dieses, um eine weitere Formulierung aus der zweiten Kritik aufzunehmen, berhaupt ein Vermçgen hat, seinen Willen durch die Vorstellung von Regeln zu bestimmen (vgl. KpV 5:32).83 Einer Handlung kommt dieser Interpretation zufolge moralischer Wert genau deshalb zu, weil sie auf einer Triebfeder beruht, die ihrerseits moralische Qualitt hat. Diese Triebfeder ist die Vorstellung eines unbedingt geltenden Gesetzes, und nur sie ist die Grundlage moralischen Handelns. Dies leitet nun zum zweiten Teil der Begrndung ber, mit dem moralischen Gesetz und der Achtung vor diesem Gesetz seien nicht zwei verschiedene, sondern ein und dieselbe Triebfeder gemeint. Schon in der Grundlegung bezeichnet Kant die Achtung als eine Art von moralischem Bewusstsein und legt dar, dass der „Gegenstand der Achtung […] lediglich das Gesetz“ ist (GMS 4:401 Anm.). Damit bezeichnet das moralische Gesetz das intentionale Objekt der Achtung, whrend das Bewusstsein dieses Gesetzes mit dem Gefhl der Achtung identisch ist. Denn, wie Kant in der Kritik der praktischen Vernunft schreibt, ist „ein solches Gefhl […] unzertrennlich mit der Vorstellung des moralischen Gesetzes […] verbunden“ (KpV 5:80). Und wiederum in der Grundlegung hatte es unmissverstndlich geheißen: Was ich unmittelbar als Gesetz fr mich erkenne, erkenne ich mit Achtung, welche bloß das Bewußtsein der Un t e r o rd n u n g meines Willens unter einem Gesetze ohne Vermittelung anderer Einflsse auf meinen Sinn bedeutet (GMS 4:401 Anm.).
Damit ist die Achtung keine vom moralischen Gesetz unterschiedene Triebfeder, sondern der Modus, in dem sich ein endliches Vernunftwesen des Sittengesetzes bewusst wird.84 „Aus Achtung“ handeln bedeutet, ebenso 83 Das „Erste Hauptstck“ der „Analytik“ thematisiert, wie Kant selbst in der „Kritischen Beleuchtung der Analytik der reinen praktischen Vernunft“ zusammenfasst, auch nicht einfach formale Handlungsgrundstze, sondern die „M ç g l i c h k e i t p r a k t i s c h e r Gr u n d s t z e a p r i o r i “ (KpV 5:89 f.). 84 Diese Interpretation legen nicht zuletzt auch Formulierungen nahe, in denen Kant das moralische Gesetz und die Achtung als Triebfeder mit einander identifiziert. In der „Dialektik“ der Kritik der praktischen Vernunft schreibt er z. B.: „Aber man muß sich auch in Acht nehmen, […] die eigentliche, chte Triebfeder, das Gesetz selbst, gleichsam wie durch eine falsche Folie herabzusetzen und zu verunstalten. Achtung und nicht Vergngen oder Genuß der Glckseligkeit ist also etwas, wofr kein der
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V. Praktische Grnde und Triebfedern
wie „aus Pflicht“ handeln, allein nach der Vorstellung eines unbedingten praktischen Gesetzes zu handeln.85 2. Reine praktische Vernunft? Die Bedeutung der Achtung als Triebfeder moralischen Handelns Versteht man die Achtung fr das moralische Gesetz nicht als zum Moralbewusstsein externe Triebfeder moralischen Handelns, sondern als den Modus, in dem sich ein endliches Vernunftwesen dieses Gesetzes bewusst wird, so scheint Kants These von der Mçglichkeit reiner praktischer Vernunft nichts im Wege zu stehen. Die einzige moralische Triebfeder ist demnach das Sittengesetz bzw. genauer: die Vorstellung oder das Bewusstsein des Sittengesetzes, und eine Handlung von moralischem Wert ist allein durch dieses Bewusstsein motiviert. Nun hat Kants aufwendige Argumentation im Triebfedern-Kapitel bezglich der besonderen Rolle der Achtung als einem ,moralischem Gefhl‘, das als Triebfeder fungiert, dennoch eine Diskussion ber die genaue Funktion der Achtung im Prozess der moralischen Motivation ausgelçst. Diese Diskussion ist berechtigt. Denn die Argumentation enthlt verschiedene Stellen, an denen Kant die Achtung nicht einfach als das sittliche Bewusstsein eines bedrftigen, durch Neigungen bestimmbaren Subjektes ausweist, sondern ihr eine eigenstndige Funktion im moralischen Handeln zuspricht. Eine in dieser Hinsicht besonders auffllige Stelle ist z. B. die folgende: Das moralische Gesetz also, so wie es formaler Bestimmungsgrund der Handlung ist, durch praktische reine Vernunft, so wie es zwar auch materialer, aber nur objectiver Bestimmungsgrund der Gegenstnde der Handlung unter dem Namen des Guten und Bçsen ist, so ist es auch subjectiver Bestimmungsgrund, d. i. Triebfeder, zu dieser Handlung, indem es auf die SinnVernunft zum Grunde gelegtes, v o r h e r g e h e n d e s Gefhl […] mçglich ist“ (KpV 5:117). 85 Laut Palmquist ist die Bezeichnung der Pflicht als moralisches Motiv eine verkrzte Redeweise, gemeint sei der „Grundsatz der Pflicht“ („Ist die Pflicht die Triebfeder moralischen Handelns?“, 155, 157). Palmquists Folgerung, die Pflicht sei gar nicht die Triebfeder moralischen Handelns, sondern die Achtung, ist jedoch nicht zwingend. Denn die Pflicht bezeichnet ja gerade die Art und Weise, wie sich endliche Vernunftwesen des Gesetzes bewusst werden (vgl. z. B. KpV 5:32). Das hat sie mit der Achtung gemein, die ebenfalls eine Art und Weise der Reprsentation des Sittengesetzes bedeutet. „Aus Pflicht“ handeln ist daher auch gleichbedeutend mit „aus Achtung“ handeln (vgl. KpV 5:81).
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lichkeit des Subjects Einfluß hat und ein Gefhl bewirkt, welches dem Einflusse des Gesetzes auf den Willen befçrderlich ist (KpV 5:75).
„Triebfeder“ moralischen Handelns ist auch diesem Zitat zufolge das moralische Gesetz. Was es aber zur Triebfeder erst macht, scheint ein Gefhl zu sein, das eine eigene Wirkung auf das Begehrungsvermçgen hat. Gbe es dieses Gefhl mitsamt seiner Wirkung auf den Willen nicht, so – so kçnnte man folgern – wre das moralische Gesetz auch keine Triebfeder. Wie ist dies nun mit Kants Ausgangsthese vereinbar, das moralische Gesetz msse den Willen „unmittelbar“ bestimmen (5:71)? Anders gefragt: Wie kann das moralische Gesetz zugleich objektiver und subjektiver Bestimmungsgrund der Handlung sein (vgl. KpV 5:72), wenn es eines Gefhls bedarf, das seinem „Einflusse […] auf den Willen befçrderlich ist“ (KpV 5:75)? Besagt Kants These, reine Vernunft kçnne praktisch sein, nicht gerade, dass die Vernunft „fr sich selbst“ (KpV 5:24), d. h. ohne die Beteiligung eines moralischen Gefhls, den Willen bestimmen kann? Im Bemhen um eine Antwort auf diese Fragen haben sich in der Forschung zwei grundlegende Interpretationslinien herausgebildet, fr die McCarty die Bezeichnungen „Intellektualismus“ und „Affektivismus“ geprgt hat.86 Intellektualisten vertreten nach dieser Unterscheidung die Auffassung, die Achtung bestehe ausschließlich in der vernnftigen Anerkennung der moralischen Autoritt des Sittengesetzes. Diese intellektuelle Anerkennung des moralischen Gesetzes verstehen Vertreter der intellektualistischen Interpretationslinie weiterhin als hinreichende motivationale Grundlage fr moralisches Handeln. Ein zustzliches moralisches Gefhl, das auf das Bewusstsein des Moralgesetzes folgt, oder eine Affektion anderer Art sei fr die Motivation zu moralischen Handlungen hingegen nicht erforderlich, und die Achtung sei als ein solches Gefhl auch nicht zu verstehen. Affektivisten bestreiten nun nicht notwendigerweise, dass moralische Motivation zunchst aus der intellektuellen Anerkennung der moralischen Norm entsteht und die Achtung daher auf ein solches anerkennendes moralisches Bewusstsein zurckzufhren ist.87 Sie 86 Vgl. McCarty: „Kantian Moral Motivation and the Feeling of Respect“, bes. 422 f. 87 Herrera gehçrt zu den wenigen Interpreten, die diese Voraussetzung nicht teilen. Er verteidigt hingegen die These, das moralische Gesetz liefere zwar fr sich einen guten Handlungsgrund, diese Erkenntnis sei aber fr sich noch nicht mit der Achtung vor dem Gesetz als einem solchen alles berwiegenden Grund verbunden. Herrera versteht die Achtung dem zufolge als eine rein affektive Einstellung ohne kognitiven Gehalt und bezeichnet seine eigene Interpretationslinie als „affektivistisch“. Interpreten wie McCarty, die der Achtung auch eine intellektuelle Seite zusprechen und sie als Kehrseite der sittlichen Einsicht verstehen, seien hingegen
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bezweifeln jedoch, dass das Bewusstsein der moralischen Norm nach Kants Auffassung allein fr die Motivation zu moralischen Handlungen aufkommen kann und vertreten daher im Gegenzug zur intellektualistischen Lesart eine Interpretationslinie, nach der moralische Motivation ohne den Bezug auf ein moralisches Gefhl wie das Gefhl der Achtung nicht auskommt. Die eigentliche Triebfeder moralischen Handelns ist daher ihrer Ansicht nach das Gefhl der Achtung, das seinerseits als eine Folge bzw. Wirkung des moralischen Bewusstseins verstanden wird.88 Um genauer zu verstehen, welche Rolle Kant dem Gefhl der Achtung im Triebfedern-Kapitel zuweist und ob dieses Gefhl mçglicherweise seine These von der Mçglichkeit reiner praktischer Vernunft behindert, ist es sinnvoll, noch einmal an die philosophische Funktion zu erinnern, die Kant seiner Argumentation ber die „Triebfedern der reinen praktischen Vernunft“ zuweist. So soll das Triebfedern-Kapitel zeigen, „auf welche Art“ das Sittengesetz den menschlichen Willen bestimmen kann (vgl. KpV 5:72; kursive H. v. m.). Kant versteht die Argumentation, wie wir gesehen haben, selbst als eine „sthetik der reinen praktischen Vernunft“, deren Aufgabe es ist, die Wirkung des moralischen Gesetzes auf die Sinnlichkeit und das heißt: auf die subjektiven Beweggrnde des Begehrens eines unvollkommenen Vernunftwesens zu untersuchen. Der (einzige) „subjective Grund bestenfalls „semi-affectivist[s] or semi-intellectualist[s]“ (Herrera: „Kant on the Moral ,Triebfeder‘“, 396). Vgl. zu einer solchen ,echten‘ affektivistischen Position auch Scarano: „Moralisches Handeln“, 143. Er ist der Ansicht, die Vorstellung des Sittengesetzes habe keinerlei eigenstndige motivierende Funktion und sei daher auch nicht Motiv fr moralisches Handeln. 88 Die Unterscheidung der Lesarten in „Intellektualismus“ und „Affektivismus“ ist hilfreich, um Grundlinien in der Interpretation herauszustellen; sie ermçglicht jedoch nicht immer eine eindeutige Zuordnung. „Intellektualisten“ im dargestellten Sinne sind wohl Allison: Kant’s Theory of Freedom, 123; MacBeath: „Kant on Moral Feeling“, 313; Guyer: „Duty and Inclination“, 360; Nell (O’Neill): Acting on Principle, 111; Reath: „Kant’s Theory of Moral Sensibility“, 290; Willaschek: Praktische Vernunft, 184; Wolff: The Autonomy of Reason, 83. In einem abgeschwchten Sinne wohl auch Engstrom: „Introduction“, xlix, und Paton: Der kategorische Imperativ, 66 – 69. Die weniger populre „affektivistische“ Lesart vertreten z. B.: Beck: A Commentary on Kant’s Critique of Practical Reason, 221 f.; Broadie/Phybus: „Kant’s Concept of Respect“, 63; McCarty: „Kantian Moral Motivation and the Feeling of Respect“, 434 f.; ders.: „Motivation and Moral Choice in Kant’s Theory of Rational Agency“, 16; Timmermann: Sittengesetz und Freiheit, 198 – 200. Weniger eindeutig aber letztlich wohl auch der affektivistischen Lesart zuzurechnen ist Goy: „Immanuel Kant ber das moralische Gefhl der Achtung“, 348 f.
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des Begehrens“ (GMS 4:427) in dieser Hinsicht ist das Gefhl.89 Es verwundert daher nicht, dass Kant im Triebfedern-Kapitel nicht einfach nur das moralische Gesetz als Triebfeder moralischen Handelns thematisiert; dass es hier um die Wirkung dieses Gesetzes auf ein Gefhl geht und dass dieses Gefhl sogar in erster Linie Gegenstand der Untersuchung ist, ist schon in der Intention des Kapitels angelegt. Auch dass es ein moralisches Gefhl sein muss, ist eine Folge aus Kants grundlegender These, Moralitt bestehe in der Unabhngigkeit der Bestimmung des Willens von Neigungen und dessen hinreichender Bestimmbarkeit durch ein reines Vernunftgesetz, das wir als Sittengesetz kennen.90 Es kann daher nur ein Gefhl fr dieses Gesetz und das heißt: ein moralisches Gefhl sein, in dem sich die Wirkung des Gesetzes zeigt. Weil sie den „Einfluss“ dieses Gesetzes auf ein endliches Vernunftwesen untersucht, bietet die „sthetik“ eine ,Theorie‘ des moralischen Gefhls. 91 Ich habe sie oben daher mit Reath auch als „Theorie der moralischen Sensibilitt“ bezeichnet.92 Unter diesen methodischen Voraussetzungen wre es daher vorschnell, den Einbezug eines Gefhls in die Beschreibung moralischen Handelns schon als eine Absage an die These von der bedingungslosen Wirksamkeit eines praktischen Gesetzes im Handeln zu verstehen. Spielt dieses Gefhl tatschlich nur insofern eine Rolle im moralischen Handeln, als es dieses Handeln als eine notwendige Wirkung des Sittengesetzes als dem alleinigen Bestimmungsgrund des Willens begleitet, so steht Kants These von der Mçglichkeit einer reinen praktischen Vernunft nichts im Wege. Geht seine Funktion im Handeln ber diese ,Begleitfunktion‘ jedoch hinaus und lsst sich zeigen, dass es eine Aufgabe in der Willensbestimmung bernimmt, die der Kompetenz des moralischen Gesetzes als Triebfeder des Handelns noch etwas hinzufgt, so ist zu fragen, ob und wenn ja: inwiefern diese Eigenstndigkeit des Gefhls im Handeln eine Gefhrdung fr das Monopol des Gesetzes als der ,einzigen‘ moralischen Triebfeder bedeutet. Liefe das Ergebnis einer solchen Analyse von Kants Argumentation im Triebfedern-Kapitel darauf hinaus, dass das Gesetz nicht selbst Triebfeder ist, 89 Vgl. KpV 5:90 sowie Kap. 5, § 1, 2. 90 Vgl. dazu Kap. 3, § 2, 1. 91 „[…] alsdann konnte erst das letzte Hauptstck, nmlich das von dem Verhltnisse der reinen praktischen Vernunft zur Sinnlichkeit und ihrem nothwendigen, a p r i o r i zu erkennenden Einflusse auf dieselbe, d. i. vom m o r a l i s c h e n G e f h l e , den Theil beschließen“ (KpV 5:90). 92 Vgl. Kap. 5, § 1, 2. Der Titel eines Aufsatzes von Reath, an dem sich meine Beschreibung orientiert, lautet: „Kant’s Theory of Moral Sensibility. Respect for the Moral Law and the Influence of Inclination“.
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sondern das Gefhl der Achtung, so msste man einrumen, dass Kant das Ziel dieses Kapitels verfehlt hat. Denn dieses hatte das Ziel, zu zeigen, welche Wirkung das Gesetz, insofern es selbst Triebfeder ist, auf das Gefhl eines endlichen Vernunftwesens hat. Betrachten wir zunchst noch einmal die Stelle im Triebfedern-Kapitel, an der die Achtung in ihrer positiven, weil die Ttigkeit des Willens „befçrdernden“ Funktion im Handeln Gegenstand der Argumentation wird. Sie kommt dann ins Spiel, wenn Kant die beiden Arten der Wirkung des moralischen Gesetzes auf das Gefhl beschreibt: Die negative Wirkung auf Gefhl […] ist, so wie aller Einfluß auf dasselbe und wie jedes Gefhl berhaupt, p a t h o l o g i s c h . Als Wirkung aber vom Bewußtsein des moralischen Gesetzes, folglich in Beziehung auf eine intelligible Ursache, nmlich das Subject der reinen praktischen Vernunft als obersten Gesetzgeberin, heißt dieses Gefhl eines vernnftigen von Neigungen afficirten Subjects zwar Demthigung (intellectuelle Verachtung), aber in Beziehung auf den positiven Grund derselben, das Gesetz, zugleich Achtung fr dasselbe, fr welches Gesetz gar kein Gefhl stattfindet, sondern im Urtheile der Vernunft, indem es den Widerstand aus dem Wege schafft, die Wegrumung eines Hindernisses einer positiven Befçrderung der Causalitt gleichgeschtzt wird (KpV 5:75).
Die Aussage ist folgende: Die Wirkung des moralischen Gesetzes auf das Gefhl ußert sich als „Demthigung“, gleichzeitig aber auch in der Achtung fr dieses Gesetz. Fr das Gesetz selber findet nun, wie Kant betont, ,kein Gefhl statt‘, jedoch ist das Ergebnis der Wirkung des Gesetzes auf das Gefhl eine „positive[…] Befçrderung der Causalitt“ dieses Gesetzes. An dieser Stelle besteht nun noch kein Grund dafr, anzunehmen, die Achtung und nicht das Gesetz selbst sei der Grund fr diese Befçrderungsleistung. Wenn es hier eine Triebfeder gibt, dann ist es das Gesetz selbst und die Achtung ist das Bewusstsein dieses Gesetzes bei einem vernnftig-sinnlichen Subjekt, das in der Achtung die Unzulnglichkeit der eigenen Ansprche erkennt.93 Dass die Achtung eine eigenstndige Funktion in der Motivation bernimmt, lsst erst die Folgerung vermuten, die Kant aus der zitierten Stelle zieht: Das moralische Gesetz also, so wie es formaler Bestimmungsgrund der Handlung ist, durch praktische reine Vernunft, so wie es zwar auch materialer, aber nur objectiver Bestimmungsgrund der Gegenstnde der Handlung unter 93 In diesem Sinne ist zu verstehen, wenn Kant die Demtigung beschreibt als „Wirkung aber vom Bewußtsein des moralischen Gesetzes, folglich in Beziehung auf eine intelligible Ursache, nmlich das Subject der reinen praktischen Vernunft als obersten Gesetzgeberin“ (KpV 5:75).
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dem Namen des Guten und Bçsen ist, so ist es auch subjectiver Bestimmungsgrund, d. i. Triebfeder, zu dieser Handlung, indem es auf die Sinnlichkeit des Subjects Einfluß hat und ein Gefhl bewirkt, welches dem Einflusse des Gesetzes auf den Willen befçrderlich ist (KpV 5:75).
Was es mit der ,befçrdernden‘ Leistung der Achtung tatschlich auf sich hat, wird hingegen erst etwas spter in Kants Argumentation deutlich. Es ist jene Stelle, an der er den Einfluss der Achtung auf das Wollen und Handeln unter Anwendung der bereits besprochenen Krftemetaphorik94 beschreibt: Weil aber dasselbe Gesetz doch objectiv, d. i. in der Vorstellung der reinen Vernunft, ein unmittelbarer Bestimmungsgrund des Willens ist, folglich diese Demthigung nur relativ auf die Reinigkeit des Gesetzes stattfindet, so ist die Herabsetzung der Ansprche der moralischen Selbstschtzung, d. i. die Demthigung auf der sinnlichen Seite, eine Erhebung der moralischen, d. i. der praktischen Schtzung des Gesetzes selbst, auf der intellectuellen, mit einem Worte Achtung fr das Gesetz, also auch ein seiner intellectuellen Ursache nach positives Gefhl, das a priori erkannt wird. Denn eine jede Verminderung der Hindernisse einer Thtigkeit ist Befçrderung dieser Thtigkeit selbst. Die Anerkennung des moralischen Gesetzes aber ist das Bewußtsein einer Thtigkeit der praktischen Vernunft aus objectiven Grnden, die blos darum nicht ihre Wirkung in Handlungen ußert, weil subjective Ursachen (pathologische) sie hindern (KpV 5:79).
Dieser Beschreibung zufolge wirkt das Sittengesetz (genauer: das Bewusstsein des Sittengesetzes) positiv ber einen Umweg, weil „jede Verminderung der Hindernisse einer Thtigkeit […] die Befçrderung dieser Thtigkeit selbst“ ist (KpV 5:79). Die Achtung tut das ihrige zur „Befçrderung dieser Thtigkeit“ der reinen praktischen Vernunft, indem sie, wie Kant an anderer Stelle schreibt, „dem Gesetze […] Ansehen verschafft“ (KpV 5:76). Diese positive Funktion bernimmt sie, indem sie die ,Hindernisse‘ der Wirkung des Gesetzes auf den Willen eines unvollkommenen Wesens ,vermindert‘: Sinnliche Beweggrnde, die diese ,Hindernisse‘ in einem endlichen Vernunftwesen sind, werden aufgrund des positiven Einflusses der Achtung zurck gestellt. Aufgrund dieser produktiven Leistung kommt ihr der Status einer Triebfeder im moralischen Handeln zu: Sie wirkt als „subjectiver Grund der Thtigkeit, d. i. als Triebfeder zu Befolgung“ des Gesetzes und kann deshalb als „Grund zu Maximen eines ihm gemßen Lebenswandels angesehen werden“ (KpV 5:79). 94 Vgl. dazu Kap. 5, § 1, 4.
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Zusammengefasst heißt das: Der Einfluss des Gesetzes besteht in der Demtigung, deren Kehrseite die Achtung ist. Die Achtung ist demnach keine zeitliche Folge auf das Gesetz, und es geht nicht darum, die Verbindung zum moralischen Gesetz durch ein Gefhl erst herzustellen, denn die Anerkennung des Gesetzes ist – die Achtung ist das anerkennende Bewusstsein des Gesetzes a priori – immer schon da.95 Die ,Aufgabe‘ der Achtung ist darauf beschrnkt, die Aufmerksamkeit von den sinnlichen auf die moralischen Beweggrnde zu lenken und letzteren denjenigen Platz in der Entscheidung zuzuweisen, den sie ursprnglich schon haben.96 Die Bewegung geht daher vom Gesetz aus, denn ohne Demtigung keine Achtung und keine Wirkung dieser Achtung auf den Willen durch Umstrukturierung von Handlungsgrnden. Kant drckt diesen Gedanken in folgender Formulierung aus: „Dieses Gefhl (unter dem Namen des moralischen) ist also lediglich durch Vernunft bewirkt“ (KpV 5:76). ber die Achtung lsst sich daher folgendes sagen: 1. Es ist ein Gefhl, das als interne moralische Triebfeder fungiert. Wie Kant schon in der Grundlegung schreibt, ist es ein „durch einen Vernunftbegriff selbstgewirktes Gefhl“ und aus diesem Grund „von allen Gefhlen der ersteren Art, die sich auf Neigung oder Furcht bringen lassen, specifisch verschieden“ (GMS 4:401 Anm.). 2. Die Achtung ist der Modus, in dem sich ein endliches Vernunftwesen des moralischen Gesetzes bewusst wird; es ist daher ein Gefhl besonderer Art: Wenn es den Willen tatschlich beeinflusst, dann nicht – wie andere Gefhle – als ein Gefhl sinnlicher Lust, sondern als ein gleichsam intellektuell fundiertes Gefhl, das mit dem moralischen Gesetz eine nicht-sinnliche Quelle hat.97 Es hat keinen normativen Charakter, weil die Handlungsanweisung vom Gesetz ausgeht, nicht aber von diesem Gefhl. 95 „Die Anerkennung des moralischen Gesetzes aber ist das Bewußtsein einer Thtigkeit der praktischen Vernunft aus objectiven Grnden, die blos darum nicht ihre Wirkung in Handlungen ußert, weil subjective Ursachen (pathologische) sie hindern“ (KpV 5:79). 96 Vgl. zu dieser Interpretation auch Engstrom: „The ,Triebfeder’ of ‘Pure Practical Reason’“, 117. 97 „Achtung und nicht Vergngen oder Genuß der Glckseligkeit ist also etwas, wofr kein der Vernunft zum Grunde gelegtes, v o r h e r g e h e n d e s Gefhl (weil dieses jederzeit sthetisch und pathologisch sein wrde) mçglich ist, als Bewußtsein der unmittelbaren Nçthigung des Willens durchs Gesetz, ist kaum ein Analogon des Gefhls der Lust, indem es im Verhltnisse zum Begehrungsvermçgen gerade eben dasselbe, aber aus andern Quellen thut […]“ (KpV 5:117).
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3. Mit herkçmmlichen Gefhlen teilt das Gefhl der Achtung zwei Eigenschaften: Es hat erstens einen propositionalen Gehalt. Dieser ist hier allein das Bewusstsein des moralischen Gesetzes. Und es hat zweitens physiologische Auswirkungen, weil es Einfluss auf die Sinnlichkeit und damit auf das Handeln hat.98 Es ist selbst also – im Gegensatz zu herkçmmlichen Gefhlen wie z. B. zum Mitleid – kein Lustgefhl, bringt aber ein Lustgefhl hervor. Damit schafft es den bergang zum Handeln, indem es durch das „Ansehen“, das es dem moralischen Gesetz verschafft (KpV 5:76), das Interesse an einer Handlung und die Maximenwahl beeinflusst. 3. Das Gefhl der Achtung und der Begriff des moralischen Interesses Versuchen wir, diesen letzten Punkt in der Beschreibung der Achtung als einem moralischen Gefhl, das als Triebfeder zur Handlung wirkt, genauer nachzuvollziehen. Dass die Achtung „dem Einflusse des Gesetzes auf den Willen befçrderlich ist“ (KpV 5:75), kann dieser Beschreibung nach nur heißen, dass sie sich als ein Gefhl mit sinnlicher Wirkung auf die Ma98 Borges verortet Kants Begriff des Gefhls daher zwischen der „propositional attitude-school“ (Gefhle haben propositionalen Gehalt) und der „feeling theory“ (Gefhle haben physiologische Auswirkungen). Da es das einzige Gefhl ist, das auf ein moralisches Urteil zurckgeht, ist das moralische Gefhl der Achtung nach Borges Ansicht auch das einzige aktive Gefhl, das sich von passiven (z. B. physische Schmerzen) und reaktiven Gefhlen (Affekte und Neigungen) durch diese rein intellektuelle Quelle unterscheidet (vgl. Borges: „What can Kant teach us about Emotions?“, 151, 145). Borges’ Einschtzung, sowohl die reaktiven als auch die aktiven Gefhle seien nach Kant dem oberen Begehrungsvermçgen zuzurechnen, whrend die passiven Gefhle zum unteren Begehrungsvermçgen gehçren, ist jedoch weder anhand dieser Unterscheidung noch vor dem Hintergrund des Kantischen Textes nachvollziehbar. Kant definiert das obere Begehrungsvermçgen ja gerade als ein Vermçgen, das „nicht im Dienste der Neigungen“ (KpV 5:25) und das heißt auch: nicht durch Lust- oder Unlustgefhle fundiert ist. Nun enthalten die reaktiven Gefhle zwar auch ein Urteil und sind nicht einfach passive Reaktionen auf sinnliche Reize, dieses Urteil ist aber durch Stimuli vermittelt. Damit stellen sie zwar auch eine Quelle von Grnden dar, die als Grundlage fr die Auswahl einer Maxime fungieren; ihre Geltung ist jedoch auf das neigungsorientierte Subjekt beschrnkt (vgl. dazu auch Reath: „Kant’s Theory of Moral Sensibility“, 296). Wenn es also ein Gefhl gibt, das zum oberen Begehrungsvermçgen gehçrt, dann muss es eines sein, das nur durch ein intellektuelles Urteil vermittelt ist. Das einzige Gefhl, das unter diesen Bedingungen in Frage kommt, ist nach Kants Auffassung das moralische Gefhl der Achtung.
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V. Praktische Grnde und Triebfedern
ximenwahl niederschlgt und damit auch die Ausfhrung der moralisch wertvollen Handlung begnstigt. In dieser Funktion wre die Achtung erst wirklich eine ,Triebfeder‘ moralischen Handelns, weil sie nur so, in ihrer Wirkung auf die handlungsleitenden Grundstze eines Subjektes, „principum […] der Ausbung der Verbindlichkeit“ (V-Mo/Kae 69/56) und das heißt: Exekutionsprinzip der Handlung ist.99 Kant fasst die Funktion der Achtung als Triebfeder im TriebfedernKapitel folgendermaßen zusammen: 1. Sie ist „subjectiver Grund der Thtigkeit“ der reinen praktischen Vernunft und als solche „subjectiver Grund der Thtigkeit […] zu Befolgung“ des moralischen Gesetzes (KpV 5:79). 2. Sie ist „Grund zu Maximen eines ihm [dem moralischen Gesetz] gemßen Lebenswandels“ (KpV 5:79). 3. Als moralische Triebfeder ist sie Grundlage fr das moralische Interesse an einer Handlung, das seinerseits „eine Triebfeder des Willens bedeutet, so fern sie durch Vernunf t vorgestellt wird“ (KpV 5:79). Kant gibt nun auch im Triebfedern-Kapitel keine genauere Auskunft ber diese sich in ihrem Einfluss auf die Maximen und das Interesse zeigende exekutierende Funktion der Achtung im moralischen Handeln.100 Die kurzen Hinweise gegen Ende des Kapitels beschrnken sich auf die Aussage, dem Gefhl der Achtung kme genau deshalb die Rolle einer Triebfeder im moralischen Handeln zu, weil es „den hindernden Einfluß der Neigungen durch Demthigung des Eigendnkels schwcht“ (KpV 5:79) und dadurch „dem Gesetze, das jetzt allein Einfluß hat, Ansehen verschafft“ (KpV 5:76). Dieser Einfluss des moralischen Gefhls auf den Menschen als sinnlich affizierbares und daher unvollkommenes Wesen wurde im Vorangegangen dadurch beschrieben, dass sich der moralische 99 Vgl. zu diesem Punkt Kap. 4, § 1, 2. 100 Dies hatte Kant schon in der Grundlegung offen gelassen; vgl. Kap. 4, § 2, 4. Da Kants Aufgabenstellung in der Grundlegung jedoch eine andere ist als im Triebfedern-Kapitel der Kritik der praktischen Vernunft und die dort gefhrte Argumentation zum moralischen Wert auf eine Triebfederndiskussion gar nicht angelegt ist, hatte er dort auch nicht explizit die Erwartung geweckt, eine Diskussion zum Zusammenhang von Achtung und moralischem Interesse kçnnte sich anschließen. Anders verhlt es sich im Triebfedern-Kapitel: Von einer Beschreibung der Wirkung des moralischen Gesetzes auf das Gefhl htte man auch erwarten kçnnen, dass sie die tatschlich im engeren Sinne exekutive Funktion der Achtung nicht nur andeutet, sondern auch ausfhrt.
§ 2 Handlungsgrnde und Motive
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Grund durch die Wirkung der Triebfeder der Achtung als der gewichtigere Grund erweist, der ber andere, neigungsbasierte Grnde ,erhaben‘ ist.101 Die Argumentation im Triebfedern-Kapitel hat bestimmte handlungstheoretische Implikationen, die Kant erst spter, in der Metaphysik der Sitten und in der Religion, explizit macht. Whrend er in der Metaphysik der Sitten einen Hinweis darauf gibt, wie es zu verstehen ist, dass die Achtung Grundlage fr das Interesse und damit fr die praktische Wirkung des moralischen Gesetzes im Handeln ist, so liefert die Religion einen Einblick in den moralpsychologischen Kontext der Triebfeder als Exekutionsprinzip der Handlung, indem sie Auskunft ber das Verhltnis von Triebfedern und Maximen gibt. Zunchst zum Zusammenhang von Gefhl und Interesse in der Metaphysik der Sitten. 102 Wie gezeigt wurde, versteht Kant die menschliche Willkr als ein „arbitrium sensitivum liberum“ und damit als ein Vermçgen zu begehren, das sinnlichen Reizen permanent ausgesetzt, durch diese aber nicht determiniert ist.103 Aufgrund seiner Vernunft als Vermçgen der Freiheit kommt dem Menschen aber auch das Vermçgen zu, aus Grnden zu handeln, und noch dazu aus solchen, die er sich selbst vorgibt.104 Neigungen als Ausdruck der Bedrftigkeit und Unvollkommenheit der menschlichen Natur liegen seinem Wollen daher ebenso zugrunde wie die vernnftigen Grnde, die er einsieht und denen er sich nicht entziehen kann. Kant schreibt in der Grundlegung: Die Abhngigkeit des Begehrungsvermçgens von Empfindungen heißt Neigung, und diese beweiset also jederzeit ein B e d r f n i s . Die Abhngigkeit eines zufllig bestimmbaren Willens aber von Principien der Vernunft heißt ein In t e r e s s e (GMS 4:413 Anm.).
Das heißt: Menschen haben „praktische Vernunft“, sie kçnnen aus Grnden handeln105 und sich zu den sinnlichen Reizen, die der Bestimmung ihres Willens durch Vernunftgrnde als ,Hindernisse‘ entgegenstehen, verhalten. Sie sind von „Principien der Vernunft“ ,abhngig‘, weil
101 Zur Analogie zum Erhabenen vgl. Kap. 5, § 1, 5. 102 Da der Begriff des Interesses den Begriffen in Kants Philosophie angehçrt, deren Definition Kant ber die Entwicklung seiner ethischen Hauptschriften zwar immer wieder aufgegriffen und przisiert, nicht aber grundlegend gendert hat, ist dieser Vorgriff auf die Metaphysik der Sitten hier sinnvoll und zulssig. 103 Vgl. dazu Kap. 2, § 2, 2. 104 Vgl. Kap. 2, § 1, 4 und Kap. 2, § 2, 1. 105 Vgl. dazu Kap. 3, § 1, 1 und 3.
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V. Praktische Grnde und Triebfedern
sie sich ihnen, als vernnftigen Wesen, als Gebote aufdrngen.106 Dass Menschen sich in ihren Handlungen nach diesen Grundstzen richten, erfordert, dass sie Interesse an diesen durch ein Vernunftprinzip bestimmten Handlungen nehmen (vgl. GMS 4:413). Ihre Willkr ist daher auf einen Antrieb zur Ttigkeit ausgerichtet; dies zeigt sich in einem „Bedrfnis irgend wodurch zur Thtigkeit angetrieben zu werden“ (KpV 5:79). Das Interesse ist damit das, „wodurch Vernunft praktisch, d. i. eine den Willen bestimmende Ursache, wird. Daher sagt man nur von einem vernnftigen Wesen, daß es woran ein Interesse nehme, vernunftlose Geschçpfe fhlen nur sinnliche Antriebe“ (GMS 4:459 Anm.). Versuchen wir nun, eine Verbindung zwischen dem Begriff des (moralischen) Interesses und dem des (moralischen) Gefhls herzustellen. In der „Einleitung“ zur Metaphysik der Sitten definiert Kant das Gefhl als „die Fhigkeit, Lust oder Unlust bei einer Vorstellung zu haben“ (MS 6:211). Nun ist die moralische Triebfeder der Achtung, wie Kant in der Grundlegung und in der Kritik der praktischen Vernunft betont hatte, aber kein gewçhnliches Gefhl, und dies deshalb, weil es nicht durch die Rezeptivitt der Sinne, sondern allein durch die Vorstellung des moralischen Gesetzes vermittelt ist (vgl. z. B. GMS 4:401 Anm.; KpV 5:75). Damit handelt es sich bei der Achtung um kein Gefhl, das der Willensbestimmung durch dieses Gesetz vorausginge, denn es ist das Gesetz selbst, das die Achtung erst bewirkt. Daraus folgt, dass der Wille durch die Erkenntnis des moralischen Gesetzes qua Achtung schon positiv disponiert ist; wrden keine anderen, außermoralischen Triebfedern dazwischen kommen, so wre reine Vernunft bereits hier praktisch.107 Nun geht aber, wie Kant in der „Einleitung“ in die Tugendlehre der Metaphysik der Sitten schreibt, […] alle Bestimmung der Willkr […] von der Vorstellung der mçglichen Handlung durch das Gefhl der Lust oder Unlust, an ihr oder ihrer Wirkung ein Interesse zu nehmen, z u r T h a t (MST 6:399).
Kants Theorie moralischer Motivation geht zunchst von seinem Verstndnis nichtmoralischer Motivation aus. Motivation bei Kant verluft immer von einem Gedanken ber ein Gefhl der Lust oder Unlust und ein Interesse zur Tat. Ein Gefhl der Lust (und Unlust) gehçrt daher auch zur 106 Vgl. zu diesem Punkt Klemme: „Praktische Grnde und moralische Motivation“, 131. 107 Vgl. dazu Kap. 4, § 2, 2.
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Psychologie moralischen Handelns dazu.108 Es ist eine Lust, die auf die positive Disponiertheit des Willens zur Befolgung des Gesetzes folgt und damit die Achtung gleichsam als ein Gefhl der besonderen Art ausweist, weil diese Lust allein durch das Bewusstsein der unmittelbaren Bestimmung des Willens durch das Gesetz bewirkt ist. Kant bezeichnet diese Lust in der „Einleitung“ zur Metaphysik der Sitten daher in Abgrenzung zur „praktischen Lust“ als eine „intellectuelle Lust“, da sie ein Lustgefhl darstellt, das „nur auf eine vorhergehende Bestimmung des Begehrungsvermçgens folgen kann“ (MST 6:212). Nun ist es genau diese allein durch das Bewusstsein einer Bestimmung des eigenen Willens durch das Gesetz vermittelte Lust, die das Subjekt in einem Urteil auf seinen Willen (qua ausfhrendes Vermçgen) bezieht. Kant schreibt diesbezglich: […] weil die Verbindung der Lust mit dem Begehrungsvermçgen, sofern diese Verknpfung durch den Verstand nach einer allgemeinen Regel […] gltig zu sein geurtheilt wird, In t e r e s s e heißt […] (MS 6:212).
Kant hatte diesen Gedanken schon in der Grundlegung vorbereitet. Hier hatte er das Interesse als die Eigenschaft eines vernunftbegabten Subjekts herausgestellt, sich der Reflexion seiner subjektiven Bedrfnisse und Vorstze im Lichte vernnftiger berlegungen nicht entziehen zu kçnnen 108 Dies betont auch Timmons: „Kant and the Possibility of Moral Motivation“, 393. Wie Timmons geltend macht, msste der Ausgangspunkt einer im eigentlichen Sinne kantischen Theorie der moralischen Motivation gerade nicht die Struktur nichtmoralischer Motivation sein. Entsprechend der Anlage seiner Moralphilosophie htte Kant zunchst die Mçglichkeit moralischer Motivation innerhalb einer rationalistischen Konzeption der Moral zum Gegenstand der Untersuchung machen sollen, um anschließend zu zeigen, welche Schlussfolgerungen die Struktur genuin moralischer Motivation auf die Problematik von Motivation im Allgemeinen zulsst. Ausgangspunkt der Untersuchung wre dann nicht die handlungstheoretische Doktrin von der grundlegenden Funktion von Lust und Unlust fr menschliches Handeln und menschliche Motivation gewesen, sondern die These, dass rationale Wesen sich durch Vorstellungen gleichsam affizieren lassen, die sie auch unabhngig von einem Gefhl oder einem Wunsch als dynamischem Faktor motivieren. Die rationale Vorstellung (des Guten) selbst wre in diesem Falle der dynamische Faktor der Handlung und Vernunft wre allein praktisch. Auf dieser Basis htte Kant nicht nach einem dem dynamischen Faktor adquaten, genuin moralischen Gefhl suchen mssen, um moralische Motivation verstndlich zu machen (vgl. „Kant and the Possibility of Moral Motivation“, 393). Timmons’ Vorschlag scheint zu bersehen, dass die Achtung kein Gefhl ist, das erst ,gesucht‘ werden msste, um moralische Motivation zu verstehen. Verstanden als Modus, in dem Menschen sich des Moralgesetzes bewusst werden, ist sie gerade kein externes Motiv. In dieser Hinsicht ist die rationale Vorstellung (besser: Anerkennung) des Guten motivierend.
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(vgl. GMS 4:413 Anm.). Das Zitat aus der Metaphysik der Sitten schließt an diese grundlegende berlegung an: Beurteilt wird, ob das Gefhl, das die Lust auslçst, gut und das heißt hier: moralisch angemessen ist. Dabei werden andere Lustgefhle, denen nicht die Vorstellung des moralischen Gesetzes sondern die eines Gegenstandes der Neigung zugrunde liegt, ausgeschaltet. Damit ist das (moralische) Interesse eine (moralische) „Triebfeder des Willens […], so fern sie durch Vernunf t vorgestellt wird“ (KpV 5:79). Es steht zwischen dem (alles Handeln begleitenden) Moralbewusstsein und der subjektiven Willensbestimmung, die auch durch Neigungen und Wnsche vermittelt ist. Von der vernnftigen Einsicht unterscheidet sich das Interesse darin, dass es immer auf ein Gefhl bezogen ist, auf das sich seinerseits das interessierte Urteil bezieht. Von den Neigungen ist es hingegen darin verschieden, dass es immer mit einem Urteil verbunden ist, dem es seine Gefhle und Neigungen unterzieht.109 Die Fhigkeit, Interesse an Handlungen zu bekunden, zeichnet sich daher insbesondere dadurch aus, zu seinen Gefhlen und Neigungen Stellung zu beziehen und damit zwischen der vernnftigen Einsicht und dem Begehren eines unvollkommenen Vernunftwesens zu vermitteln.110 Damit bezeichnet das Interesse nicht nur die Materie eines Objektes, sondern eine bestimmte Haltung, die jemand gegenber einem Objekt einnimmt.111 Diese ,Vermittlung‘ ist nun nicht einfach ein intellektueller Akt, sondern hat eine motivierende und das heißt: tatschlich handlungsleitende Funktion112. Das Interesse kann daher, wie die Maxime, als „subjektiver Pol der praktischen Vernunft“ bezeichnet werden. Denn eine rational handelnde Person zeichnet sich dadurch aus, dass sie ber ihre Gefhle und Neigungen urteilt, Triebfedern abwiegt, dementsprechend Interessen ausbildet und auf der Basis dieser Interessen Handlungs-
109 Das gilt natrlich auch fr das Eigeninteresse. Vgl. zu dieser Lesart auch Grenberg: „Feeling, Desire and Interest in Kant’s Theory of Action“, 163 f. 110 Kant schreibt daher in der Kritik der praktischen Vernunft: „Alle drei Begriffe aber, der einer Tr i e b f e d e r, eines I n t e r e s s e und einer M a x i m e , kçnnen nur auf endliche Wesen angewandt werden. Denn sie setzen insgesammt eine Eingeschrnktheit der Natur eines Wesens voraus, da die subjective Beschaffenheit seiner Willkr mit dem objectiven Gesetze einer praktischen Vernunft nicht von selbst bereinstimmt […]“ (KpV 5:79). 111 Vgl. Grenberg: „Feeling, Desire and Interest in Kant’s Theory of Action“, 168. 112 Vgl. McCarty: „Maxims in Kant’s Practical Philosophy“, 75.
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grundstze (Maximen) annimmt.113 Dass ein Subjekt etwas fr einen guten Handlungsgrund insofern hlt, dass sich dieser als moralischer Grund im Handeln dieses Subjektes auch widerspiegelt, bedeutet nichts anderes, als dass es einen objektiven Beweggrund gibt, der durch eine subjektive Bewegursache gesttzt wird, so dass der moralische Grund aus der Perspektive der Vernunft gebilligt wird und begrndet ist. Kant bezeichnet das moralische Interesse in der Metaphysik der Sitten auch als ein „Vernunftinteresse“, das der „intellectuellen Lust“ an der Bestimmung des Willens durch das moralische Gesetz entspricht (MS 6:212). Diese Lust ist gleichsam eine „sinnenfreie Neigung“ (MS 6:213), weil sie auf eine rationale Geneigtheit des Subjektes zu dem Lust auslçsenden Gegenstand hinweist.114 Jemand, der aus einer solchen rationalen Geneigtheit handelt, handelt aufgrund eines Urteils ber die moralische Angemessenheit eines Lustgefhls, das wiederum allein durch ein formales Konzept – das moralische Gesetz – generiert ist. Was ihn ,interessiert’, ist nicht ein von der (moralisch gebotenen) Handlung verschiedener Gegenstand, etwa eine Neigung oder ein Wunsch, sondern die (moralisch gebotene) Handlung selbst, was bedeutet: die Tatsache, dass die Maxime die Allgemeingltigkeit des vorgestellten Gesetzes aufweist, ist ein hinreichender Grund seines Handelns.115 In Kants Worten heißt das, dass er nicht „aus Interesse“ handelt, sondern ein unmittelbares Interesse an der Handlung selbst nimmt (vgl. GMS 4:413 Anm., 459 f. Anm.). Eine Handlung, die auf einem solchen intellektuellen Interesse beruht, ist moralisch wertvoll.116
113 Vgl. dazu Allison: Kant’s Theory of Freedom, 89. In der Kritik der praktischen Vernunft heißt es dementsprechend, die Triebfeder liefere den „Grund zu Maximen eines ihm [dem moralischen Gesetz] gemßen Lebenswandels“, indem sie als „subjektiver Grund der Ttigkeit zu Befolgung desselben“ wirkt (KpV 5:79). 114 In der Kritik der praktischen Vernunft definiert Kant das „moralische Interesse“ in diesem Sinne als „ein reines sinnenfreies Interesse der bloßen praktischen Vernunft“ (KpV 5:79). Wie die „Triebfeder der reinen praktischen Vernunft“ beruht es allein auf dem Bewusstsein des Sittengesetzes. 115 „Ein unmittelbares Interesse nimmt die Vernunft nur alsdann an der Handlung, wenn die Allgemeingltigkeit der Maxime derselben ein gnugsamer Bestimmungsgrund des Willens ist“ (GMS 4:460 Anm.). 116 Vgl. dazu Kap. 3, § 2, 1.
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4. Das Gefhl der Achtung als „Grund zu Maximen“ und die moralisch fragile Natur des Menschen Wir verstehen jetzt besser, welche Rolle der Achtung als Triebfeder in der moralischen Handlung zukommt. Da es die Triebfeder – in diesem Falle die Achtung – ist, die die Grundlage fr das Interesse und damit auch fr die Maximen bereitstellt, indem sie ein Lustgefhl an einer Willensbestimmung durch eine gesetzestaugliche Maxime vermittelt, ist sie das eigentlich motivierende Element in moralischen Handlungen. Es ist daher ganz verstndlich, dass Kant die Pflicht am Ende seiner motivationalen Analyse des moralischen Wertes in der Grundlegung als „die Nothwendigkeit einer Handlung aus Achtung frs Gesetz“ bezeichnet (GMS 4:400). Da die Achtung– sowohl objektiv als moralisches Bewusstsein als auch subjektiv als positive Empfindung der moralischen Nçtigung – allein durch das moralische Gesetz bewirkt ist, steht Kants Ausgangsthese nichts entgegen, der zufolge das Gesetz selbst Triebfeder moralischen Handelns ist. Aus dieser Analyse folgt: Wenn die Achtung motiviert, handelt jemand mit Interesse an der Handlung, in der er einen subjektiv-praktischen Grund erkennt. Auf diese Weise verknpft das Interesse den vernnftigen Beweggrund mit der Willkr und bezieht diesen Grund auf das handelnde Subjekt, indem es ihn durch eine ,intellektuelle Lust‘ zum leitenden Prinzip seines Handelns macht. Dies erklrt auch, warum Kant schon in der Vorlesung zur Moralphilosophie „das oberste Principium alles moralischen Antriebes, diese Handlung zu thun […] im Hertzen“ verortet hatte (V-Mo/ Kae 70/57; vgl. V-Mo/Mron 27:1423)117: Mit dem Interesse geht die Handlung einher.118 Kant gibt diesem Gedanken im Triebfedern-Kapitel in
117 Daher sind Gesinnungen auch „die Verknpfung der Handlung mit den BewegungsGrnden“ (V-Mo/Kae 133/105). 118 In diesem Sinne ist es nachvollziehbar, dass Rohs mit Kant Motive und Handlungen als gleichzeitig ablaufende Ereignisse versteht. Dies sei eine Voraussetzung dafr, dass es Freiheit gibt bzw. dass sich die Bestimmung durch Motive und freies Handeln nicht ausschließen. Das sieht Rohs darin begrndet, dass Freiheit in einem „Anfangen“ besteht, dieser Anfang aber nicht gewhrleistet ist, wenn die Motive der freien Handlung schon vorausgehen: „Die Motive selbst wrden den Anfang verhindern.“ Es ist daher irrefhrend, zu sagen, dass sich im Handlungsvollzug etwas zwischen das Motiv und die Handlung stellt: „Das Motiv ist der Handlung stets gleich nah“ (Rohs: „Gedanken zu einer Handlungstheorie auf transzendentalphilosophischer Grundlage“, 232 f.).
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einer nicht ganz einfach verstndlichen Formulierung Ausdruck, die sich uns jetzt erst erschließt: Und so ist die Achtung frs Gesetz nicht Triebfeder zur Sittlichkeit, sondern sie ist die Sittlichkeit selbst, subjectiv als Triebfeder betrachtet, indem die reine praktische Vernunft dadurch, daß sie der Selbstliebe im Gegensatze mit ihr alle Ansprche abschlgt, dem Gesetze, das jetzt allein Einfluß hat, Ansehen verschafft (KpV5:76).
Das heißt: Wenn die Achtung fr das moralische Gesetz tatschlich Triebfeder im Sinne eines Exekutionsprinzips ist („subjectiv als Triebfeder betrachtet“), dann ist die aus ihr folgende Handlung eine Handlung ,aus Achtung‘ fr dieses Gesetz und die Realisierung der Moralitt („die Sittlichkeit selbst“). Dies ist nun genau genommen nichts anderes, als das, was Kant schon in der Grundlegung als Ergebnis seiner Analyse des moralischen Wertes festgehalten hatte, die aufgrund der Fokussierung auf das moralische Motiv auch als eine motivationale Analyse bezeichnet werden kann.119 Inhaltlich fgt die Argumentation im Triebfedern-Kapitel seiner moralphilosophischen Grundthese also nichts hinzu, die knappe Darstellung zum Gefhl der Achtung in der Grundlegung wird dadurch aber verstndlicher.120 Nun handeln Menschen aber nicht immer und vielleicht sogar eher selten aus moralischer Gesinnung. Der Grund dafr ist, dass nicht Achtung das Motiv ihres Handelns ist, sondern ein subjektives, aber nicht moralisches Interesse zum leitenden Prinzip des Handelns gemacht wird. Wie Kant schon frh beklagt hatte, ist es „ein Unglck der Menschen, daß die elateres animi stimuli und nicht motiva seyn“ (V-PP/Pow 27:123). Nun ist Kant nicht der Ansicht, dass die sinnlichen Reize („stimuli“) allein die Triebfedern menschlichen Handelns bereitstellen. Es ist nur so: „Die stimuli sind bey uns mehr elateres animi als die motiva“ (V-PP/Pow 27:122). Vernnftige Grnde („motiva“) sind dem Menschen aufgrund der besonderen Beschaffenheit seines Begehrungsvermçgens nicht nur rational zugnglich, sondern er ist fr diese Grnde, das zeigt Kants Argumentation in der Grundlegung und im Triebfedern-Kapitel der Kritik der praktischen 119 Vgl. dazu Kap. 3, § 2, 1. 120 Das heißt natrlich nicht, dass Kants Argumentation im Triebfedern-Kapitel in der kurzen Darstellung in der Grundlegung aufgeht. Wie dargestellt wurde, verfolgt Kant in der Grundlegung ein anderes Anliegen: Um Triebfedern geht es dort gar nicht. Die Analyse im Triebfedern-Kapitel ist deshalb – innerhalb seines gesamten moralphilosophischen Hauptwerkes – einmalig in ihrer besonderen Funktion: nmlich der Darstellung der Wirkungsweise des Sittengesetzes auf ein endliches Vernunftwesen.
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Vernunft deutlich, auch subjektiv empfnglich. Sie kçnnen damit prinzipiell Triebfedern des Handelns werden. Wie es in der Vorlesung zur Moralphilosophie heißt, enthalten solche Triebfedern ein objektives Prinzip: sie sind die „motiva subjective moventia“ (V-Mo/Kae 70/56). Dass Menschen jedoch nicht immer nach den Grnden handeln, die sie als vernnftig einsehen, ist nach Kant trotz dieser prinzipiellen Mçglichkeit ihres Einflusses auf die Willensbestimmung ein entscheidendes Merkmal ihrer (auch) sinnlichen Existenz. Diese besondere ,Veranlagung‘, sich im Handeln eher nach subjektiven Interessen und nicht nach allgemeingltigen Prinzipien zu richten, ist nach Kant Ursache nicht nur ihrer Schwche in Bezug auf gute Vorstze, sondern sogar einer gewissen „Bçsartigkeit“, die sie in ihren Handlungen auch in alltglichen Situationen an den Tag legen. Kant bezeichnet die „Bçsartigkeit“ daher in der Religion als den „Hang der Willkr zu Maximen, die Triebfeder aus dem moralischen Gesetz andern (nicht moralischen) nachzusetzen“ (Rel 6:30). Da, wie wir gesehen haben, „das oberste Principium alles moralischen Antriebes, diese Handlung zu thun […] im Hertzen“ liegt (V-Mo/Kae 70/ 57; vgl. auch V-Mo/Mron 27:1423) und die Gesinnung in der „Verknpfung der Handlung mit den BewegungsGrnden“ besteht (V-Mo/ Kae 133/105), ist diese „Bçsartigkeit“ eine „Verderbtheit (corruptio) des menschlichen Herzens“ (Rel 6:30). In einem solchen „Herzen“ verluft etwas Fundamentales nicht nach dem Plan, den man sich aufgrund der Autonomie des Willens eines zwar sinnlich affizierbaren, aber nicht sinnlich determinierten Subjektes machen kçnnte: Anstatt von der Freiheit seiner Willkr auch praktischen Gebrauch zu machen und sich in seinen Handlungen durch den anerkannten moralischen Grund leiten zu lassen, schiebt es auf Eigeninteressen basierende Grnde vor und macht damit nicht das moralische Gesetz, sondern die Selbstliebe zum Prinzip seines Handelns.121 Kant beschreibt diesen Sachverhalt in der Religion in der Wendung, die „Verderbtheit (corruptio) des menschlichen Herzens“ bestehe darin, dass sie „die sittliche Ordnung in Ansehung der Triebfedern einer freien Willkr umkehrt“, weshalb sie auch als „Verkehrtheit (perversitas) des menschlichen Herzens“ bezeichnet werden kann (Rel 6:30). Die Verbindung zur motivierenden Rolle der Achtung, wie Kant sie in der Kritik der praktischen Vernunft beschrieben hatte, erschließt sich nun mit Blick auf eine Stelle in der Religion, die Kant dort seiner Erçrterung ber den „Hang […] zum Bçsen in der menschlichen Natur“ (Rel 121 Vgl. dazu erneut die Stelle in KpV 5:74, sowie die Argumentation in Kap. 5, § 2, 3.
§ 2 Handlungsgrnde und Motive
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6:28) voranstellt. Dort heißt es ber die „Freiheit der menschlichen Willkr“, sie sei von der ganz eigenthmlichen Beschaffenheit, daß sie durch keine Triebfeder zu einer Handlung bestimmt werden kann, a l s n u r s o f e r n d e r Me n s c h s i e i n s e i n e Ma x i m e a u f g e n o m m e n h a t (es sich zur allgemeinen Regel gemacht hat, nach der er sich verhalten will) (Rel 6:23 f.).
Denn, so fgt Kant hinzu: „so allein kann eine Triebfeder, welche sie auch sei, mit der absoluten Spontaneitt der Willkr (der Freiheit) zusammen bestehen“ (Rel 6:24). Das heißt, dass auch die Triebfeder der Achtung erst dann ein echtes Exekutionsprinzip der Handlung ist, wenn sie das Subjekt, dem sie sich darstellt, in seine Maxime aufnimmt und es sich damit zur subjektiven Regel seines Handelns macht. Und umgekehrt heißt es, dass moralisch wertloses Verhalten nicht einfach auf der zuflligen Bestimmung durch sinnliche Reize beruht, sondern auf einer Entscheidung, genau so und nicht anders zu handeln.122 Handelt jemand moralisch verwerflich, so ist gerade nicht die moralische Triebfeder der Achtung Grundlage seiner Maxime, obwohl sie, wie Kant in der Religion erneut und besonders explizit zum Ausdruck bringt, die einem Subjekt aufgrund der Autonomie seines Willens nher stehende Triebfeder ist.123 Denn „im Urtheile der Vernunft“ ist sie, als Bewusstsein des moralischen Gesetzes, schon Triebfeder, und „wer es [das moralische Gesetz] zu seiner Maxime macht, ist moralisch gut“ (Rel 6:24). 122 Vgl. zu diesem Punkt genauer Allisons „Incorporation Thesis“ in: Kant’s Theory of Freedom, 5 f., 40, 126, sowie die Darstellung bei Reath, der die Stelle in der Religion als „model of free choice“ bzw. „principle of election“ liest und auf dieser Basis dafr argumentiert, die Neigungen selbst als Grnde anzusehen, die eine rationale Person gegen andere, gewichtigere Grnde in einem Prozess rationaler Deliberation abwiegt (vgl. „Kant’s Theory of Moral Sensibility“, 295 f.). – An dieses „elective model“ schließt auch McCarty in seiner Interpretation des Triebfedernproblems in der Kritik der praktischen Vernunft an (vgl. „Motivation and Moral Choice in Kant’s Theory of Rational Agency“, 21 f.); vgl. Kap. 5, § 2, 5. 123 Autonomie bedeutet, wie oben gezeigt wurde, ja nichts anderes, als dass die moralische Norm ein vom Menschen selbst gegebenes Gesetz ist, dem er sich als (auch) sinnliches Wesen unterworfen erkennt und dem er als freies, eines moralischen Bewusstseins fhigen Wesens alle anderen Motive des Handelns unterordnet (vgl. dazu Kap. 3, § 2, 4). Zum Zusammenhang von Achtung und Selbstbestimmung durch einen nicht-empirischen, selbst gesetzgebenden Willen vgl. Gerhardt: Immanuel Kant, 226. – Da die Achtung die einem vernunftbegabten, aber endlichen Subjekt nahestehendste Triebfeder ist, ist es zu schwach, sie wie Wood als eine gleichwertige „Handlungsoption“ unter anderen Handlungsalternativen zu verstehen („Kant und das Problem der moralischen Motivation“, 115).
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V. Praktische Grnde und Triebfedern
Dieses Bild besttigt eine frhe Auffassung Kants ber die ,Natur‘ des Gefhls der Achtung als Triebfeder: Als genuin moralische Triebfeder ist die Achtung gerade „keine Feder von Natur, die da kçnnte aufgezogen werden“ (V-Mo/Kae 88/72). Ihre treibende Kraft geht demnach nicht in der Beschreibung nach einem gleichsam mechanistischen Handlungsmodell auf. Zwar ist, wie wir jetzt aus dem Triebfedern-Kapitel wissen, [d]as moralische Gesetz […], so wie es formaler Bestimmungsgrund der Handlung ist, durch praktische reine Vernunft […], […] auch subjectiver Bestimmungsgrund, d. i. Triebfeder, zu dieser Handlung, indem es auf die Sinnlichkeit des Subjects Einfluß hat und ein Gefhl bewirkt, welches dem Einflusse des Gesetzes auf den Willen befçrderlich ist (KpV 5:75).
Das heißt aber nicht, dass die Achtung in dieser befçrdernden Leistung auch wirklich erfolgreich ist. Sie ist es nur dann, wie sich gezeigt hat, wenn sie aus der intellektuellen Lust, die von ihr ausgeht, auch ein Interesse an der Handlung bewirkt, das seinerseits Grundlage fr die Maximenbildung ist.124 Versteht man nun, wie Kant in der Metaphysik der Sitten ausfhrt, den Willen als das Vermçgen der Gesetzgebung, die Willkr aber als das Vermçgen der Maximen (vgl. MS 6:226), so zeichnet sich als Funktionsbereich der moralischen Triebfeder im Handeln genau genommen nicht (wie das Zitat aus der Kritik der praktischen Vernunft, KpV 5:75, vermuten lsst) der Wille, sondern die Willkr ab.125 Das Gefhl der Achtung in seiner sinnlichen Wirkung beeinflusst damit die subjektive Willensbestimmung, indem sie, wenn sie erfolgreich ist, direkt die Willkr zur Annahme moralischer Maximen bestimmt.126 Nun geht der Gegenstand dieses Gefhls, das moralische Gesetz, auf die Selbstttigkeit eines autonomen Willens zurck, der sich dieses Gesetz selbst gibt und durch
124 In diesem Sinne ist es zu verstehen, dass „[a]uf dem Begriffe eines Interesse […] sich auch der einer M a x i m e “ grndet, whrend „[a]us dem Begriffe einer Triebfeder […] der eines In t e r e s s e “ entspringt (KpV 5:79). Vgl. Kap. 5, § 2, 3. 125 Vgl. zur Anwendung dieser Unterscheidung auf das Triebfedernproblem in der Kritik der praktischen Vernunft auch die Darstellungen von McCarty: „Kantian Moral Motivation and the Feeling of Respect“, 127 f., und Timmermann: Sittengesetz und Freiheit, 196 – 199. 126 In der Religion definiert Kant die Maxime als eine „Regel, die die Willkr sich selbst fr den Gebrauch ihrer Freiheit macht“ (Rel 6:21). Daraus, dass in einer jeden Handlung eine Triebfeder wirksam ist, die den Willen als exekutives Vermçgen zur Wahl von Maximen bestimmt, folgt auch, dass jeder Handlung eine Maxime zugrunde liegt.
§ 2 Handlungsgrnde und Motive
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dieses als autonomer Wille auch unmittelbar bestimmt ist.127 Nur so ist es zu verstehen, dass das moralische Gesetz, wie Kant in der Grundlegung festgehalten hatte, zugleich „als von uns selbst auferlegt“ und als unseren Willen unterwerfendes Prinzip verstanden werden muss (vgl. GMS 4:401 Anm.). Auf die Wille-Willkr-Unterscheidung aus der Metaphysik der Sitten bertragen heißt das: Der Wille als gesetzgebendes Vermçgen bringt mit der Achtung, die ihrerseits das Bewusstsein der „unmittelbaren Bestimmung des Willens [verstanden als autonomer Wille] durchs Gesetz“ ist (GMS 4:401 Anm.), ein Gefhl hervor, das auf die Willkr eine ,befçrderliche‘ Wirkung hat.128 Kants Zitat aus dem Triebfedern-Kapitel fgt sich somit in den handlungstheoretischen Kontext seiner Moralphilosophie und beschreibt auf der Grundlage dieser Voraussetzungen den Kern moralischer Motivation: Ein vernunftbegabtes Subjekt gibt sich durch seinen Willen als legislatives Vermçgen, das selbst keine Bewegursache, aber objektiver Bestimmungsgrund der Handlung ist, ein Gesetz, das es als ein unvollkommenes Vernunftwesen mit Achtung (und Demtigung!) aufnimmt. Dieses Bewusstsein der moralischen Norm beeinflusst den Willen als exekutive Instanz, d. h. die Willkr, indem es „Grund zu Maximen“ (KpV 5:79) ist und damit Triebfeder als Exekutionsprinzip der Handlung. Da es sich nun bei beiden Instanzen um Aspekte eines einzigen Vermçgens, des Willens als Gesamtvermçgen eines endlichen Vernunftwesens, handelt129, 127 Kant fasst diesen Sachverhalt in der Grundlegung in der Wendung zusammen: „Die unmittelbare Bestimmung des Willens durchs Gesetz und das Bewußtsein derselben heißt A c h t u n g “ (GMS 4:401 Anm.). Vgl. dazu Kap. 3, § 2, 4; Kap. 4, § 2, 3, sowie Kap. 5, § 1, 1. 128 In der Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, wo Kant das „moralische Gefhl“ unter den „sthetische[n] Vorbegriffe[n] der Empfnglichkeit des Gemths fr Pflichtbegriffe berhaupt“ behandelt (MST 4:399), legt er diese Interpretation selbst nahe. Der Grund besteht darin, dass er hier bereits ber die neue Terminologie, die Unterscheidung zwischen „Wille“ und „Willkr“, verfgt. So heißt es dort sehr przise: „[…] Empfnglichkeit der freien Willkr fr die Bewegung derselben durch praktische Vernunft (und ihr Gesetz), […] das ist es, was wir das moralische Gefhl nennen“ (MST 6:400). Noch eindeutiger wird Kant in den Vorarbeiten zur Metaphysik der Sitten: Die Triebfeder ist „Bestimmungsgrund der Willkr“ (23:378). 129 Allison unterscheidet dementsprechend im Anschluss an Beck zwei Bedeutungen von „Wille“: „Wille“ in „a broad sense“ betrifft damit das gesamte Willensvermçgen, whrend „Wille“ in „a narrow sense“ fr eine der beiden Funktionen (die legislative Funktion) dieses Vermçgens steht. „Willkr“ hingegen bezeichnet als Vermçgen der Wahl die andere Funktion des Willens als Gesamtvermçgens (vgl. Allison: Kant’s Theory of Freedom, 129, sowie Beck: A Commantory on Kant’s
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V. Praktische Grnde und Triebfedern
ist die Triebfeder kein extern hinzukommender Motivationsfaktor im Handeln, sondern eine Bewegursache des Handelns, die aus der gesetzgebenden Seite seines eigenen Begehrungsvermçgens hervorgeht.130 Kant kann daher sagen, der Wille, der (als gesetzgebender Wille) objektiver Bestimmungsgrund der Handlung ist, sei (als ausfhrender Wille bzw. als Willkr) durch das Gefhl der Achtung auch subjektiver Bestimmungsgrund und das heißt: Bewegursache dieser Handlung. 5. Ist Kants Lehre von der Triebfeder moralischen Handelns intellektualistisch oder affektivistisch? Auf der Grundlage der vorangegangen Ausfhrungen zum Zusammenhang von Achtung, moralischem Interesse und Maximen lsst sich nun besser einschtzen, ob Kants Lçsung der Triebfedernfrage in der Kritik der praktischen Vernunft eher intellektualistisch oder affektivistisch zu deuten ist. Wie bereits dargestellt, geht die intellektualistische Lesart davon aus, das moralische Motiv der Achtung bestehe allein im Moralbewusstsein, whrend Affektivisten die Ansicht vertreten, die vernnftige Anerkennung des Moralgesetzes reiche fr die moralische Motivation nicht aus, so dass die eigentliche Funktion der Achtung als Triebfeder moralischen Handelns in ihrer Wirkung besteht, die sie als ,vernunftgewirktes‘ Gefhl auf den Willen hat.131 Aus dem Vorangegangen ergibt sich, dass keine der beiden Positionen in Bezug auf Kants Theorie der Motivation, wie er sie im Triebfedern-Kapitel vorstellt, haltbar ist. Der Grund ist dieser: Kants Ziel Critique of Practical Reason, 200 f.). Mit Blick auf die Argumentation im Triebfedern-Kapitel reicht es, wie sich gezeigt hat, nicht aus, zwei Bedeutungen von „Wille“ zu unterscheiden, da hier genau genommen drei Willensbegriffe im Spiel sind: Wille als Gesamtvermçgen, Wille als legislative und Wille als exekutive Instanz (= Willkr). Zur Wille-Willkr-Unterscheidung vgl. Kap. 3, § 2, 4. 130 Wille und Willkr sind Aspekte eines einzigen Vermçgens, zu begehren, sowie es auch ein und dasselbe Subjekt ist, das sich als selbst gesetzgebendes und darin motivierendes und zugleich als dem Gesetz unterworfenes und durch dieses motiviertes Subjekt erfhrt. Fr Rohs kçnnen Handlungen in ihrer eigenen Struktur nur begriffen werden, weil man unterstellt, dass eine ununterbrochene Apperzeption sie begleitet. Die Motive einer Handlung werden so zu Motiven, weil sie einem Subjekt angehçren, das sich als einheitliches und konstantes Selbst begreift. Freiheit zeigt sich nun darin, dass dieses Selbst die Phasen der Handlung „nicht nur ,begleitet‘, sondern entscheidet“ („Gedanken zu einer Handlungstheorie auf transzendentalphilosophischer Grundlage“, 227). 131 Vgl. Kap. 5, § 2, 2.
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im Triebfedern-Kaptitel besteht entgegen einer weit verbreiteten Ansicht nicht in erster Linie darin, zu zeigen, wie moralische Motivation als psychologischer Prozess funktioniert. Sein Ziel ist es, wie schon der Titel des Kapitels sagt, die „Triebfedern der reinen praktischen Vernunft“ vorzustellen und zu erçrtern, wie das moralische Gesetz, „sofern“ es eine Triebfeder der reinen praktischen Vernunft ist, auf das Gefhl eines endlichen Vernunftwesens wirkt und in dieser Funktion als Exekutionsprinzip moralischen Handelns das Handeln eines solchen Wesens beeinflusst. Fr Kant stellt sich daher gar nicht die Frage, ob es allein das moralische Bewusstsein oder das Gefhl der Achtung ist, das motiviert. Was motiviert, ist – laut Kants Auskunft zu Beginn des Kapitels – das Bewusstsein des moralischen Gesetzes selbst. Es bringt ein Gefhl hervor, das seinerseits Wirkung auf die Willkr hat, indem es ein moralisches Interesse an der Handlung ermçglicht und die Maximenwahl beeinflusst. Nun ist, wie sich gezeigt hat, das Gefhl der Achtung das eigentliche Exekutionsprinzip der Handlung, weil nur dieses Gefhl tatschlich Einfluss auf das Vermçgen der Wahl, die Willkr, hat.132 Diese Funktion der Achtung zu verkennen, hieße, die Bedeutung nicht zu verstehen, die Kant der ,Triebfeder‘ im moralischen Handeln zuschreibt. Wie Kant schon in der Vorlesung zur Moralphilosophie betont hatte, ist sie „das oberste Principium alles moralischen Antriebes, diese Handlung zu thun“ (VMo/Kae 70/57). Damit ist sie nur dann ein echtes Exekutionsprinzip der Handlung, wenn sie Grundlage fr die Gesinnung ist und dafr sorgt, dass das Subjekt die moralische Norm nicht nur anerkennt, sondern sie auch, um eine Wendung aus der Religion zu gebrauchen, ,lieb gewinnt‘.133 Dies 132 Dies macht McCarty besonders deutlich und sieht darin den Kern seiner affektivistischen Lesart von Kants Motivationstheorie. McCarty argumentiert fr die These, dass Motivation bis zur Auswahl einer Handlungsalternative reicht und vorher noch nicht beendet ist. Seine besondere Rolle in der „moral choice“ spielt das moralische Gefhl aufgrund seiner affektiven Komponente. Andernfalls kçnnte es mit anderen Triebfedern in der Entscheidung nicht konkurrieren (vgl. „Motivation and Moral Choice in Kant’s Theory of Rational Agency“, 19, 25 f.). 133 Die „chtheit tugendhafter Gesinnung“ besteht darin, „das Gute auch l i e b g e w o n n e n , d. i. es in seine Maxime aufgenommen zu haben“ (Rel 6:24 Anm.). – Kulenkampffs Diagnose, der spte Kant htte sich von der Moral-Sense-Idee, Moralitt msse auch „im Herzen der Menschen verankert“ sein, wieder verabschiedet, ist daher nicht nachvollziehbar (vgl. „Moralisches Gefhl oder ,moral sense‘: wie berechtigt ist Kants Kritik?“, 249 f.). Zwar ist das Gefhl der Achtung ein besonderes Gefhl und es hat eine andere Funktion, als ihm die Moral-SenseTheoretiker zugewiesen hatten. Aber in seiner Rolle als Triebfeder zeigt es, dass die Maximenwahl nicht nur in einem unpersçnlichen Testverfahren besteht.
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V. Praktische Grnde und Triebfedern
ist, wie sich gezeigt hat, nur dadurch mçglich, dass es ein Gefhl gibt, das zwar seiner Quelle nach intellektuell, seiner Wirkung nach aber insofern sinnlich ist, als es in Vermittlung mit der Lust und dem Interesse an der Handlung dem „Bedrfnis“ eines endlichen Vernunftwesens nachkommt, „irgend wodurch zur Thtigkeit angetrieben zu werden“ (KpV 5:79). Insofern treffen, je nach Perspektive, beide Lesarten, die intellektualistische und die affektivistische, einen wichtigen Punkt, auch wenn keine der beiden fr sich in ihrer Ausschließlichkeit berzeugen kann. Die motivierende Funktion der Vorstellung des moralischen Gesetzes besteht darin, dass es Achtung in einem Wesen hervorruft, das sich des moralischen Gesetzes als eines selbst gegebenen, alles selbst bestimmte Handeln als Maßstab und Korrektiv begleitenden Gesetzes bewusst ist. Diese Aufmerksamkeit fr eine vom Subjekt selbst ausgehende absolute Verbindlichkeit, in der es alle seine Willensbestrebungen unter diesen moralischen Maßstab bringt, zeigt sich auch in Form einer Demtigung durch das Gesetz, die ihrerseits die unmittelbare Wirkung des Moralbewusstseins ist. Kant bezeichnet diese Wirkung des Gesetzes auf das Gefhl als „den ersten, vielleicht auch einzigen Fall, da wir aus Begriffen a priori das Verhltnis eines Erkenntnisses (hier ist es einer reinen praktischen Vernunft) zum Gefhl der Lust und Unlust bestimmen konnten“ (KpV 5:73). Das heißt: Wie es mçglich ist, dass das Gesetz diese Wirkung hat, die sich ihrerseits positiv in der Achtung fr dieses Gesetz zeigt und schließlich die Quelle einer moralischen Triebfeder ist, lsst sich nicht erklren. Kant stellt daher gleich zu Beginn des Triebfedern-Kapitels fest: Denn wie ein Gesetz fr sich und unmittelbarer Bestimmungsgrund des Willens sein kçnne (welches doch das Wesentliche aller Moralitt ist), das ist ein fr die menschliche Vernunft unauflçsliches Problem und mit dem einerlei: wie ein freier Wille mçglich sei (KpV 5:72).134
Daraus resultiert die Zielstellung des Kapitels, die nicht darin besteht, zu zeigen, dass das Gesetz motiviert, sondern welche Wirkung es hat, sofern es 134 Damit legt Kant die Parallele zur Freiheitsproblematik selbst nahe. Es ist tatschlich dieselbe Problematik, die seiner Freiheitsdiskussion in der Kritik der reinen Vernunft zugrunde liegt: Wie kann eine intelligible Ursache ,erster Anfang‘ einer Kette von Ereignissen in der Sinnenwelt sein? Whrend die Kritik der reinen Vernunft nur die Denkmçglichkeit der Freiheit darlegen konnte, ist es in der Kritik der praktischen Vernunft das moralische Bewusstsein, das der Freiheit „Realitt verschafft“ (KpV 5:6). Obwohl wir uns des moralischen Gesetzes aufgrund eines „Factums“ a priori bewusst sind und damit wissen, dass diesem praktischen Gesetz die unmittelbare Bestimmung unseres Willens als Subjekts der reinen praktischen Vernunft entspricht, kçnnen wir jedoch nicht sagen, warum dies so ist.
§ 2 Handlungsgrnde und Motive
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motiviert. Insofern, als das moralische Gesetz selbst die Ursache des Gefhls der Achtung ist, das seinerseits Triebfeder zur Handlung ist, wirkt es auf das Subjekt nicht nur als objektiver, sondern auch als subjektiver Bestimmungsgrund. Zwar wre das Gesetz ohne das Gefhl der Achtung im Handeln endlicher Vernunftwesen nicht wirksam, weil nur dieses Einfluss auf die Willkr und damit direkt auf die Handlungen hat. Da diese Funktion der Achtung im moralischen Handeln aber nicht unabhngig von seiner Ursache, dem moralischen Gesetz, ist, sondern einfach die exekutive Instanz eines Begehrungsvermçgens bezeichnet, das sich die Regel des Verhaltens selbst vorschreibt und eine Triebfeder bewirkt, so kommt ihr auch keine eigenstndige Funktion im Motivationsprozess zu. Umgekehrt wre das moralische Gesetz als ein solches Gesetz im Handeln nicht praktisch wirksam, gbe es keine Triebfeder, die als tatschlich exekutierendes Prinzip des Handelns fungiert. Die Achtung als moralisches Gefhl ist, wie Kant auch in der Metaphysik der Sitten schreibt, diejenige „Empfnglichkeit“ eines endlichen Wesens „fr Pflichtbegriffe“, ohne die der Mensch „sittlich todt“ wre (MST 6:400). Das heißt nicht, dass ein moralisches Gefhl bençtigt wrde, um zu erkennen und anzuerkennen, was moralisch geboten ist.135 Dieses Gefhl ist, als das moralische Bewusstsein, der Modus, in dem sich der Mensch dieses Gesetzes bewusst wird. Als Subjekt der reinen praktischen Vernunft ist der Mensch in seinem Wollen schon „unmittelbar“ 135 Dieser Punkt ist Kant besonders wichtig; er nennt ihn immer dann, wenn er hervorhebt, dass die Achtung kein Gefhl ist, das dem Gesetz ,vorhergeht‘ (vgl. z. B. KpV 5:75 f.). Es ist auch diejenige Eigenschaft der Achtung, die die Differenz von Kants Begriff des moralischen Gefhls zu demjenigen der Moral-Sense-Schule ausmacht. So bezeichnet der „moralische Sinn“ bei Hutcheson eine bestimmte Art der Wahrnehmung, die erst Zustimmung zu einer Handlungsoption und ein moralisches Urteil ermçglicht (vgl. dazu Kap. 1, § 2, 1). Kants Ansicht ist es hingegen, dass wir kein zustzliches ,Sinnesorgan‘ bençtigen, um zu wissen, was wir tun sollen und – als vernnftige Wesen – auch tun wollen (vgl. Kçhl: Kants Gesinnungsethik, 146). – Da das Bewusstsein des moralischen Gesetzes nicht nur ein Wissen um das moralisch Richtige ist, sondern auch impliziert, dass ein Subjekt dieses als ein unbedingtes Gebot anerkennt (und durch dieses, als Subjekt der reinen praktischen Vernunft und nach seinem autonomen Willen, auch unmittelbar bestimmt ist (vgl. KpV 5:78)), ist die streng affektivistische Lesart nicht berzeugend. Ihr zufolge liefert das moralische Gesetz zwar fr sich einen guten Handlungsgrund, impliziert aber noch nicht Achtung. Damit unterschlagen Affektivisten dieser Art eine Seite der Achtung, nmlich die intellektuelle, nach der diese das Bewusstsein der „unmittelbare[n] Bestimmung des Willens durchs Gesetz“ ist (GMS 4:401 Anm.). Vgl. zur streng affektivistischen Lesart Herrera: „Kant on the Moral ‘Triebfeder’“, 396, und Scarano: „Moralisches Handeln“, 143.
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V. Praktische Grnde und Triebfedern
durch das Gesetz bestimmt (vgl. KpV 5:78; GMS 4:401 Anm.).136 Dass er nicht „sittlich todt“ ist, heißt, dass das Bewusstsein des Gesetzes nicht unwirksam verhallen muss, sondern seine praktische Entsprechung auch im Wollen und Handeln des Menschen als einem sinnlich affizierbaren Wesen finden kann. Das bedeutet, dass es Einfluss auf die Willkr als exekutive Instanz des Wollens haben muss, indem eine Handelnde das Bewusstsein der unmittelbaren Bestimmbarkeit des Willens durch das Gesetz auf sich selbst als auch sinnliches Subjekt bezieht. Diese Wirkung ist nur durch ein Gefhl mçglich, das seinerseits, in seiner sinnlichen Wirkung, den Schritt von der Vorstellung ber das Lustgefhl „zur That“ (vgl. MST 6:399) ermçglicht:137 Wir haben aber fr das (Sittlich-)Gute und Bçse eben so wenig einen besonderen Sinn, als wir einen solchen fr die Wahrheit haben […], sondern E m p f n g l i c h k e i t der freien Willkr fr die Bewegung derselben durch praktische Vernunft (und ihr Gesetz), und das ist es, was wir das moralische Gefhl nennen (MST 6:400).
Wir mssen uns daher nicht, wie die Diskussion zwischen Intellektualisten und Affektivisten suggeriert, zwischen dem moralischen Gesetz/dem Bewusstsein des moralischen Gesetzes und der Achtung als Triebfeder entscheiden. Beide sind Triebfeder: das Gesetz, insofern es die Achtung bewirkt und damit Einfluss auf die Willkr hat, und die Achtung, indem sie direkt die Willkr und die Maximenwahl bestimmt. Moralisches Bewusstsein und moralisches Gefhl sind zwei Aspekte in der moralischen Motivation, die ein und dasselbe beschreiben: die Bestimmung des Willens 136 Diese unmittelbare Bestimmung des Willens durch das Gesetz betrifft jedoch den Willen im engeren Sinne, den autonomen Willen. Hier ist Achtung noch nicht im Spiel, denn ein autonomer Wille braucht kein Gefhl der Achtung, um moralisch bestimmt zu sein (nur deshalb ist die Bestimmung ja „unmittelbar“). Es ist daher nicht richtig, wie Park zu behaupten, die unmittelbare Bestimmung des Willens bedeute die Bestimmung des Willens durch das Gefhl der Achtung. Die Achtung bestimmt die Willkr, nicht aber den Willen im engeren Sinne (vgl. Park: Das moralische Gefhl in der britischen Moral-Sense-Schule und bei Kant, 146). 137 Vgl. dazu Kulenkampff: „Moralisches Gefhl oder ,moral sense‘: wie berechtigt ist Kants Kritik?“, 238. – Damit hat das moralische Gefhl an der Stelle in der Metaphysik der Sitten eine engere Funktion, als sie ihm im Triebfedern-Kapitel zukommt. Dort hatte Kant beide Seiten dieses Gefhls, die intellektuelle und die sinnliche, thematisiert. Im Abschnitt ber die „sthetische[n] Vorbegriffe der Empfnglichkeit des Gemths fr Pflichtbegriffe berhaupt“ in der Tugendlehre der Metaphysik der Sitten geht es hingegen nur um die sinnliche Seite des moralischen Gefhls, das als solches zwischen der „Vorstellung“ und der „That“ vermittelt (vgl. MST 4:399).
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(als Gesamtvermçgen!) durch ein unbedingtes praktisches Gesetz.138 Zu sagen, allein die Erkenntnis des Gesetzes motiviere, hieße, die eigentliche Bedeutung von ,Triebfeder‘ zu unterschlagen, die ein Exekutionsprinzip des Handelns ist und daher ohne ein solches treibendes Prinzip, das moralische Gefhl der Achtung, nicht auskommt.139 Hingegen zu behaupten, der Achtung kme eine eigenstndige Funktion in der Motivation zu und sie kompensiere damit ein praktisches Defizit des moralischen Gesetzes, hieße zu verkennen, dass die Achtung die Kehrseite eines sinnlichen Gefhls, der Demtigung ist, die ihrerseits allein die Wirkung des Bewusstseins vom moralischen Gesetz ist. Damit versteht Kant moralische Motivation im Triebfedern-Kapitel weder nach dem Vorbild eines rein mechanistischen Modells, nach dem das Gefhl der Achtung gleichsam mechanisch andere Bestimmungsgrnde des Willens ausschaltet, noch ist es ein rein intellektualistisches Konzept, dem zufolge Motivation einfach im rationalen berzeugen durch objektive 138 Eine hnliche Sichtweise scheint Paton im Blick zu haben, wenn er schreibt: „Daher kann es der Fall sein, daß von einem externen oder psychologischen Gesichtspunkt aus das Gefhl der Achtung unsere Triebfeder ist, whrend vom internen oder praktischen Gesichtspunkt aus nur das moralische Gesetz unsere Triebfeder ist“ (Paton: Der kategorische Imperativ, 69). Dem „externen“ Gesichtspunkt korrespondiert demnach in der hier vorgelegten Interpretation die exekutive Funktion der Achtung, dem „internen“ Gesichtspunkt hingegen die unmittelbare Bestimmung des Willens als autonomem Willen durch das Gesetz. 139 Genau hier setzt Kant mit dem Gefhl der Achtung an, das, entgegen Reath’ intellektualistischer Einschtzung, nicht einfach darin besteht, die Ansprche der Selbstliebe offen zu legen und die ,richtigen‘ Handlungsgrnde aufzudecken, sondern darin, die Maximenwahl aktiv zu beeinflussen, indem es ber ein moralisches Interesse vermittelt tatschlich als strkerer Handlungsgrund aus dem Auswahlverfahren hervorgeht. Reath bemerkt, dass es sich bei der Motivation nicht um einen Krfteaustausch zwischen verschiedenen Parteien, zwischen dem moralischen Grund und den Neigungen, handelt, sondern um ein Auswahlverfahren, bei dem der berzeugendere Grund berwiegt. Weil er aber meint, moralische Motivation ginge fr Kant nicht ber diesen Punkt hinaus, verkennt er die eigentliche Pointe von Kants ,Triebfedernlehre‘, der zufolge der moralische Grund nicht einfach im Urteil des Handelnden berwiegt, sondern seine Maximenwahl beeinflusst (vgl. „Kant’s Theory of Moral Sensibility“, 296 f.). – Die Frage an den Intellektualisten bleibt zu Recht, wie es mçglich ist, dass jemand im Bewusstsein des Sittengesetzes dennoch unmoralisch handelt. Jemand kann eben, entgegen der aristotelischen Auffassung, den berzeugenderen Grund kennen und anerkennen und dennoch nicht danach handeln (vgl. zu Aristoteles Kap. 1, § 1, 1). Vgl. dazu die Diskussion oben zur „moralischen Fehlbarkeit“ in Kap. 5, § 2, 4 sowie McCartys Kritik an den Intellektualisten: „Kantian Moral Motivation and the Feeling of Respect“, 428.
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V. Praktische Grnde und Triebfedern
Grnde besteht. So kann der Einfluss des Sittengesetzes als Triebfeder nicht, wie die intellektualistische Lesart es vorschlgt, darauf beschrnkt werden, die vermeintlich objektiven Grnde der Selbstliebe durch echte moralische Handlungsgrnde zu ersetzen. Zwar besteht die Leistung der Achtung zum einen darin, auf die moralischen Grnde in der Hinsicht aufmerksam zu machen, dass sie sich im Vernunfturteil als die vorzuziehenden erweisen.140 Damit ein Grund fr ein endliches Vernunftwesen auch ein subjektiver Handlungsgrund wird, muss er jedoch darber hinaus zur Ttigkeit ,antreiben‘ (vgl. KpV 5:79); dies ist nur durch den Bezug der Vorstellung des Gesetzes auf ein Gefhl mçglich, weil anders kein Interesse an der Handlung zustande kommt. Andererseits ist dieses Gefhl nichts anderes als das Bewusstsein der moralischen Norm und darin zwar ,befçrderlich‘ fr die Auswirkung des Sittengesetzes in der Maximenwahl, aber nicht insofern, als es als eine sinnliche Kraft auf andere Krfte, die Neigungen, einwirkt. Kant geht es im Gegenteil darum, die positiven Einsichten beider Anstze, des intellektualistischen und des affektivistischen, miteinander zu verbinden. Denn, wie sich gezeigt hat, ist das, was ein Subjekt fr einen guten Handlungsgrund hlt, etwas, das sich als moralischer Grund im Handeln dieses Subjektes auch widerspiegelt. Dies bedeutet nun, dass es einen objektiven Beweggrund gibt, der durch eine subjektive Bewegursache gesttzt wird, die ihrerseits praktisch zur Handlung anleitet. Diese praktische ,Anleitung‘ bedeutet einen Bezug des Grundes auf die Willkr, die ihrerseits durch ein moralisches Gefhl fr diesen Grund erst ,empfnglich‘ ist (vgl. MST 6:400). Das Verstndnis von Kants Theorie der Triebfeder moralischen Handelns wird, wie sich gezeigt hat, z. B. durch die fehlende Unterscheidung verschiedener Willensbegriffe erschwert, die der Argumentation implizit aber zugrunde liegen. Die Bemerkung, dass das Gesetz den Willen ,unmittelbar‘ bestimmt, betrifft demnach nur die Willensbestimmung „im Urtheile der Vernunft“ (vgl. KpV 5:71, 78). Damit das Gesetz tatschlicht handlungswirksam wird und das heißt: die Willkr beeinflusst, muss es jedoch ein Gefhl hervorbringen, das diese subjektive Willensbestimmung ermçglicht. Kants Theorie der Motivation kommt daher ganz offensichtlich ohne ein moralisches Gefhl nicht aus. Selbst wenn unseren Neigungen, die ihrerseits ebenfalls auf Grnden (der Selbstliebe) beruhen, beizukommen ist, indem man ihnen die besseren Grnde entgegenhlt, so bleibt die Frage, wie es dazu kommt, dass das Subjekt diese Grnde auch als 140 Vgl. dazu die Darstellung zu Kants in Analogie zur Krftemetaphorik entwickelte Analyse moralischer Motivation im Triebfedern-Kapitel in Kap. 5, § 1, 4.
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die besseren Grnde internalisiert und das heißt: sie zu Maximen seines Handelns macht. Hierzu ist es notwendig, dass das Subjekt auf der Ebene seiner Sinnlichkeit direkt angesprochen wird. Diese Konfrontation ist – dies ist auch noch die Ansicht des spten Kant – nur durch ein Gefhl, nicht aber durch ein neues Urteil mçglich, weil dadurch die Problematik nur auf eine neue Ebene verschoben wrde. Kant akzeptiert damit ein bestimmtes Bild moralischer Motivation, dem zufolge die Erkenntnis eines Vernunftprinzips allein noch nicht zur Handlung motiviert. Das unterscheidet ihn, bis zum Schluss, von einem Rationalisten wie Wolff, fr den Erkennen und Wollen identisch sind.141 Allerdings ist Kant auch kein Humeaner in Bezug auf moralische Motivation. Denn er verteidigt die These von der praktischen Wirksamkeit des moralischen Bewusstseins, die besagt, dass die Triebfeder des Handelns die Vorstellung eines rationalen Prinzips sein kann. Diese Vorstellung ist keine theoretische Erkenntnis, sondern ein praktisches Bewusstsein mit sinnlicher Wirkung. Auf diese Weise ist es mçglich, dass das, was wir als vernnftig und moralisch richtig einsehen, Motiv unseres Wollens und Handelns ist.
141 Vgl. dazu Kap. 1, § 2, 2.
Schluss Von den Anfngen seiner Moralphilosophie bis in die letzten Schriften hat Kant mit der Frage, wie die vernnftige Einsicht dazu motivieren kann, dieser Einsicht entsprechend zu handeln, der Frage also nach der Mçglichkeit moralischer Motivation, gerungen. Die Antwort, die er mit seiner Theorie von der ,Triebfeder‘ moralischen Handelns gibt, lautet folgendermaßen: Eine kategorisch gebietende Handlungsnorm ist das Motiv moralischen Handelns, indem sie auf das handelnde Subjekt als endliches Vernunftwesen die Wirkung eines Gefhls hat, das seinerseits, indem es gegenlufige Neigungen berwindet, die Maximenwahl zugunsten der Norm beeinflusst. Damit ist die von Kant seit den Anfngen seiner Ethik verfolgte Frage, wie uns das, was die Vernunft als moralisch gut erkennt, motivieren kann, beantwortet. Bei dem moralischen Gefhl der Achtung handelt es sich nun jedoch nicht um ein Gefhl, das auf die Konfrontation eines endlichen Wesens mit dem Gesetz zeitlich folgt, sondern es stellt im Gegenteil den Modus dar, in dem sich der Mensch eines solchen praktischen Gesetzes bewusst wird. Die Achtung ist daher keine extern zum moralischen Gesetz hinzukommende Triebfeder des Willens. Damit grenzt sich Kant von der Gefhlsethik seiner Zeit entschieden ab, denn es bedarf erstens keines gesonderten „moralischen Sinns“, um zu erkennen, was moralisch gefordert ist, und zweitens keines der moralischen Norm externen Gefhls, das die motivierende Funktion im Handeln bernimmt. Von einem Rationalisten wie Wolff unterscheidet sich Kants Auffassung darin, dass er Denken und Wollen nicht als identische Vermçgen versteht: Damit das praktische Gesetz seine Wirkung im Wollen eines endlichen Vernunftwesens entfaltet, muss es Triebfeder sein und zum Wollen und Handeln erst bewegen. Um eine Theorie des moralischen Gefhls kommt die Moralphilosophie fr Kant aus diesem Grund nicht herum. Entscheidend fr Kant ist, dass er moralische Motivation als eine Theorie ber die Triebfeder der reinen praktischen Vernunft versteht. Kants These lautet: Das moralische Gesetz ist selbst Triebfeder. Dabei ist fr Kants Theorie der Motivation wesentlich, dass der Mensch das Moralgesetz nicht nur ,theoretisch‘ erkennt, sondern anerkennt. Sich der moralischen Norm bewusst sein heißt, Achtung zu empfinden. Als Modus, in dem sich ein endliches Vernunftwesen des
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moralischen Gesetzes bewusst wird, ist die Achtung das Motiv moralischen Handelns. Kants Lehre von der Triebfeder ist außerdem weder ,rein affektivistisch‘ noch ,rein intellektualistisch‘. Intellektualistisch an Kants Ansatz ist die These, die Vorstellung eines rationalen Moralprinzips allein kçnne die Triebfeder moralischen Handelns sein. Der affektivistische Anteil seiner Theorie der moralischen Motivation besteht in der Auffassung, das moralische Gesetz msse als eine solche Triebfeder im Modus eines moralischen Gefhls auf die Sinnlichkeit eines endlichen Vernunftwesens Einfluss haben, damit es auch auf die subjektive Willensbestimmung wirken kann. In dieser Hinsicht lsst sich Kants Ethik seit der Grundlegung im Wesentlichen lesen als eine Theorie der reinen praktischen Vernunft. Sie ist in grundlegender Weise von dem Versuch geprgt, zu zeigen, wie sich vernnftige Wesen in ihren Handlungen allein durch vernnftige berlegungen leiten lassen kçnnen. Kants Theorie der Motivation steht im Besonderen fr den seine Moraltheorie im Allgemeinen charakterisierenden Versuch, eine rationalistische, nicht-empiristische Moral mit den Faktoren zu verbinden, die auch die sensible Dimension menschlicher Existenz bercksichtigen. Dabei ist Kant mit Nachdruck daran gelegen, die unbedingte Geltung praktischer Vernunftgesetze nicht zugunsten einer mçglicherweise vorschnellen Lçsung des Motivationsproblems aufzugeben. Dass uns unsere moralischen Urteile motivieren, bedeutet fr Kant nicht – darin unterscheidet er sich von Hume –, dass diese Urteile selbst gefhlsbasiert sein mssen. Kant whlt die entgegengesetzte Strategie, indem er zeigt, dass ein reines Vernunftprinzip motivieren kann, weil ein rationales Wesen es als ein selbst gegebenes praktisches Gesetz anerkennt. Der Unterschied der kantischen zur sokratisch-aristotelischen Auffassung besteht hingegen darin, dass Kant mit dem faktischen moralischen Bewusstsein zugleich die moralische Fehlbarkeit der menschlichen Existenz einrumt: Jemand kann wissen und anerkennen, was zu tun ist, und dennoch nicht die Maxime bilden, entsprechend zu handeln. Whrend es fr die moralische Konstitution des Menschen wesentlich ist und es gerade seine moralische Sensibilitt ausmacht, dass das Moralbewusstsein unmittelbar mit einem inneren Gefhl der Verpflichtung als dem einzig echten moralischen Motiv verbunden ist, folgt die Handlung aus der Motivation daher nicht notwendigerweise. Dass die moralische Einsicht bzw. die Achtung motiviert, heißt, dass sie dem Willen eine bestimmte Richtung vorgibt, der die moralischen Grnde seinerseits als berwiegende Grnde auffasst. Damit fhrt das Bewusstsein des Moral-
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gesetzes im Modus der Achtung zu einer Bewegung, es ist jedoch nicht selbst diese Bewegung und determiniert die Handlung nicht wie eine kausale Kraft. Dabei kommt dem Wirken von Krften, so wie Kant es in der Analyse moralischer Motivation im Triebfedern-Kapitel deutlich werden lsst, keine wçrtliche Bedeutung im Sinne einer mechanistischen Lesart zu. Kant bedient sich hier vielmehr einer Analogie, die der Untersttzung seiner Darstellung der Wirkung des Moralgesetzes auf den Menschen dient. So lsst das Wirken einer Kraft in Form einer vernnftigen Kausalitt auf ein Vermçgen schließen, sich durch Grnde motivieren lassen zu kçnnen. Kant will also nicht allererst zeigen, dass wir notwendigerweise Achtung vor dem Gesetz haben; dies setzt er vielmehr voraus. Was das Triebfedern-Kapitel leistet, ist im Gegenteil eine Darstellung der Wirkung der moralischen Norm auf Wesen, die das Gesetz qua Vernunft respektieren und achten. Damit zielt Kants Theorie moralischer Motivation darauf ab, moralische Motivation zu verstehen und zu zeigen, was es fr ein vernnftig-sinnliches Subjekt bedeutet, motiviert zu sein. Ihr Fokus richtet sich hingegen nicht auf die Frage, wie Menschen zu (moralischen) Motiven kommen oder wie moralische Motivation in endlichen Vernunftsubjekten entsteht. Kant liefert demnach keine vollstndige kausale Erklrung menschlichen Entscheidens.1 Ein solches Verfahren ist in Kants Augen nicht nur unmçglich, sondern auch sinnlos, weil es sich etwas zum Ziel setzt, was den Gegenstand der Analyse, nmlich die freie Willensbestimmung durch ein genuin moralisches Motiv eines in seinen Entscheidungen gerade nicht determinierten, autonomen Vernunftsubjekts, kategorial verfehlt. Entgegen psychologistisch gefrbten Theorien der (moralischen) Motivation zielt sein Ansatz nicht darauf ab, die Generierung bestimmter Motive und Handlungen unter Einbezug physiologischer Aspekte zu erklren. Kants Theorie moralischer Motivation ist vielmehr ein Versuch, moralisches Motiviertsein als Teil des Handelns selbst bestimmter, aber auch endlicher und in dieser Endlichkeit fehlbarer Vernunftwesen verstndlich zu machen.2 Vor diesem Hintergrund lsst sich Kants Antwort auf die Motivationsfrage lesen als eine moderne Theorie praktischer Rationalitt. Kant teilt mit dem normativen Internalismus die Auffassung, die moralische Norm 1 2
Das sieht auch Klemme: „Praktische Grnde und moralische Motivation“, 143. Zur Unterscheidung zwischen psychologistischen und philosophischen Theorien moralischer Motivation vgl. Peters: The Concept of Motivation, 43.
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stelle einen Handlungsgrund dar, der eine vollkommen rationale Person motiviert, sofern sie ber die richtigen Beurteilungs- und Bewertungsmaßstbe verfgt. In dieser Hinsicht gehçren moralische Grnde schon zum Handelnden – und dies deshalb, weil sie keine dem Handelnden ußeren (,externen‘) Grnde sind, sondern sich ein rationales Subjekt die moralische Norm als autonomes Wesen selbst auferlegt. Ein moralischer Grund ist insofern ein praktischer Grund, als eine rationale Person ihn durch Reflexion auf ihr Wollen und Handeln bezieht. Nun ist ein solcher moralischer Grund fr Kant nicht deshalb ein rechtfertigender Grund, weil er eine Handlung motivational erklrt, sondern er motiviert, weil er ein moralischer Grund ist.3 Dabei ist das „weil“ ein logisches und kein kausales: Das Gesetz ist ein Grund und als solches motiviert es. Der moralische Grund, wie Kant ihn versteht, erfllt daher per definitionem die ,internalistische Forderung‘4, die deshalb fr eine kantische Theorie der Grnde keine echte Herausforderung ist. Ein solcher gemßigter normativer Internalismus ist daher vereinbar mit einem normativen Externalismus, d. h. mit der Auffassung, dass Grnde nicht durch motivationale Zustnde in Form von Wnschen gesttzt werden mssen, um als Grnde erst zu gelten. Das Moralgesetz wird von Kant vorgestellt als unbedingtes praktisches Prinzip, das bei vernunftbegabten Wesen in Form der Achtung ein unmittelbares Motiv ist. ,Ein moralischer Grund sein‘ heißt ,Gegenstand der Achtung sein‘. Dies nicht, weil er persçnliche Interessen trifft, sondern gerade weil er ein unbedingtes praktisches Gesetz reprsentiert, das seinerseits aufgrund seines unbedingten Charakters Achtung erweckt. Kant ist motivationaler Internalist aufgrund seiner These, es sei das Bewusstsein des moralischen Gesetzes selbst, das rationale Wesen motiviert. Der moralische Grund ist demnach Handlungsmotiv, insofern er unmittelbar motiviert bzw., in Kants Worten, Achtung hervorruft. Es ist die Pointe von Kants Triebfedertheorie und ein grundlegender Aspekt seiner Moralphilosophie, dass sich Menschen qua sinnliche Vernunftwesen der Anerkennung des moralischen Grundes nicht entziehen kçnnen. Fr dieses Konzept einer internen Verbindung von moralischem Grund und 3 4
Darin liegt die entscheidende Differenz zu Williams’ internalistischer Position (vgl. zu Williams: „Internal and external Reasons“, „Internal Reasons and the Obscurity of Blame“, sowie Kap. 1, § 3, 2). So Korsgaards Formulierung fr die Forderung des Internalisten, praktische Behauptungen kçnnten nur dann Handlungsgrnde sein, wenn sie rationale Personen motivieren kçnnen (vgl. „Scepticism about Practical Reason“, 317, sowie Kap. 1, § 3, 2.
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Handlungsmotivation ist der Gedanke von der Autonomie des Willens konstitutiv. So ermçglicht die Idee einer moralischen Selbstgesetzgebung, in der die moralischen Gebote als selbst auferlegte Regeln moralisch-rationalen Verhaltens verstanden werden, ein Konzept praktischer Grnde, dem zufolge moralische Grnde („any reasons for doing it“) die Grnde des autonomen Subjekts („his reasons for doing it“) sind, das aus diesen Grnden handelt.5 Kants Konzeption des moralischen Grundes als eines internen Handlungsgrundes ist nicht-relativistisch. Sie geht davon aus, dass wir, wrden wir uns ernsthaft in den Rechtfertigungsprozess unserer Wnsche, Meinungen und Volitionen begeben, alle zu denselben Schlssen darber kommen wrden, was zu tun ist. Die Voraussetzung dafr liegt in einem durch unsere Vernunft unmittelbar gegebenen Moralbewusstsein, dessen Modus das moralische Gefhl der Achtung ist. Schließlich reicht der Erklrungswert von Kants Theorie praktischer Rationalitt weiter als die moderne Theorien ber Handlungsgrnde und Motive. Denn sie zeigt, dass die ,Lcke‘ zwischen den Urteilen und den Motiven nicht in der Hinsicht besteht, wie sie durch das (neo-)humeanische belief-desire-Modell suggeriert wird. Der Schlssel zu einer kantischen Konzeption praktischer Grnde liegt im Begriff des Willens: Kant versteht ihn als das Vermçgen, sich auch unabhngig von subjektiven Bedrfnissen durch berlegungen leiten zu lassen, die ein rationales Wesen sich selbst als Grnde vorlegt. Weil ein zugleich rationales und sinnliches Wesen die moralischen Grnde als Grundstze seines autonomen Willens anerkennt, enthlt die moralische Einsicht bereits einen motivationalen Kern. Sie ist eine praktische Einsicht, deren sinnliche Wirkung sich im Handeln rationaler Wesen zeigt. Nun sind Gefhle fr Kants Theorie des Begehrens und der Handlung konstitutiv. So teilt er mit Hume die Ansicht, dass die Vernunft die Willkr in Handlungen nicht direkt beeinflussen kann und Gefhle nur durch andere Gefhle beeinflusst werden kçnnen. Auf der Ebene der Maximenund Interessenbildung gehçren sie jedoch dem empirischen Teil der Handlungsgeschichte an, in den auch die sinnliche Wirkung des intellektuell bewirkten Gefhls der Achtung gehçrt. Damit, dass das moralische Motiv eine notwendige Konsequenz unseres Moralbewusstseins und damit ein ,Faktum‘ ist, zu dem kein (externes) 5
Zur Unterscheidung von normativen Grnden als „any reasons for doing it“ und motivierenden Grnden als „his reasons for doing it“ vgl. Dancy: Practical Reality, 2, sowie Kap. 1, § 3, 1.
Schluss
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Gefhl hinzukommen muss, widerspricht Kant (neo)humeschen Konzeptionen des Handelns, denen zufolge Urteile erst in Kombination mit einem Wunsch als motivational wirksam vorgestellt werden. Etwas als einen moralischen Grund anerkennen heißt nach Kant, rational sensibel dafr zu sein, was ein solcher Grund als Vernunftgrund aussagt und der als solcher verbindet. In dieser Hinsicht liefert Kants Theorie moralischer Motivation ein Bild fr „human action par excellence“, wenn wir dieses verstehen als ein berlegen, Entscheiden und Handeln nach berwiegenden Grnden.6 Die Tatsache, dass Menschen die von ihnen eingesehenen moralischen Grnde dennoch nicht immer in ihren Handlungen tatschlich wirksam werden lassen, ist nichts weniger als ein Merkmal ihrer moralisch fragilen Natur.
6
Velleman: „What happens when someone acts?“, 462; vgl. Mele: Motivation and Agency, 224 f.
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Engstrom, Stephen 133, 135, 215, 229 f., 256, 261, 276, 280 Esser, Andrea M. 133 Falk, W. D. F. 51, 57 Foerster, Friedrich W. 34 Forschner, Maximilian 34, 213, 263 Forst, Rainer 50 Frankena, William K. 63 Frierson, Patrick R. 72 Garrett, Aaron 33 Gaut, Berys 59 Gerhardt, Volker 34, 71, 84, 88 f., 102, 192, 291 Gethmann, Carl F. 56 Goy, Ina 276 Gregor, Mary 143, 160, 248 Grenberg, Jeanine M. 116, 215, 286 Grice, Geoffrey R. 51 f. Grotius, Hugo 29 Gunkel, Andreas 122, 169, 231 Guyer, Paul 182, 276 Haegerstroem, Axel 120 Halbig, Christoph 50 f., 54 – 65 Hampton, Jean 63 Henrich, Dieter 32, 34, 37, 40, 44, 46, 65 f., 199, 238 Hepfer, Karl 23 Herman, Barbara 154, 175 Herrera, Larry 215, 275 f., 297 Hill, Thomas E. 102, 121, 145, 170, 185 f. Hçffe, Otfried 163 Hooker, Brad 57, 60 Horn, Christoph 49 Hçwing, Thomas 124 Hudson, W. D. 24
322
Personenregister
Hume, David 8, 16 – 27, 47 f., 52 f., 58, 65 f., 89, 101, 188, 193, 197, 203 f., 303, 306 Hutcheson, Francis 3, 9, 25 – 34, 44, 46, 50 f., 188, 191 f., 195, 197, 220 f., 297 Johnson, Robert
149
Kain, Patrick 147, 172, 174 f. Kubler, Bruno 208, 215, 223 Kaulbach, Friedrich 34, 69, 71, 75 Keil, Geert 15, 70 Kennett, Jeanette 65 Kenny, Anthony 49 Klein, Patrick 234 Kleingeld, Pauline 233, 235 Klemme, Heiner F. 284, 304 Kçhl, Harald 115, 297 Konhardt, Klaus 98, 152 Kçnig, Peter 251, 258, 265 Korsgaard, Christine M. 16, 59 f., 63, 144, 146 f., 175, 187, 305 Krmer, Hans 196 Kuehn, Manfred 26, 190 f. Laberge, Pierre 120 f. Lee, Ming-Huei 32, 34, 37 f., 190 Lehmann, Gerhard 9, 203 Leithold, Wolfgang 27, 30 MacBeath, Murray A. 276 Mackie, John-Leslie 60 Mandeville, Bernard 27, 31 f. Mayer, Verena 269 McCarty, Richard 118, 135, 141, 275 f., 286, 291 f., 295, 299 McDowell, John 13 f., 61 f., 64 Mechtenberg, Lydia 75 Mele, Alfred R. 2, 48, 51, 307 Mellin, Georg S. A. 99 Menzer, Paul 9, 32, 40, 192, 203 Mohr, Georg 29 f., 74, 89, 98 f., 134, 199 Nagel, Thomas
53 f., 56
O’Neill (Nell), Onora
142, 236, 276
Palmquist, Stephen 274 Parfit, Derik 66 Park, Chan-Goo 32 f., 298 Paton, Herbert J. 102, 121 f., 130, 134, 141, 145, 147, 150, 152, 155, 160, 168 f., 171, 182, 248, 276, 299 Peters, R. S. 2, 240, 304 Platon 8, 11, 13 – 15, 25, 154 Prauss, Gerold 75, 97, 152, 182 f. Pries, Christine 265 Radcliffe, Elizabeth S. 25, 53 Railton, Peter 3 Raz, Joseph 50, 54, 59 Reath, Andrews 115, 119 f., 133, 139, 145, 166, 168 f., 174, 178, 185, 218, 240, 255 – 257, 276 f., 281, 291, 299 Recki, Birgit 243, 265 f. Reich, Klaus 172 f., 190, 294 Ricken, Friedo 48 Rohs, Peter 152, 288, 294 Rosati, Connie S. 61 Rhl, Ulli F. H. 30 Sala, Giovanni B. 34 Sans, Georg 68 Scanlon, Thomas M. 47, 50, 54 f., 59 Scarano, Nico 276, 297 Schadow, Steffi 148, 233, 253 Schmucker, Josef 32, 34, 37 f., 40, 43 f., 190 Schneewind, Jerome B. 26 f., 29, 34, 36, 45 Schçnecker, Dieter 92, 95, 173, 231 Schçnrich, Gerhard 98 Schwaiger, Clemens 6, 9, 33 – 35, 43 f., 132, 188, 190 f., 193 f., 196 f., 208, 221 Shafer-Landau, Russ 59 Shaftesbury, Anthony Earl of 27, 29, 188, 197 Shaw, Daniel 25 Smith, Michael 27, 29, 50, 53 Snare, Francis 24 Spitzley, Thomas 11 f. Sprute, Jrgen 29
323
Personenregister
Stark, Werner 9, 192 Stoecker, Ralf 253 Sullivan, Roger J. 186, 257 f. Svavarsdttir, Sigrffln 61 Taylor, William L. 27 Thomas, Andreas 27, 38 f., 47 Timmermann, Jens 93, 96, 120, 136, 143 – 145, 148, 163, 181, 186, 276, 292 Timmons, Mark 66 f., 240, 285 Uleman, Jennifer K.
140, 184 f.
Velleman, David 48, 52, 60, 307 Vorlnder, Karl 120, 145 Wallace, R. Jay 47, 49, 55, 65 Warda, Arthur 26
Watkins, Eric 70 Weiper, Susanne 213 Wild, Markus 106 Willaschek, Marcus 69, 74 – 76, 82, 85 – 87, 92, 98, 104, 114, 120, 125, 134, 145, 179, 184, 230, 233, 276 Williams, Bernard 57 – 60, 62 – 64, 305 Wilson, George M. 48 Wolff, Christian 32, 34 – 40, 43 f., 46, 51, 69, 101 f., 110 f., 192 f., 202 f., 205, 259, 301 f. Wolff, Michael 233–235 Wolff, Robert P. 102, 144, 276 Wood, Allen W. 113, 115, 141, 174, 223, 256, 258, 291 Zinkin, Melissa
240, 261 f.
Sachregister Achtung/Achtung fr das (frs) Gesetz/ Achtung vor dem Gesetz 5 f., 121, 149, 160 f., 164 – 169, 184, 214, 216 – 224, 226 – 229, 236, 238, 240, 242, 244, 246 – 250, 254, 259 f., 262, 264, 266, 268 f., 271 – 276, 278 – 285, 288 – 300, 302 – 306 – als Triebfeder 207, 247, 262, 265, 269, 271, 276, 280f., 288, 292–299 Affekt 16–26, 31f., 34f., 38, 113, 124 Antinomie 68, 70, 72 – 75, 79, 85 f., 89, 94, 199 f. Autonomie 145 f., 152, 168 – 174, 176 – 187, 227 f., 263, 291, 306 Begehrungsvermçgen 99 f., 104 f., 108 – 111, 117, 124, 184, 259 f., 283, 285, 297 – oberes 72, 108 – 110, 263, 281 – unteres 281, 108 – 110 Bestimmungsgrund 124, 158, 204, 217, 229, 239, 241 f., 249 f., 254 f., 270 f., 277 – 279, 292 – 294, 296 f. Bewegungsgrund 36, 38, 159, 193, 211 f., 223, 242 Charakter 76 f., 98, 143, 151, 153 f., 199, 261, 269 – empirischer 74, 76 – 79, 81 – 83, 85 – 87 – intelligibler 74, 76, 78 – 87, 92, 97 Demut 245, 258, 269 Demtigung 244f., 248, 250, 259–270, 278–280, 296, 299
Dijudikation, Prinzip der 207
192, 196,
Eigendnkel 254 – 258, 260 – 262 Eigenliebe 248, 254 – 258, 260 – 262 Erhabene, das 265 – 270 Exekution, Prinzip der 192, 197, 207 Faktum der Vernunft 176, 229, 232 – 236, 238 f., 272 Freiheit 71 – 78, 80 – 82, 84 – 88, 90 – 100, 102 f., 115, 122 f., 132, 140 f., 151 f., 156, 158, 168, 175 – 186, 209 f., 225, 231 – 235, 245 f., 290 – 292, 294, 296 – negative 178, 180f. – positive 180-186 – praktische 74, 79, 83, 87 – 92, 95 – 97 – transzendentale 73, 88 f., 91 f., 94, 96 f. Gefhl 18 – 22, 30, 35 – 38, 40 – 46, 107, 109 – 114, 116 – 119, 151 – 155, 188, 190 f., 193 – 195, 204 – 208, 215, 217, 219 – 223, 236 – 238, 248, 252 f., 266 – 269, 277 – 281, 283 f., 292 – 298, 300 – 303, 306 f. – moralisches 5, 7, 9, 32 – 34, 38, 45, 190 f., 199, 204 – 207, 212, 217, 219 – 224, 226, 231, 237 f., 242 f., 249, 252, 259, 274 – 277, 281 f., 285, 293, 295, 297 – 300, 302 f., 306 – sinnliches 206, 212, 254, 260, 299 Gefhl der Achtung (s. Achtung) 4 f., 220 f., 223, 238 f., 242, 247 f., 262, 265, 267, 273, 276, 278,
326
Sachregister
281 f., 288 f., 292, 294 f., 297 – 299, 302, 306 Gefhl des Erhabenen 42, 45, 153, 205, 220, 266–268 Gefhl der Lust/Unlust 16, 22, 107, 109–111, 117–119, 226f., 231, 259–261, 266–268, 284–287 Gesetz 70 – 73, 91, 103 – 105, 120 – 123, 125 – 140, 144 – 149, 157 – 169, 171 – 178, 180, 216 – 219, 230 – 236 – der Freiheit 123, 125f., 132, 136 – der Natur/Naturgesetz 120-122, 126 – moralisches/Sittengesetz 95, 120, 127, 134, 136 f., 147, 155, 165 – 169, 171 – 177, 179, 182 f., 186 f., 192, 203, 207, 221 f., 224 f., 227 f., 231 f., 234 f., 238 f., 241, 243 – 245, 247, 249 f., 252, 254 – 260, 264 f., 269 – 275, 286 – 293, 295 – 299, 302 f. – praktisches 7, 123, 130–132, 136, 160, 165f., 175f., 201, 213, 230, 234f., 239f., 249, 273, 302, 305 Gesetzmßigkeit 86, 91, 122, 161, 180 Gewissen 151, 251 – 253, 269 Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft 169, 173f., 176, 232f. Grundsatz, praktischer 129f., 133, 139f., 159f., 205, 273 Grnde – externe und interne 56, 59 f., 63 f., 180 f. – moralische 4, 8, 56, 62, 64, 67, 97, 103, 178, 200, 262 f., 300, 303, 305 – 307 – motivierende 47 – 56, 64, 306 – normative 47, 49 – 51, 55 – 60, 64, 306 – praktische 56–59, 61, 305f. Gut, das Gute 11, 29 – 31, 34 – 43, 111, 167, 174, 180, 188, 208 f., 211 – 213, 217, 251 – 253, 295 Handlung 12 – 14, 16 – 19, 46 – 58, 61, 63 f., 68 – 72, 75 – 92, 94 –
106, 110, 112, 115 – 121, 133 – 135, 137 – 144, 179 – 188, 192 – 212, 221 – 227, 229 f., 232 f., 251 – 253, 259 f., 262 f., 283 – 285 – freie 85, 87, 99, 117, 182 – moralische 3, 6, 25, 28, 34, 110, 151, 154, 156, 194, 204 f., 212, 216, 219 f., 226, 250, 272, 275 f., 288 Imperativ 95 – 98, 101, 125 – 127, 135 f., 139 – hypothetischer 131, 139, 170 – kategorischer 121 f., 130 – 132, 134 – 136, 145 – 147, 168 – 171, 173, 177, 231, 246, 269, 276, 299 Interesse 93 f., 106, 111 f., 115 – 119, 144, 166, 171, 176, 180 – 183, 224 – 227, 229, 231, 236, 239, 245, 256, 281 – 288, 300 – moralisches 118, 224 – 226, 281 f., 287, 289, 294 f., 299 – praktisches 116 f., 213, 225 Kausalitt 68, 70 – 76, 78 – 82, 85, 88, 90 – 92, 94, 96, 99 f., 122 f., 127 f., 168 – der Natur 68, 72, 76 – Gesetz der/Gesetzmßigkeit der 70f., 77–79, 122, 180 Kraft 68 – 72, 75, 88, 205, 211, 214, 250, 259 – 262 Leben 104, 261 Legalitt 148, 167 Leidenschaft 17, 26, 113f. Maxime 112, 114 – 116, 121, 128 – 130, 134 – 137, 140 – 146, 148, 156 – 158, 160 – 164, 167 – 169, 174 – 177, 183 – 186, 197, 200 f., 216 – 219, 244, 246 f., 250, 252, 255 – 257, 261 – 264, 279, 281 – 283, 286 – 288, 290 – 295 Mitgefhl/Mitleid 42, 46, 148, 150–155 Moralitt 19 f., 97 f., 103, 120, 133 f., 145 – 147, 152 – 155, 163,
Sachregister
167 – 173, 177 – 179, 186, 193 – 200, 204, 206, 211 f., 221, 230, 232, 234, 236, 243, 251, 258, 272, 277, 289, 295 f. Moral Sense 5, 26 f., 29 f., 32 f., 34, 42 – 46, 67, 189, 191 f., 194, 295, 297 f. Motiv 28, 30, 34 – 37, 39, 46 f., 59 f., 63, 96, 114, 124, 147 – 156, 164 f., 187, 193, 195 f., 208 – 211, 223, 225, 236, 289 f. Negative Grçßen 250 – 252, 254, 260 – 263 Neigung 90, 106, 108 f., 111 – 116, 147 – 160, 162 – 164, 166 f., 218 – 221, 231, 243 – 245, 249 – 251, 254 – 256, 280 – 283, 286 f., 291 Person, Persçnlichkeit 47 – 52, 103, 186, 243, 245 f., 248, 269, 286 Person, Wert der 245, 256, 269 Pflicht 121, 123, 130, 142 f., 146 – 157, 160 f., 164 – 167, 170 – 172, 216 – 219, 223, 238, 241 f., 265, 288 Praktisch 11 – 14, 40 f., 44, 71, 79, 83, 87 – 90, 109, 116 – 118, 121, 129 – 132, 137 – 139, 172, 174 – 177, 191 – 193, 197 f., 209 f., 212 – 214, 217 – 225, 233, 236, 239, 241 – 244, 247, 300 f., 306 Reiz
105 f., 111, 123 f., 139, 142, 156, 209 – 211, 215, 251, 289
Schluss, praktischer 11–14, 141 Selbstliebe 107, 112, 190, 254 – 257, 260 Selbstsucht 112, 254 f., 257 f. Sinnlichkeit 3, 76, 79, 86 – 91, 99, 105 – 108, 111 – 113, 143, 158, 175, 179, 181, 191, 206, 209 – 212, 215, 221, 226, 237, 240, 244 f., 247, 249 f., 254, 257, 260, 262, 265 f., 271, 275 – 277, 279, 281, 292, 301, 303
327
sinnlich 1 f., 4 f., 37, 71, 75, 77 – 85, 87 f., 90, 101 f., 105 – 109, 111 – 113, 116 – 119, 122 – 124, 139 f., 142, 151 f., 155 – 160, 175, 178 f., 181 – 183, 185, 195, 197, 205 f., 209 – 212, 215 f., 220, 224 f., 227, 229, 232, 237, 239 f., 244 – 246, 248 f., 251, 254, 256 – 258, 261 f., 265 – 270, 278 – 284, 289 – 292, 296, 298, 300 f., 304 – 306 Sittengesetz, s. Gesetz, moralisches – Bewusstsein des Sittengesetzes 227, 232 f., 235 f., 238, 245, 262, 265, 272, 274, 279, 287, 299 Sittlichkeit, s. Moralitt Sollen 24, 57, 91 – 98, 126, 130, 172, 194, 227 Spontaneitt 73, 78 f., 88 – 98, 177, 221, 291 Stimulus (s. auch Reiz) 106, 124, 142, 159, 208 – 211, 289 Substanz 69 – 71, 79, 88 Tat 226 f., 233 f., 298 Triebfeder 155 – 157, 192 f., 196, 201 f., 207 – 209 – moralische 5 – 7, 159, 192 f., 196, 198 – 204, 211 – 217, 219 – 227, 236 – 244, 262, 264, 270 – 284, 288 – 292, 304 Unterlassen 251, 253 Ursache 48 f., 69 – 79, 99, 102, 208 f. – intelligible 74 f., 79, 81, 84 f., 94, 97, 250, 259, 296 – und Wirkung 70 – 72, 79 – 81, 84, 89, 99, 122 Verbindlichkeit 43 – 45, 147, 166, 173 f., 176 – 178, 180, 185, 190, 192 f., 230, 233 Vernunft 2 – 4, 15 – 18, 22 – 30, 35, 38 f., 44 – 46, 78 – 81, 83 – 95, 97 – 102, 116 f., 123, 128, 130, 138, 142 – 145, 158, 244 – 246, 258 – 260, 265 – 268 – praktische 97 – 104, 120 f., 125 f., 138, 144 – 146, 179, 246, 283 f.
328
Sachregister
– reine praktische 71, 89, 103 f., 119 f., 175, 184 – 186, 229 – 235, 237 – 240, 242 – 244, 249 f., 257, 262 f., 272 f., 289 Vernunftinteresse 117 f., 225, 227, 287 Wert, moralischer 146 – 161, 164 – 166, 168 – 170, 175 f., 216 – 219, 224 – 226, 230, 273 f. Wille 4, 16, 18, 23 f., 35 – 39, 44, 88 – 90, 99 – 102, 109 – 111, 115 – 117, 120 – 126, 128, 137 – 140, 142 f., 145 – 147, 157 – 159, 174 – 176, 178 – 180, 182 – 186, 216 – 219, 227, 237 f., 252, 260 – 263, 283, 291 – 294, 306 – autonomer 173–180, 185f., 293, 306 – guter 139, 147, 182 Wille-Willkr 88f., 100, 145f., 183–185, 292–294
Willkr 4 f., 77, 79 f., 84, 87 – 91, 93, 100 f., 103, 105 – 107, 115 f., 123 f., 126, 138 – 140, 146, 151, 156, 158 f., 175, 177, 179, 181, 208 – 211, 226 f., 254 – 257, 288, 290 – 295, 297 f., 300, 306 – freie 4 f., 88, 90, 106, 115, 123, 125 f., 130, 132, 140 – 142, 151, 156 – 159, 181, 183 – 185, 201, 209, 221, 256, 295, 298 – menschliche 78, 88 – 90, 93, 123 – 127, 157, 166, 211, 257, 283 f., 291 – tierische 88, 104 f., 127, 210 Zurechnung, Zurechenbarkeit 78, 103, 233, 253, 257, 272 Zwang 124 f., 138, 210 f. Zweck 28, 31, 33, 103 – 106, 116 f., 131, 133, 157 – 160, 225 f., 267 Zweck-Mittel 103, 131, 138, 158f., 179